Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf: Befragung der Bundesregierung
Meine Damen und Herren, die zentralen Punkte, die in der heutigen Kabinettsitzung behandelt worden sind, hat die Bundesregierung mitgeteilt. Sie finden die Zusammenstellung auf Ihren Plätzen.
Wünscht die Bundesregierung, einleitend einen Bericht dazu zu geben? — Das Bundesministerium für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit ist zuständig. Herr Parlamentarischer Staatssekretär Pfeifer gibt den Bericht. Bitte schön.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung hat heute auf der Grundlage eines vom Bundesminister für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit vorgelegten Berichtes Eckwerte für eine umfassende gesetzliche Regelung zum Schutz von Mensch und Umwelt in der biotechnologischen Forschung, bei der Anwendung der Gentechnik in der Industrie sowie bei der Freisetzung gentechnisch veränderter Organismen beschlossen.Die Bundesregierung wird einen entsprechenden Gesetzentwurf so rechtzeitig vorlegen, daß er noch in dieser Legislaturperiode verabschiedet werden kann. Sie wird dabei die Ergebnisse der Enquete-Kommission „Chancen und Risiken der Gentechnologie" und die Erfahrungen in anderen Ländern einbeziehen.Die moderne Gen- und Biotechnik kann bei verantwortungsbewußter Handhabung zur Entwicklung neuer und besserer Medikamente gegen Krankheiten beitragen, gegen die es derzeit noch keine Rettung gibt. Sie kann neue Methoden für die zellbiologische Grundlagenforschung entwickeln, deren Ergebnisse zu einem besseren Verständnis von Krankheitsursachen, z. B. bei Krebs, beitragen und damit zu neuen Therapieansätzen führen. Sie kann zur Minderung der Umweltbelastung beitragen, z. B. wenn gegen Krankheit resistente Pflanzen den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln überflüssig machen. Und sie kann beim Kampf gegen Pflanzenschädlinge und Krankheiten zu Ergebnissen beitragen, die bei einer rasch wachsenden Weltbevölkerung die Versorgung vonhungernden Menschen mit lebensnotwendigen Nahrungsmitteln in vielen Entwicklungsländern wesentlich verbessern können.Diese Chancen zum wissenschaftlichen Fortschritt und seiner Anwendung darf die Bundesrepublik Deutschland nicht versäumen. Die in der Gentechnologie begründeten Chancen müssen wir nutzen. Der generelle Verzicht auf die Gentechnik oder ein Moratorium in diesem Bereich wären gleichbedeutend mit einem zeitweisen oder dauernden Verzicht unseres Landes auf ein vielversprechendes Instrument zur Lösung drängender Probleme, z. B. in den Bereichen Umwelt und Gesundheit. Er wäre auch mit dem Gebot der Wissenschaftsfreiheit nicht vereinbar.Auf der anderen Seite ist unübersehbar, daß den positiven Möglichkeiten der Gentechnik auch Risiken und Gefahren gegenüberstehen, die nach dem gegenwärtigen Stand der Forschung teilweise noch nicht vollständig abschätzbar sind. Deshalb müssen wir uns nicht nur sehr intensiv mit den durch die Gentechnik neu gestellten ethischen Fragen auseinandersetzen, wir müssen nicht vollständig abschätzbare Risiken auch durch Auflagen und Verbote begrenzen und zugleich durch verstärkte Anstrengungen in der biotechnologischen Forschung noch offene Fachfragen zu lösen versuchen.Demgemäß ist es das Ziel des vorgesehenen Gesetzentwurfs, die in der Gentechnik begründeten Chancen zu entwickeln und zugleich unvertretbare Risiken für Mensch, Tier und Umwelt auszuschließen. Die Bundesregierung wird deshalb in dem geplanten Gesetzentwurf die Anwendung gentechnischer Methoden und den Umgang mit gentechnisch veränderten Organismen sowie deren Freisetzung von vorheriger staatlicher Prüfung und Genehmigung abhängig machen. Dadurch wird eine präventive, umfassende und durchsetzbare Sicherungsstrategie entstehen, die für Forschung und Industrie verläßliche, dauerhafte und praktikable Rahmenbedingungen schafft. Dies wird zugleich die Attraktivität des Standorts Bundesrepublik Deutschland für die Biotechnologie sicherstellen. Die Bundesregierung wird darüber hinaus alle Anstrengungen unternehmen, um diese Sicherheitsstandards auch in der EG durchzusetzen. Die Bundesregierung bittet den Deutschen Bundestag, sie in dieser Politik zu unterstützen.
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8038 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 112. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 30. November 1988
Danke schön, Herr Staatssekretär.
Ich rufe nunmehr Fragen auf, die zu diesem Bericht des Bundesministeriums für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit, von Herrn Pfeifer vorgetragen, gestellt werden. Gehen Sie bitte an die Mikrophone; dann kann man übersehen, wer zu diesem Fragenkomplex etwas fragen will.
Frau Hartenstein hat sich als erste gemeldet. Bitte schön.
Ich habe eine Frage zur Gentechnologie. Es besteht doch wohl Übereinstimmung, daß es hoch an der Zeit ist, Regelungen für eine Technik zu finden, die zwar bestimmte Chancen enthält — Herr Staatssekretär, da stimme ich mit Ihnen überein — , aber auch enorme Risiken birgt und die die Zukunft der Menschheit entscheidend verändern kann.
Ich möchte folgendes fragen. Wenn das Kabinett heute Eckwerte für eine künftige gesetzliche Regelung zur Gentechnik beschlossen hat, dann ist mir das, was Sie gesagt haben, noch ein wenig zu unkonkret.
Frage Nr. 1: Wird diese gesetzliche Regelung den Moratoriumsvorschlag der Enquete-Kommission, nämlich ein generelles Verbot der Freisetzung von gentechnischen Mikroorganismen für fünf Jahre auszusprechen, berücksichtigen?
Zweite Frage: Wird dieser Gesetzentwurf ein generelles Freisetzungsverbot für Viren enthalten, mit den von der Enquete-Kommission vorgesehenen Ausnahmen?
Dritte Frage: Wenn Freisetzung — —
Frau Kollegin, eine Frage darf man einmal teilen, aber nicht so oft.
— Wenn man es geschickt macht, kann man eine unterteilte Frage stellen, und das haben Sie getan. Ich habe die 1 und 2 glatt überhört.
— Ja. Trotzdem müssen wir daran denken, daß es noch andere Kollegen gibt, die fragen wollen.
— Das können Sie tun.
Der Herr Staatssekretär möchte gern die ersten Fragen beantworten.
Frau Kollegin, ich habe eben zum Ausdruck gebracht, daß wir ein Moratorium nicht befürworten. Was die Frage der Freisetzung angeht, so habe ich hier zum Ausdruck gebracht, daß wir prinzipiell ein Genehmigungsverfahren einführen
wollen, d. h. daß es hier zu keinem Verbot ohne Ausnahmen kommen wird.
Wenn es um Klärung geht, lasse ich sie zu.
Ich möchte z. B. wissen, ob bei diesem Genehmigungsverfahren eine Umweltverträglichkeitsprüfung durchgeführt werden soll, und zwar sowohl bei gentechnischen Produktionsanlagen als auch bei Freisetzungsexperimenten, und wie diese Umweltverträglichkeitsprüfung aussehen soll.
Frau Kollegin, das wird in der Tat im einzelnen in dem Gesetzentwurf zu klären sein. Sie wissen, wie das bisherige Verfahren ist, das solche Verträglichkeitsprüfungen vorsieht. Ich denke, daß wir bei der anstehenden Gesetzgebung auf diesen Punkt in der Tat zurückkommen werden.
Die nächste Frage hat der Abgeordnete Kohn.
Herr Präsident, ich möchte zunächst einmal für die FDP-Fraktion feststellen, daß wir die Beschlußfassung der Bundesregierung zur Thematik der Gentechnologie ausdrücklich begrüßen und unterstützen,
und zwar deshalb, sehr geehrte Frau Kollegin, weil wir der Überzeugung sind, daß sich diese Beschlußfassung im wesentlichen mit dem deckt, was die Enquete-Kommission „Chancen und Risiken der Gentechnologie" der 10. Legislaturperiode vorgelegt hat. Die Bundesregierung vollzieht also hier etwas, was in der Willensbildung einer überwältigenden Mehrheit des Hauses damals beschlossen wurde.
Vor diesem Hintergrund möchte ich gern zwei konkrete Fragen an die Bundesregierung richten. Die erste Frage: Welche Vorstellungen hat die Bundesregierung, was den zeitlichen Horizont der beiden Gesetzgebungsvorhaben betrifft, um die es hier geht, nämlich einmal das Stammgesetz zur Gentechnologie und zum zweiten das Embryonenschutzgesetz? Kann man davon ausgehen, daß das noch vor der Sommerpause 1989 in den parlamentarischen Beratungprozeß einbezogen wird?
Die zweite Frage: Wir erleben ja auch durch Beiträge, die immer wieder von seiten der Opposition kommen, daß es ein erhebliches Maß an Unkenntnis und Unwissenheit über die Probleme der Gentechnologie gibt. Wird die Bundesregierung vor diesem Hintergrund eine Informations- und Aufklärungskampagne in Gang setzen, um die Bürger in unserem Lande in die Lage zu versetzen, sich ein eigenes sachgerechtes Urteil zu dieser Thematik zu bilden?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 112. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 30. November 1988 8039
Zur ersten Frage möchte ich sagen: Wir arbeiten derzeit an dem Referentenentwurf, den wir in den ersten drei Monaten des kommenden Jahres vorlegen wollen. Dies wird es erlauben, daß wir den Regierungsentwurf voraussichtlich noch vor der Sommerpause dem Bundesrat und dem Bundestag zuleiten können.
Was die zweite Frage angeht: Es ist in der Tat notwendig, daß hier eine breitere Information stattfindet. Ich denke, daß sowohl die Diskussion über diese Eckwerte als auch die Diskussion über den Referentenentwurf, als auch die parlamentarische Diskussion über den Gesetzentwurf eine gute Gelegenheit darstellen, auch hier durch Informationen die Informationslage zu verbreitern.
Zum Embryonenschutzgesetz müßte der Herr Bundesjustizminister Stellung nehmen.
Ich rufe jetzt als nächsten den Abgeordneten Gautier auf. Ich wäre dankbar, wenn die Kollegen, die sich jetzt noch nachträglich melden, daran dächten, daß es auch noch Fragen zu anderen Gebieten gibt.
Herr Minister, Sie bekommen vorher das Wort. Sie wollen eine ergänzende Antwort geben, wenn ich es richtig verstanden habe.
Danke, Herr Präsident.
Ich will zu der Frage, wie es mit dem Embryonenschutzgesetz weitergeht, eine Antwort geben. Wir haben vor langer Zeit einen Diskussionsentwurf vorgelegt. Ich gehe davon aus, daß wir zu einem Ergebnis kommen werden, zu einem Entwurf, der in dieser Legislaturperiode beraten und verabschiedet werden kann, und zwar alsbald.
Offen, wie Sie wissen, war nach dem Bericht, den ich am 11. Februar dieses Jahres im Kabinett gegeben habe, die Frage der heterologen Insemination. Am letzten Freitag ist im Bundesrat der Gesetzentwurf des Freistaates Bayern zu diesem Bereich behandelt worden. Ich gehe davon aus, wie schlußendlich es auch ausgeht, daß dies einen Anstoß dazu gibt, sich mit dieser noch offenen Frage alsbald abschließend auseinanderzusetzen.
Jetzt kommt der Abgeordnete Gautier.
Herr Präsident, schönen Dank.
Ich begrüße den Gesinnungswandel der Bundesregierung, daß sie jetzt also ein umfassendes Gentechnikgesetz vorlegen wird. Mich wundert bloß etwas — und vielleicht können Sie es etwas näher erläutern — , wieso Sie zu dem Gesinnungswandel gekommen sind. Denn dieselbe Bundesregierung hat noch vor zwei Jahren im Rahmen der OECD im OECD-Ministerratsbeschluß ausdrücklich beschlossen, daß es keine gentechnikspezifischen Gesetze geben sollte, wobei wir die Änderung begrüßen.
Ich frage, ob dies etwas mit den Entscheidungen der deutschen chemischen Industrie oder großer Teile von ihr zu tun hat, bestimmte Investitionen nicht mehr
in der Bundesrepublik Deutschland vorzunehmen, und ob sich nach den Eckwertdiskussionen im Kabinett auch die Haltung der deutschen chemischen Industrie ändert — wenn ich Ihren Ausführungen dort folgen darf — , so daß die Attraktivität des Standortes sichergestellt wird.
Im Zusammenhang mit der Attraktivität, Herr Präsident, frage ich, wo sich denn die Eckwerte der Bundesregierung materiell und inhaltlich von den Entwürfen der EG-Richtlinie, die wir ja auf dem Tisch haben und in bezug auf die die Bundesregierung offensichtlich derzeit in Brüssel aktiv verhandelt, und den Leitlinien der OECD unterscheiden.
Herr Kollege, innerhalb der Bundesregierung hat es in der Tat eine Diskussion darüber gegeben, ob wir dies in einem einheitlichen umfassenden Gentechnologieschutzgesetz regeln sollen oder ob wir nicht den Weg gehen sollen, in einer Reihe von anderen Gesetzen entsprechende Schutzvorschriften vorzusehen. Wir haben uns auch unter dem Gesichtspunkt der Einheitlichkeit der Materie am Ende dieser Diskussionen zu dem Weg entschlossen, den ich eben hier dargestellt habe. Ich gehe in der Tat davon aus — auch das habe ich eben zum Ausdruck gebracht —, daß eine solche Regelung dazu beitragen wird, die Attraktivität des Standortes Bundesrepublik Deutschland für die Entwicklung der Gentechnologie zu bewahren.
Was nun die EG angeht, so gibt es zwischen den derzeitigen Vorlagen einen entscheidenden Unterschied. Die EG-Kommission möchte nicht, wie wir es beabsichtigen, ein Genehmigungsverfahren vorsehen. Sie möchte nur ein Registrierungs- bzw. Anmeldeverfahren vorsehen.
Wir sind der Meinung, daß wir alle Anstrengungen unternehmen müssen, damit es auch EG-weit zu einem Genehmigungsverfahren kommt, das sich möglichst an unseren Standards orientieren sollte, weil die Entwicklung der Gentechnologie bekanntlich nicht an den Grenzen der Mitgliedstaaten haltmacht.
Meine Damen und Herren, ich bitte Sie, mit mir einen Blick auf die Uhr zu werfen. Dieses Thema scheint so interessant zu sein, daß es andere Debattenformen und weitere Fragen in der Fragestunde verdient,
während andererseits die Kollegen, die noch aktuelle Fragen mitgebracht haben, auch die Möglichkeit haben müssen, zu Wort zu kommen. Ich bitte um Verständnis.
Wir kommen nun zu einer Frage anderer Art. Ich bin bereit, nachher das zweite Thema der Kabinettsitzung, das uns angekündigt worden ist, aufzurufen, möchte jetzt aber erst einmal den Kollegen die Möglichkeit geben, freie Fragen zu stellen. Zuerst gemeldet hat sich bei mir Frau Fuchs .
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8040 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 112. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 30. November 1988
Herr Präsident, ich habe eine Frage, was die Auskunftsperson angeht! Diese Frage, die wichtig ist, möchte ich gerne beantwortet haben.
Die Auskunftsperson?
Die Auskunftsperson auf der Regierungsbank! Mich interessiert, für wen Herr Pfeifer redet, nachdem Bundesministerin Süssmuth entlassen worden ist und der Parlamentarische Staatssekretär bekanntermaßen das Schicksal der Ministerin teilt.
Da frage ich am besten Herrn Schäuble, ob er uns kurz eine Antwort geben kann.
Herr Präsident, der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung ist mit der Wahrnehmung der Geschäfte des Bundesministers für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit beauftragt, und in dieser Eigenschaft ist ihm als Parlamentarischer Staatssekretär der Herr Kollege Pfeifer beigeordnet worden.
Meine Damen und Herren, wir haben es geschafft, aktuelle Informationen ins Haus zu holen, und das ist ja der Sinn unserer Regierungsbefragung!
Jetzt ist Frau Fuchs an der Reihe. Die anderen Kollegen, die eine freie Frage stellen wollen, also eine, die nicht von dem Regierungsbericht berührt ist, bitte ich, sich an ein Mikrophon zu begeben. Bitte, Frau Fuchs!
In der Presse waren in den vergangenen Tagen Meldungen zu lesen, die sich auf ein Papier des Führungsstabes beziehen, das besagt, die in der neuen Heeresstruktur 2000 vorgesehene Zahl von 42 Brigaden solle freigegeben worden sein, weil sie nicht zu halten ist; dies hänge wesentlich damit zusammen, daß Mitte der 90er Jahre ca. 14 000 freiwillige Unteroffiziere und Feldwebel fehlen und daß, wenn derart viele Unteroffiziere fehlen, auch weniger Wehrpflichtige gebraucht würden.
Auf diesem Hintergrund ist es bemerkenswert, daß einerseits der Wehrdienst ab 1. Juli 1989 von 15 auf 18 Monate verlängert werden soll, und zwar mit der Begründung, daß es sonst nicht genug Wehrpflichtige gäbe, und daß andererseits bekannt geworden ist, daß die Bundeswehr eine Personalreserve von 400 000 Mann gebildet hat, die jetzt nicht einberufen werden, weil man sie nicht brauchen kann. Das ist doch wohl ein Widerspruch; da wird doch die Begründung für die Wehrdienstverlängerung auf den Kopf gestellt.
Die SPD-Fraktion hat im Bundestag einen Antrag mit dem Ziel eingebracht, die Verlängerung des Grundwehrdienstes auf 18 Monate aufzuheben, weil wir sie für unnötig und unverantwortlich halten. Ich möchte nun von der Bundesregierung wissen, ob die Pressemeldungen über die Freigabe der Zahl der Brigaden und über das Freiwilligendefizit zutreffen. Wie
will die Bundesregierung Wehrungerechtigkeiten vermeiden, wenn Wehrpflichtige später eingezogen werden und dann drei Monate länger dienen müssen oder wenn Wehrpflichtige später überhaupt nicht mehr eingezogen werden, weil sie nicht mehr gebraucht werden, während andere länger dienen müssen, weil es angeblich zu wenige gibt? Erhält die Bundesregierung vor diesem Hintergrund ihr Vorhaben aufrecht, den Wehrdienst von 15 auf 18 Monate zu verlängern?
Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Herr Würzbach zur Verfügung, wobei ich daran erinnern darf, daß wir uns auf die Bundesregierung in ihrer ersten Besetzung eingestellt hatten. Aber es ist Ihr Recht, Ihren Minister zu vertreten; bitte schön, Herr Würzbach.
Herr Präsident! Frau Kollegin Fuchs! Herr Präsident, ich nahm für den Minister heute an der Kabinettssitzung teil. Das ist der Grund, daß ich gebeten wurde, jetzt hier zu sein.
Frau Kollegin Fuchs, als wir hier 1986 die Wehrpflichtverlängerung in Verbindung mit einer Erhöhung der Wehrgerechtigkeit beraten haben, nämlich möglichst alle, die tauglich sind, zu diesem Wehrdienst heranzuziehen, hat vor diesem Plenum der Minister ausdrücklich darauf aufmerksam gemacht, daß die Art der Verlängerung und der Zeitpunkt der Verlängerung ausschlaggebend dafür sind, daß wir von Mitte der 90er Jahre an nicht, wie beispielsweise namhafte Vertreter Ihrer Partei es damals hier in der Rede vermuteten und dann behaupteten, die Wehrpflicht über 21 Monate hinaus möglicherweise auf 24 Monate verlängern müssen. Deshalb soll im Juni 1989 um drei Monate verlängert werden. Im Grundsatz haben wir damals genau darauf gezielt, einen Bestand von etwa 320 000 Wehrpflichtigen zu haben, die dann bis Ende der 90er Jahre Gewähr dafür bieten, daß an der Länge der Wehrpflicht nach oben nicht wieder etwas geändert werden muß. Wir haben gegenüber der Zahl 320 000 durch eine Verschärfung der Tauglichkeitsmerkmale und eine Verringerung der Ausnahmen etwa 70 000 junge Männer mehr als damals berechnet, so daß wir knapp unter 400 000 liegen.
Dies führt nun nicht dazu, wonach Sie fragen, daß zum Nachteil des einzelnen Wehrpflichtigen oder gar älterer Wehrpflichtiger diese aus dem Beruf herausgezogen werden oder das Studium oder die Ausbildung unterbrechen müssen. Im Gegenteil; dadurch, daß wir um diese Anzahl erfreulicherweise mehr haben, können wir uns um den einzelnen, um dessen Berufs- und Lebensplanung individuell mehr kümmern und auf seine Wünsche eingehen.
Eine Reduzierung der Brigaden, was Sie vermuten, ist nicht vorgesehen.
Ich nehme an, Frau Hamm-Brücher, daß Sie zu einem anderen Fragenkomplex sprechen wollen.
Gilt das auch für Herrn Stratmann?
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 112. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 30. November 1988 8041
Vizepräsident WestphalDann würde ich zu diesem Bereich noch Herrn Gerster das Wort zu einer Frage zu diesem Bereich geben, danach aber niemandem mehr. Bitte schön, Herr Gerster.
Herr Staatssekretär Würzbach, wenn Sie diese Bugwelle von 400 000 Wehrpflichtigen, die nicht rechtzeitig einberufen werden können, bewußt geplant haben — das läßt sich aus früheren Dokumenten herauslesen; die Zahl 400 000 stand schon in einer offiziellen Verlautbarung vor einigen Monaten bei der Begründung, warum W 18 —, wenn Sie des weiteren W 18 unverändert für notwendig halten, ebenso das operative Minimum von 456 000 Soldaten — das, in Klammern gesprochen, selbst mit diesen Maßnahmen nicht zu halten sein wird — , wenn Sie diese Eckdaten alle aufrechterhalten werden, dann frage ich Sie: Wie wollen Sie bei den betroffenen Menschen — das sind junge Männer, die zum Teil 24, 25, 26 Jahre alt sind; das gilt nicht für den Durchschnitt; das gilt aber für einen nennenswerten Teil dieser Betroffenen — , die zum Teil bereits im Berufsleben stehen, die zum Teil Familie haben, die zum Teil ihr Studium aufgenommen oder gar abgeschlossen haben, .. .
Herr Kollege, die Frage muß knapp gefaßt sein, damit die Antwort knapp sein kann.
... wie wollen Sie für diese jungen Männer die Akzeptanz des Wehrdienstes durch besondere Maßnahmen herstellen, die dies im Einzelfall erträglich machen?
Herr Kollege Gerster, alle, die Sie soeben beschrieben haben, sind auf eigenen Wunsch, eigenen Antrag zurückgestellt worden. Ich sage Ihnen: Das Durchschnittsalter der Wehrpflichtigen liegt heute etwas über 21 Jahren; und in den nächsten Jahren werden wir mit dem Durchschnittsalter nicht höher, sondern hinunter in Richtung auf 19 Jahre gehen. Und bei den Älteren, bei den Verheirateten, bei den Verheirateten mit Kindern — um den Problembereich, den Sie aufgegriffen haben, zu erweitern — werden wir so einfühlsam und beweglich wie irgend möglich, auf jeden einzelnen bezogen, in einem Dialog vorgehen, der zwischen dem Kreiswehrersatzamt und dem Betreffenden zustande kommen soll.
Meine Damen und Herren, ich sehe, daß es Wünsche nach weiteren Fragen gibt. Aber ich glaube, Sie sollten meine Geschäftsführung insoweit akzeptieren, als daß ich möglichst vielen Kollegen Gelegenheit zu Fragen geben möchte.
Sie wollten nach einer Studie fragen. Die kann der Minister sicher liefern. Es geht um eine Studie, aus der alles hervorgeht, und darum, ob die Abgeordnete Frau Fuchs sie haben kann.
Ich weiß nicht, Herr Präsident, welche Studie die Frau Kollegin meint.
Herr Staatssekretär, Sie haben ja soeben gesagt, die Meldungen über dieses Papier aus dem Führungsstab träfen nicht zu. Meinen Sie nicht, daß wir dieses Papier im Ausschuß zur Kenntnis bekommen und beraten könnten, das sozusagen schon breit in der Presse erörtert wird?
Frau Kollegin, ich mache einen Vorschlag: Nachher ist Fragestunde. Ihr Kollege Gerster hat just zu diesem Thema eine Frage eingereicht.
Na, sehen Sie, auch das ist eine Stelle, wo man weiterfragen kann — in der nächsten Woche usw. —. Deswegen bitte ich um Verständnis, ich muß ja ein bißchen „quer durchs Haus gehen".
Frau Dr. Hamm-Brücher hat die nächste Frage.
Ich möchte gerne das als Frage stellen, was Sie, Herr Präsident, vorhin als Bemerkung aufgenommen haben. Herr Präsident, mit dem Blick auf die Regierungsbank möchte ich, wahrscheinlich an Herrn Bundesminister Schäuble, die Frage stellen, ob an der heutigen Kabinettsitzung nur fünf veritable Minister teilgenommen haben, und weiter, ob sich die Bundesregierung in Zukunft an die Vereinbarung halten wird, daß in der Regel, genau wie im britischen Unterhaus, bei der Regierungsbefragung auch die verantwortlichen Minister hier Rede und Antwort stehen sollen.
Herr Minister Schäuble, bitte schön.
Herr Präsident! An der Sitzung des Kabinetts haben mehr als fünf Bundesminister teilgenommen.
— Frau Kollegin, ich bin überfordert Ihre Frage zu beantworten, wo sich die Bundesminister, die sich im Augenblick nicht im Saal befinden, im Moment aufhalten. Ich weiß es wirklich nicht.
Aber ich mache darauf aufmerksam, daß die Vertretung der Bundesregierung und die Vertretung der Ressorts Sache der Bundesregierung und Sache der Ressorts ist, und daß eine vorrangige Aufgabe der Parlamentarischen Staatssekretäre die Vertretung des Ressorts gegenüber dem Deutschen Bundestag ist.
Herr Minister, es ist Ihr Recht, in dieser Weise zu antworten. Der Wunsch des Hauses ist deutlich geworden. Ich möchte hinzufügen, daß es einen Briefwechsel zwischen dem Präsidenten des Hauses, dem bisherigen Präsidenten des Hauses, und dem Bundesminister Schäuble über die Frage der Vertretung der Minister gibt, in dem das Kabinett damals schon gesagt hat, daß es nicht immer gelingen
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8042 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 112. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 30. November 1988
Vizepräsident Westphalwird, alle oder eine größere Zahl von Ministern hier zu haben.Ich glaube nicht, daß es einen Sinn hat, diese Debatte jetzt fortzusetzen. Aber der Wunsch des Hauses ist ja wohl deutlich geworden.Ich rufe dann den Abgeordneten Stratmann zu einer Frage auf.
Ich habe zwei Fragen. In den letzten Tagen haben die Betreibergesellschaften des Hochtemperaturreaktors Hamm-Uentrop den Bund und das Land Nordrhein-Westfalen relativ ultimativ aufgefordert, kurzfristig den Risikobeteiligungsvertrag aufzustocken, und zwar um über eine halbe Milliarde Mark. Meine Frage ist: Wie beurteilt die Bundesregierung diese Forderung grundsätzlich und wie in der Höhe? Das ist die erste Frage.
Herr Bundesminister Riesenhuber wird antworten. Bitte schön.
In der Vergangenheit hatten wir Risikobeteiligungsverträge zum THTR 300, die zu einem Drittel vom Land Nordrhein-Westfalen und zu zwei Dritteln vom Bund gedeckt worden sind. Die Annahme der Betreiber, daß die damals vereinbarten Summen das Risiko nicht mehr ausreichend abdekken, wird in Gesprächen mit dem Betreiber im einzelnen überprüft. Vor Abschluß dieser Gespräche können wir keine Aussage zu der Berechtigung der Forderung nach Art und Umfang machen.
Wir werden im übrigen die Gespräche mit dem Land Nordrhein-Westfalen weiter intensiv führen mit dem Ziel, auch hier zu einer gemeinsamen Lösung zu gelangen, ebenso wie bisher der THTR 300 von Bund und Land gemeinsam gestützt worden ist.
Meine zweite Frage in diesem Zusammenhang: In den letzten Wochen hat der Bundeskanzler wiederholt ein Junktim zwischen einer Erhöhung des Kohlepfennigs seitens der Bundesregierung mit Zustimmung des Parlaments einerseits und der Bereitschaft der Landesregierung Nordrhein-Westfalen, grundsätzlich der Atomenergie auch in Nordrhein-Westfalen andererseits zuzustimmen, hergestellt.
Meine Frage: Stimmen die Befürchtungen, daß auch, was jetzt den Risikobeteiligungsvertrag THTR 300 anbetrifft, ein solches Junktim zwischen den zeitgleich laufenden Verhandlungen um diesen Vertrag — die Bereitschaft der Landesregierung, ihren Anteil beim Risikobeteiligungsvertrag ebenfalls zu erhöhen — und der Bereitschaft der Bundesregierung, dem Land Nordrhein-Westfalen beim Revierausgleich „Kohlepfennig" entgegenzukommen hergestellt wird?
Die grundsätzliche Position der Bundesregierung ist, daß Kohle und Kernenergie zu einer gemeinsamen Energiestrategie gehören. Dies war ein Konsens, der über Jahre von vielen Beteiligten — auch von im Hause vertretenen Parteien — für grundsätzlich richtig gehalten worden ist. Er ist u. a.
darin begründet, daß die erheblichen Kosten der deutschen Steinkohle nur in einem Mix der Kostenstruktur mit dem Kernstrom gemeinsam getragen werden können.
Zu der Frage, ob hier ein Junktim bei den Verhandlungen zu der Risikobeteiligung beim THTR 300 mit anderen Sachbereichen hergestellt wird: Ein solches Junktim ist bis jetzt nicht in die Diskussion eingeführt worden. Ich bin der Ansicht, daß wir hier zu einer sachgerechten Lösung gelangen müssen.
Ich habe noch eine Frage des Abgeordneten Conradi. Danach rufe ich den zweiten Bereich auf, der von der Regierung genannt worden ist.
Bitte schön, Herr Conradi.
Herr Minister Schäuble, aus den ersten Berichten zur Volks- und Wohnstättenzählung wird deutlich, daß in der Bundesrepublik eine Million weniger Wohnungen vorhanden sind, als bisher angenommen wurde. Hat sich das Kabinett heute mit dieser überraschenden und dramatischen Zahl befaßt? Hat das Kabinett den Bauminister davon überzeugt, daß seine bisherigen Aussagen, die Wohnungsversorgung sei ausreichend, nicht zutreffen? Hat das Kabinett Maßnahmen ergriffen oder mindestens Prüfaufträge erteilt, was die Bundesregierung tun kann, um diesem erheblichen Wohnungsmangel, der ja nicht vermutet war und den Sie bisher bestritten haben, der erst durch die Volkszählung deutlich wird, zu begegnen?
