Gesamtes Protokol
Ich eröffne die Sitzung. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf: Fragestunde
— Drucksache 11/2146 —
Ich teile Ihnen zunächst mit, daß der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft, Herr Dr. Riedl, wegen einer Anreise von weit her nicht rechtzeitig, sondern erst etwas verspätet hier sein kann. Ich rufe seinen Geschäftsbereich erst am Schluß der Fragestunde auf.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Forschung und Technologie. Die beiden dazu vorliegenden Fragen, die Frage 1 des Abgeordneten Catenhusen und die Frage 2 des Abgeordneten Fischer , sollen schriftlich beantwortet werden. Es ist also nicht erforderlich, den Staatssekretär in Anspruch zu nehmen. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers der Justiz. Der Parlamentarische Staatssekretär Herr Dr. Jahn ist anwesend.
Ich rufe die Frage 3 des Abgeordneten Dr. Knabe auf:
Welche Konsequenzen hat die Bundesregierung aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts gezogen, daß für die Entschädigung an sich entschädigungspflichtiger Waldschäden keine gesetzlichen Grundlagen bestehen hinsichtlich der Vorlage einer eigenen Gesetzesvorlage und hinsichtlich alternativer Entschädigungsregelungen?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Knabe, zunächst ist darauf hinzuweisen, daß eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, wovon Sie ausgehen, bisher nicht vorliegt. Angesprochen sind offensichtlich zwei Entscheidungen des Bundesgerichtshofs vom 10. Dezember des vergangenen Jahres. Der Bundesgerichtshof hat darin festgestellt, daß die öffentliche Hand nach geltendem Recht nicht für neuartige, emittentenferne Waldschäden zu haften hat. Insoweit — es handelt sich hier um eine Entscheidung mit der öffentlichen Hand auf der Beklagtenseite — müßten Ansprüche gegen die konkret beklagte Partei am Fehlen einer gesetzlichen Entschädigungsregelung scheitern. Die Zubilligung solcher Ansprüche sei „entsprechend dem Grundsatz der Gewaltenteilung und dem demokratischen Prinzip der Entscheidung des Parlamentsgesetzgebers" diesem vorbehalten. Dies sei um so eher gerechtfertigt, als „hier verschiedene, nicht unerheblich voneinander abweichende Lösungen denkbar sind und daher dem politischen Gestaltungswillen des demokratisch legitimierten Parlamentsgesetzgebers ein weiter Spielraum offensteht".
Der Bundesgerichtshof nennt als denkbare Lösungsbeispiele die Staatshaftung mit oder ohne Eigenbeteiligung der Waldbesitzer an ihrem Schaden sowie die Bildung eines Entschädigungsfonds, zu dem die Emittenten und gegebenenfalls auch die öffentliche Hand Beiträge leisten können. Inzwischen ist eines der beiden Urteile mit einer Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht angefochten worden.
Ich bitte um Verständnis, daß ich diese gerichtlichen Entscheidungen — entsprechend allgemeiner Übung der Bundesregierung — hier nicht bewerte. Unabhängig von diesen Entscheidungen hat der angesprochene Problembereich des Ersatzes von Umweltschäden, zu dem auch die neuartigen Waldschäden gehören, dazu geführt, daß durch die Bundesregierung eine Prüfung veranlaßt worden ist, ob und inwieweit das geltende Umwelthaftungsrecht verbessert werden soll. Dabei wird insbesondere auch zu bewerten sein, ob das herkömmliche Haftungsrecht geeignet ist, einen Schadensausgleich auch in den Fällen solcher Summations- und Distanzschäden herbeizuführen, deren Verursacher nicht identifizierbar ist. Die Prüfung steht kurz vor dem Abschluß.
Herr Dr. Knabe, eine Zusatzfrage.
Sie haben jetzt nur die eine Alternative des Umwelthaftungsrechts angesprochen. Ist die andere erwähnte Alternative, die auch in Betracht kommt, daß der Staat für solche nicht identifizierbare, nicht auf bestimmte Quellen zurückführbare Schäden haftet und eine Entschädigung zahlt, von der Bundesregierung geprüft worden?Dr. Jahn, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Knabe, alle Möglichkeiten, die der Bundesgerichtshof aufgezeigt hat, werden geprüft.
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4900 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 73. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 20. April 1988
Parl. Staatssekretär Dr. Jahn
Sie haben eine weitere Zusatzfrage, Herr Dr. Knabe.
Dann darf ich doch fragen — wenn Sie das in kurzen Worten andeuten könnten —, mit welchem Ergebnis die bisherige Prüfung verlaufen ist.
Dr. Jahn, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Knabe, ich kann hier nicht Zwischenergebnisse darlegen. Aber ohne dem Ergebnis vorgreifen zu wollen, daß heute ja auch noch nicht endgültig vorliegt, möchte ich Ihnen sagen, daß sich diese sogenannten Summations- und Distanzschäden einer Regulierung mit Mitteln des klassischen Haftungsrechts entziehen. Dies gilt jedenfalls immer dann, wenn ein Verursacher nicht identifizierbar ist.
Soweit solche Schäden auf Grund der Schwere der Beeinträchtigung als besonderes Opfer zu betrachten sind, können sie auf Dauer wohl nicht entschädigungslos gelassen werden. Allerdings muß dazu voraussichtlich jenseits des klassischen Haftungsrechts neues Recht geschaffen werden. Ob dies ein Fonds oder ein sonstiges Entschädigungssystem sein wird, bedarf noch der weiteren Prüfung.
Die Frage 4 des Abgeordneten Stiegler soll auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet werden. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich danke dem Staatssekretär für die Beantwortung der Fragen.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen auf. Zur Beantwortung der Fragen steht Herr Staatssekretär Dr. Häfele zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 5 des Abgeordneten Stahl auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung den Sachverhalt, daß auf der einen Seite das Mineralölsteuerrecht umfassende Steuerbefreiungen für die Herstellung von methanhaltigem Klärgas aus Kläranlagen der Abwasserbeseitigung vorsieht, andererseits jedoch von seiten des Bundesministers der Finanzen beharrlich — obwohl in der Bundesrepublik Deutschland nicht eine Kläranlage mit anaerober Schlammstabilisierung und zwangsläufiger Klärgasgewinnung zur Verwendung in nichtstationären Motoren ausgerüstet ist — an der Durchsetzung der „Herstellererlaubnis" festgehalten wird, und wie hoch schätzt die Bundesregierung den Verwaltungsaufwand für die Steueraufsicht sowie für die Betreiber, zumal die technischen Einrichtungen sowie die Betriebsweise der Faulbehälter eingehend beschrieben und diese Beschreibungen geprüft werden müssen?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Ich beziehe mich auf meine Antwort vom 26. Februar dieses Jahres auf Ihre schriftlichen Fragen zum gleichen Sachverhalt und teile ergänzend mit, daß methanhaltige Gase wie Klärgas wegen ihrer Eignung als Kraftstoff Mineralöle im Sinne des Mineralölsteuergesetzes sind. Sie unterliegen deshalb grundsätzlich der gleichen Steuer wie Flüssiggas. Die EG-Kommission sieht in ihrem Harmonisierungsvorschlag ebenfalls grundsätzlich die
Besteuerung vor, wenn Methan als Kraftstoff verwendet wird.
Durch Erlaß vom 12. November 1987 wurde klargestellt, daß das selbstgewonnene Klärgas auch zur Herstellung und zur weiteren Bearbeitung von Klärgas und der dabei anfallenden Abfallerzeugnisse steuerfrei verwendet werden darf, weil Kläranlagen mit Klärgaserzeugung steuertechnisch Mineralölherstellungsbetriebe sind. Sie kommen deshalb in den Genuß des Herstellerprivilegs.
Die Steuerbefreiung für Mineralöle, die Mineralölhersteller als Betriebsmittel verwenden, hängt von der Erteilung einer Herstellererlaubnis ab. Diese ist für alle Hersteller ohne Rücksicht auf das von ihnen genutzte Herstellungsverfahren gesetzlich vorgeschrieben, um Mißbräuchen entgegenzuwirken. Ausnahmen sind nicht möglich.
Der Verwaltungsaufwand für die Erlaubnis ist bei Kläranlagen gering. Es genügt ein kurzer formloser Antrag an das zuständige Hauptzollamt, in dem erklärt wird, zu welchen Zwecken das selbstgewonnene Klärgas und gegebenenfalls weitere steuerpflichtige Mineralöle in der Kläranlage verwendet werden.
Herr Stahl, Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, Sie haben meine Frage sowohl in der letzten Fragestunde als auch heute nicht klar beantwortet. Ich habe Sie gefragt, ob Ihnen beispielsweise bekannt ist, daß es in der Bundesrepublik keine Anlage gibt, die auf Klärschlammbasis Gas erzeugt, mit dessen Hilfe man Motoren, die jetzt mit Benzin betrieben werden, betreiben kann.
Es geht um den Bürokratismus, der hier herrscht, nicht um eine Ausnahmeerlaubnis. Es gibt ja eine ganze Menge Ausnahmeerlaubnisse.
Es geht darum, daß in der Bundesrepublik nicht eine einzige Anlage vorhanden ist, die aus Klärgas Benzin oder einen sonstigen Treibstoff für Autos erzeugen kann. Was soll dann der Bürokratismus?
Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Ich habe in meiner Antwort darzustellen versucht, daß das eine ganz einfache Verwaltungsübung ist und daß die Vorschrift den Sinn hat, Mißbräuche auszuschließen. Wenn keine Mißbräuche vorkommen — vielleicht auch als Folge der Vorschrift —, ist dies um so besser.
Sie haben eine zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, Sie haben den bürokratischen Aufwand als ganz gering bezeichnet. Aber das ist ja nicht so.
Augenblick! — Herr Kollege, das ist keine Diskussion, sondern eine Fragestunde.
Entschuldigen Sie, Herr Präsident! Dann will ich die Frage so stellen: Herr Staatssekretär, finden Sie, daß der bürokratische Aufwand, den Sie als gering bezeichnen, der aber von den je-
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 73. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 20. April 1988 4901
Stahl
weiligen Betrieben als nicht gering bezeichnet wird, gerechtfertigt ist, wenn es in der Bundesrepublik keine Anlage gibt, die nicht schon den Ausnahmetatbeständen der Steuergesetze unterliegt?Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Ich weiß nicht, ob es eine solche Anlage gibt. Uns sind eigentlich nur solche bekannt, bei denen ein derartiger Antrag gestellt wird. Aber der Sinn der Vorschrift ist ja Wettbewerbsfairneß, damit dieses Gas, weil es im Wettbewerb zu Flüssiggas steht, wirklich wie dieses behandelt wird. Das ist der Sinn der Vorschrift.
Ich rufe die Frage 6 des Abgeordneten Stahl auf:
Teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß nach der Logik des Bundesministers der Finanzen auch jede spätere technische Änderung und Modifikation des Betriebes von Faulbehältern zunächst immer angezeigt und jeweils einem neuen „Erlaubnisverfahren" unterzogen werden muß — natürlich immer mit dem Ergebnis, daß die Steuerbefreiung gemäß Mineralölsteuergesetz bestätigt wird — , und wem nutzen solche bürokratischen Verfahren?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: In der Herstellererlaubnis wird ausdrücklich auf die vorherige Anzeige und die Zustimmung des Hauptzollamtes bei technischen Änderungen im Betrieb verzichtet.
Eine Zusatzfrage.
Aber unbestritten ist doch, daß sämtliche Betreiber von derartigen Kläranlagen bei der Zollverwaltung Anzeige erstatten müssen, um die Herstellererlaubnis zu erhalten?
Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Ihre Frage bezog sich ja darauf, ob, wenn nachher gewisse Änderungen vorkommen, ein neues Verfahren notwendig ist. Das ist nicht der Fall.
Eine letzte Zusatzfrage, Herr Stahl.
Herr Staatssekretär, wären Sie bereit, diesen gesamten Sachverhalt einmal zu überprüfen, damit ein derartiger Bürokratismus in unserem Lande nicht notwendig ist, auch unter dem Gesichtspunkt, daß es ja gar keinen Fall von Mißbrauch in diesem Gebiet gibt?
Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Wir sind selbstverständlich sehr daran interessiert, daß die Bürokratie möglichst klein ist.
Geben Sie mir dann Bescheid über die Prüfung?
Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Wir haben, angeregt durch Ihre Fragen, dies schon überprüft und haben es jetzt wieder getan. Wir sind nicht zu neuen Einsichten gekommen.
Zum Schluß hat er gleich zwei Fragezeichen zustande gebracht.
Ich danke dem Herrn Staatssekretär für die Beantwortung der Fragen. Die Behandlung der Fragen aus diesem Geschäftsbereich ist beendet.
Ich rufe dann den Geschäftsbereich des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten auf. Herr Parlamentarischer Staatssekretär Dr. von Geldern beantwortet die Frage, die von Herrn Dr. Knabe vorliegt.
Wie ist der Stand des Generhaltungsprogramms als Gegenmaßnahme zum Waldsterben in der Bundesrepublik Deutschland bei Waldbaumarten, und bei (welchen) Bodenpflanzen?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Herr Kollege Dr. Knabe, auf der Grundlage der Bundesratsentschließung vom 13. Februar 1985 über Maßnahmen zur Erhaltung der genetischen Vielfalt der Waldbaumarten und auf der Grundlage des Beschlusses der Bundesregierung vom 24. Juli 1985 über die zweite Fortschreibung des Aktionsprogramms „Rettet den Wald" hat eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe im Januar 1987 ein Konzept zur „Erhaltung forstlicher Genressourcen in der Bundesrepublik Deutschland" vorgelegt.
Dieses Konzept hält Generhaltungsmaßnahmen für notwendig bei 19 Baumarten, die dem Gesetz über forstliches Saat- und Pflanzgut unterliegen, bei 29 Baumarten, die zwar nicht diesem Gesetz unterliegen, aber forstliche Bedeutung haben, bei 10 einheimischen und eingeführten Baumarten, die aus regionaler Sicht erhaltenswert sind, und schließlich bei 37 einheimischen Straucharten.
Bodenpflanzen des Waldes sind in dem Konzept nicht erfaßt. Für die Baumarten Buche, Weißtanne und Fichte enthält das Konzept exemplarische Erhaltungsprogramme.
Ergänzend zu diesem Konzept hat die Bund-Länder-Arbeitsgruppe im Januar 1988 ein sogenanntes „Vierjahresprogramm zur Umsetzung des Konzeptes zur Erhaltung forstlicher Genressourcen in der Bundesrepublik Deutschland " erarbeitet. Zu diesem Programm haben die Leiter der Forstverwaltungen des Bundes und der Länder folgendes festgestellt:
Erstens. Die Inhalte des Programms sind sachgerecht.
Zweitens. Die Aufgabenteilung zwischen Bund und Ländern ist angemessen.
Drittens. Die Realisierung muß wegen der bestehenden Gefährdung der Genvielfalt unverzüglich beginnen.
Schließlich. Die Bund-Länder-Arbeitsgruppe für die Erhaltung forstlicher Genressourcen soll bis auf weiteres die in dem Konzept aufgezeigten Aktivitäten koordinieren und den Leitern der Forstverwaltungen des Bundes und der Länder jährlich einen Bericht über den Fortgang bei der Umsetzung dieses Programms erstatten.
Herr Dr. Knabe, eine Zusatzfrage.
Die erste Zusatzfrage betrifft die Umsetzung dieses Programms aus dem Jahre 1987, das Sie schilderten. Hat es seitdem Aktivitäten
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Dr. Knabedes Bundes und der Länder gegeben, dieses Programm bereits umzusetzen, und in welcher Aufgabenverteilung?Dr. von Geldern, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Knabe, ich habe auf die Erarbeitung des Vierjahresprogramms im Januar dieses Jahres hingewiesen. Das ist ein Teil der Antwort auf Ihre Frage.Zweitens kann ich Sie darauf hinweisen, daß die nächste Amtschefs- und Agrarministerkonferenz zwischen Bund und Ländern dieses Thema auf der Tagesordnung haben wird.
Sie haben noch eine Frage.
Die zweite Frage: Meine Frage schloß natürlich auch haushaltsrechtliche Konsequenzen ein, also in welchem Umfange Mittel des Bundes bereitgestellt werden, hier unterstützend tätig zu werden, sei es durch Finanzierung eigener Programme, etwa der Bundesforschungsanstalt für Forstund Holzwirtschaft, sei es durch Vergabe von Forschungsaufträgen an Universitäten und andere Stellen, sei es durch Zuwendungen an die Länderinstitutionen.
Dr. von Geldern, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Knabe, ich habe in der Antwort auf Ihre Eingangsfrage gesagt, daß die Leiter der Forstverwaltungen des Bundes und der Länder die Aufgabenteilung zwischen Bund und Ländern als angemessen erachten. Daraus folgt sicherlich auch ein jeweils angemessenes finanzielles Engagement.
— Das kann ich in diesem Stadium auch noch nicht tun.
Hier muß einer aufpassen, daß am Ende der zweiten Zusatzfrage nicht weitergeredet wird. Das tue ich hiermit.
Wir sind am Ende der Fragen dieses Geschäftsbereichs. Ich danke dem Herrn Staatssekretär für die Beantwortung der Fragen.
Die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für das Post- und Fernmeldewesen brauche ich nicht aufzurufen, weil die Fragen 8 und 9 des Herrn Abgeordneten Peter schriftlich beantwortet werden sollen. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern. Herr Parlamentarischer Staatssekretär Spranger steht zur Beantwortung der Fragen zur Verfügung.
Die Fragen 16 des Abgeordneten Linsmeier, 17 und 18 des Abgeordneten Hinsken, 19 des Abgeordneten Stiegler und 20 des Abgeordneten Wüppesahl sollen schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Herr Staatssekretär, es tut mir leid, Sie vergeblich beansprucht zu haben; umsonst war es ja nicht.
