Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet. Ich rufe Punkt 1 der Tagesordnung auf:
Befragung der Bundesregierung
Meine Damen und Herren, die Themen der Kabinettssitzung, die der Herr Bundesminister für besondere Aufgaben und Chef des Bundeskanzleramts mitgeteilt hat, sind den Fraktionen bekannt. Trifft das zu?
Die Bundesregierung hat weiter mitgeteilt, daß der Herr Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, Professor Dr. Töpfer, berichtet.
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Die Bundesregierung hat heute die dritte Novelle zum Abwasserabgabengesetz beschlossen. Im Mittelpunkt dieser Novelle zum Abwasserabgabengesetz steht die Einbeziehung von Phosphor und Stickstoff in die Abgabenbewertung, also die Einbeziehung der Nährstoffe. Hiermit wird ein weiterer Punkt des am 22. Juni 1988 von mir vorgelegten Zehn-Punkte-Programms zum Schutz von Nord- und Ostsee aufgegriffen und abgearbeitet.
Folgendes sind die wesentlichen Regelungen. Die Nährstoffe Phosphor und Stickstoff werden als Abgabeparameter aufgenommen. Der Abgabensatz wird von gegenwärtig 40 DM auf 60 DM erhöht, und zwar in zwei Abschnitten: zum 1. Januar 1991 und zum 1. Januar 1993 um jeweils 10 DM.
Es wird weiterhin sichergestellt, daß die Anrechnungsfähigkeit der Investitionen erweitert wird. Statt bisher 50 % soll eine Vollanrechnung der Investitionen bei der Abgabe erfolgen. Dabei wird eine dreijährige Anrechnung bei der Abgabe zugrunde gelegt.
In der dritten Novelle zum Abwasserabgabengesetz ist ferner vorgesehen, daß die Abgabenlast für diejenigen, die die Anforderungen an die Abwasserreinigung nach § 7 a WHG erfüllen, auf 25 % vermindert wird. Auch dadurch soll das zentrale Ziel dieser dritten Novelle erreicht werden, nämlich weitere Anreize zur Investition in Kläranlagen zu geben.
Das Ziel der Bundesregierung besteht nicht darin, ein möglichst hohes Abgabenaufkommen zu erzielen, sondern darin, den Ausbau von Kläranlagen, auch mit Blick auf die dritte Reinigungsstufe, zu beschleunigen. Das Ziel besteht darin, Abwasser zu klären, nicht darin, Abgabe zu zahlen.
Ich bin ganz sicher, daß durch diese ökonomischen Anreize im Abwasserabgabengesetz die Zielrichtung der Bundesregierung, die Umweltpolitik nicht nur über Gebote und Verbote, sondern auch durch ein motivationsorientiertes Anreizsystem voranzubringen, in hohem Maße in die Realität umgesetzt wird.
Zusammengefaßt sage ich: Wir haben mit dieser dritten Novelle zum Abwasserabgabengesetz einen wichtigen Punkt des Zehn-Punkte-Programms abgearbeitet. Wir haben erneut die Anreizwirkung von Abgaben verstärkt. Wir gehen davon aus, daß die Bundesländer in der weiteren Beratung dieses Gesetz genauso konstruktiv behandeln werden, wie dies in der Erarbeitung bisher der Fall gewesen ist. Wir gehen schließlich davon aus, daß wir auch in diesem Hohen Hause, in dem zuständigen Umweltausschuß, eine sehr konstruktive und zielleitende Behandlung haben werden, so daß wir mit diesem Abwasserabgabengesetz einen wirklich wichtigen Beitrag zur Entlastung unserer Gewässer und insbesondere zur Entlastung von Nordsee und Ostsee leisten können.
Vielen Dank.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Schmidt .
Herr Minister Töpfer, hat die Bundesregierung in ihren heutigen Kabinettsberatungen abgewogen, daß für insgesamt 12 Millionen Kinder in diesem ersten Jahr künftig rund 450 Millionen DM aufgewandt werden, während für 100 000 Dienstmädchen 225 Millionen DM aufgewandt werden sollen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Verehrte Frau Abgeordnete, Sie werden Verständnis dafür haben, daß Ihre Frage nicht in unmittelbarem Zusammenhang
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10490 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 142. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. Mai 1989
Bundesminister Dr. Töpfermit der von mir gerade vorgetragenen dritten Novelle zum Abwasserabgabengesetz steht,
so daß ich gerne die hiermit verbundene Frage an den im Kabinett dafür zuständigen Kollegen weitergeben darf.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Roitzsch.
— Wir behandeln jetzt Fragen aus dem Zuständigkeitsbereich des Bundesministers für Umwelt.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung hat bei all ihren Entscheidungen finanzielle Erwägungen angestellt und ist sich auch darüber im klaren, daß ein gesundes Verhältnis zwischen den hier angesprochenen Punkten bestehen muß, und sie ist der Meinung, daß das der Fall ist.
Frau Abgeordnete Roitzsch, bitte sehr.
Herr Minister, ich weiß nicht, ob Sie wissen, daß in meinem Wahlkreis das größte zusammenhängende Baumschulgebiet der Welt liegt. Meine Frage an Sie: Welche Auswirkungen hat die Novellierung des Gesetzes auf die Baumschulen, und wie wirkt es sich überhaupt im positiven Sinn aus?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Gesetz hat das erklärte Ziel, den Belastungszustand unserer Gewässer, der Fließgewässer, vor allen Dingen aber auch der stehenden Gewässer, wesentlich zu verbessern. Wir haben gerade an der massenhaften Algenentwicklung des letzten Sommers an der Nordsee gesehen, daß wir ein zu hohes Angebot an Nährstoffen in der Nordsee haben, das etwa über die Flüsse hineinkommt. Gerade deswegen ist die Entscheidung der Bundesregierung getroffen worden, auch die Nährstoffe, also Phosphat und Stickstoff, mit als Abgabeparameter und damit als investitionsauslösenden Tatbestand zu berücksichtigen.
Der Nutznießer dieses Gesetzes ist die Natur, das Wasser, die Nordsee. Nutznießer sind unsere stehenden und fließenden Gewässer. Daraus ergibt sich eigentlich eine nachhaltige Perspektive für die Entlastung unserer Fließgewässer und der stehenden Gewässer.
Ich glaube, daß darüber hinaus natürlich Aufgaben auf die Gemeinden zukommen. Das betrifft die Nachrüstung von Kläranlagen. Hier kommen auch Auf gaben auf Bürger zu; denn wenn wir hier zusätzliche investive Maßnahmen durchführen, dann wird das ganz sicherlich auch zu entsprechenden Kosten führen. Dies will und kann ich nicht verschweigen. Aber wir sollten auch den Bürgern deutlich machen, daß ein verbesserter Umweltschutz und auch die Berücksichtigung von Nährstoffen in den Klärtechniken eben nicht zum Nulltarif möglich sind. Die Bundesregierung hat daraus nie ein Hehl gemacht.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Baum.
Herr Bundesminister, hat bei diesen Überlegungen zum Abwasserabgabengesetz oder in anderem Zusammenhang die Novelle zum Naturschutzgesetz eine Rolle gespielt? Können Sie uns sagen, wann mit dieser Novelle zu rechnen ist und ob wir vor der Sommerpause auch eine Finanzierungsregelung hinkriegen? Hat das in den Beratungen der Bundesregierung oder wo auch immer eine Rolle gespielt?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter Baum, ich darf in diesem Zusammenhang darauf hinweisen, daß der Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung deutlich gemacht hat, daß er ein hohes Interesse an der Novellierung des Bundesnaturschutzgesetzes hat. Die Bundesregierung arbeitet darauf hin, daß die Voraussetzungen für diese Novelle in dieser Legislaturperiode geschaffen werden. Dazu gehört auch die Finanzierungsregelung.
Wir befinden uns nach wie vor in abschließenden Gesprächen mit den Bundesländern, die in die Klärung der Frage der Finanzierung einbezogen werden müssen. Auch darüber sind noch Gespräche zu führen. Wir gehen davon aus, daß in Kürze eine abschließende Entscheidung darüber gefällt werden kann.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Matthäus-Maier.
Sehr geehrter Herr Bundesminister Töpfer, Sie werden jetzt sagen, was auch zutreffend ist, das habe mit Ihrem Gegenstand nicht viel zu tun; aber da Sie nicht berichten, was in der heutigen Kabinettssitzung bei der Quellensteuer und bei den Familien gelaufen ist, was dann wohl Frau Lehr oder Herr Voss machen muß, muß ich einfach die Frage stellen, die sich auf den Dienstmädchenfreibetrag bezieht: Wie wollen Sie den Millionen Normalverdienerfamilien mit Kindern erklären, daß sie die Kindergartenbeiträge nicht von der Steuer abziehen können, daß aber dann, wenn man sich privat eine Hausgehilfin leistet, für Spitzenverdiener — —
Frau Abgeordnete Matthäus-Maier, das ist nicht das Thema.
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 142. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. Mai 1989 10491
Entschuldigen Sie, aber wir sind doch in der Regierungsbefragung.
Die freien Fragen habe ich noch nicht aufgerufen.
Entschuldigen Sie, das ist ja keine freie Frage, Herr Präsident. Heute ist, wie wir alle wissen und was ja auch nicht bestritten wird, das Steueränderungsgesetz beschlossen worden. Das ist uns mitgeteilt worden. In diesem Gesetz ist die Abschaffung der Quellensteuer, die Einführung des Hausgehilfinnenfreibetrages, die Änderung des § 34 des Einkommensteuergesetzes und die Verbesserung der Abschreibungen für Wohngebäude enthalten. Wenn Sie das nicht einmal zu berichten für wert erachten, zeigt das, wie Sie Ihre eigenen familienpolitischen Dinge einschätzen. Das kann mich aber nicht daran hindern, zu fragen. Es ist uns schließlich mitgeteilt worden.
Frau Abgeordnete Matthäus-Maier, ich habe bei Eröffnung der Regierungsbefragung ausdrücklich feststellen lassen, ob den Fraktionen die Reihenfolge der Befragung der Bundesregierung zu den einzelnen Themen bekannt sei. Es erfolgte kein Widerspruch. Sie lauten: Abwasserabgabengesetz, Bundeserziehungsgeldgesetz, Bundeskindergeldgesetz, Arbeitsgerichtsgesetz und andere arbeitsrechtliche Vorschriften, Steuerreformgesetz 1990.
— Herr Abgeordneter Jahn, wir werden zunächst die erste Frage abschließen, dann die zweite, dritte, vierte und fünfte Frage. Dann gibt es noch 10 oder 15 Minuten für freie Fragen. Das ist die Regelung für die Befragung der Bundesregierung.
Das Wort hat der Bundesminister Seiters.
Frau Kollegin, ich möchte gerne etwas zum Verfahren sagen, weil wir bei der Nennung der Themen vor folgendem Problem standen. Daß der Kollege Töpfer jetzt über das Abwasserabgabengesetz als Schwerpunkt berichtet, hat ja seinen Grund. Wir haben diese beiden Gesetzgebungspakete am Freitag dieser Woche auf der Tagesordnung, also die Kapitalertragsteuer und andere steuerpolitische Maßnahmen, um das Kindergeldgesetz und das Erziehungsgeldgesetz. Wir waren der Meinung, daß der Schwerpunkt der Auseinandersetzungen über diese Fragen in der ersten Beratung am Freitag liegen würde und daß wir deshalb jetzt vorrangig über die Umweltfragen sprechen sollten. Das schließt auch aus unserem Verständnis heraus nicht aus, daß Sie selbstverständlich auch Fragen zu den beiden anderen Punkten stellen können. Dazu sind auch der Bundesfinanzminister und die Familienministerin hier. Ich bitte nur um Verständnis dafür, daß wir bei der Nennung der Themen in dieser Woche vor diesem Problem standen. Ich bitte das zu berücksichtigen.
Das Wort hat der Abgeordnete Jahn.
Ich möchte Herrn Bundesminister Seiters folgendes fragen und vielleicht zugleich um folgendes bitten: Können Sie dann nicht auch dadurch mithelfen, daß die Form der Ankündigung der Behandlung von Themen Rücksicht darauf nimmt, wie die Dinge gewichtet werden sollen? Die Mitteilung, die wir unmittelbar vor Beginn der Sitzung bekommen haben, erweckt den Eindruck, daß die Bundesregierung wegen der Behandlung der Themen im Bundeskabinett den Wunsch hat, hier zu berichten, und zwar nicht nur über das Abwasserabgabengesetz. Ich wäre also sehr dankbar dafür, wenn die Regierung mit ihren Vorankündigungen dem Parlament gegenüber die Klarheit verschaffte, die ihm die Möglichkeit zu entsprechenden Reaktionen gibt.
Wir befinden uns bei den Fragen zu Punkt 1, dem Abwasserabgabengesetz. Das Wort hat der Abgeordnete Schmidbauer.
Herr Minister, Sie haben ausgeführt, daß neben neuen Parametern — Stickstoff, Phosphor — im neuen Entwurf auch eine Erhöhung der Lenkungsabgabe auftaucht. Ich frage Sie, ob Sie den Anreizmechanismus quantifizieren können. Was kann eine Kommune trotz Erhöhung verrechnen? Wie sieht dieses Prinzip im neuen Entwurf aus?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter Schmidbauer, ich will das sehr gerne konkretisieren. Bisher sieht das Abwasserabgabengesetz nur die Anrechnung von 50 % der Investitionen vor. Die jetzt vorgelegte Novellierung sieht eine 100%ige Anrechnung auf die Abgabe über drei Jahre vor dem Investitionszeitpunkt vor. Wir haben den Anreizcharakter jetzt wesentlich verstärkt. Ich glaube, das ist eine sehr gute Entscheidung. Wir gehen davon aus, daß dadurch Investitionen in Kläranlagen beschleunigt vorgenommen werden können. Diese Entscheidung wird auch dazu führen, daß wir einen Abbau von Bürokratie erreichen können. Auch dies war eine der besonderen Forderungen und Erwartungen der Bundesländer.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Stahl.
Herr Bundesminister, Sie haben bei der Darstellung der heute verabschiedeten Novelle nun sehr große Worte bezogen auf die Entlastung der Nord- und Ostsee gebraucht. Für eine Entlastung dieses Bereichs sind Investitionen in der Größenordnung von über 5 Milliarden DM notwendig. Wieviel zusätzliche Einnahmen sind aus der Abgabenerhöhung zu erwarten, und welcher Zeitraum wird Ihrer Meinung nach benötigt, um mit dem doch verhältnismäßig marginalen Betrag die von Ihnen eben dargestellte sehr breite Problemlösung tatsächlich zu erreichen? Mit scheint, daß zwischen der Ankündigung, die Sie machen, die wir ja gern zur Kenntnis nehmen und der wir auch zustimmen, und dem, was Sie eben im Plenum geäußert haben, nämlich daß man diese Probleme damit schnell löst, eine große Diskrepanz besteht.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter Stahl, ich darf zunächst darauf hinweisen, daß ich hier
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10492 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 142. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. Mai 1989
Bundesminister Dr. Töpferüberhaupt nichts angekündigt habe, sondern die Entscheidung der Bundesregierung für dieses Gesetz mitgeteilt habe. Wir haben damit — ich darf das einmal im Gesamtzusammenhang darstellen — immerhin das fünfte bedeutsame umweltpolitische Gesetz in dieser Legislaturperiode durch das Kabinett verabschiedet und in dieses Hohe Haus eingebracht. Ich glaube, daß das eine sehr wichtige Kennzeichnung ist. Es hat keiner von Ankündigung gesprochen, sondern von Entscheidungen.
Zum zweiten. Es kann wohl auch kaum von einer marginalen Veränderung die Rede sein. Immerhin wird die Abwasserabgabe um 50 % erhöht, und zwar in vergleichsweise kurzen Abschnitten; denn wenn wir zum 1. Januar 1991 den ersten Schritt von 10 DM durchführen, dann wird das praktisch unmittelbar nach Verabschiedung des Gesetzes möglich werden.Zum dritten. Ich kann Ihnen natürlich nicht sagen, wieviel zusätzliche Abgabe sich ergibt. Am liebsten wäre es uns und, glaube ich, Ihnen sicher auch, Herr Abgeordneter Stahl, wenn es zu einer Abgabenzahlung praktisch überhaupt nicht käme. Wenn das erreicht würde, dann hätte das Gesetz seinen Anreizcharakter wirklich erfüllt; dann hätte man nämlich investiert, man hätte die Kläranlagen verbessert, man hätte Phosphor und Stickstoff aus dem Abwasser herausgeholt, und damit ergäbe sich keine Erhöhung.Wir gehen davon aus, daß das natürlich einen Umsetzungszeitraum erforderlich macht. Sie wissen aus der grundgesetzlichen Arbeitsteilung zwischen Bund und Ländern, daß etwa die Frage, in welchem Zeitraum das umgesetzt wird, in die Verantwortlichkeit der Länder gehört.Ich darf noch einmal sagen: Eine Prognose, wieviel Aufkommen wir daraus erhalten werden, würde eigentlich eine Resignation hinsichtlich der entsprechenden Entlastungsinvestitionen zum Ausdruck bringen. Genau das möchte ich nicht.
Die letzte Frage, Herr Abgeordneter Wolfgramm. Meine Damen und Herren, wir müssen diesen Punkt abschließen, sonst kommen wir zu den anderen Fragen überhaupt nicht mehr.
Herr Präsident, wir hatten ja die spontane Äußerung der Bundesregierung zum Abwasserabgabengesetz. Deswegen möchte ich eine spontane Frage dazu stellen dürfen. Herr Bundesminister, wie sieht denn die Zielplanung der Regierung zur Fortsetzung der Anreizwirkung aus? Selbst wenn man davon ausgeht, daß guter Wille im Spiel ist, werden wir die Anreizwirkung vermutlich brauchen. Wie sieht das nach 1993 aus? Hat die Regierung auch vor, die Anreizwirkung durch kontinuierliche Erhöhung der Abgabe zu steigern.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter Wolfgramm, es ist sicherlich auch notwendig, jetzt schon über 1993 hinaus zu blicken. Aber ich bitte um
Verständnis dafür, daß wir jetzt den Hebel angesetzt haben, auf der einen Seite die Erhöhung der Abwasserabgabe und die Erweiterung auf P und N und auf der anderen Seite gleichzeitig die Vorlage der Verwaltungsvorschriften nach § 7 a des Wasserhaushaltsgesetzes, also die wesentliche Verschärfung der Anforderungen an die Abwassereinleitung. Wir gehen davon aus, daß diese beiden Teilbereiche des Hebels dazu führen werden, daß es zu einer nachhaltigen Entlastung unserer Fließgewässer und unserer stehenden Gewässer kommt.
Auch das sei ergänzend noch einmal dem Abgeordneten Stahl gesagt: Sollte es notwendig sein, darüber hinaus über eine weitere Verstärkung der Anreize zu diskutieren, so wird die Bundesregierung auch diese Überlegungen frühzeitig in ihr Kalkül mit aufnehmen.
Meine Damen und Herren, sind Sie damit einverstanden, daß ich, bevor ich die Befragung zu den anderen Sachgebieten fortsetze, die Punkte vorziehe, die in dieser Woche nicht auf der Tagesordnung des Bundestages stehen? — Ich sehe keinen Widerspruch.
Ich rufe auf: Gesetzentwurf über die Festlegung eines vorläufigen Wohnsitzes für Aussiedler und Übersiedler. Gibt es dazu Fragen? — Es gibt keine Fragen.
Dann rufe ich auf: Arbeitsgerichtsgesetz und andere arbeitsrechtliche Vorschriften. Gibt es dazu Fragen? — Keine Fragen.
Dann rufe ich auf: Steuerreformgesetz. Gibt es dazu Wortmeldungen? — Frau Abgeordnete Matthäus-Maier.
Ich beziehe mich bei diesem Gesetzentwurf auf das Dienstmädchenprivileg, damit wir wissen, wovon wir sprechen.
— Das können Sie ja dann richtigstellen, Herr Glos.
Jetzt frage ich: Wie wollen Sie eigentlich den Millionen Normalfamilien mit Kindern erklären, daß sie den Kindergartenbeitrag nicht von der Steuer absetzen können, während Sie als Spitzenverdiener eine Hausgehilfin mit bis zu 6 360 DM im Jahr absetzen können, wenn Sie nur die entsprechenden Gelder haben, um eine Hausgehilfin einzustellen? Wie können Sie das den Normalfamilien erklären?
— Die kenne ich besser als Sie.
Herr Bundesminister der Finanzen.
Der Gesetzentwurf, der heute im Kabinett beschlossen wurde und den auch die Fraktionen von CDU/CSU und FDP eingebracht haben, ist ein Beitrag, um die Beschäftigungsmöglichkeiten in diesem Bereich zu verbessern. Er ist ein Beitrag, um zusätzliche Arbeitsplätze
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 142. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. Mai 1989 10493
Bundesminister Dr. Waigelzu schaffen. Er ist auch ein Beitrag für die Emanzipation gerade der Frauen in den Familien.
Eigentlich müßten Sie, Frau Matthäus-Maier, deswegen entschieden dafür sein.
Das Wort hat der Abgeordnete Uldall.
Herr Minister, dieses Gesetz richtet sich im wesentlichen darauf, die Vielzahl von heute bestehenden illegalen Beschäftigungsverhältnissen auf eine legale Basis zu stellen. Von welchen Zahlen ist die Regierung bei ihrer Gesetzesinitiative ausgegangen? Wie viele illegale Beschäftigungsverhältnisse werden nach Schätzung der Regierung beseitigt werden können, d. h. wie viele neue Arbeitsplätze können durch diese Initiative geschaffen werden, Herr Minister?
Herr Kollege, das ist schwer zu prognostizieren. Aber wir gehen davon aus, daß auf diese Weise etwa 100 000 Arbeitsplätze geschaffen bzw. aus der Illegalität herausgeführt werden können. Insofern ist das auch ein Beitrag zur Ehrlichkeit.
Das Wort hat der Abgeordnete Gansel.
Habe ich Sie richtig verstanden, Herr Minister, daß Sie den Umstand, daß die Gattin eines Einkommenmillionärs in Zukunft ein Dienstmädchen von der Steuer absetzen und durch die Allgemeinheit bezahlen lassen kann, als Beitrag zur Emanzipation bezeichnet haben?
Darf ich in diesem Zusammenhang die Frage an Sie, Herr Kollege Gansel, zurückrichten, ob nicht auch die Verzehnfachung des Sparerfreibetrages für die Gattin des Millionärs etwas ist, das Sie aus Ihrer Ideologie heraus nicht vertreten können?
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Fell.
Herr Minister, haben Sie Vorausschätzungen darüber, wie hoch das Beitragsaufkommen aus solchen Beschäftigungsverhältnissen sein wird, so daß man das auch mal mit den Aufwendungen, die hier beklagt werden, aufrechnen kann?
Ich kann das im Augenblick nicht sagen, aber ich gehe davon aus, daß wir bis zur ersten Lesung auch zu diesem Punkt Auskunft geben können.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Schmidt .
Herr Minister, es ist also zutreffend, was ich vorher gesagt habe, nämlich daß für 100 000 Familien unter dem Strich — Herr Fell, das ist bereits der Saldo — 225 Millionen DM ausgegeben werden, d. h. jede Familie wird 2 250 DM pro Jahr sparen, und dem steht gegenüber, daß insgesamt 14 Millionen Familien pro Jahr je Familie durchschnittlich 75 DM bekommen, was ich schon auf ein Jahr hochgerechnet habe. Wie halten Sie dieses Verhältnis, für 100 000 Familien 2 250 DM jährlich und für 14 Millionen Familien 75 DM durchschnittlich jährlich, für gerechtfertigt?
Ich halte das auch familienpolitisch für gerechtfertigt, weil insbesondere hilflose Personen mit einbezogen sind und wir hier einen wichtigen Beitrag im Hinblick auf die häusliche Betreuung von Behinderten leisten. Das steht für uns im Vordergrund. Es ist übrigens auch hinsichtlich der Abgrenzung von der Zahl der Kinder her, vom Alter der Kinder her und insofern neben der arbeitsplatzschaffenden Komponente auch im Hinblick auf die soziale Komponente eine durchaus berechtigte und vertretbare Maßnahme.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Solms.
Herr Minister, wie beurteilen Sie die diffamierende Kennzeichnung „Dienstmädchenprivileg" vor dem Hintergrund, daß bekannt ist, daß Zehntausende von berufstätigen Frauen den Wunsch nach Berufsausübung und den Wunsch, Kinder zu haben und zu betreuen, nur dann gleichzeitig realisieren können, wenn diese Möglichkeit mit einer solchen Familien- und Pflegehilfe eröffnet wird?
Ich sehe in der Semantik der Opposition den Versuch, das, was in der Familie geschieht, gegenüber dem zu diffamieren, was außerhalb der Familie geschieht.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Matthäus-Maier.
Wie beurteilen Sie, Herr Minister, daß die Deutsche Steuergewerkschaft sagt, daß die Einführung dieses sogenannten Hausgehilfinnenfreibetrages aus der großbürgerlichen Denkweise stammt — daher kommt auch dieses Wort —, und ist es nicht so, daß Sie, wenn Sie schon so etwas einführen, im Hinblick auf die Gerechtigkeit zunächst die steuerliche Absetzbarkeit von anderen Kinderbetreuungskosten, insbesondere der Beiträge zum Kindergarten, einführen müßten? Wieso sagen Sie dem Normalbürger: Keine steuerliche Absetzbarkeit der Kindergartenbeiträge, wohl aber steuerliche Absetzbarkeit, wenn ich nachmittags die gleiche Kindergärtnerin privat engagiere, damit sie auf meine zwei
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10494 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 142. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. Mai 1989
Frau Matthäus-MaierKinder aufpaßt, was sich sowieso nur sehr gut Verdienende leisten können?
