Gesamtes Protokol
Meine Damen und Herren, die Sitzung ist eröffnet.
Ich rufe Punkt 1 der Tagesordnung auf: Befragung der Bundesregierung
Das Thema der Kabinettsitzung, das der Chef des Bundeskanzleramtes mitgeteilt hat, ist den Fraktionen bekannt. Die Bundesregierung hat weiterhin mitgeteilt, daß die Bundesministerin für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit, Frau Professor Dr. Lehr, berichtet.
Frau Ministerin, Sie haben das Wort.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Bundeskabinett hat heute, am 27. September, den Entwurf eines Kinder- und Jugendhilfegesetzes beschlossen. Damit hat die Bundesregierung entsprechend der Ankündigung des Bundeskanzlers in seiner Regierungserklärung vom 18. März 1987 gehandelt und die Neuordnung des Jugendhilferechts in dieser Legislaturperiode in Angriff genommen.
Die Verabschiedung dieses Gesetzentwurfes noch in dieser Legislaturperiode ist deshalb so wichtig, weil das zur Zeit geltende Jugendwohlfahrtsgesetz schon aus dem Jahre 1922 stammt und längst nicht mehr den Erfordernissen unserer heutigen Gesellschaft gerecht wird.
Der damalige Gesetzgeber war am Eingriffsdenken orientiert, so daß sich staatliche Maßnahmen weitgehend auf Kontrollen und Eingriffe für die Fälle beschränkten, in denen die Erziehungsschwierigkeiten bereits so weit fortgeschritten waren, daß die Herausnahme von Kindern und Jugendlichen aus der Familie unumgänglich wurde. Demgegenüber bietet der neue Gesetzentwurf eine breite Palette familienunterstützender und -entlastender Hilfen, die zum Teil bereits präventiv wirken sollen. Vorsorge ist angezeigt.
Zu den wesentlichen Zielsetzungen des neuen Gesetzentwurfes gehören: zum einen Verbesserungen der Angebote der Jugendarbeit und der Jugendsozialarbeit; zum zweiten Verbesserungen der Hilfen für Familien in besonderen Lebenssituationen, speziell für Alleinerziehende, aber auch in Trennungs- und Scheidungssituationen, die Betreuung und Versorgung von Kindern und Jugendlichen in Notsituationen, die Unterbringung junger Mütter zusammen mit ihren Kindern in Mutter-Kind-Einrichtungen; drittens Verbesserungen der Angebote der Tagesbetreuung für Kinder; viertens die gesetzliche Verankerung ambulanter und teilstationärer erzieherischer Hilfen — sozialpädagogische Familienhilfen und Tagesgruppen in Heimen neben den klassischen Formen der Pflegefamilie und der Heimerziehung —; fünftens die Verbesserung der Hilfen für junge Volljährige und schließlich die Zusammenfassung aller Erziehungshilfen bei den örtlichen Jugendämtern und die Stärkung des Funktionsschutzes freier Träger durch frühzeitige Beteiligung an der Jugendhilfeplanung.
Besonders eingehende Diskussionen bei der Vorbereitung des Gesetzentwurfes haben sich über die Formulierung der Rechtsvorschriften zur Tagesbetreuung von Kindern ergeben. Die nunmehr vom Kabinett beschlossene Regelung sieht vor, daß alle Kinder, für deren Wohl eine Förderung durch Tagesbetreuung erforderlich ist, eine entsprechende Hilfe erhalten sollen. Die Verwirklichung dieses Grundsatzes regeln die Länder durch Landesrecht; sie haben für einen bedarfsgerechten Ausbau Sorge zu tragen. Für das Wohl des Kindes ist es erforderlich, daß den Kindern im Kindergartenalter ein Kindergartenplatz angeboten wird.
Herzlichen Dank, Frau Bundesministerin.
Zunächst hat sich die Abgeordnete Frau Schmidt gemeldet.
Frau Ministerin, Sie haben in den vergangenen Monaten — und auch jetzt gerade wieder — häufig den Anspruch auf einen Kindergartenplatz angekündigt. Ich frage Sie: Wie sichert das Jugendhilferecht diesen Anspruch ganz konkret für alle Kinder und für alle Mütter dieser Kinder auf einen Kindergartenplatz ab?
Bitte schön, Frau Ministerin.
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12136 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 160. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. September 1989
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Abgeordnete, der Anspruch eines Kindes auf einen Kindergartenplatz ist auch jetzt noch im Gesetzentwurf enthalten, wenn es auch nicht ein einklagbarer Rechtsanspruch ist. Ich hätte es gern gesehen, wenn es ein Rechtsanspruch gewesen wäre; aber dies war nicht durchsetzbar. Wenn das gesamte Kinder- und Jugendhilferecht daran gescheitert wäre, dann wäre es sicherlich nicht zum Wohl der Kinder und Jugendlichen gewesen. Bisher heißt es im Gesetz: Die Länder haben dafür Sorge zu tragen, daß ein bedarfsgerechter Ausbau erfolgt.
Sie möchten gern nachhaken. Bitte schön.
Das bedeutet, Frau Ministerin, daß sich gegenüber dem heutigen Rechtszustand nichts ändert. Das bedeutet — wenn ich es richtig verstehe —, daß es bei dem Fehlbedarf von mindestens 500 000 Kindergartenplätzen in der Bundesrepublik Deutschland bleiben wird. Das bedeutet — wenn ich es richtig verstehe — , daß wir in diesem Bereich in Europa weiterhin Schlußlicht bleiben werden. Ich frage Sie: Wo ist bei dem Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz irgendeine Verbesserung gegenüber dem alten Rechtszustand zu erkennen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Abgeordnete, wir dürfen doch wohl festhalten, daß im Kinder- und Jugendhilferecht zum erstenmal ein bedarfsgerechter Ausbau der Kindergartenplätze schriftlich fixiert worden ist.
Frau Abgeordnete Hamm-Brücher, bitte schön.
Frau Minister, jeder, der sich seit vielen Jahrzehnten mit der Materie beschäftigt, kennt die Grenzen, die dem Bund beim Ausbau unserer Kindergärten gesetzt sind. Wir wissen auch, daß die Zuständigkeiten bei den Ländern sehr unterschiedlich sind. Entweder das Kultusministerium oder das Sozialministerium ist jeweils zuständig. Darum würdigen wir durchaus die großen Anstrengungen, die Sie und die Bundesregierung unternommen haben, um diese Aufgabe nun endlich im Jugendhilferecht zu verankern. Das ist in der Tat etwas Neues.
Aber ich frage Sie, Frau Ministerin — insofern stimme ich mit der Kollegin Renate Schmidt sehr weitgehend überein — : Müssen wir nicht wirklich Sorge haben, daß die jetzt gefundene Regelung — obgleich auch wir zugestimmt haben; aber wir müssen immer weiterbohren — wirklich dazu geeignet ist, den Mangel zu beseitigen? Ich möchte fast davon sprechen, daß die Bundesrepublik im Kindergartenbereich, in der Versorgung der Vorschulkinder fast schon zum Entwicklungsland geworden ist, wenn man daran denkt, wie es anderswo läuft. Angesichts dessen muß ich Sie, Frau Ministerin, wirklich fragen: Ich will das Gesetz zwar nicht scheitern lassen; aber ist denn der nun eingeschlagene Weg wirklich erfolgversprechend, um die Defizite aufzuholen und die offenkundig wachsende Zahl von Vorschulkindern auch nur einigermaßen zu versorgen? — Mit dieser Frage möchte ich Sie gern unterstützen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Danke schön, Frau Abgeordnete, für die Unterstützung. Danke schön auch für Ihre einleitenden anerkennenden Worte. Es ist wahrhaftig so, daß es nicht einfach war, diesen Gesetzentwurf einzubringen. Wir wissen, daß die Einbringung eines Gesetzentwurfs bereits viermal gescheitert ist. Wir wissen, daß in der Zeit der SPD-Regierung dreimal der Versuch unternommen wurde. Jetzt sind wir soweit. Tun wir bitte alles dazu, daß dieser Gesetzentwurf passieren kann.
Sie stellen zu Recht die Frage, ob die Situation jetzt weitgehend verbessert ist. Bedenken wir, daß erstmalig im Kinder- und Jugendhilferecht ein solcher Anspruch enthalten ist. Wenn die Länder das Entsprechende tun, dann werden sie durchaus zu einem Ausbau der Zahl der Kindergartenplätze bzw. der Kinderbetreuungsplätze — es geht ja nicht nur um Kindergartenplätze — beitragen.
Sie haben eine Zusatzfrage. Bitte sehr.
Frau Ministerin, der Anspruch, der im Gesetz festgeschrieben ist, ist ja eingeschränkt. Es kann sehr leicht passieren, daß die zuständige Aufsichtsbehörde sagt: Es besteht kein Bedarf; die Mutter ist zu Hause, und für das Kind wird gesorgt. Dann bestünde kein Anspruch.
Könnte man nicht erwägen, zumindest in die Begründung des Gesetzentwurfs zu schreiben, das Ziel muß sein, daß bei den Dreijährigen für einen Anteil von soundso viel Prozent, bei den Vierjährigen für einen Anteil von soundso viel Prozent und bei den Fünfjährigen für einen Anteil von mindestens 98 % Kindergartenplätze vorhanden sind? Die Zahl der Kinder im Vorschulalter, die spätestens ein Jahr vor Schulbeginn in den Kindergarten aufgenommen werden müssen, wird ja immer größer. So würde ich es staffeln. Es sollte nicht verheimlicht werden, daß das die Absicht des Gesetzgebers ist. Denn sonst gehen die Länder wieder hin und machen es nicht.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Abgeordnete, ich habe dafür gesorgt, daß in der Begründung ein entsprechender Satz steht; Sie können ihn auf Seite 92 nachlesen.
Dort ist dieser Gedanke enthalten. Es ist für das Wohl des Kindes erforderlich, daß den Kindern im Kindergartenalter ein Kindergartenplatz angeboten wird. Eigentlich könnte man sagen: Das ist nicht ein 98%iger, sondern ein 100%iger Ausbau.
Der Abgeordnete Hoffacker ist nun in der Lage, eine Frage zu stellen.
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 160. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. September 1989 12137
Frau Bundesministerin, mit diesem Gesetz wird ja nicht nur etwas für den flächendeckenden Ausbau von Kindergartenplätzen festgeschrieben. Meine Frage ist daher: Welche anderen Voraussetzungen — das bisherige Gesetz gibt es ja schon seit 1922, und vieles in ihm ist überholt —, für Jugendliche, für Heranwachsende, für Eltern, für das, was im Grunde auch mit der Stärkung der Erziehungskraft der Familie zusammenhängt, werden denn noch geschaffen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Sie haben sehr recht, Herr Abgeordneter: Es ist nicht nur ein Kindergartengesetz, sondern es ist ein Kinder- und Jugendhilferecht, das hier vorgelegt wurde. Kindergarten und Kinderbetreuung ist nur ein Punkt unter sehr vielen. So haben wir in dem Gesetzentwurf u. a. den Ausbau ambulanter und teilstationärer Jugendhilfe vorgesehen, um die Trennung der Kinder von den Eltern zu vermeiden. Wir wollen Prävention. Wir wollen nicht erst dann eingreifen, wenn sich Fehlentwicklungen eingestellt haben, sondern wir möchten alles tun, um Fehlentwicklungen der Kinder zu verhindern.
Es sind eine Reihe von Beratungen in schwierigen Situationen, aber auch Beratungen in Fragen der Partnerschaft sowie besondere Beratungen der Eltern und der Kinder im Falle von Trennung und Scheidung vorgesehen. Es sind weitere Hilfen für Familien in belastenden Lebenssituationen in Aussicht genommen.
Dann hat die Abgeordnete Frau Hoppe die Möglichkeit, eine Frage zu stellen. — Entschuldigung, Frau Schoppe.
Vielen Dank, Herr Cronenburg.
Frau Ministerin, nachdem Ihnen der Rechtsanspruch aus dem Jugendhilferecht herausgestrichen worden ist, haben Sie gesagt, durch rechtliche Regelung in den Ländern solle ein Rechtsanspruch für die Kinder und für die Eltern, die das wollen, durchgesetzt werden. Das wird schlecht möglich sein. Denn Ihr großer Widersacher, Herr Albrecht, der ja wohl hauptsächlich schuld daran ist, daß wir diese Streichung hier jetzt verzeichnen müssen, lebt in einem Lande, in dem es überhaupt kein Kindergartengesetz gibt. Guckt man sich einmal an, welche Länder wie mit Kindergärten versorgt sind, dann stellt man fest, daß Niedersachsen doch ziemlich weit hinten liegt.
Ich frage Sie daher: Wenn ein Ministerpräsident Albrecht nicht wollte — und dies auch durchgesetzt hat — , daß der Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz im Gesetzentwurf verankert ist, weil ihm das einfach zu teuer war, weil er das aus Kostengründen gescheut hat — aus Kostengründen wird er die Kindergartenplätze in seinem Land weiterhin nicht ausbauen — , wie wollen Sie als Ministerin, die ja auch irgendwie für Kinder und Jugendliche verantwortlich ist und die die Verantwortung mit diesem Jugendhilferecht jetzt wieder auf die Länder abgeschoben hat, dafür sorgen, daß Kindergartenplätze ausgebaut werden? Das ist mir nicht klar geworden.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Abgeordnete, laut Gesetzestext haben die Länder dafür Sorge zu tragen, daß ein bedarfsgerechter Ausbau erfolgt. Das gilt nicht nur für Herrn Albrecht, sondern das gilt auch für die anderen Länder. Es ist sicherlich unser aller Aufgabe, deutlich zu machen, daß die Einrichtung von Kindergartenplätzen dem Wohl des Kindes, dem Wohl der Entwicklung des Kindes dienlich ist. Wir sollten weit deutlicher machen, daß wir mit der Einrichtung der Kindergartenplätze nicht in erster Linie Mütter und Eltern entlasten wollen, sondern daß es vor allem für die kindliche Entwicklung gut ist, wenn Kinder im Kindergartenalter mit anderen zusammen im Kindergarten sind.
Eine Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Schoppe. Bitte schön.
Frau Ministerin, das Gesetz hat nur appellativen Charakter. Sie haben auch meine Frage nicht beantwortet. Wie ist es durchzusetzen, daß die Länder tatsächlich Kinderbetreuungseinrichtungen ausbauen? Es gibt im übrigen nicht nur Kinderbetreuungseinrichtungen, die für Kinder gut sind. Es gibt Mütterzentren, wo auch Kinder sind. Es gibt Familienzentren, wo auch Kinder sind. Es gibt Eltern-Kinder-Gruppen, in die auch Kinder gehen können. Wo sind Initiativen, damit dies alles zum Wohle unserer Kinder und zum Wohle der Familien ausgebaut wird? Ich sehe sie nicht.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Gesetz normiert eine Verpflichtung der Länder zum bedarfsgerechten Ausbau.
