Protokoll:
11055

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 11

  • date_rangeSitzungsnummer: 55

  • date_rangeDatum: 21. Januar 1988

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 09:01 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 20:04 Uhr

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 11/55 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 55. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 21. Januar 1988 Inhalt: Erweiterung der Tagesordnung 3777 A Zur Geschäftsordnung Kleinert (Marburg) GRÜNE 3777 B Bohl CDU/CSU 3778 B Bachmaier SPD 3778 D Wolfgramm (Göttingen) FDP 3779 B Tagesordnungspunkt 2: a) Beratung des Antrags der Fraktion der CDU/CSU und FDP: Einsetzung eines Untersuchungsausschusses (Drucksache 11/1680) b) Beratung des Antrags der Fraktion der SPD: Einsetzung eines Untersuchungsausschusses (Drucksache 11/1683) c) Beratung des Antrags der Fraktion DIE GRÜNEN: Einsetzung eines Untersuchungsausschusses (Drucksache 11/1681 [neu]) Dr. Langner CDU/CSU 3779 C Schäfer (Offenburg) SPD 3781 D Baum FDP 3785 B Dr. Daniels (Regensburg) GRÜNE . . . . 3788 A Bohl CDU/CSU 3789 B Präsident Dr. Jenninger 3789A, 3791D Tagesordnungspunkt 3: Beratung des Antrags der Fraktion der SPD: Politische Bildung (Drucksache 11/1573) in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 1: Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Miltner, Daweke, Graf von WaldburgZeil, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Neuhausen, Richter, Dr. Thomae, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Auftrag der politischen Bildung in der Demokratie (Drucksache 11/1689) Frau Dr. Hamm-Brücher FDP (zur GO) 3792C, 3796C Jahn (Marburg) SPD (zur GO) . . 3793D, 3796D Bohl CDU/CSU (zur GO) 3794 B Kleinert (Marburg) GRÜNE (zur GO) . . 3795B Weisskirchen (Wiesloch) SPD 3797 A Daweke CDU/CSU 3800 D Frau Hillerich GRÜNE 3803D, 3819C Neuhausen FDP 3806 D Frau Dr. Niehuis SPD 3808 B Krey CDU/CSU 3812A Dr. Lippelt (Hannover) GRÜNE 3814 B Richter FDP 3814 D Dr. Waffenschmidt, Parl. Staatssekretär BMI 3815D Kretkowski SPD 3818B Daweke CDU/CSU (zur GO) 3819 D Kuhlwein SPD (zur GO) 3820 A Zusatztagesordnungspunkt 3: Aktuelle Stunde betr. Verhalten der Bundesregierung bei der Aufklärung der Veräußerung von Konstruktionsunterlagen für U-Boote an Südafrika — die Rollen des Auswärtigen Amtes, des Bundesverteidigungsministeriums, des Bundeswirtschaftsministeriums und des Bundesfinanzministeriums II Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 55. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. Januar 1988 Frau Eid GRÜNE 3837B, 3841 C Bohl CDU/CSU 3838 B Dr. Struck SPD 3839 C Frau Seiler-Albring FDP 3840 C Eylmann CDU/CSU 3842 A Stobbe SPD 3843 A Dr. Stoltenberg, Bundesminister BMF . 3844 A Verheugen SPD 3845 D Lowack CDU/CSU 3846 C Gansel SPD 3847 D Börnsen (Bönstrup) CDU/CSU 3848 D Frau Eid GRÜNE (Erklärung nach § 30 GO) 3849 D Eylmann CDU/CSU (Erklärung nach § 30 GO) 3850 A Tagesordnungspunkt 6: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Pflichtversicherungsgesetzes (Drucksachen 11/677, 11/1661) 3850B Tagesordnungspunkt 7: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Europawahlgesetzes (Drucksache 11/1557) 3850 C Tagesordnungspunkt 8: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Zusatzvertrag vom 21. Oktober 1986 zum Auslieferungsvertrag vom 20. Juni 1978 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika (Drucksache 11/1610) 3850 C Tagesordnungspunkt 9: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 10. April 1984 über den Beitritt der Republik Griechenland zu dem am 19. Juni 1980 in Rom zur Unterzeichnung aufgelegten Übereinkommens über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Drucksache 11/1611) 3850C Zusatztagesordnungspunkt 2: Beratung des Antrags der Abgeordneten Charlotte Garbe und der Fraktion DIE GRÜNEN: Maßnahmen zum Schutz vor Gesundheits- und Umweltgefahren durch Perchloräthylen und andere chlorierte Kohlenwasserstoffe (Drucksache 11/1673) 3850 C Tagesordnungspunkt 10: Beratung der ersten Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau zu dem Antrag der Fraktion der SPD: Bauschäden zu dem Antrag der Abgeordneten Dr.-Ing. Kansy, Ruf, Dr. Vondran, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Grünbeck, Nolting, Zywietz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Bauwerkschäden (Drucksachen 11/343, 11/798, 11/1652) 3851 A Tagesordnungspunkt 11: Beratung der Sammelübersichten 38 und 39 des Petitionsausschusses über Anträge zu Petitionen (Drucksachen 11/1636, 11/1637) 3851 B Tagesordnungspunkt 4: a) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Änderung der Richtlinie 71/305/EWG über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge (Drucksachen 11/442, 11/1653) b) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Vorschlag für eine Richtlinie des Rates bezüglich der Annäherung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten betreffend die Bauprodukte (Drucksachen 11/443, 11/1654) Ruf CDU/CSU 3851 D Conradi SPD 3853 B Zywietz FDP 3854 C Frau Teubner GRÜNE 3855 C Tagesordnungspunkt 5: Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Bericht der Bundesregierung über alle nationalen und internationalen Regelungen, in denen Tierversuche vorgeschrieben und vorgesehen sind, sowie Maßnahmen zur Einschränkung entsprechender Tierversuche (Drucksachen 11/5892, 11/1459) Dr. von Geldern, Parl. Staatssekretär BML 3856 C Frau Adler SPD 3857 C Bredehorn FDP 3859 B Frau Garbe GRÜNE 3860 B Michels CDU/CSU 3860 D Tagesordnungspunkt 12: Beratung des Antrags der Abgeordneten Duve, Dr. Apel, Dr. Penner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Erhaltung des halben Mehrwertsteuersatzes für Bücher, Zeitungen und Zeitschriften (Drucksache 11/920) Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 55. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. Januar 1988 III Duve SPD 3862A, 3866 C Schulhoff CDU/CSU 3863 A Hüser GRÜNE 3864 B Baum FDP 3865 A Dr. Stoltenberg, Bundesminister BMF . 3866 A Tagesordnungspunkt 13: Beratung des Antrags der Abgeordneten Wüppesahl, Frau Schmidt-Bott und der Fraktion DIE GRÜNEN: Datenspeicherungspraxis beim Bundeskriminalamt hier: Hinweise auf HIV-Infizierte (Drucksache 11/1157) Frau Schmidt-Bott GRÜNE 3867 B Dr. Blens CDU/CSU 3868 D Wartenberg (Berlin) SPD 3870 A Dr. Hirsch FDP 3871D Spranger, Parl. Staatssekretär BMI . . . 3874 B Tagesordnungspunkt 14: Beratung des Antrags der Abgeordneten Stratmann, Frau Kelly, Frau Wollny und der Fraktion DIE GRÜNEN: Öffentliches Gerichtsverfahren für Mordechai Vanunu (Drucksache 11/1474) Stratmann GRÜNE 3875 B Vogel (Ennepetal) CDU/CSU 3876 A Koschnick SPD 3876 C Irmer FDP 3876 D Tagesordnungspunkt 15: Beratung der Sammelübersichten 34 und 37 des Petitionsausschusses über Anträge zu Petitionen (Drucksachen 11/1494, 11/1497) Frau Garbe GRÜNE 3877 D Jung (Limburg) CDU/CSU 3878 B Reuter SPD 3879 B Frau Dr. Segall FDP 3880 B Zumkley SPD 3880 D Kossendey CDU/CSU 3881 B Tagesordnungspunkt 16: Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Innenausschusses zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Entwurf einer Richtlinie des Rates über die gleichzeitige Durchführung der allgemeinen Volkszählungen (Drucksachen 11/138 Nr. 3.3, 11/998) Dr. Blens CDU/CSU 3882 B Frau Hämmerle SPD 3883 A Frau Schmidt-Bott GRÜNE 3884 C Dr. Hirsch FDP 3885 B Fragestunde — Drucksache 11/1657 vom 15. Januar 1988 — Verhinderung der mit DEG-Mitteln vorgesehenen Errichtung eines Hotelkomplexes in der Bucht von Dalyan (Türkei) MdlAnfr 27 15.01.88 Drs 11/1657 Dr. Weng (Gerlingen) FDP Antw PStSekr Dr. Köhler BMZ 3820 D ZusFr Dr. Weng (Gerlingen) FDP . . . 3821A ZusFr Frau Blunck SPD 3821 C Struktur der ministeriellen WEU-Organe MdlAnfr 29 15.01.88 Drs 11/1657 Dr. Soell SPD Antw StMin Schäfer AA 3822 B ZusFr Dr. Soell SPD 3822 B ZusFr Dr. Klejdzinski SPD 3822 D Initiativen des Rats der WEU auf dem Gebiet der Rüstungskontrolle und der Abrüstung MdlAnfr 30 15.01.88 Drs 11/1657 Dr. Soell SPD Antw StMin Schäfer AA 3823 A ZusFr Dr. Soell SPD 3823 B ZusFr Dr. Klejdzinski SPD 3823 D Neustrukturierung der WEU-Organe in Abhängigkeit von einer Regelung der Sitzfrage MdlAnfr 31 15.01.88 Drs 11/1657 Dr. Klejdzinski SPD Antw StMin Schäfer AA 3824 A ZusFr Dr. Klejdzinski SPD 3824 B ZusFr Dr. Soell SPD 3824 D Neubearbeitung des Handbuchs „Gesellschaftliche Daten" MdlAnfr 39, 40 15.01.88 Drs 11/1657 Frau Bulmahn SPD Antw PStSekr Vogt BMA 3825 A ZusFr Frau Bulmahn SPD 3825 B Geringe Bereitschaft von Arbeitgebern, bei gleicher Qualifikation Frauen bevorzugt einzustellen MdlAnfr 42 15.01.88 Drs 11/1657 Frau Dr. Dobberthien SPD Antw PStSekr Vogt BMA 3826 A ZusFr Frau Dr. Dobberthien SPD . . . 3826 B ZusFr Frau Blunck SPD 3826 C ZusFr Frau Bulmahn SPD 3826 D ZusFr Frau Dr. Götte SPD 3827 A IV Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 55. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. Januar 1988 ZusFr Frau Schmidt (Nürnberg) SPD . . . 3827 A ZusFr Dr. Lippelt (Hannover) GRÜNE . 3827 B ZusFr Frau Ganseforth SPD 3827 B Veränderung der Anpassungsstrategien bei der Sicherung der Renten MdlAnfr 43 15.01.88 Drs 11/1657 Werner (Ulm) CDU/CSU Antw PStSekr Vogt BMA 3827 C ZusFr Werner (Ulm) CDU/CSU 3827 C ZusFr Frau Blunck SPD 3827 D ZusFr Frau Schmidt (Nürnberg) SPD . . 3828 A Verbot der Verwendung von DEHP als Weichmacher in PVC-Artikeln, z. B. bei Kinderspielzeug MdlAnfr 47, 48 15.01.88 Drs 11/1657 Frau Blunck SPD Antw PStSekr Pfeifer BMJFFG 3828B, 3830 D ZusFr Frau Blunck SPD 3828D, 3830 D ZusFr Frau Schmidt (Nürnberg) SPD 3829B, 3832 A ZusFr Dr. Lippelt (Hannover) GRÜNE 3829C, 3833 C ZusFr Frau Weyel SPD 3829 D ZusFr Schily GRÜNE 3829D, 3832 D ZusFr Frau Dr. Götte SPD . . . 3830A, 3833 C ZusFr Frau Dr. Dobberthien SPD 3830B, 3834 A ZusFr Frau Ganseforth SPD . . . 3830B, 3832 D ZusFr Frau Garbe GRÜNE . . . 3830C, 3833 B ZusFr Dr. Penner SPD 3832 B ZusFr Frau Teubner GRÜNE 3832 C ZusFr Frau Seidenthal SPD 3833 B ZusFr Frau Bulmahn SPD 3833 D ZusFr Frau Unruh GRÜNE 3834 B Verbot der Verwendung von Schläuchen aus PVC mit DEHP im Klinikbereich MdlAnfr 49, 50 15.01.88 Drs 11/1657 Frau Schmidt (Nürnberg) SPD Antw PStSekr Pfeifer BMJFFG 3834D, 3836A ZusFr Frau Schmidt (Nürnberg) SPD 3835A, 3836 B ZusFr Frau Dr. Götte SPD 3835 B ZusFr Dr. Lippelt (Hannover) GRÜNE . 3835 C ZusFr Frau Blunck SPD 3835 D ZusFr Frau Unruh GRÜNE . . . 3835D, 3837 A ZusFr Frau Garbe GRÜNE 3836 D Nächste Sitzung 3885 D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . 3887* A Anlage 2 Reise des bayerischen Ministerpräsidenten Strauß nach Südafrika MdlAnfr 2, 3 15.01.88 Drs 11/1657 Dr. Schöfberger SPD SchrAntw PStSekr Frau Berger BK . . . . 3887* B Anlage 3 Auflösung oder Umwandlung von Jugendwohnheimen der Bundespost seit 1985; Sonderregelungen für die Unterbringung von Nachwuchskräften MdlAnfr 12, 13 15.01.88 Drs 11/1657 Becker (Nienberge) SPD SchrAntw PStSekr Rawe BMP 3887* D Anlage 4 Objektivierung des Prüfungsverfahrens zur Einstufung der Umweltverträglichkeit von Entwicklungshilfeprojekten des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit; Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung für alle laufenden Projekte MdlAnfr 25, 26 15.01.88 Drs 11/1657 Schanz SPD SchrAntw PStSekr Dr. Köhler BMZ . . . 3887* D Anlage 5 Äußerung des Staatsministers Schäfer über Kontakte zur UNITA gegenüber einer angolanischen Regierungsdelegation MdlAnfr 28 15.01.88 Drs 11/1657 Lowack CDU/CSU SchrAntw StMin Schäfer AA 3888* D Anlage 6 Verwirklichung der von der WEU beschlossenen Zusammenarbeit zwischen Ost und West; Haltung der Bundesregierung zu der kontroversen Frage des Sitzes der WEU MdlAnfr 32, 33 15.01.88 Drs 11/1657 Antretter SPD SchrAntw StMin Schäfer AA 3889* A Anlage 7 Auswirkung von Maßnahmen des Kostendämpfungsprogramms auf Kurorte MdlAnfr 41 15.01.88 Drs 11/1657 Stiegler SPD SchrAntw PStSekr Vogt BMA 3889* C Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 55. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. Januar 1988 V Anlage 8 Überlegung über eine Ablösung der VorneVerteidigung durch eine Vorwärts-Strategie im Bericht der „Kommission für eine integrierte Langzeit-Strategie" MdlAnfr 44 15.01.88 Drs 11/1657 Dr. Feldmann FDP SchrAntw PStSekr Würzbach BMVg . . . 3889* D Anlage 9 Auftragsvergabe im Rahmen des TechnexProgramms 1988 und 1989; Vergabe von Publikationsaufträgen des Bundesministeriums der Verteidigung an den Mönch-Verlag MdlAnfr 45, 46 15.01.88 Drs 11/1657 Frau Fuchs (Verl) SPD SchrAntw PStSekr Würzbach BMVg . . . 3890* A Anlage 10 Konsequenzen aus den Ergebnissen von Untersuchungen über die Aufnahme von DEHP durch Kleinkinder, z. B. bei Benutzung von Eisbeißringen aus Weich-PVC MdlAnfr 52 15.01.88 Drs 11/1657 Frau Dr. Götte SPD SchrAntw PStSekr Pfeifer BMJFFG . . . 3890* C Anlage 11 Verbesserung der Familienförderung MdlAnfr 53 15.01.88 Drs 11/1657 Werner (Ulm) CDU/CSU SchrAntw PStSekr Pfeifer BMJFFG . . . 3890* C Anlage 12 Motivierung der Arbeitgeber zur Frauenförderung und Gleichberechtigung am Arbeitsplatz MdlAnfr 54 15.01.88 Drs 11/1657 Frau Dr. Dobberthien SPD SchrAntw PStSekr Pfeifer BMJFFG . . . 3891* A Anlage 13 Aufhebung der Verschreibungspflicht für Tierarzneimittel gegen Zoonosen und ihre Folgen für die Lebensmittelproduktion MdlAnfr 55 15.01.88 Drs 11/1657 Müller (Schweinfurt) SPD SchrAntw PStSekr Pfeifer BMJFFG . . . 3891* B Anlage 14 Rückbau von Straßen, insbesondere Ortsdurchfahrten, nach Rückgang des Verkehrsaufkommens und dessen Finanzierung MdlAnfr 56, 57 15.01.88 Drs 11/1657 Frau Ganseforth SPD SchrAntw PStSekr Dr. Schulte BMV . . . 3891* C Anlage 15 Eindämmung der Unfallgefahren durch den Schwerlastverkehr in Koblenz-Metternich MdlAnfr 58, 59 15.01.88 Drs 11/1657 Pauli SPD SchrAntw PStSekr Dr. Schulte BMV . . . 3892* B Anlage 16 Rücknahme von in Gorleben lagernden defekten Castor-Behältern durch die Kernkraftwerke; Entscheidung der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt betreffend Transportbehälterlager Gorleben MdlAnfr 60, 61 15.01.88 Drs 11/1657 Dr. Lippelt (Hannover) GRÜNE SchrAntw PStSekr Grüner BMU 3892* D Anlage 17 Vermarktung von mit Cäsium belastetem Wild; Erlaß der Verordnungen Nr. 3954 (EWG-Vertrag) und Nr. 3955 (EURATOM-Vertrag) durch den Rat der EG MdlAnfr 62, 63 15.01.88 Drs 11/1657 Frau Wollny GRÜNE SchrAntw PStSekr Grüner BMU 3893* A Anlage 18 Probebetrieb der Entschwefelungsanlage im Kohlekraftwerk Buschhaus; Einhaltung der Grenzwerte nur bei reduziertem Betrieb MdlAnfr 64, 65 15.01.88 Drs 11/1657 Dr. Hauff SPD SchrAntw PStSekr Grüner BMU 3893* B Anlage 19 Erfüllung der Bundestagsbeschlüsse vom 31. Juli 1984 zur Verbesserung des Umweltschutzes im Zusammenhang mit der Inbetriebnahme des Kohlekraftwerks Buschhaus MdlAnfr 66 15.01.88 Drs 11/1657 Schäfer (Offenburg) SPD SchrAntw PStSekr Grüner BMU 3893* D Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 55. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. Januar 1988 3777 55. Sitzung Bonn, den 21. Januar 1988 Beginn: 9.01 Uhr
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    Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Bötsch 22. 1. Brandt 22. 1. Büchler 21. 1. Büchner (Speyer) 22. 1. Dr. v. Bülow 21. 1. Clemens 22. 1. Egert 22. 1. Dr. Ehrenberg 22. 1. Frau Fischer 21. 1. Dr. Glotz 22. 1. Grünbeck 22. 1. Freiherr Heereman von Zuydtwyck 22. 1. Frau Dr. Hellwig 22. 1. Dr. Hitschler 22. 1. Frau Hoffmann 22. 1. Ibrügger 22. 1. Jansen 21. 1. Klein 22. 1. Kißlinger 22. 1. Kreuzeder 22. 1. Dr. Mahlo 22. 1. Meyer 22. 1. Dr. Möller 22. 1. Petersen 22. 1. Reuschenbach 22. 1. Dr. Schmude 22. 1. Frau Schoppe 21. 1. Steiner 21. 1. Dr. Vondran 21. 1. Vosen 22. 1. Dr. Wernitz 22. 1. Wieczorek (Duisburg) 21. 1. Wischnewski 22. 1. Frau Dr. Wilms 21. 1. Dr. Zimmermann 21. 1. Anlage 2 Antwort des Parl. Staatssekretärs Frau Berger auf die Fragen des Abgeordneten Dr. Schöfberger (SPD) (Drucksache 11/1657 Fragen 2 und 3): Trifft es zu, daß der Bundeskanzler den bayerischen Ministerpräsidenten Strauß gebeten hat, nach Südafrika zu fahren? Ist sich die Bundesregierung sicher, daß der bayerische Ministerpräsident in Südafrika die Südafrika-Politik der Bundesregierung oder des Bundesministers des Auswärtigen vertreten wird, oder muß die Bundesregierung befürchten, daß der bayerische Ministerpräsident in Südafrika eine eigenmächtige Nebenaußenpolitik zu betreiben versucht? Zu Frage 2: Ja. Bundeskanzler Helmut Kohl hat den bayerischen Ministerpräsidenten Franz Josef Strauß gebeten, nach Südafrika und Mosambik zu reisen. Anlagen zum Stenographischen Bericht Zu Frage 3: Die Südafrikapolitik der Bundesregierung ist darauf gerichtet, zu einer friedlichen Überwindung der Rassenkonflikte beizutragen und den hierzu erforderlichen umfassenden Dialog aller politischen Kräfte Südafrikas aktiv zu fördern. Hierin weiß sich die Bundesregierung mit allen Parteien der Regierungskoalition und deren führenden Politikern einig. Ministerpräsident Franz Josef Strauß ist einer der europäischen Politiker, der durch Sachkenntnis und persönliches Ansehen ein wichtiger Gesprächspartner bei weißen, schwarzen und farbigen politischen Führern ist. Er führt keine Regierungsverhandlungen. Sein Ziel ist, in Gesprächen mit Vertretern der Politik und Gewerkschaften einen Beitrag zur friedlichen Entwicklung der Region zu leisten. Die Bundesregierung sieht daher keinen Anlaß, sich an Spekulationen über den Inhalt der Gespräche des bayerischen Ministerpräsidenten in Südafrika zu beteiligen. Anlage 3 Antwort des Parl. Staatssekretärs Rawe auf die Fragen des Abgeordneten Becker (Nienberge) (SPD) (Drucksache 11/1657 Fragen 12 und 13): Wie viele Jugendwohnheime der Deutschen Bundespost wurden seit dem 1. Januar 1985 aufgelöst oder in Wohnheime umgewandelt? Welche Sonderregelungen über die Vorschriften des § 78 Jugendwohlfahrtsgesetz hinaus gelten für die Unterbringung von Nachwuchskräften in den Jugendwohnheimen der Deutschen Bundespost? Im September 1984 gab es bei der Deutschen Bundespost 42 Jugendwohnheime mit 3 705 Heimplätzen; im September 1987 gab es 38 Jugendwohnheime mit 3 406 Heimplätzen. Drei Heime wurden in Wohnheime für Erwachsene umgewandelt, zwei Heime aufgelöst und ein Jugendheim neu eingerichtet. Über den § 78 Jugendwohlfahrtsgesetz hinaus gibt es Bestimmungen für die Unterbringung von Nachwuchskräften in Wohnheimen der Deutschen Bundespost und Jugendwohnheimrichtlinien der Deutschen Bundespost. Die letztgenannten Richtlinien regeln, daß außer Minderjährigen auch junge Nachwuchskräfte und Mitarbeiter im Alter bis 21 Jahre, in Jugendwohnheimen der Deutschen Bundespost untergebracht werden können. Anlage 4 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Köhler auf die Fragen des Abgeordneten Schanz (SPD) (Drucksache 11/1657 Fragen 25 und 26) : 3888* Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 55. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. Januar 1988 Stimmen Sie mit mir darin überein, daß die Umweltkategorien des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit (BMZ) zur Einstufung der Umweltverträglichkeit von Entwicklungshilfevorhaben auch nach der Neubearbeitung durch das BMZ immer noch keine echte Objektivierung des Prüfverfahrens bringen, so daß Validität und Reliabilität nicht gewährleistet sind, und warum wurde die Kategorie U0 von früher „umweltneutral" auf heute „Umweltauswirkungen unerheblich" und die Kategorie U4 von früher „nicht mehr förderungswürdig" auf heute „Belastungen aus heutiger Sicht nicht mehr tragbar" geändert? Können Sie der naheliegenden Annahme folgen, daß damit — jedenfalls am Ziel eines möglichst wirksamen Umweltschutzes gemessen — eine Verwässerung der Kategorien gegeben ist, und welchen technischen, finanziellen und zeitlichen Aufwand würde es bedeuten, alle derzeit laufenden Projekte der Entwicklungshilfe einer Umweltverträglichkeitsprüfung zu unterziehen? Zu Frage 25: Zu den in der Frage enthaltenen Teilfragen und Wertungen ist folgendes festzustellen: 1. Ziel des vom BMZ zum 1. Januar 1988 eingeführten Verfahrens zur Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) von Vorhaben der bilateralen Finanziellen und Technischen Zusammenarbeit ist es, bereits von der Planungs- und Entscheidungsphase an, das Wissen über Umweltwirkungen geplanter Projekte systematisch zu verbessern. Dadurch können durch entsprechende Projektkonzeption oder gezielte Maßnahmen Belastungen verhindert oder auf ein annehmbares Niveau begrenzt werden. Die volle Einbeziehung der UVP in das durch klare Regelungen festgelegte Verfahren der Projektplanung und -steuerung trägt zur Transparenz und damit auch zur Objektivierung wesentlich bei. 2. Die neu bestimmten Kategorien dienen beim jetzigen Verfahren lediglich als Instrument zur Kennzeichnung des aufgrund der UVP festgelegten, umweltbezogenen Handlungsbedarfs bei der Projektdurchführung (z. B. Schutz- und Kontrollmaßnahmen). Sie ermöglichen darüber hinaus eine statistische Erfassung der direkt auf Umwelt- und Ressourcenschutz zielenden Projekte. 3. Die Kategorie U O („Umweltbelastungen unerheblich") kennzeichnet jene Projekte, bei denen die im Rahmen von UVP übliche Erheblichkeitsprüfung ergibt, daß die zu erwartenden Umwelteinflüsse keine besonderen Prüfungen oder Maßnahmen erforderlich machen. Dabei werden die Unterlagen angewendet, die von einer vom BMZ berufenen Sachverständigengruppe in mehrjähriger Tätigkeit erarbeitet wurden. Sie enthalten Kriterienkataloge für über 60 Sektorbereiche, Zusammenstellungen umweltrelevanter Standards, Hinweise für Umweltstudien und einen Katalog von Umweltschutzorganisationen in Entwicklungsländern, was eine nach dem derzeitigen Kenntnisstand bestmögliche Identifizierung und Analyse der potentiellen Umweltwirkungen erlaubt. 4. UVP ist ein Instrument zur Vorbereitung von Entscheidungen, sie kann diese jedoch nicht ersetzen. Sind Umweltbelastungen zu erwarten, werden im Rahmen der entwicklungspolitischen Gesamtbewertung die ökologischen mit den sonstigen, z. B. wirtschaftlichen und sozio-ökonomischen Entscheidungskriterien abgezogen. Im Falle der Kategorie U 4 ( „Belastungen aus ökologischer Sicht nicht tragbar") ist vorgesehen, daß nach sorgfältiger Abwägung und Ausschöpfung aller Möglichkeiten zur umweltverträglichen Gestaltung die Leitung des BMZ über Prüfungs- und Förderungswürdigkeit eines solchen Vorhabens entscheidet. Zu Frage 26: Aus meinen Ausführungen zu Frage 1 ergibt sich, daß das UVP-Verfahren nicht etwa verwässert wurde, sondern daß es im Gegenteil eine sehr viel intensivere, gemeinsam mit den Partnerregierungen und -organisationen durchgeführte Überprüfung und Kontrolle der Umweltwirkungen von Entwicklungsvorhaben gewährleistet. Sie stellt einen erheblichen Fortschritt im Sinne des Umwelt- und Ressourcenschutzes dar. Eine Überprüfung der viele hundert umweltrelevanten, laufenden bilateralen Vorhaben nach dem neuen Verfahren ist weder finanziell und personell zu leisten, noch von der Sache her sinnvoll und notwendig. Umweltgesichtspunkte waren schon bisher Gegenstand der Projektprüfungen und werden bei Projektfortschrittskontrollen und -evaluierungen ebenfalls berücksichtigt. Anlage 5 Antwort des Staatsministers Schäfer auf die Frage des Abgeordneten Lowack (CDU/CSU) (Drucksache 11/1657 Frage 28) : Auf welchen Beschluß der Bundesregierung bzw. Entscheidung des Bundeskanzlers im Rahmen der Richtlinienkompetenz basiert die Äußerung des Staatsministers im Auswärtigen Amt, Schäfer, im Dezember 1987 gegenüber Vertretern einer Regierungsdelegation aus Luanda, „daß Beziehungen oder Kontakte zur Unita für die Bundesregierung nicht in Betracht kommen" (Zitat „DIE WELT" vom 14. Dezember 1987)? Die Bundesregierung und ihre europäischen Partner verurteilen die südafrikanische Destabilisierungspolitik in all ihren Erscheinungsformen, einschließlich direkter oder indirekter bewaffneter Aktionen in Nachbarstaaten wie Angola. Im Februar 1986 waren sich die EG-Außenminister mit ihren Kollegen aus den FLS bei ihrer Zusammenkunft in Lusaka in diesem Zusammenhang einig, daß die Ausführenden solcher Aktionen keinerlei Unterstützung oder Hilfe erhalten sollten. Im übrigen ist es ständige Politik der Bundesregierung seit Aufnahme der diplomatischen Beziehungen mit der Volksrepublik Angola im Jahre 1979, keine Beziehungen oder Kontakte zu den Unita-Rebellen zu unterhalten. Eine Änderung dieser Politik ist nicht vorgesehen. Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 55. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. Januar 1988 3889* Anlage 6 Antwort des Staatsministers Schäfer auf die Fragen des Abgeordneten Antretter (SPD) (Drucksache 11/1657 Fragen 32 und 33): Welche konkreten Schritte sind bisher unternommen oder beabsichtigt, um die in Abschnitt III (c) 2 der Plattform über europäische Sicherheitsinteressen vom 27. Oktober 1987 in Den Haag vom Rat der WEU beschlossenen Zielsetzungen auf dem Gebiet des Dialogs und der Zusammenarbeit zwischen West und Ost zu verwirklichen und zu einer Überwindung der gegenwärtigen Phase der Stagnation auf dem Wiener Folgetreffen der KSZE beizutragen? Welche Haltung nimmt die Bundesregierung in der WEU zu der Sitzfrage ein, nachdem Frankreich Anfang Dezember 1987 vor der WEU-Versammlung die Zusammenlegung aller WEU-Organe in Paris vorgeschlagen hat, während sich die britische Regierung vor demselben Forum für eine Zusammenlegung in Brüssel ausgesprochen hat? Zu Frage 32: Im multilateralen Bereich ist das Wiener KSZE-Folgetreffen zur Zeit der Ort, durch positive Beiträge nicht nur im Bereich der Sicherheits- und Rüstungskontrollpolitik, sondern in allen Bereichen gemeinsamen Interesses den Dialog und die Zusammenarbeit zwischen West und Ost zu vertiefen. Hier bleibt die Bundesregierung — in enger Abstimmung mit ihren Partnern und Verbündeten — um ein substantielles, ausgewogenes Schlußdokument zum frühestmöglichen Zeitpunkt bemüht. Das Wiener Treffen muß zu für die Menschen spürbaren Ergebnissen führen. Eine Ausweitung der menschlichen Kontakte über die Grenzen hinweg, die Stärkung der persönlichen Rechte und Grundfreiheiten und die Sicherstellung des freien Flusses von Informationen, Ideen und Personen sind auch künftig unerläßlich, wenn sich die Beziehungen zwischen West und Ost in einem Klima des Vertrauens entwickeln sollen. Zwar hat es in Wien im Gebiet der militärischen Sicherheit bei der Erarbeitung eines Mandats für die Konventionelle Rüstungskontrolle und im Bereich der Vertrauen und Sicherheit bildenden Maßnahmen beachtliche Fortschritte gegeben. Aber sie finden bisher in dem für uns zentralen Bereich der Verbesserung der menschlichen Kontaktmöglichkeiten und weiterer Fortschritte bei der Erfüllung der in Helsinki und Madrid eingegangenen Verpflichtungen noch keine Entsprechung. Das Bemühen der Bundesregierung richtet sich jetzt vordringlich darauf, einen Konsens auch über umfassende Verbesserungen in der menschlichen Dimension des KSZE-Prozesses herbeizuführen. Zu Frage 33: Seit einiger Zeit finden im Ständigen Rat der WEU Konsultationen über Vorschläge statt, die ministeriellen Organe der WEU, also den Ständigen Rat und das Generalsekretariat in London und die Agenturen für Sicherheitsfragen in Paris, an einem Ort zusammenzulegen. Dabei geht es nicht um den Sitz der Parlamentarischen Versammlung der WEU. Für diese Zusammenlegung war von Anfang an Brüssel im Gespräch. Für Brüssel sind — auch in den Augen der Bundesregierung — gewichtige Argumente angeführt worden: Es sei der Sitz des Sekretariats der Europäischen Politischen Zusammenarbeit und des Rates sowie der Kommission der Europäischen Gemeinschaft. Die Organe der WEU als Element des europäischen Einigungsprozesses, der zur Schaffung der Europäischen Union führen solle, wären daher nach dort zusammenzufassen. Es wird ferner geltend gemacht, daß Brüssel auch der Sitz des Bündnisses sei, mit dem die WEU politisch sowie durch den Brüsseler Vertrag völkerrechtlich verbunden sei. Anlage 7 Antwort des Parl. Staatssekretärs Vogt auf die Frage des Abgeordneten Stiegler (SPD) (Drucksache 11/1657 Frage 41) : Welche Maßnahmen die Kurorte betreffend enthält das Kostendämpfungsprogramm der Bundesregierung, und wie schätzt die Bundesregierung die Auswirkungen dieser Maßnahmen auf die Arbeitsplätze in den Kurorten ein? Die Bundesregierung will mit der Strukturreform der gesetzlichen Krankenversicherung die Voraussetzungen für eine dauerhafte finanzielle Stabilisierung bei den Krankenkassen schaffen. Das Konzept zur Strukturreform sieht vor, daß die Krankenkasse künftig bei (offenen) Kuren einen Zuschuß von bis zu 12,50 DM je Tag gewähren kann. Gegenwärtig können die Krankenkassen in ihrer Satzung einen in der Höhe nicht begrenzten Zuschuß zu offenen Kuren vorsehen; dieser beträgt zur Zeit im Durchschnitt 25 DM je Tag. Das Reformkonzept sieht außerdem vor, die Behandlung in Kur- und Spezialeinrichtungen inhaltlich von der Behandlung in Krankenhäusern abzugrenzen. Die Krankenkassen sollen künftig Leistungen in Kur- und Spezialeinrichtungen nur gewähren, wenn sie mit diesen Einrichtungen Verträge abgeschlossen haben; eine Bestandsschutzregelung ist vorgesehen. Die Bundesregierung geht davon aus, daß die beabsichtigten Maßnahmen keine Auswirkungen auf die Arbeitsplätze in den Kurorten haben werden. Anlage 8 Antwort des Parl. Staatssekretärs Würzbach auf die Frage des Abgeordneten Dr. Feldmann (FDP) (Drucksache 11/1657 Frage 44): Wie beurteilt die Bundesregierung die laut Süddeutscher Zeitung vom 12. Januar 1988 im Bericht der „Kommission für eine integrierte Langzeit-Strategie" an den amerikanischen Präsidenten enthaltene Überlegung, die geltende Vorne-Verteidigung durch eine Vorwärts-Strategie abzulösen, d. h. im Verteidigungsfall nicht nur Luftangriffe in das Hinterland eines Angreifers, sondern auch umfassende Gegenangriffe über die Grenzen zum Warschauer Pakt in Erwägung zu ziehen, und wird sie auch weiterhin am Prinzip der Vorne- statt der Vorwärts-Verteidigung festhalten? Die Bundesregierung hat den Bericht einer unabhängigen Kommission an den amerikanischen Präsi- 3890* Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 55. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. Januar 1988 denten über eine nationale Langzeit-Strategie mit Aufmerksamkeit zur Kenntnis genommen. Der Bericht enthält die Überlegungen einer Gruppe von Politikern, Wissenschaftlern und ehemaligen Soldaten zur Entwicklung einer in das nächste Jahrhundert reichenden Strategie der USA. Diese Überlegungen der Kommission stellen eine Stimme in der seit Jahren geführten inneramerikanischen Diskussion dar. Der Bericht entstand in Unabhängigkeit von der amerikanischen Regierung und stellt keine Regierungsauffassung dar. Für die Bundesregierung kommen Vorstellungen von grenzüberschreitenden weiträumigen Gegenoffensivoptionen mit Landstreitkräften nach Mittel-Osteuropa hinein nicht in Betracht. Sie weiß sich hierin mit den Bündnispartnern einig. Eine kollektive, grenznahe zusammenhängende Vorneverteidigung bleibt dagegen ein zentrales Element dieser Bündnisstrategie. Anlage 9 Antwort des Parl. Staatssekretärs Würzbach auf die Fragen der Abgeordneten Frau Fuchs (Verl) (SPD) (Drucksache 11/1657 Fragen 45 und 46): Welche Arbeiten im einzelnen sollen im Rahmen der für die Haushaltsjahre 1988 und 1989 für das TECHNEX-Programm eingeplanten bzw. vertraglich gebundenen 29,7 Millionen DM durchgeführt werden? Wie vereinbart es die Bundesregierung mit demokratischen Prinzipien, daß drei offizielle Fachorgane des Bundesministeriums der Verteidigung („Heer", „Luftwaffe", „Marine") im Mönch-Verlag erscheinen, der auch eine Fülle von Publikationen verlegt, die die Waffen-SS verherrlichen, eine Organisation, die in den Nürnberger Prozessen als verbrecherisch eingestuft worden ist? Zu Frage 45: Die- Arbeiten im TECHNEX-Programm 1988 und 1989 beinhalten im wesentlichen folgende Bereiche: — Fertigung der Versuchsmuster für vier Raketenschlittenversuche mit einem Überschalldispenser, — Durchführung der Versuche mit dem Schwerpunkt Abgangsballistik der Submunition und — Auswertung der Versuche im Hinblick auf Streufeld und Auftreffbedingungen der Submunition. Weiterhin werden Analysen durchgeführt mit dem Ziel, die Wirkung des Gefechtskopfes als Funktion der experimentell ermittelten Daten von Dispenser und Submunition zu bestimmen. Zu Frage 46: Die Bundesregierung sieht keine Verletzung demokratischer Prinzipien in der Tatsache, daß die durch das Bundesministerium der Verteidigung herausgegebenen Truppenzeitschriften „Heer", „Luftwaffe", „Marine" durch den Mönch-Verlag hergestellt werden. Weder die Mönch-Verlagsgruppe noch der ihr zugehörige Mönch Buchversand haben bisher Anlaß zu der Annahme gegeben, daß sie sich außerhalb des Grundgesetzes bewegen. Anlage 10 Antwort des Parl. Staatssekretärs Pfeifer auf die Frage der Abgeordneten Frau Dr. Götte (SPD) (Drucksache 11/ 1657 Frage 52): Ist der Bundesregierung bekannt, daß nach Untersuchungen des chemischen Landesuntersuchungsamtes Stuttgart in Eisbeißringen aus Weich-PVC für Babys die DEHP-Gehalte zwischen 30 v. H. und 40 v. H. gefunden wurden und nach Schätzungen US-amerikanischer Experten die Aufnahme von DEHP bei Kleinkindern in den ersten 36 Lebensmonaten zwischen 62 Milligramm und 665 Milligramm beträgt, und welche Folgerungen wird die Bundesregierung aus diesen Tatsachen ziehen? Die US-amerikanischen Schätzungen über die Aufnahme von DEHP durch Kleinkinder können auf die Verhältnisse in der Bundesrepublik Deutschland nicht übertragen werden. Die Hauptquelle der dort genannten DEHP-Aufnahme sind in der Bundesrepublik Deutschland nicht gebräuchliche Beruhigungssauger aus Weich-PVC. Im übrigen verweise ich auf meine mündlichen Antworten zu den Fragen 47 und 48. Anlage 11 Antwort des Parl. Staatssekretärs Pfeifer auf die Frage des Abgeordneten Werner (Ulm) (CDU/CSU) (Drucksache 11/1657 Frage 53): Wie gedenkt die Bundesregierung angesichts der von Bundesminister Dr. Schäuble am 11. Dezember 1987 in Osnabrück getroffenen Feststellung zur dramatischen Geburtenentwicklung in der Bundesrepublik Deutschland, die dort nachdrücklich angemahnte Verbesserung der Familienförderung über die seit 1986 erfolgten bzw. für die laufende Legislaturperiode in Aussicht gestellten Maßnahmen des Familienlastenausgleichs hinaus zu gestalten und zeitlich durchzuführen? Die jugend-, frauen- und familienbezogenen Teile der die Folgen der Bevölkerungsentwickung darlegenden Rede von Bundesminister Dr. Schäuble enthalten strategische Überlegungen, die der Politik der Bundesregierung zugrundeliegen und deren Verwirklichung sich über mehrere Legislaturperioden erstreckt. Für diese Legislaturperiode hat der Bundeskanzler in der Regierungserklärung am 18. März 1987 erklärt, daß die Leistungen der Familien in unserer Gesellschaft noch immer zu wenig anerkannt und unterstützt werden und deshalb der Familienlastenausgleich noch gerechter gestalten werden wird: durch eine Erweiterung von Erziehungsgeld und Erziehungsurlaub auf der einen, durch eine Erhöhung des Kindergelds, des Kinderfreibetrags und Kindergeldzuschlags auf der anderen Seite. Bisher konkretisiert ist die Erhöhung des steuerlichen Kinderfreibetrags auf 3 042 DM ab 1990, mit der Folge einer leichten Erhöhung des Kindergeldzuschlags. Entsprechend der Koalitionsvereinbarung und nach Maßgabe der Regierungserklärung des Bundeskanzlers wird die Koalition den Spielraum für Leistungsgesetze in der zweiten Hälfte der Legislaturperiode unter besonderer Berücksichtigung der Familienpolitik Anfang 1989 festlegen. Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 55. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. Januar 1988 3891' Selbstverständlich, und hier knüpfe ich ebenfalls an die Ausführungen von Bundesminister Dr. Schäuble an, wird die Familienpolitik auch in der nächsten Legislaturperiode eine sehr hohe Priorität behalten und behalten müssen. Anlage 12 Antwort des Parl. Staatssekretärs Pfeifer auf die Frage der Abgeordneten Frau Dr. Dobberthien (SPD) (Drucksache 11/1657 Frage 54): Was gedenkt die Bundesregierung zu tun, um die Motivation von Arbeitgebern, mit Frauenförderung und der Gleichberechtigung am Arbeitsplatz ernst zu machen, zu erhöhen? Die Bundesregierung beobachtet in letzter Zeit ein wachsendes Interesse sowohl bei Unternehmen und Unternehmensverbänden wie auch bei den Gewerkschaften, Frauenförderungsmaßnahmen durchzuführen und dadurch die Gleichberechtigung am Arbeitsplatz zu verbessern. Immer mehr Unternehmen gehen dazu über, hierfür Gleichstellungsbeauftragte im Rahmen der Personalentwicklung einzusetzen. Der Bundesminister für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit unterstützt diese Entwicklung und hat dafür einen Leitfaden zur Frauenförderung in Betrieben herausgegeben, der zur Durchsetzung der Gleichberechtigung als Chance für die Personalpolitik wichtige Hinweise enthält. Er wurde bisher in gut 30 000 Exemplaren verschickt. Darüber hinaus hat der Bundesminister für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit namhafte Vertreterinnen und Vertreter aus Unternehmen, Gewerkschaften und Politik zu einem Informationsaustausch über „Frauenförderung in Unternehmen der Bundesrepublik Deutschland" eingeladen. Dabei hat sich ergeben, daß wir uns in Zukunft vor allem auf folgendes konzentrieren müssen — die Startchancen für Mädchen durch eine verstärkte Öffnung der Ausbildungsberufe auch in gewerblich-technischen Bereichen zu verbessern, — Erleichterungen für erwerbstätige Mütter (und Väter) durch flexible Arbeitszeitregelungen, Teilzeitarbeitsplätze und Beurlaubungsangebote Erleichterungen zu erwirken, die über den gesetzlichen Erziehungsurlaub hinausgehen, — Ansätze der betrieblichen Weiterbildung von Frauen zu verbessern, damit mehr Frauen in gehobene Funktionen und Führungspositionen gelangen. Anlage 13 Antwort des Parl. Staatssekretärs Pfeifer auf die Frage des Abgeordneten Müller (Schweinfurt) (SPD) (Drucksache 11/1657 Frage 55): Hält die Bundesregierung die Forderung, die Verschreibungspflicht für Tierarzneimittel, die der Bekämpfung von Zoonosen dienen, aufzuheben, für berechtigt, oder sieht sie in der dann unkontrolliert möglichen Abgabe und Anwendung dieser Arzneimittel eine Gefährdung unmittelbar für die Tiere durch nicht bestimmungsgemäßen Gebrauch und mittelbar für Menschen über die von nicht sachgemäß behandelten Tieren stammenden Lebensmittel? Die Bundesregierung sieht derzeit weder die Notwendigkeit noch die gesundheitspolitisch vertretbare Möglichkeit, die Verschreibungspflicht für Tierarzneimittel, die der Bekämpfung von Zoonosen dienen, aufzuheben. Sie sieht in der unkontrollierten, fachlich nicht abgesicherten Abgabe und Anwendung dieser Tierarzneimittel sowohl eine Gefährdung der Gesundheit der Tiere wie auch mittelbar des Menschen. Das Arzneimittelgesetz enthält in § 48 die Ermächtigung und den Auftrag an die Bundesregierung, Stoffe und Zubereitungen aus Stoffen der Verschreibungspflicht zu unterstellen, die die Gesundheit von Mensch oder Tier auch bei bestimmungsgemäßem Gebrauch unmittelbar oder mittelbar gefährden können, wenn sie ohne ärztliche, zahnärztliche oder tierärztliche Überwachung angewendet werden oder wenn sie häufig in erheblichem Umfang nicht bestimmungsgemäß gebraucht werden und dabei die Gesundheit von Mensch und Tier unmittelbar oder mittelbar gefährdet werden kann. Solche Arzneimittel dürfen nur unter Vorlage einer ärztlichen, zahnärztlichen oder tierärztlichen Verschreibung an Verbraucher abgegeben werden bzw. im Rahmen einer tierärztlichen Behandlung bei Tieren angewendet oder vom Tierarzt an den Tierhalter abgegeben werden. Die gesundheitspolitischen Anliegen, Tierarzneimittel nur nach einer fachgerechten Diagnose und nicht über die veterinärmedizinisch gebotene Menge hinaus einzusetzen, Rückstände in Lebensmittel auf das niedrigste erreichbare Niveau zu senken und übertragbare Krankheiten im Interesse von Tier und Mensch möglichst frühzeitig zu erkennen, erfordern zwingend, den Einsatz vieler Arzneimittel von der tierärztlichen Diagnose abhängig zu machen und die Verschreibungspflicht beizubehalten. In diesem Zusammenhang wird darauf hingewiesen, daß sich der Sachverständigenausschuß für Verschreibungspflicht (§ 53 AMG) wiederholt mit Anträgen auf Lockerung der Verschreibungspflicht für Arzneimittel zur Bekämpfung parasitärer Erkrankungen der Tiere befaßt hat und eine solche Lockerung unter Hinweis auf die gesundheitspolitischen Zielsetzungen einmütig abgelehnt hat. Anlage 14 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Schulte auf die Frage der Abgeordneten Frau Ganseforth (SPD) (Drucksache 11/1657 Fragen 56 und 57): Wie beteiligt sich die Bundesregierung an den Kosten des Rückbaus der Ortsdurchfahrt einer Bundesstraße, deren Verkehrsaufkommen sich durch den Bau einer Umgehungsstraße wie geplant drastisch verringert und die nun entsprechend der abgenommenen Verkehrsbedeutung herabgestuft wurde? 3892* Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 55. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. Januar 1988 Hält die Bundesregierung den Rückbau von Straßen, insbesondere Ortsdurchfahrten, deren Verkehrsaufkommen durch den Bau von Entlastungs- bzw. Umgehungsstraßen zurückgegangen ist und deren Dimensionierung durch das zurückgegangene Verkehrsaufkommen zu großflächig ist, für wünschenswert? Zu Frage 56: Die Bundesregierung beteiligt sich nicht an den Kosten für eine bauliche Umgestaltung von Ortsdurchfahrten, die infolge einer vom Bund gebauten Ortsumgehung nicht mehr für den weiträumigen Verkehr benötigt werden. Nach der Kompetenzzuweisung im Grundgesetz hat der Bund eine Aufgabenkompetenz für Straßen des Fernverkehrs. Daraus folgt, daß er nur für solche Straßen eine Finanzierungskompetenz hat. Dementsprechend ist im Fernstraßengesetz geregelt, daß eine aufgegebene Ortsdurchfahrt in eine Straßenkategorie nach Landesrecht als Landes-, Kreis- oder Gemeindestraße abzustufen ist. Der Bund leistet seinen Beitrag zur Verbesserung der Verkehrsverhältnisse und der Umweltsituation durch den Bau der Ortsumgehung. Zu Frage 57: Da die als Bundesstraße aufgegebene Ortsdurchfahrt nach Fernstraßenrecht abzustufen ist, entscheidet über den Rückbau im Einzelfall der künftige Straßenbaulastträger nach seinen verkehrlichen Planungsvorstellungen; dabei sind die städtebauliche Situation und die städtebaulichen Planungsvorstellungen der betroffenen Gemeinde zu berücksichtigen. Anlage 15 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Schulte auf die Fragen des Abgeordneten Pauli (SPD) (Drucksache 11/1657 Fragen 58 und 59) : Wie beurteilt die Bundesregierung die Forderung nach Sperrung der Autobahnabfahrt Koblenz-Metternich der A 61 für den Schwerlastverkehr, und welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, die Unfallgefahr gerade durch den allgemein zunehmenden Schwerlastverkehr in der engen Ortslage von Koblenz-Metternich zu beseitigen? Wann wird nach Auffassung der Bundesregierung die Ortsumgehung Koblenz-Metternich vollständig fertiggestellt sein? Zu Frage 58: Die geforderte Sperrung der Autobahnabfahrt Koblenz-Metternich für den Schwerlastverkehr fällt — wie auch die Anordnung sonstiger örtlicher Verkehrsbeschränkungen und -verbote — in die ausschließliche Zuständigkeit der Straßenverkehrsbehörden von Rheinland-Pfalz. Das Bundesverkehrsministerium hat darauf keinen Einfluß. Nach den Auskünften des zuständigen Ministeriums für Wirtschaft und Verkehr des Landes Rheinland-Pfalz haben sich die Verkehrsbehörden lange um eine bessere Verkehrsführung in Koblenz-Metternich bemüht. Tatsächlich ist es auch gelungen, durch wegweisende Beschilderung auf der A 61 die Ortsdurchfahrt Koblenz-Metternich wesentlich vom Durchgangsverkehr zu entlasten. Die weiteren Verkehrsuntersuchungen haben aber ergeben, daß von dem verbleibenden Lkw-Verkehr ein wesentlicher Teil dem Ziel- und Quellverkehr zuzurechnen ist, der nicht verlagert werden kann. Eine weitere Verbesserung der Verkehrsverhältnisse ist durch den Bau der Ortsumgehung im Zuge der Landesstraße 52 möglich. Der erste Spatenstich ist am 21. Oktober 1987 erfolgt. Mit der Fertigstellung ist voraussichtlich noch im Herbst 1988 zu rechnen. Zu Frage 59: Die Verlegung der B 258 in Koblenz-Metternich vom Bundeswehrzentralkrankenhaus bis zur B 9 an die Anschlußstelle „Am Sender" ist in der Stufe „Planungen" des Bedarfsplanes vorgesehen und steht daher nach dem Beschluß des Deutschen Bundestages aus dem Jahre 1986 derzeit nicht zum Bau an. Nur im Einzelfall können die Straßenbaupläne auch Maßnahmen enthalten, die nicht dem Bedarfsplan entsprechen, soweit ein unvorhergesehener Verkehrsbedarf es erfordert. Dies ist seit der letzten Bedarfsplanüberprüfung nicht zu erkennen. Anlage 16 Antwort des Parl. Staatssekretärs Grüner auf die Frage des Abgeordneten Dr. Lippelt (Hannover) (GRÜNE) (Drucksache 11/1657 Fragen 60 und 61): Welche atomrechtliche und/oder andere Genehmigungen für nach Gorleben liefernde Atomkraftwerke sind notwendig, damit diese defekte Castor-Behälter wieder annehmen können? Wie beurteilt die Bundesregierung die Bestrebungen der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt, über den Antrag der „Sofortigen Vollziehung" noch vor einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes über eine seit langer Zeit anhängiger Verfassungsklage in Sachen Transportbehälterlager Gorleben zu entscheiden? Zu Frage 60: Die Nebenbestimmung 24 der atomrechtlichen Aufbewahrungsgenehmigung für das Transportbehälterlager Gorleben enthält die Forderung, daß spätestens einen Monat vor Beginn der Aufbewahrung sowohl gegenüber der Genehmigungs- wie der Auf sichtsbehörde der Nachweis zu erbringen ist, daß Behälter, an denen während ihrer Zwischenlagerung Beschädigungen auftreten, die im Transportbehälterlager nicht zu reparieren sind, in eine andere kerntechnische Anlage verbracht werden können. Damit wird sichergestellt, daß Behälter zur Zwischenlagerung nur dann angenommen werden, wenn für den Fall einer notwendigen Reparatur außerhalb des Transportbehälterlagers ein entsprechender Nachweis geführt ist. Die Reparatur eines defekten Behälters erfolgt in einer kerntechnischen Anlage im Rahmen einer Genehmigung nach § 7 oder nach § 9 Atomgesetz. Für den Transport selbst ist eine Genehmigung nach § 4 Atomgesetz durch die Physikalisch-Technische Bundesanstalt erforderlich. Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 55. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. Januar 1988 3893* Zu Frage 61: Auf Antrag der Brennelementlager Gorleben GmbH vom 31. Oktober 1985 hat die PhysikalischTechnische Bundesanstalt als zuständige Genehmigungsbehörde über die Anordnung der sofortigen Vollziehung der nach § 6 Atomgesetz erteilten Aufbewahrungsgenehmigung zu entscheiden; diese Entscheidung wird derzeit vorbereitet. Ob die Entscheidung über die Anordnung der sofortigen Vollziehung zeitlich vor oder nach einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes über die dort anhängige Verfassungsbeschwerde erfolgen wird, hängt vom Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung ab, auf den die Bundesregierung keinen Einfluß hat. Anlage 17 Antwort des Parl. Staatssekretärs Grüner auf die Frage der Abgeordneten Frau Wollny (GRÜNE) (Drucksache 11/1657 Fragen 62 und 63): Können z. B. Jäger, welche mit Cäsium belastetes Wild zur Strecke bringen, dieses bis zu welchem Becquerel-Wert vermarkten? Trifft es zu, daß der Rat der EG am gleichen Tag zwei Verordnungen erlassen hat, nämlich Verordnung Nr. 3954 (EWG-Vertrag) mit einer Geltungsdauer von zwei Jahren und Verordnung Nr. 3955 (Euratom-Vertrag) mit Geltungsdauer ab sofort? Zu Frage 62: Die für die Fragestunde am 13. Januar 1988 vorgesehenen Fragen zum gleichen Gegenstand sind inzwischen schriftlich beantwortet worden (Plenarprotokoll 11/51 S. 3622). Eventuell erforderlich werdende weitere Lösungswege werden derzeit geprüft. Zu Frage 63: Es ist richtig, daß der Rat der EG am gleichen Tag zwei Verordnungen verabschiedet hat und zwar — die Verordnung (EWG) Nr. 3955/87 mit einer Geltungsdauer von zwei Jahren als Nachfolgeregelung für die Verordnung (EWG) 1707/86 über die Einfuhrbedingungen für landwirtschaftliche Erzeugnisse mit Ursprung in Drittländern nach dem Unfall im Kernkraftwerk Tschernobyl und — die Verordnung (Euratom) Nr. 3954/87 zur Festlegung von Höchstgrenzwerten an Radioaktivität in Nahrungsmitteln und Futtermitteln im Falle eines nuklearen Unfalls oder einer anderen radiologischen Notstandssituation als Regelung für zukünftige Ereignisse. Beide Verordnungen sind am 30. Dezember 1987 mit der Veröffentlichung im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften in Kraft getreten. Anlage 18 Antwort des Parl. Staatssekretärs Grüner auf die Fragen des Abgeordneten Dr. Hauff (SPD) (Drucksache 11/1657 Fragen 64 und 65): Befindet sich nach Kenntnis der Bundesregierung die Rauchgasentschwefelungsanlage im Kohlekraftwerk Buschhaus noch im Probebetrieb, oder seit wann ist die Anlage funktionsfähig in Betrieb genommen worden? Treffen Meldungen nach Auffassung der Bundesregierung zu, daß die Grenzwerte von 400 mg/qm SO2 bzw. 35 000 Tonnen pro Jahr nur deshalb eingehalten werden können, weil die Kraftwerke Buschhaus/Offleben nur mit Teillast betrieben werden, wenn ja, mit welcher Kapazität werden die Anlagen gefahren? Es trifft zu, daß die mit Rauchgasentschwefelungsanlagen ausgestatteten Kraftwerksblöcke in Buschhaus und Offleben (Block C) die festgelegte Emissionsbegrenzung nur dadurch einhalten können, indem sie mit reduzierter Leistung betrieben werden: Block C in Offleben ist z. Z. außer Betrieb, und Buschhaus wird mit voller bzw. halber Leistung gefahren, je nachdem, ob ein oder beide Absorber in Betrieb sind. Damit ist auch bereits ein Teil der ersten Frage beantwortet: eine Anlage ist erst dann funktionsfähig, wenn sie die im Kaufvertrag festgelegten Anforderungen erfüllt; das ist noch nicht der Fall. Aus Umweltgründen ist wichtig, daß die Anlage die Genehmigungsbedingungen einhält; dieses ist nach Auskunft des Landes Niedersachsen im Augenblick der Fall. Anlage 19 Antwort des Parl. Staatssekretärs Grüner auf die Frage des Abgeordneten Schäfer (Offenburg) (SPD) (Drucksache 11/1657 Frage 66): Ist die Bundesregierung der Auffassung, daß seit dem 1. Juli 1987 und zum gegenwärtigen Zeitpunkt die Anforderungen des Bundestagsbeschlusses vom 31. Juli 1984 erfüllt sind — auch bezüglich der gegebenen Subventionen für die Umweltschutzanlagen? Der Bundestagsbeschluß vom 31. Juli 1984 sah bis zum heutigen Zeitpunkt mehrere Verminderungsstufen für den Schwefeldioxid-Ausstoß bei den Kraftwerken der Braunschweigischen Kohlen-Bergwerke AG vor: 1. Mit Inbetriebnahme des neuen Kraftwerksblocks in Buschhaus sollte die jährliche SO2-Gesamtemission von zuvor ca. 145 000 Tonnen je Jahr auf zunächst 120 000 Tonnen jährlich reduziert werden. 2. Durch den Einbau des Trocken-Additiv-Verfahrens bei den Blöcken A und B des Kraftwerkes Offleben II noch im Jahre 1986 sollte der SO2-Ausstoß um weitere 6 500 Jahrestonnen auf rund 113 500 Jahrestonnen verringert werden. 3. Mit der Inbetriebnahme der Rauchgasentschwefelungsanlagen im Kraftwerk Buschhaus sowie Block C im Kraftwerk Offleben sollte ab 1. Juli 1987 die SO2-Emission auf unter 35 000 Tonnen per annum gesenkt werden. Allen Beteiligten war damals klar, daß diese Maßnahmen ohne Zuschüsse aus öffentlichen Mitteln nicht durchführbar waren. In der in diesem Zusammenhang zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der BKB getroffenen Vereinbarung über Subventionen hat der Bundestagsbeschluß seinen Niederschlag gefunden. Nach derzeitigem Erkenntnisstand sind bisher alle Forderungen erfüllt worden.
Gesamtes Protokol
Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1105500000
Die Sitzung ist eröffnet.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die heutige Tagesordnung erweitert werden. Die Punkte sind in der Ihnen vorliegenden Liste der Zusatzpunkte zur Tagesordnung aufgeführt:
1. Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Miltner, Daweke, Graf von Waldburg-Zeil, Frau Hasselfeldt, Frau Pack, Harries, Nelle, Oswald, Schemken, Gerster (Mainz), Dr. Blank, Dr. Blens, Clemens, Fellner, Dr. Hüsch, Kalisch, Dr. Kappes, Krey, Dr. Laufs, Frau Limbach, Neumann (Bremen), Dr. Olderog, Regenspurger, Frau Dr. Wisniewski, Weiß (Kaiserslautern), Zeitlmann, Magin und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Neuhausen, Richter, Dr. Thomae, Dr.-Ing. Laermann, Kohn, Timm und der Fraktion der FDP: Auftrag der politischen Bildung in der Demokratie — Drucksache 11/1689 —
2. Beratung des Antrags der Abgeordneten Frau Garbe und der Fraktion DIE GRÜNEN: Maßnahmen zum Schutz vor Gesundheits- und Umweltgefahren durch Perchloräthylen und andere chlorierte Kohlenwasserstoffe — Drucksache 11/1673 —
3. Aktuelle Stunde
Verhalten der Bundesregierung bei der Aufklärung der Veräußerung von Konstruktionsunterlagen für U-Boote an Südafrika — die Rollen des Auswärtigen Amtes, des Bundesverteidigungsministeriums, des Bundeswirtschaftsministeriums und des Bundesfinanzministeriums.
Es soll gleichzeitig von der Frist für den Beginn der Beratungen, soweit erforderlich, abgesehen werden. Sind Sie damit einverstanden? — Ich höre keinen Widerspruch; dann ist so beschlossen.
Meine Damen und Herren, die Fraktion DIE GRÜNEN hat fristgerecht beantragt, die heutige Tagesordnung zu erweitern um den Antrag „Unterrichtung der Bevölkerung über die im Hanauer Alkem-Bunker gelagerten Spaltstoffe", Drucksache 11/1682.
Wird hierzu das Wort zur Geschäftsordnung gewünscht? — Das Wort hat der Abgeordnete Kleinert (Marburg).