Es hat gegen fast alle steuerlichen Gesetzgebungsmaßnahmen zunächst Kritik gegeben, und wir werden diese Kritik, die hier geäußert wurde, im Ausschuß auch mit den entsprechenden Verbänden in aller Sachlichkeit besprechen. Bei der anderen Angelegenheit müssen Sie vor allen Dingen den arbeitsmarktpolitischen Gesichtspunkt in den Vordergrund rücken. Der stand für uns an erster Stelle, und damit erzielen wir eine Verbesserung der Arbeitsmarkteffektivität, was in vielen Parteien auch schon in der Vergangenheit diskutiert wurde.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Hoffacker.
Herr Bundesminister, können Sie die irrige Behauptung von Frau Schmidt noch einmal geraderücken, indem Sie darauf hinweisen, daß durch diese Pflege- und Familienhilfe kein Geld ausgegeben wird, sondern es sich hier um eine Mindereinnahme bei den Steuern handelt und daß demgegenüber die entsprechenden Abgaben zur Sozialversicherung das um ein Mehrfaches übertreffen, nämlich, soweit ich diese Zahlen kenne, um 430 Millionen DM?
Die Mehreinnahmen betragen nach unseren Informationen über 400 Millionen DM, und wenn man die Bilanz entsprechend zieht, läßt sich das sehr gut begründen und sehr gut rechtfertigen. Aber Bilanzieren ist nicht die Stärke der Opposition.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Stahl.
Herr Bundesminister, nun haben Sie die Zahlen, die Frau Matthäus-Maier und Frau Schmidt hier vor dem Bundestag dargelegt haben, nicht in Frage gestellt: auf der einen Seite 2 250 DM je Familie, auf der anderen Seite 75 DM Entlastung je Familie. Würden Sie der Aussage der evangelischen Kirche und von Vertretern der katholischen Kirche, wonach Ihnen, der Bundesregierung, inzwischen jede Sensibilität für soziale Belange abhanden gekommen ist,
wenigstens unter diesem Gesichtspunkt, nämlich dem Vergleich der Zahlen, zustimmen?
Ich kann mich an die Äußerungen der Kirchen erinnern, als die Familie unter Ihrer Regierung als Sozialisationsagentur der Gesellschaft bezeichnet wurde. Ich bin sehr wohl in der Lage, mit den Kirchen darüber zu diskutieren, daß 18 Milliarden DM mehr für familienbezogene Maßnahmen seit 1983 eine großartige Leistung dieser Regierung darstellen.
Meine Damen und Herren, damit schließe ich diesen Bereich und rufe auf: Bundeserziehungsgesetz. Sind Fragen dazu? — Es werden keine Fragen gestellt. Damit ist dieser Bereich abgeschlossen.
Ich rufe auf: Bundeskindergeldgesetz. Sind dazu Fragen? — Auch keine Fragen.
Dannt treten wir — 10 bis 15 Minuten — in die freien Fragen ein.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Oesterle-Schwerin.
Die Äußerungen des neuen Regierungssprechers Hans Klein in der Illustrierten „Quick", daß es sich bei der Waffen-SS um eine kämpfende Truppe gehandelt hat, bestehend aus Männern, die — so wörtlich — „glaubten, ihr Vaterland verteidigen zu müssen", hat der Korrespondent der Zeitung „Le Monde" mit dem Verweis auf den Massenmord durch die Waffen-SS in Oradour wie folgt kommentiert:
Sollte Klein den jungen Leuten von heute, die diese furchtbare Zeit nicht miterlebt haben, tatsächlich eine solche Botschaft ans Herz legen wollen, dann begeht er ein historisches Verbrechen.
Jetzt frage ich die Bundesregierung: Handelt es sich bei dieser Äußerung um den Versuch, die CDU/CSU für potentielle Wähler von NPD und Republikanern durch Geschichtsverfälschung und nachträgliche Ehrenerklärung für die Waffen-SS attraktiv zu machen?
Nimmt sie dadurch billigend in Kauf, daß die Opfer der Waffen-SS verhöhnt werden, oder ist die Bundesregierung bereit, sich von den Äußerungen ihres Sprechers zu distanzieren?
Ich bitte doch um ganz kurze Fragen! Es geht nicht an, daß wir hier langatmige Fragen stellen; denn das geht immer auf Kosten der Kolleginnen und Kollegen, die ebenfalls Fragen stellen wollen.
Bitte schön, Herr Bundesminister.
Frau Kollegin, Ihrer Fraktion ist heute morgen mitgeteilt worden, daß der Bundesminister Klein den ganzen Tag ortsabwesend ist und auch an der Kabinettssitzung heute nicht teilgenommen hat.Ich sage, daß wir eine Diskussion über diese Fragen hier im Hause jederzeit führen können. Aber ich finde es richtig, wenn zunächst der Kollege Klein an dieser Stelle zu seinen Äußerungen Stellung nimmt. Ich möchte diese Äußerungen nicht interpretieren, son-
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 142. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. Mai 1989 10495
Bundesminister Seitersdern bin der Auffassung, daß er hier selber Stellung nehmen sollte.Ich darf aber sagen, daß er in der Pressekonferenz erklärt hat:Ich habe mich dabei im wesentlichen auch gestützt auf Äußerungen in dieser Frage, die vor geraumer Zeit von dem damaligen SPD-Vorsitzenden Kurt Schumacher und von der Deutschen Bischofskonferenz gemacht wurden.Ich möchte über diese Erklärung nicht hinausgehen.
Das Wort hat der Abgeordnete Bohl.
Ich würde gern eine Frage an Bundesminister Dr. Blüm stellen.
Herr Abgeordneter Bohl, Sie stellen eine Frage an die Bundesregierung. Wer darauf antwortet, bestimmt die Bundesregierung.
Natürlich. Ich wollte trotzdem den Hinweis geben, daß es mir recht wäre, wenn Herr Bundesminister Dr. Blüm antworten würde.
Ich würde ihn angesichts der öffentlichen Diskussion gern fragen, wie er die Situation in den Krankenhäusern — und dort insbesondere die Pflegesituation — beurteilt und wie die Bundesregierung in dieser Frage zu agieren gedenkt.
Herr Abgeordneter Bohl, die Bundesregierung hat sich mit der Situation der Pflegeberufe heute sehr ausführlich beschäftigt und ihren großen Respekt und Anerkennung für die aufopferungsvolle Tätigkeit vieler Schwestern und Pfleger in Krankenhäusern und Pflegeheimen noch einmal ausdrücklich zum Ausdruck gebracht.
Sie hat sich auch mit der Frage beschäftigt, was die Bundesregierung leisten kann, um zur Lösung dieses Problems beizutragen. Sie wird beispielsweise die Anrechnung von Krankenpflegeschülern auf den Stellenplan in den Krankenhäusern günstiger gestalten sowie die Personalausstattung in den psychiatrischen Kliniken gezielt verbessern.
Wir machen allerdings auch darauf aufmerksam, daß der große Bereich Krankenhaus weitere Verantwortungsträger hat: die Tarifpartner für die Vergütung, die Krankenhausträger für die Arbeitsbedingungen, die Länder für die ambulante Pflege sowie die Spitzenverbände der Krankenkassen und der Krankenhausträger für die Personalbemessung. Ich denke, es wäre am besten, wir würden es schaffen, alle um einen runden Tisch zu versammeln, damit jeder seinen Beitrag dazu leisten kann, die aufopferungsvolle Tätigkeit derjenigen, die im Krankenhaus ihren Dienst tun, zu unterstützen.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Jahn.
Nachdem der erste Mordaufruf aus dem Iran schon einige Wochen zurückliegt und in den vergangenen Wochen ein zweiter, diesmal wiederum durch einen hohen Würdenträger, den Parlamentspräsidenten, verbunden mit der Aufforderung zu internationalen Terrorakten, ergangen ist, frage ich: Hat sich die Bundesregierung mit diesem Vorgang beschäftigt? Ist sie bereit, ihre bisher zögernde Haltung in der Frage angemessener Reaktionen gegenüber dem Iran aufzugeben, und ist sie insbesondere bereit, sich nicht weiterhin hinter dem vergeblichen Versuch zu verstecken, darüber eine europäische Verständigung herbeizuführen, die ja bekanntlich bereits mißlungen ist?
Herr Abgeordneter, die Bundesregierung hat keinerlei zögerliche Haltung in der Frage der Behandlung des Iran an den Tag gelegt. Ich möchte Sie darauf hinweisen, daß die Europäische Gemeinschaft vor zwei Tagen in der Europäischen Politischen Zusammenarbeit diesen neuerlichen Mordaufruf einvernehmlich auf das schärfste verurteilt hat. Sie hat dazu ausgeführt, daß es völlig inakzeptabel ist, daß ein weiteres führendes Mitglied der höchsten iranischen Autoritäten eines der ganz wesentlichen Grundprinzipien des Zusammenlebens der Völker durch einen solchen neuerlichen Mordaufruf verletzt hat. Dem kann nur durch internationale Solidarität, vor allen Dingen mit den Staaten, die durch diesen Mordaufruf unter Umständen als erste betroffen sein könnten, d. h. mit den Ländern, die hier direkt benannt worden sind, begegnet werden.
Ich kann Sie darüber hinaus darauf hinweisen, daß alle die Maßnahmen weiter bestehen, die innerhalb der Europäischen Gemeinschaft einvernehmlich in Gang gesetzt worden sind. Dazu gehört von der Seite der Bundesrepublik auch, daß die Wirtschaftsgespräche auf Regierungsebene weiterhin nicht geführt werden; dazu gehört auch, daß das Kulturabkommen weiterhin nicht in Kraft gesetzt wird; dazu gehört auch, daß der Botschafter weiterhin nicht zurückreist.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Lüder.
Herr Präsident! Ich frage die Bundesregierung: Ist die Bundesregierung in der Lage, eine wirtschaftspolitische Bewertung der Einführung des Dienstleistungsabends schon heute abzugeben? Wenn ja: Wie lautet sie?
Herr Präsident! Herr Kollege Lüder, der Bundeskanzler hat heute im Verlauf der Kabinettsbesprechung auch das Thema Dienstleistungsabend angesprochen. Ich gehe davon aus, daß die Ausschüsse und der Bundesrat mit dazu beitragen werden, daß wir eine erste Flexibilisierung erreichen, daß ab Oktober zum erstenmal die Verbraucher in der Bundesrepublik
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10496 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 142. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. Mai 1989
Bundesminister Dr. HaussmannDeutschland zwei Stunden länger einkaufen können, daß es beim kurzen Samstag bei 14 Uhr bleibt und daß bei den langen Samstagen in den Sommermonaten die Geschäfte um 16 Uhr geschlossen werden. Ich halte das nicht für ein Musterbeispiel an großer Flexibilität; aber ich halte es für einen ersten Fortschritt insbesondere für Frauen und für alleinerziehende Berufstätige. Ich glaube, hier trifft das Wort zu: Der Fortschritt ist manchmal eine Schnecke; aber sie bewegt sich.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Penner, bitte sehr.
Hat die Bundesregierung in der heutigen Sitzung herausgefunden, ob die Äußerung des Bundesverkehrsminister Dr. Zimmermann, Dr. Dregger sei in bezug auf seine Einstellung zur Stationierung der Lance-Raketen ein Holzkopf, den Tatsachen entspricht?
Herr Abgeordneter Penner, Sie haben die Frage gestellt, aber es ist nicht Aufgabe der Bundesregierung, auf persönliche Äußerungen zu antworten.
— Wenn die Bundesregierung das will, soll sie sich dazu äußern. Will jemand von der Bundesregierung dazu Stellung nehmen?
— Es will sich niemand dazu äußern.
Ich erteile das Wort Herrn Abgeordneten Scharrenbroich.
Nachdem am gestrigen Tag und am heutigen Tag Meldungen zugenommen haben, daß in Panama Menschenrechte verletzt werden, daß der Vorsitzende der größten Oppositionspartei, Ricardo Arias, in das erzbischöfliche Palais Zuflucht nehmen mußte, das inzwischen von Soldaten umgeben ist, und nachdem bekanntgeworden ist, daß etwa 10 % der Wahlurnen von den Militärs weggeschleppt worden sind und der Wahlsieg der Opposition eindeutig ist, möchte ich die Bundesregierung fragen, wie sie zu diesen Vorfällen Stellung nehmen möchte.
Herr Abgeordneter, die Bundesregierung hat sich in der heutigen Kabinettsitzung mit dieser Frage befaßt. Wir haben die Berichte der Kollegen aus dem Deutschen Bundestag, die als Wahlbeobachter in Panama an den Wahlen teilgenommen haben, zur Kenntnis genommen. Wir haben zur Kenntnis genommen, daß einhellig davon gesprochen worden ist, daß es sich hier nicht um ein faires und gerechtes Wahlverfahren gehandelt hat, sondern daß es sich offensichtlich um ein Täuschungsmanöver größeren Umfanges handelt. Dies wird von der Bundesregierung auf das schärfste verurteilt.
Die Bevölkerung von Panama hat ein Recht darauf, faire und gerechte Wahlen durchgeführt zu bekommen. Wenn sie im Vertrauen darauf, daß dies möglich ist, ihre Stimme abgibt, dann muß sie dieses Vertrauen auch honoriert bekommen.
Die Bundesregierung ist sehr besorgt über die Entwicklung der Demokratie und der Menschenrechte in diesem Staat.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Lippelt.
Wie gedenkt die Bundesregierung mit den alarmierenden Nachrichten umzugehen, daß zu einer Zeit, wo sie zu Recht Verhandlungen über Kurzstreckenraketen fordert, eine namhafte deutsche Firma und von ihr wegproliferierte weitere Firmen ganz offensichtlich in Ländern in Krisengebieten an der Produktion von Raketen beteiligt sind, die eine weit höhere Reichweite haben als beispielsweise die durch das INF-Abkommen ausgeschlossenen Raketen?
Herr Abgeordneter, Sie beziehen sich offensichtlich auf einen Bericht einer namhaften deutschen Wochenzeitung
— auf mehrere Berichte dazu. Die Bundesregierung geht solchen Hinweisen natürlich nach. Eine abschließende Stellungnahme dazu kann ich Ihnen heute noch nicht geben. Ich kann Ihnen allerdings versichern, daß jeder dieser Hinweise von uns auf genommen worden ist und sorgfältig geprüft wird.
Das Wort hat der Abgeordnete Werner.
Ich frage die Bundesregierung, inwieweit sie im Rahmen der Vorbereitungen für den Besuch von Herrn Gorbatschow daran denkt und gedacht hat, daß die Anwendung von Kampfgasen in Georgien und anderswo in einem eklatanten Widerspruch zu den psychologischen Abrüstungsoffensiven der Sowjetunion und auch im Widerspruch zur Unterschrift unter das Wiener KSZE-Dokument steht. In welcher Form gedenkt die Bundesregierung dies Herrn Gorbatschow hier in Bonn deutlich zu machen?
Herr Abgeordneter, selbstverständlich wird — wie mit allen ausländischen Besuchern — eine breite Palette von Themen erörtert. Natürlich werden zwischen unseren Regierungen auch kontroverse Themen erörtert. Uns scheint es selbstverständlich zu sein, daß bei solchen Gelegenheiten ebenfalls Themen angesprochen werden, die vom Besucher nicht immer einfach zu beantworten sein werden. Sie können mit Sicherheit davon ausgehen, daß im Rahmen der breiten Fülle dessen, was angesprochen wird, auch solche Themen erörtert werden.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Gansel.
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 142. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. Mai 1989 10497
Die Bundesregierung hat nach einer Parlamentsdebatte über eine mögliche Beteiligung Deutscher an der Giftgasfabrikation in Libyen eine Lehre gezogen, alle erkennbaren Unterlagen zusammengestellt und koordiniert sowie erklärt, sie werde das auch in Zukunft tun, damit bei ähnlichen Affären alle der Bundesregierung vorliegenden Erkenntnisse gesichtet und koordiniert werden könnten.
Meine Frage ist: Haben Sie zur Erleichterung der Ermittlungen der Staatsanwaltschaften wegen des Raketentransfers nach Ägypten, Irak, Argentinien und möglicherweise nun auch nach Rumänien diese Koordinationsaufgabe in der Bundesregierung gelöst und u. a. den Staatsanwaltschaften auch die 150 Unterlagen zur Verfügung gestellt, die nach Mitteilung eines ehemaligen amerikanischen Staatssekretärs der Bundesregierung in den vergangenen Jahren über eine mögliche Beteiligung Deutscher an der Raketenproduktion im Ausland zur Verfügung gestellt worden sind?
Herr Abgeordneter, die Bundesregierung hält sich selbstverständlich an Beschlüsse, die sie selber gefaßt hat, und wird sie jedenfalls umsetzen.
Ich habe bereits darauf hingewiesen, daß die Bundesregierung im Falle des möglichen illegalen Transfers von Raketentechnologie tätig geworden ist, und es würde einiges dafür sprechen, daß er illegal wäre, wenn er so durchgeführt worden ist. Die Bundesregierung geht allen Hinweisen nach, wird sie sorgfältig prüfen und selbstverständlich die notwendigen Schritte einleiten.
Die letzte Frage, Frau Abgeordnete Schmidt .
Nachdem jetzt doch die Einfuhr von hormonhaltigem Fleisch aus den USA in die EG möglich wird, frage ich die Bundesregierung, wie der Verbraucher hier in der Bundesrepublik geschützt werden soll.
Herr Staatssekretär von Geldern.
Herr Präsident! Frau Kollegin Schmidt, ich halte das für eine Fehlinformation. Die Europäische Gemeinschaft hat sich im Gegenteil durchgesetzt. Das in der ganzen Gemeinschaft geltende Verbot des Einsatzes von Hormonen in der Tiermast gilt auch in den Außenbeziehungen gegenüber den Vereinigten Staaten.
Was die Gemeinschaft in den Gesprächen mit den Vereinigten Staaten erreicht hat, ist, daß dort die Erzeuger kontrolliert werden, daß eine EG-Kontrolle stattfindet und daß nur garantiert nicht mit Hormonen behandeltes Fleisch aus den Vereinigten Staaten auf den europäischen Markt kommen wird.
Ich beende die Befragung der Bundesregierung und rufe den Zusatztagesordnungspunkt 1 auf:
Aktuelle Stunde
Gefährdung des Rechtsstaates und der inneren Sicherheit auf Grund der aktuellen Ereignisse am 1. Mai 1989 in Berlin
Meine Damen und Herren, die Fraktion der CDU/ CSU hat gemäß unserer Geschäftsordnung eine Aktuelle Stunde zu diesem Thema verlangt. Ich eröffne die Aussprache.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Gerster.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In Berlin haben am 1. Mai Haß, blinde Zerstörungswut, nackte Gewalt regiert. Der demokratische Rechtsstaat war außer Kraft gesetzt. Das, was die Grün-Alternativen die „Umgestaltung West-Berlins in eine basisdemokratische Friedenskommune" nennen, entpuppte sich als Rückfall ins finstere Mittelalter: Macht der Kriminellen, Ohnmacht des Rechtsstaates, Unterdrückung der Gewaltlosen.Daß in Berlin linke Gewalttäter die Oberhand gewannen, war kein einmaliger Betriebsunfall, sondern ist die Folge grün-alternativer Aufweichung gegenüber Politkriminellen und roter Anpassungspolitik an die GRÜNEN. Der rot-grüne Senat schuf die Voraussetzungen für die Eskalation der Gewalt in Berlin.
Teil I des Regiebuches der Gewalt steht im grünalternativen Wahlprogramm, das Eingang in die Berliner Koalitionsvereinbarung fand: Gewalt wird durch soziale Verhältnisse und Strukturen produziert. — So heißt es da. — Letztlich ist es also der Staat selbst, der für die Gewalt verantwortlich ist. Also muß Gewalt akzeptiert werden, „wo legitimierte Bedürfnisse in der Gesellschaft ignoriert werden" . — So das alternative Wahlprogramm.Die Grün-Alternativen trafen mit dieser Perversion der Gewaltursachen auf eine SPD, die seit langem Aufweichungstendenzen gegenüber Politkriminellen zelebriert:
In der Hafenstraße in Hamburg dürfen Chaoten schalten und walten, wie sie wollen. Beim Geiseldrama von Gladbeck führten Mörder den Innenminister Schnoor als Tanzbär durch die Republik. Der Staat erschien ohnmächtig.
Drei Unschuldige mußten dafür mit dem Leben bezahlen.
Gegenüber terroristischen Erpressern überbieten sich SPD-Politiker in devoter Anbiederung und mit ständig großzügigeren Gesprächs- und Verhandlungsangeboten.
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10498 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 142. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. Mai 1989
Gerster
— Ich verstehe, daß Sie nervös werden. Die Wahrheit fällt schwer!Die Berliner Gewalttäter haben die Einladung zur Gewalt durch die Berliner Koalition verstanden. Sie konnten bei den GRÜNEN auf Verständnis, ja, sogar auf Mitmarschierer hoffen. Prompt haben nach der grauenvollen Gewalt maßgebliche GRÜNE wie die Ex-Bundestagsabgeordnete Olms Verständnis für die Gewalt geäußert. Heute werden in der „taz" die Polizisten in Berlin für ihre Flucht vor der Gewalt auch noch belobigt. Welcher Hohn!Auf die SPD konnten sich die Gewalttäter ebenfalls verlassen. Bis 1981 hatte der SPD-Senat 167 Hausbesetzungen zugelassen und bei Gewaltdemonstrationen mehr weg- als hingesehen.
Daß die SPD auch jetzt in Berlin eher dulden als handeln werde, zeigten erprobte Verhaltensmuster sozialdemokratischer Politiker von der Hafenstraße bis zu Schnoor.
Bei Gewalt erst wegsehen, dann beschwichtigen, dann den Psychotherapeuten senden; wenn der Gewaltkriminelle diesen dann wegstößt, zuschlägt und wenn Unschuldige zu Opfern werden, war die Polizei schuld! Meine Damen und Herren, das ist mehr als schäbig, gerade von sozialdemokratischen Politikern.
Für viele Grün-Alternative ist der Staat an jedweder Art von Gewalt schuld. Teilweise schüren GRÜNE sogar Gewalt,
wenn es in das politische Kalkül paßt. Daher sammeln GRÜNE Geld für Waffen in El Salvador, und Mechtersheimer läßt von Gaddafi grüßen. An Sie, an die GRÜNEN, zu appellieren ist ohnehin vergebliche Liebesmüh.
Den Sozialdemokraten jedoch sei gesagt: Im demokratischen Rechtsstaat ist die Rechtsordnung kein Zwang, sondern unverzichtbare Friedensordnung. Wer diese bricht, muß vom Staat klare Grenzen gesetzt bekommen.
Wenn Sie mir nicht glauben, dann glauben Sie dem von den Nationalsozialisten hingerichteten Sozialdemokraten Dr. Julius Leber, der sagte:Mit Politikern debattiert man, gegen Bandenhäuptlinge und Mordanstifter setzt man die Machtmittel des Staates ein, und eine Staatsgewalt, die mit politischen Verbrechern darüber debattiert, ob sie recht oder unrecht haben, darf nicht erwarten, daß sie sehr viel Respekt genießt.So weit das Zitat eines Märtyrers aus der Zeit der Nationalsozialisten, den in Ruhe anzuhören Sie nicht einmal mehr in der Lage sind.
Daher der Appell an die SPD: Denken Sie um, lösen Sie sich von den Grün-Alternativen, die keinen Trennungsstrich zur Gewalt ziehen, lösen Sie sich von falschen, vermeintlich humanen, in der Wirklichkeit aber zutiefst inhumanen Lösungsmodellen, die zu nichts als zu gewalttätigem Chaos führen.
Finden Sie zur Gemeinsamkeit der Demokraten im Kampf gegen Rechtsbrecher zurück!Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat der Abgeordnete Penner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist völlig unbestreitbar: Im Berliner Bezirk Kreuzberg hat es Aufruhr gegeben, Rowdytum und Vandalismus mit beträchtlichen Körper- und Sachschäden.
Es war vieles so wie zu Zeiten von Diepgen,
nur teilweise noch gewalttätiger und zerstörerischer als damals. Das eine wie das andere ist schlimm.
Niederträchtig und staatszerstörerisch ist allerdings die Äußerung von Eberhard Diepgen — immerhin bis vor zwei Monaten langjähriger Bürgermeister von Berlin — in der „Welt" vom heutigen Tage, daß der jetzige Senat Kreuzberg zum Plündern freigegeben habe.
Herr Präsident, meine Damen und Herren, was ist zu tun? Die vom Berliner Innensenator zu verantwortende polizeiliche Linie ist dem Kern nach richtig. Eindämmung und Begrenzung von Gewalt muß in solchen Situationen erste polizeiliche Maxime sein.
Da ist Klugheit und Besonnenheit gefordert,
nicht das gierende, teils geifernde Einfordern möglichst rücksichtsloser staatlicher Gegengewalt, die ja durch das Gewaltmonopol des Staates legitimiert sei.
