Protokoll:
11175

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 11

  • date_rangeSitzungsnummer: 175

  • date_rangeDatum: 15. November 1989

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 09:00 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 16:27 Uhr

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 11/175 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 175. Sitzung Bonn, Mittwoch, den 15. November 1989 Inhalt: Abwicklung und Erweiterung der Tagesordnung 13229A Glückwünsche zum Geburtstag des Abg. Biehle 13278 D Tagesordnungspunkt 2: Überweisung im vereinfachten Verfahren Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Maßnahmen zum Bodenschutz (Drucksache 11/1625) in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 1: Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur steuerlichen Förderung des Wohnungsbaus und denkmalgeschützter Gebäude (WoBauFG) (Drucksache 11/5680) . . 13229 C Tagesordnungspunkt 3: a) Fortsetzung der zweiten und dritten Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung und Vereinfachung der Vereinsbesteuerung (Vereinsförderungsgesetz) (Drucksachen 11/4176, 11/4305, 11/5582, 11/5607) und b) Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung des Gemeinnützigkeitsrechts (Drucksachen 11/390, 11/5582) und c) Zweite und dritte Beratung des von dem Abgeordneten Büchler (Hof), weiteren Abgeordneten und der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung des Gemeinnützigkeitsrechts (Drucksachen 11/1334, 11/5582) und d) Beschlußempfehlung und Bericht des Finanzausschusses zu dem Antrag des Abgeordneten Dr. Apel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Steuerliche Erleichterungen für die gemeinnützigen Sportvereine und andere gemeinnützige Vereine (Drucksachen 11/124, 11/5582) Dr. Feldmann FDP (Erklärung nach § 31 GO) 13230D Zusatztagesordnungspunkt 2: Aktuelle Stunde betr. Haltung der Bundesregierung zum bevorstehenden Giftmüllumschlag im Emdener Hafen zur Seeverbrennung Frau Garbe GRÜNE 13233C, 13237 D Schmidbauer CDU/CSU 13234 C Lennartz SPD 13235 D Baum FDP 13236D Bohlsen CDU/CSU 13238 B Ewen SPD 13239 B Kleinert (Hannover) FDP 13240 B Frau Blunck SPD 13241 C Austermann CDU/CSU 13242 C Dr. Töpfer, Bundesminister BMU . . . 13244 A Schütz SPD 13246 A Harries CDU/CSU 13247 B II Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 175. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. November 1989 Tagesordnungspunkt 4: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ergänzung des Katastrophenschutzgesetzes und anderer Vorschriften (Katastrophenschutzergänzungsgesetz) (Drucksachen 11/4728, 11/5675) b) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Regelung der Rechtsverhältnisse der Helfer der Bundesanstalt Technisches Hilfswerk (THW- Helferrechtsgesetz) (Drucksachen 11/4731, 11/5044, 11/5674) Kalisch CDU/CSU 13248 C Dr. Nöbel SPD 13250 C Dr. Hirsch FDP 13253 C Such GRÜNE 13255 A Spranger, Parl. Staatssekretär BMI . . . 13256 C Wüppesahl fraktionslos 13257 D Lüder FDP (Erklärung nach § 31 GO) . 13258D Tagesordnungspunkt 5: Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verlängerung beschäftigungsfördernder Vorschriften (Beschäftigungsförderungsgesetz 1990) (Drucksachen 11/4952, 11/5654) Feilcke CDU/CSU 13259 C Frau Weiler SPD 13261 B Heinrich FDP 13264 C Frau Beck-Oberdorf GRÜNE 13266 A Vogt, Parl. Staatssekretär BMA 13266 D Tagesordnungspunkt 20: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Regelung von Fragen der Gentechnik (Drucksache 11/5622) Pfeifer, Parl. Staatssekretär BMJFFG . . 13270 C Catenhusen SPD 13271 C Kohn FDP 13273 D Frau Rust GRÜNE 13274 D Seesing CDU/CSU 13275 D Frau Becker-Inglau SPD 13277 B Tagesordnungspunkt 7: Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Verteidigungsausschusses als 1. Untersuchungsausschuß nach Artikel 45 a Abs. 2 des Grundgesetzes zu dem auf Antrag der Fraktion der SPD am 21. September 1988 gefaßten Beschluß des Verteidigungsausschusses, sich zur Abklärung der Vorgänge bei und im Zusammenhang mit den Flugtagen in Ramstein und Nörvenich am 28. August 1988 als Untersuchungsausschuß nach Artikel 45 a Abs. 2 des Grundgesetzes zu konstituieren (Drucksache 11/5354) in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 3: Beratung des Antrags der Abgeordneten Frau Schilling, Dr. Mechtersheimer und der Fraktion DIE GRÜNEN: Konsequenzen aus der Katastrophe von Ramstein (Drucksache 11/5679) in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 4: Beratung des Antrags des Abgeordneten Horn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Luftfahrtveranstaltungen in der Bundesrepublik Deutschland (Drucksache 11/5681) in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 5: Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Verteidigungsausschusses zu dem Antrag der Fraktion der SPD: Konsequenzen aus der Katastrophe des Flugtages in Ramstein am 28. August 1988 (Drucksachen 11/2897, 11/5650) Biehle CDU/CSU 13278 D Gerster (Worms) SPD 13281 A Nolting FDP 13282 C Frau Schilling GRÜNE 13285 D Wilz CDU/CSU 13287 B Opel SPD 13289B Kossendey CDU/CSU 13291 C Horn SPD 13294 A Tagesordnungspunkt 8: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Wirtschaftsplans des ERP-Sondervermögens für das Jahr 1990 (ERP- Wirtschaftsplangesetz 1990) (Drucksachen 11/4908, 11/5627) 13295 C Tagesordnungspunkt 9: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Haftung für fehlerhafte Produkte (Produkthaftungsgesetz) (Drucksachen 11/2447, 11/5520) b) Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Frau Saibold und der Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 175. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. November 1989 III Fraktion DIE GRÜNEN: Verbesserung des Produkthaftungsgesetzes (Drucksachen 11/3718, 11/5520) Hörster CDU/CSU 13296A Stiegler SPD 13297 B Funke FDP 13298D Frau Saibold GRÜNE 13299 C Dr. Jahn, Parl. Staatssekretär BMJ . . . 13300 C Tagesordnungspunkt 1: Fragestunde — Drucksache 11/5641 vom 10. November 1989 — Einbringung eines Schwangeren-Beratungsgesetzes MdlAnfr 7 Jäger CDU/CSU Antw PStSekr Pfeifer BMJFFG 13303 A ZusFr Jäger CDU/CSU 13303 A ZusFr Frau Weyel SPD 13 303 B ZusFr Dr. Klejdzinski SPD 13303 C ZusFr Frau Ganseforth SPD 13303 C ZusFr Stiegler SPD 13303 D Zulassung des Asthma-Präparats „Formoterol" durch das Bundesgesundheitsamt MdlAnfr 8 Kirschner SPD Antw PStSekr Pfeifer BMJFFG 13304 A ZusFr Kirschner SPD 13304 A Vergrößerung der Kapazitäten für den Huckepack-Verkehr der Bundesbahn MdlAnfr 12 Jäger CDU/CSU Antw PStSekr Dr. Schulte BMV 13304 C ZusFr Jäger CDU/CSU 13304 D ZusFr Frau Ganseforth SPD 13304 D Abschreibungsfristen für Fahrzeuge der Bundesbahn im Nahverkehr MdlAnfr 13 Frau Ganseforth SPD Antw PStSekr Dr. Schulte BMV 13305 A ZusFr Frau Ganseforth SPD 13305 A Anschaffung behindertengerechter Fahrzeuge auf der Bundesbahnstrecke WunstorfLehrte MdlAnfr 14 Frau Ganseforth SPD Antw PStSekr Dr. Schulte BMV 13305 C ZusFr Frau Ganseforth SPD 13305 C Geringere Entlastung für verheiratete gegenüber alleinstehenden Steuerzahlern und Benachteiligung von Ehepaaren mit einem zu versteuernden Einkommen von 70 000 DM im Vergleich zu besser verdienenden Ehepaaren durch die Steuerreform MdlAnfr 27, 28 Dr. Klejdzinski SPD Antw PStSekr Dr. Voss BMF . 13306B, 13307B ZusFr Dr. Klejdzinski SPD . . 13306C, 13307 C ZusFr Frau Weyel SPD . . . . 13306D, 13308C ZusFr Dr. Sperling SPD . . . . 13306D, 13308B Klagen der Spitzenverbände der deutschen Wirtschaft über die zu hohe Steuerbelastung der Unternehmen in den letzten 40 Jahren und Gründe für den anhaltenden Exporterfolg der deutschen Wirtschaft MdlAnfr 29, 30 Dr. Sperling SPD Antw PStSekr Dr. Voss BMF . 13308D, 13310A ZusFr Dr. Sperling SPD . . . . 13309A, 13310B ZusFr Dr. Klejdzinski SPD . . 13309B, 13310 C ZusFr Frau Steinhauer SPD 13309 C ZusFr Andres SPD 13309 D Änderung der Zumutbarkeitsvorschriften in § 103 AFG MdlAnfr 33, 34 Heyenn SPD Antw PStSekr Vogt BMA 13311A ZusFr Heyenn SPD 13311A, 13311B Anhebung der Kostenerstattung für Teilnehmer beruflicher Bildungsmaßnahmen der Bundesanstalt für Arbeit MdlAnfr 35, 36 Frau Weiler SPD Antw PStSekr Vogt BMA 13311 C ZusFr Frau Weiler SPD 13311C ZusFr Frau Steinhauer SPD 13312A ZusFr Andres SPD 13312 A ZusFr Dr. Sperling SPD 13312 B ZusFr Heyenn SPD 13312 C Personelle Verstärkung der Bundesanstalt für Arbeit MdlAnfr 37, 38 Andres SPD Antw PStSekr Vogt BMA . . 13312D, 13313D ZusFr Andres SPD 13312D, 13314 A ZusFr Dr. Sperling SPD 13313 B ZusFr Frau Steinhauer SPD 13313 B ZusFr Heyenn SPD 13313 D Änderung der Praxis bei der Berufsausbildungsförderung durch die Bundesanstalt für Arbeit angesichts der sinkenden Qualität der Bildungsmaßnahmen IV Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 175. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. November 1989 MdlAnfr 39, 40 Frau Steinhauer SPD Antw PStSekr Vogt BMA 13314 C ZusFr Frau Steinhauer SPD 13314 D Nächste Sitzung 13315 C Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . 13317* A Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Gattermann (FDP) zur Abstimmung über das Gesetz zur Verbesserung und Vereinfachung der Vereinsbesteuerung 13317* B Anlage 3 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Frau Hoffmann (Soltau) (CDU/CSU) zur Abstimmung über das Gesetz zur Verbesserung und Vereinfachung der Vereinsbesteuerung 13317* C Anlage 4 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Scharrenbroich, weiterer Abgeordneter (alle CDU/CSU) zur Abstimmung über das Gesetz zur Verlängerung beschäftigungsfördernder Vorschriften 13317* D Anlage 5 Erklärung des Abgeordneten Niegel (CDU/ CSU) zur zweiten und dritten Beratung des Entwurfs des ERP-Wirtschaftsplangesetzes 1990 13318*B Anlage 6 Krebshäufigkeit in den Wohnbezirken um den Truppenübungsplatz Grafenwöhr MdlAnfr 9 — Drs 11/5641 — Stiegler SPD SchrAntw PStSekr Pfeifer BMJFFG . . . 13319* B Anlage 7 Berücksichtigung der Anbindung ländlicher und strukturschwacher Räume an Ballungsgebiete bei Bedienungszusagen für Güterbahnhöfe, insbesondere in WaldfischbachBurgalben; Umschichtung der Mittel für die Magnetbahn „Transrapid" zugunsten der Bahn, insbesondere ihres ICE-Netzes MdlAnfr 10, 11 — Drs 11/5641 — Uelhoff CDU/CSU SchrAntw PStSekr Dr. Schulte BMV . . . 13319* C Anlage 8 Umfang des für den Wohnungsbau nutzbaren Landes aus dem Sondervermögen des Bundes; verbilligte Abgabe der Grundstücke MdlAnfr 15, 16 — Drs 11/5641 — Menzel SPD SchrAntw PStSekr Dr. Schulte BMV . . . 13320* A Anlage 9 Illegale Giftmüllverbrennung auf der Nordsee; Ansicht des Deutschen Hydrographischen Instituts (DHI) über die Umweltgefährdung MdlAnfr 17, 18 — Drs 11/5641 — Schütz SPD SchrAntw PStSekr Gröbl BMU 13320* C Anlage 10 Stand der EG-Verhandlungen über das Verbot der Verwendung von PCP MdlAnfr 21 — Drs 11/5641 — Stiegler SPD SchrAntw PStSekr Gröbl BMU 13321* A Anlage 11 Vermeidung schädlicher Auswirkungen auf die Umwelt im Zusammenhang mit dem zu erwartenden Wohnungsbauboom MdlAnfr 22 — Drs 11/5641 — Zierer CDU/CSU SchrAntw StSekr von Loewenich BMBau . 13321* B Anlage 12 Möglichkeit der Steigerung des Wohnungsbaus 1989 und 1990 MdlAnfr 23, 24 — Drs 11/5641 — Großmann SPD SchrAntw StSekr von Loewenich BMBau . 13321* C Anlage 13 Konzeption der Bundesregierung für den Weissenhof in Stuttgart MdlAnfr 25, 26 — Drs 11/5641 — Frau Walz FDP SchrAntw PStSekr Dr. Voss BMF . . . . 13321* D Anlage 14 Finanzhilfe für den sozialen Wohnungsbau MdlAnfr 31, 32 — Drs 11/5641 — Müntefering SPD SchrAntw PStSekr Dr. Voss BMF . . . . 13322* A Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 175. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. November 1989 V Anlage 15 Stationierung einer zusätzlichen Staffel MRCA Tornado im Fliegerhorst Lechfeld MdlAnfr 43, 44 — Drs 11/5641 — Leidinger SPD SchrAntw PStSekr Wimmer BMVg . . . 13322* B Anlage 16 Freigabe der Erprobung des Zünders für Panzerbodenminen (Knüffelmann-Zünder) MdlAnfr 46, 47 — Drs 11/5641 — Jungmann (Wittmoldt) SPD SchrAntw PStSekr Wimmer BMVg . . . 13322* D Anlage 17 Beginn der Erprobung des Zünders für Panzerbodenminen unter Beteiligung des Erfinders Knüffelmann; Beeinträchtigung von Sicherheitsinteressen der Bundesrepublik Deutschland MdlAnfr 48, 49 — Drs 11/5641 — Gansel SPD SchrAntw PStSekr Wimmer BMVg . . . 13323* A Anlage 18 Zahl der Rentenbeitragszahler und der aus der Rentenversicherungspflicht 1989 herausfallenden Beschäftigten im Vergleich zu 1982 MdlAnfr 41, 42 — Drs 11/5641 — Sielaff SPD SchrAntw PStSekr Vogt BMA 13323* C Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 175. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. November 1989 13229 175. Sitzung Bonn, den 15. November 1989 Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) Fraktion entschuldigt bis einschließlich Dr. Ahrens SPD 16. 11. 89 * Antretter SPD 16. 11. 89 * Brandt SPD 15. 11.89 Büchner (Speyer) SPD 16. 11. 89 * Bühler (Bruchsal) CDU/CSU 16. 11. 89 Dr. von Bülow SPD 15. 11. 89 Conradi SPD 16. 11. 89 Frau Eid GRÜNE 16. 11. 89 Frieß GRÜNE 15. 11. 89 Gallus FDP 16. 11. 89 Hauser (Krefeld) CDU/CSU 15. 11. 89 Dr. Haussmann FDP 16. 11. 89 Heimann SPD 16. 11. 89 Hinrichs CDU/CSU 15. 11. 89 Graf Huyn CDU/CSU 15. 11. 89 Klein (Dieburg) SPD 16. 11. 89 Klose SPD 16. 11. 89 Lowack CDU/CSU 15. 11. 89 Frau Luuk SPD 16. 11. 89 Dr. Mertens (Bottrop) SPD 15. 11. 89 Frau Dr. Niehuis SPD 16. 11. 89 Paintner FDP 16. 11. 89 Reddemann CDU/CSU 16. 11. 89 * Frau Rock GRÜNE 16. 11. 89 Frau Rost (Berlin) CDU/CSU 15. 11. 89 Frau Rönsch (Wiesbaden) CDU/CSU 15. 11. 89 Schartz CDU/CSU 15. 11. 89 Schulze (Berlin) CDU/CSU 16. 11. 89 Seehofer CDU/CSU 16. 11. 89 Seiters CDU/CSU 15. 11. 89 Dr. Soell SPD 16. 11. 89** Toetemeyer SPD 16. 11. 89 Frau Trenz GRÜNE 16. 11. 89 Verheugen SPD 16. 11. 89 Voigt (Frankfurt) SPD 15. 11. 89 Volmer GRÜNE 16. 11. 89 Dr. Zimmermann CDU/CSU 16. 11. 89 * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates * * für die Teilnahme an Sitzungen der Westeuropäischen Union Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Gattermann (FDP) zur Abstimmung über das Gesetz zur Verbesserung und Vereinfachung der Vereinsbesteuerung Abweichend von meiner Fraktion enthalte ich mich in der 3. Lesung des Gesetzes der Stimme aus folgenden Gründen: 1. Die guten Arbeitsergebnisse einer eigens berufenen Sachverständigenkommission sind in unzureichender Weise ausgewertet worden. Anlagen zum Stenographischen Bericht I 2. Der Gesetzgeber weitet den Begriff der Gemeinnützigkeit weit in den Bereich der Freizeitbetätigung aus. Die Versuche, die uferlose Ausweitung einzugrenzen, sind m. E. mißlungen. Praktisch jeder Verein wird sich in die Begünstigung hineinklagen können. 3. Dann aber sind sind die Begünstigungen im Verhältnis zur Beeinträchtigung der steuerlichen Leistungsfähigkeit durch familiäre Belastungen unvertretbar. 4. Dann aber sind durch die steuerliche Begünstigung wirtschaftlicher Betätigungen solcher Vereine Wettbewerbsbenachteiligungen, insbesondere des Gastgewerbes, m. E. nicht mehr vertretbar. Dennoch enthalte ich mich lediglich der Stimme, weil das Gesetz an anderen Stellen gute und notwendige Lösungen bringt und ich selbst für die beanstandeten Punkte z. Z. auch keine besseren Lösungen anbieten kann. Anlage 3 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Frau Hoffmann (Soltau) (CDU/CSU) zur Abstimmung über das Gesetz zur Verbesserung und Vereinfachung der Vereinsbesteuerung Ich stimme dem Vereinsförderungsgesetz nicht zu, weil es die mittelständische Gastronomie und den Einzelhandel wettbewerbsmäßig stark benachteiligt und auch andere Ungerechtigkeiten beinhaltet. Anlage 4 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Scharrenbroich, Zink, Schreiber, Strube, Frau Rönsch (Wiesbaden), Bohlsen, Dr. Kappes, Dr. Kronenberg, Link (Frankfurt), Jäger, Marschewski, Link (Diepholz), Sauer (Salzgitter), Seesing, Frau Dr. Hellwig, Sauer (Stuttgart), Dörflinger, Bühler (Bruchsal), Dr. Uelhoff, Zierer, Frau Männle, Frau Dr. Süssmuth, Neumann, Kossendey, Pfeffermann, Günther, Höpfinger, Dr. Mahlo, Frau Limbach, Ganz (St. Wendel), Frau Karwatzki, Breuer (alle CDU/CSU) zur Abstimmung über das Gesetz zur Verlängerung beschäftigungsfördernder Vorschriften (TOP 5) Schriftliche Erklärung nach § 31 der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages Die oben aufgeführten Abgeordneten geben zur Abstimmung des Gesetzes zur Verlängerung beschäftigungsfördernder Vorschriften - Drucksache 11/4952 - nachstehende Erklärung zu Protokoll: 13318* Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 175. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. November 1989 Nach Auswertung des vom Bundesarbeitsministeriums in Auftrag gegebenen Gutachtens und der am 18. Oktober d. J. durchgeführten Anhörung hätten wir gewünscht, daß die arbeitsrechtlichen Vorschriften zum Abschluß befristeter Arbeitsverträge noch verändert worden wären. Die Unterzeichner stimmen dennoch dem Gesetz zu, weil damit gleichzeitig wichtige und im Interesse der Arbeitnehmer unverzichtbare Bestimmungen des Arbeitsförderungsgesetzes verlängert werden. Wer das Gesetz ablehnt, lehnt auch folgende Hilfen für die Arbeitnehmer, insbesondere für Arbeitslose ab. Es handelt sich vor allem um: 1. Erleichterte Zahlung von Kurzarbeitergeld bis zu 2 Jahren in Krisensituationen, auch in anderen Wirtschaftszweigen als der Stahlindustrie, 2. die Förderung von Arbeitslosen unter 25 Jahren in berufsvorbereitende Bildungsmaßnahmen, 3. die Förderung der Teilnahme von Arbeitslosen unter 25 Jahren an Vorbereitungslehrgängen zum nachträglichen Erwerb des Hauptschulabschlusses, 4. die Förderung der Teilnahme Jugendlicher unter 25 Jahren an beruflichen Bildungsmaßnahmen in Teilzeitunterricht durch Teilunterhaltsgeld, 5. die Förderung der Teilnahme an beruflichen Bildungsmaßnahmen für Arbeitnehmer nach der Betreuung und Erziehung eines Kindes, 6. die Senkung des Mindestalters für die Zuweisung in Maßnahmen zur Arbeitsbeschaffung für ältere Arbeitnehmer, 7. der erleichterte Bezug von Arbeitslosengeld für Arbeitslose, die das 58. Lebensjahr vollendet haben. Anlage 5 Erklärung des Abgeordneten Niegel (CDU/CSU) zur zweiten und dritten Beratung des Entwurfs des ERP-Wirtschaftsplangesetzes 1990 *) Das ERP-Sondervermögen, hervorgegangen aus den ehemaligen Marshallplan-Hilfen, ist das bedeutendste Instrument des Bundes zur Wirtschaftsförderung. Dies sollte man auch in dieser Art beibehalten. Gefördert wird durch Bereitstellung zinsgünstiger Kredite. Tilgungen und Zinsen werden immer wieder — „revolvierend", wie der Fachausdruck heißt — als neue Kredite vergeben. Zusätzlich werden Gelder am Kapitalmarkt aufgenommen, um das Fördervolumen noch weiter zu erhöhen. Der Nutzen der Förderung durch ERP-Kredite ist unbestritten, im politischen Raum, bei den Kreditnehmern und bei den Banken. Mehr als 80 Milliarden DM wurden seit dem Kriege an revolvierenden Krediten aus dem ERP-Sondervermögen vergeben, vornehmlich an kleine und mittlere Unternehmen. Sie können damit zinsgünstig Investitionen zur Modernisierung der Unternehmen und zur Stärkung ihrer Wettbe- *) Vergleiche Seite 13295C werbsfähigkeit finanzieren. Das ERP-Sondervermögen hat sich als Instrument der Wirtschaftsförderung bewährt.Zur Beratung in 2. und 3. Lesung steht an der Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Wirtschaftsplan 1990 mit folgenden Eckdaten: Gesamtvolumen an neuen Krediten: rund 4,8 Milliarden DM. Das sind rund 200 Millionen DM oder 4,2 % mehr als im laufenden Jahr. Dieser Zuwachs schöpft die Steigerungsmöglichkeiten voll aus. Er erfordert eine Neuverschuldung von 26 To des Planvolumens. Das ist vertretbar. Die ERP-Kredite des Wirtschaftsplans 1990 verteilen sich wie folgt auf die bewährten Schwerpunkte: — Mittelstandsförderung: rund 2,6 Milliarden DM — Umweltschutz/Energieeinsparung: rund 1,25 Milliarden DM — Berlin-Förderung 775 Millionen DM Die Zuwächse des ERP-Wirtschaftsplans werden vor allem eingesetzt im — ERP-Regionalprogramm (+ 100 Millionen DM) und im — ERP-Existenzgründungsprogramm (+ 26 Millionen DM). Ich halte sie für die beiden wichtigsten Programme in der ERP-Mittelstandsförderung. Existenzgründer und auch Betriebe in strukturell benachteiligten Gebieten, vor allem im Zonenrand, haben besondere Schwierigkeiten. Ihnen mit zinsgünstigen Krediten unter die Arme zu greifen, ist besonders wichtig. In diesem Jahr ist es im Regionalprogramm zu Engpässen gekommen — wie übrigens auch in anderen Förderprogrammen. Die Programmschließung in diesem Jahr ließ sich nicht vermeiden — Grund war die günstige Konjunkturentwicklung und die damit verbundene starke Nachfrage nach ERP-Investitionskrediten. Programmschließungen sollten sich aber nicht wiederholen. Eine Aufstockung der Mittel ist notwendig. Sie ist im Wirtschaftsplan 1990 vorgesehen. Falls sie nicht ausreicht, müssen auch in künftigen Wirtschaftsplänen weitere Mittelaufstockungen ins Auge gefaßt werden. Dazu ist die Bundesregierung — wie ich höre — im Rahmen der Möglichkeiten bereit. Ich begrüße das. Ich begrüße auch, daß die Umweltschutzprogramme künftig den gewerblichen Unternehmen vorbehalten bleiben sollen. Sie haben besonderen Investitionsbedarf — in der Luftreinhaltung durch die TA Luft — in der Klärung von Industrieabwässern und — in der Wiederaufbereitung und Beseitigung von Abfällen. Die rege Inanspruchnahme zeigt in erfreulicher Weise, wie sehr die Unternehmen zunehmend auch in den Umweltschutz investieren. Finanzierungshilfen halte ich für den Umweltschutz für genauso wichtig wie Gebote und Verbote. Das gilt Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 175. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. November 1989 13319* vor allem für kleine und mittlere Unternehmen, die plötzlich mit behördlichen Umweltschutzauflagen konfrontiert werden und sehen müssen, wie sie die notwendigen Investitionen finanzieren. (Kommunale Umweltschutzinvestitionen, die bisher auch aus dem ERP-Sondervermögen gefördert wurden, kommen auch 1990 nicht zu kurz. Die Kommunen nehmen hierfür lieber das KfW-Gemeindeprogramm in Anspruch, das aus dem Bundeshaushalt im Zins verbilligt wird und zur Zeit für die Gemeinde sogar noch 0,5 Prozentpunkte zinsgünstiger ist als ERP.) Der Wirtschaftsplan 1990 führt ein neues ERP-Programm ein. Gefördert werden Investitionen zur Energieeinsparung, rationellen Energieverwendung, bzw. Nutzung erneuerbarer Energien. Mittelansatz: 200 Millionen DM. Dieses Programm fördert die Energieeinsparung. Es ist mittelbar auch ein Beitrag zum Umweltschutz. Ich nenne nur die Stichworte Klimakatastrophe und Kohlendioxydproblematik. Es soll kleinen und mittleren Unternehmen helfen, auch solche Investitionen vorzunehmen, die sich kurzfristig noch nicht rechnen, aber langfristig auch bei steigenden Energiepreisen zur Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit beitragen. Die Wärmeschutzverordnung, die in Vorbereitung ist, wird auch bei kleinen Unternehmen Investitionen erforderlich machen. Sie werden durch dieses Programm erleichtert. Das dient der Energieeinsparung und dem Umweltschutz und auch der Förderung der kleinen und mittleren Unternehmen. Der Bundesrat hat im ersten Durchgang eine Vedoppelung der Mittel für Energieeinsparung verlangt. Das ist aber ohne Abstriche bei anderen wichtigen Programmen, bzw. ohne die Neuverschuldung unvertretbar weiter zu erhöhen, leider nicht möglich. Hierauf hat die Bundesregierung in ihrer Gegenäußerung hingewiesen. Zusammenfassend ist zum ERP-Plan 1990 zu sagen: Die bewährte ERP-Förderung wird fortgeführt und in den wichtigsten Bereichen — Existenzgründung; Regionalprogramm — ausgeweitet. Als neues Förderprogramm kommt die Energieeinsparung hinzu. Der federführende Wirtschaftsausschuß hat den Gesetzentwurf der Bundesregierung zum ERP-Wirtschaftsplan 1990 beraten und mit großer Mehrheit gebilligt. Der mitberatende innerdeutsche Ausschuß und der Haushaltsausschuß haben einstimmig zugestimmt. Anlage 6 Antwort des Parl. Staatssekretärs Pfeifer auf die Frage des Abgeordneten Stiegler (SPD) (Drucksache 11/5641 Frage 9) : Liegen der Bundesregierung Hinweise über eine behauptete Krebshäufigkeit in den Wohnbezirken um den Truppenübungsplatz Grafenwöhr vor, und wird sie veranlassen, daß entsprechende Erhebungen gemacht werden? Erhebungen, die eine Erhöhung der Krebserkrankungshäufigkeit in diesem Bereich verifizieren, sind der Bundesregierung nicht bekannt. Solche Erhebungen durchzuführen ist Sache des zuständigen Landes. Die Bundesregierung drängt seit Jahren auf die Einrichtung von regionalen Krebsregistern in den Bundesländern mit dem Ziel einer möglichst flächendeckenden Erfassung aller Krebserkrankungsfälle. Nur so können Häufungen im Vergleich zu anderen Regionen sicher erkannt und ihren Ursachen nachgegangen werden. Anlage 7 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Schulte auf die Fragen des Abgeordneten Dr. Uelhoff (CDU/CSU) (Drucksache 11/5641 Fragen 10 und 11): Da die Deutsche Bundesbahn (DB) der Ortsgemeinde Waldfischbach-Burgalben keine Bedienungszusage für den im Gewerbegebiet geplanten Gleisanschluß erteilen und den dortigen Tarifpunkt sogar auflassen will, frage ich die Bundesregierung, welche Möglichkeiten sie sieht, darauf hinzuwirken, daß die DB bei der Überprüfung der Wirtschaftlichkeit ihres Schienennetzes auch Aspekte der Strukturpolitik insbesondere auch der Anbindung ländlicher und strukturschwacher Räume an die Ballungszentren zu berücksichtigen hat? Wie steht die Bundesregierung zu dem Vorschlag, die Mittel für die Magnetbahn „Transrapid", deren wirtschaftlich vertretbarer Einsatz höchst fragwürdig geworden ist, zugunsten der Bahn und ihres ICE-Netzes umzuschichten? Zu Frage 10: Beim Wagenladungstarifpunkt Waldfischbach-Burgalben wurden 1987 im wöchentlichen Durchschnitt 0,9 Wagen und 1988 nur 0,5 Wagen umgeschlagen. Kosten und Erträge stehen daher für die Deutsche Bundesbahn in einem ausgesprochenen Mißverhältnis, so daß aus wirtschaftlichen Gründen geplant ist, den Tarifpunkt zum 29. Mai 1990 zu schließen. Die Deutsche Bundesbahn zieht sich jedoch auch hier nicht aus der Verkehrsbedienung der Fläche zurück. Die Deutsche Bundesbahn und ihre Tochtergesellschaft „Transfracht" erarbeiten vielmehr zur Zeit gemeinsam ein kundengerechtes Alternativangebot, das die Anbindung dieses Tarifpunktes durch eine Belieferung per Container vorsieht. Zu Frage 11: Die Bundesregierung wird in Kürze über eine Magnetbahn-Referenzstrecke entscheiden. Die Finanzierung muß noch geklärt werden. Die Frage einer Umschichtung stellt sich daher zur Zeit nicht. 13320* Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 175. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. November 1989 Anlage 8 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Schulte auf die Fragen des Abgeordneten Menzel (SPD) (Drucksache 11/ 5641 Fragen 15 und 16) : Wie viele Hektar baureifes und für den Wohnungsbau nutzbares Land kann von den Sondervermögen des Bundes kurzfristig bereitgestellt werden? Wird die Bundesregierung dabei der Forderung des Landes Baden-Württemberg entsprechen und die Grundstücke um 50 % verbilligt abgeben? Zu Frage 15: Nach einer Ermittlung der Deutschen Bundesbahn sind gegenwärtig rund 13,3 ha baureifes Land für den eigentlichen Geschäftsbetrieb der Deutschen Bundesbahn entbehrlich, welches in Bebauungsplänen als Wohnbauflächen ausgewiesen ist oder für das eine Bauvoranfrage positiv beschieden ist. Diese Grundstücke stehen für eine Veräußerung zur Verfügung. Die Deutsche Bundespost darf aus haushaltsrechtlichen Gründen Grundstücke nur für den dienstlichen Bedarf vorhalten. Bei den unbebauten Grundstücken handelt es sich daher nicht um entbehrliche Flächen, sondern zum Beispiel um Betriebshöfe oder Erweiterungsflächen für fernmeldetechnische Gebäude. Die Dienstgrundstücke befinden sich in der Regel in Gebieten, die für den Wohnungsbau nicht geeignet sind, nämlich in innerstädtischen Geschäftslagen oder in Gewerbegebieten. Trotz dieser Einschränkungen beabsichtigt die Deutsche Bundespost unbebaute Grundstücke, deren dienstliche Verwendung in absehbarer Zeit nicht ansteht, soweit möglich für den Wohnungsbau nutzbar zu machen. In diesem Zusammenhang ist zu erwähnen, daß die Deutsche Bundespost bereits im Frühjahr 1989 Objekte mit rund 4 800 m2 Wohnfläche für die Unterbringung von Aussiedlern angeboten hat. Die Länder haben von dem Angebot bisher keinen Gebrauch gemacht. Die Wohnungen stehen weiterhin zur Verfügung. Zu Frage 16: Bundesregierung und Koalitionsparteien haben mit einer Reihe von Beschlüssen vom Frühjahr, vom 3. Oktober 1989 und vom 7. November 1989 der wohnungspolitischen Situation umfassend Rechnung getragen. Dies gilt auch für die von Ihnen angesprochene verbilligte Abgabe von Grundstücken, die der Bundesrat in seiner Entschließung allerdings nur vom Bund, nicht jedoch von den Ländern selbst fordert. Insoweit sieht die Koalitionsvereinbarung vom 7. November 1989 vor, daß bei Vergabe im Erbbaurecht die Grundstücke mit einem abgesenkten Erbbauzins vergeben werden können, soweit es die Umstände und die Marktverhältnisse erfordern. Die von Ihnen erwähnte Verbilligung um 50 To hat der Bundesrat nicht generell gefordert, sondern für Grundstücke für den sozialen Mietwohnungsbau. Für diesen Bereich hat sich die Koalition allerdings für einen anderen Weg zur Förderung des sozialen Wohnungsbaus entschieden: Der Verpflichtungsrahmen für soziale Wohnungsbaumaßnahmen und für die dauerhafte Unterbringung von Personen mit besonderem Wohnbedarf wird im Zeitraum von 1990 bis 1993 um 3,5 Milliarden DM von bisher 4,5 Milliarden DM auf 8 Milliarden DM erhöht; daneben wird eine besonders günstige steuerliche Sonderabschreibung mit Sozialbindung eingeführt; die weiteren Elemente der Koalitionsbeschlüsse (wie Bauspar-Zwischenfinanzierungsprogramm von 300 Millionen DM für den Bau von 20 000 StudentenWohnheimplätzen, Zinsverbilligung für den Bau von Übergangswohnheimen usw.) sind bereits in der Öffentlichkeit vorgestellt worden. Mit diesen Beschlüssen werden alle Möglichkeiten ausgeschöpft, den Wohnungssuchenden möglichst rasch, unkompliziert und mit erheblichem Engagement des Bundes auch finanziell wirksam zu helfen. Anlage 9 Antwort des Parl. Staatssekretärs Gröbl auf die Fragen des Abgeordneten Schütz (SPD) (Drucksache 11/5641 Fragen 17 und 18) : Wie beurteilt die Bundesregierung die Tatsache, daß trotz der staatlichen Kontrolle durch das Deutsche Hydrographische Institut (DHI) nahezu 1 500 Tonnen Giftmüll ohne Genehmigung auf der Nordsee verbrannt worden sind, und welche Folgerungen will sie daraus ziehen? Stimmt sie der Ansicht des DHI zu, daß die Verbrennung des Giftmülls keine Umweltgefährdung bedeutet hat? Zu Frage 17: Das Deutsche Hydrographische Institut hat nicht trotz, sondern wegen und im Rahmen seiner Kontrollen festgestellt, daß Abfälle einzelner Firmen ohne Erlaubnis des Deutschen Hydrographischen Instituts im Tanklager Mannheim gesammelt und anschließend auf Hoher See verbrannt worden sind. Die insgesamt zugelassene Gesamtmenge wurde dabei jedoch nicht überschritten. Das Deutsche Hydrographische Institut hat daraufhin kurzfristig die Einstellung der Seeverbrennung verfügt. Diese Einstellung wurde wieder aufgehoben, nachdem der Erlaubnisinhaber die Anlieferung von Abfällen der betroffenen Firmen an das Tanklager untersagt hat. Nach Auswertung der Kontroll-Listen für den Erlaubniszeitraum 1. Oktober 1988 bis 30. September 1989 wird das Deutsche Hydrographische Institut über die straf- bzw. ordnungswidrigkeitenrechtliche Relevanz entscheiden. Darüber hinaus wird derzeit geprüft, ob im Falle einer Erlaubniserteilung die Kontrollauflagen noch weiter verschärft werden können. Zu Frage 18: Die Mengen stammen zum weitaus überwiegenden Teil von Firmen, die die erlaubte Menge bereits ausgeschöpft hatten. Es ist davon auszugehen, daß diese Mengen nach Art und Zusammensetzung den zugelassenen Mengen entsprachen und von daher keine Umweltgefährdung zu befürchten ist. Über eine mögliche Umweltgefährdung durch die Verbrennung von Mengen, die von Firmen stammen, die generell über keine Verbrennungserlaubnis des Deutschen Hydrographischen Instituts verfügen, kann derzeit noch keine Aussage getroffen werden. Die Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 175. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. November 1989 13321* Prüfungen des Deutschen Hydrographischen Instituts sind noch nicht abgeschlossen. Anlage 10 Antwort des Parl. Staatssekretärs Gröbl auf die Frage des Abgeordneten Stiegler (SPD) (Drucksache 11/5641 Frage 21): Wie ist der Stand der Verhandlungen über eine Verordnung der EG zum Verbot der Verwendung von PCP, und wird die Bundesregierung eine nationale Entscheidung treffen, wenn sich vor dem Hintergrund der Beratungen im Europäischen Parlament Mehrheiten für eine EG-Entscheidung nicht abzeichnen? Die Beratungen über die 9. Änderung der EG-Richtlinie zur Beschränkung des Inverkehrbringens und der Verwendung gewisser gefährlicher Stoffe und Zubereitungen (76/769/EWG) auf Ratsebene der Europäischen Gemeinschaften sind weit gediehen, ein gemeinsamer Standpunkt des Rates liegt jedoch noch nicht vor. Das Europäische Parlament hat den Entwurf der EG-Kommission beraten und eine erhebliche Verschärfung gefordert. Unabhängig davon hat die Bundesregierung am 3. August 1989 die Verordnung zum Verbot von PCP erneut beschlossen. Der Bundesrat hat der Verordnung am 22. September 1989 mit der Maßgabe zweier Änderungen zugestimmt. Eine erneute Beschlußfassung durch das Kabinett ist daher notwendig geworden; sie ist inzwischen eingeleitet. Anlage 11 Antwort des Staatssekretärs von Loewenich auf die Frage des Abgeordneten Zierer (CDU/CSU) (Drucksache 11/ 5641 Frage 22) : Welche Vorkehrungen hält die Bundesregierung für nötig, um beim zu erwartenden Boom im Wohnungsbau schädliche Auswirkungen auf die Umwelt, z. B. in Form von Landschaftszersiedlung, extensivem Flächenverbrauch, mangelnder Begrünung etc. zu vermeiden? Die Vorschriften des Baugesetzbuchs gewährleisten, daß Bauleitpläne, auch wenn sie zur Deckung eines dringenden Wohnbedarfs aufgestellt sind, den Anforderungen an eine geordnete städtebauliche Entwicklung entsprechen und dabei die Belange des Umweltschutzes berücksichtigen. Bei der gebotenen Beachtung der gesetzlichen Vorschriften ist nicht zu befürchten, daß der gegenwärtige Nachfragedruck nach Wohnungen zu einer Vernachlässigung der Umweltschutzbelange führen wird. Anlage 12 Antwort des Staatssekretärs von Loewenich auf die Fragen des Abgeordneten Großmann (SPD) (Drucksache 11/5641 Fragen 23 und 24): In welchem Jahr ist die Zahl der neu fertiggestellten Wohnungen zuletzt um mehr als 20% gegenüber dem Vorjahr gestiegen? Teilt die Bundesregierung die Auffassung der Fachwelt, daß auf Grund der begrenzten Steigerungsfähigkeit der bauwirtschaftlichen Produktion bei 230 000 neuen Wohnungen in diesem Jahr, 1990 mit 270 000 bis 275 000 neuen Wohnungen gerechnet werden kann? Zu Frage 23: Die höchste Steigerungsrate der Fertigstellung betrug 19 % und zwar im Jahre 1972. Dies entsprach einer absoluten Zunahme um über 100 000 Wohneinheiten. Zu Frage 24: Die Fachwelt vertritt zu dieser Frage keine einhellige Einschätzung. Während z. B. die Prognose des Ifo-Instituts für 1990 bei 280 000 fertiggestellten Wohneinheiten liegt, hält der Zentralverband des Deutschen Baugewerbes 1990 „höchstens" 330 000 Wohneinheiten für möglich. Wenn die Bundesregierung daher nach rd. 240 000 Wohnungsfertigstellungen für 1989 im nächsten Jahr mit etwa 300 000 Wohnungseinheiten rechnet, so liegt sie keineswegs an der Obergrenze der Einschätzungen von Experten. Anlage 13 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Voss auf die Fragen der Abgeordneten Frau Walz (FDP) (Drucksache 11/5641 Fragen 25 und 26): Verfolgt die Bundesregierung eine Konzeption, z. B. in Form einer ständigen Ausstellung unter Einbeziehung einer Demonstrationswohnung, um die Entstehung und Bedeutung der Weissenhofsiedlung in Stuttgart darzustellen? Bestehen Pläne, das bundeseigene Grundstück am Weissenhof zu bebauen, und ist daran gedacht, dieses Grundstück gegebenenfalls für ein Architekturforum zur Verfügung zu stellen? Zu Frage 25: Einen früher gewerblich genutzten Raum hat der Bund seit 1986 den Freunden der Weißenhofsiedlung e. V. mietweise zur Verfügung gestellt, die dort auf privater Basis eine Informations- und Dokumentationsstelle betreiben. Auf Art und Umfang der Informationen und Dokumentationen nimmt der Bund keinen Einfluß. Der Bund benötigt die Wohnungen der Weißenhofsiedlung im Rahmen der Wohnungsfürsorge für seine Bediensteten. Bei der Instandsetzung und Restaurierung der Siedlung wurden einige Wohnungen auch im Inneren in den Originalzustand zurückversetzt. Auch diese zurückgebauten Wohnungen sind auf Dauer vermietet; sie werden von den Mietern gerne angenommen. Eine Zweckentfremdung einer der Wohnungen in guter Wohnlage für Zwecke einer Ausstellung bzw. als Demonstrationsobjekt ist wegen der bekannten Lage auf dem Wohnungsmarkt nicht ver- 13322* Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 175. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. November 1989 tretbar, zumal durch den Besucherverkehr Mitbewohner sicher erheblich gestört würden. Zu Frage 26: Das Grundstück neben dem Wohngebäude Am Weißenhof 19/21 ist die einzige größere unbebaute Fläche in reinem Wohngebiet, die angesichts der angespannten Wohnungsmarktlage für die Wohnbebauung erhalten bleiben sollte, zumal die Errichtung einer Tagungsstätte erhebliche zusätzliche Verkehrsbelastungen für die Anwohner der Weißenhofsiedlung und des benachbarten Wohngebiets mit sich bringen würden. Anlage 14 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Voss auf die Fragen des Abgeordneten Müntefering (SPD) (Drucksache 11/ 5641 Fragen 31 und 32): Bleibt die Bundesregierung bei ihrer Auffassung vom 17. Oktober 1989, daß sie mit einer Finanzhilfe für den sozialen Wohnungsbau in Höhe von 1,6 Mrd. DM an die Grenze des finanziell Vertretbaren gegangen ist? Hat die Bundesregierung mit der Erhöhung dieser Finanzhilfe am 7. November 1989 die Grenze des nach ihrer Auffassung finanziell Vertretbaren überschritten? Zu Frage 31: Die Bundesregierung hat in einer Reihe von Beschlüssen seit Frühjahr dieses Jahres auf die sich rasch verändernde Situation auf dem Wohnungsmarkt reagiert, die insbesondere durch den unerwartet starken Zustrom von Aus- und Übersiedlern bestimmt ist. Die finanzielle Ausstattung der Einzelmaßnahmen orientiert sich sowohl an den im Beschlußzeitpunkt gesehenen Möglichkeiten als auch Notwendigkeiten. Zu Frage 32: Die Koalitionsfraktionen tragen mit ihren Beschlüssen vom 7. November 1989 der kurzfristigen Entwicklung auf dem Wohnungsmarkt angemessen Rechnung. Die Bundesregierung geht davon aus, daß auch die für den Wohnungsbau zuständigen Länder verstärkt bereit sind, eigene Zusatzleistungen in gleicher Höhe zu erbringen. Anlage 15 Antwort des Parl. Staatsekretärs Wimmer auf die Fragen des Abgeordneten Leidinger (SPD) (Drucksache 11/5641 Fragen 43 und 44): Treffen Informationen der „Augsburger Allgemeinen", Ausgabe Landsberg, vom 7. August 1989, zu, daß der Bundesminister der Verteidigung die Stationierung einer zusätzlichen Staffel MRCA Tornado im Fliegerhorst Lechfeld plant, und wenn diese Informationen zutreffen, in welchem Umfang ist die Stationierung vorgesehen? Welche aktuellen Stationierungsüberlegungen hat der Bundesminister der Verteidigung, auch im Lichte der unterschiedlichen Überprüfungsmaßnahmen für mögliche Stationierungsstandorte, wie z. B. Erding, Manching, Lechfeld usw., für die zukünftige Dislozierung der Tornado-Staffeln in der Bundesrepublik Deutschland und in welcher Weise wird der Freistaat Bayern von diesen Stationierungsplänen zukünftig betroffen? Zu Frage 43: Auf Ihre Fragen kann ich Ihnen folgenden Sachverhalt mitteilen: Die Beschaffung von TORNADOS in der Aufklärerversion (ECR) wurde im Sommer 1986 vom Haushaltsausschuß des Deutschen Bundestages gebilligt. Mit den zu beschaffenden Luftfahrzeugen wird u. a. eine ECR-TORNADO-Staffel in Lechfeld aufgestellt. Um Platz für die Aufnahme dieser Einheit in Lechfeld zu schaffen, war geplant, eine der beiden z. Z. dort stationierten TORNADO-Jagdbomberstaffeln (IDS) nach Erding zu verlegen. Die Planung, den Friedensflugbetrieb mit dieser Staffel in Erding durchzuführen, war jedoch regionalpolitisch nicht durchsetzbar. Die IDS-Staffel wird nunmehr auf alle TORNADO-Flugplätze der Luftwaffe verteilt. Sie wird nur im Falle einer Mobilmachung sowie für Übungen in Erding zusammengezogen. Aus dem im Haushalts- und Verteidigungsausschuß des Deutschen Bundestages bekannten Beschaffungsumfang ECR-Tornado läßt sich ableiten, daß die für Lechfeld vorgesehene ECR-Staffel über weniger Flugzeuge verfügen wird als die derzeit dort stationierte IDS-Staffel. Nach dieser Entscheidungslage wird es zu keiner größeren Fluglärmbelästigung im Bereich Lechfeld kommen. Zu Frage 44: Wie bereits in der Beantwortung der ersten Frage und in der Drucksache 11/5430 vom 20. 10. 1989 Nr. 34 und 35 dargelegt, war geplant, eine ECRTORNADO-Staffel in Lechfeld aufzustellen und eine der beiden z. Z. dort stationierten TORNADO-Jagdbomberstaffeln (IDS) nach ERDING zu verlegen. Diese Planung war jedoch regionalpolitisch nicht durchsetzbar. Im Vorfeld wurde auch untersucht, ob andere Flugplätze in Bayern eine TORNADO-Staffel aufnehmen könnten. Diese Untersuchungen führten jedoch zu keinem positiven Ergebnis. Nach derzeitiger Entscheidungsgrundlage wird eine IDS-Staffel aus Lechfeld auf alle TORNADO-Flugplätze der Luftwaffe verteilt und nur im Falle einer Mobilmachung sowie für Übungen in ERDING zusammengezogen. Anlage 16 Antwort des Parl. Staatsekretärs Wimmer auf die Fragen des Abgeordneten Jungmann (Wittmoldt) (SPD) (Drucksache 11/5641 Fragen 46 und 47): Trifft die Meldung des Nachrichtenmagazins „Der Spiegel" zu, daß der frühere Staatssekretär im Bundesministerium der Verteidigung, Dr. Timmermann, in einem Schreiben an Herrn Rolf Murmann dessen Wunsch nach Wiederfreigabe der Erprobung eines Zünders für Panzerbodenminen unter Hinweis auf die gerichtlich festgestellte Beziehung des an der Erfindung beteiligten Herrn Knüfelmann zu den Nachrichtendiensten der CSSR und der UdSSR abschlägig beschieden hat? Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 175. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. November 1989 13323* Wann und an wen im Bundesministerium der Verteidigung ist der Wunsch nach Freigabe der Erprobung des KnüfelmannZünders erstmals herangetragen worden? Zu Frage 46: Diese Meldung trifft zu. Die entsprechende schriftliche Benachrichtigung des Herrn Dr. Murmann erfolgte am 6. Oktober 1988. Zu Frage 47: Firma NAVSAT, deren Mitgesellschafter Herr Knüfelmann bis 1988 war, ist mit Schreiben vom 13. November 1986 an das Bundesamt für Wehrtechnik und Beschaffung herangetreten, um durch eine Broschüre über das „NAVSAT-Sensorsystem für elektronische Panzerabwehrminen" zu informieren. Das Fachreferat im BMVg wurde Mitte Dezember 1986 telefonisch über die NAVSAT-Initiative informiert. Anlage 17 Antwort des Parl. Staatssekretärs Wimmer auf die Fragen des Abgeordneten Gansel (SPD) (Drucksache 11/5641 Fragen 48 und 49) : Ist infolge der erteilten Freigabe des Knüfelmann-Zünders schon mit der Realisierung der Erprobung begonnen worden, und wenn ja, unter persönlicher Beteiligung des Erfinders Knüfelmann? Werden infolge der Freigabe Sicherheitsinteressen der Bundesrepublik Deutschland beeinträchtigt, bzw. bestand die Gefahr der Beeinträchtigung von Sicherheitsinteressen? Zu Frage 48: Am 8. Mai 1987 entschied Staatssekretär Prof. Dr. Timmermann, daß der NAVSAT-Sensor erprobt werden soll. Mit der Realisierung der Erprobung ist nicht begonnen worden. Es gab lediglich ein Abstimmungsgespräch am 26. Mai 1988 über Termine und organisatorische Durchführung der Erprobung. In diesem Gespräch wurde klargestellt, daß Mitarbeiter der Firma NAVSAT nicht an der Erprobung beteiligt werden. Am 28. Juni 1988 erfolgte die Staatssekretärweisung an das Fachreferat, daß die Erprobung wegen Sicherheitsbedenken und fehlender technischer Innovation des Zünders nicht stattfinden darf. Zu Frage 49: Sicherheitsinteressen der Bundesrepublik Deutschland sind nicht beeinträchtigt, da keine technischen Einzelheiten über den Erprobungsablauf mit der Firma diskutiert wurden. Anlage 18 Antwort des Parl. Staatsekretärs Vogt auf die Fragen des Abgeordneten Sielaff (SPD) (Drucksache 11/5641 Fragen 41 und 42): Wie groß ist die Zahl der Rentenbeitragszahler heute im Vergleich zu der Zahl von 1982? Wie viele Beschäftigte fallen in diesem Jahr aus der Rentenversicherungspflicht heraus, weil sie entweder selbständig oder geringfügig beschäftigt sind oder über der Einkommensgrenze für die Rentenversicherungspflicht liegen, und wie waren die Vergleichszahlen 1982? Nach den letzten vorliegenden Ergebnissen des Mikrozensus vom April 1988 gab es am Stichtag des Mikrozensus 21 574 Millionen Pflichtversicherte in der Rentenversicherung der Arbeiter und der Angestellten. Die Zahl der Pflichtversicherten in der knappschaftlichen Rentenversicherung betrug im Januar 1988 nach den Geschäftsstatistiken der Bundesknappschaft 238 000. Hinzu kommen in der Rentenversicherung der Arbeiter und Angestellten 740 000 Personen, die in den voraufgegangenen 12 Monaten freiwillige Beiträge entrichteten. Demgegenüber betrug die Zahl der Pflichtversicherten am Stichtag des Mikrozensus im April 1982 in der Rentenversicherung der Arbeiter und der Angestellten 21 811 Millionen Personen. 606 100 Personen hatten in den voraufgegangenen 12 Monaten freiwillige Beiträge entrichtet. In der knappschaftlichen Rentenversicherung gab es im Januar 1982 293 000 Pflichtversicherte. Bei der Entwicklung von 1982 bis 1988 sind zwischenzeitliche Rechtsänderungen von Bedeutung. Im Jahre 1982 sind in der Zahl der Pflichtversicherten am Stichtag auch 0,9 Millionen Empfänger von Arbeitslosengeld, Arbeitslosenhilfe und Unterhaltsgeld enthalten, da vom 1. Juli 1978 bis zum 31. Dezember 1982 diese Personen pflichtversichert waren. Um die Daten von 1982 mit denen des Jahres 1988 vergleichbar zu machen, ist deshalb die Zahl der Pflichtversicherten am Stichtag im Jahre 1982 um 0,9 Millionen Personen zu vermindern. Die Anzahl der Selbständigen betrug 1982 2,3 Millionen und 1987 2,4 Millionen. Eine selbständige Tätigkeit bedeutet jedoch keinen Ausschluß von der Versicherungspflicht. Selbständige können einen Antrag auf Versicherungspflicht stellen, Handwerker und einige weitere Gruppen von Selbständigen sind sogar kraft Gesetzes versicherungspflichtig. 1982 waren 68 000 Handwerker u. a. und 62 000 Selbständige pflichtversichert, 1987 betrugen die entsprechenden Anzahlen 56 000 bzw. 49 000. Über geringfügig Beschäftigte werden keine laufenden Statistiken geführt. Nach dem Forschungsprojekt des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung „Sozialversicherungsfreie Beschäftigung" gab es rund 2,3 Millionen sozialversicherungsfreie Beschäftigte (z. B. Hausfrauen, Rentner, Schüler und Studenten) am Stichtag der Untersuchung im Jahre 1987. 13324* Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 175. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. November 1989 Bis 1968 konnten sich Angestellte, deren Gehalt oberhalb der Beitragsbemessungsgrenze lag, von der Versicherungspflicht befreien lassen. Seitdem ist ein Herausfallen aus der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung nur wegen Überschreitens einer Einkommensgrenze nicht mehr möglich. Die Anzahl dieser „befreiten Angestellten" nimmt deshalb ständig ab. Ihre Anzahl dürfte nach einer Untersuchung der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte gegenwärtig unter 25 000 liegen, wenn man auf Nichtrentenbezieher unter 65 Jahre abstellt.
Gesamtes Protokol
Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1117500000
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet.
Wir kommen zunächst zu den wichtigen Vereinbarungen.
Wir haben interfraktionell vereinbart, Punkt 6 mit Punkt 20 der Tagesordnung zu tauschen.
Weiterhin soll nach einer interfraktionellen Vereinbarung die verbundene Tagesordnung erweitert werden. Die die heutige Tagesordnung betreffenden Punkte sind in der Ihnen vorliegenden Zusatzpunktliste aufgeführt:
1. Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur steuerlichen Förderung des Wohnungsbaus und denkmalgeschlitzter Gebäude (WoBauFG) — Drucksache 11/5680 —
2 Aktuelle Stunde: Haltung der Bundesregierung zum bevorstehenden Giftmüllumschlag im Emdener Hafen zur Seeverbrennung
3. Beratung des Antrags der Abgeordneten Frau Schilling, Dr. Mechtersheimer und der Fraktion DIE GRÜNEN: Konsequenzen aus der Katastrophe von Ramstein — Drucksache 11/5679 —
4. Beratung des Antrags der Abgeordneten Horn, Heistermann, Erler, Fuchs, Gerster (Worms), Dr. Klejdzinski, Kolbow, Koschnick, Leonhart, Steiner, Zumkley, Dr. von Billow, Gansel, Dr. Götte, Kühbacher, Leidinger, Nagel, Opel, Dr. Scheer, Schulte (Hameln), Voigt (Frankfurt), Dr. Soell, Walther, Dr. Vogel und der Fraktion der SPD: Luftfahrtveranstaltungen in der Bundesrepublik Deutschland — Drucksache 11/5681 —
5. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Verteidigungsausschusses (12. Ausschuß) zu dem Antrag der Fraktion der SPD: Konsequenzen aus der Katastrophe des Flugtages in Ramstein am 28. August 1988 — Drucksachen 11/2897,11/5650 —
Gleichzeitig soll — soweit erforderlich — von der Frist für den Beginn der Beratungen abgewichen werden. Sind Sie damit einverstanden? — Kein Widerspruch. Dies ist so beschlossen.
Meine Damen und Herren, wir kommen jetzt zur heutigen Tagesordnung. Auf Grund der dramatischen und uns alle bewegenden Ereignisse in der DDR am vergangenen Donnerstag wurde die abschließende Beratung einiger Vorlagen ausgesetzt und die Sitzung vertagt. Ich komme gleich bei Tagesordnungspunkt 3 darauf zurück.
Ich rufe zunächst Punkt 2 der Tagesordnung und den Zusatztagesordnungspunkt 1 auf:
2. Überweisung im vereinfachten Verfahren
Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Maßnahmen zum Bodenschutz
— Drucksache 11/1625 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (federführend)

Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Ausschuß für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit Ausschuß für Verkehr
Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau Ausschuß für Forschung und Technologie
ZP1 Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur steuerlichen Förderung des Wohnungsbaus und denkmalgeschützter Gebäude (WoBauFG)

— Drucksache 11/5680 —Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau (federführend)

Finanzausschuß
Eine Debatte ist nicht vorgesehen. Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Sind Sie damit einverstanden? — Ja. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe Punkt 3 der Tagesordnung auf:
a) Fortsetzung der zweiten und dritten Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung und Vereinfachung der Vereinsbesteuerung

(Vereinsförderungsgesetz)

— Drucksache 11/4176, 11/4305 —
aa) Beschlußempfehlung und Bericht des Finanzausschusses (7. Ausschuß)

— Drucksache 11/5582 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Dr. Grünewald
Opel
Rind



Präsidentin Dr. Süssmuth
bb) Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuß) gemäß § 96 der Geschäftsordnung — Drucksache 11/5607 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Roth (Gießen) Dr. Weng (Gerungen)
Dr. Diederich (Berlin)

Frau Vennegerts

(Erste Beratung 134. Sitzung)

b) Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung des Gemeinnützigkeitsrechts
— Drucksache 11/390 —
Beschlußempfehlung und Bericht des Finanzausschusses (7. Ausschuß)

— Drucksache 11/5582 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Dr. Grünewald Opel
Rind

(Erste Beratung 134. Sitzung)

c) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Büchler (Hof), Dr. Apel, Dr. Spöri, Börnsen (Ritterhude), Dr. Hauchler, Huonker, Kastning, Frau Matthäus-Maier, Dr. Mertens (Bottrop), Oesinghaus, Poß, Reschke, Westphal, Dr. Wieczorek, Frau Adler, Amling, Andres, Antretter, Frau Becker-Inglau, Bernrath, Frau Blunck, Brück, Büchner (Speyer), Frau Bulmahn, Conradi, Daubertshäuser, Dreßler, Egert, Ewen, Fischer (Homburg), Frau Fuchs (Verl), Gansel, Gilges, Frau Dr. Götte, Grunenberg, Dr. Haack, Frau Hämmerle, Frau Dr. Hartenstein, Heimann, Heistermann, Heyenn, Hiller (Lübeck), Dr. Holtz, Horn, Ibrügger, Jaunich, Dr. Jens, Jung (Düsseldorf), Jungmann, Kirschner, Kißlinger, Dr. Klejdzinski, Kolbow, Koltzsch, Koschnick, Kretkowski, Kuhlwein, Lambinus, Leidinger, Leonhart, Lohmann (Witten), Lutz, Frau Dr. Martiny, Menzel, Dr. Mitzscherling, Müller (Pleisweiler), Müller (Schweinfurt), Müntefering, Nehm, Dr. Niese, Oostergetelo, Dr. Penner, Peter (Kassel), Pfuhl, Porzner, Reimann, Reuschenbach, Reuter, Rixe, Dr. Scheer, Schmidt (München), Schmidt (Salzgitter), Dr. Schmude, Dr. Schöfberger, Schreiner, Schröer (Mülheim), Seidenthal, Frau Seuster, Sieler (Amberg), Sielaff, Dr. Soell, Stahl (Kempen), Steiner, Frau Steinhauer, Stiegler, Stobbe, Frau Terborg, Frau Dr. Timm, Urbaniak, Vahlberg, Verheugen, Voigt (Frankfurt), von der Wiesche, Walther, Wartenberg (Berlin), Weiermann, Frau Weiler, Weisskirchen (Wiesloch), Dr. Wernitz, Würtz, Zumkley, Dr. Vogel und der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung des Gemeinnützigkeitsrechts
— Drucksache 11/1334 — Beschlußempfehlung und Bericht des Finanzausschusses (7. Ausschuß)

— Drucksache 11/5582 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Dr. Grünewald
Opel
Rind

(Erste Beratung 134. Sitzung)

d) Beschlußempfehlung und Bericht des Finanzausschusses (7. Ausschuß) zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Apel, Dr. Penner, Büchner (Speyer), Dr. Spöri, Klein (Dieburg), Amling, Frau Becker-Inglau, Dr. Hauchler, Huonker, Kastning, Lambinus, Lohmann (Witten), Frau Matthäus-Maier, Dr. Mertens (Bottrop), Dr. Nöbel, Oesinghaus, Porzner, Poß, Frau Renger, Reschke, Schmidt (Salzgitter), Frau Steinhauer, Dr. Struck, Westphal, Wieczorek (Duisburg), Wimmer (Neuötting), Bamberg, Bernrath, Dr. Böhme, Brück, Dr. Emmerlich, Graf, Großmann, Frau Hämmerle, Heistermann, Kuhlwein, Müller (Pleisweiler), Müntefering, Frau Odendahl, Paterna, Peter (Kassel), Rixe, Schäfer (Offenburg), Wartenberg (Berlin), Weisskirchen (Wiesloch), Dr. Wernitz, Frau Weyel, Würtz, Zander, Schanz, Dreßler, Toetemeyer, Ibrügger, Dr. Vogel und der Fraktion der SPD
Steuerliche Erleichterungen für die gemeinnützigen Sportvereine und andere gemeinnützige Vereine
— Drucksachen 11/124, 11/5582 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Dr. Grünewald
Opel
Rind
Wir haben die Aussprache hierüber bereits am vergangenen Donnerstag durchgeführt und auch schon über den Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/5593 namentlich abgestimmt. Wir müssen jetzt die weiteren Abstimmungen vornehmen. Da zu den Einzelvorschriften dieses Gesetzes eine Reihe von Änderungsanträgen vorliegt und der Wunsch nach getrennter Abstimmung besteht, ist eine etwas längere differenzierte Abstimmung erforderlich.
Wir kommen zunächst zu den Abstimmungen zum Vereinsförderungsgesetz. Der Abgeordnete Feldmann möchte vor der Abstimmung zum Vereinsförderungsgesetz eine Erklärung nach § 31 der Geschäftsordnung abgeben.

(Zurufe von der CDU/CSU)


Dr. Olaf Feldmann (FDP):
Rede ID: ID1117500100
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Guten Morgen! Ich bitte Sie, diese fünf Minuten zu ertragen. Sie wissen, daß wegen der historischen Dimension der Ereignisse der letzten Tage dieses Gesetzgebungsverfahren unterbrochen wurde. Man kann auch sagen: Die Geschichte fiel uns in den Arm und hat uns noch einmal eine Bedenkzeit bei diesem Gesetz gegeben. Wenn das kein Fingerzeig ist, meine Damen und Herren!



Dr. Feldmann
Aber nicht deswegen, sondern aus folgenden Gründen werde ich das vorliegende Gesetzespaket zur Neuordnung der Vereinsförderung und des Gemeinnützigkeitsrechts ablehnen.
Erstens bin ich mit ihnen der Ansicht, daß eine Verbesserung und Vereinfachung der Vereinsförderung notwendig und überfällig ist. Aber hier wurde der falsche Weg eingeschlagen. Schade, daß der Empfehlung der vom Finanzausschuß beauftragten Sachverständigenkommission, bestimmte Steuervergünstigungen nur selbstlos tätigen Vereinen zukommen zu lassen, nicht gefolgt wurde. Im Gegenteil: Jetzt werden immer mehr reine Freizeitvereine gefördert und weitgehend mit karitativ und selbstlos tätigen Vereinen gleichgestellt. Da das Spendenaufkommen insgesamt aber begrenzt ist, muß dies zwangsläufig zu Lasten der Sonderförderung des selbstlos tätigen Engagements gehen. Damit, meine Damen und Herren, geht die Gemeinnützigkeitsidee unter.

(Zuruf von der SPD: Das ist doch überhaupt nicht richtig!)

Zweitens. Durch dieses Gesetz, so heißt es in der Begründung, sollen „keine unzumutbaren Wettbewerbsnachteile für mittelständische Unternehmen entstehen".

(Dr. Grünewald [CDU/CSU]: Werden Sie auch nicht!)

Aber genau das wird geschehen — Herr Grünewald —

(Dr. Grünewald [CDU/CSU]: Nein, haben Sie nicht verstanden!)

denn die gewählte Umwegfinanzierung für Vereine zwingt die Vereine, wirtschaftlich tätig zu werden und damit in Konkurrenz zu mittelständischen Unternehmen zu treten, wenn sie in den vollen Genuß der ihnen zugestandenen Förderung kommen wollen.

(Opel [SPD]: Das heißt doch: Sie wollen den Sport nicht mehr fördern!)

— Doch! Natürlich! (Opel [SPD]: Nein!)

— Aber direkt. — Da sich die wirtschaftliche Betätigung der Vereine in der Regel auf den Verkauf von Speisen und Getränken konzentriert, wird das Gastgewerbe — indirekt, aber zwangsläufig — zum Zahlmeister der Vereine.

(Opel [SPD]: Die DEHOGA hat dem doch zugestimmt!)

— Nein. Herr Opel, außerdem hatten Sie schon das Wort. — Betroffen werden aber nicht nur die Gastwirte, sondern auch private Tanzschulen, Omnibusunternehmen, Fitneßcenter und der Einzelhandel.
Gleiche Tätigkeiten steuerlich ungleich zu behandeln, je nachdem, ob sie im Verein oder gewerblich erbracht werden, hat mit Steuergerechtigkeit nichts zu tun, und führt ordnungspolitisch in die Sackgasse.

(Zuruf von der CDU/CSU: Wir sind hier doch nicht in der Debatte!)

— Das ist eine persönliche Erklärung.
Drittens. Trotz der Mißbrauchsklausel, die auf Empfehlung des DEHOGA aufgenommen wurde, ist die Gefahr der Zellteilung auf Umwegen nicht gebannt. Die Klarstellung, daß funktionelle Gliederungen keine selbständigen Steuersubjekte sind, reicht nicht,

(Opel [SPD]: Das Gesetz fördert den Mittelstand! Das ist die Wahrheit!)

da Neugründungen — auch zum Zwecke der Umgehung — nicht verhindert werden können. Der Anreiz ist einfach zu groß.
Viertens. Die pauschale Gewichtigkeitsgrenze von 60 000 DM für jeden begünstigten Verein — egal ob er sieben oder 700 Mitglieder hat — ist ungerecht und mißbrauchfördernd.

(Opel [SPD]: Herr Kollege Rind hat hier genau das Gegenteil gesagt!)

Sowohl die Zahl der Mitglieder als auch das Beitragsaufkommen wären geeignete Bemessungsgrenzen.
Fünftens. Schon heute ist voraussehbar, daß es bei dem Katalog der begünstigten Vereinszwecke nicht bleiben wird. Warum keine Briefmarkensammelvereine, warum keine Münzsammelvereine? Warum Gemeinnützigkeits- und Steuervorteile für Modellflieger, aber nicht für Modellschiffbauer? Warum Förderung des Amateurfunkens, aber nicht des Amateurfilmens usw.?
Eine weitere Ausdehnung ist nicht aufzuhalten. Damit werden immer mehr Freizeitaktivitäten staatlich subventioniert, vorausgesetzt sie finden nicht privat, sondern im Verein statt. Das ist eine ordnungspolitisch falsche Weichenstellung.

(Zuruf von der CDU/CSU: Fünf Minuten!)

Meine Damen und Herren, ich sage zum Schluß: Als Freund der Vereine

(Lachen und Zurufe von der CDU/CSU und der SPD)

hätte ich den Vereinen ein besseres Gesetz gegönnt. — Meine Damen und Herren, ich habe wahrscheinlich mehr Vereine gegründet und bin in mehr Vereinsvorständen als der eine oder andere von Ihnen. — Vor allem aber hätte ich den Vereinen ein Gesetz gewünscht, das ihre Interessen nicht zwangsläufig in Gegensatz zum gewerblichen Mittelstand bringt. Aber dies haben nicht die Vereine, sondern dies hat allein der Gesetzgeber zu verantworten.
Die hier gewählte Umwegfinanzierung der Vereine durch vielfältige steuerliche Begünstigungen — statt direkter und gezielter Förderung — ist ordnungspolitisch verfehlt, verzerrt den Wettbewerb und geht zu Lasten des gewerblichen Mittelstands.
Ich werde dieses Gesetz daher ablehnen und mit Nein stimmen.
Ich bedanke mich bei Ihnen, daß Sie mir trotzdem zugehört haben.

Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1117500200
Meine Damen und Herren, der Abgeordnete Gattermann und die Abgeordnete Frau Hoffmann (Soltau) haben eine entsprechende schriftliche Erklärung zu Protokoll gegeben.*)
*) Anlagen 2 und 3



Präsidentin Dr. Süssmuth
Ich komme jetzt erneut zur Abstimmunmg über das Vereinsförderungsgesetz.
Ich rufe Art. 1 Nr. 01 in der Ausschußfassung auf. Wer dieser Vorschrift zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Dann ist die aufgerufene Vorschrift bei drei Gegenstimmen angenommen.
Ich rufe Art. 1 Nr. 1 auf. Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/5596 vor. Wer für diesen Änderungsantrag stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Der Änderungsantrag ist mit großer Mehrheit abgelehnt.
Wir kommen zu Art. 1 Nr. 1 in der Ausschußfassung. Wer dieser Vorschrift zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Die aufgerufene Vorschrift ist angenommen.
Ich rufe Art. 1 Nr. 2 bis 5 sowie Art. 2 in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Die aufgerufene Vorschrift ist bei einer Gegenstimme und zwei Enthaltungen angenommen.
Ich rufe Art. 3 Nr. 1 auf. Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/5592 vor.

(Opel [SPD]: Übungsleiter!)

Wer für diesen Änderungsantrag stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? —

(Poß [SPD]: Wo sind die Freunde des Sports in der CDU?)

Enthaltungen? — Der Änderungsantrag ist abgelehnt.
Wir kommen nunmehr zu Art. 3 Nr. 1 in der Ausschußfassung. Wer dieser Vorschrift zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Die aufgerufene Vorschrift ist bei einer Gegenstimme und zwei Enthaltungen angenommen.
Ich rufe Art. 3 Nr. 2 a auf. Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/5597 Nr. 1 vor. Wer für diesen Änderungsantrag stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Der Änderungsantrag ist abgelehnt.
Wir kommen nunmehr zu Art. 3 Nr. 2 a in der Ausschußfassung. Wer dieser Vorschrift zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich? — Die auf gerufene Vorschrift ist bei einer Gegenstimme und zwei Enthaltungen angenommen.
Ich rufe Art. 3 Nr. 2 b auf. Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/5598 Nr. 1 vor. Wer für diesen Änderungsantrag stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Der Änderungsantrag ist abgelehnt.
Wir kommen nunmehr zu Art. 3 Nr. 2 b in der Ausschußfassung. Wer dieser Vorschrift zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Die aufgerufene Vorschrift ist gegen die Stimmen der GRÜNEN und zwei weitere Gegenstimmen angenommen.
Ich rufe Art. 3 Nr. 2 c in der Ausschußfassung auf, nachdem der auch hierauf bezogene Änderungsantrag der Fraktion der SPD in namentlicher Abstimmung abgelehnt wurde. Wer dieser Vorschrift zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Die aufgerufene Vorschrift ist mit den Stimmen der CDU/ CSU-Fraktion und der Fraktion der FDP und bei einigen Gegenstimmen angenommen.
Ich rufe Art. 3 Nr. 3 in der Ausschußfassung auf. Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/5597 Nr. 2 vor. Wer für diesen Änderungsantrag stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Der Änderungsantrag ist abgelehnt.
Wir kommen nunmehr zu Art. 3 Nr. 3 in der Ausschußfassung. Wer dieser Vorschrift zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Die aufgerufene Vorschrift ist angenommen.
Die Fraktion DIE GRÜNEN beantragt auf Drucksache 11/5599, in Art. 3 nach Nr. 3 eine Nr. 3 a einzufügen. Wer für diesen Änderungsantrag stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Der Änderungsantrag ist abgelehnt.
Ich rufe Art. 3 Nr. 4 a in der Ausschußfassung auf. Wer dieser Vorschrift zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Enthaltungen? — Gegenstimmen? — Drei. Die aufgerufene Vorschrift ist angenommen.
Ich rufe Art. 3 Nr. 4 b in der Ausschußfassung auf, nachdem der auch hierauf bezogene Änderungsantrag der Fraktion der SPD in namentlicher Abstimmung abgelehnt wurde. Wer dieser Vorschrift zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Die aufgerufene Vorschrift ist angenommen.
Ich rufe Art. 3 a bis Art. 6 in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Die aufgerufenen Vorschriften sind gegen eine Stimme und bei fünf Enthaltungen angenommen.
Ich rufe Art. 7 Nr. 1 in der Ausschußfassung auf. Wer dieser Vorschrift zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Die aufgerufene Vorschrift ist bei vier Enthaltungen angenommen.
Ich rufe Art. 7 Nr. 2 a in der Ausschußfassung auf. Wer dieser Vorschrift zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Die aufgerufene Vorschrift ist bei einigen Enthaltungen angenommen.
Ich rufe Art. 7 Nr. 2 b Satz 1 und 2 auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den



Präsidentin Dr. Süssmuth
bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Die aufgerufenen Vorschriften sind mehrheitlich angenommen.
Ich rufe Art. 7 Nr. 2 b Satz 3 bis 5 in der Ausschußfassung auf, nachdem der auch hierauf bezogene Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/5593 in namentlicher Abstimmung abgelehnt wurde. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Die aufgerufenen Vorschriften sind mehrheitlich angenommen.
Die Fraktion DIE GRÜNEN beantragt auf Drucksache 11/5589 Nr. 2 eine Ergänzung von Art. 7 Nr. 2 b. Wer für diesen Änderungsantrag stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Der Änderungsantrag ist abgelehnt.
Ich rufe Art. 7 Nr. 3 und 4, Art. 8 bis 11 sowie Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Die aufgerufenen Vorschriften sind bei einer Gegenstimme und mehreren Enthaltungen angenommen.
Damit ist die zweite Beratung abgeschlossen. Wir treten in die
dritte Beratung
ein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Der Gesetzentwurf ist gegen die Stimmen der GRÜNEN und drei weiteren Gegenstimmen angenommen.
Es ist noch über einen Entschließungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/5600 abzustimmen. Wer für diesen Entschließungsantrag stimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Der Entschließungsantrag ist abgelehnt.
Abzustimmen ist weiterhin über Nr. 2 der Beschlußempfehlung des Finanzausschusses auf Drucksache 11/5582. Der Ausschuß empfiehlt, den Gesetzentwurf des Bundesrates auf Drucksache 11/390, den Gesetzentwurf der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/1334 sowie den Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/124 für erledigt zu erklären. Wer dieser Beschlußempfehlung zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Die Beschlußempfehlung ist mehrheitlich angenommen.
Ich rufe den Zusatztagesordnungspunkt 2 auf: Aktuelle Stunde
Haltung der Bundesregierung zum bevorstehenden Giftmüllumschlag im Emdener Hafen zur Seeverbrennung
Meine Damen und Herren, die Fraktion DIE GRÜNEN hat gemäß unserer Geschäftsordnung eine Aktuelle Stunde zu dem oben genannten Thema verlangt.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Abgeordnete Frau Garbe.

Charlotte Garbe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1117500300
Die Hohe-See-Giftmüllverbrennung, Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren, ist ein Verbrechen,

(Beifall bei den GRÜNEN)

es ist ein Verbrechen an dem empfindlichen und todkranken Ökosystem Nordsee. Die Öffentlichkeit ist seit dem Robbensterben und der Algenpest des letzten Jahres gewahr geworden, daß die Nordsee todkrank ist und nach wie vor als Mülleimer mißbraucht wird.
1969 wurde die Hohe-See-Verbrennung begonnen, damals im rechtsfreien Raum. In den letzten beiden Jahrzehnten wurde mit der Oslo-Konvention und dem bundesdeutschen Hohe- See-Einbringungsgesetz ein juristischer Rahmen abgesteckt, der die verbrecherische Meeresverschmutzung eindämmen sollte. Heute sind die nachteiligen Veränderungen der Nordsee zigfach erwiesen, heute weiß man, daß sich supergiftige Verbrennungsprodukte in den Lebewesen der Nordsee anreichern. Das Deutsche Hydrographische Institut hat inzwischen die Besorgnis hinsichtlich einer nachteiligen Veränderung der maritimen Umwelt geäußert. Dennoch wollen Sie, Herr Minister Töpfer, auf Grund vorgeblich zwingender öffentlicher Interessen die Hohe-See-Verbrennung noch bis Ende 1994 zulassen.

(Such [GRÜNE]: Unerhört!)

Damit leisten Sie Beihilfe zur weiteren Vergiftung und Zerstörung der Nordsee,

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

damit beschreiten Sie den Weg in die Illegalität, zumal bisher bei den Giftmüllsammellagern wohl auch mehr als ein Auge zugedrückt wurde.

(Such [GRÜNE]: Nicht nur da!)

Ein in die Öffentlichkeit geratenes Schreiben des DHI vom 7. Juli dieses Jahres führt an, daß Stoffe zur Verbrennung kommen, für die keine Genehmigung vorliegt, daß Kontingente um 50 % überschritten werden, daß Firmen bedient werden, die keine Erlaubnis haben, daß Erlaubnisse doppelt und dreifach ausgenutzt werden, kurz: keine Spur von geordneter Entsorgung!
Sie zwitschern von Umweltschutzvorsorge, Herr Bundesminister, und Sie organisieren das Umweltverbrechen der weiteren Meeresverschmutzung.

(Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Das ist ja unerhört!)

Ich appelliere nochmals an Sie: Beenden Sie die Hohe-See-Verbrennung, und zwar sofort!

(Beifall bei den GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Kapazitäten für eine Entsorgung an Land sind vorhanden; lassen Sie mich das ausdrücklich feststellen. Es stehen zur Zeit 28 000 t freie Kapazitäten zur Aufarbeitung von CKW-haltigen Lösemittelabfällen bei den Firmen RCN, Geiß und Kruse Chemie zur Verfügung. Von Oktober 1989 bis September 1990 stehen



Frau Garbe
19 600 t zur Genehmigung zur Hohe-See-Verbrennung an.
Liebe Kollegen und Kolleginnen, Herr Töpfer hat diese Zahlen vom UBA vor einer Woche erhalten. Er kennt sie. Was aber will er? Herr Töpfer will nächsten Dienstag die Landesumweltminister, Industrie und Gewerkschaften auf einen Giftmüllumschlag über Emden und auf weitere Hohe-See-Verbrennung in einer konzertierten Aktion Giftmüll einschwören. Ich wünsche Ihnen, Herr Töpfer, daß Ostfriesland und die Basis Ihnen einen Strich durch die Rechnung machen.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD — Opel [SPD]: Vor allem das Saarland!)

Lassen Sie mich ein zweites herausstellen: Der fragliche Giftmüll ist dioxin- und PCB-verseucht und darf nicht auf Hoher See verbrannt werden. Von den zur Zeit zur Verbrennung angedienten Giftmüllmengen von 20 000 t sind nachgewiesenermaßen 7 800 t dioxin- und PCB-haltige Abfälle. Die vom Deutschen Hydrographischen Institut am 23. Oktober 1989 zusammengestellten Meßergebnisse weisen Dioxingehalte zwischen 21 und 49 ppb, also parts per billion, auf. Weitere Meßergebnisse stehen aus. Nach den internationalen Vereinbarungen und nach bisheriger Genehmigungspraxis von DHI und Umweltbundesamt und auch nach dem bislang erklärten Willen dieser Bundesregierung dürfen solche dioxin- und PCB-
haltigen Rückstände nicht auf See verbrannt werden.
Wollen Sie, Herr Töpfer, nunmehr eine Unbedenklichkeitserklärung für Dioxine und Furane ausstellen oder die Verträge einfach nicht mehr einhalten? Das ist hier die Frage.

(Austermann [CDU/CSU]: Dummes Zeug! — Such [GRÜNE]: Das ist doch unerhört!)

Sie haben mit Ihrer Pyromanie die Abfallentsorgung in eine Sackgasse hineinmanövriert. Sie wollen jetzt Emden zum Giftmüllhafen machen.

(Opel [SPD]: Das ist reiner Kampanilismus!)

Sie wollen notfalls in Emden den gefährlichen Schiffzu-Schiff-Direktumschlag erzwingen, falls Ihr Kollege Remmers in Niedersachsen nicht mitzieht. Sie wollen jetzt offensichtlich auch dioxin- und PCB-haltige Rückstände auf See verbrennen und sich durch Ihre Flucht an die Saar der Verantwortung entziehen.

(Such [GRÜNE]: Sehr richtig!)

Herr Töpfer, Ihre Flucht zurück ins Saarland wird Ihnen hoffentlich durch die Wahlentscheidung im Frühjahr versperrt. Die Wahl in Ostfriesland ist schon gelaufen:

(Lachen des Abg. Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU])

100 % votieren für die Beendigung der Hohe-SeeVerbrennung; 100 % stimmen gegen Emden als Giftmüllhafen.
Dem sollten sich nicht nur die Abgeordneten der Region anschließen, sondern alle Kolleginnen und Kollegen, denen das Ökosystem Nordsee noch etwas bedeutet.
Ich danke Ihnen.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)


Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1117500400
Das Wort hat der Abgeordnete Herr Schmidbauer.

Bernd Schmidbauer (CDU):
Rede ID: ID1117500500
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Frau Garbe, dasselbe Strickmuster hatten wir in der vorigen Woche mit ALKEM.

(Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: So ist es!)

Hier wird so getan, als ob eine aktuelle Situation vorläge.

(Frau Garbe [GRÜNE]: Sie ist aktuell!)

— Das Thema lautet: Umschlag in Emden. Ich mache nur darauf aufmerksam, mit welcher Thematik Sie sich jeweils hier beschäftigen.

(Such [GRÜNE]: Sie ist immer aktuell!)

Die Aspekte, die Sie vortragen, sind beim letzten Mal natürlich ähnliche gewesen.

(Frau Garbe [GRÜNE]: Ja und?)

Sie haben ALKEM aufgeführt und die Bundesregierung nach aktuellem Handlungsbedarf gefragt.

(Frau Garbe [GRÜNE]: Wir reden jetzt von Emden und Hohe-See-Verbrennung!)

— Vielleicht haben Sie Ihren Antrag gar nicht gelesen, Frau Kollegin. Ich darf das darin genannte Thema einmal vorlesen: „Haltung der Bundesregierung zum bevorstehenden Giftmüllumschlag im Emdener Hafen zur Seeverbrennung".

(Such [GRÜNE]: Ja, natürlich! Das ist aktuell! Darüber ist in der vorigen Woche nicht gesprochen worden!)

— Ja, gut, gut. (Zurufe von den GRÜNEN)

Das ist sehr aktuell, aber das ist natürlich beim Hafenamt in Emden sehr aktuell, und es ist auch sehr aktuell beim niedersächsischen Wirtschaftsminister, wo dieser Antrag geprüft wird. Darüber sind wir uns im klaren.

(Such [GRÜNE]: Ach, und uns interessiert es nicht?)

Gefordert ist zur Zeit natürlich nicht Herr Töpfer, sondern gefordert ist der, bei dem der Antrag eingeht. Das nur mal zur Sache.

(Frau Garbe [GRÜNE]: Ach, ach, ach!)

Der Antrag bezieht sich auf Abfälle aus der bereits stattfindenden Wiederaufarbeitung von CKW-Lösemitteln. Und wer die Beseitigung dieser Abfälle nicht mehr zulassen will, entzieht der auf Grund umweltpolitischer Gesichtspunkte wünschenswerten Wiederaufarbeitung die Grundlage. Das wollen wir einmal festhalten. Da bisher keine ausreichenden Entsor-



Schmidbauer
gungsmöglichkeiten für diese Abfälle an Land bestehen,

(Frau Garbe [GRÜNE]: Die sind vorhanden! Das kann ich Ihnen schwarz auf weiß zeigen!)

bedeutet der Verzicht auf die Verbrennung der Abfälle auf hoher See außerdem, daß die betreffenden Betriebe so nicht weiterarbeiten können. Da die GRÜNEN sowohl die Entsorgung an Land als auch die Entsorgung auf hoher See ablehnen,

(Frau Garbe [GRÜNE]: Ach du meine Güte! Ein uraltes Argument!)

liefern sie damit den Beweis — Frau Garbe, es tut mir fürchterlich leid —: Das ist eine totale Ausstiegs-Ideologie, die Sie hier darlegen, eine totale AusstiegsIdeologie, die Sie uns hier vorlegen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU — Frau Garbe [GRÜNE]: Nein, nein, nein!)

Sie wollen um jeden Preis das Verwirrspiel.

(Such [GRÜNE]: Sie betreiben Verwirrspiel!)

— Ich komme gleich darauf zurück:
Mit ihrem Antrag wollen DIE GRÜNEN ein lauf endes Genehmigungsverfahren beeinflussen. Das Akzeptieren eines rechtsstaatlichen Verfahrens fällt ihnen offensichtlich noch schwer.

(Zuruf von der SPD: Was?)

Dieses Genehmigungsverfahren wird nach Gesetzen abgewickelt, die in diesem Parlament beschlossen wurden. Bisher besteht überhaupt keine Veranlassung zu irgendwelchen Zweifeln, daß hier nicht nach Recht und Gesetz verfahren wird. Die Erlaubnis zur Verbrennung auf See ist an strenge Kriterien gebunden.
Jetzt möchte ich Sie an etwas erinnern, Frau Garbe: Verbesserungen in diesem Bereich werden von Ihnen überhaupt nicht zur Kenntnis genommen; das haben Sie heute morgen hier bewiesen. Konstruktive Beiträge sind von Ihnen schon gar nicht zu erwarten. Der Umweltausschuß hat sich im Herbst des vergangenen Jahres dafür ausgesprochen, daß die Abfallverbrennung auf See bis 1991 deutlich, mindestens um 65 %, verringert wird und bis Dezember 1994 zu beenden ist.

(Such [GRÜNE]: Dann ist das überflüssig geworden; dann gibt es dort kein Leben mehr! — Weitere Zurufe von den GRÜNEN und der SPD)

— Ich habe vorhin in aller Ruhe zugehört, obwohl ich das, was Sie gesagt haben, sehr irritierend fand. Hören Sie wenigstens einmal zu.
Jetzt kommen wir zum Ergebnis: Der Deutsche Bundestag hat diesen Beschluß des Umweltausschusses angenommen, und das gesteckte Ziel, liebe Frau Garbe, haben wir bereits jetzt erreicht. An die Adresse der Sozialdemokraten, die hier so wiehern, wenn es um diese Fragen geht, und die sich übrigens sehr schizophren verhalten — ich denke dabei an die Position der Länder; aber darauf wird noch einzugehen sein —, sage ich: 1980 wurden noch 65 000 t chlorkohlenwasserstoffhaltiger Abfälle auf hoher See verbrannt, verehrte Kollegen von der Opposition. Im nächsten Jahr werden es weniger als 20 000 t sein.

(Such [GRÜNE]: Das ist immer noch zuviel!)

Sie aber gehen hierher und klatschen Beifall, wenn jemand eine solche Rede hält wie Frau Garbe.
Bald wird das bei uns kein Thema mehr sein. Ich weiß nicht, warum Sie sich so verhalten: Sie machen jahrelang, jahrzehntelang überhaupt nichts in diesem Bereich und werfen uns dann vor, daß wir die Dinge nicht anpacken. Jetzt nenne ich Ihnen die Zahlen: Um über 60 To wurde reduziert, und keiner von uns ist dafür, daß diese Verbrennung auf hoher See weiterhin betrieben wird. Ich weiß nicht, warum Sie in diesem Parlament einen solchen Popanz aufbauen.

(Zustimmung bei der CDU/CSU) Wir haben es bereits angegangen.

Jetzt will ich Ihnen sagen, was Töpfer gemacht hat: Töpfer hat mit seiner Rechtsverordnung dafür gesorgt, daß nach § 14 des Abfallgesetzes verschiedene Lösungsmittel getrennt gehalten werden, daß gekennzeichnet wird, daß nicht vermischt wird, daß es eine Rücknahmeverpflichtung für Hersteller und Händler gibt, daß damit die Voraussetzung für die Abfallverwertung verbessert wird und die heute vorhandenen technischen Möglichkeiten der Verwertung genutzt werden können.
Ich finde, das ist ein guter Schritt gewesen. Wer von Ihnen glaubt eigentlich, daß man dies in wenigen Monaten schaffen kann: Hunderttausende von Tonnen, die unter Ihrer Verantwortung verbrannt wurden?

(Such [GRÜNE]: Das muß man wollen!)

Was machen eigentlich Ihre Länder im Hinblick auf Sondermüllverbrennung? Wo sind die Anlagen? Die Doppelzüngigkeit von Herrn Matthiesen hören Sie nicht, wenn er sich in diesem Bereich engagiert. Dann halten Sie sich die Ohren zu. Hier tun Sie so, als ob es keine Verantwortung von Ihnen in den Ländern gibt. Was ist das für eine Argumentation auf diesem wichtigen Gebiet?

Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1117500600
Herr Abgeordneter Schmidbauer, Ihre Zeit ist abgelaufen.

Bernd Schmidbauer (CDU):
Rede ID: ID1117500700
Ich sage nur: Denken Sie mehr darüber nach, und schauen Sie einmal zu, wenn Sie wieder eine Aktuelle Stunde beantragen, daß von Ihrer Fraktion mehr als diese fünf Leute im Parlament sind.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1117500800
Das Wort hat der Abgeordnete Herr Lennartz.

Klaus Lennartz (SPD):
Rede ID: ID1117500900
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg, Herr Kollege Baum. Diese schlichte Weisheit gilt ganz besonders in der Umweltpolitik. Wo der Wille fehlt, ist ebenfalls ein Weg, und den muß die Politik mit sanftem Druck, aber mit Nachdruck wei-



Lennartz
sen. Das ist das A und O einer guten Umweltpolitik in einer modernen Industriegesellschaft.
Wir erinnern uns gern, aber viel zu selten an jene Beispiele aus der Vergangenheit, wo wir den Weg gewiesen haben und dem fehlenden guten Willen ein wenig auf die Sprünge helfen mußten.
Denken Sie an die Großfeuerungsanlagen-Verordnung mit den vielfältigen Nachbesserungen der Bundesländer, insbesondere des Landes Nordrhein-Westfalen. Hat es nicht ursprünglich geheißen, meine Damen und Herren, daß die Vorschrift betreffend Filteranlagen zur Entschwefelung und Entstickung der Kraftwerke unweigerlich den Bankrott unserer Stromversorger und den Verlust Tausender Arbeitsplätze nach sich ziehen würde?

(Opel [SPD]: Ich hoffe, Herr Schmidbauer hört zu!)

Erinnern Sie sich? Heute empfangen die Vorstände und ihre Ingenieure mit stolzgeschwellter Brust ausländische Delegationen, um die modernste Kraftwerks- und Filtertechnik der Welt zu präsentieren.

(Opel [SPD]: So ist es!)

Die modernisierten Kraftwerke sind rentabler als je zuvor, und die Aktien der Energieversorgungsunternehmen stehen so gut im Kurs wie nie.
Oder denken Sie an den Proteststurm der Automobilwirtschaft, meine Damen und Herren, als die politische Forderung nach einer schlichten und einfachen Kat-Technik die heile Motorwelt in der Bundesrepublik Deutschland durcheinanderbrachte. Auch damals prophezeite man uns den unvermeidlichen Untergang der deutschen Automobilindustrie und in obligatorischen Standardeinschüchterungen den unabwendbaren Verlust von zigtausend Arbeitsplätzen.

(Dr. Göhner [CDU/CSU]: Genau so war es!)

Heute brüsten sich die Hersteller auf großen Werbetafeln damit, etwas so Steinzeitliches wie einen Pkw ohne Kat überhaupt nicht mehr im Programm zu führen.

(Opel [SPD]: Das ist absolut zutreffend!)

Wie sich die Bilder gleichen! Ich könnte die Liste der Beispiele für politisch erzwungenen guten Willen noch lange fortsetzen. Lassen Sie doch einmal den Rummel um die Dünnsäureverklappung Revue passieren. Wenn wir heute über die Notwendigkeit einer weiteren Verbrennung von Chlorkohlenwasserstoffen auf See reden, kann ich nur feststellen: Chlorierte Kohlenwasserstoffe sind todgefährlich für Mensch und Tier, ja für die ganze Natur.

(Opel [SPD]: Von Dioxinen nicht zu reden! Die werden auch verbrannt!)

Sie sind biologisch kaum abbaubar und heute schon in Flüssen, im Grundwasser, in der Atmosphäre, ja sogar im Eis der Antarktis feststellbar.

(Opel [SPD]: Vor allem in der Nordsee!)

Ihre unvollkommene Verbrennung auf See ist umweltpolitischer Anachronismus, der sofort aufhören muß, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Von Tricks und Mätzchen wie dem Export in andere Länder, der Suche nach anderen Umschlaghäfen oder ähnlichem sollten wir die Finger lassen. Wir wissen: Die viel umweltverträglicheren Entsorgungsmöglichkeiten an Land sind nicht voll ausgeschöpft.

(Frau Garbe [GRÜNE]: Genau! — Opel [SPD]: So ist es! Wir brauchen Taten statt Worte!)

Ebenso ist der Einsatz von harmloseren Ersatzstoffen noch längst nicht ausgereizt. Wenn CKW besser als bisher von Verunreinigungen getrennt gesammelt werden, wenn die tatsächlich vorhandenen Wiederaufarb eitungskapazitäten genutzt werden,

(Opel [SPD]: So ist es!)

wenn vorhandene Zwischenlagerkapazitäten kurzfristig genutzt werden, bis die entsprechenden fortschrittlichen Verbrennungsanlagen an Land zur Verfügung stehen, dann, meine Damen und Herren, werden unsere Ingenieure und Entsorgungsunternehmen in ein, zwei Jahren stolz darauf sein, daß ihnen in Ersatz, Wiederaufarbeitung und Entsorgung von CKW in Europa und weltweit keiner mehr etwas vormachen kann.

(Opel [SPD]: Das gibt Arbeitsplätze durch Export!)

Meine Damen und Herren, wir können aus der Verbrennung auf hoher See aussteigen, ohne Produktionsstopp,

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN — Opel [SPD]: Wir müssen aussteigen!)

ohne Verlust von Arbeitsplätzen, ohne Verlust von Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie.

(Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Das ist Quatsch!)

Genau der Umkehrschluß ist richtig.

(Beifall bei der SPD)

Wir werden ein weiteres Beispiel auf die lange Liste der Fälle setzen können, bei denen dem guten Willen ein wenig nachgeholfen werden mußte.
Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN)


Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1117501000
Das Wort hat der Abgeordnete Herr Baum.

Gerhart Rudolf Baum (FDP):
Rede ID: ID1117501100
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich stimme Ihnen zu, Herr Lennartz, daß man klar sagen muß, was man will, daß man Vorgaben machen muß; dann wird vieles möglich. Sogar das scheinbar Unmögliche wird möglich. Nur bin ich aus dem, was Sie gesagt haben, nicht ganz schlau geworden.

(Opel [SPD]: Zuhören!)

Hier ist alles in die Wege geleitet. Hier sind die Vorgaben gemacht. Wir wollen ja die Verbrennung beenden. Sie ist sehr stark reduziert worden. Wenn Sie



Baum
aber fordern „sofort", gehen Sie an den Realitäten vorbei.

(Opel [SPD]: Das glauben Sie selber nicht, Herr Baum! — Frau Garbe [GRÜNE]: Nein!)

— Frau Garbe, wo sind denn die Zwischenlager, wo sind denn die Ersatzstoffe? Sie machen es wie üblich bei den GRÜNEN. Sie bringen sich in die Anklageposition, geben auf schwierige Fragen ganz einfache Antworten.

(Frau Blunck [SPD]: Das ist gar nicht wahr, Herr Baum! — Opel [SPD]: Das glauben Sie selber nicht!)

und tun so, als ob damit die Welt in Ordnung kommt. Leider ist das nicht so.

(Opel [SPD]: Das wissen Sie doch besser!)

— Wo wollen Sie denn mit den Stoffen hin? Sagen Sie das doch. Sagen Sie es einmal den Betriebsräten der Firmen, die betroffen sind.

(Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Sagt es doch mal!)

Sie können doch nicht einfach die Augen vor der Wirklichkeit verschließen.
Die Bundesregierung hat ein Reduzierungsprogramm energisch in Angriff genommen. Im übrigen ist das nichts Neues. Herr Schmidbauer; wir haben diese ganze Geschichte — mit Dünnsäure und allem — auf den Weg gebracht. Nur geht es eben nicht
so schnell. Herr Töpfer hat es in die Wege geleitet. Wir, der Ausschuß, haben diesen Prozeß begleitet. Wir wollen die Verbrennung auf hoher See nicht mehr. Wir wollen, daß Vermeidung stattfindet, daß Reduzierung stattfindet. Nur für eine Übergangszeit haben wir die Verbrennung noch akzeptiert.
Die Bundesregierung hat jetzt eine Rechtsverordnung vorgelegt — diese halte ich für ganz wichtig, Herr Töpfer —,

(Lennartz [SPD]: Ja, ist sie! Aber zu spät!)

wonach nämlich diese Stoffe getrennt werden können, wonach man die Verwertung sehr viel leichter durchführen kann.

(Opel [SPD]: Recycling und Aufarbeitung!)

Ich finde es gut, daß Herr Töpfer alle Beteiligten jetzt einlädt, die Gespräche fortführt, und zwar mit dem Ziel auszuloten, wie in der Zwischenzeit bis 1994 weitere Reduzierungen erfolgen können. Das sind die Probleme.

(Frau Garbe [GRÜNE]: Hat ganz andere Gründe!)

Das verschweigen Sie alles, Frau Garbe.

(Frau Garbe [GRÜNE]: Hat ganz andere Gründe!)

Herr Lennartz ist darauf eingegangen, daß hier Probleme zu lösen sind.
Die anderen Länder in Europa machen es doch ganz anders, Frau Garbe. Was geschieht denn dort? Dort
werden diese Stoffe in eine Betonfabrik geliefert und dort verbrannt — an Land, ohne große Diskussion.

(Opel [SPD]: Dann haben wir die Katalysator-Diskussion! — Frau Garbe [GRÜNE]: Es geht hier speziell um die Hohe-See-Verbrennung!)

Wir sorgen uns hier um eine wirkliche Entsorgung, die man verantworten kann.
Diese Rechtsverordnung ist also ganz wichtig. Es gibt ein Treffen mit den Ländern. Die Länder haben hier ihren Beitrag zu leisten. Selbstverständlich muß das Verfahren in Emden — Herr Schmidbauer, Sie haben das gesagt — nach Recht und Gesetz erfolgen. Es müssen die notwendigen Anforderungen an Sicherheit beachtet werden. Dann wird man sehen, was dort entschieden wird.
Was müssen wir denn jetzt tun? Wir brauchen z. B. Zwischenlager.

(Zuruf von der SPD: Genau!)

Zwischenlager können nicht über Nacht zur Verfügung gestellt werden.

(Frau Garbe [GRÜNE]: Wie lange haben wir das schon gefordert!)

Ich fordere alle auf, dann, wenn in ihrem Bereich ein Zwischenlager gebaut wird, zu dem Zwischenlager auch ja zu sagen und nicht wieder gegen das Zwischenlager zu opponieren, das eine Voraussetzung für die notwendige Entsorgung ist.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Frau Garbe [GRÜNE]: Wenn es vernünftig gebaut wird! — Opel [SPD]: Wenn das im Saarland wäre, wäre das ganz schnell weg!)

Wir fordern ebenso wie die Fraktionen von FDP und CDU im Landtag von Niedersachen, die vorhandenen Möglichkeiten zur Vermeidung, Verwertung und Entsorgung entschieden auszuschöpfen. Wir wollen eine Herstellung von Entsorgungskapazitäten an Land. Wir wollen, wie wir das schon im Deutschen Bundestag 1987 gefordert haben, daß die notwendigen Entsorgungskapazitäten geschaffen werden. Wir sehen die Probleme, wollen sie lösen und stellen hier keine Maximalforderungen auf, nur um einen Augenblickserfolg populistischer Art zu haben. Wir sehen die Probleme, und wir lösen sie auch.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Such [GRÜNE]: Nein, Sie lösen sie nicht!)


Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1117501200
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Garbe.

Charlotte Garbe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1117501300
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die „VDI-Nachrichten" schreiben am 3. November 1989:
Auch als Übergangslösung ist eine weitere Abfallverbrennung auf See überflüssig.

(Frau Blunk [SPD]: Aha!)




Frau Garbe
Es gibt Techniken und Kapazitäten für die gesetzlich gebotene Vermeidung und Verwertung.

(Frau Blunk [SPD]: Aha!)

Daß sie nicht genutzt werden, ist maßgeblich ein Vollzugsproblem der Bundesländer. Sie, Herr Minister, haben dafür zu sorgen, daß die Gesetze und Verordnungen endlich umgesetzt werden.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

Zum wiederholten Male sage ich: Eine Studie des Umweltbundesamtes weist aus, daß das Umlenken des auf See verbrannten Giftmülls in Sondermüllverbrennungsanlagen an Land lediglich für 10 bis 20 % technisch realisierbar ist. Das sollten Sie endlich einmal zur Kenntnis nehmen. Immerhin arbeitet diese Bundesbehörde für Sie Entscheidungshilfen aus.
Herr Kollege Baum, der Minister befindet sich in einem Dilemma — wir kennen das — : Ein Ausschluß großer Mengen von Abfällen von der Hohe-See-Verbrennung bedeutet, daß die Firma GVS diese nicht mehr wirtschaftlich betreiben kann. Die Industrie- und Gewerbezweige, aus denen die Lösemittelabfälle stammen, werden bei dem Minister schon den nötigen Druck machen, daß es nicht so weit kommt.

(Zuruf von den GRÜNEN: Das ist immer so!)

Wir wissen auch, daß man auf Zeitgewinn spielt, um ihnen noch ein halbes Jahr den Rücken freizuhalten.

(Zuruf von den GRÜNEN: So ist es!)

Wir wissen aber auch, daß die betroffene Bevölkerung dabei nicht mitspielen wird. Deshalb: In Ihrem eigenen Interesse, sorgen Sie dafür, daß die sofortige Einstellung der Hohe-See-Giftmüllverbrennung vollzogen wird.
Ich danke Ihnen.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)


Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1117501400
Das Wort hat der Abgeordnete Herr Bohlsen.

Wilfried Bohlsen (CDU):
Rede ID: ID1117501500
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die politische Forderung, die Verbrennung von Sonderabfällen auf See baldmöglichst zu beenden, wollen wir gerne unterstützen.

(Frau Ganseforth [SPD]: Sofort!)

Nur, die Forderung nach Beendigung muß mit der Entsorgung an Land einhergehen. Solange wir Entsorgungsanlagen an Land nicht zur Verfügung haben

(Lennartz [SPD]: Sie stehen doch da, Herr Kollege!)

und auch Zwischenlagerstätten nicht vorhanden sind, wird eine reduzierte Verbrennung auf See befristet weitergeführt werden müssen.
Meine Damen und Herren, ich bin ja nun Betroffener und komme aus der Ecke und weiß, was dort läuft. Emden ist als Umschlaghafen für Niedersachsen vorgesehen.
Ich bin den Dingen, auch in der technischen Prüfung, einmal nachgegangen. Ich habe erstens herauszufinden versucht, welche Möglichkeiten bestehen, um die Schadstoffe nach Emden zu bringen. Vorgesehen ist dies auf dem Binnenschiffahrtswege. Die Kolleginnen und Kollegen haben auf die Gefährlichkeit der Stoffe hingewiesen. Das heißt, wir müßten auf dem Binnenschiffahrtswege durch Flüsse und Kanäle 19 Schleusen durchfahren. Ich bin also der Frage nachgegangen: Ist dieser Transport sinnvoll?
Zweitens bin ich der Frage nachgegangen, warum gerade Emden als Umschlaghafen vorgesehen ist, und zwar wenn ich an die Verursacher denke, bei denen die Stoffe insbesondere anfallen. Verursacher sind in erster Linie Baden-Württemberg, NordrheinWestfalen und Rheinland-Pfalz, alles Länder, die an der Rheinschiene liegen.
Für das Verbrennungsschiff „Vesta" ist Duisburg als Heimathafen angegeben. Ich habe also versucht zu prüfen, inwieweit man die Stoffe auf dem Binnenschiffahrtswege nach Emden bringen muß oder ob man dies nicht von Duisburg aus tun könnte. Dabei sind technische Dinge zu berücksichtigen, u. a. die Aufbauten dieses Verbrennungsschiffes Vesta, die besonders hoch sind.

(Lennartz [SPD]: Sie gehen vom falschen Ausgangspunkt aus! Wir brauchen keine Verbrennung mehr! Das ist der entscheidende Punkt!)

Ferner ist zu berücksichtigen, inwieweit Wasserstände ausreichen, um diesen Transport über die Rheinschiene durchzuführen.
Beides führt zu Schwierigkeiten. Aber die Aufbauten, die auf dem Verbrennungsschiff vorhanden sind, könnte man zum Teil klappbar machen, so daß zu einigen Zeiten der Duisburger Hafen anzusteuern wäre.

(Schütz [SPD]: Darum geht es gar nicht!) — Herr Schütz, ich komme auf diese Sachen.

Sollte dies nicht möglich sein, wäre ja auch zu prüfen, wenn wir den Binnenschiffahrtsweg vermeiden wollten, ob wir auf der Rheinschiene außen herum mit einem Zubringerschiff der „Vesta" diese Stoffe zuliefern könnten. Auch dieser Frage bin ich nachgegangen. Wir müßten dann aber nach Umschlagplätzen suchen, und diese wären entweder auf der Außenems oder unterhalb von Minsener Oog oder aber hinter dem Wattrücken Hoheweg möglich.

(Frau Garbe [GRÜNE]: Das wird aber von der Genehmigungsbehörde als zu gefährlich angesehen!)

Das erstere müßte man aber wieder ausschließen, weil es neuerdings ein Verkehrsabkommen zwischen der Bundesrepublik und den Niederlanden gibt, auf Grund dessen ein gegenseitiges Einvernehmen im Hinblick auf die Außenems hergestellt werden müßte, wobei dieses Einvernehmen — so meine ich — derzeit nicht erreichbar wäre.

(Opel [SPD]: Sie wollen doch nichts anderes, als die Verbrennungsschiffe rosa anstreichen!)




Bohlsen
Drittens bin ich der folgenden Frage nachgegangen, die Frau Kollegin Garbe angesprochen hat: Die Meldung des BDI, daß diese Stoffe vermeidbar wären und aufgearbeitet werden könnten, ist in der ostfriesischen Presse groß dargestellt worden. Ich habe das Bundesumweltministerium in dieser Frage mit der Bitte um Prüfung angeschrieben, ob diese Meldungen, wie sie hier in den Raum gestellt werden, zutreffen. Angesichts der mir vorliegenden Auskünfte und wenn das zutreffen sollte, Frau Garbe, was Sie angeführt haben, sage ich, es verbleibt nur noch eine so geringe Menge an Reststoffen, daß diese so lange über Duisburg entsorgt werden könnte, bis wir andere Möglichkeiten ausgeschöpft haben, so daß dann diese Hohe-See-Verbrennung ganz vermeidbar wäre.
Ich will, Herr Bundesumweltminister, nachdrücklich Ihren Einsatz loben, mit dem es Ihnen gelungen ist, diese Stoffe in einem erheblichen Maße abzubauen und mit dem es Ihnen gelungen ist, die Menge in kürzester Zeit zu halbieren. Dies ist genau der richtige Weg. Ich kann Sie im Interesse der Küste nur geradezu auffordern, diesen entscheidend guten Weg weiterzugehen. Sie haben bei der Dünnsäureverklappung einen hervorragenden Erfolg gehabt, und ich wünsche Ihnen, daß Sie diesen Weg erfolgreich zu Ende gehen.
Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1117501600
Das Wort hat der Abgeordnete Herr Ewen.

Carl Ewen (SPD):
Rede ID: ID1117501700
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In der heutigen Debatte geht es im wesentlichen um zwei Dinge: einmal um den Giftmüllumschlag im Hafen Emden und zum anderen natürlich um die Verbrennung auf See; denn ohne Verbrennung auf See wäre der Umschlag nicht nötig. Herr Kollege Schmidbauer, ich glaube, es ist wenig sinnvoll, das zu trennen.

(Beifall bei der SPD)

Gegen beide Vorhaben wehrt sich die Bevölkerung in Emden, wehren sich die Menschen in Ostfriesland. Gemeinderäte der Inseln und Küstenbadeorte, der Landkreise zwischen Ems und Jade, Gewerkschaften, Umweltschutzverbände und Initiativgruppen sowie Parteien wissen — und das auch schon seit 1979, als es die ersten Proteste gegeben hat, als nämlich das Baumsterben an der Küste anfing, Herr Schmidbauer — : Die Verbrennung von Giftmüll auf See schädigt durch die Niederschläge das Nordseewasser, läßt bei ungünstigen Winden Niederschläge mit ätzenden Bestandteilen die Blätter zerstören. Ulmen, ein charakteristischer Baum der Küstenlandschaft, sind aus dem Landschaftsbild verschwunden.

(Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Aber nicht deshalb!)

Nun werden auch Pappeln, Eschen, Buchen, Eichen und Ahorn das Opfer der Luftverschmutzung.

(Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Daran ist der Ulmensplintkäfer schuld! Das muß man hinzufügen!)

— Kollege Carstensen, ich weiß auch, daß es am Ende der Ulmensplintkäfer war. Aber weshalb kann sich der Ulmensplintkäfer, den es seit Jahrhunderten gibt, plötzlich so stark durchsetzen?

(Austermann [CDU/CSU]: Und der kommt aus der Nordsee oder wie? — Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: In den 20er Jahren hat es auch ein großes Baumsterben wegen der Ulmensplintkäfer gegeben!)

— Wenn Bäume gestreßt sind, sind sie natürlich anfälliger. Das wissen Sie doch wahrscheinlich auch, Herr Austermann.
Erst sterben die Pflanzen, dann stirbt das Tier und am Ende der Mensch — das ist ein Satz, der immer wieder zitiert wird. Darum sagen wir nein zur Verbrennung auf See.
Die von nach wie vor hoher Arbeitslosigkeit geprägte Region Ostfriesland hat sich in den letzten 20 Jahren dem Tourismus verschrieben. Private und öffentliche Investitionen sind in Höhe von mehreren Millionen getätigt worden. Mehr als 10 000 Arbeitsplätze bestehen in Hotels und Gaststätten sowie in den mit dem Tourismus zusammenhängenden Berufen. Bei dem hohen Umweltbewußtsein der Urlauber wird die Verwirklichung der Pläne mit Sicherheit zu kräftigen Einbußen bei den Gästeübernachtungen führen, die Wirkungen des Gesundheits-Reformgesetzes auf ambulante Badekuren noch einmal verstärken und zur Arbeitslosigkeit führen.

(Opel [SPD]: Das ist ein entscheidender Punkt!)

Was für die Verbrennung auf See gilt, hat auch Bedeutung für den Umschlag im Hafen.

(Zuruf von der SPD: Richtig!)

Unfälle sind nicht auszuschließen. Wenn erst giftige Dämpfe über die Stadt ziehen, wenn die Menschen auf den Fahrgastschiffen zu Beginn ihres Urlaubs, anstatt frische Seeluft zu schnuppern, giftige Gase atmen, ist es aus mit der Lebensqualität und dem Tourismus.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN — Austermann [CDU/CSU]: Und bei Ihren Worten wundern Sie sich noch, wenn die Gäste wegbleiben!)

Darum: Schluß mit der Verbrennung von Giftmüll auf See, keine neue Erlaubnis durch das Hydrographische Institut. Darum keine Genehmigung des Giftmüllumschlags in den Häfen der Nordsee.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Daher: die Möglichkeiten der Vermeidung des Entstehens von Giftmüll nutzen, die Reste verwerten und notfalls für eine begrenzte Zeit, bis zur Einsatzreife neuer Verfahren des Recyclings, Zwischenlagerung und thermische Behandlung des Restes in kontrollierbaren bestehenden Beseitigungsanlagen. Möglichkeiten dafür sind vorhanden. Die Untersuchung der Stadt Essen hat das deutlich gemacht.
Wir haben auch aus den Mitteilungen des Hydrographischen Instituts zur Kenntnis nehmen können,



Ewen
daß in hohem Maße nicht genehmigte Stoffe und nicht genehmigte Mengen verbrannt werden.

(Richtig! bei den GRÜNEN)

Von daher kann ich nur feststellen: Wir müssen hier als Politiker handeln. Die Beispiele beim Katalysator haben gezeigt: Wenn Politik entschlossen handelt, ist die Industrie schnellstens in der Lage, die Dinge so zu regeln, daß die Schadstoffe vermieden werden.

(Opel [SPD]: So ist es! — Frau Garbe [GRÜNE]: Exakt!)

Mit der Ablehnung des Giftmüllumschlags und der Verbrennung auf See stehen die Bürgerinnen und Bürger in Emden und Ostfriesland nicht allein. Der niedersächsische Minister für Wirtschaft und Verkehr hat sorgfältige Prüfung zugesagt, weil — ich zitiere — der Umschlag von CKW-Abfällen wesentlich gefährlicher sei als der Umschlag von Atommüll.

(Zuruf von der SPD: Was?)

Der Emdener Oberbürgermeister hat mitgeteilt, er gehe auf Grund eines Gespräches mit Vertretern des Umweltbundesamtes davon aus, daß ein Umschlag in Emden nicht erfolge. Herr Minister Remmers hat 1987 mitgeteilt — ich hoffe, daß Sie diesen Satz wahr werden lassen — : „Für die Niedersächsische Landesregierung erkläre ich, daß nicht beabsichtigt ist, Emden als Umschlaghafen für die Seeverbrennung vorzusehen. Dieses hat der Bund bestätigt, so daß Sie davon ausgehen können, daß Emden als Umschlaghafen nicht verfolgt wird."
Es wäre gut, Herr Minister, wenn wir das heute von Ihnen bestätigt bekämen.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)


Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1117501800
Das Wort hat der Abgeordnete Herr Kleinert.

Detlef Kleinert (FDP):
Rede ID: ID1117501900
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Frau Garbe hat ja damit begonnen, daß sie das Thema verfehlt hat. In Ihrem Antrag heißt es — das wurde schon zitiert, ich muß es aber wiederholen — : „Haltung der Bundesregierung zum bevorstehenden Giftmüllumschlag im Emdener Hafen".

(Frau Garbe [GRÜNE]: „Zur Seeverbrennung" ! )

Es dreht sich hier nach Ihrem Antrag um den Giftmüllumschlag im Emdener Hafen. Dazu habe ich von Ihnen in zweimaligem Anlauf kein Wort gehört.

(Frau Garbe [GRÜNE]: Es geht um die Hochseeverbrennung!)

Sie haben vielmehr etwas gesagt, was jeden in diesem Hause gleichermaßen verbindet und bewegt, nämlich daß Sie die Verbrennung auf hoher See nicht wünschen.
Wir wünschen das alle nicht. Wenn es aber so ist, daß sich auf Grund von Versäumnissen — zum Teil von Versäumnissen der Vergangenheit; auch da sollten wir von kleinlichen Aufrechnungen Abstand nehmen und das Ganze vielmehr in einem größeren zeitlichen Zusammenhang sehen —

(Opel [SPD]: Zwei bis drei Jahre!)

und auch auf Grund von Erkenntnissen, die uns erst im Laufe der letzten Jahre in immer stärkerer Form zugewachsen sind, herausstellt, daß die Seeverbrennung im Augenblick nicht zu vermeiden ist,

(Frau Garbe [GRÜNE]: Doch!)

dann stellt sich für uns folgende Frage. Carl Ewen war ja wenigstens so liebenswürdig und hat den Unterschied zwischen Umschlag und Verbrennung erst einmal deutlich gemacht; das entspricht seiner klaren und logischen Denkweise. Er hat dann aber sehr schnell den Bogen genommen und gesagt: Im Ergebnis kommt es nur wegen der Verbrennung zum Umschlag.

(Heiterkeit bei der SPD)

Nun haben wir als niedersächsische Abgeordnete des Deutschen Bundestages sicher eine größere Nähe zu dem Problem und größere Verpflichtungen, uns um die Sache zu kümmern,

(Frau Folz-Steinacker [FDP]: Sehr richtig!)

als diejenigen, die sich ruhig zurücklehnen können, wenn sich fern in der Türkei die Völker schlagen.

(Zuruf von der SPD)

— Frau Kollegin, ich habe eben Goethe zu zitieren versucht. Ich sage das, weil Sie von der SPD mich etwas verwundert ansehen.

(Opel [SPD]: Erfolglos!)

Jedenfalls sind wir Niedersachsen etwas näher an dem Problem.
Ich kann Ihnen sagen: Zu Zeiten der sozialliberalen Koalition gab es lebhafte Auseinandersetzungen mit der Firma KRONOS TITAN — deren Schreibtische im übrigen in erster Linie in Leverkusen stehen und bedauernswerterweise nicht in unserer Region — , die eine ganze Menge Gift zunächst in die See und dann auch in andere Abfallbehälter gebracht hat.
Wir haben immer wieder versucht, das, was Herr Lennartz geraten hat, zu tun, nämlich mit Druck und auch mit dem nötigen Nachdruck einzuwirken. Erst zum Ende dieses Jahres, nachdem das früher einmal für 1984 und für 1985 versprochen wurde, wird diese Dünnsäureverklappung endgültig eingestellt. Man kann sehr gut sagen: Fünf Jahre zu spät!

(Beifall bei der SPD)

Man kann aber auch sagen: Ein Glück, daß sie nun endlich eingestellt wird. Es haben viele daran mitgearbeitet. Es hat keinen Sinn, daß die einen immer sagen: Die andern sind schuld, daß verklappt wird. Sobald es aufhört, sind wir daran schuld, daß es aufgehört hat. Diese Arbeitsteilung möchten wir uns nicht gefallen lassen,

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU/CSU)




Kleinert (Hannover)

insbesondere von denjenigen nicht, die kommen und gar keine Vorschläge zu machen haben,

(Frau Garbe [GRÜNE]: Soll ich Ihnen einmal meine Konzepte vorlegen? Da werden Sie staunen!)

sondern eher den Anschein erwecken, daß sie sich über entstandene Probleme auch noch freuen, damit wieder eine Aktuelle Stunde dabei herauskommt.

(Frau Garbe [GRÜNE]: Weil es ein aktuelles Thema ist!)

Die Opposition ist sicherlich nicht zur Verherrlichung der Regierung anwesend. Das muten wir weder den Kollegen von der SPD zu,

(Beifall bei der SPD)

noch wollen wir uns mit den GRÜNEN über ihre parlamentarische Rolle unterhalten, weil sie offensichtlich in einem Klärungsprozeß begriffen ist.

(Frau Garbe [GRÜNE]: Das ist recht billig, Herr Kollege!)

Auf eines aber dürfen wir doch Wert legen: Es wird hier über die Themen gesprochen, die wirklich anstehen.

(Frau Garbe [GRÜNE]: Sie stehen an! Sie sind aktueller Art!)

Es handelt sich darum — davon haben wir uns in vielen Gesprächen mit den Zuständigen in Niedersachsen und mit unserem Parteifreund, dem Wirtschaftsminister Hirche, überzeugt —,

(Frau Garbe [GRÜNE]: Rufen Sie einmal Herrn Remmers an, wie aktuell das Thema ist!)

daß nach Prüfung der Voraussetzungen der für die Häfen zuständige Minister und das ihm unterstehende Hafenamt die Genehmigung zu diesem Umschlag zu erteilen haben. Diejenigen, die gegen die Hochtemperaturverbrennungsanlage genauso gekämpft haben wie jetzt gegen Umschlag und Seeverbrennung, sind die letzten, von denen wir uns hier etwas sagen lassen.

(Frau Garbe [GRÜNE]: Ach so! Dann sagen die Ihnen etwas am Wahltag!)

Eher bedanken wir uns dann schon bei Herrn Matthiesen, dem nordrhein-westfälischen Umweltminister, der gesagt hat: Ich nehme Zwischenlager in Anspruch, soweit es irgend geht, um diesen Vorgang zu entlasten. — Dafür hat sich im niedersächsischen Landtag auch Herr Hirche bedankt. Herr Matthiesen hat aber auch gesagt — das sollten Sie als Opposition liebenswürdigerweise hinzufügen — : Alles kann ich nicht zwischenlagern. Deshalb helft uns bitte, für die Übergangszeit damit fertig zu werden, auf möglichst anständige und korrekte Art und Weise, aber kommen Sie Ihren Wählern nicht damit, daß gar nichts gehen soll! — Deshalb wollen wir alle daran mitarbeiten, daß die Sache so schnell wie möglich, aber auf eine konkrete Weise zu Ende gebracht wird, nicht jedoch damit, Frau Garbe, daß immer dagegen geredet wird.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1117502000
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Blunck.

Lieselott Blunck (SPD):
Rede ID: ID1117502100
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kleinert, die gefährdete Natur hat wirklich mehr verdient als eine unverbindliche Plauderei am frühen Morgen.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Halogenierte Kohlenwasserstoffe sind teilweise sehr schwer abbaubare und giftig wirkende Verbindungen, deren für Mensch und Umwelt schadlose Beseitigung mit großer Sorgfalt vorgenommen werden muß. In der BRD

(Frau Roitzsch [Quickborn] [CDU/CSU]: Was war das?)

und im EG-Raum

(Austermann [CDU/CSU]: Ihr müßt einmal die Mitarbeiter wechseln, die schreiben zuviel Quatsch auf!)

werden drei Methoden angewandt: Lagerung in Untertagedeponie, Verbrennung an Land und Verbrennung auf See. Zur Zeit wird in der Bundesrepublik Deutschland überwiegend die Seeverbrennung praktiziert, die am kostengünstigsten ist,

(Frau Garbe [GRÜNE]: Richtig, das ist nämlich der Punkt! Genau!)

und dies ist der einzige Grund, warum auf der hohen See verbrannt wird.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Auf der hohen See bestehen keine Abgasreinigungsvorschriften. —

(Frau Garbe [GRÜNE]: Jawohl!)

Ich habe eben aus dem Nordseegutachten 1980 zitiert.

(Frau Garbe [GRÜNE]: Das hör sich einer an! — Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Das stimmt doch nicht! Da steht etwas ganz anderes drin!)

Bereits 1983 wird dann im Osloer Übereinkommen festgehalten, daß die Verbrennung von Abfällen auf See nur als Zwischenlösung angesehen werden kann. 1984 sieht die Bundesregierung auf der 1. Nordseeschutzkonferenz eine Einstellung der Abfallverbrennung auf See vor. Auf der 2. Nordseeschutzkonferenz lassen Sie sich, Herr Töpfer, in London als Gallionsfigur auf der „Pidder Lung" feiern.

(Zuruf von der SPD: Womit er nichts zu tun hatte!)

Das ist das Schiff, das die Fremdenverkehrsgemeinden und die Naturschützer an die Themse geschickt haben, um ihren Forderungen Nachdruck zu verleihen. Medienwirksam war es schon, wie Sie da gestanden und geredet haben; nur, Herr Töpfer,

(Zuruf von der SPD: Inhaltsleer war es!) versprochen haben Sie viel,


(Austermann [CDU/CSU]: Überzeugend und glaubhaft war es auch!)




Frau Blunck
gehalten haben Sie nichts!

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN — Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Ist doch Unsinn! Stimmt doch überhaupt nicht!)

Kein Geld wurde in die Hand genommen, obwohl doch der Herr Bundeskanzler erklärt hatte, daß viel Geld in die Hand genommen werden sollte, um der Nordsee zu helfen.
Das Vorsorgeprinzip, das Verursacherprinzip, alles haben Sie über Bord geworfen!

(Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Aber das Verursacherprinzip ist richtig, wenn es um die 300 Millionen in der DDR geht, dann stimmt es!?)

Im Oktober dieses Jahres, im Oktober 1989, erklären Sie dann: Die Krise der Abfallwirtschaft ist da.

(Zuruf von der SPD: Das ist die sogenannte Töpfer-Krise!)

Seit 1983 — Protokoll zum Osloer Abkommen — wird die Verbrennung auf See nur als Zwischenlösung anerkannt. 1987, vier Jahre später, haben Sie, Herr Töpfer, die deutschen Hersteller von CKW-Lösemitteln als Hauptverursacher der Verbrennung auf der hohen See ausgemacht und haben sie auch aufgefordert, eine Ausstiegsstudie vorzulegen. Im Februar 1988 legte der VCI diese Studie vor. Sie schreiben: Sie erfüllt nicht den mit ihr verbundenen Anspruch, sie enthält kein Konzept. Klartext: Die Industrie hat Sie schlicht an der Nase herumgeführt;

(Frau Garbe [GRÜNE]: Wie so oft! — Zuruf von der SPD: Was zu erwarten war!)

sie nahm Sie nicht ernst. In Ihrer Reaktion haben Sie sich dann darauf beschränkt, einen Gesprächskreis zu installieren.

(Lennartz [SPD]: Um den runden Tisch!)

Sie erhoben eben keinen Einspruch, als im vergangenen Jahr am 30. September das DHI für das deutsche Verbrennungsschiff erneut die auslaufenden Erlaubnisse verlängerte, ohne daß ein konkretes Handlungskonzept vorgelegen hätte. Ich frage mich nun, wie eigentlich dann, wenn Emden im Saarland liegen würde, Ihre Entscheidung ausgefallen wäre, Herr Töpfer.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Der Industrie sollte — man höre und staune — Gelegenheit gegeben werden, sich auf die neue Situation einzustellen. Herr Töpfer, wo bleibt die Fürsorge für die Menschen an der Küste?

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Haben Sie einmal die ökonomische Bilanz — ich lege Wert darauf: die ökonomische — aufgestellt? Was bedeuten denn die kurzfristigen Auswirkungen — von den langfristigen will ich gar nicht reden — auf die Fischerei, auf den Fremdenverkehr?

(Frau Garbe [GRÜNE]: Auf die Gesundheit!)

Und wie ist es denn eigentlich mit der ökologischen Bilanz? Die Bundesregierung ist internationale Verpflichtungen eingegangen, aber mit dem Durchsetzen fängt sie im Oktober 1989 an. Herr Töpfer, Sie vertreten weder die langfristigen Interessen der Industrie, noch denken Sie an die Nordsee, und die Interessen der an der Küste lebenden Menschen sind Ihnen egal. Im Frühjahr dieses Jahres hat es ein „Nordseetribunal" gegeben mit der großen Schlagzeile: Die Verantwortlichen gehören an den Pranger gestellt. Dem ist nichts hinzuzufügen.
Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)


Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1117502200
Das Wort hat der Abgeordnete Herr Austermann.

Dietrich Austermann (CDU):
Rede ID: ID1117502300
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wenn man die Kollegin Blunck gehört hat, hat man den Eindruck, sie hat sich nicht an das gehalten, was der Kollege Lennartz vorher als Vorgabe gemacht hat, der ja nun gerade die erfolgreiche Umweltpolitik der letzten Jahre gelobt hat,

(Lachen bei der SPD)

ob das der Kat gewesen ist, bei dem 1982 der Herr Hauff noch „überflüssig" gesagt hat, ob das Großfeuerungsanlagen-Verordnung gewesen ist, die auch nicht vor 1982 in Kraft getreten ist, ob das das Thema Dünnsäure gewesen ist — heute wird von Dünnsäurerummel geredet; inzwischen klopfen sich alle auf die Schulter — , oder ob das andere Themen gewesen sind, bei denen überzeugend gehandelt worden ist. Ich weiß gar nicht, was sich die SPD insbesondere davon verspricht — bei den GRÜNEN erwarte ich nichts anderes —, daß sie das Thema in einer Weise dramatisiert, daß wirklich die Gefahr besteht, daß künftig die Zahl der Touristen zurückgeht, und nicht, weil die Nordsee belastet ist,

(Zurufe von der SPD und den GRÜNEN)

sondern weil Sie ein Szenarium ausgemalt haben, das einen, der von weit herkommt, auch davon überzeugen muß, daß es völlig unsinnig ist, z. B. gelegentlich einmal nach Husum oder an die Nordseeküste zu fahren. Herr Opel, Sie sollten sich wirklich überlegen, ob das verantwortungsvoll ist

(Zurufe von der SPD und den GRÜNEN)

— deswegen habe ich ja „gelegentlich" gesagt — , wie Sie und Ihre Freunde und Genossen hier reden und damit den Eindruck erwecken, hier sei es wirklich fünf Minuten vor zwölf.
Damit will ich überhaupt nicht verniedlichen, was im Bereich der Umweltbelastung — gerade auch bei den Gewässern — in den letzten Jahrzehnten passiert ist. Bloß, ich möchte Ihnen mal eines zu überlegen geben. Unterstellen wir einmal, es kommt am 21. November — man kann ja Herrn Töpfer nicht vorwerfen, daß er zu dem Termin eingeladen hat — zu einem Einvernehmen, dem auch Herr Matthiesen und vielleicht auch die anwesenden Vertreter der Gewerkschaften zustimmen, ist denn dann alles, was Sie hier gesagt haben, Quatsch gewesen?

(Zurufe von der SPD)

Ich würde doch bitten, daß Sie mal überlegen, was mit
solchem verantwortungslosen Reden wirklich bewirkt



Austermann
I werden kann und was tatsächlich durch konkrete Maßnahmen bewirkt wird. Das Konzept der GRÜNEN ist offensichtlich, nichts zu tun, und dies ist kein Konzept.

(Widerspruch bei den GRÜNEN)

Ich möchte deshalb gleich konkret sagen, was in den vergangenen Jahren z. B. im Forschungsbereich gemacht und erreicht worden ist. Wir setzen hier auch in der Forschungspolitik klare Schwerpunkte.

(Opel [SPD]: Schwerpunkt ist die Nordsee!)

Jeder weiß auch: Wenn ich heute z. B. 300 Millionen Mark in der DDR ausgebe, dann ist das nicht der Vollzug des Verursacherprinzips, sondern dann ist das ein verantwortliches und ökonomisches Handeln. Ich glaube, das sollte deutlich anerkannt werden. Diese Vereinbarung ist in diesem Jahr zustande gekommen.
Wenn wir wesentlich mehr Mittel für Abfallwirtschaft ausgeben — und niemand bestreitet, daß die Abfallwirtschaft in der Bundesrepublik einen hohen technischen Stand hat, einen wesentlich höheren als in anderen Ländern — , kann dies sicher auch nicht bestritten werden.
Ich weise darauf hin, daß wir Fortschritte erreicht haben bei thermischen Verfahren der Abfallwirtschaft — Rauchgasreinigung und Umweltverträglichkeit —, daß wir das Thema Dioxine so aufgeklärt haben, daß das zumindest erst einmal bewußt ist, was im Bereich der Verbrennung passiert und was künftig vermieden werden muß. Wir sagen ganz deutlich, daß es 1994 keine Verbrennung mehr geben wird, daß 1991 eine Reduzierung auf 65 % stattfindet, daß die Masse der zu verbrennenden Stoffe inzwischen halbiert worden ist. Dies sind doch eindeutige Erfolge.
Sie müssen auch den Arbeitnehmern erklären, was es bedeutet, wenn Sie heute sofort Schluß machen.

(Anhaltende Zurufe von der SPD und den GRÜNEN)

Ich komme auf die andere Alternative zu sprechen, Frau Garbe, die Sie genannt haben: Zwischenlager oder ähnliche Einrichtungen. Da wiederholt sich dann genau das gleiche wie jetzt. Nehmen wir ein Zwischenlager in Ihrem Wahlkreis, weil es möglicherweise besonders nahe liegt. Da kommt die gleiche Aktuelle Stunde, ein bißchen anderes Thema: „Aber hier darf nicht entsorgt werden! "

(Zurufe von der SPD und den GRÜNEN)

Ich glaube schon, daß man deutlich sagen muß, daß wir Umweltprobleme nicht dadurch lösen, daß wir einfach die Augen zumachen,

(Zurufe von der SPD: Das tun Sie!)

den Kopf möglicherweise auch in Abfall reinstecken. Wir haben hier ein klares Handlungskonzept. Ich nenne auch den Zehn-Punkte-Katalog.

(Zuruf der Abg. Frau Blunck [SPD] — Weitere Zurufe von der SPD)

— Da brauchen Sie nicht zu geifern, Frau Blunck. Ich glaube, das ist ganz deutlich, was dazu in der letzten Zeit passiert ist.

(Opel [SPD]: Das ist eine persönliche Beleidigung!)

— Ich kann das nicht anders nennen bei den Ausdrükken, die hier verwendet worden sind.
Die Verbrennung von Abfall auf See wird bis 1991 deutlich, mindestens um 65 %, verringert; 1994 wird sie ganz eingestellt.

(Such [GRÜNE]: Zu spät!)

Das, was Sie an Mengen aufgezählt haben, ist zur Zeit nicht entsorgbar.

(Frau Garbe [GRÜNE]: Natürlich! — Weitere Zurufe von den GRÜNEN und der SPD)

Das ist, glaube ich, jedermann klar. Sie sollten das
— entgegen der tatsächlich vorhandenen Situation — auch nicht irgend jemandem vorgaukeln wollen.
Ich sage noch einmal die Zahlen: Sonderabfallverbrennung 1981 — Herr Lennartz, zu Zeiten Ihrer Verantwortung — 55 000 t; zur Zeit sind es 20 000 t. Sie haben davon gesprochen, daß Sie die Möglichkeit von 10 000 bis 15 000 t haben. Das heißt: Es bleibt ein Rest, der nicht entsorgt werden kann.

(Frau Garbe [GRÜNE]: Das stimmt nicht!)

Es kommt darauf an, daß wir diese entschlossene, konsequente Umweltpolitik so weiterverfolgen,

(Frau Blunck [SPD]: Oho, wo ist die entschlossen? — Opel [SPD]: Doch, die ist entschlossen und konsequent, nämlich im Nichtstun!)

daß der Lennartz vielleicht schon Ende 1991 hier hergeht und sagt: Da war doch dieses Verbrennungsgerede, dieser Verbrennungsrummel, und deutlich macht, wer wirklich klare und konsequente Entscheidungen getroffen hat.

(Opel [SPD]: Das erzählen Sie mal den Menschen an der Küste!)

Wir werden weiter Verfahren zur Optimierung der Verbrennungstechnik entwickeln.
Mancher Bürger — ich sage dies als letzten Satz —

(Hüser [GRÜNE]: Gott sei Dank!)

stellt sich die Frage: Wieso können solche Maßnahmen nicht mit sofortiger Wirkung getroffen werden? Da muß man ganz klar sagen, daß die Entwicklung von Ersatzstoffen zwar möglicherweise schnell geht, aber wir hier, auch die Umweltpolitiker, oft erlebt haben, daß man dann hinterher feststellen mußte, daß der Ersatzstoff möglicherweise die gleiche schädliche Wirkung hat.

(Opel [SPD]: Darum geht es doch nicht! — Zuruf von den GRÜNEN: Hier ginge es aber!)

Deswegen geht nicht alles, was wünschenswert ist, sofort, kurzfristig. Wir handeln verantwortlich, auch im Interesse der Nordsee.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)





Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1117502400
Das Wort hat der Bundesminister Töpfer.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1117502500
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ein besseres Beispiel als diese Aktuelle Stunde für die doppelten Maßstäbe, um nicht zu sagen: die doppelte Moral,

(Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: So ist es! Pharisäer sind das!)

die manche im Umweltschutz so außerordentlich unglaubwürdig macht,

(Opel [SPD]: Die Bundesregierung, das ist richtig! — Zuruf von den GRÜNEN: Das betrifft Sie!)

kann es kaum geben.

(Zustimmung bei der CDU/CSU)

Im Jahre 1980 — es wurde schon gesagt — wurden insgesamt 65 000 t chlorierte Kohlenwasserstoffe aus der Bundesrepublik Deutschland auf hoher See verbrannt — auf exakt den Verbrennungsschiffen, in dem exakt gleichen Verbrennungsgebiet wie jetzt, mit dem einzigen Unterschied: Sie wurden über Antwerpen verschifft.
Im Jahre 1986 wurden insgesamt 54 000 t chlorierte Kohlenwasserstoffe auf hoher See verbrannt, Abfälle aus der Bundesrepublik Deutschland. Sie wurden auf exakt den gleichen Verbrennungsschiffen, im exakt gleichen Verbrennungsgebiet verbrannt, mit einem Unterschied: Sie wurden über Antwerpen verschifft.

(Frau Garbe [GRÜNE]: Das haben wir immer kritisiert! — Weiterer Zuruf von den GRÜNEN: Schlimm genug!)

Weder 1980 noch 1986, meine Damen und Herren, gab es in diesem Hohen Hause eine Aktuelle Stunde dazu.
Jetzt, meine Damen und Herren, wo eigentlich etwas Positives eingetreten ist,

(Frau Garbe [GRÜNE]: Was?)

und zwar im doppelten Sinne, wird eine Aktuelle Stunde beantragt.

(Frau Garbe [GRÜNE]: Ja!)

Es wird das Positive gemacht, daß wir den Abfallexport nicht mehr über Belgien vornehmen, sondern daß wir uns entscheiden, es über die Bundesrepublik Deutschland zu machen,

(Frau Garbe [GRÜNE]: Wir haben das eine wie das andere kritisiert! — Hüser [GRÜNE]: Das ist doch nicht positiv! Aufhören!)

und damit ungleich stärker und besser kontrollieren können als bisher.
Zweitens. Wir haben nicht mehr 54 000 t zu entsorgen, wie noch vor zwei, drei Jahren, sondern wir haben diese Menge durch nachhaltige Maßnahmen der Bundesregierung, unterstützt von Bundesländern, um über 50 % zurückgeführt. Es sind in diesem Jahr noch keine 20 000 t. Selbst wenn die Verbrennung demnächst weitergeht, werden es auf jeden Fall unter 25 000 t bleiben.

(Frau Garbe [GRÜNE]: Das wissen Sie doch gar nicht genau!)

Das heißt: Wir haben es innerhalb von Jahresfrist halbiert, durch entscheidende Maßnahmen dieser Bundesregierung.

(Zuruf des Abg. Opel [SPD])

— Ich habe das gesagt: mit Unterstützung von Bundesländern.

(Erneuter Zuruf des Abg. Opel [SPD])

— Ich komme darauf zurück, Herr Abgeordneter, ich freue mich, daß ich darauf zurückkommen kann.
Auf Grund dieser Arbeit der Bundesregierung wird gerade das, was Sie, Herr Abgeordneter, so heraufbeschwören, entscheidend zurückgeführt. Sie haben sich nicht zu Wort gemeldet, als 65 000 t verbrannt wurden

(Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: So ist es!)

und diese Umweltschäden damit möglicherweise entstanden.

(Beifall bei der CDU/CSU — Lennartz [SPD]: Das ist billig!)

Jetzt, wo wir sie zurückführen, wo wir sie in unsere eigene Kontrolle zurückführen mit dem Ziel, sie noch vor 1994 endgültig zu beenden — jetzt diese Aktuelle Stunde. Meine Damen und Herren, jetzt, wo wir es in die eigene Verantwortung nehmen und wo vor Ort dagegen protestiert wird — was man ja versteht —, jetzt auf einmal die Aktuelle Stunde.

(Frau Garbe [GRÜNE]: Weil das ein aktuelles Thema ist!)

Lassen Sie mich sagen: Dies ist Sankt-Florians-Prinzip in Reinkultur, vor allen Dingen auch deswegen, weil exakt dieselben, meine Damen und Herren, die sich hier so vehement gegen die Hohe-See-Verbrennung wehren, alles daran setzen, um entsprechende an Land eingerichtete Anlagen zu verhindern.