(Vogel [Ennepetal] [CDU/CSU]: Der hat schon wieder einen ganzen Roman aufgeschrieben!)


Hubert Kleinert (DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90):
Rede ID: ID1105500100
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Namens meiner Fraktion beantrage ich die Erweiterung der Tagesordnung um den Tagesordnungspunkt Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN „Unterrichtung der Bevölkerung über die im Hanauer Alkem-Bunker gelagerten Spaltstoffe". Dieser Antrag könnte in verbundener Debatte mit den vorliegenden Anträgen auf Einsetzung eines Untersuchungsausschusses behandelt werden; er könnte aber auch unmittelbar im Anschluß an diese Debatte behandelt und abgestimmt werden, zumal er vom Thema her unmittelbar an das Thema anschließt, was wir hier heute morgen behandeln wollen.
Ich will diesen Antrag kurz begründen. Seit Anfang der 80er Jahre gibt es bei der Firma Alkem, die bekanntlich ebenfalls zu dem Hanauer Nukleardschungel zählt, einen Bunker, in dem große Mengen von Plutonium eingelagert sind. Es gibt diverse Annahmen — und das sind weit mehr als nur Vermutungen — , daß dort waffenfähiges Material gelagert ist, daß Waffenplutonium zumindest einen Teil der dort gelagerten Menge ausmacht.
Seit 1984 haben wir als GRÜNE verschiedene Male bei der Bundesregierung um Auskunft über die Menge, über die Art und über die Zusammensetzung des dort gelagerten Materials gebeten. Stets ist uns bis heute die Auskunft darüber verweigert worden. Die Bundesregierung hat sich dabei auf angebliche Geheimhaltungsvorschriften und Geheimhaltungsverpflichtungen berufen, die es in diesem Fall übrigens gar nicht gibt.
Nachdem nun die Öffentlichkeit durch die skandalösen Vorgänge der letzten Wochen mitbekommen hat, was in diesem Land alles möglich zu sein scheint, was alles möglich ist in der Kumpanei zwischen Atomindustrie und staatlichen Stellen, ist es allerhöchste Zeit, daß mit diesem Versteckspiel Schluß gemacht wird. Wir wollen mit unserem Antrag erreichen, daß der Bundestag die Bundesregierung auffordert, die Öffentlichkeit endlich darüber zu informieren, was dort in Hanau eingelagert ist. Die Öffentlichkeit hat gerade jetzt ein Recht darauf, zu erfahren, welches Gefährdungspotential da herumliegt. Die Öffentlichkeit hat ein Recht darauf, wenigstens jetzt das ganze Ausmaß des Risikos kennenzulernen, dem Sie uns aussetzen und dem Sie uns auch weiter aussetzen wollen. Wenn Sie jetzt nach all dem, was passiert ist, das Versteckspiel und die Geheimniskrämerei nicht aufgeben, dann ist das aus unserer Sicht eine nicht mehr vertretbare Verhaltensweise. Daß Sie nach all dem, was jetzt ans Tageslicht getreten ist, das Ver-



Kleinert (Marburg)

steckspiel und die Geheimniskrämerei beenden müssen, ist aus unserer Sicht das mindeste, was man in dieser Situation erwarten kann.
Schließlich ist es ja auch die Bundesregierung, die in diesen Tagen ständig verkündet, jetzt werde alles auf den Tisch gelegt, jetzt werde ohne Ansehen der Personen aufgeklärt. Wenn das so ist, wenn Ihre Ankündigungen auch nur ein Stück weit Glaubwürdigkeit behalten sollen, dann legen Sie doch jetzt wenigstens in diesem Punkt die Fakten auf den Tisch und sagen Sie uns, was in diesem Bunker eingelagert ist, stellen Sie sich hin, und sagen Sie der Öffentlichkeit, welche Gefährdungspotentiale da herumliegen. Gerade wenn Sie nichts zu verbergen haben, dürfte es keinerlei Grund geben, an dieser Stelle die Schweigespirale fortzusetzen und die Geheimniskrämerei nicht zu beenden.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Oder ist schon an diesem Punkt das Ende Ihrer angeblichen Offenheit wieder erreicht? Wenn das so sein sollte, müßte man einfach annehmen, daß Sie tatsächlich eine Menge zu verbergen haben, und zwar in der Tat die Lagerung waffenfähigen Materials.
Deswegen: Kommen Sie jetzt bitte nicht in Ihren Geschäftsordnungsbeiträgen mit irgendwelchen fadenscheinigen Argumenten und Geschäftsordnungstricks zur Ablehnung dieses Aufsetzungsantrages. Ersparen Sie uns jetzt Begründungsverrenkungen wie „Das ist zu kurzfristig" oder „Wird alles der Untersuchungsausschuß behandeln". Um zu entscheiden, ob man die Öffentlichkeit wenigstens jetzt über das informieren will, was dort eingelagert ist, brauchen wir keine dreiwöchigen Ausschußberatungen, meine Damen und Herren.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Die Öffentlichkeit will jetzt wissen, was die Pulverfässer sind, auf denen wir längst sitzen. Deshalb kann und deshalb muß dieser Antrag heute behandelt und abgestimmt werden. Sie können der Öffentlichkeit Auskunft über das ganze Ausmaß der Gefährdung geben, wenn Sie Auskunft geben wollen. Tun Sie es. Lassen Sie uns den Antrag behandeln. Lassen Sie uns die Bundesregierung auffordern, endlich wenigstens hier Offenheit an den Tag zu legen und der Öffentlichkeit die Wahrheit zu sagen.

(Beifall bei den GRÜNEN)


Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1105500200
Das Wort zu diesem Geschäftsordnungsantrag hat der Abgeordnete Bohl.

Friedrich Bohl (CDU):
Rede ID: ID1105500300
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Kleinert, daß hier irgend jemand etwas vertuschen wolle, daß hier irgend jemand etwas nicht aufklären wolle,

(Schily [GRÜNE]: Das hat es noch nie gegeben!)

kann wirklich nur in den Bereich der Fabeln und Märchen zurückverwiesen werden. Hier hat die Bundesregierung von Anfang an umfassend und in der sachlich gebotenen Weise aufgeklärt. Das ist auch mit ein
Grund dafür, daß Sie so unruhig sind, daß Sie so traurig sind,

(Schily [GRÜNE]: Wir sind sehr guter Dinge! Nur wenn wir Sie angucken, werden wir tieftraurig, Herr Bohl!)

daß Sie nun alle möglichen Anstrengungen unternehmen, diesen Sachverhalt durch Geschrei und sonstiges Aufplustern kompensieren zu wollen. Davon sollten Sie wirklich Abstand nehmen.
Die Bundesregierung hat sowohl im Ausschuß diese Aufklärung gegeben, wie sie sie in der Öffentlichkeit gegeben hat. Sie wird auch in dem heute einzusetzenden Untersuchungsausschuß die gebotene Aufklärungsarbeit betreiben. Deshalb ist gar nicht einzusehen, wieso wir nun heute diesen Antrag zusätzlich auf die Tagesordnung nehmen sollen.

(Kleinert [Marburg] [GRÜNE]: Sie wollen doch Offenheit, Transparenz! ,,... wird aufgeklärt ohne Ansehen der Personen" habe ich jetzt gehört!)

Sie wollen ja nur so ein Gemisch rühren und alle möglichen Tatbestände und Sachverhalte hier vor der Öffentlichkeit und vor dem Deutschen Bundestag vernebeln und damit einer präzisen und klaren Aufklärungsarbeit entziehen.
Wenn es einen Sachverhalt geben sollte, der von dem Untersuchungsausschuß, den wir nachher einsetzen werden, möglicherweise nicht erfaßt ist, ist es keineswegs so, daß Ihr Aufklärungsbegehren damit gegenstandslos geworden wäre. Sie haben die Möglichkeit, diesen Antrag, den Sie heute stellen, in einer der nächsten Sitzungen des Deutschen Bundestages behandelt zu bekommen. Sie haben die Möglichkeit, darüber hinaus im Umweltausschuß zusätzliche Erklärungen des Umweltministers zu erfragen.

(Kleinert [Marburg] [GRÜNE]: Darauf wären wir nie gekommen!)

Der Umweltminister ist auskunftsbereit, wie Sie wissen. Deshalb ist das hier nur eine Aufgeregtheit von Ihnen, die wir zurückzuweisen haben. Es besteht keine Veranlassung, Ihren Antrag heute zusätzlich auf die Tagesordnung des Deutschen Bundestages zu nehmen.

(Schily [GRÜNE]: Da werden die Bürgerinnen und Bürger aber dankbar sein!)

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1105500400
Das Wort zur Geschäftsordnung hat der Abgeordnete Bachmaier.

Hermann Bachmaier (SPD):
Rede ID: ID1105500500
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir werden diesen Antrag ablehnen. Wir werden ihn deshalb ablehnen, weil wir der Überzeugung sind, daß das Begehren wesentlicher Bestandteil des Auftrags des Untersuchungsausschusses ist. Herr Kleinert, der Untersuchungsausschuß wird sich bereits morgen konstituieren. Er kann seine Arbeit sofort aufnehmen.



Bachmaier
Ich habe das Gefühl, daß Sie den Auftrag, den wir dem Untersuchungsausschuß mit auf den Weg geben wollen, nicht gründlich gelesen haben.

(Zurufe von den GRÜNEN)

Anderenfalls hätten Sie sofort erkennen können, daß die von Ihnen gewünschte gesonderte Behandlung der Dinge, von deren Kaliber es noch eine erhebliche Anzahl weiterer gibt, die wir mit der notwendigen Gründlichkeit schleunigst aufklären müssen, den Ablauf der Arbeit des Untersuchungsausschusses eher stören würde.
Außerdem können wir nicht verstehen, was die Formulierung „die Möglichkeit einer eigenständigen Verifizierung durch die im Bundestag vertretenen Fraktionen sicherzustellen" bedeuten soll. Eine Erklärung, was dieses letztlich bedeuten soll, haben Sie uns nicht gegeben. Sollen hier, Herr Kleinert, die Fraktionen untersuchungsausschußähnliche eigenständige Institutionen bilden, oder was verbirgt sich eigentlich dahinter?
Dazu haben wir den Untersuchungsausschuß. Weil wir dort in jedweder Beziehung Grund machen wollen, werden wir Ihren Antrag ablehnen.

(Beifall bei der SPD)


Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1105500600
Das Wort zur Geschäftsordnung hat der Abgeordnete Wolfgramm.

Torsten Wolfgramm (FDP):
Rede ID: ID1105500700
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Herr Kleinert hat zu Beginn seiner Rede selbst zwei Alternativen aufgestellt. Er hat gesagt: Man kann es im Untersuchungsausschuß, man kann es auch hier behandeln.
Wir entscheiden uns für Ihre erste Alternative.

(Heiterkeit bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU — Kleinert [Marburg] [GRÜNE]: Das habe ich doch gar nicht gesagt! Sie drehen mir das Wort im Mund herum!)

— Lesen Sie es im Protokoll nach. Da die Sitzung um 9.00 Uhr begonnen hat, werden Sie es ja sehr rasch bekommen.
Wir entscheiden uns deswegen für die erste Alternative, weil wir nicht jeden Teilbereich der Aufgaben, die dem Untersuchungsausschuß zugeordnet werden, jetzt hier behandeln wollen. Dann hätten wir eine Fülle weiterer Teilbereiche zu behandeln. Wir wollen das dem Untersuchungsausschuß überlassen — in dem die GRÜNEN auch einen Vertreter haben werden — , der das dann sorgfältig verhandeln kann.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1105500800
Meine Damen und Herren, wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Erweiterung der Tagesordnung. Wer stimmt für diesen Antrag? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Antrag ist abgelehnt.
Ich rufe Punkt 2 der Tagesordnung auf:
a) Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/ CSU und FDP
Einsetzung eines Untersuchungsausschusses
— Drucksache 11/1680 —
b) Beratung des Antrags der Fraktion der SPD Einsetzung eines Untersuchungsausschusses
— Drucksache 11/1683 (neu)
c) Beratung des Antrags der Fraktion DIE GRÜNEN
Einsetzung eines Untersuchungsausschusses
— Drucksache 11/1681 (neu)
Meine Damen und Herren, nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die gemeinsame Beratung eine Stunde vorgesehen. Sind Sie damit einverstanden? — Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Herr Abgeordneter Langner.

