Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf:
Befragung der Bundesregierung
Meine Damen und Herren, die Themen der heutigen Kabinettssitzung, die der Bundesminister für besondere Aufgaben und Chef des Bundeskanzleramtes mitgeteilt hat, sind den Fraktionen bekannt. Es handelt sich um eine umweltpolitische Grundsatzdebatte sowie den Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung und Vereinfachung der Vereinsbesteuerung.
Die Bundesregierung hat weiter mitgeteilt, daß der Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit berichtet.
Ich gebe dem Umweltminister das Wort.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Bundesregierung hat die gegenwärtig anstehenden Aufgaben im Umweltschutz heute in einer umweltpolitischen Grundsatzdebatte erörtert und ebenfalls die bisher schon abgearbeiteten Aufgabenfelder zur Kenntnis genommen. Es war nicht Ziel dieser Debatte, zu Beschlußvorlagen zu kommen.Wir haben uns einleitend sehr klar darauf bezogen, daß Umweltpolitik immer stärker in internationale Dimensionen hineingewachsen ist, daß sie globale und kontinentale Rahmen setzt und daß die Probleme an vielen Stellen — ich erinnere an die Frage des Treibhauseffektes, des Schutzes der Ozonschicht, aber auch an die Sicherheit im Umgang mit modernen Technologien — nur im globalen Maßstab wirklich ursächlich bewältigt werden können. Es war ganz deutlich, daß etwa auch im Zusammenhang mit dem Schutz so bedeutsamer ökologischer Randmeere wie der Nordsee und der Ostsee kontinentales Zusammenarbeiten erforderlich ist, um wirklich ursächliche Sanierung und vorsorgende Umweltpolitik zu ermöglichen.Die Bundesregierung ist sich aber darüber im klaren, daß dies nicht zu einem Alibi für nationales Abwarten führen kann, sondern daß sie — wie in der Vergangenheit — weiterhin auch im nationalenAlleingang als Vorreiter der Umweltpolitik in Europa und darüber hinaus handelt.Es ist dies auch mit Blick auf die wirtschaftlichen Konsequenzen erörtert worden. Es ist deutlich, daß eine solche verstetigte, aber anspruchsvolle Umweltpolitik umwelttechnologischen Fortschritt ermöglicht und damit auch in Zukunft Märkte sichert, die für die deutsche Wirtschaft von außerordentlicher Bedeutung sind. Umweltschutz ist also keineswegs als ein im Gegensatz zu wirtschaftlicher Stabilität zu entwikkelnder Politikbereich verstanden worden.Genauso ist deutlich geworden, daß immer mehr Bürger in der Umweltpolitik mehr sehen als das technokratische Korrigieren an negativen Begleiterscheinungen wirtschaftlichen Wachstums, daß sie sich für die Erhaltung von Schöpfung und für die Gewährleistung einer lebenswerten Umwelt auch für kommende Generationen engagieren und daß sie bereit sind, dafür auch Leistungen finanzieller Art zu erbringen, so daß damit auch gleichzeitig Anreize bestehen, in Sachen Umweltschutz weiterhin voranzuschreiten. Das, was der Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung als Überschrift gesetzt hat, nämlich „Schöpfung erhalten" , zeigt die hohe Priorität, die die Bundesregierung diesem politischen Aufgabenfeld zuordnet.Über die einzelnen politischen Aufgabenfelder ist ebenfalls umfassend diskutiert worden. Wir haben die breiten Entwicklungen im Bereich der Luftreinhaltung unter dem Gesichtspunkt dessen angesprochen, was in dieser Legislaturperiode schon abgearbeitet worden ist. Ich erinnere hier an die sogenannte Kleinfeuerungsanlagen-Verordnung. Ich erinnere an die Verminderung des Schwefels im leichten Heizöl, aber auch an die vielen Maßnahmen zur Verminderung von Fluorchlorkohlenwasserstoffen.Wir haben aber darüber hinaus im Luftreinhaltebereich — genauso wie im Bereich der Störfallvorsorge — noch Sorge dafür zu tragen, daß in einer Novelle zum Bundes-Immissionsschutzgesetz sowohl die Anlagensicherheit als auch marktwirtschaftliche Anreize und die Verbesserung der Luftreinhaltepläne ermöglicht werden.Es ist darüber hinaus der Gesamtbereich der Chemikalien im Zusammenhang mit den Verordnungen erörtert worden, die in dieser Legislaturperiode be-
Metadaten/Kopzeile:
9090 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Februar 1989
Bundesminister Dr. Töpferreits ergangen sind. Ich erinnere an die PCB-Verordnung, die in der letzten Woche im Bundeskabinett verabschiedet worden ist. Aber auch hier ist es notwendig, durch eine Novelle zum Chemikaliengesetz die in der Regierungserklärung gekennzeichneten Ziele zu verwirklichen.Wir haben im Zusammenhang mit dem Gewässerschutz deutlich gemacht, daß die von der Bundesregierung in den letzten zwei Jahren vorangetriebenen Maßnahmen außerordentlich viel Positives ermöglicht haben. Ich erinnere an die harten Arbeiten im Zusammenhang mit den Verwaltungsvorschriften zu § 7 a des Wasserhaushaltsgesetzes und daran, daß darüber hinaus allseits die Notwendigkeit akzeptiert ist, das Abwasserabgabengesetz zu novellieren. Auch dieser Referentenentwurf ist fertig und wird entsprechend den jetzt anlaufenden Diskussionen auch im Bundeskabinett eingebracht.Wir sind darüber hinaus der Überzeugung, daß es dringlich notwendig ist, im Naturschutz voranzukommen. Auch dies ist ein Aufgabenbereich aus der Koalitionsvereinbarung. Der Entwurf einer Novelle zum Naturschutzgesetz ist mit dem Kollegen Kiechle abgestimmt worden. Wir gehen davon aus, daß das, was die Koalitionsabsprache enthält, nämlich ein Ersatz von Aufwendungen für Landwirte, die durch Naturschutzbezüge stärker betroffen sind, auch gewährleistet werden muß und daß die damit verbundenen finanziellen Regelungen abgeklärt werden müssen. Ich habe vorgeschlagen, eine entsprechende Naturschutzabgabe zu entwickeln.Insgesamt haben wir darüber hinaus die vielen Arbeiten erörtert, die in dieser Legislaturperiode bereits durchgeführt worden sind.
Ich erwähne nur das Umweltverträglichkeitsgesetz und das Gesetz über das Bundesamt für Strahlenschutz.Recht herzlichen Dank.
Die erste Wortmeldung kommt vom Abgeordneten Schäfer.
Ich lese eine von vielen Meldungen: Töpfer plant für mehr Katalysatorautos bei Umrüstung Geld auf die Hand. Ich frage den Herrn Bundesfinanzminister: Haben Sie diesem Töpfer-Plan zugestimmt oder werden Sie dies tun?
Frau Präsidentin! Herr Kollege! Wie Sie sicher auch aus der öffentlichen Diskussion in den Zeitungen wissen, haben wir folgenden Beratungsstand.
Die Regierungschefs von Bund und Ländern haben im
Dezember den Bundesumweltminister, den Bundesfinanzminister und zwei Vertreter der Länder beauftragt, Konzeptionen für die nachhaltige Förderung des umweltfreundlichen Autos zu erarbeiten.
— Umweltverträgliches Auto, wenn Ihnen das recht ist, ist vielleicht der bessere Ausdruck.
Diese Beratungen sind in vollem Gange. Es besteht Einvernehmen darüber, daß wir bestimmte auslaufende gesetzliche Regelungen im steuerlichen Bereich für die Nachrüstung verlängern und fortführen möchten. Andere Punkte, die auch von den Ländern nicht einheitlich gesehen werden, müssen weiter behandelt werden. Ich nehme an, daß wir in Kürze den Regierungschefs Bericht erstatten können.
Es folgt der Herr Abgeordnete Laufs.
Herr Bundesumweltminister, beabsichtigen Sie, im Rahmen unseres bestehenden und ständig verbesserten Ordnungsrechts den Einsatz von marktwirtschaftlichen Instrumenten auszubauen, und streben Sie auch gesetzgeberische Vorhaben in diesem Zusammenhang an?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter Laufs, ich kann diese Frage vorbehaltlos mit Ja beantworten. Wir wollen, wo immer möglich, Anreize so entwickeln, daß sie auch ein unmittelbares Handeln einzelner für den Umweltschutz unterstützen. Ich nenne dafür drei Beispiele. Das erste Beispiel findet sich in der Novelle zum Bundes-Immissionsschutzgesetz, wonach die Möglichkeiten zu der sogenannten Kompensationslösung wesentlich erweitert werden sollen, so daß also der Stand der Technik, wenn er von einem nicht erfüllt werden kann, von anderen übererfüllt werden kann. Diese Kompensation ist gegenwärtig angelegt, aber nicht breit genug. Wir sind der Meinung, daß dies im Gesetz und in der Folge auch in der TA Luft seinen Niederschlag finden muß.
Ein zweites Beispiel. Wir sind der Meinung, daß sich der informierte Bürger klarer und eindeutiger für den Umweltschutz entscheiden können sollte. Folglich möchten wir die Kennzeichnungsmöglichkeiten in der Novelle zum Chemikaliengesetz erweitern, damit sich auch der umweltbewußte Bürger besser informiert, entsprechend umweltfreundlich verhalten kann.
Ein drittes Beispiel ist, daß sich Abgaben ebenfalls als ein marktwirtschaftliches Instrument darstellen können. Das schlägt sich im Abwasserabgabengesetz nieder, wo wir ja auch gerade die Restverschmutzung nicht mehr abgabenfrei lassen wollen, so daß es einen Anreiz gibt, über den Stand der anerkannten Regeln der Technik hinauszudenken. Die eben angesprochene Naturschutzabgabe wirkt in genau dieselbe Richtung.
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Garbe.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Februar 1989 9091
Herr Minister, Sie haben sich heute morgen im Kabinett über den Fahrplan der Umweltgesetzgebung für den Rest der Legislaturperiode unterhalten. Meine Frage ist: Was gedenken Sie gegen die schleppende Umsetzung der — so sage ich einmal — schönen Gesetze bei der Industrie sowie bei den Ländern und Kommunen zu tun, damit die Umweltgesetze nicht ein riesiger Publikumsbluff bleiben?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Abgeordnete, ich darf mich zunächst herzlich dafür bedanken, daß Sie die von uns vorgelegten Gesetze als gute und schöne Gesetze gekennzeichnet haben. Ich stimme dieser Ihrer Wertung ausdrücklich zu.
Nun zur Umsetzung: Das ist immer eine Frage, die mit auf die Landesebene bezogen ist. Wir wollen alles daransetzen, auf Bundesebene den Vollzug bereits mit zu bedenken. Ich gebe Ihnen dazu ein ganz konkretes Beispiel: In der Novelle zum Bundes-Immissionsschutzgesetz wird die Möglichkeit verstärkt werden, auch externe Sachverständige mit heranzuziehen, wie wir das, wie Sie wissen, auch bei der Störfallverordnung, die im September letzten Jahres verabschiedet worden ist, getan haben.
— Die gestern funktioniert hat! — Wir möchten deswegen mit großem Nachdruck unterstreichen, daß es uns darum geht, nicht nur Gesetze zu verabschieden, sondern auch die Mechanismen zum Vollzug dieser Gesetze zu verbessern.
Danke. — Das Wort hat der Herr Abgeordnete Jahn.
Herr Minister Töpfer, wer gibt nun wem Geld auf die Hand, wenn sich jemand ein neues Katalysatorauto kauft? Oder haben Sie mehr versprochen, als der Bundesfinanzminister halten kann oder will?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter Jahn, es geht in diesem Falle um die Nachrüstung von Autos.
Es geht nicht um die Frage der Anschaffung von Autos.
— Ich hatte mir gedacht, daß der Begriff der Nachrüstung bei der SPD-Fraktion zu Heiterkeit führen könnte. Ich habe jedenfalls vor, mich auch sehr nachhaltig um die vielen Autos zu kümmern, die gegenwärtig über unsere Straßen fahren. Sich um sie zu kümmern ist mindestens so wichtig, wie über die Autos nachzudenken, die neu gekauft werden. Wir haben gegenwärtig über 26 Millionen Autos mit Ottomotor auf deutschen Straßen, und deswegen ist es sinnvoll und richtig,
sich über deren Nachrüstung zu unterhalten. — Auf das Geld komme ich zurück.
Ich möchte deutlich machen — dies ist genau das, was der Bundesfinanzminister gerade ebenfalls gesagt hat — , daß wir ein finanzielles Programm zur Nachrüstung gehabt haben und noch haben und daß wir uns darüber einig sind, daß es verlängert werden kann. Zu entscheiden ist jetzt noch über die Frage, ob wir die finanziellen Angebote noch verstärken können, nicht in der gesamten Summe, sondern unter dem Gesichtspunkt, daß die bisher bewilligten Steuerbefreiungen oder -nachlässe kapitalisiert werden könnten. Dies ist eine der zusätzlichen Überlegungen, die wir mit den Bundesländern erörtern. Herr Abgeordneter Jahn, Sie werden es dem Bundesumweltminister nicht übelnehmen, ganz im Gegenteil, Sie werden es von ihm erwarten, daß er in diese Gespräche mit klaren Vorstellungen davon, was er will, hineingeht, und genau das ist geschehen.
Wir kommen zur letzten Frage zu diesem Komplex, weil ich dann den angemeldeten zweiten Fragenkomplex — deutsche Raketenentwicklung — eröffnen möchte. Bitte, Herr Abgeordneter Schmidbauer.
Ich darf den Herrn Minister Töpfer fragen, ob sich die Bundesregierung heute auch zu dem Problembereich Schutz der Erdatmosphäre, zu dem es sehr viele Initiativen im parlamentarischen Raum gibt, geäußert hat, und zwar auch im Licht des ersten Zwischenberichts der Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages dazu, was die Reduzierung der Fluorchlorkohlenwasserstoffe anlangt.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter Schmidbauer, die Arbeit der Enquete-Kommission und der Zwischenbericht haben in der Diskussion selbstverständlich eine Rolle gespielt, auch was die Reduzierung der Fluorchlorkohlenwasserstoffe betrifft. In Übereinstimmung mit den Ergebnissen der Enquete-Kommission wollen wir in der Bundesrepublik eine Vorreiterrolle übernehmen. Wir werden die Vermeidung dieser Stoffe bis Mitte des kommenden Jahrzehnts, also bis 1995, zu erreichen haben, und wir haben uns dabei instrumentell sowohl auf der Ebene der Absprachen als auch auf dem Gebiet notwendiger Deklarierungen und sonstiger rechtlicher Schritte zu bewegen.Wir haben es aber auch mit Blick auf die Frage der CO2-Emissionen erörtert. Wir wissen, daß die Enquete-Kommission hierzu zwar sehr ambitionierte, aber richtige Zielsetzungen formuliert hat. Wir sind ganz sicher, daß uns die Frage der Reduzierung von CO2 auch und gerade über Energieeinsparung noch weiter beschäftigen wird.Gegenstand der Diskussion ist es gewesen, weil es eines der zentralen Themen überhaupt ist, die wir in der Umweltpolitik zu bewältigen haben.
Metadaten/Kopzeile:
9092 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Februar 1989
Ich darf einmal dazwischen fragen, ob sich Ihre Frage, Herr Knabe, noch auf den ersten Komplex bezieht.
Meine Fragen beziehen sich auf den Komplex Umwelt.
Dann lasse ich diese noch zu, und anschließend nehmen wir den zweiten Komplex.
Herr Bundesminister, als ich gestern nach Krefeld gerufen wurde, um mir die Fragen besorgter Bürger zu dem Brand im Krefeld-Uerdinger Werk anzuhören, habe ich eine große Unsicherheit darüber gespürt, welche Schadstoffe dort emittiert worden sind. Hat die Bundesregierung über die Schadstoffe, die bei dem Brand entstanden sind, nähere Informationen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter Knabe, Sie wissen, daß im Vollzug der Störfallverordnung hier ebenfalls zunächst das Land Nordrhein-Westfalen gefragt ist. Wir haben uns natürlich mit Nordrhein-Westfalen entsprechend kurzgeschlossen und die Informationen ebenfalls eingeholt.
Ich kann Ihnen sagen, daß Messungen vornehmlich mit Blick auf die beiden Stoffe TDI und Blausäure durchgeführt worden sind, daß die Messungen in der Umgebung des Werkes bei dem Brand keine signifikanten Ergebnisse erbracht haben und daß die kurzzeitigen geringen Einleitungen in den Rhein zu den entsprechenden Messungen im Rheinwasser geführt haben, ohne daß sowohl über einen biologischen noch über einen sonstigen Test signifikante Ergebnisse erzielt worden sind. Dennoch ist vorsorglich der „Internationale Warndienst Rhein" informiert worden; ein Alarm war durch die Meßergebnisse in NordrheinWestfalen nicht begründet.
Ich kann aber darauf hinweisen, daß z. B. das Auffangen des Löschwassers nach den uns mitgeteilten Informationen entsprechend den Vorstellungen, die wir in die Störfallverordnung eingebracht haben, möglich gewesen ist, d. h. das Löschwasser ist in vorhandene Klärkapazitäten eingeleitet worden und ist nicht, wie es im Falle Sandoz geschehen ist, zu einer entscheidenden Belastung des Rheins geworden, weil es keine Leerkapazitäten gab.
Danke. Ich bitte um Verständnis; wir müssen jetzt den zweiten Fragenkomplex aufrufen. Wir haben im ersten Fragenkomplex den Umweltbereich abgehandelt, und wir haben jetzt den zweiten freien Fragenkomplex.
Als erste nimmt dazu Frau Däubler-Gmelin das Wort.
Danke schön, Frau Präsidentin.
Mitglieder der Bundesregierung äußern sich ja durchaus unterschiedlich zur Rolle, die sie Ausländern in unserer Gesellschaft und in der Gesellschaft Europas einräumen wollen. Nun hat der Herr Bundesinnenminister durch seinen Staatssekretär bei der letzten Sitzung des Bundesrates am 10. Februar wörtlich erklären lassen:
Bei uns kann auch kein Platz sein für eine multikulturelle Gesellschaft.
Darf ich Sie, Frau Dr. Adam-Schwaetzer, in Vertretung des Herrn Bundesaußenministers fragen, was der Herr Bundesaußenminister von dieser Auffassung hält und ob er sie teilt?
Frau Abgeordnete, selbstverständlich sind wir uns alle bewußt — ich bin sicher, die Bevölkerung genauso wie alle Mitglieder der Bundesregierung — , daß innerhalb der Bundesrepublik Deutschland viele Ausländer leben, die aus unterschiedlichen kulturellen Bereichen und mit unterschiedlichen kulturellen Traditionen zu uns gekommen sind. Es ist immer die Politik der Bundesregierung gewesen — sie wird es sicherlich auch in der Zukunft sein —, daß diese Ausländer im von uns gesetzten rechtlichen Rahmen natürlich die Möglichkeit haben müssen, hier ihre eigene kulturelle Identität weiter zu pflegen.
Das heißt, wenn ich Sie richtig verstanden habe, Sie teilen diesen Satz nicht?
Frau Abgeordnete, ich habe die Position der Bundesregierung in dieser Frage dargestellt.
Auf den Zwischenruf der Kollegin kann ich nur sagen: Ich glaube, wir sind uns alle einig, daß es sich hier um Mitbürger handelt.
Herzlichen Dank. Aber darf ich den Satz noch einmal vorlesen? Entschuldigung, Frau Präsidentin. Er heißt: „Bei uns" — gemeint ist die Bundesrepublik Deutschland — „kann auch kein Platz sein für eine multikulturelle Gesellschaft." Meine Bitte war, daß Sie freundlicherweise die Stellungnahme des Herrn Bundesaußenministers oder Ihre persönliche Stellungnahme dazu vortragen.
Frau Abgeordnete, ich bin hier in Vertretung des Bundesaußenministers — wie Sie wissen — als Mitglied der Bundesregierung, und als solches gebe ich dem Parlament auch Antwort.
Ich denke, es ist klargestellt, daß es sich um die Regierungsbefragung handelt.
Bezieht sich die nächste Wortmeldung noch einmal auf die Ausländerpolitik?
Ja, meine Frage bezieht sich auch auf ein Zitat aus derselben Rede am 10. Februar 1989 im Bundesrat. Frau Adam-Schwaetzer, da hat der Bundesinnenminister durch seinen Par-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Februar 1989 9093
Frau Dr. Sonntag-Wolgastlamentarischen Staatssekretär Spranger geäußert — ich zitiere —:Für das Asylrecht ist festzustellen, daß die 1949 gefundene Konzeption nicht mehr trägt. Sie entspricht weder der politischen Vernunft noch unseren ökonomischen Möglichkeiten noch unserer humanitären Verantwortung.Ich frage: Teilt der Bundesaußenminister diese Auffassung?
