Gesamtes Protokol
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet.Wir kommen zunächst zu den wichtigen Vereinbarungen.Wir haben interfraktionell vereinbart, Punkt 6 mit Punkt 20 der Tagesordnung zu tauschen.Weiterhin soll nach einer interfraktionellen Vereinbarung die verbundene Tagesordnung erweitert werden. Die die heutige Tagesordnung betreffenden Punkte sind in der Ihnen vorliegenden Zusatzpunktliste aufgeführt:1. Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur steuerlichen Förderung des Wohnungsbaus und denkmalgeschlitzter Gebäude — Drucksache 11/5680 —2 Aktuelle Stunde: Haltung der Bundesregierung zum bevorstehenden Giftmüllumschlag im Emdener Hafen zur Seeverbrennung3. Beratung des Antrags der Abgeordneten Frau Schilling, Dr. Mechtersheimer und der Fraktion DIE GRÜNEN: Konsequenzen aus der Katastrophe von Ramstein — Drucksache 11/5679 —4. Beratung des Antrags der Abgeordneten Horn, Heistermann, Erler, Fuchs, Gerster , Dr. Klejdzinski, Kolbow, Koschnick, Leonhart, Steiner, Zumkley, Dr. von Billow, Gansel, Dr. Götte, Kühbacher, Leidinger, Nagel, Opel, Dr. Scheer, Schulte (Hameln), Voigt (Frankfurt), Dr. Soell, Walther, Dr. Vogel und der Fraktion der SPD: Luftfahrtveranstaltungen in der Bundesrepublik Deutschland — Drucksache 11/5681 —5. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Verteidigungsausschusses zu dem Antrag der Fraktion der SPD: Konsequenzen aus der Katastrophe des Flugtages in Ramstein am 28. August 1988 — Drucksachen 11/2897,11/5650 —Gleichzeitig soll — soweit erforderlich — von der Frist für den Beginn der Beratungen abgewichen werden. Sind Sie damit einverstanden? — Kein Widerspruch. Dies ist so beschlossen.Meine Damen und Herren, wir kommen jetzt zur heutigen Tagesordnung. Auf Grund der dramatischen und uns alle bewegenden Ereignisse in der DDR am vergangenen Donnerstag wurde die abschließende Beratung einiger Vorlagen ausgesetzt und die Sitzung vertagt. Ich komme gleich bei Tagesordnungspunkt 3 darauf zurück.Ich rufe zunächst Punkt 2 der Tagesordnung und den Zusatztagesordnungspunkt 1 auf:2. Überweisung im vereinfachten VerfahrenBeratung der Unterrichtung durch die BundesregierungMaßnahmen zum Bodenschutz— Drucksache 11/1625 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuß für WirtschaftAusschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Ausschuß für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit Ausschuß für VerkehrAusschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau Ausschuß für Forschung und TechnologieZP1 Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur steuerlichen Förderung des Wohnungsbaus und denkmalgeschützter Gebäude
— Drucksache 11/5680 —Überweisungsvorschlag:Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau
FinanzausschußEine Debatte ist nicht vorgesehen. Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Sind Sie damit einverstanden? — Ja. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.Ich rufe Punkt 3 der Tagesordnung auf:a) Fortsetzung der zweiten und dritten Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung und Vereinfachung der Vereinsbesteuerung
— Drucksache 11/4176, 11/4305 —aa) Beschlußempfehlung und Bericht des Finanzausschusses
— Drucksache 11/5582 —Berichterstatter:Abgeordnete Dr. GrünewaldOpelRind
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Präsidentin Dr. Süssmuthbb) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung — Drucksache 11/5607 —Berichterstatter:Abgeordnete Roth Dr. Weng (Gerungen)Dr. Diederich
Frau Vennegerts
b) Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung des Gemeinnützigkeitsrechts— Drucksache 11/390 —Beschlußempfehlung und Bericht des Finanzausschusses
— Drucksache 11/5582 —Berichterstatter:Abgeordnete Dr. Grünewald OpelRind
c) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Büchler , Dr. Apel, Dr. Spöri, Börnsen (Ritterhude), Dr. Hauchler, Huonker, Kastning, Frau Matthäus-Maier, Dr. Mertens (Bottrop), Oesinghaus, Poß, Reschke, Westphal, Dr. Wieczorek, Frau Adler, Amling, Andres, Antretter, Frau Becker-Inglau, Bernrath, Frau Blunck, Brück, Büchner (Speyer), Frau Bulmahn, Conradi, Daubertshäuser, Dreßler, Egert, Ewen, Fischer (Homburg), Frau Fuchs (Verl), Gansel, Gilges, Frau Dr. Götte, Grunenberg, Dr. Haack, Frau Hämmerle, Frau Dr. Hartenstein, Heimann, Heistermann, Heyenn, Hiller (Lübeck), Dr. Holtz, Horn, Ibrügger, Jaunich, Dr. Jens, Jung (Düsseldorf), Jungmann, Kirschner, Kißlinger, Dr. Klejdzinski, Kolbow, Koltzsch, Koschnick, Kretkowski, Kuhlwein, Lambinus, Leidinger, Leonhart, Lohmann (Witten), Lutz, Frau Dr. Martiny, Menzel, Dr. Mitzscherling, Müller (Pleisweiler), Müller (Schweinfurt), Müntefering, Nehm, Dr. Niese, Oostergetelo, Dr. Penner, Peter (Kassel), Pfuhl, Porzner, Reimann, Reuschenbach, Reuter, Rixe, Dr. Scheer, Schmidt (München), Schmidt (Salzgitter), Dr. Schmude, Dr. Schöfberger, Schreiner, Schröer (Mülheim), Seidenthal, Frau Seuster, Sieler (Amberg), Sielaff, Dr. Soell, Stahl (Kempen), Steiner, Frau Steinhauer, Stiegler, Stobbe, Frau Terborg, Frau Dr. Timm, Urbaniak, Vahlberg, Verheugen, Voigt (Frankfurt), von der Wiesche, Walther, Wartenberg (Berlin), Weiermann, Frau Weiler, Weisskirchen (Wiesloch), Dr. Wernitz, Würtz, Zumkley, Dr. Vogel und der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung des Gemeinnützigkeitsrechts— Drucksache 11/1334 — Beschlußempfehlung und Bericht des Finanzausschusses
— Drucksache 11/5582 —Berichterstatter:Abgeordnete Dr. GrünewaldOpelRind
d) Beschlußempfehlung und Bericht des Finanzausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Apel, Dr. Penner, Büchner (Speyer), Dr. Spöri, Klein (Dieburg), Amling, Frau Becker-Inglau, Dr. Hauchler, Huonker, Kastning, Lambinus, Lohmann (Witten), Frau Matthäus-Maier, Dr. Mertens (Bottrop), Dr. Nöbel, Oesinghaus, Porzner, Poß, Frau Renger, Reschke, Schmidt (Salzgitter), Frau Steinhauer, Dr. Struck, Westphal, Wieczorek (Duisburg), Wimmer (Neuötting), Bamberg, Bernrath, Dr. Böhme, Brück, Dr. Emmerlich, Graf, Großmann, Frau Hämmerle, Heistermann, Kuhlwein, Müller (Pleisweiler), Müntefering, Frau Odendahl, Paterna, Peter (Kassel), Rixe, Schäfer (Offenburg), Wartenberg (Berlin), Weisskirchen (Wiesloch), Dr. Wernitz, Frau Weyel, Würtz, Zander, Schanz, Dreßler, Toetemeyer, Ibrügger, Dr. Vogel und der Fraktion der SPDSteuerliche Erleichterungen für die gemeinnützigen Sportvereine und andere gemeinnützige Vereine— Drucksachen 11/124, 11/5582 —Berichterstatter:Abgeordnete Dr. GrünewaldOpelRindWir haben die Aussprache hierüber bereits am vergangenen Donnerstag durchgeführt und auch schon über den Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/5593 namentlich abgestimmt. Wir müssen jetzt die weiteren Abstimmungen vornehmen. Da zu den Einzelvorschriften dieses Gesetzes eine Reihe von Änderungsanträgen vorliegt und der Wunsch nach getrennter Abstimmung besteht, ist eine etwas längere differenzierte Abstimmung erforderlich.Wir kommen zunächst zu den Abstimmungen zum Vereinsförderungsgesetz. Der Abgeordnete Feldmann möchte vor der Abstimmung zum Vereinsförderungsgesetz eine Erklärung nach § 31 der Geschäftsordnung abgeben.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Guten Morgen! Ich bitte Sie, diese fünf Minuten zu ertragen. Sie wissen, daß wegen der historischen Dimension der Ereignisse der letzten Tage dieses Gesetzgebungsverfahren unterbrochen wurde. Man kann auch sagen: Die Geschichte fiel uns in den Arm und hat uns noch einmal eine Bedenkzeit bei diesem Gesetz gegeben. Wenn das kein Fingerzeig ist, meine Damen und Herren!
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Dr. FeldmannAber nicht deswegen, sondern aus folgenden Gründen werde ich das vorliegende Gesetzespaket zur Neuordnung der Vereinsförderung und des Gemeinnützigkeitsrechts ablehnen.Erstens bin ich mit ihnen der Ansicht, daß eine Verbesserung und Vereinfachung der Vereinsförderung notwendig und überfällig ist. Aber hier wurde der falsche Weg eingeschlagen. Schade, daß der Empfehlung der vom Finanzausschuß beauftragten Sachverständigenkommission, bestimmte Steuervergünstigungen nur selbstlos tätigen Vereinen zukommen zu lassen, nicht gefolgt wurde. Im Gegenteil: Jetzt werden immer mehr reine Freizeitvereine gefördert und weitgehend mit karitativ und selbstlos tätigen Vereinen gleichgestellt. Da das Spendenaufkommen insgesamt aber begrenzt ist, muß dies zwangsläufig zu Lasten der Sonderförderung des selbstlos tätigen Engagements gehen. Damit, meine Damen und Herren, geht die Gemeinnützigkeitsidee unter.
Zweitens. Durch dieses Gesetz, so heißt es in der Begründung, sollen „keine unzumutbaren Wettbewerbsnachteile für mittelständische Unternehmen entstehen".
Aber genau das wird geschehen — Herr Grünewald —
denn die gewählte Umwegfinanzierung für Vereine zwingt die Vereine, wirtschaftlich tätig zu werden und damit in Konkurrenz zu mittelständischen Unternehmen zu treten, wenn sie in den vollen Genuß der ihnen zugestandenen Förderung kommen wollen.
— Doch! Natürlich!
— Aber direkt. — Da sich die wirtschaftliche Betätigung der Vereine in der Regel auf den Verkauf von Speisen und Getränken konzentriert, wird das Gastgewerbe — indirekt, aber zwangsläufig — zum Zahlmeister der Vereine.
— Nein. Herr Opel, außerdem hatten Sie schon das Wort. — Betroffen werden aber nicht nur die Gastwirte, sondern auch private Tanzschulen, Omnibusunternehmen, Fitneßcenter und der Einzelhandel.Gleiche Tätigkeiten steuerlich ungleich zu behandeln, je nachdem, ob sie im Verein oder gewerblich erbracht werden, hat mit Steuergerechtigkeit nichts zu tun, und führt ordnungspolitisch in die Sackgasse.
— Das ist eine persönliche Erklärung.Drittens. Trotz der Mißbrauchsklausel, die auf Empfehlung des DEHOGA aufgenommen wurde, ist die Gefahr der Zellteilung auf Umwegen nicht gebannt. Die Klarstellung, daß funktionelle Gliederungen keine selbständigen Steuersubjekte sind, reicht nicht,
da Neugründungen — auch zum Zwecke der Umgehung — nicht verhindert werden können. Der Anreiz ist einfach zu groß.Viertens. Die pauschale Gewichtigkeitsgrenze von 60 000 DM für jeden begünstigten Verein — egal ob er sieben oder 700 Mitglieder hat — ist ungerecht und mißbrauchfördernd.
Sowohl die Zahl der Mitglieder als auch das Beitragsaufkommen wären geeignete Bemessungsgrenzen.Fünftens. Schon heute ist voraussehbar, daß es bei dem Katalog der begünstigten Vereinszwecke nicht bleiben wird. Warum keine Briefmarkensammelvereine, warum keine Münzsammelvereine? Warum Gemeinnützigkeits- und Steuervorteile für Modellflieger, aber nicht für Modellschiffbauer? Warum Förderung des Amateurfunkens, aber nicht des Amateurfilmens usw.?Eine weitere Ausdehnung ist nicht aufzuhalten. Damit werden immer mehr Freizeitaktivitäten staatlich subventioniert, vorausgesetzt sie finden nicht privat, sondern im Verein statt. Das ist eine ordnungspolitisch falsche Weichenstellung.
Meine Damen und Herren, ich sage zum Schluß: Als Freund der Vereine
hätte ich den Vereinen ein besseres Gesetz gegönnt. — Meine Damen und Herren, ich habe wahrscheinlich mehr Vereine gegründet und bin in mehr Vereinsvorständen als der eine oder andere von Ihnen. — Vor allem aber hätte ich den Vereinen ein Gesetz gewünscht, das ihre Interessen nicht zwangsläufig in Gegensatz zum gewerblichen Mittelstand bringt. Aber dies haben nicht die Vereine, sondern dies hat allein der Gesetzgeber zu verantworten.Die hier gewählte Umwegfinanzierung der Vereine durch vielfältige steuerliche Begünstigungen — statt direkter und gezielter Förderung — ist ordnungspolitisch verfehlt, verzerrt den Wettbewerb und geht zu Lasten des gewerblichen Mittelstands.Ich werde dieses Gesetz daher ablehnen und mit Nein stimmen.Ich bedanke mich bei Ihnen, daß Sie mir trotzdem zugehört haben.
Meine Damen und Herren, der Abgeordnete Gattermann und die Abgeordnete Frau Hoffmann haben eine entsprechende schriftliche Erklärung zu Protokoll gegeben.*)*) Anlagen 2 und 3
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13232 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 175. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. November 1989
Präsidentin Dr. SüssmuthIch komme jetzt erneut zur Abstimmunmg über das Vereinsförderungsgesetz.Ich rufe Art. 1 Nr. 01 in der Ausschußfassung auf. Wer dieser Vorschrift zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Dann ist die aufgerufene Vorschrift bei drei Gegenstimmen angenommen.Ich rufe Art. 1 Nr. 1 auf. Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/5596 vor. Wer für diesen Änderungsantrag stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Der Änderungsantrag ist mit großer Mehrheit abgelehnt.Wir kommen zu Art. 1 Nr. 1 in der Ausschußfassung. Wer dieser Vorschrift zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Die aufgerufene Vorschrift ist angenommen.Ich rufe Art. 1 Nr. 2 bis 5 sowie Art. 2 in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Die aufgerufene Vorschrift ist bei einer Gegenstimme und zwei Enthaltungen angenommen.Ich rufe Art. 3 Nr. 1 auf. Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/5592 vor.
Wer für diesen Änderungsantrag stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? —
Enthaltungen? — Der Änderungsantrag ist abgelehnt.Wir kommen nunmehr zu Art. 3 Nr. 1 in der Ausschußfassung. Wer dieser Vorschrift zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Die aufgerufene Vorschrift ist bei einer Gegenstimme und zwei Enthaltungen angenommen.Ich rufe Art. 3 Nr. 2 a auf. Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/5597 Nr. 1 vor. Wer für diesen Änderungsantrag stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Der Änderungsantrag ist abgelehnt.Wir kommen nunmehr zu Art. 3 Nr. 2 a in der Ausschußfassung. Wer dieser Vorschrift zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich? — Die auf gerufene Vorschrift ist bei einer Gegenstimme und zwei Enthaltungen angenommen.Ich rufe Art. 3 Nr. 2 b auf. Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/5598 Nr. 1 vor. Wer für diesen Änderungsantrag stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Der Änderungsantrag ist abgelehnt.Wir kommen nunmehr zu Art. 3 Nr. 2 b in der Ausschußfassung. Wer dieser Vorschrift zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Die aufgerufene Vorschrift ist gegen die Stimmen der GRÜNEN und zwei weitere Gegenstimmen angenommen.Ich rufe Art. 3 Nr. 2 c in der Ausschußfassung auf, nachdem der auch hierauf bezogene Änderungsantrag der Fraktion der SPD in namentlicher Abstimmung abgelehnt wurde. Wer dieser Vorschrift zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Die aufgerufene Vorschrift ist mit den Stimmen der CDU/ CSU-Fraktion und der Fraktion der FDP und bei einigen Gegenstimmen angenommen.Ich rufe Art. 3 Nr. 3 in der Ausschußfassung auf. Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/5597 Nr. 2 vor. Wer für diesen Änderungsantrag stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Der Änderungsantrag ist abgelehnt.Wir kommen nunmehr zu Art. 3 Nr. 3 in der Ausschußfassung. Wer dieser Vorschrift zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Die aufgerufene Vorschrift ist angenommen.Die Fraktion DIE GRÜNEN beantragt auf Drucksache 11/5599, in Art. 3 nach Nr. 3 eine Nr. 3 a einzufügen. Wer für diesen Änderungsantrag stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Der Änderungsantrag ist abgelehnt.Ich rufe Art. 3 Nr. 4 a in der Ausschußfassung auf. Wer dieser Vorschrift zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Enthaltungen? — Gegenstimmen? — Drei. Die aufgerufene Vorschrift ist angenommen.Ich rufe Art. 3 Nr. 4 b in der Ausschußfassung auf, nachdem der auch hierauf bezogene Änderungsantrag der Fraktion der SPD in namentlicher Abstimmung abgelehnt wurde. Wer dieser Vorschrift zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Die aufgerufene Vorschrift ist angenommen.Ich rufe Art. 3 a bis Art. 6 in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Die aufgerufenen Vorschriften sind gegen eine Stimme und bei fünf Enthaltungen angenommen.Ich rufe Art. 7 Nr. 1 in der Ausschußfassung auf. Wer dieser Vorschrift zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Die aufgerufene Vorschrift ist bei vier Enthaltungen angenommen.Ich rufe Art. 7 Nr. 2 a in der Ausschußfassung auf. Wer dieser Vorschrift zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Die aufgerufene Vorschrift ist bei einigen Enthaltungen angenommen.Ich rufe Art. 7 Nr. 2 b Satz 1 und 2 auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den
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Präsidentin Dr. Süssmuthbitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Die aufgerufenen Vorschriften sind mehrheitlich angenommen.Ich rufe Art. 7 Nr. 2 b Satz 3 bis 5 in der Ausschußfassung auf, nachdem der auch hierauf bezogene Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/5593 in namentlicher Abstimmung abgelehnt wurde. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Die aufgerufenen Vorschriften sind mehrheitlich angenommen.Die Fraktion DIE GRÜNEN beantragt auf Drucksache 11/5589 Nr. 2 eine Ergänzung von Art. 7 Nr. 2 b. Wer für diesen Änderungsantrag stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Der Änderungsantrag ist abgelehnt.Ich rufe Art. 7 Nr. 3 und 4, Art. 8 bis 11 sowie Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Die aufgerufenen Vorschriften sind bei einer Gegenstimme und mehreren Enthaltungen angenommen.Damit ist die zweite Beratung abgeschlossen. Wir treten in diedritte Beratungein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Der Gesetzentwurf ist gegen die Stimmen der GRÜNEN und drei weiteren Gegenstimmen angenommen.Es ist noch über einen Entschließungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/5600 abzustimmen. Wer für diesen Entschließungsantrag stimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Der Entschließungsantrag ist abgelehnt.Abzustimmen ist weiterhin über Nr. 2 der Beschlußempfehlung des Finanzausschusses auf Drucksache 11/5582. Der Ausschuß empfiehlt, den Gesetzentwurf des Bundesrates auf Drucksache 11/390, den Gesetzentwurf der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/1334 sowie den Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/124 für erledigt zu erklären. Wer dieser Beschlußempfehlung zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Die Beschlußempfehlung ist mehrheitlich angenommen.Ich rufe den Zusatztagesordnungspunkt 2 auf: Aktuelle StundeHaltung der Bundesregierung zum bevorstehenden Giftmüllumschlag im Emdener Hafen zur SeeverbrennungMeine Damen und Herren, die Fraktion DIE GRÜNEN hat gemäß unserer Geschäftsordnung eine Aktuelle Stunde zu dem oben genannten Thema verlangt.Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Abgeordnete Frau Garbe.
Die Hohe-See-Giftmüllverbrennung, Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren, ist ein Verbrechen,
es ist ein Verbrechen an dem empfindlichen und todkranken Ökosystem Nordsee. Die Öffentlichkeit ist seit dem Robbensterben und der Algenpest des letzten Jahres gewahr geworden, daß die Nordsee todkrank ist und nach wie vor als Mülleimer mißbraucht wird.1969 wurde die Hohe-See-Verbrennung begonnen, damals im rechtsfreien Raum. In den letzten beiden Jahrzehnten wurde mit der Oslo-Konvention und dem bundesdeutschen Hohe- See-Einbringungsgesetz ein juristischer Rahmen abgesteckt, der die verbrecherische Meeresverschmutzung eindämmen sollte. Heute sind die nachteiligen Veränderungen der Nordsee zigfach erwiesen, heute weiß man, daß sich supergiftige Verbrennungsprodukte in den Lebewesen der Nordsee anreichern. Das Deutsche Hydrographische Institut hat inzwischen die Besorgnis hinsichtlich einer nachteiligen Veränderung der maritimen Umwelt geäußert. Dennoch wollen Sie, Herr Minister Töpfer, auf Grund vorgeblich zwingender öffentlicher Interessen die Hohe-See-Verbrennung noch bis Ende 1994 zulassen.
Damit leisten Sie Beihilfe zur weiteren Vergiftung und Zerstörung der Nordsee,
damit beschreiten Sie den Weg in die Illegalität, zumal bisher bei den Giftmüllsammellagern wohl auch mehr als ein Auge zugedrückt wurde.
Ein in die Öffentlichkeit geratenes Schreiben des DHI vom 7. Juli dieses Jahres führt an, daß Stoffe zur Verbrennung kommen, für die keine Genehmigung vorliegt, daß Kontingente um 50 % überschritten werden, daß Firmen bedient werden, die keine Erlaubnis haben, daß Erlaubnisse doppelt und dreifach ausgenutzt werden, kurz: keine Spur von geordneter Entsorgung!Sie zwitschern von Umweltschutzvorsorge, Herr Bundesminister, und Sie organisieren das Umweltverbrechen der weiteren Meeresverschmutzung.
Ich appelliere nochmals an Sie: Beenden Sie die Hohe-See-Verbrennung, und zwar sofort!
Kapazitäten für eine Entsorgung an Land sind vorhanden; lassen Sie mich das ausdrücklich feststellen. Es stehen zur Zeit 28 000 t freie Kapazitäten zur Aufarbeitung von CKW-haltigen Lösemittelabfällen bei den Firmen RCN, Geiß und Kruse Chemie zur Verfügung. Von Oktober 1989 bis September 1990 stehen
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Frau Garbe19 600 t zur Genehmigung zur Hohe-See-Verbrennung an.Liebe Kollegen und Kolleginnen, Herr Töpfer hat diese Zahlen vom UBA vor einer Woche erhalten. Er kennt sie. Was aber will er? Herr Töpfer will nächsten Dienstag die Landesumweltminister, Industrie und Gewerkschaften auf einen Giftmüllumschlag über Emden und auf weitere Hohe-See-Verbrennung in einer konzertierten Aktion Giftmüll einschwören. Ich wünsche Ihnen, Herr Töpfer, daß Ostfriesland und die Basis Ihnen einen Strich durch die Rechnung machen.
Lassen Sie mich ein zweites herausstellen: Der fragliche Giftmüll ist dioxin- und PCB-verseucht und darf nicht auf Hoher See verbrannt werden. Von den zur Zeit zur Verbrennung angedienten Giftmüllmengen von 20 000 t sind nachgewiesenermaßen 7 800 t dioxin- und PCB-haltige Abfälle. Die vom Deutschen Hydrographischen Institut am 23. Oktober 1989 zusammengestellten Meßergebnisse weisen Dioxingehalte zwischen 21 und 49 ppb, also parts per billion, auf. Weitere Meßergebnisse stehen aus. Nach den internationalen Vereinbarungen und nach bisheriger Genehmigungspraxis von DHI und Umweltbundesamt und auch nach dem bislang erklärten Willen dieser Bundesregierung dürfen solche dioxin- und PCB-haltigen Rückstände nicht auf See verbrannt werden.Wollen Sie, Herr Töpfer, nunmehr eine Unbedenklichkeitserklärung für Dioxine und Furane ausstellen oder die Verträge einfach nicht mehr einhalten? Das ist hier die Frage.
Sie haben mit Ihrer Pyromanie die Abfallentsorgung in eine Sackgasse hineinmanövriert. Sie wollen jetzt Emden zum Giftmüllhafen machen.
Sie wollen notfalls in Emden den gefährlichen Schiffzu-Schiff-Direktumschlag erzwingen, falls Ihr Kollege Remmers in Niedersachsen nicht mitzieht. Sie wollen jetzt offensichtlich auch dioxin- und PCB-haltige Rückstände auf See verbrennen und sich durch Ihre Flucht an die Saar der Verantwortung entziehen.
Herr Töpfer, Ihre Flucht zurück ins Saarland wird Ihnen hoffentlich durch die Wahlentscheidung im Frühjahr versperrt. Die Wahl in Ostfriesland ist schon gelaufen:
100 % votieren für die Beendigung der Hohe-SeeVerbrennung; 100 % stimmen gegen Emden als Giftmüllhafen.Dem sollten sich nicht nur die Abgeordneten der Region anschließen, sondern alle Kolleginnen und Kollegen, denen das Ökosystem Nordsee noch etwas bedeutet.Ich danke Ihnen.
Das Wort hat der Abgeordnete Herr Schmidbauer.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Frau Garbe, dasselbe Strickmuster hatten wir in der vorigen Woche mit ALKEM.
Hier wird so getan, als ob eine aktuelle Situation vorläge.
— Das Thema lautet: Umschlag in Emden. Ich mache nur darauf aufmerksam, mit welcher Thematik Sie sich jeweils hier beschäftigen.
Die Aspekte, die Sie vortragen, sind beim letzten Mal natürlich ähnliche gewesen.
Sie haben ALKEM aufgeführt und die Bundesregierung nach aktuellem Handlungsbedarf gefragt.
— Vielleicht haben Sie Ihren Antrag gar nicht gelesen, Frau Kollegin. Ich darf das darin genannte Thema einmal vorlesen: „Haltung der Bundesregierung zum bevorstehenden Giftmüllumschlag im Emdener Hafen zur Seeverbrennung".
— Ja, gut, gut.
Das ist sehr aktuell, aber das ist natürlich beim Hafenamt in Emden sehr aktuell, und es ist auch sehr aktuell beim niedersächsischen Wirtschaftsminister, wo dieser Antrag geprüft wird. Darüber sind wir uns im klaren.
Gefordert ist zur Zeit natürlich nicht Herr Töpfer, sondern gefordert ist der, bei dem der Antrag eingeht. Das nur mal zur Sache.
Der Antrag bezieht sich auf Abfälle aus der bereits stattfindenden Wiederaufarbeitung von CKW-Lösemitteln. Und wer die Beseitigung dieser Abfälle nicht mehr zulassen will, entzieht der auf Grund umweltpolitischer Gesichtspunkte wünschenswerten Wiederaufarbeitung die Grundlage. Das wollen wir einmal festhalten. Da bisher keine ausreichenden Entsor-
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Schmidbauergungsmöglichkeiten für diese Abfälle an Land bestehen,
bedeutet der Verzicht auf die Verbrennung der Abfälle auf hoher See außerdem, daß die betreffenden Betriebe so nicht weiterarbeiten können. Da die GRÜNEN sowohl die Entsorgung an Land als auch die Entsorgung auf hoher See ablehnen,
liefern sie damit den Beweis — Frau Garbe, es tut mir fürchterlich leid —: Das ist eine totale Ausstiegs-Ideologie, die Sie hier darlegen, eine totale AusstiegsIdeologie, die Sie uns hier vorlegen.
Sie wollen um jeden Preis das Verwirrspiel.
— Ich komme gleich darauf zurück:Mit ihrem Antrag wollen DIE GRÜNEN ein lauf endes Genehmigungsverfahren beeinflussen. Das Akzeptieren eines rechtsstaatlichen Verfahrens fällt ihnen offensichtlich noch schwer.
Dieses Genehmigungsverfahren wird nach Gesetzen abgewickelt, die in diesem Parlament beschlossen wurden. Bisher besteht überhaupt keine Veranlassung zu irgendwelchen Zweifeln, daß hier nicht nach Recht und Gesetz verfahren wird. Die Erlaubnis zur Verbrennung auf See ist an strenge Kriterien gebunden.Jetzt möchte ich Sie an etwas erinnern, Frau Garbe: Verbesserungen in diesem Bereich werden von Ihnen überhaupt nicht zur Kenntnis genommen; das haben Sie heute morgen hier bewiesen. Konstruktive Beiträge sind von Ihnen schon gar nicht zu erwarten. Der Umweltausschuß hat sich im Herbst des vergangenen Jahres dafür ausgesprochen, daß die Abfallverbrennung auf See bis 1991 deutlich, mindestens um 65 %, verringert wird und bis Dezember 1994 zu beenden ist.
— Ich habe vorhin in aller Ruhe zugehört, obwohl ich das, was Sie gesagt haben, sehr irritierend fand. Hören Sie wenigstens einmal zu.Jetzt kommen wir zum Ergebnis: Der Deutsche Bundestag hat diesen Beschluß des Umweltausschusses angenommen, und das gesteckte Ziel, liebe Frau Garbe, haben wir bereits jetzt erreicht. An die Adresse der Sozialdemokraten, die hier so wiehern, wenn es um diese Fragen geht, und die sich übrigens sehr schizophren verhalten — ich denke dabei an die Position der Länder; aber darauf wird noch einzugehen sein —, sage ich: 1980 wurden noch 65 000 t chlorkohlenwasserstoffhaltiger Abfälle auf hoher See verbrannt, verehrte Kollegen von der Opposition. Im nächsten Jahr werden es weniger als 20 000 t sein.
Sie aber gehen hierher und klatschen Beifall, wenn jemand eine solche Rede hält wie Frau Garbe.Bald wird das bei uns kein Thema mehr sein. Ich weiß nicht, warum Sie sich so verhalten: Sie machen jahrelang, jahrzehntelang überhaupt nichts in diesem Bereich und werfen uns dann vor, daß wir die Dinge nicht anpacken. Jetzt nenne ich Ihnen die Zahlen: Um über 60 To wurde reduziert, und keiner von uns ist dafür, daß diese Verbrennung auf hoher See weiterhin betrieben wird. Ich weiß nicht, warum Sie in diesem Parlament einen solchen Popanz aufbauen.
Wir haben es bereits angegangen.
Jetzt will ich Ihnen sagen, was Töpfer gemacht hat: Töpfer hat mit seiner Rechtsverordnung dafür gesorgt, daß nach § 14 des Abfallgesetzes verschiedene Lösungsmittel getrennt gehalten werden, daß gekennzeichnet wird, daß nicht vermischt wird, daß es eine Rücknahmeverpflichtung für Hersteller und Händler gibt, daß damit die Voraussetzung für die Abfallverwertung verbessert wird und die heute vorhandenen technischen Möglichkeiten der Verwertung genutzt werden können.Ich finde, das ist ein guter Schritt gewesen. Wer von Ihnen glaubt eigentlich, daß man dies in wenigen Monaten schaffen kann: Hunderttausende von Tonnen, die unter Ihrer Verantwortung verbrannt wurden?
Was machen eigentlich Ihre Länder im Hinblick auf Sondermüllverbrennung? Wo sind die Anlagen? Die Doppelzüngigkeit von Herrn Matthiesen hören Sie nicht, wenn er sich in diesem Bereich engagiert. Dann halten Sie sich die Ohren zu. Hier tun Sie so, als ob es keine Verantwortung von Ihnen in den Ländern gibt. Was ist das für eine Argumentation auf diesem wichtigen Gebiet?
Herr Abgeordneter Schmidbauer, Ihre Zeit ist abgelaufen.
Ich sage nur: Denken Sie mehr darüber nach, und schauen Sie einmal zu, wenn Sie wieder eine Aktuelle Stunde beantragen, daß von Ihrer Fraktion mehr als diese fünf Leute im Parlament sind.
Das Wort hat der Abgeordnete Herr Lennartz.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg, Herr Kollege Baum. Diese schlichte Weisheit gilt ganz besonders in der Umweltpolitik. Wo der Wille fehlt, ist ebenfalls ein Weg, und den muß die Politik mit sanftem Druck, aber mit Nachdruck wei-
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13236 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 175. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. November 1989
Lennartzsen. Das ist das A und O einer guten Umweltpolitik in einer modernen Industriegesellschaft.Wir erinnern uns gern, aber viel zu selten an jene Beispiele aus der Vergangenheit, wo wir den Weg gewiesen haben und dem fehlenden guten Willen ein wenig auf die Sprünge helfen mußten.Denken Sie an die Großfeuerungsanlagen-Verordnung mit den vielfältigen Nachbesserungen der Bundesländer, insbesondere des Landes Nordrhein-Westfalen. Hat es nicht ursprünglich geheißen, meine Damen und Herren, daß die Vorschrift betreffend Filteranlagen zur Entschwefelung und Entstickung der Kraftwerke unweigerlich den Bankrott unserer Stromversorger und den Verlust Tausender Arbeitsplätze nach sich ziehen würde?
Erinnern Sie sich? Heute empfangen die Vorstände und ihre Ingenieure mit stolzgeschwellter Brust ausländische Delegationen, um die modernste Kraftwerks- und Filtertechnik der Welt zu präsentieren.
Die modernisierten Kraftwerke sind rentabler als je zuvor, und die Aktien der Energieversorgungsunternehmen stehen so gut im Kurs wie nie.Oder denken Sie an den Proteststurm der Automobilwirtschaft, meine Damen und Herren, als die politische Forderung nach einer schlichten und einfachen Kat-Technik die heile Motorwelt in der Bundesrepublik Deutschland durcheinanderbrachte. Auch damals prophezeite man uns den unvermeidlichen Untergang der deutschen Automobilindustrie und in obligatorischen Standardeinschüchterungen den unabwendbaren Verlust von zigtausend Arbeitsplätzen.
Heute brüsten sich die Hersteller auf großen Werbetafeln damit, etwas so Steinzeitliches wie einen Pkw ohne Kat überhaupt nicht mehr im Programm zu führen.
Wie sich die Bilder gleichen! Ich könnte die Liste der Beispiele für politisch erzwungenen guten Willen noch lange fortsetzen. Lassen Sie doch einmal den Rummel um die Dünnsäureverklappung Revue passieren. Wenn wir heute über die Notwendigkeit einer weiteren Verbrennung von Chlorkohlenwasserstoffen auf See reden, kann ich nur feststellen: Chlorierte Kohlenwasserstoffe sind todgefährlich für Mensch und Tier, ja für die ganze Natur.
Sie sind biologisch kaum abbaubar und heute schon in Flüssen, im Grundwasser, in der Atmosphäre, ja sogar im Eis der Antarktis feststellbar.
Ihre unvollkommene Verbrennung auf See ist umweltpolitischer Anachronismus, der sofort aufhören muß, meine Damen und Herren.
Von Tricks und Mätzchen wie dem Export in andere Länder, der Suche nach anderen Umschlaghäfen oder ähnlichem sollten wir die Finger lassen. Wir wissen: Die viel umweltverträglicheren Entsorgungsmöglichkeiten an Land sind nicht voll ausgeschöpft.
Ebenso ist der Einsatz von harmloseren Ersatzstoffen noch längst nicht ausgereizt. Wenn CKW besser als bisher von Verunreinigungen getrennt gesammelt werden, wenn die tatsächlich vorhandenen Wiederaufarb eitungskapazitäten genutzt werden,
wenn vorhandene Zwischenlagerkapazitäten kurzfristig genutzt werden, bis die entsprechenden fortschrittlichen Verbrennungsanlagen an Land zur Verfügung stehen, dann, meine Damen und Herren, werden unsere Ingenieure und Entsorgungsunternehmen in ein, zwei Jahren stolz darauf sein, daß ihnen in Ersatz, Wiederaufarbeitung und Entsorgung von CKW in Europa und weltweit keiner mehr etwas vormachen kann.
Meine Damen und Herren, wir können aus der Verbrennung auf hoher See aussteigen, ohne Produktionsstopp,
ohne Verlust von Arbeitsplätzen, ohne Verlust von Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie.
Genau der Umkehrschluß ist richtig.
Wir werden ein weiteres Beispiel auf die lange Liste der Fälle setzen können, bei denen dem guten Willen ein wenig nachgeholfen werden mußte.Ich danke Ihnen.
Das Wort hat der Abgeordnete Herr Baum.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich stimme Ihnen zu, Herr Lennartz, daß man klar sagen muß, was man will, daß man Vorgaben machen muß; dann wird vieles möglich. Sogar das scheinbar Unmögliche wird möglich. Nur bin ich aus dem, was Sie gesagt haben, nicht ganz schlau geworden.
Hier ist alles in die Wege geleitet. Hier sind die Vorgaben gemacht. Wir wollen ja die Verbrennung beenden. Sie ist sehr stark reduziert worden. Wenn Sie
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Baumaber fordern „sofort", gehen Sie an den Realitäten vorbei.
— Frau Garbe, wo sind denn die Zwischenlager, wo sind denn die Ersatzstoffe? Sie machen es wie üblich bei den GRÜNEN. Sie bringen sich in die Anklageposition, geben auf schwierige Fragen ganz einfache Antworten.
und tun so, als ob damit die Welt in Ordnung kommt. Leider ist das nicht so.
— Wo wollen Sie denn mit den Stoffen hin? Sagen Sie das doch. Sagen Sie es einmal den Betriebsräten der Firmen, die betroffen sind.
Sie können doch nicht einfach die Augen vor der Wirklichkeit verschließen.Die Bundesregierung hat ein Reduzierungsprogramm energisch in Angriff genommen. Im übrigen ist das nichts Neues. Herr Schmidbauer; wir haben diese ganze Geschichte — mit Dünnsäure und allem — auf den Weg gebracht. Nur geht es eben nichtso schnell. Herr Töpfer hat es in die Wege geleitet. Wir, der Ausschuß, haben diesen Prozeß begleitet. Wir wollen die Verbrennung auf hoher See nicht mehr. Wir wollen, daß Vermeidung stattfindet, daß Reduzierung stattfindet. Nur für eine Übergangszeit haben wir die Verbrennung noch akzeptiert.Die Bundesregierung hat jetzt eine Rechtsverordnung vorgelegt — diese halte ich für ganz wichtig, Herr Töpfer —,
wonach nämlich diese Stoffe getrennt werden können, wonach man die Verwertung sehr viel leichter durchführen kann.
Ich finde es gut, daß Herr Töpfer alle Beteiligten jetzt einlädt, die Gespräche fortführt, und zwar mit dem Ziel auszuloten, wie in der Zwischenzeit bis 1994 weitere Reduzierungen erfolgen können. Das sind die Probleme.
Das verschweigen Sie alles, Frau Garbe.
Herr Lennartz ist darauf eingegangen, daß hier Probleme zu lösen sind.Die anderen Länder in Europa machen es doch ganz anders, Frau Garbe. Was geschieht denn dort? Dortwerden diese Stoffe in eine Betonfabrik geliefert und dort verbrannt — an Land, ohne große Diskussion.
Wir sorgen uns hier um eine wirkliche Entsorgung, die man verantworten kann.Diese Rechtsverordnung ist also ganz wichtig. Es gibt ein Treffen mit den Ländern. Die Länder haben hier ihren Beitrag zu leisten. Selbstverständlich muß das Verfahren in Emden — Herr Schmidbauer, Sie haben das gesagt — nach Recht und Gesetz erfolgen. Es müssen die notwendigen Anforderungen an Sicherheit beachtet werden. Dann wird man sehen, was dort entschieden wird.Was müssen wir denn jetzt tun? Wir brauchen z. B. Zwischenlager.
Zwischenlager können nicht über Nacht zur Verfügung gestellt werden.
Ich fordere alle auf, dann, wenn in ihrem Bereich ein Zwischenlager gebaut wird, zu dem Zwischenlager auch ja zu sagen und nicht wieder gegen das Zwischenlager zu opponieren, das eine Voraussetzung für die notwendige Entsorgung ist.
Wir fordern ebenso wie die Fraktionen von FDP und CDU im Landtag von Niedersachen, die vorhandenen Möglichkeiten zur Vermeidung, Verwertung und Entsorgung entschieden auszuschöpfen. Wir wollen eine Herstellung von Entsorgungskapazitäten an Land. Wir wollen, wie wir das schon im Deutschen Bundestag 1987 gefordert haben, daß die notwendigen Entsorgungskapazitäten geschaffen werden. Wir sehen die Probleme, wollen sie lösen und stellen hier keine Maximalforderungen auf, nur um einen Augenblickserfolg populistischer Art zu haben. Wir sehen die Probleme, und wir lösen sie auch.
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Garbe.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die „VDI-Nachrichten" schreiben am 3. November 1989:Auch als Übergangslösung ist eine weitere Abfallverbrennung auf See überflüssig.
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13238 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 175. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. November 1989
Frau GarbeEs gibt Techniken und Kapazitäten für die gesetzlich gebotene Vermeidung und Verwertung.
Daß sie nicht genutzt werden, ist maßgeblich ein Vollzugsproblem der Bundesländer. Sie, Herr Minister, haben dafür zu sorgen, daß die Gesetze und Verordnungen endlich umgesetzt werden.
Zum wiederholten Male sage ich: Eine Studie des Umweltbundesamtes weist aus, daß das Umlenken des auf See verbrannten Giftmülls in Sondermüllverbrennungsanlagen an Land lediglich für 10 bis 20 % technisch realisierbar ist. Das sollten Sie endlich einmal zur Kenntnis nehmen. Immerhin arbeitet diese Bundesbehörde für Sie Entscheidungshilfen aus.Herr Kollege Baum, der Minister befindet sich in einem Dilemma — wir kennen das — : Ein Ausschluß großer Mengen von Abfällen von der Hohe-See-Verbrennung bedeutet, daß die Firma GVS diese nicht mehr wirtschaftlich betreiben kann. Die Industrie- und Gewerbezweige, aus denen die Lösemittelabfälle stammen, werden bei dem Minister schon den nötigen Druck machen, daß es nicht so weit kommt.
Wir wissen auch, daß man auf Zeitgewinn spielt, um ihnen noch ein halbes Jahr den Rücken freizuhalten.
Wir wissen aber auch, daß die betroffene Bevölkerung dabei nicht mitspielen wird. Deshalb: In Ihrem eigenen Interesse, sorgen Sie dafür, daß die sofortige Einstellung der Hohe-See-Giftmüllverbrennung vollzogen wird.Ich danke Ihnen.
Das Wort hat der Abgeordnete Herr Bohlsen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die politische Forderung, die Verbrennung von Sonderabfällen auf See baldmöglichst zu beenden, wollen wir gerne unterstützen.
Nur, die Forderung nach Beendigung muß mit der Entsorgung an Land einhergehen. Solange wir Entsorgungsanlagen an Land nicht zur Verfügung haben
und auch Zwischenlagerstätten nicht vorhanden sind, wird eine reduzierte Verbrennung auf See befristet weitergeführt werden müssen.Meine Damen und Herren, ich bin ja nun Betroffener und komme aus der Ecke und weiß, was dort läuft. Emden ist als Umschlaghafen für Niedersachsen vorgesehen.Ich bin den Dingen, auch in der technischen Prüfung, einmal nachgegangen. Ich habe erstens herauszufinden versucht, welche Möglichkeiten bestehen, um die Schadstoffe nach Emden zu bringen. Vorgesehen ist dies auf dem Binnenschiffahrtswege. Die Kolleginnen und Kollegen haben auf die Gefährlichkeit der Stoffe hingewiesen. Das heißt, wir müßten auf dem Binnenschiffahrtswege durch Flüsse und Kanäle 19 Schleusen durchfahren. Ich bin also der Frage nachgegangen: Ist dieser Transport sinnvoll?Zweitens bin ich der Frage nachgegangen, warum gerade Emden als Umschlaghafen vorgesehen ist, und zwar wenn ich an die Verursacher denke, bei denen die Stoffe insbesondere anfallen. Verursacher sind in erster Linie Baden-Württemberg, NordrheinWestfalen und Rheinland-Pfalz, alles Länder, die an der Rheinschiene liegen.Für das Verbrennungsschiff „Vesta" ist Duisburg als Heimathafen angegeben. Ich habe also versucht zu prüfen, inwieweit man die Stoffe auf dem Binnenschiffahrtswege nach Emden bringen muß oder ob man dies nicht von Duisburg aus tun könnte. Dabei sind technische Dinge zu berücksichtigen, u. a. die Aufbauten dieses Verbrennungsschiffes Vesta, die besonders hoch sind.
Ferner ist zu berücksichtigen, inwieweit Wasserstände ausreichen, um diesen Transport über die Rheinschiene durchzuführen.Beides führt zu Schwierigkeiten. Aber die Aufbauten, die auf dem Verbrennungsschiff vorhanden sind, könnte man zum Teil klappbar machen, so daß zu einigen Zeiten der Duisburger Hafen anzusteuern wäre.
— Herr Schütz, ich komme auf diese Sachen.
Sollte dies nicht möglich sein, wäre ja auch zu prüfen, wenn wir den Binnenschiffahrtsweg vermeiden wollten, ob wir auf der Rheinschiene außen herum mit einem Zubringerschiff der „Vesta" diese Stoffe zuliefern könnten. Auch dieser Frage bin ich nachgegangen. Wir müßten dann aber nach Umschlagplätzen suchen, und diese wären entweder auf der Außenems oder unterhalb von Minsener Oog oder aber hinter dem Wattrücken Hoheweg möglich.
Das erstere müßte man aber wieder ausschließen, weil es neuerdings ein Verkehrsabkommen zwischen der Bundesrepublik und den Niederlanden gibt, auf Grund dessen ein gegenseitiges Einvernehmen im Hinblick auf die Außenems hergestellt werden müßte, wobei dieses Einvernehmen — so meine ich — derzeit nicht erreichbar wäre.
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BohlsenDrittens bin ich der folgenden Frage nachgegangen, die Frau Kollegin Garbe angesprochen hat: Die Meldung des BDI, daß diese Stoffe vermeidbar wären und aufgearbeitet werden könnten, ist in der ostfriesischen Presse groß dargestellt worden. Ich habe das Bundesumweltministerium in dieser Frage mit der Bitte um Prüfung angeschrieben, ob diese Meldungen, wie sie hier in den Raum gestellt werden, zutreffen. Angesichts der mir vorliegenden Auskünfte und wenn das zutreffen sollte, Frau Garbe, was Sie angeführt haben, sage ich, es verbleibt nur noch eine so geringe Menge an Reststoffen, daß diese so lange über Duisburg entsorgt werden könnte, bis wir andere Möglichkeiten ausgeschöpft haben, so daß dann diese Hohe-See-Verbrennung ganz vermeidbar wäre.Ich will, Herr Bundesumweltminister, nachdrücklich Ihren Einsatz loben, mit dem es Ihnen gelungen ist, diese Stoffe in einem erheblichen Maße abzubauen und mit dem es Ihnen gelungen ist, die Menge in kürzester Zeit zu halbieren. Dies ist genau der richtige Weg. Ich kann Sie im Interesse der Küste nur geradezu auffordern, diesen entscheidend guten Weg weiterzugehen. Sie haben bei der Dünnsäureverklappung einen hervorragenden Erfolg gehabt, und ich wünsche Ihnen, daß Sie diesen Weg erfolgreich zu Ende gehen.Herzlichen Dank.
Das Wort hat der Abgeordnete Herr Ewen.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In der heutigen Debatte geht es im wesentlichen um zwei Dinge: einmal um den Giftmüllumschlag im Hafen Emden und zum anderen natürlich um die Verbrennung auf See; denn ohne Verbrennung auf See wäre der Umschlag nicht nötig. Herr Kollege Schmidbauer, ich glaube, es ist wenig sinnvoll, das zu trennen.
Gegen beide Vorhaben wehrt sich die Bevölkerung in Emden, wehren sich die Menschen in Ostfriesland. Gemeinderäte der Inseln und Küstenbadeorte, der Landkreise zwischen Ems und Jade, Gewerkschaften, Umweltschutzverbände und Initiativgruppen sowie Parteien wissen — und das auch schon seit 1979, als es die ersten Proteste gegeben hat, als nämlich das Baumsterben an der Küste anfing, Herr Schmidbauer — : Die Verbrennung von Giftmüll auf See schädigt durch die Niederschläge das Nordseewasser, läßt bei ungünstigen Winden Niederschläge mit ätzenden Bestandteilen die Blätter zerstören. Ulmen, ein charakteristischer Baum der Küstenlandschaft, sind aus dem Landschaftsbild verschwunden.
Nun werden auch Pappeln, Eschen, Buchen, Eichen und Ahorn das Opfer der Luftverschmutzung.
— Kollege Carstensen, ich weiß auch, daß es am Ende der Ulmensplintkäfer war. Aber weshalb kann sich der Ulmensplintkäfer, den es seit Jahrhunderten gibt, plötzlich so stark durchsetzen?
— Wenn Bäume gestreßt sind, sind sie natürlich anfälliger. Das wissen Sie doch wahrscheinlich auch, Herr Austermann.Erst sterben die Pflanzen, dann stirbt das Tier und am Ende der Mensch — das ist ein Satz, der immer wieder zitiert wird. Darum sagen wir nein zur Verbrennung auf See.Die von nach wie vor hoher Arbeitslosigkeit geprägte Region Ostfriesland hat sich in den letzten 20 Jahren dem Tourismus verschrieben. Private und öffentliche Investitionen sind in Höhe von mehreren Millionen getätigt worden. Mehr als 10 000 Arbeitsplätze bestehen in Hotels und Gaststätten sowie in den mit dem Tourismus zusammenhängenden Berufen. Bei dem hohen Umweltbewußtsein der Urlauber wird die Verwirklichung der Pläne mit Sicherheit zu kräftigen Einbußen bei den Gästeübernachtungen führen, die Wirkungen des Gesundheits-Reformgesetzes auf ambulante Badekuren noch einmal verstärken und zur Arbeitslosigkeit führen.
Was für die Verbrennung auf See gilt, hat auch Bedeutung für den Umschlag im Hafen.
Unfälle sind nicht auszuschließen. Wenn erst giftige Dämpfe über die Stadt ziehen, wenn die Menschen auf den Fahrgastschiffen zu Beginn ihres Urlaubs, anstatt frische Seeluft zu schnuppern, giftige Gase atmen, ist es aus mit der Lebensqualität und dem Tourismus.
Darum: Schluß mit der Verbrennung von Giftmüll auf See, keine neue Erlaubnis durch das Hydrographische Institut. Darum keine Genehmigung des Giftmüllumschlags in den Häfen der Nordsee.
Daher: die Möglichkeiten der Vermeidung des Entstehens von Giftmüll nutzen, die Reste verwerten und notfalls für eine begrenzte Zeit, bis zur Einsatzreife neuer Verfahren des Recyclings, Zwischenlagerung und thermische Behandlung des Restes in kontrollierbaren bestehenden Beseitigungsanlagen. Möglichkeiten dafür sind vorhanden. Die Untersuchung der Stadt Essen hat das deutlich gemacht.Wir haben auch aus den Mitteilungen des Hydrographischen Instituts zur Kenntnis nehmen können,
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Ewendaß in hohem Maße nicht genehmigte Stoffe und nicht genehmigte Mengen verbrannt werden.
Von daher kann ich nur feststellen: Wir müssen hier als Politiker handeln. Die Beispiele beim Katalysator haben gezeigt: Wenn Politik entschlossen handelt, ist die Industrie schnellstens in der Lage, die Dinge so zu regeln, daß die Schadstoffe vermieden werden.
Mit der Ablehnung des Giftmüllumschlags und der Verbrennung auf See stehen die Bürgerinnen und Bürger in Emden und Ostfriesland nicht allein. Der niedersächsische Minister für Wirtschaft und Verkehr hat sorgfältige Prüfung zugesagt, weil — ich zitiere — der Umschlag von CKW-Abfällen wesentlich gefährlicher sei als der Umschlag von Atommüll.
Der Emdener Oberbürgermeister hat mitgeteilt, er gehe auf Grund eines Gespräches mit Vertretern des Umweltbundesamtes davon aus, daß ein Umschlag in Emden nicht erfolge. Herr Minister Remmers hat 1987 mitgeteilt — ich hoffe, daß Sie diesen Satz wahr werden lassen — : „Für die Niedersächsische Landesregierung erkläre ich, daß nicht beabsichtigt ist, Emden als Umschlaghafen für die Seeverbrennung vorzusehen. Dieses hat der Bund bestätigt, so daß Sie davon ausgehen können, daß Emden als Umschlaghafen nicht verfolgt wird."Es wäre gut, Herr Minister, wenn wir das heute von Ihnen bestätigt bekämen.
Das Wort hat der Abgeordnete Herr Kleinert.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Frau Garbe hat ja damit begonnen, daß sie das Thema verfehlt hat. In Ihrem Antrag heißt es — das wurde schon zitiert, ich muß es aber wiederholen — : „Haltung der Bundesregierung zum bevorstehenden Giftmüllumschlag im Emdener Hafen".
Es dreht sich hier nach Ihrem Antrag um den Giftmüllumschlag im Emdener Hafen. Dazu habe ich von Ihnen in zweimaligem Anlauf kein Wort gehört.
Sie haben vielmehr etwas gesagt, was jeden in diesem Hause gleichermaßen verbindet und bewegt, nämlich daß Sie die Verbrennung auf hoher See nicht wünschen.Wir wünschen das alle nicht. Wenn es aber so ist, daß sich auf Grund von Versäumnissen — zum Teil von Versäumnissen der Vergangenheit; auch da sollten wir von kleinlichen Aufrechnungen Abstand nehmen und das Ganze vielmehr in einem größeren zeitlichen Zusammenhang sehen —
und auch auf Grund von Erkenntnissen, die uns erst im Laufe der letzten Jahre in immer stärkerer Form zugewachsen sind, herausstellt, daß die Seeverbrennung im Augenblick nicht zu vermeiden ist,
dann stellt sich für uns folgende Frage. Carl Ewen war ja wenigstens so liebenswürdig und hat den Unterschied zwischen Umschlag und Verbrennung erst einmal deutlich gemacht; das entspricht seiner klaren und logischen Denkweise. Er hat dann aber sehr schnell den Bogen genommen und gesagt: Im Ergebnis kommt es nur wegen der Verbrennung zum Umschlag.
Nun haben wir als niedersächsische Abgeordnete des Deutschen Bundestages sicher eine größere Nähe zu dem Problem und größere Verpflichtungen, uns um die Sache zu kümmern,
als diejenigen, die sich ruhig zurücklehnen können, wenn sich fern in der Türkei die Völker schlagen.
— Frau Kollegin, ich habe eben Goethe zu zitieren versucht. Ich sage das, weil Sie von der SPD mich etwas verwundert ansehen.
Jedenfalls sind wir Niedersachsen etwas näher an dem Problem.Ich kann Ihnen sagen: Zu Zeiten der sozialliberalen Koalition gab es lebhafte Auseinandersetzungen mit der Firma KRONOS TITAN — deren Schreibtische im übrigen in erster Linie in Leverkusen stehen und bedauernswerterweise nicht in unserer Region — , die eine ganze Menge Gift zunächst in die See und dann auch in andere Abfallbehälter gebracht hat.Wir haben immer wieder versucht, das, was Herr Lennartz geraten hat, zu tun, nämlich mit Druck und auch mit dem nötigen Nachdruck einzuwirken. Erst zum Ende dieses Jahres, nachdem das früher einmal für 1984 und für 1985 versprochen wurde, wird diese Dünnsäureverklappung endgültig eingestellt. Man kann sehr gut sagen: Fünf Jahre zu spät!
Man kann aber auch sagen: Ein Glück, daß sie nun endlich eingestellt wird. Es haben viele daran mitgearbeitet. Es hat keinen Sinn, daß die einen immer sagen: Die andern sind schuld, daß verklappt wird. Sobald es aufhört, sind wir daran schuld, daß es aufgehört hat. Diese Arbeitsteilung möchten wir uns nicht gefallen lassen,
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Kleinert
insbesondere von denjenigen nicht, die kommen und gar keine Vorschläge zu machen haben,
sondern eher den Anschein erwecken, daß sie sich über entstandene Probleme auch noch freuen, damit wieder eine Aktuelle Stunde dabei herauskommt.
Die Opposition ist sicherlich nicht zur Verherrlichung der Regierung anwesend. Das muten wir weder den Kollegen von der SPD zu,
noch wollen wir uns mit den GRÜNEN über ihre parlamentarische Rolle unterhalten, weil sie offensichtlich in einem Klärungsprozeß begriffen ist.