Wir kommen zu dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung. Herr Parlamentarischer Staatssekretär Vogt steht zur Beantwortung der Fragen zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 30 der Frau Abgeordneten Würfel auf:
Welche Ergebnisse haben die Überlegungen erbracht, die von der Arbeitsgruppe, welche im Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung zur Vorbereitung der Strukturreform der Rentenversicherung eingesetzt worden ist, zur Anrechenbarkeit von Pflegezeiten angestellt wurden?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Frau Kollegin, die von den Koalitionsparteien CDU/CSU und FDP eingesetzte Arbeitsgruppe zur Vorbereitung der Strukturreform der gesetzlichen Rentenversicherung hat ihre Beratungen bisher nicht abgeschlossen. Das gilt auch für die von Ihnen angesprochene Frage der Anrechnung von Pflegezeiten im Rentenrecht.
Bitte schön, Frau Würfel.
Herr Staatssekretär, sind Sie in der Lage, uns einen ungefähren Zeitrahmen zu nennen, in dem diese Überlegungen abgeschlossen sein könnten?
Vogt, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, die Koalitionsfraktionen haben vereinbart, daß im Laufe dieses Jahres die Entscheidungen über die Strukturreform der gesetzlichen Rentenversicherung fallen. Ich gehe davon aus, daß dies im Laufe des Jahres 1988 geschehen kann, damit, wie vorgesehen, ab Herbst 1988/ Anfang 1989 hier im Haus beraten werden kann, so daß diese Reform zum 1. Januar 1990 in Kraft treten kann.
Keine weitere Zusatzfrage.Dann rufe ich die Frage 31 der Frau Abgeordneten Würfel auf:1st daran gedacht, den Pflegenden die Möglichkeit einzuräumen, auf Antrag freiwillige Rentenversicherungsbeiträge während der Pflegezeiten in die Rentenkassen einzuzahlen, und liegen der Arbeitsgruppe Erkenntnisse vor, inwieweit dabei § 1385 Abs. 3 a RVO herangezogen werden kann, um die Anrechnung von Pflegezeiten zu ermöglichen?Bitte schön, Herr Staatssekretär.Vogt, Parl. Staatssekretär: Pflegepersonen, die nicht pflichtversichert sind, können bereits nach geltendem Recht freiwillige Beiträge zur Rentenversicherung entrichten. Je nach Ausgestaltung des Pflegeverhältnisses kann die Pflege auch eine versicherungspflichtige Beschäftigung sein, so daß hieraus gegebenenfalls Pflichtbeiträge zu entrichten sind.Ob die heutige Unterscheidung zwischen Pflichtbeiträgen und freiwilligen Beiträgen im Rentenrecht künftig noch die gleiche Bedeutung haben wird, hängt von verschiedenen Entscheidungen in der Strukturreform ab, z. B. hinsichtlich der Anrechnung und Bewertung von beitragsfreien Zeiten. Diese Entscheidungen werden auch Einfluß auf die Frage haben, inwieweit Pflegepersonen zusätzlich gestattet werden soll, für die Zeit der Pflege Pflichtbeiträge zu
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 73. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 20. April 1988 4903
Parl. Staatssekretär Vogtentrichten. Dann wird gegebenenfalls zu prüfen sein, ob die von Ihnen angesprochene Regelung, wonach versicherungspflichtige Arbeitnehmer für das infolge einer ehrenamtlichen Tätigkeit verminderte Arbeitsentgelt selbst die entsprechenden Differenzbeiträge tragen können, eine geeignete Regelung ist oder eine umfassende Regelung erforderlich ist. Aber auch diese Themen wurden in der Kommission bisher nur beraten. Entscheidungen sind nicht getroffen worden.
Zusatzfrage?
Ich habe nach dieser umfassenden Darstellung keine Zusatzfrage.
Dann rufe ich die Frage 32 des Abgeordneten Dr. Sperling auf:
Wann wird die Bundesregierung entsprechend der Ankündigung von Bundesminister Dr. Schäuble das Familiensplitting in das Rentensystem einbeziehen, um zu vermeiden, daß kinderlose Doppelverdiener auch in der Altersversorgung wesentlich besser gestellt sind als Familien mit Kindern?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Vogt, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, wenn Sie einverstanden sind, möchte ich die beiden Fragen 32 und 33 gemeinsam beantworten.
Der Abgeordnete ist einverstanden. Ich rufe auch die Frage 33 des Abgeordneten Dr. Sperling auf:
Teilt die Bundesregierung die Auffassung von Bundesminister Dr. Schäuble, daß die Lösung dieses Problems eilbedürftig ist, und wann sollen die entsprechenden Regelungen in Kraft treten?
Vogt, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, die Bundesregierung wird noch in diesem Jahr ihre Vorschläge zur Strukturreform der Rentenversicherung vorlegen. Die von den Koalitionsparteien CDU, CSU und FDP eingesetzte Arbeitsgruppe zur Vorbereitung dieser Strukturreform berät auch die von Ihnen angesprochene Frage. Da diese Beratungen noch nicht abgeschlossen sind, kann ich Ihre Frage der Sache nach nicht beantworten. Die Bundesregierung geht, wie ich vorhin schon gesagt habe, weiter davon aus, daß die geplante Strukturreform der gesetzlichen Rentenversicherung zum 1. Januar 1990 in Kraft treten kann.
Dr. Sperling, bitte schön, zur Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, meine Frage war nicht, wann die Strukturreform in Kraft tritt. Daher muß ich jetzt fragen, ob die Bundesregierung ihre Verantwortung an die Koalitionsfraktionen abgetreten hat.
Vogt, Parl. Staatssekretär: Nein, Herr Kolige, die Koalitionsfraktionen haben entschieden, daß zur Vorbereitung dieser Strukturreform eine Arbeitsgruppe unter dem Vorsitz des Bundesarbeitsministers zusammentritt, und diese Arbeitsgruppe berät.
Weitere Zusatzfrage, Herr Dr. Sperling.
Herr Staatssekretär, muß ich daraus entnehmen, daß die im Kanzleramt ausnahmsweise mit großer Klarheit vertretene Auffassung, daß die Erscheinung der DINKs — double income, no kids — in der Tat ein Problem für unsere Bevölkerungsentwicklung bedeutet, beiseite geschoben wird?
Vogt, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich habe gesagt, daß auch die von Ihnen angesprochene Frage in der genannten Kommission beraten wird. Aber Entscheidungen sind noch nicht getroffen worden.
Herr Staatssekretär, können Sie denn sagen, was diese Koalitionsfraktionenarbeitsgruppe für die Bundesregierung an Wesentlichem berät, in welcher Richtung das sein wird und ob sich die Bundesregierung selbst eine Auffassung macht, was sie in dieser Arbeitsgruppe gerne durchgesetzt hätte?
Vogt, Parl. Staatssekretär: Zunächst einmal, Herr Kollege, finde ich es richtig, daß die Koalitionsfraktionen an der Vorbereitung einer so bedeutsamen Frage von vornherein beteiligt sind. Im übrigen möchte ich mich an Spekulationen, wie das Beratungsergebnis aussehen wird, nicht beteiligen.
Sie haben noch eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, darf ich davon ausgehen, daß in Ihrem Ministerium die Meinung aus dem Bundeskanzleramt geteilt wird, daß dies ein eilbedürftiges und dringend zu lösendes Problem ist?
Vogt, Parl. Staatssekretär: Ja. Wir werden diese Frage, wie ich angekündigt habe, im Laufe dieses Jahres so vorbereiten, daß im Jahre 1989 die Entscheidungen getroffen werden können und die Strukturreform zum 1. Januar 1990 in Kraft tritt.
Herr Abgeordneter Stahl hat um eine Zusatzfrage gebeten. Bitte schön.
Herr Staatssekretär, können Sie sagen, wann diese Kommission unter dem Vorsitz des Bundesarbeitsministers, der sicherlich genügend zu tun hat, zu einem Ergebnis kommt, oder soll es so sein, daß das sozusagen auf den Sankt-NimmerleinsTag, wie der Kanzler das bei vielen Sachen tut, verschoben wird?
Vogt, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich habe gerade vorhin darauf hingewiesen, wie unser Zeitplan ist. Im übrigen möchte ich die Unterstellung gegenüber dem Bundeskanzler zurückweisen.
Damit sind wir am Ende dieses Geschäftsbereichs. Ich danke dem Staatssekretär für die Beantwortung der Fragen.
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4904 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 73. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 20. April 1988
Vizepräsident WestphalIch rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit auf. Herr Parlamentarischer Staatssekretär Pfeifer steht zur Beantwortung der Fragen zur Verfügung.Ich rufe die Frage 34 der Abgeordneten Frau Unruh auf:Welche Konsequenzen hat die Bundesregierung aus den Feststellungen des letzten Bundesrechnungshofberichts gezogen , daß die Wohlfahrtsverbände öffentliche Zuwendungen zum Erwerb von Kapitalbeteiligungen und Wertpapieren sowie zur Bildung erheblicher Rücklagen zweckentfremdet haben?Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Herr Präsident! Frau Kollegin Unruh, eine Zweckentfremdung von öffentlichen Zuwendungen zum Erwerb von Kapitalbeteiligungen und Wertpapieren durch die Spitzenverbände der freien Wohlfahrtspflege hat nicht stattgefunden. Der Bundesrechnungshof hat in seinen Bemerkungen dargestellt, daß die Spitzenverbände Rücklagen in Form von Kapitalbeteiligungen und Wertpapieren bilden. Diese Rücklagen stammen aus Erträgen, die bei Sammlungen und durch Spenden erzielt worden sind. Der Bundesrechnungshof hat angeregt, Zins- oder andere Erträge aus diesen Rücklagen zur Verminderung der Bundeszuwendungen in Anspruch zu nehmen. Dies hat im Rechnungsprüfungsausschuß zu einer kontroversen Diskussion geführt, auf deren Ergebnis ich Sie verweise. Dabei wurde vor allem darauf hingewiesen, daß die aus Spenden und Sammlungen entstandenen Rücklagen insbesondere für Notsituationen benötigt werden und nicht für die laufenden Aufgaben zur Verfügung stehen.
Das Bundesministerium für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit hat mit Wirkung vom 1. Januar 1988 Richtlinien über die Gewährung von Zuwendungen an die Spitzenverbände erlassen. Durch die Richtlinien wird das Zuwendungsverfahren auf eine haushaltsrechtlich klare Grundlage gestellt. Diesen Richtlinien hat neben dem Bundesminister der Finanzen auch der Bundesrechnungshof zugestimmt.
Frau Unruh zu einer Zusatzfrage.
Sehen Sie, Herr Staatssekretär, einen Zusammenhang zwischen der unzulänglichen Kontrolle der Wohlfahrtsverbände, die der Bundesrechnungshof gerügt hat, und der Veruntreuung der Gelder, die der Landesrechnungshof NRW festgestellt hat?
Pfeifer, Parl. Staatssekretär: Zunächst: Den Vorwurf unzulänglicher Kontrolle kann ich nicht gelten lassen. Das ist im Rechnungsprüfungsausschuß im einzelnen besprochen worden. Im übrigen sehe ich einen Zusammenhang nicht.
Weitere Zusatzfrage, Frau Unruh.
Herr Staatssekretär Pfeifer, ist Ihnen bekannt, daß ein leitender Beamter Ihres
Hauses, der u. a. für die Kontrolle der Wohlfahrtsverbände zuständig war, sich wegen Krankheit hat vorzeitig pensionieren lassen und nunmehr für einen solchen Verband hauptamtlich oder ähnlich tätig sein soll?
Pfeifer, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, das muß ich überprüfen lassen. Mir ist das im Augenblick nicht bekannt.
— Ja.
Zusatzfrage, Herr Stahl, bitte schön.
Herr Staatssekretär, trifft es denn überhaupt zu, was Frau Unruh hier eben als Behauptung aufgestellt hat, nämlich daß im Zusammenhang mit dieser Angelegenheit Gelder veruntreut wurden?
Pfeifer, Parl. Staatssekretär: Nein, das habe ich ja ausdrücklich gesagt: Das ist im Rechnungsprüfungsausschuß im einzelnen geklärt worden.
Ich rufe jetzt die Frage 35 der Abgeordneten Frau Unruh auf:
Inwieweit und in welcher Höhe gehören Bundesmittel zu den Geldern, die sich Wohlfahrtsverbände, Kirchen etc. in Nordrhein-Westfalen nach den jetzt bekanntgewordenen Feststellungen des Landesrechnungshofs durch Betrug im strafrechtlichen Sinne zugeeignet haben?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Pfeifer, Parl. Staatssekretär: Die Bundesregierung schließt nach den ihr zur Verfügung stehenden Unterlagen aus, daß von den jetzt bekanntgewordenen Feststellungen des Landesrechnungshofes Bundesmittel betroffen sind.
Zusatzfrage, Frau Unruh.
Herr Staatssekretär, sind Ihnen Fälle aus anderen Bundesländern bekannt, in denen öffentliche Mittel durch Wohlfahrtsverbände, Kirchen etc. in größerem Umfang veruntreut bzw. zweckentfremdet wurden?
Pfeifer, Parl. Staatssekretär: Es tut mir leid, mir ist das in dieser allgemeinen Form nicht bekannt.
Sie haben eine weitere Zusatzfrage, Frau Unruh.
Herr Staatssekretär, sehen Sie nach den Feststellungen sowohl des Bundesrechnungshofs als auch des Landesrechnungshofs NRW Veranlassung, auf die übrigen Länder einzuwirken, damit ähnliche Überprüfungen vorgenommen werden, oder haben Sie dies bereits getan?Pfeifer, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, über die Verwendung von Mitteln, die in Landeshaushalten ausgebracht sind, üben die Länder die erforderliche Kontrolle, wie ich überzeugt bin, mit aller Sorgfalt aus.
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 73. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 20. April 1988 4905
Parl. Staatssekretär PfeiferEs gibt überhaupt keinen Grund, daß sich die Bundesregierung hier zum Präzeptor der Länder macht.
Dann rufe ich eine Zusatzfrage des Abgeordneten Daniels auf. Bitte schön.
Herr Staatssekretär, haben Sie nach Bekanntwerden dieser Vorfälle in Nordrhein-Westfalen auch nähere Untersuchungen in Ihrem eigenen Zuständigkeitsbereich eingeleitet, um festzustellen, ob öffentliche Sozialgelder durch strafbare Handlungen zugeeignet wurden?
Pfeifer, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, es hat in dem Bericht des Bundesrechnungshofs, den Frau Kollegin Unruh angesprochen hat, eine Reihe von Prüfungsbemerkungen gegeben. Denen sind wir natürlich mit der erforderlichen Sorgfalt nachgegangen. Das ist ja auch im Rechnungsprüfungsausschuß im einzelnen besprochen worden.
Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Sperling.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß es in früheren anderen Fällen für Prüfer des Bundesrechnungshofes unmöglich war, Mittel, die durch einen Landeshaushalt geflossen waren, zu überprüfen, weil — vorbildlich oder nicht — die bayerische Landesregierung die Prüfungsrechte des Bundesrechnungshofes total bestritten hat?
Pfeifer, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Sperling, der Fall, den Sie ansprechen, ist mir nicht bekannt.
Ich rufe Frage 36 des Abgeordneten Werner auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung die geschäftsmäßige Vermittlung von Kindern durch ein Frankfurter Unternehmen , und welche Maßnahmen erachtet die Bundesregierung für notwendig, um einen derartigen sittlich verwerflichen und „beschämenden Menschenhandel" (OB Brück/Frankfurt) gegebenenfalls wirkungsvoll zu unterbinden?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Pfeifer, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Werner, bei den von Ihnen angesprochenen Vorgängen handelt es sich um Vermittlungspraktiken, wonach Schwangere und ein Kind suchende Paare zusammengeführt und die Männer veranlaßt werden, nach der Geburt der Kinder wahrheitswidrig die Vaterschaft anzuerkennen und danach im Einvernehmen mit den Müttern die Ehelichkeitserklärung zu betreiben.
Die Bundesregierung hält diese Praktiken für sittlich verwerflich; sie müssen verboten und unterbunden werden. Die Bundesregierung unterstützt alle Bemühungen des Frankfurter Oberbürgermeisters, diese Tätigkeit auf der Basis des geltenden Sicherheits- und Ordnungsrechts zu unterbinden. Um den örtlichen Behörden diese Aufgabe zu erleichtern, wird die Bundesregierung für derartige Fälle in dem ange-
kündigten Gesetzentwurf zur Änderung des Adoptionsvermittlungsgesetzes klare Verbots- und Ahndungsnormen vorschlagen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Werner, eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, können Sie bereits eine Aussage dazu machen, bis wann der Änderungsentwurf zum Adoptionsvermittlungsgesetz vorliegen wird, und inwieweit wird dadurch nach dem bisherigen Kenntnisstand in Ihrem Hause auch sichergestellt werden können, daß etwa auf dem Wege über Paßformalitäten und andere Dinge, also durch entsprechende Kontrollvorrichtungen, eine derartige Vermittlung vom Ausland ins Inland in Zukunft unterbunden werden kann?
Pfeifer, Parl. Staatssekretär: Zunächst zum Stand der Gesetzgebungsarbeiten: Der Referentenentwurf liegt vor. Er ist mit den Ländern erörtert worden und befindet sich derzeit in der Abstimmung zwischen den Bundesressorts. Ich hoffe, daß es möglich sein wird, noch vor der Sommerpause einen Kabinettsentwurf zu erstellen.
Was die zweite Frage angeht, bin ich gerne bereit, das mit dem dafür zuständigen Innenminister zu erörtern.
Sie haben eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, können Sie etwas konkretere Aussagen darüber machen, wie insbesondere in diesem Falle dem Frankfurter Oberbürgermeister seitens der Bundesregierung schon vor dem Greifen einer beabsichtigten derartigen Gesetzesänderung zusätzliche Möglichkeiten dafür an die Hand gegeben werden können, daß er in entsprechender Weise durchgreifen kann und daß in der Öffentlichkeit nicht auch noch naßforsch erklärt werden kann, dann werde man sich eben an einen andern Ort verändern und dort das gleiche Geschäft wieder aufnehmen?