Frau Abgeordnete, die Bundesregierung hat deutlich gemacht, daß sie, was die Asylverfahren anbetrifft, bereits wieder in Überlegungen darüber eingetreten ist, wie man diese Verfahren verkürzen kann. Es gibt innerhalb der Bundesregierung keinerlei Überlegungen, das in Art. 16 des Grundgesetzes garantierte Recht auf politisches Asyl in der Bundesrepublik in irgendeiner Weise zu ändern und damit auch einzuschränken.
Selbstverständlich gilt darüber hinaus die von der Bundesrepublik gezeichnete Genfer Flüchtlingskonvention, die in ihren Artikeln ja zum Teil über das hinausgreift, was in Art. 16 des Grundgesetzes geregelt ist,
und damit auch die Grundlage dafür liefert, daß nicht alle abgewiesenen Asylbewerber abgeschoben werden, sondern ihnen bei uns Aufenthaltsrecht gewährt wird.
Ich darf noch einmal darauf aufmerksam machen, daß die Bundesregierung befragt wird und auch die zuständigen Vertreter des jeweiligen Ressorts antworten können.
Dann bitte ich Herrn Spranger, jetzt doch zu dieser Frage und auch zur Aussage von Frau Adam-Schwaetzer — im Auftrag des Bundesaußenministers — Stellung zu nehmen.
Die Antwort auf Ihre Frage ist erteilt.
Wir fahren fort. Bis 13.25 Uhr behandeln wir den Komplex Ausländerfragen. Ich erteile das Wort dem Abgeordneten Hirsch.
Herr Staatssekretär Spranger, in der heutigen „Bild"-Zeitung steht die Schlagzeile „Asylanten, Aussiedler, Umsiedler — 500 000 kommen — Wie sollen wir das verkraften?" Dann wird ausgeführt, daß der Innenminister meint, das koste allein 5 Milliarden DM für die Asylanten.
Ich möchte Sie fragen, ob der Innenminister damit sagen will, daß seine Bereitschaft zur Aufnahme politisch Verfolgter finanziell begrenzt ist? Ich möchte Sie bitten, uns zu sagen, ob der Innenminister und Sie bereit sind, uns hier und heute mitzuteilen, wie viele denn pro Jahr das Land wieder verlassen, wie viele
Fälle entschieden werden, wie viele weiterwandern, wie viele zurückwandern, wie viele abgeschoben werden und um wieviel Mark der deutsche Steuerzahler dadurch entlastet wird.
Herr Kollege Dr. Hirsch, erstens ist der Bundesinnenminister für die Schlagzeilen, die in den Zeitungen im Zusammenhang mit diesem Thema produziert werden, nicht verantwortlich. Er kann nichts dafür, wenn entgegen seiner Absicht
— nein, ich sage das in aller Deutlichkeit, und er hat das wiederholt zum Ausdruck gebracht — nicht zwischen Aussiedlern, Asylbewerbern und Ausländern getrennt wird, sondern — wir haben das leider auch in diesem Hause erlebt — geradezu systematisch versucht wird, das alles in einen Problemtopf zu schmeißen. Das bedauert der Innenminister außerordentlich.
Was zweitens die Kostenbelastung anbelangt, so ist, glaube ich, auf Grund der Erwiderungen des Innenministers, die in diesem Artikel zu lesen sind — unabhängig von der Schlagzeile und der Vorbewertung durch die Zeitung — , klar erkennbar, daß er das Problem sehr differenziert sieht. Er hat auch auf Lösungsmöglichkeiten hingewiesen. Ich glaube, es ist richtig, wenn er auf die Dringlichkeit hingewiesen hat, dieses Problem insgesamt wirkungsvoll zu lösen.
Meine Frage war aber eine andere, nämlich ob die Aufnahmebereitschaft des Innenministers finanziell begrenzt ist und um wieviel denn der deutsche Steuerzahler durch die Erledigungen eigentlich entlastet wird, dadurch, daß die Verfahren entschieden werden, daß Leute auswandern, weiterwandern, abgeschoben werden, von dem Flüchtlingskommissar — über 10 000 pro Jahr — in andere Länder weitergeleitet werden. Würden Sie uns bitte hier und heute die Kosten angeben, die uns dadurch erspart bleiben?
— Nein, die Zahlen haben wir alle im Kopf.
Erstens hat der Innenminister in diesem Interview in keinem Bereich zum Ausdruck gebracht, daß die Aufnahmebereitschaft der Bundesregierung oder des Innenministers, bezogen auf die Aussiedler, in irgendeiner Weise finanziell begrenzt ist. Es ist eine Frage, inwieweit sich dieser Staat diesen Mißbrauch des Asylrechts mit den ungeheuren Lasten, die vor allem die Kommunalbereiche zu tragen haben, tatsächlich leisten kann. Ich kann nur empfehlen, sich einmal mit Kommunalpolitikern zusammenzusetzen und deren Meinung zu hören, was sie über das Anschwellen der Sozialhilfekosten sagen.
Eine Frage zur Ausländerpolitik? — Herr Carstensen.
Metadaten/Kopzeile:
9094 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Februar 1989
Herr Staatssekretär Spranger, könnten Sie sich vorstellen, daß eine solche Schlagzeile nicht entstehen würde, wenn dieses Asylrecht nicht mißbraucht werden würde?
Herr Kollege Carstensen, ich bitte sehr um Verständnis, daß ich wie üblich auf eine Beantwortung von hypothetischen Fragen verzichten möchte.
Danke. — Noch zur Ausländerpolitik oder zu anderen Fragen? — Herr Sellin.
Ich möchte die Bundesregierung fragen, welche Konsequenzen außenpolitischer Art sie zieht, da Sie eben erklärt haben, es bestünden keine finanziellen Grenzen, was die Aufnahme von Aussiedlern in der Bundesrepublik angehe. Gibt es eine außenpolitische Diskussion angesichts dessen, daß jedes Jahr ca. 200 000 kommen wollen und uns alle willkommen sind? Welche außenpolitische Debatte ist da in Gang gesetzt worden?
Herr Abgeordneter, nach dem Grundgesetz ist definiert, daß natürlich Deutsche in der Bundesrepublik aufgenommen werden. Dieses wird von uns bejaht. Es ist nicht Ziel unserer Politik, die Menschen ausdrücklich zu ermutigen, zu uns zu kommen. Wir wollen aber alles tun, was wir tun können, um zu erreichen, daß ihnen das Verbleiben in dem Land, in dem sie jetzt wohnen, erleichtert wird. Das Ziel unserer Politik gerade im Rahmen der Verhandlungen mit der polnischen Regierung, aber natürlich auch bei vielen Vorstößen, die wir in der Sowjetunion unternommen haben, ist es, den deutschen Minderheiten in diesen Ländern zu ermöglichen, ihre eigene kulturelle Identität zu pflegen. Das bezieht sich im Falle Polen ganz besonders auf den Gebrauch der deutschen Sprache in der Schule, aber auch im Schriftgut, das dort verbreitet wird, und natürlich auch auf die Benutzung von Ortsbezeichnungen. Alles dieses sind Fragen, die immer wieder diskutiert werden.
Im Zusammenhang mit der Sowjetunion möchte ich sehr deutlich machen, daß wir, ich glaube, auch im Interesse der Aussiedler, begrüßen können und müssen, daß die sowjetische Regierung eine gesetzliche Grundlage für die Familienzusammenführung geschaffen hat und in der Tat einhält. Dieses gibt eine größere Sicherheit für diejenigen, auch was die Entscheidung über ihr eigenes künftiges Leben betrifft, die sich mit dem Gedanken tragen, in die Bundesrepublik Deutschland zu kommen. Dies sind Entwicklungen, die von uns positiv aufgenommen werden. Wir werden unserer Verantwortung, die aus dem Grundgesetz erwächst, auch außenpolitisch gerecht.
Danke. — Herr Abgeordneter Lüder.
Ich frage die Bundesregierung — ich vermute, daß Herr Staatssekretär Spranger antworten wird — : Ist die Bundesregierung bereit, die Frage von Herrn Dr. Hirsch zu dem zweiten Themenkomplex, die Sie eben nur damit beantwortet haben, daß wir uns mit Kommunalvertretern zusammensetzen sollten — ich unterstelle, daß Sie sich schon einmal zusammengesetzt haben —, zu beantworten, indem sie die Ergebnisse entweder durch Sie oder durch den Herrn Minister persönlich am Montag in der öffentlichen Anhörung des Innenausschusses zu Kenntnis gibt? Es geht um die Frage, wieviel abgewiesene Asylbewerber tatsächlich in deutschen Kommunen leben.
Selbstverständlich, Herr Kollege Lüder, ist der Innenminister zu jeder Auskunft bereit, die offengeblieben ist, insbesondere angesichts einer sehr breit dimensionierten Frage, die der Abgeordnete Hirsch hier vorgetragen hat, und angesichts der Tatsache, daß wir seitens der Bundesregierung hier unter dem Druck stehen, möglichst kurz und prägnant zu antworten. Was noch offengeblieben ist, Herr Kollege Hirsch, und soweit überhaupt noch Zahlen lieferbar sind, die Ihnen noch nicht zugänglich gemacht worden sind, sind wir gerne bereit zu ergänzen.
Danke. — Herr Abgeordneter Emmerlich.
Herr Staatssekretär Spranger hat in einer Rede im Bundesrat Äußerungen gemacht, zum einen zu der Frage, ob ausländische Mitbürger ihrer eigenen kulturellen Identität entsprechend hier leben und sich verhalten können, und zum anderen hinsichtlich der Frage einer Änderung des Grundgesetzes in bezug auf Asyl.
Frau Staatsminister Adam-Schwaetzer erklärt, das sei nicht die Meinung der Bundesregierung, die Herr Staatssekretär Spranger da zum Ausdruck gebracht habe, sondern ihre Aussagen zu diesen beiden Punkten, die genau gegenteiliger Art sind, stellten die Meinung der Bundesregierung dar.
Ich frage nun denjenigen, der für den Bundeskanzler hier Antwort geben kann: Wer hat die Meinung der Bundesregierung mitgeteilt, der Staatssekretär des Innenministers oder Frau Staatsminister Adam-Schwaetzer? Wenn Frau Schwaetzer die Meinung der Bundesregierung wiedergegeben hat, was ich sehr hoffe, wie wird der Bundeskanzler in Zukunft sicherstellen, daß von der Bundesregierung abweichende Äußerungen durch Staatssekretäre im Bundesrat bei offiziellen Erklärungen nicht mehr zutage treten?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Ich möchte mich sehr herzlich — —
Herr Dr. Emmerlich, ich bedanke mich zunächst sehr herzlich, daß durch Ihre Fragen diese Rede, die ich am vergangenen Freitag gehalten habe, eine so außerordentliche nachträgliche Resonanz gefunden hat.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Februar 1989 9095
Parl. Staatssekretär SprangerIch habe Sie im Bundesrat allerdings etwas vermißt, weil sich alle anwesenden Vertreter der SPD-regierten Länder diese Ausführungen schweigend und ohne irgendeine Mißbilligung angehört haben.
Darf ich um Ruhe bitten für die Antwort.
Zum anderen habe ich in Vertretung des Innenministers als der für dieses Thema Zuständige im Bundesrat gesprochen. Diese Rede, die Ihnen sicher auch im Wortlaut vorliegt, spiegelt einen Diskussionsstand wider, der der Sachlage auch angemessen ist.
Es kann ja wohl nicht bestritten werden, daß sich die Situation des Jahres 1949 im Bereich des Asylrechts bis 1989 ganz entscheidend verändert hat und daß es geradezu eine Pflicht politisch Verantwortlicher ist, sich zu diesem Thema Gedanken zu machen.
Ich bitte um Verständnis, daß wir noch einen angemeldeten Fragenkomplex haben: deutsche Raketenentwicklung. Wenn wir diesen Bereich noch behandeln wollen, muß er jetzt aufgerufen werden. Die erste Frage hat Herr Abgeordneter Klejdzinski.
Ich möchte die Bundesregierung oder den Bundesminister der Verteidigung oder auch den Außenminister fragen — mir ist es gleich, wer antwortet — : Wie bewertet die Bundesregierung die Tatsache, daß sie einerseits ein komplementäres Luftangriffssystem konzipiert, andererseits nicht daran denkt, Abrüstungsschritten des Warschauer Pakts, wie sie gemacht wurden, etwas Entsprechendes entgegenzusetzen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Dr. Klejdzinski, Sie wissen, daß es über viele Jahre hinweg die Aufgabe einer jeden Bundesregierung gewesen ist, auf dem Feld der Abrüstungs- und Rüstungskontrollpolitik entscheidende Schritte auch dem Warschauer Pakt vorzuschlagen, mit der Folge, daß wir uns heute in einer sehr zufriedenstellenden Entwicklungsphase der Ost-West-Beziehungen befinden. Von daher glaube ich, daß Ihre Frage, was für die Perspektive unserer Sicherheitspolitik adäquat noch zu unternehmen ist, in die Richtung geht, was mit dem Gesamtbegriff KOLAS in Verbindung zu bringen ist.
Sie wissen, Herr Kollege Dr. Klejdzinski, daß wir heute morgen beide an der Sitzung des Verteidigungsausschusses teilgenommen haben, in der durch den Bundesminister der Verteidigung in nachdrücklicher Weise darauf aufmerksam gemacht wurde, daß der Begriff KOLAS ein Arbeitsbegriff ist, dem keine konkrete Planung zugrunde liegt.
Herr Knabe, ist Ihre Frage ebenfalls eine Frage zur Raketenentwicklung? —
Gibt es weitere Fragen zur Raketenentwicklung? — Sie gestatten, daß ich zunächst noch die Frage von Herrn Erler zulasse. Dann komme ich wieder zu den freien Fragen.
Ich habe eine Frage an den Außenminister oder seine Vertretung hier: Nach der überraschenden Rückzugsentscheidung der Bundesregierung in Sachen eines deutschen Raketenangriffssystems hat es verschiedene Reaktionen des Auslands gegeben. Können Sie mir bitte sagen, wie Sie diese Reaktionen werten, ganz besonders im Hinblick darauf, daß diese Maßnahme angeblich auch eine positive Ausgangsposition für die KRK-Verhandlungen, die im März in Wien beginnen sollen, sein soll?
Frau Staatsminister.
Herr Abgeordneter, Sie wissen, daß die Bundesregierung alles in ihren Kräften Stehende dazu getan hat, daß in Wien bei den Verhandlungen auf der KSZE-Nachfolgekonferenz ein Mandat für die KRKVerhandlungen, also für die Verhandlungen über konventionelle Stabilität in Europa, verabschiedet worden ist.
Wir haben natürlich ein besonderes Interesse daran, daß diese Verhandlungen zügig beginnen und auch zügig durchgeführt werden; denn die Bundesrepublik befindet sich immerhin an der Nahtstelle zwischen Ost und West. Wir sind ein geteiltes Land, und wir haben deshalb, verständlicherweise auch in der Bevölkerung, ein besonders hohes Interesse an Stabilität und Frieden in Mitteleuropa. Das derzeit noch existierende konventionelle Ungleichgewicht ist eine Gefährdung. Wir müssen alles in unseren Kräften Stehende dazu tun und werden es auch tun, damit dieses möglichst rasch beseitigt wird. Insofern ist es folgerichtig, daß die Bundesregierung alles unterläßt, was diese Verhandlungen in irgendeiner Weise beeinträchtigen könnte.
Frau Staatsministerin, darf ich meine Frage noch einmal aufgreifen? Ich habe vor allen Dingen wissen wollen, ob der Bundesaußenminister die Ansicht des Verteidigungsministers, die er uns heute morgen im Ausschuß mitgeteilt hat, teilt, daß es sich hier um einen Beitrag der Bundesregierung im Sinne einer einseitigen Verzichtsmaßnahme im Hinblick auf eine gute Ausgangsposition in Wien handle.
Herr Abgeordneter, wir haben Ihnen heute schon einmal gesagt, daß wir hier heute als Bundesregierung stehen und Ihre Fragen gemeinsam beantworten. Ich kann nur noch einmal unterstreichen, daß die Bundesregierung ihre Entscheidungen natürlich immer im Lichte der Überlegungen trifft, die sie anstellen muß
Metadaten/Kopzeile:
9096 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Februar 1989
Staatsminister Frau Dr. Adam-Schwaetzerund die auch notwendig sind, um möglichst rasch konventionelle Stabilität in Europa herzustellen.
Dazu noch Herr Horn.
Herr Staatssekretär Wimmer, ich habe noch eine Frage an Sie: Könnten Sie uns vielleicht die Gründe darstellen, weshalb unmittelbar nach der „Report"-Sendung die Bundesregierung auf eine Fortführung des Projektes KOLAS verzichtet hat?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wir haben auf die Fortführung des Projektes Technex, Herr Kollege Horn, verzichtet, und zwar deshalb, weil sich der Bundesverteidigungsminister im Zusammenhang mit der Gesamtvorlage der Bundeswehrplanung ausdrücklich für den Februar 1989 — und in diesem Monat befinden wir uns — eine Entscheidung darüber vorbehalten hatte, was aus diesen Studien überhaupt werden sollte. Sie wissen, daß sich der Bundesminister der Verteidigung bei diesem Fortgang der Dinge an dem orientiert, was der Blankeneser Erlaß und die entsprechenden Planungsvorlagen des Bundesministeriums der Verteidigung vorschreiben. Sie wissen genauso gut wie ich, Herr Kollege Horn, daß dieser Blankeneser Erlaß auf den Bundesminister der Verteidigung Helmut Schmidt zurückzuführen ist.
Insoweit verhalten wir uns kontinuierlich auf dem Hintergrund dessen, was Planungsvorgabe des Bundesministeriums der Verteidigung seit inzwischen Jahrzehnten ist. Deswegen ist die Entscheidung des Bundesministers der Verteidigung im Zusammenhang mit Technex logisch, zielgerichtet, optimal.
Herr Abgeordneter Tillmann, Sie haben eine Frage zur Vereinsbesteuerung. Bitte.
Herr Bundesfinanzminister, nachdem das Kabinett heute den Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung und Vereinfachung der Vereinsbesteuerung verabschiedet hat: Können Sie im einzelnen sagen, inwieweit die Vorschläge und Stellungnahmen des Deutschen Sportbundes und der betroffenen Verbände bei der Beschlußfassung des Kabinetts berücksichtigt werden konnten?
Frau Präsidentin! Herr Kollege! Das Kabinett hat heute den Gesetzentwurf, wie eingangs erwähnt wurde, verabschiedet und den gesetzgebenden Körperschaften zugeleitet. Ausgangspunkt ist ja eine Initiative im Bundesrat. Aber in der Vorbereitung der heutigen Kabinettsentscheidung haben für uns in der Tat viele Gesichtspunkte, Argumente, viele Gespräche mit den Vereinen, insbesondere auch mit dem Deutschen Sportbund eine wesentliche Rolle gespielt.
Ich möchte im Rahmen einer knappen Regierungsbefragung jetzt nicht alle wichtigen Punkte hervorheben, aber folgende gerne nennen:
Der Gesetzentwurf bringt Vereinfachungen und steuerliche Erleichterungen für rund 90 % der gemeinnützigen Vereine. Vor allem für die kleinen Vereine, die ja ganz entscheidend auf ehrenamtlicher Mitarbeit — auch in ihren Vorständen — beruhen, sollen die entsprechenden Bestimmungen auch im Steuerrecht drastisch vereinfacht werden.
Ich hebe besonders hervor, daß weitere förderungswürdige Freizeitbetätigungen als gemeinnützig anerkannt werden sollen und daß wir bei der Besteuerung wirtschaftlicher Betätigung gemeinnütziger Körperschaften eine Besteuerungsgrenze einführen. Bei sportlichen Veranstaltungen wird eine Zweckbetriebsgrenze von 60 000 DM Einnahmen im Jahr eingeführt. Kleinere gemeinnützige Vereine können die Vorsteuer pauschal mit 7 % der Einnahmen abziehen.
— Das ist eine der entscheidenden Vereinfachungen, die ich soeben allgemein erwähnt habe. — Die Freigrenzen bei der Körperschafts- und Gewerbesteuer werden in Freibeträge umgewandelt und auf jährlich 7 500 DM angehoben.
Sodann gibt es einzelne begrenzte Verbesserungen auch im Bereich der Stiftungen.
Das ist die knappste Zusammenfassung, die ich geben kann. Ich würde mich freuen, wenn Bundestag und Bundesrat diesen Gesetzentwurf so fristgerecht beraten könnten, daß er zum 1. Januar 1990 in Kraft treten kann.
Herr Abgeordneter Penner.