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 142. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. Mai 1989 10499
Dr. PennerGar nichts taugt die Forderung, nun müsse der Polizeiknüppel, ja, sogar die Pistole dem Spuk ein Ende bereiten. Das ist barer Unsinn. Vieles spricht dafür, daß dann alles noch viel schlimmer wird.
Zudem ist die Polizei eben nicht eine Bürgerkriegsarmee fürs Innere.Unabhängig davon halten wir daran fest, daß es gerade in einem demokratischen Staat keine rechtsfreien Zonen geben darf,
ob in Kreuzberg oder in der Hafenstraße, aber auch nicht über willkürliche Amnestien bei Steuerstraftaten
wie zuletzt im Zusammenhang mit der Quellensteuer und durch sehr verhalten praktizierte Verfolgung von Wirtschaftsstraftaten generell.
Es darf aber auch nicht eine völlig sinnlose Berufung auf das staatliche Gewaltmonopol geben, wie gerade Wackersdorf offenbart hat,
wo Tausende Bereitschaftspolizisten für von vornherein fragwürdige und letztendlich gegenstandslose politische Entscheidungen ihren Buckel haben hinhalten müssen.
An die Adresse jenes Chefpräsidenten des Bundesverwaltungsgerichts, der letzte Woche beim Anwaltstag den Verfall des Rechtsstaats beklagt hat, sage ich:
Es ist ja wahr, daß der Sinn für die Allgemeinverbindlichkeit des Rechts nicht so ist, wie es wünschenswert wäre. Daß es auch mit der Gesetzgebungsarbeit nicht immer zum besten steht, ist wohl wahr. Daß das gesellschaftliche Erschütterungen zur Folge hat, spüren wir alle. Aber hätte es jenem Chefpräsidenten nicht gut angestanden, dabei auch die klägliche Rechtsprechung der Justiz zur Nazijustiz einzubeziehen,
die viele Menschen an der Gerechtigkeit hat zweifeln, ja, verzweifeln lassen, weil sie de facto Straffreistellung aller noch so blutbefleckter Richter und Staatsanwälte in toto bewirkt hat?
Und was das Gezeter um die Nachdenklichkeit und Erwägungen des Berliner Innensenators im Vorfeld der Krawalle angeht, so meinen wir: So richtig es ist, daß auch in Polizeiangelegenheiten am Schluß zu verantwortende politische Entscheidungen stehen können, wenn sie denn gefordert sind, so unabweisbar pflichtgemäß handelt derjenige Politiker, der vorher gerade auch mit Fachleuten das offene Beratungsgespräch sucht. Nur die von der Formel „Befehl und Gehorsam" Besessenen können daraus Flucht aus der Verantwortung lesen, wie das denn auch in völliger Verkennung und Verzerrung der tatsächlichen Lage geschehen ist.Herr Präsident, meine Damen und Herren, die Bürger haben uneingeschränkten Anspruch auf Schutz vor Rechtsbrechern. Erst durch die Aktivierung vieler Politikbereiche, von der Sozialpolitik bis zur polizeilichen Zuständigkeit, gibt es eine Chance, besser mit der Gewalt zurechtzukommen, als das beispielsweise in Kreuzberg bisher geschehen ist.Schönen Dank für Ihre Geduld.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Lüder.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich weiche nach den ersten beiden Reden ein bißchen von dem Text ab, den ich mir überlegt hatte.Ich fühle mich an Aussprüche zweier Bundespräsidenten erinnert. Der eine stammt von Heinemann. Er wies darauf hin, daß diejenigen, die mit dem Finger auf andere zeigen, bedenken sollten, wie viele Finger auf sie selbst zurückweisen. Der zweite Präsident war Theodor Heuss. Er sagte einmal: Wenn jemand zur Entschuldigung für Vorgehen das Unrecht und die Brutalität der anderen nennt, um selbst Maßstäbe zu finden, so sei das das Verhalten der moralisch Anspruchslosen.Ich glaube, wir müssen hier ein bißchen umsichtiger, ein bißchen weitsichtiger, ein bißchen kritischer sein. Es kann und darf doch nicht Aufgabe dieser Aktuellen Stunde sein, über die Rechtfertigung eines Polizeieinsatzes, über polizeitaktische Einsatzfinessen oder gar über die Interna einer Landesbehörde einen parlamentarischen Schiedsspruch zu fällen. Das Bonner Wasserwerk ist kein Schöneberger Ersatzrathaus.
Unsere Aufgabe kann nur sein, unsere Aufgabe muß aber auch sein, aus bundespolitischer Sicht einen Beitrag zu liefern, Maßstab und Rahmen dazu zurechtzurücken, was in den Berliner Bezirken Kreuzberg und Neukölln am 1. Mai geschah und was danach darüber gesagt wurde.Meine Damen und Herren, Sprache ist verräterisch. Sprache entlarvt. Wer mit unzutreffendem Ausdruck kommentiert, zeigt, daß auch seine Analyse unzutreffend ist.Unzutreffend war, Frau Senatorin, die Einschätzung des Regierenden Bürgermeisters Momper, als er in den gewalttätigen Ausschreitungen jener Nacht einen Angriff auf seine Koalition sah.
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10500 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 142. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. Mai 1989
LüderHier ging es nicht um politisches Handeln gegen eine rot-grüne Koalition. Hier ging es um kriminelle Taten gegen den Staat und unsere Mitbürger.
Vielen Mittätern — auch das müssen wir sehen — ging es allein um Kriminalität als solche, um „crime as such". Hier war bei vielen überhaupt nicht Politik gefragt oder gefordert.Die Sprache der SPD, wonach es sich um politische Taten handelte, erwies sich als brüchig. Aber ich mache auch nicht die Formulierung mit, Kollege Gerster, daß die Stadt Berlin vom Mob regiert worden sei, oder, Herr Kollege Regenspurger, daß die SPD Volksfrontpolitik mache. Das hilft beides nicht weiter.
Beides ist gesagt worden.
Aber insbesondere sind hier die Kollegen von den GRÜNEN gefordert. Noch bis zum Januar wurden sie hier durch Ellen Olms vertreten, die jetzt zu jenen gehört, die den schweren Landfriedensbruch einen „Protest jenseits der Form von Protestnoten" nennen.
Ich akzeptiere die ablehnende Haltung dazu, die Sie, Herr Kollege German Meneses Vogl, gestern geäußert haben. Aber es reicht nicht aus, daß hier die GRÜNEN bloß Distanz formulieren, solange sie sich scheuen, Konsequenzen gegenüber jenen ihrer Freunde zu verlangen, die die falsche Solidarität und damit die kriminalitätsfördernde Toleranz unterstützen.Auch die SPD muß mehr tun, als nur verbale Distanz zum Verbrechen zu zeigen. Solange die SPD mit der AL regiert, muß sie den Kahn verteidigen, in dem sie mit solchen Leuten sitzt, die den Staat jenseits unserer Demokratie errichten wollen.Wir Freien Demokraten erwarten, daß das Berliner Abgeordnetenhaus und der Senat in der Lage sein werden, die schrecklichen Ereignisse vom Anfang dieses Monats aufzuarbeiten. Da müssen die Fragen beantwortet werden, wieso eigentlich ein Senator, der schon einmal mehrere Jahre Senatsverantwortung getragen hat, und ein Polizeipräsident, der schon einmal mehrere Jahre Verwaltungserfahrung gelernt hatte, bevor er von der damaligen Koalition zum Polizeipräsidenten ernannt wurde — ich nenne hier bewußt beide — , so schrecklich aneinander vorbeireden konnten, daß sie oder einer von ihnen das Grundwissen des Verwaltungsrechts außer acht ließen, zu wissen, wann Weisung gegeben ist und wann Verantwortung getragen werden muß. Das, was hier geschehen ist, wird im Abgeordnetenhaus zu klären sein. Das ist nicht unsere Aufgabe.Wir müssen drei Konsequenzen ziehen:Erstens. Oberstes Ziel allen politischen Bemühens muß es sein, mit allen Kräften dazu beizutragen, daß sich nicht wiederholt, was in Berlin geschah.Zweitens. Die dunkle Nacht zum 2. Mai eignet sich nicht zur politischen Profilierung, für wen auch immer, hier in Bonn.
Drittens. Verantwortliche Politik fordert, über Parteigrenzen hinweg nach Wegen zu suchen, daß in Kreuzberg und Neukölln wieder Friedlichkeit einkehrt.Diese politische Deeskalation ist unsere gemeinsame Aufgabe hier in Bonn und in Berlin.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Meneses Vogl.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Gerster, das war eine Demonstration Ihres sozialen Gefühls für Berlin. Ihnen geht es nicht um Berlin, sondern allein um die Abrechnung mit der rot-grünen Hoffnung. Ihnen geht es darum, diese Hoffnung zu zerstören. Aber das wird Ihnen nicht gelingen.
Was am 1. Mai in Berlin geschehen ist, hat mit linker Politik nichts zu tun. Das muß man erst einmal klarstellen.
Diejenigen, die in der blindwütigen Gewaltanwendung und in der Lust an Zerstörung eine politische Rechtfertigung finden wollen, betreiben eine unverantwortliche Glorifizierung von Gewalt.
Gewalt ist die tragische Notwendigkeit vieler um ihre Befreiung kämpfender Völker. Aber diese Gewalt auf bundesrepublikanische Verhältnisse zu übertragen ist absurd und mörderisch.
Die „Kreuzberger Krawalle" haben uns allen geschadet, vor allem denen, die in Kreuzberg leben. Sie haben sie auf eine neue, sensible Art nachdenklich gemacht.Zum ersten Mal in der Geschichte der „Krawalle" in dieser Stadt diskutieren Autonome und ältere Kiezbewohner, ganz normale Bürger und Alternative, ausländische Mitbürger gemeinsam über die Folgen der sogenannten Randale, über eine gemeinsame Vorgehensweise für eine Befriedung ihres Stadtteils, über Lösungen und Auswege aus der verhärteten Situation.
Gefühle des Hasses, der Empörung mischen sich auch mit Nachdenklichkeit über das, was geschehen ist, und wie es dazu kommen konnte.
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 142. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. Mai 1989 10501
Meneses VoglNur die CDU sieht das offensichtlich anders und zeigt, daß sie nicht gewillt ist, aus ihrer niederschmetternden Wahlniederlage neue Schlüsse zu ziehen. Wie üblich — und das haben die Berliner in den letzten Jahren zur Genüge erfahren — verlangt sie auch in diesem Fall, Stärke und Härte zu zeigen, vor allem möglichst viel Härte.Härte und soziale Gefühllosigkeit gegenüber Minderheiten waren die herausragenden Merkmale, die die frühere CDU/FDP-Koalition ausgezeichnet haben.
Sie haben die Herausbildung der Zwei-Drittel-Gesellschaft offensiv vertreten.
Was soll denn das ausgeschlossene restliche Drittel davon halten, wenn eine glanzvolle 750-Jahr-Feier nur für ganz bestimmte Schichten und Touristen veranstaltet
und andererseits ein Stadtteil wie SO 36 vernachlässigt wird
— ich bin Berliner, Kollege —
— Wenn Sie der Meinung sind, daß die ausländische Bevölkerung nicht Berliner ist, zeigt das, welche Vorstellungen Sie von Berlin haben —,
wenn dieses restliche Drittel bei Ihnen sogar als Touristenattraktion verkauft wurde?So hart das auch sein mag, so ist es gewesen, meine Herren von der CDU. Und die Quittung habe ich nicht ausgestellt, sondern die Berliner selbst. Aus diesem Grund steht Ihnen auch nicht zu, heute über die angebliche Gefährdung des Rechtsstaates und der inneren Sicherheit zu reden.Auch Sie — und vielleicht gerade Sie — sollten sich fragen, ja müssen sich sogar fragen, was einen Teil sehr junger Menschen dazu treibt, zu solchen Mitteln zu greifen.Der 1. Mai 1989 in Berlin ist das Ergebnis Ihrer Politik der Härte und der sozialen Ausgrenzung.
Sie haben gezeigt und zeigen es heute immer noch,daß Sie von einer obrigkeits- und polizeistaatlichenPhilosophie ausgehen, wenn es um die Lösung vonschwierigen sozialen Konflikten geht, die u. a. aus Ihrer Politik resultieren.
Sie haben stets den leichteren Weg ausgewählt, weil Sie wissen, daß der Staat immer den längeren Atem besitzt. Und Sie haben ihn gegen die Schwächeren benutzt. Auf den Gedanken, daß mehr Polizeistaat mehr Angst hervorruft und daß die nur scheinbare Ruhe und Ordnung, auf die Sie so stolz sind, nur Ergebnis dieser Angst ist, sind Sie nicht gekommen.
Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit ist zu Ende.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nur einen letzten Satz: Die Politik der Deeskalation des rot-grünen Senats ist der Versuch, den sozialen Problemen eines Teils der Bevölkerung mit größerer Verantwortung zu begegnen. Es wäre vermessen zu behaupten, der neue Senat habe die endgültige Lösung gefunden.
Sie müssen jetzt aufhören, Herr Abgeordneter. Sprechen Sie bitte noch einen Satz.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wenn die Politik der Deeskalation ein Abrücken von polizeistaatlichem Denken und Handeln bedeutet, wenn Deeskalation Dialog und Auseinandersetzung heißt, wenn Deeskalation eine soziale, kulturelle und politische Integration der Minderheiten und Ausgegrenzten in dieser Gesellschaft bedeutet, dann ist das der richtige Weg.
Das Wort hat der Bundesminister des Innern.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Ausschreitungen und Gewalttätigkeiten am 1. Mai in Berlin, die Bilder der Zerstörung und der Ohnmacht des Staates haben viele Bürger betroffen gemacht und verängstigt.
Und dies, Herr Kollege Lüder, wirkt über Berlin hinaus.
Wir reden hier nicht über Polizeiführung und Polizeieinsatz in einem Bundesland. Aber die Verantwortung für den inneren Frieden tragen wir alle, dieses Hohe Haus und auch der Bundesinnenminister.
Innerer Frieden ist die Grundlage für demokratisches Leben, für das Funktionieren eines demokratischen Gemeinwesens. Demokratie kann nur leben mit der Bereitschaft der Bürger, Konflikte friedlich und in ge-
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10502 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 142. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. Mai 1989
Bundesminister Dr. Schäublegenseitiger Achtung auszutragen. Mindestvoraussetzung dafür ist der Verzicht auf Gewalt als Mittel zur politischen Auseinandersetzung.
Wer, wie die gewalttätigen autonomen Gruppen in Berlin und ihre Mitläufer, den Gesetzesbruch propagiert und praktiziert, der leugnet das Mehrheitsprinzip, der setzt seine eigene politische Meinung absolut und handelt totalitär.
Wer zur Gewalt greift, sagt der inneren Friedensordnung und dem Recht den Kampf an. Freiheit, meine Damen und Herren, kann nur dort gedeihen, wo die Unverbrüchlichkeit des Rechts gilt.Wer aber wie bei den Ausschreitungen in Berlin um Leben und Gesundheit, Eigentum oder andere Rechtsgüter fürchten muß, der lebt nicht wirklich frei; denn Freiheit bedeutet für den Bürger auch die Freiheit von Angst vor Gewalt.
Wo der Rechtsfrieden gebrochen wird, kann der Staat nicht abseits stehen, denn er schuldet seinen Bürgern Schutz, vorsorgend — präventiv ebenso wie dann, wenn der Frieden gebrochen wird.
Im Sinne der Prävention, meine Damen und Herren, haben wir Maßnahmen ergriffen, um das Recht zu gewährleisten, sich friedlich und ohne Waffen zu versammeln. Vor wenigen Wochen hat dieses Hohe Haus ein Artikelgesetz gebilligt, das die Schaffung strafbewehrter Verbote der Vermummung und der passiven Bewaffnung bei öffentlichen Versammlungen vorsieht. Dieser Schutz der Versammlungsfreiheit ist wichtig, denn es geht auch um die Freiheit der politischen Willensbildung in einer pluralistischen Demokratie.
Wo Gewalttäter dieses Recht mißbrauchen oder systematisch den Rechtsfrieden brechen, da muß der Staat ihnen entgegentreten.
Es geht nicht an, wenn rechtsfreie Räume wie etwa in der Hafenstraße in Hamburg über Jahre hinweg geduldet werden. Wer dies tut, untergräbt das Bewußtsein der Bürger von der friedenstiftenden Verbindlichkeit unserer Rechtsordnung.
Dasselbe, meine Damen und Herren, geschieht, wenn bei den Bürgern der Eindruck wächst, mit Leib und Leben oder Eigentum dem Terror ausgeliefert zu sein. Das wird auch nicht besser, wenn man es Deeskalation nennt.
Gewiß ist es die Pflicht demokratischer Politiker, den Dialog auch und gerade mit Andersdenkenden zu suchen. Aber Sinn macht dies nur mit einem Gegenüber, das auch den Dialog will. Wo der freiheitliche Staat selbst mit Terror und Übergriffen getroffen werden soll, ist die einzig angemessene Antwort, alle Möglichkeiten konsequent zu nutzen, die das Recht uns gibt, unsere rechtsstaatliche Ordnung zu wahren. Dies ist die Pflicht des Staates.
Meine Damen und Herren, Ernst-Wolfgang Bökkenförde hat einmal gesagt, daß der freiheitliche Staat von Voraussetzungen lebt, die er selbst als freiheitlicher Staat gar nicht garantieren kann. Dazu gehören der Konsens über Grundwerte und Grundrechte, aber auch das Gewaltmonopol des Staates und der innere Frieden. Dazu gehören gesicherte Verfahren der demokratischen Willensbildung und der rechtsstaatlichen Kontrolle.Deshalb sind wir alle, nicht nur der Staat, nicht nur die Politik, auch Institutionen wie Schulen, Kirchen, Familien oder Medien aufgerufen, unseren Beitrag zu leisten, daß der innere Frieden gewahrt bleibt, daß die politische Auseinandersetzung sich in Bahnen vollzieht, die friedlichen Dialog möglich machen.Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Bewußtsein unserer grundgesetzlichen Ordnung und der Zuständigkeit von Ländern für ihren Bereich nach dem Grundgesetz möchte ich mich sehr bewußt auf diese allgemeinen Bemerkungen hier beschränken. Aber ich will doch noch zwei konkrete Anmerkungen zur Situation in Berlin machen.Der Berliner Innensenator hat sich in einem Interview der „taz" vom 5. Mai über unzureichende Informationsbeschaffung des Berliner Verfassungsschutzes beklagt. Die darin zum Ausdruck kommende Wertschätzung gegenüber dem Verfassungsschutz teile ich. Der Verfassungsschutz gehört zu den notwendigen Sicherheitskräften für unseren freiheitlichen Rechtsstaat.
Seine Informationen — es ist wichtig, dies wieder einmal zu sagen — sind ein unverzichtbarer Bestandteil einer vollständigen Gefährdungsanalyse.
Meine Damen und Herren, wer dies wünscht, darf nicht in das sensible Instrument des Verfassungsschutzes willkürlich personell oder organisatorisch eingreifen.
Wer dies tut, beeinträchtigt die Funktionsfähigkeit des Verfassungsschutzes, und er entmutigt unsere Sicherheitskräfte.
Ein zweites. Ich halte es nicht für akzeptabel, daß zur Wahrung des Rechts auf friedliche Demonstration eingesetzte Polizisten — dafür sind sie nämlich einge-
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 142. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. Mai 1989 10503
Bundesminister Dr. Schäublesetzt worden — zu Hunderten von Chaoten verletzt und lebensgefährlich bedroht werden.
Ich möchte an dieser Stelle nachdrücklich meine Anerkennung den Berliner Polizeibeamten aussprechen, die unseren Rechtsstaat und unsere freiheitliche Ordnung in dieser schweren Stunde unter Einsatz von Leib und Leben verteidigt haben. Meine sehr verehrten Damen und Herren, die politisch Verantwortlichen sollten unsere Polizeibeamten dabei nicht alleine lassen.
Das Wort hat das Mitglied des Senats von Berlin, Frau Professor Pfarr.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Herren, meine Damen! Schrecken und Entsetzen: Dies war und ist die Reaktion der Bevölkerung und des Senats von Berlin auf die Ausschreitungen vom 1. Mai in Kreuzberg. Schrecken und Entsetzen angesichts der 346 verletzten Polizeibeamtinnen und -beamten, angesichts der schweren Sachbeschädigungen, der zerstörten Geschäfte und der ausgebrannten Fahrzeuge. Schrecken und Entsetzen aber auch angesichts der Brutalität, der Roheit und Rücksichtslosigkeit der Gewalttäter, die gezielt Polizeibeamtinnen und -beamte verletzen wollten, die selbst Einsatzfahrzeuge der Feuerwehr angriffen und zum Rückzug zwangen.Diese Bereitschaft zu kriminellen Handlungen und diese Verrohung vieler, meist noch junger Menschen muß uns alle in Schrecken und Entsetzen versetzen, über die Parteigrenzen hinweg.
Der eingetretene Schaden für die Stadt ist groß. Er wird größer, wenn Sie, meine Herren und Damen von der CDU/CSU, die Ereignisse ins Maßlose verzerrt darstellen, wenn Sie versuchen, die berechtigte Empörung durch absurde Vergleiche noch zu steigern,
um Ihr politisches Süppchen zu kochen.
Berlin mit Beirut zu vergleichen, schädigt den Ruf der Stadt weltweit.
Dies werden wir auch noch spüren, wenn die Körper- und Sachschäden längst behoben sind.
Alle Parteien sollten solchen Vergleichen entgegentreten, statt mit ihnen Politik zu machen.
In Beirut sterben täglich Menschen als Bürgerkriegsopfer. Was in Berlin geschah, war schlimm genug. Aber es beschränkte sich doch auf einen relativ kleinen Teil Kreuzbergs mit traditionell besonderen Problemen.
Wir haben hier mit die größte Arbeitslosigkeit in der Stadt. Dies hat der frühere Regierende Bürgermeister Diepgen mit zu verantworten.
Ich muß mit Empörung zurückweisen, wenn derselbe Herr Diepgen heute den Zeitungen weismacht, Kreuzberg sei zur Plünderung freigegeben.
Dies ist Rufmord an Berlin, für den sich der ehemalige Bürgermeister der Stadt schämen muß.
Wir können nicht übersehen, daß sich in Kreuzberg die sozialen Probleme der Stadt, ja, der gesamten Bundesrepublik exemplarisch bündeln. Es besteht auch der begründete Verdacht, daß zu den Ausschreitungen am 1. Mai viele Militante extra nach Berlin gereist sind. Doch sind solche Ausschreitungen kein spezielles Berliner Problem. Ich erinnere an militante Angriffe auf die Polizei in Hamburg, Frankfurt und in vielen anderen Orten. Selbst vor Morden schreckte man an der Startbahn nicht zurück.Ausschreitungen und Gewalttaten auf der Straße sind auch kein Problem, das allein den rot-grünen Senat betrifft. Ich darf Sie daran erinnern, daß es ja bereits in den Jahren 1987 und 1988, also unter dem CDU/FDP-Senat, zu schweren Ausschreitungen während der IWF-Tagung und des Reagan-Besuchs in Berlin und jeweils am 1. Mai gekommen ist. Auch damals brannten Autos, wurden Geschäfte geplündert und viele Polizisten verletzt.
Am 1. Mai 1987 entstand sogar ein rechtsfreier Raum: Nach dem Rückzug der Polizei beherrschten Militante stundenlang unangefochten die Straße — 1987!Damals haben Sozialdemokraten auf ungelöste soziale Probleme als Hintergrund dieser Ausschreitungen hingewiesen, statt zu versuchen, in Presse, Funk und Fernsehen aus Krawallen Kapital zu schlagen.
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10504 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 142. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. Mai 1989
Senator Frau Dr. PfarrSie sollten von Ihrer kurzsichtigen Taktik Abstandnehmen und sich daran beteiligen, gemeinsam überdie Bekämpfung der sozialen Ursachen von Gewalt
und über ihre Eindämmung durch geeignete Maßnahmen des Rechtsstaates nachzudenken.
Wir haben keinerlei Bedarf, darüber belehrt zu werden, daß Gewalt mit allen gebotenen Mitteln bekämpft werden muß.
Sehr wohl aber ist es des Nachdenkens wert, welche Maßnahmen mehr Nutzen als Schaden stiften.
Denken Sie mit uns nach, statt nur die Propagandatrommel gegen Berlin zur rühren!
In der Grundlinie ist die Haltung des Senats von Berlin völlig klar: Wir werden weiterhin mit allen gebotenen Mitteln gegen Gewalttäter vorgehen.
Wir werden Ihnen und denen, die solche Szenen gerne in Sonntagszeitungen konsumieren, aber nicht den Gefallen tun, nur auf Härte zu setzen. Autonome Desperados sind gesellschaftlich zu isolieren, wenn es denn nicht gelingt, sie für diesen Staat wiederzugewinnen.
In eine Sackgasse, in der sich Gewalt und staatliche Gegengewalt gegenseitig hochschaukeln, wird sich der Berliner Senat nicht treiben lassen.
Wir können heute mit Genugtuung feststellen, daß die Zahl derer, die mit den Berliner Gewalttätern heimlich oder offen sympathisieren, sehr gering geworden ist. Alibis in Gestalt von Hinweisen auf sogenannte Provokationen durch die Polizei gibt es nicht. Noch nie hat es eine solch breite und einhellige Verurteilung der Krawalle gegeben.