(Frau Garbe [GRÜNE]: Das ist doch überhaupt nicht realisierbar! — Weiterer Zuruf von den GRÜNEN: Das ist doch keine Alternative!)

Mit Zustimmung der Frau Präsidentin möchte ich folgendes zitieren:
Wer nein sagt zur Hohe-See-Verbrennung, was ich verstehe und unterstütze, der muß ja sagen zu Anlagen an Land.

(Zustimmung bei der SPD — Frau Garbe [GRÜNE]: Wer sagt das ?)

— Dies sagt der Umweltminister des Landes Nordrhein-Westfalen, Klaus Matthiesen, nachzulesen in der Zeitschrift des Niedersächsischen Städtetags vom Oktober 1989.

(Lennartz [SPD]: Sehr richtig!)

Ich lese vor, was er auch noch dazu sagt — Herr Abgeordneter Lennartz, ich hoffe, daß Sie danach



Bundesminister Dr. Töpfer
auch noch „Sehr richtig!" sagen —; ich zitiere ihn wörtlich aus dieser Quelle:
Und ich finde, daß Politiker die verdammte Pflicht und Schuldigkeit haben, selbst wenn es Widerstand gibt, dies auch den unbequem fragenden Bürgern zu sagen. Meine Erfahrung ist, daß aus Opportunismus langfristig noch nie Vertrauen geworden ist.

(Lennartz [SPD]: Sehr richtig!)

Sie alle kennen ja das schöne Lied: „Proletarier aller Länder, vereinigt euch! " Ich möchte nicht erleben, daß daraus wird: „Opportunisten aller Länder, vereinigt euch!"
Soweit Klaus Matthiesen, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU/CSU — Beifall bei der SPD)

Klaus Matthiesen ist mit mir einer Meinung — ich habe mich mit ihm darüber unterhalten — , daß wir genau diesen Weg, den ich hier eingeschlagen habe, weitergehen müssen und daß wir für diese Übergangszeit eine weitere Verbrennung auf hoher See brauchen.
Deswegen habe ich mir schon die Freude gemacht, deutlich und klar zu erklären, daß ich die Kollegen der Länder und der Gewerkschaften bei mir haben möchte. Das Leichteste, was ich tun könnte, wäre natürlich, morgen hinzugehen und zu sagen: Wir weisen das DHI an, es wird nicht mehr verbrannt.

(Beifall bei der SPD — Zustimmung der Abg. Frau Garbe [GRÜNE])

Glauben Sie denn, meine Damen und Herren, das seien meine Abfälle? Es geht doch nicht darum, daß ich das nicht tun kann. Sie haben noch im März dieses Jahres hier gestanden und mich aufgefordert, sofort die Dünnsäureverklappung zu beenden. Wir haben das nicht getan. Mit großem Pomp haben vor wenigen Tagen Herr Matthiesen, der Oberbürgermeister von Duisburg und andere mit mir zusammen die Aufkonzentrierungsanlage in Duisburg eingeweiht. Sie haben gesagt: Es war die richtige Strategie, daß wir nicht sofort verboten, sondern diese Anlage gebaut haben.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Dies, meine Damen und Herren, ist verantwortliche Politik.

(Opel [SPD]: Herr Matthiesen kann sich ja nicht wehren!)

Ich darf Ihnen noch einmal zurufen: Opportunisten aller Länder, vereinigt euch! Das ist die Besorgnis, die dahintersteht.
Ich möchte auch folgendes ganz deutlich machen. Wenn das DHI die hier zitierte Besorgnis ausgesprochen hat, dann doch wohl auf meine Anregung hin. Mit Wirkung vom 25. Oktober dieses Jahres ist mir aus dem Geschäftsbereich des BMV die fachaufsichtliche Zuständigkeit für die Verhütung der Meeresverschmutzung durch das Einbringen von Abfällen und anderen Stoffen in das Meer übertragen worden. Das DHI entscheidet in diesem Teilbereich nicht an mir vorbei, sondern es entscheidet deswegen, weil ich gesagt habe: Dies ist so.

(Frau Garbe [GRÜNE]: Um so besser!)

Das Umweltbundesamt ist doch nicht eine Behörde, die irgendwo etwas entscheidet, sondern es ist eine mir nachgeordnete Behörde. Es hat für mich eine Vorlage erarbeitet, und diese Vorlage des Umweltbundesamts weist aus — —

(Zuruf der Abg. Frau Blunck [SPD])

— Hochverehrte Frau Abgeordnete, auch das laute Zwischenrufen macht das, was man dazwischenruft, noch nicht wahr und richtig. Auch das soll deutlich gesagt werden.
Meine Damen und Herren, wir haben das Umweltbundesamt geradezu gebeten, uns klarzumachen, was kurzfristig machbar ist und was nicht. Wir haben gerade deswegen genau diese Maßnahme ergriffen. Wo gibt es denn bisher eigentlich irgendwo ein Stück Kritik daran, daß wir eine Verordnung zur Getrennthaltung von chlorierten Kohlenwasserstoffen vorgelegt haben, daß wir eine Rücknahmeverpflichtung eingeführt haben?

(Frau Blunck [SPD]: Aber wann? Der Zeitpunkt!)

Nur eines müssen Sie hinzufügen, Frau Abgeordnete Garbe: Dort, wo wir aufarbeiten, bleibt, wie Sie sicherlich wissen, ein Rest zurück. Er muß wiederum thermisch behandelt werden.
Einen noch besseren Beleg als das, was Greenpeace dazu schreibt, brauche ich nicht zu liefern, nachzulesen in deren Broschüre:
Von den derzeit aus der Bundesrepublik Deutschland in die Seeverbrennung laufenden Abfällen in einer Größenordnung von rund 60 000 Tonnen pro Jahr
— es sind maximal nur noch 25 000 Tonnen —
können laut Umweltbundesamt etwa 16 000 Tonnen hochchlorierter Abfälle aus der chemischen Produktion bei Bayer in sogenannten Spezialanlagen verbrannt werden,
— es geht also um Verbrennungsanlagen —
können etwa 20 000 Tonnen hoch- und mittelchlorierte Lösemittel aus Metall- und Kunststoffverarbeitung in einer speziell für diesen Zweck geplanten Anlage in Essen behandelt werden.
Wissen Sie, um was für eine Anlage, die in Essen geplant ist und gegen die Sie protestieren, es sich handelt? Es ist exakt die Verbrennungsanlage, die Klaus Matthiesen in Essen errichten will.
Meine Damen und Herren, all dies führt zu einer Schlußfolgerung: Dies ist das Beispiel der doppelten Moral.

(Zustimmung bei der CDU/CSU)

Dort, wo verantwortlich gehandelt wird, wo Erfolge erzielt werden, wo das Ende der Hohe-See-Verbrennung greifbar nahe ist, wird jetzt noch einmal aus der falschen Entscheidung — ich sage das sehr nachdrücklich — vor Ort, sich auch auf die richtige Ebene zu setzen, eine Politik untergraben, die genau die



Bundesminister Dr. Töpfer
Ursachen beseitigt, gegen die Sie hier, wie ich meine, sehr vordergründig polemisieren. Lassen Sie sich von Klaus Matthiesen und vom Vorsitzenden der Industriegewerkschaft Chemie, Papier, Keramik, von Hermann Rappe,

(Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Aber nicht von seinem Vertreter!)

einmal sagen, was wir gemeinsam auf diesem Gebiet bewältigt haben und wie wir das Thema der Verbrennung auf hoher See verantwortungsbewußt bewältigen und beenden. Ich bitte wirklich darum, dies auch entsprechend mitzutragen.
Ich danke sehr herzlich.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Zuruf von der SPD: Heiße Luft und nichts dahinter!)


Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1117502600
Das Wort hat der Abgeordnete Herr Schütz.

Dietmar Schütz (SPD):
Rede ID: ID1117502700
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich will jeden Satz, den Sie von Herrn Matthiesen zitiert haben, wonach derjenige, der eine Hohe-See-Verbrennung nicht haben will, an Land verbrennen muß, unterstreichen, bis auf einen, in dem er gesagt hat, „Proletarier aller Länder, vereinigt euch" sei ein Lied. Das ist ein Zitat aus dem Kommunistischen Manifest. Alles andere ist richtig, und ich unterstreiche das auch.

(Heiterkeit — Zurufe von der CDU/CSU) — Ich komme gleich noch einmal dazu.

Herr Töpfer, Sie haben im Juni 1988 Ihr ZehnPunkte-Programm vorgestellt. Unter Punkt 7 hieß es damals: Wir wollen 1995 die Hohe-See-Verbrennung einstellen. Dazu haben wir hier schon damals gesagt: Das geht nicht. Das ist uns zu langsam. Wir wollen ein schnelleres Vorgehen, es muß sofort gehandelt werden. — Selbstverständlich sind wir auch davon ausgegangen, daß die Exekutive dann sofort tätig wird, um einen früheren Stopp zu ermöglichen. Wir erleben eigentlich jedesmal, daß konkretere Planungen nicht umgesetzt sind.

(Frau Blunck [SPD]: Richtig!)

Herr Bruns hat im niedersächsischen Landtag ein ganz klassisches Beispiel für so etwas zitiert. Er hat einen Beamten aus dem Umweltministerium gefragt: Was macht ihr denn eigentlich? Darauf hat er gesagt: Wir haben konkrete Zwischenlagerkapazitäten noch nicht beantragt. — Daraufhin fragte er: Warum habt ihr nicht beantragt? — Darauf antwortete dieser Beamte: Weil wir noch bis 1994 Zeit haben. Erst dann endet die Hohe-See-Verbrennung. — Das ist die Mentalität, die Sie 1988 durch den siebten Punkt Ihres Programms hier gefördert haben. Das wollen wir nicht mehr hinnehmen. Diese Mentalität des Zuwartens können wir nicht akzeptieren. Das wollen wir nicht.

(Beifall bei der SPD und der Abg. Frau Garbe [GRÜNE])

Herr Töpfer, wir wissen doch, daß das, was auf hoher See verbrannt wird, ein Mixtum compositum giftigster Stoffe ist. Das geschieht ohne Abgasreinigung.
Es sind Stoffe, in denen sich Dioxine niederschlagen.
Ich habe eine Aufstellung von Greenpeace — aus dem UBA, wie ich glaube —, in der es heißt, daß 70 To der zu verbrennenden Stoffe, die sich niederschlagen, dioxinhaltig sind. Bei 19 600t pro Jahr — diese Menge bleibt ja noch übrig; das entspricht etwa den Zahlen, die Sie genannt haben — sind das 13 720 t dioxinhaltiger Stoffe, die sich niederschlagen. Ist das akzeptabel? Ich sage nein!

(Beifall bei der SPD — Gerster [Mainz] [CDU/ CSU]: Sagen Sie doch mal etwas zu den Lösungen!)

Herr Töpfer, ich möchte etwas zu der doppelten Moral sagen.

(Zurufe von der CDU/CSU)

— Herr Austermann, ich will etwas zu der von Herrn Töpfer angesprochenen doppelten Moral sagen! — Können wir dem Polizeibeamten sagen, er solle gegen das Greenpeace-Schiffe vorgehen, das aus dem Emdener Hafen auslaufen will, wenn sich Greenpeace gegen eine Handlung wendet, die bei uns hier an Land auf das schärfste verboten ist, während sie auf See zugelassen ist? Was ist das für eine doppelte Rechtsmoral!

(Beifall bei der SPD und der Abg. Frau Garbe [GRÜNE] — Zuruf von der CDU/CSU: Jetzt kommen die Alternativen!)

Wenn wir z. B. mit unseren Vertretern an der Küste über die Befahrensregelung diskutieren, dann sagen mir die Segler, — Herr Bohlsen, Sie wissen das — : Ich darf jetzt nicht mehr mit einem Segelboot an die Seehundbänke heranfahren. Aber die Verbrennungsschiffe bringen die Brühe in die Nordsee ein, in der die Robben leben. — Das verbieten Sie nicht! Was ist das für eine doppelte Moral!

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN — Frau Blunck [SPD]: Was ist bei einem Unfall? Herr Töpfer hat die Verantwortung dafür!)

Was ich nicht begreife, ist: An Land verbieten wir nachhaltig, daß so etwas verbrannt wird. Auf See lassen wir etwas zu, was wir an Land nicht akzeptieren. Diese doppelte Moral können wir nicht mehr hinnehmen.
Ich will auch noch etwas zu den Kapazitäten sagen. In der Tat haben wir keine Schwierigkeiten in der Frage der Aufarbeitungskapazitäten. Wenn getrennt gesammelt wird und wenn die Vermischungsverbote eingehalten werden, dann haben wir, so wie ich eigentlich jeden Kenner verstehe, keine Probleme in der Aufarbeitung. Die Verordnung, die das gebietet, wird am 1. Januar 1990 in Kraft gesetzt. Herr Töpfer, sie ist am 23. Oktober 1989 verkündet worden, 19 Tage nachdem das Verbot in Antwerpen ausgesprochen wurde und über zwei Jahre nachdem wir wissen, daß Antwerpen nicht mehr verschiffen kann. Diese Verordnung wird am 1. Januar 1990 in Kraft gesetzt. Ich sage Ihnen: wesentlich zu spät.

(Zustimmung bei der SPD und den GRÜNEN)

Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 175. Sitzung. Bonn. Mittwoch. den 15. November 1989 13247
Schütz
Ich wollte sagen: Wir haben das Problem nicht, wenn wir getrennt sammeln und wenn wir die Vermischungsverbote einhalten.
Das ganze Problem, so wie ich es sehe, besteht in der Frage: Haben wir Zwischenlagerkapazitäten, die bis zu dem Zeitpunkt ausreichen,

(Austermann [CDU/CSU]: Einen Standortvorschlag!)

in dem wir Verbrennungskapazitäten an Land haben, um das Zwischengelagerte zu verbrennen?
Da höre ich von verschiedenen, daß wir Zwischenlagerkapazitäten haben.

(Frau Garbe [GRÜNE]: Und Aufarbeitungskapazitäten!)

Das ist das Streitige. Sie sagen: Wir haben diese Zwischenlagerkapazitäten nicht, und wir sagen: In den Firmen muß das erst einmal abgerufen werden. Ich habe eine genaue Aufschlüsselung, einen genauen Nachweis, was in den Firmen an Kapazitäten vorhanden ist, noch nicht bekommen. Ich höre unter der Hand, daß wir diese Kapazitäten haben.

(Austermann [CDU/CSU]: „Unter der Hand" ist verboten!)

Wir können in dieser Situation eine Verbrennung nicht mehr zulassen, weil die Nordsee und wir an der Küste das nicht mehr akzeptieren können.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, letztlich zu der doppelten Moral.

(Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: Jetzt sagen Sie doch einmal, was Sie wollen!)

— Ich sage immer, was ich will.

Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1117502800
Aber Ihre Redezeit ist zu Ende.

Dietmar Schütz (SPD):
Rede ID: ID1117502900
Ich sehe das.
Die Alternative habe ich Ihnen genannt: Zwischenlager, bis wir verbrennen können.

(Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: Wo, bitte?)

— Ich bin kein Firmenvertreter. Ich kann nicht bei BASF und auch nicht bei Hoechst nachgucken, wie viele Kapazitäten sie haben.
Noch etwas zur doppelten Moral: Wir können auf See nicht Sachen machen, die wir auf Land nicht zulassen, und auch noch sagen, das sei eine umweltpolitische Moral. Das geht nicht. Wir müssen kämpfen, daß wir dies auch auf See verhindern.
Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)


Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1117503000
Das Wort hat der Abgeordnete Herr Harries.

Klaus Harries (CDU):
Rede ID: ID1117503100
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das politische Ziel dieser Aktuellen Stunde ist nicht erreicht worden. Sie wollten, daß hier Versäumnisse und Fehlverhalten der
Bundesregierung aufgedeckt werden. Das ist nicht gelungen.

(Frau Garbe [GRÜNE]: Eben doch!) Genau das Gegenteil ist der Fall.

Viel gefährlicher, meine Damen und Herren, ist, daß Sie durch populistische und weit über das Ziel hinausgehende Vorschläge hier vor der Öffentlichkeit wieder ein Katastrophenszenario dargelegt haben

(Frau Garbe [GRÜNE]: Nein, nein!)

und daß Sie vor allen Dingen einen Beitrag leisten, um den Industriestandort Bundesrepublik Deutschland in Frage zu stellen.

(Hüser [GRÜNE]: Die alte Leier! Ich kann es nicht mehr hören!)

Aber auch das wird Ihnen nicht gelingen.
Zur Lösung des Problems ist für einen überschaubaren Zeitraum im Grunde genommen eine gemeinsame Kraftanstrengung erforderlich. Dann können die Probleme, die Sie, was die Nordsee angeht, durchaus zu Recht aufgezeigt haben, gelöst werden.
Meine Damen und Herren, über die Nordsee haben wir hier des öfteren diskutiert.

(Frau Garbe [GRÜNE]: Das ist auch nötig!)

Wir haben aber nicht nur diskutiert, sondern die Bundesregierung hat gehandelt und kann Ergebnisse vorlegen: Die Dünnsäureverklappung ist in der Bundesrepublik eingestellt. Andere Länder verfahren weiterhin auf diesem Wege und verklappen in der Nordsee.
Ich erinnere weiter an das Strukturhilfeprogramm der Bundesregierung über die nächsten Jahre. Schwerpunktmäßig werden hier Anlagen zur Reduzierung von Nitraten und Phosphor im Abwasser geschaffen werden. Auch das ist ein Erfolg.

(Sehr richtig! bei der CDU/CSU)

Ich erinnere ferner nicht nur an die Verträge, die mit der DDR abgeschlossen worden sind, sondern an die ganz konkreten Investitionshilfen, die wir in den nächsten Jahren in einem überschaubaren Zeitraum leisten, um zu einer Reduzierung von Schadstoffen zu kommen.
Ich nenne kurz das Abwasserabgabengesetz.
Zugegebenermaßen werden noch CKW-Abfälle in der Nordsee verbrannt. Worin liegt die Lösung? Meine Damen und Herren, etwas mehr Nüchternheit, etwas mehr Sachlichkeit und etwas mehr Realitätssinn würden zeigen, daß wir auf CKW in der chemischen Industrie und in weiten Dienstleistungsbereichen überhaupt nicht verzichten können.

(Frau Garbe [GRÜNE]: „Überhaupt nicht" stimmt nicht!)

An Substituten wird gearbeitet. Aber noch haben wir nicht die erforderlichen Substitute, die unsere chemische Industrie heute und morgen braucht. Auch die Substitute müssen gefahrlos sein.

(Frau Garbe [GRÜNE]: Heißwasserdruck tut es auch!)




Harries
Es wird auch daran gearbeitet, die CKW-Abfälle so aufzuarbeiten, daß man zu einer Verwertung kommt. Aber es bleiben Reststoffe, die, meine Damen und Herren, verbrannt werden müssen. Wenn hier immer ohne nähere Darlegungen gesagt wird, Zwischenlösungen seien da, dann ist das nicht zutreffend. Wir haben nicht die ausreichende Menge von Zwischenlagern, um das, was in reduzierter Form — 20 000, 25 000 t — noch vorhanden ist, zu lagern.
Meine Damen und Herren, denken Sie bitte auch einmal daran, daß es vielleicht viel zu gefährlich ist, um allen Unternehmern — schwarze Schafe gibt es bekanntlich überall — die Alleinverantwortung zur Verwertung dieser CKW-Abfälle zu überlassen. Von daher brauchen wir ein sauberes generelles Programm.

(Frau Garbe [GRÜNE]: Verursacherprinzip !)

Wir müssen die Übergangszeit überbrücken. Die Rechtslage ist eindeutig. Die Verbrennung auf See soll nicht sein; sie soll nur dann sein, wenn die Gefahr an Land größer ist. Hier — ich habe es gesagt — müssen wir den Zeitraum überbrücken.
Gemeinsame Anstrengungen werden erforderlich. Haben Sie den Mut, das zu tun!

(Frau Blunck [SPD]: Wo bleibt ihr?)

Malen Sie hier kein Katastrophenszenario! Zwischenlager gibt es nicht. Verbrennungsanlagen an Land müssen gebaut werden. Anträge sind gestellt, nur werden die Genehmigungen nicht von heute auf morgen erteilt werden können. So lange ist zu verbrennen, um die Industrie am Leben zu erhalten. Wir wünschen, Herr Bundesumweltminister, Ihrer Konferenz im nächsten Monat einen vollen Erfolg.

(Frau Blunck [SPD]: Im nächsten Monat? Hat er es wieder verschoben?)

Hoffentlich zeigen die Gesprächspartner die Verantwortung, an die wir hier alle appelliert haben.
Ich bedanke mich.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1117503200
Meine Damen und Herren, die Aktuelle Stunde ist beendet.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 4 auf:
a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ergänzung des Katastrophenschutzgesetzes und anderer Vorschriften

(Katastrophenschutzergänzungsgesetz — KatSErgG)

— Drucksache 11/4728 —
Beschlußempfehlung und Bericht des Innenausschusses (4. Ausschuß)

— Drucksache 11/5675 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Dr. Nöbel Kalisch
Dr. Hirsch
Such

(Erste Beratung 151. Sitzung) b) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Regelung der Rechtsverhältnisse der Helfer der Bundesanstalt Technisches Hilfswerk


(THW-Helferrechtsgesetz — THW-HelfRG)

— Drucksachen 11/4731, 11/5044 —
Beschlußempfehlung und Bericht des Innenausschusses (4. Ausschuß)

— Drucksache 11/5674 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Dr. Nöbel Kalisch
Dr. Hirsch
Such

(Erste Beratung 151. Sitzung)

Zum Entwurf des Katastrophenschutzergänzungsgesetzes liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/8682 vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die gemeinsame Beratung dieser Tagesordnungspunkte 45 Minuten vorgesehen. Ich sehe dazu keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Herr Kalisch.

Joachim Kalisch (CDU):
Rede ID: ID1117503300
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Katastrophenschutz ist ein Thema, das allen, die sich für den Schutz unserer Bürger im Verteidigungs- oder Katastrophenfall einsetzen, am Herzen liegen muß. Aber nicht nur das, der Schutz der Zivilbevölkerung ist Pflicht jeder Regierung und eine zutiefst humane Aufgabe.

(Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: Sehr wahr!)

Das Gesetz hat zum Ziel, unter extremen und unvorhersehbaren Bedingungen Menschenleben zu retten, Verletzte bestmöglich zu versorgen und die erforderliche Versorgung des betroffenen Gebietes sicherzustellen.
Das Erdbeben in Armenien mit seinen erschütternden Folgen für eine ganze Sowjetrepublik hat gezeigt, daß wir Menschen vor solchen katastrophalen Naturereignissen nicht sicher sind und uns dagegen wappnen müssen. Das bei uns bestehende Katastrophenschutzsystem hat es ermöglicht, den Menschen in Armenien durch die Entsendung von Fachdiensten, des Technischen Hilfswerks und durch die Unterstützung der deutschen Hilfsorganisationen die größte Not lindern zu helfen. Die in das Erdbebengebiet entsandten Helfer samt ihrem Gerät haben im Einsatz zugleich aber auch Erfahrungen sammeln können, deren Auswertung es uns ermöglicht, die Vorsorge in diesem Bereich noch zu verbessern.
Eines steht aber jetzt schon fest: Wir müssen im Katastrophenfall alle bei uns vorhandenen Ressourcen voll ausschöpfen können, d. h., auch der Erweiterungsteil des Katastrophenschutzes muß schnell und effektiv einsetzbar sein. Dies gelingt uns aber nur, wenn diese Einheiten und Einrichtungen auch regelmäßig üben und zusammen mit den Katastrophen-



Kalisch
schutzbehörden der Länder eine nahtlose Kommunikation auf- und ausbauen, denn die Zeitnot ist im Ernstfall der größte Feind erfolgreicher Hilfe.

(Such [GRÜNE]: Für den Kriegsfall, meinen Sie! — Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: Das ist so platt, Herr Kollege, darauf brauchen Sie nicht einzugehen!)

Diese Konsequenz hat auch der sowjetische Staats- und Parteichef Gorbatschow erkannt und erklärt, er werde sich für eine Verbesserung der sowjetischen Katastrophenschutzbedingungen einsetzen. Auch die Schweiz hat, nachdem sie den Zivilschutz für ihre Bevölkerung nahezu vollständig ausgebaut hat, erkannt, daß die Trennung von Katastrophenschutz einerseits, der dort Kantons- und Gemeindesache ist, und Zivilschutz andererseits, der unter die Verantwortung der schweizerischen Bundesregierung fällt, effektiver und zweckmäßiger sein könnte. Sie prüft zur Zeit eine unserem System adäquate Regelung.
Außerdem, meine Damen und Herren, soll die Schutzbaupflicht in der Schweiz noch besser gesetzlich verankert werden. Nicht nur im Verteidigungsfall, sondern auch bei Großkatastrophen kann der Schutzraum wirksamste Hilfe für die Menschen sein. Ich bedauere sehr — das ist schon eine Kritik — , daß das vorliegende Gesetz bei uns keine Verbesserung im Schutzbaubereich vorsieht. Ich möchte aber an dieser Stelle dem Schutzforum herzlich danken, das mit qualifizierten Gutachten und Stellungnahmen zum Schutzraumbau hervorragende Arbeit geleistet hat.

(Zustimmung des Abg. Gerster [Mainz] [CDU/CSU] — Such [GRÜNE]: Der Beifall war aber schlapp!)

— Herr Such, jetzt sind Sie dran.

(Such [GRÜNE]: Ich beziehe mich auf den Kollegen da!)

Die von den Gegnern im Zusammenhang mit der Beratung und Verabschiedung des Katastrophenschutzergänzungsgesetzes betriebene emotionale Stimmungsmache ist völlig absurd und geht an den Problemen, denen wir uns zu stellen haben, total vorbei. Es ist vollkommen unverständlich, daß die IPPNW ebenso wie der DGB — von den GRÜNEN will ich in dem Zusammenhang gar nicht reden —

(Such [GRÜNE]: Aber DGB und GRÜNE in einem Atemzug!)

dieses Gesetz ablehnen, weil es einmal durch die Bezeichnung „Katastrophenschutzergänzungsgesetz" ihrer Meinung nach eine Mogelpackung sei

(Such [GRÜNE]: Das ist richtig!)

und darüber hinaus den Menschen noch vermitteln solle, daß ein Krieg führbar sei.

(Such [GRÜNE]: Das ist so!)

Bediente ich mich Ihrer Philosophie, dann würde das heißen: Wir wollen für den Schutz der Bevölkerung überhaupt nichts tun, dann kann auch nichts passieren.

(Such [GRÜNE]: Dann sollten Sie etwas anderes tun, z. B. das Genfer Zusatzabkommen unterzeichnen!)

Andererseits fordern dieselben Gruppen, endlich die Zusatzprotokolle zum Genfer Rot-Kreuz-Abkommen seitens der Bundesregierung zu ratifizieren.

(Such [GRÜNE]: Tun Sie das doch!)

In diesen Bestimmungen wird u. a. gefordert, daß die Zivilbevölkerung im Verteidigungsfall — sprich im Krieg — zu schützen sei.

(Such [GRÜNE]: Das wollen wir auch! — Bachmaier [SPD]: Das ist richtig!)

Indem wir die beiden Gesetzesvorhaben verabschieden, kommen wir dieser Aufforderung nach.

(Frau Steinhauer [SPD] und Such [GRÜNE]: Dann müßt ihr ratifizieren!)

Im übrigen haben alle Fraktionen die Ratifizierung bei der Bundesregierung angemahnt, und wir haben in diesem Haus gehört, daß sie noch in diesem Jahr eingeleitet werden soll.

(Such [GRÜNE]: Wann denn? — Bachmaier [SPD]: Wir haben in diesem Parlament eine sehr dicke Petition dazu beschlossen!)

— Ich verstehe gar nicht, warum Sie sich so aufregen.
Den logischen Widerspruch, Herr Such, zwischen der Forderung nach der Ratifizierung der Zusatzprotokolle und der Ablehnung der vorgelegten Gesetze hat die IPPNW in der öffentlichen Anhörung vor dem Innenausschuß Anfang Oktober trotz mehrfacher Nachfrage nicht klären können. Es ist auch schon bemerkenswert, daß der SPD-Vorsitzende Vogel ein Gespräch mit der IPPNW geführt hat. Nach dem Gespräch hat die IPPNW erklärt, daß sie von dieser Zusammenkunft sehr befriedigt sei und die SPD das Gesetz ohne Wenn und Aber ablehnen werde.

(Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: Sehr bemerkenswert!)

Es nimmt schon wunder, daß dann gleichwohl danach von der SPD eine Anhörung vor dem Innenausschuß verlangt wird, wenn doch die Ablehnung des Gesetzes schon vorher abgesprochen war. Ebenso hat sich die Fraktion DIE GRÜNEN bereits von Anfang an gegen das Gesetz gestellt, aber auch eine Anhörung gefordert.

(Such [GRÜNE]: Aber natürlich!)

Bei solchen Verfahren müssen sich all diejenigen Vertreter, die der Sache wegen gekommen waren, als Statisten politischer Öffentlichkeitsarbeit vorgekommen sein.

(Such [GRÜNE]: Sie hatten die Möglichkeit, sich öffentlich zu äußern! — Zurufe von der SPD)

Meine Damen und Herren, uns hat das Ergebnis der Anhörung gezeigt, daß wir mit beiden Gesetzen auf dem richtigen Weg sind.

(Widerspruch von der SPD)

Das Katastrophenschutzergänzungsgesetz trägt außerdem den richtigen Namen und nicht die Bezeich-



Kalisch
nung, die Sie wählen. Denn es ergänzt in der Tat nur Gesetze, die seit 20 Jahren bestehen.

(Such [GRÜNE]: Es bietet keinen Schutz vor Katastrophen!)

Die in dem Gesetz vorgesehenen Maßnahmen kommen dem Katastophenschutz in vielen Bereichen zugute.

(Such [GRÜNE]: Orwellsche Sprachverdrehung!)

Insbesondere wird die seit Jahrzehnten bestehende Mitarbeit der Hilfsorganisationen im Gesetz festgeschrieben. Sie haben einen entscheidenden Anteil am Ausbau der Vorsorge bei Katastrophen.
An dieser Stelle danke ich allen Organisationen, die sich jahrelang mit positiven Anregungen um die Verbesserung des Katastrophenschutzes bemüht haben

(Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeordneten der FDP)

und deren Sachkenntnis und Erfahrungen in die Gesetzentwürfe eingeflossen sind. Ich danke ausdrücklich dem Deutschen Roten Kreuz, dem Malteser-Hilfsdienst, der Johanniter-Unfall-Hilfe, dem Arbeiter-Samariter-Bund, der Deutschen Lebensrettungsgesellschaft, dem Deutschen Feuerwehrverband, der Bundesärztekammer, dem Deutschen Städtetag, dem Verband der Helfer in den Regieeinheiten und Einrichtungen des Katastrophenschutzes in der Bundesrepublik Deutschland, der THW-Helfervereinigung und nicht zuletzt ihrem Präsidenten, unserem Kollegen Johannes Gerster,

(Beifall bei der CDU/CSU — Lachen bei der SPD und den GRÜNEN)

der sich

(Such [GRÜNE]: Sie haben den CVJM vergessen! Das ist eine Ungeheuerlichkeit!)

— ich habe nur noch eine Minute; ich muß mich beeilen — dieses Themas immer wieder mit großem Nachdruck angenommen hat und der sich für die Verabschiedung der vorliegenden Gesetzentwürfe engagiert eingesetzt hat. Ich danke auch den Kollegen aus der FDP-Fraktion, insbesondere dem Kollegen Dr. Hirsch. Wir haben nach dem Ausräumen von Bedenken sehr gut zusammengearbeitet.

(Graf [SPD]: Oh!)

Nicht minder herzlich danke ich dem Bundesinnenminister. Die für diesen Bereich verantwortlichen Herren haben mit viel Einsatz und Geduld jahrelang konstruktive Arbeit geleistet.

(Frau Dr. Vollmer [GRÜNE]: Wo bleiben die Blumen?)

Für uns sind beide Gesetzentwürfe ein entscheidender Schritt zum Wohl unserer Bevölkerung.

(Austermann [CDU/CSU]: Sehr richtig!)

Ich bitte Sie, diese Gesetzentwürfe heute zu verabschieden.
Den Entschließungsantrag werden wir ablehnen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1117503400
Das Wort hat der Abgeordnete Herr Nöbel.

Dr. Wilhelm Nöbel (SPD):
Rede ID: ID1117503500
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kalisch, ich habe gedacht, ich habe Sie bei derselben Anhörung gesehen, bei der ich anwesend war.

(Such [GRÜNE]: Richtig! Sehr richtig!)

Daß Sie zu ganz anderen Schlußfolgerungen kommen, liegt nicht an uns.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD — Such [GRÜNE]: Er ist immer draußen gewesen!)

Nach jahrelangen Anläufen und einer Reihe von Referentenentwürfen, die schließlich alle auf Grund der großen Widerstände verworfen wurden, liegt der jetzige Entwurf nach langwierigen Erörterungen und Verhandlungen, was den Bereich der Hilfsorganisationen betrifft, mehr oder weniger zufriedenstellend auf deren Linie.
Das begrüßen wir. Wir begrüßen das um so mehr, als wir Sozialdemokraten wesentlichen Anteil an diesen Verbesserungen haben.

(Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: Also stimmen Sie zu?)

— Herr Präsident, warten Sie ab!

(Lutz [SPD]: Das war der andere! — Frau Dr. Sonntag-Wolgast [SPD]: Der da!)

— Das war der andere Präsident, Frau Präsidentin. —

(Heiterkeit)

Die Verbesserungen wurden seinerzeit von uns mit unserem zunächst Vier-Jahres- und dann Zehn-Jahres-Förderungsprogramm für den Einsatz im friedensmäßigen Katastrophenschutz eingeleitet.
Im Anfangsstadium des jetzigen Entwurfs konnten wir in Verhandlungen mit dem Bundesinnenminister und den Koalitionsfraktionen weitere Unterstützung leisten.

(Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: Also stimmen Sie zu?)

Das wissen die Feuerwehren — ich schließe mich da an, Herr Kalisch —,

(Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: Wir danken für die Zustimmung!)

das Deutsche Rote Kreuz, der Arbeiter-SamariterBund, der Malteser-Hilfsdienst, die Johanniter-Unfall-Hilfe, die Deutsche Lebensrettungsgesellschaft — Frau Vollmer —, das Technische Hilfswerk; zu den Ärzten komme ich nachher.

(Such [GRÜNE]: CVJM!)

In einem kurzen Beitrag zur ersten Lesung habe ich dies zum Ausdruck gebracht. Ich wiederhole es heute ganz bewußt.

(Frau Dr. Vollmer [GRÜNE]: Sind wir hier in einer Danksagung?)

Aber ich füge hinzu: Da gibt es in der Gesetzgebung Zusammenhänge, die diese Organisationen und Verbände außen vor lassen. Sie interessieren sie nicht. Ich erinnere an die Diskussion über den Schutzraumbau



Dr. Nöbel
und die Schutzraum-Baupflicht. Da haben die Verbände gesagt, sie hielten sich da heraus.
Bevor ich zur Kritik komme — sie wird massiv sein —, will ich den Liberalen, insbesondere dem Kollegen Dr. Hirsch, gern bescheinigen, daß ich ihnen anrechne, wenigstens den Schwachsinn der Schutzraum-Baupflicht aus diesem Gesetzentwurf herauskoaliert zu haben.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD — Kalisch [CDU/CSU]: Das ist schlimm!)

Dennoch, dieser Entwurf ist das — hoffentlich nur vorläufige — Ergebnis einer langen Leidensgeschichte. Uns tut es mehr als leid, daß er in dieser Form — falls es überhaupt eine ist — Gesetz werden soll.
Erstens. Der Zeitpunkt der Verabschiedung jetzt, in dem alle vorhandenen Schutzräume, die ja als Schutz vor einem Angriff des Warschauer Pakts erfunden sind, DDR-Übersiedlern als Übergangswohnheime geöffnet werden, ist nicht gerade geschmackvoll.

(Such [GRÜNE]: Richtig! Sehr richtig!)

Wenn im Einzelplan 36 — Zivile Verteidigung — für 1990 für den Schutzraumneubau wiederum über 100 Millionen DM etatisiert sind, die man jetzt in den Wohnungsbau hätte stecken müssen,

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN — Such [GRÜNE]: Das haben wir beantragt!)

und wenn in diesen Zeiten der Veränderung und Öffnung in Mitteleuropa die Bewältigung des Verteidigungsfalles politisch forciert wird — nach altem Schema, wie auch die überholten Übungsschablonen von WINTEX/CIMEX drastisch verdeutlichen —, dann paßt das zu diesem Zeitpunkt wie eine Faust aufs Auge.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Auch ist es nicht geschmackvoll — man beachte meine krampfhaften Versuche, mich parlamentarisch angemessen auszudrücken — , heute Forschungsmittel für Experimente an gesunden und kranken Menschen zur Verfügung zu stellen, die in Angstzustände versetzt werden — ich erinnere an die Nervenklinik in München — und als Testpersonen für die beruhigende Wirkung einer Antipanikpille für die Menschen im Chaos des Verteidigungsfalles mißbraucht werden.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Zweitens. Es stellt sich die Frage, ob der einstimmige Beschluß des Bundestages vom 3. Juli 1980 noch gilt oder nicht. Der Gesetzentwurf beantwortet diese Frage nicht. Die Beschlußlage von damals lautet: a) Vereinfachung der Gesetzgebung, b) Koordination der zivil-militärischen Zusammenarbeit, c) Vorlage eines Gesundheitssicherstellungsgesetzes und d) verbesserte Aufklärung der Bevölkerung.
Nun sind nicht nur mehr als neun Jahre ins Land gegangen, sondern auch ganz wesentliche Veränderungen, die ich mittlerweile doch wohl als Allgemeinwissen voraussetzen darf. Diesen wesentlichen politischen und gesellschaftlichen Veränderungen wird der Gesetzentwurf ganz und gar nicht gerecht.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Drittens. Die längst überfällige Herausarbeitung von Rechtsklarheit im Kompetenzverhältnis Bund/ Länder wird nicht nur nicht geleistet, sondern einfach ignoriert. An ein solches Gesetz muß die Anforderung gestellt werden, Versäumnisse des Gesetzgebers aus der Vergangenheit korrigieren zu wollen, zumal wir uns in diesem Falle im Grundgesetzbereich bewegen.
Wenn schon das Gesetz über den erweiterten Katastrophenschutz von 1968 in diesem Punkt bedenklich war, kann man diese Erweiterung nicht noch einmal erweitern, indem man von „Ergänzung" spricht.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Natürlich hat der Katastrophenschutz einen hohen Stellenwert im öffentlichen Bewußtsein; Gott sei Dank hat er ihn erlangt. Nach Tschernobyl und Sandoz, nach Ramstein, nach einer Masse von Großkatastrophen in der Welt, über den Fernsehschirm ins Haus gebracht, vom Hurrikan über Flugzeugabstürze , von Zugunglücken, Massenkarambolagen bis zu Explosionen in der chemischen Industrie und den Erdbeben in Armenien — Sie haben darauf hingewiesen — und in San Francisco, ist doch die Angst vor Verstrahlung des Landes bei Zerstörung von Atomreaktoren, vor Vergiftung der Luft, des Wassers und des Bodens kein Wunder.
Deshalb ist doch genau dies das politische Thema, um das es eigentlich geht.

(Such [GRÜNE]: Richtig!)

Darauf zielt unser Entschließungsantrag — auf den ich zurückkomme — , der Gesetzentwurf leider nicht.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Ich bleibe bei dem Problem der Rechtsklarheit: Der Auftrag des Bundestages zur Vereinfachung der Gesetzgebung wird als Auftrag zum weiteren Durcheinander verstanden. In Art. 4 werden Vorschriften außer Kraft gesetzt, in den Artikeln 1 bis 3 werden Gesetze und Vorschriften ergänzt, und zwar im wesentlichen mit für die Betroffenen negativen Folgewirkungen, in zwei Einzelfällen, für zwei Amtspersonen, in positiver Weise. Das Gesetz über den Zivilschutz bleibt bestehen, eine Masse von Vorschriften ebenfalls. Im parlamentsfreien Raum werden zahlreiche Vorschriften im Exekutivbereich folgen.
Rechtsklarheit, behaupte ich, ist nur in dem gegeben, was ich einleitend sagte, und im THW-Helferrechtsgesetz. Ansonsten fehlt es nicht nur an Rechtsklarheit, sondern ebenso an Rechtssicherheit. Der Gesetzestext — ich spreche vom Katastrophenschutzergänzungsgesetzentwurf — ist im Vergleich mit der großen Mehrheit der Gesetzentwürfe eigentlich knapp gefaßt. Das liegt daran, daß er wenig zu bieten hat, aber daß er mehr als andere in wenigen Sätzen zuviel kaputtmacht. Zumindest kompliziert er die ohnehin zu große Zersplitterung der Gesetzeslage um ein weiteres Gesetz.
Bundes- und Länderzuständigkeiten, Materien des Katastrophenschutzes, des Beamtenrechts, der Gesundheitsversorgung, der Arbeitssicherstellung, des Selbstschutzes, der Schutz im Verteidigungsfalle einerseits und im Frieden andererseits sind unklar und unübersichtlich miteinander verschränkt. Statt Ge-



Dr. Nöbel
setzesvereinfachungen, wie vom Parlament gefordert, wird noch mehr Zersplitterung und Komplikation angeboten, also das Gegenteil von Rechtsklarheit und Rechtssicherheit.
Viertens. Die vorgesehene Hilfeleistungspflicht, zwangsweise angeordnet, verstößt ganz eindeutig gegen das Grundgesetz, das in Art. 12 Abs. 2 sagt:
Niemand darf zu einer bestimmten Arbeit gezwungen werden, außer im Rahmen einer herkömmlichen allgemeinen, für alle gleichen öffentlichen Dienstleistungspflicht.
In Art. 12 a des Grundgesetzes heißt es zum Ersatzdienst:
Das Nähere regelt ein Gesetz, das die Freiheit der Gewissensentscheidung nicht beeinträchtigen darf .. .
Die Anhörung vor dem Innenausschuß am 6. Oktober dieses Jahres ergab dazu, daß auch die Hilfsorganisationen diese Dienstleistungspflicht ablehnend sehen, allein schon deshalb, weil die Betroffenen nicht ausreichend ausgebildet würden und eher ein Hindernis seien, statt effiziente Hilfe üben zu können. Besonders schlampig nenne ich die Nichtdifferenzierung hinsichtlich Frauen und sogar Schwerbehinderten, zumal es sich bei diesem Entwurf um grundsätzliche Regelungen handelt. Außerdem gilt das Beamtenrecht auch im Verteidigungs- und Spannungsfall, so daß es naheläge, die bestehenden beamtenrechtlichen Regelungen voll auszuschöpfen, bevor man wie hier Neuregelungen schafft.
Ich könnte eine Reihe weiterer Kritikpunkte anfügen, bis hin zur Verletzung des Datenschutzrechts. Selbst nach den Grundsätzen des Volkszählungsurteils ist die Erhebung, Speicherung und Verwertung persönlicher Daten nur mit Zustimmung des Betroffenen oder durch Gesetz aus sachlich zwingendem Grund zulässig. Zum Beispiel enthalten die Arbeitsverträge des Krankenhauspersonals solche Voraussetzungen überhaupt nicht. Gegenüber Krankenhauspersonal in privater oder kirchlicher Trägerschaft werden um so mehr rechtswidrige Vorschriften erlassen.
Fünftens. Überhaupt nicht ernst genommen wird die Kritik breitester Kreise der Ärzteschaft, die sich zunehmend verstärkt. Es ist nicht allein die IPPNW, d. h. die Internationale Vereinigung der Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges, es sind u. a. — und jedesmal fast einstimmig — die Delegiertenversammlungen der Ärztekammern Hamburg, Schleswig-Holstein und Baden-Württemberg und der Vorstand der Landesärztekammer Berlin.

(Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: Das entspricht nicht den Tatsachen!)

Weitere werden folgen. Wenn ich die Stellungnahme des Innenministers von Baden-Württemberg an den Bundesinnenminister vom 29. September dieses Jahres zu diesem Entwurf und die darin enthaltene Berufung auf Richtlinien der Landesärztekammer lese, dann habe ich den Eindruck, das müssen alte Richtlinien sein, die heute nicht mehr durchsetzbar sind. Die Ärzte legen uns eine Politik nahe, die sich mit den realen Bedrohungen unserer Zukunft befaßt und sich
aus dem Mißverhältnis zwischen Mensch und Umwelt sowie Mensch und Natur herleitet. Denn Ängste, Depressionen, Suchten und psychosomatische Krankheiten bei Jugendlichen und Älteren erweisen sich immer häufiger, wie diese Ärzte sagen, als Reaktionen auf eine realistisch empfundene steigende Bedrohung unserer Lebenswelt.
Auch der Deutsche Städte- und Gemeindebund reiht sich in die Reihe der Kritiker ein. Er meint, durch die Bildung von drei Beiräten, wie sie vorgesehen sind, wäre eine unvermeidliche bürokratische Aufblähung verbunden.
Wir sagen, meine Damen und Herren: Statt gesetzliche Voraussetzungen dafür zu schaffen, daß die Katastrophenschutzeinrichtungen des Bundes und der Länder verbessert und damit in die Lage versetzt werden, auf Großkatastrophen erfolgreich zu reagieren, konzentrieren sich die Bundesregierung und die sie tragenden Koalitionsfraktionen auf eine Neuregelung und Intensivierung der zivilen Verteidigung, d. h. des Zivilschutzes. Das ist die falsche gesetzgeberische Initiative zur falschen Zeit.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN — Abg. Gerster [Mainz] [CDU/CSU] meldet sich zu einer Zwischenfrage)

Der Gesetzentwurf ist ein Etikettenschwindel. Er regelt nicht Fragen des Katastrophenschutzes, sondern Fragen der zivilen Verteidigung. Die SPD — Herr Gerster, lassen Sie mich das noch zitieren — hat auf ihrem Bundesparteitag im August 1986 zum Zivilschutz einstimmig einen weitreichenden Beschluß gefaßt. Er lautet:
Alle über den Katastrophenschutz hinausgehenden Zivilschutzmaßnahmen für den Kriegsfall, insbesondere für den Atomkrieg, sind einzustellen. Sie sind kein Beitrag zur Friedensbildung und werden im Ernstfall niemanden schützen. Sie erwecken jedoch die Illusion eines solchen Schutzes und die Vorstellung, ein Krieg in Europa sei führbar, gewinnbar und überlebbar. Gesetzesvorhaben, die darauf abzielen, lehnen wir ab.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN — Kalisch [CDU/CSU]: Das ist unglaublich!)


Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1117503600
Herr Abgeordneter Nöbel, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Herr Gerster?

Dr. Wilhelm Nöbel (SPD):
Rede ID: ID1117503700
Selbstverständlich.

Dr. Johannes Gerster (CDU):
Rede ID: ID1117503800
Herr Kollege Dr. Nöbel, wenn Sie den Schwerpunkt in Richtung Katastrophenschutz legen und meinen, der Zivilschutz hätte zurückzustehen, können Sie mir dann erklären, warum die SPD ausgerechnet dem THW-Gesetz zustimmt — das THW war von Haus aus eine Zivilschutzorganisation — und das Katastrophenschutzergänzungsgesetz ablehnt, das vor allem den privaten Organisationen helfen soll, die im Katastrophenschutz unmittelbar tätig sind? Können Sie diesen Widerspruch in Ihrem Verhalten einmal deutlich machen?

Dr. Wilhelm Nöbel (SPD):
Rede ID: ID1117503900
Herr Gerster, ich glaube, meine Schlußausführungen werden Ihre Frage eindeutig be-



Dr. Nöbel
antworten. Sie können sich ruhig setzen. Ihre Frage führt genau zu dem, was ich jetzt zu sagen beabsichtige.
Wir sagen deshalb, Herr Kollege Gerster, in unserem Entschließungsantrag:
Das Katastrophenschutzergänzungsgesetz entspricht nicht den Anforderungen, die an ein Gesetz —— es liegt Ihnen vor —
zur Neuregelung des Schutzes der Bevölkerung in der Bundesrepublik Deutschland zu stellen sind, und ist deshalb abzulehnen. Die Bundesregierung
— und das ist die Antwort auf die erste Frage —
wird aufgefordert, in enger Abstimmung mit den für den Katastrophenschutz zuständigen Bundesländern eine Konzeption dem Deutschen Bundestag zuzuleiten, die folgende Voraussetzungen erfüllt:
Das ist unsere Alternative. Wir sagen dann im Punkt 1: gemeinsame Aufgabe von Bund und Ländern und im Punkt 2: Zusatzprotokolle. Sie haben darauf hingewiesen. Wir hören gerne, daß da in diesem Jahr noch etwas kommen soll, legen aber Wert darauf, daß sie ohne Vorbehalte und Einschränkungen zu ratifizieren sind.

(Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: Das ist doch keine Alternative zu den Gesetzen hier!)

Der Schutz der Bevölkerung, des Lebens, der Gesundheit und der freien Entfaltung des Menschen
ist oberster Verfassungsgrundsatz.
So beginnt unsere Begründung.

(Lüder [FDP]: Na also!)

Die Finanzierung des Katastrophenschutzes im Frieden bedarf nach wie vor der Bundeshilfe. Der Ansatz muß die Begründung einer neuen Gemeinschaftsaufgabe im Sinne von Art. 91 a des Grundgesetzes und die Festlegung eines Verteilungsschlüssels sein. Wer sich an die hilflosen Auseinandersetzungen, meine Damen und Herren, um die Zuständigkeiten nach Tschernobyl erinnert, weiß, wovon ich rede.

(Wartenberg [Berlin] [SPD]: Ja!)

Nicht einmal die Meßwerte waren unter einen Hut zu
bringen. Jedes Land hat anders gemessen, und der
Bund hat sich fein herausgehalten, zunächst einmal.
Also, Regelungsbedarf gibt es zur Genüge, und zwar für das, was wir vor der Nase haben, und nicht für Dinge, die im Ernstfall ohnehin nicht zu regeln sind.
Dem THW-Helferrechtsgesetz, Herr Gerster, stimmen wir deshalb zu, weil es nicht mehr zumutbar ist, daß die Helfer in einem rechtlosen Zustand arbeiten. Schon 1980 hat die Bundesregierung — Sie wissen, wer damals regiert hat —

(Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: Eine fürchterliche Zeit!)

diese Zusage gemacht. Und es kann ja wohl nicht sein,
daß wir uns heute anders verhalten würden. Hier werden Rechtsgrundlagen geschaffen — ich habe Ihnen das im Innenausschuß gesagt — , denen wir voll zustimmen. Und wir betonen, daß die Arbeit des THW mittlerweile im friedensmäßigen Katastrophenschutz so stark angesiedelt worden ist, daß wir hier keine formalen Dinge ins Feld zu führen brauchen.
Wir lehnen das Katastrophenschutzergänzungsgesetz ab. Wir stimmen natürlich unserem Entschließungsantrag zu.
Ich will nur noch sagen, daß wir die im Innenausschuß vereinbarte Regelung für den Bundesverband für den Selbstschutz nachdrücklich und ausdrücklich begrüßen. Aber die schwerwiegenden grundsätzlichen Bedenken, die ich hier vorgetragen habe, lassen eine Zustimmung zum Katastrophenschutzergänzungsgesetz für uns nicht zu.
Schönen Dank.

(Beifall bei der SPD — Gerster [Mainz] [CDU/ CSU]: Der Widerspruch ist nicht aufgelöst! — Dr. Nöbel [SPD] [das Rednerpult verlassend]: Natürlich ist er aufgelöst!)


Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1117504000
Das Wort hat der Abgeordnete Herr Hirsch.

Dr. Burkhard Hirsch (FDP):
Rede ID: ID1117504100
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lieber Kollege Nöbel, das war in der Tat eine schwache Antwort; denn Sie wissen ja genau, daß wir die Regelungen zum THW-Gesetz nur aus berlinrechtlichen Gründen aus dem Gesetzentwurf herausgenommen haben. Sonst wären sie ein immanenter Bestandteil gewesen. Und von daher ist es ganz unverständlich, daß Sie einem Teil des Gesetzes zustimmen und den anderen mit großer Verve ablehnen.

(Wartenberg [Berlin] [SPD]: So etwas kommt häufig vor!)

Es gibt kaum ein Gesetz, das so polemisch und unter so vollständiger Verdrehung des Inhaltes angegriffen worden ist wie dieses. Und die meisten Kritiker sind ganz offenkundig Leute, die sich nur auf die Agitation der IPPNW verlassen und das Gesetz selber überhaupt nicht gelesen haben.

(Beifall bei der FDP — Wartenberg [Berlin] [SPD]: Herr Hirsch, das haben Sie doch nicht nötig!)

Ich bedaure besonders die Haltung der SPD, weil Sie, Herr Nöbel, ja mit großer Sorgfalt, mit großer Intensität die ganzen Verhandlungen mit den freiwilligen Organisationen mit geführt, initiiert haben, weil wir der Überzeugung waren, daß das ganze Gesetz, der Katastrophenschutz, nur in völliger Übereinstimmung mit den freiwilligen Organisationen funktioniert.

(Dr. Nöbel [SPD]: Dazu stehe ich auch!) Und wir haben diese Übereinstimmung erzielt.


( V o r sitz : Vizepräsident Stücklen)

Wir haben sie auch erzielt mit der Bundesärztekammer. Wir haben sie auch erzielt mit dem Deutschen
Roten Kreuz. Und nun steigen Sie aus Gründen, die



Dr. Hirsch
sich jeder denken kann — ich sage: populistischer Art —, aus diesem Unternehmen aus.

(Dr. Nöbel [SPD]: Nein, nein!) Und das bedauere ich sehr.

Es ist zweifellos eine staatliche Aufgabe, zum Schutz der Bevölkerung vor Katastrophen alle notwendigen und irgend möglichen Vorkehrungen zu treffen, und zwar unabhängig davon, ob es sich um Katastrophen im Frieden oder im Krieg handelt.
Wir wissen auch, daß die Überlebenschancen bei einer kriegerischen Auseinandersetzung in Mitteleuropa äußerst gering sind. Der Oberbürgermeister von Würzburg genießt meine volle Sympathie. Er hat sich mit Recht geweigert, bei der CIMEX-Übung den Untergang seiner Stadt und der Bundesrepublik mitzuspielen. Ich wundere mich nur darüber, daß er der einzige Oberbürgermeister geblieben ist, der gesagt hat: Das ist nicht mehr erträglich.
Aber das alles ändert nichts daran, daß die möglichst gute Ausstattung des Katastrophenschutzes nicht Katastrophen hervorruft, sondern ihre Folgen begrenzen soll. Wer die Feuerwehr möglichst gut ausstattet, wird dadurch doch nicht zum Brandstifter. Wenn der Versuch, die Zivilbevölkerung zu schützen, die Kriegsgefahr erhöht, dann weiß ich nicht, warum dieselben Kritiker des Gesetzes gleichzeitig die möglichst schnelle Ratifizierung der Zusatzprotokolle zum Genfer Abkommen zum Schutz der Zivilbevölkerung in Kriegszeiten fordern. Dann müßte man zurück zu den Schlachtfeldern von Solferino, und das Rote Kreuz wäre der größte Kriegsverursacher, den es je gegeben hat.

(Such [GRÜNE]: Also, diese Schlachtfelder mit einem Atomkrieg zu vergleichen ist ungeheuerlich!)

Das ist natürlich Unsinn.
Die Ratifizierung der Zusatzprotokolle wird noch in diesem Jahr eingeleitet. Wir wollen den Schutz vor Katastrophen jeder Ursache so wirkungsvoll wir irgend möglich machen.

(Feilcke [CDU/CSU]: Die GRÜNEN sind nicht nur verwirrt, sie sind geradezu böse!)

Wir wissen, daß der Katastrophenschutz nur auf freiwilliger Grundlage funktioniert und daß die Arbeit der auf diesem Gebiet tätigen Organisationen — das Rote Kreuz, Johanniter, Malteser, Arbeiter-SamariterBund, öffentliche und freiwillige Feuerwehren, DLRG, Technisches Hilfswerk — unverzichtbar sind. Je besser wir diese Organisationen und ihre freiwilligen Helfer personell und sachlich ausrüsten und ausbilden, je intensiver sie die Zusammenarbeit untereinander und mit den Katastrophenschutzbehörden üben, um so mehr werden sie in ihrer täglichen Arbeit bei Großveranstaltungen, Volksfesten, Waldbränden, Flugkatastrophen und Industrieunfällen dem Bürger helfen können. Jede Leistung, die wir für diese Organisationen erbringen, wirkt sich unmittelbar zum Schutz der Bevölkerung bei jedem Einsatz, bei jeder Tätigkeit dieser Organisationen, bei jeder Veranstaltung, bei jeder Katastrophe aus; und genau das wollen wir.

(Such [GRÜNE]: Auch bei einer Atomkatastrophe!)

Natürlich beinhaltet der Gesetzentwurf auch Regeln für den Fall eines Krieges, also für den Spannungsfall. Wir haben aber sorgfältig darauf geachtet, daß Maßnahmen, die den einzelnen belasten, erst nach der Erklärung des Spannungsfalls durch das Parlament wirksam werden können. Es ist geradezu eine Groteske, daß ausgerechnet die GRÜNEN mit einem gleichzeitig zu behandelnden Antrag die Mitwirkung oder die Entscheidung des Parlaments beim Spannungsfall aushebeln wollen. Das ist absolut unverständlich.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Der Bund beteiligt sich an der Ausrüstung und der Ausbildung der Organisationen und der freiwilligen Helfer. Es wird keine Verpflichtung zum Schutzraumbau geben, wohl aber eine Bezuschussung bei freiwilligen Leistungen. Es gibt keine allgemeine Zivilschutzdienstpflicht, außer der Verpflichtung, im Einzelfall, im Spannungsfall, wenn die Hilfen nicht ausreichen, eine beschränkte Zeitlang herangezogen zu werden. Die Bevölkerung kann nicht verpflichtet werden, wie das heute nach geltendem Recht noch möglich wäre, einen Ort zu verlassen oder an ihm zu bleiben, außer im erklärten Spannungsfall nach Art. 80 a des Grundgesetzes.
Die Landesbehörden müssen die Planung des Krankenhaus- und Rettungswesens sichern. Dabei wirken die standesärztlichen Organisationen und die Beiräte, die wir gegründet haben, mit. Das ist der einzige Kritikpunkt der kommunalen Spitzenverbände, die sonst mit dem Gesetzentwurf einig sind.
Irgendwelche Meldepflichten müssen aufgehoben werden, wenn der Bundestag oder der Bundesrat es verlangt.
Wer in solchen Regelungen eine Kriegsvorbereitung sieht, weiß nicht, wovon er spricht.
Ich möchte bei dieser Gelegenheit den vielen hunderttausend ehrenamtlichen Helfern in unserem Land danken,

(Such [GRÜNE]: Jetzt kommt die Leier!)

die sich freiwillig und ehrenamtlich für diese wichtigen Aufgaben zur Verfügung gestellt haben und die es weder verstehen noch verdient haben, daß man ihre Arbeit als eine Art Kriegsvorbereitung diffamiert. Ich halte das für unglaublich.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Such [GRÜNE]: Das tut auch niemand!)

Ich möchte bei dieser Gelegenheit auch der Ärztekammer und den Vertretern der anderen freiwilligen Katastrophenschutzorganisationen für ihre intensive Mitarbeit an diesem Gesetz danken. Wir werden sie bei ihrer Arbeit unterstützen, die unverzichtbar ist.
Ich bedanke mich ebenso bei den Kollegen der Koalition, aber auch bei dem Kollegen Nöbel für die intensive Mitarbeit, die wesentlich zum Zustandekommen des Gesetzes beigetragen hat.



Dr. Hirsch
Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: Herr Nöbel würde gern zustimmen, nur darf er nicht!)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1117504200
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Such.

Manfred Such (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1117504300
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Hirsch, es ist eine Ungeheuerlichkeit und es zeigt eigentlich Ihre Verharmlosungstaktik und Ihre Unkenntnis, wenn Sie Schlachtfelder, auf denen das Deutsche Rote Kreuz segensreich gewirkt hat, mit einem zukünftigen Spannungsfall oder vielleicht sogar mit einem Atomkrieg vergleichen.
Ich hatte gedacht, die Geschichte wäre uns am Donnerstagabend in den Arm gefallen. Ich habe am Freitagmorgen in der Innenausschußsitzung beantragt, die Beratung dieses Gesetzes von der Tagesordnung zu nehmen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Das hätten Sie gern gehabt!)

Das ist leider nicht geschehen. Das ist nicht möglich gewesen, weil die Herren von der Koalition dem nicht zustimmen wollten.
Im Osten Bewegung, im Westen nichts Neues — so könnte man die Rahmenbedingungen dieses Gesetzesvorhabens beschreiben. Statt den rasanten Veränderungen im Warschauer Pakt und im Ost-West-Verhältnis Rechnung zu tragen, wird hierzulande neben der militärischen auch die zivile Verteidigung fortgeschrieben und ausgebaut; denn nur dieser — hören Sie bitte zu — organisatorischen Vorbereitung von Maßnahmen im Krieg dient das Gesetz, schon weil die Bundeszuständigkeit hierauf begrenzt ist. Ziviler Katastrophenschutz ist Ländersache.
Zur Verringerung oder Bewältigung von Katastrophen im Frieden trägt es trotz des insoweit bewußt irreführenden Titels nicht bei. Die langjährigen Mahnungen auch von seiten beteiligter Behörden und Organisationen, die Gesamtorganisation der Zivilverteidigung vorbehaltlos auf Effektivität und Erforderlichkeit hin zu überprüfen, wurden in den Wind geschlagen, interessanterweise von derselben CDU/CSU, die Ende der 70er Jahre nicht müde wurde, eine aktualisierte geschlossene Konzeption der zivilen Gesamtverteidigung zu fordern.
Nichts von dem liegt vor. Statt dessen ist heute wieder wie schon während der zurückliegenden Beratungen das Hohelied der selbstlosen Helferinnen und Helfer in den Katastrophenschutzorganisationen gesungen worden.

(Feilcke [CDU/CSU]: Zu Recht!)

Man bezieht sich sogar selbst in diese Lobhudelei ein. Dem Dank für deren Einsatz bei Unglücken und zunehmenden Alltagsgefahren können wir uns nur voll anschließen. Das möchte ich ausdrücklich bekräftigen.

(Feilcke [CDU/CSU]: Und warum nennen Sie das Lobhudelei?)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1117504400
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Gerster?

Manfred Such (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1117504500
Nur wenn das nicht von meiner Redezeit abgezogen wird.

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1117504600
Nein, das wird nicht abgezogen.

(Feilcke [CDU/CSU]: Obwohl das gut wäre, Herr Kollege!)


Manfred Such (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1117504700
Lassen Sie mich aber noch den Gedanken zu Ende führen.
Nur, diese Menschen, deren Hilfsbereitschaft und Engagement für eine Einplanung auch im Krieg ausgenutzt wird, werden sich nicht auf alle Zeiten für dumm verkaufen lassen.
Bitte, Ihre Zwischenfrage.

Dr. Johannes Gerster (CDU):
Rede ID: ID1117504800
Herr Kollege Such, ist Ihnen wirklich entgangen, daß die neue gesetzliche Regelung vorsieht — erstmals in einem Gesetz —, daß das Technische Hilfswerk, das ja ursprünglich eine reine Zivilschutzorganisation war, im Friedensfall bei Katastrophen, auch im Ausland, eingesetzt wird? Wenn Ihnen das nicht entgangen ist: Wie können Sie dann ernsthaft behaupten, hier werde im Prinzip nur Zivilschutz gemacht? Das Gegenteil ist der Fall.

Manfred Such (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1117504900
Das ist mir natürlich nicht entgangen. Wir begrüßen auch grundsätzlich jeden Einsatz im zivilen Katastrophenschutz. Hören Sie mir bitte zu. Was Sie aber vorhaben, ist eine Vermischung. Ziviler Katastrophenschutz ist jedoch nicht Bundessache, sondern Ländersache. Das sollten Sie trennen. Ich werde in meinen weiteren Ausführungen auch dazu noch etwas sagen.
Sie wollen den Eindruck erwecken, als wendeten sich die GRÜNEN gegen zivilen Katastrophenschutz. Das ist nicht der Fall.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1117505000
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage?

Manfred Such (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1117505100
Natürlich, den ganzen Vormittag.

Dr. Johannes Gerster (CDU):
Rede ID: ID1117505200
Herr Kollege Such, würden Sie bitte folgendes noch einmal zur Kenntnis nehmen — und dann auch Ihre Meinung überdenken — : Wenn eine ursprünglich nur für den Zivilschutz vorgesehene Organisation jetzt eine gesetzliche Ermächtigung bekommt, bei zivilen Katastrophen tätig zu werden, dann widerspricht das Ihrer Behauptung, wir wollten mehr Zivilschutz machen. Vielmehr entspricht das der Tatsache, daß sogar Zivilschutzeinheiten künftig im Rahmen des Katastrophenschutzes Tätigkeiten wahrnehmen können, d. h. sie können auf Grund gesetzlicher Regelung bei zivilen Katastrophen helfen.

Manfred Such (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1117505300
Herr Kollege, was Sie vortragen, ist sehr kompliziert. Genau das Umgekehrte ist der Fall. Hören Sie bitte meinen weiteren Ausführungen zu.



Such
Dann werden Sie feststellen, was wir darüber denken.

(Feilcke [CDU/CSU]: Könnten Sie denn eine einfachere Frage beantworten?)

Die Organisationen erhalten mit diesem Gesetz Steine statt Brot oder allenfalls Brosamen vom Kuchen der kriegsbezogenen Aufwendungen vorgeworfen, deren Mitnutzung der Bund ihnen im Frieden wegen des Übungseffekts gestattet. Das ist der Punkt, Kollege. Mit diesem Konzept wird die Finanzierung der zunehmenden Aufgaben der Helferverbände nicht gesichert. Die gewohnten kleinlichen Streitereien um Kostenabgrenzungen werden nicht vermieden.
Die GRÜNEN haben darum eine bedingungslose Beteiligung des Bundes an einer neuen Gemeinschaftsaufgabe „friedensmäßiger Katastrophenschutz " gefordert. Dieser Vorschlag ist von der Koalitionsmehrheit ebenso in den Wind geschlagen worden wie die seit fast zehn Jahren erhobenen Einwände gegen zentrale Punkte dieses Entwurfs und seiner Vorgänger. Abgetan wurden die grundsätzliche Kritik von DGB bis Datenschutzbeauftragten, von Ärztekammern bis zu kirchlichen Organisationen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Das stimmt doch alles nicht!)

Vergessen sind bei der FDP auch einstige große Worte vom Aprilscherz, Kollege Lüders, den man verhindern werde. Liberales Umfallen sind wir aber inzwischen reichlich gewohnt.
Im vollen Bewußtsein, daß in diesem Haus regelmäßig nur noch Fraktions- bzw. Koalitionskonformität regiert, möchte ich Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, trotzdem ermuntern, heute in eigener Verantwortung abzustimmen und dabei folgende zentrale Einwände noch einmal zu berücksichtigen.

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1117505400
Herr Abgeordneter, können Sie zum Schluß kommen?

Manfred Such (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1117505500
Ich bin laufend unterbrochen worden. Ich möchte Sie bitten, meine letzten drei Sätze noch vortragen zu können.

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1117505600
Herr Abgeordneter, ich habe Sie pflichtgemäß gefragt, ob Sie die Zwischenfragen zulassen.

Manfred Such (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1117505700
Sie haben mir gesagt, daß das nicht von der Redezeit abgerechnet wird.

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1117505800
Das mache ich auch so.

Manfred Such (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1117505900
Ich habe den Eindruck, daß das von der Redezeit abgerechnet wurde.

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1117506000
Nein, der Eindruck, den Sie haben, ist falsch.

Manfred Such (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1117506100
Lassen Sie mich dann bitte meinen letzten Gedanken noch zu Ende führen. Ich habe den Eindruck, daß meine Redezeit hier erheblich beschnitten worden ist, aber ich will Ihnen nichts unterstellen.
Herr Präsident, meine Damen und Herren, falls sich heute trotz alledem die Unvernunft durchsetzt und das Katastrophenschutzergänzungsgesetz angenommen wird, kündige ich hier schon an, dessen juristisch zum Teil abenteuerliche Passagen per Normenkontrolle in Karlsruhe überprüfen zu lassen.
Ich danke Ihnen, meine Damen und Herren.

(Beifall bei den GRÜNEN— Zuruf von der CDU/CSU: Von den GRÜNEN nichts Neues!)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1117506200
Ich erteile das Wort dem Parlamentarischen Staatssekretär Herrn Spranger.

Carl-Dieter Spranger (CSU):
Rede ID: ID1117506300
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich freue mich, daß nach einem sehr schwierigen, fast acht Jahre anhaltenden Abstimmungsprozeß heute die vorliegenden Gesetze verabschiedet werden können, und zwar, Herr Kollege Nöbel, im Einvernehmen mit den Hilfsorganisationen. Deren Zustimmung ist verständlich; denn ihre Rechtspositionen werden verbessert.
Ich darf daran erinnern, daß ihre Mitwirkung in den staatlichen Hilfeleistungssystemen auf eine rechtlich und finanziell gesicherte Grundlage gestellt und ihr Sachverstand in die in staatlicher Kompetenz verbleibende Führung der Katastrophenbekämpfung eingebunden werden.

(Dr. Nöbel [SPD]: Da haben wir keine Meinungsverschiedenheit!)

Ich darf anmerken, daß die Organisationen nun auch ein gesetzliches Anhörungsrecht bei der Vorbereitung allgemeiner Regelungen des Bundes sowie ein Mitspracherecht in dem Katastrophenbeirat, der in Zukunft den Bundesminister des Innern in Angelegenheiten des Katastrophenschutzes beraten soll, erhalten.
Ich möchte im übrigen die Gelegenheit nutzen, diesen Organisationen gegenüber, die in den letzten Wochen bei der Betreuung der Übersiedler aus der DDR ganz Hervorragendes geleistet haben, hier Dank und Anerkennung zum Ausdruck zu bringen.

(Zustimmung bei der CDU/CSU und der FDP)

Herr Kollege Nöbel, gerade deswegen bedaure ich, daß Sie durch Ihre Ablehnung praktisch auch eine Verbesserung der Rechtsstellung nicht akzeptieren, die gerade nach den Erfahrungen der letzten Wochen doch notwendig und sinnvoll erscheint.

(Dr. Nöbel [SPD]: Doch! Die akzeptieren wir! Dabei waren wir sogar immer ganz vorne!)

