Gesamtes Protokol
Ich eröffne die Sitzung. Ich rufe Punkt 1 der Tagesordnung auf: Fragestunde
— Drucksache 11/2219 —
Die beiden ersten in unserer Drucksache vorgesehenen Geschäftsbereiche, den des Bundesministers für das Post- und Fernmeldewesen und den des Bundesministers für Forschung und Technologie, brauche ich nicht aufzurufen, weil die Fragen 1 und 2 des Abgeordneten Bindig sowie 3 und 4 des Abgeordneten Borchert schriftlich beantwortet werden sollen. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft. Die Parlamentarische Staatssekretärin Frau Karwatzki steht zur Beantwortung der Fragen zur Verfügung.
Ich rufe Frage 5 des Abgeordneten Dr. de With auf:
Hält die Bundesregierung Lehrverträge für zulässig bzw. angemessen, in denen folgende Klausel enthalten ist: „Bitte überlegen Sie sich vor Unterzeichnung dieses Vertragsangebots nochmals sehr genau, ob Sie wirklich bei uns die Ausbildung zum Industriekaufmann absolvieren wollen. Ein Rücktritt vom Vertrag wäre für beide Seiten sehr teuer, denn wir müßten Ihnen dann für die Suche einer/eines Ersatz-Kandidatin/Kandidaten mindestens 1 000 DM als Kostenerstattung berechnen."?
Herr Kollege de With, nach § 15 Abs. 1 des Berufsbildungsgesetzes kann das Berufsausbildungsverhältnis während der ein- bis dreimonatigen Probezeit sowohl vom Ausbildungsbetrieb als auch vom Lehrling jederzeit ohne Einhalten einer Kündigungsfrist schriftlich gekündigt werden. In der Rechtsprechung ist höchstrichterlich entschieden, daß diese Rechtslage auch bereits vor Beginn der Probezeit besteht.
Eine nach Abschluß des Vertrages, aber vor Beginn der Ausbildung ausgesprochene schriftliche Kündigung des Lehrlings ist somit rechtmäßig und kann nicht zu Schadenersatzansprüchen des Ausbildungsbetriebs führen. Die in der Frage mitgeteilte Klausel ist insoweit rechtswidrig und kann den Lehrling nicht zu Schadenersatz verpflichten.
Diese Rechtslage ist zwingendes Recht. Eine vereinbarte Klausel der zitierten Art wäre eine solche zuungunsten des Lehrlings. Sie wäre damit nach § 18 des Berufsbildungsgesetzes nichtig.
Eine Zusatzfrage, Herr de With.
Ist die Bundesregierung bereit, durch eine entsprechende Kontaktaufnahme auf Bundesebene dafür Sorge zu tragen, daß diese aus meiner Sicht positive Meinung auch bei den Handwerkskammern und den Industrie- und Handelskammern ankommt, weil das Beispiel, das ich gewählt habe, wirklich ein Beispiel aus der Praxis ist und weil das von einem nicht ganz kleinen Werk praktiziert wird?
Frau Karwatzki, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege de With, in Ihrer zweiten Frage haben Sie das ja noch einmal angesprochen. Sind Sie damit einverstanden, daß ich Ihnen jetzt den vorbereiteten Text der Antwort zur Kenntnis gebe? Daraus ergibt sich nämlich, daß wir das tun.
— Danke schön. — Sind Sie einverstanden, Herr Präsident?
Ich muß wissen, ob der Abgeordnete einverstanden ist;
dann stimme ich auch zu.
Ich rufe also zusätzlich Frage 6 des Abgeordneten Dr. de With auf:Wenn nicht, was gedenkt die Bundesregierung zu unternehmen, um solche Lehrverträge mit derartigen Klauseln zu verhindern?Herr Abgeordneter, Sie haben dann noch drei Zusatzfragen.Frau Karwatzki, Parl. Staatssekretär: Ausbildungsverträge mit rechtswidrigen Klauseln müssen von den mit der Durchführung des Berufsbildungsgesetzes gesetzlich beauftragten zuständigen Stellen beanstandet werden. Für den Bereich der gewerblichen Wirtschaft sind dies die Industrie- und Handelskammern und die Handwerkskammern.Verträge dieser Art dürfen in das Verzeichnis der Berufsausbildungsverhältnisse bei den zuständigen
Metadaten/Kopzeile:
5110 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. Mai 1988
Parl. Staatssekretär Frau KarwatzkiStellen nicht eingetragen werden. Ausbildungsbetriebe, die entsprechenden Abmahnungen der zuständigen Stelle nicht folgen, müssen mit einem im Berufsbildungsgesetz geregelten Verfahren zur Entziehung der Ausbildungsbefugnis rechnen.Die Bundesregierung wird die Landesaufsichtsbehörden auf die Rechtslage noch einmal hinweisen.
Eine Zusatzfrage, Herr Dr. de With?
— Keine Zusatzfragen.
Damit sind wir schon am Ende dieses Geschäftsbereichs. Ich danke der Parlamentarischen Staatssekretärin für die Beantwortung der Fragen.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit. Der Herr Bundesminister ist persönlich gekommen.
Die Fragen 17 und 18 des Abgeordneten Engelsberger, 19 und 20 des Abgeordneten Scherrer, 21 des Abgeordneten Weiermann sowie 22 und 23 des Abgeordneten Menzel werden auf Wunsch der Fragesteller schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Die beiden Abgeordneten, die ihre Fragen nicht schriftlich beantwortet haben möchten, nämlich der Abgeordnete Wüppesahl für die Frage 24 und der Abgeordnete Dr. Daniels für die Fragen 25 und 26, sind nicht im Saal. Dann werden diese Fragen entsprechend der Geschäftsordnung behandelt. Es tut mir leid, Herr Minister. Wir sind sehr schnell vorangekommen. Man muß als Abgeordneter eben auch selber aufpassen, daß man rechtzeitig kommt.
Schönen Dank, Herr Minister.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern auf. Zur Beantwortung der Fragen steht der Parlamentarische Staatssekretär Spranger zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 27 der Abgeordneten Frau Dr. Hamm-Brücher auf:
Welche Gründe haben die Bundeszentrale für politische Bildung bewogen, das Buch von Lothar Uhlsamer „Zeitgenössische Schriftsteller als Wegbereiter für Anarchismus und Gewalt" an wen zu verbreiten?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Frau Kollegin Dr. Hamm-Brücher, der Ankauf von Büchern und deren Verteilung an Mittler der politischen Bildung gehört zu den Aufgaben der Bundeszentrale für politische Bildung. Deren Direktorium entscheidet in eigener Zuständigkeit über die Beschaffung von jeweils 100 bis 120 Verlagspublikationen im Jahr, und zwar ohne Vorgaben oder Weisungen der Bundesregierung.
Das Ziel der Bundeszentrale bei dieser Maßnahme ist, ein möglichst breites Spektrum der politischen Bildungsarbeit abzudecken, was andererseits bedeutet, daß Publikationen der unterschiedlichsten politischen, weltanschaulichen oder fachlichen Richtungen
angekauft werden. Dabei kann sich die Bundeszentrale mit dem Inhalt der jeweiligen Einzelveröffentlichungen naturgemäß nicht identifizieren. Sie geht jedoch davon aus, daß diejenigen, die aus dem Publikationsverzeichnis Bücher bei ihr anfordern, in der Regel kritische Leser sind, die die vertretenen Positionen nicht einfach übernehmen, sondern sie bewerten können und für ihre eigene Orientierung in der politischen Bildungsarbeit verwenden.
In diesem Rahmen ist das Buch von Uhlsamer, das auf einer Dissertation beruht, in einer Stückzahl von 500 im Herbst 1987 angekauft worden. Es ist seit Januar dieses Jahres bei der Bundeszentrale vergriffen und nicht mehr erhältlich.
Ein Anlaß für die Bundeszentrale, das Buch anzukaufen, war, daß es sich mit der Frage auseinandersetzt, welchen Einfluß zeitgenössische Schriftsteller auf und in Medien, Erziehungseinrichtungen, Kirchen, politischen und gewerkschaftlichen Organisationen haben, und daß dieses Thema in der politischen Bildungsarbeit eine wichtige Rolle spielt.
Ein zweiter Anlaß war, daß es zu der Frage, wie der Schriftsteller seine politische Verantwortung sieht und wahrnimmt, wenig Literatur gibt und Uhlsamers Buch einen Beitrag zur Diskussion über diese Problematik leistet.
Frau Dr. Hamm-Brücher, eine Zusatzfrage? — Bitte schön.
Herr Staatssekretär, mit meinem Dank für die Beantwortung möchte ich doch die sehr kritische Frage verbinden, ob nicht eigentlich allein schon der Titel dieser Broschüre „Zeitgenössische Schriftsteller als Wegbereiter für Anarchismus und Gewalt" — das ist eine Behauptung, die insbesondere an Nobelpreisträger Heinrich Böll und an den sehr bekannten Schriftstellern Grass und Enzensberger exemplifiziert wird — dazu hätte führen müssen, daß dieses Buch etwas genauer auf das von Ihnen behauptete breite Spektrum überprüft wird. Fällt ein solches Pamphlet noch in das breite demokratische Spektrum hinein oder nicht?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Ich möchte mich hier jeglicher Bewertung des Inhalts des Buches enthalten. Ich kann nur nochmals darauf hinweisen, daß die jetzt auch von Ihnen konkretisierte Entscheidung in die Zuständigkeit des Direktoriums gefallen ist und daß das Direktorium hierüber an sich eine Stellungnahme abgeben könnte, und zwar im Bereich des Kuratoriums der Bundeszentrale, die sich ja nächstens mit diesem Thema beschäftigen wird.
Sie haben eine weitere Zusatzfrage, Frau Hamm-Brücher.
Herr Staatssekretär, sind Sie bereit, dieses Kuratorium zu einer sehr ausführlichen Stellungnahme aufzufordern und diese Stellungnahme auch dem Bundestag zuzuleiten?Ich darf Ihnen hier ein paar Sätze vortragen. Uhlsamer diagnostiziert die Ausbreitung anarchistischer Tendenzen und die Aushöhlung unserer Kultur durch gänzlich anders ausgerichtete Werte und Normen von
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. Mai 1988 5111
Frau Dr. Hamm-Brücherdiesen Schriftstellern her, und er behauptet, daß Teile der Kulturintelligenz, die von ihm kritisch betrachtet wird, zu konstruktiver Aufbauarbeit nach Jahren des destruktiven Denkens kaum fähig seien.Ist das nicht Anlaß genug, um die Verantwortung nicht allein auf das Kuratorium abzuschieben, sondern sie auf das Bundesinnenministerium als Aufsichtsbehörde auszudehnen?Spranger, Parl. Staatssekretär: Das Kuratorium ist mit 22 Mitgliedern dieses Hauses besetzt. Ob sich diese vom Innenministerium irgendwelche Ratschläge in dieser Sache erbitten, obwohl sie nach meiner Auffassung durchaus in der Lage sind, diese selber, möglicherweise auch kontrovers, zu beurteilen, da habe ich meine Zweifel.
Ich rufe dann Ihre Frage 28 auf, Frau Dr. Hamm-Brücher.
Ist die Bundesregierung der Auffassung, daß es sich um ein rechtsextrem argumentierendes Pamphlet handelt, wie dies vom PEN-Club festgestellt wurde, und welche Konsequenzen wird sie hieraus gegebenenfalls ziehen?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Spranger, Parl. Staatssekretär: Zu der Beurteilung des Buches, die der PEN-Club abgegeben hat, möchte die Bundesregierung nicht ihrerseits ein Urteil abgeben.
Angesichts des eben dargelegten Prinzips der Pluralität beim Bücherankauf wird es immer wieder zu kontroversen Urteilen kommen. Der, wie ich meine, richtige Ort, eine solche Diskussion zu führen, ist das Kuratorium der Bundeszentrale für politische Bildung, das, wie Sie wissen, mit 22 Mitgliedern dieses Hauses besetzt ist und politische Ausgewogenheit und Wirksamkeit der Arbeit der Bundeszentrale kontrolliert. Das Kuratorium hat auch bereits eine Aussprache über das Uhlsamer-Buch auf die Tagesordnung seiner nächsten — morgen stattfindenden — Sitzung gesetzt.
Zusatzfrage, Frau Dr. Hamm-Brücher.
Herr Staatssekretär, ich möchte Sie jetzt fragen, ob die Bundesregierung die in dem Titel dieses Pamphlets zum Ausdruck kommende Meinung teilt, daß Schriftsteller wie Böll, Grass und Enzensberger „Wegbereiter für Anarchismus und Gewalt" in unserer Gesellschaft sind. Ich möchte um eine konkrete Antwort bitten.
Spranger, Parl. Staatssekretär: Ich bitte Sie, zu akzeptieren, daß diese Frage nach meiner Auffassung nicht im Zusammenhang mit Ihren beiden gestellten Fragen steht. Auch möchte die Bundesregierung zu diesem Werk, zu seinem Inhalt und zu seinem Titel keine Bewertung abgeben. Das will die Bundesregierung dem zuständigen Kuratorium überlassen.
Herr Staatssekretär, die Frage ist an die Bundesregierung gerichtet. Insofern steht sie eindeutig im Zusammenhang mit den Ausgangsfragen. Den ersten Teil Ihrer Antwort kann ich jedenfalls nicht akzeptieren.
Spranger, Parl. Staatssekretär: Dann bitte ich, den zweiten Teil zu akzeptieren.
Sie haben eine weitere Zusatzfrage, Frau Dr. Hamm-Brücher.
Herr Staatssekretär, im Hinblick auf das von Ihnen vorhin beschworene breite Spektrum, das bei der Verteilung von Publikationen der Bundeszentrale für politische Bildung selbstverständlich berücksichtigt werden soll, frage ich Sie nochmals: Gehört in das breite Spektrum eine Denunziation unserer namhaftesten und weltweit bekannten Schriftsteller als Wegbereiter für Anarchie und Terrorismus?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Ich kann nur ganz allgemein sagen, daß eine Denunziation sicherlich nicht dazugehört. Inwieweit diese Bewertung zutrifft und inwieweit auch der Inhalt dieses Werkes dann zu kritisieren ist, bitte ich aber nicht der Bundesregierung zuzumuten, sondern dem zuständigen Kuratorium zu überlassen.
— Man hätte hier sicherlich sehr viel
aus der Produktion der Bundeszentrale lesen müssen.
Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Hirsch.
Herr Staatssekretär, da mir ein linksradikales Werk aus den Schriften der Bundeszentrale noch nicht bekanntgeworden ist und ich mir nicht vorstellen würde, daß Sie in einem solchen Fall mit derselben Gelassenheit reagieren, wie Sie das heute tun, möchte ich doch fragen, ob die Bundesregierung politisch das Urteil teilt, das der PEN-Club über dieses verheerende Machwerk mit Recht gefällt hat.
Spranger, Parl. Staatssekretär: Ich kann nur wiederholen, was ich auf die zweite Frage der Frau Kollegin Dr. Hamm-Brücher schon gesagt habe: daß die Bundesregierung zu der Beurteilung des Buches, wie sie der PEN-Club und auch andere vorgenommen haben, hier kein Urteil abgeben möchte.
Zusatzfrage des Abgeordneten Baum.
Stimmen Sie mit mir überein, Herr Staatssekretär, daß die Bundesregierung uns — dem Parlament — gegenüber politisch für das verantwortlich ist, was mit Steuergeldern geschieht, und stimmen Sie mit mir darin überein, daß Sie hier eine Auskunft geben müssen und sich nicht auf ein Kuratorium zurückziehen können, das nicht der parlamentarischen Verantwortung unterliegt?
Metadaten/Kopzeile:
5112 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. Mai 1988
Spranger, Parl. Staatssekretär: Da in dem Kuratorium 22 Mitglieder dieses Hauses tätig sind und ihre Aufgabe sicherlich pflichtgemäß wahrnehmen, dieses Thema auch ansprechen, ist es, glaube ich, auch eine Frage der Achtung vor den Möglichkeiten und den Aufgaben der Vertreter dieses Hauses, daß die Bundesregierung hier gerade auch zu solchen Themen keine Meinung programmiert oder sich hier nicht in Kompetenzen einmischt, die dem Kuratorium zustehen.
Zusatzfrage des Abgeordneten Duve.
Herr Staatssekretär Spranger, einige der Behauptungen dieses Schriftwerks entsprechen ja durchaus Kampagnen gegen deutsche Schriftsteller, die sich in aller Welt einen großen Namen erworben haben: Haben Sie sich denn einmal selber — ich habe ja inzwischen auch zwei schriftliche Anfragen zu der Sache an das Haus gestellt — mit dem Inhalt dieses Buches vertraut gemacht, d. h. konkret: Haben Sie etwas daraus gelesen?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Die Frage ist nicht, was für eine Beziehung ich persönlich zu dem Buch oder dem Titel habe. Die Frage ist vielmehr: Welche Position bezieht die Bundesregierung? Diese Frage habe ich beantwortet.
Zusatzfrage der Frau Abgeordneten Olms.
Herr Staatssekretär, gehört es nicht zu Ihrem Aufgabenbereich, daß Sie sich, wenn Anfragen von Parlamentariern ins Parlament eingebracht worden sind, vorher mit dem Inhalt und Gegenstand der Anfragen befassen, d. h. daß Sie sich das Buch zu Gemüte ziehen?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Ich befasse mich mit dem Gegenstand der Anfragen immer in dem Umfang, wie die Bundesregierung gefordert ist, auf die Anfrage ausreichende und angemessene Antworten zu geben. In diesem Umfang habe ich mich auch mit dieser Anfrage beschäftigt.
Wir kommen zur Frage 29 des Abgeordneten Brauer. — Der Abgeordnete Brauer ist nicht im Saal. Das bedeutet: Die Fragen 29 und 30 des Abgeordneten Brauer werden entsprechend der Geschäftsordnung behandelt.
Ich rufe die Frage 31 des Abgeordneten Duve auf:
In welcher Form und mit welchen Veranstaltungen plant die Bundesregierung, 1989 den 75. Jahrestag des Ausbruchs des Ersten Weltkrieges zu würdigen?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Spranger, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Duve, ich bitte, wegen des Sachzusammenhangs Ihre Fragen 31 und 32 zusammen beantworten zu dürfen.
Der Abgeordnete ist einverstanden. Ich rufe dann auch die Frage 32 des Abgeordneten Duve auf:
In welcher Form und mit welchen Veranstaltungen plant die Bundesregierung, 1989 des 50. Jahrestags des Ausbruchs des Zweiten Weltkrieges zu gedenken, und werden daran auch Angehörige von Völkern der damaligen Kriegsgegner, Vertreter von Vereinigungen von Opfern und Verfolgten des Nationalsozialismus sowie Mitglieder von Exilvereinigungen beteiligt sein?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Der Bundeskanzler hat in seiner Ansprache zum Gründungsakt des Deutschen Historischen Museums in Berlin am 28. Oktober 1987 darauf hingewiesen, daß im Jahr 1989 nicht nur das 40jährige Bestehen der Bundesrepublik Deutschland gewürdigt werden solle. Es solle auch des 50. Jahrestags des Ausbruchs des Zweiten Weltkrieges gedacht werden. Die Überlegungen zur Ausgestaltung dieses Gedenkanlasses sind noch nicht abgeschlossen. Die Bundesregierung wird darüber zu gegebener Zeit Gespräche mit den Fraktionen des Deutschen Bundestags führen und dabei auch die Frage einbeziehen, in welcher Form des 75. Jahrestags des Ausbruchs des Ersten Weltkrieges zu gedenken ist.
Zusatzfrage, Herr Duve.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, ob Gremien und Institutionen, die sich im Auftrag der Bundesregierung mit der 40-Jahr-Feier im nächsten Jahr befassen, heute schon versuchen, Gedenkveranstaltungen anläßlich dieser beiden anderen sehr wichtigen Tage zu planen; und ist Ihnen bekannt, in welcher Weise die Bundesregierung darauf reagiert hat?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Ich kann Ihnen hier Konkretes noch nicht sagen. Aber ich stimme Ihrer Anregung zu und kann bejahen, daß sich die Bundesregierung mit entsprechenden Überlegungen beschäftigt.
Weitere Zusatzfrage, Herr Duve.
Herr Staatssekretär, da die Bundesregierung mit großem Elan und großem Geld die 40-Jahr-Feier der Gründung der Bundesrepublik Deutschland vorbereitet, frage ich: Können Sie etwas dazu sagen, warum diese beiden anderen Gedenktage so dilatorisch — Sie haben vorhin gesagt: zu gegebenem Zeitpunkt — behandelt werden, und wann ist dieser Zeitpunkt?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Es sind ja unterschiedliche Anlässe.
Es trifft zu, daß sich die Bundesregierung nun vorrangig mit dem Thema des 40jährigen Bestehens der Bundesrepublik Deutschland beschäftigt. Aber ich habe Ihnen zugestanden, daß darüber hinaus nicht nur Überlegungen angestellt werden, sondern daß man sich auch konkrete Gedanken macht, in welcher Form auch der beiden anderen Anlässe mit Veranstaltungen oder anderem gedacht werden kann.
Ihnen stehen zwei weitere Zusatzfragen zu. Bitte schön, Herr Duve.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. Mai 1988 5113
Herr Staatssekretär, muß ich dieser ausweichenden Art, mit der Sie bisher geantwortet haben, entnehmen, daß Sie bisher
zu diesen beiden Gedenktagen überhaupt noch keine konkreten Überlegungen angestellt haben?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Was sind konkrete Überlegungen?
— Gut. Es gibt Überlegungen, die auch innerhalb der einzelnen Ressorts zu diesem Thema angestellt werden und die auch im Bundeskanzleramt angestellt werden. Wenn sie sich in einer Form konkretisiert haben, daß über meine bisherigen Auskünfte hinaus Informationen zu vermitteln sind, bin ich gern bereit, Ihnen diese Informationen zugänglich zu machen.
Weitere Zusatzfrage, Herr Duve.
Könnten Sie dem Deutschen Bundestag nicht jetzt schon einige Anhaltspunkt über solche, wie Sie soeben gesagt haben, ja vorhandenen konkreten Überlegungn geben?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Nein.
Zusatzfrage des Abgeordneten Stahl.
Herr Staatssekretär, es gab ja vor einigen Wochen hier eine Zusammenkunft deutscher und polnischer Parlamentarier, bei der das, was Herr Duve erwähnt hat, ein besonderes Thema war. Dort waren Vertreter aller Bundestagsfraktionen. Ich glaube, daß auch Vertreter der Regierung dabei waren, weil auch Gespräche in einigen Ministerien geführt wurden, wo dieser Wunsch angesprochen wurde, eventuell gemeinsam auch des 50. Jahrestages des Ausbruchs des Krieges in irgendeiner Form zu gedenken.