Herr Minister Schäuble, zur Beantwortung, bitte schön.
Herr Kollege Conradi, das Kabinett hat sich in seiner heutigen Sitzung mit diesen Fragen nicht befaßt. Das schließt aber nicht aus, daß sich die zuständigen Ressorts mit der Auswertung der Ergebnisse der Volkszählung bef assen. Die Ressorts brauchen keine Aufträge von dem Kabinett, um sich mit solchen Fragen zu befassen. Der Gang der Dinge ist in der Regel so: Wenn die Ressorts ihre Prüfungen abgeschlossen haben, wird auf der Grundlage dieser Arbeiten der zuständigen Ressorts das Kabinett damit befaßt.
Herr Abgeordneter Sperling, zielt Ihre Frage in die gleiche Richtung? — Dann lasse ich sie noch zu. Bitte schön.
Herr Minister Schäuble, können Sie zusagen, daß sich das Kabinett in der nächsten Woche damit befassen wird, weil ja mehrere Ressorts beteiligt sind, wenn ich an die zuströmenden Aussiedler und andere Personengruppen denke, die den Wohnungsbedarf, den Kollege Conradi angesprochen hat, vermehren, und den Finanzbedarf bedenke, der nötig ist, um zu zusätzlichen Wohnungen zu kommen? Da wäre es sicher eine beschleunigte Verfahrensweise, wenn sich das Kabinett damit befassen würde und wir in der nächsten Stunde darauf zurückkommen könnten.
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 112. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 30. November 1988 8043
Herr Minister Schäuble, bitte schön.
Herr Kollege Sperling, ich kann Ihnen eine solche Zusage nicht geben. Wie ich soeben ausgeführt habe, hängt die Beschleunigung der Behandlung eines Problems nicht damit zusammen, zu welchem Zeitpunkt sich das Kabinett damit befaßt. Die Ressorts arbeiten, sie werten die Ergebnisse der Volkszählung aus; sie arbeiten daran beschleunigt. Die zuständigen Ressorts kooperieren auch untereinander. Wenn der Prozeß der Prüfung abgeschlossen ist, wird das Kabinett damit befaßt. Ob das in der nächsten Woche oder später sein wird, kann ich Ihnen jetzt nicht verbindlich zusagen.
Ich rufe nun den Bereich Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die Errichtung von Rundfunkanstalten des Bundesrechts auf, den die Bundesregierung als möglichen Fragenbereich angemeldet hatte. Gibt es dazu Fragen? — Bitte schön, Herr Abgeordneter.
Ich habe eine ganze Serie von Fragen.
Das geht nicht. Sie können es sicher schaffen, eine Frage in zwei Fragen zu unterteilen. Eine ganze Serie geht nicht. Das müssen Sie dann in der Fragestunde zusammen mit Kollegen machen. Bitte schön.
Ich würde gerne wissen, welche Vorstellungen die Bundesregierung hat, um das notwendige Maß an Staatsferne der Bundesrundfunkanstalten zu gewährleisten, und ich darf in diesem Zusammenhang sofort insbesondere auch fragen, ob und gegebenenfalls welche Absichten bestehen, ein Staatsfernsehen irgendwie zu installieren, vielleicht zunächst für das Ausland über die Deutsche Welle und dann vielleicht auch für das Bundesgebiet. Daran schließt sich sozusagen implizit sofort die Frage an, inwieweit die Kulturhoheit der Länder dabei gewährleistet ist und welche inhaltlichen Vorstellungen im Zusammenhang mit der Neufassung des Gesetzes bestehen, die Vielfalt des gesellschaftlichen Lebens, auch der real existierenden Konflikte, in den Bundesrundfunkanstalten zutage treten bzw. zur Darstellung kommen zu lassen, und in diesem Zusammenhang als Unterpunkt
die Frage nach Absichten oder Vorstellungen der Bundesregierung, die Beteiligung ausländischer Bürgerinnen und Bürger an der Programmgestaltung der Bundesrundfunkanstalten ins Auge zu fassen.
Zur Erläuterung — es ist im Grunde eine und dieselbe
Frage — : Es geht um die Frage, ob wir im Grunde ein
weiterhin öffentlich-rechtliches Rundfunksystem in
diesem Bereich haben werden oder etwas ganz anderes.
— Die habe ich längst gestellt.
Herr Kollege Dr. Briefs, ich habe den Eindruck, daß ein Minister schon ganz schön zu tun hat, um all die Fragen in der kurzen Zeit, die uns noch zur Verfügung steht, zu beantworten.
Konkret zur Staatsferne: Nach dem jetzt vorliegenden Gesetzentwurf ist es so, daß 55 bis 60 % der Mitglieder der Rundfunkräte ihr Mandat staatlichen Organen verdanken würden.
— Doch, doch.
Herr Kollege, ich unterbreche Sie jetzt.
Besteht die Absicht, diesen Anteil zu ändern und hier wirklich Repräsentanten gesellschaftlicher Gruppen hineinzunehmen?
Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie zuhören würden, wenn der Präsident Sie unterbricht.
Herr Dr. Briefs, ich bitte Sie, mir nun zu ermöglichen, dem zuständigen Ministerium das Wort zur Antwort zu geben. — Bitte schön, Herr Parlamentarischer Staatssekretär Spranger aus dem Innenministerium.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es gibt zunächst keine Zweifel, daß die bisherigen Rundfunkgesetze des Bundes der Verfassung entsprechen, d. h. auch die Gebote der Staatsferne auch im Einklang mit dem besonderen Auftrag von Deutschlandfunk und Deutscher Welle, nämlich das Bild Deutschlands im Ausland zu verbreiten, rechtlich einwandfrei geregelt waren. Dennoch hat der Bundesinnenminister auch nach entsprechenden Abstimmungen mit den Koalitionsfraktionen und anderen— auch mit der SPD sind Gespräche geführt worden — dem Kabinett heute einen Gesetzentwurf präsentiert, durch den das Gesetz über die Errichtung der Rundfunkanstalten des Bundesrechts geändert werden soll. Das Kabinett hat dem Entwurf zugestimmt und die Zuleitung des Gesetzentwurfs an den Bundesrat beschlossen.Ich darf die drei wesentlichen Inhalte und Zielsetzungen des Gesetzes ganz kurz darlegen. Einmal ist im Gesetz die Erweiterung des Benennungsrechts für Vertreter gesellschaftlicher Gruppen und Organisationen in den Rundfunkräten enthalten. Beim Deutschlandfunk wird die Zahl der Rundfunkräte von zur Zeit 22 auf 31 erhöht; bei der Deutschen Welle
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8044 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 112. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 30. November 1988
Parl. Staatssekretär Sprangersteigt die Zahl von 11 auf 17. Im übrigen ist auch die Zusammensetzung verändert worden, was die Zahl der Vertreter gesellschaftlicher Gruppen anbelangt. Ich kann Ihnen das auch im einzelnen aufschlüsseln. Hier ist wie bei den Vertretern aus den Bereichen Kultur und Wissenschaft, die vom Bundespräsidenten zusätzlich berufen werden, ebenfalls eine stärkere Repräsentanz gegeben. Schließlich ist die Zahl der staatlichen Vertreter zurückgeschraubt worden.Zu den Verwaltungsräten. Die Verwaltungsräte werden bei Deutschlandfunk und Deutscher Welle weiterhin mit sieben Vertretern besetzt sein, aber auch hier ist die Zahl der Staatsvertreter auf drei reduziert. Je zwei kommen aus den gesellschaftlichen Gruppen bzw. werden vom Bundespräsidenten berufen.Der dritte Punkt des Gesetzes betrifft die Erweiterung der Regelung über die Inkompatibilität der Tätigkeit eines Gremiumsmitglieds, insbesondere die Einbeziehung der Inkompatibilität bei Vertretern privater Rundfunkveranstalter.Um Ihnen noch etwas über die Verfahrensvorstellungen zu sagen: Das Änderungsgesetz sollte bis Mitte 1989 in Kraft treten, damit die Gremien dann neu konstituiert werden können.
Ich verlängere die Regierungsbefragung bis zur Beendigung dieses Punktes. Mir liegen noch vier Wortmeldungen zu diesem Fragekomplex vor. Ich will noch darauf aufmerksam machen, daß das eine Verkürzung der Fragestunde um die entsprechende Zeit bedeutet. — Bitte schön, Herr Mischnick.
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, ist in den Gesprächen mit den Ländern sichergestellt, daß hier die Gesamtfrage Bundeszuständigkeit/Landeszuständigkeit nicht etwa mitberaten wird, damit wir dieses Gesetz wirklich bis Mai verabschieden können, damit die neuen Gremien zum 1. Juli gewählt werden können?
Die Länder waren im Vorfeld bereits beteiligt, obwohl es kein Zustimmungsgesetz ist; es fällt in die Kompetenz des Bundes. Wir gehen davon aus, daß die Länder eine zügige Verabschiedung des Gesetzes nicht behindern, weder aus rechtlichen noch aus politischen Gründen.
Frage des Abgeordneten Nöbel.
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, läßt es der Wahlmodus bei der Wahl zum Verwaltungsrat zu, daß die jeweilige politische Mehrheit den Verwaltungsrat neben den zwei durch den Bundespräsidenten zu benennenden Mitgliedern einseitig besetzen kann?
Ich darf hier zunächst auf den neugefaßten § 8 verweisen, der im Gegensatz zu früher ausdrücklich die Zusammensetzung der sieben Mitglieder nennt: drei Vertreter aus dem Bereich staatlicher Organe, je zwei Vertreter der gesellschaftlichen
Gruppen und der Institution aus den Bereichen Kultur und Wissenschaft; das ist genau aufgeschlüsselt. Wie da nun die Besetzung des Verwaltungsrats erfolgt, ist Sache des Rundfunkrats, der dieses Gremium wählt.
Damit ist Ihre Frage dahin beantwortet, daß eine ausreichende Repräsentanz durch § 8 neu garantiert ist.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Kühbacher.
Herr Staatssekretär, wird in diesem Gesetzentwurf ein Selbstfindungsrecht der genannten staatlichen Organe zugestanden, wenn nämlich die Bundesregierung einen Vertreter, der Bundestag eine Vertreterin oder einen Vertreter und der Bundesrat ebenso einen Vertreter entsenden sollen?
Können Sie bei den jetzigen Mehrheitsverhältnissen in diesen drei Organen sicherstellen, daß z. B. eine Minderheitsgruppierung innerhalb dieser zwei Organe — bei der Regierung gibt es das hoffentlich nicht, das ist ja wohl eine Koalitionsregierung — überhaupt eine Chance bekommt?
Ich möchte nicht sagen, daß die Probleme so gelöst werden sollen wie bis 1982. Aber ab 1982 ist, glaube ich, eine Zusammensetzung gefunden worden, die allen Gremien eine vernünftige Arbeit garantiert. So wird es auch zukünftig sein.
Meine Damen und Herren, ich beende die Befragung.
Bevor wir die Beratungen mit der Fragestunde fortsetzen, gebe ich noch die Ergebnisse der namentlichen Abstimmungen über eine Reihe von Entschließungen zum Gesundheits-Reformgesetz bekannt. Diese Zeit geht aber nicht von der Fragestunde ab.Die namentlichen Abstimmungen wurde am Freitag, dem 25. November 1988, durchgeführt. Sie wurden zu Beginn dieser Woche ausgezählt.Erstens. Entschließungsantrag der SPD Drucksache 11/3441: Naturheilmittel und die Gleichberechtigung aller Therapieeinrichtungen. 471 abgegebene Stimmen; 232 Ja-Stimmen, 230 Nein-Stimmen, 9 Enthaltungen. Es hat keine ungültige Stimme gegeben. Der Entschließungsantrag ist angenommen.Zweitens. Entschließungsantrag der SPD Drucksache 11/3440: Solidarbeitrag der Pharmaindustrie. Abgegebene Stimmen 471; 211 Ja-Stimmen, 258 NeinStimmen, zwei Enthaltungen, keine ungültige Stimme. Der Entschließungsantrag ist abgelehnt worden.Drittens. Entschließungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN Drucksache 11/3474: Forderung nach einer umfassenden Strukturregelung im Gesundheitswesen. 468 abgegebene Stimmen; 36 Ja-Stimmen, 432 Nein-Stimmen, keine Enthaltungen und keine ungültige Stimme. Der Entschließungsantrag ist damit abgelehnt worden.
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 112. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 30. November 1988 8045
Vizepräsident WestphalViertens. Entschließungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN Drucksache 11/3475: Rechte der Patientinnen und Patienten. 468 abgegebene Stimmen; 208 Ja-Stimmen, 259 Nein-Stimmen, eine Enthaltung, keine ungültige Stimme. Dieser Entschließungsantrag ist abgelehnt.Fünftens. Entschließungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN Drucksache 11/3476: Gleichbehandlung besonderer Therapieeinrichtungen. 468 abgegebene Stimmen; 41 Ja-Stimmen, 427 Nein-Stimmen, keine Enthaltungen und keine ungültige Stimme. Der Entschließungsantrag ist abgelehnt.Meine Damen und Herren, die genauen Ergebnisse der 41 namentlichen Abstimmungen — dies sage ich mit der Betonung, weil wir uns auch ein bißchen überlegen sollten, was wir künftig machen — zu Änderungsanträgen der Fraktion der SPD und der Fraktion DIE GRÜNEN der zweiten Beratung des Gesundheits-Reformgesetzes, über die im Stimmzettelverfahren abgestimmt wurde, erscheinen im Nachtrag zum Stenographischen Bericht, der spätestens morgen verteilt wird.Ich rufe Punkt 2 der Tagesordnung auf: Fragestunde— Drucksache 11/3561 —Wir kommen zunächst zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit. Herr Bundesminiser Dr. Töpfer steht uns zur Beantwortung der Fragen zur Verfügung.Ich rufe die Frage 1 des Abgeordneten Dr. Daniels auf:Wie beurteilt die Bundesregierung die Widersprüche zwischen den Äußerungen des Bundesumweltministers Dr. Töpfer in der Aktuellen Stunde zum Schnellen Brüter am 22. September 1988 und dem diesbezüglichen Schreiben des Wirtschaftsministers des Landes Nordrhein-Westfalen, Jochimsen, vom 31. Oktober 1988 an den Bundestagspräsidenten über die Punkte, ob sich die atomrechtliche Genehmigungsbehörde der Weisung Herrn Töpfers angeschlossen hätte und ob der Antragsteller alle erforderlichen Unterlagen für eine abschließende Sicherheitsbeurteilung des Schnellen Brüters vorgelegt hätte, und wie kann es zu diesen unterschiedlichen Auffassungen über nachvollziehbare Fakten überhaupt kommen?Bitte schön, Herr Minister.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich darf mich vorweg für meine Stimme entschuldigen. Ich hoffe, ich werde hinreichend verstanden. Die allgemeine Grippewelle hat auch vor meiner Stimme nicht haltgemacht.
Ich darf wie folgt antworten: Herr Kollege Jochimsen hat zunächst meiner bundesaufsichtlichen Weisung zu Rechts- und Zweckmäßigkeitsfragen in einem Schreiben vom 30. Juni 1988 nachdrücklich widersprochen. Die Bundesregierung hat sich daraufhin veranlaßt gesehen, die Vorbereitung einer Klage vor dem Bundesverfassungsgericht zu beschließen, um das Land zur Umsetzung der Weisung zu verpflichten. Da die Bundesregierung keinen Zweifel an ihrer Absicht gelassen hat, hat dies eine Wandlung bei der nordrhein-westfälischen Landesregierung bewirkt. In zwei nachfolgenden Schreiben hat der Kollege Jochimsen deshalb mitgeteilt, daß er meiner Weisung nicht zuwiderhandeln wird.
In dem Behördengespräch meines Hauses und der Genehmigungsbehörde am 19. September 1988 wurde dies noch einmal bestätigt. In dem Gespräch war die Umsetzung der bundesaufsichtlichen Weisung ein zentraler Punkt. Unbeschadet seiner materiellen Vorbehalte hat die Genehmigungsbehörde ausdrücklich zu Protokoll gegeben, daß sie der bundesaufsichtlichen Weisung sowohl im internen wie auch im externen Verwaltungshandeln folgen will.
Diese Sachlage habe ich in der Aktuellen Stunde des Deutschen Bundestages am 22. September 1988 angesprochen, als ich mitteilte, daß sich Minister Jochimsen der bundesaufsichtlichen Weisung anschließt. Die in dem Schreiben an den Bundestagspräsidenten angegebenen Widersprüche sind nach meiner Wertung gegenstandslos. Sie sind — wenn überhaupt — eine Frage der sprachlichen Differenzierung.
Was die Vollständigkeit der Antragsunterlagen für die Teilgenehmigung 7/6 anbelangt, beziehen sich meine Äußerungen in der Aktuellen Stunde, daß der Antragsteller die erforderlichen Unterlagen nunmehr erbracht hat, naturgemäß auf den gegenwärtigen Stand des Genehmigungsverfahrens. Mit diesen Äußerungen wollte ich nicht ausschließen, daß zukünftig noch weitere Unterlagen erforderlich werden können. Berücksichtigt man diese selbstverständliche Einschränkung, bleiben auch hier keine Widersprüche bestehen.
Herr Dr. Daniels zu einer Zusatzfrage, bitte schön.
Herr Bundesminister, könnten Sie noch einmal bestätigen, daß das Schreiben des Landeswirtschaftsministers vom 31. Oktober 1988 an den Bundestagspräsidenten aus Ihrer Sicht nicht im Widerspruch zu den Äußerungen von Ihrer Seite in der Aktuellen Stunde steht, daß sich also die nordrhein-westfälische Genehmigungsbehörde daran halten wird und die Auflage erfüllt, ein Gutachten über die Auswirkungen des Störfalls bzw. des Unfalls in Tschernobyl auf den Schnellen Brüter nicht erstellen zu lassen?
Dr. Töpfer, Bundesminister: Herr Abgeordneter, ich darf genau das wiederholen, was ich gesagt habe. Bei dem sogenannten Statusgespräch am 19. September hat die Genehmigungsbehörde mitgeteilt, daß sie der Weisung im internen und externen Verwaltungshandeln folgen wird, unbeschadet nach wie vor bestehender materieller Unterschiede. Das heißt, man handelt danach, man akzeptiert aber nicht. Man hat extra auf die damit verbundene Zeitspanne verwiesen, wenn man noch eine entsprechende rechtliche Klärung vor dem Bundesverfassungsgericht herbeiführt. Dies ist, wie Sie wissen, in der Zwischenzeit durch eine Klageerhebung durch das Land Nordrhein-Westfalen erfolgt.
Sie haben eine weitere Zusatzfrage. Bitte schön, Herr Dr. Daniels.
Ich möchte von Ihrer Seite folgendes kurz erläutert haben: Es geht ja darum, eine weitere Untersuchung der Sicherheit
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8046 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 112. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 30. November 1988
Dr. Daniels
beim Schnellen Brüter in Kalkar durchzuführen, die den Unfallablauf in Tschernobyl berücksichtigt. Wir haben bei dem Unfallablauf in Tschernobyl die Situation, daß der Reaktor nur mit einer Teilleistung betrieben wurde und es trotzdem zu der Explosion gekommen ist. Genau dieser Fall — Schneller Brüter unter Teilleistung und mit den sich daraus ergebenen Auswirkungen bei dem sogenannten Bethe-Tait-Störfall — sollte ja noch untersucht werden. Das wird von Ihrem Hause abgelehnt. Warum?Dr. Töpfer, Bundesminister: Herr Präsident, ich will nicht die Beziehung zwischen den beiden Fragen herstellen; ich will sie aber sehr gerne aufgreifen, um zwei Dinge deutlich und klarzumachen:Erstens. Die Bundesregierung hat in keiner Weise den Eindruck erweckt, als wolle sie mögliche Konsequenzen aus dem katastrophalen Ablauf in Tschernobyl auf das Konzept und auf die Konzeptauslegung des Schnellen Brüters nicht verfolgen. Ganz im Gegenteil: Sie hat unmittelbar nach der Katastrophe von Tschernobyl die Reaktorsicherheitskommission beauftragt, diese Frage zu untersuchen. Wir haben eine entsprechende Stellungnahme der Reaktorsicherheitskommission bekommen und diese auch in der Weisung und vorab der Genehmigungsbehörde in Nordrhein-Westfalen verfügbar gemacht.Das heißt, wir haben diese Frage untersuchen lassen. Wir sehen jetzt allerdings keine Notwendigkeit zu zusätzlichen Untersuchungen dieser Fragestellung mehr.Zum zweiten: Ich glaube, ganz nachhaltig noch einmal darauf aufmerksam machen zu müssen, daß es einen Unterschied gibt zwischen der Tatsache, daß man einer Weisung folgt, und der Tatsache, daß man materielle Vorbehalte gegen den Inhalt der Weisung hat und diese materiellen Vorbehalte gegen den Inhalt der Weisung etwa auch in einer Klage vor dem Bundesverfassungsgericht abklärt.Ich habe versucht, diese beiden Dinge hier deutlich zu machen. Ich glaube, dem ist auch nichts mehr hinzuzufügen.
Zusatzfrage des Abgeordneten Stratmann.
Meine Zusatzfrage bezieht sich auf einen weiteren Punkt möglicher oder tatsächlicher Meinungsverschiedenheiten zwischen der Landesgenehmigungsbehörde in Nordrhein-Westfalen und der Bundesgenehmigungsbehörde, und zwar was die Transportbereitstellungshalle in Hamm-Uentrop betrifft. Wie steht die Bundesregierung — speziell Sie, Herr Töpfer — dazu, welches Verfahren zur Genehmigung der Transportbereitstellungshalle notwendig ist: nach dem Atomgesetz oder nach der Strahlenschutzverordnung?
Dr. Töpfer, Bundesminister: Ich glaube, Herr Präsident, daß die Überprüfung der Genehmigungsgrundlage in der Fragestellung sicherlich nicht enthalten ist.
Sie gestehen andererseits mir zu, daß es mir schwerfällt, das Fachliche so zu begreifen. Deshalb richte ich mich in diesem Fall nach Ihnen, daß Sie sagen: Es ist nicht darin enthalten. Ich bitte also Herrn Stratmann, nächstens eine eigene Frage zu diesem Thema einzubringen.
Unsere Drucksache hat Herrn Jochimsen zum „Landwirtschaftsminister" ernannt. Das ist er nicht; er ist Landeswirtschaftsminister.
Ansonsten wünsche ich Ihnen gute Besserung, Herr Minister Töpfer.
Den Geschäftsbereich des Bundesministers der Justiz brauche ich nicht aufzurufen, weil die einzige Frage 2 des Abgeordneten Hinsken auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet wird. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich komme dann zum Geschäftsbereich des Bundesministers für innerdeutsche Beziehungen. Herr Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Hennig steht zur Beantwortung zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 3 des Abgeordneten Seidenthal auf :
Trifft es zu, daß soziale/kulturelle Zonenrandmittel des Bundes, die für den Bereich der Bezirksregierung Braunschweig vorgesehen sind, von dieser Behörde selbständig bzw. in eigener Kompetenz vergeben werden, ohne daß die niedersächsische Landesregierung bzw. die Bundesregierung auf Zweck, Umfang und Abwicklung der Förderung im Einzelfall Einfluß nehmen?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Herr Kollege Seidenthal, die kulturellen und sozialen Zonenrandmittel des Bundes werden entsprechend dem Zonenrandförderungsgesetz vom 5. August 1971 im Benehmen mit den vier Zonenrandländern vergeben. Diesen kommt dabei die Aufgabe zu, die jährlich eingehenden Förderungsanträge zu prüfen und dem Bund je nach Dringlichkeit und Notwendigkeit Förderungsvorschläge zu unterbreiten. Für die Prüfung der Anträge aus dem niedersächsischen Zonenrandgebiet sind die Bezirksregierungen Braunschweig, Hannover und Lüneburg zuständig, die diese nach Abschluß ihrer Erhebungen den zuständigen Landesministerien zur Entscheidung vorlegen, welche Maßnahmen dem Bund zur Förderung vorgeschlagen werden.
Über die Gewährung von Bundeszuschüssen, also insbesondere über Zweck und Umfang der Förderung im Einzelfall, entscheidet dann die Bundesregierung auf Vorschlag des Landes Niedersachsen.
Es trifft mithin nicht zu, daß Landesbehörden kulturelle oder soziale Zonenrandmittel in eigener Zuständigkeit vergeben.
Herr Seidenthal, bitte schön, Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, nach welchen eigenen Kriterien und welchen verwaltungstechnischen Verfahren vergibt die Bundesregierung die besagten Zonenrandmittel?Dr. Hennig, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Seidenthal, es sind zunächst einmal die Kriterien des
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Parl. Staatssekretär Dr. HennigGesetzes, wie sie dort angelegt sind. Das Zonenrandförderungsgesetz ist ja ein Gemeinschaftswerk der damals in diesem Hause vertreten gewesenen Fraktionen. Zum zweiten sind es die geltenden Bundesrichtlinien vom 15. November 1982, die Ihnen wohl auch bekannt sind.
Weitere Zusatzfrage, Herr Seidenthal.
Herr Staatssekretär, gelangen alle förderungswürdigen Maßnahmen der Bundesregierung zur Kenntnis, oder wird es schon beim Land vorsortiert, wie sich es einmal bezeichnen möchte?
Dr. Hennig, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Seidenthal, wie ich ausgeführt habe, macht uns das Land konkrete Förderungsvorschläge. Es mag sehr wohl sein, daß das Land in seiner eigenen Prüfungskompetenz diese Vorschläge sortiert und prüft, wieviel Komplementärmittel es zur Verfügung stellen kann, so daß uns im Endergebnis nicht alle diese Vorschläge erreichen.
Ich will aber auch darauf hinweisen, daß es eine außerordentlich enge Zusammenarbeit zwischen den Fachreferaten des Bundesministeriums für innerdeutsche Beziehungen und den vier in Frage kommenden Zonenrandländern gibt, so daß dies in der Praxis im wesentlichen ausgeschlossen sein dürfte.
Ich rufe die Frage 4 des Abgeordneten Seidenthal auf:
Trifft es zu, daß die 1988 von der Bundesregierung für den Bau und die Einrichtung von Schulen und Kindergärten im niedersächsischen Zonenrandgebiet vorgesehenen Haushaltsmittel nicht in voller Höhe abgerufen worden sind und deswegen trotz offenkundigen Bedarfs in andere Bereiche umgeplant werden mußten?
Bitte schön, Herr Hennig.
Dr. Hennig, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Seidenthal, für den Bau und die Einrichtung von Schulen und Kindergärten im niedersächsischen Zonenrandgebiet sind dem niedersächsischen Kultusministerium im Haushalt 1988 Bundeszuschüsse für den Schul-
bzw. Kindergartenbereich in Aussicht gestellt worden. Das Kultusministerium hat dem Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen im Laufe des Jahres 1988 mitgeteilt, daß ein Teil der Mittel nicht für die genannten Förderungsbereiche eingesetzt werden konnte, da der Bedarf geringer veranschlagt werden mußte bzw. Landeshaushaltsmittel für den Schul- und Kindergartenbau nicht in ausreichender Höhe zur Verfügung stünden.
Diese Mittel wurden in solchen Förderungsbereichen des Zonenrandgebiets eingesetzt, für die ein dringender Bedarf gegeben war.
Zusatzfrage, Herr Seidenthal.
Herr Staatssekretär, können Sie mir sagen, in welche Bereiche diese Mittel gegangen sind? Wenn Sie das nicht beantworten können, wäre ich auch für eine schriftliche Antwort dankbar.
Dr. Hennig, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Seidenthal, ich bin nicht sicher, ob das Geld in ein oder mehrere Vorhaben geflossen ist. Ich werde das aber gerne feststellen lassen. Es kommt jedenfalls zunächst eine Rückmeldung des Landes Niedersachsen, daß voraussichtlich in einer bestimmten Höhe für diesen Zweck die Mittel dort nicht benötigt werden. Dann gibt es bei uns genügend andere Projekte, die wir einfüttern können, damit am Ende die Summe voll dem angestrebten Ziel des Zonenrandförderungsgesetzes zugute kommt.
Noch eine Zusatzfrage, bitte schön, Herr Seidenthal.
Herr Staatssekretär, können Sie mir bestätigen, daß Niedersachsen für die in meiner Ausgangsfrage genannten Maßnahmen einen Ausgleich für das nächste Jahr bekommt, und wie stellt die Bundesregierung sicher, daß Schulen und Kindergärten in allen Zonenrandländern Gelder aus Zonenrandmitteln erhalten?
Dr. Hennig, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Seidenthal, weil das nächste Haushaltsjahr in Ihrer Frage in keiner Weise angesprochen war, bin ich jetzt damit überfragt. Ich will Ihnen das aber gern schriftlich beantworten.
Damit sind wir am Ende dieses Geschäftsbereichs. Ich danke dem Staatssekretär für die Beantwortung der Fragen.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau auf. Herr Parlamentarischer Staatssekretär Echternach steht zur Beantwortung der Fragen zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 5 des Abgeordneten Dr. Sperling auf.
Liegen der Bundesregierung Informationen über Unterschiede in den Miethöhen für ansonsten vergleichbare Wohnungen vor, die durch unterschiedliche Verkehrslärmbelästigungen verursacht sind?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Herr Präsident, ich würde vorschlagen, daß ich die beiden Fragen dieses Fragestellers zusammen beantworte, wenn Sie und der Fragesteller damit einverstanden sind.
Der Herr Abgeordnete ist einverstanden. Ich rufe dann noch die Frage 6 des Herrn Abgeordneten Sperling auf.Gibt es Erkenntnisse dazu, in welchem Ausmaß wesentliche Änderungen des Verkehrs in der Umgebung von Häusern den Wert und die Mieten beeinflussen?Bitte schön.Echternach, Parl. Staatssekretär: Herr Dr. Sperling, eine Auswertung der einprozentigen Wohnungsstichprobe durch das Ifo-Institut in München hat ergeben, daß bei ansonsten vergleichbaren Wohnungen kein eindeutiger statistischer Zusammenhang zwischen der Höhe der Miete und der Lärmbelästigung besteht. Bei selbstgenutzten Ein- und Zweifamilienhäusern besteht demgegenüber nach einer Studie des Instituts für Verkehrswissenschaften der Universität
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8048 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 112. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 30. November 1988
Parl. Staatssekretär EchternachKöln ein Zusammenhang zwischen Verkehrswert und Lärmbelästigung. Danach führt eine Zunahme der Lärmbelästigung um 1 Dezibel zu einer durchschnittlichen Minderung des Verkaufspreises um rund 0,5 %.
Erste Zusatzfrage, bitte schön, Herr Dr. Sperling.
Herr Staatssekretär, angesichts des Unterschiedes der Ihnen bekannten Forschungsergebnisse: Währen Sie geneigt, durch Forschungsmittel Ihres Hauses der Frage nachgehen zu lassen, wie es sich nun wirklich verhält?