Bevor ich dem Abgeordneten Gilges das Wort gebe, möchte ich auf folgenden Sachverhalt aufmerksam machen. Ich habe jetzt noch fünf Wortmeldungen vorliegen. Wenn sie alle aufrechterhalten werden, geht das zu Lasten der Zeit, in der andere Themen behandelt werden können. Wir werden dann Schwierigkeiten bekommen. Ich bitte einmal zu überprüfen, ob alle Wortmeldungen aufrechterhalten werden.
Herr Abgeordneter Gilges, Sie haben jetzt die Möglichkeit zu einer Frage.
Frau Ministerin, halten Sie es nicht für zweckmäßig, daß Sie sich im nächsten Jahr, wenn das Gesetz zur Reform des Kinder- und Jugendhilferechts beraten wird und gleichzeitig auch die Gesetzesberatung zur Reduzierung der Unternehmersteuern in diesem Lande um 30 Milliarden DM ansteht, dafür einsetzen, daß diese Reduzierung nicht stattfindet, und daß Sie statt dessen versuchen, diese 30 Milliarden DM oder zumindest einen Teil dieser 30 Milliarden DM für den Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz für die Familien und die Kinder einzusetzen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, wir wol-
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12138 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 160. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. September 1989
Bundesminister Frau Dr. Lehrlen gerne die Beratung des Gesetzes in diesem Jahr und nicht im nächsten Jahr haben. Wir möchten gerne diese Verbindung vermeiden.
Muß eine Zusatzfrage sein, Herr Gilges?
Ja, die Zusatzfrage muß sein. — Das geht ja vom Gesetzgebungsverfahren her gar nicht, Frau Ministerin, aber darauf will ich mich jetzt nicht einlassen. Frau Ministerin, vielleicht sind Sie noch nicht ausreichend lange Parlamentarierin, um zu wissen, wie das hier abläuft. Aber lassen wir das einmal weg.
Ich habe eine zweite Frage. Ist Ihnen bekannt, Frau Ministerin — Sie haben gesagt, es wäre das erstemal, daß der Rechtsanspruch in einem Gesetz steht — , daß das 1980 von der damaligen sozialliberalen Koalition im Deutschen Bundestag beschlossene Gesetz, was dann an der CDU/CSU-Mehrheit im Bundesrat gescheitert ist, einen § 36 in folgender Fassung enthielt — ich zitiere —:
Kindergartenerziehung
Jeder Minderjährige hat vom vollendeten dritten Lebensjahr an bis zum Schuleintritt Anspruch auf Kindergartenerziehung. (2) Das Nähere bestimmt Landesrecht.
Ist Ihnen eigentlich bekannt, daß das der Rechtsanspruch war, den damals die Sozialdemokraten und die Liberalen in diesem Gesetz formuliert haben, das — ich sage es noch einmal — leider an der CDU/CSUMehrheit im Bundesrat gescheitert ist?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, obwohl ich nicht diese hinreichende parlamentarische Erfahrung habe, wie Sie ja hier bemerkt haben — ich bedanke mich für dieses besondere Entgegenkommen — , ist es mir dennoch bekannt, daß 1980 nur ein eingeschränkter Rechtsanspruch formuliert wurde, nämlich für den Fall, daß die Erziehung sonst nicht gewährleistet ist.
Entschuldigen Sie, ich habe das nur vorgelesen. Das stimmt sachlich nicht.
— Es handelt sich um die Drucksache 8/4010. Das ist die Drucksache mit der Beschlußempfehlung des Ausschusses für Jugend, Familie und Gesundheit —13. Ausschuß — vom 13. Mai 1980. Ich sage es noch einmal: Es handelt sich um die Drucksache 8/4010.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Dieses Gesetz, Herr Abgeordneter, ist 1980 gescheitert.
Die Aufarbeitung der Vergangenheit können wir nicht in dieser Regierungsbefragung vornehmen.
Der Abgeordnete Link hat das Wort.
Frau Ministerin, können Sie mir zustimmen, daß es neben dem niedersächsischen Ministerpräsidenten Dr. Albrecht Ministerpräsidenten der SPD gibt, die sich hinter ihm versteckt haben, um einen Rechtsanspruch zu vermeiden? Können Sie mir zustimmen, daß im Haushalt des Landes Niedersachsen für 1990 erhebliche Mittel für Kindergartenplätze eingesetzt sind, und können Sie mir zustimmen, daß in Niedersachsen gerade ein Modellprogramm für Ganztagsschulen, was ja auch in diesen Bereich fällt, anläuft?
Sie könnten mir vielleicht auch noch einmal sagen, welche Bedeutung Sie der Formulierung beimessen, daß die Länder für einen bedarfsgerechten Ausbau Sorge zu tragen haben? Vielleicht könnte man das noch einmal genau formulieren. Dann wird auch klar, welcher moralische Druck hier ausgeübt wird.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, ich kann Ihnen in den ersten drei Punkten, die Sie hier aufgezählt haben, zustimmen.
An Hand der letzten Frage, welche Bedeutung ich der Formulierung beimesse, kann ich deutlich machen: Ich gehe davon aus, daß die Länder durch diese Formulierung dazu aufgefordert sind, den Ausbau der verschiedenen Formen der Tagesbetreuung — Kindergärten, Kinderhorte, Betreuungsstellen usw. — zügig und bedarfsgerecht voranzutreiben. Es wäre sicher viel erreicht, wenn dort, wo Bedarfspläne für Kindergartenplätze vorhanden sind — und sie sind ja in einigen Ländern vorhanden —, diese auch tatsächlich umgesetzt würden.
Ich möchte die Abgeordneten Hoffacker und Menzel nochmals fragen, ob sie wirklich auf ihren Fragen bestehen. Wir überschreiten deutlich die Zeit auf Kosten der anderen Themen. Danke schön, der Abgeordnete Hoffacker zieht seine Frage zurück. Herr Abgeordneter Menzel tut dies nicht.
Frau Abgeordnete Dr. Vollmer, Sie haben das Wort.
Ich stelle eine kurze Frage. Frau Ministerin, Sie haben gesagt, eigentlich wären Sie für die Durchsetzung des Rechtsanspruches gewesen. Es hätte sich nur nicht durchsetzen lassen. Würden Sie einmal — weil ich Ihnen das glaube — aus Ihrer Sicht sagen, was denn dieses „es" war und warum die Durchsetzung gescheitert ist?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Abgeordnete, auch ich mußte einen Lernprozeß durchmachen. Politik ist die Kunst des Kompromisseschließens, und ich finde, wir haben einen sehr guten Kompromiß gefunden, denn wir haben sehr viel erreicht.
Wir sollten nun unser Licht nicht unter den Scheffel stellen, sondern sollten wirklich hervorheben, was sich in dieser Hinsicht nun alles ändert.
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 160. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. September 1989 12139
Herr Abgeordneter Menzel, bitte.
Frau Ministerin, ich gehöre zu den Abgeordneten, die sich mit dieser Materie vorher nicht sehr ausgiebig befaßt haben. Aber ich kann mir vorstellen — ich frage Sie, ob Sie nicht denselben Eindruck haben — , daß diejenigen, die oben auf der Tribüne sitzen oder die draußen die Diskussion verfolgen, im Grunde genommen den Eindruck haben müssen, daß hier wieder einmal warme Luft über den Zaun geschaufelt wird, ohne daß für die Betroffenen entscheidende Verbesserungen entstehen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, ich glaube nicht, daß dieser Eindruck besteht.
Dann kann ich diesen Komplex abschließen und rufe den Abgeordneten Jahn zu dem Bereich „Andere Themen" auf.
Wie hat sich die Bundesregierung in der heutigen Kabinettssitzung angesichts der dringenden Wohnungsnot mit der Forderung des Präsidenten des Deutschen Städtetages befaßt, in den nächsten Jahren mindestens 100 000 Sozialmietwohnungen zu bauen?
Wer beantwortet die Frage?
Bitte sehr, Herr Staatsminister.
Die Bundesregierung hat sich heute mit dieser Frage nicht befaßt. Die Bundesregierung hat in einer vorangegangenen Kabinettssitzung festgelegt, daß in einer Arbeitsgruppe über dieses Thema intensiv diskutiert wird. Dann wird sich die Bundesregierung damit befassen.
Herr Abgeordneter Jahn, bitte schön.
Weshalb läßt die Bundesregierung die Tatsache, daß diese Forderung erst am Wochenende erhoben worden ist, bei ihren heutigen Beratungen völlig außer Betracht?
Die Antwort des Staatssekretärs Echternach, bitte sehr.
Herr Kollege Jahn, diese Forderung des Städtetages ist nicht so neu, wie Sie es eben dargestellt haben, sondern sie ist schon seit Wochen in der Diskussion. Morgen wird sich der Haushaltsausschuß des Bundestages mit der Frage befassen, welche Mittel der Bund im nächsten Jahr für den sozialen Wohnungsbau zur Verfügung stellt.
Nun hat der Abgeordnete Müntefering das Wort. Bitte schön.
Herr Staatssekretär, wenn die Forderung des Deutschen Städtetages bei Ihnen schon altbekannt ist, möchte ich die Frage stellen: Stützt die Bundesregierung denn die altbekannte Meinung des Deutschen Städtetages, oder wie beurteilen Sie die Not, die zur Zeit in den Städten besteht?
Herr Staatssekretär.
Die Bundesregierung hat, Herr Kollege Müntefering, Beschlüsse zum Haushalt 1990 gefaßt. Über sie wird morgen der Haushaltsausschuß beraten. Darüber hinaus hat die Bundesregierung bzw. die Koalition eine besondere Arbeitsgruppe eingesetzt, die sich in diesen Tagen damit beschäftigt, kurzfristige Maßnahmen, die wesentlich schneller wirken als das Programm 1990, in Gang zu setzen, um den gegenwärtigen Engpaß möglichst schnell zu überwinden. Die Ergebnisse dieser Koalitionsarbeitsgruppe sollen Anfang des nächsten Monats vorliegen.
Eine weitere Frage des Abgeordneten Müntefering.
Herr Staatssekretär, wird die Wohnungsbaupolitik der Bundesregierung in Haushaltsausschuß gemacht? Was denkt die Bundesregierung darüber?
Bei der Aufstellung des Haushaltsplans 1990 haben der Haushaltsausschuß und das Haus das Entscheidungsrecht, wie Sie sicher wissen. Die Bundesregierung hat ihre Beschlüsse dazu gefaßt und berät jetzt über Maßnahmen, die über den Haushalt 1990 hinausreichen.
Bitte schön, Herr Abgeordneter Reschke.
Herr Staatssekretär, Sie haben soeben erwähnt, daß morgen der Haushaltsausschuß darüber berät. Welche Vorschläge macht denn dann die Bundesregierung zur Überwindung der Wohnungsnot? Ich würde gern einige Zahlen hören. Nach Schätzungen ist der Einsatz von Mitteln in der Größenordnung zwischen 10 und 12 Milliarden DM notwendig. Zumindest bei den Entwürfen und den vorausgegangenen Beratungen kann ich diese Größenordnung nicht erkennen.
Herr Kollege Reschke, Sie müssen bedenken, daß sich die Forderung des Städtetages nicht nur an die Adresse des Bundes wendet, sondern auch an die Adresse der verfassungsrechtlich vor allem zuständigen Bundesländer und natürlich auch der Gemeinden; es geht ja um gemeinsame Aktivitäten. Die Bundesregierung hat jedenfalls im Haushaltsentwurf 1990 vorgesehen, die Mittel des Bundes, die für den sozia-
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12140 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 160. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. September 1989
Parl. Staatssekretär Echternachlen Wohnungsbau 1990 zur Verfügung gestellt werden gegenüber dem Betrag zu verfünffachen, der nach der mittelfristigen Finanzplanung vorgesehen war. Vorgesehen waren nach der mittelfristigen Finanzplanung für 1990 300 Millionen DM. Der Regierungsentwurf sieht 1,6 Milliarden DM vor.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Reschke.
Der Hinweis ist verfassungsrechtlich natürlich gerechtfertigt, führt aber zu der Frage: Ist die Bundesregierung denn bereit, die Komplementärmittel zur Verfügung zu stellen, die die Länder anfordern, und die Finanzierung, die sie einsetzen, als Notwendigkeit anzuerkennen? Wäre die Bundesregierung bereit, diese Mittel einzusetzen, wenn die Größenordnung diejenige in den jetzigen Haushaltsentwürfen übersteigt?
Herr Kollege Reschke, ich darf erstens darauf verweisen, daß dieser Betrag höher ist als die Summe, die noch im vergangenen Jahr von Ihrer Seite genannt worden ist. Ich verweise darüber hinaus darauf, daß das, was wir von seiten sowohl des Bundes als auch der Länder und der Gemeinden mit Hilfe dieser Fördermittel anstreben, dazu führen könnte, daß etwa 100 000 öffentlich geförderte Wohnungen 1990 bewilligt werden können. Diese Zahl ist auch von sehr vielen im vorparlamentarischen Raum in der Vergangenheit als ein Richtwert genannt worden. Wir glauben, wir können damit erreichen, daß 1990 insgesamt 300 000 Wohnungen, die wir für erforderlich halten, auf den Weg gebracht werden können, um mit entsprechenden gleichen Schritten in den beiden folgenden Jahren den gegenwärtigen Engpaß am Wohnungsmarkt zu überwinden.
Herr Abgeordneter Menzel.
Herr Staatssekretär, sind Sie in der Lage, dem Haus mit wenigen Worten darzulegen, wie Sie mit den recht bescheidenen Mitteln, die Sie zur Verfügung stellen, 100 000 Wohnungen mit einer tragbaren Miete für die breiten Schichten fördern wollen?