Dr. Manfred Langner (CDU):
Rede ID: ID1105500900
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Transnuklear-Untersuchungsausschuß, den wir heute einsetzen werden, wird in den nächsten Wochen eine Aufklärungsarbeit von höchster Bedeutung zu leisten haben. Die friedliche Nutzung der Kernenergie ist nach Tschernobyl ein zweites Mal schweren Vertrauensverlusten ausgesetzt. Offensichtliches menschliches Versagen beim Umgang mit der Kernenergie fordert eingehende rückhaltlose Untersuchungen.
Was bisher über unzulässige Transporte radioaktiven Abfalls, Falschdeklarationen und Schmiergeldzahlungen bekannt wurde, ist ein trauriges Kapitel menschlichen Fehlverhaltens. Die besten technischen Sicherheitseinrichtungen nützen nichts, wenn der Mensch beim Umgang mit der hochsensiblen Materie Kernenergie versagt.
Allen aber, die in verantwortlicher Weise ihren Pflichten als Mitarbeiter in kerntechnischen Betrieben nachkommen, gilt unser Respekt. Sie dürfen nicht durch pauschale Anklagen an den Pranger gestellt werden. Und rede auch niemand von Humanisierung der Arbeitswelt, der hier unterschiedslos die dort arbeitenden Menschen kriminalisiert.
Ungeheuerlich aber ist der Verdacht, daß waffenfähiges spaltbares Material unter Beteiligung deutscher Unternehmungen nach Pakistan und Libyen gelangt sein könnte. Ein Verstoß gegen den Atomwaffensperrvertrag, wäre er wirklich vorgekommen, würde den ganzen Mißständen eine völlig andere Dimension verleihen. Der Atomwaffensperrvertrag, der Nichtverbreitungsvertrag, ist eines der wichtigsten Instrumente zur Sicherung des Weltfriedens. Es wäre gerade in einer Zeit, in der wir zu weitreichenden internationalen Abrüstungsabkommen der Supermächte kommen, ein Schlag gegen die Hoffnung von uns allen, daß die Vermehrung der furchterregenden Kernwaffen endlich aufhört. Es liegt deshalb im nationalen Interesse, daß der Untersuchungsausschuß vorrangig hier sehr schnell Klarheit schafft. Bisher liegen nur Verdachtsmomente vor, zum Glück aber keinerlei



Dr. Langner
beweisbare Tatsachenerkenntnisse über eine Verletzung des Nichtverbreitungsvertrages. Wir hoffen sehr, daß die Untersuchung des Ausschusses die gestrige Erklärung des Regierungssprechers bestätigen wird, daß der geäußerte Verdacht ohne Grundlage ist.
In diesem Zusammenhang, meine Damen und Herren, möchte ich eines ausdrücklich hervorheben: Gerade weil ein Verstoß gegen den Atomwaffensperrvertrag schwere internationale Irritationen hervorrufen könnte, handelt jeder verantwortungslos, der einen bisher nicht bewiesenen Verdacht sofort zu einer feststehenden oder gar beweisbaren oder dokumentierbaren Tatsache erklärt.

(Baum [FDP]: Sehr richtig!)

Ein Verdacht darf eben nur Verdacht genannt werden; an Hauffs Märchen ist kein Bedarf.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Zuruf des Abg. Kleinert [Marburg] [GRÜNE])

Der Untersuchungsausschuß wird auch Gerüchte auf ihren Wahrheitsgehalt abklopfen müssen. Aber was letztlich zählt, sind beweisbare Tatsachen. Wir von der Union wollen wirklich wissen, wie es eigentlich gewesen ist. Hier werden wir allen Mißständen schonungslos und ohne Ansehen der Person nachgehen.

(Zuruf von den GRÜNEN: Da bin ich mal gespannt!)

Wir bedauern es, daß die sozialdemokratische Fraktion nicht bereit ist, die Untersuchung auf die Mißstände bei den Hanauer Nuklearunternehmen zu konzentrieren.

Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1105501000
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Penner?

Dr. Manfred Langner (CDU):
Rede ID: ID1105501100
Ja, gern.

Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1105501200
Bitte sehr, Herr Kollege Penner.

Dr. Willfried Penner (SPD):
Rede ID: ID1105501300
Verehrter Herr Langner, haben die hessischen Justizbehörden zu keinem Zeitpunkt angenommen, daß ein Verstoß gegen den Nichtverbreitungsvertrag vorläge?

(Baum [FDP]: Anfangsverdacht!)


Dr. Manfred Langner (CDU):
Rede ID: ID1105501400
Sie wissen als ehemaliger Staatsanwalt, daß eine Staatsanwaltschaft jedem Verdacht nachzugehen hat

(Dr. Hauff [SPD]: Das war nicht die Frage!)

und daß derjenige, der von so etwas hört, der Staatsanwaltschaft dies mitteilt. Dort wird dann Verdacht Verdacht genannt und nichts anderes.

(Dr. Vogel [SPD]: Na also, Anfangsverdacht! — Weitere Zurufe von der SPD — Zuruf des Abg. Bohl [CDU/CSU])

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir halten
es sogar für einen großen Fehler, den Untersuchungsausschuß, wie die SPD es will, mit der Geschichte der
friedlichen Nutzung der Kernenergie, angefangen bei Adam und Eva, — —

(Frau Unruh [GRÜNE]: Es gibt keine friedliche Nutzung! — Weitere Zurufe von den GRÜNEN)

— Aus den Reihen der GRÜNEN wird gerufen, es gebe keine friedliche Nutzung der Kernenergie.

(Kleinert [Marburg] [GRÜNE]: Sehr richtig!)

Meine Kollegen der Fraktion DIE GRÜNEN, Sie dürfen die unfriedliche Gesinnung eines Teils Ihrer Mitglieder nicht zum Ausgangspunkt nehmen, andere zu verdächtigen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Zurufe von den GRÜNEN)

Die Geschichte der Atomenergie, angefangen bei Adam und Eva,

(Schily [GRÜNE]: Da gab es sie erfreulicherweise noch nicht! Der Mann hat noch nicht einmal das Alte Testament gelesen!)

und ihre zukünftige Nutzung sollten nicht Gegenstand eines Untersuchungsausschusses sein. Eine so umfassende Aufgabe kann allenfalls eine sogenannte Enquete-Kommission bewältigen. Da die SPD beides vermischen will, besteht die Gefahr, daß am Ende nur halbe Sachen herauskommen:

(Baum [FDP]: Sehr richtig!)

weder ein wirklich fundiertes Enquete-Ergebnis noch eine umfassende Untersuchung der Hanauer Mißstände und der dafür Verantwortlichen. Ohne Prophet zu sein: Die Bewältigung des enqueteartigen Teils des SPD-Auftrags wird der Untersuchungsausschuß kaum leisten können.

(Dr. Vogel [SPD]: Sie wollen das anscheinend nicht!)

Aber wir werden darauf drängen, daß die MißstandsEnquete jedenfalls darunter nicht zu leiden hat.

(Dr. Vogel [SPD]: Sie können schon, Sie wollen nur nicht!)

Ich hoffe ja nicht, daß der gebremste Schaum in puncto Skandalaufklärung auf Rücksicht gegenüber altgedienten hessischen Parteifreunden zurückzuführen ist. Denn wir haben Vorkommnisse

(Schily [GRÜNE]: Waren Sie im Untersuchungsausschuß in Hessen?)

aus der Regierungszeit Osswald, Börner und Börner/ Fischer zu untersuchen.

(Schily [GRÜNE]: Wir sollten den Untersuchungsausschuß auch „Fischer" nennen!)

Vor einem guten halben Jahr hat die Union in Hessen die Regierung übernommen. Seitdem ist dort statt rot/grünem Spektakel konsequente Aufsicht über die Unternehmungen in Hanau

(Lachen bei der SPD)




Dr. Langner
und damit wirklich problemorientierte Umweltpolitik betrieben worden.

(Lambinus [SPD]: Sie nehmen das Ergebnis voraus!)

Erst unter der konsequenten Verwaltungsaufsicht des hessischen Umweltministers Weimar

(Lachen bei der SPD und den GRÜNEN)

sind doch die skandalösen Vorkommnisse aufgedeckt worden, die sich allesamt in SPD-Regierungszeiten ereignet haben. — Seien Sie nicht so aufgeregt.
Konsequent, entschieden

(Dr. Vogel [SPD]: Konsequente Verdachtsaufsicht!)

und richtig waren auch die Sofortmaßnahmen, die Bundesumweltminister Töpfer in Absprache mit seinem Ministerkollegen Weimar umgehend nach Bekanntwerden der jüngsten Vorwürfe ergriffen hat.

(Schily [GRÜNE]: Wann waren sie ihm denn bekannt geworden?)

Die Umweltpolitik der Union hebt sich eben von derjenigen der SPD und der GRÜNEN dadurch ab, daß nicht geredet, sondern konsequent gehandelt wird.

(Beifall bei der CDU/CSU — Widerspruch bei der SPD — Lachen bei den GRÜNEN)

Das ist der entscheidende Unterschied. Genauso konsequent werden wir im Untersuchungsausschuß Verdächten nachgehen, Mißstände aufklären und vor allen Dingen — und das ist das Entscheidende — Vorschläge machen, wie so etwas in Zukunft verhindert werden kann.
Wir haben der SPD angeboten, die Frage der weiteren friedlichen Nutzung der Kernenergie zum Thema einer gesonderten Enquete-Kommission zu machen, obwohl bereits 1980 eine Kommission „Zukünftige Kernenergiepolitik" berichtet hatte. Die SPD war hierzu nicht bereit, wohl auch deshalb, weil ein Untersuchungsausschuß publikumswirksamer erscheint. Da das Untersuchungsrecht ein parlamentarisches Minderheitsrecht ist, können wir den ausgeuferten Antrag der SPD natürlich nicht verhindern. Doch wird die Union darauf drängen, daß der Untersuchungsausschuß zumindest zum Thema Nichtverbreitung und möglichst auch zu den anderen zu klärenden Skandalfällen sehr bald einen Teilbericht erstellt. Wir wollen nicht, daß die notwendige und dringliche Aufklärung schwerwiegender Sorgfaltspflichtverletzungen und möglicher krimineller Taten über ein, zwei oder drei Jahre verschleppt wird. Dazu würde es aber kommen, wenn der Untersuchungsausschuß sofort auf die Frage des Für oder Wider der Kernenergie ausweicht.

(Dr. Vogel [SPD]: Das ist die Frage!)

Meine Damen und Herren Kollegen von der SPD, ich kann mir eine Anmerkung nicht verkneifen.

(Dr. Vogel [SPD]: Wirklich nicht? Versuchen Sie es mal!)

Wer einen Untersuchungsauftrag mit solch schwammigen Begriffen wie Vorkommnisse, Bestandsaufnahme und dergleichen mehr, mit so wenig präzisen Leerformeln vorlegt, wie das hier von Ihrer Seite geschehen ist, der muß wohl die Entwicklung der Literatur und Rechtsprechung zum Untersuchungsausschußrecht in der Bundesrepublik der letzten Jahre verschlafen haben, der muß selbst das, was in diesem Hause von Professoren,

(Beifall bei Abgeordneten der FDP)

die Ihnen ja nicht fernstehen, vorgetragen worden ist, verschlafen haben. Ich wundere mich, wie eine um den demokratischen Rechtsstaat so verdiente Partei wie die Sozialdemokratische Partei

(Schily [GRÜNE]: Das ist heuchlerisch!)

so unpräzise Anträge hier in diesem Haus vorlegen kann, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Dr. Vogel [SPD]: Haben Sie etwas von Pharisäern gehört?)

Aber die Vorwürfe, die gegen die Hanauer Nuklearunternehmen erhoben werden, werden wir dringlich und sofort aufklären. Es muß absolut sichergestellt werden,

(Dr. Vogel [SPD]: Absolut, ja!)

daß bei dem Umgang mit der Kernenergie ein höchster Grad an technischer Sicherheit sowie vor allem auch ein höchstes Maß an menschlichem Verantwortungsbewußtsein obwalten. Wir wollen Aufklärung, unverzüglich, ohne Ansehen der Person und rückhaltlos.
Danke schön.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1105501500
Das Wort hat der Abgeordnete Schäfer.

(Fellner [CDU/CSU]: Uns bleibt wieder nichts erspart! — Dr. Vogel [SPD]: Das sagt er nach der Rede vom Langner!)


Harald B. Schäfer (SPD):
Rede ID: ID1105501600
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Der Atomskandal hat das bei vielen nicht sonderlich ausgeprägte Vertrauen in die Atomindustrie grundlegend erschüttert. Statt nach den Atomunfällen in Windscale, in Harrisburg und in Tschernobyl zu begreifen und zu praktizieren, daß Integrität, große Transparenz und strikte Einhaltung und Beachtung von Recht und Gesetz oberste Maxime des Handelns sein müssen, wurde mit krimineller Energie das genaue Gegenteil betrieben, beispielsweise das Hin- und Herschieben von Atommüllfässern, die falsche Deklaration von Inhalten und das Versteckspiel mit dem verschwundenen Plutonium.
Staatliche Kontrolle und Aufsicht haben versagt. Politische Glaubwürdigkeit ist dadurch ein Stück mehr beschädigt worden.
Unsere Demokratie kann ohne Parteien nicht leben. Die Parteien können nicht ohne Vertrauen der Bürger leben. Die Urteilskraft der Öffentlichkeit ist weit fortgeschritten. Die Skandale, mit denen wir uns in den letzten Jahren auch hier im Deutschen Bundestag zu befassen hatten, haben Schwachstellen unserer politischen Kultur bloßgelegt.



Schäfer (Offenburg)

Die Politik insgesamt muß abhanden gekommenes Vertrauen zurückgewinnen. Deshalb muß das gesamte Parlament, müssen alle Fraktionen und Parteien unbeschadet, wie sie zu Fragen der Nutzung der Kernenergie stehen, die selbständige Aufklärung des gesamten Sachverhalts als gemeinsamen Auftrag verstehen.

(Beifall bei der SPD)

Jetzt ist nicht der Augenblick für Rechthaberei, wohl aber eine Zeit des Umdenkens. Deshalb darf der Untersuchungsausschuß nicht als Instrument parteitaktischer Platzvorteile mißbraucht werden.

(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Baum [FDP] — Bohl [CDU/CSU]: Sehr richtig! Halten Sie sich einmal daran!)

Ihr Beitrag, Herr Kollege Langner, war in diesem Zusammenhang wenig hilfreich.

(Beifall bei der SPD)

Deshalb muß der gesamte Themenkomplex Atomskandal und nicht nur der Themenkomplex Transnuklear — bei Nukem ist die Betriebsgenehmigung suspendiert worden — mit allen seinen Verästelungen Untersuchungsgegenstand sein, also nicht nur der Teil, der ins eigene politische Kalkül zu passen scheint.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Schonungslose Aufklärung ist gefragt, ohne Ansehen von Personen und politischer Verantwortlichkeit und Verantwortung in Vergangenheit und Gegenwart.
Wir Sozialdemokraten wissen um unsere Mitverantwortung, was die Kernkraftnutzung und ihre Förderung in der Vergangenheit angeht. Wir stehen zu dieser Verantwortung, auch wenn es nicht immer leicht ist. Wir Sozialdemokraten haben die Einführung der Kernenergie in der Bundesrepublik mit gefördert. Auch unter unserer Regierungsverantwortung sind Kernkraftwerke gebaut und in Betrieb genommen worden. Anders als die Union und die FDP haben wir allerdings diesen Weg nach einem langen, schwierigen, immer offen geführten Diskussions- und Lernprozeß als eine Sackgasse erkannt und daraus die Konsequenzen gezogen. Dies ist das Entscheidende.

(Beifall bei der SPD und der Abg. Frau Unruh [GRÜNE])

Wir Sozialdemokraten arbeiten für eine Energieversorgung ohne Atomkraft.

(Beifall bei der SPD)

Von uns aus werden wir alles tun, damit dieses Ziel innerhalb eines Zeitraums von zehn Jahren verwirklicht wird.
Meine Damen und Herren, was sind unsere Gründe für einen Untersuchungsausschuß? Unsere demokratische Gesellschaft, jeder Bürger, hat den Anspruch, daß die Atomwirtschaft nach Recht und Gesetz verfährt.

(Bohl [CDU/CSU]: Sehr richtig!)

Die Atomwirtschaft, von der das Gesetz zu Recht wegen der besonders großen Gefahren eine besondere
Zuverlässigkeit verlangt, hat diesem Anspruch nicht genügt.
Deshalb haben wir u. a. zu untersuchen, zu prüfen und zu bewerten: Seit wann sind von wem in welchem Umfang, in welcher Absicht, in wessen Auftrag und mit wessen Wissen und Unterstützung Gesetze verletzt, bestehende Regeln umgangen und Sicherheitsvorschriften mißachtet worden? Wer hat wann und in wessen Auftrag Schmier- bzw. Bestechungsgelder an wen und in welcher Absicht gezahlt? Wer hat diese Schmiergeldzahlungen gesteuert? Welche Anweisungen gab es, und wer hat sie gegeben? Waren sie kriminell? Wer hat davon seit wann gewußt? Welche Unternehmen sind davon betroffen?

(Schily [GRÜNE]: Welche Spenden sind gezahlt worden?)

Haben staatliche Stellen davon gewußt? Waren auch staatliche und andere Stellen Zuwendungsempfänger? Wer trägt wofür und in welchem Auftrag durch aktives Handeln oder Unterlassen Verantwortung? Wie war es möglich, daß kriminelles Handeln in einem derart sensiblen Bereich erfolgreich sein konnte?
Bei der Untersuchung dieser Fragen dürfen wir nicht stehenbleiben. Wir haben die Pflicht, auch zu untersuchen, ob die tatsächlichen Probleme bei der Entsorgung radioaktiver Abfälle dazu beigetragen haben, daß es zu Rechtsverstößen gekommen ist

(Dr. Vogel [SPD]: Sehr wahr!)

oder ob ausschließlich der Geldvorteil das Motiv war. Wer tatsächlich Aufklärung will, Herr Kollege Langner,

(Dr. Langner [CDU/CSU]: Wollen wir!)

darf sich nicht auf die in Hanau ansässigen Nuklearfirmen beschränken.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Die Atomindustrie in ihren gesamten nationalen und internationalen Verflechtungen,

(Beifall des Abg. Schily [GRÜNE])

aber auch die nationalen und internationalen Überwachungsbehörden müssen in die parlamentarische Prüfung einbezogen werden.
Unter anderem haben wir darzustellen und zu bewerten, wie die Organisation in der Atomwirtschaft ist, welche Verflechtungen bestehen, wie die Aufsichtsräte ihre Kontrolle ausgeführt haben, ob es an Kontrolle gefehlt hat und wer dafür die Verantwortung trägt.
Offengelegt werden muß unter anderem ebenso, wie es mit den Verbindungen und Bindungen zu staatlichen Stellen aussieht, z. B. zu den Aufsichts- und Genehmigungsbehörden.
Wir dürfen bei der notwendigen Klärung des Skandals, so wichtig sie ist, nicht stehenbleiben.

(Unruhe)


Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1105501700
Bitte fahren Sie fort, Herr Kollege. — Ich bitte um Aufmerksamkeit.

Harald B. Schäfer (SPD):
Rede ID: ID1105501800
Wir müssen uns auch fragen, ob wir nicht die gewaltige Dimension des Ent-



Schäfer (Offenburg)

sorgungsproblems in der Vergangenheit unterschätzt haben.

(Schily [GRÜNE]: Wir nicht!)

Wer — wie Bundesminister Töpfer — „tief schneiden
will" , darf vor diesen Fragen nicht zurückschrecken.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN)

Insofern hat der Untersuchungsausschuß eine doppelte Funktion: Er ist nicht nur Skandal-Enquete, die den Mißstand aufzuklären hat; er hat auch die Funktion der sogenannten legislativen Enquete, die Informationen über Probleme für entsprechende gesetzgeberische Folgerungen dem Parlament beschaffen muß.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN)

Dieses im Blick, wollen wir deshalb, anders als die Koalitionsfraktionen, den gesamten Entsorgungskomplex zum Gegenstand öffentlicher Untersuchungen machen.

(Baum [FDP]: Das können Sie auch in einer Enquete-Kommission!)

In diesem Zusammenhang sind unter anderem eine umfassende Analyse und Bewertung der Gefahren und Risiken beim Umgang, bei der Behandlung, beim Transport, bei der Lagerung von Kernbrennstoffen und Atommüll vorzunehmen.

(Lenzer [CDU/CSU]: Das kennen Sie doch alles, Herr Schäfer!)

Hierzu gehört auch die Frage, ob die Gefahren und Risiken beherrschbar sind und welcher Aufwand an Sicherungs- und Kontrollmaßnahmen dabei notwendig ist. Natürlich muß auch dargestellt und bewertet werden, ob die nach dem Atomgesetz geforderte sichere Entsorgung gewährleistet ist.
Ich sage nun etwas zur staatlichen Atomaufsicht und staatlichen Kontrolle: Die staatliche Aufsicht und Kontrolle haben offensichtlich versagt, und das schon seit Jahren. Die Gründe dafür und der Umfang dessen sind aufzuklären. Hierbei stellen sich unter anderem folgende Fragen: Welche Handlungen oder Unterlassungen sind im staatlichen Bereich im Zusammenhang mit den in Hanau ansässigen Nuklearbetrieben und den sonst an den Vorgängen beteiligten Unternehmen und Stellen begangen worden? Wie hat die Bundesregierung ihre Aufsicht wahrgenommen? Welche Anweisungen der Bundesregierung hat es beispielsweise an die hessische Genehmigungsbehörde im Zusammenhang mit den in Hanau ansässigen Nuklearbetrieben gegeben? Welche Rechtsverstöße hat es gegeben, und hatte die Bundesregierung Kenntnis davon? Was wurde daraufhin unternommen oder unterlassen? Und letztlich, meine Damen und Herren, muß der Aspekt zum Tragen kommen: Ist der Schutz für Leben und Gesundheit durch staatliche Aufsicht und Kontrolle ausreichend wahrgenommen worden, oder sind Vorsorge und Fürsorge für die Menschen verletzt worden?
Ich will einige Bemerkungen zum Problemfeld des möglichen Mißbrauchs der sogenannten zivilen Nutzung der Kernenergie für militärische Zwecke machen. Ich sage also etwas zum Problem der Proliferation.

(Fellner [CDU/CSU]: Aber sagen Sie nichts Falsches!)

Die Proliferationsgefahr, die mit der Nutzung der Kernenergie untrennbar verbunden ist, muß in ihrer gesamten Dimension dargestellt und bewertet werden. Wer sich bei der Untersuchung darauf beschränken möchte, lediglich der zugegebenermaßen wichtigen Frage nachzugehen, ob von deutscher Seite oder unter Beteiligung deutscher Firmen gegen den Atomwaffensperrvertrag verstoßen worden ist und ob die internationalen Kontrollen ausreichend sind, wird seiner Verantwortung und damit der Tragweite des Problems nicht gerecht. Es ist in diesem Zusammenhang auch wegen Ablenkungsmanöver daran zu erinnern, daß es der hessische Ministerpräsident, dann der hessische Umweltminister, dann der Bundesumweltminister waren, die mit ihrer Amtsautorität als erste den Verdacht, unter Beteiligung deutscher Firmen sei der Atomwaffensperrvertrag verletzt worden, in die Öffentlichkeit gebracht haben.

(Zurufe von der CDU/CSU)

Der Bundesumweltminister hat mit der Autorität einer Regierungserklärung am 15. Januar 1988, am letzten Freitag, im Deutschen Bundestag wörtlich ausgeführt:
Angesichts des ungeheuerlichen Verdachts,

(Zurufe von der CDU/CSU: Aha: „Verdacht"!)

daß über Deutschland spaltbares Material nach Libyen oder Pakistan verbracht worden sein könnte, habe ich ergänzend zur staatsanwaltschaftlichen Ermittlung alle Maßnahmen zur Aufklärung eingeleitet.

(Fellner [CDU/CSU]: Und was ist daran falsch?)

Damit haben auch Sie eine mögliche Schwachstelle der Kernenergienutzung erkannt und öffentlich darauf hingewiesen.

(Dr. Göhner [CDU/CSU]: Was hätten Sie denn gemacht?)

Deshalb, Herr Töpfer, sind Sie wie die anderen da nicht zu kritisieren.

(Fellner [CDU/CSU]: Wo sind die Beweise? — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

Ich wiederhole, was ich, als der Verdacht erstmals öffentlich geäußert wurde, für meine Fraktion ebenfalls öffentlich gesagt habe:

(Fellner [CDU/CSU]: Purzelbäume zuhauf!)

Wir wünschen, daß dieser Verdacht endgültig und eindeutig ausgeräumt werden kann. Wir wünschen dieses um unseres internationalen Ansehens willen, um der Friedensfähigkeit und der Glaubwürdigkeit unseres Landes willen. Bis heute ist der Verdacht nicht dementiert.