Echternach, Parl. Staatssekretär: Das Ergebnis ist nicht widersprüchlich. Es ist höchstens zwischen Einfamilienhäusern auf der einen Seite und Mietwohnungen auf der anderen Seite gegensätzlich. Aber das IfoInstitut hat sich auch um Erklärungen für diesen Unterschied bemüht.
Könnten Sie von diesen Erklärungen hier etwas sagen?
Echternach, Parl. Staatssekretär: Das will ich gerne tun. Einmal verweist das Ifo-Institut darauf, daß Lärmbelästigung offensichtlich unterschiedlich empfunden wird, und zwar das Straßenlärm für den einen eine Belästigung sein kann, während auf der anderen Seite eine enge Verkehrsanbindung — auch an öffentliche Verkehrsmittel — für einen anderen eine stadtbezogene, innenstädtische Wohnung attraktiv macht.
Es verweist zum anderen darauf, daß die Lärmbelästigung innerhalb eines Wohngebietes — das ist jeweils Ausgangspunkt der Untersuchung des Ifo-Instituts gewesen — sehr unterschiedlich sein kann und daß es da eine detaillierte Untersuchung nicht mehr gibt. Schon die Lärmbelästigung innerhalb einer Straße kann sehr unterschiedlich ausfallen. Aber das läßt sich mit den Methoden, die das Ifo-Institut zugrunde gelegt hat, nicht mehr erfassen.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Dr. Sperling.
Herr Staatssekretär, können Sie sich vorstellen, daß das an den Methoden liegt, die das Ifo-Institut zugrunde gelegt hat? Denn mir liegen Zahlen vor, die von einer Wertminderung lärmbetroffener Wohnungen von rund 30 Milliarden DM sprechen. Diese Zahlen stammen aus dem Umweltbundesamt in Berlin, das ja nicht von meiner Partei geleitet wird, sondern eher von Ihrer.
Echternach, Parl. Staatssekretär: Die Zahlen in einer Größenordnung von 30 Milliarden DM kenne ich nicht. Ich kenne eine Veröffentlichung eines Mitarbeiters oder einer Mitarbeiterin des Umweltbundesamtes, die sich auf die Untersuchungen des Ifo-Instituts stützt und ihr Ergebnis weitgehend bestätigt.
Eine letzte Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Sperling.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen vorstellbar, daß der Verkehrslärm soziale Kosten, die
sich möglicherweise nicht nur in Mietpreisen ausdrücken, verursacht, die ein so erhebliches Ausmaß angenommen haben, daß wir mit 2 % aller Umzüge rechnen müssen, die verkehrslärmbedingt sind?
Echternach, Parl. Staatssekretär: Es ist gar keine Frage, daß Verkehrslärm in größerem Umfang zum Auszug von Mietern führt und insofern sicher auch volkswirtschaftliche Probleme hervorruft. Insoweit ist der generelle Zusammenhang sicher gegeben. Die Zahlen, die Sie genannt haben, kann ich nicht bestätigen.
Damit sind wir am Ende dieses Geschäftsbereichs. Ich danke dem Staatssekretär für die Beantwortung der Fragen.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft auf. Die einzige Frage aus diesem Geschäftsbereich, die Frage 7 des Abgeordneten Jäger, wird auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen auf. Die Fragen 8 und 9 des Abgeordneten Kroll-Schlüter sowie die Frage 10 der Abgeordneten Frau Adler — das sind alle Fragen aus diesem Geschäftsbereich — werden auf Wunsch des Fragestellers bzw. der Fragestellerin schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft auf. Zur Beantwortung der Fragen steht uns der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Riedl zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 11 des Abgeordneten Urbaniak auf :
Trifft es zu, daß die EG-Kommission nach Prüfung des Antrags der italienischen Regierung, hinsichtlich des Finsider-Konzerns „Anpassungshilfe in Höhe von ungefähr 10 Milliarden DM zu genehmigen", ihre grundsätzliche Bereitschaft signalisiert hat, diesen Antrag zu befürworten?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Herr Abgeordneter, die EG-Kommission hat bei der Tagung des informellen Industrieministerrates am 21. und 22. Oktober dieses Jahres dargelegt, daß sie grundsätzlich eine Genehmigung der mit dem italienischen Umstrukturierungsplan für die staatliche italienische Stahlindustrie verbundenen Beihilfen befürworte, weil die Gesundung der italienischen Stahlindustrie auch dem Interesse der Gemeinschaft entspreche. Sie sei davon überzeugt, daß die Lebensfähigkeit des italienischen Unternehmens bis 1990 erreicht werden könne, wenn der vorgelegte Umstrukturierungsplan — der u. a. den Abbau von rund 20 000 Arbeitsplätzen und die Schließung von Warmwalzkapazitäten in Höhe von rund 1,2 Millionen t sowie den Verkauf von Anlagen mit einer Kapazität von knapp 0,6 Millionen t vorsieht — umgesetzt werde. Sie werde sicherstellen, daß das Unternehmen nicht übersubventioniert werde und daß die Beihilfen nicht zu Preisunterbietungen genutzt würden, um zusätzliche Marktanteile zu erwerben.Auch werde sie — sagt die EG-Kommission — sorgfältig kontrollieren, daß die geplanten Anpassungs-
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 112. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 30. November 1988 8049
Parl. Staatssekretär Dr. Riedlmaßnahmen durchgeführt würden. Die Kommission gehe davon aus, daß das begünstigte Unternehmen einen angemessenen Beitrag zum Abbau der in der EG immer noch bestehenden Überkapazitäten zu leisten habe.Die Kommission nahm aber nicht abschließend dazu Stellung, ob sie die von Italien vorgesehenen Stillegungen als ausreichend ansieht.
Eine Zusatzfrage, Herr Urbaniak.
Herr Staatssekretär, angesichts Ihrer Einlassung auf meine Frage muß ich doch davon ausgehen, daß die Bundesregierung die beantragten 10 Milliarden DM zur Sanierung dieses Stahlwerkes unterstützt, d. h. in der Ministerratssitzung am 13. Dezember 1988 wird die Bundesregierung zustimmen, daß dieser Subventionsbetrag von 10 Milliarden DM zu zahlen ist.
Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Herr Abgeordneter, wenn Sie einverstanden sind, beantworte ich jetzt auch die Frage 12; denn diese Antwort enthält im Kern das, wonach Sie mich mit Ihrer Zusatzfrage fragen.
Der Fragesteller ist einverstanden. Dann rufe ich auch die Frage 12 des Abgeordneten Urbaniak auf:
Wie ist die Haltung der Bundesregierung in dieser Frage, und ist sie bereit, sich mit der Wirtschaftsvereinigung Eisen und Stahl nachhaltig für die Ablehnung dieses Antrages in der EG-Ministerrunde einzusetzen?
Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Die Bundesregierung hat in dem informellen Industrieministerrat am 21. und 22. Oktober 1988 erklärt, daß sie einer Genehmigung der von Italien vorgesehenen Beihilfen auf Grund des bis jetzt bekannten Sachverhaltes nicht zustimmen könne. Ursächlich dafür war einmal, daß starke Zweifel bestehen, ob die italienischen Pläne tatsächlich die Rentabilität des Unternehmens und damit seine Lebensfähigkeit bewirken können, zumal eine der wesentlichen Verlustquellen des Unternehmens, nämlich des Stahlwerks in Bagnoli, zu wesentlichen Teilen bestehen bleiben soll.
Zum anderen war dafür ausschlaggebend, daß das italienische Stahlunternehmen nicht bereit ist, einen angemessenen Beitrag zum Abbau der in der EG immer noch reichlich vorhandenen Überkapazitäten als Gegenleistung für die durch die neuen Beihilfen hervorgerufenen Wettbewerbseinflüsse zu leisten. Dies gilt insbesondere für den Kernbereich des Flachstahls, das sogenannte Warmbreitband.
Die Wirtschaftsvereinigung Eisen- und Stahlindustrie bei uns in der Bundesrepublik Deutschland teilt — soweit uns dies bekannt ist — diese Haltung der Bundesregierung.
Zusatzfrage, Herr Urbaniak.
Herr Staatssekretär, wie beurteilt die Bundesregierung die Aussage des Kommissars Schmidhuber, der gesagt hat, man müsse diese Subventionen wohl gewähren, denn die italienischen Arbeitnehmer seien ja temperamentvoller als die an der Ruhr, und dieses sei einer der Gründe, um der Bundesregierung die Zustimmung in dieser Frage abzuverlangen?
Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Herr Abgeordneter, ich kenne diese Äußerung des Herrn EG-Kommissars Schmidhuber nicht, aber daß er bei seinem bayerischen Temperament den Vertretern Nordrhein-Westfalens Nachlässigkeit oder vielleicht zuwenig intensives Lobbyistentum vorwerfen kann, glaube ich nicht. Ich glaube sogar, daß er — ich will es jetzt im Ernst sagen, Herr Abgeordneter — die Auffassung der Bundesregierung nachhaltig unterstützen hilft.
Nachdem die ablehnende Haltung der Bundesregierung zu diesem italienischen Beihilfeantrag auch von anderen Mitgliedstaaten, nämlich vor allen Dingen den Niederlanden, Großbritannien, Belgien und Dänemark, unterstützt wurde, kam der Ministerrat überein, daß die Kommission versuchen soll, bis zum nächsten Treffen des Ministerrats — das ist am 13. Dezember dieses Jahres — einen konsensfähigen Entscheidungsvorschlag vorzubereiten. Vielleicht war dies gemeint, Herr Abgeordneter.
Dritte Zusatzfrage, bitte schön.
Herr Staatssekretär, liegen der Bundesregierung Angebote aus Italien vor, doch noch zur Zustimmung dieses 10-Milliarden-DM-Subventionsbetrages zu kommen, indem einem großen deutschen Elektrokonzern bzw. Elektronikkonzern die Möglichkeit geboten wird, stärker in die Kapitalverflechtungen eines italienischen Unternehmens einzusteigen? Will man hier etwas kompensieren? Ist so etwas an Sie herangetragen worden?
Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Auch ich habe das gelesen; aber nach meinem Wissen ist dies nicht an die Bundesregierung herangetragen worden. In Vorbereitung auf diese Fragestunde haben mir das die Beamten auch nicht bestätigt. Ich werde es aber noch einmal nachprüfen.
Dafür, daß sich die Italiener bemühen, hier eine deutsche Zustimmung zu bekommen, habe ich Verständnis. Entscheidend ist nur, daß die Haltung der Bundesregierung in Brüssel unbeirrt auf Ablehnung bleibt.
Herr Staatssekretär, kann ich also davon ausgehen, daß die Haltung der Bundesregierung für den 13. Dezember — Ministerratskonferenz — klar ist, nämlich den Subventionskodex nach dem EGKS-Vertrag so zu erhalten, wie er vereinbart ist, und daß Fragen des Temperaments von Volksgruppen oder Mitgliedern der EG bei der rechtlichen Beurteilung und Einschätzung dieses Vertrages keine Rolle spielen?Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Herr Abgeordneter, ich kann Sie in dieser Auffassung nur unterstützen. Der EG-Stahlsubventionskodex ist ausdrücklich mit auf Betreiben der Bundesregierung zustande gekommen. Er ist, wenn wir das einmal ganz ehrlich betrachten, die einzige und entscheidende Grundlage zur
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8050 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 112. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 30. November 1988
Parl. Staatssekretär Dr. RiedlSanierung der Stahlwerke in Europa überhaupt und damit auch der Stahlsituation in der Bundesrepublik Deutschland. Sie können davon ausgehen, daß die Bundesregierung von dem Standpunkt, den ich hier dargelegt habe und der von mehreren Ländern in der EG geteilt wird, auch am 13. Dezember 1988 ausgeht.
Zusatzfrage des Abgeordneten Beckmann.
Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung bereit, begrüßend zur Kenntnis zu nehmen, daß die, wie ich es einschätze, überwältigende Mehrheit dieses Hauses ihre konsequente Position auf der Industrieministerratssitzung im Oktober nachhaltig unterstützt, und ist es nicht so, daß der Bundesregierung die Interessen der deutschen Stahlregionen und der in ihr tätigen Arbeiter zumindest ebenso am Herzen liegen, wie dies bei der italienischen Regierung bezüglich ihrer Stahlregionen und der dort tätigen Arbeiter der Fall ist?
Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Herr Abgeordneter, das kann ich Ihnen ausdrücklich bestätigen. Und ich bedanke mich im Namen der Bundesregierung
auch für die Unterstützung unserer Position, die wir hier im Parlament regelmäßig finden.
Sie haben eine weitere Zusatzfrage, Herr Beckmann. Bitte schön.
Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung ebenso in der Lage, zur Kenntnis zu nehmen, daß dieses Parlament kein Verständnis dafür haben würde, wenn einer Subvention in Höhe von 10 Milliarden DM für die italienische Stahlindustrie die Zustimmung durch die EG-Kommission zuteil würde?
Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Da kann ich Ihnen absolut zustimmen. Dabei befürchte ich, daß die Beträge, um die es in Italien geht, weit höher sind, als sie jetzt im Augenblick in der Presse genannt werden.
Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Danke.
Ich rufe die Frage 13 der Abgeordneten Frau Beck-Oberdorf auf:
Unter welcher Position der Ausfuhrliste zur Außenwirtschaftsverordnung sind die von MBB gefertigten und am 20. März 1985 für die Ausfuhr nach Südafrika genehmigten Multisensorplattformen erfaßt, und wieso wurde eine Ausfuhrgenehmigung für Südafrika erteilt, obwohl es im völkerrechtlich verbindlichen Rüstungsembargo wörtlich heißt: „Der Sicherheitsrat ... beschließt, daß alle Staaten ab sofort die Lieferung von Waffen und dazugehörigem Material aller Art nach Südafrika einzustellen haben, einschließlich des Verkaufs oder der Weitergabe von Waffen und Munition, von Militärfahrzeugen und Ausrüstungen, von paramilitärischer Polizeiausrüstung sowie von Ersatzteilen für die vorgenannten Gegenstände ... "?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Frau Abgeordnete, Multisensorplattformen können — je nach Sensorbestückung — zivil oder militärisch zur Fernmessung fliegender Objekte eingesetzt werden. Bei der im Ausfuhrgenehmigungsverfahren, das Sie angesprochen haben, vorgenommenen Prüfung der Ausrüstung der in Rede stehenden Plattformen ergaben sich keine Anhaltspunkte für eine militärische Nutzung der Geräte.
Wie bereits mehrfach mitgeteilt, überprüft die Bundesregierung diese Genehmigungsentscheidung. Die Prüfung läuft zur Zeit; sie ist noch nicht abgeschlossen. Mit der Herstellerfirma wurde inzwischen vereinbart, daß die noch nicht ausgeführten zwei Geräte vorerst nicht ausgeliefert werden. Das mandatorische Waffenembargo des UN-Sicherheitsrates wird von der Bundesregierung selbstverständlich strikt eingehalten.
Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Beck-Oberdorf.
Welche Unterlagen standen der Bundesregierung bzw. dem Bundesamt für Wirtschaft zur Verfügung, als die Ausfuhrgenehmigung 1985 erteilt wurde?
Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Frau Abgeordnete, ich bin im Augenblick nicht in der Lage, Ihnen diese Frage zu beantworten.
Ich habe den Aktenordner — wahrscheinlich sind's mehrere Aktenordner — nicht gelesen. Wenn Sie mir die Möglichkeit geben, daß ich da einmal reinschaue, tue ich das. Ich habe mir den Leitz-Ordner nicht kommen lassen.
Weitere Zusatzfrage? Frau Beck-Oberdorf : Ja.
Bitte schön.
Sind der Bundesregierung Einsprüche gegen die Lieferung dieser Anlagen nach Südafrika, z. B. durch die bremische Landesregierung, bekanntgeworden, die ja im Aufsichtsrat von MBB vertreten ist?
Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Also, von wem die Bundesregierung diese bekanntgewordenen Bedenken bekommen hat, müßte ich nachprüfen. Ob das Land Bremen dabei war, weiß ich nicht. Ich teile Ihnen das schriftlich mit.
Zusatzfrage, Herr Gansel.
Herr Staatssekretär, es ist, wenn ich Ihre Antwort richtig verstanden habe, also zutreffend, daß eine dieser Sensorplattformen zur Lenkung ziviler
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 112. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 30. November 1988 8051
Ganselbzw. militärischer Raketen an Südafrika ausgeliefert worden ist. Können Sie mir sagen, wann das geschehen ist und wann der Vertrag darüber abgeschlossen worden ist?Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Damit ich Ihnen, Herr Abgeordneter Gansel, in dieser außerordentlich diffizilen Frage keine falsche Auskunft gebe, darf ich einmal kurz nachlesen. — Ja, ich habe es: Die Ausfuhrgenehmigungen für die Multisensorplattformen wurden am 20. März 1985 erteilt und im März 1988 verlängert. Zu diesem Zeitpunkt waren keine Umstände oder Tatsachen bekannt, die Bedenken gegen die Ausfuhr auslösen konnten. Erste Hinweise hat die Bundesregierung im Juni 1988 erhalten, und die sind beim Auswärtigen Amt eingegangen.
— Juni dieses Jahres, Juni 1988, eingegangen beim Auswärtigen Amt.
— Bitte sehr.
Frau Olms, haben Sie sich gemeldet?
— Ach, machen Sie mir das doch zukünftig deutlicher, als Sie das jetzt getan haben. Bitte schön, Frau Olms.
Gut. — Anschließend an Herrn Gansel habe ich die Frage: Welche neuen Erkenntnisse hat die Bundesregierung nach der Ausfuhr der ersten Multisensorplattform nach Südafrika gewonnen, die einer weiteren Ausfuhr entgegenstehen?
Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Frau Abgeordnete, wir gehen zur Zeit diesen Hinweisen nach.
— Im Kern geht es darum, daß die ursprünglich angenommene zivile Verwendung jetzt angeblich — muß ich sagen — in eine militärische Verwendung übergegangen sein soll. Ich höre von meinen fachkundigen Mitarbeitern, daß dies einer der Grenzfälle ist, wo zivile und militärische Nutzung sehr nahe beieinanderliegen. Das ist ungefähr so — ich weiß, daß der Vergleich natürlich hinkt — : Wenn Sie einen Lkw für militärische und zivile Zwecke benutzen, können Sie natürlich schwer sagen, der eine Lkw ist ein militärisches, der andere ein ziviles Produkt. Bei diesen Sensorgeräten können Sie natürlich zum allergrößten Teil auch Messungen durchführen, die mit militärischen Operationen überhaupt nichts zu tun haben.
Aber Sie können davon ausgehen — das darf ich hier dem Deutschen Bundestag erklären —, daß die Bundesregierung eine sehr sorgfältige, fachkundige und technisch einwandfrei nachprüfbare Prüfung durchführt.
Eine Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Teubner, bitte schön.
Nein, es ist noch nicht alles beantwortet. Ich möchte die Frage nach der Art der Hinweise stellen, die im Juni 1988 an Sie ergangen sind. Es ist noch offen, von welcher Art und Herkunft die Hinweise waren, auf Grund deren Sie eine erneute Prüfung oder überhaupt eine Prüfung vorgenommen haben.
Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Frau Abgeordnete, das weiß ich selbst nicht. Es geht im Kern um die Frage einer auch militärischen Nutzung. Dies wird zur Zeit geprüft; das Verfahren dauert an. Wir sind nach Abschluß dieser Ermittlungen selbstverständlich jederzeit gern bereit, Sie umfassend zu informieren.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Opel.
Herr Staatssekretär, können Sie mir mitteilen, wann die erste Plattform ausgeführt wurde?
Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Das habe ich vorhin, Herr Abgeordneter, mitgeteilt. Ich darf es noch einmal nachlesen. Die Ausfuhrgenehmigung wurde am 20. März 1985 erteilt, sie ist im März 1988 verlängert worden, und die Auslieferung lag dazwischen. Wenn Sie den genauen Tag der Verschiffung haben wollen,
mit Morgen- und Abendstunde, Herr Abgeordneter, so werde ich das für Sie feststellen.
— Ich kann Ihnen alles feststellen lassen. Sie müssen mich nur fragen. Allerdings kann ich das, Herr Abgeordneter, hier nicht aus der Lamäng beantworten. Ich bin kein Multicomputer, ich bin ein ganz simpler Staatssekretär und antworte nach bestem Wissen und Gewissen. Aber die Deutsche Bundespost will auch Arbeit haben; ich schreibe Ihnen einen langen und ausführlichen Brief.
Herr Abgeordneter Bohl, zu einer Zusatzfrage, bitte schön.
Herr Staatssekretär, können Sie mir sagen, wer diese Ausfuhrgenehmigung vom 20. März 1985 erteilt hat?
Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Das dafür zuständige Bundesamt für gewerbliche Wirtschaft.
— Ja.
Ich rufe die Frage 14 der Abgeordneten Frau Beck-Oberdorf auf:Sind der Bundesregierung die Geschäftsberichte und Hauszeitungen der Firma MBB bekannt, und kennt sie demzufolge den MBB-Geschäftsbericht von 1983, in dem es unter der Rubrik „Gerätetechnik" auf Seite 27 heißt: „Die im Bereich Marine-
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8052 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 112. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 30. November 1988
Vizepräsident Westphalund Sondertechnik entwickelten und gefertigten Flugbahnvermessungsanlagen dienen der Erprobung bemannter und unbemannter Waffensysteme. Für diese Anlagen werden unter der Bezeichnung ,Multisensorplattform' hochpräzise, dynamische Richtplattformen gebaut . . ", und warum wurde dennoch 1985 eine Ausfuhrgenehmigung für die Lieferung dieser Anlagen nach Südafrika erteilt?Bitte schön, Herr Staatssekretär.Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Frau Abgeordnete, Ihre Frage 14 darf ich wie folgt beantworten. Der Bundesregierung liegen Veröffentlichungen der Firma MBB vor, in denen die militärischen wie auch die zivilen Einsatzmöglichkeiten der Multisensorplattformen dargestellt werden. Das ist genau der Punkt, den ich in einer der Vorfragen zu beantworten hatte: Schnittstelle zwischen militärischer und ziviler Einsatzmöglichkeit. Im Zeitpunkt — das ist jetzt für Ihre Frage entscheidend — der Erteilung der Ausfuhrgenehmigung und deren Verlängerungen waren der Bundesregierung und dem zuständigen Bundesamt keine Umstände oder Tatsachen bekannt, die Bedenken gegen die Ausfuhr auslösen konnten.
Eine Zusatzfrage, Frau Beck-Oberdorf.
Trifft es zu, daß solche Multisensorplattformen bisher nur bei Armeen, beispielsweise bei der Bundeswehr und den Armeen Großbritanniens und Norwegens angewandt werden, und wie konnte die Bundesregierung dennoch von einer zivilen Verwendung ausgehen?
Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Das muß ich nachprüfen. Ich weiß nicht, wo früher gelieferte Plattformen im einzelnen eingesetzt worden sind. Ich nehme im übrigen auch an, daß dies Bestandteil der derzeitigen Überprüfungen ist.
Eine Zusatzfrage, Herr Gansel.
Herr Staatssekretär, ist der Bundesregierung bekannt, daß die Firma MBB auch als Unterlieferant in den Akten des Untersuchungsausschusses des Deutschen Bundestages auftaucht, der das Geschäft zum Bau von U-Booten in Südafrika zu untersuchen hat, und kann die Bundesregierung ausschließen, daß diese Multisensorplattformen, deren Ausfuhr genehmigt wurde, zu dem Zeitpunkt, als die beiden Firmen aus der Bundesrepublik schon Pläne nach Südafrika lieferten, dazu benutzt werden sollten, um die Raketen zu lenken, für die auf diesen U-Booten spezielle Abschußrampen vorgesehen waren?
Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Herr Abgeordneter, Sie stellen hier eine so dezidierte Frage, die im Detail von den Fachleuten innerhalb dieses Prüfverfahrens zu prüfen ist, daß ich Sie bitten möchte, das Ergebnis der Ermittlungen der Bundesregierung abzuwarten. Wenn die Frage nicht schon in die Prüfung eingegangen ist, wird sie spätestens jetzt, wo sie durch Ihre Formulierung in das Protokoll des Deutschen Bundestages eingeht, auch in das Prüfverfahren eingehen.
— Sie unterschätzen die Bundesregierung, Herr Abgeordneter.
Wir haben jetzt hier keine Gelegenheit, kommentierend tätig zu werden, sondern wir haben eine Fragestunde.
Herr Bohl ist an der Reihe.
Herr Staatssekretär, darf ich Sie fragen, ob es richtig ist, daß es sich bei der offensichtlich hier relevanten Frage um eine technisch sehr schwierige Beurteilung handelt, deren Entscheidung nicht unbedingt politisch erfahrenen Ministern und Staatssekretären obliegen kann, sondern bei der man sich auf den sachkundigen, fachlich versierten Rat von Technikern und Ingenieuren bei dem ja auch zuständigen Bundesamt für Wirtschaft verlassen muß?
Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Herr Abgeordneter, das, was Sie sagen, ist nicht nur richtig, sondern auch die Regel in allen Prüfverfahren, die beim Bundesamt für gewerbliche Wirtschaft anhängig sind. Sonst bräuchten wir dieses Bundesamt ja gar nicht. Sonst könnten wir es durch den Sachverstand der Abgeordneten ersetzen.
Aber es ist ja wohlweislich zu dem Zweck gegründet worden, hochkomplizierte technische Fragen einer qualifizierten Behörde, die unsere volle Unterstützung verdient, vorzulegen.
Aber mit dieser Logik, Herr Kollege Riedl, könnte man die ganze Fragestunde abschaffen. Dies möchte doch wohl keiner.
Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Das wäre ein Unglück, Herr Präsident.
Das wollten Sie hoffentlich nicht.
Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Um Gottes willen.
Frau Olms ist die nächste Fragestellerin mit einer Zusatzfrage.
Herr Riedl, ich möchte Sie auf etwas aufmerksam machen und daraus eine Frage herleiten. Im Geschäftsbericht von MBB von 1983 steht auf der Seite 27:Die im Bereich Marine- und Sondertechnik entwickelten und gefertigten Flugbahnvermessungsanlagen dienen der Erprobung bemannter und unbemannter Waffensysteme.Ich wollte noch einmal sagen, daß es darin steht. Jetzt sagen Sie, es seien Zweifel aufgetaucht, ob Nutzung nun im zivilen oder im militärischen Bereich erfolgt. Ich meine, wenn man den Geschäftsbericht von MBB nimmt, ist es doch ziemlich eindeutig. Diesen Widerspruch möchte ich von Ihnen einmal geklärt haben.
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Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Frau Abgeordnete, ich darf es einmal ein bißchen salopp beantworten. Daß diese Multisensorplattformen nicht zum Einfangen von Maikäfern gebaut werden, weiß ich auch. Aber ich kann dem, was Sie aus dieser Mitteilung von MBB schließen, im übrigen nicht folgen. Überlassen Sie es doch dem Prüfverfahren des zuständigen Bundesamtes, dem auch ich mit großer Neugier entgegensehe. Dann werden wir weitersehen, um welche Geräte und vor allen Dingen um welche Verwendungen es sich letztlich gehandelt hat.
Jetzt kommt die Abgeordnete Frau Teubner.
Wenn das Bundesamt für Wirtschaft in Eschborn so klug ist, wie Sie eben dargestellt haben, frage ich: Warum hat es dann 1985 diesen Geschäftsbericht nicht gekannt, bzw. ist es nicht üblich, wenn es um solche Ausfuhrgenehmigungen in ja nun bekanntermaßen diffizilen Bereichen, etwa um den Handel mit Südafrika, geht, sich dann eventuell bei der Lieferfirma, in diesem Fall bei MBB, zu erkundigen, ob es sich bei den zu liefernden Gegenständen möglicherweise um Waffensysteme handeln kann, was ja in dem Geschäftsbericht von 1983 schon eindeutig dargelegt worden war?
Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Frau Abgeordnete, dies ist ja eindeutig geprüft worden. Es lagen dem Bundesamt bis dahin keine anderen Erkenntnisse als die vor, die zur Ausfuhrgenehmigung geführt haben.
Zweitens. Ich wiederhole noch einmal: Das, was Frau Abgeordnete Olms vorgelesen hat, ist mitnichten eine Erläuterung des Fragenkomplexes, um den es hier geht. Sie haben eine sehr breite und liebenswürdige Interpretation eines Geschäftsberichts gemacht, Frau Abgeordnete, die vielleicht in einer Volkshochschule in einen Lernkurs für Mikroelektronik Eingang finden könnte, aber nicht als Beweis dafür dienen kann, daß diese Plattformen in Südafrika militärischer Nutzung unterworfen sind.
Kollegin Weyel hat die nächste Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, wenn das Bundesamt für Wirtschaft in Eschborn für all diese Dinge zuständig ist, warum haben denn dann die Firmen in anderen Fällen, z. B. bei der Frage der U-BootLieferung, direkt mit dem Kanzleramt verhandelt?
Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Ich könnte es mir jetzt leichtmachen und sagen: Frau Abgeordnete, fragen Sie doch bei den Firmen selbst nach; ich bin ja nicht der Firmenvertreter.
Aber ich möchte für die Bundesregierung sagen, daß
es in wichtigen Exportfragen — auch in Fragen, die
Sie angesprochen haben — doch selbstverständlich ist, daß im politischen Bereich Anfragen gestellt und Erläuterungen gegeben werden. Das ist doch eine ganz klare Sache. Wenn Sie sich noch an die etwas länger zurückliegende Zeit der sozialliberalen Koalition erinnern, so hat der von Ihnen ja sehr verehrte Herr Bundeskanzler Helmut Schmidt regelmäßig solche Kontakte gepflegt.
— Die ist sehr wichtig, Frau Abgeordnete, nur hat das Bundesamt für gewerbliche Wirtschaft den zivilen Charakter bejahen müssen, weil anderslautende Erkenntnisse — „militärische Nutzung" — nicht vorlagen.
Jetzt gibt es einen Hinweis, der über das Auswärtige Amt eingegangen ist. Jetzt wird geprüft. Die Auslieferung ist gestoppt worden. Für Unruhe oder Aufregung besteht überhaupt kein Anlaß.
— Auch das kann ich Ihnen bestätigen, Herr Abgeordneter.
Von mir war nicht die Rede!
Der nächste Fragesteller ist Herr Kittelmann.
Herr Staatssekretär, könnten Sie den Abgeordneten Gansel darauf hinweisen, daß aus den von ihm zitierten Bemerkungen aus dem Untersuchungsausschuß und aus den drei oder vier Meter langen Akten nicht hervorgeht, daß MBB dort als Lieferer aufgeführt worden ist, sondern hervorgeht, daß die Firma nur potentieller Lieferer ist,
und daß bei Herrn Gansel vorauszusetzen ist, daß er das auch weiß?
Herr Kittelmann, Sie könnten das dem Kollegen Gansel direkt sagen, denn Dreiecksfragen lassen wir hier nicht zu.
Dann möchte ich die Frage so formulieren, daß ich ausschließlich den Herrn Staatssekretär frage. — Soll ich die Frage wiederholen?
