Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet. Ich rufe Punkt 1 der Tagesordnung auf: Fragestunde
— Drucksachen 11/3259, 11/3273 —
Wir haben am Anfang eine Dringlichkeitsfrage, gerichtet von der Abgeordneten Frau Schilling an den Bundesminister der Verteidigung. Herr Parlamentarischer Staatssekretär Würzbach steht zur Beantwortung der Frage zu unserer Verfügung.
Ich rufe die dringliche Frage der Abgeordneten Frau Schilling auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß in der nordhessischen Gemeinde Maisfeld am 9. November 1988, dem 50. Jahrestag der Reichspogromnacht, ein öffentliches Gelöbnis der Bundeswehr stattfinden soll, und wird die Bundesregierung diese Veranstaltung und etwaige weitere ähnliche militärische Veranstaltungen unterbinden?
Bitte schön.
Herr Präsident, Frau Abgeordnete Schilling, der Bundesregierung ist bekannt, daß an diesem Tag sowohl beim Heer wie bei der Marine und bei der Luftwaffe keine ähnlichen Veranstaltungen durchgeführt werden und daß eine ursprünglich für dieses Datum geplante Veranstaltung seit einigen Tagen verschoben wurde.
Sie haben eine Zusatzfrage, bitte schön.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Mich interessiert: Warum wurde dieser Termin abgesagt?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Der Termin wurde abgesagt, weil der Kommandeur in Verbindung und in enger Absprache, die auch vorher erfolgt war, mit dem einladenden Bürgermeister — die Gemeinde hat eine enge patenschaftliche Verbindung zu einer Kompanie dieses Bataillons — zu der Auffassung gekommen ist, daß an diesem Tag mahnende, erinnernde, wachrüttelnde Veranstaltungen zur Erinnerung an die „Reichskristallnacht" nicht durch eine solche Veranstaltung gestört werden sollten, daß es besser sei, wenn die Soldaten an den stattfindenden Erinnerungsveranstaltungen zur „Reichskristallnacht" teilnehmen, und daß man wegen des Besonderen eines öffentlichen Gelöbnisses und der engen Verbundenheit zur Bevölkerung dieses an einem anderen Tag, abgesetzt von diesem Datum, gesondert durchführen sollte.
Sie wollen eine zweite Zusatzfrage stellen? — Bitte schön, Frau Schilling.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich finde es ja sehr löblich, daß das so passiert ist. Aber wie erklärt sich dann, daß der Kommandeur Helmut Flohr das Datum als mehr als passend bezeichnete und ausführte, an einem solchen Tag müsse den Rekruten die bittere Tradition vor Augen gehalten und klargemacht werden, daß es gelte, solches in Zukunft zu verhindern? Wie erklärt es sich, daß er gerade dieses Datum zum Anlaß nahm, dieses Gelöbnis vorzuführen?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Mir ist nicht bekannt, ob er bei der Planung und Festlegung und auch bei der Absprache mit dem Bürgermeister bewußt auf dieses Datum gegangen ist. Ich weiß aus meinen Unterlagen, daß auch für das Zurverfügungstehen des Musikkorps, das man für ein öffentliches Gelöbnis braucht, organisatorisch zwei Daten, der 9. oder der 11. November, vorgegeben waren.
Den letzten Teil dessen, was Sie zitiert haben — ob das Zitat stimmt, kann ich hier nicht überprüfen —, kann ich voll unterstreichen: Ich halte es für geboten und richtig, daß ein Vorgesetzter, der für viele wehrpflichtige Soldaten verantwortlich ist, jede Möglichkeit und ganz besonders diese wahrnimmt, um seine Soldaten, mündige Bürger in unserer Demokratie, für deren Schutz sie eintreten, darauf hinzuweisen, daß in unserer Form des Rechtsstaats, in der Demokratie, ein so menschenverachtendes, unwürdiges, unrechtliches Verhalten ausgeschlossen ist, und zwar auch durch die gelebte praktische Ausfüllung dessen, was in der Verfassung theoretisch geschrieben ist. Das ist eine Aufgabe, der er sich auch als Kommandeur zu stellen hat.
Danke schön. Wir sind am Ende der Behandlung dieser Dringlichkeitsfrage. Ich danke dem Staatssekretär für die Beantwortung der Fragen.
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7220 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 105. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. November 1988
Vizepräsident WestphalIch brauche die Geschäftsbereiche des Bundesministers für Forschung und Technologie und des Bundesministers des Auswärtigen nicht aufzurufen, weil Frage 1 des Abgeordneten Catenhusen und Frage 2 des Abgeordneten Gansel auf Wunsch der Fragesteller schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.Ich komme zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung. Herr Staatssekretär Höpfinger steht zur Beantwortung der Fragen zur Verfügung.Ich rufe Frage 3 der Abgeordneten Frau Unruh auf:Wieviel hätte der Bund bis heute an Mehrzahlungen an die gesetzliche Rentenversicherung leisten müssen, wenn der Anteil des Bundeszuschusses an den Gesamtleistungen der gesetzlichen Rentenversicherung von 1957 bis heute gleichgeblieben wäre?Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Herr Präsident, dürfte ich bitten — wenn die Frau Kollegin einverstanden ist —, beide Fragen gemeinsam zu beantworten.
Sie möchte es gerne getrennt haben. Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Höpfinger, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin Unruh, zu Ihrer Frage 3: Der Anteil des Bundeszuschusses an den Gesamtausgaben der Rentenversicherung der Arbeiter und der Angestellten betrug im Jahre 1957 27,46 %. Wäre dieser Anteil entgegen der Fortschreibungsregelung, für die sich der Gesetzgeber seinerzeit entschieden hat, immer gleich geblieben, dann wären der Rentenversicherung insgesamt rund 290 Milliarden DM mehr an Bundeszuschüssen zugeflossen.
Zusatzfrage, Frau Unruh.
Warum wird der Bundeszuschuß zur Rentenversicherung nicht auf die Höhe der tatsächlichen Fremdleistungen von zur Zeit 25 % bis 30 % der Rentenausgaben hochgesetzt?
Höpfinger, Parl. Staatssekretär: Herr Präsident, ich glaube, daß jetzt die Frau Kollegin die zweite Frage selber angesprochen hat.
Da kann ich nichts machen. Sie müssen auf das antworten, was Sie gefragt werden.
Höpfinger, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, alle bisher in Wissenschaft und Praxis unternommenen — —
Aber er hat auf die erste noch nicht geantwortet.
Herr Höpfinger, zur ersten Frage die erste Zusatzfrage.
Höpfinger, Parl. Staatssekretär: Herr Präsident, hier kann ich nur das bringen, was in der Antwort auf die zweite Frage enthalten ist.
Dem steht nichts im Wege, Herr Höpfinger.
Höpfinger, Parl. Staatssekretär: Alle bisher in Wissenschaft und Praxis unternommenen Versuche, zu einer eindeutigen, konsensfähigen Definition des Begriffs „versicherungsfremde Leistungen" der gesetzlichen Rentenversicherung zu kommen, sind gescheitert. Ich weiß, daß mit diesem Begriff sehr oft gearbeitet wird. Aber es läßt sich nur schwer genau definieren, welche Leistungen damit gemeint sind. Da nicht fest umrissen und genau abgegrenzt gesagt werden kann, was versicherungsfremde Leistungen sind, ist es auch nicht möglich, auf Ihre Frage eine exakte Antwort zu geben.
Weitere Zusatzfrage, Frau Unruh.
Mit welchem Recht, Herr Staatssekretär, müssen nur die Versicherten der Arbeiter- und Angestelltenversicherung und nicht z. B. Beamte durch ihre Beiträge die Lasten finanzieren, die die gesetzliche Rentenversicherung für die Allgemeinheit zu tragen hat?
Höpfinger, Parl. Staatssekretär: Was die Rentenversicherung trägt, sind immer Leistungen an den Personenkreis, der zur gesetzlichen Rentenversicherung gehört. Die Rentenversicherung kommt für den Versichertenkreis auf, der bei ihr versichert ist.
Ich rufe Ihre zweite Frage auf, Frau Unruh, die Frage 4:
Wie hoch würde dieser Betrag sein, wenn sich der Bundeszuschuß entsprechend dem Anteil der politisch gewollten Fremdleistungen der gesetzlichen Rentenversicherung entwickelt hätte?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Höpfinger, Parl. Staatssekretär: Herr Präsident, ich muß hier wiederholen, was ich auf die erste Zusatzfrage der Frau Kollegin bereits gesagt habe: Es gibt keine wissenschaftliche Untersuchung, die eine genaue Definition der versicherungsfremden Leistungen enthält. Darum ist es schwierig, auf diese Frage konsequent zu antworten.
Sie haben zwei Zusatzfragen. Bitte die erste.
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, wer hat beschlossen, daß die Rentenkassen der Arbeiter- und Angestelltenversicherung für Fremdleistungen, für Leistungen, wofür nichts einbezahlt wurde, mit einem volkstümlichen Ausdruck gesagt, „geplündert" werden?Höpfinger, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, zunächst einmal möchte ich den Ausdruck „geplündert"
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 105. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. November 1988 7221
Parl. Staatssekretär Höpfingerzurückweisen. Was die Rentenversicherung leistet, ist gesetzlich festgelegt. Daß der Bundeszuschuß 1957 an die Lohnentwicklung gekoppelt wurde, war der Beschluß aller Fraktionen im Deutschen Bundestag. Zu dem, was hinter dem Begriff „Fremdleistungen" steckt, würde ich zunächst einmal folgende Maßnahmen zählen: beitragsfreie Zeiten, z. B. Ersatzzeiten oder Ausfallzeiten, dann Leistungen nach dem Fremdrentengesetz oder Leistungen an Hinterbliebene. Denn auch an Hinterbliebene werden Leistungen von der Rentenversicherung bezahlt, die an und für sich nicht durch Beiträge gedeckt sind. Das sind abgeleitete Renten. Auch das wäre streng genommen eine Fremdleistung. Zu nennen wären auch die Rehabilitationsleistungen der Versicherungsträger, die heute an Versicherte gewährt werden, und zwar aus guten Gründen. Denn die Rentenversicherungsträger gehen, wie Sie wissen, von dem Grundsatz aus: Rehabilitation vor Rente. Dieses Ziel verfolgt man mit solchen Maßnahmen. Das sind aber Leistungen, die an und für sich nicht durch Beiträge gedeckt sind.
Sie haben eine weitere Zusatzfrage, bitte schön, Frau Unruh.
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, hätten die Renten aus der Arbeiter- und der Angestelltenversicherung um ca. 25 % abdynamisiert werden müssen, wenn der sogenannte Bundeszuschuß voll vom Steuerhaushalt, also von der Gesamtheit aller Bürger — siehe auch Kriegsfolgeschäden — , in die Arbeiter- und Angestelltenrentenkasse zurückgeflossen wäre?
Höpfinger, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, die Renten passen sich jährlich an die Einkommensentwicklung in der Bevölkerung an. Sie sind also nicht geschmälert worden. Unabhängig von der jeweiligen Regierung sind die Renten entsprechend der Einkommensentwicklung Jahr für Jahr angepaßt worden. Wie Sie wissen, wird jährlich ein Rentenanpassungsbericht erstattet, und entsprechend diesem Bericht der Bundesregierung wird das Gesetz zur erneuten jährlichen Anpassung vorgelegt.
Wir sind am Ende dieses Geschäftsbereiches. Ich danke dem Staatssekretär für die Beantwortung der Fragen.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit. Der Herr Parlamentarische Staatssekretär Pfeifer steht zur Beantwortung der Fragen zur Verfügung.
Ich rufe Frage 5 der Abgeordneten Frau Bulmahn auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung die Vorschläge der Kommission der Europäischen Gemeinschaften für eine „Richtlinie des Rates über die Verwendung von gentechnisch veränderten Mikroorganismen in abgeschlossenen Systemen und über die absichtliche Freisetzung gentechnisch veränderter Organismen in die Umwelt" [KOM 160 endg. SYN 131 vom 3. Mai 1988]?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Herr Präsident, Frau Kollegin Bulmahn, die Bundesregierung begrüßt grundsätzlich das Bemühen der Europäischen Gemeinschaften, den Umgang mit der Gentechnik auf hohem Schutzniveau zu regeln und damit zugleich für einheitliche Forschungs- und Wettbewerbsbedingungen in Europa zu sorgen. Sie mißt die beiden Richtlinienvorschläge der Europäischen Gemeinschaften an den Empfehlungen der EnqueteKommission „Chancen und Risiken der Gentechnologie" und an den gegenwärtig in der Bundesrepublik Deutschland geltenden Regelungen zur Gentechnik.
Nach den Genrichtlinien bzw. den Vorschriften des Immissionsschutzrechts darf bei uns im geschlossenen System nur gearbeitet werden und dürfen gentechnisch veränderte Mikroorganismen nur freigesetzt werden, wenn eine präventive behördliche Prüfung in einem Genehmigungsverfahren ergeben hat, daß unvertretbare Risiken für Mensch und Umwelt nicht bestehen. Die Richtlinienvorschläge der Europäischen Gemeinschaften sehen dagegen nur Buchführungs-
und Anmeldepflichten vor. Die materiellen Anforderungen sind zudem recht allgemein formuliert, so daß hiernach Unterschiede im praktischen Vollzug durch die einzelnen Mitgliedstaaten nicht auszuschließen wären.
Bei den Beratungen in Brüssel wirkt die Bundesregierung deshalb auf eine Änderung dieser Richtlinienvorschläge nach den Maßstäben unseres Sicherheitsniveaus hin.
Frau Bulmahn, eine Zusatzfrage?
Ja. — Herr Staatssekretär, wie bewertet die Bundesregierung die Tatsache, daß als Rechtsgrundlage für die genannten Richtlinien Art. 100a des EWG-Vertrages gewählt wurde, der weitergehende nationale Maßnahmen und Bestimmungen nicht zuläßt?
Pfeifer, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, unser Ziel ist, zum Zwecke der Angleichung der Wettbewerbsbedingungen und natürlich auch zum Schutz der menschlichen Gesundheit und der Umwelt eine Harmonisierung der Vorschriften zur Gentechnik auf einem hohen Sicherheitsniveau herbeizuführen, und zwar einem Sicherheitsniveau, das dann für alle gilt. Ich denke, daß in dieser Frage auch zwischen Regierung und Opposition Einigkeit besteht. Wenn man eine solche Regelung haben möchte, dann empfiehlt sich aber eher die Rechtsgrundlage des Art. 100 a des Vertrages als die Rechtsgrundlage des Art. 130 s, denn mit diesem ließen sich nur Mindeststandards erreichen.
Eine weitere Zusatzfrage, Frau Bulmahn.
Herr Staatssekretär, wenn diese angestrebte Harmonisierung auf dem von uns gewünschten Standard nicht möglich ist, wird sich dann die Bundesregierung in der Sitzung des Umweltministerrates — am 24. November ist das ja vorgesehen — dafür aussprechen, daß der Art. 130s als Rechtsgrundlage für diese Richtlinien, aber auch als Rechtsgrundlage für weitergehende Maßnahmen zum Schutz von Gesundheit und Umwelt genommen wird?
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7222 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 105. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. November 1988
Pfeifer, Parl. Staatssekretär: Zunächst bleibt abzuwarten, ob es bereits bei der nächsten Sitzung des Umweltministerrates zu einem Beschluß über die Richtlinie kommt.Ich möchte aber noch einmal sagen: Der für uns entscheidende Gesichtspunkt ist, daß wir einen Sicherheitsstandard auf einem hohen Niveau bekommen, der für alle Mitgliedstaaten der EG gilt, weil diese ganze Entwicklung ja nicht an den Grenzen der Mitgliedstaaten der EG halt macht. Ich bitte Sie, mir nachzusehen, daß ich dieses Ziel jetzt einmal in den Vordergrund stelle. Ich glaube, es wäre nicht richtig, zum jetzigen Zeitpunkt hier in der Öffentlichkeit, da die Verhandlungen im Ministerrat erst noch bevorstehen, bereits über Alternativen zu sprechen.
Ich rufe Frage 6 der Abgeordneten Frau Bulmahn auf:
Ist die Bundesregierung mit mir der Meinung, daß die in diesem Richtlinienvorschlag vorgesehenen Regelungen weitreichende, neue rechtsetzende Entscheidungen beinhalten, so daß dem Deutschen Bundestag und dem Bundesrat Gelegenheit gegeben werden sollte, sich vor Verabschiedung der Richtlinie eine eigene Meinung zu bilden, und wird die Bundesregierung entsprechende Beschlüsse vom Deutschen Bundestag und Bundesrat abwarten und in Brüssel vertreten?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Pfeifer, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, beide Richtlinienvorschläge zielen auf Rechtsetzungsmaßnahmen auf EG-Ebene, denen in der Tat auch für unsere nationale Rechtsordnung erhebliche Bedeutung zukommen wird, wenn sie verabschiedet werden.
Die Bundesregierung bezieht die Ergebnisse der Beratungen von Bundestag und Bundesrat in ihre Verhandlungsposition in Brüssel ein. Sie sieht beispielsweise im Ergebnis der Beratungen des Bundestagsausschusses für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit über diese Richtlinienvorschläge vom 26. Oktober eine Stärkung ihrer Position. Einen Dissens zwischen bisher in den Ausschüssen und Kommissionen des Bundestages gefaßten Beschlüssen und der Position der Bundesregierung hinsichtlich der Beurteilung der Richtlinienvorschläge zur Gentechnik sehe ich im Augenblick nicht.
Zusatzfrage, Frau Bulmahn.
Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung der Auffasung, daß eine Umsetzung der Richtlinie in ihrer aktuellen Fassung, insbesondere hinsichtlich der vorgesehenen Anmelde- und Registrierungsverfahren für die Produktion mit gentechnisch veränderten Organismen, mit dem Bundes-Immissionsschutzgesetz, mit der Abwasserherkunftsverordnung und den sonstigen deutschen rechtlichen Regelungen — insbesondere mit Regelungen, die den Bau und den Betrieb industrieller Anlagen betreffen und mit den Richtlinien der Bundesregierung zum Umgang mit in vitro rekombinierten Nukleinsäuren — vereinbar ist?
Pfeifer, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, es ist in der Tat so, daß die bei uns geltenden Rechtsregelungen — beispielsweise das Immissionsschutzrecht — andere, stringentere Schutzvorkehrungen treffen und
ein anderes, höheres Sicherheitsniveau anstreben als das, was in den Richtlinienvorschlägen der EG-Kommission enthalten ist. Aber exakt aus diesem Grunde wollen wir ja eine Änderung dieser Richtlinienvorschläge im Ministerrat erreichen.
Sie haben noch eine weitere Zusatzfrage, Frau Bulmahn.
Herr Staatssekretär, stimmt die Bundesregierung mit mir darin überein, daß, sofern die Richtlinie in der vorliegenden Form auf der Grundlage des Art. 100a EWG-Vertrag und unter Zugrundelegung des in der vorliegenden Fassung vorgeschriebenen Anmeldeverfahrens beschlossen würde, das durch das Bundes-Immissionsschutzgesetz vorgeschriebene öffentliche Genehmigungsverfahren wieder außer Kraft gesetzt werden müßte, und wie gedenkt die Bundesregierung dies zu verhindern?
Pfeifer, Parl. Staatssekretär: Ich habe in meiner Antwort auf Ihre erste Frage gesagt: Unser Ziel ist in der Tat eine Änderung des Richtlinienentwurfs dahin, daß ein Genehmigungsverfahren vorgesehen wird und nicht das Anmeldeverfahren oder das Verfahren, das im Augenblick in den Vorschlägen enthalten ist. Ich gehe dann davon aus, daß wir, wenn wir ein Genehmigungsverfahren durchsetzen, in der Ausgestaltung dieses Genehmigungsverfahrens auch hinsichtlich des von Ihnen genannten Punktes frei sind. Das wird dann im Rahmen der nationalen Gesetzgebung zu klären sein.
Damit sind wir am Ende dieses Geschäftsbereichs. Danke schön, Herr Staatssekretär, für die Beantwortung der Fragen.
Ich brauche den Geschäftsbereich des Bundesministers für das Post- und Fernmeldewesen nicht aufzurufen, da die Fragen 7 und 8 der Abgeordneten Frau Faße und die Fragen 9 und 10 des Herrn Abgeordneten Pfeffermann auf Wunsch der Fragesteller schriftlich beantwortet werden sollen. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft. Herr Bundesminister Möllemann steht zur Beantwortung der Fragen zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 11 der Abgeordneten Frau Odendahl auf:
Welche Maßnahmen plant die Bundesregierung, um die Öffnung der Hochschulen durch ein gemeinsames Vorgehen von Bund und Ländern im Sinne des sogenannten Öffnungsbeschlusses vom November 1977 zu erhalten?
Bitte schön, Herr Minister.
Frau Kollegin Odendahl, innerhalb der Bundesregierung werden zur Zeit die Möglichkeiten beraten, mit denen der Bund zur Verbesserung der Situation der Hochschulen in besonders belasteten Fachrichtungen beitragen könnte. Da dieser Beratungs- und Abstimmungsprozeß noch im Gange ist, kann ich Ihnen dazu heute noch keine Einzelheiten mitteilen. Bekannt ist jedoch, daß eine der drei Koalitionsparteien, die FDP, hier ein 2-Milliarden-DM-Pro-
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 105. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. November 1988 7223
Bundesminister Möllemanngramm für insgesamt sieben Jahre für richtig und notwendig hält, das von Bund und Ländern gemeinsam getragen werden soll. Diese Vorstellungen sind in die Koalitionsgespräche eingebracht worden und nunmehr auch Gegenstand der laufenden Beratungen.In diesem Zusammenhang ist hervorzuheben, daß die für die Bewältigung der Lehraufgaben der Hochschulen erforderlichen Mittel auch in Zeiten einer Überlast grundsätzlich von den Ländern aufzubringen sind. Forderungen und Vorwürfe, wie sie in letzter Zeit von verschiedenen Seiten vorgebracht worden sind, warum der Bund erst jetzt und nicht schon viel früher Überlegungen über ein Überlastprogramm angestellt habe, sind angesichts dieser klaren, verfassungsmäßig abgesicherten Sach- und Ausgangslage ungerechtfertigt. Dies gilt um so mehr, wenn gleichzeitig in mehreren Ländern Personalstellen im Hochschulbereich gestrichen werden.Die Hauptprobleme der Hochschulen liegen nicht im Bereich der verfügbaren Räume oder der Geräteausstattung. Hier hat die Bundesregierung ihre Möglichkeiten zu direkten Hilfen durch die Erhöhung des Haushaltsansatzes für die Gemeinschaftsaufgabe Hochschulbau wahrgenommen; gegenüber der mittelfristigen Finanzplanung sind die Ansätze um eine halbe Milliarde DM gesteigert worden. Auch die Leistung des Bundes in der Forschungsförderung soll durch die Erhöhung der Bundesmittel für die Deutsche Forschungsgemeinschaft um 3,3 % verbessert werden.Wenn jetzt über Möglichkeiten für ein befristetes Sonderprogramm des Bundes beraten wird, geschieht dies aus der Sorge um die Sicherung der Ausbildungschancen der jungen Generation in wichtigen Studienfächern, z. B. Betriebswirtschaft und Informatik, die zugleich breite Verwendungsmöglichkeiten auf dem Arbeitsmarkt bieten und in einem zusammenwachsenden Europa gebraucht werden. Auch läßt sich das als notwendig erkannte Ziel einer Studienzeitverkürzung nur erreichen, wenn Zulassungsbeschränkungen mit zwangsläufigen Wartezeiten für einen Teil der Studienbewerber vermieden und zugleich die für eine qualifizierte Ausbildung angemessenen Studienbedingungen gesichert werden.Eine Beteiligung des Bundes an einem befristeten Sonderprogramm, über das jetzt beraten wird, setzt voraus, daß sich die Länder ihrer originären Aufgabe, nämlich eine angemessene Grundausstattung der Hochschulen zu sichern, zunächst stellen, daß sie darüber hinaus bei zusätzlichen Maßnahmen partnerschaftlich, also gleichermaßen engagiert, auch vom Volumen her, mitwirken und daß der Schwerpunkt möglicher Bundesmaßnahmen entsprechend den Zuständigkeiten des Bundes bei der Forschungsförderung liegt, was die Länder in diesem Bereich entlasten und ihnen mittelbar Möglichkeiten von Zusatzlastmaßnahmen in der Lehre verschaffen könnte.
Herr Minister, nach diesem längeren Vortrag hoffe ich darauf, daß die Antworten auf die vielen anderen folgenden Fragen recht kurz gefaßt sein können.
Möllemann, Bundesminister: Herr Präsident, ich hätte vielleicht sagen können, daß das der Versuch war, eine Art gedanklichen Chapeau über die im Zusammenhang stehenden Fragen zu stellen. Ich hätte auch darum bitten können, das im Zusammenhang zu beantworten. Das war im Grunde eine Art Vorspann zu den zwölf Fragen, die jetzt kommen.
So habe ich mir das auch vorgestellt, obwohl ich fürchte, die Kollegen kommen wieder nach der Kabinettsberatung.
Frau Odendahl, die erste Zusatzfrage.
Herr Minister, ich teile durchaus Ihre Vorliebe für Hüte. Nachdem Sie als zuständiger Bundesminister angesichts der Überlastsituation an den Hochschulen selbst Erwartungen geweckt haben, möchte ich Sie fragen, ob Sie im Hinblick auf die Verfassungssituation bei Ihren jetzt noch laufenden Gesprächen schon gewisse Formen der Möglichkeiten der Unterstützung durch den Bund sehen und wie diese gelagert sind.
Möllemann, Bundesminister: Zunächst, Frau Kollegin, kann ich mir eine größere Zahl von Hüten vorstellen, die Ihnen ausgezeichnet zu Gesicht stehen würden.
Zum anderen will ich sagen, daß ich nicht ohne Grund erklärt habe, daß sich die Bundesregierung im Blick auf Details eines solchen Programms noch nicht festgelegt hat. Ich kann sie erst vorstellen, wenn sie festgelegt worden sind. Stünde ich hier jetzt nicht als Mitglied der Bundesregierung, sondern als Freidemokrat und als Funktionsträger in meiner Partei, dann hätte ich Ihnen das vortragen können, was Sie — zutreffend — in den letzten Tagen öffentlich lesen konnten.
Zweite Frage, Frau Odendahl.
Herr Minister, ich hatte Sie auch nicht danach gefragt, was Sie auf dem FDP-Parteitag als mögliche Lösungen vorgetragen haben. Vielmehr interessiert uns als Mitglieder dieses Hauses, was Sie als zuständiger Bundesminister für einen gangbaren Weg hielten.
Möllemann, Bundesminister: Dennoch, die Fragen richten Sie an die Bundesregierung. Der Abstimmungsprozeß in der Bundesregierung ist noch nicht abgeschlossen. Da es mir darum geht, die Maßnahmen, die mir vorschweben und von denen ich sicher bin, daß Sie sie insoweit kennen, zu verwirklichen, muß ich mich selbstverständlich an das Abstimmungsverfahren halten.
Zusatzfrage des Abgeordneten Kuhlwein.
