Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet. Ich rufe Punkt 1 der Tagesordnung auf:
Befragung der Bundesregierung
Meine Damen und Herren, die Themen der Kabinettsitzung, die der Bundesminister für besondere Aufgaben und Chef des Bundeskanzleramtes mitgeteilt hat, sind den Fraktionen bekannt. Ich brauche sie also nicht mehr vorzulesen.
Wir kommen zuerst zur Befragung bezüglich der 17. und 18. Änderungsverordnung der Durchführungsverordnung zum Ausländergesetz. Die Bundesregierung hat mir mitgeteilt, daß hierzu der Bundesminister des Innern berichten wird.
Ich erteile dem Herrn Innenminister das Wort.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Kabinett hat heute den beiden Entwürfen für eine 17. und 18. Änderungsverordnung der Durchführungsverordnung zum Ausländergesetz zugestimmt. Die Verordnungen bedürfen der Zustimmung des Bundesrates, bevor sie in Kraft gesetzt werden können.
Das Kabinett hat weiterhin beschlossen, die Sichtvermerksabkommen mit Barbados und der Dominikanischen Republik sowie mit Jugoslawien zu kündigen.
Die 17. Änderungsverordnung sieht die Einführung der Sichtvermerkspflicht gegenüber 14 afrikanischen, asiatischen und südamerikanischen Staaten vor. Es sind Barbados, Birma, die Dominikanische Republik, Gabun, Indonesien, Kamerun, Kongo, Philippinen, Ruanda, Südafrika, Südwestafrika/Namibia, Thailand, Trinidad und Tobago, Uganda und die Zentralafrikanische Republik.
Mit dieser Maßnahme wird das zwischen den Schengener Vertragspartnern und zwischen den für Einwanderungsfragen zuständigen Ministern der EG-Staaten bisher vereinbarte Programm zur Harmonisierung der Sichtvermerkspflicht umgesetzt.
Außerdem ist mit dieser Verordnung das sogenannte Zwischenlandungsprivileg — das ist die Befreiung von der Aufenthaltserlaubnispflicht und vom Paßzwang im Flugdurchgangsverkehr für eine einmalige Zwischenlandung im Bundesgebiet — für diejenigen türkischen Staatsangehörigen aufgehoben, die kein Visum für einen EG-Staat, Kanada oder die USA besitzen.
Die Maßnahme ist dringend notwendig geworden, weil im vergangenen Jahr bereits rund 7 500 türkische Asylbewerber unter Ausnutzung des Zwischenlandungsprivilegs ins Bundesgebiet eingereist sind; das ist fast die Hälfte aller türkischen Asylbewerber.
Der Türkei hatten wir bereits im Dezember 1987 unmißverständlich erklärt, daß wir zu dieser Maßnahme gezwungen sind, wenn die illegale Zuwanderung auf diesem Wege anhält.
Durch die 18. Änderungsverordnung ist die Sichtvermerkspflicht für jugoslawische Staatsangehörige eingeführt worden. Diese Maßnahme ist unumgänglich geworden, weil die Zahl jugoslawischer Asylbewerber seit 1987 sprunghaft angestiegen ist. 1988 waren es mehr als 20 000. Jugoslawische Staatsbürger bilden damit nach Polen mit 29 000 die zweitgrößte Gruppe von Asylbewerbern. Diese Entwicklung hat sich im Januar und Februar dieses Jahres mit 2 800 und dann 2 900 Asylbewerbern unverändert fortgesetzt.
Noch nicht abschließend entschieden ist, wann die 18. Änderungsverordnung in Kraft gesetzt wird. Das Kabinett wird darüber im Mai befinden, wenn die Zustimmung des Bundesrates vorliegt.
Außerdem hat sich das Bundeskabinett heute mit dem Gesetz zur Ergänzung des Katastrophenschutzgesetzes beschäftigt und den vorliegenden Entwurf beschlossen.
Zunächst zu diesem Bereich, Herr Abgeordneter Nöbel, bitte.
Herr Minister, ich will Sie zu Sichtvermerken für Jugoslawen befragen. Hat die Bundesregierung bei dieser Entscheidung die besondere Situation Österreichs bedacht? Ich denke insbesondere an das Minderheitenproblem der Slowenen und daran, daß Österreich ein Transitland ist.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ja, das hat die Bundesregierung getan. Ich war in der letzten Woche in Wien, um mit meinem österreichischen Kollegen die Maßnahmen zu besprechen, die
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9530 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 130. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. März 1989
Bundesminister Dr. Zimmermannsich für Österreich aus einer Beschlußfassung ergeben, wie sie jetzt stattgefunden hat. Mein österreichischer Kollege hat mir zugesagt, daß er nach seinen Möglichkeiten dafür sorgen wird, daß nur jugoslawische Staatsbürger in die Bundesrepublik durch Osterreich einreisen können, wenn sie einen deutschen Sichtvermerk haben, falls diese Sichtvermerkspflicht — ich sagte ja, da gibt es noch eine Nachdenkpause von einigen Monaten — wirklich beschlossen werden sollte.
Eine Frage, Herr Abgeordneter Graf von Waldburg-Zeil, bitte.
Meine Frage geht an die Frau Staatsministerin. Das Ziel des Sichtvermerkes soll es ja doch wohl sein, Einreisewünsche offensichtlich unbegründet Asylbegehrender von vornherein zu unterbinden. Wird aber bei der Notierung der Sichtvermerke dann, wenn es sich um einen offensichtlich begründeten Fall handelt, der Sichtvermerk auch erteilt?
Bitte, Frau Staatsminister.
Herr Abgeordneter, die Sichtvermerke werden von den Vertretungen der Bundesrepublik Deutschland nach den dafür geltenden gesetzlichen Bestimmungen erteilt, d. h. wenn ein Visum beantragt ist, wird beim Ausländerzentralregister in der Bundesrepublik nachgesehen — dieses Verfahren ist auch durch elektronische Datenverarbeitung inzwischen weitgehend verkürzt — , ob irgendwelche Hindernisse bestehen, ein Besuchsvisum auszustellen. Wenn keine Hindernisse aus diesem Zentralregister deutlich werden, wird das Visum in der Regel erteilt.
Selbstverständlich wird bei offensichtlich begründeten Anträgen — wenn deutlich sichtbar ist, daß Not am Mann ist — dieses Visum auch erteilt werden, ohne daß eine endgültige Antwort aus dem Zentralregister vorliegt. Darauf bezog sich wohl Ihre Frage.
Auf der anderen Seite muß ganz klar sein, daß es nicht Aufgabe der Auslandsvertretungen der Bundesrepublik Deutschland sein kann, irgendwelche, in irgendeiner Form geartete, regelmäßige Vorprüfungen vorzunehmen.
Frau Abgeordnete Hämmerle, bitte.
Hat die Bundesregierung bei ihren Beratungen die Erfahrungen mit der Volksrepublik Polen bezüglich der Regelung über die Visa bedacht, die ja bisher keinen Erfolg gebracht haben?
Bitte, Herr Innenminister.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Situation bezüglich Polen, wo im letzten Jahr 725 000 Visa erteilt worden sind — mit steigender Tendenz — und die Situation Jugoslawien, wo es keine Visapflicht gegeben hat, wo die Einreisen zwischen 2 und 3 Millionen bei rund 650 000 in der Bundesrepublik lebenden jugoslawischen Staatsbürgern geschätzt werden, sind nicht miteinander vergleichbar.
Wie gesagt, wir haben ja Ankündigungen der jugoslawischen Seite, daß das Problem von dort aus gesehen wird und auch geregelt werden soll. Im Februar dieses Jahres haben wir allerdings keinen Anhaltspunkt dafür gehabt, daß solche möglichen Maßnahmen gegriffen hätten. Wir werden abzuwarten haben, wie sich die Lage im März und April entwickelt. Im Mai wird sich das Bundeskabinett dann ohnehin wieder mit der Sache beschäftigen.
Frau Hamm-Brücher, bitte sehr.
Da die mögliche Einführung einer Visumspflicht offenbar wenig daran ändern kann, daß weiterhin eine hohe Zahl von jugoslawischen Besuchern hier um Asyl nachsuchen werden, möchte ich die Bundesregierung fragen, ob sie nicht rechtzeitig darauf hinweisen kann und sogar muß, daß Besucher aus Jugoslawien, die nachträglich einen Asylantrag stellen, damit rechnen müssen, daß sie umgehend mit ihrer Abschiebung aus der Bundesrepublik Deutschland zu rechnen haben, wenn der Antrag abgelehnt wird — weil er im Hinblick auf die innenpolitischen Entwicklungen in diesen Ländern offenkundig unbegründet ist — , um damit einen gewissen abschreckenden Effekt zu erreichen, wenn es darum geht, auf diesem Umweg hier Asyl zu bekommen.
Herr Innenminister, bitte.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Bundesregierung wird auch das tun, wobei die Abschiebung ja nicht Sache der Bundesregierung, sondern Sache der Behörden der Länder ist. Auf der anderen Seite kann man überhaupt nicht sagen, daß die Visumspflicht nichts nützen würde. Wir haben das am Beispiel der Türkei gesehen, wo wir vor acht, neun Jahren absolute Höhepunkte in der Zuwanderung hatten. Das hat sich durchaus ausgewirkt. Wir hoffen, daß das auch in diesem von mir genannten Fall so sein wird.
Herr Abgeordneter Penner.
Will die Bundesregierung auch nach Einführung der Visumspflicht gegenüber Jugoslawien an dem Institut des Besuchervisums festhalten?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich möchte darauf im Moment keine Antwort geben, weil noch nicht feststeht, ob und wann die Visapflicht wirklich eingeführt wird.
Herr Abgeordneter Cronenberg, bitte.
Sie haben, Herr Minister, auf die Erfahrungen mit der Türkei hingewiesen. Aber sind denn nicht die Erfahrungen mit der Visumspflicht in Polen gegenteilig gewesen, und hat sie eben nicht zu einer Eindämmung geführt?
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 130. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. März 1989 9531
Cronenberg
An das Auswärtige Amt: Bedeutet dies eine Erhöhung der Personalbestände in den jeweiligen Botschaften oder Generalkonsulaten?
Herr Abgeordneter, in der Tat ist mit einer erheblichen Ausweitung des Stellenbedarfs für den konsularischen Bereich durch das Auswärtige Amt zu rechnen.
Im Falle der Visumpflicht für Jugoslawien gehen wir von folgenden Überlegungen aus: Es leben etwa 650 000 Jugoslawen in der Bundesrepublik. Im vergangenen Jahr hatten wir ca. 2 Millionen Besuchsreisen in die Bundesrepublik. Das heißt, wir müssen davon ausgehen, daß wir mit mindestens 2 Millionen Visaanträgen konfrontiert werden. Das bedeutet, daß wir damit rechnen, ca. 120 zusätzlich entsandte Mitarbeiter für Jugoslawien zu brauchen. Dazu kämen noch einmal etwa 500 Ortskräfte, die einzustellen sind.
Dazu kommen die Überlegungen im Zusammenhang mit Polen. Dort sind eine sehr geringe Zahl von entsandten Mitarbeitern — bedauerlicherweise zuwenig; das Auswärtige Amt hat, bisher vergeblich, schon versucht, zusätzliche Stellen dafür zu bekommen — mit einer steigenden Anzahl von Visumanträgen konfrontiert, was zu den Auswirkungen führt, die auch in der Öffentlichkeit beklagt worden sind. Auch hier ist also mit einem erheblichen personellen Mehrbedarf zu rechnen.
Herr Abgeordneter Nöbel, bitte.
Da ich davon ausgehe, daß bei der heutigen Entscheidung auch Kriterien katalogweise aufgestellt worden sind, ich aber bei den Antworten solche klaren Angaben vermisse, frage ich konkret: Wie wird nach einer Ablehnung eines Asylantrags verfahren, wenn dort der Antrag auf ein Visum für eine erneute Einreise gestellt wird?
Wer möchte von der Bundesregierung antworten? —
Herr Abgeordneter, ich würde Ihnen die Antwort darauf gern schriftlich zukommen lassen. Ich gestehe Ihnen, das übersteigt im Moment mein Wissen.
Einverstanden. — Herr Abgeordneter Gerster, bitte.
Herr Bundesinnenminister, da wahrscheinlich auch Ihnen bekannt geworden ist, daß die sozialdemokratische Fraktion jetzt verstärkt Abschiebungen in Ostblockstaaten fordert: Würden Sie mir zustimmen, daß es humaner ist, bei Einführung von Visumpflichten und korrekter Anwendung der Visumbestimmungen lieber nichtpolitisch Verfolgten am Anfang klarzumachen, daß sie hier nicht einfach einreisen und bleiben können, als
sie nach einem jahrelangen Asylverfahren durch Administration und Gerichtsinstanzen dann anschließend abzuweisen, und daß insofern die Einführung einer Visumpflicht in ihren Auswirkungen durchaus ein humanitäres Signal sein kann?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich stimme Ihnen zu.
Bitte schön, Herr Abgeordneter.
Herr Bundesminister, können Sie mir dann bitte auch sagen, wie der deutsche Konsularbeamte erkennen kann, ob jemand die Bundesrepublik nur besuchen oder ob er auch einen Asylantrag stellen will?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nun, es gibt Länder, Herr Kollege, die das schriftliche Verfahren bevorzugen. Da muß man vorher einen Antrag einreichen, muß den Zweck angeben, und dann wird man vorgeladen. Dann wird man gefragt, wieviel Geldmittel man dabei hat, ob man eine Rückfahrkarte hat und, und, und. Zwischen diesem und dem sofortigen Touristen/Besucher-Visum ist also ein breites Entscheidungsspektrum.
Im übrigen wiederhole ich: Die jugoslawische Seite hat uns mitgeteilt, daß sie Mittel und Wege sieht, um diesen Ansturm drastisch zu vermindern. Wir werden abzuwarten haben, ob das wirklich so ist.
Keine weiteren Fragen mehr zu diesem Geschäftsbereich.
Dann kommen wir zum nächsten Thema, das in der Kabinettsitzung behandelt worden ist. Ich rufe also das Thema Katastrophenschutzgesetz auf. Wer von der Bundesregierung möchte den Bericht zum Katastrophenschutzgesetz geben? — Es gibt keinen Bericht? —
Dann kommen wir zum Gesetz über die Orthoptisten und Orthoptistinnen. Wer möchte dazu einen Bericht abgeben?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Kabinett hat sich heute mit dem Orthoptistengesetz befaßt. Orthoptisten sind Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen von Augenärzten und Augenärztinnen. In der Bundesrepublik werden jährlich etwa 2,5 Millionen Patienten wegen Schielerkrankungen und Augenzittern untersuchungs- und behandlungsbedürftig. Es existieren zur Zeit elf Schulen, meist an Universitätskliniken angegliedert, die die Orthoptisten und Orthoptistinnen ausbilden.
Bisher bestand eine unterschiedliche Ausbildungszeit. Es gibt in zwei Ländern dreijährige und in zwei Ländern zweieinhalbjährige Ausbildungszeiten. Es ist notwendig, hier die Ausbildungszeiten zu vereinheitlichen. Die Ausbildung wird jetzt einheitlich auf drei Jahre festgelegt.
Gibt es dazu Fragen? — Bitte, Frau Abgeordnete Schmidt.
Wir hatten vor mittlerweile drei Jahren — vielleicht ist es schon vier
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9532 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 130. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. März 1989
Frau Schmidt
Jahre her — einen Gesetzentwurf der SPD-Bundestagsfraktion zu diesem Thema. Wodurch unterscheidet sich der jetzige Gesetzentwurf von dem, den wir vor drei bis vier Jahren eingebracht haben?
— Das ist wohl der einzige Unterschied.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das kann ich Ihnen nicht sagen. Ich werde es Ihnen gerne nachreichen. Ich weiß, daß dieser Gesetzentwurf auf Eis gelegen hat. Ich habe mich nochmals mit den Experten aus den Koalitionsfraktionen zusammengesetzt. Wir haben den neuen Entwurf erörtert und hielten es für notwendig, daß dieser Gesetzentwurf jetzt eingebracht wird.
Ist dieser Gesetzentwurf in der Zwischenzeit mit den Bundesländern abgestimmt worden?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ja, das ist er.
Dazu keine weiteren Fragen? —Dann kommen wir zu den offenen Fragen. Frau Abgeordnete Roitzsch, bitte.
Ich habe eine Frage an Bundesminister Töpfer. Herr Minister, wie beurteilen Sie die Sendung eines einschlägigen Fernsehmagazins über die angebliche RecyclingLüge der Bundesregierung, wonach Abfall- bzw. Wertstoffe wie Glas, Papier und Weißblech tatsächlich nicht getrennt wiederaufbereitet werden?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Abgeordnete, ich bedaure diese Sendung außerordentlich, allein deswegen, weil die mühsame, intensive Arbeit vieler Kommunen, die Bürger zum Mitmachen und Mithandeln beim Wiederverwerten von Abfallstoffen zu motivieren, dadurch erheblich beeinträchtigt wird.
Die Zahlen sind ganz eindeutig. Gegenwärtig werden 40 % des ganzen Glases, das produziert wird, als Altglas wiederverwertet, das sind über 1,1 Millionen Tonnen, die wieder eingesetzt werden und nicht auf eine Deponie gelangen. Wir haben über 4 Millionen Tonnen Altpapier, die hier oder im Export wirklich verwandt werden. Wir haben auch beim Weißblech eine Recyclingquote, die an die 40 % herangeht.
Ich möchte die Gelegenheit sehr gerne nutzen und allen Bürgern deutlich machen, daß das, was sie getrennt sammeln, von den Kommunen und von den Ländern mit Nachdruck einer Wiederverwertung zugeführt wird und eben nicht irgendwo auf einer Deponie untergebracht wird.
Gibt es noch den Wunsch nach einer Zusatzfrage zu diesem Bereich der offenen Fragen? — Nein.
Dann Frau Abgeordnete Wieczorek-Zeul; bitte sehr.
Am 19. Januar 1989 hat der Deutsche Bundestag mit den Stimmen der Fraktionen der CDU/CSU, der FDP und der SPD folgenden Beschluß gefaßt — ich zitiere — :
Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf, in folgenden Bereichen besondere Aktivitäten zu entfalten: Bürgerrechte. Das allgemeine Wahlrecht auf allen Ebenen für Bürgerinnen und Bürger der Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft in allen Mitgliedstaaten, in denen sie ihren Wohnsitz haben, sollte so schnell wie möglich eingeführt werden.
Damit hat sich der Deutsche Bundestag auch für ein kommunales Wahlrecht für EG-Bürgerinnen und Bürger ausgesprochen, wozu die EG-Kommission ja eine entsprechende Richtlinie vorgelegt hat.
Wann wird die Bundesregierung diesen Beschluß des Deutschen Bundestages umsetzen, und was sieht sie dazu praktisch vor?
Frau Kollegin, wir müssen etwas kürzer mit den Fragen sein.
Bitte, Herr Bundesminister Schäuble.
Frau Kollegin, der Beschluß des Deutschen Bundestages vom 19. Januar ist der Bundesregierung bekannt. Sie wird sich entsprechend der Aufforderung des Deutschen Bundestages bemühen.Sie wissen, daß der Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion an den Vorsitzenden der CDU/CSU-Bundestagsfraktion einen Brief geschrieben hat, in dem er auf einen von ihm gesehenen Widerspruch zwischen der Haltung der CDU/CSU in Sachen kommunales Wahlrecht für Ausländer und dieser Entscheidung des Deutschen Bundestages aufmerksam gemacht hat. Der Vorsitzende der SPD-Fraktion hat auch dem Bundeskanzler eine Ablichtung seines Schreibens an Herrn Dr. Dregger übersandt.Sie wissen vielleicht auch, daß der Kollege Dregger inzwischen Herrn Kollegen Vogel geantwortet hat und daß er in diesem Antwortschreiben feststellt, daß die vom Deutschen Bundestag am 19. Januar angenommene Beschlußempfehlung des Auswärtigen Ausschusses sich nicht mit dem kommunalen Ausländerwahlrecht befaßt, sondern mit der Einführung des allgemeinen Wahlrechts auf allen Ebenen, also auch auf staatlicher Ebene.Dieses Wahlrecht hängt von Fortschritten in der politischen Einigung Europas ab, die diesem vereinigten Europa einen bundesstaatlichen Charakter geben. Ich zitiere Herrn Dr. Dregger:Das kommunale Ausländerwahlrecht lehnen wir weiterhin entschieden ab. Das Wahlrecht ist das vornehmste Bürgerrecht, daß nur derjenige in Anspruch nehmen kann, der auch alle Bürgerpflichten erfüllt, wozu z. B. die Wehrpflicht gehört. Im übrigen stelle ich fest, daß das in Hamburg und in Schleswig-Holstein beschlossene Ausländerwahlrecht mit der Europäischen Ge-
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 130. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. März 1989 9533
Bundesminister Dr. Schäublemeinschaft nichts zu tun hat, sondern bestimmte Ausländergruppen unabhängig von der EG-Mitgliedschaft mit dem Wahlrecht ausstattet. Diese Gesetze sind nach unserer Auffassung eindeutig verfassungswidrig. Wir haben beschlossen, sie einem Normenkontrollverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht zu unterziehen.Soweit das Antwortschreiben von Herrn Dr. Dregger an Herrn Dr. Vogel.Die Bundesregierung teilt die Auffassung des Vorsitzenden der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, daß die Entscheidung des Deutschen Bundestags vom 19. Januar mit der aktuellen Diskussion um ein kommunales Wahlrecht für Ausländer nichts zu tun hat.
Gibt es zu diesem Komplex noch Fragen? — Bitte sehr, Herr Brück.
Herr Bundesminister, habe ich Sie eben richtig verstanden, daß Sie gesagt haben, die Bundesregierung werde sich entsprechend der Aufforderung des Deutschen Bundestages bemühen, das Wahlrecht für EG-Bürger auf allen Ebenen einzuführen? Heißt das also doch, daß Sie für das Wahlrecht von Ausländern sind, die nicht deutsche Staatsbürger sind, soweit sie Bürger eines EG-Staates sind — dies würde ich gerne sehr konkret wissen — , oder lehnen Sie nach wie vor auch das Wahlrecht für EG-Bürger in der Bundesrepublik ab? Ich möchte auch gerne wissen, wie der Bundesminister des Auswärtigen und der Bundesminister der Justiz dies sehen.
Herr Bundesminister.
Ich nehme gern die Chance wahr, Fragen zu beantworten. Dabei füge ich gleich hinzu, Herr Präsident, daß wir uns zwischen Bundestag und Bundesregierung ja wohl darauf verständigt haben, daß es Sache der Bundesregierung ist, Fragen aus der Mitte des Hohen Hauses zu beantworten. — Herr Kollege Brück, dazu gibt es eine Antwort, und die wird Ihnen gerade — ich versuche, so gut wie es mir gegeben ist — zuteil:
Meine erste Bemerkung, Herr Kollege Brück: Ich habe sehr bewußt den Brief des Vorsitzenden der CDU/CSU-Bundestagsfraktion verlesen, weil ich finde, daß es mehr Sache des Deutschen Bundestages selber als Sache der Bundesregierung ist, Entscheidungen, die der Deutsche Bundestag getroffen hat, zu interpretieren. Ich denke, daß das Schreiben des Vorsitzenden der größten Fraktion dieses Hauses an Herrn Dr. Vogel eine authentische Interpretation der Entscheidung des Deutschen Bundestages insoweit ist.
Wir müssen zwei Dinge unterscheiden: Was die Bestrebungen in der Europäischen Gemeinschaft und die von der Kommission vorgelegte Richtlinie, Frau Wieczorek-Zeul, anbetrifft, so wissen Sie, daß diese Richtlinie am 22./23. Mai — ich hoffe, daß das richtig ist — auf der Tagesordnung des Rates steht. Die Stellungnahme der Bundesregierung zu dieser Richtlinie wird derzeit zwischen den Ressorts geprüft.
Es gibt zwei Fragen, bei denen die beteiligten Ressorts noch unterschiedliche Positionen haben: Das ist einmal die Frage, ob es überhaupt in der Kompetenz der Europäischen Gemeinschaft liegt — nach den Römischen Verträgen einschließlich der Einheitlichen Akte — , ohne eine Vertragsergänzung ein solches Wahlrecht einzuführen. Die andere Frage ist — die spielt übrigens auch in Fragen hinein, über die der Kollege Zimmermann hier einleitend aus der Kabinettssitzung berichtet hat — , inwieweit durch europäische Rechtssetzung in nationales Verfassungsrecht eingegriffen werden kann. In diesen beiden Fragen sind wir dabei, uns für die Ratssitzung am 22. und 23. Mai vorzubereiten.
Aber richtig ist, Herr Kollege Brück, daß die Bundesregierung dabei bleibt — was sie oft gesagt hat —, daß sie im Rahmen einer Rechtsvereinheitlichung im Bereich der Europäischen Gemeinschaft — unter der Voraussetzung, daß es eine allgemeine Regelung auch der Gegenseitigkeit sein wird — für ein solches Ausländerwahlrecht ist. Richtig bleibt aber auch, daß die aktuelle Diskussion um die Einführung eines Kommunalwahlrechts für Ausländer damit nichts zu tun hat. Das sind vielmehr zwei völlig verschiedene Dinge.
Meine Damen und Herren, wir müssen mit den Fragen und vor allen Dingen auch mit den Antworten kürzer sein.
Diese Kabinettsbefragung ist mit wenigen Fragen verbraucht.
Herr Abgeordneter Gerster, bitte.
Herr Bundesminister, können Sie bestätigen, daß die Frage eines Wahlrechts für EG-Ausländer mit dem allgemeinen Kommunalwahlrecht für alle Ausländer, was die SPD — zum Teil mit der FDP — derzeit einführt, schon deshalb nichts zu tun haben kann, weil dies auf der europäischen Ebene nicht nur eine weitere Integration, sondern auch eine Gegenseitigkeit aller Staaten voraussetzt, und trifft es zu, daß eine Reihe von Staaten eine Zuerkennung von Wahlrecht für Ausländer bisher generell ablehnt, und zwar stärker als die Bundesrepublik Deutschland, z. B. Großbritannien? Trifft das zu?
Herr Präsident, Herr Kollege Gerster, den ersten Teil Ihrer Frage habe ich soeben ausgeführt; ich kann das bestätigen.
Auch beim zweiten Teil lautet die Antwort: Ja.
Herr Abgeordneter Conradi, Sie haben die vorletzte Frage zu diesem Komplex. Denn wir müssen auch zu anderen Fragebereichen kommen.Bitte sehr, Herr Abgeordneter Conradi.
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9534 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 130. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. März 1989
Herr Staatsminister, muß ich Ihren Hinweis auf die Wehrpflicht im Zusammenhang mit dem Wahlrecht dahin verstehen, daß die Bundesregierung den Beschluß des Bundestages hinsichtlich des Wahlrechts für EG-Ausländer nur insoweit verfolgen wird, als für EG-Ausländer hier dann auch eine Wehrpflicht eingeführt wird? —
Ich kann die Frage gerne wiederholen: Sie haben gesagt, das Wahlrecht sei auch an Pflichten gebunden, beispielsweise an die Wehrpflicht. Und ich frage Sie jetzt, ob Sie den Bundestagsbeschluß, der Sie auffordert, sich für die Einführung des Wahlrechts von EG-Ausländern auf allen Ebenen einzusetzen, davon abhängig machen wollen, daß auch für diese EG-Ausländer in der Bundesrepublik eine Wehrpflicht eingeführt wird.
Herr Kollege Conradi, Sie beziehen sich auf ein Zitat. Denn ich habe Ihnen das Antwortschreiben von Herrn Kollegen Dregger an Herrn Kollegen Vogel vorgelesen. Darin heißt es unter Ziffer 2 in der Tat: „Das kommunale Wahlrecht lehnen wir" — gemeint ist die CDU/CSU-Bundestagsfraktion; ich habe aus dem Schreiben zitiert — „weiterhin ab." Dann kommt der Zusammenhang, den Sie hergestellt haben.
Ich habe das hier nicht als eigene Position wiedergegeben, sondern ich habe über ein Schreiben des Vorsitzenden der CDU/CSU-Bundestagsfraktion berichtet. Ich habe dies deswegen getan — auch das habe ich schon erläutert — , weil ich nach wie vor finde, daß die unterschiedlichen Meinungen, die ich ja konstatieren kann, über die Interpretation einer gemeinsamen Entschließung vom 19. Januar am besten zwischen den Fraktionen des Hauses diskutiert werden und daß es nicht der Bundesregierung zukommt, amtlich zu interpretieren, wie der Bundestag es denn wohl gemeint habe.
Frau Abgeordnete Wieczorek-Zeul.