Eine früher teilweise vorhandene Gleichgültigkeit gegenüber den Ausschreitungen ist gutem Willen gewichen,
der Gewalt ein deutliches Signal entgegenzusetzen. Hierzu gehört selbstverständlich auch der angemessene und wirkungsvolle Einsatz der Polizei.Der neue Senat bemüht sich aber gleichfalls hartnäckig um die Gewinnung von Menschen, gerade auch derjenigen, die bisher dem Staat und auch der Polizei kritisch oder gar feindlich gegenüberstanden. Erst dadurch schaffen wir in den betroffenen Stadtbereichen die Grundlagen für ein erfolgreiches Vorgehen der Polizei. Das beweisen alle historischen Erfahrungen.
Unser Konzept der Deeskalation, an dem wir festhalten, bedeutet nicht etwa Rücksicht auf Gewalttäter,
sondern es bedeutet Schonung der Unbeteiligten.
Es bedeutet, daß sich der Staat nicht so verhält, wie dies das Feindbild der Militanten verlangt.
Der Weg der primitiven, undifferenzierten Härte der CDU-Senatoren Lummer und Kewenig
hat nicht zu weniger, sondern zu immer mehr und immer brutaleren Ausschreitungen geführt.
Es hat immer wieder Übergriffe gegen Unbeteiligte und gegenüber Journalisten, ja selbst gegen eigene Beamte möglich gemacht. Auch das hat Berlin geschädigt; Sie sollten dies nicht verschweigen und nicht vergessen.Daß es bei der Umsetzung und Ausführung unserer Konzeption am 1. Mai noch Mängel gegeben haben mag, sollen und können wir nicht ausschließen.
Doch keine Polemik wird uns von unserem besseren Weg der Befriedung und des gezielten Einsatzes polizeilicher Mittel abbringen.
Wir sind überzeugt davon, daß unsere Konzeption der Deeskalation die Chance zur Zurückdrängung der Gewalt bietet.
Im Interesse der Bürgerinnen und Bürger Berlins halten wir an ihr fest.
Meine Damen und Herren, der fraktionslose Abgeordnete Wüppesahl ist mit einer Entscheidung des Präsidenten nicht einverstanden, der ihm eine Redezeit von drei Minuten angeboten und zugesagt hat, und nutzt deshalb sein Rede-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 142. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. Mai 1989 10505
Vizepräsident Westphalrecht nach der Geschäftsordnung. Er möchte sich zur Geschäftsordnung melden. Er hat danach das Recht, zu reden.
Meine Damen und Herren! Auch diese wichtige Debatte wird durch die Tatsache belastet, daß immer noch nicht das berücksichtigt wird, was ich in Karlsruhe beantragt habe, nämlich eine fünfminütige Mindestredezeit, und was auch von allen dort gehörten Parteien einschließlich der Vizepräsidentin, Frau Annemarie Renger, für sinnvoll erachtet worden war, und zwar durch die Abmachung des Präsidiums, meine Redezeiten in der Regel um 50 % zu reduzieren. Ich habe beantragt, mir fünf Minuten Redezeit zu geben, weil, wie Sie wissen, mein Arbeitsschwerpunkt bis zum Ausschluß aus der Fraktion DIE GRÜNEN im Bereich der Innen- und Rechtspolitik gelegen hat und ich darüber hinaus als berufliche Biographie auch noch den Beruf des Polizeibeamten mitbringe und die Rolle der Polizei gerade bei dem Thema, das wir in dieser Aktuellen Stunde heute diskutieren, ein ganz besonderes Gewicht hat.
Ich denke, auch diese fachlichen Gesichtspunkte sprechen dafür, daß ich länger als zwei oder drei Minuten — drei sind mir, wie vom Präsidenten dem Plenum eben zur Kenntnis gebracht, auch tatsächlich angeboten worden — sprechen kann. Ich denke, das ist sehr eingängig. Drei Minuten sind nicht geeignet, um Gedankengänge sinnvoll hinüberzubringen; sie sind nur dann sinnvoll, wenn beispielsweise der Kollege Such zwei Minuten auf einen fünfminütigen Redebeitrag des Kollegen Meneses folgen läßt, wenn also ein Grundsatzbeitrag zu der Gesamtproblematik bereits erfolgt ist, man darauf aufbauen und im besonderen auf die in dieser Debatte besonders scharfen Ausführungen vieler politischer Gegner, die vor einem das Wort ergriffen hatten, replizieren und eingehen kann.
Ich denke, daß Sie schon des öfteren die Gedanken und die Argumente, die dafür sprechen, daß es sinnvoll ist, eine fünfminütige Mindestredezeit zu bekommen, wenn man eine Parlamentseinheit ist, und das bin ich — —
— Ihr Lachen zeigt sehr vieles.
Herr Abgeordneter, sprechen Sie bitte zur Geschäftsordnung und nicht über irgendwelche Kommentare zu dem Verhalten anderer...
Aber das Lachen — —
... Das, was Sie mit der Geschäftsordnung wollen, geht offensichtlich darauf hinaus, daß Sie fünf Minuten reden wollen. Sagen Sie das bitte in einem Satz, das kann man nämlich in einem Satz sagen . . .
Aber ich möchte jetzt — —
... Oder sagen Sie es in einer Minute — das sei auch zugestanden — aber
nicht im Mißbrauch des Rederechts nach der Geschäftsordnung, Herr Abgeordneter.
Es ist kein Mißbrauch, wie Sie wissen, sondern ich darf fünf Minuten begründen, weshalb es sinnvoll ist, mindestens fünf Minuten reden zu dürfen.
Die Absurdität, Antje Vollmer, hast du in deinem Abstimmungsverhalten bei Obleutebesprechungen und ähnlichem mehr selbst mit herbeigeführt.
Daß du, gerade wo GRÜNE ständig aufheulen, wenn es um Minderheitenrechte geht, weil sie selbst so oft über den Tisch gezogen werden,
solche undemokratischen Verfahrensweisen mitträgst und sogar noch zu lachen anfängst, ist, denke ich, in der Tat peinlich.
Der einzelne Abgeordnete stellt eine Arbeitseinheit des Parlaments dar und nicht die Fraktion. Die Fraktionen stellen auch welche dar. Aber da ich zur Zeit ohne weitere Kollegen arbeite,
ist es auch sehr sinnvoll, mir eine Mindestredezeit von fünf Minuten zu diesem Sachverhalt einzuräumen. Das Problem ist jetzt natürlich — das mache ich, wie Sie wissen, inzwischen leider bewußt —,
daß ich dann insgesamt acht Minuten rede, also uns alle tatsächlich drei Minuten mehr beanspruche, als ich eigentlich beantragt habe.
Das ist in der Tat ein Dilemma, das ich, wie Sie sich vorstellen können, selbst am liebsten vermeiden würde, weil mir meine Ausführungen zur Sache sehr viel wichtiger als die zur Geschäftsordnung sind. Aber Sie machen es mir nicht möglich, einen anderen Weg zu gehen als den, den ich jetzt ständig wieder beschreite.Ich mache auch darauf aufmerksam, daß wir in dieser Sitzungswoche noch eine lange Tagesordnung vor uns haben und daß ich gewillt bin, dieses Verfahren so, wie vor zwei Wochen angekündigt, durchzuhalten. Ich habe Ihnen aber auch angezeigt, daß ich in der letzten Sitzungswoche nicht ein einziges Mal gesprochen habe.
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10506 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 142. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. Mai 1989
Wüppesahl— Aber Ihre Kollegen, Frau Hämmerle. Ihre Kollegen sprechen ständig stellvertretend auch für Sie die Meinung der SPD-Fraktion und damit auch der Kollegin Hämmerle hier zu Protokoll.Meine Damen und Herren! Ich denke, weitere überzeugende Ausführungen sind nicht nötig, zumal ich sehe, daß jetzt „00" als Redezeit, die mir verblieben ist, aufleuchtet. Ich bitte um Zustimmung zu meinem Geschäftsordnungsantrag, mir fünf Minuten Redezeit einzuräumen.
Meine Damen und Herren! Erstens. Herr Abgeordneter Wüppesahl, Ihre unzutreffenden Darstellungen über das, was Frau Vizepräsidentin Renger in Karlsruhe gesagt hat, weise ich zurück.
Zweitens stelle ich noch einmal fest, daß unsere Regeln über die Aktuelle Stunde besagen, daß diese exakt eine Stunde zu dauern hat. Das heißt, Sie ist in 5-Minuten-Beiträge aufgeteilt. Die kleinste unserer Fraktionen, die mehr als 30 Abgeordnete hat,
hat das Recht, in dieser Stunde sieben Minuten zu sprechen. Ein einzelner Abgeordneter kann nicht beanspruchen, so wie eine ganze Fraktion behandelt zu werden. Das muß er einsehen. Ein Präsident darf sich auch nicht unter Druck setzen lassen, auch nicht durch den Mißbrauch einer Rede zur Geschäftsordnung; denn das war es.
Meine Damen und Herren, ich stelle den Antrag des Abgeordneten Wüppesahl zur Abstimmung. Er hat eine Redezeit von fünf Minuten in der Aktuellen Stunde beantragt. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Danke schön. Wer stimmt dagegen? — Stimmenthaltungen? — Bei einer Reihe von Stimmenthaltungen und 4 Stimmen dafür ist dieser Antrag abgelehnt. Es bleibt also bei einer Redezeit von drei Minuten für Herrn Wüppesahl, die ich einzuordnen weiß.
Nächster Redner ist der Abgeordnete Lummer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es liegt wohl in der Natur der Sache, daß an einem solchen Tage der Versuch gemacht wird, Sünden und Sündenböcke zu finden. Das ist verständlich. Aber gelegentlich hat man den Eindruck, daß hier wirklich fürchterlich übertrieben wird. Wenn ich an die Ausführungen der Senatorin Pfarr denke, dann glaube ich, daß Sie offenbar eines nicht gelernt haben: Wir sind hier nicht in der Stunde Null. Wir sind alle Erfahrene, zum Teil leidgeprüfte Erfahrene in Sachen Demonstrationen und Gewalttätigkeiten. Insofern können wir über das Stadium des Suchens nach Sündenböcken ein wenig hinausgehen und wesentliche Lehren vermitteln, die aus diesen Erfahrungen gewonnen worden sind.Sie haben gesagt: Das Konzept der Deeskalation bleibt. Dies ist auf seiten der Polizei so verstanden worden und mußte so verstanden werden — auch in der Koalitionsvereinbarung steht das so — : Weg mit der demonstrativen Präsenz der Polizei, sie könnte provozierend wirken; nehmen wir sie zurück.Meine Damen und Herren, eine Erfahrung besagt schlicht und einfach: Diesen Leuten, die weder dialogfähig sind noch einen Dialog wollen, wird eine solche Situation eine Einladung zu Gewalttaten und nichts anderes sein.
Aus dieser Erfahrung muß man wissen, daß, wenn am 1. Mai in Kreuzberg eine solche Demonstration von solchen Leuten beantragt wird, Gefahr im Verzuge ist. Dann hat die Polizei dazusein und so stark dazusein, daß sie erfolgreich tätig werden kann. Wer diesen Leuten den Erfolg überläßt, weiß genau — jene politische Wahrheit: Der Erfolg ist das beste Mittel zum Erfolg — , daß sie wie in der Vergangenheit weitermachen werden.Bitte schön, man lobt sich verdammt nicht gern selbst;
aber Sie müssen doch einfach einmal begreifen, daß nach 1981, als wir wirklich schwierige Lagen vorgefunden haben, das konsequente Vorgehen der Polizei dazu geführt hat, daß wir in Berlin jahrelang Ruhe vor gewalttätigen Demonstrationen gehabt haben.
Das ist eine Erfahrung, die man doch gar nicht übersehen kann.Meine Damen und Herren, eine weitere Wahrheit: Ich finde es schon ein bißchen makaber, wenn der Senator Pätzold zunächst einmal die politische Verantwortung auf sich nimmt und dann in den letzten Tagen sagt, die Polizei sei für alles verantwortlich.
Ihr wird gewissermaßen die Schuld zugewiesen. Aber, meine Damen und Herren, man muß doch wissen, daß die Fehleinschätzung, die gemacht worden ist, die Polizei in diese Rolle gedrängt hat und der Polizei nicht die Schuld zugeschoben werden kann, sondern daß die Schuld in der politischen Führung liegt, was Herr Pätzold früher auch immer bei anderen gesagt hat. Er macht jetzt etwas, was total schädlich ist: Er demotiviert die Polizei, er verunsichert die Polizei, er verärgert sie. Das kann für die Lösung der Probleme, die wir vor uns haben, nur schädlich sein.
Meine Damen und Herren, eine nächste Lehre: Wir haben erneut und wiederholt erfahren, daß die Vermummung, d. h. daß die Anonymität der Maske und der Masse benutzt wird, um Straftaten zu begehen. Diese Lehre ist offenkundig vorhanden. Wenn das so ist, dann muß es das politische Ziel aller Parteien und aller Gruppierungen sein, diese Vermummung wegzubekommen, und dann muß man einerseits diese Vermummung diskreditieren, man muß diejenigen, die so etwas tun, isolieren, andererseits muß man der Polizei die Möglichkeit in die Hand geben, aus einer Demonstration die Vermummten herauszuholen. Das muß
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Lummergerade zu Beginn der Geltung neuer Gesetze passieren; sonst wird man nicht erfolgreich sein.
Wer wie Herr Pätzold die Vermummung zunächst einmal tolerieren will,
der ist auf dem falschen Wege.
Die nächste Bemerkung: Es ist oft gesagt worden, soziale Fragen spielen eine Rolle. Das kommt auch jetzt wieder. Ich bitte um Entschuldigung: Es gibt sicherlich soziale Mängel in unserem Staat, aber nicht einmal in Kreuzberg gibt es solche Mängel, die solche Gewalttaten rechtfertigen könnten. Das muß jeder begreifen.
Meine Damen und Herren, dieses ist ein Spiel das nicht gegen eine Partei, sondern gegen den Staat getrieben wird, und deswegen müssen wir versuchen, allesamt dagegen vorzugehen. Ich könnte mir sogar vorstellen, daß auch ein Wort des Bundespräsidenten in dieser Situation der Anklage gegen die Gewalt heilsam sein könnte.
Eine letzte Bemerkung: Frau Pfarr, jeder redliche Mensch, so sage ich mal, muß bereit sein, sich mit den Maßstäben messen zu lassen, mit denen er selber andere mißt.
Einen Maßstab hat Herr Momper nach 1987 gesetzt. Da hat er nämlich gesagt, der Innensenator sei seiner Aufgabe nicht gewachsen gewesen. Obwohl jene Demonstration 1987 erstens überraschend kam, zweitens der Schaden viel geringer war und drittens das Verhalten der Polizei dazu führte, daß 1988 keine dieser Demonstrationen mehr stattgefunden hat, sagte Herr Momper — das ist jetzt O-Ton Momper — : „Herr Regierender Bürgermeister, lassen Sie Herrn Kewenig zurücktreten, schicken Sie ihn in die Wüste, er schadet der Stadt! " Dieses Momper-Wort fällt doch in viel größerer Intensität auf den jetzigen Innensenator zurück. Wenn Sie nicht mit zweierlei Maß messen, müßten Sie eigentlich wissen, was Sie jetzt zu tun haben.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Wartenberg .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist bestimmt das gute Recht der CDU/CSU-Fraktion, zu diesen schwierigen und auch schlimmen Vorgängen in Berlin eine Aktuelle Stunde zu beantragen.
Aber es ist nicht verständlich, daß Sie sich eigentlich nicht nachdenklich mit diesen Auseinandersetzungen beschäftigen, sondern daß Sie sich darin suhlen. Das heißt, es kommt Ihnen gelegen, was dort in Berlin passiert ist, und es ist für Sie eigentlich nur ein Instrument, um politische Polemik gegen einen Senat zu finden, der Ihren Senat abgelöst hat. Das ist eigentlich der Hintergrund, der nach wie vor nicht verständlich ist.
Zwei Worte zu Herrn Lummer. Sie sagten, in Berlin sei in der Zeit, als Sie Senator gewesen seien, Ruhe gewesen. Ich wohne seit 22 Jahren in Kreuzberg und genau da, wo in der Regel die Auseinandersetzungen passieren. Es hat über all die Jahre nicht das Mindestmaß an wirklicher Friedlichkeit dort gegeben. Es gab immer eine latente und immer wieder offene Gewalttätigkeit. An jedem schönen Sommerabend, an jedem Wochenende mußte man sehen, ob man mit dem Auto überhaupt nach Hause kam, weil am Heinrichsplatz oder sonstwo was gebrannt hat, Silvester, Weihnachten zuletzt.
Es ist doch einfach nicht wahr, daß diese Probleme beim neuen Senat vom Himmel gefallen sind.
Wenn ich Freitag nach Hause komme, muß ich vorbei an dem abgebrannten „Bolle", 1987 abgebrannt, nie wieder aufgebaut. Das ist damals eine schlimme Situation gewesen
— genauso schlimm übrigens wie in diesem Jahr — : Die Feuerwehr konnte nicht mehr löschen, ungeheure Gewalttaten fanden statt. Die Reaktion darauf — ich bitte Sie, da mal zuzuhören —, die der damalige Innensenator Kewenig aus Unsicherheit zeigte, war ganz interessant. Ich habe hier noch die Überschrift: „Der innere Frieden läßt sich nicht auf den Aspekt der inneren Sicherheit verengen, hartes Zupacken reicht nicht aus." Offensichtlich war unter dem Druck der Situation, unter dem sich der Senat damals selber befand, eine eher größere Bereitschaft zum Nachdenken, als man das heute hat, wo man in der Opposition ist.
Der zweite Punkt: Vermummungsverbot. Haben Sie denn die Bilder nicht gesehen? Wo sind denn da in erster Linie Vermummte aufgetreten? Haben Sie die Bilder nicht gesehen? — Kinder, Jugendliche mit Skateboards haben Autos zertrümmert.
Es stimmt übrigens auch nicht, was die Vermummten oder diejenigen, die sich als Autonome definieren, sagen, daß sie nämlich mit großem Haß gegen den Staat agiert hätten. In den letzten drei Jahren waren auf den Gesichtern — ich kenne es — Spaß und
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Wartenberg
Freude. Das ist das eigentliche Problem: Es wird als Vergnügen angesehen.Wenn Sie jemals miterlebt haben, wie Leute —gut gekleidet, in Boss-Kombination — mit dem Taxi vorfahren, um den ersten Stein zu werfen — neben dem organisierten kriminellen Gewaltpotential — , und zwar in ganz gewaltigem Ausmaß, und wenn Sie wissen, daß ein ganz großer Teil dieser Menschen, die dort mit Begeisterung, mit Geilheit teilnehmen, Westdeutsche, Schulklassen, junge Leute aus Ihren Wahlkreisen sind, dann muß über dieses Problem intensiv nachgedacht werden. Es sind Leute aus Ihren Wahlkreisen, die Sie hier alle sitzen, die Sie glauben, zu Hause ist es heil.
Sie kapieren gar nicht, daß es auch unser aller Problem ist, daß die Lust an der Gewalt, das Sinken der Hemmschwelle, fremdes Eigentum zu zerstören,
offensichtlich ein gesellschaftliches Phänomen ist, das ein dramatisches Ausmaß angenommen hat und das in einem solchen Bezirk wie Kreuzberg mit seinen sozialen Problemen, mit dem ohne Frage vorhandenen organisierten kriminellen Potential kumuliert. Aber das alles ist nicht denkbar — diese vielen tausend Leute, die daran beteiligt sind — ohne die unglaublich vielen Menschen, die aus Sensationslust da sind und eigentlich nur eines wollen: dabeigewesen sein. Darüber muß man auch ein bißchen nachdenken, wenn man das Problem einmal längerfristig in den Griff kriegen will.Es gibt keinen Zweifel: Gegen das kriminelle Potential, das organisiert geplant hat, dort Krawall zu machen, und zwar im schlimmsten Ausmaß, muß hart durchgegriffen werden. Es muß sichergestellt werden — das muß Strategie sein; da gebe ich sogar Herrn Lummer recht — , daß möglichst viele verhaftet und auch der Verurteilung zugeführt werden; denn nur das schreckt noch ab. Alles andere ist bei dieser — übrigens relativ kleinen — Gruppe bedeutunglos geworden. Dort gibt es — das haben die Diskussionen hinterher gezeigt — keinerlei politische Forderung mehr. Es gibt kein Flugblatt mehr, das eine politische Forderung enthält. Politische Begründung hat man überhaupt nicht mehr nötig.Unter dem Aspekt, daß die Vorgänge ein bißchen komplexer sind, daß das, was dort in Kreuzberg passiert, nicht auf einem fernen Stern passiert, sondern daß das Menschen sind, die aus allen Bereichen der Bundesrepublik, aus kleinbürgerlichen und bürgerlichen Verhältnissen kommen und dort dann durchdrehen, sollten wir vielleicht auch einmal selbst — wir alle in unseren Wahlkreisen — ein bißchen intensiver über die Gewaltprobleme nachdenken.Vielen Dank.
Meine Damen und Herren, ich muß noch eine Zwischenbemerkung machen. — Hier ist eine Bemerkung von einem Abgeordneten zu einem anderen Abgeordneten gehört worden, die nicht ins Protokoll kommt, weil sie kein Zuruf gewesen ist. Sie bestand darin, daß der Kollege Straßmeir auf das Stichwort „Chaoten" zu einem seiner hier vorn sitzenden Kollegen gesagt hat: „Das sind Penners Freunde." Ich denke, Herr Straßmeir, Sie sollten das gegenüber Herrn Penner in Ordnung bringen.
Ich rufe als nächsten den Abgeordneten Dr. Hirsch auf.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich mache vier Bemerkungen.Die erste richtet sich an jedermann: Jede Verharmlosung oder verbale Verbrämung dieses Vorganges in Kreuzberg ist unzulässig.
Jeder Versuch, diese Geschehnisse für eigene Zwecke zu nutzen, ebenfalls.Die zweite Bemerkung richte ich an die Berliner Polizei: Die Beamten haben sich einem sorgfältig organisierten Aufruhr und massenhafter Schwerkriminalität von mindestens 2 000 Personen gegenübergesehen: schwerer Landfriedensbruch, versuchter Totschlag, schwere Körperverletzung, Straßenraub, vorsätzliche gemeingefährliche Brandstiftung. Es hat Situationen gegeben, in denen Polizeibeamte von der Schußwaffe rechtmäßig hätten Gebrauch machen können. Sie haben es trotz eigener Lebensgefahr nicht getan. Ich würde mich nicht darauf verlassen, daß das auch in Zukunft so bleibt. Eine Polizei, die sich trotz großer persönlicher Einsatzbereitschaft und persönlichen Mutes in einer solchen Lage nicht durchsetzen kann, gerät in eine schwere Krise — und mit ihr der Staat. Vorgänge dieser Art dürfen sich unter keinen Umständen wiederholen.
Wenn man allerdings von 2 000 präsenten Verbrechern dem Haftrichter nur fünf vorführen kann, dann sprechen erhebliche Anzeichen dafür, daß es schwere Mängel in der Einsatzleitung gegeben hat, daß die Polizeistärke zu gering war und daß die Kenntnisse der Gefährdungslage offenbar nicht ausreichten.
Es gibt auch Anzeichen dafür, daß das Vertrauensverhältnis zwischen Polizei und Innensenator nicht in Ordnung ist. Wenn der Innensenator sagt, er übernimmt die politische Verantwortung, dann muß er sagen, wofür und welche Folgen er für sich oder andere daraus ziehen will; sonst bleibt das eine leere Worthülse. Das sage ich obwohl ich weiß, wie leicht man als Innensenator oder Innenminister in eine Erfolgshaftung geraten kann.Die dritte Bemerkung richte ich an die Bevölkerung. Die Polizei kann soziale Probleme nicht lösen, und sie ist nicht dazu da. Sie kann auch ihre eigene Aufgabe, nämlich den Schutz der Bevölkerung vor Kriminalität, die Wahrung von Sicherheit und Ordnung und die Festnahme von Tätern, ohne das Vertrauen der Bevölkerung und ohne deren Bereitschaft, der Polizei zu helfen, nicht erfüllen. Es ist die Aufgabe auch jedes einzelnen Bürgers, mit dafür zu sorgen,
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Dr. Hirschdaß wir friedlich zusammenleben und daß derjenige ein Verbrecher ist, der Gewalt ausübt, und nicht etwa derjenige, der die Gewalt bekämpft.
Die vierte Bemerkung richte ich an die Politik. Krawalle haben soziale Ursachen. Diese sozialen Ursachen müssen klar erkannt, benannt und politisch beantwortet werden. Wenn wir das nicht tun, werden ganz andere politische Kräfte diese Probleme lösen.
Diese sozialen Probleme sind aber keine Entschuldigung. Gegenüber Gewalt darf es keine Zweideutigkeiten geben.Wenn Vertreter der Alternativen Liste die Polizei diskreditieren, dann fördern sie damit die Reaktion. Wenn eine Abgeordnete erklärt, daß die revolutionäre Demonstration ein voller Erfolg für linke Politik in West-Berlin gewesen sei, dann ist sie ihrer Verantwortung nicht gewachsen.
Wenn prominente Mitglieder der Alternativen Liste erklären, sie hätten Verständnis für diejenigen Menschen, wie es heißt, für die eine autonome Militanz und spontane „riots" — das soll „Tumulte" heißen — grundsätzlich ein legitimes Mittel der Auseinandersetzung seien, dann hören das Verständnis und die Möglichkeit der Zusammenarbeit auf.