Da muß es doch schon Überlegungen bei Ihnen geben. Bis zu diesem Zeitpunkt ist es nur noch ein knappes Jahr. Wie wollen Sie das denn international vernünftig abchecken und alles, was dazugehört?
Herr Kollege, das Fragezeichen war jetzt nach einiger Zeit da!
Mit Verlaub, Herr Präsident, es war ein bißchen lang. Das gebe ich zu.
Spranger, Parl. Staatssekretär: Ich bitte sehr um Nachsicht; ich war bei diesen Gesprächen, die Sie erwähnt haben, nicht dabei. Ich weiß nicht, welche Überlegungen angestellt und welche Anregungen gegeben wurden. Ich bin gern bereit, nachzufragen, inwieweit Beiträge zur Konkretisierung der von Herrn Duve angesprochenen Überlegungen existieren, die Fortschritte ermöglichen.
Eine weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Stahl.
Herr Staatssekretär, wären Sie dann so freundlich, über Ihre Erkundigungen und Überlegungen den jeweiligen Parlamentariergruppen hier im Parlament einen diesbezüglichen Bericht zu geben?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Ich habe das Herrn Abgeordneten Duve schon zugesagt. Wir werden diese Möglichkeiten sicherlich nutzen.
Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Dr. Hamm-Brücher.
Herr Staatssekretär, Sie haben hier ja bereits angekündigt, daß Sie das Parlament darüber unterrichten wollen, welche Überlegungen die Bundesregierung anstellt. Mich interessiert in diesem Zusammenhang allerdings besonders der 50. Jahrestag des Ausbruchs des Zweiten Weltkriegs. Ich möchte Sie fragen, ob es nicht die Aufgabe der Bundesregierung ist, aus diesem Anlaß sehr umfassend und sehr grundsätzlich gerade für heranwachsende Generationen die schrecklichen Lehren aus diesem Ereignis — auch aus dem Ersten Weltkrieg — vor Augen zu halten. Sind Sie mit mir der Ansicht, daß ein solcher Ansatz mehr Zeit erfordert und diese Überlegungen deshalb dringlich angestellt werden müßten?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Ich meine, daß Ihre Darlegungen in die Überlegungen der Bundesregierung, die in diesem Umfang angestellt werden, wie ich ihn bereits vorgetragen habe, schon mit einbezogen sind. Die Bundesregierung wäre auch für Anregungen zur Gestaltung dieser Gedenktage aus dem Plenum dieses Hauses durchaus aufgeschlossen, und sie ist auch bereit, vernünftige Anregungen mit in die Planungen einzubeziehen.
Sie haben eine weitere Zusatzfrage. Bitte schön, Frau Dr. Hamm-Brücher.
Herr Staatssekretär, aus den von Ihnen vorgetragenen Überlegungen kann ich einen Umfang überhaupt noch nicht absehen. Daraus kann ich nur absehen, daß bisher noch keine Überlegungen angestellt wurden.
Ich frage: Bleibt es bei dem bisher angesprochenen Umfang der Überlegungen, oder wird vielleicht ein zweiter Anlauf bezüglich der Überlegungen genommen?Spranger, Parl. Staatssekretär: Sie haben völlig recht: Ich habe von einem bestimmten Umfang der Überlegungen überhaupt nicht gesprochen, weil wir in einem Stadium der Überlegungen sind. Ob sie nun konkret oder nicht konkret sind, wollen wir offenlassen. Ich möchte den Überlegungen der Bundesregierung nicht durch irgendwelche Feststellungen heute vorgreifen.
Metadaten/Kopzeile:
5114 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. Mai 1988
Eine weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Lüder.
Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung bereit, die Vorbereitungen zum Gedenktag „40 Jahre Bundesrepublik" nicht abzuschließen, bevor die Konzeption für das Gedenken an den 50. Jahrestag des Ausbruchs des Zweiten Weltkriegs vorliegt?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Lüder, vor kurzem hat der Kollege Waffenschmidt im Innenausschuß breit über die Vorbereitungen zum Thema 40 Jahre Bundesrepublik Deutschland berichtet. Ich gehe davon aus, daß Sie die Gelegenheit genutzt haben, ihm als dem dafür Zuständigen diese Überlegungen vorzutragen. Ich bin sicher, daß der Kollege Waffenschmidt und die entsprechenden Mitarbeiter das bei der Vorbereitung der Feier zum 40jährigen Bestehen der Bundesrepublik Deutschland mit einbeziehen.
Zusatzfrage des Abgeordneten Becker.
Herr Staatssekretär, ich wundere mich etwas über Ihre Antwort auf diese Frage, und zwar ganz einfach, weil ich Sie fragen muß: Ist Ihnen denn eigentlich entgangen, daß die Parlamentarier in ihren parlamentarischen Gruppen und Verbindungen — ich nenne nur zwei Beispiele — sowohl nach Israel wie nach Polen die Frage seit Wochen und Monaten erörtern, was denn nun eigentlich geschehen soll? Hat die Bundesregierung bisher wirklich überhaupt noch gar keine Konzeption zu dem erarbeitet, was wir hier zur Zeit diskutieren?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Bekker, ich hatte vorhin schon auf die Frage, ob wir die Überlegungen, die in deutsch-polnischen Gesprächen zu diesen Gedenktagen stattgefunden haben, mit berücksichtigen werden, zur Antwort gegeben, daß mir persönlich diese Überlegungen nicht bekannt sind. Es ist aber davon auszugehen, daß diese Gespräche und die Überlegungen dazu ebenso wie diejenigen, die Sie jetzt in bezug auf Israel angeschnitten haben, bei den Planungen Berücksichtigung finden.
Herr Becker, Sie haben eine weitere Zusatzfrage.
Spranger, Parl. Staatssekretär: Das kann man beliebig fortsetzen.
Herr Staatssekretär, hier gab es einen Zwischenruf: Wir haben keine Zeit mehr! — Ich möchte deswegen noch einmal die Frage stellen: Können wir davon ausgehen, daß wir rechtzeitig, weit vor der Sommerpause, weil es noch viele Gespräche geben wird, eine Konzeption der Bundesregierung für das, was sie vorhat, bekanntgegeben bekommen?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Ich kann Ihnen nur meine Bereitschaft übermitteln, noch unmittelbar vor der Sommerpause nachzufragen, wie der konkrete Sachstand ist — auch angesichts des Eindruckes, den ich heute aus der Sitzung mitnehme, nämlich daß ein hohes parlamentarisches Interesse an einer Konkretisierung dieser Planung besteht.
Herr Stiegler, bitte schön!
Herr Staatssekretär, nachdem offenkundig ist, daß Sie nicht ausreichend informiert sind
— wer führt denn die Feder in dieser Sache?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Ihren Vorspann würde ich nicht akzeptieren.
— Wir wollen hier nicht darüber diskutieren. Die Antworten so, wie der Sachstand ist,
und über den Sachstand hinaus kann ich Ihnen keine Informationen geben. Im übrigen verweise ich noch einmal darauf, daß erst vor kurzem zu dem Thema „des vierzigjährigen Bestehens der Bundesrepublik Deutschland und der Vorbereitungen für die Feiern dazu" — was nicht Gegenstand der heutigen Fragestunde ist — ausführlich seitens der Bundesregierung Bericht erstattet worden ist, und ich bin gerne bereit, Ihnen diesen Bericht — über die Fragestunde hinaus — zugänglich zu machen.
Wir sind damit am Ende dieses Geschäftsbereichs. Ich danke dem Parlamentarischen Staatssekretär für die Antworten.
Ich rufe auf den Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen. Herr Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Häfele steht uns für die Beantwortung zur Verfügung. Ich rufe die Frage 36 des Abgeordneten Stahl auf, mit dem ich mich immer noch in einem Prozeß des Lernens befinde, und ich hoffe, daß er lernfähig ist:
Wie soll nach Ansicht der Bundesregierung die Einführung der Quellensteuer an der Quelle zum 1. Januar 1989 durch die EDV-Anlagen der Sparkassen — als Eigenanwender Sparkassen, die keinem Rechenzentrum angeschlossen sind — organisatorisch bewältigt werden, wenn nach dem Gesetz jede Zinszahlung nach dem Inkrafttreten der Quellensteuerpflicht, z. B. Termineinlagen, Sparkassenbriefe oder vorzeitige Auflösungen von Konten, der Besteuerung unterliegt?
Die Kreditinstitute haben erklärt, sie benötigten einen zeitlichen Vorlauf von neun Monaten, um die technischen Vorbereitungen für die Erhebung der kleinen Kapitalertragsteuer zu treffen. Die Bundesregierung hat den Entwurf des Steuerreformgesetzes 1990 am 22. März 1988 beschlossen. Wenige Tage danach stand die Bundesratsdrucksache 100/88 der Allgemeinheit zur Verfügung. Daraus ergeben sich bereits alle wichtigen Einzelheiten über die Erweiterung der Kapitalertragsteuer. Wesentliche Änderungen sind im weiteren Gesetzgebungsverfahren wohl kaum zu erwarten, weil das Verfahren im
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. Mai 1988 5115
Parl. Staatssekretär Dr. HäfeleZusammenhang mit der bisherigen Kapitalertragsteuer von 25 vom Hundert auf Dividenden bereits vorgegeben und den Anwendern bekannt ist. Sosehr eine Umstellung stets Schwierigkeiten mit sich bringt, dürften diese doch zu meistern sein.
Zusatzfrage, Herr Stahl!
Herr Staatssekretär, nun ist es ja unbestritten, daß innerhalb der Bundesregierung mit dem Bundesrat und allen anderen eine ganze — große — Palette von Veränderungen im Rahmen des Steuergesetzes gefordert wird. Da scheint mir doch die Frage berechtigt zu sein, ob diese neun Monate, die Sie den Sparkassen, also den örtlichen Instituten, zugestanden haben, und bei den Streitereien, die Sie jetzt innerhalb der Regierungsparteien um die Steuerreform haben, dann überhaupt noch für die Sparkassen vor Ort zeitlich verfügbar sind, um dem Einzug der Steuer nach Verabschiedung gerecht zu werden.
Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Stahl, die Vorschläge, die der Bundesrat macht, gehen in Richtung Vereinfachung. Es ist durchaus möglich, daß das eine oder andere in der weiteren Beratung zum Zuge kommt. Dann wird es noch einfacher.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Stahl.
Herr Staatssekretär, wenn das so einfach wäre, wie Sie es hier dargestellt haben, dann würden Sie doch wahrscheinlich nicht von fast allen Sparkassenorganisationen und Banken aufgefordert werden, ihnen nun endlich klar mitzuteilen, wie sich nun tatsächlich die gesamte Situation darstellt. Denn es gibt ja Termineinlagen und andere Zahlungen an Kunden. Und Sie wollen doch wohl mehr Steuergerechtigkeit, nicht -ungerechtigkeit.
Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Ich habe nicht gesagt, daß das einfach ist. Ich habe ausdrücklich zugestanden, Herr Kollege Stahl, daß das eine Umstellung ist, die Mühen mit sich bringt. Jedoch darf ich darauf hinweisen, daß frühere Regierungen Steuergesetze wesentlich später im Jahr verabschiedet haben, um sie am 1. Januar des Jahres darauf in Kraft zu setzen. Wir legen Wert darauf, daß das vor der Sommerpause im Gesetzblatt steht.
Ich rufe die Frage 37 des Abgeordneten Stahl auf:
Ist die bisher vom Bundesminister der Finanzen geäußerte Meinung, daß die Programme der Berechnung der neuen Steuerart erst am 31. Dezember 1989 bei den Zinsgutschriften verfügbar sein müssen, unter dem Gesichtspunkt einer steuergerechten sowie EDV-gerechten Abwicklung, die sechs bis neun Monate Vorlaufzeit erfordert, vertretbar, und wann werden die mit der Steuereinführung notwendigen Durchführungsbestimmungen den Sparkassen und Banken zugestellt?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Die erforderlichen EDV-Programme werden mit Beginn des Jahres 1989
benötigt, damit Kapitalerträge, die nach dem 31. Dezember 1988 zufließen, ordnungsgemäß bearbeitet werden können.
Wie ich schon vorhin ausgeführt habe, werden etwaige Zweifelsfragen weitgehend im Gesetz geklärt. Ob im Laufe dieses Jahres noch Verwaltungsanweisungen zur Anwendung der neuen Vorschriften herausgegeben werden müssen, wird im Zusammenhang mit dem weiteren Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens zum Steuerreformgesetz 1990 zu prüfen sein.
Eine Zusatzfrage, Herr Stahl.
Herr Staatssekretär, habe ich Sie nun richtig verstanden, daß Sie den Instituten eine gewisse Übergangszeit einräumen wollen und dies dann in einer Verwaltungsanweisung eventuell zum Ausdruck kommt, wenn der zeitliche Rahmen ab 1. Januar 1989 auch praktisch bezüglich der Anwendung der EDV nicht eingehalten werden kann?
Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Nein. Zum Gesamtkonzept gehört, daß das zum 1. Januar 1989 in Kraft tritt.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Stahl.
Nun kann es ja passieren — in der Bundesrepublik passiert ja eine ganze Menge, auch innerhalb der Bundesregierung — , daß dieser Zeitpunkt nun doch nicht eingehalten wird, weil es im Bundesrat und im Parlament insgesamt noch Schwierigkeiten gibt. Wie stellt sich denn dann die Situation dar? Wird dann dieser Zeitraum durch eine Anweisung verlängert und anschließend sozusagen mit mehr Bürokratie die Steuer eingetrieben, oder wie wollen Sie das dann handhaben?
Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Parlamentarische Demokratie ist nicht ohne Risiko.
Natürlich ist das jetzt in der Hand des Deutschen Bundestages. Aber wenn sich die Zeitvorstellungen, die auch die Koalitionsfraktionen unterstreichen und unterstützen — wir haben heute morgen schon ein sehr ergiebiges Gespräch im Finanzausschuß des Deutschen Bundestages gehabt — , verwirklichen lassen, und so sieht es aus, dann habe ich keine Bedenken, daß das funktionieren wird.
Ich rufe die Frage 38 des Abgeordneten Stiegler auf:Wie beurteilt die Bundesregierung die Frage des Mißbrauchs rechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten bei Geschäftsveräußerungen in Form des Einbringens land- und forstwirtschaftlicher Betriebe in Personengesellschaften, und welche Umsatzsteuerbeträge sind für Vorgänge dieser Art inzwischen zurückerstattet worden?Bitte schön, Herr Staatssekretär.Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Der Bundesminister der Finanzen hat den aufgezeigten Sachverhalt bereits in einer Sitzung mit den obersten Finanzbehörden der Länder erörtert. Er hat in einem Rundschrei-
Metadaten/Kopzeile:
5116 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. Mai 1988
Parl. Staatssekretär Dr. Häfeleben vom 19. Februar 1988 dazu festgestellt, daß — ich zitiere — „derartige Gesellschaftsgründungen umsatzsteuerlich nicht anzuerkennen sind, wenn durch die Geschäftsveräußerung in Form des Einbringens des land- und forstwirtschaftlichen Betriebs in eine neugegründete Personengesellschaft lediglich ein hoher Vorsteuerabzug bei der Gesellschaft erreicht werden soll und für die Einbringung wirtschaftliche oder sonst beachtliche Gründe nicht erkennbar sind. Die Gesellschaftsgründung ist in diesen Fällen als Mißbrauch rechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten anzusehen".Einen wirtschaftlichen oder sonst beachtlichen Grund für die Geschäftsgründung sehen die Finanzbehörden im allgemeinen darin, wenn z. B. — ich zitiere nochmals aus diesem Rundschreiben — „die Gesellschaftsgründung mit einem Kind erfolgt, um das mitarbeitende Kind an den Betrieb zu binden und so die Betriebsnachfolge sicherzustellen, ohne daß der aufnehmende Elternteil seinen Einfluß auf den Betrieb aufgibt oder die Gesellschaftsgründung mit dem mitarbeitenden Ehegatten erfolgt, um der tatsächlichen gemeinsamen Betriebsführung auch rechtlich Rechnung zu tragen".Unabhängig davon setzt die angestrebte umsatzsteuerliche Sachbehandlung voraus, daß das Gesellschaftsverhältnis im übrigen steuerlich anzuerkennen ist. Es müssen daher auch die Grundsätze des Einkommensteuerrechts beachtet werden. Insbesondere muß — nicht zuletzt aus umsatzsteuerlichen Gründen — die Gesellschaft nach außen eindeutig als Unternehmer auftreten, z. B. bei der Rechnungserteilung.Zahlen darüber, welche Umsatzsteuerbeträge für die von Ihnen angesprochenen Vorgänge zurückerstattet worden sind, stehen nicht zur Verfügung.
Zusatzfrage, Herr Stiegler.
Herr Staatssekretär, was wird denn unternommen, um diese Umgestaltungsformen wirklich zu überwachen? Denn die Kriterien, die Sie aufgezeigt haben, setzen ja eine ganz erhebliche Sachverhaltsermittlung voraus und sind dem Mißbrauch ja geradezu ausgeliefert.
Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Dieses Rundschreiben, das im Einvernehmen mit allen 11 Finanzverwaltungen der Bundesländer ergangen ist, datiert vom 19. Februar dieses Jahres. Das ist schon ein gewichtiger Schritt, um, soweit irgendwelche Kenntnisse vorliegen, dagegensteuern zu können.
Weitere Zusatzfrage, Herr Stiegler.
Herr Staatssekretär, liegt es nicht auf der Hand, daß hier Mißbrauch steuerlicher Gestaltungsformen von vornherein vorliegt, nachdem die ganzen Jahrhunderte bisher niemand auf die Idee gekommen ist, landwirtschaftliche Betriebe plötzlich in Form einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts zu führen, Hofnachfolger auf diese Weise zu binden oder die Ehefrauen ins Spiel zu bringen? Liegt es nicht auf
der Hand, daß man eine ganz enorme zusätzliche landwirtschaftliche Subvention loseisen will?
Mir ist aus dem Raum Regensburg gesagt worden, daß Beträge bis zu 140 000 oder 200 000 DM vor Steuern zurückgezahlt werden, obwohl nie die Chance bestehen wird, daß die neu gegründeten Betriebe jemals entsprechende Vorsteuern abführen werden.
Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Dieser Vorgang, Herr Kollege Stiegler, zeigt, daß jede steuerliche Ausnahme, jede steuerliche Vergünstigung die Gefahr in sich birgt, daß sie mißbraucht wird. Deswegen geht die Bundesregierung in der Steuerpolitik den umgekehrten Weg: Lieber niedrigere Sätze und weniger Ausnahmen. Nur wenn wir diese Politik folgerichtig fortführen — nicht nur in dieser Periode, sondern auch in den nächsten zehn Jahren — , werden wir die Ausnahmen wegbekommen, die immer ein Einfallstor auch für Umgehungen sind.
Wollen Sie eine Zusatzfrage stellen? — Herr Sperling, bitte schön.
Was, Herr Staatssekretär, tut die kommende Steuerreform, damit es den landwirtschaftlichen Betrieben nicht ratsam erscheint, mehr solche Gesellschaften zu gründen und dadurch die Finanzierungsbasis zu Lasten der anderen Steuerzahler zu verbessern?
Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Sie wissen, daß auf diesem ganz besonderen Feld die Vorsteuervergünstigung teilweise ausläuft. Das ist mit der EG so verabredet. Es werden gesetzgeberische Konsequenzen hier im Hause gezogen.
Wir sind am Ende dieses Geschäftsbereichs. Ich danke dem Parlamentarischen Staatssekretär für die Beantwortung der Fragen.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft auf. Herr Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Riedl steht zur Beantwortung der Fragen zur Verfügung.
Herr Weiermann möchte die Frage 39 schriftlich beantwortet haben. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Frau Eid wäre die nächste, ist aber nicht im Saal. Dann werden ihre Fragen 40 und 41 entsprechend der Geschäftsordnung behandelt.
Ich rufe die Frage 42 der Abgeordneten Frau Olms auf:
Wie hoch war der Wert der Genehmigungen für die Ausfuhr von Waren gemäß Ausfuhrliste Teil I, Abschnitte A, B und C für Südafrika und das südafrikanisch besetzte Namibia im Jahr 1987?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Die Frage 42 der Abgeordneten Frau Olms ist inhaltsgleich mit der Frage 40 der Frau Abgeordneten Eid. Ich darf sie wie folgt beantworten:
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. Mai 1988 5117
Parl. Staatssekretär Dr. RiedlDie Bundesregierung, Frau Abgeordnete, teilt Ihre Auffassung nicht. Es gilt unverändert, daß durch außenwirtschaftliche Maßnahmen die strikte Einhaltung des Waffenembargos gegenüber Südafrika sichergestellt wird und Genehmigungen für entsprechende Ausfuhren nicht erteilt werden.Auf die Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der SPD-Fraktion vom 23. Mai 1986 — in der Bundestagsdrucksache 10/5555 nachzulesen — darf ich in diesem Zusammenhang ausdrücklich verweisen.
Frau Olms, eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, sind Sie mit mir der Meinung, daß Sie die Frage 42, die ich gestellt hatte, nicht beantwortet haben? Ich hatte gefragt: Wie hoch war der Wert der Genehmigungen gemäß den Abschnitten A, B und C? Diese Zahlen hätte ich schon gerne in der Antwort.
Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Ich bin sehr gerne dazu bereit. Ich hatte sie bereits in der Antwort auf die Frage Ihrer Kollegin Eid vorgesehen.
— Das kann ich mir vorstellen.
Ich darf diese Frage also wie folgt beantworten. Im Jahre 1987 wurden Genehmigungen für den Export von Waren des Teils I der Ausfuhrliste nach Südafrika im Gesamtwert von 130 Millionen DM erteilt. Darin sind keine Waffen enthalten.
Weitere Zusatzfrage, Frau Olms.
Sie sagten in Ihrer Antwort, daß darin keine Waffen enthalten gewesen seien. Sie kennen ja auch die Diskussion darüber, was Waffen und was Ersatzteile für Waffen sind, d. h. was vollständige und unvollständige Waffen sind. Inwieweit können Sie ausschließen, daß darin keine Produktionsteile, keine Drehbänke und dergleichen für Waffen enthalten sind?
Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Ich kann das so ausschließen und bestätigen, wie der Inhalt des Gesetzes Waffen im engeren und weiteren Sinn definiert.
Eine Zusatzfrage, Herr Gansel.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß der von der Frau Olms angesprochene Teil der Abschnitte zum Außenwirtschaftsgesetz nicht von Waffen handelt, sondern von Rüstungsgütern, daß sich Ihre Antwort also auf einen ganz anderen Aspekt bezieht?
Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: In der Frage, um die es hier geht, werden Rüstungsgüter und Waffen im gleichen Sinne des Gesetzes identifiziert.