Herr Kittelmann, ersparen Sie uns das aus Zeitgründen!Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Herr Präsident, ich habe die Frage, obwohl sie sehr kompliziert formuliert war, sogar verstanden und möchte so antworten, daß ich in der ganzen Fragestunde und bei all den Fragen, die der Herr Kollege Gansel regelmäßig stellt, sowieso
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8054 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 112. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 30. November 1988
Parl. Staatssekretär Dr. Riedldavon ausgehe, daß er teilweise besser informiert ist als die Bundesregierung.
Jetzt kommt Frau Beck-Oberdorf zu ihrer letzten Frage, bitte.
Herr Staatssekretär, heißt das, daß die Bundesregierung bereit ist, an Südafrika Techniken zu liefern, die beiden Zwecken dienen können, sowohl zivilen als auch militärischen, sofern eine Regierung, hier also die südafrikanische, eben nur bestätigt, daß sie diese Techniken zivil einsetzen möchte?
Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Das heißt das natürlich nicht. Frau Abgeordnete, ich habe Ihnen mehrmals erklärt — und ich bitte Sie darum, das bei aller legitimen Kritik an der Bundesregierung anzuerkennen und zu akzeptieren — , daß sich die Bundesregierung völlig korrekt nach Recht und Gesetz verhalten hat
und daß wir vom ersten Augenblick an, als uns über das Auswärtige Amt Hinweise zugegangen waren, mit der Firma Kontakt aufgenommen und die Restlieferung von zwei Sensoren gestoppt haben. Jetzt erfolgt eine Prüfung, deren Ergebnis wir abwarten müssen. Ich sage noch einmal: Ich appelliere an Sie, Geduld zu haben.
Wir prüfen, soweit dies überhaupt zu beschleunigen ist, so rasch wie möglich. Ich bin ja selber neugierig. Ich darf Ihnen sagen: Mich interessiert ja auch, welchen Zweck diese Plattformen haben. Wir werden Sie zu gegebener Zeit gerne informieren. Aber politisches Kapital gegen die Bundesregierung können Sie daraus nie schlagen. Sie sollten sich mit anderen Themen befassen.
Herr Abgeordneter Oostergetelo, eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ist bei der Lieferung dieser Plattformen MBB nun ein tatsächlicher oder ein potentieller Lieferer?
Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: MBB ist der Lieferant.
Ich rufe Frage 15 der Abgeordneten Frau Olms auf:
Wie hat die Bundesregierung überprüft, ob die für Südafrika genehmigte Multisensorplattform für zivile Zwecke konstruiert bzw. geeignet ist, und wer sind die südafrikanischen Besteller der Anlagen?
Bitte schön, Herr Staatssekretär; wir bleiben beim Thema.
Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Wie bereits in der Antwort auf Frage 14 der Abgeordneten Frau BeckOberdorf dargelegt, wurde die Frage der zivilen Nutzung der Multisensorplattformen im Ausfuhrgenehmigungsverfahren überprüft. Maßgebend war dabei
die spezielle Sensorausrüstung. Besteller der Geräte ist das staatliche südafrikanische Wetteramt.
Frau Olms, Sie haben eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär Dr. Riedl, ich habe lange im kaufmännischen Bereich gearbeitet. Es gibt immer den Unterschied zwischen Besteller und Empfänger. Ich will meine Frage nicht verschenken. Ich möchte, daß die erste Frage wenigstens korrekt beantwortet wird.
Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Wenn Sie mich fragen würden. Wenn ich etwas falsch beantwortet habe, dann sagen Sie es mir!
Ja. Es gibt in dem Bereich oftmals einen Unterschied zwischen Besteller und Empfänger. Das Wetteramt kann bestellen, und ein anderes Amt kann empfangen. Diesen Terminus gibt es.
Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Würden Sie es mir ersparen, gnädige Frau, in einen philosophischen Dialog über diese Frage gerade mit Ihnen einzutreten?
Das ist kein philosophischer, sondern ein kaufmännischer Dialog; wenn man schon einmal so redet.
Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Deshalb bleibe ich dabei, daß der Besteller dieser Geräte das südafrikanische Wetteramt war.
Gut.
Sie haben eine weitere Zusatzfrage. Ich muß den Dialog unterbrechen.
Auf welche Weise hat die Bundesregierung sichergestellt, daß keine Ausfuhr nach Südafrika stattfindet, bis die Bundesbehörden ihre Prüfungen abgeschlossen haben?
Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Wir haben das mit der Firma so abgesprochen.
— Das ist eine Absprache, die von der Bundesregierung eingehalten wird, und die Bundesregierung hat überhaupt keinen Zweifel, daß dagegen nicht verstoßen wird. Frau Abgeordnete, ich bitte doch Treu und Glauben, auch bei Firmen und Angelegenheiten, die Ihnen vielleicht politisch nicht passen, nicht in Zweifel zu ziehen.
Zusatzfrage des Abgeordneten Gansel.
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 112. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 30. November 1988 8055
Herr Staatssekretär, da Sie im Detail schon über den Genehmigungsvorgang beim Bundesamt für Wirtschaft in Eschborn Auskunft gegeben haben, möchte ich Sie fragen, ob nach Ihren Unterlagen dem Bundesamt bekannt war, daß zu dieser Multisensorplattform im Geschäftsbericht 1983 von MBB auf Seite 27 ausgeführt war — ich zitiere mit der Genehmigung des Präsidenten — :
Die im Bereich Marine- und Sondertechnik entwickelten und gefertigten Flugbahnvermessungsanlagen dienen der Erprobung bemannter und unbemannter Waffensysteme. Für diese Anlagen werden unter der Bezeichnung „Multisensorplattform" hochpräzise, dynamische Richtplattformen gebaut.
Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Herr Abgeordneter, aus meinen Unterlagen ist dies nicht erkenntlich. Wenn es erkenntlich gewesen wäre, hätte ich es vorhin mit Ja beantwortet.
Zusatzfrage des Abgeordneten Kuhlwein.
Herr Staatssekretär, wenn Besteller der Multisensorplattform die staatliche Wetterwarte von Südafrika gewesen sein soll:
Ist von der Bundesregierung denn geprüft worden, ob diese staatliche Wetterwarte für eine solche Multisensorplattform überhaupt irgendeine Verwendung hat?
Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Ich gehe davon aus, daß dies Bestandteil des ersten Prüfungsverfahrens war, das zur Ausfuhrgenehmigung geführt hat. Da bin ich absolut sicher.
Ich rufe die Frage 16 der Abgeordneten Frau Olms auf:
Was gedenkt die Bundesregierung zu unternehmen, um zu verhindern, daß bundesdeutsche Firmen die südafrikanische Armee ausrüsten, und welche Konsequenzen zieht sie aus der Tatsache, daß beispielsweise der südafrikanische Olifant-Panzer mit speziellen Motoren aus der Bundesrepublik Deutschland ausgerüstet wird bzw. ausgerüstet ist ?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Frau Abgeordnete, die Ausfuhrgenehmigungspolitik der Bundesregierung stellt sicher, daß die Resolution des UN-Sicherheitsrats über das Verbot der Ausfuhr von Waffen und sonstiger paramilitärischer Ausrüstung nach Südafrika aus dem Jahr 1977 strikt eingehalten wird. Genehmigungen für Waren, die unter das Embargo fallen, wurden und werden nicht erteilt. Dies hat die Bundesregierung wiederholt betont. Dementsprechend wurden auch keine Exporte von Panzermotoren genehmigt.
Zusatzfrage, Frau Olms.
Hat die Bundesregierung sichergestellt, daß beispielsweise die südafrikanischen
Niederlassungen deutscher Firmen — ich denke bei Motoren an die Daimler-Benz-Tochter Atlantis Diesel Engineering — nicht weiterhin die südafrikanische Armee ausrüsten?
Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Frau Abgeordnete, ich gehe davon aus, daß ein solches Ansinnen an die Bundesregierung nicht gestellt worden ist, dies sicherzustellen. Ich werde das aber nachprüfen. Ich gebe Ihnen dazu gerne Bescheid. Mir ist ein solcher Vorgang auch aus den Akten nicht bekannt.
Sie haben eine weitere Zusatzfrage, Frau Olms.
Gehe ich nach dieser Antwort recht in der Annahme, daß man für Panzer speziellen militärischen Anforderungen genügende Motoren benötigt — wenn ja, welche — und daß solche Spezialmotoren der Ausfuhrgenehmigung unterliegen?
Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Frau Abgeordnete, Sie haben schon beim Vorlesen dieser Frage Probleme, geschweige denn ich mit der Beantwortung. Ich muß Ihnen das schriftlich geben. Ich werde dies in meinem Hause nachprüfen lassen.
Ich habe einmal „solche" mit „welche" verwechselt, aber das ist verständlich, denke ich.
Das ist sehr interessant, aber gehört nicht zur Fragestellung.
Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Das müssen Sie mir als Bayern schon nachsehen.
Herr Gansel hat eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung bereit, zu prüfen und mir zu dem Ergebnis bis Ende des Jahres schriftliche Mitteilung zu machen, ob die Motoren für den südafrikanischen Olifant-Panzer Fertigungen sind, die auf Grund deutscher Lizenzen in Südafrika oder in Drittländern hergestellt worden sind?
Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Das ist selbstverständlich, wobei ich die Zusage für Ende des Jahres etwas offenlassen möchte, aber es wird so schnell als möglich geschehen, Herr Abgeordneter, wenn es in den Januar hineingeht, werden Sie auch keinen Antrag stellen, daß ich entlassen werde. Wir werden es so schnell als möglich prüfen.
Ich meinte aber Ende 1988.
Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Ich werde einmal versuchen, daß wir es hinbekommen, aber Sie müssen uns gestatten, wenigstens Weihnachten freizumachen.
Zusatzfrage der Abgeordneten Beck-Oberdorf.
Herr Staatssekretär, können Sie mir zustimmen, daß eigentlich von einer
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8056 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 112. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 30. November 1988
Frau Beck-OberdorfBundesregierung zu erwarten wäre, daß sie sich bei Genehmigungen von Ausfuhren in so ein heikles Land wie Südafrika Geschäftsberichte von Firmen genau anschaut, in denen die betroffenen Produkte angeboten werden?Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Zu den originären Aufgaben der Bundesregierung gehört es nicht unbedingt, Geschäftsberichte zu lesen. Das werden Sie mir ja wohl zugestehen. Aber in diesem Fall werde ich der Frage nachgehen, was mit dem Geschäftsbericht gegebenfalls gemacht wurde, wenn er gelesen worden ist.
Frau Teubner, Zusatzfrage.
Da sich aus dem Verlauf dieser Fragestunde, zumindest zu diesem Komplex Südafrika, gezeigt hat, daß es offensichtlich schwierig ist, die Einhaltung des Rüstungsembargos zu kontrollieren: Stellt sich für die Bundesregierung dann vielleicht die Frage, damit garantiert wird, daß tatsächlich keine Zulieferungen mehr für die Armee dieses Regimes stattfinden, eventuell die bundesdeutsche Industrie zu einem Rückzug aus Südafrika aufzufordern und in diesem Zusammenhang als erste Maßnahme das Doppelbesteuerungsabkommen mit Südafrika zu kündigen?
Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Eine besondere Frage werden wir in diesem Zusammenhang nicht aufwerfen, sondern den Gesamtkomplex Südafrika immer wieder mit der deutschen Industrie diskutieren.
Die Fragen 17 und 18 der Abgeordneten Frau Bulmahn werden auf Wunsch der Fragestellerin schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe nun die Frage 19 des Abgeordneten Gansel auf :
Ist der Bundesregierung bekannt, daß die Republik Südafrika im Besitz der Pläne oder von Kenntnissen zum Bau des Kampfpanzers Leopard II — oder eines gleichwertigen Modells — ist, und wie ist es möglich, daß die durch militärische Geheimhaltung geschützten Unterlagen dorthin gelangen konnten?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Die Frage 19, Herr Abgeordneter, darf ich wie folgt beantworten: Der Bundesregierung ist nichts davon bekannt, daß die Republik Südafrika im Besitz von Plänen oder von Kenntnissen zum Bau des Kampfpanzers Leopard II oder eines gleichwertigen Modells sein soll.
Zusatzfrage, Herr Gansel.
Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung oder sind Sie oder ist bei Kenntnis des Protokolls dieser Fragestunde vielleicht der Generalbundesanwalt in der Lage, die letzte Ausgabe des „Stern" zu lesen,
in der diese Informationen enthalten sind, auf die ich mich in meiner Frage bezogen habe?
Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Herr Abgeordneter Gansel, ich beantworte hier von Ihnen gestellte Fragen im Namen der Bundesregierung wahrheitsgemäß, und ich wiederhole, daß der Bundesregierung nichts davon bekannt ist, daß die Republik Südafrika in Besitz von Plänen oder von Kenntnissen zum Bau des Kampfpanzers Leo II oder eines gleichwertigen Modells sein soll.
Weitere Zusatzfrage, Herr Gansel.
Ist die Bundesregierung bzw. das Bundesjustizministerium und der Generalbundesanwalt bereit, den Hinweisen aus der letzten Nummer des „Stern" nachzugehen, daß Südafrika im Besitz der Pläne des Leo II sein soll, da es sich hierbei um militärischen Verrat und um ein Staatsschutzdelikt handeln könnte?
Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Herr Abgeordneter Gansel, ich gehe davon aus, daß die zuständigen Ermittlungsbehörden dies bereits getan haben. Ich darf Sie aber doch bitten, zu differenzieren zwischen dem, was im „Stern" oder in einer anderen Illustrierten steht, und dem, was der Bundesregierung an Tatsachen bekannt ist. Wenn die Ermittlungen in diesem Fall abgeschlossen sein werden, dann werden wir ja sehen, welcher Hintergrund diesen Meldungen zugrundeliegt.
Ich rufe die Frage 20 des Abgeordneten Gansel auf:
Teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß der Versuch zweier ehemaliger Mitarbeiter des Rüstungskonzerns KraussMaffei, ohne die erforderliche Genehmigung der Bundesregierung Pläne und Know-how für die Produktion des Kampfpanzers Leopard II an die Arabischen Emirate zu liefern, gemäß der Interpretation des Außenwirtschaftsgesetzes durch die Oberfinanzdirektion Kiel in Sachen „IKL und HDW" nicht zu beanstanden ist, wenn nur ein Teil der zur Produktion eines Kampfpanzers erforderlichen Unterlagen angeboten worden ist?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Herr Abgeordneter, ob und welche Teilpläne zur Herstellung des Kampfpanzers Leo II keiner Ausfuhrgenehmigung bedürfen, kann nur nach sorgfältiger Prüfung im Einzelfall festgestellt werden. Die Ermittlungsbehörden prüfen zur Zeit die bei den Betroffenen sichergestellten Unterlagen. Erst danach läßt sich überschauen, ob die Ausfuhr der angebotenen Teilpläne genehmigungspflichtig gewesen wäre.
Zusatzfrage, Herr Gansel.
Kann ich Ihre Antwort so verstehen, daß in dieser Angelegenheit staatsanwaltschaftliche Ermittlungen erfolgen, und ist in diese Ermittlungen der Generalbundesanwalt eingeschaltet?Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Herr Abgeordneter, davon gehe ich aus. Ich kann es Ihnen aber nicht exakt bestätigen, weil der Bundeswirtschaftsminister natürlich nicht in die Tagesarbeit des Generalbundesan-
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 112. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 30. November 1988 8057
Parl. Staatssekretär Dr. Riedlwaits hineinschaut. Aber der Sachverhalt allein läßt mich vermuten, daß dies so ist. Aber auch dies lasse ich noch einmal nachprüfen.
Zweite Zusatzfrage.
Trifft es zu, daß das Bundeswirtschaftsministerium, in dem Sie Parlamentarischer Staatssekretär sind, auch für den Geheimschutz in der deutschen Wirtschaft zuständig ist?
Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Ja.
Und, da Sie das mit Ja beantworten, sind Sie dann bereit, mir schriftlich mitzuteilen, in welcher Form die Staatsanwaltschaft und der Generalbundesanwalt eingeschaltet sind?
Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Dazu bin ich gerne bereit.
Wir haben die Fragen 21 und 22 des Abgeordneten Jungmann sowie die Frage 23 des Abgeordneten Hinsken nicht hier zu behandeln, weil die Abgeordneten eine schriftliche Beantwortung wünschen. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich komme zur Frage 24 des Abgeordneten Schemken:
Erhält die kanadische Immobiliengesellschaft „T. F. C. Ltd." für den geplanten Bau eines Supereinkaufszentrums mit Freizeiteinrichtungen auf dem Thyssen-Areal in Oberhausen finanzielle Zuwendungen aus dem Bundeshaushalt?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Herr Abgeordneter, die kanadische Immobiliengesellschaft erhält keine finanziellen Zuwendungen für den geplanten Bau eines Supereinkaufszentrums mit Freizeiteinrichtungen aus dem Bundeshaushalt. Im übrigen darf ich — Herr Präsident, jetzt bin ich in einer Schwierigkeit — auf eine Frage verweisen, die als Nr. 23 von dem Kollegen Hinsken zum gleichen Sachverhalt gestellt worden ist und deren mündliche Beantwortung notwendig wäre, um Klarheit über das herbeizuführen, was von Herrn Abgeordneten Schemken in der Frage Nr. 24 gefragt wird. Darf ich deshalb noch einige Sätze zur Beantwortung seiner Frage anfügen?
Bitte schön. Obwohl Herr Hinsken auf schriftlicher Beantwortung bestanden hat, müssen Sie das vielleicht jetzt tun.
Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Ein Teil gehört natürlich dazu; aber ich mache es kurz, Herr Präsident.
Der Bundesregierung, Herr Abgeordneter, ist bekannt, daß diese kanadische Bauträger- und Immobiliengesellschaft wegen der Errichtung eines großen Einkaufs-, Freizeit- und Vergnügungszentrums in Oberhausen an die Stadt Oberhausen und an die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen herangetreten ist, die die planungsrechtlichen und sonstigen Voraussetzungen gegenwärtig eingehend prüfen. Die Bundesregierung ist bisher in keiner Weise mit diesem Projekt befaßt. Dies schließt auch die Frage einer eventuellen Förderungsmöglichkeit ein.
Zusatzfrage, Herr Schemken.
Schließt dann die Bundesregierung aus, daß möglicherweise unter dem Stichwort Strukturanpassung über das Sonderprogramm für Montanregionen — hier fließen 500 Millionen an das Land Nordrhein-Westfalen, 100 Millionen EG-Mittel — oder sogar über das Programm Strukturhilfegesetz, Gesetz zum Ausgleich unterschiedlicher Leistungskraft der Länder — hier fließt über eine Dreiviertelmilliarde an das Land Nordrhein-Westfalen — zur Erschließung dieser Industriebrache, die ja mit 1 Million Quadratmeter geplant ist, solche Mittel verwandt werden?
Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Herr Abgeordneter, ganz abgesehen davon, daß ein solcher Antrag nicht gestellt worden ist und wir auch keine Anzeichen dafür haben, wie ich Ihnen schon dargelegt habe, daß eine solche Fördermöglichkeit angestrebt ist, darf ich Ihnen sagen, daß für ein Projekt der von Ihnen erwähnten Art Fördermittel im Rahmen der regionalen Wirtschaftsförderung nicht zur Verfügung stehen. Im Rahmen des Investitionszulagengesetzes können Einkaufszentren auch nicht gefördert werden, da den Einkaufszentren der sogenannte Primäreffekt im Sinne des Gesetzes fehlt. Dasselbe gilt nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung auch für Freizeit- und Vergnügungsparks. Darlehen aus dem ERP-Regionalprogramm könnten lediglich kleinen und mittleren Unternehmen gewährt werden, um die es sich hier aber offensichtlich nicht handelt.
Für eine etwaige Vergabe von Fördermitteln der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsförderung" wäre im vorliegenden Fall auch nicht die Bundesregierung, sondern das Land Nordrhein-Westfalen zuständig.
Inwieweit von einem Projekt der erwähnten Art eventuell Gefahren für mittelständische Unternehmen in der Region Oberhausen ausgehen, kann die Bundesregierung nicht beurteilen.
Weitere Zusatzfrage, Herr Schemken.
Teilen Sie, Herr Staatssekretär, die Auffassung des Einzelhandelsverbandes aus dieser Region — die „Westdeutsche Allgemeine Zeitung", berichtet von einem Superprojekt, das einmalig in der Welt ist —, daß möglicherweise in einem Umkreis von 100 km der Handel sehr stark betroffen werden kann und daß nach bisherigen Erfahrungen dort, wo durch solche Zentren ein Arbeitsplatz geschaffen wurde, zwei Arbeitsplätze im Einzelhandel schlechthin vernichtet wurden?Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Herr Schemken, ich kann hier nicht sagen: „Das ist die Auffassung der Bundesregierung", weil sich die Bundesregierung mit diesem Thema nicht befaßt hat, weil es nicht an sie herangetragen worden ist. Ich kann Ihnen nur aus der Sicht meines Hauses sagen, daß dies natürlich ein ganz schwerer Schlag für den Einzelhandel wäre und daß unter strukturpolitischen Gesichtspunkten eine öffentliche Förderung schon allein deshalb nicht in Frage kommen kann, weil kleine und mittelständi-
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8058 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 112. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 30. November 1988
Parl. Staatssekretär Dr. Riedlsche Betriebe damit kaputtgemacht werden können. Allerdings allein auf privatkapitalistischer Basis errichtet, unter der Voraussetzung, daß die entsprechenden planerischen Unterlagen geschaffen sind, können Sie ein solches Projekt nach unserer Rechtsordnung im Prinzip nicht verhindern. Das liegt dann in erster Linie bei der Kommune, beim Kreis oder beim zuständigen Land._ Vizepräsident Westphal: Ich rufe die Frage 25 des Abgeordneten Schemken auf:Sieht die Bundesregierung durch die Errichtung von solchen übergroßen Einkaufs- und Vergnügungszentren Wettbewerbsnachteile für den Einzelhandel?Hierzu haben Sie wieder die Möglichkeit, Zusatzfragen zu stellen. Aber zuerst ist der Staatssekretär wieder dran.Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Herr Abgeordneter, die Frage 25 darf ich wie folgt beantworten: Der Bundesregierung liegen keine Unterlagen vor, die eine entsprechende Beurteilung ermöglichen.
Jetzt sind Sie wieder dran, Herr Schemken.
Da sich das Land Nordrhein-Westfalen sehr stark an Bonn richtet, wenn es um Arbeitsplätze geht, und es hier möglicherweise zu dem Effekt kommt, den ich soeben darlegte, wie die Erfahrungen des Einzelhandels zeigen: Könnte die Bundesregierung angesichts der Gefahr, daß Arbeitsplätze und Ausbildungsplätze im Einzelhandel vernichtet werden, auf das Land Nordrhein-Westfalen Einfluß nehmen?
Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Herr Abgeordneter, dies ist eine ganz schwierige Frage. Von der Kompetenz her hat der Bund hier nur relativ wenig, um nicht zu sagen: keine Möglichkeiten. Die Möglichkeiten, die der Bund hätte, wären nur im Zusammenhang mit staatlichen Förderungsmaßnahmen zu sehen, die aber, wie ich Ihnen dargelegt habe — wir haben den Fall ja theoretisch abgehandelt — , ganz offensichtlich nicht ziehen. Deshalb muß ich Sie leider darauf hinweisen, daß, wenn dieses Projekt auf so starke Bedenken stößt, wie Sie sie dargestellt haben, in erster Linie natürlich die Kommunen, die Gemeinde, die Stadt Oberhausen, und das Land Nordrhein-Westfalen gefragt sind. Aber zu erwarten, dies von seiten des Bundes per Edikt zu verbieten — Herr Abgeordneter, Sie wissen das —, geht nicht.
Herr Beckmann, bitte schön.
Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung bereit, zur Kenntnis zu nehmen und auch zu gewichten, daß nach vorsichtiger, und zwar öffentlich geäußerter Einschätzung der zuständigen Industrie- und Handelskammer zu Essen, Mülheim und Oberhausen das beabsichtigte Projekt durchaus auch in der Lage sein kann, maßgebliche Impulse in diese schwierige Region zu geben und auch für eine entsprechende Anzahl zusätzlicher Arbeitsplätze zu sorgen?
Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Herr Abgeordneter, dies ist der Bundesregierung insofern nicht bekannt, als wir das Projekt überhaupt nicht kennen. Aber im Prinzip ist natürlich das, was Sie gesagt haben, zu gewichten. Ich habe schon in meiner sehr vorsichtigen Antwort auf die letzte Frage des Herrn Abgeordneten Schemken erklärt, daß seitens des Bundes ein solches Projekt weder durch irgendein Gesetz noch durch eine Verwaltungsanordnung verhindert werden kann. Dies wird auf regionaler Ebene in Abwägung des Für und Wider zu entscheiden sein. Aber zu glauben, man könne von vornherein nein sagen, nur weil Strukturveränderungen zu erwarten sind, halte ich nicht für die richtige wirtschaftspolitische Zielsetzung. Auch hier gilt der Satz, daß letztlich der Wettbewerb und der Markt über solche Investitionen entscheidet.
Wir sind am Ende dieses Geschäftsbereichs. Ich danke dem Staatssekretär für die Beantwortung der Fragen.
Ich rufe nun den Geschäftsbereich des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten auf. Herr Parlamentarischer Staatssekretär Gallus steht zur Beantwortung der Fragen zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 26 des Abgeordneten Kuhlwein auf:
Teilt die Bundesregierung die einmütige Meinung des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, daß die Bundesforschungsanstalt für gartenbauliche Pflanzenzüchtung in Ahrensburg erhalten werden sollte?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Herr Kollege, die Bundesregierung teilt die Auffassung des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten des Deutschen Bundestages insoweit, als die Ressortforschung im Bereich der gartenbaulichen Pflanzenzüchtung zu erhalten ist. Darüber hinaus strebt sie an, daß dieser Bereich noch verstärkt wird. Aus diesem Grunde wird im Rahmen einer aufgabenplanerischen Überprüfung des Forschungsbereichs des BML zur Zeit ein fachliches Konzept über die Neuausrichtung der Forschung im Bereich der garten- und weinbaulichen Pflanzenzüchtung erarbeitet. Erst danach kann entschieden werden, ob der Standort der Bundesforschungsanstalt für gartenbauliche Pflanzenzüchtung in Ahrensburg verbleiben wird.
Zusatzfrage, Herr Kuhlwein.
Herr Staatssekretär, ist der Bundesregierung bei der aufgabenplanerischen Überprüfung auch bewußt, daß bei einer Verlagerung der Bundesforschungsanstalt für gartenbauliche Pflanzenzüchtung aus Ahrensburg die Arbeiten über Jahre unterbrochen würden und daß bei dem angestrebten neuen Standort Siebeldingen resistente Apfelbäume, etwa für die großen Obstbaukulturen in Norddeutschland, schon wegen der klimatischen Unterschiede gar nicht gezüchtet werden könnten?Gallus, Parl. Staatssekretär: Alle diese Tatsachen, Herr Kollege, werden in die Überlegungen und in die Überprüfung mit einbezogen.
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 112. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 30. November 1988 8059
Weitere Zusatzfrage, Herr Kuhlwein.
Im Zusammenhang mit der Verlegung der Bundesforschungsanstalt für gartenbauliche Pflanzenzüchtung steht ja auch immer die Verlegung der Bundesforschungsanstalt für Fischerei an. Teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß diese Bundesforschungsanstalt für die Entwicklung der Aquakultur in der Bundesrepublik und in der Beratung für die Teichwirtschaft erhebliche Bedeutung erhalten könnte, und wird sie auch solche Überlegungen in ihre Pläne einbeziehen?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, wir haben insgesamt 13 Bundesforschungsanstalten, und wir haben den Auftrag, auch vom Haushaltsausschuß, alle Bundesforschungsanstalten in die Überprüfung und in die Überlegungen, die ich Ihnen genannt habe, mit einzubeziehen. Auch die Fakten, die Sie eben in bezug auf die Fischerei, Binnenfischerei, Aquakultur usw. angezogen haben, werden selbstverständlich in diesen Überlegungen hier von Bedeutung sein.
Ich rufe die Frage 27 des Abgeordneten Kuhlwein auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß die Existenz der Bundesanstalt für gartenbauliche Pflanzenzüchtung und anderer Forschungseinrichtungen in dieser Region ausschlaggebend war für die starke Förderung des Forschungsschwerpunktes „Angewandte Molekularbiologie" an der Universität Hamburg durch den Bundesminister für Forschung und Technologie, und teilt die Bundesregierung die Ansicht, daß nach einer Verlegung der Ahrensburger Institute die bestehende Kooperation von grundlagenorientierter und angewandter Forschung zwischen der Technischen Universität Hamburg-Harburg, der Universität Hamburg (Fachbereich Biologie) und den Forschungsanstalten des Bundes zukünftig unmöglich wäre?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, die Bundesregierung kann nicht bestätigen, daß die Existenz der Bundesforschungsanstalt für gartenbauliche Pflanzenzüchtung in Ahrensburg für die Einrichtung des Forschungsschwerpunktes Angewandte Molekularbiologie der Pflanzen im Rahmen des mit wesentlicher Beteiligung des BMFT aufgebauten Hamburger Zentrums für Molekularbiologie ausschlaggebend war. Es besteht auch kein Kooperationsvertrag zwischen der rechtlich unselbständigen Bundesforschungsanstalt für gartenbauliche Pflanzenzüchtung und der Technischen Universität Hamburg-Harburg oder der Universtiät Hamburg. Dies schließt aber nicht aus, daß in Einzelfällen bestimmte Wissenschaftler zusammenarbeiten. Diese lose Form der Zusammenarbeit könnte im Rahmen der modernen Kommunikationsmittel auch dann fortgesetzt werden, wenn das fachliche Konzept für eine Standortverlagerung der Bundesforschungsanstalt sprechen sollte.
Zusatzfrage, Herr Kuhlwein.
Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung, wenn solche Kontakte Ihnen denn schon nicht bekannt sind, wenigstens bereit, auch im Gespräch mit dem Fachbereich Biologie der Universität Hamburg zu klären, ob und inwieweit Ahrensburg als Standort gartenbaulicher Pflanzenzüchtung auch
für die Forschungskooperation dort von Bedeutung sein kann?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Ich habe hier nicht bestritten, daß Kontakte bestehen. Ich habe es hier ausdrücklich bestätigt. Ich nehme Ihre Anregung zusätzlich auf und werde das unseren Beamten, die mit der Überprüfung beauftragt sind, mitteilen.
Sie haben noch eine weitere Frage, Herr Kuhlwein.
Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung bei Würdigung des sogenannten SüdNord-Gefälles in der Bundesrepublik bereit, auch die regionale Bedeutung von Forschungsstandorten in Norddeutschland in ihre Überlegungen bei der aufgabenplanerischen Überprüfung einzubeziehen?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Sehr wohl, Herr Kollege. Auch wenn ich Süddeutscher bin, habe ich dafür vollstes Verständnis.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Oostergetelo.