Auf eines aber dürfen wir doch Wert legen: Es wird hier über die Themen gesprochen, die wirklich anstehen.
Es handelt sich darum — davon haben wir uns in vielen Gesprächen mit den Zuständigen in Niedersachsen und mit unserem Parteifreund, dem Wirtschaftsminister Hirche, überzeugt —,
daß nach Prüfung der Voraussetzungen der für die Häfen zuständige Minister und das ihm unterstehende Hafenamt die Genehmigung zu diesem Umschlag zu erteilen haben. Diejenigen, die gegen die Hochtemperaturverbrennungsanlage genauso gekämpft haben wie jetzt gegen Umschlag und Seeverbrennung, sind die letzten, von denen wir uns hier etwas sagen lassen.
Eher bedanken wir uns dann schon bei Herrn Matthiesen, dem nordrhein-westfälischen Umweltminister, der gesagt hat: Ich nehme Zwischenlager in Anspruch, soweit es irgend geht, um diesen Vorgang zu entlasten. — Dafür hat sich im niedersächsischen Landtag auch Herr Hirche bedankt. Herr Matthiesen hat aber auch gesagt — das sollten Sie als Opposition liebenswürdigerweise hinzufügen — : Alles kann ich nicht zwischenlagern. Deshalb helft uns bitte, für die Übergangszeit damit fertig zu werden, auf möglichst anständige und korrekte Art und Weise, aber kommen Sie Ihren Wählern nicht damit, daß gar nichts gehen soll! — Deshalb wollen wir alle daran mitarbeiten, daß die Sache so schnell wie möglich, aber auf eine konkrete Weise zu Ende gebracht wird, nicht jedoch damit, Frau Garbe, daß immer dagegen geredet wird.
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Blunck.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kleinert, die gefährdete Natur hat wirklich mehr verdient als eine unverbindliche Plauderei am frühen Morgen.
Halogenierte Kohlenwasserstoffe sind teilweise sehr schwer abbaubare und giftig wirkende Verbindungen, deren für Mensch und Umwelt schadlose Beseitigung mit großer Sorgfalt vorgenommen werden muß. In der BRD
und im EG-Raum
werden drei Methoden angewandt: Lagerung in Untertagedeponie, Verbrennung an Land und Verbrennung auf See. Zur Zeit wird in der Bundesrepublik Deutschland überwiegend die Seeverbrennung praktiziert, die am kostengünstigsten ist,
und dies ist der einzige Grund, warum auf der hohen See verbrannt wird.
Auf der hohen See bestehen keine Abgasreinigungsvorschriften. —
Ich habe eben aus dem Nordseegutachten 1980 zitiert.
Bereits 1983 wird dann im Osloer Übereinkommen festgehalten, daß die Verbrennung von Abfällen auf See nur als Zwischenlösung angesehen werden kann. 1984 sieht die Bundesregierung auf der 1. Nordseeschutzkonferenz eine Einstellung der Abfallverbrennung auf See vor. Auf der 2. Nordseeschutzkonferenz lassen Sie sich, Herr Töpfer, in London als Gallionsfigur auf der „Pidder Lung" feiern.
Das ist das Schiff, das die Fremdenverkehrsgemeinden und die Naturschützer an die Themse geschickt haben, um ihren Forderungen Nachdruck zu verleihen. Medienwirksam war es schon, wie Sie da gestanden und geredet haben; nur, Herr Töpfer,
versprochen haben Sie viel,
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Frau Blunckgehalten haben Sie nichts!
Kein Geld wurde in die Hand genommen, obwohl doch der Herr Bundeskanzler erklärt hatte, daß viel Geld in die Hand genommen werden sollte, um der Nordsee zu helfen.Das Vorsorgeprinzip, das Verursacherprinzip, alles haben Sie über Bord geworfen!
Im Oktober dieses Jahres, im Oktober 1989, erklären Sie dann: Die Krise der Abfallwirtschaft ist da.
Seit 1983 — Protokoll zum Osloer Abkommen — wird die Verbrennung auf See nur als Zwischenlösung anerkannt. 1987, vier Jahre später, haben Sie, Herr Töpfer, die deutschen Hersteller von CKW-Lösemitteln als Hauptverursacher der Verbrennung auf der hohen See ausgemacht und haben sie auch aufgefordert, eine Ausstiegsstudie vorzulegen. Im Februar 1988 legte der VCI diese Studie vor. Sie schreiben: Sie erfüllt nicht den mit ihr verbundenen Anspruch, sie enthält kein Konzept. Klartext: Die Industrie hat Sie schlicht an der Nase herumgeführt;
sie nahm Sie nicht ernst. In Ihrer Reaktion haben Sie sich dann darauf beschränkt, einen Gesprächskreis zu installieren.
Sie erhoben eben keinen Einspruch, als im vergangenen Jahr am 30. September das DHI für das deutsche Verbrennungsschiff erneut die auslaufenden Erlaubnisse verlängerte, ohne daß ein konkretes Handlungskonzept vorgelegen hätte. Ich frage mich nun, wie eigentlich dann, wenn Emden im Saarland liegen würde, Ihre Entscheidung ausgefallen wäre, Herr Töpfer.
Der Industrie sollte — man höre und staune — Gelegenheit gegeben werden, sich auf die neue Situation einzustellen. Herr Töpfer, wo bleibt die Fürsorge für die Menschen an der Küste?
Haben Sie einmal die ökonomische Bilanz — ich lege Wert darauf: die ökonomische — aufgestellt? Was bedeuten denn die kurzfristigen Auswirkungen — von den langfristigen will ich gar nicht reden — auf die Fischerei, auf den Fremdenverkehr?
Und wie ist es denn eigentlich mit der ökologischen Bilanz? Die Bundesregierung ist internationale Verpflichtungen eingegangen, aber mit dem Durchsetzen fängt sie im Oktober 1989 an. Herr Töpfer, Sie vertreten weder die langfristigen Interessen der Industrie, noch denken Sie an die Nordsee, und die Interessen der an der Küste lebenden Menschen sind Ihnen egal. Im Frühjahr dieses Jahres hat es ein „Nordseetribunal" gegeben mit der großen Schlagzeile: Die Verantwortlichen gehören an den Pranger gestellt. Dem ist nichts hinzuzufügen.Vielen Dank.
Das Wort hat der Abgeordnete Herr Austermann.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wenn man die Kollegin Blunck gehört hat, hat man den Eindruck, sie hat sich nicht an das gehalten, was der Kollege Lennartz vorher als Vorgabe gemacht hat, der ja nun gerade die erfolgreiche Umweltpolitik der letzten Jahre gelobt hat,
ob das der Kat gewesen ist, bei dem 1982 der Herr Hauff noch „überflüssig" gesagt hat, ob das Großfeuerungsanlagen-Verordnung gewesen ist, die auch nicht vor 1982 in Kraft getreten ist, ob das das Thema Dünnsäure gewesen ist — heute wird von Dünnsäurerummel geredet; inzwischen klopfen sich alle auf die Schulter — , oder ob das andere Themen gewesen sind, bei denen überzeugend gehandelt worden ist. Ich weiß gar nicht, was sich die SPD insbesondere davon verspricht — bei den GRÜNEN erwarte ich nichts anderes —, daß sie das Thema in einer Weise dramatisiert, daß wirklich die Gefahr besteht, daß künftig die Zahl der Touristen zurückgeht, und nicht, weil die Nordsee belastet ist,
sondern weil Sie ein Szenarium ausgemalt haben, das einen, der von weit herkommt, auch davon überzeugen muß, daß es völlig unsinnig ist, z. B. gelegentlich einmal nach Husum oder an die Nordseeküste zu fahren. Herr Opel, Sie sollten sich wirklich überlegen, ob das verantwortungsvoll ist
— deswegen habe ich ja „gelegentlich" gesagt — , wie Sie und Ihre Freunde und Genossen hier reden und damit den Eindruck erwecken, hier sei es wirklich fünf Minuten vor zwölf.Damit will ich überhaupt nicht verniedlichen, was im Bereich der Umweltbelastung — gerade auch bei den Gewässern — in den letzten Jahrzehnten passiert ist. Bloß, ich möchte Ihnen mal eines zu überlegen geben. Unterstellen wir einmal, es kommt am 21. November — man kann ja Herrn Töpfer nicht vorwerfen, daß er zu dem Termin eingeladen hat — zu einem Einvernehmen, dem auch Herr Matthiesen und vielleicht auch die anwesenden Vertreter der Gewerkschaften zustimmen, ist denn dann alles, was Sie hier gesagt haben, Quatsch gewesen?
Ich würde doch bitten, daß Sie mal überlegen, was mitsolchem verantwortungslosen Reden wirklich bewirkt
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AustermannI werden kann und was tatsächlich durch konkrete Maßnahmen bewirkt wird. Das Konzept der GRÜNEN ist offensichtlich, nichts zu tun, und dies ist kein Konzept.
Ich möchte deshalb gleich konkret sagen, was in den vergangenen Jahren z. B. im Forschungsbereich gemacht und erreicht worden ist. Wir setzen hier auch in der Forschungspolitik klare Schwerpunkte.
Jeder weiß auch: Wenn ich heute z. B. 300 Millionen Mark in der DDR ausgebe, dann ist das nicht der Vollzug des Verursacherprinzips, sondern dann ist das ein verantwortliches und ökonomisches Handeln. Ich glaube, das sollte deutlich anerkannt werden. Diese Vereinbarung ist in diesem Jahr zustande gekommen.Wenn wir wesentlich mehr Mittel für Abfallwirtschaft ausgeben — und niemand bestreitet, daß die Abfallwirtschaft in der Bundesrepublik einen hohen technischen Stand hat, einen wesentlich höheren als in anderen Ländern — , kann dies sicher auch nicht bestritten werden.Ich weise darauf hin, daß wir Fortschritte erreicht haben bei thermischen Verfahren der Abfallwirtschaft — Rauchgasreinigung und Umweltverträglichkeit —, daß wir das Thema Dioxine so aufgeklärt haben, daß das zumindest erst einmal bewußt ist, was im Bereich der Verbrennung passiert und was künftig vermieden werden muß. Wir sagen ganz deutlich, daß es 1994 keine Verbrennung mehr geben wird, daß 1991 eine Reduzierung auf 65 % stattfindet, daß die Masse der zu verbrennenden Stoffe inzwischen halbiert worden ist. Dies sind doch eindeutige Erfolge.Sie müssen auch den Arbeitnehmern erklären, was es bedeutet, wenn Sie heute sofort Schluß machen.
Ich komme auf die andere Alternative zu sprechen, Frau Garbe, die Sie genannt haben: Zwischenlager oder ähnliche Einrichtungen. Da wiederholt sich dann genau das gleiche wie jetzt. Nehmen wir ein Zwischenlager in Ihrem Wahlkreis, weil es möglicherweise besonders nahe liegt. Da kommt die gleiche Aktuelle Stunde, ein bißchen anderes Thema: „Aber hier darf nicht entsorgt werden! "
Ich glaube schon, daß man deutlich sagen muß, daß wir Umweltprobleme nicht dadurch lösen, daß wir einfach die Augen zumachen,
den Kopf möglicherweise auch in Abfall reinstecken. Wir haben hier ein klares Handlungskonzept. Ich nenne auch den Zehn-Punkte-Katalog.
— Da brauchen Sie nicht zu geifern, Frau Blunck. Ich glaube, das ist ganz deutlich, was dazu in der letzten Zeit passiert ist.
— Ich kann das nicht anders nennen bei den Ausdrükken, die hier verwendet worden sind.Die Verbrennung von Abfall auf See wird bis 1991 deutlich, mindestens um 65 %, verringert; 1994 wird sie ganz eingestellt.
Das, was Sie an Mengen aufgezählt haben, ist zur Zeit nicht entsorgbar.
Das ist, glaube ich, jedermann klar. Sie sollten das— entgegen der tatsächlich vorhandenen Situation — auch nicht irgend jemandem vorgaukeln wollen.Ich sage noch einmal die Zahlen: Sonderabfallverbrennung 1981 — Herr Lennartz, zu Zeiten Ihrer Verantwortung — 55 000 t; zur Zeit sind es 20 000 t. Sie haben davon gesprochen, daß Sie die Möglichkeit von 10 000 bis 15 000 t haben. Das heißt: Es bleibt ein Rest, der nicht entsorgt werden kann.
Es kommt darauf an, daß wir diese entschlossene, konsequente Umweltpolitik so weiterverfolgen,
daß der Lennartz vielleicht schon Ende 1991 hier hergeht und sagt: Da war doch dieses Verbrennungsgerede, dieser Verbrennungsrummel, und deutlich macht, wer wirklich klare und konsequente Entscheidungen getroffen hat.
Wir werden weiter Verfahren zur Optimierung der Verbrennungstechnik entwickeln.Mancher Bürger — ich sage dies als letzten Satz —
stellt sich die Frage: Wieso können solche Maßnahmen nicht mit sofortiger Wirkung getroffen werden? Da muß man ganz klar sagen, daß die Entwicklung von Ersatzstoffen zwar möglicherweise schnell geht, aber wir hier, auch die Umweltpolitiker, oft erlebt haben, daß man dann hinterher feststellen mußte, daß der Ersatzstoff möglicherweise die gleiche schädliche Wirkung hat.
Deswegen geht nicht alles, was wünschenswert ist, sofort, kurzfristig. Wir handeln verantwortlich, auch im Interesse der Nordsee.
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Das Wort hat der Bundesminister Töpfer.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ein besseres Beispiel als diese Aktuelle Stunde für die doppelten Maßstäbe, um nicht zu sagen: die doppelte Moral,
die manche im Umweltschutz so außerordentlich unglaubwürdig macht,
kann es kaum geben.
Im Jahre 1980 — es wurde schon gesagt — wurden insgesamt 65 000 t chlorierte Kohlenwasserstoffe aus der Bundesrepublik Deutschland auf hoher See verbrannt — auf exakt den Verbrennungsschiffen, in dem exakt gleichen Verbrennungsgebiet wie jetzt, mit dem einzigen Unterschied: Sie wurden über Antwerpen verschifft.Im Jahre 1986 wurden insgesamt 54 000 t chlorierte Kohlenwasserstoffe auf hoher See verbrannt, Abfälle aus der Bundesrepublik Deutschland. Sie wurden auf exakt den gleichen Verbrennungsschiffen, im exakt gleichen Verbrennungsgebiet verbrannt, mit einem Unterschied: Sie wurden über Antwerpen verschifft.
Weder 1980 noch 1986, meine Damen und Herren, gab es in diesem Hohen Hause eine Aktuelle Stunde dazu.Jetzt, meine Damen und Herren, wo eigentlich etwas Positives eingetreten ist,
und zwar im doppelten Sinne, wird eine Aktuelle Stunde beantragt.
Es wird das Positive gemacht, daß wir den Abfallexport nicht mehr über Belgien vornehmen, sondern daß wir uns entscheiden, es über die Bundesrepublik Deutschland zu machen,
und damit ungleich stärker und besser kontrollieren können als bisher.Zweitens. Wir haben nicht mehr 54 000 t zu entsorgen, wie noch vor zwei, drei Jahren, sondern wir haben diese Menge durch nachhaltige Maßnahmen der Bundesregierung, unterstützt von Bundesländern, um über 50 % zurückgeführt. Es sind in diesem Jahr noch keine 20 000 t. Selbst wenn die Verbrennung demnächst weitergeht, werden es auf jeden Fall unter 25 000 t bleiben.
Das heißt: Wir haben es innerhalb von Jahresfrist halbiert, durch entscheidende Maßnahmen dieser Bundesregierung.
— Ich habe das gesagt: mit Unterstützung von Bundesländern.
— Ich komme darauf zurück, Herr Abgeordneter, ich freue mich, daß ich darauf zurückkommen kann.Auf Grund dieser Arbeit der Bundesregierung wird gerade das, was Sie, Herr Abgeordneter, so heraufbeschwören, entscheidend zurückgeführt. Sie haben sich nicht zu Wort gemeldet, als 65 000 t verbrannt wurden
und diese Umweltschäden damit möglicherweise entstanden.
Jetzt, wo wir sie zurückführen, wo wir sie in unsere eigene Kontrolle zurückführen mit dem Ziel, sie noch vor 1994 endgültig zu beenden — jetzt diese Aktuelle Stunde. Meine Damen und Herren, jetzt, wo wir es in die eigene Verantwortung nehmen und wo vor Ort dagegen protestiert wird — was man ja versteht —, jetzt auf einmal die Aktuelle Stunde.
Lassen Sie mich sagen: Dies ist Sankt-Florians-Prinzip in Reinkultur, vor allen Dingen auch deswegen, weil exakt dieselben, meine Damen und Herren, die sich hier so vehement gegen die Hohe-See-Verbrennung wehren, alles daran setzen, um entsprechende an Land eingerichtete Anlagen zu verhindern.
Mit Zustimmung der Frau Präsidentin möchte ich folgendes zitieren:Wer nein sagt zur Hohe-See-Verbrennung, was ich verstehe und unterstütze, der muß ja sagen zu Anlagen an Land.
— Dies sagt der Umweltminister des Landes Nordrhein-Westfalen, Klaus Matthiesen, nachzulesen in der Zeitschrift des Niedersächsischen Städtetags vom Oktober 1989.
Ich lese vor, was er auch noch dazu sagt — Herr Abgeordneter Lennartz, ich hoffe, daß Sie danach
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Bundesminister Dr. Töpferauch noch „Sehr richtig!" sagen —; ich zitiere ihn wörtlich aus dieser Quelle:Und ich finde, daß Politiker die verdammte Pflicht und Schuldigkeit haben, selbst wenn es Widerstand gibt, dies auch den unbequem fragenden Bürgern zu sagen. Meine Erfahrung ist, daß aus Opportunismus langfristig noch nie Vertrauen geworden ist.
Sie alle kennen ja das schöne Lied: „Proletarier aller Länder, vereinigt euch! " Ich möchte nicht erleben, daß daraus wird: „Opportunisten aller Länder, vereinigt euch!"Soweit Klaus Matthiesen, meine Damen und Herren.
Klaus Matthiesen ist mit mir einer Meinung — ich habe mich mit ihm darüber unterhalten — , daß wir genau diesen Weg, den ich hier eingeschlagen habe, weitergehen müssen und daß wir für diese Übergangszeit eine weitere Verbrennung auf hoher See brauchen.Deswegen habe ich mir schon die Freude gemacht, deutlich und klar zu erklären, daß ich die Kollegen der Länder und der Gewerkschaften bei mir haben möchte. Das Leichteste, was ich tun könnte, wäre natürlich, morgen hinzugehen und zu sagen: Wir weisen das DHI an, es wird nicht mehr verbrannt.
Glauben Sie denn, meine Damen und Herren, das seien meine Abfälle? Es geht doch nicht darum, daß ich das nicht tun kann. Sie haben noch im März dieses Jahres hier gestanden und mich aufgefordert, sofort die Dünnsäureverklappung zu beenden. Wir haben das nicht getan. Mit großem Pomp haben vor wenigen Tagen Herr Matthiesen, der Oberbürgermeister von Duisburg und andere mit mir zusammen die Aufkonzentrierungsanlage in Duisburg eingeweiht. Sie haben gesagt: Es war die richtige Strategie, daß wir nicht sofort verboten, sondern diese Anlage gebaut haben.
Dies, meine Damen und Herren, ist verantwortliche Politik.
Ich darf Ihnen noch einmal zurufen: Opportunisten aller Länder, vereinigt euch! Das ist die Besorgnis, die dahintersteht.Ich möchte auch folgendes ganz deutlich machen. Wenn das DHI die hier zitierte Besorgnis ausgesprochen hat, dann doch wohl auf meine Anregung hin. Mit Wirkung vom 25. Oktober dieses Jahres ist mir aus dem Geschäftsbereich des BMV die fachaufsichtliche Zuständigkeit für die Verhütung der Meeresverschmutzung durch das Einbringen von Abfällen und anderen Stoffen in das Meer übertragen worden. Das DHI entscheidet in diesem Teilbereich nicht an mir vorbei, sondern es entscheidet deswegen, weil ich gesagt habe: Dies ist so.
Das Umweltbundesamt ist doch nicht eine Behörde, die irgendwo etwas entscheidet, sondern es ist eine mir nachgeordnete Behörde. Es hat für mich eine Vorlage erarbeitet, und diese Vorlage des Umweltbundesamts weist aus — —
— Hochverehrte Frau Abgeordnete, auch das laute Zwischenrufen macht das, was man dazwischenruft, noch nicht wahr und richtig. Auch das soll deutlich gesagt werden.Meine Damen und Herren, wir haben das Umweltbundesamt geradezu gebeten, uns klarzumachen, was kurzfristig machbar ist und was nicht. Wir haben gerade deswegen genau diese Maßnahme ergriffen. Wo gibt es denn bisher eigentlich irgendwo ein Stück Kritik daran, daß wir eine Verordnung zur Getrennthaltung von chlorierten Kohlenwasserstoffen vorgelegt haben, daß wir eine Rücknahmeverpflichtung eingeführt haben?
Nur eines müssen Sie hinzufügen, Frau Abgeordnete Garbe: Dort, wo wir aufarbeiten, bleibt, wie Sie sicherlich wissen, ein Rest zurück. Er muß wiederum thermisch behandelt werden.Einen noch besseren Beleg als das, was Greenpeace dazu schreibt, brauche ich nicht zu liefern, nachzulesen in deren Broschüre:Von den derzeit aus der Bundesrepublik Deutschland in die Seeverbrennung laufenden Abfällen in einer Größenordnung von rund 60 000 Tonnen pro Jahr— es sind maximal nur noch 25 000 Tonnen —können laut Umweltbundesamt etwa 16 000 Tonnen hochchlorierter Abfälle aus der chemischen Produktion bei Bayer in sogenannten Spezialanlagen verbrannt werden,— es geht also um Verbrennungsanlagen —können etwa 20 000 Tonnen hoch- und mittelchlorierte Lösemittel aus Metall- und Kunststoffverarbeitung in einer speziell für diesen Zweck geplanten Anlage in Essen behandelt werden.Wissen Sie, um was für eine Anlage, die in Essen geplant ist und gegen die Sie protestieren, es sich handelt? Es ist exakt die Verbrennungsanlage, die Klaus Matthiesen in Essen errichten will.Meine Damen und Herren, all dies führt zu einer Schlußfolgerung: Dies ist das Beispiel der doppelten Moral.
Dort, wo verantwortlich gehandelt wird, wo Erfolge erzielt werden, wo das Ende der Hohe-See-Verbrennung greifbar nahe ist, wird jetzt noch einmal aus der falschen Entscheidung — ich sage das sehr nachdrücklich — vor Ort, sich auch auf die richtige Ebene zu setzen, eine Politik untergraben, die genau die
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Bundesminister Dr. TöpferUrsachen beseitigt, gegen die Sie hier, wie ich meine, sehr vordergründig polemisieren. Lassen Sie sich von Klaus Matthiesen und vom Vorsitzenden der Industriegewerkschaft Chemie, Papier, Keramik, von Hermann Rappe,
einmal sagen, was wir gemeinsam auf diesem Gebiet bewältigt haben und wie wir das Thema der Verbrennung auf hoher See verantwortungsbewußt bewältigen und beenden. Ich bitte wirklich darum, dies auch entsprechend mitzutragen.Ich danke sehr herzlich.
Das Wort hat der Abgeordnete Herr Schütz.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich will jeden Satz, den Sie von Herrn Matthiesen zitiert haben, wonach derjenige, der eine Hohe-See-Verbrennung nicht haben will, an Land verbrennen muß, unterstreichen, bis auf einen, in dem er gesagt hat, „Proletarier aller Länder, vereinigt euch" sei ein Lied. Das ist ein Zitat aus dem Kommunistischen Manifest. Alles andere ist richtig, und ich unterstreiche das auch.
— Ich komme gleich noch einmal dazu.
Herr Töpfer, Sie haben im Juni 1988 Ihr ZehnPunkte-Programm vorgestellt. Unter Punkt 7 hieß es damals: Wir wollen 1995 die Hohe-See-Verbrennung einstellen. Dazu haben wir hier schon damals gesagt: Das geht nicht. Das ist uns zu langsam. Wir wollen ein schnelleres Vorgehen, es muß sofort gehandelt werden. — Selbstverständlich sind wir auch davon ausgegangen, daß die Exekutive dann sofort tätig wird, um einen früheren Stopp zu ermöglichen. Wir erleben eigentlich jedesmal, daß konkretere Planungen nicht umgesetzt sind.
Herr Bruns hat im niedersächsischen Landtag ein ganz klassisches Beispiel für so etwas zitiert. Er hat einen Beamten aus dem Umweltministerium gefragt: Was macht ihr denn eigentlich? Darauf hat er gesagt: Wir haben konkrete Zwischenlagerkapazitäten noch nicht beantragt. — Daraufhin fragte er: Warum habt ihr nicht beantragt? — Darauf antwortete dieser Beamte: Weil wir noch bis 1994 Zeit haben. Erst dann endet die Hohe-See-Verbrennung. — Das ist die Mentalität, die Sie 1988 durch den siebten Punkt Ihres Programms hier gefördert haben. Das wollen wir nicht mehr hinnehmen. Diese Mentalität des Zuwartens können wir nicht akzeptieren. Das wollen wir nicht.
Herr Töpfer, wir wissen doch, daß das, was auf hoher See verbrannt wird, ein Mixtum compositum giftigster Stoffe ist. Das geschieht ohne Abgasreinigung.
Es sind Stoffe, in denen sich Dioxine niederschlagen.
Ich habe eine Aufstellung von Greenpeace — aus dem UBA, wie ich glaube —, in der es heißt, daß 70 To der zu verbrennenden Stoffe, die sich niederschlagen, dioxinhaltig sind. Bei 19 600t pro Jahr — diese Menge bleibt ja noch übrig; das entspricht etwa den Zahlen, die Sie genannt haben — sind das 13 720 t dioxinhaltiger Stoffe, die sich niederschlagen. Ist das akzeptabel? Ich sage nein!
Herr Töpfer, ich möchte etwas zu der doppelten Moral sagen.
— Herr Austermann, ich will etwas zu der von Herrn Töpfer angesprochenen doppelten Moral sagen! — Können wir dem Polizeibeamten sagen, er solle gegen das Greenpeace-Schiffe vorgehen, das aus dem Emdener Hafen auslaufen will, wenn sich Greenpeace gegen eine Handlung wendet, die bei uns hier an Land auf das schärfste verboten ist, während sie auf See zugelassen ist? Was ist das für eine doppelte Rechtsmoral!
Wenn wir z. B. mit unseren Vertretern an der Küste über die Befahrensregelung diskutieren, dann sagen mir die Segler, — Herr Bohlsen, Sie wissen das — : Ich darf jetzt nicht mehr mit einem Segelboot an die Seehundbänke heranfahren. Aber die Verbrennungsschiffe bringen die Brühe in die Nordsee ein, in der die Robben leben. — Das verbieten Sie nicht! Was ist das für eine doppelte Moral!
Was ich nicht begreife, ist: An Land verbieten wir nachhaltig, daß so etwas verbrannt wird. Auf See lassen wir etwas zu, was wir an Land nicht akzeptieren. Diese doppelte Moral können wir nicht mehr hinnehmen.
Ich will auch noch etwas zu den Kapazitäten sagen. In der Tat haben wir keine Schwierigkeiten in der Frage der Aufarbeitungskapazitäten. Wenn getrennt gesammelt wird und wenn die Vermischungsverbote eingehalten werden, dann haben wir, so wie ich eigentlich jeden Kenner verstehe, keine Probleme in der Aufarbeitung. Die Verordnung, die das gebietet, wird am 1. Januar 1990 in Kraft gesetzt. Herr Töpfer, sie ist am 23. Oktober 1989 verkündet worden, 19 Tage nachdem das Verbot in Antwerpen ausgesprochen wurde und über zwei Jahre nachdem wir wissen, daß Antwerpen nicht mehr verschiffen kann. Diese Verordnung wird am 1. Januar 1990 in Kraft gesetzt. Ich sage Ihnen: wesentlich zu spät.
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Schütz
Ich wollte sagen: Wir haben das Problem nicht, wenn wir getrennt sammeln und wenn wir die Vermischungsverbote einhalten.
Das ganze Problem, so wie ich es sehe, besteht in der Frage: Haben wir Zwischenlagerkapazitäten, die bis zu dem Zeitpunkt ausreichen,
in dem wir Verbrennungskapazitäten an Land haben, um das Zwischengelagerte zu verbrennen?
Da höre ich von verschiedenen, daß wir Zwischenlagerkapazitäten haben.
Das ist das Streitige. Sie sagen: Wir haben diese Zwischenlagerkapazitäten nicht, und wir sagen: In den Firmen muß das erst einmal abgerufen werden. Ich habe eine genaue Aufschlüsselung, einen genauen Nachweis, was in den Firmen an Kapazitäten vorhanden ist, noch nicht bekommen. Ich höre unter der Hand, daß wir diese Kapazitäten haben.
Wir können in dieser Situation eine Verbrennung nicht mehr zulassen, weil die Nordsee und wir an der Küste das nicht mehr akzeptieren können.
Meine Damen und Herren, letztlich zu der doppelten Moral.
— Ich sage immer, was ich will.
Aber Ihre Redezeit ist zu Ende.
Ich sehe das.
Die Alternative habe ich Ihnen genannt: Zwischenlager, bis wir verbrennen können.
— Ich bin kein Firmenvertreter. Ich kann nicht bei BASF und auch nicht bei Hoechst nachgucken, wie viele Kapazitäten sie haben.
Noch etwas zur doppelten Moral: Wir können auf See nicht Sachen machen, die wir auf Land nicht zulassen, und auch noch sagen, das sei eine umweltpolitische Moral. Das geht nicht. Wir müssen kämpfen, daß wir dies auch auf See verhindern.
Ich danke Ihnen.
Das Wort hat der Abgeordnete Herr Harries.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das politische Ziel dieser Aktuellen Stunde ist nicht erreicht worden. Sie wollten, daß hier Versäumnisse und Fehlverhalten derBundesregierung aufgedeckt werden. Das ist nicht gelungen.
Genau das Gegenteil ist der Fall.
Viel gefährlicher, meine Damen und Herren, ist, daß Sie durch populistische und weit über das Ziel hinausgehende Vorschläge hier vor der Öffentlichkeit wieder ein Katastrophenszenario dargelegt haben
und daß Sie vor allen Dingen einen Beitrag leisten, um den Industriestandort Bundesrepublik Deutschland in Frage zu stellen.
Aber auch das wird Ihnen nicht gelingen.Zur Lösung des Problems ist für einen überschaubaren Zeitraum im Grunde genommen eine gemeinsame Kraftanstrengung erforderlich. Dann können die Probleme, die Sie, was die Nordsee angeht, durchaus zu Recht aufgezeigt haben, gelöst werden.Meine Damen und Herren, über die Nordsee haben wir hier des öfteren diskutiert.
Wir haben aber nicht nur diskutiert, sondern die Bundesregierung hat gehandelt und kann Ergebnisse vorlegen: Die Dünnsäureverklappung ist in der Bundesrepublik eingestellt. Andere Länder verfahren weiterhin auf diesem Wege und verklappen in der Nordsee.Ich erinnere weiter an das Strukturhilfeprogramm der Bundesregierung über die nächsten Jahre. Schwerpunktmäßig werden hier Anlagen zur Reduzierung von Nitraten und Phosphor im Abwasser geschaffen werden. Auch das ist ein Erfolg.
Ich erinnere ferner nicht nur an die Verträge, die mit der DDR abgeschlossen worden sind, sondern an die ganz konkreten Investitionshilfen, die wir in den nächsten Jahren in einem überschaubaren Zeitraum leisten, um zu einer Reduzierung von Schadstoffen zu kommen.Ich nenne kurz das Abwasserabgabengesetz.Zugegebenermaßen werden noch CKW-Abfälle in der Nordsee verbrannt. Worin liegt die Lösung? Meine Damen und Herren, etwas mehr Nüchternheit, etwas mehr Sachlichkeit und etwas mehr Realitätssinn würden zeigen, daß wir auf CKW in der chemischen Industrie und in weiten Dienstleistungsbereichen überhaupt nicht verzichten können.
An Substituten wird gearbeitet. Aber noch haben wir nicht die erforderlichen Substitute, die unsere chemische Industrie heute und morgen braucht. Auch die Substitute müssen gefahrlos sein.
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HarriesEs wird auch daran gearbeitet, die CKW-Abfälle so aufzuarbeiten, daß man zu einer Verwertung kommt. Aber es bleiben Reststoffe, die, meine Damen und Herren, verbrannt werden müssen. Wenn hier immer ohne nähere Darlegungen gesagt wird, Zwischenlösungen seien da, dann ist das nicht zutreffend. Wir haben nicht die ausreichende Menge von Zwischenlagern, um das, was in reduzierter Form — 20 000, 25 000 t — noch vorhanden ist, zu lagern.Meine Damen und Herren, denken Sie bitte auch einmal daran, daß es vielleicht viel zu gefährlich ist, um allen Unternehmern — schwarze Schafe gibt es bekanntlich überall — die Alleinverantwortung zur Verwertung dieser CKW-Abfälle zu überlassen. Von daher brauchen wir ein sauberes generelles Programm.
Wir müssen die Übergangszeit überbrücken. Die Rechtslage ist eindeutig. Die Verbrennung auf See soll nicht sein; sie soll nur dann sein, wenn die Gefahr an Land größer ist. Hier — ich habe es gesagt — müssen wir den Zeitraum überbrücken.Gemeinsame Anstrengungen werden erforderlich. Haben Sie den Mut, das zu tun!
Malen Sie hier kein Katastrophenszenario! Zwischenlager gibt es nicht. Verbrennungsanlagen an Land müssen gebaut werden. Anträge sind gestellt, nur werden die Genehmigungen nicht von heute auf morgen erteilt werden können. So lange ist zu verbrennen, um die Industrie am Leben zu erhalten. Wir wünschen, Herr Bundesumweltminister, Ihrer Konferenz im nächsten Monat einen vollen Erfolg.
Hoffentlich zeigen die Gesprächspartner die Verantwortung, an die wir hier alle appelliert haben.Ich bedanke mich.
Meine Damen und Herren, die Aktuelle Stunde ist beendet.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 4 auf:
a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ergänzung des Katastrophenschutzgesetzes und anderer Vorschriften
— Drucksache 11/4728 —
Beschlußempfehlung und Bericht des Innenausschusses
— Drucksache 11/5675 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Dr. Nöbel Kalisch
Dr. Hirsch
Such
b) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Regelung der Rechtsverhältnisse der Helfer der Bundesanstalt Technisches Hilfswerk
— Drucksachen 11/4731, 11/5044 —
Beschlußempfehlung und Bericht des Innenausschusses
— Drucksache 11/5674 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Dr. Nöbel Kalisch
Dr. Hirsch
Such
Zum Entwurf des Katastrophenschutzergänzungsgesetzes liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/8682 vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die gemeinsame Beratung dieser Tagesordnungspunkte 45 Minuten vorgesehen. Ich sehe dazu keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Herr Kalisch.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Katastrophenschutz ist ein Thema, das allen, die sich für den Schutz unserer Bürger im Verteidigungs- oder Katastrophenfall einsetzen, am Herzen liegen muß. Aber nicht nur das, der Schutz der Zivilbevölkerung ist Pflicht jeder Regierung und eine zutiefst humane Aufgabe.
Das Gesetz hat zum Ziel, unter extremen und unvorhersehbaren Bedingungen Menschenleben zu retten, Verletzte bestmöglich zu versorgen und die erforderliche Versorgung des betroffenen Gebietes sicherzustellen.Das Erdbeben in Armenien mit seinen erschütternden Folgen für eine ganze Sowjetrepublik hat gezeigt, daß wir Menschen vor solchen katastrophalen Naturereignissen nicht sicher sind und uns dagegen wappnen müssen. Das bei uns bestehende Katastrophenschutzsystem hat es ermöglicht, den Menschen in Armenien durch die Entsendung von Fachdiensten, des Technischen Hilfswerks und durch die Unterstützung der deutschen Hilfsorganisationen die größte Not lindern zu helfen. Die in das Erdbebengebiet entsandten Helfer samt ihrem Gerät haben im Einsatz zugleich aber auch Erfahrungen sammeln können, deren Auswertung es uns ermöglicht, die Vorsorge in diesem Bereich noch zu verbessern.Eines steht aber jetzt schon fest: Wir müssen im Katastrophenfall alle bei uns vorhandenen Ressourcen voll ausschöpfen können, d. h., auch der Erweiterungsteil des Katastrophenschutzes muß schnell und effektiv einsetzbar sein. Dies gelingt uns aber nur, wenn diese Einheiten und Einrichtungen auch regelmäßig üben und zusammen mit den Katastrophen-
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Kalischschutzbehörden der Länder eine nahtlose Kommunikation auf- und ausbauen, denn die Zeitnot ist im Ernstfall der größte Feind erfolgreicher Hilfe.
Diese Konsequenz hat auch der sowjetische Staats- und Parteichef Gorbatschow erkannt und erklärt, er werde sich für eine Verbesserung der sowjetischen Katastrophenschutzbedingungen einsetzen. Auch die Schweiz hat, nachdem sie den Zivilschutz für ihre Bevölkerung nahezu vollständig ausgebaut hat, erkannt, daß die Trennung von Katastrophenschutz einerseits, der dort Kantons- und Gemeindesache ist, und Zivilschutz andererseits, der unter die Verantwortung der schweizerischen Bundesregierung fällt, effektiver und zweckmäßiger sein könnte. Sie prüft zur Zeit eine unserem System adäquate Regelung.Außerdem, meine Damen und Herren, soll die Schutzbaupflicht in der Schweiz noch besser gesetzlich verankert werden. Nicht nur im Verteidigungsfall, sondern auch bei Großkatastrophen kann der Schutzraum wirksamste Hilfe für die Menschen sein. Ich bedauere sehr — das ist schon eine Kritik — , daß das vorliegende Gesetz bei uns keine Verbesserung im Schutzbaubereich vorsieht. Ich möchte aber an dieser Stelle dem Schutzforum herzlich danken, das mit qualifizierten Gutachten und Stellungnahmen zum Schutzraumbau hervorragende Arbeit geleistet hat.
— Herr Such, jetzt sind Sie dran.
Die von den Gegnern im Zusammenhang mit der Beratung und Verabschiedung des Katastrophenschutzergänzungsgesetzes betriebene emotionale Stimmungsmache ist völlig absurd und geht an den Problemen, denen wir uns zu stellen haben, total vorbei. Es ist vollkommen unverständlich, daß die IPPNW ebenso wie der DGB — von den GRÜNEN will ich in dem Zusammenhang gar nicht reden —
dieses Gesetz ablehnen, weil es einmal durch die Bezeichnung „Katastrophenschutzergänzungsgesetz" ihrer Meinung nach eine Mogelpackung sei
und darüber hinaus den Menschen noch vermitteln solle, daß ein Krieg führbar sei.
Bediente ich mich Ihrer Philosophie, dann würde das heißen: Wir wollen für den Schutz der Bevölkerung überhaupt nichts tun, dann kann auch nichts passieren.
Andererseits fordern dieselben Gruppen, endlich die Zusatzprotokolle zum Genfer Rot-Kreuz-Abkommen seitens der Bundesregierung zu ratifizieren.
In diesen Bestimmungen wird u. a. gefordert, daß die Zivilbevölkerung im Verteidigungsfall — sprich im Krieg — zu schützen sei.
Indem wir die beiden Gesetzesvorhaben verabschieden, kommen wir dieser Aufforderung nach.
Im übrigen haben alle Fraktionen die Ratifizierung bei der Bundesregierung angemahnt, und wir haben in diesem Haus gehört, daß sie noch in diesem Jahr eingeleitet werden soll.
— Ich verstehe gar nicht, warum Sie sich so aufregen.Den logischen Widerspruch, Herr Such, zwischen der Forderung nach der Ratifizierung der Zusatzprotokolle und der Ablehnung der vorgelegten Gesetze hat die IPPNW in der öffentlichen Anhörung vor dem Innenausschuß Anfang Oktober trotz mehrfacher Nachfrage nicht klären können. Es ist auch schon bemerkenswert, daß der SPD-Vorsitzende Vogel ein Gespräch mit der IPPNW geführt hat. Nach dem Gespräch hat die IPPNW erklärt, daß sie von dieser Zusammenkunft sehr befriedigt sei und die SPD das Gesetz ohne Wenn und Aber ablehnen werde.
Es nimmt schon wunder, daß dann gleichwohl danach von der SPD eine Anhörung vor dem Innenausschuß verlangt wird, wenn doch die Ablehnung des Gesetzes schon vorher abgesprochen war. Ebenso hat sich die Fraktion DIE GRÜNEN bereits von Anfang an gegen das Gesetz gestellt, aber auch eine Anhörung gefordert.
Bei solchen Verfahren müssen sich all diejenigen Vertreter, die der Sache wegen gekommen waren, als Statisten politischer Öffentlichkeitsarbeit vorgekommen sein.
Meine Damen und Herren, uns hat das Ergebnis der Anhörung gezeigt, daß wir mit beiden Gesetzen auf dem richtigen Weg sind.
Das Katastrophenschutzergänzungsgesetz trägt außerdem den richtigen Namen und nicht die Bezeich-
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13250 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 175. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. November 1989
Kalischnung, die Sie wählen. Denn es ergänzt in der Tat nur Gesetze, die seit 20 Jahren bestehen.
Die in dem Gesetz vorgesehenen Maßnahmen kommen dem Katastophenschutz in vielen Bereichen zugute.
Insbesondere wird die seit Jahrzehnten bestehende Mitarbeit der Hilfsorganisationen im Gesetz festgeschrieben. Sie haben einen entscheidenden Anteil am Ausbau der Vorsorge bei Katastrophen.An dieser Stelle danke ich allen Organisationen, die sich jahrelang mit positiven Anregungen um die Verbesserung des Katastrophenschutzes bemüht haben
und deren Sachkenntnis und Erfahrungen in die Gesetzentwürfe eingeflossen sind. Ich danke ausdrücklich dem Deutschen Roten Kreuz, dem Malteser-Hilfsdienst, der Johanniter-Unfall-Hilfe, dem Arbeiter-Samariter-Bund, der Deutschen Lebensrettungsgesellschaft, dem Deutschen Feuerwehrverband, der Bundesärztekammer, dem Deutschen Städtetag, dem Verband der Helfer in den Regieeinheiten und Einrichtungen des Katastrophenschutzes in der Bundesrepublik Deutschland, der THW-Helfervereinigung und nicht zuletzt ihrem Präsidenten, unserem Kollegen Johannes Gerster,
der sich
— ich habe nur noch eine Minute; ich muß mich beeilen — dieses Themas immer wieder mit großem Nachdruck angenommen hat und der sich für die Verabschiedung der vorliegenden Gesetzentwürfe engagiert eingesetzt hat. Ich danke auch den Kollegen aus der FDP-Fraktion, insbesondere dem Kollegen Dr. Hirsch. Wir haben nach dem Ausräumen von Bedenken sehr gut zusammengearbeitet.
Nicht minder herzlich danke ich dem Bundesinnenminister. Die für diesen Bereich verantwortlichen Herren haben mit viel Einsatz und Geduld jahrelang konstruktive Arbeit geleistet.
Für uns sind beide Gesetzentwürfe ein entscheidender Schritt zum Wohl unserer Bevölkerung.
Ich bitte Sie, diese Gesetzentwürfe heute zu verabschieden.Den Entschließungsantrag werden wir ablehnen.
Das Wort hat der Abgeordnete Herr Nöbel.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kalisch, ich habe gedacht, ich habe Sie bei derselben Anhörung gesehen, bei der ich anwesend war.
Daß Sie zu ganz anderen Schlußfolgerungen kommen, liegt nicht an uns.
Nach jahrelangen Anläufen und einer Reihe von Referentenentwürfen, die schließlich alle auf Grund der großen Widerstände verworfen wurden, liegt der jetzige Entwurf nach langwierigen Erörterungen und Verhandlungen, was den Bereich der Hilfsorganisationen betrifft, mehr oder weniger zufriedenstellend auf deren Linie.Das begrüßen wir. Wir begrüßen das um so mehr, als wir Sozialdemokraten wesentlichen Anteil an diesen Verbesserungen haben.
— Herr Präsident, warten Sie ab!
— Das war der andere Präsident, Frau Präsidentin. —
Die Verbesserungen wurden seinerzeit von uns mit unserem zunächst Vier-Jahres- und dann Zehn-Jahres-Förderungsprogramm für den Einsatz im friedensmäßigen Katastrophenschutz eingeleitet.Im Anfangsstadium des jetzigen Entwurfs konnten wir in Verhandlungen mit dem Bundesinnenminister und den Koalitionsfraktionen weitere Unterstützung leisten.
Das wissen die Feuerwehren — ich schließe mich da an, Herr Kalisch —,
das Deutsche Rote Kreuz, der Arbeiter-SamariterBund, der Malteser-Hilfsdienst, die Johanniter-Unfall-Hilfe, die Deutsche Lebensrettungsgesellschaft — Frau Vollmer —, das Technische Hilfswerk; zu den Ärzten komme ich nachher.
In einem kurzen Beitrag zur ersten Lesung habe ich dies zum Ausdruck gebracht. Ich wiederhole es heute ganz bewußt.
Aber ich füge hinzu: Da gibt es in der Gesetzgebung Zusammenhänge, die diese Organisationen und Verbände außen vor lassen. Sie interessieren sie nicht. Ich erinnere an die Diskussion über den Schutzraumbau
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Dr. Nöbelund die Schutzraum-Baupflicht. Da haben die Verbände gesagt, sie hielten sich da heraus.Bevor ich zur Kritik komme — sie wird massiv sein —, will ich den Liberalen, insbesondere dem Kollegen Dr. Hirsch, gern bescheinigen, daß ich ihnen anrechne, wenigstens den Schwachsinn der Schutzraum-Baupflicht aus diesem Gesetzentwurf herauskoaliert zu haben.
Dennoch, dieser Entwurf ist das — hoffentlich nur vorläufige — Ergebnis einer langen Leidensgeschichte. Uns tut es mehr als leid, daß er in dieser Form — falls es überhaupt eine ist — Gesetz werden soll.Erstens. Der Zeitpunkt der Verabschiedung jetzt, in dem alle vorhandenen Schutzräume, die ja als Schutz vor einem Angriff des Warschauer Pakts erfunden sind, DDR-Übersiedlern als Übergangswohnheime geöffnet werden, ist nicht gerade geschmackvoll.
Wenn im Einzelplan 36 — Zivile Verteidigung — für 1990 für den Schutzraumneubau wiederum über 100 Millionen DM etatisiert sind, die man jetzt in den Wohnungsbau hätte stecken müssen,
und wenn in diesen Zeiten der Veränderung und Öffnung in Mitteleuropa die Bewältigung des Verteidigungsfalles politisch forciert wird — nach altem Schema, wie auch die überholten Übungsschablonen von WINTEX/CIMEX drastisch verdeutlichen —, dann paßt das zu diesem Zeitpunkt wie eine Faust aufs Auge.
Auch ist es nicht geschmackvoll — man beachte meine krampfhaften Versuche, mich parlamentarisch angemessen auszudrücken — , heute Forschungsmittel für Experimente an gesunden und kranken Menschen zur Verfügung zu stellen, die in Angstzustände versetzt werden — ich erinnere an die Nervenklinik in München — und als Testpersonen für die beruhigende Wirkung einer Antipanikpille für die Menschen im Chaos des Verteidigungsfalles mißbraucht werden.
Zweitens. Es stellt sich die Frage, ob der einstimmige Beschluß des Bundestages vom 3. Juli 1980 noch gilt oder nicht. Der Gesetzentwurf beantwortet diese Frage nicht. Die Beschlußlage von damals lautet: a) Vereinfachung der Gesetzgebung, b) Koordination der zivil-militärischen Zusammenarbeit, c) Vorlage eines Gesundheitssicherstellungsgesetzes und d) verbesserte Aufklärung der Bevölkerung.Nun sind nicht nur mehr als neun Jahre ins Land gegangen, sondern auch ganz wesentliche Veränderungen, die ich mittlerweile doch wohl als Allgemeinwissen voraussetzen darf. Diesen wesentlichen politischen und gesellschaftlichen Veränderungen wird der Gesetzentwurf ganz und gar nicht gerecht.
Drittens. Die längst überfällige Herausarbeitung von Rechtsklarheit im Kompetenzverhältnis Bund/ Länder wird nicht nur nicht geleistet, sondern einfach ignoriert. An ein solches Gesetz muß die Anforderung gestellt werden, Versäumnisse des Gesetzgebers aus der Vergangenheit korrigieren zu wollen, zumal wir uns in diesem Falle im Grundgesetzbereich bewegen.Wenn schon das Gesetz über den erweiterten Katastrophenschutz von 1968 in diesem Punkt bedenklich war, kann man diese Erweiterung nicht noch einmal erweitern, indem man von „Ergänzung" spricht.
Natürlich hat der Katastrophenschutz einen hohen Stellenwert im öffentlichen Bewußtsein; Gott sei Dank hat er ihn erlangt. Nach Tschernobyl und Sandoz, nach Ramstein, nach einer Masse von Großkatastrophen in der Welt, über den Fernsehschirm ins Haus gebracht, vom Hurrikan über Flugzeugabstürze , von Zugunglücken, Massenkarambolagen bis zu Explosionen in der chemischen Industrie und den Erdbeben in Armenien — Sie haben darauf hingewiesen — und in San Francisco, ist doch die Angst vor Verstrahlung des Landes bei Zerstörung von Atomreaktoren, vor Vergiftung der Luft, des Wassers und des Bodens kein Wunder.Deshalb ist doch genau dies das politische Thema, um das es eigentlich geht.
Darauf zielt unser Entschließungsantrag — auf den ich zurückkomme — , der Gesetzentwurf leider nicht.
Ich bleibe bei dem Problem der Rechtsklarheit: Der Auftrag des Bundestages zur Vereinfachung der Gesetzgebung wird als Auftrag zum weiteren Durcheinander verstanden. In Art. 4 werden Vorschriften außer Kraft gesetzt, in den Artikeln 1 bis 3 werden Gesetze und Vorschriften ergänzt, und zwar im wesentlichen mit für die Betroffenen negativen Folgewirkungen, in zwei Einzelfällen, für zwei Amtspersonen, in positiver Weise. Das Gesetz über den Zivilschutz bleibt bestehen, eine Masse von Vorschriften ebenfalls. Im parlamentsfreien Raum werden zahlreiche Vorschriften im Exekutivbereich folgen.Rechtsklarheit, behaupte ich, ist nur in dem gegeben, was ich einleitend sagte, und im THW-Helferrechtsgesetz. Ansonsten fehlt es nicht nur an Rechtsklarheit, sondern ebenso an Rechtssicherheit. Der Gesetzestext — ich spreche vom Katastrophenschutzergänzungsgesetzentwurf — ist im Vergleich mit der großen Mehrheit der Gesetzentwürfe eigentlich knapp gefaßt. Das liegt daran, daß er wenig zu bieten hat, aber daß er mehr als andere in wenigen Sätzen zuviel kaputtmacht. Zumindest kompliziert er die ohnehin zu große Zersplitterung der Gesetzeslage um ein weiteres Gesetz.Bundes- und Länderzuständigkeiten, Materien des Katastrophenschutzes, des Beamtenrechts, der Gesundheitsversorgung, der Arbeitssicherstellung, des Selbstschutzes, der Schutz im Verteidigungsfalle einerseits und im Frieden andererseits sind unklar und unübersichtlich miteinander verschränkt. Statt Ge-
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Dr. Nöbelsetzesvereinfachungen, wie vom Parlament gefordert, wird noch mehr Zersplitterung und Komplikation angeboten, also das Gegenteil von Rechtsklarheit und Rechtssicherheit.Viertens. Die vorgesehene Hilfeleistungspflicht, zwangsweise angeordnet, verstößt ganz eindeutig gegen das Grundgesetz, das in Art. 12 Abs. 2 sagt:Niemand darf zu einer bestimmten Arbeit gezwungen werden, außer im Rahmen einer herkömmlichen allgemeinen, für alle gleichen öffentlichen Dienstleistungspflicht.In Art. 12 a des Grundgesetzes heißt es zum Ersatzdienst:Das Nähere regelt ein Gesetz, das die Freiheit der Gewissensentscheidung nicht beeinträchtigen darf .. .Die Anhörung vor dem Innenausschuß am 6. Oktober dieses Jahres ergab dazu, daß auch die Hilfsorganisationen diese Dienstleistungspflicht ablehnend sehen, allein schon deshalb, weil die Betroffenen nicht ausreichend ausgebildet würden und eher ein Hindernis seien, statt effiziente Hilfe üben zu können. Besonders schlampig nenne ich die Nichtdifferenzierung hinsichtlich Frauen und sogar Schwerbehinderten, zumal es sich bei diesem Entwurf um grundsätzliche Regelungen handelt. Außerdem gilt das Beamtenrecht auch im Verteidigungs- und Spannungsfall, so daß es naheläge, die bestehenden beamtenrechtlichen Regelungen voll auszuschöpfen, bevor man wie hier Neuregelungen schafft.Ich könnte eine Reihe weiterer Kritikpunkte anfügen, bis hin zur Verletzung des Datenschutzrechts. Selbst nach den Grundsätzen des Volkszählungsurteils ist die Erhebung, Speicherung und Verwertung persönlicher Daten nur mit Zustimmung des Betroffenen oder durch Gesetz aus sachlich zwingendem Grund zulässig. Zum Beispiel enthalten die Arbeitsverträge des Krankenhauspersonals solche Voraussetzungen überhaupt nicht. Gegenüber Krankenhauspersonal in privater oder kirchlicher Trägerschaft werden um so mehr rechtswidrige Vorschriften erlassen.Fünftens. Überhaupt nicht ernst genommen wird die Kritik breitester Kreise der Ärzteschaft, die sich zunehmend verstärkt. Es ist nicht allein die IPPNW, d. h. die Internationale Vereinigung der Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges, es sind u. a. — und jedesmal fast einstimmig — die Delegiertenversammlungen der Ärztekammern Hamburg, Schleswig-Holstein und Baden-Württemberg und der Vorstand der Landesärztekammer Berlin.
Weitere werden folgen. Wenn ich die Stellungnahme des Innenministers von Baden-Württemberg an den Bundesinnenminister vom 29. September dieses Jahres zu diesem Entwurf und die darin enthaltene Berufung auf Richtlinien der Landesärztekammer lese, dann habe ich den Eindruck, das müssen alte Richtlinien sein, die heute nicht mehr durchsetzbar sind. Die Ärzte legen uns eine Politik nahe, die sich mit den realen Bedrohungen unserer Zukunft befaßt und sichaus dem Mißverhältnis zwischen Mensch und Umwelt sowie Mensch und Natur herleitet. Denn Ängste, Depressionen, Suchten und psychosomatische Krankheiten bei Jugendlichen und Älteren erweisen sich immer häufiger, wie diese Ärzte sagen, als Reaktionen auf eine realistisch empfundene steigende Bedrohung unserer Lebenswelt.Auch der Deutsche Städte- und Gemeindebund reiht sich in die Reihe der Kritiker ein. Er meint, durch die Bildung von drei Beiräten, wie sie vorgesehen sind, wäre eine unvermeidliche bürokratische Aufblähung verbunden.Wir sagen, meine Damen und Herren: Statt gesetzliche Voraussetzungen dafür zu schaffen, daß die Katastrophenschutzeinrichtungen des Bundes und der Länder verbessert und damit in die Lage versetzt werden, auf Großkatastrophen erfolgreich zu reagieren, konzentrieren sich die Bundesregierung und die sie tragenden Koalitionsfraktionen auf eine Neuregelung und Intensivierung der zivilen Verteidigung, d. h. des Zivilschutzes. Das ist die falsche gesetzgeberische Initiative zur falschen Zeit.
Der Gesetzentwurf ist ein Etikettenschwindel. Er regelt nicht Fragen des Katastrophenschutzes, sondern Fragen der zivilen Verteidigung. Die SPD — Herr Gerster, lassen Sie mich das noch zitieren — hat auf ihrem Bundesparteitag im August 1986 zum Zivilschutz einstimmig einen weitreichenden Beschluß gefaßt. Er lautet:Alle über den Katastrophenschutz hinausgehenden Zivilschutzmaßnahmen für den Kriegsfall, insbesondere für den Atomkrieg, sind einzustellen. Sie sind kein Beitrag zur Friedensbildung und werden im Ernstfall niemanden schützen. Sie erwecken jedoch die Illusion eines solchen Schutzes und die Vorstellung, ein Krieg in Europa sei führbar, gewinnbar und überlebbar. Gesetzesvorhaben, die darauf abzielen, lehnen wir ab.
Herr Abgeordneter Nöbel, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Herr Gerster?