Herr Schäuble, dann interpretiere ich Sie richtig, daß die Bundesregierung zu der vorgelegten EG-Richtlinie zum kommunalen Wahlrecht für Ausländer und Ausländerinnen bisher noch keine Position festgelegt hat, aber dabei ist — auch unter dem Gesichtspunkt der europäischen Integration — , dies positiv zu prüfen? Habe ich Sie da richtig interpretiert?
Frau Kollegin, Sie haben mich richtig verstanden; da gibt es gar nichts zu interpretieren.
Denn ich habe gesagt: Wir haben noch in zwei Punkten — ich habe sie erläutert — Erörterungsbedarf hinsichtlich unterschiedlicher Positionen. Wir bereiten das für die Ratssitzung am 22. und 23. Mai vor.
Herr Abgeordneter Jahn, bitte.
Wir haben hier vor zwei Wochen eine Debatte gehabt, in der der Bundestag den Mordauftrag gegenüber dem Schriftsteller Rushdie einstimmig verurteilt hat. Was hat die Bundesregierung seit — —
Herr Abgeordneter Jahn, darf ich Sie unterbrechen. Wenn das ein neues Themengebiet ist, darf ich Frau Hamm-Brücher — nicht nur, weil sie eine Dame ist — den Vorrang geben, die sich schon länger gemeldet hat.
— Natürlich. Bitte schön, Frau Abgeordnete HammBrücher.
Nicht deshalb; aber wenn wir neue Themen aufgreifen, bin ich die längste Anwärterin. Vielen Dank, Herr Präsident.
Meine Frage betrifft die sehr begrüßenswerten Bemühungen der Bundesregierung für einen neuen Anfang in den deutsch-polnischen Beziehungen. Da es über die ersten Verhandlungen zwischen den Ressorts innerhalb der Bundesregierung sehr unterschiedliche Presseberichte gegeben hat, möchte ich jetzt einmal konkret wissen: Wann ist mit dem Besuch des polnischen Außenministers in Bonn zur Vorbereitung des Besuchs des Bundeskanzlers in Warschau zu rechnen?
Bleibt es bei dem, was Herr Teltschik neulich auch gegenüber der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" noch einmal bekräftigt hat, nämlich daß der Bundeskanzler beabsichtigt, noch vor dem Besuch von Generalsekretär Gorbatschow den Polenbesuch durchzuführen?
Bitte schön, Frau Staatsminister.
Frau Abgeordnete, der Bundeskanzler hat mehrfach in der Öffentlichkeit unterstrichen, wie wichtig es ist, diesen Neuanfang in den deutsch-polnischen Beziehungen energisch in Angriff zu nehmen. Die vorbereitenden Besprechungen sind in einem weit fortgeschrittenen Stadium.Dennoch muß konstatiert werden, daß es in Einzelfragen auch innerhalb der Bundesregierung einen Abstimmungsbedarf gibt.Zum jetzigen Zeitpunkt ist ein Termin für einen Besuch des polnischen Außenministers in der Bundesrepublik noch nicht vereinbart worden. Der Besuch ist im Prinzip vereinbart worden, der Termin steht noch nicht fest. Durch die Erkrankung des Außenministers
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 130. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. März 1989 9535
Staatsminister Frau Dr. Adam-Schwaetzerist heute auch noch offen, wann er vereinbart werden kann.Aber ganz sicherlich ist richtig, daß die Bundesregierung mit großem Nachdruck daran arbeitet, alle noch zu klärenden offenen Fragen auch auf unserer Seite möglichst rasch abzuklären, damit der Besuch möglichst bald stattfinden kann.
Gibt es zu dem Thema Polenbesuch noch eine Frage? — Herr Abgeordneter Jahn zu einem neuen Thema.
Vor zwei Wochen hat der Bundestag einstimmig den Aufruf Khomeinis zur Ermordung des Schriftstellers Rushdie verurteilt. Ich Frage die Bundesregierung: Was hat sie seither an weiteren Schritten unternommen, um diese Auffassung des Deutschen Bundestags auch gegenüber dem Iran klarzumachen und ihr Nachdruck zu verleihen?
Herr Abgeordneter, die Debatte im Deutschen Bundestag hat am 23. Februar 1989 stattgefunden. Zu diesem Zeitpunkt weilte bereits, wie ich damals ausgeführt habe, der Botschafter der Bundesrepublik Deutschland im Iran in der Bundesrepublik. Wir hatten zu diesem Zeitpunkt auch den Geschäftsträger bereits zurückberufen. Der Geschäftsträger weilt nach wie vor in Bonn.
Wir haben, wie ich damals angekündigt habe — dieses ist nun die konkrete Antwort auf Ihre Frage — , mit uns befreundete Staaten gebeten, die Position, die die EG in ihrer Außenministerratstagung auf Vorschlag der Bundesregierung eingenommen hat, ebenfalls zu unterstützen. Daraufhin haben Schweden und Norwegen ebenfalls ihre Botschafter aus dem Iran zurückgerufen.
Die Mordandrohung ist von vielen Staaten dieser Welt verurteilt worden. Die Abstimmung innerhalb der Europäischen Gemeinschaft wird als nächstes auf einem Treffen des Politischen Komitees in diesen Tagen weiter vorbereitet werden. Ganz sicher ist, daß von den damals ins Auge gefaßten Maßnahmen auch weitere Maßnahmen diskutiert werden können, da sich die Situation bisher noch nicht erkennbar verbessert hat.
Bedauerlicherweise hat die iranische Regierung die Aussagen des britischen Außenministers Howe und der britischen Premierministerin Thatcher, die ausdrücklich ihr Verständnis für die Reaktion moslemischer Gläubiger ausgedrückt haben, nicht zur Kenntnis genommen. Wir bedauern dies nachdrücklich; denn das bedeutet eine weitere Verhärtung der gesamten Situation, die es auch mit sich bringen kann, daß weitere Maßnahmen unausweichlich werden.
Zusatzfrage, bitte.
Wird die Bundesregierung weiter diskutieren, oder wird sie Maßnahmen vorschlagen?
Herr Abgeordneter, ich habe bereits in der Debatte darauf hingewiesen, daß wir für sehr
wichtig halten, daß in all diesen Fragen die Europäische Gemeinschaft gemeinsam handelt. Die Morddrohung richtet sich gegen einen britisch-iranischen Bürger. Wir sind alle davon betroffen, weil wir das friedliche Zusammenleben der Völker zutiefst betroffen sehen und weil wir gegen jegliche Einschränkung der Meinungsfreiheit entschlossen zusammenstehen müssen.
Ich habe damals ebenfalls ausgeführt, daß der iranischen Regierung natürlich Zeit zur Reaktion gegeben werden muß. Ich habe in meiner Antwort soeben darauf hingewiesen, daß bereits in diesen Tagen das Politische Komitee der Europäischen Gemeinschaft zusammentritt, um zu beraten, wie die Reaktion der Europäischen Gemeinschaft weiterhin ausfallen kann.
Frau Abgeordnete Hamm-Brücher, die Frage, die Sie noch stellen wollen, nehmen wir am Schluß dran. Denn jetzt haben wir ein neues Thema bekommen. — Frau Abgeordnete Schmidt .
— Frau Abgeordnete Hamm-Brücher, Sie wollen nur von einem anderen Minister — —
— Die Frage ist also nicht beantwortet worden.
— Herr Bundesminister Schäuble, wollen Sie die Frage beantworten? Es geht um den Polenbesuch.
Frau Kollegin, insoweit muß ich Ihnen sagen, daß ein Termin für eine Reise des Bundeskanzlers noch nicht feststeht und deswegen eine Aussage in bezug auf andere Termine weder vorher noch nachher getroffen werden kann.
Frau Abgeordnete Schmidt , also nicht zum Polenbesuch.
Weder zu Polen noch zu Rushdie. Ich glaube aber, der Kollege Hirsch hat zu Rushdie Fragen. Ich weiß es nicht.
— Dann darf ich.
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9536 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 130. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. März 1989
Frau Schmidt
Ich habe eine ganz andere Frage. Ich hätte gerne gewußt und frage die Bundesregierung — heute ist der 8. März — , in welcher Form das Kabinett den heutigen Internationalen Tag der Frau gewürdigt hat.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Abgeordnete, die Bundesregierung hat aus Anlaß des Internationalen Frauentages die Bedeutung der Politik für die Frau unterstrichen und Bilanz gezogen. Wir sind in den letzten Jahren ein erhebliches Stück vorangekommen, um die im Grundgesetz verankerte Gleichberechtigung der Frau tatsächlich zu verwirklichen, wenngleich wir wissen, daß noch einige Schritte zu gehen sind. Wir haben Bilanz gezogen. Ich glaube, aus Zeitgründen brauche ich das hier nicht in einzelnen Punkten aufzuzählen. Wir sind uns aber auch dessen bewußt geworden, daß der Internationale Frauentag ursprünglich eingeführt wurde, um das Wahlrecht für die Frau durchzusetzen.
Bei diesem Anlaß haben wir auf Grund einer neueren Untersuchung, die wir jetzt der Öffentlicheit vorgestellt haben, festgestellt, daß heutzutage sehr viele junge Frauen von dem damals mühsam erkämpften Wahlrecht keinen Gebrauch machen. Die Studie besagt, daß nur 33 % der Frauen bis zu 35 Jahren politisch interessiert sind, aber immerhin 62 To der Männer. Ich glaube, es ist unser aller Aufgabe, Ihre wie auch unsere, hieraus die notwendigen Schlußfolgerungen zu ziehen. Es gilt sicher, das politische Interesse und das politische Engagement gerade bei jungen Frauen zu stärken.
Eine weitere Frage, bitte.
Eine Zusatzfrage, Frau Ministerin. Könnte es sein, daß die jungen Frauen die Bilanz in der Frauenpolitik nicht ganz so positiv sehen? Bedeuten die Schlußfolgerungen, die Sie daraus ziehen, daß Sie heute im Kabinett konkrete Maßnahmen z. B. für junge Frauen beschlossen haben?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Was die Hintergründe dieses Verhaltens sind, kann ich Ihnen nicht bindend sagen. Tatsache ist jedoch, daß die Rentenversicherung durchaus die Situation der Frauen berücksichtigt, daß die Anerkennung von Familienzeiten und Erziehungszeiten im neuen Rentengesetz vorgesehen ist.
Die letzte Frage hat Herr Abgeordneter Hirsch.
Ich wäre für eine Information dankbar, ob das Kabinett sich mit den gestrigen Veröffentlichungen über die Firma Telemit beschäftigt hat, von der sich herausgestellt hat, daß sie vollständig in libyschem Besitz war, sich aber an Ausschreibungen der Bundeswehr beteiligen konnte, die unter Geheimschutz stehen, und die Genehmigung zum Export von militärischem Material in Drittländer erhalten hat.
Will von der Bundesregierung dazu jemand antworten? — Herr Bundesminister Schäuble, bitte.
Herr Präsident, ich kann zunächst einmal sagen, daß sich das Kabinett mit diesen Berichten heute nicht beschäftigt hat. Ich kann Ihnen, Herr Dr. Hirsch, aber zweitens sagen, daß sich der Bundesminister der Verteidigung mit den diesen Berichten zugrundeliegenden Sachverhalten bereits seit Wochen beschäftigt und entsprechende Vorkehrungen dagegen veranlaßt hat.
Damit schließe ich die Befragung der Bundesregierung.
Meine Damen und Herren, ich rufe den Zusatztagesordnungspunkt 1 auf:
Aktuelle Stunde
Die aktuelle Lage in Berlin
Die Fraktionen der CDU/CSU und der FDP haben gemäß unserer Geschäftsordnung eine Aktuelle Stunde zu dem genannten Thema verlangt.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Seiters.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die niederländische Tageszeitung „Handelsblad" schreibt über das Wahlprogramm der Partei, die künftig die geteilte Stadt Berlin mitregieren soll: „Es hätte auch in Ost-Berlin geschrieben werden können".
„Der Spiegel" verbreitet die Erkenntnis, die AL-Aktivisten in Berlin entstammten überwiegend der Antiimperalismusbewegung, der Häuserkampfbewegung und kommunistischen Gruppen.
Die „FAZ" spricht heute von anarchistischen und stalinistischen Elementen.Professor Löwenthal warnt die SPD, bei den GRÜNEN gebe es zu viele Leute, die nicht auf dem Boden der demokratischen Grundordnung stehen, und Walter Momper erklärt noch im Januar, die AL bekenne sich immer noch zu Gewalt, die AL sei politisch gar nicht kalkulierbar, sie sei ein vielschichtiger Haufen: „Mit der AL kann es im Interesse Berlins keine Koalition geben. "
Kaum ist die Wahl vorbei und sind die Stimmen kassiert, ist alles ganz anders. Herr Momper marschiert in die Koalitionsverhandlungen. Von der SPD-Bundesgeschäftsführerin Anke Fuchs hören wir, die AL sei eine stabile und zuverlässige Partei, und der SPD-Parteivorsitzende Vogel nennt diese Leute „durchaus manierlich und verantwortungsbewußt" .
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 130. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. März 1989 9537
SeitersMeine Damen und Herren, wenn es nicht zu traurig wäre, gäbe dies Stoff für eine Satire.
Ich kann nur sagen: Wer Wähler täuscht, darf sich über Protest nicht wundern. Nach Hessen sind hier in Berlin die Wähler erneut bedenkenlos hinters Licht geführt worden.
Umfrage von gestern: Sind Sie mit dem SPD/AL-Senat einverstanden? Nein: 59 %. Die Wähler sind getäuscht, belogen und betrogen worden. Das ist die Wahrheit.
Ich wundere mich, daß Sie das Wort von der politischen Glaubwürdigkeit überhaupt noch in den Mund nehmen können und wollen. Es wird gar nicht lange dauern, dann wird jedermann erkennen, daß die SPD mit ihrem Wortbruch ihre Verantwortung auf das schwerste verletzt, gegenüber ihren Wählern, gegenüber Berlin und gegenüber der Bundesrepublik Deutschland.
Meine Damen und Herren, es ist geradezu entlarvend, wie sehr sich die SPD bemüht, über das Wahlprogramm der Alternativen Liste nach Möglichkeit überhaupt nicht mehr zu reden. Sie beruft sich auf das Verhandlungspapier — auch darüber werden wir noch sprechen — , weil die SPD in einer Reihe von wichtigen Punkten teils wörtlich die Forderungen der AL übernommen hat. Für die Beurteilung der Alternativen Liste und für deren Geisteshaltung ist aber in erster Linie ihr eigenes Wahlprogramm entscheidend, und dies hat sich seit Januar überhaupt nicht verändert.Ich frage: Was ist denn von Regierungs- und Bündnispartnern der SPD zu halten, die die Streichung des gesamten politischen Strafrechts fordern, die Auflösung des Berliner Verfassungsschutzes, die Vernichtung der bei der Volkszählung gesammelten Daten, die Abschaffung aller freiheitsentziehenden Maßnahmen für Jugendliche, die Schließung aller besonderen Sicherheitsbereiche, z. B. des Moabiter Hochsicherheitstraktes,
und die da im geteilten Berlin wörtlich formulieren: „West-Berlin verzichtet gerne auf Horchposten der Alliierten. Die mililtärische Präsenz der Westalliierten wird bis auf einen symbolischen Rest abgebaut. Die Polizei wird abgerüstet, wird personell verkleinert, entwaffnet und ohne Feindbilder ausgebildet. "? Meine Damen und Herren, da fehlt wirklich nur noch die Verpflichtung der Polizeibeamten, Vermummte bei Demonstrationen zu grüßen; es könnte ja ein Vorgesetzter dabei sein.
Meine Damen und Herren, was ist denn das für ein Regierungs- und Bündnispartner der SPD, der ausdrücklich erklärt, daß der Weg zu der von den Alternativen gewünschten Gesellschaft einschließt: Demonstrationen, Aktionen des zivilen Ungehorsams,Blockaden, Widerstands- und Verweigerungshandlungen, Streiks bis hin zum politischen Generalstreik,
Besetzungen, Boykotte, individuelle und kollektive Gehorsamsverweigerungen, Dienstverweigerung und Provokationen? Frau Fuchs, das ist Ihre „stabile und zuverlässige Partei", und das, Herr Vogel, sind Ihre „manierlichen und verantwortungsbewußten Leute". Ich kann nur sagen: Es kann doch wohl niemand im Ernst glauben, daß vor diesem geistigen Hintergrund ein immerhin denkbarer künftiger Innensenator Ströbele — oder wie auch immer er heißen mag — die Polizei gegen Gewalttätige, Chaoten und Autonome auf Berlins Straßen vorschicken würde.Die Wahrheit ist völlig klar: Die SPD verhilft im geteilten Berlin einer Partei zur Regierungsmacht, die in ihrem eigenen Programm die parlamentarische Demokratie in Zweifel zieht und verunglimpft und die Gewalt und Druck der Straße als Mittel der Politik zuläßt.
Noch schlimmer, die SPD kann sich nach ihrem jetzigen Verhalten in den nächsten Monaten mit Blick auf die Bundestagswahlen ein Scheitern dieses Bündnisses überhaupt nicht leisten, und das heißt: Die SPD macht sich erpressbar.
Das ist schlimm für die Zukunft Berlins.
Meine Damen und Herren, jeder muß wissen: Für die SPD ist Berlin das Modell für die Bundesrepublik Deutschland. In Wirklichkeit — noch ein Satz, Herr Präsident — ist das, was hier abläuft ein Trauerspiel für Berlin.
Es wäre für Ernst Reuter und Kurt Schumacher völlig unvorstellbar gewesen.
Deswegen füge ich hinzu: Wer mit Radikalen paktiert, hat aus der Vergangenheit nichts gelernt.
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Fuchs.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Lage in Berlin ist gekennzeichnet durch eine erdrutschartige Wahlniederlage des Diepgen-Senats der CDU am 29. Januar 1989.
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9538 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 130. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. März 1989
Frau Fuchs
Die Lage in Berlin ist dadurch gekennzeichnet, daß die Berlinerinnen und Berliner dem Diepgen-Senat und der Bonner Politik eine Absage erteilt haben.
Meine Damen und Herren, Sie haben zwar jahrelang geglaubt, Ihnen sei die Mehrheit sicher, weil es noch immer vielen Menschen gut geht in diesem Lande, aber das war ein Irrtum. Die wachsende Zustimmung zur Politik der SPD zeigt,
daß immer mehr Menschen Ihre Politik der Entsolidarisierung und der Ausgrenzung ablehnen.
Immer mehr Menschen verknüpfen ihr eigenes Wohlergehen untrennbar mit dem des Nachbarn und des Arbeitskollegen, und das ist eine ermutigende Entwicklung.
Die Lage in Berlin ist gekennzeichnet durch eine CDU, die nach dieser Wahlniederlage gar nicht willens und gar nicht in der Lage war, ernsthaft Koalitionsverhandlungen anzubieten.
Die CDU war nämlich nicht in der Lage, eine neue Politik für Berlin zu formulieren. Sie schürt Fremdenhaß, statt dafür zu sorgen, daß Deutsche und Ausländer Wohnungen und Arbeitsplätze bekommen.
Die CDU war für Berlin nicht für eine neue Politik zu gewinnen.
Ich sage Ihnen: Es ist eine Schande, wie diese CDU auch im Wahlkampf in Frankfurt Ausländerhaß und Fremdenfeindlichkeit schürt.
Was für ein Europa streben Sie eigentlich an, meine Damen und Herren von der CDU?
Die Lage in Berlin ist gekennzeichnet durch eine zuverlässige, kompetente Sozialdemokratische Partei,
die bald den Regierenden Bürgermeister stellt — das ist gut so, das gehört sich so —, nämlich Walter Mom-per. Er hat unser Vertrauen.
Die SPD wird nun mit der Alternativen Liste zusammen eine zuverlässige Regierung stellen.
Die Anwesenheit der Alliierten in Berlin, die Übernahme von Bundesgesetzen durch das Berliner Abgeordnetenhaus und die Gewaltfreiheit in der Politik sind Grundlagen dieser weiteren Arbeit.
Meine Damen und Herren, es gelten nicht Parteiprogramme, sondern es gelten die Ergebnisse von mühsamen, schwierigen Sachgesprächen, und die ermöglichen in Berlin eine neue Politik, wie die Wählerinnen und Wähler sie am 29. Januar für dieses Stadt gewollt haben.
Natürlich hätten wir lieber eigene Mehrheiten — das ist doch ganz klar — , und deswegen werden wir bei jeder Wahl um eigene Mehrheiten kämpfen, und wir werden Ihnen das vormachen.
Denn im nächsten Jahr wird im Saarland Oskar Lafontaine antreten und allein mit der SPD weiterregieren können,
im nächsten Jahr wird in Nordrhein-Westfalen Johannes Rau antreten und allein weiterregieren können,
im nächsten Jahr wird Gerhard Schröder in Niedersachsen antreten und allein regieren können. Davon gehen wir aus.
Wenn es dann nicht gelingt, dann suchen wir uns einen Koalitionspartner aus.
Wir regieren mit der FDP in Hamburg, wir regieren bald mit den Alternativen in Berlin. Wissen Sie denn, meine Damen und Herren, was noch alles geschieht?
Welche Entscheidung wird uns denn noch abgerungen, wenn bei der Landtagswahl 1990 in Bayern die CSU ihre Mehrheit verliert?
Vielleicht müssen wir mit der CSU koalieren.
Das ist alles offen.
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 130. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. März 1989 9539
Frau Fuchs
Deswegen bleiben wir dabei: Wir Sozialdemokraten haben uns vorgenommen, mit eigener Kraft regierungsfähig zu sein.
Unser Maßstab ist Kontinuität, Zuverlässigkeit und Zukunftsorientierung. Daran messen wir uns. Ich bin froh darüber, daß für die Menschen in Berlin eine neue Politik möglich geworden ist.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Graf Lambsdorff.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Das Lied vom rot-grünen Chaos zu singen, das ist mir zu simpel. Berlin hat links gewählt, jedem gebührt eine Chance zur Bewährung, und das gilt auch für den MomperStröbele-Senat. Aber Herr Vogel distanziert sich schon: Kein generelles Modell, hat er gestern gesagt. Warum so kleingläubig? Das ist schon klar, ihm ist nicht wohl in seiner Haut. Wie auch, bei dieser Ampelkoalition, bei der Rot und Grün immer gleichzeitig aufleuchten?
Aber Herr Vogel bleibt in der Pflicht: Walter Momper ist der Vater dieser Koalition, selbstverständlich ein alternativ-unehelicher Vater. Der Vorsitzende der SPD und der ehemalige Regierende Bürgermeister von Berlin ist der Taufpate, und er trägt die volle Verantwortung für alles, was die Momper-Ströbele-Koalition anrichtet.
Jedem seine Chance. Aber Fragen sind nicht nur erlaubt, sie sind zwingend geboten. Stimmt es, daß Walter Momper vor der Wahl gesagt hat, mit der Ströbele-Partei gebe es keine Koalition? Wie hätte die SPD vor sittlicher Entrüstung gebebt, wenn wir, die Liberalen, uns einen derart dreisten Wortbruch erlaubt hätten?
Hat Walter Momper am Wahlabend gesagt: Die AL muß das Gewaltmonopol des Staates anerkennen, sie muß die Schutzmächte in Berlin lassen und die Rechtseinheit mit dem Bund wahren? Jetzt verkündet er, die drei Bedingungen seien erfüllt, und das ist wieder die Unwahrheit. Die alliierten Truppen bleiben — das ist richtig —; aus Einsicht, oder weil sich der Ochsenfrosch AL zu sehr aufgeblasen hatte? Die gewundene AL-Erklärung zum Gewaltmonopol entbehrt jeder Klarheit; der erste größere Polizeieinsatz in Berlin wird es zeigen. Und was ist mit der wohnungs- und mietrechtlichen Vereinbarung? Hier wird die Rechtseinheit zwischen Bund und Berlin schon aufgekündigt. Das heißt aber im Klartext: Die SPD begibt sichauf den Weg zur selbständigen politischen Einheit West-Berlin,
und das war bisher nur die Politik der SED, der Staatspartei der DDR.
Weitere Fragen: Ist es wahr, daß man sich als erstes über eine höhere Verschuldung geeinigt hat? Wundern Sie sich immer noch, wenn wir sagen, daß SPD-Politik höhere Steuern, höhere Abgaben und höhere Schulden bedeutet?
Die FDP steht zur Berlin-Förderung, aber wir finanzieren nicht auf dem Rücken unserer Steuerzahler jeden rot-grünen Unfug. Stimmt es, daß 1 700 — in Worten: eintausendsiebenhundert — neue Stellen im Landeshaushalt geschaffen werden? Das ist mehr als die Kopfzahl des Bundeswirtschaftsministeriums. Wer zahlt das?
Weiß die Momper-Ströbele-Koalition eigentlich, daß Berlin durch die Arbeit der CDU-FDP-Senate wieder kreditwürdig geworden ist, daß die Stadt seit Jahren wieder Kredite ohne Garantien des Bundes erhält? Wann wird die Ampelkoalition das mit ihrer Schuldenmacherei verspielt haben? Ist es wahr, daß die Akademie der Wissenschaften geschlossen wird? Diese Einrichtung ist ein Aktivposten für das Ansehen der Stadt in der wissenschaftlichen Welt.
Akademiker von hohem Rang, an ihrer Spitze der Präsident Professor Horst Albach, werden aus Berlin verscheucht. Akademie der Wissenschaften: nein; alternative Ökoläden: Ja. Trauer muß Berolina tragen.
Meine Damen und Herren, die Wähler der sogenannten Republikaner haben Braun gesät und Rot-Grün geerntet. Und was haben die Nichtwähler erreicht? Nichts.Die Liberalen wenden sich mit Ihnen, Frau Fuchs, gegen jede Ausländerfeindlichkeit; aber das Eingehen auf Sorgen und Nöte unserer Bevölkerung hat damit nichts zu tun. Im Gegenteil: Die Reden der SPD gegen Ausländerfeindlichkeit klingen leer, hohl und verlogen. Herr Vogel, erinnern Sie sich daran:
Wir saßen noch in einer Regierung, als wir es mühsam erreicht haben, daß Deutsche aus Rumänien ausreisen durften. Und so liest sich das heute in einer Anzeige der SPD im hessischen Wahlkampf: Die Bundesregierung sollte nicht Rumänien eine Milliarde DM dafür zahlen, daß dort Dörfer zerstört werden und Menschen ausgewiesen werden.
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9540 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 130. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. März 1989
Dr. Graf LambsdorffDas ist der SPD-Oberbürgermeister von Wiesbaden. Da kann ich nur sagen: Pfui Teufel, verschonen Sie uns mit Ihren Moralreden zum Thema Ausländer!
Meine Damen und Herren, bei dem Thema Ausländer sage ich Ihnen: Lesen Sie Matthäus 7, Vers 3:Was siehest du aber den Splitter in deines Bruders Auge und wirst nicht gewahr des Balkens in deinem eigenen?
Das Wort hat Frau Abgeordnete Frieß.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Sie von der CDU schäumen vor Wut.
Ich denke, Sie haben auch allen Grund dazu; denn es ist nun einmal klar, die West-Berliner Wähler und Wählerinnen haben den korrupten CDU-FDP-Senat abgewählt,
und gleichzeitig haben sie die FDP in die außerparlamentarische Opposition geschickt.
Konkret heißt das: Die Mehrheit der West-Berliner und West-Berlinerinnen haben sich für einen Neuanfang in ihrem Interesse entschieden.Der Anlaß zu dieser Aktuellen Stunde ist doch klar. Die CDU will gegen Rot-Grün ein demagogisches Trommelfeuer, eine Hetzkampagne starten.
Die CDU/CSU will also „schönhubern". Der West-Berliner CDU-Generalsekretär Landowsky bezeichnete die Zusammenarbeit von SPD und AL als „Koalition des Irrsinns" , und es droht nun nach Meinung der CDU in West-Berlin das totale Chaos. Die CDU dagegen steht für Recht und Ordnung.Chaos bedeutet für Sie also: Mietpreisbindung, sozialer Wohnungsbau und mindetens 7 000 neue Wohnungen pro Jahr. Ordnung ist in Ihrem Sinne: Wohnungsnot, Mieterhöhungen, Umwandlung von Mietwohnungen in Eigentumswohnungen. Chaos ist in Ihrem Sinne auch: Neue Erwerbsarbeitsplätze, Frauen bei Neueinstellungen bevorzugen und Sozialhilfeerhöhungen.Ihre Ordnung war: die Inkaufnahme von über 100 000 Erwerbslosen in West-Berlin und Geldvergabe zugunsten der Unternehmer, die noch den letzten Arbeitsplatz wegrationalisieren werden.
Chaos heißt für Sie weiterhin: Auflösung des Verfassungsschutzes und Recht auf Widerstand gegen die menschenvernichtende IWF-Politik.CDU-Ordnung dagegen ist die vollständige Verfilzung und Korruption des West-Berliner Landesamtes für Verfassungsschutz bis hin zur Bespitzelung von Abgeordneten des Berliner Kontrollausschusses.