Herr Kollege Menzel, über die Umsetzung dieses Programms und auch der Bundeshilfen entscheiden die verfassungsrechtlich dafür zuständigen Länder. Wenn man dabei insbesondere den dritten Förderweg zugrunde legt, den wir ja in diesem Frühjahr hier im Hause beschlossen haben, kann mit diesen Mitteln eine wesentlich größere Zahl von Wohnungen gefördert werden als im ersten Förderweg. Ich verweise darauf, daß z. B. das Land Niedersachsen über zwölf Jahre hinweg mit Zuschüssen von rund 37 000 DM den Neubau fördert und dabei sogar ein wesentlich größeres Antragsvolumen hat, als insgesamt gefördert werden kann, während das Land Nordrhein-Westfalen etwa die dreifache Summe für eine öffentlich geförderte Wohnung einsetzt. Wenn alle Bundesländer diesen dritten Förderweg verstärkt beschreiten würden, könnte die Zahl der geförderten Wohnungen also noch größer sein.
Aber, wie gesagt, die Zuständigkeit für diese Frage liegt bei den Bundesländern.
Herr Abgeordneter Menzel, zu einer weiteren Frage. Ich wäre aber dankbar, wenn wir den Komplex dann abschließen könnten, weil wir sonst nicht mehr zu anderen Themen kommen.
Herr Staatssekretär, wären Sie in der Lage zu sagen, welche Quadratmetermieten das Land Niedersachsen bei seiner Förderungsart unterstellt?
Das Land Niedersachsen geht von einer Miete von 8 DM aus.
Danke schön. — Abgeordneter Penner.
Bundesarbeitsminister Blüm hat behauptet, Sozialdemokraten hätten sich der SED angebiedert; Bundesaußenminister Genscher hat sich von solchen Einschätzungen distanziert. Was ist die Meinung der Bundesregierung?
Frau Staatsministerin.
Herr Abgeordneter Penner, die Bundesregierung ist der Meinung, daß der politische Dialog wichtig ist und selbstverständlich weitergeführt werden muß. Deswegen wird die Bundesregierung auch weiterhin — sie hat das in den vergangenen Tagen gerade zur Lösung der schwierigen Probleme der in unseren Botschaften Zuflucht Suchenden auch schon getan — Kontakte und Dialog pflegen.
Bitte sehr.
Frau Staatsministerin, darf ich Sie so verstehen, daß die Bundesregierung die Einschätzung des Bundesarbeitsministers, Sozialdemokraten biederten sich der SED an, nicht teilt?
Herr Abgeordneter, mit einer solchen Äußerung, von der ich einmal vermute, daß sie im nordrhein-westfälischen Kommunalwahlkampf gemacht worden ist, hat sich die Bundesregierung nicht beschäftigt.
Frau Abgeordnete Hamm-Brücher.
Frau Staatsministerin, würden Sie mir bestätigen, daß die Bundesregie-
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 160. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. September 1989 12141
Frau Dr. Hamm-Brücherrung nicht mit allem übereinstimmen kann, was ihre Mitglieder so zum besten geben?
Frau Dr. Hamm-Brücher, ich stimme mit Ihnen überein, daß auch ein Mitglied der Bundesregierung nach wie vor ein Mensch ist und eine private und persönliche Meinung hat, daß es darüber hinaus in der Regel ein politisches und ein Parteiamt hat und in solchen Ämtern auch als Person Äußerungen macht.
Abgeordneter Müntefering, bitte schön.
Nun hat in diesen Tagen der baden-württembergische Ministerpräsident Lothar Späth Gespräche mit einem hohen SED-Funktionär in Aussicht genommen. Kann die Bundesregierung veranlassen, daß sich Herr Blüm auch dazu äußert?
Herr Staatssekretär Vogt wünscht zu antworten. Ich mache darauf aufmerksam, daß die Antworten jeweils im Namen der Bundesregierung gegeben werden.
Herr Präsident, ich wollte nur darauf hinweisen, daß allen Mitgliedern dieses Hauses bekannt sein müßte, daß sich Minister Blüm in den letzten Tagen wiederholt dafür ausgesprochen hat, daß weiterhin mit Vertretern der DDR gesprochen wird. Er hat keineswegs dafür plädiert, die Gesprächskontakte abzubrechen. Deshalb ist die Frage gegenstandslos.
Das war eine weitere Äußerung der Bundesregierung zu diesem Sachverhalt. — Herr Abgeordneter Müntefering.
Ich darf zur Konkretisierung noch einmal fragen, Herr Staatssekretär: Wenn der Herr Lothar Späth Sozialdemokrat wäre, wären die Gespräche dann auch noch in Ordnung?
Aber selbstverständlich, Herr Kollege, wären die Gespräche auch dann noch in Ordnung. Aber das hat nichts mit der Ausgangsfrage des Kollegen Penner zu tun.
Das ist in der Tat richtig.
Nun hat die Abgeordnete Frau Hamm-Brücher offensichtlich zu einem anderen Sachverhalt um das Wort gebeten. Ich gebe ihr die Möglichkeit, eine solche Frage zu stellen.
Meine Frage geht an den Chef des Bundeskanzleramts. Ich möchte an ihn die Frage richten, ob ihm bekannt ist, daß bei der Vorbereitung dieser neuen, zu erprobenden Veranstaltung der Regierungsbefragung das Modell des britischen Unterhauses Pate gestanden hat. Dieses Modell ist deshalb so erfolgreich, weil es für jeden Minister Pflicht ist, daran teilzunehmen, und auch die Premierministerin jede Woche für solch eine Veranstaltung zur Verfügung zu stehen hat. Wir wünschen dem Bundeskanzler natürlich, ich glaube, in Ihrer aller Namen, eine baldige und vollständige Genesung. Ich möchte den Chef des Bundeskanzleramtes bitten — es ist kein Chef des Kanzleramtes da, aber immerhin —, dem Bundeskanzler unsere Bitte zu übermitteln, daß er entsprechend der von ihm so verehrten Frau Premierministerin Margaret Thatcher ab und an an dieser Regierungsbefragung teilnimmt.
Frau Kollegin, für den nicht anwesenden Chef des Bundeskanzleramts darf ich als regelmäßiger Teilnehmer des Ältestenrates sagen, daß wir über diesen Bereich ausdrücklich gesprochen haben, daß es selbstverständlich möglich sein muß, daß die Bundesregierung und die Ressortvertreter durch ihre Parlamentarischen Staatssekretäre vertreten werden. Ich darf darauf hinweisen, daß die Bundesregierung im Verlauf der Experimentierphase gelegentlich zahlreicher vertreten war als das Plenum des Deutschen Bundestages.
Im übrigen haben wir darauf hingewiesen, daß wir in der Bundesregierung — im Gegensatz zum britischen System — die Ressortverantwortlichkeit haben. Deswegen vertreten hier die Ressortminister ihre Ressorts für die Bundesregierung.
Natürlich werde ich dem Herrn Bundeskanzler Bitten gern zur Kenntnis bringen.
Die Zeit ist abgelaufen. Weitere Wortmeldungen liegen mir auch nicht vor, so daß wir nunmehr die Befragung beenden können.Ich rufe Punkt 2 der Tagesordnung auf: Fragestunde— Drucksache 11/5225 —Zunächst einmal kann ich dem Hause mitteilen, daß die Fragen des Abgeordneten Amling auf Drucksache 11/5236 vom Fragesteller zurückgezogen worden sind.Dann teile ich Ihnen mit, daß betreffend den Geschäftsbereich des Bundesministers für Post und Telekommunikation die Fragen 1 und 2 des Abgeordneten Dr. Hirsch schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.Ebenfalls schriftlich beantwortet werden auf Antrag des Fragestellers Abgeordneter Scherrer die Fragen 3 und 4 zum Geschäftsbereich des Bundesministers für
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12142 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 160. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. September 1989
Vizepräsident CronenbergRaumordnung, Bauwesen und Städtebau. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.Den gleichen Wunsch hat der Abgeordnete Jaunich für die Fragen 5 und 6 zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.Auch zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung wurde von Herrn Abgeordneten Engelsberger gebeten, die Fragen 8 und 9 schriftlich zu beantworten. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Forschung und Technologie. Hier steht uns der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Probst zur Verfügung.Ich rufe die Frage 10 der Abgeordneten Frau Walz auf :Warum wurde in Manzanares die Demonstrationsanlage eines Aufwindkraftwerks vor zehn Jahren mit 10 Millionen DM aus Forschungsmitteln gebaut, die seither problemlos lief und, wie durch Messungen bestätigt, voll die mit ihr verbundenen Erwartungen erfüllte, ohne daß bisher daraus Konsequenzen gezogen wurden?Herr Staatssekretär, Sie haben das Wort.
Frau Kollegin Walz, Ihre Frage 10 beantworte ich wie folgt.
Der Bundesforschungsminister hat das erste Versuchsaufwindkraftwerk in Manzanares/Spanien seit 1979 mit bisher 14,7 Millionen DM gefördert. Obwohl es eine ganze Reihe technischer Probleme gegeben hat, kann heute festgestellt werden, daß die prinzipielle technische Machbarkeit nachgewiesen ist.
Es sind aber nach wie vor noch erhebliche technische und wirtschaftliche Risiken gegeben. Die Anlage ist, bedingt durch die Leichtbauweise, sehr sturmanfällig. Im Frühjahr 1989 ist der 200 Meter hohe Turm der Versuchsanlage unter Sturmeinwirkung zusammengebrochen und hat die Gesamtanlage völlig zerstört.
Nach bisherigen Erfahrungen können Aufwindkraftwerke nur bei Turmhöhen über 200 Meter — eigentlich erst bei 800 bis 1 000 Meter — und besonderer Leichtkonstruktion des Kollektorfeldes bei gleichzeitig hohem Flächenbedarf in den Bereich der Wirtschaftlichkeit kommen.
BMFT-geförderte Aktivitäten nach der Zerstörung der Versuchsanlage in Manzanares bestehen aus einer Datenauswertung aus dem Versuchsbetrieb und einer Voruntersuchung für ein neues Kraftwerk.
Zusatzfrage, Frau Abgeordnete? — Bitte schön.
Wo wollen Sie dieses neue Kraftwerk errichten; und ist Ihnen bekannt, daß die Schäden deshalb entstanden sind, weil man nicht repariert hat, weil es nur ein Versuchsmodell war?
Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Es ist derzeit kein Standort für ein Kraftwerk erkennbar; denn man bräuchte hierzu einen Partner, der mitmacht.
Die Zerstörung des Kraftwerks hing damit zusammen, daß der Turm zusammengebrochen ist.
Darf ich noch einmal sagen: Es ist deshalb nichts gemacht worden, weil es nur ein Demonstrationsobjekt war. Daraus kann man also keine Schlußfolgerungen ziehen, was die Seriosität dieses Bauwerks betrifft.
Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Ich habe ja dargestellt, daß das eine Versuchsanlage war — natürlich mit all ihren Konsequenzen.
Keine weiteren Zusatzfragen für Frage 10.
Dann rufe ich die Frage 11 auf:
Ist die Bundesregierung bereit, den Bau von solchen Aufwindkraftwerken, die erwiesenermaßen geeignet sind, die Energieprobleme der Dritten Welt in dafür geeigneten Klimazonen nachhaltig und wirtschaftlich zu verringern, zusammen mit daran interessierten Ländern zu fördern?
Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Das Bundesforschungsministerium ist grundsätzlich bereit, die Frage des Baus eines zweiten Aufwindkraftwerks zu prüfen und ihn gegebenenfalls zu fördern. Bisher sind dem Bundesminister für Forschung und Technologie ausländische Interessen jedoch noch nicht bekanntgeworden. Das dürfte u. a. darauf zurückzuführen sein, daß bis zum Nachweis der Wirtschaftlichkeit der Aufwindkraftwerktechnologie noch einige Versuchsanlagen gebaut werden müssen, deren Gesamtkosten deutlich über 1 Milliarde DM liegen werden.
Bitte schön, Frau Abgeordnete Walz.
Ich muß noch einmal darauf hinweisen, daß die Ergebnisse bestätigt haben — was Sie ja auch richtig gesagt haben —, daß mehr Wirtschaftlichkeit gegeben ist, wenn der Turm höher gebaut wird. Ich glaube kaum, daß weitere kleinere Demonstrationsbauwerke errichtet werden müssen. Meiner Meinung nach — ich habe mich auch bei der Universität in Stuttgart und bei den Erbauern versichert — könnte die Vergrößerung so, wie das Modell jetzt konzipiert wurde, vorgenommen werden. Sie müßten dafür eigentlich nur ein geeignetes Land finden.
Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Wie lautet Ihre Frage, Frau Kollegin?
Die Frage geht dahin, ob Sie sich wirklich ernsthaft darum bemüht haben, ein Land zu finden, in dem man ein solches Aufwindkraftwerk errichten kann.
Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Wir bemühen uns ernsthaft.
— Sehr ernsthaft.
Ich rufe die Frage 12 des Abgeordneten Dr. Daniels auf:Welche Informationen über die geplante Entsendung eines amerikanischen Satelliten mit Plutonium-Antrieb am 12. Oktober dieses Jahres liegen der Bundesregierung vor, und sieht sie nicht auch Handlungsbedarf, z. B. im Weltraumausschuß der
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Vizepräsident CronenbergVereinten Nationen, wegen der weltweiten Gefahren gegen diese Entsendung vorzugehen?Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Ich beantworte die Frage 12 des Abgeordneten Daniels wie folgt.Bei dem von Ihnen angesprochenen amerikanischen Projekt handelt es sich um die Jupitersonde Galileo. Diese Sonde besitzt für die Bereitstellung der elektrischen Energie eine Radioisotopenbatterie — abgekürzt RTG — , also keinen Plutoniumantrieb, wie Sie in Ihrer Frage erwähnen.Wegen der großen Entfernung zur Sonne können Solargeneratoren zur Energieerzeugung bei Planetenmissionen nicht mehr technisch sinnvoll eingesetzt werden. Die einzige derzeit zur Verfügung stehende technisch realistische Möglichkeit stellen die RTG dar. Der Einsatz dieser Isotopenbatterien unterliegt in den USA einer strengen Sicherheitsüberprüfung. So obliegt die abschließende Genehmigung des Einsatzes eines RTG für ein konkretes Projekt dem dem USPräsidenten direkt unterstehenden Executive Office. Derartige Energieversorgungssysteme sind von der NASA in den letzten 15 Jahren mehrfach erfolgreich eingesetzt worden, z. B. auch bei den beiden Voyager-Sonden.Die deutsche Seite war an dem Entscheidungsprozeß der Auswahl des Energieversorgungssystems nicht beteiligt. Die deutsche Seite stellt für diese Mission lediglich wissenschaftliche Instrumentierungen sowie einen mit herkömmlicher Technologie, nämlich mit einem Zweistofftriebwerk arbeitenden Antriebsmodul zur Verfügung.Der Weltraumausschuß der Vereinten Nationen befaßt sich seit Jahren mit der Ausarbeitung von Sicherheitsprinzipien für den Einsatz nuklearer Energiequellen im Weltraum. Neben der schwerpunktmäßigen Behandlung von Kernreaktoren werden auch Lösungen für die Verwendung von Radionuklidbatterien gesucht.Wegen der fehlenden Energieversorgungsalternativen für die Planetenforschungsmissionen ist jedoch nicht an ein Einsatzverbot dieser Batterien gedacht. Die in der Beratung befindlichen Sicherheitsprinzipien reichen vielmehr von Informationsverpflichtungen, Sicherheitsanalysen, Beistands- und Kompensationsregelungen bis hin zu ausführlichen Sicherheitsleitlinien, die von den verantwortlichen Staaten einzuhalten sind.Die Bundesrepublik Deutschland gehört mit zu den Ländern, die auf einen baldigen Konsens im Weltraumausschuß zur Verabschiedung dieser Sicherheitsprinzipien hinarbeiten, damit die Anwendung in naher Zukunft möglich wird.