Selbstverständlich.
Herr Kollege Dr. Nöbel, wenn Sie den Schwerpunkt in Richtung Katastrophenschutz legen und meinen, der Zivilschutz hätte zurückzustehen, können Sie mir dann erklären, warum die SPD ausgerechnet dem THW-Gesetz zustimmt — das THW war von Haus aus eine Zivilschutzorganisation — und das Katastrophenschutzergänzungsgesetz ablehnt, das vor allem den privaten Organisationen helfen soll, die im Katastrophenschutz unmittelbar tätig sind? Können Sie diesen Widerspruch in Ihrem Verhalten einmal deutlich machen?
Herr Gerster, ich glaube, meine Schlußausführungen werden Ihre Frage eindeutig be-
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Dr. Nöbelantworten. Sie können sich ruhig setzen. Ihre Frage führt genau zu dem, was ich jetzt zu sagen beabsichtige.Wir sagen deshalb, Herr Kollege Gerster, in unserem Entschließungsantrag:Das Katastrophenschutzergänzungsgesetz entspricht nicht den Anforderungen, die an ein Gesetz —— es liegt Ihnen vor —zur Neuregelung des Schutzes der Bevölkerung in der Bundesrepublik Deutschland zu stellen sind, und ist deshalb abzulehnen. Die Bundesregierung— und das ist die Antwort auf die erste Frage —wird aufgefordert, in enger Abstimmung mit den für den Katastrophenschutz zuständigen Bundesländern eine Konzeption dem Deutschen Bundestag zuzuleiten, die folgende Voraussetzungen erfüllt:Das ist unsere Alternative. Wir sagen dann im Punkt 1: gemeinsame Aufgabe von Bund und Ländern und im Punkt 2: Zusatzprotokolle. Sie haben darauf hingewiesen. Wir hören gerne, daß da in diesem Jahr noch etwas kommen soll, legen aber Wert darauf, daß sie ohne Vorbehalte und Einschränkungen zu ratifizieren sind.
Der Schutz der Bevölkerung, des Lebens, der Gesundheit und der freien Entfaltung des Menschenist oberster Verfassungsgrundsatz.So beginnt unsere Begründung.
Die Finanzierung des Katastrophenschutzes im Frieden bedarf nach wie vor der Bundeshilfe. Der Ansatz muß die Begründung einer neuen Gemeinschaftsaufgabe im Sinne von Art. 91 a des Grundgesetzes und die Festlegung eines Verteilungsschlüssels sein. Wer sich an die hilflosen Auseinandersetzungen, meine Damen und Herren, um die Zuständigkeiten nach Tschernobyl erinnert, weiß, wovon ich rede.
Nicht einmal die Meßwerte waren unter einen Hut zubringen. Jedes Land hat anders gemessen, und derBund hat sich fein herausgehalten, zunächst einmal.Also, Regelungsbedarf gibt es zur Genüge, und zwar für das, was wir vor der Nase haben, und nicht für Dinge, die im Ernstfall ohnehin nicht zu regeln sind.Dem THW-Helferrechtsgesetz, Herr Gerster, stimmen wir deshalb zu, weil es nicht mehr zumutbar ist, daß die Helfer in einem rechtlosen Zustand arbeiten. Schon 1980 hat die Bundesregierung — Sie wissen, wer damals regiert hat —
diese Zusage gemacht. Und es kann ja wohl nicht sein,daß wir uns heute anders verhalten würden. Hier werden Rechtsgrundlagen geschaffen — ich habe Ihnen das im Innenausschuß gesagt — , denen wir voll zustimmen. Und wir betonen, daß die Arbeit des THW mittlerweile im friedensmäßigen Katastrophenschutz so stark angesiedelt worden ist, daß wir hier keine formalen Dinge ins Feld zu führen brauchen.Wir lehnen das Katastrophenschutzergänzungsgesetz ab. Wir stimmen natürlich unserem Entschließungsantrag zu.Ich will nur noch sagen, daß wir die im Innenausschuß vereinbarte Regelung für den Bundesverband für den Selbstschutz nachdrücklich und ausdrücklich begrüßen. Aber die schwerwiegenden grundsätzlichen Bedenken, die ich hier vorgetragen habe, lassen eine Zustimmung zum Katastrophenschutzergänzungsgesetz für uns nicht zu.Schönen Dank.
Das Wort hat der Abgeordnete Herr Hirsch.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lieber Kollege Nöbel, das war in der Tat eine schwache Antwort; denn Sie wissen ja genau, daß wir die Regelungen zum THW-Gesetz nur aus berlinrechtlichen Gründen aus dem Gesetzentwurf herausgenommen haben. Sonst wären sie ein immanenter Bestandteil gewesen. Und von daher ist es ganz unverständlich, daß Sie einem Teil des Gesetzes zustimmen und den anderen mit großer Verve ablehnen.
Es gibt kaum ein Gesetz, das so polemisch und unter so vollständiger Verdrehung des Inhaltes angegriffen worden ist wie dieses. Und die meisten Kritiker sind ganz offenkundig Leute, die sich nur auf die Agitation der IPPNW verlassen und das Gesetz selber überhaupt nicht gelesen haben.
Ich bedaure besonders die Haltung der SPD, weil Sie, Herr Nöbel, ja mit großer Sorgfalt, mit großer Intensität die ganzen Verhandlungen mit den freiwilligen Organisationen mit geführt, initiiert haben, weil wir der Überzeugung waren, daß das ganze Gesetz, der Katastrophenschutz, nur in völliger Übereinstimmung mit den freiwilligen Organisationen funktioniert.
Und wir haben diese Übereinstimmung erzielt.
Wir haben sie auch erzielt mit der Bundesärztekammer. Wir haben sie auch erzielt mit dem DeutschenRoten Kreuz. Und nun steigen Sie aus Gründen, die
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Dr. Hirschsich jeder denken kann — ich sage: populistischer Art —, aus diesem Unternehmen aus.
Und das bedauere ich sehr.
Es ist zweifellos eine staatliche Aufgabe, zum Schutz der Bevölkerung vor Katastrophen alle notwendigen und irgend möglichen Vorkehrungen zu treffen, und zwar unabhängig davon, ob es sich um Katastrophen im Frieden oder im Krieg handelt.Wir wissen auch, daß die Überlebenschancen bei einer kriegerischen Auseinandersetzung in Mitteleuropa äußerst gering sind. Der Oberbürgermeister von Würzburg genießt meine volle Sympathie. Er hat sich mit Recht geweigert, bei der CIMEX-Übung den Untergang seiner Stadt und der Bundesrepublik mitzuspielen. Ich wundere mich nur darüber, daß er der einzige Oberbürgermeister geblieben ist, der gesagt hat: Das ist nicht mehr erträglich.Aber das alles ändert nichts daran, daß die möglichst gute Ausstattung des Katastrophenschutzes nicht Katastrophen hervorruft, sondern ihre Folgen begrenzen soll. Wer die Feuerwehr möglichst gut ausstattet, wird dadurch doch nicht zum Brandstifter. Wenn der Versuch, die Zivilbevölkerung zu schützen, die Kriegsgefahr erhöht, dann weiß ich nicht, warum dieselben Kritiker des Gesetzes gleichzeitig die möglichst schnelle Ratifizierung der Zusatzprotokolle zum Genfer Abkommen zum Schutz der Zivilbevölkerung in Kriegszeiten fordern. Dann müßte man zurück zu den Schlachtfeldern von Solferino, und das Rote Kreuz wäre der größte Kriegsverursacher, den es je gegeben hat.
Das ist natürlich Unsinn.Die Ratifizierung der Zusatzprotokolle wird noch in diesem Jahr eingeleitet. Wir wollen den Schutz vor Katastrophen jeder Ursache so wirkungsvoll wir irgend möglich machen.
Wir wissen, daß der Katastrophenschutz nur auf freiwilliger Grundlage funktioniert und daß die Arbeit der auf diesem Gebiet tätigen Organisationen — das Rote Kreuz, Johanniter, Malteser, Arbeiter-SamariterBund, öffentliche und freiwillige Feuerwehren, DLRG, Technisches Hilfswerk — unverzichtbar sind. Je besser wir diese Organisationen und ihre freiwilligen Helfer personell und sachlich ausrüsten und ausbilden, je intensiver sie die Zusammenarbeit untereinander und mit den Katastrophenschutzbehörden üben, um so mehr werden sie in ihrer täglichen Arbeit bei Großveranstaltungen, Volksfesten, Waldbränden, Flugkatastrophen und Industrieunfällen dem Bürger helfen können. Jede Leistung, die wir für diese Organisationen erbringen, wirkt sich unmittelbar zum Schutz der Bevölkerung bei jedem Einsatz, bei jeder Tätigkeit dieser Organisationen, bei jeder Veranstaltung, bei jeder Katastrophe aus; und genau das wollen wir.
Natürlich beinhaltet der Gesetzentwurf auch Regeln für den Fall eines Krieges, also für den Spannungsfall. Wir haben aber sorgfältig darauf geachtet, daß Maßnahmen, die den einzelnen belasten, erst nach der Erklärung des Spannungsfalls durch das Parlament wirksam werden können. Es ist geradezu eine Groteske, daß ausgerechnet die GRÜNEN mit einem gleichzeitig zu behandelnden Antrag die Mitwirkung oder die Entscheidung des Parlaments beim Spannungsfall aushebeln wollen. Das ist absolut unverständlich.
Der Bund beteiligt sich an der Ausrüstung und der Ausbildung der Organisationen und der freiwilligen Helfer. Es wird keine Verpflichtung zum Schutzraumbau geben, wohl aber eine Bezuschussung bei freiwilligen Leistungen. Es gibt keine allgemeine Zivilschutzdienstpflicht, außer der Verpflichtung, im Einzelfall, im Spannungsfall, wenn die Hilfen nicht ausreichen, eine beschränkte Zeitlang herangezogen zu werden. Die Bevölkerung kann nicht verpflichtet werden, wie das heute nach geltendem Recht noch möglich wäre, einen Ort zu verlassen oder an ihm zu bleiben, außer im erklärten Spannungsfall nach Art. 80 a des Grundgesetzes.Die Landesbehörden müssen die Planung des Krankenhaus- und Rettungswesens sichern. Dabei wirken die standesärztlichen Organisationen und die Beiräte, die wir gegründet haben, mit. Das ist der einzige Kritikpunkt der kommunalen Spitzenverbände, die sonst mit dem Gesetzentwurf einig sind.Irgendwelche Meldepflichten müssen aufgehoben werden, wenn der Bundestag oder der Bundesrat es verlangt.Wer in solchen Regelungen eine Kriegsvorbereitung sieht, weiß nicht, wovon er spricht.Ich möchte bei dieser Gelegenheit den vielen hunderttausend ehrenamtlichen Helfern in unserem Land danken,
die sich freiwillig und ehrenamtlich für diese wichtigen Aufgaben zur Verfügung gestellt haben und die es weder verstehen noch verdient haben, daß man ihre Arbeit als eine Art Kriegsvorbereitung diffamiert. Ich halte das für unglaublich.
Ich möchte bei dieser Gelegenheit auch der Ärztekammer und den Vertretern der anderen freiwilligen Katastrophenschutzorganisationen für ihre intensive Mitarbeit an diesem Gesetz danken. Wir werden sie bei ihrer Arbeit unterstützen, die unverzichtbar ist.Ich bedanke mich ebenso bei den Kollegen der Koalition, aber auch bei dem Kollegen Nöbel für die intensive Mitarbeit, die wesentlich zum Zustandekommen des Gesetzes beigetragen hat.
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Dr. HirschVielen Dank.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Such.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Hirsch, es ist eine Ungeheuerlichkeit und es zeigt eigentlich Ihre Verharmlosungstaktik und Ihre Unkenntnis, wenn Sie Schlachtfelder, auf denen das Deutsche Rote Kreuz segensreich gewirkt hat, mit einem zukünftigen Spannungsfall oder vielleicht sogar mit einem Atomkrieg vergleichen.
Ich hatte gedacht, die Geschichte wäre uns am Donnerstagabend in den Arm gefallen. Ich habe am Freitagmorgen in der Innenausschußsitzung beantragt, die Beratung dieses Gesetzes von der Tagesordnung zu nehmen.
Das ist leider nicht geschehen. Das ist nicht möglich gewesen, weil die Herren von der Koalition dem nicht zustimmen wollten.
Im Osten Bewegung, im Westen nichts Neues — so könnte man die Rahmenbedingungen dieses Gesetzesvorhabens beschreiben. Statt den rasanten Veränderungen im Warschauer Pakt und im Ost-West-Verhältnis Rechnung zu tragen, wird hierzulande neben der militärischen auch die zivile Verteidigung fortgeschrieben und ausgebaut; denn nur dieser — hören Sie bitte zu — organisatorischen Vorbereitung von Maßnahmen im Krieg dient das Gesetz, schon weil die Bundeszuständigkeit hierauf begrenzt ist. Ziviler Katastrophenschutz ist Ländersache.
Zur Verringerung oder Bewältigung von Katastrophen im Frieden trägt es trotz des insoweit bewußt irreführenden Titels nicht bei. Die langjährigen Mahnungen auch von seiten beteiligter Behörden und Organisationen, die Gesamtorganisation der Zivilverteidigung vorbehaltlos auf Effektivität und Erforderlichkeit hin zu überprüfen, wurden in den Wind geschlagen, interessanterweise von derselben CDU/CSU, die Ende der 70er Jahre nicht müde wurde, eine aktualisierte geschlossene Konzeption der zivilen Gesamtverteidigung zu fordern.
Nichts von dem liegt vor. Statt dessen ist heute wieder wie schon während der zurückliegenden Beratungen das Hohelied der selbstlosen Helferinnen und Helfer in den Katastrophenschutzorganisationen gesungen worden.
Man bezieht sich sogar selbst in diese Lobhudelei ein. Dem Dank für deren Einsatz bei Unglücken und zunehmenden Alltagsgefahren können wir uns nur voll anschließen. Das möchte ich ausdrücklich bekräftigen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Gerster?
Nur wenn das nicht von meiner Redezeit abgezogen wird.
Nein, das wird nicht abgezogen.
Lassen Sie mich aber noch den Gedanken zu Ende führen.
Nur, diese Menschen, deren Hilfsbereitschaft und Engagement für eine Einplanung auch im Krieg ausgenutzt wird, werden sich nicht auf alle Zeiten für dumm verkaufen lassen.
Bitte, Ihre Zwischenfrage.
Herr Kollege Such, ist Ihnen wirklich entgangen, daß die neue gesetzliche Regelung vorsieht — erstmals in einem Gesetz —, daß das Technische Hilfswerk, das ja ursprünglich eine reine Zivilschutzorganisation war, im Friedensfall bei Katastrophen, auch im Ausland, eingesetzt wird? Wenn Ihnen das nicht entgangen ist: Wie können Sie dann ernsthaft behaupten, hier werde im Prinzip nur Zivilschutz gemacht? Das Gegenteil ist der Fall.
Das ist mir natürlich nicht entgangen. Wir begrüßen auch grundsätzlich jeden Einsatz im zivilen Katastrophenschutz. Hören Sie mir bitte zu. Was Sie aber vorhaben, ist eine Vermischung. Ziviler Katastrophenschutz ist jedoch nicht Bundessache, sondern Ländersache. Das sollten Sie trennen. Ich werde in meinen weiteren Ausführungen auch dazu noch etwas sagen.
Sie wollen den Eindruck erwecken, als wendeten sich die GRÜNEN gegen zivilen Katastrophenschutz. Das ist nicht der Fall.
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage?
Natürlich, den ganzen Vormittag.
Herr Kollege Such, würden Sie bitte folgendes noch einmal zur Kenntnis nehmen — und dann auch Ihre Meinung überdenken — : Wenn eine ursprünglich nur für den Zivilschutz vorgesehene Organisation jetzt eine gesetzliche Ermächtigung bekommt, bei zivilen Katastrophen tätig zu werden, dann widerspricht das Ihrer Behauptung, wir wollten mehr Zivilschutz machen. Vielmehr entspricht das der Tatsache, daß sogar Zivilschutzeinheiten künftig im Rahmen des Katastrophenschutzes Tätigkeiten wahrnehmen können, d. h. sie können auf Grund gesetzlicher Regelung bei zivilen Katastrophen helfen.
Herr Kollege, was Sie vortragen, ist sehr kompliziert. Genau das Umgekehrte ist der Fall. Hören Sie bitte meinen weiteren Ausführungen zu.
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SuchDann werden Sie feststellen, was wir darüber denken.
Die Organisationen erhalten mit diesem Gesetz Steine statt Brot oder allenfalls Brosamen vom Kuchen der kriegsbezogenen Aufwendungen vorgeworfen, deren Mitnutzung der Bund ihnen im Frieden wegen des Übungseffekts gestattet. Das ist der Punkt, Kollege. Mit diesem Konzept wird die Finanzierung der zunehmenden Aufgaben der Helferverbände nicht gesichert. Die gewohnten kleinlichen Streitereien um Kostenabgrenzungen werden nicht vermieden.Die GRÜNEN haben darum eine bedingungslose Beteiligung des Bundes an einer neuen Gemeinschaftsaufgabe „friedensmäßiger Katastrophenschutz " gefordert. Dieser Vorschlag ist von der Koalitionsmehrheit ebenso in den Wind geschlagen worden wie die seit fast zehn Jahren erhobenen Einwände gegen zentrale Punkte dieses Entwurfs und seiner Vorgänger. Abgetan wurden die grundsätzliche Kritik von DGB bis Datenschutzbeauftragten, von Ärztekammern bis zu kirchlichen Organisationen.
Vergessen sind bei der FDP auch einstige große Worte vom Aprilscherz, Kollege Lüders, den man verhindern werde. Liberales Umfallen sind wir aber inzwischen reichlich gewohnt.Im vollen Bewußtsein, daß in diesem Haus regelmäßig nur noch Fraktions- bzw. Koalitionskonformität regiert, möchte ich Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, trotzdem ermuntern, heute in eigener Verantwortung abzustimmen und dabei folgende zentrale Einwände noch einmal zu berücksichtigen.
Herr Abgeordneter, können Sie zum Schluß kommen?
Ich bin laufend unterbrochen worden. Ich möchte Sie bitten, meine letzten drei Sätze noch vortragen zu können.
Herr Abgeordneter, ich habe Sie pflichtgemäß gefragt, ob Sie die Zwischenfragen zulassen.
Sie haben mir gesagt, daß das nicht von der Redezeit abgerechnet wird.
Das mache ich auch so.
Ich habe den Eindruck, daß das von der Redezeit abgerechnet wurde.
Nein, der Eindruck, den Sie haben, ist falsch.
Lassen Sie mich dann bitte meinen letzten Gedanken noch zu Ende führen. Ich habe den Eindruck, daß meine Redezeit hier erheblich beschnitten worden ist, aber ich will Ihnen nichts unterstellen.
Herr Präsident, meine Damen und Herren, falls sich heute trotz alledem die Unvernunft durchsetzt und das Katastrophenschutzergänzungsgesetz angenommen wird, kündige ich hier schon an, dessen juristisch zum Teil abenteuerliche Passagen per Normenkontrolle in Karlsruhe überprüfen zu lassen.
Ich danke Ihnen, meine Damen und Herren.
Ich erteile das Wort dem Parlamentarischen Staatssekretär Herrn Spranger.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich freue mich, daß nach einem sehr schwierigen, fast acht Jahre anhaltenden Abstimmungsprozeß heute die vorliegenden Gesetze verabschiedet werden können, und zwar, Herr Kollege Nöbel, im Einvernehmen mit den Hilfsorganisationen. Deren Zustimmung ist verständlich; denn ihre Rechtspositionen werden verbessert.Ich darf daran erinnern, daß ihre Mitwirkung in den staatlichen Hilfeleistungssystemen auf eine rechtlich und finanziell gesicherte Grundlage gestellt und ihr Sachverstand in die in staatlicher Kompetenz verbleibende Führung der Katastrophenbekämpfung eingebunden werden.
Ich darf anmerken, daß die Organisationen nun auch ein gesetzliches Anhörungsrecht bei der Vorbereitung allgemeiner Regelungen des Bundes sowie ein Mitspracherecht in dem Katastrophenbeirat, der in Zukunft den Bundesminister des Innern in Angelegenheiten des Katastrophenschutzes beraten soll, erhalten.Ich möchte im übrigen die Gelegenheit nutzen, diesen Organisationen gegenüber, die in den letzten Wochen bei der Betreuung der Übersiedler aus der DDR ganz Hervorragendes geleistet haben, hier Dank und Anerkennung zum Ausdruck zu bringen.
Herr Kollege Nöbel, gerade deswegen bedaure ich, daß Sie durch Ihre Ablehnung praktisch auch eine Verbesserung der Rechtsstellung nicht akzeptieren, die gerade nach den Erfahrungen der letzten Wochen doch notwendig und sinnvoll erscheint.
— Man muß sich entscheiden. Ihre Ablehnung bedeutet eben eine Absage an diese Besserstellung.
Das bedauern wir.Ich stelle fest, daß die vorgesehenen Ergänzungen die Strukturen des Gesetzes unberührt lassen. Schwerpunkte sind zum einen eine dem Katastrophenschutzrecht der Länder nachgebildete persönli-
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Parl. Staatssekretär Sprangerche Hilfeleistungspflicht. Herr Kollege Nöbel, wenn Sie diese als verfassungswidrig kennzeichnen, sage ich Ihnen: Alle SPD-regierten Länder haben gleiche Regelungen. Wenn Ihr Vorwurf zuträfe, müßten Sie sofort solche Regelungen beseitigen. Das zeigt, daß Ihr Argument nicht zwingend erscheint.Eine weitere Lücke soll durch die Einbeziehung des Gesundheitswesens in die Katastrophenschutzplanung geschlossen werden. Hier hat vor allem das tragische Flugzeugunglück auf dem Flughafen in Ram-stein gezeigt, daß eine wirksame Hilfe in Unglücksfällen die rechtzeitige Einbeziehung der stationären Einrichtungen des Gesundheitswesens voraussetzt.Ich darf daran erinnern, daß in der öffentlichen Anhörung des Innenausschusses am 6. Oktober fast alle angehörten Verbände und Organisationen den Gesetzentwurf begrüßt haben und für seine baldige Verabschiedung eingetreten sind. Daß das so lange gedauert hat, lag sicherlich nicht an der Bundesregierung. Die dort erhobenen Einwände treffen nicht den Kern.Solange in einer Katastrophe den betroffenen Menschen geholfen werden kann, haben diese Menschen einen Anspruch darauf, daß der Staat die Hilfe rechtzeitig im Rahmen seiner Möglichkeiten organisiert. Niemand hat das Recht, anderen eine derartige Hilfe zu verweigern.
Das gilt auch für den hoffentlich nie eintretenden Fall eines militärischen Konflikts. Alle zivilisierten Staaten in Ost und West sehen es auch für diesen Fall als ihre humanitäre Aufgabe an, der Bevölkerung im Rahmen des Möglichen Schutz und Hilfe zu gewähren.Ich freue mich, daß diese Bewertung auch von denjenigen geteilt wird, denen die Hilfeleistung obliegt, und zwar von den Hilfsorganisationen, der Bundesärztekammer, der Deutschen Gesellschaft für Katastrophenschutzmedizin, dem Verband der niedergelassenen Ärzte, dem Verband der Ärzte des öffentlichen Gesundheitswesens, der Deutschen Krankenhausgesellschaft und auch den Kirchen.Ich verwahre mich ganz entschieden dagegen, daß derartige Vorsorgeplanungen — es ist vorhin schon erwähnt worden — als Kriegsvorbereitung oder Störung des Entspannungsprozesses diffamiert werden.
— Sie haben es nicht gesagt, aber die Kreise, die das tun, sind heute schon angesprochen worden.Derartige Vorsorgeplanungen stehen im Einklang mit dem humanitären Völkerrecht, insbesondere mit den Zusatzprotokollen zu den Genfer Rotkreuzabkommen. Durch derartige humanitäre Maßnahmen wird überhaupt niemand bedroht. Die Zusatzprotokolle gehen davon aus, daß alle Vertragsstaaten die möglichen und erforderlichen Maßnahmen zum Schutz der Zivilbevölkerung in einem Konfliktfall treffen. Wer die Ratifizierung der Zusatzprotokolle fordert — wenn ich es richtig sehe, tun dies ja alle Fraktionen dieses Hauses —, zugleich aber jede nationale Schutzvorkehrung ablehnt, handelt unglaubwürdig.Ich bedaure es deswegen außerordentlich, daß die SPD-Bundestagsfraktion das Katastrophenschutzergänzungsgesetz ablehnt. Ich bedaure das deshalb, Herr Kollege Nöbel, weil hier im Grunde wieder ein Stück früherer gemeinsamer Politik aufgegeben wird.
Im Godesberger Programm stand ja noch ausdrücklich,
daß Sie sich zum Schutz der Bevölkerung in einem Konfliktfall bekennen.
Aber Sie sagen zu Recht: Die Zeiten haben sich offenbar geändert — leider.Das gleichfalls vorliegende THW-Helferrechtsgesetz soll die Bundesanstalt Technisches Hilfswerk auf eine gesetzliche Grundlage stellen und kommt damit einer Forderung der Verwaltungsgerichte nach. Das THW hat sich in seiner fast 40jährigen Geschichte zu einer unverzichtbaren Katastrophenschutzorganisation entwickelt, auf die Länder und Gemeinden in Katastrophen- und Unglücksfällen immer wieder zurückgreifen, und zwar in immer stärkerem Maße. Auch im Ausland, zuletzt um die Jahreswende in Armenien, hat sich das THW ganz hervorragend be- währt und einen ausgezeichneten Ruf erworben.Durch das Gesetz soll das THW eine gesicherte Zukunft erhalten.Ich bitte Sie deshalb, beiden Gesetzen im Interesse eines besseren Schutzes unserer Bevölkerung zuzustimmen.Vielen Dank.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Wüppesahl.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es wurde ein interessanter Widerspruch zwischen Herrn Such und Herrn Gerster offenbar. Herr Gerster hat mit sehr viel Geschick geglaubt, es verstehen zu können, uns weiszumachen, daß das THW jetzt quasi eine zivile Einrichtung geworden ist, weil es eine gesetzliche Ermächtigung erhalten hat,
auch im normalen Katastrophenschutz eingesetzt zu werden.Herr Gerster, genau das ist ja unsere Kritik! Das THW ist ausschließlich für den Zivilschutz geschaffen worden. So lauten auch seine Tätigkeitsbeschreibung und die Zuständigkeitsregelung. Jetzt wird mit einem politischen Husarenritt das THW, weil Sie intern — Sie sind ja beim THW sehr engagiert — erhebliche Motivationsprobleme haben, auch für den Katastrophenschutz eingesetzt. Das genau ist der Kern der Kri-
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Wüppesahltik, die hier vorhin von Herrn Such vorgetragen worden ist, und die können Sie auch nicht zur Seite wischen, genauso wenig wie die Kritik des Bundesrechnungshofs am THW.
Ich möchte hier meine Äußerungen aus der ersten Lesung nicht wiederholen. Sie haben sämtlich noch Bestand, auch was die Kritik des Bundesrechnungshofes betrifft.Ein wesentlicher Gesichtspunkt, unter dem das THW-Gesetz notwendigerweise abzulehnen ist, ist auch die politische Begründung, die Sie, Herr Nöbel, für die SPD-Fraktion zu beiden Gesetzentwürfen gegeben haben. Das ist der zweite hochinteressante Widerspruch, den der heute ausnahmsweise fit auftretende Herr Gerster aufgetan hat.
— Ich weiß das, Herr Nöbel, aber das ändert nichts an der Bestimmung des THW.Die Lösung dieses Problems — das müßte doch auch für Sie, für die Kollegen in der SPD-Fraktion, recht einfach sein — ist doch die Feuerwehr. Sie sprechen doch genauso wie ich mit Einsatzkräften, die auf lokaler Ebene angesiedelt sind.
Sie hören doch ständig, das THW habe immer die beste Sahne an Gerät und Ausstattung; das sagen Ihnen alle bei der Feuerwehr. Es ist überhaupt kein Problem — auch mit den Einsatzführern bei der Feuerwehr bekommen Sie schnell Konsens —, diese Einsatz- und Bergungszüge des THW in die Feuerwehr zu überführen.
Dann haben Sie den ganzen Kladamadatsch, den Sie so vehement politisch bekämpft haben, Herr Nöbel, nämlich Zivilschutz — wie unsinnig der ist etc. pp. —, weg, organisatorisch, institutionell aufgelöst. Mit diesem Widerspruch gehen Sie als SPD-Fraktion in die Abstimmung. Den werden Sie dann auch bei den Organisationen draußen vertreten müssen.Die historische Sehnsucht der Unionsparteien, Herr Hirsch — und da ist die FDP wirklich auf die Schleimspur gekrochen — , nach einer Zivilschutzdienstpflicht hat das BMI zu einer in der Tat systematisch völlig verfehlten Vorschrift veranlaßt, die angesichts der bereits angemeldeten grundsätzlichen Kritik nur mit einem politisch-juristischen Husarenritt durchgesetzt werden konnte. Daran ändert auch nichts die Tatsache, daß das Parlament feststellen soll, ob alle Bürger oder Teile der Bürger der Zivilschutzdienstpflicht unterliegen. Sie wissen mit Ihrer langjährigen parlamentarischen Erfahrung genauso oder noch besser als ich, wie die Verhältnisse in der Bundesrepublik aussehen würden, wenn wir einen solchen Spannungs- oder Kriegsfall tatsächlich eintreten ließen.
Herr Abgeordneter Wüppesahl, obwohl Ihre Redezeit abgelaufen ist, Sie aber Herrn Hirsch unmittelbar angesprochen haben, lasse ich Herrn Hirsch noch eine Zwischenfrage stellen. — Bitte schön.
Herr Kollege Wüppesahl, haben Sie wirklich nicht verstanden, daß hier nur dieselbe Regelung wie in den Katastrophenschutzgesetzen aller Länder getroffen wird, daß nämlich dann, wenn Helfer nicht mehr zur Verfügung stehen, jemand nur in einem konkreten Einzelfall zur Hilfe herangezogen werden kann, daß also nur das geschieht, was Sie normalerweise auch ohne gesetzliche Regelung machen würden, wie ich hoffe, so daß von einer Zivilschutzdienstpflicht überhaupt nicht die Rede sein kann? Haben Sie das wirklich nicht verstanden?
Ich bin anderer Auffassung als Sie, Herr Hirsch.
— Ich möchte es jetzt nicht polemisch zurückgeben, Herr Gerster, wer von uns was nicht verstanden hat, wie es dann tatsächlich in der Praxis aussähe. Es ist meines Erachtens so, wie ich es dargestellt habe. Es läuft faktisch auf eine Zivildienstpflicht hinaus.
Mein Schlußsatz, Herr Stücklen. Ich freue mich dennoch über die Rede von Herrn Nöbel, weil sie im Kern ein hohes Maß an Zusammenarbeit in der Innen- und Rechtspolitik mit einer grünen Fraktion möglich erscheinen läßt, auch wenn Sie den Widerspruch zu Ihrer Zustimmung zum THW-Gesetz nicht auflösen konnten.
Ich danke für die Aufmerksamkeit.
Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache.
Zur Abgabe einer persönlichen Erklärung nach § 31 der Geschäftsordnung erteile ich das Wort dem Herrn Abgeordneten Lüder.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Such, nachdem jetzt von seiten der Grünen, ich glaube, zum zweitenmal meine griffige, kritische Formulierung zu ersten Überlegungen zur Neufassung des Gesetzes gebracht worden ist, lege ich Wert auf die Feststellung, warum ich diesem Gesetz zustimme.Als Parlamentarier sehe ich es als meine Pflicht an, zu werten, abzuwägen, und habe die ersten Vorstellungen, die vor mehr als Jahr und Tag kamen, abgelehnt. Das Gesetz hat, wie wir heute in der Debatte erfahren haben, nicht zuletzt durch die Anhörung wesentliche Änderungen bekommen und meine Hauptkritikpunkte, die ich in der nachlesenswerten Erklärung gehabt habe, beseitigt. Ich respektiere die Veränderung des Gesetzentwurfes und ziehe daraus die Konsequenz, daß ich ihm zustimme. Nur wenn wir uns als Parlamentarier ernst nehmen, müssen wir vorneweg sagen können, wogegen wir sind, und müssen dann aber auch zustimmen, wenn diese Bedenken weg sind. Wir können nicht sagen: Weil wir einmal
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Lüdernein gesagt haben, müssen wir immer nein sagen, auch wenn etwas Besseres herausgekommen ist. Deswegen stimme ich hier zu.
Meine Damen und Herren, wir kommen nun zur Einzelberatung und Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf des Katastrophenschutzergänzungsgesetzes.
Ich rufe die Art. 1 bis 5 sowie Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung auf. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Keine Enthaltungen. Die aufgerufenen Vorschriften sind mit Mehrheit angenommen.
Wir treten in die
dritte Beratung
ein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Keine Enthaltungen. Der Gesetzentwurf ist in der dritten Beratung mit Mehrheit angenommen.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/5682. Wer stimmt für diese Entschließung? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei einer Enthaltung aus der Fraktion DIE GRÜNEN und der des fraktionslosen Abgeordneten Wüppesahl ist diese Entschließung abgelehnt.
Wir kommen jetzt zur Einzelberatung und Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines THW-Helferrechtsgesetzes.
Ich rufe die §§ 1 bis 7, Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung auf. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei vier Gegenstimmen und ohne Enthaltungen sind diese Vorschriften mit großer Mehrheit angenommen.
Wir treten in die
dritte Beratung
ein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Keine Enthaltungen. Bei vier Gegenstimmen ist dieser Gesetzentwurf in der dritten Beratung mit großer Mehrheit angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 5 auf:
Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verlängerung beschäftigungsfördernder Vorschriften
— Drucksache 11/4952 — Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung
— Drucksache 11/5654 —
Berichterstatter: Abgeordneter Feilcke
Meine Damen und Herren, im Ältestenrat ist vereinbart worden, für diesen Tagesordnungspunkt eine Aussprachezeit von 45 Minuten vorzusehen. — Das Haus ist damit einverstanden. Es wird so verfahren.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Feilcke.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir wollen heute das Beschäftigungsförderungsgesetz 1990 verabschieden, und das in einer Phase immer noch hoher Arbeitslosenzahlen; 1,8 Millionen sind entschieden zuviel. Aber wir wissen inzwischen alle, es gibt kein Patentrezept zur Lösung des Gesamtproblems. Wir brauchen viele Maßnahmen, wir brauchen aufeinander abgestimmte Maßnahmen. Eine wichtige, wirksame Regelung bietet dieses Gesetz. Es ist ein Baustein im Gesamtkonzept.
Deswegen plädieren wir für die Verlängerung beschäftigungsfördernder Vorschriften. — Der Zwischenruf zeigt, daß die gleichen Daten, die allen Fraktionen in den Ausschußberatungen vorgelegen haben, unterschiedlich interpretiert werden, zu geradezu gegensätzlichen Schlußfolgerungen führen können. Wir haben in den Beratungen des Ausschusses eine Studie des Wissenschaftszentrums beraten. Wir haben eine Sachverständigenanhörung durchgeführt.
— Die Studie lesen Sie so, wir lesen sie anders.
Wir kommen zu dem Schluß, daß wir dieses Gesetz heute verabschieden wollen, und bitten Sie, sich bei sachlicher Klärung tatsächlich so zu verhalten, wie die Sache und die Arbeitslosen es verdienen.
Übrigens sieht ja auch die Opposition positive Teilaspekte, kommt nur — trotz dieser positiven Sicht — zu einem negativen Ergebnis. Das muß man so bewerten und zur Kenntnis nehmen.Ich kann verstehen, daß es eine gewisse negative Grundeinstellung gegenüber Befristung von Arbeitsverträgen gibt. Aber man muß auch die positive Wirkung, den positiven Beschäftigungsaspekt sehen.
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13260 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 175. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. November 1989
FeilckeUnd bei sachlicher Betrachtung wird er ja auch zur Kenntnis genommen.
Übrigens hilft auch die gestern von der Hans-BöcklerStiftung vorgelegte Studie da überhaupt nichts. Sie kommt zu einem Ergebnis, das von der Stiftung sicherlich gewünscht wird; sonst hätte sie die Studie ja nicht gefördert.Meine Damen und Herren, zu einzelnen Punkten. Zwei Drittel aller bisher nach dem Beschäftigungsförderungsgesetz zustande gekommenen Arbeitsverträge sind in Dauerarbeitsplätze übergeleitet worden. Das bedeutet ein Plus von 150 000, Herr Dreßler. 150 000 zusätzliche Dauerarbeitsplätze sind schon eine erkleckliche Zahl. Allein das wäre schon ein Grund für die Verlängerung.
Der von Ihnen so beschworene Substitutionseffekt ist so gut wie überhaupt nicht feststellbar.Zweitens. Viele Vermittler bei den Arbeitsämtern haben uns erklärt, dieses Gesetz ermutigt Arbeitgeber, die mit Einstellungen noch zögern, sehr häufig, nun einzustellen, denn das Risiko eines Dauerarbeitsplatzes erscheint ihnen im Moment zu hoch zu sein bei unsicherer Auftragslage. Dieses Beschäftigungsförderungsgesetz führt zu schnelleren Neueinstellungen.Meine Damen und Herren, es ist doch einfach falsch, wenn in der Öffentlichkeit der Eindruck erweckt werden soll, die Alternative lautet: befristeter Arbeitsvertrag oder unbefristeter Arbeitsvertrag. Die Alternative lautet sehr häufig: befristeter Arbeitsvertrag oder überhaupt kein Arbeitsvertrag. Insofern sollten wir die richtige Entscheidung für die Arbeitslosen treffen.Die Wirkung für die Arbeitslosen war ein Punkt, der nicht nur im Ausschuß, sondern auch — das will ich hier einmal ausdrücklich sagen — innerhalb unserer eigenen Koalition und Fraktion eine Rolle gespielt hat: Welche Funktion hat dieses Gesetz eigentlich im Hinblick auf die Arbeitslosen? Wir müssen feststellen: Nach dem Beschäftigungsförderungsgesetz sind deutlich mehr vorher Arbeitslose eingestellt worden als in Dauerarbeitsverträge. 43,9 % der hierdurch eingestellten Arbeitnehmer waren vorher arbeitslos, während es im Durchschnitt nur 34,3 % sind. Für diese Arbeitslosen — so sagen wir — bedeutet dieses Gesetz eine Brückenfunktion beim Einstieg oder auch beim Wiedereinstieg in Dauerarbeitsverträge.Auch für schwer vermittelbare Arbeitnehmer — so die Aussagen von Arbeitsämtern — ist diese Möglichkeit oft die einzige Chance, wieder in das Berufsleben einzutreten.
Die Übernahmequote, Herr Kollege Dreßler, ist mit 56 % mehr als doppelt so hoch wie bei den sowieso möglichen befristeten Arbeitsverträgen von bis zu sechs Monaten. Wir haben es hier ja mit einem Gesetz zu tun, das die Befristung bis zu 18 Monaten ermöglicht.Ich sage ausdrücklich: Die Arbeitgeber machen von diesem Gesetz behutsam Gebrauch. Von allen befristeten Verträgen sind nur 7 % Verträge nach diesem Gesetz. Von Mißbrauch also keine Spur. Der verantwortungsbewußte Gebrauch widerlegt alle Mißbrauchsbefürchtungen oder Mißbrauchsvermutungen. Es ist eben kein Damm gebrochen, es gibt kein willkürliches „hire and fire" nach Herzenslust.Daß es eine prinzipielle Notwendigkeit für die Befristung von Arbeitsverträgen gibt, hat gestern bei der Vorstellung der Studie der Hans-Böckler-Stiftung Frau Brusis vom DGB zum Ausdruck gebracht.
Das alles zeigt doch, daß die Heftigkeit der Angriffe gegen dieses Gesetz in gar keinem Verhältnis zu seiner Bedeutung in der Praxis steht. Man hat fast das Gefühl: Hier wird mit ideologischen Kanonen auf nützliche Ameisen geschossen.Das gilt für den Vorwurf, hier werde der gesetzliche Kündigungsschutz unterlaufen, genauso wie für die These von der Entrechtung der Arbeitnehmer. Immerhin hat die SPD auch im Ausschuß konzediert: Die Rechte der Arbeitnehmer werden nicht rechtlich — das ist zwar in sich widersprüchlich, aber sie hat es so gesagt — sondern faktisch geschmälert.Die bei den Beratungen immer wieder durchscheinende Schwarz-Weiß-Malerei — schlechte Verträge sind die befristeten, die guten Verträge sind die unbefristeten — ist einfach falsch und wird auch von den Arbeitnehmern nicht geteilt.Im übrigen halte ich es für wichtig, auch hier einmal festzuhalten, daß es einfach keine Diskriminierung sein kann, wenn von allen Arbeitsverträgen, die im Laufe eines Jahres zustande kommen — im Jahr werden immerhin über 5 Millionen neue Verträge geschlossen; die Fluktuation ist gewaltig — , nur 46 % länger als ein Jahr laufen. Insofern ist doch die Möglichkeit der Befristung auf anderthalb Jahre keine Diskriminierung und keine rechtliche Schlechterstellung.
Befristete Arbeitsverträge sind kein Unglück. Übrigens, die meisten befristet Beschäftigten wünschen ausdrücklich einen Vertrag nach diesem Gesetz. Auch das ist in unseren Beratungen deutlich geworden.Es gibt kein Anzeichen dafür, daß es sich hier um ein Experimentierfeld für eine, wie es heißt, „ideologisch begründete Deregulierungsaktion" handelt. Das Beschäftigungsförderungsgesetz ist ein Gesetz, das diesen Namen ausdrücklich verdient, und es ist ein Teil eines Gesamtkonzepts einer behutsamen und insgesamt erfolgreichen Arbeitsmarktpolitik.Ein wichtiger Punkt bei der ursprünglichen Einführung dieses Gesetzes im Jahre 1985 war das Thema Überstunden. Nun wird gesagt: Heute haben wir ja immer noch viele Überstunden zu registrieren. — Das stimmt. Wir haben eine Beschäftigungslage wie noch nie zuvor. Wir haben Auftragsbestände wie noch nie
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Feilckezuvor. Wir haben 1,5 Millionen Menschen mehr in Arbeit als vor genau sechs Jahren.
Trotzdem werden immer noch viele Überstunden geleistet. Das heißt doch im Umkehrschluß: Gäbe es diese gesetzliche Möglichkeit nicht, dann gäbe es noch sehr viel mehr Überstunden.
Insofern hat dieses Gesetz auch im Hinblick auf die Überstunden eine heilsame Wirkung.Lassen Sie mich eine abschließende Bemerkung in Richtung auf Kollegen unserer eigenen Fraktion machen. Ich habe schon erwähnt, daß wir lange und intensiv in unserer Fraktion beraten haben. Wir haben — sicherlich auch bis zuletzt — unterschiedliche Positionen in Einzelfragen. Ich möchte den Kollegen — insbesondere dem Kollegen Scharrenbroich — hier ausdrücklich dafür danken, daß sie diesem Gesetz trotz ihrer Bedenken, die der Kollege Scharrenbroich hier noch zum Ausdruck bringen wird, eben wegen der vielen positiven Aspekte, die mit dem Gesetz, das heute verabschiedet werden soll, verbunden sind, ihre Zustimmung geben werden.Meine Damen und Herren, wir können davon ausgehen: Dieses Gesetz hat wichtige Impulse für den Arbeitsmarkt geliefert. Wir können und wir sollten nicht darauf verzichten.Ich bitte Sie um Zustimmung.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Weiler.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zur Verlängerung des sogenannten Beschäftigungsförderungsgesetzes gibt es höchst unterschiedliche Meinungen. Das war auch schon 1985 so, und daran hat sich auch nach der Anhörung, nach unseren Beratungen und vor allen Dingen nach der Studie des BMA nichts geändert. Das alte Gesetz war schon ein Etikettenschwindel, und das neue, die Verlängerung, ist es auch.
Die SPD ist gegen dieses Gesetz, weil es die Beschäftigung eben nicht gefördert hat.
— O nein, wir haben, wenn Sie sich erinnern, in der vorletzten Woche gemeinsam mit Ihnen ein Gesetz verabschiedet, wir haben mit Ihnen gestimmt, wir haben mit Ihnen zusammengearbeitet. Aber dieses Gesetz ist ein unsoziales Gesetz.
Gerade aus der Studie, die das Bundesministerium für Arbeit in Auftrag gegeben hat, kann man ersehen, daß das Gesetz keines der Ziele, die Sie 1985 erreichen wollten, erreicht hat.
)
Der Minister sprach 1985 von einem sogenannten Einstellungsschub, den man sich erhoffe und der durch die Zulassung der Befristung ohne sachlichen Grund eintreten werde. Das war, wie wir schon damals vermuteten, eine klassische Fehlprognose.
Das Wissenschaftszentrum Berlin — daran ist nicht zu deuteln, Herr Feilcke, auch nicht bei unterschiedlichen Positionen — hat ermittelt, daß es keinen rechenbaren Nettobeschäftigungseffekt gibt,
und das vor dem Hintergrund guter Konjunktur in dem Untersuchungszeitraum. Das Wissenschaftszentrum hat das in der Studie belegt und in der Anhörung auch noch einmal bekräftigt. Daran gibt es nichts zu deuteln.
In Zeiten guter Konjunktur hat das Gesetz — ich sage es einmal neutral — beschäftigungspolitisch weder genutzt noch geschadet. Auf die individuellen Auswirkungen komme ich noch zu sprechen. Nur, bei einem Konjunkturabschwung, der ja auch wieder einmal eintreten könnte, wird der höhere Anteil befristeter Beschäftigung dazu führen, daß der Personalabbau schneller durchgesetzt werden kann. Deshalb ist dieses Gesetz tatsächlich ein Gesetz zur Förderung des Personalabbaus, salopp gesagt ein Entlassungsförderungsgesetz.
In der öffentlichen Anhörung haben Sachverständige von seiten der Arbeitgeber klipp und klar erklärt, das Gesetz werde dazu benutzt, Sozialplankosten zu umgehen und die Probezeit auszudehnen.
Die schrankenlose Zulassung der Befristung von Arbeitsverhältnissen ohne sachlichen Grund hat eben nicht dazu geführt, Überstunden abzubauen. Auch insofern ist das von Ihnen angegebene Ziel nicht erreicht worden. Sicher, wir haben alle kein Patentrezept, um die Arbeitslosigkeit abzubauen. Nur, dieses Gesetz ist kontraproduktiv.
Eine Möglichkeit, etwas zu verändern, wäre z. B. ein Arbeitszeitgesetz, um die massiven Überstunden abzubauen. Die Umverteilung von Überstunden durch ein neues, fortschrittliches Arbeitszeitgesetz wäre ein Baustein, um die Massenarbeitslosigkeit abzubauen.
Sie gestatten eine Zwischenfrage?
Ja.
Bitte sehr, Herr Abgeordneter Feilcke.
Frau Kollegin, in allem Ernst gefragt: Können Sie sich bei der hohen Zahl von neu
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Feilckein die Bundesrepublik komenden Arbeitnehmern, insbesondere Flüchtlingen, Übersiedlern und Aussiedlern, vorstellen, daß bei der Eingliederung dieser Menschen in den Arbeitsmarkt ein solches Gesetz eine Hilfe sein kann?
— Frau Kollegin, ich habe Sie wirklich sehr ernsthaft gefragt. Lassen Sie sich von Ihren Kollegen nicht irritieren.
Ich werde Ihnen eine ernsthafte Antwort darauf geben. Wir haben das ja schon einmal im Ausschuß debattiert, Herr Feilcke. Wir haben Ihnen schon damals gesagt: Es ist natürlich eine Heuchelei, wenn Sie auf einmal behaupten, daß Sie dieses Gesetz wegen der Übersiedler, die jetzt kommen, gemacht hätten.
Sie haben dieses Gesetz 1985 eingeführt; von daher ist das nicht richtig.
Die Übersiedler, die jetzt kommen und die in den letzten Wochen gekommen sind und bei uns bleiben wollen, wollen sich hier eine Zukunft und eine Existenz aufbauen, und zwar eine langfristige. Diese brauchen eine andere Unterstützung, die sie durch Qualifizierungsmaßnahmen und Anpassung an den westdeutschen Arbeitsmarkt bekommen.
Das bekommen sie; aber nicht durch dieses Gesetz, sondern durch Arbeitsförderungsmaßnahmen.
Ich will auf einen wichtigen Punkt zurückkommen, wo Sie etwas ändern können — Sie haben mich da soeben unterbrochen — : Das wäre ein modernes Arbeitszeitgesetz. Durch Überstundenabbau könnten, wenn wir das ordentlich in den Griff bekämen und wenn Sie bereit wären, da etwas zu tun, vorsichtig gerechnet immerhin 200 000 neue Arbeitsplätze geschaffen werden.
Die SPD lehnt das Gesetz ab, weil damit der allgemeine Kündigungsschutz, aber auch der besondere Kündigungsschutz der Schwerbehinderten, der werdenden und jungen Mütter und der Wehrpflichtigen unterlaufen wird. Nach unserer Meinung muß der Kündigungsschutz ungeschmälert erhalten bleiben. Er ist kein Einstellungshemmnis, wie gesagt wird, sondern er ist einer der Eckpfeiler menschenwürdigen Arbeitslebens.
Für die Unternehmen, die schwankende Auftragslagen haben und daher eine gewisse Flexibilisierung brauchen, ist nach bisherigem Recht die mögliche Befristung von Arbeitsverträgen bis zu sechs Monaten und darüber hinaus bei Vorliegen sachlicher Gründe gewährleistet. Dazu haben wir gestanden: Wenn
sachliche Gründe vorliegen, sind wir auch damit einverstanden.
Aber dieses Gesetz müssen wir ablehnen, weil befristete Arbeitsverträge ohne sachlichen Grund in den Betrieben zu einer Zweiklassengesellschaft führen. Die Sachverständigen aus den Gewerkschaften und Betrieben haben deutlich gemacht, daß sehr wohl, Herr Scharrenbroich — auch das haben Sie mich in der ersten Lesung gefragt —, ein Unterschied in der Lebensperspektive vorhanden ist, einen befristeten Vertrag bis zu 18 Monaten oder einen unbefristeten Vertrag zu haben, mit dem man seine Existenz und Lebensplanung sichern kann.
Frau Abgeordnete, Sie gestatten eine weitere Zwischenfrage?
Ja.
Bitte sehr, Herr Scharrenbroich.
Frau Kollegin Weiler, daß Sie Bedenken gegen die Verlängerung des Instruments der befristeten Arbeitsverträge haben, kann ich ja verstehen. Aber wenn Sie sagen: Wir lehnen das Gesetz ab, dann habe ich die Frage, wie Sie es verantworten können, daß Sie damit gleichzeitig ablehnen, daß erstens die Zahlung von Kurzarbeitergeld nicht mehr verlängert werden soll, daß zweitens die Förderung von Arbeitslosen unter 25 Jahren in berufsvorbereitenden Bildungsmaßnahmen nicht mehr möglich sein soll, daß drittens die Teilnahme Arbeitsloser unter 25 Jahren an Vorbereitungslehrgängen zum nachträglichen Erwerb des Hauptschulabschlusses nicht mehr möglich sein soll usw. Das alles sind Verbesserungen im Sinne der Arbeitnehmer und der Arbeitslosen. Wie können Sie es verantworten, daß Sie das alles ablehnen?
Nein. — Herr Scharrenbroich, zu den wenigen Punkten dieses Gesetzes, die die SPD unterstützt und bejaht, komme ich noch am Ende meiner Rede.
— Ja, sicher, weil Sie dummerweise alles in dieses Gesetz hineingepackt haben, statt in den Punkten, wo es Fortschritt bedeutet, eine separate Sache zu machen, wo wir hätten zustimmen können. Sie wissen, wir haben im Ausschuß einigen dieser Punkte zugestimmt. Warum wir zugestimmt haben und was wir Ihnen vorwerfen, dazu komme ich jetzt noch.Ich habe ausgeführt, daß wir in diesem Gesetz ein ganz großes Problem sehen, weil es eine Zwei-Klassen-Gesellschaft in den Betrieben einführt. Wir wissen von den Betroffenen, die wir in der Anhörung gehört haben, daß die befristet Eingestellten dies subjektiv auch so empfinden. Die Ungewißheit, ob man übernommen wird, ob man bleiben kann, führt zu Belastungen und führt auch zu Verhaltensänderungen in unserem Sozialsystem, die auch Sie eigentlich nicht gutheißen könnten. Wer sich in den Betrieben
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Frau Weilerumhört, weiß, daß selbst Kranke aus Angst vor Verlust des Arbeitsplatzes oder Nichtübernahme nicht zum Arzt gehen oder z. B. keine Kuren beantragen. Es ist eine Tatsache, daß Arbeitnehmerinnen, die während der Laufzeit eines befristeten Vertrages schwanger werden, keine Chance haben, übernommen zu werden. Es ist eine Tatsache, daß durch die Befristung selbst der besondere Kündigungsschutz der Schwerbehinderten ins Leere läuft. Es ist auch eine Tatsache — das müßte Ihnen besonders zu denken geben —, daß befristet Beschäftigte eben nicht in die betrieblichen Bildungs-, Weiterbildungs- und Qualifizierungsmaßnahmen einbezogen werden, weil es sich für die Unternehmer eben nicht rentiert.Wir haben in der Anhörung gehört, daß es Betriebe, spezielle Branchen gibt, die überhaupt nur noch befristet einstellen. Betroffen sind davon hauptsächlich wieder einmal Frauen.Das Gesetz hat das Heuern und Feuern begünstigt; das wollen Sie nun fortsetzen. Das Wissenschaftszentrum Berlin hat festgestellt, daß in der Privatwirtschaft jede dritte Neueinstellung befristet abgeschlossen wird und — ich denke, eine besonders problematische Sache — im öffentlichen Dienst sogar jede zweite.
— Das hat das WZB so konkret nicht erwähnt.Zielgruppe für diese arbeitsrechtliche Schlechterstellung sind die Geringqualifizierten und die Berufsanfänger. Der Abbau von Arbeitnehmerschutzrechten schafft keine Beschäftigung. Wir halten es für völlig falsch, das Arbeitsrecht zum Experimentierfeld ideologisch begründeter Deregulierungsaktivitäten zu machen. Für die Arbeitnehmerinnen und die Arbeitnehmer ist eine langfristige Stabilität ihrer arbeitsrechtlichen Bedingungen unverzichtbar. Ich meine, auch für die deutschen Unternehmen, denn ein Wettlauf auf Unternehmerseite, durch schlechtere Arbeitsbedingungen die Konkurrenz zu unterbieten, ist alles andere als ein Ruhmesblatt für die deutsche Wirtschaft. Selbst in den USA, meine Kolleginnen und Kollegen, dem Musterland des Kapitalismus, wird die Flexibilisierung der Arbeitsmärkte nicht mehr so problemlos gesehen. Auch da werden die Gefahren gesehen, die wir hier erfahren haben: der hohe Grad an wirtschaftlicher Unsicherheit für Teilzeitkräfte, die mögliche Zunahme der Arbeitslosenrate in einer Rezession und auch die Abneigung der Arbeitgeber, Weiterbildungen für diese Beschäftigungsgruppen anzubieten.Es gibt auch einige wenige positive Punkte in diesem Gesetz, die auch aus SPD-Sicht positiv zu beurteilen sind. Dazu gehören z. B. — damit komme ich zu dem, was Herr Scharrenbroich zum Teil aufgeführt hat; das haben wir in der Ausschußberatung auch erwähnt — die besonderen Förderungsbedingungen für Arbeitslose unter 25 Jahren zum nachträglichen Erwerb des Hauptschulabschlusses, die beruflichen Bildungsmaßnahmen im Teilzeitunterricht, also die Kombination von Arbeit und Lernen, und die Förderungsmaßnahmen für Berufsrückkehrerinnen. Aber warum, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU und FDP, hier dann nur befristete Regelungen? Wenn wir das für nötig halten — ich denke, das wird noch über lange Zeit notwendig sein — : Warum haben Sie das Gesetz dann nicht so formuliert und umgeändert, daß dort eine Entfristung kommt, denn diese Maßnahmen sind auf Dauer notwendig?Warum wurde die Zahlung von Kurzarbeitergeld in sogenannten Einsatzbetrieben nur befristet geregelt? Die Ausdehnung dieser Regelung auf alle Wirtschaftsbereiche, die Umstrukturierungsprobleme haben, haben wir schon vor Jahren gefordert; dafür sind wir auch. Warum haben Sie diese positive Regelung wieder nur für einige Jahre vereinbart? Sie hätten ohne Mühe unserem Antrag im Ausschuß zustimmen können.Ein besonders trauriges Kapitel sind die Änderungen im Schwerbehindertenrecht. Sie schreiben die automatische Mehrfachanrechnung von schwerbehinderten Auszubildenden fort, obwohl doch nach Ihrer eigenen Feststellung die Situation auf dem Ausbildungsstellenmarkt besser geworden ist. Noch im parlamentarischen Verfahren haben Sie erneut die Nichtberücksichtigung der Ausbildungsplätze bei der Berechnung der Zahl der zu beschäftigenden Schwerbehinderten in das Gesetz gebracht.