Ihre Ordnung ist das Einkesseln und Niederknüppeln von Journalistinnen auf Demonstrationen.
Chaos heißt für Sie auch: Wahlrecht für Ausländerinnen, Abschiebestopp und die Auflösung von Sammellagern für Flüchtlinge.CDU-Ordnung bedeutet: Abschiebung, Diskriminierung und dumpf-rassistische Töne über sogenante Schein- und Wirtschaftsasylanten.
Chaos heißt bei Ihnen auch: der Versuch einer antifaschistischen und antirassistischen Politik. Als Ordnung setzen Sie eine schwarz-braune Soße. Herr Lummer bescheinigt z. B. den Republikanern Koalitionsfähigkeit und geht Schulter an Schulter mit Skinheads auf die Straße gegen Rot-Grün.
Sie reden hier über Rot-Grün, stattdessen müßten wir hier über Schwarz-Braun reden.
Die CDU-Politik in West-Berlin hat — erstens — die Ausgrenzung und Hoffnungslosigkeit von über einem Drittel der West-Berliner Menschen bewirkt. Sie hat zur Arbeitslosigkeit, Armut und Isolierung geführt.Zweitens. Sie hat ein Klima geschaffen, daß den Ausländern und Ausländerinnen die Schuld an der abgewirtschafteten Senatspolitik gibt. Diese sind nun tatsächlich Diskriminierungen und Übergriffen ausgesetzt. Die CDU hat damit den Nährboden für rechtsextreme und rassistische Politik geschaffen.
Die Republikaner klagen nur ein, was Sie jahrelang gepredigt haben. Das Üble sind also nicht nur die Republikaner, sondern gerade auch Sie. Deutlich wird das auch, wenn CDU-Vertreter und -Vertreterinnen scheinheilig den Kampf der Demokraten gegen Rechts verkünden, in ihrer politischen Praxis aber den Rechten Bündnisse anbieten und den Untergrundkrieg gegen eine demokratische Partei erklären. Wenn die CDU diese rassistische, menschenverachtende Politik als Ordnung bezeichnet, dann sind wir, AL und GRÜNE, gerne für das Chaos.Noch einen Satz: Wir sind für ein Chaos, das den Menschen mehr Luft zum Atmen, mehr Demokratie und mehr Emanzipation verspricht.
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 130. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. März 1989 9541
Meine Damen und Herren, das Wort hat Frau Bundesminister Dr. Wilms.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Berlin ist keine Stadt wie andere. Berlin, diese geteilte Stadt, ist ein Symbol der deutschen Teilung, des deutschen Schicksals. Auf Berlin und seine Entwicklung schauen nicht nur wir in der Bundesrepublik Deutschland, sondern alle Deutschen, alle Europäer und die Weltmächte in West und Ost.
Das, was in Berlin geschieht, ist nicht nur ein Berliner Thema. Diese Bundesregierung hat sich stets zu ihrer Verantwortung für Berlin bekannt. Für uns ist Berlin eine nationale Aufgabe. In allen Regierungserklärungen von 1982, 1983 und 1987 wird die Bedeutung des Viermächte-Status für Berlin und die Bindung Berlins an den Bund hervorgehoben. Ich darf hier die Regierungserklärung von Bundeskanzler Kohl von 1987 in Ihre Erinnerung rufen. Dort heißt es:
Die enge Verflechtung mit den politischen, rechtlichen und wirtschaftlichen Strukturen der Bundesrepublik Deutschland ist wesentlich für die Entwicklung der Stadt. Die Rechte und die Verantwortlichkeiten der Drei Mächte müssen gewahrt, die Bindungen an den Bund müssen erhalten und intensiviert werden.
Meine Damen und Herren, dies bedeutet konkret und im einzelnen, gerade vor dem Hintergrund der bekannt gewordenen Koalitionsabsprachen zwischen SPD und AL in Berlin, der Vier-Mächte-Status von Berlin, von ganz Berlin darf nicht in Frage gestellt werden.
Dieser Status beruht auf den originären Siegerrechten der Alliierten, garantiert den Anspruch auf die Einheit Berlins und ist im übrigen ein wichtiges Element der unveränderten Rechtslage Deutschlands. Das heißt, er wirkt auch als Klammer für Deutschland als Ganzes. Wer im Zusammenhang mit dem Berlin-Status von einer Fessel spricht, wie man in dem genannten Papier lesen kann, zeigt ein höchst bedenkliches Verständnis von der freiheitlichen Existenzgrundlage dieser Stadt.
Niemand sollte sich dazu verführen lassen, den Berlin-Status politisch auszuhöhlen. Die sensible Lage Berlins ist völlig ungeeignet für politische Profilierungsübungen.
Meine Damen und Herren, auch die Einheitlichkeit der rechtlichen Verhältnisse in Berlin und der Bundesrepublik Deutschland muß gesichert bleiben. Sie ist ein Teil der Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse zwischen Berlin und uns. Wer aber an der Rechtseinheit deutelt, der zieht die einheitliche Gesamtentwicklung Berlins als Teil der Bundesrepublik Deutschland in Zweifel. Die Übernahme des Bundesrechts nach Berlin gilt unbeschränkt. Sie kann nicht nur für eine Legislaturperiode beschlossen werden, wie man liest, und sie unterliegt auch keinen Koalitionsvereinbarungen. Die Übernahme des Bundesrechts ist — dies ist ein ganz deutlicher Zusammenhang — in dem gleichen Gesetz geregelt, welches auch die Bundeshilfe für Berlin regelt.
Sie sehen, meine Damen und Herren: Rechtseinheit, Bundeshilfe, Sicherung einheitlicher Lebensverhältnisse in Berlin und im Bund sind gemeinsam konzipiert und gehören zusammen. Sie können nicht beliebig aus dem Gesamtzusammenhang herausgelöst werden.
Vor dem Hintergrund der Absprachen zwischen SPD und AL möchte die Bundesregierung ihre Besorgnisse nicht verhehlen. Ich habe hier auf einige der Rechtsprobleme hingewiesen. Lassen Sie mich hinzufügen, daß die in Aussicht genommene höhere finanzielle Verschuldung von Berlin in Verbindung mit einer Vielzahl angegebener oder nur vage angedeuteter wirtschaftspolitischer Maßnahmen nun gerade kein Signal zur Vertrauensbildung in der Wirtschaft, auf die gerade Berlin so dringend angewiesen ist, bedeuten kann.
Seitens des DIHT wurden gerade heute in der Presse Besorgnisse geäußert, und es wurde von Irritation und Ungewißheit gesprochen. Berlin braucht aber genau das Gegenteil von dem: Berlin braucht Verläßlichkeit und Berechenbarkeit.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch einmal betonen: Die Bundesregierung steht zu ihren Verpflichtungen in und für Berlin, allerdings strikt auf der Basis der von mir hier noch einmal dargelegten Rechtsgrundlagen. Der Bund nimmt sein Engagement für Berlin sehr ernst, aber dies ist und wird keine Einbahnstraße sein.
Danke.
Das Wort hat der Abgeordnete Westphal.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau Ministerin, ich komme auf das zu sprechen, was Sie hier soeben gesagt haben, aber zunächst einmal möchte ich mich an Sie, Herr Seiters und an die CDU/CSU-Fraktion dieses Hauses wenden.Das, was Sie mit dieser Aktuellen Stunde machen, kommt mir wie das Greifen nach einem letzten rettenden Strohhalm vor, um nicht in dem Strudel des eigenen Unvermögens zu versinken.
Seit 1987 haben Sie bei acht Landtagswahlen in jeder dieser Wahlen im Durchschnitt 5,2 % verloren.
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9542 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 130. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. März 1989
WestphalDas Saarland und Schleswig-Holstein haben Sie verloren, und nun dieser Klatsch in Berlin. Keiner will gerne mehr mit Ihnen regieren. Nirgends ist jemand dafür zu finden.
Jeder aufmerksame Bürger hat beobachten können, in welch nüchterner Weise — sozusagen kühl bis ans Herz hinan — der von Ihnen hier herabgewürdigte Walter Momper verhandelt hat, und zwar so, daß er von der AL in Berlin die unverklausulierte Zustimmung zu den für Berlin und seine freie Existenz unabdingbaren Grundpositionen bekam. Dies hat jeder auf Papier schriftlich vor sich.
— Was sollte man eigentlich noch machen in einem parlamentarischen System, Herr Seiters, um eine Vereinbarung über eine handlungsfähige Regierungsmehrheit zustande zu bringen, wenn der Wähler die eigene Partei zwar deutlich gestärkt hat, sie aber eben nicht mit der Mehrheit ausgestattet hat, so daß sie allein die Verantwortung übernehmen kann? Sie, die CDU/CSU und die Koalition, spielen uns hier doch jeden Tag neu vor, wie man es eben nicht machen soll.
Ich habe mit einiger Spannung Ihre Aufarbeitung in der CDU/CSU über Ihre Strategiedefizite verfolgt. Was ist dabei herausgekommen? Oder fragen wir lieber: Was ist dabei nicht herausgekommen? Nicht herausgekommen ist die Erkenntnis, daß Sie die auf dem Rücken der Kranken und Alten verabschiedete sogenannte Gesundheitsreform nun korrigieren wollen. Das war doch wohl ein Grund für Ihr Verlustergebnis in Berlin.
Nicht herausgekommen ist die Einsicht, daß Sie endlich etwas Wirksames gegen die hohe Arbeitslosigkeit tun müßten.
Nicht herausgekommen ist die gerade für Berlin so außerordentlich notwendige Handlungsweise in Richtung auf neuen, verstärkten Wohnungsbau, und zwar für Leute, die kleine und mittlere Einkommen haben und die Wohnungen auch bezahlen können.
Nein, was Sie als Ergebnis Ihrer Diskussion um Strategiedefizite verkünden, ist, daß Sie die Gesundheitsreform und die Steuerreform den Wählern plausibel machen wollen. Das ist alles, was Sie zustande bringen. Das wird Ihnen nicht gelingen. Das ist Ihnen ja inzwischen nachgewiesen worden.
Schlimmer noch — wenn auch nicht offen — ist Ihre Absicht, diejenigen politischen Positionen zu besetzen, mit denen die falschen Republikaner Wähler angelockt haben. Eine Partei, die diesen demokratischen Staat mitträgt, müßte sich eigentlich entschlossen auf die Seite derjenigen stellen, die sich gegen Ausländerfeindlichkeit wehren und die auch in Wahlkämpfen offen mit den skeptischen und ängstlichen Bürgern darüber diskutieren, wie wir das in Berlin getan haben und wie wir das heute täglich in Hessen tun.
Ich will nicht verschweigen, meine Damen und Herren, daß wir Sozialdemokraten gegenüber dem Partner dieser Legislaturperiode in Berlin skeptisch sind.
Wie immer beim Abschluß von Koalitionen mit einem Partner, der eine völlig andere Parteigruppierung als man selbst darstellt, kommt es auf das Durchhalten von Vereinbarungen an.
Kapriolen sind da nicht erlaubt. Das ist Arbeit und Ringen um Vertrauen. Das steht jetzt bevor.
Wenn die Wähler uns jetzt in Berlin noch nicht wieder die ganze Zustimmung gegeben haben
— noch nicht wieder die ganze Zustimmung gegeben haben — , dann wäre es auch prinzipiell staatspolitisch falsch, eine politische Gruppe, die in Berlin auf dem Wege zu einer realitätsbezogenen Politik auf der parlamentarischen Plattform ist, davon wieder herunterzustoßen.
Meine Damen und Herren, es geht um das Meistern einer schwierigen Situation, das Meistern eines Problems in der parlamentarischen Demokratie. Es wäre besser, Sie würden den Ernst dieser Situation erkennen und die Schläge unter die Gürtellinie endlich unterlassen.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Gerster .
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der SPD-Vorsitzende Vogel erklärte vor der Wahl in Berlin: „Wer Alternative Liste wählt, bewirkt Unsicherheit und Instabilität." Die Vertreterin dieser Partei redet heute von einer zuverlässigen Regierung, wenn SPD und Alternative zusammen gehen. Frau Fuchs, entweder hat Herr Vogel vor der Wahl die Wahrheit gesagt — dann ist er ein blanker Opportunist, wenn er jetzt
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 130. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. März 1989 9543
Gerster
mit den GRÜNEN nur um der Macht willen in ein Bett steigt —
oder er hat DIE GRÜNEN diffamiert. Dann ist er derselbe Opportunist, wenn er nach der Wahl mit diesen Leuten eine Koalition eingeht. Darum geht es, nämlich um den Wortbruch, um die Täuschung der Wähler, die Sie betrieben haben.
Herr Westphal, wir haben keine Sorgen, wie der Wähler reagieren wird. Denken Sie an Börner, der damals vor den Wahlen in Hessen mit den Dachlatten argumentiert
und kurze Zeit später durch den Wähler die Quittung bekommen hat, als die SPD nach 40 Jahren ihre Mehrheitsfähigkeit in Hessen verloren hat.
Wenn man weiß, daß die SPD gerade in Berlin in den 60er Jahren eine stolze Partei war — über 60 % —, und wenn man sich vergegenwärtigt, wie sie jetzt mit 37 % den Mund aufmacht,
als hätte sie das Vertrauen der Wähler bekommen, kann man nur sagen: Sie haben kein Vertrauen der Wähler für ein rot-grünes Bündnis bekommen.
Sie mißbrauchen nach den Äußerungen Ihres Parteivorsitzenden das Vertrauen der Wähler zu einem Bündnis mit Leuten, von denen Sie genau wissen, um wen es sich handelt.Um wen handelt es sich? Meine Damen, meine Herren, es handelt sich um Leute, die auf dem letzten Parteitag Verbündeten der „Rote Armee Fraktion", Unterstützungsgruppen für die RAF, Rederecht gegeben haben, die Solidaritätsadressen zur Unterstützung der Gefangenen der RAF beschlossen haben und die im gleichen Augenblick die Polizei, die sehr oft unter Einsatz ihres Lebens sorgen muß, daß die öffentliche Sicherheit bewahrt wird, als „Bullen" verteufelt und diffamiert haben.
Sie opperieren und koalieren mit einem Partner, der die Polizei neben Radikalinskis stellt und, nicht nur das, auf den Parteitagen dann einseitig für die Radikalinskis gegen die Polizei Stellung nimmt. Und solche Leute sollen für die innere Sicherheit in Berlin mitverantwortlich sein.
Meine Damen, meine Herren, Sie koalieren mit einem Partner: Nehmen Sie Ihre Bundestagskollegin Olms, die hier vom Frieden redet und unter dem Stichwort „Waffen für El Salvador" Geld für den bewaffneten Kampf in einem unterdrückten Land sammeln will, die den Widerstand in Deutschland ankurbeln will; eine, die von Frieden redet, die aber letzten Endes der Gewalt mit Waffen das Wort redet. Das ist Ihr Koalitionspartner in Berlin.
Oder: Vor der Tagung des IWF, meine Damen, meine Herren, hat Frau Olms in einem Blatt, das sie verantwortet, dem Kaufhausdiebstahl das Wort geredet,
hat sich mit autonomen Gruppen, mit anderen Grünen verbündet, um diese Tagung zu verhindern, und ist auch vom Anpreisen von Straftaten bis zum Diebstahl nicht abgerückt.
Meine Damen, meine Herren, Ernst Reuter, Schumacher, Ollenhauer, Erler, sie würden sich im Grab herumdrehen, wenn sie sehen würden, mit welchen Leuten Sie koalieren. Ich darf hier Schily zitieren, der zur Gründungsversammlung der AL in Berlin sagte: Ich habe den Eindruck, daß hier ein Parteitag der KPD stattgefunden hat, derselbe Otto Schily, der noch im Februar dieses Jahres sagte:Ein Teil des Mißtrauens gegenüber dem Staat rührt nach meiner Meinung daher, daß die Berliner GRÜNEN auch Mitglieder aus der APO-Bewegung und aus führenden K-Gruppen sind.Meine Damen, meine Herren von der SPD, das sind Ihre Koalitionspartner. Sehen Sie sich die Vorschläge zur inneren Sicherheit und zur Verkehrspolitik an! Demnächst werden bei Ihnen durch den Senat, durch die GRÜNEN — ich sage es voraus — Gewalttäter als Freiheitskämpfer prämiert werden
— Ihre Genossen! — , und zur gleichen Zeit werden Sie kleine Parksünder, die ansonsten rechtstreue Leute sind, kriminalisieren.
Das wird die Rechtsordnung in Berlin sein. Eine Partei, die kein Verhältnis zur Gewalt, deswegen letzten Endes kein Verhältnis zur Demokratie hat, eine Partei, die mit der APO gegen die Demokratie angeht, ist Ihr Koalitionspartner in Berlin. Sie wird wie Herr Börner die Dachlatte einholen. Sie werden über diesen Beschluß noch bitter weinen, weil Sie Ihre demokratische rechtsstaatliche Tradition um der Macht willen in Berlin geopfert haben.Schönen Dank.
Bitte, Herr Wartenberg, Sie haben das Wort.
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9544 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 130. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. März 1989
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Gerster, ich bedanke mich ausdrücklich für Ihre Rede.
Machen Sie so weiter, und Sie werden jedem Bürger in Berlin und außerhalb Berlins klar machen, daß es Ihnen nicht um Sorge um Wählerinnen und Wähler geht. Hier geht es nur darum, eine Schlammschlacht zu entfesseln.
Herr Gerster, das ist so total überzogen, daß ein normal denkender Bürger Ihnen die Redlichkeit nicht mehr abnimmt.
Machen Sie so weiter! Damit werden Sie uns helfen.
Jetzt etwas zu der Frage der Sorge, die hier von der rechten Seite des Hauses mit Tremolo in der Stimme vorgetragen wird. Warum haben Sie sich eigentlich vier Jahre keine Sorgen um die Berlinerinnen und Berliner gemacht?
Sie haben 9 % verloren. Sie haben alle Landtagswahlen verloren.
Und was ist nach den Wahlen geschehen? Walter Momper, die SPD, hat zwei Wochen lang mit der CDU verhandelt. Es war sehr deutlich, der Regierende Bürgermeister, jetzt nur noch geschäftsführender Regierender Bürgermeister, hat gesagt: In Sachen Mietpreisbindung, Wohnungsbau, Gesundheitsreform kann er keinerlei Zusagen machen, weil Bonn ihm das nicht erlaubt. — Das heißt, die Sorgen, die die Bürgerinnen und Bürger in Berlin haben, hätte eine CDU auch nach dieser Wahlniederlage nicht aufgearbeitet und verändert.
Dies ist die politische Ausgangssituation einer Stadt, in der Sie 9 % verloren haben.Herr Lambsdorff, mit Verlaub zu Ihren starken Worten: Wenn man nur noch eine Sekte in Berlin ist
und diese Sekte es nicht einmal geschafft hat, am letzten Sonnabend eine Sektenführerin an die Spitze zu wählen, dann sollte man nicht vom Chaos sprechen. Ich muß feststellen, hier gibt es keine Verhältnismäßigkeit der Argumentation mehr.Es besteht die absurde Situation, daß die einzige Hoffnung, die Sie haben, ein rot-grüner Senat ist. Ich sage Ihnen, die Hoffnung, die Sie an einen rot-grünen Senat stellen, wird sich nicht erfüllen. Ein rot-grüner Senat wird versuchen — dafür hat er eine gute Koalitionsvereinbarung geschaffen — , die Sorgen der Bürgerinnen und Bürger in den Mittelpunkt seiner Politikzu stellen, übrigens auch gerade bei der Innenpolitik.
Wenn Sie dieses Koalitionsabkommen kritisieren, das nun noch nicht von beiden Parteien endgültig beschlossen ist, aber eine sehr gute Grundlage ist, um einer Stadt eine Perspektive zu geben, eine Perspektive dahin gehend, daß die Hauptsorgen, die die Menschen haben — Wohnungen, Mieten, Arbeitsplätze, ökologische Probleme und auch die Frage der inneren Liberalität —,
wieder in eine vernünftige Bahn geführt werden, dann, glaube ich, werden Sie sich in einiger Zeit noch umgucken, wenn dieser Senat anfängt, zu arbeiten.
Sie können diese Schlammschlacht im Hinblick auf Hessen und im Hinblick darauf weiterführen, daß Sie damit überspielen wollen, welch ein Chaos in dieser Bundesregierung herrscht, in der ja nichts mehr funktioniert; jeder weiß das. Das ist ja auch ein Ergebnis der Wahlen in Berlin und anderswo.Ich muß noch auf etwas anderes hinweisen. Sie sprechen voller Sorge über die demokratische Zukunft der Stadt und über die Bindungen der Stadt,
wozu eindeutige Abmachungen getroffen worden sind. Die Sozialdemokraten sind aus ihrer Tradition heraus immer der Garant für Verläßlichkeit und Stabilität, und sie werden das auch bleiben.
Aber wenn gleichzeitig so ein merkwürdiger Mensch, der ja seit einigen Jahren hier im Parlament sitzt, wie der Herr Lummer, mit den Republikanern kokettiert und vorher pausenlos im Untersuchungsausschuß zum Verfassungsschutz auftreten mußte, weil schmuddelige Verfahren und Verhältnisse mit Rechtsradikalen in früheren Zeiten aufgearbeitet werden mußten, wenn man sich einmal überlegt, wie im Berliner Verfassungsschutzskandal bestimmte Persönlichkeiten der CDU verwickelt waren, welche Skandale diese Stadt in den letzten vier Jahren belastet haben, wovon Sie ja kein Wort mehr sagen — ich nenne nur den Bauskandal; zum erstenmal sind Politiker in den Knast gewandert —,
und dann wagen Sie sich hierhinzustellen, als ob Berlin durch einen neuen Senat unter der Führung von Walter Momper zum Untergang verdammt sei! Wissen Sie, es ist einfach nur noch lächerlich.Vielen Dank.
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 130. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. März 1989 9545
Das Wort hat Herr Abgeordneter Lüder.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lieber Herr Wartenberg, wir haben als FDP schon Schlimmeres und anderes überstanden und daraus im Zweifel immer Kraft gezogen. Das werden wir auch diesmal tun. Diesen Optimismus werden Sie mir nicht nehmen.
Wir haben heute leider nicht die Stunde der Analyse der Wahl in Berlin. Sonst würden wir vielleicht nicht in diesem Stil miteinander umgegangen sein. In finde es am bedauerlichsten, daß Maß und Mitte der politischen Auseinandersetzung in Berlin verlorengegangen sind und daß auch heute hier in manchen Diskussionsbeiträgen sichtbar geworden ist, daß Maß und Mitte verlorengegangen sind.
Meine Damen und Herren, ich will mich mit dem befassen, was jetzt auf Berlin zukommt, und zwar an Hand der Papiere, die ja offen vorliegen. Da kritisiere ich fünf Punkte und will dies in den fünf Minuten deutlich zu machen versuchen.
Erstens. Das Ergebnis der Koalitionsverhandlungen rot-grün schürt Illusionen, und zwar gefährliche Illusionen, wenn man etwa glaubt, in der Wirtschafts- und Finanzpolitik jetzt große Programme machen zu können und dem Wähler und dem Bürger ein ganz anderes Wirtschaftssystem vor Augen spielen und sagen zu können: Es wird jetzt alles besser; wir machen die großen Programme, die bisher ebenfalls nicht realisiert und nicht konkretisiert worden sind.
Zur Bundestreue gehört auch, daß wir uns in das Wirtschafts- und Finanzgefüge dieses Landes einbinden und nicht eine selbständige Entwicklung Berlins anstreben.
Zweitens. Ich habe Respekt davor, mit welcher Härte Walter Momper den AL-Forderungen etwa in der Gewaltfrage entgegengetreten ist. Aber gucken wir uns doch einmal an, welches Ergebnis herausgekommen ist: Das Ergebnis hat kein anderer als Herr Kunzelmann nach dem heutigen „Tagesspiegel" zutreffend mit „Gummisprache" umschrieben. Das Ergebnis lautet: Nirgendwo, Frau Fuchs, bekennt sich diese Koalition zur Gewaltfreiheit.
— Nein, Sie machen Ausführungen zur staatlichen Gewaltausübung und zur Begrenzung der staatlichen Gewaltausübung.
Selbst der Appell, daß das Demonstrationsrecht des Grundgesetzes nur friedlich wahrgenommen gehört, findet sich hier nicht.
Zur Innenpolitik sprechen Sie davon — ich darf einmal wörtlich zitieren —:
Das Bild der Polizei wird nicht nur von der Erfahrung im Umgang mit freundlichen, hilfsbereiten und mitbürgerlichen Polizeibeamten geprägt.
Es formt sich auch dort,
— also offenbar bei Polizeibeamten, die nicht mitbürgerlich, nicht hilfsbereit, nicht freundlich sind —
wo Bürgerinnen und Bürger ihr Grundrecht auf Demonstrations- und Versammlungsfreiheit wahrnehmen.
Das, was Sie hier in der „Gummisprache" gegeneinandersetzen, werden Sie vor den Polizeibeamten und Mitbürgern noch vertreten müssen: wieso Sie glauben, hier auf der einen Seite vom guten Polizisten an der Straße und auf der anderen Seite von dem, der die Drecksarbeit machen muß und der sich erst bewähren muß, sprechen zu können. Wir Liberalen waren immer auf der Linie, auch die Polizei kritisch zu begleiten. Aber das, was hier gesagt worden ist, ist eine einseitige Talfahrt zu Lasten der Polizeibeamten und damit auch zu Lasten des Demonstrationsrechts.
Drittens. Sie machen Fehlentscheidungen im Wohnungsbau. Sie signalisieren ein großes Programm, und dieses Programm läßt sich nicht realisieren. Wir sollten einmal darüber nachdenken, warum eigentlich in Berlin seit der letzten Wohnungszählung — 1968 war es, glaube ich — nur halb soviel Wohnraum wie im Bundesgebiet insgesamt gebaut worden ist. Das hat seine Ursachen im System und liegt nicht daran, daß das frühere System richtig war. Vielmehr ist das frühere System, zu dem Sie zurück wollen, falsch. In Berlin muß man zu dem System kommen, das in der Bundesrepublik insgesamt Wohnungen, und zwar preiswerte Wohnungen, gebracht hat.
Viertens. Ich setze Zweifel in die Seriosität der berlinpolitischen Klauseln. Auf fünf Seiten ist hier vieles beschrieben worden: alles über West-Berlin im Verhältnis zum Bund, West-Berlin im Verhältnis zu den Alliierten, aber keine Grundsatzausführungen in dem Sinne, wie es Frau Ministerin hier gesagt hat; fünf Seiten lang eine einseitige Bahn.
Damit komme ich zum fünften Punkt: Was sich hier in den bisher bekannten Vereinbarungen abspielt — nicht in den Absichten, nicht in der Partnerschaft — , zeigt, daß Ideologie das Gegenteil von Vernunft und Sachlichkeit ist. Ich hoffe, daß der einzige Vorteil dieser Koalitionsvereinbarung sein wird, daß andere Wähler rechtzeitig merken, daß dieser Weg der falsche ist.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Lippelt.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das vergangene Wochenende sah zwei wichtige Parteikongresse: In Duisburg
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9546 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 130. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. März 1989
Dr. Lippelt
meldeten sich 600 Delegierte in einer großen einmütigen Willensbekundung mit ihrer Partei zurück als politischer Faktor. Sie meldeten den Anspruch der GRÜNEN auf die Mitgestaltung der Zukunft dieser Republik an.In Niedersachsen hingegen gab es das Panikorchester — darüber müssen wir ja sprechen — einer Klausur der niedersächsischen CDU-Spitze. 14 Stunden Klagen über die böse Bonner Politik,
Albrecht will sich jetzt mit Bonn notfalls streiten, harte Kritik an der Bundesregierung, „die Karawane" — so der Landesgeschäftsführer der niedersächsischen CDU wörtlich — „zieht jetzt nicht mehr weiter" ; und mittendrin der Herr Seiters. — Wie heißt es doch so schön: Wenn Kohl dort gesessen hätte, hätte er rote Ohren gekriegt. Nun mußte Herr Seiters rote Ohren kriegen, und anschließend fragte Herr Geißler, der auch dort war: Was mache ich denn? Und am nächsten Tag hatten wir diesen Schlamassel vom rot-grünen Chaos. Das alles sind wohlbekannte, sehr alte Melodien, die wir sehr genau kennen. Herr Seiters, Ihre Übertreibungen, die Sie jetzt von sich geben, kennen wir schon aus dem Wahlkampf 1986 gegen die GRÜNEN. Wir kennen dasselbe Vokabular, dieselben Verleumdungen
aus dem damals gegen die SPD gerichteten Wahlkampf in Schleswig-Holstein.