Herr Bundesfinanzminister, bleibt es also dabei, daß entgegen den freundlichen Ankündigungen der Bundesregierung vor der Wahl die 60 000 Sportvereine mit zirka 20 Millionen Mitgliedern nicht mehr auf die versprochene Anhebung der Übungsleiterpauschale rechnen können?
Herr Kollege Penner, die unabhängige Kommission, die wir eingesetzt haben, hat im Rahmen eines weitreichenden Vereinfachungskonzepts sogar die Streichung dieser Pauschale empfohlen.
— Ich beantworte Ihre Frage, wenn Sie mir das höflich gestatten.
— Schönen Dank. — Wir tun das nicht.
— Ich meine, Sie können die Debatte ja in der Art führen, wie Sie Ihre Fraktionssitzungen durchführen. Ich möchte eine ernsthafte Frage im Zusammenhang ernsthaft beantworten. Das scheint mir der Sinn der Regierungsbefragung zu sein.Wir halten an dieser Übungsleiterpauschale fest. Es ist nicht so, daß die Bundesregierung vor der Wahl oder in der Regierungserklärung des Bundeskanzlers
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Februar 1989 9097
Bundesminister Dr. Stoltenbergeine weitergehende Ausgestaltung versprochen hat. Das trifft nicht zu.
Aber richtig ist, Herr Kollege Penner, daß wir uns in den vorhergehenden Gesprächen in der Regierung und in den Koalitionsfraktionen in der Tat vorgenommen haben, zu einer Vereinheitlichung derartiger Pauschalen zu kommen, weil sie in gewissen Bereichen zurückgeblieben sind. Wir haben heute sehr unterschiedliche Regelungen für ehrenamtliche Tätigkeiten in den Vereinen, in der Kommunalpolitik und in anderen Organisationen, deren Tätigkeit im öffentlichen Interesse liegt.
Herr Abgeordneter Penner, gestatten Sie mir, daß ich keine Zusatzfrage von Ihnen zulasse. Es ist jetzt fast 13.45 Uhr, und es warten noch drei weitere Kollegen.
Herr Abgeordneter Knabe, bezieht sich Ihre Frage auf die Vereinsbesteuerung?
— Dann bitte ich Sie, noch einen Augenblick zu warten, damit hier noch einmal nachgesetzt werden kann. — Herr Jäger.
Herr Bundesfinanzminister, welche Lösungen faßt die Bundesregierung mit ihrem Beschluß von heute vormittag für das alte und leidige Problem ins Auge, das durch die exzessive Auslegung des Zweckbetriebsbegriffes vor allem für die ländliche Gastronomie durch ein exzessives Ausdehnen von Vereinsfesten entstanden ist, und welche Möglichkeiten sieht die neue Regelung vor, um hier zu einem ausgewogenen Verhältnis zu kommen, das diesen mittelständischen Betrieben auch gerecht wird?
Herr Finanzminister.
Herr Kollege Jäger, es läßt sich nicht bestreiten, daß es im Vorfeld der heutigen Kabinettsentscheidung unterschiedliche Voten gegeben hat: der Vereine einerseits, deren Bedeutung wir hoch einschätzen, und des mittelständischen gastronomischen Gewerbes andererseits. Allen ist das bekannt. Ich glaube aber, daß es gelungen ist, durch intensive Gespräche, die Mitglieder der Bundesregierung mit dem Bereich des mittelständischen gastronomischen Gewerbes geführt haben, diese Bedenken ein Stück zu reduzieren, vielleicht weitgehend auszuräumen. Wichtig ist im Zusammenhang mit Ihrer Frage, daß für sportliche Veranstaltungen eine Zweckbetriebsgrenze von 60 000 DM Einnahmen im Jahr vorgesehen ist. Kulturelle Einrichtungen und Veranstaltungen werden stets als steuerbegünstigte Zweckbetriebe behandelt.
Ich glaube, daß wir mit diesen und anderen Maßnahmen auch der Tatsache Rechnung tragen, daß manche Vereine, vor allem große Vereine mit gewerblichem Charakter, im Bereich der Gemeinnützigkeit bisher ein Stück zu großzügig gefördert worden sind. Wir hoffen, diesen Zielkonflikt damit weitgehend zu entschärfen.
Ich möchte jetzt die Fragen zur Vereinsbesteuerung abschließen.
Abschließend haben das Wort die Abgeordneten Herr Knabe, Herr Börnsen und Frau Unruh. Dann müssen wir schließen. — Herr Knabe.
Ich frage die Bundesregierung, nachdem ich in Krefeld erfahren habe, daß bis heute, bis 1989, noch keine gültige Erlaubnis für die Einleitung von Abwässern durch Bayer Uerdingen besteht, wie so etwas möglich ist, zumal der Umweltminister des Landes Nordrhein-Westfalen erklärt, das liege daran, daß die Bundesregierung bisher noch keine Regelung der gefährlichen Stoffe nach § 7 a des Wasserhaushaltsgesetzes vorgenommen hat.
Herr Grüner.
Ich kann auf Ihre Frage, da sie in die Zuständigkeit des Landes fällt, keine sachkundige Auskunft geben, die Anspruch darauf erheben würde, vollständig zu sein. Ich werde diese Frage aber gerne aufgreifen und Ihnen dazu eine schriftliche Stellungnahme zuleiten.
Nur eine Nachfrage.
Herr Knabe, darf ich bitten. Es ist Ihnen jetzt eine schriftliche Beantwortung zugesagt worden. Wenn sie noch weiter ausgeführt werden soll, kann darum ja gebeten werden. Wir müssen zum Ende kommen.
— Herr Börnsen.
Zum Programm der Bundesregierung gehört nach der Koalitionsvereinbarung die Einführung von Rußfiltern für Omnibusse und für Lastkraftwagen in Ballungszentren. Ich finde, daß ist eine sehr wichtige Maßnahme, und ich hoffe, daß sie nicht auf Eis gelegt worden ist. Deshalb möchte ich die Bundesregierung gerne fragen, wann und in welcher Weise sie plant, diese Maßnahme umzusetzen.
Herr Staatssekretär.
Rußfilter für Omnibusse und Lastwagen sind leider noch nicht serienreif; aber die Entwicklungen sind so weit vorangetrieben, daß wir in absehbarer Zeit mit der Möglichkeit des serienmäßigen Einsatzes rechnen können. Es gibt in diesem Bereich jetzt anlaufende Demonstrationsvorhaben, die der BMU mit einem breit angelegten Förderprogramm unterstützen wird.Die Bundesregierung geht davon aus, daß angesichts der Kosten, die zusätzlich mit dem Einsatz solcher Rußfilter verbunden sind, insbesondere die Kommunen in den Ballungszentren mit gutem Beispiel vorangehen werden. Darüber hinaus wird es ein Thema der Überlegungen sein müssen, ob es etwa bei der Anschaffung von Lastwagen, dann allerdings auf europäischer Ebene, zu weitergehenden Förderungsmaßnahmen kommen kann; denn die Kosten dieser notwendigen Umweltschutzmaßnahme sind im Wettbewerb um Arbeitsplätze von ganz ausschlaggeben-
Metadaten/Kopzeile:
9098 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Februar 1989
Staatssekretär Grünerder Bedeutung, so daß ein Alleingang der Bundesrepublik Deutschland, etwa auf gesetzlichem Wege mit Zwang zu arbeiten, nicht in Betracht kommen kann, abgesehen von unseren europäischen Verpflichtungen, die wir in diesem Zusammenhang haben.
Die letzte Frage, Frau Abgeordnete Unruh.
Meine Frage war an Minister Blüm gerichtet; leider ist er nicht da.
— Ja nun, der Minister ist doch noch etwas anderes als Sie.
Sie hängt mit den verlorenen Wahlen der CDU und der FDP in Berlin zusammen. In diesem Zusammenhang hat Frau Adam-Schwaetzer in einem Fernsehinterview gesagt: Die Verabschiedung der 9. AFGNovelle war falsch und muß zurück.
Frage: Was haben Sie falsch gemacht?
Herr Staatssekretär Vogt.
Frau Kollegin, die Bundesregierung hat im Zusammenhang mit der 9. Novelle nichts falsch gemacht. Diese Novelle bewährt sich.
Ich beende die Befragung.
Meine Damen und Herren, wir setzen die Beratungen mit dem nächsten Tagesordnungspunkt fort.
Fragestunde
— Drucksache 11/3970 —
Meine Damen und Herren, ich rufe den Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes auf. Zur Beantwortung steht Herr Staatsminister Dr. Stavenhagen zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 1 des Herrn Abgeordneten Zander auf:
Welche Vorhaben der Regierungspolitik dienten der Verwirklichung der von Bundeskanzler Kohl in seiner Regierungserklärung vom 4. Mai 1983 angekündigten „geistigen Erneuerung"?
Bitte, Herr Staatsminister.
Herr Kollege Zander, die geistige Erneuerung ist keine Frage einzelner Regierungsvorhaben, sondern sie ist eine Frage des Leitbildes von der Gesellschaft, das wir haben. Dazu darf ich auf die Regierungserklärung des Bundeskanzlers vom 18. März 1987 verweisen, wo er sagt:
Unser Leitbild ist eine Gesellschaft, in der sich der einzelne frei entfalten kann — auch und gerade in der Verantwortung für den Nächsten.
Daraus leitet der Bundeskanzler fünf Ziele ab. Ich kann diese Ziele nicht im einzelnen hier vortragen, aber die Regierungserklärung liegt Ihnen ja vor. Zur Umsetzung dieser Ziele in der Regierungsarbeit nenne ich Ihnen nur wenige Beispiele: größere Freiräume für Eigeninitiative und Eigenverantwortung durch Privatisierung, Deregulierung und den Abbau leistungshemmender Steuern.
Durch die Konsolidierung des Bundeshaushaltes wurde deutlich gemacht, daß wir immer auch an die Interessen künftiger Generationen denken müssen.
Umweltpolitik, Schöpfung bewahren heißt es in der Regierungserklärung. Unsere Vorreiterrolle in Europa besteht darin, auch umweltentlastenden technischen Fortschritt hier einzubeziehen.
Die Familie wurde aus dem gesellschaftspolitischen Abseits geholt, die Bedingungen für den Schutz des ungeborenen Lebens — ich erinnere nur an die Stiftung Mutter und Kind — wurden verbessert.
Als weiteres Beispiel von vielen anderen, die man nennen könnte: Mit ihrer Deutschlandpolitik hat die Bundesregierung das Bewußtsein für die Einheit der Nation nachhaltig geschärft. Zur vertiefenden Lektüre darf ich die Halbzeitbilanz empfehlen zu lesen, die der Chef des Bundeskanzleramtes Ende des vergangenen Jahres vorgelegt hat.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Zander.
Herr Staatsminister, kann es sein, daß außer Ihnen niemand bemerkt hat, daß in der von Ihnen eben aufgezählten Summe von Maßnahmen eine geistige Erneuerung zu sehen ist?
Dr. Stavenhagen, Staatsminister: Herr Kollege, das kann nicht sein.
Herr Staatsminister, teilen Sie meine Meinung, daß es noch nie eine Bundesregierung gab, zwischen deren Absichten zu Beginn ihrer Tätigkeit — ich erinnere an die Zusage, die Arbeitslosigkeit abzubauen, die Subventionen zu senken oder aber auf neue Steuern und Abgaben zu verzichten — und deren Ergebnissen heute ein so eklatanter Widerspruch ist, und meinen Sie nicht, daß das das Gegenteil von einer geistigen Erneuerung ist?Dr. Stavenhagen, Staatsminister: Herr Kollege, das Gegenteil ist richtig. Ich bin dankbar, daß Sie gerade diese drei Beispiele gewählt haben. Beispiel Nummer 1, Abbau der Arbeitslosigkeit: Wir haben noch nie einen höheren Beschäftigungsstand gehabt als derzeit,
was auch durch die Volkszählung deutlich wird. Wir haben fast 1 Million zusätzlicher Arbeitsplätze geschaffen.Beispiel Nummer 2: Es ist in der Tat richtig, daß wir beim Subventionsabbau noch weiter gehen müssen. Wenn Sie den Anteil der Subventionen allerdings am
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Februar 1989 9099
Staatsminister Dr. StavenhagenBruttosozialprodukt messen, stellen Sie erstens fest, daß wir in der Europäischen Gemeinschaft im Mittelfeld liegen, und zweitens, daß die Subventionen relativ abgenommen haben.Entschuldigen Sie, was war Ihr drittes Beispiel? Ich bitte um Nachsicht.
Verzicht auf neue Steuern und Abgaben.
Dr. Stavenhagen, Staatsminister: Ja, da bin ich nun dankbar, daß Sie dies erwähnen; denn mit der großen Steuerreform in drei Schritten machen wir eine Nettoentlastung, auch wenn man die Verbrauchsteuererhöhung dieses Jahres einbeziehen will, was im Grunde genommen nicht zulässig ist. Wir führen eine Nettoentlastung von rund 40 Milliarden DM durch. Dies ist die größte Steuersenkung insgesamt, die es in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland gegeben hat.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Penner.
Herr Staatsminister, ist das Ansteigen der Zahl der Parlamentarischen Staatssekretäre auch eine Folge der geistigen Erneuerung?
Dr. Stavenhagen, Staatsminister: Das Ansteigen der Zahl der Parlamentarischen Staatssekretäre ist eine Maßnahme der Bundesregierung, um das Parlament und andere Gremien überall mit Informationen und mit Diskussionsmöglichkeiten umfassend zu bedienen und auch unserer Verpflichtung im Parlament gerecht zu werden.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Sperling.
Herr Staatsminister, sind die mit Ihren Maßnahmen der geistigen Erneuerung verknüpften materiellen Änderungen solcher Art, daß die Bevölkerung endlich begriffen hat, was ihr dort widerfährt, und sie die geistige Erneuerung dadurch vollzieht, daß sie Ihnen als Wähler wegläuft?
Dr. Stavenhagen, Staatsminister: Herr Kollege, wenn Sie sich die Meinungsbefragungen anschauen, die regelmäßig zur Jahreswende durchgeführt werden, dann stellen Sie fest, daß eine eindrucksvolle Zunahme des Optimismus, was die persönlichen Lebensumstände, aber auch was die gesamtwirtschaftlichen Lebensumstände angeht, festzustellen ist: Die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung schätzt ihre persönlichen Umstände und ihre Zukunftserwartungen und auch die gesamtwirtschaftliche Zukunftserwartung gut ein. Es ist Optimismus da, Herr Kollege. Das ist eine eindrucksvolle Bestätigung unserer Politik.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Sellin.
Zählt zu der geistigen Erneuerung auch die skrupellose Exportpolitik der Bundesregierung gegenüber anderen Ländern in der Hinsicht, daß sie Chemiewaffenanlagen oder Atomkraftanlagen exportiert oder daß sie die Umgehung des Atomwaffensperrvertrages hinnimmt?
Dr. Stavenhagen, Staatsminister: Herr Kollege, die Formulierung „skrupellose Exportpolitik" muß ich mit großem Nachdruck und mit Empörung zurückweisen. Die Bundesregierung exportiert überhaupt keine Chemieanlagen. Einzelne Firmen haben Anlagen exportiert, die zu einem anderen Zweck verwandt werden können, als das ursprünglich vielleicht von anderen gedacht war. Darüber werden wir am Freitag im Bundestag sehr genau zu diskutieren haben, wo die Bundesregierung darlegen wird, daß sie erstens alles, was menschenmöglich ist, unternommen hat, um die Informationen zu bekommen, und daß sie zweitens im Gegensatz zu vorangegangenen Regierungen mehrere Male die entsprechenden Gesetze verschärft hat und weitere Verschärfungen vornehmen wird. Drittens wird die Bundesregierung alles dazu tun, daß unser Ansehen in der Welt nicht leidet und das Ansehen auch der überwiegenden Zahl guter und gutwilliger Exporteure in der Welt nicht ramponiert wird.
Bitte, Herr Abgeordneter Jäger.
Herr Staatsminister, teilen Sie die Auffassung, daß die außerordentlich erfolgreiche Tätigkeit des Bundeskanzlers in der Hinwendung der Bundesrepublik Deutschland auf Europa, Voranbringen der europäischen Einigung einerseits und die außerordentlich, ich würde beinahe sagen: einmalig großzügige Politik des Schuldenerlasses an ärmste Staaten der Dritten Welt zeigen, daß die geistige Erneuerung in der Bundesrepublik Deutschland von der Bundesregierung auch auf diesen Feldern erfolgreich vorangetrieben worden ist?
Dr. Stavenhagen, Staatsminister: Herr Kollege, ich teile diese Einschätzung und bin dankbar, daß Sie diese wichtigen Beispiele hier genannt haben.
Bitte, Herr Abgeordneter Schreiner.
Herr Staatsminister, nachdem Sie soeben erklärt haben, die geistige Erneuerung hatte wesentlich zum Ziel, die Freiheitsräume der Bürger zu erweitern, die individuellen Gestaltungsmöglichkeiten, möchte ich Sie fragen, ob es auch unter den Begriff der geistigen Erneuerung fällt, daß wir inzwischen in der Bundesrepublik nach neueren Untersuchungen etwa 400 000 Kinder zwischen 12 und 15 Jahren haben, die vor allen Dingen aus arbeitslosen Familien stammen und die verbotene Kinderarbeit leisten, und ob es auch ein Beitrag zur geistigen Erneuerung ist, daß die Bundesregierung bislang völlig tatenlos dem weiteren Anwachsen der Langzeitarbeitslosen, die systematisch aus dem Arbeitsmarkt unserer Gesellschaft ausgegrenzt werden, zuguckt.Dr. Stavenhagen, Staatsminister: Herr Kollege, die Prämisse, die in Ihrer Frage liegt, ist unzutreffend. Die Bundesregierung hat sich nicht „völlig tatenlos" dem
Metadaten/Kopzeile:
9100 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Februar 1989
Staatsminister Dr. StavenhagenProblem der Langzeitarbeitslosigkeit gegenüber verhalten.
— Ich habe ja gesagt, zur vertiefenden Lektüre empfehle ich Ihnen den Erfolgsbericht von Bundesminister Schäuble zur Halbzeitbilanz, wo gerade auch zum Thema Arabeitslosigkeit nicht nur Fragen des Wirtschaftswachstums, sondern auch Maßnahmen der aktiven Arbeitsmarktpolitik dargestellt worden sind sowie Fragen der Qualifizierungsoffensive. Es würde jetzt zu weit führen, dies im einzelnen darzulegen. Dies alles hat die Bundesregierung getan, und ich will auf einen Punkt hinweisen.Herr Kollege, es ist in der Tat so, daß wir gerade im Bereich der Kinder in der Bundesrepublik Deutschland durchaus noch von anderen Ländern lernen können. Es ist in der Tat auch so, daß die geistig-moralische Wende sich nicht auf dem Absatz vollzieht und auch nicht auf Weisung der Bundesregierung, sondern daß alle, die in der Gesellschaft Verantwortung tragen, aufgerufen sind, hieran mitzuwirken. Das gilt auch für das Thema, daß wir ein kinderfreundlicheres Land werden.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Müller .
Herr Staatsminister, ist es ein Zeichen geistig-moralischer Erneuerung, daß jene Menschen in Deutschland, die sich z. B. um die Flugtage in Nörvenich, in Ramstein, um Tiefflug oder um die Vorgänge im Zusammenhang mit der möglichen Produktion von Giftgas in Libyen kümmern, der Bundesregierung fast nichts mehr glauben können, wie man das auch wieder in dem neu vorgelegten Bericht sieht, der in vielem dem widerspricht, was Ihr Kollege Schäuble noch am 18. Januar hier im Parlament kundgetan hat?
Dr. Stavenhagen, Staatsminister: Herr Kollege, die Prämisse, die in Ihrer Frage liegt, ist unzutreffend; deswegen ist natürlich auch die Schlußfolgerung, die Sie daraus ziehen wollen, unzutreffend.
In dem Bericht, der noch sehr viel ausführlicher ist als das, was Bundesminister Schäuble hier schon vor dem Parlament vorgetragen hat, ist noch einmal dargelegt, daß sich die Bundesregierung um eine lückenlose und präzise Information bemüht hat. Dieser Bericht geht wesentlich weiter.
Es wird Ihnen in dem Bericht, wenn Sie ihn studieren, auch deutlich werden, daß Hinweise nachrichtendienstlicher Art, die früher datiert sind als etwa Oktober 1988, in ihrem Informationsgehalt ungleich vager waren als das, was sich in der Zwischenzeit herausgestellt hat. Dies alles wird in dem Bericht in einer lükkenlosen, bisher ohne Beispiel, glaube ich, dastehenden Chronologie dargelegt. Darüber werden wir, glaube ich, am Freitag ausführlich diskutieren können.
Letzte Zusatzfrage, Dr. Klejdzinski.