Sie tun in diesem Gesetz genau das Gegenteil von dem, was wir brauchen. Mit der Novellierung des Schwerbehindertengesetzes im Jahre 1986 wurde beabsichtigt, die Chancen der Schwerbehinderten zu verbessern. Nur wissen Sie alle, der Anteil arbeitsloser Schwerbehinderter hat sich seit 1987 erhöht, und 130 000 arbeitslos gemeldeten Schwerbehinderten stehen 287 000 Pflichtplätze gegenüber. Sie wissen auch, daß bundesweit rund 30 % aller beschäftigungspflichtigen Arbeitgeber keinen einzigen Schwerbehinderten beschäftigen.Allen Experten ist klar: Die Ausgleichsabgabe für jeden nicht besetzten Beschäftigungspffichtplatz erfüllt nicht mehr die Antriebs- und Ausgleichsfunktion, für die sie gedacht war. Wir hatten im Ausschuß gefordert: Wir wollen die Ausgleichsabgabe auf 400 DM anheben. Ihr Kollege Regenspurger, der Sprecher für die Behinderten, hat gesagt, daß zumindest 200 DM notwendig wären, um eine normale Dynamisierung zu gewährleisten. Sie haben uns erzählt, die CDU habe ein großes Papier zur Verbesserung der Lage der Schwerbehinderten gemacht. Ich muß Ihnen sagen: Ich habe Verständnis dafür, daß Sie einen Parteibeschluß
oder einen Arbeitsgruppenbeschluß nicht innerhalb von zwei Monaten in ein Gesetz einbringen können, aber daß Sie dann mit diesem Gesetz eine Verschlechterung der Lage der arbeitslosen Schwerbehinderten in Kauf nehmen, läßt Ihr Papier als Makulatur erscheinen.
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Frau WeilerDie SPD lehnt dieses Gesetz ab, weil damit nicht die Beschäftigung, sondern der schnellere Personalabbau gefördert wird. Wir brauchen notwendigerweise die Förderung der Beschäftigung z. B. durch den Ausbau von Qualifizierungsmaßnahmen. Wir werden zu dem Punkt heute noch kommen. Sie haben die Qualifizierungsmaßnahmen massiv abgebaut; die Eintritte in Fortbildung, Umschulung und Einarbeitung liegen inzwischen um 70 000 unter dem Vorjahresniveau. Notwendig wäre die Verkürzung der Arbeitszeit.Noch zu einem Punkt zur Arbeitszeit: Das Arbeitsvolumen hat sich eben nicht erhöht. Sie können noch so oft sagen, daß sich die Zahl der Arbeitsplätze erhöht hat; wenn Arbeitsplätze von Ganztagsplätzen in Halbtagsplätze oder in Plätze mit noch kürzeren Arbeitszeiten umgewandelt werden, darin ist das Arbeitsvolumen insgesamt nicht erhöht worden, und um den Punkt geht es hier.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ja.
Herr Abgeordneter Feilcke, bitte.
Frau Kollegin, ist Ihnen bekannt, daß von den zusätzlichen Arbeitsplätzen 70 Vollzeit- und nur 30 % Teilzeitarbeitsplätze sind?
Nein.
— Ich will damit gleich abschließen. Herr Feilcke, das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesanstalt für Arbeit hat uns eine Unterlage zur Verfügung gestellt, die beweist, daß das Arbeitsvolumen nicht höher geworden ist.
Das ist das Entscheidende für jede Partei, für jede Fraktion hier im Bundestag: Wenn wir eine Massenarbeitslosigkeit von über 2 Millionen haben, dann müssen wir alles daransetzen, das Arbeitsvolumen zu erhöhen, um es diesen Menschen zu ermöglichen, wieder Arbeit zu bekommen. Da nutzt es überhaupt nichts, Ganztagsarbeitsplätze zu splitten, um dann hinterher groß zu behaupten, es wären mehr Arbeitsplätze.
Das ist eine Heuchelei,
und das ist auch eine Verdrehung der Tatsachen.
Die SPD wird den Gesetzentwurf ablehnen, weil wir dieses Gesetz für unsozial und in keiner Weise richtig halten.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Heinrich.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die letzten Ausführungen der Frau Kollegin Weiler veranlassen mich, doch noch einmal Zahlen ins Gedächtnis zu rufen, die offensichtlich immer noch nicht verstanden werden.
Hinzufügen möchte ich, daß sich nicht von ungefähr die finanzielle Situation unserer Sozialversicherungsträger verbessert. Und jetzt frage ich Sie: Warum denn wohl?
Ich sage hier ganz deutlich: Mit fast 28 Millionen Erwerbstätigen hat die Beschäftigung ihren Höchststand seit Gründung der Bundesrepublik Deutschland erreicht.
Mit 1,9 Millionen Arbeitslosen verzeichnen wir den niedrigsten Stand seit Oktober 1981. Und die Zahl der offenen Stellen hat mit über 300 000 den höchsten Stand seit 1979 erreicht, die Zahl der Kurzarbeiter mit knapp 50 000 den niedrigsten Wert seit 1972.
Positive Ergebnisse können wir bei der Jugendarbeitslosigkeit und auch bei älteren Arbeitslosen über 59 Jahren verzeichnen. Meine Damen und Herren von der SPD, nehmen Sie doch einmal zur Kenntnis, in welcher Richtung Sie hier in einer statischen Art und Weise diskutieren, die einfach den Bedürfnissen der Arbeitsmarktsituation nicht gerecht wird.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte sehr.
Bitte sehr, Frau Beck-Oberdorf.
Herr Heinrich, ist Ihnen bekannt, daß die Zahl der Sozialhilfeempfänger stetig steigt und jetzt über 3 Millionen liegt; und wie erklären Sie sich diese Zahl?
Lassen Sie mich doch eine Antwort geben!
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 175. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. November 1989 13265
HeinrichWenn Sie hier im Kontext dieser Beratung die Zahl der Sozialhilfeempfänger dagegenstellen, muß ich Ihnen sagen: Sie haben wohl das Gesetz nicht kapiert.
Sie haben wohl nicht kapiert, was hier unternommen werden soll, nämlich die Möglichkeit, Beschäftigungsverhältnisse wenn nicht auf Dauer, so doch wenigstens befristet zu schaffen. Ich glaube, daß ist ein deutliches Zeichen, daß Sie noch etwas tiefer in die Materie einsteigen müssen.
Um dieses erfreuliche Ergebnis, das ich soeben mit Zahlen belegt habe, in seiner vollen Tragweite würdigen zu können, muß man darüber hinaus berücksichtigen, daß der Arbeitsmarkt in den letzten Monaten den gewaltigen Zustrom von Aus- und Übersiedlern zusätzlich zu verkraften hatte. Wir können also mit dieser Entwicklung zufrieden sein. Wir lehnen uns aber nicht zurück. Es muß vielmehr zweifellos Zusätzliches getan werden, um die nach wie vor hohe Zahl von Arbeitslosen weiter zu verringern.
Die Verlängerung des Beschäftigungsförderungsgesetzes, das wir heute in zweiter und dritter Lesung beraten, ist ein weiterer Mosaikstein auf dem Weg dorthin. Er fügt sich nahtlos in unsere marktwirtschaftliche Gesamtkonzeption
von Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit ein.
— Ich verstehe Ihre Aufregung überhaupt nicht. Wahrscheinlich sind die Argumente zu gut für Sie.
Wir erwarten von der Verlängerung des Beschäftigungsförderungsgesetzes, insbesondere von der Verlängerung der Möglichkeiten zum Abschluß befristeter Arbeitsverträge ohne sachlichen Grund weiß Gott keine Wunderdinge. Aber das Gesetz hilft dort, wo es meines Erachtens besonders nötig ist.
Es gilt, zeitweiligem Arbeitskräftemangel zu begegnen und bei zusätzlichem Personalbedarf, dessen Dauer etwa bei Unsicherheit über die künftige Auftragslage noch nicht absehbar ist, trotzdem Einstellungen vornehmen zu können.Im übrigen kann auf diese Weise auch die Zahl der Überstunden reduziert werden. Denn mehr als die Hälfte der Betriebe, liebe Kolleginnen und Kollegenvon der Opposition, hat bei einer Befragung das Befristungsmotiv zur Vermeidung von Überstunden angegeben. Das stützt unsere Meinung; das sagen ja die Betriebe. Nehmen Sie das doch zur Kenntnis!
Schließlich — diesen Aspekt sollte man nicht vernachlässigen — hat das Beschäftigungsförderungsgesetz zu einer erhöhten Rechtssicherheit beim Abschluß befristeter Arbeitsverträge geführt.Alles in allem meine ich, daß sich das Beschäftigungsförderungsgesetz bewährt hat.Positiv hebe ich an der Neuregelung die Kollegenhilfe im Handwerksbereich hervor. Hier haben wir eine Regelung geschaffen, die Betrieben mit weniger als 20 Beschäftigten unbürokratisch Arbeitnehmerüberlassung im selben oder im benachbarten Kammerbezirk bis zur Dauer von drei Monaten ermöglicht.
Die Kritik der Gewerkschaften und der Opposition ist mir im Grunde genommen unverständlich. Eines der zentrale Argumente lautet, die Einrichtung von befristeten Arbeitsplätzen sei zu Lasten von Dauerarbeitsplätzen gegangen. Ich frage mich, Frau Kollegin Weiler: Woher weiß die Opposition, daß das so ist? Möglicherweise hätte sich auch nur die Zahl der Überstunden vergrößert, und wir hätten jetzt 150 000 Arbeitslose mehr. Ich kann nur sagen: Lieber befristet in Arbeit, als unbefristet arbeitslos.
Die Kritik der Opposition geht an der Sache vorbei. Lassen Sie mich das an einem Beispiel deutlich machen: Wir sagen — 80 % der Betriebe sehen es genauso — , daß sich die längere Erprobungszeit positiv auf eine eventuell sich anschließende unbefristete Beschäftigung auswirken kann.
Das geltende Recht reicht häufig nicht aus, den Betrieben die notwendige Flexibilität zu ermöglichen. Es wirkt sich eher hemmend gegenüber Neueinstellungen aus.Aber es wäre wohl nicht das erste Mal, daß Gewerkschaften und Opposition gegen die Interessen von Arbeitnehmern handeln. Schaut man sich einmal Umfrageergebnisse, z. B. die der Deutschen Angestelltengewerkschaft, zur Frage der Arbeitszeitverkürzung an — Frau Kollegin Weiler, Sie haben es angesprochen; ich möchte deshalb darauf eingehen —, so stellt man fest, daß sechs von zehn der Befragten zur Zeit eine weitere Arbeitszeitverkürzung nicht wünschen.
Dennoch gehören weitere Arbeitszeitverkürzungen zu den zentralen Verhandlungspunkten der Gewerkschaft für die nächste Tarifrunde,
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Heinrichwohlwissend, daß dadurch die Schere am Arbeitsmarkt, d. h. Facharbeitermangel einerseits und Arbeitskräfteüberschuß auf der anderen Seite, insgesamt eher noch vergrößert wird.Ich meine, diese Tatsachen sprechen für das Gesetz. Sie selber haben einige Punkte angedeutet, denen Sie zustimmen könnten. Ich würde sagen: Gehen Sie noch einmal in sich — Sie haben noch Zeit bis zur dritten Lesung —, um dann abschließend zuzustimmen.Herzlichen Dank.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Beck-Oberdorf.
Herr Kollege Heinrich, wenn Sie sich immer so gegen die Arbeitszeitverkürzung wenden, dann möchte ich Sie einmal fragen — Sie sind Mitglied einer Koalition, die sich immer vehement für die Familie ausspricht — : Wie stellen Sie sich das eigentlich vor, wenn die Männer weiterhin acht bis zehn Stunden am Tag nicht zu Hause sind? Dann sagen Sie doch bitte offen, daß Sie die ganze Familienarbeit den Frauen zuschieben wollen, oder anerkennen Sie, daß eine tägliche Arbeitszeitverkürzung unabdingbar ist, wenn Sie wirklich in aktive Vaterschaft einsteigen wollen.
Noch einmal zu diesem Gesetz: Schon als im Frühjahr bekannt wurde, daß die Regierung eine Verlängerung des Beschäftigungsförderungsgesetzes plant, konnten wir in der Presse wahrnehmen, daß es sehr wohl innerparteiliche Auseinandersetzungen bei Ihnen gegeben hat und daß es nicht so glatt aussieht, wie Sie es jetzt darzustellen versucht haben. Man konnte dort lesen: „CDU-Sozialausschüsse schokkiert" , oder: „Unionsstreit um befristete Beschäftigungsverhältnisse eskaliert".
Sie haben im Augenblick politisch unheimlich Glück. Alles, was interessant ist, passiert in Berlin, und kein Mensch kümmert sich um sozialpolitische Themen. Deswegen kann das hier so abgefeiert werden. Aber Sie hatten natürlich große Konflikte, weil es selbst in Ihren Reihen noch einige Leute gibt, die die sozialen Probleme dieses Gesetzes erkannt haben.
Es ist vollkommen klar, daß die Mittelstandsvereinigung in der CDU die Ausweitung der Befristung auf drei Jahre fordert. Der Unternehmer hat dadurch natürlich die Möglichkeit, einen Arbeitnehmer oder eine Arbeitnehmerin noch länger auszuprobieren und sie dann wieder auf die Straße zu setzen. Er wäre ja blöd, wenn er nicht für ein solches Gesetz kämpfen würde. Das ist doch nur im Interesse einer Unternehmerpolitik.
Aber auf der anderen Seite konterten doch die christlich-demokratischen Gewerkschafter, daß es der CDU-Mittelstandsvereinigung offensichtlich nur darum ging, den Kostenfaktor Mensch zu senken. Das
konnte man in der „Welt" nachlesen. Also tun Sie nicht so, als ob Ihnen die sozialen Probleme nicht bekannt seien.
Wir können diesem Argument der Sozialausschüsse nur vollen Herzens zustimmen.
Ich möchte mich kurz noch mit dem weiblichen Kostenfaktor Mensch auseinandersetzen.
In der Anhörung ist ganz eindeutig bestätigt worden, daß dieses Gesetz Möglichkeiten eröffnet, Mutterschutzfristen außer Kraft zu setzen. Man braucht Sie nur mit Ihren eigenen Ansprüchen zu konfrontieren: Wie wollen Sie das mit einer frauenfreundlichen Politik vereinbaren? Das geht wieder einmal ganz eindeutig gegen Frauenschutzrechte.
Frauen sind insgesamt neben den Jugendlichen die größte Gruppe der Ungelernten und derjenigen, die neu oder erneut, nämlich nach der sogenannten Familienphase, also wenn sie Ihnen das Kreuz freigehalten haben, auf den Arbeitsmarkt kommen. Sie sind auch überdurchschnittlich von den Regelungen dieses Beschäftigungsförderungsgesetzes mit der Möglichkeit der Befristung betroffen. Sie stellen den größten Anteil derjenigen, die in ungeschützten Beschäftigungsverhältnissen erwerbstätig sind. Sie sind diejenigen, die zum größten Teil Teilzeitarbeit leisten. Alle diese Beschäftigungsverhältnisse werden nun zusätzlich mit verlängerten Probezeiten ausgestattet, und es wird ihnen zusätzlich der Kündigungsschutz genommen.
Ich kann ganz eindeutig sagen: Das ist ein sozialpolitischer Skandal. Dieses Gesetz ist frauenfeindlich. Immer, wenn man anfängt, das, was Sie an Frauenfreundlichkeit in Ihrer Politik vor sich hertragen, abzuklopfen, und sieht, was dann an sachlichem Gehalt nachgeschoben wird, kann man den Beweis antreten, daß Sie ganz eindeutig über Frauenrechte hinweggehen und daß Sie sich keine Gedanken darüber machen,
wie man den Stand der Frauen auf dem Erwerbsarbeitsmarkt wirklich verbessern könnte.
Frauen brauchen andere Zeitstrukturen. Sie brauchen
in der Tat eine gewisse Flexibilität, aber nicht im
Sinne von hire and fire, wie es hier vorbereitet wird.
Ich erteile das Wort dem Herrn Parlamentarischen Staatssekretär Vogt.
Herr Präsident! Meine Da-
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Parl. Staatssekretär Vogtmen und Herren! Wahres kann man nicht oft genug wiederholen.
Wir haben Erfolg beim Aufbau von Beschäftigung und beim Abbau von Arbeitslosigkeit.
Wir sind auf einem guten Weg.
Wir haben fast 28 Millionen Mitbürgerinnen und Mitbürger, die erwerbstätig sind. Das ist einmalig seit Bestehen der Bundesrepublik Deutschland.
Die Zahl der registrierten Arbeitslosen sinkt. Sie wissen, daß wir einige zehntausend registrierte Arbeitslose weniger hätten, wenn wir nicht in den letzten Jahren und auch in den letzten Monaten den Zuwachs an Arbeitskräftepotential auf dem Arbeitsmarkt gehabt hätten, meine Damen und Herren.
Wir sind zwar auf einem guten Weg, aber wir sind nicht am Ziel. Deshalb legen wir hier einen zusätzlichen Baustein vor, der dazu beitragen wird, die Beschäftigung weiter zu fördern. Wir verlängern die Regelungen aus dem Beschäftigungsförderungsgesetz und Vorschriften aus dem Arbeitsförderungsgesetz, die bis Ende dieses Jahres befristet sind. Dieses Gesetz wird dazu beitragen, daß wir zu mehr Beschäftigung kommen.Wer heute die Kritik der SPD am Beschäftigungsförderungsgesetz gehört hat, meine Damen und Herren, der könnte annehmen, daß Sozialdemokraten keine befristeten Arbeitsverträge abschließen. Doch die Wirklichkeit sieht anders aus.
Die Sozialdemokraten machen als Arbeitgeber von diesem Gesetz regen Gebrauch.
Die Praxis in den SPD-geführten Kommunen und in den SPD-geführten Ländern beweist das ganz deutlich. Denn die Hälfte der im öffentlichen Dienst abgeschlossenen Arbeitsverträge ist befristet.
Herr Staatssekretär, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Aber selbstverständlich.
Herr Kollege Vogt, stimmen Sie mir zu, daß zwischen den Bestimmungen des Beschäftigungsförderungsgesetzes einerseits und dem davor geltenden Recht, aus sachlichem Grund eine befristete Beschäftigung durchführen zu können, genau die Handlungsweise der von Ihnen skizzierten SPD-Kommunen liegt, und — ich darf zwei Fragen stellen, Herr Präsident —, Herr Kollege Vogt, stimmen Sie mir zu, daß sich in dem von Ihnen selbst in Auftrag gegebenen Gutachten zu den Wirkungen des Beschäftigungsförderungsgesetzes zum Abschluß folgender Satz befindet:
Selbst unter den im Untersuchungszeitraum anhaltend günstigen Konjunkturbedingungen sind die gesamtwirtschaftlichen Nettobeschäftigungseffekte der Befristungsneuregelung des Beschäftigungsförderungsgesetzes deshalb als gering anzusehen.
Herr Kollege Dreßler, auf die zweite Frage komme ich im Laufe meiner kurzen Ausführungen zurück.
Bei der ersten Frage darf ich Ihnen sagen: Nein, ich bestätige die Behauptung, die in Ihrer Frage steckt, nicht. Ich kann es Ihnen auch beweisen: Das Land Nordrhein-Westfalen, das ja von einem sozialdemokratischen Ministerpräsidenten, noch, geführt wird,
hat gerade befristete Arbeitsverträge abgeschlossen. Und bei einem Arbeitsgerichtsverfahren hat diese Landesregierung einen Rechtsanwalt beauftragt, genau auf der Linie zu argumentieren, auf der das Beschäftigungsförderungsgesetz 1985 hier in diesem Hause beraten und beschlossen worden ist, Herr Kollege Dreßler.
— Herr Kollege Reimann, ich würde bitten, daß Sie sich vielleicht später noch einmal melden. Jetzt möchte ich nämlich an die Darstellung des Verhaltens der Sozialdemokraten die des Verhaltens der GRÜNEN anschließen;
denn die GRÜNEN sind um keinen Deut besser.Frau Kollegin Beck-Oberdorf, ich bewundere eigentlich das hohle Pathos, mit dem Sie hier auftreten. Ich nehme an, daß zu Ihrer morgendlichen Bettlektüre auch die „taz" gehört.
Und ich zitiere aus der „taz", Ausgabe vom 12. Oktober 1989, eine Anzeige. Unter „DIE GRÜNEN" lese ich:Die Bundesgeschäftsstelle der GRÜNEN stellt zum baldmöglichsten Zeitpunkt eine/nTagungshausleiter/in
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13268 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 175. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. November 1989
Parl. Staatssekretär Vogtfür das parteieigene Tagungshaus Wittgenstein in Roisdorf bei Bonn ein. Die Stelle wird nach Haustarif in Anlehnung an BAT III bezahlt. Sie ist zunächst bis Ende Juni 1990 befristet.
— Ich darf weiter vorlesen:Übernahme in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis ist danach möglich.Gezeichnet:... Walde
Ich kann nur sagen: Ihr Kollege Eberhard Walde ist ungeheuer lernfähig; denn er handelt nach dem Motto: „Lieber befristet Arbeit als unbefristet arbeitslos"
und: „Eröffnung der Perspektive Übernahme in ein Dauerarbeitsverhältnis". Er bestätigt durch sein Verhalten genau die Philosophie des Beschäftigungsförderungsgesetzes.
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, jetzt müssen wir uns mal einig werden. Sie haben hier speziell die GRÜNEN angesprochen. Dann sollten Sie fairerweise natürlich auch die Möglichkeit zu einer Frage geben.
Aber selbstverständlich.
Aber Herr Reimann ist der, der schon früher am Mikrophon stand.
Sie, der Sie Kavalier sind, kommen danach. Frau Beck-Oberdorf.
: Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß ich Ihnen sofort zustimmen würde, wenn es sich hier um eine normale Befristung im von mir kritisierten Sinne handelte? Das wäre in der Tat eine Doppelbödigkeit, gegen die ich mich politisch wenden würde, wobei ich meine, daß es selbstverständlich, wenn solche Verführungen des Arbeitgebers ermöglicht werden,
die Aufgabe des Gesetzgebers ist — und das richtet sich auch an die öffentliche Hand — , solche Verführungen qua Gesetz unmöglich zu machen.
Aber trotzdem möchte ich Sie bitten, zur Kenntnis zu nehmen, daß für das Tagungshaus Wittgenstein meiner Information nach
— ich muß ja wohl antworten können, und ich bitte ihn, das zur Kenntnis zu nehmen — noch kein festes Nutzungskonzept vorliegt. Und ich vermute, daß sich daraus die befristete Einstellung erklärt.
Frau Kollegin, aus Ihrer Frage entnehme ich zweierlei:
erstens, daß Sie bereit sein werden, Ihrem Kollegen Eberhard Walde ins Gewissen zu reden. Ich entnehme zweitens aus Ihrer Frage aber auch die Anerkennung der Tatsache, daß es vernünftige Gründe dafür gibt, daß es zunächst einmal zu einem befristeten Arbeitsverhältnis kommt,
mit der Perspektive, daß das zu einem Dauerarbeitsverhältnis führen kann. Sie bestätigen wiederum die Philosophie dieses Gesetzes.
Herr Kollege Reimann.
Herr Abgeordneter Reimann hat zu einer Zwischenfrage das Wort. Ich bitte um Aufmerksamkeit. Das geht natürlich alles auf Kosten der Gesamtzeit, die wir zur Verfügung haben. Bitte schön.
Herr Staatssekretär, Sie haben jetzt mehrfach zitiert, daß sozialdemokratisch regierte Kommunen vom Beschäftigungsförderungsgesetz Gebrauch machen. Die GRÜNEN werden zitiert. Das hört sich bei Ihnen so an, als sei das etwas unseriös und unlauter.
Meine konkrete Frage an Sie, Herr Staatssekretär: Sind Sie bereit, mit der SPD ein Gesetz zu machen, das dieses befristete Arbeitsverhältnis verbietet?
Nein. Herr Kollege, ich will jetzt einmal unter diesen Teil einen Schlußstrich ziehen — Frau Kollegin Weiler, ich bitte um Nachsicht —
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 175. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. November 1989 13269
Part. Staatssekretär Vogtund sage, die Argumentation der GRÜNEN und der SPD zeugt von einer doppelten Moral. Im Bundestag sind Sie gegen befristete Arbeitsverträge und als Arbeitgeber für befristete Arbeitsverträge. Das ist das Fazit dieses Teils der Debatte.
Herr Staatssekretär, Sie sind sehr gefragt. Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage?
Aber selbstverständlich, Herr Präsident.
Bitte, Frau Abgeordnete Weiler.
Meine Frage ist ganz kurz. Herr Staatssekretär, könnte es nicht zutreffen, daß es sich bei dem Fall der GRÜNEN, so sozialpolitisch bedenklich er ist, nicht um einen zusätzlichen Arbeitsplatz handelt?
Frau Kollegin, ich gehe nach dem Text der Anzeige davon aus, daß es ein zusätzlicher Arbeitsplatz ist. Denn dieses Haus ist — wie Frau Beck-Oberdorf gerade gesagt hat — neu eingerichtet worden.
Es besteht sozusagen noch keine sichere Grundlage für die Schaffung eines Dauerarbeitsverhältnisses jetzt sofort, aber vielleicht im Juni nächsten Jahres.
Ich kann immer nur wiederholen: Das sind genau die Gründe, die uns dazu bewogen haben, dieses Gesetz 1985 vorzulegen und jetzt darum zu bitten, daß es verlängert wird.
Wenn einem die Argumente ausgehen, flüchtet man in Quatsch.
Auf Argumente würde ich gerne eingehen.
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, gestatten eine weitere Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Andres?
Nein, Herr Präsident, jetzt nicht mehr, und zwar im Interesse der Kolleginnen und Kollegen, deren Zeitplanung ich jetzt nicht weiter durcheinanderbringen möchte.
Auch einem Parlamentarischen Staatssekretär fehlt natürlich die Motivation, wenn die Beantwortung der Fragen, bei der er sich so viel Mühe gibt, dann mit „Quatsch" bezeichnet wird.
Bitte sehr.
Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, das Gesetz hat zum Aufbau von Beschäftigung geführt. Deshalb wird es bis 1995 verlängert. Das gilt auch für die Bestimmungen aus der Siebten und der Achten AFG-Novelle.Doch noch wenige Anmerkungen zu dem Beschäftigungseffekt, weil er in der Debatte zur ersten Lesung und auch heute sowie in den Zwischenfragen eine Rolle gespielt hat. Von den auf Grund des Beschäftigungsförderungsgesetzes zusätzlich befristet eingestellten Arbeitnehmern sind hochgerechnet bis heute rund 150 000 in unbefristete Dauerarbeitsverhältnisse übernommen worden.
— Sie müssen nur das Gutachten lesen, Herr Kollege.Diesen rund 150 000 zusätzlichen unbefristeten Dauerarbeitsverhältnissen sind Beschäftigungsverluste gegenüberzustellen, die dort entstehen konnten, wo Betriebe auf Grund des Beschäftigungsförderungsgesetzes Verträge befristet haben, die sie ohne das Gesetz gleich unbefristet hätten abschließen können.Diese unbestreitbaren Substitutionseffekte, die ich bereits in der ersten Lesung kritisch angesprochen habe, bedeuten aber nicht automatisch Beschäftigungsverluste. Die Bundesanstalt für Arbeit hat dies in der Sachverständigenanhörung noch einmal ganz deutlich gemacht. Wenn wir bei den Beschäftigungsgewinnen nur die dauerhaften mitzählen, d. h. die Fälle, bei denen es im Ergebnis zu einem unbefristeten Arbeitsverhältnis gekommen ist, müssen wir konsequent bleiben und dürfen auch bei den Verlusten nur die dauerhaften mitzählen; sonst werden Birnen und Äpfel miteinander verglichen.In den Bereichen, in denen es zu befristeten Arbeitsverträgen gekommen ist, obwohl unbefristete Arbeitsverträge hätten abgeschlossen werden können, betrug die Übernahmequote in ein Dauerarbeitsverhältnis jedoch 64 %. Rund zwei Drittel der ermittelten Substitutionseffekte haben damit keine dauerhaften Beschäftigungsverluste zur Folge gehabt. Sie führen, wenngleich über einen Umweg, im Ergebnis zum gewünschten Ziel, zum Dauerarbeitsverhältnis. Diese Tatsachen lassen sich nicht vom Tisch fegen.Im übrigen will ich nur darauf verweisen: Ich habe den Eindruck, daß Sie sich die Sache etwas zu einfach machen, wenn Sie sagen, ein Arbeitsverhältnis, das formal unbefristet abgeschlossen sei, sei ein dauerhaftes, ein gesichertes Arbeitsverhältnis, und ein befristet abgeschlossenes, sei ein instabiles Arbeitsverhältnis. Die Wirklichkeit sieht anders aus. Aus der Tatsache der formalen Befristung oder der formalen Unbefristung kann man nicht auf die Stabilität eines Arbeitsverhältnisses schließen. Ich bitte Sie, auch das zur Kenntnis zu nehmen und sich einmal die entsprechenden Absätze des Gutachtens zu Gemüte zu führen.
Auf Grund der Sachverständigenanhörung verlängern wir außerdem die Geltung des § 63 Abs. 4 des Arbeitsförderungsgesetzes. Das betrifft die Regelung
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13270 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 175. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. November 1989
Parl. Staatssekretär Vogtder „Personaleinsatzbetriebe". Diese Regelung hat sich bewährt. Wir fassen sie branchenneutral und hoffen, daß diese Regelung so wenig wie möglich in Anspruch genommen werden muß, aber daß sie dort hilft, wo auf Grund von Strukturänderungen eine soziale Anpassung nur mit Hilfe dieses Instruments möglich ist.Im übrigen verweise ich auf die Kollegenhilfe, die in der Aussprache ja auch schon ein Rolle gespielt hat.Alles in allem, meine Damen und Herren: Wir legen ein Beschäftigungsförderungsgesetz 1990 vor, das sich in seinen wesentlichen Instrumenten in den letzten Jahren bewährt hat und das zu mehr Beschäftigung in diesem Lande führen wird.Vielen Dank.
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurf eines Beschäftigungsförderungsgesetzes 1990. Ich rufe die §§ 1 bis 3, Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung auf. Wer ihnen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Keine Enthaltungen. Die Vorschriften sind mit Mehrheit angenommen.
Wir treten in die
dritte Beratung
ein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Keine Enthaltungen. Das Gesetz ist in dritter Lesung mit Mehrheit angenommen. * )
Ich rufe Punkt 20 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Regelung von Fragen der Gentechnik
— Drucksache 11/5622 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit
Ausschuß für Forschung und Technologie Innenausschuß
Rechtsausschuß
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Haushaltsausschuß mitberatend und gem. § 96 GO
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die Aussprache 45 Minuten vorgesehen. Ist das Haus damit einverstanden? — Es ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem Herrn Parlamentarischen Staatssekretär Pfeifer.
*) Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Scharrenbroich und weiterer Abgeordneter siehe Anlage 4
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Gentechnikgesetz, dessen Entwurf die Bundesregierung Ihnen heute vorlegt, ist für die künftige Bedeutung der Bundesrepublik Deutschland als Forschungs- und Industriestandort von fundamentaler Bedeutung. Die moderne Gen- und Biotechnik kann bei verantwortungsbewußter Handhabung zur Entwicklung neuer und besserer Medikamente gegen schwerste Krankheiten beitragen, auch gegen Krankheiten, bei denen es derzeit noch keine Rettung gibt. Die Gentechnologie kann neue Methoden für die zellbiologische Grundlagenforschung entwickeln, deren Ergebnisse zu einem besseren Verständnis von Krankheitsursachen — z. B. beim Krebs — beitragen und damit zu neuen Therapieansätzen führen können.Dieses Gesetz eröffnet neue Chancen zur Minderung von Umweltbelastungen, z. B. wenn gegen Krankheiten resistente Pflanzen den Verzicht auf Pflanzenschutzmittel möglich machen. Das Gesetz kann beim Kampf gegen Pflanzenschädlinge und Krankheiten zu Ergebnissen beitragen, die bei einer rasch wachsenden Weltbevölkerung die Versorgung der Menschen mit lebensnotwendigen Nahrungsmitteln in vielen Entwicklungsländern wesentlich verbessern können.Inzwischen hat ein Aktionsbündnis angekündigt, es wolle gegen diese Technologie mit ähnlichen Kampagnen zu Felde ziehen, wie wir dies aus den Kampagnen — beispielsweise gegen die friedliche Nutzung der Kernenergie — kennen.Meine Damen und Herren, dies läßt befürchten, daß es diesen Gruppen nicht auf sachliche Argumentation, sondern auf das Schüren von Emotionen ankommt, und nichts wäre schädlicher als dieses.
Denn alle modernen Industriestaaten nutzen die Chancen dieser Technologie. Es wäre nicht zu verantworten, wenn unser Land es versäumen würde, sich diese Chancen zum wissenschaftlichen und technologischen Fortschritt zu erschließen. Deswegen entscheidet sich auch an diesem Gesetzentwurf ein Stück weit, ob und wie wir unser Land attraktiv erhalten als Standort für neue Technologien und ob wir hier weltweit konkurrenzfähig bleiben, wie das unser Ziel ist.
Auf der anderen Seite, meine Damen und Herren, wollen wir mit den vorgeschlagenen Regelungen unvertretbare Risiken für Mensch und Umwelt aus dem Umgang mit der Gentechnik ausschließen. Wir wollen beiden Aspekten gerechnet werden: den Chancen und den Risiken dieser Technologie. Dies ist nur mit einem differenzierten Regelungswerk zu erreichen, welches vom Grundprinzip der präventiven Kontrolle durch Verbot mit Erlaubnisvorbehalt ausgeht. Dabei gilt der Grundsatz: je größer das Risiko, um so sorgfältiger Prävention und Kontrolle, um so strenger die Sicherheitsmaßnahmen und um so genauer das Verfahren, in dem das Vorliegen der geeigneten Sicherheitsmaßnahmen geprüft wird.
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Parl. Staatssekretär PfeiferDiese Differenzierungen erfordern sachkundige Beamte in den zuständigen Behörden und die Beteiligung des Sachverstandes in seiner ganzen Breite. Diesen externen Sachverstand will der Entwurf z. B. in der zentralen Kommission für biologische Sicherheit zusammenfassen, dem auch im Vollzug des Gesetzes eine zentrale Rolle zugewiesen wird. Die präventive sachkundige Kontrolle ist das Kernstück des Entwurfs. Aber darüber hinaus stellt der Entwurf den Schutz von Mensch und Umwelt sicher durch die Verpflichtung zu eigenverantwortlicher Gefahrenabwehr und Risikovorsorge für jeden, der mit gentechnischen Methoden oder gentechnisch veränderten Organismen forscht und arbeitet, durch staatliche Überwachung und durch generalpräventive Straf- und Bußgeldvorschriften, die Gefängnisstrafen bis zu fünf Jahren im Übertretungsfall vorsehen.Auch die Haftungsregelungen des Entwurfs haben nicht nur den Zweck, dann, wenn trotz aller vorbeugenden Maßnahmen im Einzelfall Schaden entstehen sollte, dem Geschädigten die Geltendmachung eines Schadenersatzanspruchs zu erleichtern, sie hab en auch den Zweck präventiven Charakters, weil jeder, der das Schadensrisiko versicherungsrechtlich abdeckt, sich natürlich zuvor vergewissert, ob alles geschehen ist zur eigenverantwortlichen Gefahrenabwehr und Risikovorsorge.Es wird uns vorgehalten, der Entwurf komme zu spät. Dazu möchte ich zwei Dinge sagen: Am Beginn dieser Legislaturperiode waren wir mit der Forderung konfrontiert, wir sollten erst den Beschluß des Bundestages zu den Empfehlungen der Enquete-Kommission abwarten, ehe wir den Gesetzentwurf vorlegen. Wenn wir so verfahren wären, hätten wir heute noch nicht einmal den ersten Durchgang im Bundesrat erreicht.Meine Damen und Herren, zum Zweiten: Wir sind, von Dänemark abgesehen, das erste große Industrieland, das die Nutzung der Gentechnik gesetzlich regelt.
Ich sage dies auch im Hinblick auf Vorwürfe, die im Zusammenhang mit einem kürzlich ergangenen Beschluß des Hessischen Verwaltungsgerichtshofes erhoben werden. In diesem Beschluß hat das Gericht in einem Verfahren auf vorläufigen Rechtsschutz, also nach einer summarischen Prüfung, die aufschiebende Wirkung einer Klage gegen die Genehmigung einer gentechnischen Anlage wiederhergestellt. Eine erste Prüfung dieses Beschlusses hat nach Überzeugung der Bundesregierung ergeben, daß durch ihn gentechnische Arbeiten auf der Grundlage rechtsbeständiger Entscheidungen nicht tangiert werden, zumal dieser Beschluß im konkreten Rechtsstreit zwischen den Parteien gilt.Die Bundesregierung beabsichtigt, zu diesem Beschluß noch eingehend Stellung zu nehmen. Sie bleibt bei ihrer Ansicht, daß die vorhandenen Regelungen eine hinreichende Grundlage für die Genehmigung gentechnischer Anlagen und die Gewährleistung eines sicheren Betriebs darstellen.Die Bundesregierung hat aber auch schon in der Begründung zu dem vorliegenden Gesetzentwurf gesagt, daß im Hinblick auf die betroffenen Rechtsgüter in einem modernen Industrie- und Rechtsstaat auf Dauer eine verbindliche gesetzliche Regelung, die eine präventive, umfassende und vor allem durchsetzbare Kontrolle sicherstellt, unverzichtbar ist.Dies, meine Damen und Herren, gewährleistet der vorliegende Entwurf. Namens der Bundesregierung möchte ich Sie bitten, diesen Gesetzentwurf zügig zu beraten und bald zu verabschieden.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Catenhusen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Um gleich mit einer Legendenbildung aufzuräumen: Herr Pfeifer, es besteht seit 1987 im Deutschen Bundestag eine große Bereitschaft dahin gehend, daß noch in dieser Legislaturperiode ein Gentechnologiegesetz gelesen und verabschiedet wird. Die Beratungen über den Bericht der EnqueteKommission haben andere Ministerien, z. B. das BMFT, nicht davon abgehalten, ein Risikoforschungsprogramm für die Gentechnik — das dringend notwendig war — durchzuführen, obwohl dies eine der Empfehlungen der Enquete-Kommission war. Sie hätten immer mit der Bereitschaft des Hauses rechnen können, dann, wenn Sie dazu in der Lage gewesen wären, eine frühzeitigere Beratung dieses Gesetzes im Bundestag vorzusehen.Die Aussagen von Ihnen, Herr Pfeifer, lenken doch davon ab, daß es eigentlich ein unbegreiflicher Zustand ist, daß die Bundesregierung seit 1987 einen Zeitraum von mindesstens zwei Jahren mit einem völlig überflüssigen und unnötigen Kompetenzgerangel zwischen den Ministerien verbracht hat, und das in einer Situation, in der die politischen Rahmenbedingungen für die Verwirklichung eines Gesetzes denkbar gut waren, in der sich auch Gewerkschaften und Industrie darüber einig waren, daß die Schaffung klarer, rechtsverbindlicher Rahmenbedingungen für den Umgang mit der Gentechnologie in Forschung und Entwicklung notwendig ist.Wenn Ihr Gesetzentwurf dazu jetzt noch im Bundesrat einen Nachkriegsrekord an Änderungsanträgen auslöst, dann ist dies ein Indiz dafür, daß Sie die Zeit nicht genutzt haben, sondern daß dieses Gesetz, mit der heißen Nadel gestrickt, nun unter Zeitdruck dem Bundestag zur Beratung vorliegt.Ich denke, daß die Bundesregierung die Chance, auf der Basis der Vorarbeiten der Enquete-Kommission einen gründlich erarbeiteten, auf breitem Konsens beruhenden Gesetzentwurf vorzulegen, nicht genutzt hat. Ich muß Ihnen ganz deutlich sagen, daß diese Untätigkeit der Bundesregierung sie auch verantwortlich macht für die Folgen, die das Urteil des Verwaltungsgerichtshofes in Kassel im Bereich der Gentechnik auslösen wird.
Denn Sie mußten doch wissen, daß die Verfahrensregelungen nach dem Bundesimmissionsschutzgesetz in Kombination mit den rechtlich völlig unverbindlichen Richtlinien für den Umgang mit in-vitro-neu-
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Catenhusenkombinierten Nukleinsäuren eine recht wackelige Grundlage für Genehmigungsentscheidungen bei Produktionsvorhaben der Industrie darstellen. Oder hat die Regierung bis vor kurzem etwa die Aussage von Professor Nicklisch nicht zur Kenntnis genommen, daß die Gen-Richtlinien nicht den Charakter von Rechtsnormen besitzen?Ich kann der Bundesregierung heute nicht den Vorwurf ersparen, daß sie durch interne Selbstblockade und zu lange Untätigkeit verantwortlich dafür ist, daß der Verwaltungsgerichtshof in Kassel die Inbetriebnahme einer Anlage für die Produktion gentechnisch gewonnenen Insulins wegen fehlender gesetzlicher Entscheidungsgrundlagen gestoppt hat. Um es noch einmal mit einem Wort von Professor Nicklisch zu unterstreichen:Einem modernen Industrie- und Rechtsstaat, der sich mit Gesetzen und Verordnungen um viele Details aus Wissenschaft und Technik kümmert — bis hin zur Zulässigkeit von Einwegflaschen, zur Beschaffenheit von Aquariumleuchten oder Teddybären für Kleinkinder — , einem solchen Rechtsstaat stünde es schlecht an, wenn er den wichtigen Bereich der Biotechnologie auf Dauer nur mit Richtlinien ohne Rechtscharakter regeln wollte.War es nicht so, daß dieses Gesetzesvorhaben in der Regierung erst dann Priorität erhielt, als die ersten Industrieunternehmen von Abwanderung ins Ausland sprachen? Da sind Sie doch erst aus ihrem Kompetenzgerangel und aus Ihrem Schlaf aufgewacht.Ich möchte sogar einen Schritt weitergehen: Ist es nicht sogar unsere Pflicht als Parlament, unsere politische Verantwortung, genau parallel zur Entwicklung neuer Basisinnovationen unserer Verpflichtung zur vorbeugenden Abwehr von Gefahren, von Risiken für Mensch und Umwelt durch rechtsverbindliche Normen nachzukommen? Wir Sozialdemokraten bejahen die Verpflichtung der Politik, Grundrechte unserer Menschen gegen ihre Gefährdung durch neue Technologien da, wo eine Technik Anlaß dazu gibt, auch mit Mitteln des Rechtes zu verteidigen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Jäger? — Bitte sehr, Herr Jäger.
Herr Kollege Catenhusen, teilen Sie nicht meine Auffassung, daß der Respekt vor dem Deutschen Bundestag und der von ihm eingesetzten Enquete-Kommission der Bundesregierung gebot, mit der Vorlage des Gesetzentwurfes abzuwarten, bis die Empfehlungen dieser Kommission vorliegen, und meinen Sie nicht, daß sich die Bundesregierung mit Recht daran gehalten hat?
Wenn Sie damit unterstellen, die Bundesregierung hätte etwa schon im Frühjahr einen fertigen Gesetzentwurf in der Schublade gehabt, dann würde ich ja gerne weiter darüber diskutieren. Aber jeder, der das Gesetzgebungsverfahren verfolgt hat, weiß, wie schwer sich die Bundesregierung überhaupt getan hat, einen diskussionswürdigenReferentenentwurf auf den Tisch zu legen. Wenn Sie die Kritik des Bundesrates von allen Seiten an der Unausgereiftheit, auch an der gesetzestechnischen Unausgereiftheit des Gesetzentwurfes bedenken, dann müssen auch Sie, Herr Jäger, zu der Erkenntnis kommen, das war nicht die Zurückhaltung und die Achtung der Bundesregierung vor dem Parlament, sondern vielleicht war die Bundesregierung zu lange mit anderen Dingen beschäftigt oder hatte nicht die Kraft, hier einen Schwerpunkt zu setzen.
Also in aller Freundschaft, Herr Jäger, da liegen Sie, glaube ich, ein bißchen falsch.Meine Damen und Herren, Sie müssen sich darüber im klaren sein — und das Gerichtsurteil hat das, glaube ich, deutlich gemacht — , das Scheitern eines gentechnischen Gesetzes in dieser Legislaturperiode würde zwangsläufig zu einem großen Chaos im Umgang mit der Gentechnik in der Bundesrepublik führen. Wir Sozialdemokraten wünschen eine solche Entwicklung nicht. Aber wir als Parlament stehen vor einer sehr schwierigen Aufgabe. Der Bundesrat hat in seiner Stellungnahme vom 22. September zu diesem Gesetzentwurf festgestellt — ich zitiere — :Das Gesetzesvorhaben wirft eine Fülle von juristischen und naturwissenschaftlichen Fragen auf. Insbesondere die Ausgestaltung der Grundkonzeption, des behördlichen Verfahrens und der Öffentlicheitsbeteiligung wird entscheidende Auswirkungen auf die weitere Erforschung und wirtschaftliche Nutzung der Gentechnik und damit unmittelbare Folgen für den Industrie- und Wissenschaftsstandort Bundesrepublik Deutschland und die Akzeptanz der Gentechnik in der Bevölkerung haben.
Der Bundesrat — und jetzt kommt vielleicht doch der Widerspruch, Herr Lenzer — stellt weiter fest:Die einschlägigen Regelungen bedürfen deshalb besonders sorgfältiger, in ihrer Komplexität und Tragweite gerecht werdender Prüfung.Dies, meine Damen und Herren, sind die Anforderungen, denen wir uns als Bundestag in den nächsten Monaten ausgesetzt sehen. Wir stehen schon unter unerhörtem Zeitdruck; denn dieses Gesetz muß vor der Sommerpause verabschiedet sein. Ein schnelles Durchziehen dieses Gesetzes so nach dem Motto: Jetzt hat uns der Verwaltungsgerichtshof in Kassel die Glocken richtig hingehängt, und wir müssen auch im Interesse der Industrie jetzt zeigen, wie schnell wir sein können, wäre für uns der falsche Weg. Ein Durchziehen dieses Gesetzes würde auf unseren Widerstand stoßen; denn meine Damen und Herren, die Situation, die nicht durch uns, nicht durch das Parlament, sondern durch die lange Untätigkeit der Regierung herbeigeführt worden ist, worüber sich auch der Bundesrat massiv beschwert hat, erfordert außergewöhnliche Schritte auch in der Durchführung des Gesetzgebungsverfahrens. Wir erwarten von den Koalitionsfraktionen, daß im federführenden Ausschuß ein Unterausschuß „Gentechnikgesetz" gebildet wird.
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CatenhusenWir sehen nur so die Möglichkeit, die sehr spärlich gesäte Fachkompetenz des Parlaments in diesen Fragen in den Gesetzgebungsberatungen zu konzentrieren.Meine Damen und Herren von den Koalitionsfraktionen, denken Sie noch einmal darüber nach: Das ist ein Querschnittsgesetz, das alle Fragen technisch-spezifisch zu lösen versucht, angefangen von den Fragen des Arbeitsschutzes, den Umweltfragen, den Auswirkungen auf die Industriepolitik bis hin zur Wissenschaft, zur Forschungsförderung in unserem Lande. Wenn Sie glauben, daß wir das in den überkommenen Strukturen parlamentarischer Arbeit unter diesem Zeitdruck verantwortungsvoll durchführen könnten, dann, meine Damen und Herren, würde ich sehr erstaunt sein, wenn Ihnen das keine Probleme bereitete. Wir erwarten, daß ausreichend Zeit für öffentliche Anhörungen besteht, um die schon jetzt zahlreich vorliegenden Anregungen und Bedenken zu dem Gesetzentwurf mit Vertretern der Wissenschaft, Industrie, Gewerkschaften und Umweltverbänden zu erörtern.Meine Damen und Herren, der Gesetzentwurf weist nicht nur gesetzestechnische, sondern auch inhaltliche, politische Mängel auf. Ich möchte Mindestanforderungen an ein solches Gentechnikgesetz, wie sie aus unserer Sicht erfüllt sein müssen, noch kurz umreißen.Erstens. Ein Gentechnikgesetz muß ausschließlich am Ziel des Schutzes von Mensch und Umwelt orientiert werden. Wir brauchen — nach dem Fördergesetz für die Atomtechnik — kein zweites Förderungsgesetz für die Gentechnik.Zweitens. Jedes gentechnische Produktionsvorhaben, jedes Freisetzungsexperiment und alle Forschungsvorhaben bis auf Forschungsvorhaben der Sicherheitsstufe 1 bedürfen einer Genehmigung.Drittens. Auch Forschungslabors und industrielle Anlagen bedürfen einer Genehmigung, wobei die Anlagengenehmigung natürlich auch die Genehmigung für die erste Arbeit in dieser Anlage umfassen sollte.Viertens. Die nach dem Bundes-Immissionsschutzgesetz gegebenen Beteiligungsrechte der Öffentlichkeit bei Genehmigungsverfahren für gentechnische Produktionsanlagen dürfen nicht abgebaut werden. Sie müssen mindestens auf Freisetzungsexperimente ausgeweitet werden.Fünftens. Das Genehmigungsverfahren für Freisetzungsvorhaben muß vorsehen, daß die Genehmigungsbehörde das Recht hat, Antragstellern eine begleitende Technikfolgen-Abschätzung, eine Risiko- und Sicherheitsforschung aufzuerlegen. Das wäre der rationale Umgang mit dem Zustand, daß unser Wissen über Folgen solcher Vorhaben zum Teil sehr begrenzt ist.Sechstens. Es muß, meine Damen und Herren, für den Umgang mit der Gentechnik eine Gefährdungshaftung mit Ersatzleistung auch bei ökologischen Schäden ohne Haftungsobergrenze vorgesehen werden.Letzter Punkt: Die Genehmigung und Überwachung für bzw. von Anlagen und Arbeiten sollte grundsätzlich bei den Ländern liegen, die Genehmigung für Freisetzung und Inverkehrbringen beim Bund.Meine Damen und Herren, wir sind zur konstruktiven Mitarbeit daran bereit, daß ein Gentechnologiegesetz noch in dieser Legislaturperiode verabschiedet wird. Wir sind zu einer konstruktiven Mitarbeit an einem Gesetzgebungsverfahren bereit, das es ermöglicht, der Komplexität und der Schwierigkeit der Materie gerecht zu werden. Ein solches Gesetz muß einen wirksamen Schutz von Mensch und Umwelt vor Risiken und Gefahren der Gentechnik bewirken. Und es muß tatsächlich auch mehr Rechtssicherheit für alle, für die Wissenschaft, für die Industrie und für die Öffentlichkeit, schaffen. Ein Scheitern des Gentechnikgesetzes wäre in meinen Augen ein Scheitern des Anspruchs der Politik, in den Prozeß der Technikentwicklung gestaltend einzugreifen. Es wäre für viele Mitbürgerinnen und Mitbürger doch nur wieder ein Beleg dafür, daß wir gegenüber der Dynamik und der Eigengesetzlichkeit der technischen Entwicklung alle ohnmächtig sind.Aus unserer Sicht, meine Damen und Herren, hat die Bundesregierung aus der Vorlage des Berichts der Enquete-Kommission nicht das gemacht, was ihre Pflicht gewesen wäre. Wir wollen dazu beitragen, daß sich nicht auch das Parlament diesem Vorwurf aussetzen muß.Schönen Dank.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Kohn.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Der Deutsche Bundestag hat im Jahr 1984 eine Enquete-Kommission zur Gentechnologie eingesetzt. Diese Enquete-Kommission hat eine Vielzahl von konkreten Vorschlägen unterbreitet, wie dieser schwierige und diffizile Komplex der Politik gestaltet werden sollte.Die ersten Vorschläge hieraus liegen auf dem Tisch: Das ist zum einen das Embryonenschutzgesetz, in dem die ethischen Problem der möglichen Anwendung der Gentechnologie auf den Menschen geregelt werden. Das ist zum zweiten dieses Gentechnikgesetz, um das wir uns hier heute streiten, über das wir diskutieren, ein Gesetz, das die Aufgabe hat, die Probleme und Aspekte der Sicherheit der Gentechnologie zu regeln.Ich stehe nicht an, zu sagen: Auch ich hätte mir gewünscht, daß wir in diese Diskussion schon zu einem früheren Zeitpunkt eingetreten wären. Dies wäre möglich gewesen, nachdem in der Enquete-Kommission und bei den Berichterstattern aller Fraktionen Einigkeit darüber bestand, daß es inhaltlich notwendig ist, eine solche gesetzliche Grundlage für die Richtlinien zum Umgang mit in vitro neukombinierten Nukleinsäuren zu gestalten, um auf diesem Wege klare, verbindliche rechtliche Rahmenrichtlinien für die Wirtschaft, für die Forschung in diesem Lande zu schaffen.
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KohnNun haben wir die Situation, daß wir unter einem gewissen Zeitdruck stehen, nicht nur vor dem Hintergrund der Entscheidung des Hessischen Verwaltungsgerichtshofes, sondern auch vor dem Hintergrund von Entscheidungen von Unternehmen, z. B. amerikanischen Unternehmen. Wenn Sie in den letzten Tagen in den Zeitungen gelesen haben, die Gentechnologie drängt ins Elsaß — ich zitiere einen Satz: „So investiert das amerikanische Unternehmen Eli Lilly 200 Millionen DM in eine Anlage zur Herstellung von Humaninsulin."; das ist also genau das, was jetzt von der Firma Hoechst auch in der Bundesrepublik Deutschland gemacht werden soll —, dann wird an dieser Stelle deutlich, wie dringlich der Handlungsbedarf ist und wie rasch wir uns beeilen müssen, damit wir hier nicht ins Hintertreffen geraten.
Ich will, meine Damen und Herren, einige wenige Aspekte vortragen, wie nach unserer Überzeugung dieses Gentechnikgesetz aussehen sollte. Wir haben gesagt: Wir wollen dieses Gesetz als ein Stammgesetz haben für Forschung, Produktion und Freisetzung. Dieser Forderung wird im Gesetzentwurf, den die Bundesregierung vorgelegt hat, tatsächlich Rechnung getragen.Wir Liberalen haben die Anforderungen an das Gentechnikgesetz so definiert: Die Sicherheitsanforderungen müssen sich in abgestufter Weise an dem tatsächlich gegebenen Gefährdungspotential der eingesetzten gentechnologisch veränderten Organismen orientieren. Für die Gentechnologie spezifische Anforderungen sind in einem einheitlichen Verfahren zusammenzufassen, das die Bestimmungen der Umweltschutzgesetze berücksichtigen muß, vor allem des Bundes-Immissionsschutzgesetzes und des Gesetzes zur Umweltverträglichkeit. Die Vereinfachung darf nicht zu einem niedrigeren Schutz bzw. Vorsorgestandard führen.In der Gegenäußerung der Bundesregierung zur Stellungnahme des Bundesrats wird den Wünschen des Bundesrats insofern Rechnung getragen, als die Konzeption der Anlagengenehmigung mit ihrer Konzentrationswirkung für andere, die Anlage und ihren Betrieb betreffende öffentlich-rechtliche Entscheidungen übernommen wird. Auch ich stimme dem zu. Ich will allerdings deutlich sagen, daß ich nicht glücklich bin mit der vom Bundesrat geforderten Zuständigkeit der Landesbehörden. Ich befürchte hier ein Auseinanderdriften der Genehmigungspraxis in den einzelnen Bundesländern und hätte deshalb einer Regelung den Vorzug gegeben, die diese Einheitlichkeit sicherstellt.