Danach kam der Fall Barschel, eine reuige CDU, die Asche auf ihr Haupt streute. Und kaum ist am Horizont die ferne Möglichkeit des Machtentzugs erkennbar — schon geht es wieder los.Ich warne Sie: Das Bild, das Sie hier abgeben, ist das Bild des deutschen Kleinbürgers, der Amok läuft, wenn er sieht, daß der Staat, den er für seine Beute hält, ihm vielleicht verlorengehen könnte. Dann kommt der Amoklauf, und dann kommt die verbale Totschlägerei, die Sie hier veranstalten.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Lintner.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Westphal, Sie haben im Zusammenhang mit dem Wahlergebnis von Berlin von staatsbürgerlicher Verantwortung geredet. Ich kann Ihnen eigentlich nur sagen: Das Wahlergebnis hat keinesfalls den Auftrag beinhaltet, Berlin in unverantwortliche Risiken zu führen, wie Sie es derzeit praktizieren.leine Damen und Herren, was die Berliner SPD unter dein Stichwort ;,Geist des Aufbruchs" einer — wie ich glaube, feststellen zu kennen — zunehmend konsternierten Bevölkerung präsentiert, kann nur als makaber charakterisiert werden,
makaber auch im Hinblick auf den Umgang mit den empfindlichen deutschlandpolitischen Grundlagen der Stadt, und ist von gefährlicher Ungewißheit in bezug auf die Perspektiven. Nur scheinbar sind z. B. im Koalitionspapier keine deutschlandpolitischen Grobheiten enthalten; Frau Dr. Wilms und Herr Lüder haben bereits darauf hingewiesen. Wenn man aber die Gesamtheit der für den Status und die politische Position der Stadt maßgeblichen Festlegungen und die Auslassungen sowie Vieldeutigkeiten heranzieht und zur Auslegung noch das Programm der AL hinzunimmt, dann kann man die tatsächlichen Absichten dieser Koalition unschwer enträtseln; sie werden dann deutlich.In Berlin wird zunächst ein Klima geschaffen, in dem sich weder die alliierten Schutzmächte noch eine konstruktive Wirtschaft noch arbeitswillige Handwerksbetriebe noch der rechtstreue Normalbürger künftig werden wohlfühlen können. Meine Damen und Herren, die Stadt soll — so wörtlich im AL-Grundsatzprogramm — „ökologisch-demokratisch umgebaut und multikulturell gestaltet werden". Das heißt nach dem sattsam bekannten Verhaltensmuster der AL und ihrer linksradikalen Hilfstruppen doch wohl, daß die Stadt unregierbar zu werden droht und letztlich gewalttätigen Demonstrationen ausgeliefert werden soll.
Die Bekenntnisse der SPD, meine Damen und Herren, die Lebensgrundlagen Berlins wahren zu wollen, die beteuerte enge Verbundenheit mit den Schutzmächten und das angeblich unbedingte Festhalten an den Bindungen zum Bund — all das sind angesichts des Koalitionspartners AL ungesicherte Absichtserklärungen. Wer z. B. wie die AL — und mittlerweile leider auch die SPD — der Anerkennung der DDR als ausländischen Staat und Ost-Berlins als Hauptstadt der DDR das Wort redet, dem muß zur Stellung und zur Sicherheit West-Berlins mehr einfallen als der im Koalitionsprogramm enthaltene Standardsatz, daß — so wörtlich — „die Bindungen zum Bund die Grundlage der Politik in Berlin " seien. Wie die Berliner SPD es angesichts der jüngsten Greueltaten, meine Damen und Herren, an der Mauer mit Toten und Verletzten übers Herz bringt, die Zentrale Erfassungsstelle in Salzgitter fallenzulassen, zeigt eben den wahren Geist dieser Koalition, nämlich Liebedienerei in Richtung DDR, Konfliktbereitschaft gegenüber westlichen Schutzmächten und gegenüber der Bundesregierung. So werden die drei westlichen Alliierten erkennbar distanziert behandelt. Sie sollen zwar noch bleiben, sich aber möglichst still und unauffällig verhalten. Ihre Rechte sollen sie abtreten, militärische Übungen möglichst überhaupt nicht mehr durchführen.
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 130. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. März 1989 9547
LintnerEs kommt hinzu, meine Damen und Herren, daß die rot-grüne Koalition in Berlin die Axt auch an die lebenswichtigen Flugverbindungen legt.
— Lesen Sie es nach, Herr Dr. Lippelt, Sie waren doch an der Formulierung beteiligt; lesen Sie es nach! — Wie in einem solchen Umfeld erkennbarer Feindseligkeit Berlin den Alliierten weiterhin als ihr ureigenstes Anliegen erscheinen soll, bleibt das Rätsel der SPD, meine Damen und Herren.
Die Frage, wie die in den letzten Jahren neu gewonnene Lebensfreude und Dynamik der Stadt erhalten bleiben sollen, muß uns ebenfalls die SPD beantworten.Ihrem Koalitionspartner AL geht es aber ohnehin — so wörtlich in dem Programm für Berlin — um grundsätzliche Alternativen „zum bestehenden kapitalistischen Industriesystem und unserer darauf fußenden Lebensweise". Das ist geradezu der ideale Werbespruch für wirtschaftliches Engagement in West-Berlin, meine Damen und Herren!Im Interesse der Stadt und mit Rücksicht auf ihre extrem sensible Lage hätte die SPD diese Koalition mit dem leibhaftigen Sicherheitsrisiko AL nicht eingehen dürfen.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Mitzscherling.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Es ist wirklich bemerkenswert, was hier passiert. Da wird über eine Koalitionsvereinbarung gesprochen, von der ich den Eindruck habe, daß sie nicht einmal gelesen worden ist.
Denn vieles von dem, was hier behauptet wurde, steht gar nicht in dieser Koalitionsvereinbarung. Da reden Sie, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, von Ihren Sorgen um Berlin. Aus allem wird doch deutlich, daß Sie nur eine einzige Sorge haben, nämlich Ihre Macht zu verlieren, wo auch immer in diesem Land.
Überall schicken Sie jetzt Ihre Hilfstruppen an die Front und lassen sie Stimmung machen gegen eine mögliche Koalition von SPD und AL in Berlin. Merken Sie denn nicht, daß das von Ihnen beklagte schlechte Klima durch Sie selbst negativ beeinflußt wird? Sie bewirken ein ungünstiges Klima, Sie machen das Wirtschaftsklima in der Stadt durch derartige Äußerungen, wie wir sie in den letzten Tagen hatten, kaputt.
Ich finde das schon schlimm genug. Ich finde auch sehr schlimm — Frau Wilms hat es heute zitiert — , was Herr Schoser, der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Industrie- und Handelstages, in einem Interview mit der „Neuen Osnabrücker Zeitung" erklärt hat. Er hat zur Investitionszurückhaltung in Berlin aufgerufen.
Dies, meine Damen und Herren, betrachte ich als die Ausnutzung wirtschaftlicher Macht für politische Erpressung.
Wo bleibt da eigentlich Ihr Protest? Da hätten Sie doch aufschreien müssen. Nichts ist passiert.
Was sagt der Herr Bundeskanzler? — Der sagt dazu auch nichts.
Über verbale Bekenntnisse zu Berlin hinaus fällt ihm offensichtlich auch nichts weiter ein. Mit den BerlinBeauftragten der deutschen Industrie hat er sich zum letztenmal in Berlin 1985 getroffen.
Er hat es auch hingenommen, daß die Berlinförderung im letzten Jahr um 800 Millionen DM gekürzt wurde und die Investitionstätigkeit in Berlin in den 90er Jahren negativ beeinflußt wird. Dazu kam von Ihnen kein Wort.Meine Damen und Herren, diese Worte, die sowohl Graf Lambsdorff als auch der Regierende Bürgermeister als auch der Kanzler gesagt haben — Katastrophe, Chaos, Panik, in Berlin geht alles unter —,
sind doch skandalös, sind doch schädlich für die Stadt.
Ausgerechnet Sie, die Sie immer davon sprechen, wie wichtig ein solches Klima in dieser Stadt für jede wirtschaftliche Betätigung ist, zeichnen heute Horrorgemälde und tragen zur allgemeinen Verunsicherung bei.Ich frage mich wirklich, welches Demokratieverständnis Sie haben.
Ist Ihnen denn nicht klar, daß Sie mit diesem unverantwortlichen Katastrophengerede diejenigen aus der Stadt geradezu zum Rückzug ermuntern, die noch auf ein Alibi dafür gewartet haben?
Das sieht auch die Berliner Wirtschaft. Ich sollte ruhig einmal darauf Bezug nehmen. Der Präsident der
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9548 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 130. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. März 1989
Dr. MitzscherlingIndustrie- und Handelskammer hat vor zwei Wochen Widerspruch gegen diese Stimmungsmache angemeldet.
Er hat darauf hingewiesen, daß es schlichtweg nicht stimmt, daß seit dem 30. Januar in Berlin Investitionen gekürzt werden und daß die Berliner Wirtschaft vom Ausgang der Wahlen bis ins Mark getroffen sei. Ich begrüße ausdrücklich, daß er erklärte, daß dieses Wahlergebnis als Ausdruck freier Wahlen akzeptiert werden müsse und daß es eine besondere Herausforderung darstelle.
Dieser Appell ist offensichtlich angekommen. Das werden wir von Herrn Neuling sicher noch hören. Es wird weiter in Berlin investiert, die Auftragslage ist gut. Die Wirtschaft richtet sich auf einen von der SPD geführten Senat ein — und daran tut sie gut.
Sie weiß genau, daß dieser Senat alles tun wird, um die wirtschaftliche Attraktivität Berlins zu sichern und zu stärken. Sie weiß aber auch genau, daß eine Arbeitslosigkeit von über hunderttausend Menschen in der Stadt, daß Wohnungsnot, daß wachsende Umweltzerstörung und wachsende und unübersehbare Armut eine gewaltige Herausforderung für jeden Senat sind. Auch deshalb ist dieser Diepgen-Senat abgewählt worden. Deshalb brauchen wir eine neue Politik.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Neuling.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Vorsitzende der SPD-Fraktion und der SPD als Partei pflegt jede Woche mindestens einmal auf das Thema Glaubwürdigkeit hinzuweisen und beim Thema Glaubwürdigkeit immer auf andere zu zeigen und nicht auf sich selbst.
Insoweit möchte ich die finanz- und wirtschaftspolitischen Beschlüsse vor einer Wahl und nach einer Wahl in Berlin beleuchten.Richtig ist z. B., daß der Berliner Senat für 1989 eine Neuverschuldung von 750 Millionen DM beschlossen hat. Richtig ist auch, daß der finanzpolitische Sprecher der SPD vor der Wahl, vor rot/grün, eine Verschuldung von 750 Millionen DM wie folgt bezeichnet hat: als unsozial, gigantisches Umverteilungsmanöver von unten nach oben, finanzpolitisch disziplinlos, moralisch untragbar gegenüber den künftigen Generationen.
Nun, Herr Kollege Mitzscherling, machen wir etwas, was Sie angemahnt haben. Wir schauen in das Verhandlungspapier von SPD/AL hinein. Wir sehen für 1990 eine Nettoneuverschuldung von 1,4 Milliarden DM, die höchste Neuverschuldung in der Nachkriegsgeschichte Berlins. Nun lassen Sie sich einmalan Ihren eigenen Argumenten messen. Es hieß, 750 Millionen DM seien unsozial. Was sind dann 1,4 Milliarden? Im höchsten Maße unsozial!
Was heißt denn hier, eine Neuverschuldung von 750 Millionen DM sei disziplinlos? Eine solche von 1,4 Milliarden DM wäre dann nicht nur disziplinlos, sondern es wäre überhaupt keine Finanzpolitik vorhanden.
Was heißt hier: moralisch untragbar gegenüber den künftigen Generationen? Sie handeln in totaler Unverantwortlichkeit gegenüber der jungen Generation mit dieser höchsten Nettoneuverschuldung nach dem Kriege.
Sie machen das nicht etwa nur für 1990. Nein, Irrsinn steckt an. Sie machen das für 1991, und sie machen das für 1992 genauso.
Wenn der Kollege Westphal hier sagt, Herr Momper hätte kühl bis ins Herz verhandelt, dann zeigt die Verhandlung zur Neuverschuldung, daß er unfähig bis in die letzte Socke verhandelt, aber nichts anderes.
Ich sage Ihnen auch eines, Frau Kollegin Fuchs: Mit diesem finanzpolitischen Wortbruch in Berlin haben Sie nach meiner Einschätzung insgesamt — bundesweit — jede Legitimation verloren, sich zum Thema Finanzpolitik überhaupt glaubwürdig zu äußern.
Nun noch ein Wort zum Wirtschaftsklima.
Verehrter Herr Kollege Mitzscherling, nicht wir malen die Horrorgemälde, Sie malen die Horrorgemälde. Wer hat die Berlin-Förderung in Frage gestellt? Wir doch nicht, Sie doch. Bereits 1990 soll erneut die Berlin-Förderung und ab 1993 der Gewerbesteuerhebesatz überprüft werden.
Jetzt kommt der politische Hammer, Herr Kollege Mitzscherling. Sie als ehemals ehrwürdige Berliner SPD — immer noch die Partei von Ernst Reuter, damit wir uns richtig verstehen — stellen zum ersten mal die Bundeseinheitlichkeit zwischen Bund und Berlin in Frage. Denn Sie haben Ihre Zustimmung für die Bundeseinheitlichkeit vorerst nur für vier Jahre gegeben.
Nun frage ich Sie: Wer soll denn nun in Berlin investieren, wenn 1993 und später die Bundeseinheitlichkeit nicht mehr gewahrt ist?
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 130. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. März 1989 9549
Dr. NeulingKurzum, ich sage Ihnen zu diesem Thema: Das unsichere Wirtschaftsklima heute haben Sie geschaffen. Sie haben die negativen Vorzeichen gesetzt, nicht wir. Das müssen Sie zur Kenntnis nehmen.
Das ist Ihre Verantwortung, nicht unsere Verantwortung.Weil der Irrsinn noch weitergeht:
— Herr Mitzscherling, hören Sie zu.
Ich bin bereit — Sie sind ein sachlicher Typ —, nachher mit Ihnen in Ruhe darüber zu reden.
— Er ist der einzige, andere sind dann schon wieder unfähig. — 4 Milliarden DM Neuverschuldung in den Jahren 1990 bis 1992. Nun schauen Sie in das Papier, Herr Kollege Mitzscherling. Sie werden ja vielleicht Finanzsenator; der Kollege Schneider übernimmt das Amt vermutlich ja nicht. Hier ist eine weitere Dekkungslücke von sage und schreibe 2,5 Milliarden DM. Sie reden von Erblast, Frau Kollegin Fuchs. Schauen Sie einmal in Ihr Mistpapier hinein. Sie präsentieren hier ein Defizit von 2,5 Milliarden, ungedeckt.
Das sind ungedeckte Wechsel auf die Zukunft.
Jede normale Hausfrau, die täglich die Haushaltskasse abrechnen müßte, wäre nach einem Tag pleite, wenn sie den gleichen Prinzipien folgen würde, denen Sie folgen. Dasselbe gilt auch für den Familienvater.
Als Fazit, was Berlin angeht, muß man folgendes feststellen:
Nach dem politischen Wortbruch — der Kollege Seiters ist darauf eingegangen — pflegt bei der SPD der finanzpolitische Wortbruch zu folgen. Dieser finanzpolitische Wortbruch, Herr Kollege Mitzscherling— da beißt keine Maus einen Schwanz ab — , ist eine Bankrotterklärung für jede zukünftige Finanzpolitik.Zweitens. Die SPD versucht verzweifelt, ihre übliche Legendenbildung fortzustricken. Diese finanzpolitischen Entscheidungen, Frau Kollegin Fuchs, machen deutlich, daß die SPD von Anfang an euphorisch ein rotgrünes Bündnis wollte und nichts anderes und daß die CDU ausschließlich als Alibi herhalten sollte. Das ist die Tatsache, wenn man sich die Zahlen einmal ansieht.Mit einem Wort: Nicht wir werfen mit Dreck, nicht wir malen Horrorgemälde. Was Sie gemacht haben, zielte von Anfang an auf ein rotgrünes Bündnis, und sei es um den Vertrauensbruch, den Wortbruch gegenüber dem Wähler. Die Konsequenzen werden Sie zu tragen haben. Ich sage als Berliner: bedauerlich! Wir müssen uns hüten und besonnen sein, damit diese Stadt, die wir in den letzten acht Jahren zum Modellfall Großstadt Berlin entwickelt haben, unter Ihrer sogenannten Führung nicht wieder zu dem wird, was sie vor 1981 war.Herzlichen Dank.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Lummer.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bin der letzte Redner, wie Sie sehen, und es kann mir niemand mehr widersprechen. Deswegen will ich auch gar nicht provozieren, sondern auf Grund der Diskussion und im Anschluß an die Diskussion ein paar Feststellungen treffen. Ich meine, diese sind zweifelsfrei.Erstens. Es ist unstrittig, daß Herr Momper vor der Wahl gesagt hat, eine Koalition mit der Alternativen Liste komme nicht in Frage.
— Auch ohne Essentials. Insofern kann man und darf man sein jetziges Verhalten als Wortbruch bezeichnen.
Manche nennen dies eine Täuschung der Wähler. Dafür kann es nur zwei denkbare Gründe geben. Einmal hielt er eine Koalition mit der Alternativen Liste für unmöglich wegen des unmöglichen Programms dieser Gruppe, oder aber er hat vor der Wahl den Wählern bewußt etwas anderes gesagt in der Annahme, sonst würden viele Wähler eben nicht SPD wählen.
Beides trägt nicht zur Glaubwürdigkeit bei, sondern ist Täuschung.Zweite Feststellung. Im Vertrauen auf das Wort Mompers hat eine beachtliche Zahl sozialdemokratischer Wähler die SPD in der Annahme gewählt, diese Koalition würde nicht zustande kommen. Diese Wähler fühlen sich getäuscht.
— Herr Momper hat es selber gesagt, gnädige Frau. Herr Momper hat selber gesagt, für diese Koalition— und das wollte ich als zweite Feststellung unterstreichen — gibt es keine gesellschaftliche Mehrheit. Das ist die Aussage, die ich mache. Das heißt, eine solche Regierung ist zu diesem Zeitpunkt nicht durch die Mehrheit der Wähler legitimiert. Insofern irren Sie an dieser Stelle, Frau Fuchs, denn Sie haben vorhin etwas Gegenteiliges gesagt.Dritte Bemerkung — das ist jetzt der Versuch, eine gewollte Legende zu zerstören —: Die Koalition der SPD mit der Alternativen Liste war in dem Moment als erste Priorität gesucht und gewollt, als es dafür eine zahlenmäßige Mehrheit in Berlin gab.
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9550 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 130. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. März 1989
LummerDie Sondierungsgespräche mit der CDU haben zu keinem Zeitpunkt den Charakter von Verhandlungen angenommen. Der Beweis dafür, Frau Fuchs: In dem ersten Gespräch mit den Alternativen war die Sozialdemokratie bereit, zwölf Kommissionen einzusetzen, die das Programm ausarbeiten sollten. Im ersten Gespräch mit der CDU wurde auf unseren Wunsch das gleiche vorgetragen. Dies hat die SPD ausdrücklich abgelehnt; sie wollte nämlich gar nicht mit uns verhandeln. Das ist der schlagende Beweis dafür, daß die CDU einmal als Disziplinierungsinstrument gegenüber der Alternativen Liste und zum zweiten vielleicht als letzte Hintertür, wenn es denn überhaupt nicht klappt, dienen sollte.
Vierte Feststellung. Meine Damen und Herren, Herr Vogel hat das gestern zwar aus gutem Grund, wie jedermann weiß, abgestritten,
es ist aber insbesondere bei der Alternativen Liste, aber auch bei der SPD eindeutig, daß die Koalition in Berlin Modellcharakter haben soll. Das heißt, selbst nach den gescheiterten Versuchen in Hamburg und Hessen versucht man, diesen Weg zu gehen,
und wenn man ihn trotzdem geht, dann will man dieses Modell ganz bewußt. Dieses wird auch aus der Kompromißbereitschaft beider Partner deutlich. Dies heißt für die Zukunft: Immer wenn sich eine zahlenmäßige Mehrheit ergibt, wird es eine rotgrüne Koalition geben. Das ist die Absicht der Sozialdemokratie.Die fünfte Feststellung: In den essentiellen Fragen — Rolle der Alliierten, Bindung an den Bund, Gewaltverzicht — gibt es keine Umkehr der Alternativen Liste, sondern Formelkompromisse — andere haben das deutlich gemacht, z. B. Herr Lüder —, die den Dissens lediglich verschleiern. Bei derart wichtigen Fragen wäre ein Konsens nach einer wirklichen Umkehr der Alternativen Liste erforderlich gewesen. Bei der Frage des Viermächtestatus hätte ein simpler Satz genügt. Die Alternative Liste hat die Bindungen Berlins an den Bund nicht prinzipiell, sondern auf Zeit akzeptiert. Sie will nach wie vor an diesem Ast sägen, auf dem wir alle in Berlin sitzen. Sie hat dies auch ausdrücklich gesagt, denn in der Regierungserklärung steht, daß man in der verwaltungsmäßigen Ausführung die Bundesgesetze aushöhlen und verfälschen wolle. Das haben die Sozialdemokraten ausdrücklich gebilligt.Meine Damen und Herren, bezogen auf das Gewaltmonopol ist es nicht viel anders. Ein eindeutiger Satz wäre am Platze gewesen; Wortgeklingel hat es gegeben. Das löst die Zweifel nicht auf, sondern unterstreicht sie nur.Das heißt in der Summe: Es handelt sich um eine Koalition mit unkalkulierbaren Risiken, mit großen Gefahren.
Wenn man Koalitionspolitik an dem Ziel „Es soll der Stadt Bestes dabei herauskommen" orientiert, dann muß man hier davon ausgehen: Der Stadt Bestes ist nicht gesucht, sondern eher das Gegenteil davon. Jedermann muß heute wissen: Das soll Modell für die nächsten Wahlen sein, und zwar, meine Damen und Herren, nicht nur für Frankfurt.
Die Aktuelle Stunde ist beendet.
Ich rufe Punkt 2 der Tagesordnung auf: Fragestunde
— Drucksache 11/4119 —
Meine Damen und Herren, wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers der Justiz. Frage 1 des Abgeordneten Geis ist zurückgezogen worden. Frage 2 des Abgeordneten Jäger wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Im Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen geht es um die Fragen 3 und 4 des Abgeordneten Dr. Emmerlich. Es ist darum gebeten worden, die Fragen schriftlich zu beantworten. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers des Auswärtigen. Alle Fragen — die Fragen 58 und 59 des Abgeordneten Dr. Soell, die Fragen 60 und 61 des Abgeordneten Reuter sowie die Fragen 62 und 63 des Abgeordneten Lowack — sollen auf Wunsch der Fragesteller schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers für innerdeutsche Beziehungen. Der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Hennig steht zur Beantwortung zur Verfügung.
Ich rufe Frage 5 des Abgeordneten Jäger auf:
Wie lautet der Schießbefehl an die DDR-Grenztruppen, und in
welchem amtlichen Dokument der DDR ist er enthalten?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Herr Kollege Jäger, das Gesetz über die Staatsgrenze der Deutschen Demokratischen Republik, das sogenannte Grenzgesetz, vom 25. März 1982, abgedruckt im Gesetzblatt der DDR I vom 29. März 1982, enthält in § 27 die Vorschriften über den Schußwaffengebrauch der Grenztruppen der DDR. Absatz 2 der Vorschrift lautet:Die Anwendung der Schußwaffe ist gerechtfertigt, um die unmittelbar bevorstehende Ausführung oder die Fortsetzung einer Straftat zu verhindern, die sich den Umständen nach als ein Verbrechen darstellt. Sie ist auch gerechtfertigt
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 130. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. März 1989 9551
Parl. Staatssekretär Dr. Hennigzur Ergreifung von Personen, die eines Verbrechens dringend verdächtig sind.Nach § 213 Abs. 3 des Strafgesetzbuches der DDR vom 12. Januar 1968 sind schwere Fälle des ungesetzlichen Grenzübertritts als Verbrechen qualifiziert. Ich will aus § 213 Abs. 3 dieses Gesetzes als schwere Fälle hier u. a. die nennen, daß die Tat mittels besonderer Intensität durchgeführt wird, daß die Tat unter Ausnutzung eines Verstecks erfolgt, daß die Tat zusammen mit anderen begangen wird oder daß der Täter bereits vorbestraft ist. Herr Kollege Jäger, allein diese Auswahl, die auch noch unter der Überschrift „insbesondere" steht, macht deutlich, daß hier praktisch in ganz breiter Weise die Voraussetzungen für den Gebrauch der Schußwaffe bei Fluchtversuchen über die Sperranlagen geschaffen worden sind.Die Bundesregierung hat seit jeher jede Form der Gewaltanwendung an den Grenzen durch Deutschland eindeutig und klar verurteilt. Sie hat wegen der letzten schlimmen Fälle an der Berliner Sektorengrenze gegenüber der DDR förmlich protestiert.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Jäger.
Herr Staatssekretär, teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß sowohl das von Ihnen hier näher dargestellte Grenzgesetz der DDR als auch die daraus erwachsene Praxis, die ja teilweise schon vorher geübt wurde, ein klarer Verstoß gegen den innerdeutschen Grundlagenvertrag und gegen die Menschenrechtspakte der Vereinten Nationen sind, die auch von der DDR anerkannt und im DDR-Gesetzblatt verkündet worden sind?
Dr. Hennig, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Jäger, mit guter Nachbarschaft, wie sie im Grundlagenvertrag verabredet ist, hat dies in der Tat nichts zu tun, und selbstverständlich auch nichts mit dem Menschenrecht auf Freizügigkeit, was Sie in den Pakten angesprochen haben. Deswegen kann ich auf Ihre Frage leider nur eine zustimmende Antwort geben.
Im übrigen hat es, was die Praxis betrifft, eine gewisse Veränderung bei der sogenannten Vergatterung gegeben. Vergatterung ist die Wachbelehrung, die vor jedem Einsatz erfolgt. Es hieß zunächst über Jahre hinweg bei der Vergatterung: „Grenzverletzer sind aufzuspüren, festzunehmen oder zu vernichten. " Der Text hat dann bis zum 1. Februar 1988 gelautet: „Grenzverletzer sind aufzuspüren, festzunehmen, notfalls zu vernichten." Nach Meldungen lautet der Text seit dem 1. Februar 1988: „Sie sind eingesetzt" — die Betreffenden, die das auszuführen haben — „im Grenzabschnitt ... mit der Aufgabe, den sicheren Schutz der Staatsgrenze unter Einhaltung und Beachtung der militärischen Bestimmungen ständig zu gewährleisten" . Das heißt, es wird nur noch auf die allgemeine Gesetzeslage hingewiesen, aber dadurch hat sich die Praxis nicht durchgreifend verändert, wie die Ereignisse in Berlin noch am 6. Februar dieses Jahres leider traurig bewiesen haben.
Eine zweite Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, ist die von Ihnen geschilderte Praxis, die sich trotz einer gewissen Abmilderung im Wortlaut der Vergatterung unverändert fortsetzt, nicht eigentlich ähnlich zu qualifizieren wie der Mordbefehl, der aus Teheran gegen einen Schriftsteller ergangen ist, wenngleich ich zugebe, daß der Unterschied darin besteht, daß hier nicht im Hinblick auf eine namentlich bekannte und bestimmte Person, sondern ganz allgemein im Hinblick auf im einzelnen noch unbekannte Personen ein Auftrag gegeben wird, sie zu töten?
Dr. Hennig, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Jäger, man kann in der Tat die Frage lange diskutieren, welches das Schlimmere ist. Diesem Schießbefehl sind inzwischen in der Tat 188 Personen zum Opfer gefallen. 188 Personen sind ums Leben gekommen, nämlich 111 an der innerdeutschen Grenze und 77 in Berlin. Das sind 188 Tote, und das läßt in der Tat die Dimension dieses Vorgangs als außerordentlich stark und groß erscheinen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Lummer.
Herr Staatssekretär, teilen Sie meine Auffassung, daß auf Grund Ihrer textlichen Darstellung dessen, was mit dem Begriff „Schießbefehl" auf der anderen Seite verbunden ist, und nach der praktischen Handhabung inzwischen eindeutig festgestellt werden kann, daß die gegenüber einer westdeutschen Zeitung gegebene Erklärung des dortigen Verteidigungsministers, es gebe keinen Schießbefehl, als widerlegt zu betrachten ist?
