Gesamtes Protokol
Die 139. Sitzung des Deutschen Bundestages ist eröffnet.
Ich verlese als Amtliche Mitteilung: Aus dem Gemeinsamen Ausschuß nach Art. 53 a des Grundgesetzes ist Abgeordneter Seiters als Mitglied ausgeschieden. Die Fraktion der CDU/CSU schlägt als Nachfolger den Abgeordneten Bohl vor. — Sind Sie damit einverstanden? — Kein Widerspruch. Damit ist Abgeordneter Bohl als Mitglied im Gemeinsamen Ausschuß bestimmt.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 1 auf: Befragung der Bundesregierung
Rede von: Unbekanntinfo_outline
erstens Errichtung der Deutschen Agentur für Raumfahrtangelegenheiten, DARA; zweitens Vermeidung, Verringerung und Verwertung von Abfällen aus Verpackungen für Getränke; drittens Entsorgung verbrauchter halogenierter Lösungsmittel und viertens Frühjahrsgutachten der Wirtschaftsinstitute.
Die Bundesregierung hat weiter mitgeteilt, daß der Bundesminister für Forschung und Technologie, Dr. Riesenhuber, über die Errichtung einer Deutschen Agentur für Raumfahrtangelegenheiten berichtet.
Das Wort hat der Bundesminister.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Bundeskabinett hat heute über die Errichtung einer Deutschen Agentur für Raumfahrtangelegenheiten, genannt DARA, entschieden. Im Kabinettsbeschluß haben wir nicht nur die Grundsätze, sondern in sehr im einzelnen ausgearbeiten Papieren auch das Finanzstatut, den Gesellschaftervertrag und die Rahmenvereinbarungen zur weiteren Arbeit festgelegt. Wir können damit jetzt in einem zügigen Prozeß zur Gründung der DARA kommen.Die Vorgeschichte war, daß der BMFT ein Gutachten in Auftrag gegeben hat, das die Organisation der Raumfahrtforschung, der Raumfahrtpolitik international überprüft hat. Wir haben die Entscheidungen undStrukturen verschiedener Länder aufgearbeitet; wir haben festgestellt, was wir selbst bis jetzt an Organisation haben. Wir haben hier insgesamt ein Konzept gewonnen, das, wie wir glauben, tragfähig ist und im internationalen Wettbewerb bestehen kann.Es ist in mancher Hinsicht eine neue Organisationsform. Wir haben es als GmbH organisiert. Es wird nicht durch eine institutionelle Förderung mit Stellenplänen und Wirtschaftsplänen gefördert, sondern mit Aufträgen. Wir haben im Interesse großer Flexibilität der DARA die verschiedenen Positionen im Finanzbedarfsplan auf eine begrenzte Zahl zusammengestrichen und eine Abweichung von 20 % im Vollzug zugelassen, eine Flexibilität, die sich ähnlich auch bei Max-Planck-Gesellschaft und Großforschungseinrichtungen bewährt hat. Wir haben, auch in den Einstufungen auf den verschiedenen Arbeitsebenen, eine personelle Flexibilität erreicht, die es erlaubt, aus Wissenschaft und Wirtschaft hervorragendes Personal zu gewinnen.Die DARA ist an die Bundesregierung und ihre Verantwortung über einen Kabinettsausschuß unter Vorsitz des Bundeskanzlers — geschäftsführender Vorsitzender ist der Forschungsminister — , über einen entsprechenden Staatssekretärsausschuß sowie über einen Aufsichtsrat, in den Vertreter der Bundesressorts und Vertreter von Wissenschaft und Wirtschaft berufen werden, angebunden.Wir haben weiterhin die Organisation so aufgebaut, daß wir klare Grenzlinien zu anderen Bereichen haben, die schon bestehen. Die Tatsache nämlich, daß wir eine kleinere Lösung gewählt haben, bedeutet, daß die DLR, die Deutsche Forschungsanstalt für Luft- und Raumfahrt, mit ihren großartigen Arbeiten in der Forschung, aber auch in Betriebsanlagen weiterhin ihre Verantwortung haben wird. Wir vertrauen darauf, daß die gute und kompetente Kooperation des BMFT mit der DLR, die wir in den vergangenen Jahren hatten, auch in der neuen Gesamtkonstruktion tragfähig sein wird.Die DARA wird ihre Aktivitäten in wesentlichem Umfang nach außen richten, auf die internationalen Verhandlungen mit NASA und mit ESA, auf die Gespräche mit der Sowjetunion, aber auch auf die Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft und Wirtschaft. Sie wird Beiträge leisten zur inneren Strukturierung
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10240 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 139. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. April 1989
Bundesminister Dr. Riesenhuberunserer Arbeit in der Bundesregierung, in den fachlichen Beiträgen zum Raumfahrtprogramm, in der Optimierung von taktischen und strategischen Konzepten zu einzelnen Projektfeldern, wie der Erdbeobachtung, in der Schwerelosigkeitsforschung, aber auch der Technologieprogramme und auch bei der Leitung und Kontrolle großer Projekte. Wir erwarten uns davon, daß die DARA dazu beiträgt, ein hohes Maß an Kostendisziplin auch bei sehr großen und komplexen Projekten zu halten.Was hier entsteht, ist eine neue Konstruktion, die angesichts der sehr großen Aufgaben, die in den nächsten Jahren im Weltraum vor uns stehen, notwendig und richtig ist, die uns helfen wird, auch große Projekte kompetent zu gestalten, die dazu beitragen wird, daß die Bundesrepublik in einer langfristigen Strategie auch Führungsaufgaben übernehmen kann, wenn es gilt, Konzepte zu entwickeln.Frau Präsident, ich bedanke mich.
Danke schön, Herr Bundesminister.
Der Abgeordnete Fischer hat das Wort zu dem ersten Themenkomplex gewünscht.
Herr Minister Riesenhuber, wie sieht denn die Finanzierung der DARA aus?
Die Finanzierung der DARA sieht so aus, daß im Haushalt des Forschungsministers für die kommenden Jahre Mittel, von rund 35 Millionen DM auf rund 55 Millionen DM ansteigend, eingestellt worden sind. Mit 55 Millionen DM werden wir einen Bestand von etwa 300 Leuten — genauer gesprochen: 300 Mannjahren pro Jahr, denn nicht alle werden hier ständig arbeiten — erreichen. Dies bedeutet, daß auch hier ein Teil der Mitarbeiter aus dem Projektträger der DFVLR übernommen werden soll, wahrscheinlich ein erheblicher Teil, aber hier greife ich den einzelnen Entscheidungen der dann beteiligten Partner insofern nicht vor.
Herr Abgeordneter Vosen.
Herr Minister, wir haben Ministerkonferenzen, Staatssekretärskonferenzen, GmbH, alles das soll zusammen harmonieren. Ist das nicht organisatorisch von Anfang an eine Fehlleistung?
Herr Kollege Vosen, erstens kann man davon ausgehen, daß die Harmonie innerhalb der Bundesregierung geradezu prästabiliert ist,
d. h. wir können voller Zuversicht feststellen, daß auch eine im theoretischen Fall suboptimale Konstruktion dies nicht beeinträchtigen würde. In Wirklichkeit ist es allerdings so, daß wir mit dieser Konstruktion bei einer Hierarchie der Entscheidungsstränge wirklich eine Möglichkeit gefunden haben, auch zwischen den einzelnen Ressorts, die an Raumfahrt interessiert sind, langfristig eine gemeinsame konsistente Strategie
aufzubauen. Denn es ist offenkundig, daß sowohl der Verkehrsminister als auch der Umweltminister, natürlich neben dem Forschungsminister der Postminister mit erheblichem Gewicht, Aufgaben im Weltraum sehen, die in ein gemeinsames Konzept strategisch einzubinden sind, gegebenenfalls natürlich auch der Verteidigungsminister.
Die nächste Frage kommt von der Abgeordneten Frau Bulmahn.
Herr Minister, nach den bisherigen Planungen sollen der DARA übertragen werden zum einen Programmerstellung, zum zweiten Programmdurchführung, drittens die Bewirtschaftung der Haushaltsmittel und viertens die Vertretung der Bundesrepublik nach außen auch gegenüber anderen Ländern. Das heißt, daß damit zum erstenmal in der Geschichte der Bundesrepublik einer privaten Institution hoheitsrechtliche Aufgaben übertragen werden. Mit welcher Begründung können Sie diesen einmaligen Vorgang in der Bundesrepublik rechtfertigen?
Erstens. In der Tat sind bis jetzt in diesem Umfang auf keine Institution hoheitliche Aufgaben übertragen worden.
Zweitens. Die rechtliche Voraussetzung wird durch ein eigenes Gesetz geschaffen, das wir in dieser Periode noch zur Entscheidung bringen wollen. Es wird dem Bundestag natürlich in der üblichen Weise zur Beratung vorgelegt.
Drittens. Ich glaube, daß wir in dieser außerordentlich schwierigen Lage vor der Notwendigkeit stehen, auch neue Arten der Organisation von Regierungsarbeit einzusetzen. Hier scheint es ein ausgezeichneter Weg zwischen dem Ziel eines hohen Maßes an Flexibilität, an Beweglichkeit und an Attraktivität auch für tüchtige Leute aus Wirtschaft und Wissenschaft, die wir haben müssen, damit DARA wirklich kompetent und arbeitsfähig ist, einerseits und dem anderen Ziel einer notwendigen Verläßlichkeit von Sachentscheidungen auch hoheitlicher Natur zu sein. Da scheint mir die Kombination bei DARA vorzüglich zu sein.
Im übrigen ist es dem Gesetzgebungsverfahren unterworfen. Ich halte dies für einen richtigen Weg.
Herr Abgeordneter Rüttgers.
Herr Minister, gehen Sie davon aus, daß durch die Gründung der DARA im forschungspolitischen Bereich und im Output der Aktivitäten im Weltraum stärkere Initiativen und stärkere Möglichkeiten für die deutsche Wirtschaft entstehen?
Zweitens. Es gibt, wenn über Raumfahrt diskutiert wird, immer eine breite Diskussion über die Frage, ob hier zu wenige Betriebe, zu wenige Firmen, beteiligt sind. Glauben Sie, daß durch die Gründung der DARA Möglichkeiten entstehen, eine breitere Verteilung dieser Mittel im mittelständischen Bereich sicherzustellen?
Herr Bundesminister!
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 139. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. April 1989 10241
Herr Kollege Rüttgers, ich hoffe, ich kann meine Schrift dann noch lesen; sonst muß ich gleich noch einmal fragen.
Die zweite Frage war: Besteht hier die Möglichkeit, in verstärktem Maße auch mittelständische Betriebe an die Weltraumfahrt heranzuführen? Ich sehe eine wichtige Aufgabe von DARA darin, dies zu ermöglichen. Dies bedeutet, daß wir genau zu prüfen haben, wo bei Ausschreibungen, sei es bei nationalen oder europäischen Ausschreibungen — in Abstimmung mit der ESA und deren Hauptauftragnehmern — , Pakete so geschnürt werden können, daß sie auch für kleine und mittlere Unternehmen zugänglich sind. Es bedeutet auch, daß sich die Systemführer bei den großen Raumfahrtprojekten darüber klarwerden, daß es außerordentlich sinnvoll und erwünscht ist, Unteraufträge auch an mittelständische Unternehmen zu vergeben. Das Ziel besteht in meinen Augen darin, eine große Zahl von Unternehmen, die eine hohe technische Kompetenz etwa bei Regelungs- oder Meßtechnik, bei Fernsteuerungen oder bei Robotics haben, bei Raumfahrtprojekten heranzuziehen, so daß ihre Qualität den höchsten Ansprüchen dieser Raumfahrtprojekte nützen kann. In der Vergangenheit haben wir über 1 500 mittelständische Unternehmen an solchen Projekten beteiligt. Wir sind zur Zeit dabei, die Struktur so aufzuarbeiten, daß wir für die Zukunft hier noch bessere Linien legen können.
Zu Ihrer ersten Frage nach der forschungspolitischen Bedeutung — das liegt mir nicht ganz fern. Hinsichtlich des Beitrags zur Forschung sehe ich eine wichtige Aufgabe von DARA darin, die Forschungsförderung langfristig so zu organisieren, daß gleichzeitig mit der Entstehung von Techniken und Geräten auch Nutzergemeinschaften aufgebaut werden, daß beide Strategien zusammengefaßt werden, daß wir etwa die Erdbeobachtung so aufbauen, daß wir Zahlenreihen über lange Fristen haben, die uns auch Vergleiche über die Entwicklung des Klimas erlauben, daß aber zugleich Nutzergemeinschaften so aufgebaut werden, daß sie sie über längere Fristen aufbauen und bearbeiten können, und daß beides hier in eine einzige Strategie konvergiert, wie es in den letzten 20 oder 25 Jahren bei ESA nicht immer möglich gewesen ist. Entsprechendes gilt auch für die Schwerelosigkeitsforschung.
Danke. — Herr Abgeordneter Möller.
Hat die Bundesregierung bereits eine Entscheidung über den Standort der DARA getroffen?
Herr Kollege Möller, wir sind bei dem Stand, den der Bundeskanzler vor etwa einem Jahr festgehalten, in Nordrhein-Westfalen in unmittelbarer Nähe der Bundesregierung. Wir wollen hier den Entscheidungen der DARA-Geschäftsführung, die wir sehr schnell berufen wollen, nicht vorgreifen.
Es liegt eine Reihe von Standortangeboten vor, die diesen Kriterien gerecht werden.
Wünschen Sie noch einmal das Wort dazu, Frau Bulmahn? — Dann haben Sie noch einmal das Wort.
Herr Minister Riesenhuber, da in Zukunft immens große Mittel von der DARA verwaltet werden — ich möchte nur daran erinnern, daß wir in Zukunft pro Tag 5,6 Millionen DM für die Luft- und Raumfahrt ausgeben werden — , frage ich Sie: Wie wollen Sie bei dieser Organisationsstruktur der DARA in Zukunft eigentlich noch die öffentliche Kontrolle gewährleisten?
Herr Kollege Vosen hat vorhin nach der Sinnfälligkeit der Gremien gefragt, die wir eingerichtet haben. Ihr gemeinsamer Sinn ist, eine korrekte und saubere Kontrolle öffentlicher Mittel sowohl in der Sache als auch in der Verwendung sicherzustellen.
— Ich kann gleich in die Einzelheiten gehen.
Unberührt bleibt die Verantwortung der Ressorts für die Haushaltsaufstellung. Insofern bedeutet die Beauftragung der DARA auch, daß hier nicht die Verantwortung der Regierung gegenüber dem Parlament in irgendeiner Weise unterbrochen wird, sondern die Verantwortung der Regierung gegenüber dem Parlament und dem Haushaltsausschuß unverändert bestehenbleibt. Die Sicherung des Vollzugs geschieht einerseits über die Gremien. Das heißt beispielsweise, daß nach den politischen Vorgaben des Kabinettsausschusses der Staatssekretärsausschuß der DARA Vorgaben und Richtlinien geben kann. Andererseits erfolgt die notwendige und richtige enge Zusammenarbeit mit den auftraggebenden Ressorts an den einzelnen Projekten. Beides zusammen führt nicht zu einer Minderung der Kontrolle, sondern zu einer Stärkung der Möglichkeiten, öffentliche Mittel aufs äußerste sachgerecht bei großer Sparsamkeit einzusetzen.
Ich komme zum Fragenkomplex zwei, Abfälle. Gemeldet hatte sich Frau Abgeordnete Hartenstein. Wir nehmen weitere Wortmeldungen entgegen. —
Herr Minister, heute sind Zielfestlegungen zur Vermeidung, Verringerung und Verwertung von Abfällen im Kabinett beschlossen worden. Ich erinnere mich, daß bei den Beratungen des Abfallgesetzes im Frühjahr 1986 auf eine Frage der SPD-Fraktion vom damals zuständigen Staatssekretär Kroppenstedt gesagt worden ist, die Zielfestlegungen im Sinne des § 14 Abs. 2 seien in drei Monaten zu bewerkstelligen. Sie haben jetzt drei Jahre dazu gebraucht. Außerdem bezieht sich der Beschluß von heute nur auf Getränkeverpackungen, und die geforderten Reduktionsquoten sind minimal. Ich darf feststellen, daß dieses enttäuschend ist.
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10242 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 139. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. April 1989
Frau Dr. HartensteinMeine Frage lautet: Wird nach Ihrer Einschätzung durch den heute gefaßten Beschluß tatsächlich eine spürbare Verringerung der anfallenden Abfallmengen erreicht werden können, und haben Sie auch Verhandlungen zur Verringerung und Vermeidung von Abfallmengen in Bereichen außerhalb der Getränkeverpackungen aufgenommen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Abgeordnete, das Bundeskabinett hat sich heute in zwei Tagesordnungspunkten mit Fragen der Abfallwirtschaft beschäftigt, einmal mit den Zielsetzungen. Hier sind in besonderer Weise für Getränkeverpackungen sehr anspruchsvolle Prozentsätze für Mehrwegflaschen, Mehrwegverpackungen, festgelegt worden. Ich glaube, daß die Mehrweganteile von 90 % bei Bier und Mineralwasser, von 80 % bei Erfrischungsgetränken mit Kohlensäure und noch 50 % bei Wein ganz sicherlich nicht unambitionierte Zielfestlegungen sind, die von den beteiligten Wirtschaftskreisen ganz erhebliche Anstrengungen auch auf Dauer erforderlich machen. Ebenso ist der über diesen Bereich hinausgehende Anteil der Glasverpackungen, der auf 1,55 Millionen t pro Jahr zu steigern ist, keineswegs eine sehr niedrig angesetzte Zielsetzung.
Wir haben darüber hinaus aber auch — weil Sie die anderen Bereiche angesprochen haben — eine Verordnung nach § 14 Abfallgesetz bezüglich der halo-genierten Kohlenwasserstoffe, der Lösemittel, verabschiedet — eine Rücknahmeverpflichtung. Sie wissen: Es handelt sich hier um eine Größenordnung von etwa 200 000 t Lösemittel pro Jahr. Wir haben in besonderer Weise bezüglich der Verbrennung auf hoher See erhebliche Schwierigkeiten. Hier ist von der Kennzeichnung bis zur Rücknahmeverpflichtung sichergestellt, daß ein sehr wirksames, über die Zielsetzung weit hinausgehendes Instrument in einem außerordentlich schwierigen Bereich der Abfallbeseitigung zur Verfügung steht, wenn der Bundesrat ebenfalls dieser Verordnung zugestimmt hat.
Sie sehen aus dieser Kombination, daß die Bundesregierung sowohl die Zielsetzungen ernst nimmt als auch die anderen Instrumente des § 14 des Abfallgesetzes nutzt.
Frau Abgeordnete Hartenstein.
Herr Minister, da Sie selber keinen Vorbericht gegeben und nur die absoluten Zahlen genannt haben, darf ich doch daran erinnern, daß diese 90 % bei Bier und Mineralwässern zwar zunächst sehr ambitiös klingen, aber in Wirklichkeit nur Erhöhungsquoten des Mehrweganteils angepeilt werden, die zwischen 1 und 7 % liegen, etwa i % bei Bier und Mineralwässern und 7 % bei Wein. Ich kann Ihre Einschätzung, daß dies ein anspruchsvolles Programm wäre, nicht teilen.
Meine zusätzliche Frage betrifft den Abfallbericht, den wir vor nicht allzu langer Zeit hier debattiert haben und in dem Sie sehr dezidierte und detaillierte Forderungen für die Erfolgskontrolle bei diesen Zielfestlegungen schriftlich niedergelegt haben. In dem heutigen Beschluß steht lediglich, daß ein 22köpfiges
Gremium, ein Koordinierungsausschuß, gebildet werden soll, der sich dann eine Geschäftsordnung zu geben habe. Alle anderen konkreten Festlegungen fehlen. Dazu würde ich gern noch eine Stellungnahme haben.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Abgeordnete, zu dem ersten Teil Ihrer Frage: Wenn Sie einen hohen Prozentsatz wie bei Bier haben, dann werden Sie ihn nicht um hohe zusätzliche Prozentsätze weiter steigern können. Als sehr gute Kennerin dieses Gebietes sind Sie sich aber auch der Tatsache bewußt, daß allein die Stabilisierung des Mehrweganteils eine außerordentlich schwierige Aufgabe ist. Wenn wir ihn über den bisher erreichten Bereich hinaus sogar noch auf 90 % steigern, dann ist das eine außerordentlich ambitionierte Zielsetzung. Wenn Sie einmal über die Grenzen der Bundesrepublik Deutschland hinausblicken, dann werden Sie sehen, daß ein derartiger Mehrweganteil wohl nirgends überboten wird.
Ich bleibe also bei der Überzeugung, daß dies eine sehr ambitionierte Zielsetzung ist. Ich wäre sehr dankbar, wenn wir sie auch wirklich erreichten.
Zum zweiten: Sie werden sicherlich auch gesehen haben, daß wir für die Zielsetzung sehr kurzfristige Bereiche abgesteckt haben. Diese Koordinierungskommission soll ja gerade deswegen gebildet werden, damit wir in diesem Bereich in der Zeit bis 1991 frühzeitig übersehen können, ob diese Ziele erreicht werden; denn wenn sie nicht erreicht werden, dann steht das andere Instrumentarium dieses Paragraphen ebenfalls zur Verfügung. Wir haben einen konkreten Beleg dafür erbracht, daß wir uns dann, wenn Ziele nicht erreicht werden, unmittelbar zu Verordnungen entschließen. Ich verweise auf die Kunststoffeinwegflaschen, die wir, nachdem die Zielsetzungen, die wir vorgegeben hatten, nicht akzeptiert wurden, durch eine entsprechende Verordnung durchgesetzt haben. Hier gibt es also kein Ablenken durch den Koordinierungsausschuß, sondern — ganz im Gegenteil — die Erwartung, daß wir ein Abweichen von den Zielsetzungen frühzeitig erkennen und durch andere Instrumente reagieren können.
Danke. Frau Abgeordnete Garbe!
Herr Minister, können Sie sich meiner Meinung anschließen, daß für den Bereich Abfall als Neben- bzw. Endprodukt des Produzierens zukünftig die gleichen Kriterien angewendet werden müssen, die bei der Rohstoffbeschaffung, der Produktion selbst und auch bei dem Gebrauch der Produkte zugrunde gelegt werden, und könnten Sie sich denken, daß dieser dann notwendige Aufwand auch zur Umsetzung der drei Vs beitragen würde?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Abgeordnete Garbe, Sie wissen, daß wir diese Wertungen exakt teilen und daß wir auch bei den Abfallstoffen in gleicher Nachdrücklichkeit fragen müssen, wie diese umwelt-
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 139. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. April 1989 10243
Bundesminister Dr. Töpferverträglich beseitigt, verwertet oder vermieden werden können. Ich verweise noch einmal auf die heute beschlossene Rücknahmeverpflichtung, indem wir zehn Einzelstoffe aus der von Ihnen immer wieder aufgeführten Chlorchemie herausnehmen, die getrennt gehalten, gekennzeichnet und deswegen in die Verwertung, die Destillation, wieder zurückgeführt werden können. Diese Verordnung ist ein nachdrücklicher Beleg dafür, daß wir auch bei den Abfallstoffen mit der gleichen Nachdrücklichkeit vorgehen, wie wir das im Bereich der Produktion tun. Wir sehen sehr genau den Zusammenhang zwischen Produktion, zwischen dem Gebrauch des Stoffes und der Frage, wie die Probleme mit den damit verbundenen Abfallstoffen bewältigt werden können.
Herr Abgeordneter Stahl.
Herr Bundesminister, der § 14 Abs. 2 des Abfallbeseitigungsgesetzes bietet eine ganze Palette von Möglichkeiten, Abfall zu vermeiden. Es ist Ihnen ja nicht unbekannt, daß die Städte und Gemeinden in der Bundesrepublik Deutschland im Müll fast ersticken. Deshalb meine Frage: Was wollen Sie, was die Glasverpackung betrifft, über das jetzt Angesprochene hinaus in welchem Zeitraum tun, um das Müllaufkommen wirklich zu verringern?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich möchte noch einmal unterstreichen, Herr Abgeordneter Stahl, daß die Festlegung und die Steigerung von Mehrwegquoten das unmittelbare Instrument zur Vermeidung von Abfall darstellt. Dies ist der entscheidende Punkt der Zielsetzung, daß sie sich nicht nur auf die Wiederverwertung bezieht. Das betrifft die Frage, daß wir 1,55 Millionen Tonnen Glas wiederverwerten. Die Festlegung von Mehrwegquoten ist ein zentrales Instrument der Abfallvermeidung. Das gilt an dieser Stelle für den gesamten Bereich der Getränkeverpackung. Wir haben an anderer Stelle — ich sagte es eben schon: bei den Kunststoffflaschen — auch andere Instrumente des § 14 Abs. 2, in diesem Falle Punkt 3, also Rücknahmeverpflichtung und Pfanderhebung, durchgesetzt. Ich gehe davon aus, daß wir dieses Instrument auch in anderen Bereichen des Verpackungsmarktes werden nutzen müssen, wenn diese Zielsetzungen nicht erreicht werden.
Zusatzfrage.
Herr Bundesminister, nun haben wir Sozialdemokraten seit einem Jahr einen Antrag im Deutschen Bundestag eingereicht, der sich speziell mit § 14 Abs. 2 und einigen anderen Punkten befaßt. Dieser Antrag soll mit dazu beitragen — er soll Sie sozusagen auch unterstützen — , daß das Müllaufkommen vermindert wird. Ich muß Sie fragen: Wollen Sie denn nicht verstärkt auf Grund der bisherigen doch eigentlich nicht sehr positiven Erfahrungen, bezogen auf die Vermeidung von Abfall, Vermeidung von Müll auf freiwilliger Basis seitens der Wirtschaft insgesamt, durch Erlasse und Verordnungen die Hersteller zwingen, sich dieses Themas verstärkt anzunehmen? Denn Sie werden mir zustimmen, daß die Gemeinden in ihrer gesamten Entsorgungspolitik an diesem Problem fast scheitern, wenn Sie sich nicht als
Bundesumweltminister verstärkt diesem Thema widmen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter Stahl, ich habe noch einmal zu unterstreichen, daß wir die Nutzung von Verordnungen überhaupt nicht auf die Seite geschoben haben. Am heutigen Tage haben wir eine Verordnung verabschiedet — ich hoffe, daß der Bundesrat sie genauso akzeptiert — für einen Teilbereich, der uns in der Abfallbeseitigung außerordentliche Schwierigkeiten macht, nämlich den der chlorhaltigen Lösungsmittel. Das hat eine Größenordnung von 200 000 Tonnen, von denen alleine 50 000 Tonnen, wie Sie wissen, gegenwärtig über die Hohe See entsorgt werden. Dies ist nicht eine freiwillige Vereinbarung, dies ist eine Verordnung zur Rücknahme und zur entsprechenden Einbindung des Sachverstands von Produzenten. Wir haben bei der Kunststoffeinwegflasche genauso den Verordnungsweg beschritten. Wir liegen gegenwärtig in den abschließenden Arbeiten bezüglich einer Kennzeichnungsverordnung nach § 14 Abs. 2 Punkt 1. Die Bundesregierung ist keineswegs der Meinung, daß das Verordnungspotential dort nicht genutzt werden sollte. Das Gegenteil ist der Fall. Wir nutzen es. Aber wir erfüllen auch das Gesetz, indem wir, wie heute geschehen, Zielfestlegungen für die Vermeidung und Wiederverwertung verabschiedet haben. Beides gehört zusammen, die Zielfestlegungen, die in § 14 Abs. 2 angesprochen sind, und die Instrumente, die ebenfalls dort zu finden sind.
Zur letzten Frage zu diesem Komplex die Abgeordnete Hensel; sonst haben wir nicht genügend Zeit für freie Fragen.
Herr Minister, Sie haben vorhin vom Abweichen von der Zielsetzung gesprochen und von den möglichen anderen Maßnahmen, mit denen Sie dann reagieren können. Ich frage Sie, ob das Kabinett bei der Festlegung der Zielsetzungen auch Maßnahmen diskutiert hat, die unter Umständen bei Nichteinhaltung der Zielfestlegungen ergriffen werden müssen. Ich denke dabei ganz speziell an das generelle Verbot nach dem dänischen Modell.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Abgeordnete, das brauchte das Kabinett heute nicht zu diskutieren, geschweige denn zu beschließen, denn das ist Gesetzeslage. Es gibt das Abfallgesetz, in dem steht, daß, wenn die Ziele nicht erreicht werden, andere Maßnahmen — die sind dort enumerativ unter Punkt 1 bis 3 auf gezählt — zu ergreifen sind. Ich glaube, ich habe das auch in der Beantwortung der Frage der Frau Abgeordneten Hartenstein sehr deutlich gemacht, daß es keineswegs so ist: „Wenn die Ziele nicht erfüllt sind, um so schlimmer für die Zielsetzungen", sondern daß wir dann ganz eindeutig die anderen dort vorgesehenen Instrumente nutzen. Dies war die Intention bei der Verabschiedung dieses Gesetzes, und dies werden wir entsprechend aufgreifen.
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10244 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 139. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. April 1989
Frau Kollegin, — —
— Gut.
Noch eine Zusatzfrage, Herr Minister: In dem Zusammenhang ist es wichtig zu erfahren, ob die Bundesregierung auf die neue Werbekampagne von Coca Cola reagiert, die die leichte 2-Liter-Pfandflasche jetzt verstärkt auf den Markt bringt?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Abgeordnete, ich kann zunächst einmal nur sagen, daß die Tatsache, daß es eine Pfandflasche ist, dazu beiträgt, daß sie ganz sicher dem Abfallaufkommen entzogen wird. Das ist Zielsetzung dieses Gesetzes. Aber die Bundesregierung hat gerade auch im Blick auf diese Firma deutlich gemacht, daß wir uns irgendwelchen vermarktungsorientierten Fragen alleine nicht unterwerfen und daß wir auch entsprechend handeln. Wir werden das an dieser Stelle ganz genauso verfolgen.