Herr Staatssekretär, die einmütige Empfehlung des Agrarausschusses, den Standort in Ahrensburg zu erhalten, bezog sich nicht nur auf die Feststellung, daß die Forschung weitergeht! Ist die Bundesregierung bereit, dieses Wollen des Agrarausschusses zur Kenntnis zu nehmen, das auch beinhaltet, den Standort Ahrensburg an sich zu erhalten?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, es gibt eine Empfehlung des Ernährungsausschusses, und es gibt eine Empfehlung des Haushaltsausschusses. Ich habe hier gesagt: Es wird alles überprüft, alle Fakten werden mit einbezogen. Wenn das geschehen ist, werden wir entscheiden.
Jetzt kommt die Frage 28 des Abgeordneten Eigen:Wie haben sich nach Kenntnis der Bundesregierung die Agrarkosten der Europäischen Gemeinschaft in 1988/89 entwikkelt, und welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, mit den eingesparten Finanzmitteln den Landwirten, die im Marktfruchtbau schwere Verluste hinnehmen mußten, in der Europäischen Gemeinschaft und/oder der Bundesrepublik Deutschland zu helfen?Bitte schön, Herr Staatssekretär.Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Eigen, die Marktordnungsausgaben in der EG werden sich 1988 auf rund 26,4 Milliarden ECU — das sind 54,6 Milliarden DM — belaufen und damit um rund 1,1 Milliarden ECU oder um rund 2,3 Milliarden DM unter dem Sollansatz bleiben.Für 1989 hat die EG-Kommission in ihrem sogenannten Berichtigungsbrief zum Haushaltsvorentwurf 1989 die Marktordnungsausgaben um rund 1,4 Milliarden ECU bzw. um rund 2,8 Milliarden DM niedriger beziffert als im Haushaltsvorentwurf.Die Einsparungen — die sogenannten Überschüsse — im laufenden Haushaltsjahr dienen der Finanzierung des EG-Haushalts 1989. Die voraussichtlichen Minderausgaben in 1989 führen zu einer Redu-
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8060 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 112. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 30. November 1988
Parl. Staatssekretär Galluszierung des Gesamthaushaltsvolumens. Beide Faktoren zusammen führen zu geringeren Mittelabführungen der Mitgliedstaaten. Die Bundesrepublik hat 1989 insgesamt rund 2 Milliarden DM weniger an den EG-Haushalt abzuführen.Die 1988 realisierten bzw. für 1989 zu erwartenden Einsparungen sind überwiegend auf die Weltmarktpreisentwicklung bei einigen pflanzlichen Produkten zurückzuführen. Sie haben insoweit keine negativen Auswirkungen auf die Einkommenslage der europäischen bzw. der deutschen Landwirte. Zum Teil gehen diese Einsparungen aber auch auf die Wirkung der vom EG-Rat im Februar dieses Jahres beschlossenen Agrarstabilisatoren zurück. Diese Wirkungen waren vor dem Hintergrund der allgemeinen Überschußlage gewollt.Die EG-Kommission hat bereits unmißverständlich erklärt, daß sie keinen Anlaß sieht, an der durch die Stabilisatoren vorgezeichneten Politik angesichts der Einsparungen Auflockerungen vorzunehmen. Andererseits hat die Kommission bei der letzten Tagung des Budgetrats erklärt, bei veränderten konjunkturellen Bedingungen, insbesondere veränderten Weltmarktpreisen, die nötigen Haushaltsmittel im Rahmen der Agrarleitlinie zur Verfügung zu stellen. Dies darf nicht übersehen werden.Der Deutsche Bundestag hat in der vergangenen Woche bei der Verabschiedung des Haushalts 1989 Konsequenzen aus der Verringerung der Marktordnungsausgaben gezogen und die Abführungen an die Gemeinschaft entsprechend herabgesetzt.Angesichts dieser Zusammenhänge sieht die Bundesregierung keine Möglichkeit, über die im Entwurf des Gesetzes zur Förderung der bäuerlichen Landwirtschaft vorgesehenen neuen Maßnahmen hinauszugehen. Die Bundesregierung hat großes Verständnis für die schwierige Lage im Marktfruchtbau. Glücklicherweise kann der Einkommensrückgang im laufenden Wirtschaftsjahr auf Grund der guten Ernte im laufenden Wirtschaftsjahr ausgeglichen werden, wenn vielleicht auch nicht in allen Gebieten gleichmäßig.
Ihre Ausführungen waren ein bißchen lang, Herr Kollege Gallus, aber sehr zutreffend. Vielleicht redigieren Sie demnächst so, daß es ein bißchen kürzer geht.
Gallus, Parl. Staatssekretär: Das liegt an der Materie, Herr Präsident.
Aber so lang war die Frage nicht. Herr Eigen, Sie sind dran.
In der Tat ist die Materie ziemlich schwierig.
Herr Staatssekretär, würden Sie mir zustimmen, daß die Absenkung der Einkommen im Marktfruchtgebiet so gravierend ist — mit Unterschieden in einzelnen Ländern: zwischen 30 % und 55 % —, daß angesichts der Tatsache, daß die Preise innerhalb der Europäischen Gemeinschaft mit Gewalt heruntergeführt worden sind — man kann es auch deutlicher und drastischer ausdrücken — , Überlegungen angestellt werden, die beispielsweise im Bereich der Mitverantwortungsabgabe liegen, daß man die Verluste einigermaßen abbremst?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, wir können das, was im Februar in der EG unter der deutschen Präsidentschaft beschlossen worden ist, nicht bereits jetzt wieder rückgängig machen. Wir müssen jetzt erst einmal die Entwicklung abwarten.
Weitere Zusatzfrage, Herr Eigen.
Würden Sie mir zustimmen, Herr Staatssekretär, daß die guten Beschlüsse — das will ich ruhig bekennen — vom Februar unter deutscher Präsidentschaft von anderen Ländern der Europäischen Gemeinschaft im Bereich der Flächenstillegungen eben nicht befolgt werden, daß von daher schon ein moralischer Ansatz besteht?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, der moralische Ansatz besteht meines Erachtens in einer ganz anderen Richtung, daß nämlich die EG-Kommission dahin gedrängt wird, dafür zu sorgen, daß in den übrigen Staaten Europas prozentual genauso viele Flächen stillgelegt werden, damit die Ernten in der EG insgesamt zurückgehen und somit die Preise nicht weiter sinken.
Ich rufe die Frage 29 des Abgeordneten Eigen auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß die Regierung der Niederlande ca. 20 Millionen DM in 1988 für die Erneuerung von Gewächshäusern einsetzt, und wie wird die Bundesregierung darauf reagieren angesichts der Tatsache, daß die Niederlande der entscheidende Wettbewerber im Bereich Intensivgartenbau sind?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, eine Förderung der Erneuerung von Gewächshäusern durch Investitionshilfen ist in der EG zulässig. Die Bedingungen dafür sind in der Effizienzverordnung festgelegt worden. Die genannte Zahl von 20 Millionen DM für die Niederlande kann nicht bestätigt werden.
In der Bundesrepublik Deutschland ist die Förderung der Erneuerung von Gewächshäusern im Einzelbetrieblichen Förderungsprogramm oder im Agrarkreditprogramm möglich. 1986 entfielen auf den Bereich Gartenbau im Einzelbetrieblichen Förderungsprogramm ca. 160 Fälle und im AKP ca. 200 Fälle.
Ich kann noch hinzufügen: 1987 hatten wir insgesamt 1 851 geförderte Fälle, davon im Einzelbetrieblichen Förderungsprogramm Gartenbau 599. Das sind 32,4 %. Das förderungsfähige Investitionsvolumen betrug für den Gartenbau 19,8 Millionen DM. Das sind 51 %.
Bitte schön, Herr Eigen, Zusatzfrage.
Darf ich angesichts der Bedeutung für den Intensivgartenbau wegen der Konkurrenz mit den Niederlanden darum bitten, daß die hier gemachten Angaben im Zusammenhang mit den 20 Millionen noch einmal sorgfältig nachgeprüft wer-
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Eigenden, ob sie stimmen, damit man entsprechend reagieren kann?Gallus, Parl. Staatssekretär: Das werden wir tun, Herr Kollege.
Weitere Zusatzfrage.
Werden Sie darauf achten, Herr Staatssekretär, daß gerade in diesem sensiblen Bereich — hier denke ich besonders an den Niederrhein, der in direkter Konkurrenz zu den Niederlanden steht — alles vermieden wird, was eine weitere Wettbewerbsverzerrung zu Lasten des deutschen Gartenbaus bedeuten könnte?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, darauf sind wir laufend bedacht.
Ich rufe die Frage 30 der Abgeordneten Frau Dr. Hartenstein auf:
Mit welcher Begründung hat die Bundesregierung die Verpflichtung der Mischfutterhersteller zur offenen Deklaration der Zusammensetzung des Mischfutters nach Prozentanteilen im Juni 1988 aufgehoben und statt dessen die sogenannte halboffene Deklaration zugelassen, bei der nur noch die im Mischfutter enthaltenen Ausgangserzeugnisse, nicht aber deren prozentuale Anteile genannt werden müssen?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Gallus, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin Hartenstein, die offene Deklaration bei Mischfuttermitteln ist auf Beschluß des Bundesrats mit der Vierten Verordnung zur Änderung der Futtermittelverordnung vom 23. Januar 1985 als verpflichtende Kennzeichnungsvorschrift vorgeschrieben und nunmehr auf Beschluß des Bundesrats vom 10. Juni 1988 zur Sechsten Verordnung zur Änderung der Futtermittelverordnung durch die halboffene Deklaration abgelöst worden. In der Begründung des Bundesrats heißt es hierzu u. a.: „Die vor drei Jahren eingeführte obligatorische Angabe aller Einzelfuttermittel mit ihren Gewichtsanteilen — die sogenannte offene Deklaration —, und die Angabe des Herstellungstages haben sich nicht bewährt, sondern zu einer erheblichen Rechtsunsicherheit, zu Schwierigkeiten im Gesetzesvollzug und zu Wettbewerbsverzerrungen geführt. "
Die Bundesregierung sah keine Veranlassung, sich dem Votum des Bundesrates — die Bundesländer sind für die Durchführung und Überwachung der futtermittelrechtlichen Vorschriften zuständig — zu verschließen, zumal sie selbst ebenso wie auch der Deutsche Bundestag — Drucksache 10/2205 vom 25. Oktober 1984 — in der Diskussion um die Deklarationsfrage im Jahre 1984 die halboffene Deklaration favorisiert hat.
Zusatzfrage, Frau Dr. Hartenstein.
Herr Staatssekretär, teilen Sie meine Auffassung, daß bei der Einführung der obligatorischen Angabe aller Einzelfuttermittel mit ihren Gewichtsanteilen vor drei Jahren für die Bundesregierung doch gute Gründe bestanden haben müssen? Welches waren diese Gründe, und warum sind sie heute nicht mehr gültig? Warum hat die Bundesregierung sofort dem Votum des Bundesrates Folge geleistet?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, Tatsache ist, daß, wie ich gesagt habe, die Länder für den Vollzug zuständig sind. Wenn eine Sache über eine gewisse Zeit gelaufen ist und diejenigen, die mit dem Vollzug vertraut sind, zu der Erkenntnis kommen, daß etwas nicht gut und praktikabel ist, dann kann sich die Bundesregierung nicht dagegen wenden.
Weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, darf ich Sie darauf aufmerksam machen, daß Sie, wenn ich es recht verstanden habe, aus der Begründung des Bundesrats einen Passus nicht erwähnt haben. Darf ich Sie fragen, ob Sie es denn für gerechtfertigt halten, daß der Bundesrat und die Bundesregierung sofort eine Verordnung aufheben, wenn ein Gemischfutterhersteller, der den Markt auch überregional bedient, bei Verwaltungsgerichten eine einstweilige Anordnung erwirkt hat, diese Vorschriften nicht einhalten zu müssen.
Gallus, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, ich kann diese Frage nicht beantworten. Ich müßte sie schriftlich beantworten.
— Entschuldigen Sie, Frau Kollegin, aber das Protokoll des Bundesrats ist nicht Gegenstand der Frage.
Herr Oostergetelo zu einer Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, da ja einer der gewichtigsten Gründe gegen die offene Deklaration die exakte und juristisch einwandfreie Nachprüfbarkeit war: Wie kann man annehmen, daß in der Auflistung der Gemengeteile von der Größenordnung her genau nachzuprüfen ist, ob ein Produkt 11 oder 10 % hat? Bleiben nicht die Schwierigkeiten genau dieselben?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, letzten Endes wird für den Bundesrat mit ausschlaggebend gewesen sein, daß es eine Festlegung bei der EG überhaupt noch nicht gibt und daß wir alle Anstrengungen machen müssen, die halboffene Deklaration — die wir in der Verordnung praktisch zum Gesetz erheben — in der ganzen EG durchzuführen. Bei dem starken Futtermittelverkehr, den wir innerhalb der EG haben, kann es nur eine Lösung geben, nämlich eine gleiche Lösung für alle Staaten in der EG.
Dann rufe ich die Frage 31 der Abgeordneten Frau Dr. Hartenstein auf:Teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß damit ein Informationsrecht der Verbraucher von Mischfutter unterlaufen wird, und was gedenkt die Bundesregierung zu tun, um die früher geltende Deklarationsvorschrift wiederherzustellen?Bitte schön, Herr Staatssekretär.Gallus, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, nach Auffassung der Bundesregierung ist das Informationsrecht der Verbraucher von Mischfuttermitteln durch die umfassenden Kennzeichnungsvorschriften in der Futtermittelverordnung sichergestellt. Danach
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8062 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 112. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 30. November 1988
Parl. Staatssekretär Gallusist vorgeschrieben, daß neben der Angabe der im Mischfuttermittel enthaltenen Einzelfuttermittel in absteigender Reihenfolge — das beinhaltet die sogenannte halboffene Deklaration — auch umfangreiche Angaben über die den Nährwert der Mischfuttermittel bestimmenden Inhaltsstoffe gemacht werden müssen.Ergänzend hierzu kann der Mischfuttermittelhersteller freiwillig Angaben über den prozentualen Anteil der im Mischfutter enthaltenen Einzelfuttermittel — das ist die sogenannte offene Deklaration — sowie über weitere Inhaltsstoffe machen. Damit hat er die Möglichkeit, auf unterschiedliche Informationsbedürfnisse zu reagieren.Im übrigen verweise ich auf die Antwort der Bundesregierung auf die Frage 35 in der Bundestagsdrucksache 11/2961. Das heißt schlicht und einfach: Dem Produzenten von Futtermitteln ist es nicht verboten, offen zu deklarieren und auch den Prozentsatz dessen anzugeben, was im Futtermittel enthalten ist.
Zusatzfrage, Frau Dr. Hartenstein.
Herr Staatssekretär, meine Frage ist damit nicht beantwortet. Würden Sie zur Kenntnis nehmen, daß sich die betroffenen Landwirte durch die Abschaffung der offenen Deklaration und die Umwandlung in eine halboffene Deklaration „hinters Licht geführt fühlen", und würden Sie mir sagen, ob die Bundesregierung bereit ist — das war der Sinn meiner Frage — , a) national zur offenen Deklaration zurückzukehren und sich b) auf EG-Ebene für sie einzusetzen?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Nein. Die Bundesregierung — ich habe das in meiner Antwort auf Ihre erste Frage eindeutig erklärt — hat akzeptiert, was der Bundesrat beschlossen hat, nämlich die halboffene Deklaration zu übernehmen und sich für die halboffene Deklaration auch auf europäischer Ebene einzusetzen.
Weitere Zusatzfrage, Frau Dr. Hartenstein.
Übernimmt die Bundesregierung die Auffassung und Begründung des Bundesrats, daß es nicht möglich sei, die Bestandteile des Mischfutters heute gewichtsmäßig festzustellen, und will sie damit im Ernst sagen, daß heute keine wissenschaftlichen Möglichkeiten der Untersuchung und damit auch der Nachprüfung der gewichtsmäßigen Zusammensetzung vorhanden sind?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, es ist in bezug auf die Rechtspraxis bei Prozessen in der Tat äußerst schwierig das exakt nachzuweisen.
Zusatzfrage dazu, Herr Abgeordneter Oostergetelo? — Bitte schön, Herr Abgeordneter.
Herr Staatssekretär, wenn ich die Diskussion im Ernährungsausschuß und im Bundestag — Sie hatten sie angeführt — richtig in Erinnerung habe, hatten Sie und wir uns damals für die offene Deklaration eingesetzt, und zwar mit der Formulierung: mindestens die halboffene Deklaration. Ich kann jetzt nicht nachprüfen, ob damit präjudiziert worden ist, daß wir die offene Deklaration nicht gewollt haben. Wenn das so ist, frage ist noch einmal: Wir haben jetzt die Teilung nach Bestandteilen in Prozenten. Ich stelle fest, daß es auch Bestandteile gibt, für die wir die Prozente genau angeben müssen. Es ist gewissermaßen ein Zwei-Klassen-Informationssystem, das wir jetzt einführen. Bei einzelnen Bestandteilen fordern wir genaue Angaben über die Prozentanteile, die anderen Bestandteile werden in der Reihenfolge der Größenordnung angegeben. Ist diese Schwierigkeit der Bundesregierung bekannt?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, es führt eigentlich zu weit, das alles zu wiederholen. Tatsache ist, daß es eine Entschließung gibt — Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten vom 25. Oktober 1984 —, woran auch Sie mitgewirkt haben und wo sich der Ausschuß für eine halboffene Deklaration eingesetzt hat. Im Gegensatz dazu hat der Bundesrat die offene Deklaration akzeptiert und ist für sie eingetreten.
In der Zwischenzeit hat man dort gemerkt, daß das nicht funktioniert. Nun ist die Situation die, daß wir auch EG-weit nur die halboffene Deklaration durchführen können.
Ich rufe die Frage 32 des Abgeordneten Oostergetelo auf:Kann die Bundesregierung sich der Bewertung, die sich aus der Begründung zum Antrag des Landes Niedersachsen im Bundesrat auf halboffene Deklaration von Mischfutter ergibt, anschließen, daß in der Hauptsache die überregionalen Mischfutterhersteller die geschlossene und in der Hauptsache die hofnahen Mischfutterhersteller die offene Deklaration wollen, und kann die Bundesregierung mitteilen, wie groß die Marktanteile der überregionalen und die der hofnahen Mischfutterhersteller sind?Bitte schön, Herr Staatssekretär.Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, nach den der Bundesregierung vorliegenden Stellungnahmen sind die Befürworter der halboffenen Deklaration bei Mischfuttermitteln sowohl dem Kreis der überregionalen als auch dem Kreis der hofnahen Mischfutterhersteller zuzurechnen. In der Begründung des Antrags des Landes Niedersachsen im Bundesrat, dem sich der Bundesrat mit Beschluß vom 10. Juni 1988 angeschlossen hat — Bundesratsdrucksache 130/88 — wird lediglich auf einige Aspekte aus den Rechtsstreitigkeiten zur offenen Deklaration bei Mischfuttermitteln hingewiesen. Nach Auffassung der Bundesregierung kann hieraus jedoch nicht der Schluß gezogen werden, daß die überregionalen Mischfutterhersteller die geschlossene und die hofnahen Hersteller die offene Deklaration jeweils als obligatorische Kennzeichnungsvorschrift befürworten.Angaben über die Marktanteile der überregionalen und der hofnahen Mischfuttermittelhersteller liegen der Bundesregierung nicht vor.
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 112. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 30. November 1988 8063
Eine Zusatzfrage, Herr Oostergetelo.
Herr Staatssekretär, teilt die Bundesregierung meine Auffassung, daß die Bauern oder Landwirte, deren Betriebe wir als bäuerliche Struktur oder Familienbetriebe bezeichnen, eher die offene Deklaration als eine andere Deklaration wünschen, oder gibt es irgendein Gerichtsverfahren, in dem Bauern dagegen klagen, daß es die offene Deklaration gegeben hat?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Ich kenne kein solches Gerichtsverfahren.
Die Situation bei den Abnehmern, nämlich bei den Landwirten, dürfte sehr unterschiedlich sein, zumal auch bei der halboffenen Deklaration jedem, der eine größere Menge Futtermittel kauft, jederzeit die Möglichkeit offensteht, sich nach dem Prozentsatz der Bestandteile zu erkundigen. Heute werden ja auch die Preise zwischen Hersteller und Verbraucher ausgehandelt. Es ist nicht mehr so, daß alles hingenommen wird.
Eine Zusatzfrage, Herr Oostergetelo.
Herr Staatssekretär, wenn man einmal von der Frage absieht, was in der EG durchsetzbar ist, und statt dessen fragt, was die Bauern wollen, teilen Sie dann nicht meine Auffassung, daß den Bauern vorher eine zusätzliche Information vorenthalten wird, obwohl man sagt: Wenn du es willst, kannst du nachher exakt bestätigt bekommen, aus was das Futtermittel besteht?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, wir haben keine Verordnung, kein Gesetz, in der bzw. dem festgelegt ist, daß den Bauern irgend etwas vorenthalten werden darf. Im Gegenteil: Die Verordnung läßt es zu, daß die Landwirte voll aufgeklärt werden. Es steht nur nicht auf dem Sack.
Der jetzige Zustand ist natürlich auch Folge dessen — das habe ich vorhin in der Antwort auf die Frage von Frau Hartenstein zu erwähnen vergessen — , daß die Futtermischungen in ihrer Zusammensetzung immer komplizierter werden. Keiner will das gewissermaßen offen darlegen, auch aus Gründen der Konkurrenz. Das muß man auch sehen. Deshalb ist man praktisch wieder zur halboffenen Deklaration gekommen.
Eine Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Dr. Hartenstein.
Herr Staatssekretär, können Sie den Eindruck, der bei den betroffenen Landwirten herrscht, widerlegen, daß bei der Abschaffung oder bei der Aufgabe der offenen Deklaration sowohl Bundesrat als auch insbesondere Bundesregierung vorschnell den Interessen einiger weniger überregionaler Mischfutterhersteller nachgegeben haben?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, ich kann Ihnen das deshalb nicht bestätigen, weil ich den föderativen Aufbau dieser Republik beachten muß. Das ist ein Bereich, in dem der Bund allein, ohne die Bundesländer, überhaupt nichts machen kann. Wenn die Bundesländer zu der Erkenntnis kommen, daß nur der andere Weg möglich ist, müssen wir das akzeptieren. Wir können es nicht erzwingen.
Ich rufe die Frage 33 des Abgeordneten Oostergetelo auf:
Steht die Bundesregierung nach wie vor zu ihrer grundsätzlich befürwortenden und fördernden Position bezüglich der offenen Deklaration, wie sie sie z. B. bei der Einführung der 5. Futtermittelverordnung deutlich hat werden lassen, oder muß die Antwort der Bundesregierung auf die Frage 35 aus Drucksache 11/2961 so verstanden werden, daß die Bundesregierung nach dem Beschluß des Bundesrates vom 10. Juni 1988 keine weiteren Anstrengungen mehr unternommen hat, die offene Deklaration zu erhalten, und damit ihre grundsätzliche Überzeugung einfach hat fallen lassen?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Oostergetelo, in der Antwort auf die Frage 35 in der Drucksache 11/2961 hat die Bundesregierung ausgeführt, daß sie sich bei den weiteren Beratungen in den Gremien der Europäischen Gemeinschaften für die halboffene Deklaration einsetzen werde, nachdem der Bundesrat durch Beschluß vom 10. Juni 1988 zur Sechsten Verordnung zur Änderung der Futtermittelverordnung gefordert hat, die sogenannte offene Deklaration durch die halboffene Deklaration zu ersetzen.
Die halboffene Deklaration ist im übrigen von der Bundesregierung mit Beginn der öffentlichen Diskussion über die Kennzeichnung der Zusammensetzung von Mischfuttermitteln im Jahre 1984, aber auch vom Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten des Deutschen Bundestages — Drucksache 10/2205 vom 25. Oktober 1984 —, dem sich der Deutsche Bundestag angeschlossen hat, favorisiert worden.
Eine Zusatzfrage, Herr Oostergetelo.
Herr Staatssekretär, da ja in dem Votum der Bundesregierung für die halboffene Deklaration auch die Begründung geliefert wird, daß man von der Prozeßwelle herunterkommen wolle, von den einzelnen Klagen, die anhängig seien — die meines Wissens ausnahmslos von den Futtermittelherstellern und nicht von den Verbrauchern angestrengt worden sind — , frage ich Sie: Ist die Bundesregierung bereit, wenigstens ein Verfahren durchzuführen, um die Rechtmäßigkeit der offenen Deklaration wirklich einmal prüfen zu lassen?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, wenn die Verordnung geändert wird und ein anderer Rechtstatbestand hergestellt wird, kann die Bundesregierung nicht im nachhinein wieder den alten Rechtstatbestand aufgreifen und hier Maßnahmen durchführen, um klarzustellen, ob das nun richtig oder falsch ist — oder wie Sie das meinen. Ich halte das für ausgeschlossen.
Herr Oostergetelo, zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, da Sie ja die Diskussionen in den letzten acht Jahren um diese Frage mitbekommen und wir uns hier intensiv ange-
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Oostergetelostrengt und bemüht haben, herauszufinden, was die beste Regelung ist, und dies auch im Ernährungsausschuß und im Deutschen Bundestag behandelt worden ist, wie Sie selber bestätigen: Wäre es der Bundesregierung nicht möglich gewesen, gewissermaßen unter dem Aspekt der Fürsorgepflicht zu sagen: Wenn es nun wieder eine Zurücknahme gibt, nur weil Leute klagen, dann wollen wir das erst noch einmal im Ernährungsausschuß und im Bundestag behandeln? Das wäre doch möglich gewesen. Warum hat sie das nicht getan? Sind Sie nicht meiner Meinung, daß es nicht so weit kommen darf, daß wir Verordnungen dann zu Fall bringen, wenn gewisse Interessengruppen genügend Klagen einbringen?Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, erstens: Wunsch und Wirklichkeit in der Politik sind — das wissen Sie — zwei Paar Stiefel.Zweitens: Die Bundesregierung ist nicht verpflichtet, mit Verordnungen, die an den Bundesrat gehen, vor den Ernährungsausschuß zu gehen. Sie geht aber trotzdem in den allermeisten Fällen in den Ernährungsausschuß, wenn sie weiß, daß ein Konfliktfall vorhanden ist.Nachdem aber der Ernährungsausschuß schon 1984 eine Entschließung für die halboffene Deklaration gefaßt hat, sah sich die Bundesregierung nicht genötigt, erneut mit der Vorlage in den Ernährungsausschuß zu gehen.
Herr Abgeordneter Eigen zu einer Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, wenn man davon ausgeht, daß man tatsächlich auch in der Landwirtschaft mit der halboffenen Deklaration leben kann, werden Sie dann auf jeden Fall in der Europäischen Gemeinschaft sicherstellen, daß dort bei einem entsprechenden Kompromiß durchgesetzt wird, daß jeder einzelne Anteil im Mischfutter auch tatsächlich deklariert werden muß, damit nicht wieder sogenannte Blender wie Traubenstengel, wie Hanfsamenschalen mit null Wert und wenig Kosten in die Futtermittel eingemischt werden?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, wir werden uns stets strebend bemühen, wie wir das bei allen Aufgaben, die wir übernehmen, bei der EG tun. Ich kann hier aber kein Versprechen abgeben, daß wir das, was wir wollen, auch erreichen, und zwar deshalb, weil wir in der EG nur ein Staat unter mehreren sind und in diesem Bereich die Beschlüsse mit Mehrheit gefaßt werden. Ich hoffe, daß uns dieses gelingt.
Zusatzfrage, Frau Dr. Hartenstein.
Herr Staatssekretär, ich möchte Sie noch einmal fragen: Halten Sie es denn für zumutbar, daß jeder einzelne Bauer, der Mischfutter verwendet, beim Hersteller nachfragen muß, welche anteilige Zusammensetzung dieses Mischfutter hat, und sind Sie denn überhaupt der Auffassung, daß diese Nachfragen genau bei denjenigen, die nämlich
die Deklaration nicht wollen, aussichtsreich sein werden?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, Sie unterschätzen unsere Bauern, vor allen Dingen die gut ausgebildeten jungen Landwirte. Die Geschäfte werden heute zwischen zwei Leuten abgeschlossen: entweder telefonisch, oder der Vertreter kommt auf den Hof. Wenn ein Bauer sein Geschäft versteht, wird er ihn fragen: Bitte schön, sage mir, wieviel Prozent sind von dem und dem in dem Futter enthalten? Dann kommt der nächste; es gibt ja nicht nur einen Anbieter. — Das überlassen wir einmal dem Wettbewerb und dem Markt.
Wir sind jetzt am Ende dieses Geschäftsbereichs und wissen genau über das Mischfutter Bescheid, auch die Laien auf dem landwirtschaftlichen Gebiet. Ich danke dem Staatssekretär für die Beantwortung der Fragen.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung auf. Herr Parlamentarischer Staatssekretär Höpfinger steht zur Beantwortung zur Verfügung.
Die Frage 34 der Abgeordneten Frau Steinhauer soll auf Wunsch der Fragestellerin schriftlich beantwortet werden. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Die Frage 35 des Abgeordneten Graf von Waldburg-Zeil sowie die Fragen 36 und 37 des Abgeordneten Müller sind zurückgezogen worden.
Ich rufe die Frage 38 des Abgeordneten Grünbeck auf:
Hält es die Bundesregierung für angemessen, daß Gewerbeaufsichtsämter bundesweit und gezielt gegen zahntechnische Labors vorgehen, die als Zulieferer der Zahnärzteschaft auf Grund der Gesundheitsreform zur Zeit die von ihnen geforderten Leistungen nur durch Überstunden erbringen können, und ist die Bundesregierung bereit, in Gesprächen mit den Ländern darauf hinzuwirken, daß dieses künftig unterbleibt?
Bitte schön, Herr Höpfinger.
Herr Kollege Grünbeck, zahntechnische Labors müssen wie andere Betriebe die Arbeitszeitgrenzen der Arbeitszeitordnung und das Sonn- und Feiertagsarbeitsverbot der Gewerbeordnung beachten. Den Gewerbeaufsichtsämtern der Länder obliegt nach § 27 der Arbeitszeitordnung und § 139b der Gewerbeordnung die Aufgabe, die Einhaltung dieser Arbeitszeitgrenzen und des Sonn- und Feiertagsarbeitsverbots zu überwachen. Soweit mir bekanntgeworden ist, kommen die Gewerbeaufsichtsämter der Länder auch gegenüber zahntechnischen Labors dieser Aufgabe nach. Das Verhalten der Aufsichtsbehörden ist also gesetzmäßig und nicht zu beanstanden.