Dr. Hennig, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Lummer, die Bundesregierung beobachtet mit Sorge, daß nach anderslautenden öffentlichen und internen Erklärungen von Generalsekretär Honecker und General Keßler Schußwaffengebrauch durch Angehörige der Grenztruppen der DDR vorgekommen ist. Im übrigen hat Herr Keßler in seinem Interview mit der „Zeit" auf diesen Paragraphen des Grenzgesetzes ausdrücklich hingewiesen. Er hat sich also, wenn Sie so wollen, anschließend selber dementiert.
Ich rufe die Frage 6 des Abgeordneten Seidenthal auf:Welche Zuschüsse der Bundesregierung sind insgesamt für die Errichtung der Bundesakademie für kulturelle Bildung in Wolfenbüttel vorgesehen, wie stellt sich die Verteilung der Mittel auf die nächsten Jahre dar?Bitte schön, Herr Staatssekretär.Dr. Hennig, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Seidenthal, die in Bau befindliche Bundesakademie für kulturelle Bildung in Wolfenbüttel wird die dritte ihrer Art in der Bundesrepublik Deutschland sein. Sie soll der Fort- und Weiterbildung von Künstlern und Lehrern für den Bereich der Musik, insbesondere der Vokalmusik, und der bildenden Künste dienen. Für die Errichtung der Bundesakademie für kulturelle Bildung in Wolfenbüttel ist ein Bundeszuschuß aus Mitteln der kulturellen Zonenrandförderung in Höhe von 9 Millionen DM vorgesehen. Vom Land Niedersachsen sollen aus dem Landeshaushalt Mittel in Höhe von 13,2 Millionen DM bereitgestellt werden.
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9552 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 130. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. März 1989
Parl. Staatssekretär Dr. HennigDie Verteilung der Mittel stellt sich wie folgt dar: Haushaltsjahr 1986 272 000 DM Landesmittel, 1987 722 000 DM Landesmittel, 1988, 1,5 Millionen DM Bundesmittel und 1,5 Millionen DM Landesmittel, 1989 1,5 Millionen DM Bundesmittel und 2,2 Millionen DM Landesmittel, 1990 1,7 Millionen DM Bundesmittel und 1,9 Millionen DM Landesmittel, 1991 600 000 DM Bundesmittel und 1,05 Millionen DM Landesmittel und 1992 371 000 DM Landesmittel. Insgesamt saldiert sich das auf 5,3 Millionen DM Bundesmittel und 8,015 Millionen DM Landesmittel.Für den zweiten Bauabschnitt sind Bundesmittel in Höhe von 3,7 Millionen DM und Landesmittel in Höhe von 5,185 Millionen DM vorgesehen. Der abschließende Vorschlag des Landes für die Verteilung der Mittel auf die einzelnen Haushaltsjahre steht noch aus. Hierbei ist darauf hinzuweisen, daß mit dem zweiten Bauabschnitt 1990 begonnen werden soll, der dann bis 1992 parallel zu dem ersten Bauabschnitt abgewickelt werden wird.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Seidenthal.
Herr Staatssekretär, trifft es zu, daß die von Ihnen mit rund 13 Millionen DM veranschlagten Landesmittel nicht nur direkt aus dem Landeshaushalt in die Maßnahmen fließen, sondern daß das Land den Landkreis gezwungen hat, ihm ein Darlehen in Millionenhöhe zur Darstellung seines Finanzanteiles zu gewähren?
Dr. Hennig, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Seidenthal, es ist richtig, daß ein Finanzierungsanteil des Landes Niedersachsen auf einen zinslosen auf zwei Jahre befristeten Kredit in Höhe von insgesamt 2 Millionen DM entfällt. Wenn man aber die Haushaltsjahre am Ende saldiert, glauben wir, daß der Anteil des Landes Niedersachen mit insgesamt 13,2 Millionen DM angemessen ausgefallen ist.
Zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, halten Sie es mit dem Zonenrandgesetz von 1971 für vereinbar, daß hier die zu Begünstigenden, also die Stadt und der Landkreis, gezwungen werden, durch die Gewährung von Darlehen zur Verwirklichung der Maßnahme beizutragen? Können Sie mir sagen, wer die Zinsbelastungen aus den Darlehen zu übernehmen hat?
Dr. Hennig, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Seidenthal, wenn wir nicht der Meinung wären, daß das Verfahren dem Zonenrandförderungsgesetz entspricht, wären wir mit der Bundesförderung nicht eingetreten. Im übrigen habe ich mich vor Ort vor etwa zwei Wochen davon überzeugen können, daß das Projekt gut vorangeht und daß die Schwierigkeiten, die Sie befürchten, in der Praxis offensichtlich nicht auftreten.
Ich rufe die Frage 7 des Abgeordneten Seidenthal auf:
Mit welchen Beträgen beteiligte sich die Niedersächsische Landesregierung 1987/88 mit Landeshaushaltsmitteln an den von der Bundesregierung geförderten sozialen/kulturellen Maßnahmen im niedersächsischen Zonenrandgebiet, und wie verteilen sich Landes- und Bundesmittel auf die einzelnen gemäß §§ 6 und 7 Zonenrandförderungsgesetz und Bundesrichtlinien festgelegten Maßnahmegruppen?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Dr. Hennig, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Seidenthal, für die nach den §§ 6 und 7 des Zonenrandförderungsgesetzes vom 5. August 1971 mögliche Förderung kultureller und sozialer Maßnahmen hat die Bundesregierung im niedersächsischen Zonenrandgebiet folgende Mittel eingesetzt: 1987 für den Bau und die Einrichtung von Schulen 0,841 Millionen DM und 1988 0,948 Millionen DM. Für den Bau und die Einrichtung von Kindergärten waren es 1987 997 000 DM und 1988 150 000 DM; für kulturelle Maßnahmen 15,218 Millionen DM und 1988 16,129 Millionen DM; für den Bau sozialer Einrichtungen 16,242 Millionen DM und 1988 14,601 Millionen DM. Insgesamt sind das 1987 33,298 Millionen DM und 1988 31,828 Millionen DM.
Diesen Mitteln des Bundes standen Landeshaushaltsmittel Niedersachsens nach den eingereichten und vom Bund genehmigten Förderungsvorschlägen des Landes wie folgt gegenüber: 1987 für den Bau und die Einrichtung von Schulen 841 000 DM und 1988 948 000 DM, für den Bau und die Einrichtung von Kindergärten 997 000 DM im Jahre 1987 und 150 000 DM im Jahre 1988, für kulturelle Maßnahmen 15,938 Millionen DM im Jahre 1987 und 17,769 Millionen DM im Jahre 1988, für den Bau sozialer Einrichtungen 16,971 Millionen DM im Jahre 1987 und 15,309 Millionen DM im Jahre 1988, was sich dann wiederum zu 34 747 000 DM im Jahre 1987 und 34 176 000 DM im Jahre 1988 saldiert, Herr Kollege Seidenthal.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Seidenthal.
Herr Staatssekretär, können Sie bestätigen, daß das Land Niedersachsen sich mit eigenen Mitteln an allen einzelnen Maßnahmenbereichen des kulturellen Programms beteiligt, oder wo liegen gegebenenfalls Schwachpunkte bei der Bund-Länder-Förderung?
Dr. Hennig, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Seidenthal, das ist eine so umfassende Frage, daß ich sie aus dem Stegreif ungern beantworten möchte. Ich möchte Ihnen das gerne schriftlich nachreichen.
Zweite Zusatzfrage, Herr Seidenthal.
Herr Staatssekretär, ich nehme das Angebot gerne an.
Gehe ich recht in der Annahme, daß auch die Bundesregierung die Landesbeteiligung als unausgewogen ansieht, und welche Maßnahme will sie treffen oder hat sie getroffen, Änderungen herbeizuführen?
Dr. Hennig, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Seidenthal, die Wertung insgesamt sieht bei uns so aus, daß wir die Komplementärmittel des Landes Niedersachsen für zureichend halten, so daß wir dann auf Grund dieser Wertung in eine Bundesförderung ein-
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Parl. Staatssekretär Dr. Hennig
treten können. Sonst wäre dies nach dem Gesetz nicht möglich gewesen.
Danke sehr, Herr Staatssekretär.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft auf. Der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Riedl steht zur Beantwortung zur Verfügung. Die Frage 8 des Herrn Abgeordneten Austermann — ich sehe ihn nicht im Saal — wird nicht beantwortet. Das gilt auch für die Frage 9.
Die Fragen 11 und 12 werden auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt.
Dann kommen wir zur Frage 13 des Herrn Abgeordneten Stahl, der anwesend ist.
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Welche Vorstellung und Meinung hat die Bundesregierung zur Verlängerung des Dritten Verstromungsgesetzes über das Jahr 1995 hinaus nach den bisherigen Gesprächen mit der Stromwirtschaft , dem Bergbau, den Bundesländern und den bisher beim Bundeskanzler, dem Bundesminister für Wirtschaft eingegangenen Briefen und Vorschlägen aus Politik und Wirtschaft, und ist es richtig, daß die Bundesregierung von einer wesentlichen Reduzierung der Kohleverstromungsmengen ausgeht?
Danke schön.
Frau Präsidentin, darf ich Sie bitten, mir zu erlauben, daß ich die beiden Fragen wegen des inneren Zusammenhangs gemeinsam beantworten kann.
Ja, ich rufe also noch die Frage 14 des Abgeordneten Stahl auf. Es gibt dann vier Zusatzfragen.
Wenn die Bundesregierung eine Reduzierung vorsieht, wie groß wird diese Menge sein und in welchem Zeitraum soll sie erfolgen?
Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Danke schön.
Die Bundesregierung verfolgt bei der Kohleverstromung derzeit primär das Ziel, den Verstromungsfonds für die kommenden Jahre finanziell zu stabilisieren. Der Bundesminister für Wirtschaft verhandelt hierüber mit der Elektrizitätswirtschaft und natürlich mit dem Steinkohlebergbau.
Dabei geht es entsprechend dem Koalitionsbeschluß vom 6. Dezember 1988 auch um die Frage, inwieweit die ab 1991 vertraglich vorgesehene Aufstockung der zur Verstromung vorgesehenen Kohle-mengen in die Zeit nach 1995 gestreckt werden kann. Die Bundesregierung verkennt nicht den Zusammenhang zwischen der Lösung dieser Frage und den für die Zeit nach 1995 zu schaffenden Verstromungsregelungen. Hierzu hat, Herr Abgeordneter, der Meinungsbildungsprozeß inzwischen begonnen.
Die Bundesregierung prüft zur Zeit entsprechende Vorschläge. Diese zeigen — ich darf es einmal in einer Vorwegbewertung so sagen — sehr, sehr unterschiedliche Vorstellungen über die nach 1995 zu verstromenden Kohlemengen und deren Finanzierung. Die Bandbreite ist, auch für mich überraschend, riesig groß.
Überwiegend wird aber eine Herabsetzung der Mengen für erforderlich gehalten, und ich glaube konstatieren zu können, daß hier ein relativ breiter Konsens vorhanden ist. Nach Auffassung der Bundesregierung hängt das Ausmaß der Herabsetzung wesentlich von den künftigen energiewirtschaftlichen Rahmenbedingungen, insbesondere natürlich von den Stromzuwachsraten, von dem erforderlichen Interessenausgleich zwischen Bergbau-Ländern und revierfernen Ländern sowie von der Vereinbarkeit der notwendigen Finanzierung mit den Regeln des europäischen Binnenmarktes ab.
Selbstverständlich muß eine entsprechende Mengenanpassung regional- und sozialpolitisch vertretbar abgewickelt werden können. Diese These steht ja sozusagen als Leitthema über dem gesamten Lösungsbereich.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Stahl.
Herr Staatssekretär, nun hatten Sie sich ja bezüglich der Regelung und der Gespräche, die dort geführt worden sind, einen Termin gesetzt: 31. März. Welche Sicht der Dinge haben Sie als Bundeswirtschaftsminister und als Bundesregierung jetzt, und wie sehen die nächsten Schritte aus, die in den nächsten Tagen folgen? Denn es ist ja unbestritten, daß der Bundeskanzler vorige Woche Gespräche geführt hat und daß er am Wochenende in Oberhausen eine große Erklärung des Inhalts abgegeben hat: Dem Bergbau wird geholfen. Wie ist der derzeitige Stand der Überlegungen?
Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Der derzeitige Stand ist, daß die Diskussion voll im Gange ist, Herr Abgeordneter. Ich darf nur einen Termin nennen: Zum Beispiel unser beamteter Staatssekretär, Herr Dr. von Würzen, wird noch vor Ostern mit der Elektrizitätswirtschaft sprechen. Die Dinge müssen ja gründlich diskutiert werden. Unsere Beamten, aber auch die Minister und die Staatssekretäre sind voll damit beschäftigt, Kontakte herzustellen. Der Diskussionsfluß ist also in vollem Gange. Zum Beispiel auch Ihre Frage gehört in diesen Meinungsbildungsprozeß.
Zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Stahl.
Herr Staatssekretär, Sie sprachen davon, daß sich wohl alle einig sind — darin stimme ich Ihnen nicht zu —, daß eine Verminderung der Steinkohlenförderung für den Einsatz in der Verstromung notwendig ist; so Ihre Aussage jetzt. Über welche Menge denken Sie als Wirtschaftsminister denn nach? Ich nehme doch wohl an, daß Sie nicht ohne Vorbereitung in die Gespräche gehen, wenn man bedenkt, daß der Sprechzettel des Herrn Bundeswirtschaftsministers, dessen Veröffentlichung für Aufregung im Ruhrgebiet gesorgt hat, in der Richtung zumindest einiges aussagt. Nun sind wir einige Tage weiter. Um welche Mengen geht es denn hier?Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Herr Abgeordneter, damit kein Mißverständnis über das besteht, was ich vorgetragen habe, will ich die beiden entscheidenden
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Parl. Staatssekretär Dr. RiedlSätze, nach denen Sie soeben gefragt haben, kurz wiederholen:Die Bundesregierung prüft zur Zeit entsprechende Vorschläge. Diese— diese Vorschläge —zeigen sehr, sehr unterschiedliche Vorstellungen über die nach 1995 zu verstromenden Kohlemengen und deren Finanzierung.Dann habe ich gesagt, Herr Abgeordneter Stahl:Überwiegend wird ... eine Herabsetzung der Mengen für erforderlich gehalten ...„Überwiegend" ! — Es gibt natürlich auch Stimmen— da gebe ich Ihnen recht —, die sagen: Es kommt überhaupt keine Herabsetzung der Menge in Frage.— Das ist bei der Thematik ja selbstverständlich. Aber von mir zu verlangen, daß ich jetzt eine bestimmte Menge nenne, würde bedeuten, daß ich den noch nicht abgeschlossenen Meinungsbildungsprozeß innerhalb der Bundesregierung vorwegnehme. Ich kann das gar nicht.Ich muß Ihnen ganz persönlich sagen: Weder ich noch meine Mitarbeiter im Ministerium haben bereits konkrete Vorstellungen hinsichtlich der Mengen, in Millionen t ausgedrückt. Das genau ist ja Sinn und Zweck der derzeitigen Diskussionen und Überprüfungen.
Herr Stahl, dritte Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, im Koalitionspapier vom 6. Dezember steht unter Punkt 4 unmißverständlich:
Es wird festgestellt, daß eine Mengenausweitung ab 1991 nicht möglich ist. In die Verhandlungen mit den EVU wird deshalb die Frage einbezogen, wie hoch die Aufstockungsmengen für den Vertragszeitraum 1991-1995 auf die anschließenden Jahre gestreckt werden.
Heißt das, daß das, was damals in den Koalitionsvereinbarungen vereinbart wurde, nach Ihrer Aussage, die sie gerade getroffen haben, nicht mehr gilt?
Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Die Koalitionsverabredung gilt natürlich. — Herr Abgeordneter, jetzt müssen Sie mir bitte einmal helfen: Den Widerspruch, den Sie konstruieren, sehe ich nicht. Auch dies ist Teil des Meinungsbildungsprozesses. Vielleicht sind Sie einmal so nett, mir zu sagen, wo da ein Widerspruch liegt.
— Ich bin ja gerade dabei, Herr Abgeordneter. Ich bemühe mich als Freund des Ruhrgebiets ja wirklich, Ihnen hier soweit wie möglich entgegenzukommen. Nur, überschätzen Sie doch einen Staatssekretär nicht, wenn er heute Entscheidungen der Bundesregierung vorwegnehmen soll, die noch gar nicht getroffen sein können. Das würde meine Möglichkeiten massiv übersteigen.
Herr Stahl, Sie haben noch eine vierte Zusatzfrage, bitte schön.
Herr Staatssekretär, auch wenn Sie sich hier vor dem Parlament klein machen, so wird uns das nicht davon abhalten, Fragen an den Bundeswirtschaftsminister zu stellen, denn es geht hier um wichtige Sachen. Ich frage noch einmal: Da Sie in der ersten Antwort unmißverständlich erklärt hatten, daß die Mengen der Verstromung zurückgenommen werden sollen, bezog sich meine Frage auf das Koalitionspapier, wo unter Punkt 4 steht, daß für einen gewissen Zeitraum sogar eine Aufstockung der Mengen für den angegebenen Zeitraum erforderlich ist. Das heißt doch, hier ist ein Widerspruch. Sie sind also von dem damaligen Koalitionspapier abgegangen.
Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Herr Abgeordneter, das ist doch kein Widerspruch. Die Palette dessen, was an Menge für die Zeit nach 1991 festzulegen ist, ist — das habe ich gesagt — sehr breit. Das weiß doch ein jeder. Es gibt in der Tat auch den einen oder anderen Vorschlag, der auf eine Erhöhung der Menge hinausläuft. Ich stelle im Augenblick nur fest, daß überwiegend eine Mengenreduzierung gefordert und reklamiert wird.
Das richtige Maß zu finden, Herr Abgeordneter Stahl — —
— Die Zahl kann ich Ihnen doch nicht nennen. Sie können bis heute abend nach Zahlen fragen. Das ist wie beim Zahlenlotto: Die richtige kriegen Sie bei mir nicht heraus.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Urbaniak.
Herr Staatssekretär, aus Ihrer Antwort geht hervor, daß die Bundesregierung für eine Mengenreduzierung eintritt. Sie sagten außerdem, das, was darum herumrankt — Belegschaften —, müsse sozial flankiert werden. Denkt die Bundesregierung ebenfalls daran, Zechenstillegungen vornehmen zu lassen und aktive Bergleute freizusetzen, zu entlassen?
Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Über Zechenstillegungen wird innerhalb der Bundesregierung nicht geredet. Die Frage der Mengenreduzierung — Herr Abgeordneter, das ist richtig — ist natürlich schon angesichts der überwiegenden Forderungen, die auf dem Tisch liegen, ein aktuelles Thema. Was aber am Schluß — das ist ja auch das, was der Herr Abgeordnete Stahl wissen wollte — an echter, festgestellter, notwendiger Menge herauskommt, kann ich Ihnen beim besten Willen nicht sagen. Das weiß auch der beste Kohleexperte in unserem Haus heute noch nicht. Das ist im übrigen ja auch eine politische Frage, wie Sie selber am besten wissen.
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Urbaniak.
Herr Staatssekretär, Sie haben den zweiten Teil meiner Frage nicht beantwortet: Wie
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Urbaniaksieht es mit den Belegschaften aus? Denkt man da an Entlassungen, wie es die Presse geschrieben hat, daß nämlich im Wirtschaftsministerium solche Vorstellungen bestehen sollen?Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Herr Abgeordneter, ich muß Ihnen diese Frage mit einem klaren Nein beantworten, was natürlich nicht ausschließt, daß dann, wenn es — ich unterstelle das jetzt einmal — eine massive Mengenreduzierung geben sollte, natürlich auch über die Frage der Arbeitsplätze diskutiert werden muß bis hin zu der Frage, in welcher Quantität eine Zeche weiterbetrieben wird. Das ist ganz klar und selbstverständlich. Aber Entscheidungen dazu gibt es nicht, kann es auch gar nicht geben, weil die Mengen nicht festliegen.Wenn es zu einer politischen Einigung über die künftigen Mengen gekommen sein wird, wird man im Anschluß daran klipp und klar feststellen und entscheiden müssen, wie es mit den Zechen — vor allen Dingen in welcher Größenordnung — weitergeht.
Jetzt hat Herr Dr. Lammert eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär Dr. Riedl, nachdem Sie die Frage des Kollegen Urbaniak gerade mit einem klaren Nein beantwortet haben, hoffe ich, daß Sie meine Frage mit einem klaren Ja beantworten: Fühlt sich die Bundesregierung nach wie vor an die Vereinbarung der Kohlerunde vom Dezember 1987 gebunden, daß im Zuge der anstehenden Verhandlungen über den Zeitraum des geltenden Jahrhundertvertrages hinaus eine Anschlußregelung gefunden werden muß, die — ich zitiere — an das geltende Vertragswerk anknüpft?
Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Aus heutiger Sicht kann ich Ihnen diese Frage in der Tat mit einem Ja beantworten.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Niggemeier.
Herr Staatssekretär, Sie haben gerade die Frage des Kollegen Lammert mit einem klaren Ja beantwortet. Wie erklären Sie sich dann, daß in dem Sprechzettel Ihres Ministers vom 14. Februar 1989 für das Bundeskanzlergespräch folgende Passage enthalten ist: „Die meisten politischen Äußerungen zeigen die Einsicht, daß eine wesentliche Reduzierung der Kohlemenge unvermeidbar ist." Das haben Sie wohl auch vorhin in Beantwortung der Frage von Herrn Stahl ähnlich formuliert, nämlich die Herabsetzung der Menge sei erforderlich. Meine Frage ist: Was ist denn nun richtig? Ihre Bejahung der Frage von Herrn Lammert oder das, was der Herr Minister in bezug auf die Unvermeidbarkeit der Herabsetzung der Förderung erklärt hat? Oder aber — ich will Ihnen da gerne helfen; Sie hatten ja vorhin um Hilfe gebeten — ist möglicherweise die Angabe in dem im September 1986 herausgegebenen Energiebericht der Bundesregierung richtig, wonach der Kohlebedarf für das Jahr 2000 95 Millionen Tonnen, also 20 Millionen Tonnen mehr als zur Zeit, betragen wird?
Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Frau Präsidentin, das war ja eine der kunstvollsten Fragen, die je zu diesem Thema im Deutschen Bundestag gestellt worden ist.
Das, was er gefragt hat, zählt wie zwei Fragen.
Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Dies zählt nämlich für zwei, genau.
Beim zweiten Teil Ihrer Frage unternehmen Sie den Versuch, mich auf eine Menge festzulegen. Dieser Versuch schlägt aus den Gründen, die ich gesagt habe, leider fehl.
Nun zum ersten Teil Ihrer Frage, Herr Abgeordneter. Entscheidend ist doch nicht, was in einem Sprechzettel steht, sondern entscheidend ist, was ein Minister in einer Runde vorträgt. Das, was der Minister vorgetragen hat, ist nicht das, was Sie mit Hinweis auf einen Sprechzettel unterstellt haben. Diese Äußerung hat der Minister in der von Ihnen genannten Gesprächsrunde nicht gemacht.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Menzel.
Herr Staatssekretär, auf die Frage von Herrn Stahl haben Sie geäußert, daß Konsens darüber bestünde, daß die zur Verstromung eingesetzte Menge reduziert werden müsse. Nach meiner Kenntnis ist der letzte Konsens, der in der Kohlefrage zustande gekommen ist, der, der in der Kohlerunde im Dezember 1987 erfolgt ist. Die Frage ist: Woher nehmen Sie — da dort ein solcher Konsens über die Absenkung nach 1995 nicht erzielt worden ist — nun die Erkenntnis, daß Konsens darüber bestünde, daß die eingesetzte Menge reduziert werden müsse?
Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Herr Abgeordneter Menzel, es ist nun das drittemal, daß ich diese Passage, die auch schon der Kollege Stahl mißverstanden hat, noch einmal vorlese. Ich habe gesagt: Die Bundesregierung prüft zur Zeit entsprechende Vorschläge. Ich habe gesagt: Die Palette ist sehr groß; von null bis unendlich, würde ich es einmal arithmetisch sagen. Dann habe ich gesagt:
Diese Vorschläge zeigen sehr unterschiedliche Vorstellungen über die nach 1995 zu verstromenden Kohlemengen und deren Finanzierung.
Jetzt kommt es:
Überwiegend wird aber eine Herabsetzung der Mengen für erforderlich gehalten.
Überwiegend Vorschläge dieser Art liegen vor. Ich habe nicht gesagt: Das ist die Feststellung oder die Entscheidung der Bundesregierung. Herr Abgeordneter, es ist nicht zu bestreiten, daß bei der Fülle von Vorschlägen die Mengenreduzierungen für die Zeit nach 1995, ich will nicht sagen: herausragen, aber überwiegen.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Beckmann.
Herr Staatssekretär, erscheint es angesichts des hier diskutierten Mengengerüstes für die Steinkohle nicht auch der Bundesregierung als
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BeckmannGefährdungstatbestand für dieses Mengengerüst, daß sich eine Reihe von SPD-geführten Großstädten, wie z. B. Düsseldorf, Saarbrücken und Wuppertal, in einer sogenannten Interessengemeinschaft Steinkohle zusammengefunden haben, die aber nicht das Ziel hat, deutsche Steinkohle, sondern Importkohle zu verstromen?
Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Herr Abgeordneter, ich darf es einmal ein bißchen menschlich-sympathisch sagen: Die Bundesregierung hat solches mit Verwunderung zur Kenntnis genommen. Das Erstaunliche daran ist die Wandlungsfähigkeit örtlicher Kommunalpolitiker in solchen Fragen. Aber die Bundesregierung wird deshalb darüber keine Kopfschmerzen bekommen. Ich würde einmal sagen: So ist eben das Leben: In Dortmund wird eine Spielbank eingerichtet, und die gleichen Politiker fordern dann das Verbot von Spielhallen. Das kommt im Leben schon öfter einmal vor. Auch in meiner Partei gibt es solche Widersprüche; ich möchte das nicht leugnen.
Herr Kollege Schreiner ist jetzt dran.
Herr Staatssekretär, habe ich Sie richtig verstanden, daß Sie sagen: Einerseits denkt auch die Bundesregierung an eine Reduzierung der Menge, auf der anderen Seite schließt die Bundesregierung kategorisch die Schließung von Zechen aus?
Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Herr Abgeordneter, vielen Dank für diese Präzisierung dessen, was vielleicht vorhin etwas zu kurz gekommen ist. Ich habe gesagt: Wenn es natürlich zu einer quantitativ so einschneidenden Reduzierung von Mengen kommt, dann muß man auch die Frage der Arbeitsplätze bis hin zur Frage der Existenzberechtigung von Kohlezechen stellen; das ist ganz klar. Entscheidend ist, auf welche Mengen sich die Bundesregierung nach diesem Diskussionsbedarf festlegen muß und wird. Dann wird man sehen, wie es weitergeht.
Aber ich will das natürlich schon in allem Ernst sagen: Je nach Menge ist nicht auszuschließen, daß Arbeitsplätze im Bergbau wegfallen können. Es muß nicht unbedingt zu einer Zechenstillegung kommen. Aber wenn eine Reduzierung der Menge erfolgen sollte, kann es — ich bitte, mich jetzt nicht falsch zu verstehen — nicht zu einer Ausweitung von Arbeitsplätzen kommen, sondern das Gegenteil wird der Fall sein. Das war ja in der Vergangenheit, Herr Abgeordneter, im Prinzip genauso.
Herr Schreiner, Sie haben noch eine Zusatzfrage, bitte.
Ich bin nicht wesentlich klüger geworden. Deshalb wollte ich noch einmal präzise nachfragen: Schließt die Bundesregierung Zechenstillegungen aus — ja oder nein?
Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Wenn Sie so fragen, weiß ich ja, worauf Sie hinauswollen. Wenn die
Menge so reduziert wird, was zur Zeit in der Bundesregierung nicht feststeht, daß Zechen aus wirtschaftlichen Gründen nicht mehr gehalten werden können, dann schließe ich natürlich Zechenstillegungen nicht aus, Das ist aber in der Werftindustrie genauso wie im Maschinenbau oder bei Brauereien. Wenn sich im wirtschaftlichen Geschehen ein Betrieb nicht mehr rentiert, dann geht es an die Arbeitsplätze. Aber dieses Thema ist zur Zeit bei uns nicht aktuell und wird nicht diskutiert. Wenn Sie jedoch so fragen, Herr Abgeordneter, kann ich natürlich nicht nein sagen; das ist doch logisch.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Großmann.
Herr Staatssekretär, ich komme noch einmal auf das Mengengerüst zurück. Denn das ist die Frage, die insofern sehr wichtig ist, als ja auch die Unruhe in allen Bergbaurevieren zeigt, daß Entscheidungen anstehen, die von den Bergleuten dringend eingefordert werden.