— Man muß sich entscheiden. Ihre Ablehnung bedeutet eben eine Absage an diese Besserstellung.

(Dr. Nöbel [SPD]: Nein, ganz und gar nicht!)

Das bedauern wir.
Ich stelle fest, daß die vorgesehenen Ergänzungen die Strukturen des Gesetzes unberührt lassen. Schwerpunkte sind zum einen eine dem Katastrophenschutzrecht der Länder nachgebildete persönli-



Parl. Staatssekretär Spranger
che Hilfeleistungspflicht. Herr Kollege Nöbel, wenn Sie diese als verfassungswidrig kennzeichnen, sage ich Ihnen: Alle SPD-regierten Länder haben gleiche Regelungen. Wenn Ihr Vorwurf zuträfe, müßten Sie sofort solche Regelungen beseitigen. Das zeigt, daß Ihr Argument nicht zwingend erscheint.
Eine weitere Lücke soll durch die Einbeziehung des Gesundheitswesens in die Katastrophenschutzplanung geschlossen werden. Hier hat vor allem das tragische Flugzeugunglück auf dem Flughafen in Ram-stein gezeigt, daß eine wirksame Hilfe in Unglücksfällen die rechtzeitige Einbeziehung der stationären Einrichtungen des Gesundheitswesens voraussetzt.
Ich darf daran erinnern, daß in der öffentlichen Anhörung des Innenausschusses am 6. Oktober fast alle angehörten Verbände und Organisationen den Gesetzentwurf begrüßt haben und für seine baldige Verabschiedung eingetreten sind. Daß das so lange gedauert hat, lag sicherlich nicht an der Bundesregierung. Die dort erhobenen Einwände treffen nicht den Kern.
Solange in einer Katastrophe den betroffenen Menschen geholfen werden kann, haben diese Menschen einen Anspruch darauf, daß der Staat die Hilfe rechtzeitig im Rahmen seiner Möglichkeiten organisiert. Niemand hat das Recht, anderen eine derartige Hilfe zu verweigern.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Das gilt auch für den hoffentlich nie eintretenden Fall eines militärischen Konflikts. Alle zivilisierten Staaten in Ost und West sehen es auch für diesen Fall als ihre humanitäre Aufgabe an, der Bevölkerung im Rahmen des Möglichen Schutz und Hilfe zu gewähren.
Ich freue mich, daß diese Bewertung auch von denjenigen geteilt wird, denen die Hilfeleistung obliegt, und zwar von den Hilfsorganisationen, der Bundesärztekammer, der Deutschen Gesellschaft für Katastrophenschutzmedizin, dem Verband der niedergelassenen Ärzte, dem Verband der Ärzte des öffentlichen Gesundheitswesens, der Deutschen Krankenhausgesellschaft und auch den Kirchen.
Ich verwahre mich ganz entschieden dagegen, daß derartige Vorsorgeplanungen — es ist vorhin schon erwähnt worden — als Kriegsvorbereitung oder Störung des Entspannungsprozesses diffamiert werden.

(Dr. Nöbel [SPD]: Das habe ich nicht gesagt!)

— Sie haben es nicht gesagt, aber die Kreise, die das tun, sind heute schon angesprochen worden.
Derartige Vorsorgeplanungen stehen im Einklang mit dem humanitären Völkerrecht, insbesondere mit den Zusatzprotokollen zu den Genfer Rotkreuzabkommen. Durch derartige humanitäre Maßnahmen wird überhaupt niemand bedroht. Die Zusatzprotokolle gehen davon aus, daß alle Vertragsstaaten die möglichen und erforderlichen Maßnahmen zum Schutz der Zivilbevölkerung in einem Konfliktfall treffen. Wer die Ratifizierung der Zusatzprotokolle fordert — wenn ich es richtig sehe, tun dies ja alle Fraktionen dieses Hauses —, zugleich aber jede nationale Schutzvorkehrung ablehnt, handelt unglaubwürdig.
Ich bedaure es deswegen außerordentlich, daß die SPD-Bundestagsfraktion das Katastrophenschutzergänzungsgesetz ablehnt. Ich bedaure das deshalb, Herr Kollege Nöbel, weil hier im Grunde wieder ein Stück früherer gemeinsamer Politik aufgegeben wird.

(Dr. Nöbel [SPD] und Such [GRÜNE]: Die Zeiten haben sich geändert!)

Im Godesberger Programm stand ja noch ausdrücklich,

(Zuruf von der SPD: Da gab es auch noch keinen Gorbatschow!)

daß Sie sich zum Schutz der Bevölkerung in einem Konfliktfall bekennen.

(Zuruf von den GRÜNEN: Das paßt nicht mehr in die Zeit!)

Aber Sie sagen zu Recht: Die Zeiten haben sich offenbar geändert — leider.
Das gleichfalls vorliegende THW-Helferrechtsgesetz soll die Bundesanstalt Technisches Hilfswerk auf eine gesetzliche Grundlage stellen und kommt damit einer Forderung der Verwaltungsgerichte nach. Das THW hat sich in seiner fast 40jährigen Geschichte zu einer unverzichtbaren Katastrophenschutzorganisation entwickelt, auf die Länder und Gemeinden in Katastrophen- und Unglücksfällen immer wieder zurückgreifen, und zwar in immer stärkerem Maße. Auch im Ausland, zuletzt um die Jahreswende in Armenien, hat sich das THW ganz hervorragend be- währt und einen ausgezeichneten Ruf erworben.
Durch das Gesetz soll das THW eine gesicherte Zukunft erhalten.
Ich bitte Sie deshalb, beiden Gesetzen im Interesse eines besseren Schutzes unserer Bevölkerung zuzustimmen.
Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1117506400
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Wüppesahl.

Thomas Wüppesahl (GRÜNE):
Rede ID: ID1117506500
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es wurde ein interessanter Widerspruch zwischen Herrn Such und Herrn Gerster offenbar. Herr Gerster hat mit sehr viel Geschick geglaubt, es verstehen zu können, uns weiszumachen, daß das THW jetzt quasi eine zivile Einrichtung geworden ist, weil es eine gesetzliche Ermächtigung erhalten hat,

(Dr. Rüttgers [CDU/CSU]: Gut, daß Sie das gemerkt haben!)

auch im normalen Katastrophenschutz eingesetzt zu werden.
Herr Gerster, genau das ist ja unsere Kritik! Das THW ist ausschließlich für den Zivilschutz geschaffen worden. So lauten auch seine Tätigkeitsbeschreibung und die Zuständigkeitsregelung. Jetzt wird mit einem politischen Husarenritt das THW, weil Sie intern — Sie sind ja beim THW sehr engagiert — erhebliche Motivationsprobleme haben, auch für den Katastrophenschutz eingesetzt. Das genau ist der Kern der Kri-



Wüppesahl
tik, die hier vorhin von Herrn Such vorgetragen worden ist, und die können Sie auch nicht zur Seite wischen, genauso wenig wie die Kritik des Bundesrechnungshofs am THW.

(Such [GRÜNE]: Sehr richtig!)

Ich möchte hier meine Äußerungen aus der ersten Lesung nicht wiederholen. Sie haben sämtlich noch Bestand, auch was die Kritik des Bundesrechnungshofes betrifft.
Ein wesentlicher Gesichtspunkt, unter dem das THW-Gesetz notwendigerweise abzulehnen ist, ist auch die politische Begründung, die Sie, Herr Nöbel, für die SPD-Fraktion zu beiden Gesetzentwürfen gegeben haben. Das ist der zweite hochinteressante Widerspruch, den der heute ausnahmsweise fit auftretende Herr Gerster aufgetan hat.

(Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: Ich bin immer fit, nicht nur heute! — Dr. Nöbel [SPD]: Die Helfer vom THW sind meistens Wehrdienstverweigerer! Vergessen Sie das nicht!)

— Ich weiß das, Herr Nöbel, aber das ändert nichts an der Bestimmung des THW.
Die Lösung dieses Problems — das müßte doch auch für Sie, für die Kollegen in der SPD-Fraktion, recht einfach sein — ist doch die Feuerwehr. Sie sprechen doch genauso wie ich mit Einsatzkräften, die auf lokaler Ebene angesiedelt sind.

(Dr. Nöbel [SPD]: Das sind Äpfel und Birnen!)

Sie hören doch ständig, das THW habe immer die beste Sahne an Gerät und Ausstattung; das sagen Ihnen alle bei der Feuerwehr. Es ist überhaupt kein Problem — auch mit den Einsatzführern bei der Feuerwehr bekommen Sie schnell Konsens —, diese Einsatz- und Bergungszüge des THW in die Feuerwehr zu überführen.

(Widerspruch bei der SPD)

Dann haben Sie den ganzen Kladamadatsch, den Sie so vehement politisch bekämpft haben, Herr Nöbel, nämlich Zivilschutz — wie unsinnig der ist etc. pp. —, weg, organisatorisch, institutionell aufgelöst. Mit diesem Widerspruch gehen Sie als SPD-Fraktion in die Abstimmung. Den werden Sie dann auch bei den Organisationen draußen vertreten müssen.
Die historische Sehnsucht der Unionsparteien, Herr Hirsch — und da ist die FDP wirklich auf die Schleimspur gekrochen — , nach einer Zivilschutzdienstpflicht hat das BMI zu einer in der Tat systematisch völlig verfehlten Vorschrift veranlaßt, die angesichts der bereits angemeldeten grundsätzlichen Kritik nur mit einem politisch-juristischen Husarenritt durchgesetzt werden konnte. Daran ändert auch nichts die Tatsache, daß das Parlament feststellen soll, ob alle Bürger oder Teile der Bürger der Zivilschutzdienstpflicht unterliegen. Sie wissen mit Ihrer langjährigen parlamentarischen Erfahrung genauso oder noch besser als ich, wie die Verhältnisse in der Bundesrepublik aussehen würden, wenn wir einen solchen Spannungs- oder Kriegsfall tatsächlich eintreten ließen.

(Abg. Dr. Hirsch [FDP] meldet sich zu einer Zwischenfrage)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1117506600
Herr Abgeordneter Wüppesahl, obwohl Ihre Redezeit abgelaufen ist, Sie aber Herrn Hirsch unmittelbar angesprochen haben, lasse ich Herrn Hirsch noch eine Zwischenfrage stellen. — Bitte schön.

Dr. Burkhard Hirsch (FDP):
Rede ID: ID1117506700
Herr Kollege Wüppesahl, haben Sie wirklich nicht verstanden, daß hier nur dieselbe Regelung wie in den Katastrophenschutzgesetzen aller Länder getroffen wird, daß nämlich dann, wenn Helfer nicht mehr zur Verfügung stehen, jemand nur in einem konkreten Einzelfall zur Hilfe herangezogen werden kann, daß also nur das geschieht, was Sie normalerweise auch ohne gesetzliche Regelung machen würden, wie ich hoffe, so daß von einer Zivilschutzdienstpflicht überhaupt nicht die Rede sein kann? Haben Sie das wirklich nicht verstanden?

Thomas Wüppesahl (GRÜNE):
Rede ID: ID1117506800
Ich bin anderer Auffassung als Sie, Herr Hirsch.

(Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: Aber Ihre andere Auffassung ist falsch!)

— Ich möchte es jetzt nicht polemisch zurückgeben, Herr Gerster, wer von uns was nicht verstanden hat, wie es dann tatsächlich in der Praxis aussähe. Es ist meines Erachtens so, wie ich es dargestellt habe. Es läuft faktisch auf eine Zivildienstpflicht hinaus.
Mein Schlußsatz, Herr Stücklen. Ich freue mich dennoch über die Rede von Herrn Nöbel, weil sie im Kern ein hohes Maß an Zusammenarbeit in der Innen- und Rechtspolitik mit einer grünen Fraktion möglich erscheinen läßt, auch wenn Sie den Widerspruch zu Ihrer Zustimmung zum THW-Gesetz nicht auflösen konnten.
Ich danke für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei den GRÜNEN)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1117506900
Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache.
Zur Abgabe einer persönlichen Erklärung nach § 31 der Geschäftsordnung erteile ich das Wort dem Herrn Abgeordneten Lüder.

Wolfgang Lüder (FDP):
Rede ID: ID1117507000
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Such, nachdem jetzt von seiten der Grünen, ich glaube, zum zweitenmal meine griffige, kritische Formulierung zu ersten Überlegungen zur Neufassung des Gesetzes gebracht worden ist, lege ich Wert auf die Feststellung, warum ich diesem Gesetz zustimme.
Als Parlamentarier sehe ich es als meine Pflicht an, zu werten, abzuwägen, und habe die ersten Vorstellungen, die vor mehr als Jahr und Tag kamen, abgelehnt. Das Gesetz hat, wie wir heute in der Debatte erfahren haben, nicht zuletzt durch die Anhörung wesentliche Änderungen bekommen und meine Hauptkritikpunkte, die ich in der nachlesenswerten Erklärung gehabt habe, beseitigt. Ich respektiere die Veränderung des Gesetzentwurfes und ziehe daraus die Konsequenz, daß ich ihm zustimme. Nur wenn wir uns als Parlamentarier ernst nehmen, müssen wir vorneweg sagen können, wogegen wir sind, und müssen dann aber auch zustimmen, wenn diese Bedenken weg sind. Wir können nicht sagen: Weil wir einmal



Lüder
nein gesagt haben, müssen wir immer nein sagen, auch wenn etwas Besseres herausgekommen ist. Deswegen stimme ich hier zu.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1117507100
Meine Damen und Herren, wir kommen nun zur Einzelberatung und Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf des Katastrophenschutzergänzungsgesetzes.
Ich rufe die Art. 1 bis 5 sowie Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung auf. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Keine Enthaltungen. Die aufgerufenen Vorschriften sind mit Mehrheit angenommen.
Wir treten in die
dritte Beratung
ein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Keine Enthaltungen. Der Gesetzentwurf ist in der dritten Beratung mit Mehrheit angenommen.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/5682. Wer stimmt für diese Entschließung? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei einer Enthaltung aus der Fraktion DIE GRÜNEN und der des fraktionslosen Abgeordneten Wüppesahl ist diese Entschließung abgelehnt.

(Dr. Nöbel [SPD]: Das ist schade, Herr Präsident!)

Wir kommen jetzt zur Einzelberatung und Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines THW-Helferrechtsgesetzes.
Ich rufe die §§ 1 bis 7, Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung auf. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei vier Gegenstimmen und ohne Enthaltungen sind diese Vorschriften mit großer Mehrheit angenommen.
Wir treten in die
dritte Beratung
ein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Keine Enthaltungen. Bei vier Gegenstimmen ist dieser Gesetzentwurf in der dritten Beratung mit großer Mehrheit angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 5 auf:
Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verlängerung beschäftigungsfördernder Vorschriften (Beschäftigungsförderungsgesetz 1990 — BeschFG 1990)

— Drucksache 11/4952 — Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung (11. Ausschuß)

— Drucksache 11/5654 —
Berichterstatter: Abgeordneter Feilcke

(Erste Beratung 158. Sitzung)

Meine Damen und Herren, im Ältestenrat ist vereinbart worden, für diesen Tagesordnungspunkt eine Aussprachezeit von 45 Minuten vorzusehen. — Das Haus ist damit einverstanden. Es wird so verfahren.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Feilcke.

Jochen Feilcke (CDU):
Rede ID: ID1117507200
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir wollen heute das Beschäftigungsförderungsgesetz 1990 verabschieden, und das in einer Phase immer noch hoher Arbeitslosenzahlen; 1,8 Millionen sind entschieden zuviel. Aber wir wissen inzwischen alle, es gibt kein Patentrezept zur Lösung des Gesamtproblems. Wir brauchen viele Maßnahmen, wir brauchen aufeinander abgestimmte Maßnahmen. Eine wichtige, wirksame Regelung bietet dieses Gesetz. Es ist ein Baustein im Gesamtkonzept.

(Frau Beck-Oberdorf [GRÜNE]: Das ist schon einmal falsch, nicht wahr!?)

Deswegen plädieren wir für die Verlängerung beschäftigungsfördernder Vorschriften. — Der Zwischenruf zeigt, daß die gleichen Daten, die allen Fraktionen in den Ausschußberatungen vorgelegen haben, unterschiedlich interpretiert werden, zu geradezu gegensätzlichen Schlußfolgerungen führen können. Wir haben in den Beratungen des Ausschusses eine Studie des Wissenschaftszentrums beraten. Wir haben eine Sachverständigenanhörung durchgeführt.

(Dreßler [SPD]: Die Studie ist für Sie vernichtend!)

— Die Studie lesen Sie so, wir lesen sie anders.

(Dreßler [SPD]: Lesen Sie einmal den letzten Satz der Studie, wenn Sie Mut haben!)

Wir kommen zu dem Schluß, daß wir dieses Gesetz heute verabschieden wollen, und bitten Sie, sich bei sachlicher Klärung tatsächlich so zu verhalten, wie die Sache und die Arbeitslosen es verdienen.

(Heinrich [FDP]: Jawohl! Und zustimmen! — Dreßler [SPD]: Wie heißt der letzte Satz der Studie?)

Übrigens sieht ja auch die Opposition positive Teilaspekte, kommt nur — trotz dieser positiven Sicht — zu einem negativen Ergebnis. Das muß man so bewerten und zur Kenntnis nehmen.
Ich kann verstehen, daß es eine gewisse negative Grundeinstellung gegenüber Befristung von Arbeitsverträgen gibt. Aber man muß auch die positive Wirkung, den positiven Beschäftigungsaspekt sehen.

(Frau Beck-Oberdorf [GRÜNE]: Den gibt's doch gar nicht!)




Feilcke
Und bei sachlicher Betrachtung wird er ja auch zur Kenntnis genommen.

(Dreßler [SPD]: Lesen Sie einmal den letzten Satz der Studie!)

Übrigens hilft auch die gestern von der Hans-BöcklerStiftung vorgelegte Studie da überhaupt nichts. Sie kommt zu einem Ergebnis, das von der Stiftung sicherlich gewünscht wird; sonst hätte sie die Studie ja nicht gefördert.
Meine Damen und Herren, zu einzelnen Punkten. Zwei Drittel aller bisher nach dem Beschäftigungsförderungsgesetz zustande gekommenen Arbeitsverträge sind in Dauerarbeitsplätze übergeleitet worden. Das bedeutet ein Plus von 150 000, Herr Dreßler. 150 000 zusätzliche Dauerarbeitsplätze sind schon eine erkleckliche Zahl. Allein das wäre schon ein Grund für die Verlängerung.

(Dreßler [SPD]: Zitieren Sie den letzten Satz der Studie!)

Der von Ihnen so beschworene Substitutionseffekt ist so gut wie überhaupt nicht feststellbar.
Zweitens. Viele Vermittler bei den Arbeitsämtern haben uns erklärt, dieses Gesetz ermutigt Arbeitgeber, die mit Einstellungen noch zögern, sehr häufig, nun einzustellen, denn das Risiko eines Dauerarbeitsplatzes erscheint ihnen im Moment zu hoch zu sein bei unsicherer Auftragslage. Dieses Beschäftigungsförderungsgesetz führt zu schnelleren Neueinstellungen.
Meine Damen und Herren, es ist doch einfach falsch, wenn in der Öffentlichkeit der Eindruck erweckt werden soll, die Alternative lautet: befristeter Arbeitsvertrag oder unbefristeter Arbeitsvertrag. Die Alternative lautet sehr häufig: befristeter Arbeitsvertrag oder überhaupt kein Arbeitsvertrag. Insofern sollten wir die richtige Entscheidung für die Arbeitslosen treffen.
Die Wirkung für die Arbeitslosen war ein Punkt, der nicht nur im Ausschuß, sondern auch — das will ich hier einmal ausdrücklich sagen — innerhalb unserer eigenen Koalition und Fraktion eine Rolle gespielt hat: Welche Funktion hat dieses Gesetz eigentlich im Hinblick auf die Arbeitslosen? Wir müssen feststellen: Nach dem Beschäftigungsförderungsgesetz sind deutlich mehr vorher Arbeitslose eingestellt worden als in Dauerarbeitsverträge. 43,9 % der hierdurch eingestellten Arbeitnehmer waren vorher arbeitslos, während es im Durchschnitt nur 34,3 % sind. Für diese Arbeitslosen — so sagen wir — bedeutet dieses Gesetz eine Brückenfunktion beim Einstieg oder auch beim Wiedereinstieg in Dauerarbeitsverträge.
Auch für schwer vermittelbare Arbeitnehmer — so die Aussagen von Arbeitsämtern — ist diese Möglichkeit oft die einzige Chance, wieder in das Berufsleben einzutreten.

(Dreßler [SPD]: Jetzt zitieren Sie den letzten Satz Ihrer eigenen Studie!)

Die Übernahmequote, Herr Kollege Dreßler, ist mit 56 % mehr als doppelt so hoch wie bei den sowieso möglichen befristeten Arbeitsverträgen von bis zu sechs Monaten. Wir haben es hier ja mit einem Gesetz zu tun, das die Befristung bis zu 18 Monaten ermöglicht.
Ich sage ausdrücklich: Die Arbeitgeber machen von diesem Gesetz behutsam Gebrauch. Von allen befristeten Verträgen sind nur 7 % Verträge nach diesem Gesetz. Von Mißbrauch also keine Spur. Der verantwortungsbewußte Gebrauch widerlegt alle Mißbrauchsbefürchtungen oder Mißbrauchsvermutungen. Es ist eben kein Damm gebrochen, es gibt kein willkürliches „hire and fire" nach Herzenslust.
Daß es eine prinzipielle Notwendigkeit für die Befristung von Arbeitsverträgen gibt, hat gestern bei der Vorstellung der Studie der Hans-Böckler-Stiftung Frau Brusis vom DGB zum Ausdruck gebracht.

(Dreßler [SPD]: Jetzt hören wir den letzten Satz Ihrer eigenen Studie!)

Das alles zeigt doch, daß die Heftigkeit der Angriffe gegen dieses Gesetz in gar keinem Verhältnis zu seiner Bedeutung in der Praxis steht. Man hat fast das Gefühl: Hier wird mit ideologischen Kanonen auf nützliche Ameisen geschossen.
Das gilt für den Vorwurf, hier werde der gesetzliche Kündigungsschutz unterlaufen, genauso wie für die These von der Entrechtung der Arbeitnehmer. Immerhin hat die SPD auch im Ausschuß konzediert: Die Rechte der Arbeitnehmer werden nicht rechtlich — das ist zwar in sich widersprüchlich, aber sie hat es so gesagt — sondern faktisch geschmälert.
Die bei den Beratungen immer wieder durchscheinende Schwarz-Weiß-Malerei — schlechte Verträge sind die befristeten, die guten Verträge sind die unbefristeten — ist einfach falsch und wird auch von den Arbeitnehmern nicht geteilt.
Im übrigen halte ich es für wichtig, auch hier einmal festzuhalten, daß es einfach keine Diskriminierung sein kann, wenn von allen Arbeitsverträgen, die im Laufe eines Jahres zustande kommen — im Jahr werden immerhin über 5 Millionen neue Verträge geschlossen; die Fluktuation ist gewaltig — , nur 46 % länger als ein Jahr laufen. Insofern ist doch die Möglichkeit der Befristung auf anderthalb Jahre keine Diskriminierung und keine rechtliche Schlechterstellung.

(Zuruf von der SPD: Das ist aber freiwillig!)

Befristete Arbeitsverträge sind kein Unglück. Übrigens, die meisten befristet Beschäftigten wünschen ausdrücklich einen Vertrag nach diesem Gesetz. Auch das ist in unseren Beratungen deutlich geworden.
Es gibt kein Anzeichen dafür, daß es sich hier um ein Experimentierfeld für eine, wie es heißt, „ideologisch begründete Deregulierungsaktion" handelt. Das Beschäftigungsförderungsgesetz ist ein Gesetz, das diesen Namen ausdrücklich verdient, und es ist ein Teil eines Gesamtkonzepts einer behutsamen und insgesamt erfolgreichen Arbeitsmarktpolitik.
Ein wichtiger Punkt bei der ursprünglichen Einführung dieses Gesetzes im Jahre 1985 war das Thema Überstunden. Nun wird gesagt: Heute haben wir ja immer noch viele Überstunden zu registrieren. — Das stimmt. Wir haben eine Beschäftigungslage wie noch nie zuvor. Wir haben Auftragsbestände wie noch nie



Feilcke
zuvor. Wir haben 1,5 Millionen Menschen mehr in Arbeit als vor genau sechs Jahren.

(Frau Beck-Oberdorf [GRÜNE]: Das Beschäftigungsvolumen ist gleichgeblieben!)

Trotzdem werden immer noch viele Überstunden geleistet. Das heißt doch im Umkehrschluß: Gäbe es diese gesetzliche Möglichkeit nicht, dann gäbe es noch sehr viel mehr Überstunden.

(Kolb [CDU/CSU]: So ist es!)

Insofern hat dieses Gesetz auch im Hinblick auf die Überstunden eine heilsame Wirkung.
Lassen Sie mich eine abschließende Bemerkung in Richtung auf Kollegen unserer eigenen Fraktion machen. Ich habe schon erwähnt, daß wir lange und intensiv in unserer Fraktion beraten haben. Wir haben — sicherlich auch bis zuletzt — unterschiedliche Positionen in Einzelfragen. Ich möchte den Kollegen — insbesondere dem Kollegen Scharrenbroich — hier ausdrücklich dafür danken, daß sie diesem Gesetz trotz ihrer Bedenken, die der Kollege Scharrenbroich hier noch zum Ausdruck bringen wird, eben wegen der vielen positiven Aspekte, die mit dem Gesetz, das heute verabschiedet werden soll, verbunden sind, ihre Zustimmung geben werden.
Meine Damen und Herren, wir können davon ausgehen: Dieses Gesetz hat wichtige Impulse für den Arbeitsmarkt geliefert. Wir können und wir sollten nicht darauf verzichten.
Ich bitte Sie um Zustimmung.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Zurufe von der SPD)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1117507300
Das Wort hat Frau Abgeordnete Weiler.

Barbara Weiler (SPD):
Rede ID: ID1117507400
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zur Verlängerung des sogenannten Beschäftigungsförderungsgesetzes gibt es höchst unterschiedliche Meinungen. Das war auch schon 1985 so, und daran hat sich auch nach der Anhörung, nach unseren Beratungen und vor allen Dingen nach der Studie des BMA nichts geändert. Das alte Gesetz war schon ein Etikettenschwindel, und das neue, die Verlängerung, ist es auch.
Die SPD ist gegen dieses Gesetz, weil es die Beschäftigung eben nicht gefördert hat.

(Feilcke [CDU/CSU]: Nein, weil es von der Regierung kommt!)

— O nein, wir haben, wenn Sie sich erinnern, in der vorletzten Woche gemeinsam mit Ihnen ein Gesetz verabschiedet, wir haben mit Ihnen gestimmt, wir haben mit Ihnen zusammengearbeitet. Aber dieses Gesetz ist ein unsoziales Gesetz.

(Feilcke [CDU/CSU]: Fragen Sie mal die beschäftigten Arbeitnehmer!)

Gerade aus der Studie, die das Bundesministerium für Arbeit in Auftrag gegeben hat, kann man ersehen, daß das Gesetz keines der Ziele, die Sie 1985 erreichen wollten, erreicht hat.

(Beifall bei der SPD und der Abg. Frau BeckOberdorf [GRÜNE))

Der Minister sprach 1985 von einem sogenannten Einstellungsschub, den man sich erhoffe und der durch die Zulassung der Befristung ohne sachlichen Grund eintreten werde. Das war, wie wir schon damals vermuteten, eine klassische Fehlprognose.
Das Wissenschaftszentrum Berlin — daran ist nicht zu deuteln, Herr Feilcke, auch nicht bei unterschiedlichen Positionen — hat ermittelt, daß es keinen rechenbaren Nettobeschäftigungseffekt gibt,

(Dreßler [SPD]: Das war der Satz, den er nicht zitieren wollte!)

und das vor dem Hintergrund guter Konjunktur in dem Untersuchungszeitraum. Das Wissenschaftszentrum hat das in der Studie belegt und in der Anhörung auch noch einmal bekräftigt. Daran gibt es nichts zu deuteln.
In Zeiten guter Konjunktur hat das Gesetz — ich sage es einmal neutral — beschäftigungspolitisch weder genutzt noch geschadet. Auf die individuellen Auswirkungen komme ich noch zu sprechen. Nur, bei einem Konjunkturabschwung, der ja auch wieder einmal eintreten könnte, wird der höhere Anteil befristeter Beschäftigung dazu führen, daß der Personalabbau schneller durchgesetzt werden kann. Deshalb ist dieses Gesetz tatsächlich ein Gesetz zur Förderung des Personalabbaus, salopp gesagt ein Entlassungsförderungsgesetz.

(Beifall bei der SPD — Zurufe von der CDU/ CSU)

In der öffentlichen Anhörung haben Sachverständige von seiten der Arbeitgeber klipp und klar erklärt, das Gesetz werde dazu benutzt, Sozialplankosten zu umgehen und die Probezeit auszudehnen.
Die schrankenlose Zulassung der Befristung von Arbeitsverhältnissen ohne sachlichen Grund hat eben nicht dazu geführt, Überstunden abzubauen. Auch insofern ist das von Ihnen angegebene Ziel nicht erreicht worden. Sicher, wir haben alle kein Patentrezept, um die Arbeitslosigkeit abzubauen. Nur, dieses Gesetz ist kontraproduktiv.
Eine Möglichkeit, etwas zu verändern, wäre z. B. ein Arbeitszeitgesetz, um die massiven Überstunden abzubauen. Die Umverteilung von Überstunden durch ein neues, fortschrittliches Arbeitszeitgesetz wäre ein Baustein, um die Massenarbeitslosigkeit abzubauen.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1117507500
Sie gestatten eine Zwischenfrage?

Barbara Weiler (SPD):
Rede ID: ID1117507600
Ja.

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1117507700
Bitte sehr, Herr Abgeordneter Feilcke.

Jochen Feilcke (CDU):
Rede ID: ID1117507800
Frau Kollegin, in allem Ernst gefragt: Können Sie sich bei der hohen Zahl von neu



Feilcke
in die Bundesrepublik komenden Arbeitnehmern, insbesondere Flüchtlingen, Übersiedlern und Aussiedlern, vorstellen, daß bei der Eingliederung dieser Menschen in den Arbeitsmarkt ein solches Gesetz eine Hilfe sein kann?

(Frau Dr. Sonntag-Wolgast [SPD]: Gerade dann! — Weiterer Zuruf von der SPD: Deshalb habt ihr es gemacht?! Genau das war der Grund?!)

— Frau Kollegin, ich habe Sie wirklich sehr ernsthaft gefragt. Lassen Sie sich von Ihren Kollegen nicht irritieren.

Barbara Weiler (SPD):
Rede ID: ID1117507900
Ich werde Ihnen eine ernsthafte Antwort darauf geben. Wir haben das ja schon einmal im Ausschuß debattiert, Herr Feilcke. Wir haben Ihnen schon damals gesagt: Es ist natürlich eine Heuchelei, wenn Sie auf einmal behaupten, daß Sie dieses Gesetz wegen der Übersiedler, die jetzt kommen, gemacht hätten.

(Beifall bei der SPD)

Sie haben dieses Gesetz 1985 eingeführt; von daher ist das nicht richtig.
Die Übersiedler, die jetzt kommen und die in den letzten Wochen gekommen sind und bei uns bleiben wollen, wollen sich hier eine Zukunft und eine Existenz aufbauen, und zwar eine langfristige. Diese brauchen eine andere Unterstützung, die sie durch Qualifizierungsmaßnahmen und Anpassung an den westdeutschen Arbeitsmarkt bekommen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Das geschieht ja alles !)

Das bekommen sie; aber nicht durch dieses Gesetz, sondern durch Arbeitsförderungsmaßnahmen.

(Beifall bei der SPD — Zuruf von der CDU/ CSU: Aber es hilft mit!)

Ich will auf einen wichtigen Punkt zurückkommen, wo Sie etwas ändern können — Sie haben mich da soeben unterbrochen — : Das wäre ein modernes Arbeitszeitgesetz. Durch Überstundenabbau könnten, wenn wir das ordentlich in den Griff bekämen und wenn Sie bereit wären, da etwas zu tun, vorsichtig gerechnet immerhin 200 000 neue Arbeitsplätze geschaffen werden.

(Feilcke [CDU/CSU]: Ihr Patentrezept: Alle 16jährigen Deutschen werden verbeamtet!)

Die SPD lehnt das Gesetz ab, weil damit der allgemeine Kündigungsschutz, aber auch der besondere Kündigungsschutz der Schwerbehinderten, der werdenden und jungen Mütter und der Wehrpflichtigen unterlaufen wird. Nach unserer Meinung muß der Kündigungsschutz ungeschmälert erhalten bleiben. Er ist kein Einstellungshemmnis, wie gesagt wird, sondern er ist einer der Eckpfeiler menschenwürdigen Arbeitslebens.
Für die Unternehmen, die schwankende Auftragslagen haben und daher eine gewisse Flexibilisierung brauchen, ist nach bisherigem Recht die mögliche Befristung von Arbeitsverträgen bis zu sechs Monaten und darüber hinaus bei Vorliegen sachlicher Gründe gewährleistet. Dazu haben wir gestanden: Wenn
sachliche Gründe vorliegen, sind wir auch damit einverstanden.
Aber dieses Gesetz müssen wir ablehnen, weil befristete Arbeitsverträge ohne sachlichen Grund in den Betrieben zu einer Zweiklassengesellschaft führen. Die Sachverständigen aus den Gewerkschaften und Betrieben haben deutlich gemacht, daß sehr wohl, Herr Scharrenbroich — auch das haben Sie mich in der ersten Lesung gefragt —, ein Unterschied in der Lebensperspektive vorhanden ist, einen befristeten Vertrag bis zu 18 Monaten oder einen unbefristeten Vertrag zu haben, mit dem man seine Existenz und Lebensplanung sichern kann.

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1117508000
Frau Abgeordnete, Sie gestatten eine weitere Zwischenfrage?

Barbara Weiler (SPD):
Rede ID: ID1117508100
Ja.

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1117508200
Bitte sehr, Herr Scharrenbroich.

Heribert Scharrenbroich (CDU):
Rede ID: ID1117508300
Frau Kollegin Weiler, daß Sie Bedenken gegen die Verlängerung des Instruments der befristeten Arbeitsverträge haben, kann ich ja verstehen. Aber wenn Sie sagen: Wir lehnen das Gesetz ab, dann habe ich die Frage, wie Sie es verantworten können, daß Sie damit gleichzeitig ablehnen, daß erstens die Zahlung von Kurzarbeitergeld nicht mehr verlängert werden soll, daß zweitens die Förderung von Arbeitslosen unter 25 Jahren in berufsvorbereitenden Bildungsmaßnahmen nicht mehr möglich sein soll, daß drittens die Teilnahme Arbeitsloser unter 25 Jahren an Vorbereitungslehrgängen zum nachträglichen Erwerb des Hauptschulabschlusses nicht mehr möglich sein soll usw. Das alles sind Verbesserungen im Sinne der Arbeitnehmer und der Arbeitslosen. Wie können Sie es verantworten, daß Sie das alles ablehnen?

(Feilcke [CDU/CSU]: Sie sind aus Prinzip dagegen!)


Barbara Weiler (SPD):
Rede ID: ID1117508400
Nein. — Herr Scharrenbroich, zu den wenigen Punkten dieses Gesetzes, die die SPD unterstützt und bejaht, komme ich noch am Ende meiner Rede.

(Scharenbroich [CDU/CSU]: Aber trotzdem ablehnen!)

— Ja, sicher, weil Sie dummerweise alles in dieses Gesetz hineingepackt haben, statt in den Punkten, wo es Fortschritt bedeutet, eine separate Sache zu machen, wo wir hätten zustimmen können. Sie wissen, wir haben im Ausschuß einigen dieser Punkte zugestimmt. Warum wir zugestimmt haben und was wir Ihnen vorwerfen, dazu komme ich jetzt noch.
Ich habe ausgeführt, daß wir in diesem Gesetz ein ganz großes Problem sehen, weil es eine Zwei-Klassen-Gesellschaft in den Betrieben einführt. Wir wissen von den Betroffenen, die wir in der Anhörung gehört haben, daß die befristet Eingestellten dies subjektiv auch so empfinden. Die Ungewißheit, ob man übernommen wird, ob man bleiben kann, führt zu Belastungen und führt auch zu Verhaltensänderungen in unserem Sozialsystem, die auch Sie eigentlich nicht gutheißen könnten. Wer sich in den Betrieben



Frau Weiler
umhört, weiß, daß selbst Kranke aus Angst vor Verlust des Arbeitsplatzes oder Nichtübernahme nicht zum Arzt gehen oder z. B. keine Kuren beantragen. Es ist eine Tatsache, daß Arbeitnehmerinnen, die während der Laufzeit eines befristeten Vertrages schwanger werden, keine Chance haben, übernommen zu werden. Es ist eine Tatsache, daß durch die Befristung selbst der besondere Kündigungsschutz der Schwerbehinderten ins Leere läuft. Es ist auch eine Tatsache — das müßte Ihnen besonders zu denken geben —, daß befristet Beschäftigte eben nicht in die betrieblichen Bildungs-, Weiterbildungs- und Qualifizierungsmaßnahmen einbezogen werden, weil es sich für die Unternehmer eben nicht rentiert.
Wir haben in der Anhörung gehört, daß es Betriebe, spezielle Branchen gibt, die überhaupt nur noch befristet einstellen. Betroffen sind davon hauptsächlich wieder einmal Frauen.
Das Gesetz hat das Heuern und Feuern begünstigt; das wollen Sie nun fortsetzen. Das Wissenschaftszentrum Berlin hat festgestellt, daß in der Privatwirtschaft jede dritte Neueinstellung befristet abgeschlossen wird und — ich denke, eine besonders problematische Sache — im öffentlichen Dienst sogar jede zweite.

(Kolb [CDU/CSU]: In welchen Ländern war das der Fall?)

— Das hat das WZB so konkret nicht erwähnt.
Zielgruppe für diese arbeitsrechtliche Schlechterstellung sind die Geringqualifizierten und die Berufsanfänger. Der Abbau von Arbeitnehmerschutzrechten schafft keine Beschäftigung. Wir halten es für völlig falsch, das Arbeitsrecht zum Experimentierfeld ideologisch begründeter Deregulierungsaktivitäten zu machen. Für die Arbeitnehmerinnen und die Arbeitnehmer ist eine langfristige Stabilität ihrer arbeitsrechtlichen Bedingungen unverzichtbar. Ich meine, auch für die deutschen Unternehmen, denn ein Wettlauf auf Unternehmerseite, durch schlechtere Arbeitsbedingungen die Konkurrenz zu unterbieten, ist alles andere als ein Ruhmesblatt für die deutsche Wirtschaft. Selbst in den USA, meine Kolleginnen und Kollegen, dem Musterland des Kapitalismus, wird die Flexibilisierung der Arbeitsmärkte nicht mehr so problemlos gesehen. Auch da werden die Gefahren gesehen, die wir hier erfahren haben: der hohe Grad an wirtschaftlicher Unsicherheit für Teilzeitkräfte, die mögliche Zunahme der Arbeitslosenrate in einer Rezession und auch die Abneigung der Arbeitgeber, Weiterbildungen für diese Beschäftigungsgruppen anzubieten.
Es gibt auch einige wenige positive Punkte in diesem Gesetz, die auch aus SPD-Sicht positiv zu beurteilen sind. Dazu gehören z. B. — damit komme ich zu dem, was Herr Scharrenbroich zum Teil aufgeführt hat; das haben wir in der Ausschußberatung auch erwähnt — die besonderen Förderungsbedingungen für Arbeitslose unter 25 Jahren zum nachträglichen Erwerb des Hauptschulabschlusses, die beruflichen Bildungsmaßnahmen im Teilzeitunterricht, also die Kombination von Arbeit und Lernen, und die Förderungsmaßnahmen für Berufsrückkehrerinnen. Aber warum, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU und FDP, hier dann nur befristete Regelungen? Wenn wir das für nötig halten — ich denke, das wird noch über lange Zeit notwendig sein — : Warum haben Sie das Gesetz dann nicht so formuliert und umgeändert, daß dort eine Entfristung kommt, denn diese Maßnahmen sind auf Dauer notwendig?
Warum wurde die Zahlung von Kurzarbeitergeld in sogenannten Einsatzbetrieben nur befristet geregelt? Die Ausdehnung dieser Regelung auf alle Wirtschaftsbereiche, die Umstrukturierungsprobleme haben, haben wir schon vor Jahren gefordert; dafür sind wir auch. Warum haben Sie diese positive Regelung wieder nur für einige Jahre vereinbart? Sie hätten ohne Mühe unserem Antrag im Ausschuß zustimmen können.
Ein besonders trauriges Kapitel sind die Änderungen im Schwerbehindertenrecht. Sie schreiben die automatische Mehrfachanrechnung von schwerbehinderten Auszubildenden fort, obwohl doch nach Ihrer eigenen Feststellung die Situation auf dem Ausbildungsstellenmarkt besser geworden ist. Noch im parlamentarischen Verfahren haben Sie erneut die Nichtberücksichtigung der Ausbildungsplätze bei der Berechnung der Zahl der zu beschäftigenden Schwerbehinderten in das Gesetz gebracht.

(Kolb [CDU/CSU]: Es gibt auch ein Dankeschön an das Handwerk!)

Sie tun in diesem Gesetz genau das Gegenteil von dem, was wir brauchen. Mit der Novellierung des Schwerbehindertengesetzes im Jahre 1986 wurde beabsichtigt, die Chancen der Schwerbehinderten zu verbessern. Nur wissen Sie alle, der Anteil arbeitsloser Schwerbehinderter hat sich seit 1987 erhöht, und 130 000 arbeitslos gemeldeten Schwerbehinderten stehen 287 000 Pflichtplätze gegenüber. Sie wissen auch, daß bundesweit rund 30 % aller beschäftigungspflichtigen Arbeitgeber keinen einzigen Schwerbehinderten beschäftigen.
Allen Experten ist klar: Die Ausgleichsabgabe für jeden nicht besetzten Beschäftigungspffichtplatz erfüllt nicht mehr die Antriebs- und Ausgleichsfunktion, für die sie gedacht war. Wir hatten im Ausschuß gefordert: Wir wollen die Ausgleichsabgabe auf 400 DM anheben. Ihr Kollege Regenspurger, der Sprecher für die Behinderten, hat gesagt, daß zumindest 200 DM notwendig wären, um eine normale Dynamisierung zu gewährleisten. Sie haben uns erzählt, die CDU habe ein großes Papier zur Verbesserung der Lage der Schwerbehinderten gemacht. Ich muß Ihnen sagen: Ich habe Verständnis dafür, daß Sie einen Parteibeschluß

(Feilcke [CDU/CSU]: Das ist kein Parteibeschluß! Sie wissen, daß es ein Arbeitspapier ist!)

oder einen Arbeitsgruppenbeschluß nicht innerhalb von zwei Monaten in ein Gesetz einbringen können, aber daß Sie dann mit diesem Gesetz eine Verschlechterung der Lage der arbeitslosen Schwerbehinderten in Kauf nehmen, läßt Ihr Papier als Makulatur erscheinen.

(Feilcke [CDU/CSU]: Sagen Sie doch mal was Positives!)




Frau Weiler
Die SPD lehnt dieses Gesetz ab, weil damit nicht die Beschäftigung, sondern der schnellere Personalabbau gefördert wird. Wir brauchen notwendigerweise die Förderung der Beschäftigung z. B. durch den Ausbau von Qualifizierungsmaßnahmen. Wir werden zu dem Punkt heute noch kommen. Sie haben die Qualifizierungsmaßnahmen massiv abgebaut; die Eintritte in Fortbildung, Umschulung und Einarbeitung liegen inzwischen um 70 000 unter dem Vorjahresniveau. Notwendig wäre die Verkürzung der Arbeitszeit.
Noch zu einem Punkt zur Arbeitszeit: Das Arbeitsvolumen hat sich eben nicht erhöht. Sie können noch so oft sagen, daß sich die Zahl der Arbeitsplätze erhöht hat; wenn Arbeitsplätze von Ganztagsplätzen in Halbtagsplätze oder in Plätze mit noch kürzeren Arbeitszeiten umgewandelt werden, darin ist das Arbeitsvolumen insgesamt nicht erhöht worden, und um den Punkt geht es hier.

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1117508500
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Barbara Weiler (SPD):
Rede ID: ID1117508600
Ja.

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1117508700
Herr Abgeordneter Feilcke, bitte.

Jochen Feilcke (CDU):
Rede ID: ID1117508800
Frau Kollegin, ist Ihnen bekannt, daß von den zusätzlichen Arbeitsplätzen 70 Vollzeit- und nur 30 % Teilzeitarbeitsplätze sind?

Barbara Weiler (SPD):
Rede ID: ID1117508900
Nein.

(Feilcke [CDU/CSU]: Dann nehmen Sie es doch bitte jetzt zur Kenntnis! — Heyenn [SPD]: Nehmen Sie den letzten Satz aus der Untersuchung zur Kenntnis!)

— Ich will damit gleich abschließen. Herr Feilcke, das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesanstalt für Arbeit hat uns eine Unterlage zur Verfügung gestellt, die beweist, daß das Arbeitsvolumen nicht höher geworden ist.

(Dreßler [SPD]: So ist es!)

Das ist das Entscheidende für jede Partei, für jede Fraktion hier im Bundestag: Wenn wir eine Massenarbeitslosigkeit von über 2 Millionen haben, dann müssen wir alles daransetzen, das Arbeitsvolumen zu erhöhen, um es diesen Menschen zu ermöglichen, wieder Arbeit zu bekommen. Da nutzt es überhaupt nichts, Ganztagsarbeitsplätze zu splitten, um dann hinterher groß zu behaupten, es wären mehr Arbeitsplätze.

(Beifall bei der SPD)

Das ist eine Heuchelei,

(Dreßler [SPD]: Richtig!)

und das ist auch eine Verdrehung der Tatsachen.
Die SPD wird den Gesetzentwurf ablehnen, weil wir dieses Gesetz für unsozial und in keiner Weise richtig halten.

(Beifall bei der SPD und der Abg. Frau BeckOberdorf [GRÜNE])


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1117509000
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Heinrich.

(Dreßler [SPD]: Er eröffnet mit dem letzten Satz der eigenen Untersuchung! — Andres [SPD]: Na, mal los! — Dreßler [SPD]: Nur Mut!)


Ulrich Heinrich (FDP):
Rede ID: ID1117509100
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die letzten Ausführungen der Frau Kollegin Weiler veranlassen mich, doch noch einmal Zahlen ins Gedächtnis zu rufen, die offensichtlich immer noch nicht verstanden werden.

(Andres [SPD]: Aber, Herr Kollege!)

Hinzufügen möchte ich, daß sich nicht von ungefähr die finanzielle Situation unserer Sozialversicherungsträger verbessert. Und jetzt frage ich Sie: Warum denn wohl?

(Dreßler [SPD]: Aber doch nicht mit der bisherigen Beschäftigungsquote! — Andres [SPD]: Mit diesem Gesetz? Aber, Herr Heinrich!)

Ich sage hier ganz deutlich: Mit fast 28 Millionen Erwerbstätigen hat die Beschäftigung ihren Höchststand seit Gründung der Bundesrepublik Deutschland erreicht.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Mit 1,9 Millionen Arbeitslosen verzeichnen wir den niedrigsten Stand seit Oktober 1981. Und die Zahl der offenen Stellen hat mit über 300 000 den höchsten Stand seit 1979 erreicht, die Zahl der Kurzarbeiter mit knapp 50 000 den niedrigsten Wert seit 1972.

(Dreßler [SPD]: Und die Mängelliste?)

Positive Ergebnisse können wir bei der Jugendarbeitslosigkeit und auch bei älteren Arbeitslosen über 59 Jahren verzeichnen. Meine Damen und Herren von der SPD, nehmen Sie doch einmal zur Kenntnis, in welcher Richtung Sie hier in einer statischen Art und Weise diskutieren, die einfach den Bedürfnissen der Arbeitsmarktsituation nicht gerecht wird.

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1117509200
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Ulrich Heinrich (FDP):
Rede ID: ID1117509300
Bitte sehr.

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1117509400
Bitte sehr, Frau Beck-Oberdorf.

Marieluise Beck-Oberdorf (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1117509500
Herr Heinrich, ist Ihnen bekannt, daß die Zahl der Sozialhilfeempfänger stetig steigt und jetzt über 3 Millionen liegt; und wie erklären Sie sich diese Zahl?

(Feilcke [CDU/CSU]: Bei der Art, wie das gerechnet wird! — Dr. Becker [Frankfurt] [CDU/CSU]: Mit jeder Erhöhung der Sozialhilfe kommen mehr hinzu! — Weitere Zurufe)


Ulrich Heinrich (FDP):
Rede ID: ID1117509600
Lassen Sie mich doch eine Antwort geben!

(Andres [SPD]: Jetzt kommt er ins Schleudern! — Feilcke [CDU/CSU]: Herr Heinrich, die Zahl stimmt nicht! Lassen Sie sich nicht aufs Glatteis führen!)




Heinrich
Wenn Sie hier im Kontext dieser Beratung die Zahl der Sozialhilfeempfänger dagegenstellen, muß ich Ihnen sagen: Sie haben wohl das Gesetz nicht kapiert.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Lachen bei der SPD und der Abg. Frau BeckOberdorf [GRÜNE])

Sie haben wohl nicht kapiert, was hier unternommen werden soll, nämlich die Möglichkeit, Beschäftigungsverhältnisse wenn nicht auf Dauer, so doch wenigstens befristet zu schaffen. Ich glaube, daß ist ein deutliches Zeichen, daß Sie noch etwas tiefer in die Materie einsteigen müssen.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU — Lachen bei der SPD)

Um dieses erfreuliche Ergebnis, das ich soeben mit Zahlen belegt habe, in seiner vollen Tragweite würdigen zu können, muß man darüber hinaus berücksichtigen, daß der Arbeitsmarkt in den letzten Monaten den gewaltigen Zustrom von Aus- und Übersiedlern zusätzlich zu verkraften hatte. Wir können also mit dieser Entwicklung zufrieden sein. Wir lehnen uns aber nicht zurück. Es muß vielmehr zweifellos Zusätzliches getan werden, um die nach wie vor hohe Zahl von Arbeitslosen weiter zu verringern.

(Menzel [SPD]: Die haben wir schon sechs Jahre!)

Die Verlängerung des Beschäftigungsförderungsgesetzes, das wir heute in zweiter und dritter Lesung beraten, ist ein weiterer Mosaikstein auf dem Weg dorthin. Er fügt sich nahtlos in unsere marktwirtschaftliche Gesamtkonzeption

(Andres [SPD]: Ein sauberes Mosaik, Herr Kollege!)

von Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit ein.

(Zurufe von der SPD)

— Ich verstehe Ihre Aufregung überhaupt nicht. Wahrscheinlich sind die Argumente zu gut für Sie.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU — Heyenn [SPD]: Da ist einer aufgeregt!)

Wir erwarten von der Verlängerung des Beschäftigungsförderungsgesetzes, insbesondere von der Verlängerung der Möglichkeiten zum Abschluß befristeter Arbeitsverträge ohne sachlichen Grund weiß Gott keine Wunderdinge. Aber das Gesetz hilft dort, wo es meines Erachtens besonders nötig ist.

(Andres [SPD]: Insbesondere durch die befristeten!)

Es gilt, zeitweiligem Arbeitskräftemangel zu begegnen und bei zusätzlichem Personalbedarf, dessen Dauer etwa bei Unsicherheit über die künftige Auftragslage noch nicht absehbar ist, trotzdem Einstellungen vornehmen zu können.
Im übrigen kann auf diese Weise auch die Zahl der Überstunden reduziert werden. Denn mehr als die Hälfte der Betriebe, liebe Kolleginnen und Kollegen
von der Opposition, hat bei einer Befragung das Befristungsmotiv zur Vermeidung von Überstunden angegeben. Das stützt unsere Meinung; das sagen ja die Betriebe. Nehmen Sie das doch zur Kenntnis!

(Feilcke [CDU/CSU]: Aber für Gewerkschaftsfunktionäre sind Betriebe immer böse!)

Schließlich — diesen Aspekt sollte man nicht vernachlässigen — hat das Beschäftigungsförderungsgesetz zu einer erhöhten Rechtssicherheit beim Abschluß befristeter Arbeitsverträge geführt.
Alles in allem meine ich, daß sich das Beschäftigungsförderungsgesetz bewährt hat.
Positiv hebe ich an der Neuregelung die Kollegenhilfe im Handwerksbereich hervor. Hier haben wir eine Regelung geschaffen, die Betrieben mit weniger als 20 Beschäftigten unbürokratisch Arbeitnehmerüberlassung im selben oder im benachbarten Kammerbezirk bis zur Dauer von drei Monaten ermöglicht.

(Feilcke [CDU/CSU]: Sehr gut!)

Die Kritik der Gewerkschaften und der Opposition ist mir im Grunde genommen unverständlich. Eines der zentrale Argumente lautet, die Einrichtung von befristeten Arbeitsplätzen sei zu Lasten von Dauerarbeitsplätzen gegangen. Ich frage mich, Frau Kollegin Weiler: Woher weiß die Opposition, daß das so ist? Möglicherweise hätte sich auch nur die Zahl der Überstunden vergrößert, und wir hätten jetzt 150 000 Arbeitslose mehr. Ich kann nur sagen: Lieber befristet in Arbeit, als unbefristet arbeitslos.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Die Kritik der Opposition geht an der Sache vorbei. Lassen Sie mich das an einem Beispiel deutlich machen: Wir sagen — 80 % der Betriebe sehen es genauso — , daß sich die längere Erprobungszeit positiv auf eine eventuell sich anschließende unbefristete Beschäftigung auswirken kann.

(Frau Beck-Oberdorf [GRÜNE]: Ja, für die Arbeitgeber; das ist doch klar!)

Das geltende Recht reicht häufig nicht aus, den Betrieben die notwendige Flexibilität zu ermöglichen. Es wirkt sich eher hemmend gegenüber Neueinstellungen aus.
Aber es wäre wohl nicht das erste Mal, daß Gewerkschaften und Opposition gegen die Interessen von Arbeitnehmern handeln. Schaut man sich einmal Umfrageergebnisse, z. B. die der Deutschen Angestelltengewerkschaft, zur Frage der Arbeitszeitverkürzung an — Frau Kollegin Weiler, Sie haben es angesprochen; ich möchte deshalb darauf eingehen —, so stellt man fest, daß sechs von zehn der Befragten zur Zeit eine weitere Arbeitszeitverkürzung nicht wünschen.

(Frau Weiler [SPD]: Männer oder Frauen?)

Dennoch gehören weitere Arbeitszeitverkürzungen zu den zentralen Verhandlungspunkten der Gewerkschaft für die nächste Tarifrunde,

(Kolb [CDU/CSU]: Das interessiert den Herrn Steinkühler nicht!)




Heinrich
wohlwissend, daß dadurch die Schere am Arbeitsmarkt, d. h. Facharbeitermangel einerseits und Arbeitskräfteüberschuß auf der anderen Seite, insgesamt eher noch vergrößert wird.
Ich meine, diese Tatsachen sprechen für das Gesetz. Sie selber haben einige Punkte angedeutet, denen Sie zustimmen könnten. Ich würde sagen: Gehen Sie noch einmal in sich — Sie haben noch Zeit bis zur dritten Lesung —, um dann abschließend zuzustimmen.
Herzlichen Dank.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Heyenn [SPD]: Den letzten Satz des Gutachtens hätten wir gerne gehört!)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1117509700
Das Wort hat Frau Abgeordnete Beck-Oberdorf.

Marieluise Beck-Oberdorf (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1117509800
Herr Kollege Heinrich, wenn Sie sich immer so gegen die Arbeitszeitverkürzung wenden, dann möchte ich Sie einmal fragen — Sie sind Mitglied einer Koalition, die sich immer vehement für die Familie ausspricht — : Wie stellen Sie sich das eigentlich vor, wenn die Männer weiterhin acht bis zehn Stunden am Tag nicht zu Hause sind? Dann sagen Sie doch bitte offen, daß Sie die ganze Familienarbeit den Frauen zuschieben wollen, oder anerkennen Sie, daß eine tägliche Arbeitszeitverkürzung unabdingbar ist, wenn Sie wirklich in aktive Vaterschaft einsteigen wollen.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD — Kolb [CDU/CSU]: Er ist nicht sein ganzes Leben aktiver Vater!)

Noch einmal zu diesem Gesetz: Schon als im Frühjahr bekannt wurde, daß die Regierung eine Verlängerung des Beschäftigungsförderungsgesetzes plant, konnten wir in der Presse wahrnehmen, daß es sehr wohl innerparteiliche Auseinandersetzungen bei Ihnen gegeben hat und daß es nicht so glatt aussieht, wie Sie es jetzt darzustellen versucht haben. Man konnte dort lesen: „CDU-Sozialausschüsse schokkiert" , oder: „Unionsstreit um befristete Beschäftigungsverhältnisse eskaliert".
Sie haben im Augenblick politisch unheimlich Glück. Alles, was interessant ist, passiert in Berlin, und kein Mensch kümmert sich um sozialpolitische Themen. Deswegen kann das hier so abgefeiert werden. Aber Sie hatten natürlich große Konflikte, weil es selbst in Ihren Reihen noch einige Leute gibt, die die sozialen Probleme dieses Gesetzes erkannt haben.
Es ist vollkommen klar, daß die Mittelstandsvereinigung in der CDU die Ausweitung der Befristung auf drei Jahre fordert. Der Unternehmer hat dadurch natürlich die Möglichkeit, einen Arbeitnehmer oder eine Arbeitnehmerin noch länger auszuprobieren und sie dann wieder auf die Straße zu setzen. Er wäre ja blöd, wenn er nicht für ein solches Gesetz kämpfen würde. Das ist doch nur im Interesse einer Unternehmerpolitik.
Aber auf der anderen Seite konterten doch die christlich-demokratischen Gewerkschafter, daß es der CDU-Mittelstandsvereinigung offensichtlich nur darum ging, den Kostenfaktor Mensch zu senken. Das
konnte man in der „Welt" nachlesen. Also tun Sie nicht so, als ob Ihnen die sozialen Probleme nicht bekannt seien.

(Feilcke [CDU/CSU]: Was sagen denn nun DIE GRÜNEN?)

Wir können diesem Argument der Sozialausschüsse nur vollen Herzens zustimmen.
Ich möchte mich kurz noch mit dem weiblichen Kostenfaktor Mensch auseinandersetzen.

(Feilcke [CDU/CSU]: Kostenfaktorin!)

In der Anhörung ist ganz eindeutig bestätigt worden, daß dieses Gesetz Möglichkeiten eröffnet, Mutterschutzfristen außer Kraft zu setzen. Man braucht Sie nur mit Ihren eigenen Ansprüchen zu konfrontieren: Wie wollen Sie das mit einer frauenfreundlichen Politik vereinbaren? Das geht wieder einmal ganz eindeutig gegen Frauenschutzrechte.

(Frau Weiler [SPD]: Der Arbeitgeber ist wichtiger!)

Frauen sind insgesamt neben den Jugendlichen die größte Gruppe der Ungelernten und derjenigen, die neu oder erneut, nämlich nach der sogenannten Familienphase, also wenn sie Ihnen das Kreuz freigehalten haben, auf den Arbeitsmarkt kommen. Sie sind auch überdurchschnittlich von den Regelungen dieses Beschäftigungsförderungsgesetzes mit der Möglichkeit der Befristung betroffen. Sie stellen den größten Anteil derjenigen, die in ungeschützten Beschäftigungsverhältnissen erwerbstätig sind. Sie sind diejenigen, die zum größten Teil Teilzeitarbeit leisten. Alle diese Beschäftigungsverhältnisse werden nun zusätzlich mit verlängerten Probezeiten ausgestattet, und es wird ihnen zusätzlich der Kündigungsschutz genommen.
Ich kann ganz eindeutig sagen: Das ist ein sozialpolitischer Skandal. Dieses Gesetz ist frauenfeindlich. Immer, wenn man anfängt, das, was Sie an Frauenfreundlichkeit in Ihrer Politik vor sich hertragen, abzuklopfen, und sieht, was dann an sachlichem Gehalt nachgeschoben wird, kann man den Beweis antreten, daß Sie ganz eindeutig über Frauenrechte hinweggehen und daß Sie sich keine Gedanken darüber machen,

(Scharrenbroich [CDU/CSU]: Wir machen uns andere Gedanken! Viele Gedanken!)

wie man den Stand der Frauen auf dem Erwerbsarbeitsmarkt wirklich verbessern könnte.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Frauen brauchen andere Zeitstrukturen. Sie brauchen
in der Tat eine gewisse Flexibilität, aber nicht im
Sinne von hire and fire, wie es hier vorbereitet wird.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD — Feilcke [CDU/CSU]: Machen Sie einmal konkrete Vorschläge!)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1117509900
Ich erteile das Wort dem Herrn Parlamentarischen Staatssekretär Vogt.

Wolfgang Vogt (CDU):
Rede ID: ID1117510000
Herr Präsident! Meine Da-



Parl. Staatssekretär Vogt
men und Herren! Wahres kann man nicht oft genug wiederholen.

(Beifall des Abg. Feilcke [CDU/CSU])

Wir haben Erfolg beim Aufbau von Beschäftigung und beim Abbau von Arbeitslosigkeit.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wir sind auf einem guten Weg.


(Zuruf von der SPD: Was? — Andres [SPD]: Er pfeift im dunklen Wald!)

Wir haben fast 28 Millionen Mitbürgerinnen und Mitbürger, die erwerbstätig sind. Das ist einmalig seit Bestehen der Bundesrepublik Deutschland.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Die Zahl der registrierten Arbeitslosen sinkt. Sie wissen, daß wir einige zehntausend registrierte Arbeitslose weniger hätten, wenn wir nicht in den letzten Jahren und auch in den letzten Monaten den Zuwachs an Arbeitskräftepotential auf dem Arbeitsmarkt gehabt hätten, meine Damen und Herren.

(Andres [SPD]: Wenn Sie nicht die 9. Novelle AFG gemacht hätten! — Menzel [SPD]: Sie müssen die statistischen Tricks weglassen!)

Wir sind zwar auf einem guten Weg, aber wir sind nicht am Ziel. Deshalb legen wir hier einen zusätzlichen Baustein vor, der dazu beitragen wird, die Beschäftigung weiter zu fördern. Wir verlängern die Regelungen aus dem Beschäftigungsförderungsgesetz und Vorschriften aus dem Arbeitsförderungsgesetz, die bis Ende dieses Jahres befristet sind. Dieses Gesetz wird dazu beitragen, daß wir zu mehr Beschäftigung kommen.
Wer heute die Kritik der SPD am Beschäftigungsförderungsgesetz gehört hat, meine Damen und Herren, der könnte annehmen, daß Sozialdemokraten keine befristeten Arbeitsverträge abschließen. Doch die Wirklichkeit sieht anders aus.

(Kolb [CDU/CSU]: Wie immer!)

Die Sozialdemokraten machen als Arbeitgeber von diesem Gesetz regen Gebrauch.

(Kraus [CDU/CSU]: Ja wo denn? — Frau Beck-Oberdorf [GRÜNE]: Das muß man ihnen verbieten!)

Die Praxis in den SPD-geführten Kommunen und in den SPD-geführten Ländern beweist das ganz deutlich. Denn die Hälfte der im öffentlichen Dienst abgeschlossenen Arbeitsverträge ist befristet.

(Abg. Dreßler [SPD] meldet sich zu einer Zwischenfrage — Feilcke [CDU/CSU]: Die wissen, wie gut das Gesetz ist!)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1117510100
Herr Staatssekretär, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Wolfgang Vogt (CDU):
Rede ID: ID1117510200
Aber selbstverständlich.

Rudolf Dreßler (SPD):
Rede ID: ID1117510300
Herr Kollege Vogt, stimmen Sie mir zu, daß zwischen den Bestimmungen des Beschäftigungsförderungsgesetzes einerseits und dem davor geltenden Recht, aus sachlichem Grund eine befristete Beschäftigung durchführen zu können, genau die Handlungsweise der von Ihnen skizzierten SPD-Kommunen liegt, und — ich darf zwei Fragen stellen, Herr Präsident —, Herr Kollege Vogt, stimmen Sie mir zu, daß sich in dem von Ihnen selbst in Auftrag gegebenen Gutachten zu den Wirkungen des Beschäftigungsförderungsgesetzes zum Abschluß folgender Satz befindet:
Selbst unter den im Untersuchungszeitraum anhaltend günstigen Konjunkturbedingungen sind die gesamtwirtschaftlichen Nettobeschäftigungseffekte der Befristungsneuregelung des Beschäftigungsförderungsgesetzes deshalb als gering anzusehen.

Wolfgang Vogt (CDU):
Rede ID: ID1117510400
Herr Kollege Dreßler, auf die zweite Frage komme ich im Laufe meiner kurzen Ausführungen zurück.

(Dreßler [SPD]: Ja oder nein? — Heyenn [SPD]: Antwort!)

Bei der ersten Frage darf ich Ihnen sagen: Nein, ich bestätige die Behauptung, die in Ihrer Frage steckt, nicht. Ich kann es Ihnen auch beweisen: Das Land Nordrhein-Westfalen, das ja von einem sozialdemokratischen Ministerpräsidenten, noch, geführt wird,

(Lachen bei der SPD)

hat gerade befristete Arbeitsverträge abgeschlossen. Und bei einem Arbeitsgerichtsverfahren hat diese Landesregierung einen Rechtsanwalt beauftragt, genau auf der Linie zu argumentieren, auf der das Beschäftigungsförderungsgesetz 1985 hier in diesem Hause beraten und beschlossen worden ist, Herr Kollege Dreßler.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Kolb [CDU/CSU]: Da sieht man doch die Moral! — Zuruf von der CDU/CSU: Heuchelei! — Abg. Reimann [SPD] meldet sich zu einer Zwischenfrage)

— Herr Kollege Reimann, ich würde bitten, daß Sie sich vielleicht später noch einmal melden. Jetzt möchte ich nämlich an die Darstellung des Verhaltens der Sozialdemokraten die des Verhaltens der GRÜNEN anschließen;

(Günther [CDU/CSU]: Da wird es noch interessanter!)

denn die GRÜNEN sind um keinen Deut besser.
Frau Kollegin Beck-Oberdorf, ich bewundere eigentlich das hohle Pathos, mit dem Sie hier auftreten. Ich nehme an, daß zu Ihrer morgendlichen Bettlektüre auch die „taz" gehört.

(Frau Beck-Oberdorf [GRÜNE]: Ich lese nicht im Bett Zeitung!)

Und ich zitiere aus der „taz", Ausgabe vom 12. Oktober 1989, eine Anzeige. Unter „DIE GRÜNEN" lese ich:
Die Bundesgeschäftsstelle der GRÜNEN stellt zum baldmöglichsten Zeitpunkt eine/n
Tagungshausleiter/in



Parl. Staatssekretär Vogt
für das parteieigene Tagungshaus Wittgenstein in Roisdorf bei Bonn ein. Die Stelle wird nach Haustarif in Anlehnung an BAT III bezahlt. Sie ist zunächst bis Ende Juni 1990 befristet.

(Kolb [CDU/CSU]: Trau, schau wem! — Zurufe von der CDU/CSU: Unglaublich!)

— Ich darf weiter vorlesen:
Übernahme in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis ist danach möglich.
Gezeichnet:
... Walde

(Zuruf von der CDU/CSU: „Verlängerung der Probezeit" ist das!)

Ich kann nur sagen: Ihr Kollege Eberhard Walde ist ungeheuer lernfähig; denn er handelt nach dem Motto: „Lieber befristet Arbeit als unbefristet arbeitslos"

(Frau Weiler [SPD]: Das ist doch Unsinn!)

und: „Eröffnung der Perspektive Übernahme in ein Dauerarbeitsverhältnis". Er bestätigt durch sein Verhalten genau die Philosophie des Beschäftigungsförderungsgesetzes.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Abg. Reimann [SPD] und Abg. Frau BeckOberdorf [GRÜNE] melden sich zu Zwischenfragen)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1117510500
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, jetzt müssen wir uns mal einig werden. Sie haben hier speziell die GRÜNEN angesprochen. Dann sollten Sie fairerweise natürlich auch die Möglichkeit zu einer Frage geben.

Wolfgang Vogt (CDU):
Rede ID: ID1117510600
Aber selbstverständlich.

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1117510700
Aber Herr Reimann ist der, der schon früher am Mikrophon stand.

(Zuruf von der CDU/CSU: Die kriegen beide ihr Fett weg!)

Sie, der Sie Kavalier sind, kommen danach. Frau Beck-Oberdorf.

Marieluise Beck-Oberdorf (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1117510800
: Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß ich Ihnen sofort zustimmen würde, wenn es sich hier um eine normale Befristung im von mir kritisierten Sinne handelte? Das wäre in der Tat eine Doppelbödigkeit, gegen die ich mich politisch wenden würde, wobei ich meine, daß es selbstverständlich, wenn solche Verführungen des Arbeitgebers ermöglicht werden,

(Zuruf von der CDU/CSU: Frage stellen!)

die Aufgabe des Gesetzgebers ist — und das richtet sich auch an die öffentliche Hand — , solche Verführungen qua Gesetz unmöglich zu machen.

(Dr. Becker [Frankfurt] [CDU/CSU]: Wenn zwei dasselbe tun, bei den GRÜNEN ist es noch lange nicht dasselbe!)

Aber trotzdem möchte ich Sie bitten, zur Kenntnis zu nehmen, daß für das Tagungshaus Wittgenstein meiner Information nach

(fortgesetzte Unruhe bei der CDU/CSU)

— ich muß ja wohl antworten können, und ich bitte ihn, das zur Kenntnis zu nehmen — noch kein festes Nutzungskonzept vorliegt. Und ich vermute, daß sich daraus die befristete Einstellung erklärt.

(Unruhe bei der CDU/CSU)


Wolfgang Vogt (CDU):
Rede ID: ID1117510900
Frau Kollegin, aus Ihrer Frage entnehme ich zweierlei:

(Heyenn [SPD]: Das war keine Frage!)

erstens, daß Sie bereit sein werden, Ihrem Kollegen Eberhard Walde ins Gewissen zu reden. Ich entnehme zweitens aus Ihrer Frage aber auch die Anerkennung der Tatsache, daß es vernünftige Gründe dafür gibt, daß es zunächst einmal zu einem befristeten Arbeitsverhältnis kommt,

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Dr. Becker [Frankfurt] [CDU/CSU]: Wie beim Mittelstand!)

mit der Perspektive, daß das zu einem Dauerarbeitsverhältnis führen kann. Sie bestätigen wiederum die Philosophie dieses Gesetzes.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Zuruf von der SPD: Bei sachlichen Gründen ist es sowieso möglich! — Frau Beck-Oberdorf [GRÜNE]: Wir brauchen doch kein neues Gesetz! Bei sachlichem Grund gilt doch das alte Gesetz! — Feilcke [CDU/CSU]: Haben Sie noch ein Zitat aus dem Walde? — Heiterkeit bei der CDU/CSU)

Herr Kollege Reimann.