Sie wünschen eine Zusatzfrage? — Bitte schön.
Herr Staatssekretär, wir hatten ja vor einigen Monaten die Situation, daß möglicherweise ein Satellit mit Radioaktivität auf die Bundesrepublik abstürzen könnte. Deswegen möchte ich von Ihnen etwas genauer wissen — Sie haben jetzt von zwei Satelliten gesprochen —, ob Sie einen Überblick haben, wieviel solcher Satelliten mit derartigen Radionuklidbatterien insgesamt im Weltraum derzeit anzutreffen sind.
Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Für die westliche Welt einigermaßen, aber für die östliche natürlich nicht.
Können Sie dazu Zahlen nennen?
Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Das kann ich leider nicht.
Können Sie mir diese nachreichen?
Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Soweit wir sie zur Verfügung haben, kann ich Ihnen das gerne nachreichen.
Sie haben eine weitere Zusatzfrage, da ich die letzten beiden Fragen nicht einrechne. — Bitte schön.
Sie sprachen davon, daß in dem Weltraumausschuß Anstrengungen derart unternommen werden, daß man in Zukunft auf diese Satellitensysteme verzichten kann. Gibt es denn weltweit noch keine anderen Antriebsaggregate, die für längere Flüge im Weltraum zur Verfügung stehen, wo man nicht auf diese Nuklearbatterien zurückgreifen muß?
Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Ich habe ausgeführt, daß es das derzeit leider nicht gibt.
Die Fragen 13 und 14 des Abgeordneten Wüppesahl können nicht beantwortet werden, da der Abgeordnete nicht im Saal ist.Der Abgeordnete Dr. Kübler hat gebeten, die Frage 15 schriftlich zu beantworten. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern auf.Die Fragen 16 und 17 des Abgeordneten Oesinghaus sowie die Frage 18 des Abgeordneten Stiegler sollen auf Wunsch der Fragesteller schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.Ich rufe den Geschäftsbericht des Bundesministers der Finanzen auf.Der Abgeordnete Duve, der die Fragen 19 und 20 gestellt hat, bittet ebenfalls um schriftliche Beantwortung. Auch der Abgeordnete Hinsken bittet, die Fragen 21 und 22 schriftlich zu beantworten. Das gleiche trifft für die Frage 23 des Abgeordneten Stiegler zu. Alle diese Antworten werden als Anlagen abgedruckt.Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung auf. Hier steht uns der Parlamentarische Staatssekretär Wimmer zur Verfügung.Jetzt kommen wir ein wenig in Schwierigkeiten. Der Abgeordnete Dr. Mechtersheimer ist auf dem
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Vizepräsident CronenbergWeg hierher. Außer seinen Fragen habe ich für diese Fragestunde nur noch die Fragen des Abgeordneten Gerster vorliegen, die ebenfalls durch Sie beantwortet werden müßten. Ich nehme an, daß das Haus damit einverstanden ist, daß wir die Fragen des Abgeordneten Gerster (Worms) vorziehen. — Das ist der Fall.Ich rufe die Frage 26 des Abgeordneten Gerster auf:Trifft es zu, daß mit Zustimmung der Bundesregierung sowjetische Inspektoren Verdachtskontrollen in amerikanischen C-Waffen-Lagern in der Pfalz durchführen dürfen, während bundesdeutschen Politikern nicht einmal die Existenz dieser Lager bestätigt, geschweige denn der Zutritt zu ihnen gestattet wird?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Gerster, Ihre erste Frage kann ich mit einem eindeutigen Nein beantworten.
Herr Abgeordneter, Sie wollen eine Zusatzfrage stellen. — Bitte schön.
Herr Staatssekretär Wimmer, heißt das, daß die sowjetischen Inspektoren im derzeitigen Stadium der Ost-West-Verhandlungen über die chemische Abrüstung noch kein Inspektionsrecht konkret zugesagt bekommen haben?
Wimmer, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Gerster, Sie wissen, daß über diese Dinge noch intensiv verhandelt wird. Mit diesen internationalen Verhandlungen ist es ebenso wie mit den derzeitigen Kontrollmechanismen für die Lager, die Sie angesprochen haben. Wenn wir das Ergebnis vorliegen haben, werden wir natürlich auch die Wege kennen, auf denen diese Inspektionen durchgeführt werden.
Zusatzfrage, bitte schön.
Wenn es dazu kommt — alles sieht danach aus — , Herr Staatssekretär, wird dann die Bundesregierung, zumindest solange diese Lager noch vorhanden sind, im Zuge dieser Inspektionsrechte der anderen Supermacht auch deutschen Politikern das Recht einräumen, das ihnen bisher verwehrt wurde, nämlich solche Lager zu besichtigen?
Wimmer, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Gerster, Sie sind sich über den Charakter von völkerrechtlichen Vereinbarungen im klaren. Danach ist es das ausschließliche Recht, aber auch die Verpflichtung der Exekutive, über die Durchführung derartiger internationaler Abkommen auch die entsprechenden Kontrollmechanismen sicherzustellen. Derartige Aufgabenstellungen werden immer durch die dafür vorgesehenen Fachleute der beiderseitigen Vertragspartner oder überhaupt der am Vertrag beteiligten Regierungen vorgenommen. Soweit mir und auch Ihnen bekannt ist, gehören Politiker nicht zum Vertragsbestandteil von internationalen Vereinbarungen.
Ich rufe die Frage 27 auf:
Ist die Bundesregierung bereit, ihre Geheimhaltungspraxis angesichts wachsender internationaler Transparenz im Zuge der Abrüstungsverhandlungen zu überprüfen?
Wimmer, Parl. Staatsekretär: Zunächst einmal, Herr Kollege Gerster, ein eindeutiges Nein.
Vorrangiges Ziel der Bundesregierung ist ein möglichst frühzeitiger, ersatzloser Abzug aller amerikanischen chemischen Waffen, die in der Bundesrepublik Deutschland gelagert sind.
Die derzeitige Geheimhaltungspraxis, die in Übereinstimmung mit der amerikanischen Regierung so von allen Bundesregierungen gehandhabt worden ist, ist ein wichtiger Faktor für einen frühzeitigen, sicheren und störungsfreien Abtransport der chemischen Waffen, der in unser aller Interesse ist.
Zusatzfrage, bitte schön, Herr Abgeordneter Gerster.
Herr Staatssekretär Wimmer, da erfreulicherweise durch die Abrüstungsverhandlungen immer mehr Transparenz in die Militärpolitik kommt: Wären Sie nicht bereit, seitens der Bundesregierung auf unsere Alliierten einzuwirken, daß zumindest für die Zukunft diese Transparenz auch gegenüber den eigenen Bündnispartnern hergestellt wird, und zwar nicht nur auf der höchsten Ebene des jeweiligen Verteidigungsministeriums, sondern eben auch auf der regionalen Ebene, wo z. B. Katastrophenschutzmaßnahmen und anderes mehr vorbereitet werden müßten, die derzeit unter der Geheimhaltungspraxis leiden? Sind Sie also bereit, auf die Alliierten einzuwirken, diese Transparenz auch im Innenverhältnis im Bündnis verstärkt durchzusetzen?
Wimmer, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Gerster, Sie wissen, daß sich gerade das westliche Bündnis durch eine ungeheure Transparenz nicht nur in der Vergangenheit ausgezeichnet hat, sondern auch in der Zukunft auszeichnen wird. Das ist die innere Verpflichtung, die wir haben. Aber wir sind gehalten, in der internationalen Vertragspraxis nur Maßstäbe anzuwenden, die international allgemein anerkannt und üblich sind. Das wird der Maßstab für unser Handeln sein.
Herr Staatssekretär, halten Sie es für transparent, daß die Amerikaner bis zur Stunde nicht bestätigt haben, wo und wieviel chemische Waffen in der Bundesrepublik Deutschland gelagert werden?
Wimmer, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Gerster, Sie wissen auch aus der Praxis der von Ihnen gestellten Bundesregierung,
daß die Bundesregierung in vollem Umfang über das Bescheid weiß, was in diesem Lande und auf diesem Territorium passiert.
Danke schön, Herr Staatssekretär.Die Frage 28 des Herrn Abgeordneten Dr. Kübler wird auf Grund von Nr. 2 Abs. 2 unserer Richtlinien schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
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Vizepräsident CronenbergWir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr: Die Frau Abgeordnete Ganseforth hat gebeten, die Fragen 29 und 30 schriftlich zu beantworten. Gleiches trifft zu für die Fragen 31 und 32 des Abgeordneten Rossmanith. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.Die Frage 33 des Abgeordneten Jäger wird auf Grund von Nr. 2 Abs. 2 der Richtlinien ebenfalls schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.Meine Damen und Herren, wie es der Zufall will, kommt gerade der Abgeordnete Dr. Mechtersheimer herein. Ich nehme an, der Herr Staatssekretär ist bereit, seine Fragen noch zu beantworten.
— Dann bedanken wir uns bei dem Herrn Staatssekretär für diese Großzügigkeit.Wir kommen noch einmal zum Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung. Ich rufe die Frage 24 des Abgeordneten Dr. Mechtersheimer auf:Trifft es zu, daß die modulare Abstandswaffe Luft-Boden als Bewaffnung auch für das Jagdflugzeug 90 vorgesehen ist, und kann die Bundesregierung mit letzter Sicherheit schon heute ausschließen, daß MAW auch in nuklearer Version für den Jäger 90 verwendet werden könnte?Zur Beantwortung der Herr Staatssekretär.Wimmer, Parl. Staatssekretär: Verehrter Herr Kollege Dr. Mechtersheimer, ich darf Ihre Frage wie folgt beantworten.Die modulare Abstandswaffe ist ausschließlich für den konventionellen Einsatz konzipiert. Eine nukleare Variante ist von keinem der beteiligten Partnerstaaten vorgesehen oder jemals diskutiert worden.Zweitens. Der Jäger 90 ist, wie Ihnen bekannt ist, nicht nuklearfähig. Er wird ausschließlich in der LuftLuft-Rolle eingesetzt werden. Ein Einsatz in der LuftBoden-Rolle, z. B. mit einer modularen Abstandswaffe, ist nicht vorgesehen.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter.
Sie können also mit Sicherheit ausschließen, daß nirgends, auch nicht im Verteidigungsministerium, auch nicht in der Industrie, die modulare Abstandswaffe auch als mögliche nukleare Trägerwaffe verstanden wurde?
Wimmer, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Dr. Mechtersheimer, wir können unter menschlichen Aspekten nie etwas definitiv für Bereiche ausschließen, für die wir nicht verantwortlich sind. Wir sind für die politische Führung des Bundesministeriums der Verteidigung verantwortlich. Und dazu habe ich Ihnen eben die Antwort geben.
Weitere Zusatzfrage.
Es ist völlig unstrittig, daß eine solche Konzeption im konventionellen
Sinne besteht. Aber es gibt den erklärten Willen der Bundesregierung — nachweislich — , die modulare Abstandswaffe auch unter dem Aspekt der nuklearen Teilhabe zu verstehen. Meine Frage zu diesem Punkt noch einmal präzise: Trifft das zu oder nicht?
Wimmer, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Dr. Mechtersheimer, ich habe Ihnen eben dazu die verbindliche Antwort der Bundesregierung gegeben.
Ich rufe die Frage 25 des Abgeordneten Dr. Mechtersheimer auf:
Ist die Bundesregierung nicht auch der Meinung, daß die Argumentation in der jetzt herausgegebenen Informationsbroschüre des Bundesministeriums der Verteidigung mit dem Titel „Fünf Antworten zum Thema Sicherheit" unangemessen ist, in der auf die Frage einer Bürgerin „Wozu brauchen wir eigentlich noch Verteidigung, wenn wir nicht mehr bedroht sind?" mit dem Hinweis auf eine Kündigung der Krankenversicherung „weil wir zwanzig Jahre nicht krank waren" geantwortet wird?
Wimmer, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Dr. Mechtersheimer, die Bundesregierung ist nicht der Auffassung, daß die in der Informationsbroschüre „Fünf Antworten zum Thema Sicherheit" durch eine Bürgerin gestellte Frage unangemessen beantwortet wird. Die Frage wird im Gegenteil ausführlich abgehandelt, wobei die Kernaussage — „Verteidigung ist Vorsorge und Versicherung. Wer sich vor möglichen Gefahren schützt, muß nicht ständig Unheil befürchten, lebt sicherer und freier" — durch farbliche Kennzeichnung und Plazierung im Text als direkte Entgegnung deutlich herausgehoben wird. Der im Erklärungszusammenhang zu dieser Frage erwähnte Hinweis auf Versicherungen dient der plakativen Veranschaulichung und ergänzt lediglich die ausführliche Begründung. Ich darf hinzufügen, daß wir sehr viele zustimmende Reaktionen auf diese Broschüre erhalten haben.
Zusatzfrage, Herr Dr. Mechtersheimer, bitte.