Herr Staatsminister, da Sie mir mitgeteilt haben, daß der Bundeskanzler erfolgsgewöhnt ist und diese Bundesregierung großen Erfolg hat, darf ich Sie im Hinblick auf Ihre gegenwärtigen Wahlergebnisse fragen, ob das Volk im Lande das eigentlich nicht begriffen hat.
Dr. Stavenhagen, Staatsminister: Lieber Herr Kollege, lassen Sie uns gemeinsam auf die Wahlergebnisse 1990 warten! Die Bundesregierung wird diesen Wahlergebnissen auf Grund der sehr guten Bilanz ihrer Arbeit mit großer Gelassenheit entgegensehen. Ich hoffe, daß Sie ebenfalls einen Teil dieser Gelassenheit aufbringen können, wenn Sie dann Ihre Wahlergebnisse studieren.
Danke, Herr Staatsminister.
Ich rufe nun den Geschäftsbereich des Bundesministers der Justiz auf. Die Frage 2 des Abgeordneten Geis soll auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet werden. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen auf. Herr Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Häfele steht zur Beantwortung zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 3 des Abgeordneten Dr. Klejdzinski auf:
Was hat die Bundesregierung veranlaßt, den Abzugsbetrag bei der Einkommensteuer vor Errechnung der Kirchensteuer von ehemals 600 DM für das erste, 960 DM für das zweite und 1 800 DM für jedes weitere Kind auf generell 300 DM pro Kind ab 1990 zu kürzen?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Herr Kollege Dr. Klejdzinski, ich darf so antworten: Schon durch das Steuersenkungsgesetz 1986/1988 sind die gestaffelten Beträge durch einen einheitlichen Abzugsbetrag von damals 600 DM für jedes Kind ersetzt worden. Die Einführung eines gleich hohen Abzugs für alle Kinder war erforderlich, um auch bei den sogenannten Annexsteuern die nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts erforderliche Halbteilung im Lohnsteuerabzugsverfahren mit noch vertretbarem Verwaltungsaufwand durchführen zu können.Durch das Steuerreformgesetz 1990 ist der Kinderfreibetrag um 540 DM auf 3 024 DM angehoben worden. Diese Anhebung des Kinderfreibetrags führt auch zu einer deutlichen Senkung der Bemessungsgrundlage für die Kirchensteuer und damit zu einer Senkung der Kirchensteuer selbst. Die dadurch bedingte erweiterte Entlastung für Steuerpflichtige mit Kindern rechtfertigt die Senkung der Abzugsbeträge nach § 51 a Einkommensteuergesetz auf 300 DM für jedes zu berücksichtigende Kind.Diese Halbierung der Abzugsbeträge entspricht einem Wunsch der Kirchen. Sie ist wegen der Auswirkungen auf das Kirchensteueraufkommen für die Kirchen von erheblichem Interesse. Eine vom Wunsch der Kirchen abweichende Änderung stieße auf Bedenken, weil die Kirchen bedeutsame soziale Aufgaben wahrnehmen und weil sie in Kirchensteuerangelegenheiten ein verfassungsrechtlich gesichertes Mitspracherecht haben.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Februar 1989 9101
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Klejdzinski.
Herr Staatssekretär, wäre denn nicht eine steuerrechtliche Regelung möglich gewesen, nach der nicht — abgesehen davon, daß Sie den Kinderfreibetrag für das Einzelkind erhöht haben, wenn ich die Anhebung der Kirchensteuer als Einzelmaßnahme betrachte — ausgerechnet die kinderreichen Familien im Grunde genommen einen Teil der Steuerreform über eine Erhöhung der Kirchensteuer bezahlen müssen?
Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Durch die Halbierung des Abzugsbetrags von 600 DM auf 300 DM wird die Entlastung bei Familien mit Kindern in aller Regel nicht etwa kleiner gemacht. Bei Familien mit bis zu fünf Kindern verbleibt auf jeden Fall auch eine Kirchensteuerentlastung. Nur im Einkommensbereich zwischen 50 000 und 70 000 DM und nur bei Familien ab sechs Kindern tritt bei der Kirchensteuer — allein bei der Kirchensteuer — durch diese Halbierung eine geringfügige Mehrbelastung ein, nämlich von monatlich 1 DM bis 1,50 DM. Dem gegenüber steht hier allein durch die dritte Stufe der Steuerreform eine Entlastung für die gleiche Familie von 1 600 DM. Diese Mehrbelastung ist also wirklich völlig unbeachtlich.
Weitere Zusatzfrage, Herr Kollege, bitte.
Herr Staatssekretär, Sie können mir doch nicht klarmachen, daß Sie die Freibeträge für Kinder deswegen erhöht haben, um möglicherweise Einbußen bei der Kirchensteuer zu kompensieren.
Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Nein, aber man muß die Wirkungen im Zusammenhang sehen; dies ist im Steuerrecht immer das Problem. In der öffentlichen Diskussion — nicht von Ihnen — wird meistens der Fehler gemacht, daß immer nur auf einen Punkt geachtet wird. Leider ist das Steuerrecht so kompliziert, weil es ein System von Normen, von allgemeinen Tarifen und vielen Ausnahmen, Befreiungen und Sonderregelungen ist. Nur wenn Sie alle Einzelwirkungen miteinander kombinieren, sehen Sie die tatsächliche Entlastung. Es gilt also auch hier auf jeden Fall, daß für Familien mit Kindern eine gewaltige Entlastung eintritt, auch in dem Fall, wo allein bei der Kirchensteuer bei Familien ab sechs Kindern, und zwar nur im Einkommensbereich zwischen 50 000 DM und 70 000 DM, eine Mehrbelastung von monatlich 1 DM bis 1,50 DM erfolgt.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Sperling.
Herr Staatssekretär, kann es sein, daß in Zukunft Familien mit Kindern vorhanden sein werden, die im Eingangsbereich zwar Kirchensteuer, aber noch keine Einkommensteuer zahlen?
Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Es passiert im Steuerrecht zwar alles Mögliche, aber ich kann mir das eigentlich nicht vorstellen, weil die Kirchensteuer eine reine Annex-Steuer ist. Bemessungsgrundlage ist die zu zahlende Einkommen- oder Lohnsteuer.
Wenn die nicht vorhanden ist, kann es auch keine Kirchensteuer geben.
Ich rufe Frage 4 des Herrn Abgeordneten Dr. Klejdzinski auf:
Wie hoch ist der Kirchensteuergewinn ab 1990 für die Kirchen?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Ihre Frage 4 darf ich so beantworten: Durch die Absenkung der Abzugsbeträge von 600 DM auf 300 DM vermindern sich die Kirchensteuerausfälle infolge der Steuerreform jährlich um etwa 200 Millionen DM. Das heißt, die Kirchen haben 1990 statt eines Ausfalls von 1,8 Milliarden einen solchen von 1,6 Milliarden DM.
Bitte schön, eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ich bin Ihnen dankbar, daß Sie die 200 Millionen DM genannt haben. Kann ich aus den 200 Millionen DM weniger an Steuerausfällen schließen, daß die alte Regelung bei der Erhebung der Kirchensteuer, würde sie beibehalten, weiterhin den Familien zugute gekommen wäre, und kann ich daraus weiter schließen, daß Ihre Rechnung, daß nicht mehr Kirchensteuer erhoben wird, unter diesen Umständen nicht schlüssig ist, weil die 200 Millionen DM sonst nicht im Raume stehen würden?
Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Wir müssen den Standpunkt der Kirchen, glaube ich, doch fair beurteilen. Es war ja so, daß die Kirchen 1975, als die Kinderfreibeträge abgeschafft worden sind und das einheitliche Kindergeld eingeführt wurde, zugunsten der Familien mit Kindern freiwillig gesagt haben: Wir sind trotzdem bereit, da steuerlich etwas zu tragen, obwohl das gegen das damalige Steuersystem war. Das war von den Kirchen fair, anständig, großzügig. Jetzt sagen sie mit Recht, da wir das duale System — Kinderfreibeträge und Kindergeld — wieder eingeführt haben, daß es natürlich nicht nur bei den Vorzügen des alten Systems bleiben kann. Im Grunde ist es eine Konzession der Kirchen, daß überhaupt so ein Abzugsbetrag geltend gemacht wird; das will ich doch einmal zugunsten der Kirchen sagen. Die Frage ist jetzt nur: Wie weit geht das? Wir haben gesagt, es kann allerdings nicht ohne Folgen bleiben, wenn wir die Kinderfreibeträge anheben, wie es jetzt ab 1990 auf 3 024 DM geschieht. Deswegen wurde die Halbierung des Abzugsbetrags von 600 DM auf 300 DM vorgenommen. Ich glaube, das ist ein fairer Kompromiß.
Weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Klejdzinski.
Herr Staatssekretär, ich wende mich nicht dagegen, daß die Kirchen die notwendigen Einnahmen haben, um ihre sozialen Aufgaben zu erfüllen. Ich wende mich nur dagegen, daß punktuell gesehen die kinderreichen Familien hier ihren Obolus zahlen müssen, um diesen Einnahmeausfall zu kompensieren. Es hätte durchaus die Über-
Metadaten/Kopzeile:
9102 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Februar 1989
Dr. Klejdzinskilegung sein können, den Kirchensteuersatz um einen halben Punkt oder einen Punkt anzuheben.Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Ja, das ist die Autonomie der Kirchen.Aber, Herr Dr. Klejdzinski, es stimmt nicht, was Sie soeben gesagt haben, daß die Kinderreichen das finanzieren müssen. Ich habe Ihnen nachgewiesen, daß gerade Familien mit mehreren Kindern besonders entlastet werden. Selbst in den Fällen, in denen eine Mehrbelastung bei der Kirchensteuer von 1 DM oder 1,50 DM monatlich eintritt — bei Familien ab sechs Kindern, nur bei denen und nur im Einkommensbereich zwischen 50 000 und 70 000 DM — , werden kinderreiche Familien in der Summe um 1 600 DM entlastet. Es ist also nicht so, daß sie da eine Belastung tragen müssen, sondern sie werden durchgreifend entlastet.
Zusatzfrage, Dr. Sperling.
Herr Staatssekretär, da es bei solchen Steuerreformen um die Fairneß der Kirchen uns gegenüber, dem Staat gegenüber, aber auch — umgekehrt — um die Fairneß des Staates den Kirchen gegenüber geht: Wäre es da gegenüber den Kirchen nicht am fairsten, auf Kinderfreibeträge ganz zu verzichten und statt dessen ein Kindergeld zu zahlen, da dies die Kirchen dann von dem Odium befreien würde, Familien mit Kindern etwas mehr auf der Tasche zu liegen?
Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Es war so: Bei den wiederholten Gesprächen, die wir mit den Kirchen in dieser Frage geführt haben, war nicht etwa ein Widerstand der Kirchen gegen die Wiedereinführung der Kinderfreibeträge vorhanden. Auch in den Kirchen sind durchaus die Kräfte im Vordringen, die erkennen, daß es viel vernünftiger ist, den Menschen, die aus eigener Kraft Geld verdienen, das Geld für die Kinder eher zu belassen, als es durch die Steuer einzuziehen und mit einer bürokratischen Umverteilungsmaschine wieder an alle gleich zu verteilen,
und daß das duale System gerade auch christlicher Sozial- und Gesellschaftsphilosophie viel mehr entspricht als die rein bürokratische Umverteilungsmaschine.
Zusatzfrage, Abgeordneter Kroll-Schlüter.
Herr Staatssekretär, gibt es eigentlich — vielleicht auch von früheren Regierungen — eine Erklärung dafür, weshalb es für Arbeitnehmer, für andere Bereiche, für die Wirtschaft, für Einzelpersönlichkeiten usw. Freibeträge gibt, aber ausgerechnet für Kinder keine geben soll?
Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Ja, das ist der große Widerspruch bei der ganzen — leider — ideologischen Diskussion. Unbestritten zwischen fast allen Kräften dieses Hauses ist — zumindest auch hinsichtlich des größten Teils der Opposition, der SPD — , daß man nach der persönlichen Leistungsfähigkeit besteuert wird und daß alles abzugsfähig ist, was diese Leistungsfähigkeit mindert. Im Betrieb z. B. sind dies die Betriebsausgaben, oder bei einem Geschiedenen die Unterhaltsaufwendungen an den geschiedenen Ehegatten: Realsplitting. Aber ausgerechnet dann, wenn Kinder die Leistungsfähigkeit mindern, soll es nicht abzugsfähig sein. Das ist der große Widerspruch, der in dieser Diskussion vorhanden ist.
Danke schön, Herr Staatssekretär.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft auf. Der Herr Parlamentarische Staatssekretär Dr. Riedl steht zur Beantwortung der Fragen zur Verfügung.
Ich rufe Frage 5 des Herrn Abgeordneten Gansel auf :
Ist die Bundesregierung bereit, die Rückkehr der in Birma zur Waffen- und Sprengstoffherstellung befindlichen Experten der bundeseigenen „Fritz Werner Industrieausrüstungen GmbH" zu veranlassen und die Genehmigung von Exporten nach Birma einzustellen, die mit der Waffen- und Sprengstoffproduktion in diesem Lande im Zusammenhang stehen?
Bitte sehr, Herr Staatssekretär.
Danke schön, Frau Präsidentin. — Von der Firma Fritz Werner sind in Birma keine Experten für die Waffen- und Sprengstoffherstellung tätig. Es befinden sich lediglich zwei Fritz-Werner-Monteure auf Grund vertraglicher Verpflichtungen aus Maschinenlieferungen noch für eine gewisse Zeit in Birma im Einsatz.
Ausfuhrgenehmigungen, die mit der Waffen- und Sprengstoffproduktion im Zusammenhang stehen, Herr Abgeordneter, werden wegen der gegenwärtigen innerpolitischen Situation in Birma nicht erteilt.
Zusatzfrage, Abgeordneter Gansel.
Herr Staatssekretär, wann sind solche Genehmigungen zuletzt erteilt worden, und wann sind die anderen Mitarbeiter der Firma „Fritz Werner Industrieausrüstungen GmbH" aus Birma abgezogen worden?Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Herr Abgeordneter, die Bundesregierung hat auf Grund der innenpolitischen Entwicklung in Birma bereits 1988 beschlossen, keine Ausfuhrgenehmigungen nach Birma mehr zu erteilen. Die Firma Fritz Werner hat im Dezember 1988 zugesagt, noch unter einer gültigen Ausfuhrgenehmigung mögliche Exporte nicht mehr zu tätigen. Diese Ausfuhrgenehmigung ist inzwischen ausgelaufen; sie wurde von der Bundesregierung nicht verlängert.Vielleicht kann ich Ihnen hinsichtlich Ihrer letzten Teilfrage mit folgender Auskunft dienen — wenn Sie mit ihr nicht einverstanden sind, würde ich noch einmal Recherchen anstellen — : Die Firma Fritz Werner unterhält seit fast 40 Jahren Geschäftsbeziehungen zu Birma, die sich auf zivile Anlagenprojekte, Fabrikanlagen und auf Projekte auf dem Sektor der Wehrtechnik erstrecken. Die Firma Fritz Werner hat seit etwa
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Februar 1989 9103
Parl. Staatssekretär Dr. Riedlvier Jahren keine Experten für die Waffen- und Sprengstoffherstellung mehr nach Birma entsandt. Es bestehen auch keine Pläne, solche Experten dort einzusetzen.Dagegen sind auf Grund vertraglicher Vereinbarungen im Zusammenhang mit genehmigungspflichtigen Maschinenlieferungen aus dem Vorjahr — das sagte ich schon; die Ausfuhrgenehmigung lag vor, Herr Abgeordneter — noch für kurze Zeit zwei FritzWerner-Monteure in Birma tätig. Ich möchte noch einmal unterstreichen, daß diese Monteure keine sogenannten Experten auf dem Gebiet der Waffen- und Sprengstoffherstellung im Sinne Ihrer Anfrage sind.Wenn die Bundesregierung den vorzeitigen Abzug der beiden Monteure veranlassen wollte, müßte sie zunächst mit der Unternehmensführung über den Ersatz der Schadensansprüche des birmanischen Kunden durch den Bund verhandeln. Das will ich dazu noch ergänzend ausführen.
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Gansel.
Herr Staatssekretär ist es zutreffend, daß diese Anlagen, an denen die beiden Mitarbeiter des Bundesunternehmens in Birma noch tätig sind, in einem Zusammenhang mit militärischen oder polizeilichen Zwecken stehen müssen, weil sie auf Grund der Genehmigungspflichtigkeit mit Genehmigung der Bundesregierung geliefert worden sind?
Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Herr Abgeordneter, nach meinem derzeitigen Wissensstand muß ich diese Frage verneinen. Was die „polizeilichen Zwecke" anbetrifft, muß ich mich noch einmal erkundigen; diesen Sachverhalt habe ich nicht geprüft. Im Verkaufsbüro der Firma Fritz Werner in Birma sind gegenwärtig überhaupt nur noch drei Mitarbeiter tätig, und das sind ebenfalls keine Experten im Sinne Ihrer Frage.
— Im Verkaufsbüro sind insgesamt noch drei Mitarbeiter zusätzlich zu den zwei vorhanden.
— Da müßte ich nachfragen.
— Sehr gerne.
Die Firma Fritz Werner verfügt aber über keine Ausfuhrgenehmigungen für Birma-Projekte. Im Januar 1989 ist die letzte Genehmigung ausgelaufen; sie wurde auch nicht verlängert. Ich bin gern bereit, Ihnen das zu beschaffen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Sellin.
Befinden sich unter diesen Waren beispielsweise Werkzeugmaschinen, die dazu geeignet sind, in einer vermittelten Form ebenfalls zur Produktion von Waffen verwendet zu werden?
Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Herr Abgeordneter, mir ist die Antwort so gegeben worden, wie ich sie
Ihnen vorgetragen habe. Ich gehe davon aus, daß es sich nicht um Produkte der von Ihnen erwähnten Art handelt. Ich schließe natürlich nichts aus — das muß ich hier ganz offen sagen — : Sie können auch mit einer Säge oder mit einem Hammer jemanden umbringen, ohne daß die Hersteller der Säge oder des Hammers dafür verantwortlich gemacht werden können.
Ich werde aber auch diesem Punkt nachgehen, weil ich selbst ein Interesse daran habe, daß eine solche Frage nicht unbeantwortet im Raum stehenbleibt.
— Herr Abgeordneter, ich habe Sie leider nicht verstanden.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Oostergetelo.
Herr Staatssekretär, ich habe Sie so verstanden, daß die Genehmigung für den Export nicht verlängert wird. Wenn das so harmlos ist, frage ich Sie, was die Begründung dafür ist, daß man es nicht verlängert.
Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Das kann ich Ihnen nicht sagen; eine entsprechende Antwort lag bei uns nicht vor.
Ich rufe die Frage 6 des Abgeordneten Gansel auf:Für welche Teile des Tornado-Kampfbombers, die von Unternehmen aus der Bundesrepublik Deutschland produziert werden, sind Genehmigungen nach dem Kriegswaffenkontrollgesetz bzw. dem Außenwirtschaftsgesetz erforderlich, bevor sie nach Großbritannien exportiert werden können, und in welchem Umfang sind solche Genehmigungen bereits erteilt worden?Bitte schön, Herr Staatssekretär.Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Herr Abgeordneter Gansel, von Unternehmen in der Bundesrepublik Deutschland werden folgende Tornado-Teile produziert: erstens der sogenannte Rumpfmittelteil mit dem Flügelkasten, zweitens Triebwerksteile und drittens Maschinenkanonen. Die Rumpfmittel- und Triebwerksteile bedürfen zur Ausfuhr nach Großbritannien einer Genehmigung nach dem Außenwirtschaftsgesetz, die Maschinenkanonen zusätzlich einer solchen nach dem Kriegswaffenkontrollgesetz. Für alle bisher in Großbritannien produzierten Tornado-Kampfflugzeuge — das waren am 31. Dezember 1988 338 Stück — sind die erforderlichen Genehmigungen zur Zulieferung der aus der Bundesrepublik Deutschland stammenden Teile erteilt worden.Im deutsch-britischen Regierungsabkommen über die Ausfuhr von gemeinsam entwickeltem und gefertigtem Rüstungsmaterial in dritte Länder — dieses Regierungsabkommen datiert vom 25. Mai 1983 — hat sich die Bundesregierung verpflichtet, die erforderlichen Ausfuhrgenehmigungen für die Lieferung von
Metadaten/Kopzeile:
9104 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Februar 1989
Parl. Staatssekretär Dr. RiedlRüstungsmaterial an Großbritannien nach unseren nationalen Gesetzen und Vorschriften ohne Verzug zu erteilen. Die Auslegung und Anwendung dieser nationalen Gesetze soll im Geiste der deutsch-britischen Zusammenarbeit erfolgen. Nach Nr. 4 der rüstungsexportpolitischen Grundsätze vom 28. April 1982 stehen solchen Lieferungen auch keine zwingenden Versagungsgründe entgegen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Gansel.