Die Tatsache einer Pfandlösung ist für mich allerdings ein Hinweis darauf, daß genau diese Verpakkung nicht zum allgemeinen Abfall kommt und damit das Ziel des Gesetzes verwirklicht wird.
Ich kündige schon jetzt an, daß wir die Regierungsbefragung bis 13.45 Uhr verlängern.
Frau Abgeordnete Blunck.
Wann beabsichtigt der Herr Bundeskanzler, Bundesumweltminister Töpfer zu entlassen, nachdem er mit seiner Vorlage zum Bundesnaturschutzgesetz gescheitert ist?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich gehe davon aus, Frau Abgeordnete, daß der Vertreter des Bundeskanzlers diese Frage beantworten kann.
Ich will die Berner-kung nicht kommentieren, sondern aus der Kenntnis der Sachverhalte nur sagen, daß der Bundeskanzler nicht beabsichtigt, Bundesumweltminister Töpfer zu entlassen.
Im übrigen halten wir an der generellen Zielsetzung des Naturschutzgesetzes fest. Wir sind darüber auch in Gesprächen mit den Ländern.
Herr Abgeordneter Penner.
Scheitert die Ernennung des außenpolitischen Beraters des Bundeskanzlers Horst
Teltschick zum Staatssekretär am Veto des Bundesaußenministers?
Herr Bundesminister.
Herr Kollege Penner, ich begrüße natürlich Ihr Interesse an den personellen Weichenstellungen dieser Bundesregierung. Personelle Entscheidungen beflügeln die Phantasie. Aber Geduld ist eine christliche Tugend. Vielleicht sollten Sie sich darin noch ein bißchen üben. Denn immerhin, Herr Kollege Penner, ist der Staatssekretär im Bundeskanzleramt und Beauftragte für die Nachrichtendienste noch im Amt. Ich sage Ihnen zu, daß die Öffentlichkeit, sobald die Entscheidung über die Nachfolge von Professor Schreckenberger getroffen ist, so schnell wie möglich informiert wird.
Herr Abgeordneter Jahn.
Haben die Bundesminister Stoltenberg und Genscher, nachdem sie gestern bereits die Presse ausführlich über ihren Amerikabesuch und dessen angebliche Ergebnisse unterrichtet haben, heute das Bundeskabinett unterrichtet, und warum ist bisher keine Unterrichtung des Bundestages erfolgt?
Herr Abgeordneter, der Bundesaußenminister befindet sich heute gemeinsam mit dem Herrn Bundespräsidenten auf Staatsbesuch in Dänemark. Sie wissen, daß der Bundestag morgen in der Regierungserklärung über alle die Fragen unterrichtet wird, die im Zusammenhang auch mit dem Besuch des Bundesaußenministers und des Bundesverteidigungsministers in Washington stehen.
Herr Abgeordneter Jahn, eine Zusatzfrage.
Warum kann denn der andere an dieser Reise beteiligte Minister nicht wenigstens berichten, und wieso wird zwar die Presse unmittelbar unterrichtet, der Bundestag aber erst auf dem Umwege über eine zwei Tage später stattfindende Regierungserklärung?
Wer antwortet?
Eigentlich ist der Verteidigungsminister gefragt. Aber es ist egal, ich bin gerade bei der Beantwortung.Herr Abgeordneter, wir sind natürlich zutiefst erfreut darüber, daß das Interesse an diesen Fragen auch im Bundestag so groß ist. Das ist gut; denn es handelt sich in der Tat um Fragen von wichtiger nationaler Bedeutung. Gerade deshalb hat die Bundesregierung ja beschlossen, daß morgen in der Regierungserklärung diese Frage vom Bundeskanzler aus-
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 139. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. April 1989 10245
Staatsminister Frau Dr. Adam-Schwaetzerführlich angesprochen und dann eben auch Gegenstand der Debatte sein wird.
Ich möchte dazu zwei Bemerkungen machen. Erstens halte ich es nicht für angemessen, Frau Staatsministerin, daß Sie das Parlament benoten, daß Sie erklären, ob Sie das für gut halten oder nicht.
— Ich muß keine Frage stellen. Ich kann auch eine Bemerkung machen; wir sind ja nicht in der Fragestunde.
Zweitens ist meine Frage, weshalb gegenüber der Presse ausführliche Erklärungen abgegeben werden, nicht aber gegenüber dem Parlament, mit Ihren Ausführungen nicht beantworet.
War das eine weitere Frage?
Wenn sich die Regierung dazu äußern will, steht es ihr frei.
Das scheint nicht der Fall zu sein.
Ich weise noch einmal darauf hin, daß eine Frage mit einer einleitenden Bemerkung versehen werden kann.
Frau Abgeordnete Hamm-Brücher.
Meine Frage richtet sich an die Bundesregierung und bezieht sich auf eine Meldung in der heutigen „Süddeutschen Zeitung", in der berichtet wird, daß sich der bayerische Ministerpräsident Streibl sehr nachdrücklich für eine Modernisierung der Lance-Raketen ausgesprochen hat und damit die Meinung der Vereinigten Staaten und Großbritanniens zu diesem Thema unterstützt hat. Anschließend sei er dann nach München zu Besprechungen mit dem britischen Verteidigungsminister Younger gefahren.
Ich möchte jetzt die Bundesregierung einmal fragen, ob sie es grundsätzlich für angezeigt hält, daß Länderministerpräsidenten in dieser Form Nebenaußenpolitik betreiben, und ob sie es nicht als einen Affront empfinden muß, wenn in dieser Situation der bayerische Ministerpräsident ganz offenkundig einen anderen außenpolitischen Kurs vertritt als den, auf den sich die Bundesregierung geeinigt hat.
Wer antwortet für die Bundesregierung? — Herr Staatssekretär Wimmer?
Ich wäre schon dankbar, wenn der Herr Minister für besondere Aufgaben antworten würde.
Frau Kollegin Hamm-Brücher, ich antworte gerne auf Ihre Frage, nachdem wir uns vorhin darüber verständigt haben, daß ich jetzt leider nicht mehr für die Parlamentsreform zuständig bin. Auch darüber hätte ich mich mit Ihnen natürlich gerne unterhalten.
Frau Kollegin Hamm-Brücher, zum Thema Nebenaußenpolitik fallen mir eigentlich ganz andere Geschichten ein als der Kontakt von Ministerpräsidenten der Bundesrepublik Deutschland zu ausländischen Politikern. Ich habe solche Kontakte nicht zu kritisieren. Es ist im übrigen auch gängige Praxis, daß die Bundesländer und die Ministerpräsidenten solche Kontakte pflegen.
Im übrigen, glaube ich, sollte ich Ihre Aufmerksamkeit auf die Regierungserklärung des Bundeskanzlers lenken, die er morgen auch zu diesen Fragen abgeben wird. Sie können davon ausgehen, daß die Position, die morgen eingenommen wird, gerade auch zu der wichtigen, von Ihnen angesprochenen Frage, die gemeinsame Position von CDU, CSU und FDP im Bund wie in den Ländern wiedergeben wird.
Zusatzfrage.
Herr Minister, ich möchte Sie doch noch einmal fragen, was Ihnen noch zur Frage der Nebenaußenpolitik einfällt. Sie haben gesagt, es fiele Ihnen dazu noch eine ganze Menge ein. Vielleicht können Sie das einmal darstellen, und vielleicht können Sie doch ein bißchen ernsthafter darauf antworten, ob es in dieser schwierigen Situation für die Bundesrepublik insgesamt nicht beinahe eine Verletzung unserer Verfassung ist, wenn sich ein Länderministerpräsident so dezidiert gegen die Bemühungen der Bundesrepublik und ihrer Regierung betätigt.
Herr Bundesminister Seiters.
Frau Kollegin Hamm-Brücher, das kann ich so wirklich nicht akzeptieren und auch nicht hinnehmen; das ist Ihre persönliche Meinung. Ich habe die Meinung der Bundesregierung und meine eigene Meinung zum Ausdruck gebracht, nämlich daß es das Recht von Ministerpräsidenten sein muß, in einer politischen Diskussion auch bestimmte Akzente zu setzen. Aber die Position der Bundesregierung, der Bundesrepublik Deutschland, in dieser wichtigen Frage wird morgen in der Regierungserklärung durch den Bundeskanzler abgegeben. Ich wiederhole, das wird die gemeinsame Position der Koalition von CDU/CSU und FDP sein.
Zu Ihrer ersten Frage, was die Nebenaußenpolitik anbetrifft: Nachdem ich gerade in diesem Hause in meiner neuen Funktion die Notwendigkeit und die Wichtigkeit — wichtig für unser Land — des Bemühens um deutschlandpolitische Gemeinsamkeiten hervorgehoben habe, möchte ich jetzt nicht gerne in die Vergangenheit zurückgehen, solange es nicht notwendig ist.
Herr Abgeordneter Brauer.
Ich frage die Bundesregierung, vielleicht in erster Linie den Herrn Wirtschaftsminister: Ist es in Anbetracht der Situation, daß das Kern-
10246 Deutscher Bundestag — 11 Wahlperiode — 139. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. April 1989
Brauer
stück der Umweltpolitik, nämlich das Bundesnaturschutzgesetz, zurückgezogen worden ist, auch möglich, daß im Blick auf den Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Umweltverträglichkeitsprüfung, die gewissermaßen den Königsweg der Umweltpolitik darstellt, angesichts der ganz erheblichen Mängel, die am Montag in der Anhörung der Sachverständigen deutlich geworden sind, von der Regierung gesagt wird: Die wegen der Mängel erforderlichen Änderungen sind mit uns in dieser Legislaturperiode nicht mehr durchsetzbar, und deshalb wird der Entwurf zurückgezogen?
Herr Bundeswirtschaftsminister.
Frau Präsident, Herr Kollege, über das Naturschutzgesetz werden weitere Verhandlungen mit den Bundesländern geführt. Wir sind auf sie angewiesen. Es ist nicht am Widerstand des Bundeswirtschaftsministers gescheitert.
Zweitens. Aufgabe des Bundeswirtschaftsministers ist es, durch eine solide wirtschaftliche Entwicklung die Grundlage für den ökologischen Fortschritt zu schaffen. Diese Aufgabe wird von mir konstruktiv wahrgenommen. Ich sehe die Aufgabe des Wirtschaftsministers nicht darin, ökologischen Fortschritt zu hemmen. Das Beispiel der Verbesserung der Abgassituation im Kfz-Bereich zeigt, daß der Bundeswirtschaftsminister die deutsche Autoindustrie mit dazu veranlaßt hat, früher als andere Länder vorbildliche Werte zu akzeptieren. Ich werde in Gesprächen mit dem Bundesfinanzminister, mit Herrn Waigel, darauf hinwirken, daß auch steuerliche Anreize gegeben werden, so daß ökologischer Fortschritt mit einer soliden ökonomischen Basis verbunden bleibt.
Zum Thema Umweltverträglichkeitsprüfung kann ich Ihnen keinen neuen, aktuellen Stand bekanntgeben.
Herr Abgeordneter Jäger .
Ich habe eine Frage an die Bundesregierung. Hat sie sich in ihrer Kabinettssitzung mit der geradezu dramatischen Situation der bedrängten und in ihrer Existenz bedrohten christlichen Volksgruppe im Libanon befaßt? Wenn ja: Welche Überlegungen hat die Bundesregierung angestellt, um gemeinsam mit anderen europäischen Regierungen auf den Schutz dieser Volksgruppe dort hinzuwirken?
Frau Staatsminister.
Diese Frage ist heute nicht Thema im Kabinett gewesen, Herr Abgeordneter. Aber Sie wissen, daß während der deutsch-französischen Konsultationen in der vergangenen Woche in Paris zwischen den beiden Staats- und Regierungschefs und den Außenministern ausführlich über diese Frage gesprochen worden ist. Seit dieser Zeit stehen wir in kontinuierlichem Kontakt auch mit der französischen Regierung, um die Möglichkeiten zu koordinieren, die wir sehen.
Herr Abgeordneter Conradi.
Der entlassene Bundesminister der Verteidigung hat am Tag seiner Entlassung zwei Beamte seines Hauses noch einmal kräftig befördert. Entspricht das den Vorstellungen der Bundesregierung über eine preußisch korrekte Amtsführung?
Herr Staatssekretär Wimmer.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsidentin, Herr Kollege Conradi, wir werden im Bundesministerium der Verteidigung auch im Zusammenhang mit personalpolitischen Entscheidungen das tun, was nach Recht und Gesetz möglich ist.
Herr Abgeordneter Brauer, Sie hatten noch eine Zusatzfrage, die ich übersehen habe.
Ich möchte die Bundesregierung, in diesem Fall den Herrn Minister für Umwelt, fragen — —
Sie haben das Wort.
Jetzt haben wir schon wieder die Schwierigkeit mit der Zusatzfrage, das gleiche Problem wie vor zwei Minuten bei mir. Frau Blunck, wollen Sie zuerst eine Zusatzfrage stellen?
Zuhören wollte sie, nicht eine Zusatzfrage stellen.
Gut, das war ein Mißverständnis.
Wenn Sie schnell die Zeit nutzen, kommen Sie beide noch dran.
Ich möchte Herrn Töpfer fragen, ob er es so sieht, daß auch das Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung im Kabinett scheitern könnte, falls noch substantielle Veränderungen vorgenommen werden.
Herr Minister.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter Brauer, ich sehe diese Gefährdung in keiner Weise.
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 139. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. April 1989 10247
Bundesminister Dr. TöpferSie wissen, daß der Bundesrat bereits sehr substantiiert dazu Stellung genommen hat. Es ist ganz selbstverständlich, daß in einem Anhörverfahren von verschiedenen Seiten ergänzende Anregungen gegeben werden, die dann, wo es not tut und wo es möglich ist, aufgegriffen werden. Dieses Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung wird sicherlich auch im parlamentarischen Verfahren weiter seinen geordneten Weg gehen.
Frau Abgeordnete Blunck.
Herr Bundeswirtschaftsminister, wollen Sie bestreiten, daß die Schwierigkeiten bei der Novellierung des Bundesnaturschutzgesetzes an dem Mangel an Durchsetzungsfähigkeit von Herrn Töpfer liegen und die Verantwortung nicht etwa den Ländern zugeschoben werden kann?
Herr Bundeswirtschaftsminister.
Frau Präsidentin, Frau Kollegin, ich fühle mich hier eigentlich nicht direkt zuständig. Aber in den Gesprächen, an denen ich teilnehmen konnte — sowohl im Kabinett als auch in den Koalitionsgremien —, ging es uns immer darum, einen Gesetzentwurf vorzubereiten, der nicht nur eine Ankündigung macht, sondern auch die finanzielle Basis langfristig solide absichert. Dazu sind wir auf die Länder angewiesen.
Herr Abgeordneter Stahl, ich bitte um Verständnis. Es ist 13.45 Uhr. Ich muß ordnungsgemäß abbrechen. Das nächste Mal!
Damit schließe ich die Regierungsbefragung. Wir kommen nun zur Aktuellen Stunde.
Meine Damen und Herren, ich rufe den Zusatztagesordnungpunkt 1 auf:
Aktuelle Stunde
Haltung der Bundesregierung zum Konjunkturgutachten der Wirtschaftsinstitute
Die Fraktion der FDP hat gemäß unserer Geschäftsordnung eine Aktuelle Stunde zu dem genannten Thema verlangt.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Beckmann.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mehr als 3 Millionen Arbeitslose, ein abruptes Ende des Wirtschaftswachstums, sinkende Verbrauchereinkommen und die angebliche neue Armut — das sind nur einige der Schlagworte, die Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, der deutschen Bevölkerung noch vor nicht allzu langer Zeit weismachen wollten.
Was ist nun daraus geworden? Zum Glück nichts, wie so häufig bei den Ankündigungen der Opposition.Wie kläglich nehmen sich dagegen die Nörgeleien aus, die Sie jetzt noch gegen unsere Wirtschaftspolitik vorbringen! Ausgerechnet die SPD, die die Stabilitätspolitik der Bundesbank bei jeder Gelegenheit kritisiert, möchte nun zum Gralshüter der Preisstabilität werden. Hier will sich wohl der Bock selbst zum Gärtner machen. Und wer das außenwirtschaftliche Ungleichgewicht, also die deutschen Exporte, kritisiert, sollte nicht vergessen, daß ein Drittel unserer Arbeitsplätze unmittelbar vom Export abhängt.
Will die SPD, zusammen mit den GRÜNEN, unsere Arbeitsplätze wirklich einstampfen?
Für den, der das Frühjahrsgutachten wirklich gut gelesen hat, ist eines ganz klar: Dieses Gutachten ist eine einzige Bestätigung der Wirtschaftspolitik dieser Bundesregierung und der Koalition.
Schon auf der ersten Seite bestätigen die Institute dies ausdrücklich und sagen — ich zitiere — , „daß steuerliche Entlastungen, Verminderung von Regulierungen und Privatisierung von Staatsunternehmen" neue Produktionen angeregt haben. Das ist eine klare, unmißverständliche Umschreibung unserer angebotsorientierten Politik der Verbesserung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen.
Unser Konzept stimmt, und es ist erfolgreich. Die Dynamik der Marktkräfte, meine Damen und Herren, die wir freigesetzt haben, ist stärker, als sogar die Sachverständigen es selbst erwartet haben.
In den beiden letzten Jahren mußten die Prognosen jeweils deutlich nach oben korrigiert werden.Wie steht die SPD da?
Die SPD steht heute in der Wirtschaftspolitik mit leeren Händen da. Warum haben Sie denn noch immer kein wirtschaftspolitisches Programm?
Wie hält die SPD es mit der Sozialen Marktwirtschaft? Darauf geben Sie selbst nach sieben Jahren Oppositionszeit keine Antwort.
Unsere Angebotspolitik, der wir den längsten und beständigsten Aufschwung seit den 60er Jahren verdanken, muß für die Zukunft fortgesetzt werden. Dazu gibt es keine Alternative.
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10248 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 139. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. April 1989
BeckmannDas ist auch der Grund, weshalb die Opposition weder Konzept noch — ich muß es leider sagen — Kompetenz hat.
Meine Damen und Herren, nur durch die ständige Verbesserung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit bleibt die Bundesrepublik dem verstärkten internationalen Wettbewerb gewachsen. Der europäische Binnenmarkt ist eine Chance, aber auch eine Herausforderung für unsere Wirtschaft. Solange die Bundesrepublik Deutschland Exportweltmeister ist, haben wir in einem wirtschaftlich geeinten Europa gute Aussichten.
Dies gilt auch für die meisten kleinen und mittleren Unternehmen. Sie brauchen neben den günstigen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen auch die notwendige Information.Die FDP-Fraktion ist Bundesminister Dr. Haussmann deshalb dankbar, daß er gerade hier einen Schwerpunkt für die Wirtschaftspolitik der nächsten Jahre gesetzt hat. Mit dieser Politik — davon bin ich überzeugt — werden wir auch in den nächsten Jahren Erfolg haben.Wer dagegen wie die Opposition bereit ist, die Marktwirtschaft aufs Spiel zu setzen, gefährdet die Grundlage unseres Wohlstandes.
Er gefährdet auch den sozialen Standard in unserer Bundesrepublik. Denn ohne die Erträge der Unternehmen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, ohne ihre Investitionen ist das soziale Netz auf Dauer nicht finanzierbar.
Den Menschen in der Bundesrepublik geht es gut, so gut wie niemals zuvor in der deutschen Geschichte.
Viele scheinen dies, liebe Kollegen von den GRÜNEN, inzwischen für selbstverständlich zu halten, als könnte es gar nicht anders sein. Weit gefehlt!Wir müssen deshalb immer wieder deutlich machen, daß dies ohne Leistungen unserer Wirtschafts- und Finanzpolitik nicht möglich gewesen wäre.Wir werden es auch deshalb nicht zulassen, daß der Opposition die Früchte unserer Arbeit in den Schoß fallen. Wir müssen und werden dem Bürger sagen: Nur diese Koalition ist in der Lage, die Grundlagen unseres Wohlstands auf Dauer zu sichern.
Nur mit unserer Wirtschaftspolitik werden wir erfolgreich bleiben. Das Konjunkturgutachten der Wirtschaftsinstitute hat dies mit seltener Klarheit eindrucksvoll bestätigt. Dafür sind wir dankbar.Vielen Dank.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Roth.
Meine Damen und Herren! Herr Beckmann, ich habe wirklich nicht begriffen, was Sie soeben sagen wollten. Natürlich ist es erfreulich, daß die Konjunktur ein bißchen besser läuft, als wir erwartet haben.
Darüber freuen wir uns. Ich freue mich auch darüber, daß die Investitionen im sechsten Jahr der Konjunkturentwicklung endlich anspringen. Das ist doch prima.
Nach meiner Meinung könnte das alles ein Thema sein, das morgen der so bedrängte Herr Bundeskanzler für sich selber in Anspruch nehmen kann, damit er hier wenigstens ein paar Minuten lang einige Erfolgserlebnisse hat.
Jetzt nehmen Sie ihm das weg.Wenn man über Wirtschaftspolitik ernsthaft redet, muß man diejenigen Probleme anpacken und diskutieren, die einen wirklich bedrängen. Die Menschen in der Bundesrepublik Deutschland bedrängt folgendes. Sie sagen: 3 % Wirtschaftswachstum bedeuten überhaupt nicht mehr eine Wohlstandssteigerung in diesem Umfang.
Denn die natürlichen Lebensgrundlagen sind bedroht.
Ich bin übrigens ganz froh, daß der Wirtschaftsausschuß des Deutschen Bundestags, vor allem durch die Initiative von Dr. Sperling und Herrn Biedenkopf,
— Entschuldigung, daß ich das vergessen habe! — ein großes Hearing über Wohlstandsverluste im Rahmen dieses Wirtschaftswachstums durchführt.
Ein anderes Thema. Sie alle wissen, daß wir durch unser strukturelles außenwirtschaftliches Ungleichgewicht Protektionismus gerdezu weltweit provozieren und daß überall in der westlichen Hemisphäre derzeit über die schlimmen Deutschen und Japaner diskutiert wird und wir negative Rückwirkungen z. B.
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 139. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. April 1989 10249
Rothfür die GATT-Runde erwarten müssen. Das sind Themen, die eine Rolle spielen.
Ein weiteres Thema: Wir waren zum Glück beispielsweise wegen der Zurückhaltung der Gewerkschaften in einer Phase der Preisstabilität. Was macht die Bundesregierung zum 1. Januar ohne jede Not? Sie erhöht die Verbrauchsteuern. Und was macht die Deutsche Bundesbank ohne jede Not? Sie erhöht jetzt die Zinsen. Die Folge, die wir befürchten müssen, ist, daß ohne jede wirkliche Begründung der konjunkturelle Prozeß administrativ durch die zwei Fehlentscheidungen gestoppt wird. Das sind Themen, über die man hier ernsthaft diskutieren müßte.Ich wäre froh, wenn wir uns wenigstens in dieser Debatte darauf einigen könnten, daß wir der Bundesbank jetzt sagen: Macht nicht noch einmal den Fehler von 1981, permanent an der Zinsschraube zu drehen und dadurch die Konjunktur abzuwürgen. Das ist ein ernstes Thema.
Übrigens: Sie mahnen immer das Gemeinschaftsgutachten an. Das alles steht exakt im Gemeinschaftsgutachten — vornehm, wie die Wissenschaftler sind, formuliert und ein bißchen verdeckt. Aber für mich ergibt sich daraus eine ernste Sorge.Meine letzte Bitte: Herr Beckmann, üben Sie noch ein bißchen, bis Sie Staatssekretär werden. Das war so noch nicht in Ordnung.Vielen Dank fürs Zuhören.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Sprung.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Man muß schon sehr lange zurückgehen, um auf ein ähnlich positives Frühjahrsgutachten wie das diesjährige zu stoßen. Nachfrage und Produktion sind im Winterhalbjahr erneut kräftig gestiegen. Der starke Anstieg der Unternehmensinvestitionen hat sich fortgesetzt. Er hat sich in den ersten Monaten dieses Jahres sogar noch beschleunigt. Das verfügbare Einkommen der privaten Haushalte erhöhte sich im Winterhalbjahr mit einer laufenden Jahresrate von rund 4 % in unverändertem Tempo. Die kräftige Aufwärtsentwicklung der gesamtwirtschaftlichen Produktion setzte sich im Winterhalbjahr mit verstärktem Schwung fort. Die Produktionsausweitung hat inzwischen nahezu alle Bereiche erfaßt. Mit der beschleunigten Zunahme der Produktion stieg auch die Zahl der Erwerbstätigen verstärkt an, zuletzt um 220 000 gegenüber dem Vorjahr. Überraschend positiv entwickelte sich die Arbeitslosigkeit. Die Zahl der registrierten Arbeitslosen ging noch stärker zurück, als die der Erwerbstätigen stieg. Auch 1989 wird das reale Bruttosozialprodukt um weitere 3 % zunehmen.Kann eine Regierung eine bessere Beurteilung der wirtschaftlichen Lage des Landes erhalten?
Meine Damen und Herren, wir befinden uns im siebten Jahr eines soliden wirtschaftlichen Aufschwungs. Die positive Entwicklung wird sich nach übereinstimmender Ansicht aller Institute auch 1989 — wenn auch in leicht gedämpfter Form — fortsetzen. Diese kräftige Aufwärtsentwicklung wird von einer ausgeprägten Investitionstätigkeit getragen, nachdem in den früheren Jahren der private Verbrauch und die Exporte die Hauptantriebskräfte des Aufschwungs waren.Zwei Feststellungen der Institute sind im Hinblick auf die lebhafte Investitionstätigkeit von besonderer Bedeutung. Erstens, daß das seit längerem günstige Investitionsklima entscheidend dazu beigetragen hat: die sehr gute Ertragslage, die günstigen Absatzchancen und die gestiegene Rentabilität von Sachanlagen im Vergleich zu Finanzanlagen.Zweitens, daß die These, daß eine verbesserte Ertragslage schließlich auch zu mehr Beschäftigung führt, bestätigt worden ist. Mit der deutlichen Belebung der Investitionen stellen die Unternehmen vermehrt zusätzliche Arbeitskräfte ein.Meine Damen und Herren, mit diesen beiden Feststellungen stützten die Institute die Wirtschafts- und Finanzpolitik der Bundesregierung nachdrücklich. Sie stellen ihr damit zugleich ein glänzendes Zeugnis aus. Noch etwas: In diesem Frühjahrsgutachten gibt es kein Minderheitsvotum, wie das in früheren Jahren der Fall gewesen ist. Alle Institute sind sich in der positiven Beurteilung der Wirtschaftsentwicklung einig.Wie heftig hat die SPD diese Zusammenhänge in den letzten Jahren immer wieder bestritten und attakkiert. Wie düster war das Bild, das insbesondere der wirtschaftspolitische Sprecher, Herr Roth, gezeichnet hat. Das diesjährige Frühjahrsgutachten widerlegt das Krisengeschrei, meine Damen und Herren, das von Politikern der Opposition an dieser Stelle in regelmäßigen Abständen inszeniert wurde.Herr Roth, erinnern wir uns an die Haushaltsdebatte 1987, als Sie meinten, vor einer Wirtschaftskatastrophe à la 1929 warnen zu müssen, als Sie Investitionsprogramme zur Stützung der Konjunktur und zur Förderung der Beschäftigten forderten. Ähnlich war es in der letztjährigen Haushaltsdebatte, in der Haushaltsdebatte 1988, Herr Roth, in der Sie uns vorwarfen, mit dem Hinweis auf kurzfristige Konjunkturzahlen die Probleme unserer Wirtschaft unter den Teppich zu kehren.Meine Damen und Herren, alle Indikatoren zeigen weiter nach oben. Es geht weiter aufwärts. Wir können mit der Entwicklung unserer Wirtschaft zufrieden sein. Zu Selbstzufriedenheit besteht allerdings kein Anlaß. Daher sollten wir auch nicht die Mahnungen übersehen, die das Gutachten enthält. Eine Mahnung lautet: Damit sich dieser Prozeß des Aufschwungs fortsetzt, müssen alle wirtschaftspolitisch Verantwortlichen, aber auch das Parlament weiterhin
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10250 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 139. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. April 1989
Dr. SprungHemmnisse für das Wachstum von Produktion und Beschäftigung beseitigen und alles tun, daß keine neuen Hemmnisse entstehen. Dazu gehört eine durchgreifende Reform der Unternehmensbesteuerung ebenso wie eine umfassende Verringerung der Subventionen.Die andere Mahnung lautet: Es gibt auch Risiken für die erwartete Entwicklung, und sie sind ernst zu nehmen. Die Risiken bestehen vor allem in der Entwicklung der Preise und in den Überschüssen der Leistungsbilanz. Hier ist die Bundesbank gefordert, die Geldpolitik sehr behutsam auf dem schmalen Pfad zwischen Erhaltung der Preisstabilität und Abwürgen der Konjunktur zu halten.Meine Damen und Herren, das Frühjahrsgutachten bestätigt, daß wir auf dem richtigen Weg zu weiterhin mehr Wachstum, zu weiterhin mehr Beschäftigung, mehr Wohlstand und zu einem weiteren Abbau der Arbeitslosigkeit sind.Ich danke Ihnen.