Es geht hier ja um die Frage, Herr Staatssekretär, wieweit die Logik einer solchen Argumentation nachvollziehbar ist, und es geht nur darum, ob Sie nicht auch der Auffassung sind, ob man, wenn so lange ein Schadensfall nicht eingetreten ist — das können Sie ja auch positiv aufgreifen —, nicht darüber nachdenken sollte, den Preis dafür — in diesem Fall die Verteidigungsaufwendungen — endlich zu senken. Der Bürger müßte das auf Grund dessen, was Sie ihm geschrieben haben und als Argumentation anbieten, eigentlich als selbstverständliche Konsequenz verlangen. Darum geht es.Wimmer, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Dr. Mechtersheimer, ich glaube, daß wir beide uns darüber im klaren sind, daß die positive Entwicklung im Ost-West-Verhältnis ohne die großen Verteidigungsleistungen, die unser Volk und unser Bündnis in den zurückliegenden Jahrzehnten erbracht haben, nicht eingetreten wäre.Wir sind auch der Auffassung, daß wir, was die Verträge und die Vertragsverhandlungen, die wir erreichen konnten bzw. in absehbarer Zeit erreichen wer-
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Parl. Staatssekretär Wimmerden, angeht, den eindeutigen und konstruktiven Willen der Bundesregierung und des Bündnisses deutlich machen, über reine Verhandlungen an Symptomen hinaus zu einer Befriedung Europas zusätzlich beitragen zu können, und zwar auch im Zusammenhang mit der Minderung antagonistischer Gegensätze.In diesem Zusammenhang sind wir so konstruktiv, Herr Kollege Dr. Mechtersheimer, daß wir uns eigentlich von niemandem übertreffen lassen. Aber wir wissen in diesem Zusammenhang auch zu schätzen, daß wir es, um einmal im übertragenen Sinne zu sprechen, im Hinblick auf den weiteren Prozeß, auch was die positiven Aussichten anbetrifft, zunächst einmal mit einer positiven Gesamtsicht der Situation einer sicheren Bank zu tun haben.
Sie können nun eine weitere Zusatzfrage stellen.
Herr Staatssekretär, soll das heißen, daß Sie der Auffassung sind, daß die überhöhten Verteidigungsausgaben der Bundesrepublik Deutschland dazu geführt haben, daß in Moskau ein Mann wie Gorbatschow KP-Sekretär und Staatspräsident geworden ist?
Wimmer, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Dr. Mechtersheimer, ich bin der Auffassung, daß die entschiedene Politik, die die jeweiligen Bundesregierungen auf dem Sektor der Außen-, Sicherheits- und Wirtschaftspolitik betrieben haben, mit dazu beigetragen hat und auch in Zukunft dazu beitragen wird, daß wir aus der politischen Landkarte Europas nicht so wegdividiert und „ausradiert" worden sind, wie das politisch Andersdenkende in ihrer Historie vielleicht einmal gesehen und gegebenenfalls angestrebt haben. Wenn wir diesen politischen Weg in der Zukunft wie auch schon in der Vergangenheit weiter beschreiten werden, dann ist vielleicht auch manche Entscheidung auf dem sowjetischen Sektor oder im Bereich der UdSSR und ihrer Regierung auf diese entschlossene Haltung zurückzuführen.
Meine Damen und Herren, damit ist das Fragebedürfnis der anwesenden Abgeordneten befriedigt. Ich schließe daher die Fragestunde.
Ich unterbreche die Sitzung bis 15 Uhr. Wir werden dann mit einer Aktuellen Stunde fortfahren.
Die Sitzung ist unterbrochen.
Meine Damen und Herren, die unterbrochene Sitzung wird wieder eröffnet.
Ich rufe den Zusatzpunkt 1 zur Tagesordnung auf:
Aktuelle Stunde
Es handelt sich um eine Aktuelle Stunde, die die Fraktion der GRÜNEN gemäß unserer Geschäftsordnung beantragt hat, und zwar zu dem Thema
Haltung der Bundesregierung zu Feststellungen des Bundesrechnungshofes über Einflußnahmen der Industrie auf Untersuchungen und Entscheidungen des Bundesgesundheitsamtes in Sachen Asbest
Zunächst hat die Abgeordnete Frau Garbe das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Herren und Damen! Vor einigen Tagen berichtete die Wochenzeitung „Die Zeit" , daß die Asbestindustrie hochrangige Wissenschaftler gekauft habe, die mit Gutachten über Asbest im Trinkwasser, beauftragt waren. Vor mehr als einem Jahr erhob das Magazin „Kontraste" den Vorwurf, die Industrie nehme Einfluß auf Entscheidungen zu Asbest. Der Bundesrechnungshof stellte fest, daß es kaum ein Forschungsvorhaben des BGA-Instituts gegeben hat, bei dem nicht Gelder oder Zuwendungen der Asbestindustrie geflossen sind. Der Bundesrechnungshof stellte fest, daß „Geschenke des Fördervereins, über den die Asbestindustrie ihre Gelder ins BGA leitet, versuchte Einflußnahme auf die Arbeiten der Forscher vermuten lassen".Der Bundesrechnungshof stellte fest, daß sich die Arbeiten des BGA durch auffällig industriefreundliche Bewertungen des Asbests auszeichnen.Am 1. September dieses Jahres hat das BMJFFG zugegeben, daß die Studie des BGA zum Problembereich Asbest im Trinkwasser auf Umwegen von der Asbestindustrie finanziert wurde. Meine verehrten Kollegen und Kolleginnen, wurden die Entscheidungen des BGA in Sachen Asbest durch solche materiellen Zuwendungen beeinflußt? Das ist die Frage. Muß nicht die Verwendung von Asbest wegen der schon lange bekannten Gefahren endlich verboten werden? Das ist die Forderung.Die Konsequenzen dieser Unterlassungssünden sind vieltausendfaches Leid, meine Kollegen und Kolleginnen. 3,5 % der angezeigten berufsbedingten Krankheiten sind asbestbedingt. 55 % der Berufskrankheiten mit tödlichem Ausgang gehen auf das Konto von Asbest. Die Tendenz der asbestbedingten Berufskrankheiten ist stark ansteigend. Asbest nimmt nach Angaben der Länderarbeitsgemeinschaft Immissionsschutz den zweiten Platz bei den Risiken krebserregender Stoffe in Ballungsgebieten ein.Mit Milliardenaufwand werden jetzt asbestverseuchte Gebäude saniert. An anderer Stelle werden noch die Asbestaltlasten von morgen neu geschaffen. Noch immer sind Arbeiter und Arbeitnehmerinnen diesen todbringenden Fasern in horrenden Konzentrationen ausgesetzt. Das ist ein politischer Skandal erster Ordnung, meine Kollegen und Kolleginnen.
Anfang September beschlagnahmte nun die Staatsanwaltschaft Frankfurt Akten im BGA, da auch in puncto Holzschutzmittel Einflußnahme der Industrie auf Entscheidungen des BGA nicht ausgeschlossen werden kann. Der Bundesrechnungshof konnte bislang nicht klären, welchen Einfluß der Förderverein für Wasser-, Boden- und Lufthygiene in diesem Bereich spielte. Bislang hatte der Bundesrechnungshof nur einen Prüfauftrag in puncto Asbest. Auch hierbei ist der Förderverein aber nur bereit, die Akten offen-
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 160. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. September 1989 12147
Frau Garbezulegen, insoweit keine Firmeninteressen berührt sind. Hier ist Aufklärung vonnöten.Als wir Aufklärung und Prüfung von der Bundesregierung verlangten, hörten wir: Alles geschehen; die Fachaufsicht findet permanent statt; durchleuchtet ist alles. Der Bundesrechnungshof mußte widersprechen: Dienst- und Fachaufsicht bezüglich des Fördervereins sei nicht wahrgenommen worden, die Zusammenarbeit sei niemals überprüft worden.Meine Herren und Damen, fest steht: Erstens. Eine Einflußnahme der interessierten Industrie auf Entscheidungen des BGA war materiell abgesichert. Zweitens. Die Entscheidungen des BGA in einer Reihe von wichtigen Fragen fielen im Gegensatz zu den Ergebnissen anderer Gremien auffällig industriefreundlich aus. Drittens. Die Bundesregierung versucht bislang, die Mißstände zu vertuschen.Meine verehrten Kollegen und Kolleginnen, es geht hier um lebenswichtige Entscheidungen des BGA in Vergangenheit und Zukunft. Wir dürfen nicht zulassen, daß die Industrie der Regierung diktieren oder einflüstern kann, wo die Gesundheit aufzuhören hat und wo der Gewinn regiert.
Wir erwarten von der Bundesregierung, daß sie alles unternimmt und die Verhältnisse beim BGA so durchleuchtet, daß das Vertrauen in das BGA wiederhergestellt werden kann und daß im Interesse des Gesundheitsschutzes die bisherigen Entscheidungen überprüft werden.Ich danke Ihnen.
Das Wort hat der Abgeordnete Werner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich mit der Feststellung beginnen, daß ich den Eindruck gewonnen habe, daß diese ganze Aktion der GRÜNEN eigentlich ein Ergebnis des Denkprozesses „Was können wir wieder einmal Neues bringen, um irgend jemanden vorzuführen?" ist.
Denn, meine Damen und Herren, die Ursache war ja Ihre Kleine Anfrage. Diese Kleine Anfrage ist in den zuständigen Ausschüssen qualifiziert behandelt worden.
Diese Ausschüsse haben daraufhin einen Bericht angefordert und haben den Bundesrechnungshof aufgefordert, gleichfalls eine Stellungnahme abzugeben. Eigentlich hätte es Ihnen, wenn Sie sich informieren lassen wollten, schon genügen können — ich möchte nicht sagen, genügen müssen — , das zur Kenntnis zu nehmen, was das Ministerium Ihnen damals an Auskünften gegeben hat, und auch vor Ort in Berlin hätten Sie sich eine ganze Menge an zusätzlichen Informationen holen können.
In der Zwischenzeit haben wir den Bericht des Bundesrechnungshofes. Wer diesen Bericht des Bundesrechnungshofes liest und die als Ausschußdrucksache gleichzeitig verteilte Stellungnahme des Ministeriums zur Kenntnis nehmen will — Herr Dr. Lippelt, mit Blick auf DIE GRÜNEN unterstreiche ich das Wort „will" —,
der muß doch in der Tat zu dem Standpunkt kommen,
daß hier auch der Bundesrechnungshof die Prüfung — aus welchen Gründen auch immer — zumindest nicht in dem umfassenden Maße vorgenommen hat, wie es an einzelnen Stellen notwendig gewesen wäre.
Denn der Bericht und die Stellungnahme des Ressorts machen ja deutlich, daß bei entsprechendem Nachfragen, bei entsprechendem weiteren Zurückgreifen, durchaus zusätzliche Informationen zur Verfügung gestanden hätten.
Meine Damen und Herren, ich möchte jetzt keine Schelte in Richtung irgendeiner Behörde betreiben,
aber es ist nun doch verwunderlich, daß man immer wieder den Eindruck gewinnen muß, daß sich hier zuweilen — ich betone: zuweilen — Beurteilungen einfach nach dem Hörensagen in dem Bericht niedergeschlagen haben.Ich glaube, es liegt ganz eindeutig auf der Hand, daß das Ministerium bereits zum frühestmöglichen Zeitpunkt, als es erkannt hat, daß es bestimmte Unregelmäßigkeiten im Hinblick auf die Verwendung von Mitteln, aber auch im Hinblick auf Einflußmöglichkeiten — ich sage: Möglichkeiten — seitens der Industrie
auf dem Weg über den Verein hätte geben können oder gegeben hat, aktiv geworden ist.
Die notwendigen Vorschriften sind nicht nur vorbereitet, sondern auch erlassen worden, und es gibt deswegen aus unserer Sicht überhaupt keinen zwingenden
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Werner
Grund dafür, jetzt ein großes Halali zu veranstalten, das Sie natürlich in Richtung Bundesregierung auf den Weg bringen wollen.
Ich möchte noch eines deutlich sagen, wie ich es bereits in den Ausschußberatungen gesagt habe. Wenn wir hier der Auffassung sind, daß man diese ganzen Fragen des WABOLU etwas niedriger hängen muß, dann heißt das nicht, daß wir die Gefährdung, die durch die Verwendung von asbesthaltigen Stoffen entstehen kann, nicht sehen oder geringschätzen.
Aber auch hier muß doch der entscheidende Punkt sein, daß wir fragen: Wie hoch ist die Gefährdung tatsächlich anzusetzen? In welchem Maße wenden wir hier wissenschaftlich gesicherte Kriterien an? Auf wen berufen wir uns? Auf wen beziehen wir uns?Wir sind der Auffassung, daß man dem BGA und dem zuständigen Institut einfach nicht so global, wie Sie es getan haben, den Vorwurf machen kann, man habe hier Gefälligkeitsurteile oder -beurteilungen abgegeben. Ich finde es geradezu sträflich, davon zu sprechen, daß die Industrie hier diktiert und — wie Sie in Ihrer Stellungnahme dazu immer wieder sagen — hier womöglich ein Institut in ihre Abhängigkeit gebracht habe.
— Ich habe die Sachen noch einmal sorgfältig durchgelesen. Es gibt — das räume ich Ihnen ein — da oder dort sicherlich die Notwendigkeit zu hinterfragen, etwa warum seitens des Vereins Aufträge an Familienmitglieder von einzelnen im Institut Tätigen vergeben werden. Dies räume ich Ihnen ein. Dies zum Anlaß zu nehmen, jetzt zu erklären, das Institut an sich sei industriehörig und -abhängig, geht allerdings absolut an der Wirklichkeit vorbei und ist unberechtigt.
Das Wort hat der Abgeordnete Müller .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Tatbestand ist der Bericht des Bundesrechnungshofs vom 1. September. Auf den sollten wir uns beziehen. Ich will jetzt gar keine Asbest-Debatte führen. Das werden wir in den Ausschüssen weiter zu tun haben. Aber in dem Bericht des Bundesrechnungshofs ist eine Reihe von Vorwürfen enthalten, die man einfach nicht unkommentiert und ohne weitere Debatte in der Öffentlichkeit stehenlassen kann.Erstens sagt der Bericht, daß man nur das Institut hat prüfen können, nicht aber den Verein; bei dem Verein nur einzelne Unterlagen. Insofern müssen wir erst einmal davon ausgehen, daß wir gar nicht wissen, ob wir tatsächlich alles wissen.
Bei dem, was in der Konstruktion zwischen Verein und Institut vorhanden ist, muß man einfach feststellen — ganz egal, wie die Historie entstanden ist —, daß diese Konstruktion zwischen Verein und Institut nicht hinnehmbar ist. Es darf nicht sein, daß im Verein Firmen sind, die ein großes Interesse daran haben, wie die Ergebnisse der Studien des Instituts aussehen. Das ist nicht hinnehmbar.
Wenn da beispielsweise eine Firma wie Okal drin ist und das Institut eine Studie zu Formaldehyd macht, dann — das muß ich Ihnen sagen — ist das schon verrückt, auch aus unserem Interesse heraus verrückt; denn es kann nur der Eindruck entstehen, daß da sehr enge Verbindungen bestehen. Jeder, der ein Interesse daran hat, daß die Studien dieses Instituts seriös sind, muß eine klare Trennung und Unabhängigkeit herstellen.