Bitte schön, eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Grünbeck.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen eine alte chinesische Weisheit bekannt, wonach man die Dinge erledigen soll, bevor sie geschehen? Hätte man nicht, wenn die Bundesregierung eine Gesundheitsreform inszeniert, die zur Folge hat, daß die Zahnärzte
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Grünbeckverstärkt aufgesucht werden, weil die Patienten Sorge haben, daß sie hinterher möglicherweise höhere Selbstkostenbeteiligungen zahlen müssen, und wenn der Patient nach erfolgter Zahnarztbehandlung, aber ausgebliebener Zulieferung durch die zahntechnischen Labors möglicherweise mit Zahnlücken oder unbehandelten, nicht fertig behandelten Zähnen herumlaufen muß, eine Ausnahmegenehmigung — zumindest eine befristete — für die Labors erlassen müssen?Höpfinger, Parl. Staatssekretär: Herr Präsident, Herr Kollege Grünbeck, zunächst darf ich noch einmal festhalten: Die Gewerbeaufsichtsämter werden ihrem Auftrag gerecht. Das, was Sie jetzt ansprechen, ist eine gewisse Überforderung auf Grund eines neuen Gesetzes, das ab 1. Januar 1989 Gültigkeit erlangt. Wenn Sie hier fragen, ob man nicht hätte Nachsicht üben können, dann antworte ich Ihnen: Nach dem 31. Dezember 1988 folgt der 1. Januar 1989. Das ist zwar ein Sonntag, aber am Montag, dem 2. Januar, können die Labors wieder genauso weiterarbeiten, allerdings nach dem neuen Gesetz. Es gab überhaupt keinen Grund, hier Sonderregelungen einzuführen.
Weitere Zusatzfrage, Herr Grünbeck.
Herr Staatssekretär, ist der Bundesregierung die Konsequenz aus dieser Haltung bekannt, daß nämlich verschiedene Zahnärzte auf Grund dieser Notsituation ihre Aufträge jetzt ins Ausland vergeben — es bestehen verschiedene Flugverbindungen bis nach Thailand —, damit ihre Patienten an den Weihnachtstagen nicht mit Zahnlücken und mit unvollständig behandelten Zähnen herumlaufen müssen, und ist Ihnen bekannt, daß beispielsweise die Zahnärzte im Westfälischen auf Labors ausweichen, die in Holland oder in Belgien liegen?
Höpfinger, Parl. Staatssekretär: Es wäre auch durchaus möglich gewesen, Herr Kollege Grünbeck, daß die Zahnärzte selber ihre Patienten darauf hinweisen, daß ihr Terminkalender voll ist, daß die Labors die Aufgabe nicht mehr schaffen und daß sie doch in den ersten Wochen und Monaten des Jahres 1989 nachfragen sollten.
Es geht nicht mehr, Herr Grünbeck, Sie haben schon zwei Zusatzfragen gehabt.
— Nein, nicht mehr, so leid es mir tut.
Wir sind damit am Ende dieses Geschäftsbereichs. Ich danke dem Staatssekretär für die Beantwortung der Fragen.
Ich rufe nun den Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung auf. Herr Parlamentarischer
Staatssekretär Würzbach steht uns zur Beantwortung der Fragen zur Verfügung.
Die Fragen 39 und 40 des Abgeordneten Dr. de With sind zurückgezogen worden.
Ich rufe dann die Frage 41 des Abgeordneten Opel auf. — Er ist nicht im Saal. Dann werden die Fragen 41 und 42 des Abgeordneten Opel nach der Geschäftsordnung behandelt.
Die Frage 43 der Abgeordneten Frau Adler soll auf Wunsch der Fragestellerin schriftlich beantwortet werden. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 44 des Abgeordneten Heistermann auf:
Glaubt die Bundesregierung, daß es ihrer eigenen Reservistenkonzeption dienlich ist, wenn heute Reservisten nach Reservistenübungen bis zu zehn Wochen auf die Überweisung ihrer Ansprüche aus dem Unterhaltssicherungsgesetz warten müssen?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Herr Präsident, Herr Kollege Heistermann, meine Antwort ist nein.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, da Sie nicht der Auffassung sind, daß das bisherige Verfahren dem Reservisten dienlich ist, nämlich daß er die ihm nach dem Unterhaltssicherungsgesetz zustehenden Leistungen so spät erhält, frage ich Sie: Was antworten Sie denn einer Familie, die sich bei Ihnen möglicherweise beschwert, daß die Leistungen nach dem Unterhaltssicherungsgesetz erst nach zehn Wochen gewährt werden?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, in einem solchen Fall — wenn er denn wirklich eintritt — wünschte ich, daß die dafür zuständigen Beamten — Sie wissen, das sind nicht wir, sondern dies ist in der Durchführung auf die Länder und von den Ländern auf die Städte und Kreise delegiert — deutlich machen, daß dies eine zu bedauernde, aber absolute Ausnahme ist, die sich überhaupt nicht wiederholen soll. Darüber hinaus erwarte ich, daß die Ursachen untersucht werden, warum diese erhebliche Verzögerung entstanden ist, damit es dazu nicht noch einmal kommen kann.
Weitere Zusatzfrage, Herr Heistermann.
Herr Staatssekretär, würden Sie denn — möglicherweise mit den Ländern und den betroffenen Kommunen — durch entsprechende Vereinbarungen zu einer Regelung kommen können, daß das Verfahren tatsächlich schneller abgewickelt wird? Wird die Bundesregierung dementsprechende Initiativen ergreifen und dem zuständigen Ausschuß berichten?Würzbach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, wir haben im Mai bei der Bund-Länder-Konferenz dieses Thema der Unterhaltssicherungszahlung und eine Beschleunigung der Bearbeitung der Anträge angesprochen, und ich habe mir auf Grund Ihrer Frage einmal
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Parl. Staatssekretär Würzbachheraussuchen lassen, in welcher Häufigkeit möglicherweise ähnliche Fälle auftreten. Hier sind bei etwa 200 000 Ansprüchen, die angemeldet worden sind, in weniger als 0,1 % der Fälle, Kollege Heistermann, Beschwerden eingegangen. Ich bedaure jeden Einzelfall, erst recht wenn er so schlimm ist, wie Sie das mit den zehn Wochen sagen, weil ich weiß, was damit verbunden ist. Aber Sie sehen an diesen Zahlen, daß ein solcher Fall wirklich die absolute Ausnahme ist, und auch diese gilt es noch auszumerzen.
Ich rufe Ihre Frage 45 auf, Herr Heistermann:
Könnte sich die Bundesregierung ein System vorstellen, wonach die notwendige Unterhaltssicherung durch einen sofortigen Abschlag in Höhe von 80 v. H. sichergestellt und der Rest später abgerechnet wird?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, es gibt eine ähnliche Vorschrift bereits heute, die aussagt, daß im Grunde bei Dienstantritt bezahlt werden soll. Wenn hier nicht genau gesehen werden kann, um welche Beträge es sich handelt, dann soll ein Mindestbetrag, der auf Grund verschiedener Berechnungen ermittelt wird, gezahlt werden, der etwa dem Wehrsold plus freie Verpflegung, die gewährt wird, bei einem aktiven Soldaten gleichen Dienstgrades entspricht.
Eine Zusatzfrage, Herr Heistermann.
Herr Staatssekretär, ich hatte die Frage gestellt, ob Sie bereit sind, einer Lösung zuzustimmen, daß 80 v. H. der angemeldeten Ansprüche als sofortiger Abschlag ausgezahlt werden könnten. Sehen Sie sich nicht in der Lage, in den Standortverwaltungen entsprechende Einrichtungen zu schaffen, so daß dieser Bedarf dort abgedeckt wird und nur der Rest durch die städtischen Haushalte oder Kreishaushalte abgewickelt wird?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Nein, Herr Kollege.
Sie haben noch eine Zusatzfrage, Herr Heistermann.
Herr Staatssekretär, ich frage Sie wieder: Was antworten Sie denn einer Familie, die sechs oder acht Wochen auf entsprechende Entschädigung warten muß und deshalb entsprechende Verschuldungen oder Kontoüberziehungen bei Sparkassen oder Banken auf sich nehmen muß?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Heistermann, auf die gleiche Frage habe ich vorhin geantwortet.
Ich rufe die Frage 46 des Abgeordneten Gerster auf:
Kann die Bundesregierung Meldungen bestätigen, daß im Führungsstab des Heeres realistischere Alternativen zur Heeresstruktur 2000 bis 1989 erarbeitet werden sollen, da Probleme bei der Gewinnung von Zeitsoldaten und der Finanzierung eine Verringerung der Anzahl der Heeresbrigaden unter 42 zur Folge haben können?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Gerster, wir hatten vorhin bei der Regierungsbefragung dieses Thema bereits gestreift. Meine Antwort ist nein.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Gerster.
Herr Staatssekretär, heißt das, daß Sie nach dem derzeitigen Kenntnisstand davon ausgehen, daß es möglich sein wird, mit den Zeitsoldaten, die entweder schon für einen Verpflichtungszeitraum gewonnen sind oder noch gewonnen werden können, die Zahl von 42 Heeresbrigaden auch mit entsprechendem Führungspersonal aufrechtzuerhalten?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Ja.
Dann darf ich Sie des weiteren fragen: Wie erklären Sie sich, daß in einer seriösen großen deutschen Tageszeitung ein sehr umfangreicher Artikel in einer ganzen Serie von Artikeln aus den letzten Monaten steht, der nicht hätte geschrieben werden können, wenn nicht sehr konkretes Material vom Führungsstab des Heeres auch zu Journalisten geflossen wäre? Wie kommt es, daß solche Informationen vom Fü H offenbar Journalisten zugänglich werden?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich kann hier nicht einen Informationsfluß nachvollziehen — ich will dies auch nicht tun — , wer wen über was informiert hat, aber ich will gern einräumen, daß natürlich von diesem Planungsprozeß, der sich ja bis zum Ende der 90er Jahre erstreckt, also einen Zeitraum von mehr als zehn Jahren in der Zukunft umfaßt, viele Bereiche betroffen sein werden, was immer wieder zum Nachdenken, zum Suchen nach bestimmten beweglichen Veränderungen im personellen, im organisatorischen, im finanziellen Bereich führen wird. Planungsvorgabe innerhalb dieses beweglichen Prozesses bleibt aber das von dem Bundesminister der Verteidigung vorgegebene Ziel betreffend den Umfang der Streitkräfte und in diesem Fall des Heeres und die Anzahl der Brigaden.
Eine Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, was der Inspekteur des Heeres anläßlich des Besuchs des Bundesaußenministers in Munster erklärt hat, nämlich daß Modifikationen notwendig sind, sowohl was die Zahl der Brigaden als auch den Personalumfang der Bundeswehr anbetrifft? Wie bewerten Sie die Äußerung des Inspekteurs, der hier von Modifikation spricht?Würzbach, Parl. Staatssekretär: Ich habe eben in ähnlicher Form mit einem deutschen Wort verdeutlicht, Herr Kollege Heistermann, daß der Planungsprozeß nie ein statischer, sondern auf Grund verschiedener Vorgaben ständig ein beweglicher ist, der sich aber innerhalb eines Rahmens vollzieht und einer Zielvorgabe folgt. Diese haben sich nicht geändert.
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Keine weiteren Zusatzfragen. Dann rufe ich die Frage 47 des Herrn Abgeordneten Gerster auf:
Trifft es zu, daß im Führungsstab des Heeres die Verlängerung des Grundwehrdienstes auf 18 Monate und das angebliche „operative Minimum" der präsenten Bundeswehr von 456 000 Soldaten angesichts der ergebnisoffenen Strukturplanung in Frage gestellt werden?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Gerster, auch hier ist meine Antwort: nein.
Eine Zusatzfrage, bitte sehr.
Dann darf ich Sie fragen, Herr Staatssekretär: Ist das operative Minimum von 456 000 Soldaten — das ist eine Formulierung des früheren Verteidigungsministers, die der Nachfolger, wenn ich es richtig verfolgt habe, noch nicht zu seiner eigenen gemacht hat — ein ehrgeiziges Ziel, das man zu erreichen hofft, oder ist es ein wahrscheinliches Ziel, das man vermutlich erreichen wird?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Es ist eine realistische und durch die militärstrategische Situation auch notwendige Zahl, die wir durch verschiedene Vorkehrungen — wir haben bei der Regierungsbefragung auf Grund Ihrer Frage über einen Komplex daraus geredet — erreichen werden.
Eine Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär Würzbach, wenn Sie die erkennbaren Entwicklungslinien der Personalplanung fortschreiben, die wir im Augenblick schon kennen und die da sind: Senkung der Verweigererzahlen der Wehrpflichtigen, Weiterverpflichtung bei den Längerdienenden und manches andere, was daraus folgt, z. B. das Problem, den Kernbestand nicht in die Nähe von 100 000 zu bringen, sagen Sie dann immer noch, daß wir bei einem ungebrochenen Trend in dieser Richtung 456 000 erreichen können?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, durch verschiedene Maßnahmen, die Ihnen als Mitglied des Verteidigungsausschusses bekannt sind, werden wir unter Verwendung der erforderlichen Mittel — dazu gehört auch Geld — dieses Ziel erreichen können.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Heistermann.
Herr Staatssekretär, ist die Information richtig, die der Inspekteur des Heeres gegeben hat, daß 14 000 Längerdienende bis Mitte der 90er Jahre nicht erreicht werden und daß von daher Strukturänderungen notwendig sind? Wie vereinbaren Sie diese Aussage mit ihrer soeben gegebenen Antwort, daß Sie das Ziel, das Sie sich gesetzt haben, nämlich 456 000 Mann, erreichen werden?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Heistermann, Sie wissen, daß wir heute bei den Unteroffizieren eine Lage haben, wie sie die Bundeswehr nie hatte. Es sind so viele wie es nie zuvor waren. Das wird auch von niemandem bestritten, und das kann man im Haushaltsplan, im Stellenplan, entsprechend nachlesen.
Wenn sich, wonach auch der Kollege Gerster soeben fragte, durch verschiedenste Einflüsse ein Trend ergeben sollte, daß sich in der zweiten Hälfte der 90er Jahre — darüber sprechen Sie — diese Zahl der Unteroffiziere nach unten entwickelt, dann haben wir von heute aus gerechnet bis 1995 noch gute sechs Jahre Zeit, um durch gesetzliche Maßnahmen, bei denen mitzuwirken ich Sie einlade, verschiedene Weichenstellungen so zu ändern, daß wir eben doch genügend Bewerber in der Bundeswehr haben werden.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Die Fragen 48 und 49 des Abgeordneten Stiegler und die Fragen 50 und 51 des Abgeordneten Dr. Klejdzinski sollen auf Wunsch der Fragesteller schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Die Fragen 52 und 53 des Abgeordneten Horn sowie die Fragen 54 und 55 der Frau Abgeordneten Fuchs werden auf Grund von Nr. 2 Abs. 2 der Anlage 4 der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit auf. Zur Beantwortung der Fragen steht uns Herr Staatssekretär Chory zur Verfügung.
Die Fragen 56 und 57 des Abgeordneten Reimann, die Frage 58 des Abgeordneten Fuchtel sowie die Fragen 61 und 62 des Abgeordneten Müller sollen auf Wunsch der Fragesteller schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe die Frage 59 der Frau Abgeordneten Würfel auf:
In welcher Höhe sind nach Auffassung der Bundesregierung Asbestkonzentrationen im Trinkwasser, wie sie in jüngsten Untersuchungen z. B. im Saarland ermittelt wurden, mit dem Lebensmittel- und Bedarfsgegenständegesetz vereinbar?
Bitte sehr.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
In der Trinkwasser-Verordnung sind Grenzwerte für bestimmte Stoffe so festgesetzt, daß auch bei lebenslangem Verzehr des Wassers eine Schädigung der menschlichen Gesundheit nicht zu befürchten ist. Für Asbestfasern ist jedoch in dieser Vorschrift, die auf Gemeinschaftsrecht beruht, ein Höchstwert nicht festgelegt, da wissenschaftliche Untersuchungen gezeigt haben, daß von der Aufnahme von Asbestfasern über den MagenDarm-Trakt keine Gefahr für die Gesundheit zu erwarten ist.Das Lebensmittel- und Bedarfsgegenständegesetz verbietet in § 31, Gegenstände als Bedarfsgegenstände so zu verwenden, daß von ihnen Stoffe auf Lebensmittel übergehen, ausgenommen gesundheitlich, geruchlich und geschmacklich unbedenkliche Anteile, die technisch unvermeidbar sind. Diese Regelung gilt auch für die Abgabe von Asbestfasern aus Bedarfsgegenständen wie z. B. Asbestzementrohren an das durchfließende Trinkwasser.
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8068 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 112. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 30. November 1988
Staatssekretär ChoryEs ist davon auszugehen, daß eine nennenswerte Abgabe von Asbestfasern aus asbesthaltigen Trinkwasserrohren in das Trinkwasser nicht erfolgt, wenn der durch die Trinkwasserverordnung vorgeschriebene pH-Wert-Bereich im Trinkwasser eingehalten wird, so daß dann auch ein Verstoß gegen § 31 des Lebensmittel- und Bedarfsgegenständegesetzes nicht in Betracht kommen dürfte.Untersuchungsergebnisse über den Gehalt an Asbestfasern im Trinkwasser des Saarlandes sind der Bundesregierung nicht bekannt. Nach Mitteilung der zuständigen saarländischen Behörden sind derartige Untersuchungen von amtlicher Seite auch nicht durchgeführt worden.
Eine Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, wenn es nun doch so wäre, daß dem saarländischen Ministerium für Umwelt oder dem saarländischen Ministerium für Arbeit, Sozialordnung und Gesundheit derartige Untersuchungsergebnisse vorliegen, könnte ich dann davon ausgehen, daß die Bundesregierung ein erhebliches Interesse daran hat, diese Untersuchungsergebnisse kennenzulernen?
Insofern stellt sich für mich als neue Abgeordnete in diesem Hause die Frage: Welche Möglichkeiten hat denn die Bundesregierung, herauszufinden, ob es, wenn ein Ministerium sagt, es habe keine Untersuchungsergebnisse, tatsächlich so ist oder nicht?
Chory, Staatssekretär: Die Bundesregierung kann das tun, was sie getan hat: Sie kann das Ministerium fragen. Wir haben von dort eine Auskunft bekommen. Diese Auskunft ging sogar noch weiter, nämlich dahin, daß von dem Ministerium auch bei den Wasserwerken danach gefragt worden ist, ob diese wiederum Untersuchungen angestellt haben. Auch das wurde verneint. Das ist unser Erkenntnisstand, den wir durch Fragen an das Sozialministerium gewonnen haben.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Schreiner.
Herr Staatssekretär, ich wollte Sie nur fragen, ob Sie die Auskünfte der saarländischen Behörden in Zweifel ziehen.
Chory, Staatssekretär: Nein.
Ich rufe die Frage 60 der Abgeordneten Frau Würfel auf:
Kann die Bundesregierung ein gesundheitliches Risiko für die Konsumenten asbesthaltigen Trinkwassers vor dem Hintergrund jüngster wissenschaftlicher Untersuchungen mit Sicherheit ausschließen?
Chory, Staatssekretär: Frau Abgeordnete, die Bundesregierung sieht im Verzehr von asbesthaltigem Trinkwasser kein gesundheitliches Risiko. Auf Grund umfangreicher internationaler Studien ist es nach dem aktuellen Stand wissenschaftlicher Kenntnisse weder gesichert noch wahrscheinlich, daß durch
den Mund aufgenommene Asbestfasern ein Krebsrisiko verursachen. Ein solches Risiko besteht lediglich bei der Aufnahme von Asbest über die Atemwege. Neue wissenschaftliche Untersuchungen, die dieser Bewertung entgegenstehen, sind der Bundesregierung nicht bekannt.
Eine Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß überhaupt derartige Untersuchungen angestellt werden, und wissen Sie, in welchen Ländern der Europäischen Gemeinschaft oder weltweit?
Chory, Staatssekretär: Frau Abgeordnete, ich habe mich bei meiner Aussage auf die Bewertung des Bundesgesundheitsamtes gestützt, das wir bei solchen Fragen zu Rate ziehen und auf dessen Bewertung wir uns stützen müssen. Das Bundesgesundheitsamt wird sicher die vorhandene wissenschaftliche Literatur auch aus dem Ausland mit zugrunde gelegt und bewertet haben.
Eine weitere Zusatzfrage, bitte.
Würde die Bundesregierung, auch wenn wir davon ausgehen, daß es in dieser Frage noch keinerlei Untersuchungen gibt, nicht ausschließen, daß es in der Tat doch gesundheitliche Gefährdungen durch eine hohe Konzentration von Asbest im Trinkwasser geben könnte?
Chory, Staatssekretär: Frau Abgeordnete, ich habe eben gesagt: Nach der Bewertung, von der wir ausgehen, gibt es ein solches gesundheitliches Risiko nicht.
Ich schließe nicht aus, daß in der wissenschaftlichen Literatur auch andere Auffassungen vertreten werden, aber nach der Gesamtbewertung der wissenschaftlichen Erkenntnisse kommen das Bundesgesundheitsamt und, ihm folgend, wir zu dem Ergebnis, daß insoweit kein gesundheitliches Risiko besteht.
Eine Zusatzfrage, bitte.
Wenn Asbest im Trinkwasser als nicht gesundheitsgefährdend gilt, warum wurde denn dann im Saarland danach gesucht? Oder die Frage könnte auch sein: Hat sich die Tatsache, daß Asbest im Trinkwasser vorhanden ist, dort mehr zufällig ergeben, weil man nach anderen Stoffen gesucht hat? Oder ist doch gezielt danach gesucht worden?
Chory, Staatssekretär: Frau Abgeordnete, nach unseren Erkenntnissen ist dort nicht danach gesucht worden. Das ist das, war wir auf Anfrage dort erfahren haben.
Keine weitere Zusatzfrage.Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr auf.
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 112. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 30. November 1988 8069
Wir sind am Ende der Fragestunde.')Wir treten in den Zusatztagesordnungspunkt 1 ein:Aktuelle Stunde:Menschenrechtssituation in der TürkeiDie Fraktion DIE GRÜNEN hat gemäß unserer Geschäftsordnung eine Aktuelle Stunde zu dem Thema „Menschenrechtssituation in der Türkei" verlangt.Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Frau Abgeordnete Hensel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst begrüße ich einen lebenden Zeitzeugen, Herrn Mustapha aus der Türkei. Er sitzt dort oben in der Ehrenloge. Er ist ein Ex-Gefangener vor Medris Istanbul. Er ist ausgebrochen. Er saß wegen der Sanktionen bezüglich der Pressefreiheit. Ich grüße auch alle anderen Türken, die mit der heutigen Fragestunde sehr viel Hoffnung verbinden.
Wir GRÜNEN haben diese Aktuelle Stunde beantragt, damit sich der Bundestag mit der Situation in der Türkei auseinandersetzt, damit die bundesdeutsche Öffentlichkeit von der menschenverachtenden Politik der Verantwortlichen in der türkischen Regierung Kenntnis erhält. Wir haben diese Aktuelle Stunde auch beantragt, weil wir damit die Hoffnung verbinden, eine außenpolitische Signalwirkung hinein in die türkische Regierung und hinein in die türkische Bevölkerung im In- und Ausland zu erzielen.
Was ist eigentlich los in der Türkei? In einem Land, dessen Gastfreundlichkeit weltweit gerühmt wird, in einem Land, das durch seine Schönheit, Geschichte und Kultur immer mehr an touristischer Bedeutung gewinnt, in einem Land, dessen wichtigster Handelspartner die Bundesrepublik Deutschland mit einem Gesamtvolumen von 8,5 Milliarden DM Handelsaustausch ist, in diesem Land müssen Menschen in ihrer Verzweiflung zum letzten Instrument greifen, das ihnen möglich ist. In diesem Land sind seit mehr als 40 Tagen in 18 Gefängnissen über 2 000 politische Gefangene im Hungerstreik. Viele von ihnen liegen bereits im Krankenhaus, einige im Koma.
Überall finden derzeit Solidaritätsaktionen statt. In der Bundesrepublik Deutschland sind es türkische Mitbürger in vielen Städten, z. B. in Essen, Stuttgart, Frankfurt, Köln oder Hamburg. Mit den Gefangenen in der Türkei setzen die türkischen Mitbürger auch hier ihr Leben aufs Spiel, um die Weltöffentlichkeit auf die unmenschlichen Verhältnisse in den türkischen Gefängnissen aufmerksam zu machen. Sie protestieren damit vor allem gegen den Erlaß des türkischen Justizministeriums vom 1. August 1988, der die Haftbedingungen zusätzlich verschärft hat. Beispiels-
') Die Fragen 77 und 78 des Abgeordneten Niegel wurden zurückgezogen. Die übrigen nicht behandelten Fragen werden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
weise heißt es auf Seite 25 des Erlasses: „Honig, Zucker und Salz dürfen die hungerstreikenden Gefangenen nicht mehr erhalten. " Die Mediziner haben davor gewarnt. Aber politisch war es gewollt. Damit wird jeder Hungerstreik in Todesfasten umgewandelt.
Anfang November hat amnesty international in einem Bericht zur Lage der Hungerstreikenden in der Türkei die gesamte Brisanz dargestellt. Die Beispiele, die amnesty international vorgelegt hat, zeigen, mit welchen Methoden die Verantwortlichen in der türkischen Regierung mit Gefangenen umgehen, die zum Teil seit acht Jahren in Untersuchungshaft sitzen, ohne Anklage, ohne Begründung, nur auf Grund ihrer Gesinnung .
Beim Besuch des türkischen Staatspräsidenten Evren Ende Oktober in der Bundesrepublik betonte Bundeskanzler Kohl in seiner Tischrede:
Die enge wirtschaftliche Zusammenarbeit hat auch eine große politische Bedeutung. Sie ist Ausdruck des Vertrauens in eine stabile und demokratische Entwicklung ihres Landes.
Was meint der Bundeskanzler damit? Kann man Vertrauen haben?
Die täglichen Meldungen aus der Türkei sprechen eine andere Sprache. Die Folter steht auf der Tagesordnung, die Würde und die Rechte der Menschen ebenso wie die Rechte von gesellschaftlichen Bewegungen werden mit Füßen getreten. Interne Kenner behaupten: Noch nie seit dem Putsch von 1980 war die Situation in der Türkei derart zugespitzt wie jetzt. Da wundert es uns schon, daß Herr Bundeskanzler Kohl dem Herrn Evren das Vertrauen in die stabile und demokratische Entwicklung des Landes ausspricht. Ganz im Gegenteil, der Druck auf die Menschen in der Türkei in den Gefängnissen nimmt zu, und damit die Entwicklung hin zu einer Demokratie ab.
Und eine sehr schlimme und traurige Tatsache aus jüngster Zeit belegt meine Aussage von innerer Unsicherheit und mangelndem demokratischen Selbstverständnis in der Türkei: Am frühen Morgen des 28. November wurde ein junger Mann namens Horst Nehmet in der Türkei erschossen. Dabei spielt es eine untergeordnete Rolle, daß er als deutscher Tourist kam, um dieses Land kennen und lieben zu lernen. Militärische Hinweisschilder in türkischer Sprache übersah er offenbar; auf Zuruf eines Wachpostens wollte er mit seinem Wagen rückwärts wieder die Straße erreichen und wurde dabei erschossen.
Es ist nicht ausreichend, an dieser Stelle der Familie des jungen Menschen das Bedauern auszusprechen. Die Vertreter der Bundesregierung werden sich nun hier äußern müssen und werden uns zu sagen haben, in welcher Form und mit welchen Maßnahmen sie an die Verantwortlichen in der Türkei herantreten.
Danke.
Das Wort hat der Abgeordnete Stercken.
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8070 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 112. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 30. November 1988
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Meine Kollegen werden gleich auf die Probleme und Vorgänge eingehen, auf die Sie sich hier eben bezogen haben. Ich glaube, es ist wichtig, daß am Beginn einer solchen Debatte ein grundsätzliches Wort zu unserem historischen Verhältnis zu der Türkei und zu dem Volk der Türken vorgetragen wird: Was ist das Ziel jeder Operation eines Landes, eines Volkes, das mit der Türkei in einem freundschaftlichen Verhältnis, unterfüttert durch die Mitgliedschaft in gemeinsamen Bündnissen, in der Nordatlantischen Allianz, im Europarat, assoziiert in der Europäischen Gemeinschaft und verbunden durch viele andere unmittelbare staatliche oder wirtschaftliche und private Verbindungen, steht?
Dies ist ein Land, das erst nach dem Ersten Weltkrieg — wenn Sie so wollen — in die westliche Völkergemeinschaft eingetreten ist.
— Herr Bindig, wie schnell man da ankommt, das sehen wir an vielen vergleichbaren Ländern, die ich jetzt in diesem Zusammenhang aus naheliegenden Gründen nicht zitieren werde. Aber die Frage, die Sie und ich zu beantworten haben, ist jetzt nicht, ob wir uns Möglichkeiten der übertriebenen, konzentrierten und isolierten Diffamierung ausdenken, sondern ob wir die vorhandenen Möglichkeiten nutzen, um den Türken zu helfen, einen Weg zu gehen, den sie zugegebenermaßen noch nicht zu Ende gegangen sind. Auch der eben zitierte türkische Staatspräsident hat bei seinem Besuch hier in Bonn davon gesprochen, daß ein Prozeß im Gange sei.
Wer den Umgang mit türkischen Kollegen etwa so intensiv betreibt, wie ich mir dies zugeordnet habe, der weiß, daß keiner von diesen Kollegen der Auffassung ist, der Weg zur Demokratie sei bereits zu Ende gegangen. Aber was dort zu geschehen hat, ist unsere Hilfe und nicht unsere Abgrenzung und Diffamierung.
Man muß einmal den Zustand auch historisch erfassen, in dem sich die Türkei nach dem Ersten Weltkrieg befand, als Kemal Atatürk diesem Land eine neue Richtung, einen neuen Sinn, eine neue Infrastruktur gegeben hat unter dem Aspekt: Wie führen die Türkei in Richtung auf Europa; es gibt ein Buch von einem deutschen Autor: „Die Türkei auf dem Wege nach Europa". Da war man sich darüber im klaren, daß das ein ganz langer Weg ist.
Ich habe in diesem Land zu verschiedenen Zeiten gelebt, und ich habe mitbekommen, wie schwer dieser Weg für die Menschen ist, die vor allen Dingen draußen in Anatolien von diesen Entwicklungen der Demokratie noch gar nicht in dem Umfang erreicht worden sind, wie man das einer bestimmten türkischen Führungsschicht zutrauen kann. Ich habe selber an meinem eigenen Leib miterlebt, wie man draußen in schwierigen Situationen etwa von der Polizei behandelt wurde. Das war eine harte Umgangsform, die dem harten Leben entsprach, in dem diese Leute zu vier Fünfteln auch heute noch leben. Das ist ihr eigenes Leben in verkarsteten Gebieten. Ich plädiere
hier dafür, zu verstehen, warum in einem Land unter solchen Voraussetzungen — —
— Ich spreche hier von einer Situation in einem Volk. Zu den konkreten Anklagen wird hier nachher noch Stellung bezogen werden.