Ich rufe die Frage 43 der Abgeordneten Frau Olms auf:
Welche Änderung in ihrer Politik veranlaßt die Bundesregierung, Fragen nach dem Umfang der für den Export nach Südafrika erteilten Genehmigungen im Unterschied zu früheren Jahren nicht mehr zu beantworten ?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Frau Abgeordnete, die Bundesregierung betont die unveränderte Gültigkeit ihrer bisherigen Ausfuhrgenehmigungspolitik gegenüber Südafrika, wie sie sie in früheren Antworten und auch heute in der Antwort an Sie dargelegt hat.
Eine Zusatzfrage, Frau Olms.
Herr Staatssekretär, ich habe ja nicht umsonst gefragt. Sie haben diese Zahl in der Antwort auf meine Kleine Anfrage nicht genannt. Sind sie mit mir nicht der Meinung, daß Parlamentarier nicht gezwungen werden dürfen, Mittel wie z. B. die Fragestunde zu nutzen, um Antworten zu kriegen? Ist es nicht Aufgabe der Regierung, Antworten komplett in der Beantwortung der Kleinen Anfrage zu geben?
Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Frau Abgeordnete, wenn Sie bereit sind, meine Antwort noch einmal zu hören, lese ich sie Ihnen gerne vor. Ich habe Ihnen das Volumen genannt. Ich habe auf den zweiten Teil der Frage von Frau Eid geantwortet, die auch von Ihnen
— insoweit ist sie identisch — gestellt wurde. Ich kann leider in den Antworten, die ich Ihnen und Ihrer Kollegin gebe, keinen Unterschied machen.
— Ich habe die Fragen so beantwortet, wie sie gestellt worden sind, Herr Abgeordneter Gansel. Ich kann leider nur das beantworten, was gefragt worden ist, und nicht so antworten, wie Sie es sich vielleicht wünschen. Das tut mir leid.
Frau Olms, Sie haben noch eine Zusatzfrage. — Sie meinen, es hat keinen Sinn.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Gansel.
Herr Staatssekretär, ist es jetzt üblich, daß die Abgeordneten, wenn sie Fragen an die Bundesregierung stellen, Antworten kriegen, die für Fragen von Abgeordneten gemeint sind, die im Plenum gar nicht anwesend sind, oder ist es nicht möglich, Frau Olms auf ihre Frage eine korrekte Antwort zu geben?Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Ich habe der Frau Kollegin Olms korrekt und umfassend geantwortet. Ich kann ja nichts dafür, daß sie Fragen stellt, die identisch sind mit denen der Frau Kollegin Eid.
Metadaten/Kopzeile:
5118 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. Mai 1988
Parl. Staatssekretär Dr. RiedlSie sollte doch froh sein, daß ich Frau Eid erwähnt habe; sonst wäre sie doch gar nicht erwähnt worden.
Jetzt machen wir damit Schluß und kehren zur Sache zurück.
Eine Zusatzfrage, Herr Sperling, bitte schön.
Herr Staatssekretär, sind Sie bei der Lektüre dieses Protokolls für den Eindruck offen, daß Sie in der Tat die Fragen von Frau Olms nicht gelesen zu haben scheinen?
Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Diesen Irrtum möchte ich ausschließlich Ihnen überlassen, Herr Abgeordneter.
So kommen wir nich weiter. Jetzt beende ich das.
Ich rufe die Frage 44 des Abgeordneten Hüser auf:
Sieht der Bundesminister für Wirtschaft in den Bemühungen der EG-Kommission, einen Richtlinienvorschlag zur Koordinierung der rechtlichen Voraussetzungen für die Gründung von „Einmanngesellschaften" vorzubereiten, eine Diskriminierung von Frauen, die vielleicht ebenfalls als Einzelpersonen eine Firma gründen wollen?
Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Ich darf die Frage 44 wie folgt beantworten: Nein. Ein förmlicher Richtlinienvorschlag der Kommission liegt zur Zeit überhaupt noch nicht vor. Sollte die Kommission einen förmlichen Vorschlag für eine Richtlinie zur Koordinierung der rechtlichen Voraussetzungen für die Gründung von Einpersonengesellschaften vorlegen, wird die Bundesregierung selbstverständlich dafür Sorge tragen, daß auch in den Formulierungen eine Diskriminierung von Frauen nicht eintritt.
Auch das deutsche GmbH-Gesetz verwendet nicht den Begriff „Einmanngesellschaft" . Es spricht in § 1 von der Errichtung von Gesellschaften durch eine oder mehrere Personen.
Eine Zusatzfrage, Herr Hüser.
Nach meinem Kenntnisstand ist es aber wohl so — ich frage Sie, ob das zutreffend ist —, daß in den entsprechenden Gesetzen sowohl von einer Person oder mehreren gesprochen als auch der Begriff „Einmanngesellschaft" verwendet wird.
Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Ich kann Ihnen leider Gottes in dieser Frage nicht zustimmen.
Sie haben eine zweite Zusatzfrage, Herr Hüser.
Wenn es so wäre — und ich werde mich bemühen, Ihnen meine Quellen zugänglich zu machen — , ist die Bundesregierung dann bereit, dafür zu sorgen, daß dies in eine neutrale Form umgewandelt wird?
Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Selbstverständlich stehen wir dafür gern zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 45 des Herrn Abgeordneten Hüser auf.
Wie viele Frauen sind bei der in der Bundesrepublik Deutschland geläufigen Form der „Einmanngesellschaft" nach Schätzung oder Wissen des Bundesministers für Wirtschaft alleinige Firmeninhaberinnen?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Eine amtliche Statistik darüber, wieviel Frauen in der Bundesrepublik alleinige Gesellschafter einer GmbH oder AG sind, wird nicht geführt. Ich kann daher die Zahl dieser Frauen auch nicht annähernd schätzen.
Aber vielleicht hat Ihre Fraktion bei der Vorbereitung des Volkszählungsgesetzes hier eine Chance versäumt.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Hüser.
— Also liegen keine weiteren Zusatzfragen vor.
Dann rufe ich die Frage 46 des Herrn Abgeordneten Gansel auf.
Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über den Einsatz von Giftgas aus ehemaligen deutschen Wehrmachtsbeständen im iranisch-irakischen Krieg — wie von der Frankfurter Rundschau am 28. April 1988 berichtet — und über die Beteiligung von Firmen aus der Bundesrepublik Deutschland an der Giftgasproduktion des Irak?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Die Frage 46 möchte ich wie folgt beantworten:
Der Bundesregierung liegen keine Erkenntnisse über den möglichen Einsatz von Giftgas aus ehemaligen deutschen Wehrmachtsbeständen im iranischirakischen Krieg vor.
Zu der Frage, welche Erkenntnisse die Bundesregierung über die Beteiligung von Firmen aus der Bundesrepublik Deutschland an der Giftgasproduktion des Irak hat, darf ich auf die Antwort der Bundesregierung in der Fragestunde vom 9. Dezember 1987 — Bundestagsdrucksache 11/3394 — verweisen. Die laufenden Ermittlungen dauern an. Mit ihrem Abschluß ist nicht vor September/Oktober dieses Jahres zu rechnen.
Das ist der Inhalt der von Ihnen erwähnten damaligen Antwort gewesen?
Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Es handelt sich um die Bundestagsdrucksache 11/3394.
Diese Drucksache enthält das, was Sie eben gesagt haben?
Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Das letzte war eine Aussage von mir, die ich heute gemacht habe.
Liegen weitere Zusatzfragen vor?
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. Mai 1988 5119
Herr Präsident, ich habe Verständnis dafür, wenn die Bundesregierung bei Antworten auf schriftliche Fragen auf andere schriftliche Antworten verweist. Aber es geht nicht an, daß dies auch in der Fragestunde geschieht, in der Themen im mündlichen Hin und Her erörtert werden müssen.
Mir wird es damit praktisch verweigert, Zusatzfragen zu stellen.
Herr Abgeordneter, ich teile Ihre Auffassung und werde diesen Vorgang zum Gegenstand der Prüfung durch das Präsidium machen.
Stellen Sie jetzt bitte Ihre Zusatzfrage.
Eingehend auf den kärglichen Rest Ihrer konkreten Antwort möchte ich Sie fragen, woher Sie schon jetzt wissen, daß mit einem Abschluß der Ermittlungen erst im September des Jahres zu rechnen ist, Herr Staatssekretär. Bei der Lieferung von Giftgaskomponenten an den Irak geht es schließlich darum daß dieses Giftgas gegen Menschen eingesetzt wird. Sie sollten sich vielleicht einmal auf einem Videofilm ansehen, zu welchen schrecklichen Opfern dieses Giftgas geführt hat. Weil es ja bei der Aufklärung dieses Sachverhalts immerhin um ziemlich dringliche Fragen geht, möchte ich von Ihnen wissen: Woher wissen Sie eigentlich, daß die Staatsanwaltschaft erst im September vorläufige Berichte vorlegen kann?
Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Herr Abgeordneter, damit hier kein falscher Eindruck entsteht, möchte ich ganz eindeutig feststellen, daß die Bundesregierung diesen Giftgaskrieg und Giftgasaktionen überhaupt genauso als verabscheuungswürdig betrachtet wie Sie. Da gibt es doch in der Beurteilung auch durch uns in diesem Hohen Hause überhaupt keinen Zweifel.
— Da ich weiß, wie Sie darüber denken, habe ich diese Feststellung getroffen.
Nehmen Sie zur Kenntnis, daß es dazu keine eindeutige Stellungnahme der Bundesregierung gibt.
Ich habe die Bemerkung von Herrn Gansel eben als einen Zwischenruf empfunden. Wenn es etwas anderes gewesen wäre, hätte sich das rügen müssen.
— Diese Frage ist nicht Gegenstand der jetzigen Verhandlung. Wenn es in diesem Hause aber unterschiedliche Auffassungen geben kann, dann auch zu solchen Themen. Das ist Teil dessen, war wir als normalen Vorgang im Rahmen unserer parlamentarischen Diskussion ansehen können.
Ihr Zwischenruf ist eben genauso erlaubt.
Wir setzen jetzt aber die Beantwortung fort. Wir waren bei der zweiten Zusatzfrage.
Dann frage ich noch einmal, damit wir wieder eine klare Linie bekommen: Sie sind noch bei der Beantwortung der ersten Zusatzfrage, Herr Staatssekretär?
Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Richtig, dies war der erste Teil meiner Antwort. Ich trage jetzt den zweiten Teil vor.
Diese Angabe beruht auf Auskünften, die mein Ministerium von den Ermittlungsbehörden eingeholt hat. Ich habe keinen Einfluß — wie überhaupt niemand im Bundeswirtschaftsministerium — auf den Fortgang und die Dringlichkeit der Ermittlungen in diesem Verfahren; Sie kennen die Unabhängigkeit der deutschen Justizbehörden. Ich gehe aber davon aus, daß mit höchstmöglicher Präzision und Schnelligkeit gearbeitet wird.
Ihre Zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Gansel.
Herr Staatssekretär, sind Sie in der Lage, mir nachzuweisen, wo die Bundesregierung — außer allgemeinen Verurteilungen des Einsatzes von Giftgas im iranisch-irakischen Krieg — den Einsatz von Giftgas durch den Irak eindeutig verurteilt und eine auf tatsächliche Erkenntnisse gegründete notwendige Warnung an die deutsche Industrie gerichtet hat, sich nicht durch die Lieferung von Komponenten oder von Know-how an einer Giftgasproduktion des Irak zu beteiligen? Wo ist diese Erklärung Ihres Hauses? Wo können Sie einen einzigen Beleg dazu sagen? Wo haben Sie sich persönlich in dieser Form erregt, wo Sie hier den Empörten machen?Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Herr Abgeordneter, die Kompetenz der Bundesregierung für diesen Bereich liegt beim Außenministerium, beim Bundeskanzleramt und bei den einzelnen Ministerien.
Es gibt ein geschlossenes Konzept der Politik der Bundesregierung, Giftgaskriege, -aktionen und -teilaktionen weltweit zu verdammen. Ich würde Sie herzlich bitten, dem Ansehen der Bundesregierung und der Bundesrepublik Deutschland mit derartigen Unterstellungen nicht Abträglichkeit zu verleihen. Ich halte Ihre Fragen für eine Ungeheuerlichkeit. Darf ich Ihnen das einmal sagen!
Metadaten/Kopzeile:
5120 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. Mai 1988
Parl. Staatssekretär Dr. RiedlSie offenbaren eine Geisteshaltung, die in einer parlamentarischen Demokratie absolut nichts zu tun hat.
Augenblick! Wir haben jetzt keine Diskussionsstunde.
Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Herr Präsident! Dies ist ein ungeheuerlicher Vorgang.
Nun hören Sie einmal wieder dem Präsidenten zu. Wir haben eine Fragestunde. Wir haben eine kontroverse Auseinandersetzung über die Inhalte. Das ist schon möglich. Aber bitte keine Diskussion!
Zu einer Zusatzfrage, bitte schön, Frau Olms.
Herr Staatssekretär, wie können Sie ausschließen, daß z. B. Giftgasbestände von der Firma Auer, Berlin-Oranienburg, nach 1945 nicht über verschiedene Wege jetzt im irakischen Krieg, also im Krieg gegen die kurdische Bevölkerung, eingesetzt wurden? Sie sagten ja, Sie hätten keine Erkenntnisse darüber. Da interessiert mich der Weg, wie Sie gerade über solche Giftgasbestände aus der Zeit des Zweiten Weltkrieges die Kontrolle haben.
Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Frau Abgeordnete, ausschließen kann doch niemand in einem solchen Fall irgend etwas. Ich hätte die herzliche Bitte an Sie, wenn Sie Anhaltspunkte haben — und wenn es nur vage Anhaltspunkte sind — , diese der Bundesregierung mit möglichst vielen Beweisen vorzulegen. Die deutschen Ermittlungsbehörden werden sich dann mit Sicherheit mit Schnelligkeit und Präzision dieser Dinge annehmen. Aber ich kann doch nicht vagen Vorstellungen, wie Sie sie in den Raum stellen, einfach irgendeine Kompetenz zuordnen.
Nein, nur eine. Jetzt kommt der Abgeordnete Kastning mit einer Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, in der Hoffnung auf eine sachbezogene Antwort frage ich Sie: Trifft es zu, daß Komponenten zur Herstellung von Giftgas der Kontrollzuständigkeit des Außenwirtschaftsgesetzes unterliegen und daß für diesen Bereich der Bundeswirtschaftsminister die Zuständigkeit hat?
Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Im Grundsätzlichen ist diese Zuständigkeit gegeben, und gegebenenfalls werden auch die entsprechenden Verfahren und Ermittlungen eingeleitet.
Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Sperling.
Herr Staatssekretär, haben Sie die Aufsicht für das Bundesamt für Wirtschaft in Eschborn, und haben Sie dieses Bundesamt angewiesen, zu überprüfen, ob Komponenten für die Giftgasproduktion in den Irak oder aber in Zwischenhandelsländer geliefert wurden?
Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Erster Teil der Frage: Ja. Zweiter Teil: Dies gehört zum normalen Geschäftsablauf.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. Mai 1988 5121
— Herr Abgeordneter Gansel, Sie haben mich jetzt speziell nach Lagerbeständen gefragt. Ich müßte das nachprüfen.
— Ich bin nicht die Ermittlungsbehörde. Sie bekommen Auskunft, wenn die Ermittlungen abgeschlossen sind und uns vorliegen.
— Die Frage war so zu verstehen, daß es sich um Lagerbestände von Heckler-&-Koch-Waffen in Nicaragua handelt.
Zweite Zusatzfrage des Abgeordneten Gansel.
Habe ich Sie richtig verstanden, daß das Betriebsgeheimnis einer Firma auch bei illegalen Waffenlieferungen höher steht als das Informationsrecht eines Abgeordneten im Deutschen Bundestag?
Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Diese Rechtsgüterabwägung möchte und kann ich hier nicht vornehmen.
Ich möchte nur wiederholen, was ich gesagt habe: Ausführungen über erteilte Genehmigungen zum Export in die verschiedenen Länder dieser Region sind aus rechtlichen Erwägungen nicht zulässig. Ich bin kein Rechtsprofessor, um abwägen zu können, welche Rechtsgüter hier höher sind. Dies ist die Rechtslage.
Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Olms.
Herr Staatssekretär, wenn eine Auslieferung rechtlich nicht zulässig ist, wie können dann Heckler-&-Koch-Gewehre an die Contras in Nicaragua geliefert worden sein? Ich selbst habe diese Waffen in Nicaragua gesehen. Also denke ich, Sie müßten entweder Ihre Phantasie bemühen oder uns Wege aufzeigen, wie die Waffen dahin gekommen sind.
Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Sie sind offensichtlich die Expertin in Fragen des Exports von Heckler-
&-Koch-Waffen. Ich war in meinem Leben weder in Nicaragua, noch habe ich je Heckler-&-Koch-Waffen gesehen.
Frau Abgeordnete, vielleicht geben Sie mir einmal ein Dossier Ihres offensichtlich sehr fundierten Fachwissens. Das wird im Ministerium sicherlich Aufmerksamkeit erregen.
Zusatzfrage des Abgeordneten Kastning.
Herr Staatssekretär, hat die hier genannte Firma Heckler & Koch Anträge an das Wirtschaftsministerium für den Export von Waffen in die genannten Länder gerichtet, oder hat sie in Ihrem Hause Erkundigungen über die Chancen eines Exportes in diese Länder eingezogen?
Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Da müßte ich mich erkundigen. Ich gebe Ihnen auch auf diese Frage korrekt und schriftlich Antwort, wenn ich das geklärt habe. Ich kann es aus der Lamäng heraus nicht sagen.
Zusatzfrage des Abgeordneten Bohl.
Herr Staatssekretär, könnten Sie bei der von Ihnen eben zugesagten Überprüfung dieses Sachverhalts gleichzeitig klären lassen, ob die Presseberichte zutreffend sind, daß im Jahr 1978 von der SPD-geführten Bundesregierung Waffenexporte an das damalige Somoza-Regime genehmigt worden sind?Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Auch hier müßte ich erst die Akten bewältigen, Herr Abgeordneter; ich gebe Ihnen auch hierzu gerne schriftlich Auskunft.
Metadaten/Kopzeile:
5122 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. Mai 1988
Wir sind damit am Ende dieses Fragenbereichs. Ich danke dem Parlamentarischen Staatssekretär für die Beantwortung der Fragen.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten auf. Der Herr Parlamentarische Staatssekretär Dr. von Geldern steht zur Beantwortung der Fragen zur Verfügung.
Ich rufe zuerst Frage 48 der Abgeordneten Frau Däubler-Gmelin auf:
Welche Tatsachen tragen die Entscheidung der Bundesregierung, das Gebäude der seit 1952 bestehenden und ohne Sicherheitsprobleme arbeitenden Bundesforschungsanstalt für Viruskrankheiten der Tiere in Tübingen jetzt für nahezu 2,5 Millionen DM mit u. a. einem über 2,50 Meter hohen Zaun, Fernsehüberwachung und Beleuchtung abzusichern?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Frau Kollegin Däubler-Gmelin, sind Sie einverstanden, wenn ich Ihre Fragen 48 und 49 zusammen beantworte?
— Ich beantworte sie gerne. Vielen Dank, daß Sie das gestatten.
Die Abgeordnete ist einverstanden. Ich rufe somit auch Frage 49 der Abgeordneten Frau Dr. Däubler-Gmelin auf:
Wenn Sicherheitsüberlegungen eine Rolle gespielt haben sollten, auf welche Tatsachen werden diese zurückgeführt?
Dr. von Geldern, Parl. Staatssekretär: Die Bundesforschungsanstalt für Viruskrankheiten der Tiere ist befugt, mit Erregern hoher und höchster Risikogruppen wissenschaftlich zu arbeiten. Die Forschungsarbeiten mit solchen Risikogruppen machen es notwendig, daß die Bundesforschungsanstalt durch bauliche und organisatorische Maßnahmen in einen isolierten und in einen nicht isolierten Teil getrennt ist. Der Isolierbereich ist streng von der Außenwelt abgetrennt und mit ihr nur durch Personen- und Materialschleusen verbunden.
Der hermetische Abschluß des Isolierbereichs ist durch bauliche und organisatorische Maßnahmen zu einer Zeit hergestellt worden, in der terroristische Angriffe, Sabotageakte oder sonstige Angriffe von außen nicht befürchtet werden mußten. Da im Hinblick auf die ansteigende Tendenz politisch motivierter Anschläge — ich nenne einmal zwei Zahlen: 1976 40 Brand- und Sprengstoffanschläge, 1987 337 — Einwirkungen auch auf diese Bundesforschungsanstalt nicht ausgeschlossen werden können, sind jetzt zusätzliche Maßnahmen zur Erhöhung des Außenschutzes des Isolierbereichs mit hoher Priorität erforderlich.
Auf die Gefährdung der Bundesforschungsanstalt deuteten auch erkannte Ausspähversuche, Filmen und Photographieren durch nicht identifizierte Personen, Ausbau des Türschlosses am Haupteingang hin.
Das Landeskriminalamt Baden-Württemberg in Stuttgart hat am 11. März vergangenen Jahres Empfehlungen zur Objektsicherung durch baulich-technische Maßnahmen gegen gewaltsame Angriffe von außen unter Einbeziehung von Maßnahmen zur Zu- und Abgangskontrolle von Personen und Fahrzeugen gegeben. Das Gutachten enthält nur Maßnahmen, die zur Erreichung des vorgesehenen Schutzzieles unabdingbar sind.
Die möglichen enormen Schäden beim Austreten von Seuchenerregern und auch die damit verbundene psychologische Einwirkung auf die Öffentlichkeit erfordern und rechtfertigen diese vorgesehenen Schutzmaßnahmen.
Dem Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten des Deutschen Bundestages und dem Haushaltsausschuß des Bundestages wurde ein schriftlicher Bericht der Bundesregierung über Maßnahmen zur Sicherung der Dienstgebäude der Bundesforschungsanstalt für Viruskrankheiten der Tiere in Tübingen vorgelegt. In beiden Ausschüssen fanden eingehende Beratungen, und zwar am 24. Februar dieses Jahres im Ernährungsausschuß und am 13. April im Haushaltsausschuß, statt.
Zusatzfrage, Frau Däubler-Gmelin.
Herr Staatssekretär, darf ich unterstellen, daß Sie die Räumlichkeiten, über die Sie gerade berichtet haben, kennen und daß Sie deshalb wissen, daß die Trennung und der Schutz dieses Isolierbereichs, von dem Sie sprechen, seit 1952 in einwandfreier Weise erfolgt ist, daß es in den vergangenen 36 Jahren keinerlei Brandanschläge gegeben hat und daß in keiner Weise irgendwelche Beanstandungen der Sicherheit bekanntgeworden sind?