Herr Minister, werden Sie bei Ihren Überlegungen — wobei Sie ja denkbare Maßnahmen prüfen wollen — auch die Möglichkeit prüfen, in Ausfüllung des Art. 91 b des Grundgesetzes — Stichwort „gemeinsame Bildungsplanung und Forschungsförderung" — eine Vereinbarung mit den Ländern dergestalt zu schließen, daß eine zügige Um-
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7224 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 105. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. November 1988
KuhlweinSetzung in zusätzliche Lehrangebote in den Mangelfächern möglich wird, ohne daß man den komplizierten Umweg über die Deutsche Forschungsgemeinschaft gehen muß?Möllemann, Bundesminister: Sicher ist es vernünftig, wenn es zu zusätzlichen Anstrengungen kommt, dort anzusetzen, wo im Augenblick der Hauptengpaß liegt. Er liegt beim Lehrpersonal. Natürlich gibt es auch deswegen überfüllte Hörsäle, weil zu wenige Veranstaltungen angeboten werden und in die zu wenigen Veranstaltungen zu viele Studenten gehen. Das erwähne ich, weil ich nichts davon halte, wenn man jetzt dafür plädiert, die räumlichen Kapazitäten auszuweiten. Man kann sie intensiver nutzen, auch zu sonst vielleicht nicht hochschulüblichen Zeiten, d. h. — um es klar zu sagen — auch am späten Abend und am Wochenende. Es geht nicht anders.Nur, bei der Frage, wie wir zusätzliche Lehrangebote schaffen können, bin ich bereit, Herr Kollege Kuhlwein, mich alleine an der Frage — neben den rechtlichen Grundlagen natürlich — zu orientieren, was am schnellsten Wirkungen erzielen kann. Deswegen suche ich das Gespräch mit den Ländern, sobald die Bundesregierung ihrerseits Klarheit über die Dimensionen des Programms geschaffen hat, um den möglichst schnell wirksamen Maßnahmenbereich festlegen zu können. Dazu gehören auch Überlegungen derart, wie Sie sie angestellt haben.
Zusatzfrage des Abgeordneten Kastning.
Herr Minister, können wir davon ausgehen, daß Sie Ihre Überlegungen zu einem Überlastprogramm nicht mit Dingen befrachten, die nicht unmittelbar mit der Bewältigung dieser Überlast zu tun haben, um möglichst schnell Hilfe wirksam werden zu lassen?
Möllemann, Bundesminister: Die Frage war nun so — —
Sie können mit einem einfachen Ja antworten.
Stichwort „Kompetenzfragen Bund/Länder" , Stichwort „Studienzeitverkürzung", Stichwort „noch etwas für die Forschung abstauben" — so sage ich es jetzt einmal —, statt sich unmittelbar auf das Überlastprogramm zu konzentrieren.
Möllemann, Bundesminister: Erstens. Sie wissen ja, daß ich Kompetenzfragen zwischen Bund und Ländern von mir aus nie aufwerfe, sondern nur Wert darauf lege, daß die Kompetenzen des Bundes, die unbestreitbar vorhanden sind, nicht angefochten werden.
Zweitens. Niemand wird bestreiten, Herr Kollege Kastning, daß in einem System nach Art kommunizierender Röhren selbstverständlich folgendes gesagt werden muß: Unter anderem deshalb, weil die Hochschulen so voll sind, sind die Studienzeiten so lang. Aber natürlich muß auch gesagt werden: Weil die Studienzeiten so lang sind, sind die Hochschulen so voll. Eine durchschnittliche Verweildauer von 14 Semestern trägt natürlich dazu bei. Insofern ist es nicht richtig, zu sagen, dies habe keine Auswirkungen. Ich lege größten Wert darauf, daß die Bemühungen von KMK und BLK zur Verkürzung der Studienzeiten vorangetrieben werden.
Drittens. Es ist auch nicht möglich — ich denke, ein sorgfältiges Studium auch der verfassungsrechtlichen Möglichkeiten des Bundes gibt wohl nichts anderes her —, zu sagen, eine Verstärkung der Mittel für die Forschung könne nicht auch auf dem Sektor der Lehre Entlastungen bringen. Ich muß mich schon an die verfassungsmäßigen Zuständigkeiten halten. Das ist nun, glaube ich, schon richtig. Deswegen: Wenn es Ihre Besorgnis ist, hier sollte etwas draufgepfropft werden, was bei anderer Gelegenheit nicht transportiert werden kann — um es so auszudrücken —, so muß ich sagen: Dies ist nicht meine Absicht.
Zusatzfrage des Abgeordneten Daweke.
Herr Kollege Möllemann, ich möchte Sie fragen, ob Ihnen die Äußerungen der Landesregierung NRW bekannt sind, die heute morgen der Staatssekretär Konow zu der Frage der Finanzierung gemacht hat und die ganz richtungweisende Bemerkungen enthielten, wie man ein solches Überlastprogramm verfassungsgemäß finanzieren könnte, und die eigentlich darin gipfelten, daß er sagte, möglicherweise sei das Geben von Geld seitens des Bundes verfassungswidrig, aber die Annahme des Geldes sei in jedem Fall verfassungskonform.
Möllemann, Bundesminister: Diese Äußerung ist mir nicht bekannt. Deswegen kann ich sie auch nicht kommentieren.
Zusatzfrage des Abgeordneten Weisskirchen.
Herr Minister, wenn es jetzt schon sehr lange gedauert hat, bis Sie Ihre Ankündigung gemacht haben und bis Sie ein konkretes Programm vorstellen: Welche Zeit würden Sie denn jetzt insbesondere denen noch geben, die an den Hochschulen unter der schwierigen Situation leiden, bis Sie ein solches Programm vorlegen?Möllemann, Bundesminister: Ich will sehen, daß es so schnell wie möglich geht. Es gibt, wie Sie wissen, Termine, die wir im Auge haben müssen. Da ist Anfang Dezember eine Sitzung der Bund-Länder-Kommission. Ebenfalls im Dezember ist eine Konferenz des Bundeskanzlers mit den Ministerpräsidenten der Länder und einigen Fachministern vorgesehen. Dabei soll der Versuch unternommen werden, etwas gegen die Überlast zustande zu bringen, und zwar einvernehmlich.Herr Weisskirchen, aus der Sicht der Betroffenen ist es sicher unbefriedigend, wenn sie jetzt unter diesen Bedingungen studieren müssen. Aber wir kennen aus unserer nun beiderseits langjährigen Erfahrung im Bundestag auch das Problem, daß, wenn ein wirklich wirksames Programm zwischen Bund und Ländern zustande kommen soll und das auch Geld kosten soll, das eben nicht in ein paar Tagen erreicht werden kann. Das sieht man auch an der Tatsache, daß von
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 105. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. November 1988 7225
Bundesminister Möllemannseiten der Länder zwar der Hinweis gegeben worden ist — z. B. in der beachtlich interessanten Form, die gerade vorgetragen wurde — , man sollte von seiten des Bundes etwas tun, aber ein eigenes Programm der Länder mir auch noch nicht bekannt ist.
Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Hillerich.
Herr Minister, an den westdeutschen Hochschulen fehlt aktuell Personal für ca. 600 000 Studenten, d. h., es fehlen ca. 40 000 Stellen für wissenschaftliches Personal, wenn man das einmal grob überschlägt. Betrachtet die Bundesregierung angesichts der Größenordnung Ihrer Forderungen, daß Bund und Länder bis zum Jahre 1995 gemeinsam 2 Milliarden DM zusätzlich aufbringen sollen, nicht eher als einen schlechten Witz oder als ein Trostpflaster?
Möllemann, Bundesminister: Natürlich weder das eine noch das andere. Aber ich würde Ihnen in einem Punkt schon recht geben. Ich meine, den Hinweis darauf, daß die Grundausstattung der Hochschulen mit Personal — dafür sind ausschließlich die Länder zuständig — und mit Lehr- und Lernmitteln der großen Zahl von Studierenden derzeit nicht gerecht wird. In der Tat, man kann an die Länder nur appellieren, ihre Aufgaben, die sie haben, die Hochschulen in der Grundausstattung so zu gestalten, daß sie mit der großen Zahl fertig werden können, auch zu erfüllen.
Zusatzfrage des Abgeordneten Schreiner.
Herr Minister, wie hoch schätzen Sie denn die Zahl derjenigen Studenten ein, die die Universitäten auf Grund der neuen Regelungen im vorgesehenen Gesundheits-Reformgesetz in den nächsten Jahren nicht besuchen, wonach die Möglichkeit der Inanspruchnahme der gesetzlichen Krankenversicherung für die Studierenden auf eine bestimmte Semesterzahl begrenzt werden soll, die in etlichen Fachbereichen deutlich unter der durchschnittlichen Studiendauer liegt?
Der Zusammenhang zur Hauptfrage ist schwierig zu finden, aber ich überlasse es Ihnen, was Sie machen wollen.
Möllemann, Bundesminister: Herr Präsident, die im Gesundheitsreformgesetz vorgesehene Beschränkung des Rechts der Studierenden, die gesetzliche Krankenversicherung in Anspruch zu nehmen, bezieht sich auf 14 Fachsemester. Ich empfinde es nicht als eine Zumutung, zu erwarten, daß jemand sein Studium nach 14 Fachsemestern abschließt.
Ich glaube, daß die anderen Krankenversicherten das wirklich sehr differenziert sehen.
Ich rufe Frage 12 der Abgeordneten Frau Odendahl auf:
Bitte schön, Herr Minister.
Möllemann, Bundesminister: Frau Odendahl, Ihre Frage ist irreführend formuliert — was wahr ist, ist wahr. Überlastmittel im Bundeshaushalt hat es bisher noch nie gegeben. Wie schon erwähnt, hat der Bund durch höhere Mittel für den Hochschulbau und die Deutsche Forschungsgemeinschaft einen ersten Beitrag zur Bewältigung der Überlast geleistet.
Selbstverständlich fühlt sich die Bundesregierung nach wie vor dem Beschluß der Regierungschefs von Bund und Ländern vom 4. November 1977 verpflichtet. Sie hat sich daher in der Vergangenheit nachdrücklich für die Offenhaltung von Studiengängen eingesetzt, die von Zulassungsbeschränkungen bedroht waren.
Auf ihre Initiative hin konnte im Jahre 1985 der Studiengang Informatik offengehalten werden.
Die Aufgabe des Bundes bei der Bewältigung der großen Studentenzahlen bestand in erster Linie darin, gemeinsam mit den Ländern den Hochschulausbau zu finanzieren, um die räumlichen Voraussetzungen für die Ausbildung der stark wachsenden Zahl von Studenten zu schaffen.
Seit 1970 konnte die Zahl der flächenbezogenen Studienplätze um 310 000 auf 780 000 erhöht werden. Dafür wurden insgesamt 42,6 Milliarden DM ausgegeben, wovon der Bund ca. 20 Milliarden DM finanzierte.
Frau Odendahl, bitte schön.
Herr Minister, nachdem Sie meine „irreführende" Frage im Hinblick über Überlastmittel doch so zufriedenstellend beantwortet haben — ich hätte das vielleicht in Anführungszeichen setzen müssen — und Sie vorher schon bei der Beantwortung der Zusatzfragen zur ersten Frage einen gewissen Zeitrahmen vorstellten, darf ich Sie fragen, ob Sie angesichts der Tatsache, daß die Notwendigkeit von Ausgaben in Höhe von 2 Milliarden DM für die Hochschulen im Raum steht, Überlegungen anstellen, auch schon im Haushalt 1989 ausreichende Mittel von seiten des Bundes bereitzustellen.
Möllemann, Bundesminister: Sie legen unbestreitbar den Finger auf den wunden Punkt. Wenn wir uns bei den Beratungen, von denen ich hier sprach, im Rahmen der Bundesregierung schnellstmöglich einigen, was ich hoffe, bleibt nur der Weg eines Änderungsantrags zum Haushalt in der zweiten Lesung. Heute ist die Bereinigungssitzung. Da wird es nicht mehr gehen. Ich hoffe — und werde das, was ich tun kann, tun —, daß wir das erreichen.
Sie haben noch eine weitere Zusatzfrage, Frau Odendahl.
Es besteht natürlich die Frage, inwieweit Sie jetzt das Verfahren hier mit in Frage stellen. Ist es so, daß Sie bei der Bereinigungs-
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7226 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 105. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. November 1988
Frau Odendahlsitzung nur Mittel anmelden wollen oder auch können, wenn Sie schon eine gewisse Einigung mit den Ländern vorweisen können, oder ist der Gang der Dinge so, daß Sie den Ländern gegenüber sicherstellen können: Wir von seiten der Bundesregierung haben die Möglichkeit, daß . . .?Möllemann, Bundesminister: Es gibt zwei Kriterien. Ich kann als Bundesminister natürlich in einer Bereinigungssitzung des Haushaltsausschusses Veränderungen nur zu erstreben versuchen, wenn sich die Bundesregierung vorher verständigt hat. Ich habe ja beschrieben, daß das im Moment noch nicht der Fall ist.Was das Verhältnis zwischen dem Bund und den Ländern angeht, nehme ich an, daß das Parlament hier zu Recht solche Mittel qualifiziert sperren wird, und zwar mit der Maßgabe, daß die Länder ihrerseits ihren Anteil unter bestimmten Konditionen erbringen. Ich denke, das wird so sein.
Herr Kuhlwein, Zusatzfrage; bitte sehr.
Herr Minister, da hier in der Frage auch von der Haltung der Bundesregierung zum Öffnungsbeschluß bzw. zum Offenhalten der Hochschulen die Rede war, frage ich Sie: Teilt die Bundesregierung die Auffassung des Präsidenten der Westdeutschen Rektorenkonferenz, Professor Seidel, man solle nicht über hohe Studentenzahlen klagen, sondern diese hochmotivierten jungen Frauen und Männer seien der größte Reichtum der rohstoffarmen Bundesrepublik, und es gehe nicht zentral um die Situation der Hochschulen, sondern letztlich um die Lage derjenigen, die in wenigen Jahren unser aller Renten verdienen sollen?
Möllemann, Bundesminister: Ich finde, das ist eine ausgesprochen präzise, vernünftige und klare Aussage, der ich mich anschließen kann. Bedauerlicherweise steht Herr Professor Seidel als Präsident der WRK vor der Tatsache, daß zum gleichen Zeitpunkt einige sozialdemokratisch geführte Bundesländer bereits für ein Studienfach den Numerus clausus eingeführt haben, und zwar just für ein solches Studienfach, in dem diese jungen hoffnungsfrohen Menschen Berufsperspektiven gehabt hätten, nämlich im Fach Betriebswirtschaft.
Zusatzfrage des Abgeordneten Weisskirchen.
Herr Minister, nachdem Sie eben schon die haushaltsrechtlichen Probleme vom Verfahren her ein bißchen dargestellt haben: Würden Sie nicht die Anregungen aufgreifen können, daß man es, wenn man strikt über § 91 b, also strikt über Mittel, die beispielsweise über die Deutsche Forschungsgemeinschaft oder ähnliche Einrichtungen gehen, nicht schneller schaffen kann, ohne daß man die Probleme jetzt so überfrachtet, daß nachher nur — sagen wir einmal — eine Erinnerung statt eines wirklichen Programms im Haushalt 1989 steht?
Möllemann, Bundesminister: Mit einer Erinnerung ist natürlich niemandem geholfen. Ich bin sicher, daß der Bundeskanzler und die Ministerpräsidenten der Länder am 15. Dezember 1988 auch nicht über Erinnerungen debattieren wollen. Wenn sie dort gemeinsam über Aktionen diskutieren und Entscheidungen programmieren wollen, müssen dafür die materiellen Voraussetzungen gegeben sein.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Urbaniak.
Herr Minister, da Sie sagen, die Studenten mit dem Abschluß Betriebswirtschaft hätten eine Berufsperspektive: Können Sie mir sagen, ob die Abgänger der Hochschulen auch alle eine Beschäftigung in ihrem Fach erhalten haben oder wieviel von den Abgängern dieses Faches in den Beruf haben einsteigen können?
Möllemann, Bundesminister: Wenn es Fachgebiete gibt, deren Absolventen auf dem Arbeitsmarkt die geringsten Probleme haben, dann sind es im Augenblick u. a. die Betriebswirte. Die Betriebswirte, z. B. von Fachhochschulen kommend — um nur ein Beispiel zu nehmen —, berichten uns häufig, daß sie schon ein, zwei Semester vor ihrem Examen Vereinbarungen mit ihren Firmen haben, bei denen sie anschließend tätig werden. Es gibt andere Studienfächer, in denen das nicht so aussichtsreich ist.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Kastning.
Herr Minister, würden Sie mir bitte bestätigen, daß es sich bei den Ländern, die Sie vorhin mit der Einführung des NC nannten, um strukturschwache Länder im Sinne des Gesetzentwurfs der Bundesregierung zur Strukturhilfe vom vorgestrigen Tage handelt?
Möllemann, Bundesminister: Das will ich Ihnen bestätigen. Nur, das ist keine Begründung. Wenn wir das als Argument heranziehen, Herr Kastning, erinnert mich das an Argumente, die ich von meiner AStA-Zeit bis heute immer wieder vorgetragen bekommen habe, die wir zum Teil als Studenten selbst vorgetragen haben, nämlich: Wenn gespart werden muß, wo wird dann zuerst gespart? Im Bildungssektor. Genau das passiert hier.
— Nein, nein. Herr Kastning, warum denn erkennen bestimmte Länder nicht, daß ihre Strukturschwäche vielleicht auch etwas damit zu tun hat, daß sie zuwenig in die Qualifizierung investiert haben?
Eine Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Niehuis.
Herr Minister, Sie bedauern zu Recht, daß gerade im Fach Betriebswirtschaftslehre nicht genügend Studenten studieren können, und verweisen auf bestimmte Bundesländer, die nicht genügend getan hätten. Ich würde von Ihnen ganz gerne wissen: War es nicht der Senator von Hamburg, der gerade Betriebswirtschaftslehre als NC-Fach vorge-
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Frau Dr. Niehuisschlagen hat? Vielleicht könnten Sie mir auch einmal sagen, welcher Partei der Senator in Hamburg angehört.Möllemann, Bundesminister: Nicht alle Senatoren in Hamburg gehören einer Partei an,
was ich schon für einen Fortschritt ansehe.
In diesem speziellen Fall ist es so, daß die Initiative gleichermaßen von drei Bundesländern ausgegangen ist. Das ist die Voraussetzung dafür, daß im Verwaltungsausschuß der ZVS eine entsprechende Regelung getroffen werden kann. Neben Nordrhein-Westfalen gehörte dazu auch Hamburg.Sie meinen meinen Parteifreund Ingo von Münch,
der -in der Tat nach einem entsprechenden Beschluß des Hamburger Senats diesen auszuführen hatte.
— Ich widerspreche da ja auch gar nicht. In der Tat hat er sich mit seiner Auffassung, den Studiengang offenhalten zu wollen, in Hamburg nicht durchsetzen können.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Daweke.
Herr Kollege Möllemann, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß in dem von mir vorhin schon zitierten Gespräch zwischen dem Ausschuß für Bildung und Wissenschaft und den Vertretern von NRW und der Landesregierung Rheinland-Pfalz beide Ländervertreter den Anspruch des Bundes anerkannt haben, daß er, wenn er denn schon mitfinanziert, durchaus auch seinen Einfluß bei der Gestaltung eines solchen Programmes geltend machen sollte?
Möllemann, Bundesminister: Das ist, finde ich, wirklich ein dramatischer Fortschritt gegenüber gewissen Äußerungen in der letzten Zeit. Aber im Ernst: Es kann ja wohl auch keiner glauben, daß der Bund, haarscharf an der verfassungsmäßigen Zuständigkeitsgrenze operierend, Aufgaben sozusagen mit abdeckt, die die Länder nicht befriedigend gelöst haben, und das in Gestalt des Zurverfügungstellens von Geld tun soll, ohne inhaltlich Einfluß zu nehmen. Ich kenne in diesem Hause keinen Abgeordneten, der im Ausschuß für Bildung und Wissenschaft oder gar schon einmal in der Regierung tätig gewesen wäre, der das, stünde er in der Verantwortung, akzeptieren würde.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Böhme .
Herr Minister, können Sie mir bestätigen, daß Nordrhein-Westfalen im Studienfach Betriebswirtschaftslehre die meisten Studienplätze von allen Ländern vorhält, und können Sie mir im Vergleich dazu sagen, wieviel derartige Studienplätze beispielsweise Rheinland-Pfalz zu bieten hat?
Möllemann, Bundesminister: Die Zahlen habe ich jetzt nicht da, aber ich nehme an, daß Nordrhein-Westfalen im Verhältnis zu seiner Größe nicht dramatisch mehr aufzuweisen haben wird als Baden-Württemberg. Ich habe jetzt auch gar keine Lust, Herr Böhme, darüber zu streiten, in welchem Bundesland in welchem Fach derzeit wieviel Studenten immatrikuliert sind; das hat häufig ja auch mit anderen als landespolitischen Gesichtspunkten zu tun.
Aber die Frage ist, ob Nordrhein-Westfalen für diese seine Studenten genug Hochschullehrer zur Verfügung stellt. Das tut es nach meinem Dafürhalten nicht. Die Situation an den nordrhein-westfälischen Hochschulen ist schlecht im Blick auf das Lehrangebot. Gerade in diesen Wochen hat die Landesregierung eine Reihe von Stellenstreichungen vorgenommen. Ich finde das nicht die angemessene Antwort auf die Überlastsituation.
Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Hillerich.
Wenn es jetzt schon um den Streit darüber geht, wer schuld am Numerus clausus in Betriebswirtschaft ist — es hat ja die andere Situation gegeben, daß vor allen Dingen an den Universitäten in Baden-Württemberg ein örtlicher Numerus clausus eingeführt wurde — : Wie beurteilen Sie denn dies, Herr Minister, als Maßnahme, auch vor dem Hintergrund ihrer Vorschläge zu den Verteilungsverfahren zwischen den Hochschulen?
Möllemann, Bundesminister: Zunächst zu dem ersten Teil Ihrer Feststellung in der Frage: Die Bundesregierung hat sich gegen die Verhängung des Numerus clausus in der Betriebswirtschaftslehre ausgesprochen; damit das ganz klar ist.
Zweitens. Es gibt Verteilungsverfahen. Der Begriff „harter Numerus clausus" bedeutet doch, daß für die Gesamtzahl der einen Studienplatz anstrebenden Studenten in einem Fachgebiet bundesweit nicht genügend Studienplätze vorhanden sind. Mit Verteilungsverfahren ist aber nicht gemeint, daß jeder an der Hochschule seiner Wahl studieren kann. Dann hätten wir einen Numerus clausus in sehr vielen Fächern.
Ich habe in der letzten Fragestunde deutlich gemacht — damals ging es um die Frage einer Ihrer Kolleginnen aus Ihrer Fraktion —, daß ich von diesen landesspezifischen Regelungen nicht sehr viel halte, sondern daß ich es vorziehen würde, die bundesweiten Verteilungsverfahren dort zu praktizieren, wo wir sie haben müssen.
Ich denke, Sie haben damals ebenfalls gehört, daß ich dargestellt habe, wie ich mir eine Reform des Zulassungsverfahrens insgesamt vorstellen kann.
Ich rufe die Frage 13 des Abgeordneten Dr. Böhme auf:Welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, über ein entsprechend zu gestaltendes Förderprogramm verstärkt Frauen in den Lehrbetrieb einzubeziehen und damit schnell dieses Potential zum Abbau der Überlast an den Hochschulen zu nutzen?Möllemann, Bundesminister: Herr KollegeDr. Böhme, in Ihrer Frage wird auch die Auswirkungeines Förderprogramms für Frauen auf den Abbau
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Bundesminister Möllemannder Überlast angesprochen. Ich gehe aber davon aus, daß Sie nach den Möglichkeiten für ein solches Förderprogramm auch unabhängig von der Überlast fragen, daß Sie dieses als generelles Anliegen betrachten.Hierzu erinnere ich zunächst an die Beratungen, die 1985 zur Einfügung von § 2 Abs. 2 in das Hochschulrahmengesetz geführt haben. Damals hielt es der Bundestag mit Mehrheit für richtig, lediglich den Grundsatz festzulegen, daß die Hochschulen auf die Beseitigung der für Wissenschaftlerinnen bestehenden Nachteile hinzuwirken haben. Wie das zu geschehen hat, welche Maßnahmen also dafür im einzelnen in Betracht kommen, ist den Ländern und den Hochschulen überlassen worden. Diese können am besten übersehen, was im einzelnen an Instrumenten eingesetzt und welche konkreten Maßnahmen getroffen werden können.Unabhängig davon hat der Bundesminister für Bildung und Wissenschaft im September 1987 der BundLänder-Kommission vorgeschlagen, den Komplex „Förderung von Frauen im Bereich der Wissenschaft" zu behandeln. Das geschah deswegen, weil ich sah, daß das nicht richtig vorangeht.Der dort eingesetzte Arbeitskreis soll einen Gesamtüberblick über die in den Ländern und Hochschulen möglichen Maßnahmen erarbeiten. Er soll auch Vorschläge für ein von Bund und Ländern zu finanzierendes Förderprogramm vorlegen, über das dann noch zu entscheiden wäre.Damit wird auch dem Beschluß des Deutschen Bundestages vom Dezember 1986 Rechnung getragen, mit dem die Bundesregierung aufgefordert worden war, in Abstimmung mit den Ländern ein Förderkonzept auszuarbeiten. Die Beratungen des Arbeitskreises der Bund-Länder-Kommission sind noch nicht abgeschlossen. Ich werde gern darüber berichten — im Ausschuß oder, wenn es gewünscht wird, auch im Plenum — , sobald die Ergebnisse vorliegen.Die Realisierung des Überlastprogramms unter Beteiligung des Bundes würde — wie bei entsprechenden Programmen der Länder — zusätzliche Möglichkeiten schaffen, auch Professorinnen und wissenschaftliche Mitarbeiterinnen einzustellen. Die Entscheidung über eine solche zusätzliche Einstellung läge dann allerdings erneut bei den Ländern.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Böhme. — Keine Zusatzfrage.
Zusatzfrage, Frau Odendahl, bitte schön.
Herr Minister, da Sie schon auf die Problematik der Frauen an den Hochschulen eingegangen sind: Halten Sie es angesichts der Benachteiligungen, die jetzt auch wieder durch die Überlastsituation für Frauen entstehen, für möglich und für erstrebenswert, daß wir erneut gewisse soziale Kriterien bei der Vergabe überprüfen?
Möllemann, Bundesminister: Das habe ich nicht verstanden.
Das möchte ich Ihnen sagen. Ich möchte auf die Entwicklung bei NC-Regelungen
in einzelnen Hochschulen in Baden-Württemberg hinweisen, die gegenwärtig dazu führen, daß überhaupt keine Frauen bei den Studienanfängern berücksichtigt werden könnten, weil — zugegebenermaßen auf Grund der vorgegebenen Kriterien — Absolventen der Bundeswehr usw. vorgezogen werden mußten.