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Saibold.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Eines muß man dieser Bundesregierung ja nun lassen: Sie hat mit ihrer famosen Regierungskunst ein bisher unerreichtes Niveau erreicht. Sie inszeniert geradezu perfekt, was als gehobene Schule des politischen Tohuwabohus bezeichnet werden kann. Da müssen wir, die wir das rot-grüne Chaos einführen wollen, direkt neidisch werden. Gestern wurde die Quellensteuer eingeführt, heute soll sie wieder abgeschafft werden. Vor wenigen Monaten gab es Streichungen bei ABM und bei den Umschulungen für Arbeitslose, nun werden auf einmal — wie es ja auch wir fordern — neue Maßnahmen zur Qualifizierung von Erwerbslosen als notwendig angesehen. Es wird dem Wettbewerb das Wort geredet und gleichzeitig das regierungsamtliche Einverständnis bei der Hochzeit von Daimler-Benz und MBB in Aussicht gestellt. Jetzt mehren sich plötzlich auch im Regierungslager Stimmen, diese obszöne Vereinigung platzen zu lassen.
Kurzum: Das schwarz-gelbe Tohuwabohu dieser Bundesregierung ist auch in der Wirtschafts- und Finanzpolitik unübertroffen. Auch dies mußte hier einmal gewürdigt werden.Wenn Vertreter dieser Regierungsparteien nun ihre eigene Wirtschaftspolitik loben — zu diesem Zweck wurde die heutige Veranstaltung ja angesetzt —,
dann lassen sich daraus eigentlich nur zwei Schlußfolgerungen ziehen: entweder sie schmücken sich mit etwas, was nicht auf ihre Wirtschaftspolitik zurückzuführen ist, oder sie interpretieren das wirtschaftliche Geschehen falsch. Beides trifft in wesentlichen Punkten zu.Die konjunkturelle Entwicklung, die Sie als Ihren Verdienst rühmen, verläuft in den westlichen Industrieländern seit Jahren gleichgerichtet. Sie dürfte wesentlich durch die drastisch gesunkenen Rohstoffund Energiepreise bestimmt sein. Diese internationale Umverteilung zugunsten der Industrienationen hat auch in der Bundesrepublik mehr Kaufkraft geschaffen und die Konjunktur stimuliert. Die wirtschaftliche Entwicklung in vielen Entwicklungsländern aber hat sich drastisch verschlechtert. Den Bevölkerungsmehrheiten dort steht das Wasser bis zum Halse. Dies ist wahrlich kein Grund, um hier in konjunkturellen Erfolgsbilanzen zu schwelgen.Wir GRÜNEN als Partei der Umweltbewegung werfen Ihnen vor, daß Sie immer noch nicht die ökologischen und sozialen Folgekosten des Wirtschaftens sehen. Diese haben rapide zugenommen. Die Kosten des Wirtschaftswachstums, der Raubbau an der Natur und der Atommüll sind bleibende Hypotheken für die zukünftigen Generationen, die nicht durch irgendeine andere politische Entscheidung abgebaut werden können.Schon heute fallen erhebliche Folgekosten des Wirtschaftens an, die nach den Berechnungen des Wissenschaftszentrums in Berlin mindestens ein Zehntel des Bruttosozialproduktes ausmachen; das sind immerhin 220 Milliarden DM jährlich. Bodenvergiftungen, Waldsterben, Gewässer- und Luftverunreinigungen, Abfallawinen, Verkehrsunfälle und umwelt- und arbeitsbedingte Erkrankungen haben ihren Preis, der sich auch in den wirtschaftlichen Kostenrechnungen niederschlägt. Wirtschaftswachstum, Wohlstand und Fortschritt werden vorgegaukelt, wo Schäden, Krankheit und Leid wachsen.Die Anhörung zu den Folgekosten — nur noch zur Klarstellung, Herr Roth; jetzt ist er gar nicht mehr da —
ist von uns angeregt worden. Die SPD hat ja etwas gezögert, ob sie sich überhaupt dem Antrag anschließen sollte. Außerdem haben die GRÜNEN ein Programm zum ökologischen Umbau der Industriegesellschaft entwickelt, das schleunigst umgesetzt werden sollte, damit weitere Schäden möglichst verhindert werden.Die Bundesregierung und auch die Forschungsinstitute behaupten, das Wirtschaftswachstum der letzten Jahre habe zu mehr Arbeitsplätzen geführt. Eine Analyse des WSI zu den Faktoren des Beschäftigungsanstiegs zeigt, daß daran der Anteil des Wachstums relativ gering ist. Zwei Drittel der neu entstandenen Arbeitsplätze sind demnach auf arbeitsmarkt- und tarifpolitische Maßnahmen zurückzuführen, d. h. auf Wochenarbeitszeitverkürzungen, ABM und Teilzeitarbeitsplätze.Dies bestätigt unsere Auffassung, daß die Arbeitslosigkeit durch die Umverteilung von Arbeit und Einkommen überwunden werden muß. Die Bundesregierung hat aber die Verkürzung der Wochenarbeitszeit immer bekämpft und steckt sich nun die fremden Federn an den Hut. Diese Jubelveranstaltung ist eigentlich ein Armutszeugnis für die Regierung.
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 139. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. April 1989 10251
Frau SaiboldDanke.
Das Wort hat der Bundesminister für Wirtschaft.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Frühjahrsgutachten ist nicht nur ein gutes Zeugnis für die Politik der Koalition, sondern es ist ein auch glänzendes Zeugnis für die qualifizierte Arbeitnehmerschaft in der Bundesrepublik, für innovative Unternehmer, für eine gute Infrastruktur, für unsere Kommunalpolitik. Nur diese Faktoren zusammen bringen die Bundesrepublik an die Spitze in Europa und lassen uns auch im weltwirtschaftlichen Vergleich bestehen.
Der Aufschwung ist breit und solide. Er stützt sich auf eine solide Binnennachfrage, unterstützt durch die Steuerreform. Ich finde es ehrlich und sympathisch, daß sich die Gutachter revidieren. Während sie uns beim letztenmal noch dringend empfohlen haben, die Steuerrefom vorzuziehen, finden sie jetzt, daß der dritte Schritt der Steuerreform 1990 genau zur rechten Zeit kommt. Warum soll man nicht zugeben, wenn man sich irrt?
Neben einer soliden Binnennachfrage, neben einer soliden Exportnachfrage wird die Investitionsgüternachfrage immer stärker ein solides Wirtschaftswachstum abstützen. Mehr Investitionsgüter sind Arbeitsplätze von morgen, Arbeitsplätze, die sich am Markt lohnen und nicht durch künstliche Subventionen erzeugt werden, meine Damen und Herren.Aber Wirtschaftswachstum ist kein Wert an sich. Wirtschaftswachstum soll den Menschen dienen. Deshalb ist es eine wichtige Botschaft dieses Frühjahrsgutachtens, daß mehr Menschen als eigentlich gedacht in diesem Jahr in Arbeit kommen. Wir können jetzt davon ausgehen, daß in den nächsten Monaten die Arbeitslosigkeit in der Bundesrepublik zum erstenmal seit vielen Jahren deutlich unter 2 Millionen sinken wird; dies wird überwiegend Frauen und Jugendlichen zugute kommen.
Ich halte das für ein Signal der Hoffnung; denn die Bundesrepublik hat die Jugendarbeitslosigkeit halbiert: Bei jungen Menschen unter 20 Jahren betrug sie auf dem höchsten Punkt 10 %, heute 5 %. Das läßt uns nicht ruhen, aber wir machen Wirtschaftswachstum nicht um seiner selbst willen, sondern um den Menschen, insbesondere jungen Menschen eine Lebenschance durch eigene Arbeit zu bieten und sie nicht dauerhaft von staatlichen Subventionen abhängig zu machen. Das ist moderne marktwirtschaftliche Wirtschaftspolitik; Wirtschaftspolitik nicht um ihrer selbst willen.Entscheidend ist darüber hinaus, daß die Bundesregierung ihre Anstrengungen, die Langzeitarbeitslosigkeit zu bekämpfen, weiter verstärken wird.
Die Bundesregierung wird die Einstellung von Langzeitarbeitslosen noch mehr als bisher durch Lohnkostenzuschüsse unterstützen. Aber ich erwarte als Wirtschaftsminister auch, daß die Tarifpartner, die Arbeitgeber und die Gewerkschaften, in ihrer Tarifpolitik die besondere Problematik von Langzeitarbeitslosen stärker als bisher berücksichtigen.
Das vorliegende Gutachten weist auch auf Gefahren hin, meine Damen und Herren, nämlich auf Gefahren im Preisbereich. Natürlich weiß die Bundesregierung, daß die Erhöhung der Verbrauchsteuern mit dazu beigetragen hat. Deshalb müssen wir jetzt alles tun, durch Verstärkung des Wettbewerbs, durch eine enge Zusammenarbeit mit der Bundesbank dafür zu sorgen, daß sich die Preisentwicklung nicht verselbständigt. Ich möchte deshalb auch heute nochmals die langfristige Tarifpolitik der deutschen Gewerkschaften loben, die mit zur bisherigen Stabilität beigetragen haben. Ich halte die Idee für richtig, bei künftigen Tarifverhandlungen zwischen erfolgsabhängigen und weniger erfolgsabhängigen Lohn- und Gehaltskomponenten zu unterscheiden, um auch nachträglich eine bessere Konjunktur oder bessere Erträge in der Tarifpolitik mit zu berücksichtigen. Das halte ich für einen wesentlichen positiven Punkt der Diskussion.Ein weiterer Kritikpunkt sind die Leistungsbilanzüberschüsse der Bundesrepublik Deutschland. Wir vergessen dabei nur allzu leicht und sollten deshalb in unseren internationalen Gesprächen unsere Partner gemeinsam darauf hinweisen, daß die Bundesrepublik nicht nur ein großes Exportland ist, sondern nach den Vereinigten Staaten von Amerika auch das zweitgrößte Einfuhrland der Welt. 440 Milliarden DM Einfuhren im letzten Jahr sind ein wesentlicher Beitrag einer offenen Marktwirtschaft zur Entwicklung anderer Länder.
Die Bundesrepublik ist eines der wenigen Länder, die ein Defizit mit Entwicklungsländern unterhalten. Ich kann deshalb unsere amerikanischen und französischen Handelspartner nur auffordern, dem Beispiel der Japaner und Koreaner nachzueifern, diese Offenheit des deutschen Marktes stärker als bisher zu nutzen. Der deutsche Verbraucher ist bereit, ausländische Güter und Dienstleistungen zu kaufen, aber es hängt auch von der Wettbewerbsfähigkeit, von der Marktorientierung unserer Partnerländer ab, daß sie von dieser Offenheit mehr als bisher Gebrauch machen können. Wir brauchen uns also international nicht immer als aggressives Exportland auf die Anklagebank stellen zu lassen. Anders als Japan ist die Bundesrepublik ein offenes Land; dies ist zwischen den politischen Parteien nicht umstritten, und dies ist auch nicht zwischen den Arbeitgebern und Gewerkschaften umstritten. Nur mit dieser gemeinsamen Haltung,
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10252 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 139. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. April 1989
Bundesminister Dr. Haussmannmit der Haltung eines offenen marktwirtschaftlichen Landes können wir auch internationale Diskussionen bestehen.Ich halte es als Wirtschaftsminister für meine Aufgabe, das erfreuliche Wirtschaftswachstum für mehr Arbeitsmarktchancen für die Menschen, aber auch für den ökologischen Fortschritt zu nutzen.
— Auch für ökologischen Fortschritt, Herr Stratmann.Der Vergleich von marktwirtschaftlichen und planwirtschaftlichen Systemen zeigt eindeutig, daß die Marktwirtschaft sehr viel mehr Chancen hat, ökologischen Fortschritt durchzusetzen.
Wir wollen in unserer zukünftigen Wirtschaftspolitik offensiver als bisher zeigen, daß ökologischer Fortschritt durch marktwirtschaftliches Denken erreichbar ist. Ich warne den Wähler auch vor Parteien, die das Wirtschaftswachstum einerseits ständig nur kritisieren, die aber umgekehrt die höchsten Anforderungen an unser Wirtschaftswachstum in der Sozial- und der Umweltpolitik stellen.Wir haben also keinen Grund, dieses Frühjahrsgutachten zu verstecken.
Es ist ein solider Beweis für eine gute Regierungspolitik, für gute Arbeitnehmer, für innovative Unternehmer, und die darin aufgezeigte wirtschaftliche Entwicklung bietet die Chance, in den nächsten Monaten und Jahren im Bereich der Arbeitsmarktpolitik und im Bereich des Umweltschutzes Fortschritte für die Menschen zu erreichen.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Ehrenberg.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Bundeswirtschaftsminister, ich würde Ihnen vorweg gern bestätigen, daß Sie im Unterschied zu Herrn Beckmann und zu Herrn Sprung das Arbeitslosenproblem nicht ausgeklammert haben. Die anderen beiden Redner haben so getan, als gebe es das gar nicht.
— Das ist ja gut.Wenn man über dieses Gutachten und den Erfolg der deutschen Wirtschaft spricht, wird es wohl dazugehören, auch zu sagen, daß in dem Gutachten sehr deutlich steht, daß auch 1989 die Arbeitslosenzahl oberhalb der Zwei-Millionen-Grenze liegen wird— die Gutachter schätzen bei 2 075 000 — , und daß sie für 1989 einen weiteren Anstieg prognostizieren. Das zeigt wohl ganz deutlich, daß dieses erfreuliche Wirtschaftswachstum, das wir sehr begrüßen, alleinnicht reicht, um zu einem wirksamen Abbau der Arbeitslosigkeit zu kommen.
Herr Bundeswirtschaftsminister, bevor man im Zusammenhang mit diesem Gutachten von der Spitze Europas spricht, hätten Sie vorher auf die Tabelle auf Seite 15 schauen sollen. Dort wird sehr deutlich, daß in Italien, Großbritannien, Österreich und einer Reihe anderer Staaten ein ganzes Stück höhere Wachstumsraten als in der Bundesrepublik erreicht worden sind. Innerhalb der sieben am Wirtschaftsgipfel beteiligten Nationen liegen wir unter dem Durchschnitt und nicht über dem Durchschnitt. Die Lokomotivrolle für die Weltkonjunktur, die die Bundesrepublik in den 70er Jahren hatte, haben wir leider trotz der verbesserten Daten noch lange nicht.
Vor diesem Hintergrund lohnt es sich, darüber nachzudenken — vielleicht ist so eine Aktuelle Stunde auch eine Gelegenheit zum Nachdenken —, ob es vor dem Hintergrund von immer noch mehr als zwei Millionen Arbeitslosen, im siebenten Jahr nacheinander zwei Millionen Arbeitslosen — ein vorher völlig unbekanntes Niveau in der Bundesrepublik — eine vernünftige Entscheidung war, den Bundesbankgewinn zur Hälfte zur vorzeitigen Schuldentilgung zu benutzen. Die Gutachter rechnen Ihnen vor, daß im Jahre 1989 das gesamtwirtschaftliche Finanzierungsdefizit 5 Milliarden DM betragen wird. Da wäre es wohl vernünftiger, die zweite Hälfte des Bundesbankgewinns für ein gezielt angelegtes Infrastrukturprogramm zur Verbesserung der kommunalen Kläranlagen und zur Sanierung alter Industriebrachen zu benutzen, als vorzeitig Schulden zu tilgen.Ich weiß, daß sich der Herr Grünbeck jetzt notiert und mir sagen wird: Wir können doch unseren Enkeln keine Schulden hinterlassen.
— Aber das wird er sagen, wie ich weiß.
Das hat er ja heute früh im Ausschuß schon gesagt. — Verehrter Herr Grünbeck und alle anderen aus den Regierungsparteien, wenn wir so weitermachen, hinterlassen wir unseren Enkeln mit einer stinkenden Nord- und Ostsee eine viel größere Last, als es einige Zinszahlungen jemals sein könnten. Es besteht die große Chance, mit der richtigen Verwendung der Bundesbankgewinne Umwelt und Beschäftigung zugleich zu verbessern.Bei allem Stolz der Bundesregierung auf die Beschäftigungszahlen: Die Zahl der Beschäftigten lag 1988 immer noch um 100 000 unter der von 1980. Sie haben also noch sehr viel nachzuholen, wenn Sie das erreichen wollen, was in dieser Republik möglich ist.
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 139. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. April 1989 10253
Dr. EhrenbergIch setze da ein bißchen Hoffnung — sonst nicht viel, aber in diesem Falle ja — auf die Kabinettsumbildung. Der hier nicht mehr anwesende, aber, hoffe ich, überall zuhörende neue Kanzleramtsminister kommt aus dem Wahlkreis mit der höchsten Arbeitslosenquote seit eh und je. Auch im März dieses Jahres lag sie bei 20,4 % . Herr Seiters wird in Leer dieses Gutachten mit Sicherheit nicht so darstellen können, wie es hier Herr Beckmann gemacht hat. Er würde aber viel Beifall für ein die Küstensituation verbesserndes Infrastrukturprogramm bekommen. Wenn von dieser Aktuellen Stunde etwas an neuer Entscheidungsfreude von Leer ins Kanzleramt überschwappt, dann hat diese Aktuelle Stunde ihren Sinn gehabt.Vielen Dank.
Das Wort hat der Abgeordnete Doss.
Lieber Herr Kollege Ehrenberg, wenn Sie die siebziger Jahre als modellhaft bezeichnen, dann ist das ein Hinweis auf Ihren Realitätsbruch und darauf, daß Sie Schwierigkeiten haben, die unbestreitbaren Erfolge unserer Zeit zur Kenntnis zu nehmen.
— Herr Ehrenberg, die Tatsache unserer vielen Aussiedler und auch die Tatsache, daß mehr Frauen auf den Arbeitsmarkt drängen, sind genauso real wie das Nachbeten von Statistiken und deren Interpretation. Es ist wirklich — ich kann das ja auch verstehen — peinlich für die Opposition, daß sie heute feststellen muß, daß sich nichts von dem Horrorgemälde, das wir üblicherweise hier vorgetragen bekommen, in diesem Gutachten wiederfindet.Das wirtschaftswissenschaftliche Frühjahrsgutachten bestätigt: Wir sind auf dem richtigen Weg, und wir haben auch viel erreicht. Ich wiederhole das gerne, weil Sie es ja nicht zur Kenntnis nehmen wollen: 1 Million neue Arbeitsplätze — das ist eine tolle Leistung, wie ich finde — , stabile Preise, höhere Löhne, kürzeste Arbeitszeit, längster Urlaub und höchste Sozialleistungen. Ist das nichts? Ich finde, das ist großartig.
Diese Tatsachen machen es Ihnen, der Opposition, ja auch so schwer, eine fundierte, begründete Kritik an der Wirtschaftspolitik dieser Regierung zu üben, und haben den sonst so geschätzten Kollegen Roth sogar in seiner Verzweiflung dazu gebracht, den von mir wirklich als sehr kompetent und darüber hinaus auch noch als sehr nett eingeschätzten Kollegen Beckmann in dieser Form hier anzunehmen, wie er das gemacht hat.
Aber Ihre Noten, meine Damen und Herren, sind sowieso von keiner besonderen Wichtigkeit. Insofern können wir das, glaube ich, vergessen.Dagegen durchzieht die wirtschaftspolitischen Vorschläge der Sozialdemokraten ein roter Faden der Irrtümer. Darf ich das einmal so sagen? Sie haben sich bei den Lehrstellen geirrt. Sie wollten mehr Staat, eine Sondersteuer und mehr überbetriebliche Ausbildungsstätten und haben uns jahrelang mit Ihren politischen Angriffen verfolgt. Heute rollt der Handwerksmeister den roten Teppich für die Lehrlinge aus. Ich finde, es ist wirklich an der Zeit, daß Sie zur Kenntnis nehmen, daß allein im Handwerk 60 000 Ausbildungsplätze unbesetzt bleiben. Meine verehrten Kollegen aus dem Wirtschaftsausschuß — wir haben ja ein wirklich gutes Verhältnis — , Sie sollten sich öffentlich für das entschuldigen, was Sie in diesen Fragen mit uns gemacht haben.
Sie irren sich mit Ihrer Forderung nach staatlichen Programmen zur Schaffung von Arbeitsplätzen. Programme sind — das hat sich erwiesen — Strohfeuer, die so lange brennen, wie der Staat alimentiert. Durch richtige Rahmenbedingungen hat insbesondere die mittelständische Wirtschaft seit 1982 rund 1 Million neue Arbeitsplätze geschaffen. Und was besonders erfreulich ist: Drei Viertel davon sind durch Frauen besetzt.Sie irren weiter, wenn — und das hat die Frau Kollegin Saibold hier angesprochen — weite Teile der SPD eine Verkürzung der Wochenarbeitszeit fordern. Das ist für den mittelständischen Unternehmer nicht realisierbar, meine Damen und Herren. Das funktioniert dort nicht. Das bedeutet Ausweichen in Schwarzarbeit usw. Arbeit entsteht aus erfolgreicher Arbeit und nicht aus immer weniger Arbeit, die für den Nachfrager zu teuer und für den Handwerksmeister nicht mehr organisierbar wird und darüber hinaus, wie schon erwähnt, Schwarzarbeit ermöglicht. In dieser Republik arbeiten immer mehr immer weniger und immer weniger immer mehr.Sie irren mit Ihrer Forderung nach weiteren arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen. Die Gutachter stellen ausdrücklich fest, daß der Ausbau der Erwerbstätigkeit nicht auf arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen beruht. Schauen Sie nach: Seite 24 des Gutachtens.Um die Gutachter als Kronzeugen für unsere richtige Politik wörtlich zu nehmen, zitiere ich:Damit sich dieser Prozeß fortsetzt, müssen alle wirtschaftspolitisch Verantwortlichen weiterhin Hemmnisse für das Wachstum von Produktion und Beschäftigung beseitigen und darauf bedacht sein, daß nicht neue entstehen. Dazu sollte auch eine durchgreifende Reform der Unternehmensbesteuerung gehören, die eine umfassende Verringerung der Subventionen einschließt.Das ist fast unser politisches Programm.Ich gucke auf die Uhr. Deswegen Schlußsatz
— ich hätte noch eine ganze Menge zu sagen, verehrte Frau Kollegin — : Ich bin der Meinung, wir müs-
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Dosssen weiter den Mut zu Reformen haben. Wir dürfen uns auf den Lorbeeren des Erreichten nicht ausruhen, um Himmels willen nicht. Erfolg darf nicht träge machen. Die erfolgreiche Wirtschaftspolitik ist die Mutter aller Dinge — das sollten Sie nicht vergessen — , und der Mittelstand ist das Herzstück der sozialen Marktwirtschaft.Ich bedanke mich fürs Zuhören.
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Saibold.
Herr Doss, das Handwerk und der Mittelstand werden sich sehr über den EG-Binnenmarkt freuen. Die Euphorie darüber ist nämlich schon längst weg.
Herr Haussmann, Sie sprachen gerade die Exporte an. Ja, was wird denn dauernd exportiert? Chemiefabriken, Atomkraftwerke, Waffen usw. Wie schaut das denn bei Umweltschutztechnologien aus, bei Recycling-Verfahren? Da jammern die Wirtschaftsvertreter dann bei mir, daß sie keinerlei Unterstützung haben, daß hier nichts Entsprechendes vorhanden ist.
Noch ein Wort zu den Arbeitslosenzahlen: Es kann sehr wohl sein, daß in den nächsten Monaten die Zwei-Millionen-Grenze unterschritten wird. Aber das ist dann wiederum kein arbeitsmarktpolitischer Hoffnungsschimmer, sondern das Ergebnis einer Manipulation der Arbeitslosenstatistik; denn hiermit wird sehr einfallsreich umgegangen. Schon seit 1986 wurden bestimmte Erwerbslose ab 58 Jahren gestrichen. Seit dem vergangenen Jahr werden z. B. resignierende Langzeiterwerbslose, die keine Leistungen erhalten und sich nicht alle drei Monate beim Arbeitsamt melden, aus der Statistik entfernt. In diesem Jahr werden unter bestimmten Bedingungen Ausländer und diejenigen Arbeitslosen aus der Statistik genommen, die zweimal Arbeit ablehnen, die sie als unzumutbar betrachten. Ich sage Ihnen: Mit Tricks, Manipulationen oder auch neuen „Verkaufsstrategien" können Sie den Kopf hier nicht mehr retten.
Danke.
Das Wort hat der Abgeordnete Grünbeck.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die SPD hat im Mai 1988 in einem Antrag zur Lage auf dem Arbeitsmarkt folgendes festgestellt:Die wirtschaftliche Lage in der Bundesrepublik Deutschland am Beginn des Jahres 1988 ist äußerst labil. Nach nur einem mäßigen Wirtschaftswachstum seit 1982 hat die Konjunkturentwicklung seit dem Herbst 1986 deutlich an Schwung verloren und ist zwischenzeitlich in eine Stagnationsphase eingemündet.Sie sprechen anschließend von der Bankrotterklärung der Bundesregierung. Ich fordere Sie auf, Ihre eigene Bankrotterklärung hier abzuliefern.
Es ist ein Skandal! Ich muß Ihnen einmal die Frage stellen: Warum machen Sie das eigentlich? Warum verunsichern Sie die Welt? Wollen Sie mit solchem Geschwätz eigentlich noch mehr unzufriedene und verängstigte Bürger produzieren und damit immer mehr Bürger in die links- und rechtsextremistische Ecke abdrängen?
Sie übernehmen eine Schuld und Sie dürfen nicht vergessen, wie groß sie wird, wenn Sie weiter so verfahren.
Meine Damen und Herren, nach dem Jahreswirtschaftsbericht haben wir 23 175 000 Beschäftigte. Das ist seit Jahrzehnten die höchste Zahl in dieser Bundesrepublik. Warum stellen Sie das denn nicht fest und schaffen immer wieder neue Unsicherheiten?
Die Volkszählung hat ergeben, daß die Zahl wahrscheinlich noch höher ist. Unsere Probleme sind zum Teil schon dargelegt worden.Meine Damen und Herren, wir haben eine drastische Verengung bei den Lehrstellen. Mehr als 62 000 Lehrstellen sind in diesem Jahr noch nicht besetzt worden. Problematisch ist die Struktur bei den Mädchen. Ich bedaure, daß sowohl die Mädchen selbst als auch die Unternehmer die Hemmschwelle für den Einsatz von Mädchen in gewerblich-technischen Berufen noch nicht überwunden haben. Ich würde mir wünschen, daß dies geschieht. Die Weiterbildungsmaßnahmen der Bundesregierung sind richtig angesetzt; denn Weiterbildung muß Weiterbeschäftigung heißen. Es gibt mehr offene Stellen als je zuvor.
— Aber, Herr Ehrenberg, ich habe Ihnen das schon einmal erklärt! Sie brauchen nur einmal die Stellenanzeigen in den Zeitungen am Wochenende zu lesen. Die Unternehmer weichen doch in zunehmendem Maße auf die Stellenanzeigen aus.Die Zahl der Kurzarbeiter, liebe Freunde, war noch nie so gering wie jetzt, und Sie sagen, das sei alles schlecht.
Ich frage Sie nur, wie sich die SPD heute ordnungspolitisch dargestellt hat. Herr Roth hat beanstandet — insoweit teile ich Ihre Auffassung — , daß der Zinsanstieg in dem Gutachten warnend erwähnt wird. Der nachfolgende Redner aber, der Herr Ehrenberg, hat gesagt, wir sollten die Erträge des Bundesbankge-
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 139. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. April 1989 10255
Grünbeckwinns nicht zur Tilgung von Schulden und damit natürlich zum Zinsauftrieb verwenden. Wenn wir immer mehr Schulden machen, wie Sie das fordern, dann wird die Zinsentwicklung natürlich nach oben gehen.
Gerade den Hauptträger der Beschäftigung, nämlich die mittelständische Wirtschaft, die 66 % aller Beschäftigten und 80 % aller Auszubildenden stellt, würden Sie bestrafen, wenn Sie einen Zinsauftrieb in Kauf nehmen würden.
Herr Minister, herzlichen Dank für Ihre Feststellung, daß wir die Zahl der arbeitslosen Jugendlichen halbiert haben. Meine Damen und Herren, schauen Sie sich einmal die Arbeitslosenstatistik für die Jugendlichen unter 25 Jahren in Europa an: In Spanien sind mehr als 40%, in Portugal mehr als 30 %, in England, in Frankreich und in Italien weit mehr als 20 der jungen Menschen ohne Arbeit.
Wir haben in dieser Regierung eine Halbierung der Zahl der arbeitslosen Jugendlichen von 10 % auf 5 % geschafft. Das ist kein Grund zum Ausruhen, da sind wir uns einig. Aber machen Sie doch nicht mehr diesen Horror, hören Sie endlich auf, mit Ihrer ignoranten Lächelei über ein solches Problem hinwegzugehen! Das ist viel zu ernst, als daß man darüber mit Ignoranz lächeln könnte.
Ich sage Ihnen auch: Ich bin dafür, daß wir die Tarifparteien bitten, eine neue Strategie zu entfalten. Wir machen eine Tarifpolitik, liebe Freunde, die für die Beschäftigten gilt. Wir müssen eine Tarifpolitik machen, die auch für die Arbeitslosen Gültigkeit hat. Das bedeutet, daß wir Bildungsmaßnahmen, Weiterbildungsmaßnahmen, duale Systeme zwischen Langzeitarbeitslosen und Unternehmen wirkungsvoll einsetzten, um die Arbeitslosigkeit wirklich zu reduzieren. Der Wirtschaftsbericht der Sachverständigen für die Bundesrepublik zeigt deutlich auf, daß diese Bundesregierung nicht nur auf einem marktwirtschaftlich richtigen Kurs, sondern auch auf einem sozial- und gesellschaftspolitisch richtigen Kurs ist.Vielen Dank.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Faltlhauser.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als Herr Ehrenberg hier gesprochen hat, ist ein Schatten der Vergangenheit durch diesen Raum gehuscht, der Schatten der Unsolidität. So ganz nebenbei und locker sprach er von „einigen Zinsbelastungen" und Zinszahlungen, so als wären wir nicht mit mehr als 35 Milliarden DM an Zinszahlungen im Jahr ohnehin aus alter Zeit in unerträglicher Weise belastet. Ich glaube, daß man diesen Anregungen von Herrn Ehrenberg heute nicht mehr folgen sollte.Herr Roth stellt sich hier hin und problematisiert die von uns so beifällig aufgenommenen 3 % Wachstum. Herr Ehrenberg kommt dagegen herauf und sagt, 3 sei zuwenig, die Italiener hätten mehr. Ja, was nun?Ich weiß, Herr Roth gibt selbst zu, daß man sich in der SPD bei den wirtschaftspolitischen Konzeptionen nicht einig ist. Ich meine aber, es wird allmählich Zeit, daß Sie sich zusammenraufen. Die Bürger draußen haben ein Anrecht, zu wissen, was diese Opposition wirtschaftspolitisch eigentlich will.