Trifft es zu, Herr Staatssekretär, daß die Bundesregierung bei dem Ausüben ihres Ermessens nach dem Kriegswaffenkontrollgesetz bestimmten Einschränkungen unterworfen ist und diese aus rechtlichen und verfassungsrechtlichen Gründen nicht durch ein Regierungsabkommen beiseiteschieben kann?
Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Herr Abgeordneter, das Regierungsabkommen steht rechtlich und verfassungsrechtlich in vollem Einklang mit den Grundlagen, die für die Bundesregierung vorhanden sind. Das deutsch-britische Regierungsabkommen ist, wenn Sie so wollen, verfassungskonform und wird deshalb von der Bundesregierung auch entsprechend angewandt.
Die zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter.
Trifft es zu, daß das Bundeswirtschaftsministerium die Produktionsgenehmigung nach dem Kriegswaffenkontrollgesetz bereits erteilt hatte, als der Bundesaußenminister gegen das Exportvorhaben noch politische Bedenken angemeldet hat?
Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Welches Exportvorhaben meinen Sie, Herr Abgeordneter?
Teile von Tornado-Flugzeugen nach Großbritannien und weiter in das Spannungsgebiet des Nahen Ostens!
Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Meinen Sie jetzt die Jordanien-Lieferung?
Ja.
Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Das müßte ich nachprüfen. Sie bekommen von mir schriftlich Bescheid.
Darf ich — —
Das waren zwei Fragen, Herr Kollege Gansel. Weitere Zusatzfragen zu dieser Frage sind nicht zulässig.
Ich habe nur das, worauf ich vertröstet werde, in meiner Anfrage an die Bundesregierung gerne wissen wollen!
Es tut mir leid. Ich bin ja nicht kleinlich, aber ich muß das schon so handhaben, wie ich es bei anderen Kollegen auch tue.
Ich will auch nur meinem Befremden Ausdruck geben, Frau Präsidentin.
Dies ist aber nicht angebracht, verehrter Kollege.
Herr Kollege Sellin!
Hat die Bundesregierung im Rahmen des Abkommens mit Großbritannien eine Vereinbarung über den Endverbleib von Tornado-Flugzeugen getroffen, und hat sie sich Gedanken darüber gemacht, daß diese Vereinbarung, wenn das Endverbleibsland beispielsweise Jordanien ist, also ein Kriegszustandsgebiet, in einem — auch rechtlichen — Widerspruch zu den rechtlichen Grundlagen des Exports von Waffen aus der Bundesrepublik Deutschland steht?
Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Herr Abgeordneter, die Bundesregierung sieht in diesem Sachverhalt keinen rechtlichen Widerspruch. Der Art. 2 der deutschbritischen Regierungsvereinbarung über die Ausfuhr von gemeinsam entwickeltem und/oder gefertigtem Rüstungsmaterial in dritte Länder vom 25. Mai 1983 liegt mir hier vor. Wenn Sie es mir ersparen, daß ich ihn vorlese, gebe ich Ihnen diesen Text gerne. Sie können dann nachprüfen, daß meine Aussage durch das, was in dem Abkommen steht, voll gedeckt ist.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Müller.
Herr Staatssekretär, habe ich Sie vorhin richtig verstanden, daß „nach dem Geist der deutsch-britischen Zusammenarbeit handeln" für Sie immer heißt, daß Sie alles genehmigen, oder gibt es da noch irgendwelche Vorbehalte, die den Grundsätzen, die wir in den beiden Gesetzen haben, entsprechen?
Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Herr Abgeordneter, „alles genehmigen" ist ja schon deshalb nicht möglich, weil in jedem Fall eine Einzelprüfung erfolgen muß.
Der Geist des deutsch-britischen Abkommens erlaubt es, hier und heute festzustellen, daß alle bisherigen Lieferungen, die über Großbritannien gelaufen sind und von Großbritannien beantragt worden sind, rechtsstaatlichen Grundsätzen voll entsprechen.
Danke, Herr Staatssekretär. Damit ist dieser Geschäftsbereich beendet.Die Frage 7 des Abgeordneten Jäger wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit auf. Der Parlamentarische Staatssekretär Pfeifer steht zur Beantwortung der Fragen zur Verfügung.Die Fragen 8 und 9 der Abgeordneten Frau Würfel werden auf Wunsch der Fragestellerin schriftlich be-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Februar 1989 9105
Vizepräsidentin Rengerantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.Ich rufe die Frage 10 des Herrn Abgeordneten Glotz auf. Er ist nicht im Raum. Die Frage wird also nicht beantwortet.Ich rufe nun die Frage 11 des Herrn Abgeordneten Wüppesahl auf:Beabsichtigt die Bundesregierung den Einsatz von Zivildienstleistenden im Bereich des Tierschutzes auszuweiten und damit dem Bedarf anzupassen, oder ist sie der Meinung, daß eine ausreichende Betreuung der Tiere in Tierheimen, deren Träger gemeinnützige Vereine sind, derzeit mit 20 Zivildienstplätzen in diesem Bereich hinreichend sichergestellt ist?Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Frau Präsidentin! Herr Kollege Wüppesahl, nach dem Zivildienstgesetz werden im Zivildienst vorrangig Aufgaben im sozialen Bereich erfüllt. Dazu gehört in erster Linie die Betreuung von hilfsbedürftigen Menschen. Der Beirat für den Zivildienst hat sich in einer Sitzung am 12. Mai 1987 gegen den Einsatz von Zivildienstleistenden im Bereich des Tierschutzes ausgesprochen.
Diesem Votum folgt die Bundesregierung. Sie ist der Auffassung, daß es zur Zeit nicht vertretbar ist, die Zahl der Zivildienstplätze in Tierheimen zu erhöhen, solange im pflegerischen Bereich noch viele Zivildienstplätze unbesetzt sind und weitere Plätze in großer Zahl angeboten werden.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Wüppesahl.
Wie viele Tierheime, deren Träger gemeinnützige Vereine sind, haben 1987 und 1988 die Einrichtung einer Zivildienststelle beim Bundesamt für den Zivildienst beantragt? Wie viele wurden davon mit welcher Begründung abgelehnt, und welche Entwicklung erwartet die Bundesregierung in den kommenden Jahren?
Pfeifer, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Wüppesahl, wie viele Anträge eingegangen sind, entzieht sich meiner Kenntnis. Ich weiß, daß im Beirat für den Zivildienst eine Ausweitung der Zivildienstplätze um etwa das Vierfache erwogen worden ist. Das Ergebnis der Sitzung des Beirates habe ich Ihnen mitgeteilt. Die Bundesregierung folgt diesem.
Wir haben im Augenblick aus einem früheren Modellversuch 20 solcher Plätze. Diese behalten wir bei.
Wie viele Anträge 1989 eingehen werden, weiß ich nicht.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Wüppesahl.
Könnten Sie die erste Zusatzfrage schriftlich beantworten?
Pfeifer, Parl. Staatssekretär: Ich bin gerne bereit, mich zu erkundigen. Wenn darüber eine statistische Information vorliegt, gebe ich Ihnen diese gerne. Was das Jahr 1989 angeht, so ist das natürlich im Moment nicht möglich, da das Jahr ja noch im Gange ist.
Ich hatte nach 1987 und 1988 gefragt.
Die zweite Zusatzfrage: Ist die Bundesregierung bereit, auch gegen das Votum des Beirates für den Zivildienst den Einsatz von Zivildienstleistenden im Bereich des Tierschutzes zu erhöhen, wenn der Bedarf entsprechend gestiegen ist bzw. steigen wird, wobei ich sehr wohl zugrunde lege, daß Sie eben ausgeführt haben, daß sich die Bundesregierung beim gegenwärtigen Stand nicht gegen das Votum des Beirates aussprechen will.
Ich würde in diesem Zusammenhang auch gerne hören wollen, wie die Einordnung seitens der Bundesregierung erfolgt, weil die Zahl der Anträge auf Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer exorbitant steigt.
Pfeifer, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Wüppesahl, zu Ihrer letzten Bemerkung möchte ich sagen, daß wir im Augenblick rund 100 000 Zivildienstplätze haben und daß die Zahl derjenigen, die den Zivildienst leisten, deutlich darunter liegt.
Was den ersten Teil Ihrer Zusatzfrage angeht: Ich habe ja ausdrücklich gesagt, daß die Bundesregierung dem Votum des Beirates folgt, und zwar deshalb, weil im pflegerischen Bereich viele Zivildienstplätze unbesetzt sind. Darin kommt eine klare Prioritätenentscheidung zum Ausdruck, die auch für die Zukunft gilt.
Wir haben noch die Frage 12 des Abgeordneten Schreiner:Kann die Bundesregierung Studien bestätigen, daß das Lebensvertrauen der zwischen 1 Million und 1,5 Millionen in Arbeitslosenhaushalten lebenden Kinder durch die Arbeitslosigkeit der Eltern bzw. einzelner Elternteile, insbesondere Langzeitarbeitslosigkeit, zerstört wird und diese dann wiederum in hohem Maße selbst von Arbeitslosigkeit betroffen werden?Bitte sehr, Herr Staatssekretär.Pfeifer, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Schreiner, der Bundesregierung sind umfassende Studien, welche die in Ihrer Frage enthaltenen Hypothesen ausreichend absichern, nicht bekannt. Aus der Arbeit von Beratungsstellen und von Mitarbeitern in der Sozialarbeit sowie aus Einzelfallstudien ist jedoch bekannt, daß lang andauernde Arbeitslosigkeit von Eltern erhebliche Auswirkungen nicht nur auf die wirtschaftliche Basis der Familie, sondern auch auf die Beziehungen der einzelnen Familienmitglieder untereinander hat. Deshalb führt das Bundesministerium für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit ein Modellprojekt durch unter dem Titel „Entwicklung und Erprobung neuer Formen der Sozialarbeit mit von Arbeitslosigkeit betroffenen Familien".Bei dem Projekt geht es darum, Familienhelfern oder Mitarbeitern von Sozialstationen sowie Mitarbeitern von Arbeitsämtern und Sozialämtern einen Leitfaden zur Beratung von durch Arbeitslosigkeit betroffenen Familien an die Hand zu geben, der sie für die aus der Arbeitslosigkeit entstehenden psychosozialen Probleme in Familien sensibilisiert und sie in die Lage versetzt, entsprechende Konsequenzen für den Um-
Metadaten/Kopzeile:
9106 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Februar 1989
Parl. Staatssekretär Pfeifergang mit von Arbeitslosigkeit betroffenen Familien zu ziehen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Schreiner.
Herr Staatssekretär, ist denn der Bundesregierung der Bericht der Expertenkommission der Arbeitsgemeinschaft „Jugendhilfe" bekannt, in dem ein unverzüglicher Handlungsbedarf zugunsten der von Arbeitslosigkeit mitbetroffenen Familien, insbesondere der Kinder festgestellt worden ist, und welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus diesem Bericht gegebenenfalls?
Pfeifer, Parl. Staatssekretär: Ich wäre Ihnen dankbar, wenn wir über diesen Bericht der Expertenkommission, den Sie eben genannt haben, einmal miteinander ein Gespräch führen könnten. Ich weiß nicht, ob er identisch ist mit den Unterlagen, die uns zur Verfügung stehen.
Ich möchte Sie aber darauf hinweisen, daß wir im Zusammenhang mit der Familienministerkonferenz des Bundes und der Länder, die wir im letzten Jahr gehabt haben, diesem Bereich besondere Aufmerksamkeit geschenkt haben. Da haben u. a. die Einzelfallstudien eine Rolle gespielt, die ich eben genannt habe.
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Schreiner, bitte.
Herr Staatssekretär, ich nehme gerne das Angebot zu einem Gespräch an, zumal in dem von mir eben erwähnten Bericht eine Fülle von sehr konkreten Forderungen an die einzelnen staatlichen Einheiten formuliert worden sind.
Aber da es wohl zutrifft, daß besonders Kinder aus Familien mit Langzeitarbeitslosigkeit in hohem Maße von den eben von Ihnen angedeuteten psychosozialen Verwerfungen betroffen sind, frage ich darüber hinaus: Gibt es innerhalb der Bundesregierung eine erkennbare Diskussion darüber, wie und in welchem Zeithorizont eigene Möglichkeiten entwickelt werden sollen, um das geradezu täglich wachsende Problem der Langzeitarbeitslosigkeit insbesondere auch unter dem Gesichtspunkt der Kinder aus diesen Familien in Zukunft zu lösen?
Pfeifer, Parl. Staatssekretär: In der Tat ist das ein Anliegen, das wir sehr ernst nehmen. Das können Sie auch der Tatsache entnehmen, daß wir ein entsprechendes Modellprojekt vergeben haben. Ich möchte hinzufügen, daß das Bundesministerium für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit auch bereit ist, weitere entsprechende Studien zu initiieren oder in Auftrag zu geben — soweit es sich um Studien handelt, die zu Konsequenzen führen, auf die das Bundesministerium für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit mit Maßnahmen reagieren kann — , um zu konkreten, dem Familienministerium möglichen Maßnahmen zu kommen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Andres.
Herr Staatssekretär, auch wenn Ihnen umfangreiche Studien nicht bekannt sind, hat ja aufhorchen lassen, daß beispielsweise der Deutsche Kinderschutzbund oder der Bundesverband der Arbeiterwohlfahrt mit umfangreichen Materialsammlungen auf die Situation der Kinder von Arbeitslosen verwiesen hat. Sind Sie eigentlich der Meinung, daß es ausreichend ist, wenn das Bundesfamilienministerium Pilotprojekte fördert, die dann zu einer besseren Beratung durch Sozialarbeiter führen sollen, oder sind Sie nicht der Meinung, daß im Gesamtbereich der Jugendhilfe weitergehende Maßnahmen zur Hilfe dieses Personenkreises notwendig sind? Wenn ja: Welche?
Pfeifer, Parl. Staatssekretär: Zunächst habe ich ja darauf hingewiesen, daß wir in dem von mir eingegrenzten Bereich bereit sind, weitere Studien zu initiieren, auch in Auftrag zu geben, wenn uns entsprechende Vorschläge unterbreitet werden.
Zum zweiten haben Sie recht, daß dies auch ein Thema ist, das die Jugendhilfe angeht. Dieses werden wir bei der angekündigten Novellierung des Jugendhilferechts entsprechend aufnehmen. Eine der Maßnahmen, an die wir beispielsweise denken, ist, daß wir die Jugendhilfe in der Zukunft auch auf junge Erwachsene ausdehnen wollen, wenn sie beispielsweise arbeitslos sind.
Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Unruh.
Ob nun der Pastor betet oder ob ein Sozialarbeiter kommt und mit den Kindern betet: Ist Ihnen eigentlich bewußt, daß Sie das Bundessozialhilfegesetz ändern müssen, damit die Kinder mehr Geld bekommen, so daß die Eltern das dann leisten können und die Kinder sich nicht ständig ausgeschlossen fühlen und die Häme der anderen Kinder erfahren müssen?
Pfeifer, Parl. Staatssekretär: Ich denke, die Ausgangsfrage hat deutlich gemacht, daß es sich hier nicht in erster Linie um ein finanzielles Problem handelt, sondern, worauf der Kollege Schreiner in seiner Frage hingewiesen hat, auch eine Reihe von psychosozialen Problemen entstehen. Ich wollte in dieser Fragestunde deutlich machen, daß wir als Familienministerium gerade diese psychosozialen Probleme sehr ernst nehmen und in der Tat daran interessiert sind, daß hier nicht nur ein Leitfaden entsteht, sondern daß Konzepte entstehen.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Tietjen.
Herr Staatssekretär, wird die Bundesregierung denn ihre Handlungsfähigkeit dadurch unter Beweis stellen oder den Versuch dazu machen, noch in dieser Legislaturperiode des Deutschen Bundestages die Novellierung des Jugendhilferechts zumindest auf den Weg zu bringen?Pfeifer, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, wir haben den Referentenentwurf vorgelegt. Wir haben inzwischen die Stellungnahmen zum Referentenentwurf erhalten. Wir arbeiten am Regierungsentwurf.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Februar 1989 9107
Parl. Staatssekretär PfeiferIch hoffe, daß es uns möglich sein wird, diesen Regierungsentwurf noch vor der Sommerpause vorzulegen. Das hat auch Frau Bundesministerin Professor Lehr in der letzten Sitzungswoche im zuständigen Ausschuß so angekündigt.
Danke sehr, Herr Staatssekretär.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr auf. Herr Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Schulte steht zur Beantwortung zur Verfügung.
Wir kommen zu Frage 13 des Herrn Abgeordneten Pauli:
Wie beurteilt die Bundesregierung die Möglichkeit der einheitlichen Überwachung der Sozialvorschriften im Straßenverkehrsgewerbe in den Staaten der Europäischen Gemeinschaft, wenn außerhalb der Bundesrepublik Deutschland weder eine Bundesanstalt für den Güterfernverkehr noch eine in der Effizienz vergleichbare Gewerbeaufsicht vorhanden ist, und ist hierdurch möglicherweise die Konkurrenzfähigkeit und letztendlich die Verkehrssicherheit gefährdet?
Bitte sehr, Herr Staatssekretär.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege, auf Drängen der Bundesregierung hat der Rat der EG-Verkehrsminister am 23. November 1988 eine Richtlinie beschlossen, durch die in Zukunft eine EG-einheitliche Kontrollpraxis gewährleistet wird, insbesondere durch die erstmalige verbindliche Festlegung des Mindestumfangs der in den Mitgliedstaaten durchzuführenden Straßen- und Betriebskontrollen. Dies bedeutet auch, daß die Mitgliedstaaten unter Umständen ihre Kontrollkapazität erweitern, insbesondere mehr Kontrollpersonal einsetzen müssen.
Die Bundesregierung verspricht sich von dieser Regelung nicht nur eine Verbesserung der Verkehrssicherheit, sondern auch die Beseitigung von Wettbewerbsnachteilen, die durch eine unterschiedliche Kontrollpraxis entstehen könnten.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Pauli.
Herr Staatssekretär, wie beurteilen Sie die Feststellung im Mitteilungsblatt „Straßen-Verkehrs-Gewerbe Rheinland", das von Herrn Bundesminister als großer Erfolg bezeichnete Grundsatzpapier, das Sie eben auch erwähnt haben, werde nichts bewirken, weil es in den übrigen EG-Staaten weder eine Bundesanstalt für den Güterverkehr noch eine in der Effizienz vergleichbare Gewerbeaufsicht gebe?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich hoffe, daß die Sorgen des Gewerbes in dieser Hinsicht durch weitere Beschlüsse ausgeräumt werden können, die in Europa, aber auch in den einzelnen Mitgliedstaaten nötig sind. In jedem Land wird anders kontrolliert, und in jedem Land — so kann man es frei sagen — sind die Institutionen unterschiedlich. Wir müssen davon ausgehen, daß in der Mehrzahl der Mitgliedsländer extra Institutionen eingerichtet werden müssen, daß zum Teil sogar Personal eingestellt werden muß.
Zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, gibt es denn schon Anhaltspunkte, Zielvorstellungen und Termine, daß in den Mitgliedstaaten mit der Bundesrepublik gleichgezogen wird?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Zur Zeit wird an weiteren Einzelheiten in der EG-Kommission, aber auch im Ministerrat gearbeitet. Ich kann Ihnen einen konkreten Termin noch nicht nennen.
Ich rufe die Frage 14 des Herrn Abgeordneten Pauli auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung die Forderung des Straßenverkehrsgewerbes Rheinland im Interesse der deutschen Wirtschaft, der Verkehrssicherheit und damit im Interesse der gesamten deutschen Volkswirtschaft den deutschen Ordnungsrahmen mit Kontingentierung und Tarifbildung im Straßenverkehrsgewerbe beizubehalten und in modifizierter Form auf ganz Europa zu übertragen?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, die Bundesregierung unterstützt die Schaffung eines freien Verkehrsmarktes in Europa als notwendigen Bestandteil des gemeinsamen europäischen Binnenmarktes. Um den deutschen Verkehrsunternehmen faire Chancen zu sichern, drängt die Bundesregierung darauf, daß Zug um Zug mit der Öffnung der Märkte gleichgewichtig eine Angleichung der Wettbewerbsbedingungen erfolgt. In den letzten Jahren hat der Verkehrsministerrat in Brüssel in beiden Richtungen Beschlüsse gefaßt, die auf eine schrittweise Errichtung des gemeinsamen Verkehrsmarktes zielen. Wichtigste Aufgabe bleibt es, eine europäische Lösung zur Angleichung der fiskalischen Wettbewerbsbedingungen in der EG zu finden.
Kein Mitgliedstaat wird in der Lage sein, seine Marktordnung auf die ganze EG zu übertragen.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Pauli.