Möllemann, Bundesminister: Abgesehen davon, daß ich das in der vorigen Fragestunde hier behandelt habe,
muß ich darauf hinweisen, daß dies, Frau Kollegin, just die Fragen sind, die der hinter Ihnen stehende Kollege Kuhlwein für diese Fragestunde eingereicht hat. Wenn Sie einverstanden sind, behandele ich das sogleich im Zusammenhang.
Dann kommt das allerdings etwas später.
Möllemann, Bundesminister: Ja.
Sie wollen eine Zusatzfrage stellen? Bitte schön, Herr Kuhlwein.
Herr Minister, werden Sie — ich knüpfe an die Frage 13 an — bei Ihrer Einflußnahme auf ein mit den Ländern zu vereinbarendes Überlastprogramm darauf zielen, daß Frauen mit einem angemessenen Anteil an der zusätzlichen Lehre beteiligt werden?
Möllemann, Bundesminister: Ich glaube, Herr Kollege Kuhlwein, man kann sagen, daß dort, wo gleich qualifizierte Frauen bei Berufungsverfahren für Hochschullehrerstellen oder bei der Einstellung von Assistenten, Oberassistenten und Dozenten zur Verfügung stehen, auch bei den Ländern derzeit die Bereitschaft ausgeprägt ist, sie einzustellen. Ich glaube also nicht, daß ich da sehr drängen muß. Das Problem wird eher sein, ob man gerade in den Fächern, von denen wir hier sprechen, entsprechende Möglichkeiten haben wird.
Nehmen wir als Beispiel Informatik. Hier haben wir das große Problem, daß die wirklich qualifizierten Leute natürlich ausgesprochen gute Angebote aus der Wirtschaft bekommen und daß es nicht ganz leicht ist, sie überhaupt heranzuholen. Deswegen habe ich auch von Möglichkeiten unkonventioneller Lösungen gesprochen, mit Zeitverträgen bzw. Lehraufträgen für Fachleute in der Wirtschaft; denn die werden nicht auf Dauer herausgehen.
Mein Eindruck ist also, daß die Länder bereit sein werden, die Position und die Möglichkeiten von Frauen dabei durchaus angemessen zu würdigen.
Frau Hillerich, Zusatzfrage, bitte schön.
Ich greife die Frage meines Vorredners auf. Wenn es darum geht, daß Wissenschaftlerinnen auch durch dieses Überlastprogramm
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Frau Hillerichbzw. im Rahmen der von Ihnen erwähnten Arbeitsgruppe mehr an Hochschulen arbeiten können, kann es dann zu den unkonventionellen Methoden auch gehören, daß in allen Gremien, in denen über Einstellung, Bewerbung und dergleichen beraten wird, Frauen so beteiligt werden, daß tatsächlich mehr Frauen an Hochschulen auch als Wissenschaftlerinnen tätig werden können und daß dies quasi als Auflage oder Bedingung oder zumindest sehr harte Empfehlung auch von Ihnen geltend gemacht wird?Möllemann, Bundesminister: Wir haben in unserer demokratischen Hochschulselbstverwaltung kein Verfahren der Besetzung von Gremien, sondern da werden Wahlen durchgeführt. Nehmen wir als Beispiel die Gesamthochschule Duisburg, zu der ich sogleich von hier aus zu einem Besuch fahren werde. Wenn es dort gerade zufällig Wahlen gäbe und der Bundesminister für Bildung und Wissenschaft spräche eine Empfehlung aus, daß man die Kandidatin X zu wählen habe — —
Nehmen wir an, ich würde dort empfehlen, die christdemokratisch orientierte Kandidatin X gegen den grün orientierten Kandidaten Y zu wählen. Ich bin nicht so ganz sicher, ob das für die Kandidatin unmittelbar hilfreich wäre.
Herr Dr. Böhme hat die nächste Frage gestellt, die Frage 14:
Welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, durch flankierende Maßnahmen künftig eine Lehrtätigkeit an der Hochschule für mehr Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler attraktiv zu gestalten?
Bitte schön, Herr Minister.
Möllemann, Bundesminister: Herr Kollege Böhme, die Dienstverhältnisse des hauptberuflich an den Hochschulen tätigen wissenschaftlichen Personals sind durch das Hochschulrahmengesetz sowie, soweit es sich um Beamte handelt, durch das Beamten- und das Besoldungsrecht des Bundes geregelt. Die Notwendigkeit, hier für mehr Attraktivität zu sorgen, wird nicht gesehen, abgesehen von der Frage der Besoldung der Professoren an Fachhochschulen — da ist in der Tat ein Regelungsbedarf. Die Regelungen für nebenberuflich an den Hochschulen in der Lehre tätige Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, also insbesondere für Lehrbeauftragte, fallen in den Aufgabenbereich der Länder. Erforderlichenfalls wäre es deshalb deren Sache, für eine größere Attraktivität zu sorgen. Die Länder haben auch für die Beschäftigung zusätzlichen Personals teilweise besondere Regelungen getroffen. Wie ich aus Nordrhein-Westfalen höre, ist dort etwa in dem besonders stark belasteten Fach Betriebswirtschaftslehre eine Beschäftigung der Überlastkräfte nicht gerade zu besonders attraktiven Bedingungen möglich. Es könnte sich deshalb empfehlen, einmal in Düsseldorf nachzufragen, ob hier nicht Möglichkeiten bestehen, für qualifizierte wissenschaftliche Mitarbeiter, die auch in Übungen eingesetzt werden könnten, attraktive Beschäftigungsformen zu finden.
Zusatzfrage, Herr Dr. Böhme.
Wie soll denn die Verbesserung für die Lehrenden an den Fachhochschulen aussehen?
Möllemann, Bundesminister: Herr Kollege, Sie wissen, daß es da um die Frage der Anteile von C-2- und C-3-Professuren geht. Es ist kein Geheimnis, daß ich der Auffassung bin, daß der Anteil zugunsten der C3-Professuren verschoben werden sollte. Da die Länder das bezahlen müssen, müssen sie hier mitwirken. Wir können nur diese Empfehlung aussprechen. Bislang gibt es aber auf Grund der angespannten Finanzsituation bei den Ländern keine wirklich nachhaltige Bereitschaft, das auch zu tun.
Keine weitere Zusatzfrage zu dieser Frage.
Dann rufe ich die Frage 15 des Abgeordneten Kastning auf:
Welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, im Rahmen eines Überlastprogramms auch Mittel für Einstellung von mehr Lehrpersonal in den betroffenen Fächern zur Verfügung zu stellen?
Bitte schön, Herr Minister.
Möllemann, Bundesminister: Herr Kollege Kastning, wie sich bereits aus den Antworten zu den vorangehenden Fragen ergibt, werden zur Zeit innerhalb der Bundesregierung die Möglichkeiten einer Beteiligung des Bundes an einem gemeinsamen Überlastprogramm von Bund und Ländern geprüft. Eine unmittelbare Förderung von Maßnahmen zur zeitlich befristeten Erweiterung der Ausbildungskapazitäten ist danach nur teilweise möglich.
Zusatzfrage, Herr Kastning.
Ich darf auf einen Punkt zurückkommen, den Herr Kollege Kuhlwein angesprochen hat. Sehen Sie Möglichkeiten, Mittel aus dem Kontingent der DFG durch neue, zusätzliche Leistungen des Bundes frei zu machen und im Zusammenhang mit der mit den Ländern zu schließenden Vereinbarung diesen Schwerpunkt Lehrtätigkeit entsprechend festzuschreiben?
Möllemann, Bundesminister: Das ist sicher eine Möglichkeit.
Sie haben eine weitere Zusatzfrage, Herr Kastning.
Da das, was Sie sagten, etwas unbeteiligt klang, möchte ich wissen, ob dies ernsthaft von Ihnen geprüft wird.Möllemann, Bundesminister: Ja, sicher. Wenn ich hier verhalten wirke, Herr Kollege Kastning, dann
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Bundesminister Möllemannliegt das daran, daß ich jetzt schon ziemlich lange am Mikrophon stehe und meine Kräfte einteilen muß.
— Nein, nein, ich muß nicht vorzeitig weg. Keine Sorge! Ich bleibe hier bis zur letzten Minute. Mir macht es auch richtig Spaß, aber ich muß meine Kräfte einteilen.
Also, das merken wir. Trotzdem muß es kürzer werden.
Eine Zusatzfrage der Frau Abgeordneten Odendahl.
Herr Minister, halten Sie es in Anbetracht der Problematik — und wenn wir nach den Einschätzungen des Wissenschaftsrats gehen, wird sie uns noch länger beschäftigen — für denkbar, daß Ihre Kräfte so nachlassen, daß Sie das Problem nicht mehr ertragen können?
Möllemann, Bundesminister: Ich bin Ihnen dankbar für diese Anteilnahme. Aber Sie dürfen davon ausgehen, daß ich deswegen meine Kräfte so einteile, damit sie nicht nachlassen.
Ich rufe jetzt die Frage 16 des Herrn Abgeordneten Kastning auf:
Wie sollen die Fachhochschulen in ein Überlastprogramm einbezogen werden?
Möllemann, Bundesminister: Herr Kollege Kastning, nach Auffassung der Bundesregierung sollten bei Realisierung eines Überlastprogramms des Bundes auch die Fachhochschulen einbezogen werden, zumal diese in verschiedenen Fachbereichen ebenfalls unter starken Überlastbedingungen arbeiten. Allerdings würde auch hier eine Stärkung der Ausbildungskapazitäten durch den Bund nur mittelbar über die Förderung der anwendungsbezogenen Forschung und Entwicklung an Fachhochschulen möglich sein. Aber es würde halt genauso gehen wie bei den übrigen Hochschulen.
Zusatzfrage der Frau Abgeordneten Hillerich. Bitte schön.
Herr Minister, da über die Betroffenheit durch Überlast doch ziemlich unterschiedliche Aussagen existieren — heute morgen wurde von seiten der Vertreter der Länder vor allen Dingen auf BWL hingewiesen; in Hessen gibt es eine breite Streikbewegung an Fachhochschulen — : Kann uns die Bundesregierung Informationen darüber geben, wie sich die Überlastproblematik, aufgeschlüsselt nach Fachbereichen aller Hochschularten und auch regional, darstellen und gewichten läßt?
Möllemann, Bundesminister: Ja, das, denke ich, werden wir zusammen mit den Ländern tun können. Ich biete Ihnen ausdrücklich an, Ihnen das im Ausschuß für Bildung und Wissenschaft zuzuleiten. Das kann ich jetzt nicht aus dem Stand heraus.
Dann rufe ich die Frage 17 der Frau Abgeordneten Dr. Niehuis auf:
Wie wird die Bundesregierung sicherstellen, daß bei der Vergabe der Mittel aus einem Überlastprogramm geisteswissenschaftliche und wirtschaftswissenschaftliche Fächer angemessen und dem Bedarf entsprechend berücksichtigt werden?
Bitte schön, Herr Minister.
Möllemann, Bundesminister: Frau Dr. Niehuis, ein gegebenenfalls vom Bund gemeinsam mit den Ländern finanziertes Überlastprogramm sollte zur Verbesserung der Situation in besonders belasteten Fachrichtungen an Universitäten und Fachhochschulen beitragen. Zu diesen Fächern gehören gegenwärtig insbesondere die Studiengänge Betriebswirtschaft und Informatik an den Universitäten und der Studiengang Wirtschaftswissenschaften an den Fachhochschulen. Ich glaube allerdings, daß ein gemeinsames Programm auch einige weitere aus dieser Übersicht, die von Ihrer Kollegin gerade angesprochen worden war, abzuleitende Fachbereiche einschließen sollte. Dazu gehören gegebenenfalls auch geisteswissenschaftliche Fächer. Natürlich wird man auf der anderen Seite — und in dem Punkt kann ich nicht kritisieren, was in Nordrhein-Westfalen geschieht, an der Stelle nicht — akzeptieren, daß, wenn in bestimmten geisteswissenschaftlichen Fächern oder in einem Fachbereich an einer Hochschule die Studienbeteiligung dramatisch abgenommen hat, man darauf auch die Personalstärke ausrichtet. Das Überlastkriterium gilt unabhängig von der Frage, ob es sich um den naturwissenschaftlich-technischen oder den geisteswissenschaftlichen Bereich handelt. Ich halte eine Zurückstellung der Geisteswissenschaften ganz generell für einen fatalen Trugschluß, dem man anhängen würde, wollte man so vorgehen.
Zusatzfrage, Frau Dr. Niehuis.
Wie wollen Sie denn sicherstellen, daß diese Fachrichtungen auch beim Überlastprogramm bedacht werden?
Möllemann, Bundesminister: Durch den Konsens, den wir mit den Ländern finden müssen, von dem ich vorhin sprach und der Bedingung dafür ist, daß es zu einem solchen Programm kommt.
Sie haben eine weitere Zusatzfrage, bitte schön.
Sie haben in der Beantwortung der ersten Frage dieser Serie gesagt, daß Informatik und Betriebswirtschaftslehre insbesondere darum gefördert werden sollten, weil auf dem Arbeitsmarkt ein Bedarf bestehe. Nun haben Sie dankenswerterweise gesagt, daß Sie auch Geisteswissenschaften für einen zu fördernden Fachbereich halten. Heißt das, daß Sie auch meinen, daß auf dem Arbeitsmarkt Bedarf für Geisteswissenschaften vorhanden ist, und daß Sie als öffentliche Hand — dort liegen ja häufig die
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Frau Dr. NiehuisArbeitsmarktbereiche für Geisteswissenschaftler — dafür Sorge tragen würden, daß diese Arbeitsplätze dann auch da sind?Möllemann, Bundesminister: Die öffentliche Hand ist nun wirklich mehr als der Bund. Wenn man sich die Gesamtzahl der Beschäftigten im öffentlichen Dienst anschaut, weiß man, daß der Löwenanteil nicht beim Bund liegt. Ich kann hier jetzt aber nicht eine allgemeine Debatte darüber bestreiten, an welcher Stelle, in welchem Dienstbereich der öffentlichen Hände zusätzliche Geisteswissenschaftler eingestellt werden könnten. Ich würde das auch gar nicht auf den öffentlichen Dienst beschränken, Frau Dr. Niehuis. Wir erleben eine Art Renaissance der Bedeutung der Geisteswissenschaften auch im privatwirtschaftlichen Bereich. In der Personalplanungspolitik großer privatwirtschaftlicher Unternehmen, ist es doch eindrucksvoll zu sehen, wie Personalchefs jetzt immer stärker wieder Wert darauf legen, daß geisteswissenschaftliche Qualifikationen bei ihrem Führungspersonal erbracht werden, nicht nur naturwissenschaftlich-technische. Da gibt es ganz interessante Entwicklungen, die wir als Regierung sicher fördern sollten.
Zusatzfrage, Herr Kastning.
Die Großzügigkeit des Herrn Präsidenten voraussetzend . . .
Das ist gefährlich, Herr Kollege.
... und in Erinnerung an das — ich wollte Ihre Aufmerksamkeit auf mich lenken, Herr Präsident — , was Sie vorhin sagten, daß Sie nämlich das Überlastprogramm nicht mit Dingen befrachten würden, die Sie sonst nicht durchbekommen würden, frage ich Sie: Können Sie mir einmal erklären, welchen unmittelbaren Beitrag eine höhere oder bessere Ausstattung der Graduiertenkollegs zum Abbau der Überlast leisten soll?
Möllemann, Bundesminister: Ja, das kann ich. Da muß ich dann schon wieder die Großzügigkeit des Präsidenten, der mich aber schon fest im Blick hat, in Anspruch nehmen. Wenn es darum geht, die Dauer des grundständigen Studiums auf das unabdingbar notwendige Maß zu begrenzen, kann man das vernünftigerweise dadurch erreichen, daß man das, was für ein Aufbaustudium notwendig ist, in einer vernünftig organisierten Form anbietet und damit auch die Trennung zwischen diesen beiden Abschnitten vernünftig sichtbar und plausibel macht. Die Förderung von Graduiertenkollegs wäre also schon insofern logisch.
Darüber hinaus verfolgen wir gleichzeitig ein anderes Ziel. Wir werden nach der jetzigen Entwicklung in etwa acht bis zehn Jahren eine andere Entwicklung haben, die ebenfalls dramatisch ist. Zu diesem Zeitpunkt werden nämlich innerhalb von zehn Jahren fast 50 % aller heutigen Hochschullehrer in den Ruhestand gehen. So ist der Altersaufbau des Lehrkörpers. Wenn wir jetzt nicht rechtzeitig Nachwuchswissenschaftlern die Möglichkeit geben, sich zu qualifizieren, werden wir dann einen großen Einbruch erleben. Auch dazu leisten die Graduiertenkollegs einen Beitrag und auf diese Art und Weise auch dazu, daß dann keine Überlastsituation besteht, weil wir dann genug Professoren haben.
Jetzt kommt die Frage 18 des Abgeordneten Weisskirchen :
Seit wann liegen Untersuchungen und Informationen über die für dieses Wintersemester zu erwartenden Studentenzahlen vor, und was hat die Bundesregierung in Kenntnis dieser Daten unternommen, um eine sich abzeichnende totale Überlastung der Hochschulen zu verhindern?
Bitte schön, Herr Minister.
Möllemann, Bundesminister: Herr Kollege Weisskirchen, der Bundesminister für Bildung und Wissenschaft hat auf der Grundlage der etwa seit Anfang September bekannten Angaben die möglichen Gesamtzahlen der Studienanfänger im Jahre 1988, d. h. der Studienanfängerzahlen im Sommersemester 1988 und Wintersemester 1988/89, global geschätzt. Grundlage der Schätzung war die Zahl der Studienanfänger und Studenten zum Sommersemester 1988 sowie die Ergebnisse der Abiturientenbefragung 1988 über ihre Studienabsichten. Daten über die Bewerberzahlen zum Wintersemester 1988/89 für die Studiengänge des bundesweiten Vergabeverfahrens der ZVS liegen dem Bundesminister für Bildung und Wissenschaft seit August vor. Vor diesem Zeitpunkt lagen der Bundesregierung weder amtliche noch sonstige Zahlen aus einschlägigen Untersuchungen über die für das Wintersemester 1988/89 zu erwartenden Studentenzahlen vor.
Auf Grund der Daten, die ich beschrieben habe, wurde ein deutlicher Anstieg der Studienanfängerzahlen auf einen neuen Höhepunkt von ca. 250 000 prognostiziert. In dieser Situation hatte ich erwartet, daß die Länder ihre Überlastmaßnahmen entsprechend verstärken würden. Erstaunlicherweise ist es dazu überwiegend nicht gekommen. Und noch mehr: In verschiedenen Ländern wurden gar Stellenstreichungen im Hochschulbereich fortgesetzt. Daraufhin habe ich in der Sitzung der Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung am 26. September den für die Hochschulen zuständigen Ministern oder ihren dort anwesenden Beamten meine Absicht erläutert, dieser gefährlichen Entwicklung entgegenzuwirken und der Bundesregierung vorzuschlagen, gemeinsam mit den Ländern ein zeitlich befristetes Überlastprogramm in Angriff zu nehmen. Die Ländervertreter haben diese Initiative auf Bundesseite mehrheitlich im Grundsatz begrüßt. In der Folgezeit wurden alle für ein Überlastprogramm in Betracht kommenden Maßnahmen u. a. daraufhin geprüft, ob sie auf Grund der verfassungsrechtlichen Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern für eine Bundeshilfe in Betracht zu ziehen sind. Den augenblicklichen Verfahrensstand haben wir jetzt schon des öfteren erörtert.
Herr Weisskirchen, Zusatzfrage.
Warum, Herr Minister, hat die Bundesregierung eigentlich nicht auf die Bildungsgesamtpläne und auf die dort schon nieder-
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7232 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 105. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. November 1988
Weisskirchen
gelegten Trends zurückgegriffen, die ja deutlich ausweisen, daß in diesem Jahr tatsächlich die Zahlen eingetroffen sind, die vor knapp zehn Jahren angeplant worden sind? In der Zwischenzeit hatte insbesondere die Wende-Regierung auf die Bildungspläne und auf planerische Absichten verzichtet. Liegt da nicht ein Grund, warum Sie jetzt überfallartig davon betroffen sind?Möllemann, Bundesminister: Von „überfallartig betroffen" kann nun wirklich keine Rede sein. Die Bildungsgesamtpläne, die nicht mehr ganz jüngsten Datums sind, sind natürlich bekannt. Aber es hat zwischenzeitlich, Herr Kollege Weisskirchen, Entwicklungen gegeben, die in diesen Plänen nicht standen und nicht erwartet worden sind. Ich nenne nur einen Punkt, über dessen Ausmaß vermutlich auch Sie ein bißchen überrascht gewesen sind.Es hat vor etwa vier Jahren einen plötzlichen erheblichen Anstieg von an sich Hochschulzugangsberechtigten gegeben, die gesagt haben: Wir gehen nicht auf die Hochschule. Sie sind in eine Lehre gegangen. Nun kann jetzt natürlich jeder sagen: Ich habe damals schon gewußt, daß sie das gar nicht ernst gemeint haben und daß sie demnächst studieren würden. — Ich habe das nicht gewußt. Wie viele Angehörige eines Jahrgangs, die an sich die Hochschulzugangsberechtigung haben, an eine Hochschule oder in einen Beruf im dualen System gehen oder eine Berufsakademie anstreben, können wir vorher nicht definitiv wissen. Ich sage Ihnen: Wir sind nicht davor geschützt, daß wir im nächsten Jahr wieder andere Zahlen bekommen werden.Hinzu kommt ein Zweites. Der Anteil an den einzelnen Jahrgängen, der sich für eine weiterführende Schule — ich spreche jetzt vom Gymnasium — entscheidet, ist in den letzten Jahren erheblich gestiegen. Ich halte es für lohnend, darüber zu diskutieren, ob das grundsätzlich ein erfreulicher Trend ist — dazu neige ich — oder ob er sich da oder dort in einer Weise ausprägt, die man nicht für vernünftig ansehen kann. Ich habe per Zufall gestern abend erfahren, daß wir in meiner Heimatstadt Münster im Augenblick eine Quote von 51 % beim Übergang auf das Gymnasium haben. Hier habe ich den stillen Verdacht, daß das nicht ganz vernünftig ist,
daß viele auf Grund von Empfehlungen ihrer Eltern dort hingehen, denen man damit keinen Gefallen tut. Aber unser System ist so, daß wir nur beraten und empfehlen können und die Entscheidung am Ende die Eltern treffen. Ich weiß nicht, wie viele es demnächst sein werden.Insofern sind alle Bildungsgesamtpläne, die es gegeben hat, mit dem Problem behaftet gewesen, daß in ihnen Prognosen aufgearbeitet wurden, die zum Teil eingetroffen sind, zum Teil auch nicht. Ich habe diese Größenordnung des Problems nicht vorhergesehen, und ich muß unterstellen, auch die Kollegen aus den Ländern haben sie nicht vorhergesehen,
denn sonst hätten sie doch anders operiert.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Kuhlwein.
Herr Minister, bei aller Unzuverlässigkeit von Prognosen: Muß es einen nicht stutzig machen, daß das, was in den 70er Jahren einmal als Zielplanung für den Ausbau der Hochschulen formuliert worden war, nämlich 850 000 Studienplätze, nun schon seit über zehn Jahren ständig übertroffen wird, so daß die Überlast schon beinahe zur Normallast geworden ist, und ist die Bundesregierung bereit, einmal die Initiative zu ergreifen, um diese Zielplanung für die Normallast zu überprüfen, nachdem wir wissen, daß die Studentenzahlen ohnehin bis 1995 noch sehr viel höher sein werden?
Möllemann, Bundesminister: Im Grunde reden wir darüber die ganze Zeit, nämlich darüber, daß wir ja wohl nicht akzeptieren können, daß bis 1995 eine solche Überlast de facto als Normallast angesehen wird. Dabei bliebe es ja, würden wir nichts tun.
Nun weiß man aber, daß danach mit wirklich hoher Wahrscheinlichkeit ein Abschwung der Zahlen kommen wird. Daher kann man nicht außer Betracht lassen, daß wir dann wahrscheinlich in eine Größenordnung kommen werden, für die die Hochschulen an sich angelegt sind. Deswegen appelliere ich ja auch gleichzeitig an die Länder, nun nicht dauernd mit der Schere im Kopf so zu argumentieren, als hätte man diese Situation schon, bzw. für diesen Zeitraum nicht so zu planen, als brauchte man dann weniger, als heute vorhanden ist. Die Planstellen, die heute vorhanden sind, sind an sich auf die 850 000 Studienplätze nach Flächenrichtwerten angelegt. Wer jetzt für die nächsten Jahre kw-Vermerke anbringt, sorgt in diesem Bereich also für nichts anderes, als daß dann erneut eine Überlastsituation gegeben sein wird. Ich bin sehr froh, wenn diejenigen, die das Thema im Auge haben, auf die Verantwortlichen einwirken, damit das vermieden wird.
Eine Zusatzfrage, Frau Hillerich.
Im Zusammenhang damit, daß die Überlast zur Normallast geworden ist, scheint ja auch zu stehen, daß für die Betreuungsrelationen und die Ausstattungen der Hochschulen eine Kapazitätsverordnung geschaffen wurde, die eigentlich für die Ausbildung und die Betreuung der Studierenden recht schlechte Relationen festlegt. Es gibt demgegenüber ja schon bessere Empfehlungen des Wissenschaftsrates. Kann es denn sein, Herr Minister, daß im Rahmen des Überlastprogramms und der Vereinbarungen mit den Ländern auch auf dieser Ebene Vereinbarungen getroffen werden, um die Ausstattungssituation und die Betreuungsrelationen an den Hochschulen zu verändern?Möllemann, Bundesminister: Nun, die Kapazitätsverordnungen liegen in der Zuständigkeit der Länder, und ich fürchte, wenn ich hier jetzt noch ankündigen würde, daß das bei dieser Gelegenheit auch gleich noch mit abgehandelt werden muß, käme es zu keiner Einigung.Ich sage es noch einmal: Daß in wichtigen Studienbereichen eine krasse Diskrepanz zwischen der Aus-
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 105. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. November 1988 7233
Bundesminister Möllemannstattung und der Zahl der Studierenden besteht, ist offenkundig. Mein Appell geht erneut an die für die Grundausstattung der Hochschulen zuständigen Länder, das zu ändern.
Herr Minister, da der Kollege Weisskirchen mir gesagt hat, er müsse zu einer Veranstaltung außerhalb des Hauses, sind Sie sicher damit einverstanden, daß seine Frage 19 schriftlich beantwortet wird. Das gleiche gilt für die Fragen 20 und 21 des Abgeordneten Kuhlwein. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Möllemann, Bundesminister: Wenn ich das gewußt hätte, hätte ich meine Kräfte nicht so einteilen müssen.
Er wollte Sie wohl auf die Probe stellen. — Er ist auch nicht nur deswegen zum Verzicht bereit, weil er nicht länger hier sein kann, sondern auch deshalb, weil er meint, wir sollten noch einem weiteren Vertreter eines Ministers die Chance geben, sich zu äußern.