(Beifall bei der SPD)

Entscheidend bleibt — ich wiederhole das noch einmal — : Wir alle, das Parlament insgesamt, haben die



Schäfer (Offenburg)

Möglichkeit eines Verstoßes gegen den Atomwaffensperrvertrag unter deutscher Beteiligung als durchaus möglich angesehen. Das bedeutet, daß wir es bei der Aufarbeitung dieses Komplexes nicht bei zwei oder drei Fragen bewenden lassen können und dürfen.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN)

Die daraus zu ziehenden Konsequenzen gehen über den reinen Untersuchungsauftrag hinaus. Die von uns allen als realistisch angesehene Möglichkeit der Verletzung des Atomwaffensperrvertrags unter deutscher Beteiligung muß zur Umkehr der Energiepolitik führen, auch der Bundesregierung.

(Schily [GRÜNE]: Aber nicht erst in zehn Jahren!)

Ein Festhalten an der Wiederaufarbeitungsanlage in Wackersdorf und die Inbetriebnahme des Schnellen Brutreaktors in Kalkar ist auf diesem Hintergrund nicht einmal mehr zu verstehen, geschweige denn zu verantworten.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN — Zurufe von der CDU/CSU)

In beiden Anlagen fällt nämlich in großem Umfang atomwaffentaugliches Plutonium an, gegen dessen Mißbrauch zu militärischen Zwecken es letztlich keine technische Vorkehrung gibt.
Ich möchte an dieser Stelle auf die Warnung der international angesehenen Untersuchung der amerikanischen Ford Foundation hinweisen. In deren Bericht heißt es:
Der Plutoniumbrüter bedingt eine volle Bindung an den Plutonium-Brennstoffkreislauf und würde ungeheure Mengen Plutonium in den nationalen und internationalen Handel bringen. Unter diesen Umständen würde das Drängen nach Plutonium-Aufarbeitungsanlagen rasch wachsen, und es wäre schwer, sich dem zu widersetzen. Der Brüter würde somit das Problem der Verbreitung von Kernwaffen enorm komplizieren und die Möglichkeit, daß für Waffen geeignetes Material gestohlen oder unterschlagen wird, drastisch erhöhen.
Soweit dieses Zitat aus dem Atombericht der amerikanischen Ford Foundation. Es ist zwar spät, diese Warnung zu beherzigen, aber nicht zu spät.
Leider besteht wenig Hoffnung auf die Fähigkeit der Bundesregierung, zu der notwendigen grundlegenden Kurskorrektur in der Energiepolitik zu gelangen, vor allem nicht nach dem, was auch Sie, Herr Töpfer, bisher gesagt haben. Der Schlüsselsatz in Ihrer Regierungserklärung der letzten Woche zeigt dies allzu deutlich. Ich zitiere:
Es geht um die Gesundung und nicht um den Tod des Patienten.

(Sehr richtig! bei der CDU/CSU)

Ein Wort persönlich, Herr Töpfer: Ich halte es für geschmacklos, die Atomwirtschaft mit einem menschlichen Symbol zu versehen.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN — Zurufe von der CDU/CSU: Ach Gott! — Gerstein [CDU/CSU]: Demagogie!)

Ein anderer Vergleich wäre angemessener gewesen. Aber deutlich wird in diesem Zitat die Einstellung, die dahinter steht: Sie, Herr Töpfer, wollen Kernenergienutzung noch auf lange Sicht. Diesen Eindruck können Sie auch nicht durch geschickte Varianten in Interviews verwischen.
Wir Sozialdemokraten hingegen sind davon überzeugt, daß der Umstieg jetzt begonnen werden muß, da die Gefahren und Risiken, die untrennbar mit der Nukleartechnologie verbunden sind, letztlich nicht zu beherrschen sind,

(Zustimmung bei der SPD — Bohl [CDU/ CSU] : Alles in einen Topf!)

da die Nukleartechnologie mit ihrem hohen Gefahrenpotential den unfehlbaren Menschen voraussetzt, da wir nicht wissen, wohin wir mit den Atommüllbergen sollen, weil es keine sichere und gesicherte Entsorgung gibt, und da schließlich niemand mit Sicherheit ausschließen kann, daß die sogenannte zivile Nutzung der Kernenergie zu militärischen Zwecken mißbraucht werden kann.

(Dr. Göhner [CDU/CSU]: Die Entsorgung brauchen wir auch als Aussteiger!)

Das Ziel darf also nicht sein, der Atomwirtschaft weiter Auftrieb zu geben, sondern gefragt ist die Neuorientierung auf risikoärmere Energieformen.

(Beifall bei der SPD)

Deshalb wiederhole ich hier die sozialdemokratischen Forderungen, wie sie dem Bundestag bereits vorliegen: Keine Inbetriebnahme von neuen Kernkraftwerken,

(Zustimmung bei Abgeordneten der SPD)

keine Wiederaufarbeitungsanlage, keine Schnellen Brüter,

(Fellner [CDU/CSU]: Keine Entsorgung!)

schrittweise Stillegung der Kernkraftwerke, auf Dauer Stillegung der Betriebe, die Plutonium für Kernkraftwerke verwenden, Umsteuern in der Energiepolitik, z. B. durch Energieeinsparprogramme, gezielte Förderung regenerativer Energien sowie verstärkte Forschung, Entwicklung und Markteinführungshilfen für die breite Anwendung der solaren Energie.

(Beifall bei der SPD)

Das alles könnte man sofort tun. Hier gibt es keinen Grund, untätig zu bleiben. Warum tut die Bundesregierung hier nichts?

(Lenzer [CDU/CSU]: Euch geht es doch nicht um den Untersuchungsausschuß, sondern um diesen ganzen Schmus! — Dr. Vogel [SPD]: „Schmus" ist das? Das ist qualifiziert! — Gerstein [CDU/CSU]: Nürnberg, ick hör dir trapsen!)




Schäfer (Offenburg)

Meine Damen und Herren, bei allem, was uns in der Energiepolitik trennt — ich habe der Offenheit halber darauf hingewiesen — : Lassen Sie uns bitte den ernsthaften Versuch machen, tatsächlich gemeinsam Aufklärung zu betreiben!

(Fellner [CDU/CSU]: Fangt damit an!)

Alle Fraktionen halten einen Untersuchungsausschuß für notwendig. Alle Fraktionen bekunden damit, daß die Möglichkeiten der Bundesregierung zur Aufklärung und Klärung des Atomskandals nicht ausreichen.

Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1105501900
Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit ist abgelaufen. Bitte kommen Sie zum Schluß.

Harald B. Schäfer (SPD):
Rede ID: ID1105502000
In Gesprächen mit allen im Bundestag vertretenen Fraktionen haben wir versucht, einen gemeinsamen Untersuchungsauftrag zu formulieren. Dies war leider bis jetzt nicht möglich.
Der von uns vorgelegte Auftrag ist so umfassend, daß er Grundlage für das Untersuchungsbegehren aller im Deutschen Bundestag vertretenen Fraktionen sein kann.
Ich bedanke mich bei Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD — Schily [GRÜNE]: Den letzten Satz wollen wir dick unterstreichen!)


Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1105502100
Das Wort hat der Abgeordnete Baum.

Gerhart Rudolf Baum (FDP):
Rede ID: ID1105502200
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist unverzichtbar, daß wir die Diskussion um Nukem und Transnuklear auf der Basis gesicherter Erkenntnisse führen. Wir wissen einiges, aber längst nicht alles. In der letzten Woche sind große Unsicherheiten darüber entstanden, ob der Atomwaffensperrvertrag oder der Euratom-Vertrag verletzt worden sind.
Schon die spekulative Diskussion hat im Ausland Befürchtungen und Besorgnisse ausgelöst und zeigt, welche Dimension ein solcher Verstoß, würde er tatsächlich bewiesen werden können, haben würde. Bisher gibt es dafür keinen Anhaltspunkt, nur Verdachtsmomente. Wir wollen dennoch diesen Komplex gründlich aufklären und stellen ihn an den Anfang unserer Untersuchungen. Wir sind der Meinung, daß sich der Ausschuß mit diesem Komplex unverzüglich befassen muß.
Auch werden wir fragen, meine Damen und Herren, wie es zu den Unsicherheiten und Spekulationen der letzten Woche überhaupt kommen konnte. Allein der Sprecher der SPD hat auch nach der Sitzung vom Freitag hartnäckig behauptet, ihm lägen Beweise vor.

(Fellner [CDU/CSU]: Schlimmer Bursche!)

Das haben die Bundesregierung und die hessische Landesregierung nicht getan. Hier ist von Verdachtsmomenten die Rede gewesen, aber nicht von Beweisen. Allein diese Behauptung hat die Diskussion nicht nur verlängert, sondern auch Anlaß zu vertieften Spekulationen gegeben. Das war nicht nützlich, auch nicht im Interesse der Bundesrepublik Deutschland.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Ich möchte noch etwas sagen. Es ist am Rande der Umweltausschußsitzung am Donnerstagabend und in diesem Saale am Freitag auf Grund einiger Redebeiträge eine Stimmung entstanden, als sei das Faktum schon erwiesen, daß die Deutschen dem Gaddafi helfen, die Bombe zu bauen. Eine solche Stimmung ist auf Grund vager Verdachtsmomente erzeugt worden. Wir wollen das aufklären, Herr Schily, aber wir wollen es seriös machen. Wir wollen die Wahrheit wissen und ziehen keine Konsequenzen, bevor wir die Wahrheit wissen.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1105502300
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Stahl?

Gerhart Rudolf Baum (FDP):
Rede ID: ID1105502400
Ja, Herr Präsident.

Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1105502500
Bitte, Herr Kollege Stahl.

Erwin Stahl (SPD):
Rede ID: ID1105502600
Herr Kollege, würden Sie mir zustimmen, daß die Stimmung im Ausschuß und auch im Parlament und der Öffentlichkeit, bezogen auf den Atomsperrvertrag, durch Herrn Weimar, den Umweltminister des Landes Hessen, ausgelöst wurde,

(Widerspruch bei der CDU/CSU)

weil er, als ihm diese Vermutung zugetragen wurde, nicht dichtgehalten hat, bis die Staatsanwaltschaft sich eine leidlich gesicherte Meinung hätte bilden können?

(Dr. Göhner [CDU/CSU]: Soll er das Parlament belügen? Es ist ungeheuerlich, was Sie da verlangen!)


Gerhart Rudolf Baum (FDP):
Rede ID: ID1105502700
Herr Stahl, was hätten Sie Herrn Weimar vorgeworfen, wenn er so gehandelt hätte, wenn auch nur im Ansatz der Eindruck entstanden wäre, die Landesregierung würde eine solche Sachlage, daß nämlich die Staatsanwaltschaft untersuchen muß, verschweigen?

(Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Auch nur um einen Tag verzögern!)

Ich kritisiere überhaupt nicht, daß so vorgegangen worden ist. Ich meine allerdings, daß manche Töne, mit denen das dann vorgetragen worden ist, auch nicht gerade zur Beruhigung beigetragen haben.

(Dr. Vogel [SPD]: Aha!)

Aber ich wiederhole ganz deutlich: Von Beweisen ist von unserer Seite nie die Rede gewesen.

(Fellner [CDU/CSU]: Das ist der entscheidende Unterschied!)

Niemand hat von Regierungsseite den Eindruck erweckt, als sei das schon so und man müsse schon Schlußfolgerungen ziehen.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)




Baum
Wir haben das ja noch das ganze Wochenende erlebt.

Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1105502800
Herr Abgeordneter, lassen Sie eine weitere Frage des Abgeordneten Stahl zu?

Gerhart Rudolf Baum (FDP):
Rede ID: ID1105502900
Es wird jetzt ein bißchen lang. Aber bitte, noch eine.

(Bohl [CDU/CSU]: Das sind Zwischenfragen „zu Hauff " !)


Erwin Stahl (SPD):
Rede ID: ID1105503000
Herr Kollege Baum, würden Sie mir zustimmen, daß es zwar richtig ist, daß Herr Weimar die Staatsanwaltschaft informiert hat, aber daß man mit dem In-die-Öffentlichkeit-Gehen, sofort und ohne jegliche Erkenntnisse, doch wohl etwas zurückhaltender sein muß?

(Dr. Göhner [CDU/CSU]: Ein Ausschuß in Hessen war das!)


Gerhart Rudolf Baum (FDP):
Rede ID: ID1105503100
Also, wissen Sie, die Situation in Hessen, wenn ich richtig informiert bin, Herr Kollege Stahl, war die, daß Herr Fischer Herrn Wallmann gefragt hat.

(Schäfer [Offenburg] [SPD]: Nein, falsch!)

Erwarten Sie denn, daß Herr Wallmann hier kneift?
Hier mußte der Ministerpräsident doch etwas sagen.

(Dr. Vogel [SPD]: Falsch! Da ist das Protokoll! — Abg. Bachmaier [SPD] meldet sich zu einer Zwischenfrage)

— Gut. Was sollen die ganzen Zwischenfragen, meine Damen und Herren von der SPD? Sie sind doch offenbar über das Verhalten von Herrn Hauff selber nicht glücklich!

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1105503200
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Bachmaier?

Hermann Bachmaier (SPD):
Rede ID: ID1105503300
Herr Kollege Baum, Sie sind ja selber Mitglied des Umweltausschusses. Ist Ihnen entgangen, daß dort der hessische Umweltminister Weimar folgendes gesagt hat:
Nein, das ist nicht ein Informant, sondern das sind jetzt schon so sich verdichtende, von verschiedener Seite zuwachsende Informationen,

(Dr. Vogel [SPD]: Aha!)

aber nicht mir zuwachsende Informationen.

(Dr. Vogel [SPD]: Hört! Hört!)


Gerhart Rudolf Baum (FDP):
Rede ID: ID1105503400
„Nicht mir zuwachsende Informationen" ist ein großer Unterschied zu der Feststellung: Mir liegen Beweise vor.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Die letztere Feststellung ist von Ihnen getroffen worden.
Ich möchte auch einmal wissen — ich habe das ja soeben gesagt — : Wie konnte ein solchër Prozeß überhaupt in Gang kommen? Ist es wirklich nur Herr Kassing? Was hat er gesagt? Was hat er gewußt? Das möchte ich auch wissen. Das sollte der Ausschuß auch aufklären.

(Fellner [CDU/CSU]: Reklame hat er gemacht! — Abg. Schily [GRÜNE] meldet sich zu einer Zwischenfrage)


Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1105503500
Gestatten Sie die Zwischenfrage des Abgeordneten Schily?

Gerhart Rudolf Baum (FDP):
Rede ID: ID1105503600
Ja.

Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1105503700
Bitte sehr, Herr Kollege Schily.

Otto Schily (SPD):
Rede ID: ID1105503800
Herr Kollege Baum, wollen Sie der Öffentlichkeit etwa den Eindruck vermitteln, daß der Streit, der jetzt zwischen CDU/CSU und FDP sowie SPD ausgebrochen ist, über die Artikulation von Verdachtsmomenten ein Vorgriff darauf ist, wie Sie den Untersuchungsausschuß zu führen gedenken?

(Oh-Rufe! bei der CDU/CSU und der FDP)


Gerhart Rudolf Baum (FDP):
Rede ID: ID1105503900
Herr Schily, ich habe Ihnen soeben gesagt, daß dieser Komplex für uns am Anfang der Untersuchung steht. Ich habe gesagt, wir haben keine Anhaltspunkte, wir werden jedem Verdachtsmoment nachgehen. Wir wollen das untersuchen; wir müssen das untersuchen. Wir werden uns davor nicht drücken. Wir sagen aber hier am Pult des Deutschen Bundestages nicht, wie Sie das am Freitag gesagt haben, sozusagen schon als Schlußfolgerung aus diesem Komplex: Atomkraft gefährdet den Frieden. Das konnten Sie überzeugend doch nur tun unter der Stimmung, die erzeugt worden ist, als habe Gaddafi von uns die Bombe bekommen. So war doch die Stimmung.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Wir erwarten, daß der Untersuchungsausschuß zu diesem Komplex, den wir gerade erörtert haben, möglichst bald auch einen Zwischenbericht vorlegt. Auch das Europa-Parlament, hören wir, wird dazu einen Ausschuß einsetzen. Wir erwarten, daß nicht nur dort, sondern auch durch die belgische Regierung alles zum Atomwaffensperrvertrag geprüft wird und daß durch die Internationale Atomenergie-Agentur weitere Überprüfungen vorgenommen werden, die wir hier nicht durchführen können.
In einem zweiten Untersuchungskomplex wollen wir den eigentlichen Skandal Nukem/Transnuklear weiter aufklären. Wir wollen verläßlich wissen, in welcher Weise, in welchem Umfang und von wem im Zusammenhang mit Lieferungen nach Mol und zurück gegen gesetzliche Vorschriften verstoßen wurde, warum Falschdeklarationen erfolgt sind, warum sich Personen, nicht nur im Transportbereich, sondern auch Beschäftigte deutscher Kernkraftwerke, möglicherweise durch die Annahme ungesetzlicher Zahlungen schuldig gemacht haben. Wir wollen wissen, warum in Belgien möglicherweise Abfälle liegen, die dort nicht hingehören, und hier Abfälle liegen, die nicht hierher gehören.
Die Firma Nukem, so wollen wir wissen, hat offenbar schon 1985 gewußt, was vorging. Warum hat sie nichts getan? Warum hat die Aufsicht nicht funktio-



Baum
viert? Welche Rolle haben Unternehmensleitung und Aufsichtsorgane gespielt? Welche Schwachstellen gibt es? Wie kann die Bundesaufsicht verbessert werden? Was wußte die Degussa usw.?
Meine Damen und Herren, das ist ein großes Aufklärungsfeld. Nur in diesem Zusammenhang — ich verstehe, Herr Schäfer, die SPD überhaupt nicht — wollen wir die Entsorgungsfrage behandeln. Die kann man natürlich nicht abtrennen. Wir wollen sie aber im Zusammenhang mit diesem Fall behandeln,

(Dr. Vogel [SPD]: Ja, klar!)

d. h. vor allen Dingen im Hinblick auf die mittel- und schwachaktiven Abfälle, Herr Vogel, die hier zur Debatte stehen. Hier sind auch Schlußfolgerungen notwendig, die Herr Töpfer schon angekündigt hat, wenn er von Veränderungen der Entsorgungsstruktur spricht. Das muß geschehen.
Ich frage mich, was wir hier eigentlich tun. Die Entsorgungsfrage im allgemeinen ist Gegenstand z. B. eines Berichts, den die Bundesregierung in der letzten Woche beschlossen hat. Die Entsorgungsfrage ist Gegenstand der Beratungen des Umweltausschusses. Auf Ihren Antrag haben wir Anhörungen im April und im Mai zur Entsorgungsfrage, zum Kernenergieabwicklungsgesetz, zu Gorleben und Entsorgung. Wir nehmen also die Aufgaben des Parlaments ernst. Wir stellen uns den Fragen. Wir drücken uns doch nicht. Wir behandeln diese ganze Materie in dem zuständigen Fachausschuß. Das ist doch der richtige Weg. Es kann doch nicht wahr sein, daß wir jetzt einen Untersuchungsausschuß zur Aufklärung eines Skandals vermischen mit einer Enquete. Dann machen wir doch lieber gemeinsam eine Enquete. Wir haben schon zwei Enqueten zu diesem Thema mit hervorragenden Ergebnissen, die man immer noch nachlesen kann. Dann sollte das fortgeschrieben werden. Aber mit dem Mittel des Untersuchungsausschusses eine Enquete über ein weit gestecktes Ziel zu machen, halte ich wirklich nicht für erträglich.
Das führt uns auch dazu, daß wir die eigentliche Aufklärung, die wir brauchen, an die Seite drücken. Das führt möglicherweise dazu, daß wir die Schlußfolgerungen viel zu spät ziehen können, die wir aus dieser Sache ziehen müssen,

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

und daß eine Situation entsteht, die so aussieht, daß
wir nicht einmal mehr die notwendigen Gesetzesänderungen in dieser Legislaturperiode hinbekommen.
Ich möchte, Herr Töpfer, der Bundesregierung und den Landesregierungen, die aufsichtspflichtig sind, auch sagen: Lassen Sie sich bitte nicht durch das Parlament hindern, notwendige Entscheidungen zu treffen. Wenn Sie der Meinung sind, sofort etwas umsetzen zu müssen, dann müssen Sie es tun. Ich möchte z. B. sagen: Die Bundesregierung sollte dieses neue Bundesaufsichtsamt für kerntechnische Sicherheit und Strahlenschutz ruhig errichten und nicht erst warten, bis der lange Bericht über Entsorgung vorgelegt wird.
Es kommt ja noch etwas dazu, Herr Kollege Schäfer: Sie haben in bezug auf Hanau einen ganz unbestimmten Untersuchungsauftrag formuliert. Das ist doch — Frau Matthäus-Maier, Sie sind wirklich eine fachkundige Juristin — gefährlich. In welche Situation bringen Sie denn die Zeugen, die aussagen müssen? Sie können mit einem solch vagen Untersuchungsauftrag doch gar nicht Risiken ausschließen. Ein Zeuge muß doch entscheiden können, ob er aussagen muß, ob er aussagen kann. Bei einem so vagen Auftrag bringen Sie nicht nur das Parlament in Schwierigkeiten, sondern auch die Zeugen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Genau!)

Ich bin wirklich nicht glücklich, daß das so gelaufen ist. Wir hätten uns ohne Mühe, von einem gemeinsamen Aufklärungsbedürfnis getragen, auf einen gemeinsamen Auftrag für den Untersuchungsausschuß verständigen können. Leider ist das nicht geschehen.
Ich möchte nur noch sagen: Natürlich dürfen die Ermittlungsverfahren der Justiz nicht behindert werden. Es ist ja nicht das erste Mal, daß wir neben einem Untersuchungsausschuß staatsanwaltschaftliche Ermittlungsverfahren haben. Die dürfen nicht gestört werden. Sie können ja auch durch niemanden ersetzt werden. Ich habe keine Kritik an der Staatsanwaltschaft Hanau zu üben. Ich bin der Meinung, sie sollte ihre Tätigkeit fortsetzen, und zwar energisch. Das kann das Parlament gar nicht leisten.
Ich möchte zum Schluß noch einmal die wichtige Funktion herausarbeiten, die dieser Ausschuß hat. Erstens. Er soll die Sachverhalte aufklären. Aus unserer Sicht: möglicher Verstoß gegen den Atomwaffensperrvertrag und der eigentliche Skandal Nukem, Transnuklear. Und er soll das Parlament und die Öffentlichkeit über die Konsequenzen orientieren, die er zu ziehen gedenkt. Das soll möglichst schnell geschehen.
Zweitens. Der Ausschuß muß aber auch einen Beitrag dazu leisten, zumindest einen Teil des verlorengegangenen Vertrauens wiederzugewinnen. Viele Menschen in unserem Lande führen wieder eine Grundsatzdebatte über die Kernenergie. Das ist überhaupt nicht zu leugnen. Ich wiederhole hier, auch wenn das auf höhnischen Widerspruch der GRÜNEN stößt: Meine Partei ist seit langem der Meinung, daß die Kernenergie keine endgültige Antwort auf die Energieprobleme der Zukunft ist. Sie ist so lange eine Übergangsenergie, bis andere Energieformen zur Verfügung stehen. Aber auch diese Übergangszeit werden wir nur verantworten können — Herr Töpfer hat sich dieser Tage ähnlich geäußert — , wenn wir uns nachdrücklich um hohe Sicherheitsstandards, die immer wieder überprüft werden müssen, und um eine wirksame Entsorgungsvorsorge bemühen. Dazu muß der Untersuchungsausschuß ebenso einen Beitrag leisten wie zur Wiedergewinnung des Vertrauens.
Wir brauchen den sozialen Konsens auch für die Übergangszeit. Wir brauchen die Akzeptanz in der Bevölkerung; sonst könnten wir auch diese Übergangszeit nicht bestehen.
In diesem Sinne möchten wir in der Tat, Herr Schäfer, daß der Ausschuß nicht Instrument für parteipolitische Platzvorteile wird. Wir wollen nicht, daß dort vorgefaßte Meinungen bestätigt werden.



Baum
Wir sind zu gemeinsamer rückhaltloser Aufklärung entschlossen.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Dr. Vogel [SPD]: Der Satz hätte genügt!)


Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1105504000
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Daniels (Regensburg).

Dr. Wolfgang Daniels (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1105504100
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Staatsanwälte ermitteln, Journalisten recherchieren, Firmen zeigen sich selber an. Es geht um Verstöße gegen nationale und internationale Gesetze und Abmachungen. Kriminelle Handlungen in heute noch unklarer Dimension und Verschiebung von spaltbarem Material in allen Qualitäten — an all dem sind deutsche Firmen beteiligt. Es bleiben sehr viele Fragen offen, sogar mehr, als unser demokratisches Gemeinwesen ertragen kann.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wir begrüßen die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses, der von uns seit langer Zeit gefordert wird und der letzte Woche noch in seltener Einmütigkeit aller Atomparteien abgelehnt wurde.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wir teilen allerdings nicht die Auffassung, Herr Töpfer, daß das Ziel der Untersuchung die Gesundung des Patienten Atomindustrie sein soll. Die Atomindustrie ist die Krankheit, die uns zu leidenden Patienten macht.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wir meinen, daß all die Skandale, die jetzt langsam ans Tageslicht gebracht werden, keine Einzelfälle, sondern der Alltag der Atomindustrie sind.

(Fellner [CDU/CSU]: Na, na, na!)