Pfeifer, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Werner, ich denke, daß die klare Antwort, die ich auf Ihre Frage gegeben habe, dazu beitragen wird, deutlich zu machen, daß das letztere unterbunden werden soll.
Im übrigen hat ja der Frankfurter Oberbürgermeister die Absicht bekundet, auf der Basis des geltenden Sicherheits- und Ordnungsrechts einzugreifen. Da es sich hier um sittenwidrige Vorgänge handelt, kann ich dies nur unterstützen.
Frau Götte hat dazu eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ist es richtig, daß in Baden-Württemberg die Staatsanwaltschaft bereits gegen dieselbe Vermittlungsstelle ermittelt hat und zu dem Ergebnis gekommen ist, daß dieses Vorgehen zwar sittenwidrig ist, aber nicht gegen geltendes Recht verstößt?Pfeifer, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin Götte, ob die Staatsanwaltschaft ermittelt hat, muß ich überprü-
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4906 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 73. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 20. April 1988
Parl. Staatssekretär Pfeiferfen. Ich weiß, daß es ähnliche Vorgänge in BadenWürttemberg gegeben hat, daß dort eingegriffen worden ist und daß dies ja dazu geführt hat, daß die Vermittlung in Baden-Württemberg nicht weiter betrieben worden ist. Wenn es so sein sollte, wie Sie sagen, unterstreicht das nochmals nachdrücklich, daß die Absicht der Bundesregierung, das Adoptionsvermittlungsrecht zu novellieren, einer dringenden Notwendigkeit entspricht.
Wir sind am Ende dieses Geschäftsbereichs. Ich danke dem Staatssekretär für die Beantwortung der Fragen.
Den Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr brauche ich nicht aufzurufen, weil alle eingereichten Fragen — Frage 37 der Abgeordneten Frau Simonis, Fragen 38 und 39 des Abgeordneten Weiss sowie Fragen 40 und 41 der Abgeordneten Frau Brahmst-Rock — schriftlich beantwortet werden sollen. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich komme zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit. Herr Parlamentarischer Staatssekretär Grüner ist zur Beantwortung der Fragen anwesend. Es gibt aber nur noch Fragen des Abgeordneten Ganz , der nicht im Saal ist. Dann müssen sie so behandelt werden, wie es die Geschäftsordnung vorschreibt. Alle anderen Fragen — die Fragen 44 und 45 des Abgeordneten Graf und die Fragen 46 und 47 des Abgeordneten Oostergetelo — sollen schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt. Es tut mir leid, Herr Staatssekretär, daß wir Sie — wie haben wir vorhin gesagt? — vergeblich beschäftigt haben.
Der Geschäftsbereich des Bundesminister für Wirtschaft wird nun aufgerufen. Der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Riedl steht uns zur Verfügung. Sind Sie von Stuttgart gut hierher gekommen?
Danke schön, Herr Präsident. Ich darf mich für Ihre Nachsicht bedanken, diese Verspätung entschuldigt zu haben.
Herr Staatssekretär, wenn einer der für Luftfahrt zuständig ist, bei Luftfahrt nicht rechtzeitig ankommen kann, muß man ihn deswegen hier extra befragen.
Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Ich wollte den Grund verschweigen, aber ich konnte es Ihnen gegenüber leider nicht tun.
Wir kommen zur Frage 21 des Abgeordneten Grünbeck:
Sieht die Bundesregierung Möglichkeiten, bei Behörden, Institutionen und Empfängern öffentlicher Fördermittel darauf hinzuwirken, daß anstelle der Anschaffung und Vorhaltung von Gerät und Personal für spezielle Einzelvorhaben verstärkt auf im Markt verfügbare private und freiberufliche Kapazitäten zurückgegriffen wird?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Danke schön. Herr Präsident. Herr Abgeordneter Grünbeck, die Bundesregierung will die wirtschaftliche Betätigung des Staates bei solchen Aufgaben abbauen, wie der private Sektor mindestens ebenso gut wie der Staat wahrnehmen kann. Das hat die Bundesregierung auch im Jahreswirtschaftsbericht 1988 zum Ausdruck gebracht. Sie geht im übrigen von der Vermutung aus, daß Dienstleistungen von der privaten Wirtschaft durchweg effizienter erbracht werden können als vom Staat, z. B. bei Planungsarbeiten, Vermessungsarbeiten und Ingenieurleistungen.
Das Schwergewicht staatlicher Leistungen liegt entsprechend der verfassungsrechtlichen Aufgabenverteilung bei Ländern und Gemeinden. Es erscheint ermutigend, daß viele Städte und Gemeinden den Privatisierungsbemühungen auch in dem hier angesprochenen weiteren Sinne aufgeschlossen gegenüberstehen. Bestehende Zurückhaltung sollte weiter abgebaut werden, aber, Herr Abgeordneter, ich möchte nicht verhehlen, daß hier noch sehr viel zu tun ist.
In bezug auf staatliche Institutionen werden zur Zeit ebenfalls Überlegungen angestellt, inwieweit künftig in verstärktem Maße bestimmte Leistungen, z. B. im Bereich der technischen Zusammenarbeit, der Entwicklungshilfe und der technischen Überwachung, auf Private verlagert werden können.
Soweit die Empfänger öffentlicher Fördermittel Aufträge vergeben, unterliegen sie nationalen und internationalen Vergaberegelungen, die eine wirtschaftliche Beschaffung auch unter Beteiligung Selbständiger oder freiberuflich Tätiger vorsehen. Aber auch soweit es darum geht, ob die Empfänger öffentlicher Fördermittel Aufträge von Dritten vergeben oder auf staatliche Stellen keinen Einfluß haben, hält es die Bundesregierung für selbstverständlich, daß wirtschaftlichere Alternativen unter Beteiligung selbständiger Unternehmen und Freiberufler genutzt werden.
Damit Sie sehen, daß die politische Absicht der Bundesregierung auch durch Taten untermauert wird, darf ich Ihnen sagen, daß zur Zeit im Auftrag des Bundesministers für Wirtschaft ein Gutachten zum Thema „Realisierungschancen bei der Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen" erarbeitet wird. Die Untersuchung soll bis Juni 1989 vorgelegt werden. Ich wünschte mir, wir könnten diese Untersuchung früher haben, aber je wissenschaftlicher ein Auftrag, um so länger ist offensichtlich die Bearbeitungszeit. Ich bitte hier um Ihr Verständnis.
Herr Grünbeck, bitte schön, zur Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, können Sie mir sagen, ob dieses Gutachten an ein privatwirtschaftliches oder an ein staatliches Institut vergeben worden ist?
Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Also, wenn meine Worte hier einigermaßen glaubhaft sein sollen, gehe ich davon aus, daß es ein privates Institut ist. Ich weiß es aber nicht. Ich müßte mich erkundigen.
Ich würde Sie darum bitten. Wenn ich noch eine Zusatzfrage haben darf:.. .
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 73. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 20. April 1988 4907
Ja, die haben Sie.
... Wäre es möglich, daß der Wirtschaftsminister eine Präambel für die Vergabe von öffentlichen Aufgaben bzw. von Zuschüssen, die die Bundesregierung für andere öffentliche Aufträge leistet, formuliert, in der vorgeschrieben wird, daß die Auftragserteiler vorab erst prüfen sollen, ob das privatwirtschaftlich zu lösen ist, und erst dann möglicherweise staatliche Institutionen in Anspruch nehmen können?
Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Herr Abgeordneter, dies ist eine politisch interessante Frage. Sie stößt allerdings auf gewisse rechtliche Probleme. Diese Probleme liegen in den mit Gesetzeskraft ausgestatteten Vergabeordnungen VOB und VOL. Hier ist eine solche Vorstellung natürlich nicht festgeschrieben. Wir werden allerdings prüfen, ob es eine solche Änderung geben könnte.
Ihre Anregung halte ich politisch für vernünftig. Ich kann Ihnen im Augenblick allerdings nichts versprechen, weil dies letztlich von den gesetzgebenden Körperschaften beschlossen werden müßte.
Herr Grünbeck, Sie können gleich stehenbleiben, weil die Frau Kollegin Dr. Hamm-Brücher, die die beiden nächsten Fragen gestellt hat, nicht anwesend ist.
Ich rufe Frage 24 des Abgeordneten Grünbeck auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung nach der in Madrid beschlossenen Organisationsreform des Airbus-Konsortiums die Weiterentwicklung des Programms Airbus?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Herr Abgeordneter Grünbeck, die Bundesregierung begrüßt es, daß eine Gruppe unabhängiger Sachverständiger aus den vier Partnerländern des Airbus-Programms — wir haben sie die Vier Weisen genannt — das Airbus-Programm analysiert und ihre Verbesserungsvorschläge in einem Bericht zusammengefaßt hat, der — wir hatten neun Monate Vorlaufzeit — am 12. April dieses Jahres in Madrid den Regierungen vorgelegt wurde. Nach einer ersten Durchsicht dieser Analyse können wir feststellen, daß es sich bei den Empfehlungen der Sachverständigen um sehr fundierte Lösungsansätze handelt, die sich in weiten Bereichen mit den Überlegungen decken, die dazu im Bundeswirtschaftsministerium angestellt worden sind.
Ich teile insbesondere die Auffassung der Vier Weisen, daß eine Umwandlung der Airbus Industrie in Toulouse in eine Aktiengesellschaft stattfinden soll, aber nicht vor 1992 in Betracht kommen kann, daß vielmehr versucht werden muß, die derzeitig sehr komplexen Entscheidungsabläufe schrittweise in eine adäquatere Organisationsstruktur unter stärkerer Einbindung der einzelnen Partnerfirmen zu überführen; also: langfristig eine Umwandlung in eine Aktiengesellschaft, etwa 1992, aber bis dahin sehr aktiv und gezielt bereits eine Anpassung der Struktur.
Hauptadressat der Empfehlungen sind die industriellen Partnerfirmen. Die Leitungen dieser Unternehmen werden sich in den nächsten Tagen zusammensetzen und entscheiden — ich habe gehört, daß
diese Gespräche schon begonnen haben — , wie die einzelnen Empfehlungen am wirkungsvollsten realisiert werden können. Unsere Zielvorstellung ist eine Verwirklichung der wesentlichen Elemente des Berichts noch in diesem Jahr. Ich habe in Madrid als Vertreter der Bundesregierung als Termin für das Inkrafttreten der veränderten Konstellationen den 1. Januar 1989 genannt und dies dort auch entsprechend zum Ausdruck gebracht.
Die Minister der Partnerländer haben des weiteren vereinbart, sich einen Zwischenbericht über die zu treffenden Maßnahmen und den geplanten Zeitplan für die Umsetzung am 5. Mai dieses Jahres anläßlich der Internationalen Luftfahrtausstellung in Hannover vorlegen zu lassen. Herr Abgeordneter, ich habe im Namen der Bundesregierung eine entsprechende Einladung an die Airbus-Minister von Großbritannien, Frankreich und Spanien bereits ausgesprochen; die Zusagen liegen inzwischen vor.
Zusatzfrage, Herr Grünbeck.
Herr Staatssekretär, sind Sie meiner Auffassung, daß, nachdem das Parlament mit den Haushaltsmitteln für die Mehrausgaben beim Airbus geradestehen muß, dieser Report, der unter Verschluß gehalten wird, eigentlich dem Parlament zur Verfügung gestellt werden müßte, zumal darin die Rede davon ist, daß das ganze Unternehmen bislang unter einer unzureichenden Kontrolle und Koordination abgelaufen ist?
Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Herr Abgeordneter, ich darf Sie Gott sei Dank in Ihrem Sinne korrigieren. Die vier Regierungsvertreter in Madrid haben diesen Bericht noch am gleichen Tag veröffentlicht. Ich habe am darauf folgenden Tag dem Haushaltsausschuß des Deutschen Bundestages ein Exemplar dieses Berichts übergeben; er ist am gleichen Tag allen Mitgliedern des Haushaltsausschusses vervielfältigt übergeben worden. Herr Abgeordneter Grünbeck, ich habe in meiner Tasche ein Exemplar; ich lasse es sofort kopieren. Es wäre mir als früherer Postbeamter eine große Freude, Ihnen den selbst zustellen zu dürfen.
Hier ist ja auch keine schwierige Gegend.
Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Diese Verbindung, das sehe ich auch, ist relativ einfach, Herr Präsident.
Sie haben eine weitere Zusatzfrage, Herr Grünbeck.
Ist in diesem Bericht davon die Rede — was Herr Präsident Pierson vor kurzem einmal geäußert hat — , daß Kostensenkungen in einer Größenordnung von 30 % oder mehr möglich wären, und wie stellt sich dieses Konsortium diese Kostensenkungen eigentlich in der Praxis vor?Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Herr Abgeordneter, erstens kann ich Ihnen diese Äußerungen des Herrn
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4908 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 73. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 20. April 1988
Parl. Staatssekretär Dr. RiedlPierson nicht bestätigen. Ich kann Ihnen aber zweitens sagen, daß die Beauftragung der Vier Weisen durch die vier Regierungen ausdrücklich das Ziel hatte, die gesamte Kostenstruktur bei Airbus Industrie und bei den vier Partnerindustrien zu durchleuchten, zu analysieren und die Kosten nachdrücklich zu senken.Ich habe Ihnen in meiner Antwort auf Ihre erste Frage schon gesagt, daß ich mit diesem Bericht der Vier Weisen sehr zufrieden bin und daß wir möglichst viele dieser Vorschläge, die ja darauf ausgerichtet sind, die Kosten zu reduzieren, akzeptieren werden. In Hannover werden wir darüber sprechen.Herr Abgeordneter, Sie haben Verständnis, daß ich Zahlen im Augenblick nicht nennen kann. Ich möchte aber unterstreichen, daß die Bundesregierung bereits mit dem im Juli letzten Jahres getroffenen Kabinettsbeschluß zur weiteren Airbus-Finanzierung der Industrie bis 1992 einen Einsparungsbetrag von mehr als 520 Millionen DM aufgegeben hat und dies von der Industrie für das Jahr 1988 bereits anerkannt worden ist. Also, die Bundesregierung — das dürfen Sie mir als Koordinator für die deutsche Luft- und Raumfahrt schon abnehmen — tut alles, um dem Anliegen der Kostensenkung Rechnung zu tragen. Nur — das wissen Sie als Unternehmer auch —, es gibt selbstverständlich ganz natürliche Grenzen.
Sie haben noch eine Zusatzfrage, wenn Sie wollen; Sie müssen nicht.
Doch, die hätte ich gern genutzt. — Abschließend noch eine Frage, Herr Staatssekretär: Dann waren also alle anderen Pressemeldungen über die Äußerungen des Herrn Pierson und über die Entscheidungen von Madrid eigentlich falsch? Denn die sagen etwas anderes aus als Sie hier.
Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Ich habe Ihnen ja nur gesagt, daß ich die Größenordnung, die er genannt hat, nicht bestätigen kann, und ich kann vor allen Dingen auch nicht die Meldung bestätigen. Es wird viel geschrieben; Sie wissen das ja. Wenn ich das alles lesen würde, was über Airbus und internationale Luftfahrtindustrien ständig geschrieben wird, bräuchte ich eigentlich einen mittelgroßen Mitarbeiterstab.
Entscheidend ist, was wir wollen: Wir wollen eine für die Zukunft tragfähige, wettbewerbsfähige europäische Luft- und Raumfahrtindustrie. Und da arbeiten wir mit Ihrem Herrn Parteivorsitzenden, dem Bundesminister für Wirtschaft, außerordentlich eng zusammen. Das ist im übrigen einer der eindrucksvollen Bereiche, in denen die CSU und die FDP überhaupt keine Probleme miteinander haben.
Herr Staatssekretär, wenn Ihre Antworten nicht so schön lang wären, hätte ich nicht übersehen, daß der Abgeordnete Grünbeck schon zwei Zusatzfragen gehabt hat. Ich bin hier von meinen Schriftführern darauf aufmerksam gemacht worden, daß ich ihm drei gegeben habe.
Da ist er gut weggekommen.
Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: So macht es richtig Spaß, unter Ihrer Stabführung, Herr Präsident.
Ich habe jetzt noch die Frage 25 des Abgeordneten Wüppesahl, und dann rufe ich die Fragen von Frau Hamm-Brücher auf.
Zunächst also die Frage 25 des Abgeordneten Wüppesahl:
Welche Probleme und Hindernisse sieht die Bundesregierung, bei der zügigen Umsetzung einer Anreizverminderung der in ihren Zuständigkeitsbereich fallenden Gesetzgebungskompetenzen für den Betrieb von Spielautomaten z. B. den Faktor für die Berechnung der Umsatzsteuer von 1,5 auf 2,3 anzuheben?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Herr Abgeordneter, zur Zeit werden in den Ausschüssen des Deutschen Bundestages die Anträge der SPD-Fraktion und der Fraktion DIE GRÜNEN zur Eindämmung der sogenannten Spielhallenflut behandelt. Am 20. Juni 1988 wird eine Anhörung von Sachverständigen stattfinden. Die Konsequenzen hieraus wird der Deutsche Bundestag voraussichtlich noch im Herbst dieses Jahres ziehen. Die Bundesregierung sieht daher zur Zeit keine Veranlassung, dem durch Einzelfallregelungen vorzugreifen.
Wegen der Anhebung des von Ihnen erwähnten Faktors zur Berechnung der Umsatzsteuer von 1,5 auf 2,3 führt der Bundesminister der Finanzen zur Zeit Gespräche mit den Verbänden der Automatenwirtschaft.
Wie ich schon bei der ersten Lesung des SPD-Antrags zur Eindämmung dieser sogenannten Spielhallenflut am 17. September 1987 hier vor diesem Hohen Hause ausgeführt habe, sieht die Bundesregierung zwar keinen akuten Handlungsbedarf, ist jedoch gern bereit, die Realisierungsmöglichkeiten sämtlicher Vorschläge des Parlaments zu prüfen. Genannt wurde im Vorfeld dieser Diskussionen, die Mindestgrundfläche in Spielhallen von 15 auf 20 Quadratmeter zu erhöhen und die höchstzulässige Zahl der Geräte von zehn auf acht zu verringern; die Zahl der Sonder- und Risikospiele zu reduzieren; den Höchstgewinn von mindestens 60 % der Einsätze auf 70 % anzuheben und einen Mindestabstand zwischen Geldspielgeräten vorzuschreiben.