Deswegen danke ich Ihnen, Herr Minister, für die Beantwortung der Fragen und rufe nunmehr den Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern auf. Der Herr Parlamentarische Staatssekretär Spranger steht zur Beantwortung der Fragen zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 22 des Abgeordneten Dr. Hirsch auf:
Ist es zutreffend, daß Asylbewerber in der Oberpfalz in menschenunwürdiger Weise in Sammellagern untergebracht sind und 4 Quadratmeter pro Person als ausreichend gehalten werden?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Herr Kollege Dr. Hirsch, die Unterbringung der Asylbewerber ist Angelegenheit der Bundesländer. Die Bundesregierung hat deshalb keinen unmittelbaren Einblick in die Verhältnisse vor Ort. Sie ist insoweit auf die Angaben der Länder im Einzelfall angewiesen.
Zu der von Ihnen sehr allgemein angesprochenen Situation in der Oberpfalz hat mir das insoweit zuständige Bayerische Staatsministerium für Arbeit und Sozialordnung mitgeteilt, daß die Gemeinschaftsunterkünfte für Asylbewerber als Obdachlosenunterkünfte im Sinne des Gestzes zur Beseitigung von Wohnungsmißständen vom 24. Juli 1974 gelten. Dieses Gesetz schreibt Mindestwohnflächen nicht vor.
Im übrigen ist bei der als notwendig anzuerkennenden Mindestwohnfläche auch darauf abzustellen, ob es sich bei den unterzubringenden Personen um Alleinstehende, alleinstehende Frauen, Familien, Familien mit Kindern, Jugendliche usw. handelt und welche Gemeinschaftsflächen in den Unterkünften zur Verfügung stehen. Eine Wohnfläche von 4 m2 pro Person ohne Berücksichtigung von Nebenflächen, Gemeinschaftsflächen oder Gemeinschaftsräumen kann im Hinblick auf die Bestimmungen des Gesetzes zur
Beseitigung von Wohnungsmißständen insbesondere dann als menschenwürdig angesehen werden, wenn die Asylbewerber alleinstehend oder kinderlos sind.
Zusatzfrage, Herr Dr. Hirsch.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen der Bericht von Terre des hommes über eine Anhörung im bayerischen Landtag bekannt, wo dargestellt wurde, daß man dort, was z. B. die Wohnverhältnisse angeht, für eine mehrköpfige Familie 4 m2 pro Person für ausreichend hält, daß man z. B. in einem Sammellager in der Oberpfalz eine achtköpfige Familie mit sieben Bundeswehrbetten und fünf Spinden untergebracht hat? Finden Sie nicht — unabhängig davon, was immer in den dargestellten Richtlinien stehen mag —, daß das so eigentlich nicht geht?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Dr. Hirsch, mir ist der Bericht nicht bekannt. Ich kann nur zu der sehr allgemeinen Frage Stellung nehmen, die Sie aufgeworfen haben. Ich kann das Problem auf Grund der Tatsache, daß mir der Bericht nicht bekannt ist, heute nicht örtlich fixieren. Ich bin gerne bereit, mir diesen Bericht einmal kommen zu lassen und die Situation dann an Hand dieses Berichts erneut zu überprüfen.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, kann ich Ihrer Antwort entnehmen, daß die Bundesregierung — entgegen Ihrer zuerst gegebenen Mitteilung, daß die Bundesregierung gar nicht zuständig sei — , wenn sie auf Grund des Berichts zu dem Eindruck kommen müssen, daß die Unterbringung dort wirklich katastrophal ist, Verbindung mit der Bayerischen Staatsregierung mit dem Ziel der Besserung dieser Verhältnisse aufnehmen würde?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Über die Zuständigkeitsfrage sind wir uns einig. Die Bundesregierung hat keine Möglichkeit, Einfluß auf die Gestaltung der Unterbringung bei den Ländern zu nehmen, auch bei anderen Bundesländern nicht, und die Bundesländer — alle Bundesländer — würden sich das sicherlich auch verbitten. Aber aus der Erfahrung mit den Bundesländern insgesamt bei der Bewältigung der Asylbewerber-Problematik gehe ich davon aus, daß auch Bayern — wie die anderen Bundesländer — gesprächsbereit ist, wenn es darum geht, Situationen zu verbessern, die verbesserungsbedürftig sind.
Eine Zusatzfrage, Herr Dr. de With.
Herr Staatssekretär, sind Sie nicht der Meinung, daß die Bundesregierung jenseits jeden Kompetenzgerangels dann ihr Wort erheben muß, wenn offenkundig ist, daß dort menschenunwürdige Zustände herrschen und daß Alarm geschlagen werden muß?Spranger, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Dr. de With, nach dem jetzigen Sachstand diskutieren wir abstrakte Probleme, weil die Bayerische Staatsregie-
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7234 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 105. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. November 1988
Parl. Staatssekretär Sprangerrung, das Sozialministerium, uns hat mitteilen lassen, daß sie nach Überprüfung dieser Frage keinen Anlaß hat, hier etwas zu verändern, weil es nach Auffassung der Bayerischen Staatsregierung keine menschenunwürdigen Umstände und Zustände gibt.
Ich rufe die Frage 23 des Herrn Abgeordneten Dr. Hirsch auf:
Ist es zutreffend, daß in diesen Lagern auch die sanitären Verhältnisse nicht nur unzureichend, sondern menschenunwürdig sind?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Spranger, Parl. Staatssekretär: Herr Dr. Hirsch, die Bundesregierung hat keine Hinweise auf unzureichende, menschenunwürdige sanitäre Einrichtungen in Gemeinschaftsunterkünften der Oberpfalz. Sie ist aber gerne bereit, die zuständigen bayerischen Behörden mit dieser Frage zu befassen, wenn konkrete Fälle an sie herangetragen werden.
Zusatzfrage, Herr Dr. Hirsch.
Herr Staatssekretär, indem ich mich wieder auf die Anhörung im bayerischen Landtag beziehe, aus der sich nach dem Bericht von Terre des hommes ergibt, daß sich in oberpfälzer Lagern z. B. 100 Personen sechs Toiletten teilen müssen, daß sich sieben Familien eine Dusche mit zwei Toiletten im selben Raum teilen müssen, daß es einen Waschtag pro Woche gibt und daß es warmes Wasser nur zu bestimmten Zeiten gibt, frage ich Sie: Sind Sie nicht der Meinung, daß diese konkreten Tatbestände auch unter Würdigung bayerischer Verhältnisse nicht als angemessen gelten können?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Es gibt mit Sicherheit keine Sonderkonditionen für Asylbewerber im Freistaat Bayern oder auch in anderen Bundesländern. Ich kann jetzt nicht davon ausgehen, daß die Fakten, die Sie aus einem Bericht zitieren, der Wirklichkeit entsprechen, weil die Einlassung des Bayerischen Staatsministeriums, die mir zugänglich gemacht worden ist, dies nicht bestätigt. Ich bin gern bereit — ich wiederhole das — , an Hand dieses Berichtes die Situation zwar nicht überprüfen zu lassen — das wäre zuviel — , aber eine entsprechende Stellungnahme der zuständigen Behörden einzuholen.
Herr Hirsch, Sie haben noch eine weitere Zusatzfrage.
Ich möchte keine weitere Frage stellen, aber sagen, daß ich darauf zurückkomme.
Herr Wüppesahl, eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, unter der Annahme, daß Sie nicht davon ausgehen, daß der Kollege Hirsch unkorrekte Tatsachenbehauptungen, auch wenn dies in Berichtsform zitiert worden ist,
hier in die Debatte geworfen hat, wäre ich Ihnen doch dankbar, wenn Sie uns die Freude machen würden und uns die Antwort auf die Frage des Kollegen Hirsch, wie Sie die Tatsachen, wenn sie der Wahrheit entsprechen, bewerten würden und zu welchen Maßnahmen sich die Bundesregierung dann veranlaßt sehen würde, zu Ohren kommen lassen könnten.
Spranger, Parl. Staatssekretär: Der Kollege Dr. Hirsch hat keine Behauptungen aufgestellt, die ich zu bewerten habe, sondern er hat einen Bericht zitiert, den ich erst verifizieren muß, um dann bewerten zu können. Abstrakte Bewertungen bitte ich mir nicht zuzumuten.
Ich rufe die Frage 24 des Abgeordneten Dr. Emmerlich auf:
Womit ist der im Oktober 1987 gestellte Asylantrag des aus den Vereinigten Staaten von Amerika in die Bundesrepublik Deutschland eingereisten Boleslav Maikowskis begründet worden?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Spranger, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Dr. Emmerlich, die Bundesregierung sieht aus Gründen des Persönlichkeits- und Datenschutzes davon ab, Einzelheiten über ein laufendes Asylverfahren mitzuteilen.
Eine Zusatzfrage, Herr Dr. Emmerlich.
Herr Staatssekretär, können Sie die Rechtsvorschriften angeben, aus denen sich ergibt, daß Sie die von mir gestellte Frage aus rechtlichen Gründen nicht zu beantworten in der Lage sind?
Spranger, Parl. Staatssekretär: In § 12 Abs. 5 des Asylverfahrensgesetzes steht ausdrücklich, daß die Anhörung nicht öffentlich ist, daß Asylgründe damit nicht öffentlich darstellbar sind, weil sie vertraulich zu behandeln sind. Das entspricht im übrigen den Grundsätzen des UNHCR vom Jahre 1977 und entsprechenden Beschlüssen des Ministerrates des Europarates vom Jahre 1981.
Eine Zusatzfrage, Herr Dr. Emmerlich.
Herr Staatssekretär, darf ich davon ausgehen, daß Sie mir diese Frage, die ich in meinem Schreiben vom 1. November 1988 an Sie gerichtet habe, wenigstens außerhalb der Fragestunde beantworten?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Ich kenne jetzt nicht die genaue Formulierung Ihrer früheren Anfrage, aber ich kann nur sagen: Ich kann Ihnen auch persönlich oder schriftlich nichts über die Gründe des Asylantrags mitteilen, weil auch das ein Bruch der Vertraulichkeit wäre, die gesetzlich festgeschrieben ist.
Dann rufe ich die Frage 25 des Abgeordneten Dr. Emmerlich auf:Warum ist der Asylantrag nicht unverzüglich abschlägig beschieden worden?
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Spranger, Parl. Staatssekretär: Über einen Asylantrag, d. h. darüber, ob ein Ausländer Schutz vor politischer Verfolgung im Sinne des Art. 16 Abs. 2 Satz 2 des Grundgesetzes beanspruchen kann, entscheidet ein insoweit weisungsungebundener Bediensteter des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge. Der Bundesregierung ist eine Einflußnahme auf diese Entscheidungen verwehrt.
Eine Zusatzfrage, Herr Dr. Emmerlich.
Herr Staatssekretär, meine Frage zielte nicht darauf ab, die Bundesregierung zu einer Einflußnahme auf die konkrete Entscheidung in dem genannten Fall aufzufordern, sondern darauf, daß die Bundesregierung von ihrer Möglichkeit Gebrauch macht und ihrer, wie ich meine, bestehenden Verpflichtung Rechnung trägt, auf eine zügige Abwicklung von Asylverfahren Einfluß zu nehmen. Ich erinnere mich sehr gut, daß die Bundesregierung bei Änderung des Asylverfahrensgesetzes als Ziel für eine Verfahrensdauer im Normalfall drei Monate in Zirndorf angenommen und angegeben hat und daß dieser Asylantrag jetzt schon mehr als ein Jahr in Zirndorf schwebt.
Spranger, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Dr. Emmerlich, Sie wissen, daß der auch in diesem Jahr anhaltende starke Zustrom von Asylbewerbern trotz der vielfachen Personalvermehrungen in den letzten Jahren in Zirndorf weiterhin zu langen Bearbeitungsfristen geführt hat, die zum Teil über ein Jahr betragen. Das heißt, die Bearbeitung dieses Asylantrages in dieser Länge entspricht der Situation in Zirndorf. Der Bundesinnenminister hat angesichts der Bestimmungen keine Möglichkeit, sozusagen selektiv das eine Verfahren schneller und das andere in der üblichen Weise entscheiden zu lassen.
Eine Zusatzfrage.
Wenn die Situation hinsichtlich der Zahl der vorliegenden Anträge in Zirndorf so ist, wie Sie sie beschreiben — ich will das zunächst als wahr unterstellen — , besteht dann nicht um so mehr Veranlassung, herauszufinden, wie diese Situation verändert werden kann, damit wir auf eine angemessene Dauer der Verfahren in Zirndorf zusteuern?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Das ist eine gute Überlegung. Wir schöpfen jede Möglichkeit, auch hier im Deutschen Bundestag, aus, zu verfahrensbeschleunigenden Maßnahmen zu kommen. Ich hoffe, daß beispielsweise die Gesetzesvorlage, die hier morgen diskutiert wird, auch die Zustimmung Ihrer Fraktion findet.
Ich rufe die Frage 26 des Abgeordneten Wüppesahl auf:
Trifft es zu, daß der Grenzschutzeinzeldienst des Bundesgrenzschutzes in Flensburg und Gudow unter anderem auf den sogenannten Amtsplätzen des Zolls an den jeweiligen Grenzübergängen nach Dänemark bzw. in die DDR Verkehrsüberwachungsmaßnahmen u. a. mit Kontrollgruppen versieht, ohne daft er dazu eine gesetzliche Ermächtigung hat bzw. im Rahmen des Artikels 35 GG angefordert ist, und wie wird dieser Sachverhalt von der Bundesregierung gesehen und bewertet?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Spranger, Parl. Staatssekretär: Der Bundesgrenzschutz führt im Rahmen der grenzpolizeilichen Kontrolle Verkehrsüberprüfungen in eigener Zuständigkeit durch.
Ausdrückliche einschlägige Aufgabenzuweisungen ergeben sich — ich muß jetzt leider eine Reihe von Bestimmungen nennen — aus § 1 Nr. 3 Buchstabe h des Bundesgrenzschutzgesetzes in Verbindung mit § 103 a des Güterkraftverkehrsgesetzes vom 6. August 1975, zuletzt geändert durch Gesetz vom 9. Juli 1979, aus § 1 Nr. 3 Buchstabe i des Bundesgrenzschutzgesetzes in Verbindung mit Art. 3 des Gesetzes zu dem Europäischen Übereinkommen über die internationale Beförderung gefährlicher Güter auf der Straße vom 18. August 1969 sowie aus § 1 Nr. 3 Buchstabe j des Bundesgrenzschutzgesetzes in Verbindung mit § 5 des Fahrpersonalgesetzes vom 27. Oktober 1976.
Soweit diese Spezialvorschriften nicht eingreifen, folgt die Zuständigkeit des Bundesgrenzschutzes, die Einhaltung der straßenverkehrsrechtlichen Bestimmungen zu überwachen und insbesondere Verkehrskontrollen nach § 36 Abs. 5 der Straßenverkehrsordnung durchzuführen, aus § 1 Nr. 1, § 2 Nr. 2 des Bundesgrenzschutzgesetzes. Die öffentliche Sicherheit und Ordnung im Bundesgebiet, die Schutzobjekt der grenzpolizeilichen Kontrolle gemäß § 2 Nr. 2 des Bundesgrenzschutzgesetzes ist, umfaßt die Sicherheit und Ordnung des Verkehrs.
Zusatzfrage, Herr Wüppesahl.
Das war ein sehr schöner Paragraphensalat, den wir als Antwort bekommen haben. Ich kenne die meisten Paragraphen.
Sind Sie der Auffassung, daß auch nur ein einziger von Ihnen genannter Ermächtigungsgrund in dieser speziellen Situation, also für die Durchführung von Verkehrsüberwachungsmaßnahmen des BGS in Gudow und Flensburg, an den Grenzübergangsstellen als Ermächtigungsgrundlage ausreichen kann?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Zunächst verstehe ich Ihre Bemerkung zum Paragraphensalat überhaupt nicht. Sie haben in Ihrer Frage unterstellt, daß der Bundesgrenzschutz hier praktisch ohne Gesetzesgrundlage tätig ist. Sie müßten es an sich begrüßen, daß der Bundesgrenzschutz auf Grund umfassender gesetzlicher Grundlagen tätig wird und seinen Verpflichtungen auf Grund dieser Gesetze nachkommt.
Sie haben eine weitere Zusatzfrage, Herr Wüppesahl.
Dann mache ich es etwas plausibler. Weshalb wird der eigentlich zuständigen Autobahndienststelle in diesem Grenzbezirk die Durchführung genau dieser Verkehrsüberwachungsmaßnahmen, die zur Zeit vom BGS zumindest am Grenzübergang Gudow vorgenommen werden — wie es in Flensburg ist, weiß ich nicht en detail — , nicht gestattet?
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WüppesahlIm übrigen möchte ich noch den Hinweis geben, daß ich den Paragraphensalat nicht in Frageform erwähnt habe. Ich hätte mir vielmehr gewünscht, daß die Bundesregierung eine Antwort so formuliert, daß — natürlich unter Hinzuziehung von Paragraphen — eine umfassende wörtliche Darstellung dessen, wie sie diese Problemsituation einschätzt, uns zu Gemüte geführt worden wäre.
Habe ich es richtig verstanden, daß Sie die Frage jetzt wiederholt haben?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Ich habe nicht verstanden, was gefragt worden ist.
Der erste Teil meiner zweiten Zusatzfrage ist eigentlich nur die Zusatzfrage als solche, wie Sie uns die Diskrepanz klären können, daß der eigentlich zuständigen Autobahndienststelle der Polizei genau diese Verkehrsüberwachungsmaßnahmen vom Zoll ausdrücklich nicht gestattet werden, wohl aber dem BGS.
Spranger, Parl. Staatssekretär: Ich kann das, was Sie hier in Frageform behaupten, nicht bestätigen. Ich kann nur darauf hinweisen, daß der Bundesgrenzschutz exakt nach Rechtsgrundlagen, die ich zitiert habe, tätig wird. Sein Tätigwerden entspricht auch den Normen, die ich zitiert habe.
Ich habe noch zwei Zusatzfragen vorliegen. Ich hoffe, wir bekommen sie in der nächsten Minute noch hin. — Herr Dr. Hirsch.
Herr Staatssekretär, ich gestehe, daß ich Ihre Antwort einfach nicht verstanden habe. Wären Sie in der Lage, das, was Sie als Antwort verlesen haben, einmal in freier Rede so zu wiederholen, daß man es versteht?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Herr Dr. Hirsch, das ist sehr schwierig, weil das hier sehr ausführliche Bestimmungen sind, die beispielsweise in § 1 des Bundesgrenzschutzgesetzes im einzelnen aufgeführt sind. Die Einzelbestimmungen füllen eine Fülle von Seiten, die vorzulesen sicherlich den Rahmen der Fragestunde weit sprengen würde.
Zusatzfrage des Abgeordneten von Schmude.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Staatssekretär, können Sie bestätigen, daß es gerade im Bereich des Grenzübergangs Gudow und zum Teil auch weiter südlich eine Vielzahl von Fällen gibt, wo Fahrzeuge insbesondere aus Ostblockländern wegen abgefahrener Reifen, Achsbrüchen oder anderer schwerster Mängel eine Gefahr für die Sicherheit in der Bundesrepublik Deutschland darstellen, und daß der Bundesgrenzschutz hier eine besondere Aufgabe hat, Gefahrenabwehr an der Grenze zu betreiben?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Ich kann Ihnen bestätigen, daß die Mängel, die Sie zitiert haben, tatsächlich in ganz enormem Maße auch die Angehörigen des Bundesgrenzschutzes fordern.
Wir sind damit am Ende der Fragestunde. Ich danke dem Staatssekretär für die Beantwortung der Fragen * ).
Ich rufe Punkt 8 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Haftung für fehlerhafte Produkte
— Drucksache 11/2447 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Rechtsausschuß
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit
Meine Damen und Herren, nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Beratung 30 Minuten vorgesehen. Gibt es dazu andere Meinungen? —Das ist nicht der Fall. Dann ist das so beschlossen.
Ich gebe dem Herrn Minister das Wort zu der Einführung des Gesetzes.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit diesem Entwurf setzen wir die entsprechende Richtlinie der Europäischen Gemeinschaft in unser Recht um. Im Kern geht es darum, in einer Zeit, in der wir alle Konsumenten einer großen Fülle von Produkten sind, auch in unserem Recht die Verschuldenshaftung zu einer Gefährdungshaftung zu erweitern.
Ersatzansprüche der Verbraucher werden damit leichter durchsetzbar sein, ohne daß sich das Haftungsrisiko des Produzenten nennenswert erhöht. Schon bisher hat die Rechtsprechung ja in der Regel dem Hersteller die Beweislast für fehlendes Verschulden auferlegt. Diese Beweislastumkehr wirkt sich in der Praxis schon jetzt wie eine verschuldensunabhängige Haftung aus. Aber Änderungen werden sich deshalb in den Fällen ergeben, in denen dem Hersteller der allerdings schwierige Beweis, ihn treffe kein Verschulden, gelungen wäre.Neben dem Hersteller soll künftig — dies ist ein sehr wichtiger Punkt — auch der Importeur haften, der Waren von außerhalb der Europäischen Gemeinschaft einführt. Dies dient zunächst dem Schutz des Verbrauchers, dem es oft unüberwindliche Schwierigkeiten bereitet, einen außerhalb der Europäischen Gemeinschaft ansässigen Produzenten in Anspruch zu nehmen. Die Regelung wirkt aber auch wettbewerbsentzerrend. Vor allem bei Importen aus sogenannten Billigländern wird das erhöhte Haftungsrisiko des Importeurs dessen wirtschaftliche Vorteile ganz erheblich reduzieren.*) Die Fragen 31 und 32 des Abgeordneten Urbaniak wurden vom Fragesteller zurückgezogen. Die nicht erledigten Fragen wurden schriftlich beantwortet und sind als Anlagen abgedruckt.
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Bundesminister EngelhardIm übrigen haben wir von dem Gestaltungsspielraum der Richtlinie Gebrauch gemacht. Auch künftig wird es deshalb im Produkthaftungsrecht keine Haftung für Entwicklungsfehler geben. Sie wirken sich in der Praxis nur im pharmazeutischen Bereich spürbar aus. Aber dort sind sie ja durch das deutsche Arzneimittelrecht bereits in befriedigender Weise geregelt.Die Haftungshöchstgrenze von 160 Millionen DM wird den Haftenden vor unbeschränkter Haftung schützen und ihm die Versicherung des Haftungsrisikos ermöglichen. Gleichzeitig entspricht die Haftungsbeschränkung deutscher Rechtstradition bei der Gefährdungshaftung. Angesichts der Höhe der Haftungsbegrenzung ist kein Fall praktisch denkbar, in dem dem Geschädigten nicht ausreichender Schadenersatz gewährt werden kann.Ein Schmerzensgeld ist in dem Gesetzentwurf nicht vorgesehen; denn ein solches wird nach deutschen Rechtsgrundsätzen bei der Gefährdungshaftung nicht gewährt. Aber mit allem Nachdruck, um Mißverständnisse auszuschließen, sage ich hier: Der Geschädigte kann natürlich auch in Zukunft wie schon bisher bei Verschulden ein Schmerzensgeld nach den Bestimmungen des Bürgerlichen Gesetzbuches geltend machen.Nicht einbezogen haben wir in diesen Entwurf die Erzeuger landwirtschaftlicher Urprodukte, weil sie vor der ersten Verarbeitung dieser Produkte nur bedingt auf das Produkt Einfluß nehmen können. Hier werden die Verbraucher dadurch ausreichend geschützt, daß diese Produkte im bearbeiteten Zustand der Haftung unterliegen. Auch die Haltung der übrigen Mitgliedstaaten der EG stimmt hiermit überein.Meine Damen und Herren, insgesamt wird sich der Verbraucherschutz durch das Produkthaftungsgesetz verbessern. Dies wird weder ein schlagartig erhöhtes Risiko der betroffenen Unternehmen noch wesentlich höhere Kosten in Form von Versicherungsprämien, die ja dann ohnehin wieder auf die Verbraucher abgewälzt würden, mit sich bringen. Unser Produkthaftungsgesetz wird vielmehr zu angemessenen Ergebnissen führen, mit denen Verbraucher und Produzenten gut fahren werden.
Das Wort hat der Abgeordnete Stiegler.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit diesem Gesetzentwurf ist eine lange Vorarbeitszeit abgeschlossen worden. Ich glaube, wir sollten an dieser Stelle auch einmal wieder an diejenigen denken, die schon seit Jahrzehnten an dem Thema Produkthaftung gearbeitet haben. Ich möchte von unserer Seite vor allem Herrn Professor Taschner nach Brüssel einen herzlichen Dank senden,
aber auch unsere Kolleginnen Herta Däubler-Gmelinund Dr. Anke Martiny nicht vergessen, die schon inder sozialliberalen Koalition — der Beifall war völligberechtigt, Herr Kleinert — die Vorarbeiten mit vorangetrieben haben.
Der Herr Minister hat deshalb zu Recht einen gewissen Fortschritt für die Verbraucher dargestellt; diesen bejahen wir. Aber wir sehen auch die Lücken, über die wir im Unterausschuß Produkthaftung, im Rechtsausschuß und auch mit den sachverständigen Kreisen noch einmal intensiv reden wollen.Wir haben zunächst, was die Produkte betrifft, die Ausnahme für die landwirtschaftlichen Produkte. Diese Ausnahme scheint uns nicht gerechtfertigt zu sein, und wir sind uns auch nicht sicher, ob sie für die betroffenen Landwirte nicht ein Danaergeschenk sein wird; denn die Ernährungsindustrie, die die Vorprodukte verarbeitet, wird sich über Anbauverträge entsprechend absichern. Da ist eine gesetzliche Absicherung für die betroffenen Landwirte möglicherweise interessengerechter, weil sie bei den Anbauverträgen in aller Regel auf der schwächeren Seite sitzen. Wir sollten darüber im Ausschuß noch einmal gründlich reden.Zum Zweiten, was den Fehlerbereich anbetrifft: Der Ausschluß der Entwicklungsrisiken ist von der europäischen Richtlinie her nicht geboten. Wir können den Ausnahmebereich machen, müssen aber nicht. Andere Länder kennen die Haftung für Entwicklungsrisiken.Gerade aus Ihrem Argument, Herr Minister, daß im Bereich der pharmazeutischen Industrie das Entwicklungsrisiko abgesichert ist — Sie selber sagen, damit habe man die Masse der Fälle geregelt — , ohne daß die pharmazeutische Industrie daran zugrunde gegangen wäre, kann man a maiori ad minus schließen, daß auch die übrige Wirtschaft sehr wohl mit dem Entwicklungsrisiko leben kann. In einer Zeit, in der die industrielle Betätigung immer mehr Akzeptanzschwellen zu überwinden hat, sollten wir gründlich darüber reden, ob es gerade jetzt sinnvoll erscheint, das Entwicklungsrisiko auf den Endverbraucher zu wälzen — darum geht es — , während die Hersteller und die Importeure mit relativ geringen Versicherungssummen — Sie haben ja selber das Problem bagatellisiert — in der Lage wären, dem Endverbraucher den entsprechenden Schutz zu geben. Auch darüber sollten wir miteinander reden.Die dritte Lücke — Sie haben es angesprochen — betrifft das Schmerzensgeld. Sie haben recht, wenn Sie sagen: Bisher kennt die Gefährdungshaftung kein Schmerzensgeld. Aber wer die Rechtswissenschaft, wer die dogmatische Diskussion verfolgt, der sieht, daß zunehmend ein Bedarf bejaht wird, auch im Bereich der Gefährdungshaftung Schmerzensgeldtatbestände zu schaffen; schon deshalb, um diese Zweispurigkeit etwas einzuengen.Sie haben selbst darauf hingewiesen, daß im Bereich der verschuldensabhängigen Haftung das Schmerzensgeld gewährt wird. Also wird jeder Verbraucher gezwungen sein, zwei Anspruchsgrundlagen aufzubauen, nämlich den Gefährdungstatbestand und die verschuldensabhängige Haftung, und wird natürlich in dem zweiten Bereich sein Recht suchen.