Das wird gar nicht anders gehen. Das ist sehr wichtig. Gerade dies ist ja der Kritikpunkt des Bundesrechnungshofs. Darauf muß man hinweisen.
— Nein, bisher noch nicht!Zweitens. DESOWAG. Auch hierbei muß man ja sehen, daß Studien der Firma DESOWAG in einzelnen Absätzen fast original vom Institut übernommen wurden. Wer da nicht mißtrauisch würde — ich will noch nicht einmal böse Absicht unterstellen — , der wäre sozusagen so unschuldig und so unbeleckt von manchen Praktiken, daß es das, so glaube ich, gar nicht gibt.Drittens wird es besonders problematisch bei diesem Thema dort, wo nachweislich Firmen der Asbestindustrie erhebliche Gelder in den Verein gegeben haben. Da muß man schon fragen, welche Konsequenzen das hat.Meine Damen und Herren, insofern geht es bei der Debatte, die wir jetzt führen, gar nicht einmal so sehr um einzelne Punkte — das wird weiter geklärt werden müssen — , sondern es geht um das politische Interesse: daß wir wollen, daß die Arbeit dieses Instituts des Bundesgesundheitsamts wirklich unabhängig läuft und daß es überhaupt nicht den Verdacht einer Einflußnahme auf dieses Institut seitens Dritter geben darf. Es ist auch in unserem Interesse, daß die Studien, die dort vorgelegt werden, wirklich seriös sind
und eine gewisse Unabhängigkeit zeigen. Andernfalls verunsichert man die Menschen, und wir dürfen uns nicht darüber wundern, wenn der Verbraucher immer kritischer und immer mißtrauischer wird.Worum geht es? — Seit 1981 sind zahlreiche Aufträge angenommen worden, die zum Teil überhaupt nichts mit dem Forschungsauftrag Asbest zu tun hatten. Das Ergebnis ist nach dem Bericht des Bundesrechnungshofs, daß diese Untersuchungen deutlich industriefreundlicher sind als vergleichbare Studien
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Müller
anderer Bundesinstitute, insbesondere des Umweltbundesamtes. Das geht nicht.
Zweitens. Es geht nicht, daß von der Asbestindustrie für versuchsgebundene Spenden Aufträge erteilt wurden, an denen der Auftraggeber, also die Industrie, ein besonderes Interesse hat. Diese Aufträge wurden zum Teil sogar außerhalb des Haushalts abgewickelt. Das ist nicht hinzunehmen, das geht bei einer Bundesinstitution einfach nicht.Drittens. Es geht um die Überlassung von bestimmten Materialien: Mikroskop, Plasmaprozessoren und auch anderen Geschenken. Hier schreibt der Bericht: „Es scheint so, daß die Einflußnahme des Schenkers auf die Arbeiten der Forscher nicht auszuschließen ist. " Dies ist für eine Bundesbehörde ein vernichtendes Urteil.
Viertens. Ich glaube, daß es nicht mehr geht — das zu ändern ist ganz notwendig — , daß Dienstreisen faktisch über Dritte abgerechnet werden.Meine Damen und Herren, ich will es in der Konsequenz kurz machen und sagen: Wir erwarten, daß erstens der Verein so schnell wie möglich — auch im Interesse des Bundesgesundheitsamtes — aufgelöst wird und daß zweitens Sie, Frau Ministerin, dieses Amt wirklich so ausstatten, daß es nicht darauf angewiesen ist, von Dritten Spenden zu sammeln; das geht nicht!
Das heißt: Das Amt muß personell und finanziell besser ausgestattet werden. Wenn es beispielsweise — wie Mitarbeiter aktuell erzählen — so ist, daß denen im Augenblick sogar ein Labor entzogen wird, dann ist das unmöglich. Das können wir nicht hinnehmen!Die Frage des Umgangs mit Massenchemikalien ist ein heikles Thema; daran hängt viel politische Glaubwürdigkeit. Wir werden endlose Debatten hier im Bundestag haben, wenn wir keine seriösen Studien des Bundesgesundheitsamtes haben. Ich weiß, daß in der letzten Zeit sehr viel getan wurde — auch in diesem Institut — , um größere Unabhängigkeit zu schaffen. Ich kenne auch die internen Konflikte mit anderen Ämtern, mit der Industrie — das ist mir sehr wohl bekannt — und im Zusammenhang mit einigen Studien. Aber ich glaube, es muß auch in der Konstruktion eine klare Trennung geben, so daß wir sagen können: Wir können uns auf die Unabhängigkeit des Instituts auch weiterhin verlassen.
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Walz.
Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Es kann eigentlich gar keinen Zweifel geben, daß die Informationen, die wir in der uns beschäftigenden Sache erhalten haben, uns nachdenklich machen sollten. Offensichtlich sind beim Bundesgesundheitsamt jahrelang eingespielte Strukturen zu überprüfen. Das ist die Quintessenz, die wir aus dieser Debatte zu ziehen haben. Dies muß sofort und auch öffentlich erfolgen. Denn es ist — unabhängig vom Wahrheitsgehalt der hier zu hörenden Vermutungen und der Zitate — für uns völlig unakzeptabel, daß eine Institution wie das Bundesgesundheitsamt in dieser Weise in die Diskussion gerät; das ist uns allen klar.
Wohlgemerkt, ich kritisiere nicht die Diskussion — sie ist angesichts der erhobenen Vorwürfe notwendig — , ich kritisiere, daß es zu dieser Diskussion überhaupt kommen konnte, Frau Minister. Die mangelnde Sensibilität der Verantwortlichen in Berlin und in Bonn, das fehlende Gespür für die Reaktion der Öffentlichkeit und die Art und Weise des Umgangs von Mitarbeitern des Bundesgesundheitsamtes mit denen der Industrie sind nur einige Punkte, die mich bestürzt machen. Deshalb erwarten wir für die Zukunft konkrete Schritte der Leitung des Hauses und des zuständigen Ministeriums in die Richtung, daß dies ein Einzelfall bleiben möge.
Im übrigen ist der in Frage stehende Stoff Asbest ein Giftstoff, und wir kennen die Auswirkungen, wir kennen die Gefahren, wir kennen die Gesundheitsgefährdungen. Der ganze Vorgang darf zwar nicht dramatisiert, aber er darf auch nicht verharmlost werden.
Ich würde es allerdings auch begrüßen, wenn sich die Opposition der Verantwortung für eine sachliche Diskussion bewußt wäre.
Die Sorge für das Vertrauen der Bürger in die Institutionen dieses Staates ist auch ihr anvertraut.
Das Wort hat die Bundesministerin für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit, Frau Professor Lehr.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zu dem Bericht des Bundesrechnungshofes habe ich dem Ausschuß für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit und dem Rechnungsprüfungsausschuß eine Stellungnahme zugeleitet, die — soweit das wegen der noch laufenden disziplinarrechtlichen Vorermittlungen möglich ist — umfassende Darlegungen enthält. Ich will mich hier auf drei Punkte konzentrieren.Erstens. Was — auch außerhalb des Disziplinarrechts — an organisatorischen und sonstigen Maßnahmen notwendig war, um haushaltsrechtliche und sonstige Fehler für die Zukunft auszuschließen, ist getan. In der Stellungnahme sind die getroffenen Maßnahmen im einzelnen dargestellt. Dazu gehören auch Richtlinien über das Verhältnis zu Fördervereinen; Richtlinien, denen der Rechnungshof mit Schreiben vom 22. August dieses Jahres zugestimmt hat.Zweitens. Die Asbestforschungsvorhaben des Instituts — solche wurden seit 1977 durchgeführt — wur-
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Bundesminister Frau Dr. Lehrden ganz überwiegend aus dem Bundeshaushalt finanziert, nämlich zu 75,96 %. 10,82 % des Gesamtaufwandes stammte aus Aufträgen anderer Körperschaften, 10,17 % aus Industrieaufträgen, und 3,05 % waren Mittel des WABOLU-Vereins. Es ist insoweit nicht richtig, wenn der Bundesrechnungshof in seinem Bericht erklärt, es gebe — ich zitiere — „kaum ein Forschungsvorhaben des Instituts auf dem Gebiet Asbest, in das nicht langfristig Gelder oder Zuwendungen des Unternehmens der Asbestindustrie geflossen sind bzw. noch fließen".Eine Auflistung, von wem welche Mittel kamen, ist in der schon erwähnten Stellungnahme des Ministeriums enthalten. Ich möchte hinzufügen, weil diese Frage auch im Fachausschuß gestellt wurde, daß das Bundesgesundheitsamt Aufträge der Industrie zur Durchführung von Studien und dergleichen zum Thema Holzschutzmittel und zum Thema Formaldehyd zu keiner Zeit angenommen hat. Hier wurde alles durch Forschungsmittel des Bundesforschungsministers, des Umweltbundesamtes und des Instituts für Bautechnik finanziert.Drittens. Die wichtigste Frage mußte für mich und überhaupt sein, ob der Asbestbericht des Bundesgesundheitsamtes von 1981 dem Stand der Wissenschaft entsprach. Diese Frage ist nicht nur für den damaligen Zeitpunkt zu bejahen; der Bericht entspricht auch heute, acht Jahre später, im wesentlichen den jetzt vorliegenden wissenschaftlichen Erkenntnissen. Dies hat die wissenschaftliche Diskussion, der das Bundesgesundheitsamt diesen Bericht ausgesetzt hat, deutlich gemacht. Das Bundesgesundheitsamt hat selbst im Jahr 1983 ein Kolloquium durchgeführt, über das ein ausführlicher Bericht veröffentlicht wurde. Es hat eine von der WHO-Region Europa veranstaltete wissenschaftliche Tagung gegeben, es gibt eine neue Arbeit aus den Niederlanden zum Thema Asbest aus dem Jahre 1989, und das Bundesgesundheitsamt hat vor knapp drei Wochen ein wissenschaftliches Kolloquium unter Beteiligung des Umweltbundesamtes, der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und einer Reihe von Experten aus dem In- und Ausland durchgeführt.Das übereinstimmende Ergebnis war, kurz zusammengefaßt: Der damalige Bericht entsprach und entspricht heute noch im wesentlichen dem Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse.Ich füge hinzu, daß die vom Bundesgesundheitsamt entwickelte Methode zur Vermeidung von Asbestfasern im Trinkwasser, die dann in die Trinkwasserverordnung übernommen wurde, erst gerade, im Mai 1989, von der Obersten Umweltbehörde der USA als „best available technique", als beste verfügbare Technik zur Einhaltung des Asbestgrenzwertes im Trinkwasser in den USA vorgeschlagen wurde.Meine Damen und Herren, die Vorgänge, um die es hier geht, liegen zum Teil weit in der Vergangenheit; der Asbestbericht betrifft das Jahr 1981, und die bereits erwähnte Schenkung des Hauses durch den Verein an das Institut erfolgte im Jahre 1976. Deshalb waren die Ermittlungen zum Teil sehr aufwendig. Wir haben sie trotzdem mit allem Nachdruck und so schnell wie möglich vorangetrieben, weil, wie auch in der ersten Ausschußberatung deutlich wurde, es unser gemeinsames Bestreben ist und sein muß, daß das Bundesgesundheitsamt als unabhängige wissenschaftliche Prüfinstanz anerkannt bleibt.
Auf Anerkennung haben auch die vielen Mitarbeiter des Bundesgesundheitsamtes Anspruch, Mitarbeiter, die tagtäglich wertvolle Arbeit leisten. Dies gilt nach unseren rechtsstaatlichen Grundsätzen auch für diejenigen, gegen die disziplinarrechtliche oder sonstige Ermittlungen laufen, solange nicht das Gegenteil nachgewiesen ist.
Das Wort hat die Frau Abgeordnete Götte.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir Abgeordneten sind alle bereit, die Verantwortung zu übernehmen, die uns auch in Sachen Volksgesundheit übertragen wurde. Aber wir sind natürlich darauf angewiesen, daß wir von den Bundesfachinstituten verläßliche Daten und sachgerechte Empfehlungen bekommen.
Das Bundesgesundheitsamt hat für alle Fragen der Volksgesundheit einen enorm hohen Stellenwert. Wenn sein Ruf beschädigt wird und der Verdacht der Beeinflußbarkeit auch nur eines seiner Institute geäußert wird, ist der Ruf des ganzen Gesundheitsamtes in Gefahr. Das Vertrauen der Bürger in die Urteile, die wir Abgeordnete zu fällen haben, ist dann ebenfalls gefährdet.
Wir sind als Abgeordnete auch darauf angewiesen, daß die Bundesregierung ihre Aufgabe als Aufsichtsbehörde gewissenhaft und schonungslos erfüllt. Da ist es schon peinlich — das kann ich Ihnen nicht ersparen — , daß Sie noch im Juni 1988 auf eine Kleine Anfrage dem Fragesteller gegenüber mit fast wütendem Unterton betont haben, daß Sie die Unterstellung einer Interessenverflechtung des Vereins und des Institutes zurückweisen. Schon ein halbes Jahr danach müssen Sie dann zugeben, daß an dieser Unterstellung eben doch etwas dran war.
— Wir sind aber darauf angewiesen, daß die Bundesregierung gerade Hinweisen, daß da eine Interessenverflechtung vorhanden sein könnte, gewissenhaft nachgeht und nicht den Fragesteller beschimpft, daß er irgend etwas unterstelle, was die Bundesregierung hinterher doch zugeben muß.
Immer wieder werden wir gefragt, warum dem Asbest erst so spät der Kampf angesagt wurde. Wir waren natürlich auf das angewiesen, was wir vom Bundesgesundheitsamt an Empfehlungen bekommen haben. Denn Wissenschaftler haben uns gesagt, daß schon seit 1938 bekannt ist, daß der Asbest Lungenkrebs auslösen kann. Trotzdem wurde in den sechziger und siebziger Jahren bis zu 200 000 t Asbest im Jahr für fast beliebige Verwendungszwecke mit stei-
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Frau Dr. Götte
genden Umsatzzahlen eingesetzt. Wir müssen davon ausgehen, daß jetzt noch 900 Millionen m2 Asbest im Hochbau und 650 Millionen m2 Asbest auf bundesdeutschen Dächern verwendet werden. Bis jetzt unbekannt sind uns die Millionen Kilometer Wasserrohre, die mit Asbest versetzt sind.