Sie haben jetzt mehrfach gesagt, daß die Bundesregierung von sich aus keine Zahlen nennen kann, weil sie mitten im Diskussionsprozeß ist. Da Sie aber gleichzeitig gesagt haben, daß Sie ja mit anderen Vertragspartnern verhandeln und daß eine ganze Palette vorhanden ist, frage ich Sie: Sind Sie denn bereit und in der Lage, uns die Zahlen, die von anderen in die Diskussion eingebracht werden, zu nennen, z. B. die Mengenreduzierungszahlen der Energieversorgungsunternehmen, der stromproduzierenden Industrie?
Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Herr Abgeordneter, im Prinzip gibt es keine Gründe dafür, solche Auskünfte nicht zu geben. Ich werde mich einmal in der zuständigen Abteilung erkundigen, welche konkreten Vorschläge vorliegen. Wenn Sie mir erlauben, würde ich Ihnen das gerne schriftlich beantworten.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Müntefering.
Eine Frage in Anlehnung der Frage des Kollegen Lammert zur Kohlerunde von Ende 1987. Steht die Bundesregierung zu dem Mengengerüst, das da vereinbart worden ist, auch für die Laufzeit bis 1995, oder soll das Wort gebrochen werden?Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Zu dem, was damals vereinbart worden ist, steht die Bundesregierung. Daß dies natürlich keine Vereinbarung auf Ewigkeit ist, Herr Abgeordneter, das wissen Sie so gut wie ich. Die derzeitigen Verhandlungen werden ja, wenn sie abgeschlossen sind, zeigen, zu welchen Ergebnissen wir kommen.Ich möchte aber hier doch noch einmal — Frau Präsidentin, ich mache es nicht sehr lange — feststellen, daß wir auch mit der IG Bergbau in einem ständigen Kontakt sind. Der Vorsitzende, Herr Meyer, ist ja auch Mitglied in diesem Hohen Hause.Ich möchte von uns aus anbieten, daß in diesem breiten Dialog natürlich auch die Interessen der zuständigen Abgeordneten mit einbezogen werden. Ich
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Parl. Staatssekretär Dr. Riedlpersönlich und auch meine Kollegen an der politischen Spitze des Hauses stehen Ihnen für Gespräche über diese Fragestunde hinaus zur Verfügung. Ich weiß, wie ernst dieses Thema ist. Obwohl ich aus München, also aus Bayern, komme, habe ich den großen nationalen Konsens auch bei der Kohle immer gesehen und werde ihn auch in Zukunft sehen. Wir stehen Ihnen gerne zur Verfügung.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Müntefering.
Herr Staatssekretär, die Frage bezog sich nicht auf die Ewigkeit, sondern auf das Jahr 1995. Steht die Bundesregierung zu dem Mengengerüst, das Ende 1987 vereinbart worden ist, oder wird das Wort gebrochen?
Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Herr Abgeordneter, ich kann doch jetzt das Ergebnis dessen, worüber zur Zeit beraten wird, nicht vorwegnehmen. Aber ich bewundere Ihre Kunst. Wenn man da nicht haarscharf aufpaßt, kann man hier ja als Staatssekretär sehr leicht in Verführung geraten. Ich muß mich bemühen, bei der Haltung zu bleiben, die ich bisher eingenommen habe. Ich kann Ihnen beim besten Willen keine Menge nennen — ich bitte um Verständnis — , auch nicht über die von Ihnen sehr geschickt aufgeworfene Umgehungsfrage.
Herr Staatssekretär, nachdem Sie so charmant anerkannt haben, daß wir Sie zur Klarheit verführen wollen: Ist Ihre klare Antwort auf die nicht sehr klare Frage von Herrn Lammert so zu verstehen, daß Sie das Anknüpfen an die alten Regelungen für die 90er Jahre nur formell und nicht mengenmäßig meinen und daß, wenn Sie sagen: aus heutiger Sicht, das zeitlich so begrenzt ist, daß morgen schon etwas ganz anderes gelten kann?
Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Die Frage ist sehr kompliziert, aber auch sehr klug gestellt. Herr Abgeordneter, die Mengen werden zur Zeit diskutiert — das habe ich erklärt — , und sie müssen irgendwann festgelegt und festgezurrt werden. Ich hoffe und wünsche nur, daß dies nicht auf den Sankt-NimmerleinsTag verschoben wird; davon können Sie nicht ausgehen. Das wollen Sie nicht, das will das Parlament nicht, das will auch die Regierung nicht, das wollen vor allen Dingen auch die Verbraucher und die Arbeitnehmer in diesem Bereich nicht.
Ich sage es noch einmal: Wir werden nach Abschluß der Diskussionen diese Frage politisch sehr verantwortungsvoll prüfen, die Mengen festlegen und dann auch mit dem Parlament entsprechend diskutieren. Mehr, Herr Abgeordneter, ist bei bestem Willen nicht möglich.
Zweite Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, hat die Mengenproblematik vielleicht auch damit zu tun, daß die Bundesregierung ein so energisches Energiesparprogramm plant und daß die Kohleverstromung deswegen geringer werden könnte?
Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Das ist ein neuer Zusammenhang, den ich zunächst einmal überprüfen lassen muß. Herr Abgeordneter, ich kann Ihnen auf diese Frage im Augenblick nicht antworten.
Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Steinhauer.
Herr Staatssekretär, entschuldigen Sie, wenn ich hartnäckig bin; ich muß noch einmal fragen: Gilt das, was Sie 1987 als Mengengerüst bis 1995 zugesagt haben, noch heute, im Jahr 1989, oder nicht?
Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Weil ich hier verantwortungsbewußt antworten muß — das ist meine Pflicht —, möchte ich es so formulieren: Ja, das gilt natürlich heute noch, aber auch diese Mengen sind in den ganzen Diskussionsprozeß einbezogen; darüber gibt es gar keinen Zweifel.
Weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ich habe noch eine andere Frage: Sie haben vorhin einen Vergleich zwischen der Spielbank — ich denke, Sie meinten Hohensyburg — und Spielhallen — im Zusammenhang mit dem Antrag, Spielhallen zu verbieten — gezogen. Meinen Sie nicht, daß dieser Vergleich hinkt, daß man die Spielbank nicht mit den Spielhallen — ich hätte fast gesagt: Spielhöllen — vergleichen kann?
Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Frau Abgeordnete, ich wollte mit diesem Beispiel nur Widersprüchlichkeiten innerhalb der Politik darstellen. Daß der Vergleich natürlich hinkt, wußte ich bereits, als ich ihn ausgesprochen hatte.
Zusatzfrage, Herr Dr. Jens.
Herr Staatssekretär, aus Ihren Aussagen geht mehr oder weniger deutlich hervor, daß mit den Interessenvertretern auch über eine Anpassung bei der Menge diskutiert wird. Wir haben andererseits am 12. Dezember 1987 — das ist ja noch nicht lange her — eine Fixierung und Einvernehmen zwischen diesen Gruppen erreicht. Wenn das wirklich kommt und wenn Sie anständig argumentieren, müssen Sie dann seitens der Bundesregierung sich nicht auch Gedanken über Zechenstillegungen machen, die ja zwangsläufig die Folge sein werden?Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Wenn Sie es so formulieren, möchte ich die Frage mit Ja beantworten. Wenn man verantwortungsbewußt eine reduzierte Menge festgelegt haben sollte — ich sage es jetzt einmal so theoretisch — und wenn man dann die Frage der Arbeitsplätze dementsprechend abprüft, dann ist diese Frage natürlich voll mit einzubeziehen; sie steht sogar an vorderster Stelle. Herr Abgeordneter, also ein ganz klares Ja zu Ihrer Frage.
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Ich lasse jetzt die letzte Zusatzfrage zu. Wir haben noch mehrere Fragen im Zusammenhang mit diesem Problem; dann können Sie weitere Fragen stellen. — Bitte, Dr. Jens.
Herr Staatssekretär, kann die Bundesregierung den Unternehmen im Bergbau konkrete Hinweise geben: Wie sollen diese dann die Investitionen tätigen, die langfristiger Art sind, wenn jetzt schon wieder über diese Mengenreduzierung geredet wird?
Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Wir sprechen auch mit den Unternehmen. Das, was Sie vorhin richtigerweise anfragten, impliziert auch das, was ich vorhin gesagt habe, nämlich daß dieser Entscheidungsprozeß nicht in alle Ewigkeit hinausgezogen werden muß. Planungsklarheit ist auch in diesem Bereich absolut notwendig. Dazu gehören rechtzeitig getroffene und dann hoffentlich auch richtige Entscheidungen.
Ich rufe als nächstes die Frage 15 des Abgeordneten Niggemeier auf:
Aus welchen Gründen kann die Bundesregierung den sich selbst gesetzten Zeitplan, bis zum 31. März 1989 ein abgeschlossenes Konzept auf der Grundlage der Punkte des Koalitionsbeschlusses vom 6. Dezember 1988 zum Erhalt und zur Fortentwicklung der Steinkohleverstromung bis 1991 und über 1995 hinaus vorzulegen, nicht einhalten?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Frau Präsidentin, Herr Abgeordneter, der Koalitionsbeschluß zur Kohleverstromung vom 6. Dezember 1988 befaßt sich ausschließlich mit der Frage, wie das geltende Verstromungssystem finanziell stabilisiert werden kann. Zur Fortentwicklung der Kohleverstromung über 1995 hinaus nimmt er — aber das wissen Sie, Herr Abgeordneter — nicht Stellung.
Auf der Grundlage dieses Beschlusses verhandelt der Bundesminister für Wirtschaft — und jetzt wiederhole ich mich, Frau Präsidentin, weil ich das schon in Antworten auf vorherige Fragen gesagt habe — zur Zeit mit der Elektrizitätswirtschaft und auch mit dem Steinkohlebergbau. Die Elektrizitätswirtschaft hat einen Vorschlag gemacht, der ihren Finanzierungsbeitrag mit der im Koalitionsbeschluß angesprochenen Streckung der für 1991 bis 1995 vertraglich vorgesehenen Aufstockungsmengen auf die Jahre nach 1995 koppelt. — Also, das ist ein Vorschlag der Elektrizitätswirtschaft. — Die Verhandlungen sind — ich habe es schon gesagt — im Gange; sie können deshalb auch noch nicht abgeschlossen sein.
Der Bundesminister für Wirtschaft unternimmt — ich darf es so sagen — alle Anstrengungen, um bis Ende des Monats oder spätestens bis Ende des übernächsten Monats Klarheit zu erhalten, in welchem Umfang sich ein finanzieller Beitrag der Elektrizitätswirtschaft zur Stabilisierung des Verstromungsfonds erreichen läßt. — Also, für diesen Bereich haben wir uns ein Ziel gesetzt: Klarheit in den nächsten vier, spätestens, sage ich einmal, acht Wochen. Es kommt ja auch die Osterzeit dazwischen. —
Herr Bundesminister Dr. Helmut Haussmann hat — das entspricht dem Verhandlungsstand — noch keine abschließende Bewertung der Vorschläge der Elektrizitätswirtschaft vorgenommen und auch nicht vornehmen können. Er will — das darf ich hier ergänzend auch noch sagen — ein weiteres Gespräch mit der Elektrizitätswirtschaft persönlich führen. Das schließt an das an, was ich vorhin gesagt habe: daß sich die politische Spitze des Hauses — zusammen mit den Beamten — in diese Gespräche voll einschaltet.
Ich bitte, Wiederholungen der Fragen im Interesse der anderen Fragesteller möglichst zu unterlassen. — Bitte schön, Herr Niggemeier.
Herr Staatssekretär, wie erklären Sie sich, daß Vertreter der Elektrizitätswirtschaft gegenüber Abgeordneten dieses Hauses in einem Gespräch öffentlich und offiziell erklärt haben, daß sie den Jahrhundertvertrag, um den es ja geht, einhalten wollten und es ihnen lieb sei, wenn die bisher gültigen Regelungen dieses Vertrages beibehalten würden? Warum sind dann noch Gespräche erforderlich?
Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Herr Abgeordneter, ich habe die Gespräche mit der E-Wirtschaft persönlich nicht geführt. Aber wenn sich die E-Wirtschaft gegenüber Abgeordneten dieses Hohen Hauses so äußert, dann wird sie das ja wohl auch gegenüber dem Bundesministerium für Wirtschaft tun.
Vielleicht darf ich einen praktischen Vorschlag machen: Wenn Sie mir freundlicherweise, wenn ich diese Bitte äußern darf, einmal einen Brief schreiben und mir solche Äußerungen en détail mitteilen, wäre ich Ihnen sehr dankbar. Ich bringe das dann in die Diskussión mit ein.
Eine zweite Zusatzfrage? — Bitte schön.
Herr Staatssekretär, sind Sie sich darüber klar, daß die E-Wirtschaft die Erfüllung des Jahrhundertvertrages selbstverständlich davon abhängig macht, daß der Kohlepfennig vom Hohen Haus hier in ausreichender Höhe beschlossen wird?
Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Also, wenn ich die E-Wirtschaft richtig einschätze, muß ich Ihnen leider zustimmen, ja.
— „Leider" als Prognose hinsichtlich der Zustimmung gedacht; ich bin mir nicht ganz sicher. Aber ich gehe einmal davon aus, daß sie sich so verhält. Das „leider" war kein Bedauern, sondern eine Einschränkung meiner Möglichkeiten, das richtig zu beurteilen.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Stahl.
Herr Staatssekretär, Sie sagten, daß der Bundeswirtschaftsminister bzw. die Bundesregierung alle Anstrengungen unternimmt — etwa bis Ende dieses bis Mitte nächsten Monats — , um eine Anschlußregelung zu kriegen. Heißt das, daß auch die Mengen, die für einen Verstromungsvertrag nach 1995 notwendig sind, schon in diesem Zeitraum fixiert werden?
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Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Also, ausschließen möchte und kann ich das nicht. Aber, Herr Abgeordneter, so konkret, wie Sie es wissen wollen, weiß ich es, ehrlich gesagt, nicht. Aber ich schließe es nicht aus. Das kann durchaus der Fall sein.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Menzel.
Herr Staatssekretär, haben Sie bitte Verständnis dafür — alle Fragen befassen sich ja mit einem Komplex — , wenn ich Sie noch einmal frage.
Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Bitte sehr.
Sie schließen eine Reduzierung der zur Verstromung eingesetzten Mengen auch bis 1995 nicht aus. Ich frage Sie: Welche Voraussetzungen haben sich denn seit der Kohlerunde im Dezember 1987 zuungunsten der Kohle verändert, daß Sie nun nicht ausschließen, daß eine Vereinbarung, die damals bis 1995 getroffen wurde, nicht hält?
Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Herr Abgeordneter, ich schließe es deshalb nicht aus, weil Vorschläge dieser Art auf dem Tisch liegen, ohne daß sich — das gebe ich Ihnen ganz offen zu — die eine oder andere Voraussetzung gravierend verändert hat. Aber wir müssen uns ja in einer Demokratie mit allen Vorschlägen befassen.
Wir müssen uns auch über die Position bestimmter Bundesländer unterhalten. Das haben wir heute noch nicht getan. Ich selbst komme ja aus Bayern; sie kennen die Einstellung von Baden-Württemberg und Niedersachsen. Wir müssen uns mit den Vorschlägen auseinandersetzen, ohne daß unbedingt immer — ich habe Verständnis für Ihre Sicht — alle Voraussetzungen sich total verändert haben.
Der Herr Staatssekretär gibt freundlicherweise gleich Hinweise, was Sie alles noch fragen können; das ist mein Eindruck.
Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Ich bin heute gut gestimmt, gnädige Frau.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Sperling.
Herr Staatssekretär, darf ich denn aus dieser Antwort schließen, daß sich die Bundesregierung mit aller Energie für die solidarische Haltung von Bayern und Baden-Württemberg in der Frage der Mengenabnahme für die Kohleverstromung einsetzt?
Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Da ich ja immer wieder nach Hause fahren muß, weiß ich schon, was ich jetzt sage. Sie können sich darauf verlassen, daß bei uns im Freistaat Bayern — ich rede hier aber für die Bundesregierung — ein hohes Maß an Verantwortung für die deutsche Kohle vorhanden ist. Wir haben die Zeiten nicht vergessen, die nach dem Krieg über uns herniedergegangen sind, wo wir alle froh waren, daß die Kohle aus dem Ruhrgebiet unsere kalten Stuben gewärmt hat.
Ich rufe die Frage 16 des Herrn Abgeordneten Niggemeier auf:
Wie ist die Aussage des Bundesministers für Wirtschaft zu verstehen, Bezug nehmend auf den in der Presse zitierten Sprechzettel zum Stand der Gespräche mit den EVU von Mitte Februar, dessen Veröffentlichung Unruhe im Revier hervorrief, wonach das Angebot der EVU die politischen Erwartungen nicht erfülle, bezogen auf Finanzleistungsangebote sowie Mengenabnahmen unter dem Gesichtspunkt einer notwendigen Langfristenregelung für den Bergbau?
Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Frau Präsidentin, jetzt bin ich in einer etwas schwierigen Lage. Meine Antwort bezog sich auf die Fragen 15 und 16.
Ich glaube, das kann man akzeptieren. Dann hat Herr Niggemeier zwei weitere Zusatzfragen.
Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Ich habe den Fehler gemacht, Sie nicht vorher um Genehmigung zu bitten.
Wir entschuldigen das. Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Danke schön.
Herr Niggemeier, bitte schön.
Herr Staatssekretär, als Sie die Frage 15 beantworteten, dachte ich, der Herr Staatssekretär ist so freundlich und beantwortet die Frage 16 gleich mit. Schönen Dank; genauso habe ich es aufgefaßt.
Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Danke.
Im Zusammenhang mit diesem Sprechzettel, von dem da die Rede ist und dessen Bedeutung Sie vorhin ein bißchen in Zweifel gezogen haben, weil nur gelten kann, was der Minister tatsächlich in der Runde mit dem Kanzler gesagt hat — da stimme ich Ihnen völlig zu — , möchte ich gern wissen, wie es denn zu verstehen ist, daß trotz der noch ungelösten Fragen des Mengengerüsts der Minister auf seinem Sprechzettel stehen hatte, daß der bisherige geltende Grundsatz, daß die Beschäftigtenzahl nur über das Anpassungsgeld vermindert wird, nicht mehr aufrechtzuerhalten ist. Impliziert das nicht auch bei Ihnen, einem Bayern, die Frage, ob denn hier nicht Entlassungen ins Auge gefaßt worden sind?Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Natürlich — das sage ich Ihnen auch als Nicht-Bayer — impliziert das eine solche Frage.Was diese Sprechzettel betrifft: Mein früherer Minister Bangemann hatte die Kunst entwickelt, vorbereitete Redetexte und Sprechzettel generell zu vernachlässigen. Er hat sich meistens frei geäußert, auch sehr zur Freude dieses Hauses. Ich habe den Eindruck, daß mein neuer Minister ebenfalls diese Tugend zu pflegen beabsichtigt, so daß Sie bitte, nicht jeden Sprechzettel aus dem Wirtschaftsministerium zum Evangelium erklären wollen. Ich werde mich aber einmal mit dem Verfasser dieses Zettels unterhalten — hoffentlich kann ich ihn überhaupt feststellen —, was er wirklich gemeint hat.
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9560 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 130. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. März 1989
Herr Niggemeier, eine weitere Zusatzfrage, aber bitte eine kurze. Ihre Fragen sind immer sehr lang.
Dann will ich das ganz kurz und ohne Einleitung machen.
Gibt es bei Ihnen immer noch große Probleme im Hinblick auf die Kritik der EG-Kommission an dem Jahrhundertvertrag, und ist Ihnen bekannt, daß die britische Regierung zur Zeit eine Kernenergieausgleichsabgabe in Höhe von 8 % beschließen will, und gedenkt die Bundesregierung dagegen in Brüssel zu klagen?
Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Der Bundesregierung sind beide Sachverhalte bekannt. Das muß man im Ernst betrachten und auch so beurteilen: Der europäische Aspekt der Kohlefrage wird durch solche Vorschläge noch verkompliziert, meine Damen und Herren. Diesen Aspekt haben wir heute eigentlich noch gar nicht so sehr besprochen. Ich will Ihre Frage aber konkret beantworten: Die Bundesregierung muß sich mit diesen Vorschlägen auf EG-Ebene ganz konkret befassen.
Zusatzfrage, Herr Dr. Sperling.
Herr Staatssekretär, ich möchte Ihnen mit meiner Frage die Chance geben, daß Sie sich selber ein Kompliment machen, dem ich im Zweifelsfalle sogar zustimmen möchte. Meine Frage lautet: Wenn Sie in die Reihen der Sie tragenden Parteien schauen, haben Sie dann den Eindruck, daß Sie für Ihre Antworten zur Kohlepolitik keine Unterstützung haben oder keine Unterstützung nötig haben?
Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Herr Abgeordneter, da ich auf dem rechten Auge nicht blind bin, sehe ich, daß die Reihen leer sind.
Dann hat sich jetzt noch Herr Müntefering gemeldet.
Herr Staatssekretär, da das mit dem Sprechzettel in Ihrem Hause offensichtlich ein Problem ist: Wären Sie bereit, einen guten Sprechzettel, den ich Ihnen schreibe, dem Minister vorzulegen?
Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Da ich früher bei der Post das Briefeaustragen gelernt habe, wäre es mir ein Vergnügen.
Zusatzfrage, Frau Kollegin Hürland-Büning.
Herr Staatssekretär, könnten Sie mit mir übereinstimmen, daß der Umstand, daß so wenig Abgeordnete hier im Saale sind — Frau Präsidentin, Sie gestatten, daß ich das einmal
in der Öffentlichkeit sage —, darauf zurückzuführen ist, daß gleichzeitig die Ausschüsse tagen
— jawohl, es tagen sehr viele Ausschüsse, und ich bedauere, daß nicht auch ich im Ausschuß sein kann; ich werde nämlich dafür gerügt, daß ich nicht da bin — , und die Leere des Plenums angesichts dieses ernsten Themas mit dem Verfahren zusammenhängt
— ich will nicht von Unsitte sprechen — , daß der Mittwoch praktisch schon Plenumstag geworden ist, anstatt wie sonst Ausschußtag, wo solche Dinge im Ausschuß bearbeitet und besprochen werden können?
Liebe Frau Kollegin, ich glaube nicht, daß die Bundesregierung das beantworten kann. Über die Arbeitsverteilung des Parlaments verfügen wir selber. Sie haben ein ernstes Problem angesprochen. Es scheint mir nahezu unlösbar. Im übrigen muß ich sagen, daß die sozialdemokratische Bundestagsfraktion nicht nur sehr zahlreich vertreten ist, sondern auch ausgiebig Fragen stellt.
— Wir wollen hier nicht Fragen diskutieren, die in den Ältestenrat gehören. Das wäre jetzt zu kompliziert.
Ich rufe jetzt Herrn Großmann zu einer Zusatzfrage auf.
Herr Staatssekretär, ich muß auf den Sprechzettel zurückkommen, denn das, was dort stand, ist auch veröffentlicht worden. Es gibt im Aachener Revier eine Vereinbarung, daß mit dem Auslaufen der Zeche „Emil Mayrisch" die restlichen Bergleute — das sind ungefähr 3 500 — ins Ruhrgebiet übernommen werden, d. h. daß die, die nicht in die Anpassung gehen können, dort einen Arbeitsplatz finden. Können Sie die Angst dieser Kumpels ausräumen, daß sie aus dem Aachener Revier ins Ruhrgebiet ziehen, um dort ohne Anpassung arbeitslos zu werden?Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Herr Abgeordneter, ich sehe natürlich, daß durch solche Sprechzettel und durch solche Indiskretionen, die der Herr Minister persönlich in einer Personalversammlung unseres Hauses scharf verurteilt hat, Verunsicherungen der Art, wie Sie sie dargestellt haben, auftreten können. Auf der anderen Seite muß ich aber sagen, es ist sicherlich durchaus legitim und richtig, wenn in einem großen Ministerium in bestimmte Richtungen gedacht wird, die letztendlich nicht die Entscheidung einer Regierung oder eines Ministeriums darstellen. Was ich zu verurteilen habe, ist, daß hier offensichtlich durch eine gezielte Indiskretion etwas an die Öffentlichkeit kommt, was bei vielen fleißigen Bürgern draußen Angst verursacht.Ich teile Ihre Auffassung, daß man den Leuten klipp und klar sagen muß, daß für eine solche Angst kein Grund besteht. Wir nehmen die soziale Verantwortung für unsere Bergleute und für die Familien der Bergleute sehr, sehr ernst. Herr Abgeordneter, Sie dürfen sicher sein, daß es auch für den theoretisch
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Parl. Staatssekretär Dr. Riedl.jetzt von mir angeführten Fall, daß es zu Mengenreduzierungen kommt, die den Wegfall von Arbeitsplätzen bedeuten würden, ein hohes Maß an sozialer Verantwortung aller politischen Kräfte, des Bundes, des Landes Nordrhein-Westfalen und der gesamten Volkswirtschaft geben muß, soziale Härten auszugleichen und Ängste dieser Art gar nicht aufkommen zu lassen. Ich verbürge mich ganz persönlich dafür.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Stahl.
Herr Staatssekretär, ich darf nochmals fragen. Es geht ja auch um die Regelung über 1995 hinaus. Würden Sie mir zustimmen, daß auch vor dem Hintergrund des europäischen Binnenmarktes rasch eine langfristig tragfähige Lösung gefunden werden muß und hier die deutsche Steinkohle sozusagen vor Inkrafttreten des Binnenmarktes in die europäische Energiepolitik einbezogen werden muß, weil sonst wohl damit zu rechnen wäre, daß es von seiten der europäischen Länder noch größere Schwierigkeiten gibt? Wird die Bundesregierung — ich denke auch an die vielen Briefe an Herrn Blüm und an den Bundeskanzler, die ja der Öffentlichkeit zugänglich sind — in den nächsten sechs Wochen in den Verhandlungen bis zum Verhandlungsende diesem Ansinnen, das Sie eben angesprochen haben, Rechnung tragen?
Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Dem ersten Teil Ihrer Frage stimme ich zu, wobei das Datum 1992 durchaus fließend sein kann.
— Ich meine das Datum europäischer Binnenmarkt 1992.
Zum zweiten Teil der Frage: Ich stimme Ihnen im Prinzip auch zu. Dies ist aber alles Gegenstand der derzeitigen Verhandlungen, Beratungen und Gespräche.
Herr Dr. Jens.
Herr Staatssekretär, beachtet die Bundesregierung im Hinblick auf die konkreten Oberlegungen hinsichtlich einer weiteren Reduzierung der Kohlenmengenförderung auch die Tatsache, daß anläßlich des Irankonflikts möglicherweise der Ölpreis wieder kräftig steigen kann, und können Sie mir dazu noch eine konkrete Antwort geben: was ist besser, eine Situation wie 1980, keine Kohlesubventionen, oder wie heute Einsparungen in der Volkswirtschaft durch Senkung des Ölpreises in Höhe von 40 Milliarden DM, aber dafür 10 Milliarden DM Kohlesubventionen?
Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Zur ersten Frage muß ich Ihnen sagen, es ist eine latente Aufgabe, die Ölpreisentwicklung auf dem Weltmarkt zu beachten. Das Stichwort Iran beschreibt ja geradezu die Sensibilität dieses Komplexes.
Was hier besser ist? Herr Dr. Jens, Sie sind in dem Geschäft wahrlich ein Stück länger als ich. Ich bin mir nicht ganz sicher, wie ich das in der Abwägung der beiden Fragen quantifizieren soll. Ich räume der Energieeinsparung schon einen breiten Rahmen ein. Die deutsche Bevölkerung hat sich ja entsprechend verhalten. Gestatten Sie mir, daß ich ein bißchen abwartend in der Abwägung dieser beiden Dinge antworte. Ich fühle mich nicht imstande, kompetent zu antworten.
Dazu eine letzte Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Urbaniak.
Herr Staatssekretär, kann ich davon ausgehen, daß die zu verlegenden Kollegen aus dem Aachener Steinkohlenrevier „Emil Mayrisch" darauf vertrauen können, was man ihnen offeriert und gesagt hat, daß mit Stillegung ihrer Schachtanlage der eine Teil, der die Voraussetzung hat, in die soziale Anpassung gehen kann und der andere in eine Beschäftigung im Bereich der Schachtanlagen im Ruhrgebiet, oder fallen da Leute, wie wir sagen, ins bergfreie?
Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Das letztere, Herr Abgeordneter, ist nicht einmal politische Zielsetzung der schärfsten Gegner des Kohlebergbaus. Das letzte möchte ich klar mit nein beantworten. Das hat die Bundesregierung schon häufiger erklärt, das ist auch die Meinung hier im Deutschen Bundestag — ich nehme einmal an: aller Fraktionen.
Zum ersten Punkt will ich sagen, daß dies natürlich geprüft werden muß. Vielleicht kann man in diesem konkreten Falle, Herr Abgeordneter, zusammen mit der Betriebsleitung, dem Betriebsrat und Ihnen bei uns im Haus den Stand für die nächsten Jahre konkret abklopfen. Ich weiß, worauf Sie hinaus wollen.