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StieglerDas trägt nicht gerade zur Vereinfachung des Rechtsschutzes bei.Wenn wir sozusagen den Trend zur Entlastung der Gerichte weiterverfolgen sollten, sollten wir wirklich an Hand der Aufarbeitung der wissenschaftlichen Literatur prüfen, ob wir nicht dazu übergehen sollten, hier erstmalig auch einen Schmerzensgeldanspruch zu gewähren.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Kleinert ? — Bitte schön, Herr Kleinert.
Herr Stiegler, ist es nicht so, daß Schmerzensgeld als Ausgleich für eine erlittene Pein nach unserem Rechtsgefühl, wie es in Jahrhunderten — um nicht zu sagen: in Jahrtausenden — gewachsen ist, davon abhängt, ob diese Pein verschuldet zugefügt worden ist, und ist neumodische Diskussion, auf die Sie Bezug nehmen, nicht darauf zurückzuführen, daß wir einen Trend haben, Geld zu nehmen, Ersatzansprüche zu stellen, woher sie auch immer kommen und wie sie auch immer begründet werden können?
Herr Kollege Kleinert, Sie haben von der rechtsdogmatischen Entwicklung her recht. Nur, der Justizminister hat eben selbst deutlich gemacht, daß unser geltendes verschuldensabhängiges Recht faktisch schon über die Beweisregelung zur Gefährdungshaftung geführt hat. Dem Verbraucher den Unterschied begreiflich zu machen, daß er in dem einen Fall auf einem komplizierten dogmatischen Umweg Schmerzensgeld bekommt und im anderen Falle nicht, wird uns nicht gelingen.Ich glaube, es kommt noch ein Weiteres hinzu. Wir haben es in der Rechtsgeschichte bisher sehr stark mit Einzelproduktentwicklungen zu tun gehabt und haben die individuelle Zurechnung für eine vorwerfbare Handlung mit Schmerzensgeld abgegolten. Aber in der modernen Gesellschaft ist die Entwicklung von Massenprodukten, die sozusagen alle Verbraucher tangiert, der individuellen Verantwortung völlig entglitten und darum mit der Gefährdungshaftung sozusagen aufzufangen. Der gesellschaftliche Tatbestand hat sich also gewandelt. Dem sollte auch unser Recht folgen.Ich komme noch einmal darauf zurück. Der Minister sagt selber: Wir haben praktisch Gefährdungshaftung im Gewande der schuldrechtlichen Haftung. Warum sind wir nicht konsequent und vollenden das dann auch wirklich rechtsdogmatisch und gehen den Schritt weiter?Ein weiterer Punkt betrifft den Höchstbetrag. Der Minister hat mit Recht darauf hingewiesen, daß der Höchstbetrag kaum erreicht werden wird. Dann frage ich aber: Warum brauchen wir den Höchstbetrag? Warum erwecken wir den Eindruck, als ob wir hier kürzen wollten?Diese Bereiche wollen wir im Rechtsausschuß gründlich erörtern. Unsere Fraktion weiß genauso, daß man die Wirtschaft nicht überfordern kann, und wir wollen sie auch nicht überfordern. Wir wissen aber genauso, daß die deutsche Wirtschaft, exportorientiertwie sie ist, mit dem wesentlich schärferen amerikanischen Produkthaftungsrecht zurechtkommt. Da stellt sich wie bei anderen Dingen die Frage: Wieso geht es in Amerika, ohne daß die Wirtschaft untergeht und ohne daß die Exporterfolge ausbleiben, aber bei uns geht es nicht? Das müssen wir mit den Vertretern der Wirtschaft sehr gründlich erörtern.Wir müssen auch Rechtsvergleiche anstellen, was andere europäische Staaten machen. Wir wollen keine Sonderbelastungen. Aber ich glaube, es steht den deutschen Produkten gut an, wenn ein gutes Verbraucherschutzrecht hinter ihnen steht. Das wird ein deutlicher Qualitätsausweis sein.Deshalb sagen wir: Wir wollen das mit den Sachverständigen gründlich in einer Anhörung im Rechtsausschuß erörtern, und wir wollen in der bewährten Dialogfähigkeit, Herr Kleinert, die wir entwickelt haben, diese Probleme angehen.Ich möchte noch einen dritten Bereich ansprechen, den wir in dieser Debatte möglicherweise nicht werden lösen können, der zumindest weiter bedacht werden muß; das betrifft die Überschneidungen zwischen Produkthaftung und Umwelthaftung.Unsere Umweltpolitiker haben mit einer gewissen Berechtigung gebeten, daß man den Umweltausschuß mitbeteiligt, damit diese Frage mit erörtert werden kann. Ich glaube zwar nicht, daß wir im Zuge der Umsetzung, bei der wir schon jetzt in Zeitverzug sind, dazu kommen. Die Aufarbeitung dieser Fragen wird uns aber durchaus weiterführen.Wir legen Wert darauf, daß diese Fragen der Abgrenzung zwischen Produkthaftung und der Folgehaftung im Abfallbereich und im Entsorgungsbereich erörtert werden, und sei es auch nur zu Abgrenzungszwecken. Ich beantrage deshalb, daß der Umweltausschuß und der Agrarausschuß mitberatend eingeschaltet werden. Wir reden ja auch über die landwirtschaftlichen Produkte. Auch hier sollen die Betroffenen Gelegenheit haben, sich zu ihren Belangen und ihren Anliegen äußern zu können.Meine Damen und Herren, wir haben es hier wieder einmal mit der Umsetzung einer europäischen Richtlinie zu tun, die wir nicht mehr entscheidend gestalten können. Aber im Gegensatz zu anderen Fällen haben wir hier die Möglichkeit, es besser zu machen, als es die Bundesregierung gemacht hat. Die europäische Richtlinie gibt uns kein Zwangskorsett; die Bundesregierung hat praktisch den Mindeststandard ohne jede Ausstattung als Produkthaftungsgesetz vorgelegt. Alle Optionen zugunsten der Verbraucher sind nicht wahrgenommen worden.Wir wollen mit Ihnen gründlich darüber reden, ob man das Gesetz nicht anreichern kann, und zwar im Interesse der Verbraucher, aber auch im wohlverstandenen Interesse der Wirtschaft, die auch damit Reklame machen kann, daß ihre Produkte eine entsprechende Absicherung im Haftungsbereich hinter sich haben.Ich sage noch einmal zum Thema Entwicklungsrisiko: Wir haben die Akzeptanzdiskussion in der Bevölkerung, und wir müssen uns mit der Frage auseinandersetzen, ob es wirklich akzeptabel ist, daß die
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StieglerEntwicklungsrisiken auf die Verbraucher überwälzt werden. Wenn wir eine Regelung finden, ohne daß die Wirtschaft überfordert wird — dazu gibt es ja Vorschläge — , dann sollten wir dieses wegnehmen, um damit ein Stück mehr Akzeptanz in Richtung Industriegesellschaft zu erhalten und, wenn es sein muß, neu zu entwickeln.Vielen Dank.
Ich würde Sie nicht gern entlassen, Herr Kollege Stiegler, ohne daß Sie mir erklärt haben, was „a priori ad minus" heißt.
— Danke schön. Hier lernt man immer dazu; gerade dann, wenn man in Latein eine Fünf gehabt hat.
Herr Hörster ist der nächste.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Schon im Vorfeld der Beratungen zu dem Entwurf des Produkthaftungsgesetzes ist es zu sehr unterschiedlichen Auffassungen gekommen. Die einen haben die Auffassung vertreten — insbesondere das Handwerk und die Landwirtschaft — , daß dieses Produkthaftungsgesetz nicht eingrenzbare Haftungsrisiken verursache; die anderen, die Verbraucherverbände, haben angemerkt, daß der Gesetzentwurf die nach der EG-Richtlinie möglichen Optionen nicht in vollem Umfang ausschöpfe.
Beide Positionen übersehen aber, daß wir heute schon durch richterliche Rechtsfortbildung, also durch die Rechtsprechung zur Produzentenhaftung, einen sehr weit reichenden Verbraucherschutz erreicht haben. Der Bundesgerichtshof hat durch seine letzten Entscheidungen, zum Beispiel im Honda-Fall und im Limonadenflaschen-Fall, nicht nur die Sorgfaltspflichten der Produzenten gegenüber dem Verbraucher erheblich ausgeweitet, sondern sogar die Vermutung zugelassen, daß der Schaden durch ein fehlerhaftes Produkt verursacht sei. Im Ergebnis führt dies praktisch dazu, daß für die Inanspruchnahme des Produzenten dem Grund nach kaum noch ein Unterschied zwischen der Verschuldenshaftung und der Gefährdungshaftung festzustellen ist.
Darüber hinaus kennt die deutsche Rechtsprechung anders als der Entwurf des Produkthaftungsgesetzes keine Haftungsobergrenze von 160 Millionen DM, auch keinen Selbstbehalt des Verbrauchers in Höhe von 1 125 DM. Des weiteren billigt die deutsche Rechtsprechung dem Verbraucher ein Schmerzensgeld zu.
Damit die Erwartungen nicht in die falsche Richtung gehen, sage ich ganz nachdrücklich: Es ist im Interesse des Verbrauchers gut, daß das in Deutschland praktizierte Recht der Produzentenhaftung durch das neue Produkthaftungsgesetz nicht abgelöst, sondern nur ergänzt wird.
Um das an einem aktuell diskutierten praktischen Beispiel deutlich zu machen: Wer Hormonkälber oder
sonstige landwirtschaftliche Produkte, die beim Verbraucher Gesundheitsschäden hervorrufen können, in den Verkehr bringt, haftet schon nach heutigem Recht für den verursachten Schaden, und zwar unbegrenzt.
In Deutschland wird das Produkthaftungsgesetz nach meiner Einschätzung in einem wesentlichen Punkt eine entscheidende Verbesserung des Verbraucherschutzes bringen: Dem geschädigten Verbraucher gegenüber haftet künftig nicht nur derjenige, der das fehlerhafte Produkt hergestellt hat, sondern auch derjenige, der das Produkt als Importeur oder Händler aus Drittländern in den Bereich der Gemeinschaft eingeführt hat. Das ist besonders deswegen wichtig, weil die Verbraucher künftig, wenn sie einen Schaden geltend machen, nicht mehr darauf verwiesen werden, eventuell in den USA oder in Fernost zu klagen. Sie können sich an jemanden halten, der sich im Geltungsbereich der Europäischen Gemeinschaft befindet, nämlich an den Importeur oder den Händler. Ich meine, das ist ein Fortschritt auch unter dem Gesichtspunkt der Wettbewerbsverzerrung. Denn es haftet nicht mehr nur der inländische Produzent, sondern auch der Importeur wird mit einem Haftungsrisiko belastet.
Aber gerade unter diesem Gesichtspunkt melde ich Zweifel an, ob der Haftungsausschluß für die landwirtschaftlichen Naturprodukte und jagdliche Erzeugnisse so, wie er im Gesetzentwurf vorgesehen ist, richtig durchdacht ist. Dieser Haftungsausschluß könnte nämlich die Wirkung haben, daß Importeure von landwirtschaftlichen Naturprodukten oder jagdlichen Erzeugnissen aus Drittländern gegenüber den deutschen Landwirten begünstigt werden. Während nämlich der deutsche Landwirt seine Erzeugnisse nach den im internationalen Vergleich durchaus strengen deutschen Vorschriften gewinnen muß und infolgedessen das praktische Risiko einer Haftung ausgesprochen gering ist, werden die unter weniger strengen Vorschriften in Drittländern erzeugten landwirtschaftlichen Naturprodukte von einer Haftung freigezeichnet, weil man den Importeur nicht belangen kann, wenn es bei diesem Haftungsausschluß bleibt.
Ich meine, das kann weder im Interesse des Verbrauchers noch im Interesse der deutschen Landwirtschaft sein. Ich finde, daß diese Position überdacht werden muß, und bin deshalb dem Kollegen Stiegler für den Vorschlag sehr dankbar, den Agrarausschuß und auch den Umweltausschuß in die Beratungen einzubeziehen, damit wir mit den Kollegen, insbesondere aus dem Bereich der Landwirtschaft, diesen Sachverhalt gründlich erörtern können.
Ansonsten erscheint der Gesetzentwurf auch im Rahmen dessen, was der Wortlaut der EG-Richtlinie zuläßt, ausgewogen. Ich bin sicher, daß nach Abschluß der Beratung ein Gesetz verabschiedet wird, das den Schutz der Verbraucher ausdehnt und — darauf lege ich Wert — eine gute Ergänzung des bisherigen deutschen Rechts der Produzentenhaftung ist.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Daniels .
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7240 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 105. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. November 1988
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn wir hier über die Produzentenhaftung und nicht etwa über Produkthaftung — denn Produkte können nicht haften — diskutieren, so stellt sich zunächst einmal die Frage, wie dieses Instrument in ein Verbraucher/innen-Schutzkonzept eingebettet ist. Nach unseren Vorstellungen heißt Verbraucherschutz, daß einzelne Verbraucher und Verbraucherinnen durch ein Bündel von Maßnahmen vor Schäden bewahrt werden sollen, die aus der Unübersichtlichkeit des Marktes, aus Täuschungsmethoden von Anbietern und aus Nebenwirkungen des Konsums resultieren. Mit anderen Worten: Verbraucher sollen vor den negativen Auswirkungen marktwirtschaftlicher Machtstrukturen geschützt werden.
Legt man diese Maßstäbe an diese Gesetzesinitiative an, läßt sich feststellen, daß es nicht um eine Stärkung der Verbraucherinteressen ging, sondern daß es der Bundesregierung in erster Linie um die Frage geht, wie die unternehmerischen Pfründe weiter gesichert werden können.
Halten wir uns die Fälle der Holzschutzmittelgeschädigten vor Augen, die in der Vergangenheit eines der prägnantesten Beispiele der Produzentenhaftung bildeten, und fragen wir, ob die Geschädigten wenigstens nach dem vorliegenden Gesetzentwurf ihre Schadenersatzansprüche durchsetzen könnten. Um die Antwort vorwegzunehmen: Sie werden ihre Schäden auch nach diesem Gesetz nicht geltend machen können. Die Verbraucher müssen auch weiterhin den vollen Kausalitätsnachweis erbringen, daß ihre Gesundheitsschäden durch Holzschutzmittel verursacht wurden. Und gerade dieser Kausalitätsnachweis konnte in der Vergangenheit von den Geschädigten oftmals nicht geführt werden, weil z. B. Dioxine oder Dibenzofurane auch in anderen chemischen Produkten enthalten sind.
Zwar legt die EG-Richtlinie eindeutig die Beweisverteilung zu Lasten der Produktgeschädigten fest, jedoch trifft die Richtlinie keine Regelung hinsichtlich des Beweismaßes. Hier hätte die Bundesregierung die Möglichkeit gehabt, durch generelle Beweismaßreduzierungen erhebliche Beweiserleichterungen für die Produktgeschädigten festzuschreiben.
Selbst wenn der Kausalitätsnachweis geführt werden kann, können sich die Hersteller dieser Produkte darauf berufen, daß die Schäden auf Entwicklungsfehlern beruhen, wenn der Hersteller beweist, daß zum Zeitpunkt der Schädigung keine Anhaltspunkte vorgelegen haben, die auf die Gefährlichkeit der Produkte hingewiesen hätten, haftet er nicht. Da die Wirtschaft das Informationsmonopol über ihre Produktentwicklungen hat, wird es ihr ein Leichtes sein, diesen Nachweis zu führen. Die Geschädigten müssen dann ihrerseits wieder Sachverständige suchen, die vielleicht am anderen Ende der Welt Forschungsergebnisse veröffentlicht haben, die bereits beim Inverkehrbringen der Produkte auf die Gefährlichkeit hingewiesen haben.
Die Bundesregierung hat es auch versäumt, was nach der EG-Richtlinie sogar möglich gewesen wäre,
Entwicklungsrisiken in die Haftung einzubeziehen. Man muß sich vor Augen führen, was diese Haftungsfreizeichnung für Entwicklungsfehler eigentlich bedeutet: Industrielle Hersteller können wahllos ihre Produkte auf den Markt bringen und weiterhin an der Bevölkerung austesten, ohne daß sie für die Gefährlichkeit ihrer Produkte in Regreß genommen werden könnten.
Ein weiterer Hauptkritikpunkt an dem Regierungsentwurf ist die Festschreibung einer Haftungshöchstgrenze, wie eben schon vom Kollegen Stiegler erwähnt. Wie schnell diese Haftungshöchstgrenze überschritten werden kann, zeigen die in der Vergangenheit bekanntgewordenen Zuckertee-Fälle. Hier erlitten Kinder durch gezuckerten Tee schwere Zahnschädigungen. Nach Schätzungen gibt es derzeit allein in der Bundesrepublik und in West-Berlin ca. 100 000 erkrankte Kinder. Gutachten der Vergangenheit haben ergeben, daß die bloßen zahnärztlichen Behandlungskosten pro Kind zwischen 10 000 und 30 000 DM liegen. Rechnet man das hoch, ergibt sich im günstigsten Fall eine Summe von 1 Milliarde DM.
Will man einen umfassenden Verbraucher/innenschutz, muß gewährleistet sein, daß die Geschädigten auch vollen Schadenersatz erhalten und nicht mit einer Quote abgespeist werden.
Auch hier bestand für die Bundesregierung die Option, auf eine Haftungshöchstgrenze zu verzichten.
Diese Zuckertee-Fälle haben auch gezeigt, wie wichtig es ist, bei Produktschäden Schmerzensgeldansprüche zu gewähren. Bei diesen Zuckertee-Fällen bilden die reinen Zahnerkrankungen nur ein Schadensbild. Neben den Zahnerkrankungen litten die geschädigten Kinder jahrelang unter unsagbaren Dauerschmerzen und trugen schwere psychische Schäden davon. Auch hier hätte für die Bundesregierung die Möglichkeit bestanden, über die EG-Richtlinien hinaus Schmerzensgeld bei den Produktschädigungen zu gewährleisten.
Die Festschreibung der Haftungshöchstgrenzen, der Ausschluß der Haftung bei Entwicklungsgefahren und von Schmerzensgeld und fehlende Beweiserleichterungen sind nach unserer Auffassung die Hauptkritikpunkte an diesem Gesetzentwurf und ein Beleg dafür, daß sich die Bundesregierung zum Sachwalter wirtschaftlicher Interessen macht. Neben diesen erwähnten Punkten gibt es eine Fülle weiterer Kritikpunkte, die dann noch im Ausschuß behandelt werden. Ich kündige auch an, daß die GRÜNEN zu diesem Thema noch einmal einen eigenen Antrag einbringen werden.
Danke schön.
Das Wort hat der Abgeordnete Irmer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich treffe mit dieser Gesetzesvorlage ein altes liebgewordenes Baby wieder, ich war nämlich mit der Sache vor neun Jahren schon im Europäischen Parla-
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 105. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. November 1988 7241
Irmerment befaßt. Wir haben damals genau für die beiden Punkte gekämpft, die hier jetzt von der Opposition kritisiert werden. Wir haben uns nämlich dafür eingesetzt, daß Entwicklungsrisiken ausgeschlossen werden und daß kein Schmerzensgeld gezahlt wird. Was damals richtig war, ist heute nicht minder richtig. Ich will das kurz begründen.Man kann es natürlich so machen wie die GRÜNEN, daß man eine wesentliche Verbesserung des Verbraucherschutzes, die wir hier haben, nur noch bejammert. Sie jammern ja selbst dann, wenn man Ihnen die tollsten Sachen bietet.
Dann sagen Sie, das sei alles fürchterlich. Mir sind ja fast die Tränen gekommen bei Ihren Ausführungen. Sie wollen den Bürger von der Wiege bis zur Bahre in Watte packen und ihm Ansprüche geben, die er nicht beweisen muß.
Sie wollen von vornherein sagen können: Da soll erst einmal der Hersteller beweisen, daß er es nicht war. Sie kehren damit nicht nur unser ganzes Rechtssystem um, wenn Sie es so machen, sondern Sie leisten auch dem Verbraucher einen Bärendienst. Denn wenn Sie Entwicklungsrisiken einbeziehen, d. h. einen Hersteller für einen Schaden haften lassen, der bei Herstellung des Produkts überhaupt noch nicht absehbar war, den nicht nur dieser Hersteller nicht kennen konnte, sondern den kein Mensch auf der Welt, kein Wissenschaftler erkennen konnte, dann führen Sie hier einen Haftungstatbestand ein, der wirklich abenteuerlich ist.
Das muß doch auch in den Preis eingehen. Es muß für die Hersteller kalkulierbar bleiben. Wenn wir solche Haftungstatbestände einführen, geht das in den Preis ein. Das schadet dann erst den Verbrauchern, weil die Verbraucher sich ein solches Produkt dann nicht mehr leisten können.Das Hauptargument gegen die Entwicklungsrisiken im Haftungsrecht: Dies wäre innovationsfeindlich. Sie würden dadurch verhindern, daß sich überhaupt noch jemand hinsetzt und forscht und entwikkelt und sagt, wir bemühen uns darum, daß neue Produkte eingeführt werden. Das ist also Unsinn.Jetzt zum Schmerzensgeld. Herr Kollege Stiegler, ich bin da mit Ihnen nicht einverstanden. Schauen Sie doch in die USA. Wenn wir das Schmerzensgeld hier einführen, haben wir das Risiko vor uns, daß dies in der Rechtsprechung ähnlich ausufert, wie es in den USA der Fall ist. Dort haben wir doch Riesenprobleme. Man macht sich in den USA jetzt Gedanken darüber, wie man die exzessive, die ausufernde Rechtsprechung zu diesen Produkthaftungsschäden reduzieren kann, damit das Risiko für die Hersteller kalkulierbar bleibt.Es ist ein guter Gedanke, die beiden Ausschüsse, die Sie erwähnt haben, zu den Beratungen hinzuziehen. Weiterhin ist es ein guter Gedanke, noch einmal darüber nachzudenken, wie es mit den landwirtschaftlichen Naturprodukten ist. Ich glaube nämlich, daß man hier möglicherweise nicht genug bedacht hat, daß man den Landwirten in Deutschland gar nicht hilft, daß man aber praktisch den Importeuren einen Freibrief erteilt und damit genau das Gegenteil von dem erreicht, was man wollte. Darüber werden wir uns im Ausschuß sicher noch unterhalten müssen.Meine Damen und Herren, um die Zeit nicht zu überziehen, möchte ich eine abschließende Bemerkung machen. Mir tut eines leid, Herr Justizminister, nämlich, daß man nicht den Versuch gemacht hat, diese Neuregelungen in das BGB hineinzupacken. Ich finde es sehr bedauerlich, auch für die Übersichtlichkeit unserer Rechtsordnung, daß man immer neue Spezialgesetze schafft. Das ist selbst für Anwälte schwierig, aber der Durchschnittsbürger weiß dann gar nicht mehr, wo er nachschauen soll. Ich plädiere hier ganz generell und nachhaltig dafür, derartige Verbesserungen am Gesetz in Zukunft ins BGB hineinzunehmen.Im übrigen freuen wir uns darüber, daß der Gesetzentwurf jetzt vorliegt. Wir halten ihn, abgesehen von diesen kleinen Punkten, für außerordentlich gelungen. Der Verbraucher wird wesentlich bessergestellt. Die Wirtschaft wird nicht mit unkalkulierbaren zusätzlichen Risiken befrachtet.Herzlichen Dank.
Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird vorgeschlagen, den Gesetzentwurf der Bundesregierung an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Außerdem soll der Gesetzentwurf zur Mitberatung an den Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit überwiesen werden. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge?
— Gibt es da Einigkeit unter allen: auch Landwirtschaft? Der steht nicht in der Tagesordnung. — Einverständnis von allen Seiten. Es wird also auch die Überweisung zur Mitberatung an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten vorgeschlagen. Es gibt keine anderen, darüber hinausgehenden Vorschläge mehr? — Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe nun den Zusatzpunkt 1 der Tagesordnung auf :
Aktuelle Stunde
Die Förderung der Fusion von Daimler-Benz
mit MBB durch die Bundesregierung
Die Fraktion der SPD hat gemäß unserer Geschäftsordnung eine aktuelle Stunde zu diesem Thema verlangt. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Roth.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Heute ist ein schwarzer Tag für die Wirtschaftsordnung der Bundesrepublik Deutschland.
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7242 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 105. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. November 1988
RothMit staatlicher Hilfe wird die größte Unternehmensfusion in der Bundesrepublik seit dem Zweiten Weltkrieg zwischen Daimler-Benz und MBB beschlossen.Wir haben diese Aktuelle Stunde beantragt, um vor der deutschen Öffentlichkeit festzuhalten, was diese Entscheidung für uns bedeuten wird. Hauptinitiator dieser Mammutfusion ist die Bundesregierung und, so unglaublich es auch klingen mag, der für die Wahrung des Wettbewerbs zuständige Bundeswirtschaftsminister. Ohne gigantische Finanzhilfen gäbe es diese Fusion nicht. Ohne die Sondergenehmigung des Bundeswirtschaftsministers wäre diese Fusion unmöglich. Das ist ein Verstoß gegen den Sinn und den Geist des Kartellgesetzes,
des Kartellgesetzes, das man oft als Grundgesetz der Wirtschaftsordnung der Bundesrepublik Deutschland bezeichnet hat.Mit den heutigen Entscheidungen geht ein Stück Nachkriegsgeschichte zu Ende. Zum erstenmal wird in der Bundesrepublik Deutschland ein marktbeherrschender Rüstungskonzern geschaffen, der einen bestimmenden Einfluß auf die Politik haben wird. Dieser Konzern kontrolliert letztlich alle bedeutenden Rüstungsprojekte in den 90er Jahren und darüber hinaus alle Projekte der Raumfahrt und der zivilen Luftfahrt. Dabei sind das Projekte, die jeweils nur dadurch stattfinden, daß öffentliche Finanzhilfe in Milliardenhöhe gezahlt wird.
Es kommt damit zu einer völligen Verschmelzung der Interessen eines Unternehmens und der Interessen des Staates. Es ist eine pure Illusion, zu glauben, daß die Subventionszusage, die heute für Airbus im Raum steht, das letzte Wort sein wird. Wenn beispielsweise der Dollarkurs weiter sinken sollte, wird Daimler Nachforderungen stellen und mit dem Ausstieg drohen. Der Staat selbst hat sich erpreßbar gemacht.Es kommt ein Weiteres hinzu. Mit dieser Entscheidung geben Sie den Startschuß für einen Handelskonflikt mit den USA. Es ist sicher, daß die Protektionisten in den USA diese Entscheidung für ihre ureigensten Zwecke mißbrauchen werden.