Wer sich mit solchen Kräften verbündet, verschiebt die Grenze von Recht und Gewalt. Dann wird für den Polizeibeamten, dann wird auch für den Bürger unklar, ob die Regierung auf der Seite des Rechts steht oder das Chaos duldet, um die Macht besitzen zu können, oder besser: was davon übrigbleibt, was ihr von der Straße gelassen wird.Da setzt die Verantwortung der Berliner SPD ein, aus der wir sie nicht entlassen können und aus der wir sie nicht entlassen werden und an der sie scheitern wird, wenn sie sich um eine klare Antwort zu dieser Frage herumdrückt,
nämlich um die Antwort, ob sie nicht nur mit Worten, sondern in der politischen Wirklichkeit dafür sorgt, daß der Staat unter allen Umständen seine Aufgabe erfüllt, für die Durchsetzung des Rechts ebenso zu sorgen wie für den inneren Frieden unserer Gesellschaft.
Das Wort hat der Abgeordnete Such.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich höre hier immer die gleichen Worthülsen von der Union. Es geht immer um die Gefährdung des
Rechtsstaats; es geht um die Ohnmacht des Staates, wenn es irgendwo in unserer Republik gekracht hat. Sie haben, wenn es in Wackersdorf, wenn es in Brokdorf oder auch vorher in Berlin zu Krawallen gekommen ist, niemals danach gefragt, ob denn der Rechtsstaat gefährdet sei. Sie benutzen das vielmehr hier immer nur, um ein rot-grünes Chaos an die Wand zu malen. Sie haben keinerlei Interesse daran, auch nur einmal zu fragen, wo die Ursachen dieser Gewalttaten gelegen haben.
Was da abgelaufen ist, das sind Altlasten, mit denen der neue Berliner Senat belastet wird und die der neue Berliner Senat beseitigen muß und beseitigen will, die er aber nicht mit polizeilichen Mitteln beseitigen kann; das ist einfach unmöglich.
Diese Auseinandersetzungen haben politische Ursachen und sind auch nur mit politischen Mitteln zu lösen.
Ich möchte hier kurz auf Herrn Lummer eingehen. Herr Lummer, Sie haben gesagt — das sage ich als Polizist — , daß Polizisten durch diese polizeilichen Taktiken verärgert werden. Ich frage mich: Welche Polizisten werden denn da vielleicht verärgert? Sind es vielleicht die Polizisten, die einfach nicht wahrhaben wollen, daß man solche Situationen nicht mit polizeilichen Mitteln und nicht mit Draufschlagen lösen kann, wie wir das ja in Berlin in der letzten Zeit immer wieder erlebt haben?
Herr Schäuble, vielleicht zu Ihnen: Sie — auch Sie, meine Damen und Herren von der CDU — produzieren sich hier als Freunde der Polizei. Da muß ich Sie doch fragen: Wer hat denn die Polizei immer wieder in solche Situationen hineingeführt? Wer ist es denn gewesen, der mit seiner Politik die Polizei immer wieder in Situationen geführt hat, wo Polizisten verletzt wurden, wo sie mit gewalttätigen Mitteln gegen solche Einsatzformen vorgehen mußten?
Ich glaube, daß das keine Mittel sind, um diese Probleme zu lösen.
Ich glaube vielmehr, daß Ihnen daran gelegen ist, weiter an der Gewaltschraube zu drehen, daß Sie weiterhin versuchen, mit Gewalt auf Gewalt zu reagieren.
Herr Abgeordneter — —
Ich komme zum Schluß. — Ich glaube, daß wir der Polizei keinen Gefallen tun, wenn wir sie weiterhin so einsetzen, wie Sie es tun. Ich glaube, daß auch Polizisten ein Recht darauf haben, daß sie durch Politiker fürsorglich behandelt werden...
Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit ist beendet.
... und daß man sie nicht solchen Situationen aussetzt.
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10510 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 142. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. Mai 1989
SuchIch danke Ihnen.
Das Wort hat der Abgeordnete Marschewski.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich nach den letzten Ausführungen wieder ein bißchen zur Realität zurückkommen; man muß sie einfach immer wieder schildern. Ich meine, daß das, was in Berlin geschehen ist, eine nie dagewesene Stufe der Eskalation beinhaltet. Lassen Sie mich noch einmal die Zahlen nennen: brennende Häuser, 75 geplünderte Geschäfte, umgestürzte Autos, 150 total beschädigt, brutale Straßenkämpfe, bürgerkriegsähnliche Zustände. Die traurige Bilanz: über 340 verletzte Polizeibeamte, Sachschäden in Millionenhöhe, verursacht durch 2 000 bis 3 000 vermummte Randalierer aus der linken alternativen Szene.
Herr Penner, Sie vergleichen dies mit Steuersündern; ich will dies nur einmal erwähnen.
Ein anderer Kollege der SPD sagt, das sei ein bißchen „Durchdrehen". Ein anderer sagt, das alles käme uns gelegen.
Meine Damen und Herren, sind das die ersten Verirrungen Ihrer Zusammenarbeit in Berlin zwischen der SPD und der Alternativen Liste?
— Wir haben die Aktuelle Stunde beantragt, Herr Kollege, weil wir Ihnen sagen wollen, daß z. B. das Konzept der Deeskalation genau das Gegenteil bewirkt, weil dieses Konzept das staatliche Gewaltmonopol gefährdet und den inneren Frieden bedroht.
Sie, meine Damen und Herren der SPD, haben in der Debatte um Strafbewehrung von Vermummung und Bewaffnung von ideologischen Scheuklappen gesprochen, vom Kampf um Lufthoheit über Stammtischen. Ich hoffe, Berlin hat Sie nun wirklich auf den Boden der Tatsachen zurückgebracht.
Oder sind Sie so vermummt, daß Sie nicht erkennen, daß das, was in Berlin geschieht, die Polizei behindert und offensichtlich auch dazu führt, Gewalttaten zu vermehren?
Trotzdem feierte das rot-grüne Bündnis den Erfolg als Erfolg ihrer neuen Politik.
Der Innensenator Pätzold fabuliert immer noch — ich muß dies einfach zitieren —, durch deeskalierende Maßnahmen werde die Zahl der Gewalttäter verringert, und andere Menschen würden sich nicht mit ihnen solidarisieren; dies sei am 1. Mai geschehen.
Ich meine, Herr Pätzold und meine Damen und Herren der SPD, dieser 1. Mai, der Tag der Arbeitnehmerschaft, alter christlich-demokratischer und sozialdemokratischer Tradition, wurde von Ihnen, so meine ich, umgestülpt vom Kopf auf die Füße. Dies wird, meine Damen und Herren, als Erfolg Ihrer Politik bezeichnet.
Was wird denn noch alles, so meine ich, der politischen Macht untergeordnet: sogenannter sozialer Widerstand, gezielte Sabotage, Gewalt gegen Sachen, gegen Menschen. Die neue Senatorin von Berlin nennt dieses alles politisches Süppchen.
Wer das Gewaltmonopol in Frage stellt, betreibt die Auflösung dieses Staates.
Er nimmt in Kauf, daß diese Republik zum Spielball der Chaoten gemacht wird.
— Herr Kollege Becker, ich weiß, daß Sie anderer Meinung sind, aber meine Damen und Herren der SPD: Mit diesen Leuten schließt man keine Verträge, wie Sie dies in Berlin gemacht haben.
Das wird daher zu einer zentralen Auseinandersetzung zwischen uns, zwischen der Regierung und Ihnen. Wir werden den Rechtsfrieden gewährleisten. Wir werden den Bürger vor Kriminalität schützen.
Meine Damen und Herren, noch ein Wort zur Vermummung und Bewaffnung. Das, was wir hier gemacht haben, die Gesetzesverschärfung, zeigt gerade, daß es dringend erforderlich war. Wir müssen die Gewalt wirklich im Ansatz bekämpfen. Wir diskutieren dieses Problem hier eben deswegen ganz besonders, weil Berlin zeigt, wie rot-grüne Realität aussieht. Sie von der SPD wollen diese rot-grüne Realität in der ganzen Bundesrepublik zum Modell machen. Meine Damen und Herren, wir sagen nein dazu. Wir schützen die Freiheit der Bürger. Wir werden die Gewalt in allen ihren Erscheinungsformen bekämpfen. Ein solcher 1. Mai darf sich niemals wiederholen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Bernrath.
Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Ich möchte mich zunächst bei Frau Senatorin Pfarr bedanken für ihre klare und menschliche Sprache,
die sich wohltuend von Reihe eins abhob. Ich möchte ausdrücklich sagen, daß es in der Tat, Herr Dr. Hirsch, ja gar nicht um Rechtfertigung, um Überheblichkeiten geht. Wir haben alle unsere Verantwortlichkeiten. Es geht darum, daß wir uns daran erinnern, welche Pflichten sich aus den Verantwortlichkeiten ergeben,
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 142. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. Mai 1989 10511
Bernrathund daß wir dann auch in der Zukunft daraus Folgerungen ziehen.Wir haben Ende 1987 hier eine Debatte über Gewalt in Staat und Gesellschaft gehabt und haben damals gemeinsam festgestellt, daß wir Gewalt in jeder Form ablehnen. Wir haben auch ausdrücklich gesagt, daß wir staatliche Gewalt, wenn erforderlich, durchsetzen wollen, aber eben nicht um jeden Preis, Herr Marschewski, sondern haben sie ausdrücklich und gemeinsam — ich sage es einmal so verkürzt — an den Maßstab der Verhältnismäßigkeit gebunden, der jeden Politiker bindet, der auch den Polizeiführer im Polizeieinsatz bindet. Hieraus ergibt sich dann eben die Verpflichtung zur Mäßigung, zur Beruhigung; man mag es heute Deeskalation nennen. Als Ergebnis dieser Debatte wurde — allerdings erst später, Anfang 1988 — eine „Gewaltkommission" gebildet. Tatsächlich heißt sie Regierungskommission zur Verhinderung und Bekämpfung von Gewalt. Verhinderung steht vorne. Darauf sollten wir auch ganz besonderen Wert legen. Wir sollten uns daran erinnern, was Herr Bundesminister Zimmermann damals sagte, als er diesen Auftrag begründete. Er sagte — ich will es ganz kurz machen — , daß es ohne Diagnose keine Therapie geben kann, daß wir also wissen müssen, wann wir Gewalt bekämpfen, wie Gewalt entsteht. Er hat ausdrücklich gesagt — er hat sich selbst nie daran gehalten, jedenfalls verbal nicht — , daß die Wahrung von Sicherheit und Ordnung nicht Selbstzweck ist. Also ist auch Polizei nicht Selbstzweck, sondern sie wird in ihrem Einsatz an den Ursachen gemessen, die zu Gewaltausbrüchen führen, natürlich auch an dem Umfang der Gewalt.Ich möchte ausdrücklich fragen: Was ist denn daraus jetzt eigentlich geworden? Bisher, meine ich, ist nichts daraus geworden. Im Innenausschuß ist es abgelehnt worden, über die Beratungen dieser Gewaltkommission zu berichten.
Nun hören wir, daß ein Zwischenbericht vorliegt, der wohlweislich unter Verschluß gehalten wird, weil er ganz offensichtlich ausdrücklich das Scheitern Ihrer Taktik feststellt und zur Mäßigung, also dazu auffordert, deeskalierend zu wirken.
— Das ist seriös, was die Kommission macht!
Die Kommission hat ja eine entsprechend renommierte Zusammensetzung, und von daher ist es in der Tat notwendig, nachdenklicher zu reagieren und dann zu gemeinsamen Folgerungen zu kommen.
Ihnen fällt allerdings nichts anderes ein, als die Berliner Ereignisse vom 1. Mai zum Anlaß zu nehmen, die rot-grüne Koalition zu denunzieren, und dies noch mit gewalttätiger Sprache, wie ich hier ausdrücklich feststellen muß. Sie nutzen sie zu vordergründiger Stimmungsmache gegen die rot-grüne Koalition, die sich nun anschickt, in Berlin wieder einmal unter Beweiszu stellen, daß der Wechsel in der Tat sozusagen das Salz in der Suppe der Demokratie ist. Dazu sollten wir ihr auch eine Chance geben.Ihre Definition des Gewaltbegriffs ist — ich will das hier gar nicht weiter ausführen — eine völlig andere. Sie sind auch weit davon entfernt, anzuerkennen, daß es Ursachen für Gewalt gibt, daß es über Jahre gewachsene soziale und gesellschaftliche Mißstände in Berlin gibt, die zu Gewaltausbrüchen führen. Sie sehen nur die Konfrontation, und Sie rechnen jeden, der auf der anderen Seite ist, schon zu den Gewalttätern. Sie glauben, jeder, der auf Ihrer Seite anmarschiert kommt, verdiene schon Pardon, weil er Staatsgewalt ausübe. Das hat mit Verhältnismäßigkeit nicht das Geringste zu tun.
Das ist undifferenziert, das führt nur zur Kategorisierung nach gut und böse. Dann kommt es zwangsläufig zu Demonstrationen.Da hier einige von Glaubwürdigkeit gesprochen haben, möchte ich Sie noch daran erinnern, daß das, was Sie in den letzten Wochen und Monaten präsentiert haben, eben nichts mit Glaubwürdigkeit zu tun hat: rin in die Kartoffeln, raus aus den Kartoffeln, und das immer mit den gleichen Begründungen für und wider.
Herr Abgeordneter — —
Wie Sie damit Bürger binden wollen, ist mir völlig schleierhaft. Ich möchte ausdrücklich sagen,
daß Sie etwas bescheidener zuhören sollten, daß Sie nach 40 Jahren Bundesrepublik künftig vielleicht auch — —
Herr Abgeordneter — —
Ich bin gleich fertig. — Sie sollten zu dem Ergebnis kommen, daß wir Demokratie und Freiheit, Demokratie und Freiheit auch des einzelnen, gemeinsam sichern können — —
Herr Abgeordneter — —
Gemeinsam, das heißt: SPD, FDP, CDU/CSU und GRÜNE. Wir sollten gemeinsam in die Zukunft schauen und damit zu der Verantwortung, die wir haben, zurückkommen.
Herr Abgeordneter, das geht nun nicht! Ich muß hier alle gleich behandeln. Ich bitte um Verständnis.
Daraus ergibt sich dann die Pflicht zur Mäßigung.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Clemens.
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10512 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 142. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. Mai 1989
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! 1. Mai 1989 in Berlin: Straßenterror, 346 verletzte Polizisten. Herr Bernrath, das haben Sie wohl eben vergessen, als Sie davon sprachen, daß es um die Verhinderung von Gewalt ging.
Brennende Pkws, geplünderte Geschäfte, Millionenschäden. Ich frage Sie: ein bürgerkriegsähnliches Szenario? Hier wie auch in den rechts- und polizeifreien Räumen der Hamburger Hafenstraße oder der Düsseldorfer Kiefernstraße rächt es sich, daß sich die SPD das staatliche Gewaltmonopol aus der Hand nehmen ließ. Ich frage Sie von der SPD, ob es ein Zufall ist, daß dieser Terror und Vandalismus, d. h. der gezielte Versuch, unseren Rechtsstaat aus den Angeln zu heben, überall dort besonders betrieben wird, wo Sie von der SPD regieren.
Das ungeheuerlichste ist, daß der Berliner Innensenator nun noch der ihm anvertrauten Polizei erhebliche Vorwürfe macht. Er schiebt ihr, nicht sich selbst die Schuld am Ausmaß der Krawalle in die Schuhe.
Nun soll die Polizei offensichtlich auch noch selbst die Schuld daran tragen, daß so viele ihrer Beamten durch Chaoten verletzt worden sind. Ein feiner Innensenator, das muß ich schon sagen!
Statt, wie es sich für ehrenwerte Politiker gehört, sich vor die ihm untergebene Polizei zu stellen und sie in ihrem schweren Dienst zum Schutze unserer Bürger und unseres Rechtsstaates zu unterstützen, verdächtigt Herr Pätzold seine Beamten, die rot-grüne Landesregierung in eine politische Falle laufen gelassen zu haben.
Aber was kann man von einem Innensenator und einer SPD erwarten, die sich in Abhängigkeit zu dem der Gewalt der Straße nicht abschwörenden Ströbele — bei seiner politischen Vergangenheit nicht weiter verwunderlich — und zur AL begeben hat, einer AL, von der zahlreiche Mitglieder noch am selben Abend erklärt haben, daß sie diesen 1. Mai und die Krawalle als einen Erfolg feiern?
Wen wundert diese Einstellung des Berliner Innensenators, wenn auch in der SPD die Auffassung vorherrscht, daß viele Menschen in unserem Staat die Polizei der Länder und des Bundes als politische Gegner empfänden? Das genaue Gegenteil ist der Fall. Der absolut überwiegende Teil unserer Bürger dankt unserer Polizei ihre schwierige Arbeit.
Es ist überfällig — Herr Bernrath, insofern haben Sie das richtig gesagt —, daß die Politiker aller Couleur und insbesondere auch Ihrer Partei der Polizei für ihr Eintreten für die innere Sicherheit Anerkennung zollen und sie voll unterstützen. Unsere Polizei in
Bund und Ländern arbeitet sehr diszipliniert. Wir dürfen sie nicht im Stich lassen.
Die CDU/CSU ist sich ihrer Verantwortung für die Sicherheit und Freiheit der Bürger bewußt. Sie nimmt diese Verantwortung tatkräftig wahr und setzt der Gewalt, wo immer sie auftritt, Schranken. Wer aber wie der SPD-Innensenator die Polizei anhält, trotz der schrecklichen Gewalttätigkeiten der Chaoten in die Defensive zu gehen, wer also das Modewort Deeskalation predigt und die Polizei zuschauen läßt, statt Verbrechen im Keim zu ersticken, verletzt die Grundregeln unseres Rechtsstaates — um das einmal deutlich herauszustreichen.
Unser Grundgesetz garantiert nur die Freiheit zur friedlichen Versammlung. Diejenigen, die unseren Staat zerstören wollen, müssen wir mit den Mitteln des Rechtsstaates bekämpfen. Grün/rot ist dazu offensichtlich nicht in der Lage. Mompers Wortbruch zahlt sich nicht aus.
Ich bedanke mich.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Nöbel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Diese Aktuelle Stunde, wenn es um Glaubwürdigkeit ginge, hätten Sie 1987 und 1988 beantragen müssen.
— Gehen Sie doch zur Toilette!
— Es ist doch unglaublich. Man hat noch nicht begonnen
Diese Aktuelle Stunde, wenn es um Glaubwürdigkeit ginge,
hätten Sie 1987, spätestens 1988 beantragen müssen.
Heute ist sie für Sie peinlich. Sie ist ein Selbsttor.
Man merkt es an Ihrer Reaktion hier vorne.
Immer, meine Damen und Herren, wenn die CDU/ CSU mit dem Rücken an der Wand steht, wenn ihr die
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 142. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. Mai 1989 10513
Dr. NöbelWähler scharenweise davonlaufen, dann fangen die politischen Strategen im Adenauerhaus an, um sich zu schlagen.
Die CDU-Plakate aus dem Adenauerhaus an der Adenauerallee,
die Sozialdemokraten mit Radikalen in einen Topf werfen, sind Ausdruck hochgradiger Nervosität,
genauso wie Sie das hier heute demonstrieren.
Sie schaden uns nicht. Sie schaden sich selbst, und Sie nutzen anderen.Meine Damen und Herren, ein Teil dieser Kampagne aus dem Adenauerhaus — deshalb ist sie so peinlich für Sie — ist diese Aktuelle Stunde. Sie sollte nach dem Willen derjenigen, die sie beantragt haben, nicht dazu beitragen, aufzuklären, neue Wege zur Lösung eines schwierigen Problems aufzuzeigen,
sondern sie ist Teil einer Kampagne gegen die SPD. Was Sie hier bieten, trägt nicht dazu bei, daß diese Parlamentsstunde eine wahre Stunde des Parlaments ist.
Dazu leisten Sie hier Ihren Beitrag.
Im Gegenteil. Anstatt die Gemeinsamkeit der Demokraten, die hier gefordert und herausgefordert ist, in den Mittelpunkt zu rücken, geben Sie denen Oberwasser, die Sie mit uns gemeinsam bekämpfen sollten. Wenn der bis vor wenigen Wochen amtierende Regierungschef von Berlin — Kollege Dr. Penner hat darauf hingewiesen; es ist nicht aufgegriffen worden, deshalb wiederhole ich das — , Herr Diepgen, dem jetzigen Senat, der gerade im Amt ist, in unverantwortlichster Weise den Vorwurf macht, er habe Kreuzberg zur Ausplünderung freigegeben,
dann sollte er sich selbst erst fragen, was er gegen das Chaotentum erfolgreich unternommen und ob er für die hinterlassene Erbschaft nicht selbst geradezustehen hat.
Meine Damen und Herren, wir sind hier nicht im Berliner Abgeordnetenhaus.
Aber es zeichnet sich doch mehr und mehr ab, daß sich die Frage der Loyalität im Verhältnis polizeilicher zur politischen Führung stellt.
Wir Sozialdemokraten werden uns nicht beirren lassen, meine Damen und Herren von der CDU/CSU.
Die SPD — da kann ich den Innenminister noch übertreffen — ist die Partei des inneren Friedens, und sie ist es immer gewesen. Diesem Anspruch werden wir auch künftig gerecht werden.Es ist das unbestreitbare Verdienst der SPD-geführten Bundesregierungen, daß in den 70er Jahren, als Sie ebenfalls so geschrien haben, die Organe der inneren Sicherheit vom Bundeskriminalamt bis zu den Landespolizeien modernisiert, verstärkt, personell ausgebaut und mit neuen gesetzlichen Grundlagen versehen worden sind.
Wir Sozialdemokraten und vor allem die von SPD-Innenministern geführten Landespolizeien haben bewiesen, daß sie auch mit schwierigsten Demonstrationen auf friedliche Weise fertiggeworden sind. Neue Formen blanker Gewalt, primitivsten Vandalismus und des Aufruhrs haben wir erfolgreich bekämpft und werden wir erfolgreich bekämpfen. Die Polizeibeamten in Berlin können sich darauf verlassen, daß wir die Situation in Berlin genau analysieren werden
und daß wir dort unsere Schlußfolgerungen ziehen werden.
Leider habe ich nur fünf Minuten. Das war zu wenig, um Sie noch mehr zu ärgern.Danke.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Kalisch.
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Der Kollege Nöbel hat hier seine Pflicht getan. Ich möchte nur einmal daran erinnern: In den 70er Jahren, als der Bundeskanzler Schmidt von der CDU, was den Terrorismus betraf, unterstützt worden ist, haben Sie langsam angefangen, sich abzumelden. Lieber Herr Kollege Bernrath!
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10514 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 142. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. Mai 1989
KalischIch muß auch noch etwas zu dem Kollegen Bernrath sagen. Er hat eine ganze Tube Balsam auf die Wunde „Rot-grün" getan.
Und ich muß sagen: Herr Kollege Penner hat einen solchen Beitrag gehalten, daß er schallenden Beifall von den GRÜNEN hatte. Das war ein wunderbares Bild, wie sehr Sie sich schon an die rot-grüne Koalition gewöhnt haben.
Die Ereignisse am 1. Mai in Berlin
erfüllen uns mit großem Zorn und, wenn Sie mir das zu sagen erlauben, mit Unbehagen.
— Schreien Sie doch nicht so umher!
Sie erinnern fatal an die Situation, meine Damen und Herren, die die CDU 1981 bei der Regierungsübernahme in Berlin vorgefunden hat. Es gab damals 167 besetzte Häuser — ich weiß, Sie hören das nicht gern — und ständige Krawalle in der Stadt.Und Sie haben vergessen, zu sagen, Herr Kollege Bernrath,
daß dann, wenn Krawalle und Demonstrationen in Berlin während der Regierungen von Weizsäcker und von Diepgen waren, dazu von Ihnen aufgerufen wurde und daß sie von den Jungsozialisten unterstützt wurden.
Und Sie haben vergessen zu sagen, daß die Alternative Liste versucht hat, diese Unruhen in Berlin zu stiften und zu schüren.
Es gab viele rechtsfreie Räume. Da gab's eine Zauberformel. Die lautete: „Verhältnismäßigkeit der Mittel" . Diese Zauberformel war dazu da, die rechtsfreien Räume nicht unbedingt beseitigen zu müssen. Die Bürger waren über den Zerfall ihrer Stadt verbittert. Die Stimmung war auf dem Nullpunkt. Daran können wir uns doch noch sehr gut erinnern. In Berlin — so hieß es damals — ist es leichter, ein Haus zu besetzen als ein Fahrrad zu stehlen. Diese Situation haben wir vorgefunden.Der Senat unter Richard von Weizsäcker und Eberhard Diepgen hat mit viel Geduld und Geschick wieder dem Recht zur Geltung verholfen, und das nicht durch Zögern oder Verunsicherung, sondern mit einer klaren Konzeption.Der rot-grüne Senat — auch das sollte hier festgehalten werden — hat eine blühende Stadt übernommen,
in der die Polizei in der Lage war, gewalttätigen und zügellosen Ausschreitungen mit dem erforderlichen Instrumentarium zu begegnen.Heute knüpft die SPD offensichtlich nahtlos an die damalige Mißwirtschaft an. Der rot-grüne Senat, durch den Wortbruch von Herrn Momper zustande gekommen, hat in seinen Koalitionsvereinbarungen die Konflikte ja schon vorprogrammiert. Beflissen arbeitet der neue Innensenator mit vorauseilendem Gehorsam dem Koalitionspartner in die Hand: Entmachtung und Verunsicherung des Verfassungsschutzes. Meine Damen und Herren, wer traut sich denn in dieser Situation noch eine Observation weiterzugeben, wenn er nicht einmal weiß, wo die landet,
vielleicht sogar bei den Organisatoren dieser Demonstration?