Für mich aber auf jeden Fall nicht akzeptabel ist die Forderung des Bundesrats, auch die gentechnologische Forschung in die Kompetenz der Länder zu stellen. Angesichts der Notwendigkeit, meine sehr verehrten Damen und Herren, europaweite Regeln für den Umgang mit der Gentechnologie zu entwickeln, halte ich es geradezu für aberwitzig, auch die Grundlagenforschung dezentraler Verwaltungspraxis von Bundesländern zu überantworten.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, Herr Kollege Catenhusen hat hier einige Vorschläge zur weiteren Beratung dieses Gesetzes gemacht. Er hat hier vorgeschlagen, einen Unterausschuß im federführenden Ausschuß zu etablieren. Ich persönlich bin der Meinung, daß wir uns an solchen organisatorischen Fragen nicht verbeißen sollten. Mir geht es darum, daß dieses Haus möglichst zügig und möglichst solide dieses Gesetz berät. Wenn Sie, Herr Kollege Catenhusen, die Forderung erhoben haben, den spärlichen Sachverstand, den dieses Haus in derartigen Fragen hat, in diesen Beratungsprozeß einzubeziehen, kann ich Ihnen garantieren — unabhängig von der Frage, wie diese Dinge im Detail organisatorisch geregelt werden — , daß der spärliche Sachverstand, den ich persönlich zur Verfügung stellen kann, auf jeden Fall bei den Beratungen im Ausschuß eingebracht werden wird.Die FDP wird sich im Zuge des parlamentarischen Beratungsverfahrens mit Nachdruck dafür einsetzen, daß alle Aspekte dieses Gesetzes mit großer Sorgfalt beraten und bewertet werden, und zwar von den Fragen der Öffentlichkeitsbeteiligung angefangen bis hin zur Frage etwa der Stellung der Zentralen Kommission für biologische Sicherheit.Unser politischer Wille ist es, die Gentechnologie verantwortungsbewußt zu gestalten. Deshalb müssen ihre Sicherheitsfragen noch in dieser Legislaturperiode im Gentechnikgesetz beantwortet werden.Lassen Sie mich zum Abschluß, meine sehr verehrten Damen und Herren, aus einer Stellungnahme zitieren, die den Rang und die Bedeutung unserer Arbeit hier treffend charakterisiert. Es handelt sich hierbei um eine offizielle Stellungnahme der Industriegewerkschaft Chemie-Papier-Keramik. Ich zitiere:Die Gentechnologie wird sich bei verantwortungsbewußter und schrittweiser Anwendung als nützliches Element der sozialen, ökonomischen und ökologischen Fortentwicklung erweisen. Die mit diesem Gesetz und den nachgeschalteten Rechtsverordnungen erreichbare Rechtssicherheit wird, verbunden mit einem hohen Sicherheitsstandard, sich im nationalen Bereich konsensfördernd auswirken und auf der EG-Ebene die Wettbewerbsfähigkeit erhöhen. Das Gesetz muß als Chance gesehen werden, die vorbildliche Sicherheitskultur in der Industrie für die Gentechnologie in allen Bereichen weiterzuentwikkeln.Ende des Zitats und Ende meines Redebeitrags. Vielen Dank.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Rust.
Meine Damen und Herren! Die erste Lesung dieses Gesetzes ist nach meinem Emp-
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Frau Rustfinden eine unwürdige Posse. Hier soll ein Gesetz beraten werden, von dem jetzt schon klar ist, daß es so, wie es vorliegt, nicht verabschiedet werden wird. In 45 Minuten wird eines der wichtigsten Gesetzesvorhaben der Legislaturperiode durch das Parlament gepeitscht.Die Bundesregierung reagiert auf das mutige Urteil des Hessischen Verwaltungsgerichtshofes mit Hektik, denn der Gerichtshof erklärt weitere Genehmigungen gentechnischer Anlagen wegen fehlender gesetzlicher Grundlage für unzulässig.Die über 240 Einwendungen der Länder gegen das Gentechnikgesetz der Regierung liegen uns in sieben dürren Eckwerten vor, auf die die Bundesregierung per Absichtserklärung erwidert hat. Was die Länder fordern, ist ein anderes Gesetz. Die Länder wollen das föderale Prinzip und keinen Zentralismus. Das unterstützen wir.Die Länder wollen die Beibehaltung der Öffentlichkeitsbeteiligung, so wie sie jetzt bei gentechnischen Anlagen besteht. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung wollte diese Öffentlichkeitsbeteiligung faktisch beseitigen. Dies hat sie jetzt wenigstens verbal zurückgenommen. Allerdings bleibt im dunkeln, wie diese Absichtserklärung im Gesetz ihren Niederschlag finden wird.Eine gesetzliche Regelung der Gentechnik muß die Gefahren und Auswirkungen dieser Technologie rückkoppeln können. Dazu bedarf es eines demokratischen Verfahrens. Dies wiederum bedeutet: Alle gentechnischen Arbeiten und gentechnischen Anlagen müssen grundsätzlich in einem öffentlichen Verfahren erörtert und geprüft werden können. In diesem öffentlichen Verfahren muß eine Umweltverträglichkeitsprüfung stattfinden, die die Suche nach nicht gentechnischen Alternativen zwingend einschließt. Ein öffentliches Verfahren muß Bürgerinnen und Verbänden das Recht, die Akten des Verfahrens einzusehen, einräumen und ein Verbandsklagerecht für Verbände vorsehen.Demokratie verlangt weiter eine Stärkung dieses Parlaments in dem Sinne, daß die Gentechnik einer Technikfolgenabschätzung unterzogen wird. Hierzu bedarf es eines Prozesses, der Wissenschaftler/innen und Laien-Experten und -Expertinnen in die parlamentarische Diskussion dieser Hochtechnologie mil einbezieht. Demokratie verlangt schließlich, daß Institutionen, denen, wie hier der Zentralen Kommission für die Biologische Sicherheit, Macht eingeräumt wird, so zusammengesetzt werden, daß auch Umweltschutz- und Verbraucher/innenverbände sowie Kritiker/innen der Gentechnik in diese Kommission berufen werden, daß Öffentlichkeit der Sitzungen, Veröffentlichungen der Ergebnisse sowie das Recht auf Minderheitenvoten eingeführt werden.Ein Recht der Gentechnik müßte diese Technologie gläsern machen, d. h. einen Prozeß organisieren, der Bürger/innen- und Umweltschutzverbänden Rechte einräumt, ihre Einwendungen gegen gentechnische Arbeiten wirksam in öffentlichen Anhörungsverfahren und vor den Gerichten einzubringen.Der Gesetzentwurf der Bundesregierung ist demgegenüber eine Flucht vor der Demokratie, eine Fluchs in den Zentralismus. Die Anwender und Betreiber, die die ZKBS bevölkern, sollen über die Anwendung der Gentechnologie entscheiden. Das Gesetz entmachtet die Legislative, weil alle wesentlichen Fragen überhaupt erst durch Rechtsverordnungen geregelt werden müssen. Das Gesetz enthält allein 40 Positionen, die erst noch auf den Erlaß einer Rechtsverordnung harren. Einvernehmen muß zwar mit dem Bundesrat hergestellt werden, nicht aber mit dem Parlament. Das Parlament bleibt draußen vor der Tür.
Meine Damen und Herren, ich bin der Meinung, die Bundesregierung sollte diesen Gesetzentwurf heute zurückziehen. Lassen Sie mich mit einem Zitat aus dem Urteil des Hessischen Verwaltungsgerichtshofes schließen. Dort heißt es:Der Gesetzgeber hat im Bereich der Grundrechtsausübung, soweit diese staatlicher Regelung zugänglich ist, alle wesentlichen Entscheidungen selbst zu treffen. Verfassungsrechtlicher Ansatzpunkt der von der Enquete-Kommission geforderten gesetzlichen Regelung sind jedoch nur die Rechtspositionen des Forschers und Unternehmers, nicht die der möglicherweise Gefährdeten. Offensichtlich wurde die grundsätzliche Zulässigkeit der Gentechnologie selbst nicht zum Thema erhoben. Die solchermaßen verkürzte Betrachtungsweise kann vom Senat nicht geteilt werden.Dem habe ich nichts hinzuzufügen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Seesing.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vor zwei Wochen haben wir den Bericht des Forschungsausschusses zum Abschlußbericht der Enquete-Kommission „Chancen und Risiken der Gentechnologie " hier diskutiert. In diesem Abschlußbericht hatte die Kommission im Jahre 1987 gefordert, die rechtlichen Grundlagen für die Nutzung der Gentechnologie durch ein Gesetz zu schaffen. Damals haben die Mitglieder dieser Kommission noch geglaubt, das durch eine Erweiterung des Bundesseuchengesetzes und durch die Umbenennung in „Gesetz zur Regelung der biologischen Sicherheit" tun zu sollen. Wir wissen heute, daß das kein glücklicher Vorschlag war.Der Bundestag hat vor 14 Tagen beschlossen, ein einheitliches Stammgesetz zur Regelung von Fragen der Gentechnik zu fordern. Dieses Gesetz soll nach dem Beschluß des Bundestages noch in dieser Wahlperiode in Kraft gesetzt werden. Jetzt liegt es vor allem an uns, ob der Beschluß realisiert wird.Der Entwurf ist nicht das erste Gesetz über die Anwendung der Gentechnologie. Das Königreich Dänemark kennt seit längerem eine spezialgesetzliche Regelung der Gentechnik in der Form eines Umwelt- und Gentechnologiegesetzes. Es wäre allerdings auch für unsere Beratungen wichtig und richtig, daß wir uns das dänische Gesetz, seine Handhabung und
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13276 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 175. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. November 1989
Seesingseine Weiterentwicklung genau anschauen. In Dänemark kann trotz oder gar wegen des Gesetzes produziert werden, bei uns fast nicht.Viele in unserem Lande haben zunächst gemeint, auf ein Gentechnikgesetz verzichten zu können. Sie haben angenommen, daß die einheitlichen EG-Richtlinien und die bisherigen nationalen Regelungen ausreichend seien. Dabei sind die EG-Regelungen noch nicht komplett. National haben wir einiges aufzuweisen. Von besonderer Qualität sind da die Richtlinien zum Schutz vor Gefahren durch in-vitro-neu-kombinierte Nucleinsäuren, kurz Genrichtlinien genannt. Sie liegen in der fünften Fassung vor. Ich meine, sie haben sich bewährt.Durch das vorliegende Gesetz sollen die Richtlinien eine verfassungsrechtlich sichere Basis erhalten. Erst die Einbeziehung von Anlagen zum Umgang mit gentechnisch veränderten Mikroorganismen in das Genehmigungsverfahren nach dem Bundes-Immissionsschutzgesetz hat die Wirtschaft und die Politik wach werden lassen. Der Ruf nach einem Gentechnikgesetz wurde laut. Auch ich hatte geglaubt, daß diese Regelungen vorübergehend reichen würden. Nun hat uns der hessische Verwaltungsgerichtshof eines besseren belehrt. Er sagt: Ohne Gesetz keine Gentechnologie, wenigstens nicht in Hessen — so könnte man das 20seitige Urteil auf einen Nenner bringen. Ich fühle mich in meiner Forderung nach einem Gentechnikgesetz bestärkt. Die Begründung des Urteils ist in einigen Punkten allerdings anfechtbar. Es liegt an uns, diese Dinge nun auszuräumen.Es ist das Anliegen der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, die Beratungen des Gentechnikgesetzes zielstrebig anzugehen. Das Ziel ist: Die Verfahren der Gentechnologie im Umgang mit Viren, Mikroorganismen, Pflanzen und Tieren sollen in der Bundesrepublik Deutschland so angewendet werden, daß Mensch und Umwelt - wozu ich auch alle anderen Lebewesen zähle — nicht Schaden nehmen, sondern Nutzen daraus ziehen. Rohentwürfe, Vorentwürfe, Zwischenentwürfe und Entwürfe hat es nun genug gegeben. Ich bin sehr froh, daß wir mit dem heutigen Tag in die Beratung des Gesetzestextes einsteigen können.Aus der Stellungnahme des Bundesrates und der Gegenäußerung der Bundesregierung ergibt sich aber, daß für manche Paragraphen neue Formulierungen zu finden sind. Dadurch haben wir aber auch die Möglichkeit, neue Erkenntnisse, die uns während der Beratungen des Gesetzes kommen, noch einzuarbeiten.Das Urteil des hessischen Verwaltungsgerichtshofes zwingt uns, die Beratungen dieses Gesetzes sehr zügig duchzuführen, wenn wir in der Bundesrepublik Deutschland eine Forschung in der Gentechnologie und ihre Nutzung, z. B. in der Pflanzenzucht, in der Tierzucht, in der Arzneimittelproduktion und bei der Lösung von Umweltproblemen, wollen. Zügige Beratung heißt für mich aber nicht großzügige, sprich: schlampige Beratung. Wir können nicht zulassen, daß am Ende der Beratungen in den Ausschüssen nochFragen offenbleiben, soweit wir als Gesetzgeber für die Beantwortung zuständig sind.
Ich sehe dabei durchaus, daß auch auf die Bundesregierung noch erhöhter Arbeitsaufwand zukommt. [hre Aufgabe ist es, parallel zu unseren Beratungen die Entwürfe für die nicht geringe Zahl von Verordnungen und Richtlinien fertigzustellen, die nach dem Gesetzentwurf notwendig sind. Es wäre auch, so glaube ich, nicht schlecht, wenn der federführende Ausschuß vor dem Abschluß der Beratungen erfährt, wie diese Verordnungen aussehen sollen, denn Gesetzgeber und Verordnungsgeber sollten durchaus in der Lage sein, ein, wenn ich das so sagen darf, Werk aus einem Guß zu schaffen.Ich will nicht auch noch auf die Einzelheiten des Gesetzentwurfs eingehen. Ich stimme für meine Fraktion der Gegenäußerung der Bundesregierung insoweit zu, als sie hilfreich ist, ein Gesetz zu schaffen, das auch die Zustimmung der Länder finden kann.Ich will lieber einige Punkte nennen, die mir für unsere Arbeit noch wichtig sind. Ich denke z. B. über folgende Probleme nach: Erstens. Die Zenrale Kommission für die Biologische Sicherheit hat nach dem Gesetzentwurf wichtige Aufgaben wahrzunehmen. [hre Zusammensetzung ist im Gesetzestext aufgeführt; es sollen Sachverständige und fachkundige Männer und Frauen aus den beteiligten Kreisen sein. [ch schlage vor, zu prüfen, ob es nicht sinnvoll ist, das eine oder andere Mitglied oder weitere Mitglieder aus den Kreisen zu berufen, die der Gentechnologie kritisch gegenüberstehen. Kritische Haltung, Fachkenntnis und objektives Bewerten müssen sich ja nicht ausschließen. Ich mag ja unrecht haben, aber ich möchte, daß über meinen Vorschlag wenigstens nachgedacht wird.
Zweitens. Die Sicherheitsstufen. Gentechnische arbeiten in geschlossenen Systemen werden in vier verschiedene Sicherheitsstufen eingeteilt. Das ist nichts Neues; aus den Genrichtlinien kennen wir verschiedene Sicherheitsmaßnahmen mit unterschiedlichen Einstufungen. Auch die Empfehlungen für den Umgang mit pathogenen Mikroorganismen usw. sehen eine Klassifizierung nach Gefährdungsstufen vor. Wir haben eine langjährige Erfahrung im Umgang mit solchen zum Teil auch sehr gefährlichen Organismen. Diese Erfahrungen müssen nun aber auch eingebracht werden. Es ist ja nicht die Stunde Null. Selbst in der Gentechnologie kann man inzwischen von millionenfachen Erfahrungen sprechen. Deswegen sehe ich es nicht ein, daß man für die Sicherheitsstufe 1 noch besondere Regelungen vorsehen soll. Diese Mikroorganismen stellen kein neues Lebensrisiko dar. Auch durch die Anwendung gentechnischer Verfahren entstehen keine neuen Gefahren. Ab Sicherheitsstufe 2 [st mit Gefährdungen in abgestufter Form zu rechnen. Deswegen muß man einsehen, daß wir auf einem exakten Genehmigungsverfahren für die Produktionsanlagen bestehen müssen. Dazu gehört auch eine Beteiligung der Öffentlichkeit.
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SeesingDrittens. Die Dauer des Genehmigungsverfahrens. Die Länder sollen nach ihren und meinen Vorstellungen die Genehmigung für gentechnische Produktionsanlagen und die Arbeiten darin aussprechen. Auf Grund der Erfahrungen, die wir mit derzeit in der Bundesrepublik laufenden Genehmigungsverfahren haben, muß sehr ernsthaft geprüft werden, wie wir zu einer genau überschaubaren Dauer eines Genehmigungsverfahrens kommen. Ich erwarte, daß wir dazu auch einen Überblick bekommen, wie es andere Staaten damit halten. Ich möchte erreichen, daß Verzögerungen in einem Genehmigungsverfahren nicht dem Gesetzgeber und der Genehmigungsbehörde in die Schuhe geschoben werden können.
Das bedeutet aber auch wieder, daß die Länder ihre Genehmigungsbehörden personell und sachlich bestens ausstatten. Die Länder werden das sicher auch gerne tun, hätten sie sonst, so frage ich, ihre allumfassende Zuständigkeit verlangt?
Anmerkungen wären auch noch zu anderen Fragen zu machen. Ich denke z. B. an die Forschungsfreiheit, an Freisetzungen und an Haftungsfragen. Wir werden das im Ausschuß behandeln.Ein persönliches Wort zum Schluß. Ich mache diese ganze Arbeit nur, weil ich der festen Überzeugung bin, daß viele Probleme dieser Erde nur noch mit Hilfe der Gentechnologie zu lösen sind. Deswegen müssen wir helfen, den Menschen Ängste zu nehmen. Genau das ist eine Aufgabe der Politik, also unsere Aufgabe.
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Becker-Inglau.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte noch ein Wort zu den Ausführungen des Herrn Staatssekretärs Pfeifer verlieren. Ich habe mit ausdrücklicher Verwunderung aufgenommen, daß Sie bei diesem gesetzgeberischem Verfahren solche Zurückhaltung geübt haben. An sich sind wir das bei der Regierung überhaupt nicht gewöhnt. Ich will nur noch einmal daran erinnern, daß Sie — hier wäre ja nur ein Gesetzentwurf dem Bericht entsprechend vorzulegen gewesen — in der Regierung es nicht einmal für notwendig erachtet haben, das Ergebnis der Arbeit, die eine Enquete-Kommission zu leisten hatte, abzuwarten, um dann einen Gesetzentwurf einzubringen, nämlich beim Gesundheits-Reformgesetz. Deswegen kann ich Ihnen nur sagen, Herr Staatssekretär: Sie haben drei Jahre gebraucht, um dem dringenden Appell der Enquete-Kommission zu folgen, die Empfehlungen des Berichts möglichst bald aufzugreifen und umzusetzen. Vor drei Jahren hätte man auch noch davon ausgehen können, daß es Regierung und Parlament hätte gelingen können, beim Hase-und-Igel-Spiel Gewinner zu werden. Ohne Druck von außen Entscheidungen und Regelungen betreffend den Umgang mit Gentechnologie zu treffen wäre damals möglich gewesen. Diese Chance verpaßt zu haben hat eindeutig die Regierung zu verantworten.Heute stehen wir vor der Situation, die mein Kollege Wolf-Michael Catenhusen bereits dargestellt hat, daß uns die Industrie zu Recht auf den Füßen steht und uns kurzfristig zu Entscheidungen zwingt, ebenso wie das Urteil, das Sie zitiert haben. Ich kann inzwischen nur vermuten, daß ohne diesen Druck wohl immer noch nichts geschehen wäre.
Aber nun zu dem, was uns als Gesetzestext zur Regelung der Gentechnologie vorliegt. Bei drei Jahren Arbeit hätte man von diesem Gesetz erwarten können, daß es umfassend, ausgefeilt und mit großer Sorgfalt bearbeitet wäre. Aber das Stichwort „Was lange währt, wird endlich gut" trifft auf diesen Gesetzentwurf nicht zu.Ich begrüße es ausdrücklich, daß es die Zielsetzung des Entwurfes ist, den Menschen und die Umwelt vor möglichen Risiken der Gentechnologie zu schützen und solchen Risiken auch vorzubeugen. Ebenso begrüße ich, daß man die Chancen, die uns diese neue Technologie bringen kann, nutzen will. Wer allerdings erwartet hat, daß es sich bei diesem Gesetzentwurf um ein wirkliches Schutzgesetz handeln könnte, der muß enttäuscht sein.Dieses will ich an vier Punkten verdeutlichen.Erstens. Die Zentrale Kommission für die Biologische Sicherheit ist nicht ausreichend und umfassend besetzt. Sie sollte nach unseren Auffassungen mindestens sechs Sachverständige, sechs Forscher und Wissenschaftler und sechs Vertreter gesellschaftlich relevanter Gruppen umfassen, um eine möglichst breite Meinungsvielfalt bei Entscheidungen einzubeziehen. Darüber hinaus muß dieser ZKBS eine jährliche Berichtspflicht gegenüber dem Bundestag auferlegt werden.Zweitens. Die Festlegung der Sicherheitsstufen ist in unseren Augen nicht eindeutig genug. Da aus dieser Festlegung die Sicherheitsmaßnahmen für die Beschäftigten im Hinblick auf den Arbeitsschutz, aber auch für die Menschen und die Umwelt außerhalb abgeleitet werden, muß hier dringend eine angemessene Abstufung eingebracht werden.Drittens. Jede Art der Freisetzung gentechnisch bearbeiteter Organismen und Produkte muß im Gesetz festgelegten Sicherheitsvorkehrungen unterliegen, bis hin zu einem Moratorium, wenn eine Technikfolgenabschätzung Risiken offenläßt und die Rückholbarkeit in Frage gestellt ist.
Viertens. Daraus sich ergebende Haftungsregelungen sind auch nicht ausschließlich zum Schutze des Menschen und seiner Umwelt festgelegt. Mein Kollege Catenhusen hat das etwas ausführlicher dargelegt. So vermißt meine Fraktion in diesem Gesetzentwurf, über dieses hinausgehend, beispielsweise auch ein eindeutiges Verbot zur gentechnologischen Forschung im militärischen Bereich.
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Frau Becker-InglauEbenfalls haben wir erwartet, daß endlich — wenn nicht in diesem Gesetz, so doch parallel zu den Regelungen — zum Umgang mit Genomanalysen eine Vorlage auf den Tisch dieses Hohen Hauses — etwa in Form eines Genomanalysegesetzes — gekommen wäre. Statt dessen erfahren wir aus den Medien, daß die Genomanalyse bereits Anwendung im Strafverfahren in Form des „genetic finger-printing" finden soll. Ich frage: Auf welcher rechtlichen Basis geschieht dies, und mit welchen dieser besonderen Methode gerecht werdenden Maßnahmen wird dem Datenschutz Rechnung getragen? Ich finde es unglaublich, daß die Regierung nicht einmal im eigenen Hause den Schutz vor den Risiken der Gentechnologie zum wichtigsten Grundsatz ihrer eigenen Entscheidungen werden läßt.Deshalb halte ich es für dringend nötig, nicht, wie von Frau Rust gefordert, das Gesetz zurückzuziehen, sondern unverzüglich einen Unterausschuß interfraktionell und ausschußübergreifend einzurichten, der sich ausschließlich mit der Umsetzung der Empfehlungen der Enquete-Kommission in gesetzliche Regelungen befaßt, damit man den Menschen und ihrer Umwelt, aber auch der Forschung und der Produktion im Hinblick auf die Ausschaltung der Risiken und im Hinblick auf den Nutzen der Chancen der Gentechnologie gerecht wird.Herzlichen Dank.
Ich schließe die Aussprache. Der Ältestenrat schlägt vor, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 11/5622 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? — Das ist nicht der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 7 und die Zusatztagesordnungspunkte 3 bis 5 auf:
7. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Verteidigungsausschusses als 1. Untersuchungsausschuß nach Artikel 45 a Abs. 2 des Grundgesetzes
zu dem auf Antrag der Fraktion der SPD am 21. September 1988 gefaßten Beschluß des Verteidigungsausschusses, sich zur Abklärung der Vorgänge bei und im Zusammenhang mit den Flugtagen in Ramstein und Nörvenich am 28. August 1988 als Untersuchungsausschuß nach Artikel 45 a Abs. 2 des Grundgesetzes zu konstituieren
— Drucksache 11/5354 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Gerster Kossendey
Lowack
Nolting
Opel
Frau Schilling
Wilz ZP3 Beratung des Antrags der Abgeordneten Frau Schilling, Dr. Mechtersheimer und der Fraktion DIE GRÜNEN
Konsequenzen aus der Katastrophe von Ramstein
— Drucksache 11/5679 —Überweisungsvorschlag:
Verteidigungsausschuß Auswärtiger Ausschuß
Innenausschuß
Ausschuß für Verkehr
ZP4 Beratung des Antrags der Abgeordneten Horn, Heistermann, Erler, Fuchs, Gerster , Dr. Klejdzinski, Kolbow, Koschnick, Leonhart, Steiner, Zumkley, Dr. von Bülow, Gansel, Dr. Götte, Kühbacher, Leidinger, Nagel, Opel, Dr. Scheer, Schulte (Hameln), Voigt (Frankfurt), Dr. Soell, Walther, Dr. Vogel und der Fraktion der SPD
Luftfahrtveranstaltungen in der Bundesrepublik Deutschland
— Drucksache 11/5681 —
Überweisungsvorschlag:
Verteidigungsausschuß Auswärtiger Ausschuß
Innenausschuß
Ausschuß für Verkehr
ZP5 Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Verteidigungsausschusses zu dem Antrag der Fraktion der SPD
Konsequenzen aus der Katastrophe des Flugtages in Ramstein am 28. August 1988
— Drucksachen 11/2897, 11/5650 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Kolbow Kossendey
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die Beratung 90 Minuten vorgesehen. — Ich sehe dazu keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Biehle. —
Ich höre gerade, daß Sie Geburtstag haben, Herr Kollege Biehle. Darf ich mir erlauben, Ihnen im Namen des Hauses dazu herzlich Glück zu wünschen.
Danke, Herr Präsident. — Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ihnen liegt der umfassende Abschlußbericht des Verteidigungsausschusses als Untersuchungsausschuß zur Abklärung der Vorgänge bei und im Zusammenhang mit den Flugtagen in Ramstein und Nörvenich am 28. August 1988 vor.Dies war in der Geschichte des Deutschen Bundestages das nunmehr elfte Untersuchungsverfahren des Verteidigungsausschusses als Untersuchungsausschuß.Die Koalitionsfraktionen einerseits und die SPD-Fraktion andererseits haben sich bedauerlicherweise auf einen gemeinsamen Bericht nicht verständigen können.
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BiehleDeshalb haben die Fraktionen von CDU/CSU und FDP mit einem Mehrheitsbericht und die Fraktion der SPD mit einem Minderheitenbericht im Untersuchungsausschuß zum verfahrensrechtlichen Teil, zum ermittelten Sachverhalt und zum Ergebnis der Untersuchung jeweils einen vollständigen eigenen Bericht vorgelegt. Seitens der Fraktion DIE GRÜNEN wurde kein Bericht vorgelegt. Wenn man sich auch nicht auf einen gemeinsamen Bericht verständigen konnte, so enthalten die beiden vorliegenden selbständigen Berichte, jeweils ergänzt durch eine Replik, doch eine Fülle von Gemeinsamkeiten.Der Name Ramstein läßt immer wieder das furchtbare Unglück vom 28. August 1988 in Erinnerung rufen. Der schon traditionelle Großflugtag der US-Luftwaffe in Ramstein am 28. August 1988 vor über 300 000 Zuschauern fand gegen 15.45 Uhr durch den Zusammenstoß und Absturz von drei Flugzeugen der Kunstflugstaffel der italienischen Luftwaffe „Frecce Tricolori" ein jähes und katastrophales Ende. 70 Tote waren die schreckliche Bilanz.Das Unglück von Ramstein hat die Verletzten, ihre Familien und die Hinterbliebenen mit unsäglichem Leid überhäuft; Lebensglück und Lebensplanung sowie berufliche Vorstellungen und Erwartungen wurden zunichte gemacht oder in ganz erheblichem Maß beeinträchtigt.In Anbetracht des Ausmaßes der Katastrophe, der Anzahl der Toten und Verletzten und der Art der Verletzungen gestalteten sich die Rettungsarbeiten in Ramstein nach dem Unglück außerordentlich schwierig.Die Rettungsmannschaften, Hilfsorganisationen, Ärzte und Polizei haben in aufopferndem Einsatz eine ungeheure Leistung vollbracht. Ich glaube, daß es absolut ein gemeinsames Anliegen dieses Parlaments ist, dafür aufrichtigen und herzlichen Dank zu sagen.
Der nunmehr vorliegende Abschlußbericht des Untersuchungsausschusses kann sich auf eine sehr intensive, dichte und sorgfältige Beweisaufnahme stützen. Der Untersuchungsausschuß trat zu 30 Sitzungen mit über 150 Stunden Beratungsdauer zusammen.Vernommen wurden im Untersuchungsausschuß insgesamt 28 Zeugen, darunter zwei sachverständige Zeugen und drei Sachverständige.Ergänzt wurde die Beweisaufnahme durch die Beiziehung umfänglicher Akten mit — man höre und staune — rund 12 000 Schriftseiten sowie Bildmaterial.Als Vorsitzender bin ich meinem Stellvertreter, dem Kollegen Kolbow, sowie den Obleuten Wilz und Wimmer — Kollege Wimmer war dies zeitweise, nämlich ehe er Staatssekretär wurde —, Horn, Ronneburger und Dr. Mechtersheimer sowie den Berichterstattern für die Unterstützung, aber auch — bei allen politischen Gegensätzlichkeiten — in weiten Passagen kooperative Mitarbeit außerordentlich dankbar. Nur so war es eigentlich möglich, daß der Untersuchungsausschuß die ihm gestellte Aufgabe erfüllen konnte.Den Angehörigen des Sekretariats mit Herrn Ministerialrat Aufenanger als Leiter und seinen Mitarbeitern, Frau Oberregierungsrätin Schreiter-Vogl und Herrn Oberamtsrat Gohla, sowie den Damen des Schreibdienstes darf ich für ihre Arbeit sehr herzlich danken. Mein Dank gilt auch den Mitarbeitern des technischen Dienstes im Deutschen Bundestag, den eingesetzten Stenographen aus Bund und Ländern, die herangezogen werden mußten, und auch den Fraktionsmitarbeitern.
Zu den vom Untersuchungsausschuß festgelegten Verfahrensregeln — auch im Hinblick auf die beabsichtigte gesetzliche Regelung des Rechts der Untersuchungsausschüsse — sind folgende Aspekte hervorzuheben. Wie schon im Kießling-Verfahren hat sich voll bewährt, die Beweisaufnahme grundsätzlich in öffentlicher Sitzung durchzuführen. Diese Verfahrensweise stärkt das Vertrauen der Öffentlichkeit in die parlamentarische Kontrolle, wie ich meine.Lassen Sie mich zu diesem Untersuchungsverfahren einige Fakten besonders herausstellen:Erstens. Der Wert dieses Verfahrens liegt auch darin, daß eine Reihe von Fragen im Verhältnis zu den Bündnisstreitkräften in der Bundesrepublik Deutschland zukünftig klarer beantwortet werden können, die aus Anlaß des Flugtages von Ramstein mißverständlich in der Öffentlichkeit erörtert worden sind.In Ramstein hat sich nach meiner Ansicht nie die Frage der Souveränität für die Bundesrepublik Deutschland gestellt.Grundlage waren stets das unter den Bündnispartnern frei vereinbarte Standardisierungsabkommen Nummer 3533 sowie einschlägige deutsche Gesetze.Ein Verschulden des Bundesministers der Verteidigung ist nicht erkennbar. Vorwürfe entbehren der sachlichen Grundlage.Zweitens. Das Untersuchungsverfahren hat nach meiner Überzeugung entscheidend dazu beigetragen, daß inzwischen Rheinland-Pfalz mit den US-Streitkräften eine Rahmenvereinbarung getroffen hat, die zukünftig bei Veranstaltungen der Alliierten mit großem Zuschauerandrang die festgestellten Unklarheiten in der Zusammenarbeit zwischen den deutschen und den alliierten Stellen im Rettungsdienst und Katastrophenschutz eindeutig und sachgerecht regelt.Drittens. Der Verursacher der Katastrophe ist der Solopilot der italienischen Kunstflugstaffel „Frecce Tricolori" , der in falscher Einschätzung der Flugfigur im 90-Grad-Winkel in Richtung Zuschauer flog und mit zwei Flugzeugen der übrigen Staffel zusammenstieß.Als mögliche Konsequenzen lassen Sie mich nun noch einige Punkte festhalten:Erstens. Es müssen umfassende Überlegungen angestrebt werden, in welcher Weise die Streitkräfte künftig öffentliche Selbstdarstellung durchführen.
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BiehleZweitens. Obwohl das Genehmigungsverfahren in der seit Jahrzehnten üblichen Form beim Bundesminister der Verteidigung korrekt abgewickelt wurde, scheint es notwendig, daß das Verfahren der Genehmigung beim Bundesminister der Verteidigung rechtsförmlicher ausgestaltet wird. Dazu gehört vor allen Dingen, wie ich meine, im Genehmigungsverfahren eine lückenlose schriftliche Dokumentation. Das Genehmigungsverfahren muß die Prüfung der einzelnen Flugfiguren unbedingt beinhalten; darauf kann nicht verzichtet werden.Drittens. Für künftige Flugveranstaltungen muß gewährleistet sein, daß die Sicherheitsbestimmungen und auch die sonstigen Vorsorgemaßnahmen verbessert werden. Dies gilt besonders auch für eine Vergrößerung der Sicherheitsabstände; denn Sicherheit hat die höchste Priorität.Viertens. Eine klare Abgrenzung zwischen Kunstflug und militärischem Ausbildungsflug scheint notwendig, weil es hier viele Irritationen gegeben hat. Aber eines muß gesagt werden: Kunstflug selbst darf nicht mehr in das Programm aufgenommen werden.Fünftens. Das Überfliegen von Zuschauerbereichen muß weiterhin verboten bleiben. Eine Ausnahmegenehmigung darf nicht mehr durch den Veranstalter zulässig sein. Auch dies muß in STANAG, in den Standardisierungsvereinbarungen, klargestellt werden.Sechstens. Die Koordinierung von Sicherheitsvorkehrungen zwischen Veranstalter, Sicherheits- und Hilfskräften sollte rasch in allen Bundesländern nach dem Beispiel der Mustervereinbarung von RheinlandPfalz geplant werden.Siebtens. Die Entschädigung für die Unfallopfer und Verletzten machte deutlich, daß auch das Staatshaftungsrecht einer Überprüfung bedarf.Achtens. Ich hoffe, daß der Abschlußbericht auch dazu beiträgt, über den finanziellen gesetzlichen Anspruch hinaus notwendige Hilfen im psychosozialen Bereich für die vom Flugunglück in Ramstein Betroffenen staatlicherseits zu ermöglichen und zu gewährleisten.Neuntens. Für nichtöffentliche Veranstaltungen, wie z. B. in Nörvenich am Vortag, auch mit geladenen Gästen müssen die gleichen Grundsätze und Verfahren wie bei öffentlichen Flugvorführungen gelten.Zehntens. Das Verhalten der Verantwortlichen am Flugtag in Nörvenich beim abschließenden Hallenfest, das trotz Katastrophe in Ramstein gefeiert wurde, fand bereits einhellige Mißbilligung — nicht nur in der Öffentlichkeit, sondern auch hier im Parlament — und führte zu personellen Konsequenzen. Ein besserer Kommunikationsstrang hätte allerdings manche Panne verhindert. Die aufgetretenen Lücken bei der Nachrichtenübermittlung im Bereich der Luftwaffe sind schnellstens zu schließen.Der Verteidigungsminister hat gestern in einem Schreiben, das in der Zwischenzeit auch den Fraktionen zuging, kundgetan, daß weitere erste Maßnahmen erfolgen. Ich darf die wichtigsten Passagen hier einbringen. Der Verteidigungsminister stellt fest:Gegenüber der bisherigen Praxis der „Flugtage" werden in Zukunft Flugvorführungen deutlich eingeschränkt. Sie sollen den Auftrag und die damit verbundenen Aufgaben der fliegenden Verbände der Bundeswehr und der verbündeten Streitkräfte darstellen. Die Sicherheit hat dabei höchste Priorität.Im Rahmen eines Gesamtkonzepts für die Öffentlichkeitsarbeit der Streitkräfte sollen daher künftig die fliegenden Verbände der Luftwaffe, der anderen Teilstreitkräfte sowie der Verbündeten sich im Rahmen von „Tagen der Offenen Tür" präsentieren. Teil dieser „Tage der Offenen Tür" sollen auch einzelne Vorführungen aus dem üblichen Flugbetrieb sein. Hierzu sind Einzelregelungen, z. B. Art und Dauer der fliegerischen Präsentation, noch nicht getroffen; auch ist die Abstimmung mit den Verbündeten noch nicht abgeschlossen.Denn das hat auch Auswirkungen auf das Standardisierungsabkommen.Die Sicherheitsbestimmungen, insbesondere zum Schutz der Zuschauer, werden erheblich verschärft.Das Genehmigungsverfahren für Veranstaltungen der Verbündeten wird unserem nationalen Verfahren entsprechen; die Genehmigungsbehörde wird zur Prüfung der Einzelvorführungen verpflichtet.Ich halte es für eine ganz wichtige Entscheidung, daß das nicht weitergegeben, sondern im Genehmigungsverfahren im Einzelbereich geklärt wird.Nicht-öffentliche Veranstaltungen fliegender Verbände werden im Genehmigungsverfahren den öffentlichen Veranstaltungen gleichgestellt, wann immer eine größere Zuschauerzahl zugelassen werden soll.Auch das ist eine Konsequenz aus dem, was sich in Nörvenich zugetragen hat.Die Regelungen für die Teilnahme militärischer Luftfahrzeuge an zivilen Veranstaltungen sollen denen für militärische Veranstaltungen entsprechen.Der Verteidigungsminister stellt abschließend fest, daß er im Einvernehmen mit dem Bundesminister für Verkehr Vorschläge hierzu an den Bund-LänderFachausschuß leiten werde. Sobald die abschließenden Entscheidungen getroffen sind, werden sie auch dem Verteidigungsausschuß vorgelegt. Ich gehe davon aus, daß die abschließenden Entscheidungen des Verteidigungsministers dann im Verteidigungsausschuß beraten werden.Ich glaube, das ist ein erster Erfolg der vielfältigen Beratungen im Verteidigungsausschuß als Untersuchungsausschuß. Man hat versucht, nicht nur strafrechtlich Schuldige zu suchen, sondern auch die Tatsachen herauszustellen, die solche Katastrophen künftig möglicherweise verhindern. Ich meine, das ist gelungen. Ich darf allen Kolleginnen und Kollegen, die im Ausschuß aktiv mitgearbeitet haben — es waren harte Wochen, es war Kärrnerarbeit, die hier geleistet worden ist — , noch einmal meinen herzlichen
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BiehleDank sagen. Ich glaube, wir haben einen wertvollen Beitrag geleistet, daß solche Katastrophen künftig nach menschlichem Ermessen nicht mehr passieren können.Herzlichen Dank.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Gerster .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es gibt Katastrophen und andere Ereignisse von schicksalhafter Bedeutung, die in das Leben vieler Menschen eingreifen, die zumindest vorübergehend bewirken können, daß die Menschen zusammenrücken und daß auch der tagespolitische Kleinkrieg der Politik einmal zurücksteht. Am 28. August 1988 — der Vorsitzende des Untersuchungsausschusses, der Kollege Biehle, hat es geschildert — und in der Folgezeit sind 70 Menschen gestorben. Hunderte sind verletzt und zum Teil für ihr Leben entstellt worden.Es hat wenige Tage danach in der Nikolaus-Kirche in Ramstein eine Trauerfeier gegeben, an der auch einige aus diesem Hause teilgenommen haben. In dieser Trauerfeier hat der damalige Ministerpräsident Bernhard Vogel eine Ansprache gehalten, die ich in zwei kurzen Auszügen zitieren möchte. Er hat zum einen gesagt:Diese Stunde hier in Ramstein kann die notwendige Selbstprüfung und die notwendige Rechenschaft derer, die Verantwortung tragen, nicht ersetzen, ... die Konsequenzen, die gezogen werden müssen, nicht ziehen. Aber diese Stunde hier in Ramstein muß der notwendigen Auseinandersetzung vorausgehen.Er hat dann gesagt:Ja, es ist wahr: Viele haben vor diesem Tag gewarnt. Es ist auch wahr: Andere haben dazu aufgerufen, an ihm teilzunehmen. Angesichts des schrecklichen Unglücks quälen uns viele Gedanken.Mich hat diese Rede des damaligen Ministerpräsidenten Vogel beeindruckt. Ich habe empfunden, daß das mehr als nur eine geschickte Formulierung in dieser außerordentlichen Situation war.Es ist vor dem Flugtag in Ramstein gewarnt worden. Das wollen wir nicht vergessen machen. Es ist von der SPD Rheinland-Pfalz gewarnt worden. Einige, die hier sitzen, z. B. die Kollegin Götte und ich, haben noch als Landesparlamentarier an Debatten teilgenommen, wo wir gewarnt haben. Es ist vom Kreistag Kaiserslautern gewarnt worden, übrigens auf Antrag der CDU. Es ist von der Evangelischen Kirche der Pfalz gewarnt worden. Die Vorwürfe, die sich die Warner damals anhören mußten, können unter der Überschrift „Antiamerikanismus" subsumiert werden. Das ist ein Vorwurf, der nach dem, was geschehen ist, wohl nicht mehr erhoben werden kann. Ministerpräsident Vogel, den ich schon zitiert habe, hat unmittelbar nach dem Unglück gesagt:Ramstein war ein Flugtag zuviel.Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, die Katastrophe von Ramstein war vermeidbar. Sie war eben kein Schicksalsschlag, der unabwendbar war.
Es gibt eine konkrete Verantwortung für diese Katastrophe.
Die Verantwortung tragen das Bundesministerium der Verteidigung als Genehmigungsbehörde und die US-Luftwaffe als Veranstalter des Flugtages.Ich will weniges sagen zur Hardthöhe als Genehmigungsbehörde: Der Abteilungsleiter Verwaltung und Recht, Herr Hildebrandt, hat im Untersuchungsverfahren wörtlich gesagt, er sei fassungslos gewesen, als er das nichtförmliche Genehmigungsverfahren festgestellt habe, das im wesentlichen formlos und mündlich abgelaufen sei, dessen Stichtag gar nicht genau beziffert werden könne. Es ist doch einigermaßen gravierend, wenn wir uns vorstellen, daß 300 000 deutsche Besucher bei diesem Flugtag, zu dem öffentlich aufgerufen wurde, auch von maßgeblichen Politikern der Region, der Bonner Regierungspartei CDU und der Landesregierungsspartei CDU, darauf vertrauen mußten und darauf vertraut haben, daß bei diesem Flugtag ganz selbstverständlich — ich sage es einmal ohne Überspitzung — ein deutscher Sicherheitsstandard Platz greift und daß eine detaillierte Gefahrenprognose der Genehmigung von deutscher Seite vorausgegangen ist.Das, was wir im nachhinein in einer mühsamen Arbeit feststellen mußten, kann man nur entweder als vorauseilenden Gehorsam, oder, wenn man etwas freundlicher formulieren will, als Vertrauensseligkeit der deutschen Stellen gegenüber dem amerikanischen Veranstalter beschreiben. In jedem Fall ist dies eine völlig unvertretbare Haltung angesichts der tatsächlichen und, wie wir wissen, eingetretenen Risiken und Gefahren.
Mit der Entlassung von Bundesverteidigungsminister Scholz hat der Bundeskanzler die Konsequenz aus einer — und jetzt formuliere ich wiederum wie der zitierte Herr Hildebrandt — unfaßbaren Fehlbesetzung gezogen. Daß er die Konsequenz gezogen hat, war bitter notwendig. Aber daß die Fehlbesetzung dieses wichtigen Amtes auf der Hardthöhe geschehen konnte, muß noch einmal gewürdigt werden, nicht weil wir uns an Herrn Scholz schadlos halten wollen, sondern weil wir die Gesamtverantwortung der Bundesregierung in dieser Frage reklamieren müssen.
Herr Scholz hat im Vorfeld an den Ministerpräsidenten Rau geschrieben — das ist wörtlich nachzulesen — , er habe sich sorgfältig vergewissert, daß bei dem Flugtag in Nörvenich keine spektakulären Luftübungen stattfänden und daß besondere Sicherheitsvorkehrungen getroffen worden seien. Dessen habe
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13282 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 175. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. November 1989
Gerster
er sich persönlich vergewissert. Wir haben den Inspekteur der Luftwaffe gefragt, und er hat bestätigt, daß der Minister ihn nie darauf angesprochen hat.Im übrigen wurde im Untersuchungsverfahren auch deutlich, daß, wenn das Wort „ich" in Briefen steht, die die Unterschrift des Ministers tragen, nie der Minister persönlich gemeint ist, sondern immer nur das Haus, das Ministerium.Minister Scholz hat am 29. August reklamiert: Ich bin zuständig für das Genehmigungsverfahren. — Weil er, ohne den vollen Überblick zu haben, wie es tatsächlich praktiziert wurde, dieses geäußert hatte, mußte hastig und unvollkommen ein Genehmigungsverfahren nachkonstruiert werden, damit diese großsprecherische Verantwortungsübernahme des Ministers nicht im nachhinein Lügen gestraft werden mußte.Er hat sich in einer entscheidenden ersten Verteidigungsausschußsitzung vom 8. September 1988 so überfordert gezeigt, in einer peinlichen, in einer erschreckenden Weise fachlich und menschlich überfordert gezeigt, daß wir gezwungen waren, den Untersuchungsausschuß zu installieren.
Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, mit der Entlassung von Herrn Scholz ist das Problem dieses Mannes vielleicht für ihn persönlich gelöst, aber zum anderen wohl auch in einer schicksalhaften Weise verstärkt worden. Aber die Gesamtverantwortung der Bundesregierung für den Flugtag in Ramstein ist damit nicht erledigt.
Ich muß auch etwas — und ich sage das sehr betont — zu den Untersuchungsberichten der amerikanischen Seite, aber auch zu dem trinationalen Untersuchungsbericht sagen, wonach die Alleinschuld an 70 Toten und Hunderten von Verletzten der tote italienische Solopilot trage. Das ist eine, wie ich finde, menschlich unerträgliche — ich spreche nicht von strafrechtlichen Schuldbegriffen, aber von menschlichen und ethischen Schuldbegriffen — Konzentration der Schuld auf einen toten Menschen,
der sich nicht wehren kann und der bei der Anlage dieses Flugtages, bei der Anlage der Flugfiguren, die den Veranstaltern vorher bekannt waren, auch persönlich einem Risiko ausgesetzt wurde, das er eben nur mit einem gewissen Grad von Wahrscheinlichkeit überschauen und durchstehen konnte.Meine Damen und Herren, insofern sind eben auch die Schlußfolgerungen von Ramstein auf den allgemeinen militärischen Flugbetrieb erlaubt. Wir muten unseren Flugzeugführern bereits im alltäglichen Flugbetrieb ein Ausmaß an Belastungen zu, das ein Mensch im Grunde genommen gar nicht mit gleicher Sicherheit ertragen kann. Wir muten dem Flugzeugführer bei besonderen Einsätzen, wie sie ihm im Kunstflug, aber auch bei bestimmten Flugübungen im Einsatzauftrag abverlangt werden, Belastungen zu, die sein Urteilsvermögen, seine physische und psychische Präsenz auf ein Minimum reduzieren. Diesem Risiko setzen wir dann Hunderttausende von Zuschauern aus. Meine Damen und Herren, wir wissen alle im nachhinein, was das bedeutet.Wir reklamieren auch Mängel beim Rettungsdienst und beim Katastrophenschutz, und wir freuen uns mit Ihnen, Herr Kollege Biehle, daß das Land RheinlandPfalz begrüßenswerte Konsequenzen gezogen hat.Meine Damen und Herren, die Akzeptanz der Landesverteidigung im Frieden hat im Katastrophenjahr 1988 gelitten. Es war ja mehr als nur Ramstein. Wir alle kennen die anderen Katastrophen. Wir müssen über die Konsequenzen hinaus, die wir im einzelnen zu treffen haben, Konsequenzen im Denken ziehen. Das heißt, daß wir uns immer wieder von neuem darüber klarwerden müssen, daß Flugzeuge Waffen sind, die nicht zur Volksbelustigung geeignet sind, daß der militärische Flugbetrieb über der dichtbesiedelten Bundesrepublik im Frieden zivilisationsverträglicher werden muß und daß die deutsch-amerikanische Freundschaft, so wichtig sie ist, in einem geeigneten Rahmen gefeiert werden muß, d. h. bei Volksfesten und bei Tagen der offenen Tür, ohne Gefahr für Leib und Leben unbeteiligter Menschen.Herzlichen Dank.
Das Wort hat der Abgeordnete Nolting.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Koalition gibt mit ihrem Abschlußbericht einen Überblick über die Prüfschritte des Untersuchungsausschusses, die Rechtsgrundlagen, den Ablauf der tatsächlichen Ereignisse in Ramstein und Nörvenich einschließlich der Verwaltungsverfahren sowie die rechtliche Bewertung, und dies objektiv. Wir haben Zeugenaussagen nur dann aufgenommen, wenn sie Sachverhaltsfeststellungen untermauern.Beim Sachverhaltsteil Ramstein haben wir einen kurzen Überblick über die geltenden Rechtsvorschriften und Verfahren gegeben, um die daran anschließende chronologische Wiedergabe der Vorgänge vor, bei und nach dem Flugtag verstehen zu können.Meine Damen und Herren, ich habe diese Vorbemerkungen gemacht, um aufzuzeigen, warum wir den Entwurf des Sekretariats überarbeitet und ergänzt haben.Für die FDP-Fraktion möchte ich mich an dieser Stelle ausdrücklich bei den Mitarbeitern des Sekretariats für ihre bestimmt nicht immer leichte Arbeit bedanken.
Der Auftrag des Untersuchungsausschusses Ramstein-Nörvenich ist erfüllt. Die Zielsetzung des Untersuchungsausschusses, nämlich politische Kontrolle auszuüben, wurde voll erreicht.Meine Damen und Herren, ich muß aber auch festhalten, daß das Einsetzen und der Verlauf des Untersuchungsausschusses leider nahezu ausschließlich vom Bestreben der Opposition bestimmt waren, dem Bundesminister der Verteidigung und den US-Streit-
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Noltingkräften ein Fehlverhalten im Zusammenhang mit der Katastrophe von Ramstein nachzuweisen.
Ich kann für uns feststellen: Dies ist nicht gelungen.
Die Opposition unternahm vor allem den Versuch, aus der Katastrophe von Ramstein wahlkampftaktische Vorteile zu erringen. Herr Gerster, Ihr Beitrag zeigte dies hier heute genau wieder.
Das Vorgehen der Opposition — hören Sie zu, Herr Heistermann — lief bedauerlicherweise oft nach dem Grundmuster ab, erst öffentlich Vorverurteilungen vorzunehmen, diese nach Erweis der Unhaltbarkeit sodann auf Restvorwürfe zu reduzieren und schließlich, wenn die Unhaltbarkeit durch die Beweisaufnahme zu offenkundig zu werden drohte, auf weitere Beweisaufnahmen zu verzichten. Ich kann Ihnen das später in meinem nächsten Redebeitrag noch einmal beweisen.
Wir haben im Untersuchungsausschuß festgestellt, daß das Genehmigungsverfahren für die Flugvorführung in Ramstein so, wie seit Jahren vorgeschrieben und auch von sozialdemokratischen Verteidigungsministern praktiziert, durchgeführt wurde.
Ich sage an dieser Stelle: Ich bedaure, daß wir die ehemaligen Verteidigungsminister Schmidt, Leber, Apel nicht vernommen haben, wie die FDP-Bundestagsfraktion es ursprünglich vorgesehen hatte.
Wir alle wissen, daß die Genehmigungsvorschriften und Regelungen zu Flugtagen erst durch diese Bundesregierung verschärft wurden. So war denn die Genehmigung der Flugvorführung in Ramstein nach den Regeln des STANAG 3533 rechtmäßig. Auch bei der Bundeswehr werden die Flugvorführungen nicht von der Genehmigungsbehörde, sondern vom Gesamtleiter überprüft,
der sachnäher, Herr Kollege, und sofort entscheiden kann. Das sollten Sie als ehemaliger Luftwaffengeneral eigentlich wissen.
So muß er z. B. bei Wetteränderungen schnell und vor Ort entscheiden. Das werden Sie ja wohl nicht bestreiten wollen.Die Vorführungen der „Frecce Tricolori" wurden eingehend überprüft, obwohl dieser Prüftakt luftverkehrsrechtlich nicht vorgeschrieben ist. Bei dieser Vorübung verhielt sich der Solopilot äußerst besonnen und korrekt. Das krasse fliegerische Fehlverhalten des Solopiloten am Flugtag selbst war in keinerWeise vorhersehbar und von seiten der Veranstalter daher auch nicht vermeidbar.
Auch der Untersuchungsbericht der trinationalen Unfalluntersuchungskommission kommt zu dem Ergebnis, daß die Ursache des Unglücks einzig und allein menschliches Versagen des während der Flugvorführungen der „Frecce Tricolori" voll einsatzfähigen Solopiloten war.
— Herr Kollege Jungmann, wenn Sie ständig dazwischenschreien, muß ich sagen: Es wäre gut gewesen, wenn Sie an den Sitzungen des Untersuchungsausschusses teilgenommen hätten. Dann hätten Sie sich vorher informieren können.
— Ich könnte das auch in Richtung anderer Kollegen sagen, die jetzt dazwischenrufen. Wir kommen vielleicht später noch einmal darauf zurück.
Meine Damen und Herren, vorher waren auch keine Anhaltspunkte für besondere Gefahrenmomente erhältlich, zumal die Vorführungen der „Frecce Tricolori" in der Bundesrepublik bereits elfmal, auch bei zivilen Flugtagen, anstandslos durchgeführt wurden.Die Opposition erhebt nun den Vorwurf einer Verletzung der Abstandsregelung für den Kurvenflug. Auch das ist unzutreffend, weil der Solopilot bei korrekter und so genehmigter Ausführung den Kurvenflug mit Abschluß des vertikalen Flugteils längst abgeschlossen hatte und sich anschließend in einem ansteigenden Geradeausflug in Richtung Zuschauer befand. Sie alle wissen, daß Geradeausflüge in Richtung Zuschauer bisher laufend stattfanden. Sie sind bisher in keiner Vorschrift verboten. Ebensowenig war das vom Gesamtleiter genehmigte Überfliegen der Zuschauer verboten.
Herr Gerster und Herr Opel, Sie sollten mit Ihren ständigen Schuldzuweisungen aufhören.
— Herr Kollege Opel, als ehemaliger Luftwaffengeneral — ich sagte es vorhin schon — sollten Sie sich ein bißchen mäßigen.
— Er weiß eben nicht, wovon er redet. Das ist der Unterschied.
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NoltingSie sollten wirklich aufhören, mit dieser Katastrophe Wahlkampf zu betreiben.
Auch der Vorwurf der SPD, die Genehmigung sei nachkonstruiert worden, ist nach endloser Beweisaufname zu ebendiesem Thema als geradezu bösartig zu bezeichnen. Auch das ist von ihrem Kollegen Gerster, meine Damen und Herren von der Opposition, gerade wieder vorgetragen worden.
Auch der Staatsanwalt in Zweibrücken ist zu dem Ergebnis gekommen, daß der Flugtag genehmigt worden ist. Aber selbst das akzeptieren Sie nicht, wie wir vorhin wieder gehört haben.
Der weitere Vorwurf der Opposition, der Minister habe sich entgegen schriftlichen Darlegungen nicht persönlich um die Genehmigung gekümmert, wird in bewußter Verkennung der ministeriellen Geschäftsordnung erhoben und ist abwegig. In der Ministerialverwaltung ist seit Jahrzehnten von zeichnungsbefugten Organen des Ministeriums die Ich-Form bei allen dem Minister zuzurechnenden Erlassen, Schreiben usw. zu wählen. Herr Kollege Horn, auch das war bei sozialdemokratischen Ministern so.
Auch die Vorwürfe, die die SPD gegenüber den an den Rettungsmaßnahmen beteiligten Soldaten und Organisationen erhebt, sind unverständlich und unhaltbar. Ich weise sie mit aller Schärfe zurück. Die Zuständigkeiten sind klar abgegrenzt. Es bedarf deshalb lediglich einer besseren Koordinierung, nicht aber neuer Vertragsregeln im Zusatzabkommen. Auch war es medizinisch sachgerecht, auf die Erstversorgung in einigen Fällen zu verzichten. Wir haben festgestellt, daß ein Mehr an sanitätsdienstlichen Vorsorgemaßnahmen auch im Hinblick auf mögliche Unfälle andernorts nicht zu verantworten gewesen wäre. Die amerikanischen Soldaten sowie die zur Unterstützung eingesetzten Soldaten der Bundeswehr leisteten ebenso wie die zivilen Hilfsorganisationen, wie die Polizei und wie die freiwilligen Helfer überragende Arbeit, und hierfür gilt allen Beteiligten unser Dank.