Der Bundeswirtschaftsminister hat bereits angekündigt, daß er eine Sondererlaubnis für diese Fusion geben wird. Diese Mißachtung der Bundesregierung gegenüber dem gesetzlichen Auftrag der Monopolkommission und des Kartellamts ist bisher ohne Beispiel. Sie ist gegen die Idee des Wettbewerbs. Was sagt eigentlich der Nachfolger von Herrn Bangemann, Herr Haussmann, der sich immer als Mittelstandspolitiker bezeichnen läßt, zu dieser Entscheidung seines Vorgängers?
Meine Damen und Herren, ich zitiere aus dem „Handelsblatt" vom 2. November 1988:Was sollen wir eigentlich mittelständischen und anderen exportierenden Unternehmen erzählen, wenn in dieser Form der Staat für das Wechselkursrisiko eines Unternehmens eintritt? Daß sich dies nicht mit unserem Verständnis von Wirtschaftspolitik, von Ordnungspolitik, von Subventionspolitik vereinbaren läßt, das weiß ja jeder.Graf Lambsdorff, dieses Zitat stammt von Ihnen, von vor einer Woche. Es demonstriert nicht nur, wie Ihre Glaubwürdigkeit in nur wenigen Tagen zerstört wurde. Das ist sicherlich schlimm für Sie. Aber das ist Ihr Problem, nicht unseres. Ihr Gesinnungswandel demonstriert schon heute, wie erpreßbar die Bundesregierung und das Parlament durch die Fehlentscheidung von Bangemann geworden ist.
Das Wort hat der Abgeordnete Wissmann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist ganz klar, daß die Entscheidung für eine Fusion dieser Größenordnung keinem Wirtschaftspolitiker leichtfallen kann. Wer als Marktwirtschaftler trotz verständlicher Bedenken diese Konzeption unterstützt, kann das nur nach einer sehr sorgfältigen und schwierigen ordnungspolitischen Güterabwägung tun:
auf der einen Seite die unzweifelhafte Problematik einer Konzentration dieser Größenordnung, die Fortführung von staatlichen Subventionen; auf der anderen Seite die Chance, durch eine industrielle Führung und professionelles Management Rationalisierungserfolge zu erzielen und damit die mittel- und langfristigen Subventionsrisiken des Staates zu begrenzen, auf der anderen Seite auch die verbindlich erklärte Absicht des Bundes, Ende der 90er Jahre die staatliche Beteiligung an der Airbus-Gesellschaft zu beenden, damit ein Mehr an Privatwirtschaft und ein schrittweiser Abbau staatlicher Interventionen erfolgen kann.
Meine Damen und Herren, diese Güterabwägung kann man sich nicht so leichtmachen, wie es eben der Fall gewesen ist, zumal doch niemand bestreiten kann, daß im Jahre 1982 die SPD-geführte Bundesregierung unter Helmut Schmidt, wie es in Zeitungsberichten aus dieser Zeit jederzeit nachgelesen werden kann, selbst — ich zitiere wörtlich — einer verstärkten industriellen Führung im Airbus-Programm vergeblich nachgegangen ist.
Damals fiel als Name des Wunschpartners Siemens. Herr Kollege Roth, ich habe damals weder Sie noch Herrn Vogel noch irgend jemanden sonst gehört, der ähnliche Bedenken, wie sie hier heute vorgetragen werden, erhoben hätte.
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 105. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. November 1988 7243
WissmannHerr Kollege Roth, wenn von Subventionen die Rede ist, sage ich Ihnen: Natürlich fällt uns jede dieser Entscheidungen sehr, sehr schwer. In unserer Fraktion gab es ernsthafte Diskussionen über dieses Thema. Warum sollte ich das bestreiten? Aber wir reden von einem bisher erfolgten Bewilligungsvolumen von Subventionen von 10,7 Milliarden DM. Von diesen insgesamt 10,7 Milliarden DM zeichnet die derzeitige Bundesregierung für 5,6 Milliarden DM verantwortlich. Die SPD-geführten Bundesregierungen Brandt und Schmidt zeichnen für 5,1 Milliarden DM verantwortlich. Meine Damen und Herren, tun wir hier doch nicht so, als sei sozusagen jetzt erst eine Auseinandersetzung zwischen unseren Parteien über Subventionen entstanden! Bekennen Sie sich zu Ihrer Verantwortung, und erwecken Sie jetzt nicht den falschen Eindruck, als hätte die SPD plötzlich die Marktwirtschaft für sich entdeckt!
Meine Damen und Herren, wenn — auch aus Ihren Reihen — von einer europäischen Lösung gesprochen wird, möchte ich auf folgendes hinweisen. Eine europäische Lösung würde dieselben kritischen Konzentrationsfragen aufwerfen. Man kann nicht in Deutschland gegen Fusionen sein und dann nach einer großen Luft- und Raumfahrtlösung in Europa rufen. Entweder das eine und auch das andere verneinen oder aber eine konsequente Antwort geben!
Ein letzter Punkt: Es ist natürlich nicht zu bestreiten, daß eine Zusammenarbeit dieser Größenordnung auch für die Beschaffungsseite, also für die Bundeswehr, Probleme aufweist und die Gefahr in sich birgt, daß Gewichte geschaffen werden, die Schwierigkeiten auslösen. Deswegen muß es, so finde ich, eine gemeinsame Absicht aller politischen Kräfte sein, gerade jetzt dafür zu sorgen, daß weitere Schritte unternommen werden, um den internationalen Wettbewerb auf den Beschaffungsmärkten zu verstärken oder, anders ausgedrückt, die nationalen Beschaffungsmärkte für Verteidigungsmaterial zu öffnen, damit mehr internationaler Wettbewerb stattfindet und keine einseitigen nationalen Abhängigkeiten entstehen können.Meine Damen und Herren, wenn wir angesichts der Bedeutung des neu gebildeten Unternehmens für die Beschaffungsaufträge der Bundeswehr eine Konsequenz ziehen müssen, dann die, eher noch mehr dafür zu sorgen, daß der Wettbewerb auf internationaler Ebene gestärkt wird, damit durch Wettbewerb Kostenkontrolle möglich wird und keine einseitigen Abhängigkeiten entstehen können.Meine Damen und Herren, machen Sie es sich nicht so einfach. Bekennen Sie sich zu Ihrer Verantwortung, und reden Sie differenzierter! Es ist ja nicht verwunderlich, daß der SPD-Senat in Bremen vor wenigen Tagen das Konzept unterstützt hat, während HerrRoth hier im Bundestag marktwirtschaftliche Reden hält.
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Vennegerts.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Wissmann, auch wenn Sie sich noch so viel Mühe gegeben haben: Sie haben weder als Marktwirtschaftler noch als politischer Mensch überzeugt, der in Zeiten lebt, in denen er eigentlich merken müßte, daß hier Abrüstung und nicht Aufrüstung betrieben wird.
Sie haben nur für die Aufrüstung gesprochen.43 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs entsteht mit aktiver Unterstützung der Bundesregierung Europas größter Rüstungskonzern. — Herr Riedl, Sie brauchen gar nicht den Kopf zu schütteln, das stimmt. — Wenn bereits in der jetzigen Situation der Wirtschaftsriese Daimler-Benz die Bundesregierung erpressen kann, welche Milliardenbeträge die Steuerzahler für die Risiken der Airbus-Entwicklung und -Vermarktung zu berappen haben, dann frage ich mich, um wieviel größer wird die Erpreßbarkeit von Regierungen nach der Fusion der Giganten Daimler und MBB sein? Angesichts der leidvollen geschichtlichen Erfahrungen mit dem verhängisvollen Einfluß der Rüstungsindustrie auf die Politik stellt die Entscheidung der Bundesregierung eine erhebliche Gefahr für Friedens- und Abrüstungspolitik dar. Sollte Europas größter Rüstungskonzern geschaffen sein, hat er bei Rüstungsaufträgen der Bundesregierung eine Monopolstellung. Mehr als 60 % aller Beschaffungsaufträge würden dann an die Daimler-Familie gehen. Ich bin gespannt, was Kollege Friedmann hier heute dazu sagen wird. Er ist ja wohl in der Zwischenzeit, wie man hört, vom Saulus zum Paulus bekehrt worden.Kurz vor dem Kabinettsbeschluß vergoß der FDP-Vorsitzende Graf Lambsdorff noch einige marktwirtschaftliche Krokodilstränen, bevor er einmal wieder umfiel. Das sind wir ja gewohnt.Ich finde es ungeheuerlich, daß trotz der schon gravierenden Bedenken der Monopolkommission und des Kartellamts gegen diesen gigantischen Konzentrationsprozeß die Bundesregierung an ihren Plänen festhält. Auch wegen der absehbaren verheerenden Auswirkungen auf kleine und mittlere Unternehmen lehnen wir diese Fusion ab.
Ökonomische Dominanz bedeutet immer auch politische Macht. Kommunal- und Länderparlamente werden neben der Bundesregierung von diesem Konzern erpreßbar.
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7244 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 105. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. November 1988
Frau VennegertsIch kann nur feststellen, daß die Bundesregierung mit dieser Entscheidung ganz eindeutig eine verhängnisvolle Industriepolitik betreibt.
Die Regierungskoalition — vor allen Dingen die FDP, die sonst vehement die reine Lehre der Marktwirtschaft beschwört und von Deregulierung und Privatisierung spricht — , macht in Wahrheit das Gegenteil. Als es in Rheinhausen um Tausende von Arbeitsplätzen ging, waren Subventionen vom Übel, während hier Milliardenbeträge ohne Not in den Rachen eines florierenden Großkonzerns geworfen werden.
Die Marktwirtschaft — ja, da gucke ich Sie gerne an — wird mit dieser Dauersubvention ad absurdum geführt.Die MBB/Daimler-Fusion wird von der Bundesregierung als ein Stück Privatisierung verkauft. Tatsache jedoch ist: Privatisiert werden nur die Entscheidungskompetenzen und Einflußmöglichkeiten zugunsten von Daimler-Benz und zu Lasten der öffentlichen Anteilseigner. Privatisiert werden auch die Gewinne, während die riesigen Verlustbereiche aus Steuermitteln bezahlt werden sollen. Aus Steuermitteln wurden bisher ja schon ca. 11 Milliarden DM zugesagt bzw. schon ausgegeben.Die Bundesregierung behauptet immer, es hätte keine Alternativen gegeben. Weit gefehlt, behaupten wir. Dafür, daß dieser enorme Zeitdruck entstanden ist, tragen die FDP-Politiker Bangemann und Riedl die Verantwortung.
— CSU, aber er gehört ideologisch zu euch. Ihr wollt ihn gar nicht haben, ich merke es schon.
— Ja, ja, ich merke das schon.Es stellt sich die Frage, wie dieser Moloch je von zukünftigen Regierungen an die Kette gelegt werden kann. Die Folgen dieser Fusion laufen allen Initiativen entgegen, die eine demokratische Kontrolle wirtschaftlicher Macht und den notwendigen ökologischen Umbau der Industriegesellschaft fordern. Ich denke, Sie werden Ihre Entscheidung eines Tages noch bereuen müssen.
Das Wort hat der Abgeordnete Graf Lambsdorff.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Das Projekt „Airbus" wurde in der Großen Koalition geboren, undes wurde in jeder anschließenden Legislaturperiode Schritt um Schritt erweitert und vergrößert.
Das Stichwort hieß jedesmal: Es muß eine Familie von Flugzeugen geben, um den Amerikanern auf dem Weltmarkt entgegentreten zu können.
Niemals ist der Airbus bisher ohne Subventionen produziert worden. Deshalb wundert es uns, daß die sozialdemokratische Opposition die Subventionsveranstaltung Airbus derart pauschal verurteilt hat, wie wir das auch jetzt gehört haben.Die Finanzierung über die sogenannten Serienbürgschaften, die sozialliberale Regierungen ebenso wie christlich-liberale Regierungen vorgenommen haben, sind mehr und mehr fragwürdig geworden. Es war zu erkennen, daß diese Bürgschaften in Wahrheit Barzuschüsse waren.
Warum haben wir, warum haben auch die Freien Demokraten diese Subventionsveranstaltung über die Jahre mitgetragen? Die Begründung gilt bei Ihnen doch so wie bei uns auch heute noch: Wir sind der Überzeugung, daß Europa eine zivile Luftfahrtindustrie braucht, daß die damit verbundenen Arbeitsplätze und die damit verbundene Technologie wichtig sind und daß die darin zum Ausdruck kommende industrielle Kooperation zwischen europäischen Ländern von Bedeutung ist.
Wenn Sozialdemokraten heute die Art der Finanzierung des Vorhabens kritisieren, so kommen Sie bitte hier herauf, meine Damen und Herren, und sagen Sie: Wir wollen den Airbus nicht mehr, stellt diese Produktion ein!
Das wäre die ehrliche Position. Wenn Sie sich dazu nicht entschließen, dann sagen Sie uns, warum Sie früher nicht anders verfahren sind, als es die Bundesregierung heute tut!Das Übel bei der Airbus-Produktion war von Anfang an — Herr Wissmann hat recht —
das Fehlen einer klaren industriellen Führung. In einem meiner ersten Gespräche nach Eintritt in die Bundesregierung im Jahre 1977 habe ich mich mit dem damaligen Bundeskanzler Helmut Schmidt und Vertretern der industriellen Aktionäre von MBB um ein solches Konzept bemüht, ohne Erfolg. Auch jetzt hat der Bundeswirtschaftsminister es nicht erreicht, daß
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 105. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. November 1988 7245
Dr. Graf Lambsdorffsich die vorhandenen Aktionäre zur Übernahme der industriellen Führung entschlossen hätten.
Eines hat er aber erreicht, er hat industrielle Führung hergebracht. Der Einstieg von Daimler-Benz und die Option von Daimler-Benz auf die Mehrheit der Anteile bei MBB ist eine Antwort auf diese Frage, die seit über zehn Jahren nicht gelöst werden konnte. Er hat es nicht erreicht, daß die Subventionen in kurzer Zeit wesentlich zurückgeführt werden. Wer hat das eigentlich erwartet?Auch in der kritischen Diskussion der letzten Woche hat die FDP niemals behauptet, daß das Bemühen, zu einem in der Zukunft liegenden Zeitpunkt die Subventionen endlich zu beenden, nur deshalb kritikwürdig sei, weil bis dahin weitergezahlt werden müsse. Wie soll denn ohne Subventionen bei der gegebenen Marktlage ein europäisches ziviles Flugzeug gebaut werden?Hätte man die Subventionszusagen an den Erwerber Daimler-Benz niedriger halten können? Die Frage stellt sich, aber letztlich ist eine solche Frage Beckmesserei. Wer das nicht selbst verhandelt hat, der kann es schwer beurteilen. Eines ist der Bundesregierung zuzugestehen: Ohne wirkliche Alternative ist man immer in einer schwierigen Verhandlungsposition. Das hat der Vorstand von Daimler-Benz ausgenutzt. Ich kritisiere ihn nicht dafür; er hat die Interessen der Aktionäre seines Unternehmens wahrzunehmen.Der große Preis, der für diese Lösung gezahlt wird, ist die Fusion; sie ist ordnungspolitisch mehr als bedenklich. Daß das größte deutsche Unternehmen, dessen Mehrheitsaktionär die größte deutsche Bank ist, seinen Einflußbereich weiter ausdehnen kann, paßt in das Bild einer marktwirtschaftlichen Ordnung schwer oder gar nicht hinein. Die Verengung der Märkte auf dem Rüstungssektor ist bedenklich, die Äußerungen des Bundesverteidigungsministers hierzu sind verwunderlich.Größe an sich ist kein wettbewerbspolitischer Faktor; dieser Satz bleibt gültig. Aber wenn Größenkategorien erreicht werden, die für die Volkswirtschaft wirtschaftlich und politisch Machtzusammenballung entstehen lassen, wie es hier der Fall ist, so ist die Geburtshelferrolle des Staates fragwürdig. Bezogen auf den Umsatzanteil am Bruttosozialprodukt gibt es in den Vereinigten Staaten kein einziges Unternehmen, das die Größe des jetzt zustande kommenden Konzerns in der Bundesrepublik hätte.
Die FDP bestreitet nicht, daß unsere Zustimmung zu dieser Transaktion gegen unsere eigenen ordnungspolitischen Grundsätze verstößt. Die meisten hier im Haus kennen mich lange genug, und auch die deutsche Öffentlichkeit weiß es: Es ist mir mehr als schwergefallen, dieser Entscheidung zuzustimmen, Sie deckt sich nicht mit dem Bild und mit der Zielsetzung, die ich von einer marktwirtschaftlichen Ordnung in der Bundesrepublik habe. Wir haben Ergänzungen und Klarstellungen erreicht; es sind inhaltliche Verbesserungen. Ich komme in meinem zweiten Redebeitrag darauf zurück.Der Haushaltsausschuß wird einen Sperrvermerk anbringen, der mit unserer Zustimmung erst auf gehoben wird, wenn die in diesen Ergänzungen enthaltenen Forderungen erfüllt sind. Wir werden sehr penibel darauf achten, daß sie korrekt erfüllt werden.
Ich räume ein: Angesichts des Gesamtumfangs des Projekts war das nicht mehr sehr viel. Aber die Gegenfrage lautete: Können wir das Ganze scheitern lassen? Ich habe mir das, meine Damen und Herren, sehr lange und sehr sorgfältig überlegt und auf meine persönlichen Belange wenig Rücksicht genommen; denn das Presseecho, das nach unserer Entscheidung entstand, war ja wohl vorherzusehen. So töricht bin ich nicht!Dennoch habe ich den Gremien der FDP den jetzt zustandegekommenen Vorschlag gemacht. Ich trage also die Verantwortung dafür, natürlich zusammen mit meiner Partei und letztlich der Bundesregierung, die unsere Anregung übernommen hat.Wir hätten sonst nur drei Möglichkeiten gehabt: erstens: das Airbus-Engagement aufzugeben — ich sehe niemanden, der das ernsthaft will —, zweitens: weiter Subventionen in der bisherigen Form zu zahlen — will das die Opposition? — und drittens: Wir haben hoffentlich die Möglichkeit, zu einer europäischen Lösung der Luft- und Raumfahrt zu kommen.
Das halten wir für wünschenswert. Hier, Herr Wissmann, sind wir anderer Meinung als Sie.
Herr Abgeordneter, ich muß Sie leider bitten, zum Schluß zu kommen.
Die Größe eines europäischen Konzerns, der in verschiedenen Ländern arbeitet, stört viel weniger als diese Größe innerhalb unserer nationalen Grenzen. Es muß zu einer europäischen Lösung kommen. Wir fordern die Bundesregierung auf, dies politisch zu unterstützen und zu fördern.
Mein letzter Satz: Gelingt das, so wäre auch die wettbewerbsrechtliche und wettbewerbliche Größenordnung innerhalb unserer eigenen Grenzen auf ein besser erträgliches Maß zurückgeführt.
Ich bin soeben für unsere Verfahrensweise sehr großzügig gewesen.
Das Wort hat der Abgeordnete Müller .
Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Zwischen Frei-
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7246 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 105. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. November 1988
Müller
tag und heute muß enorm viel passiert sein. Da wird der Held, der sich noch einmal gegen die Entwicklung stellt, zum Papiertiger. Er darf hier gleich zweimal reden,
während die Kritiker in den eigenen Reihen offenbar nicht mehr reden dürfen.
Das ist besonders bedauerlich, Herr Graf Lambsdorff, weil im Wirtschaftsausschuß dreimal Gelegenheit bestand, die Bedenken gegen dieses Projekt anzumelden.
Bei allen drei Veranstaltungen dieser Art war Herr Graf Lambsdorff nicht da.
Dies muß man wissen, wenn man das Theater der letzten Tage richtig einordnen will.Herr Graf Lambsdorff und die anderen Kollegen sind leider allesamt für das mitverantwortlich, was jetzt dem Deutschen Bundestag angetan wird; denn die Haushaltshoheit dieses Parlaments wird in der Frage einer Milliarden-Subvention bis zum Jahre 2000 ausgehöhlt, ja, weggenommen.Bisher mußten die Subventionen für den Airbus von der Luft- und Raumfahrtlobby jährlich immer neu erstritten werden. Dem Parlament war wenigstens noch der Funke eines Mitspracherechts eingeräumt. Es konnte gegen eine unbedachte Ausweitung dieses Projektes angehen; es konnte hinterfragen, es hätte auch nein sagen können.In Zukunft werden die Opfer der Steuerzahler für die Airbus-Subventionen bis zum Jahre 2000 einer Automatik unterworfen. Die Zahlungen erfolgen auf Grund von Vereinbarungen zwischen der Bundesregierung und dem Daimler-Benz-Konzern und MBB. Das ist im Grunde das Ende der Haushaltshoheit des Parlaments in dieser Frage. Das ist die eigentliche Begründung für diesen Vorgang; das ist der Zweck der Operation.Dieser schlimme Eingriff in unsere Haushaltshoheit betrifft wahrscheinlich nicht nur den Airbus. Der Vorstandsvorsitzende der Daimler-Benz AG wurde in einem Interview am 17. Juni danach gefragt, welche Konzessionen er aus Bonn außer dem Airbus noch erwarte. Er hat damals zwei weitere Voraussetzungen genannt: erstens die Entscheidung zugunsten der bemannten Weltraumfahrt, insbesondere der Projekte Columbus und Hermes, und zweitens die Entscheidungen für den Panzerabwehrhubschrauber und für den Jäger 90.Der Text des Interviews läßt erkennen, daß der Vorstandsvorsitzende von Daimler-Benz damals davon ausging, die Entscheidungen für diese Projekte seien klar und unwiderruflich getroffen. Die Rechtslage ist nicht so. Deshalb haben wir die Vertreter der Bundesregierung im Wirtschaftsausschuß nach Nebenabreden gefragt; die Vertreter — Herr Riedl — haben verneint. Das ist uns wichtig; denn der Jäger 90 ist einProjekt, für das es keine verteidigungspolitische und militärtechnische Begründung gibt.Deshalb stellen wir hier fest, daß jede künftige Bundesregierung durch offene oder versteckte Vereinbarungen mit Daimler-Benz oder mit MBB nicht in ihrer Freiheit eingeschränkt ist, das Projekt Jäger 90 einzustellen. Bei Hermes und Columbus hat sich der Bund bisher nur auf die Finanzierung der dreijährigen Vorentwicklungsphase festgelegt; dann wird neu entschieden. Wir stellen auch hier fest, daß die Freiheit künftiger Bundesregierungen, diese Projekte einzustellen, durch Abreden und Nebenabreden im Zusammenhang mit der Übernahme MBBs durch Daimler-Benz nicht beschränkt wird. Wir erwarten hier den Widerspruch der Bundesregierung, wenn das nicht zutrifft.Wir leben heute in der dringenden Notwendigkeit, alle Kräfte der Menschheit auf den Kampf gegen Hunger und den Kampf gegen die Zerstörung unserer natürlichen Umwelt, der Wälder und der Erdatmosphäre zu konzentrieren. Wir leben im Zwang, Geld beim Wahnsinn Rüstung einzusparen, und wir haben die große Chance dazu. Genau in diesem Moment steigt das große deutsche Unternehmen Daimler-Benz noch weiter in Rüstung und Raumfahrt ein und setzt ganz gegen die weltweite Notwendigkeit auf vermehrte Verschwendung in Rüstung und Raumfahrt. Mit dem Gesamtbetriebsratsvorsitzenden von Daimler-Benz halten wir das für eine fatale Fehlentwicklung. Wir stellen fest, daß die Bundesregierung dazu die Hand reicht und dies überhaupt erst möglich macht.
Es hat sich der Bundesminister für Wirtschaft zu Wort gemeldet. Er hat das Recht dazu, aber er erschwert mir als Präsidenten die Aufgabe nach § 28 der Geschäftsordnung, Rede und Gegenrede in richtiger und sinnvoller Reihenfolge zu meistern. Ich hätte das vorher besser gefunden. Aber Sie haben das Recht zu sprechen. Bitte schön, Herr Minister.
Herr Präsident, es tut mir sehr leid. Ich dachte — —
Ich hatte einen Vorschlag gemacht, wie wir es anders machen können, aber Sie haben das Recht.
Der Vorschlag ist mir nicht übermittelt worden. Herr Präsident, ich bin gern bereit, Ihrem Vorschlag zu folgen.
Mein Vorschlag war, daß Sie sich an das Ende dieser Runde hängen — wenn Sie einverstanden sind.
Selbstverständlich! Darf ich nur noch zur Aufklärung sagen: Erstens kannte ich Ihren Vorschlag nicht; zweitens habe ich gedacht, ich würde noch einem Kollegen der SPD die Gelegenheit geben, etwas zu sa-
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Bundesminister Dr. Bangemanngen, und mich danach melden, weil davon auszugehen ist, daß ich eine andere Meinung habe. Aber wenn Sie auf Ihrem Vorschlag bestehen, rede ich gern am Ende der zweiten Runde. Das ist für mich kein Problem.
Herr Minister, da ich nicht mehr Mitglieder einer Fraktion aufrufen kann, als die, die das Recht haben zu reden, ist es sinnvoller, es so zu machen, wie ich es vorschlage. Ich würde gerne bei meinem Vorschlag bleiben, wenn Sie einverstanden sind.
Dann hat jetzt der Abgeordnete Friedmann das Wort. Ich glaube, es ist eine sinnvolle Reihenfolge. Sie wissen, welche Fraktionen in unserem Verfahren wie viele Redner haben, und ich muß das ein bißchen ordentlich verteilen. Das ist schon schwierig genug.
Bitte schön, Herr Dr. Friedmann.
Herr Präsident! Meine Damen und meine Herren! Die Beteiligung von Daimler-Benz an MBB ist ein Vorgang, der zunächst einmal die Industrie betrifft. Dennoch fühlen auch wir uns in der Politik davon betroffen. Deshalb muß dieser Vorgang kritisch ausgeleuchtet werden.
Ziel des Vorgangs ist es ja, die Zukunft des Airbus zu sichern. Der Airbus ist ein leistungsfähiges Flugzeug, das einen Markt erworben hat, aber vor allem wegen der Risiken, die im Dollarkurs stecken, bis heute nicht wirtschaftlich erfolgreich abschließt.
Der kritische Punkt, den man ausleuchten muß, ist die Ausgliederung des Airbus-Geschäfts, bevor sich Daimler-Benz beteiligt. Für uns in der Koalition war bei der Vergabe des Jägers 90 damals ein Kriterium, durch die Vergabe zur Kostensenkung bei MBB beizutragen, die auch dem Airbus zugute kommen sollte. Jetzt, wo der Airbus ausgegliedert wird, erscheinen dort die Verluste, während die gewinnbringenden Teile des militärischen Flugzeugbaus im MBB-Konzern und damit auch im erweiterten Daimler-BenzKonzern bleiben. Dies kann man sicherlich kritisch anmerken.