Ich möchte aber betonen, Herr Abgeordneter, daß derartige Maßnahmen das Problem der Spielhallenkonzentrationen nicht unmittelbar, sondern nur mittelbar lösen könnten. Denn sie würden sich auf sämtliche Spielhallen — nicht nur auf die hier in Rede stehenden Konzentrationen — und darüber hinaus auf sämtliche Geldspielgeräte an anderen Aufstellorten, d. h. auch in Gaststätten, auswirken. Diese Konsequenzen müßten daher sorgfältig bedacht werden.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Wüppesahl.
Ist Ihnen, Herr Staatssekretär, bekannt, daß gerade diese Woche wieder einige Medien über dieses Problem gesprochen und geschrieben haben, daß das, was Sie in bezug auf das akut nicht vorhandene Handlungserfordernis aus Sichtweise der Bundesregierung gesagt haben, dadurch bereits konterkariert wird und daß zu dem Kern
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 73. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 20. April 1988 4909
Wüppesahlder von mir gestellten Frage 25, nämlich Anhebung des Berechnungsfaktors von 1,5 auf 2,3, sowohl die Pyrotechnische Bundesanstalt wie auch der Bundesfinanzhof in zwei Urteilen zum Ausdruck gebracht haben, daß eine solche Anhebung des Rechnungssatzes rechtlich abgesichert sei? In welcher Weise gedenkt die Bundesregierung diese Tatsachen in ihre Meinungsbildung einzubeziehen, und zwar auch vor dem abgestrittenen akuten Handlungsbedarf?Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Herr Abgeordneter, ich habe Ihnen gesagt, daß der Bundesminister der Finanzen dies zur Zeit prüft. Der von Ihnen genannte Sachverhalt wird dabei einbezogen.Darf ich aber noch mal sagen, weil ich mich an die Diskussion damals hier im Hohen Hause — der Herr Präsident war ja selber daran beteiligt — sehr genau erinnere: Der Deutsche Bundestag kann nur den rechtlichen Rahmen vorgeben. Herr Abgeordneter, die eigentliche Verantwortung für die Ausweisung von entsprechendem Gewerbegebiet haben die Kommunen. Die letztlich bei den Kommunen liegende Verantwortung läßt auch zu, eine sogenannte Spielhallenflut zu beseitigen.Wenn Sie es mir gestatten, bemerke ich: Ich halte es ja für einen Witz — entschuldigen Sie, daß ich einmal so offen rede — , daß man im Ruhrgebiet in Dortmund eine Spielbank errichtet und gleichzeitig von den Dortmunder und NW-Abgeordneten hier Anträge auf Eindämmung der Spielhallenflut einbringt. Da ist doch irgendwo die Moral nicht ganz auf der richtigen Schiene.
Der Präsident ist gezwungen, sich hier oben aus der Diskussion herauszuhalten. Ich bitte, das zur Kenntnis zu nehmen.
Herr Wüppesahl, Sie haben noch eine Zusatzfrage.
Auch wenn ich Ihnen in einzelnen Zwischenbemerkungen wohl zustimmen mag, ist die Bundesregierung von mir gefragt, ob sie die vorhandenen gesetzlichen Möglichkeiten ihres Zuständigkeitsbereichs jetzt in Anspruch nehmen möchte. Der bloße Verweis auf die anstehende Anhörung im Innenausschuß kann mich nicht befriedigen, da solche Verweise bereits seit mehr als eineinhalb Jahren erfolgen und die jüngste Gesetzesnovellierung vor zwei Jahren diesen Spielhallenboom geradezu erst ausgelöst hat. Deshalb zu den Möglichkeiten der Bundesregierung die folgende konkrete Frage: Weshalb werden nicht inzwischen elektronische Zählvorrichtungen — das Problem des Umsatzes steht nach § 22 Abs. 6 des Umsatzsteuergesetzes nach wie vor im Raum — bei den Betreibern der Spielgeräte erzwungen, oder warum wird nicht durch Gespräche dafür gesorgt, daß freiwillige Nachrüstung erfolgt, was ja nach demselben Gesetz möglich ist? Daß dies alles kein Problem darstellt, belegt uns ja die Tatsache, daß es ohne Problematik für die Betreiber möglich gewesen ist, die verschiedensten Zählvorrichtungen einzurichten, die auch die Größe und das Gewicht der Geldmünzen und alles mögliche berücksichtigen.
Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Herr Abgeordneter, all dies wird die Bundesregierung auch im Rahmen des Beratungsverfahrens in den Ausschüssen des Deutschen Bundestages mit Ihnen diskutieren. Ich kann mich im Augenblick — deshalb ist dieses Verfahren ja so festgelegt — auf eine verbindliche Beantwortung beim besten Willen nicht einlassen, weil wir nun einmal seitens der Bundesregierung auch mit dem Parlament dieses Verfahren so verabredet haben. Aber ich bin sicher, daß zum Beispiel das Zählverfahren eine Initiative sein könnte, die einen brauchbaren Schritt nach vorn darstellt. Sie stoßen aber hier sehr rasch an rechtliche Grenzen.
Herr Dr. Bötsch möchte eine Zusatzfrage stellen.
Herr Staatssekretär, sind Sie bereit, im Rahmen dieser Prüfung und im Rahmen der Beratungen, die auf Grund des Antrags demnächst erfolgen müssen, die Frage der Verantwortlichkeit und der Verantwortbarkeit dieser Spielgeräte auch auf die Bereiche auszudehnen, für die die Bundesregierung zumindest indirekt Verantwortung trägt, nämlich die vielen Spielhallen, die in den letzten Jahren in Bahnhöfen der Deutschen Bundesbahn eingerichtet worden sind; und teilen Sie die Meinung, daß die Bundesregierung sich nicht darauf zurückziehen kann, daß sie Appelle an die Kommunen richtet und etwa die Baunutzungsverordnung ändert, sondern daß sie die Verantwortung wahrnehmen muß, die sie in ihrem eigenen Geschäftsbereich wahrzunehmen hat?
Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Herr Abgeordneter, ich teile Ihre Auffassung. Der Bundesminister für Verkehr hat ja mit dem Vorstand der Deutschen Bundesbahn bereits Vorsorge getroffen, daß die Vermietung von Räumen auf Bundesbahngelände, insbesondere in Hauptbahnhöfen, für diese Zwecke vermieden wird.Der Vorstand der Deutschen Bundesbahn — ich habe auch mit ihm gesprochen — gibt natürlich den Ball sehr rasch zurück. Er sagt uns: Ihr Politiker drängt ständig darauf, die Deutsche Bundesbahn soll wirtschaftlich arbeiten und Erlöse erzielen. Nun hat die Deutsche Bundesbahn ein riesiges Grundvermögen und versucht natürlich, durch hohe Mieteinnahmen die Erlössituation im Bereich der Nutzung ihrer eigenen Grundstücke zu verbessern. Ich habe ihnen gesagt, daß dies kein ausschlaggebender Faktor für die Verbesserung der Wirtschaftlichkeit der Deutschen Bundesbahn sein kann. Da der Bundesminister für Verkehr dementsprechend auf den Vorstand der Deutschen Bundesbahn eingewirkt hat, können Sie davon ausgehen, daß neue Spielhallen in Bahnhöfen nicht mehr genehmigt werden. In der politischen Beurteilung, Herr Abgeordneter Dr. Bötsch, bin ich mit Ihnen völlig einig.Ich will aber zum Schluß noch einmal an die doppelte Moral erinnern. Zu mir kommen auch Kommunalpolitiker aus Gemeinden aus ganz Deutschland und sagen, hier sollte eine größere Liberalisierung vorgenommen werden, weil Spielhallenbesitzer auch Gewerbesteuerzahler seien. Man steht hier also einer
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4910 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 73. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 20. April 1988
Parl. Staatssekretär Dr. Riedlbreiten Palette von Einflüssen gegenüber, die nicht zuletzt von Politikern an uns herangetragen werden. Man sollte endlich einmal Schluß mit dieser doppelten Moral machen.
Gequält reagiert der Initiator eines Antrags auf das, was hier gerade geredet worden ist, und darf sich nicht beteiligen.
Ich habe jetzt Frau Dr. Hamm-Brücher noch die Möglichkeit gegeben, ihre Fragen zu stellen, weil mich die Gründe überzeugt haben, die dazu geführt haben, daß sie vorhin nicht hier sein konnte. Ich rufe Frage 22 der Abgeordneten Frau Dr. Hamm-Brücher auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung die bisherigen Fortschritte bei der deutsch-amerikanischen Zusammenarbeit im Bereich der SDI-Forschung?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Danke schön. Herr Präsident; ich beantworte die Frage der Abgeordneten Frau Hamm-Brücher sehr gerne wie folgt:
Die Zusammenarbeit zwischen deutschen Unternehmen und US-Behörden im Bereich der SDI-Forschung hat sich befriedigend entwickelt. Der Informationsfluß läuft gut. An Kooperationen interessierte Unternehmen erhalten Informationen ohne Verzug. Dazu gehört auch die Weitergabe von Informationen über Veranstaltungen von amerikanischer Wirtschaft und Administration, auf denen neue Forschungsaufgaben vorgestellt und Wege der Kooperation erläutert werden. An Forschungsaufgaben Interessierte stehen überdies entweder selbst in Kontakt mit den betreffenden US-Behörden oder werden im Wege der Kooperation mit ihren zum Teil langjährigen amerikanischen Partnern über neueste Entwicklungen unterrichtet. Die an deutsche Unternehmen erteilten Forschungsaufträge ermöglichen den Firmen die Mitarbeit an technologisch anspruchsvollen Forschungsaufgaben. Darüber hinaus bieten SDI-Forschungsaufträge Perspektiven zum Aufbau von Kooperationsverbindungen mit amerikanischen Partnern, die für Aufgaben außerhalb der SDI-Forschung von Nutzen sein könnten.
Frau Dr. Hamm-Brücher, bitte schön, Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ich nehme mit Interesse Ihre positive Beurteilung der bisherigen Zusammenarbeit und der Fortschritte im Bereich der SDI-Forschung zur Kenntnis. Da man aber feststellen muß, daß Ihre positive Beurteilung in krassem Gegensatz zu anderen Kundgebungen zu diesem Thema steht, die in der Bilanz diese Zusammenarbeit als Flop ansehen, möchte ich Sie doch einmal konkret fragen: Wie hoch sind die Beträge, die in US-Dollar bisher in diese Kooperation hineingeflossen sind, denn daran kann man die Fortschritte in der Zusammenarbeit messen?
Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Frau Abgeordnete Dr. Hamm-Brücher, Sie geben der ganzen Geschichte mit Ihrer Frage einen qualifizierten Aspekt, den ich in etwa teile, wie ich das Ihrer Frage entnehme. Ich habe eine grundsätzlich positive Beurteilung dessen abgegeben, was an Kooperation zwischen den USA und der deutschen Wirtschaft stattfindet. Vom Auftragsvolumen her — das muß ich Ihnen sagen — bin ich nicht zufrieden. Die Bundesregierung führt darüber keine Statistik, es gibt auch keine Berichtspflicht der Unternehmen, die an SDI beteiligt sind. Soweit der Bundesregierung bekannt, haben aber deutsche Firmen, Forschungseinrichtungen und andere Stellen im Rahmen des gesamten SDI-Forschungsprogramms unter Einschluß von Optionen von der US-Regierung Aufträge im Gesamtwert von bisher — ich sage dazu: leider nur — rund 100 Millionen DM erhalten. Das gesamte SDI-Volumen beträgt ja, wenn ich es richtig im Kopf habe, 3,2 Milliarden US-Dollar für das Haushaltsjahr 1987. Gnädige Frau, ich verhehle nicht, daß diese 100 Millionen DM natürlich nur ein Klacks sind, wenn ich es mal so salopp sagen darf. Ich halte das Projekt allerdings insgesamt für gut und richtig; nur kann ich Ihnen leider Gottes nicht bestätigen, daß das ein großes Geschäft für die deutsche Wirtschaft ist.
Sie haben eine weitere Zusatzfrage, Frau Dr. Hamm-Brücher.
Herr Staatssekretär, teilen Sie nicht meine Meinung, daß, wenn das Auftragsvolumen so gering ist und damit die Erwartungen in diese Form der Zusammenarbeit ganz und gar nicht erfüllt worden sind, unter Umständen diese gesamte strategische Idee, die Weltraumforschung zur Verteidigung eines ganzen Kontinents aufzubauen, gar nicht realisierbar ist, da sonst die Zusammenarbeit sicher sehr viel weiter fortgeschritten wäre?
Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Aus amerikanischer Sicht ist diese Idee sicher zu verwirklichen, und der amerikanische Präsident gibt deutlich zu erkennen, daß er sie verwirklichen möchte.
— Hinsichtlich des Kongresses will ich mich jedes Kommentars enthalten, wie es einem Vertreter der Bundesregierung geziemt.
Frau Abgeordnete, ich möchte aber trotzdem noch einmal sagen, daß wir die Chance nutzen müssen, über dieses Auftragsvolumen hinaus mit den Amerikanern in, ich möchte sagen: belebender Verbindung zu bleiben. Es gibt eine ganze Reihe von technischen Entwicklungen, die völlig neu sind und an denen die deutsche Volkswirtschaft nur positiv partizipieren kann; ich denke an die Luft- und Raumfahrt, an Optik, Optoelektronik, an Lasertechnologie, an Werkstofftechnologie und an die Informations- und Kommunikationstechnik. Unsere deutschen Firmen, unsere Unternehmen stehen hier in einem internationalen Wettbewerb, vor allen Dingen mit den amerikanischen Wettbewerbern. Es ist ganz natürlich, daß auch amerikanische Kongreßabgeordnete ihre eigene Industrie hier lieber unterstützen und dabei haben wollen als unsere Industrie.
Ich rufe Ihre Frage 23 auf, Frau Dr. Hamm-Brücher:Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus den bisherigen Erfahrungen und Ergebnissen?
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 73. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 20. April 1988 4911
Vizepräsident WestphalBitte schön, Herr Staatssekretär.Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Die Unternehmenskooperationen, die im Zusammenhang mit dem amerikanischen SDI-Forschungsprogramm zustande gekommen sind, bestätigen die Bundesregierung in der Auffassung, daß es richtig war, interessierten Unternehmern und Wirtschaftspartnern durch den Abschluß einer Regierungsvereinbarung mit den USA die Möglichkeit zur Zusammenarbeit zu eröffnen. Ich schließe allerdings die kritischen Bemerkungen, die ich im Anschluß an Ihre Fragen gemacht habe, damit mit ein.
Eine Zusatzfrage, Frau Dr. Hamm-Brücher.
Herr Staatssekretär, muß man sich nicht nachträglich fragen, ob sich nicht die ganze politische Aufregung um den Beitritt der Bundesrepublik Deutschland zu einer Zusammenarbeit als eine Seifenblase erwiesen hat, und wäre es nicht viel vernünftiger gewesen, so eine Kooperation unseren deutschen interessierten Firmen ohne einen hochtrabenden Vertrag einfach zu ermöglichen?
Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Aufregung ist in der Politik nie ein guter Ratgeber. Wenn Sie Ihre Frage so verstanden haben, würde ich sie gern mit Ja beantworten.
Ihre letzte Zusatzfrage, bitte schön, Frau Hamm-Brücher.
Herr Staatssekretär, ich stimme Ihnen da völlig zu. Ist die Bundesregierung bereit, unabhängig von dieser vorläufigen Beantwortung, doch noch einmal etwas intensiver über die künftige Gestaltung der Zusammenarbeit nachzudenken und dabei auch in Rechnung zu stellen, daß noch nicht mal sicher ist, daß die deutschen Firmen ihre eigenen Forschungsergebnisse auch für unsere weitere Entwicklung nutzen können?
Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Ich werde die von Ihnen gegebene Anregung mit dem Herrn Bundesminister für Wirtschaft besprechen. Da sich das mit meinen Intentionen deckt, dürfen Sie versichert sein, daß wir diese Frage sehr sorgfältig prüfen.
Wir sind damit am Ende des heutigen Teils der Fragestunde.
Da es aus mir erklärten Gründen nicht möglich ist, die Aktuelle Stunde gleich anzuschließen, unterbreche ich die Sitzung bis 14.30 Uhr, um sie dann mit der Aktuellen Stunde wieder zu eröffnen.
Die Sitzung ist unterbrochen.
Wir setzen die unterbrochene Sitzung fort.