Dr. von Geldern, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin Däubler-Gmelin, dies steht im Widerspruch zu den tatsächlichen Beobachtungen. Ich habe von den Ausspähversuchen, vom Ausbau des Türschlosses berichtet. Die jetzt getroffenen Maßnahmen beruhen auf einem Gutachten des zuständigen Landeskriminalamtes in Stuttgart. Deswegen sehe ich keinen Grund dafür — entgegen den Aussagen der Fachleute von der Polizei — zu sagen, hier bestehe keine Gefährdung.
Zweite Zusatzfrage, bitte schön.
Herr Staatssekretär, können Sie sich vorstellen, daß meine Frage, die ich ja heute nicht das erste Mal stelle, vielleicht darauf zurückzuführen sein könnte, daß nicht nur ich, sondern auch der Präsident der Bundesanstalt in Tübingen selber wie auch die Institutsdirektoren und deren Mitarbeiter bestreiten, daß es irgendwelche Beanstandungen, von denen Sie sprechen, gegeben hat, und wären Sie so freundlich, mir zuzugestehen, daß ich gern wissen möchte, welche Tatsachen es nun wirklich rechtfertigen, die Ausgabe in Höhe von 2,5 Millionen DM zu begründen?Dr. von Geldern, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin Däubler-Gmelin, es handelt sich bei den Arbeiten der
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. Mai 1988 5123
Parl. Staatssekretär Dr. von GeldernBundesforschungsanstalt für Viruskrankheiten der Tiere um Forschungsarbeiten, die für den Fall, daß etwas passieren sollte, von großer Gefährlichkeit sein können. Deswegen müssen Schutzmaßnahmen getroffen werden. Dafür, welche Schutzmaßnahmen richtig sind und welche nicht, ist nun tatsächlich nicht ein Mitarbeiter dieser Bundesforschungsanstalt, auch nicht der Präsident, der richtige zuständige Sachverständige, sondern die Polizei. An die haben wir uns gehalten, und ich denke, das ist eine richtige Entscheidung.
Sie haben eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, möchten Sie mir wirklich erklären, daß die Bundesregierung 2,5 Millionen für einen Sicherheitszaun um ein Areal mit einem Ausmaß von mehreren Hektar, Fernsehüberwachung, Stacheldrahtgänge und zusätzliche Beleuchtungen auf Grund von Tatsachen für erforderlich hält, die Sie, der sie offensichtlich gar nicht in Tübingen waren, nicht darstellen können, und darf ich Sie fragen, ob Ihnen eigentlich bekannt ist, daß dort seit 1972 weder sicherheitsrelevante Produkte hergestellt noch sicherheitsrelevante Verfahren angewandt werden, oder sollte sich an den Absichten der Bundesregierung in dieser Hinsicht irgend etwas geändert haben?
Dr. von Geldern, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, ich bedaure die Polemik, die Sie hier jetzt geäußert haben.
Ich habe schon zu Beginn meiner Antwort gesagt und wiederhole diesen Satz mit allem Nachdruck: Die Bundesforschungsanstalt für Viruskrankheiten der Tiere ist befugt, mit Erregern hoher und höchster Risikogruppen wissenschaftlich zu arbeiten. Niemand von uns kann leichtfertig zulassen, daß auch nur das geringste Risiko für die Öffentlichkeit konkretisiert wird. Deswegen sind Schutzmaßnahmen erforderlich.
Bei der konkreten Durchführung der erforderlichen Schutzmaßnahmen stützt sich die Bundesregierung auf das zitierte Gutachten des Landeskriminalamtes Baden-Württemberg. Ich habe dem nichts hinzuzufügen und bin voll davon überzeugt, daß dies die richtige Vorgehensweise ist.
Die letzte Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, da es mir nicht darum gehen kann, Sie in Ihrer Überzeugung wankend zu machen, da Sie ja offensichtlich nicht einmal das Objekt kennen, von dem Sie reden, jedenfalls nicht dort waren,
darf ich Sie nochmals darum bitten, zur Kenntnis zu nehmen, daß die gleiche Sicherheitslage seit 1952 besteht, daß Sie aber eine Veränderung der Sicherheitslage ganz offensichtlich gegen den Willen des Präsidenten und der Bediensteten auf Grund von Tatsachen, die Sie hier nicht offenlegen können, für sinnvoll halten, und darf ich meine Frage hinzusetzen, ob
diese Einsparpolitik der Bundesregierung nun auch bei anderen Institutionen weitergehen soll?
Dr. von Geldern, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin Däubler-Gmelin, Sie veranlassen mich jetzt, entgegen meiner Neigung wiederum etwas zu wiederholen: In den letzten zehn Jahren hat sich die Anzahl der Brand- und Sprengstoffanschläge in der Bundesrepublik Deutschland nahezu verzehnfacht. Es gibt konkrete Anlässe bei der Bundesforschungsanstalt — —
— Entschuldigen Sie, darf ich das zu Ende sagen!
— Wenn ich nicht zu Ende sprechen kann, ist es schwer, das verständlich zu machen.
Im Augenblick hat der Herr Staatssekretär das Wort.
Dr. von Geldern, Parl. Staatssekretär: Herr Präsident, ich bedanke mich.
Es gibt konkrete Anlässe, auch bei der Bundesforschungsanstalt für Viruskrankheiten der Tiere von einer Gefährdung auszugehen. Ich wiederhole auch das: Es hat Ausspähversuche — Filmen und Fotografieren durch nicht identifizierte Personen — gegeben, und es hat den Ausbau des Türschlosses am Haupteingang gegeben. Wenn auf Grund solcher konkreten Vorfälle das Landeskriminalamt Baden-Württemberg in einem Gutachten zu dem Ergebnis kommt, daß zusätzliche Sicherheitsmaßnahmen erforderlich sind, verstehe ich, so muß ich ehrlich sagen, nicht, wie Sie aus Ihrer Kenntnis oder wie Zeugen anderer Art, die aber nicht im Landeskriminalamt und insofern auch nicht Experten sind, zu anderen Erkenntnissen kommen wollen. Ich halte das für unbegründet.
Jetzt kommt eine Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Teubner.
Ich möchte das gern noch einmal genauer erklärt haben. Sie haben als Begründung die Bedrohung dieses Instituts von außen angegeben.
Sie haben aber auch von hohen und höchsten Risikogruppen, mit denen in dem Institut gearbeitet wird, gesprochen. Ich kenne mich in der Materie nicht so aus und möchte wissen, ob sich die Art der Gefährdung, die von diesen Risikogruppen in dem Institut auf die Umwelt und die Bevölkerung ausgeht, dergestalt akut verändert hat, daß man jetzt solche Sicherungsmaßnahmen durchführen muß. Welcher Art sind die Risiken, die sich von innen nach außen auswirken?
Metadaten/Kopzeile:
5124 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. Mai 1988
Dr. von Geldern, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, die Risiken haben sich im Prinzip nicht verändert, aber sie sind seit Beginn der Forschungsarbeiten vorhanden. Dort wird z. B. mit nicht-heimischen und exotischen Viren mit unbekanntem Risiko für die Tiere Mitteleuropas gearbeitet. Damit sich dieses Risiko nicht konkretisiert, sind zu allen Zeiten besondere Schutzmaßnahmen vorgesehen gewesen.Wenn diese — bei gleichbleibendem Risiko innerhalb der Bundesforschungsanstalt — jetzt verstärkt werden, liegt das daran, daß das äußere Risiko durch die Verzehnfachung der Brand- und Sprengstoffanschläge — ich wiederhole das — offensichtlich gestiegen ist und daß es auch Anhaltspunke dafür gibt — so das Landeskriminalamt Stuttgart — , daß speziell im Blick auf die Bundesforschungsanstalt in Tübingen von einer Gefährdung ausgegangen werden muß. Ich denke, vorsorgen ist besser als heilen. Wenn hier rechtzeitig Schutzmaßnahmen getroffen werden, dann ist das eine gute Politik.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Sperling.
Herr Staatssekretär, sind denn diese hochgefährlichen Viren bisher auf einem mehrere Hektar großen Gelände spazierengegangen, oder haben sie sich spazieren bewegt — ich weiß nicht genau, wie man es bei Viren nennt —, und ist es eigentlich nötig, dann mehrere Hektar zu ummauern und mit Sicherheitsanlagen zu versehen, oder hätte es gereicht, das Gebäude, in dem sich die hochgefährlichen Viren befinden, in der Tat mit mehr Sicherheitsmaßnahmen zu versehen?
Dr. von Geldern, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Sperling, ich habe, wenn Sie mir vorhin zugehört haben, sehr eingehend auf die Maßnahmen Bezug genommen und vom Isolierbereich und von den Schleusen gesprochen. Nur ist es natürlich wichtig, daß gerade auf einem solchen Isolierbereich nicht von außen Einfluß genommen werden kann, z. B. durch einen Sprengstoffanschlag. Um das zu verhindern, ist eine großräumige Sicherheitsvorkehrung offensichtlich — so die Experten vom Landeskriminalamt — notwendig.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Kastning.
Herr Staatssekretär, davon ausgehend, daß auch Nicht-Kriminalbeamte durchaus ein Urteilsvermögen im Hinblick auf Sicherheitsfragen besitzen können, und davon ausgehend, daß es ja wohl Aussagen gibt, die besagen, daß in der Vergangenheit nicht mit besonders gefährlichen Dingen dort gearbeitet worden ist, möchte ich fragen — ohne daß Sie etwa bitte gleich antworten, ein Verdacht sei eine Polemik, wie vorhin bei der Kollegin Däubler-Gmelin — : Gibt es Überlegungen irgendeiner Stelle einschließlich der Bundesregierung oder Ihres Hauses, dort in Zukunft mit anderen Materialien oder nach anderen Verfahren Forschung zu betreiben, die diese Maßnahmen bereits heute erforderlich machen, um für diesen Fall gewappnet zu sein?
Dr. von Geldern, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, die Bundesanstalt für Viruskrankheiten der Tiere hat wissenschaftliche und administrative Aufgaben.
Einmal betreibt sie Forschung auf dem Gebiet virusbedingter Tierkrankheiten, und dies umfassend. Dies setzt voraus, daß auch in Zukunft mit zum Teil gefährlichen Viren gearbeitet wird.
Zweitens hat sie eine administrative Aufgabe bei der Wahrnehmung der im Tierseuchengesetz vorgesehenen Aufgaben, der Zulassung von Seren, Impfstoffen usw. Dies alles tut sie seit vielen Jahren mit großem Erfolg, und dies wird sie auch in Zukunft tun. Aber dabei darf sie eben nicht durch irgendwelche Störungen von außen beeinträchtigt werden, weil das ein hohes Risiko bedeuten würde. Aus diesem Grunde sind die Schutzmaßnahmen notwendig.
Sie hätten die Möglichkeit zu einer zweiten Zusatzfrage.
— Doch. Das waren zwei Fragen.
Ich stelle dann meine zweite Zusatzfrage, die nur notwendig wurde, weil Sie einer Antwort auf meine Frage ausgewichen sind.
Gibt es neue Überlegungen, die schwerwiegend sein könnten oder Folgen für Sicherheitsvorkehrungen haben könnten?
Dr. von Geldern, Parl. Staatssekretär: Selbstverständlich, sonst würden wir ja diese Sicherheitsvorkehrungen nicht machen. Aber diese neuen Überlegungen beruhen nicht auf einer Veränderung der Arbeiten der Bundesforschungsanstalt, sondern auf einem Ansteigen des äußeren Risikos.
Jetzt kommt der Abgeordnete Eigen zu einer Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, Sie sind mit mir einer Meinung, daß Virusforschung dringend notwendig ist,
damit wir keine weiteren Seuchengänge im Tierbereich haben und dadurch auch die Gesundheit der Menschen geschützt wird, daß die Gesundheit der Menschen absolute Priorität hat und daß dafür auch eine bessere Absicherung solcher Forschungsanstalten notwendig ist?Dr. von Geldern, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Eigen, ich halte diese Forschungsarbeiten, die seit Jahren erfolgreich betrieben werden, für außerordentlich wichtig für die Gesundheit von Mensch und Tier in unserem Lande. Deswegen brauchen wir geeignete Schutzmaßnahmen, die gewährleisten, daß diese Forschungsarbeiten ungestört vollzogen werden können.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. Mai 1988 5125
Jetzt habe ich noch eine Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Beer.
Die Diskussion gerade um die Zunahme von äußeren Gefahren erregt ja schon eine Erinnerung an die Debatten über das Restrisiko und auch über äußere Einwirkungen, die bisher von der Bundesregierung der Gefahr nach ebenfalls nicht erkannt worden sind, nämlich im Bereich des Tieffluges.
Frau Kollegin, das hat mit der ursprünglichen Frage nichts zu tun.
Ich möchte gerne wissen, ob die Bundesregierung Überlegungen anstellt, ob es nicht auch eine Gefahr durch Tiefflüge geben könnte, so daß diese Viren, die zwar erst einmal im kleinen Rahmen oder z. B. gegen einen normalen Flugabsturz gut gesichert sind, nicht auch gegen solche Einflüsse abgesichert werden müßten?
Also, es war in der Ausgangsfrage die Rede von Stacheldrahtzaun, nicht aber von Schutz vor Tieffliegern, die runterfallen.
Da muß also schon der Sachzusammenhang da sein, liebe Kollegin.
— Ich bin gern bereit, den Abgeordneten insofern nachzugeben, als ich Ihnen freistelle, ob Sie antworten wollen. — Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Dr. von Geldern, Parl. Staatssekretär: Vielen Dank, Herr Präsident. — Ich möchte da eine ganz offene Antwort geben. Ich möchte diese Frage, die soeben aufgeworfen worden ist, durchaus aufnehmen:
Ich denke, daß dies auch zu einer zulässigen Überlegung führen kann, ob hier besondere Schutzmaßnahmen erforderlich sind oder nicht.
Bevor ich die Frage 54 des Abgeordneten Dr. Sperling aufrufe, teile ich mit, daß die Fragen 50 und 51 des Abgeordneten Dr. Hitschler sowie die Fragen 52 und 53 des Abgeordneten Müller auf deren Wunsch schriftlich beantwortet werden sollen. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Nun rufe ich also die Frage 54 des Abgeordneten Dr. Sperling auf:
Hält die Bundesregierung die Gleichbehandlung von Suppenhennen und Deckbullen in § 5 des Gesetzesantrages des Freistaates Bayern für sachlich gerechtfertigt?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Dr. von Geldern, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Sperling, nach der Begründung des Gesetzesantrags des Freistaates Bayern, auf den Sie sich beziehen, zu § 5 sind Deckbullen, Deckeber und Suppenhennen
bei der Feststellung der Jahreserzeugung aus Vereinfachungsgründen nicht berücksichtigt worden. Maßgebend dafür könnte sein, daß Deckbullen und Deckeber in Betrieben nur vereinzelt vorkommen und Legehennen vor ihrer Verwertung als Suppenhennen über die Jahreseiererzeugung erfaßt werden. Dagegen wäre dann sachlich nichts einzuwenden.
Bitte sehr, Herr Sperling.
Herr Staatssekretär, da Ihnen die unterschiedlichen Funktionen von Deckbullen, Deckebern und Suppenhennen bekannt sind, ist ja die Frage, ob nicht die Gleichsetzung dieser Tiere die Chance eröffnet, den Tatbetand des § 5 Abs. 1 zu umgehen, indem man ansonsten Hühnchen als Suppenhühner deklariert und bestimmte Eber und Bullen das Etikett „Deckbullen" und „Deckeber" umgehängt bekommen.
Dr. von Geldern, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Sperling, wir unterhalten uns hier über einen Bundesrats-Gesetzesantrag des Freistaats Bayern.
Im Prinzip wäre der Bayerische Landtag der richtige Ort, darüber weiterzudiskutieren. Aber ich nehme auch diesen Hinweis dankbar auf, weil er uns sicherlich zu einer noch kritischeren Überprüfung dieses Antrags befähigen wird: daß solche möglichen Mißbräuche, wie Sie sie befürchten, doch ausgeschlossen werden sollten.
Sie hätten die Möglichkeit zu einer weiteren Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Sperling.
Herr Staatssekretär, ich verstehe nicht, warum Sie belustigt sind, daß es sich um einen Gesetzesantrag des Freistaats Bayern handelt. Es soll ein Bundesgesetz werden.
Dr. von Geldern, Parl. Staatssekretär: Ich bin darüber keineswegs belustigt — das habe ich auch nicht zum Ausdruck gebracht — , sondern die Zuständigkeit für diesen Entwurf, für den Text des Entwurfes, an den Ihre Fragen anknüpfen, liegt nun in diesem Stadium zweifellos beim Freistaat Bayern und nicht bei der Bundesregierung. Deswegen habe ich meinen Hinweis auf die Zuständigkeit gegeben. Ich habe zugleich betont, daß ich Ihre Befürchtung auch für die Bundesregierung gern aufnehme. Wir können vielleicht auch in einem gemeinsamen Gespräch versuchen, solche möglichen Mißbräuche für die Zukunft auszuschließen.
Aber nicht bei einem Essen aus diesem Bereich.
Jetzt rufe ich die Frage 55 des Abgeordneten Dr. Sperling auf:Ist nach Auffassung der Bundesregierung die Differenzierung mit einem Faktor von 0,05 bei der Umrechnung von Lebendgewicht in Schlachtgewicht zwischen Masthähnchen und Mastgänsen angemessen?
Metadaten/Kopzeile:
5126 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. Mai 1988
Vizepräsident WestphalBitte.Dr. von Geldern, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Sperling, die Bundesregierung geht bei der Erstellung von Versorgungsbilanzen für Geflügelfleisch von folgenden Ausbeutesätzen aus: Hähnchen: Faktor 0,72, Enten: Faktor 0,72, Gänse: Faktor 0,73.Gründe für eine deutliche Differenzierung der Umrechnungsfaktoren zwischen Masthähnchen einerseits und Mastgänsen oder Mastenten andererseits ergeben sich daraus nicht.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, kann es denn sein, daß bayerische Masthähnchen und bayerische Mastenten und bayerische Mastgänse zu anderen Erfahrungswerten führen als denjenigen, die Sie gerade genannt haben?
Dr. von Geldern, Parl. Staatssekretär: Das halte ich eher für unwahrscheinlich, Herr Kollege Sperling.
Letzte Zusatzfrage, bitte.
Aber, Herr Staatssekretär, wie erklären Sie dann, daß die bayerischen Kollegen offensichtlich zu anderen Wertungen kommen und deswegen andere Umrechnungskoeffizienten zugrunde legen, als Sie das mit Ihren Zahlen gerade nahegelegt haben?
Dr. von Geldern, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Sperling, ich befürchte, daß Sie hier einem Irrtum unterliegen. Sie haben nicht den Umrechnungsschlüssel für Lebendgewicht in Schlachtgewicht zugrunde gelegt, sondern einen Umrechnungsschlüssel im Sinne des Bewertungsgesetzes für die Vieheinheiten. Das ist etwas anderes.
Zurück zum Ernst der Landwirtschaft! Ich rufe die Frage 56 des Abgeordneten Eigen auf:
Aus welchem Grund ist es nach Meinung der Bundesregierung möglich, daß die Schweinefleischpreise innerhalb der Europäischen Gemeinschaft um über 50 v. H. differieren, und was blockiert den Handel mit Schweinefleisch innerhalb der Europäischen Gemeinschaft?
Dr. von Geldern, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Eigen, eine volle statistische Vergleichbarkeit der Schweinefleischpreise in den einzelnen Mitgliedstaaten der EG ist leider noch nicht gegeben. Um möglichst vergleichbare Preise innerhalb der EG zu bekommen, wird für die entsprechenden nationalen Preismeldungen an die EG-Kommission seit dem 1. 8. 1986 die Handelsklasse U des neuen Handelsklassenschemas „EUROP" und eine bestimmte Vermarktungsstufe zugrunde gelegt.
Aber es gibt noch Übergangsbestimmungen und Ausnahmeregelungen. Die Mitgliedstaaten können im Rahmen einer Übergangsregelung noch bis Ende 1988 auf der Basis der alten Handelsklassenregelung den Preis der Handelsklasse I melden. Die Bundesrepublik Deutschland meldet seit dem 1. 4. 1987 den Preis der neuen Handelsklasse U. Daneben ist Italien und Griechenland das Recht eingeräumt worden, bestimmte Preisnotierungen für lebende Schweine auf
Preise in Schlachtgewicht umzurechnen. Man kann deshalb nicht davon ausgehen, daß die aus den nationalen Preismeldungen sich ergebenden Preisunterschiede im Fall vergleichbarer Qualitäten tatsächlich innerhalb der EG in diesem Ausmaß vorhanden sind. Der Handel mit Schweinefleisch innerhalb der EG würde, wenn es so wäre, darauf reagieren.
Es kann keine Rede davon sein, daß dieser innergemeinschaftliche Handel blockiert ist. Im Jahr 1987 sind innerhalb der EG rund 1,86 Millionen t Schweinefleisch zwischen den Mitgliedstaaten gehandelt worden. Das sind etwa 7 % mehr als im Jahr 1986. Bezogen auf die Bruttoeigenerzeugung an Schweinefleisch in der EG von 12,47 Millionen t im Jahr 1987 hatte der innergemeinschaftliche Handel einen Anteil von rund 15 %. Unberücksichtigt ist dabei der Handel mit Schweinefleischerzeugnissen.
Zusatzfrage, Herr Eigen.
Herr Staatssekretär, wenn es sich tatsächlich nur um unterschiedliche Berechnungsmethoden innerhalb der Statistik handelt, besteht allerdings die Gefahr — und ich frage Sie, ob das so ist — , daß bei anderen Statistiken der EG, die agrarpolitisch wesentlich relevanter sind, möglicherweise ähnliche statistische Fehler auftauchen können.
Dr. von Geldern, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Eigen, ich kann das nicht für alle Bereiche ausschließen. Aber in diesem Sektor, von dem wir gerade sprechen, gibt es besondere Umstände, die ich geschildert habe, Übergangsbestimmungen und Ausnahmeregelungen. Damit erklärt sich, daß jedenfalls bisher — die Absicht ist ja, das zu vereinheitlichen — eine volle Vergleichbarkeit im Schweinebereich noch nicht gegeben ist.
Weitere Zusatzfrage, Herr Eigen.
Herr Staatssekretär, schließen Sie aus, daß zwischen den Ländern, die eine relativ hohe Preismarge haben, und den Ländern mit niedrigen Preisen — wobei die Differenz weit über die möglichen Frachten hinausgeht — doch gewisse Handelsbarrieren administrativer oder seuchenhygienischer oder veterinärhygenischer Art aufgebaut werden?