Vor diesem Hintergrund habe ich mich mit dem Vorstandsvorsitzenden von Daimler-Benz getroffen. Mir schien es wichtig, hier nicht nur zu reden, sondern auch zu handeln. Wir haben bei unserem Gespräch konkrete Ergebnisse verabredet. Im ersten Punkt sind wir so verblieben: Daimler-Benz ist bereit, die Synergieeffekte, die sich im ganzen Flugzeugbau ergeben, auch dem zivilen Airbus zugute kommen zu lassen. Das heißt, dieses zivile Flugzeug wird so behandelt, als wäre es nicht ausgegliedert worden, so daß die Vorteile beispielsweise der Kostendegression auch dem zivilen Flugzeug zugute kommen. Ich halte dies für ein ganz wesentliches Ergebnis.
Zweitens. Die Verträge sind so angelegt, daß sie eigentlich keinen Anreiz bieten, die eigenen Aktivitäten in einen europäischen Konzern einzubringen. Aber genau dies ist notwendig. Daimler-Benz verpflichtet sich, alle Flugzeugaktivitäten in einen europäischen Konzern einzubringen. Genau dies müssen
wir ja tun, wenn wir in Konkurrenz zu den Amerikanern bestehen wollen. Wenn man beispielsweise alle deutschen, französischen und englischen Flugzeugaktivitäten zusammenfaßt, dann erst erreicht man einen Konzern in der Größenordnung von Boeing.
Ein dritter Punkt erscheint mir wichtig. Natürlich entsteht jetzt ein Konzern, der beispielsweise 60 % der militärischen Anschaffungen der Bundeswehr steuert.
Das kann einem ordnungspolitisch ja nicht gleichgültig sein.
Wir sind übereingekommen, daß Kriterien entwickelt werden, nach denen alle Unternehmen, die in diesem Konzern zusammengefaßt werden, als Konkurrenten gegenüber der öffentlichen Hand auftreten. Ich weiß, das wird nicht unproblematisch. Der Wirtschaftsminister hat bereits zugesagt, den Verteidigungsminister zu beraten, wie man hier vorgehen kann.
Nur, meine Damen und Herren, wenn Sie hier lachen: Es stellt sich immer wieder die Frage: Was haben Sie Besseres? Wir im Haushaltsausschuß werden deshalb die 4,3 Milliarden DM Verpflichtungsermächtigungen, die bei dieser Lösung benötigt werden, qualifiziert sperren. Wir werden sie nur stückweise freigeben, nachdem wir jedesmal geprüft haben, ob die Vorgaben, die Bestandteil des Vertragswerks werden müssen, auch erfüllt sind.
Wenn Sie, Frau Vennegerts, sagen, aus dem Saulus sei ein Paulus geworden, dann darf ich sagen: Saulus war der Schlechtere und Paulus der Bessere.
Schönen Dank.
Das Wort hat der Abgeordnete Hoss.
Kolleginnen und Kollegen! Bei der Beurteilung dieser Frage kommt es darauf an, ob man davon ausgeht, daß man sich von den Interessen der Banker und Industriellen leiten und treiben läßt, oder ob man versucht, Wirtschaft und Gesellschaft politisch zu gestalten.Sie wissen, daß ich im Stammwerk Untertürkheim als Angehöriger der Daimler-Benz AG 25 Jahre lang die Entwicklung des Konzerns verfolgt und auch an dieser Entwicklung teilgenommen habe. Was jetzt mit der Unternehmenstransaktion Daimler-Benz — MBB vor sicht geht, stellt eine in der Nachkriegsgeschichte beispiellose Machtzusammenballung dar. Es ist eine Zäsur.
Durch diese Konzentration kommt es zu der in der Bundesrepublik bisher nicht vorhandenen Möglichkeit, auf Grund ökonomischer Macht politische Interessen durchzusetzen und Pressionen zu betreiben. Das betrifft Fragen der Rüstungsaufträge, der Marktwirtschaft und auch des Arbeitsmarktes.
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7248 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 105. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. November 1988
HossIch habe lange überlegt, ob es angebracht ist, einen Vergleich zur chemischen Industrie herzustellen, die in den zwanziger Jahren durch die Fusion zum IG Farben-Konzern mit seinem späteren verhängnisvollen Einfluß auf die Politik führte. Es ist erlaubt, diesen Vergleich herzustellen.
Unsere leidvolle Geschichte, an die wir gerade in diesen Tagen wieder erinnert werden, gestattet es uns nicht, über die Erfahrung hinwegzugehen, daß der IG Farben-Konzern nach dem Krieg entflochten worden ist.Es darf auch nicht vergessen werden, daß bis heute, wo von Milliarden Subventionen für Daimler-Benz die Rede ist, die Löhne der Zwangsarbeiter der Daimlerschen Rüstungspolitik des letzten Krieges noch nicht bezahlt sind bzw. die Angehörigen nicht entschädigt sind.
— Dieser Vergleich ist statthaft.Über all dies kann auch nicht der mit beredten Worten die Vorzüge der Fusion darstellende und sicher persönlich nicht unsympatische Edzard Reuter hinwegtäuschen. Es gehört zur Tragik der SPD, daß wieder einmal eines ihrer Mitglieder die Drecksarbeit für das große Finanz- und Industriekapital macht; das muß hier einmal gesagt werden.
Die Hilfe der Bundesregierung für diese Fusion ist ein Keulenschlag für alle Menschen, die in dieser Zeit davon ausgehen, daß Abrüstung gefragt ist und daß von unserer Seite aus Abrüstungsvorschläge und Abrüstungsaktionen betrieben werden. Die Gründung dieses größten Rüstungskonzerns nicht nur der Bundesrepublik, sondern Europas ist das genaue Gegenteil. Die Bürger werden sich davon ein Bild machen.
Das Wort hat der Bundesminister für Wirtschaft.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn man den Beschluß der Bundesregierung objektiv würdigen will, ist es, glaube ich, unerläßlich, sich einmal die Ausgangslage vor Augen zu halten. Wir haben heute mit MBB ein Unternehmen, daß zu 52 % im Besitz der öffentlichen Hand in Gestalt der Länder Bayern, Bremen und Hamburg ist. Wir haben ein Unternehmen, das auch heute, wie die Zahlen ja ausweisen, in erheblichem Ausmaß öffentliche Gelder erhält, und zwar für folgende Teile der wirtschaftlichen Tätigkeit: für die Forschung und Entwicklung, für die Serienfertigung und für die Vermarktung. Wir haben ein Unternehmen, das in seiner Unternehmensstruktur sehr zersplittert arbeiten muß und das deswegen auch nicht zu vernünftigen Kosten kommen kann. Es erwirtschaftet im Prinzip aus seiner wirtschaftlichen Tätigkeit nicht das, was es braucht, um die Kosten zu decken. Deswegen war bisher jedenfalls eine allgemein vertretene Meinung die, daß man das ändern müsse. Man muß das verbessern.Ich bin davon ausgegangen, daß man das durch eine industrielle Führung verbessern kann,
die sicherstellt, daß betriebswirtschaftliche Grundsätze stärker durchgesetzt werden und die vor allen Dingen durch Kapitalzufuhr die Beteiligung der öffentlichen Hand reduziert. Das sind die beiden Gesichtspunkte, die am Anfang der Bemühungen standen.Selbstverständlich habe ich im Kreis der beteiligten privaten Unternehmen nach Unternehmen — einzeln oder gemeinsam — gesucht, die dazu bereit wären. Von den beteiligten Gesellschaftern — ich glaube, man verletzt keine Geheimhaltungspflichten, weil das ja jeder weiß — hat auch eine so große Firma wie Siemens keine Bereitschaft gezeigt, dieses Risiko zu übernehmen.
Deswegen haben ich auch andere große Firmen, die in der Lage wären, das zu tun, gefragt, ob sie dazu bereit wären. Auch sie waren nicht bereit. Der einzige, der diese Bereitschaft gezeigt hat, ist Daimler Benz.Es ist ganz klar, daß eine Firma, die ein solches Risiko übernehmen will, sowohl vom Management als auch von ihrer Kapitalstruktur her eine gewisse Größe haben muß. Um nur einmal die Dimensionen auf diesem Markt ein wenig zu illustrieren, darf ich einige Zahlen verlesen. In den USA gibt es 1,2 Millionen Beschäftigte in der Luft- und Raumfahrt, in der Bundesrepublik 88 000.
— Aber, lieber Herr Roth, das wissen Sie doch auch. In den USA gibt es im wesentlichen zwei große Unternehmen: Boeing und McDonnell Douglas. Auch bei uns gibt es im wesentlichen zwei Unternehmen, wenn man das so nennen kann: MBB und Dornier. Das sind die Strukturen. Insofern ändert sich das Größenverhältnis überhaupt nicht.
Das heißt, wenn man die Dinge auch wettbewerbs-und ordnungspolitisch beurteilen will, muß man sich auf einen Markt beziehen. Ich bestreite entschieden, daß hier Grundsätze unseres Wettbewerbsrechts und des Kartellrechts verletzt worden sind;
denn unser Kartellrecht geht davon aus, daß die schiere, einfache Größe ohne jede Bedeutung ist. Sie wird wettbewerbs- und ordnungspolitisch nur dann von Bedeutung, wenn diese Größe auf einem relevanten Markt zu Wettbewerbsverfälschungen führt.
Meine Damen und Herren, darüber soll sich niemand täuschen: Der Verkauf von solchen zivilen Flug-
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Bundesminister Dr. Bangemannzeugen dieser Größenordnung ist weder ein nationaler Markt noch ein europäischer Markt. Vielmehr ist das ein internationaler Markt, auf dem die beiden Riesen Boeing und McDonnel Douglas etwa 80 % unter sich ausmachen. 20 % entfallen auf den Airbus. Wer auf diesem Markt als Wettbewerber auftreten will, braucht eine gewisse Größe, vor allen Dingen ein gewisses Kapital, um sich durchzusetzen. Deswegen ist diese Lösung nicht etwa eine Verminderung von Wettbewerb, sondern sie ist die Voraussetzung dafür, daß auf diesem Markt Wettbewerb überhaupt stattfinden kann.
Wer das bestreitet, soll sich doch einmal ansehen, wo Boeing ein Monopol hat, nämlich beim Flugzeug 747. Wie sieht die Situation dort aus? Das faktische Monopol bei diesem Flugzeug führt dazu, daß pro Stück nach Steuern 35 Millionen Dollar verdient werden. Wer das will, wer das als Wettbewerb bezeichnet, bei dem Kunden etwas gewinnen, den verstehe ich überhaupt nicht.
— Herr Roth, wenn Sie für den Airbus sind, dann brauchen Sie Ihr normales Maß an Unlogik, um solche Reden zu halten, wie Sie sie hier gehalten haben.
— Herr Präsident, nachdem Sie mir die Erlaubnis gegeben haben, hier zu sprechen, würden Sie vielleicht auf die Fraktionen einwirken, daß ich auch tatsächlich sprechen darf?
Ich bitte sehr darum, den Minister aussprechen zu lassen.
Das wäre sehr nett. Vielen Dank.
Meine Damen und Herren, auch folgendes muß gesagt werden: Die 52 % Anteil der öffentlichen Hand werden durch die Beteiligung von Daimler-Benz sowohl bei der Mutter als auch bei der zukünftigen Tochter auf unter 50 % zurückgeführt. Hierin steckt in der Tat ein Rückzug des Staates aus einer Industrie und aus der wirtschaftlichen Verantwortung, den wir wollen und den man in der Tat als Privatisierung bezeichnen muß.
— Zu den Subventionen, verehrter Herr Kollege, nehmen Sie doch endlich einmal zur Kenntnis, daß wir außerhalb der Entwicklung und Forschung, wo international überall ein Zuschuß gegeben wird, die Zuschüsse zur Serienfertigung der neuen Modelle beenden.
— Die Modelle 330 und 340 werden ja noch gar nicht in Serie produziert. Da gibt es keine Zuschüsse mehr für die Serie.
Man muß berücksichtigen, daß wir das Wechselkursrisiko heute zu 100 % übernehmen. Es wird immer so getan, als sei das, was ich vorschlage, eine schlechtere Lösung. Kein Mensch regt sich darüber auf, daß der Bund heute 100 % dieses Wechselkursrisikos trägt.
— Das stimmt, natürlich! Deswegen ist die Rückführung dieses Wechselkursrisikos über 75 % und 50 % auf 0 im Jahre 2000 eine Verlagerung des Risikos auf diejenigen, die wirtschaften werden, die, wie wir überzeugt sind, auch gut wirtschaften werden.
Das, was ich in den letzten Tagen von dem amerikanischen Handelsbeauftragten Yeutter gehört habe, trifft auch nicht zu. Ich habe mit ihm vor etwa einem Jahr in London eine schriftliche Vereinbarung über die Beteiligung der öffentlichen Hand an der Entwicklung und dem Bau von privaten Flugzeugen getroffen. In einer Privatisierungsklausel haben wir vereinbart, daß Kapitalzuführungen, die der Privatisierung dienen, nicht beanstandet werden. Es gibt also von amerikanischer Seite keinen Grund, dies zu kritisieren.
— Frau Matthäus-Maier, vielleicht nehmen Sie es zur Kenntnis: Das Wechselkursrisiko wird heute zu 100 % abgedeckt.
— Wenn Ihnen das bekannt ist, dann werden Sie mir sicher zugeben, daß 75 % weniger sind als 100 %, daß 50 % auch weniger sind, und 0 % ist noch weniger.
Es kann auch keine Rede davon sein, daß hier eine Sozialisierung der Verluste und eine Übernahme von Risiken gegeben ist. Das Gegenteil ist der Fall: Wir werden durch die Kapitalzuführung durch Daimler-Benz zum erstenmal die Übernahme des Risikos durch einen Privaten haben.
Die Alternative, meine Damen und Herren, wäre, das vorhandene System fortzuführen — das kann niemand wollen — oder den Airbus einzustellen. Wer den Mut dazu hat, mag das tun. Das wäre aber ein trauriger Mut, denn in diesem Airbus steckt ein Stück zukünftige industrielle Entwicklung und zukünftige Technologie. Wer das nicht will, der muß den jetzigen Zustand verbessern.
Das tut die Bundesregierung, und wir tun das guten Gewissens.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Jens.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich will sagen, daß ich es als
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7250 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 105. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. November 1988
Dr. Jenspositiv empfinde, daß der Bundesminister für Wirtschaft auf sein Rederecht zugunsten des Parlaments verzichtet hat. Ich fand es allerdings sehr negativ, welche Pirouetten in der Argumentation gedreht wurden. Die FDP hat sich ja wirklich in kürzester Frist zweimal um sich selbst gedreht. Wir werden dafür sorgen, daß das nicht in Vergessenheit gerät.
Wir reden hier auch nicht über den Airbus. Wir sind für den Airbus; das haben wir immer wieder gesagt. Wir reden hier über die Mammutfusion zwischen Daimler-Benz und Messerschmitt-Bölkow-Blohm. Dadurch wird in der Bundesrepublik ein Rüstungsmonopol geschaffen, vor dem, wie ich meine, gerade Liberale Angst haben sollten.
Es stimmt doch überhaupt nicht, wenn immer wieder gesagt wird, es gebe zu dieser Entwicklung keine Alternative. Wenn es nach mir ginge — vielleicht wären Sie auf meiner Linie, Graf Lambsdorff — , hätte ich zuerst das ganze Management oder zumindest einige Managementleute bei MBB hinausgeschmissen. Die gehören schon lange gefeuert,
weil sie uns wiederholt etwas erzählt haben, was nicht eingetroffen ist.
Ich sage Ihnen auch dies: Wir alle sind doch immer der Meinung, Subventionen sind in bestimmten Fällen unumgänglich. Aber sie müssen endlich zeitlich limitiert und degressiv gestaltet werden, damit einmal mit der ewigen Subventionierung der Großindustrie Schluß ist.
Es gäbe, wie der Kollege Friedmann gesagt hat, durchaus eine europäische Lösung, an der nicht Daimler-Benz beteiligt sein muß.
Das wäre eine wesentlich bessere Lösung als das, was jetzt hier angestrebt wird.
Schließlich: Dieses vergoldete Paket, das DaimlerBenz jetzt ausgehandelt hat, sollten Sie vielleicht auch einmal anderen Unternehmen anbieten. Möglicherweise finden sich Franzosen oder Engländer, die in diese Verträge gern einsteigen. Ich könnte mir das sehr gut vorstellen.
Dies ist eine schlimme ordnungspolitische Fehlentscheidung, wie ich meine. Es wird ein Monopol in der Rüstungsindustrie geschaffen. Ich verstehe überhaupt nicht, daß ein liberaler Wirtschaftsminister wie Bangemann so etwas mitmacht. Er müßte eigentlich vor Scham im Boden versinken.
Ich meine, entweder hat er aus der Vergangenheit überhaupt nichts gelernt, oder er gehört zu den Wieder-Gestrigen.
Hier wird ganz bewußt das geltende Wettbewerbsrecht aus den Angeln gehoben. Auch der Bundeswirtschaftsminister Bangemann weiß, daß hier gegen das Wettbewerbsrecht verstoßen wird, weil eine monopolistische Situation im Rüstungssektor geschaffen wird. Ich kann mir durchaus denken, daß die im Kartellamt verzweifeln müssen. Auch die Kollegen in der Monopolkommission müssen sagen: Was hat es eigentlich für einen Zweck, darüber nachzudenken, wenn man ganz genau weiß: Hinterher erteilt der neue Wirtschaftsminister wieder eine Ausnahmegenehmigung.
Da hat der Professor Immenga doch recht, wenn er jetzt schon über Rücktritt nachdenkt. Der neue Wirtschaftsminister Haussmann wäre gut beraten, wenn er sich diesen Fusionsfall ganz genau angucken und überlegen würde, ob er nicht doch nein sagen soll zu diesem ordnungspolitischen Sündenfall ersten Ranges.
Aus meiner Sicht — das will ich schnell anfügen — ist es eine kräftige Fehlentscheidung. Ja, ich würde sagen: Die Bundesregierung muß an psychologischer Verwirrung leiden, wenn sie etwa glaubt, vom Jahr 2000 an zahlt sie keine Subventionen mehr an diesen Mammutkonzern Daimler-Benz/MBB.
Dieser Konzern hat jetzt ganz eklatant die privatwirtschaftlichen Interessen vertreten. Ich werfe ihm das überhaupt nicht vor. Das müssen die machen.
Aber das werden sie im Jahr 2000 genauso machen.
Dann werden Sie zusätzliche, neue, andere Subventionen zahlen müssen, wenn Sie einen solchen Konzern zulassen.
Was hier passiert, werden wir den kleinen und mittleren Unternehmen immer wieder vortragen. Hier wird das Wechselkursrisiko in Höhe von 4,3 Milliarden bis zum Jahr 2000 übernommen. Welches kleine oder mittlere Unternehmen, das im Export tätig ist, hat diese Chance? Aber bei Mercedes Benz, bei Daimler soll das passieren. Da werden Gelder in Milliarden-
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 105. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. November 1988 7251
Dr. Jenshöhe für Forschungsaufgaben, für den Jäger 90 zur Verfügung gestellt. Siemens steht schon wieder vor der Tür und möchte die Mikroelektronik gefördert haben. Gleichzeitig werden die Hilfen für Existenzgründungen, für die Lohnkostenzuschüsse, für die Beratung von kleinen und mittleren Unternehmen gekürzt.
Das ist doch eine ordnungspolitisch falsche Weichenstellung. Denken Sie darüber einmal nach! Es wird dringend Zeit, daß das Ruder herumgerissen wird.Schönen Dank.
Das Wort hat der Abgeordnete Rossmanith.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lieber Kollege Jens, einen positiven Aspekt hatte Ihre Rede zweifellos: Sie haben hier im Bundestag Ihre Zuversicht zum Ausdruck gebracht, daß wir im Jahr 2000 immer noch die Regierungsverantwortung tragen werden.
Das wird sicher der Fall sein.
Denn es geht ohne Frage — da habe ich Sie nicht begreifen können — bei dieser Entscheidung um die Zukunft des Airbus, um die Zukunft von Hochtechnologie und letztendlich um die Zukunft von 40 000 unmittelbar betroffenen Arbeitsplätzen.Mit dieser geplanten Beteiligung der Daimler-Benz AG an MBB und der damit ermöglichten Neuordnung der deutschen Airbus-Aktivitäten besteht die realistische Chance, das Airbus-Programm längerfristig in die volle industrielle Eigenverantwortung zu stellen. Und wir haben uns — das haben auch schon meine Vorredner gesagt — die Sache nicht leicht gemacht. Wir haben die kritische Diskussion in der Öffentlichkeit längst beherrscht, bevor Sie von der Opposition sich überhaupt einmal bequemt haben, dazu irgendwelche Aussagen zu machen.
Natürlich muß man sehen, daß bei einer jetzt vorgesehenen Beteiligung von 30 % von Daimler-Benz an MBB der öffentliche Anteil bei MBB zunächst von 51 % auf 36 % fällt. Sicherlich hat das auch sehr positive Auswirkungen auf die Effizienz der deutschen Luft- und Raumfahrtindustrie. Ich glaube, auch das ist ein Punkt, der diese finanziellen Anstrengungen rechtfertigt; denn man kann doch nicht auf halbem Weg stehenbleiben. Wir haben doch seit 1969 — und Sie wissen, daß Sie von 1969 bis 1982 in der Regierungsverantwortung standen — annähernd 11 Milliarden DM an Subventionen in diesen Bereich gesteckt.
Jeder weiß, daß ein Festhalten an der bisherigen Regelung ein wesentlich höheres Risiko beinhalten würde.
Bundesminister Bangemann hat schon darauf hingewiesen: Wir würden 100 % des Risikos tragen, während wir jetzt eine Lösung finden, bei der wir zunächst 75, dann 50 % und dann kein Risiko auch im Wechselkursbereich mehr tragen. Die Industrie übernimmt doch gerade im Rahmen des vorgesehenen Konzepts über eine neue Tochtergesellschaft von MBB für den zivilen Flugzeugbau die volle Verantwortung für alle künftigen unternehmerischen und betriebswirtschaftlichen Risiken. Was uns, wie gesagt, verbleibt, ist das Wechselkursrisiko.
Aber auch hier ist ganz klar festgehalten worden, wann wir aus diesem Risiko aussteigen. Und dieses Wechselkursrisiko ist begrenzt worden bis maximal 1,60 DM pro Dollar.
Deshalb sind natürlich die Lasten, die in Zukunft auf den Bund zukommen werden, auch berechenbar. Daher werden wir morgen im Haushaltsausschuß diese Entscheidung fällen, mit der Klarheit beim Airbus bis zum Jahre 2000 geschaffen wird.
Ich will Ihnen noch einmal sagen, was denn die Alternative wäre: Wenn wir das bisherige System mit einem hundertprozentigen Risiko auf seiten des Bundes beibehielten, Herr Roth, das wissen Sie, wäre das Programm A 330/340 auch in der Serie durch den Bund zu finanzieren. Bundesminister Bangemann hat es gesagt: Allein das würde einen Betrag von rund 2 Milliarden DM erfordern. Auch jährliche Unterdekkungen wären seitens des Bundes mitzutragen. Daneben bedeutete das auch die volle Übernahme des Wechselkursrisikos. Darauf bin ich bereits eingegangen.Ich glaube, meine sehr verehrten Damen und Herren, daß wir uns hier einig sind, daß keiner von uns einen Ausstieg aus diesem Airbus-Programm wollen kann, vielleicht mit Ausnahme der GRÜNEN, die selbst im Airbus ein Rüstungsinstrument sehen.
Abgesehen vom Verlust der hohen Investitionen, die wir bisher geleistet haben, den Abbruchkosten und dem Problem des Ausstiegs aus einer Hochtechnologie der Zukunft würde das den unmittelbaren Verlust von 40 000 Arbeitsplätzen bedeuten, von mittelbar betroffenen Arbeitsplätzen ganz zu schweigen.
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7252 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 105. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. November 1988
Das Wort hat der Abgeordnete Graf Lambsdorff.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Herr Müller, nur zu Ihrer Beruhigung: Die Fraktion hat mich gestern einstimmig gebeten, hier zweimal zu reden;
denn ich bin derjenige, auf den sich die Kritik richtet
— und das mit Recht — , und dieser Kritik stelle ich mich.
Herr Jens, wir sind gar nicht weit auseinander, daß eine europäische Lösung durchaus vorzuziehen wäre. Eine europäische Luft- und Raumfahrtindustrie ist am Ende auch das einzige, was den Amerikanern überhaupt Wettbewerb liefern kann.
Erstens müssen Sie dazu die Bereitschaft z. B. von Aerospace und Aerospatiale finden, zweitens brauchen Sie — und das ist wichtig — ein europäisches Gesellschaftsrecht, daß wir bis heute nicht haben. Ich bin ein Anhänger grenzüberschreitender industrieller Kooperation in Europa. Dann hat es ein großes Unternehmen mit mehreren nationalen Regierungen zu tun und nicht nur mit einer. Dieses ist unter Wettbewerbs- und politischen Gesichtspunkten durchaus ein Vorteil.
Meine Damen und Herren, was ich an Kritik erfahren habe, geht zum Teil auf das Strickmuster Koalition/Opposition zurück. Das gehört sich so.
— Ich habe gesagt: zum Teil; wenn Sie doch einmal bis zum Ende zuhören wollten, Herr Roth.
Ein anderer Teil ist ernst zu nehmen. Es ist gefragt worden, ob denn wirklich Verbesserungen erreicht worden seien mit den Änderungen, die wir vorgeschlagen haben und die die Bundesregierung übernommen hat. Da geht es um das Verfahren und das feste Datum der Rücknahme der 20prozentigen Beteiligung der MW. Wir halten das für eine Klarstellung im Sinne einer Verbesserung oder für eine Verbesserung im Sinne einer Klarstellung. Da geht es um die Beendigung der Risiken unter einem Wechselkurs von DM 1,60. Wir halten das für ein wichtiges zusätzliches Element. Da geht es um die Frage: zivile Fertigung und daraus keine Gewinne, sondern Verluste, nichtzivile Fertigung und daraus Gewinne — und dies säuberlich getrennt. Wenn Sie nicht von Sozialisieren und Privatisieren reden wollen, dann heißt daß: die Guten ins Kröpfchen und die Schlechten ins Töpfchen.
Herr Friedmann, es ist sehr verdienstvoll, daß Sie sich die Mühe machen, mit dem Vorstandsvorsitzenden Reuter zu reden. Da kann man übrigens sehen, meine Damen und Herren, wenn das Parlament keine Zuständigkeiten hat, dann nimmt man sich welche. Das geht dann auch. Aber sagen Sie Herrn Reuter: Wenn er glaubt, mit den Synergiegewinnen und deren Verrechnung unserer Forderung gerecht zu werden, hat er sich getäuscht. Dies reicht nicht, und dafür gibt es mit der FDP die Aufhebung des Sperrvermerks
unter keinen Umständen, um das ganz klar zu sagen.