Ich will einen Punkt aus diesem Gutachten etwas vertiefen, den der Wirtschaftsminister schon aufgegriffen hat. Es ist besonders hervorzuheben, daß die Finanz- und Steuerpolitik der Bundesregierung von diesem Gutachten erstmals voll und umfänglich anerkannt wird. Das Gutachten schreibt:Mit der Steuerreform sind Konjunktur- und Wachstumsimpulse beträchtlichen Ausmaßes verbunden. Für die konjunkturellen Effekte scheint 1990 ein geeigneter Zeitraum für die Steuerreform zu werden, da dann wohl die dämpfenden Wirkungen der Geldpolitik spürbar werden und die außenwirtschaftlichen Impulse nachlassen. Die Steuerreform trägt in dieser Situation wesentlich zur Verstetigung des Wachstums der Inlandsnachfrage bei.Sehr bemerkenswert! Bemerkenswert, weil die Institute dadurch ihre eigenen Auffassungen aus vergangenen Gutachten ausdrücklich revidieren und auf die Linie dieser Bundesregierung und dieser Koalition einschwenken.1987 hieß es noch, was der Verbesserung der Wachstumsbedingungen dient, müsse sofort gemacht werden, also Vorziehen der Steuerreform. Wir sind dem nicht gefolgt, und das war richtig.Dann hat es im Herbstgutachten 1988 noch einmal geheißen: „Die Finanzpolitik, die 1988 die Konjunktur angeregt hat, wird sie 1989 dämpfen." Die Dämpfung, ist nicht eingetreten, wie die Realitäten dieses Jahres wiederum zeigen. Die Konjunkturlokomotive läuft mit konstanter Geschwindigkeit weiter. Mehr noch: Statt Dämpfungseffekten werden gegenwärtig eher Überhitzungseffekte durch Kapazitätsauslastungen und Geldmengenprobleme diskutiert.Gerade ein Vergleich der Aussagen dieser Gutachter der wirtschaftswissenschaftlichen Institute mit ihren früheren Aussagen und der geradlinigen Konzeption der Bundesregierung zeigt: Die große Steuerreform ist unter konjunkturpolitischen Aspekten geradezu ideal zeitgerecht und maßgeschneidert.Wenn wir jetzt ins siebte Jahr konstanten Aufschwungs gehen, hängt das auch mit einer ausgewogenen Steuerpolitik zusammen. Das sollten wir den Bürgern draußen in aller Deutlichkeit sagen.
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Dr. FaltlhauserDie Gutachter haben uns eine volle Eins gegeben, aber einen kleinen Nachstrich gemacht. Wissenschaftler müssen immer noch eine Anmerkung kritischer Art machen. Im vorliegenden Frühjahrsgutachten machen sie eine Anmerkung zur Quellensteuer. Da heißt es:Unangemessen wäre es, die Quellensteuer wegen des in der Öffentlichkeit entstandenen Drucks einfach abzuschaffen oder nur auszusetzen.Meine Damen und Herren, dieser Rat erstaunt. Ich muß die Institute doch fragen, wie es denn mit ihrer Meinung in der Vergangenheit war. Am 13. Januar 1988 haben die Wirtschaftsforschungsinstitute an ihrem Jour fixe hier in Bonn noch Kritik an der Einführung der Quellensteuer geübt. Man habe bei ihrer Ankündigung 1987 überhaupt nicht die gravierenden Auswirkungen gesehen. 1987 im Herbstgutachten gab es kritische Stellungnahmen zur Quellensteuer wegen der Finanzbewegungen. Was nun? Zuerst die Quellensteuer kritisieren, dann aber die Abschaffung der Quellensteuer bemäkeln: Ich werde nicht klug daraus. Ich meine, daß die Forschungsinstitute ihre Auffassung zur Quellensteuer in der Zukunft wahrscheinlich ebenso revidieren werden, wie sie ihre Auffassung zur Steuerreform und zu deren zeitlicher Planung revidiert haben. Da sind wir sehr zuversichtlich.
Jetzt kommt der Abgeordnete Dr. Jens.
In solchen Debatten, Herr Präsident, meine Damen und Herren, wird viel leeres Stroh gedroschen.
Ich habe so den Eindruck, die Regierung klammert sich an jeden Strohhalm, der da so vorbeischwimmt. Jetzt hat sie dieses Gutachten der Forschungsinstitute erwischt und versucht, Honig daraus zu saugen.
Die Situation ist ja auch schlecht; das gebe ich zu. Mir scheint, durch diese Debatte wird Ihre Position wirklich nicht besser.Ich glaube, richtungsweisend für die Wirtschaftspolitik, über die wir jetzt mit Blick auf den globalen, den konjunkturpolitischen Bereich sprechen, ist immer noch — daran sollten Sie sich auch halten, Herr Haussmann - das Stabilitäts- und Wachstumsgesetz. Insbesondere § 1 ist eine Norm, die wir alle, Regierung und Opposition, zu beachten haben. Aber dieses Hickhack mit der Quellensteuer hat sicherlich zur Verunsicherung der Wirtschaft beigetragen. Das ist eigentlich ein Verstoß gegen diese Norm.
Im Stabilitäts- und Wachstumsgesetz werden vier Ziele genannt, von denen nach meiner Meinung — darüber kann man ein bißchen streiten — drei verletzt sind. Ein angemessenes Wachstum haben wir, aber nicht mit der qualitativen Komponente, wie wir das gerne hätten. Wir haben keine stabilen Preise mehr.
Wir haben keine hohe Beschäftigung, und wir haben auch keine ausgeglichene Leistungsbilanz.
— Das steht nicht im Stabilitäts- und Wachstumsgesetz, sondern da wird von hoher Beschäftigung gesprochen.
Ich will auf alle Punkte kurz eingehen. Die Preissteigerungen — im letzten Jahr 1,3 %, jetzt 3 % und so auch im nächsten Jahr — sind aus meiner Sicht hausgemacht. Die Verbrauchsteuererhöhungen, aber vor allem administrierte Preise haben dazu beigetragen, daß die Preise sprunghaft nach oben gegangen sind.
Die Postgebühren, die Mieten, alles das hat dazu geführt — das müssen Sie sich nun wirklich anrechnen lassen, Sie haben kräftig dazu beigetragen; das steht auch im Gutachten —, daß die Preise hausgemacht gestiegen sind.Die Arbeitnehmer haben mit den Tarifabschlüssen über mehrere Jahre — das haben Sie auch gesagt — hervorragende Arbeit geleistet und sich vorbildhaft verhalten. Aber die Preissteigerungen, die wir jetzt zu beklagen haben, haben dazu geführt, daß sie unter dem Strich, also real, nicht mehr, sondern eher noch weniger in der Tasche haben. Das ist zu kritisieren.
Die realen Einkommenssteigerungen sind ausgesprochen miserabel.Was die Arbeitslosigkeit angeht, so ist sie regional sicherlich differenziert zu sehen. Wir müssen nach Qualifikation unterscheiden, wie das Herr Grünbeck gemacht hat. Aber die Statistik ist von Ihnen wiederholt manipuliert worden. Ich meine, das ist eine schlechte Sache. Für mich ist die Arbeitslosigkeit das Kainsmal dieser Regierung. Sie kümmern sich zuwenig um dieses Problem. Ich habe mit Wohlwollen gehört, daß Herr Haussmann angekündigt hat, er wolle mehr für die Verringerung der Zahl der langfristig Arbeitslosen tun. Das wäre ein Fortschritt.Wichtig ist für mich, daß der Überschuß in der Leistungsbilanz eigentlich ein Zeichen dafür ist, daß wir in dieser Republik unter unseren Verhältnissen leben. Es wird zuwenig investiert. Im Bereich öffentlicher Investitionen, aber auch im Bereich privater Investitionen könnte mehr getan werden.
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Dr. JensSie sollten sich das Gutachten nicht nur ansehen, sondern es sehr genau lesen. Im Bereich der Finanzpolitik werden Sie aufgefordert, mehr zur Abwasserreinigung, mehr für die Altlastensanierung zu tun. Im Bereich der Tarifpolitik werden die tarifpolitischen Parteien aufgefordert, jetzt etwas zu tun, um Verteilungskonflikte zu entschärfen. Ich finde, das ist richtig.Im Bereich der Arbeitsmarktpolitik heißt es, zur intensiven beruflichen Qualifizierung sollte nicht nur etwas für jüngere Arbeitslose, sondern auch für langfristig Arbeitslose und andere Altersgruppen getan werden. Das scheint uns ebenfalls richtig zu sein.Die Geldpolitik wurde von meinem Kollegen Roth schon kritisiert.Ich glaube, die Politik, die Sie betreiben, ist wirklich eine Politik — wie die Amerikaner sagen — des „muddling through" , des Durchwurstelns. Sie haben im Grunde keine gezielte, vernünftige Politik betrieben. Das wollte ich deutlich gemacht haben.Ich meine, es ist an der Zeit, daß wieder eine rationale, nach den Prinzipien des Stabilitäts- und Wachstumsgesetzes ausgerichtete Politik betrieben wird. Es ist wirklich an der Zeit, daß Sie abgelöst werden.Schönen Dank.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Schwörer.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte etwas zu den europäischen Themen sagen, die auch der Kollege Ehrenberg behandelt hat. Herr Kollege Ehrenberg, Sie haben die Arbeitsmarktpolitik angesprochen. Sie müssen einmal das Gutachten nachlesen: Wir bekommen in diesem Gebiet gute Noten von den Gutachtern: Trotz steigender Zahlen von Zuwanderungen, trotz starker Jahrgänge, trotz Rationalisierungsdruck und hoher technischer Anforderungen gibt es einen Rückgang der Arbeitslosigkeit durch über 1 Million neue Arbeitsplätze. Ich glaube, das kann sich sehen lassen.
Dieses Beispiel hat auch in Europa Schule gemacht; denn auch die EG-Staaten verzeichnen langsam verbesserte Beschäftigungslagen — wenn auch nicht so gute wie wir — , und das wird so weitergehen. Wir haben den Ceccini-Bericht auf dem Tisch, der 2 Millionen neue Arbeitsplätze kurzfristig und 5 Millionen mittelfristig für Europa erwartet. Wir arbeiten daran, daß wir diesem Ziel noch näher kommen.
Zu dieser günstigen Entwicklung hat das verbesserte Wachstum entscheidend beigetragen. Herr Kollege Ehrenberg, die Bundesrepublik hat hier die Markierungen gesetzt. Aus den Zahlen können Sie ersehen: Die Europäische Kommission prognostiziert die gleichen Zahlen, wie wir sie haben. Ich glaube, das ist auch daraus zu erklären, daß sich das Investitionsverhalten der europäischen Unternehmen heute auf diesen gemeinsamen Markt einstellt, weil die Binnenmarktpläne der Europäischen Gemeinschaft nun langsam Gestalt annehmen.
Überall in Europa werden die Erträge verwendet, um zu modernisieren, zu rationalisieren und sich auf den Wettbewerb einzustellen. Dieser Wettbewerb ist für die Firmen zweifellos auch eine Belastung. Einer der Kollegen hat hier gesagt, daß der Mittelstand im Binnenmarkt Sorgen hat. Wenn sich aber die Firmen in der Produktentwicklung, in der Qualität und im Marketing auf diesen großen Markt einstellen, haben sie wirklich echte Chancen, und der Verbraucher hat den Hauptvorteil davon.
Europa ist heute wieder ein begehrter Standort geworden, auch für Länder, die außerhalb der EG liegen.
— Das wird noch kommen, Herr Kollege Ehrenberg. Im Binnenmarkt spielen die europäischen Zentralbanken eine große Rolle, und es ist wichtig, daß die Pläne für eine europäische Währungsunion in Gang kommen. Allerdings muß ich auch hier sagen: Das darf nicht dazu führen, daß eine Festung Europa entsteht. Wir wollen die Gemeinschaft vor allem auch für die Entwicklungsländer offenhalten. Gerade auch deshalb sind wir an dem Erfolg der GATT-Verhandlungen — Herr Bundeswirtschaftsminister, Sie sind ja dabei — stärkstens interessiert.
Meine Damen und Herren, das Gutachten zeigt, daß sich die EG-Situation für uns als ein Bild mit vielen guten Fakten darstellt: gutes Wachstum, real steigende Löhne und Gehälter, gute Erträge der Unternehmen, die auch wieder kräftig investiert werden, und eine große Zahl von neuen Arbeitsplätzen. Dieses Gutachten bestätigt damit die persönliche Leistung vieler europäischer Bürger in allen Bereichen; das hat der Bundeswirtschaftsminister ja angesprochen. Es bestätigt aber auch die Richtigkeit der Politik der Bundesregierung, die die Bundesrepublik in den europäischen gemeinsamen Markt, in den Binnenmarkt, der jetzt entsteht, hineingeführt und jetzt alle wichtigen Schritte zum Binnenmarkt eingeleitet hat.
Ich kann nur sagen: Wir alle miteinander sind gut beraten, wenn wir diese Bemühungen unterstützen und damit zu einem weiteren Wohlstand in der Bundesrepublik beitragen.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Sperling.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Da ist nun die Regierung durch die früheren Gutachten sechs Jahre lang nicht versetzt worden, und nun wird sie endlich wegen doch einigermaßen guter Leistungen in einigen Fächern versetzt. Schon wird gejubelt, es sei ein gutes Zeugnis, sogar ein glänzendes, wurde gesagt.Nein, so ist es nicht. Seit sieben Jahren wollten Sie Arbeitslosigkeit senken, und im siebten Jahr ist die Zahl bei 2 Millionen geblieben. Wenn ich die Regierungserklärung richtig verstanden habe, dann war der Maßstab Arbeitslosigkeit für diese Regierung zunächst der entscheidende. Unter dieser Meßlatte, die Sie selber aufgelegt haben, laufen Sie auch im siebten
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Dr. SperlingJahr noch durch: noch immer keine Versetzungsanzeige.
Nun sind wir gefragt worden, wie wir es mit dem Wachstum halten. Es war der Herr Faltlhauser, der das wissen wollte. Ich will darauf eindeutig sagen: Wir wollen mehr Wachstum, aber ein anderes. Ich möchte das an einem Beispielfall deutlich machen, an dem sich Herr Töpfer abplagt und wo ich Sie, Herr Haussmann, ganz herzlich bitten möchte, ihm zu helfen. Denn es ist eine Aufgabe der Wirtschaftspolitik.Herr Töpfer hat vor ein paar Tagen erklärt, daß es eine erfolgreiche Politik gewesen sei, unsere Abwässer zu klären, mit dem Ergebnis, daß in der Tat — das wird Herrn Ehrenberg ein bißchen freuen — Nord-und Ostsee weniger Schmutz- und Giftfracht zugeführt wird. Herr Grünbeck hat mit seinen Anlagen sicher gut geholfen. Es hat aber auch das Ergebnis, daß wir nun einen Klärschlammanfall haben, bedauerlicherweise reich an Gift. Dioxine und Schwermetalle darin haben einen so hohen Konzentrationsgrad, daß dieser Klärschlamm für die landswirtschaftliche Nutzung ungeeignet ist, weil eine Nahrungsmittelproduktion auf der Basis dieses Klärschlamms zur Vergiftung führen würde.
— Nicht nur in der Bundesrepublik; aber hier haben wir das Problem. Dieser Klärschlamm muß deponiert werden, mit dem Ergebnis, daß zwar zunächst Nordsee und Ostsee weniger Giftfracht zugeführt bekommen,
aber aus den Deponien heraus sowohl die Dioxine wie auch die Schwermetalle in den Boden und ins Grundwasser absinken. Der Bau der Kläranlagen hat Wirtschaftswachstum herbeigeführt. Das ist durchaus in Ordnung. Die Beseitigung des Klärschlamms wird auch Wirtschaftswachstum bedeuten. Wohlstandswachstum ist das nicht. Herr Haussmann, wenn der Spruch vom Bewahren der Schöpfung auch für Wirtschaftspolitik gelten soll, dann haben Gutachten und Regierungseinlassung zum Gutachten bisher noch nicht aufgewiesen, daß es begriffen wurde.Denn worauf es jetzt ankäme, wäre zum einen, die Giftstoffe aus dem Klärschlamm herauszuholen. Man überlegt, ob man das verbrennen soll,
und zwar mit so hohen Temperaturen, daß die Dioxine gecrackt werden, damit sie kein Unheil mehr anrichten können.Das andere, was man überlegen muß, ist, zu verhindern, daß die Giftstoffe hineinkommen. Wie kommen sie hinein? Die Dioxine sitzen in den unterschiedlichsten Haushaltsartikeln, in Strümpfen, die neu gekauft werden. Quecksilber kommt aus den Zahnarztpraxen. Würden wir denen eine andere Entsorgung auferlegen — technisch steht sie — , wäre das Wirtschaftswachstum.
Das ist ein Wachstum, das wir bräuchten.All das wäre Wirtschaftswachstum, und zwar ein umweltschützendes, das wir wirklich dringend brauchen. Statt dessen haben wir ein Wirtschaftswachstum der chemischen Industrie, das bei uns die Klärschlämme weiter vergiftet. Was wir bräuchten, ist eine Umstellung aller unserer Produktionsprozesse, damit unsere Haushalte keine Abwässer mehr abgeben, deren Produkte am Ende über den Umweg Klärschlamm zu großen Problemen in den Deponieflächen führen.Das wäre ein großartiges Wirtschaftswachstum. Es hieße die Schöpfung bewahren. Es gäbe allerdings Probleme mit der chemischen Industrie. Herr Haussmann, ich wünsche Ihnen Mut zu vernünftigem Wirtschaftswachstum.
Das Wort hat der Abgeordnete Scharrenbroich.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Sperling, es ist verdienstvoll, daß Sie sich des Problems des Klärschlamms so ausführlich annehmen. Das qualifizierte Wirtschaftswachstum ist wirklich ein großes Problem. Aber man kann feststellen: So hat es der Opposition die Sprache verschlagen, daß sie sich, wenn wir eine Diskussion über das Frühjahrsgutachten der Wirtschaftsforschungsinstitute machen, nur über Klärschlamm unterhält.
Herr Roth, Sie müssen Ihre Mannschaft einmal ein bißchen formieren, damit sie wieder über Wirtschaftspolitik spricht.Ich habe Ihnen zugestanden, Herr Sperling, es ist ein wichtiges Problem. Aber sich in einer Diskussion nur über das Thema Klärschlamm zu unterhalten ist etwas zu kurz gesprungen.
Die Botschaft dieses Gutachtens lautet: Die Wirtschaftskraft dieser Republik steht auf einem breiten und starken, gesunden Fundament.
Zweitens. Ich zitiere wörtlich: Der Investitionsaufschwung ist breit angelegt. — Das ist insofern sehr wichtig, als die Unternehmen wissen, sie sollten jetzt nicht nur investieren, weil die Kapazitätsauslastung das erfordert, sondern sie können investieren, weil es sich auch für die Zukunft lohnt, weil die Rentabilität auf Zukunft gegeben ist.Dritter Punkt der Botschaft lautet: Die Massenkaufkraft ist groß. Die Massenkaufkraft wird im nächsten
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ScharrenbroichJahr dadurch noch verstärkt werden, daß dann die dritte Stufe der Steuerreform greift.Vierte Botschaft: Der Beschäftigungseffekt ist positiver als noch im vergangenen Jahr. 200 000 zusätzliche Arbeitsplätze werden geschaffen.Fünfter Punkt der Botschaft: Wir haben eine so große Kapazitätsauslastung, daß wir das Problem der Arbeitslosigkeit, das nach wie vor ein großes ist, jetzt sehr wahrscheinlich noch besser angehen können als in der Vergangenheit.
Die Unternehmen werden eben nicht nur in Maschinen investieren müssen, werden nicht nur die Kosten aufwenden müssen, die jede Maschine — auch in ihrer Anpassung an das Unternehmen — für das Unternehmen bedeutet, sondern werden auch zunehmend Arbeitskräfte einstellen müssen, die im ersten Augenblick vielleicht gar nicht ins Unternehmen passen, die eingearbeitet werden müssen. Auch für die Menschen müssen diese Kosten zunehmend aufgewendet werden.Ich bin der Auffassung, daß man nicht nur die Lagebeschreibung des Gutachtens mit Befriedigung zur Kenntnis nehmen muß, sondern leider auch mit einigem Erstaunen einige Empfehlungen. Der Kollege Faltlhauser hat bereits über das Thema Quellensteuer gesprochen. Ich möchte vorher noch einen Punkt aufgreifen, nämlich die Empfehlung, daß die Arbeitnehmer an den gestiegenen Unternehmensgewinnen beteiligt werden sollten, und zwar während des Ablaufens der geltenden Tarifverträge. Ich halte das für eine sehr problematische Empfehlung. Ich glaube, das ist locker aus dem Elfenbeinturm heraus formuliert, bringt unsere Tarifpolitik aber durcheinander. Darüber hinaus widerspricht es auch den an anderer Stelle gemachten Ausführungen der Wissenschaftler, daß wir langfristige Tarifverträge brauchen.Zur Quellensteuer — der Kollege Faltlhauser kam schon darauf zu sprechen — möchte ich wegen einer Pressemeldung des heutigen Tages als Vorsitzender der Arbeitnehmergruppe meiner Fraktion noch einmal etwas sagen. Wer — wie auch ich — die Quellensteuer als ein Steuereinzugsverfahren — mehr war es nicht — wollte, muß durchaus zugeben, daß man sie jetzt abschaffen muß. Die deutsche Form der Quellensteuer geht nicht! Das ist eine klare Konsequenz aus der Tatsache, daß wir keine europäische Lösung finden können. Man muß auch zur Kenntnis nehmen, daß die Quellensteuer auf Grund der — ich sage es — unverantwortlichen Kampagne der Banken und unserer parteipolitischen Gegner
der Öffentlichkeit nicht mehr zu vermitteln ist. Daraus muß die Konsequenz gezogen werden.Ich will wegen dieser Pressemeldung ganz klar sagen: In der gestrigen Sitzung der Arbeitnehmergruppe — vor der Fraktionsentscheidung — wurde der von Finanzminister Dr. Waigel gemachte Vorschlag einmütig gebilligt. Auch wenn sich zur Zeitkeine europäische Lösung für eine Quellensteuer abzeichnet, muß ein neues Verfahren für die Kapitalertragsbesteuerung zurückgestellt werden, bis sich die Gemeinschaft auf ein einheitliches Verfahren geeinigt hat.Ich meine, der Umstand, daß wir in der Koalition das jetzt so klar entschieden haben, ist eine weitere Voraussetzung dafür, daß das nächste Gutachten der Wissenschaftler noch besser ausfällt als das jetzige.
Danke schön.
Meine Damen und Herren, die Aktuelle Stunde ist beendet.
Wir setzen die Beratungen mit Tagesordnungspunkt 2 fort:
Fragestunde
— Drucksache 11/4406 —
Ich rufe zunächst den Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes auf. Herr Staatsminister Dr. Stavenhagen steht zur Beantwortung der Fragen zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 1 des Abgeordneten Dr. Sperling auf:
Ist die Bundesregierung nunmehr in der Lage, darüber Auskunft zu geben, welche Bereiche die von Bundeskanzler Kohl angekündigte „Große" Kabinettsreform berühren wird?
Bitte schön, Herr Staatsminister.
Herr Präsident, wenn Sie erlauben, würde ich die Fragen 1 und 2 gern im Zusammenhang beantworten.
Der Abgeordnete ist einverstanden. Ich rufe also auch die Frage 2 des Abgeordneten Dr. Sperling auf:
Wann ist nunmehr mit dieser Kabinettsreform zu rechnen?
Dr. Stavenhagen, Staatsminister: Herr Kollege, der Bundeskanzler hat die Umbildung seines Kabinetts am 13. April 1989 vor der Bundespressekonferenz bekanntgegeben. Weitere Maßnahmen einer Kabinettsreform sind nicht geplant.
In einer Regierungserklärung wird der Bundeskanzler morgen die Aufgaben und Perspektiven der Regierungsarbeit erläutern.
Zusatzfrage, Herr
Dr. Sperling.
Herr Minister, wollen Sie ernsthaft behaupten, daß diese Kabinettsreform mit der vom Bundeskanzler 1987 angekündigten „großen" Kabinettsreform identisch sei?
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10260 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 139. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. April 1989
Dr. Stavenhagen, Staatsminister: Herr Kollege, es ist, wenn ich das richtig sehe, die umfassendste Regierungsumbildung
in der Mitte einer Legislaturperiode, die wir je beobachten konnten. In Ergänzung der sachlichen Inhalte und Perspektiven, die morgen erläutert werden, wird diese umfassende Regierungsumbildung ihre positive Wirkung auf die Öffentlichkeit nicht verfehlen.
Herr Dr. Sperling, zweite Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, ist denn die Größe dieser Kabinettsreform daran abzulesen, daß ein Minister bei seiner Reise nach Jerusalem seinen Stuhl verlor und durch den gerade an dem Quellensteuerproblem gescheiterten Finanzminister in seinem Amt ersetzt wurde?
Dr. Stavenhagen, Staatsminister: Herr Kollege, die Bedeutung der Regierungsumbildung ist daran abzulesen, welche Persönlichkeiten welch gewichtige Ressorts übernommen haben. Aber das brauche ich Ihnen hier nicht noch einmal vorzutragen. Das ist Ihnen bestens bekannt.
Sie haben eine weitere Zusatzfrage, Herr Dr. Sperling.
Ich würde weiter gern etwas über die Größe, die Bedeutung dieser Kabinettsreform erläutert bekommen, und zwar an dem Beispiel des Ministerwechsels vom Innenministerium zum Verkehrsministerium. Ist der gescheiterte Innenminister nun als Verkehrsminister wirklich so viel größer?
Dr. Stavenhagen, Staatsminister: Herr Kollege, Bundesinnenminister Dr. Schäuble hat vor wenigen Tagen sehr ausführlich die Leistungen und Verdienste des bisherigen Bundesinnenministers nicht nur im Bereich des Umweltschutzes, sondern auch etwa im Bereich des Bundesgrenzschutzes und in vielen anderen Bereichen seines Aufgabengebiets dargelegt. Er war ein außerordentlich erfolgreicher Innenminister.
Letzte Zusatzfrage, Herr Dr. Sperling.
Herr Staatsminister, müssen Sie auf der „Größe" dieser Kabinettsreform nicht schon deswegen bestehen, weil die Menge der Fehler, die jetzt revidiert werden müssen, die vorherige Bundesregierung in der Tat sehr klein aussehen lassen?
Dr. Stavenhagen, Staatsminister: Herr Kollege, wir werden morgen in der Regierungserklärung die Schwerpunkte der Regierungsarbeit für den Rest dieser Wahlperiode sehen. Sie werden dann feststellen,
daß wir in einigen wenigen, aber wichtigen Bereichen zu einer neuen Einschätzung gekommen sind. Ich glaube, diese neue Einschätzung wird ihre sehr positive Wirkung auf die Wähler nicht verfehlen.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Roth.
Herr Staatsminister, ist es so, daß alle Journalisten in der Bundesrepublik, die diesen Vorgang kommentiert haben, töricht sind? Ich stelle fest, daß beispielsweise selbst die doch der Union nahestehende „FAZ" erklärt hat, daß diese Regierungsumbildung auch vom personellen Angebot her unzureichend sei.
Dr. Stavenhagen, Staatsminister: Herr Kollege Roth, ich würde Ihnen nie in der Formulierung zustimmen, alle Journalisten seien töricht. Wenn man das Presseecho aufmerksam und in seiner Gänze übersieht, dann glaube ich, daß die Regierungsumbildung außerordentlich positiv gewürdigt worden ist.
Sie haben eine weitere Zusatzfrage, Herr Roth.
Verraten Sie mir die Zeitung, die Sie lesen? Denn ich habe die nicht abonniert.
Dr. Stavenhagen, Staatsminister: Herr Kollege, ich bin gern bereit, Ihnen eine kleine Presseauswahl dazu zur Verfügung zu stellen. Ich führe jetzt nicht das ganze Presseecho mit mir.
Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Blunck.
Herr Minister, können Sie mir helfen: Was hat mit Größe eigentlich die Umwidmung zu tun, die der Herr Finanzminister in den Herrn Verteidigungsminister erfahren hat?
Dr. Stavenhagen, Staatsminister: Frau Kollegin, ich kann Ihrer Frage nicht ganz folgen. Ich sprach von der umfassendsten Kabinettsumbildung, die wir gesehen haben. Ich kann deswegen den Zusammenhang oder den Inhalt Ihrer Frage nicht ganz verstehen.
Sie können noch eine Zusatzfrage stellen, wenn Sie wollen.