Der „Bonner Energie-Report" fragt zu Recht, wieso auf Grund vorsichtiger Antdeutungen die Herren Wallmann und Weimar an die Öffentlichkeit stürmten. Hatten die Regierenden etwa definitive Erkenntnisse von Plutoniumschiebereien? Hatten sie vielleicht befürchtet, sie könnten von einer journalistischen Enthüllung überrascht werden? Herr Wallmann muß sich die Frage gefallen lassen, ob er mit seinem Vorpreschen verhindert hat, daß die Plutonium-Connections tatsächlich nachgewiesen werden können.
Hätte die Regierung angemessen reagieren wollen, dann hätte sie sofort alle Atomtransporte stoppen, die Grenzen für Atommüll dichtmachen und alle Anlagen im Brennstoffkreislauf sofort schließen müssen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Die Bundesregierung hat dies nicht getan, weil sie kein Interesse an der Aufdeckung desssen hat, was seit Jahren von verantwortungslosen Politikern als üblich und gängig akzeptiert worden ist.

(Frau Unruh [GRÜNE]: Menschen sind verprügelt worden!)

Ist es üblich und gängig, daß illegal Konstruktionszeichnungen für eine Urananreicherungsanlage von einem deutschen Unternehmen nach Pakistan geschafft wurden? Ist es üblich und gängig, daß die Bundesregierung zustimmt, abgebrannte plutoniumhaltige Brennelemente nach China zu liefern? Ist es üblich und gängig, daß 55 pakistanische Wissenschaftler in deutschen Kernforschungszentren auch in sensitiven Bereichen ausgebildet werden?

(Schily [GRÜNE]: Das ist doch einmal interessant! Dazu kann Herr Töpfer ja einmal etwas sagen!)

Ist es üblich und gängig, daß deutsche Firmen an den Iran, Argentinien, Südafrika, Indien und Brasilien teilweise ganze Atomanlagen lieferten und sich beispielsweise die brasilianischen Militärs heute rühmen, mit bundesdeutscher Hilfe über ein sogenanntes nukleares Parallelprogramm in den Besitz der Atombombe gelangt zu sein? Alle genannten Länder sind dem Atomwaffensperrvertrag nicht beigetreten.
Nun stelle ich Ihnen einen Kandidaten für den Untersuchungsausschuß vor: Herrn Alfred Hempel aus Düsseldorf. Herr Hempel lieferte im Juli 1985 5,8 Tonnen für die Bombenproduktion notwendiges schweres Wasser aus der Sowjetunion über die Schweiz nach Indien. Herr Hempel besitzt exklusive Handelsrechte im Nuklearbereich mit dem Ostblock sowie mit Belgien. Er ist vielfältig mit der Firma Nukem verflochten, und ihm werden gute Kontakte zum Bundesnachrichtendienst nachgesagt.

(Fellner [CDU/CSU]: Anscheinend auch zu euch! — Bohl [CDU/CSU]: Das ist der Hempel unter dem Sofa!)

Ab und zu versendet Herr Hempel auch schon einmal Weihnachtskarten mit sich in Wehrmachtsuniform.
1995 läuft der Atomwaffensperrvertrag aus. Es wird zu klären sein, was die Bundesregierung mit den in der Wiederaufarbeitungsanlage Wackersdorf dann möglicherweise anfallenden 6 Tonnen waffenfähigen Plutoniums beabsichtigt.
In diesem Zusammenhang ist es meiner Meinung nach auch unverantwortlich, daß die unseriöse Firma Nukem weiter Planungsaufträge für diese Wackersdorfer Anlage ausführt.
In den letzten Tagen haben die Euratom und die IAEA verlauten lassen, sie hätten alles im Griff. Kann man aber den Kontrollbehörden überhaupt Glauben schenken? Die Euratom, die nach Ihren Aussagen, Herr Töpfer, alles perfekt macht, deckt illegale Natururanlieferungen von Südafrika in die Vereinigten Staaten und leistet nach Berichten des „Spiegel" sogar Hilfestellung bei der Umdeklarierung dieses Materials auf hoher See.

(Frau Unruh [GRÜNE]: Hört! Hört!)

Ich gehe selbstverständlich davon aus, daß diese Punkte neben der den Bestechungsskandalen zugrunde liegenden Verfilzung der Atomindustrie, den Risiken bei Umgang, Lagerung und Transport radioaktiven Materials und auch die ungelöste Entsorgung in dem Untersuchungsausschuß genauestens erkundet werden.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Diese Entsorgung geschieht heute eher unter dem Motto: Was du heut' nicht kannst entsorgen, daß verschiebe ruhig auf morgen.



Dr. Daniels (Regensburg)

Wir wehren uns schon jetzt gegen die Versuche der Regierungsparteien, den Untersuchungsauftrag einzuengen, um das wahre Ausmaß des Skandals zu vertuschen. Wir erhoffen uns, was das Fragerecht der Opposition im Ausschuß angeht, daß das Recht der Minderheit auch bei unbequemen Fragestellungen garantiert und nicht — wie im Flick-Ausschuß des öfteren geschehen — abgewürgt wird.

(Dr. Langner [CDU/CSU]: Sie haben doch keine Ahnung wovon Sie reden!)

Liebe Mitbürger und Mitbürgerinnen, ich rufe Sie von dieser Stelle aus auf, sich an den Blockaden gegen Atommülltransporte zu beteiligen.

(Beifall bei den GRÜNEN)


Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1105504200
Herr Abgeordneter, ich kann diesen Aufruf nicht zulassen. Bitte nehmen Sie das zurück! Das geht nicht!

Dr. Wolfgang Daniels (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1105504300
Ein letzter Satz.
— Es finden Tausende von solchen Atomtransporten statt. Erst diese ermöglichen die dunklen Geschäfte der Atomindustrie.

(Beifall bei den GRÜNEN)


Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1105504400
Herr Abgeordneter, ich muß diesen Aufruf zurückweisen. Es ist unmöglich, vom Pult des Deutschen Bundestages aus zur Gesetzesblockade aufzufordern.

(Lebhafte Zurufe von den GRÜNEN)

— Ich rufe Sie zur Ordnung, Frau Abgeordnete Unruh.

(Erneuter Zuruf der Abgeordneten Frau Unruh [GRÜNE] — Weitere lebhafte Zurufe von den GRÜNEN)

— Ich rufe Sie erneut zur Ordnung und weise Sie darauf hin, daß ich Sie aus dem Saal verweisen muß, wenn Sie sich nicht an die Ordnung des Hauses halten.

(Schily [GRÜNE]: Das wäre doch mal was!)

Meine Damen und Herren, bevor ich den nächsten Redner aufrufe, darf ich einige Gäste begrüßen. Auf der Ehrentribüne hat eine Delegation des Ausschusses für Außenpolitik der Versammlung der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien Platz genommen, die in diesen Tagen als Gast den Deutschen Bundestag besucht.

(Beifall)

Ich begrüße Sie, meine Damen und Herren, verehrte Kolleginnen und Kollegen, sehr herzlich und hoffe, daß Ihr Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland Ihnen interessante und nützliche Begegnungen und Gespräche ermöglicht. Wir sind überzeugt, daß Ihr Besuch zur weiteren Festigung der Beziehungen zwischen unseren Parlamenten und zwischen unseren Ländern beitragen wird.
Das Wort hat der Abgeordnete Bohl.

Friedrich Bohl (CDU):
Rede ID: ID1105504500
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zunächst einmal möchte ich hier die Aufforderung, die Sie, Herr Kollege Daniels, meinten an die deutsche Öffentlichkeit richten zu sollen, mit aller Entschiedenheit und allem Nachdruck zurückweisen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Wir haben hier gesetzlich geordnete Verfahren. Wir haben vertragliche Verpflichtungen, auch mit anderen Staaten und Ländern. Nach Gesetz und Recht werden solche Transporte vorgenommen.

(Kleinert [Marburg] [GRÜNE]: Sie wissen gar nicht, was da transportiert wird!)

Ich kann den Herrn Umweltminister nur auffordern, das, was in diesen Tagen ansteht, auch mit aller Entschiedenheit zu einem erfolgreichen Abschluß zu bringen. Herr Minister, wir, die CDU/CSU, fordern Sie dazu auf.

(Lenzer [CDU/CSU]: Es kann nicht jeder Landrat und jeder Bürgermeister machen, was er will!)


Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1105504600
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Schily?)

Friedrich Bohl (CDU):
Rede ID: ID1105504700
Im Moment nicht. Ich gestatte gleich eine Zwischenfrage. Herr Schily, Sie kommen gleich dran.
Ich möchte zunächst einmal einfach eine Frage stellen. Diesem Ausschuß wird ja ein Auftrag erteilt werden; gegebenenfalls werden ihm zwei Aufträge erteilt. Ich habe nach dem bisherigen Verlauf der Debatte, zumindest was die Äußerung des Kollegen Schäfer und auch die Äußerung des Kollegen der GRÜNEN angeht, den Eindruck, als brauchten wir diesen Ausschuß gar nicht, denn Ihr Urteil steht ja schon fest.
Ich muß also wirklich einmal fragen: Was soll denn der Ausschuß noch tun, wenn Sie schon alles wissen, was als Ergebnis dieses Ausschusses feststehen soll? Ich muß sagen: Da ist ein sehr merkwürdiges Verfahren, das Sie hier an den Tag legen.
Ich bin der Überzeugung, daß nur Sachlichkeit und Aufklärung die Leitlinie für die Arbeit dieses Untersuchungsausschusses sein können. Die Vorverurteilungen und die Kultivierung von Verdachtsmomenten, so wie es der Herr Schily immer wieder betreibt, sind genau der falsche politische Ansatz. Wir sollten uns keiner Illusion hingeben — das geht auch an Ihre Adresse, Herr Schäfer — : Hier kann keiner ohne Schaden für das Gemeinwohl sein parteipolitisches Süppchen kochen.
Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, verehrter Herr Kollege Schily, daß Sie Ihre klammheimliche Freude über die Vorfälle nur mühsam unterdrükken können,

(Zurufe von den GRÜNEN — Zustimmung bei Abgeordneten der CDU/CSU)

weil Sie sich nämlich erhoffen, Ihre innerparteilichen Gegensätze, die für eine breite deutsche Öffentlichkeit offenkundig sind, verdecken zu können. Sie wollen sich nur einmal mehr in der Rolle des selbsternannten öffentlichen Anklägers betätigen, um die Reihen der GRÜNEN schließen und innerparteilich



Bohl
Punkte sammeln zu können. Das ist der wahre Grund, weshalb Sie sich hier so aufplustern.

Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1105504800
Herr Abgeordneter Bohl, lassen Sie jetzt eine Zwischenfrage zu?

Friedrich Bohl (CDU):
Rede ID: ID1105504900
Gerne.

Otto Schily (SPD):
Rede ID: ID1105505000
Herr Bohl, es juckt mich natürlich, auf das, was Sie zuletzt gesagt haben, einzugehen, aber ich wollte Ihnen die Frage stellen — damit Sie die Gelegenheit haben, zu einer sachlichen Ausführung zurückzukehren — , ob Sie die Auffassung des gegenwärtig amtierenden schleswig-holsteinischen Ministerpräsidenten, der dem Vernehmen nach der CDU angehört, teilen, daß weitere Atommülltransporte durch Schleswig-Holstein unterbleiben sollen.

Friedrich Bohl (CDU):
Rede ID: ID1105505100
Herr Kollege Schily, ich will Ihnen ganz eindeutig und klar sagen: Wir werden als CDU/CSU-Fraktion den Umweltminister in seinem Bemühen rückhaltlos unterstützen, das zu tun, was nach Gesetz und Recht und zwischenstaatlichen Verträgen die Pflicht dieser Bundesregierung ist. Wir gehen davon aus, daß sich alle anderen staatlichen Behörden selbstverständlich ebenso deutlich an diese Vorgaben halten werden.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Zurufe von der SPD)

Meine Damen und Herren, die Bundesregierung und die hessische Landesregierung haben durch ihr Handeln bewiesen: Wenn die Sicherheit nicht gewährleistet ist, wird abgeschaltet und werden Genehmigungen entzogen. Die Sicherheit muß über allem stehen. Oberste Maxime ist es, daß die Sicherheit und Gesundheit der Bürger im Vordergrund stehen.
An dieser Stelle ein klares Wort auch zu dem, was Sie Herrn Weimar meinten vorwerfen zu müssen. Ich muß mich darüber doch sehr, sehr wundern. Erst kultivieren Sie Verdachtsmomente, dann werden sie, heute auch hier im Bundestag, in den Ausschüssen vor laufenden und surrenden Fernsehkameras immer neu hervorgeholt, und wenn Herr Weimar dem nachgeht und seine Informationen, die er erhält, der Staatsanwaltschaft zur Verfügung stellt, dann reden Sie davon, er setze unberechtigterweise irgend etwas in die Welt. Ich muß mich darüber sehr, sehr wundern.

(Fellner [CDU/CSU]: Das ist infam!)

Es ist richtig, wir leben nicht in einer Verdachtsdemokratie, aber das müssen Sie sich einmal hinter die Ohren schreiben.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Hier geht es doch darum, daß wir Verdachtsmomenten in einem rechtsstaatlich korrekten Verfahren nachgehen. Wenn sich Verdachtsmomente verdichten, müssen Anklagen erhoben werden, und wenn Beweise vorliegen, können auch Verurteilungen erfolgen. So und nicht anders muß es laufen.
In diesem Zusammenhang lege ich großen Wert auf die Feststellung, daß wir als CDU/CSU-Fraktion uns, soweit wir dazu Möglichkeiten haben, auch an der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit bei der Aufklärung beteiligen wollen. Wir haben eine gemeinsame Arbeitsgruppe mit unseren CDU/CSU-Kollegen im Europäischen Parlament gebildet, und wir erhoffen uns davon einen regen Austausch von Informationen und Erkenntnissen.
In Europa lebt jeder neben einem Kernkraftwerk, und durch ganz Europa werden auch in Zukunft Atommülltransporte notwendig sein. Deshalb ist es gut, wenn wir die europäische Dimension des Problems nicht aus den Augen verlieren und auf eine sichere Lösung des Problems der Atommülltransporte auf europäischer Ebene hinarbeiten.
Meine Damen und Herren, was die GRÜNEN über das Verhältnis zwischen Politik, Industrie und Energiewirtschaft an die Wand malen, ist ein Zerrbild der Wirklichkeit. Ich muß fragen: Woher nehmen Sie eigentlich das Recht, in dieser Weise pauschal über Politiker und sonstige Verantwortliche herzufallen, die sich aus ihrer Verantwortung bemühen, die Energieversorgung der Bundesrepublik Deutschland als eines hochentwickelten und arbeitsteiligen Industriestaates sicherzustellen, zum Wohle unserer Volkswirtschaft, die auf preiswerte Energie angewiesen ist, und damit zur Sicherung der Arbeitsplätze? Das ist eine Unverfrorenheit, die Sie an den Tag legen, die ich entschieden zurückweise.
Nun will ich Ihnen noch etwas sagen, Frau Kollegin Unruh, weil Sie sich vorhin wieder so besonders betätigt haben: Ich habe mit hohem Respekt zur Kenntnis genommen, daß Sie zu mir kamen und mir Ihre distanzierende Presseerklärung zu den unglaublichen Ausfällen der Frau Ditfurth in Sachen Gewalt präsentiert haben. Das habe ich Ihnen hoch angerechnet.
Ich habe Frau Ditfurth und Sie im Zusammenhang mit diesen Dingen nie in einen Topf geworfen. Ich finde es unglaublich, daß Sie nicht die Kraft aufbringen, zwischen denjenigen, die möglicherweise fehlerhaft gehandelt haben, und denjenigen zu differenzieren, die sich verantwortlich bemühen, die Energieversorgung der Bundesrepublik Deutschland sicherzustellen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1105505200
Herr Abgeordneter Bohl, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Frau Kollegin Unruh?

Friedrich Bohl (CDU):
Rede ID: ID1105505300
Ja.

Gertrud Unruh (GRÜNE):
Rede ID: ID1105505400
Sehr geehrter Herr Kollege, trifft es zu, daß Bürger von der Polizei verprügelt worden sind, weil sie Angst hatten,

(Fellner [CDU/CSU]: Wegen der Angst sicher nicht!)

daß dort eventuell etwas verschoben würde, worüber nicht nur die Bundesrepublik Deutschland, sondern die ganze Welt empört gewesen wäre?

(Zuruf von der CDU/CSU: „wäre"!)


Friedrich Bohl (CDU):
Rede ID: ID1105505500
Frau Kollegin Unruh, ich kann keinen Zusammenhang mit dem feststellen, was ich Ihnen hier vorgehalten habe.

(Kleinert [Marburg] [GRÜNE]: Da ist sehr wohl ein Zusammenhang!)




Bohl
Ich bedanke mich, daß Sie das bestätigen, was ich Ihnen gesagt habe. Ansonsten werden sicherlich Staatsanwaltschaft und Gerichte Ihren Hinweisen über solche Vorfälle nachgehen, und das wird dann aufgeklärt werden.
Meine Damen und Herren, wir sind nicht die Atomlobby. Wir sind die Lobby der Bürgerinnen und Bürger, die einen Anspruch darauf haben, daß wir für Wohlfahrt und Wohlstand in der Bundesrepublik Deutschland sorgen.
Die Stunde der Wahrheit, meine Damen und Herren, wird insbesondere auch für Herrn Schily kommen, wenn sein Freund Josef Fischer vor dem Untersuchungsausschuß des Deutschen Bundestages seine klägliche Rolle in dieser Angelegenheit in ganzer Breite darlegen darf.

(Schily [GRÜNE]: Die Platte hatten Sie doch schon eben aufgelegt!)

Dieses Joch werden wir Ihnen, Herr Schily, nicht ersparen. Ihre Rolle als Pflichtverteidiger wird Ihnen noch einmal in vollem Maße abverlangt werden.

(Schily [GRÜNE]: Aber ich werde es nicht so machen wie Sie bei Herrn Kohl — keine Fragen — , sondern ich werde auch fragen!)

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich schließlich feststellen, daß wir hier seitens CDU/CSU und FDP einen klaren und eindeutigen Untersuchungsauftrag, der präzise formuliert ist, vorlegen. Wir sind der Meinung, daß nicht nur — das wollen wir hier klar sagen — die Vorgänge aufgeklärt werden müssen, sondern — und dabei steht auch nicht nur diese Bundesregierung auf dem Prüfstand, sondern auch frühere — daß auf Grund dieser Vorfälle selbstverständlich auch exekutive und legislative Konsequenzen vorgeschlagen werden sollten.
Allerdings: Die grenzenlose Ausweitung auf die gesamte Entsorgungsproblematik, die die SPD hier will,

(Sehr gut! bei den GRÜNEN)

halten wir für ausgesprochen problematisch. Ich habe hier schon gesprächsweise Gelegenheit gehabt, darauf hinzuweisen und will auch noch einmal auf die Aussagen des Kollegen Dr. Langner dazu hinweisen: Wir können uns wegen des verfassungsmäßig garantierten Minderheitenrechts der Opposition dagegen nicht wehren. Wir werden den Antrag der SPD deshalb auch insoweit passieren lassen, wenngleich wir bedauern, daß wir erst heute während der Sitzung eine veränderte Fassung dieses Antrages vorgelegt bekommen haben.

(Kleinert [Marburg] [GRÜNE]: Sie haben doch gar keine andere Möglichkeit! Erzählen Sie doch nicht so einen Stuß! — Schily [GRÜNE]: Das ist kein Gnadenakt, Herr Bohl, sondern es steht in der Verfassung, daß Sie das müssen! Sie müssen das akzeptieren!)

Das bezieht sich auch auf die Namensgebung für diesen Ausschuß. Herr Präsident, ich stelle mir jedenfalls namens meiner Fraktion vor, daß der Name dieses gemeinsamen Ausschusses lauten könnte: „Atomskandal — Transnuklear". Dann hätten wir beide Begriffe in einem Titel für diesen Ausschuß verwandt.
Ich glaube, dann kämen wir der Sache schon näher.

(Dr. Vogel [SPD]: Schrägstrich!)

— Kein Schrägstrich.

(Dr. Vogel [SPD]: Schrägstrich, nix Bindestrich!)

— Bindestrich! Ich schlage Bindestrich vor. (Erneuter Zuruf des Abg. Dr. Vogel [SPD])

— Aber, Herr Oberlehrer Vogel, wir werden uns über den Vorschlag Schrägstrich statt Bindestrich gern noch unterhalten.
Wir erwarten, Herr Präsident, meine Damen und Herren, daß der Untersuchungsausschuß der deutschen Öffentlichkeit und dem Bundestag unverzüglich das Ergebnis seiner Ermittlungen zu dem Komplex Atomwaffensperrvertrag vorlegt. Hier muß schnell die notwendige Klarheit geschaffen werden. Das kann auch in der Form eines Zwischenberichts geschehen.
Wir wollen auch, daß dann die weiteren Vorfälle bei den Hanauer Atomfabriken untersucht werden. Auch hier ist ein weiterer Zwischenbericht denkbar.
Die allgemeine Entsorgungsproblematik soll selbstverständlich auch untersucht werden. Wir können uns dagegen nicht wehren, auch wenn wir es an dieser Stelle für nicht zweckmäßig halten. Aber das sollte dann in einem zeitlich vernünftigen Rahmen geschehen, so daß zunächst die notwendige Klarheit entsteht, auf die die Bürger und auf die der Deutsche Bundestag einen Anspruch haben.
In diesem Sinne hoffen wir auf eine zügige und konstruktive Aufklärungsarbeit dieses Untersuchungsausschusses „Atomskandal — Transnuklear".

Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1105505600
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zu den Abstimmungen. Meine Damen und Herren, es liegen drei Anträge auf Einsetzung von Untersuchungsausschüssen vor, von den zwei das nach Art. 44 Grundgesetz erforderliche Quorum von einem Viertel der Mitglieder des Deutschen Bundestages aufweisen.
Mir ist mitgeteilt worden, daß die in den Anträgen aufgeführten unterschiedlichen Untersuchungsthemen in nur einem Untersuchungsausschuß behandelt werden sollen, daß also nur e i n Untersuchungsausschuß eingesetzt werden soll.
Ungeachtet dessen müssen wir aus verfassungsrechtlichen Gründen über die einzelnen Anträge einzeln abstimmen. Wir kommen zunächst zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und FDP auf ,der Drucksache 11/1680. Der Untersuchungsausschuß ist von einem Viertel der Mitglieder des Bundestages beantragt worden. Der Bundestag ist daher nach Art. 44 Abs. 1 Satz 1 des Grundgesetzes zur Einsetzung verpflichtet.
Meine Damen und Herren, erhebt sich gegen die Feststellung, daß der Untersuchungsausschuß mit den im Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und FDP bezeichneten Beweisthemen eingesetzt ist, Wider-



Präsident Dr. Jenninger
spruch? — Das ist nicht der Fall. Dann ist die Einsetzung so beschlossen.
Wir kommen nunmehr zur Abstimmung über den Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Einsetzung eines Untersuchungsausschusses auf der Drucksache 11/1681 (neu).
Dieser Antrag verfügt nicht über das nach Art. 44 Grundgesetz erforderliche Quorum. Deswegen muß ich förmlich abstimmen lassen. Wer stimmt für diesen Antrag? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Antrag ist abgelehnt.
Wir kommen nunmehr zu dem Antrag der Fraktion der SPD auf Einsetzung eines Untersuchungsausschusses auf Drucksache 11/1683 (neu). Auch dieser Untersuchungsausschuß ist von einem Viertel der Mitglieder des Bundestages beantragt worden. Daher ist der Bundestag auch hier nach Art. 44 Abs. 1 Satz 1 des Grundgesetzes zur Einsetzung verpflichtet.
Erhebt sich gegen die Feststellung, daß der bereits beschlossene Untersuchungsausschuß auch mit den im Antrag der SPD bezeichneten Beweisthemen eingesetzt ist, Widerspruch? — Das ist nicht der Fall. Dann ist auch so beschlossen.
Meine Damen und Herren, auf Grund dieser Beschlüsse ist somit e i n Untersuchungsausschuß eingesetzt worden, dessen Untersuchungsauftrag sich aus dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und FDP auf Drucksache 11/1680 und aus dem Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/1683 (neu) ergibt. Der Ausschuß hat elf Mitglieder. Seinem Verfahren werden die sogenannten IPA-Regeln zugrunde gelegt. Sind Sie damit einverstanden? — Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich rufe nunmehr Punkt 3 der Tagesordnung sowie den Zusatztagesordnungspunkt 1 auf :
Beratung des Antrags der Fraktion der SPD Politische Bildung
— Drucksache 11/1573 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Innenausschuß (federführend)

Ausschuß für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit Ausschuß für Bildung und Wissenschaft
ZP 1 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Miltner, Daweke, Graf von Waldburg-Zeil, Frau Hasselfeldt, Frau Pack, Harries, Nelle, Oswald, Schemken, Gerster (Mainz), Dr. Blank, Dr. Blens, Clemens, Fellner, Dr. Hüsch, Kalisch, Dr. Kappes, Krey, Dr. Laufs, Frau Limbach, Neumann (Bremen), Dr. Olderog, Regenspurger, Frau Dr. Wisniewski, Weiß (Kaiserslautern), Zeitlmann, Magin und der Fraktion der CDU/CSU) sowie der Abgeordneten Neuhausen, Richter, Dr. Thomae, Dr.-Ing. Laermann, Kohn, Timm und der Fraktion der FDP
Auftrag der politischen Bildung in der Demokratie
— Drucksache 11/1689 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Innenausschuß (federführend)

Ausschuß für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit Ausschuß für Bildung und Wissenschaft
Meine Damen und Herren, der Ältestenrat schlägt hierzu als Beratungszeit zwei Stunden vor. Zu dieser Ankündigung wird das Wort zu einem Geschäftsordnungsantrag gewünscht. Ich erteile das Wort zur Geschäftsordnung der Abgeordneten Frau Dr. Hamm-Brücher.