(Unruhe bei der CDU/CSU)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1117511000
Herr Abgeordneter Reimann hat zu einer Zwischenfrage das Wort. Ich bitte um Aufmerksamkeit. Das geht natürlich alles auf Kosten der Gesamtzeit, die wir zur Verfügung haben. Bitte schön.

Manfred Reimann (SPD):
Rede ID: ID1117511100
Herr Staatssekretär, Sie haben jetzt mehrfach zitiert, daß sozialdemokratisch regierte Kommunen vom Beschäftigungsförderungsgesetz Gebrauch machen. Die GRÜNEN werden zitiert. Das hört sich bei Ihnen so an, als sei das etwas unseriös und unlauter.

(Feilcke [CDU/CSU]: Nein, gesetzestreu!)

Meine konkrete Frage an Sie, Herr Staatssekretär: Sind Sie bereit, mit der SPD ein Gesetz zu machen, das dieses befristete Arbeitsverhältnis verbietet?

(Beifall der Abg. Frau Beck-Oberdorf [GRÜNE] — Heiterkeit bei der CDU/CSU und der FDP — Abg. Frau Weiler [SPD] meldet sich zu einer Zwischenfrage)


Wolfgang Vogt (CDU):
Rede ID: ID1117511200
Nein. Herr Kollege, ich will jetzt einmal unter diesen Teil einen Schlußstrich ziehen — Frau Kollegin Weiler, ich bitte um Nachsicht —



Part. Staatssekretär Vogt
und sage, die Argumentation der GRÜNEN und der SPD zeugt von einer doppelten Moral. Im Bundestag sind Sie gegen befristete Arbeitsverträge und als Arbeitgeber für befristete Arbeitsverträge. Das ist das Fazit dieses Teils der Debatte.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1117511300
Herr Staatssekretär, Sie sind sehr gefragt. Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage?

Wolfgang Vogt (CDU):
Rede ID: ID1117511400
Aber selbstverständlich, Herr Präsident.

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1117511500
Bitte, Frau Abgeordnete Weiler.

Barbara Weiler (SPD):
Rede ID: ID1117511600
Meine Frage ist ganz kurz. Herr Staatssekretär, könnte es nicht zutreffen, daß es sich bei dem Fall der GRÜNEN, so sozialpolitisch bedenklich er ist, nicht um einen zusätzlichen Arbeitsplatz handelt?

Wolfgang Vogt (CDU):
Rede ID: ID1117511700
Frau Kollegin, ich gehe nach dem Text der Anzeige davon aus, daß es ein zusätzlicher Arbeitsplatz ist. Denn dieses Haus ist — wie Frau Beck-Oberdorf gerade gesagt hat — neu eingerichtet worden.

(Heyenn [SPD]: Auf Grund des Beschäftigungsförderungsgesetzes?)

Es besteht sozusagen noch keine sichere Grundlage für die Schaffung eines Dauerarbeitsverhältnisses jetzt sofort, aber vielleicht im Juni nächsten Jahres.
Ich kann immer nur wiederholen: Das sind genau die Gründe, die uns dazu bewogen haben, dieses Gesetz 1985 vorzulegen und jetzt darum zu bitten, daß es verlängert wird.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Zuruf von der SPD: Quatsch!)

Wenn einem die Argumente ausgehen, flüchtet man in Quatsch.

(Heiterkeit bei der CDU/CSU — Zuruf von der SPD: Das haben wir gerade gehört!)

Auf Argumente würde ich gerne eingehen.

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1117511800
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, gestatten eine weitere Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Andres?

Wolfgang Vogt (CDU):
Rede ID: ID1117511900
Nein, Herr Präsident, jetzt nicht mehr, und zwar im Interesse der Kolleginnen und Kollegen, deren Zeitplanung ich jetzt nicht weiter durcheinanderbringen möchte.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1117512000
Auch einem Parlamentarischen Staatssekretär fehlt natürlich die Motivation, wenn die Beantwortung der Fragen, bei der er sich so viel Mühe gibt, dann mit „Quatsch" bezeichnet wird.
Bitte sehr.

Wolfgang Vogt (CDU):
Rede ID: ID1117512100
Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, das Gesetz hat zum Aufbau von Beschäftigung geführt. Deshalb wird es bis 1995 verlängert. Das gilt auch für die Bestimmungen aus der Siebten und der Achten AFG-Novelle.
Doch noch wenige Anmerkungen zu dem Beschäftigungseffekt, weil er in der Debatte zur ersten Lesung und auch heute sowie in den Zwischenfragen eine Rolle gespielt hat. Von den auf Grund des Beschäftigungsförderungsgesetzes zusätzlich befristet eingestellten Arbeitnehmern sind hochgerechnet bis heute rund 150 000 in unbefristete Dauerarbeitsverhältnisse übernommen worden.

(Heyenn [SPD]: Durch nichts belegt!)

— Sie müssen nur das Gutachten lesen, Herr Kollege.
Diesen rund 150 000 zusätzlichen unbefristeten Dauerarbeitsverhältnissen sind Beschäftigungsverluste gegenüberzustellen, die dort entstehen konnten, wo Betriebe auf Grund des Beschäftigungsförderungsgesetzes Verträge befristet haben, die sie ohne das Gesetz gleich unbefristet hätten abschließen können.
Diese unbestreitbaren Substitutionseffekte, die ich bereits in der ersten Lesung kritisch angesprochen habe, bedeuten aber nicht automatisch Beschäftigungsverluste. Die Bundesanstalt für Arbeit hat dies in der Sachverständigenanhörung noch einmal ganz deutlich gemacht. Wenn wir bei den Beschäftigungsgewinnen nur die dauerhaften mitzählen, d. h. die Fälle, bei denen es im Ergebnis zu einem unbefristeten Arbeitsverhältnis gekommen ist, müssen wir konsequent bleiben und dürfen auch bei den Verlusten nur die dauerhaften mitzählen; sonst werden Birnen und Äpfel miteinander verglichen.
In den Bereichen, in denen es zu befristeten Arbeitsverträgen gekommen ist, obwohl unbefristete Arbeitsverträge hätten abgeschlossen werden können, betrug die Übernahmequote in ein Dauerarbeitsverhältnis jedoch 64 %. Rund zwei Drittel der ermittelten Substitutionseffekte haben damit keine dauerhaften Beschäftigungsverluste zur Folge gehabt. Sie führen, wenngleich über einen Umweg, im Ergebnis zum gewünschten Ziel, zum Dauerarbeitsverhältnis. Diese Tatsachen lassen sich nicht vom Tisch fegen.
Im übrigen will ich nur darauf verweisen: Ich habe den Eindruck, daß Sie sich die Sache etwas zu einfach machen, wenn Sie sagen, ein Arbeitsverhältnis, das formal unbefristet abgeschlossen sei, sei ein dauerhaftes, ein gesichertes Arbeitsverhältnis, und ein befristet abgeschlossenes, sei ein instabiles Arbeitsverhältnis. Die Wirklichkeit sieht anders aus. Aus der Tatsache der formalen Befristung oder der formalen Unbefristung kann man nicht auf die Stabilität eines Arbeitsverhältnisses schließen. Ich bitte Sie, auch das zur Kenntnis zu nehmen und sich einmal die entsprechenden Absätze des Gutachtens zu Gemüte zu führen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Auf Grund der Sachverständigenanhörung verlängern wir außerdem die Geltung des § 63 Abs. 4 des Arbeitsförderungsgesetzes. Das betrifft die Regelung



Parl. Staatssekretär Vogt
der „Personaleinsatzbetriebe". Diese Regelung hat sich bewährt. Wir fassen sie branchenneutral und hoffen, daß diese Regelung so wenig wie möglich in Anspruch genommen werden muß, aber daß sie dort hilft, wo auf Grund von Strukturänderungen eine soziale Anpassung nur mit Hilfe dieses Instruments möglich ist.
Im übrigen verweise ich auf die Kollegenhilfe, die in der Aussprache ja auch schon ein Rolle gespielt hat.
Alles in allem, meine Damen und Herren: Wir legen ein Beschäftigungsförderungsgesetz 1990 vor, das sich in seinen wesentlichen Instrumenten in den letzten Jahren bewährt hat und das zu mehr Beschäftigung in diesem Lande führen wird.
Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1117512200
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurf eines Beschäftigungsförderungsgesetzes 1990. Ich rufe die §§ 1 bis 3, Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung auf. Wer ihnen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Keine Enthaltungen. Die Vorschriften sind mit Mehrheit angenommen.
Wir treten in die
dritte Beratung
ein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Keine Enthaltungen. Das Gesetz ist in dritter Lesung mit Mehrheit angenommen. * )
Ich rufe Punkt 20 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Regelung von Fragen der Gentechnik
— Drucksache 11/5622 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit (federführend)

Ausschuß für Forschung und Technologie Innenausschuß
Rechtsausschuß
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Haushaltsausschuß mitberatend und gem. § 96 GO
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die Aussprache 45 Minuten vorgesehen. Ist das Haus damit einverstanden? — Es ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem Herrn Parlamentarischen Staatssekretär Pfeifer.
*) Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Scharrenbroich und weiterer Abgeordneter siehe Anlage 4

Anton Pfeifer (CDU):
Rede ID: ID1117512300
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Gentechnikgesetz, dessen Entwurf die Bundesregierung Ihnen heute vorlegt, ist für die künftige Bedeutung der Bundesrepublik Deutschland als Forschungs- und Industriestandort von fundamentaler Bedeutung. Die moderne Gen- und Biotechnik kann bei verantwortungsbewußter Handhabung zur Entwicklung neuer und besserer Medikamente gegen schwerste Krankheiten beitragen, auch gegen Krankheiten, bei denen es derzeit noch keine Rettung gibt. Die Gentechnologie kann neue Methoden für die zellbiologische Grundlagenforschung entwickeln, deren Ergebnisse zu einem besseren Verständnis von Krankheitsursachen — z. B. beim Krebs — beitragen und damit zu neuen Therapieansätzen führen können.
Dieses Gesetz eröffnet neue Chancen zur Minderung von Umweltbelastungen, z. B. wenn gegen Krankheiten resistente Pflanzen den Verzicht auf Pflanzenschutzmittel möglich machen. Das Gesetz kann beim Kampf gegen Pflanzenschädlinge und Krankheiten zu Ergebnissen beitragen, die bei einer rasch wachsenden Weltbevölkerung die Versorgung der Menschen mit lebensnotwendigen Nahrungsmitteln in vielen Entwicklungsländern wesentlich verbessern können.
Inzwischen hat ein Aktionsbündnis angekündigt, es wolle gegen diese Technologie mit ähnlichen Kampagnen zu Felde ziehen, wie wir dies aus den Kampagnen — beispielsweise gegen die friedliche Nutzung der Kernenergie — kennen.
Meine Damen und Herren, dies läßt befürchten, daß es diesen Gruppen nicht auf sachliche Argumentation, sondern auf das Schüren von Emotionen ankommt, und nichts wäre schädlicher als dieses.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Denn alle modernen Industriestaaten nutzen die Chancen dieser Technologie. Es wäre nicht zu verantworten, wenn unser Land es versäumen würde, sich diese Chancen zum wissenschaftlichen und technologischen Fortschritt zu erschließen. Deswegen entscheidet sich auch an diesem Gesetzentwurf ein Stück weit, ob und wie wir unser Land attraktiv erhalten als Standort für neue Technologien und ob wir hier weltweit konkurrenzfähig bleiben, wie das unser Ziel ist.

(Sehr richtig! bei der CDU/CSU)

Auf der anderen Seite, meine Damen und Herren, wollen wir mit den vorgeschlagenen Regelungen unvertretbare Risiken für Mensch und Umwelt aus dem Umgang mit der Gentechnik ausschließen. Wir wollen beiden Aspekten gerechnet werden: den Chancen und den Risiken dieser Technologie. Dies ist nur mit einem differenzierten Regelungswerk zu erreichen, welches vom Grundprinzip der präventiven Kontrolle durch Verbot mit Erlaubnisvorbehalt ausgeht. Dabei gilt der Grundsatz: je größer das Risiko, um so sorgfältiger Prävention und Kontrolle, um so strenger die Sicherheitsmaßnahmen und um so genauer das Verfahren, in dem das Vorliegen der geeigneten Sicherheitsmaßnahmen geprüft wird.



Parl. Staatssekretär Pfeifer
Diese Differenzierungen erfordern sachkundige Beamte in den zuständigen Behörden und die Beteiligung des Sachverstandes in seiner ganzen Breite. Diesen externen Sachverstand will der Entwurf z. B. in der zentralen Kommission für biologische Sicherheit zusammenfassen, dem auch im Vollzug des Gesetzes eine zentrale Rolle zugewiesen wird. Die präventive sachkundige Kontrolle ist das Kernstück des Entwurfs. Aber darüber hinaus stellt der Entwurf den Schutz von Mensch und Umwelt sicher durch die Verpflichtung zu eigenverantwortlicher Gefahrenabwehr und Risikovorsorge für jeden, der mit gentechnischen Methoden oder gentechnisch veränderten Organismen forscht und arbeitet, durch staatliche Überwachung und durch generalpräventive Straf- und Bußgeldvorschriften, die Gefängnisstrafen bis zu fünf Jahren im Übertretungsfall vorsehen.
Auch die Haftungsregelungen des Entwurfs haben nicht nur den Zweck, dann, wenn trotz aller vorbeugenden Maßnahmen im Einzelfall Schaden entstehen sollte, dem Geschädigten die Geltendmachung eines Schadenersatzanspruchs zu erleichtern, sie hab en auch den Zweck präventiven Charakters, weil jeder, der das Schadensrisiko versicherungsrechtlich abdeckt, sich natürlich zuvor vergewissert, ob alles geschehen ist zur eigenverantwortlichen Gefahrenabwehr und Risikovorsorge.
Es wird uns vorgehalten, der Entwurf komme zu spät. Dazu möchte ich zwei Dinge sagen: Am Beginn dieser Legislaturperiode waren wir mit der Forderung konfrontiert, wir sollten erst den Beschluß des Bundestages zu den Empfehlungen der Enquete-Kommission abwarten, ehe wir den Gesetzentwurf vorlegen. Wenn wir so verfahren wären, hätten wir heute noch nicht einmal den ersten Durchgang im Bundesrat erreicht.
Meine Damen und Herren, zum Zweiten: Wir sind, von Dänemark abgesehen, das erste große Industrieland, das die Nutzung der Gentechnik gesetzlich regelt.

(Jäger [CDU/CSU]: Hört! Hört!)

Ich sage dies auch im Hinblick auf Vorwürfe, die im Zusammenhang mit einem kürzlich ergangenen Beschluß des Hessischen Verwaltungsgerichtshofes erhoben werden. In diesem Beschluß hat das Gericht in einem Verfahren auf vorläufigen Rechtsschutz, also nach einer summarischen Prüfung, die aufschiebende Wirkung einer Klage gegen die Genehmigung einer gentechnischen Anlage wiederhergestellt. Eine erste Prüfung dieses Beschlusses hat nach Überzeugung der Bundesregierung ergeben, daß durch ihn gentechnische Arbeiten auf der Grundlage rechtsbeständiger Entscheidungen nicht tangiert werden, zumal dieser Beschluß im konkreten Rechtsstreit zwischen den Parteien gilt.
Die Bundesregierung beabsichtigt, zu diesem Beschluß noch eingehend Stellung zu nehmen. Sie bleibt bei ihrer Ansicht, daß die vorhandenen Regelungen eine hinreichende Grundlage für die Genehmigung gentechnischer Anlagen und die Gewährleistung eines sicheren Betriebs darstellen.
Die Bundesregierung hat aber auch schon in der Begründung zu dem vorliegenden Gesetzentwurf gesagt, daß im Hinblick auf die betroffenen Rechtsgüter in einem modernen Industrie- und Rechtsstaat auf Dauer eine verbindliche gesetzliche Regelung, die eine präventive, umfassende und vor allem durchsetzbare Kontrolle sicherstellt, unverzichtbar ist.
Dies, meine Damen und Herren, gewährleistet der vorliegende Entwurf. Namens der Bundesregierung möchte ich Sie bitten, diesen Gesetzentwurf zügig zu beraten und bald zu verabschieden.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1117512400
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Catenhusen.

Wolf-Michael Catenhusen (SPD):
Rede ID: ID1117512500
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Um gleich mit einer Legendenbildung aufzuräumen: Herr Pfeifer, es besteht seit 1987 im Deutschen Bundestag eine große Bereitschaft dahin gehend, daß noch in dieser Legislaturperiode ein Gentechnologiegesetz gelesen und verabschiedet wird. Die Beratungen über den Bericht der EnqueteKommission haben andere Ministerien, z. B. das BMFT, nicht davon abgehalten, ein Risikoforschungsprogramm für die Gentechnik — das dringend notwendig war — durchzuführen, obwohl dies eine der Empfehlungen der Enquete-Kommission war. Sie hätten immer mit der Bereitschaft des Hauses rechnen können, dann, wenn Sie dazu in der Lage gewesen wären, eine frühzeitigere Beratung dieses Gesetzes im Bundestag vorzusehen.
Die Aussagen von Ihnen, Herr Pfeifer, lenken doch davon ab, daß es eigentlich ein unbegreiflicher Zustand ist, daß die Bundesregierung seit 1987 einen Zeitraum von mindesstens zwei Jahren mit einem völlig überflüssigen und unnötigen Kompetenzgerangel zwischen den Ministerien verbracht hat, und das in einer Situation, in der die politischen Rahmenbedingungen für die Verwirklichung eines Gesetzes denkbar gut waren, in der sich auch Gewerkschaften und Industrie darüber einig waren, daß die Schaffung klarer, rechtsverbindlicher Rahmenbedingungen für den Umgang mit der Gentechnologie in Forschung und Entwicklung notwendig ist.
Wenn Ihr Gesetzentwurf dazu jetzt noch im Bundesrat einen Nachkriegsrekord an Änderungsanträgen auslöst, dann ist dies ein Indiz dafür, daß Sie die Zeit nicht genutzt haben, sondern daß dieses Gesetz, mit der heißen Nadel gestrickt, nun unter Zeitdruck dem Bundestag zur Beratung vorliegt.
Ich denke, daß die Bundesregierung die Chance, auf der Basis der Vorarbeiten der Enquete-Kommission einen gründlich erarbeiteten, auf breitem Konsens beruhenden Gesetzentwurf vorzulegen, nicht genutzt hat. Ich muß Ihnen ganz deutlich sagen, daß diese Untätigkeit der Bundesregierung sie auch verantwortlich macht für die Folgen, die das Urteil des Verwaltungsgerichtshofes in Kassel im Bereich der Gentechnik auslösen wird.

(Beifall bei der SPD)

Denn Sie mußten doch wissen, daß die Verfahrensregelungen nach dem Bundesimmissionsschutzgesetz in Kombination mit den rechtlich völlig unverbindlichen Richtlinien für den Umgang mit in-vitro-neu-



Catenhusen
kombinierten Nukleinsäuren eine recht wackelige Grundlage für Genehmigungsentscheidungen bei Produktionsvorhaben der Industrie darstellen. Oder hat die Regierung bis vor kurzem etwa die Aussage von Professor Nicklisch nicht zur Kenntnis genommen, daß die Gen-Richtlinien nicht den Charakter von Rechtsnormen besitzen?
Ich kann der Bundesregierung heute nicht den Vorwurf ersparen, daß sie durch interne Selbstblockade und zu lange Untätigkeit verantwortlich dafür ist, daß der Verwaltungsgerichtshof in Kassel die Inbetriebnahme einer Anlage für die Produktion gentechnisch gewonnenen Insulins wegen fehlender gesetzlicher Entscheidungsgrundlagen gestoppt hat. Um es noch einmal mit einem Wort von Professor Nicklisch zu unterstreichen:
Einem modernen Industrie- und Rechtsstaat, der sich mit Gesetzen und Verordnungen um viele Details aus Wissenschaft und Technik kümmert — bis hin zur Zulässigkeit von Einwegflaschen, zur Beschaffenheit von Aquariumleuchten oder Teddybären für Kleinkinder — , einem solchen Rechtsstaat stünde es schlecht an, wenn er den wichtigen Bereich der Biotechnologie auf Dauer nur mit Richtlinien ohne Rechtscharakter regeln wollte.
War es nicht so, daß dieses Gesetzesvorhaben in der Regierung erst dann Priorität erhielt, als die ersten Industrieunternehmen von Abwanderung ins Ausland sprachen? Da sind Sie doch erst aus ihrem Kompetenzgerangel und aus Ihrem Schlaf aufgewacht.
Ich möchte sogar einen Schritt weitergehen: Ist es nicht sogar unsere Pflicht als Parlament, unsere politische Verantwortung, genau parallel zur Entwicklung neuer Basisinnovationen unserer Verpflichtung zur vorbeugenden Abwehr von Gefahren, von Risiken für Mensch und Umwelt durch rechtsverbindliche Normen nachzukommen? Wir Sozialdemokraten bejahen die Verpflichtung der Politik, Grundrechte unserer Menschen gegen ihre Gefährdung durch neue Technologien da, wo eine Technik Anlaß dazu gibt, auch mit Mitteln des Rechtes zu verteidigen.

(Beifall bei der SPD)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1117512600
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Jäger? — Bitte sehr, Herr Jäger.

Claus Jäger (CDU):
Rede ID: ID1117512700
Herr Kollege Catenhusen, teilen Sie nicht meine Auffassung, daß der Respekt vor dem Deutschen Bundestag und der von ihm eingesetzten Enquete-Kommission der Bundesregierung gebot, mit der Vorlage des Gesetzentwurfes abzuwarten, bis die Empfehlungen dieser Kommission vorliegen, und meinen Sie nicht, daß sich die Bundesregierung mit Recht daran gehalten hat?

Wolf-Michael Catenhusen (SPD):
Rede ID: ID1117512800
Wenn Sie damit unterstellen, die Bundesregierung hätte etwa schon im Frühjahr einen fertigen Gesetzentwurf in der Schublade gehabt, dann würde ich ja gerne weiter darüber diskutieren. Aber jeder, der das Gesetzgebungsverfahren verfolgt hat, weiß, wie schwer sich die Bundesregierung überhaupt getan hat, einen diskussionswürdigen
Referentenentwurf auf den Tisch zu legen. Wenn Sie die Kritik des Bundesrates von allen Seiten an der Unausgereiftheit, auch an der gesetzestechnischen Unausgereiftheit des Gesetzentwurfes bedenken, dann müssen auch Sie, Herr Jäger, zu der Erkenntnis kommen, das war nicht die Zurückhaltung und die Achtung der Bundesregierung vor dem Parlament, sondern vielleicht war die Bundesregierung zu lange mit anderen Dingen beschäftigt oder hatte nicht die Kraft, hier einen Schwerpunkt zu setzen.

(Beifall bei der SPD — Zuruf von der SPD: Inkompetenz ist das!)

Also in aller Freundschaft, Herr Jäger, da liegen Sie, glaube ich, ein bißchen falsch.
Meine Damen und Herren, Sie müssen sich darüber im klaren sein — und das Gerichtsurteil hat das, glaube ich, deutlich gemacht — , das Scheitern eines gentechnischen Gesetzes in dieser Legislaturperiode würde zwangsläufig zu einem großen Chaos im Umgang mit der Gentechnik in der Bundesrepublik führen. Wir Sozialdemokraten wünschen eine solche Entwicklung nicht. Aber wir als Parlament stehen vor einer sehr schwierigen Aufgabe. Der Bundesrat hat in seiner Stellungnahme vom 22. September zu diesem Gesetzentwurf festgestellt — ich zitiere — :
Das Gesetzesvorhaben wirft eine Fülle von juristischen und naturwissenschaftlichen Fragen auf. Insbesondere die Ausgestaltung der Grundkonzeption, des behördlichen Verfahrens und der Öffentlicheitsbeteiligung wird entscheidende Auswirkungen auf die weitere Erforschung und wirtschaftliche Nutzung der Gentechnik und damit unmittelbare Folgen für den Industrie- und Wissenschaftsstandort Bundesrepublik Deutschland und die Akzeptanz der Gentechnik in der Bevölkerung haben.

(Lenzer [CDU/CSU]: Kein Widerspruch!)

Der Bundesrat — und jetzt kommt vielleicht doch der Widerspruch, Herr Lenzer — stellt weiter fest:
Die einschlägigen Regelungen bedürfen deshalb besonders sorgfältiger, in ihrer Komplexität und Tragweite gerecht werdender Prüfung.
Dies, meine Damen und Herren, sind die Anforderungen, denen wir uns als Bundestag in den nächsten Monaten ausgesetzt sehen. Wir stehen schon unter unerhörtem Zeitdruck; denn dieses Gesetz muß vor der Sommerpause verabschiedet sein. Ein schnelles Durchziehen dieses Gesetzes so nach dem Motto: Jetzt hat uns der Verwaltungsgerichtshof in Kassel die Glocken richtig hingehängt, und wir müssen auch im Interesse der Industrie jetzt zeigen, wie schnell wir sein können, wäre für uns der falsche Weg. Ein Durchziehen dieses Gesetzes würde auf unseren Widerstand stoßen; denn meine Damen und Herren, die Situation, die nicht durch uns, nicht durch das Parlament, sondern durch die lange Untätigkeit der Regierung herbeigeführt worden ist, worüber sich auch der Bundesrat massiv beschwert hat, erfordert außergewöhnliche Schritte auch in der Durchführung des Gesetzgebungsverfahrens. Wir erwarten von den Koalitionsfraktionen, daß im federführenden Ausschuß ein Unterausschuß „Gentechnikgesetz" gebildet wird.



Catenhusen
Wir sehen nur so die Möglichkeit, die sehr spärlich gesäte Fachkompetenz des Parlaments in diesen Fragen in den Gesetzgebungsberatungen zu konzentrieren.
Meine Damen und Herren von den Koalitionsfraktionen, denken Sie noch einmal darüber nach: Das ist ein Querschnittsgesetz, das alle Fragen technisch-spezifisch zu lösen versucht, angefangen von den Fragen des Arbeitsschutzes, den Umweltfragen, den Auswirkungen auf die Industriepolitik bis hin zur Wissenschaft, zur Forschungsförderung in unserem Lande. Wenn Sie glauben, daß wir das in den überkommenen Strukturen parlamentarischer Arbeit unter diesem Zeitdruck verantwortungsvoll durchführen könnten, dann, meine Damen und Herren, würde ich sehr erstaunt sein, wenn Ihnen das keine Probleme bereitete. Wir erwarten, daß ausreichend Zeit für öffentliche Anhörungen besteht, um die schon jetzt zahlreich vorliegenden Anregungen und Bedenken zu dem Gesetzentwurf mit Vertretern der Wissenschaft, Industrie, Gewerkschaften und Umweltverbänden zu erörtern.
Meine Damen und Herren, der Gesetzentwurf weist nicht nur gesetzestechnische, sondern auch inhaltliche, politische Mängel auf. Ich möchte Mindestanforderungen an ein solches Gentechnikgesetz, wie sie aus unserer Sicht erfüllt sein müssen, noch kurz umreißen.
Erstens. Ein Gentechnikgesetz muß ausschließlich am Ziel des Schutzes von Mensch und Umwelt orientiert werden. Wir brauchen — nach dem Fördergesetz für die Atomtechnik — kein zweites Förderungsgesetz für die Gentechnik.
Zweitens. Jedes gentechnische Produktionsvorhaben, jedes Freisetzungsexperiment und alle Forschungsvorhaben bis auf Forschungsvorhaben der Sicherheitsstufe 1 bedürfen einer Genehmigung.
Drittens. Auch Forschungslabors und industrielle Anlagen bedürfen einer Genehmigung, wobei die Anlagengenehmigung natürlich auch die Genehmigung für die erste Arbeit in dieser Anlage umfassen sollte.
Viertens. Die nach dem Bundes-Immissionsschutzgesetz gegebenen Beteiligungsrechte der Öffentlichkeit bei Genehmigungsverfahren für gentechnische Produktionsanlagen dürfen nicht abgebaut werden. Sie müssen mindestens auf Freisetzungsexperimente ausgeweitet werden.
Fünftens. Das Genehmigungsverfahren für Freisetzungsvorhaben muß vorsehen, daß die Genehmigungsbehörde das Recht hat, Antragstellern eine begleitende Technikfolgen-Abschätzung, eine Risiko- und Sicherheitsforschung aufzuerlegen. Das wäre der rationale Umgang mit dem Zustand, daß unser Wissen über Folgen solcher Vorhaben zum Teil sehr begrenzt ist.
Sechstens. Es muß, meine Damen und Herren, für den Umgang mit der Gentechnik eine Gefährdungshaftung mit Ersatzleistung auch bei ökologischen Schäden ohne Haftungsobergrenze vorgesehen werden.
Letzter Punkt: Die Genehmigung und Überwachung für bzw. von Anlagen und Arbeiten sollte grundsätzlich bei den Ländern liegen, die Genehmigung für Freisetzung und Inverkehrbringen beim Bund.
Meine Damen und Herren, wir sind zur konstruktiven Mitarbeit daran bereit, daß ein Gentechnologiegesetz noch in dieser Legislaturperiode verabschiedet wird. Wir sind zu einer konstruktiven Mitarbeit an einem Gesetzgebungsverfahren bereit, das es ermöglicht, der Komplexität und der Schwierigkeit der Materie gerecht zu werden. Ein solches Gesetz muß einen wirksamen Schutz von Mensch und Umwelt vor Risiken und Gefahren der Gentechnik bewirken. Und es muß tatsächlich auch mehr Rechtssicherheit für alle, für die Wissenschaft, für die Industrie und für die Öffentlichkeit, schaffen. Ein Scheitern des Gentechnikgesetzes wäre in meinen Augen ein Scheitern des Anspruchs der Politik, in den Prozeß der Technikentwicklung gestaltend einzugreifen. Es wäre für viele Mitbürgerinnen und Mitbürger doch nur wieder ein Beleg dafür, daß wir gegenüber der Dynamik und der Eigengesetzlichkeit der technischen Entwicklung alle ohnmächtig sind.
Aus unserer Sicht, meine Damen und Herren, hat die Bundesregierung aus der Vorlage des Berichts der Enquete-Kommission nicht das gemacht, was ihre Pflicht gewesen wäre. Wir wollen dazu beitragen, daß sich nicht auch das Parlament diesem Vorwurf aussetzen muß.
Schönen Dank.

(Beifall bei der SPD)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1117512900
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Kohn.

Roland Kohn (FDP):
Rede ID: ID1117513000
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Der Deutsche Bundestag hat im Jahr 1984 eine Enquete-Kommission zur Gentechnologie eingesetzt. Diese Enquete-Kommission hat eine Vielzahl von konkreten Vorschlägen unterbreitet, wie dieser schwierige und diffizile Komplex der Politik gestaltet werden sollte.
Die ersten Vorschläge hieraus liegen auf dem Tisch: Das ist zum einen das Embryonenschutzgesetz, in dem die ethischen Problem der möglichen Anwendung der Gentechnologie auf den Menschen geregelt werden. Das ist zum zweiten dieses Gentechnikgesetz, um das wir uns hier heute streiten, über das wir diskutieren, ein Gesetz, das die Aufgabe hat, die Probleme und Aspekte der Sicherheit der Gentechnologie zu regeln.
Ich stehe nicht an, zu sagen: Auch ich hätte mir gewünscht, daß wir in diese Diskussion schon zu einem früheren Zeitpunkt eingetreten wären. Dies wäre möglich gewesen, nachdem in der Enquete-Kommission und bei den Berichterstattern aller Fraktionen Einigkeit darüber bestand, daß es inhaltlich notwendig ist, eine solche gesetzliche Grundlage für die Richtlinien zum Umgang mit in vitro neukombinierten Nukleinsäuren zu gestalten, um auf diesem Wege klare, verbindliche rechtliche Rahmenrichtlinien für die Wirtschaft, für die Forschung in diesem Lande zu schaffen.



Kohn
Nun haben wir die Situation, daß wir unter einem gewissen Zeitdruck stehen, nicht nur vor dem Hintergrund der Entscheidung des Hessischen Verwaltungsgerichtshofes, sondern auch vor dem Hintergrund von Entscheidungen von Unternehmen, z. B. amerikanischen Unternehmen. Wenn Sie in den letzten Tagen in den Zeitungen gelesen haben, die Gentechnologie drängt ins Elsaß — ich zitiere einen Satz: „So investiert das amerikanische Unternehmen Eli Lilly 200 Millionen DM in eine Anlage zur Herstellung von Humaninsulin."; das ist also genau das, was jetzt von der Firma Hoechst auch in der Bundesrepublik Deutschland gemacht werden soll —, dann wird an dieser Stelle deutlich, wie dringlich der Handlungsbedarf ist und wie rasch wir uns beeilen müssen, damit wir hier nicht ins Hintertreffen geraten.

(Beifall bei der FDP und des Abg. Dr. Voigt [Northeim] [CDU/CSU])

Ich will, meine Damen und Herren, einige wenige Aspekte vortragen, wie nach unserer Überzeugung dieses Gentechnikgesetz aussehen sollte. Wir haben gesagt: Wir wollen dieses Gesetz als ein Stammgesetz haben für Forschung, Produktion und Freisetzung. Dieser Forderung wird im Gesetzentwurf, den die Bundesregierung vorgelegt hat, tatsächlich Rechnung getragen.
Wir Liberalen haben die Anforderungen an das Gentechnikgesetz so definiert: Die Sicherheitsanforderungen müssen sich in abgestufter Weise an dem tatsächlich gegebenen Gefährdungspotential der eingesetzten gentechnologisch veränderten Organismen orientieren. Für die Gentechnologie spezifische Anforderungen sind in einem einheitlichen Verfahren zusammenzufassen, das die Bestimmungen der Umweltschutzgesetze berücksichtigen muß, vor allem des Bundes-Immissionsschutzgesetzes und des Gesetzes zur Umweltverträglichkeit. Die Vereinfachung darf nicht zu einem niedrigeren Schutz bzw. Vorsorgestandard führen.
In der Gegenäußerung der Bundesregierung zur Stellungnahme des Bundesrats wird den Wünschen des Bundesrats insofern Rechnung getragen, als die Konzeption der Anlagengenehmigung mit ihrer Konzentrationswirkung für andere, die Anlage und ihren Betrieb betreffende öffentlich-rechtliche Entscheidungen übernommen wird. Auch ich stimme dem zu. Ich will allerdings deutlich sagen, daß ich nicht glücklich bin mit der vom Bundesrat geforderten Zuständigkeit der Landesbehörden. Ich befürchte hier ein Auseinanderdriften der Genehmigungspraxis in den einzelnen Bundesländern und hätte deshalb einer Regelung den Vorzug gegeben, die diese Einheitlichkeit sicherstellt.

(Beifall bei der FDP)

Für mich aber auf jeden Fall nicht akzeptabel ist die Forderung des Bundesrats, auch die gentechnologische Forschung in die Kompetenz der Länder zu stellen. Angesichts der Notwendigkeit, meine sehr verehrten Damen und Herren, europaweite Regeln für den Umgang mit der Gentechnologie zu entwickeln, halte ich es geradezu für aberwitzig, auch die Grundlagenforschung dezentraler Verwaltungspraxis von Bundesländern zu überantworten.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Zustimmung des Abg. Catenhusen [SPD])

Meine sehr verehrten Damen und Herren, Herr Kollege Catenhusen hat hier einige Vorschläge zur weiteren Beratung dieses Gesetzes gemacht. Er hat hier vorgeschlagen, einen Unterausschuß im federführenden Ausschuß zu etablieren. Ich persönlich bin der Meinung, daß wir uns an solchen organisatorischen Fragen nicht verbeißen sollten. Mir geht es darum, daß dieses Haus möglichst zügig und möglichst solide dieses Gesetz berät. Wenn Sie, Herr Kollege Catenhusen, die Forderung erhoben haben, den spärlichen Sachverstand, den dieses Haus in derartigen Fragen hat, in diesen Beratungsprozeß einzubeziehen, kann ich Ihnen garantieren — unabhängig von der Frage, wie diese Dinge im Detail organisatorisch geregelt werden — , daß der spärliche Sachverstand, den ich persönlich zur Verfügung stellen kann, auf jeden Fall bei den Beratungen im Ausschuß eingebracht werden wird.
Die FDP wird sich im Zuge des parlamentarischen Beratungsverfahrens mit Nachdruck dafür einsetzen, daß alle Aspekte dieses Gesetzes mit großer Sorgfalt beraten und bewertet werden, und zwar von den Fragen der Öffentlichkeitsbeteiligung angefangen bis hin zur Frage etwa der Stellung der Zentralen Kommission für biologische Sicherheit.
Unser politischer Wille ist es, die Gentechnologie verantwortungsbewußt zu gestalten. Deshalb müssen ihre Sicherheitsfragen noch in dieser Legislaturperiode im Gentechnikgesetz beantwortet werden.
Lassen Sie mich zum Abschluß, meine sehr verehrten Damen und Herren, aus einer Stellungnahme zitieren, die den Rang und die Bedeutung unserer Arbeit hier treffend charakterisiert. Es handelt sich hierbei um eine offizielle Stellungnahme der Industriegewerkschaft Chemie-Papier-Keramik. Ich zitiere:
Die Gentechnologie wird sich bei verantwortungsbewußter und schrittweiser Anwendung als nützliches Element der sozialen, ökonomischen und ökologischen Fortentwicklung erweisen. Die mit diesem Gesetz und den nachgeschalteten Rechtsverordnungen erreichbare Rechtssicherheit wird, verbunden mit einem hohen Sicherheitsstandard, sich im nationalen Bereich konsensfördernd auswirken und auf der EG-Ebene die Wettbewerbsfähigkeit erhöhen. Das Gesetz muß als Chance gesehen werden, die vorbildliche Sicherheitskultur in der Industrie für die Gentechnologie in allen Bereichen weiterzuentwikkeln.
Ende des Zitats und Ende meines Redebeitrags. Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1117513100
Das Wort hat Frau Abgeordnete Rust.

Bärbel Rust (DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90):
Rede ID: ID1117513200
Meine Damen und Herren! Die erste Lesung dieses Gesetzes ist nach meinem Emp-



Frau Rust
finden eine unwürdige Posse. Hier soll ein Gesetz beraten werden, von dem jetzt schon klar ist, daß es so, wie es vorliegt, nicht verabschiedet werden wird. In 45 Minuten wird eines der wichtigsten Gesetzesvorhaben der Legislaturperiode durch das Parlament gepeitscht.
Die Bundesregierung reagiert auf das mutige Urteil des Hessischen Verwaltungsgerichtshofes mit Hektik, denn der Gerichtshof erklärt weitere Genehmigungen gentechnischer Anlagen wegen fehlender gesetzlicher Grundlage für unzulässig.
Die über 240 Einwendungen der Länder gegen das Gentechnikgesetz der Regierung liegen uns in sieben dürren Eckwerten vor, auf die die Bundesregierung per Absichtserklärung erwidert hat. Was die Länder fordern, ist ein anderes Gesetz. Die Länder wollen das föderale Prinzip und keinen Zentralismus. Das unterstützen wir.
Die Länder wollen die Beibehaltung der Öffentlichkeitsbeteiligung, so wie sie jetzt bei gentechnischen Anlagen besteht. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung wollte diese Öffentlichkeitsbeteiligung faktisch beseitigen. Dies hat sie jetzt wenigstens verbal zurückgenommen. Allerdings bleibt im dunkeln, wie diese Absichtserklärung im Gesetz ihren Niederschlag finden wird.
Eine gesetzliche Regelung der Gentechnik muß die Gefahren und Auswirkungen dieser Technologie rückkoppeln können. Dazu bedarf es eines demokratischen Verfahrens. Dies wiederum bedeutet: Alle gentechnischen Arbeiten und gentechnischen Anlagen müssen grundsätzlich in einem öffentlichen Verfahren erörtert und geprüft werden können. In diesem öffentlichen Verfahren muß eine Umweltverträglichkeitsprüfung stattfinden, die die Suche nach nicht gentechnischen Alternativen zwingend einschließt. Ein öffentliches Verfahren muß Bürgerinnen und Verbänden das Recht, die Akten des Verfahrens einzusehen, einräumen und ein Verbandsklagerecht für Verbände vorsehen.
Demokratie verlangt weiter eine Stärkung dieses Parlaments in dem Sinne, daß die Gentechnik einer Technikfolgenabschätzung unterzogen wird. Hierzu bedarf es eines Prozesses, der Wissenschaftler/innen und Laien-Experten und -Expertinnen in die parlamentarische Diskussion dieser Hochtechnologie mil einbezieht. Demokratie verlangt schließlich, daß Institutionen, denen, wie hier der Zentralen Kommission für die Biologische Sicherheit, Macht eingeräumt wird, so zusammengesetzt werden, daß auch Umweltschutz- und Verbraucher/innenverbände sowie Kritiker/innen der Gentechnik in diese Kommission berufen werden, daß Öffentlichkeit der Sitzungen, Veröffentlichungen der Ergebnisse sowie das Recht auf Minderheitenvoten eingeführt werden.
Ein Recht der Gentechnik müßte diese Technologie gläsern machen, d. h. einen Prozeß organisieren, der Bürger/innen- und Umweltschutzverbänden Rechte einräumt, ihre Einwendungen gegen gentechnische Arbeiten wirksam in öffentlichen Anhörungsverfahren und vor den Gerichten einzubringen.
Der Gesetzentwurf der Bundesregierung ist demgegenüber eine Flucht vor der Demokratie, eine Fluchs in den Zentralismus. Die Anwender und Betreiber, die die ZKBS bevölkern, sollen über die Anwendung der Gentechnologie entscheiden. Das Gesetz entmachtet die Legislative, weil alle wesentlichen Fragen überhaupt erst durch Rechtsverordnungen geregelt werden müssen. Das Gesetz enthält allein 40 Positionen, die erst noch auf den Erlaß einer Rechtsverordnung harren. Einvernehmen muß zwar mit dem Bundesrat hergestellt werden, nicht aber mit dem Parlament. Das Parlament bleibt draußen vor der Tür.

(Eimer [Fürth] [FDP]: Das ist ein allgemeines Problem bei Rechtsverordnungen!)

Meine Damen und Herren, ich bin der Meinung, die Bundesregierung sollte diesen Gesetzentwurf heute zurückziehen. Lassen Sie mich mit einem Zitat aus dem Urteil des Hessischen Verwaltungsgerichtshofes schließen. Dort heißt es:
Der Gesetzgeber hat im Bereich der Grundrechtsausübung, soweit diese staatlicher Regelung zugänglich ist, alle wesentlichen Entscheidungen selbst zu treffen. Verfassungsrechtlicher Ansatzpunkt der von der Enquete-Kommission geforderten gesetzlichen Regelung sind jedoch nur die Rechtspositionen des Forschers und Unternehmers, nicht die der möglicherweise Gefährdeten. Offensichtlich wurde die grundsätzliche Zulässigkeit der Gentechnologie selbst nicht zum Thema erhoben. Die solchermaßen verkürzte Betrachtungsweise kann vom Senat nicht geteilt werden.
Dem habe ich nichts hinzuzufügen.

(Beifall bei den GRÜNEN)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1117513300
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Seesing.

Heinrich Seesing (CDU):
Rede ID: ID1117513400
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vor zwei Wochen haben wir den Bericht des Forschungsausschusses zum Abschlußbericht der Enquete-Kommission „Chancen und Risiken der Gentechnologie " hier diskutiert. In diesem Abschlußbericht hatte die Kommission im Jahre 1987 gefordert, die rechtlichen Grundlagen für die Nutzung der Gentechnologie durch ein Gesetz zu schaffen. Damals haben die Mitglieder dieser Kommission noch geglaubt, das durch eine Erweiterung des Bundesseuchengesetzes und durch die Umbenennung in „Gesetz zur Regelung der biologischen Sicherheit" tun zu sollen. Wir wissen heute, daß das kein glücklicher Vorschlag war.
Der Bundestag hat vor 14 Tagen beschlossen, ein einheitliches Stammgesetz zur Regelung von Fragen der Gentechnik zu fordern. Dieses Gesetz soll nach dem Beschluß des Bundestages noch in dieser Wahlperiode in Kraft gesetzt werden. Jetzt liegt es vor allem an uns, ob der Beschluß realisiert wird.
Der Entwurf ist nicht das erste Gesetz über die Anwendung der Gentechnologie. Das Königreich Dänemark kennt seit längerem eine spezialgesetzliche Regelung der Gentechnik in der Form eines Umwelt- und Gentechnologiegesetzes. Es wäre allerdings auch für unsere Beratungen wichtig und richtig, daß wir uns das dänische Gesetz, seine Handhabung und



Seesing
seine Weiterentwicklung genau anschauen. In Dänemark kann trotz oder gar wegen des Gesetzes produziert werden, bei uns fast nicht.
Viele in unserem Lande haben zunächst gemeint, auf ein Gentechnikgesetz verzichten zu können. Sie haben angenommen, daß die einheitlichen EG-Richtlinien und die bisherigen nationalen Regelungen ausreichend seien. Dabei sind die EG-Regelungen noch nicht komplett. National haben wir einiges aufzuweisen. Von besonderer Qualität sind da die Richtlinien zum Schutz vor Gefahren durch in-vitro-neu-kombinierte Nucleinsäuren, kurz Genrichtlinien genannt. Sie liegen in der fünften Fassung vor. Ich meine, sie haben sich bewährt.
Durch das vorliegende Gesetz sollen die Richtlinien eine verfassungsrechtlich sichere Basis erhalten. Erst die Einbeziehung von Anlagen zum Umgang mit gentechnisch veränderten Mikroorganismen in das Genehmigungsverfahren nach dem Bundes-Immissionsschutzgesetz hat die Wirtschaft und die Politik wach werden lassen. Der Ruf nach einem Gentechnikgesetz wurde laut. Auch ich hatte geglaubt, daß diese Regelungen vorübergehend reichen würden. Nun hat uns der hessische Verwaltungsgerichtshof eines besseren belehrt. Er sagt: Ohne Gesetz keine Gentechnologie, wenigstens nicht in Hessen — so könnte man das 20seitige Urteil auf einen Nenner bringen. Ich fühle mich in meiner Forderung nach einem Gentechnikgesetz bestärkt. Die Begründung des Urteils ist in einigen Punkten allerdings anfechtbar. Es liegt an uns, diese Dinge nun auszuräumen.
Es ist das Anliegen der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, die Beratungen des Gentechnikgesetzes zielstrebig anzugehen. Das Ziel ist: Die Verfahren der Gentechnologie im Umgang mit Viren, Mikroorganismen, Pflanzen und Tieren sollen in der Bundesrepublik Deutschland so angewendet werden, daß Mensch und Umwelt - wozu ich auch alle anderen Lebewesen zähle — nicht Schaden nehmen, sondern Nutzen daraus ziehen. Rohentwürfe, Vorentwürfe, Zwischenentwürfe und Entwürfe hat es nun genug gegeben. Ich bin sehr froh, daß wir mit dem heutigen Tag in die Beratung des Gesetzestextes einsteigen können.
Aus der Stellungnahme des Bundesrates und der Gegenäußerung der Bundesregierung ergibt sich aber, daß für manche Paragraphen neue Formulierungen zu finden sind. Dadurch haben wir aber auch die Möglichkeit, neue Erkenntnisse, die uns während der Beratungen des Gesetzes kommen, noch einzuarbeiten.
Das Urteil des hessischen Verwaltungsgerichtshofes zwingt uns, die Beratungen dieses Gesetzes sehr zügig duchzuführen, wenn wir in der Bundesrepublik Deutschland eine Forschung in der Gentechnologie und ihre Nutzung, z. B. in der Pflanzenzucht, in der Tierzucht, in der Arzneimittelproduktion und bei der Lösung von Umweltproblemen, wollen. Zügige Beratung heißt für mich aber nicht großzügige, sprich: schlampige Beratung. Wir können nicht zulassen, daß am Ende der Beratungen in den Ausschüssen noch
Fragen offenbleiben, soweit wir als Gesetzgeber für die Beantwortung zuständig sind.

(Beifall bei der SPD)


(Vorsitz: Vizepräsident Westphal)

Ich sehe dabei durchaus, daß auch auf die Bundesregierung noch erhöhter Arbeitsaufwand zukommt. [hre Aufgabe ist es, parallel zu unseren Beratungen die Entwürfe für die nicht geringe Zahl von Verordnungen und Richtlinien fertigzustellen, die nach dem Gesetzentwurf notwendig sind. Es wäre auch, so glaube ich, nicht schlecht, wenn der federführende Ausschuß vor dem Abschluß der Beratungen erfährt, wie diese Verordnungen aussehen sollen, denn Gesetzgeber und Verordnungsgeber sollten durchaus in der Lage sein, ein, wenn ich das so sagen darf, Werk aus einem Guß zu schaffen.
Ich will nicht auch noch auf die Einzelheiten des Gesetzentwurfs eingehen. Ich stimme für meine Fraktion der Gegenäußerung der Bundesregierung insoweit zu, als sie hilfreich ist, ein Gesetz zu schaffen, das auch die Zustimmung der Länder finden kann.
Ich will lieber einige Punkte nennen, die mir für unsere Arbeit noch wichtig sind. Ich denke z. B. über folgende Probleme nach: Erstens. Die Zenrale Kommission für die Biologische Sicherheit hat nach dem Gesetzentwurf wichtige Aufgaben wahrzunehmen. [hre Zusammensetzung ist im Gesetzestext aufgeführt; es sollen Sachverständige und fachkundige Männer und Frauen aus den beteiligten Kreisen sein. [ch schlage vor, zu prüfen, ob es nicht sinnvoll ist, das eine oder andere Mitglied oder weitere Mitglieder aus den Kreisen zu berufen, die der Gentechnologie kritisch gegenüberstehen. Kritische Haltung, Fachkenntnis und objektives Bewerten müssen sich ja nicht ausschließen. Ich mag ja unrecht haben, aber ich möchte, daß über meinen Vorschlag wenigstens nachgedacht wird.

(Vosen [SPD]: Das ist sehr vernünftig!)

Zweitens. Die Sicherheitsstufen. Gentechnische arbeiten in geschlossenen Systemen werden in vier verschiedene Sicherheitsstufen eingeteilt. Das ist nichts Neues; aus den Genrichtlinien kennen wir verschiedene Sicherheitsmaßnahmen mit unterschiedlichen Einstufungen. Auch die Empfehlungen für den Umgang mit pathogenen Mikroorganismen usw. sehen eine Klassifizierung nach Gefährdungsstufen vor. Wir haben eine langjährige Erfahrung im Umgang mit solchen zum Teil auch sehr gefährlichen Organismen. Diese Erfahrungen müssen nun aber auch eingebracht werden. Es ist ja nicht die Stunde Null. Selbst in der Gentechnologie kann man inzwischen von millionenfachen Erfahrungen sprechen. Deswegen sehe ich es nicht ein, daß man für die Sicherheitsstufe 1 noch besondere Regelungen vorsehen soll. Diese Mikroorganismen stellen kein neues Lebensrisiko dar. Auch durch die Anwendung gentechnischer Verfahren entstehen keine neuen Gefahren. Ab Sicherheitsstufe 2 [st mit Gefährdungen in abgestufter Form zu rechnen. Deswegen muß man einsehen, daß wir auf einem exakten Genehmigungsverfahren für die Produktionsanlagen bestehen müssen. Dazu gehört auch eine Beteiligung der Öffentlichkeit.



Seesing
Drittens. Die Dauer des Genehmigungsverfahrens. Die Länder sollen nach ihren und meinen Vorstellungen die Genehmigung für gentechnische Produktionsanlagen und die Arbeiten darin aussprechen. Auf Grund der Erfahrungen, die wir mit derzeit in der Bundesrepublik laufenden Genehmigungsverfahren haben, muß sehr ernsthaft geprüft werden, wie wir zu einer genau überschaubaren Dauer eines Genehmigungsverfahrens kommen. Ich erwarte, daß wir dazu auch einen Überblick bekommen, wie es andere Staaten damit halten. Ich möchte erreichen, daß Verzögerungen in einem Genehmigungsverfahren nicht dem Gesetzgeber und der Genehmigungsbehörde in die Schuhe geschoben werden können.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Beifall bei der FDP)

Das bedeutet aber auch wieder, daß die Länder ihre Genehmigungsbehörden personell und sachlich bestens ausstatten. Die Länder werden das sicher auch gerne tun, hätten sie sonst, so frage ich, ihre allumfassende Zuständigkeit verlangt?

(Catenhusen [SPD]: Sehr wohl!)

Anmerkungen wären auch noch zu anderen Fragen zu machen. Ich denke z. B. an die Forschungsfreiheit, an Freisetzungen und an Haftungsfragen. Wir werden das im Ausschuß behandeln.
Ein persönliches Wort zum Schluß. Ich mache diese ganze Arbeit nur, weil ich der festen Überzeugung bin, daß viele Probleme dieser Erde nur noch mit Hilfe der Gentechnologie zu lösen sind. Deswegen müssen wir helfen, den Menschen Ängste zu nehmen. Genau das ist eine Aufgabe der Politik, also unsere Aufgabe.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1117513500
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Becker-Inglau.

Ingrid Becker-Inglau (SPD):
Rede ID: ID1117513600
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte noch ein Wort zu den Ausführungen des Herrn Staatssekretärs Pfeifer verlieren. Ich habe mit ausdrücklicher Verwunderung aufgenommen, daß Sie bei diesem gesetzgeberischem Verfahren solche Zurückhaltung geübt haben. An sich sind wir das bei der Regierung überhaupt nicht gewöhnt. Ich will nur noch einmal daran erinnern, daß Sie — hier wäre ja nur ein Gesetzentwurf dem Bericht entsprechend vorzulegen gewesen — in der Regierung es nicht einmal für notwendig erachtet haben, das Ergebnis der Arbeit, die eine Enquete-Kommission zu leisten hatte, abzuwarten, um dann einen Gesetzentwurf einzubringen, nämlich beim Gesundheits-Reformgesetz. Deswegen kann ich Ihnen nur sagen, Herr Staatssekretär: Sie haben drei Jahre gebraucht, um dem dringenden Appell der Enquete-Kommission zu folgen, die Empfehlungen des Berichts möglichst bald aufzugreifen und umzusetzen. Vor drei Jahren hätte man auch noch davon ausgehen können, daß es Regierung und Parlament hätte gelingen können, beim Hase-und-Igel-Spiel Gewinner zu werden. Ohne Druck von außen Entscheidungen und Regelungen betreffend den Umgang mit Gentechnologie zu treffen wäre damals möglich gewesen. Diese Chance verpaßt zu haben hat eindeutig die Regierung zu verantworten.
Heute stehen wir vor der Situation, die mein Kollege Wolf-Michael Catenhusen bereits dargestellt hat, daß uns die Industrie zu Recht auf den Füßen steht und uns kurzfristig zu Entscheidungen zwingt, ebenso wie das Urteil, das Sie zitiert haben. Ich kann inzwischen nur vermuten, daß ohne diesen Druck wohl immer noch nichts geschehen wäre.

(Catenhusen [SPD]: Sehr richtig!)

Aber nun zu dem, was uns als Gesetzestext zur Regelung der Gentechnologie vorliegt. Bei drei Jahren Arbeit hätte man von diesem Gesetz erwarten können, daß es umfassend, ausgefeilt und mit großer Sorgfalt bearbeitet wäre. Aber das Stichwort „Was lange währt, wird endlich gut" trifft auf diesen Gesetzentwurf nicht zu.
Ich begrüße es ausdrücklich, daß es die Zielsetzung des Entwurfes ist, den Menschen und die Umwelt vor möglichen Risiken der Gentechnologie zu schützen und solchen Risiken auch vorzubeugen. Ebenso begrüße ich, daß man die Chancen, die uns diese neue Technologie bringen kann, nutzen will. Wer allerdings erwartet hat, daß es sich bei diesem Gesetzentwurf um ein wirkliches Schutzgesetz handeln könnte, der muß enttäuscht sein.
Dieses will ich an vier Punkten verdeutlichen.
Erstens. Die Zentrale Kommission für die Biologische Sicherheit ist nicht ausreichend und umfassend besetzt. Sie sollte nach unseren Auffassungen mindestens sechs Sachverständige, sechs Forscher und Wissenschaftler und sechs Vertreter gesellschaftlich relevanter Gruppen umfassen, um eine möglichst breite Meinungsvielfalt bei Entscheidungen einzubeziehen. Darüber hinaus muß dieser ZKBS eine jährliche Berichtspflicht gegenüber dem Bundestag auferlegt werden.
Zweitens. Die Festlegung der Sicherheitsstufen ist in unseren Augen nicht eindeutig genug. Da aus dieser Festlegung die Sicherheitsmaßnahmen für die Beschäftigten im Hinblick auf den Arbeitsschutz, aber auch für die Menschen und die Umwelt außerhalb abgeleitet werden, muß hier dringend eine angemessene Abstufung eingebracht werden.
Drittens. Jede Art der Freisetzung gentechnisch bearbeiteter Organismen und Produkte muß im Gesetz festgelegten Sicherheitsvorkehrungen unterliegen, bis hin zu einem Moratorium, wenn eine Technikfolgenabschätzung Risiken offenläßt und die Rückholbarkeit in Frage gestellt ist.

(Beifall bei der SPD)

Viertens. Daraus sich ergebende Haftungsregelungen sind auch nicht ausschließlich zum Schutze des Menschen und seiner Umwelt festgelegt. Mein Kollege Catenhusen hat das etwas ausführlicher dargelegt. So vermißt meine Fraktion in diesem Gesetzentwurf, über dieses hinausgehend, beispielsweise auch ein eindeutiges Verbot zur gentechnologischen Forschung im militärischen Bereich.

(Beifall bei der SPD)




Frau Becker-Inglau
Ebenfalls haben wir erwartet, daß endlich — wenn nicht in diesem Gesetz, so doch parallel zu den Regelungen — zum Umgang mit Genomanalysen eine Vorlage auf den Tisch dieses Hohen Hauses — etwa in Form eines Genomanalysegesetzes — gekommen wäre. Statt dessen erfahren wir aus den Medien, daß die Genomanalyse bereits Anwendung im Strafverfahren in Form des „genetic finger-printing" finden soll. Ich frage: Auf welcher rechtlichen Basis geschieht dies, und mit welchen dieser besonderen Methode gerecht werdenden Maßnahmen wird dem Datenschutz Rechnung getragen? Ich finde es unglaublich, daß die Regierung nicht einmal im eigenen Hause den Schutz vor den Risiken der Gentechnologie zum wichtigsten Grundsatz ihrer eigenen Entscheidungen werden läßt.
Deshalb halte ich es für dringend nötig, nicht, wie von Frau Rust gefordert, das Gesetz zurückzuziehen, sondern unverzüglich einen Unterausschuß interfraktionell und ausschußübergreifend einzurichten, der sich ausschließlich mit der Umsetzung der Empfehlungen der Enquete-Kommission in gesetzliche Regelungen befaßt, damit man den Menschen und ihrer Umwelt, aber auch der Forschung und der Produktion im Hinblick auf die Ausschaltung der Risiken und im Hinblick auf den Nutzen der Chancen der Gentechnologie gerecht wird.
Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1117513700
Ich schließe die Aussprache. Der Ältestenrat schlägt vor, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 11/5622 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? — Das ist nicht der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 7 und die Zusatztagesordnungspunkte 3 bis 5 auf:
7. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Verteidigungsausschusses als 1. Untersuchungsausschuß nach Artikel 45 a Abs. 2 des Grundgesetzes
zu dem auf Antrag der Fraktion der SPD am 21. September 1988 gefaßten Beschluß des Verteidigungsausschusses, sich zur Abklärung der Vorgänge bei und im Zusammenhang mit den Flugtagen in Ramstein und Nörvenich am 28. August 1988 als Untersuchungsausschuß nach Artikel 45 a Abs. 2 des Grundgesetzes zu konstituieren
— Drucksache 11/5354 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Gerster (Worms) Kossendey
Lowack
Nolting
Opel
Frau Schilling
Wilz ZP3 Beratung des Antrags der Abgeordneten Frau Schilling, Dr. Mechtersheimer und der Fraktion DIE GRÜNEN
Konsequenzen aus der Katastrophe von Ramstein
— Drucksache 11/5679 —Überweisungsvorschlag:
Verteidigungsausschuß (federführend) Auswärtiger Ausschuß
Innenausschuß
Ausschuß für Verkehr
ZP4 Beratung des Antrags der Abgeordneten Horn, Heistermann, Erler, Fuchs, Gerster (Worms), Dr. Klejdzinski, Kolbow, Koschnick, Leonhart, Steiner, Zumkley, Dr. von Bülow, Gansel, Dr. Götte, Kühbacher, Leidinger, Nagel, Opel, Dr. Scheer, Schulte (Hameln), Voigt (Frankfurt), Dr. Soell, Walther, Dr. Vogel und der Fraktion der SPD
Luftfahrtveranstaltungen in der Bundesrepublik Deutschland
— Drucksache 11/5681 —
Überweisungsvorschlag:
Verteidigungsausschuß (federführend) Auswärtiger Ausschuß
Innenausschuß
Ausschuß für Verkehr
ZP5 Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Verteidigungsausschusses (12. Ausschuß) zu dem Antrag der Fraktion der SPD
Konsequenzen aus der Katastrophe des Flugtages in Ramstein am 28. August 1988
— Drucksachen 11/2897, 11/5650 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Kolbow Kossendey
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die Beratung 90 Minuten vorgesehen. — Ich sehe dazu keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Biehle. —
Ich höre gerade, daß Sie Geburtstag haben, Herr Kollege Biehle. Darf ich mir erlauben, Ihnen im Namen des Hauses dazu herzlich Glück zu wünschen.

(Beifall)


Alfred Biehle (CSU):
Rede ID: ID1117513800
Danke, Herr Präsident. — Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ihnen liegt der umfassende Abschlußbericht des Verteidigungsausschusses als Untersuchungsausschuß zur Abklärung der Vorgänge bei und im Zusammenhang mit den Flugtagen in Ramstein und Nörvenich am 28. August 1988 vor.
Dies war in der Geschichte des Deutschen Bundestages das nunmehr elfte Untersuchungsverfahren des Verteidigungsausschusses als Untersuchungsausschuß.
Die Koalitionsfraktionen einerseits und die SPD-Fraktion andererseits haben sich bedauerlicherweise auf einen gemeinsamen Bericht nicht verständigen können.



Biehle
Deshalb haben die Fraktionen von CDU/CSU und FDP mit einem Mehrheitsbericht und die Fraktion der SPD mit einem Minderheitenbericht im Untersuchungsausschuß zum verfahrensrechtlichen Teil, zum ermittelten Sachverhalt und zum Ergebnis der Untersuchung jeweils einen vollständigen eigenen Bericht vorgelegt. Seitens der Fraktion DIE GRÜNEN wurde kein Bericht vorgelegt. Wenn man sich auch nicht auf einen gemeinsamen Bericht verständigen konnte, so enthalten die beiden vorliegenden selbständigen Berichte, jeweils ergänzt durch eine Replik, doch eine Fülle von Gemeinsamkeiten.
Der Name Ramstein läßt immer wieder das furchtbare Unglück vom 28. August 1988 in Erinnerung rufen. Der schon traditionelle Großflugtag der US-Luftwaffe in Ramstein am 28. August 1988 vor über 300 000 Zuschauern fand gegen 15.45 Uhr durch den Zusammenstoß und Absturz von drei Flugzeugen der Kunstflugstaffel der italienischen Luftwaffe „Frecce Tricolori" ein jähes und katastrophales Ende. 70 Tote waren die schreckliche Bilanz.
Das Unglück von Ramstein hat die Verletzten, ihre Familien und die Hinterbliebenen mit unsäglichem Leid überhäuft; Lebensglück und Lebensplanung sowie berufliche Vorstellungen und Erwartungen wurden zunichte gemacht oder in ganz erheblichem Maß beeinträchtigt.
In Anbetracht des Ausmaßes der Katastrophe, der Anzahl der Toten und Verletzten und der Art der Verletzungen gestalteten sich die Rettungsarbeiten in Ramstein nach dem Unglück außerordentlich schwierig.
Die Rettungsmannschaften, Hilfsorganisationen, Ärzte und Polizei haben in aufopferndem Einsatz eine ungeheure Leistung vollbracht. Ich glaube, daß es absolut ein gemeinsames Anliegen dieses Parlaments ist, dafür aufrichtigen und herzlichen Dank zu sagen.

(Beifall bei den Abg. Kossendey [CDU/CSU] und Gerster [Worms] [SPD])

Der nunmehr vorliegende Abschlußbericht des Untersuchungsausschusses kann sich auf eine sehr intensive, dichte und sorgfältige Beweisaufnahme stützen. Der Untersuchungsausschuß trat zu 30 Sitzungen mit über 150 Stunden Beratungsdauer zusammen.
Vernommen wurden im Untersuchungsausschuß insgesamt 28 Zeugen, darunter zwei sachverständige Zeugen und drei Sachverständige.
Ergänzt wurde die Beweisaufnahme durch die Beiziehung umfänglicher Akten mit — man höre und staune — rund 12 000 Schriftseiten sowie Bildmaterial.
Als Vorsitzender bin ich meinem Stellvertreter, dem Kollegen Kolbow, sowie den Obleuten Wilz und Wimmer — Kollege Wimmer war dies zeitweise, nämlich ehe er Staatssekretär wurde —, Horn, Ronneburger und Dr. Mechtersheimer sowie den Berichterstattern für die Unterstützung, aber auch — bei allen politischen Gegensätzlichkeiten — in weiten Passagen kooperative Mitarbeit außerordentlich dankbar. Nur so war es eigentlich möglich, daß der Untersuchungsausschuß die ihm gestellte Aufgabe erfüllen konnte.
Den Angehörigen des Sekretariats mit Herrn Ministerialrat Aufenanger als Leiter und seinen Mitarbeitern, Frau Oberregierungsrätin Schreiter-Vogl und Herrn Oberamtsrat Gohla, sowie den Damen des Schreibdienstes darf ich für ihre Arbeit sehr herzlich danken. Mein Dank gilt auch den Mitarbeitern des technischen Dienstes im Deutschen Bundestag, den eingesetzten Stenographen aus Bund und Ländern, die herangezogen werden mußten, und auch den Fraktionsmitarbeitern.

(Beifall bei allen Fraktionen — Frau Schilling [GRÜNE]: Die haben reelle Arbeit geleistet!)

Zu den vom Untersuchungsausschuß festgelegten Verfahrensregeln — auch im Hinblick auf die beabsichtigte gesetzliche Regelung des Rechts der Untersuchungsausschüsse — sind folgende Aspekte hervorzuheben. Wie schon im Kießling-Verfahren hat sich voll bewährt, die Beweisaufnahme grundsätzlich in öffentlicher Sitzung durchzuführen. Diese Verfahrensweise stärkt das Vertrauen der Öffentlichkeit in die parlamentarische Kontrolle, wie ich meine.
Lassen Sie mich zu diesem Untersuchungsverfahren einige Fakten besonders herausstellen:
Erstens. Der Wert dieses Verfahrens liegt auch darin, daß eine Reihe von Fragen im Verhältnis zu den Bündnisstreitkräften in der Bundesrepublik Deutschland zukünftig klarer beantwortet werden können, die aus Anlaß des Flugtages von Ramstein mißverständlich in der Öffentlichkeit erörtert worden sind.
In Ramstein hat sich nach meiner Ansicht nie die Frage der Souveränität für die Bundesrepublik Deutschland gestellt.
Grundlage waren stets das unter den Bündnispartnern frei vereinbarte Standardisierungsabkommen Nummer 3533 sowie einschlägige deutsche Gesetze.
Ein Verschulden des Bundesministers der Verteidigung ist nicht erkennbar. Vorwürfe entbehren der sachlichen Grundlage.
Zweitens. Das Untersuchungsverfahren hat nach meiner Überzeugung entscheidend dazu beigetragen, daß inzwischen Rheinland-Pfalz mit den US-Streitkräften eine Rahmenvereinbarung getroffen hat, die zukünftig bei Veranstaltungen der Alliierten mit großem Zuschauerandrang die festgestellten Unklarheiten in der Zusammenarbeit zwischen den deutschen und den alliierten Stellen im Rettungsdienst und Katastrophenschutz eindeutig und sachgerecht regelt.
Drittens. Der Verursacher der Katastrophe ist der Solopilot der italienischen Kunstflugstaffel „Frecce Tricolori" , der in falscher Einschätzung der Flugfigur im 90-Grad-Winkel in Richtung Zuschauer flog und mit zwei Flugzeugen der übrigen Staffel zusammenstieß.
Als mögliche Konsequenzen lassen Sie mich nun noch einige Punkte festhalten:
Erstens. Es müssen umfassende Überlegungen angestrebt werden, in welcher Weise die Streitkräfte künftig öffentliche Selbstdarstellung durchführen.