Ich werbe auch um Verständnis auch angesichts der Tatsache, daß in unserem Land anderthalb Millionen Türken leben, die sich von unserer Form der pauschalen Kritik, die wir ständig anmelden, doch in einer sehr unangenehmen Weise angesprochen fühlen.
Ich werbe dafür, meine Damen und Herren, abschließend, daß wir eine gerechte Form der Bewertung dieses Prozesses vornehmen, daß wir verstehen,
daß wir den Türken auf einem schweren Weg zu helfen haben
und daß wir nichts erreichen, wenn wir sie durch ständige Diffamierungen in die Ecke stellen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schreiner.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es geht nicht um Diffamierug des türkischen Volkes.
Um Mißverständnisse erst gar nicht aufkommen zu lassen: wir Sozialdemokraten begreifen uns ausdrücklich als Freunde der Türkei und des türkischen Volkes. Wir kennen die lange Tradition der deutschtürkischen Freundschaft. Wir wissen um die intensive kulturelle Verbundenheit unserer Völker. Vor allem aber haben wir nicht vergessen, daß 1933 und später die Türkei Heimstatt vieler verfolgter deutscher Sozialdemokraten gewesen ist. Der erste Regierende Bürgermeister Berlins nach dem Zweiten Weltkrieg Ernst Reuter war unter ihnen. Um so mehr bedrücken uns heute die inneren Zustände in der Türkei. Wir begreifen das damalige demokratische Engagement der Türkei für verfolgte Demokraten in Deutschland als eine historische Verpflichtung für uns Jüngere, uns heute für die verfolgte demokratische Opposition in der Türkei zu engagieren.
Wir fühlen mit allen demokratischen Kräften, die, aus welchem Grund auch immer, diskriminiert, mißhandelt und verfolgt werden.Wer die Hoffnung hatte, daß durch die Ratifizierung der Menschenrechtskonvention des Europarates und
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 112. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 30. November 1988 8071
Schreinerder UNO durch die Türkei die Lage der Menschen im Hinblick auf die Menschenrechte in diesem Lande verbessert werden könnte, sieht sich nach den vergangenen elf Monaten enttäuscht. Es gibt nach wie vor Todesfälle in der Haft. Nach wie vor gilt das von Mussolini übernommene Strafrecht in der Türkei, das auf Grund seiner äußersten Dehnbarkeit jede Möglichkeit bietet, mit der Opposition nach Belieben Schlitten zu fahren.Wir fordern die unverzügliche Abschaffung eines zutiefst antidemokratischen Strafrechts, das der Opposition dort am meisten zu schaffen macht.
Wir fordern die unverzügliche Abschaffung der Todesstrafe. Wir fordern Amnestie für alle politischen Gefangenen. Wir fordern Hilfe für diejenigen, die hier in Deutschland und anderswo im Exil sind und die liebend gern in ihre Heimat zurückkehren würden. Wir unterstützen im übrigen auch den Bischof von Essen, Herrn Kardinal Hengsbach, der in einer Erklärung vom 14. November dieses Jahres Religionsfreiheit und das Recht der Eltern, die religiöse Erziehung der Kinder selbst zu bestimmen, auch für die christliche Minderheit in der Türkei eingefordert hat.Um das sehr schlagwortartige Bild ein bißchen abzurunden: sogar der türkische Menschenrechtsverein, wo nachweislich Demokraten organisierend engagiert sind, eine Vereinigung, die sich gerade um die Verbesserung der Menschenrechtslage kümmert, wird wegen ihrer Aktivitäten auch hier und heute noch verfolgt. Zur Zeit läuft ein Prozeß gegen den gesamten Vorstand des Menschenrechtsvereins in der Türkei wegen einer bloßen Unterschriftenkampagne für eine Generalamnestie und zur Abschaffung der Todesstrafe. Solange solche Zustände anhalten, kann doch nicht annähernd von einem demokratischen Prozeß in der Türkei die Rede sein.
Die Türkei ist Mitglied der NATO, des Europarates und mit der Europäischen Gemeinschaft durch den Assoziierungsvertrag verbunden. Sie strebt legitimerweise die Vollmitgliedschaft in der Europäischen Gemeinschaft an. Die Türkei bekennt sich zu den westlichen Demokratien, und diese bekennen sich zu ihr. Diese Bindung erfordert ein Mindestmaß an Rechtsstaatlichkeit, Schutz des Individiums und von Minderheiten, Pressefreiheit und Gewaltfreiheit. Dies ist eine Gewährleistungsaufgabe des Staates.Die Freunde der Türkei, zu denen wir zählen, können nicht hinnehmen, daß diese Dinge im Zweifelsfall in der Türkei nur in Ausnahmefällen und auf massiven Druck von innen oder außen gewährt werden. Wir werden auch in Zukunft bei allen Gesprächskontakten mit türkischen Stellen auf die Menschenrechtsverletzungen und die politische Verfolgung zu sprechen kommen.Die Frage ist: Was tut die Bundesregierung? Es wäre richtig gewesen, wenn der Bundeskanzler Herrn Ozal beim letzten Treffen am vergangenen Sonntag in Straßburg darauf angesprochen hätte. In der Pressemitteilung der Bundesregierung vom 27. November 1988 war hiervon kein einziger Satz zu lesen.Ich sage in aller Deutlichkeit auch an die Adresse der Bundesregierung: Auch leichtfertige Kumpanei kann zu schuldhafter Verstrickung führen.
Es wäre angemessen, wenn die Bundesregierung in ihren legitimen Kontakten und Gesprächen mit der türkischen Regierung immer wieder darauf hinweist, daß wir, die Deutschen, gerade aus eigenen historischen Gründen ohne Rechthaberei, ohne Übermut großen Wert darauf legen, daß wir mit unseren Partnern, mit unseren Gesprächspartnern, mit unseren Bündnispartnern Zustände haben wollen, die jedenfalls eines nicht mehr zum Ausdruck bringen, nämlich die krasse Verletzung von Menschenrechten. Ein Partner ist nur so viel wert wie die innere demokratische Statur in seinem Land.Schönen Dank.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Irmer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir tun uns, wie auch die Debatte heute nachmittag zeigt, mit der Türkei sehr schwer. Da ist einerseits die traditionelle Verbundenheit und die Tatsache, daß eben so viele Türken auch bei uns im Lande leben, da sind auf der anderen Seite die nun wirklich erschreckenden Menschenrechtsverletzungen, die hier ja zum Teil geschildert worden sind. Wir müssen anerkennen, daß nach der Militärdiktatur Anfang der 80er Jahre immerhin die Rückkehr zur formalen Demokratie mehr oder weniger gelungen ist, mit freien Wahlen und dergleichen. Andererseits sind die Menschenrechtsverletzungen, wie sie hier geschildert wurden, gar nicht zu bestreiten.Mir scheint auch, daß das Problem darin liegt, daß hier ein tiefer Abgrund zwischen Theorie und Praxis klafft. Die Türkei hat jede Menge Gesetze, wonach Menschenrechtsverletzungen eigentlich nicht vorkommen dürften, nur in der praktischen Anwendung kommt es immer wieder zu Schwierigkeiten. Die Behörden bemühen sich ja sogar teilweise darum, beispielsweise Folterer zu verfolgen, unter Anlage zu stellen. Nur ist es dann ein sehr eigenartiges Bild, wenn ich weiß, daß in 4 000 von wahrscheinlich zehnmal mehr stattgefundenen Fällen Anklage erhoben wird und von diesen 4 000 Fällen dann nur 400 übrigbleiben, in denen die Übergriffe mit mehr oder weniger geringen Strafen geahndet werden. Dies kann nicht befriedigen.Die Haftzustände wurden angesprochen. Die Todesstrafe wird exzessiv verhängt, Doppelbestrafungen kommen vor, und es gibt dann die zahlreichen politischen Taten. Hier ist es so — darauf wurde hingewiesen — , daß die Artikel 141 und 142 des türkischen Strafgesetzbuches im Grunde derart ausufernd formuliert sind, daß per Generalklausel jedes nicht genehme politische Verhalten verfolgt werden kann.Mir ist heute früh ein Papier in die Hand gekommen, das uns die türkische Botschaft geschickt hat. Darin befinden sich entlarvende Ausdrücke. Es enthält eine Liste der „gegen die in der BRD befindlichen
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Irmertürkischen Einrichtungen im letzten Monat gerichteten Anschläge" , ich wiederhole: Anschläge. Das gibt dann den „Überblick über den Umfang der durch die Tätigkeit der extremistischen Gruppen in der Türkei entstandenen Probleme". In vielen Fällen heißt es hier: „Demonstration". Es zeugt von einem Geist, der nicht demokratisch ist, daß nämlich eine friedliche Demonstration bereits als „Anschlag" gewertet wird. Dies ist, ich sage es, entlarvend und erhellend.Meine Damen und Herren, was können wir tun? Ich meine, daß wir an unseren NATO-Partner, an unser Partnerland im Europarat ganz entschieden appellieren sollten, schleunigst dafür zu sorgen, daß sich diese Verhältnisse ändern.Die Türkei hat einen Antrag auf Vollmitgliedschaft in der Europäischen Gemeinschaft gestellt. Es ist aus anderen Gründen sicher noch nicht die Zeit, sich hierzu positiv zu äußern. Aber eines ist klar: Die Europäische Gemeinschaft ist eindeutig eine Wertegemeinschaft, die der Demokratie und den Menschenrechten verpflichtet ist. Wenn wir dies aufgeben würden, dann wären wir es nicht wert, daß wir als Europäische Gemeinschaft existieren. Jeder, der diesem Club beitreten will, muß als Vorleistung dafür sorgen, daß derartige Dinge, wie wir sie aus der Türkei wissen und leider tagtäglich neu erfahren, nicht mehr vorkommen. Ich möchte unseren türkischen Freunden und der türkischen Regierung ganz nachhaltig ins Stammbuch schreiben: Sorgt dafür, daß mit diesen Verhältnissen schleunigst Schluß gemacht wird, sonst brauchen wir — ich sage: leider — über einen Beitritt zur Europäischen Gemeinschaft gar nicht zu reden!Meine Damen und Herren, die Türkei — das darf man auch nicht vergessen — ist nicht nur als NATO-Partner, sondern auch wegen ihrer Nähe zu anderen, östlicher gelegenen Ländern in der latenten Gefahr, wie andere zuvor, dem Fundamentalismus in die Hände zu fallen. Wir befinden uns hier auf einem schmalen Grat. Wir dürfen die Türkei nicht zurückstoßen, weil wir sonst unter Umständen mitverantwortlich dafür wären, daß dort noch viel schlimmere Zustände einkehren, als wir sie heute zu beklagen haben. Wir müssen an die Demokraten und an die aufrechten Menschen in der Türkei und in der türkischen Regierung dringend appellieren: Macht Schluß mit diesen Zuständen, achtet die Menschenrechte.Ich danke Ihnen.
Ich erteile dem Staatsminister des Auswärtigen Amtes, Herrn Schäfer, das Wort.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Uns alle bewegt der von Ihnen gerade angeführte tragische Tod des deutschen Staatsbürgers Horst Nehmet in der Türkei. Zu dem bedauernswerten Vorfall kann gegenwärtig folgendes gesagt werden. Das türkische Außenministerium hat unsere Botschaft in Ankara am Vormittag des 28. November davon unterrichtet, daß am selben Morgen gegen 6.30 Uhr in einem militärischen Sperrgebiet südlich von Istanbul der genannte deutscheStaatsangehörige durch Schüsse eines militärischen Wachtpostens tödlich getroffen wurde.Wir haben in Bonn noch am gleichen Tag und erneut gestern gegenüber dem türkischen Botschafter mit allem Nachdruck unsere tiefe Betroffenheit über diesen Vorfall geäußert und auf den Ernst der Angelegenheit hingewiesen. Die türkische Seite wurde um umgehende Aufklärung des Vorfalls gebeten. Das Auswärtige Amt hat außerdem einen Angehörigen des örtlich zuständigen Generalkonsulats Istanbul zur Klärung des Vorfalls an den Ort entsandt. Die Bundesregierung besteht auf einer lückenlosen umfassenden Aufklärung des tragischen Ereignisses durch die türkische Regierung.Meine Damen und Herren, die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte hat in den 40 Jahren seit ihrer Verkündung einen weltweiten Menschenrechtsstandard gesetzt, dem sich kein Staat mehr entziehen kann. Dies gilt nicht zuletzt auch für die Türkei, die Vertragsstaat der Europäischen Menschenrechtskonvention ist. Die Menschenrechtssituation in der Türkei hat seit der Rückkehr zu einer demokratisch-legitimierten Regierung im Jahre 1983 Fortschritte gemacht. Die Türkei hat die Individualbeschwerde an die Menschenrechtskommission nach Artikel 25 der Europäischen Menschenrechtskonvention zugelassen. Sie hat die Antifolterkonvention des Europarates und der Vereinten Nationen unterzeichnet und ratifiziert. Sicherheitsbeamte, die der Mißhandlung von Inhaftierten überführt sind, werden strafrechtlich belangt. Erste, wenn auch nach unserer Auffassung noch ergänzungsbedürftige Schritte zu einer Reform des Strafvollzugs sind eingeleitet worden. In der türkischen Nationalversammlung wird in immer intensiverem Maß die Frage der Menschenrechte, einschließlich der Frage der Abschaffung oder Umwandlung der Todesstrafe, erörtert.Die türkische Regierung hat erkannt, daß die Einhaltung der Menschenrechte Bestandteil des westlichen demokratischen Verständnisses ist. Menschenrechtsfälle werden in der türkischen Presse, in zahlreichen Vereinigungen, die sich gerade den Schutz der Menschenrechte zur Aufgabe gesetzt haben, inzwischen offen und freimütig diskutiert. Auch das ist sicher ein Fortschritt gegenüber früher.
Trotz dieser positiven Entwicklung gibt es nach wie vor zahlreiche Vorfälle, die die Bundesrepublik Deutschland, gerade weil sie mit der Türkei in Freundschaft eng und partnerschaftlich verbunden ist, mit besonderer Aufmerksamkeit verfolgt.So finden die Lage der christlichen und anderer Minderheiten in der Türkei, die Zustände in den türkischen Haftanstalten und die derzeitigen in zahlreichen türkischen Gefängnissen durchgeführten Hungerstreiks, auf die Sie hingewiesen haben, die Ereignisse im Zusammenhang mit der vorläufigen Festnahme einer niedersächsischen Landtagsdelegation Anfang November und der Verlauf verschiedener Prozesse unsere kritische Aufmerksamkeit. Das gleiche gilt auch für die Lage der Gewerkschaften.
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Staatsminister SchäferAndererseits — und das sollte man an dieser Stelle auch einmal erwähnen — verdient der Einsatz der türkischen Regierung für die ursprünglich 50 000 bis 60 000 Kurden, die in diesem Sommer aus dem Irak in die Türkei flüchteten, unsere Anerkennung. Die Türkei hat die Betreuung dieser Flüchtlinge als nationale humanitäre Aufgabe verstanden. Ich darf in dem Zusammenhang darauf hinweisen, daß die Bundesregierung die Hilfsmaßnahmen der türkischen Regierung mit 2 Millionen DM unterstützt hat.Die Bundesregierung hat die Menschenrechtsfrage, Herr Kollege Schreiner, bei jeder sich bietenden Gelegenheit immer wieder gegenüber der Türkei in aller Deutlichkeit und mit allem Nachdruck angesprochen, und ich finde den Ausdruck Kumpanei hier alles andere als richtig am Platze.Die türkische Regierung hat ihre Entschlossenheit unterstrichen, auf dem eingeschlagenen Weg der Achtung der Menschenrechte und der Demokratie voranzuschreiten. Auf diesem Weg sollten wir die Türkei auch weiterhin kritisch, aber auch konstruktiv unterstützen, statt ausschließlich Kritik zu üben. Ich glaube, wir sollten bei der Beurteilung der Türkei auch sehen, daß es zwischen dem Willen von Parlament und Regierung auf der einen Seite und der praktischen Durchführung auf der anderen Seite, wie sie sich auf der unteren Ebene bei Gefänigniswärtern und bei Personal, das mit Gefangenen zu tun hat, zeigt, eine Kluft gibt, die überwunden werden muß. Wir werden die Türkei weiterhin darauf hinweisen.Vielen Dank.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Hensel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Staatsminister Schäfer, aus meinen vorhin geäußerten Überlegungen möchte ich jetzt gerne einige Forderungen formulieren. Ich möchte vor allem darauf eingehen, daß Sie soeben bemerkt haben, immer wieder würden die Menschenrechtsverletzungen in der Türkei in ihrer ganzen Tragweite angesprochen. Ich bestreite das.
Lesen Sie einmal die Rede des Bundeskanzlers Kohl nach, die er zu Ehren des Staatspräsidenten Evren gehalten hat. Inwieweit hat der Besuch von Herrn Evren in der Bundesrepublik Deutschland zur Problematisierung der Menschenrechtsverletzungen in der Türkei geführt? Überhaupt nicht! Es wurden weiterhin Rüstungshilfen und andere militärische Hilfen zugesagt. Auch der EG-Vorsitz ist nicht genutzt worden, den Wunsch zur Mitgliedschaft in der EG von seiten der Türkei in irgendeiner Form zu problematisieren.
Ich fordere daher die türkische Regierung von dieser Stelle aus auf, das Recht auf freie Meinungsäußerung zu gewähren und in diesem Zusammenhang eine Generalamnestie für alle politischen Gefangenen auszusprechen, die Todesstrafe abzuschaffen und die Haftbedingungen menschenwürdig zu gestalten. Ich fordere die türkische Regierung auf, sich darauf zu besinnen, daß jedes zivilisierte Land Abscheu empfinden muß, wenn eine Regierung schweigt und die Menschen vor ihren Augen sterben läßt.
Ich fordere die Bundesregierung auf, jetzt mit den freundlichen Gesten und Reden aufzuhören. Hören Sie angesichts der verzweifelten und unterdrückten Menschen bitte auf, informelle Gespräche in Straßburg oder sonstwo zu führen. Hören Sie auf, den Stand der deutsch-türkischen Beziehungen zu würdigen. Machen Sie Ihre weitere wirtschaftliche Zusammenarbeit und finanzielle Hilfe davon abhängig, ob in diesem Lande die Menschenrechte und die Würde der Menschen geachtet werden. Knüpfen Sie Ihre künftige Zusammenarbeit an das faktische Verhalten der türkischen Regierung. Stellen Sie Ihre Zusammenarbeit in den Kontext einer positiven Entwicklung hin zu einer pluralistischen Demokratie, die fehlt. Ich fordere die Bundesregierung auf — mein letzter Satz — , zum jetzigen Zeitpunkt die wirtschaftliche und bilaterale Zusammenarbeit mit der Türkei gründlich in Frage zu stellen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Pohlmeier.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wernn wir über Menschenrechte in der Türkei sprechen, dann dürfen wir nicht vergessen, daß dieses Land seit 1980 ganz erhebliche Anstrengungen zur Wiederherstellung der Demokratie gemacht hat. Es sind mehr politische Freiheiten und ein größerer Schutz der Menschenrechte entstanden. Meine Damen und Herren und Frau Hensel von den GRÜNEN, Sie vergessen oder verdrängen, daß dieses Land Ende der 70er Jahre vor dem Zusammenbruch stand, daß Terror auf den Straßen herrschte.Wenn Sie die heutige Lage in der Türkei mit der damaligen vergleichen, dann können Sie doch nicht verkennen, daß in der Türkei erhebliche Fortschritte gemacht worden sind. Wir jedenfalls sind nicht bereit, die Türkei und die türkische Regierung fortwährend hier auf die Anklagebank zu setzen.
Allerdings ist ein freundschaftlicher Dialog notwendig, weil die Türkei ein europäisches Land sein will, weil sie die Mitgliedschaft in der EG anstrebt. Deswegen sind wir sehr wohl verpflichtet, über Dinge, die noch nicht in Ordnung sind — die Türkei ist noch auf dem Wege hin zu einer vollständigen Demokratie —, einen Dialog zu führen.Aus unserer Sicht aber ist — darauf hat mein Kollege Dr. Stercken vorhin eindringlich hingewiesen — Verständnis für die besondere Lage der Türkei notwendig,
die auf dem Wege der Anerkennung von Demokratieund Menschenrechten weitergehen will. Ich muß allerdings auch unsere türkischen Freunde bitten, hier
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Dr. Pohlmeiernicht überempfindlich zu sein und überempfindlich zu reagieren, wenn wir dieses Gespräch mit ihnen führen.
— Davon kann keine Rede sein, Herr Bindig.
Ich möchte, meine sehr verehrten Damen und Herren, auf ein besonderes Teilproblem im Bereich der Menschenrechte in der Türkei eingehen, nämlich auf die Situation der Minderheit der Kurden. Es leben 7, 8 oder 9 Millionen Kurden als Minderheit in der Türkei. Wir beklagen zu Recht, daß es in der Türkei Minderheitenrechte nicht gibt, daß der kurdischen Bevölkerung der Gebrauch der eigenen Sprache, die Pflege der eigenen Kultur verwehrt ist.Allerdings muß auch hier wieder auf der anderen Seite gesagt werden, daß die Kurden teilweise dem Extremismus verfallen sind, daß Gewaltaktionen im Osten der Türkei vorkommen, Überfälle auf Dörfer, Delikte von ungeheurer Brutalität. Dann ist es irgendwie begreiflich, wenn die türkische Regierung und die Sicherheitskräfte im kurdischen Bereich irgendwie durchgreifen.In der Bundesrepublik Deutschland haben wir, meine Damen und Herren, darauf zu achten, daß die extremistischen Bewegungen in diesem Bereich nicht zu sehr überhandnehmen.
Der Bundesminister hat — ich glaube, es war im Verfassungsschutzbericht 1986 — etwa 20 extremistische kurdische Organisationen aufgeführt. Wir haben darauf zu achten, daß diese kurdischen extremistischen Gruppierungen nicht in den Terrorismus abgleiten.
Herr Staatsminister Schäfer hat schon darauf hingewiesen, daß es der Türkei sehr hoch anzurechnen ist, daß sie einige zigtausend kurdischer Flüchtlinge aus dem Irak aufgenommen hat — eine große nationale und humanitäre Leistung der Türkei.
Wir sprechen uns dafür aus, daß die Kurden gleiche Rechte und Pflichten wie die Türken in diesem Lande haben, daß aber Volksgruppenrechte nicht unvereinbar damit sein können. Wir bitten die Türkei, diese Volksgruppenrechte für die Kurden zu verwirklichen.Die türkische Regierung macht sicher mit Recht geltend, daß sie ihre nationale Identität und die nationale Einheit zu verteidigen hat. Das ist ganz sicher richtig.Aber sie muß auch erkennen, daß in vielen Ländern Europas und auch in der Welt draußen Volksgruppenminderheiten ihre Rechte einfordern. In diesen Ländern entstehen Konflikte. Ich stelle also fest, daß die Türkei mit diesem Problem noch lange zu tun haben wird. Wir möchten die türkische Regierung mit großem Nachdruck und auch mit Ernst bitten, für die Rechte der kurdischen Minderheit in ihrem Lande selbst eine Lösung zu finden.Die Türkei ist schon so sehr ein europäischer Staat geworden, daß wir über diese und alle anderen Fragen mit der türkischen Regierung und der türkischen Öffentlichkeit in aller Offenheit reden können.
Wir werden aber nicht dulden, meine sehr verehrten Damen und Herren, daß die europäische und die deutsche Linke die Türkei als ein Feindbild und als ein Haßsymbol aufbauen und kultivieren.
Die Türkei ist für uns ein Partner, ein Freund, ein Mitglied der freien Völkergemeinschaft, die den humanitären und freiheitlichen Idealen und einer entsprechenden Politik verpflichtet bleibt.
Herr Abgeordneter Schreiner, so geht es nicht. Ich bitte Sie, sich zu mäßigen. Wir sind hier in einer Aktuellen Stunde.
Die nächste Rednerin ist Ihre Kollegin Frau Abgeordnete Becker-Inglau.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Nicht Bücher oder Zeitungsberichte, sondern die Begegnung mit betroffenen Menschen haben mir einen Eindruck von der Verletzung der Menschenrechte in der Türkei vermittelt. Lassen Sie mich deshalb mit einem Zitat einer Betroffenen beginnen:Nach unserer Festnahme waren wir, d. h. mein Mann und ich, ins Dal-Untersuchungszentrum in Ankara gebracht worden. Gemeinsam wurde ich mit meinem Mann mit verbundenen Augen in einen Raum geführt. Wir mußten uns nackend ausziehen. Unsere Hände wurden auf dem Rükken zusammengebunden, ebenso unsere Füße. Dann wurden wir aufgehängt, und auf unsere Genitalien wurden starke Wasserstrahle gerichtet. Wir haben geschrien, bis unsere Sinne schwanden. Mir wurden Drähte, durch die Strom geschickt wurde, in die Gebärmutter gelegt und an die Scheidenwände geheftet. Danach hatte ich 40 Tage lang Blutungen. Heute weiß ich, daß ich
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Frau Becker-Inglaukeine Kinder mehr bekommen kann. Unterbrochen wurden die Folterungen durch stundenlange Verhöre. Wir bekamen nichts zu essen, durften nicht schlafen, nicht zur Toilette. Man wollte Namen aus uns herauspressen.Nach acht Tagen durften wir endlich einen Rechtsanwalt sprechen und wurden dem Haftrichter vorgeführt. Uns wurde vorgeworfen, an der Herausgabe der kurdischen Zeitschrift „Rastiya Kurdistan" beteiligt gewesen zu sein. Aber damit hatten wir überhaupt nichts zu tun. Dazu wurde uns die Mitgliedschaft in einer kommunistischen Partei, Propaganda und die Gründung einer Frauengruppe vorgeworfen, was nach den §§ 141 und 142 des Strafgesetzbuchs in der Türkei verboten ist.Wir waren bis Oktober im Gefängnis. Bereits am ersten Verhandlungstag wurden wir freigesprochen.Meine Damen und Herren, Menschen gegenüberzusitzen, die Folter und Haft in der Türkei in der gerade beschriebenen Weise miterlebt haben, weil ihr Name aus einem drei Tage lang gefolterten Studenten herausgepreßt worden war, erzeugt andere Gefühle, Gedanken und Eindrücke in mir und den Teilnehmern einer Delegation am Anfang dieses Monats als der Besuch des türkischen Staatspräsidenten Evren im letzten Monat, der ein beschönigendes Bild der Türkei in der BRD zeichnen sollte.Dem Gespräch, dem das vorangegangene Zitat entnommen ist, folgten noch eine Reihe anderer mit ebenfalls Betroffenen. Ich kann Ihnen sagen: Es besteht ein krasser Unterschied zwischen den liberalisierenden Äußerungen Evrens hier und den Äußerungen der Regierenden in der Türkei und ihrer Untergebenen beispielsweise in den Gefängnissen.Bei einem Gespräch mit dem Vorsitzenden des Rechtsausschusses, Pehlivani, haben wir die systematische Folter und die Haftentschädigung am oben zitierten Beispiel thematisiert. Die Antworten waren: Systematische Folter gibt es nicht. Wenn vereinzelt gefoltert wird, werden die Folterer angeklagt und bestraft — dieses haben Sie hier auch gesagt. Wenn jemand zu unrecht inhaftiert worden ist, hat er das Recht, auf Haftentschädigung zu klagen.Ich denke, diese Antworten sprechen für sich. Befragt zu den Äußerungen Evrens hier in der Bundesrepublik, daß es überlegenswert sei, die §§ 141 und 142 des türkischen Strafgesetzbuches und die Todesstrafe durch einen Volksentscheid abzuschaffen, war Pehlivanis Antwort, jeder Politiker auch in der Türkei oder außerhalb habe das Recht, seine persönliche Meinung zu äußern.Ein weiteres Beispiel für die Mißachtung der Menschenrechte ist die Situation in den Gefängnissen, gegen die nicht nur in der Türkei, sondern inzwischen ganz aktuell auch in der Bundesrepublik Solidaritätsbekundungen mit den Gefangenen, die in unterschiedlichen Gefängnissen in Hungerstreik getreten sind, erfolgen. Die Gefangenen sind seit dem 17. Oktober im Hungerstreik, um zu erreichen, daß der Justizminister die durch ein Dekret angeordneten verschlechterten Haftbedingungen aufhebt. Mir liegt inzwischen der Wortlaut des Dekrets, unterzeichnet am 7. Juli 1988, in Kraft Beteten am 1. August 1988, vor. Wir haben diesen Text aber nicht von offiziellen Stellen bekommen, von denen wir den Text mehrfach, auch in der Türkei, erbeten hatten. Ich will nur an drei Beispielen zeigen, worum es sich handelt. Es handelt sich einmal um die Einführung der Einheitskleidung, zum anderen um das Scheren der Haare alle 15 Tage und zum dritten um das Nicht-mehr-mitbringen-Dürfen von Eßwaren durch die Angehörigen. Am menschenverachtendsten, denke ich, ist die Passage, daß Hungerstreik durch Entzug von Salz und Zucker diszipliniert wird. Bestrafungen dafür sind Besuchsverbot für Angehörige und Anwälte, Briefverbot, Einzelhaft für 15 Tage bis sechs Monate.Die Gespräche mit Müttern und Ehefrauen, mit Brüdern und Anwälten der politischen Gefangenen haben unabhängig voneinander die menschenverachtenden Verhältnisse in den Gefängnissen bestätigt. Deshalb richte ich meine Bitte an unsere Bundesregierung, bei den gegenseitigen Staatsbesuchen an die Regierungsvertreter der Türkei zu appellieren, Gesetzestexte nicht nur zu formulieren und internationale Abkommen zu unterzeichnen, die die Menschenrechte in der Türkei sichern sollen, die Folter verbieten und Grundlage für eine Demokratie sind, sondern auch danach zu handeln.Wir erkennen an, daß es Bemühungen und Bestrebungen gibt, die Demokratisierung voranzutreiben. Aber verschließen Sie bitte nicht die Augen davor, daß es nach wie vor Verletzungen der Menschenrechte, die Todesstrafe auch für politische Gefangene gibt. Zur Demokratie gehört es, seine politische Meinung auch gegen die Regierung äußern und in der Türkei für die Einhaltung der Menschenrechte eintreten zu können.Vielen Dank.