Dr. von Geldern, Parl. Staatssekretär: Das kann ich nicht umfassend ausschließen, aber auch nicht bestätigen. Wenn es solche Barrieren gibt — da bin ich für jeden konkreten Hinweis dankbar —, werden wir uns im Sinne des Gemeinschaftsrecht natürlich um den Abbau dieser Barrieren bemühen.
Ich rufe die Frage 57 des Abgeordneten Eigen auf:Sieht die Bundesregierung den Wettbewerb im Ölsaatenbereich in Norddeutschland gefährdet, nachdem die Ölmühle Thörl in Hamburg-Harburg geschlossen wurde?Bitte schön, Herr Staatssekretär.Dr. von Geldern, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Eigen, die Bundesregierung sieht den Wettbewerb im Ölsaatenbereich in Norddeutschland durch die
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. Mai 1988 5127
Parl. Staatssekretär Dr. von GeldernSchließung der Ölmühle Thörl in Hamburg-Harburg nicht gefährdet.Die Ölmühlen Hamburg und Leer haben eine Gesamtaufnahmekapazität von 750 000 t. Dem stehen Ölsaaten aus der Ernte Schleswig-Holsteins und Niedersachsens von insgesamt 450 000 t gegenüber.So konnte auch die Ernte von 1987 ohne Probleme aufgenommen werden. Zusätzlich haben ca. 30 Futtermittelhersteller in der ganzen Bundesrepublik Deutschland Rapssaat aufgenommen und verarbeitet.
Zusatzfrage, Herr Eigen.
Herr Staatssekretär, sind Sie mit mir der Meinung, daß es eine Tatsache ist, daß die Frachten den Wettbewerb insofern beeinflussen können, als es, was den Preis angeht, sehr sensible Massengüter sind und schon durch die Fracht von 3 oder 4 oder 5 DM je dz der Wettbewerb gefährdet sein kann; und würden Sie in dieser Hinsicht mitwirken, daß die Bundesregierung zumindest in bezug auf die möglichen Exporte mithilft, daß der Abfluß der Ölsaaten aus Norddeutschland so möglich ist, daß ein gewisser Wettbewerb bleibt?
Dr. von Geldern, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Eigen, Sie hatten nach den Auswirkungen der Schließung der Ölmühle Thörl in Hamburg-Harburg gefragt. Nun muß ich darauf hinweisen, daß die Ölmühle Hamburg für Schleswig-Holstein nicht ungünstiger liegt
und eine Aufnahmekapazität von 500 000 t hat. Sie übersteigt erheblich die Ernte Schleswig-Holsteins mit 330 000 Tonnen. Vergleichbar wären die Zahlen für Niedersachsen, wo die Aufnahmekapazität von Leer bei 250 000 Tonnen liegt und die Ernte bei 120 000 Tonnen lag.
Damit sind wir am Ende dieses Geschäftsbereichs. Ich danke dem Staatssekretär für die Beantwortung der Fragen.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung auf. Zur Beantwortung der Fragen steht Herr Parlamentarischer Staatssekretär Höpfinger zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 58 des Abgeordneten Kastning auf:
Müssen Kunden-Einkaufswagen in Warenhäusern, Einkaufszentren und Einzelhandelsgeschäften bei ihrer Markteinführung durch den Hersteller von irgendeiner damit beauftragten Stelle zugelassen werden bzw. bestimmte Sicherheitsnormen erfüllen, und um welche handelt es sich?
Bitte schön.
Herr Kollege Kastning, Kundeneinkaufswagen fallen in den Geltungsbereich des Gerätesicherheitsgesetzes. Das Gerätesicherheitsgesetz schreibt vor, daß sie nur in Verkehr gebracht oder ausgestellt werden dürfen, wenn sie den allgemein anerkannten Regeln der Technik sowie
den Arbeitsschutz- und Unfallverhütungsvorschriften entsprechen und den Benutzer nicht gefährden.
Im Verzeichnis der Allgemeinen Verwaltungsvorschriften sind folgende spezielle Normen für Einkaufswagen veröffentlicht worden: DIN 32 601, Flurförderzeuge, Einkaufswagen, Benennungen, sicherheitstechnische Anforderungen, Prüfung — vom Mai 1981 —; DIN 62 601 Teil 2, Flurförderzeuge, Einkaufswagen für fördertechnische Anlagen, sicherheitstechnische Anforderungen, Prüfung — vom August 1986 — . In diesen Normen werden insbesondere sicherheitstechnische Anforderungen an die Standsicherheit, Tragfähigkeit sowie an eine stoßdämpfende Ausführung der Stoßleiste von Einkaufswagen gestellt, um damit bei Auffahrunfällen Verletzungen im Fersenbereich weitgehend zu verhindern.
Nach dem Gerätesicherheitsgesetz ist eine Prüfpflicht oder eine Zulassung nicht vorgeschrieben. Einkaufswagen können jedoch freiwillig von einer in der Gerätesicherheits-Prüfstellenverordnung bezeichneten Prüfstelle einer Baumusterprüfung unterzogen werden. Bei Bestehen dieser Prüfung dürfen sie mit dem Zeichen „GS = Geprüfte Sicherheit" gekennzeichnet werden.
Zusatzfrage, Herr Kastning.
Sind in diesen Bestimmungen auch Hinweise darauf enthalten, wie solche Wagen ausgestattet sein müssen, damit Kleinkinder oder Babies beim Einkauf mittransportiert werden können?
Höpfinger, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Kastning, die Regelungen ergeben sich aus den von mir vorhin genannten Vorschriften der DIN 32 601 und 62 601. Die Frage, ob mit diesen Einkaufswagen auch Kinder befördert werden können, müßte ich genauer untersuchen.
Zusatzfrage, Herr Kastning.
Ist der Bundesregierung bekannt, daß es gelegentlich Unfälle mit Einkaufswagen gibt — vor einigen Jahren soll es sogar schon einen tödlichen Unfall gegeben haben; leider habe ich das Datum nicht im Kopf — , und wäre das nicht ein Anlaß, um über eine Abnahme bei der Neueinführung nachzudenken?
Höpfinger, Parl. Staatssekretär: Ob diese Fälle bekannt sind, vermag ich jetzt nicht zu sagen. Ich bin aber sicher: Wenn sie bekanntgeworden wären, hätte man dem Sicherheitsfaktor noch größere Aufmerksamkeit geschenkt.
Ich rufe die Frage 59 des Abgeordneten Kastning auf:Hält die Bundesregierung es für erforderlich, daß längere Zeit in Gebrauch befindliche Einkaufswagen hinsichtlich ihrer Unfallsicherheit und der Hygiene einer regelmäßigen Wartung und Reinigung unterzogen werden?Bitte schön.Höpfinger, Parl. Staatssekretär: Es ist davon auszugehen, daß die Einkaufswagen bereits auf Grund der
Metadaten/Kopzeile:
5128 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. Mai 1988
Parl. Staatssekretär Höpfingersicherheitstechnischen Anforderungen so gebaut werden müssen, daß sie den üblichen Beanspruchungen standhalten können. Es gibt keine Hinweise, die darauf hindeuten, daß hier besondere Maßnahmen hinsichtlich des Unfallgeschehens notwendig wären.Einkaufswagen, die zur Aufnahme von Lebensmitteln bestimmt sind, müssen den allgemeinen lebensmittelhygienischen Anforderungen entsprechen. Diese sehen vor, daß Lebensmittel keiner nachteiligen Beeinflussung ausgesetzt werden. Die Bundesregierung ist der Auffassung, daß Einkaufswagen für Lebensmittel nur bei einer regelmäßigen Wartung und Reinigung in hygienisch einwandfreiem Zustand bereitgestellt werden können.
Zusatzfrage, Herr Kastning.
Ich möchte folgende Zusatzfrage stellen, die mit beiden Fragen zusammenhängt. Halten Sie es nicht für sinnvoll, daß über die allgemeinen Sicherheitsnormen, die die Hersteller zu beachten haben, hinaus auch die Abnahme eines neuen Modells durch eine bestimmte Stelle einen Sinn macht, ähnlich wie es bei anderen Geräten oder auch Fahrzeugen der Fall ist?
Höpfinger, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Kastning, einer solchen Frage müßte näher nachgegangen werden.
Zusatzfrage, Herr Kastning.
Können Sie sich vorstellen, Herr Staatssekretär, daß es Unternehmen größeren Ausmaßes gibt, die ihren Betrieb auch unter Abschreibungsgesichtspunkten betreiben und deswegen nicht geneigt sind, in die Wartung und Erhaltung solcher Geräte, die eine riesige Größenordnung annehmen können, Geld zu investieren, so daß auch hygienische Vorschriften nicht immer beachtet werden? Müßte man dieser Sache nicht einmal nachgehen?
Höpfinger, Parl. Staatssekretär: Wenn es sich herausstellen würde, daß geltende Vorschriften nicht beachtet werden, müßte man diesen Dingen selbstverständlich nachgehen.
Wir sind am Ende dieses Geschäftsbereiches, weil die Fragen 60 des Abgeordneten Lowack, 61 und 62 des Abgeordneten Kirschner und 63 des Abgeordneten Stiegler auf Wunsch der Fragesteller schriftlich beantwortet werden sollen, aber auch am Ende der Fragestunde. Das heißt, der Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung muß dann morgen mit den anderen Geschäftsbereichen aufgerufen werden.
Ich beende diesen Tagesordnungspunkt und rufe nun den Zusatztagesordnungspunkt 1 auf:
Aktuelle Stunde
Verluste von Arbeitsplätzen durch die Schließung der Firma Krupp-Rheinhausen
Meine Damen und Herren, die Fraktion DIE GRÜNEN hat gemäß unserer Geschäftsordnung eine Aktuelle Stunde zu diesem Thema verlangt.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Stratmann.
Liebe Mitbürgerinnen, liebe Mitbürger! Liebe Kolleginnen und Kollegen von Krupp-Rheinhausen! Die Krupp-Belegschaft von Rheinhausen ist in den letzten Monaten zum Hoffnungsträger und zum Symbol des Widerstands gegen die Kapitalmacht geworden.
Sie hat Widerstand geleistet gegen die Strategien der Unternehmer und der Bundesregierung zur Arbeitsplatz- und Standortvernichtung. Sie hat dabei neue Aktionsformen entwickelt: von spontanen Streiks zu Straßen- und Brückenblockaden bis hin zur Verletzung der Bannmeile. Sie hat damit den sozialen Widerstand in diesem Land gestärkt und die politische Kultur bereichert.
Wir GRÜNEN möchten der Belegschaft dafür danken.Gestern gab es auf der Belegschaftsversammlung, an der auch ich teilgenommen habe, erhebliche Wut und Empörung über die sogenannte Kompromißvereinbarung zwischen den Konzernvorständen von Krupp und Mannesmann und dem Betriebsrat. Wir GRÜNEN teilen diese Empörung; denn hier wird von der Belegschaft die Unterwerfung unter die Konzernstrategie von Krupp, Mannesmann und Thyssen verlangt. Das Werk Rheinhausen wird stillgelegt. 2 800 Arbeitsplätze im Hochofen- und Profilbereich werden schon im kommenden Jahr vernichtet.Das Zynische am sogenannten Vermittlungserfolg von Ministerpräsident Rau besteht darin, daß der endgültige Todesstoß, die Stillegung des zweiten Hochofens, bis nach der Landtagswahl Mitte 1990 hinausgezögert wird.
So soll die Belegschaft bis zur Landtagswahl befriedet werden.Wie kann Rau behaupten, das Verhandlungsergebnis sei ein Hoffnungsschimmer für die Region, wenn es die Vernichtung von ca. 5 000 Arbeitsplätzen vorsieht, Krupp und Mannesmann aber nur 1 000 bis 1 500 Ersatzarbeitsplätze schaffen wollen? Wer kann den Zusicherungen von Konzernvorständen trauen, die für ihre Vertragsbrüche bekannt sind?Nein, der sogenannte Kompromiß ist in Wirklichkeit ein Diktat von Konzernvorständen und der Landesregierung Nordrhein-Westfalen gegen die Belegschaft. Er ist völlig unakzeptabel. Der Betriebsrat empfiehlt der Belegschaft auch nur deshalb die Unterwerfung unter dieses Diktat, weil er für einen weiteren Widerstand keine Perspektive mehr sieht.Worin liegt der Grund für die verlorengegangene Perspektive? Wo sind die potentiell starken Bündnisgenossen — IG Metall und die Landes-SPD — geblie-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. Mai 1988 5129
Stratmannben? Ich sage, der Standort Rheinhausen hätte gehalten werden können und könnte immer noch gehalten werden, wenn die Belegschaft massive Unterstützung von der IG Metall und der Landesregierung erhielte.
Aber das Gegenteil ist der Fall. Seit Anfang dieses Jahres fielen die Landesregierung, Fraktionschef Farthmann und die Führung der IG Metall in einer offensichtlich konzertierten Aktion der Belegschaft in den Rücken. Wenige Tage bevor Bangemann im Januar dieses Jahres öffentlich das Aus für Rheinhausen erklärte, hatten am 7. Januar Rau, Heinemann, Jochimsen und Farthmann die Vorstände von Krupp und Mannesmann aufgefordert — Zitat — : „Ja, macht es möglichst schnell, denn dann ist das Thema gelöst ... und der Krach ist weg."Die Pseudo-Dementis von Rau und Cromme für diese aktive Sterbehilfe sind völlig unglaubwürdig;
denn am Morgen des selbigen Tages, am 7. Januar 1988, hatte Jochimsen nach einer Privataudienz mit Krupp-Vorstand Cromme vor der Presse erklärt — ich zitiere die „Süddeutsche Zeitung" vom 9. Januar —;die Stahlunternehmen müßten die Möglichkeiten einer Zusammenarbeit ausschöpfen. Er— Jochimsen —bezog sich dabei ausdrücklich auf die geplante Stillegung des Kruppschen Hüttenwerkes in Duisburg-Rheinhausen zugunsten einer Beteiligung an dem Mannesmann-Hüttenwerk in Duisburg-Huckingen. Allerdings müsse— so Jochimsen —dieser Prozeß möglichst schnell abgeschlossen werden, damit alle Beteiligten wüßten, woran sie sind ... Man müsse bereit sein, umzulernen, sich umschulen zu lassen und notfalls den Wohnort zugunsten eines neuen Arbeitsplatzes zu wechseln.So weit Jochimsen in der „Süddeutschen Zeitung" vom 9. Januar 1988. Bis heute ist diese Darstellung von der Landesregierung nicht dementiert worden.Anfang Februar erklärte dann der Stahlfachmann Steinkühler von der IG Metall das Konzept von Krupp, Thyssen, Mannesmann für betriebswirtschaftlich plausibel. Wenige Wochen später wurde seine Datengrundlage im Resch-Gutachten gründlich auseinandergenommen. Ansonsten ließ die IG-Metall-Führung in Frankfurt, Düsseldorf und Duisburg die kämpfende Belegschaft im Stich, so gut sie es konnte. Wir GRÜNEN teilen die Wut und Enttäuschung der Belegschaft über dieser Art von Freunden. Wir haben kein Verständnis für diejenigen, die dem Ministerpräsidenten für seine sogenannte Vermittlungsrolle noch danken wollen, statt seine Kumpanei mit Krupp aufzudecken.Es gibt noch eine Chance für den Standort Rheinhausen: wenn statt falsch verstandener Parteiloyalität die Belegschaft und ihr Betriebsrat der IG Metall undder Landesregierung so auf die Füße treten, daß sie der Belegschaft in ihrem Kampf um den Erhalt des Stahlstandortes Rheinhausen den Rücken stärken. Wir GRÜNEN wünschen den Kolleginnen und Kollegen von Rheinhausen in diesen Tagen Mut. Glückauf !
Das Wort hat der Abgeordnete Schemken.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die große Sorge und die Resignation der Betroffenen in Rheinhausen muß uns deutlich machen, daß es hier um Menschen und nicht um einen wirtschaftlichen Faktor im Betriebsmechanismus geht. Der Kompromiß, der nunmehr gefunden wurde und über 1990 hinaus den Stahlstandort Rheinhausen in Frage stellt, wird sicherlich nicht ungeteilt hingenommen. Die einen sagen, nun habe die Realität die Verantwortlichen eingeholt, die anderen geben sich betroffen und sehen darin einen faulen Kompromiß.
Wer die 5 500 Stahlarbeiter als eine zahlenmäßige Größe nimmt, ist sicherlich falsch beraten und übersieht, daß dieser Vorgang eine neue Dimension in der Revierregion darstellt. Da sind die Familien mit den Nachbarschaften, den Gemeinden und den gewachsenen Strukturen. Nur wer auf diesem Hintergrund die Zukunftsaufgabe für Rheinhausen und das Revier richtig bewertet und daraus Konsequenzen zieht, wird für die Zukunft größere und folgenschwerere Fehler vermeiden. Wer die Menschen in Rheinhausen nicht heimatlos machen will, der muß mit der Strukturverbesserung und mit den Forderungen des Arbeitsmarktes endlich Ernst machen. Mit der Montankonferenz auf Initiative des Bundeskanzlers und unter maßgeblicher Unterstützung und Initiative von Norbert Blüm ist erst Bewegung in die festgefahrene Struktur regional- und wirtschaftspolitischer Zusammenhänge des Landes Nordrhein-Westfalen gekommen. Mit dieser gemeinsamen Anstrengung können überhaupt nur noch die strukturellen Schwächen des Reviers beseitigt werden.Das heißt, daß nunmehr die SPD-geführte Landesregierung ihre Versäumnisse jahrzehntelanger Passivität endlich begreifen muß und daraus lernen muß.
Die Stahlkocher und die Kumpel lassen sich nicht mehr länger mit den Behauptungen ihres Ministerpräsidenten abspeisen, die Verantwortung müsse nach Bonn abgelenkt werden,
um damit vom eigenen Versagen abzulenken. Jetzt muß eine Strukturanpassung durch das Land erfolgen, die Resignation muß in Hoffnung und Zuversicht umgewandelt werden.
Metadaten/Kopzeile:
5130 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. Mai 1988
SchemkenDie Kreativität, die jetzt gefordert ist, wäre längst fällig gewesen, wenn man die Probleme rechtzeitig erkannt und wenn von Anfang an ehrlich mit den Betroffenen umgegangen worden wäre. Das ist entscheidend.
Es bleibt eine große Enttäuschung und Verbitterung bei den betroffenen Arbeitnehmern zurück. Dies muß die Politik und die Wirtschaft mehr als nachdenklich machen. Darüber sind wir uns doch wohl alle einig.Es ist sicher zu begrüßen, daß 1 500 zukunftsorientierte Arbeitsplätze am Standort Rheinhausen entstehen sollen, aber dies täuscht nicht darüber hinweg, daß das Unternehmen auch zu spät mit solchen notwendigen Anpassungen begonnen hat. Erstaunlich ist dabei, daß das in einem montanmitbestimmten Konzern den Arbeitern und Angestellten nicht ehrlich und aufrichtig zur rechten Zeit dargelegt wurde. Die Probleme sind nicht über Nacht mit dem Hubschrauber nach Rheinhausen eingeflogen worden, sondern es war über viele Jahre auf einer breiten Straße erkennbar, welche Probleme sich in der Tat unabdingbar auch auf Rheinhausen und auf die Stahlregion zubewegten. Die Manager des Unternehmens trifft hier eine besondere Verantwortung, und sie können genauso wie die Politiker vor Ort aus dieser Verantwortung nicht heraus. Ich muß das noch einmal sagen: Für Regionalpolitik ist nun mal die Landesregierung verantwortlich, die es hätte früher erkennen und sagen müssen.Dies hinterläßt enttäuschte und zu Recht aufgebrachte Arbeiter mit ihren Familien. Das müssen wir in dieser Stunde als logische, bittere Erkenntnis denen sagen, die geneigt sind, kurzfristige politische Vorteile in einer solchen schicksalhaften Frage zu sehen und sie auszunutzen.Nun geht es darum, den Schaden einzugrenzen. Darum geht es in dieser Stunde, wenn überhaupt noch etwas einzugrenzen ist. Wir sind deshalb der Meinung, daß dieser Kompromiß sicherlich ein Angebot ist, daß er ein erster Schritt in die richtige Richtung ist und daß auch die soziale Abfederung aller betroffenen Arbeitnehmer, auch derer, die länger im Betrieb verbleiben, bei der späteren Abfolge des Vertrages gewährleistet sein muß. Hier hat das Unternehmen eine ganz besondere Verpflichtung, gerade ein so großer Konzern.Wir brauchen ferner — das ist der wesentliche Schritt — ein besonderes Schwerpunktprogramm des Landes, damit Rheinhausen als ein wichtiger gewachsener Bereich der Stadt Duisburg lebensfähig bleibt und damit insbesondere den Familien und den jungen Menschen durch schnelles und wirksames Handeln eine Perspektive eröffnet wird.Subventionen allein — das sage ich noch einmal — reichen jetzt nicht mehr. Hier muß endlich konkret und offensiv eine Arbeitsmarktpolitik für die Region erfolgen. Hier ist Kreativität gefordert. Ich meine, die SPD-Landesregierung muß sich ins Stammbuch schreiben lassen, daß sie diese Erkenntnisse erst spät gewonnen hat.Schönen Dank.
Das Wort hat der Abgeordnete Dreßler.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Was haben die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Rheinhausen, was hat die Bevölkerung mit ihrem beispiellosen Einsatz erreicht?Erstens. Kein Arbeitnehmer der Hütte in Rheinhausen wird in die Arbeitlosigkeit entlassen. Das mußte durchgesetzt werden gegen eine Unternehmensleitung, in deren Überlegungen Arbeitnehmer ganz offensichtlich nur als lästiger Kostenfaktor eine Rolle spielen,
eine Unternehmensleitung, die sich aus der Verantwortung gegenüber einer ganzen Stadt stehlen wollte, die sie über Jahrzehnte geprägt und genutzt hat. Durchsetzen mußten es die Arbeitnehmer in Rheinhausen auch gegen eine Bundesregierung und gegen eine Koalition,
die es am liebsten gesehen hätten, wenn die Arbeitnehmer in Rheinhausen ganz still und leise zum Arbeitsamt gegangen wären und sich in das Millionenheer der Arbeitslosen eingereiht hätten.
Zweitens. Die Rheinhausener haben bewiesen, daß es nicht das Privileg von LKW-Unternehmern am Brenner und Landwirten an Grenzübergängen ist, sich massiv für ihre Existenzinteressen einzusetzen. Alle, die in deutschen Konzernen Verantwortung tragen, sollten das Signal von Rheinhausen verstanden haben. Wer glaubt, so mit Menschen umgehen zu können wie die Manager in den Krupp-Führungsetagen, der irrt. Die Arbeitnehmer in unserem Lande sind fleißig, diszipliniert und zum Interessenausgleich bereit. Aber wer sie tritt, muß auch 1988 damit rechnen, daß sie zurücktreten.Die hoch bezahlten Manager bei Krupp und in den Führungsetagen der großen Konzerne und Banken sind die eigentlichen Verlierer. Was sind das eigentlich für Zeiten, in denen die Arbeitnehmer, in denen die Betriebsräte die Arbeit der Manager machen müssen?