Herr Staatssekretär, ist der Bundesregierung bewußt, daß unsere kleinen und mittelständischen Unternehmen selbst dann, wenn es kleine Zuschläge gibt, nicht mehr existieren können, weil die Kostenbelastung um 20 % und mehr über dem europäischen Niveau liegt, und wissen Sie eigentlich, daß diese Unternehmen, wenn sie nach Luxemburg ausflaggen, nach Berechnungen des Vorsitzenden der Straßenverkehrsgenossenschaft Rheinland einen Kostenvorteil von exakt 21,2 % haben, wobei die Einsparungen, die sich aus den Erleichterungen auf Grund weniger exakter Kontrollinstanzen ergeben, noch nicht eingerechnet sind?
Eine sehr lange Frage. Bitte schön, Herr Staatssekretär.Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, wir haben im Verkehrsausschuß diese Problematik schon mehrfach miteinander behandelt. Die Wettbewerbsbedingungen sind von Land zu Land unterschiedlich, weil z. B. die fiskalischen Grundlagen verschieden sind. Wir bemühen uns um eine Harmonisierung. Das fängt bei den Maßen und Gewichten für Lkws an. Die Sozialvorschriften gehören mit dazu.
Metadaten/Kopzeile:
9108 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Februar 1989
Parl. Staatssekretär Dr. SchulteEin wichtiger Grundsatzbeschluß ist ja gelungen. Wir wollen mit den Plänen zur Einführung einer Straßenbenutzungsgebühr ebenfalls in Richtung Harmonisierung marschieren. Ich glaube, dies ist ein wichtiger Schritt, der auch vom Gewerbe begrüßt wird.
Zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, würden Sie in dieser Situation nicht auch eine verfehlte Verkehrspolitik erkennen, indem hier zunehmend Steuermindereinnahmen entstehen, die für meine Begriffe und nach den eben zitierten Überlegungen die Größenordnung der Verschuldung der Deutschen Bundesbahn erreichen?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, wenn wir es schaffen — und davon gehe ich aus —, die Wettbewerbsbedingungen weiter zu harmonisieren, dann fällt damit ein Anlaß weg auszuflaggen. Es mag daneben noch andere Anlässe geben, die mit unseren Fragen und Antworten im Augenblick nichts zu tun haben.
Ich bin optimistisch, daß wir auf dem Weg der Harmonisierung vorankommen. Ich glaube, damit habe ich eine klare Antwort auch bezüglich Ihrer Gesamtbeurteilung der Verkehrspolitik der Bundesregierung gegeben.
Danke schön. Die Fragen 15 und 16 des Abgeordneten Sielaff sowie die Fragen 17 und 18 des Abgeordneten Stiegler werden auf Wunsch der Fragesteller schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe die Frage 19 des Herrn Abgeordneten Dr. Olderog auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung die Absicht einer privaten Fährlinie, auf der Vogelfluglinie zwischen Puttgarden auf der deutschen Insel Fehmarn und Rödby auf der dänischen Insel Lolland neben der Deutschen Bundesbahn eine Fährlinie zu eröffnen, und ist die Bundesregierung der Auffassung, daß es im Bedarfsfalle insbesondere aus ökologischen Gründen sinnvoll wäre, nicht einen zweiten Fährhafen bauen zu lassen, sondern den Bundesbahnfährhafen auch für private Fährschiffe zu öffnen?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, seitens der Bundesregierung bestehen keine Möglichkeiten, auf die Errichtung privater Fährlinien in der Ostsee Einfluß zu nehmen. Das gilt sowohl für die Fährlinie selbst als auch für den Bau privater Hafenanlagen. Weitere Fährverkehre können zu Überkapazitäten und damit zu einem Absinken der Tarife führen, mit der Folge, daß das Wirtschaftsergebnis der Vogelfluglinie negativ beeinflußt wird.
Andererseits kämen niedrigere Tarife den Nutzern zugute. Dabei bleibt allerdings fraglich, ob alle beteiligten Fährunternehmen auf Dauer einen solchen Wettbewerb durchstehen könnten.
Die Deutsche Bundesbahn rechnet jedenfalls damit, daß ab 1993 mit Inbetriebnahme der festen Verbindung über den Großen Belt freie Kapazitäten in den Fährhäfen verfügbar sein werden.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Olderog.
Herr Staatssekretär, gibt es Überlegungen der Bundesbahn, für den Bundesbahnfährhafen Puttgarden eine Hafengesellschaft gegebenenfalls auch unter Beteiligung des Landes Schleswig-Holstein zu gründen und damit den Hafen auch für private Reedereien zu öffnen?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, die Deutsche Bundesbahn zeigt sich in dieser Frage kooperationsbereit. Sie hat dies auch im Rahmen einer Anhörung in Kiel erklärt. Sie hat auch die Möglichkeit der Mitbenutzung des DB-Fährhafens angedeutet.
Zusatzfrage, Herr Kollege.
Herr Staatssekretär, beabsichtigt die Bundesbahn, den Geschäftsbereich Fährbetriebe Vogelfluglinie der Deutschen Bundesbahn zu verselbständigen, z. B. in der Rechtsform einer GmbH als Tochtergesellschaft der DB, um dadurch die Beweglichkeit der Reederei zu erhöhen und damit z. B. die Möglichkeit zu schaffen, Kooperationen mit anderen Gesellschaften einzugehen?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, die Deutsche Bundesbahn stellt Überlegungen in alle Richtungen an, in der Zukunft diesen Betrieb zu gestalten. Dazu gehört auch die Kooperation mit anderen Gesellschaften. Eine endgültige Entscheidung ist aber noch nicht gefallen.
Sie hatten zwei Fragen. — Aber bitte.
Frau Präsidentin, darf ich den Herr Staatssekretär daran erinnern, daß er am Anfang die ökologische Frage nicht beantwortet hat, ob es nicht aus ökologischen Gründen geboten sei, nicht zwei Häfen nebeneinander einzurichten?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Die Frage beantwortet sich, glaube ich, von selbst: Einer wäre günstiger.
Herr Kollege Eigen.
Herr Staatssekretär, werden die positiven Aussagen der Bundesregierung für einen Fehmarnbelt-Tunnel und damit verbunden auch für einen Oresund-Tunnel nach Schweden dazu führen, daß die Bundesbahnstrecke Hamburg—Puttgarden als Ausbaustrecke wieder in den Verkehrswegeplan aufzunehmen ist?
Dr. Schulte, Parl, Staatssekretär: Herr Kollege, im Bundesverkehrswegeplan ist diese Strecke unter der Rubrik „Planungen" eingereiht, allerdings verbunden mit der Einschränkung, daß wir auf die Absichten der Nachbarstaaten Rücksicht zu nehmen hätten.
Es ist gewährleistet, daß bei einer Fortschreibung des Verkehrswegeplans diese Strecke aufs neue untersucht wird.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Februar 1989 9109
Ich rufe die Frage 20 des Herrn Abgeordneten Dr. Olderog auf:
Unterstützt die Bundesregierung Planungen der Deutschen Bundesbahn , zwischen dem Fährhafen Puttgarden auf Fehmarn und einem südschwedischen Hafen eine Eisenbahnfährverbindung einzurichten, und sieht die Bundesregierung in einer solchen neuen Linie eine Möglichkeit, die vorhandenen Fährschiffe der DB und ihre Besatzungen auch dann in vollem Umfang weiter einzusetzen, wenn sich für den Schienengüterverkehr von Deutschland nach Skandinavien durch den Bau einer festen Querung des Großen Belts eine Veränderung der Verkehrsströme ergeben sollte?
Bitte schön.
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, die Einrichtung einer Eisenbahnfährverbindung zwischen dem Fährhafen Puttgarden auf Fehmarn und einem südschwedischen Hafen ist Sache der beteiligten Eisenbahnen. Eine solche Fährverbindung könnte aus der Sicht der Bundesregierung zu einer besseren Auslastung der heutigen Bundesbahnfährschiffe beitragen, falls sich das Verkehrsaufkommen der Vogelfluglinie auf Grund der geplanten festen Verbindung über den Großen Belt oder weiterer privater Fährverkehre rückläufig entwickeln sollte.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter.
Herr Staatssekretär, hat die Bundesbahn geprüft, ob sie für den Schienengüterverkehr nach Schweden und Norwegen durch eine Fährverbindung Puttgarden—Südschweden für ihre Kunden kürzere Transportzeiten und kostengünstigere Transportpreise bieten kann als bei Benutzung einer zukünftigen festen Verbindung über den Großen Belt?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Diese Fragen werden zur Zeit von der Deutschen Bundesbahn im Rahmen eines gesonderten Projekts untersucht. Antworten hat die Deutsche Bundesbahn selber noch nicht, so daß ich auch keine Antworten meinerseits weitergeben kann.
Zweite Zusatzfrage, bitte.
Ist der Deutschen Bundesbahn die Haltung der Schwedischen Staatsbahnen zu einem Reedereipool Bundesbahn/Schwedische Staatsbahnen für die Verbindung Puttgarden—Südschweden bekannt?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Bisher war der Bundesregierung diese Haltung nicht bekannt. Nach Auskunft der Deutschen Bundesbahn war auf dieser Ebene dieser Gedanke auch noch nicht Gegenstand von Erörterungen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Eigen.
Herr Staatssekretär, seit wann beschäftigt sich die Deutsche Bundesbahn — insbesondere der Vorstand in Frankfurt — mit der Frage einer Kooperation der Deutschen Bundesbahn mit einer privaten Reederei in Puttgarden und mit der Frage einer Fährverbindung nach Südschweden, und wann ist mit einer Entscheidung zu rechnen?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, seit der Anhörung, die im September des letzten Jahres stattgefunden hat, beschäftigt sich die DB mit diesem Thema. Eine Entscheidung ist noch nicht abzusehen.
Danke schön, Herr Staatssekretär.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit auf. Der Parlamentarische Staatssekretär Grüner steht zur Beantwortung der Fragen zur Verfügung.
Ich rufe Frage 21 des Herrn Abgeordneten KrollSchlüter auf:
Ist es richtig, daß das sogenannte Umweltschutzpapier mehr Druckfarben und Chemikalien enthält und die Abwasserbelastung bei Umweltschutzpapier sechsfach höher liegen kann als bei holzfreiem Papier, und wie hoch ist der Energieverbrauch bei der Herstellung von Umweltschutzpapier im Vergleich zu nicht wiederaufgearbeitetem Papier?
Herr Kollege, Recyclingpapier ist ein auf 100 % Altpapierbasis hergestelltes graphisches Papier. Je nach der eingesetzten Altpapiermischung und dem gewählten Aufbereitungsverfahren enthält Recyclingpapier in mehr oder weniger großem Umfang Druckfarbenreste. In jedem Falle aber enthält jedes Recyclingpapier wesentlich geringere Druckfarbenanteile als Tageszeitungen, Illustrierte und ähnliche Druckerzeugnisse.
Die Zugabe von Hilfsmitteln — und damit der Gehalt an sogenannten Chemikalien aller Art, von Füllstoffen, Streichmitteln, Pigmenten u. a. — ist abhängig von dem jeweils eingesetzten Faserstoff. Sie richtet sich nach dem Zweck, für den das jeweilige Produkt eingesetzt wird.
Vergleicht man die bei der Herstellung von Recyclingpapier entstehenden Umweltbelastungen mit denen der herkömmlichen Papierproduktion, so stellt man fest, daß die Aufbereitung und Verarbeitung des Altpapiers wesentlich geringere Umweltbelastungen verursachen.
Die hauptsächlichen Belastungen bei der traditionellen Herstellung von Papier ergeben sich aus der Erzeugung der für die Herstellung des Papiers erforderlichen Halbstoffe Zellstoff und Holzschliff.
Grundsätzlich können die bei der Verarbeitung der Halbstoffe zu Papierprodukten entstehenden Umweltbelastungen für alle Faserstoffe pauschal als gleich angesetzt werden. Unterschiede, die sich auf Grund der verschiedenen angewandten Produktionsverfahren ergeben, sind von so geringer Bedeutung, daß es sich hier um vernachlässigenswerte Größen handelt.
Die Abwasserbelastung bei der Herstellung von holzfreiem Papier liegt in der Regel — sowohl bezogen auf biologische Abbaustoffe als auch auf das als gefährlich anzusehende chlororganische Verbindungsgemisch — mehr als zehnfach höher als die bei der Herstellung von Recyclingpapier.
Zusatzfrage, Herr Kollege, bitte.
Metadaten/Kopzeile:
9110 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Februar 1989
Ist es richtig, daß bei der Herstellung dieses Papiers mehr Energie als bei der Herstellung des herkömmlichen Papiers gebraucht wird?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Nein, auch das ist nicht richtig, wenn ich den Gesamtherstellungsprozeß, den ich hier vergleichen muß, ins Auge fasse.
Zweite Zusatzfrage.
Darf ich fragen, was unter Gesamtherstellungsprozeß zu verstehen ist?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Bei der Herstellung von neuem Papier muß ich ja die Rohstoffe, die zur Papierherstellung benötigt werden, und den damit verbundenen Produktionsprozeß einbeziehen, während bei der Verwendung von Recyclingpapier diese Stufe sozusagen wegfällt.
Wird noch eine Zusatzfrage gewünscht? — Das ist nicht der Fall.
Dann rufe ich die Frage 22 des Herrn Abgeordneten Kroll-Schlüter auf:
Schützt Umweltschutzpapier tatsächlich die Umwelt, und hat es folglich die Berechtigung, mit dem blauen Umweltschutzengel ausgezeichnet zu sein?
— Hat sich erledigt? — Fabelhaft.
Frage 23 der Abgeordneten Frau Schmidt soll auf Wunsch der Fragestellerin schriftlich beantwortet werden. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe Frage 24 der Abgeordneten Frau Wollny auf:
Ein wie großer Prozentsatz des in der Bundesrepublik Deutschland anfallenden schwachaktiven Atommülls wurde bisher nach Studsvik/Schweden zur Verbrennung verbracht, und seit wann ist der Bundesregierung bekannt, daß in Studsvik die zulässigen Grenzwerte an Radioaktivität in der Abluft um ein Zwanzigfaches überstiegen wurden?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Grüner, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, nach den Angaben der „Statens Kärnkraftinspektion " in Schweden wurden von Anfang 1983 bis Ende 1987 zirka 1 400 t schwachradioaktiver Mischabfälle aus der Bundesrepublik Deutschland zur Verbrennung nach Studsvik transportiert. Daneben wurden im gleichen Zeitraum zirka 300 t sogenannter Umrüstschrotte aus Kernkraftwerken zur Dekontaminierung nach Studsvik verbracht.
Nach den der Bundesrepublik vorliegenden Informationen wurden in Studsvik die zulässigen Aktivitätsabgabewerte der Abluft nicht überschritten.
Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Wollny.
Die schwedische Regierung hat kürzlich bestimmt, daß Studsvik wegen der hohen Überschreitung der Abgabewerte am 31. Juni geschlossen wird. Vielleicht kann man da einmal nachfragen. Mich interessiert: Was geschieht dann mit den noch in Studsvik lagernden, bisher nicht dekontaminierten oder konditionierten Abfällen?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Ich würde, wenn Sie einverstanden sind, Frau Kollegin, meine Antwort auf diese Frage mit der Antwort auf Ihre zweite Hauptfrage verbinden, weil sie sich überschneiden.
Sind Sie einverstanden? — Dann rufe ich Frage 25 der Abgeordneten Frau Wollny auf:
Wo soll in Zukunft Ersatzkapazität für die Verbrennung von schwachaktivem Atommüll aus der Bundesrepublik Deutschland geschaffen werden, wenn am 1. Juni 1989 die Anlage in Studsvik geschlossen wird, und welche Art von Kapazitäten zur Beseitigung schwachaktiver Atomabfälle stehen z. Z. in der Bundesrepublik Deutschland zur Verfügung?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Nach den uns vorliegenden Informationen soll die Anlage in Studsvik von Anfang Juni bis zum September 1989 wegen auszuführender Umrüstmaßnahmen im Bereich der Abgasreinigung den Betrieb einstellen. Es geht also nicht, wie offenbar irrtümlich angenommen, um eine Stillegung, sondern um Nachrüstmaßnahmen, die zu einer vorübergehenden Stillegung der Anlage führen.
Danach wird die Anlage für weitere Verbrennungskampagnen wieder zur Verfügung stehen. Aus diesem Grunde stellt sich die Frage nach Ersatzkapazitäten für die Verbrennung von schwachradioaktiven Abfällen an anderen Orten nicht.
Zur Verbrennung schwachradioaktiver Abfälle stehen innerhalb der Bundesrepublik grundsätzlich die Einrichtungen in Jülich und Karlsruhe zur Verfügung, nach Abschluß von Nachrüstmaßnahmen im Bereich der Abgasreinigung, voraussichtlich 1990, ebenfalls wieder die Verbrennungsanlage in Karlstein/Main.
Sie haben noch drei Zusatzfragen, Frau Kollegin.
Laut Bericht der schwedischen Strahlenschutzbehörde vom März 1988 wurden in der Regel von den aus der BRD angelieferten Abfällen ca. ein Drittel aussortiert und unbearbeitet zurückgeschickt, und zwar weil das Material in Studsvik nicht zu verbrennen war. Bei der Aussortierung wurde das Personal hohen Strahlendosen ausgesetzt. Wie erklärt sich die Tatsache, daß die angelieferten Abfälle so schlecht sortiert nach Schweden gelangen konnten? Dabei ist besonders auffällig, daß es in erster Linie Material aus Biblis war, das zurückgeschickt wurde.
Grüner, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, ich kann diese Informationen weder dementieren noch bestätigen. Im Zusammenhang mit den Recherchen, die wir auf der Grundlage Ihrer Anfrage angestellt haben, ist etwas Derartiges nicht bekanntgeworden. Ich werde aber der zusätzlich gestellten Frage nachgehen und Ihnen Nachricht geben.
Ihre zweite Zusatzfrage.
1985 wurden sechs Behälter mit Ionenaustauschern aus Würgassen nach Studsvik zur Lagerung verbracht — dieses geschah illegal —, und das Material wurde im März 1987 in die BRD zurückgebracht und ins Zwischenlager Gorleben gebracht. Während die schwedischen Behörden in diesem Fall von sechs Behältern sprechen, hat die Bun-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Februar 1989 9111
Frau Wollnydesregierung in der Fragestunde vom 10. März 1988 erklärt, daß vier Behälter, die zwischenzeitlich in Studsvik lagerten, ins Zwischenlager Gorleben gegangen sind. Es ergibt sich eine Differenz von zwei Behältern. Können Sie mir sagen, wo sie geblieben sind?Grüner, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, wir haben diese Transportgeschichten in einer Ausführlichkeit und in einer Detailliertheit hier behandelt, daß ich sicher bin, daß die für mich jetzt unerwartete Frage auf Grund der vorhandenen Unterlagen rasch beantwortet werden kann. Auch dazu werde ich Ihnen entsprechende Unterlagen zusenden. Wenn es tatsächlich zu solchen Transaktionen gekommen wäre, wie Sie sie hier andeuten, bin ich sicher, daß die Schweden die Fortsetzung der Zusammenarbeit mit uns in Frage stellen würden, was sie nicht tun.
Haben Sie noch eine Zusatzfrage, Frau Kollegin?
Es ist interessant, daß bisher von TN nach Schweden geliefert wurde. Es würde mich interessieren, welche Firma seit der Schließung von Transnuklear die Lieferungen übernommen hat und ob Studsvik als Ausweichort für Mol benutzt wird.
Grüner, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, es ist mir sehr peinlich, daß ich auf diese Fragen keine Antwort geben kann. Sie treffen mich völlig überraschend. Sie müssen verstehen, daß so detaillierte, komplizierte Fragen nicht aus dem Stand und dem Gedächtnis beantwortet werden können, zumal sie dann nicht vollständig wären. Auch da muß ich schriftlich antworten.
Frau Garbe, Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, im Jahre 1985 wurden ca. 300 t radioaktiv kontaminierter Umrüstschrott aus Würgassen nach Studsvik geliefert und sollte dort dekontaminiert werden. Meine Frage ist: Ist dieses Material mittlerweile bearbeitet, eingeschmolzen oder anderweitig dekontaminiert, und — wenn nicht — was soll jetzt mit dem Material passieren? Es lagert inzwischen schon zu lange, da die nach Schweden verbrachten Abfälle nach schwedischem Gesetz maximal nur zwei Jahre dort bleiben dürfen.
Grüner, Parl. Staatssekretär: Auch auf diese Frage werde ich gerne schriftlich zurückkommen.
Danke.
Sie hätten noch eine Zusatzfrage. Wollen Sie die noch loswerden?
Nein.
Frau Teubner, eine oder zwei Zusatzfragen.