(Unruhe)

— Frau Kollegin Dr. Hamm-Brücher, ich würde einen Augenblick unterbrechen, bis die Kolleginnen und Kollegen, die sich aus dem Saal begeben wollen, diesen verlassen haben. — Darf ich die Damen und Herren, die den Saal nicht verlassen wollen, bitten, Platz zu nehmen. —

(Anhaltende Unruhe)

Meine Damen und Herren, ich habe nicht die Absicht, die Beratungen fortzusetzen, wenn meinen Anweisungen nicht Folge geleistet wird. Das gilt auch für die hintere Hälfte des Saales. — Das Wort zur Geschäftsordnung hat nun Frau Abgeordnete Dr. Hamm-Brücher.

Dr. Hildegard Hamm-Brücher (FDP):
Rede ID: ID1105505700
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte zur Geschäftsordnung vorschlagen, daß wir anläßlich der Aussprache über die politische Bildung, ihre Förderung und ihre Verbesserung das praktizieren, was die Ad-hoc-Kommission Parlamentsreform dem Hohen Haus bereits vor drei Jahren einstimmig empfohlen hat. Ich möchte aus dieser Empfehlung, Herr Präsident, kurz verlesen, was in Punkt 3 niedergelegt wurde:
Ziel dieser Empfehlung ist es, neben der Redezeit, die den Fraktionen nach ihrem Stärkeverhältnis zugemessen und von diesen intern aufgeteilt wird, unverplante Redezeit für „freie" Wortmeldungen zur Verfügung zu haben, um die Redechancen des einzelen Abgeordneten zu verbessern und damit zu einer Belebung der Aussprache mit beizutragen. Durch die feste Verplanung der Redezeit ist es nicht immer möglich, spontane Wortmeldungen und entsprechende kurze Rede- und Gegenredebeiträge zu berücksichtigen. Eine Folge dieser Praxis
— stellt die Ad-hoc-Kommission fest —
... ist, daß das verfassungsrechtlich gewährleistete Rederecht des einzelnen Abgeordneten — das durch Redevereinbarungen zwischen den Fraktionen im Kern nicht angetastet werden darf — sich weitgehend auf geplante, schriftlich vorbereitete Beiträge der jeweiligen Sprecher . . . konzentriert hat. Nicht zuletzt darin wird ein Grund für mangelndes Interesse der Öffentlichkeit und nicht selten geringe Präsenz der Abgeordneten im Plenarsaal gesehen.
Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen, das haben wir uns vor drei Jahren vorgenommen. Ich habe bereits wiederholt versucht, diese Empfehlung hier auch einmal zu praktizieren. Das letzte Mal wurde es mit der Begründung abgelehnt, man habe von meiner Absicht zu spät erfahren und könne ihr nunmehr bedauerlicherweise nicht mehr Rechnung tragen.



Frau Dr. Hamm-Brücher
Diesmal habe ich mir das zu Herzen genommen, meine Damen und Herren, und in dem Augenblick in dem der einfache Abgeordnete die Tagesordnung für die Woche bekommt, nämlich am Montagvormittag, umgehend einen Brief an den Herrn Präsidenten, die Fraktionsvorsitzenden und die Mitglieder des Altestenrats gesandt und gebeten, diese wichtige Debatte nicht von vornherein in das Zwei-Stunden-Korsett zu zwängen, sondern abzuwarten, ob es weitere Wortmeldungen gibt, die sich aus der Debatte ergeben, um die Gesamtdebattenzeit dann ein bißchen flexibler zu handhaben. Der Brief lag also rechtzeitig vor und hätte in den Fraktionssitzungen erörtert werden können. Dankenswerterweise ist es in meiner Fraktion geschehen. Das Argument der verspäteten Bekanntgabe dieses Vorhabens entfällt diesmal.
Deshalb der neue Anlauf bei einer Thematik, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, die doch wie keine andere aktuell ist und sich im Sinne der Empfehlungen nun einmal zur Erprobung eignet. Politische Bildung gehört zur Demokratie wie das tägliche Brot, meine Damen und Herren.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Die Weitergabe von Wissen, Werten, Verhalten an die nachwachsende Generation ist die Voraussetzung für Stärkung und Weitergabe unserer freiheitlichen Ordnung. Das ist eben einmal keine Angelegenheit von Regierungs/Oppositions-Proporz, sondern das ist eine Angelegenheit, die uns alle angeht.
Deshalb der Wunsch, Herr Präsident, nicht nur vorbereitete Beiträge zu Protokoll zu geben, sondern miteinander zu debattieren, Erfahrungen auszutauschen und Anregungen zu dieser Thematik zu geben. Das könnte übrigens ein anschauliches Lehrbeispiel, liebe Kolleginnen und Kollegen, für praktizierte politische Bildung werden. Denn irgendwie ist der Deutsche Bundestag auch stilprägend für die demokratische Kultur und das Ansehen unserer Staats- und Gesellschaftsform. Wir sollten uns das zutrauen. Wir sollten einmal nicht von vornherein die Debatte in das vorgesehene Zeitkorsett zwängen, sondern offenhalten und dann sehen, ob das überhaupt in Anspruch genommen wird.
Schließlich geht es um die Frage unserer Glaubwürdigkeit. Hier möchte ich mich einmal ganz direkt an Sie, sehr geehrte Herren Geschäftsführer, wenden. Wenn wir so eine Empfehlung geben und Sie eine Gefährdung darin sehen, daß wir ab und an einmal die Redezeiten verlängern, dann sagen Sie bitte ehrlich: Wir wollen die Empfehlung zurückziehen. Dann reden wir darüber.
Die Herren Präsidenten, die jeweils amtieren, möchte ich bitten, die Formel am Ende einer Debatte zu überprüfen. Denn Sie sagen: Damit ist die Redezeit erschöpft. Keine weiteren Wortmeldungen liegen vor. — Wir können uns ja gar nicht zu Wort melden.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Deshalb können keine weiteren Wortmeldungen mehr vorliegen.
Uns selber sollten wir fragen und uns darüber Gedanken machen, wie wir unserem Rederecht in bescheidener und auch in kontrollierter Form besser gerecht werden können als bisher. Darum steht das auch so ausführlich und einmütig in der Empfehlung.
Seit drei Jahren hören die Klagen über den Debattenstil in diesem Hohen Hause nicht auf, meine Damen und Herren. Seit drei Jahren spitzen wir den Mund, und wir pfeifen nicht. Es ist ein Ansehensverlust, wenn wir nicht einmal in einer solchen Kleinigkeit selber Frau und Manns genug sind, jetzt einen Beschluß zu fassen, die zeitliche Begrenzung dieser Debatte aufzuheben und dann zu sehen, was daraus wird.
Deshalb bitte ich Sie um Zustimmung, die zwei Stunden, wenn gewünscht, durch freie Wortmeldungen zu verlängern.
Danke.

(Beifall bei den GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP und der SPD)


Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1105505800
Frau Abgeordnete Dr. Hamm-Brücher, nur zur Klarstellung. Jeder Abgeordnete kann sich zu einer Rede melden, jeder Abgeordnete. Das ist durch die Geschäftsordnung nicht begrenzt. Begrenzt sind die Redezeiten nur, wenn wir das vereinbaren; damit da keine Mißverständnisse entstehen.

(Frau Saibold [GRÜNE]: Was heißt denn das?)

Wenn eine Redezeit vereinbart ist, können Wortmeldungen nur innerhalb der vereinbarten Redezeit durchgeführt werden.

(Zuruf von der SPD: Das ist doch der Regelfall!)

Zur Geschäftsordnung hat das Wort der Abgeordnete Jahn.

Gerhard Jahn (SPD):
Rede ID: ID1105505900
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Verehrte Frau Kollegin Hamm-Brücher, es ist ja schwierig, Ihnen zu widersprechen. Ich wäre eigentlich ganz neugierig, einmal zu erfahren, was dabei herauskäme, wenn wir das machten, was Sie hier vorschlagen.

(Kleinert [Marburg] [GRÜNE]: Aber keine Experimente! — Frau Dr. Hamm-Brücher [FDP]: Nicht ich schlage es vor: Die Ad-hocKommission schlägt es vor!)

Nur: Sie reden hier von drei Jahren. Dieser Bundestag ist noch nicht einmal ein Jahr alt. Dieser Bundestag hat in dieser Frage keine Verabredung getroffen. Es ist nicht richtig, was Sie sagen.

(Frau Dr. Hamm-Brücher [FDP]: Wir haben eine Empfehlung der Ad-hoc-Kommission!)

— Vielleicht sind Sie so liebenswürdig, mich genauso geduldig anzuhören, wie ich Sie eben angehört habe. Ich muß Sie nämlich ein paar Dinge fragen.
Hier liegt ein Antrag vor, an dem viele Freunde und am Ende die ganze Fraktion der SPD mit großer Sorgfalt gearbeitet haben. Sie hat sich eine Menge überlegt, was im Namen der sozialdemokratischen Fraktion — nicht einer Gruppe von Abgeordneten — zu diesem Thema gesagt, gefordert und hier debattiert



Jahn (Marburg)

werden sollte. Dann haben wir vor einer Woche im Ältestenrat vereinbart, daß über dieses Anliegen meiner Fraktion zwei Stunden gesprochen werden soll. Zu diesem Zeitpunkt lag zu dem Antrag, den Sie seit langem kennen, nicht die mindeste Anregung vor, anders als üblich zu verfahren. Sie können doch die Frage, wie wir uns hier mit der Tagesordnung beschäftigen, nicht bei irgendwelchen Gelegenheiten festmachen. Sie müssen doch sagen — wie Sie es dann auch getan haben — : Zu diesem Thema wäre das angemessen. Wer hat Sie denn daran gehindert, Ihren Freunden im Ältestenrat rechtzeitig zu sagen, daß sie dieses Thema so und nicht in der Weise, wie wir es vereinbart haben, debattieren?

(Frau Dr. Hamm-Brücher [FDP]: Ich weiß ja gar nicht, daß es auf die Tagesordnung kommt! Niemand weiß, was auf die Tagesordnung kommt!)

Das haben Sie nicht getan, und dann kommen Sie am Montag an und sagen: Wir wollen das hier einmal ganz anders machen.
Was hat das denn für Folgen? Soll ich denjenigen in meiner Fraktion, die sich im Vertrauen auf die Vereinbarung nun auf diese Debatte vorbereitet haben und mit der Fraktion besprochen haben, was sie sagen wollen, erzählen: Nun bleibt mal schön sitzen, das interessiert uns nicht; wir machen es heute einmal ganz anders?

(Frau Dr. Hamm-Brücher [FDP]: Das ist doch zusätzlich!)

Das werden Sie mir doch nicht zumuten. Ich habe hier ausdrücklich auch das Rederecht derjenigen zu vertreten und in Schutz zu nehmen, die von meiner Fraktion gebeten worden sind, in dieser Debatte die Auffassung meiner Fraktion zum Ausdruck zu bringen.

(Frau Dr. Hamm-Brücher [FDP]: Es ist doch zusätzlich, Herr Jahn! Nun verstehen Sie das doch einmal, Herr Jahn!)

Sie haben hier — auch das dürfen wir nicht zur kleinen Münze verkommen lassen — so sehr vom Vertrauen gesprochen. Ich frage Sie: Fängt Vertrauen nicht damit an, daß man zunächst einmal Verabredungen einhält, nämlich die Verabredung darüber glaubwürdig einhält, wie wir diese Debatte führen, und die Verabredung einhält, daß wir über die Frage von Veränderungen der Geschäftsordnung dieses Bundestages nach Beratung Ihrer Vorschläge im Geschäftsordnungsausschuß dann hier entscheiden? Warum wollen Sie das alles unterlaufen? Glauben Sie, das würde das Vertrauen in die Solidität unserer Arbeit stärken? Davon kann doch wohl keine Rede sein, nein!
Wir können über alle diese Fragen in Ruhe reden, wir können den Versuch machen, uns darüber zu verständigen, aber wir werden uns nicht darauf einlassen, daß einmal getroffene Verabredungen hier einfach in den Wind geschlagen werden. Ich bitte im Namen der SPD-Fraktion darum, diesen Geschäftsordnungsantrag von Frau Dr. Hamm-Brücher zurückzuweisen.

Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1105506000
Zur Geschäftsordnung hat das Wort der Herr Abgeordnete Bohl.

Friedrich Bohl (CDU):
Rede ID: ID1105506100
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich schließe mich namens der Fraktion der CDU/CSU dem Votum des Kollegen Jahn an und bitte um Verständnis, Frau Kollegin Hamm-Brücher, wenn wir Ihren Antrag ablehnen.
Gestatten Sie mir zunächst noch eine Vorbemerkung: Mich stört immer — das durfte ich Ihnen schon bei unserem Telefongespräch vor zwei oder drei Tagen sagen — , daß durch die Wortwahl „freie Rede"

(Frau Dr. Hamm-Brücher [FDP]: Steht in der Empfehlung!)

sozusagen insinuiert wird als wären die Reden, die sozusagen im Rahmen des Fraktionskontingents hier gehalten werden, keine freien Reden, sondern, von wem auch immer, gebundene Reden,

(Frau Dr. Hamm-Brücher [FDP]: Herr Bohl, es steht in der Empfehlung!)

die nicht die Überzeugung des jeweiligen Abgeordneten wiedergeben. Richtig ist sicherlich, daß man, wenn namens der Fraktion gesprochen wird, auch die Fraktionsmeinung in seine Rede mit einbringt. Aber ich wehre mich wirklich dagegen, den Abgeordneten, der hier spricht, als jemanden abzuqualifizieren, der nicht auch seiner Überzeugung gemäß hier auftritt. Ich meine, das sollte ich doch einmal mit Deutlichkeit sagen.

(Frau Dr. Hamm-Brücher [FDP]: Herr Bohl, es steht in der Empfehlung! Ich zitiere die Empfehlung; die haben Sie mit beschlossen!)

— Frau Kollegin Hamm-Brücher, ich bin doch ganz friedlich. Wenn damit nur gemeint ist — vielleicht sollten wir in der Wortwahl noch ein bißchen genauer sein —, Reden losgelöst vom üblichen Zeitblock zuzulassen,

(Frau Dr. Hamm-Brücher [FDP]: Nur dieses!)

dann sollten wir uns einmal gemeinsam eine Vokabel überlegen, die das zum Ausdruck bringt.

(Frau Dr. Hamm-Brücher [FDP]: Ich nehme doch nur das Wort aus der Empfehlung!)

— Doch, doch, Frau Kollegin Hamm-Brücher. Wir waren uns doch bei unserem Telefongespräch insoweit einig. Warum wollen wir die Einigkeit dort hier wieder aufkündigen?
Nun zu dem zweiten Punkt. Sie sagen: nicht frühzeitig. Ich muß hier dem Kollegen Jahn zustimmen. Ich habe zwar durch Ihre Zwischenrufe verstanden, daß Sie zum Ausdruck bringen wollen: Wann soll ich es denn früher tun? Subjektiv kann ich das nachempfinden, aber objektiv ist hier eine Vereinbarung im Ältestenrat getroffen worden, die nicht getroffen wurde, um jemanden zu drangsalieren. Wir als Geschäftsführer, Herr Kollege Jahn, stehen immer ein bißchen in der Rolle, als wollten wir hier das Parlament drangsalieren. Davon kann doch gar keine Rede sein. Wir bemühen uns vielmehr, einen geordneten Ablauf herzustellen.
Was meinen Sie: Wenn wir an irgendeiner Stelle jetzt etwas von einer Vereinbarung aufgeben, dann sind doch soundso viele Kollegen auf der Matte und



Bohl
sagen: Ja wie kommst du denn dazu? Endlich wollte ich mal am Vormittag hier das Wort ergreifen; und durch deine blöde Absprache, die du jetzt getroffen hast, bin ich wieder um 21 Uhr dran.
Das sind doch die Zwänge, unter denen wir stehen. Ich habe zu dem Kollegen Jahn gesagt: Das Beste, was wir als Geschäftsführer machen können, damit wir endlich diesen Geruch loswerden, ist, einfach mal das Plenum so ohne jede Absprache laufen zu lassen.

(Jahn [Marburg] [SPD]: Wir gehen nach Hause!)

Ich bin ganz sicher, daß wir binnen zwei, drei Tagen zu dem alten System zurückkämen. Es ist also nicht irgendwie ein Eigeninteresse, das wir hier kultivieren, sondern es ist das Bemühen, einen geordneten und final gerichteten Diskussionsablauf herbeizuführen.
Aber — jetzt will ich Ihnen entgegenkommen, Frau Kollegin Hamm-Brücher — vielleicht können wir einmal folgendes machen; Herr Kollege Jahn: Daß wir bei einer unserer nächsten Ad-hoc-Kommissions-Besprechungen einfach einmal die Liste der anstehenden Initiativen bis zur Sommerpause durchgehen und daß Sie uns sagen, wo Sie einen zusätzlichen Diskussionsbedarf haben. Das melden Sie sozusagen generell an. Und wenn wir, Herr Kollege Jahn, im Ältestenrat dann unsere übliche zeitliche Abfolge festlegen, wissen wir: Hier ist von dieser Ad-hoc-Arbeitsgruppe „Parlamentsreform" zusätzlicher Diskussionsbedarf angemeldet, und deshalb erweitern wir bei diesem Punkt die Debatte um eine halbe Stunde oder um eine Stunde, die Sie wünschen. Ich glaube, das ist ein vernünftiger Vorschlag, der Ihnen entgegenkommt und auch heute die Debatte nicht ausufern läßt.
Ich muß jetzt schon feststellen: Wenn wir die zweistündige Debatte anschließend haben, ist es 12.45 Uhr. Im Grunde werden wir vor der Mittagspause die zwei anderen Tagesordnungspunkte mit je 30 Minuten gar nicht mehr abwickeln können. Wir haben dann die Aktuelle Stunde der GRÜNEN. So sind wir heute schon wieder in großer Verdrückung. Ich bitte, auch zu verstehen, daß wir als Geschäftsführer uns bemühen, die Debatte an einem solchen Sitzungstag ordnungsgemäß zu Ende zu bringen.
Deshalb müssen wir Ihren Antrag heute leider ablehnen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1105506200
Das Wort zur Geschäftsordnung hat der Herr Abgeordnete Kleinert (Marburg).

Hubert Kleinert (DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90):
Rede ID: ID1105506300
Herr Präsident! Meine Damen und Herren!

(Unruhe bei der CDU/CSU)

— Lärmen Sie doch nicht so hier herum, Herr Bohl! Eben haben Sie unsere Aufmerksamkeit in Anspruch genommen. Kaum setzen Sie sich, machen Sie hier Krach.
Ich schließe mich ausdrücklich nicht dem an, was Herr Jahn und Herr Bohl hier festgestellt haben.

(Beifall bei Abgeordneten der GRÜNEN)

Wir GRÜNEN sind immer gegen die starre Redezeitzuteilung nach Fraktionen gewesen,

(Daweke [CDU/CSU]: Bei Ihnen geht es nach Flügeln!)

und zwar nicht nur deshalb, weil das uns GRÜNE immer in eine ziemlich ungünstige Position bei der Aufteilung gebracht hat.

(Daweke [CDU/CSU]: Das stimmt überhaupt nicht! Bei Runden bekommt ihr immer viel zuviel Redezeit!)

— Nein. Runden werden hier ohnehin nur dann vereinbart, wenn wir einen Antrag gestellt haben. Wenn die Debatte nicht auf Grund unseres Antrags zustande kommt, wird hier nie eine Runde vereinbart, weil wir bei einer Runde besser abschneiden als bei einer Zeitdebatte. Da sind sich die großen Fraktionen einig darin, daß wir so wenig wie möglich hier reden sollen. Und so verhält man sich dann auch.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Da sind sich Herr Jahn und der Geschäftsführer der CDU/CSU bisher immer einig gewesen. Auch das muß man an dieser Stelle vielleicht einmal sagen. Die Kollegen von der SPD wissen vielleicht selber gar nicht so genau, wie das abläuft.
Aber zum Thema zurück. Wir sind immer gegen die starre Redezeitzuteilung nach Fraktionen gewesen, vor allem aus zwei Gründen.
Erstens beeinträchtigt diese starre Redezeitzuteilung die Möglichkeiten des einzelnen Abgeordneten, hier zu Wort zu kommen. Das kann niemand bestreiten. Herr Bohl, da können Sie auch nicht mit irgendwelcher Rabulistik hier kommen und sagen: Der trägt doch im Grunde genommen seine eigene Meinung vor, wenn er die Fraktionsmeinung vorträgt; und derlei. Da beißt die Maus keinen Faden ab: Die Möglichkeiten des einzelnen Abgeordneten, die er verfassungsmäßig hat, hier zu Wort zu kommen, werden durch die derzeitige Praxis sehr eingeschränkt.

(Beifall bei den GRÜNEN und der Abg. Frau Dr. Hamm-Brücher [FDP])

Der zweite Punkt, der aus meiner Sicht mindestens genauso wichtig ist: Diese Art der Debatte mit den starren Redezeitzuteilungen trägt ganz wesentlich dazu bei, daß die Debatten in diesem Haus hier häufig genug steril und wenig spontan und langweilig sind.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wenn man das ändern will, dann muß man sich ernsthaft Gedanken machen, wie man hier mehr Spontaneität, mehr Flexibilität in die Diskussion im Bundestag bringen kann, und allein schon aus diesen Gründen muß man einen solchen Vorstoß, wie er mit dem Antrag von Frau Hamm-Brücher verbunden ist, unterstützen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Deshalb unterstützen wir dieses Anliegen, weil es ein
Schritt in eine Richtung ist, von der auch wir uns vor-



Kleinert (Marburg)

stellen, daß sie hier im Bundestag praktiziert werden soll.

(Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: Sie könnten schon eine Viertelstunde zur Sache reden!)

— Also, Gerster, Sie gehen mir wirklich auf die Nerven.

(Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: Das ist umgekehrt auch so!)


Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1105506400
Herr Kollege Gerster, wir reden jetzt zur Geschäftsordnung.
Bitte sehr, fahren Sie fort, Herr Kollege Kleinert.

Hubert Kleinert (DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90):
Rede ID: ID1105506500
Das ist unglaublich: Ich bin der erste, der nach diesen ganzen komischen Sprüchen hier ernsthaft auf das Anliegen eingeht, und da muß ich mir solche Zwischenrufe anhören. Das finde ich unglaublich.

(Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: Ich will was zur Sache hören! — Frau Unruh [GRÜNE]: Er spricht zur Sache! — Gerster [Mainz] [CDU/ CSU]: Er redet zur Geschäftsordnung! Sinnloses Palaver! — Weitere Zwischenrufe von der CDU/CSU)


Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1105506600
Bitte fahren Sie fort, Herr Kollege Kleinert.

Hubert Kleinert (DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90):
Rede ID: ID1105506700
Ich finde es schon sehr merkwürdig, daß jetzt die Erkenntnis ausbricht, daß man schon längst hätte zur Sache diskutieren können. Nachdem Herr Bohl und Herr Jahn hier einen langen Sermon gehalten haben,

(Bohl [CDU/CSU]: Innerhalb von fünf Minuten!)

kommen Sie jetzt auf den Punkt und stellen fest, wir hätten eigentlich schon längst zur Debatte reden können. Das ist sehr merkwürdig. Ihre Wahrnehmungsweisen sind äußerst selektiv. Das will ich an dieser Stelle auch mal sagen.
Wir unterstützen also das Anliegen von Frau Hamm-Brücher. Wenn das hier in der Debatte praktiziert würde, wäre das ein Schritt in die richtige Richtung, und, Herr Bohl und Herr Jahn, dann würde hier gar nichts zusammenstürzen. Viele Losungen, die hier ausgegeben werden, haben mich sehr an diesen alten Wahlkampfslogan — ich glaube, der CDU — erinnert „Keine Experimente", was so das Motto ist, das im Hintergrund steht. Ich glaube, Ihre Befürchtungen sind weit überzogen. Lassen Sie es uns doch einfach mal ausprobieren, was passiert, wenn man hier mal eine Debatte führt, die nicht von vornherein so fest terminiert ist! Ich bin sicher, gar nichts wird zusammenbrechen. Deswegen gibt es überhaupt keinen vernünftigen Grund, diese Geschichte jetzt nicht mal zu machen. Deswegen, finde ich, sollten wir uns hier dazu entschließen, dem Antrag von Frau Hamm-Brücher zuzustimmen.