Denn für die Gestaltung des Strukturwandels, meine Damen und Herren, für die Organisation eines geordneten Übergangs zu neuen Beschäftigungsfeldern werden die Manager bezahlt. Diese Herren haben in weiten Teilen über Jahre ihre Arbeit nicht getan. Statt lauthals über angebliche Standortnachteile zu jammern und im Zweifelsfall nach Subventionen zu schreien, sollten sie bei ihren japanischen Kollegen in die Lehre gehen, die neue Fabriken im Revier bauen. Deshalb sage ich: Die Phantasie- und Mutlosigkeit einer ganzen Managergeneration ist der eigentliche
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. Mai 1988 5131
DreßlerI Standortnachteil der Bundesrepublik Deutschland in den 80er Jahren.
Auch das hat der Kampf der Rheinhausener deutlich gemacht.Drittens. Die Rheinhausener haben der Bundesregierung deutlich gemacht, daß sie die vom Strukturwandel geschüttelten Regionen nicht einfach aus billigem parteitaktischen Kalkül sich selbst überlassen kann. Ohne die Menschen in Rheinhausen hätte sich diese Regierung nicht einmal zur Ruhr-Konferenz im Februar aufgerafft.
Wir werden immer wieder dafür sorgen, daß deutlich wird, daß die Bundesregierung den Ernst der Lage offensichtlich noch immer nicht begriffen hat. Die ohnehin spärlichen Bundesmittel zur Beschleunigung des Wandels und für neue Arbeitsplätze werden nicht erst im nächsten oder im übernächsten Jahr gebraucht, Herr Blüm, sondern jetzt.Deshalb sage ich: Wir ziehen den Hut vor der NRW-Landesregierung, die in die Bresche springt und aus eigenen Mitteln die Versprechen einlöst, die die Herren Kohl, Bangemann, Blüm und Stoltenberg immer noch nicht eingelöst haben. Übrigens sollten alle Politiker, die vornehm in Deckung gegangen sind, den Hut auch vor Johannes Rau ziehen.
Da ist einer volles politisches Risiko eingegangen, weil ihm die Menschen im Revier und der soziale Friede wichtiger sind als die Gefahr negativer Schlagzeilen, Herr Stratmann.
Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und ihr Betriebsrat in Rheinhausen haben für ihre Stadt, für ihre Kolleginnen und Kollegen herausgeholt, was herauszuholen war. Auch wenn mancher sich mehr gewünscht hätte, sage ich: Es besteht kein Anlaß, sich einreden zu lassen, die Rheinhausener hätten eine Niederlage erlitten.
Herr Wissmann von der CDU, es besteht auch kein Anlaß, wieder einmal mit der Verfälschung der Tatsachen zu beginnen. Wenn eine Unternehmensleitung mit dem Betriebsrat ein Konzept für den Erhalt der Hütte aushandelt und wenige Tage später den Vertrag bricht und Kahlschlag ankündigt, dann hat nicht, wie Sie gestern behauptet haben, die Mitbestimmung versagt, sondern die Manager haben den Betriebsrat betrogen.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Graf Lambsdorff.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Ich habe mit Interesse und mit Vergnügen gehört, daß der Kollege Dreßler nun plötzlich japanische Beispiele zitiert. Vor einigen Jahren hat mir das größeren Ärger eingebracht. Nur, Herr Dreßler, Sie müssen sich einmal informieren, was in der japanischen Stahlindustrie vor sich geht, um zu sehen, wie sich dort der Abbau sehr viel rabiater und sehr viel schmerzlicher für die Betroffenen als bei uns abwickelt.
Sie müssen im übrigen auch sehen, daß die deutsche Stahlindustrie inzwischen in der Lage ist, Fertigungsverfahren und Lizenzen für Fertigungsverfahren an die Japaner zu vergeben. Ich nehme an, Herr Kollege Wieczorek kann Ihnen aus seinem Bereich Näheres dazu sagen; sonst überreiche ich Ihnen die Presseexemplare dazu.Noch ist das Ergebnis der Vermittlungsgespräche nicht von der Betriebsversammlung der Hütte Rheinhausen gebilligt worden. Wer daran interessiert ist, ein einigermaßen geregeltes Ende dieser Werksschließung zu erreichen, sollte deshalb mit Lob und Tadel an die Beteiligten, mit Lob und Tadel an diesem Ergebnis im Augenblick zurückhaltend sein. Daß Sie, Herr Stratmann, nur Öl ins Feuer gießen wollen, ist klar. Aber daß man nun so weit geht, den Hut vor Johannes Rau zu ziehen, weil er endlich Wiedergutmachung und tätige Reue für seine früheren Fehler geleistet hat,
geht doch ein bißchen zu weit.
Die von mir empfohlene Zurückhaltung gilt nicht gegenüber einigen Kommentatoren. Wenn z. B. Marcel Gärtner im NDR 3 sagt: „Niemals bisher ist der Rückzug aus alten Strukturen so gut und so gründlich geplant worden wie in Rheinhausen, " dann kann ich nur feststellen: Realitätsferner, dümmer kann man sich überhaupt nicht äußern.Eines ist doch wohl sichtbar geworden: Die Zusammenarbeit aller Beteiligten hat schlecht funktioniert. Die Montan-Mitbestimmung — für jede andere Form der Mitbestimmung gilt dasselbe — hilft überhaupt nichts, wenn menschliches Vertrauen, Einsicht, ruhiges Abwägen und kühler Verstand fehlen. Wer leichtfertig Illusionen weckt, der endet bei Enttäuschung und Verbitterung.Wir verstehen den Zorn der Stahlarbeiter. Was hat man ihnen nicht alles vorgegaukelt? Ich empfehle all den Polittouristen nach Rheinhausen — auch denen, die um 6 Uhr morgens am Werk waren —, ihre Worte noch einmal zu lesen.
Vielleicht lernen sie endlich, wie man es nicht machen darf. Gerade Sie, Herr Vogel.
Metadaten/Kopzeile:
5132 Deutscher Bundestag - 11. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. Mai 1988
Dr. Graf LambsdorffEinzig der Bundeswirtschaftsminister Martin Bangemann, die FDP-Bundestagsfraktion und unsere Freunde im Landtag von Nordrhein-Westfalen
haben von Anfang an gesagt, daß die Schließung der Hütte nicht zu vermeiden ist. Wir haben leider recht behalten. Wir freuen uns nicht darüber.
Aber wir werden uns auch in Zukunft darum bemühen, unsere Mitbürger nicht zu belügen.Auffällig übrigens, daß sich einer, der uns nicht gerade nahesteht, ähnlich verhalten hat. Franz Steinkühler hatte erkannt, daß er langfristig das Ansehen der IG Metall empfindlich geschädigt hätte, wenn er sich am Wettlauf kurzatmiger Versprechungen beteiligt hätte. Respekt.
Die materielle Versorgung der betroffenen Stahlarbeiter war immer so geregelt, wie sie kein Arbeitsloser beim Bau oder in der Textilindustrie je erwarten kann. Jeder, der älter ist als 55 Jahre, bekommt 90 % seiner letzten Nettobezüge zuzüglich 7 500 DM. Jeder, der auf einen anderen Arbeitsplatz wechselt, erhält 30 000 DM. Auf Arbeitslosenunterstützung wird keiner verwiesen. Herr Dreßler, das stand von Anfang an fest. Keiner sollte auch nach dem ersten Stillegungsplan zum Arbeitsamt geschickt werden. Sie wissen das und verbreiten hier bewußt unrichtige Darstellungen. Gucken Sie sich lieber einmal an, wie der Deutsche Gewerkschaftsbund die Beschäftigten der Neuen Heimat nach Hause geschickt hat, und vergleichen Sie das mit dem, was hier geschieht!
Meine Damen und Herren, wir sind für die Betroffenen froh, daß es so ist. Aber wir denken auch daran, daß der mittelständische Betrieb neben der Hütte im Ernstfall weder solche Hilfen noch den Besuch des nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten erwarten kann. Zu ihm kommt nur der Gerichtsvollzieher. Gibt es Wettbewerb und Marktwirtschaft nur für den Mittelstand?Erlauben Sie mir eine persönliche Anmerkung. Trotz des Maßes der sozialen Absicherung für die von der Schließung des Werkes Betroffenen gab es die Sammlung eines Solidaritätsfonds, die über eine Million DM erbracht hat. Zu gleicher Zeit hören wir aus dem Durchgangslager Friedland, daß die Mittel für die notdürftige Erstausstattung der Aussiedler aus den früheren deutschen Ostgebieten nicht vorhanden sind. Werden bei uns in der Bundesrepublik eigentlich die Gewichte noch richtig gesetzt?
Rheinhausen, meine Damen und Herren, ist ein Lehrstück, wie man es nicht machen darf.Sind wir lernfähig? — Aus Ihren Zwischenrufen ist abzulesen: Sie sind nicht lernfähig!
Das Wort hat der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung.
Rheinhausen, Herr Präsident, meine Damen und Herren, steht auch für die Angst von Menschen. Die Frage ist, wie die Politik darauf antwortet.
Wollen wir mit dem Versuch darauf antworten, parteipolitisches Kleingeld zu zahlen, wie es der Kollege Dreßler eben mustergültig vorgeführt hat? Ich hatte an sich nicht vor, heute sozusagen eine Abrechnungsrede zu halten, aber wenn sich der Kollege Dreßler hinstellt und sagt, die Lösung habe gegen die Bundesregierung durchgesetzt werden müssen, dann ist das eine bodenlose Unverschämtheit.
Die einzige öffentliche Hilfe, die das ganze angestoßen hat, stammt aus Bonn.
Die Frankfurter Vereinbarung — von uns initiiert, von uns mitfinanziert — war etwas, wogegen sich Düsseldorf gewehrt hat; die hatten ja nichts anderes zu tun, als zu überlegen, wie der Protest nach Bonn gelenkt werden sollte. Die Frankfurter Vereinbarung
war vor Rheinhausen zustande gekommen, Kollege Dreßler. Deshalb ist sie auch nicht das Ergebnis des Rheinhausener Protestes. „Kleinkariert"
kann ich dazu nur sagen. Eine Milliarde DM bieten wir für die soziale Flankierung aus EGKS-Mitteln bis zum Jahre 1991 — und da stellt sich Dreßler, ohne rot zu werden,
hier hin und sagt: Gegen Bonn mußte das durchgesetzt werden. Die einzigen — ich wiederhole dies und sage es vor allem den Rheinhausener Bürgern — , die nicht mit Worten, sondern mit Taten geholfen haben, waren die Bonner; aus Düsseldorf kam nur heiße Luft.
Hier im Bundestag, an diesem Ort, hat der Ministerpräsident des Landes NRW die Frankfurter Vereinbarung und unsere Hilfe lächerlich gemacht und gesagt, das sei eine Sterbehilfe. Was er damals als Sterbehilfe bezeichnet hat, ist jetzt das einzige handfeste soziale Netz für alles das, was in Rheinhausen geschieht. Einst als Sterbehilfe mißachtet und lächerlich ge-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. Mai 1988 5133
Bundesminister Dr. BlümI macht, wird dies jetzt als eigene Leistung verkündet. Das ist schon ein Verlust an politischem Stil.
Jetzt aber zur Sache!
— Lieber Herr Vogel, es geht nun aber auch nicht an, daß der Kollege Dreßler hier Unverschämtheiten verkündet
— ja, Unverschämtheiten verkündet — und wir „danke schön" dafür zu sagen haben. So weit geht meine christliche Nächstenliebe nicht. Die Wahrheit muß auch in dieser Stunde gelten.
— Oh, ich bin überhaupt nicht wehleidig. Nur können Sie hier nicht einfach erzählen, was Ihnen gerade paßt.
Ihr habt den Leuten in Rheinhausen lange genug Illusionen gemacht. Jetzt muß einmal die Wahrheit gesagt werden.
Ich habe immer gesagt: Die Rheinhausener werden nicht im Stich gelassen; da herrscht Solidarität. Aber Standortgarantien, die Sie ihnen suggeriert haben, haben wir den Rheinhausenern nie gegeben, und dafür sind wir in Rheinhausen beschimpft worden.
— Die Bundesregierung hat die sozialen Hilfen bereitgestellt, die jetzt überhaupt erst eine Vereinbarung möglich gemacht haben.Lassen Sie mich aber doch noch einige grundsätzliche Aussagen machen. — Ich sage das gleichsam nur zu Protokoll für die Öffentlichkeit, damit nicht alles verdreht wird, was in dieser Republik geleistet wird.Ich wollte aber eigentlich doch noch gern etwas Grundsätzliches dazu sagen. Dem Strukturwandel kann sich niemand entziehen. Die Frage, die wir zu beantworten haben, lautet: Wie bewältigen wir den Strukturwandel? Dafür gibt es ganz verschiedene Modelle. Es gibt das Modell der Konfrontation, und es gibt das Modell der Gemeinsamkeit. Ich setze nach wie vor auf das Modell der Gemeinsamkeit. Die Beispiele aus dem Bereich der Kohle zeigen ja, daß Gemeinsamkeit weiter führt als Konfrontation. Auch das ist eine Lehre aus zurückliegenden Monaten.Strukturwandel — ich wiederhole das, was ich hier gesagt habe — heißt u. a., das Alte erhalten, wo es sinnvoll und möglich ist. Was sinnvoll und möglich ist, das entscheidet in der Marktwirtschaft der Verbraucher, der Bürger. Und freilich geht es darum, daß die deutschen Stahlkocher eine marktwirtschaftlich faireChance in Europa haben. Dafür kämpft die Bundesregierung.
Aber nur in Planwirtschaften kann sie Standortgarantien geben.Zweitens: Neue Arbeitsplätze schaffen. Ja, das ist das Gebot der Stunde, die Lebensrettung für Nordrhein-Westfalen. Nordrhein-Westfalen hat den Strukturwandel verschlafen,
und die Arbeitnehmer zahlen die Zeche. Fragen Sie doch einmal die Unternehmer! Nordrhein-Westfalen ist das Musterland der Bürokratisierung.Erneuerung, neue Arbeitsplätze schaffen — auch dafür steht die Bundesregierung. Wer hat denn die Montan-Runde zustande gebracht? Die MontanRunde ist doch ein Ergebnis der Anstrengungen von Bonn,
Investitionen in Nordrhein-Westfalen zu ermöglichen. Ich teile im übrigen die Ansicht, die auch Graf Lambsdorff vertreten hat: Erneuerung heißt auch Erneuerung für viele kleine, mittelständische Unternehmen. Wir dürfen auch in Nordrhein-Westfalen nicht die Hoffnung allein auf „Dinosaurier" setzen.
Wir haben Nordrhein-Westfalen, gerade Duisburg, durch die Hilfen für den Freihafen geholfen; nicht mit Worten, sondern mit Taten.Drittens. Übernahme der Arbeitnehmer im Unternehmen oder in anderen Unternehmen. Schon frühzeitig haben wir uns bemüht, daß andere Unternehmen in Solidarität Arbeitnehmer aus Rheinhausen übernehmen. Das ist einst als Solidaritätsverstoß beschimpft worden. Jetzt wird als Lösung von Rau angeboten, was wir früher vorgeschlagen haben. Nein, ich bleibe dabei:
Es darf — und dazu ermuntere ich uns — jetzt nicht Sieger und Besiegte geben. Noch ist das rettende Ufer ja nicht erreicht. Alle Anstrengungen, damit niemand in die Arbeitslosigkeit fällt, und der Erneuerung Nordrhein-Westfalens freie Bahn! Das ist meine Antwort auf Rheinhausen.
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Hillerich.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Für uns, die GRÜNEN, ist Rheinhausen ein Lehrstück, wie tatsächlich die Neuordnung der Stahlindustrie doch gegen die Belegschaft durchgesetzt worden ist. Dafür ist es Lehrstück. Die Neuordnung der Stahlindustrie, das ist auch das, was im Grunde genommen den Betriebsrat dazu gebracht
Metadaten/Kopzeile:
5134 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. Mai 1988
Frau Hillerichhat, zu sehen: Wir haben in dieser Situation keine Widerstandsperspektiven mehr, wir können nicht gegen drei Konzerne kämpfen, zumal wenn nicht aus diesen drei Konzernen beziehungsweise Stahlbelegschaften die notwendige Unterstützung kommt.Bundeskanzler Kohl sagte Ende letzten Jahres, daß die Lösung der Strukturprobleme in den Stahlregionen eine nationale Aufgabe sei. Ich möchte einmal kurz vorstellen, wie die Stahlkonzerne diese nationale Aufgabe derzeit lösen. Es ist offensichtlich abgesprochen, wer als Gewinner herausgehen soll. Auch das ist bekannt: Es wird Thyssen sein. Zur Zeit sind alle Stahlbetriebe voll ausgelastet. Das geht so weit, daß bei Hoesch Panzerschichten gefahren werden, d. h. den Kollegen Mehrarbeit abgepreßt wird, damit jetzt in der letzten Runde noch möglichst viel herausgeholt wird. Bei Mannesmann wird Personal abgebaut, werden Schichten auseinandergezogen, und gleichzeitig werden die Kollegen zur Mehrarbeit gezwungen. Auch bei Krupp-Stahl waren jetzt die Anlagen voll ausgelastet, damit bis zum Schluß noch ordentlich Cash gemacht werden kann.Andererseits wird dem Betriebsrat aufgedrängt, sich auf eine Lösung bis 1990 einzulassen, weil gesagt wird — und das ist meine Frage an die Bundesregierung — , bis 1990 laufen die Sozialplanmittel aus. Das wurde Bruckschen von Johannes Rau während der Gespräche gesagt. Dadurch wurde der Betriebsrat zusätzlich unter Druck gesetzt, sich auf diesen Kompromiß einzulassen.
Noch einmal zum Schluß: Rheinhausen ist ein für die Belegschaft bedrückendes Beispiel und auch ein für die IG Metall bedrückendes Beispiel, wie gegen Belegschaft, gegen soziale, gegen ökologische und gegen humane Interessen die Neuordnung der Stahlindustrie in der Bundesrepublik durchgesetzt wird. Von Erfolg und von Gewinn oder von Hoffnungsschimmer für die Region kann überhaupt keine Rede sein.
Das Wort hat der Abgeordnete Wissmann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben seit Herbst letzten Jahres insgesamt viermal im Bundestag über Rheinhausen diskutiert, und es täte gut, sich einmal daran zu erinnern, wer in dieser Zeit zu diesem Thema was ausgesagt hat. Ich erinnere mich noch daran — das sage ich nur deswegen, weil der Kollege Dreßler hier vorhin in dieser Weise gesprochen hat — , was Herr Dreßler, was Herr Wieczorek, was Herr Jens oder was in Rheinhausen Herr Vogel zum Thema Rheinhausen gesagt haben.
Alle haben den Eindruck suggeriert, als sei der Standort Rheinhausen zu halten. Jetzt müssen Sie mit Rückzugsgefechten versuchen, den Eindruck zu erwecken, als seien Sie bei Ihrer Linie geblieben. Meine Damen und Herren, ich spreche das deswegen an, weil ichmeine, daß genau das ein Beitrag dazu ist, Politik unglaubwürdig zu machen: erst lauthals Versprechungen, Durchhalteparolen, Aufputschen von Emotionen und dann ein kläglicher Rückzug! Wäre es nicht besser gewesen, Sie hätten von Anfang an mit uns den Menschen in Rheinhausen gesagt, was die wirtschaftlichen Realitäten des europäischen Stahlmarktes und was die Notwendigkeiten der Anpassungsprozesse in Europa gerade auch für den Stahlmarkt bedeuten?
Meine Damen und Herren, wir begrüßen, daß es über den Standort Rheinhausen zwischen Unternehmensleitungen und Betriebsräten zu einer Übereinkunft gekommen ist, und hoffen, daß die Belegschaft dieser Übereinkunft zustimmt. Wir meinen, daß mit der Gründung eines Qualifizierungszentrums, das den Strukturwandel begleiten soll, und der Zusage von Krupp, im Bereich Edelstahlverarbeitung und Elektrotechnik zu investieren, richtige Weichen in die Zukunft gestellt werden.Wir meinen allerdings auch, daß der Fall Rheinhausen ein Musterbeispiel dafür ist, wie soziale Auseinandersetzungen nicht ausgetragen werden sollen,
ein Musterbeispiel dafür, Herr Kollege Dreßler, wie man durch Nichtwahrnehmen von Möglichkeiten der Montan-Mitbestimmung, auch auf Unternehmerseite, wie man durch Aufputschen der Menschen vor Ort, auch
auf Gewerkschafts- und sozialdemokratischer Seite, ein Klima erzeugt, das am Ende Lösungen nicht leichter macht, sondern erschwert und fünf Monate schwerste soziale Konfrontation ins Land trägt. Wir alle sollten aus dieser Auseinandersetzung lernen.
Jetzt kommt es darauf an, daß wir die Möglichkeiten, die die Bonner Ruhrgebietskonferenz für die Menschen an der Ruhr, für den Strukturanpassungsprozeß im Stahl eröffnet hat, wirklich nutzen. Über eine Milliarde DM an Geldern ist für diesen Umstrukturierungsprozeß zur Verfügung gestellt. Es kommt jetzt darauf an, daß wir die Vorhaben auch anpacken, daß wir beispielsweise das Konzept für den Duisburger Freihafen verwirklichen, daß wir das Modellvorhaben Umwelt für die Ruhr verwirklichen, daß wir die Vorhaben, die die Bundespost für die Ruhr plant, verwirklichen, daß die Landesregierung in Nordrhein-Westfalen die regionalpolitischen Barrieren beseitigt, daß wir eine gemeinsame Kraftanstrengung für die Ruhr schaffen und daß wir für künftige Situationen lernen: Nicht die leichtfertig gegebenen Versprechungen helfen den Menschen, sondern die Bereitschaft, über Parteigrenzen hinweg konkrete Dinge in Gang zu setzen. Die Menschen in Rheinhausen und an der Ruhr haben die leeren Worte, die auf Betriebsversammlungen, die hier in Bonn im Bundestag ge-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. Mai 1988 5135
Wissmannsagt werden, leid. Sie wollen Taten sehen. Wir haben mit der Ruhrgebietskonferenz einen Ansatz gefunden. Wir danken dem Bundesarbeitsminister, daß er es unter anderem durch seinen Einsatz möglich gemacht hat, daß kein Mensch in Rheinhausen entlassen wird. Das war eben nur durch die Frankfurter Erklärung und war eben nur durch die finanziellen Zusagen von Bonn und EG möglich.