Ich habe eine Zusatzfrage zu Frage 24 und eine zu Frage 25.
Ja, Sie haben zwei Zusatzfragen.
Ich habe einen Widerspruch herausgehört. Die Bundesregierung sagt, sie habe keine Kenntnis gehabt über erhöhte Strahlenabgaben in der Verbrennungsanlage, während die schwedische Regierung offensichtlich Gründe gehabt hat, diese Anlage zumindest vorübergehend zu schließen. Mich interessiert, in welcher Weise sich die Bundesregierung über den Zustand oder den Standard solcher von der Bundesrepublik mitbenutzter Anlagen im Ausland informiert. Gibt es da einen Informationsaustausch zwischen den Behörden oder den Regierungen?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Ja. Die Anfrage war natürlich Anlaß, dem nachzugehen. Die einzige Erklärung, die für die Annahme, daß eine Überschreitung der Aktivitätsabgabe stattgefunden habe, gegeben werden konnte, ist die Verschärfung der Abgabewerte. Möglicherweise ist ein Vergleich mit früheren Emissionsbegrenzungen herangezogen worden. Sie wissen, daß diese Emissionsbegrenzungswerte ständig herabgesetzt werden, nicht nur bei uns, sondern auch in Schweden, wo auf diesem Gebiet ebenso vorbildlich gearbeitet wird wie hier in der Bundesrepublik Deutschland. So erkläre ich das. Die schwedischen Behörden und die zuständigen Einrichtungen sagen, es könne keine Rede davon sein, daß eine Überschreitung der Abgabewerte stattgefunden hat. Auch angesichts der Aufmerksamkeit, mit der die schwedische Öffentlichkeit derartige Dinge verfolgt, habe ich keinen Zweifel daran, daß diese schwedischen Angaben zutreffend sind.
Zweite Zusatzfrage, bitte.
Welche Verbrennungskapazitäten für radioaktiven Abfall gibt es in der Bundesrepublik? Damit ist auch danach gefragt, wo sie sich befinden. Und gibt es Pläne, sie zu erweitern?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Es gibt keine Erweiterungspläne und -notwendigkeiten. Ich habe die Orte, in denen Verbrennung durchgeführt werden kann — bei uns Karlsruhe-Jülich und Karlstein/Main —, schon genannt, wobei Karlstein/Main wegen Nachrüstmaßnahmen und Verbesserungen der Verbrennungsqualität im Augenblick stilliegt, aber wieder in Betrieb genommen werden kann.
Die Fragen 26 und 27 des Abgeordneten Würzbach werden auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt.Schönen Dank, Herr Staatssekretär.Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Forschung und Technologie auf. Herr Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Probst steht zur Beantwortung zur Verfügung.Die Fragen 28 und 29 des Abgeordneten Menzel werden auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt.
Metadaten/Kopzeile:
9112 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Februar 1989
Vizepräsidentin RengerIch rufe die Frage 30 der Abgeordneten Frau Bulmahn auf:Trifft eine Meldung der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung vom 9. Februar 1989 zu, derzufolge die Bundesregierung sich an der Entwicklung eines europäischen Brutreaktors beteiligen will, und welche Gründe sprechen nach Ansicht der Bundesregierung für diese Beteiligung?
Frau Kollegin Bulmahn, Ihre Frage Nr. 30 beantworte ich wie folgt: Die Bundesregierung beteiligt sich nicht an der Finanzierung von Planung, Errichtung und Betrieb des European Fast Reactor . Dies ist Aufgabe der Wirtschaft, und das habe ich von hier aus auch wiederholt erklärt. Die Bundesregierung begrüßt allerdings diese europäische Zusammenarbeit. Im Rahmen der europäischen FuE-Programme zur Weiterentwicklung der Brutreaktortechnik fördert die Bundesregierung deutsche Beiträge, insbesondere zur Reaktorsicherheit.
Die Gründe für diese Beteiligung lassen sich wie folgt zusammenfassen: 1987 haben sich die europäischen Partner darauf verständigt, zukünftig einen Vorschlag der European Fast Reactor Ultilities Group, bestehend aus EdF , ENEL (Italien), CEGB (Großbritannien) und SBK/RWE (Deutschland), zu verfolgen. Dieser Vorschlag zielt darauf ab, zunächst über einen Zeitraum von ca. fünf Jahren ein gemeinsames europäisches Konzept für die nächste große Demonstrationsanlage zu entwerfen, und zwar so, daß es in allen europäischen Ländern genehmigungsfähig sein soll und in das alle bisherigen Entwürfe und Erfahrungen eingebracht werden sollen.
Es wird erwartet, daß die Wirtschaftlichkeit dieses Reaktors in die Nähe der Wirtschaftlichkeit des Leichtwasserreaktors gelangen wird. Die besten verfügbaren Sicherheitsstrategien sollen dabei zusammengeführt werden. Die europäische Zusammenarbeit von Unternehmen und FuE-Einrichtungen hat zum Ziel, den Schnellbrutreaktor zu einer kommerziellen Stromerzeugungsanlage in Arbeitsteilung zu entwickeln.
Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Bulmahn.
Herr Dr. Probst, wie vereinbaren Sie Ihre Aussage, daß die Bundesrepublik hier nicht beteiligt sei, mit der Tatsache, daß die Bundesregierung 1984 an den Vertragsverhandlungen zu dem morgen zu unterzeichnenden Vertrag beteiligt war, der Tatsache, daß Herr Riesenhuber morgen die Grußworte spricht, und der Tatsache, daß die KfK ja der Aufsicht des Bundesministeriums für Forschung und Technologie untersteht?
Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Ich habe nicht behauptet, daß sich die Bundesregierung nicht beteiligt, sondern ich habe gesagt, daß sich die Bundesregierung nicht beteiligt, und zwar in den drei bestimmten Bereichen, die ich Ihnen genannt habe. Die Bundesregierung beteiligt sich insofern, als sie Forschungsmittel, insbesondere für Sicherheitsfragen, zur Verfügung stellt.
Ich würde sagen, die Auslegung ist schwierig, was „Bundesregierung" und „Bundesrepublik" angeht. Das sind ja geradezu verfassungsrechtliche Fragen, die Sie hier aufwerfen.
Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Bulmahn.
Herr Dr. Probst, können Sie mir definitiv zusichern, daß Siemens und Tochtergesellschaften sowie die KfK keinerlei Forschungs- und Entwicklungsgelder seitens des Bundes bekommen wird?
Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Die Konfiguration der Kooperation — auch die Frage der Arbeitsteilung — ist bis heute nicht geklärt. Sie werden erst festgelegt. Im Rahmen dieser Arbeitsteilung wird sich auch jeweils die Frage einer Unterstützung stellen.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Tietjen.
Herr Staatssekretär, ich muß sagen: Ihre Antworten sind sehr verwirrend. Deswegen habe ich die Frage an Sie: Wie ist denn der Kostenumfang des Projektes insgesamt, und mit welchem Forschungskostenanteil beteiligt sich denn wer, der Bundesregierung nahestehend, an diesem Projekt?
Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Da das Projekt nicht definiert ist, sondern nur der Kooperationsvertrag — das heißt, eigentlich drei Verträge — unterzeichnet wird — und das wird morgen geschehen — , läßt sich auch das Volumen der Kosten nicht feststellen. Das ist zunächst auch völlig gleichgültig, weil es eine privatwirtschaftliche Angelegenheit ist. Relevant ist, was die Bundesregierung künftig in diesem Bereich an Forschungsmitteln zur Verfügung stellen wird: Für 1987 sind für die gesamte Brüterentwicklung etwa 87 Millionen DM vorgesehen. Hiervon sind rund 35 Millionen DM — weitere 70 Millionen DM bringt die deutsche Wirtschaft auf — für die Wartephase des Schnellen Brüters 300 — SNR 300 — und 20 Millionen DM für SNR 300 begleitende Sicherheitsforschung vorgesehen. Die restlichen 30 Millionen DM sollen für die Weiterentwicklung der Brütertechnik insgesamt, nämlich insbesondere Sicherheit und Zuverlässigkeit, eingesetzt werden. Hinzu kommt, daß auch die Großforschungseinrichtungen der Bundesrepublik, z. B. Karlsruhe, sich in diesem Jahr mit 165 Mannjahren der Brütertechnik widmen.
Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Traupe.
Herr Staatssekretär, welchen forschungspolitischen Sinn hat es eigentlich, daß die Bundesregierung an der Entwicklung und an der Inbetriebnahme von Kalkar, also dem SNR 300, weiter festhält, wenn dort der geplante europäische Reaktor nicht an den SNR 300 anknüpfen soll, sondern eine völlig neue Entwicklung ist? Wäre es da nicht sinnvoll, endgültig auf die Inbetriebnahme von Kalkar zu verzichten?Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, ich muß Ihnen, so leid es mir tut, diese Frage mit Nein beantworten. Es ist so, daß ein so großes technisches Vorhaben, wie die Entwicklung eines Schnellen Brutreaktors, heute keine nationale Angelegenheit mehr
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Februar 1989 9113
Parl. Staatssekretär Dr. Probstist. Das ist auch der SNR 300 nicht mehr. Er ist in internationaler Kooperation gebaut; allerdings mit viel zu hohen staatlichen Beteiligungen, die die derzeitige Regierung nicht zu verantworten hat. Die künftige Entwicklung geht schrittweise vor. Es wird in Arbeitsteilung ein nächster Schritt zur Wirtschaftlichmachung eines derartigen Reaktors angestrebt. Insofern ist das nicht widersinnig, sondern eine logische Folge aus dem einen zum anderen.
Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Unruh.
Ist der Bundesregierung bekannt, daß Italien seit gestern aus dem Brüterprogramm ausgestiegen ist, und welche Bedeutung hat das für die Bundesregierung?
Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Das ist mir nicht bekannt, Frau Kollegin. Ich kann diese Mitteilung im Moment auch nicht überprüfen.
Bekomme ich schriftlich, was Sie davon halten?
Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Sie können das schriftlich bekommen; aber das wird sich ohnehin öffentlich dokumentieren, wenn es so ist. Ich bezweifle nur, daß es so ist.
Das finde ich nun nicht gut. Wenn ich Ihnen diese Frage stelle, dann ist das so.
Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Sie können es dann selbstverständlich noch einmal schriftlich dazu bekommen.
Ich rufe die Frage 31 der Frau Kollegin Bulmahn auf:
In welcher Höhe ist die Beteiligung des Bundes und bundesdeutscher Unternehmen vorgesehen?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin Bulmahn, wie schon erwähnt, fördert die Bundesregierung nur Forschungs- und Entwicklungsarbeiten im Rahmen der koordinierten europäischen FuE-Programme zur Weiterentwicklung der Brutreaktortechnik. In welchem Maße bestimmte Arbeitsergebnisse dem EFR zugutekommen werden, ist derzeit nicht absehbar. Die finanzielle Beteiligung deutscher Unternehmen an den Kosten für Planung und gegebenenfalls Errichtung und Betrieb des EFR ist der Höhe nach zwischen den Partnern noch auszuhandeln.
Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Bulmahn.
Ist die Bundesregierung Verpflichtungen eingegangen, Anteile der bundesrepublikanischen Unternehmen zu übernehmen, falls diese aus dem Projekt aussteigen sollten? Ich möchte in diesem Zusammenhang daran erinnern, daß heute morgen eine dpa-Meldung herausgegeben worden ist, daß Italien aus diesem Projekt ausgestiegen ist.
Gibt es im Falle solcher Entscheidungen von seiten der Bundesregierung Verpflichtungen, dann — wie gesagt — Anteile der Unternehmen zu übernehmen?
Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Ich habe Ihnen ausgeführt, Frau Kollegin, daß dies eine Angelegenheit der wirtschaftlichen Kooperation ist. Das schließt ein, daß die Bundesregierung solche Verpflichtungen nicht eingeht.
Zweite Zusatzfrage, bitte.
Welche Abreden zur Wiederaufbereitung des Plutoniums sind vereinbart worden, und hat die Bundesregierung darauf hingewirkt, daß das mit diesem Forschungsreaktor erzeugte Plutonium nicht in die französische Atomwaffenproduktion einfließt?
Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, es handelt sich hier um eine Kooperation auf privatwirtschaftlicher Basis. Derartige Fragen werden darin zunächst nicht behandelt.
Danke schön, Herr Staatssekretär.
Ich rufe jetzt den Geschäftsbereich des Bundesministers des Auswärtigen auf. Herr Staatsminister Schäfer steht zur Beantwortung zur Verfügung.
Die Fragen 32 und 33 des Abgeordneten Müller sollen auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Wir kommen nun zur Frage 34 des Abgeordneten Tietjen.
Hat die Bundesregierung schon eine Antwort auf die Note des Auswärtigen Amtes vom 13. Januar 1989 an den Außenminister von Mosambik, die die Aufforderung beinhaltete, das in Leer beheimatete Motorschiff „Edda" im Interesse der gegenseitigen positiven Beziehungen — Mosambik/Bundesrepublik Deutschland — baldmöglichst aus Quelimane freizulassen, erhalten?
Bitte schön, Herr Staatsminister.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege, eine Antwort auf das Schreiben von Bundesaußenminister Genscher vom 16. Januar dieses Jahres an den mosambikanischen Außenminister, das am 20. Januar wegen Abwesenheit des Außenministers an seinen Vertreter, den Vizeaußenminister Mbanze, übermittelt wurde, steht noch aus.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter.
Herr Staatsminister, zunächst einmal: Sind Sie bereit, mir zuzugestehen, daß die Formulierung der Frage am 13. Januar — wie von mir geschrieben — in Ihrem Hause vorgenommen worden ist?Schäfer, Staatsminister: Sie haben hier eine Frage gestellt, die sich auf die Beantwortung der Note des Auswärtigen Amtes vom 13. Januar bezieht. Ich bin über den Unterschied von drei Tagen nicht informiert; darüber kann ich Ihnen nichts sagen. Ich kann Ihnen
Metadaten/Kopzeile:
9114 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Februar 1989
Staatsminister Schäfernur sagen, daß bisher eine Antwort auf das Schreiben des Bundesaußenministers nicht vorliegt.
Zweite Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, sind Sie denn bereit, mir und auch den Familienangehörigen in Deutschland zu erklären, ob es richtig ist, daß der Staatssekretär Köhler vom BMZ in dieser Frage Gespräche mit dem Transportminister von Mosambik geführt hat und — das ist für mich die entscheidende Frage — daß sich endlich auch der Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland in diesen Problemkreis offenbar einschaltet?
Schäfer, Staatsminister: Herr Kollege, ich kann hier schlecht für den Bundeskanzler sprechen, sondern lediglich für den Bereich des Auswärtigen Amtes; insofern ist Ihre Frage überraschend. Ich weiß, daß Herr Staatssekretär Köhler in Luanda mit dem dort anwesenden mosambikanischen Transportminister solche Gespräche geführt hat. Es ist ihm zugesagt worden, daß die Angelegenheit nach Möglichkeit schnell geregelt werden soll.
Mehr kann man dazu wohl nicht sagen.
Dann rufe ich die Frage 35 des Abgeordneten Tietjen auf:
Falls nein, was gedenkt die Bundesregierung zusätzlich zu tun, um die sechs Besatzungsmitglieder aus der Bundesrepublik Deutschland baldmöglichst zu ihren Familienangehörigen in die Bundesrepublik Deutschland zurückzuholen?
Schäfer, Staatsminister: Herr Kollege, die Bundesregierung bemüht sich weiterhin — wie Sie wissen — intensiv, die Freilassung des in Mosambik festgehaltenen deutschen Motorschiffes „Edda" und seiner Besatzung so schnell wie möglich zu erreichen.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Tietjen.
Herr Staatsminister, nachdem Sie auf meine vorhergehende Frage die Antwort geben mußten, es gebe auf die Frage des bundesdeutschen Außenministers keine Reaktion seitens des mosambikanischen Außenministers: Sind Sie jetzt bereit, die Stufe nach oben zu gehen und den Bundeskanzler nun wirklich zu bitten, in dieser Angelegenheit aktiv zu werden?
Schäfer, Staatsminister: Ich kann dazu nur sagen, daß wir inzwischen alle nur denkbaren Schritte unternommen haben, daß die mosambikanische Regierung endlich deutlich macht, wieso sie diesen Prozeß bislang so sehr verschleppt hat, und daß wir alles tun werden, um diese Verschleppung aufzuheben, d. h. nach Möglichkeit so schnell wie möglich eine Antwort zu bekommen und auch zu erfahren, was eigentlich die Gründe sind, weshalb die Besatzung weiterhin festgehalten wird.
Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatsminister, noch eine etwas persönliche Frage. Meinen Bart habe ich mir in Mosambik stehen lassen und habe gesagt: Den nehme ich erst wieder ab, wenn das Motorschiff „Edda" aus Quelimane freikommt. Können Sie mir behilflich sein, daß ich den Bart nicht bis zu den Fußspitzen zu tragen habe?
Schäfer, Staatsminister: Da ich hier auch nicht für die mosambikanische Regierung sprechen kann, die ja wohl entscheidend dafür verantwortlich ist, daß Ihr Bart weiter wächst, kann ich Ihnen in bezug auf die Länge des Bartes hier natürlich noch keine Auskunft erteilen. Aber ich gehe davon aus, daß wir mit Ihnen
— Sie sind vom Auswärtigen Amt unmittelbar und ständig informiert worden —
alles tun, damit die Besatzung endlich freigelassen wird.
— Das gilt für alle.
Ich kann Ihnen versichern, daß der Bart Ihnen gut steht, Herr Kollege.
Danke schön, Herr Staatsminister.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern auf. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Spranger zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 36 des Herrn Abgeordneten Uldall auf:
Warum ist die Besoldung der Beamten des mittleren Wasserzolldienstes nicht wie die der staatlich geprüften Techniker von A 5 nach A 6 angehoben worden, obwohl sie eine den staatlich geprüften Technikern entsprechende Ausbildung vorzuweisen haben?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Herr Kollege Uldall, die Bundesregierung hat im Bericht zur strukturellen Weiterentwicklung des öffentlichen Dienstrechts vorgeschlagen, nur das Eingangsamt für Laufbahnen, in denen die Meisterprüfung oder die Abschlußprüfung als staatlich geprüfter Techniker vorgeschrieben ist, der Besoldungsgruppe A 6 zuzuordnen. Durch das Bundesbesoldungs- und -versorgungsanpassungsgesetz 1988 sind ab 1. Januar 1989 jedoch neben den Meistern und staatlich geprüften Technikern auch die Lokomotivführer in die Regelung über das höhere Eingangsamt einbezogen worden.Der Innenausschuß des Deutschen Bundestages hat in seinem Schriftlichen Bericht vom 9. November 1988 die Bundesregierung daraufhin u. a. um Prüfung gebeten, ob die genannte Regelung wegen vergleichbarer Voraussetzungen auf weitere Laufbahnen zu erstrecken ist. Bei den Beratungen sind Werkführer, technische Assistenten und der Wasserzolldienst beispielhaft erwähnt worden.Die Prüfung, die in Zusammenarbeit mit den hauptbeteiligten Bundesressorts und den Ländern vorgenommen wird, ist noch nicht abgeschlossen. Über das Ergebnis der Prüfung wird die Bundesregierung den
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Februar 1989 9115
Parl. Staatssekretär SprangerInnenausschuß des Bundestages entsprechend dem erwähnten Ersuchen unterrichten.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Uldall.
Herr Staatssekretär, wird die Bundesregierung bei diesen Überlegungen mit berücksichtigen, daß sich der Aufgabenkreis der Wasserzöllner in den letzten Jahren auf Grund des verstärkten Schmuggels von Rauschgift über die Seehäfen außerordentlich erweitert hat?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Das wird, Herr Kollege Uldall, die Bundesregierung natürlich mit in Betracht ziehen. Sie anerkennt auch die bedeutsame Arbeit, die von diesen Beamten geleistet wird. Ich bin sicher, daß auch das Parlament diese Arbeit entsprechend zu würdigen weiß.
Zweite Zusatzfrage, bitte.
Ist schon abzusehen, Herr Staatssekretär, wann die Prüfung zu einem Ergebnis gekommen sein wird?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Das läßt sich jetzt nicht konkretisieren. Ich gehe davon aus, daß die Abklärungen, die notwendig sind, in den nächsten Wochen stattfinden werden.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Kastning.
Herr Staatssekretär, wird die Bundesregierung bei ihrer Prüfung auch besonders würdigen, daß die Beamten des Wasserzolldienstes eine ganz besondere Verantwortung im Hinblick auf Personal und auch Sachen, etwa Einsatz der Schiffe auf See usw., haben?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Ich habe auf die Frage des Kollegen Uldall vorhin schon erwähnt, daß der Bundesregierung diese Verantwortung durchaus bewußt ist.