Meine Damen und Herren, ich will auch hier noch einmal daran erinnern, daß der Brand bereits nach zwölf Minuten gelöscht war und daß alle Verletzten innerhalb von 90 Minuten ärztlich versorgt waren. So bezeichnete denn Oberstarzt Dr. Paul die Rettungsmaßnahmen unter den gegebenen Umständen zu Recht als optimal.Wir alle wissen, daß beim Entschädigungsverfahren die Untersuchungskompetenz des Ausschusses beschränkt war, weil der Bund nur die Rechtsaufsicht hat. Die Abwicklung des Verfahrens ist Sache derLandesbehörden. Es ist in erster Linie Sache des Landes Rheinland-Pfalz, sich zu eventuellen fehlerhaften Entwicklungen zu äußern. Ich sage aber auch, daß eventuell verzögerte Entschädigungsverfahren im Interesse der Betroffenen schnellstens abgeschlossen werden müssen.
Lassen Sie mich noch etwas zum Flugtag und zu den Pannen in Nörvenich sagen. Für die fehlerhafte Entscheidung, den Flugtag nicht abzubrechen, waren ausschließlich Oberst Hoppe und Generalmajor Rimmek verantwortlich. Auch für die fehlerhafte Entscheidung, das Hallenfest am Abend des Flugtages durchzuführen, haben sich die beiden zu verantworten. Es hätte eine Selbstverständlichkeit sein müssen, das Hallenfest nicht stattfinden zu lassen.Meine Damen und Herren, der Untersuchungsausschuß hat aber auch Konsequenzen für die Durchführung zukünftiger Flugtage gezogen. Der Untersuchungsausschuß begrüßt, daß das Bundesverteidigungsministerium ein Bündel von Maßnahmen ergriffen hat, die auf ein neues Konzept zur fliegerischen Selbstdarstellung und auf mehr Sicherheit bei künftigen Flugtagen abzielen.
Dies wird im einzelnen u. a. sein:erstens ein Verbot für Flugtage mit eindeutigen Showeffekten,zweitens eine Arbeitsgruppe, die auch mit den Alliierten ein künftiges Konzept erarbeitet,drittens die Berücksichtigung der Empfehlungen der Steinhoff-Kommission,viertens die Überprüfung der Rechtsvorschriften für Flugtage undfünftens die Überprüfung der Richtlinien für Hilfeleistungen in bezug auf Verbrennungsopfer.Weiter schlägt der Untersuchungsausschuß vor:Erstens die Überarbeitung des STANAG 3533 mit dem Ziel, z. B. ein Verbot des Überfliegens von Zuschauerbereichen aufzunehmen,zweitens die stärkere Harmonisierung der Sicherheitsvorschriften,drittens ein einheitliches Vorgehen bei der Festlegung höherer Sicherheitsstandards für militärische und zivile Flugtage gleichermaßen,viertens die stärkere Formalisierung des Genehmigungsverfahrens, um die im Bericht festgestellten anfänglichen Irrtümer über die Genehmigungsdaten künftig auszuschließen, undfünftens die Überprüfung und Neuregelung des Haftungsrechts des Bundes.Es stellt sich nun die Frage, warum es keinen gemeinsamen Abschlußbericht gegeben hat. Meine Damen und Herren, wenn Sie sich den Abschlußbericht der SPD einmal ansehen, werden Sie feststellen, daß er die einfachsten rechtlichen Prinzipien mißachtet
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Noltingund deutlich macht, weshalb ein interfraktioneller Konsens zumindest über die Verfahrens- und Sachverhaltsteile des Abschlußberichtes nicht erreichbar war. Dies waren z. B. die haltlosen Vermutungen und Verdächtigungen schon in der Verfahrensgeschichte, z. B. die teilweise sogar beleidigenden Ausführungen zur Koordinierungsgruppe des BMVg. Dies war auch die zersplitternde und mit unzuzreichenden Vorabbewertungen versehene Struktur, die teilweise verfälschten oder lückenhaften Zitate, aber auch die unzutreffenden Angriffe gegenüber dem Bundesminister der Verteidigung und den Mitgliedern der Koalition. Ich vermute, Herr Kollege Opel, daß die SPD eine vorzeitige Aufkündigung der Zusammenarbeit im Ausschuß und für den Abschlußbericht bewußt herbeigeführt hat. Ich verweise hier auf die ständigen Vorverurteilungen und Diffamierungen in der Presse.Schließlich wurde uns dann auch noch unterstellt, wir hätten keinerlei Interesse an aufklärender Sacharbeit.
Wenn dies der FDP von der SPD vorgeworfen wird, kann das nicht ernst gemeint sein.
Jeder, der an allen Sitzungen — ich betone: an allen Sitzungen — teilgenommen hat — das haben Sie nämlich nicht getan —, wird bestätigen können, daß es gerade die FDP war, die für ein objektives, sachliches und beschleunigtes Verfahren eingetreten ist.
Meine Damen und Herren von der SPD, ich erwarte von Ihnen, daß Sie sich entschuldigen,
daß Sie sich bei den Alliierten entschuldigen,
daß Sie sich bei der Bundesregierung entschuldigen, daß Sie sich bei allen an den Rettungsmaßnahmen beteiligten Personen entschuldigen und daß Sie sich bei uns entschuldigen, bei den Abgeordneten der Koalition.
Gestatten Sie mir noch einen Hinweis. Die parlamentarische Untersuchung der Katastrophe von Ramstein darf keinen Anlaß für parteipolitische Polarisierung und Profilierung geben,
wie Sie es während dieser anderthalb Jahre getan haben. Die Katastrophe sollte vielmehr gerade auch für uns Mahnung sein, allen Risiken des Flugbetriebs, sei er technisch auch noch so perfekt gesichert, Rechnung zu tragen. Ich denke, dies sind wir den Opfern der Katastrophe von Ramstein und ihren Familien schuldig.Nach den Erkenntnissen von Ramstein dürfen sich unsere Bemühungen nicht auf militärische Flugtage beschränken. Wir begrüßen daher die vom Verteidigungsministerium bereits angeordneten Maßnahmen zur Neugestaltung von Flugtagen. Ziel dieser Maßnahmen muß sein, ein ansprechendes Konzept für die Selbstdarstellung der Streitkräfte zu entwickeln, das auf jedwede Gefährdung der Zuschauer verzichtet.Meine Damen und Herren, gestatten Sie mir als Berichterstatter für die FDP-Bundestagsfraktion noch ein abschließendes Wort. Die ungerechtfertigten persönlichen Angriffe der SPD gerade gegen die Abgeordneten der FDP-Fraktion haben uns getroffen und betroffen gemacht, so daß ich mir für die Zukunft eine gedeihliche Zusammenarbeit zumindest mit den Berichterstattern aus der SPD-Fraktion nur noch unter erschwerten Bedingungen vorstellen kann.
Wenn Untersuchungsausschüsse zum reinen Wahlkampfinstrument herabgewürdigt werden, ist dies ein Verlust an demokratischer und politischer Glaubwürdigkeit, der uns alle betrifft.
Als FDP fühlten und fühlen wir uns gegenüber allen Opfern und Beteiligten zu einer fairen und objektiven Untersuchung und Bewertung des Gesamtgeschehens verpflichtet. Dieser Aufgabe sind wir nachgekommen, und dies gilt für alle Mitglieder der Koalition.Vielen Dank.
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Schilling.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ramstein Air Base ist der größte Luftwaffenstützpunkt der USA und der NATO in Europa, und Ramstein ist das Hauptquartier der US-Luftwaffe in Europa. Von hier gehen die Einsatzbefehle für Manöver und ABC-Krieg aus. Ramstein bedeutet für die US-Luftwaffe: Machtdemonstration, Waffenkult, Spiel mit den Todesmaschinen.Weil Ramstein von einer solch zentralen Bedeutung für die US-Luftwaffe und damit auch für die untertänigen deutschen Bundesbehörden und sogenannten verantwortlichen Politiker ist, hat man dort auch den Atomkriegsstrategen freie Hand dafür gegeben, die bisher in 5 km entfernten Depots gelagerten Atomwaffen in speziellen Waffenbehältern in den Hangars direkt unter den Flugzeugen zu lagern. Die US-Soldaten nennen sie „Atomwaffengrüfte", und das Motto über diesen Grüften lautet: „Schneller zum Atomkrieg". Ramstein ist für den Einsatz der strategischen Atombomber und Atomraketen gegen den Osten, gegen die DDR und gegen die Sowjetunion, zuständig.Die alljährliche Flugschau hatte gerade in Ramstein ihre besondere Bedeutung und Symbolik — weltweit. Die „Germans" waren eingeladen, an dieser Show des „american military way of life" teilzunehmen, solange sie nicht auf die Idee kamen, Protestschilder
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Frau Schillingmitzunehmen und Aktionen gegen Tiefflug und Tieffluglärm zu machen. Diesen Protest, der jahrelang vorgetragen wurde, bis zum letzten Tag, bis zur letzten Minute, hat niemand von den sogenannten verantwortlichen Politikern ernstgenommen. Im Gegenteil, als ein Ergebnis des Untersuchungsausschusses kann gesagt werden: Man hatte bei Planung und Vorbereitung des Flugtages den Schwerpunkt auf die Bedrohung durch die Friedensbewegung statt auf das Absturzrisiko gelegt.Das Argument, man müsse diese Show veranstalten, um dem deutschen Steuerzahler zu zeigen, wo sein Geld hingeht, ist nicht nur zynisch, sondern auch falsch. Das belegt ein Zitat aus einer Studie des Stabs der US-Streitkräfte in Europa „Die Bedingungen in Deutschland, unter denen USAREUR leben und operieren muß". Da heißt es nämlich:Es ist ebenfalls offenbar, daß einige Deutsche glauben, ihre Regierung finanziere unsere Anwesenheit . (Eine Untersuchung vor ein paar Jahren ergab, daß sogar die meisten unserer Angestellten erstaunt waren, als sie feststellten, daß der amerikanische Steuerzahler ihre Gehälter bezahlt.)... einige dachten, es würde den Kongreß verärgern, wenn er wüßte, wieviel wir wirklich ausgeben.
Wir haben einen Antrag eingebracht, der a) Flugtage und Luftfahrtveranstaltungen generell verunmöglichen soll, b) umfassende Programme zur finanziellen Entschädigung und psychologischen Langzeithilfe für die Opfer aus dem Verteidigungshaushalt bezahlt haben will und c) die Un-Verantwortlichen benennt.Das ist deswegen nötig, weil erstens für die Amerikaner und die Bundesregierung Flugtage nicht vom Tisch sind. Man bastelt an neuen Rechtfertigungen, um 1990 weiterhin dem Militarismus zu frönen; im übrigen soll nur ja niemand auf die Idee kommen, da könnte tatsächlich etwas falsch gemacht worden sein; deshalb darf die Pause nicht allzu lange dauern. The show must go on.Das eine Jahr seit der Katastrophe ist nicht genutzt worden, um die Problematik grundsätzlich anzugehen. Es ist zweitens noch nicht einmal genutzt worden, um die versprochene „unbürokratische" Hilfe für die Opfer und deren Angehörige zu leisten.Wo ist diese Hilfe, wenn psychologische Probleme durch Privatinitiative angegangen werden müssen, weil angeblich kein Geld da ist; wenn Betroffene in unwürdigen Verfahren nachweisen müssen, daß ihr seelischer Schaden durch die Katastrophe von Ramstein entstanden ist — das gleiche erleben wir in Remscheid —; wenn die Mutter, die ihren Sohn verloren hat, kleinlich vorgerechnet bekommt, daß sie keinerlei Ansprüche hat und auch ihre Rechtsanwaltskosten selber bezahlen muß; wenn es am Geschick des Rechtsanwalts hängt, daß Betroffene ein paar Mark herausholen?Das ist entwürdigend und beschämend für eine Bundesregierung, die gleichzeitig im Verteidigungshaushalt lieber neue Waffensysteme für viele Milliarden anschafft, die Europa in Schutt und Asche legen können. Wie enttäuscht und getäuscht müssen sich die Opfer und ihre Angehörigen fühlen, wenn noch nicht einmal Schuldige benannt werden! Es ist ja so bequem, menschliches Versagen anzugeben. Dann ist nämlich a) die Technik fein raus, die Militärmaschinerie und die übermenschliche Belastung der Piloten wird nicht angetastet, und b) derjenige, der versagt hat, ist tot, er kann sich nicht wehren, er soll alleine schuld sein. Was würde er uns eigentlich heute sagen?Für dieses Null-Ergebnis wurde der Untersuchungsausschuß mißbraucht und ließ sich mißbrauchen, ein Lehrstück parlamentarischer selbstverschuldeter Unmüdigkeit!
Fast ein Jahr lang hat der Untersuchungsausschuß versucht, einfachste Sachverhalte durch akribische Fragen und stundenlanges Würmer-aus- der-NaseZiehen aufzuklären und in ihrer gleichgültigen, hilflosen, eiskalten Dimension zu erhellen.Es konnte erwartet werden, daß die betroffenen Behörden auf allen Ebenen den Sachverhalt im Zusammenhang vorgetragen hätten.Der Untersuchungsausschuß degradierte sich selbst zur Spielwiese, indem er mehrheitlich hinnahm, daß die CDU/CSU die Untersuchungen auf Nebensächlichkeiten hinlenkte, die Koordinierungsgruppe als Zeugenwaschanlage fungierte; d. h. sie synchronisierte die Zeugenaussagen, was so weit ging, daß einem Gutachter, einem Scholz-Freund, vertrauliche Akten nach Berlin gebracht wurden.
Diejenigen, die untersucht werden sollten, haben es mit Erfolg bei der Mehrheit des Ausschusses geschafft, sowohl die Regeln der Untersuchung zu diktieren als auch das Ergebnis zu beeinflussen. Wer sich der Wahrheit allzu sehr näherte, wurde auf überbeanspruchte Zeugen hingewiesen, wurde in Geschäftsordnungsdebatten verwickelt oder bekam wie bei uns GRÜNEN auf undemokratische Weise vom Vorsitzenden das Fragerecht beschnitten. So verkam der Untersuchungsausschuß immer mehr zu einer Vortragsveranstaltung von Militärs und sogenannten Verantwortlichen, die das angeblich korrekte Genehmigungsverfahren bestätigten.
Aber es stinkt zum Himmel: Keine der Vorschriften in der STANAG ist eingehalten worden. Demnach hätte nämlich eine differenzierte Gefahrenprognose erfolgen müssen, und die hätte dann zum Verbot des Flugtages führen müssen, weil wenige hundert Meter von der Absturzstelle entfernt ein Lager mit dem hochgiftigen Treibstoff Hydrazin liegt und das Atomwaffenlager im benachbarten Weilerbach überflogen wird.
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 175. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. November 1989 13287
Frau SchillingFür die Bundesluftwaffe gilt: Das Atomwaffenlager auf dem Fliegerhorst in Nörvenich war auch nicht Gegenstand einer Risikoanalyse und Gefahrenprognose.Und: Der Ausbau der Atombomben-Hangars in Ramstein müßte jeglichen weiteren Flugtag dort verunmöglichen.Der Untersuchungsausschuß wurde zur Spielwiese, weil er sich mehrheitlich gegen eine Besichtigung vor Ort entschied und weil er hohe amerikanische Militärs und den US-Botschafter nicht als Zeugen aussagen ließ. Rechtlich wäre das möglich gewesen.Die Weigerung der Mehrheit des Untersuchungsausschusses, Zeugen zu vereidigen, obwohl vorab in langen Erklärungen jeweils auf die Möglichkeit und auf eventuelle Strafen hingewiesen wurde, wird von den GRÜNEN als Hinweis auf die Angst vor Anklage wegen Meineids gewertet. Untersucht werden muß noch, wer sich der uneidlichen Falschaussage schuldig gemacht hat.So bleibt festzuhalten: Nicht menschliches, sondern politisches Versagen liegt hier vor! Da die BRD ein souveräner Staat ist
und auch für ausländische Militärs deutsches Recht gilt — nachzulesen im NATO-Truppenstatut, im Deutschlandvertrag und im Grundgesetz — , lag und liegt die erste und alleinige Entscheidungskompetenz bei der Bundesregierung. Es kann wohl erwartet werden, daß von der Bundesregierung wenigstens geltendes deutsches Recht umgesetzt wird. Statt dessen wird der Rechtsstaat zwar betont, aber wenn es zur Katastrophe kommt, dann schleichen die angeblich politisch Verantwortlichen von der Bühne.Die Un-Verantwortlichen sind klar zu benennen —rechtlich, politisch und tatsächlich: erstens die Bundesregierung, insbesondere die ehemaligen Verteidigungsminister Wörner und Scholz — Ex-Verteidigungsminister Wörner verbat sich im Untersuchungsausschuß sogar, aus seiner Flugtaggenehmigung den Schluß zu ziehen, daß er damit auch die politische Verantwortung für die Folgen übernehmen müsse —; zweitens die amerikanische Regierung, für die die US-Militärs ihre Show abziehen; drittens die italienische Regierung, in deren Auftrag „Frecce Tricolori" flog und fliegt; viertens alle, die sich weiterhin an der Verschleierung, Verharmlosung und an der Lügerei beteiligen, die solche Katastrophen fahrlässig herbeiführen. — Übrigens, diese Formulierung wurde uns aus unserem Antrag gestrichen, was nicht gerade von einem demokratischen Verständnis zeugt.Wir als GRÜNE werden jedenfalls nicht aufhören, „wider das Vergessen" zu argumentieren und zu handeln.
Das Wort hat der Abgeordnete Wilz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn wir heute im Deutschen Bundestag Verfahren, Wertungen und Folgerungen des Abschlußberichtes debattieren, tun wir es im Bewußtsein unserer Verantwortung gegenüber den Opfern, deren Angehörigen und den Verletzten dieser schrecklichen Katastrophe. Sie mahnen uns, alles, was mit der Selbstdarstellung der Luftwaffe zusammenhängt, kritisch zu überdenken. Auch wir, die Mitglieder des Deutschen Bundestages, müssen uns fragen, ob wir nicht schon früher, ehe es zu diesem tragischen Unfall kam, Flugtage dieser Art von Nervenkitzel und Sensationslust hätten befreien müssen.Die Kritik darf jedoch niemanden dazu verführen, den Sinn und Zweck des Untersuchungsausschusses zu verfälschen. An die Adresse der Opposition sage ich: Sie haben das Forum des Untersuchungsausschusses, zumindest teilweise, zum parteipolitischen Tribunal mißbraucht.
Sie haben versucht, das Ergebnis des Untersuchungsausschusses durch Halbwahrheiten, Spekulationen, Unterstellungen und absichtlich falsch gezogene Schlüsse in Wahrheit für andere Zwecke zu nutzen:
für die Abschaffung des Tieffluges, für eine Kampagne gegen die Bundeswehr und ihre Repräsentanten
und nicht zuletzt für eine unverantwortliche Stimmungsmache gegen unsere amerikanischen Verbündeten und Freunde.
Trotz all dieser Widrigkeiten, mit denen Sie die Beweisaufnahme erschwert haben, müssen Sie hier und heute mit uns feststellen: Erstens. Die Bundesrepublik Deutschland hatte und hat die volle Macht eines souveränen Staates. Die alliierten Vorbehaltsrechte — das wissen Sie genau — gelten nur für Berlin und Deutschland als Ganzes. Dies hat der Untersuchungsausschuß in aller Klarheit bestätigt.Zweitens. Das NATO-Truppenstatut, das die Pflichten und Rechte verbündeter Streitkräfte im jeweiligen Gastland regelt, fordert: Alliierte Streitkräfte in der Bundesrepublik Deutschland sind an deutsches Recht und deutsche Verwaltung gebunden.Drittens. Alle am Genehmigungsverfahren Beteiligten — und dies gilt auch für den damaligen Verteidigungsminister Professor Scholz — sind ohne Schuld. Keiner — ich betone: keiner — Ihrer leichtfertigen Vorwürfe hat sich als haltbar erwiesen.
Im Gegenteil, sie führten zu einer unerträglichen Vorverurteilung.Dies veranlaßt uns zu der Forderung darüber nachzudenken, ob wir nicht entweder gesetzlich oder im Wege eines Ehrenkodex' regeln, daß es demnächst für
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13288 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 175. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. November 1989
WilzMitglieder des Untersuchungsausschusses keine Vorabverurteilung mehr geben kann. Alles andere ist unerträglich und sollte, wie es auch bei Gerichtsverfahren der Fall ist, für die Zukunft ausgeschlossen werden.
Lassen Sie mich an dieser Stelle, meine Damen und Herren, denen Dank sagen, die in hervorragender Weise mit- und zugearbeitet haben. Ich danke an der Spitze dem Vorsitzenden, Alfred Biehle, der in sehr fairer, seriöser und korrekter Weise die Untersuchungen geleitet hat. Herzlichen Dank dafür, Alfred Biehle.
Ich bedanke mich auch bei den Mitarbeitern des Ausschußsekretariats und auch bei den Mitarbeitern aller Fraktionen, die ihren Anteil an der Erledigung der Aufgabenstellung geleistet haben.
Ich stelle hier ausdrücklich fest, daß das Bundesverteidigungsministerium in sehr guter Kooperationsbereitschaft mitgewirkt hat. Dies muß hier auch einmal deutlich gesagt werden.
Lassen Sie mich zu Wertungen kommen. Die Katastrophe von Ramstein war nach gerechtem und vorurteilsfreiem Urteil nicht vorhersehbar. Es kam zu diesem schrecklichen Unfall, obwohl der Sicherheitsabstand für die Flugvorführungen um mehr als das Doppelte erhöht worden war, obwohl die Vorführungen durch zuständige Fachleute zuvor eingehend überprüft worden waren,
obwohl die italienische Staffel große fliegerische Erfahrung besaß und die US-Luftstreitkräfte als Vorbild für die Flugsicherheitsstandards gesehen wurden.Dennoch passierte das Undenkbare; es darf sich nie wiederholen.Ich komme für meine Fraktion zu den Folgerungen. Entscheidend ist: Militärische Flugtage wird es nicht mehr geben. Gleichzeitig können wir aber nicht zulassen — das sage ich in aller Deutlichkeit — , daß die Luftwaffe als einzige Teilstreitkraft ausgegrenzt wird, sich selbst darstellen zu können. Auch sie braucht — wie Heer und Marine — den „Tag der offenenDer Bundesminister der Verteidigung hat nach Ramstein unverzüglich begonnen, ein neues Konzept für solche — im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit notwendige — Veranstaltungen zu erarbeiten.Dieses Konzept hat von drei Grundbedingungen auszugehen: kein Kunstflug bzw. kein Flug mit Schaueffekten, kein Überflug von Zuschauern und kein Sensationskitzel.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Gerster ?
Ja, natürlich.
Herr Kollege Wilz, Sie haben eben gesagt, militärische Flugtage wird es nicht mehr geben. Haben Sie bei dieser Aussage berücksichtigt, was der Bundesverteidigungsminister dieser Tage dem Ausschuß und den Obleuten mitgeteilt hat? Sind das nicht Richtlinien, die militärische Flugtage in bestimmtem Rahmen weiterhin erlauben?
Die Frage ist, wie Sie „Flugtage" definieren. Ich habe eben eindeutig klargemacht, was wir wollen: Erstens. Es wird „Tage der offenen Tür" geben; zweitens habe ich genannt, was nicht mehr stattfinden darf, und drittens habe ich mich eindeutig zur Luftwaffe insoweit bekannt, als ich gesagt habe: Wir werden auch die Luftwaffe nicht verstecken. Ich sage das, damit das völlig klar ist.
Lassen Sie mich zusätzlich feststellen: Wir werden bei den Genehmigungen zu einem formalisierteren Verfahren kommen. Es bedarf in der Tat mehr der Schriftform. Aber damit hier gar kein Irrtum aufkommt — hier ist ja vorhin der Zeuge Hildebrandt zitiert worden — : Selbst wenn es hier ein schriftliches Verfahren in der gewünschten Form gegeben hätte, dann hätte das in bezug auf den Unfall selbst keine Folge gehabt.
Insofern kommt es darauf an, daß wir aus Gründen der Beweissicherung bessere Möglichkeiten entwickeln.Darüber hinaus wollen wir noch schärfere Sicherheitsvorschriften. Diese Bedingungen sind auch für Veranstaltungen der zivilen Luftfahrt zu fordern. Hier teilen wir natürlich auch voll die Auffassung der Kolleginnen und Kollegen der FDP.Zu den Lehren und Erfahrungen von Ramstein gehört auch: Die Zusammenarbeit zwischen amerikanischen und deutschen Rettungseinheiten an der Unfallstelle war unter Berücksichtigung aller Umstände vorbildlich. Dennoch, im Katastrophenfall kann und muß die Abstimmung zwischen Bund und Ländern einschließlich der alliierten Partner noch enger werden.
Ein Wort zum Entschädigungsrecht. Ich glaube, wir alle sind aufgerufen, auf alle Stellen einzuwirken, daß in solchen Fällen noch schneller und unbürokratischer geholfen werden kann. Das Haftungsrecht ist vom Deutschen Bundestag daraufhin zu prüfen, ob es für Unfälle solcher Art ausreicht. Ich erinnere daran, daß beispielsweise die Frage des Zeitwertes eine für uns in vielen Fällen sehr problematische Fragestellung war. Ich kann nur hoffen, daß alle Gremien des Deutschen Bundestages mitarbeiten werden, um das deut-
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Wilzsche Haftungsrecht in der Tat einer Verbesserung zuzuführen.
Herr Abgeordneter, es besteht noch einmal der Wunsch nach einer Zwischenfrage des Abgeordneten Müller. — Bitte schön, Herr Müller.
Herr Kollege Wilz, geben Sie mir recht, daß der Herr Bundeskanzler nach dem Unfall, nach dem Unglück selbst auch eine unbürokratische Hilfe versprochen hat, und was ist es dann wert, wenn das immer wieder neu versprochen wird, aber nicht so gehalten wird?
Herr Kollege Müller, ich darf darauf hinweisen: Wenn es einen Mann gibt, der zu seinen Aussagen steht, dann ist es der Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland. Sie können jedes Wort von Helmut Kohl auf die Waagschale legen.
Ich kenne keinen, der sich mehr zu seinen Worten bekennt und sich mehr daran hält.
Meine Damen und Herren, ich darf fortfahren, weil mir die Zeit wegläuft. Wir, das ganze deutsche Parlament, stehen in der Pflicht, zukünftig alles zu vermeiden, was Leib und Leben von Menschen in Gefahr bringt. Deshalb sind wir gegen Flugshows und Flugtage, aber auch dagegen, die Soldaten der Luftwaffe zu verstecken und die Kasernen zu verschließen. Wir, die CDU/CSU, wollen einen „Tag der offenen Tür" auch für die Luftwaffe, aber ohne Dramatik und Nervenkitzel und ohne Risiko für die Menschen.
Ich bedanke mich.
Vizepräsident Westphal: Das Wort hat der Abgeordnete Opel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich hätte eigentlich erwartet, daß hier — ähnlich
wie es in der Rede des Herrn Vorsitzenden des Untersuchungsausschusses zum Ausdruck gekommen ist — Betroffenheit Platz griffe, Betroffenheit ob dieses Unglücks, das wir noch vor Augen haben, weil wir die Aufzeichnungen gesehen haben und weil wir uns mit Tonaufzeichnungen, den Photographien und den Aussagen beschäftigt haben. Ich habe davon sehr wenig gespürt, und ich habe zu meinem Bedauern festzustellen, daß Sie die Vorurteile und die parteipolitischen Absichten wiederholen, die Sie zum Teil in Ihren Mehrheitsbericht hineingeschrieben haben. Ich bedaure das zutiefst.
Ich möchte mich nun mit dem Mehrheitsbericht befassen.
Herr Abgeordneter, sind Sie, bevor Sie dazu kommen, bereit, eine Zwischenfrage zu beantworten?
Nur wenn es mir nicht auf meine Redezeit angerechnet wird, Herr Präsident.
Nein, das wird nicht angerechnet. — Bitte schön, Herr Nolting.
Herr Kollege Opel, kennen Sie eigentlich Ihre Presseerklärungen, in denen Sie von „hinhaltenden Verfahrenstricks",
von „heuchlerischer Beteuerung", von „begleitender Polemik", von „hemmungsloser Polemik" , von „billigen Verfahrenstricks",
von „Winkeladvokaten der Koalition" sprechen, und wie können Sie dann erwarten, daß Sie in der heutigen Sitzung hier geschont werden, oder können Sie nicht verstehen, daß wir Ihnen das hier dann auch aufzeigen?
Herr Kollege, erstens kenne ich Sie.
— Herr Kollege, lassen Sie mich doch in Ruhe antworten, oder ertragen Sie das nicht?
— Ich bin ja dankbar, daß das endlich einmal im Protokoll und nicht nur in einer Presseerklärung steht.Ich muß sagen, Herr Kollege: Selbstverständlich kenne ich Sie. Aber das ist darauf zurückzuführen, daß Sie mit Äußerungen vorher an die Öffentlichkeit getreten sind, die schlicht und einfach die Wahrheit verfälschen. Sie haben uns gezwungen, ein klares Wort zu sagen, und das haben wir getan.
Wo Aufklärung angebracht wäre, haben Sie im Bericht bedauerlicherweise eigentlich nur Angriffe auf die Opposition anzubieten. Sie haben hier heute ja gezeigt, wie man das macht. Wo die Durchsetzung nationaler Interessen angebracht wäre, unterstellen Sie der SPD, sie würde — ich zitiere — „mit ihrer rechtsgrundlosen Souveränitätsdebatte das langfristige Ziel des Austritts aus dem Bündnis verfolgen". Wo die Menschen draußen hoffen, daß sich eine derartige nationale Katastrophe auf keinen Fall wiederholen möge — hier treffen wir uns, Herr Kollege Biehle und Herr Kollege Wilz — , stellen Sie leichtfertig fest, daß der Flugunfall unvorhersehbar und unabwendbar gewesen sei. Keine dieser Feststellungen trifft auch nur im Ansatz zu.Der Flugunfall war vorhersehbar!
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OpelEs hat ein Überfliegen der Zuschauer stattgefunden, was verboten war.
Der Pilot hätte beim Kurven auf die Zuschauer zu 900 m einhalten müssen. Der Unfall ist 530 m von den Zuschauern entfernt passiert. Die Flugzeugtrümmer und der Feuerball sind über 100 m in die Zuschauer eingedrungen. Dies bedeutet: Wenn es 900 m gewesen wären, wären zumindest die Folgen geringer gewesen. Reden Sie doch nicht darüber hinweg!
Was unser Verhältnis zu den verbündeten Stationierungsstreitkräften angeht, bedarf es an dieser Stelle eines klaren Wortes. Ich bedaure außerordentlich, daß sich weder die Amerikaner noch die Italiener bereit fanden, dem Untersuchungsausschuß Zeugen oder Sachverständige zur Verfügung zu stellen.
Völlig unverständlich ist zudem, daß dem Untersuchungsausschuß des Deutschen Bundestages ein Lokaltermin auf eigenem, wenn auch überlassenem Territorium in Ramstein verweigert wurde. Solches Verhalten nährt unnötigerweise die Ansicht, es gebe in unserem Lande Souveränitätsdefizite.Eines ist unzweifelhaft wahr: Die Alliierten haben sich in unserem Land nach unserem Recht zu richten.
Allerdings muß dieses Recht von der Exekutive auch konsequent durchgesetzt werden.
Hier gibt es bei der Bundesregierung auch noch heute erhebliche Defizite. Das hat überhaupt nichts mit einer Antihaltung, Herr Kollege, zu tun. Es ist jedoch ein entscheidendes Stück Selbstachtung; das ist doch die Wahrheit.
Hier liegen wir in der Tat weit auseinander: Wir wollen Souveränität mit Bestimmtheit und Selbstbewußtsein und nicht zurückhaltende Wohlgefälligkeit leben. Hier unterscheiden wir uns.
Die unterdessen vom Bundesminister der Verteidigung mit seinem Schreiben von gestern angekündigten Maßnahmen zur Genehmigung und zur Erhöhung der Flugsicherheit bei Flugtagen weisen, Herr Minister, in die richtige Richtung. Sie reichen jedoch bei weitem noch nicht aus. Wir begrüßen Ihre Absicht in vielen Teilen, Herr Minister. Es geht aber keinesfalls, daß Sie in Zukunft Flugtage wie in Ramstein wieder zulassen; nur ein bißchen niedlicher.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Biehle?
Selbstverständlich. Vizepräsident Westphal: Bitte sehr.
Herr Kollege, würden Sie freundlicherweise erstens zur Kenntnis nehmen, daß die Italiener, die zunächst einmal keine Zeugen zur Verfügung stellen konnten, wohl einen der umfassendsten Untersuchungsberichte mit Bildmaterial übergeben haben, um die Untersuchungen zu erleichtern, und zweitens, daß wir die amerikanische Armee informell gebeten haben, einen Lokaltermin durchzuführen, daß aber die Auffassung bestand, daß — nicht deswegen, weil das deutscher Grund und Boden ist — ein deutscher Untersuchungsausschuß in die amerikanische Armee hinein nichts untersuchen kann, und daß angeboten war — mit gemessenem Abstand —, Ramstein über den Verteidigungsausschuß zu besuchen?
Herr Kollege Biehle, zunächst zu den Italienern. Es ist richtig, daß uns ein ausführlicher Bericht vorgelegt wurde. Aber ich erinnere an Ihre eigenen Worte. Sie sagten selbst — ich will die Vertraulichkeit des Ausschusses nicht verletzen — , daß es für Sie — sonst hätten Sie den Antrag nicht gestellt — unverständlich wäre, daß die Amerikaner den Untersuchungsausschuß als Untersuchungsausschuß nicht eingeladen haben, sondern nur zulassen wollten, daß wir quasi als Verteidigungsausschuß dort sind. Dies, Herr Kollege, ist für mich unerträglich und noch mehr unverständlich.
— Selbstverständlich. Ich sage, wie Sie wissen, immer die Wahrheit.Was wir brauchen, ist ein Verbot von Flugdarbietungen ohne Wenn und Aber — und für alle Zeit!
Die von Ihnen, Herr Minister, angekündigten Maßnahmen beweisen aber sehr deutlich, daß die Feststellungen der Koalition in ihrem Mehrheitsbericht, der Flugunfall in Ramstein mit seinen katastrophalen Folgen sei nicht auf irgendein Versäumnis deutscher Behörden bei der Erteilung luftverkehrsrechtlicher Genehmigungen zurückzuführen, offensichtlich eine durchsichtige Schutzbehauptung ist. Der Mehrheitsbericht des Untersuchungsausschusses sagt nämlich ausdrücklich, daß er außer einigen Anregungen „keinen Anlaß zu konkreten Vorschlägen für die Gestaltung künftiger Flugtage" zu sehen vermag. Ich halte dies für eine der schlimmsten Fehlleistungen der Koalition im Untersuchungsausschuß. Dies haben Sie, Herr Minister Stoltenberg, mit Ihrem Schreiben vom 14. November dieses Jahres erfreulicherweise in Teilen korrigiert.Vor Gericht — nun wende ich mich den Vorgängen in Nörvenich zu und möchte das ergänzen, was mein Kollege Gerster sagte — wurde seitens des Bundesministers der Verteidigung mit unvollständigen und, wie
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Opelwir heute wissen, teilweise unrichtigen Tatsachenbehauptungen argumentiert. So wurde beispielsweise entgegen den Behauptungen deutlich mehr geflogen als beim normalen Flugbetrieb, und die Flugvorführungen entsprachen in keiner Weise dem normalen taktischen Ausbildungsprogramm. Es ist nach der Gemeinsamen Geschäftsordnung der Bundesministerien auch so, daß in persönlichen Schreiben der, der schlußzeichnet, verantwortlich ist. Der Verantwortliche in dem Schreiben an den Ministerpräsidenten Rau war nur einer: der damalige Verteidigungsminister. Dabei ist sehr deutlich geworden, daß der vom Verteidigungsminister behauptete Verzicht auf Kunstflug bei den Vorführungen in Nörvenich gar nicht stattfinden konnte, da, wie die sogenannte „Steinhoff-Kommission" eindeutig feststellte, heute Kunstflug und militärischer Demonstrationsflug, wie er in Nörvenich geflogen wurde, überhaupt nicht mehr zu unterscheiden sind.Der eigentliche Skandal von Nörvenich ist nicht nur die gefühllose Weiterführung des Flugtages, obwohl die anwesenden Verantwortlichen ausreichende Kenntnis von der Katastrophe von Ramstein hatten und sich zudem hätten verschaffen können, die ohne Zweifel zum Abbruch des Flugtages in Nörvenich hätten führen müssen. Das Schlimme ist, daß die Hauptverantwortlichen überhaupt nicht zur Rechenschaft gezogen wurden. Vor dem Untersuchungsausschuß mußte nämlich der Stellvertretende Kommandierende General der Luftwaffe, Generalmajor Vieth, einräumen, daß er die Verantwortung für die Fortführung des Flugtages in Nörvenich eindeutig persönlich übernommen hätte. Belangt wurde aber nicht er, sondern der Geschwaderkommodore, Oberst Hoppe, und der Divisionskommandeur, Generalmajor Rimek. Auch Generalleutnant Schmitz, der vor Ort den Inspekteur der Luftwaffe vertrat, trug deutlich größere Verantwortung als die beiden gemaßregelten Offiziere Rimek und Hoppe. Auch er wurde deswegen nicht belangt. Im Gegenteil, beide Offiziere, die für die unsäglichen Vorgänge in Nörvenich verantwortlich zeichnen, sind derzeit gemeinsam als Kommandierende Generale für die Einsatzstreitkräfte der deutschen Luftwaffe voll verantwortlich. Diese schweren Führungsfehler sind vom damaligen Bundesminister der Verteidigung persönlich zu verantworten.
An dieser Stelle möchte ich aber eines besonders hervorheben. Jedem Menschen können selbstverständlich Fehler unterlaufen. Die Frage ist nur, wie er sich selbst dazu stellt. So hat der damalige Generalmajor Rimek aus seinem Verhalten unverzüglich die persönliche Konsequenz gezogen und darum gebeten, in den einstweiligen Ruhestand versetzt zu werden. Dieses Verhalten ehrt ihn um so mehr, als ihn nur ein außerordentlich geringer Schuldvorwurf trifft. Auch er gehört zu den Opfern des damaligen Verteidigungsministers.
Doch dies ist nicht der letzte gravierende Fehler des Professors Dr. Scholz. Er hat in der disziplinarrechtlichen Bewältigung des Geschehens von Nörvenich den zuständigen Inspekteur der Luftwaffe übergangen und hat es darüber hinaus zugelassen, daß das eindeutige Fehlverhalten der Generale Schmitz und Vieth als „pflichtgemäß" qualifiziert wurde.Abschließend möchte ich dazu feststellen: Der Mehrheitsbericht, den Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, vorgelegt haben, ist nur geeignet, späteren Doktoranden dazu zu dienen, nachzuweisen, wie diese Koalition den parteipolitischen Eigennutz über das Interesse aller Bürger unseres Staates stellt. Ich bedauere, daß es soweit gekommen ist. Sie haben eine große Chance zur Gemeinsamkeit vertan, obwohl, wie ich betonen möchte, der Vorsitzende des Untersuchungsausschusses diese immer wieder angemahnt hat. Die Verantwortung hierfür tragen Sie allein. Hier wurde eine Chance vertan — dieses bedauere ich — , den Bürgern dort eine Gemeinsamkeit zu zeigen
in der Untersuchung eines sehr schwierigen Falles, wo es darauf ankommt, Gemeinsamkeit zu zeigen und zu demonstrieren.Vielen Dank.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Kossendey.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich zunächst zwei Sätze zum Kollegen Opel sagen. Seine Wertungen will ich hier nicht angreifen — das ist eine parteipolitische Sache — , aber die Behauptung, daß die Koalitionsfraktionen in ihrem Teil des Untersuchungsberichtes gesagt hätten, bei der zukünftigen Gestaltung von Flugtagen hätten wir keinen Handlungsbedarf, ist schlichtweg falsch. Wenn Sie sich unsere Abschlußfolgerungen anschauen, werden Sie das feststellen.
Vor gut einem Jahr, am 25. September 1988, haben wir zum erstenmal zur Katastrophe von Ramstein hier in diesem Plenum diskutiert. Wir hatten uns damals gemeinsam versprochen, nach bestem Wissen und Gewissen alle Ursachen der Katastrophe von Ramstein und die Vorfälle in Nörvenich aufzuklären, um Konsequenzen für die Zukunft zu ziehen.Für mich persönlich, aber auch für viele der Kollegen im Ausschuß, sind Fragen offengeblieben, die uns noch lange beschäftigen werden. Die wichtigste davon für mich persönlich ist die: Kann ein solcher Ausschuß überhaupt ein Ergebnis haben, das einseitige persönliche Schuldzuweisung erlaubt, oder liegt der Nutzen eines solchen Ausschusses nicht vielmehr darin, daß wir uns aus traurigem Anlaß mit Dingen vertraut gemacht haben, die wir alle lange Zeit als „gut geregelt" ohne nachzudenken hingenommen haben, Regelungsmechanismen, die wir im Gesetz und im Verwaltungsablauf während der Ausschußarbeit zunehmend als problematisch empfunden haben? Hier, so meine ich am Ende der Arbeit, sollten wir den eigentlichen Nutzen dieses Ausschusses sehen.
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KossendeyAnders war die Situation zu Beginn dieser Ausschußarbeit: Wir wollten Schuldige für diese Katastrophe finden, und wir wollten sie gegebenenfalls zumindest politisch zur Verantwortung ziehen.Heute müssen wir uns fragen: Waren diese Hoffnungen nicht vielleicht doch etwas überspannt? Waren unsere Erwartungen an diesen Untersuchungsausschuß nicht vielleicht etwas zu hoch? Waren wir wirklich die Treuhänder der Opfer und ihrer Angehörigen, oder waren wir — wenn ich „wir" sage, meine ich alle — allzuhäufig Handlanger von eigenen kleinkarierten parteipolitischen Interessen geworden?
Natürlich ist es schwer, parteipolitischen Neigungen in so einem Untersuchungsausschuß nicht nachzugeben. Aber haben wir uns eigentlich wirklich alle immer ausreichend bemüht, diesen Neigungen auch zu widerstehen?Wer heute die Protokolle in Ruhe nachliest, wird feststellen, daß wir uns über viele kleine Dinge lange und ausführlich informiert haben. Wir haben die Rechtslage erörtert, wir haben die Vorschriftenlage erörtert, wir haben bis hin zu jedem kleinen handgeschriebenen Vermerk intensiv geforscht. Das war wichtig, wir hatten ja auch quasi eine richterliche Funktion.Aber haben wir darüber nicht manchmal vergessen, in welcher Situation die damals handelnden Menschen gestanden haben?
Haben wir uns nicht allzu selten die Frage gestellt, wie wir gehandelt hätten, wenn wir uns in einer vergleichbaren Situation befunden hätten? Ist es nicht manchmal sehr leicht, aus Betrachtung im nachhinein in Ruhe und Gelassenheit die Fehler derjenigen zu suchen, die sich in ihrem täglichen Dienst mit all dem Streß, aber auch mit all der manchmal abstumpfenden Routine um die Vorbereitung der Flugtage — auch des Flugtages in Ramstein — gekümmert haben?
Ich sage ganz deutlich: Dieser Flugtag in Ramstein ist nicht anders, nicht besser — wenn überhaupt, dann schärfer — vorbereitet worden als die früheren Flugtage dort.
Haben wir uns bei all diesen Bemühungen nicht allzuoft im bürokratischen Unterholz verstolpert? Hätten wir nicht mehr Zeit auf die Frage verwenden sollen, warum Flugtage in dieser Art und Weise überhaupt stattfinden? Warum besuchen 300 000 Mitbürger solche Veranstaltungen? Was versprechen sie sich eigentlich davon?
Brauchen wir diese Art der Darstellung unserer Luftwaffen eigentlich in diesen tollkühnen Manövern, umunsere Fähigkeit, Frieden und Freiheit zu verteidigen,deutlich zu beweisen? Die Antwort auf diese letzte Frage muß für alle Zukunft „Nein" lauten,
und zwar nicht nur im Interesse der Zuschauer und im Interesse der Piloten, sondern auch aus einem anderen Grund: Wir dürfen unsere Soldaten nicht zur Befriedigung der Sensationsgier anderer in Lebensgefahr bringen. Die Katastrophe von Ramstein ereignete sich ja nicht etwa beim täglichen Übungsbetrieb der Luftwaffe, der naturgemäß sein soll, sondern diese Katastrophe fand bei einer außergewöhnlichen Veranstaltung statt, deren Reiz es geradezu zu sein schien, das technisch gerade noch Machbare vor den Augen von Hunderttausenden zu praktizieren. Deswegen haben mehr als 300 000 Menschen den Weg nach Ramstein genommen, um Zeugen dieses Nervenkitzels zu sein. Dieser Nervenkitzel rührte nicht nur vom Können der Piloten her, sondern — auch das muß man deutlich sagen — erhält seinen besonderen Beigeschmack auch vom Risiko des Mißlingens.
Der Auftrag der Bundeswehr und ihr Können müssen einer breiten Öffentlichkeit auch anders klarzumachen sein als durch Appelle an diese höchst zweifelhaften Risikogefühle. Der Hauch von Abenteuer und das prickelnde Risiko des Mißlingens solcher Vorführungen haben nichts mit dem ernsten und wichtigen Auftrag unserer Bundeswehr und ihrer Verbündeten zu tun.
Wer hier einen notwendigen Zusammenhang konstruiert, hat wenig Vertrauen zu den guten Sachargumenten, die unsere Verteidigungsanstrengungen rechtfertigen.Wenn wir nun in diesem Zusammenhang einen politisch Verantwortlichen suchen, dann sollten wir das nicht nur angesichts dieser Katastrophe tun. Natürlich ist die Realität unseres politischen Tagesgeschäfts so, daß nun, da das Risiko in eine ungeheure Realität umgeschlagen ist, von überall her mit dem Finger auf die vermeintlich Verantwortlichen gezeigt wird, übrigens — diese Bemerkung sei mir gestattet — auch von denen, die noch vor Jahren, als sie selber darüber zu befinden hatten, mit den Flugschauen auch nach Unfällen nicht ein für allemal Schluß machten.
Reicht allein die Tatsache, daß die Minister, die von der heutigen Oppositionspartei gestellt worden sind, mehr Glück bei der Durchführung von Flugtagen hatten, aus, daß man aus dieser Katastrophe politisches Kapital schlägt?
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Frau Abgeordneten Dr. Götte?
Aber bitte.
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Bitte schön, Frau Dr. Götte.
Herr Kollege Kossendey, sehen Sie einen Unterschied zu früheren Zeiten darin, daß der Protest der Bürger ein ganz anderes Ausmaß angenommen hatte und daß auch die Auflistung der Gefahren in den Jahren davor eben erst in ganz anderer Weise deutlich wurde? Und insofern war doch eine andere Entscheidungsgrundlage als in den Jahren vorher da, wo auch die Bevölkerung es einfach achselzuckend hingenommen hatte.
Ich gehe darauf gern ein. Ich räume Ihnen gern ein, daß vor diesem Flugtag, wie vor vielen anderen Veranstaltungen der Bundeswehr seit 1982, 1983, gewarnt worden ist. Doch haben nicht viele der Warner — auch das muß ich deutlich zurückfragen — , gerade die aus den Kirchen und aus der versprengten Friedensbewegung, die Ernsthaftigkeit ihrer Vorbehalte manchmal durch allzu platte Argumentation gegen die Bundeswehr im allgemeinen und gegen das Militärische insgesamt dadurch entwertet?
Und kann man es vielleicht denen, die auf der Seite der Bundeswehr standen, dann übelnehmen, daß sie gegenüber den Vorbehalten etwas vorsichtiger waren, die Sie hier äußern, die gleichzeitig mit ungeheuren Vorbehalten gegen das Militär insgesamt und manchmal auch mit nicht gerade ernstzunehmenden Bemerkungen garniert waren? Ich will nicht bestreiten, daß gewarnt worden ist. Bloß, die Warner haben aus meiner Sicht manches an Glaubwürdigkeit ihrer Warnungen dadurch selber verspielt, daß sie zwischen dem Risiko für die Zuschauer und die Piloten und dem unterschieden haben, was sie allgemein als militärisches Risiko jenseits dieser Flugtage gemeint haben.
Natürlich war es unterschiedlich. Aber ich sage noch einmal deutlich, daß für mich da auch ein qualitativer Unterschied besteht.
Für mich ist die Diskussion zum Thema „Flugtage" mit der Vorlage des Abschlußberichts nicht beendet. Wir werden in den nächsten Monaten im Verteidigungsausschuß über die Konsequenzen aus diesem Ausschußbericht nachzudenken haben.
Zwei Feststellungen halte ich allerdings für mich und meine Kollegen im Untersuchungsausschuß jetzt noch einmal deutlich fest.
Die persönliche und die politische Integrität von Bundesminister Scholz ist durch nichts von dem, was wir im Ausschuß erörtert haben, erschüttert oder in Frage gestellt worden. Ich sage das ganz deutlich, weil es auch hier noch einmal gesagt werden muß.
— Herr Klejdzinski, ich habe auf Ihren Zwischenruf
gewartet. Sie hatten drei Tage nach der Katastrophe
schon das Vergnügen, in Ihrer eigenen Zeitung „Vorwärts" — die ist ja rechter Umtriebe unverdächtig — zu verkünden: Verantwortlich sind die Amerikaner. Das steht im Widerspruch zu dem Ausschußbericht, den Sie hier abgegeben haben.
Zweitens. Im Ausschuß ist kein Umstand ermittelt worden, der es erlauben würde, einem Beamten oder einem Soldaten eine persönliche Schuld an dieser Katastrophe zuzuweisen. Ich sage noch einmal deutlich: Bei der Suche nach Verantwortlichen werden wir schlußendlich auch bei uns selber landen müssen, denn der Gesetzgeber hat den Rahmen für das Handeln des Verteidigungsministeriums und aller Luftfahrtbehörden in Deutschland festzulegen.
Hier trifft uns alle, die wir ein politisches Mandat haben, die Verantwortung dafür, daß wir alle möglichen oder wahrscheinlichen Gefahren in Zukunft von vornherein so begrenzen, daß mehr als in der Vergangenheit für die Zukunft solche Katastrophen ausgeschlossen werden.
Bevor ich zum Schluß komme, gestatten Sie mir noch einige Anmerkungen zum Antrag der SPD-Fraktion: Wir werden uns ernsthaft mit diesem Antrag auseinandersetzen, zumal er in einigen Punkten Gedanken und Vorschläge enthält, die auch uns in den letzten Wochen und Monaten bewegt haben.
Der Brief des Verteidigungsministers hat hier schon deutliche Signale gesetzt.
Interessant ist für mich — da hören Sie bitte zu —, daß dieser Antrag in einem wesentlichen Punkt von den Forderungen der SPD abweicht, wie sie im Votum zum Ausschußbericht niedergelegt worden sind. Während in dem Antrag generell Flugdarbietungen bei Tagen der offenen Tür verboten werden sollten, ist im Ausschußvotum die Einschränkung gemacht worden, daß Vorbeiflüge, Rundflüge und Rettungsflüge erlaubt sein sollten.
Während im Antrag das Vorführen von Strahlflugzeugen insgesamt bei zivilen Flugtagen verboten werden soll, ist im Ausschußvotum lediglich ein Verbot des Vorführens von Kampfflugzeugen auf zivilen Flugtagen vorgesehen. Darüber werden wir im Ausschuß zu sprechen haben.
Diese Arbeit im Verteidigungsausschuß muß auch nach Abschluß der Arbeiten des Untersuchungsausschusses von der Erinnerung an die Katastrophe von Ramstein und ihre Opfer geprägt sein. Aber sie muß auch deutlich machen — vielleicht mehr als die Arbeit im Untersuchungsausschuß selbst —, daß wir der Verantwortung, die uns diese Katastrophe anmahnt, auch gerecht werden wollen.
Schönen Dank.
Das Wort hat der Abgeordnete Horn.
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13294 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 175. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. November 1989
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte drei Vorbemerkungen machen.Erstens. Das Versagen des Abgeordneten Nolting wird aus der Rede des Kollegen Kossendey ganz besonders deutlich.
Zweitens. Die Nachdenklichkeit des Kollegen Kossendey in seiner Rede hätte ich allerdings sehr gern auch im Bericht der Koalition gesehen.
Drittens. Die SPD war für die Übernahme des Sachberichts des Sekretariats des Verteidigungsausschusses. Union und FDP haben diese Übernahme abgelehnt und damit torpediert.
— Ihnen antworte ich nicht mehr; denn ich muß wirklich sagen: Was Sie hier an Zwischenrufen und an Darstellungen plaziert haben, war unter Niveau; das beleidigt das parlamentarische Niveau.
Mit ihrer Art der Aufarbeitung der Geschehnisse hat die Koalition nicht einmal den Versuch gemacht, der Öffentlichkeit ein in sich schlüssiges und durchdachtes Rechtfertigungsgebäude zu präsentieren. Nach ihrer Version wäre in Ramstein alles optimal verlaufen, wenn nicht der tote italienische Pilot einen Flugfehler gemacht hätte. Die Ereignisse von Nörvenich soll ausschließlich der sofort von seinem Posten abgelöste Kommodore zu verantworten gehabt haben. So einfach soll das alles nach den Vorstellungen der Koalition gelaufen sein.Es soll keine Souveränitätsdefizite gegeben haben, keine Genehmigungsmängel, keine Koordinierungsprobleme der Rettungsdienste untereinander, keine Täuschung besorgter Bürger und Politiker, nichts, was es zu kritisieren gäbe, außer daß der tote Solopilot in Ramstein falsch geflogen ist und der damalige Kommodore des Nörvenicher Geschwaders seinen Auf gaben offensichtlich nicht gewachsen war.Ich kann hier nur feststellen: Diese Art der Aufarbeitung der Katastrophe von Ramstein, wie sie die Koaltion vorgenommen und mit ihrem Bericht vorgelegt hat, ist nicht nur zu simpel, sondern sie ist auch der Opfer unwürdig. Sie ist menschenverachtend und unwürdig, weil eindeutige Aussagen zu den Verantwortlichkeiten nicht getroffen wurden.
Meine Damen und Herren, der damalige Verteidigungsminister hätte doch am 8. September 1988 in der Sondersitzung des Verteidigungsausschusses in etwa wie folgt auf uns zukommen können: In Ramstein ist eine schreckliche Katastrophe passiert. Sie kam zustande, weil das Verteidigungsministerium ein Genehmigungsverfahren angewendet hat, daß unzureichend war und den Anforderungen des deutschen Luftverkehrsrechts nicht gerecht wurde. Die Genehmigung wurde am 29. April 1988 erteilt. Ich, Professor Scholz, bin jedoch erst am 11. Mai 1988 Verteidigungsminister geworden. Ich habe auch festgestellt, daß die Art und Weise, wie der Flugtag von Ramstein genehmigt wurde, im Verteidigungsministerium ständige Übung bis weit in die 70er Jahre war, also auch unter sozialdemokratischen Verteidigungsministern so praktiziert wurde. — Hier gibt es auch keinen Dissens, Herr Kollege Kossendey. — Dies muß sofort auf die richtige rechtliche Grundlage gestellt werden, nach der sich auch unsere Bündnispartner richten müssen, wenn sie weiterhin Flugtage veranstalten wollen. Darüber hinaus wird alles getan, um den Opfern schnell und unbürokratisch zu helfen.Hätte sich der damalige Minister Scholz seinerzeit so eingelassen, wäre es nicht zu diesem Untersuchungsausschuß gekommen. Daß sich Professor Scholz damals anders verhielt, ist sein persönliches Problem und das politische Problem der Koalition. Sein persönliches Problem ist weiterhin, daß er auch wegen seines Verhaltens vor diesem Untersuchungsausschuß als Verteidigungsminister scheiterte und der Bundeskanzler ihn entlassen mußte.Der damalige Verteidigungsminister hat jedoch bei diesem Untersuchungsverfahren im trauten Einvernehmen mit der Regierungskoalition Besonderheiten eingeführt, die es bislang in keinem Untersuchungsverfahren gemäß Art. 45 a Abs. 2 des Grundgesetzes gegeben hat. So bildete er in seinem Ministerium ausschließlich für den Untersuchungsausschuß einen Sonderstab, die sogenannte Koordinierungsgruppe. Darüber hinaus präparierte er sogar einen Rechtssachverständigen auf eine Art und Weise, daß der Verdacht der Beeinflussung selbst in den Medien offen geäußert wurde.Zunächst zu der sogenannten Koordinierungsgruppe. Der Untersuchungsausschuß Ramstein/Nörvenich war mein fünfter Untersuchungsausschuß. Mir ist es allerdings bis zu diesem Ausschuß als Abgeordnetem erspart geblieben, so unverhohlen hinters Licht geführt zu werden. Selbst bei den Untersuchungsausschüssen Lutze/Wiegel und Dr. Kießling, deren Thematik die Öffentlichkeit monatelang aufgewühlt hatte, wurde das auch nur in den Ansätzen nicht gewagt. Erst in diesem Untersuchungsausschuß wurde so unverhohlen das Prinzip der Waffengleichheit zwischen Regierung und Regierungsmehrheit im Parlament auf der einen Seite und der parlamentarischen Opposition auf der anderen Seite verletzt, wie dies mit der Zuarbeit der hochrangig besetzten sogenannten Koordinierungsgruppe geschah.Meine sehr verehrten Damen und Herren, da wurden für die Dauer des Untersuchungsverfahrens ein Unterabteilungsleiter der Besoldungsgruppe B 6, drei Referatsleiter der Besoldungsgruppe B 3 und darüber hinaus Referenten, Sachbearbeiter und Sekretärinnen für diesen Stab von ihren eigentlichen Aufgaben abgezogen und nur damit beschäftigt, die Akten so aufzuarbeiten, um Weißwaschen für das Ministerium zu betreiben.