— Meine Damen und Herren, ich verstehe vollkommen Ihre Unruhe. Das ist klar.Der Innensenator hielt Besprechungen mit der Polizei ab. Es gab Streit um Protokolle und Vermerke, wer was wo und wann gesagt hat. Herr Pätzold ist doch lange genug im Geschäft, um zu wissen, daß Nachdenklichkeiten seinerseits, in Lagebesprechungen geäußert, für die Polizei goldene Worte des Senators, so gut wie Weisungen sind. Soviel muß man doch aus dem Geschäft gelernt haben. Anderes anzunehmen ist wirklichkeitsfremd.Der Innensenator hat dann die politische Verantwortung für alles übernommen. Ich fand das hervorragend. Aber nachdem er dann bemerkt hat, daß die Situation wesentlich verschärfter war, als er sie zu Anfang gesehen hatte, hat er sehr schnell die Kritik bei der Polizei abgeladen und der Polizei die Schuld gegeben.
Das, meine Damen und Herren, ist ein unglaublicher Vorgang. Ein solches Verhalten schadet der Stadt und läßt auch Schlimmes befürchten.Ich bekomme hier „0 Minuten" angezeigt. Lassen Sie mich zum Schluß kommen: Die Stadt braucht wieder eine sichere Führung,
einen Staatsschutz, der nicht seinen eigenen Senator als Gegner betrachtet, eine Polizei, die nicht verunsichert wird, und auch wieder Spezialeinheiten, die in der Lage sind, einen vermummten Block zu isolieren und zu enttarnen. Wortbruch, meine Damen und Herren, zahlt sich eben nicht aus. Das Überleben des Senats ist dem rot-grünen Bündnis wichtiger als das Ansehen der Stadt. Das hat Berlin nicht verdient.
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 142. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. Mai 1989 10515
Das Wort hat der Abgeordnete Wüppesahl.
Zunächst möchte ich mich beim Präsidium dafür bedanken, daß in angemessener Art und Weise der einzig unabhängige Kopf das Schlußwort zu dieser Debatte sprechen kann.
Zum zweiten möchte ich vorwegschicken, daß ich die grundsätzlichen Ausführungen von Herrn Meneses übernehme, damit nicht bei den Äußerungen, die ich gleich machen werde, irgendwelche Schlagseiten auftreten.
Zum dritten finde ich es wirklich überraschend, daß es bei einer dermaßen schwarz-braun durchsetzten Polizei, wie es die Berliner ist, überhaupt möglich ist, eine Vorgehensweise politisch durchzuhalten, bei der sie sich zumindest passiv verhält.
Daß sie darüber hinaus eigene Politik gemacht hat, dafür haben wir inzwischen nicht nur Indizien, sondern auch Beweise.
Meine Damen und Herren, lediglich sechs Bereitschafts- und zwei Reserveeinheiten waren im Einsatz. Sie waren zum Teil mehr als 1 km von dem Geschehen entfernt.
Zweitens. Die Polizei entdeckte erst während des Einsatzes unter Rasen und in Sträuchern angelegte Depots, in denen sich die Schlagwerkzeuge der Gewalttäter befanden.
Drittens. Wer nicht eben eine Axt über der Schulter trug, blieb gänzlich unbelastet von Vorkontrollen und anderen Checks. Dies zeigt, meine ich, ähnlich wie 1981 der sogenannte Palmsonntag am Kurfürstendamm, wo der Boden für eine CDU-Stimmung in der Stadt bereitet wurde, indem Polizeieinheiten einfach neben den Personen, die Schaufenster eingeworfen hatten, stehenblieben, daß die Polizei vor Ort Politik gemacht hat; denn so verrückt ist kein Senat, auch kein rot-grüner Senat, eine Vorgabe dieser Art auszugeben.
Die Polizeiführung mußte auch zugeben, daß eine Dreiviertelstunde notwendig war, um bestimmte Einheiten an einen demolierten Supermarkt heranzubringen. Das zeigt doch ganz deutlich, was dort vor Ort los war. Ich sage Ihnen nochmals: Diese Polizei in Berlin ist mehrheitlich schwarz-braun durchsetzt, Herr Kalisch.
Wir haben über die kritischen Polizisten, die Mitglieder, die wir in Berlin haben, deutliche Wahrnehmungen, daß es bis zu 20, 25 % Republikaner in einigen Dienststellen gibt. Das bedeutet: Hier sind ganz massive Illoyalitäten aufgetreten — genauso wie ich sie übrigens zum Teil auch aus Hamburg kenne.
Was wir hier in der sogenannten großen Politik vollführen, weil auf der mittleren und der gehobenen Ebene bei der Polizei einige Personen selbständig gehandelt haben, finde ich immer wieder kolossal. Das ist ungefähr so kolossal wie die Tatsache, daß ein einzelner Abgeordneter einen so geschmierten Betrieb wie den Bundestag immer wieder durcheinanderzubringen in der Lage ist. Die große Politik muß in diesem Umfang reagieren, weil kleinere Polizeibeamte eigenständig Politik gemacht haben.
Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit ist abgelaufen.
Ich komme zum Schlußsatz. Ich denke,
daß es tatsächlich eine Sonderleistung ist, daß dieser rot-grüne Senat in der Lage gewesen ist, eine mittel- und langfristig so kluge Deeskalationsstrategie in Berlin zu praktizieren.
Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit ist abgelaufen.
Ich glaube, daß Sie sich selbst einen sehr schlechten Dienst erweisen, denn Sie beneiden im Grunde nur die polizeitaktische Denkweise im Senat, die in Berlin zur Zeit vorherrscht, weil Sie selbst nicht auf solche Vorgehensweisen kommen.
Würden Sie bitte beachten, was der Präsident Ihnen hier gesagt hat.
Meine Damen und Herren, Farbenvergleiche hat es in der Politik in einer Weise gegeben, die niemandem, der getroffen werden sollte, je sympathisch war. Das, was mich dazu bewegt, gegen den Begriff schwarzbraun mit Entschiedenheit hier etwas zu sagen, ist, daß wir hier vom Präsidiumstisch aus nie irgendeinen Vergleich mit der Nazi-Vergangenheit akzeptieren. Wir wenden uns immer dagegen. Ich schlage wirklich vor, diese Vergleiche aus der politischen Debatte herauszuholen, selbst wenn es andere auch problematische Vergleiche gibt.
Meine Damen und Herren, ich schließe die Aktuelle Stunde. Zu einer Erklärung nach § 30 der Geschäftsordnung hat sich die Abgeordnete Frau Frieß gemeldet.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Abgeordnete Hirsch hat mich auf zwei Äußerungen persönlich angesprochen und kritisiert. Auf diese Äußerungen haben mich auch schon andere Abgeordnete in schärferer Weise angesprochen. Dazu will ich jetzt Stellung nehmen. Dazu muß ich natürlich meine politische Position darlegen.Erstens habe ich gesagt, daß ich diese alternative Demonstration als einen Erfolg beurteile. Dabei wird
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10516 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 142. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. Mai 1989
Frau Frießmir immer unterstellt, daß ich damit auch die Auseinandersetzungen als Erfolg bezeichne.
— Die Ausschreitungen.Das stimmt nicht. Das habe ich auch nie gesagt. Ich habe gesagt, daß ich diese Demonstration als positiv bewerte. Ich meinte damit die Tatsache, daß über 10 000 Menschen, vom Gewerkschafter bis zur Vertreterin des Frauenhauses, gemeinsam gegen Massenerwerbslosigkeit und Verarmung in West-Berlin protestierten.
Die Ausschreitungen am Rande dieser Demonstration
liefen dieser Intention zuwider. Ich lehne diese Ausschreitungen ab.Doch ich bin nicht bereit, zu akzeptieren, daß die Teilnehmerinnen an der Demonstration dafür verantwortlich gemacht werden.
Sie dagegen, meine Damen und Herren von der CDU/ CSU, wollen die Intention der Demonstrantinnen diskreditieren, indem Sie alle der Krawalle bezichtigen, und dagegen wehre ich mich.
— Können Sie ein bißchen ruhiger sein?
Zweitens habe ich Verständnis für die Menschen geäußert, die an den Ausschreitungen beteiligt waren; ein Verständnis, das Sie von den Regierungsparteien nur für Flick und Wohnungsspekulanten haben.Dieses Verständnis heißt für mich nicht — das will ich noch einmal betonen — , die Ausschreitungen gutzuheißen. Es heißt für mich: Ich verstehe, daß es Menschen in Lebenssituationen gibt — vor allem Jugendliche — , die für sich kein anderes Mittel mehr haben, die keinen Ausweg mehr sehen, als mit solchen Aktionen auf ihre miesen Bedingungen hinzuweisen.
Ich verstehe auch, daß es denen derzeit völlig egal ist, um welchen Senat es sich dabei handelt. Für diese Zuspitzung haben Sie von den Regierungsparteien gesorgt, denn Sie haben die Menschen an den Rand des Existenzminimums gedrängt und wundern sich dann, daß Familien mit einem Monatseinkommen von 800 DM ihren Kleiderschrank z. B. auch durch Plünderungen aufbessern müssen.
Sie haben Großprojekte wie Atomkraftwerke und Rüstungsunternehmen mit in Angriff genommen, die lebensbedrohlich sind.
— Lassen Sie mich doch ausreden. — Das macht vielen Menschen für die Zukunft Angst. Sie haben Gesetze verabschiedet, die jede Form des Widerstands durch § 129 a kriminalisiert.
Armut, Perspektiv- und Hoffnungslosigkeit sind die Ursachen für die Ausschreitungen in West-Berlin. Das verstehe ich so, und das haben Sie von der Bundesregierung mit zu verantworten.
Ändern kann sich das meiner Meinung nach nur, wenn eine staatliche Politik betrieben wird, die die sozialen Bedingungen verändert und die Raum für breite Entscheidungsmöglichkeiten gibt, wenn damit Menschen außerhalb des Parlaments die Perspektive für mehr Mitentscheiden und für demokratische Widerstandsformen eröffnet wird.
Dies werde ich mit allen linken fortschrittlichen Kräften gemeinsam diskutieren, und ich werde versuchen, öffentlichen Druck für andere Lebensbedingungen und andere Lebensformen zu entwickeln.
Das habe ich gemeint und nicht das, was mir ständig unterstellt wird.
Meine Damen und Herren, eine Möglichkeit der Nutzung des § 30, d. h. zur Abgabe einer entsprechenden Erklärung auf Grund der Tatsache, daß man hier in einer bestimmten Sache angesprochen worden ist, muß ich geben, und das ist auch jederzeit erlaubt.
Wir alle haben wohl die Absicht, die Freiheit der Rede zu verteidigen, auch wenn es manchmal schwer zu ertragen ist.Die Aktuelle Stunde ist beendet.Ich rufe Punkt 2 der Tagesordnung auf: Fragestunde— Drucksache 11/4483Ich muß Ihnen dazu mitteilen, daß sich die Fragestunde wegen der verlängerten Befragung der Bundesregierung vorhin um zwölf Minuten verkürzt.Ich rufe zunächst den Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes auf. Herr Staatsminister Dr. Stavenhagen steht zur Beantwortung der Fragen zur Verfügung.Ich rufe Frage 1 des Abgeordneten Huonker auf:
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 142. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. Mai 1989 10517
Vizepräsident WestphalWarum hat der Bundeskanzler seine am 27. April 1989 vor dem Deutschen Bundestag — abweichend vom vorab verbreiteten Text — wörtlich gemachte Äußerung „Wir werden uns in der Europäischen Gemeinschaft im Gespräch mit unseren Partnern dafür einsetzen, daß eine tragfähige Regelung der Besteuerung von Kapitalerträgen möglich wird, die zwingend notwendig ist, um den gemeinsamen Binnenmarkt zu erreichen" im Plenarprotokoll 11/140 S. 10297 in die folgende Formulierung verändert „Wir werden uns in der Europäischen Gemeinschaft um eine für alle Partner tragfähige Regelung der Besteuerung von Kapitalerträgen bemühen, die den Zielen des europäischen Binnenmarktes entspricht" , und hat der Bundesminister der Finanzen, Dr. Waigel, den Bundeskanzler zu dieser inhaltlich gravierenden Änderung des Protokolls veranlaßt?Bitte schön, Herr Staatsminister.
Herr Kollege Huonker, es ist eine alte parlamentarische Gepflogenheit, daß Bundestagsreden vor der Veröffentlichung im allein maßgebenden Plenarprotokoll dem Redner zur Korrektur vorgelegt werden. Auch frühere Bundeskanzler haben von der Möglichkeit, Änderungen vorzunehmen, selbstverständlich Gebrauch gemacht.
Demgegenüber ist es absolut unüblich, daß nach den Gründen für die tatsächliche Wahrnehmung dieses guten parlamentarischen Rechts gefragt wird. Dies ist hier um so unverständlicher, als im vorliegenden Fall lediglich eine Abweichung vom vorbereiteten Text rückgängig gemacht, die ursprüngliche Fassung also wiederhergestellt wurde. Dies geschah nicht auf Intervention eines Dritten.
Zusatzfrage des Abgeordneten Huonker, bitte schön.
Herr Staatsminister, können Sie bestätigen, daß der Bundeskanzler eine für seine Verhältnisse erstaunlich eindeutige Äußerung, nämlich daß die Besteuerung der Kapitalerträge zwingend erforderlich sei, um die Liberalisierung des Kapitalmarkts auf EG-Ebene herbeizuführen, gestrichen, seine Aussage damit inhaltlich gravierend geändert hat und daß das mit der Frage der Protokollkorrektur, wie sie üblich ist, nichts zu tun hat, und sind Sie nicht bereit, meine Frage, warum der Bundeskanzler diese inhaltlich weittragende Korrektur vorgenommen hat, doch in der Sache zu beantworten?
Dr. Stavenhagen, Staatsminister: Herr Kollege Huonker, den ersten Teil Ihrer Frage beantworte ich mit Nein, und den zweiten Teil beantworte ich damit, daß er diese Korrektur vorgenommen hat, um einem Mißverständnis vorzubeugen, dem genau Sie hier unterliegen, nämlich dem Mißverständnis, daß das Wort „zwingend" eine rechtliche Bindung beinhaltet, was nicht der Fall ist. Es geht um eine politische Bindung, die nicht von uns, aber von anderen Mitgliedstaaten der Gemeinschaft so gesehen wird.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Huonker.
Sind Sie bereit anzuerkennen, daß es dann, wenn der Bundeskanzler sagt, nach seiner Auffassung sei etwas zwingend, nach Auffassung des Bundeskanzlers zwingend ist, und wollen Sie zum anderen die Frage verneinen, daß es irgendeinen anderen Grund für diese Protokollkorrektur als den gibt, daß durch eine solche, jederzeit nachlesbare Formulierung des Bundeskanzlers, die Besteuerung der Kapitalerträge sei aus europapolitischen Gründen zwingend notwendig, die Wahlstrategie der Regierung kaputtgemacht werden könnte, die da lautet: Wir retten uns in Sachen Quellensteuer über den Bundestagswahltag hinaus?
Dr. Stavenhagen, Staatsminister: Herr Kollege, die in Ihrer Frage implizierte Vermutung ist abwegig. Der Bundeskanzler hat auch nicht von einer zwingend notwendigen Besteuerung gesprochen, denn die Kapitalerträge sind steuerpflichtig. Statt dessen hat er von einer tragfähigen Regelung gesprochen.
— Herr Kollege, ich weise noch einmal darauf hin, daß wir zum ursprünglichen Text zurückgekehrt sind, um genau dem Mißverständnis, das Sie liebevoll pflegen, vorzubeugen, daß es sich nämlich nicht um eine rechtliche Bindung handelt, sondern um eine politische Notwendigkeit, die nicht von uns, sondern von anderen Mitgliedstaaten vorgetragen wird. Aus unserer Sicht ist eine solche Regelung nicht erforderlich. Aber da wir die Kapitalverkehrsliberalisierung zum 1. Juli wollen, werden wir uns — auch das ist deutlich zum Ausdruck gekommen — um eine tragfähige Regelung bemühen. Dies heißt nicht, daß wir eine Besteuerung einführen, denn die Besteuerung gibt es längst.
Herr Hauchler, wollen Sie dazu eine Zusatzfrage stellen? — Bitte schön.
Herr Staatsminister, trifft es zu, daß die französische Europaministerin Cresson kurz vor der Debatte am 27. April dem Bundeskanzler eine Erklärung übermittelt hat, in der auf die enge Beziehung zwischen der Steuerharmonisierung — auch auf dem Gebiet der Kapitalertragsteuer — und der Liberalisierung des Kapitalverkehrs in Europa verwiesen wurde, und war dies für den Bundeskanzler Anlaß, in seiner Rede von dem vorab verteilten Redetext abzuweichen und selber von einem zwingenden Zusammenhang — ob politisch oder rechtlich, spielt hier nicht die entscheidende Rolle — zwischen Harmonisierung der Kapitalertragsteuern und der Herstellung eines freien Kapitalverkehrs in Europa zu sprechen?Dr. Stavenhagen, Staatsminister: Herr Kollege, im Protokoll des Deutschen Bundestages und auch sonstwo ist nicht die Rede von einer zwingenden Harmonisierung, sondern von einer tragfähigen Regelung. Ich darf Sie darauf aufmerksam machen, daß eine solche tragfähige Regelung der Gemeinschaft im Steuerbereich nur einstimmig beschlossen werden kann. Ich möchte Sie zur Klarstellung, damit hier keine Auffassungsunterschiede bestehen bleiben, ob das ein rechtliches Junktim sei oder nicht, doch einfach auf den entsprechenden Absatz der Liberalisierungsrichtlinie verweisen, der von allen akzeptiert worden ist und der lautet:Die Kommission unterbreitet dem Rat bis zum 31. Dezember 1988 Vorschläge, die darauf abzielen, Gefahren von Steuerumgehungen, Steuerflucht und Steuerhinterziehung infolge der Un-
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10518 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 142. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. Mai 1989
Staatsminister Dr. Stavenhagenterschiede in den nationalen Regelungen zur Besteuerung von Sparerträgen und in der Kontrolle der Anwendung dieser Regelung zu beseitigen oder zu vermindern. Der Rat befindet über diese Vorschläge bis zum 30. Juli 1989. Alle gemeinschaftlichen Steuervorschriften sind gemäß dem Vertrag einstimmig zu erlassen.Nicht mehr und nicht weniger: Das ist die Bindung, die man im Rat eingegangen ist. Ich glaube, das, was ich gesagt habe, ist damit deutlich geworden.
Ich rufe die Frage 2 des Abgeordneten Huonker auf.
Hält die Bundesregierung die vom Bundeskanzler am 27. April 1989 getroffene Feststellung aufrecht, daß eine tragfähige Regelung der Besteuerung von Kapitalerträgen „zwingend notwendig ist, um den gemeinsamen Binnenmarkt zu erreichen", und wenn ja, welche Bedeutung mißt sie dann der am selben Tag im Deutschen Bundestag vom Bundesminister der Finanzen — ebenfalls abweichend von dessen vorab verteiltem Redetext — abgegebenen Erklärung zu, „Eine EG-Regelung für die Kapitalertragsbesteuerung ist keine rechtliche Vorbedingung für die Aufhebung der noch bestehenden Kapitalverkehrsbeschränkungen"?
Bitte schön, Herr Staatsminister.
Dr. Stavenhagen, Staatsminister: Herr Kollege Huonker, es ist zwischen allen Beteiligten in der Gemeinschaft unbestritten, daß eine EG-Regelung für die Kapitalertragsbesteuerung keine rechtliche Vorbedingung für die Aufhebung der noch bestehenden Kapitalverkehrsbeschränkungen ist. Aus Sicht einiger Partnerländer ist eine tragfähige Regelung der Besteuerung von Kapitalerträgen politisch notwendig — ich habe bereits darauf verwiesen —, um den gemeinsamen Binnenmarkt zu erreichen. Der Ministerrat hat sich gemäß Art. 6 Abs. 5 der Richtlinien zur vollständigen Liberalisierung des Kapitalverkehrs lediglich verpflichtet, bis zum 30. Juli 1989 über die entsprechenden Vorschläge der Kommission zu befinden, worauf ich ebenfalls hingewiesen habe. Dabei ist darauf verwiesen worden, daß diese Vorschriften nur einstimmig erlassen werden können. Diese Formulierung macht ebenfalls deutlich — das möchte ich noch einmal unterstreichen — , daß eine für alle Partner tragfähige Lösung notwendig ist und daß auch nur eine für alle Partner akzeptable Lösung möglich ist. Genau um eine solche für alle tragfähige Regelung der Besteuerung von Kapitalerträgen, die den Zielen des europäischen Binnenmarktes entspricht, wird sich die Bundesregierung bemühen, wie es in der Regierungserklärung des Bundeskanzlers auch heißt.
Zusatzfrage, Herr
Huonker.
Herr Staatsminister, sind Sie bereit, mir folgendes zu beantworten: Der Bundeskanzler hat am 27. April vor dem Deutschen Bundestag in seiner Regierungserklärung wörtlich erklärt:
Wir
— also die Bundesregierung —
werden uns in der Europäischen Gemeinschaft im Gespräch mit unseren Partnern dafür einsetzen, daß eine tragfähige Regelung der Besteuerung von Kapitalerträgen möglich wird, die zwingend
notwendig ist, um den gemeinsamen Binnenmarkt zu erreichen.
Sind Sie bereit, mir zu erklären, wie Sie zu der Auffassung kommen, daß dies, was der Bundeskanzler für sich und die Bundesregierung nach dem eindeutigen Wortlaut erklärt hat, nicht die Meinung des Kanzlers sei, sondern die Meinung anderer?
Dr. Stavenhagen, Staatsminister: Herr Kollege, es ist hier in der Fragestunde schon deutlich geworden und auch ich habe wiederholt darauf hingewiesen, daß diese Notwendigkeit insbesondere etwa von Frankreich so gesehen wird. Frankreich hat an die politische Verpflichtung der Mitgliedstaaten erinnert. Sie wissen aber auch, daß sich andere Mitgliedstaaten den Vorschlägen etwa der Kommission strikt widersetzt haben. Es ist auch erforderlich, daß hier nur eine einstimmig akzeptierte Regelung greifen kann. Deswegen hat der Bundeskanzler gesagt, daß wir uns um eine für alle tragfähige — und damit auch akzeptable — Regelung bemühen werden. Ich kann Ihr Problem überhaupt nicht verstehen, Herr Kollege.
Zweite Zusatzfrage.
Vielleicht kann ich Ihnen helfen, wenn ich Sie frage — nachdem Sie behaupten, das, was der Bundeskanzler als seine Meinung gesagt hat, sei die Meinung Frankreichs — , ob wir uns noch auf dem Gebiet derselben Sprache und Logik bewegen. Wenn der Bundeskanzler sagt, eine Regelung der Besteuerung von Kapitalerträgen ist zwingend notwendig, dann bedeutet dies: nach Auffassung des Bundeskanzlers ist diese Regelung zwingend notwendig. Meine Frage lautet: Wie kommen Sie dazu, dies anders, als der Sinn es eindeutig ergibt, zu interpretieren? Wenn Sie diesen Versuch unternehmen, beantworten Sie dann nicht meine Frage positiv, daß die Streichung nichts anderes bezweckt, als die Wählertäuschung auf diesem Gebiet vorzubereiten?
Dr. Stavenhagen, Staatsminister: Herr Kollege, die Unterstellung im letzten Teil Ihrer Frage weise ich mit großem Nachdruck als völlig abwegig zurück, will aber gerne zu den ersten Elementen Ihrer Frage etwas sagen.
Es ist doch ganz klar, daß die Liberalisierung des Kapitalverkehrs zum 1. Juni 1990 beschlossen worden ist. Es ist ferner klar — das ist hier auch von mir gesagt worden —, daß die Franzosen eine politische Verpflichtung sehen, daß eine für alle akzeptable tragfähige Lösung gefunden wird. Da wir, wenn wir den Binnenmarkt wollen, an dem wichtigen Element Liberalisierung des Kapitalverkehrs natürlich ein wesentliches Interesse haben, ist es doch nicht abwegig, wenn wir auf diesen Zusammenhang hinweisen. Genau dies hat der Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung getan.
Herr Hauchler, wenn Sie sich melden wollen, tun Sie es ein bißchen schneller. Ich muß jetzt immer auf Sie sehen, ob Sie auch noch etwas sagen wollen. Sie haben eine Zusatzfrage, bitte schön.
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 142. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. Mai 1989 10519
Verzeihen Sie, Herr Präsident. — Herr Staatsminister, wie beurteilt die Bundesregierung die im „Handelsblatt" vom 3. Mai dieses Jahres wiedergegebene Äußerung des französischen Wirtschaftsministers Bérégovoy, daß ein Minimum an Harmonisierung auch auf dem Gebiet der Kapitalertragssteuern vonnöten sei, um — nun zitiere ich den französischen Wirtschaftsminister — einem Europa des Steuerbetrugs wirksam den Riegel vorzuschieben?