Geben Sie doch endlich zu, meine Damen und Herren, daß wir gemeinsam anfangen müssen, diese Dinge in die Tat umzusetzen! Wir sind froh, daß ein erster Schritt gemacht worden ist.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Jens.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich glaube, die Stahlarbeiter haben überhaupt nichts davon, wenn hier von den Regierungsparteien und auch von den GRÜNEN kräftig Wahlkampf gemacht wird.
Die Stahlarbeiter sind klug und nüchtern genug, um die Spreu vom Weizen, um Feind von Freund zu trennen.
Ich möchte hier noch einmal einige Daten festhalten, meine Damen und Herren. Ich kann den Kampf der Stahlarbeiter bei Krupp gut verstehen. Am 14. September 1987 haben die drei Konzerne mit dem Betriebsrat und mit den Gewerkschaften für Krupp Rheinhausen im Rahmen der Frankfurter Vereinbarung den Abbau von 2 046 Arbeitsplätzen vereinbart. Gut zwei Monate später, am 26. November 1987, verkünden die gleichen Konzerne — die Tinte unter dem Papier ist kaum trocken — , daß Rheinhausen völlig geschlossen werden soll. Damit sollen 5 300 Arbeitsplätze plötzlich platt gemacht werden. Das, meine Damen und Herren, hat die Arbeitnehmer von Rheinhausen mit Recht auf die Barrikaden getrieben.
Meine Damen und Herren, die Bundesregierung hat — das gebe ich gerne zu — keinen unmittelbaren Einfluß auf diese Unternehmensentscheidungen. Aber sie legt sehr wohl die politischen Rahmenbedingungen für die Stahlindustrie fest. Diese Rahmenbedingungen benachteiligen nach wie vor die deutsche Stahlindustrie. Nach den Erkenntnissen der Stahlindustrie werden immer noch — obwohl es verbotenist — in anderen Ländern der EG Subventionen an Stahlunternehmen gezahlt.
Die deutsche Stahlindustrie wird damit im Wettbewerb immer noch benachteiligt. Das ist eine Tatsache.
Bei einem neu festgestellten Kapazitätsüberhang von 20 Millionen Tonnen in der EG haben wir mit der Frankfurter Vereinbarung auf europäischer Ebene schon mehr geleistet, als wir eigentlich leisten müssen. Ich sage Ihnen: Der Bundesminister für Wirtschaft, Herr Bangemann, hat die Interessen der deutschen Stahlarbeiter in Brüssel bisher mangelhaft bis ungenügend vertreten.
Herr Bangemann war es, der sich hier hingestellt und drei Tage nach dem Beschluß festgestellt hat: Rheinhausen muß platt gemacht werden. — Das wollen wir doch einmal festhalten.
Meine Damen und Herren, bei dem jetzt zur Diskussion stehenden Kompromiß
ist keine Seite mit dem Ergebnis zufrieden.
Aber ich sage Ihnen: Die Arbeitnehmer von Rheinhausen haben sich gut geschlagen. Sie haben zwei besondere Verdienste: Sie haben nämlich mit der Montan-Konferenz dafür gesorgt, daß die bisher völlig arbeitsunwillige Bundesregierung endlich an einen Tisch gekommen ist und gehandelt und ein wenig zustande gebracht hat.
Sie haben — das ist wirklich einmalig — mit der Erkämpfung der jetzt geschlossenen Vereinbarungen dafür gesorgt, daß zum erstenmal 800 Arbeitsplätze zusätzlich geschaffen werden und daß dann erst über die Stillegung entschieden wird. Das ist eine Entscheidung und ein Ergebnis von historischer Dimension, sage ich Ihnen.
Wir erwarten von den Konzernen, daß sie nicht nur jammern, daß sie endlich einmal anfangen, Innovationen und Investitionen zu tätigen, und nicht nur darüber nachdenken, wie Arbeitsplätze beseitigt werden können.Ich füge hinzu: Die Bundesregierung hat ihre Schularbeiten immer noch nicht gemacht: Sie kann die
Metadaten/Kopzeile:
5136 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. Mai 1988
Dr. JensI Kommunen bei der dringenden Aufgabe einer Revitalisierung von Industriebrachen nicht im Stich lassen.
Sie muß die Gemeinden von der drückenden Last der Sozialhilfeleistungen entlasten. Sie muß den Ländern mit Montanproblemen die gleichen Hilfen im Rahmen des Art. 104 a des Grundgesetzes zur Verfügung stellen, wie sie sie u. a. Niedersachsen und Schleswig-Holstein gewährt hat.
Sie muß dafür sorgen, daß die steuerfreie Investitionsrücklage nicht abgeschafft wird, sondern erhalten bleibt.
Meine Damen und Herren, ich möchte zum Schluß Dank sagen den Betriebsräten, u. a. Manfred Bruckschen und Theo Stegmann, aber auch Karl-Heinz Stommel. Aber ich möchte auch dem Ministerpräsidenten Johannes Rau Dank sagen.
Er hat nicht nur geredet, wie es die CDU tut, er hat nicht gequatscht. Er hat endlich gehandelt, und darauf kam es an.Schönen Dank.
Das Wort hat der Abgeordnete Beckmann.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Jens, ich habe normalerweise große Achtung vor Ihren oft weitgreifenden Überlegungen. Was sie aber hier gerade dargeboten haben, ist irgendwo zwischen Grimm und Andersen einzuordnen. Ob Sie mit dem, was Sie uns hier erzählt haben, die gleiche Qualität wie die beiden Dichter erreichen, wage ich allerdings zu bezweifeln.Ich will nur eines sagen: Die Politik, die Ihre Parteifreunde im Ruhrgebiet betreiben, ist wirklich geradezu geeignet, Investoren und potentielle Investoren zu vertreiben. Es geht keiner nach Duisburg, nach Essen, nach Dortmund, wenn er sieht, welche Rahmenbedingungen dort vorzufinden sind!
Ich will Ihnen ein Beispiel nennen, das auch in diesen Bereich gehört. Es ist die Schulpolitik. Mit welcher Hemmungslosigkeit Sie das Land Nordrhein-Westfalen und das Ruhrgebiet mit Gesamtschulen überziehen,
das ist überhaupt nicht mehr zu übertreffen. Auch deswegen werden Sie keine Leute mehr finden, die sich dort ansiedeln wollen.
Das gehört in diesen Gesamtzusammenhang!Sie sprechen hier nur von Rheinhausen, und dazu will ich eines sagen.
— Herr Vogel, wenn das nicht meine Heimat wäre, sähe es ganz anders aus. Darüber könnten wir uns lange unterhalten.Nun, die Rheinhausener Arbeitnehmer haben endlich Klarheit. Es ist auch im Interesse dieser Arbeitnehmer das Verhandlungsergebnis, das zwischen der Unternehmensleitung und dem Betriebsrat zustande gekommen ist, zu begrüßen. Die Betroffenen wissen endlich, wie ihre wirtschaftliche Zukunft aussieht, und sie können sich darauf einstellen.Damit hat nun hoffentlich das monatelange, durch alle politischen Instanzen geschürte Gezerre um das Schicksal der Arbeitnehmer ein Ende. Das Feuer kann nun ausgeblasen werden, an dem so viele ihr politisches Süppchen gekocht haben, insbesondere die Sozialdemokraten.Aber ich meine, es ist auch ein kritisches Wort an die Unternehmensleitungen angebracht. Monatelang haben die Unternehmensleitungen von uns, von der Politik, verlangt, daß wir die umstrittene Entscheidung dieser montanmitbestimmten Unternehmen verteidigen, und jetzt haben sie sich auf einen lauen Kompromiß eingelassen, der ausschließlich dazu geeignet ist, das Gesicht des nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten zu wahren.
— Herr Kollege Vogel, den betroffenen Arbeitnehmern hat das letztlich nicht genutzt.
Es hat ihnen nicht genutzt! Ich erinnere nur daran, daß in bezug auf Rheinhausen keine wesentlichen Unterschiede gegenüber der ursprünglichen Planung der Unternehmensleitungen festzustellen sind.
Von Anfang an war die betriebswirtschaftlich sinnvolle Zusammenlegung der beiden Werke in Huckingen und Rheinhausen durch soziale Flankierung so auszugestalten, daß kein Arbeitnehmer durch Entlassung bedroht wurde. Herr Kollege Dreßler, das haben Sie hier eben falsch dargestellt. Und konnte man denn ernsthaft mehr erwarten?Krupp und Mannesmann sind jetzt noch neue Verpflichtungen eingegangen; das ist richtig.
Aber daß jetzt neue Arbeitsplätze im Raum Duisburg geschaffen werden,
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. Mai 1988 5137
Beckmanndas ist sicher ein Erfolg der Montanrunde beim Bundeskanzler
und auch der drastisch verbesserten Regionalförderung. Das Land Nordrhein-Westfalen tut doch nichts dazu. Da wird nur geredet und lamentiert und demagogisch übers Land gezogen. Das sind die Realitäten, Herr Dreßler!
Aber mit diesem Kompromiß kommen auch Belastungen auf die Unternehmen zu. Es ist zu fragen, ob die jetzt zu verwendenden Mittel nicht besser für neue Arbeitsplätze und Neuinvestitionen in zukunftsträchtige Technologien und Arbeitsplätze verwendet werden müßten statt zur künstlichen Verlängerung des Betriebs alter Hochöfen um anderthalb Jahre. Denn die Zeiten am Stahlmarkt bleiben ja schwierig; die deutschen Unternehmen müssen eben auch sorgfältig auf ihre Wettbewerbsfähigkeit achten.Meine Damen und Herren, der erreichte Kompromiß ist alles in allem zufriedenstellend, weil er wieder Frieden ins Ruhrgebiet bringen kann. Dem Revier ist nämlich mit den andauernden Auseinandersetzungen und den wilden Streiks, mit den Verkehrsblockaden, dem Durchbrechen von Bannmeilen und anderen Aktionen am meisten Schaden zugefügt worden. Sie, meine Damen und Herren von der SPD, möchte ich ernsthaft fragen, wer dafür mitverantwortlich ist.
Vielen Dank.
Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesministerium für Wirtschaft, Herr Dr. Riedl.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Thema Rheinhausen hat ja den Deutschen Bundestag schon mehrfach befaßt. Ich möchte in diesem Zusammenhang an den 14. Januar 1988 erinnern, an dem in diesem Hause in einer Aktuellen Stunde eine Diskussion stattfand.
— Herr Minister Vogel, Sie haben ein blendendes Gedächtnis; sonst wären Sie auch nicht Einserjurist in Bayern geworden.
— Das habe ich an Ihnen immer bewundert, weil ich kein Einserjurist war. Lassen Sie sich doch auch einmal von einem CSU-Mann bewundern; es kommt ja sowieso ganz selten vor.Bangemann hat damals gesagt:Das Werk Rheinhausen macht laut Unternehmensangaben jährlich rund 100 Millionen Mark Verlust. Das verkraftet keine Firma auf Dauer. Rheinhausen ist offenbar beim besten Willen nicht zu halten.Der Herr Dr. Jens stellt sich heute hin und sagt, Bangemann habe gesagt: Rheinhausen muß platt gemacht werden. So ein Unsinn, Herr Dr. Jens!Das was der Bundeswirtschaftsminister damals gesagt hat, war leider die bittere, aber die reine Wahrheit. Das, was mich heute in der Diskussion noch mehr erschüttert als die Tatsache, daß Sie damals die Fakten nicht erkannt haben, ist, wie sich heute die SPD hierhersetzt und die Vereinbarung von gestern als einen Erfolg ihrer Bemühungen ansieht.Herr Vogel hat vorhin einen Zwischenruf gemacht, der bis da drüben zu hören war:
Wer hat das durchgesetzt, was jetzt erreicht worden ist?
Herr Dr. Vogel, jetzt darf ich Ihnen einmal etwas vorlesen. Am 8. Januar 1988 hat die Krupp Stahl AG, und zwar der Vorstand, einen Brief geschrieben. Auf diesem steht der Verteiler. Der Brief ist gleichlautend an die befaßten Bundes- und Landesinstitutionen versandt worden. Ich nehme an, daß auch Sie noch eine Bundesinstitution sind,
wie auch der Herr Ministerpräsident des Landes Nordrhein-Westfalen. In dem Brief steht folgendes — jetzt legen Sie einmal die Vereinbarung von gestern daneben — :Folgende Grundsätze werden bei den vorgesehenen Personalanpassungen berücksichtigt:Erstens. Es wird kein Mitarbeiter aus wirtschaftlichen Gründen entlassen.Zweitens. Die zwischen Bundesregierung und den Unternehmen der Eisen- und Stahlindustrie sowie der IG Metall in der Frankfurter Vereinbarung getroffenen Prinzipien werden eingehalten.Drittens. Eine große Anzahl der heute im Werk Rheinhausen beschäftigten Mitarbeiter wird einen Arbeitsplatz in der neuen Gesellschaft Hüttenwerke Krupp-Mannesmann finden.Viertens. Da der Konzentrationsprozeß im Wirtschaftsraum Duisburg erfolgen soll, können fast alle Mitarbeiter ihren Wohnsitz beibehalten. Das Wohnrecht bezüglich der Werkswohnungen bleibt erhalten.Fünftens. Eine wirtschaftliche Auszehrung innerhalb des Wirtschaftsraumes ist nicht gegeben.Sechstens. Die Krupp Stahl AG wird sich bemühen, in Zusammenarbeit mit den zuständigen öffentlichen Stellen in höchstmöglichem Umfange Ersatzarbeitsplätze am Standort Duisburg zu schaffen.Und dann setzen Sie sich heute hierher und schmükken sich mit fremden Federn. Das halte ich für unanständig.
Metadaten/Kopzeile:
5138 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. Mai 1988
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich halte es ebenfalls für unanständig und schamlos, die Bemühungen der Bundesregierung, das Ruhrgebiet zu einer Wachstumsregion zu machen, derart zu disqualifizieren, wie Sie es hier heute gemacht haben.Dann darf ich Sie einmal an Bemühungen erinnern, die ich selber leibhaftig als Parlamentarier und als Staatssekretär hier erlebe.Thema Nr. 1: Da bemüht sich die Bundesregierung, die künftig zu schaffende deutsche Raumfahrtagentur nach Nordrhein-Westfalen zu verlegen, was ich für richtig halte. Dann erlebe ich im Forschungs- und Wirtschaftsausschuß den massivsten Widerstand von SPD-Abgeordneten aus Nordrhein-Westfalen gegen die bemannte und unbemannte Raumfahrt. Ich halte das für Schwachsinn.
— Das kann ich Ihnen beantworten, und zwar en detail. Ich habe im übrigen im Wirtschaftsausschuß noch nie gesehen, daß Sie sich für Nordrhein-Westfalen einsetzen.Punkt Nr. 2: Da gibt es in Mönchengladbach eine Firma, die hochqualifiziert Flugzeuge baut, die sogenannte Rhein-Flugzeugbau. — Herr Dr. Vogel, würden Sie mir Ihr geneigtes Ohr einmal schenken? Ich lege auf Ihre Meinung wirklich großen Wert.Es gibt in Mönchengladbach die Rhein-Flugzeugbau-Werke, die große Strukturprobleme haben. Da muß der Bayer Riedl mit MBB in Ottobrunn kämpfen, daß diese Arbeitsplätze in Mönchengladbach erhalten werden. Nicht ein einziger sozialdemokratischer Abgeordneter hat sich bislang bei uns dafür eingesetzt. Ich halte es für unglaublich, was Sie hier für einen Zirkus machen.
Drittens. Da wird hier nach Gewerbeflächen gefragt. Die Stadt Duisburg hat auf Grund einer „grandiosen" Gewerbegebietsausweisungspolitik, die es nämlich gar nicht gibt, heute in der Tat nicht eine einzige zur Verfügung stehende Großansiedlungsfläche. Das einzige Gebiet, das sie hat, den Orsoyer Bogen, hat die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen als Naturschutzgebiet ausgewiesen. Und dann wollen Sie haben, daß dort Industrieansiedlung stattfindet!
Meine sehr verehrten Damen und Herren, Magnetschwebebahn: Wir möchten diese hochmoderne Schnellbahntechnik — umweltfreundlich, verkehrstechnisch absolut top — , wenn es geht, in Nordrhein-Westfalen machen. Wo sind da Ihre Vorschläge? Nichts davon da!
— Ja, es gibt auch keine Beschlüsse, es gibt dazuüberhaupt nichts. Ihre Scheinheiligkeit des Stehensvor den Fabriktoren morgens um sechs mit leerenWorthülsen machen wir nicht mit, Herr Dr. Vogel. Wären Sie an diesem Morgen lieber im Bett liegengeblieben!
— Sie glauben doch nicht, Herr Dr. Vogel, daß wir uns hier von Ihnen für eine gute Politik mit Schimpf und Schande vor der Bevölkerung bloßstellen lassen und uns hier herstellen und noch danke sagen. Da müssen Sie etwas früher aufstehen. Das können Sie mit uns jedenfalls nicht machen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Bundesregierung stellt für die Jahre 1988 bis 1991 etwa 1 Milliarde DM zur Verfügung. Bund und Länder tragen jeweils die Hälfte. Für Nordrhein-Westfalen sind davon 800 Millionen DM vorgesehen; 400 Millionen trägt der Bund.
Auch dieses Gerede von der Zurverfügungstellung von Mitteln noch im Jahre 1988: Sie können das Geld doch gar nicht ausgeben, es sind doch gar keine Anträge da. Sie können jetzt Anträge stellen. Zeigen Sie einmal die Anträge auf Betriebsansiedlungen in Nordrhein-Westfalen, die an den angeblich vom Bund nicht bereitgestellten Mitteln scheitern würden. Fehlanzeige, nicht einen einzigen Antrag gibt es da.
Wenn Sie nicht zu einer ehrlichen und realistischen Wirtschaftspolitik zurückfinden, dann wird es mit den Menschen in Nordrhein-Westfalen in der Zukunft leider Gottes nicht nach vorne gehen. Ich möchte Sie hier heute wirklich herzlich auffordern, die Probleme mit uns gemeinsam zu lösen, z. B. auch in Brüssel.
— Sie haben genug SPD-Abgeordnete in Brüssel, von denen wir erwarten, daß sie sich an die Seite der Bundesregierung stellen,
um die von uns beantragten Regionalförderungsmittel für Nordrhein-Westfalen von der EG-Kommission bewilligt zu bekommen. Sagen Sie mir den Europaabgeordneten der SPD, der sich bisher dafür eingesetzt hat.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn die SPD die Zeichen der Zeit nicht erkennt, aus Nordrhein-Westfalen ein modernes Technologieland zu machen, und sich lediglich zu derartigen Verhetzungen versteigt, dann wird es den Menschen im Ruhrgebiet in den 90er Jahren und darüber hinaus mit Sicherheit nicht besser gehen als heute.Ich bedanke mich.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. Mai 1988 5139
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Lammert.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! „Rheinhausen ist überall." — Unter diesem ebenso populären wie in hohem Maße irreführenden Motto ist nun fast ein halbes Jahr lang der Kampf um die Erhaltung eines Werkes geführt worden, dessen Ende nun abzusehen ist.
Das Ergebnis, das sich nun abzeichnet, bleibt weit hinter dem zurück, was sich fast alle Betroffenen erhofft haben. Und das gleiche Ergebnis geht weit über das hinaus, was die allermeisten anderen Arbeitnehmer, die in diesem gleichen halben Jahr auf Grund schwieriger Probleme in ihrer Branche ihren Arbeitsplatz aufgeben mußten, an Rahmenbedingungen zur Verfügung gestellt bekommen haben,
weil weder die Politik noch die Presse und schon gar nicht die öffentlich-rechtlichen Rundfunk- und Fernsehanstalten der Vielzahl von anderen Problemen — nicht nur, aber auch auf dem Arbeitsmarkt — auch nur annähernd so viel an Aufmerksamkeit und Sendezeit zur Verfügung gestellt haben, wie das an dieser Stelle der Fall war.
Rheinhausen, Herr Kollege Stratmann, ist nicht überall.
Viele in dieser Republik werden sich gefragt haben, wie ernst sie eigentlich mit ihren Anliegen nicht nur, aber auch von der Politik genommen werden. Wenn die vierte Debatte zum Thema Rheinhausen, die der Deutsche Bundestag heute führt, überhaupt noch einen Sinn hat, dann könnte sie der eigenen Gewissenserforschung darüber dienen, ob die Proportionen eigentlich noch in Ordnung sind.
Jetzt stehen nicht zuletzt Betriebsräte, aber auch der nordrhein-westfälische Ministerpräsident vor der Schwierigkeit, der Belegschaft ein Ergebnis zu vermitteln, das sowohl innerhalb des Betriebsrats als auch innerhalb der Fraktionen sehr umstritten ist und insbesondere weit hinter dem zurückbleibt, was sozialdemokratische Funktionäre innerhalb und außerhalb des Betriebs an Hoffnungen geweckt und mit Tremolo in der Stimme über Monate geschürt haben.
Sie haben Zitate eingefordert. Sie können sie gerne haben. „Wir nehmen nicht hin, daß der Standort Rheinhausen vernichtet wird. " Innenminister Schnoor, SPD.
Der Standort Rheinhausen wird nicht aufrechterhalten.
„Kämpft weiter für den Erhalt eures Werkes! " SPD-Partei- und Fraktionsvorsitzender Dr. Vogel.
Das Werk wird nicht erhalten.
„Eine SPD, die nur einen Millimeter von eurer Seite weicht, gibt sich selber auf." SPD-Landesgeschäftsführer Bodo Hombach.
Heute ist die Bresche, in die der sozialdemokratische Ministerpräsident springen mußte, zwischen den Erwartungen der Belegschaft, der Position der SPD und den Realitäten meterweit geworden,
weil man selber kräftig an den Hoffnungen gegraben
hat, die man jetzt eben nicht einlösen kann. Und dies
— Herr Kollege — ist präzise das, was ich mit Gewissenserforschung meine.
— Frau Kollegin, ich habe mich bei früheren Debatten darum bemüht und werde es auch heute so halten, bei einem Thema, das dafür viel zu ernst ist, jede unnötige Polemik zu vermeiden.
Heute gibt derselbe sozialdemokratische Ministerpräsident Johannes Rau genau das, was er noch vor wenigen Wochen als Sterbehilfe zurückgewiesen hat, als Sauerstoffzelt aus, weil er außer dem, was diese Bundesregierung mit dem besonderen Einsatz von Norbert Blüm an Rahmenbedingungen zur Verfügung gestellt hat, um unvermeidliche Kapazitätsreduzierungen unter Bedingungen möglich zu machen, die für die Menschen zumutbar und für die Standorte zu verkraften sind, nichts anzubieten hat.