Ich rufe den Zusatztagesordnungspunkt 1 auf: Aktuelle Stunde
Einschätzung der wirtschaftlichen Entwicklung durch die Bundesregierung vor dem Hintergrund neuester konjunktureller Daten
Meine Damen und Herren, die Fraktionen der FDP sowie der CDU/CSU haben gemäß Nr. 1 Buchstabe c der Anlage 5 unserer Geschäftsordnung eine Aktuelle Stunde zu dem genannten Thema verlangt.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Wissmann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! CDU/CSU und FDP haben diese Aktuelle Stunde beantragt, weil die Entwicklung der aktuellen wirtschaftlichen Daten von großer Bedeutung für Verbraucher, Arbeitnehmer und Betriebe ist und weil die Auseinandersetzung über diese Entwicklung für den Bundestag eine der elementaren Aufgaben auch im Blick auf die künftigen Herausforderungen ist.Wir alle wissen, daß sich die deutsche Volkswirtschaft seit dem 19. Oktober 1987 an die neuen Entwicklungen der Weltfinanzmärkte und des Dollarkurses gewöhnen mußte. Wir können heute konstatieren, daß sich die deutsche Volkswirtschaft an dieses neue weltwirtschaftliche Umfeld gewöhnt hat, ja daß wir diesen schwierigen Anpassungsprozeß mit Erfolg bestanden haben. Die jüngsten Zahlen zeigen, daß das voraussichtliche Wachstum des Bruttosozialprodukts 1988 bei annähernd 2 % liegen dürfte. Ein Hauptträger der Entwicklung wird im Jahre 1988 der private Konsum mit einer Zunahme von 3 % sein.Es spricht alles dafür, daß das Jahr 1988 vor allem ein Jahr des Verbrauchers und des Handels werden wird. Die Gründe hierfür liegen in der enormen, jetzt über Jahre anhaltenden Geldwertstabilität, in der positiven Wirkung der zweiten Stufe der Steuerreform, die mit einer Entlastungswirkung von 14 Milliarden DM ihre positiven Wirkungen in den ersten Monaten dieses Jahres bereits entfaltet, und in der allgemeinen Einkommensentwicklung. Die Bruttolohn- und -gehaltssumme wird 1988 nominal um etwa 3 %, die Nettolohn- und -gehaltssumme um nominal voraussichtlich 3,5 % steigen.Erst gestern hat der deutsche Einzelhandel seine äußerst positiven Erwartungen für den Verlauf des Jahres 1988 zum Ausdruck gebracht. Erst am Montag hat das Statistische Bundesamt deutlich gemacht, daß wir nicht nur mit einer guten Konsumgüterkonjunktur und einer steigenden Binnennachfrage, sondern auch mit einer sich wieder belebenden Investitionsgüternachfrage rechnen dürfen. Im Januar und Februar lagen die Auftragseingänge für Investitionsgüter um 4,8 % über dem Ergebnis des entsprechenden Vorjahreszeitraums.Dieses kann als ein erfreulicher Frühindikator für eine Verbesserung des Investitions- und Konjunkturklimas gewertet werden, zumal diese Zahlen auch begleitet werden von ebenfalls günstigen Zahlen des Anstiegs der Auftragseingänge und der Produktion. Im Januar/Februar betrug der Zuwachs der Produktion im produzierenden Gewerbe gegenüber den entsprechenden Vorjahresmonaten 2,5 %.
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4912 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 73. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 20. April 1988
WissmannMeine Damen und Herren, ich rufe diese Zahlen ins Bewußtsein, weil wir es uns in Deutschland eigentlich angewöhnt haben — im übertragenen Sinne gesagt —, ein dreiviertel volles Glas der wirtschaftlichen Entwicklung grundsätzlich nur als ein viertel leer zu betrachten und die positiven Entwicklungen überhaupt nicht mehr wahrzunehmen.Deswegen ist es gut, daß heute die Zahlen über denen liegen, die wir alle gemeinsam noch Ende des Jahres befürchtet haben, daß wir unseren Mitbürgern sagen können: Wir haben zwar noch schwerwiegende Herausforderungen zu meistern — ich denke an den Arbeitsmarkt, wo trotz 750 000 neuer Arbeitsplätze in den letzten vier Jahren noch eine weite Wegstrecke vor uns liegt — , aber wir sind auf einem guten Wege, meine Damen und Herren, und wir dürfen diesen Weg nicht durch leichtfertige Aussagen und Planungen gefährden.
Meine Damen und Herren, ich finde, daß es kein guter Weg wäre, wenn wir die Planungen der Sozialdemokraten einer 30-Stunden-Woche verwirklichen wollten. Dann würden wir genau die Wettbewerbsfähigkeit gefährden, die wir doch gemeinsam sichern wollen.
Die Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit, meine Damen und Herren, ist die Herausforderung für uns alle über Fraktionsgrenzen hinweg. Wir werden sie nur erreichen können, wenn wir den klaren wirtschafts- und finanzpolitischen Kurs einer Erneuerung der Sozialen Marktwirtschaft auch in den kommenden Jahren weitergehen.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Jens.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Für mich, Herr Kollege Wissmann, ist es ein Zeichen von starker Nervosität, daß Sie die Auftragsdaten und die Produktionsdaten der letzten zwei Monate zum Anlaß einer Aktuellen Stunde nehmen. Wenn man über die Probleme im Golf in Form einer Aktuellen Stunde diskutieren wollte,
dann könnte ich das verstehen. Aber die einmaligen Ausreißer von zwei Monaten hier nun aktuell zu diskutieren — seien Sie sicher, es kommt auch noch anders.Für diese Regierung ist Konjunkturpolitik, wie mir wenigstens scheint, nicht nur zu 50 % Psychologie, sondern ich glaube, für Sie ist Konjunkturpolitik ausschließlich, zu 100 %, Psychologie. Das ist ein großer Irrtum.Die letzten Auftragseingänge sind mit einem positiven Vorzeichen versehen; aber das hat in erster Linie drei Gründe. Der Winter ist eigentlich nicht eingetreten, und die Situation war ausgesprochen günstig.
Deshalb hat es eine bessere Entwicklung gegeben; das liegt doch auf der Hand. Die Vergleichsdaten aus der Zeit ein Jahr vorher waren ausgesprochen mies. Deshalb, weil die Basis so niedrig war, sind die Steigerungsraten eben größer. Schließlich gibt es ganz zweifellos außergewöhnliche Auftragseingänge in der Wirtschaft. Das hat mit dazu beigetragen, daß der Durchschnitt wiederum nach oben gegangen ist.So ist die Situation. Da können Sie noch so viel reden, noch so viel markige Worte gebrauchen — die wirtschaftliche Lage ist nicht gut. Von vier im Stabilitäts- und Wachstumsgesetz vorgesehenen Zielen hat diese Regierung drei permanent verfehlt. Wir haben keinen hohen Beschäftigungsstand, wir haben keine ausgeglichene Leistungsbilanz, und wir haben auch kein angemessenes Wirtschaftswachstum. Eklatant verfehlt ist die Verteilungsgerechtigkeit, meine sehr verehrten Damen und Herren. Die soziale Symmetrie ist kaputtgemacht worden. Nach angeblich vier Jahren Aufschwung haben wir immer noch 400 000 Arbeitsplätze weniger als im Jahre 1980.
Wir malen, meine sehr verehrten Damen und Herren, bestimmt nicht grau in grau; das liegt uns überhaupt nicht.
Aber wenn Sie sich einmal die Prognosen der wissenschaftlichen Institute ansehen — hören Sie doch mal einen Augenblick zu — , dann müssen Sie einfach feststellen: Die schlechteste Prognose stammt vom Institut der Deutschen Wirtschaft, also dem wissenschaftlichen Institut der Arbeitgeberverbände. Dieses Institut steht Ihnen nahe, aber nicht uns. Also, einen Silberstreifen kann man beim besten Willen nicht erkennen.Ich verweise angesichts dieser Debatte noch einmal auf die großen Gefahren: Der Dollar ist nur deshalb stabilisiert, weil die Notenbanken mit Milliardenbeträgen interveniert haben. Die Aktienkurse haben nach dem schwarzen Montag wiederholt enorme Sprünge gemacht und sind wiederholt kräftig nach unten gegangen. Das Handelsbilanzdefizit der Amerikaner ist nicht kleiner, sondern eher größer geworden. Auch unser Überschuß scheint wieder größer zu werden. Die Preisentwicklung — so vermute ich — wird leider ebenfalls wieder stärker zunehmen. Die Geldmenge, Herr Kollege Stoltenberg, ist explodiert. Erlauben Sie mir diese Nebenbemerkung: Ich habe Sie fast in Verdacht, Sie finden das ganz gut. Daß die Geldmenge kräftig expandiert und daß die Preisentwicklung nach oben geht, vermindert natürlich Ihre Probleme im Haushalt; das kann ich sehr wohl sehen. Aber schön ist diese Entwicklung nicht.Wenn die wirtschaftliche Lage wirklich so gut ist, wie es von der Regierung immer dargestellt wird, dann, finde ich, sind 45 Milliarden DM Neuverschuldung ein eklatanter Verfassungsmißbrauch. Ich sage Ihnen: Wir brauchen nicht viel Gerede, wir brauchen auch keine besondere Psychologie. Durch viel Gerede, durch psychologische Tricks wurde die Welt noch niemals verbessert. Was wir brauchen, ist gestaltende Politik gegen den großen Skandal der Massenarbeitslosigkeit.
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 73. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 20. April 1988 4913
Dr. JensSchönen Dank.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Haussmann.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ein halbes Jahr nach gewaltigen Turbulenzen auf den Finanzmärkten schätzen heute die Wirtschaft und die Koalition die wirtschaftliche Lage besser ein als die damaligen Pessimisten der Opposition und auch einzelne führende Unternehmer in der Bundesrepublik Deutschland.
Auch das sollte man heute nicht vergessen.
Damit sind natürlich auch die Chancen dieser Koalition noch besser einzuschätzen; denn von wirtschaftlichen Perspektiven hängen auch die Chancen dieser Koalition ab.
Wirtschaftsminister Bangemann, Finanzminister Stoltenberg haben recht behalten. Ihre Standhaftigkeit gegenüber der Forderung nach Sofortprogrammen wurde belohnt. Wir haben heute ein solides, langfristig attraktives Wirtschaftswachstum vor uns.
Die große Frage, Herr Ehrenberg, ist — das ist auch eine Frage an die Opposition, an die deutschen Gewerkschaften und die Unternehmer — : Wie wird aus diesem Wirtschaftswachstum jetzt im sechsten Jahr ein größeres Beschäftigungswachstum? Denn da bin ich in der Tat in der Analyse Ihrer Meinung: Wir haben Wirtschaftswachstum, wir haben Außenhandelsüberschuß, wir haben international ein hohes Maß an Stabilität.
Wie können wir das stetige, aber gegenüber früheren Perioden geringere Wachstum beschäftigungsintensiver machen? Da brauchen wir auch ein optimistisches Bild der großen Oppositionspartei. Ein Krisengerede bringt nichts.
Wir haben im sechsten Jahr Wirtschaftswachstum, und wir brauchen mehr Ehrlichkeit,
auch bei der Opposition und den deutschen Gewerkschaften.
Man muß sich den Fragen stellen: Wie nimmt Tarifpolitik mehr Rücksicht auf schwach qualifizierte Menschen in der Bundesrepublik, wie nimmt Tarifpolitik mehr Rücksicht auf schwache Regionen
— die Reallöhne in Bayern sind niedriger als die Reallöhne in Norddeutschland, meine Damen und Herren; da kann etwas nicht stimmen — , und wie nimmt Tarifpolitik mehr Rücksicht auf kleine und
mittlere Betriebe? Das sind die Fragen. Die Wirtschaftspolitik hat ihre Aufgaben bei der Verbesserung der Rahmenbedingungen getan. Jetzt liegt der Schlüssel für mehr Beschäftigung bei den Tarifpartnern.
Es ist nicht gut, wenn die Textilindustrie verstärkt in Portugal investiert. Es ist auch nicht gut, wenn kleinere Autos in Zukunft überhaupt nicht mehr in der Bundesrepublik, sondern nur in Spanien produziert werden. Es ist auch nicht gut, wenn kleinere PersonalComputer verstärkt in Taiwan und Korea produziert werden. Das heißt, die Frage der Wettbewerbsfähigkeit, der Attraktivität des Produktionsstandorts Bundesrepublik steht zur Diskussion. Die Attraktivität muß immer wieder neu erobert werden.
Viele internationale Unternehmen überlegen sich, wo sie bis 1992 Arbeitsplätze in diesen großen Binnenmarkt schaffen. Im Moment schaffen sie leider zu viele in Großbritannien und zu wenig im Ruhrgebiet und zu wenig in Norddeutschland.
— Das ist eine Frage der Steuerpolitik. Deshalb brauchen wir eine weitere Perspektive der Unternehmensbesteuerung für die 90er Jahre. Daran wird in der Koalition gearbeitet. Es ist aber auch eine Frage der Finanzierbarkeit von Sozialprogrammen. Es unterscheidet eben die beiden großen Parteien in der Bundesrepublik Deutschland, daß die CDU die Finanzierbarkeit ihrer Sozialprogramme klar sieht,
während die SPD ein Programm der 30-Stunden-Woche verabschiedet und die Finanzierbarkeit von Sozialprogrammen keine Rolle spielt. Das kostet Arbeitsplätze, meine Damen und Herren. Deshalb macht es Sinn, daß diese Koalition ihre Arbeit zur Gewinnung von zukunftsfähigen Arbeitsplätzen fortsetzt.
Das Wort hat der Abgeordnete Sellin.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Statistische Bundesamt löste am Montag diese Debatte zur Konjunkturentwicklung mit optimistischen Daten aus. Ich möchte diesem politischen Zweckoptimismus und der Massenpsychologie auf der hannoverschen Messe die reale Lage entgegensetzen.Erstens. Wir haben eine registrierte Arbeitslosigkeit von 2,5 Millionen Menschen. Konjunkturoptimismus beseitigt keine Arbeitslosigkeit.
Zweitens. Selbst marginal erhöhte Wachstumsprognosen für das Jahr 1988 können die Tatsache nicht außer Kraft setzen, daß sich der kausale Zusammenhang von Wachstumsraten des realen Bruttosozialprodukts und zunehmender Beschäftigungsrate insbe-
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4914 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 73. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 20. April 1988
Sellinsondere im verarbeitenden Gewerbe tendenziell entkoppelt hat.Drittens. Eine Angebotspolitik, wie sie die Bundesregierung mittels der Steuerreform betreibt, hat wirtschaftspolitisch die einseitige Umverteilung von Einkommen zwischen Arbeitnehmern und Unternehmern zum Gegenstand. Die bereinigte Lohnquote hat deshalb bereits das Niveau von 1960 erreicht. Die entsprechende Gewinnquote ist so explodiert, daß sich auch die Bundesregierung darüber beklagt, daß die potentiellen Investoren nicht investieren. Das heißt, Ihre Reden auf der hannoverschen Messe wollen gerade diese Psychologie — „Hoffentlich investieren die wieder! " — anheizen.Viertens. Finanzspekulationen und Auslandsinvestitionen sind aus der Perspektive des einzelnen Investors anziehender als die reale Investition für eine zusätzliche Produktionsanlage, deren Absatz überhaupt nicht gesichert ist. Das hohe reale Zinsniveau auf den Finanzmärkten stabilisiert die kalkulatorische Sicht der Unternehmer, nämlich sich zurückzuhalten und dementsprechend rational zu verhalten.Fünftens. Das US-Handelsbilanzdefizit stieg im Februar 1988 überraschend von 12,4 Milliarden US-Dollar auf 13,8 Milliarden US-Dollar. Sofort kam der US-Dollar-Kurs ins Trudeln und löste hastige Interventionskäufe der Notenbanken aus. Diese wiederholten Interventionen signalisieren, daß die Ursachen für die Ungleichgewichte auf den Weltmärkten zwischen den USA und der Bundesrepublik bzw. Japan nicht ernsthaft zur politischen Veränderung der Außenwirtschaftspolitik auch der Bundesregierung geführt haben. Bundesbankchef Pöhl verwies im „Handelsblatt" vom 10. April auf die Perspektive, daß die Notenbanken bald mit der monetären Ausweitung wie mit den Stützungsinterventionen am Ende der Fahnenstange angelangt seien.Sechstens. Solange sich politische Vereinbarungen über einen Abbau der außenwirtschaftlichen Ungleichgewichte nicht in realen Güterströmen ausdrücken, ist kein Weg aus der Zuspitzung einer Weltwirtschaftskrise gewiesen. In dieses Urteil ist der Konflikt zwischen Industrieländern und Entwicklungsländern, der sich in der Verschuldungsfrage ausdrückt, eingeschlossen.Siebtens. Die hohe Exportabhängigkeit der Bundesrepublik bedeutet, daß jeder praktische Ausgleich der Güterströme zur Beseitigung des eigenen außenwirtschaftlichen Leistungsbilanzüberschusses zu einem konjunkturellen Einbruch heute oder morgen führen muß.Achtens. Die Bundesregierung ist mit ihrer exportorientierten Wirtschaftspotenz strukturell darin verfangen, daß sie diese hohe Arbeitsproduktivität nicht der sozialen und ökologischen Verbesserung der Lebensverhältnisse hier bei uns zur Verfügung stellen kann.Neuntens. Wir GRÜNEN sind davon überzeugt, daß die Bundesregierung einen Abbau ihrer Exportlastigkeit Schritt für Schritt vollziehen muß und sich auf eine auf die EG und Osteuropa zugewandte Wirtschaftsentwicklung und Handelspolitik orientieren muß. Das Ziel außenwirtschaftlichen Gleichgewichtssollte als eigener Maßstab der Politik wieder entdeckt und auch angewandt werden. Dabei sollte durch eine gezielte Energiesparpolitik über alle Ressorts der Politik hinweg die Notwendigkeit des Imports von Primärenergie abgebaut werden. Die Leistungsbilanz wird hierdurch längerfristig entlastet.Zehntens. Der strukturelle Ab- und Umbau der außenwirtschaftlichen Beziehungen kann die Massenarbeitslosigkeit nicht beseitigen. Aus diesem Grunde ist es unbedingt notwendig, daß die Verkürzung der Wochenarbeitszeit beschleunigt wird und daß das im EG-Maßstab ausgehandelt wird. Von daher kann man nur sagen: Auch auf dem EG-Binnenmarkt gibt es in diesem Bereich Handlungsnotwendigkeit, um voranzutreiben, daß eine Arbeitszeitumverteilung mit einer Einkommensumverteilung verbunden wird. Von daher sind natürlich die prozentualen Lohnabschlüsse der letzten zehn bis 20 Jahre, die dazu geführt haben, daß immer die höheren Einkommensempfänger begünstigt worden sind, heute ein politisches Problem. Das zeigt sich natürlich auch in der Nachfragefähigkeit von Einkommensgruppen, die eben benachteiligt sind.
Das Wort hat der Bundesminister für Wirtschaft.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In den letzten sechs Monaten hat die deutsche Wirtschaft einen sehr schwierigen Härtetest überzeugend bestanden.
Wir waren Belastungen ausgesetzt durch den Kurseinbruch am 19. Oktober des vergangenen Jahres, durch den weiteren Dollar-Kursverfall, aber auch — das sage ich hier mit Nachdruck — durch das Krisengerede, das danach eingesetzt hat.Niemand will von Realitäten abweichen, und bei der wirtschaftlichen Beurteilung ist es immer richtiger, bei den Realitäten zu bleiben. Aber es soll auch niemand eine Schwierigkeit überhöhen und durch bewußtes oder unbewußtes Gerede den Versuch machen, die Schwierigkeiten zu vergrößern. Das ist Anfang dieses Jahres gemacht worden.