Entsorgungsprogramme, die Fachleute für nötig halten, werden in die Milliarden gehen. Schulen mußten geschlossen werden, weil beim Innenausbau Asbest verwendet wurde. Gebäude wurden evakuiert, weil die Wände aus Asbestplatten bestehen. Selbst Bauschutt mit Asbestrückständen wird schon heute einer einzeln geregelten Sonderbehandlung unterworfen. Wir alle müssen uns fragen, welche Verantwortung wir dafür mittragen, daß die Asbesterkrankungen 1988 im Vergleich zum Jahre 1987 um mehr als 25 % angestiegen sind.
Die Warnungen der Wissenschaftler standen oft im Widerspruch zu dem, was uns vom Gesundheitsamt gesagt wurde. Wir halten es schon für notwendig, genau zu überprüfen, wie es denn dazu kam, daß die Beurteilungen des Bundesgesundheitsamtes, was Asbest betraf, so viel milder als etwa die des Umweltbundesamtes ausgefallen sind. Erst die Presse hat aufgedeckt, was interessierte Firmen insbesondere im Asbest-Bereich in vielfältiger Form über Jahre hinweg über einen Verein durch versuchsgebundene Spenden, durch personengebundende Spenden und diverse Sachspenden dem Institut gewähren konnten.
Wir sind froh, daß es nun diesen Bericht des Bundesrechnungshofs gibt, der dafür sorgen wird, daß Aufklärung betrieben wird. Wir setzen uns dafür ein, daß diese Aufklärung und die notwendigen Schritte umgehend und radikal durchgeführt werden.
Das Wort hat der Abgeordnete Schmidbauer.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! In einer Broschüre wird festgestellt:Das Berliner Modell— es geht um das Modell der Asbest-Selbstverpflichtung —ist fürwahr ein gutes Beispiel, daß umweltpolitische Ziele auch durch freiwillige Branchenabkommen erreicht werden können. Dahinter hat sicherlich auch eine gute Zusammenarbeit zwischen Staat und Wirtschaft gestanden.
— Sie lachen. Das ist gar nicht von der Union. Das hat der SPD-Geschäftsführer gegenüber der Eternit-AG betont. Ich stimme dem zu. Man muß sehen, daß es hier unterschiedliche Beurteilungen gibt.
— Sind Sie nicht damit einverstanden? Ich habe Herrn Glotz aus einem Brief von 1985 zitiert.
Es wäre vielleicht gut, über die „Leichen im Keller" nachzudenken. Das tun wir. Sie haben es ja aus den Zwischenrufen gehört.In der Tat haben alle recht, die sagen: Laßt uns das aufklären! Wer sollte als Parlamentarier eigentlich ein Interesse daran haben, daß etwas vertuscht wird? Was sollten wir letztendlich als Regierungskoalition ein Interesse daran haben, Fehler zu vertuschen, die vor unserer Zeit gemacht wurden? Nun ziehen wir uns sogar den Schuh an und diskutieren darüber. Frau Lehr hat vorhin erläutert, daß Konsequenzen gezogen wurden.
— Ihren Beitrag hören wir vielleicht noch von hier.Zwischenrufe dieser Art kann ich einfach akustischnicht verstehen. Das liegt wahrscheinlich am Organ.
Es kommt hinzu, daß wir uns in der Tat darüber unterhalten müssen, Herr Kollege Müller erklärt es ja —, ob ein Verein, der — wenn ich es richtig weiß —1901 gegründet wurde, in eine Abhängigkeit von Instituten geraten ist, von denen wir zu Recht erwarten, daß sie gute Arbeit leisten.
Ich finde aber nichts Schlimmes dabei, daß es eine Kooperation zwischen dem Sachverstand aus der Industrie, dem Sachverstand der Kommunen, dem WABOLU und allen Betroffenen gibt, bei denen es darum geht, Dinge in Ordnung zu bringen.Frau Kollegin Garbe hat diese Aktuelle Stunde zu Behauptungen über die Industrie und ihren Einfluß auf eine industriefreundliche Bewertung in der Asbestentscheidung benutzt.Ich will sagen: Es war eigentlich kein guter Einfluß, wenn Sie einmal die Sachentscheidung nehmen. Spritzasbest und derlei Stoffgruppen haben wir verboten. Von 1990 an verwenden wir im Hochbau keinen Asbest mehr.
Bis zum Anfang der 90er Jahre kommen wir auch im Tiefbau von diesen Substanzen weg.
Das ist die eine Entscheidung.Jetzt frage ich, ob man von Erfolg reden kann, wenn einer Einfluß nimmt, wo doch — zugegebenermaßen unter unserer Verantwortung — dies realisiert wurde. Sollte die Selbstverpflichtung nicht eingehalten werden, werden wir uns nicht scheuen, 1990 ein Verbot zu erlassen. Wenn man sich ansieht, was in der Gefahrstoffverordnung über das In-Verkehr-Bringen solcher Stoffe inzwischen geregelt wurde, kann man nicht davon reden, daß hier die Politik oder das BGA oder andere Institute einem Einfluß unterworfen wa-
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Schmidbauerren, der zu negativen Ergebnisen für uns geführt hat.
— Dann war es ein schlechter Einfluß.
Jedenfalls hat es seit 1983 bis heute mit dem Ausstieg aus diesen Substanzen einen guten Gang genommen.
Das haben auch Vertreter von Ihnen betont, als es um die Selbstverpflichtung ging.
Ich habe die Bundesregierung gebeten, in ihrem Bericht, den wir erwarten, im Zusammenhang mit der Innenraumproblematik besonders auf das Problem Asbest einzugehen. Ich finde, dann können wir von der Sache her weiter darüber reden. Wir sollten aber nicht von vornherein eine notwendige Kooperation verdammen.
Ich will noch einmal festhalten: Wir, die Koalition, die Bundesregierung, sind daran interessiert, uns aus dem Asbest möglichst rasch zu verabschieden.Natürlich — Frau Dr. Götte sagte eben etwas zur Entsorgung — ist hier wie überall das Problem, daß wir ein gewisses Maß an Altlasten haben. Bereits 1988, zum letztenmal mit dem Hinweis auf November 1989, haben wir begonnen, die Frage zu klären: Wie kann die Entsorgung in der Zukunft funktionieren, wie können wir diese Altlasten auf Monodeponien richtig entsorgen, nicht auf allgemeinen Bauschuttdeponien, um zu verhindern, daß, wenn an solche Deponien wieder herangegangen werden muß, es zu keiner Gefährdung der Personen kommt, die damit beschäftigt sind?
— Vielleicht hätten Sie die Dinge während Ihrer Regierungsverantwortung in der Tat besser und schneller in Angriff nehmen müssen, das gebe ich zu; das ist auch kein Vorwurf. — Wir sind daran gegangen. Ich bin an sich sehr froh, daß das zum Thema gemacht wird und daß wir am Thema dranbleiben. Sie werden dieses Thema beim Bericht der Bundesregierung „ Innenraumbelastung " erneut vorfinden.Herr Kollege Müller hat zu Recht angeschnitten: Wir von der Umweltseite werden uns mit diesem Thema intensiv beschäftigen, bis wir feststellen können: 1990 im Hochbau verabschiedet, 1992/93 im Tiefbau verabschiedet, und die entsprechenden Maßnahmen wurden damit auf den Weg gebracht.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Blunck.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Vorwort des vom BGA herausgegebenen Berichts über die gesundheitlichen Risiken von Asbest steht:In unserem Bericht bemühen wir uns, unter Ausnutzung aller uns zugänglichen Erkenntnisquellen und Bewertungsmethoden, das mit der Anwendung von Asbest am Arbeitsplatz und in der Umwelt verbundene Risiko möglichst umfassend und sorgfältig zu ermitteln und abzuschätzen, um für die Entscheidungen über die Bewertung des Risikos und die sich daraus ergebenden Konsequenzen eine möglichst breite Grundlage zu geben.Eine unabhängige Bundesbehörde wacht über unser Recht auf Schutz unsrer Gesundheit und Sicherheit, über unser Recht auf Schutz unserer wirtschaftlichen Interessen, über unser Recht auf Wiedergutmachung erlittenen Schadens und über unser Recht auf Unterrichtung — schön wär's. Leider ist diese Bundesbehörde in den Korruptionsverdacht geraten. Sie verkauft offensichtlich beim Asbest — wer weiß, wo sonst noch — industriehörige Untersuchungen als ihre eigenen Erkenntnisse.
Die Bundesregierung ist schon wieder einmal die Blamierte. In Kenntnis des verheerenden Berichtes des Bundesrechnungshofs hat sie kritische Fragen immer wieder mit dem Hinweis auf das fragwürdige Gutachten des Bundesgesundheitsamtes abgetan. Man fragt sich: Ist die Bundesregierung so dumm, oder macht sie das aus purer Absicht? In beiden Fällen gehört sie abgelöst.Wie steht es mit unserem Recht als Verbraucher, dem Recht auf Schutz unserer Gesundheit und Sicherheit, wer von uns hat noch Vertrauen in politische Gestaltungsfähigkeit, in Grenzwerte, wenn doch wieder einmal Marktmacht und Manipulation der Industrie triumphieren? Wie steht es eigentlich mit der Wiedergutmachung des erlittenen Schadens, abgesehen davon, daß der gesundheitliche Schaden nicht mehr wiedergutzumachen ist? Aber es ist einfach unerträglich, wenn der einzelne und die Allgemeinheit über die Beiträge zur Kranken- und Rentenversicherung der Industrie das Risiko faktisch abnehmen?Wie steht es mit unserem Recht auf Unterrichtung? Wir brauchen mehr präventive, kontinuierliche, allgemeinverständliche Informationen über mögliche Gefahren. Wir brauchen ein unabhängiges Bundesgesundheitsamt, und ein solches Institut darf nicht wegen der unredlichen Machenschaften einiger Personen verkommen. Wo war eigentlich die Fachaufsicht des Bundesumweltministeriums? Wo war eigentlich Herr Töpfer, und wo ist er heute? Sonst doch allseits präsent, ist er diesmal wieder abgetaucht, der Herr Töpfer, und hat keinen Schaden vom Bundesgesundheitsamt abgewandt.
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Frau BlunckAngesagt ist hartes Durchgreifen auf die willfährigen Personen beim BGA, aber auch Schaden abwenden von der Institution. Dazu ist der Herr Töpfer offensichtlich unfähig. Bis zur Wiederherstellung des guten Rufs des BGA werden Untersuchungen von anderen, unabhängigen Institutionen durchgeführt werden müssen. Darüber hinaus brauchen wir so etwas wie einen kostenlosen Zugriff der Verbraucherverbände auf alle Untersuchungsergebnisse staatlicher Labors, Prüfeinrichtungen, Datensammlungen, und sie sollten außerdem die Möglichkeiten haben, in eigener Regie Untersuchungsaufträge zu erteilen.
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Roitzsch.
Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Frau Kollegin Blunck, darf ich Ihnen ein bißchen helfen, da bei Ihnen offensichtlich eine kleine Gedächtnislücke zu sein scheint? Das, was Sie beanstanden und beklagen, ist zur Zeit der Bundesgesundheitsministerin Huber geschehen. Das wollte ich dazu nur noch einmal sagen.
Meine Damen, meine Herren, nach der Geschäftsordnung des Hauses dient eine Aktuelle Stunde der Aussprache über ein Thema von allgemeinem aktuellem Interesse. Was ich heute vermisse, ist genau diese Aktualität. Was ich noch mehr vermisse, sind die Abgeordneten der GRÜNEN, die diese Aktuelle Stunde beantragt haben.
— Ich sagte: die sie beantragt haben. Von 44 Abgeordneten der GRÜNEN sitzen genau zwei in diesem Saal.
Meine Damen, meine Herren, der Bericht des Bundesrechnungshofes liegt seit Mai vor. Die Stellungnahme des zuständigen Ministeriums dazu ist fristgemäß abgegeben worden. Da, wo das Ministerium handeln konnte, hat es dies unverzüglich und konsequent getan.
So wird jetzt durch Richtlinien, denen der Bundesfinanzminister und der Bundesrechnungshof inzwischen zugestimmt haben, die Unterstützung der Forschung durch Fördervereine geregelt. Danach sind Zuwendungen ausnahmlos über den Bundeshaushalt abzuwickeln.
Was die laufenden Vorhaben angeht, sind die hierzu geführten Verwahrkonten aufgelöst und die Mittel dem Bundeshaushalt zugeführt worden, so daß auch hier eine ordnungsgemäße Abwicklung im Rahmen der Finanzkontrolle sichergestellt ist. Bei diesen Vorhaben handelt es sich im übrigen überwiegend um Aufträge der EG, der Weltgesundheitsorganisation, der Länder, der Kommunen und kommunalen Einrichtungen und zu einem geringen Teil um Industrieaufträge.
Wie wir bereits bei Asbest belegt haben, sehe ich auch bei den sonstigen BGA-Vorhaben die wissenschaftliche Unabhängigkeit dieses Amtes nicht bedroht.
Über die erwähnten Richtlinien hinaus hat das Bundesgesundheitsamt auch innerbetrieblich entscheidende Konsequenzen aus dem Bericht gezogen. So ist in der Zentralabteilung ein Forschungsreferat gebildet worden, das die Forschungsaktivitäten aller sieben Institute steuert, koordiniert und abstimmt. Außerdem sind alle Beschaffungsmaßnahmen des Bundesgesundheitsamtes in der Zentralabteilung konzentriert worden, um eine bestimmungsgemäße Abwicklung zu gewährleisten. Damit ist auch ein entscheidender Schritt zur Verbesserung der Dienstaufsicht des neuen Präsidenten getan.
Gekennzeichnet ist die derzeitige Lage durch unverzüglich getroffene Maßnahmen sowohl des Ministeriums als auch des Bundesgesundheitsamtes, zusätzlich durch die wissenschaftliche Bestätigung des Asbestberichtes durch die USA, durch die Niederlande und durch ein Anfang des Monats in Berlin stattgefundenes internationales Symposium.
In dieser Situation wird von den GRÜNEN zu diesem Thema eine Aktuelle Stunde beantragt. Da drängt sich mir einfach der Verdacht auf, daß die GRÜNEN die letzte Chance nutzen wollten, das Thema Asbest aufzuwärmen, da Ihnen das in den kommenden Ausschußberatungen sachlich einfach nicht mehr möglich ist.
Ich danke Ihnen.
Das Wort hat der Abgeordnete Gilges.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Kollegin Roitzsch, ich staune darüber, daß Sie den Skandal, der ja nun nachweislich vorhanden ist, schöner machen wollen, als er eigentlich ist.