Rheinhausen ist nicht überall. Strukturwandel muß stattfinden. Aber er muß unter Bedingungen stattfinden, die die Menschen verkraften können und die Arbeitsmarktregionen bewältigen können.
Dies ist die Linie wirtschaftlicher Vernunft und praktischer Solidarität zugleich. Diese Linie haben wir immer bezogen und werden wir fortsetzen.
Ein Lehrstück, Herr Kollege Stratmann, ist das Ganze gewiß gewesen; vielleicht nicht einmal in erster Linie ein ökonomisches. Aber ein politisches Lehrstück war das Ganze allemal.
Das Wort hat der Abgeordnete Wieczorek .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Dr. Lammert, die subtilste Form der Polemik ist die, die mit gebremstem Schaum
Metadaten/Kopzeile:
5140 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. Mai 1988
Wieczorek
vorgetragen wird. Da Sie davon reden, ohne Polemik zu sprechen, kann ich Ihnen bescheinigen, daß Sie ohne Temperament geredet haben, aber Ihre Polemik, die darin steckte, war überhaupt nicht zu überhören.
Herr Dr. Lambsdorff, ich wollte mich eigentlich noch ein bißchen mit Ihnen auseinandersetzen, weil ich bei Ihnen den eigentlichen Anlaß für das sehe, was wir jetzt reparieren. Sie haben von der tätigen Reue gesprochen. Seien Sie doch bitte so freundlich, tätige Reue zu üben; denn in Ihre Zeit reichen die Ursachen dafür zurück, daß in Rheinhausen die wirtschaftlichen Verhältnisse jetzt keine andere Lösung mehr ermöglichen.In Ihrer Zeit sind die Fehlentscheidungen in Brüssel getroffen worden. In Ihrer Zeit ist diese Stahlindustrie nicht genügend gegen den Subventionsdruck von anderen geschützt worden. In Ihre Zeit fiel die Verlängerung des Subventionskodex'.Das ist das, was Sie sich hier an den Hut stecken müssen.
Sie dürfen hier nicht so tun, als sei das alles schon wer weiß wie weit weg, als müßten wir uns in diesem Augenblick nur mit diesem Kompromiß beschäftigen.
— Nein, ich war in der Partei, die die Regierung getragen hat. Ich habe die Geschichte damals genauso kritisiert wie heute. Das wissen Sie ganz genau.
— Ich bin nicht um meine Zustimmung gefragt worden, Herr Kollege. Es ist etwas ganz anderes, ob die Regierung aus eigener Machtvollkommenheit handelt und ob ein Ressortminister einen Part in Brüssel zu vertreten hat oder nicht.Den Menschen in Rheinhausen geht es eigentlich um etwas anderes: Den Menschen in Rheinhausen ging es um ihren Arbeitsplatz. Die Stimmung in Rheinhausen — das kann ich Ihnen sagen — schwankt zwischen tiefer Frustration — wobei ich „Frustration" mit „enttäuschter Erwartung" übersetze — und einem Körnchen Hoffnung.
Diese Hoffnung knüpft sich einfach daran, daß endlich die Frankfurter Beschlüsse, die von der Regierung lauthals gefeiert werden, erstmalig quantifiziert werden, Herr Kollege Stratmann.
— Sie haben jetzt eine Garantie für eine zusätzliche Ansiedlung von 1 500 Arbeitsplätzen, eine Garantie, die es bisher nicht gab.
Mir geht es darum, daß wir den Menschen helfen und nicht in billiger Polemik machen, wie Sie das hier im Augenblick tun.
Das können wir den Menschen in Rheinhausen nicht vermitteln, auch wenn Sie das Podium hier benutzen, um eine große Schaufensterrede zu halten.Uns geht es darum, gemeinsam alles zu tun, um hier zu helfen. Wir haben es uns in Duisburg lange abgewöhnt, das Thema Rheinhausen in den parteipolitischen Zwist zu bringen. Ich halte es nicht für sinnvoll, das zu tun. Der Oberbürgermeister von Duisburg arbeitet mit dem Oppositionsführer von Duisburg gut zusammen, und er arbeitet auch mit der Bundesregierung zusammen. Da gibt es gar keine Frage.Für das, was von der Regierung im einzelnen zugesagt wurde
— Herr Blüm, ich spreche Sie bewußt an — , für das, was von der Regierung nach der Ruhrgebietskonferenz getan wurde, sind wir sehr dankbar. Das sage ich hier in aller Offenheit, auch wenn meine Kollegen in Teilbereichen etwas anderes sagen.Wir sind dankbar dafür. Wir wären dankbar, wenn sich die Haltung, die jetzt bei den einzelnen Mitgliedern der Regierung durchkommt, auch auf die nachgeschalteten Organisationen fortsetzte.
Ich bitte Sie ganz herzlich: Sagen Sie der Bundesbahn, daß es darum geht, jetzt schnell Gelände zur Verfügung zu stellen. Sagen Sie den Leuten, auf die wir im Moment angewiesen sind, daß sie es tun; denn wenn die Bundesbahn kommt und sagt „Wir haben in den nächsten sechs Jahren das Gelände, daß der Bundeskanzler angeboten hat, nicht frei", dann räumen Sie es bitte frei. Es steht leer.Lassen Sie uns die Dinge gemeinsam anfassen, damit die Menschen in Rheinhausen nicht nur die 1 500 Arbeitsplätze, sondern auf Grund dieses Ergebnisses darüber hinaus Hoffnung bekommen. Sie haben lange genug dafür gekämpft. Sie haben lange genug mit größeren Hoffnungen gelebt. Wir alle hatten Hoffnung auf mehr als auf das, was wir jetzt hier hinnehmen müssen.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Vondran.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In Rheinhausen wird das wirtschaftlich unumgänglich Notwendige getan, ohne
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. Mai 1988 5141
Dr. Vondrandaß der soziale Konsens darüber zerbricht. Das ist bei aller Bitterkeit, so meine ich, eine gute Nachricht, auch wenn Herr Stratmann es nicht wahrhaben will und wenn es ihm nicht paßt.Diese Nachricht bringt eine Region, so hoffe ich, aus den negativen Schlagzeilen. Sie macht den Weg für die erste unternehmensübergreifende Zusammenarbeit seit vielen Jahren frei, so wie das auf fast allen Bänken hier in diesem Hause gefordert worden ist. Sie gibt dem Unternehmen Arbeitsfrieden und damit die Chance, die Substanz zu erwirtschaften, die nötig ist, um sozialfriedliche Lösungen überhaupt zu finden. Sie gibt dem Unternehmen die Chance, an den günstigen Marktverhältnissen, wie wir sie zur Zeit haben — begrenzt haben — , an diesem Stahlfrühling, auch teilzuhaben.Meine Damen und Herren, damit es aber zu einer befriedigenden Lösung kommt, bedarf es noch des Mitwirkens vieler Kräfte, insbesondere auch der Politik. Auch Rheinhausen muß — neben anderen Stahlstandorten — in der Frankfurter Erklärung einen Platz finden. Das Unternehmen hat seinen Teil zugesagt. Die Bundesregierung — darauf vertraue ich — wird diese Zusatzentscheidung noch treffen.An dieser Stelle möchte ich ein Wort des Dankes an Sie, Herr Minister Blüm, richten; denn Sie haben eine sozialverträgliche Lösung überhaupt erst möglich gemacht.
Es muß nun aber abgesichert werden, daß tatsächlich 600 Millionen DM zur Verfügung stehen, die die öffentlichen Hände zur Teilfinanzierung von Sozialplänen zugesagt haben.
Die Bundesregierung ist bereit, ihren Teil zu leisten. Ich habe auch keinen Zweifel, daß die Länder ihren Anteil erbringen werden.Wohl aber gibt es noch Schwierigkeiten in Brüssel. Die deutsche Politik ist davon ausgegangen, daß die EG-Kommission, die über ein großes und in guten Stahljahren zusammengetragenes Vermögen aus der Montanumlage verfügt, zusätzlich 150 Millionen DM lockermacht. Das ist bisher nicht geschehen. Das muß in Brüssel angemahnt werden.
Brüssel soll jedoch nicht nur seinen finanziellen Beitrag leisten. Da der Stahlfrühling, so begrenzt er denn wohl ist, viele strukturelle Probleme nur überdeckt, bedarf es klarer Entscheidungen zur Stahlmarktordnung im Ministerrat. Die jetzigen Regeln laufen zur Jahresmitte, das heißt in wenigen Wochen, aus, und denkbar sind aus meiner Sicht mehrere Entwicklungen, nicht alle sind aber — wie Sie gleich hören werden — gleichgut.Da ist zunächst das Konzept der Chancengleichheit. Die deutsche Politik ist mit der Industrie und mit den Gewerkschaften — so meine ich — darin einig, daß dies, Chancengleichheit, das Ziel sein muß. Dassetzt Verzicht auf marktverzerrende Subventionen voraus.
Davon sind wir leider noch weit entfernt. Heute beispielsweise entscheidet in Brüssel die Kommission darüber, ob sie nicht ein förmliches Vertragsverletzungsverfahren gegen Italien eröffnen soll. Auch in anderen Fällen gibt es dringenden Subventionsverdacht. Leider bewegt sich Brüssel erst, nachdem die deutsche Stahlindustrie damit gedroht hat, den Europäischen Gerichtshof zu befassen.
Da gibt es dann das Konzept der Schadensbegrenzung. Wenn es nicht möglich ist, Chancengleichheit herzustellen — wir müssen hier in der Tat auf europäischen Konsens oder die Gerichte setzen —, so müssen die Empfänger öffentlicher Subventionen wenigstens daran gehindert werden, mit Hilfe von Steuergeldern den übrigen Partnern in der EG Marktanteile abzujagen. Das ist übrigens der Sinn von Produktionsquoten. Sie sind sicherlich keine beglückende Erfindung, schon eher möchte ich sie als ein notwendiges Übel bezeichnen. Sie sind das Korrektiv für Fehlentscheidungen in der Beihilfepolitik.Schließlich gibt es noch die Möglichkeit, in Brüssel nichts zu tun. Angesichts der Überkapazitäten in Europa und einer Fortdauer der groben Wettbewerbsverfälschungen würde dies dazu führen, daß in Deutschland leistungsfähige Standorte und leistungsfähige Anlagen aufgegeben werden müßten. Leistungswillige Stahlarbeiter würden dann ihren Arbeitsplatz verlieren. Mit anderen Worten: die Vorgänge von Rheinhausen würden sich an anderer Stelle wiederholen. Ich kann ein solches Konzept wirklich nicht empfehlen.Meine Damen und Herren, die Bundesregierung und die Länder, die Unternehmen und die Gewerkschaften sind miteinander im Gespräch, und sie lassen sich durch Sie, Herr Stratmann, und die GRÜNEN davon nicht abhalten. Ich habe den Eindruck, daß ein hohes Maß an Übereinstimmung erzielbar ist, und das ist die notwendige Voraussetzung, um in Rheinhausen zu einer Lösung zu kommen und künftigen schlimmen Entwicklungen vorzubauen.Ich bedanke mich.
Das Wort hat der Abgeordnete Müntefering.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren!
Wenn wir vor einer Woche — —
Metadaten/Kopzeile:
5142 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. Mai 1988
Augenblick, Herr Kollege Müntefering! — Was es hier gibt, sind Zwischenrufe aus dem Plenum,
aber nicht von der Regierungsbank.
Jetzt hat Herr Müntefering das Wort.
Wenn wir vor einer Woche hier gesprochen hätten, wären Ihre Reden ganz andere gewesen. Man erinnert sich an das, was Sie gesagt haben, als Johannes Rau vor zehn Tagen gesagt hat: Ich versuche, hier als Mittler aufzutreten. Man hat noch die süffisanten Kommentare in den Ohren, die da heißen: Das ist ein Mühlstein, den er sich um den Hals hängt. Wir haben gewußt, daß das kein Sieg werden kann, aber die Sozialdemokraten sind sich nicht zu fein, um jeden Millimeter und um jeden einzelnen Arbeitsplatz zu kämpfen. Das haben wir getan.
Während Sie noch die Parole „alles oder nichts" rausgeben und selbstzufrieden die Hände falten und sagen: Problem gelöst, kämpfen die Sozialdemokraten weiter. Was errungen ist, ist kein Sieg, aber es ist ein Stückchen mehr als nichts, und das wissen auch die Arbeitnehmer in Rheinhausen.
Wir wissen, daß das Problem der Montanregionen mit dieser Entscheidung, mit diesem Kompromiß nicht gelöst ist.
Da will ich Herrn Riedl ansprechen, da will ich Herrn Blüm ansprechen, denn da gibt es noch eine Menge zu tun, nicht nur in Rheinhausen, in Oberhausen und in Hattingen, in Bayern, im Siegerland und im Saarland. Überall gibt es eine Menge zu tun. Was Sie gesagt haben, habe ich als eine Einladung verstanden, ins Wirtschaftsministerium zu kommen. Ich werde Sie morgen früh für die Landesgruppe Nordrhein-Westfalen anrufen, und dann machen wir einen Termin.
Dann bringen wir Ihnen einen Zettel mit, und dann werden Sie sehen und lesen können, was denn unsere Forderungen sind.
Ich weiß nicht, wie das bei Ihnen organisiert ist, aber ich freue mich auf das Gespräch.Ich bringe Ihnen auch den Punkt Transrapid mit. Ich hoffe, Sie haben mit Franz Josef Strauß in Bayern darüber gesprochen. Ich bringe Ihnen das für Nordrhein-Westfalen gerne mit. Ich werde Ihnen etwas zu Dara sagen, ich werde Ihnen etwas zum Stahl sagen. Es war eine wichtige Rede, die gerade gehalten worden ist. Lesen Sie das mal nach, da Sie sich unterdessen unterhalten haben! Wir werden Ihnen zeigen, was nach der Montan-Konferenz von Seiten Nordrhein-Westfalens an konkreten Vorschlägen eingereicht worden ist und was jetzt der Realisierung harrt.Wir werden die großen Unternehmen nicht aus der Verpflichtung entlassen — das ist auch eine Frage der Sozialpflichtigkeit — , aber wir werden auch als Politiker im Bund und im Land miteinander überlegen müssen, was wir tun können und tun müssen, um den Montanregionen eine Zukunft zu geben. Nicht nur die Arbeitsplätze heute, sondern auch die von morgen und übermorgen sind von Bedeutung. Da spreche ich Herrn Blüm an, der sich in den letzten zehn Tagen, als Johannes Rau gekämpft hat,
nicht hat sehen lassen. Herr Bangemann hat sich auch nicht sehen lassen. Die waren alle von der Bildfläche verschwunden.Herr Blüm, zwei, drei konkrete Angebote in Sachen Sozialhilfe — wir sprechen über Geld — : Die Stadt Duisburg hat im letzten Jahr 165 Millionen DM Sozialhilfekosten bezahlt, die Stadt Oberhausen 64 Millionen DM, die Stadt Hattingen 14 Millionen DM. Wenn Sie dem Gesetzesantrag des Bundesrates zustimmen — so dumm kann das ja nicht sein, was der Albrecht da aufgeschrieben hat —, hat die Stadt Duisburg im nächsten Jahr 45 Millionen DM, Oberhausen 17 Millionen DM, Hattingen 7 Millionen DM mehr in der Tasche.
Das ist mehr, als Sie mit Ihrer Montankonferenz überhaupt bewilligt haben.
Deshalb ein Angebot, Herr Blüm: Da sitzen 193 Sozialdemokraten, da gibt es 58 Christdemokraten aus Nordrhein-Westfalen. Wenn wir das zusammen-schmeißen, haben wir hier im Bundestag eine schöne Mehrheit für das, was Herr Albrecht da vorgeschlagen hat.
Ich nehme doch nicht an, daß Sie weniger Mut haben als der Herr Albrecht. Sagen Sie das dem Bundeskanzler, wie das mit den Mehrheitsverhältnissen ist, und lassen Sie uns das miteinander machen!Der Punkt zwei: Statt Existenzgründung, Eigenkapitalhilfe und Investitionszulage in den Gebieten der Gemeinschaftsaufgabe mit der Steuerreform zu streichen, sollten wir dafür kämpfen, daß das bleibt. Mein Vorschlag: Lassen Sie uns hier beschließen, daß die steuerfreie Investitionszulage von 8,75 % erhalten bleibt! Die Mehrheitsverhältnisse sind die gleichen; ich habe das eben beschrieben. Was Sie da wegstreichen, ist mehr, als Sie überhaupt in der Montankonferenz zugestanden haben. Sie können doch nicht verheimlichen, daß Sie das aus der großen Tasche herausnehmen und in die kleine nicht so viel reintun, wie Sie im Zusammenhang mit der Montankonferenz immer behaupten.
Dritter Punkt: die Sache mit den Altlasten. Es gibt im Ruhrgebiet 3 700 Hektar und zusätzlich 4 000 Hektar Brachen. 400 Hektar davon sind wegen der Altlasten nur nutzbar. Wer bezahlt das? Da reicht das Verursacherprinzip nicht mehr überall, da kann der Bund nicht sagen, daß er damit nichts zu tun haben will. Lassen Sie uns das doch gemeinsam machen! Wenn Sie keine Gemeinschaftsaufgabe wollen, dann stimmen Sie bitte schön unserem Vorschlag zu, Finanzhilfen für das Land, für die Städte, für die Gemeinden zu
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. Mai 1988 5143
Münteferinggeben, damit auch in dieser Region die nötigen Grundstücke zur Verfügung gestellt werden können. Wir wissen, wo es hapert, und wir wissen schon, wo es klemmt.Letztes Wort: Herr Blüm, Sie — andere auch — haben heute wieder versucht, das Land Nordrhein-Westfalen mieszureden. Es gab in Nordrhein-Westfalen im Jahre 1987 netto 3 800 neue Unternehmen und in den letzten drei Jahren 192 000 neue Arbeitsplätze. Nordrhein-Westfalen hat eine gesunde Infrastruktur und ein hohes Leistungsvermögen, was Universitäten, Forschung und Technologie angeht.
Deshalb sagen wir: Eine Zukunft für die Montanregion ist möglich. Das sollen die Kollegen in Rheinhausen auch wissen. Wir werden weiter — ich wiederhole es — an ihrer Seite stehenbleiben und mit ihnen zusammen für eine gute Zukunft kämpfen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Scharrenbroich.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Müntefering, ich meine, Sie haben leider nicht auf dem Niveau fortgefahren zu sprechen, das der Kollege Wieczorek angeschlagen hatte, nämlich festzustellen, wie hilfreich eigentlich das ist, was für die Arbeitnehmer gemeinsam geleistet worden ist.
Wenn wir von Zahlen reden, dann will ich — ich möchte danach aber damit aufhören — noch eine Zahl nennen. Soziale Anpassungshilfen als Leistungen des Bundes wurden bzw. werden von 1987 bis 1991 in Höhe von 1 125,8 Milliarden DM geleistet. Das ist die Basis, auf der diese Hilfe möglich war.
Ich meine zum Abschluß dieser Aktuellen Stunde für meine Fraktion auf jeden Fall zusammenfassen zu können: Erstens: Das, was jetzt ausgehandelt worden ist, wäre ohne das seit langem bestehende sozialpolitische Paket, die Frankfurter Vereinbarung und die Ergebnisse der Ruhrgebiets-Konferenz nicht möglich gewesen.
Zweitens: Dies bringt — das muß ich als rheinlandpfälzischer Abgeordneter auch einmal sagen; auch wir haben ja Probleme, z. B. in der Schuhindustrie in Pirmasens — eine beachtliche Haushaltsbelastung. Deswegen meine ich sehr wohl, daß die Belegschaft dies jetzt eigentlich anerkennen und akzeptieren sollte, wenn ich betrachte, was ich hier in einer dpa-Meldung von gestern lese: daß der Ministerpräsident gesagt hat, es sei davon auszugehen, daß kein Stahlarbeiter gezwungen sei, sich auf dem Arbeitsmarkt einen neuen Job zu suchen. Ich glaube, wenn diese Fest-
stellung nach den Hilfen der Bundesregierung und der Vermittlung, die viele Seiten gemacht haben, möglich ist, dann ist dies ein Ergebnis, das von der Belegschaftsversammlung jetzt anerkannt werden sollte.
Drittens: Der Kollege Lammert und auch andere haben hier bereits mehrfach gesagt, daß wir selber unsere Lehren daraus ziehen müssen. Ich glaube, Rheinhausen ist sehr mißbraucht worden im Sinne der Parteipolitik. Es ist der Eindruck erweckt worden, als ob mehr Stahl abgesetzt werden könnte, als gebraucht werden kann. Das ist die Krux.
Ich gebe zu, ich bekenne offen: Ich bin bewußt nicht in Rheinhausen gewesen, weil ich mich, bevor ich dahingehen sollte, gefragt habe: Was kann ich als Politiker eigentlich anbieten? Wie schwer die Lage für die Menschen dort ist, weiß man aus vielen anderen Gesprächen. Inzwischen aber war die Stimmung so aufgeputscht, daß jeder Politiker, der dort hinging, Versprechungen machen mußte. Das hat meiner Ansicht nach die Lage nicht erleichtert.
Viertens: Ich meine feststellen zu müssen, daß diese schwierige Lage durch eine Art und Weise entstanden ist — auch Herr Kollege Beckmann hat das bereits angesprochen —, wie die Unternehmensleitung mit den Unternehmensorganen umgegangen ist, wie die Arbeitnehmer getäuscht worden sind.
Das Ergebnis, das jetzt erreicht worden ist, hätte früher erreicht werden können. Das ist eine Kritik an uns alle, aber auch an den Ministerpräsidenten Rau. Ich glaube, wenn dieses Ergebnis früher hätte erreicht werden können, dann sollte man sich fragen, in welchen Ängsten man die Familienmitglieder eigentlich gelassen hat.
— Nein. Hören wir doch endlich auf, uns hier gegenseitig die Schuld zuzuweisen.
Ich glaube, hier ist gemeinsam eine Lösung auf der Basis der verschiedenen Finanzhilfen gefunden worden, die vom Bund dem Land und dieser Region zur Verfügung gestellt worden sind. Es wäre gut, wenn wir gemeinsam — da sind wir uns sicher einig, die GRÜNEN sind da anderer Auffassung — von dieser Stelle aus den Appell an die Belegschaft richten, daß sie diesen Kompromiß akzeptieren, auch wenn er für die einzelnen Leute hart ist, auch wenn er weit von dem entfernt ist, was ihnen versprochen worden ist.
Danke schön.
Meine Damen und Herren, die Aktuelle Stunde ist beendet. Wir sind damit am Schluß unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Donnerstag, den 5. Mai 1988, 9 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.