Die Dinge haben sich ganz anders entwickelt. Die Konjunkturindikatoren, die übrigens schon damals die bessere Lage anzeigten, haben das bestätigt. Das Bruttosozialprodukt hat im vierten Quartal 1987 seinen Anstieg fortgesetzt, und auch im ersten Vierteljahr dieses Jahres liegen wir — auf das Jahr hochgerechnet — gut im Wachstumstrend von 2 bis 2,5 %, den wir seit dem zweiten Quartal 1987 verzeichnen. Das hat der Kollege Stoltenberg vor kurzem auch zum Ausdruck gebracht. Er hat aber nicht — wie auch wieder gesagt worden ist — das korrigiert, was wir gemeinsam als Zielprojektion angenommen haben, nämlich ein Wachstum in diesem Jahr von 1,5 bis 2 %. Aber daß mit diesem Wachstumstrend dieses Ziel realistisch ist, ist wohl jedermann klar.
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Bundesminister Dr. BangemannAuch die Industrieproduktion ist zu Beginn des Jahres spürbar gestiegen. In den ersten beiden Monaten lag sie um 4 % höher als vor Jahresfrist. Die Auftragseingänge haben sich real zuletzt um fast 6 % erhöht. Das sind Zahlen. Das ist überhaupt keine Psychologie, sondern ich nenne hier nur einmal Zahlen. Wenn die berühmten Konjunkturpropheten der SPD-Fraktion wenigstens diese Zahlen einmal zugrunde legen würden, dann wäre uns ja schon gedient, und uns allen wäre besser.
Gott sei dank hat sich jetzt auch die Stimmung in der Wirtschaft geändert. Übrigens sagen dieselben aus der Wirtschaft, die sich Anfang des Jahres noch in düsteren Prophezeihungen ergingen, heute: Es hat sich die Lage geändert. Die Lage hat sich überhaupt nicht geändert. Sie war damals genau so gut wie heute; sie hat sich allenfalls etwas verbessert. Was sich geändert hat, ist die Erkenntnis derjenigen, die damals in Pessimismus machten, daß das keinen Sinn macht und daß wir uns besser von dem Krisengerede verabschieden. Die Konsumenten jedenfalls haben sich davon nicht beeindrucken lassen. Die Einzelhandelsumsätze lagen im Januar/Februar um real gut 3 % höher als vor einem Jahr; auch dort wird — wie schon von Herrn Wissmann gesagt — die Situation als sehr gut eingeschätzt.Natürlich, alles das hat nicht die Auswirkungen auf die Arbeitslosigkeit, die wir alle uns wünschen. Aber ich kann nur noch einmal sagen: Die Zahl der Beschäftigten ist gestiegen.
Wir haben 750 000 Erwerbstätige mehr als vor gut vier Jahren. Wenn die Zahl der Arbeitslosen nicht entsprechend abgenommen hat, dann zeigt das zweierlei: Einmal haben wir heute mehr Menschen, die erwerbstätig sein wollen, und wir haben einen Wettbewerb zwischen den Qualifizierten und weniger Qualifizierten um Arbeitsplätze. Das erklärt auch den zunehmenden Anteil von weniger qualifizierten Arbeitslosen. Das ist das eigentliche Strukturproblem der Arbeitslosigkeit.
Wir haben auch eine hohe Preisstabilität.
Alles das, was behauptet worden ist, ist widerlegt worden. Ich habe diese Aktuelle Stunde begrüßt, weil ich immer noch hoffe, daß einmal ein wenig Einkehr bei den sogenannten Wirtschaftsexperten der SPD möglich ist. Ich will noch einmal in Erinnerung rufen, was Sie uns alle vorhergesagt haben. Herr Roth — der jetzt erschienen ist — hat 1983 erklärt, von einem Aufschwung könne nach wie vor keine Rede sein. Im Januar 1987 — auch Herr Jens hat sich dann beteiligt — haben Sie immer wieder behauptet: Der Abschwung hat bereits begonnen.
— Herr Ehrenberg, Sie sind nicht so unvorsichtig gewesen, jedenfalls nicht öffentlich; das muß ich Ihnen bestätigen. Aber reden Sie da einmal mit Ihren Kollegen.Im Sommer 1987 war das dann nicht mehr zu halten, und dann hieß es: Der Aufschwung hat den Kriechgang eingelegt. Zu Beginn dieses Jahres hat der Fraktionsvorsitzende uns vorgeworfen, wir seien in der Projektion, die Gerhard Stoltenberg und ich vorgelegt haben, halsbrecherisch optimistisch.Das alles ist, wie man jetzt sieht, falsch gewesen. Nun überlegen Sie doch bitte einmal mit uns, ob es nicht im Sinne des Wirtschaftswachstums besser wäre, wenn Sie manche pessimistische Äußerung zurückhalten, sich an die Zahlen halten und dafür sorgen würden, daß in der Wirtschaft auch mit dem nötigen Optimismus die Fortschritte erzielt werden, mit denen man auch das Problem der Arbeitslosigkeit lösen kann. Das ist auch Ihre Aufgabe!
Die Einschätzung, die ich vorgetragen habe, wird von allen internationalen Experten geteilt. Wir haben ein Ergebnis, das wahrscheinlich bei 2 % liegen wird. Wir werden sehen, wie sich die Dinge weiterentwikkeln.Der Vorsitzende des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, Professor Schneider, hat vor wenigen Tagen erklärt — ich zitiere —:Statt der vorausgesagten 1,5 % Wachstum sind sogar 2 % möglich. Diejenigen, die nach dem Börsenkrach eine weltweite Rezession voraussagten, haben nicht recht behalten. Man kann tatsächlich von einem neuen Konjunkturfrühling sprechen.Das ist das, was der Sachverständigenrat durch seinen Vorsitzenden dazu sagt. Die Konstitution der Wirtschaft hat sich verbessert.Sagen möchte ich auch, daß die Verbesserung der Gewinnsituation eine der wesentlichen Voraussetzungen dafür ist, daß Investitionen getätigt werden.
— Doch, auch im Bereich der Investitionsgüter steigt die Nachfrage, und das wird sich dann mit Sicherheit auch bei den Investitionen niederschlagen.Herr Wissmann und Herr Haussmann haben mit Recht darauf hingewiesen, daß das Ergebnis einer kontinuierlichen, stetigen Politik ist. Wir dürfen uns nicht durch vorübergehende Unsicherheiten dazu verleiten lassen, diese Politik zu verlassen, denn eine solche Stetigkeit ist nun einmal Voraussetzung für unternehmerische Entscheidungen.Auch mit der Steuerreform tragen wir — es wurde gesagt — der Bedeutung individueller Leistung und Initiative für die Zukunft unserer Volkswirtschaft Rechnung.
Deswegen muß man sich wirklich einmal die Vorschläge der Sozialdemokraten ansehen. Meine Damen und Herren, Sie haben immer noch nicht begriffen, daß die Besteuerung der Unternehmen nicht der einzige, aber ein wichtiger Parameter im internationalen Wettbewerb um Investitionen ist. Wenn in allen anderen wichtigen Ländern, in denen deutsche Unternehmen heute investieren können, angefangen bei
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4916 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 73. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 20. April 1988
Bundesminister Dr. Bangemanndem schon zitierten Großbritannien bis hin zu Ländern außerhalb der Europäischen Gemeinschaft, Gewinne steuerlich besser behandelt werden, kann man doch niemandem übelnehmen, daß er seine Investitionen auch nach diesem Kriterium ausrichtet — nicht ausschließlich, aber eben auch.Ich habe nicht zu dem Chor derer gehört, die gesagt haben: Der Produktionsstandort Bundesrepublik ist— wenn ich es etwas salopp sagen darf — total im Eimer.
— Aber Herr Jens, wenn Sie dem, was ich sage, einmal ein bißchen zuhören würden, würden Sie an Erkenntnis jedenfalls über das, was ich sage, gewinnen. Ich habe nicht gesagt, daß ich nicht darüber geschrieben habe.
— Doch, es wäre ganz nützlich für die Opposition, wenn sie wenigstens wüßte, was Mitglieder der Regierung gesagt haben. Dann könnten Sie wenigstens mit Wissen etwas kritisieren. Aber Sie begnügen sich damit, ein Phantom zu kritisieren, und das ist ja gerade Ihr Problem. Mit dieser Rede trage ich hier jetzt zur Verbesserung der Arbeit der Opposition bei. Das ist eine neue Aufgabe der Regierung, wenn man so eine schwache Opposition hat.
Was Sie in Ihrem Sozialprogramm vor kurzem wieder gesagt haben, widerspricht jeglicher wirtschaftspolitischen Vernunft, es widerspricht allen Erfahrungen, die wir in Ländern um uns herum machen. Sozialistische Regierungen wie die von Spanien und wie die Vorgängerregierung der jetzigen Regierung in Frankreich haben das alles früher erkannt und besser umgesetzt, als sie es jemals tun können. Wenn es Ihnen wirklich nicht gelingt — und diese Diskussion beginnt ja nun Gott sei Dank, auch dank einiger Äußerungen Ihres stellvertretenden Bundesvorsitzenden — , diese Grundtatsachen von Wirtschaftspolitik in einem modernen Industriestaat in Ihre Programmatik einzubringen, werden Sie nicht nur Ihre eigenen Chancen vermindern — darüber könnte man sich als konkurrierende Partei ja nur freuen — , sondern auch dazu beitragen, daß diese Bundesrepublik nicht in der Lage ist, die Herausforderungen der nächsten Jahre zu bestehen. Denn wir müssen den Strukturwandel gemeinsam bewältigen! Wenn diese Zahlen dazu beitragen, Ihnen zu zeigen, daß Sie auf dem falschen Weg waren, dann hat sich diese Aktuelle Stunde gelohnt.
Das Wort hat der Abgeordnete Hinsken.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Jens, Sie haben vorhin gefragt, warum denn diese Aktuelle Stunde überhaupt stattfindet. Nach dem, was ich vonIhnen und von verschiedenen anderen Oppositionsrednern gehört habe, meine ich, sie ist dringender und aktueller denn je; denn es gilt hier in erster Linie Nachhilfeunterricht zu erteilen, daß Sie aufzunehmen bereit sind, was sich in wirtschaftlicher Hinsicht hier in der Bundesrepublik Deutschland Gott sei Dank in den letzten Jahren, insbesondere in den letzten Monaten, zum Positiven gewendet hat.
Herr Kollege Sellin, zu Ihnen nur einen Satz: Sie haben ein 10-Punkte-Programm aufgelegt. Ich würde das um einen Punkt 11 ergänzen, nämlich: Das Wirtschaftschaos wäre perfekt, wenn die GRÜNEN an die Regierung kämen.
Meine Damen und Herren, ich möchte nicht wiederholen, was bereits so trefflich Herr Bundeswirtschaftsminister Bangemann gesagt hat, sondern die heutigen Schlagzeilen sprechen lassen, die Sie ja sicherlich alle zur Kenntnis genommen haben: einmal „Schönes Wetter", dann „Konsumklima wird sich weiter aufhellen", „Deutsche Kunden kaufen kräftig", „Optimismus auch im laufenden Jahr" oder „Konjunkturfrühling" usw. — renommierte deutsche Zeitungen. Ich meine, wenn diese renommierten deutschen Zeitungen mit unterstreichen, was wir heute zeigen und vorweisen können, dann spricht das für sich.
Ich bedaure nur, daß heute bei dieser Debatte z. B. der Rundfunk nicht für eine Direktübertragung zur Stelle ist. Wehe, es wäre anders, es wäre Negatives zu vermelden und hier zu besprechen, dann würden die Fernsehkameras natürlich live surren und auch der Rundfunk zur Stelle sein.Ich meine in diesem Zusammenhang schon darauf hinweisen zu dürfen, daß hier in der Bundesrepublik Deutschland der Auftragsbestand der Industrie, Herr Kollege Roth, einen Zuwachs von 5,8 % hat, daß ein Wirtschaftswachstum von ca. 2 % dank der hervorragenden Wirtschafts- und Finanzpolitik des Herrn Finanzministers Dr. Stoltenberg erwartet werden kann und daß deshalb der Konjunkturpessimismus, den Sie hier an die Wand zu malen versuchen, völlig unbegründet ist. Wenn ich daran denke, was Sie in den letzten Monaten alles gesagt haben, dann graut mir davor.Meine Damen und Herren, als besonders positiv bewerte ich es, daß im letzten Jahr 50 000 Ausbildungsplätze beim Handwerk überhaupt nicht mehr besetzt werden konnten.
Warum? Weil einerseits die Wirtschaft läuft und sich andererseits der Pillenknick bemerkbar macht, so daß seitens des Handwerks der einzelne Lehrling händeringend gesucht wird.Wir haben darüber hinaus festzustellen, daß ein günstiges Zinsniveau Platz greift, nämlich um 6 unter dem Höchststand Ihrer Regierungszeit. Das sind 40 Milliarden DM Entlastung. Das bedeutet einen Schub für die Arbeitskräfte und einen Schub für die
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HinskenWirtschaft. Dasselbe gilt für die niedrige Inflationsrate, die um 5 % niedriger liegt als zu Beginn der 80er Jahre.Wenn gerade diese Maßnahmen der Bundesregierung ergänzt werden durch das KfW-Kreditprogramm, durch die zweite Stufe der Tarifreform, durch die Steuerreform, die weitere Entlastungen bringt— allein zu Beginn dieses Jahres von 14 Milliarden DM — , und wenn die Investitionen von 1,5 Milliarden bei der Bundespost Platz greifen, so kann ich mir vorstellen, daß das wirtschaftliche Wachstum noch weiter beflügelt wird.Abschließend möchte ich bemerken, daß trotz unbestreitbarer Standortvorteile — wie unser leistungsfähiges Bildungssystem, gute Infrastruktur und hohe soziale Stabilität — die Attraktivität der Bundesrepublik Deutschland als Industriestandort nach wie vor verbessert werden muß a) durch eine Reform der Unternehmensbesteuerung, b) durch Entbürokratisierung und Privatisierung und c) durch die Begrenzung der hohen Lohnnebenkosten vor allem im Rahmen der anstehenden Reform der Sozialversicherungssysteme.Wer wie Sie eine Forderung nach der 30-StundenWoche erhebt und darüber hinaus die Faulheit proklamiert, wie die Jungsozialisten, der verkennt total die Lage hier in der Bundesrepublik Deutschland.
Lassen Sie mich deshalb als letzten Satz feststellen: Wenn wir die Zukunft bewältigen wollen, dann dürfen wir die Methoden nicht groß schreiben, die heißen: Arbeitszeitverkürzung und Ausweiten des sozialen Netzes, sondern Honorierung von Leistung und Vorrang der Zukunft vor der Freizeit.Ich darf mich für Ihre Aufmerksamkeit bedanken.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Ehrenberg.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Verehrter Kollege Haussmann, bei Ihrem begrüßenswerten Appell zur Ehrlichkeit haben Sie zwei Adressaten vergessen, nämlich die Regierungsparteien und die Regierung selber, denn wenn Sie die mit eingeschlossen hätten, hätten beispielsweise sowohl der Herr Wissman wie der Bundeswirtschaftsminister hier nicht von 750 000 neuen Arbeitsplätzen in den letzten vier Jahren reden können, wo die amtliche Statistik gerade etwas mehr als 600 000 hergibt.
Wenn das nicht ist, dann bitte ich Sie, Herr Bundeswirtschaftsminister, mir zu sagen, wo die Zahlen anders sind. In der Statistik Ihres Kollegen Blüm kommen nur 620 000 vor. Bitte, das sind die Realitäten.
— Ich bestreite nicht, daß das gut ist, aber Sie müssen doch nicht 150 000 drauf tun, wenn Sie über Ehrlichkeit reden, Herr Kollege Hausmann; das verträgt sich nicht.Herr Hinsken, in meinen Sprechstunden sitzen sehr viele Menschen, die händeringend nach einem Ausbildungsplatz suchen, nicht nach einem, der den Ausbildungsplatz besetzen will. Ich schicke gerne Dutzende junger Menschen zu Ihnen, die einen Ausbildungsplatz suchen und keinen finden. Verbreiten Sie hier nicht solche Gerüchte!
— Zum Beispiel gibt es in Ostfriesland selbst im Baugewerbe keine mehr; in München ist dies jedoch der Fall.
— Ich glaube es Ihnen ja. Dann sollen Ihre Handwerker doch einmal nach Ostfriesland kommen, damit sie merken, wo es gute Leute gibt, die arbeiten wollen und keinen Arbeitsplatz bekommen.Aber ich muß etwas noch zu Herrn Bangemann sagen. Herr Bundeswirtschaftsminister, wenn Sie hier zu Beginn sagen, daß die Lage schon zu Anfang besser war: Warum steht dann im Jahreswirtschaftsbericht, Datum 30. Januar dieses Jahres, als Projektion für 1988 von diesem hohen Sockel aus noch eine leichte Zunahme der Arbeitslosigkeit? Und im April steht der Wirtschaftsminister hier und sagt: Wir wußten schon Anfang des Jahres, daß die Lage besser wird.
— Ach, lieber Herr Bangemann, daß Sie sich zwei Monatszahlen ausrechnen und gegenüberstellen, ist in der statistischen Vergleichsreihe so unehrlich, wie aus zwei Ausrutschern der Auftragsstatistik einen neuen Konjunkturboom zu machen.
Ich komme auf die Zahlen zurück; ich habe nur noch zwei Minuten.Aber eines noch, Herr Bangemann. Wenn Sie hier sagen, zu Beginn des Jahres war es schon zu sehen, daß es besser wird: Warum steht dann im Jahreswirtschaftsbericht noch eine leichte Zunahme der Arbeitslosigkeit, und warum haben wir im März dieses Jahres, wenn man die statistischen Manipulationen herausrechnet, 2,5 Millionen Arbeitslose? Das ist der höchste Stand, den es je in einem März gab.