Ich versuche es noch einmal. Der Herr Finanzminister ist zu einem Verteidigungsminister umgewidmet worden. Was hat das, bitte, mit Größe und umfassendster Kabinettsreform zu tun?Dr. Stavenhagen, Staatsminister: Frau Kollegin, in diesem Zusammenhang ist es wichtig, daß der Bun-
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Staatsminister Dr. Stavenhagendesfinanzminister in vielen Jahren, auch als Ministerpräsident in Schleswig-Holstein,
bewiesen hat, daß er in vorzüglicher Weise geeignet ist, große Administrationen und große Apparate zu führen und ihnen auch die politischen Leitlinien, die die Leitlinien dieser Bundesregierung sind, zu vermitteln, damit sie dort in Politik und praktische Arbeit umgesetzt werden. Das wird er in ausgezeichneter Weise auf der Hardthöhe, im Verteidigungsministerium, tun.
Zusatzfrage des Abgeordneten Emmerlich.
Herr Staatsminister, habe ich Sie richtig verstanden, daß Ihre Aussagen zur Größe dieser Kabinettsumbildung möglicherweise damit zusammenhängen, daß das Presse- und Informationsamt einem Minister anvertraut ist und daß der Name dieses Ministers „Klein" ist?
Dr. Stavenhagen, Staatsminister: Herr Kollege, die Voraussetzung, eine oberste Bundesbehörde zu leiten, ist, daß man entweder Beamter, also ein Staatssekretär, oder ein Bundesminister ist. Eine andere rechtliche Möglichkeit gibt es nicht. Allein damit ist es zu erklären, welche rechtliche Lösung — Bundesminister für besondere Aufgaben und Chef des Bundespresseamts — hier gefunden worden ist.
Zusatzfrage des Abgeordneten Müntefering.
Schließen Sie aus, daß es, wenn der Kollege Sperling im Herbst dieses Jahres noch einmal nach der allergrößten Kabinettsreform aller Zeiten fragt, inzwischen nicht eine andere Kabinettsreform gegeben hat?
Dr. Stavenhagen, Staatsminister: Herr Kollege, dies schließe ich aus.
Wir sind damit am Ende dieses Geschäftsbereichs. Ich danke dem Staatsminister für die Beantwortung der Fragen.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers der Justiz auf. Der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Jahn steht uns zur Beantwortung der Fragen zur Verfügung.
Ich rufe Frage 3 des Abgeordneten Dr. Emmerlich auf:
Liegt Kindeshandel im Sinne der Übereinkunft zur Unterdrükkung des Frauen- und Kinderhandels vor, wenn jemand gegen ein Entgelt von 20 000 DM bis 30 000 DM einem Adoptionswilligen ein „Adoptionskind" aus einem Entwicklungsland verschafft und die Adoption dadurch erreicht werden soll, daß der Adoptionswillige wahrheitswidrig ein Vaterschaftsanerkenntnis abgibt?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident, ich würde gerne die beiden von Herrn Abgeordneten Dr. Emmerlich eingebrachten Fragen im Zusammenhang beantworten, wenn Herr Kollege Emmerlich einverstanden ist.
Herr Emmerlich ist einverstanden. Ich rufe Frage 4 des Herrn Abgeordneten Dr. Emmerlich auf:
Hält es die Bundesregierung für geboten, Kindeshandel einschließlich solcher Fälle unter Strafe zu stellen?
Dr. Jahn, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Emmerlich, der geltende § 181 des Strafgesetzbuches — Menschenhandel — entspricht den internationalen Verpflichtungen, die sich für die Bundesrepublik Deutschland aus dem Internationalen Abkommen zur Bekämpfung des Mädchenhandels vom 4. Mai 1910 und zur Unterdrückung des Frauen- und Kinderhandels vom 30. September 1921, beide in der Fassung vom 8. September 1972, ergeben. Danach haben die Vertragsparteien vereinbart, alle Maßnahmen zu treffen, um die Personen ausfindig zu machen und auch strafrechtlich zu verfolgen, die Handel mit Kindern — gleich welchen Geschlechts — zu Prostitutionszwecken oder sonstigen sexuellen Handlungen treiben.
Der in der Frage geschilderte Sachverhalt fällt mithin nicht unter die Übereinkunft. Eine völkerrechtliche Verpflichtung, den Sachverhalt unter Strafe zu stellen, besteht nicht.
Die in Ihrer Frage angesprochenen Praktiken erfüllen auch nicht den Tatbestand einer Bußgeldvorschrift nach dem derzeit geltenden Adoptionsvermittlungsgesetz, denn die Vermittlung des Kindes führt in diesen Fällen nicht zu dessen Adoption. Vielmehr erkennt der deutsche Auftraggeber des Vermittlers die Vaterschaft an dem ihm vermittelten ausländischen nichtehelichen Kind mit Zustimmung der Kindesmutter an. Anschließend beantragt der deutsche Scheinvater die Ehelicherklärung des Kindes.
Der dem Deutschen Bundestag zugeleitete Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Adoptionsvermittlungsgesetzes sieht eine Bußgelddrohung für Vermittlungsfälle vor, die zum Ziel haben, daß der Adoptionswillige wahrheitswidrig ein Vaterschaftsanerkenntnis abgibt. Damit werden auch die in Ihrer ersten Frage beschriebenen Praktiken als Ordnungswidrigkeit erfaßt.
Verstöße gegen das Adoptionsvermittlungsgesetz sind ebenso wie die in Ihrer ersten Frage beschriebenen Praktiken zur Umgehung des Adoptionsvermittlungsgesetzes mit Entschiedenheit zu verfolgen. Hierfür stellt das Ordnungswidrigkeitenrecht das Instrumentarium zur Verfügung. Einer Kriminalstrafdrohung zur Ahndung solcher Verstöße und Umgehungen bedarf es nach fachlicher Beurteilung nicht.
Zusatzfrage, Herr Dr. Emmerlich.
Herr Staatssekretär, bei Ordnungswidrigkeiten handelt es sich um Gesetzesverstöße, bei denen ein moralischer Vorwurf nicht erhoben wird und infolgedessen kriminelles Unrecht nicht vorliegt. Ich frage: Wenn jemand auf den Philippinen ein Kind für geringes Entgelt von seinen Eltern kauft und es hier für 20 000 bis 30 000 DM verkauft, liegt
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10262 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 139. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. April 1989
Dr. Emmerlichdann nicht ein in hohem Maße moralisch vorwerfbares Verhalten vor, und muß infolgedessen der Unrechtsgehalt dieses Verhaltens nicht durch die Strafbarkeit dieses Verhaltens zum Ausdruck gebracht werden, und zwar auch um abschreckende Wirkung in bezug auf die bereits so Tätigen und auf andere Personen zu erreichen?Dr. Jahn, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Emmerlich, ich verkenne den Unrechtsgehalt des von Ihnen dargelegten Tatbestandes in keiner Weise und darf darauf verweisen, daß die Bundesregierung ja tätig geworden ist und den von Ihnen genannten Fall in eine Novellierung des Adoptionsvermittlungsgesetzes einbezogen hat. Die Verstöße gegen das Adoptionsvermittlungsgesetz und auch die Umgehungstatbestände sind bisher nach bußgeldrechtlichen Kategorien geahndet worden. Umgehungstatbestände sind von der Systematik her grundsätzlich genauso wie die Grundtatbestände zu qualifizieren. Ausnahmen bestehen nur dort, wo qualifizierte Tatbestandsmerkmale hinzutreten. Die Vermittlung in Fällen einer wahrheitswidrigen Vaterschaftsanerkenntnis ist deshalb grundsätzlich genauso wie die illegale Adoptionsvermittlung zu werten.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Dr. Emmerlich.
Herr Staatssekretär, stimmen Sie mir für den von mir geschilderten Sachverhalt darin zu, daß hier keine Umgehung von Adoptionsvermittlungsregeln vorliegt, sondern daß hier in der Tat Kauf und Verkauf von Kindern stattfindet, und daß man, wenn man den betreffenden Herrschaften, die glauben, auf diese Weise ihr Geld verdienen zu können, bescheinigt, es handele sich um eine bloße Ordnungswidrigkeit ohne moralischen Vorwurf, sogar noch einen Persilschein gibt, eine Ermutigung zu versuchen, auf diese Weise weiter Geld zu verdienen.
Dr. Jahn, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Emmerlich, hier handelt es sich um Umgehungspraktiken eklatanter Art. Die Frage, ob Verstöße gegen das Adoptionsvermittlungsgesetz und die in Ihrer Frage angesprochenen Umgehungspraktiken Kriminalrecht oder Verwaltungsunrecht sein sollen, ist immer mehr in der aktuellen Diskussion. Ich würde den Vorschlag machen, daß wir diese sehr komplizierte, aber auch aktuelle Rechtsfrage bei der Beratung des Adoptionsvermittlungsgesetzes im Rechtsausschuß eingehend behandeln.
Weitere Zusatzfrage, Herr Dr. Emmerlich.
Herr Staatssekretär, ich sehe in Ihrer Antwort etwas grünes Licht und hoffe, daß wir das intensivieren können.
Ich möchte eine weitere Frage anschließen. Ist es bei derartigen Verstößen wie denen, von denen wir hier reden, zur Aufklärung und zur Ahndung nicht erforderlich, die Instrumentarien, die die Strafprozeßordnung bietet, zu nutzen, und reichen nicht die Mittel, die das Ordnungswidrigkeitenrecht zur Verfügung stellt, in diesen Fällen, insbesondere bei Auslandsbeteiligung, möglicherweise nicht oder nur sehr unzulänglich?
Dr. Jahn, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Emmerlich, ich nehme Bezug auf meine letzte Antwort: Auch diese Frage sollten wir in die parlamentarische Beratung mit einbeziehen.
Sie haben noch eine letzte Frage, Herr Dr. Emmerlich.
Herr Staatssekretär, halten Sie es für geboten, über unsere diplomatischen Möglichkeiten auf den Philippinen einerseits durch Informationen an die dortigen Behörden und Regierungsstellen auf diese Sachverhalte aufmerksam zu machen und andererseits die deutsche Botschaft darauf hinzuweisen mit dem Ziel, daß Ausreisevisen in Fällen, in denen ein gravierender Verdacht einer Beteiligung an Kindeshandel besteht, nicht erteilt werden?
Dr. Jahn, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Emmerlich, wir werden diese Frage mit dem Auswärtigen Amt erörtern. Die Aktualität Ihrer gesamten Fragestellung geht auch aus einer Veröffentlichung von Terre des Hommes, einige Wochen alt, hervor, wo es u. a. heißt:
Forderungen an die Regierung:... Zuwiderhandlungen gegen das Adoptionsvermittlungsgesetz, die bislang nach § 14 Adoptionsvermittlungsgesetz als Ordnungswidrigkeiten gelten . . ., sind in Strafrechtstatbestände umzuwandeln.
Auch diese Erklärung gibt Anlaß, hierauf eine Antwort zu finden.
Wir sind damit am Ende des Geschäftsbereichs des Bundesministers der Justiz. Ich danke dem Parlamentarischen Staatssekretär für die Beantwortung der Fragen.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten auf. Herr Parlamentarischer Staatssekretär Dr. von Geldern steht uns zur Beantwortung der Fragen zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 5 des Abgeordneten Eigen auf:
In welcher Weise hat die EG-Kommission den Auftrag des EG-Gipfels vom 12. Februar 1988 erfüllt, für mehr Verfütterung von EG-Getreide zu sorgen?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Herr Präsident, Herr Kollege Eigen, die Kommission der Europäischen Gemeinschaften hat den Prüfungsauftrag des Europäischen Rates vom 12. Februar 1988 erfüllt, indem sie schon mit den Preisvorschlägen für 1988/89 einen Vorschlag zur stärkeren Verwendung von Getreide in der Fütterung vorgelegt hat. Der Agrarrat konnte diesem Vorschlag jedoch nicht zustimmen. Er hat in dem Kompromiß zum Preispaket 1988/89 vereinbart, daß er über einen neu zu erarbeitenden Vorschlag abstimmen werde, der eine Prä-
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Parl. Staatssekretär Dr. von Geldernmienzahlung für den Mehreinsatz von Getreide bei der Futtermittelherstellung vorsehen.Über diesen neuen Vorschlag ist in den Sitzungen des Agrarrates im Dezember 1988 mit dem Ergebnis beraten worden, daß auch er von allen Mitgliedstaaten außer Frankreich abgelehnt und zur weiteren Beratung an den Sonderausschuß Landwirtschaft verwiesen wurde.
Herr Eigen, bitte schön, Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, sind Sie mit mir einer Meinung, daß man einen Auftrag auch dadurch erfüllen kann, daß man Vorschläge macht, die unakzeptabel sind? Vorschläge, die vernünftig sind und die der Kommission beispielsweise von Parlamentariern dieses Hauses mitgeteilt wurden, wurden von der Kommission nicht gemacht, wie z. B., Futtergetreide dadurch zu verbilligen, daß man die Mitverantwortungsabgabe für diesen Teilbereich des Getreides aussetzt. Empfinden Sie das, was die Kommission in dieser Frage bisher geleistet hat, tatsächlich als eine Erfüllung des Auftrags des Gipfels 1988?
Dr. von Geldern, Parl. Staatssekretär: Es wäre schon wünschenswert, wenn gleich der erste Vorschlag der Kommission im Agrarrat konsensfähig gewesen wäre. Wir mußten nun feststellen, daß das nicht der Fall ist. Aber ich habe auf den Fortgang der Beratungen im Sonderausschuß Landwirtschaft hingewiesen. Ich hoffe, daß dabei in absehbarer Zeit ein konsensfähiger und praktikabler Vorschlag vorgelegt werden kann.
Weitere Zusatzfrage, Herr Eigen.
Herr Staatssekretär, ist es nicht doch etwas merkwürdig, daß man bei den vier Bereichen, z. B. dem, der in meiner zweiten Frage vorkommt, oder der Flächenstillegungs- oder Substitutenfrage, so zögerlich handelt, während man bei dem ersten Punkt, nämlich Abzug von 3 % des Preises beim Getreide, die Bestimmung des Gipfels, ohne darüber nachzudenken, was mit den Bauern passiert, sofort exekutiert?
Dr. von Geldern, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Eigen, Sie sprechen die verschiedenen Teile der wichtigen agrarpolitischen Beschlüsse vom 12. Februar 1988 an. Es ist jetzt vielleicht nicht der richtige Ort und Zeitpunkt, das im einzelnen in einer längeren Stellungnahme zu würdigen. Aber ich denke, daß, was die Durchführung des Flächenstillegungsprogramms betrifft, tatsächlich Handlungsbedarf besteht, weniger bei der Kommission als bei den Mitgliedstaaten, und daß die Verhandlungsposition der Gemeinschaft in der GATT-Runde hinsichtlich der Substitutenbegrenzung eindeutig und bisher auch positiv entwickelt worden ist. Daß wir — darauf kommen wir gleich noch bei Ihrer nächsten Frage zu den nachwachsenden Rohstoffen — bei der Getreideverfütterung noch Handlungsbedarf sehen, darüber ist kein Zweifel.
Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Sperling.
Herr Staatssekretär, ist der Kommission und dem Agrarrat bewußt, daß die Mehrverfütterung von EG-Getreide möglicherweise zu Mehrergebnissen, was Fleisch und Milch angeht, führt und daß man dies vielleicht durch Zuführung von Abführmitteln bei der Fütterung des Viehs verhindern könnte?
Dr. von Geldern, Parl. Staatssekretär: Die Annahme in Ihrer Frage, Herr Kollege Sperling, ist falsch. Mehrverfütterung von Getreide heißt nicht Mehrproduktion von Milch oder Fleisch.
So interessant es sein könnte, dort fortzusetzen, aber Sie haben nur eine Zusatzfrage. Jetzt kommt Herr Klejdzinski zu einer Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, stimmen Sie mir vielleicht in der Auffassung zu, daß die in der Frage von Herrn Eigen tendierte Art und Weise, Überschüsse zu vermindern, sicherlich nicht die geeignete Art ist oder man sich andere Arten vorstellen könnte, die unter ökologischen Gesichtspunkten sinnvoller wären, beispielsweise weniger zu düngen, weniger Atrazin und alle diese Dinge zu spritzen, und man durchaus einmal fragen könnte, ob EG-Marktordnungen nicht auch endverbraucherorientiert angelegt sein müßten?
Dr. von Geldern, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Klejdzinski, die Verbraucher gehören dadurch, daß sie sich sehr günstig mit Nahrungsmitteln versorgen können, und zwar hochwertigen Nahrungsmitteln, zu den großen Gewinnern der gemeinsamen Agrarpolitik.
Im übrigen enthalten die Beschlüsse vom Februar 1988 zur Reform der Agrarpolitik, die damals einstimmig von allen zwölf Regierungschefs gefaßt worden sind, durchaus auch den Extensivierungsansatz, von dem Sie gesprochen haben. Ich denke, es ist gut, wenn diese Beschlüsse, so wie das der Kollege Eigen eben angesprochen hat, wirklich alle in die Tat umgesetzt werden.
Frau Blunck zu einer Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, wäre es, damit diese Beschlüsse umgesetzt werden, nicht ein Weg, national anzufangen und als erstes eine andere Agrarpolitik aufzulegen?Dr. von Geldern, Parl. Staatssekretär: Genau das wäre der falsche Weg, denn wir brauchen, um die Überschußprobleme abbauen zu können, eine gemeinsame Agrarpolitik, die z. B. das Flächenstillegungsprogramm in allen Mitgliedstaaten gemeinsam durchführt, die Substitutenfrage, die Frage der nachwachsenden Rohstoffe, die Frage der Extensivierung, der Flächenstillegung usw. löst. Dies alles muß EG-Politik sein, wenn es im gemeinsamen Binnenmarkt
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Parl. Staatssekretär Dr. von Geldernzum Erfolg führen soll. Da können wir keineswegs national vorgehen.
Jetzt kommt Frage 6 des Abgeordneten Eigen:
Was hat die EG-Kommission unternommen, um den Auftrag des EG-Gipfels zu erfüllen, die Verwendung von Agrarerzeugnissen als nachwachsende Rohstoffe verstärkt zu fördern?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Dr. von Geldern, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Eigen, anläßlich der Tagung der Agrarminister der EG am 19. und 20. Dezember 1988 hat die Bundesregierung die EG-Kommission an den Auftrag des Europäischen Rates erinnert, die Verwendung von landwirtschaftlichen Rohstoffen im Nichtnahrungsbereich zu verstärken und hierfür Vorschläge vorzulegen. In ihrer Antwort hat die Kommission mitgeteilt, daß sie an diesem schwierigen Problem arbeite. Es seien aber umfangreiche Vorarbeiten notwendig, um möglichst Vorschläge vorzulegen, die Aussicht auf Konsens hätten. Den Punkt hatten wir eben schon. Vizepräsident Andriessen hat damals um eine weitere Frist für den Bericht und entsprechende Vorschläge der Kommission gebeten. Diese, also Bericht und Vorschläge, sind nach Einschätzung der Bundesregierung in absehbarer Zeit nunmehr zu erwarten.
Herr Eigen, eine Zusatzfrage.
Wenn Mitteilungen aus Brüssel stimmen, daß in diesem Wirtschaftsjahr 1989 schon zwei Milliarden Ecu und im nächsten Jahr, 1990, 4,7 Milliarden Ecu — macht 9,8 Milliarden DM — an veranschlagten Mitteln für die europäische Agrarpolitik nicht verbraucht werden, kann man sich dann nicht vorstellen, daß von der Kommission schneller Vorschläge gemacht werden, wie Agrarprodukte als nachwachsende Rohstoffe tatsächlich und vor allen Dingen auch zur Ablösung von fossilen Energien verwandt werden, um die Lufthülle auf die Dauer für unsere Nachkommen sicherzustellen?
Dr. von Geldern, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Eigen, die Bundesregierung vertritt ganz nachdrücklich die Position, daß es aus vielen Gründen sinnvoll und richtig ist — dazu gehören auch ökologische Gründe — , agrarisch produzierte landwirtschaftliche Rohstoffe im industriellen Bereich stärker als bisher einzusetzen. Wir drängen die EG-Kommission, die Beschlüsse des Europäischen Rates vom Februar 1988 entsprechend umzusetzen. Dies ist eine wichtige Zielrichtung unserer Agrarpolitik.
Sie haben eine weitere Frage, Herr Eigen.
Herr Staatssekretär, hätte man von der Kommission nicht wenigstens erwarten können, daß sie ihren negativen Beschluß zu Bioäthanol revidiert, wenn sie schon nicht in der Lage ist, neue, bessere Vorschläge für den Einsatz von nachwachsenden Rohstoffen zu machen? Das hätte sie tun können, ohne daß sie lange Zeit braucht oder konstruktiv tätig sein muß.
Dr. von Geldern, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Eigen, da wir die Vorschläge der Kommission in Ausführung der Beschlüsse des Europäischen Rates, wie in meiner ursprünglichen Antwort auf Ihre Frage gesagt, noch nicht kennen, kann ich auch noch nicht dazu Stellung nehmen, ob dort möglicherweise eine neue Position zum Thema Bioäthanol von der Kommission eingenommen wird.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Kledjzinski.
Herr Staatssekretär, stimmen Sie mir zu, daß nachwachsende Rohstoffe ökonomisch vielleicht sinnvoll sein können, sicherlich unter ökologischen Gesichtspunkten nicht immer die wahre Lösung sind, zumal — wiederum unter ökonomischen Gesichtspunkten — von einer starken, intensiven Nutzung des Bodens ausgegangen werden muß und dabei der Boden, die Gesunderhaltung des Bodens letztlich doch leidet?
Dr. von Geldern, Parl. Staatssekretär: Ich stimme Ihrer Position, Herr Kollege Klejdzinski, nicht zu. Es ist sicherlich sinnvoller, wenn wir erneuerbare Ressourcen nutzen, statt daß wir z. B. fossile Brennstoffe im Sinne des Buchtitels „Ein Planet wird geplündert" ausplündern. Es ist sinnvoller, wenn wir hier nachwachsende Rohstoffe stärker und mehr als bisher nutzen.
In sehr vielen Fällen stellt dies auch für die Umwelt — Beispiel: Plastiktüten, die nicht mehr aus Mineralöl, sondern aus pflanzlicher Stärke hergestellt sind — einen riesigen Vorteil dar. Deswegen kann ich Ihnen nicht zustimmen, wenn Sie Bedenken hinsichtlich einer stärkeren Nutzung nachwachsender Rohstoffe im industriellen Bereich haben. Dies wird gerade ökologisch sehr sinnvoll sein.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Sperling.
Herr Staatssekretär, haben Sie ebenso wie ich Herrn Eigen richtig verstanden, daß im EG-Haushalt vorgesehenes Geld für Agrarpolitik auf jeden Fall ausgegeben werden muß und auf keinen Fall gespart werden darf? Es wird nicht ausgegeben, aber es soll ausgegeben werden, es darf also auf keinen Fall gespart werden.
Haben Sie die Forderung auch so verstanden?
Dr. von Geldern, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Sperling, ich habe den Kollegen Eigen eben so verstanden, daß er gemeint hat, es sei sinnvoll, die Reformbeschlüsse der Regierungschefs der Gemeinschaft zur Reform der Agrarpolitik in all ihren Teilen umzusetzen und finanzielle Möglichkeiten auch dafür zu nutzen, diese Reformansätze, die damals beschlossen worden sind, soweit sie noch nicht umgesetzt sind,
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Parl. Staatssekretär Dr. von Geldernnun auf den Weg zu bringen. Dazu gehört das Projekt der nachwachsenden Rohstoffe.
Eine Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Wollny.
Ist es möglich, in solche Pläne auch Überlegungen einzubeziehen, daß man eines Tages Flächen, die dermaßen vergiftet sind, daß sie zur Herstellung von Nahrungsmitteln nicht mehr geeignet sind, als Substitut nutzt?
Dr. von Geldern, Parl. Staatssekretär: Entschuldigung, ich habe das akustisch nicht verstanden.
Der letzte Teil Ihres Satzes war nicht verständlich.
Ich habe gesagt, daß man dann eine Ausweichmöglichkeit hat, Flächen zu nutzen, die so vergiftet sind, daß sie zur Herstellung von Nahrungsmitteln nicht mehr geeignet sind.
Dr. von Geldern, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin Wollny, ich weiß nicht, welche Flächen Sie in der Bundesrepublik Deutschland meinen, die landwirtschaftlich bearbeitet würden und zur Herstellung von Nahrungsmitteln nicht geeignet seien. Ich kann nur sagen, daß wir — das wurde auch in der Frage von Herrn Klejdzinski eben schon deutlich — von dem Gedanken, glaube ich, Abschied nehmen müssen, als würden wir eine grundsätzlich andere Produktion in die Wege leiten, wenn wir nachwachsende Rohstoffe nutzen wollen. Dieser Gedanke ist, glaube ich, falsch. Was wir in Wirklichkeit wollen, ist eine andere Verwendung von agrarischer Produktion. Während heute fast alles in den Nahrungs- und Futtermittelbereich geht, was wir in der Landwirtschaft produzieren, denken wir daran, daß wir morgen einen Teil der ganz herkömmlich produzierten landwirtschaftlichen Produkte im industriellen Sektor nutzen, also anders verwenden, nicht anders produzieren können.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten von Waldburg-Zeil.
Herr Staatssekretär, hat die Bundesregierung auf die Kommission eingewirkt, neben dem Äthanolprojekt bei der Verwendung nachwachsender Rohstoffe auch die Frage der Pflanzenöle zu prüfen, die ja bekanntlich mit dem Elsbett-Motor recht ordentliche Ergebnisse erzielt haben, sowohl im Hinblick auf Umweltfreundlichkeit als auch auf mögliche Lagerung?
Dr. von Geldern, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Graf Waldburg, wir haben im ständigen Kontakt mit der EG-Kommission alle möglichen Anregungen aus unserer Forschungsarbeit und Forschungstätigkeit gegeben. Wir werden auch nicht müde werden, wenn die Kommissionsvorschläge vorgelegt sein werden, dazu weitere Anregungen von uns aus zu vermitteln. Denn wir sind als Bundesernährungsministerium gemeinsam mit dem Bundesforschungsministerium seit Jahren dabei, alle Facetten des Ansatzes einer sinnvollen Nutzung nachwachsender Rohstoffe zu prüfen
und, soweit möglich, diese vorzuschlagen und zu nutzen.
Wir sind damit am Ende dieses Geschäftsbereichs. Ich danke dem Parlamentarischen Staatssekretär für die Beantwortung der Fragen.
Nicht aufzurufen brauche ich den Geschäftsbereich des Bundesministers für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit, weil die Fragen 7 und 8 des Abgeordneten Catenhusen schriftlich beantwortet werden sollen. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers des Auswärti gen. Herr Staatsminister Schäfer steht uns zur Beantwortung der Fragen zur Verfügung.
Die Fragen 9 und 10 des Abgeordneten Duve sollen schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Wir kommen zur Frage 11 des Abgeordneten Jäger:
Trifft es zu, daß ein Vertreter der SWAPO-Presseagentur in Luanda bei einem Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland erklärt hat, bei einer Zweidrittelmehrheit der SWAPO bei den bevorstehenden Wahlen in Namibia werde es in diesem Land einen Einparteienstaat und keine freien Wahlen mehr geben, und wie bewertet die Bundesregierung die Chancen des Friedens- und Freiheitsprozesses in Namibia angesichts einer Haltung der SWAPO, wie sie in derartigen Äußerungen sichtbar wird?
Bitte schön, Herr Staatsminister.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege, der Bundesregierung ist eine Pressemeldung über eine derartige Erklärung eines Mitarbeiters der „Namibian Press Agency" bekannt. Das Büro der SWAPO in der Bundesrepublik Deutschland bestreitet kategorisch, daß eine Erklärung derartigen Inhalts abgegeben wurde.
Die Bundesregierung geht davon aus, daß die von SWAPO-Präsident Nujoma bei seinem Besuch in der Bundesrepublik Deutschland abgegebene Erklärung die Haltung der SWAPO wiedergibt, wonach sie die Existenz anderer Parteien akzeptiert und die Wahlentscheidung des namibischen Volkes bei den Wahlen zur verfassunggebenden Versammlung im Herbst dieses Jahres respektieren wird.
Eine Zusatzfrage? — Bitte schön, Herr Jäger.
Herr Staatsminister, wie beurteilt die Bundesregierung die Glaubwürdigkeit derartiger Aussagen angesichts des ebenfalls abredewidrigen Einfalls von SWAPO-Streitkräften in Namibia gerade nach eben abgeschlossenem und in Kraft getretenem Waffenstillstand?Schäfer, Staatsminister: Herr Kollege, die Bundesregierung geht davon aus, daß das unbezweifelbare Eindringen von SWAPO-Verbänden nach Namibia, das im Widerspruch zu dem UN-Lösungsplan und zu den Waffenstillstandsvereinbarungen der Beteiligten steht, nicht dazu diente, Kriegshandlungen zu beginnen, sondern SWAPO-Ansprüche zu untermauern, Namibia mit militärischen Mitteln befreit zu haben
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10266 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 139. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. April 1989
Staatsminister Schäferund in der Zeit bis zur Unabhängigkeit Lager für SWAPO-Kämpfer in Namibia, die im Lösungsplan nicht vorgesehen sind, zu erhalten.Im übrigen darf ich Sie darauf hinweisen, daß die Berichte, die uns inzwischen über diese Ereignisse im Ovambo-Land vorliegen, keineswegs eindeutig lediglich die SWAPO, sondern auch südafrikanische Militärverbände bezichtigen, gegen bestehende Regeln sehr nachhaltig verstoßen zu haben.
Sie haben eine weitere Zusatzfrage; bitte schön, Herr Jäger.
Herr Staatsminister, ist es nicht so, daß dieses, wie Sie selber sagten, unbezweifelbare Verhalten von SWAPO-Verbänden haarscharf zu diesen Äußerungen des SWAPO-Presseagentur-Mannes paßt, daß diese Organisation offenkundig wenig bereit scheint, nach den bevorstehenden Wahlen die politische Macht anders als notfalls durch Waffengewalt im Lande zu behaupten?