Das Wort hat der Abgeordnete Müller.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir sollten an dieser Stelle einmal eindeutig feststellen — ich ziehe da niemanden in Zweifel — , daß alle Mitglieder dieses Hauses, ganz gleich aus welcher politischen Richtung sie kommen, gegen Folter sind. Ich bin auch überzeugt, daß die überwältigende Mehrheit dieses Hauses gegen die Todesstrafe ist. Wenn wir uns in diesem Punkt einig sind, können wir sicher etwas in die Details dieser Debatte einsteigen.Ich wundere mich darüber, daß wir diese Debatte heute gerade der Türkei widmen; denn es gäbe ja viele Gelegenheiten, über Folter, Menschenrechtsverletzungen zu sprechen: im Iran, wo ständig Hinrichtungen von politischen Gegnern stattfinden, in Libyen, in Nicaragua, auf Kuba. Das sind alles Länder, in denen — das möchte ich gleich an dieser Stelle sagen — Folterer nicht verhaftet, Folterer nicht vor Gericht gestellt werden; denn das passiert in der Türkei. In der Türkei ist ein Polizist zu einer Freiheits-
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Dr. Müllerstrafe von 30 Jahren verurteilt worden, weil ihm Folter nachgewiesen wurde.Wir wissen alle, daß in einem Land wie der Türkei— der Kollege Stercken hat zu Beginn darauf hingewiesen — das, was in Ankara oder in Istanbul beschlossen wird, nicht unbedingt irgendwo in Anatolien auch in die Tat umgesetzt wird. Der Zar ist weit, könnte man fast sagen; auch ein Land, das nördlich liegt, macht ja diese Erfahrungen.Wir wissen aber, daß wir den Türken am besten damit helfen, daß wir sie in die westliche Gemeinschaft aufnehmen. Es war ja eine lange Debatte, die wir damals, als der Militärputsch stattgefunden hatte, im Europarat geführt haben: ob wir die Türken aus dem Europarat ausschließen sollten oder nicht. Die überwältigende Mehrheit der Mitglieder der Parlamentarischen Versammlung des Europarats war der Meinung, die Türken als Mitglied zu behalten, auf sie einzuwirken. Ich glaube, wir können feststellen, daß das ein richtige Entscheidung war; denn es gibt keinen Zweifel: Die Situation in der Türkei hat sich gegenüber früher — Sie mögen das relativ sehen; jede Folterung ist eine Folterung zuviel, damit das ganz klar ist — verbessert.Bitte vergessen Sie nicht die Ausgangssituation. Im Jahre 1979, im Jahre 1980 wurden jährlich rund 3 000 Menschen von Terroristen, von Gewalttätern, von jenen — zum Teil politischen— Häftlingen ermordet, die heute noch in den Gefängnissen sitzen.
Um Ihnen auch hier meine Meinung ganz klar zu sagen: Diejenigen, die getötet haben, die Attentate verübt haben, fallen nicht unter eine Generalamnestie, liebe Kolleginnen von den GRÜNEN, die gehören hinter Gitter. Sie haben Morde und Attentate verübt.
— Na gut, da sind andere dabei, Herr Schreiner; aber ich spreche von denen, die Attentate verübt und gemordet haben. Wenn Sie sich mit denen solidarisieren, ist das ihr Bier, nicht meines, um das klar zu sagen.
— Ich habe von denen gesprochen, lenken Sie doch nicht immer ab; ich rede von denen.
— Jetzt will ich Ihnen einmal etwas erzählen:
Ein Parteifreund der Partei des Herrn Schreiner, der Generalkonsul in Istanbul war, hat mich tief beeindruckt, als er mir im Jahre 1979 erzählt hat, wie Terroristen in die Zeugniskonferenz der deutschen Oberschule in Istanbul gegangen sind und sich mit Maschinenpistolen dort die Noten für die Kinder, die dortabsolviert haben, erzwungen haben. Wenn Sie das verteidigen, ist das Ihre Sache.
Meine Sache ist das nicht, um das einmal ganz klar zu sagen.
Herr Abgeordneter Müller, darf ich Sie einmal unterbrechen. — Herr Abgeordneter Schreiner, ich ermahne Sie in ernster Form. Wir haben hier eine Ordnung, die es ermöglicht, daß der Redner seine Ausführungen ungestört vorbringen kann. Wenn diese Ausführungen dazu Anlaß geben, daß der Präsident einschreitet, dann schreitet er ein; aber ich bitte, diese störenden Maßnahmen zu unterlassen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Danke schön, Herr Präsident.Ich möchte bitte auf eines noch hinweisen, weil hier immer mit zwei Maßstäben gemessen wird. Es wird das Militär angeklagt: Ich glaube, daß Militär hat damals eine wichtige Aufgabe übernommen, um die Demokratie in der Türkei wiederherzustellen. Wir haben das auch im Europarat so gesehen.Bitte, vergessen Sie nicht: Vorher hatten wir eine andere Regierung. Wir hatten z. B. Ecevit, Mitglied der Sozialistischen Internationale. Das war der einzige Fall nach dem Krieg 1945, wo eine Regierung ein anderes Land überfallen hat: die Landung in Zypern.Also, man sollte hier sehr vorsichtig sein, wenn man unter parteipolitischen Gesichtspunkten beurteilt, was in einzelnen Ländern passiert. Auch bei dem, was z. B. der marxistische Gewerkschaftsbund in der Türkei gemacht hat, gibt es von der Programmatik her Äußerungen, die Sie — ich halte Sie für einen Demokraten — nicht unterschreiben können. Ein Land muß sich gegen solche Kräfte wehren.Ich sage noch einmal, damit kein Zweifel besteht: Nicht individuelle Folter, nicht die Todesstrafe, aber Gesetze gegen diejenigen, die eine Demokratie und einen Staat zerstören wollen, diese Zweiteilung müssen Sie zulassen. Hier vermischen Sie leider gelegentlich etwas in der Debatte über die Türkei.
Lassen Sie mich bitte zum Schluß sagen: Für mich ist interessant, daß gerade in diesen Tagen eine neue kommunistische türkische Partei in der Bundesrepublik, in Oberhausen, gegründet wurde und daß mit der Gründung dieser Partei genau diese Kampagne begonnen hat, die jetzt zu dieser Aktuellen Stunde geführt hat.
Die Angriffe — auch das ist für mich interessant —,die gerade Sie von den GRÜNEN und von der SPD
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Dr. Müllergegen die Bundesregierung gerichtet haben, richten sich — ich möchte das für das Protokoll festhalten — vor allem gegen unseren Bundespräsidenten. Unser Bundespräsident, Herr von Weizsäcker, hat gesagt — ich möchte das zum Schluß unterstreichen — : Die Türkei ist eine parlamentarische Demokratie, die entschlossen auf ihrem eingeschlagenen Weg nach Europa fortschreitet. Bei diesem Weg sollten wir ihr nicht in den Rücken fallen, sondern wir sollten sie unterstützen.
Das Wort hat der Abgeordnete Bindig.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte in diese Polemik nicht mit einsteigen, sondern mich wieder der Menschenrechtssituation in der Türkei zuwenden.Wer über die Menschenrechtssituation in der Türkei spricht, muß sich mit dem Leiden des kurdischen Volkes beschäftigen. Die Kurden werden seit Jahrzehnten in der Türkei verfolgt und drangsaliert. Die Türkei versucht, die Kurden mit Gewalt zu türkisieren, so wie die Kurden im Irak mit Gewalt arabisiert werden sollen.Diese Benachteiligung der Kurden ist sogar in der Verfassung verankert. Es heißt dort: der türkische Staat ist seinem Land und seiner Nation nach eine unteilbare Einheit. Die Sprache ist türkisch. — In der früheren Verfassung hieß es: Die Amtssprache ist türkisch.In Art. 26, wo es um die Meinungsfreiheit geht, steht unter der Überschrift: „Die Freiheit, seine Gedanken zu äußern und zu verbreiten", in Abs. 3: Bei der Äußerung und Verbreitung von Gedanken darf eine gesetzlich verbotene Sprache nicht benutzt werden. Und in Art. 28, in dem es um die Pressefreiheit geht, steht: „In einer gesetzlich verbotenen Sprache darf nicht publiziert werden. " Auf diese Weise soll es den rund 10 Millionen Kurden in der Türkei verboten werden, ihre eigene Sprache zu gebrauchen.
Wer über Demokratie in der Türkei redet, der muß auf jeden Fall auch über die Lage der Kurden in der Türkei sprechen. Ich sage hier deutlich: Nach anerkanntem internationalen Menschenrecht haben die Kurden das Recht, sich Kurden zu nennen; die Kurden haben das Recht, kurdische Namen zu tragen; die Kurden haben das Recht, ihre Sprache zu sprechen; die Kurden haben das Recht, ihre Bücher zu drucken und zu lesen; die Kurden haben das Recht, kurdische Zeitungen zu drucken und zu verbreiten; es gehört zur Redefreiheit, Reden auf kurdisch halten zu dürfen; die Kurden dürfen Schulen haben; die Kurden dürfen ihre Kultur pflegen; die Kurden dürfen kurdische Lieder singen und ihre kurdischen Trachten tragen wenn sie es wollen. Zur Koalitionsfreiheit gehört es, daß die Kurden das Recht haben müßten, kurdische Organisationen zu gründen.Aber sie dürfen dies alles nicht. Wenn ein Kurde sagt: „Ich bin ein Kurde", dann kann er bereits ver-folgt und ins Gefängnis geworfen werden — dies ist ein untragbarer Zustand — , und er wird es sogar.
Und wenn Menschen, und zwar nicht eine kleine Minderheit — das wäre auch schlimm — , sondern eine große, eigenständige Volksgruppe die mit im türkischen Staatsverband lebt, so — —
— Die spreche ich damit überhaupt nicht frei. Aber man muß doch über diese Kernfragen reden. Mir ist aufgefallen, der Staatsminister im Auswärtigen Amt, der vorhin gesprochen hat, sprach von Minderheiten in der Türkei. Er hat damit noch nicht einmal das Wort „Kurden" in den Mund genommen.
Genau das wollen die Türken: das wir das Wort „Kurden" selber möglichst auch nicht in den Mund nehmen, obwohl sie dort leben.Wenn es schon im Alltag so aussieht, wie sieht es dann erst aus, wenn sich jemand politisch betätigt? Er wird dann ins Gefängnis geworfen und in ganz besonderem Maße drangsaliert. Wir kennen alle die Informationen darüber, wie die Menschen, die Kurden im Gefängnis in Diyarbakir behandelt werden. Ich habe lange Listen von Menschen, die dort unterdrückt, die gefoltert wurden und bei den Folterungen dort gestorben sind. Es gibt lange Listen von Leuten, die zum Tode verurteilt worden sind, nur weil sie sich für ihre kurdische Identität eingesetzt haben.Nun sind — wir wissen das, neulich hat es darüber eine Aktuelle Stunde gegeben — im Zusammenhang mit den Bombardierungen der Kurden im Irak einige Kurden in die Türkei geflohen.
— Etwa 70 000 sind dorthin geflohen. Sie sind dort aufgenommen worden, und es wurde so getan, als ob sie großzügig betreut worden sind. Da wollen wir doch einmal festhalten: Die Türken haben sich geweigert, daß der UNHCR, der Weltflüchtlingskommissar, dort tätig wird.
Sie waren nicht bereit, das Internationale Komitee vom Roten Kreuz dort wirken zu lassen, weil sie eben Angst hatten, daß die Kurdenfrage damit international an die Öffentlichkeit kommt. Erst nach langen Verhandlungen sind sie bereit gewesen, gewisse Hilfeleistungen in den Lagern über den türkischen Roten Halbmond zu erlauben.Die Situation in den Lagern ist für die kurdischen Flüchtlinge dort zunächst unerträglich gewesen. Obwohl es einen eingespielten internationalen Apparat gibt, war es zunächst nicht möglich, diesen dort einzusetzen, sondern die Menschen haben dort bei Kälte ohne vernünftige, ausreichende Betreuung im Gesundheitsbereich, im Ernährungsbereich gelebt. Nachdem der Druck sehr groß geworden ist, ist die Situation jetzt allmählich etwas besser geworden.
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8078 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 112. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 30. November 1988
BindigTrotzdem hört man noch immer davon, daß viele dieser Verfolgten, die aus dem Irak fliehen mußten und jetzt in der Türkei leben, drangsaliert werden nach dem Motto: Wenn sie den kalten Winter unter den schlechten Bedingungen dort überstanden haben, dann werden sie schon wieder aus dem Lande herausgehen. Man sieht also, wie die kurdischen Flüchtlinge behandelt werden.Ich glaube, daß wir hier vor allen diesen Dingen die Augen nicht verschließen dürfen und sie auch nicht entschuldigen sollten, wie das hier so oft geschehen ist. Man muß die Tatsachen offen nennen und die Türkei mahnen, auf diesem Gebiet eine totale Kehrtwendung ihrer Politik vorzunehmen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Vogel .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst zu Ihnen, Herr Kollege Schreiner, und Ihrem Zwischenruf vorhin zu meinem Kollegen. Ich glaube, wir sollten sehr vorsichtig sein, wenn wir hier unterschiedliche Meinungen auch in Bewertungen von Sachverhalten, Prozessen und Vorgängen haben, anderen eine undemokratische oder antidemokratische Haltung zu unterstellen. Das kommt mir vor wie ein Gespräch, das ich in Ankara mit Präsidenten mehrerer örtlicher Menschenrechtsvereine gehabt habe und das von denen mit dem Hinweis eingeleitet wurde: Die Mutterlandspartei ist keine demokratische Partei. — Ich glaube, auf diesem Niveau können wir derartige Debatten und schwierige Fragen nicht erörtern.Wenn wir über Menschenrechtsverletzungen sprechen, glaube ich, sollten wir auch sehr sorgfältig zwischen dem unterscheiden, was behauptet wird, und dem, was nachgewiesen wird. Es gibt Fälle, wo Folter behauptet wird und wo nicht die Spur eines Nachweises für Folter vorhanden ist,
es gibt andere Fälle, in denen der sehr dringende Verdacht besteht, daß gefoltert wird. Hier ist darauf hingewiesen worden: Dies ist eine Situation, mit der wir es in vielen Ländern dieser Erde zu tun haben. Ich wundere mich schon ein bißchen darüber, wie stark Sie — das gilt für die GRÜNEN und auch leider für die SPD — auf die Türkei fixiert sind und beinahe achtlos an anderen Ländern, die das ebenso verdienen würden, vorübergehen. Dies möchte ich einmal sehr deutlich sagen.
Wenn Sie die Situation heute in der Türkei, verehrte Frau Kollegin, mit der Situation vergleichen, die etwa zur Zeit Ecevits in der Türkei geherrscht hat, dann können Sie erhebliche Fortschritte sowohl in der inneren Demokratisierung als auch in der Annäherungan den Standard der Gewährleistung von Menschenrechten gegenüber dem übrigen Europa in der Türkei feststellen, wenn Sie sich die Mühe geben, hier wirklich gerecht zu urteilen.Ich will einen Punkt aufgreifen, der vorhin von Ihnen angesprochen worden ist, Frau Kollegin. Sie haben die Situation des Hungerstreiks in den Gefängnissen angesprochen und gesagt, daß dieser seit dem 17. Oktober 1988 stattfindet. Ich kann jetzt nur die Tatbestände wiedergeben, die ich selbst festgestellt habe. Ich bin am 20. Oktober im Mamak-Militärgefängnis bei Ankara gewesen.
— Ich bin dort gewesen. Es ist nicht einfach gewesen, dort reinzukommen. Sie können davon ausgehen, daß die Türken von dem Wunsch nicht begeistert gewesen sind, daß ich da reinwollte, übrigens zusammen mit dem Kollegen Hirsch von der FDP. Wir haben dort bei den politischen Gefangenen feststellen können, daß jedenfalls zu dem Zeitpunkt keiner von denen im Hungerstreik war. Das war diese DevrimciyolGruppe, der schwerwiegendste terroristische Aktionen in der Zeit bis 1980 zum Vorwurf gemacht worden sind. Das, was ich hier zu beanstanden habe, ist, daß die so lange in Haft sind, ohne daß sie abgeurteilt sind.
— Entschuldigen Sie mal, dann beanstande ich das, aber dann beanstande ich nicht die Tatsache, daß die strafrechtlich verfolgt werden.
Möglicherweise werden sie sehr zu Recht strafrechtlich verfolgt, und ich bin der Auffassung, daß genau dies auch sehr deutlich gesagt werden muß.Oder nehmen Sie das Problem der Kurden. Niemand von uns wird bestreiten können, daß es in der Tat in der Türkei das Problem der Minderheit der Kurden gibt,
die dort nur mit dem Begriff „Bergtürken" bezeichnet werden dürfen. Aber es darf auch nicht übersehen werden, daß es eine sehr gefährliche terroristische Aktivität von den Kurden in der Türkei gibt, gegen die sich der türkische Staat, wie ich meine, zu Recht zur Wehr setzt.
— Ich weiß nicht, welche Methoden Sie meinen und was Sie über die Methoden wissen.
Ich spreche nur von den Aktivitäten, gegen die sich der türkische Staat mit Recht zur Wehr setzt.
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Vogel
— Ist das eine Rechtfertigung für Terrorismus?, frage ich Sie. Das frage ich Sie wirklich.
Ich möchte aber hinzufügen — das soll dann mein letzter Satz sein; leider hat man ja in den Aktuellen Stunden viel zu wenig Gelegenheit, sich mit den Sachverhalten wirklich seriös zu befassen — : Ich möchte jedenfalls das, was die Türkei bei der Aufnahme der kurdischen Flüchtlinge aus dem Irak getan hat, sehr würdigen.
Dies hier so negativ zu bewerten, Herr Kollege Bindig, wie Sie es getan haben, wird dem, was die Türkei dort geleistet hat, nicht gerecht.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Antretter.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Müller, es gibt kein Mitglied der Sozialdemokratischen Fraktion, das nicht der Meinung wäre, daß alle Kollegen des Hauses überall in der Welt für die Menschenrechte und gegen die Folter eintreten sollten.
Nur einen Unterschied müssen Sie uns gestatten, Herr Kollege Dr. Müller: Es ist etwas anderes — und es ist unser Recht, hier darüber zu reden —, wenn es sich um ein Land handelt, das sich bereits in der westlichen Wertegemeinschaft befindet, was immer Sie unter dem unklar definierten Begriff verstehen mögen,
um ein Land, das sich im Europarat befindet, um ein Land, das an der Schwelle zur EG steht. Will etwa Kuba in die NATO? Will Nicaragua, das Sie ansprechen, in die Europäische Gemeinschaft? Nein. Die Türkei ist bereits in dieser europäischen Staatengemeinschaft.Hier sitzen sechs Mitglieder der Parlamentarischen Versammlung des Europarates. Ich möchte einmal aus dieser Sicht ein paar Anmerkungen zum Thema machen.Als die türkische Delegation vor viereinhalb Jahren in die Parlamentarische Versammlung des Europarates zurückkehrte, gab es ermutigende Zeichen, die auf einen Weg zur Demokratie hinwiesen. Die türkische Regierung hatte ihre Zusicherung, den Ausnahmezustand schrittweise in weiteren Provinzen aufzuheben, tatsächlich verwirklicht. Die Presse hatte mehr Freiheit als noch ein Jahr vorher. Über fast alle Bereiche des politischen Lebens wurde ausführlich berichtet, übrigens oft mit harter Kritik. Es wurde über den Verdacht von Folterungen geschrieben; es wurden Vorgänge in Polizeidienststellen und Gefängnissenbeanstandet, und es wurden auch schlimme Erlebnisse von politischen Gefangenen publiziert. Die Folterer sollten — so hieß es damals — künftig nicht ermutigt, sondern bestraft werden.Wir haben angesichts dieser positiven Signale die Türkei am 8. Mai 1984 formell in die Völkerfamilie aufgenommen. Wir haben die innere Kraft zu erkennen geglaubt, das Land würde den Weg hin zu vollen demokratischen Verhältnissen fortsetzen, und wir waren zu der Überzeugung gelangt, es sei für die Menschen in der Türkei besser, wenn sich ihr Land wieder in der Staatenfamilie Europas befinden würde.Natürlich hat die Parlamentarische Versammlung die Wiederaufnahme auch mit Forderungen verbunden, z. B. mit der Forderung, die Regierung müsse sich um die Achtung der Menschenrechte durch eine entschiedene Haltung gegen die Folter bemühen, und der Forderung nach Sicherstellung des Rechts jeder Person auf rechtliches Gehör innerhalb angemessener Fristen und Wahrung der Rechte der Verteidigung.Wie sieht es nach all diesem aus? Nach allem, was wir heute hören und was wir von „amnesty international" und von anderen erfahren, meinen wir jedenfalls, wir müssen das Thema Türkei und Menschenrechte erneut auf die Tagesordnung der Parlamentarischen Versammlung setzen. Denn, meine Damen und Herren, so war unser Vertrauensvorschuß nicht zu verstehen, daß die Folter weiterhin systematisch angewendet wird.
Unsere Erwartungen in die Zivilregierung waren nicht, daß sie die Gefangenen in Polizeigewahrsam während der ersten Verhöre mißhandeln läßt und daß ihnen der Kontakt mit Angehörigen und Anwälten verweigert wird.Wir wollten, daß die Folterer bestraft werden, und nicht, daß sie selbst dann, wenn für die Anwendung der Folter Beweise vorgelegt werden können, Schutz vor strafrechtlicher Verfolgung genießen. Ein Schicksal wie das des erst 13 Jahre alten Emin Özkaya, der unter dem Verdacht des Diebstahls festgenommen worden war und im Januar 1988 in einem Krankenhaus starb, hätte es nach der Rückkehr der Türkei in die Staatengemeinschaft, die sich ja auch als humanitäre und kulturelle Wertegemeinschaft versteht, nicht mehr geben dürfen.Nein, wir wollen, daß jedes Land, das der Europäischen Menschenrechtskonvention beigetreten ist, sie in allen ihren Teilen respektiert. Deshalb hätte es z. B. auch nicht sein dürfen, daß der Bürgermeister von Diyarbakir, Mehdi Zana von einem Gerichtsverfahren gegen ihn ausgeschlossen wird, weil er in einer früheren Verhandlung seine Verteidigungsplädoyers in kurdischer Sprache vorgetragen hatte ; denn Art. 6 der Menschenrechtskonvention sichert jedem Angeklagten das Recht zu, sich in seiner eigenen Sprache zu verständigen. Herr Staatsminister Schäfer — im Moment sitzen Sie als Abgeordneter hier — , ich frage Sie: Was ist denn die Kondition, zu der die Türken nur bereit waren, dem Individualklagerecht nach Art. 25 beizutreten? Das würden wir gerne einmal wissen. Wir hören immer, daß sie sich der Individualklage
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Antretterunterworfen haben, aber das ist ja nur konditioniert geschehen. Es wäre interessant, einmal zu erfahren, unter welchen Konditionen es geschehen ist.Meine Damen und Herren, wir übersehen nicht, daß vielfältige historische Gründe auch heute für besondere Beziehungen gerade unseres Landes zur Türkei sprechen, und wir wollen die weitere positive Gestaltung dieser Beziehungen. Aber gerade deshalb dürfen die anhaltenden Verletzungen der Menschenrechte, die ein Hindernis auf diesem Wege darstellen, nicht verschwiegen werden.Vielen Dank.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schwarz.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Kollege Antretter, ich kann Ihrer Theorie, daß man mit Freunden härter umgeht als mit Leuten, die man nicht so mag, durchaus folgen. Doch ich meine, man sollte dem Freund dann auch Gerechtigkeit widerfahren lassen.
Herr Staatsminister, Sie brauchen keine Belobigungen, aber ich finde, die Art und Weise, wie Sie sich für die Bundesregierung eingelassen haben, nämlich sehr differenziert und freundschaftlich-kritisch, ist die Form, wie wir wirklich miteinander umgehen sollten, wenn wir etwas erreichen wollen.
Was sehr zu bedauern ist, ist die Tatsache, daß Sie von der SPD die Gelegenheit einer von den GRÜNEN beantragten Aktuellen Stunde dazu nutzen, Freunden von mir in der Union zu unterstellen, wir hielten die Folter für eines der möglichen Mittel im Umgang mit Strafgefangenen.
— Ihre Zwischenruferei und Schreierei auch jetzt wieder erweckt den Eindruck, als ob das so wäre. Ich halte das nicht für gut.
Es gibt keinen Zweifel: Folter ist für einen Staat, der dem Europarat angehört, nicht möglich.
— Frau Kollegin Traupe, ich finde es hervorragend, daß sich die türkische Regierung ganz klar dazu bekannt hat, daß die Folter als System des polizeilichen und Justizvollzugsdienstes kein Instrument sein kann.
— Ich finde, daß wir das zu würdigen haben.
— Lassen Sie doch Ihre dummen Sprüche! Sie meinen
es doch gar nicht ernst. Ihnen geht es doch nur um
Zoff, nicht um die Beseitigung der Folter in der Türkei.
Das ist für mich der Punkt: Wenn wir von diesen Dingen reden, dann müssen wir von Fakten reden. Ich begrüße es, daß Sie Fälle genannt haben, denen man nachgehen kann und nachgehen muß und denen wir gemeinsam nachgehen sollten.
Denn in dem Bericht von „amnesty international" wird — und das bedauere ich — nur gesagt: Wir haben erfahren, daß 17 Leute umgekommen sein sollen.
Ich finde, wenn wir mit den Türken reden wollen, müssen wir ihnen Beispiele nennen. Wir müssen mit den Leuten an Hand von Fakten reden, nicht nur in einem bestimmten Klima.
An die Adresse der Linken im Hause sage ich: Ich halte es für richtig und für wichtig, daß wir der Türkei Polizeihilfe geben.
Ich halte das für sehr wichtig, denn es gibt keine bessere Anti-Folter-Schule, als daß die türkische Polizei mit der deutschen Polizei zusammenkommt und mit ihr arbeitet.
Ich halte das für richtig und würde es begrüßen, wenn wir das auch im Justizvollzug tun würden. Türkische Justizvollzugsbeamte sollten in unsere Gefängnisse kommen und sehen, wie es bei uns zugeht.
„Amnesty international" kritisiert, daß mehr Gefängnisse gebaut worden sind. Nun, ich habe den Eindruck, auch wir in Deutschland bauen mehr Gefängnisse oder haben eine Phase gehabt, in der wir mehr gebaut haben, weil die Bedingungen der Unterbringung der Gefangenen — ich rede jetzt von denen, die zu Recht verurteilt worden sind — nach unserem Verständnis unzureichend sind. Was will ich damit sagen? Ich sage das zu SPD, weil ich da noch Hoffnung habe.
— Ich sage es zur SPD. Ich wollte Sie jetzt von den GRÜNEN trennen. Seien Sie doch dankbar dafür, daß ich das tue.
Lassen Sie uns doch, Sozialdemokraten und Koalition zusammen, versuchen, Punkt für Punkt mit unseren türkischen Partnern — Sie mit Ihren Freunden von
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Schwarz
Inönü und Doruyil, wir mit ANAP zu reden und zu sagen: Leute, das müßt ihr ändern;
da müßt ihr auf dem Weg weitermachen, den ihr gegangen seid.
Wenn es uns um die Menschenrechte geht,
dann laßt uns dieses Thema nicht zum innenpolitischen, parteipolitischen Konflikt benutzen.
sondern laßt uns gemeinsam etwas versuchen. Ich habe doch nicht gesagt, daß Sie es tun. Nun nehmen Sie doch endlich einmal ein Angebot an! Sie wollen doch Zoff. Sonst würden Sie jetzt bei der Gelegenheit nicht noch einmal so reden, wie Sie es tun.
Selbst wenn Sie es nicht wollen: Wir werden unsere Gelegenheit freundschaftlich nützen, mit den Türken darüber zu reden, daß Folter und Todesstrafe keine Methoden einer demokratisch verfaßten Gesellschaft sind; und wir werden das mit Ihnen oder ohne Sie tun.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Irmer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn ich Staatsminister Schäfer richtig zugehört habe, dann hat er sehr wohl die Kurden in seinem Text erwähnt. Ich habe das gehört.
Im übrigen finde ich, Herr Bindig: Die Unterstellung ist ja geradezu abenteuerlich, daß ein Staatsminister der deutschen Bundesregierung hier türkische Weisungen vollzieht und etwa das Worten „Kurden" nicht erwähnt, bloß weil er die türkische Regierung in ihrem Bestreben unterstützen wolle, die Kurden als Minderheit nicht offiziell anzuerkennen. Das ist so absurd, daß ich das nur unter dem Stichwort „parteipolitische Polemik" abtun kann.
Damit bin ich bei meinem eigentlichen Punkt, weshalb ich mich noch einmal zu Wort gemeldet habe. Es ist doch erschreckend, wenn man dieser Debatte gefolgt ist: Geht es uns oder Ihnen denn wirklich darum, die Zustände in der Türkei zu ändern? Oder geht es Ihnen darum, hier parteipolitische Pluspunkte gegenüber mit Ihnen konkurrienden Fraktionen zu erzielen?
Auf der Seite der Koaltion hat doch kein Mensch bestritten, daß es diese Vorfälle gibt, daß wir sie außerordentlich ernst nehmen und daß wir alles tun wollen, um diese Zustände zu verbessern. Das haben alle gesagt. Dann frage ich mich: Was bringt es denn?
— Ich rede immer vernünftig, Herr Kollege Bindig,
— wenn man mich ausreden läßt und mich nicht durch Zwischenrufe so stört, daß ich gar nicht mehr weiß, was ich sagen wollte.Herr Kollege Bindig, meine Damen und Herren von der SPD, man muß sich doch einmal fragen, ob es einen Sinn gibt, die Vorfälle in solchen Fällen plakativ mit allen Übertreibungen herauszustellen — das ist die Spezialität der GRÜNEN —, und ob damit der Sache gedient ist.Allerdings muß ich dem Kollegen Antretter voll recht geben. Es ist ein qualitativer Unterschied, mit welchem Land man es zu tun hat. Die Türkei als ein Land, das sich selber der westlichen Wertegemeinschaft zurechnet, steht unter einem anderen Erwartungsdruck unsererseits als manche anderen Länder.Hier wurde ein 13jähriger Bub erwähnt, der zu Tode gekommen ist. Es gibt eine Region in unserer Welt, in der Kinder täglich massenweise zugrunde gehen. Ich frage mich: Weshalb greifen Sie denn nicht einmal die Frage der Palästinenser auf?
Diese Frage muß man einmal stellen.Ich schließe, indem ich Ihnen sage: Egal, in welchem Land, egal, in welcher Region: Menschenrechte sind unteilbar,
egal, ob ihre Verletzungen in Regimes begangen werden, die rechts stehen, oder ob sie von Regimes begangen werden, die links stehen.
Ich verabscheue die Heuchelei, die hier oft zutage tritt, wenn man sagt: Wir kritisieren nur die von rechts; die anderen kritisieren nur die von links. Man muß die Menschenrechte überall hochhalten.
— Frau Becker-Inglau, ich war von Ihrem Beitrag beeindruckt. Das kann ich gar nicht anders sagen. Ich
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unterstelle Ihnen nichts. Aber halten wir doch die Menschenrechtsfrage aus dem Parteiengezänk und dem politischen Alltagsgezänk heraus. Nur dann können wir den betroffenen Menschen helfen, und das wollen wird doch hoffentlich alle.Vielen Dank.
Die Aktuelle Stunde ist beendet.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Donnerstag, den 1. Dezember 1988, 9 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.