Die Fragen 17 und 18 des Abgeordneten Vosen werden auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt.
Ich rufe Frage 19 des Herrn Abgeordneten Großmann auf:
Wird die Bundesregierung uneingeschränkt und in welcher Form mit dazu beitragen, daß die Arbeitsplätze bei dem Steinkohlebergwerk Sophia Jacoba und dem Aachener Revier im Rahmen der künftigen Verhandlungen zum Jahrhundertvertrag und Novellierung des Dritten Verstromungsgesetzes dauerhaft gesichert werden?
Ich bitte nun wirklich darum, konkret zu den Fragen Stellung zu nehmen, also nicht jeweils die vorherigen Fragen neu aufzunehmen.
Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Herr Abgeordneter, die Arbeitsplätze im Steinkohlebergwerk Ibbenbüren hängen vorn Absatz in der Verstromung und im Wärmemarkt ab.
Ich habe doch gesagt: Frage 19.Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Frage 19 lautet nach meinen Unterlagen wie folgt:Wird die Bundesregierung uneingeschränkt mitdazu beitragen, daß die Arbeitsplätze beim Stein-
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9562 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 130. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. März 1989
Parl. Staatssekretär Dr. Riedlkohlebergwerk Ibbenbüren dauerhaft gesichert werden?
Dann ist das falsch, Herr Staatssekretär. Was Sie vorgelesen haben, ist die Frage 21.
Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Dann ist im Wirtschaftsministerium etwas passiert, wofür ich die beiden Abgeordneten um Verständnis bitte. Die Fragen sind schlicht verwechselt worden.
Haben Sie jetzt die richtige Frage?
Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Ja.
Dann haben Sie das Wort, Herr Staatssekretär.
Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Frau Präsidentin, da es sich in diesem Falle nur um Männer handelt, bitte ich, mir das nachzusehen.
Ich sehe Ihnen alles nach.
Bitte schön!
Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Ich bedanke mich für dieses Wohlwollen, Frau Präsidentin.
Herr Abgeordneter, die Arbeitsplätze bei „Sophia Jacoba" hängen nicht nur vom Absatz in der Verstromung, sondern stärker noch vom Absatz im Wärmemarkt ab. Die aktuellen Anpassungsmaßnahmen und -schwierigkeiten bei „Sophia Jacoba" beruhen auch auf massiven Absatzeinbrüchen im in- und ausländischen Wärmemarkt.
In der Verstromung richtet die Bundesregierung alle Anstrengungen darauf, den Verstromungsfonds und damit das Absatzsystem für die nächsten Jahre zu stabilisieren. Die Situation des Fonds ist Ihnen, Herr Abgeordneter, bekannt. Mit der Erhöhung des Kohlepfennigs auf 8,5 % hat die Bundesregierung einen ersten wichtigen Schritt hierzu getan. Die revierfernen Länder haben dies aber nur unter der Voraussetzung mitgetragen, daß künftig Einsparungen beim Fonds erzielt werden. Hierüber verhandeln wir, das Bundeswirtschaftsministerium, derzeit mit den EVUs.
Für den im Wärmemarkt verlorenen Absatz kann die Bundesregierung keinen Ausgleich durch zusätzliche Mengen in der Verstromung schaffen. Dies ginge zu Lasten anderer Bergbauunternehmen. Ohnehin erfordert die besonders teure „Sophia Jacoba"-Kohle rund 75 Millionen DM Revierausgleich und Erschwerniszuschlag für niederflüchtige Kohle aus dem Fonds, um RAG-Niveau zu erreichen. Die Region muß sich derzeit darauf einstellen, daß sich „Sophia Jacoba " wegen des weiter schrumpfenden Wärmemarktes, aber auch im kommenden EG-Binnenmarkt wegen der dann restriktiven EG-Beihilfenpolitik als besonders kostenungünstige Zeche — das muß ich leider feststellen, Herr Abgeordneter — nicht auf Dauer halten kann.
Für die zweite Zeche mit niederflüchtiger Kohle in dieser Region, „Emil Mayrisch" des EBV, sind die notwendigen Entscheidungen bereits 1987 gefallen. Die Ruhrkohle hat die Übernahme der nach Stillegung der Zeche 1992 verbleibenden Mitarbeiter angeboten.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Großmann.
Herr Staatssekretär, Sie haben sehr konkret auf meine Frage geantwortet. Bedeutet dies, daß der Bundesregierung bereits jetzt ein Termin für die Schließung der Zeche „Sophia Jacoba" vorliegt?
Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Herr Abgeordneter, da dies eine sehr wichtige Frage ist und ich nach meinen Unterlagen nur mit Nein antworten kann, würde ich Sie bitten, mir zu gestatten, daß ich noch einmal rückfragen lasse — auch und vor allem in die Industrie hinein — , ob es bereits Denkansätze im Hinblick auf ein solches Datum gibt. Ich will Sie jetzt nicht mit einem einfachen Nein abspeisen, weil ich weiß, wie wichtig das für Sie ist. Ich komme auf diese Frage brieflich zurück.
Die zweite Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, Sie haben zu Recht auf den Wärmemarkt hingewiesen. Nun stehen wir vor der Tatsache, daß mit der Schließung der Zeche „Emil Mayrisch" bereits über 10 000 Arbeitsplätze wegfallen, 8 500 direkt und weitere indirekt. Wäre es dann, wenn bei „Sophia Jacoba" in Hückelhoven, also in unmittelbarer Nähe, weitere 5 500 Arbeitsplätze direkt wegfallen sollen und entsprechend auch noch viele Arbeitsplätze indirekt verlorengehen, nicht sehr wichtig, daß sich die Bundesregierung um den Wärmemarkt kümmert? Konkret: Welche Maßnahmen hat denn die Bundesregierung in den letzten Jahren ergriffen, um der niederflüchtigen Kohle den Wärmemarkt stärker zu öffnen, der ja für diese Zeche mit niederflüchtiger Kohle besonders wichtig ist? Ist da nichts gemacht worden, und ist da in Zukunft auch nichts zu erwarten?Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Frau Präsidentin, Herr Abgeordneter, die Bundesregierung hat durch die Schaffung von Rahmenbedingungen im Bereich des Gesamtenergiebedarfs das ihr Mögliche getan. Die Bundesregierung kann natürlich keine Elektrizität und Wärme verkaufen, aber im Rahmen der gesamten Kohlepolitik, Energiepolitik, Regionalpolitik und Strukturpolitik, Herr Abgeordneter, waren die Rahmenbedingungen für diese Zeche sicherlich — ich will mal sagen — normal.An den Auswirkungen des gesamten Wärmemarktes kann die Bundesregierung beim besten Willen nichts ändern. Dies ist eine gesamtwirtschaftliche Entwicklung, die leider Gottes in diesem Fall zu solchen Konsequenzen führen muß.
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Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Sperling.
Herr Staatssekretär, nachdem Sie mit diesen Antworten der Bote sehr bedrückender Nachrichten für eine ganze Region sind, frage ich Sie: Meinen Sie nicht, daß es angemessen wäre, der Bundeskanzler selber würde mit den Betroffenen reden, wenn sie demnächst nach Bonn kommen, statt nur den Fachmann für das Unangenehme, Herrn Schäuble, zur Verfügung zu stellen?
Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Herr Abgeordneter, ich bin außerstande, über den Terminkalender des Herrn Bundeskanzlers zu verfügen — dafür haben Sie sicher Verständnis — , aber ich kann Ihnen versichern, daß der Herr Bundeskanzler über diesen Sachverhalt informiert ist. Das gilt für das Bundeskanzleramt ebenso. Ich darf Ihnen anbieten, daß ich für das Wirtschaftsministerium — für meine Person darf ich Ihnen das sagen — für ein solches Gespräch zur Verfügung stehe.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Schreiner.
Herr Staatssekretär, gibt es innerhalb der Bundesregierung konkrete dahin gehende Überlegungen, für die betroffenen Regionen an der Entwicklung von Ersatzarbeitsplätzen konstruktiv mitzuwirken?
Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Wir werden das sicherlich zusammen mit dem Land Nordrhein-Westfalen im Rahmen der uns zur Verfügung stehenden Instrumentarien — sprich: Regionalpolitik — tun. Auch hierzu steht das Bundeswirtschaftsministerium natürlich zur Verfügung. Ich bin nicht einmal sicher, ob diese Gespräche nicht vielleicht schon aufgenommen worden sind.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Jens.
Herr Staatssekretär, nachdem Sie festgestellt haben, daß die Entwicklung auf dieser Zeche auch entscheidend vom Wärmemarkt abhängt: Soll das heißen, daß die Bundesregierung möglicherweise das Fernwärmeausbauprogramm wieder einführen will, nachdem sie es vor einiger Zeit langsam hat sterben lassen?
Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Es ist, soweit ich es weiß, in dieser Form nicht vorgesehen, es zu reaktivieren; das ist mir nicht bekannt.
Herr Abgeordneter Sperling, zu dieser Frage haben Sie schon eine Zusatzfrage gestellt.
— Nein, diesmal nicht. Sie haben dann aber noch Gelegenheit zu einer weiteren Frage.
Ich rufe die Frage 20 des Abgeordneten Großmann auf:
Wie und in welcher Form wird die Bundesregierung langfristig dafür Sorge tragen, daß die notwendigen finanziellen Mittel für den weiteren Bestand des Steinkohlebergwerkes Sophia Jacoba und den anderen Schachtanlagen mit niederflüchtiger Kohle zur Verstromung zur Verfügung stehen?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Der Einsatz der niederflüchtigen Kohle in der Verstromung verursacht gegenüber typischer Kraftwerkskohle beachtliche Mehrkosten. Hierfür wird nach dem Dritten Verstromungsgesetz ein gesonderter Zuschuß an den Kraftwerksbetreiber gezahlt. Ob dieser Zuschuß auch weiterhin aus dem Aufkommen an Ausgleichsabgabe gezahlt werden kann, hängt davon ab, ob es gelingt, den Fonds in den Verhandlungen mit den EVU zu stabilisieren.
Die Koalition hat sich für den Fall, daß keine akzeptablen Ergebnisse erzielt werden, darauf verständigt, den Fonds von den Ausgaben für Revierausgleiche und Erschwerniszuschlag für niederflüchtige Kohle zu entlasten. Der Revierausgleich soll von den Bergbauländern, der Zuschuß für niederflüchtige Kohle von den Bergbauunternehmen getragen werden. Die Koalition hat dazu festgehalten, daß Bund und Land die notwendige finanzielle Unterstützung gewähren, soweit dies im Einzelfall zu nicht tragbaren Belastungen des Unternehmens führt.
Eine langfristige Bestandsgarantie, Herr Abgeordneter, kann die Bundesregierung aus den eben genannten Gründen weder für Sophia Jacoba noch für andere Schachtanlagen mit niederflüchtiger Kohle geben. Ich unterstreiche aber noch einmal, daß Bund und Land die notwendige finanzielle Unterstützung gewähren werden, soweit es im Einzelfall zu nicht tragbaren Belastungen des Unternehmens kommt.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Großmann.
Herr Staatssekretär, Sie haben in Ihrer Antwort auf die vorige Frage quasi davon gesprochen, daß die Zeche nicht überleben kann. Das ist in dieser Klarheit zum erstenmal deutlich geworden. Von daher kommt mir natürlich schon die Frage: Was für Pläne hat die Bundesregierung konkret in der Tasche? Wenn man darüber spekuliert, daß eine Zeche geschlossen werden soll, dann muß es ja Gespräche gegeben haben, dann muß es ja Pläne einer Regierung geben, wie man einer solchen Region helfen kann und was man mit den dort tätigen Bergleuten macht, die ein Durchschnittsalter von 35 Jahren haben.Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Herr Abgeordneter, ich glaube, daß es jetzt an der Zeit ist, die Belastungen, die nun auf das Unternehmen und vor allen Dingen auf die Bergleute und deren Familien zukommen, einmal zu registrieren, zu überprüfen und dann in aller Sorgfalt das zu entscheiden, wonach Sie gefragt haben und was ich im Prinzip für richtig halte, und dann zu einer Planung über entsprechende Maßnahmen zu kommen, dies auch in vollem Einklang mit dem Land Nordrhein-Westfalen. Dazu ist die Bundesregierung bereit.
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9564 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 130. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. März 1989
Zweite Zusatzfrage, bitte.
Ich muß noch einmal nach dem Termin fragen. Ich bitte Sie also, mir die Frage zu beantworten, welche Beschlüsse und Entscheidungen bereits getroffen worden sind und über welche Terminierungen man schon entschieden hat oder nachdenkt.
Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Es sind endgültig noch keine Beschlüsse gefaßt. Ich kann Ihnen keinen festen Termin nennen. Der Termin hängt zwangsläufig natürlich davon ab, wann die Stillegungen erfolgen. Das wird dann ein nahtloser Zeitablauf sein.
Jetzt kommt die Kollegin Frau Hürland-Büning an die Reihe, bitte.
Herr Kollege Riedl, ist es nicht auch einmal an der Zeit, zu sagen, daß die Bundesrepublik pro Arbeitsplatz im Bergbau zur Zeit jährlich 60 000 DM Subventionen gibt? Ist es nicht weiter an der Zeit, hier zu einer verstärkten Zusammenarbeit mit dem Lande Nordrhein-Westfalen und dem Saarland zu kommen, das genauso betroffen ist? Wir können hier das Thema Bergbau und Ruhrkohle nicht alleine von seiten der Bundesregierung, sondern nur in einem Konsens mit den kohlefördernden Unternehmen, mit der Landesregierung und mit der Bundesregierung lösen. Das ist nicht allein Sache des Bundes. Können Sie darin mit mir übereinstimmen?
Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Frau Abgeordnete, Frau Kollegin, ich stimme mit Ihnen darin überein; da gibt es gar keine Frage. Ich stelle in dieser Frage einen beachtlichen Konsens auch in diesem Hause fest. Es ist eine, wenn Sie so wollen, Gemeinschaftsaufgabe, hier zu helfen. Man sieht an der von Ihnen genannten Zahl ganz deutlich, daß eine noch so hohe Subvention pro Arbeitsplatz im einzelnen dessen Wegfall am Ende leider Gottes nicht verhindern kann. Daher ist die Verantwortung der Politik, des Bundes und des Landes Nordrhein-Westfalen, der EVUs und der Unternehmen in erster Linie gefordert. Ich bin allerdings sehr optimistisch — das muß ich sagen — , daß dieser Konsens auch gefunden werden kann; denn es darf doch keinen Politiker geben, der glaubt, sich an einem solchen traurigen Schicksal profilieren zu können.
Herr Dr. Sperling zu einer Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, nachdem diese Fragestunde offenkundig so läuft, daß es gar nicht um Profilierungen geht und erfreulicherweise weder Sie noch wir diese Profilierung suchen, frage ich, ob sich die Offenheit, die Sie in dieser Fragestunde gezeigt haben, auch darauf beziehen könnte, gemeinsam Konzeptionen zu entwickeln, die mit einem Fernwärmeprogramm, das sehr energiesparend wäre, eine längere Übergangszeit ermöglichen und damit zugleich für das Schaffen von Ersatzarbeitsplätzen den Zeitraum bringen.
Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Herr Abgeordneter, dies ist natürlich eine Frage, die der Vertreter der Bundesregierung an dieser Stelle erst beantworten kann,
wenn vor allen Dingen auch mit dem Finanzminister und den Beteiligten in Bund und Ländern darüber gesprochen worden ist. Ich werde die Hinweise zur Fernwärme, die Sie und Ihre Kollegen heute nachmittag hier gegeben haben, bei uns im Haus sehr sorgfältig diskutieren, und wir werden uns darüber Gedanken machen.
Ich nehme einmal an, daß wir nach der Osterpause, Herr Dr. Jens, im Wirtschaftsausschuß vielleicht über diesen Punkt gesondert diskutieren und reden. Ich biete Ihnen gerne meine Präsenz im Wirtschaftsausschuß an.
Herr Stahl.
Herr Staatssekretär, in den beiden Antworten zu den Fragen 19 und 20 des Kollegen Großmann haben Sie erklärt, daß die Ruhrkohle AG — sprich: ein anderes Unternehmen des Steinkohlebergbaus — bei der Lösung der Aachener Probleme wohl Hilfestellung leisten soll, bezogen auf Belegschaftsübernahme und, wenn ich Sie richtig verstanden habe, auf Finanzhilfen. Halten Sie es ernsthaft aufrecht, daß die Ruhrkohle, die ja auch von dem niederflüchtigen Bereich sehr stark betroffen ist, unter den derzeit gegebenen Voraussetzungen in der Lage ist — wenn die Hilfen, die Sie teilweise in Aussicht gestellt haben, wieder reduziert werden — , das durchzuführen, wenn Sie, die Bundesregierung, speziell für diesen Bereich keine besonderen Hilfen zur Verfügung stellen? Es war bisher doch immer, wenn ich es richtig sehe, auch bezogen auf das, was Herr Blüm im Lande erzählt, Stand des Geschehens, daß die Bundesregierung hier zusätzlich etwas für das Aachener Revier tun will. Oder sind wir hier einem Trugschluß hinsichtlich dessen unterlegen, was bisher allgemein in der Öffentlichkeit von seiten der Bundesregierung und von seiten der Regierungsfraktionen gesagt wurde?
Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Ich glaube nicht, daß Sie, Herr Abgeordneter Stahl, hier einem Trugschluß unterlegen sind. Ich bin auch optimistisch, daß seitens der EVUs solches erbracht werden kann. Das bedarf natürlich der Anstrengung der gesamten Politik, auch innerhalb der Bundesregierung und innerhalb des Parlaments, zu entsprechenden Hilfen zu kommen. Ich halte es an sich für ausgeschlossen, daß das, was Sie befürchten, eintritt.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Menzel.
Herr Staatssekretär, gerade unter Berücksichtigung der tiefen Einschnitte für viele Menschen, die Ihre Antworten auf die Fragen des Kollegen Großmann in der nächsten Zeit mit sich bringen werden, frage ich: Hält denn die Bundesregierung die Entlastung des Fonds auch heute noch für notwendig, wo ja durch die Ölpreisveränderung der Fonds pro anno schon heute um etwa 500 Millionen DM an Ausgaben entlastet wird?Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Also, Herr Abgeordneter, ich muß Ihnen schon bestätigen, daß die Bundesregierung die Entlastung des Fonds für notwendig
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Parl. Staatssekretär Dr. Riedlhält. Diese Frage gehört im übrigen auch zu denen, die ich vor einer knappen Stunde zu den überwiegenden Vorschlägen, die eingegangen sind, zählen darf.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Niggemeier.
Herr Staatssekretär, ich habe vorhin in der Frage von Frau Kollegin Hürland-Büning erfahren, daß pro Arbeitsplatz im Bergbau 60 000 DM aufgewendet werden. Ob hier öffentliche Hilfe oder der Kohlepfennig mit eingerechnet ist, weiß ich nicht.
Darf ich Sie fragen, ob schon eine Nachberechnung dessen gemacht worden ist, was unser Kollege hier im Hause, Heinz-Werner Meyer, als Vorsitzender der IG Bergbau und Energie behauptet hat, nämlich daß für jede bisher aus Kernenergie erzeugte Kilowattstunde Strom der Anteil der öffentlichen Hilfe bei 7,6 Pf liegt, während er bei der Steinkohle nur bei 1,9 Pf liegt? Diese Berechnungen hätte ich gerne von Ihnen bestätigt.
Wir können nun wirklich nicht immer ganz neue Fragen mit hineinnehmen.
Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Frau Präsidentin, ich kann es kurz machen. In Mathematik hatte ich immer eine Note zwischen vier und sechs. Ich kann im Augenblick dem Kollegen beim besten Willen nicht folgen.
Ich lasse es nachrechnen, Herr Abgeordneter. Im Nachrechnenlassen bin ich sehr stark.
Herr Dr. Jens, Sie dürfen noch eine Frage stellen, aber das ist dann wirklich die letzte zu diesem Punkt.
Herr Staatssekretär, Sie haben der Öffentlichkeit nach meinem Dafürhalten zum erstenmal ganz platt mitgeteilt: Sophia Jacoba wird stillgelegt. Ist es denn nicht so, daß die Ruhrkohle AG zumindest noch einmal prüfen sollte, ob diese Zeche von ihr übernommen werden kann?
Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Ich gebe diese Frage gerne an das Unternehmen weiter. Diese Prüfung, könnte ich mir vorstellen, ist bereits erfolgt oder im Gange. Ich werde da nochmals nachstoßen. Ich kann mir nicht vorstellen, daß die Frage nicht geprüft worden ist.
Aber, Herr Abgeordneter, da ich es nicht weiß, muß ich da einmal anrufen oder anrufen lassen. Das ist kein Problem.
Ich rufe die Fragen 21 und 22 des Herrn Abgeordneten Becker auf.
Wird die Bundesregierung uneingeschränkt mit dazu beitragen, daß die Arbeitsplätze beim Steinkohlebergwerk Ibbenbüren dauerhaft gesichert werden?
Wird die Bundesregierung langfristig dafür Sorge tragen, daß die notwendigen finanziellen Mittel für den weiteren Bestand der Steinkohlebergwerke in Ibbenbüren und der übrigen Bergwerke mit niederflüchtiger Kohle zur Verfügung stehen?
Diese Fragen können doch wohl zusammen beantwortet werden?
Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Jawohl.
Sind Sie einverstanden, Herr Kollege?
Ja.
Vielen Dank. Herr Staatssekretär, bitte.
Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Danke schön, Frau Präsidentin.
Herr Abgeordneter, die Arbeitsplätze im Steinkohlebergwerk Ibbenbüren hängen vom Absatz in der Verstromung und dem Wärmemarkt ab. In die Verstromung gehen zwei Drittel der Förderung. Da die Kohleförderung in Ibbenbüren überdurchschnittlich teuer ist und als niederflüchtige Kohle Einsatznachteile in Kraftwerken hat, sind jährlich über 90 Millionen DM Zuschüsse allein dafür erforderlich, die Kohle auf RAG-Niveau herabzuschleusen.
Die Situation des Verstromungsfonds ist bekannt. Die Bundesregierung hat mit der Erhöhung des Kohlepfennigs auf 8,5 — ich habe es vorhin schon einmal gesagt — einen wichtigen Schritt zur Sicherung des Verstromungssystems getan. Die revierfernen Länder haben dies unter der Voraussetzung akzeptiert, die ich ebenfalls genannt habe.
Zu rund einem Drittel hängt die Zeche Ibbenbüren vom Absatz im Wärmemarkt ab. Dort mußte das Unternehmen, wie auch schon in einem anderen Fall, in letzter Zeit deutliche Mengenverluste hinnehmen. Bei Fortbestand der augenblicklichen Preisverhältnisse auf dem Wärmemarkt — die Parallelität, Herr Abgeordneter, kann ich uns leider Gottes nicht ersparen —, würde es sehr schwer werden, dieses niedrigere Absatzniveau zu stabilisieren. Die Kohlepolitik hat auf diese Entwicklung keinen Einfluß. Verlorenen Absatz kann sie, wie Sie wissen, nicht ersetzen.
Eine dauerhafte Sicherung der Arbeitsplätze ist aber auch hier schon deshalb nicht möglich, weil kaum vorstellbar ist, daß es das — das ist ganz wichtig — 1993 einstimmig neu festzulegende EG-Beihilfesystem erlauben wird, eine besonders kostenungünstige Zeche wie Preußag/Ibbenbüren auf Dauer zu halten.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Becker.
Herr Staatssekretär, ich entnehme Ihren Worten, daß die Bundesregierung daran denkt, neben Sophia Jacoba auch die PreußagZeche in Ibbenbüren zu schließen oder jedenfalls eine Situation herbeizuführen, die unausweichlich dazu führt. Nachdem Sie soeben gesagt haben, es gebe einen Zuschuß von 90 Millionen DM, frage ich Sie: Wie steht die Bundesregierung zu dem dann eintre-
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Becker
tenden Zustand, daß sie 180 Millionen DM für Arbeitslosenunterstützung ausgeben muß? Ist das volkswirtschaftlich vernünftig?Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Diese volkswirtschaftliche Gesamtrechnung in diesem Bereich ist mir sehr wohl bekannt, Herr Abgeordneter. Sie ist natürlich nicht vernünftig. Da gebe ich Ihnen recht. Wir hatten das aber in anderen Bereichen leider Gottes auch schon zu verzeichnen.
Ich kann an den Verhältnissen und an den Fakten des Wärmemarktes nichts verändern, Herr Abgeordneter, das könnten Sie ebenfalls nicht, wenn Sie an unserer Stelle hier sitzen würden. Das sind die nackten Tatsachen. Es wird jetzt gemeinsam zu versuchen sein — das hat ein Kollege vorhin auch schon angesprochen — , diesen Verlust in dieser Region und in diesem Bereich durch Industrieneuansiedlungen, durch Strukturpolitik, durch vernünftige Regionalpolitik, durch die Ansiedlung von kleinen und mittleren Unternehmen aufzufangen.Das ist in Deutschland nichts Neues, wenn ich z. B. an die Stillegung von Braunkohlebergwerken im bayerischen Raum um Penzberg, Peißenberg und Hausham Ende der 50er Jahre denke. Das war nur — das ist etwa ein so überschaubarer Raum wie dieser hier — mit einer ganz agressiven Regional- und Wirtschaftsförderung zu bewältigen. Darüber, Herr Abgeordneter, muß in dem Zusammenhang natürlich ab sofort geredet werden.Die Stadt Dortmund ist ein Musterbeispiel. Es ist nicht meine Aufgabe, hier Lob für Kommunalpolitiker auszusprechen, aber dieses Lob kommt mir sehr leicht über die Lippen. Dortmund ist ein Musterbeispiel dafür, wie der technologische Wandel dazu beigetragen hat,
schwierigste strukturelle Probleme einer Stadt sehrzufriedenstellend zu lösen. Ein großes Kompliment!
Zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Becker.
Herr Staatssekretär, Sie wissen, daß das Gebiet um Ibbenbühren eine strukturschwache Region ist. Es gibt keine Ersatzarbeitsplätze, die Minister Haussmann einmal ins Gespräch gebracht hat. Im Gegenteil, es schließen auch weitere Firmen in diesem Gebiet. Deswegen frage ich Sie, ob es — wenn beabsichtigt ist, so zu verfahren, wie Sie es soeben angedeutet haben — nicht noch einer Kraftanstrengung der Bundesregierung wie auch der Landesregierung Nordrhein-Westfalen wert ist, dafür zu sorgen, daß wenigstens die öffentlichen Gebäude, die wir in diesen Bereichen haben — das reicht bis weit nach Niedersachsen hinein — , nun auch mit der Kohle beheizt werden, d. h. den Wärmemarkt attraktiver zu machen. Sowohl die letzte Bundesregierung als auch
diese Bundesregierung hat Vertreter, die in diese Richtung gearbeitet haben.
Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Herr Abgeordneter, ich bin im Augenblick nicht in der Lage, zu sagen, ob es sich um Bundesbehörden handelt; denn nur hierauf hätte der Bund Einfluß. Wenn Sie mir doch bitte Beispiele geben! Gegenüber Bundeswehr, Bundesbahn, Bundespost, Bundeszollverwaltung, Bundesfinanzverwaltung, Vermögensverwaltung sprechen wir Empfehlungen dieser Art sehr, sehr gerne aus. Für den anderen Bereich — Länderbehörden, kommunale Behörden — sind natürlich die entsprechenden Gebietskörperschaften selber zuständig.
Aber das ist ein interessanter Hinweis. Man muß sich vor Augen halten: Da ist die Energie vor der Tür, und mit von weither gebrachten anderen Energien wird geheizt.
— Ja, Frau Kollegin Hürland weiß sicher ein Lied davon zu singen.
Eine dritte Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Becker.
Herr Staatssekretär, der Betriebsrat der Steinkohlebergwerke Ibbenbüren hat in der Region weit über 100 000 Unterschriften gesammelt und gebeten, daß der Bundeskanzler diese Unterschriften entgegennimmt. Er hat dieses Kohleproblem ja auch zur Chefsache gemacht. Würden Sie dazu beitragen, beim Bundeskanzler die Bereitschaft zu wecken, diese Unterschriften durch den Betriebsrat entgegenzunehmen?
Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Selbstverständlich bin ich dazu bereit. Ich bin im Augenblick allerdings nicht imstande zu sagen, wie die Praxis ist, Unterschriftenaktionen dieser Art an den Bundeskanzler heranzubringen. Aber daß ich das unterstütze und auch der Herr Bundeskanzler bereit ist, den Bürgerwillen in dieser Breite entgegenzunehmen, ist selbstverständlich, Herr Abgeordneter. Das läßt sich sicherlich organisieren.
Die letzte Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Becker.