Zahl des Monats! Herr Kollege, ich hätte sie ja nicht angeführt, wenn Sie mir die Monatszahlen der Erwerbstätigen nicht gebracht hätten. Ich reite normalerweise nicht auf Monatszahlen, sondern auf Jahreszahlen herum.Dann muß ich Ihnen leider noch etwas zu Ihrem Optimismus sagen. Am 7. April dieses Jahres trägt der „Wochenbericht des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung" die Überschrift: „Weiterhin kaum
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Dr. Ehrenbergsteigende Beschäftigung", und parallel zu Ihrem Bericht in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" über die Eröffnung der Messe in Hannover — gleich daneben, sicher nicht boshaft gemacht, es paßte nur so schön — steht die Überschrift: „Porsche streicht tausend Arbeitsplätze". Für Sie ist das eine kleine Zahl. Für mich sind 1 000 Arbeitsplätze eine große und sehr bedenkliche Zahl, die weiß Gott keine gute Konjunktur widerspiegelt.
Und auch noch: Der Vorstandsvorsitzende von Krupp hat am selben Tag bei seiner Bilanzeröffnung darüber gesprochen, daß es mittelfristig mit der Konjunktur nur sehr mittelgrau aussieht.Meine Damen und Herren von der Regierung und von den Regierungsparteien, ich stimme Ihnen völlig zu: Man soll Konjunkturen nicht totreden; dazu haben wir alle keinen Anlaß.
Man kann Konjunkturen aber auch nicht hochbeten oder hochjubeln. Die Fakten müssen es bringen, nicht das Gerede.Danke schön.
Das Wort hat der Abgeordnete Grünbeck.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die mittelständische Wirtschaft hat eine lange Tradition. In der jüngsten Geschichte ist der strukturelle Wandel in der mittelständischen Wirtschaft einmalig: sowohl beim Handwerk als auch bei den Dienstleistungsbetrieben, beim Handel und bei den Produktionsbetrieben.Die technologische Revolution dieser Neuzeit hat unsere mittelständische Wirtschaft vor eine Herausforderung gestellt, die sie in einem einmaligen und mehrjährigen Kraftakt bislang gut überstanden hat und auch in den nächsten Jahren hoffentlich gut überstehen wird. Neue Kommunikationstechnologien, Mikroprozessoren, Bio- und Gentechnologie, Meß- und Regeltechnik, Prozeßsteuerung — all das sind Dinge, die in unsere mittelständischen Betriebe längst Eingang gefunden haben und die diese Betriebe auch bewältigen müssen. Ich persönlich sage Ihnen, daß es auch in den nächsten 20 Jahren kein einziges Unternehmen geben wird, das in 30 Jahren so aussieht wie heute.Der strukturelle Wandel ist noch nicht beendet. Ich glaube, daß es gut ist, daß die mittelständischen Unternehmer — gemeinsam mit ihren Mitarbeitern — diese Herausforderung bestanden haben. Es ist nicht in allen Branchen gleich, es ist auch nicht in allen Regionen gleich, aber es ist im Durchschnitt des Bundesgebietes — und ich kann das aus meiner Branche wirklich mit Überzeugung sagen — , eine Aufwärtsentwicklung im Gange, die sowohl bei den kommunalen Investitionen als auch bei den industriellen Investitionen und auch beim Bau greift. Ich glaube, die mittelständischen Unternehmer sind herausgefordert: mit Mut und mit kalkuliertem Risiko, mit hoher Leistungsbereitschaft und mit sozialer Verantwortung, mit hoher Qualifikation.Aber eines brauchen sie, meinen Damen und Herren, zu diesem Strukturwandel auch, nämlich Geld. Deshalb ist es richtig, daß wir diese Steuerreform in Angriff genommen haben, damit die mittelständische Wirtschaft den Spielraum bekommt, um diesen schwierigen strukturellen Wandel auch zu finanzieren.Der Standort Bundesrepublik Deutschland ist nicht in Gefahr. Aber man darf auch die Signale in dieser Bundesrepublik nicht übersehen: Wir haben die höchsten Lohnnebenkosten, wir haben die niedrigste Arbeitszeit, wir haben die höchste Unternehmensteuerbelastung, wir haben die höchsten Energiepreise, und wir haben die größte Baubürokratie, die zwischen Antragstellung und Genehmigung immer mehr Zeit in Anspruch nimmt, so daß die Investoren nicht nur durch die hohen Kosten, sondern auch durch die große Zeitverzögerung sehr stark benachteiligt sind.
Und wir haben einen Auswuchs der Schattenwirtschaft, der auch nicht ganz zu übersehen ist. Und da bitten wir die Länder, die bestehenden Gesetze besser anzuwenden.Dennoch glaube ich, daß die mittelständischen Unternehmer diese Herausforderung bestanden haben. Ob die Zahl 650 000 oder 750 000 neue Arbeitsplätze richtig ist, ist für mich eigentlich zweitrangig. Vorrangig ist, daß alle Unternehmen mit weniger als 500 Beschäftigten weit mehr als 500 000 Arbeitsplätze neu geschaffen haben,
80 % aller Ausbildungsplätze stellen und damit die Signale für die Zukunft gestellt haben.Die Zeiten werden für die mittelständische Wirtschaft schwieriger werden, wenn es auf den Weg nach Europa geht. Ich bin Ihnen, Herr Bundesminister Bangemann, dankbar, daß Sie die Harmonisierung der Wettbewerbsbedingungen vorrangig behandeln, damit wir die Liberalisierung des Europamarktes anschließend bewältigen können.Ich muß allerdings an die Adresse der CSU auch sagen: Ich muß Äußerungen, wie der Herr Friedrich sie gestern von sich gegeben hat,
ein Europaabgeordneter, ein Abgeordneter im Europaparlament, der diese Bundesregierung und diesen Bundeswirtschaftsminister beschimpft hat, er habe seine Hausaufgaben nicht gemacht, als unverschämt zurückweisen, weil das nicht stimmt. Wir haben diese Dinge in vielen Veranstaltungen bewältigt.
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 73. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 20. April 1988 4919
Grünbeck— Wenn Sie solche Äußerungen über Ihren Parteivorsitzenden zulassen, sind Sie selber schuld. Ich lasse sie nicht zu.
Lassen Sie mich zum Schluß noch eines sagen. Wenn man sich überlegt, wohin die Bewegung in Ost und West eigentlich geht, stellt man fest: Wir haben eine ganz starke Liberalisierungstendenz in der Wirtschaft von China über die Sowjetunion bis in die Balkanstaaten. Sie alle haben erkannt, daß staatlich-dirigistische Wirtschaft nicht funktioniert und sich zum Nachteil des Bürgers auswirkt. Aber bei uns will man ein erfolgreiches System verlassen und immer mehr Staat in die wirtschaftlichen Mechanismen einschalten. Ich glaube, wir alle sind aufgerufen, die Soziale Marktwirtschaft neu zu beleben und sich zu ihr zu bekennen. Der Mittelstand war immer ein Partner der Sozialen Marktwirtschaft und wird es bleiben.Herzlichen Dank.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Sellin.
— Alles in Ordnung, der Präsident paßt auf.
Die Diskussion um die Wochenarbeitszeitverkürzung und den Umfang des Lohnausgleichs zeigt das Bedürfnis, sich eben nicht mit 2,5 Millionen registrierten Arbeitslosen abzufinden und die Perspektivlosigkeit der Regierungspolitik nicht einfach zur Kenntnis zu nehmen. Die Vorschläge von Herrn Lafontaine liegen quer zu der etablierten Verhaltensweise, sich in der Misere einzurichten. Die Ergebnisse, die zusätzlich durch Fehlsteuerung der Steuerreform ausgelöst werden, hat die Debatte um eine beschleunigte Arbeitszeitverkürzung und Einkommensumverteilung vorweggenommen. Das ist der Vorteil dieser Diskussion.
Der schwerwiegende Nachteil ist, daß die Umverteilungsergebnisse von fünf Jahren CDU/CSU-FDP-
Koalition zum akzeptierten Ausgangsniveau dieser Arbeitszeitdiskussion gemacht wurden. Herr Lafontaine lenkt bewußt davon ab, daß seine Vorstellung zur Arbeitszeitverkürzung ohne vollen Lohnausgleich — er hat ja die Forderung veröffentlicht: voller Lohnausgleich bis zur Besoldungsgruppe A 8 — in erster Linie öffentliche Haushaltspolitik des Saarlands ist und im Prinzip den Arbeitslosen nicht zugute kommt. Daher muß unsererseits ein Interesse bestehen, in die Einkommensverteilungsdiskussion einzusteigen und klar herauszuarbeiten, welche Nachteile dadurch entstanden sind, daß der öffentliche Dienst über viele Jahre hin Prozentforderungen durchgesetzt und nicht mit Festbeträgen als Einkommensstrategie und damit verbundener Arbeitszeitverkürzungsstrategie gearbeitet hat.
Es geht also darum, sich zu fragen, bis zu welcher Lohngruppe bzw. Gehaltsgruppe man den vollen Lohnausgleich vertreten will. Es geht nicht an, wie es
Herr Lafontaine will, dies nur auf den einfachen Dienst zu erstrecken. Vielmehr muß auf jeden Fall der gehobene Dienst einbezogen werden. Bei einer beschleunigten Arbeitszeitverkürzung kann im öffentlichen Dienst allenfalls der höhere Dienst ab Vergütungsgruppe II a bzw. Besoldungsgruppe A 13 nicht in den vollen Lohnausgleich einbezogen werden. Und hier geht es dann fiskalpolitisch nicht mehr auf. Dann kann man nur noch im Rahmen der Steuerreform darüber diskutieren, ob ein progressiver Einkommensteuertarif zur Finanzierung solch einer beschleunigten Arbeitszeitverkürzungsstrategie eingesetzt wird. Es kann keine reine Fiskalpolitik betrieben werden, wie es der saarländische Ministerpräsident vorgetragen hat.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Schwörer.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Herr Ehrenberg wollte Jahreszahlen haben. Ich kann sie ihm geben. Eines der Flaggschiffe unserer deutschen Wirtschaft hat sie vor einigen Tagen herausgegeben, nämlich die Investitionsgüterindustrie. Sie hat gesagt, daß sie im Jahr 1987 3,4 % mehr Umsatz hatte als 1986 und daß sie — was mich besonders freut —35 000 zusätzliche Arbeitsplätze einrichtete,
daß sich die Auftragszahlen jetzt in der gleichen Weise bewegen, vor allem im Ausland, und daß sich diese Tendenz fortsetzt. Das ist kein Ausreißer, sondern eine Jahreszahl, Herr Jens.
Das ist eine großartige Leistung dieses Wirtschaftszweigs trotz Dollarverfall und Börsensturz. Ich muß sagen, sicher hat auch unser Bundesfinanzminister durch seine vielfältigen Bemühungen, den Dollarkurs zu stabilisieren, dazu beigetragen, daß die Exportwirtschaft kalkulieren und noch liefern konnte.
Die Exporterfolge sind aber auch ein Ergebnis und Zeichen der großen Anpassungsfähigkeit unserer deutschen Produktionsunternehmen. Sie stellen der verläßlichen Arbeit unserer Arbeitnehmer, dem Ideenreichtum unserer Konstrukteure und der vorausschauenden und risikoreichen Geschäftspolitik unserer Unternehmer ein gutes Zeugnis aus.
In dem weltweiten Wettbewerb werden sie auch in Zukunft bestehen können, Herr Kollege Ehrenberg
— eine bessere können sie gar nicht mehr kriegen —,weil sie weiter Problemlösungen und modernen Standard anbieten können. Dies ist eine der positiven Sei-
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Dr. Schwörerten des Industriestandorts Bundesrepublik Deutschland. Ich will aber nicht verschweigen, daß es auch negative Seiten gibt, z. B. überhöhte Kostenbelastung durch Steuern, durch Abgaben aller Art, durch bürokratische Hemmnisse.
Um den großen Einsatz unserer Arbeitnehmer und Unternehmer entsprechend zu honorieren, Herr Bundesfinanzminister, und um auch die Arbeitsplätze in Deutschland zu sichern, sind wir, Bundestag und Bundesregierung, aufgerufen, dort, wo wir tätig werden können, z. B. bei der Steuer- und Gesundheitsreform, die Kostenbelastung der deutschen Wirtschaft zu mildern. Hier unterstütze ich voll, was Präsident Dr. Nek-ker gestern in Hannover gesagt hat, als er einen Pakt von Politik, Gewerkschaften und Unternehmern zugunsten des Standortes Bundesrepublik Deutschland forderte.Besondere Bedeutung hat der Bundeskanzler gestern in Hannover dem europäischen Raum zugemessen. Wir wissen, daß dorthin unsere meisten Exporte gehen. Wir sind ganz sicher, der Binnenmarkt wird weitere Wachstumsimpulse bringen.
Er wird vor allem die kleineren und mittleren Unternehmen von Hemmnissen und Zusatzkosten entlasten, die die heutigen Grenzen noch mit sich bringen.
Dazu werden bis 1992 die Grenzkontrollen völlig beseitigt. Herr Kollege Roth, die Grenzkontrollen müssen völlig beseitigt werden, die Handelshemmnisse müssen abgebaut werden.
Weiter: Es muß eine Angleichung der nationalen Normen und der technischen Anforderungen zustandekommen. Der Kapitalverkehr muß liberalisiert werden. Der Herr Bundesminister Stoltenberg weiß das, wir sind dran. Die Freiheit des Dienstleistungsverkehrs und die Freiheit der Niederlassung müssen erreicht werden, besonders auch bei den Finanzdienstleistungen einschließlich der Versicherungen.Auch die Verkehrspolitik wird harmonisiert und liberalisiert werden müssen, um in der Gemeinschaft einen günstigen Warenaustausch zu ermöglichen. Das Schwierigste wird die Steuerharmonisierung sein. Darüber sind wir uns im klaren. Aber auch sie wird Schritt für Schritt vorankommen. Erst wenn die fiskalischen Belastungen in etwa gleich sind, können wir von einem wirklichen europäischen gemeinsamen Markt reden.Alle diese Gesetzgebungsvorhaben sind nun im europäischen Bereich auf den Weg gebracht. Die Wirtschaft kann darauf vertrauen, daß sich mit dem einheitlichen europäischen Markt die Wettbewerbssituation Europas gegenüber den Konkurrenten USA und Japan verbessert und daß damit auch in den kommenden Jahren ein Wachstum der Wirtschaft, die Erhaltung und Schaffung von Arbeitsplätzen und damit ein wachsender Wohlstand für die Bürger der Gemeinschaft gesichert werden kann. Es gibt Grund zum Optimismus, darüber sollte sich auch die Opposition freuen.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Mitzscherling.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Es ist schon bemerkenswert, was wir heute erleben. Da klammert sich eine Regierungskoalition an den Strohhalm einer seit zwei Wochen bekannten Statistik, um in einer Aktuellen Stunde eine Wachstumsbeschleunigung zu dokumentieren.
Herr Stoltenberg hatte das auch getan, als er zur IMF-Tagung nach Washington fuhr, und hatte von einem nunmehr erreichten Wachstumstrend von mehr als zwei Prozent gesprochen. Doch er ist prompt dementiert worden. Der Deutsche Industrie- und Handelstag blieb wegen der Unsicherheit über die künftige Währungs- und Wechselkurssituation bei seiner niedrigeren Wachstumsannahme.
Auch das Wirtschaftsministerium bezweifelte den Optimismus des Herrn Bundesfinanzministers und erklärte, dessen Einschätzung sei mit dem Wirtschaftsministerium nicht abgestimmt gewesen und werde auch in der Sache nicht geteilt — so der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" entnommen.Vor einer Woche nun verhagelten dann die neuen Negativzahlen der US-Handelsbilanz die Stimmung der Teilnehmer an der IMF-Frühjahrstagung, der Dollar sackte auf 1,66 DM ab.Neue Erkenntnisse liegen seitdem nicht vor, aber der Bundeskanzler eröffnete mit einer optimistischen Rede die Messe in Hannover. Dagegen ist auch überhaupt nichts einzuwenden, denn ein gutes Messeklima wollen ja alle, Verkäufer, Käufer, Interessenten, Besucher und natürlich auch die Politiker. Wir alle — Sie, wir auch — wollen ein stärkeres wirtschaftliches Wachstum, damit neue Arbeitsplätze entstehen und damit die Arbeitslosigkeit abgebaut werden kann.Deshalb müssen wir als Politiker unseren Beitrag leisten nach einer nüchternen Analyse dessen, was ist. Voreilige Kommentare bei monatlichen Veränderungen sind hierzu kaum geeignet. Vor allem sollten Sie sich davor hüten, die Konjunktur Kochzureden, um wirtschaftspolitischen Handlungsbedarf weiter negieren zu können. Bleiben Sie auf dem Teppich einer ungeschönten Bestandsaufnahme!