Biehle
Zweitens. Obwohl das Genehmigungsverfahren in der seit Jahrzehnten üblichen Form beim Bundesminister der Verteidigung korrekt abgewickelt wurde, scheint es notwendig, daß das Verfahren der Genehmigung beim Bundesminister der Verteidigung rechtsförmlicher ausgestaltet wird. Dazu gehört vor allen Dingen, wie ich meine, im Genehmigungsverfahren eine lückenlose schriftliche Dokumentation. Das Genehmigungsverfahren muß die Prüfung der einzelnen Flugfiguren unbedingt beinhalten; darauf kann nicht verzichtet werden.
Drittens. Für künftige Flugveranstaltungen muß gewährleistet sein, daß die Sicherheitsbestimmungen und auch die sonstigen Vorsorgemaßnahmen verbessert werden. Dies gilt besonders auch für eine Vergrößerung der Sicherheitsabstände; denn Sicherheit hat die höchste Priorität.
Viertens. Eine klare Abgrenzung zwischen Kunstflug und militärischem Ausbildungsflug scheint notwendig, weil es hier viele Irritationen gegeben hat. Aber eines muß gesagt werden: Kunstflug selbst darf nicht mehr in das Programm aufgenommen werden.
Fünftens. Das Überfliegen von Zuschauerbereichen muß weiterhin verboten bleiben. Eine Ausnahmegenehmigung darf nicht mehr durch den Veranstalter zulässig sein. Auch dies muß in STANAG, in den Standardisierungsvereinbarungen, klargestellt werden.
Sechstens. Die Koordinierung von Sicherheitsvorkehrungen zwischen Veranstalter, Sicherheits- und Hilfskräften sollte rasch in allen Bundesländern nach dem Beispiel der Mustervereinbarung von RheinlandPfalz geplant werden.
Siebtens. Die Entschädigung für die Unfallopfer und Verletzten machte deutlich, daß auch das Staatshaftungsrecht einer Überprüfung bedarf.
Achtens. Ich hoffe, daß der Abschlußbericht auch dazu beiträgt, über den finanziellen gesetzlichen Anspruch hinaus notwendige Hilfen im psychosozialen Bereich für die vom Flugunglück in Ramstein Betroffenen staatlicherseits zu ermöglichen und zu gewährleisten.
Neuntens. Für nichtöffentliche Veranstaltungen, wie z. B. in Nörvenich am Vortag, auch mit geladenen Gästen müssen die gleichen Grundsätze und Verfahren wie bei öffentlichen Flugvorführungen gelten.
Zehntens. Das Verhalten der Verantwortlichen am Flugtag in Nörvenich beim abschließenden Hallenfest, das trotz Katastrophe in Ramstein gefeiert wurde, fand bereits einhellige Mißbilligung — nicht nur in der Öffentlichkeit, sondern auch hier im Parlament — und führte zu personellen Konsequenzen. Ein besserer Kommunikationsstrang hätte allerdings manche Panne verhindert. Die aufgetretenen Lücken bei der Nachrichtenübermittlung im Bereich der Luftwaffe sind schnellstens zu schließen.
Der Verteidigungsminister hat gestern in einem Schreiben, das in der Zwischenzeit auch den Fraktionen zuging, kundgetan, daß weitere erste Maßnahmen erfolgen. Ich darf die wichtigsten Passagen hier einbringen. Der Verteidigungsminister stellt fest:
Gegenüber der bisherigen Praxis der „Flugtage" werden in Zukunft Flugvorführungen deutlich eingeschränkt. Sie sollen den Auftrag und die damit verbundenen Aufgaben der fliegenden Verbände der Bundeswehr und der verbündeten Streitkräfte darstellen. Die Sicherheit hat dabei höchste Priorität.
Im Rahmen eines Gesamtkonzepts für die Öffentlichkeitsarbeit der Streitkräfte sollen daher künftig die fliegenden Verbände der Luftwaffe, der anderen Teilstreitkräfte sowie der Verbündeten sich im Rahmen von „Tagen der Offenen Tür" präsentieren. Teil dieser „Tage der Offenen Tür" sollen auch einzelne Vorführungen aus dem üblichen Flugbetrieb sein. Hierzu sind Einzelregelungen, z. B. Art und Dauer der fliegerischen Präsentation, noch nicht getroffen; auch ist die Abstimmung mit den Verbündeten noch nicht abgeschlossen.
Denn das hat auch Auswirkungen auf das Standardisierungsabkommen.
Die Sicherheitsbestimmungen, insbesondere zum Schutz der Zuschauer, werden erheblich verschärft.
Das Genehmigungsverfahren für Veranstaltungen der Verbündeten wird unserem nationalen Verfahren entsprechen; die Genehmigungsbehörde wird zur Prüfung der Einzelvorführungen verpflichtet.
Ich halte es für eine ganz wichtige Entscheidung, daß das nicht weitergegeben, sondern im Genehmigungsverfahren im Einzelbereich geklärt wird.
Nicht-öffentliche Veranstaltungen fliegender Verbände werden im Genehmigungsverfahren den öffentlichen Veranstaltungen gleichgestellt, wann immer eine größere Zuschauerzahl zugelassen werden soll.
Auch das ist eine Konsequenz aus dem, was sich in Nörvenich zugetragen hat.
Die Regelungen für die Teilnahme militärischer Luftfahrzeuge an zivilen Veranstaltungen sollen denen für militärische Veranstaltungen entsprechen.
Der Verteidigungsminister stellt abschließend fest, daß er im Einvernehmen mit dem Bundesminister für Verkehr Vorschläge hierzu an den Bund-LänderFachausschuß leiten werde. Sobald die abschließenden Entscheidungen getroffen sind, werden sie auch dem Verteidigungsausschuß vorgelegt. Ich gehe davon aus, daß die abschließenden Entscheidungen des Verteidigungsministers dann im Verteidigungsausschuß beraten werden.
Ich glaube, das ist ein erster Erfolg der vielfältigen Beratungen im Verteidigungsausschuß als Untersuchungsausschuß. Man hat versucht, nicht nur strafrechtlich Schuldige zu suchen, sondern auch die Tatsachen herauszustellen, die solche Katastrophen künftig möglicherweise verhindern. Ich meine, das ist gelungen. Ich darf allen Kolleginnen und Kollegen, die im Ausschuß aktiv mitgearbeitet haben — es waren harte Wochen, es war Kärrnerarbeit, die hier geleistet worden ist — , noch einmal meinen herzlichen



Biehle
Dank sagen. Ich glaube, wir haben einen wertvollen Beitrag geleistet, daß solche Katastrophen künftig nach menschlichem Ermessen nicht mehr passieren können.
Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und der SPD)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1117513900
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Gerster (Worms).

Florian Gerster (SPD):
Rede ID: ID1117514000
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es gibt Katastrophen und andere Ereignisse von schicksalhafter Bedeutung, die in das Leben vieler Menschen eingreifen, die zumindest vorübergehend bewirken können, daß die Menschen zusammenrücken und daß auch der tagespolitische Kleinkrieg der Politik einmal zurücksteht. Am 28. August 1988 — der Vorsitzende des Untersuchungsausschusses, der Kollege Biehle, hat es geschildert — und in der Folgezeit sind 70 Menschen gestorben. Hunderte sind verletzt und zum Teil für ihr Leben entstellt worden.
Es hat wenige Tage danach in der Nikolaus-Kirche in Ramstein eine Trauerfeier gegeben, an der auch einige aus diesem Hause teilgenommen haben. In dieser Trauerfeier hat der damalige Ministerpräsident Bernhard Vogel eine Ansprache gehalten, die ich in zwei kurzen Auszügen zitieren möchte. Er hat zum einen gesagt:
Diese Stunde hier in Ramstein kann die notwendige Selbstprüfung und die notwendige Rechenschaft derer, die Verantwortung tragen, nicht ersetzen, ... die Konsequenzen, die gezogen werden müssen, nicht ziehen. Aber diese Stunde hier in Ramstein muß der notwendigen Auseinandersetzung vorausgehen.
Er hat dann gesagt:
Ja, es ist wahr: Viele haben vor diesem Tag gewarnt. Es ist auch wahr: Andere haben dazu aufgerufen, an ihm teilzunehmen. Angesichts des schrecklichen Unglücks quälen uns viele Gedanken.
Mich hat diese Rede des damaligen Ministerpräsidenten Vogel beeindruckt. Ich habe empfunden, daß das mehr als nur eine geschickte Formulierung in dieser außerordentlichen Situation war.
Es ist vor dem Flugtag in Ramstein gewarnt worden. Das wollen wir nicht vergessen machen. Es ist von der SPD Rheinland-Pfalz gewarnt worden. Einige, die hier sitzen, z. B. die Kollegin Götte und ich, haben noch als Landesparlamentarier an Debatten teilgenommen, wo wir gewarnt haben. Es ist vom Kreistag Kaiserslautern gewarnt worden, übrigens auf Antrag der CDU. Es ist von der Evangelischen Kirche der Pfalz gewarnt worden. Die Vorwürfe, die sich die Warner damals anhören mußten, können unter der Überschrift „Antiamerikanismus" subsumiert werden. Das ist ein Vorwurf, der nach dem, was geschehen ist, wohl nicht mehr erhoben werden kann. Ministerpräsident Vogel, den ich schon zitiert habe, hat unmittelbar nach dem Unglück gesagt:
Ramstein war ein Flugtag zuviel.
Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, die Katastrophe von Ramstein war vermeidbar. Sie war eben kein Schicksalsschlag, der unabwendbar war.

(Frau Schilling [GRÜNE]: Richtig!)

Es gibt eine konkrete Verantwortung für diese Katastrophe.

(Frau Schilling [GRÜNE]: Genau!)

Die Verantwortung tragen das Bundesministerium der Verteidigung als Genehmigungsbehörde und die US-Luftwaffe als Veranstalter des Flugtages.
Ich will weniges sagen zur Hardthöhe als Genehmigungsbehörde: Der Abteilungsleiter Verwaltung und Recht, Herr Hildebrandt, hat im Untersuchungsverfahren wörtlich gesagt, er sei fassungslos gewesen, als er das nichtförmliche Genehmigungsverfahren festgestellt habe, das im wesentlichen formlos und mündlich abgelaufen sei, dessen Stichtag gar nicht genau beziffert werden könne. Es ist doch einigermaßen gravierend, wenn wir uns vorstellen, daß 300 000 deutsche Besucher bei diesem Flugtag, zu dem öffentlich aufgerufen wurde, auch von maßgeblichen Politikern der Region, der Bonner Regierungspartei CDU und der Landesregierungsspartei CDU, darauf vertrauen mußten und darauf vertraut haben, daß bei diesem Flugtag ganz selbstverständlich — ich sage es einmal ohne Überspitzung — ein deutscher Sicherheitsstandard Platz greift und daß eine detaillierte Gefahrenprognose der Genehmigung von deutscher Seite vorausgegangen ist.
Das, was wir im nachhinein in einer mühsamen Arbeit feststellen mußten, kann man nur entweder als vorauseilenden Gehorsam, oder, wenn man etwas freundlicher formulieren will, als Vertrauensseligkeit der deutschen Stellen gegenüber dem amerikanischen Veranstalter beschreiben. In jedem Fall ist dies eine völlig unvertretbare Haltung angesichts der tatsächlichen und, wie wir wissen, eingetretenen Risiken und Gefahren.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Mit der Entlassung von Bundesverteidigungsminister Scholz hat der Bundeskanzler die Konsequenz aus einer — und jetzt formuliere ich wiederum wie der zitierte Herr Hildebrandt — unfaßbaren Fehlbesetzung gezogen. Daß er die Konsequenz gezogen hat, war bitter notwendig. Aber daß die Fehlbesetzung dieses wichtigen Amtes auf der Hardthöhe geschehen konnte, muß noch einmal gewürdigt werden, nicht weil wir uns an Herrn Scholz schadlos halten wollen, sondern weil wir die Gesamtverantwortung der Bundesregierung in dieser Frage reklamieren müssen.

(Wilz [CDU/CSU]: So einfach macht ihr euch das? Das ist unglaublich! — Nolting [FDP]: Altes Strickmuster! Immer noch nichts dazugelernt!)

Herr Scholz hat im Vorfeld an den Ministerpräsidenten Rau geschrieben — das ist wörtlich nachzulesen — , er habe sich sorgfältig vergewissert, daß bei dem Flugtag in Nörvenich keine spektakulären Luftübungen stattfänden und daß besondere Sicherheitsvorkehrungen getroffen worden seien. Dessen habe



Gerster (Worms)

er sich persönlich vergewissert. Wir haben den Inspekteur der Luftwaffe gefragt, und er hat bestätigt, daß der Minister ihn nie darauf angesprochen hat.
Im übrigen wurde im Untersuchungsverfahren auch deutlich, daß, wenn das Wort „ich" in Briefen steht, die die Unterschrift des Ministers tragen, nie der Minister persönlich gemeint ist, sondern immer nur das Haus, das Ministerium.
Minister Scholz hat am 29. August reklamiert: Ich bin zuständig für das Genehmigungsverfahren. — Weil er, ohne den vollen Überblick zu haben, wie es tatsächlich praktiziert wurde, dieses geäußert hatte, mußte hastig und unvollkommen ein Genehmigungsverfahren nachkonstruiert werden, damit diese großsprecherische Verantwortungsübernahme des Ministers nicht im nachhinein Lügen gestraft werden mußte.
Er hat sich in einer entscheidenden ersten Verteidigungsausschußsitzung vom 8. September 1988 so überfordert gezeigt, in einer peinlichen, in einer erschreckenden Weise fachlich und menschlich überfordert gezeigt, daß wir gezwungen waren, den Untersuchungsausschuß zu installieren.

(Zuruf von der SPD: So ist es!)

Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, mit der Entlassung von Herrn Scholz ist das Problem dieses Mannes vielleicht für ihn persönlich gelöst, aber zum anderen wohl auch in einer schicksalhaften Weise verstärkt worden. Aber die Gesamtverantwortung der Bundesregierung für den Flugtag in Ramstein ist damit nicht erledigt.

(Frau Fuchs [Verl] [SPD]: Stimmt!)

Ich muß auch etwas — und ich sage das sehr betont — zu den Untersuchungsberichten der amerikanischen Seite, aber auch zu dem trinationalen Untersuchungsbericht sagen, wonach die Alleinschuld an 70 Toten und Hunderten von Verletzten der tote italienische Solopilot trage. Das ist eine, wie ich finde, menschlich unerträgliche — ich spreche nicht von strafrechtlichen Schuldbegriffen, aber von menschlichen und ethischen Schuldbegriffen — Konzentration der Schuld auf einen toten Menschen,

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

der sich nicht wehren kann und der bei der Anlage dieses Flugtages, bei der Anlage der Flugfiguren, die den Veranstaltern vorher bekannt waren, auch persönlich einem Risiko ausgesetzt wurde, das er eben nur mit einem gewissen Grad von Wahrscheinlichkeit überschauen und durchstehen konnte.
Meine Damen und Herren, insofern sind eben auch die Schlußfolgerungen von Ramstein auf den allgemeinen militärischen Flugbetrieb erlaubt. Wir muten unseren Flugzeugführern bereits im alltäglichen Flugbetrieb ein Ausmaß an Belastungen zu, das ein Mensch im Grunde genommen gar nicht mit gleicher Sicherheit ertragen kann. Wir muten dem Flugzeugführer bei besonderen Einsätzen, wie sie ihm im Kunstflug, aber auch bei bestimmten Flugübungen im Einsatzauftrag abverlangt werden, Belastungen zu, die sein Urteilsvermögen, seine physische und psychische Präsenz auf ein Minimum reduzieren. Diesem Risiko setzen wir dann Hunderttausende von Zuschauern aus. Meine Damen und Herren, wir wissen alle im nachhinein, was das bedeutet.
Wir reklamieren auch Mängel beim Rettungsdienst und beim Katastrophenschutz, und wir freuen uns mit Ihnen, Herr Kollege Biehle, daß das Land RheinlandPfalz begrüßenswerte Konsequenzen gezogen hat.
Meine Damen und Herren, die Akzeptanz der Landesverteidigung im Frieden hat im Katastrophenjahr 1988 gelitten. Es war ja mehr als nur Ramstein. Wir alle kennen die anderen Katastrophen. Wir müssen über die Konsequenzen hinaus, die wir im einzelnen zu treffen haben, Konsequenzen im Denken ziehen. Das heißt, daß wir uns immer wieder von neuem darüber klarwerden müssen, daß Flugzeuge Waffen sind, die nicht zur Volksbelustigung geeignet sind, daß der militärische Flugbetrieb über der dichtbesiedelten Bundesrepublik im Frieden zivilisationsverträglicher werden muß und daß die deutsch-amerikanische Freundschaft, so wichtig sie ist, in einem geeigneten Rahmen gefeiert werden muß, d. h. bei Volksfesten und bei Tagen der offenen Tür, ohne Gefahr für Leib und Leben unbeteiligter Menschen.
Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD und des Abg. Dr. Mechtersheimer [GRÜNE])


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1117514100
Das Wort hat der Abgeordnete Nolting.

Günther Friedrich Nolting (FDP):
Rede ID: ID1117514200
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Koalition gibt mit ihrem Abschlußbericht einen Überblick über die Prüfschritte des Untersuchungsausschusses, die Rechtsgrundlagen, den Ablauf der tatsächlichen Ereignisse in Ramstein und Nörvenich einschließlich der Verwaltungsverfahren sowie die rechtliche Bewertung, und dies objektiv. Wir haben Zeugenaussagen nur dann aufgenommen, wenn sie Sachverhaltsfeststellungen untermauern.
Beim Sachverhaltsteil Ramstein haben wir einen kurzen Überblick über die geltenden Rechtsvorschriften und Verfahren gegeben, um die daran anschließende chronologische Wiedergabe der Vorgänge vor, bei und nach dem Flugtag verstehen zu können.
Meine Damen und Herren, ich habe diese Vorbemerkungen gemacht, um aufzuzeigen, warum wir den Entwurf des Sekretariats überarbeitet und ergänzt haben.
Für die FDP-Fraktion möchte ich mich an dieser Stelle ausdrücklich bei den Mitarbeitern des Sekretariats für ihre bestimmt nicht immer leichte Arbeit bedanken.

(Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und bei Abgeordneten der SPD)

Der Auftrag des Untersuchungsausschusses Ramstein-Nörvenich ist erfüllt. Die Zielsetzung des Untersuchungsausschusses, nämlich politische Kontrolle auszuüben, wurde voll erreicht.
Meine Damen und Herren, ich muß aber auch festhalten, daß das Einsetzen und der Verlauf des Untersuchungsausschusses leider nahezu ausschließlich vom Bestreben der Opposition bestimmt waren, dem Bundesminister der Verteidigung und den US-Streit-



Nolting
kräften ein Fehlverhalten im Zusammenhang mit der Katastrophe von Ramstein nachzuweisen.

(Jungmann [Wittmoldt] [SPD]: Das ist die Aufgabe der Opposition!)

Ich kann für uns feststellen: Dies ist nicht gelungen.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Die Opposition unternahm vor allem den Versuch, aus der Katastrophe von Ramstein wahlkampftaktische Vorteile zu erringen. Herr Gerster, Ihr Beitrag zeigte dies hier heute genau wieder.

(Zuruf des Abg. Heistermann [SPD])

Das Vorgehen der Opposition — hören Sie zu, Herr Heistermann — lief bedauerlicherweise oft nach dem Grundmuster ab, erst öffentlich Vorverurteilungen vorzunehmen, diese nach Erweis der Unhaltbarkeit sodann auf Restvorwürfe zu reduzieren und schließlich, wenn die Unhaltbarkeit durch die Beweisaufnahme zu offenkundig zu werden drohte, auf weitere Beweisaufnahmen zu verzichten. Ich kann Ihnen das später in meinem nächsten Redebeitrag noch einmal beweisen.

(Frau Fuchs [Verl] [SPD]: Noch einmal?)

Wir haben im Untersuchungsausschuß festgestellt, daß das Genehmigungsverfahren für die Flugvorführung in Ramstein so, wie seit Jahren vorgeschrieben und auch von sozialdemokratischen Verteidigungsministern praktiziert, durchgeführt wurde.

(Weiß [Kaiserslautern] [CDU/CSU]: Das sind die Wahrheiten!)

Ich sage an dieser Stelle: Ich bedaure, daß wir die ehemaligen Verteidigungsminister Schmidt, Leber, Apel nicht vernommen haben, wie die FDP-Bundestagsfraktion es ursprünglich vorgesehen hatte.

(Opel [SPD]: Dann hätten Sie es doch machen können! — Jungmann [Wittmoldt] [SPD]: Herrn Schröder und Herrn Blank hätten Sie auch noch vernehmen sollen!)

Wir alle wissen, daß die Genehmigungsvorschriften und Regelungen zu Flugtagen erst durch diese Bundesregierung verschärft wurden. So war denn die Genehmigung der Flugvorführung in Ramstein nach den Regeln des STANAG 3533 rechtmäßig. Auch bei der Bundeswehr werden die Flugvorführungen nicht von der Genehmigungsbehörde, sondern vom Gesamtleiter überprüft,

(Widerspruch des Abg. Opel [SPD])

der sachnäher, Herr Kollege, und sofort entscheiden kann. Das sollten Sie als ehemaliger Luftwaffengeneral eigentlich wissen.

(Opel [SPD]: Weiß ich auch!)

So muß er z. B. bei Wetteränderungen schnell und vor Ort entscheiden. Das werden Sie ja wohl nicht bestreiten wollen.
Die Vorführungen der „Frecce Tricolori" wurden eingehend überprüft, obwohl dieser Prüftakt luftverkehrsrechtlich nicht vorgeschrieben ist. Bei dieser Vorübung verhielt sich der Solopilot äußerst besonnen und korrekt. Das krasse fliegerische Fehlverhalten des Solopiloten am Flugtag selbst war in keiner
Weise vorhersehbar und von seiten der Veranstalter daher auch nicht vermeidbar.

(Opel [SPD]: Das heißt, Sie machen Ramstein wieder?! — Kolbow [SPD]: Das ist ja unglaublich!)

Auch der Untersuchungsbericht der trinationalen Unfalluntersuchungskommission kommt zu dem Ergebnis, daß die Ursache des Unglücks einzig und allein menschliches Versagen des während der Flugvorführungen der „Frecce Tricolori" voll einsatzfähigen Solopiloten war.

(Zuruf von der SPD: Jetzt sagt er dasselbe noch einmal!)

— Herr Kollege Jungmann, wenn Sie ständig dazwischenschreien, muß ich sagen: Es wäre gut gewesen, wenn Sie an den Sitzungen des Untersuchungsausschusses teilgenommen hätten. Dann hätten Sie sich vorher informieren können.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Frau Fuchs [Verl] [SPD]: Das geht nicht, er ist jetzt Mitglied des Haushaltsausschusses! — Opel [SPD]: Art. 45a des Grundgesetzes nachlesen!)

— Ich könnte das auch in Richtung anderer Kollegen sagen, die jetzt dazwischenrufen. Wir kommen vielleicht später noch einmal darauf zurück.

(Horn [SPD]: Was für ein Kasperletheater führen Sie auf!)

Meine Damen und Herren, vorher waren auch keine Anhaltspunkte für besondere Gefahrenmomente erhältlich, zumal die Vorführungen der „Frecce Tricolori" in der Bundesrepublik bereits elfmal, auch bei zivilen Flugtagen, anstandslos durchgeführt wurden.
Die Opposition erhebt nun den Vorwurf einer Verletzung der Abstandsregelung für den Kurvenflug. Auch das ist unzutreffend, weil der Solopilot bei korrekter und so genehmigter Ausführung den Kurvenflug mit Abschluß des vertikalen Flugteils längst abgeschlossen hatte und sich anschließend in einem ansteigenden Geradeausflug in Richtung Zuschauer befand. Sie alle wissen, daß Geradeausflüge in Richtung Zuschauer bisher laufend stattfanden. Sie sind bisher in keiner Vorschrift verboten. Ebensowenig war das vom Gesamtleiter genehmigte Überfliegen der Zuschauer verboten.

(Opel [SPD]: Gucken Sie mal in das STANAG! Da ist das verboten!)

Herr Gerster und Herr Opel, Sie sollten mit Ihren ständigen Schuldzuweisungen aufhören.

(Opel [SPD]: Nein, wir klären auf und weisen keine Schuld zu!)

— Herr Kollege Opel, als ehemaliger Luftwaffengeneral — ich sagte es vorhin schon — sollten Sie sich ein bißchen mäßigen.

(Frau Fuchs [Verl] [SPD]: Er weiß eben, wovon er redet!)

— Er weiß eben nicht, wovon er redet. Das ist der Unterschied.



Nolting
Sie sollten wirklich aufhören, mit dieser Katastrophe Wahlkampf zu betreiben.

(Beifall bei der FDP — Frau Fuchs [Verl] [SPD]: Was Sie liefern, ist aber billig! — Horn [SPD]: Billiger Jakob auf dem Markt der Politik!)

Auch der Vorwurf der SPD, die Genehmigung sei nachkonstruiert worden, ist nach endloser Beweisaufname zu ebendiesem Thema als geradezu bösartig zu bezeichnen. Auch das ist von ihrem Kollegen Gerster, meine Damen und Herren von der Opposition, gerade wieder vorgetragen worden.

(Gerster [Worms] [SPD]: Herr Scholz wußte noch nicht einmal das Datum der Genehmigung!)

Auch der Staatsanwalt in Zweibrücken ist zu dem Ergebnis gekommen, daß der Flugtag genehmigt worden ist. Aber selbst das akzeptieren Sie nicht, wie wir vorhin wieder gehört haben.

(Jungmann [Wittmoldt] [SPD]: Also ist an dem Unglück die SPD schuld!)

Der weitere Vorwurf der Opposition, der Minister habe sich entgegen schriftlichen Darlegungen nicht persönlich um die Genehmigung gekümmert, wird in bewußter Verkennung der ministeriellen Geschäftsordnung erhoben und ist abwegig. In der Ministerialverwaltung ist seit Jahrzehnten von zeichnungsbefugten Organen des Ministeriums die Ich-Form bei allen dem Minister zuzurechnenden Erlassen, Schreiben usw. zu wählen. Herr Kollege Horn, auch das war bei sozialdemokratischen Ministern so.

(Opel [SPD]: Die SPD war aber gar nicht in der Regierung!)

Auch die Vorwürfe, die die SPD gegenüber den an den Rettungsmaßnahmen beteiligten Soldaten und Organisationen erhebt, sind unverständlich und unhaltbar. Ich weise sie mit aller Schärfe zurück. Die Zuständigkeiten sind klar abgegrenzt. Es bedarf deshalb lediglich einer besseren Koordinierung, nicht aber neuer Vertragsregeln im Zusatzabkommen. Auch war es medizinisch sachgerecht, auf die Erstversorgung in einigen Fällen zu verzichten. Wir haben festgestellt, daß ein Mehr an sanitätsdienstlichen Vorsorgemaßnahmen auch im Hinblick auf mögliche Unfälle andernorts nicht zu verantworten gewesen wäre. Die amerikanischen Soldaten sowie die zur Unterstützung eingesetzten Soldaten der Bundeswehr leisteten ebenso wie die zivilen Hilfsorganisationen, wie die Polizei und wie die freiwilligen Helfer überragende Arbeit, und hierfür gilt allen Beteiligten unser Dank.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Meine Damen und Herren, ich will auch hier noch einmal daran erinnern, daß der Brand bereits nach zwölf Minuten gelöscht war und daß alle Verletzten innerhalb von 90 Minuten ärztlich versorgt waren. So bezeichnete denn Oberstarzt Dr. Paul die Rettungsmaßnahmen unter den gegebenen Umständen zu Recht als optimal.
Wir alle wissen, daß beim Entschädigungsverfahren die Untersuchungskompetenz des Ausschusses beschränkt war, weil der Bund nur die Rechtsaufsicht hat. Die Abwicklung des Verfahrens ist Sache der
Landesbehörden. Es ist in erster Linie Sache des Landes Rheinland-Pfalz, sich zu eventuellen fehlerhaften Entwicklungen zu äußern. Ich sage aber auch, daß eventuell verzögerte Entschädigungsverfahren im Interesse der Betroffenen schnellstens abgeschlossen werden müssen.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Frau Schilling [GRÜNE]: Was hießt hier „eventuell"?)

Lassen Sie mich noch etwas zum Flugtag und zu den Pannen in Nörvenich sagen. Für die fehlerhafte Entscheidung, den Flugtag nicht abzubrechen, waren ausschließlich Oberst Hoppe und Generalmajor Rimmek verantwortlich. Auch für die fehlerhafte Entscheidung, das Hallenfest am Abend des Flugtages durchzuführen, haben sich die beiden zu verantworten. Es hätte eine Selbstverständlichkeit sein müssen, das Hallenfest nicht stattfinden zu lassen.
Meine Damen und Herren, der Untersuchungsausschuß hat aber auch Konsequenzen für die Durchführung zukünftiger Flugtage gezogen. Der Untersuchungsausschuß begrüßt, daß das Bundesverteidigungsministerium ein Bündel von Maßnahmen ergriffen hat, die auf ein neues Konzept zur fliegerischen Selbstdarstellung und auf mehr Sicherheit bei künftigen Flugtagen abzielen.

(Opel [SPD]: Das Sie angeblich ja nicht brauchen!)

Dies wird im einzelnen u. a. sein:
erstens ein Verbot für Flugtage mit eindeutigen Showeffekten,
zweitens eine Arbeitsgruppe, die auch mit den Alliierten ein künftiges Konzept erarbeitet,
drittens die Berücksichtigung der Empfehlungen der Steinhoff-Kommission,
viertens die Überprüfung der Rechtsvorschriften für Flugtage und
fünftens die Überprüfung der Richtlinien für Hilfeleistungen in bezug auf Verbrennungsopfer.
Weiter schlägt der Untersuchungsausschuß vor:
Erstens die Überarbeitung des STANAG 3533 mit dem Ziel, z. B. ein Verbot des Überfliegens von Zuschauerbereichen aufzunehmen,
zweitens die stärkere Harmonisierung der Sicherheitsvorschriften,
drittens ein einheitliches Vorgehen bei der Festlegung höherer Sicherheitsstandards für militärische und zivile Flugtage gleichermaßen,
viertens die stärkere Formalisierung des Genehmigungsverfahrens, um die im Bericht festgestellten anfänglichen Irrtümer über die Genehmigungsdaten künftig auszuschließen, und
fünftens die Überprüfung und Neuregelung des Haftungsrechts des Bundes.
Es stellt sich nun die Frage, warum es keinen gemeinsamen Abschlußbericht gegeben hat. Meine Damen und Herren, wenn Sie sich den Abschlußbericht der SPD einmal ansehen, werden Sie feststellen, daß er die einfachsten rechtlichen Prinzipien mißachtet



Nolting
und deutlich macht, weshalb ein interfraktioneller Konsens zumindest über die Verfahrens- und Sachverhaltsteile des Abschlußberichtes nicht erreichbar war. Dies waren z. B. die haltlosen Vermutungen und Verdächtigungen schon in der Verfahrensgeschichte, z. B. die teilweise sogar beleidigenden Ausführungen zur Koordinierungsgruppe des BMVg. Dies war auch die zersplitternde und mit unzuzreichenden Vorabbewertungen versehene Struktur, die teilweise verfälschten oder lückenhaften Zitate, aber auch die unzutreffenden Angriffe gegenüber dem Bundesminister der Verteidigung und den Mitgliedern der Koalition. Ich vermute, Herr Kollege Opel, daß die SPD eine vorzeitige Aufkündigung der Zusammenarbeit im Ausschuß und für den Abschlußbericht bewußt herbeigeführt hat. Ich verweise hier auf die ständigen Vorverurteilungen und Diffamierungen in der Presse.
Schließlich wurde uns dann auch noch unterstellt, wir hätten keinerlei Interesse an aufklärender Sacharbeit.

(Horn [SPD]: So ist es!)

Wenn dies der FDP von der SPD vorgeworfen wird, kann das nicht ernst gemeint sein.

(Zuruf von der SPD: Doch!)

Jeder, der an allen Sitzungen — ich betone: an allen Sitzungen — teilgenommen hat — das haben Sie nämlich nicht getan —, wird bestätigen können, daß es gerade die FDP war, die für ein objektives, sachliches und beschleunigtes Verfahren eingetreten ist.

(Zuruf von der SPD: Das müssen ausgerechnet Sie sagen! Da kann man ja nur lachen!)

Meine Damen und Herren von der SPD, ich erwarte von Ihnen, daß Sie sich entschuldigen,

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU/CSU — Lachen bei der SPD)

daß Sie sich bei den Alliierten entschuldigen,

(Zuruf von der SPD: Herr Nolting, Sie machen sich lächerlich!)

daß Sie sich bei der Bundesregierung entschuldigen, daß Sie sich bei allen an den Rettungsmaßnahmen beteiligten Personen entschuldigen und daß Sie sich bei uns entschuldigen, bei den Abgeordneten der Koalition.

(Widerspruch bei der SPD)

Gestatten Sie mir noch einen Hinweis. Die parlamentarische Untersuchung der Katastrophe von Ramstein darf keinen Anlaß für parteipolitische Polarisierung und Profilierung geben,

(Zuruf von der SPD: Das machen Sie doch!)

wie Sie es während dieser anderthalb Jahre getan haben. Die Katastrophe sollte vielmehr gerade auch für uns Mahnung sein, allen Risiken des Flugbetriebs, sei er technisch auch noch so perfekt gesichert, Rechnung zu tragen. Ich denke, dies sind wir den Opfern der Katastrophe von Ramstein und ihren Familien schuldig.
Nach den Erkenntnissen von Ramstein dürfen sich unsere Bemühungen nicht auf militärische Flugtage beschränken. Wir begrüßen daher die vom Verteidigungsministerium bereits angeordneten Maßnahmen zur Neugestaltung von Flugtagen. Ziel dieser Maßnahmen muß sein, ein ansprechendes Konzept für die Selbstdarstellung der Streitkräfte zu entwickeln, das auf jedwede Gefährdung der Zuschauer verzichtet.
Meine Damen und Herren, gestatten Sie mir als Berichterstatter für die FDP-Bundestagsfraktion noch ein abschließendes Wort. Die ungerechtfertigten persönlichen Angriffe der SPD gerade gegen die Abgeordneten der FDP-Fraktion haben uns getroffen und betroffen gemacht, so daß ich mir für die Zukunft eine gedeihliche Zusammenarbeit zumindest mit den Berichterstattern aus der SPD-Fraktion nur noch unter erschwerten Bedingungen vorstellen kann.

(Horn [SPD]: Ach Gott! Die leiden darunter!)

Wenn Untersuchungsausschüsse zum reinen Wahlkampfinstrument herabgewürdigt werden, ist dies ein Verlust an demokratischer und politischer Glaubwürdigkeit, der uns alle betrifft.

(Sehr wahr! bei der CDU/CSU)

Als FDP fühlten und fühlen wir uns gegenüber allen Opfern und Beteiligten zu einer fairen und objektiven Untersuchung und Bewertung des Gesamtgeschehens verpflichtet. Dieser Aufgabe sind wir nachgekommen, und dies gilt für alle Mitglieder der Koalition.
Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Jungmann [Wittmoldt] [SPD]: Ihr seid die Größten, und die anderen sind alles Armleuchter!)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1117514300
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Schilling.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1117514400
Ramstein Air Base ist der größte Luftwaffenstützpunkt der USA und der NATO in Europa, und Ramstein ist das Hauptquartier der US-Luftwaffe in Europa. Von hier gehen die Einsatzbefehle für Manöver und ABC-Krieg aus. Ramstein bedeutet für die US-Luftwaffe: Machtdemonstration, Waffenkult, Spiel mit den Todesmaschinen.
Weil Ramstein von einer solch zentralen Bedeutung für die US-Luftwaffe und damit auch für die untertänigen deutschen Bundesbehörden und sogenannten verantwortlichen Politiker ist, hat man dort auch den Atomkriegsstrategen freie Hand dafür gegeben, die bisher in 5 km entfernten Depots gelagerten Atomwaffen in speziellen Waffenbehältern in den Hangars direkt unter den Flugzeugen zu lagern. Die US-Soldaten nennen sie „Atomwaffengrüfte", und das Motto über diesen Grüften lautet: „Schneller zum Atomkrieg". Ramstein ist für den Einsatz der strategischen Atombomber und Atomraketen gegen den Osten, gegen die DDR und gegen die Sowjetunion, zuständig.
Die alljährliche Flugschau hatte gerade in Ramstein ihre besondere Bedeutung und Symbolik — weltweit. Die „Germans" waren eingeladen, an dieser Show des „american military way of life" teilzunehmen, solange sie nicht auf die Idee kamen, Protestschilder



Frau Schilling
mitzunehmen und Aktionen gegen Tiefflug und Tieffluglärm zu machen. Diesen Protest, der jahrelang vorgetragen wurde, bis zum letzten Tag, bis zur letzten Minute, hat niemand von den sogenannten verantwortlichen Politikern ernstgenommen. Im Gegenteil, als ein Ergebnis des Untersuchungsausschusses kann gesagt werden: Man hatte bei Planung und Vorbereitung des Flugtages den Schwerpunkt auf die Bedrohung durch die Friedensbewegung statt auf das Absturzrisiko gelegt.
Das Argument, man müsse diese Show veranstalten, um dem deutschen Steuerzahler zu zeigen, wo sein Geld hingeht, ist nicht nur zynisch, sondern auch falsch. Das belegt ein Zitat aus einer Studie des Stabs der US-Streitkräfte in Europa „Die Bedingungen in Deutschland, unter denen USAREUR leben und operieren muß". Da heißt es nämlich:
Es ist ebenfalls offenbar, daß einige Deutsche glauben, ihre Regierung finanziere unsere Anwesenheit (Besatzungskosten). (Eine Untersuchung vor ein paar Jahren ergab, daß sogar die meisten unserer Angestellten erstaunt waren, als sie feststellten, daß der amerikanische Steuerzahler ihre Gehälter bezahlt.)
... einige dachten, es würde den Kongreß verärgern, wenn er wüßte, wieviel wir wirklich ausgeben. (Tatsächlich würden wir — gleichgültig, wie wir es auch darstellen — die Kosten weit untertreiben, die dem Steuerzahler durch unseren NATO-Beitrag entstehen.)

Wir haben einen Antrag eingebracht, der a) Flugtage und Luftfahrtveranstaltungen generell verunmöglichen soll, b) umfassende Programme zur finanziellen Entschädigung und psychologischen Langzeithilfe für die Opfer aus dem Verteidigungshaushalt bezahlt haben will und c) die Un-Verantwortlichen benennt.
Das ist deswegen nötig, weil erstens für die Amerikaner und die Bundesregierung Flugtage nicht vom Tisch sind. Man bastelt an neuen Rechtfertigungen, um 1990 weiterhin dem Militarismus zu frönen; im übrigen soll nur ja niemand auf die Idee kommen, da könnte tatsächlich etwas falsch gemacht worden sein; deshalb darf die Pause nicht allzu lange dauern. The show must go on.
Das eine Jahr seit der Katastrophe ist nicht genutzt worden, um die Problematik grundsätzlich anzugehen. Es ist zweitens noch nicht einmal genutzt worden, um die versprochene „unbürokratische" Hilfe für die Opfer und deren Angehörige zu leisten.
Wo ist diese Hilfe, wenn psychologische Probleme durch Privatinitiative angegangen werden müssen, weil angeblich kein Geld da ist; wenn Betroffene in unwürdigen Verfahren nachweisen müssen, daß ihr seelischer Schaden durch die Katastrophe von Ramstein entstanden ist — das gleiche erleben wir in Remscheid —; wenn die Mutter, die ihren Sohn verloren hat, kleinlich vorgerechnet bekommt, daß sie keinerlei Ansprüche hat und auch ihre Rechtsanwaltskosten selber bezahlen muß; wenn es am Geschick des Rechtsanwalts hängt, daß Betroffene ein paar Mark herausholen?
Das ist entwürdigend und beschämend für eine Bundesregierung, die gleichzeitig im Verteidigungshaushalt lieber neue Waffensysteme für viele Milliarden anschafft, die Europa in Schutt und Asche legen können. Wie enttäuscht und getäuscht müssen sich die Opfer und ihre Angehörigen fühlen, wenn noch nicht einmal Schuldige benannt werden! Es ist ja so bequem, menschliches Versagen anzugeben. Dann ist nämlich a) die Technik fein raus, die Militärmaschinerie und die übermenschliche Belastung der Piloten wird nicht angetastet, und b) derjenige, der versagt hat, ist tot, er kann sich nicht wehren, er soll alleine schuld sein. Was würde er uns eigentlich heute sagen?
Für dieses Null-Ergebnis wurde der Untersuchungsausschuß mißbraucht und ließ sich mißbrauchen, ein Lehrstück parlamentarischer selbstverschuldeter Unmüdigkeit!

(Zuruf von der FDP: Na, na!)

Fast ein Jahr lang hat der Untersuchungsausschuß versucht, einfachste Sachverhalte durch akribische Fragen und stundenlanges Würmer-aus- der-NaseZiehen aufzuklären und in ihrer gleichgültigen, hilflosen, eiskalten Dimension zu erhellen.
Es konnte erwartet werden, daß die betroffenen Behörden auf allen Ebenen den Sachverhalt im Zusammenhang vorgetragen hätten.
Der Untersuchungsausschuß degradierte sich selbst zur Spielwiese, indem er mehrheitlich hinnahm, daß die CDU/CSU die Untersuchungen auf Nebensächlichkeiten hinlenkte, die Koordinierungsgruppe als Zeugenwaschanlage fungierte; d. h. sie synchronisierte die Zeugenaussagen, was so weit ging, daß einem Gutachter, einem Scholz-Freund, vertrauliche Akten nach Berlin gebracht wurden.

(Nolting [FDP]: Ich weiß gar nicht, worüber Sie reden!)

Diejenigen, die untersucht werden sollten, haben es mit Erfolg bei der Mehrheit des Ausschusses geschafft, sowohl die Regeln der Untersuchung zu diktieren als auch das Ergebnis zu beeinflussen. Wer sich der Wahrheit allzu sehr näherte, wurde auf überbeanspruchte Zeugen hingewiesen, wurde in Geschäftsordnungsdebatten verwickelt oder bekam wie bei uns GRÜNEN auf undemokratische Weise vom Vorsitzenden das Fragerecht beschnitten. So verkam der Untersuchungsausschuß immer mehr zu einer Vortragsveranstaltung von Militärs und sogenannten Verantwortlichen, die das angeblich korrekte Genehmigungsverfahren bestätigten.

(Nolting [FDP]: An welchem Ausschuß haben Sie eigentlich teilgenommen?)

Aber es stinkt zum Himmel: Keine der Vorschriften in der STANAG ist eingehalten worden. Demnach hätte nämlich eine differenzierte Gefahrenprognose erfolgen müssen, und die hätte dann zum Verbot des Flugtages führen müssen, weil wenige hundert Meter von der Absturzstelle entfernt ein Lager mit dem hochgiftigen Treibstoff Hydrazin liegt und das Atomwaffenlager im benachbarten Weilerbach überflogen wird.



Frau Schilling
Für die Bundesluftwaffe gilt: Das Atomwaffenlager auf dem Fliegerhorst in Nörvenich war auch nicht Gegenstand einer Risikoanalyse und Gefahrenprognose.
Und: Der Ausbau der Atombomben-Hangars in Ramstein müßte jeglichen weiteren Flugtag dort verunmöglichen.
Der Untersuchungsausschuß wurde zur Spielwiese, weil er sich mehrheitlich gegen eine Besichtigung vor Ort entschied und weil er hohe amerikanische Militärs und den US-Botschafter nicht als Zeugen aussagen ließ. Rechtlich wäre das möglich gewesen.
Die Weigerung der Mehrheit des Untersuchungsausschusses, Zeugen zu vereidigen, obwohl vorab in langen Erklärungen jeweils auf die Möglichkeit und auf eventuelle Strafen hingewiesen wurde, wird von den GRÜNEN als Hinweis auf die Angst vor Anklage wegen Meineids gewertet. Untersucht werden muß noch, wer sich der uneidlichen Falschaussage schuldig gemacht hat.
So bleibt festzuhalten: Nicht menschliches, sondern politisches Versagen liegt hier vor! Da die BRD ein souveräner Staat ist

(Wilz [CDU/CSU]: „BRD" — pfui Deibel! Kommunistischer Jargon!)

und auch für ausländische Militärs deutsches Recht gilt — nachzulesen im NATO-Truppenstatut, im Deutschlandvertrag und im Grundgesetz — , lag und liegt die erste und alleinige Entscheidungskompetenz bei der Bundesregierung. Es kann wohl erwartet werden, daß von der Bundesregierung wenigstens geltendes deutsches Recht umgesetzt wird. Statt dessen wird der Rechtsstaat zwar betont, aber wenn es zur Katastrophe kommt, dann schleichen die angeblich politisch Verantwortlichen von der Bühne.
Die Un-Verantwortlichen sind klar zu benennen —rechtlich, politisch und tatsächlich: erstens die Bundesregierung, insbesondere die ehemaligen Verteidigungsminister Wörner und Scholz — Ex-Verteidigungsminister Wörner verbat sich im Untersuchungsausschuß sogar, aus seiner Flugtaggenehmigung den Schluß zu ziehen, daß er damit auch die politische Verantwortung für die Folgen übernehmen müsse —; zweitens die amerikanische Regierung, für die die US-Militärs ihre Show abziehen; drittens die italienische Regierung, in deren Auftrag „Frecce Tricolori" flog und fliegt; viertens alle, die sich weiterhin an der Verschleierung, Verharmlosung und an der Lügerei beteiligen, die solche Katastrophen fahrlässig herbeiführen. — Übrigens, diese Formulierung wurde uns aus unserem Antrag gestrichen, was nicht gerade von einem demokratischen Verständnis zeugt.
Wir als GRÜNE werden jedenfalls nicht aufhören, „wider das Vergessen" zu argumentieren und zu handeln.

(Beifall bei den GRÜNEN)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1117514500
Das Wort hat der Abgeordnete Wilz.

Bernd Wilz (CDU):
Rede ID: ID1117514600
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn wir heute im Deutschen Bundestag Verfahren, Wertungen und Folgerungen des Abschlußberichtes debattieren, tun wir es im Bewußtsein unserer Verantwortung gegenüber den Opfern, deren Angehörigen und den Verletzten dieser schrecklichen Katastrophe. Sie mahnen uns, alles, was mit der Selbstdarstellung der Luftwaffe zusammenhängt, kritisch zu überdenken. Auch wir, die Mitglieder des Deutschen Bundestages, müssen uns fragen, ob wir nicht schon früher, ehe es zu diesem tragischen Unfall kam, Flugtage dieser Art von Nervenkitzel und Sensationslust hätten befreien müssen.
Die Kritik darf jedoch niemanden dazu verführen, den Sinn und Zweck des Untersuchungsausschusses zu verfälschen. An die Adresse der Opposition sage ich: Sie haben das Forum des Untersuchungsausschusses, zumindest teilweise, zum parteipolitischen Tribunal mißbraucht.

(Dr. Ehmke [Bonn] [SPD]: Ist ja unglaublich!)

Sie haben versucht, das Ergebnis des Untersuchungsausschusses durch Halbwahrheiten, Spekulationen, Unterstellungen und absichtlich falsch gezogene Schlüsse in Wahrheit für andere Zwecke zu nutzen:

(Heistermann [SPD]: Wir danken für Ihre Offenlegung! — Weitere Zurufe von der SPD und den GRÜNEN)

für die Abschaffung des Tieffluges, für eine Kampagne gegen die Bundeswehr und ihre Repräsentanten

(Frau Fuchs [Verl] [SPD]: Aber Herr Wilz, jetzt müssen Sie bei der Sache bleiben! Zur Sache, Schätzchen!)

und nicht zuletzt für eine unverantwortliche Stimmungsmache gegen unsere amerikanischen Verbündeten und Freunde.

(Opel [SPD]: Ich hatte eigentlich die Hoffnung, daß Sie objektiv sind!)

Trotz all dieser Widrigkeiten, mit denen Sie die Beweisaufnahme erschwert haben, müssen Sie hier und heute mit uns feststellen: Erstens. Die Bundesrepublik Deutschland hatte und hat die volle Macht eines souveränen Staates. Die alliierten Vorbehaltsrechte — das wissen Sie genau — gelten nur für Berlin und Deutschland als Ganzes. Dies hat der Untersuchungsausschuß in aller Klarheit bestätigt.
Zweitens. Das NATO-Truppenstatut, das die Pflichten und Rechte verbündeter Streitkräfte im jeweiligen Gastland regelt, fordert: Alliierte Streitkräfte in der Bundesrepublik Deutschland sind an deutsches Recht und deutsche Verwaltung gebunden.
Drittens. Alle am Genehmigungsverfahren Beteiligten — und dies gilt auch für den damaligen Verteidigungsminister Professor Scholz — sind ohne Schuld. Keiner — ich betone: keiner — Ihrer leichtfertigen Vorwürfe hat sich als haltbar erwiesen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Im Gegenteil, sie führten zu einer unerträglichen Vorverurteilung.
Dies veranlaßt uns zu der Forderung darüber nachzudenken, ob wir nicht entweder gesetzlich oder im Wege eines Ehrenkodex' regeln, daß es demnächst für



Wilz
Mitglieder des Untersuchungsausschusses keine Vorabverurteilung mehr geben kann. Alles andere ist unerträglich und sollte, wie es auch bei Gerichtsverfahren der Fall ist, für die Zukunft ausgeschlossen werden.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Lassen Sie mich an dieser Stelle, meine Damen und Herren, denen Dank sagen, die in hervorragender Weise mit- und zugearbeitet haben. Ich danke an der Spitze dem Vorsitzenden, Alfred Biehle, der in sehr fairer, seriöser und korrekter Weise die Untersuchungen geleitet hat. Herzlichen Dank dafür, Alfred Biehle.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Opel [SPD]: Da haben Sie ausnahmsweise recht!)

Ich bedanke mich auch bei den Mitarbeitern des Ausschußsekretariats und auch bei den Mitarbeitern aller Fraktionen, die ihren Anteil an der Erledigung der Aufgabenstellung geleistet haben.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Frau Schilling [GRÜNE]: Das ist der einzige Dank, der akzeptiert wird!)

Ich stelle hier ausdrücklich fest, daß das Bundesverteidigungsministerium in sehr guter Kooperationsbereitschaft mitgewirkt hat. Dies muß hier auch einmal deutlich gesagt werden.

(Opel [SPD]: Teilweise!)

Lassen Sie mich zu Wertungen kommen. Die Katastrophe von Ramstein war nach gerechtem und vorurteilsfreiem Urteil nicht vorhersehbar. Es kam zu diesem schrecklichen Unfall, obwohl der Sicherheitsabstand für die Flugvorführungen um mehr als das Doppelte erhöht worden war, obwohl die Vorführungen durch zuständige Fachleute zuvor eingehend überprüft worden waren,

(Frau Schilling [GRÜNE]: Ist ja gar nicht wahr!)

obwohl die italienische Staffel große fliegerische Erfahrung besaß und die US-Luftstreitkräfte als Vorbild für die Flugsicherheitsstandards gesehen wurden.
Dennoch passierte das Undenkbare; es darf sich nie wiederholen.
Ich komme für meine Fraktion zu den Folgerungen. Entscheidend ist: Militärische Flugtage wird es nicht mehr geben. Gleichzeitig können wir aber nicht zulassen — das sage ich in aller Deutlichkeit — , daß die Luftwaffe als einzige Teilstreitkraft ausgegrenzt wird, sich selbst darstellen zu können. Auch sie braucht — wie Heer und Marine — den „Tag der offenen
Der Bundesminister der Verteidigung hat nach Ramstein unverzüglich begonnen, ein neues Konzept für solche — im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit notwendige — Veranstaltungen zu erarbeiten.
Dieses Konzept hat von drei Grundbedingungen auszugehen: kein Kunstflug bzw. kein Flug mit Schaueffekten, kein Überflug von Zuschauern und kein Sensationskitzel.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1117514700
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Gerster (Worms)?

Bernd Wilz (CDU):
Rede ID: ID1117514800
Ja, natürlich.

Florian Gerster (SPD):
Rede ID: ID1117514900
Herr Kollege Wilz, Sie haben eben gesagt, militärische Flugtage wird es nicht mehr geben. Haben Sie bei dieser Aussage berücksichtigt, was der Bundesverteidigungsminister dieser Tage dem Ausschuß und den Obleuten mitgeteilt hat? Sind das nicht Richtlinien, die militärische Flugtage in bestimmtem Rahmen weiterhin erlauben?

(Dr. Mechtersheimer [GRÜNE]: Gute Frage!)


Bernd Wilz (CDU):
Rede ID: ID1117515000
Die Frage ist, wie Sie „Flugtage" definieren. Ich habe eben eindeutig klargemacht, was wir wollen: Erstens. Es wird „Tage der offenen Tür" geben; zweitens habe ich genannt, was nicht mehr stattfinden darf, und drittens habe ich mich eindeutig zur Luftwaffe insoweit bekannt, als ich gesagt habe: Wir werden auch die Luftwaffe nicht verstecken. Ich sage das, damit das völlig klar ist.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Lassen Sie mich zusätzlich feststellen: Wir werden bei den Genehmigungen zu einem formalisierteren Verfahren kommen. Es bedarf in der Tat mehr der Schriftform. Aber damit hier gar kein Irrtum aufkommt — hier ist ja vorhin der Zeuge Hildebrandt zitiert worden — : Selbst wenn es hier ein schriftliches Verfahren in der gewünschten Form gegeben hätte, dann hätte das in bezug auf den Unfall selbst keine Folge gehabt.

(Dr. Mechtersheimer [GRÜNE]: Warum fordern Sie es dann?)

Insofern kommt es darauf an, daß wir aus Gründen der Beweissicherung bessere Möglichkeiten entwickeln.
Darüber hinaus wollen wir noch schärfere Sicherheitsvorschriften. Diese Bedingungen sind auch für Veranstaltungen der zivilen Luftfahrt zu fordern. Hier teilen wir natürlich auch voll die Auffassung der Kolleginnen und Kollegen der FDP.
Zu den Lehren und Erfahrungen von Ramstein gehört auch: Die Zusammenarbeit zwischen amerikanischen und deutschen Rettungseinheiten an der Unfallstelle war unter Berücksichtigung aller Umstände vorbildlich. Dennoch, im Katastrophenfall kann und muß die Abstimmung zwischen Bund und Ländern einschließlich der alliierten Partner noch enger werden.

(Nolting [FDP]: Das ist zweifellos richtig!)

Ein Wort zum Entschädigungsrecht. Ich glaube, wir alle sind aufgerufen, auf alle Stellen einzuwirken, daß in solchen Fällen noch schneller und unbürokratischer geholfen werden kann. Das Haftungsrecht ist vom Deutschen Bundestag daraufhin zu prüfen, ob es für Unfälle solcher Art ausreicht. Ich erinnere daran, daß beispielsweise die Frage des Zeitwertes eine für uns in vielen Fällen sehr problematische Fragestellung war. Ich kann nur hoffen, daß alle Gremien des Deutschen Bundestages mitarbeiten werden, um das deut-



Wilz
sche Haftungsrecht in der Tat einer Verbesserung zuzuführen.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1117515100
Herr Abgeordneter, es besteht noch einmal der Wunsch nach einer Zwischenfrage des Abgeordneten Müller. — Bitte schön, Herr Müller.

Albrecht Müller (SPD):
Rede ID: ID1117515200
Herr Kollege Wilz, geben Sie mir recht, daß der Herr Bundeskanzler nach dem Unfall, nach dem Unglück selbst auch eine unbürokratische Hilfe versprochen hat, und was ist es dann wert, wenn das immer wieder neu versprochen wird, aber nicht so gehalten wird?

Bernd Wilz (CDU):
Rede ID: ID1117515300
Herr Kollege Müller, ich darf darauf hinweisen: Wenn es einen Mann gibt, der zu seinen Aussagen steht, dann ist es der Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland. Sie können jedes Wort von Helmut Kohl auf die Waagschale legen.

(Zustimmung bei der CDU/CSU — Müller [Pleisweiler] [SPD]: Das gibt einen Bonus in der Partei! — Weiterer Zuruf von der SPD: Überheben Sie sich nicht!)

Ich kenne keinen, der sich mehr zu seinen Worten bekennt und sich mehr daran hält.
Meine Damen und Herren, ich darf fortfahren, weil mir die Zeit wegläuft. Wir, das ganze deutsche Parlament, stehen in der Pflicht, zukünftig alles zu vermeiden, was Leib und Leben von Menschen in Gefahr bringt. Deshalb sind wir gegen Flugshows und Flugtage, aber auch dagegen, die Soldaten der Luftwaffe zu verstecken und die Kasernen zu verschließen. Wir, die CDU/CSU, wollen einen „Tag der offenen Tür" auch für die Luftwaffe, aber ohne Dramatik und Nervenkitzel und ohne Risiko für die Menschen.
Ich bedanke mich.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsident Westphal: Das Wort hat der Abgeordnete Opel.


Manfred Opel (SPD):
Rede ID: ID1117515400
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich hätte eigentlich erwartet, daß hier — ähnlich
wie es in der Rede des Herrn Vorsitzenden des Untersuchungsausschusses zum Ausdruck gekommen ist — Betroffenheit Platz griffe, Betroffenheit ob dieses Unglücks, das wir noch vor Augen haben, weil wir die Aufzeichnungen gesehen haben und weil wir uns mit Tonaufzeichnungen, den Photographien und den Aussagen beschäftigt haben. Ich habe davon sehr wenig gespürt, und ich habe zu meinem Bedauern festzustellen, daß Sie die Vorurteile und die parteipolitischen Absichten wiederholen, die Sie zum Teil in Ihren Mehrheitsbericht hineingeschrieben haben. Ich bedaure das zutiefst.

(Beifall bei der SPD — Kolbow [SPD]: Leider wahr!)

Ich möchte mich nun mit dem Mehrheitsbericht befassen.

(Abg. Nolting [FDP] meldet sich zu einer Zwischenfrage)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1117515500
Herr Abgeordneter, sind Sie, bevor Sie dazu kommen, bereit, eine Zwischenfrage zu beantworten?

Manfred Opel (SPD):
Rede ID: ID1117515600
Nur wenn es mir nicht auf meine Redezeit angerechnet wird, Herr Präsident.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1117515700
Nein, das wird nicht angerechnet. — Bitte schön, Herr Nolting.

Günther Friedrich Nolting (FDP):
Rede ID: ID1117515800
Herr Kollege Opel, kennen Sie eigentlich Ihre Presseerklärungen, in denen Sie von „hinhaltenden Verfahrenstricks",

(Horn [SPD]: Intelligentes Zeug!)

von „heuchlerischer Beteuerung", von „begleitender Polemik", von „hemmungsloser Polemik" , von „billigen Verfahrenstricks",

(Horn [SPD]: So ist es!)

von „Winkeladvokaten der Koalition" sprechen, und wie können Sie dann erwarten, daß Sie in der heutigen Sitzung hier geschont werden, oder können Sie nicht verstehen, daß wir Ihnen das hier dann auch aufzeigen?

(Zuruf von der SPD: Rache!)


Manfred Opel (SPD):
Rede ID: ID1117515900
Herr Kollege, erstens kenne ich Sie.

(Nolting [FDP]: Offensichtlich nicht!)

— Herr Kollege, lassen Sie mich doch in Ruhe antworten, oder ertragen Sie das nicht?

(Nolting [FDP]: Doch! — Horn [SPD]: Das will er doch gar nicht! Der will doch nur seinen Seich loswerden!)

— Ich bin ja dankbar, daß das endlich einmal im Protokoll und nicht nur in einer Presseerklärung steht.
Ich muß sagen, Herr Kollege: Selbstverständlich kenne ich Sie. Aber das ist darauf zurückzuführen, daß Sie mit Äußerungen vorher an die Öffentlichkeit getreten sind, die schlicht und einfach die Wahrheit verfälschen. Sie haben uns gezwungen, ein klares Wort zu sagen, und das haben wir getan.

(Beifall bei der SPD)

Wo Aufklärung angebracht wäre, haben Sie im Bericht bedauerlicherweise eigentlich nur Angriffe auf die Opposition anzubieten. Sie haben hier heute ja gezeigt, wie man das macht. Wo die Durchsetzung nationaler Interessen angebracht wäre, unterstellen Sie der SPD, sie würde — ich zitiere — „mit ihrer rechtsgrundlosen Souveränitätsdebatte das langfristige Ziel des Austritts aus dem Bündnis verfolgen". Wo die Menschen draußen hoffen, daß sich eine derartige nationale Katastrophe auf keinen Fall wiederholen möge — hier treffen wir uns, Herr Kollege Biehle und Herr Kollege Wilz — , stellen Sie leichtfertig fest, daß der Flugunfall unvorhersehbar und unabwendbar gewesen sei. Keine dieser Feststellungen trifft auch nur im Ansatz zu.
Der Flugunfall war vorhersehbar!

(Nolting [FDP]: Das stimmt doch nicht!)




Opel
Es hat ein Überfliegen der Zuschauer stattgefunden, was verboten war.

(Nolting [FDP]: Das war nicht verboten! Das haben wir doch aufgezeigt!)

Der Pilot hätte beim Kurven auf die Zuschauer zu 900 m einhalten müssen. Der Unfall ist 530 m von den Zuschauern entfernt passiert. Die Flugzeugtrümmer und der Feuerball sind über 100 m in die Zuschauer eingedrungen. Dies bedeutet: Wenn es 900 m gewesen wären, wären zumindest die Folgen geringer gewesen. Reden Sie doch nicht darüber hinweg!

(Beifall bei der SPD — Horn [SPD]: Er kann nicht rechnen!)

Was unser Verhältnis zu den verbündeten Stationierungsstreitkräften angeht, bedarf es an dieser Stelle eines klaren Wortes. Ich bedaure außerordentlich, daß sich weder die Amerikaner noch die Italiener bereit fanden, dem Untersuchungsausschuß Zeugen oder Sachverständige zur Verfügung zu stellen.

(Dr. Mechtersheimer [GRÜNE]: Weil wir so souverän sind!)

Völlig unverständlich ist zudem, daß dem Untersuchungsausschuß des Deutschen Bundestages ein Lokaltermin auf eigenem, wenn auch überlassenem Territorium in Ramstein verweigert wurde. Solches Verhalten nährt unnötigerweise die Ansicht, es gebe in unserem Lande Souveränitätsdefizite.
Eines ist unzweifelhaft wahr: Die Alliierten haben sich in unserem Land nach unserem Recht zu richten.

(Zustimmung bei der SPD und den GRÜNEN)

Allerdings muß dieses Recht von der Exekutive auch konsequent durchgesetzt werden.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN — Heistermann [SPD]: Eingefordert werden!)

Hier gibt es bei der Bundesregierung auch noch heute erhebliche Defizite. Das hat überhaupt nichts mit einer Antihaltung, Herr Kollege, zu tun. Es ist jedoch ein entscheidendes Stück Selbstachtung; das ist doch die Wahrheit.

(Beifall bei der SPD)

Hier liegen wir in der Tat weit auseinander: Wir wollen Souveränität mit Bestimmtheit und Selbstbewußtsein und nicht zurückhaltende Wohlgefälligkeit leben. Hier unterscheiden wir uns.

(Horn [SPD]: Die wollen Servilität!)

Die unterdessen vom Bundesminister der Verteidigung mit seinem Schreiben von gestern angekündigten Maßnahmen zur Genehmigung und zur Erhöhung der Flugsicherheit bei Flugtagen weisen, Herr Minister, in die richtige Richtung. Sie reichen jedoch bei weitem noch nicht aus. Wir begrüßen Ihre Absicht in vielen Teilen, Herr Minister. Es geht aber keinesfalls, daß Sie in Zukunft Flugtage wie in Ramstein wieder zulassen; nur ein bißchen niedlicher.

(Beifall bei der SPD)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1117516000
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Biehle?

Manfred Opel (SPD):
Rede ID: ID1117516100
Selbstverständlich. Vizepräsident Westphal: Bitte sehr.

Alfred Biehle (CSU):
Rede ID: ID1117516200
Herr Kollege, würden Sie freundlicherweise erstens zur Kenntnis nehmen, daß die Italiener, die zunächst einmal keine Zeugen zur Verfügung stellen konnten, wohl einen der umfassendsten Untersuchungsberichte mit Bildmaterial übergeben haben, um die Untersuchungen zu erleichtern, und zweitens, daß wir die amerikanische Armee informell gebeten haben, einen Lokaltermin durchzuführen, daß aber die Auffassung bestand, daß — nicht deswegen, weil das deutscher Grund und Boden ist — ein deutscher Untersuchungsausschuß in die amerikanische Armee hinein nichts untersuchen kann, und daß angeboten war — mit gemessenem Abstand —, Ramstein über den Verteidigungsausschuß zu besuchen?

Manfred Opel (SPD):
Rede ID: ID1117516300
Herr Kollege Biehle, zunächst zu den Italienern. Es ist richtig, daß uns ein ausführlicher Bericht vorgelegt wurde. Aber ich erinnere an Ihre eigenen Worte. Sie sagten selbst — ich will die Vertraulichkeit des Ausschusses nicht verletzen — , daß es für Sie — sonst hätten Sie den Antrag nicht gestellt — unverständlich wäre, daß die Amerikaner den Untersuchungsausschuß als Untersuchungsausschuß nicht eingeladen haben, sondern nur zulassen wollten, daß wir quasi als Verteidigungsausschuß dort sind. Dies, Herr Kollege, ist für mich unerträglich und noch mehr unverständlich.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN — Dr. Mechtersheimer [GRÜNE]: Biehle wollte Ihnen helfen!)

— Selbstverständlich. Ich sage, wie Sie wissen, immer die Wahrheit.
Was wir brauchen, ist ein Verbot von Flugdarbietungen ohne Wenn und Aber — und für alle Zeit!

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Die von Ihnen, Herr Minister, angekündigten Maßnahmen beweisen aber sehr deutlich, daß die Feststellungen der Koalition in ihrem Mehrheitsbericht, der Flugunfall in Ramstein mit seinen katastrophalen Folgen sei nicht auf irgendein Versäumnis deutscher Behörden bei der Erteilung luftverkehrsrechtlicher Genehmigungen zurückzuführen, offensichtlich eine durchsichtige Schutzbehauptung ist. Der Mehrheitsbericht des Untersuchungsausschusses sagt nämlich ausdrücklich, daß er außer einigen Anregungen „keinen Anlaß zu konkreten Vorschlägen für die Gestaltung künftiger Flugtage" zu sehen vermag. Ich halte dies für eine der schlimmsten Fehlleistungen der Koalition im Untersuchungsausschuß. Dies haben Sie, Herr Minister Stoltenberg, mit Ihrem Schreiben vom 14. November dieses Jahres erfreulicherweise in Teilen korrigiert.
Vor Gericht — nun wende ich mich den Vorgängen in Nörvenich zu und möchte das ergänzen, was mein Kollege Gerster sagte — wurde seitens des Bundesministers der Verteidigung mit unvollständigen und, wie



Opel
wir heute wissen, teilweise unrichtigen Tatsachenbehauptungen argumentiert. So wurde beispielsweise entgegen den Behauptungen deutlich mehr geflogen als beim normalen Flugbetrieb, und die Flugvorführungen entsprachen in keiner Weise dem normalen taktischen Ausbildungsprogramm. Es ist nach der Gemeinsamen Geschäftsordnung der Bundesministerien auch so, daß in persönlichen Schreiben der, der schlußzeichnet, verantwortlich ist. Der Verantwortliche in dem Schreiben an den Ministerpräsidenten Rau war nur einer: der damalige Verteidigungsminister. Dabei ist sehr deutlich geworden, daß der vom Verteidigungsminister behauptete Verzicht auf Kunstflug bei den Vorführungen in Nörvenich gar nicht stattfinden konnte, da, wie die sogenannte „Steinhoff-Kommission" eindeutig feststellte, heute Kunstflug und militärischer Demonstrationsflug, wie er in Nörvenich geflogen wurde, überhaupt nicht mehr zu unterscheiden sind.
Der eigentliche Skandal von Nörvenich ist nicht nur die gefühllose Weiterführung des Flugtages, obwohl die anwesenden Verantwortlichen ausreichende Kenntnis von der Katastrophe von Ramstein hatten und sich zudem hätten verschaffen können, die ohne Zweifel zum Abbruch des Flugtages in Nörvenich hätten führen müssen. Das Schlimme ist, daß die Hauptverantwortlichen überhaupt nicht zur Rechenschaft gezogen wurden. Vor dem Untersuchungsausschuß mußte nämlich der Stellvertretende Kommandierende General der Luftwaffe, Generalmajor Vieth, einräumen, daß er die Verantwortung für die Fortführung des Flugtages in Nörvenich eindeutig persönlich übernommen hätte. Belangt wurde aber nicht er, sondern der Geschwaderkommodore, Oberst Hoppe, und der Divisionskommandeur, Generalmajor Rimek. Auch Generalleutnant Schmitz, der vor Ort den Inspekteur der Luftwaffe vertrat, trug deutlich größere Verantwortung als die beiden gemaßregelten Offiziere Rimek und Hoppe. Auch er wurde deswegen nicht belangt. Im Gegenteil, beide Offiziere, die für die unsäglichen Vorgänge in Nörvenich verantwortlich zeichnen, sind derzeit gemeinsam als Kommandierende Generale für die Einsatzstreitkräfte der deutschen Luftwaffe voll verantwortlich. Diese schweren Führungsfehler sind vom damaligen Bundesminister der Verteidigung persönlich zu verantworten.

(Zuruf von der SPD: So ist es!)

An dieser Stelle möchte ich aber eines besonders hervorheben. Jedem Menschen können selbstverständlich Fehler unterlaufen. Die Frage ist nur, wie er sich selbst dazu stellt. So hat der damalige Generalmajor Rimek aus seinem Verhalten unverzüglich die persönliche Konsequenz gezogen und darum gebeten, in den einstweiligen Ruhestand versetzt zu werden. Dieses Verhalten ehrt ihn um so mehr, als ihn nur ein außerordentlich geringer Schuldvorwurf trifft. Auch er gehört zu den Opfern des damaligen Verteidigungsministers.

(Beifall bei der SPD)

Doch dies ist nicht der letzte gravierende Fehler des Professors Dr. Scholz. Er hat in der disziplinarrechtlichen Bewältigung des Geschehens von Nörvenich den zuständigen Inspekteur der Luftwaffe übergangen und hat es darüber hinaus zugelassen, daß das eindeutige Fehlverhalten der Generale Schmitz und Vieth als „pflichtgemäß" qualifiziert wurde.
Abschließend möchte ich dazu feststellen: Der Mehrheitsbericht, den Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, vorgelegt haben, ist nur geeignet, späteren Doktoranden dazu zu dienen, nachzuweisen, wie diese Koalition den parteipolitischen Eigennutz über das Interesse aller Bürger unseres Staates stellt. Ich bedauere, daß es soweit gekommen ist. Sie haben eine große Chance zur Gemeinsamkeit vertan, obwohl, wie ich betonen möchte, der Vorsitzende des Untersuchungsausschusses diese immer wieder angemahnt hat. Die Verantwortung hierfür tragen Sie allein. Hier wurde eine Chance vertan — dieses bedauere ich — , den Bürgern dort eine Gemeinsamkeit zu zeigen

(Zurufe von der CDU/CSU)

in der Untersuchung eines sehr schwierigen Falles, wo es darauf ankommt, Gemeinsamkeit zu zeigen und zu demonstrieren.
Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1117516400
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Kossendey.

Thomas Kossendey (CDU):
Rede ID: ID1117516500
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich zunächst zwei Sätze zum Kollegen Opel sagen. Seine Wertungen will ich hier nicht angreifen — das ist eine parteipolitische Sache — , aber die Behauptung, daß die Koalitionsfraktionen in ihrem Teil des Untersuchungsberichtes gesagt hätten, bei der zukünftigen Gestaltung von Flugtagen hätten wir keinen Handlungsbedarf, ist schlichtweg falsch. Wenn Sie sich unsere Abschlußfolgerungen anschauen, werden Sie das feststellen.

(Nolting [FDP]: Vielleicht kann er nicht lesen! — Opel [SPD]: Ich schicke Ihnen das zu!)