Schäfer, Staatsminister: Herr Kollege Jäger, ich kann Ihre Auffassung nicht teilen, und das um so mehr nicht, als wir ja nicht nur Gespräche mit Herrn Nujoma geführt haben, sondern, wie Sie wissen, ein Gespräch zwischen dem südafrikanischen Botschafter Retief und Herrn Nujoma in Bonn vermittelten. Ich kenne den Inhalt dieses Gesprächs und den Inhalt eines weiteren Gespräches im selben Kreis. Ich kenne die Bemühungen von Sam Nujoma, mit weiteren südafrikanischen Regierungsstellen Gespräche zu führen, die deutlich machen, daß sich die SWAPO auch im Falle eines Wahlsieges durchaus ihrer Verantwortung bewußt ist und sogar ein nachbarliches Verhältnis — ich will nicht sagen: ein gutnachbarliches, aber ein nachbarliches Verhältnis — zu Südafrika sucht, so daß insofern für uns kein Zweifel besteht, daß die SWAPO sehr genau weiß, daß sie für den Fall eines Wahlsieges nicht in dem Sinne verfahren wird, wie Sie das befürchten.
Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Hirsch.
Herr Staatsminister, ist der Bundesregierung bekannt, daß südafrikanische Polizeieinheiten und andere Einheiten gegen SWAPO-Mitglieder im Ovambo-Land so vorgegangen sind, daß Vertreter der Vereinten Nationen dazu gesagt haben: Sie haben sie regelrecht abgeschlachtet, und sind Sie der Meinung, daß dieses Vorgehen der südafrikanischen Einheiten den notwendigen und von uns zu fördernden Friedensprozeß in Namibia gefördert hat?
Schäfer, Staatsminister: Das Vorgehen der südafrikanischen Streitkräfte ist nach dem, was uns bekanntgeworden ist, wozu viele Augenzeugenberichte und auch Berichte der Kirchen vorliegen, mit Sicherheit so zu umschreiben, wie Sie, Herr Kollege Hirsch, das gerade getan haben. Wir wissen aber inzwischen, daß vereinbart wurde, daß sich heute um 16 Uhr die südafrikanischen Verbände in ihre Lager zurückziehen, daß darüber hinaus die noch in Nordnamibia befindlichen SWAPO-Verbände die Weisung haben und sie auch befolgen, über die Grenze nach Angola zurückzugehen. Sie ziehen es vor, sich nach Angola zurückzubegeben, weil die Befürchtung besteht, daß, wenn sie in UNTAG-Lager gingen, weil auch dort südafrikanisches Militär noch anwesend ist, ähnliche Vorgänge nicht auszuschließen wären.
Zusatzfrage des Abgeordneten Reimann.
Herr Staatsminister, ist der Bundesregierung bekannt, daß es eine Bandaufnahme einer freien Mitarbeiterin des Hessischen Rundfunks gibt, aus der hervorgeht, daß die Frage so, wie sie hier formuliert ist, nicht gestellt ist?
Schäfer, Staatsminister: Herr Kollege Reimann, ich bin nicht über die Bandaufnahme der Mitarbeiterin des Hessischen Rundfunks informiert. Ich kann nur sagen: Für uns ist nicht maßgeblich, was irgendein Mensch, irgendein Pressevertreter irgendwann sagt. Ihr Umgang mit der Presse macht auch deutlich, daß wir alle schon in Erfahrung haben, daß nicht jede Presseäußerung ernst zu nehmen ist. Entscheidend ist vielmehr das, was Herr Nujoma hier in Bonn in den Gesprächen mit der Regierung und auch in Gesprächen mit südafrikanischen hohen Regierungsstellen klargestellt hat, nämlich daß die SWAPO daran interessiert ist, daß der Friedensprozeß für alle Teile friedlich beendet werden kann, daß es freie Wahlen gibt, und daß sich die SWAPO an die vereinbarten Regeln halten wird. Das ist, glaube ich, die entscheidende Aussage des Präsidenten der SWAPO. Ich glaube, es ist irrelevant, nun alle möglichen Äußerungen oder Gegenäußerungen heranzuziehen, die da oder dort auf Band gemacht worden sind.
— Ich teile Ihre Meinung.
Zusatzfrage des Abgeordneten von Waldburg-Zeil.
Herr Staatsminister, sind Sie mit mir der Ansicht, daß die schwierige Lage einerseits dadurch entstanden ist, daß die UNTAG leider noch nicht an der Grenze vorhanden war, als der Unabhängigkeitsprozeß begann, daß zum anderen solche Schwierigkeiten natürlich aus wechselseitigen Ängsten zwischen verschiedenen Parteien hervorgehen und daß unsere Aufgabe um so dringlicher ist, zu versuchen, diese Ängste abzubauen und mit dazu beizutragen, daß ein demokratisches Staatswesen entsteht?Schäfer, Staatsminister: Herr Kollege, ich teile Ihre Meinung. Wir alle in diesem Hause haben in der Bundestagsdebatte zu Namibia genau das getan, nämlich versucht, Ängste abzubauen, die es dort gibt, um dafür zu sorgen, daß trotz der leider eingetretenen Störung, die inzwischen aber beseitigt zu sein scheint, der Friedensprozeß in Namibia so abläuft, daß die Bevölkerung Namibias bald ihre Unabhängigkeit erhalten wird und daß es zu Wahlen kommt. Wir werden natürlich sehr genau beobachten, wie sich die einzel-
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 139. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. April 1989 10267
Staatsminister Schäfernen Parteien im Wahlkampf untereinander verhalten werden.
Ich rufe die Frage 12 des Abgeordneten Pauli auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung den Sachverhalt, daß Sendungen von ARD und ZDF in immer größerem Umfang nach Südafrika verkauft werden, während angelsächsische Fernsehprogramm-Produzenten die Geschäftsbeziehungen zu dem Apartheid-Staat aus politischen Gründen drosseln, und ist die Bundesregierung bereit, in Gesprächen mit Verantwortlichen dieser Fernsehanstalten aus außenpolitischen Gründen auf eine Einschränkung solcher Verkäufe hinzuwirken?
Bitte schön, Herr Staatsminister.
Schäfer, Staatsminister: Herr Kollege, die Bundesregierung lehnt es ab, den Verkauf von Fernsehsendungen zu beschränken. Dies ist ein Teil des von ihr gewünschten und gewollten ungehinderten Austauschs von Meinungen und Informationen. Die Bundesregierung sieht daher keinen Anlaß, auf die Verantwortlichen bei der ARD und dem ZDF im Sinne einer Beschränkung des Austauschs oder Verkaufs von Programmen einzuwirken.
Es liegt in unserem Interesse, daß Sendungen und Produktionen der deutschen öffentlichen Fernsehanstalten, die die pluralistische, freiheitlich-demokratische Meinungsvielfalt widerspiegeln, gerade auch in Ländern wie Südafrika Verbreitung finden. Im übrigen hat die Bundesregierung auf Grund der verfassungs- und medienrechtlich vorgeschriebenen Autonomie der Anstalten keine Möglichkeiten, auf den Verkauf von Produktionen Einfluß zu nehmen.
Möchten Sie eine Zusatzfrage stellen, Herr Pauli? — Bitte schön!
Herr Staatsminister, ist sich die Bundesregierung darüber im klaren oder stimmt sie mir zu, daß die südafrikanische Politik der Restriktionen, Zensur und Repressionen gegenüber den Medien durch den Verkauf von Fernsehproduktionen aus der heilen Welt nicht nur gestützt, sondern sogar gestärkt wird?
Schäfer, Staatsminister: Herr Kollege, ich glaube, daß diejenigen, die die verkauften Sendungen in Südafrika sehen werden — es handelt sich dabei wohl vor allem um die „Schwarzwaldklinik" — , durchaus in der Lage sein werden, daraus keine falschen Schlüsse zu ziehen, sondern zu erkennen, daß es sich hier um eine Produktion aus einer möglicherweise heilen Welt handelt. Das wird aber sicherlich kein Anreiz sein, in Südafrika ähnlich zu leben. Ich glaube, man wird sich der Unterschiede schon bewußt sein. Im übrigen, Herr Kollege, darf ich darauf hinweisen, daß seit vielen Jahren in allen möglichen Ländern zu unserer großen Überraschung alle möglichen Sendungen — wie z. B. „Spiel ohne Grenzen" — von der Bevölkerung mit großem Interesse gesehen werden, obwohl wir den Eindruck haben, daß sie von diesem Kulturkreis wirklich kaum verstanden werden können.
Haben Sie eine weitere Zusatzfrage? — Bitte schön.
Herr Staatsminister, ist der Bundesregierung bekannt, daß im Gegensatz zu den Fernsehfolgen von „Derrick", „Der Landarzt" oder — wie Sie eben sagten — der „Schwarzwaldklinik" der Verkauf der Personenbeschreibung des südafrikanischen Schriftstellers und Regimekritikers Breitenbach daran gescheitert ist, daß die südafrikanische Rundfunkanstalt nur Ausschnitte aus dieser Dokumentation senden wollte?
Schäfer, Staatsminister: Herr Kollege, das ist mir nicht bekannt, aber ich bedaure diesen Vorgang. Das ist typisch für das Verhalten der südafrikanischen Regierung. Es lag sicherlich nicht an den Sendeanstalten, daß diese Sendung dort nicht so gesendet werden konnte, wie wir das natürlich für notwendig halten.
Im übrigen Herr Kollege, sollten solche Beschwernisse vielleicht auch von den zuständigen Medienvertretern in den Rundfunkräten angesprochen werden — soweit ich weiß, sind auch die Parteien in diesen Rundfunkräten vertreten — , die dort die Möglichkeit haben, auf Verkaufspraktiken oder Kürzungen von Sendungen Einfluß zu nehmen. Die Bundesregierung kann es nicht.
Wir sind damit am Ende dieses Geschäftsbereichs, weil die Frage 13 des Abg. Dr. Mechtersheimer schriftlich beantwortet werden soll. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt. — Ich danke dem Herrn Staatsminister.
Ich komme zum Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern. Herr Staatssekretär Kroppenstedt steht zur Beantwortung der Fragen zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 14 des Abgeordneten Dr. Hirsch auf:
Was hat der Bundesminister des Innern seit seiner Mitteilung vom 31. Januar 1989, er habe die Darstellung der katastrophalen räumlichen und hygienischen Verhältnisse in den Flüchtlingslagern im bayerischen Regierungsbezirk Oberpfalz, insbesondere in Kemnath, Weiden, Wernberg und Regensburg, dem bayerischen Staatsministerium des Innern zugeleitet, zur Besserung dieser unhaltbaren Zustände unternommen?
Bitte schön, Herr Kroppenstedt.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wie die Bundesregierung schon in der Fragestunde am 9. November 1988 zum gleichen Thema mitgeteilt hat, ist die Unterbringung der Asylbewerber Angelegenheit der Bundesländer. Die Bundesregierung kann deshalb bei dem Sachverhalt, auf den sich die Frage bezieht, zunächst nicht mehr tun, als die Landesregierung um Stellungnahme zu bitten. Dies ist, wie in der Fragestunde am 9. November 1988 mitgeteilt worden ist, auch geschehen.Darüber hinaus hat die Bundesregierung in der gleichen Fragestunde den wesentlichen Inhalt der Stellungnahme der bayerischen Landesregierung vorgetragen. Da sich aus dieser Stellungnahme keine Anhaltspunkte dafür ergeben, daß im Zusammenhang mit der Unterbringung von Asylbewerbern in den in der Frage genannten Gemeinschaftsunterkünften Rechtsverstöße ergeben haben, insbesondere durch behördliche Maßnahmen die Menschenwürde nicht tangiert ist, hat der Bundesminister des Innern keine rechtliche Möglichkeit und keine Veranlassung, in dieser Angelegenheit weiter tätig zu werden.
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10268 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 139. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. April 1989
Eine Zusatzfrage, Herr Dr. Hirsch.
Herr Staatssekretär, damit wir uns erst einmal klar darüber werden, ob wir von denselben Vorgängen sprechen, frage ich Sie: Ist Ihnen bewußt, daß hier von karitativen und anderen Organisationen Vorhalte dergestalt gemacht worden sind, daß sich z. B. in einem Lager in Regensburg eine zehnköpfige Familie einen 32 qm großen Raum teilen mußte oder daß in einem anderen Sammellager für 40 Personen zwei Toiletten und zwei Duschen zur Verfügung stehen, daß in einem anderen Lager für 55 Personen eine Waschmaschine zur Verfügung steht, daß sich in einem anderen Lager fünf Flüchtlinge, die nicht miteinander verwandt sind, einen Spind teilen müssen? Ist Ihnen bei Ihrer Antwort bewußt gewesen, daß wir über solche Sachvorgänge sprechen?
Kroppenstedt, Staatssekretär: Ich glaube, Sie beziehen sich auf den Bericht vom Terre des Hommes, in dem solche Beispiele enthalten sind. Es ist richtig, daß Wohnung und sonstiger Lebensunterhalt zwar sehr knapp bemessen sind. Aber hierin, allein in den dargelegten Beispielen, ohne die übrigen Rahmenbedingungen zu sehen, eine Verletzung der Menschenwürde feststellen zu können, ist, glaube ich, nicht gerechtfertigt. Wir haben diese Unterlagen der bayerischen Landesregierung zugesandt und haben die bayerische Landesregierung gebeten, Ihnen unmittelbar darauf zu antworten.
Weitere Zusatzfrage, Herr Dr. Hirsch.
Herr Staatssekretär, erst noch einmal zum Sachverhalt: Ist Ihnen bewußt, daß nach diesen Angaben pro Person weniger Raum zur Verfügung steht, als nach den deutschen Rechtsvorschriften für einen Hund zur Verfügung stehen muß?
Kroppenstedt, Staatssekretär: Ich glaube, Herr Abgeordneter, daß dieses Beispiel keinen Vergleich ermöglicht. Dazu sind die Sachverhalte viel zu unterschiedlich. Die Aussiedler, die diesen geringen Wohnraum haben, haben natürlich die Möglichkeit, sich frei zu bewegen, können in Gesellschaftsräume, können außerhalb des Hauses gehen, während sich das bei einem Hund auf den Sachverhalt bezieht, daß er sich eben nur im Zwinger bewegen kann.
Ich rufe Frage 15 des Abgeordneten Dr. Hirsch auf:
Wird der Bundesminister des Innern seiner Meinung nach seiner humanitären und christlichen Verantwortung und seiner verfassungsmäßigen Pflicht zur Wahrung der Menschenwürde dadurch gerecht, daß er es dabei bewenden läßt, sich auf seine Zuständigkeit zu berufen?
Kroppenstedt, Staatssekretär: Die Beantwortung dieser Frage ergibt sich eigentlich aus der Antwort auf die vorhergehende Frage. Die Zuständigkeitsregelungen in unserer Verfassung haben ihren guten Grund und geben der Bundesregierung keinen weitergehenden Spielraum.
Im übrigen muß ich aber darauf hinweisen, daß allen Betroffenen und sonst Interessierten die Möglichkeiten, die unser Rechtsstaat bietet, insgesamt zur
Verfügung stehen: der Rechtsweg, parlamentarische Möglichkeiten. Im übrigen hat der UNHCR die Möglichkeit, die Lager zu besuchen. Davon hat er Gebrauch gemacht. Auf all diesen denkbaren Wegen sind entsprechende Vorwürfe bisher nicht erhoben worden.
Zusatzfrage, Herr
Dr. Hirsch.
Herr Staatssekretär, ich muß einräumen, daß mich Ihr Hinweis auf die parlamentarischen Möglichkeiten angesichts meiner Bemühungen seit dem 9. November vergangenen Jahres, in dieser Sache Fortschritte zu erzielen, geradezu erheitert. Ich möchte Sie nun noch einmal fragen, ob Sie der Auffassung sind, daß es sich hier um einen ordnungsgemäßen Vollzug eines Bundesgesetzes durch ein Land handelt.
Kroppenstedt, Staatssekretär: Sie wissen, Art. 83 und 84 geben dem Bund nur beschränkte Möglichkeiten im Wege der Rechtsaufsicht. Sie wissen, daß in der Verfassungspraxis der Bundesrepublik von diesen Möglichkeiten bisher so gut wie kein Gebrauch gemacht worden ist. Wenn Sie die hier in Rede stehenden Sachverhalte betrachten, ist das, wie ich glaube, kein Anlaß, der der Bundesregierung die Möglichkeit gibt, im Wege der Rechtsaufsicht einzuschreiten.
Zusatzfrage, Herr
Dr. Hirsch.
Herr Staatssekretär, wenn Sie sagen, daß die Bundesregierung nicht zuständig ist und darum in dieser Sache nicht tätig werden kann, kann ich daraus schließen, daß die Bundesregierung in Zukunft z. B. über polizeiliche Vorgänge in einzelnen Bundesländern, wo die Länder sogar eigenes Recht ausüben, nicht einmal Bundesrecht, sich irgendeiner Meinungsäußerung enthalten wird?
Kroppenstedt, Staatssekretär: Die politische Meinungsäußerung zu gewissen Problemen und die Anwendung der Vorschriften der Rechtsaufsicht nach Art. 83 und 84 sind unterschiedliche Sachverhalte.
Frau Blunck, bitte schön, Zusatzfrage.
Ich möchte Sie nach Ihrer Meinung dazu fragen, nicht nach der Anwendung des Rechts, sondern nach Ihrer Meinung. Ich nehme die Frage des Herrn Kollegen Hirsch auf und frage Sie nach der Meinung.
Kroppenstedt, Staatssekretär: Ich habe eben schon gesagt, ich bin der Auffassung, daß Wohnung und sonstiger Lebensunterhalt außerordentlich knapp bemessen sind, daß aber eine Verletzung der Menschenwürde nicht vorliegt.
Wir sind am Ende dieses Geschäftsbereichs, da Frage 16 des Abgeordneten
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 139. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. April 1989 10269
Vizepräsident WestphalKirschner zurückgezogen wurde. Ich danke dem Staatssekretär für die Beantwortung der Fragen.Den Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft brauche ich nicht aufzurufen, weil alle Fragen — nämlich die Fragen 17 und 18 des Abgeordneten Müller , die Fragen 19 und 20 des Abgeordneten Gansel und die Frage 21 des Abgeordneten Dr. Mechtersheimer — schriftlich beantwortet werden sollen. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.Ich komme zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung. Parlamentarischer Staatssekretär Vogt steht zur Beantwortung der Fragen zur Verfügung.Die Fragen 22 und 23 des Abgeordneten Dr. Hitschler sollen schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt.Frage 24 des Abgeordneten Heyenn. — Er ist nicht im Raum. Die Frage wird entsprechend der Geschäftsordnung behandelt.Das gilt auch für Frage 25 des Abgeordneten Kirschner.Haben die Sitzung im Ausschuß?
— Dann wird man ein gewisses Verständnis haben müssen, aber wir haben das nach der Geschäftsordnung abzuhandeln.Ich komme zu Frage 26 des Abgeordneten Reimann:Wie viele Fälle sind der Bundesregierung bekannt, in denen Schwerbehinderte, die nur auf Zeit ihre Behinderung anerkannt bekommen haben, mit dem Ablauf der Anerkennung ab dem 60. Lebensjahr nicht verrentet werden konnten und somit trotz angegriffener Gesundheit bis zum 63. oder 65. Lebensjahr weiterarbeiten mußten?Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Herr Kollege, die von Ihnen gewünschten Zahlen stehen der Bundesregierung nicht zur Verfügung. Es ist nämlich davon auszugehen, daß Versicherte, die die Voraussetzungen für eine Anerkennung als Schwerbehinderter nicht mehr erfüllen, gar nicht erst eine vorzeitige Altersrente ab dem 60. Lebensjahr beantragen, für die die Schwerbehinderteneigenschaft eine Anspruchsvoraussetzung ist. Daraus ergibt sich, daß ein aussagekräftiges Zahlenmaterial zu dem von Ihnen angesprochenen Komplex nicht zur Verfügung stehen kann.
Eine Zusatzfrage, Herr Reimann.
Herr Staatssekretär, es ist einleuchtend, daß es schwer ist, eine Statistik aufzustellen, wenn das nicht geltend gemacht wird. Aber wäre es nicht vertretbar, Versicherten, deren Status als Behinderter für eine bestimmte Zeit anerkannt war und die dann in ein Alter von 57, 58, 59 Jahren kommen, nicht mehr zuzumuten, um eine neue Anerkennung als Behinderter zu kämpfen? Denn Sie wissen ja, daß mit diesem Status auch erhebliche Rechte oder Rechtsansprüche verbunden sind. Wäre die Bundesregierung
bereit, eine entsprechende Regelung zu finden, wenn wir solche Fälle vorlegen würden?
Vogt, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, wenn Sie mir solche Fälle aktenkundig machen, können wir sicherlich über den Einzelfall reden. Nur, Sie haben auch Verständnis dafür, daß ich die Antwort so geben mußte, wie ich sie gegeben habe.
Sie haben eine weitere Zusatzfrage, Herr Reimann.
Herr Staatssekretär, unter den Menschen, die behindert sind — aus welchen Gründen auch immer; teilweise durch ihre schwere berufliche Arbeit — , sind ja auch noch solche, die zusätzlich von der Arbeitslosigkeit betroffen sind. Gerade in diesem Bereich gibt es viele Langzeitarbeitslose. Könnte man denen nicht die Prozedur ersparen, diese Antragstellung noch einmal vorzunehmen — damit sie keine Rechtsnachteile haben — , und generell bestimmen, daß das für solche Leute gilt?
Vogt, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich darf auf diese Zusatzfrage, die Sie stellen, antworten, indem ich die Antwort verlese, die ich Ihnen auf Ihre zweite Frage geben wollte.
Dann rufe ich auch die Frage 27 des Abgeordneten Reimann auf:
Ist die Bundesregierung bereit, eine Regelung herbeizuführen, die es für die obengenannte Schwerbehindertengruppe erlaubt, nach dem 55. Lebensjahr auch ohne neue ärztliche Anerkennung ihrer Behinderung ab dem 60. Lebensjahr in Rente zu gehen?
Vogt, Parl. Staatssekretär: Ihr Vorschlag, den Sie in Frage 27 machen, zielt darauf ab, daß die einmal festgestellte Schwerbehinderteneigenschaft für den Bezug einer vorzeitigen Altersrente auch dann noch maßgeblich sein soll, wenn die Voraussetzungen für eine Anerkennung als Schwerbehinderter nicht mehr gegeben sind. Das würde für die insoweit vergleichbare Feststellung der Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit bedeuten, daß die einmalige Feststellung zum dauernden Rentenbezug berechtigen würde. Damit würden Sozialleistungen ohne den Grund geleistet, der im Gesetz verankert ist. Das ist nicht vertretbar. Das wäre nur möglich, wenn das Gesetz geändert wird.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Reimann.
Es ist richtig, daß man das vielleicht altersbezogen koppeln muß. Ich könnte mir vorstellen, daß das nicht gelten müßte, wenn ein jüngerer Mensch, etwa zwischen 30 und 35 Jahren, vorübergehend behindert ist und den Status als Behinderter erfreulicherweise wieder verliert, weil sich sein Gesundheitszustand gebessert hat. Aber ist es richtig, einem älteren Menschen — ab dem 55. Lebensjahr — diese Prozedur noch einmal zuzumuten, d. h. durch alle ärztlichen Instanzen, Untersuchungen und Feststellungsverfahren zu gehen, um diesen Status zu erhalten?
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10270 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 139. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. April 1989
Vogt, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, auf Grund der Gesetzeslage kann ich Ihnen keine andere Antwort als die geben, die ich Ihnen vorhin gegeben habe. Wenn Ihrem Anliegen Rechnung getragen werden soll, wäre dazu ein Gesetzentwurf erforderlich.
Richtig. Das hatte ich auch in meiner Frage 27 gefragt: Ob die Bundesregierung bereit ist, eine entsprechende Regelung herbeizuführen. Sind Sie bereit, das zu machen?
Vogt, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Reimann, Sie wissen, daß in dem Rentenreform-Gesetzentwurf, der ja im Einvernehmen zwischen den Fraktionen CDU/CSU, FDP und SPD erarbeitet worden ist und zu dem jetzt eine öffentliche Anhörung durchgeführt wird, ein entsprechender Vorschlag nicht enthalten ist.
Sie haben noch eine weitere Frage, aber Sie müssen nicht fragen.
Nein; ich stelle das fest und nehme das gerne zur Kenntnis, Herr Präsident. Ich werde in meiner Fraktion für eine Initiative werben, eine Gesetzesvorlage einzubringen.
Ich spreche das Fragezeichen, das dort fehlte, hinterher.
Frau Götte möchte ein Zusatzfrage stellen.
Herr Staatssekretär, wie schätzen Sie bei einem Menschen, der bis zum 55. Lebensjahr als schwerbehindert galt, und dessen Gesundheitszustand sich nun gebessert haben soll, die Chancen ein, zwischen 55 und 60 Jahren noch eine Arbeit zu finden?
Vogt, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, Sie führen hier einen zwar denkbaren Fall an, aber einen Fall, den ich nicht als einen Normalfall ansehen würde, nämlich daß jemand bis zu seinem 55. Lebensjahr schwerbehindert ist und daß ihm dann in dieser späten Lebensphase die Schwerbehinderteneigenschaft abgesprochen wird.
Ich habe den Fall in meiner Sprechstunde.
Vogt, Parl. Staatssekretär: Gut, dann nehme ich zur Kenntnis, daß es auch einen solchen Fall geben kann. Nur können meine Antworten nicht anders lauten als die, die ich auf die Fragen des Kollegen Reimann gegeben habe.
Dann rufe ich die Frage 28 des Abgeordneten Kastning auf:
Hält die Bundesregierung es für zumutbar, daß nach dem Gesundheits-Reformgesetz die Bewohner in Alten- und Pflegeeinrichtungen sogenannte Bagatell-Arzneimittel von ihrem knapp bemessenen Taschengeld selbst bezahlen müssen, obwohl solche Arzneien — wie etwa Abführmittel — z. B. für Schwerbehinderte lebensnotwendig sein können?
Vogt, Parl. Staatssekretär: Die in § 34 Abs. 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch aufgeführten sogenannten Bagatellarzneimittel sind nur bei Verordnung in den genannten Anwendungsgebieten von der Arzneimittelversorgung ausgeschlossen, also bei Erkältungskrankheiten, grippalen Infekten und Reisekrankheit. Die Versorgung sowohl der Heimbewohner als auch der übrigen Versicherten mit lebensnotwendigen Arzneimitteln wird durch diese Vorschrift nicht eingeschränkt.
Das gilt auch bei der Verordnung von Abführmitteln. Für diese Mittel ist ein Anwendungsgebiet im Gesetz zwar nicht ausdrücklich genannt; wie aus dem Zusammenhang von § 34 Abs. 1 mit Abs. 2 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch hervorgeht, sollen jedoch nur die Arzneimittel ausgeschlossen werden, die „ihrer Zweckbestimmung nach üblicherweise bei geringfügigen Gesundheitsstörungen" verordnet werden. Auch Abführmittel sind im Regelfall diesen Arzneimitteln zuzuordnen.
Es gibt aber Anwendungsgebiete, bei denen Abführmittel lebensnotwendig sind — etwa postoperative Zustände, schwere Erkrankung des Darms, Querschnittslähmung —, weil die bestehende schwere Grunderkrankung ihren Einsatz verlangt. In diesen Fällen sind nach unserer Auffassung Abführmittel von der Arzneimittelversorgung nicht auszuschließen.
Die Spitzenverbände der gesetzlichen Krankenversicherung und die zuständigen Aufsichtsbehörden der Krankenkassen teilen diese Auffassung. Es ist deshalb davon auszugehen, daß die Kassen bei ihren Entscheidungen im Einzelfall diese Auffassung berücksichtigen. Damit ist sichergestellt, daß nach § 34 Abs. 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch nur Arzneimittel von geringer medizinischer Bedeutung ausgeschlossen werden. Bei diesen Mitteln hält die Bundesregierung eine Eigenversorge aller Versicherten für zumutbar. Sie beabsichtigt daher nicht, eine differenzierte Finanzierungsregelung für diese Mittel einzuführen.
Zusatzfrage, Herr Kastning.
Herr Staatssekretär, da Sie inzwischen beide Fragen beantwortet haben — und beide unbefriedigend — , habe ich natürlich ein paar Zusatzfragen.
Ich möchte Sie fragen: Welche Rechtswirksamkeit hat die Aussage: „nach unserer Auffassung"?
Vogt, Parl. Staatssekretär: „Nach unserer Auffassung" — es ist die Auffassung, die von den Spitzenverbänden der gesetzlichen Krankenversicherung und auch von den zuständigen Aufsichtsbehörden geteilt wird — bedeutet, daß die Krankenkassen so verfahren, wie ich es hier dargestellt habe.
Weitere Zusatzfrage, Herr Kastning.
Bedeutet es, daß, wenn nach dieser Auffassung verfahren wird, das mit dem Buchstaben des Gesetzes vereinbar ist und auch vor Gericht standhalten würde?Vogt, Parl. Staatssekretär: Ich gehe davon aus.
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 139. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. April 1989 10271
Parl. Staatssekretär Vogt— Herr Kollege, Sie wissen, daß vor Gericht und auf hoher See jeder in Gottes Hand liegt. Ich kann einem Sozialgerichtsurteil nicht vorgreifen. Bisher ist nach meinem Wissen nicht geklagt worden. Ich gehe davon aus, daß diese Bestimmung Bestand haben wird.
Ich muß zunächst fragen: Hatten Sie die Absicht, zu der Frage 29:
Beabsichtigt die Bundesregierung, kurzfristig für den Bereich der Bagatell-Arzneimittel eine differenzierte Finanzierungsregelung einzuführen, wenn ja, wann und in welcher Form?
eine gesonderte Antwort zu geben?