Es geht doch hier überhaupt nicht um die Fragestellung, wer wann wo wie beteiligt war; es geht vielmehr darum, daß es einen Skandal gegeben hat. Dieser Skandal ist vom Bundesrechnungshof festgestellt worden, und das ist in Veröffentlichungen, in der Presse und im Fernsehen — „Kontraste" —, aufgegriffen worden.
— Ich komme noch auf die Frage der Bundesregierung.Wir haben uns damit im Ausschuß beschäftigt und haben gesagt: Bundesrechnungshof, prüf einmal! Das ist geschehen, und es stellt sich heraus, daß — ich muß
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Gilgessagen: wider Erwarten — dort ein Skandal stattgefunden hat. Dieser Skandal muß entweder im Parlament oder in den Ausschüssen aufgearbeitet werden, damit zukünftig Skandale nicht mehr stattfinden. Es ist gleich, welche Bundesregierung regierte; sie ist für das verantwortlich. Es ist unsere Aufgabe als Parlament, das noch einmal festzuhalten. Machen Sie diesen Skandal bitte nicht schöner, als er ist!Der Bundesrechnungshof hat schlicht und einfach festgestellt, daß das Bundesgesundheitsamt über dieses Institut mittelbar durch die Industrie finanziert worden ist. Das ist eine Tatsache, an der kein Weg vorbeiführt. Das muß in der Zukunft ausgeschlossen werden. Ich habe von Frau Lehr nicht gehört — jetzt kommt die Frage — , wie sie das in der Zukunft ausschließen will. Das geht auch nicht aus der Stellungnahme hervor, die die Bundesregierung dem Ausschuß vorgelegt hat. Wie wollen Sie verhindern, daß die Industrie das Bundesgesundheitsamt mittelbar finanziert und damit den Ruf dieses Amtes so reduziert, wie es jetzt geschehen ist, so daß „Die Zeit" schreiben kann, da sei schlampig vorgegangen worden, im Bundesgesundheitsamt herrsche Schlampigkeit? Das darf eigentlich nicht passieren.
Das Bundesgesundheitsamt ist für die Sicherheit vieler Menschen verantwortlich. Dazu haben wir heute überhaupt noch nichts gehört.Es ist auch eine Tatsache, daß im Bericht des Bundesrechnungshofs steht, daß die Gutachten und Forschungsergebnisse industriefreundlich gewesen seien. Warum sagen Sie das nicht einmal unmißverständlich? Warum versuchen Sie, das wieder mit komischen Formulierungen wegzudrücken? Das steht im Bericht des Bundesrechnungshofs unter Punkt zwei. Sagen Sie uns doch einmal, wie Sie das in Zukunft verhindern wollen.Ich wollte noch auf einen Punkt eingehen, der mir wichtig erscheint. Herr Werner, ich glaube, Sie haben das Problem in Ihrem Diskussionsbeitrag etwas verharmlost. Sie wissen doch, welche große Gefahr Asbest für die Volksgesundheit, für die Gesundheit der Menschen mit sich bringt. Sie wissen doch, wie viele Kranke und Tote wir jährlich durch die Auswirkungen des Asbests haben. Wir wissen das alle, und wir kennen die gesamten Tatachen, die dazugehören. Deshalb kann man nicht sagen, damit könnten wir leben, wir würden uns Gedanken machen, wie wir aus dem Asbest ausstiegen. Vielmehr müssen wir an die Sicherheit und das Leben der Menschen denken. Die Gesundheit der Menschen — tut mir leid — hat Vorrang vor den Interessen der Industrie.Zweiter Punkt: Ich will Ihnen einmal am Beispiel der Stadt Köln den volkswirtschaftlichen Schaden deutlich machen, der entstanden ist. Er geht in Millionenhöhe. Die Stadt Köln muß 300 Millionen DM zusätzlich aufbringen, um nur vier Gebäude zu sanieren, nämlich zwei Gesamtschulen, ein Theater und ein Verwaltungsgebäude. Der Bund muß in Köln ein bundeseigenes Gebäude sanieren, nämlich das Gebäude der Deutschen Welle. Der Kostenaufwand wird über 200 Millionen DM betragen. In dem Zusammenhang wird darüber diskutiert, ob dieses Gebäude nicht besser neu gebaut werden sollte. Das Gebäude ist 1977 fertiggestellt worden. Es ist also noch relativ neu. Der durch den Asbest entstandene Schaden steht in keinem Verhältnis zu dem Nutzen des Asbests.Unter Einbeziehung dieser Tatsachen will ich von der Bundesregierung endlich wissen, was sie tut, um aus dem Asbest auszusteigen. Was tut sie, damit diese mittelbaren Korruptionsmöglichkeiten der Industrie beim Bundesgesundheitsamt und auch bei den nachgeordneten Behörden ausgeschaltet werden?
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Hoffacker.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es geht um den Antrag, den DIE GRÜNEN gestellt haben, um die unzulässigen Verflechtungen zwischen der Industrie und dem Institut, und zwar am Beispiel von Asbest.Herr Kollege Gilges, Sie haben soeben davon gesprochen, daß in Köln so große Schäden entstanden seien. Wir haben mit der Gefahrstoffverordnung den Spritzasbest verboten. Wenn Sie das Jahr 1977 erwähnen, muß ich zugeben, daß er in Ihrer Regierungszeit zulässig war.
Ich bitte Sie, die Zeiten nicht durcheinanderzubringen.Nun noch etwas zur Zeit: Wir haben es ja hier mit Dingen zu tun, die weit zurückliegen. 1976 — damals waren wir auch nicht an der Regierung — wurde dem Institut beispielsweise vom Verein ein Haus geschenkt. Daß das sehr kritisch beurteilt werden kann, möchte ich auch durchaus sagen.
Auch kann sehr kritisch sein — dem müssen wir nachgehen — , wie es mit dem Elektronenmikroskop war. Das ist alles wichtig.
— Einen Moment!
— Leidenschaftslos in so einer Frage zu diskutieren ist sehr wichtig. Der Anlaß war der Bericht 1981. Da war Frau Huber an der Regierung. Wir haben die Verantwortung ab Oktober 1982, mit dem Beginn 1983 übernommen. Ich bin der letzte, der jetzt Dinge aufwärmen und Schuldzuweisungen vornehmen will. Nur, es darf nicht der Eindruck entstehen, als wäre das, worüber wir jetzt diskutieren, Sache der gegenwärtigen Bundesregierung. Das ist nicht wahr. Deshalb lege ich großen Wert darauf, daß festgestellt wird, was wir getan haben.
— Frau Götte, wenn es darum geht, den Bundesrechnungshof einzuschalten, muß ich Ihnen sagen: Ich habe im Ausschuß die Anregung gegeben, dies zu tun. Auch dies lag in dem Interesse, eine Aufklärung
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Dr. Hoffackerrundum zu bekommen und die — zugegebenermaßen — bisherigen Mißhelligkeiten abzustellen. Wenn nun so getan wird, als hätten wir kein Interesse an einer solchen Aufklärung, muß ich das zurückweisen. Sie ist von uns angeregt worden; wir wollten die Sachen klarhaben.Nun ein zweiter Gedanke: Wir dürfen doch nicht so tun, als wenn nichts gemacht worden wäre. Es gibt jetzt, nach Herbst 1981, auf Weisung der Amtsleitung Geschäftsprüfungen durch die Zentralabteilung des Ministeriums. Die Zentralabteilung des Bundesgesundheitsamtes hat ferner eine Prüfung in den anderen Instituten des Amtes begonnen, ob auch für die Vergangenheit eine den Vorschriften der BAO entsprechende Bewirtschaftung der Ausgabenmittel festgestellt werden kann. Es finden regelmäßig Besprechungen statt.Ich meine, daß vom Amt her — wenn wir uns dieses ansehen — schon viel getan worden ist, seit die Verdachtsmomente aufgetaucht sind, und daß wir hierbei fortfahren müssen.Ein dritter Gedanke: Verehrte Kollegin von den GRÜNEN, diese Hast verstehe ich nicht ganz. Wir haben am 11. September die Ausschußdrucksache bekommen, in der die Stellungnahme des Ministeriums enthalten ist. Bis heute hat natürlich noch keiner die Möglicheit gehabt, dieses Ausschußdrucksache wirklich zu lesen, die in Verfolg der Aufklärung und der Prüfung für unseren Ausschuß gültig ist.Deshalb, meine ich, ist hier keine Hektik angebracht, sondern es ist hier eine leidenschaftslose Prülung bis ins Detail angesagt. Es ist auch zu würdigen — das möchte ich zum Schutze des Gesundheitsamtes und auch des Ministeriums sagen — , daß bereits seit einem Jahr die entsprechenden Prüfungen und auch Veränderungen in der Dienstaufsicht angesetzt worden sind. Es kann nicht der Eindruck erweckt werden, wir hätten hier geschlafen und es wäre nichts getan worden.Ich möchte darüber hinaus betonen, daß wir uns in unserem eigenen Ausschuß in einem Verfahren befinden, das der Aufklärung dient. Sie können versichert sein, daß wir nicht nachlassen, dies weiterhin in aller Deutlichkeit durchzusetzen. Daran besteht ein Interesse aller Fraktionen. Ich bitte darum, daß wir in diesem Bemühen fortfahren, daß in Zukunft keine Beanstandungen entstehen und daß die zurückliegenden im Zusammenhang mit der möglichen unzulässigen Beeinflussung aufgeklärt werden.Vielen Dank.
Nun hat als letzte die erste Rednerin in dieser Aktuellen Stunde das Wort, Frau Garbe.
Herr Präsident! Meine verehrten Kollegen und Kolleginnen! Das BGA erleidet zur Zeit einen ungeheuren Glaubwürdigkeitsverlust. Das ist uns nicht recht. Das nehmen Sie uns bitte ab, Frau Kollegin Walz und Frau Ministerin Lehr! Die Bundesregierung hat es statt dessen den Medien, der Staatsanwaltschaft und dem Bundesrechnungshof überlassen, die Dinge ans Licht zu bringen; das ist unsere Kritik.
Verehrte Kollegen und Kolleginnen, wir sind jetzt in den Haushaltsberatungen, und das ist die Aktualität dieser Debatte, Herr Kollege Hoffacker und Frau Kollegin Roitzsch. Warum ist denn das BGA auf Industriespenden angewiesen, um sich z. B. ein Elektronenmikroskop kaufen zu können? Das ist doch die Frage, die hier interessiert.
Als wir bei den ersten Anzeichen von Verdachtsmomenten, bei den möglichen Verflechtungen zwischen Bundesbehörden und Asbestindustrie, eine Straf anzeige gestellt hatten, hatte ich die Möglichkeit, einen Mitarbeiter des BGA zu fragen: Wie kommt so etwas bei Ihnen an? Erfahren Sie dadurch eventuell Repressalien? — Die Antwort kam prompt: Ach, Frau Garbe, wenn Sie durch die Strafanzeige erreichen, daß das BGA personell und materiell besser ausgerüstet wird, dann ist die Strafanzeige nicht weiter schlimm.
Verehrte Kollegen und Kolleginnen, das BGA hat den Auftrag, Risiken für die Gesundheit früh zu erkennen und nach Möglichkeit zu begrenzen, und es hat die Kompetenz, Gesundheitsrisiken einzudämmen. Die aufgedeckte industrielle Spendenpraxis, das eigenartige käufliche Gutachterwesen, die bekanntgewordenen Absprachen mit der Industrie haben die Zweifel immer stärker werden lassen, ob das BGA so strukturiert und materiell so ausgestattet ist, daß es seinem Auftrag gerecht werden kann.
Wir erwarten, daß die Bundesregierung ihre Dienstaufsicht wahrnimmt. Wir erwarten, daß die Bundesregierung aktiv wird, um die Zustände zu durchleuchten. Wir erwarten natürlich, daß dadurch der Gesundheitsschutz zukünftig verbessert wird, der, ob bei Asbest, bei Formaldehyd, bei Holzschutzmitteln oder auch bei der Pasteurisierung der Faktor-IIX-Präparate, in der Vergangenheit wohl hinter Industrieinteressen zurückstehen mußte. So geht es nicht, meine Kollegen und Kolleginnen. Und da kann ich auch nicht leidenschaftslos bleiben, Herr Kollege.
Ich danke Ihnen.
Der Abgeordnete Dr. Hoffacker hat um das Wort gebeten. So waren Sie doch nicht die letzte, Frau Garbe. Bitte sehr!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Garbe, ein Wort muß ich nun doch zu der Frage sagen: Was ist geschehen, und wie weit geht es um unzulässige Einmischungen der Industrie? Ich darf Ihnen hier einmal sagen, was in der Vorschrift auch für die Aufgabenstellung des Instituts steht.
— Natürlich. Da heißt es, daß bei der Durchführung von Forschungsaufgaben für Dritte praxisorientierte Fragestellungen zu beantworten sind.
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12156 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 160. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. September 1989
Dr. HoffackerEs geht um die Frage der Verfilzung, die Sie ansprechen.
— Nein, es geht um beides. Es geht um das Institut, das dem BGA zugeordnet ist, und die mögliche unzulässige Einflußnahme durch den Verein.Fest steht, daß eine praxisorientierte Forschung des Instituts voraussetzt, daß Untersuchungen an betrieblichen Einrichtungen vorgenommen werden, damit zum vorbeugenden Gesundheitsschutz — diesem Ziel dient die Untersuchung jeweils — frühzeitig erkannt werden kann, wo die Schadensquellen liegen. Dies kann nur in Übereinstimmung mit der Praxis geschehen. Ich bitte, dies doch auseinanderzuhalten;
denn wir wollen tatsächlich etwas im Interesse der Gesundheit leisten.Was die Eternit-Industrie betrifft, bitte ich Sie noch einmal, in die Prüfung hineinzuschauen, die vom Umweltbundesamt und vom Bundesgesundheitsamt, sprich: vom Institut, gemacht worden ist. Auch hier gibt es in den grundsätzlichen Bewertungen, was die Minimalforderungen betrifft, eine klare Übereinstimmung.Ich finde auch, wir als Abgeordnete sind dazu da, alles restlos aufzuklären.
Wir dürfen aber nicht Vorverurteilungen vornehmen, sondern müssen mit unserem Urteil warten, bis die Klage bewiesen und begründet ist.Schönen Dank.
Meine Damen und Herren, damit sind wir wirklich am Ende der Aktuellen Stunde und gleichzeitig auch am Schluß unserer Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 28. September, um 9 Uhr ein. Ich wünsche Ihnen noch einen angenehmen Arbeitstag.
Ich schließe die Sitzung.