Meine Damen und Herren, wenn Sie meinen, dies alles habe nichts bewirkt, dann erlauben Sie mir einmal zu zitieren. Der heutige „Platow-Brief" schreibt:
Denn was FDP-Chef Graf Lambsdorff an Klarstellung im Bonner Airbus-Konzept verlangt hat, schmeckt nun wiederum Daimler nicht. Der Konzern kann sich nicht damit einverstanden erklären und auch gar nicht seinen Anteilseignern gegenüber verantworten, sämtliche Währungsrisiken unterhalb einer Dollarbasis von 1,60 DM zu tragen.
Eine ähnliche Bemerkung findet sich zur Übernahme des KfW-Anteils. So ganz ohne scheint es denn doch nicht gewesen zu sein, was wir dort erreicht haben. Wir werden die Entwicklung mit Interesse, mit größter Aufmerksamkeit und mit größter Sorgfalt verfolgen.
Meine Damen und Herren, zwei Bemerkungen halte ich für wichtig. Habe ich mich bei meiner Kritik in der vorigen Woche zu weit aus dem Fenster gelehnt? Die Antwort kann berechtigterweise ja heißen. Aber wenn man nicht wirklich Forderungen anmeldet, bringt man nachher nicht wenigstens ein Stück der Forderungen durch. Aber darüber kann man streiten.
— Herr Müller, das haben wir eben besprochen. Das kann Ihre Meinung sein; es ist offensichtlich nicht die Meinung anderer Beobachter.
Die letzte, die wichtigste und für mich schwerwiegendste Kritik ist die: Du hast dich überhaupt viel zu spät gemeldet, du hättest dich vor einem Jahr melden sollen. — Dies habe ich nicht getan, meine Damen und Herren, um es ganz offen zu sagen — ich habe es vielen Fragestellern in den letzten zwei Jahren gesagt —, weil ich mir vorgenommen hatte, nach Ausscheiden aus dem Amt des Bundeswirtschaftsministers — ein Enddatum war für mich die Wahl zum Parteivorsitzenden — meinem Nachfolger nicht durch öffentliche Erklärungen in seine Amtsgeschäfte hineinzufuhrwerken. Daran habe ich mich gehalten.
— Wirtschaftsausschuß bedeutet doch dasselbe. Das ist doch nicht unter Ausschluß der Öffentlichkeit.
Das kann kritisch angemerkt werden. Ich halte diese Entscheidung aber nach wie vor aus Gründen, die in anderen Bereichen liegen, für richtig und für vertretbar und glaube, daß sie nicht falsch war.
Das Wort hat der Bundesminister der Finanzen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der bisherigen Diskussion ist schon an die Anfänge des Airbus-
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 105. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. November 1988 7253
Bundesminister Dr. StoltenbergProgramms erinnert worden. Darüber wurde 1969, vor 19 Jahren, politisch entschieden, immer wieder auch in Beschlüssen der Bundesregierungen in der Folgezeit. Man kann heute sagen, der Airbus ist technologisch ein großer Erfolg geworden. Die Absatzzahlen sind eindrucksvoll, vor allem auch im Anstieg der letzten Jahre. Aber im Grunde, Herr Kollege Roth, ist ja seit den 70er Jahren — nicht erst seit 1982 — ein grundlegender Fehler in der Konstruktion mit negativen Auswirkungen unübersehbar geworden. Das federführende Unternehmen mit einem bedeutenden technologischen Leistungsstand hat ohne angemessene Kapitalausstattung ein derartig gewaltiges, durch die Erweiterung der Familie expandierendes Programm mit weltweiter Konkurrenz in europäischer Kooperation in Angriff genommen. Es hat bis heute nicht das Vermögen — in doppeltem Sinne — , eine angemessene wirtschaftliche und finanzielle Risikovorsorge vorzunehmen. Das ist ja bekannt. Ich spreche hier keine Geheimnisse aus.Ich will dem vielfach kritisierten Bundeswirtschaftsminister als sein Kollege ausdrücklich bescheinigen, daß er der erste ist — seit Mitte der 70er Jahre — , der eine große und, wie ich glaube, im Ergebnis auch erfolgreiche Anstrengung unternommen hat, dies zu ändern.
Das muß man hier hervorheben. Denn die Folge dieses Konstruktionsfehlers, auch seit fünfzehn Jahren — es hat ja vielfältige Beratungen in der Regierungszeit des Bundeskanzlers Helmut Schmidt darüber gegeben — , ist,
daß wir viel zu hohe und weiter ansteigende Subventionen für den Bund zu verbuchen haben, die mir seit 1983 erhebliche Kopfschmerzen bereiten, wie auch schon meinen sozialdemokratischen Amtsvorgängern.Weil hier — zu Recht — über Ordnungspolitik geredet wird, will ich eines hinzufügen. Der jetzige Zustand ist ordnungspolitisch vollkommen unbefriedigend. Wir haben nämlich die Situation, daß der Bund auf Grund der fehlenden Kapitalausstattung der Firma, die ja drei Bundesländer als Gesellschafter hat — sie hat trotzdem oder vielleicht gerade deswegen keine angemessene Kapitalausstattung — , das wirtschaftliche Risiko trägt, aber in Wahrheit die entsprechenden gestaltenden Entscheidungsmöglichkeiten überhaupt nicht besitzt. Auch das habe ich in den letzten Jahren erlebt. Ich weiß, wovon ich rede. Meine Vorgänger haben das auch erlebt. Deswegen ist eine Reform dringend notwendig.Ich möchte deshalb das nachhaltige Interesse der Bundesregierung und auch mein Interesse als Bundesfinanzminister hervorheben, zu einer neuen starken Industriestruktur zu kommen. Ich glaube, daß die hier unter Verhandlungsführung des Bundeswirtschaftsministers erzielten Ergebnisse insgesamt positiv zu bewerten sind, obwohl man sich in dem einenoder anderen Punkt sicher eine bessere Ausgestaltung hätte vorstellen können.
— Davon kann überhaupt keine Rede sein, Herr Kollege. Das ist überhaupt nicht ernst zu nehmen.Positiv ist erstens, daß es nach den getroffenen Vereinbarungen zu einer hohen Kapitalausstattung der Tochter kommen wird, die die Federführung für das Airbus-Programm übernimmt: rund 1,5 Milliarden DM. Das ist ein Vielfaches verglichen mit dem Gesamtunternehmen heute, das ja nicht allein für Airbus zuständig ist.Zweitens. Positiv ist, daß, beginnend mit kurzfristigen Veränderungen, schrittweise in den nächsten zehn Jahren die Risiken auf die Industrie übertragen werden, die nach der problematischen Konstruktion, die wir seit den 70er Jahren haben, fast ganz alleine der Bund trägt.Das dritte, was ich als positiv bewerte, ist: Der Anteil der öffentlichen Hände geht in Verbindung mit der Neuregelung zurück, die über die Beteiligung der Kreditanstalt für Wiederaufbau getroffen ist. Ich habe vor den Klarstellungen, die Kollege Lambsdorff für die FDP hervorgehoben hat, Wert darauf gelegt, und nach meiner Überzeugung ist dies auch vor den Klarstellungen in den Verhandlungen erreicht worden: Die Beteiligung der Kreditanstalt ist befristet. Andernfalls hätte ich keiner Kabinettsvorlage zugestimmt. Die Eckwerte, die auf Gesprächen beruhen, sehen vor,
daß es ein uneingeschränktes Recht der Kreditanstalt gibt, spätestens 1999 die Anteile an Daimler-Benz bzw. MBB zu übertragen. — Ja, Herr Kollege Roth,
es ist ja nicht nur auf der einen Seite ein schwieriger Entscheidungsprozeß. Das gilt auch für andere,
die heute nicht zu Wort kommen, die heute nicht vertreten sind.Im Ergebnis kommen wir zu einer Absenkung der Beteiligung der öffentlichen Hände durch die drastische Verringerung.
Die Kreditanstalt, überwiegend im Bundeseigentum, beteiligt sich längstens bis zu zehn Jahren.
Dies scheint mir im Rahmen des Gesamtkonzepts vertretbar zu sein.Meine Damen und Herren, ich will hier einen weiteren Punkt ansprechen, der in der Debatte bisher nicht erwähnt wurde, was ja aber vielleicht noch kommt. Presseberichte, nach denen es eine generelle Ausstiegsklausel für Daimler-Benz mit der Konse-
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7254 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 105. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. November 1988
Bundesminister Dr. Stoltenbergquenz neuer Verpflichtungen für den Bund gibt, sind unzutreffend. Ich will hier das unterstreichen, was der Kollege Martin Bangemann auch vor der Presse gesagt hat: Es gibt die Absicht, bestimmte Punkte in einem Briefwechsel festzuhalten, Punkte, die Teil der Kabinettsvorlage sind und die in den Ausschüssen auch noch einmal sehr ausführlich erläutert werden können. Der vorgesehene Text rechtfertigt es nicht, den Eindruck zu erwecken, als ob das Unternehmen eine Möglichkeit bekäme, unter Berufung auf diesen Briefwechsel erneut finanzielle Forderungen an den Bund zu stellen.
— Der Text ist, wenn ich es richtig sehe, in einer Reihe von Zeitungen veröffentlicht worden, und wir können ihn gern auch noch im einzelnen im Haushaltsausschuß erörtern. Er ist auch ein Annex zur Kabinettsvorlage gewesen. Nein, das Ergebnis der Verhandlungen soll und muß sein, daß nach der Übergangszeit das volle unternehmerische Risiko ab dem Jahr 2000 auf das neugeordnete Unternehmen übergeht.Über die Frage, welche Rolle der Bund hat, kann man diskutieren. Nach meiner Auffassung wird sich der Bund — ohne daß ich damit künftigen Bundesregierungen vorgreifen wollte — weiterhin international für vernünftige Rahmenbedingungen für die deutsche und europäische Luftfahrtindustrie einsetzen. Es ist vorstellbar, daß man auch in Zukunft Exportbürgschaften gibt. Es wird dann zu prüfen sein, ob — je nach der Praxis anderer Länder — Entwicklungskostenzuschüsse angemessen sind oder nicht. Darüber haben spätere Regierungen und Parlamente zu entscheiden. Aber ansonsten ist die Verantwortung eindeutig an die Industrie zu übergeben.Was als gravierendes Problem bleibt, ist in der Tat die Wettbewerbsdiskussion. Dazu will ich in aller Kürze folgendes sagen. Wir sollten diese Diskussion stärker unter den Vorzeichen des europäischen Binnenmarktes sehen. Wenn die Grundsatzentscheidung der Staats- und Regierungschefs, wie ich erwarte, bis 1993 vollzogen wird — und ich begrüße, daß sich ja auch die Sozialdemokratie gerade in den letzten Tagen entschieden dafür ausgesprochen hat —, werden wir eine vollkommen andere Wettbewerbssituation in Europa haben. Es ist unsere Aufgabe, dann — unter den Vorzeichen des Binnenmarktes — dafür zu sorgen, daß die befürchteten Folgen eines auf nationaler Ebene in gewissen Bereichen vorstellbaren Übergewichts eines Anbieters nicht eintreten, indem wir Wettbewerb in allen hier angesprochenen Bereichen außerhalb des Airbus-Bereichs in Europa und, wo nötig, über Europa hinaus herstellen.Schönen Dank.
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Matthäus-Maier.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Über diese Fusion von Daimler und MBB kann eigentlich keiner glücklich sein, der Steuerzahler nicht, denn er muß in Milliardenhöhe zahlen, die Arbeitnehmer bei Daimler nicht, denn siesind gegen die Fusion, der Finanzminister nicht, denn er macht Milliardensubventionen locker, die Bundesregierung nicht, denn ihr sorgfältig gepflegtes marktwirtschaftliches Image ist nun endgültig dahin,
Otto Graf Lambsdorff nicht, denn er hat sich furchtbar blamiert. Otto Graf Lambsdorff, wenn Sie es mir erlauben: Ich glaube — sozusagen von Frau zu Frau gesagt — , das hätte Frau Adam-Schwaetzer besser gemacht.
Eigentlich haben nur zwei Grund, sich zu freuen, nämlich Daimler-Benz und die Deutsche Bank. Das beweist auch dem letzten Zweifler, wessen Interessen die Bundesregierung in dieser Sache sehr eindeutig vertritt, nämlich die Interessen eines Großkonzerns und einer Großbank.
Meine Damen und Herren, das ist nicht das erste Mal. Sonntags hören wir in Reden von CDU, CSU und FDP von Marktwirtschaft, Wettbewerb und Mittelstand, und montags stellt sich heraus: Diese Bundesregierung ist eine Großbetriebsveranstaltung; sie ist nicht bereit, die steuerfreie Investitionsrücklage, die das Handwerk haben will, hier abzusegnen, aber 4,3 Milliarden zur Abdeckung eines Wechselkursrisikos — im schlechtesten Falle — sind vorhanden. Ich kann Ihnen nur sagen: Der Mittelständler, der meint, durch Sie würden seine Interessen vertreten, hat nun wirklich Tinte gesoffen.
Und dann sagen Sie, das sei gut für den Steuerzahler, denn mit der Gewährung von Subventionen habe es ein Ende.
Zum ersten: Bisher gibt es keine vertraglichen Vereinbarungen, wonach Subventionen zu zahlen sind. Es werden in der Tat Subventionen gezahlt, Herr Stoltenberg. Aber Sie vereinbaren es jetzt vertraglich.Ich nenne nur eine Zahl. 1982 gingen in den Bereich Airbus 356 Millionen DM an Subventionen; 1989 werden es 1,357 Milliarden DM sein. Das heißt: Pro Arbeitsplatz wurden 1982 am Ende der alten Koalition 19 000 DM an Subventionen gezahlt; heute sind es pro Arbeitsplatz 65 000 DM. Es gibt überhaupt keine Sicherheit, daß diese Subventionitis ein Ende hat, denn dann könnte man ja noch darüber reden.
Aber nach den Erfahrungen mit Großprojekten wie Schneller Brüter, Tornado, Jäger 90 ist vielmehr zu befürchten, daß der Steuerzahler auch nach dem Jahr 2000 mitfinanzieren muß. Denn was machen wir denn — wer auch immer die Regierung stellt und hier die Opposition im Bundestag ist — , wenn dann ein solcher Mammutkonzern auf die Regierung zukommt und sagt: Ihr müßt weiter mit das Risiko übernehmen;
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 105. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. November 1988 7255
Frau Matthäus-Maiersonst sind Tausende von Arbeitsplätzen in Gefahr? — Das ist die entscheidende Frage, die Sie bis heute nicht beantwortet haben.
Herr Stoltenberg, Sie sind angetreten, die Subventionen herunterzufahren, diese Fusion nicht zu unterstützen. Wir sind für einen europäischen zivilen Luftfahrtkonzern, aber nicht für das, was sich hier heute abspielt. Sie sind angetreten, Subventionen abzubauen, Herr Stoltenberg. Jahr für Jahr haben die Haushaltsberatungen gezeigt, daß das Gegenteil der Fall ist, und dieses Beispiel zeigt erneut: Sie werden als d e r Subventionsminister in die Geschichte dieser Republik eingehen.
Ich fasse die Kritik der SPD in vier Punkten zusammen.Erstens. Die von der Bundesregierung unterstützte Fusion von Daimler und MBB ist ein schwerwiegender Verstoß gegen alle Regeln von Markt und Wettbewerb. Sonntags reden Sie von Mittelstand, tatsächlich aber unterstützen Sie Großindustrie und Großbanken.Zweitens. Die mit dem neuen Riesenkonzern verbundene Zusammenballung wirtschaftlicher Macht beinhaltet erhebliche gesellschaftspolitische Gefahren. Regierung und Parlament werden erpreßbar.Drittens. Rüstungsproduktion wird in diesem Lande in Zukunft noch teurer als bisher.Viertens. Die Fusion ist ein Geschäft zu Lasten des Steuerzahlers. Die Bundesregierung hat weniger Subventionen versprochen. Sie wird als die Subventionsregierung in die Geschichte eingehen.Ich danke Ihnen.
Das Wort hat der Abgeordnete Kittelmann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich mit dem Versuch beginnen, die Glaubwürdigkeit der Aussagen der Sozialdemokraten wiederherzustellen.
— Herr Jens, Sie haben so liebenswürdig gesagt — ich zitiere wörtlich — : Es wird dringend Zeit, daß wir das Ruder wieder herumreißen. — Frau Matthäus-Maier hat nur zwei Personen genannt, die diesen Zusammenschluß hier angeblich begrüßen.Ich beginne mit einem Zitat:Die Wettbewerbsstruktur der Luft- und Raumfahrt hat eine europäische bzw. weltweite Dimension und erfordert Unternehmensgrößen mit einem hinreichenden Potential an Kapital und Know-how. Vier Jahre vor Schaffung des europäischen Binnenmarkts müssen bei der Beurteilung von Marktanteilen und Konkurrenzsituationen nationale durch europäische Kriterien abgelöst werden. Die deutsche Luft- und Raumfahrtindustrie muß sich auf den kommenden europäischen Binnenmarkt und in diesem Industriebereich besonders heftigen Wettbewerb Europas mit den USA einstellen. Unter den angeführten Rahmenbedingungen des kommenden europäischen Binnenmarkts nimmt ein auch bei MBB beteiligter DB-Konzern keine marktbeherrschende Stellung ein.Es handelt sich um einen einstimmigen Beschluß des Bremer SPD-Senats vom 31. Oktober 1988.
— Natürlich, Sie teilen die Verantwortung auf. Nur, Sie müssen dabei bitte feststellen, daß Sie hier nicht glaubwürdig sind, wenn einer Ihrer maßgebendsten sozialistischen Landesverbände hier genau das Gegenteil beschließt. Das ist nicht wichtig für Sie, aber das ist wichtig für draußen, damit man einmal merkt, wie Sie hin und her diskutieren.
Meine Damen und Herren, wir gehen noch einmal mit wenigen Punkten auf das ein, was für uns wichtig ist. Bei dem hier zur Diskussion stehenden Programm geht es erstens um den langfristigen Abbau von Subventionen, zweitens um eine gezielte Privatisierung, drittens um Stärkung der Forschungs- und Entwicklungstätigkeit und viertens — darauf hat vor allen Dingen Herr Bundesminister Stoltenberg zuletzt noch hingewiesen — um internationale Wettbewerbsfähigkeit. Das alles zeigt, daß es hier im Grunde genommen um ein Programm geht, das unseren marktwirtschaftlichen Weg trotz aller ordnungspolitischen Bedenken fortzusetzen versucht und so langfristig eine vollständige Reprivatisierung anpeilt. Wer sich jetzt dieses Programm anschaut, weiß auch, daß es zunächst um ein erstes Kennenlernen geht. Auch Herr Friedmann hat ausführlich dargestellt, welche Möglichkeiten sich der Haushaltsausschuß vorbehält, dieses Programm zu begleiten.Mit einer Verbindung von Daimler-Benz und MBB bietet sich jetzt die Chance, die Effizienz der deutschen Luft- und Raumfahrtindustrie europa- und weltmarktmäßig zu stärken. Es ist auch deshalb wichtig, daß so gehandelt wurde, weil auch Sie, meine Damen und Herren von der Sozialdemokratischen Partei, noch nicht einmal im Ansatz eine Alternative vorgeführt haben. Sie sind alternativlos, Sie stellen sich immer neben sich selbst, denn Sie haben den Stein ins Wasser geworfen, mit dem diese Regierung jetzt fertig werden muß, Sie haben die Wellen erst erzeugt.
Daimler-Benz hat hier eine Verantwortung übernommen, der das Unternehmen gerecht werden muß und die der Staat begleiten wird. Die Politik darf nicht immer auf die Bringschuld der Wirtschaft bei ihrem Engagement im internationalen Wettbewerb pochen. Wir müssen auch selbst die notwendigen, wenn auch manchmal schmerzhaften Weichenstellungen vornehmen. Größere Märkte fordern auch größere Anstrengungen, dies insbesondere dann, wenn ansonsten eine Monopolisierung droht, die den übrigen
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KittelmannHandelspartnern letztlich nur schaden kann. Die Risikoverlagerung auf private Unternehmen ist ein eindeutiges Ja zur Marktwirtschaft und ein eindeutiges Ja zu einem freien und liberalen Welthandel.Die Verknüpfung von MBB und Daimler-Benz ist im Grunde genommen auch ein Versuch, langfristig handelspolitische Divergenzen auszuräumen, wie wir sie augenblicklich mit den USA haben, denen die staatliche Förderung des Airbus ein Dorn im Auge ist. Das nunmehr vorliegende Programm wird dazu dienen, die staatliche Förderung langfristig zu reduzieren und damit zugleich die handelspolitischen Bedenken unserer Partner abzubauen.Meine Damen und Herren, ich darf zusammenfassen. Wir fördern nicht die nationale Konzentration, sondern diese wird jetzt erst noch wettbewerbsrechtlich geprüft werden. Wir fördern lediglich einen sinnvollen weltweiten Wettbewerb in dem eng umgrenzten Bereich der Luft- und Raumfahrtindustrie. Ansonsten droht uns ein kaum aufholbarer Rückstand, der unser Ziel einer echten europäischen Kooperation als Illusion erscheinen lassen würde.
— Nun lassen Sie doch diese Albernheiten!Die MBB- und Daimler-Benz- „Hochzeit", sofern sie stattfinden wird, soll letztlich zum Ausstieg aus einer Subventionslawine führen und verkörpert damit den Versuch, zu marktwirtschaftlichen Prinzipien zurückzukehren. Dieses ist ein Langzeitversuch. Es ist aber die einzige Alternative, und die CDU/CSU hat deshalb bei allen Bedenken, die hier von unseren Kollegen vorher geäußert worden sind, keine andere Möglichkeit gesehen. Im Interesse des Erhalts der Arbeitsplätze, im Interesse der weiteren Möglichkeiten der europäischen Industrie in einem Bereich, wo wir sonst als alleinige Wettbewerber die USA haben, wollen wir zu einer Kooperation finden und im wesentlichen der Regierung und uns selbst den Mut machen, dieses politisch auch durchzustehen.Schönen Dank.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Hinsken.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Kollege Roth hat vorhin von einem schwarzen Tag gesprochen. Ich meine, es ist wahrlich ein schwarzer Tag, aber für die SPD-Fraktion. Es ist ein beschämendes Zeugnis, das Sie heute ablegen: Da stellen Sie den Antrag auf eine Aktuelle Stunde über dieses für Sie wichtige Thema, und dann sind Sie nicht einmal mit Fußballmannschaftsstärke vertreten! So weit sind wir schon.
Zweitens. Kollege Dr. Jens hat darauf hingewiesen, daß sich die FDP — so sagte er — von gestern auf heute gedreht hätte. Ich meine, hier feststellen zu müssen, daß nicht die FDP, sondern gerade Sie vonder SPD mit zweierlei Zungen sprechen. Wenn Sie von einem schwarzen Tag reden, Herr Roth, dann wäre es gut, einmal dezidiert nachzulesen, was gerade die Bürgermeister von Hamburg und Bremen zu diesem Thema gesagt haben. Sie vertreten die Meinung, daß diese Entscheidung vor dem bereits mehrmals erwähnten Hintergrund die einzig vernünftige und richtige ist, daß es nur die Alternative gibt: Entweder bezahlt der Staat direkt weiter, oder es gibt die Fusionierung mit diesem Konzern.Machen wir uns doch alle mitsammen nichts vor: Wenn hier von Rüstungskonzernen gesprochen wird, so muß darauf verwiesen werden, daß gerade in Großbritannien, in Frankreich oder auch in den USA viele Konzerne sehr viel größer sind als speziell dieses Mammutunternehmen hier, das Sie als Rüstungskonzern bezeichnen. So sind z. B. die britische Aerospace oder die französische Aerospatiale doppelt und dreifach so groß, von den Amerikanern ganz zu schweigen. Boeing ist zwölfmal so groß und McDonaldDouglas ist siebenmal so groß.Als kürzlich ein englischer Automobilkonzern von British Aerospace übernommen wurde, fand dies in England einhellige Zustimmung. Dies sollte der Opposition, Ihnen, meinen Damen und Herren, und auch den Gewerkschaften zu denken geben. Dort haben die Gewerkschaften mit an einem Strang gezogen, weil es ihnen darum ging, Arbeitsplätze zu sichern und eventuell weitere Arbeitsplätze zu schaffen.Vergessen wir doch eines nicht: Gerade hier ist festzustellen, daß durch die Produktion des Airbus in der Bundesrepublik Deutschland 20 000 Arbeitsplätze vorgehalten werden. Stellen Sie sich vor, diese 20 000 Arbeitsplätze könnten nicht besetzt werden, und die Arbeitnehmer wären arbeitslos. Das würde jährlich 500 Millionen DM kosten.
Also lassen Sie bitte die Tassen im Schrank und gehen Sie so vor, daß Sie das einmal im einzelnen berechnen.
Ich möchte an dieser Stelle darauf hinweisen, daß diese Arbeitsplätze gerade in strukturschwachen Bereichen und Regionen vorgehalten werden. Ich denke hier an Bremen:
14,8 % Arbeitslose. Bei MBB gibt es 5 600 Beschäftigte. Stellen Sie sich vor, diese wären arbeitslos. Dann würde die Arbeitslosigkeit in Bremen auf über 20 steigen. Das kann eine konservative Regierung nicht verantworten,
und wir werden deshalb Maßnahmen ergreifen, damit die Arbeitsplätze dort weiterhin erhalten bleiben.Was ich für besonders wichtig und wissenswert halte, ist die Tatsache, daß von den 20 000 Arbeits-
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Hinskenplätzen allein 10 000 in über 100 mittelständischen Betrieben vorhanden sind,
die über die ganze Bundesrepublik Deutschland verteilt sind und Mitarbeiter beschäftigen können, weil sie zuliefern dürfen.
Meine Damen und Herren, ich meine, gerade aus regionalpolitischer Sicht ist es wichtig, an diesem Projekt festzuhalten und darüber hinaus die Fusionierung vor dem Hintergrund dessen, was das Vernünftigste ist, durchzuführen.Ich stelle als letztes folgendes fest: Es sitzt hier der Koordinator der Bundesregierung für das Luft- und Raumfahrtwesen, Herr Dr. Riedl.
Herr Dr. Riedl, Sie haben in einer Presseerklärung jüngst gesagt, daß der Airbus ein so großer Renner ist, daß bei Lieferungen teilweise Wartezeiten von vier bis fünf Jahren entstehen und daß man daran denken sollte, ja daran denken müßte, unter Umständen einweiteres Fertigungswerk zu errichten. Sollte das der Fall sein, dann bitte ich die Bundesregierung, die laut Dr. Jens über das Jahr 2000 hinaus im Amt ist, dafür zu sorgen, daß dieses Fertigungswerk bei uns in der Bundesrepublik Deutschland entsteht.
Wir können diese Arbeitsplätze dringend brauchen. Herzlichen Dank.
Meine Damen und Herren, die Aktuelle Stunde ist beendet. Wir sind damit am Schluß unserer heutigen Tagesordnung.
Der Deutsche Bundestag tritt zum Gedenken an die 50. Wiederkehr des Jahrestags der Pogrome des nationalsozialistischen Regimes gegen die jüdische Bevölkerung in Deutschland am 9./10. November 1938 morgen um 11 Uhr zusammen.
Die nächste Sitzung des Deutschen Bundestags berufe ich auf morgen, Donnerstag, den 10. November 1988, 14 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.