Vogt, Parl. Staatssekretär: Herr Präsident, ich bitte um Nachsicht. Ich hatte beide Fragen gemeinsam beantwortet. Der Herr Kollege hat das auch so verstanden.
Trotzdem wollte ich mich vergewissern. Dann hat Herr Kastning zwei weitere Zusatzfragen. Bitte schön, Herr Kastning.
Davon ausgehend, daß die Bundesregierung sehr wohl weiß, welche Folgen durch die Gesundheitsreform in diesem Bereich für bestimmte Einkommensgruppen und Heimbewohner eingetreten sind oder eintreten werden, frage ich Sie, ob Sie wissen, daß bei Übernahme der Kosten für Bagatellarzneimittel den Taschengeldempfängern ein ganz erheblicher — ich glaube, es geht bis zu 20 % — Anteil ihres Taschengeldes entzogen wird, wenn sie solche Mittel brauchen.
Vogt, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, wenn solche Bagatellarzneimittel aus dem Charakter der Erkrankung medizinisch notwendig sind, werden sie verschrieben. Das habe ich in meiner Antwort ausgedrückt. Im übrigen ist die Bundesregierung der Meinung, daß Bagatellarzneimittel im Sinne des § 34 Abs. 1 des Sozialgesetzbuches von den Versicherten selbst getragen werden sollen.
Letzte Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, wie erklären Sie sich — nachdem Sie Ihre Auffassung mehrfach betont haben — , daß eine zuständige Behörde im Lande Niedersachsen mehrere Heime für Schwerstpflegebedürftige — d. h. Dauerrollstuhlfahrer oder auf Dauer bettlägerige Personen — anweist, denen in Zukunft bei der Anwendung von Abführmitteln einen bestimmten Anteil des Taschengeldes abzuziehen?
Vogt, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, wenn Sie mir ganz konkret die Fälle und die Institutionen nennen, bin ich gern bereit, dieser Frage nachzugehen.
— Darum bitte ich sehr.
Frau Weyel, Sie wollten hierzu eine Zusatzfrage stellen? — Bitte schön.
Halten Sie es für gegeben, daß solchen Heimbewohnern das Taschengeld noch in der angegebenen Höhe zur Verfügung steht, wenn in Wirklichkeit ein hoher Anteil davon für solche sogenannten Bagatellarzneimittel bereits vorweg abgezogen wird?
Vogt, Parl. Staatssekretär: Ich bin, wie ich gesagt habe, gern bereit, den Fällen nachzugehen, von denen der Kollege Kastning vorhin gesprochen hat. Das gilt — weil Ihre Frage unmittelbar in der Sache anschließt — auch für Ihre Frage.
Da beide Fragen zusammen beantwortet worden sind, können Sie zwei Zusatzfragen stellen, Frau Weyel.
Dann darf ich Sie darüber informieren, daß mir bei einem kürzlichen Besuch in einer öffentlichen Veranstaltung vorgetragen wurde, daß in Heimen auch Kosten für Hilfsmittel wie z. B. Pampers für Blasenschwache vom Taschengeld abgezogen werden.
Vogt, Parl. Staatssekretär: Sie haben mir eine Information gegeben.
Die beziehe ich in die Antwort ein, die ich vorhin gegeben habe.
Da ich davon ausgehe, Herr Staatssekretär, daß unser Kollege Kirschner aus der Anhörung kommt und deswegen nicht rechtzeitig hier sein konnte, schlage ich vor, wir kommen nochmals zu seiner Frage 25
Welchen aufenthaltsrechtlichen Status hat die vorn jetzigen Bundesminister der Finanzen, Dr. Waigel, auf einem deutschlandpolitischen Kongreß der CSU am 15. April 1989 in München erwähnte Person und als „einen Skandal" bezeichneten Fall, „wenn ein hoher polnischer General — kein Aussiedler — heute zu uns in die Bundesrepublik Deutschland kommt und wir ihm auf Grund des deutsch-polnischen Rentenabkommens seine Rente finanzieren müssen", und wie viele Personen dieses Status befinden sich in der Bundesrepublik Deutschland?
und Sie geben Herrn Kirschner die Antwort auf seine Frage.
Vogt, Parl. Staatssekretär: Aber selbstverständlich.
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Vogt, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, nach den im Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung vorliegenden Unterlagen ist der von Herrn Bundesminister Dr. Waigel erwähnte ehemalige polnische General am 13. Oktober 1981 als Asylberechtigter anerkannt worden. Nach Auskunft des Verbandes deutscher Rentenversicherungsträger ist nicht bekannt, wie viele Bezieher einer Rente nach dem deutsch-polnischen Abkommen asylberechtigt sind.
Zusatzfrage, Herr Kirschner.
Herr Staatssekretär, kann die Bundesregierung dementieren, daß es sich bei diesem genannten Offizier um einen General handelt, der von einem der deutschen Nachrichtendienste ab- oder an-
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10272 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 139. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. April 1989
Kirschnergeworben wurde und der deshalb bereits im Jahre 1981 in der Bundesrepublik Asyl erhalten hat?Vogt, Parl. Staatssekretär: Also, Herr Kollege, ich kann nur sagen, daß dieser General nach einem Schreiben, das dem Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung vorliegt, Polen 1981 verlassen mußte, um schweren Repressionen wegen prowestlicher Tätigkeit zu entgehen.
Weitere Zusatzfrage, Herr Kirschner.
Herr Staatssekretär, können Sie mir sagen, um wie viele Polen es sich insgesamt handelt, die Renten nach dem deutsch-polnischen Sozialversicherungsabkommen hier in der Bundesrepublik Deutschland erhalten?
Vogt, Parl. Staatssekretär: Es sind insgesamt 1 838 polnische Staatsbürger, die in der Bundesrepublik Deutschland Rente nach dem deutsch-polnischen Abkommen über Renten und Unfallversicherung erhalten.
Zusatzfrage des Abgeordneten Klejdzinski.
Herr Staatssekretär, Sie haben gerade geantwortet, daß der polnische General Polen auf Grund einer prowestlichen Tätigkeit verlassen mußte. Kann ich davon ausgehen, daß es eine bezahlte prowestliche Tätigkeit war?
Vogt, Parl. Staatssekretär: Diese Frage, Herr Kollege, kann ich Ihnen nicht beantworten. Ich bitte, sie dem zuständigen Ressortminister zu stellen.
Zusatzfrage des Abgeordneten Jäger.
Herr Staatssekretär, ist der Bundesregierung bekannt, daß es sich bei diesem General um einen General der polnischen Miliz handelt, also jener polnischen Organisation, die sich gerade in jenen Jahren an der Unterdrückung von Freiheitsbewegungen, von Solidarnosc und anderen Organisationen, besonders aktiv beteiligt hat?
Vogt, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich kann Ihnen nur wiederholen, daß dieser General 1981, und zwar am 13. Oktober, als Asylberechtigter anerkannt worden ist und nach den Bestimmungen des hier genannten Abkommens in der Bundesrepublik Deutschland eine Rente nach dem Einbürgerungsprinzip erhält.
Wir sind damit am Ende Ihres Geschäftsbereichs, Herr Staatssekretär. Danke für die Beantwortung der Fragen.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung auf. Herr Staatssekretär Pfahls steht uns zur Beantwortung der Fragen zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 30 des Abgeordneten Gerster auf:
Trifft es zu, daß Formationsflüge von strahlgetriebenen Militärflugzeugen in Ramstein anläßlich der Verabschiedung des Befehlshabers der US-Luftstreitkräfte Europa, General Kirk, „im
Einvernehmen" mit dem Bundesministerium der Verteidigung oder zumindest nach dessen vorheriger Information durchgeführt wurden?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, am 12. April fand anläßlich der Kommandoübergabe Alliierte Luftstreitkräfte Europa Mitte in Ramstein ein einmaliger Vorbeiflug einer Formation, bestehend aus zwei Elementen zu drei Flugzeugen, statt. Dies geschah über dem Flugplatzgelände, ausschließlich vor geladenen Gästen. Ein solcher Vorbeiflug ist für hochgestellte NATO-Befehlshaber eine im Bündnis und bei allen Nationen geübte Praxis. Daran orientiert sich die entsprechende Entscheidung des Bundesministers der Verteidigung.
Herr Gerster, bitte schön, Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär Pfahls, vor dem Hintergrund der Katastrophe in Ramstein, die ja seitdem seit Monaten auch einen Untersuchungsausschuß hier im Bundestag beschäftigt, frage ich Sie: War sich der Bundesminister der Verteidigung, der hier offensichtlich auf einen Antrag hin seine Zustimmung gegeben hat, dieses Gesamtzusammenhangs und der öffentlichen Wirkung bewußt?
Pfahls, Staatssekretär: Herr Abgeordneter, dieser Vorgang unterliegt keiner Genehmigungspflicht. Sie müssen wissen, daß es sich um eine in der NATO absolut übliche Art der Verabschiedung eines Oberkommandierenden handelt. Die Tatsache, daß es sich um insgesamt sechs Flugzeuge gehandelt hat — zwei mal drei Flugzeuge, wie ich betonte — , erklärt sich daraus, daß jede Nation, die im Kommandobereich Mitte vertreten ist, eine Maschine abgestellt hat.
Weitere Zusatzfrage, Herr Gerster.
Herr Staatssekretär, welcher Art war denn die Entscheidung des Ministers, die Sie soeben selbst erwähnt haben?
Pfahls, Staatssekretär: Die Entscheidung bezog sich darauf, daß die Bundeswehr einen Tornado in das Flugprogramm aufgenommen hat, und zwar ausdrücklich deswegen, weil die Bundesrepublik als ein Mitgliedstaat im NATO-Bereich Mitte anzusehen ist.
Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Dr. Götte.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß diese sechs Flugzeuge am Vortag dieser Amtsübernahme mehrere Stunden lang trainiert haben und daß daraufhin erhebliche Unruhe unter der Bevölkerung ausgebrochen ist, die sich auch in mehreren Presseartikeln, Leserbriefen und Anrufen beim Bürgermeisteramt, bei mir und anderen Leuten niedergeschlagen hat?
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 139. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. April 1989 10273
Pfahls, Staatssekretär: Frau Abgeordnete, der Vorgang ist mir nicht bekannt.
Ich rufe die Frage 31 des Abgeordneten Gerster auf:
Hält die Bundesregierung eine einem Flugtag ähnliche Veranstaltung auf dem Flugplatz für vertretbar, auf dem erst im August 1988 durch ein mißglücktes Flugmanöver zahlreiche Menschen den Tod fanden oder mit lebenslangen Folgen verletzt wurden?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Pfahls, Staatssekretär: Herr Abgeordneter, der schreckliche Flugunfall im August 1988 in Ramstein, der tragischerweise zu zahlreichen Opfern auch in der Zivilbevölkerung geführt hat, geschah bei der Vorführung eines umfangreichen Demonstrationsprogramms, das in keiner Weise mit dem hier in Frage stehenden Vorbeiflug in Beziehung gesetzt werden kann. Der Vorbeiflug von — wie ich bei Ihrer vorherigen Frage schon ausführte — insgesamt 2 mal 3 Flugzeugen am 12. April 1989 war vom Inhalt und von der Form der Flugübung in keiner Weise mit dem vorgenannten Programm, das zum Unglück führte, vergleichbar. Vielmehr gehört der hier gezeigte und demonstrierte Formationsflug von bis zu vier Luftfahrzeugen zur täglich geübten Praxis der Besatzungen im Rahmen der taktischen Verbandsausbildung.
Herr Gerster, bitte schön.
Die Landesregierung in Mainz hat öffentlich ihr Erstaunen über das Einvernehmen erklärt und einen Brief an die Bundesregierung, den BMVg gerichtet. Können Sie uns sagen, wie mit diesem Brief, diesem Protest oder dieser Beschwerde umgegangen wird oder umgegangen worden ist?
Pfahls, Staatssekretär: Herr Abgeordneter, ich darf noch einmal betonen, daß ein Flug von bis zu vier Flugzeugen in der Form des Formationsflugs ohnehin zum Standardprogramm auch der Bundesluftwaffe gehört.
Die zweite Zusatzfrage, bitte schön.
Das war nicht meine Frage. Ich habe Sie gefragt, wie das Bundesministerium der Verteidigung mit der Eingabe der Landesregierung Rheinland-Pfalz umgehen wird, die ihr Erstaunen über das Einvernehmen seitens der deutschen Seite ausgedrückt hat.
Pfahls, Staatssekretär: Herr Abgeordneter, ich kann die Antwort nicht vorwegnehmen. Ich kenne diese Antwort nicht. Aber ich kann mir nur vorstellen, daß sie so aussieht, daß noch einmal betont wird, daß ein Flug in der von mir geschilderten Art und Weise zu den Üblichkeiten im Rahmen der Verabschiedung eines Oberkommandierenden gehört.
Ich rufe die Frage 32 der Abgeordneten Frau Dr. Götte auf:
Wird sich die Bundesregierung dafür einsetzen, daß bei künftigen Kommandowechseln und anderen protokollarischen Anlässen im Bereich der Bundesluftwaffe und bei den in der Bundesrepublik Deutschland stationierten NATO-Luftwaffen keine Formationsflüge oder ähnliche Flugvorführungen mit Schaucharakter stattfinden?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Pfahls, Staatssekretär: Aus Anlaß der Katastrophe von Ramstein im August 1988 hat die Luftwaffe auf öffentliche Flugvorführungen zum Zweck der Leistungsdemonstration ihrer fliegenden Einsatzverbände bis auf weiteres verzichtet. Die Kommandoübergabe der alliierten Luftstreitkräfte „Europa Mitte" am 12. April 1989 war ein für die allgemeine Öffentlichkeit nicht zugängliches dienstliches Ereignis, zu dem traditionell, wie ich schon sagte, ein Vorbeiflug von zwei Formationen à drei Luftfahrzeugen stattfand, der, was ich ausdrücklich betone, keinerlei Schaucharakter hat. Die Luftwaffe wird sich auch in Zukunft bei derartigen Vorhaben an den Gepflogenheiten im Bündnis orientieren.
Frau Dr. Götte, bitte schön.
Herr Staatssekretär, da ich dabei war, kann ich Ihnen bestätigen, daß es sich nicht um 2 mal 3, sondern um 1 mal 6 Flugzeuge gehandelt hat. Meine Frage: Im Untersuchungsausschuß Ramstein sind wir mehrmals darauf gekommen, daß sich die Bundesregierung überhaupt nicht dafür interessiert, was in der Presse am Ort über solche Ereignisse berichtet wird. Wie kommt es denn, daß Sie sich auch nach dem Vorfall in Ramstein überhaupt nicht dafür interessieren, was die Bevölkerung zu solchem Training und solchem Überflug in Ramstein und der Umgebung von Ramstein denkt?
Pfahls, Staatssekretär: Frau Abgeordnete, zunächst zu Ihrer Feststellung oder Behauptung, es sei ein Vorbeiflug von sechs Flugzeugen gewesen. Ich habe mich ausdrücklich bei dem Führungsstab der Luftwaffe erkundigt. Es war eine Formation von 2 mal 3 Flugzeugen. Es mag ja durchaus sein, daß bei Ihnen subjektiv der Eindruck entstanden ist, es seien sechs Flugzeuge gewesen.
— Ich beherrsche noch die Grundrechnungsarten. Davon dürfen Sie ausgehen.
Aber ich betone noch einmal: Zwischen den Flugzeugen ist ein Zwischenraum gewesen. Dadurch wird von 2 mal 3 ausgegangen.
Wenn ich darf, würde ich gern den zweiten Teil Ihrer Frage beantworten. Im übrigen beachtet die Bundesregierung selbstverständlich sehr sorgfältig Reaktionen der Öffentlichkeit, besonders der betroffenen Öffentlichkeit, gerade vor dem Hintergrund des Geschehens vom August 1988. Auf der anderen Seite: Ein Übungsbetrieb wird auch weiterhin notwendig sein.
Bitte schön, Frau Dr. Götte.
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10274 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 139. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. April 1989
Wir können ja hier leider nicht debattieren, denn sonst könnte ich Ihnen sagen, daß ich einen Eid darauf ablegen kann, daß es sich um einen Vorbeiflug von sechs eng nebeneinanderfliegenden Flugzeugen handelte.
Jetzt meine Frage: Sie haben gesagt, es habe sich hierbei um eine Vorführung im nichtöffentlichen Bereich gehandelt. Stimmen Sie mir zu, daß sich sechs Flugzeuge, die ihre Formationsflüge am Vortag stundenlang geübt haben, nicht auf den Raum unmittelbar über dem Flughafengelände beschränken können, sondern daß sie in ständigen Schleifen und unter Bildung neuer Formationen in der ganzen Umgebung fliegen müssen und daß infolgedessen von einer nichtöffentlichen Veranstaltung überhaupt nicht geredet werden kann?
Pfahls, Staatssekretär: Frau Abgeordnete, es geht darum, wer im Moment des Vorbeifluges anwesend war. Sie können selbstverständlich nicht die Übungstätigkeit einbeziehen, die ganz zwangsläufig außerhalb des Flugplatzes stattfinden muß. Aber die Formation wurde erst über dem Gelände der Air Base gebildet.
Wollen Sie zu dieser Frage eine Zusatzfrage stellen? — Bitte schön, Herr Steiner.
Herr Staatssekretär, empfinden Sie es nicht auch als ein Zeichen mangelnden Fingerspitzengefühls, daß man ausgerechnet dort, wo eines der schlimmsten Unglücke passiert ist, diese Formation einübt, die dann diesen Überflug durchgeführt hat?
Pfahls, Staatssekretär: Herr Abgeordneter, ich weise jetzt, glaube ich, zum zweiten- oder drittenmal darauf hin, daß es sich um einen Formationsflug handelte, wie er bei uns in der Luftwaffe und in jeder anderen Luftwaffe auch tagtäglich geübt wird. Er kann in keiner Weise mit den Flugdarstellungen verglichen werden, die zu dem Unglück führten. Es handelte sich um zweimal drei oder — von mir aus — um insgesamt sechs Flugzeuge, die jedenfalls parallel zur Zuschauertribüne über der Landebahn flogen. Es wurden keine Kunstflugfiguren oder sonst etwas geflogen. Es waren auch nicht etwa — wie bei den Frecce Tricolori — neun Flugzeuge, sondern deutlich weniger. Es wurde lediglich das geflogen, was üblicherweise zum Programm jeder Luftwaffe gehört.
Zusatzfrage des Abgeordneten Klejdzinski.
Herr Staatssekretär, auch wenn Sie sich schlecht daran gewöhnen können, eine Frage von uns drei- oder viermal zu beantworten, so können wir Sie trotzdem fragen — ich präzisiere noch einmal, was der Abgeordnete Steiner gefragt hat — : Halten Sie aus Ihrer Sicht es für sinnvoll, daß ausgerechnet dort, wo sich dieser große tragische Unfall ereignete, der Bevölkerung zur gleichen Zeit das Gefühl vermittelt wird, es sei notwendig, so etwas, auch aus Anlaß einer Kommandoübergabe, zu üben?
Pfahls, Staatssekretär: Herr Abgeordneter, ich kann nur sagen: Es handelte sich um eine normale Flugvorführung.
— Wenn Sie es wissen, dann kann ich Ihre Frage schlecht beantworten.
— Wenn Sie es wissen, dann kann ich Ihre Frage nicht beantworten. Das ist doch logisch.
Das unterbreche ich nun. Dieses Hin und Her muß nicht dreimal stattfinden.
Dann hat der Abgeordnete Lennartz das Wort zu einer Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, zu wie vielen Flugzeugabstürzen es in der Bundesrepublik Deutschland bei Formationsflügen dieser Art gekommen ist?
Pfahls, Staatssekretär: Herr Abgeordneter, ich kann Ihnen diese Zahl jetzt nicht aus freien Stücken nennen. Ich bin aber gerne bereit, Ihre Frage schriftlich zu beantworten.
Einen Augenblick! Das geht nun leider nicht. Es gibt nur noch eine Zusatzfrage, und diese möchte Herr Heistermann noch stellen.
Herr Staatssekretär, können Sie denn wenigstens darlegen, was die Bundesregierung bewogen hat, ein deutsches Flugzeug bei dieser Kommandoübergabe zu beteiligen, ohne Rücksicht darauf zu nehmen, was das bei der betroffenen Bevölkerung in Ramstein möglicherweise auslösen könnte?
Pfahls, Staatssekretär: Herr Abgeordneter, wir befinden uns im 40. Jahr der NATO. Wir haben die NATO bei vielen Gelegenheiten gefeiert und haben gesagt, daß wir den Frieden, den wir seit über 40 Jahren in diesem Lande haben, zu einem wesentlichen Teil der NATO zu verdanken haben. Wenn ein Oberbefehlshaber innerhalb der NATO-Kommandostruktur seinen Posten verläßt, dann, so meine ich, sollte die Bundesregierung sehr vorsichtig sein, vom bisher Üblichen abzuweichen, noch dazu — ich betone das noch einmal — weil es sich lediglich um Flüge gehandelt hat, die ohnehin im Rahmen des Üblichen stattfinden.
Frau Dr. Götte, ich rufe die von Ihnen eingebrachte Frage 33 auf:Wie will die Bundesregierung das Problem der „Verfügbarkeit" weiblicher Sanitätssoldaten — insbesondere im Verteidigungsfall — lösen angesichts der Tatsache, daß der Reservistenstatus zwingend die Wehrpflicht voraussetzt, diese jedoch für Frauen nicht besteht?Bitte schön, Herr Staatssekretär.
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 139. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. April 1989 10275
Pfahls, Staatssekretär: Die Verfügbarkeit weiblicher Sanitätssoldaten nach ihrem Ausscheiden als Soldat auf Zeit oder als Berufssoldat stellt keine rechtliche Voraussetzung für die Einstellung dar. Die Bundesregierung ist jedoch bemüht, die Verfügbarkeit weiblicher Sanitätssoldaten im Sinne der Fragestellung, insbesondere im Hinblick auf Wahrung der Chancengleichheit der weiblichen Soldaten gegenüber den männlichen Sanitätssoldaten, sicherzustellen; denn nur dann stehen tatsächlich alle Verwendungen im Sanitätsdienst auch für Frauen offen, und es kann auf quotenmäßige Beschränkungen bei der Einstellung von Frauen verzichtet werden.Es wird derzeit im Bundesministerium der Verteidigung untersucht, ob die Verfügbarkeit weiblicher Sanitätssoldaten in verfassungskonformer Weise erreicht werden kann. Die Untersuchungen sind noch nicht abgeschlossen. Zu denken wäre etwa an Regelungen innerhalb des Soldatengesetzes.
Zusatzfrage, Frau Dr. Götte.
Ich hätte gerne noch ein paar nähere Informationen darüber, in welcher Weise das geschehen könnte, ohne im Widerspruch zum Grundgesetz zu stehen.
Pfahls, Staatssekretär: Frau Abgeordnete, ohne jetzt dem abschließenden Ergebnis der noch andauernden Untersuchung, wie ich betonte, vorzugreifen, möchte ich hier feststellen, daß die Bundesregierung selbstverständlich nicht beabsichtigt, die allgemeine Wehrpflicht für Frauen einzuführen. Es könnte aber durch die von mir erwähnte Regelung im Soldatengesetz sichergestellt werden, daß die den weiblichen Soldaten auf Zeit oder den weiblichen Berufssoldaten vermittelten Kenntnisse durch kurzzeitige weitere Wehrübungen oder Wehrdienstleistungen im Frieden aktualisiert werden und schließlich im Verteidigungsfall ihrer eigentlichen Zielsetzung entsprechend genutzt werden.
Da die solchermaßen gesetzlich begründete Verfügbarkeit an das zuvor freiwillig eingegangene Dienstverhältnis als Soldat auf Zeit oder als Berufssoldat anknüpft, die vorangegangene freiwillige Entscheidung bei Begründung des Dienstverhältnisses somit unabdingbare Voraussetzung für die im Soldatengesetz vorgesehene Pflichtigkeit ist, verbietet sich jeglicher Vergleich mit der allgemeinen Wehrpflicht.
Eine weitere Zusatzfrage, Frau Dr. Götte.
Sind Sie im Besitz von Stellungnahmen oder Gutachten von Juristen, die hier große Probleme sehen?
Pfahls, Staatssekretär: Frau Abgeordnete, ich bin nicht im Besitz derartiger Stellungnahmen. Ich sagte Ihnen ja, daß diese Untersuchung derzeit stattfindet und ich ihrem Ergebnis auch nicht vorgreifen möchte. Was ich soeben erklärt habe, ist eine denkbare Lösung.
Nun möchte die Kollegin Frau Faße eine Frage stellen.
Wenn ich das jetzt richtig verstanden habe, besteht für Frauen die Möglichkeit, an Reservistenübungen teilzunehmen. Meine Frage ist: Welche Gründe gibt es dann für Frauen, an diesen Reservistenübungen nicht teilzunehmen? Wenn Sie dort Schwierigkeiten sehen — ich denke an die familienfreundliche Bundesrepublik — , in welcher Form gedenken Sie eigentlich ein Verfahren zu finden, daß Frauen z. B. aus familiären Gründen an solchen Übungen nicht teilnehmen müssen?
Pfahls, Staatssekretär: Frau Abgeordnete, ich sagte Ihnen ja, daß im Rahmen der Untersuchung diese Frage noch geprüft wird. Ich bin jetzt nicht imstande, irgendeine Patentlösung anzubieten; aber sicherlich wird der Fragenkreis, den Sie soeben angeschnitten haben, dabei Berücksichtigung finden müssen.
Frau Blunck, Sie haben jetzt die Möglichkeit zu fragen.
Ist es richtig, daß sich Frauen, wenn sie als weibliche Sanitätssoldaten in der Bundeswehr Verwendung finden und ihr Studium bezahlt bekommen haben, für einen längeren Zeitraum — 16 Jahre — verpflichten müssen? Wenn dies zutrifft: Wie ist es geregelt, wenn diese Frauen auf Grund von Familienverpflichtungen, weil sie schwanger werden und Kinder bekommen, ihren Beruf vorzeitig aufgeben wollen? Wie verträgt sich das dann damit?
Pfahls, Staatssekretär: Frau Abgeordnete, die Regelung, die hier zu finden ist, wird genauso wie die im öffentlichen Dienst sein. Es wird entweder eine Freistellung geben, oder es wird die Möglichkeit gegeben, zur Kindererziehung für eine gewisse Zeit zu unterbrechen.
Ich rufe nun die Frage 34 des Abgeordneten Steiner auf:Ich frage die Bundesregierung, wann der Entwurf der 8. Novelle zum Unterhaltssicherungsgesetz spätestens in das Gesetzgebungsverfahren eingebracht wird?Bitte schön, Herr Staatssekretär.Pfahls, Staatssekretär: Ihre Frage, Herr Abgeordneter, bezieht sich auf die Bundestagsentschließung vom 17. April 1986, die folgenden Wortlaut hat:1. Reservisten der Bundeswehr, die Wehrübungen leisten, sollen in Zukunft im Rahmen des Unterhaltssicherungsgesetzes volle Verdienstausfallentschädigung erhalten.2. Die vom Bund an die Rentenversicherungsträger zu entrichtenden Rentenversicherungsbeiträge für Wehrübende sollen so angehoben werden, daß persönliche Nachteile für die Betroffenen vermieden werden.Zur Verwirklichung dieses Beschlusses sind folgende Gesetzesänderungen notwendig: zur Einführung der vollen Verdienstausfallentschädigung eine Änderung des Unterhaltssicherungsgesetzes — das ist die 8. USG-Novelle — , zur Anhebung der Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung die Änderung
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10276 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 139. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. April 1989
Staatssekretär Pfahlsder Reichsversicherungsordnung, des Angestelltenversicherungsgesetzes und des Reichsknappschaftsgesetzes. Da diese Gesetzesänderungen von ihrer Zielsetzung her eine Einheit bilden, war die Bundesregierung der Auffassung, daß sie dem Bundestag gleichzeitig vorgelegt werden sollten.Die Vorarbeiten zur 8. USG-Novelle sind seit längerem im wesentlichen abgeschlossen. Auf nicht unerhebliche Schwierigkeiten stieß — das möchte ich erwähnen — bisher die Änderung der rentenrechtlichen Vorschriften. Dies ist auch der Grund, warum die 8. USG-Novelle bisher nicht vorgelegt wurde. Nunmehr scheint jedoch eine Lösung auch für den zweiten Teil der Bundestagsentschließung im Rahmen des Rentenreformgesetzes möglich. Die Bundesregierung wird die 8. USG-Novelle daher in Kürze in das Gesetzgebungsverfahren einbringen.
Zusatzfrage, Herr Steiner.
Herr Staatssekretär, ich frage Sie, ob die Antwort, die auf eine ähnliche Frage anläßlich der Verabschiedung der 7. Novelle durch Ihren einstmaligen Kollegen, den Kollegen Würzbach, gegeben wurde, nämlich „in Kürze" — es sind seitdem zwei Jahre vergangen —, so ausgelegt werden kann, daß wir weitere zwei Jahre darauf warten müssen?
Pfahls, Staatssekretär: Nein.
Sie haben eine weitere Zusatzfrage, Herr Steiner.
Können Sie dann Ihre Antwort präzisieren, was aus Ihrer Sicht „in Kürze" heißt?
Pfahls, Staatssekretär: Aus meiner Sicht, Herr Abgeordneter: noch vor der Sommerpause.
Dann rufe ich Frage 35 des Abgeordneten Steiner auf:
Wie erklärt die Bundesregierung die Tatsache, daß bereits im Haushalt für 1988 zusätzliche Mittel in Höhe von 25 Millionen DM für Verbesserungen der Unterhaltsleistungen für Wehrübende enthalten waren, damit Hoffnungen geweckt wurden, die bis heute unerfüllt geblieben sind?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Pfahls, Staatssekretär: Im Haushalt 1988, Herr Abgeordneter, sind zusätzliche Mittel in Höhe von 25 Millionen DM für Verbesserungen der Unterhaltsleistungen für Wehrübende nicht enthalten. Finanzielle Vorsorge hierfür wurde erstmals für das Haushaltsjahr 1989 getroffen, und hier wird, wie ich sagte, das Gesetzgebungsverfahren eingeleitet werden, hier werden die Gelder abfließen.