Herr Staatssekretär, Sie wissen, daß in den Steinkohlebergwerken Ibbenbüren überdurchschnittlich ausgebildet wird, d. h. weit über den Bedarf hinaus, den die Steinkohlebergwerke haben. Wird die Bundesregierung dazu beitragen, Ausbildungsplätze in dieser Region mitzufinanzieren, wenn das notwendig wird?Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Ich bin überfragt, ob die Mitfinanzierung durch den Bund möglich ist, weil ich die Haushaltsmöglichkeiten jetzt nicht abschätzen kann. Aber daß sie es unterstützt, ist selbstverständlich. Wir werden uns dann von Fall zu Fall unterhalten, wobei ich unterstelle, daß Sie Post und Bahn in dieser Region gemeint haben. Darüber muß man reden, Herr Abgeordneter. Das wäre z. B. ein sehr sinnvoller Vorschlag.
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Eine Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Hürland-Büning.
Herr Staatssekretär, können Sie sich erinnern, daß wir ähnliche Fragestunden zum Thema Kohle seit etwa 20 Jahren im Deutschen Bundestag führen, und sind Sie nicht der Meinung, daß Bundes- und Landesregierungen aus dieser Zeit gemeinsam vorausschauend eine wirtschaftliche Entwicklung hätten fördern müssen, wie Sie sie dankenswerterweise mit dem Hinweis auf den Raum Baden-Württemberg und Bayern und den Wahlkreis des Kollegen Minister Blüm angesprochen haben,
und könnten Sie als Kollege nicht dafür sorgen, daß Minister Jochimsen vielleicht einmal Nachhilfeunterricht in diesem Punkt in Baden-Württemberg und in Bayern bekommt?
Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Frau Abgeordnete, Nachhilfeunterricht ist immer eine schöne Sache. Manchmal hilft er aber nicht. Ich habe da eine leidvolle persönliche Erfahrung.
Das Gespräch zwischen Herrn Minister Jochimsen und dem Bundeswirtschaftsminister hat bereits stattgefunden. Ich habe selbst daran teilgenommen. Wir haben vor 14 Tagen oder drei Wochen im Bundeswirtschaftsministerium gesprochen. Auch das war ein Teil der Thematik. Wir haben verabredet, die Gespräche fortzusetzen. Wir befinden uns eigentlich in einem sehr guten Kontakt mit Nordrhein-Westfalen.
Ich freue mich immer wieder, wenn die Verhältnisse in Bayern so gelobt werden. Frau Abgeordnete, ich bedanke mich für diesen gütigen Zuspruch.
Ich darf kurz darauf hinweisen, daß der Herr Parlamentarische Staatssekretär seit einer Stunde und 20 Minuten Fragen beantwortet.
— Ich bitte Sie. Es gibt ja auch gewisse Grenzen. Deswegen bitte ich Sie, jetzt jeweils nur noch eine Zusatzfrage zu stellen.
Herr Abgeordneter Jens.
Herr Staatssekretär, nachdem Sie in der Öffentlichkeit kundgetan haben, daß die Zeche Sophia Jacoba und die Zeche Ibbenbüren geschlossen werden — ich nehme an, auch das Kraftwerk in Ibbenbüren, das jüngst errichtet worden ist, soll Ihrer Meinung nach dann stillgelegt werden — : Gibt es noch weitere Zechen, die auf Ihrem Stillegungsplan stehen? Insbesondere denke ich an die Zeche Niederberg in Neukirchen-Vluyn, die ebenfalls niederflüchtige Kohle produziert.
Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Herr Abgeordneter, das Leben läuft ja anders. Nicht die Bundesregierung hat eine Liste, auf der steht, was geschlossen wird, sondern diejenigen Unternehmen und Betriebe, die nicht mehr rentabel sind und auf Dauer keine Chance haben, Rentabilität zu erzielen, gehen einem leider traurigen Ende entgegen.
Mir ist außer diesen beiden Fällen im Augenblick nicht bekannt, ob in absehbarer Zeit weitere Schließungen konkret werden.
Nur: Eine Betriebsschließung ist eine Frage der betriebswirtschaftlichen Bewertung. Uns wäre es doch auch lieber, Herr Abgeordneter, ich würde hier bei Ihnen stehen und verkünden, daß die beiden genannten Zechen eine Lebenschance bis zum Jahr 2000 und darüber hinaus hätten. Dies sind betriebswirtschaftliche Zwänge, denen wir uns als Politiker leider in aller Härte stellen müssen. Nur ist es unsere Aufgabe, die sozialen Härten, die mißliche Situation der Beschäftigten und ihrer Familien, die zum Teil katastrophale Verhältnisse annehmen, so optimal wie möglich aufzufangen. Ich freue mich mit Ihnen zusammen, daß wir, Bundesregierung und Opposition, diesen Konsens jedenfalls heute feststellen.
Herr Abgeordneter Großmann.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß z. B. die Kasernen in der Stadt Aachen und um die Stadt Aachen herum seit wenigen Monaten nicht mehr mit Koks befeuert werden, sondern auf Gas- und Ölfeuerung umgestellt worden sind, obwohl im Aachener Revier die Kohle direkt vor der Haustür liegt?
Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Mir ist das nicht bekannt. Aber wenn Sie das so sicher feststellen, dann unterstelle ich einmal, daß das richtig ist. Vielleicht kann meine Kollegin, die Parlamentarische Staatssekretärin auf der Hardthöhe, dieses Problem einmal aufgreifen. Ich kenne auch die Gründe nicht, die zu einer solchen Entscheidung geführt haben. Aber es ist natürlich schon ein schweres Stück Überzeugungsarbeit notwendig — ich sage es sarkastisch — , um solches der Bevölkerung deutlich zu machen.
Abgeordneter Menzel, Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, können Sie bestätigen, daß Bundesregierung und Landesregierung vor gar nicht allzulanger Zeit den Bau des Kraftwerks Ibbenbüren genau aus den Überlegungen, die Frau Hürland-Büning hier gefordert hat, gefördert haben, um die Arbeitsplätze dort in Ibbenbüren zu sichern?
Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Jetzt geht es an mein Gedächtnis. Aber ich glaube, ich muß es Ihnen bestätigen.
Herr Dr. Sperling.
Herr Staatssekretär, nachdem nun im Fragespiel dort drüben auf Ihrer Seite des Hauses so schön die Regierung die Regierung befragt: Würden Sie die Güte haben, aus dem Wirtschaftsministerium ein Handbuch des Deutschen Bundestages ans Verteidigungsministerium zu reichen, damit sich die Kollegin Hürland-Büning informieren kann, daß
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9568 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 130. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. März 1989
Dr. SperlingHerr Blüm in keinem Wahlkreis gewählt worden ist?
Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Sehr geehrter Herr Abgeordneter. Ich habe noch nie zwischen Listenabgeordneten und Wahlkreisabgeordneten differenziert. Für mich sind sie gleichwertige ehrenwerte Kollegen.
Weil Sie das so gut können: Könnte das Verteidigungsministerium von dem Wissen des Wirtschaftsministeriums profitieren?
Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Wir waren immer der Meinung, daß Ministerien gut voneinander lernen können. Mit der Frau Kollegin Hürland-Büning verbindet mich eine echte Freundschaft. Ich werde es zum Anlaß nehmen, mit ihr eine gute Tasse Kaffee zu trinken und das mit ihr zu besprechen.
Zu diesem Bereich die allerletzte Frage. Bitte, Frau Kollegin Hürland-Büning.
Auf den Zucker muß ich aus erkenntlichen Gründen leider verzichten, Herr Kollege Sperling.
Herr Staatssekretär, hier wurde von verschiedenen Einrichtungen geredet. Frau Präsidentin, gestatten Sie mir, daß ich eine kleine Erklärung abgebe. Hier beißt sich manchmal etwas in den Schwanz. Wir haben Gesetze zum Umweltschutz verabschiedet und unterliegen hier auch den Umweltschutzbestimmungen. Auch die Bundeswehr unterliegt den Umweltschutzbestimmungen. Wäre es nicht zweckmäßig, Herr Staatssekretär, wenn hier nach der Bundeswehr und deren Wärmemarkt gefragt wird, auch nach den verschiedendsten Universitäten, Rathäusern, Hochschulen, öffentlichen Einrichtungen usw. im Ruhrgebiet? Ich wäre dankbar, wenn Sie mir diese Liste einmal vorlegen könnten.
Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Frau Abgeordnete, ich tue das sehr gerne. Ich kenne — das habe ich dem Herrn Abgeordneten auf seine Frage vorhin leider sagen müssen — die Gründe im einzelnen natürlich nicht, die bei der Bundeswehr zu dieser Heizungsumrüstung geführt haben. Das, was Sie jetzt erwähnt haben, könnte z. B. ein plausibler Grund gewesen sein. Das zeigt aber die ganze Problematik auf dem Wärmemarkt. Meine Damen und Herren, die Einbrüche kommen dort nicht von ungefähr.
Frau Präsidentin, ich darf mich am Ende dieser Fragestunde für das außerordentliche Verständnis des Parlaments auch der Regierung gegenüber ganz herzlich bedanken, mit uns einen so schwierigen Themenbereich so fair diskutiert zu haben. Auch Ihnen vielen Dank.
Herr Staatssekretär, wunderbar; Sie hören es am Beifall. Für die ausführlichen und kollegialen Beantwortungen der Fragen, die hier gestellt worden sind, herzlichen Dank.
Wir kommen zum nächsten Geschäftsbereich. Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung auf. Der Herr Parlamentarische Staatssekretär Höpfinger steht zur Beantwortung der Fragen zur Verfügung.
Die Fragen 23 und 24 der Abgeordneten Frau Terborg und die Fragen 25 und 26 des Abgeordneten Conradi werden auf Wunsch der Fragesteller schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe die Frage 27 des Herrn Abgeordneten Urbaniak auf:
Trifft die Meldung der Tagesthemen vom 1. März 1989 zu, wonach Zahnärzte seit Inkrafttreten des Gesundheits-Reformgesetzes in ihrer Praxis Reklame für Kredite bei Geldinstituten machen, um so den Patienten die Finanzierung von Zahnersatz zu ermöglichen?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Herr Kollege Urbaniak, die Bundesregierung beobachtet sehr sorgsam die Umsetzung der durch das Gesundheitsreformgesetz getroffenen Kostenerstattungsregelung bei kieferorthopädischer Behandlung und bei Zahnersatz. Nachdem Inkassofirmen den Zahnärzten ihre Dienste bei der Geltendmachung von Forderungen angeboten hatten, hat das Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung die Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung darauf hingewiesen, daß eine solche Praxis mit dem Gesetz nicht in Einklang steht. Hierzu hat der Vorsitzende der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung, Herr Schad, unter dem 1. März 1989 erklärt:
Die Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung hält es für unerwünscht, daß Dritte in die Direktbeziehung zwischen Zahnarzt und Patient eingeschaltet werden.
Der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung hat diese Haltung der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung begrüßt und hat gebeten, diese auch den Kassenzahnärztlichen Vereinigungen bekanntzugeben, um zu verhindern, daß Zahnärzte von den Angeboten der Inkassofirmen oder Kreditinstitute, den Zahnersatz oder die kieferorthopädische Behandlung vorzufinanzieren, Gebrauch zu machen.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Urbaniak.
Herr Staatssekretär, Sie werden zugeben müssen, daß das Wort „unerwünscht" keine Klarheit in diesen skandalösen Vorgang bringt. Gibt es keine rechtlichen Möglichkeiten, dieses überhaupt zu verbieten, obwohl es ja wohl durch das ausgelöst worden ist, was Sie Gesundheitsreform nennen, d. h. durch die hohen Kosten für den Zahnersatz?Höpfinger, Parl. Staatssekretär: Ich glaube, daß das, was seit Bekanntwerden dieses Vorfalls von seiten der Bundesregierung geschehen ist, auch das ist, was rechtlich möglich ist. Ich werde bei der weiteren
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 130. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. März 1989 9569
Parl. Staatssekretär HöpfingerFrage, die Sie gestellt haben, ja noch auf andere Möglichkeiten zurückkommen.
Noch eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Urbaniak.
Herr Staatssekretär, werden Sie mich dann darüber unterrichten, zu welchen Ergebnissen Ihre zusätzliche Intervention geführt hat? Meine Auffassung ist ja die: Dies muß aus den Praxen verschwinden.
Höpfinger, Parl. Staatssekretär: Es ist auch sehr klar gesagt worden, Herr Kollege Urbaniak, daß eine solche Praxis mit dem Gesetz nicht in Einklang steht. Ich glaube, es ist eine klare Aussage, daß es hier praktisch in keiner Weise mit dem Gesundheitsreformgesetz in Zusammenhang gebracht werden kann.
Ich rufe Frage 28 des Herrn Abgeordneten Urbaniak auf:
Halt die Bundesregierung diese Praxis für Rechtens, weil dadurch als Nebeneffekt der Gesundheitsreform gleichzeitig Geldinstitute zu neuen Geschäften kommen, oder beabsichtigt sie, das Gesetz so zu ändern, daß eine Kreditaufnahme für Patienten nicht mehr nötig ist?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Höpfinger, Parl. Staatssekretär: Wie dargelegt, hält die Bundesregierung die in Ihrer Frage angesprochene Praxis für nicht vereinbar mit dem Berufsrecht der Ärzte.
Die Bundesregierung geht im übrigen davon aus, daß Zahnärzte auch ohne Zwischenschaltung Dritter den Versicherten bei der zahnprothetischen und kieferorthopädischen Behandlung Ratenzahlungen einräumen. Dies entspricht dem Willen des Gesetzgebers, wie er in der Begründung zum Entwurf der Bundesregierung zum Art. 1 §§ 29 und 30 des Gesundheitsreformgesetzes zum Ausdruck kommt und ebenso im Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung des Deutschen Bundestages.
Vor finanzieller Überforderung kann der Versicherte schließlich auch dadurch geschützt werden, daß er seinen Anspruch auf Kostenerstattung gegen seine Krankenkasse an den Zahnarzt abtritt. Dann wird er von diesem nur in Höhe seines Eigenanteils in Anspruch genommen.
Die Spitzenverbände der gesetzlichen Krankenkassen und die Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung führen derzeit Verhandlungen, um den Zahlungsweg bei der Kostenerstattung entsprechend auszugestalten, wenn der Versicherte eine solche Zahlungsabwicklung wünscht. Eine Rechtsänderung ist aus den obigen Gründen nicht erforderlich.
Ich möchte noch einmal darauf hinweisen, Herr Kollege Urbaniak, daß gerade im Problembereich Kieferorthopädie und Zahnersatz die Härteklausel und die Überforderungsklausel eine weitgehende Hilfe für all diejenigen sind, die diese Maßnahmen in Anspruch nehmen müssen.
Herr Staatssekretär, trotz Härteklausel und Überforderungsklausel müssen doch erhebliche Beträge aufgebracht werden, wenn man im Grenzbereich liegt, und da gibt es die besonderen
Probleme. Denkt die Bundesregierung überhaupt daran, daß in diesem Bereich eine Entlastung für die Versicherten vorgenommen wird, also eine Reform der Reform in Aussicht genommen wird?
Höpfinger, Parl. Staatssekretär: Ich habe bereits in meiner ersten Antwort darauf hingewiesen, Herr Kollege Urbaniak: Es besteht keine Veranlassung, eine Novellierung oder eine Änderung des Gesetzes vorzunehmen. Es gab zu Beginn, ab 1. Januar 1989, sicher eine Reihe von Fragen, die die Umsetzung des Gesetzes betroffen haben. Allein von unserem Ministerium ist zwischenzeitlich zu 28 Fragen Stellung genommen worden, mit den Verbänden sind Verhandlungen geführt worden, es wurde Aufklärung betrieben. Ich habe den Eindruck, daß das neue Gesetz nach und nach in die Praxis umgesetzt wird. Also, eine Änderung des Gesetzes ist überhaupt nicht im Gespräch.
Kann ich daraus entnehmen, daß es weiterhin bei den doch erheblichen Zuzahlungen — egal ob in bar, durch Zahlungspläne, Vorauszahlungen der Krankenversicherungsträger oder gar, wenn es nicht anders geht, durch die Kreditierung von Kreditinstituten — bleibt?
Höpfinger, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Urbaniak, unser Ministerium hat gerade zum gesamten Reformgesetz eine erläuternde Broschüre herausgegeben. Wenn Sie diese Broschüre nachschlagen, werden Sie gerade im Bereich Zahnbehandlung all das finden, was für den einzelnen Versicherten von Bedeutung ist.
Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Steinhauer.
Herr Staatssekretär, sind Sie nicht mit mir der Auffassung, daß das wieder ein Beispiel dafür ist, daß das Gesetz mit der heißen Nadel nur zu Lasten der Versicherten ist, und daß all das, was Sie hier erklären, nur Beschönigungsversuche sind?Höpfinger, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin Steinhauer, ich muß Ihnen in aller Deutlichkeit widersprechen. Das Gesundheits-Reformgesetz bringt zwar ein neues Recht im Gesundheitswesen, aber es ist nicht so, daß der Versicherte dabei nur der zur Last Herangezogene wäre. Sehen Sie doch einmal die drei Bereiche, die das Gesundheits-Reformgesetz bringt. — Nein, das dürfen sie nicht einfach irgendwie wegwinken. — Wenn man schon die einzelnen Punkte hervorhebt, muß man meines Erachtens auch die drei wesentlichen Punkte nennen, die gerade dem Versicherten zugute kommen.
Daß der Beitrag jetzt stabil bei 12,9 % liegt, ist meines Erachtens ein Vorteil. Wenn es gelingt, die Beiträge stabil zu halten, profitiert davon jeder Beitragszahler.Daß der zweite Teil im Gesetz, die Ausweitung der Gesundheitsvorsorge, wirklich eine Hilfe für den Versicherten ist, darf man nicht verkennen.
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9570 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 130. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. März 1989
Parl. Staatssekretär HöpfingerFrau Kollegin Steinhauer, Sie selber haben hier im Plenum oder im Ausschuß des öfteren den Bereich der Pflege angesprochen. Sicher kann man sagen: nur ein Anfang; aber der längste Weg beginnt mit dem ersten Schritt. Wahr ist, daß mit diesem Gesundheits-Reformgesetz erstmals im Bereich Pflege eine konkrete Leistung erfolgt ist. — Das alles ist positiv für den Versicherten.
Herr Abgeordneter Schreiner hat sich zu einer Frage gemeldet, bitte.
Herr Staatssekretär, nachdem Sie soeben eine kleine Propagandarede für dieses Gesetz gehalten haben, möchte ich Sie fragen, wie denn die Bundesregierung die Diskussion in Fachkreisen beurteilt, wonach noch vor der Sommerpause dieses Jahres mit einem ersten Novellierungsbegehren seitens der Bundesregierung selber zu rechnen sei.
Höpfinger, Parl. Staatssekretär: Zu dieser Frage kann ich nur sagen: Von einem Novellierungsbegehren oder von einer Novellierung ist im Ministerium nicht die Rede; so etwas ist nicht einmal andeutungsweise im Gespräch.
Wenn Sie mir Propaganda vorhalten, Herr Kollege Schreiner, muß ich darauf entgegnen: Ich habe nur sachgerecht gesagt, was das Gesundheits-Reformgesetz an Positivem für den Versicherten bringt.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Sperling.
Herr Staatssekretär, ist es denn richtig, daß die Beitragsstabilität für die Gesunden und Kranken durch Kostenübernahme seitens der Kranken finanziert wird, die im übrigen im wesentlichen auch die Kosten für die Pflege aufbringen müssen, so daß die Kranken, obwohl sie versichert sind, die Betroffenen Ihrer Gesundheitsreform sind?
Höpfinger, Parl. Staatssekretär: Verehrter Herr Kollege, wenn Sie sich den Bereich „Pflege" ansehen, können Sie zwar sagen, vier Wochen Entlastung im Jahr seien noch nicht ausreichend; aber die werden von der Kasse finanziert. Und wenn 1991 25 Pflegeeinheiten mit dazukommen, dann werden auch die von der Kasse finanziert. Also, nicht der Versicherte trägt die Kosten, sondern es wird aus der Kasse, aus der Solidargemeinschaft heraus eine neue Aufgabe aufgenommen. Insofern liegen Sie mit Ihrer Auffassung nicht richtig.
— Beitragszahler sind Versicherte und Arbeitgeber.
Herr Kollege Andres.
Herr Staatssekretär, entpuppt sich Ihre Behauptung von der angeblichen Beitragsstabilität nicht als Mogelpackung, wenn man in Betracht zieht, daß Sie den Versicherten und den Kranken
durch erhebliche Zuzahlungen im Grunde genommen so etwas wie einen zweiten Beitrag zumuten?
Höpfinger, Parl. Staatssekretär: Was die erheblichen Zuzahlungen angeht: Da warten wir erst einmal ab. Ich habe sehr deutlich auf die Härteklausel und die Überforderungsklausel hingewiesen. Allein für das Jahr 1989 war zunächst einmal ein Beitrag von 13,4 % vorgesehen; bei 12,9 % hat sich der Beitrag eingestellt. Bei einer Reihe von Anbieterleistungen merkt man bereits, wie die Preise zurückgehen. Ich will nicht sagen, daß damit schon das Ziel des Reformgesetzes erreicht ist. Aber daß von Anfang an bereits solche positiven Entwicklungen da sind, spricht für das Gesetz.
Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Weiler.
Herr Staatssekretär, wenn Sie die neue Regelung betreffend die Pflege hier so als eine große Wohltat preisen: Ist Ihnen denn nicht erinnerlich, daß die SPD nicht grundsätzlich gegen eine neue Regelung war, sondern daß wir in erster Linie dagegen waren, daß die Versicherten das bezahlen müssen, weil wir der Meinung waren, daß das eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist?
Höpfinger, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, ich gebe Ihnen recht: Das war eine politische Entscheidung. Ihre Fraktion war der Auffassung, man solle ein eigenes Pflegegesetz machen. Wir waren der Meinung, man sollte einen ersten Schritt im Bereich der Krankenversicherung tun. Und ich möchte gleich hinzufügen: Das ist die Leistung, die die gesetzliche Krankenversicherung für den Bereich „Pflege" aufbringt. Andere Fragen müssen sicher auf einem anderen Wege mitgelöst werden, damit ja nicht der Eindruck entsteht, man könne nun jede weitere Leistung in diesem Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung aufladen.
Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Unruh.
Herr Staatssekretär, wieviel Pflegefamilien bekommen wann den ersten Urlaubsanspruch?Höpfinger, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, ich kann die Zahl jetzt nicht sagen, zumal auch deshalb, weil das Gesetz ja erst angelaufen ist. Man wird in diesem Jahr — vielleicht in der ersten Hälfte des Jahres 1989 — sehen, welche Antragstellungen da sind. Ich nehme an, daß man bis zum dritten Quartal dieses Jahres zahlenmäßig schon genau sagen kann, wie viele Familien oder wie viele einzelne Personen, die der Pflege bedürfen, Antrag auf diese Leistung gestellt haben. Auch hier wird es so sein, daß die Zahl der Antragsteller im Laufe der Jahre zunimmt.
— Ab 1991 — wenn ich auf den Zuruf eingehen darf — greift ja auch die zweite Stufe der Leistung, nämlich mit den 25 Pflegeeinheiten.
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 130. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. März 1989 9571
Die Frage 29 wird auf Wunsch des Fragestellers, des Abgeordneten Stiegler, schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe Frage 30 des Herrn Abgeordneten Amling auf:
Warum streitet das Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung die Existenz eines im Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung an über 30 Referate gerichteten Vermerks vom 4. November letzten Jahres ab, in dem der Wunsch des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung mitgeteilt wird, zukünftig die unter Bezug auf alle Erwerbstätigen ermittelte Arbeitslosenquote in den Vordergrund zu stellen?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Höpfinger, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Amling, die Bundesanstalt für Arbeit berechnet und veröffentlicht seit Mitte 1982 die Arbeitslosenquote, bezogen auf die abhängigen Erwerbspersonen und auf alle Erwerbspersonen. Je nach anstehender Fragestellung und vor allem bei internationalen Vergleichen ist zur Beurteilung des arbeitsmarktpolitischen Zusammenhangs die eine oder die andere Arbeitslosenquote geeigneter. Aus diesen Gründen verwendet auch die Bundesregierung für ihre Arbeit seit Jahren beide Quoten; demgemäß natürlich auch das Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung.
Auch bei der auf alle Erwerbspersonen bezogenen Arbeitslosenquote wird das Problem der Arbeitslosigkeit weder weggerechnet noch vermindert; denn bei der Berechnung der Arbeitslosenquote werden alle registrierten Arbeitslosen berücksichtigt.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ich vermisse eigentlich die Antwort auf meine Frage im Zusammenhang mit meinem Vorwurf, daß sich Ihr Haus weigert zuzugeben, daß am 4. November ein Vermerk an alle Dienststellen erlassen wurde, wonach der Herr Minister grundsätzlich Wert darauf legt, daß diese neue Quote in der Öffentlichkeit bekanntgegeben wird.
Höpfinger, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Amling, zunächst darf ich Ihnen sagen: Der erste, der diese Quotenregelung verlangt hat, dieses Ausweisen auf der Grundlage aller Erwerbspersonen, war im August 1982 der damalige Bundeskanzler Schmidt. Daran sollten Sie sich erinnern.
Wenn Sie auf Ihre Stammfrage zurückgehen, kann ich sagen: Es gibt ein hausinternes Schreiben der Abteilung, in dem der Wunsch des Ministers zur Kenntnis gebracht wird, die auf alle Erwerbspersonen bezogene Arbeitslosenquote stärker in den Vordergrund zu stellen.
Dabei ist es schon eine Sache für sich, wenn hausinterne Vermerke zum Gegenstand mündlicher Anfragen im Deutschen Bundestag werden;
zumal, verehrte Kolleginnen und Kollegen, es sich
hier nicht darum dreht, ob die Arbeitslosenquote auf
diese oder auf jene Art und Weise dargestellt wird,
sondern es sollte unsere Aufgabe sein, die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen und die Zahl der Arbeitslosen zu senken.
Weitere Zusatzfrage, Herr Amling.
Welche arbeitsmarktpolitischen Konsequenzen erwarten Sie dann von dieser neuen Ausweisung der Arbeitslosenquote?
Höpfinger, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Amling, das kann ich Ihnen sagen. Sie haben sicher den letzten Arbeitsmarktbericht vom Monat Februar, herausgegeben Anfang März dieses Jahres, gelesen. Danach gab es 26 245 000 Erwerbstätige. Es gab ein Mehr von 188 000 Arbeitsplätzen gegenüber dem Vorjahr. Das ist Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik.
Da wir beide aus derselben Stadt kommen, möchte ich auch darauf hinweisen, daß der Arbeitsmarktbericht der Stadt Augsburg allein für 1989 aussagt: Noch nie haben so viele Menschen Beschäftigung gehabt wie im vergangenen Jahr. In diesem Monat ist in unserer Stadt in unserem Arbeitsamtsbereich die Zahl der Arbeitslosen auf unter 15 000 gefallen.
Ich glaube, das sollten wir zur Kenntnis nehmen. Das ist eine positive Arbeitsmarktpolitik dieser Bundesregierung.
Ich kann leider keine weiteren Fragen mehr zulassen, weil die Zeit für die Fragestunde abgelaufen ist. Ich würde aber gern noch die Frage 31 vom Herrn Staatssekretär beantworten lassen. Deshalb rufe ich diese Frage auf:
Ist es zutreffend, daß Staatssekretär Ost in seiner Stellungnahme zu den am 3. Februar 1989 veröffentlichten Arbeitsmarktzahlen erstmals nur diese Arbeitslosenquote erwähnt hat, und wenn ja, wäre es dann nicht auch nach Auffassung der Bundesregierung ein Gebot seriöser Informationspolitik gewesen, zum einen besonders darauf hinzuweisen und zum anderen zu begründen, warum die Bundesregierung diese im Vergleich zu der bisher verwandten Arbeitslosenquote um ca. 1 Prozentpunkt niedrigere Arbeitslosenquote für aussagefähiger hält?
Höpfinger, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Amling, zu Ihrer zweiten Frage bemerke ich folgendes. In einer Stellungnahme zu den am 3. Februar 1989 veröffentlichten Arbeitsmarktzahlen hat Staatssekretär Ost die Arbeitslosenquote für die Gesamtzahl der Erwerbspersonen erwähnt. Dabei hat er ausdrücklich darauf hingewiesen, daß diese Quote auf die Erwerbspersonen insgesamt bezogen ist.
Meine Damen und Herren, so ist das nun einmal: Die Zeit für die Fragestunde ist abgelaufen. Die nicht behandelten Fragen werden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt. Ich bedanke mich bei allen, die teilgenommen haben. Ich bedanke mich bei Ihnen, Herr Staatssekretär.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 9. März 1989, 9 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.