Diese ergibt, Herr Hinsken, daß wir allein aus statistischen Gründen, nämlich des Überhangs und be-
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Dr. Mitzscherlingstimmte Arbeitstagseffekte in diesem Jahr, ein gesamtwirtschaftliches Wachstum von 1,5 % sozusagen in der Tasche haben. Es darf durchaus etwas mehr werden, aber auch die soeben veröffentlichten Prognosen des Internationalen Währungsfonds erwarten für die Bundesrepublik für dieses und für das nächste Jahr 1,7 %, ähnlich die OECD. Damit bilden wir mit Frankreich zusammen für dieses und nächstes Jahr die Schlußlichter unter den Industrieländern.Viel wird sich daran nicht ändern. Der Staatsverbrauch ist schätzbar; wir kennen es an Hand der uns vorliegenden Zahlen. Auch der private Verbrauch ist annähernd abzugreifen; auch hier sind die Aggregate im Kreislaufzusammenhang zu werten. Über den Investitionszuwachs angesichts der Investitionsgüterauftragsvermehrung zu spekulieren, halte ich für zu verfrüht. Hier kann man — das hat der Bundeskanzler getan — appellieren. Es bleiben der Lageraufbau und der Außenbeitrag. Die Vorratsinvestition, der Lageraufbau, war im letzten Jahr besonders hoch. Er lag real bei immerhin 9 Milliarden DM, das Ifo-Institut schätzt für dieses Jahr 2 Milliarden DM.Sie hoffen nun im Stillen, daß die Ausfuhren besser laufen als erwartet, und Herr Schwörer hat die Anpassungsfähigkeit der deutschen Exportwirtschaft gelobt. Man kann ihm nur zustimmen; offensichtlich sind diese Anpassungsmöglichkeiten stärker als oftmals von uns eingeschätzt. Wenn sich aus diesen Ergebnissen tatsächlich ein Trend zu wiederum höheren Ausfuhren ergeben sollte, mag das zu einem leicht höheren Wachstum führen.Nur, meine Damen und Herren, jubeln Sie nicht zu früh: Wenn das US-Handelsbilanzdefizit — Herr Sellin hat darauf hingewiesen — erneut zu einem Leistungsbilanzdefizit der USA von über 140 Milliarden Dollar führt und wir auch 1988 abermals mit einem großen Außenhandelsüberschuß abschließen, ergeben sich folgende Konsequenzen: Der Kurs des US-Dollar dürfte weiter sinken, es drohen in den USA Inflation und Zinssteigerung, die Finanzierung des US-Leistungsbilanzdefizites wird noch problematischer, die protektionistischen Tendenzen werden sich verschärfen. In der EG werden diese Überschüsse, die wir dann jetzt erzielen, seitens unserer EG-Partner den Druck auf eine Aufwertung der D-Mark wachsen lassen.Deshalb, meine Damen und Herren von den Koalitionsfraktionen, ist kein Anlaß zum Jubilieren. Sie sollten bedenken, es führt kein Weg daran vorbei, eine stärker binnenwirtschaftlich orientierte Wachstumsstrategie zu fahren, mehr zu importieren und damit zum Abbau der weltweiten Handelsungleichgewichte beizutragen. Wir haben unsere Vorstellungen dazu entwickelt. Dazu zählt auch eine kooperative Wachstumsstrategie in Europa. Ich glaube, Sie sollten die heutige Aktuelle Stunde zum Anlaß nehmen, auch diese Bemerkungen, nicht im Sinne bewußten Miesmachens, sondern einer nüchternen Bestandsaufnahme, mit nach Hause zu nehmen.Ich bedanke mich.
Das Wort hat der Abgeordnete Börnsen .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn Sachkenner sagen, daß 50 % der Wirtschaftsdynamik von der Stimmungslage abhängig sind, dann sind Zeitpunkt und Zielsetzung dieser Aktuellen Stunde zutreffend gewählt.
Schubkraft, um einen positiven Trend zu verstärken, ist gefragt und nicht kleinkarierte Mäkelei, auch nicht die Dauerstrategie, die hohe Arbeitslosigkeit als Fallbeil einer angeblich verfehlten Wirtschaftspolitik zu mißbrauchen. Ihr Abbau tut not — da gibt es keine Frage — , aber alleinbestimmender Gradmesser für Politikqualität kann sie nicht sein.Die Sicherung und der Ausbau gesamtvolkswirtschaftlicher Leistung haben Vorrang. Hier haben Wirtschafts- und Finanzminister und Regierung für einen geordneten Aufschwung in Stabilität gesorgt.Das Wirtschaftswachstum geht jetzt in das sechste Jahr, die Preisstabilität geht in das sechste Jahr, der Beschäftigungszuwachs geht mit einer Dreiviertelmillion neuer Arbeitsplätze in das sechste Jahr. Arbeitsplätze sind geschaffen worden. Wir gehen in das sechste Jahr real steigender Löhne und auch real steigender Renten.
— Das trifft nicht zu.Im sechsten Jahr steigt das frei verfügbare Einkommen. Die Zinsen gehen zurück, und auch bei der Inflationsrate haben wir jetzt im sechsten Jahr kein Thema mehr zu bestellen.Dieser Erfolg beruht letzten Endes auf der Schaffenskraft von Millionen fleißigen, zuverlässigen und einsatzbereiten Frauen und Männern unserer Republik, auf der Dynamik einer zuversichtlichen Wirtschaft, durchweg verantwortungsbewußten Tarifpartnern und wird getragen von einer Wirtschaftspolitik, die Stetigkeit, Berechenbarkeit und Reformbereitschaft deutlich macht.Wenn wir heute Dauerarbeitslosigkeit, Belastungen für die Leistungsbereiten und überholte Strukturen in manchen Regionen unseres Landes beklagen, dann sind diese Klagen zu einem erheblichen Teil auf die Reformverweigerung der 70er Jahre zurückzuführen. Wer Wachstum verdammte, Technikfeindlichkeit praktizierte und für eine konservierende Wirtschaftspolitik plädierte, der hat nicht Sturm, sondern starre Strukturen geerntet.
Wer qualifiziertes Wirtschaftswachstum mit der Perspektive für die 90er Jahre will, der kann es nur durch mehr Marktöffnung, mehr Privatisierung und mehr Deregulierung erreichen, mehr über Reformen bei Steuern, Renten und im Gesundheitswesen. Das sichert anhaltende Kaufkraft, garantiert angemessene
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Börnsen
Altersversorgung und stoppt — wie im Gesundheitswesen — eine Kostenlawine, die jede Wirtschaftsbelebung erdrücken könnte. Aber gerade Wachstum mit dem Gütesiegel der Qualität ist gefragt. Davon abhängig sind die soziale Sicherung, der Abbau der Arbeitslosigkeit und die Aufgabenbewältigung im Umweltschutz.Diese Regierung hält ihren Kurs. Hinzu kommt ihre Konsequenz bei der größten Steuerreform in der Geschichte unseres Landes und bei der Schaffung des europäischen Binnenmarkts.Eine solche Politik schafft positive Perspektiven, Vertrauen und ermutigt die Unternehmen zum Handeln. Die neuesten Daten stützen diese Einschätzung.
Trotz Börseneinbrüche, Dollarsturz und Schwarzmalerei selbsternannter Krisenpropheten hat unsere Wirtschaft wieder Tritt gefaßt. Sie hat die Herausforderung des Herbstes bestanden. Wirtschaftswachstum ist garantiert. Im Investitionsgütergewerbe liegen deutliche Auftragszuwächse vor. In manchem Bundesland ist diese Aufwärtsentwicklung ganz klar spürbar geworden.Für 1988 prognostizieren die deutschen Volks- und Raiffeisenbanken einen Einkommenszuwachs von 50 Milliarden DM, ausgelöst durch Steuerreform und Tarifabschlüsse. Die Sparmentalität, sagen sie, geht zurück. Sie weicht einer aufgeschlossenen Kauf- und Investitionsbereitschaft. Preisstabilität, Niedrigzinsen und Steuersenkung lassen dieses Jahr 1988 vielleicht zu einem goldenen Jahr für den Verbraucher werden. Ist das nichts?
Doch dieses Jahr erhält erst dann seine besondere Qualität, wenn auch die Unternehmen, auch die Großen unter ihnen, zu einer neuen Investitionsoffensive starten. Das muß sein. Arbeit müssen wir schaffen, Vollbeschäftigung und eine Aufforderung an die Unternehmen, mit dafür zu sorgen, aus moralischer, staatspolitischer und ökonomischer Verantwortung.Danke schön.
Das Wort hat der Abgeordnete Roth.
Meine Damen und Herren! Ich habe jetzt nicht vor, die SPD-Rednerkarte zur Wirtschaftspolitik für den schleswig-holsteinischen Landtagswahlkampf zu verlesen, nachdem wir gerade die CDU-Rednerkarte unverfälscht und ohne Hinzufügungen und Auslassungen gehört haben; ich will viel mehr ein paar Bemerkungen zu unserer wirtschaftlichen Lage und zu den Problemen machen.Ich war sehr unglücklich, Herr Minister, daß diese Aktuelle Stunde heute stattfinden mußte. Ich war gestern abend bei der Eröffnung der Hannover-Messe und wollte heute nun den ganzen Tag lang mit Betroffenen Ihrer Wirtschaftspolitik reden, mit Managern und Unternehmensleitungen. Ich mußte diesen Be-such abbrechen, weil ich Ihnen doch die Ehre geben wollte. Es wäre für uns beide besser gewesen, wenn wir, statt hier theoretisch zu reden, dort mit den Praktikern gesprochen hätten; mir wäre es lieber gewesen.
Aber lassen wir das beiseite.Für mich ist eigentlich grotesk, daß Sie plötzlich wegen einer Monatszahl bei den Auftragseingängen versuchen,
das ganze Problembewußtsein zu verdrängen.Sehen Sie, ich nenne Ihnen ein Beispiel. Ich war selber erstaunt: 38 % Zuwachs bei den Auslandsaufträgen beim Maschinenbau im Februar. Ich dachte, da ist ja etwas Tolles im Gange. Dann habe ich den VDMA angerufen und habe gefragt: Was steckt denn dahinter? So einen Ausreißer gibt es ja nicht in der Statistik; das wissen wir alle; da muß etwas Spezifisches dahinterstecken. Dahinter steckt, daß der Pressezar Murdoch auf einen Schlag in einem Monat bei Roland für all seine Zeitungen gleichzeitig neue Druckmaschinen bestellt hat, was natürlich über einen langen Zeitraum sehr positiv ist, was mich beruhigt und was ich gut finde. Nur, es ist kein konjunkturelles Datum, das irgendwelche Aufschlüsse über die Zukunft ermöglicht.
Es bleiben doch vier Punkte in Ihrer Wirtschaftspolitik zurück, die ungeklärt sind.Erstens. Aus der Bundesrepublik Deutschland wird mehr Kapital transferiert als jemals zuvor, und das Kapital wird nicht im eigenen Lande investiert. 40 der Ersparnisse der Bundesrepublik Deutschland sind im letzten Jahr ins Ausland transferiert worden. Im Jahre 1982 waren es 6 % unserer Ersparnisse.Ein zweiter Punkt — und er hängt mit dem ersten zusammen — : Trotz der Gewinnexplosion in den letzten Jahren — und das war es, auch gemessen an früheren Konjunkturen — ist der nationale Investitionsmotor nicht wirklich angesprungen.Das hat zur Folge — das ist mein dritter Punkt —, daß unser Kapitalstock veraltet. Wir produzieren zwar zur Zeit noch einigermaßen gut. Zum Glück ist ja auch die Nachfrageseite über die Löhne verstärkt worden; die Tarifabschlüsse waren im letzten Jahr nicht so schlecht.
Aber eine wirkliche Erneuerung unseres Kapitalstocks findet trotz enorm gestiegener Gewinne nicht statt. Das ist ein gefährliches Zeichen.Sie selber, meine Damen und Herren, fangen ja jetzt die Diskussion an, zum Industriestandort Bundesrepublik Deutschland.
Wissen Sie, Herr Vorredner, weil Sie die siebziger Jahre erwähnt haben: Die FDP stellt den Wirtschafts-
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Rothminister der Bundesrepublik Deutschland, wenn ich mich recht erinnere, seit dem Jahre 1974.
Jetzt beklagen Sie die Nachteile des Industriestandortes Bundesrepublik Deutschland. Diejenigen, die für ihn verantwortlich sind, sind jetzt die größten Selbstankläger; das ist eine groteske Entwicklung.Ein letzter Punkt: die Verfestigung der Massenarbeitslosigkeit. Herr Bangemann und Herr Haussmann, als wir 1982 in Scheidung gelebt haben, haben Sie hier Reden gehalten über die Entwicklung des Arbeitsmarktes und haben der CDU zugestimmt, daß es im Jahre 1985 eine Million weniger geben werde. Wir sind jetzt, wie Sie gesagt haben, im sechsten Jahr einer konjunkturellen Erholung, einer nicht sehr prächtigen, aber immerhin einer Erholung, und die Arbeitslosigkeit ist verfestigter denn je; das ist die Realität, und darüber sollten Sie mit uns streiten. Dann hätte eine Aktuelle Stunde auch tatsächlich Sinn, meine Damen und Herren. Diese hatte jedenfalls nur den Sinn einer Propaganda für Schleswig-Holstein. Plötzlich durfte auch einer reden, den ich im Wirtschaftsausschuß noch nie gesehen habe.
Er kommt nämlich aus Schleswig-Holstein. So ordentlich ist das.Vielen Dank.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Lippold.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Roth, wenn Sie den Herrn Börnsen nicht kennen, müssen Sie in den Wirtschaftsausschuß kommen. Dann würden Sie ihn kennenlernen. Das wäre eine hervorragende Sache. Da bekämen Sie auch einiges mehr von der wirtschaftspolitischen Diskussion mit.
Ich darf mich ganz kurz mit den Ausführungen wirtschaftspolitischer Sprecher der SPD auseinandersetzen. Ich nehme den Jahreswirtschaftsbericht hinzu. Da habe ich mir überlegt, ob ich das, was von Ihnen immer verlautbart wird, Kassandrarufe nenne. Ich bin zu dem Ergebnis gekommen: Das kann ich nicht tun. Erstens lassen Sie immer, trotz aller Quotenregelungen, nur Frauen zu wirtschaftlichen Fragen sprechen. Und zweitens hatte Kassandra als trojanische Seherin ja recht mit ihrer Vorhersage, während wir Ihnen nachweisen, daß Sie Punkt für Punkt falsch liegen.Der zweite Punkt ist — wir ziehen nämlich dann die Konsequenzen daraus; ich darf etwas anders formulieren als Sie, Herr Minister —, daß wir heute ein neues Kapitel der Qualifizierungsoffensive auf gegriffen haben. Wir üben mit Ihnen jetzt wirtschaftspolitische Fakten.
Sie zitieren dann, wenn es Ihnen richtig erscheint, das Institut der Deutschen Wirtschaft, mit Negativdaten, mit Negativzahlen. Aber die Einschätzung sieht wie folgt aus: Der konjunkturelle Einstieg in dieses Jahr ist ermutigend. Das Geschäftsklima entwickelt sich freundlicher. Die Konjunkturerwartungen für 1988 insgesamt hellen sich auf. Produktionsentwicklung und Auftragseingänge erhellen das Bild mehr. — Das ist Aussage der Wirtschaft. Das ist Aussage des Bundesverbandes der Deutschen Industrie. Das wird geteilt von der BDA. Das wird geteilt vom Handwerk, der Versicherungswirtschaft, vom Einzelhandel, vom Groß- und Außenhandel. Alle sind also bereit, willens und in der Lage, aus den vorliegenden Fakten zu lernen und ihre Einschätzung zu korrigieren. — Jetzt frage ich mich natürlich: Warum ist das bei Ihnen nicht möglich?
Warum müssen Sie bei dem bleiben, was Sie seinerzeit gesagt haben? Ich meine — wir wollen uns da nichts vormachen — , da hilft auch nicht, Herr Ehrenberg, daß Sie uns Unwahrheit vorwerfen, aber die Fakten schuldig bleiben.Unehrlichkeit — ich sage es ganz offen — ist ein Vorwurf, der uns tief trifft. Sie haben gesagt, die Fakten stimmten nicht, die Zahl liege um 150 000 niedriger. Ich darf die offizielle Statistik, auch Ihnen zugänglich, zitieren: Oktober 1983, Stand der Beschäftigung: 25 295 000, Februar 1988: 26 050 000, macht, ohne Hinzuziehung eines Taschenrechners, ein Plus von 755 000 Beschäftigten.
— Ich stelle fest, Herr Ehrenberg, daß von dem Tiefpunkt aus die Aussagen des Wirtschaftsministers richtig sind,
daß Sie statistische Spielereien machen;
denn das, was ich gesagt habe, sind saisonbereinigte Zahlen. — Wir könnten jetzt auf das Kapitel Statistik ganz ausführlich eingehen, nur auch dann würden Sie feststellen, daß das nicht gerechtfertigt ist.Ich bleibe noch bei den Aussagen von vorhin. Ich stelle fest, daß Herr Roth seinerzeit gesagt hat: Optimismus ist recht und gut. Aber Realitätsverlust ist nicht Optimismus. Ich sage Ihnen noch mal ganz klar und deutlich, Herr Roth: Das, was ich vorhin zitiert habe, ist Aussage der Wirtschaft.
Vielleicht sollten Sie sich bei den noch anstehenden Gesprächen auf der Hannover-Messe hiermit mal ganz deutlich auseinandersetzen.
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Dr. Lippold
Ein weiterer Punkt, Herr Roth — ich zitiere noch mal — : Was ist das für eine Politik? Ihre Politik hat die Massenkaufkraft geschwächt. —Jetzt können Sie bei den Wirtschaftsforschungsinstituten nachfragen, Sie können bei der Bundesbank nachfragen, die ja eine unabhängige Institution ist, und alle miteinander, übrigens auch der Handel, werden Ihnen nichts anderes sagen, als daß eine der wesentlichen Stützen der konjunkturellen Entwicklung der private Verbrauch ist. Herr Roth, wie kommen Sie dazu, hier zu behaupten, wir hätten die Massenkaufkraft geschwächt, wenn nicht einmal die politische Aussage der Union, sondern die Aussage aller Sachverständigen in diesem Bereich ist, daß genau das Gegenteil der Fall ist?
Ich könnte noch eine ganze Reihe falscher Zitate bringen, ich könnte eine ganze Reihe falscher Angaben bringen, aber die Zeit ist leider abgelaufen.
Der Punkt ist: Die Grundlinien dieser Politik, auf Stetigkeit ausgerichtet, haben dazu geführt, daß wir die am längsten anhaltende Wachstumsperiode haben, daß diese Regierung nicht auf Formulierungen wie „Nullwachstum" oder „Minuswachstum" zurückgreifen muß, sondern daß wir klar sagen können: Wenn wir „Wachstum sagen", meinen wir Wachstum.Ich danke Ihnen.
Meine Damen und Herren, die Aktuelle Stunde ist beendet. Wir sind damit am Schluß unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 21. April 1988, 9 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.