Zum Schluß möchte ich für meine Fraktion dem Vorsitzenden des Untersuchungsausschusses und seinem Stellvertreter, den Kollegen Biehle und Kolbow,
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 175. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. November 1989 13295
für ihre souveräne, faire und verantwortungsvolle Leitung der Untersuchungen sehr herzlich danken.
Ich kann dem Kollegen Biehle nur meine Hochachtung dafür aussprechen, daß er während der gesamten Dauer des Untersuchungsverfahrens den Vorsitz streng an der Sache orientiert und objektiv geführt hat. Dabei haben ihn seine eigenen Fraktionskollegen oft genug buchstäblich im Regen stehen lassen, weil sie in diesem Untersuchungsausschuß nur das Ziel verfolgten, die offensichtlichen Fehler und Versäumnisse des Verteidigungsministers und seines Ministeriums zu verdecken.
Um so größer ist deshalb unser Respekt vor der persönlichen Integrität des Vorsitzenden des Untersuchungsausschusses, der den Ausschuß sachorientiert, objektiv und vor allem fair geleitet hat.
Um so bedauerlicher ist allerdings das unparlamentarische — und das besonders an die Adresse des Kollegen Nolting gerichtet —, das illiberale Verhalten der Regierungsparteien. Ihr Verhalten ist beispiellos skandalös für einen Untersuchungsausschuß dieser Art.
Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache.Ich bedaure ein wenig, daß die jungen Soldaten von der Luftwaffe erst jetzt gekommen sind und nur den letzten Teil dieser Debatte gehört haben. Es wäre für sie sicher interessant gewesen, von dieser Debatte mehr zu hören.Der Verteidigungsausschuß empfiehlt in seiner Beschlußempfehlung auf Drucksache 11/5354, seinen Abschlußbericht über Ramstein und Nörvenich als Untersuchungsausschuß zur Kenntnis zu nehmen. Ich stelle fest, daß dies hiermit geschehen ist.Ich komme zu den Zusatzpunkten 3 und 4 der Tagesordnung.Interfraktionell, meine Damen und Herren, wird vorgeschlagen, die Anträge auf den Drucksachen 11/5679 und 11/5681 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Sind Sie damit einverstanden? — Dann ist die Überweisung so beschlossen.Nun kommt der Zusatzpunkt 5 der Tagesordnung.Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Verteidigungsausschusses auf Drucksache 11/5650. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/2897 als erledigt anzusehen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? Ich bitte um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Dann ist die Beschlußempfehlung einstimmig angenommen — manchmal wundert man sich.Ich rufe Punkt 8 der Tagesordnung auf:Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Wirtschaftsplans des ERP-Sondervermögens für das Jahr 1990
— Drucksache 11/4908 —Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft
— Drucksache 11/5627 —Berichterstatter:Abgeordnete Niegel Müller
Eine Aussprache ist nicht vorgesehen.Interfraktionell ist vereinbart worden, daß der Abgeordnete Niegel als Berichterstatter für den Ausschuß eine Erklärung zu Protokoll gibt.*) Sind Sie damit einverstanden? — Dem widerspricht niemand. Das hat also die erforderliche Mehrheit beschlossen.Wir kommen zur Einzelberatung und Abstimung über den Gesetzentwurf der Bundesregierung.Ich rufe die §§ 1 bis 11, Einleitung und Überschrift mit den vom Auschuß empfohlenen Änderungen auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Bei Enthaltungen aus der Fraktion DIE GRÜNEN sind die aufgerufenen Vorschriften damit angenommen.Wir treten in diedritte Beratungein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Bei Enthaltung der Fraktion DIE GRÜNEN ist der Gesetzentwurf angenommen.Ich rufe nun entsprechend der Vereinbarung zwischen den Geschäftsführern Tagesordnungspunkt 9 auf :a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Haftung für fehlerhafte Produkte
— Drucksache 11/2447 —Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses
— Drucksache 11/5520 —Berichterstatter:Abgeordnete Hörster Stiegler
*) Anlage 5
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13296 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 175. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. November 1989
Vizepräsident Westphalb) Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Frau Saibold und der Fraktion DIE GRÜNENVerbesserung des Produkthaftungsgesetzes — Drucksachen 11/3718, 11/5520 —Berichterstatter:Abgeordnete Hörster StieglerZu dem Gesetzentwurf liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/5594 vor.Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die gemeinsame Beratung 30 Minuten vorgesehen. — Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache.Bevor ich dem ersten Redner das Wort gebe, darf ich sagen, daß nach der Aussprache zu diesem Tagesordnungspunkt und den dazugehörigen zahlreichen Abstimmungen die Fragestunde beginnt.Das Wort hat der Abgeordnete Hörster.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist seit langem anerkannt, daß die modernen Fertigungsmethoden, die Massenproduktion von Waren, die Vielfalt der Stoffe, die bei der Herstellung von Produkten verbunden und verarbeitet werden, dem Hersteller immer größere Sorgfaltspflichten abverlangen.Die deutsche Rechtsprechung hat bei der Entwicklung des Rechts der Produzentenhaftung auf der Grundlage des § 823 BGB die Pflichten der Hersteller klar definiert: Wer ein Produkt herstellt und es in den Verkehr bringt, muß dafür geradestehen, daß er bei der Herstellung des Produktes die größtmögliche Sorgfalt aufgewendet hat und damit Fehler vermieden werden. Kann der Hersteller die Erfüllung dieser Sorgfaltspflicht nicht nachweisen, so haftet er für den Schaden, den der Fehler seines Produktes verursacht hat.Ich habe schon während der ersten Lesung vor einem Jahr darauf hingewiesen, daß diese durch die Rechtsprechung entwickelte Produzentenhaftung durch das neue Produkthaftungsgesetz nicht ersetzt wird. Die deliktische Haftung des Produzenten, die zu Schadensersatz in unbegrenzter Höhe, zur Zahlung von Schmerzensgeld und zum Ausgleich der Folgeschäden verpflichtet, bleibt weiterhin eine wesentliche, in vielen Fällen sicherlich d i e wesentliche Anspruchsgrundlage des geschädigten Verbrauchers.Daneben schafft das neue Produkthaftungsgesetz für den Hersteller einen zusätzlichen Haftungstatbestand. Dieser beruht auf dem Grundgedanken, daß von jedem Produkt Gefahren ausgehen können. Verwirklicht sich eine solche Gefahr, dann soll derjenige, der das Produkt herstellt und in den Verkehr gebracht hat, nach den Grundsätzen der Gefährdungshaftung für den entstandenen Schaden eintreten.Mit dieser Gefährdungshaftung schließt das Produkthaftungsgesetz eine Haftungslücke zum Vorteil des Verbrauchers und schafft die Voraussetzungen dafür, daß grundsätzlich ein Schadensausgleich erfolgen kann.Darüber hinaus wird der Kreis derjenigen, die dem Verbraucher haften, erweitert, da nicht nur der Hersteller eines Produkts, sondern auch derjenige haftet, der als Importeur Waren in das Gebiet der Europäischen Gemeinschaft einführt. Damit wird sichergestellt, daß auch bei Schäden, die durch Fehler von Importwaren verursacht werden, der Ersatzanspruch des Geschädigten im EG-Inland verwirklicht werden kann.Die Produkthaftungsrichtlinie der Europäischen Gemeinschaften, die Grundlage des heute zu beschließenden Produkthaftungsgesetzes ist, macht deutlich, daß es in den Mitgliedsstaaten sehr unterschiedliche Auffassungen über den Grund und den Umfang der Produkthaftung gibt. Nur so ist es zu erklären, daß die Produkthaftungsrichtlinie vier Optionen enthält, die von den Mitgliedsstaaten sehr unterschiedlich in Anspruch genommen und umgesetzt werden können.So ist es den Mitgliedsstaaten überlassen, ob sie die landwirtschaftlichen Naturprodukte oder die Jagderzeugnisse in die Haftung einbeziehen, ob sie den Produzenten für Entwicklungsrisiken haften lassen, ob sie den Schadensersatz auf die Gewährung von Schmerzensgeld ausdehnen und ob sie die Haftung für Personenschäden durch einen Haftungshöchstbetrag begrenzen.Sowohl bei der öffentlichen Anhörung am 10. März dieses Jahres als auch bei der Beratung im Rechtsausschuß und im Unterausschuß Europarecht waren diese Optionen Hauptgegenstand der Debatte.Wie aus dem Änderungsantrag der Fraktion der SPD zur Beschlußempfehlung des Rechtsausschusses zu entnehmen ist, konnten hier keine übereinstimmenden Meinungen erzielt werden.Trotz der kritischen Anmerkungen, die ich bei der Einbringung des Gesetzentwurfs zum sogenannten Landwirtschaftsprivileg selber gemacht habe, halte ich es unter dem Gesichtspunkt der Rechtsvereinheitlichung für sachlich begründet, die landwirtschaftlichen Naturprodukte und Jagderzeugnisse vor der ersten Verarbeitung aus der Produkthaftung herauszunehmen. Mit Ausnahme unseres landwirtschaftlich äußerst bedeutenden Nachbarlandes Luxemburg wird nach dem derzeitigen Sachstand kein anders Mitglied der Europäischen Gemeinschaft die Produkthaftung auf die landwirtschaftlichen und jagdlichen Erzeugnisse vor der ersten Verarbeitung ausdehnen.Mit Ausnahme des Dienstleistungslandes Luxemburg beabsichtigt nach dem derzeitigen Stand kein anderer Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaften, eine Haftung für Entwicklungsrisiken zu begründen. Nicht nur unter dem Gesichtspunkt der Rechtsvereinheitlichung, sondern auch aus sachlichen Gründen kann hier dem Änderungsantrag der SPD nicht gefolgt werden. Es ist schlechterdings nicht begründbar, warum jemand für ein Risiko haften soll, das für ihn weder vorausschaubar noch sonst irgendwie theoretisch erkennbar ist. Auch bei der Gefähr-
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Hörsterdungshaftung gilt, daß der Haftende die Möglichkeit der Gefahr erkennen kann.Da das Produkthaftungsgesetz anders als z. B. das Arzneimittelgesetz für alle Produkte in ihrer großen Vielfalt gilt, kann das, was unter Entwicklungsrisiko zu verstehen ist, auch nicht annähernd genau definiert werden.Die von der SPD-Fraktion beantragte Ausdehnung des Schadensersatzes auf die Gewährung von Schmerzensgeld paßt nicht in unser Rechtssystem. In unserem Rechtssystem ersetzt das Schmerzensgeld keine Sozialversicherungsfunktionen. Es soll vielmehr dem Geschädigten Genugtuung dafür bieten, daß ein anderer ihn schuldhaft verletzt hat.Der Antrag der SPD-Fraktion auf Streichung des Haftungshöchstbetrages muß aus rechtssystematischen Gründen ebenfalls abgelehnt werden, da Gefährdungshaftungstatbestände im deutschen Recht, von wenigen Ausnahmen abgesehen, regelmäßig mit einem Haftungshöchstbetrag verbunden sind.Der Änderungsantrag der SPD-Fraktion zu § 15 — in Ihrem Antrag § 14 — ist ebenfalls rechtssystematisch problematisch. Das Arzneimittelgesetz gilt nur für Arzneimittel, die im Bundesgebiet an den Verbraucher veräußert werden. Es enthält ebenfalls einen Gefährdungshaftungstatbestand. Neben den speziellen Gefährdungshaftungstatbestand des Arzneimittelrechtes kann nicht zusätzlich der Gefährdungshaftungstatbestand nach dem allgemeinen Produkthaftungsrecht treten. Auch in der praktischen Rechtsanwendung dürften die unterschiedlichen Haftungshöchstgrenzen zu erheblichen Unsicherheiten führen.Den Änderungsanträgen der SPD können wir, zusammengefaßt, deswegen nicht zustimmen, weil wir sonst das Ziel verfehlen würden, zum einen einer europäischen Rechtsvereinheitlichung näherzukommen und zum anderen das neue Produkthaftungsrecht in unser Haftungsystem systematisch einzuordnen.Das Gesetz, das wir heute verabschieden werden, ist dennoch ausgewogen, verbraucherfreundlich und praxisgerecht. Für Produzenten und Verbraucher gilt jedoch gleichermaßen der Grundsatz, daß besser als jeder Schadenersatz die rechtzeitige und konsequente Vermeidung von Schäden ist. Daran ändert auch das neue Produkthaftungsgesetz nichts.
Der nächste Redner ist Herr Stiegler.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Produkthaftungsgesetz ist ein Fortschritt gegenüber dem geltenden Recht. Wir verdanken der Europäischen Gemeinschaft einen Fortschritt im Verbraucherschutz, den auch wir Sozialdemokraten nicht geringachten. Schwierige Auseinandersetzungen um die Frage, ob ein Schaden schuldhaft verursacht worden ist, werden in Zukunft unterbleiben. Wir haben beim In-Verkehr-Bringen fehlerhafte Produkte in Zukunft eine Gefährdungshaftung. Wir haben vor allem die Gleichstellung der Importeure mit den Herstellern, was einerseits mehr Gleichbehandlung mit sich bringt und andererseits die Stellung der Verbraucher wesentlich verbessert.Gleichwohl ist sozusagen das Glas nicht nur halb voll, sondern auch halb leer. Wir hätten die Chance gehabt, konform mit dem europäischen Recht ein vorbildliches Produkthaftungsgesetz zu schaffen. Statt dessen haben wir erhebliche Lücken hinterlassen, die eine spätere Gesetzgebung auf europäischer Ebene bzw. auf nationaler Ebene noch ausfüllen muß. Mir geht es darum, gleichzeitig mit der Begründung des Antrages der SPD-Fraktion die Lücken zu beleuchten, die gleichwohl geblieben sind.Einmal der Ausschluß der Haftung für Entwicklungsrisiken: Wir bemerken mit der sich beschleunigenden Produktinnovation eine zunehmende Zahl von Risiken, die auf die Verbraucher zukommen. Die Haftung für Fehler, die zum Zeitpunkt der Herstellung und zum Zeitpunkt des In-Verkehr-Bringens dieses Produkts von Wissenschaft und Technik nicht erkennbar waren, wird nach diesem Recht den Verbrauchern aufgebürdet. Wir meinen aber, wer die Chance hat, Produkte gewinnbringend in den Verkehr zu bringen, muß auch alle Risiken tragen, die durch dieses InVerkehrBringen auf die Verbraucher zukommen.Dazu gehören gerade auch die Entwicklungsrisiken. Ich erinnere an die lebhaften Diskussionen etwa um die Holzmittelgeschädigten. Wir werden uns demnächst wieder über die PCP-Verbote unterhalten. Die Akzeptanz der Verbraucher von Produktinnovationen wird durch den Ausschluß der Entwicklungsrisiken nicht gefördert. Wir belasten den Verbraucher unnötig. Wir wissen genau, daß es nur ein kleiner Sektor ist. Aber in einer Zeit zunehmender Innovationen und zunehmender Beschleunigung der Produktzyklen wäre es eben ein wichtiger Beitrag gewesen, auch Entwicklungsrisiken in die Haftung einzubeziehen. An der Versicherbarkeit wäre das nicht gescheitert. Die Europäische Gemeinschaft wird sicherlich auf das Thema zurückkommen, spätestens bei der Überprüfung im Jahre 1995. Wir werden, wenn es demnächst eine andere Mehrheit geben sollte,
noch früher auf das Thema zurückkommen. Man soll es am festen Glauben nie fehlen lassen. Sie glauben es in manchen kritischen Stunden ja schon selber.
Die zweite Lücke, die übriggelassen worden ist, ist der Ausschluß landwirtschaftlicher Erzeugnisse. Wenn man Meinungsumfragen verfolgt, wenn man die Diskussionen der Verbraucher verfolgt, dann weiß man, daß alle Welt nach gesunden Lebensmitteln schreit. Aber ausgerechnet in diesem Bereich hinterlassen wir eine große Haftungslücke.Ich weiß, daß auch innerhalb der Union durchaus die Bereitschaft vorhanden gewesen wäre, diese Haftungslücke zu schließen. Aber die Agrarlobby, insbesondere auch der Agrarminister waren hier nicht zu Gesprächen bereit. Vielmehr haben sie die verbraucherfreundliche Regelung, die wir in unserem Antrag fordern, leider Gottes verhindert. Ob man damit den Bauern einen Gefallen tut, daran habe ich meine gro-
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Stieglerßen Zweifel; denn die Lebensmittelindustrie ist gut beraten, durch Anbauverträge die entsprechenden Belastungen weiterzugeben. Auch weiß ich nicht, ob die Bauern nicht besser geschützt werden durch den allgemeinen Gesetzgeber als durch die Anbau- und Abnahmeverträge, die jetzt geschlossen werden müssen. Aber hier war sozusagen die Agrarlobby einfach stur und hat gerade in diesem sensiblen Bereich — wo alle Welt gesunde Lebensmittel haben will — keine Bewegung gezeigt. Wir bedauern das und werden auch auf dieses Thema zurückkommen.Eine Haftung für landwirtschaftliche Naturprodukte hätte auch mitgeholfen, etwa den Pestizideinsatz und ähnliches zu vermindern. Das ist eine sehr empfindliche Lücke.Das dritte betrifft das Schmerzensgeld. Es ist richtig, wenn der Kollege Hörster sagt, daß es zu unserer Rechtssystematik derzeit nicht paßt, daß Schmerzensgeld bei Gefährdungstatbeständen gewährt wird. Auf der anderen Seite wissen wir, daß gerade bei der Produkthaftung eben nicht nur Körperschäden entstehen, sondern daß eben die immateriellen Schäden ganz enorm sind. Wir zwingen jetzt den Verbraucher, dem wir eigentlich das komplizierte alte Recht ersparen wollten, daß das alte Recht nur wegen des Schmerzensgeldanspruches und wegen der Haftungshöchstgrenzen parallel weiterverfolgt wird. Wir müssen also mit zwei Anspruchsgrundlagen arbeiten. Das wäre unnötig.Ich sage darüber hinaus: Wir werden uns hier in der nächsten Periode sicher über eine Gesamtreform der Gefährdungshaftung unterhalten müssen. Alle Gefährdungshaftungstatbestände müssen wir zusammenfassen. In einer Zeit, in der man sich eben zunehmend bewußt wird, daß die ökonomische Betätigung auch unvermeidbar Gefährdungen mit sich bringt, werden wir uns darauf verständigen müssen — ich bin überzeugt, wir werden dahin kommen — , daß eben auch das Schmerzensgeld mit zum Haftungsumfang gehören wird. Das ist wieder eine vertane Chance.Das Thema Haftungsobergrenzen war uns von der Europäischen Gemeinschaft nicht vorgegeben. Es ist ein Ausdruck der Ängstlichkeit. Wir hätten auch ohne Haftungsobergrenzen in Zusammenarbeit von Industrie und Versicherungswirtschaft sehr wohl eine vernünftige Lösung hinbekommen.Ein letztes: Die Frage der Arzneimittelhaftung — die übrigens als einzige bisher auch Entwicklungsrisiken umschließt, ohne daß die deutsche pharmazeutische Industrie deshalb untergegangen wäre — hat uns nach den Contergan-Erfahrungen gezeigt, daß man mit Gefährdungshaftung für Entwicklungsrisiken durchaus leben kann. Man hätte es also auch hier machen können. Die pharmazeutische Industrie gehört nicht zu dem Industriezweig, der am Krückstock geht. Sie hat phantasiereiche Lösungen entwikkelt. Diese Haftung soll jetzt sozusagen solitär für den Bereich der fehlerhaften Arzneimittel übrigbleiben. Das wird einmalig in Europa sein. Wir werden das einzige Land sein, das diese Bereichsausnahme kennt. Wir hätten es für besser gehalten, wenn auch hier insoweit eine Kumulation stattgefunden hätte, wobei ich zugebe, daß der Anwendungsbereich und der Fortschritt sich durchaus in Grenzen gehalten hätten, wenn man statt der einen Lösung beide Lösungen zusammen gehabt hätte. Das ist mehr eine Frage der Vollständigkeit.Wir haben Ihnen unsere Änderungsanträge gegeben und hoffen, daß sie für die beteiligten Kreise und für die Verbraucher als Signal für die zukünftigen Aufgaben verstanden werden, nachdem es ja hier noch keine Mehrheit gibt. Aber in einem Jahr kann manches anders aussehen.Meine Damen und Herren, ich will gleichwohl — —
— Ein Jahr sollten Sie auch noch Zeit haben. Man sollte nichts überstürzen. Sub specie aeternitatis ist ein Jahr nicht die Welt, Herr Hüsch. So eilig haben wir es denn nun auch wieder nicht. Aber bitte schön, wenn Sie es nicht mehr aushalten, wir schaffen es auch früher.
Ich möchte gleichwohl sowohl der Rechtsprechung als auch den Fachleuten danken, die die Produkthaftung bis zum bisherigen Stand hin entwickelt haben, und auch dem Professor Taschner bei der Europäischen Kommission, der sozusagen ein Leben lang für die Produkthaftung gearbeitet hat. Wir sind es ja gewohnt, auf die Kommissare und ihre Mitarbeiter und die Generaldirektoren zu schimpfen, weil sie uns zu sehr dreinreden. Hier hat die Europäische Gemeinschaft für die Verbraucher im Binnenmarkt zwei Jahre vor Inkrafttreten des Binnenmarkts eine bedeutende Änderung bewirkt. Wir sind zu spät mit der Umsetzung, aber nun ist sie endlich gekommen.Vielen Dank.
Herr Funke ist der nächste Redner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das vorliegende Produkthaftungsgesetz, das die Richtlinie des Rates der Europäischen Gemeinschaft vom 25. Juli 1985 in nationales Recht umsetzt, ist ein wesentlicher Schritt zur Verbesserung der Rechtsstellung aller Verbraucher. In unseren Augen stellt das vorliegende Gesetz einen guten Kompromiß zwischen den Interessen der Verbraucher auf der einen und denen der Produzenten auf der anderen Seite dar.
Das Produkthaftungsrecht ermöglicht die Harmonisierung der einzelstaatlichen Rechtsvorschriften über die Haftung für Personen- und Sachschäden, die durch Fehlerhaftigkeit eines Produkts entstanden sind, und dadurch auch den freien Warenverkehr innerhalb des gemeinsamen Marktes.
Das vorliegende Gesetz führt eine verschuldensunabhängige Haftung für fehlerhafte Produkte ein. Das heißt, wird durch den Fehler eines Produkts Scha-
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Funkeden an Leib und Leben eines Menschen verursacht oder wird eine Sache beschädigt, so trifft den Hersteller die Verpflichtung, den daraus entstehenden Schaden zu ersetzen, ohne daß es dabei auf ein Verschulden des Herstelles hinsichtlich des Fehlers am Produkt ankäme. Diese verschuldensunabhängige Haftung des Produzenten erlischt in jedem Fall nach zehn Jahren. Damit ist auch in unseren Augen ein hinreichender Schutz des Verbrauchers gegeben. Auf der anderen Seite weiß der Produzent um seine Haftung und kann diese dann quantifizieren und auch entsprechend versichern. Dasselbe gilt natürlich auch für die Personenschäden, bei denen eine Haftungshöchstgrenze von 160 Millionen vorgesehen ist.Zu Recht haben wir uns in der Koalition auch dafür entschieden, die landwirtschaftlichen Urprodukte und die Jagderzeugnisse auszunehmen, da dieser Bereich besonders den Gefahren der Einflußnahme Dritter durch Fremdemissionen ausgesetzt ist. Hinzu kommt, daß sich dieses Haftungsprivileg nur auf landwirtschaftliche Produkte erstreckt, die unbearbeitet in Verkehr gebracht werden.Ausgenommen sind weiterhin Arzneimittel. Dazu ist hier schon vorgetragen worden, so daß ich mir dies aus Zeitgründen ersparen kann.Es ist auch davon abgesehen worden, daß auf der Grundlage der Produkthaftung ein Schmerzensgeld beansprucht werden kann. Hier gelten jedoch die allgemeinen Grundsätze des Verschuldens z. B. auf Grund deliktischer Handlungen, so daß nach den allgemeinen Grundsätzen auf Schmerzensgeld gehaftet wird. Das wird gelegentlich vergessen, wenn laut darüber geweint wird, daß das nicht mit im Produkthaftungsrecht enthalten ist.
Insgesamt bringt das vorliegende Gesetz für den Verbraucher eine wesentliche Verbesserung in bezug auf die Durchsetzbarkeit seiner Schadenersatzansprüche, wenn er infolge eines fehlerhaften Produktes einen Schaden erleidet.
Auf der anderen Seite sind die Interessen der Wirtschaft hinreichend berücksichtigt. Die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft ist nicht betroffen. Die Wirtschaft weiß nunmehr genau, woran sie ist. Sie weiß, welche Ansprüche auf sie zukommen können; sie weiß, was sie zu versichern hat, und sie ist nicht mehr den Gefahren ausgesetzt, die in der Vergangenheit durch die Rechtsfortentwicklung auf Grund der Rechtsprechung, für die Wirtschaft häufig unkalkulierbar, entstanden sind. Es ist richtig, daß wir die Rechtsfortentwicklung gehabt haben,
aber das waren natürlich zusätzliche Risiken für die Wirtschaft.
— Die §§ 823 und folgende bleiben, das ist völlig richtig. Das soll ja auch nicht eingeschränkt werden. Aberhinsichtlich der Produkthaftung haben wir jetzt eineklare Rechtsgrundlage und damit auch weniger Risiken für die Wirtschaft.
Mit diesem Gesetz setzen wir unsere Bemühungen auch um die Harmonisierung der europäischen Rechtsvorschriften fort und beweisen erneut, wie wichtig dem Deutschen Bundestag die Harmonisierung der Rechtsvorschriften innerhalb der Europäischen Gemeinschaften ist.
Vielen Dank.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Saibold.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren, insbesondere auch die Damen und Herren auf der Tribüne! Dieses Gesetz zeigt wieder einmal, daß die Bundesregierung ganz klar auf seiten der Industrie steht. Das paßt auch ganz in die betriebene Politik; denn wenn Sie sich die Tagesordnung dieser Woche anschauen, dann sehen Sie, daß darauf ein äußerst industriefreundliches Gentechnikgesetz steht, eine äußerst industriefreundliche Umweltverträglichkeitsprüfungsregelung, und auch die Technikfolgenabschätzung wird abgelehnt, und dann haben wir eben auch dieses Gesetz, das praktisch keinerlei entscheidende Verbesserungen für die Rechte der Verbraucher und Verbraucherinnen bringt. Es entlarvt die flotten Sprüche der Bundesregierung vom Verbraucherschutz als Etikettenschwindel.Mit dem vorliegenden Gesetz wurde eine Riesenchance vertan, in mehreren Bereichen wirkliche Verbesserungen zu erzielen. Zum Beispiel könnte in Zukunft unser sogenanntes Gesundheitssystem finanziell entlastet werden. Denken Sie nur an die vielen an Lungenkrebs Erkrankten in der Bundesrepublik, für deren Krankheitskosten die Asbest- und die Zigarettenindustrie aufkommen müßten.Oder ein anderes Beispiel. Allein durch den berüchtigten Zuckertee sind in der Bundesrepublik etwa hunderttausend Kinder geschädigt worden, und für die Reparatur ihrer geschädigten Zähne und Kiefer mußten über 2 Milliarden DM aufgebracht werden. Ohne ein vernünftiges Produkthaftungsgesetz tragen die Krankenkassen diese Kosten und haben noch nicht einmal die Möglichkeit, auf die Verursacher zurückzugreifen.Ähnlich geht es den Holzschutzmittelgeschädigten, die seit Jahren gegen die Hersteller prozessieren. Sie wurden psychisch und physisch schwer geschädigt und darüber hinaus zum Teil sogar an den Rand des finanziellen Ruins gebracht, und noch immer gelingt es der Holzschutzmittelindustrie, sich aus der Verantwortung zu stehlen. Nicht einmal die bei diesen Prozessen festgestellten Verfilzungen zwischen den Herstellern und dem Bundesgesundheitsamt haben dazu beigetragen, daß die Bundesregierung eine vernünftige Rechtsgrundlage schafft. Die Holzschutzmittelgeschädigten interessieren nicht, ebenso wenig die mehr als hunderttausend von Zuckertee geschädigten
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13300 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 175. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. November 1989
Frau SaiboldKinder, und die öffentliche Hand bezahlt ja auch weiterhin die Kosten der Asbestsanierung für die Kindergärten und ähnliches; die Kosten dafür werden übrigens auf eine zweistellige Milliardensumme geschätzt.Eine wirkliche Produkthaftung, so wie wir sie mit unserem Antrag verfolgen, hätte eine große präventive Wirkung und würde viele Schäden, aber auch Leid verhindern. Wenn die Industrie für ihre Produkte wirklich geradestehen und deren Unschädlichkeit nachweisen müßte, würde sie schon aus reinem Eigennutz dafür sorgen, daß sie sichere Produkte auf den Markt wirft.
Die Bundesregierung hat ganz bewußt, Herr Stiegler, die Haftung für Entwicklungsrisiken außen vor gelassen, obwohl sogar nachgewiesen ist, daß dieses Risiko bei geringen Kosten versicherbar wäre. Dies bedeutet also, daß die Industrie weiter experimentieren und ihre Produkte an den Verbraucherinnen und Verbrauchern testen darf.
Dies ist ein Skandal, insbesondere angesichts der vielfältigen Möglichkeiten der Gentechnik, ganz neue, unerprobte Produkte mit unbekanntem Risiko herzustellen. Auch hier würde — um ein Beispiel zu nennen — nach diesem Gesetz eine Haftung für die Folgeschäden auf Grund des gentechnisch hergestellten Rinderwachstumhormons BST ausscheiden, wenn dieses auf dem Markt zugelassen wird. Aus Rücksicht auf die Großagrarier wurden ja zudem auch die landwirtschaftlichen Produkte außen vor gelassen.Die von der Bundesregierung vorgesehene Haftungshöchstgrenze für Körperschäden ist unerträglich. Sie liegt bei 160 Millionen DM. Allein durch den vorhin schon angesprochenen Zuckertee sind Kosten in Höhe von über 2 Milliarden DM enstanden — ohne Berücksichtigung von Schmerzensgeld! Andere EG-Staaten bewiesen hier wesentlich mehr Rückgrat gegenüber der Industrie und haben auf die Haftungshöchstgrenze verzichtet.
— Großbritannien und Frankreich.
All die hier beispielhaft angeführten entscheidenen Punkte, aber auch noch viele andere, sind von der Bundesregierung eben nicht aufgenommen worden, obwohl dies nach der EG-Richtlinie möglich gewesen wäre. Das ist der eigentliche Skandal. Die Industrie wird weiter vor den Verbraucherinnen und Verbrauchern geschützt. Deshalb bleibt ihnen auch in Zukunft die Beweislast aufgebürdet. Nicht die Verursacher der Schäden, sondern die Verbraucherinnen und Verbraucher sind weiterhin beweispflichtig.Wir lehnen dieses Gesetz ganz entschieden ab.Zum Schluß noch ein Wort zum SPD-Antrag: Die SPD hat es ja nun endlich geschafft, wenigstens einen Änderungsantrag in schriftlicher Form vorzulegen.
Da hierin die meisten Punkte aus unserem Antrag vom letzten Jahr übernommen worden sind, werden wir diesem Antrag zustimmen.Danke.
Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Jahn.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Kollegin Saibold, Sie haben das Produkthaftungsgesetz hier mit dem Etikett „Etikettenschwindel" versehen. Die Begründung sind Sie schuldig geblieben.
Und wenn Sie das Gentechnikgesetz hier ansprechen: Im Gentechnikgesetz ist die Haftung für Entwicklungsrisiken vorgesehen. Das ist also in diesem Gesetz anders, als Sie es hier dargestellt haben.Meine sehr verehrten Damen und Herren, mit dem Produkthaftungsgesetz erweitern wir die gegenwärtige Verschuldenshaftung zu einer verschuldensunabhängigen Haftung, also zu einer Gefährdungshaftung. Der Verbraucherschutz, Frau Kollegin Saibold, wird einen deutlichen Impuls erhalten. Künftig wird der Verbraucher seine Ersatzansprüche leichter durchsetzen können.
Neben dem tatsächlichen Hersteller wird demnächst jede Person ersatzpflichtig sein, die sich als Hersteller ausgibt. Besonders wichtig ist, daß künftig auch der inländische Importeur, der Produkte aus Drittstaaten einführt, in gleicher Weise haftet.
Der Gefahr, durch Importe aus Billigländern den Schutz der Verbraucher zu unterlaufen, schieben wir damit einen Riegel vor. Die Haftung des DrittstaatenImporteurs wird zudem den Wettbewerb entzerren. Ungerechtfertigte Vorteile werden durch das erhöhte Haftungsrisiko erheblich reduziert.Wir haben uns andererseits darum bemüht, das Haftungsrisiko der Hersteller durch eine ausgewogene Gestaltung der Haftung in vernünftigen Grenzen zu halten,
und zwar in mehrfacher Hinsicht:Erstens. Auch künftig wird es keine Haftung — Sie haben das gesagt — für Entwicklungsfehler geben. Wir können die Entscheidung unseres Arzneimittelrechts nicht für Produkte aller Art verbindlich machen. Wir würden anderenfalls die Innovationsbereitschaft von Wirtschaft und Industrie sehr beeinträchtigen. Auch aus wettbewerbsrechlichen Gründen dürfen wir unsere Wirtschaft hier nicht schlechterstellen, als andere EG-Staaten es tun.
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Parl. Staatssekretär Dr. JahnIn einem Gebiet, das für den freien Warenverkehr so außerordentlich bedeutsam ist, brauchen wir in der Europäischen Gemeinschaft gleiche Wettbewerbsbedingungen für alle Produzenten.
Zweitens. Die Haftungshöchstgrenze des Gesetzentwurfs halte ich nach wie vor für notwendig und richtig. 160 Millionen DM reichen in jedem Fall für einen vollständigen Schadenersatz aus. Wir dürfen hier nicht außer acht lassen, daß eine unbegrenzte Haftung nicht versicherbar ist.
Und — das kommt in der Debatte, vor allen Dingen von Ihnen, Frau Kollegin Saibold, viel zu kurz —: Neben all dem, was wir hier diskutieren, bleibt ja die Verschuldenshaftung nach § 823 BGB in allen Fällen bestehen.
Drittens. Hinsichtlich des Schmerzensgeldes bleibt es bei der bisherigen — ich sage: bewährten — Regelung. Es hätte unserer Rechtstradition widersprochen,
im Rahmen der Gefährdungshaftung ein verschuldensunabhängiges Schmerzensgeld einzuführen.Und schließlich eine Sonderregelung in bezug auf die Erzeugnisse der landwirtschaftlichen Urproduktion: Der Erzeuger kann hier auf die Qualität nicht in gleichem Umfang Einfluß nehmen wie bei anderen Produkten. Eine verschuldensunabhängige Haftung ist deshalb aus der Sicht der Bundesregierung nicht vertretbar. Der Verbraucher bleibt aber keineswegs schutzlos — und das müßten Sie hinzufügen, wenn Sie hier objektiv berichten — : Der Gesetzentwurf bezieht diese Produkte in die neue Haftung ein, sobald sie bearbeitet sind, und eine solche Verarbeitung ist der praktische Regelfall. Davon unabhängig — ich betone das noch einmal — haftet der Erzeuger selbstverständlich bei jedwedem Verschulden im Sinne von § 823 des Bürgerlichen Gesetzbuches.Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich rufe den Verantwortlichen unserer Wirtschaft zu: Beugen Sie der Realisierung des Risikos vor! Ich nenne hier die Schlagworte Qualitätssicherung, Warenausgangskontrolle, Dokumentation und — das Wichtigste — fehlerfreie Produkte — im Interesse aller. Damit wir uns nicht mißverstehen: Nichts davon liegt im argen, sondern der Stand ist gut. Aber Gutes kann auch noch verbessert werden. Ist aber der Schaden trotz aller Vorsorge einmal eingetreten, so kann eine dem konkreten Produktrisiko angemessene Haftpflichtversicherung allen Beteiligten nützen.Sie werden jetzt fragen: Was heißt denn „eine dem konkreten Produktrisiko angemessene Haftpflichtversicherung"? Welches Risiko kommt also auf uns zu? Ich kann dazu keine konkreten Zahlen nennen. Ich möchte aber so weit gehen, zu behaupten, daß weder von einem schlagartig erhöhten Risiko der Betroffenen noch von wesentlich höheren Kosten in Form von Versicherungsprämien auszugehen sein wird. Beides wird eigentlich weitgehend anerkannt, auch von der Versicherungswirtschaft. Jedoch werden immer wieder die amerikanischen Produkthaftungsverhältnisse als Schreckgespenst an die Wand gemalt. Hier muß festgestellt werden: Dieses Produkthaftungsgesetz hat mit den amerikanischen Produkthaftungsverhältnissen nichts, aber auch gar nichts zu tun. Hier wird nicht Vergleichbares miteinander verglichen.Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Maren Tatbestände des künftigen Produkthaftungsgesetzes werden unter Berücksichtigung der deutschen Rechtspraxis zu angemessenen und tragbaren Ergebnissen führen. Deshalb möchte ich auch eindringlich vor einem Hochreden der Risiken warnen.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Saibold?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Bitte schön, wenn Sie es mir nicht anrechnen, Frau Präsidentin.
Sie sprachen gerade das wesentlich schärfere Haftungsrecht in den Vereinigten Staaten an. Würden Sie mir zustimmen, daß die amerikanische Industrie keineswegs etwa auf Grund dieses Haftungsrechts am Boden liegt, sondern daß sie sehr gut damit leben kann?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich habe, Frau Kollegin Saibold, gesagt, daß das amerikanische Produkthaftungsrecht mit dem deutschen in keiner Weise vergleichbar ist. Das liegt allein schon in der Tatsache begründet, daß für die amerikanischen Rechtsanwälte das Prinzip des Erfolgshonorars gilt. Das hat einen ganz anderen Einfluß auf Prozeßlage und Beweissicherung. Deshalb habe ich hier noch einmal vor der Öffentlichkeit betont, daß Unvergleichbares miteinander verglichen wird, wenn auf die amerikanischen Produkthaftungsverhältnisse hingewiesen wird.
Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluß. Insgesamt gestaltet das Produkthaftungsgesetz unter Wahrung deutscher Rechtstradition und unter Wahrung deutscher Rechtspraxis vor dem Hintergrund der Vorgaben der EG einen weiteren Bereich herkömmlichen Verbraucherschutzes. Es dient zugleich unserer Wirtschaft und dem Handel, insbesondere dem Mittelstand, da die EG-weite Harmonisierung der Produkthaftung gleiche Rahmenbedingungen zugunsten unserer Produzenten schafft. Das Produktionshaftungsgesetz ist insoweit ein zusätzlicher und erforderlicher Schritt, die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie und der deutschen Wirtschaft auf dem kommenden Binnenmarkt der EG zu gewährleisten.
Die Bundesregierung begrüßt, daß dieses Gesetz heute in zweiter und dritter Lesung verabschiedet werden kann.
Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Produkthaf-
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13302 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 175. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. November 1989
Vizepräsidentin Rengertungsgesetzes. Es handelt sich um die Drucksachen 11/2447 und 11/5520.Ich rufe § 1 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 1 bis 4 in der Ausschußfassung auf. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei einigen Gegenstimmen mit Mehrheit angenommen.Ich rufe § 1 Abs. 2 Nr. 5 in der Ausschußfassung auf. Hierzu liegt auf Drucksache 11/5594 unter Ziffer 1 ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD vor. Wer stimmt diesem Änderungsantrag zu? — Gegenprobe! — Mit der Mehrheit der Stimmen von CDU/CSU und FDP abgelehnt.Wer stimmt § 1 Abs. 2 Nr. 5 in der Ausschußfassung zu? — Gegenprobe! — Gegen die Stimmen von SPD und GRÜNEN mit Mehrheit angenommen.Ich rufe § 1 Abs. 3 und 4 in der Ausschußfassung auf. Wer wünscht, dem zuzustimmen? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei zwei Gegenstimmen ist dieses angenommen.Ich rufe § 2 Satz 1 in der Ausschußfassung auf. Wer dem zuzustimmen wünscht, gebe bitte das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Gegen die Stimmen von grünen Abgeordneten angenommen.Ich rufe § 2 Satz 2 in der Ausschußfassung auf. Hierzu liegt auf Drucksache 11/5594 unter Ziffer 2 ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD vor. Wer stimmt dem zu? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Mit Mehrheit abgelehnt.Wer § 2 Satz 2 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Mit der Mehrheit der Koalitionsfraktionen angenommen.Ich rufe die §§ 3 bis 7 in der Ausschußfassung auf. Wer stimmt dem zu? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Die Vorschrift ist gegen zwei Stimmen der GRÜNEN angenommen.Ich rufe § 8 in der Ausschußfassung auf. Dazu liegt auf Drucksache 11/5594 unter Ziffer 3 ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD vor. Es ist beantragt, nach Abs. 1 einen neuen Abs. 2 anzufügen. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Dieser Antrag ist mit Mehrheit abgelehnt.Wer stimmt für § 8 in der Ausschußfassung? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Mit Mehrheit angenommen.Ich rufe § 9 in der Ausschußfassung auf. Wer stimmt dem zu? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Gegen zwei Stimmen der GRÜNEN mit großer Mehrheit angenommen.Ich rufe § 10 in der Ausschußfassung auf. Dazu liegt auf Drucksache 11/5594 unter Ziffer 4 ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD vor. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Dies ist mit Mehrheit abgelehnt.Wer stimmt für § 10 in der Ausschußfassung? — Die Gegenprobe! — Enthaltungen? — Mit Mehrheit der Koalitionsfraktionen angenommen.Ich rufe die §§. 11 bis 14 in der Ausschußfassung auf. Wer diesen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Gegen zwei Stimmen angenommen.Ich rufe § 15 in der Ausschußfassung auf. Hierzu liegt auf Drucksache 11/5594 unter Ziffer 5 ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD vor. Wer stimmt diesem Antrag zu? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Mit Mehrheit abgelehnt.Wer stimmt für § 15 in der Ausschußfassung? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Dies ist mit Mehrheit angenommen.Ich rufe die §§ 16 bis 19, Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung auf. Wer diesen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei zwei Enthaltungen der GRÜNEN sind diese Vorschriften angenommen.Damit ist die zweite Beratung abgeschlossen. Wir treten in diedritte Beratungein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz im Ganzen zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei Enthaltung der SPD und der GRÜNEN mit Mehrheit angenommen.Wir kommen nun noch zu Punkt 9 b der Tagesordnung, und zwar zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Rechtsausschusses auf Drucksache 11/5520. Der Ausschuß empfiehlt unter Buchstabe b, den Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/3718 für erledigt zu erklären. Wer stimmt dem zu? — Die Gegenprobe! — Enthaltungen? — Dies ist mit Mehrheit angenommen.Ich rufe nun Punkt 1 der Tagesordnung auf: Fragestunde— Drucksache 11/5641 —Ich habe Ihnen zunächst einmal mitzuteilen, daß die Fragen 3 und 4 des Herrn Abgeordneten Kalisch aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern zurückgezogen worden sind.Ich rufe sodann den Geschäftsbereich des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten auf. Der Herr Parlamentarische Staatssekretär Dr. von Geldern steht zur Beantwortung der Fragen zur Verfügung.Ich rufe Frage 5 des Herrn Abgeordneten Brauer auf. — Der Abgeordnete ist nicht im Saal. Frage 5 wird ebenso wie die Frage 6 des Herrn Abgeordneten Brauer nach den Vorschriften der Geschäftsordnung behandelt. — Danke schön, Herr Staatssekretär.Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit auf. Herr Parlamentarischer Staatssekretär Pfeifer steht zur Beantwortung der Fragen zur Verfügung.Ich rufe Frage 7 des Herrn Abgeordneten Jäger auf:
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 175. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. November 1989 13303
Vizepräsidentin RengerTrifft es zu, daß die Bundesregierung ihre Absicht aufgegeben hat, noch in dieser Legislaturperiode den Entwurf für ein Schwangerenberatungsgesetz einzubringen, und welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung bejahendenfalls im Hinblick auf den Schutz des Lebensrechts ungeborener Kinder?Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Frau Präsidentin! Herr Kollege Jäger, in der Regierungsbefragung der vergangenen Woche hat der Staatsminister beim Bundeskanzler, Herr Dr. Stavenhagen, auf eine entsprechende Frage folgendes ausgeführt:
Es gibt in der Koalition Meinungsverschiedenheiten über dieses Schwangeren-Beratungsgesetz, die bisher nicht ausgeräumt werden konnten. Die Bundesregierung wird diesen Gesetzentwurf erst einbringen, wenn diese Meinungsverschiedenheiten ausgeräumt werden können. Das ist zur Stunde noch nicht der Fall.
An diesem Sachverhalt hat sich seither nichts geändert.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Jäger.
Herr Staatssekretär, darf ich aus Ihrer Antwort schließen, daß nach wie vor Bemühungen im Gange sind, diese Meinungsverschiedenheiten zu überwinden und einen Gesetzentwurf einzubringen, der den Maßstäben unseres Grundgesetzes gerecht wird?
Pfeifer, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Jäger, meiner Antwort können Sie entnehmen, daß die Vorlage des Beratungsgesetzes bisher nicht möglich war, weil unter den Koalitionspartnern in einem Punkt Konsens nicht erreicht wurde. Ob das Beratungsgesetz ad acta gelegt werden muß oder nicht, hängt davon ab, ob dieser Konsens noch zustande kommt.
Zweite Zusatzfrage, bitte, Herr Kollege.
Darf ich aus der ersten Antwort und auch aus dieser zweiten auf meine Zusatzfrage schließen, daß in der Presse geäußerte Behauptungen, die Bundesministerin für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit habe sich bereits mit dem Scheitern dieses Vorhabens abgefunden und werde keinen solchen Entwurf mehr einbringen, eindeutig falsch sind?
Pfeifer, Parl. Staatssekretär: Die Bundesministerin für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit hat sich mit dem Scheitern dieses Gesetzes nicht abgefunden.
Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Weyel.
Darf ich Ihrer Antwort entnehmen, daß mindestens ein großer Teil der Fraktionen der Koalition mit unserer Fraktion darüber einig ist, daß wir alle auch ohne das Beratungsgesetz bestrebt sind, für den Schutz des werdenden Lebens einzutreten?
Pfeifer, Parl. Staatssekretär: Die Bundesregierung hat in den zurückliegenden Jahren in der Tat eine Vielzahl von Maßnahmen ergriffen, um das Leben ungeborener Kinder besser zu schützen und schwangeren Frauen in Not zu helfen. Dennoch ist das Beratungsgesetz nach Ansicht der Bundesregierung ein wichtiges Gesetz.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Klejdzinski.
Herr Staatssekretär, stimmen Sie mir in der Annahme zu, daß die gegenwärtige Praxis mit unserem Grundgesetz durchaus in Einklang steht?
Pfeifer, Parl. Staatssekretär: Wie Sie wissen, gibt es darüber sehr unterschiedliche Meinungen. Es ist auch angekündigt, daß von einer Seite eine Überprüfung durch das Bundesverfassungsgericht herbeigeführt werden soll.
Frau Abgeordnete Ganseforth.
Herr Staatssekretär, könnte es sein, daß das Beratungsgesetz auch deswegen fallengelassen wird, weil fast alle, die mit Beratung zu tun haben und die fachkundig sind, davon abgeraten haben, dieses Gesetz zu verabschieden, weil es eben nicht dem Schutz des werdenden Lebens dient?
Pfeifer, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin Ganseforth, ich habe hier klar zum Ausdruck gebracht, daß unter den Koalitionsparteien in einem Punkt Konsens bisher nicht erreicht werden konnte und daß wir dieses Gesetz erst vorlegen können, wenn dieser Konsens erreicht ist. Das ist der Grund, warum es bisher nicht vorgelegt worden ist. Im übrigen ist ein Beratungsgesetz sicherlich ein Beitrag, um ungeborenes Leben besser zu schützen und schwangeren Frauen in Not zu helfen.
Zusatzfrage, bitte, Herr Abgeordneter Stiegler.
Herr Staatssekretär, der Kollege Klejdzinski hat Sie soeben nach der Meinung der Bundesregierung gefagt; Sie haben allgemein geantwortet. Hat die Bundesregierung auf Grund der bekannten Dissense dazu keine Meinung, oder ist vielleicht doch eine Meinung vorhanden?
Pfeifer, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Stiegler, ich habe die Antwort auf die Frage, die mir soeben gestellt worden ist, so formuliert, weil ja auch Ihnen bekannt ist, daß es zu dieser Frage durchaus Meinungsverschiedenheiten gibt, die auch dazu führen, daß von einer Seite eine gerichtliche Überprüfung veranlaßt werden soll.
Ich rufe die Frage 8 des Herrn Abgeordneten Kirschner auf:Wann ist damit zu rechnen, daß das von der Firma Geigy entwickelte Präparat „Formoterol", das durch seine deutlich gesteigerte Langzeitwirkung für viele Asthma-Kranke Erleichterung bringen wird, vom Bundesgesundheitsamt zugelassen wird?Bitte schön, Herr Staatssekretär.
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13304 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 175. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. November 1989
Pfeifer, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Kirschner. Die Zulassungsanträge für das Arzneimittel Formoterol sind am 30. November 1987 beim Bundesgesundheitsamt eingegangen. Der Antragsteller hat dabei um eine bevorzugte Bearbeitung nach § 28 Abs. 3 des Arzneimittelgesetzes gebeten. Diese bevorzugte Bearbeitung hat das Bundesgesundheitsamt mit der Begründung abgelehnt, daß sich der Wirkstoff Formoterol im wesentlichen nicht von vergleichbaren Substanzen dieser Gruppe unterscheidet. Im übrigen hat das Bundesgesundheitsamt mitgeteilt, daß es beabsichtige, die vorliegenden Anträge in der ersten Hälfte des Jahres 1990 zur Entscheidungsreife zu bringen.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Kirschner.
Herr Staatssekretär, ist der Bundesregierung bekannt, daß ein identisches Mittel seit Jahren in Japan auf dem Markt ist, d. h. dort zugelassen ist?
Pfeifer, Parl. Staatssekretär: Mir ist das nicht bekannt. Aber die Entscheidung über die Zulassung liegt hier eindeutig beim Bundesgesundheitsamt.
Zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, nachdem Sie sagten, daß der Antrag schon zwei Jahre lang beim Bundesgesundheitsamt vorliegt und ich sagte, daß in Japan ein identisches Mittel vertrieben wird: Hält es die Bundesregierung für sinnvoll, für Arzneimittel, die in vom Arzneimittelrecht her vergleichbaren Ländern, wie Japan, schon zugelassen sind, eine erleichterte Zulassung wie in EG-Staaten entsprechend Art. 1 Nr. 11 d des Entwurfs eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Arzneimittelgesetzes zu schaffen?
Pfeifer, Parl. Staatssekretär: Wie Sie wissen, finden über die 4. Novelle des Arzneimittelgesetzes im Augenblick die Beratungen in den zuständigen Ausschüssen des Bundestages statt. Die Bundesregierung hat in ihrem Regierungsentwurf als eine Maßnahme zum Abbau des Zulassungsstaus vorgeschlagen, daß die EG-Zulassungen in das Zulassungsverfahren in der im Entwurf vorgesehenen Weise einbezogen werden. Es ist dem Ausschuß natürlich unbenommen, auch die von Ihnen aufgeworfene Frage, ein solches Verfahren über die EG hinaus zu erwägen, in seine Beratungen aufzunehmen.
Sie haben noch eine Frage zu beantworten — der Fragesteller ist wieder erschienen — , das ist die Frage 9 des Herrn Abgeordneten Stiegler. Sie haben die Antwort nicht da, Herr Staatssekretär?
Pfeifer, Parl. Staatssekretär: Nein. Es wurde mir gesagt, es sei eine schriftliche Beantwortung gewünscht.
Es wurde so mitgeteilt.
— Es geht dann leider auch nicht anders. — Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr auf. Herr Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Schulte steht zur Beantwortung zur Verfügung.
Frage 10 des Abgeordneten Dr. Uelhoff und Frage 11 des Abgeordneten Zierer werden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe Frage 12 des Abgeordneten Jäger auf:
Trifft nach den Erkenntnissen der Bundesregierung die Behauptung in der Anzeige des Bundesverbandes des Deutschen Güterfernverkehrs e. V. mit der Überschrift „Liebe Bahn, warum läßt Du uns im Regen stehn?" zu, daß täglich Hunderte von Lastwagen vergeblich darauf warten, beim Huckepackverkehr der Deutschen Bundesbahn zum Zug zu kommen, weil die Kapazitäten auf den Huckepackstrecken längst erschöpft seien?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Jäger, von gelegentlichen Ausnahmetagen abgesehen, reichen die Waggon- und die Streckenkapazität aus, um die derzeit reale Nachfrage im Huckepackverkehr zu befriedigen. Diese Nachfrage könnte jedoch erheblich höher sein, wenn das Transportangebot der Bahn qualitativ besser wäre und es keine Engpässe in den Umschlagbahnhöfen gäbe, die den Transportunternehmern derzeit zusätzliche Kosten verursachen.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Jäger. Bitte schön.
Herr Staatssekretär, trifft es denn zu, daß im Jahr 1988 der Huckepackverkehr insgesamt um 12,4 To zugenommen hat, im Binnenverkehr der Bundesrepublik Deutschland dagegen nur um 5,5 %, d. h. daß bei uns die Bundesbahn hier ausgesprochene Engpässe hat?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Die Bahn hat Engpässe, und wir haben im gesamten kombinierten Verkehr noch erhebliche Reserven.
Zusatzfrage, Frau Ganseforth.
Herr Staatssekretär, was gedenkt die Bundesregierung zu machen, die Engpässe, von denen Sie gesprochen haben, z. B. beim Umladen des Huckepackverkehrs, zu beseitigen?
Dr. Schulte Parl. Staatssekretär: Es geht um zweierlei. Es geht einmal um den Ausbau der Terminals, es geht aber auch um die Zufahrtswege. Die Bundesregierung wird in der Zukunft alle diese Investitionen in den vordringlichen Bedarf für den Verkehrswegebau aufnehmen.
Frau Kollegin, Sie kommen sofort wieder dran. Ich rufe Frage 13 der Abgeordneten Frau Ganseforth auf:Hält es die Bundesregierung für vertretbar, daß die Deutsche Bundesbahn über Jahre hinweg für die Berechnung der Bundeszuschüsse für den Nahverkehr wesentlich höhere Abschreibungen für Fahrzeuge zugrunde legt, als sie tatsächlich für Ersatzinvestitionen aufwendet?
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 175. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. November 1989 13305
Vizepräsidentin RengerBitte, Herr Staatssekretär.Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, im Rahmen der Ausgleichszahlungen des Bundes für den Schienenpersonennahverkehr werden die kalkulatorischen Abschreibungen in linear ermittelten Jahresraten entsprechend der Nutzungszeit angesetzt. Die Fahrzeugbeschaffung verläuft dagegen azyklisch entsprechend dem Ersatzbedarf und den Markterfordernissen.Außerdem ist bei der Fahrzeugbeschaffung generell die Kapazität der Industrie zu berücksichtigen. Derzeit ist die Industrie in hohem Maße mit der Fertigung von Fahrzeugen für den Personenfernverkehr, insbesondere ICE, ausgelastet. In den kommenden Jahren werden zunehmend Fahrzeuge für den Schienenpersonennahverkehr beschafft werden. In dem mittelfristigen Planungszeitraum bis 1994 hat die Deutsche Bundesbahn hierfür 1,5 Milliarden DM veranschlagt.
Eine Zusatzfrage, bitte, Frau Kollegin.
Herr Staatssekretär, hält die Bundesregierung es nicht für notwendig, die Finanzierung von Fahrzeugen im Nahverkehr nach dem Bedarf und nicht nach der Kapazität, wie Sie sagen, der Industrie zu organisieren?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Zunächst einmal geht es selbstverständlich nach dem Bedarf. Es ist aber auch ein Anliegen der Deutschen Bundesbahn, daß ihre Partner einigermaßen kontinuierlich ausgelastet sind. Ich glaube, das ist auch ihr eigenes Interesse.