Vor gut einem Jahr, am 25. September 1988, haben wir zum erstenmal zur Katastrophe von Ramstein hier in diesem Plenum diskutiert. Wir hatten uns damals gemeinsam versprochen, nach bestem Wissen und Gewissen alle Ursachen der Katastrophe von Ramstein und die Vorfälle in Nörvenich aufzuklären, um Konsequenzen für die Zukunft zu ziehen.
Für mich persönlich, aber auch für viele der Kollegen im Ausschuß, sind Fragen offengeblieben, die uns noch lange beschäftigen werden. Die wichtigste davon für mich persönlich ist die: Kann ein solcher Ausschuß überhaupt ein Ergebnis haben, das einseitige persönliche Schuldzuweisung erlaubt, oder liegt der Nutzen eines solchen Ausschusses nicht vielmehr darin, daß wir uns aus traurigem Anlaß mit Dingen vertraut gemacht haben, die wir alle lange Zeit als „gut geregelt" ohne nachzudenken hingenommen haben, Regelungsmechanismen, die wir im Gesetz und im Verwaltungsablauf während der Ausschußarbeit zunehmend als problematisch empfunden haben? Hier, so meine ich am Ende der Arbeit, sollten wir den eigentlichen Nutzen dieses Ausschusses sehen.



Kossendey
Anders war die Situation zu Beginn dieser Ausschußarbeit: Wir wollten Schuldige für diese Katastrophe finden, und wir wollten sie gegebenenfalls zumindest politisch zur Verantwortung ziehen.
Heute müssen wir uns fragen: Waren diese Hoffnungen nicht vielleicht doch etwas überspannt? Waren unsere Erwartungen an diesen Untersuchungsausschuß nicht vielleicht etwas zu hoch? Waren wir wirklich die Treuhänder der Opfer und ihrer Angehörigen, oder waren wir — wenn ich „wir" sage, meine ich alle — allzuhäufig Handlanger von eigenen kleinkarierten parteipolitischen Interessen geworden?

(Opel [SPD]: Ich hoffe nicht!)

Natürlich ist es schwer, parteipolitischen Neigungen in so einem Untersuchungsausschuß nicht nachzugeben. Aber haben wir uns eigentlich wirklich alle immer ausreichend bemüht, diesen Neigungen auch zu widerstehen?
Wer heute die Protokolle in Ruhe nachliest, wird feststellen, daß wir uns über viele kleine Dinge lange und ausführlich informiert haben. Wir haben die Rechtslage erörtert, wir haben die Vorschriftenlage erörtert, wir haben bis hin zu jedem kleinen handgeschriebenen Vermerk intensiv geforscht. Das war wichtig, wir hatten ja auch quasi eine richterliche Funktion.
Aber haben wir darüber nicht manchmal vergessen, in welcher Situation die damals handelnden Menschen gestanden haben?

(Opel [SPD]: Sehr gut!)

Haben wir uns nicht allzu selten die Frage gestellt, wie wir gehandelt hätten, wenn wir uns in einer vergleichbaren Situation befunden hätten? Ist es nicht manchmal sehr leicht, aus Betrachtung im nachhinein in Ruhe und Gelassenheit die Fehler derjenigen zu suchen, die sich in ihrem täglichen Dienst mit all dem Streß, aber auch mit all der manchmal abstumpfenden Routine um die Vorbereitung der Flugtage — auch des Flugtages in Ramstein — gekümmert haben?

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP — Opel [SPD]: Sehr richtig!)

Ich sage ganz deutlich: Dieser Flugtag in Ramstein ist nicht anders, nicht besser — wenn überhaupt, dann schärfer — vorbereitet worden als die früheren Flugtage dort.

(Opel [SPD]: Auch das ist wahr!)

Haben wir uns bei all diesen Bemühungen nicht allzuoft im bürokratischen Unterholz verstolpert? Hätten wir nicht mehr Zeit auf die Frage verwenden sollen, warum Flugtage in dieser Art und Weise überhaupt stattfinden? Warum besuchen 300 000 Mitbürger solche Veranstaltungen? Was versprechen sie sich eigentlich davon?

(Opel [SPD]: Zirkus! — Frau Dr. Götte [SPD]: Nervenkitzel!)

Brauchen wir diese Art der Darstellung unserer Luftwaffen eigentlich in diesen tollkühnen Manövern, um
unsere Fähigkeit, Frieden und Freiheit zu verteidigen,
deutlich zu beweisen? Die Antwort auf diese letzte Frage muß für alle Zukunft „Nein" lauten,

(Beifall bei allen Fraktionen)

und zwar nicht nur im Interesse der Zuschauer und im Interesse der Piloten, sondern auch aus einem anderen Grund: Wir dürfen unsere Soldaten nicht zur Befriedigung der Sensationsgier anderer in Lebensgefahr bringen. Die Katastrophe von Ramstein ereignete sich ja nicht etwa beim täglichen Übungsbetrieb der Luftwaffe, der naturgemäß sein soll, sondern diese Katastrophe fand bei einer außergewöhnlichen Veranstaltung statt, deren Reiz es geradezu zu sein schien, das technisch gerade noch Machbare vor den Augen von Hunderttausenden zu praktizieren. Deswegen haben mehr als 300 000 Menschen den Weg nach Ramstein genommen, um Zeugen dieses Nervenkitzels zu sein. Dieser Nervenkitzel rührte nicht nur vom Können der Piloten her, sondern — auch das muß man deutlich sagen — erhält seinen besonderen Beigeschmack auch vom Risiko des Mißlingens.

(Opel [SPD]: Sehr gut!)

Der Auftrag der Bundeswehr und ihr Können müssen einer breiten Öffentlichkeit auch anders klarzumachen sein als durch Appelle an diese höchst zweifelhaften Risikogefühle. Der Hauch von Abenteuer und das prickelnde Risiko des Mißlingens solcher Vorführungen haben nichts mit dem ernsten und wichtigen Auftrag unserer Bundeswehr und ihrer Verbündeten zu tun.

(Opel [SPD]: Sehr richtig!)

Wer hier einen notwendigen Zusammenhang konstruiert, hat wenig Vertrauen zu den guten Sachargumenten, die unsere Verteidigungsanstrengungen rechtfertigen.
Wenn wir nun in diesem Zusammenhang einen politisch Verantwortlichen suchen, dann sollten wir das nicht nur angesichts dieser Katastrophe tun. Natürlich ist die Realität unseres politischen Tagesgeschäfts so, daß nun, da das Risiko in eine ungeheure Realität umgeschlagen ist, von überall her mit dem Finger auf die vermeintlich Verantwortlichen gezeigt wird, übrigens — diese Bemerkung sei mir gestattet — auch von denen, die noch vor Jahren, als sie selber darüber zu befinden hatten, mit den Flugschauen auch nach Unfällen nicht ein für allemal Schluß machten.

(Opel [SPD]: Das ist richtig! — Horn [SPD]: Richtig!)

Reicht allein die Tatsache, daß die Minister, die von der heutigen Oppositionspartei gestellt worden sind, mehr Glück bei der Durchführung von Flugtagen hatten, aus, daß man aus dieser Katastrophe politisches Kapital schlägt?

(Horn [SPD]: Richtig!)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1117516600
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Frau Abgeordneten Dr. Götte?

Thomas Kossendey (CDU):
Rede ID: ID1117516700
Aber bitte.




Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1117516800
Bitte schön, Frau Dr. Götte.

Dr. Rose Götte (SPD):
Rede ID: ID1117516900
Herr Kollege Kossendey, sehen Sie einen Unterschied zu früheren Zeiten darin, daß der Protest der Bürger ein ganz anderes Ausmaß angenommen hatte und daß auch die Auflistung der Gefahren in den Jahren davor eben erst in ganz anderer Weise deutlich wurde? Und insofern war doch eine andere Entscheidungsgrundlage als in den Jahren vorher da, wo auch die Bevölkerung es einfach achselzuckend hingenommen hatte.

Thomas Kossendey (CDU):
Rede ID: ID1117517000
Ich gehe darauf gern ein. Ich räume Ihnen gern ein, daß vor diesem Flugtag, wie vor vielen anderen Veranstaltungen der Bundeswehr seit 1982, 1983, gewarnt worden ist. Doch haben nicht viele der Warner — auch das muß ich deutlich zurückfragen — , gerade die aus den Kirchen und aus der versprengten Friedensbewegung, die Ernsthaftigkeit ihrer Vorbehalte manchmal durch allzu platte Argumentation gegen die Bundeswehr im allgemeinen und gegen das Militärische insgesamt dadurch entwertet?

(Horn [SPD]: Auch das hat es gegeben, ja!)

Und kann man es vielleicht denen, die auf der Seite der Bundeswehr standen, dann übelnehmen, daß sie gegenüber den Vorbehalten etwas vorsichtiger waren, die Sie hier äußern, die gleichzeitig mit ungeheuren Vorbehalten gegen das Militär insgesamt und manchmal auch mit nicht gerade ernstzunehmenden Bemerkungen garniert waren? Ich will nicht bestreiten, daß gewarnt worden ist. Bloß, die Warner haben aus meiner Sicht manches an Glaubwürdigkeit ihrer Warnungen dadurch selber verspielt, daß sie zwischen dem Risiko für die Zuschauer und die Piloten und dem unterschieden haben, was sie allgemein als militärisches Risiko jenseits dieser Flugtage gemeint haben.

(Opel [SPD]: Der Bürgermeister! — Horn [SPD]: Sauber differenziert! Sehr gut! Sehr gut!)

Natürlich war es unterschiedlich. Aber ich sage noch einmal deutlich, daß für mich da auch ein qualitativer Unterschied besteht.
Für mich ist die Diskussion zum Thema „Flugtage" mit der Vorlage des Abschlußberichts nicht beendet. Wir werden in den nächsten Monaten im Verteidigungsausschuß über die Konsequenzen aus diesem Ausschußbericht nachzudenken haben.
Zwei Feststellungen halte ich allerdings für mich und meine Kollegen im Untersuchungsausschuß jetzt noch einmal deutlich fest.
Die persönliche und die politische Integrität von Bundesminister Scholz ist durch nichts von dem, was wir im Ausschuß erörtert haben, erschüttert oder in Frage gestellt worden. Ich sage das ganz deutlich, weil es auch hier noch einmal gesagt werden muß.

(Dr. Klejdzinski [SPD]: Warum haben Sie ihn nach Hause geschickt?)

— Herr Klejdzinski, ich habe auf Ihren Zwischenruf
gewartet. Sie hatten drei Tage nach der Katastrophe
schon das Vergnügen, in Ihrer eigenen Zeitung „Vorwärts" — die ist ja rechter Umtriebe unverdächtig — zu verkünden: Verantwortlich sind die Amerikaner. Das steht im Widerspruch zu dem Ausschußbericht, den Sie hier abgegeben haben.

(Nolting [FDP]: Da hätte man ja gar keinen Untersuchungsausschuß gebraucht!)

Zweitens. Im Ausschuß ist kein Umstand ermittelt worden, der es erlauben würde, einem Beamten oder einem Soldaten eine persönliche Schuld an dieser Katastrophe zuzuweisen. Ich sage noch einmal deutlich: Bei der Suche nach Verantwortlichen werden wir schlußendlich auch bei uns selber landen müssen, denn der Gesetzgeber hat den Rahmen für das Handeln des Verteidigungsministeriums und aller Luftfahrtbehörden in Deutschland festzulegen.

(Gerster [Worms] [SPD]: Genau!)

Hier trifft uns alle, die wir ein politisches Mandat haben, die Verantwortung dafür, daß wir alle möglichen oder wahrscheinlichen Gefahren in Zukunft von vornherein so begrenzen, daß mehr als in der Vergangenheit für die Zukunft solche Katastrophen ausgeschlossen werden.
Bevor ich zum Schluß komme, gestatten Sie mir noch einige Anmerkungen zum Antrag der SPD-Fraktion: Wir werden uns ernsthaft mit diesem Antrag auseinandersetzen, zumal er in einigen Punkten Gedanken und Vorschläge enthält, die auch uns in den letzten Wochen und Monaten bewegt haben.

(Opel [SPD]: Das ist sehr erfreulich!)

Der Brief des Verteidigungsministers hat hier schon deutliche Signale gesetzt.
Interessant ist für mich — da hören Sie bitte zu —, daß dieser Antrag in einem wesentlichen Punkt von den Forderungen der SPD abweicht, wie sie im Votum zum Ausschußbericht niedergelegt worden sind. Während in dem Antrag generell Flugdarbietungen bei Tagen der offenen Tür verboten werden sollten, ist im Ausschußvotum die Einschränkung gemacht worden, daß Vorbeiflüge, Rundflüge und Rettungsflüge erlaubt sein sollten.
Während im Antrag das Vorführen von Strahlflugzeugen insgesamt bei zivilen Flugtagen verboten werden soll, ist im Ausschußvotum lediglich ein Verbot des Vorführens von Kampfflugzeugen auf zivilen Flugtagen vorgesehen. Darüber werden wir im Ausschuß zu sprechen haben.
Diese Arbeit im Verteidigungsausschuß muß auch nach Abschluß der Arbeiten des Untersuchungsausschusses von der Erinnerung an die Katastrophe von Ramstein und ihre Opfer geprägt sein. Aber sie muß auch deutlich machen — vielleicht mehr als die Arbeit im Untersuchungsausschuß selbst —, daß wir der Verantwortung, die uns diese Katastrophe anmahnt, auch gerecht werden wollen.
Schönen Dank.

(Beifall bei allen Fraktionen — Zuruf von der SPD: Das war eine gute Rede!)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1117517100
Das Wort hat der Abgeordnete Horn.




Erwin Horn (SPD):
Rede ID: ID1117517200
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte drei Vorbemerkungen machen.
Erstens. Das Versagen des Abgeordneten Nolting wird aus der Rede des Kollegen Kossendey ganz besonders deutlich.

(Beifall bei der SPD)

Zweitens. Die Nachdenklichkeit des Kollegen Kossendey in seiner Rede hätte ich allerdings sehr gern auch im Bericht der Koalition gesehen.

(Beifall bei der SPD)

Drittens. Die SPD war für die Übernahme des Sachberichts des Sekretariats des Verteidigungsausschusses. Union und FDP haben diese Übernahme abgelehnt und damit torpediert.

(Beifall bei der SPD — Nolting [FDP]: Haben Sie sich mal gefragt, warum?)

— Ihnen antworte ich nicht mehr; denn ich muß wirklich sagen: Was Sie hier an Zwischenrufen und an Darstellungen plaziert haben, war unter Niveau; das beleidigt das parlamentarische Niveau.

(Beifall bei der SPD)

Mit ihrer Art der Aufarbeitung der Geschehnisse hat die Koalition nicht einmal den Versuch gemacht, der Öffentlichkeit ein in sich schlüssiges und durchdachtes Rechtfertigungsgebäude zu präsentieren. Nach ihrer Version wäre in Ramstein alles optimal verlaufen, wenn nicht der tote italienische Pilot einen Flugfehler gemacht hätte. Die Ereignisse von Nörvenich soll ausschließlich der sofort von seinem Posten abgelöste Kommodore zu verantworten gehabt haben. So einfach soll das alles nach den Vorstellungen der Koalition gelaufen sein.
Es soll keine Souveränitätsdefizite gegeben haben, keine Genehmigungsmängel, keine Koordinierungsprobleme der Rettungsdienste untereinander, keine Täuschung besorgter Bürger und Politiker, nichts, was es zu kritisieren gäbe, außer daß der tote Solopilot in Ramstein falsch geflogen ist und der damalige Kommodore des Nörvenicher Geschwaders seinen Auf gaben offensichtlich nicht gewachsen war.
Ich kann hier nur feststellen: Diese Art der Aufarbeitung der Katastrophe von Ramstein, wie sie die Koaltion vorgenommen und mit ihrem Bericht vorgelegt hat, ist nicht nur zu simpel, sondern sie ist auch der Opfer unwürdig. Sie ist menschenverachtend und unwürdig, weil eindeutige Aussagen zu den Verantwortlichkeiten nicht getroffen wurden.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, der damalige Verteidigungsminister hätte doch am 8. September 1988 in der Sondersitzung des Verteidigungsausschusses in etwa wie folgt auf uns zukommen können: In Ramstein ist eine schreckliche Katastrophe passiert. Sie kam zustande, weil das Verteidigungsministerium ein Genehmigungsverfahren angewendet hat, daß unzureichend war und den Anforderungen des deutschen Luftverkehrsrechts nicht gerecht wurde. Die Genehmigung wurde am 29. April 1988 erteilt. Ich, Professor Scholz, bin jedoch erst am 11. Mai 1988 Verteidigungsminister geworden. Ich habe auch festgestellt, daß die Art und Weise, wie der Flugtag von Ramstein genehmigt wurde, im Verteidigungsministerium ständige Übung bis weit in die 70er Jahre war, also auch unter sozialdemokratischen Verteidigungsministern so praktiziert wurde. — Hier gibt es auch keinen Dissens, Herr Kollege Kossendey. — Dies muß sofort auf die richtige rechtliche Grundlage gestellt werden, nach der sich auch unsere Bündnispartner richten müssen, wenn sie weiterhin Flugtage veranstalten wollen. Darüber hinaus wird alles getan, um den Opfern schnell und unbürokratisch zu helfen.
Hätte sich der damalige Minister Scholz seinerzeit so eingelassen, wäre es nicht zu diesem Untersuchungsausschuß gekommen. Daß sich Professor Scholz damals anders verhielt, ist sein persönliches Problem und das politische Problem der Koalition. Sein persönliches Problem ist weiterhin, daß er auch wegen seines Verhaltens vor diesem Untersuchungsausschuß als Verteidigungsminister scheiterte und der Bundeskanzler ihn entlassen mußte.
Der damalige Verteidigungsminister hat jedoch bei diesem Untersuchungsverfahren im trauten Einvernehmen mit der Regierungskoalition Besonderheiten eingeführt, die es bislang in keinem Untersuchungsverfahren gemäß Art. 45 a Abs. 2 des Grundgesetzes gegeben hat. So bildete er in seinem Ministerium ausschließlich für den Untersuchungsausschuß einen Sonderstab, die sogenannte Koordinierungsgruppe. Darüber hinaus präparierte er sogar einen Rechtssachverständigen auf eine Art und Weise, daß der Verdacht der Beeinflussung selbst in den Medien offen geäußert wurde.
Zunächst zu der sogenannten Koordinierungsgruppe. Der Untersuchungsausschuß Ramstein/Nörvenich war mein fünfter Untersuchungsausschuß. Mir ist es allerdings bis zu diesem Ausschuß als Abgeordnetem erspart geblieben, so unverhohlen hinters Licht geführt zu werden. Selbst bei den Untersuchungsausschüssen Lutze/Wiegel und Dr. Kießling, deren Thematik die Öffentlichkeit monatelang aufgewühlt hatte, wurde das auch nur in den Ansätzen nicht gewagt. Erst in diesem Untersuchungsausschuß wurde so unverhohlen das Prinzip der Waffengleichheit zwischen Regierung und Regierungsmehrheit im Parlament auf der einen Seite und der parlamentarischen Opposition auf der anderen Seite verletzt, wie dies mit der Zuarbeit der hochrangig besetzten sogenannten Koordinierungsgruppe geschah.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, da wurden für die Dauer des Untersuchungsverfahrens ein Unterabteilungsleiter der Besoldungsgruppe B 6, drei Referatsleiter der Besoldungsgruppe B 3 und darüber hinaus Referenten, Sachbearbeiter und Sekretärinnen für diesen Stab von ihren eigentlichen Aufgaben abgezogen und nur damit beschäftigt, die Akten so aufzuarbeiten, um Weißwaschen für das Ministerium zu betreiben.

(Nolting [FDP]: Da klatscht nicht einmal die SPD!)

Zum Schluß möchte ich für meine Fraktion dem Vorsitzenden des Untersuchungsausschusses und seinem Stellvertreter, den Kollegen Biehle und Kolbow,



für ihre souveräne, faire und verantwortungsvolle Leitung der Untersuchungen sehr herzlich danken.

(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Mechtersheimer [GRÜNE])

Ich kann dem Kollegen Biehle nur meine Hochachtung dafür aussprechen, daß er während der gesamten Dauer des Untersuchungsverfahrens den Vorsitz streng an der Sache orientiert und objektiv geführt hat. Dabei haben ihn seine eigenen Fraktionskollegen oft genug buchstäblich im Regen stehen lassen, weil sie in diesem Untersuchungsausschuß nur das Ziel verfolgten, die offensichtlichen Fehler und Versäumnisse des Verteidigungsministers und seines Ministeriums zu verdecken.

(Wilz [CDU/CSU]: Das ist eine freie Erfindung! — Gerster [Worms] [SPD]: Wenn sie körperlich anwesend waren!)

Um so größer ist deshalb unser Respekt vor der persönlichen Integrität des Vorsitzenden des Untersuchungsausschusses, der den Ausschuß sachorientiert, objektiv und vor allem fair geleitet hat.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Um so bedauerlicher ist allerdings das unparlamentarische — und das besonders an die Adresse des Kollegen Nolting gerichtet —, das illiberale Verhalten der Regierungsparteien. Ihr Verhalten ist beispiellos skandalös für einen Untersuchungsausschuß dieser Art.

(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Mechtersheimer [GRÜNE] — Wilz [CDU/ CSU]: Skandalös ist diese Aussage!)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1117517300
Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache.
Ich bedaure ein wenig, daß die jungen Soldaten von der Luftwaffe erst jetzt gekommen sind und nur den letzten Teil dieser Debatte gehört haben. Es wäre für sie sicher interessant gewesen, von dieser Debatte mehr zu hören.
Der Verteidigungsausschuß empfiehlt in seiner Beschlußempfehlung auf Drucksache 11/5354, seinen Abschlußbericht über Ramstein und Nörvenich als Untersuchungsausschuß zur Kenntnis zu nehmen. Ich stelle fest, daß dies hiermit geschehen ist.
Ich komme zu den Zusatzpunkten 3 und 4 der Tagesordnung.
Interfraktionell, meine Damen und Herren, wird vorgeschlagen, die Anträge auf den Drucksachen 11/5679 und 11/5681 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Sind Sie damit einverstanden? — Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Nun kommt der Zusatzpunkt 5 der Tagesordnung.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Verteidigungsausschusses auf Drucksache 11/5650. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/2897 als erledigt anzusehen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? Ich bitte um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Dann ist die Beschlußempfehlung einstimmig angenommen — manchmal wundert man sich.
Ich rufe Punkt 8 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Wirtschaftsplans des ERP-Sondervermögens für das Jahr 1990 (ERP-Wirtschaftsplangesetz 1990)

— Drucksache 11/4908 —
Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft (9. Ausschuß)

— Drucksache 11/5627 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Niegel Müller (Pleisweiler)


(Erste Beratung 158. Sitzung)

Eine Aussprache ist nicht vorgesehen.
Interfraktionell ist vereinbart worden, daß der Abgeordnete Niegel als Berichterstatter für den Ausschuß eine Erklärung zu Protokoll gibt.*) Sind Sie damit einverstanden? — Dem widerspricht niemand. Das hat also die erforderliche Mehrheit beschlossen.
Wir kommen zur Einzelberatung und Abstimung über den Gesetzentwurf der Bundesregierung.
Ich rufe die §§ 1 bis 11, Einleitung und Überschrift mit den vom Auschuß empfohlenen Änderungen auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Bei Enthaltungen aus der Fraktion DIE GRÜNEN sind die aufgerufenen Vorschriften damit angenommen.
Wir treten in die
dritte Beratung
ein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Bei Enthaltung der Fraktion DIE GRÜNEN ist der Gesetzentwurf angenommen.
Ich rufe nun entsprechend der Vereinbarung zwischen den Geschäftsführern Tagesordnungspunkt 9 auf :
a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Haftung für fehlerhafte Produkte

(Produkthaftungsgesetz — ProdHaftG)

— Drucksache 11/2447 —
Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses (6. Ausschuß)

— Drucksache 11/5520 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Hörster Stiegler

(Erste Beratung 105. Sitzung)

*) Anlage 5



Vizepräsident Westphal
b) Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses (6. Ausschuß) zu dem Antrag der Abgeordneten Frau Saibold und der Fraktion DIE GRÜNEN
Verbesserung des Produkthaftungsgesetzes — Drucksachen 11/3718, 11/5520 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Hörster Stiegler
Zu dem Gesetzentwurf liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/5594 vor.
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die gemeinsame Beratung 30 Minuten vorgesehen. — Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache.
Bevor ich dem ersten Redner das Wort gebe, darf ich sagen, daß nach der Aussprache zu diesem Tagesordnungspunkt und den dazugehörigen zahlreichen Abstimmungen die Fragestunde beginnt.
Das Wort hat der Abgeordnete Hörster.

Joachim Hörster (CDU):
Rede ID: ID1117517400
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist seit langem anerkannt, daß die modernen Fertigungsmethoden, die Massenproduktion von Waren, die Vielfalt der Stoffe, die bei der Herstellung von Produkten verbunden und verarbeitet werden, dem Hersteller immer größere Sorgfaltspflichten abverlangen.
Die deutsche Rechtsprechung hat bei der Entwicklung des Rechts der Produzentenhaftung auf der Grundlage des § 823 BGB die Pflichten der Hersteller klar definiert: Wer ein Produkt herstellt und es in den Verkehr bringt, muß dafür geradestehen, daß er bei der Herstellung des Produktes die größtmögliche Sorgfalt aufgewendet hat und damit Fehler vermieden werden. Kann der Hersteller die Erfüllung dieser Sorgfaltspflicht nicht nachweisen, so haftet er für den Schaden, den der Fehler seines Produktes verursacht hat.
Ich habe schon während der ersten Lesung vor einem Jahr darauf hingewiesen, daß diese durch die Rechtsprechung entwickelte Produzentenhaftung durch das neue Produkthaftungsgesetz nicht ersetzt wird. Die deliktische Haftung des Produzenten, die zu Schadensersatz in unbegrenzter Höhe, zur Zahlung von Schmerzensgeld und zum Ausgleich der Folgeschäden verpflichtet, bleibt weiterhin eine wesentliche, in vielen Fällen sicherlich d i e wesentliche Anspruchsgrundlage des geschädigten Verbrauchers.
Daneben schafft das neue Produkthaftungsgesetz für den Hersteller einen zusätzlichen Haftungstatbestand. Dieser beruht auf dem Grundgedanken, daß von jedem Produkt Gefahren ausgehen können. Verwirklicht sich eine solche Gefahr, dann soll derjenige, der das Produkt herstellt und in den Verkehr gebracht hat, nach den Grundsätzen der Gefährdungshaftung für den entstandenen Schaden eintreten.
Mit dieser Gefährdungshaftung schließt das Produkthaftungsgesetz eine Haftungslücke zum Vorteil des Verbrauchers und schafft die Voraussetzungen dafür, daß grundsätzlich ein Schadensausgleich erfolgen kann.
Darüber hinaus wird der Kreis derjenigen, die dem Verbraucher haften, erweitert, da nicht nur der Hersteller eines Produkts, sondern auch derjenige haftet, der als Importeur Waren in das Gebiet der Europäischen Gemeinschaft einführt. Damit wird sichergestellt, daß auch bei Schäden, die durch Fehler von Importwaren verursacht werden, der Ersatzanspruch des Geschädigten im EG-Inland verwirklicht werden kann.
Die Produkthaftungsrichtlinie der Europäischen Gemeinschaften, die Grundlage des heute zu beschließenden Produkthaftungsgesetzes ist, macht deutlich, daß es in den Mitgliedsstaaten sehr unterschiedliche Auffassungen über den Grund und den Umfang der Produkthaftung gibt. Nur so ist es zu erklären, daß die Produkthaftungsrichtlinie vier Optionen enthält, die von den Mitgliedsstaaten sehr unterschiedlich in Anspruch genommen und umgesetzt werden können.
So ist es den Mitgliedsstaaten überlassen, ob sie die landwirtschaftlichen Naturprodukte oder die Jagderzeugnisse in die Haftung einbeziehen, ob sie den Produzenten für Entwicklungsrisiken haften lassen, ob sie den Schadensersatz auf die Gewährung von Schmerzensgeld ausdehnen und ob sie die Haftung für Personenschäden durch einen Haftungshöchstbetrag begrenzen.
Sowohl bei der öffentlichen Anhörung am 10. März dieses Jahres als auch bei der Beratung im Rechtsausschuß und im Unterausschuß Europarecht waren diese Optionen Hauptgegenstand der Debatte.
Wie aus dem Änderungsantrag der Fraktion der SPD zur Beschlußempfehlung des Rechtsausschusses zu entnehmen ist, konnten hier keine übereinstimmenden Meinungen erzielt werden.
Trotz der kritischen Anmerkungen, die ich bei der Einbringung des Gesetzentwurfs zum sogenannten Landwirtschaftsprivileg selber gemacht habe, halte ich es unter dem Gesichtspunkt der Rechtsvereinheitlichung für sachlich begründet, die landwirtschaftlichen Naturprodukte und Jagderzeugnisse vor der ersten Verarbeitung aus der Produkthaftung herauszunehmen. Mit Ausnahme unseres landwirtschaftlich äußerst bedeutenden Nachbarlandes Luxemburg wird nach dem derzeitigen Sachstand kein anders Mitglied der Europäischen Gemeinschaft die Produkthaftung auf die landwirtschaftlichen und jagdlichen Erzeugnisse vor der ersten Verarbeitung ausdehnen.
Mit Ausnahme des Dienstleistungslandes Luxemburg beabsichtigt nach dem derzeitigen Stand kein anderer Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaften, eine Haftung für Entwicklungsrisiken zu begründen. Nicht nur unter dem Gesichtspunkt der Rechtsvereinheitlichung, sondern auch aus sachlichen Gründen kann hier dem Änderungsantrag der SPD nicht gefolgt werden. Es ist schlechterdings nicht begründbar, warum jemand für ein Risiko haften soll, das für ihn weder vorausschaubar noch sonst irgendwie theoretisch erkennbar ist. Auch bei der Gefähr-



Hörster
dungshaftung gilt, daß der Haftende die Möglichkeit der Gefahr erkennen kann.
Da das Produkthaftungsgesetz anders als z. B. das Arzneimittelgesetz für alle Produkte in ihrer großen Vielfalt gilt, kann das, was unter Entwicklungsrisiko zu verstehen ist, auch nicht annähernd genau definiert werden.
Die von der SPD-Fraktion beantragte Ausdehnung des Schadensersatzes auf die Gewährung von Schmerzensgeld paßt nicht in unser Rechtssystem. In unserem Rechtssystem ersetzt das Schmerzensgeld keine Sozialversicherungsfunktionen. Es soll vielmehr dem Geschädigten Genugtuung dafür bieten, daß ein anderer ihn schuldhaft verletzt hat.
Der Antrag der SPD-Fraktion auf Streichung des Haftungshöchstbetrages muß aus rechtssystematischen Gründen ebenfalls abgelehnt werden, da Gefährdungshaftungstatbestände im deutschen Recht, von wenigen Ausnahmen abgesehen, regelmäßig mit einem Haftungshöchstbetrag verbunden sind.
Der Änderungsantrag der SPD-Fraktion zu § 15 — in Ihrem Antrag § 14 — ist ebenfalls rechtssystematisch problematisch. Das Arzneimittelgesetz gilt nur für Arzneimittel, die im Bundesgebiet an den Verbraucher veräußert werden. Es enthält ebenfalls einen Gefährdungshaftungstatbestand. Neben den speziellen Gefährdungshaftungstatbestand des Arzneimittelrechtes kann nicht zusätzlich der Gefährdungshaftungstatbestand nach dem allgemeinen Produkthaftungsrecht treten. Auch in der praktischen Rechtsanwendung dürften die unterschiedlichen Haftungshöchstgrenzen zu erheblichen Unsicherheiten führen.
Den Änderungsanträgen der SPD können wir, zusammengefaßt, deswegen nicht zustimmen, weil wir sonst das Ziel verfehlen würden, zum einen einer europäischen Rechtsvereinheitlichung näherzukommen und zum anderen das neue Produkthaftungsrecht in unser Haftungsystem systematisch einzuordnen.
Das Gesetz, das wir heute verabschieden werden, ist dennoch ausgewogen, verbraucherfreundlich und praxisgerecht. Für Produzenten und Verbraucher gilt jedoch gleichermaßen der Grundsatz, daß besser als jeder Schadenersatz die rechtzeitige und konsequente Vermeidung von Schäden ist. Daran ändert auch das neue Produkthaftungsgesetz nichts.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1117517500
Der nächste Redner ist Herr Stiegler.

Ludwig Stiegler (SPD):
Rede ID: ID1117517600
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Produkthaftungsgesetz ist ein Fortschritt gegenüber dem geltenden Recht. Wir verdanken der Europäischen Gemeinschaft einen Fortschritt im Verbraucherschutz, den auch wir Sozialdemokraten nicht geringachten. Schwierige Auseinandersetzungen um die Frage, ob ein Schaden schuldhaft verursacht worden ist, werden in Zukunft unterbleiben. Wir haben beim In-Verkehr-Bringen fehlerhafte Produkte in Zukunft eine Gefährdungshaftung. Wir haben vor allem die Gleichstellung der Importeure mit den Herstellern, was einerseits mehr Gleichbehandlung mit sich bringt und andererseits die Stellung der Verbraucher wesentlich verbessert.
Gleichwohl ist sozusagen das Glas nicht nur halb voll, sondern auch halb leer. Wir hätten die Chance gehabt, konform mit dem europäischen Recht ein vorbildliches Produkthaftungsgesetz zu schaffen. Statt dessen haben wir erhebliche Lücken hinterlassen, die eine spätere Gesetzgebung auf europäischer Ebene bzw. auf nationaler Ebene noch ausfüllen muß. Mir geht es darum, gleichzeitig mit der Begründung des Antrages der SPD-Fraktion die Lücken zu beleuchten, die gleichwohl geblieben sind.
Einmal der Ausschluß der Haftung für Entwicklungsrisiken: Wir bemerken mit der sich beschleunigenden Produktinnovation eine zunehmende Zahl von Risiken, die auf die Verbraucher zukommen. Die Haftung für Fehler, die zum Zeitpunkt der Herstellung und zum Zeitpunkt des In-Verkehr-Bringens dieses Produkts von Wissenschaft und Technik nicht erkennbar waren, wird nach diesem Recht den Verbrauchern aufgebürdet. Wir meinen aber, wer die Chance hat, Produkte gewinnbringend in den Verkehr zu bringen, muß auch alle Risiken tragen, die durch dieses InVerkehrBringen auf die Verbraucher zukommen.
Dazu gehören gerade auch die Entwicklungsrisiken. Ich erinnere an die lebhaften Diskussionen etwa um die Holzmittelgeschädigten. Wir werden uns demnächst wieder über die PCP-Verbote unterhalten. Die Akzeptanz der Verbraucher von Produktinnovationen wird durch den Ausschluß der Entwicklungsrisiken nicht gefördert. Wir belasten den Verbraucher unnötig. Wir wissen genau, daß es nur ein kleiner Sektor ist. Aber in einer Zeit zunehmender Innovationen und zunehmender Beschleunigung der Produktzyklen wäre es eben ein wichtiger Beitrag gewesen, auch Entwicklungsrisiken in die Haftung einzubeziehen. An der Versicherbarkeit wäre das nicht gescheitert. Die Europäische Gemeinschaft wird sicherlich auf das Thema zurückkommen, spätestens bei der Überprüfung im Jahre 1995. Wir werden, wenn es demnächst eine andere Mehrheit geben sollte,

(Seesing [CDU/CSU]: Na, na!)

noch früher auf das Thema zurückkommen. Man soll es am festen Glauben nie fehlen lassen. Sie glauben es in manchen kritischen Stunden ja schon selber.

(Seesing [CDU/CSU]: Die Zeiten sind schon wieder vorbei!)

Die zweite Lücke, die übriggelassen worden ist, ist der Ausschluß landwirtschaftlicher Erzeugnisse. Wenn man Meinungsumfragen verfolgt, wenn man die Diskussionen der Verbraucher verfolgt, dann weiß man, daß alle Welt nach gesunden Lebensmitteln schreit. Aber ausgerechnet in diesem Bereich hinterlassen wir eine große Haftungslücke.
Ich weiß, daß auch innerhalb der Union durchaus die Bereitschaft vorhanden gewesen wäre, diese Haftungslücke zu schließen. Aber die Agrarlobby, insbesondere auch der Agrarminister waren hier nicht zu Gesprächen bereit. Vielmehr haben sie die verbraucherfreundliche Regelung, die wir in unserem Antrag fordern, leider Gottes verhindert. Ob man damit den Bauern einen Gefallen tut, daran habe ich meine gro-



Stiegler
ßen Zweifel; denn die Lebensmittelindustrie ist gut beraten, durch Anbauverträge die entsprechenden Belastungen weiterzugeben. Auch weiß ich nicht, ob die Bauern nicht besser geschützt werden durch den allgemeinen Gesetzgeber als durch die Anbau- und Abnahmeverträge, die jetzt geschlossen werden müssen. Aber hier war sozusagen die Agrarlobby einfach stur und hat gerade in diesem sensiblen Bereich — wo alle Welt gesunde Lebensmittel haben will — keine Bewegung gezeigt. Wir bedauern das und werden auch auf dieses Thema zurückkommen.
Eine Haftung für landwirtschaftliche Naturprodukte hätte auch mitgeholfen, etwa den Pestizideinsatz und ähnliches zu vermindern. Das ist eine sehr empfindliche Lücke.
Das dritte betrifft das Schmerzensgeld. Es ist richtig, wenn der Kollege Hörster sagt, daß es zu unserer Rechtssystematik derzeit nicht paßt, daß Schmerzensgeld bei Gefährdungstatbeständen gewährt wird. Auf der anderen Seite wissen wir, daß gerade bei der Produkthaftung eben nicht nur Körperschäden entstehen, sondern daß eben die immateriellen Schäden ganz enorm sind. Wir zwingen jetzt den Verbraucher, dem wir eigentlich das komplizierte alte Recht ersparen wollten, daß das alte Recht nur wegen des Schmerzensgeldanspruches und wegen der Haftungshöchstgrenzen parallel weiterverfolgt wird. Wir müssen also mit zwei Anspruchsgrundlagen arbeiten. Das wäre unnötig.
Ich sage darüber hinaus: Wir werden uns hier in der nächsten Periode sicher über eine Gesamtreform der Gefährdungshaftung unterhalten müssen. Alle Gefährdungshaftungstatbestände müssen wir zusammenfassen. In einer Zeit, in der man sich eben zunehmend bewußt wird, daß die ökonomische Betätigung auch unvermeidbar Gefährdungen mit sich bringt, werden wir uns darauf verständigen müssen — ich bin überzeugt, wir werden dahin kommen — , daß eben auch das Schmerzensgeld mit zum Haftungsumfang gehören wird. Das ist wieder eine vertane Chance.
Das Thema Haftungsobergrenzen war uns von der Europäischen Gemeinschaft nicht vorgegeben. Es ist ein Ausdruck der Ängstlichkeit. Wir hätten auch ohne Haftungsobergrenzen in Zusammenarbeit von Industrie und Versicherungswirtschaft sehr wohl eine vernünftige Lösung hinbekommen.
Ein letztes: Die Frage der Arzneimittelhaftung — die übrigens als einzige bisher auch Entwicklungsrisiken umschließt, ohne daß die deutsche pharmazeutische Industrie deshalb untergegangen wäre — hat uns nach den Contergan-Erfahrungen gezeigt, daß man mit Gefährdungshaftung für Entwicklungsrisiken durchaus leben kann. Man hätte es also auch hier machen können. Die pharmazeutische Industrie gehört nicht zu dem Industriezweig, der am Krückstock geht. Sie hat phantasiereiche Lösungen entwikkelt. Diese Haftung soll jetzt sozusagen solitär für den Bereich der fehlerhaften Arzneimittel übrigbleiben. Das wird einmalig in Europa sein. Wir werden das einzige Land sein, das diese Bereichsausnahme kennt. Wir hätten es für besser gehalten, wenn auch hier insoweit eine Kumulation stattgefunden hätte, wobei ich zugebe, daß der Anwendungsbereich und der Fortschritt sich durchaus in Grenzen gehalten hätten, wenn man statt der einen Lösung beide Lösungen zusammen gehabt hätte. Das ist mehr eine Frage der Vollständigkeit.
Wir haben Ihnen unsere Änderungsanträge gegeben und hoffen, daß sie für die beteiligten Kreise und für die Verbraucher als Signal für die zukünftigen Aufgaben verstanden werden, nachdem es ja hier noch keine Mehrheit gibt. Aber in einem Jahr kann manches anders aussehen.
Meine Damen und Herren, ich will gleichwohl — —

(Dr. Hüsch [CDU/CSU]: Sie sind ein Pessimist!)

— Ein Jahr sollten Sie auch noch Zeit haben. Man sollte nichts überstürzen. Sub specie aeternitatis ist ein Jahr nicht die Welt, Herr Hüsch. So eilig haben wir es denn nun auch wieder nicht. Aber bitte schön, wenn Sie es nicht mehr aushalten, wir schaffen es auch früher.

(Zuruf von der CDU/CSU: Das war ein Scherz!)

Ich möchte gleichwohl sowohl der Rechtsprechung als auch den Fachleuten danken, die die Produkthaftung bis zum bisherigen Stand hin entwickelt haben, und auch dem Professor Taschner bei der Europäischen Kommission, der sozusagen ein Leben lang für die Produkthaftung gearbeitet hat. Wir sind es ja gewohnt, auf die Kommissare und ihre Mitarbeiter und die Generaldirektoren zu schimpfen, weil sie uns zu sehr dreinreden. Hier hat die Europäische Gemeinschaft für die Verbraucher im Binnenmarkt zwei Jahre vor Inkrafttreten des Binnenmarkts eine bedeutende Änderung bewirkt. Wir sind zu spät mit der Umsetzung, aber nun ist sie endlich gekommen.
Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und der FDP)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1117517700
Herr Funke ist der nächste Redner.

Rainer Funke (FDP):
Rede ID: ID1117517800
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das vorliegende Produkthaftungsgesetz, das die Richtlinie des Rates der Europäischen Gemeinschaft vom 25. Juli 1985 in nationales Recht umsetzt, ist ein wesentlicher Schritt zur Verbesserung der Rechtsstellung aller Verbraucher. In unseren Augen stellt das vorliegende Gesetz einen guten Kompromiß zwischen den Interessen der Verbraucher auf der einen und denen der Produzenten auf der anderen Seite dar.

(Beifall bei der FDP)

Das Produkthaftungsrecht ermöglicht die Harmonisierung der einzelstaatlichen Rechtsvorschriften über die Haftung für Personen- und Sachschäden, die durch Fehlerhaftigkeit eines Produkts entstanden sind, und dadurch auch den freien Warenverkehr innerhalb des gemeinsamen Marktes.

(Vorsitz : Vizepräsidentin Renger)

Das vorliegende Gesetz führt eine verschuldensunabhängige Haftung für fehlerhafte Produkte ein. Das heißt, wird durch den Fehler eines Produkts Scha-



Funke
den an Leib und Leben eines Menschen verursacht oder wird eine Sache beschädigt, so trifft den Hersteller die Verpflichtung, den daraus entstehenden Schaden zu ersetzen, ohne daß es dabei auf ein Verschulden des Herstelles hinsichtlich des Fehlers am Produkt ankäme. Diese verschuldensunabhängige Haftung des Produzenten erlischt in jedem Fall nach zehn Jahren. Damit ist auch in unseren Augen ein hinreichender Schutz des Verbrauchers gegeben. Auf der anderen Seite weiß der Produzent um seine Haftung und kann diese dann quantifizieren und auch entsprechend versichern. Dasselbe gilt natürlich auch für die Personenschäden, bei denen eine Haftungshöchstgrenze von 160 Millionen vorgesehen ist.
Zu Recht haben wir uns in der Koalition auch dafür entschieden, die landwirtschaftlichen Urprodukte und die Jagderzeugnisse auszunehmen, da dieser Bereich besonders den Gefahren der Einflußnahme Dritter durch Fremdemissionen ausgesetzt ist. Hinzu kommt, daß sich dieses Haftungsprivileg nur auf landwirtschaftliche Produkte erstreckt, die unbearbeitet in Verkehr gebracht werden.
Ausgenommen sind weiterhin Arzneimittel. Dazu ist hier schon vorgetragen worden, so daß ich mir dies aus Zeitgründen ersparen kann.
Es ist auch davon abgesehen worden, daß auf der Grundlage der Produkthaftung ein Schmerzensgeld beansprucht werden kann. Hier gelten jedoch die allgemeinen Grundsätze des Verschuldens z. B. auf Grund deliktischer Handlungen, so daß nach den allgemeinen Grundsätzen auf Schmerzensgeld gehaftet wird. Das wird gelegentlich vergessen, wenn laut darüber geweint wird, daß das nicht mit im Produkthaftungsrecht enthalten ist.

(Sehr richtig! bei der CDU/CSU)

Insgesamt bringt das vorliegende Gesetz für den Verbraucher eine wesentliche Verbesserung in bezug auf die Durchsetzbarkeit seiner Schadenersatzansprüche, wenn er infolge eines fehlerhaften Produktes einen Schaden erleidet.

(Beifall bei der FDP)

Auf der anderen Seite sind die Interessen der Wirtschaft hinreichend berücksichtigt. Die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft ist nicht betroffen. Die Wirtschaft weiß nunmehr genau, woran sie ist. Sie weiß, welche Ansprüche auf sie zukommen können; sie weiß, was sie zu versichern hat, und sie ist nicht mehr den Gefahren ausgesetzt, die in der Vergangenheit durch die Rechtsfortentwicklung auf Grund der Rechtsprechung, für die Wirtschaft häufig unkalkulierbar, entstanden sind. Es ist richtig, daß wir die Rechtsfortentwicklung gehabt haben,

(Stiegler [SPD]: Und die bleibt auch!)

aber das waren natürlich zusätzliche Risiken für die Wirtschaft.

(Stiegler [SPD]: Der § 823 bleibt!)

— Die §§ 823 und folgende bleiben, das ist völlig richtig. Das soll ja auch nicht eingeschränkt werden. Aber
hinsichtlich der Produkthaftung haben wir jetzt eine
klare Rechtsgrundlage und damit auch weniger Risiken für die Wirtschaft.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Mit diesem Gesetz setzen wir unsere Bemühungen auch um die Harmonisierung der europäischen Rechtsvorschriften fort und beweisen erneut, wie wichtig dem Deutschen Bundestag die Harmonisierung der Rechtsvorschriften innerhalb der Europäischen Gemeinschaften ist.

(Frau Saibold [GRÜNE]: Aber nicht die Verbraucher! Da haben Sie recht!)

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1117517900
Das Wort hat Frau Abgeordnete Saibold.

Hannelore Saibold (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1117518000
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren, insbesondere auch die Damen und Herren auf der Tribüne! Dieses Gesetz zeigt wieder einmal, daß die Bundesregierung ganz klar auf seiten der Industrie steht. Das paßt auch ganz in die betriebene Politik; denn wenn Sie sich die Tagesordnung dieser Woche anschauen, dann sehen Sie, daß darauf ein äußerst industriefreundliches Gentechnikgesetz steht, eine äußerst industriefreundliche Umweltverträglichkeitsprüfungsregelung, und auch die Technikfolgenabschätzung wird abgelehnt, und dann haben wir eben auch dieses Gesetz, das praktisch keinerlei entscheidende Verbesserungen für die Rechte der Verbraucher und Verbraucherinnen bringt. Es entlarvt die flotten Sprüche der Bundesregierung vom Verbraucherschutz als Etikettenschwindel.
Mit dem vorliegenden Gesetz wurde eine Riesenchance vertan, in mehreren Bereichen wirkliche Verbesserungen zu erzielen. Zum Beispiel könnte in Zukunft unser sogenanntes Gesundheitssystem finanziell entlastet werden. Denken Sie nur an die vielen an Lungenkrebs Erkrankten in der Bundesrepublik, für deren Krankheitskosten die Asbest- und die Zigarettenindustrie aufkommen müßten.
Oder ein anderes Beispiel. Allein durch den berüchtigten Zuckertee sind in der Bundesrepublik etwa hunderttausend Kinder geschädigt worden, und für die Reparatur ihrer geschädigten Zähne und Kiefer mußten über 2 Milliarden DM aufgebracht werden. Ohne ein vernünftiges Produkthaftungsgesetz tragen die Krankenkassen diese Kosten und haben noch nicht einmal die Möglichkeit, auf die Verursacher zurückzugreifen.
Ähnlich geht es den Holzschutzmittelgeschädigten, die seit Jahren gegen die Hersteller prozessieren. Sie wurden psychisch und physisch schwer geschädigt und darüber hinaus zum Teil sogar an den Rand des finanziellen Ruins gebracht, und noch immer gelingt es der Holzschutzmittelindustrie, sich aus der Verantwortung zu stehlen. Nicht einmal die bei diesen Prozessen festgestellten Verfilzungen zwischen den Herstellern und dem Bundesgesundheitsamt haben dazu beigetragen, daß die Bundesregierung eine vernünftige Rechtsgrundlage schafft. Die Holzschutzmittelgeschädigten interessieren nicht, ebenso wenig die mehr als hunderttausend von Zuckertee geschädigten



Frau Saibold
Kinder, und die öffentliche Hand bezahlt ja auch weiterhin die Kosten der Asbestsanierung für die Kindergärten und ähnliches; die Kosten dafür werden übrigens auf eine zweistellige Milliardensumme geschätzt.
Eine wirkliche Produkthaftung, so wie wir sie mit unserem Antrag verfolgen, hätte eine große präventive Wirkung und würde viele Schäden, aber auch Leid verhindern. Wenn die Industrie für ihre Produkte wirklich geradestehen und deren Unschädlichkeit nachweisen müßte, würde sie schon aus reinem Eigennutz dafür sorgen, daß sie sichere Produkte auf den Markt wirft.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Die Bundesregierung hat ganz bewußt, Herr Stiegler, die Haftung für Entwicklungsrisiken außen vor gelassen, obwohl sogar nachgewiesen ist, daß dieses Risiko bei geringen Kosten versicherbar wäre. Dies bedeutet also, daß die Industrie weiter experimentieren und ihre Produkte an den Verbraucherinnen und Verbrauchern testen darf.

(Frau Folz-Steinacker [FDP]: Stimmt nicht!)

Dies ist ein Skandal, insbesondere angesichts der vielfältigen Möglichkeiten der Gentechnik, ganz neue, unerprobte Produkte mit unbekanntem Risiko herzustellen. Auch hier würde — um ein Beispiel zu nennen — nach diesem Gesetz eine Haftung für die Folgeschäden auf Grund des gentechnisch hergestellten Rinderwachstumhormons BST ausscheiden, wenn dieses auf dem Markt zugelassen wird. Aus Rücksicht auf die Großagrarier wurden ja zudem auch die landwirtschaftlichen Produkte außen vor gelassen.
Die von der Bundesregierung vorgesehene Haftungshöchstgrenze für Körperschäden ist unerträglich. Sie liegt bei 160 Millionen DM. Allein durch den vorhin schon angesprochenen Zuckertee sind Kosten in Höhe von über 2 Milliarden DM enstanden — ohne Berücksichtigung von Schmerzensgeld! Andere EG-Staaten bewiesen hier wesentlich mehr Rückgrat gegenüber der Industrie und haben auf die Haftungshöchstgrenze verzichtet.

(Zuruf von der CDU/CSU: Wer denn?) — Großbritannien und Frankreich.


(Widerspruch bei der CDU/CSU)

All die hier beispielhaft angeführten entscheidenen Punkte, aber auch noch viele andere, sind von der Bundesregierung eben nicht aufgenommen worden, obwohl dies nach der EG-Richtlinie möglich gewesen wäre. Das ist der eigentliche Skandal. Die Industrie wird weiter vor den Verbraucherinnen und Verbrauchern geschützt. Deshalb bleibt ihnen auch in Zukunft die Beweislast aufgebürdet. Nicht die Verursacher der Schäden, sondern die Verbraucherinnen und Verbraucher sind weiterhin beweispflichtig.
Wir lehnen dieses Gesetz ganz entschieden ab.
Zum Schluß noch ein Wort zum SPD-Antrag: Die SPD hat es ja nun endlich geschafft, wenigstens einen Änderungsantrag in schriftlicher Form vorzulegen.

(Hörster [CDU/CSU]: Nehmen Sie sich ein Beispiel daran!)

Da hierin die meisten Punkte aus unserem Antrag vom letzten Jahr übernommen worden sind, werden wir diesem Antrag zustimmen.
Danke.

(Beifall bei den GRÜNEN)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1117518100
Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Jahn.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1117518200
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Kollegin Saibold, Sie haben das Produkthaftungsgesetz hier mit dem Etikett „Etikettenschwindel" versehen. Die Begründung sind Sie schuldig geblieben.

(Frau Saibold [GRÜNE]: Die ganzen Sprüche der Bundesregierung!)

Und wenn Sie das Gentechnikgesetz hier ansprechen: Im Gentechnikgesetz ist die Haftung für Entwicklungsrisiken vorgesehen. Das ist also in diesem Gesetz anders, als Sie es hier dargestellt haben.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, mit dem Produkthaftungsgesetz erweitern wir die gegenwärtige Verschuldenshaftung zu einer verschuldensunabhängigen Haftung, also zu einer Gefährdungshaftung. Der Verbraucherschutz, Frau Kollegin Saibold, wird einen deutlichen Impuls erhalten. Künftig wird der Verbraucher seine Ersatzansprüche leichter durchsetzen können.

(Frau Folz-Steinacker [FDP]: Richtig!)

Neben dem tatsächlichen Hersteller wird demnächst jede Person ersatzpflichtig sein, die sich als Hersteller ausgibt. Besonders wichtig ist, daß künftig auch der inländische Importeur, der Produkte aus Drittstaaten einführt, in gleicher Weise haftet.

(Frau Folz-Steinacker [FDP]: Sehr wichtig!)

Der Gefahr, durch Importe aus Billigländern den Schutz der Verbraucher zu unterlaufen, schieben wir damit einen Riegel vor. Die Haftung des DrittstaatenImporteurs wird zudem den Wettbewerb entzerren. Ungerechtfertigte Vorteile werden durch das erhöhte Haftungsrisiko erheblich reduziert.
Wir haben uns andererseits darum bemüht, das Haftungsrisiko der Hersteller durch eine ausgewogene Gestaltung der Haftung in vernünftigen Grenzen zu halten,

(Frau Saibold [GRÜNE]: Genau das ist es! Schon wieder die Rücksicht auf die Industrie!)

und zwar in mehrfacher Hinsicht:
Erstens. Auch künftig wird es keine Haftung — Sie haben das gesagt — für Entwicklungsfehler geben. Wir können die Entscheidung unseres Arzneimittelrechts nicht für Produkte aller Art verbindlich machen. Wir würden anderenfalls die Innovationsbereitschaft von Wirtschaft und Industrie sehr beeinträchtigen. Auch aus wettbewerbsrechlichen Gründen dürfen wir unsere Wirtschaft hier nicht schlechterstellen, als andere EG-Staaten es tun.

(Frau Folz-Steinacker [FDP]: Richtig!)




Parl. Staatssekretär Dr. Jahn
In einem Gebiet, das für den freien Warenverkehr so außerordentlich bedeutsam ist, brauchen wir in der Europäischen Gemeinschaft gleiche Wettbewerbsbedingungen für alle Produzenten.

(Beifall bei der FDP)

Zweitens. Die Haftungshöchstgrenze des Gesetzentwurfs halte ich nach wie vor für notwendig und richtig. 160 Millionen DM reichen in jedem Fall für einen vollständigen Schadenersatz aus. Wir dürfen hier nicht außer acht lassen, daß eine unbegrenzte Haftung nicht versicherbar ist.

(Frau Saibold [GRÜNE]: Das stimmt nicht!)

Und — das kommt in der Debatte, vor allen Dingen von Ihnen, Frau Kollegin Saibold, viel zu kurz —: Neben all dem, was wir hier diskutieren, bleibt ja die Verschuldenshaftung nach § 823 BGB in allen Fällen bestehen.

(Dr. Hüsch [CDU/CSU]: Sehr richtig!)

Drittens. Hinsichtlich des Schmerzensgeldes bleibt es bei der bisherigen — ich sage: bewährten — Regelung. Es hätte unserer Rechtstradition widersprochen,

(Frau Saibold [GRÜNE]: Ach, der Rechtstradition! Rechtstradition vor Verbraucherschutz!)

im Rahmen der Gefährdungshaftung ein verschuldensunabhängiges Schmerzensgeld einzuführen.
Und schließlich eine Sonderregelung in bezug auf die Erzeugnisse der landwirtschaftlichen Urproduktion: Der Erzeuger kann hier auf die Qualität nicht in gleichem Umfang Einfluß nehmen wie bei anderen Produkten. Eine verschuldensunabhängige Haftung ist deshalb aus der Sicht der Bundesregierung nicht vertretbar. Der Verbraucher bleibt aber keineswegs schutzlos — und das müßten Sie hinzufügen, wenn Sie hier objektiv berichten — : Der Gesetzentwurf bezieht diese Produkte in die neue Haftung ein, sobald sie bearbeitet sind, und eine solche Verarbeitung ist der praktische Regelfall. Davon unabhängig — ich betone das noch einmal — haftet der Erzeuger selbstverständlich bei jedwedem Verschulden im Sinne von § 823 des Bürgerlichen Gesetzbuches.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich rufe den Verantwortlichen unserer Wirtschaft zu: Beugen Sie der Realisierung des Risikos vor! Ich nenne hier die Schlagworte Qualitätssicherung, Warenausgangskontrolle, Dokumentation und — das Wichtigste — fehlerfreie Produkte — im Interesse aller. Damit wir uns nicht mißverstehen: Nichts davon liegt im argen, sondern der Stand ist gut. Aber Gutes kann auch noch verbessert werden. Ist aber der Schaden trotz aller Vorsorge einmal eingetreten, so kann eine dem konkreten Produktrisiko angemessene Haftpflichtversicherung allen Beteiligten nützen.
Sie werden jetzt fragen: Was heißt denn „eine dem konkreten Produktrisiko angemessene Haftpflichtversicherung"? Welches Risiko kommt also auf uns zu? Ich kann dazu keine konkreten Zahlen nennen. Ich möchte aber so weit gehen, zu behaupten, daß weder von einem schlagartig erhöhten Risiko der Betroffenen noch von wesentlich höheren Kosten in Form von Versicherungsprämien auszugehen sein wird. Beides wird eigentlich weitgehend anerkannt, auch von der Versicherungswirtschaft. Jedoch werden immer wieder die amerikanischen Produkthaftungsverhältnisse als Schreckgespenst an die Wand gemalt. Hier muß festgestellt werden: Dieses Produkthaftungsgesetz hat mit den amerikanischen Produkthaftungsverhältnissen nichts, aber auch gar nichts zu tun. Hier wird nicht Vergleichbares miteinander verglichen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Maren Tatbestände des künftigen Produkthaftungsgesetzes werden unter Berücksichtigung der deutschen Rechtspraxis zu angemessenen und tragbaren Ergebnissen führen. Deshalb möchte ich auch eindringlich vor einem Hochreden der Risiken warnen.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1117518300
Gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Saibold?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1117518400
Bitte schön, wenn Sie es mir nicht anrechnen, Frau Präsidentin.

Hannelore Saibold (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1117518500
Sie sprachen gerade das wesentlich schärfere Haftungsrecht in den Vereinigten Staaten an. Würden Sie mir zustimmen, daß die amerikanische Industrie keineswegs etwa auf Grund dieses Haftungsrechts am Boden liegt, sondern daß sie sehr gut damit leben kann?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1117518600
Ich habe, Frau Kollegin Saibold, gesagt, daß das amerikanische Produkthaftungsrecht mit dem deutschen in keiner Weise vergleichbar ist. Das liegt allein schon in der Tatsache begründet, daß für die amerikanischen Rechtsanwälte das Prinzip des Erfolgshonorars gilt. Das hat einen ganz anderen Einfluß auf Prozeßlage und Beweissicherung. Deshalb habe ich hier noch einmal vor der Öffentlichkeit betont, daß Unvergleichbares miteinander verglichen wird, wenn auf die amerikanischen Produkthaftungsverhältnisse hingewiesen wird.
Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluß. Insgesamt gestaltet das Produkthaftungsgesetz unter Wahrung deutscher Rechtstradition und unter Wahrung deutscher Rechtspraxis vor dem Hintergrund der Vorgaben der EG einen weiteren Bereich herkömmlichen Verbraucherschutzes. Es dient zugleich unserer Wirtschaft und dem Handel, insbesondere dem Mittelstand, da die EG-weite Harmonisierung der Produkthaftung gleiche Rahmenbedingungen zugunsten unserer Produzenten schafft. Das Produktionshaftungsgesetz ist insoweit ein zusätzlicher und erforderlicher Schritt, die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie und der deutschen Wirtschaft auf dem kommenden Binnenmarkt der EG zu gewährleisten.
Die Bundesregierung begrüßt, daß dieses Gesetz heute in zweiter und dritter Lesung verabschiedet werden kann.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1117518700
Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Produkthaf-



Vizepräsidentin Renger
tungsgesetzes. Es handelt sich um die Drucksachen 11/2447 und 11/5520.
Ich rufe § 1 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 1 bis 4 in der Ausschußfassung auf. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei einigen Gegenstimmen mit Mehrheit angenommen.
Ich rufe § 1 Abs. 2 Nr. 5 in der Ausschußfassung auf. Hierzu liegt auf Drucksache 11/5594 unter Ziffer 1 ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD vor. Wer stimmt diesem Änderungsantrag zu? — Gegenprobe! — Mit der Mehrheit der Stimmen von CDU/CSU und FDP abgelehnt.
Wer stimmt § 1 Abs. 2 Nr. 5 in der Ausschußfassung zu? — Gegenprobe! — Gegen die Stimmen von SPD und GRÜNEN mit Mehrheit angenommen.
Ich rufe § 1 Abs. 3 und 4 in der Ausschußfassung auf. Wer wünscht, dem zuzustimmen? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei zwei Gegenstimmen ist dieses angenommen.
Ich rufe § 2 Satz 1 in der Ausschußfassung auf. Wer dem zuzustimmen wünscht, gebe bitte das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Gegen die Stimmen von grünen Abgeordneten angenommen.
Ich rufe § 2 Satz 2 in der Ausschußfassung auf. Hierzu liegt auf Drucksache 11/5594 unter Ziffer 2 ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD vor. Wer stimmt dem zu? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Mit Mehrheit abgelehnt.
Wer § 2 Satz 2 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Mit der Mehrheit der Koalitionsfraktionen angenommen.
Ich rufe die §§ 3 bis 7 in der Ausschußfassung auf. Wer stimmt dem zu? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Die Vorschrift ist gegen zwei Stimmen der GRÜNEN angenommen.
Ich rufe § 8 in der Ausschußfassung auf. Dazu liegt auf Drucksache 11/5594 unter Ziffer 3 ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD vor. Es ist beantragt, nach Abs. 1 einen neuen Abs. 2 anzufügen. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Dieser Antrag ist mit Mehrheit abgelehnt.
Wer stimmt für § 8 in der Ausschußfassung? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Mit Mehrheit angenommen.
Ich rufe § 9 in der Ausschußfassung auf. Wer stimmt dem zu? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Gegen zwei Stimmen der GRÜNEN mit großer Mehrheit angenommen.
Ich rufe § 10 in der Ausschußfassung auf. Dazu liegt auf Drucksache 11/5594 unter Ziffer 4 ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD vor. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Dies ist mit Mehrheit abgelehnt.
Wer stimmt für § 10 in der Ausschußfassung? — Die Gegenprobe! — Enthaltungen? — Mit Mehrheit der Koalitionsfraktionen angenommen.
Ich rufe die §§. 11 bis 14 in der Ausschußfassung auf. Wer diesen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Gegen zwei Stimmen angenommen.
Ich rufe § 15 in der Ausschußfassung auf. Hierzu liegt auf Drucksache 11/5594 unter Ziffer 5 ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD vor. Wer stimmt diesem Antrag zu? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Mit Mehrheit abgelehnt.
Wer stimmt für § 15 in der Ausschußfassung? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Dies ist mit Mehrheit angenommen.
Ich rufe die §§ 16 bis 19, Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung auf. Wer diesen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei zwei Enthaltungen der GRÜNEN sind diese Vorschriften angenommen.
Damit ist die zweite Beratung abgeschlossen. Wir treten in die
dritte Beratung
ein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz im Ganzen zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei Enthaltung der SPD und der GRÜNEN mit Mehrheit angenommen.
Wir kommen nun noch zu Punkt 9 b der Tagesordnung, und zwar zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Rechtsausschusses auf Drucksache 11/5520. Der Ausschuß empfiehlt unter Buchstabe b, den Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/3718 für erledigt zu erklären. Wer stimmt dem zu? — Die Gegenprobe! — Enthaltungen? — Dies ist mit Mehrheit angenommen.
Ich rufe nun Punkt 1 der Tagesordnung auf: Fragestunde
— Drucksache 11/5641 —
Ich habe Ihnen zunächst einmal mitzuteilen, daß die Fragen 3 und 4 des Herrn Abgeordneten Kalisch aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern zurückgezogen worden sind.
Ich rufe sodann den Geschäftsbereich des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten auf. Der Herr Parlamentarische Staatssekretär Dr. von Geldern steht zur Beantwortung der Fragen zur Verfügung.
Ich rufe Frage 5 des Herrn Abgeordneten Brauer auf. — Der Abgeordnete ist nicht im Saal. Frage 5 wird ebenso wie die Frage 6 des Herrn Abgeordneten Brauer nach den Vorschriften der Geschäftsordnung behandelt. — Danke schön, Herr Staatssekretär.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit auf. Herr Parlamentarischer Staatssekretär Pfeifer steht zur Beantwortung der Fragen zur Verfügung.
Ich rufe Frage 7 des Herrn Abgeordneten Jäger auf:



Vizepräsidentin Renger
Trifft es zu, daß die Bundesregierung ihre Absicht aufgegeben hat, noch in dieser Legislaturperiode den Entwurf für ein Schwangerenberatungsgesetz einzubringen, und welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung bejahendenfalls im Hinblick auf den Schutz des Lebensrechts ungeborener Kinder?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.

Anton Pfeifer (CDU):
Rede ID: ID1117518800
Frau Präsidentin! Herr Kollege Jäger, in der Regierungsbefragung der vergangenen Woche hat der Staatsminister beim Bundeskanzler, Herr Dr. Stavenhagen, auf eine entsprechende Frage folgendes ausgeführt:
Es gibt in der Koalition Meinungsverschiedenheiten über dieses Schwangeren-Beratungsgesetz, die bisher nicht ausgeräumt werden konnten. Die Bundesregierung wird diesen Gesetzentwurf erst einbringen, wenn diese Meinungsverschiedenheiten ausgeräumt werden können. Das ist zur Stunde noch nicht der Fall.
An diesem Sachverhalt hat sich seither nichts geändert.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1117518900
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Jäger.

Claus Jäger (CDU):
Rede ID: ID1117519000
Herr Staatssekretär, darf ich aus Ihrer Antwort schließen, daß nach wie vor Bemühungen im Gange sind, diese Meinungsverschiedenheiten zu überwinden und einen Gesetzentwurf einzubringen, der den Maßstäben unseres Grundgesetzes gerecht wird?
Pfeifer, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Jäger, meiner Antwort können Sie entnehmen, daß die Vorlage des Beratungsgesetzes bisher nicht möglich war, weil unter den Koalitionspartnern in einem Punkt Konsens nicht erreicht wurde. Ob das Beratungsgesetz ad acta gelegt werden muß oder nicht, hängt davon ab, ob dieser Konsens noch zustande kommt.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1117519100
Zweite Zusatzfrage, bitte, Herr Kollege.

Claus Jäger (CDU):
Rede ID: ID1117519200
Darf ich aus der ersten Antwort und auch aus dieser zweiten auf meine Zusatzfrage schließen, daß in der Presse geäußerte Behauptungen, die Bundesministerin für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit habe sich bereits mit dem Scheitern dieses Vorhabens abgefunden und werde keinen solchen Entwurf mehr einbringen, eindeutig falsch sind?
Pfeifer, Parl. Staatssekretär: Die Bundesministerin für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit hat sich mit dem Scheitern dieses Gesetzes nicht abgefunden.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1117519300
Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Weyel.

Gudrun Weyel (SPD):
Rede ID: ID1117519400
Darf ich Ihrer Antwort entnehmen, daß mindestens ein großer Teil der Fraktionen der Koalition mit unserer Fraktion darüber einig ist, daß wir alle auch ohne das Beratungsgesetz bestrebt sind, für den Schutz des werdenden Lebens einzutreten?
Pfeifer, Parl. Staatssekretär: Die Bundesregierung hat in den zurückliegenden Jahren in der Tat eine Vielzahl von Maßnahmen ergriffen, um das Leben ungeborener Kinder besser zu schützen und schwangeren Frauen in Not zu helfen. Dennoch ist das Beratungsgesetz nach Ansicht der Bundesregierung ein wichtiges Gesetz.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1117519500
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Klejdzinski.

Dr. Karl-Heinz Klejdzinski (SPD):
Rede ID: ID1117519600
Herr Staatssekretär, stimmen Sie mir in der Annahme zu, daß die gegenwärtige Praxis mit unserem Grundgesetz durchaus in Einklang steht?
Pfeifer, Parl. Staatssekretär: Wie Sie wissen, gibt es darüber sehr unterschiedliche Meinungen. Es ist auch angekündigt, daß von einer Seite eine Überprüfung durch das Bundesverfassungsgericht herbeigeführt werden soll.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1117519700
Frau Abgeordnete Ganseforth.

Prof. Monika Ganseforth (SPD):
Rede ID: ID1117519800
Herr Staatssekretär, könnte es sein, daß das Beratungsgesetz auch deswegen fallengelassen wird, weil fast alle, die mit Beratung zu tun haben und die fachkundig sind, davon abgeraten haben, dieses Gesetz zu verabschieden, weil es eben nicht dem Schutz des werdenden Lebens dient?
Pfeifer, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin Ganseforth, ich habe hier klar zum Ausdruck gebracht, daß unter den Koalitionsparteien in einem Punkt Konsens bisher nicht erreicht werden konnte und daß wir dieses Gesetz erst vorlegen können, wenn dieser Konsens erreicht ist. Das ist der Grund, warum es bisher nicht vorgelegt worden ist. Im übrigen ist ein Beratungsgesetz sicherlich ein Beitrag, um ungeborenes Leben besser zu schützen und schwangeren Frauen in Not zu helfen.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1117519900
Zusatzfrage, bitte, Herr Abgeordneter Stiegler.