Dr. Stavenhagen, Staatsminister: Herr Kollege, ich sehe durchaus den Zusammenhang zwischen einer Formulierung, mit der man ein Minimum an Harmonisierung fordert, und dem, was der Bundeskanzler gesagt hat, daß wir uns um eine tragfähige Regelung bemühen, die für alle akzeptierbar ist. Ich kann darin keinen Unterschied sehen.
Wir sind damit am Ende dieses Geschäftsbereichs. Ich danke dem Staatsminister für die Beantwortung der Fragen.
Den Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen brauche ich nicht aufzurufen, da die Fragen 3 und 4 des Herrn Abgeordneten Stiegler schriftlich beantwortet werden sollen. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Dasselbe gilt für den Geschäftsbereich des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten. Hier soll die Frage 5 der Abgeordneten Frau Teubner schriftlich beantwortet werden. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Auch beim Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr bitten alle Kollegen um schriftliche Beantwortung. Dies betrifft die Fragen 6 und 7 der Abgeordneten Frau Walz, die Fragen 8 und 9 der Abgeordneten Frau Bulmahn, die Fragen 10 und 11 des Herrn Abgeordneten Vahlberg, die Fragen 12 und 13 des Herrn Abgeordneten Pauli sowie Frage 14 des Herrn Abgeordneten Müller . Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Wir kommen also zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit. Herr Staatssekretär Gröbl steht zur Beantwortung der Fragen zur Verfügung.
Die Fragen 15 und 16 von Frau Ganseforth sollen schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt.
Nun kommt die Frage 17 des Abgeordneten Wüppesahl, der nicht im Saal ist. Dann wird die Frage entsprechend der Geschäftsordnung behandelt.
Ich rufe die Frage 18 des Abgeordneten Dr. Daniels auf. Diese Frage und die Frage 19 von ihm sind nicht beantwortbar, weil er nicht da ist. Insofern wird entsprechend der Geschäftsordnung gehandelt.
Ich muß Ihnen, Herr Gröbl, leider sagen, daß Sie vergeblich gekommen sind.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers des Auswärtigen. Frau Staatsminister Dr. Adam-Schwaetzer steht zur Beantwortung der Fragen zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 20 des Abgeordneten Toetemeyer auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß die südafrikanische Regierung die von Schwarzen bewohnte Gemeinde Mogopa im Distrikt Ventersdorp, Westtransvaal, erneut umsiedeln lassen will, obwohl der Oberste Gerichtshof Südafrikas bereits die erste Zwangsumsiedlung für unrechtmäßig erklärte, und wird sie wegen dieses Vorgangs bei der südafrikanischen Regierung vorstellig werden?
Bitte schön, Frau Staatsminister.
Herr Abgeordneter, der Bundesregierung ist der Fall bekannt. Am 2. Mai 1987 hat das Supreme Court in Pretoria den Einspruch der Mogopa gegen die von den südafrikanischen Behörden verhängte Räumungsanordnung zurückgewiesen. Gegen dieses Urteil ist die Berufung beim Obersten Gericht in Bloemfontein möglich. Die Bundesregierung hat sofort nach Bekanntwerden der Entscheidung des Gerichtes in Pretoria gegenüber dem südafrikanischen Geschäftsträger in Bonn ihre große Besorgnis über diese für die Mogopa negative Entwicklung zum Ausdruck gebracht und die südafrikanische Regierung aufgefordert, auf die sofortige Vollstreckung dieses Urteils zu verzichten. Auf Initiative der Bundesregierung wird ferner die spanische Präsidentschaft im Auftrag der Zwölf bei der südafrikanischen Regierung zugunsten der Mogopa intervenieren.
Herr Toetemeyer, eine Zusatzfrage bitte.
Frau Staatsminister, der Außenminister ist in der gleichen Angelegenheit angeschrieben worden. Können Sie mir sagen, ob der Außenminister dem Petenten in der gleichen Weise wie Sie mir heute geantwortet hat?
Frau Dr. Adam-Schwaetzer, Staatsminister: Ich kann ihnen nicht sagen, Herr Abgeordneter, ob der Brief des Petenten, dessen Namen Sie nicht genannt haben, bereits beantwortet ist.
Eine Zusatzfrage, bitte schön.
Dann darf ich folgende Zusatzfrage stellen: Wären Sie bereit, dafür Sorge zu tragen, daß der Brief vom Februar dieses Jahres, der vom Bundesschluß in Hamburg — das ist eine Gruppe, die sich um diese Dinge kümmert — stammt, in der gleichen Weise beantwortet wird, wie mir heute Antwort zuteil wurde?
Frau Dr. Adam-Schwaetzer, Staatsminister: Herr Abgeordneter, selbstverständlich werde ich mich darum kümmern, daß, falls dies bisher noch nicht geschehen sein sollte, eine ausreichende und ausführliche Antwort erteilt wird.
Ich rufe die Frage 21 von Ihnen, Herr Toetemeyer, auf:Ist die Bundesregierung bereit, solche unrechtmäßigen Zwangsumsiedlungen als Menschenrechtsverletzungen zu brandmarken, und werden von ihr Überlegungen angestellt, zumindest ebensolche Sanktionen gegen Südafrika zu verhängen, wie sie vom amerikanischen Kongreß beschlossen wurden?Bitte schön, Frau Staatsminister.
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10520 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 142. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. Mai 1989
Frau Dr. Adam-Schwaetzer, Staatsminister: Herr Toetemeyer, ich darf zur Beantwortung dieser Frage auf die Antwort zur Frage 20 verweisen.
Eine Zusatzfrage, Herr Toetemeyer.
Das verstehe ich nicht ganz, Frau Staatsminister. In dieser Frage habe ich ausdrücklich danach gefragt, ob die Bundesregierung für den Fall, daß die Interventionen, die Sie geschildert haben, nicht zum Erfolg führen — einen Erfolg haben Sie noch nicht darstellen können —, doch zu Maßnahmen greifen könnte, die denen unserer Kollegen im amerikanischen Kongreß entsprechen. Deshalb halte ich die Verweisung auf die Antwort zur Frage 20 nicht für eine ausreichende Antwort.
Frau Dr. Adam-Schwaetzer, Staatsminister: Herr Abgeordneter, ich habe bei der Beantwortung der Frage 20 dargestellt, welche Aktionen die Bundesregierung zu ergreifen gedenkt. Ich will aber gern noch auf die weitergehende Frage bezüglich möglicher Wirtschaftssanktionen eingehen. Sie wissen, daß die Bundesregierung weiterhin skeptisch gegenüber Wirtschaftssanktionen ist, da sie Zweifel daran hat, daß die ihnen zugeschriebene Wirkung einer friedlichen Druckausübung tatsächlich eintritt. Nach Meinung der Bundesregierung schüfen umfassende mandatorische Sanktionen nur die Grundlage für weitere Gewalt und Spannung in Südafrika.
Im übrigen gelten weiterhin die von den Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft gegenüber Südafrika beschlossenen restriktiven Maßnahmen. Diese sind ein Signal an die südafrikanische Regierung, daß die Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft nicht unbegrenzt bereit sind, die Verletzung von Menschenrechten in Südafrika hinzunehmen. Ich füge hinzu, daß es immer einer sehr schwierigen Abwägung bedarf, um einzuschätzen, welcher Effekt mit welchen Maßnahmen erzielt wird. Dies ist zugegebenermaßen im Falle Südafrikas so. Aber ich kann mir auch noch andere Staaten vorstellen, bei denen diese schwierige Frage immer wieder gestellt wird und beantwortet werden muß.
Sie haben noch eine Zusatzfrage, Herr Toetemeyer.
Frau Staatsministerin, ist der Bundesregierung bekannt, daß die gegenwärtige Regierung der Republik Südafrika gegenüber den Städten, in denen die konservative Partei bei den letzten Wahlen Mehrheiten gewonnen und die kleine Apartheid wieder eingeführt hat, mit dem Argument arbeitet, sie mögen das doch bitte wieder einstellen, damit nicht weitere Südafrika schädigende Sanktionen ergriffen werden?
Frau Dr. Adam-Schwaetzer, Staatsminister: Herr Abgeordneter, ich kann nicht bewerten, inwieweit diese Berichte korrekt wiedergegeben sind und inwieweit sie tatsächlichen Äußerungen entsprechen. Es spricht einiges dafür, daß auch mit solchen Argumentationen gearbeitet wird. Ich kann nur noch einmal darauf hinweisen, daß gerade die Frage von Sanktionen gegenüber Regierungen, die kontinuierlich und permanent die Menschenrechte verletzen, immer wieder ein großes Problem, eine große Herausforderung für die Bundesregierung darstellt, aber natürlich auch für die Europäische Gemeinschaft. In beiden Gremien, Bundesregierung und Europäische Gemeinschaft, wird in kurzer Folge darüber diskutiert, ob es notwendig ist, weitere Maßnahmen zu ergreifen.
Wir haben eine weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Gansel hierzu.
Da Sie schon so sicher sind, daß Sanktionen gegen Südafrika nicht dazu beitragen werden, die Menschenrechtslage zu verbessern, möchte ich Sie fragen, ob Ihnen bekannt ist, daß die Bundesrepublik inzwischen an Stelle von Japan zum größten Außenwirtschaftspartner Südafrikas geworden ist und ob Sie das kaltläßt.
Frau Dr. Adam-Schwaetzer, Staatsminister: Herr Abgeordneter, auch diese Fragen werden innerhalb der Bundesregierung kontinuierlich erörtert und diskutiert. Ich kann noch einmal darauf hinweisen, daß es Politik der Bundesregierung ist, die Lage der unterdrückten Menschen in Südafrika zu verbessern und die Maßnahmen, die sie selbst für richtig hält, um Menschenrechtsverletzungen abzustellen, auch zu ergreifen.
In dem Zusammenhang möchte ich darauf hinweisen, daß deutsche Firmen, die in Südafrika arbeiten, jetzt den von der IG Metall vorgelegten Katalog von Rechten der Arbeitnehmer in Südafrika beachten.
Sie wissen, daß die Bundesregierung ihre Bemühungen weiter fortsetzt, auch innerhalb der Europäischen Gemeinschaft diesen Katalog umzusetzen, damit auch andere Firmen aus der Europäischen Gemeinschaft, die in Südafrika arbeiten, diese Rechte der Arbeitnehmer beachten.
Die Fragen 22 des Abgeordneten Lowack und 23 und 24 des Abgeordneten von Schmude brauche ich nicht aufzurufen, weil sie auf Wunsch der Fragesteller schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.Ich rufe die Frage 25 des Abgeordneten Gansel auf:Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über den Stand der C-Waffen-Produktion in Rabta, und was hat sie seit dem 18. Februar 1989 gegenüber Libyen veranlaßt, damit mit deutscher Beteiligung eine C-Waffen-Produktion in Libyen nicht . möglich ist?Bitte schön, Frau Staatsminister.Frau Dr. Adam-Schwaetzer, Staatsminister: Herr Abgeordneter, die Erkenntnisse der Bundesregierung über den Stand der Produktion in Rabta sind in dem Bericht der Bundesregierung vom 15. Februar 1989 über eine mögliche Beteiligung deutscher Firmen an einer C-Waffen-Produktion in Libyen aufgeführt. Der Bundesregierung liegen keine zusätzlichen Erkenntnisse vor, daß in der Zwischenzeit die C-Waffen-Produktion in Rabta aufgenommen worden ist.
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 142. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. Mai 1989 10521
Staatsminister Frau Dr. Adam-SchwaetzerDie Bundesregierung hat die nachfolgend aufgeführten Schritte veranlaßt, damit mit deutscher Beteiligung eine C-Waffen-Produktion in Libyen nicht möglich ist.Erstens. Die Bundesregierung hat am 15. März 1989 eine Dritte Verordnung zur Änderung der Außenwirtschaftsverordnung erlassen, die am 1. April 1989 in Kraft getreten ist. Mit der Verordnung werden Rechtsgeschäfte und Handlungen Gebietsansässiger im Außenwirtschaftsverkehr verboten, die im Zusammenhang mit der Errichtung oder dem Betrieb von Anlagen zur Herstellung von chemischen Waffen im Sinne der Kriegswaffenliste in Libyen stehen.Zweitens. Bereits im Januar waren alle Zolldienststellen erneut in schriftlicher Form um eine besonders sorgfältige Ausfuhrkontrolle einschlägiger Ausfuhrsendungen gebeten worden.Drittens. Was direkte Aktivitäten der Bundesregierung gegenüber Libyen angeht, geht aus dem Bericht der Bundesregierung an den Deutschen Bundestag vom 15. Februar 1989 hervor, daß der deutsche Botschafter in Tripolis am 3. Januar 1989 bei Staatschef Gaddafi mit dem Ziel demarchiert hatte, eine libysche Zustimmung zu einer internationalen Inspektion der Anlage in Rabta zu erreichen. Die Antwort war über den stellvertretenden libyschen Außenminister am 4. Januar 1989 erteilt worden. Danach stimme Libyen uneingeschränkt allen internationalen Mechanismen zu, die alle Staaten gleichermaßen entsprechenden Kontrollen unterwürfen. Libyen lehne nur gegen Libyen gerichtete Maßnahmen als diskriminierend ab.Wiederholte spätere Gespräche mit der libyschen Regierung zeigen, daß sich die libysche Haltung bisher nicht geändert hat.
Zusatzfrage, Herr Gansel.
Wie viele Gespräche hat es in der von Ihnen erwähnten Form mit der libyschen Regierung seit dem 3. Januar 1989 gegeben?
Frau Dr. Adam-Schwaetzer, Staatsminister: Am 15. Februar 1989 hat es ein Gespräch zwischen unserem Botschafter und dem Europadirektor Ferjani gegeben. Am 16. Februar 1989 wurde dieses Gespräch fortgesetzt. Am 20. Februar 1989 wurde in einer Presseerklärung in Bonn der libysche Standpunkt wiederholt. Am 18. April 1989 gab es — darauf Bezug nehmend — ein weiteres Gespräch zwischen unserem Botschafter und dem Europadirektor Ferjani.
Weitere Zusatzfrage, Herr Gansel.
Trifft es also zu, daß die Bundesregierung — außer zwei Gesprächen mit der libyschen Regierung — gegenüber Libyen auf bilateralem Wege nichts unternommen hat, um die Produktion von Giftgas mit deutscher Beteiligung zu unterbinden, und betrachten Sie es als eine Maßnahme der Bundesregierung auf diesem Feld, wenn sie auf eine Presseerklärung der libyschen Botschaft reagiert?
Frau Dr. Adam-Schwaetzer, Staatsminister: Herr Abgeordneter, ich kann hier auf Ihre Fragen, die in etwa immer gleich lauteten,
Bezug nehmen, die wir in Regierungsbefragungen und Fragestunden — ich möchte fast sagen: inzwischen sechsmal — beantwortet haben: Die Kontakte der Bundesregierung zur libyschen Regierung auf bilateraler Ebene bestehen in Gesprächen.
Sie hatten an einer anderen Stelle gefordert, daß die Bundesregierung Rückforderungen stellen solle. Hier ist Ihnen von der Bundesregierung gesagt worden, daß sie keine rechtlichen Möglichkeiten dazu sieht. Ich denke, daß damit diese Möglichkeit einer weiteren bilateralen Aktion erledigt ist; Sie sind darauf ja auch nicht zurückgekommen.
Des weiteren habe ich hier mehrfach ausgeführt, daß die Bundesregierung dieses Thema im Kreise der mit ihr befreundeten Staaten aus der Europäischen Gemeinschaft erörtert hat, daß auch aus dem Kreise der befreundeten Staaten Aktionen gemacht worden sind.
Ich habe weiterhin darüber berichtet, daß die algerische Regierung bei der libyschen Regierung vorstellig geworden ist, was den internationalen Betrieb einer Chemiefabrik, die eben nicht Chemiewaffen produziert, in Rabta, in Libyen betrifft.
Diese Kontakte werden selbstverständlich aufrechterhalten. Bedauerlicherweise müssen wir feststellen, daß die libysche Regierung darauf bisher nicht abschließend positiv reagiert hat.
Zusatzfrage des Abgeordneten Roth.
Nachdem im Parlament Zweifel lautgeworden sind, insbesondere durch einen Abgeordneten der Fraktion DIE GRÜNEN, Herrn Dr. Mechtersheimer, daß in Rabta überhaupt eine Chemiewaffenproduktion geplant war, hätte ich jetzt gern die Meinung, die aktuelle Bewertung der Bundesregierung, ob das geplant war oder ob das dort keine Chemiewaffenproduktion ist.
Frau Dr. Adam-Schwaetzer, Staatsminister: Herr Abgeordneter, in ihrem Bericht vom 15. Februar 1989 hat die Bundesregierung darauf hingewiesen, daß sie davon ausgehen muß, daß in Rabta, in Libyen eine Chemiewaffenfabrik geplant ist. An dieser Erkenntnis hat sich nichts geändert.
Das war der Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes. Ich danke Ihnen, Frau Staatsminister, für die Beantwortung der Fragen.Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft. Der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Riedl steht zur Beantwortung zur Verfügung.Ich rufe die Frage 26 des Abgeordneten Gansel auf :Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über Lieferungen von Leo-Panzern nach Libyen, und wann hat sie gegebenenfalls staatsanwaltschaftliche Ermittlungen veranlaßt?Bitte schön, Herr Staatssekretär.
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10522 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 142. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. Mai 1989
Herr Präsident, Herr Abgeordneter, der Bundesregierung liegen keine Erkenntnisse über Lieferungen von Leopard-Panzern nach Libyen vor. Vermutlich, Herr Abgeordneter, bezieht sich Ihre Frage weniger auf die Lieferung von vollständigen Leopard-Panzern nach Libyen als vielmehr auf die beabsichtigte Lieferung von Panzerteilen. Hierüber hat ja die Presse, und zwar die „Neue Osnabrücker Zeitung", am 5. Mai 1989 geschrieben und über den Verdacht einer beabsichtigten Lieferung von vier Leopard-I-Motoren und zwei zugehörigen Getrieben berichtet.
Auf Grund von entsprechenden Hinweisen hatte das Zollfahndungsamt Hannover am 25. April 1989 hierzu Ermittlungen aufgenommen und am 27. April 1989 die Staatsanwaltschaft Göttingen eingeschaltet. Diese durchsuchte dann noch am gleichen Tag auf Grund eines Durchsuchungsbeschlusses des Amtsgerichts Göttingen diese Firma und stellte dabei die vier Motoren und zwei Getriebe sicher.
Die Ermittlungen dauern gegenwärtig noch an. Das abschließende Ergebnis, Herr Abgeordneter, steht noch aus. Ich kann es Ihnen deshalb hier auch noch nicht mitteilen.
Herr Gansel, eine Zusatzfrage.
Hat die Bundesregierung auf bilateralem Wege gegenüber Libyen dieses geplante Geschäft zur Sprache gebracht, oder ist es auch in diesem Fall so, daß man mit Libyen normale diplomatische Beziehungen unterhält, „business as usual" pflegt, sich bei Cocktailpartys trifft, soweit in islamischen Ländern Alkohol ausgeschenkt wird, und im übrigen versucht, keine heiklen Themen anzusprechen wie im Falle der möglichen Giftgasproduktion in Rabta?
Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Also, Herr Abgeordneter, ich halte, ohne den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft vorzugreifen, einen Vergleich zwischen diesem Gegenstand, über den wir jetzt reden, und dem beabsichtigten oder geplanten Bau einer Giftgasanlage in Rabta in der Tat für abwegig. Dies ist nicht zu vergleichen.
Die Bundesregierung hat natürlich auf Grund dieses Falls schon ganz allein deshalb, weil die Ermittlungen nicht abgeschlossen sind, auf diplomatischem Wege nichts unternommen und konnte auch nichts unternehmen. Ich würde Ihnen anraten, in solchen Dingen durchaus einen kühlen Kopf zu bewahren, Herr Abgeordneter, und doch einmal zunächst die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft abzuwarten, obwohl ich Ihr subtiles Interesse an solchen Dingen natürlich sehr genau kenne und durchaus Ihr Interesse verstehe, die Bundesregierung zu befragen.
Wir sind auch gerne bereit, die entsprechenden Antworten zu geben.
Mit kühlem Kopf, Herr Gansel, die nächste Zusatzfrage, bitte schön.
Herr Staatssekretär, hat die Staatsanwaltschaft bei dem zur Diskussion stehenden Fall, bei dem es ja nur um vier Panzermotoren geht, auf gerichtsverwertbare Beweise gewartet wie die Bundesregierung in dem Fall, als es um Giftgas ging, oder ist sie auf Grund von Verdachtsmomenten tätig geworden, die die Bundesregierung, als es nur um den Verdacht von Giftgas ging, monatelang öffentlich abgestritten hat?
Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Sie sind ja ein außerordentlich raffinierter Fragesteller. Das konnte ich Ihnen hier im Deutschen Bundestag, Herr Kollege, schon mehrmals bestätigen.
Die Staatsanwaltschaft wird tätig, wenn sie nach dem Gesetz dazu verpflichtet ist. Das war auch in diesem Fall so. Sie ermittelt. Ich telefoniere ja nicht täglich mit Staatsanwälten — dann hätte ich aber was zu tun, Herr Abgeordneter — , sondern ich warte mit Ihnen zusammen gelassen das Ergebnis der Ermittlungen unserer sehr verehrten Staatsanwaltschaft ab.
Wir brauchen die Fragen 27 und 28 des Abgeordneten Schreiner nicht aufzurufen, weil sie nach Nr. I 2 Satz 2 der Richtlinie schriftlich beantwortet werden müssen. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich danke dem Staatssekretär für die Beantwortung der Fragen und für die Komplimente, die er den Abgeordneten gemacht hat.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung auf. Herr Parlamentarischer Staatssekretär Vogt steht zur Beantwortung der Fragen zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 29 der Abgeordneten Frau Weyel auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, welche hohen zeitlichen, physischen und psychischen Belastungen zur Zeit beim Pflegepersonal der Krankenhäuser herrschen, weil die Plätze ausgebildeter Schwestern nicht mehr in vollem Umfang wieder besetzt werden können?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Herr Präsident, ich würde gerne die Fragen 29 und 30 gemeinsam beantworten, wenn die Fragestellerin damit einverstanden ist.
Frau Weyel ist einverstanden. Dann rufe ich auch noch die Frage 30 auf:Sieht die Bundesregierung aus diesem Grund Anlaß und Möglichkeit zu Maßnahmen, die auf weitere Sicht die Garantie bieten, daß für die verantwortungsvolle Arbeit im Krankenhaus auf Dauer genügend Krankenschwestern und Pflegepersonal eingestellt werden können?Bitte schön.Vogt, Parl. Staatssekretär: Nach den der Bundesregierung vorliegenden Zahlen aus der Strukturanalyse der Bundesanstalt für Arbeit vom September 1988 kommen auf eine offene Stelle bei den Krankenschwestern und den Krankenpflegern im Bundesgebiet durchschnittlich noch immer mehr als vier Bewerber bzw. Bewerberinnen. Auch unter Berücksichtigung der Tatsache, daß den Arbeitsämtern von den Krankenhäusern nicht alle offenen Stellen gemeldet werden, deuten diese Zahlen darauf hin, daß generell
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 142. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. Mai 1989 10523
Parl. Staatssekretär Vogtnoch keine Schwierigkeiten bestehen, die vorhandenen Stellen im Krankenpflegebereich zu besetzen. Dieses Ergebnis wird durch eine aktuelle Umfrage der Deutschen Krankenhausgesellschaft bestätigt, wonach sich die nicht besetzten Planstellen von Krankenschwestern und Krankenpflegern mit 2,6 % bis 3,9 % durchaus in einer normalen Größenordnung bewegen.Engpässe, Frau Kollegin, gibt es allerdings regional und in einigen qualifizierten Pflegebereichen, so bei der Intensivpflege und im OP-Bereich. Vor allem in einigen Großstädten im süddeutschen Raum — ich nenne München, Stuttgart, Nürnberg — kommen durchschnittlich weniger bzw. knapp mehr als ein arbeitsloser Bewerber oder Bewerberin auf eine gemeldete offene Stelle.Die in Ihrer Frage angesprochenen hohen zeitlichen, physischen und psychischen Belastungen des Pflegepersonals beruhen zu einem wesentlichen Teil auch auf ungünstigen Arbeitsbedingungen, ungünstiger Arbeitsorganisation und Dienstplangestaltung. Die Verantwortung dafür liegt in erster Linie bei den Tarifvertragsparteien und bei den Krankenhäusern.Soweit der Bundesregierung im Rahmen des § 19 des Krankenhausfinanzierungsgesetzes Verantwortung im Bereich der Personalbemessungszahlen übertragen worden ist, wird sie diese unverzüglich wahrnehmen. Verordnungen zum Personalbedarf in psychiatrischen Krankenhäusern und zur Anrechnung von Krankenpflegeschülerinnen und -schillern auf den Stellenplan des Krankenhauses sind in Vorbereitung.Die Lösung der vielschichtigen Probleme der Krankenpflege liegt allerdings nicht allein bei der Bundesregierung. Den Tarifvertragsparteien, den Krankenhäusern, den Pflegesatzparteien und auch den Ländern obliegt ein großer Teil Verantwortung für die Lösung der Probleme. Notwendig sind deshalb gemeinsame und abgestimmte Maßnahmen aller Beteiligten. Die Bundesregierung wird das in ihrem Zuständigkeitsbereich Mögliche dazu beitragen.
Frau Weyel, erste Zusatzfrage.