Eine zweite Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, was gedenkt die Bundesregierung mit den Bereichen zu machen, die in der Vergangenheit aus den Gründen, die Sie eben erwähnt haben, nicht bedient werden konnten? Ich denke da an den Großraum Hannover, wo es dringend erforderlich gewesen wäre, im Nahverkehr Fahrzeuge zur Verfügung zu stellen, was nicht geschehen ist. Gedenkt die Bundesregierung, das im nachhinein auszugleichen, und wie?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: In den nächsten fünf Jahren werden für diesen Zweck 1,5 Milliarden DM ausgegeben werden.
— Wenn Anträge irgendwann abgelehnt worden sind, dann muß man genau untersuchen, ob die Wirtschaftlichkeitsberechnungen stimmten. Hier gibt es von Land zu Land oder Region zu Region unterschiedliche Tatbestände.
Ich rufe die Frage 14 der Frau Abgeordneten Ganseforth auf:
Setzt sich die Bundesregierung unter Berücksichtigung dieser Tatsachen dafür ein, daß nach dem Ausbau der Strecke Wunstorf—Lehrte neue behindertengerechte Fahrzeuge eingesetzt, und dafür die auf dieser Strecke verkehrenden nach Grundüberholung gegen auszumusternde Fahrzeuge auf anderen Strecken ausgetauscht werden?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, mit dem Land Niedersachsen und mit dem GroßraumVerband Hannover ist abgestimmt, daß die derzeit auf der Strecke Wunstorf-Lehrte verkehrenden Wagen modernisiert und dabei auch die Belange der Behinderten berücksichtigt werden.
Eine Zusatzfrage, bitte, Frau Kollegin.
Soviel wie ich weiß sind diese Angaben, die Sie machen, deswegen nicht ausreichend, weil es nur eine Zwischenlösung ist, während wirklich behindertengerechte Wagen notwendig wären. Wenn, wie Sie sagen, in der nächsten Zeit im Fahrzeugsektor sehr viel investiert wird, dann wäre es sinnvoll, diesen Bedarf zu befriedigen und, wie ich in der Frage gesagt habe, dafür einen Austausch mit anderen Wagen vorzunehmen.
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, die Deutsche Bundesbahn wird mit Hilfe der Bundesregierung bei diesem Thema Schritt für Schritt vorangehen. Es ist bereits erhebliches geleistet worden. Wir investieren inzwischen für hindernisfreie Zu- und Abgänge an den Bahnanlagen, wir versuchen, Aufzüge einzubauen, wir passen die Bahnsteighöhen an das Niveau der S-Bahn-Wagen an, um nur einmal drei Beispiele zu nennen. Hier gibt es ein Gesamtprogramm, das zügig verwirklicht werden wird.
Eine zweite Zusatzfrage, bitte.
Ich möchte noch einmal fragen: Es handelt sich um 55 Wagen, die in dem Bereich notwendig werden. Ist es, wenn Sie in den nächsten Jahren so viele Millionen DM investieren, nicht möglich, den Bedarf an behindertengerechten Wagen im Raum Hannover zu berücksichtigen? Ich möchte Sie bitten, das noch einmal in Ihre Überlegungen mit einzubeziehen.
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, da Sie bereits mehrfach in dieser Angelegenheit nachgebohrt haben, gehe ich noch einmal der Frage nach.
Zu der Strecke Wunstorf-Lehrte, nach der Sie konkret gefragt haben, habe ich Ihnen gesagt: Die Wagen werden modernisiert, und die Belange der Behinderten werden dabei berücksichtigt.
Die Fragen 15 und 16 des Abgeordneten Menzel werden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.Danke schön, Herr Staatssekretär.Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit auf. Herr Parlamentarischer Staatssekretär Gröbl steht zur Beantwortung zur Verfügung.
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13306 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 175. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. November 1989
Vizepräsidentin RengerDie Fragen 17 und 18 des Abgeordneten Schütz werden auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.Da der Herr Abgeordnete Lennartz nicht anwesend ist, werden seine Fragen 19 und 20 nicht beantwortet. Das gilt auch für die Frage 21 des Abgeordneten Stiegler.Danke schön, Herr Staatssekretär.Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau auf.Die Fragen 22 des Abgeordneten Zierer, 23 und 24 des Abgeordneten Großmann werden auf Wunsch der Fragesteller schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Finanzen auf. Herr Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Voss steht zur Beantwortung zur Verfügung.Die Fragen 25 und 26 der Abgeordneten Frau Walz werden auf Wunsch der Fragestellerin schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.Ich rufe die Frage 27 des Abgeordneten Klejdzinski auf:War der Bundesregierung bei der Konzeption der Steuerreform 1990 bewußt, daß sie die Masse der verheirateten Steuerzahler mit der Reform 1990 deutlich geringer als die Alleinstehenden entlastet, indem nur die Verheirateten mit ganz niedrigem oder sehr hohem Einkommen nach dem neuen Tarif besser gestellt werden, und wie vereinbart sich dies mit der propagierten ehe- und familienfreundlichen Politik?
Herr Kollege Klejdzinski, im Rahmen der Steuerreform werden Ehepaare nicht geringer als vergleichbare Alleinstehende entlastet. Die in Ihrer Frage aufgestellte Behauptung, der Einkommensteuertarif 1990 stelle nur Verheiratete mit ganz niedrigem oder sehr hohem Einkommen besser, ist unzutreffend. Durch die durchgreifende Senkung der Steuersätze werden alle Lohn- und Einkommensteuerzahler entlastet, und zwar die Bezieher kleiner Einkommen anteilig stärker als die Bezieher höherer Einkommen. Auch nach der Reform muß der Besserverdienende absolut und prozentual erheblich mehr Einkommensteuer als der weniger gut Verdienende entrichten. Wer 1990 als Verheirateter z. B. 24 000 DM zu versteuern hat, muß 2 466 DM oder 10,3 % Einkommensteuer entrichten. Wer den zehnfachen Betrag, nämlich 240 000 DM, zu versteuern hat, muß das 33fache, nämlich 81 502 DM Einkommensteuer, entrichten und hat eine Durchschnittsbelastung von 34 %.
Neben der Tarifsenkung werden die Familien durch eine Reihe weiterer steuerfreundlicher Maßnahmen, vor allem durch die Anhebung des Kinderfreibetrags auf über 3 000 DM, in erheblichem Umfang entlastet.
Darüber hinaus sind zugunsten der Familien auch staatliche Leistungen — Erziehungsgeld, Kindergeld — deutlich verbessert worden.
Insgesamt hat sich in den letzten Jahren die wirtschaftliche Lage der Familien auf Grund der familienfreundlichen Politik der Bundesregierung nachhaltig verbessert.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Klejdzinski.
Herr Staatssekretär, kann ich davon ausgehen, daß Sie meine Frage nicht beantwortet oder nicht gelesen haben?
Dr. Voss, Parl. Staatssekretär: Davon können Sie nicht ausgehen, Herr Kollege. Ich möchte Sie fragen, ob ich davon ausgehen kann, daß Sie in Ihrer Frage vielleicht etwas verwechselt haben, nämlich den Splitting-Vorteil und den Steuer-Vorteil. Da ist nämlich ein ganz gravierender Unterschied. Sie beziehen sich auf einen Artikel. In diesem Artikel gibt es eine Tabelle. Aus dieser Tabelle zitieren Sie ein Beispiel. Das bringt mich zu der Auffassung, daß Sie zwischen Splitting-Vorteil und Steuer-Vorteil auf Grund der Steuerreform nicht so richtig unterschieden haben.
Herr Staatssekretär, kann ich jetzt also wirklich doch davon ausgehen, daß diese belehrende Art, die Sie mir haben angedeihen lassen, durchaus so eingeschätzt werden darf, daß Sie doch wissen, wovon ich rede?
Dr. Voss, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich wollte keine belehrende Art an den Tag legen. Ich habe lediglich versucht — und das sehr vorsichtig —, Ihnen den Unterschied klarzumachen, der hier offensichtlich zu bestehen scheint. Ich habe Ihre Frage verstanden, und ich habe auf diese Frage geantwortet. Mehr kann ich in diesem Zusammenhang leider nicht tun.
Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Weyel.
Herr Staatssekretär, würden Sie mir darin zustimmen, daß ein prozentualer Vergleich der Entlastungen nach außen hin ein anderes Ergebnis als ein Vergleich in Zahlen zeigt und daß die Entlastung der höheren Einkommen zwar prozentual geringer ist, aber, gemessen in DM, wesentlich höher als die der niederen Einkommen ist?
Dr. Voss, Parl. Staatssekretär: Natürlich, Frau Kollegin, besteht ein Unterschied zwischen der prozentualen und der absoluten Entlastung. Daher hat die Bundesregierung in der Broschüre, die sie herausgegeben hat und die sehr instruktiv ist, immer sowohl die prozentuale als auch die absolute Entlastung nebeneinander gestellt, so daß jeder, der sich schlauer machen will, als er schon ist, das eine mit dem anderen genau vergleichen kann.
Zusatzfrage, Herr Dr. Sperling.
Herr Staatssekretär, würden Sie mir in der Auffassung zustimmen, daß man, wenn man die höheren Einkommen geringer entlastet hätte, die niedrigeren Einkommen höher hätte entlasten können?
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 175. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. November 1989 13307
Dr. Voss, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Sperling, daß ist eine Frage, die nicht zur Debatte steht.
Wir haben ein Konzept gesucht, das sowohl die niederen Einkommen — hier stärker prozentual — als auch die höheren Einkommen — hier weniger prozentual — entlastet. Sie werden mir zustimmen, Herr Kollege, daß man natürlich bei der Entlastung im steuerlichen Bereich sehr viele Komponenten und Aspekte zu berücksichtigen hat und daß man im Bereich höherer Einkommen auch berücksichtigen muß, daß beispielsweise 90 % unserer Unternehmen Einkommensteuer zahlen und daß, wenn wir für diesen Bereich etwas tun wollen, das genau das Richtige ist, was die Bundesregierung getan hat.
Keine weitere Zusatzfrage?
Dann rufe ich die Frage 28 des Herrn Abgeordneten Dr. Klejdzinski auf.
Aus welchen Gründen gewährt die Bundesregierung mit der Steuerreform 1990 — wie in der Zeitschrift ,,Das Kapital" vom November 1989 aufgelistet — besserverdienenden Ehepaaren, die mehr als 230 000 DM im Jahr deklarieren, prozentual und absolut weit mehr steuerliche Entlastung, nämlich 3 517 DM — was einem Plus von 18,6 % nach dem Splitting-Tarif entspricht, als Ehepaaren mit 70 000 DM zu versteuerndem Einkommen, die durch die Reform nämlich 2 109 DM weniger gegenüber dem Tarif 1989 erhalten?
Dr. Voss, Parl. Staatssekretär: Ich bedanke mich, Herr Kollege, ich will sie wieder wahrnehmen.
Der von Ihnen zitierte Artikel, Herr Kollege Klejdzinski, enthält keine Angaben zur Entlastungswirkung der Steuerreform insgesamt. In der dort abgedruckten Tabelle ist lediglich ein Vergleich der Splitting-Wirkung nach den Einkommensteuertarifen 1989 und 1990 dargestellt. Die Splitting-Wirkung ist die Differenz zwischen der tariflichen Einkommensteuer nach der Grundtabelle und nach der SplittingTabelle. Sie hängt von der Höhe des Grundfreibetrages und dem Verlauf der Steuersätze ab.
Bei niedrigen Einkommen wird die Splitting-Wirkung in erster Linie durch die Höhe des Grundfreibetrages bestimmt. Die erhebliche Aufstockung des Grundfreibetrages von 4 752 DM in 1989 auf 5 616 DM ab 1990, die sich im Falle der Zusammenveranlagung doppelt auswirkt, hat insoweit zu einer Erhöhung der Splitting-Wirkung bei niedrigen Einkommen geführt.
Bei mittleren Einkommen ist die sich aus dem Splitting-Verfahren ergebene Progressionsabschwächung entscheidend. Da nach dem neuen Einkommensteuertarif 1990 im mittleren Einkommensbereich die Progression schwächer ansteigt, ist insofern auch die Splitting-Wirkung geringer als nach dem alten Tarif.
Im oberen Progressionsbereich, in dem die bisherigen Grenzsteuersätze auf hohem Niveau, aber sehr flach verlaufen, ist der Progressionsanstieg nach dem neuen Tarif etwas steiler. Insoweit ergibt sicht für höhere Einkommen eine höhere Splitting-Wirkung.
Eine geringere Splitting-Wirkung nach dem Einkommensteuertarif 1990 bedeutet allerdings keine Steuermehrbelastung. So wird z. B. bei einem zu versteuernden Einkommen von 70 000 DM die tarifliche Einkommensteuer — trotz Verringerung der SplittingWirkung — um 2 008 DM im Vergleich zum Einkommensteuertarif 1989 gesenkt. Auch auf der Grundlage des neuen Einkommensteuertarifs 1990 müssen die Bezieher hoher Einkommen absolut und prozentual erheblich mehr Steuern entrichten als die Bezieher kleiner und mittlerer Einkommen.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Klejdzinski.
Herr Staatssekretär, stimmt es denn — Sie sagten vorhin, das sei nicht richtig —, daß beispielsweise derjenige, der ein zu versteuerndes Jahreseinkommen von 70 000 DM hat, im Tarif 1989 einen Splitting-Vorteil von 6 797 DM hatte, aber im Tarif 1990 nur noch einen Splitting-Vorteil von 4 688 DM hat, daß dieses, nach Adam Riese gerechnet, eine Differenz von 2 109 DM ist und daß dieses, wiederum nach Adam Riese gerechnet, ein Minus von 30,9 % ausmacht?
Dr. Voss, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, das, was Sie an Zahlen genannt haben, ergibt sich aus der Tabelle. Ich habe die Richtigkeit der Tabelle nicht bestritten. Ich habe nur gesagt, daß hier dargelegt wird, wie sich der Splitting-Vorteil vor und nach der Steuerreform entwickelt.
Herr Staatssekretär, das mathematische Verfahren, das Sie die ganze Zeit erklären, habe ich schon längst verstanden. Ich frage Sie nach den Auswirkungen.
Dr. Voss, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, wenn Sie es so hören wollen, kann ich Ihnen dazu sagen: Es lohnt sich auf Grund der Steuerreform in diesen Einkommensbereichen zur Zeit nicht mehr so sehr wie vorher zu heiraten.
Aber die Steuerentlastung, Herr Kollege, wird dadurch nicht in Frage gestellt; sie ist in allen Fällen erhalten.
Wenn ich es richtig im Kopf habe, Herr Kollege Klejdzinski, wird gerade aus Ihrer Fraktion der Splitting-Vorteil häufig als zu hoch angesehen, und er sollte abgebaut werden.
Wenn man dieser Tabelle folgt und die hier aufgeführten Zahlen für richtig hält, erkennt man, daß das geschieht.
Sie haben noch eine Zusatzfrage, Herr Kollege.
Herr Staatssekretär, stimmen Sie mir noch einmal zu oder sagen Sie zumindest, daß die Zahlen richtig sind: Wenn Sie 250 000 DM zu versteuern haben, beträgt der Splitting-Vorteil nach dem
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13308 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 175. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. November 1989
Dr. KlejdzinskiTarif '89 19 557 DM; nach dem neuen Tarif '90 beträgt er 22 871 DM. Das heißt, die Differenz zwischen dem neuen Splitting-Vorteil und dem alten SplittingVorteil beträgt 3 314 DM. Wenn Sie davon ausgehen, daß das Splitting-System im Grunde dazu dienen sollte, Familien besserzustellen, dann frage ich Sie, warum die Bundesregierung bei der Konstruktion des neuen Tarifes sich zwar an ein mathematisches Prinzip gehalten hat, aber dieses mathematische Prinzip so ausgewählt — und nicht korrigiert — hat, daß die Ausprägung im einzelnen sehr unterschiedlich ist.Dr. Voss, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, Sie wissen so gut wie ich, daß wir bisher einen Tarif hatten, der nicht linear progressiv war, sondern der den sogenannten Facharbeiterbauch oder Mittelstandsbauch hatte. Diesen Mittelstandsbauch haben wir beseitigt. Dadurch ist die Progression sehr herabgemindert worden. Wenn die Progression herabgesetzt wird, dann wird auch der Vorteil bei der Splittingversteuerung geringer. Wenn dagegen der Progressionsverlauf steiler ist, also eine höhere Progression besteht, dann ist der Splitting-Vorteil größer. Dadurch ist zu erklären, daß zwischen den einzelnen Bereichen — untere Progressionszone, mittlere Progressionszone, ob ere Progressionszone — die Unterschiede bestehen, die hier in der Tabelle aufgeführt sind.
Ich würde wahnsinnig gern das Publikum fragen, ob jemand auch nur einen Punkt verstanden hat.
Dr. Voss, Parl. Staatssekretär: Frau Präsidentin, das ist leider nicht mein Problem. Steuerrecht ist eine schwierige Angelegenheit. Ich gehe von einer Tabelle aus, die in einer öffentlich zu beziehenden Zeitschrift dargelegt ist, . . .
Es ging nicht gegen Sie, Herr Staatssekretär.
Dr. Voss, Parl. Staatssekretär:... und versuche das zu erklären, was dort dargestellt worden ist.
Es war nur meine Vorstellung, daß es eigentlich möglich sein müßte, ein System zu finden, das jeder begreifen kann. Aber das kann wahrscheinlich nicht erfunden werden.
Dr. Voss, Parl. Staatssekretär: Aber, Frau Präsidentin, das jetzige System ist viel, viel einfacher, als das frühere war. Es sind sehr viele steuervereinfachende Maßnahmen eingeführt worden. Nur weiß das die Öffentlichkeit noch nicht so ganz.
Danke schön. — Herr Sperling, Sie haben noch eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ich gehe davon aus, daß wir uns darüber einig sind, daß, ob Mittelstandsbauch im Steuerrecht ja oder nein, die Verführungskraft des Steuerrechts fürs Heiraten ohnehin als gering zu veranschlagen ist. Könnten wir uns vielleicht darauf verständigen, daß die Hilfen, die das Steuerrecht bei der Finanzierung von Kindern geben kann, größer sein würden, wenn man den Splitting-Vorteil kappen und mit der eingesparten Summe das Kindergeld erhöhen würde?
Dr. Voss, Parl. Staatssekretär: Diese Vorstellungen, Herr Kollege Sperling, sind natürlich sehr breit diskutiert worden. Nur würden Sie mir zugeben, daß es nicht ganz gerecht wäre, wenn man beispielsweise der Familie, die Kinder großgezogen hat, die jetzt aus dem Hause sind, die eine Leistung erbracht hat, so besteuern würde wie jemanden, der nie verheiratet war und nie Kinder großgezogen hat. Von daher sind wir der Meinung, daß der Splitting-Vorteil denjenigen erhalten bleiben sollte, die keine Kinder mehr erziehen. Hier fällt ohnehin eine Reihe von Dingen weg.
Das, was Sie zu Beginn gesagt haben, Herr Kollege Sperling, ob man nur aus steuerlichen Gründen heiraten sollte, ob das eine Überlegung ist, die trägt, wage ich sehr zu bezweifeln.
Frau Weyel hat noch eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, darf ich Ihrer Antwort entnehmen, daß Sie annehmen, daß die Erziehungsleistung einer verheirateten Mutter wesentlich besser ist als die einer Mutter, die nicht mehr verheiratet ist?
Dr. Voss, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, ich habe mich in meinem Beispiel auf Ehepaare bezogen
und habe insofern auf das geantwortet, was der Kollege Sperling gefragt hatte. Andere Überlegungen habe ich mit meiner Antwort nicht anstellen wollen.
Ich rufe die Frage 29 des Abgeordneten Dr. Sperling auf:Hat es in den letzten 40 Jahren längere Zeiträume gegeben, in denen die Spitzenverbände der Wirtschaft nicht über zu hohe Steuerbelastungen von Unternehmen geklagt haben?Bitte schön, Herr Staatssekretär.Dr. Voss, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Dr. Sperling, die Steuerbelastung deutscher Unternehmen wird im internationalen Vergleich als relativ hoch eingeschätzt. Angesichts der Tatsache, daß auch schon frühere Bundesregierungen Maßnahmen zur Entlastung von Unternehmen getroffen haben, ist davon auszugehen, daß eine hohe Belastung der Unternehmen kein neues Phänomen darstellt. Es ist in der vergleichenden Beurteilung der Steuerbelastung auch im Zusammenhang mit zwischenzeitlichen Steuerrechtsänderungen in anderen Ländern zu sehen. In den letzten Jahren ist es in zahlreichen Staaten zu einer vielfach erheblichen Absenkung der Steuersätze bei der Einkommen- und Körperschaftsteuer gekommen, die oft auch mit einer Nettoentlastung für den Unternehmensbereich verbunden waren. Angesichts der gestiegenen und weiter zunehmenden internationalen Verflechtung der deutschen Volkswirtschaft hat die Bundesregierung auch aus diesem Grunde angekündigt, weitere Maßnahmen zur steu-
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 175. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. November 1989 13309
Parl. Staatssekretär Dr. Vosserlichen Entlastung von Investitionen und Arbeitsplätzen in der nächsten Wahlperiode zu treffen.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Sperling.
Herr Staatssekretär, würden Sie die Güte haben und sich die Zeit nehmen, meine Frage zu lesen und sie dann zu beantworten? Ich hatte nämlich nach etwas ganz anderem gefragt.
Dr. Voss, Parl. Staatssekretär: Ja, Herr Kollege, ich kann Ihre Frage, wenn Frau Präsidentin das erlaubt, noch einmal vorlesen, damit Sie wirklich den Eindruck haben, daß ich sie gelesen habe. — Sie fragen, ob es in den letzten 40 Jahren längere Zeiträume gegeben hat, in denen die Spitzenverbände der Wirtschaft nicht über zu hohe Steuerbelastungen von Unternehmen geklagt haben.
Und ich habe Ihnen dargelegt, wie wir die steuerliche Belastung der Unternehmen sehen, und Ihnen auch dargestellt, daß auch frühere Regierungen hier offensichtlich eine Notwendigkeit sahen; denn sonst hätten sie keine Steuerentlastungen vorgenommen.
Herr Kollege Dr. Sperling.
Herr Staatssekretär, wenn Sie meine Frage beantwortet hätten, hätte ich Sie anschließend natürlich gern gefragt, ob Sie jede Erklärung der Spitzenverbände der deutschen Wirtschaft für bare Münze oder für den Schein von wahrheitsgestaltender PR-Arbeit halten, und wie Sie dann Ihre Steuersenkungsüberlegungen einschätzen. — Aber da Sie meine Frage nicht beantwortet haben, kann ich natürlich diese Frage auch nicht stellen.
Dr. Voss, Parl. Staatssekretär: Ich könnte Sie aber beantworten, Herr Kollege.
— Herr Kollege, Sie können ganz, ganz sicher sein, daß alle Verlautbarungen, ob sie nun Steuersenkungswünsche oder andere Wünsche betreffen, von der Bundesregierung immer sehr kritisch geprüft werden und daß dabei auch darauf geachtet wird, welchen Hintergrund diese Wünsche und diese Forderungen haben. Und an der Haltung der Bundesregierung können Sie erkennen, daß hier doch sehr intensiv und sehr selektiv geprüft worden ist, bevor auf Wünsche eingegangen worden ist.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Klejdzinski. Dann Frau Steinhauer.
Herr Staatssekretär, da Sie die Frage von Herrn Sperling nicht so beantwortet haben, wie sie hier drinstand, haben sie natürlich etwas gesagt, was mich zu einer weiteren Frage anregt. Sie haben gesagt, Sie wollten die Belastung der Wirtschaft steuerlicher Art weiterhin vermindern. Darf ich davon ausgehen, daß Sie, wenn Sie dieses tun, nicht nur Kosten auf die Kommunen überwälzen, sondern den Kommunen die entsprechenden Einnahmeausfälle anderweitig ausgleichen werden?
Dr. Voss, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Klejdzinski, die Bundesregierung hat seit langem keinen Zweifel dran gelassen, daß sie im internationalen Umfeld und zur Erhaltung der Wettbewerbsfähigkeit weitere Steuersenkungen in der nächsten Legislaturperiode für notwendig hält, nicht zuletzt um Investitionen zu fördern und Arbeitsplätze zu erhalten und neu zu schaffen. Von daher besteht keinerlei Zweifel.
Frau Abgeordnete Steinhauer.
Herr Staatssekretär, nachdem Sie die Frage des Kollegen Dr. Sperling in der Antwort zu umgehen versucht haben, möchte ich noch einmal konkret fragen: Wann, zu welcher Zeit seit 40 Jahren, hat die Wirtschaft nicht über zu hohe Steuerbelastungen geklagt?
Dr. Voss, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, ich habe eben darzulegen versucht, daß natürlich Wünsche und, damit verbunden, auch Klagen in einem Zeitraum wie dem hier angesprochen immer wieder laut geworden sind. Aber das ist gar nicht das Problem.
Das Problem ist, ob sich diese Forderungen und diese Wünsche auf einem realen Hintergrund darstellen und ob hier Abhilfe geschaffen werden muß. Und hier ist es jedenfalls immer so, daß sich die jetzige Bundesregierung ein eigenes Bild macht und daß sie sich von Wünschen und Forderungen, von wem sie auch kommen mögen, nicht in erster Linie beeinflussen läßt.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Andres.
Herr Staatssekretär, können Sie mir ein Jahr in der 40jährigen Geschichte unserer Republik sagen, in dem die Spitzenverbände der Wirtschaft keine Forderungen nach Steuersenkungen gestellt haben?Dr. Voss, Parl. Staatssekretär: Ich weiß nicht, Herr Kollege, ob das einer Antwort würdig ist.
— Herr Kollege, Sie müssen meine Antwort zu Ende anhören.Sie werden ganz gewiß recht haben, Herr Kollege, daß in jedem Jahr Vorstellungen dieser und jener Art entwickelt worden sind, auch was die steuerliche Belastung und den steuerlichen Bereich anbetrifft. Aber es kommt ja darauf an, was davon umgesetzt wird. Und umgesetzt wird davon, Herr Kollege, nur das, was notwendig ist und was sinnvoll ist.
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13310 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 175. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. November 1989
Ich rufe die Frage Nr. 30 des Herrn Abgeordneten Sperling auf:
Wie ist vor diesem Hintergrund der anhaltende Exporterfolg der deutschen Wirtschaft zu erklären?
Dr. Voss, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Sperling, Außenhandelsüberschüsse sind ein Indiz für eine gute Position im internationalen Wettbewerb. Zu dem anhaltenden Exporterfolg der deutschen Wirtschaft haben die günstigen finanz- und wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen in der Bundesrepublik Deutschland seit Ende 1982 maßgeblich beigetragen. Großen Anteil an dieser Entwicklung haben die leistungs- und beschäftigungsfördernden Wirkungen der dreistufigen Steuerreform 1986, 1988 und 1990 mit Nettosteuerentlastungen von insgesamt rund 50 Milliarden DM.
Es ist allerdings fraglich, ob Außenhandelsüberschüsse auch ein Indiz für die zukünftige internationale Wettbewerbsposition der deutschen Wirtschaft sind. Sicherlich sind die derzeit hohen Außenhandelsüberschüsse auch von den Erwartungen in bezug auf den europäischen Binnenmarkt beeinflußt.
Die steuerlichen Bedingungen haben sich in den letzten Jahren in vielen westlichen Industriestaaten grundlegend verändert. Hieraus folgt für die Bundesrepublik Deutschland die Notwendigkeit, neue steuerpolitische Akzente zugunsten eines investitionsfreundlicheren Steuersystems zu setzen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Sperling.
Herr Staatssekretär, vertritt die Bundesregierung nicht die Auffassung, daß die ständigen Exporterfolge der deutschen Wirtschaft so etwas wie ein kontinuierliches Dimenti der Klagen über eine zu hohe Besteuerung sind und daß in der Tat eigentlich die angeblich zu hohen Steuern in der Bundesrepublik so gut verwendet worden sind, daß die deutsche Wirtschaft immer über eine qualifizierte Arbeitnehmerschaft verfügte und deswegen regelmäßig zu Exporterfolgen in der Lage war, und daß eine niedrigere Besteuerung der deutschen Wirtschaft geradezu ihre Exporterfolgsgrundlagen entziehen könnten, weil der Staat zu den entsprechenden Infrastrukturleistungen nicht mehr in der Lage wäre?
Dr. Voss, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Sperling, ich weiß ja — und auch Sie wissen das —, daß hier grundlegende Unterschiede in der Beurteilung der steuerlichen Belastung unserer Unternehmen bestehen. Das wird natürlich auch in der Frage, die Sie hier gestellt haben, deutlich.
Nur, wir sind der Meinung, daß Exportüberschüsse ein Bild darstellen, das auf der einen Seite positiv ist und das zeigt, daß wir in einer guten Exportposition sind, das aber auf der anderen Seite nicht auf Dauer für die weitere Entwicklung verläßlich ist.
Es gibt sehr informative Tabellen, Herr Kollege Sperling, aus denen hervorgeht, wie sich die steuerlichen Belastungen bei den Ländern um uns herum, mit denen wir im Wettbewerb stehen, verändern. Ich glaube, es wäre eine falsche Steuerpolitik, darauf nicht einzugehen und apodiktisch weitere Entlastungen in diesem Bereich abzulehnen.
Die zweite Zusatzfrage; bitte, Herr Dr. Sperling.
Herr Staatssekretär, ich kann ja verstehen, daß Sie so sehr auf die Steuern sehen. Aber sind für die Exporterfolge der deutschen Wirtschaft in der Frage der Wettbewerbsfähigkeit gegenüber den Wirtschaften anderer Länder nicht noch viele andere Faktoren zu berücksichtigen, die durch eingenommene Steuermittel wesentlich verbessert werden könnten und darum die Exporterfolge genauso garantieren könnten wie gesenkte Steuern oder sogar noch besser als diese?
Dr. Voss, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Dr. Sperling, ich stimme mit Ihnen völlig überein, daß die steuerliche Belastung nicht allein das entscheidende Kriterium ist. Hier ist vielmehr eine Reihe von anderen Rahmenbedingungen außerordentlich wertvoll und außerordentlich notwendig. Nur, die Steuern spielen bei diesem Aspekt eine bedeutende Rolle. Von daher sieht die Bundesregierung eine Notwendigkeit darin, in der nächsten Legislaturperiode, natürlich in Abwägung der Entwicklungen, die sich bei unseren Wettbewerbspartnern ergeben haben, etwas Weiteres zu tun.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Klejdzinski.
Herr Staatssekretär, stimmen Sie mir zu, daß die Steuereinnahmen des Staates durchaus verwandt werden könnten, um beispielsweise qualifizierte Bildungsabschlüsse zu ermöglichen, und daß es gleichzeitig durchaus sein könnte, daß die Infrastrukturen der Hochschulen weiter ausgebaut werden usw. und daß dieses indirekt eine Transferleistung ist, die auch den Betrieben zugute kommt und daß daraus wiederum resultiert, daß bestimmte Spitzenprodukte auch marktmäßig dementsprechend produziert werden können?
Dr. Voss, Parl. Staatssekretär: Ein verantwortungsvoller Staat und eine verantwortungsvolle Regierung, Herr Kollege Klejdzinski, können mit Steuern alles tun, was sinnvoll ist. Die Beispiele, die Sie genannt haben, werden von dieser Bundesregierung ebenso verwirklicht. Aber daneben sieht sie auch die Notwendigkeit, im Bereich der Unternehmensbesteuerung — ich habe das schon einige Male betont — auf Grund der Veränderungen bei unseren Wettbewerbspartnern in der nächsten Legislaturperiode noch etwas Zusätzliches zu tun. Das heißt nicht, daß die Dinge, die Sie in Ihrer Frage genannt haben, dadurch beeinträchtigt oder nicht berücksichtigt werden.
Danke schön, Herr Staatssekretär.Die Fragen 31 und 32 des Abgeordneten Müntefering werden auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung auf. Der Parlamentarische Staatssekretär Vogt steht zur Beantwortung der Fragen zur Verfügung.
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Vizepräsidentin RengerIch rufe Frage 33 des Herrn Abgeordneten Heyenn auf :Beabsichtigt die Bundesregierung Änderungen der Vorschriften über die Zumutbarkeit , und wird sie zu den geplanten Änderungen vorher die Vertreter der Betroffenen anhören?Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Herr Kollege, die Bundesregierung beabsichtigt nicht, die Regelungen über die Zumutbarkeit zu ändern.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Heyenn.
Herr Staatssekretär, bedeutet das, daß weder in Ihrem Hause noch bei der Bundesanstalt für Arbeit entsprechende Überlegungen angestellt werden?
Vogt, Parl. Staatssekretär: Es werden keine Überlegungen zur Änderung der Zumutbarkeitsanordnung angestellt.
Keine weitere Zusatzfrage. — Dann rufe ich Frage 34 des Herrn Abgeordneten Heyenn auf:
Ist die Bundesregierung der Auffassung, daß sich die Instrumente des Arbeitsförderungsgesetzes zur Bekämpfung des Leistungsmißbrauchs bewährt haben, oder beabsichtigt die Bundesregierung, das Instrumentarium zu verschärfen?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Vogt, Parl. Staatssekretär: Das Instrumentarium des Arbeitsförderungsgesetzes, Herr Kollege, dürfte ausreichen, um Leistungsmißbräuche wirkungsvoll zu bekämpfen. Eine Änderung des Arbeitsförderungsgesetzes ist auch insoweit nicht beabsichtigt. Ich füge hinzu, daß durch das Gesetz über die verkürzten Meldefristen bei Beschäftigungsaufnahme und den Sozialversicherungsausweis zusätzliche, aber außerhalb des Arbeitsförderungsgesetzes befindliche Instrumentarien geschaffen worden sind, um Leistungsmißbräuche zu bekämpfen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Heyenn.
Bedeutet diese Antwort, daß wir in dieser Legislaturperiode mit einer Zehnten Novelle zum Arbeitsförderungsgesetz nicht mehr zu rechnen haben?
Vogt, Parl. Staatssekretär: Ich sehe keine Ansätze dazu, daß es zu einer zehnten Novelle des Arbeitsförderungsgesetzes in dieser Legislaturperiode kommt.
Keine weitere Zusatzfrage. — Dann rufe ich Frage 35 der Abgeordneten Frau Weiler auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß vermehrt Teilnehmer an beruflichen Bildungsmaßnahmen, die vorher arbeitslos waren, den Besuch der Maßnahmen abbrechen, weil die durch die 9. Novelle des Arbeitsförderungsgesetzes ausgelöste Herabsetzung der Leistungen, insbesondere der Kostenerstattung für Unterkunft und Verpflegung sowie der Fahrkosten, zu unzumutbaren Belastungen gerade für Teilnehmer an längerfristigen Bildungsmaßnahmen führt?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Vogt, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, sind Sie damit einverstanden, wenn ich die Fragen 35 und 36 zusammen beantworte?
Die Fragestellerin ist einverstanden. Dann rufe ich auch Frage 36 der Abgeordneten Frau Weiler auf:
Ist die Bundesregierung bereit, entsprechende Änderungen im Anordnungsrecht der Bundesanstalt für Arbeit anzuregen und nach entsprechender Beschlußfassung durch den Verwaltungsrat der Bundesanstalt für Arbeit eine Anhebung der Kostenerstattung zu genehmigen?
Vogt, Parl. Staatssekretär: Die Bundesregierung beobachtet sehr genau die im Zuge der Neunten Novelle zum Arbeitsförderungsgesetz vorgenommenen Veränderungen bei der Erstattung der Fahrkosten und Kosten für auswärtige Unterbringung und Verpflegung. Die Bundesanstalt für Arbeit hat alle Arbeitsämter aufgefordert, über ihre Erfahrungen mit der Regelung für die Fahrkostenerstattung zu berichten. Die Selbstverwaltungsorgane der Bundesanstalt für Arbeit werden über die Berichte beraten.
Die Langzeitarbeitslosen sind nach Auffassung der Bundesregierung eine besondere Zielgruppe bei der Förderung der beruflichen Bildung. Wenn sich herausstellen sollte, daß es im Förderungsrecht Gründe gibt, die eine Erreichung dieses Personenkreises in der beruflichen Bildung erschweren, so wird über entsprechende Reaktionen zu beraten sein.
Eine Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Weiler.
Herr Staatssekretär, ich bin schon überrascht und frage Sie, ob Sie bis jetzt tatsächlich überhaupt noch keine Daten und Zahlen vorliegen haben zur Frage, ob und inwieweit abgebrochen wird und wer abbricht, auch hinsichtlich des Verhältnisses von langzeitarbeitslosen Frauen und Männern. Haben Sie tatsächlich noch gar nichts vorliegen?
Vogt, Parl. Staatssekretär: Ich habe ja erwähnt, daß die Bundesanstalt die Arbeitsämter aufgefordert hat, ihre Berichte zu erstellen. Das ist derzeit ein laufender Prozeß. Die Berichte sind überhaupt noch nicht zusammengestellt und insgesamt auch nicht ausgewertet. Deshalb ist es mir nicht möglich, mehr zu sagen als das, was ich in meiner Antwort gesagt habe.
Eine zweite Zusatzfrage.
Da ich davon ausgehe, Herr Staatssekretär, daß auch Ihnen nach der Auswertung bekannt werden wird, daß Abbrüche aus diesen Gründen vorgenommen worden sind, ist meine Frage: Wie stellen Sie sich als sozialpolitischer Staatssekretär zu der Forderung, diese Maßnahmen wieder einzuführen und so zu finanzieren, wie es früher der Fall war — oder noch besser — , und zwar eventuell aus den Steuermitteln, die Ihr Kollege, der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen, für Steuersenkungen zugunsten der Wirtschaft vorgesehen hat?Vogt, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, es ist natürlich etwas schwierig, auf eine hypothetische Frage eine konkrete Antwort zu geben. Ich muß zunächst
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Parl. Staatssekretär Vogteinmal den Bericht haben. Wir müssen ihn auswerten. Dann wird über die zu treffenden Maßnahmen — ob oder welche Maßnahmen — zu entscheiden sein.
Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Steinhauer.
Herr Staatssekretär, wann ist mit dem Bericht und mit der Auswertung zu rechnen, und wären Sie bereit, dann unmittelbar den zuständigen parlamentarischen Gremien Unterrichtung über den Bericht und die Auswertung zu geben?
Vogt, Parl. Staatssekretär: Auf den ersten Teil der Frage kann ich deshalb keine genaue Antwort geben, weil Terminfestlegungen noch nicht getroffen worden sind.
Zum zweiten Teil Ihrer Frage kann ich sagen: Selbstverständlich bin ich gern bereit, den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung unmittelbar zu informieren.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Andres.
Herr Staatssekretär, finden Sie es nicht erstaunlich, daß Sie elf Monate nach Inkrafttreten der Neunten Novelle des AFG und damit nach mehr als einem Dreivierteljahr Zeit und Erfahrung überhaupt nicht in der Lage sind, die schlichte Frage zu beantworten, ob es eine ansteigende Zahl von Abbrechern in bestimmten Maßnahmen gibt? Finden Sie das nicht erstaunlich?
Vogt, Parl. Staatssekretär: Ich finde es sehr erstaunlich, wie schnell die Bundesanstalt für Arbeit nach Inkraftsetzung der Neunten Novelle die Auswirkungen der Neunten Novelle überprüft.
Zusatzfrage, Dr. Sperling.
Herr Staatssekretär, würden Sie sich freuen, wenn ich Ihre dargelegte Haltung als durchaus repräsentativ für die Bundesregierung werte, nämlich daß Sie nichts wissen und eigentlich auch gar nichts so schnell wissen wollen und sich darum wie die ganze Bundesregierung zum Punkt Langzeitarbeitslosigkeit und deren Bekämpfung so wenig Mühe gegeben haben, damit Sie diese Fragen, die hier gestellt werden, auch möglichst nicht beantworten können?
Vogt, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Dr. Sperling, ich habe den Eindruck, daß das eine politisch-rhetorische Frage ist.
Bitte schön, Herr Dr. Sperling.
Herr Staatssekretär, würden Sie meine Bemerkung entgegennehmen, daß es in der Tat eine politisch-rhetorische Frage aber mit einem sehr ernsten Inhalt und einem dicken Fragezeichen hinter der Bundesregierung gewesen ist?
Vogt, Parl. Staatssekretär: Aber Herr Kollege Dr. Sperling, die Neunte Novelle ist am 1. Januar 1989 in Kraft getreten. Wir brauchen natürlich einen repräsentativen Zeitraum, um überhaupt seriös die Auswirkungen dieser Neunten Novelle in dem Bereich beurteilen zu können, der hier in der Frage der Kollegin Weiler angesprochen worden ist. Wir brauchen da etwas mehr als ein halbes Jahr oder ein Dreivierteljahr, um zu diesem seriösen Bericht zu kommen; denn nur auf Grund seriöser Berichte lassen sich auch seriöse Entscheidungen treffen.
Herr Kollege Heyenn.
Herr Staatssekretär, wann rechnen Sie denn mit der Vorlage seriöser Zahlen? Ist damit in absehbarer Zeit, also in etwa einem Jahr nach Inkrafttreten der Neunten AFG-Novelle zu rechnen, oder läßt ein Jahr Beobachtung der Entwicklung in diesem sensiblen Bereich noch keine seriöse Aussage zu?
Vogt, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Heyenn, ich gehe davon aus, daß wir zu Beginn des nächsten Jahres diesen Bericht vorliegen haben werden und daß wir uns dann darüber weiter unterhalten können.
Ich rufe die Frage 37 des Herrn Abgeordneten Andres auf:
Ist die Bundesregierung angesichts der Tatsache, daß Langzeitarbeitslose einer besonderen Betreuung bedürfen, der verstärkte Zuzug von Aussiedlern und Übersiedlern erhebliche Mehrarbeit bei den Maßnahmen zur Integration in Arbeit und Beruf verursacht, der Facharbeitermangel einerseits und die hohe Zahl von Arbeitslosen andererseits einen verstärkten Kontakt der Arbeitsvermittler mit den Betrieben erfordern, dazu bereit, der Bundesanstalt für Arbeit zusätzlich Planstellen zur Verfügung zu stellen und zumindest den Personalmaßnahmen zuzustimmen, die im vom Verwaltungsrat festgestellten Haushaltsplan 1990 vorgesehen sind?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Vogt, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, die Bundesregierung wird in der Kabinettsitzung am 13. Dezember 1989 über die Genehmigung des vom Verwaltungsrat der Bundesanstalt für Arbeit festgestellten Haushaltsplan 1990 entscheiden. Ich bitte um Ihr Verständnis, wenn ich dieser Entscheidung nicht vorgreifen kann.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Andres.
Herr Staatssekretär, ist der Bundesregierung die Arbeitssituation in einer ganzen Reihe von Arbeitsämtern bekannt, die am Beispiel des Arbeitsamtes Hannover in der Zwischenzeit dazu geführt hat, daß das Arbeitsamt Hannover dringendst um personelle Unterstützuung beim Landesarbeitsamt nachgesucht hat, damit das Arbeitsamt seinen Verpflichtungen in der Leistungsabteilung, Beratungsverpflichtungen und ähnlichem, überhaupt nachkommen kann, und wäre die Bundesregierung bereit, daraus entsprechende personelle Konsequenzen für die Arbeitsverwaltung zu ziehen?Vogt, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, Sie wissen, daß die Bundesregierung seit 1983 schrittweise den Personalbestand bei der Bundesanstalt für Arbeit vermehrt hat. Wir wissen natürlich auch um die Klagen, von denen Sie im konkreten Fall aus der Sicht des Arbeitsamtes Hannover sprechen. Wir wissen natürlich auch, daß in den Gremien der Bundesanstalt für
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Parl. Staatssekretär VogtArbeit auf Grund dieser Klagen Überlegungen und konkrete Vorschläge und Vorstellungen entwickelt worden sind, wie der Personalbestand der Bundesanstalt im Jahre 1990 angehoben werden sollte. Aber die Bundesregierung trifft ihre Entscheidung am 13. Dezember 1989, und ich bitte Sie nochmals um Verständnis dafür, daß dieser Entscheidung jetzt nicht vorgegriffen werden kann.
Die zweite Zusatzfrage, Herr Kollege Andres.
Herr Staatssekretär, würden Sie es eigentlich für richtig halten, aus der vermehrten Zahl von Aus- und Übersiedlern und aus der Problemlage, die in meiner Frage geschildert ist, den ganz logischen Schluß zu ziehen, daß die Personalkapazität in der Arbeitsverwaltung erhöht werden müßte?
Vogt, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, wir haben hier Verschiedenes abzuwägen. Durch den Einsatz etwa der Datenverarbeitung und moderner Informationstechnik werden in der Arbeitsverwaltung bis zu 2 500 Kräfte eingespart werden. Es ist nicht vorgesehen, die Stellen für diese Kräfte zu streichen. Damit würde sich natürlich auch ein Personalreservoir innerhalb der Bundesanstalt für Arbeit ergeben, das für andere Dienstleistungen der Bundesanstalt eingesetzt werden könnte.
Herr Dr. Sperling, eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ich möchte Sie ja nicht dazu verführen, der Bundesregierung vorzugreifen, aber gibt es in der Bundesregierung überhaupt einen Mann oder eine Frau, die den Personalvorstellungen der Bundesanstalt für Arbeit positive Unterstützung geben möchte?
Vogt, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Dr. Sperling, ich möchte es Ihnen ersparen, daß ich jetzt vorlese, welche Personalmehrungen die Bundesregierung seit 1983 zugestanden hat. Ich habe darüber hier in der Fragestunde ja auch schon wiederholt berichtet. An den Entscheidungen der Bundesregierung seit 1983 sehen Sie, daß wir uns dieser Frage immer in einer offenen und konstruktiven Weise gestellt haben.
Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Steinhauer.
Herr Staatssekretär, Sie haben erwähnt, daß am 13. Dezember über den Haushalts- und Stellenplan der Bundesanstalt für Arbeit entschieden werden soll. Ich gehe davon aus, daß es der „normale" Haushalt ist, der da zur Entscheidung ansteht. — Ich sehe das Nicken Ihres Referenten.
Meinen Sie nicht, daß angesichts der Besonderheiten, die jetzt durch die Belastungen durch Aussiedler, Übersiedler etc. auf die Bundesanstalt zugekommen sind, Sofortmaßnahmen im Personalbereich dringend erforderlich sind und daß die Entscheidung darüber unabhängig von dem normalen Stellen- und Haushaltsplan zu treffen ist?
Vogt, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, ich weiß nicht, bei welcher Stelle der Herr Wolff gerade genickt hat. Ich nehme an, es bezog sich auf das Datum der Beratung des Haushalts der Bundesanstalt für Arbeit im Kabinett. Herr Wolff ist übrigens im Parlamentsreferat, nicht in der Abteilung II, die für Fragen des Arbeitsmarktes und der Bundesanstalt für Arbeit zuständig ist. Sie können also aus seinem Nicken keine so weitreichenden Schlußfolgerungen ziehen.
Im übrigen gehe ich davon aus, daß die Selbstverwaltungsorgane der Bundesanstalt für Arbeit bei der Aufstellung des Haushalts in Nürnberg auch schon die Fragen mitberücksichtigt haben, von denen Sie gerade gesprochen haben.
Diese Damen und Herren sowohl von der öffentlichen Hand wie von der Arbeitgeber- und der Arbeitnehmerseite sind ja nicht so weltfremd, als daß sie nicht die Entwicklungen kennen würden, von denen Sie gesprochen haben.
Meine Damen und Herren, wir haben noch drei Fragen, aber nur noch vier Minuten. Es wäre sehr schön, wenn wir diese Fragen noch behandeln könnten und wenn die Fragesteller noch zu Wort kämen. Herr Heyenn, muß die Zusatzfrage noch sein?
— Und dann gibt es wieder eine lange Antwort, aber wie Sie wollen, bitte schön.
Herr Staatssekretär, ich frage ganz kurz, da die Entscheidung in vier Wochen fallen soll: Nach welchen Kriterien wird diese Entscheidung vorbereitet?
Vogt, Parl. Staatssekretär: Nach objektiven Kriterien.
Ich bedanke mich für diese kurze Antwort. Jetzt kann ich Frage 38 des Abgeordneten Andres aufrufen:Hält es die Bundesregierung angesichts ihrer Wende in der Wohnungsbaupolitik rückblickend für einen Fehler, die produktive Winterbauförderung des Arbeitsförderungsgesetzes teilweise ausgesetzt zu haben?Vogt, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Andres, die Bundesregierung hält es auch im Hinblick auf ihre Wohnungsbaupolitik nicht für einen Fehler, daß der Gesetzgeber die Förderung durch die Arbeitgeberleistungen der produktiven Winterbauförderung bis zum 31. März 1992 ausgesetzt hat. Die gesetzlichen Vorschriften über die Förderung der ganzjährigen Beschäftigung in der Bauwirtschaft sind mit für das Baugewerbe geltenden tarifvertraglichen Regelungen so eng verzahnt, daß Abhängigkeiten bestehen. Das Baugewerbe, das einen tiefgreifenden Strukturwandel durchgemacht hat, beabsichtigt eine tarifliche Erneuerung von Arbeitsbedingungen für die Bauarbeiter. Insbesondere strebt es ein ganzjährig gesichertes Einkommen des Bauarbeiters an. Die tarifliche Er-
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13314 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 175. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. November 1989
Parl. Staatssekretär Vogtneuerung im Baugewerbe muß Vorrang haben, um die Leistungsfähigkeit des Baugewerbes für die Bauaufgaben des nächsten Jahrzehnts zu sichern. Die Bundesregierung hat daher im Zusammenhang mit den Erörterungen zum Wohnungsbauprogramm eine vorzeitige Wiedereinführung der Förderung durch die Arbeitgeberleistungen der produktiven Winterbauförderung zwar geprüft, jedoch mit Rücksicht auf die Abhängigkeiten zwischen Gesetzesrecht und Tarifvertragsrecht verneint, um den Fortgang der Tarifverhandlungen im Baugewerbe nicht zu stören.
Zusatzfrage? — Bitte, Herr Abgeordneter Andres.
Darf ich Ihre Antwort so auslegen, daß die Bundesregierung, wenn sie im gegenwärtigen Moment den Paragraphen, ich glaube, es ist § 249 AFG, wieder verlängern müßte, so wie wir das mit der Neunten Novelle getan haben, wieder dahin entscheiden würde, daß die produktive Winterbauhilfe bis 1994 — so steht es ja im Gesetz — ausgesetzt werden würde?
Vogt, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, die Gründe, die für die Verlängerung gesprochen haben, die im Rahmen der Neunten Novelle vorgenommen worden ist, gelten heute genauso fort, wie sie damals bestanden haben. Ich möchte darauf hinweisen, daß diese Maßnahme, die Sie ansprechen, zu einem Bündel von Maßnahmen gehörte, um die Ausgleichskasse zu sichern, die auf Grund von tarifvertraglichen Vereinbarungen im Baugewerbe eingerichtet worden ist, über die die Vorruhestandsleistungen abgewickelt worden sind. Es war der Wunsch beider Tarifvertragsparteien — ich habe selbst die Verhandlungen geführt — , die Maßnahme zu ergreifen, die wir dann ergriffen haben und die in der Neunten Novelle verlängert worden ist.
Zweite Zusatzfrage.
Welche inhaltlichen, materiellen Regelungen der Tarifverträge im Bauwesen sprechen denn dagegen, die Aussetzung der produktiven Winterbauhilfe wiedereinzuführen? Sie haben gesagt, es werde verhandelt und das würde alles die Verhandlungen stören. Könnten Sie mir mal sagen, an welcher Kante das stören würde?
Vogt, Parl. Staatssekretär: Gern, Herr Kollege. Ich will zunächst einmal darauf hinweisen, daß durch die Maßnahmen, die hier zur Erörterung stehen, zunächst einmal die Abgabe der Arbeitgeber an die Kasse, die die Vorruhestandsleistungen finanziert, zum 1. 1. 1987 um einen Prozentpunkt von drei auf zwei gesenkt werden konnte. Derzeit stehen bei den Tarifverhandlungen folgende Forderungen in der Bauwirtschaft an: ganzjährig gesichertes Einkommen der Bauarbeiter, Spitzenlohn für Qualitätsarbeit, 30 Tage Jahresurlaub, gesicherte berufliche Fort- und Weiterbildung, vorbeugender Arbeits- und Gesundheitsschutz, humane Arbeitsbedingungen.
Herr Dr. Sperling, ich möchte keine weitere Frage zulassen, sondern die Fragen der Frau Kollegin Steinhauer aufrufen, weil die Fragestunde eigentlich schon zu Ende ist. Ich bitte um Verständnis.
Ich rufe die Fragen 39 und 40 der Abgeordneten Frau Steinhauer zusammen auf:
Teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß die bei der Förderung der beruflichen Bildung von der Arbeitsverwaltung geübte Praxis der Richtwerte dazu führt, daß die Qualität der Bildungsmaßnahmen ständig sinkt und gerade Langzeitarbeitslose mit ihrem erhöhten Betreuungsbedarf nicht mit ausreichender Aussicht auf Erfolg qualifiziert werden können?
Ist die Bundesregierung bereit, der Bundesanstalt für Arbeit eine Überprüfung dieser Praxis nahezulegen und bei einer Änderung der Praxis die dafür notwendigen Finanzmittel zu genehmigen?
Bitte schön.
Vogt, Parl. Staatssekretär: Der Grundsatz der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit nach § 34 Abs. 1 des Arbeitsförderungsgesetzes verlangt im Hinblick auf die große Zahl der Bildungsmaßnahmen eine Orientierung der Arbeitsämter bei der Prüfung der Angemessenheit der Kostensätze. Diesem Zwecke dienen die von den Landesarbeitsämtern zu entwickelnden Richtwerte; sie sollen den Mitarbeitern in den Arbeitsämtern eine Vergleichsmöglichkeit geben.
In der Praxis sind die Richtwerte vereinzelt als Kostenobergrenzen verstanden worden. Der Präsident der Bundesanstalt für Arbeit hat deshalb seine Dienststellen auf den dargestellten Sinn und Zweck der Richtwerte hingewiesen. Diese sind darüber hinaus laufend der Entwicklung anzupassen und haben ihre Bedeutung nur für solche Maßnahmen, die hinsichtlich Qualifizierungsinhalt und Teilnehmerzusammensetzung vergleichbar sind.
Eine Senkung der Qualität der Maßnahmen vermag ich generell nicht zu erkennen. Die Vermittlungsergebnisse nach Abschluß der Bildungsmaßnahme sind heute besser als noch vor ein paar Jahren. Nach einer Erhebung der Bundesanstalt haben von den Teilnehmern, die ihre Bildungsmaßnahme 1988 abgeschlossen haben, am Ende des übernächsten Quartals noch 20 % Arbeitslosengeld bzw. Arbeitslosenhilfe bezogen. 1984 waren dies noch 24 %. Von den vorher arbeitslosen Teilnehmern standen 1988 am Ende des übernächsten Quartals nur noch 23 % im Leistungsbezug; 1984 waren dies 28 %.
Können Sie sich auf zwei Zusatzfragen beschränken, Frau Kollegin? — Bitte.
Herr Staatssekretär, darf ich davon ausgehen, daß Sie der Auffassung sind, daß das Herabsetzen der Zuschüsse für die einzelnen Lehrgänge die Qualität nicht gemindert hat, daß also die Klagen in den Arbeitsämtern nicht zutreffen?
Vogt, Parl. Staatssekretär: Also, von den Vermittlungsergebnissen her gesehen, die bei Teilnehmern an beruflichen Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen erzielt werden, muß ich davon ausgehen, daß das Niveau hier nicht abgesenkt worden ist.
Zweite Zusatzfrage.
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 175. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. November 1989 13315
Herr Staatssekretär, wären Sie denn bereit, in den einzelnen Landesarbeitsämtern auch einmal danach zu fragen, ob es nicht sogar Probleme gibt, entsprechende Lehrgänge zustande zu bringen, weil die Zuschüsse so gesenkt worden sind?
Vogt, Parl. Staatssekretär: Aber Frau Kollegin, wir stehen über den Vorstand der Bundesanstalt für Arbeit mit den Präsidenten der Landesarbeitsämter ständig im Gespräch, auch über diese Fragen. So generell, so generalisiert, wie Sie diesen Verdacht hier geäußert haben, darf er nicht erhoben werden.
Danke schön, Herr Staatssekretär.
Die Fragen 41 und 42 des Abgeordneten Sielaff werden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung.
Die Fragen 43 und 44 des Abgeordneten Leidinger werden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Die Frage 45 der Abgeordneten Frau Würfel wurde von der Fragestellerin zurückgezogen.
Die Fragen 46 und 47 des Abgeordneten Jungmann sowie die Fragen 48 und 49 des Abgeordneten Gansel werden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Dann sind wir am Ende der Fragestunde.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 16. November 1989, 9 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.