Ich rufe Frage 37 des Herrn Abgeordneten Jäger auf:
Ist nach Auffassung der Bundesregierung die Einführung des Wahlrechts für Ausländer zu den kommunalen Volksvertretungen durch den Landesgesetzgeber im Einklang mit den Bestimmungen des Grundgesetzes, und welche Möglichkeit hat die Bundesregierung verneinendenfalls, Bundesländer, die Derartiges planen, zur Beachtung der Verfassung anzuhalten?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Spranger, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Jäger, die Bundesregierung hat in ihrer Antwort vom 2. November 1988 auf die Große Anfrage der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP zur Lage der Städte, Gemeinden und Kreise hinsichtlich der Einräumung des Kommunalwahlrechts für Ausländer folgendes ausgeführt — ich zitiere — :
Nach Artikel 20 Abs. 2 des Grundgesetzes geht alle Staatsgewalt vom Volke aus, das sie unter anderem in Wahlen und Abstimmungen ausübt. Unter „Volk" im Sinne dieser Vorschrift ist das Staatsvolk zu verstehen, d. h. die Gemeinschaft aller Deutschen im Sinne des Grundgesetzes. Nach Artikel 28 Abs. 1 Satz 2 GG muß das Volk in den Ländern, Kreisen und Gemeinden eine Vertretung haben, die aus allgemeinen, unmittelbaren, freien, gleichen und geheimen Wahlen hervorgegangen ist. Mit der Aufnahme des Begriffs „Volk" wird zum Ausdruck gebracht, daß es hier um einen regional begrenzten Teil des Staatsvolkes geht. Folglich steht nach dem Grundgesetz auch das Kommunalwahlrecht nur Deutschen zu. Mit dieser Auffassung befindet sich die Bundesregierung in Übereinstimmung mit der weit überwiegenden Auffassung in der verfassungsrechtlichen Literatur.
So weit das Zitat.
Die Bundesregierung hat im Hinblick auf die Planungen für Gesetze über ein Kommunalwahlrecht für Ausländer in einigen Ländern wiederholt auf die Verfassungswidrigkeit hingewiesen. Sie hält es im übrigen auch politisch nicht für wünschenswert, weil es kein geeignetes Mittel zur Integration von Ausländern ist, sondern diese eher erschwert.
Nach Abschluß der Gesetzgebungsverfahren, d. h. nach Verkündung im jeweiligen Gesetzesblatt, kann in einem Verfahren der abstrakten Normenkontrolle nach Artikel 93 Abs. 1 Nr. 2 des Grundgesetzes durch das Bundesverfassungsgericht geklärt werden, ob die betreffenden Gesetzesnormen des Landes mit dem Grundgesetz unvereinbar und damit nichtig sind. Antragsberechtigt ist die Bundesregierung, daneben auch jede Landesregierung und ein Drittel der Mitglieder des Bundestages.
Zusatzfrage, Herr Jäger.
Herr Staatssekretär, ist der Bundesregierung bekannt, daß sich namhafte Juristen — nicht nur solche aus dem Bereich der der Bundesregierung zuzuordnenden politischen Lager, sondern auch solche aus den Reihen der SPD; ich nenne etwa Herrn Wassermann, der einer der bedeutendsten sozialdemokratischen Juristen ist — ganz klar dafür ausgesprochen haben, daß das Kommunalwahlrecht eine Sache des Staatsbürgers und niemandes sonst ist?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Das ist der Bundesregierung bekannt, Herr Kollege Jäger. Ich darf noch daran erinnern, daß ich bei meiner Zitierung aus der Antwort der Bundesregierung auf diese Große Anfrage ausdrücklich erwähnt habe, daß sich die Bundesregierung mit ihrer Meinung hier „in Übereinstimmung mit der weit überwiegenden Auffassung in der verfassungsrechtlichen Literatur" bewegt, und zwar in großer Spannbreite.
Zweite Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, hat die Bundesregierung diese ihre Auffassung auch den Bundesländern, von denen bekannt ist, daß sie sich mit derartigen Plänen tragen, mitgeteilt, und wie haben sich diese Länder gegebenenfalls dazu eingelassen?Spranger, Parl. Staatssekretär: Diese Auffassung der Bundesregierung ist vielfach übermittelt worden,
Metadaten/Kopzeile:
9116 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Februar 1989
Parl. Staatssekretär Sprangerist den betreffenden Ländern auch bekannt. Es ist bedauerlich, daß sie sich über diese Meinung, über diese Verfassungslage hinwegsetzen.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Eigen.
Herr Staatssekretär, spielt bei diesen Überlegungen, die Sie uns in der Antwort auf die Frage des Kollegen Jäger vorgetragen haben, auch die Frage eine Rolle, ob es sich um EG-Länder oder EFTA-Länder handelt? Am Dienstag wurde beschlossen, daß auch für Ausländer aus drei EFTALändern ein Wahlrecht ermöglicht werden soll.
Spranger, Parl. Staatssekretär: Was ich sagte, ist eine grundsätzliche Darstellung der Verfassungslage, die alle Ausländer betrifft, also alle Menschen betrifft, die nicht deutsche Staatsbürger sind. Wenn man Ausnahmen machen wollte, bedürfte es sicherlich verfassungsrechtlicher Änderungen.
Danke sehr.
Die Fragen 38 und 39 werden auf Wunsch der Fragesteller, des Abgeordneten Dr. Daniels und des Abgeordneten Wüppesahl (fraktionslos) schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Damit ist dieser Geschäftsbereich beendet. Danke sehr.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten auf. Herr Parlamentarischer Staatssekretär Dr. von Geldern steht zur Beantwortung der Fragen zur Verfügung.
Die Fragen 40 und 41 des Abgeordneten Schütz werden auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Die Frage 42 der Frau Abgeordneten Teubner:
Trifft es zu, daß sich die Bundesanstalt für Ernährung in Karlsruhe mit der radioaktiven Bestrahlung von Lebensmitteln beschäftigt, bzw. sollte dies derzeit noch nicht der Fall sein, ist mit der strahlentechnischen Behandlung von Verbrauchsgütern demnächst durch die Karlsruher Bundesanstalt zu rechnen?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Frau Kollegin Teubner, an der Bundesforschungsanstalt für Ernährung in Karlsruhe wird die Behandlung von Lebensmitteln mit ionisierenden Strahlen untersucht. Als Strahlenquelle dient ein Elektronenbeschleuniger, der weder radioaktives Material enthält noch Radioaktivität erzeugt. Hauptziel der Arbeiten ist die Entwicklung von Methoden der Prozeßkontrolle und des Nachweises der Bestrahlung. Die Vorhaben müssen im Hinblick auf die von der Kommission der Europäischen Gemeinschaft angestrebte Zulassung von Bestrahlungsverfahren für den europäischen Markt fortgesetzt werden.
Keine Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 43 des Herrn Abgeordneten Eigen auf:
Wie groß waren am 15. Januar 1989 die Bestände an Rindfleisch in der Europäischen Gemeinschaft, und wieviel davon war zu diesem Zeitpunkt verkauft?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Dr. von Geldern, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Eigen, nach Angaben der EG-Kommission beliefen sich die noch nicht verkauften Interventionsbestände an Rindfleisch am 31. Dezember 1988 auf rund 390 000 Tonnen. Davon entfielen rund 170 000 Tonnen auf deutsche Interventionsbestände. Bis zum 15. Januar 1989 — das war das in Ihrer Frage genannte Datum — dürften sich keine wesentlichen Änderungen ergeben haben. Angaben über die Mengen, die bereits verkauft, aber noch nicht ausgelagert sind, liegen uns nicht vor.
Bitte, eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Eigen.
Herr Staatssekretär, sind dann die Meldungen falsch, daß die Kommission bei den Verhandlungen am 23./24. Januar 1989 in Brüssel dem Ministerrat vorgetragen hat, daß noch 600 000 Tonnen in den Lägern der EG vorhanden seien?
Dr. von Geldern, Parl. Staatssekretär: Ich kann das nicht bestätigen, Herr Kollege Eigen.
Eine zweite Zusatzfrage, bitte schön.
Was würden Sie davon halten, wenn die Kommission dem Ministerrat falsche Angaben gemacht haben sollte, um damit einen Beschluß des Ministerrats in der von ihr gewünschten Form herbeizuführen? Wie würden Sie eine solche Verhaltensweise bezeichnen?
Dr. von Geldern, Parl. Staatssekretär: Das ist eine hypothetische Frage, aber ich kann darauf durchaus eine generelle Antwort geben. Ich bin grundsätzlich nicht damit einverstanden, daß jemand falsche Behauptungen aufstellt oder falsche Angaben macht.
Danke sehr, Herr Staatssekretär.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung. Der Herr Staatssekretär Höpfinger steht zur Beantwortung zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 44 der Frau Abgeordneten Traupe auf:
In welchen Tageszeitungen hat der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung die Anzeige „DIE GESUNDHEITSREFORM — nötig vernünftig sozial" am 18. Januar 1989 geschaltet?
Frau Präsidentin, Frau Kollegin wenn Sie einverstanden sind, würde ich gern die Fragen 44 und 45 gemeinsam beantworten.
Ich bin damit einverstanden.
Dann rufe ich auch die Frage 45 der Abgeordneten Frau Traupe aufWas hat diese Anzeige gekostet?
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Februar 1989 9117
Höpfinger, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin Traupe, die Anzeige zum Thema Härteklausel, § 61 Gesundheitsreformgesetz, ist am 18. Januar 1989 in der regionalen Tagespresse und in der Heimatpresse geschaltet worden. Die Anzeige hat 460 000 DM gekostet; die Schlußabrechnung liegt aber noch nichtvor.Diese Anzeige war sehr, sehr wichtig, da gerade zur Härteklausel und zur Überforderungsklausel nach wie vor Informationsbedarf gegeben ist. Wir bitten die Krankenkassen, auch weiterhin aufklärend in der Bevölkerung zu wirken. Die Bundesregierung und die Krankenkassen werden gerade diese beiden Paragraphen der Bevölkerung nahebringen, denn das ist wirklich eine Hilfe für all die Leute, die die Härteklausel und die Überforderungsklausel in Anspruch nehmen können.
Eine Zusatzfrage, Frau Kollegin Traupe.
Lieber Herr Kollege, sehr geehrter Herr Staatssekretär, falls die Bundesregierung die Beratungen zum Thema Gesundheitsreform sorgfältiger, mit mehr zeitlichem Aufwand möglich gemacht hätte, wäre diese Ausgabe von Mitteln des deutschen Steuerzahlers wahrscheinlich überflüssig gewesen?
Höpfinger, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin Traupe, hier muß ich Ihnen widersprechen, denn die Beratung des Gesetzes hat hier im Parlament und in den Ausschüssen stattgefunden, und es ist bei jedem Gesetz erforderlich, daß dann das, was das Parlament beschlossen hat, auch in der Bevölkerung umgesetzt wird. Um diese Umsetzung geht es, und dieser Umsetzung dienen auch die Ausgaben für die Information.
Stellen Sie sich denn vor, Herr Staatssekretär, daß das Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung bei jedem dieser Gesetze entsprechende Zeitungskampagnen durchführt?
Höpfinger, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin Traupe, Gesetze, die in unserem Ministerium beraten, im Parlament dann weiterhin beraten und beschlossen werden, betreffen oft mehr als 60, 70 oder 80 % der Bevölkerung. Ich habe Ihnen schon einmal gesagt: Diese Aufklärungs- und Informationstätigkeit des Ministeriums ist notwendig, damit Gesetze nicht nur gemacht, sondern auch von der Bevölkerung angewandt werden können.
Herr Staatssekretär, was macht denn fast die andere Hälfte des Parlaments, nämlich die Kollegen der Opposition, die diese Mittel nicht zur Verfügung haben, um solche Aufklärungskampagnen in Höhe von 500 000 DM durchzuführen?
Höpfinger, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin Traupe, wenn das Ministerium aufklärt, klärt es für die gesamte Bevölkerung auf und fragt nicht, welcher Teil der Bevölkerung hier unmittelbar betroffen ist oder gar welcher politischen Orientierung der eine oder andere angehört. Das ist eine Informationspflicht der Bundesregierung, die gegenüber der gesamten Bevölkerung in der Bundesrepublik erfüllt wird.
Teilen Sie denn meine Meinung, daß die übrigen Parteien des Deutschen Bundestages nicht die Möglichkeit haben, ihre Informationen in der gleichen Weise der Öffentlichkeit darzustellen?
Höpfinger, Parl. Staatssekretär: Wenn Sie nach den Parteien fragen, Frau Kollegin, muß ich sagen: Jede Partei hat auf ihre Weise die Möglichkeit, zu informieren. Wie mir aber bekannt ist, hat jede Bundesregierung — ganz gleich, wie sie zusammengesetzt war — diese Informationspflicht für die gesamte Bevölkerung wahrgenommen, und Sie werden auch feststellen können, daß unsere Information, soweit sie vom Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung erfolgt, nicht irgendwelche parteipolitischen Tendenzen hat, sondern eine Aufklärung für die gesamte Bevölkerung ist.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Kastning.
Da Sie von der Informationspflicht der Bundesregierung reden, Herr Staatssekretär, möchte ich doch noch nachfragen: Zu wieviel Prozent schätzen Sie denn diese Anzeigenkampagne als Aufklärung und Information in der Sache ein und zu wieviel Prozent als Propaganda, die eher geeignet ist, bestimmte Sachverhalte zu verschleiern oder zu vertuschen?
Höpfinger, Parl. Staatssekretär: Hier würde ich sagen: Unsere Aufklärung ist zu 100 % Information der Bevölkerung. Hier wird nichts vertuscht, sondern hier wird mit dem Gesetz gearbeitet, das dieses Parlament beraten und beschlossen hat.
Ich rufe Frage 46 des Abgeordneten Schreiner auf:Kann die Bundesregierung Erkenntnisse des Deutschen Kinderschutzbundes bestätigen, daß bundesweit mindestens 400 000 Kinder im Alter von 12 bis 15 Jahren verbotene Kinderarbeit leisten und eine wesentliche Ursache dafür die anhaltende hohe Arbeitslosigkeit, insbesondere die Langzeitarbeitslosigkeit, ist?Bitte schön, Herr Staatssekretär.Höpfinger, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Schreiner, die Bundesregierung kann, wie sie bereits in ihrer Antwort auf die Anfrage der Abgeordneten Simonis am 11. Juli 1983 ausgeführt hat, die Zahl der Kinder, die in der Bundesrepublik Deutschland verbotene Kinderarbeit leisten, nicht angeben. Sie kann die vom Deutschen Kinderschutzbund angegebene Zahl von 400 000 Kindern deshalb auch nicht bestätigen. Diese Zahl beruht auf einer Hochrechnung von Zahlen, die aus einer Fragebogenaktion in Schulen des Gewerbeaufsichtsamtsbezirks Münster ermittelt worden sind. Die Ergebnisse der Fragebogenaktion liegen dem Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung erst seit kurzem vor. Zur Zeit wird geprüft, ob die Ergebnisse dieser sehr begrenzten Fragebogenaktion allgemeingültige Schlüsse auf die Zahl von Verstößen gegen das Verbot der Kinderarbeit in der Bundesrepublik Deutschland zulassen.Den obersten Arbeitsbehörden der Länder obliegt die Aufgabe, die Einhaltung des Verbots der Kinderarbeit zu überwachen. Nach den von diesen Behörden
Metadaten/Kopzeile:
9118 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Februar 1989
Pari. Staatssekretär Höpfingerübermittelten Zahlen liegt die Zahl der Verstöße gegen das Verbot der Kinderarbeit im Jahresdurchschnitt bei ca. 800. Die obersten Landesbehörden weisen darauf hin, daß die Dunkelziffer im Bereich der verbotenen Kinderarbeit ebenso wenig geschätzt werden kann wie in anderen Bereichen. Erkenntnisse darüber, ob für geleistete Kinderarbeit die Arbeitslosigkeit eine wesentliche Ursache ist, liegen der Bundesregierung nicht vor.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Schreiner.
Herr Staatssekretär, nachdem zahlreiche Verbände, u. a. der Kinderschutzbund, aber auch wissenschaftliche Institute den Zusammenhang insbesondere zwischen Langzeitarbeitslosigkeit, Verarmung in den betroffenen Familien und Kinderarbeit nicht mehr abstreiten, sondern deutlich betonen, frage ich, ob die Bundesregierung bereit ist, mit eigenen Studien diesem Problem stärker auf den Grund zu gehen, um die Zahlen, die vom Kinderschutzbund der Öffentlichkeit präsentiert worden sind, entweder zu dementieren oder zu bestätigen und daraus entsprechende praktische Schlußfolgerungen für die Politik zu ziehen.
Höpfinger, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Schreiner, die Bundesregierung beschäftigt sich in dieser Angelegenheit nicht nur mit Studien. Wir haben auch im Deutschen Bundestag eine Anhörung zum Problem der Langzeitarbeitslosigkeit gehabt, und die Bundesregierung hat schon dadurch gehandelt, daß man für die Langzeitarbeitslosen die Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes wesentlich verlängert hat. Das war eine konkrete Antwort der Bundesregierung auf diese Situation, auf die Lebenssituation der von Langzeitarbeitslosigkeit betroffenen Menschen.
Die zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter.
Herr Staatssekretär, selbst wenn man nicht in Abrede stellen will, daß sich die materielle Situation der Langzeitarbeitslosen relativ verbessert hat, läßt sich ebenso wenig in Abrede stellen, daß in den Familien mit Langzeitarbeitslosigkeit psychosoziale Probleme, vor allem was die Kinder betrifft, vorhanden sind, und wir haben eine Reihe von Untersuchungen, die deutlich machen, daß in den Familien mit Langzeitarbeitslosigkeit das Problem der Vererbung von Arbeitslosigkeit auf Grund von psychosozialen Störungen der Kinder immer stärker um sich greift. Daher frage ich, was die Bundesregierung nach Ihrem Hinweis auf die Anhörung im Ausschuß und nach meinem Hinweis, daß bereits im Dezember 1987 das Parlament, zumindest die SPD-Fraktion, initiativ geworden ist, um die Bundesregierung aufzufordern, entsprechende Maßnahmen gegen die Langzeitarbeitslosigkeit als solche zu ergreifen und nicht nur in geringem Umfange die materielle Situation zu verbessern, konkret beabsichtigt oder plant, um in absehbarer Zeit den anwachsenden Zahlen von Langzeitarbeitslosen wirksam zu begegnen und auch den damit verbundenen Notsituationen — bei Langzeitarbeitslosigkeit eben auch in Form von Kinderarbeit — zu begegnen.
Höpfinger, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Schreiner, zunächst bin ich Ihnen dankbar, daß Sie positiv hervorheben, daß sich die materielle Situation der Langzeitarbeitslosen durch die Maßnahmen der Bundesregierung gebessert hat.
Ich stimme Ihnen zu: Arbeitslosigkeit hat eine materielle und eine seelische Seite. Ich bin davon überzeugt, daß Arbeitslosigkeit natürlich auch ihren Niederschlag in der Familie findet.
Allerdings kann ich Ihren Aussagen über die Vererbung von Arbeitslosigkeit nicht zustimmen. Wenn ich allein an unsere Geburtenjahrgänge — Jahrgang 1925 oder 1930 — denke, muß ich sagen, daß wir ebenfalls erlebt haben, daß unsere Väter und Mütter arbeitslos waren. Da hat sich keine Vererbung der Arbeitslosigkeit ergeben. Das würde ich also sicher in Abrede stellen.
Aber richtig ist, daß natürlich seelische Auswirkungen auf die Familien vorhanden sind und daß auch Kinder davon betroffen sind.
— Und wenn Sie fragen „Was tut die Bundesregierung?", dann darf ich noch einmal darauf hinweisen, daß unser ganzes Arbeitsförderungsgesetz doch praktisch darauf angelegt ist, durch die ganzen Maßnahmen, die dieses Gesetz ermöglicht, oder z. B. durch die Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen die Menschen wenigstens zeitlich wieder in das Arbeitsleben einzugliedern.
Herr Kollege Schreiner, hier darf ich schon darauf hinweisen, daß es, während Ihre Fraktion die Regierungsverantwortung getragen hat, 29 000 Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen gegeben hat. Unter unserer Regierungsverantwortung hat sich diese Zahl auf 130 000 Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen ausgedehnt.
Diese geht jetzt vielleicht etwas zurück, aber nicht unter 110 000 oder 115 000.
Zu meinem Bedauern kann ich keine weiteren Fragen mehr zulassen; wir haben die Zeit schon überschritten. Sie bekommen die noch ausstehenden Antworten schriftlich. Sie werden als Anlagen abgedruckt.
Damit ist die Fragestunde beendet. Wir sind auch am Ende der heutigen Sitzung.
Ich rufe die nächste Sitzung des Bundestages für Donnerstag, 16. Februar, 9 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.