Ludwig Stiegler (SPD):
Rede ID: ID1117520000
Herr Staatssekretär, der Kollege Klejdzinski hat Sie soeben nach der Meinung der Bundesregierung gefagt; Sie haben allgemein geantwortet. Hat die Bundesregierung auf Grund der bekannten Dissense dazu keine Meinung, oder ist vielleicht doch eine Meinung vorhanden?
Pfeifer, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Stiegler, ich habe die Antwort auf die Frage, die mir soeben gestellt worden ist, so formuliert, weil ja auch Ihnen bekannt ist, daß es zu dieser Frage durchaus Meinungsverschiedenheiten gibt, die auch dazu führen, daß von einer Seite eine gerichtliche Überprüfung veranlaßt werden soll.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1117520100
Ich rufe die Frage 8 des Herrn Abgeordneten Kirschner auf:
Wann ist damit zu rechnen, daß das von der Firma Geigy entwickelte Präparat „Formoterol", das durch seine deutlich gesteigerte Langzeitwirkung für viele Asthma-Kranke Erleichterung bringen wird, vom Bundesgesundheitsamt zugelassen wird?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.



Pfeifer, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Kirschner. Die Zulassungsanträge für das Arzneimittel Formoterol sind am 30. November 1987 beim Bundesgesundheitsamt eingegangen. Der Antragsteller hat dabei um eine bevorzugte Bearbeitung nach § 28 Abs. 3 des Arzneimittelgesetzes gebeten. Diese bevorzugte Bearbeitung hat das Bundesgesundheitsamt mit der Begründung abgelehnt, daß sich der Wirkstoff Formoterol im wesentlichen nicht von vergleichbaren Substanzen dieser Gruppe unterscheidet. Im übrigen hat das Bundesgesundheitsamt mitgeteilt, daß es beabsichtige, die vorliegenden Anträge in der ersten Hälfte des Jahres 1990 zur Entscheidungsreife zu bringen.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1117520200
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Kirschner.

Klaus Kirschner (SPD):
Rede ID: ID1117520300
Herr Staatssekretär, ist der Bundesregierung bekannt, daß ein identisches Mittel seit Jahren in Japan auf dem Markt ist, d. h. dort zugelassen ist?
Pfeifer, Parl. Staatssekretär: Mir ist das nicht bekannt. Aber die Entscheidung über die Zulassung liegt hier eindeutig beim Bundesgesundheitsamt.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1117520400
Zweite Zusatzfrage.

Klaus Kirschner (SPD):
Rede ID: ID1117520500
Herr Staatssekretär, nachdem Sie sagten, daß der Antrag schon zwei Jahre lang beim Bundesgesundheitsamt vorliegt und ich sagte, daß in Japan ein identisches Mittel vertrieben wird: Hält es die Bundesregierung für sinnvoll, für Arzneimittel, die in vom Arzneimittelrecht her vergleichbaren Ländern, wie Japan, schon zugelassen sind, eine erleichterte Zulassung wie in EG-Staaten entsprechend Art. 1 Nr. 11 d des Entwurfs eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Arzneimittelgesetzes zu schaffen?
Pfeifer, Parl. Staatssekretär: Wie Sie wissen, finden über die 4. Novelle des Arzneimittelgesetzes im Augenblick die Beratungen in den zuständigen Ausschüssen des Bundestages statt. Die Bundesregierung hat in ihrem Regierungsentwurf als eine Maßnahme zum Abbau des Zulassungsstaus vorgeschlagen, daß die EG-Zulassungen in das Zulassungsverfahren in der im Entwurf vorgesehenen Weise einbezogen werden. Es ist dem Ausschuß natürlich unbenommen, auch die von Ihnen aufgeworfene Frage, ein solches Verfahren über die EG hinaus zu erwägen, in seine Beratungen aufzunehmen.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1117520600
Sie haben noch eine Frage zu beantworten — der Fragesteller ist wieder erschienen — , das ist die Frage 9 des Herrn Abgeordneten Stiegler. Sie haben die Antwort nicht da, Herr Staatssekretär?
Pfeifer, Parl. Staatssekretär: Nein. Es wurde mir gesagt, es sei eine schriftliche Beantwortung gewünscht.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1117520700
Es wurde so mitgeteilt.

(Stiegler [SPD]: Ich bin nur verhaftet worden, weil ich hier war! Es war nicht erkennbar, daß es hier so abläuft! Ich bin auch mit schriftlicher Beantwortung einverstanden!)

— Es geht dann leider auch nicht anders. — Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr auf. Herr Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Schulte steht zur Beantwortung zur Verfügung.
Frage 10 des Abgeordneten Dr. Uelhoff und Frage 11 des Abgeordneten Zierer werden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe Frage 12 des Abgeordneten Jäger auf:
Trifft nach den Erkenntnissen der Bundesregierung die Behauptung in der Anzeige des Bundesverbandes des Deutschen Güterfernverkehrs (BDF) e. V. mit der Überschrift „Liebe Bahn, warum läßt Du uns im Regen stehn?" zu, daß täglich Hunderte von Lastwagen vergeblich darauf warten, beim Huckepackverkehr der Deutschen Bundesbahn zum Zug zu kommen, weil die Kapazitäten auf den Huckepackstrecken längst erschöpft seien?
Bitte, Herr Staatssekretär.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1117520800
Herr Kollege Jäger, von gelegentlichen Ausnahmetagen abgesehen, reichen die Waggon- und die Streckenkapazität aus, um die derzeit reale Nachfrage im Huckepackverkehr zu befriedigen. Diese Nachfrage könnte jedoch erheblich höher sein, wenn das Transportangebot der Bahn qualitativ besser wäre und es keine Engpässe in den Umschlagbahnhöfen gäbe, die den Transportunternehmern derzeit zusätzliche Kosten verursachen.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1117520900
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Jäger. Bitte schön.

Claus Jäger (CDU):
Rede ID: ID1117521000
Herr Staatssekretär, trifft es denn zu, daß im Jahr 1988 der Huckepackverkehr insgesamt um 12,4 To zugenommen hat, im Binnenverkehr der Bundesrepublik Deutschland dagegen nur um 5,5 %, d. h. daß bei uns die Bundesbahn hier ausgesprochene Engpässe hat?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Die Bahn hat Engpässe, und wir haben im gesamten kombinierten Verkehr noch erhebliche Reserven.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1117521100
Zusatzfrage, Frau Ganseforth.

Prof. Monika Ganseforth (SPD):
Rede ID: ID1117521200
Herr Staatssekretär, was gedenkt die Bundesregierung zu machen, die Engpässe, von denen Sie gesprochen haben, z. B. beim Umladen des Huckepackverkehrs, zu beseitigen?
Dr. Schulte Parl. Staatssekretär: Es geht um zweierlei. Es geht einmal um den Ausbau der Terminals, es geht aber auch um die Zufahrtswege. Die Bundesregierung wird in der Zukunft alle diese Investitionen in den vordringlichen Bedarf für den Verkehrswegebau aufnehmen.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1117521300
Frau Kollegin, Sie kommen sofort wieder dran. Ich rufe Frage 13 der Abgeordneten Frau Ganseforth auf:
Hält es die Bundesregierung für vertretbar, daß die Deutsche Bundesbahn über Jahre hinweg für die Berechnung der Bundeszuschüsse für den Nahverkehr wesentlich höhere Abschreibungen für Fahrzeuge zugrunde legt, als sie tatsächlich für Ersatzinvestitionen aufwendet?



Vizepräsidentin Renger
Bitte, Herr Staatssekretär.
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, im Rahmen der Ausgleichszahlungen des Bundes für den Schienenpersonennahverkehr werden die kalkulatorischen Abschreibungen in linear ermittelten Jahresraten entsprechend der Nutzungszeit angesetzt. Die Fahrzeugbeschaffung verläuft dagegen azyklisch entsprechend dem Ersatzbedarf und den Markterfordernissen.
Außerdem ist bei der Fahrzeugbeschaffung generell die Kapazität der Industrie zu berücksichtigen. Derzeit ist die Industrie in hohem Maße mit der Fertigung von Fahrzeugen für den Personenfernverkehr, insbesondere ICE, ausgelastet. In den kommenden Jahren werden zunehmend Fahrzeuge für den Schienenpersonennahverkehr beschafft werden. In dem mittelfristigen Planungszeitraum bis 1994 hat die Deutsche Bundesbahn hierfür 1,5 Milliarden DM veranschlagt.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1117521400
Eine Zusatzfrage, bitte, Frau Kollegin.

Prof. Monika Ganseforth (SPD):
Rede ID: ID1117521500
Herr Staatssekretär, hält die Bundesregierung es nicht für notwendig, die Finanzierung von Fahrzeugen im Nahverkehr nach dem Bedarf und nicht nach der Kapazität, wie Sie sagen, der Industrie zu organisieren?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Zunächst einmal geht es selbstverständlich nach dem Bedarf. Es ist aber auch ein Anliegen der Deutschen Bundesbahn, daß ihre Partner einigermaßen kontinuierlich ausgelastet sind. Ich glaube, das ist auch ihr eigenes Interesse.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1117521600
Eine zweite Zusatzfrage, bitte.

Prof. Monika Ganseforth (SPD):
Rede ID: ID1117521700
Herr Staatssekretär, was gedenkt die Bundesregierung mit den Bereichen zu machen, die in der Vergangenheit aus den Gründen, die Sie eben erwähnt haben, nicht bedient werden konnten? Ich denke da an den Großraum Hannover, wo es dringend erforderlich gewesen wäre, im Nahverkehr Fahrzeuge zur Verfügung zu stellen, was nicht geschehen ist. Gedenkt die Bundesregierung, das im nachhinein auszugleichen, und wie?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: In den nächsten fünf Jahren werden für diesen Zweck 1,5 Milliarden DM ausgegeben werden.

(Frau Ganseforth [SPD]: Auch rückwirkend im Hinblick auf die in den vergangenen Jahren abgelehnten Anträge? Das war meine Frage!)

— Wenn Anträge irgendwann abgelehnt worden sind, dann muß man genau untersuchen, ob die Wirtschaftlichkeitsberechnungen stimmten. Hier gibt es von Land zu Land oder Region zu Region unterschiedliche Tatbestände.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1117521800
Ich rufe die Frage 14 der Frau Abgeordneten Ganseforth auf:
Setzt sich die Bundesregierung unter Berücksichtigung dieser Tatsachen dafür ein, daß nach dem Ausbau der Strecke Wunstorf—Lehrte neue behindertengerechte Fahrzeuge eingesetzt, und dafür die auf dieser Strecke verkehrenden nach Grundüberholung gegen auszumusternde Fahrzeuge auf anderen Strecken ausgetauscht werden?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, mit dem Land Niedersachsen und mit dem GroßraumVerband Hannover ist abgestimmt, daß die derzeit auf der Strecke Wunstorf-Lehrte verkehrenden Wagen modernisiert und dabei auch die Belange der Behinderten berücksichtigt werden.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1117521900
Eine Zusatzfrage, bitte, Frau Kollegin.

Prof. Monika Ganseforth (SPD):
Rede ID: ID1117522000
Soviel wie ich weiß sind diese Angaben, die Sie machen, deswegen nicht ausreichend, weil es nur eine Zwischenlösung ist, während wirklich behindertengerechte Wagen notwendig wären. Wenn, wie Sie sagen, in der nächsten Zeit im Fahrzeugsektor sehr viel investiert wird, dann wäre es sinnvoll, diesen Bedarf zu befriedigen und, wie ich in der Frage gesagt habe, dafür einen Austausch mit anderen Wagen vorzunehmen.
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, die Deutsche Bundesbahn wird mit Hilfe der Bundesregierung bei diesem Thema Schritt für Schritt vorangehen. Es ist bereits erhebliches geleistet worden. Wir investieren inzwischen für hindernisfreie Zu- und Abgänge an den Bahnanlagen, wir versuchen, Aufzüge einzubauen, wir passen die Bahnsteighöhen an das Niveau der S-Bahn-Wagen an, um nur einmal drei Beispiele zu nennen. Hier gibt es ein Gesamtprogramm, das zügig verwirklicht werden wird.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1117522100
Eine zweite Zusatzfrage, bitte.

Prof. Monika Ganseforth (SPD):
Rede ID: ID1117522200
Ich möchte noch einmal fragen: Es handelt sich um 55 Wagen, die in dem Bereich notwendig werden. Ist es, wenn Sie in den nächsten Jahren so viele Millionen DM investieren, nicht möglich, den Bedarf an behindertengerechten Wagen im Raum Hannover zu berücksichtigen? Ich möchte Sie bitten, das noch einmal in Ihre Überlegungen mit einzubeziehen.
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, da Sie bereits mehrfach in dieser Angelegenheit nachgebohrt haben, gehe ich noch einmal der Frage nach.
Zu der Strecke Wunstorf-Lehrte, nach der Sie konkret gefragt haben, habe ich Ihnen gesagt: Die Wagen werden modernisiert, und die Belange der Behinderten werden dabei berücksichtigt.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1117522300
Die Fragen 15 und 16 des Abgeordneten Menzel werden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Danke schön, Herr Staatssekretär.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit auf. Herr Parlamentarischer Staatssekretär Gröbl steht zur Beantwortung zur Verfügung.



Vizepräsidentin Renger
Die Fragen 17 und 18 des Abgeordneten Schütz werden auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Da der Herr Abgeordnete Lennartz nicht anwesend ist, werden seine Fragen 19 und 20 nicht beantwortet. Das gilt auch für die Frage 21 des Abgeordneten Stiegler.
Danke schön, Herr Staatssekretär.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau auf.
Die Fragen 22 des Abgeordneten Zierer, 23 und 24 des Abgeordneten Großmann werden auf Wunsch der Fragesteller schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Finanzen auf. Herr Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Voss steht zur Beantwortung zur Verfügung.
Die Fragen 25 und 26 der Abgeordneten Frau Walz werden auf Wunsch der Fragestellerin schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe die Frage 27 des Abgeordneten Klejdzinski auf:
War der Bundesregierung bei der Konzeption der Steuerreform 1990 bewußt, daß sie die Masse der verheirateten Steuerzahler mit der Reform 1990 deutlich geringer als die Alleinstehenden entlastet, indem nur die Verheirateten mit ganz niedrigem oder sehr hohem Einkommen nach dem neuen Tarif besser gestellt werden, und wie vereinbart sich dies mit der propagierten ehe- und familienfreundlichen Politik?

Dr. Friedrich Voss (CSU):
Rede ID: ID1117522400
Herr Kollege Klejdzinski, im Rahmen der Steuerreform werden Ehepaare nicht geringer als vergleichbare Alleinstehende entlastet. Die in Ihrer Frage aufgestellte Behauptung, der Einkommensteuertarif 1990 stelle nur Verheiratete mit ganz niedrigem oder sehr hohem Einkommen besser, ist unzutreffend. Durch die durchgreifende Senkung der Steuersätze werden alle Lohn- und Einkommensteuerzahler entlastet, und zwar die Bezieher kleiner Einkommen anteilig stärker als die Bezieher höherer Einkommen. Auch nach der Reform muß der Besserverdienende absolut und prozentual erheblich mehr Einkommensteuer als der weniger gut Verdienende entrichten. Wer 1990 als Verheirateter z. B. 24 000 DM zu versteuern hat, muß 2 466 DM oder 10,3 % Einkommensteuer entrichten. Wer den zehnfachen Betrag, nämlich 240 000 DM, zu versteuern hat, muß das 33fache, nämlich 81 502 DM Einkommensteuer, entrichten und hat eine Durchschnittsbelastung von 34 %.
Neben der Tarifsenkung werden die Familien durch eine Reihe weiterer steuerfreundlicher Maßnahmen, vor allem durch die Anhebung des Kinderfreibetrags auf über 3 000 DM, in erheblichem Umfang entlastet.
Darüber hinaus sind zugunsten der Familien auch staatliche Leistungen — Erziehungsgeld, Kindergeld — deutlich verbessert worden.
Insgesamt hat sich in den letzten Jahren die wirtschaftliche Lage der Familien auf Grund der familienfreundlichen Politik der Bundesregierung nachhaltig verbessert.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1117522500
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Klejdzinski.

Dr. Karl-Heinz Klejdzinski (SPD):
Rede ID: ID1117522600
Herr Staatssekretär, kann ich davon ausgehen, daß Sie meine Frage nicht beantwortet oder nicht gelesen haben?
Dr. Voss, Parl. Staatssekretär: Davon können Sie nicht ausgehen, Herr Kollege. Ich möchte Sie fragen, ob ich davon ausgehen kann, daß Sie in Ihrer Frage vielleicht etwas verwechselt haben, nämlich den Splitting-Vorteil und den Steuer-Vorteil. Da ist nämlich ein ganz gravierender Unterschied. Sie beziehen sich auf einen Artikel. In diesem Artikel gibt es eine Tabelle. Aus dieser Tabelle zitieren Sie ein Beispiel. Das bringt mich zu der Auffassung, daß Sie zwischen Splitting-Vorteil und Steuer-Vorteil auf Grund der Steuerreform nicht so richtig unterschieden haben.

Dr. Karl-Heinz Klejdzinski (SPD):
Rede ID: ID1117522700
Herr Staatssekretär, kann ich jetzt also wirklich doch davon ausgehen, daß diese belehrende Art, die Sie mir haben angedeihen lassen, durchaus so eingeschätzt werden darf, daß Sie doch wissen, wovon ich rede?
Dr. Voss, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich wollte keine belehrende Art an den Tag legen. Ich habe lediglich versucht — und das sehr vorsichtig —, Ihnen den Unterschied klarzumachen, der hier offensichtlich zu bestehen scheint. Ich habe Ihre Frage verstanden, und ich habe auf diese Frage geantwortet. Mehr kann ich in diesem Zusammenhang leider nicht tun.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1117522800
Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Weyel.

Gudrun Weyel (SPD):
Rede ID: ID1117522900
Herr Staatssekretär, würden Sie mir darin zustimmen, daß ein prozentualer Vergleich der Entlastungen nach außen hin ein anderes Ergebnis als ein Vergleich in Zahlen zeigt und daß die Entlastung der höheren Einkommen zwar prozentual geringer ist, aber, gemessen in DM, wesentlich höher als die der niederen Einkommen ist?
Dr. Voss, Parl. Staatssekretär: Natürlich, Frau Kollegin, besteht ein Unterschied zwischen der prozentualen und der absoluten Entlastung. Daher hat die Bundesregierung in der Broschüre, die sie herausgegeben hat und die sehr instruktiv ist, immer sowohl die prozentuale als auch die absolute Entlastung nebeneinander gestellt, so daß jeder, der sich schlauer machen will, als er schon ist, das eine mit dem anderen genau vergleichen kann.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1117523000
Zusatzfrage, Herr Dr. Sperling.

Dr. Dietrich Sperling (SPD):
Rede ID: ID1117523100
Herr Staatssekretär, würden Sie mir in der Auffassung zustimmen, daß man, wenn man die höheren Einkommen geringer entlastet hätte, die niedrigeren Einkommen höher hätte entlasten können?



Dr. Voss, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Sperling, daß ist eine Frage, die nicht zur Debatte steht.

(Lachen bei der SPD — Dr. Klejdzinski [SPD]: Auch das Kindergeld stand nicht zur Debatte!)

Wir haben ein Konzept gesucht, das sowohl die niederen Einkommen — hier stärker prozentual — als auch die höheren Einkommen — hier weniger prozentual — entlastet. Sie werden mir zustimmen, Herr Kollege, daß man natürlich bei der Entlastung im steuerlichen Bereich sehr viele Komponenten und Aspekte zu berücksichtigen hat und daß man im Bereich höherer Einkommen auch berücksichtigen muß, daß beispielsweise 90 % unserer Unternehmen Einkommensteuer zahlen und daß, wenn wir für diesen Bereich etwas tun wollen, das genau das Richtige ist, was die Bundesregierung getan hat.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1117523200
Keine weitere Zusatzfrage?
Dann rufe ich die Frage 28 des Herrn Abgeordneten Dr. Klejdzinski auf.
Aus welchen Gründen gewährt die Bundesregierung mit der Steuerreform 1990 — wie in der Zeitschrift ,,Das Kapital" vom November 1989 aufgelistet — besserverdienenden Ehepaaren, die mehr als 230 000 DM im Jahr deklarieren, prozentual und absolut weit mehr steuerliche Entlastung, nämlich 3 517 DM — was einem Plus von 18,6 % nach dem Splitting-Tarif entspricht, als Ehepaaren mit 70 000 DM zu versteuerndem Einkommen, die durch die Reform nämlich 2 109 DM weniger (entsprechend 30,9 % weniger) gegenüber dem Tarif 1989 erhalten?

(Dr. Klejdzinski [SPD]: Jetzt haben Sie noch einmal die Chance — Heiterkeit bei der SPD)

Dr. Voss, Parl. Staatssekretär: Ich bedanke mich, Herr Kollege, ich will sie wieder wahrnehmen.
Der von Ihnen zitierte Artikel, Herr Kollege Klejdzinski, enthält keine Angaben zur Entlastungswirkung der Steuerreform insgesamt. In der dort abgedruckten Tabelle ist lediglich ein Vergleich der Splitting-Wirkung nach den Einkommensteuertarifen 1989 und 1990 dargestellt. Die Splitting-Wirkung ist die Differenz zwischen der tariflichen Einkommensteuer nach der Grundtabelle und nach der SplittingTabelle. Sie hängt von der Höhe des Grundfreibetrages und dem Verlauf der Steuersätze ab.
Bei niedrigen Einkommen wird die Splitting-Wirkung in erster Linie durch die Höhe des Grundfreibetrages bestimmt. Die erhebliche Aufstockung des Grundfreibetrages von 4 752 DM in 1989 auf 5 616 DM ab 1990, die sich im Falle der Zusammenveranlagung doppelt auswirkt, hat insoweit zu einer Erhöhung der Splitting-Wirkung bei niedrigen Einkommen geführt.
Bei mittleren Einkommen ist die sich aus dem Splitting-Verfahren ergebene Progressionsabschwächung entscheidend. Da nach dem neuen Einkommensteuertarif 1990 im mittleren Einkommensbereich die Progression schwächer ansteigt, ist insofern auch die Splitting-Wirkung geringer als nach dem alten Tarif.
Im oberen Progressionsbereich, in dem die bisherigen Grenzsteuersätze auf hohem Niveau, aber sehr flach verlaufen, ist der Progressionsanstieg nach dem neuen Tarif etwas steiler. Insoweit ergibt sicht für höhere Einkommen eine höhere Splitting-Wirkung.
Eine geringere Splitting-Wirkung nach dem Einkommensteuertarif 1990 bedeutet allerdings keine Steuermehrbelastung. So wird z. B. bei einem zu versteuernden Einkommen von 70 000 DM die tarifliche Einkommensteuer — trotz Verringerung der SplittingWirkung — um 2 008 DM im Vergleich zum Einkommensteuertarif 1989 gesenkt. Auch auf der Grundlage des neuen Einkommensteuertarifs 1990 müssen die Bezieher hoher Einkommen absolut und prozentual erheblich mehr Steuern entrichten als die Bezieher kleiner und mittlerer Einkommen.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1117523300
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Klejdzinski.

Dr. Karl-Heinz Klejdzinski (SPD):
Rede ID: ID1117523400
Herr Staatssekretär, stimmt es denn — Sie sagten vorhin, das sei nicht richtig —, daß beispielsweise derjenige, der ein zu versteuerndes Jahreseinkommen von 70 000 DM hat, im Tarif 1989 einen Splitting-Vorteil von 6 797 DM hatte, aber im Tarif 1990 nur noch einen Splitting-Vorteil von 4 688 DM hat, daß dieses, nach Adam Riese gerechnet, eine Differenz von 2 109 DM ist und daß dieses, wiederum nach Adam Riese gerechnet, ein Minus von 30,9 % ausmacht?
Dr. Voss, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, das, was Sie an Zahlen genannt haben, ergibt sich aus der Tabelle. Ich habe die Richtigkeit der Tabelle nicht bestritten. Ich habe nur gesagt, daß hier dargelegt wird, wie sich der Splitting-Vorteil vor und nach der Steuerreform entwickelt.

Dr. Karl-Heinz Klejdzinski (SPD):
Rede ID: ID1117523500
Herr Staatssekretär, das mathematische Verfahren, das Sie die ganze Zeit erklären, habe ich schon längst verstanden. Ich frage Sie nach den Auswirkungen.
Dr. Voss, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, wenn Sie es so hören wollen, kann ich Ihnen dazu sagen: Es lohnt sich auf Grund der Steuerreform in diesen Einkommensbereichen zur Zeit nicht mehr so sehr wie vorher zu heiraten.

(Andres [SPD]: Das ist eine Kernaussage!)

Aber die Steuerentlastung, Herr Kollege, wird dadurch nicht in Frage gestellt; sie ist in allen Fällen erhalten.
Wenn ich es richtig im Kopf habe, Herr Kollege Klejdzinski, wird gerade aus Ihrer Fraktion der Splitting-Vorteil häufig als zu hoch angesehen, und er sollte abgebaut werden.

(Frau Weiler [SPD]: Unnötige Privilegien!)

Wenn man dieser Tabelle folgt und die hier aufgeführten Zahlen für richtig hält, erkennt man, daß das geschieht.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1117523600
Sie haben noch eine Zusatzfrage, Herr Kollege.

Dr. Karl-Heinz Klejdzinski (SPD):
Rede ID: ID1117523700
Herr Staatssekretär, stimmen Sie mir noch einmal zu oder sagen Sie zumindest, daß die Zahlen richtig sind: Wenn Sie 250 000 DM zu versteuern haben, beträgt der Splitting-Vorteil nach dem



Dr. Klejdzinski
Tarif '89 19 557 DM; nach dem neuen Tarif '90 beträgt er 22 871 DM. Das heißt, die Differenz zwischen dem neuen Splitting-Vorteil und dem alten SplittingVorteil beträgt 3 314 DM. Wenn Sie davon ausgehen, daß das Splitting-System im Grunde dazu dienen sollte, Familien besserzustellen, dann frage ich Sie, warum die Bundesregierung bei der Konstruktion des neuen Tarifes sich zwar an ein mathematisches Prinzip gehalten hat, aber dieses mathematische Prinzip so ausgewählt — und nicht korrigiert — hat, daß die Ausprägung im einzelnen sehr unterschiedlich ist.
Dr. Voss, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, Sie wissen so gut wie ich, daß wir bisher einen Tarif hatten, der nicht linear progressiv war, sondern der den sogenannten Facharbeiterbauch oder Mittelstandsbauch hatte. Diesen Mittelstandsbauch haben wir beseitigt. Dadurch ist die Progression sehr herabgemindert worden. Wenn die Progression herabgesetzt wird, dann wird auch der Vorteil bei der Splittingversteuerung geringer. Wenn dagegen der Progressionsverlauf steiler ist, also eine höhere Progression besteht, dann ist der Splitting-Vorteil größer. Dadurch ist zu erklären, daß zwischen den einzelnen Bereichen — untere Progressionszone, mittlere Progressionszone, ob ere Progressionszone — die Unterschiede bestehen, die hier in der Tabelle aufgeführt sind.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1117523800
Ich würde wahnsinnig gern das Publikum fragen, ob jemand auch nur einen Punkt verstanden hat.

(Heiterkeit)

Dr. Voss, Parl. Staatssekretär: Frau Präsidentin, das ist leider nicht mein Problem. Steuerrecht ist eine schwierige Angelegenheit. Ich gehe von einer Tabelle aus, die in einer öffentlich zu beziehenden Zeitschrift dargelegt ist, . . .

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1117523900
Es ging nicht gegen Sie, Herr Staatssekretär.
Dr. Voss, Parl. Staatssekretär:... und versuche das zu erklären, was dort dargestellt worden ist.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1117524000
Es war nur meine Vorstellung, daß es eigentlich möglich sein müßte, ein System zu finden, das jeder begreifen kann. Aber das kann wahrscheinlich nicht erfunden werden.
Dr. Voss, Parl. Staatssekretär: Aber, Frau Präsidentin, das jetzige System ist viel, viel einfacher, als das frühere war. Es sind sehr viele steuervereinfachende Maßnahmen eingeführt worden. Nur weiß das die Öffentlichkeit noch nicht so ganz.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1117524100
Danke schön. — Herr Sperling, Sie haben noch eine Zusatzfrage.

Dr. Dietrich Sperling (SPD):
Rede ID: ID1117524200
Herr Staatssekretär, ich gehe davon aus, daß wir uns darüber einig sind, daß, ob Mittelstandsbauch im Steuerrecht ja oder nein, die Verführungskraft des Steuerrechts fürs Heiraten ohnehin als gering zu veranschlagen ist. Könnten wir uns vielleicht darauf verständigen, daß die Hilfen, die das Steuerrecht bei der Finanzierung von Kindern geben kann, größer sein würden, wenn man den Splitting-Vorteil kappen und mit der eingesparten Summe das Kindergeld erhöhen würde?
Dr. Voss, Parl. Staatssekretär: Diese Vorstellungen, Herr Kollege Sperling, sind natürlich sehr breit diskutiert worden. Nur würden Sie mir zugeben, daß es nicht ganz gerecht wäre, wenn man beispielsweise der Familie, die Kinder großgezogen hat, die jetzt aus dem Hause sind, die eine Leistung erbracht hat, so besteuern würde wie jemanden, der nie verheiratet war und nie Kinder großgezogen hat. Von daher sind wir der Meinung, daß der Splitting-Vorteil denjenigen erhalten bleiben sollte, die keine Kinder mehr erziehen. Hier fällt ohnehin eine Reihe von Dingen weg.
Das, was Sie zu Beginn gesagt haben, Herr Kollege Sperling, ob man nur aus steuerlichen Gründen heiraten sollte, ob das eine Überlegung ist, die trägt, wage ich sehr zu bezweifeln.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1117524300
Frau Weyel hat noch eine Zusatzfrage.

Gudrun Weyel (SPD):
Rede ID: ID1117524400
Herr Staatssekretär, darf ich Ihrer Antwort entnehmen, daß Sie annehmen, daß die Erziehungsleistung einer verheirateten Mutter wesentlich besser ist als die einer Mutter, die nicht mehr verheiratet ist?
Dr. Voss, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, ich habe mich in meinem Beispiel auf Ehepaare bezogen

(Frau Weyel [SPD]: Nein, Sie haben vom Kindergeld gesprochen, Herr Staatssekretär!)

und habe insofern auf das geantwortet, was der Kollege Sperling gefragt hatte. Andere Überlegungen habe ich mit meiner Antwort nicht anstellen wollen.

(Andres [SPD]: Eine schwache Antwort!)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1117524500
Ich rufe die Frage 29 des Abgeordneten Dr. Sperling auf:
Hat es in den letzten 40 Jahren längere Zeiträume gegeben, in denen die Spitzenverbände der Wirtschaft nicht über zu hohe Steuerbelastungen von Unternehmen geklagt haben?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Dr. Voss, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Dr. Sperling, die Steuerbelastung deutscher Unternehmen wird im internationalen Vergleich als relativ hoch eingeschätzt. Angesichts der Tatsache, daß auch schon frühere Bundesregierungen Maßnahmen zur Entlastung von Unternehmen getroffen haben, ist davon auszugehen, daß eine hohe Belastung der Unternehmen kein neues Phänomen darstellt. Es ist in der vergleichenden Beurteilung der Steuerbelastung auch im Zusammenhang mit zwischenzeitlichen Steuerrechtsänderungen in anderen Ländern zu sehen. In den letzten Jahren ist es in zahlreichen Staaten zu einer vielfach erheblichen Absenkung der Steuersätze bei der Einkommen- und Körperschaftsteuer gekommen, die oft auch mit einer Nettoentlastung für den Unternehmensbereich verbunden waren. Angesichts der gestiegenen und weiter zunehmenden internationalen Verflechtung der deutschen Volkswirtschaft hat die Bundesregierung auch aus diesem Grunde angekündigt, weitere Maßnahmen zur steu-



Parl. Staatssekretär Dr. Voss
erlichen Entlastung von Investitionen und Arbeitsplätzen in der nächsten Wahlperiode zu treffen.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1117524600
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Sperling.

Dr. Dietrich Sperling (SPD):
Rede ID: ID1117524700
Herr Staatssekretär, würden Sie die Güte haben und sich die Zeit nehmen, meine Frage zu lesen und sie dann zu beantworten? Ich hatte nämlich nach etwas ganz anderem gefragt.

(Heyenn [SPD]: Eben!)

Dr. Voss, Parl. Staatssekretär: Ja, Herr Kollege, ich kann Ihre Frage, wenn Frau Präsidentin das erlaubt, noch einmal vorlesen, damit Sie wirklich den Eindruck haben, daß ich sie gelesen habe. — Sie fragen, ob es in den letzten 40 Jahren längere Zeiträume gegeben hat, in denen die Spitzenverbände der Wirtschaft nicht über zu hohe Steuerbelastungen von Unternehmen geklagt haben.
Und ich habe Ihnen dargelegt, wie wir die steuerliche Belastung der Unternehmen sehen, und Ihnen auch dargestellt, daß auch frühere Regierungen hier offensichtlich eine Notwendigkeit sahen; denn sonst hätten sie keine Steuerentlastungen vorgenommen.

(Frau Weiler [SPD]: Das ist auch nicht die Frage! — Frau Weyel [SPD]: Haben sie geklagt, oder haben sie nicht geklagt?)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1117524800
Herr Kollege Dr. Sperling.

Dr. Dietrich Sperling (SPD):
Rede ID: ID1117524900
Herr Staatssekretär, wenn Sie meine Frage beantwortet hätten, hätte ich Sie anschließend natürlich gern gefragt, ob Sie jede Erklärung der Spitzenverbände der deutschen Wirtschaft für bare Münze oder für den Schein von wahrheitsgestaltender PR-Arbeit halten, und wie Sie dann Ihre Steuersenkungsüberlegungen einschätzen. — Aber da Sie meine Frage nicht beantwortet haben, kann ich natürlich diese Frage auch nicht stellen.
Dr. Voss, Parl. Staatssekretär: Ich könnte Sie aber beantworten, Herr Kollege.

(Heiterkeit — Dr. Sperling [SPD]: Na, dann versuchen Sie es mal!)

— Herr Kollege, Sie können ganz, ganz sicher sein, daß alle Verlautbarungen, ob sie nun Steuersenkungswünsche oder andere Wünsche betreffen, von der Bundesregierung immer sehr kritisch geprüft werden und daß dabei auch darauf geachtet wird, welchen Hintergrund diese Wünsche und diese Forderungen haben. Und an der Haltung der Bundesregierung können Sie erkennen, daß hier doch sehr intensiv und sehr selektiv geprüft worden ist, bevor auf Wünsche eingegangen worden ist.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1117525000
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Klejdzinski. Dann Frau Steinhauer.

Dr. Karl-Heinz Klejdzinski (SPD):
Rede ID: ID1117525100
Herr Staatssekretär, da Sie die Frage von Herrn Sperling nicht so beantwortet haben, wie sie hier drinstand, haben sie natürlich etwas gesagt, was mich zu einer weiteren Frage anregt. Sie haben gesagt, Sie wollten die Belastung der Wirtschaft steuerlicher Art weiterhin vermindern. Darf ich davon ausgehen, daß Sie, wenn Sie dieses tun, nicht nur Kosten auf die Kommunen überwälzen, sondern den Kommunen die entsprechenden Einnahmeausfälle anderweitig ausgleichen werden?
Dr. Voss, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Klejdzinski, die Bundesregierung hat seit langem keinen Zweifel dran gelassen, daß sie im internationalen Umfeld und zur Erhaltung der Wettbewerbsfähigkeit weitere Steuersenkungen in der nächsten Legislaturperiode für notwendig hält, nicht zuletzt um Investitionen zu fördern und Arbeitsplätze zu erhalten und neu zu schaffen. Von daher besteht keinerlei Zweifel.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1117525200
Frau Abgeordnete Steinhauer.

Waltraud Steinhauer (SPD):
Rede ID: ID1117525300
Herr Staatssekretär, nachdem Sie die Frage des Kollegen Dr. Sperling in der Antwort zu umgehen versucht haben, möchte ich noch einmal konkret fragen: Wann, zu welcher Zeit seit 40 Jahren, hat die Wirtschaft nicht über zu hohe Steuerbelastungen geklagt?
Dr. Voss, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, ich habe eben darzulegen versucht, daß natürlich Wünsche und, damit verbunden, auch Klagen in einem Zeitraum wie dem hier angesprochen immer wieder laut geworden sind. Aber das ist gar nicht das Problem.

(Frau Weyel [SPD]: Danach ist aber gefragt!)

Das Problem ist, ob sich diese Forderungen und diese Wünsche auf einem realen Hintergrund darstellen und ob hier Abhilfe geschaffen werden muß. Und hier ist es jedenfalls immer so, daß sich die jetzige Bundesregierung ein eigenes Bild macht und daß sie sich von Wünschen und Forderungen, von wem sie auch kommen mögen, nicht in erster Linie beeinflussen läßt.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1117525400
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Andres.

Dr. h.c. Gerd Andres (SPD):
Rede ID: ID1117525500
Herr Staatssekretär, können Sie mir ein Jahr in der 40jährigen Geschichte unserer Republik sagen, in dem die Spitzenverbände der Wirtschaft keine Forderungen nach Steuersenkungen gestellt haben?
Dr. Voss, Parl. Staatssekretär: Ich weiß nicht, Herr Kollege, ob das einer Antwort würdig ist.

(Lachen des Abg. Dr. Klejdzinski [SPD] — Andres [SPD]: Das verbitte ich mir, Herr Staatssekretär!)

— Herr Kollege, Sie müssen meine Antwort zu Ende anhören.
Sie werden ganz gewiß recht haben, Herr Kollege, daß in jedem Jahr Vorstellungen dieser und jener Art entwickelt worden sind, auch was die steuerliche Belastung und den steuerlichen Bereich anbetrifft. Aber es kommt ja darauf an, was davon umgesetzt wird. Und umgesetzt wird davon, Herr Kollege, nur das, was notwendig ist und was sinnvoll ist.




Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1117525600
Ich rufe die Frage Nr. 30 des Herrn Abgeordneten Sperling auf:
Wie ist vor diesem Hintergrund der anhaltende Exporterfolg der deutschen Wirtschaft zu erklären?
Dr. Voss, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Sperling, Außenhandelsüberschüsse sind ein Indiz für eine gute Position im internationalen Wettbewerb. Zu dem anhaltenden Exporterfolg der deutschen Wirtschaft haben die günstigen finanz- und wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen in der Bundesrepublik Deutschland seit Ende 1982 maßgeblich beigetragen. Großen Anteil an dieser Entwicklung haben die leistungs- und beschäftigungsfördernden Wirkungen der dreistufigen Steuerreform 1986, 1988 und 1990 mit Nettosteuerentlastungen von insgesamt rund 50 Milliarden DM.
Es ist allerdings fraglich, ob Außenhandelsüberschüsse auch ein Indiz für die zukünftige internationale Wettbewerbsposition der deutschen Wirtschaft sind. Sicherlich sind die derzeit hohen Außenhandelsüberschüsse auch von den Erwartungen in bezug auf den europäischen Binnenmarkt beeinflußt.
Die steuerlichen Bedingungen haben sich in den letzten Jahren in vielen westlichen Industriestaaten grundlegend verändert. Hieraus folgt für die Bundesrepublik Deutschland die Notwendigkeit, neue steuerpolitische Akzente zugunsten eines investitionsfreundlicheren Steuersystems zu setzen.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1117525700
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Sperling.

Dr. Dietrich Sperling (SPD):
Rede ID: ID1117525800
Herr Staatssekretär, vertritt die Bundesregierung nicht die Auffassung, daß die ständigen Exporterfolge der deutschen Wirtschaft so etwas wie ein kontinuierliches Dimenti der Klagen über eine zu hohe Besteuerung sind und daß in der Tat eigentlich die angeblich zu hohen Steuern in der Bundesrepublik so gut verwendet worden sind, daß die deutsche Wirtschaft immer über eine qualifizierte Arbeitnehmerschaft verfügte und deswegen regelmäßig zu Exporterfolgen in der Lage war, und daß eine niedrigere Besteuerung der deutschen Wirtschaft geradezu ihre Exporterfolgsgrundlagen entziehen könnten, weil der Staat zu den entsprechenden Infrastrukturleistungen nicht mehr in der Lage wäre?
Dr. Voss, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Sperling, ich weiß ja — und auch Sie wissen das —, daß hier grundlegende Unterschiede in der Beurteilung der steuerlichen Belastung unserer Unternehmen bestehen. Das wird natürlich auch in der Frage, die Sie hier gestellt haben, deutlich.
Nur, wir sind der Meinung, daß Exportüberschüsse ein Bild darstellen, das auf der einen Seite positiv ist und das zeigt, daß wir in einer guten Exportposition sind, das aber auf der anderen Seite nicht auf Dauer für die weitere Entwicklung verläßlich ist.
Es gibt sehr informative Tabellen, Herr Kollege Sperling, aus denen hervorgeht, wie sich die steuerlichen Belastungen bei den Ländern um uns herum, mit denen wir im Wettbewerb stehen, verändern. Ich glaube, es wäre eine falsche Steuerpolitik, darauf nicht einzugehen und apodiktisch weitere Entlastungen in diesem Bereich abzulehnen.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1117525900
Die zweite Zusatzfrage; bitte, Herr Dr. Sperling.

Dr. Dietrich Sperling (SPD):
Rede ID: ID1117526000
Herr Staatssekretär, ich kann ja verstehen, daß Sie so sehr auf die Steuern sehen. Aber sind für die Exporterfolge der deutschen Wirtschaft in der Frage der Wettbewerbsfähigkeit gegenüber den Wirtschaften anderer Länder nicht noch viele andere Faktoren zu berücksichtigen, die durch eingenommene Steuermittel wesentlich verbessert werden könnten und darum die Exporterfolge genauso garantieren könnten wie gesenkte Steuern oder sogar noch besser als diese?
Dr. Voss, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Dr. Sperling, ich stimme mit Ihnen völlig überein, daß die steuerliche Belastung nicht allein das entscheidende Kriterium ist. Hier ist vielmehr eine Reihe von anderen Rahmenbedingungen außerordentlich wertvoll und außerordentlich notwendig. Nur, die Steuern spielen bei diesem Aspekt eine bedeutende Rolle. Von daher sieht die Bundesregierung eine Notwendigkeit darin, in der nächsten Legislaturperiode, natürlich in Abwägung der Entwicklungen, die sich bei unseren Wettbewerbspartnern ergeben haben, etwas Weiteres zu tun.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1117526100
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Klejdzinski.

Dr. Karl-Heinz Klejdzinski (SPD):
Rede ID: ID1117526200
Herr Staatssekretär, stimmen Sie mir zu, daß die Steuereinnahmen des Staates durchaus verwandt werden könnten, um beispielsweise qualifizierte Bildungsabschlüsse zu ermöglichen, und daß es gleichzeitig durchaus sein könnte, daß die Infrastrukturen der Hochschulen weiter ausgebaut werden usw. und daß dieses indirekt eine Transferleistung ist, die auch den Betrieben zugute kommt und daß daraus wiederum resultiert, daß bestimmte Spitzenprodukte auch marktmäßig dementsprechend produziert werden können?
Dr. Voss, Parl. Staatssekretär: Ein verantwortungsvoller Staat und eine verantwortungsvolle Regierung, Herr Kollege Klejdzinski, können mit Steuern alles tun, was sinnvoll ist. Die Beispiele, die Sie genannt haben, werden von dieser Bundesregierung ebenso verwirklicht. Aber daneben sieht sie auch die Notwendigkeit, im Bereich der Unternehmensbesteuerung — ich habe das schon einige Male betont — auf Grund der Veränderungen bei unseren Wettbewerbspartnern in der nächsten Legislaturperiode noch etwas Zusätzliches zu tun. Das heißt nicht, daß die Dinge, die Sie in Ihrer Frage genannt haben, dadurch beeinträchtigt oder nicht berücksichtigt werden.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1117526300
Danke schön, Herr Staatssekretär.
Die Fragen 31 und 32 des Abgeordneten Müntefering werden auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung auf. Der Parlamentarische Staatssekretär Vogt steht zur Beantwortung der Fragen zur Verfügung.



Vizepräsidentin Renger
Ich rufe Frage 33 des Herrn Abgeordneten Heyenn auf :
Beabsichtigt die Bundesregierung Änderungen der Vorschriften über die Zumutbarkeit (§ 103 AFG, Zumutbarkeitsordnung), und wird sie zu den geplanten Änderungen vorher die Vertreter der Betroffenen anhören?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.

Wolfgang Vogt (CDU):
Rede ID: ID1117526400
Herr Kollege, die Bundesregierung beabsichtigt nicht, die Regelungen über die Zumutbarkeit zu ändern.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1117526500
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Heyenn.

Günther Heyenn (SPD):
Rede ID: ID1117526600
Herr Staatssekretär, bedeutet das, daß weder in Ihrem Hause noch bei der Bundesanstalt für Arbeit entsprechende Überlegungen angestellt werden?
Vogt, Parl. Staatssekretär: Es werden keine Überlegungen zur Änderung der Zumutbarkeitsanordnung angestellt.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1117526700
Keine weitere Zusatzfrage. — Dann rufe ich Frage 34 des Herrn Abgeordneten Heyenn auf:
Ist die Bundesregierung der Auffassung, daß sich die Instrumente des Arbeitsförderungsgesetzes zur Bekämpfung des Leistungsmißbrauchs bewährt haben, oder beabsichtigt die Bundesregierung, das Instrumentarium zu verschärfen?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Vogt, Parl. Staatssekretär: Das Instrumentarium des Arbeitsförderungsgesetzes, Herr Kollege, dürfte ausreichen, um Leistungsmißbräuche wirkungsvoll zu bekämpfen. Eine Änderung des Arbeitsförderungsgesetzes ist auch insoweit nicht beabsichtigt. Ich füge hinzu, daß durch das Gesetz über die verkürzten Meldefristen bei Beschäftigungsaufnahme und den Sozialversicherungsausweis zusätzliche, aber außerhalb des Arbeitsförderungsgesetzes befindliche Instrumentarien geschaffen worden sind, um Leistungsmißbräuche zu bekämpfen.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1117526800
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Heyenn.

Günther Heyenn (SPD):
Rede ID: ID1117526900
Bedeutet diese Antwort, daß wir in dieser Legislaturperiode mit einer Zehnten Novelle zum Arbeitsförderungsgesetz nicht mehr zu rechnen haben?
Vogt, Parl. Staatssekretär: Ich sehe keine Ansätze dazu, daß es zu einer zehnten Novelle des Arbeitsförderungsgesetzes in dieser Legislaturperiode kommt.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1117527000
Keine weitere Zusatzfrage. — Dann rufe ich Frage 35 der Abgeordneten Frau Weiler auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß vermehrt Teilnehmer an beruflichen Bildungsmaßnahmen, die vorher arbeitslos waren, den Besuch der Maßnahmen abbrechen, weil die durch die 9. Novelle des Arbeitsförderungsgesetzes ausgelöste Herabsetzung der Leistungen, insbesondere der Kostenerstattung für Unterkunft und Verpflegung sowie der Fahrkosten, zu unzumutbaren Belastungen gerade für Teilnehmer an längerfristigen Bildungsmaßnahmen führt?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Vogt, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, sind Sie damit einverstanden, wenn ich die Fragen 35 und 36 zusammen beantworte?

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1117527100
Die Fragestellerin ist einverstanden. Dann rufe ich auch Frage 36 der Abgeordneten Frau Weiler auf:
Ist die Bundesregierung bereit, entsprechende Änderungen im Anordnungsrecht der Bundesanstalt für Arbeit anzuregen und nach entsprechender Beschlußfassung durch den Verwaltungsrat der Bundesanstalt für Arbeit eine Anhebung der Kostenerstattung zu genehmigen?
Vogt, Parl. Staatssekretär: Die Bundesregierung beobachtet sehr genau die im Zuge der Neunten Novelle zum Arbeitsförderungsgesetz vorgenommenen Veränderungen bei der Erstattung der Fahrkosten und Kosten für auswärtige Unterbringung und Verpflegung. Die Bundesanstalt für Arbeit hat alle Arbeitsämter aufgefordert, über ihre Erfahrungen mit der Regelung für die Fahrkostenerstattung zu berichten. Die Selbstverwaltungsorgane der Bundesanstalt für Arbeit werden über die Berichte beraten.
Die Langzeitarbeitslosen sind nach Auffassung der Bundesregierung eine besondere Zielgruppe bei der Förderung der beruflichen Bildung. Wenn sich herausstellen sollte, daß es im Förderungsrecht Gründe gibt, die eine Erreichung dieses Personenkreises in der beruflichen Bildung erschweren, so wird über entsprechende Reaktionen zu beraten sein.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1117527200
Eine Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Weiler.

Barbara Weiler (SPD):
Rede ID: ID1117527300
Herr Staatssekretär, ich bin schon überrascht und frage Sie, ob Sie bis jetzt tatsächlich überhaupt noch keine Daten und Zahlen vorliegen haben zur Frage, ob und inwieweit abgebrochen wird und wer abbricht, auch hinsichtlich des Verhältnisses von langzeitarbeitslosen Frauen und Männern. Haben Sie tatsächlich noch gar nichts vorliegen?
Vogt, Parl. Staatssekretär: Ich habe ja erwähnt, daß die Bundesanstalt die Arbeitsämter aufgefordert hat, ihre Berichte zu erstellen. Das ist derzeit ein laufender Prozeß. Die Berichte sind überhaupt noch nicht zusammengestellt und insgesamt auch nicht ausgewertet. Deshalb ist es mir nicht möglich, mehr zu sagen als das, was ich in meiner Antwort gesagt habe.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1117527400
Eine zweite Zusatzfrage.

Barbara Weiler (SPD):
Rede ID: ID1117527500
Da ich davon ausgehe, Herr Staatssekretär, daß auch Ihnen nach der Auswertung bekannt werden wird, daß Abbrüche aus diesen Gründen vorgenommen worden sind, ist meine Frage: Wie stellen Sie sich als sozialpolitischer Staatssekretär zu der Forderung, diese Maßnahmen wieder einzuführen und so zu finanzieren, wie es früher der Fall war — oder noch besser — , und zwar eventuell aus den Steuermitteln, die Ihr Kollege, der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen, für Steuersenkungen zugunsten der Wirtschaft vorgesehen hat?
Vogt, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, es ist natürlich etwas schwierig, auf eine hypothetische Frage eine konkrete Antwort zu geben. Ich muß zunächst



Parl. Staatssekretär Vogt
einmal den Bericht haben. Wir müssen ihn auswerten. Dann wird über die zu treffenden Maßnahmen — ob oder welche Maßnahmen — zu entscheiden sein.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1117527600
Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Steinhauer.

Waltraud Steinhauer (SPD):
Rede ID: ID1117527700
Herr Staatssekretär, wann ist mit dem Bericht und mit der Auswertung zu rechnen, und wären Sie bereit, dann unmittelbar den zuständigen parlamentarischen Gremien Unterrichtung über den Bericht und die Auswertung zu geben?
Vogt, Parl. Staatssekretär: Auf den ersten Teil der Frage kann ich deshalb keine genaue Antwort geben, weil Terminfestlegungen noch nicht getroffen worden sind.
Zum zweiten Teil Ihrer Frage kann ich sagen: Selbstverständlich bin ich gern bereit, den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung unmittelbar zu informieren.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1117527800
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Andres.

Dr. h.c. Gerd Andres (SPD):
Rede ID: ID1117527900
Herr Staatssekretär, finden Sie es nicht erstaunlich, daß Sie elf Monate nach Inkrafttreten der Neunten Novelle des AFG und damit nach mehr als einem Dreivierteljahr Zeit und Erfahrung überhaupt nicht in der Lage sind, die schlichte Frage zu beantworten, ob es eine ansteigende Zahl von Abbrechern in bestimmten Maßnahmen gibt? Finden Sie das nicht erstaunlich?
Vogt, Parl. Staatssekretär: Ich finde es sehr erstaunlich, wie schnell die Bundesanstalt für Arbeit nach Inkraftsetzung der Neunten Novelle die Auswirkungen der Neunten Novelle überprüft.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1117528000
Zusatzfrage, Dr. Sperling.

Dr. Dietrich Sperling (SPD):
Rede ID: ID1117528100
Herr Staatssekretär, würden Sie sich freuen, wenn ich Ihre dargelegte Haltung als durchaus repräsentativ für die Bundesregierung werte, nämlich daß Sie nichts wissen und eigentlich auch gar nichts so schnell wissen wollen und sich darum wie die ganze Bundesregierung zum Punkt Langzeitarbeitslosigkeit und deren Bekämpfung so wenig Mühe gegeben haben, damit Sie diese Fragen, die hier gestellt werden, auch möglichst nicht beantworten können?
Vogt, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Dr. Sperling, ich habe den Eindruck, daß das eine politisch-rhetorische Frage ist.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1117528200
Bitte schön, Herr Dr. Sperling.

Dr. Dietrich Sperling (SPD):
Rede ID: ID1117528300
Herr Staatssekretär, würden Sie meine Bemerkung entgegennehmen, daß es in der Tat eine politisch-rhetorische Frage aber mit einem sehr ernsten Inhalt und einem dicken Fragezeichen hinter der Bundesregierung gewesen ist?
Vogt, Parl. Staatssekretär: Aber Herr Kollege Dr. Sperling, die Neunte Novelle ist am 1. Januar 1989 in Kraft getreten. Wir brauchen natürlich einen repräsentativen Zeitraum, um überhaupt seriös die Auswirkungen dieser Neunten Novelle in dem Bereich beurteilen zu können, der hier in der Frage der Kollegin Weiler angesprochen worden ist. Wir brauchen da etwas mehr als ein halbes Jahr oder ein Dreivierteljahr, um zu diesem seriösen Bericht zu kommen; denn nur auf Grund seriöser Berichte lassen sich auch seriöse Entscheidungen treffen.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1117528400
Herr Kollege Heyenn.

Günther Heyenn (SPD):
Rede ID: ID1117528500
Herr Staatssekretär, wann rechnen Sie denn mit der Vorlage seriöser Zahlen? Ist damit in absehbarer Zeit, also in etwa einem Jahr nach Inkrafttreten der Neunten AFG-Novelle zu rechnen, oder läßt ein Jahr Beobachtung der Entwicklung in diesem sensiblen Bereich noch keine seriöse Aussage zu?
Vogt, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Heyenn, ich gehe davon aus, daß wir zu Beginn des nächsten Jahres diesen Bericht vorliegen haben werden und daß wir uns dann darüber weiter unterhalten können.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1117528600
Ich rufe die Frage 37 des Herrn Abgeordneten Andres auf:
Ist die Bundesregierung angesichts der Tatsache, daß Langzeitarbeitslose einer besonderen Betreuung bedürfen, der verstärkte Zuzug von Aussiedlern und Übersiedlern erhebliche Mehrarbeit bei den Maßnahmen zur Integration in Arbeit und Beruf verursacht, der Facharbeitermangel einerseits und die hohe Zahl von Arbeitslosen andererseits einen verstärkten Kontakt der Arbeitsvermittler mit den Betrieben (Außendienst) erfordern, dazu bereit, der Bundesanstalt für Arbeit zusätzlich Planstellen zur Verfügung zu stellen und zumindest den Personalmaßnahmen zuzustimmen, die im vom Verwaltungsrat festgestellten Haushaltsplan 1990 vorgesehen sind?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Vogt, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, die Bundesregierung wird in der Kabinettsitzung am 13. Dezember 1989 über die Genehmigung des vom Verwaltungsrat der Bundesanstalt für Arbeit festgestellten Haushaltsplan 1990 entscheiden. Ich bitte um Ihr Verständnis, wenn ich dieser Entscheidung nicht vorgreifen kann.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1117528700
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Andres.

Dr. h.c. Gerd Andres (SPD):
Rede ID: ID1117528800
Herr Staatssekretär, ist der Bundesregierung die Arbeitssituation in einer ganzen Reihe von Arbeitsämtern bekannt, die am Beispiel des Arbeitsamtes Hannover in der Zwischenzeit dazu geführt hat, daß das Arbeitsamt Hannover dringendst um personelle Unterstützuung beim Landesarbeitsamt nachgesucht hat, damit das Arbeitsamt seinen Verpflichtungen in der Leistungsabteilung, Beratungsverpflichtungen und ähnlichem, überhaupt nachkommen kann, und wäre die Bundesregierung bereit, daraus entsprechende personelle Konsequenzen für die Arbeitsverwaltung zu ziehen?
Vogt, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, Sie wissen, daß die Bundesregierung seit 1983 schrittweise den Personalbestand bei der Bundesanstalt für Arbeit vermehrt hat. Wir wissen natürlich auch um die Klagen, von denen Sie im konkreten Fall aus der Sicht des Arbeitsamtes Hannover sprechen. Wir wissen natürlich auch, daß in den Gremien der Bundesanstalt für



Parl. Staatssekretär Vogt
Arbeit auf Grund dieser Klagen Überlegungen und konkrete Vorschläge und Vorstellungen entwickelt worden sind, wie der Personalbestand der Bundesanstalt im Jahre 1990 angehoben werden sollte. Aber die Bundesregierung trifft ihre Entscheidung am 13. Dezember 1989, und ich bitte Sie nochmals um Verständnis dafür, daß dieser Entscheidung jetzt nicht vorgegriffen werden kann.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1117528900
Die zweite Zusatzfrage, Herr Kollege Andres.

Dr. h.c. Gerd Andres (SPD):
Rede ID: ID1117529000
Herr Staatssekretär, würden Sie es eigentlich für richtig halten, aus der vermehrten Zahl von Aus- und Übersiedlern und aus der Problemlage, die in meiner Frage geschildert ist, den ganz logischen Schluß zu ziehen, daß die Personalkapazität in der Arbeitsverwaltung erhöht werden müßte?
Vogt, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, wir haben hier Verschiedenes abzuwägen. Durch den Einsatz etwa der Datenverarbeitung und moderner Informationstechnik werden in der Arbeitsverwaltung bis zu 2 500 Kräfte eingespart werden. Es ist nicht vorgesehen, die Stellen für diese Kräfte zu streichen. Damit würde sich natürlich auch ein Personalreservoir innerhalb der Bundesanstalt für Arbeit ergeben, das für andere Dienstleistungen der Bundesanstalt eingesetzt werden könnte.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1117529100
Herr Dr. Sperling, eine Zusatzfrage.

Dr. Dietrich Sperling (SPD):
Rede ID: ID1117529200
Herr Staatssekretär, ich möchte Sie ja nicht dazu verführen, der Bundesregierung vorzugreifen, aber gibt es in der Bundesregierung überhaupt einen Mann oder eine Frau, die den Personalvorstellungen der Bundesanstalt für Arbeit positive Unterstützung geben möchte?
Vogt, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Dr. Sperling, ich möchte es Ihnen ersparen, daß ich jetzt vorlese, welche Personalmehrungen die Bundesregierung seit 1983 zugestanden hat. Ich habe darüber hier in der Fragestunde ja auch schon wiederholt berichtet. An den Entscheidungen der Bundesregierung seit 1983 sehen Sie, daß wir uns dieser Frage immer in einer offenen und konstruktiven Weise gestellt haben.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1117529300
Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Steinhauer.

Waltraud Steinhauer (SPD):
Rede ID: ID1117529400
Herr Staatssekretär, Sie haben erwähnt, daß am 13. Dezember über den Haushalts- und Stellenplan der Bundesanstalt für Arbeit entschieden werden soll. Ich gehe davon aus, daß es der „normale" Haushalt ist, der da zur Entscheidung ansteht. — Ich sehe das Nicken Ihres Referenten.
Meinen Sie nicht, daß angesichts der Besonderheiten, die jetzt durch die Belastungen durch Aussiedler, Übersiedler etc. auf die Bundesanstalt zugekommen sind, Sofortmaßnahmen im Personalbereich dringend erforderlich sind und daß die Entscheidung darüber unabhängig von dem normalen Stellen- und Haushaltsplan zu treffen ist?
Vogt, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, ich weiß nicht, bei welcher Stelle der Herr Wolff gerade genickt hat. Ich nehme an, es bezog sich auf das Datum der Beratung des Haushalts der Bundesanstalt für Arbeit im Kabinett. Herr Wolff ist übrigens im Parlamentsreferat, nicht in der Abteilung II, die für Fragen des Arbeitsmarktes und der Bundesanstalt für Arbeit zuständig ist. Sie können also aus seinem Nicken keine so weitreichenden Schlußfolgerungen ziehen.
Im übrigen gehe ich davon aus, daß die Selbstverwaltungsorgane der Bundesanstalt für Arbeit bei der Aufstellung des Haushalts in Nürnberg auch schon die Fragen mitberücksichtigt haben, von denen Sie gerade gesprochen haben.

(Frau Steinhauer [SPD]: Im April? Da kann ich nur lachen!)

Diese Damen und Herren sowohl von der öffentlichen Hand wie von der Arbeitgeber- und der Arbeitnehmerseite sind ja nicht so weltfremd, als daß sie nicht die Entwicklungen kennen würden, von denen Sie gesprochen haben.

(Andres [SPD]: Im April bereits?)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1117529500
Meine Damen und Herren, wir haben noch drei Fragen, aber nur noch vier Minuten. Es wäre sehr schön, wenn wir diese Fragen noch behandeln könnten und wenn die Fragesteller noch zu Wort kämen. Herr Heyenn, muß die Zusatzfrage noch sein?

(Heyenn [SPD]: Ganz kurz!)

— Und dann gibt es wieder eine lange Antwort, aber wie Sie wollen, bitte schön.

Günther Heyenn (SPD):
Rede ID: ID1117529600
Herr Staatssekretär, ich frage ganz kurz, da die Entscheidung in vier Wochen fallen soll: Nach welchen Kriterien wird diese Entscheidung vorbereitet?
Vogt, Parl. Staatssekretär: Nach objektiven Kriterien.

(Lachen bei der SPD)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1117529700
Ich bedanke mich für diese kurze Antwort. Jetzt kann ich Frage 38 des Abgeordneten Andres aufrufen:
Hält es die Bundesregierung angesichts ihrer Wende in der Wohnungsbaupolitik rückblickend für einen Fehler, die produktive Winterbauförderung des Arbeitsförderungsgesetzes teilweise ausgesetzt zu haben?
Vogt, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Andres, die Bundesregierung hält es auch im Hinblick auf ihre Wohnungsbaupolitik nicht für einen Fehler, daß der Gesetzgeber die Förderung durch die Arbeitgeberleistungen der produktiven Winterbauförderung bis zum 31. März 1992 ausgesetzt hat. Die gesetzlichen Vorschriften über die Förderung der ganzjährigen Beschäftigung in der Bauwirtschaft sind mit für das Baugewerbe geltenden tarifvertraglichen Regelungen so eng verzahnt, daß Abhängigkeiten bestehen. Das Baugewerbe, das einen tiefgreifenden Strukturwandel durchgemacht hat, beabsichtigt eine tarifliche Erneuerung von Arbeitsbedingungen für die Bauarbeiter. Insbesondere strebt es ein ganzjährig gesichertes Einkommen des Bauarbeiters an. Die tarifliche Er-



Parl. Staatssekretär Vogt
neuerung im Baugewerbe muß Vorrang haben, um die Leistungsfähigkeit des Baugewerbes für die Bauaufgaben des nächsten Jahrzehnts zu sichern. Die Bundesregierung hat daher im Zusammenhang mit den Erörterungen zum Wohnungsbauprogramm eine vorzeitige Wiedereinführung der Förderung durch die Arbeitgeberleistungen der produktiven Winterbauförderung zwar geprüft, jedoch mit Rücksicht auf die Abhängigkeiten zwischen Gesetzesrecht und Tarifvertragsrecht verneint, um den Fortgang der Tarifverhandlungen im Baugewerbe nicht zu stören.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1117529800
Zusatzfrage? — Bitte, Herr Abgeordneter Andres.

Dr. h.c. Gerd Andres (SPD):
Rede ID: ID1117529900
Darf ich Ihre Antwort so auslegen, daß die Bundesregierung, wenn sie im gegenwärtigen Moment den Paragraphen, ich glaube, es ist § 249 AFG, wieder verlängern müßte, so wie wir das mit der Neunten Novelle getan haben, wieder dahin entscheiden würde, daß die produktive Winterbauhilfe bis 1994 — so steht es ja im Gesetz — ausgesetzt werden würde?
Vogt, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, die Gründe, die für die Verlängerung gesprochen haben, die im Rahmen der Neunten Novelle vorgenommen worden ist, gelten heute genauso fort, wie sie damals bestanden haben. Ich möchte darauf hinweisen, daß diese Maßnahme, die Sie ansprechen, zu einem Bündel von Maßnahmen gehörte, um die Ausgleichskasse zu sichern, die auf Grund von tarifvertraglichen Vereinbarungen im Baugewerbe eingerichtet worden ist, über die die Vorruhestandsleistungen abgewickelt worden sind. Es war der Wunsch beider Tarifvertragsparteien — ich habe selbst die Verhandlungen geführt — , die Maßnahme zu ergreifen, die wir dann ergriffen haben und die in der Neunten Novelle verlängert worden ist.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1117530000
Zweite Zusatzfrage.

Dr. h.c. Gerd Andres (SPD):
Rede ID: ID1117530100
Welche inhaltlichen, materiellen Regelungen der Tarifverträge im Bauwesen sprechen denn dagegen, die Aussetzung der produktiven Winterbauhilfe wiedereinzuführen? Sie haben gesagt, es werde verhandelt und das würde alles die Verhandlungen stören. Könnten Sie mir mal sagen, an welcher Kante das stören würde?
Vogt, Parl. Staatssekretär: Gern, Herr Kollege. Ich will zunächst einmal darauf hinweisen, daß durch die Maßnahmen, die hier zur Erörterung stehen, zunächst einmal die Abgabe der Arbeitgeber an die Kasse, die die Vorruhestandsleistungen finanziert, zum 1. 1. 1987 um einen Prozentpunkt von drei auf zwei gesenkt werden konnte. Derzeit stehen bei den Tarifverhandlungen folgende Forderungen in der Bauwirtschaft an: ganzjährig gesichertes Einkommen der Bauarbeiter, Spitzenlohn für Qualitätsarbeit, 30 Tage Jahresurlaub, gesicherte berufliche Fort- und Weiterbildung, vorbeugender Arbeits- und Gesundheitsschutz, humane Arbeitsbedingungen.

(Dr. Sperling [SPD] meldet sich zu einer Frage)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1117530200
Herr Dr. Sperling, ich möchte keine weitere Frage zulassen, sondern die Fragen der Frau Kollegin Steinhauer aufrufen, weil die Fragestunde eigentlich schon zu Ende ist. Ich bitte um Verständnis.
Ich rufe die Fragen 39 und 40 der Abgeordneten Frau Steinhauer zusammen auf:
Teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß die bei der Förderung der beruflichen Bildung von der Arbeitsverwaltung geübte Praxis der Richtwerte dazu führt, daß die Qualität der Bildungsmaßnahmen ständig sinkt und gerade Langzeitarbeitslose mit ihrem erhöhten Betreuungsbedarf nicht mit ausreichender Aussicht auf Erfolg qualifiziert werden können?
Ist die Bundesregierung bereit, der Bundesanstalt für Arbeit eine Überprüfung dieser Praxis nahezulegen und bei einer Änderung der Praxis die dafür notwendigen Finanzmittel zu genehmigen?
Bitte schön.
Vogt, Parl. Staatssekretär: Der Grundsatz der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit nach § 34 Abs. 1 des Arbeitsförderungsgesetzes verlangt im Hinblick auf die große Zahl der Bildungsmaßnahmen eine Orientierung der Arbeitsämter bei der Prüfung der Angemessenheit der Kostensätze. Diesem Zwecke dienen die von den Landesarbeitsämtern zu entwickelnden Richtwerte; sie sollen den Mitarbeitern in den Arbeitsämtern eine Vergleichsmöglichkeit geben.
In der Praxis sind die Richtwerte vereinzelt als Kostenobergrenzen verstanden worden. Der Präsident der Bundesanstalt für Arbeit hat deshalb seine Dienststellen auf den dargestellten Sinn und Zweck der Richtwerte hingewiesen. Diese sind darüber hinaus laufend der Entwicklung anzupassen und haben ihre Bedeutung nur für solche Maßnahmen, die hinsichtlich Qualifizierungsinhalt und Teilnehmerzusammensetzung vergleichbar sind.
Eine Senkung der Qualität der Maßnahmen vermag ich generell nicht zu erkennen. Die Vermittlungsergebnisse nach Abschluß der Bildungsmaßnahme sind heute besser als noch vor ein paar Jahren. Nach einer Erhebung der Bundesanstalt haben von den Teilnehmern, die ihre Bildungsmaßnahme 1988 abgeschlossen haben, am Ende des übernächsten Quartals noch 20 % Arbeitslosengeld bzw. Arbeitslosenhilfe bezogen. 1984 waren dies noch 24 %. Von den vorher arbeitslosen Teilnehmern standen 1988 am Ende des übernächsten Quartals nur noch 23 % im Leistungsbezug; 1984 waren dies 28 %.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1117530300
Können Sie sich auf zwei Zusatzfragen beschränken, Frau Kollegin? — Bitte.

Waltraud Steinhauer (SPD):
Rede ID: ID1117530400
Herr Staatssekretär, darf ich davon ausgehen, daß Sie der Auffassung sind, daß das Herabsetzen der Zuschüsse für die einzelnen Lehrgänge die Qualität nicht gemindert hat, daß also die Klagen in den Arbeitsämtern nicht zutreffen?
Vogt, Parl. Staatssekretär: Also, von den Vermittlungsergebnissen her gesehen, die bei Teilnehmern an beruflichen Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen erzielt werden, muß ich davon ausgehen, daß das Niveau hier nicht abgesenkt worden ist.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1117530500
Zweite Zusatzfrage.




Waltraud Steinhauer (SPD):
Rede ID: ID1117530600
Herr Staatssekretär, wären Sie denn bereit, in den einzelnen Landesarbeitsämtern auch einmal danach zu fragen, ob es nicht sogar Probleme gibt, entsprechende Lehrgänge zustande zu bringen, weil die Zuschüsse so gesenkt worden sind?
Vogt, Parl. Staatssekretär: Aber Frau Kollegin, wir stehen über den Vorstand der Bundesanstalt für Arbeit mit den Präsidenten der Landesarbeitsämter ständig im Gespräch, auch über diese Fragen. So generell, so generalisiert, wie Sie diesen Verdacht hier geäußert haben, darf er nicht erhoben werden.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1117530700
Danke schön, Herr Staatssekretär.
Die Fragen 41 und 42 des Abgeordneten Sielaff werden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung.
Die Fragen 43 und 44 des Abgeordneten Leidinger werden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Die Frage 45 der Abgeordneten Frau Würfel wurde von der Fragestellerin zurückgezogen.
Die Fragen 46 und 47 des Abgeordneten Jungmann (Wittmoldt) sowie die Fragen 48 und 49 des Abgeordneten Gansel werden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Dann sind wir am Ende der Fragestunde.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 16. November 1989, 9 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.