Zusatzfrage, Herr Steiner.
Ist beabsichtigt, Herr Staatssekretär, daß mit der Einbringung der 8. Novelle noch vor der Sommerpause dann eine rückwirkende Regelung für bereits Wehrübungsleistende in Kraft tritt?
Pfahls, Staatssekretär: Herr Abgeordneter, da die Bundesregierung noch nicht formell über die Vorlage entschieden hat, kann ich hierzu noch keine Auskunft geben.
Keine weitere Zusatzfrage.
Ich rufe Frage 36 des Abgeordneten Heistermann auf:
Stimmt die mir vorliegende Information, daß die 8. Novelle zum Unterhaltssicherungsgesetz bereits seit Ende 1987 im „Mitzeichnungsverfahren" war und dieses Verfahren bereits Mitte letzten Jahres weitgehend abgeschlossen war?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Pfahls, Staatssekretär: In meiner Antwort auf die Fragen des Herrn Abgeordneten Steiner habe ich den Hintergrund, den Umfang und den Sachstand der zur Umsetzung des Bundestagsbeschlusses vom 17. April 1986 notwendigen Gesetzgebungsvorhaben dargestellt. Ich darf insoweit, Herr Abgeordneter, auf diesen Teil der Antwort verweisen.
Als Antwort auf Ihre Frage möchte ich wiederholen, daß die Vorarbeiten, zu der 8. Novelle zum Unterhaltssicherungsgesetz, wie Sie zutreffend erwähnen, seit längerem im wesentlichen abgeschlossen sind.
Zusatzfrage, Herr Heistermann.
Können Sie ausschließen, Herr Staatssekretär, daß durch die vielen Mitunterzeichner die Vorlage der 8. Novelle behindert wurde?
Pfahls, Staatssekretär: Herr Abgeordneter, das Gesetzgebungsverfahren richtete sich ja nach den Zielsetzungen der Entschließung des Deutschen Bundestages vom 17. April 1986, deren beide Komponenten ich hier schon erwähnt habe. Die Höchstsätze der Verdienstausfallentschädigung sollen deutlich angehoben werden. Dies kommt vor allen Dingen den Besserverdienenden und den freiberuflich Tätigen zugute. Auch bei der zweiten Frage, der Rentenversicherung, zeichnet sich eine Lösung ab, die dem Auftrag des Deutschen Bundestages gerecht wird. Die Schwierigkeit ist gewesen, im Gesetzgebungsverfahren Regelungen zu finden, da sich die ursprüngliche Absicht, beides in einem Artikelgesetz zu verknüpfen, nicht verwirklichen ließ. Dadurch erklären sich gewisse Verzögerungen.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Heistermann.
Können Sie denn in etwa die Summe beziffern, die Wehrübenden dadurch vorenthalten wurde, daß die Bundesregierung innerhalb von zwei Jahren nicht in der Lage war, ihre hier selbst bekanntgemachte Verpflichtung einzuhalten?Pfahls, Staatssekretär: Herr Abgeordneter, ich möchte darauf hinweisen, daß es eigentlich nicht um die Vorenthaltung von Beträgen geht, die bisher besonders Freiberufliche und Besserverdienende betroffen hat, sondern die bisherige Regelung mit 70 % und 90 % wurde im Wege eines zugegebenermaßen komplizierten Ausgleichsverfahrens, nämlich Rückerstattung über die Einkommensteuer-Jahreserklärung
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 139. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. April 1989 10277
Staatssekretär Pfahlsoder die Lohnsteuerrückerstattung, jeweils ausgeglichen. Das jetzige Verfahren soll auch der Vereinfachung dienen.
Herr Steiner, eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, können Sie ausschließen, daß die von Ihnen bisher genannten Gründe für die Verzögerung so nicht zutreffen, sondern daß die Verzögerung dadurch eingetreten ist, daß es eine Koalitionsabsprache mit dem Inhalt gegeben hat, bis Mitte der Legislaturperiode keine leistungswirksamen Gesetze mehr zu verabschieden?
Pfahls, Staatssekretär: Ein solcher Ursachenzusammenhang kann hergestellt werden.
Ich rufe die Frage 37 des Abgeordneten Heistermann auf:
Wie will die Bundesregierung den Tatbestand länger rechtfertigen, daß Reservisten aus der freien Wirtschaft nach wie vor gegenüber denen aus dem öffentlichen Dienst in einkommensmäßiger und versicherungsrechtlicher Hinsicht benachteiligt werden?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Pfahls, Staatssekretär: Die Bundesregierung ist, wie Sie meiner Antwort auf Ihre erste Frage entnehmen können, bemüht, zugunsten der Wehrübenden aus der privaten Wirtschaft eine sachgerechte Regelung so bald wie möglich herbeizuführen.
Herr Heistermann, bitte.
Können Sie uns Gründe für die unterschiedliche Entschädigung der Wehrübenden, die aus dem öffentlichen Dienst oder aus der freien Wirtschaft kommen, nennen?
Pfahls, Staatssekretär: Herr Abgeordneter, das hat teilweise mit dem Alimentationsprinzip des öffentlichen Diestes zu tun. Im übrigen ist es eine Regelung, deren Unzulänglichkeit die Bundesregierung auch selber erkannt hat, und deswegen streben wir jetzt diese andere Regelung an.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Heistermann.
Fühlt sich die Bundesregierung bei dieser Rechtspraxis eigentlich wohl, obwohl sie seit zwei Jahren und auch schon länger diese Ungerechtigkeiten einfach nur zur Kenntnis genommen hat?
Pfahls, Staatssekretär: Herr Abgeordneter, es geht nicht darum, wer sich wohlfühlt, sondern ich möchte noch einmal betonen, daß schon jetzt eigentlich eine zugegebenermaßen komplizierte Regelung gefunden worden ist, die schlußendlich zu einem Ausgleich geführt hat. Nur können natürlich zwischen dem jetzt gewählten Verfahren, das qualitativ ohne Zweifel eine Verbesserung darstellt, und dem bisher noch geltenden Verfahren insoweit Parallelen gezogen werden, als auch bei dem jetzt geltenden Verfahren durch die lohnsteuer- oder einkommensteuerrechtliche Behandlung der Differenzbetrag auch ausgezahlt wird.
Ich rufe die Frage 38 der Abgeordneten Frau Adler auf:
Stimmen Aussagen, daß die Nike-Stellung in Elztal-Dallau als militärisches Depot für Waffen, Treibstoffe und Sprengköpfe neben sonstigen Versorgungsgütern in Kürze von Reservisteneinheiten genutzt werden soll?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Da die Frage 39 inhaltlich mit der Frage 38 zusammenhängt, gehe ich davon aus, daß sie gemeinsam beantwortet werden.
Wollen Sie das zusammen beantworten?
Pfahls, Staatssekretär: Selbstverständlich.
Dann rufe ich auch die Frage 39 der Abgeordneten Frau Adler auf:
Welche Überlegungen werden angestellt, um die verkehrliche Anbindung des Depots ohne Belästigungen der Menschen in einem nahegelegenen Wohngebiet und ohne Belastung der Natur sicherzustellen?
Bitte schön.
Pfahls, Staatssekretär: Frau Abgeordnete, es trifft zu, daß im ehemaligen Abschußbereich der NikeStellung Dallau Wartime-Host-Nation-Support-Einrichtungen für US-Verstärkungskräfte im V-Fall gebaut werden sollen. Dort werden in erster Linie Kraftfahrzeuge und allgemeine Versorgungsgüter, aber auch Treibstoffkanister für Kraftfahrzeuge und Munition für Handfeuerwaffen gelagert. Zweimal jährlich werden die Kraftfahrzeuge von Reservisten bewegt werden.
Zu Ihrer zweiten Frage: Eine mit Bundesmitteln bezuschußte und errichtete Zufahrtsstraße zum geplanten Depot ist vorhanden. Alternativ wurden neue Trassen für eine Zufahrtsstraße untersucht. Die Realisierung einer neuen, kostenaufwendigen Zufahrtsstraße scheiterte bisher vor allem aus Umweltschutzgründen. Sofern die Errichtung einer neuen Zufahrtsstraße nach weiteren Verhandlungen nicht realisiert werden kann, wird voraussichtlich an der bisherigen Zufahrtsstraße festgehalten werden müssen.
Frau Adler, bitte schön, Ihre erste Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, mich würde interessieren, inwieweit Ihnen bekannt ist, daß sich der Sicherheitsabstand zwischen der bestehenden militärischen Anlage und dem Wohngebiet in der Zwischenzeit durch Ausweitung des Wohngebiets verändert hat.Pfahls, Staatssekretär: Frau Abgeordnete, es ist eine Tatsache, die überall in der Republik festzustellen ist, daß Probleme aus der Existenz von militärischen Einrichtungen daraus resultieren, daß die allgemeine Wohnbebauung näher an eine schon länger vorhandene Wehrdienststelle oder was auch immer — sei es ein Truppenübungsplatz, sei es ein Depot — heranrückt. Daraus resultieren vielfältige Probleme. Ich sehe allerdings angesichts der in diesem Depot lagernden Nlaterialien keine Gefährdung. Ich möchte noch einmal ausdrücklich hervorheben, daß die dort ini Rahmen des Wartime-Host-Nation-Support-Pro-
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Staatssekretär Pfahlsgramms lagernden Geräte, hier die Lkw, nur zweimal im Jahr durch Reservisten bewegt werden.
Zusatzfrage Nr. 2, Frau Adler.
Ich möchte noch einmal nachfragen. Ich habe ja in meiner an Sie schriftlich gerichteten Frage darauf abgehoben, daß dort wohl auch Waffen und Sprengköpfe gelagert werden. Zumindest ist uns das aus der Bevölkerung so zugetragen worden. Können Sie mir dazu bitte eine genaue Auskunft geben?
Pfahls, Staatssekretär: Frau Abgeordnete, ich habe bereits in meiner Antwort ausgeführt und ich wiederhole, daß dort lediglich Kraftfahrzeuge, Material, Waffen, Betriebsstoff, Kanister, Munition für Handfeuerwaffen, Batterien, Sanitätsmaterial und Verpflegung lagern.
Jetzt kommt Zusatzfrage Nr. 3, Frau Adler.
Ich möchte mich in meiner weiteren Frage nach den Arbeitsplätzen erkundigen, d. h. wieviel Arbeitsplätze dort zu erwarten sind? Ist Ihnen das bekannt?
Pfahls, Staatssekretär: Frau Abgeordnete, diese Frage kann ich nicht aus dem Stegreif beantworten.
Sie steht auch nicht in einem direkten Zusammenhang mit Ihren Fragen.
Sie haben eine vierte Zusatzfrage zu den beiden Fragen, die Sie gestellt haben.
Mich würden die Kosten der Investitionen interessieren, und zwar auch im Zusammenhang damit, daß die Straße, von der Sie gesprochen haben und von der Sie gesagt haben, daß sie vorhanden sei, durch dieses Wohngebiet führt. Das bedeutet, daß wohl doch zu erwarten steht, daß eine weitere Zufahrt über die Gemeinde Sulzbach gebaut werden muß.
Pfahls, Staatssekretär: Frau Abgeordnete, die von Ihnen angesprochene Straßenführung geht durch die Gemeinde. Sie kann dann, wenn breite Fahrzeuge zum Depot fahren wollen, durch geparkte Privat-Kfz schwer zugänglich sein. Es wird jetzt allerdings mit der Gemeinde versucht, eine Lösung zu finden, um dieses Problem zu beseitigen. Die Alternative, eine völlig neue Trasse zu legen, wird bis jetzt aus Umweltschutzgründen abgelehnt,
weil hierzu eine neue Trasse durch einen bestehenden Wald gelegt werden müßte.
Herr Klejdzinksi hat eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, Sie haben vorhin ausgeführt, es sei ein Problem, daß Wohngebiete immer näher an militärische Anlagen heranrücken. Ist es denn nicht das eigentliche Problem, daß im Baurecht, im Planungsrecht oder, wenn Sie wollen, auch in einem Bebauungsplan normalerweise Schutzzonen festgelegt sind und daß eine spätere Änderung sicherlich auch etwas damit zu tun hat, daß eine Umnutzung erfolgt und dann natürlich planungsrechtlich nicht mehr die nötigen Schutzstreifen oder die von der Behörde gewünschten Schutzzonen eingerichtet werden können?
Also, ich muß feststellen, Herr Kollege Klejdzinski, es fällt schwer, einen Zusammenhang zu den gestellten Fragen zu erkennen.
Ich möchte es dem Staatssekretär überlassen, ob er eine Antwort geben will oder nicht.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Beantwortung dieser Frage würde zu einer längeren Diskussion führen. Es kann im Einzelfall durchaus auch die vom Herrn Abgeordneten angesprochene Konfliktlage geben. Aber in 95 % aller Fälle lautet jedenfalls die Diagnose so, wie ich sie eben gestellt habe, nämlich genau umgekehrt.
Die Frage 40 des Abgeordneten Pauli soll schriftlich beantwortet werden. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Wir kommen zur Frage 41 des Abgeordneten Dr. Klejdzinski:
Wieviel Tonnen an Kampfstoffen, Brand- und Nebelstoffen als sogenannte Zweite-Weltkrieg-Altlasten sind bisher auf dem Gebiet der Wehrwissenschaftlichen Dienststelle in Munster unschädlich gemacht worden, und wie hoch waren dafür die finanziellen Aufwendungen des Bundes?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Pfahls, Staatssekretär: Von der Inbetriebnahme der Verbrennungsanlage in Munster im November 1980 bis zum 31. Dezember 1988 sind insgesamt 75,4 Tonnen flüssige bzw. zähflüssige Kampfstoffe, 229,2 Tonnen feste Kampfstoffabfälle sowie 8,4 Tonnen Nebeltöpfe und Nebelkerzen umweltgerecht vernichtet worden. Hierfür wurden 14,2 Millionen DM an Betriebskosten, 3,2 Millionen DM an Personalkosten und rund 20 Millionen DM für Investitionen aufgewendet.
Herr Klejdzinski, eine Zusatzfrage; bitte schön.
Herr Staatssekretär, was heißt in Ihrer Antwort „umweltgerecht vernichtet worden"?
Pfahls, Staatssekretär: „Umweltgerecht" heißt: so schadstoffarm, wie es der gegenwärtige Stand der Technik erlaubt.
Herr Dr. Knabe, wollten Sie eine Zusatzfrage stellen? — Bitte schön.
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 139. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. April 1989 10279
: Was bezeichnen die Bundeswehr oder das Verteidigungsministerium mit „umweltgerechter Entsorgung"?
Das ist doch gerade beantwortet worden.
Pfahls, Staatssekretär: Entsorgung nach dem Stand der Technik.
Jetzt rufe ich die Frage 42 des Abgeordneten Dr. Klejdzinski auf:
Reicht die Kapazität aus, um die bisher angefallenen und
gefundenen Schadstoffe umweltfreundlich zu beseitigen?
Bitte schön.
Pfahls, Staatssekretär: Die Kapazität der Verbrennungsanlage, Herr Abgeordneter, reicht aus, um die bei der Truppenübungsplatzkommandantur Munster lagernden Kampfmittel — das sind Granaten, Sprühbüchsen usw.; ich erwähnte es in der Beantwortung der ersten Frage — sowie die bei der Delaborierung anfallenden kontaminierten Abfälle und den schon delaborierten Kampfstoff zu verbrennen. Mit weiteren Kampfstoffunden ist jedoch zu rechnen, so daß die Verbrennungsanlage auch nach Vernichtung der jetzigen Bestände in Betrieb bleiben muß. Die vorhandene Verbrennungsanlage ist verfahrenstechnisch nicht geeignet, die zur Zeit noch bei der Truppenübungsplatzkommandantur lagernden festen Kampfstoffe und kontaminierten Erden zu vernichten sowie die in den Bundesländern lagernden Kampfstoffunde zu entsorgen. Zur technischen Bewältigung dieses Problems wird derzeit eine Erweiterung der Verbrennungsanlage auf technologisch neuerer Grundlage geplant, die voraussichtlich Ende 1992/Anfang 1993 in Betrieb genommen werden kann.
Zusatzfrage, Herr Klejdzinski.
Wenn ich richtig verstanden habe, reicht die Kapazität der Anlage auch zum gegenwärtigen Zeitpunkt zur Entsorgung der Stoffe, die man gefunden hat, nicht aus. Ist das so richtig?
Pfahls, Staatssekretär: Sie reicht aus, um die Kampfstoffunde in Munster zu beseitigen, für die die Anlage ursprünglich gebaut war. Sie reicht nicht aus, um die weiteren Kampfstoffunde und die auch in den Ländern weiter aufgetauchten Kampfstoffe in absehbarer Zeit zu beseitigen.
Ist Ihre Auffassung wirklich richtig, daß diese Anlage nur für Munster gebaut worden ist, oder war sie ursprünglich geplant und gebaut, um alle diese Mittel der Bundeswehr bzw. die Mittel, für die die Bundeswehr verantwortlich ist, zu vernichten?
Pfahls, Staatssekretär: Herr Abgeordneter, es mag durchaus sein, daß vielleicht auch der Gedanke dahinterstand, noch mehr zu vernichten. Jedenfalls reicht die Anlage objektiv — die Zahlen sind eindeutig — nicht aus, um etwa alle in der Bundesrepublik Deutschland gefundenen Kampfstoffe auf diese Art und Weise zu vernichten. Deswegen auch der neue Ofen, der 1992/93 in Betrieb gehen muß.
Herr Dr. Knabe zu einer Zusatzfrage.
Welche Schadstoffe werden denn in die Umwelt abgegeben oder anschließend gelagert, wenn Sie nach dem Stand der Technik, wie Sie sagen, umweltfreundlich entsorgen?
Pfahls, Staatssekretär: Herr Abgeordneter, diese Frage würde ich Ihnen gern schriftlich beantworten.
Wir sind damit am Ende der Fragen dieses Geschäftsbereichs. Ich danke dem Staatssekretär für die Beantwortung der Fragen.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr. Herr Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Schulte steht zur Beantwortung der Fragen zur Verfügung.
Die Frage 43 des Abgeordneten Antretter soll schriftlich beantwortet werden. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 44 der Frau Abgeordneten Blunck auf:
Welche ökologischen und wirtschaftlichen Auswirkungen hätten aus einem leckgeschlagenen Tanker bei Helgoland ausgelaufene 40 000 Tonnen 01 auf die Nordsee und das Wattenmeer, und wie kann eine solche unvorstellbare, aber nicht unwahrscheinliche Katastrophe nach Meinung der Bundesregierung verhindert werden?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Kollegin, die Frage läßt sich nicht abstrakt beantworten. Die Auswirkungen eines Tankerunfalls auf das Ökosystem der Nordsee und das Wattenmeer wären abhängig von der Zusammensetzung des Rohöls sowie von den jahreszeitlichen, hydrographischen und klimatischen Bedingungen.
Zur Verhütung von Tankerunfällen hat die Bundesregierung ein umfangreiches Vorsorgeprogramm entwickelt, das in dem Bericht der Bundesregierung an den Deutschen Bundestag vom 3. Januar 1985 über Maßnahmen zur Verhinderung von Tankerunfällen und zur Bekämpfung von Ölverschmutzungen der Meere und Küsten im einzelnen dargestellt ist. Es geht hier um die Drucksache 10/2690.
Die Kernpunkte sind: die Einrichtung eines Tankersicherheitsweges Deutsche Bucht/Westansteuerung, die Lotsenannahmepflicht für 01-, Gas- und Chemikalientanker über 10 000 BRT, Verkehrsüberwachung, Verkehrsberatung und Verkehrsregelung sowie Sicherheit der Seeschiffe hinsichtlich Bau und Ausrüstung sowie Besetzung und Betrieb.
International werden Bau und Ausrüstung der Tankschiffe durch Vorschriften der Internationalen Seeschiffahrtsorganisation geregelt. Diese werden laufend den neuesten Entwicklungen angepaßt.
Zusatzfrage, Frau
Blunck.
Ich möchte gerne von Ihnen wissen, warum Sie das, was Sie genannt haben, als Vorsorge bezeichnen; denn alle Maßnahmen, die in der Drucksache 10/2690 aufgeführt worden sind, sind keine vorbeugenden Maßnahmen, sondern sie sind
10280 Deutscher Bundestag - 11 . Wahlperiode — 139 Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. April 1989
Frau Blunck
lediglich dazu geeignet, die Auswirkungen eines bereits entstandenen Untalls zu minimieren. Wenn Sie sagen, daß die Lotsenannahmepflicht und die Sicherheitsvorschriften vorbeugende Maßnahmen sind, dann möchte ich Sie nach der Regelung für Containerschiffe fragen. Wieweit ist dort überhaupt ein Anmeldeverfahren vorgesehen, so daß tatsächlich so etwas wie eine Schadensabwendung betrieben werden kann. Ich möchte das gerne konkretisieren. Bei einem Containerschiff, das überwiegend eine Bananenfracht hat, könnte es durchaus sein, daß in einem der Container Chemikalien enthalten sind und dieses dann nicht angemeldet wird.
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Zunächst einmal, Frau Kollegin, glaube ich schon, daß es Vorsorge ist, wenn man einem Schiff einen Lotsen beigibt, der sich in den Gewässern auskennt. Ich meine auch, daß ein extra Sicherheitsweg für Tanker in den Bereich Vorsorge einzuordnen ist. Ich kann das überhaupt nicht anders einordnen.
Die Frage nach den Containervorschriften müßte ich schriftlich beantworten; das war nicht Teil Ihrer Frage. Eine Antwort darauf konnte somit nicht erwartet werden.
Eine weitere Zusatzfrage, Frau Blunck.
Ich habe nach den Auswirkungen gefragt. Ich gehe einmal davon aus, daß Sie die Befahrensregelung und auch die Gefahrenabwendung genau kennen. Können Sie mir in diesem Zusammenhang die Frage beantworten, welche Feuerwehr für welchen Bereich zuständig ist? Nur diese Frage möchte ich beantwortet haben.
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, das muß ich Ihnen schriftlich beantworten.
Nunmehr stellt Frau Faße eine Zusatzfrage.
Auch wenn Sie keine detaillierten Ausführungen über die wirtschaftlichen Auswirkungen einer Katastrophe machen können, so denke ich doch, daß wir uns einig sind, daß diese sehr erheblich sein können. Halten Sie die von Ihnen genannten vorbeugenden Maßnahmen im Hinblick auf die zur Zeit bestehende Lotsenannahmepflicht für ausreichend?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, ich wurde nach Tankern gefragt. Es gibt für so große Tanker, um die es hier ja geht, bisher keine Vorschläge, die über das hinausgehen, was wir heute schon haben. Wir haben heute morgen im Verkehrsausschuß — Sie waren daran beteiligt — über andere Fälle gesprochen. Es ging dabei um kleine Schiffe. Bei Öltankern waren es Schiffe bis 300 BRT. Ich wurde nach anderen Dimensionen gefragt, die z. B. der bei dem Unfall in Alaska entsprechen.
Herr Lennartz hat auch noch eine Zusatzfrage zu Frage 44. — Bitte schön!
Herr Staatssekretär, wenn Sie die Frage, wie hoch der ökologische und ökonomische Schaden gewesen wäre, nicht abstrakt beantworten können, frage ich Sie, ob Sie ein Szenario theoretischer Art entwickelt haben, wie hoch der ökonomische und ökologische Schaden bei einem angenommenen Unfall wie dem wäre, den die Kollegin Blunck in der Frage 44 angesprochen hat.
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Es gibt eine ganze Reihe von Vorstellungen, die z. B. in Vereinbarungen mit den Küstenländern gipfeln. Es gibt konkrete Einsatzpläne und Meldeköpfe für solche Unfälle. Im Zusammenhang mit den Antworten auf die nachfolgenden Fragen wird darauf hingewiesen, daß bis zu 20 Schiffe zur Verfügung stehen, um solche Unfälle zu bekämpfen. Ich glaube, man kann Ihre Frage, ob ein Szenario entwickelt worden ist, mit Ja beantworten. Allerdings gingen wir bisher nicht von solch riesigen Schiffen wie dem aus, mit dem wir es in Alaska zu tun hatten.
Ich rufe die Frage 45 der Abgeordneten Frau Blunck auf:Wie beurteilt die Bundesregierung die Sicherheitsanforderungen an Schiffe und Besatzungen der auf der Nordsee fahrenden Schiffe und die bestehenden Haftungs- und Versicherungspflichten bei 01- und Chemikalienunfällen, und wie beurteilt sie die Forderungen nach verschärften Sicherheitsanforderungen und einer verschuldensunabhängigen Haftung für Schäden durch derartige Unfälle ohne Begrenzung der Schadenssummen?Bitte schön, Herr Staatssekretär.Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, nach Auffassung der Bundesregierung hat sich das Tankersicherheitskonzept, das in dem Bericht an den Deutschen Bundestag vom 3. Januar 1985 dargestellt wurde, bisher bewährt. Wir warten aber auf die Auswertung, auf den offiziellen Bericht der amerikanischen Behörden. Wir werden eine Checkliste anfertigen und ganz genau untersuchen, was wir auf Grund der dort gemachten schrecklichen Erfahrungen bei uns ändern müssen.Die Ausbildung der an Bord von Schiffen unter der deutschen Flagge fahrenden Besatzungen entspricht einem hohen Standard und übertrifft in fast allen Punkten die auf Grund internationaler Übereinkommen bestehenden Verpflichtungen. Gleichwohl wird die Bundesregierung auf der Grundlage des noch ausstehenden Untersuchungsberichts der US-Behörden — ich habe das gerade gesagt — auch die internationalen Vorschriften auf eventuell notwendige Ergänzungen und deutsche Aktivitäten überprüfen.Nationale Sofortmaßnahmen für eine Änderung der Bau- und Ausrüstungsvorschriften von Tankern sind angesichts der Tatsache, daß Großtanker — leider — nicht unter deutscher Flagge fahren, nicht notwendig.Die bestehenden Haftungs- und Versicherungspflichten bei Öl- und Chemikalienunfällen reichen nach Ansicht der Bundesregierung nur teilweise aus. Dies ist auch eine Ergänzung auf die Frage des Kollegen Lennartz von vorhin. Für Chemikalienunfälle besteht kein internationales Haftungsübereinkommen, während für die Haftung für Schäden aus Ölverschmutzung nach dem Haftungsübereinkommen von
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Parl. Staatssekretär Dr. Schulte1969 und dem Ölhaftungsfonds-Übereinkommen von 1971 zu niedrige Haftungshöchstsummen ausgewiesen werden. Die Bundesregierung hat deshalb international als einer der ersten Staaten die Zusatzprotokolle von 1984 zu den vorgenannten Haftungsübereinkommen im Oktober 1988 ratifiziert und das Ölschadengesetz vom 30. September 1988 national umgesetzt. Dadurch werden insbesondere die bestehenden Haftungshöchstsummen auf das Drei- bis Vierfache angehoben und auch Tankerunfälle großen Ausmaßes abgedeckt. Es ist zu hoffen, daß die Zusatzprotokolle von 1984 so schnell wie möglich international in Kraft treten werden.
Zusatzfrage, Frau
Blunck.
Sie haben mir auf meine Frage 44 geantwortet, daß Sie weder die ökologischen noch die wirtschaftlichen Auswirkungen in etwa quantifizieren können. Sie antworten mir auf die Frage nach den Haftungshöchstsummen, daß Sie diese jetzt zwar nicht als ausreichend betrachten, aber als ausreichend ansehen, wenn sie drei- bis viermal so hoch sind. Meine Frage ist: Können Sie einmal versuchen, mir zu erklären, wie die Schädigung eines ökologischen Systems überhaupt über Versicherung und Haftung wieder in Ordnung gebracht werden kann?
Dazu die Frage — wenn ich Sie richtig verstanden habe, sagen Sie, daß der Standard der unter deutscher Flagge fahrenden Schiffe in bezug auf Ausbildung der Seeleute ein sehr hoher ist — : Erklären Sie mir bitte, nachdem wir jetzt die Ausweichmöglichkeiten in das zweite Schiffahrtsregister zugelassen haben, was nun im Hinblick auf Sprachschwierigkeiten, im Hinblick auf hohen Ausbildungsstand passiert.
Frau Kollegin, wenn Sie noch weiterfragen, erhält der Staatssekretär nicht mehr das Wort zur Beantwortung, denn wir sind am Ende der Fragestunde. Sie hatten Ihre Frage schon mindestens zweigeteilt. Das reicht. — Herr Staatssekretär.
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, durch das neue Schiffahrtsregister wird es möglich, daß Schiffe nach wie vor unter deutscher Flagge fahren, daß dort also deutsche Vorschriften gelten, daß deutsches Personal an Bord ist. Die Alternative — das haben wir durchgespielt — wäre doch noch mehr Ausflaggung mit der Konsequenz, daß von unseren Vorschriften überhaupt nichts mehr zur Anwendung käme.
Der erste Teil Ihrer Frage bezog sich auf das Ökosystem. Da kann man mit Geld sicherlich einiges machen, aber ich bin davon überzeugt: längst nicht alles. Ich glaube, da treffen sich unsere Meinungen.
Weitere Wortmeldungen kann ich leider nicht zulassen. Wir sind schon über die Zeit, und einige von uns sitzen bereits drei Stunden hier. Ich danke dem Staatssekretär für die Beantwortung der Fragen und beende die Fragestunde.
Die restlichen Fragen werden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Wir sind damit am Schluß unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 27. April 1989, 9 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.