Sie haben auf eine Statistik vom Herbst 1988 verwiesen. Halten Sie es nicht angesichts der Entwicklung gerade in den letzten sieben Monaten für angebracht, einmal darüber nachzudenken, ob diese Statistik noch der Realität entspricht, wenn Sie sich einmal anschauen, was sich gerade in diesen letzten Monaten an Abwanderungsbewegungen aus den Krankenhäusern hinaus vollzogen hat?
Vogt, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, ich kann mich hier natürlich zuerst einmal nur auf die Strukturanalyse der Bundesanstalt beziehen, die auf September 1988 Bezug nimmt, und auf diese Umfrage der Deutschen Krankenhausgesellschaft, die, soweit ich das jetzt sehe, Anfang dieses Jahres erfolgt ist. Nach diesen beiden uns vorliegenden Dokumentationen kann nicht von einem generellen personellen Notstand gesprochen werden. Aber ich betone noch einmal, daß es in Sektoren und in Regionen Engpässe gibt.
Weitere Zusatzfrage, Frau Weyel.
Ist der Bundesregierung bekannt, daß die von Ihnen angesprochene Belastung von Schwestern in besonderen Bereichen, beispielsweise im OP- und im Anästhesiebereich, dazu führt, daß die Schwestern heute einschließlich eines Bereitschaftsdienstes, der häufig ebenfalls in Tätigkeit im OP besteht, regelmäßige Arbeitszeiten von wöchentlich 70 Stunden haben, und zwar auf Dauer, weil im Bereich des Nachzugs qualifizierter Kräfte Lücken entstehen, andererseits durch die entstehenden Lükken die Belastung so stark ist und dadurch wiederum der Trend zur Abwanderung verstärkt wird; und ist der Bundesregierung bekannt, daß insbesondere in den Krankenpflegeschulen bereits im letzten Jahr zum Teil schon nicht mehr alle Plätze besetzt werden konnten, so daß auch im Nachrückerbereich große Lücken entstehen?
Vogt, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, es sind uns Engpässe bekannt. Ich muß nur darauf hinweisen, daß für die Personalbemessungszahlen nach dem Krankenhausfinanzierungsgesetz — KHG, § 19 — die Deutsche Krankenhausgesellschaft und die Spitzenverbände der gesetzlichen Krankenversicherung vorrangig zuständig sind. Erst wenn sich diese beiden nicht innerhalb eines Jahres über ein verhandelbares Angebot einigen, das eine der Seiten auf den Tisch gelegt hat, kann der Bundesarbeitsminister tätig werden. Da die Frist von einem Jahr noch nicht begonnen hat, kann der Bundesarbeitsminister hier nicht handeln, soweit es sich um die Personalbemessungszahlen dreht.
Für die anderen Fragen — tarifliche Arbeitszeit und betriebliche Arbeitszeitgestaltung in den Krankenhäusern — sind die Tarifvertragsparteien zuständig, d. h. die Krankenhäuser selbst, die Deutsche Krankenhausgesellschaft; da hat der Bund keine Zuständigkeit.
Weitere Zusatzfrage, Frau Weyel.
Herr Staatssekretär, glauben Sie nicht, daß es trotz mangelnder formaler Zuständigkeit doch zu der Verantwortung der Bundesregierung gehört, besonders in Ihrem Ressort, vielleicht aber auch in dem benachbarten Bundesministerium für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit, eine solche Entwicklung, die doch in der letzten Zeit sehr dramatisch verläuft, zu verfolgen, und können Sie sich nicht vorstellen, daß gerade in dem hochqualifizierten Bereich — ich nenne noch einmal Intensivpflege, Anästhesie, OP — , wo die Unterschiede in der effektiven Arbeit zwischen Ärzten und Schwestern sich doch sehr verringern und wo sehr Hand in Hand gearbeitet werden muß, die sehr unterschiedlichen Bezahlungen eine Rolle spielen und halten Sie es nicht für sinnvoll, daß die Bundesregierung auch in dieser Richtung einmal tätig wird, zumal sie ja mit dem Gesundheitsreformgesetz auch in bestehende Strukturen eingegriffen hat?Vogt, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, ich möchte dem Eindruck entgegenwirken, als würden wir uns
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10524 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 142. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. Mai 1989
Parl. Staatssekretär Vogthinter Kompetenzen verstecken. Wir haben eine Pflegekonferenz im Bundesarbeitsministerium durchgeführt. Der Bundesminister Norbert Blüm hat heute in der Regierungsbefragung darauf hingewiesen, daß er einen runden Tisch aller Beteiligten befürwortet, damit die Probleme, die beim Pflegepersonal bestehen, eben von allen Beteiligten erörtert werden, um zu gemeinsamen Lösungen zu kommen. Aber ich bitte um Verständnis dafür, daß in einer solchen Situation, in der die zuständigen Tarifvertragsparteien über Entgelte für Krankenpflegerinnen und Krankenpfleger konkret verhandeln — und die nächsten Verhandlungstermine sind fest vereinbart: jetzt noch im Mai und Anfang Juni, wo es ja nicht nur um die Entgelte gehen wird, sondern, wie ich annehme, auch um neue Gruppierungen in der Krankenpflege — , der Bundesarbeitsminister sehr zurückhaltend ist.
Weitere Zusatzfrage, bitte schön, Frau Weyel.
Herr Staatssekretär, als Sozialdemokratin liegt es mir natürlich völlig fern, mich in Tarifverhandlungen einmischen zu wollen
oder dieses von der Regierung zu verlangen; aber ich möchte auf einen anderen Aspekt Ihrer Antwort kommen, nämlich auf Ihren Hinweis auf mangelhafte Organisation im Krankenhaus. Ist Ihnen bekannt, daß die Verkürzung der wöchentlichen Arbeitszeit von 40 auf 39 Stunden in den Krankenhäusern normalerweise nicht durchgeführt wird, eben wegen der Personalsituation, und daß die Organisationsstrukturen ja durch einen bestimmten Stellenschlüssel auf der einen Seite und durch die Pflicht zu einer Versorgung rund um die Uhr und rund um die Woche auf der anderen Seite bedingt sind? Gäbe es vielleicht auch an dieser Stelle, abgesehen von der Zuständigkeit der Tarifpartner und der eigenständigen Organisation der Krankenhäuser, nicht doch Möglichkeiten, Verbesserungen anzubringen?
Vogt, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, ich halte es eigentlich mit dem Grundsatz, daß derjenige, der eine Lösung vereinbart hat, die zu Problemen führt, sich auch mit den Problemen auseinandersetzen muß. Wenn die Arbeitszeitverkürzung im öffentlichen Dienst Probleme in den Krankenhäusern geschaffen hat — diese Probleme kennen wir — , dann haben, glaube ich, zunächst einmal die unmittelbar Beteiligten die Verantwortung, diese Probleme auch zu lösen. Wir sind kompetenzmäßig erst dann gefordert, wenn die beiden Partner, von denen ich vorhin gesprochen habe, bei den Personalbemessungszahlen zu keinem Ergebnis kommen. Aber die Frist von einem Jahr hat noch nicht zu laufen angefangen, und von daher sind wir nicht unmittelbar im Handlungszwang.
Das waren vier Zusatzfragen.
— Ich muß Ihnen zugestehen, daß ich einen Moment nicht aufgepaßt habe, aber es waren wirklich schon vier.
Vogt, Parl. Staatssekretär: Wir können heute ja großzügig sein.
Es war ja schon sehr ausführlich. Jetzt rufe ich die Frage 31 des Abgeordneten Reimann auf:
In welchem Umfang werden in der Bundesrepublik Deutschland AZO-Farbstoffe, die von der Arbeitsstoffkommission der Deutschen Forschungsgemeinschaft als krebserzeugend eingestuft worden sind, in den Verkehr gebracht, in welchen Produkten und Arbeitsverfahren werden sie angewandt?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Vogt, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Reimann, ich würde gern Ihre Fragen 31 und 32 gemeinsam beantworten, wenn Sie und der Präsident einverstanden sind.
Sind Sie das?
Zwar geht es zum einen um die Verbraucher und zum anderen um Arbeitsplätze, aber wenn der Staatssekretär das Kunststück fertigbringt, bitte.
Vogt, Parl. Staatssekretär: Nun, wir können es auch trennen. Das ist nicht die Schwierigkeit.
Ich rufe also auch die Frage 32 des Abgeordneten Reimann auf:Wie viele Arbeitnehmer sind diesen Stoffen am Arbeitsplatz ausgesetzt, und wie viele Verbraucher kommen z. B. durch Kleidungsstücke mit diesen krebserzeugenden Stoffen in Berührung?Vogt, Parl. Staatssekretär: Also machen wir es gemeinsam: Die Senatskommission der Deutschen Forschungsgemeinschaft zur Prüfung gesundheitsschädlicher Arbeitsstoffe hat in ihrer Mitteilung XXIV aus 1988 — das ist die MAK-Werte-Liste 1988 — dargelegt, daß der Verdacht besteht, daß alle AZO-Farbstoffe ein krebserzeugendes Potential besitzen, sofern sie eine im Stoffwechsel freisetzbare kanzerogene — jetzt habe ich gewisse Schwierigkeiten, weil der Chemieunterricht bei mir schon einige Jahrzehnte zurückliegt; ich bitte um Nachsicht — Arylaminkomponente enthalten.Die Senatskommission hat ferner darauf hingewiesen, daß diese Stoffgruppe mehrere hundert Einzelstoffe umfaßt, wobei die gesamte Arylaminkomponente teilweise krebserzeugend sein kann, teilweise aber nur im Verdacht steht, krebserzeugend zu wirken.Zur Beantwortung Ihrer Fragen bedarf es deshalb umfangreicher Recherchen bei den betroffenen Industriezweigen und den Aufsichtsbehörden. Der den Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung und den Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit beratende Ausschuß für Gefahrstoffe ist in diese Arbeiten eingeschaltet. Mit Ergebnissen ist nicht vor Ende 1989 zu rechnen. Der Bundesregierung liegen derzeit nur sehr wenige Einzeldaten zu be-
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 142. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. Mai 1989 10525
Parl. Staatssekretär Vogtstimmten Stoffen vor, beispielsweise solche, die im Rahmen des laufenden Altstoffprogramms der Berufsgenossenschaft der chemischen Industrie erhoben und teilweise auch veröffentlicht worden sind.Die Bundesregierung wird sich bemühen, in angemessener Zeit die in der Anfrage genannten Daten über wichtige industrielle AZO-Farbstoffe soweit wie möglich zu beschaffen, und ich werde sie Ihnen dann schriftlich zur Kenntnis geben.
Herr Reimann, die erste Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, die Bundesregierung stellt also Recherchen an, um in den Bereich der Verbraucher gelangende chemische Produkte zu analysieren. Bedeutet das umgekehrt auch, daß die Bundesregierung keinerlei Erkenntnisse über Stoffgruppen hat, die importiert werden, d. h. über importierte Textilien, die ja auch auf dem deutschen Markt an den Verbraucher herangetragen werden und gemäß den Erkenntnissen der MAK-Kommission zu Schädigungen führen können? Ist die Bundesregierung auch auf diesem Gebiet unbefleckt?
Vogt, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich will noch einmal darauf hinweisen, daß diese Mitteilung XXIV aus 1988 eben die MAK-Werte-Liste des Jahres 1988 ist, in der dargelegt wird, daß diese Stoffe teilweise ein krebserzeugendes Potential haben oder in dem Verdacht stehen, eine krebserzeugende Wirkung zu besitzen. Die Zeitspanne, die von der Veröffentlichung der MAK-Werte-Liste 1988 bis heute vergangen ist, ist zu kurz, als daß ich Ihnen jetzt hinsichtlich bestimmter Stoffe konkrete Auskünfte geben könnte.
Die zweite Zusatzfrage.
Aber, Herr Staatssekretär, die MAK-Werte-Liste beinhaltet doch nicht Stoffe importierter Produkte, oder bin ich da falsch informiert? Ich habe nach den importierten Produkten gefragt.
Vogt, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, wir müssen natürlich zuerst einmal unsere Überlegungen vom Ausgangsdatum her vornehmen. Das Ausgangsdatum ist, daß in der MAK-Werte-Liste 1988 zum ersten Mal dargelegt worden ist, daß die genannten Stoffe dieses krebserzeugende Potential haben können. Jetzt werden alle Stoffe, die im Verdacht stehen, mit solchen Produkten behaftet zu sein, untersucht. Hier werden importierte Stoffe natürlich einbezogen, nicht nur Stoffe, die in der Bundesrepublik Deutschland erzeugt werden. Polohemden, die aus Hongkong eingeführt werden, werden in eine solche Untersuchung einbezogen, und nicht nur Polohemden, die in Deutschland erzeugt werden.
Jetzt kommt die dritte Ihrer Zusatzfragen, Sie haben dann noch eine.
Da Sie noch nichts zu den Arbeitsplätzen gesagt haben, Herr Staatssekretär — das war meine zweite Frage —, würde ich dazu gerne nachfragen und stelle in meiner ersten Zusatzfrage dazu die Verbindung zu den Erkenntnissen der Bundesregierung her, wenn sie solche hat: Was gedenkt die Bundesregierung zum Schutz der Bevölkerung und der Verbraucher zu tun?
Vogt, Parl. Staatssekretär: Wir setzen das Instrumentarium ein, das dafür vorhanden ist, nämlich die Gefahrstoffverordnung, die immer nach neuesten Erkenntnissen fortgeschrieben wird.
Vierte Zusatzfrage.
Das heißt, die Bundesregierung müßte im Grunde genommen bereit sein, ein Verbot der Herstellung und Importierung von bestimmten Produkten auszusprechen?
Vogt, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich will dem Ergebnis der Untersuchung nicht vorgreifen. Wenn aber die Untersuchungen ein krebserzeugendes Potential zutage treten lassen, wird die Bundesregierung die erforderlichen Konsequenzen zum Schutze der Gesundheit der Arbeitnehmer und der Verbraucher ergreifen, und zwar auf dem Wege, der uns zur Verfügung steht, nämlich durch eine Fortentwicklung der Gefahrstoffverordnung.
Das war's. Reimann : Leider.
Ich danke dem Staatssekretär für die Beantwortung der Fragen.
Wir kommen zum nächsten Geschäftsbereich. Das ist der Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung. Herr Parlamentarischer Staatssekretär Wimmer steht zur Beantwortung der Fragen zur Verfügung.
Die Frage 33 des Abgeordneten Grünbeck soll schriftlich beantwortet werden. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Wir kommen zur Frage 34 des Abgeordneten Dr. Mechtersheimer.
Wie beurteilt die Bundesregierung Presseberichte, nach denen der Abzug aller chemischen Waffen aus der Bundesrepublik Deutschland bis Ende 1990 — entgegen einer Erklärung von Bundeskanzler Kohl — nicht möglich ist, weil die technischen Voraussetzungen in den USA für die Lagerung und Vernichtung bis zu diesem Zeitpunkt und möglicherweise auch 1992 nicht erfüllt sind?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Dr. Mechtersheimer, nach Kenntnis der Bundesregierung treffen derartige Berichte nicht zu.
Zusatzfrage, Herr Mechtersheimer.
In welcher Weise, Herr Staatssekretär, hat die neue amerikanische Administration die Erklärung von Präsident Reagan von Tokio als auch für sich weiterhin gültig bestätigt?
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10526 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 142. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. Mai 1989
Wimmer, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Dr. Mechtersheimer, nach meiner Kenntnis hat sich die jetzige amerikanische Administration voll auf den Boden der Tokioter Erklärung gestellt.
Zweite Zusatzfrage, bitte schön, Herr Dr. Mechtersheimer.
Würden Sie mir behilflich sein, wenn ich mich bemühe, vor Ort, d. h. in Fischbach, selbst ein Bild von den dortigen Vorbereitungen des geplanten Abzugs zu erhalten?
Wimmer, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Dr. Mechtersheimer, das, was Sie in diesem Lande tun können, richtet sich nach Recht und Gesetz. Dazu brauchen Sie meine Hilfe nicht.
Ich achte schon darauf. Ich habe auch geschluckt, wie Sie gemerkt haben.
Nur bin ich nicht in der Lage, die Tatsache zu korrigieren, daß die Regierung sagen darf, was sie möchte.
Wir kommen zur Frage 35 des Abgeordneten Dr. Mechtersheimer:
Mit welcher Begründung hat die Bundesregierung vier Offizieren der tschechoslowakischen Volksarmee — trotz offiziellen Ersuchens der Botschaft der ČSSR — die Möglichkeit eines Besuchs von Bundeswehreinheiten und des Gesprächs mit Bundeswehrsoldaten versagt?
Ich bitte den Staatssekretär zu antworten.
Wimmer, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Dr. Mechtersheimer, Soldaten der tschechoslowakischen Volksarmee sollten auf Einladung des „Darmstädter Signals" in ihrer Eigenschaft als Angehörige des tschechoslowakischen Friedenskomitees einen Besuch bei Bundeswehreinheiten machen. Solche Aktivitäten werden vom Bundesministerium der Verteidigung nicht unterstützt. Es liegt dem Bundesministerium der Verteidigung daran, die militärischen Beziehungen zu Streitkräften des Warschauer Pakts auf offizieller Ebene mit dem Ziel dauerhafter Verbesserungen schrittweise fortzuentwickeln.
Im übrigen darf ich darauf aufmerksam machen, daß das für ausländische Militärattachés geltende Anmeldungsverfahren zum Besuch von Einheiten und Einrichtungen der Bundeswehr bei diesem Ansinnen nicht eingehalten worden ist, was die Terminstellung betrifft.
Zusatzfrage, Herr
Dr. Mechtersheimer.
Finden Sie es nicht merkwürdig, daß beispielsweise eine Gruppe des US War College dieser Tage in offizieller Funktion als
Lehrgangsteilnehmer in der DDR war und daß andererseits die Bundesregierung solche noch weniger verpflichtenden Möglichkeiten der Herstellung von Kontakten zwischen Soldaten nicht fördert?
Wimmer, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Dr. Mechtersheimer, wir begrüßen voll das, was das National War College in der DDR gemacht hat, daß es zu einer Aufnahme von Kontakten mit der dortigen Militärakademie gekommen ist. Sie wissen, daß der Generalinspekteur der Bundeswehr bei seinem Besuch in Moskau die Aufnahme ähnlicher Kontakte mit den entsprechenden sowjetischen Einrichtungen vereinbart hat. Das liegt auf der Linie der erklärten Politik der Bundesregierung. Das bestätigt genau das, was ich gesagt habe. Wir sind daran interessiert, offizielle Kontakte in geeigneter Weise aufzubauen.
Weitere Zusatzfrage, Herr Dr. Mechtersheimer.
Hat die Bundesregierung, da ja möglicherweise fehlerhafte Formen der Anmeldung hier registriert worden sind, selber Initiativen ergriffen, um eine Begegnung z. B. zwischen tschechoslowakischen und deutschen Offizieren möglich zu machen?
Wimmer, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Dr. Mechtersheimer, die praktizierte Politik des Bundesministeriums der Verteidigung gegenüber den Militärattachés der Staaten des Warschauer Pakts ist äußerst kulant und großzügig und ist der Regel exzessiver bemessen, als es für Militärattachés der Bundesrepublik Deutschland in diesen Staaten gilt. Wir müssen allerdings Wert darauf legen, daß die hier vorgeschriebenen Verfahren eingehalten werden. Das gilt auch für Anmeldeverfahren des tschechischen Militärattachés. Darüber hinaus gab es für uns in Anbetracht der geschilderten Motivlage keine Veranlassung, etwas anderes zu tun.
Das war die Beantwortung der Fragen zum Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung. Wir sind damit am Ende dieses Geschäftsbereichs. Denn die beiden anderen Fragen, nämlich die Fragen 36 und 37 des Abgeordneten Catenhusen, sollen schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.Wir kommen für heute zum letzten der Geschäftsbereiche. Es ist der Geschäftsbereich des Bundesministers für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit. Herr Parlamentarischer Staatssekretär Pfeifer steht uns zur Beantwortung der Fragen zur Verfügung.Die Frage 38 des Abg. Müller und die Fragen 39 bis 40 der Abg. Frau Garbe sollen schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.Wir kommen zur Frage 41 der Abgeordneten Frau Teubner:Kann die Bundesregierung darlegen, aus welchem Grunde weder das Bundesministerium für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit, dessen Dienstaufsicht das Bundesgesundheitsamt
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 142. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. Mai 1989 10527
Vizepräsident Westphalunterstellt ist, noch das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, dem die Fachaufsicht über das Institut für Wasser-, Boden-, Luft-Hygiene obliegt, „. . . Geschäftsprüfungen beim Bundesgesundheitsamt durchgeführt, noch gar Berichte über die Beziehungen zwischen dem Bundesgesundheitsamt und dem Verein für Wasser-, Boden-, Luft-Hygiene e. V. angefordert" haben, wie der Bundesrechnungshof in seinem Bericht feststellt?Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Herr Präsident! Frau Kollegin Teubner, Geschäftsprüfungen sind in der Vergangenheit nur aus konkretem Anlaß durchgeführt worden. Dem Ministerium sind früher hinsichtlich des Vereins, der seit 1901 besteht, keine Umstände bekannt geworden, die Geschäftsprüfungen oder Berichte erfordert hätten.
Künftig werden Geschäftsprüfungen routinemäßig in ausgewählten Bereichen durchgeführt.
Außerdem ist die Dienstaufsicht durch mehrere Regelungen verbessert worden. Ich nenne hier: eine Verfahrensregel für die Inanspruchnahme von Personal, Einrichtungen und Material des Bundesgesundheitsamtes bei Nebentätigkeiten, eine Beschaffungsrichtlinie und Richtlinien für die Abwicklung von Forschungsvorhaben.
Zusatzfrage, Frau Teubner.
Angesichts der zutage gekommenen Hinweise auf Einflußnahme von Industrie auf eine Institution bzw. das Bundesgesundheitsamt selber möchte ich fragen, ob die Bundesregierung bereit ist, eine vollständige Dokumentation aller Stellungnahmen, Vermerke, Schriftwechsel usw., die im Zusammenhang mit der gesundheitlichen Bewertung von Asbest — das ist ja der Vorgang, um den es geht — durch das BGA und das Umweltbundesamt vorgenommen wurden, offenzulegen und darin auch die Stellungnahmen der Industrie einzubeziehen, die zum Thema Asbest in den Ministerien und Fachbehörden eingegangen sind?
Pfeifer, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, ich weiß im Moment nicht genau, von welcher Dokumentation Sie sprechen.
Im Zusammenhang mit Ihrer Frage wird die Bundesregierung folgendermaßen verfahren: Mit Beschluß vom 16. Juni hat der Ausschuß für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit des Deutschen Bundestages den Bundesrechnungshof gebeten, die finanziellen Beziehungen und Verknüpfungen zwischen dem Verein für Wasser-, Boden- und Luft-Hygiene e. V. und dem Institut für Wasser-, Boden- und Luft-Hygiene des Bundesgesundheitsamts zu untersuchen. Der Bundesrechnungshof wird dem Fachausschuß
voraussichtlich im Mai einen abschließenden Bericht zuleiten. Ich gehe davon aus, daß er im Ausschuß eingehend beraten wird. Die Bundesregierung wird dann alle ihr bis dahin vorliegenden Erkenntnisse bei der Beratung im Fachausschuß vorlegen. Ich denke, daß wir dann im Fachausschuß zu Ergebnissen über das weitere Verfahren in dieser Angelegenheit kommen werden.
Frau Teubner, Sie haben noch eine weitere Frage.
Noch eine Frage zu der Entscheidung, Asbest im Tiefbau weiterhin als unbedenklich anzusehen und die Verwendung von Asbest im Tiefbau noch jahrelang zuzulassen — diese Entscheidung beruht auch auf Stellungnahmen des BGA — : Sieht die Bundesregierung auf Grund der jetzt bestehenden Vorwürfe und der Hinweise auf Einflußnahmen der Industrie auf die gesundheitliche Bewertung von Asbest die Notwendigkeit, diese Entscheidung bezüglich der Weiterverwendung von Asbest zu überprüfen?
Pfeifer, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, die Entscheidung, die Sie meinen, ist in dem Bericht des Bundesrechnungshofes angesprochen und im Jahre 1981 getroffen worden. Ich bin nicht in der Lage, den Meinungsbildungsprozeß der Bundesregierung im Jahre 1981 im einzelnen darzulegen, vor allem nicht, wie das Ergebnis des Meinungsbildungsprozesses zustande gekommen ist. Aber ich bin bereit, bei der Diskussion dieses gesamten Themenkomplexes im Ausschuß auch die von Ihnen aufgeworfene Frage für die Zukunft zu erörtern.
Die Kollegen Frau Wollny — Fragen 42 und 43 — , Frau Hensel — Fragen 44 und 45 — und Dr. Knabe — Fragen 46 und 47 — haben mich gebeten, ihre Fragen schriftlich beantworten zu lassen. Weil sie sich zur Zeit in einer anderen Sitzung befinden, komme ich dem Wunsch nach. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Wir sind damit am Ende der Fragen aus diesem Geschäftsbereich. Ich bedanke mich bei dem Herrn Staatssekretär für die Beantwortung der Fragen. Damit sind wir auch am Ende der Fragestunde.
Insofern bleibt mir nichts anderes übrig, als die Sitzung zu schließen. Dabei muß ich Sie darauf aufmerksam machen, daß es morgen weitergeht. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 11. Mai 1989, um 9 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.