(Beifall bei den GRÜNEN — Unruhe)


Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1105506800
Meine Damen und Herren, ich bitte, die Unterhaltungen zu unterlassen.
Zur Klarstellung erteile ich der Frau Abgeordneten Dr. Hamm-Brücher das Wort.

Dr. Hildegard Hamm-Brücher (FDP):
Rede ID: ID1105506900
Vielen Dank, Herr Präsident. Ich möchte einfach ein paar Dingen widersprechen, die hier falsch behauptet wurden.
Ein normaler Abgeordneter erfährt frühestens am Samstag mit der Post — ich bekomme es in München am Montag — , was auf der Tagesordnung steht. Ich kann doch nicht immer dasitzen und warten, was aus Ihrem Vorrat auf die Tagesordnung kommt. Montag mittag waren die Briefe mit der Anregung beim Präsidenten, beim Fraktionsvorstand und beim Ältestenrat. Es wäre also genügend Zeit gewesen; wir haben es in unserer Fraktion behandelt. Ich weise den Vorwurf zurück, daß das alles nicht richtig und rechtzeitig gesagt wurde.
Zweitens. Herr Kollege Bohl, wir verstehen uns ja ganz gut, selbst wenn wir dann unterschiedliche Meinungen haben. Ich habe das doch nicht erfunden. Tun Sie doch bitte nicht so, als sei das die freie Erfindung einer redesüchtigen Kollegin!

(Bohl [CDU/CSU]: Nein, das habe ich nicht behauptet!)

Das ist ein Begriff, der in den Empfehlungen der Adhoc-Kommission steht, und wenn ich mich richtig erinnere, waren Sie nicht nur Mitglied, sondern — anders als andere — sogar häufig anwesend. Die Worte „freie Wortmeldung" stehen darin, und ich bin mit Ihnen der Meinung, daß wir diese Worte aus dem Verkehr ziehen sollten, weil sie nicht zutreffend das sagen, was wir eigentlich wollen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Dritte Einwendung. Das weise ich noch nachdrücklicher zurück, Herr Jahn, weil Sie hier auf diesem Klavier spielen: Keiner will einen Redebeitrag von Kollegen, der in der Fraktion vereinbart ist, beeinträchtigen — keiner soll hier gehindert werden — , aber wir wollen das auflockern, wir wollen miteinander reden und nicht nur deklamieren, was wir zu Hause vorbereitet haben.
Das letzte ist — meine Damen und Herren, ich bin sehr dankbar für die Hand, die Herr Bohl hier wenigstens ausgestreckt hat — , daß wir nun mal an die Arbeit gehen. In dieser Legislaturperiode ist ein Jahr vergangen, die Dinge werden von Woche zu Woche, von Monat zu Monat verschoben, und wenn wir uns das jetzt nicht vornehmen, wird auch der 40. Geburtstag des Deutschen Bundestages vorbeigehen, ohne daß wir das tun, wovon wir nun seit drei Jahren immer wieder reden.
Danke.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der GRÜNEN)


Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1105507000
Zu einer kurzen Erwiderung erteile ich dem Herrn Abgeordneten Jahn das Wort.

(Jahn [Marburg] [SPD]: Ich verzichte!) — Gut, das ist nicht notwendig.

Dann darf ich Sie, meine Damen und Herren, darauf hinweisen, daß es sich hier, wie ich vorgetragen habe,



Präsident Dr. Jenninger
um einen Vorschlag des Ältestenrates handelt, für diesen Tagesordnungspunkt zwei Stunden Beratungszeit vorzusehen. Es ist natürlich jederzeit das Recht jeder Kollegin und jedes Kollegen, eine Änderung dieses Vorschlages zu beantragen, wie es die Frau Kollegin Hamm-Brücher eben getan hat.
Ich lasse nun über den Antrag, diesen Vorschlag des Ältestenrates nicht anzunehmen, abstimmen. Zunächst darf ich fragen: Wer stimmt für den Vorschlag des Ältestenrates? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das erste war die Mehrheit. Der Geschäftsordnungsantrag ist abgelehnt.

(Dr. Lippelt [Hannover] [GRÜNE]: Immer gegen die Kleinen!)

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Weisskirchen.

Gert Weisskirchen (SPD):
Rede ID: ID1105507100
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist schade, daß wir diese Geschäftsordnungsdebatte und die dafür verwendete Zeit nicht genutzt haben, um inhaltlich über das Thema zu diskutieren, auf das wir uns hier verständigt haben.

(Frau Dr. Hamm-Brücher [FDP]: Seien Sie doch nicht so selbstgerecht!)

Ich denke, Frau Hamm-Brücher, wir sollten vielleicht, wenn wir wieder ins Plenum kommen, nachdem wir den Antrag in den Ausschüssen behandelt haben, Gelegenheit nehmen, uns zu überlegen, ob wir so verfahren, wie Sie vorgeschlagen haben; denn dann könnte man in der Tat versuchen, auch in den Formen, mit denen wir an diesem Thema arbeiten, eine Auflockerung zustande zu bringen.
Die Themen, die wir vorher, vor dieser Debatte, behandelt haben, machten darauf aufmerksam, was politische Bildung nicht vermag. Sie kann nicht zusammenfügen, was Politik zerbrochen hat. Politische Bildung kann nicht Feuer löschen, die politische Brandstifter gelegt haben. Der Glaube an die Redlichkeit der handelnden Personen auf der Bühne der Politik kann wohl kaum nachhaltiger erschüttert werden als durch einen Ministerpräsidenten, der bereit war, Regeln des Anstands und der Würde und, mehr als das, Recht und Gesetz in der Hoffnung beseite zu schieben, auf diese Weise die Macht doch noch retten zu können.
Wenn die Drehbühne der Skandale — das haben wir ja heute mit der Einsetzung des Untersuchungsausschusses wieder miterlebt — dem Publikum ob ihrer wachsenden Geschwindigkeit den Atem nimmt, während zugleich die Lösung drängender Probleme in den Stau gerät, braucht sich niemand darüber zu wundern, daß Pädagogik und politische Bildung nicht zähmen kann, was Politik in der Bevölkerung an Ablehnung, an Resignation und an Abkehr losbricht. Der Ruf nach politischer Kultur, die es zu bewahren gelte, ertönt meistens erst dann, wenn diese Kultur fast schon verloren ist. Politische Bildung ist, so betrachtet, Ausdruck einer Krisensituation; sie ist dann gefragt, wenn Institutionen in Frage stehen, sei es, daß sich die Kritik an der mangelnden Fähigkeit entzündet, sich zu erneuern, sei es, daß Teile der Bevölkerung Ziele einklagen, die ihnen vorenthalten werden.
Das war vor 20 Jahren, als der Deutsche Bundestag zum letzten Male im Plenum die politische Bildung behandelt hat, genauso. Man sollte sich daran noch einmal erinnern. Es war die Zeit der beginnenden Reform. Die Unsicherheit gegenüber den Institutionen war groß. Die Kritik an ihnen hatte nahezu eruptiven Charakter. Die Politik schien handlungsunfähig.
Und heute? Heute geht es — stark verkürzt — darum, daß der Widerspruch zwischen den großen technologischen Schüben auf der einen Seite und dem Unvermögen der Politik, diese technologischen Schübe angemessen zu steuern, auf der anderen Seite immer offenbarer wird. Wenn das stimmt, müßte man dann nicht den Versuch machen, einen neuen Konsens zu erarbeiten, der der Natur und dem Menschen die Würde läßt, der einen Ausgleich zwischen den Ansprüchen von ökologischen Bedingungen, ökonomischen Forderungen und sozialen Zielen schafft? Das, so denke ich, wäre doch die Aufgabe, die gerade unsere Generation bewältigen muß: einen neuen Rahmen der Verantwortung zu setzen.
Die Grenzen zwischen den Erkenntnissen und ihrer Anwendung, zwischen Wissen und Gewissen sind flüssiger geworden. Nutzen und Folgen vermischen sich im Angesicht der Utopien des unbegrenzten Fortschritts auf der einen und des kollektiven Selbstmords auf der anderen Seite. Beides ist möglich geworden. Beide Utopien könnten real werden. Deshalb liegt die Chance allein in der Selbstbegrenzung derer, die heute leben, aus Verantwortung für eine mögliche Zukunft für die, die nach uns kommen. Das ist eine große Aufgabe. Politik allein — das erleben wir ja auch hier — kann diese Aufgabe nicht bewältigen. Aber wir können dazu beitragen, wenn wir aufrichtig sind und bereit, mitzuhelfen, daß sich dieser neue Konsens im gesellschaftlichen Dialog — anders kann er auch gar nicht entstehen — bildet, und wenn auch wir Beispiele dafür geben, daß Reden und Handeln nicht auseinanderfallen.
Politische Bildung kann dazu beitragen, daß die Sprengsätze der großen Streitfragen unserer Zeit im gesellschaftlichen Diskurs entschärft werden. Nicht, daß wir der Auffassung sein dürfen, politische Bildung könnte dadurch, daß sie diese Fragen im gesellschaftlichen Diskurs behandelt, künstlich verordnete Ruhe herstellen, sondern es kann nur darum gehen, Frieden zu schaffen, damit Gestaltungsfähigkeit zurückgewonnen werden kann.

(Beifall bei der SPD)

Ist es etwa keine Bedrohung für die Demokratie, wenn Orientierung verlorengeht, weil sich die Umweltkrise explosionsartig ausweitet? Der Schritt vom Zweifel zur Verzweiflung ist klein, wenn das Krisenbewußtsein global wird — wir hören täglich Schrekkensmeldungen — und dieses Krisenbewußtsein dennoch fassungslos bleibt, wenn lokale Katastrophen oder lokale Skandale aufflackern und es keine Möglichkeit gibt, sie wirklich zu verhindern. Die Lebensrisiken — das ist das, was die technische Revolution mit sich bringt — werden allgegenwärtig. Damit hält auch die Politik Einzug in den Alltag, in die Lebensbedingungen des Alltags selbst, bis z. B. in die Fragen



Weisskirchen (Wiesloch)

hinein, was gegessen oder was getrunken werden soll.
Übrigens, wir haben uns alle daran gewöhnt, von der Politikmüdigkeit besonders der jungen Leute oder gar vom Ausstieg aus der politischen Verantwortung zu reden. Das ist nicht nur ungerecht, es ist auch falsch. Nie waren die Menschen, und junge zumal, bereiter, sich z. B. für gefolterte Menschen und für die geschundene Natur einzusetzen.

(Frau Dr. Hamm-Brücher [FDP]: Sehr wahr!)

Ich finde es großartig, daß die jungen Menschen dazu bereit sind.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der GRÜNEN und der FDP)

Gewiß — so empfinden es viele bei uns — sind die Formen neuer sozialer Bewegungen anders. Sie mögen — vielleicht — auch weniger beständig oder auch weniger umfassend sein. Nur ist es — dem sollten wir ganz offen entgegensehen — noch gar nicht ausgemacht, daß es so bleibt. Auch wird von uns manchmal mit Maßstäben bewertet, die einem Politikbegriff folgen, der sich zuweilen aus seinen eigenen gesellschaftlichen Prozessen gelöst hat.
Ich sehe das anders. Ein breiter Strom der Demokratisierung von unten geht durch unser Land. Es liegt an uns, der etablierten Politik selbst, ob es uns gelingt, diesen breiten Strom aufzunehmen und für die Demokratie fruchtbar zu machen.

(Beifall bei der SPD)

Übrigens, wir haben uns doch oft darüber beklagt, als es anders war, und wir haben immer darauf gewartet, daß sich die Demokratie verbreitert. Dafür haben wir doch auch gearbeitet: 125 Jahre Sozialdemokratie.

(Frau Dr. Hamm-Brücher [FDP]: Auch im Parlament sollte sie sich verbreitern!)

— Die Liberalen, Frau Hamm-Brücher, in der gleichen Weise. — Nun, da diese Demokratisierung in einen Prozeß einmündet, können wir unsere eigene Identität nur dann bewahren, wenn wir zur Veränderung auch von uns selbst bereit sind.

(Frau Dr. Hamm-Brücher [FDP]: Bravo! Fangen wir einmal hier an!)

Aus diesen Gründen, denke ich, müssen wir die Konsequenzen, die dieser Prozeß mit sich führt, berücksichtigen. — Deshalb, Frau Hamm-Brücher, war es notwendig, das nicht nur spontan zu machen, sondern es ein bißchen deutlicher vorzubereiten. — Staatliches Handeln kommt unter wachsenden Rechtfertigungsdruck, und das ist gut so. Teilweise findet eine — jedenfalls begrenzte — Rücknahme der Enteignung des Wissens dadurch statt, daß Experten entkleidet und ihre Argumente durch Gegenargumente stumpf gemacht werden. Klassisches Beispiel — auch das haben wir heute morgen gehabt — ist die Entzauberung des Mythos der Großtechnik. Dafür steht Aufstieg und Fall — und Fall! — der Atomenergie.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Es waren bei diesen Prozessen nicht die Experten, die die Entsorgungsfalle aufgedeckt haben. Das Risikobewußtsein haben Bürgerinitiativen ins Feld geführt.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Sie sind Träger dieses Bewußtseins geworden und bewirken jetzt die notwendigen Korrekturen, damit die Chancen der technologischen Modernisierung ihre Risiken auch im Zaum halten können.

(Vorsitz : Vizepräsident Stücklen)

Und die Politik, was hat sie dazu beigetragen? Das müssen wir uns selbstkritisch fragen. Hat sie nicht — bewußt oder unbewußt — die Risiken verschleiert? Die Politik hat Chancen, Glaubwürdigkeit zurückzugewinnen, nicht dann, wenn sie kritisches Bewußtsein zurückweist, abschmettert, sondern wenn sie bereit ist, ein neues Bündnis mit den Trägern dieses Bewußtseinswandels einzugehen. Der Eindruck bleibt — bei mir jedenfalls — , daß die Politik kaum in der Lage ist, Konzepte zum Schutze des Lebens mit der gleichen Geschwindigkeit zu entwickeln, wie dieses Leben von neuen Techniken bedroht ist. Bei diesem Vorgang wendet sich das Krisenbewußtsein gegen die Politik selbst.

Dr. Hildegard Hamm-Brücher (FDP):
Rede ID: ID1105507200
Gestatten Sie eine Zwischenfrage, Herr Kollege Weisskirchen?

Gert Weisskirchen (SPD):
Rede ID: ID1105507300
Gerne.

Dr. Hildegard Hamm-Brücher (FDP):
Rede ID: ID1105507400
Ich möchte Sie gerne fragen, weil Sie sehr klug und durchdacht sprechen: Wo sehen Sie denn letztlich die wirklichen, die tiefsten Ursachen dafür, daß es so sehr schwer ist, jungen Menschen unsere Vorstellung, unsere Erfahrung, auch unser Engagement für die Demokratie glaubwürdig weiterzugeben? Das heißt, wo sehen Sie die Ursachen dafür, daß der Generationendialog so tief gestört ist?

Gert Weisskirchen (SPD):
Rede ID: ID1105507500
Ich glaube, die entscheidende Ursache liegt darin, daß Politik es in den letzten Jahren und Jahrzehnten, wo sich Technologie entwickelt hat, nicht geschafft hat, selbstkritisches Bewußtsein an die Entwicklung neuer Technologien heranzutragen, ja manchmal sich sogar so verhalten hat, daß sie auch eigenes kritisches Bewußtsein eher unterdrückt hat, weil sie geglaubt hat, diese Technologien könnten in Wahrheit doch einem Fortschritt dienen, der sich dann aber gegen die Menschen gekehrt hat.

(Beifall bei den GRÜNEN) Das scheint mir die wahre Ursache zu sein.


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1105507600
Gestatten Sie eine weitere Zusatzfrage?

Gert Weisskirchen (SPD):
Rede ID: ID1105507700
Gerne. Vizepräsident Stücklen: Bitte sehr.

Dr. Hildegard Hamm-Brücher (FDP):
Rede ID: ID1105507800
Ist nicht eine Ursache nicht nur in dieser Technologieproblematik zu sehen, sondern auch in dem schwierigen Prozeß, nach einem verlorenen Krieg, nach einem Zusammenbruch



Frau Dr. Hamm-Brücher
einer Staatsform eine Demokratie aufzubauen, die eigentlich nicht erkämpft worden ist?

Gert Weisskirchen (SPD):
Rede ID: ID1105507900
Gewiß, Frau Hamm-Brücher. Nur, dies ist dann eine Frage, die an unsere Überzeugungsfähigkeit zu richten ist, insbesondere an die demokratischen Parteien, die älter sind als diese Republik, die Republik der Bundesrepublik Deutschland, ob wir fähig gewesen sind, den Menschen deutlich zu machen, daß Demokratie etwas ist, wofür man sich engagieren muß, wofür man kämpfen muß, auch und gerade dann, wenn man anderer Auffassung ist als die Regierenden.

(Beifall bei der SPD — Abg. Catenhusen [SPD] meldet sich zu einer Zwischenfrage)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1105508000
Gestatten Sie eine Zusatzfrage des Abgeordneten Catenhusen?

Gert Weisskirchen (SPD):
Rede ID: ID1105508100
Gerne.

Wolf-Michael Catenhusen (SPD):
Rede ID: ID1105508200
Kollege Weisskirchen, anknüpfend an Ihre erste Antwort an Frau Hamm-Brücher möchte ich Sie fragen, ob nicht dieses, wie ich finde, vorhin zutreffend dargestellte Defizit auch darin beruht, daß unser politisches System insgesamt eigentlich keine Mechanismen kennt, technische Entwicklung gesellschaftspolitisch zu beeinflussen und zu gestalten?

Gert Weisskirchen (SPD):
Rede ID: ID1105508300
Genau dies, Herr Kollege Catenhusen, haben Sie ja gerade mit Ihrer Enquete-Kommission festgestellt. Es ist notwendig, daß das Parlament, bevor technologische Entwicklungen in Gang gesetzt werden, versucht, die politische Tragweite, die politischen Folgen dieser Prozesse in sich selber aufzunehmen und zu diskutieren, so daß wir als Parlament nicht Gefangener des technologischen Prozesses werden, sondern ihn für die Mehrheiten selbstverantwortlich zu steuern versuchen.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN sowie der Abg. Frau Dr. Hamm-Brücher [FDP])

Deswegen glaube ich, daß wir uns eigentlich in einer tiefen Legitimationskrise des Parlaments befinden. Daraus die richtigen Schlußfolgerungen zu ziehen, halte ich, Herr Kollege Daweke, durchaus für notwendig. Ansonsten übrigens, Herr Kollege Daweke, wenn wir nicht in einer Legitimationskrise der Parteien stünden,

(Daweke [CDU/CSU]: Das ist etwas anderes!)

— ich komme gleich darauf —, wäre es nicht verständlich, daß sich eine neue Fraktion in diesen Bundestag hat hineinwählen lassen können.

(Daweke [CDU/CSU]: Das spricht doch für das System!)

— Kollege Daweke, der Punkt ist doch der, daß die GRÜNEN der Ausdruck genau dieses Krisenbewußtseins sind. Wenn das Krisenbewußtsein nicht vorhanden wäre, dann gäbe es die GRÜNEN in diesem Parlament nicht.

(Frau Garbe [GRÜNE]: Das ist richtig!)

Deswegen halte ich daran fest.
Natürlich, Kollege Daweke, sind sie auch eine Bestätigung — das ist die Ambivalenz des Begriffes, damit müssen sich die GRÜNEN auseinandersetzen — des parlamentarischen Systems, daß sie in diesem Parlament sind. Insofern ist nicht die parlamentarische Demokratie in der Krise, allenfalls müssen wir als parlamentarische Demokratie versuchen, neue Formen zu entwickeln, Demokratiedefizite aufzuarbeiten, und beginnen — das war der Punkt des Kollegen Catenhusen —, technologische Prozesse steuern zu lernen. Das ist das, was wir politisch anzugehen versuchen müssen. Insofern, denke ich, kann die Demokratie ihre Legitimation nur aus dem Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger ziehen. Wir müssen es sein, die immer wieder versuchen müssen, diese Legitimation durch Vertrauen zu erkämpfen.

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1105508400
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage?

Gert Weisskirchen (SPD):
Rede ID: ID1105508500
Gern.

Dr. Helmut Lippelt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1105508600
Herr Kollege Weisskirchen, um Ihren interessanten Diskurs über das Parlament und seine Legitimation aufzunehmen, in dem Sie dann ja auch auf das Eindringen der GRÜNEN in die Parlamente Bezug genommen haben: Meinen Sie nicht, daß die Diskussion, die wir heute vormittag geführt haben — die wir auch in den zurückliegenden Tagen erlebt haben — , ein Zeichen dafür ist, daß das, was Sie fordern, über Jahrzehnte hinweg gerade nicht möglich war, weil an diesem Ort im Grunde nur Legitimationen diskutiert werden, die sich eine Regierung für eine Politik holt, die wir — zumindest nicht aus der Opposition heraus — letztlich überhaupt nicht beeinflussen können? Hier wird doch seit Jahrzehnten eine Legitimation erteilt, ohne überhaupt eine offene Sachdiskussion zu ermöglichen. Insofern die Frage: Wo wird Politik gemacht? Wird sie von den Lobbyisten gemacht, die in den Ministerien ein und aus gehen, denen Sie Legitimation besorgen, oder wird sie wirklich hier gemacht? Das bleibt eine Frage, obwohl wir, d. h. DIE GRÜNEN, hier sind. Ich denke, unser Einbruch hier hat vielleicht damit zu tun, daß wir trotz des gesetzlich festgelegten Quorums von 5 % für notwendig gehalten werden.

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1105508700
Herr Abgeordneter, ich war der Meinung, Sie wollten eine Frage an Herrn Abgeordneten Weisskirchen stellen. Jetzt haben Sie sich aber an die Regierung gewandt.

Dr. Helmut Lippelt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1105508800
Herr Präsident, ich sehe das durchaus, aber die Diskussion betrifft im Grunde beide.

Gert Weisskirchen (SPD):
Rede ID: ID1105508900
Der entscheidende Punkt, Herr Kollege Lippelt, auf den es mir ankommt, ist: Wir müssen versuchen — übrigens gleichgültig, welcher Fraktion wir angehören — , das Parlament wieder in den zu Stand setzen, politisch wirklich agieren zu können, d. h. Politik so zu machen, daß uns die Möglichkeit gegeben wird — in erster Linie also den Mehrheiten — , technische Prozesse so zu steuern, daß unsere Zukunft durch diese technischen Prozesse



Weisskirchen (Wiesloch)

nicht derart definiert werden, daß wir überhaupt keine Chance mehr haben, sie selbst zu steuern.

(Frau Dr. Hamm-Brücher [FDP]: Dann fangen wir bei den Debatten schon mal an!)

Das ist der entscheidende Punkt.
Wir müssen dieses Vertrauen erneuern. Wir müssen die politische Bildung unterstützen, damit auch sie ihren Beitrag leisten kann, dieses Vertrauen zu erneuern. Ich sehe in diesem Zusammenhang drei Aufgabenfelder, die uns und der politischen Bildung gestellt sind.
Erstens. Die Mitbestimmung der Bürgerinnen und Bürger über die Zukunft des Fortschrittes muß ausgeweitet werden. Das macht sich genau an der Frage der Technologie fest; denn den technologischen Schüben muß endlich ein Schub der gesellschaftlichen Gestaltungsmöglichkeiten folgen.

(Zustimmung bei der SPD)

Wenn es nicht gelingt, diesen Prozeß zu demokratisieren, die Entscheidungsprozesse nach außen deutlicher zu machen und die Bürger in diesen Prozeß einzubeziehen, dann, fürchte ich, gerät die Demokratie bei uns in einen Zustand, der möglicherweise von eruptiven Auseinandersetzungen begleitet sein wird, wie sie ja schon jetzt im Zusammenhang mit den zentralen Entscheidungen zur Großtechnik zu erleben sind.

(Zuruf von den GRÜNEN: Bei den Atomanlagen!)

— Selbstverständlich, gerade an diesem Punkt wird das deutlich.
Zweitens. Unsere Aufgabe liegt darin, zur demokratischen Teilhabe zu ermutigen. Dazu will ich nur eins sagen. Wer wie Klaus von Dohnanyi dazu aufgerufen hat, Brücken zu denjenigen in der Hafenstraße zu schlagen, die versucht haben, ein eigenes, ein autonomes Gegenmodell gegen die Strukturen des Staates zu entwickeln — weil sie glauben, der Staat sei die Maschine des Feindes, die ihren Lebensnerv treffe oder ihren Zukunftsentwurf bedrohe — , wer dazu beigetragen hat, daß hier eine Verständigung erzielt wird, damit der Kreislauf der Gewalt durchbrochen werden kann, der hat mehr für die Demokratie getan als diejenigen, die dieses Vorgehen kritisiert haben.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Ein Letztes: Wir müssen in der Risikogesellschaft angemessene Formen der Auseinandersetzung um gerade die existentiellen Fragen finden. Das ist genau der Punkt, wo sich politische Bildung und Politik miteinander verbinden lassen. Wir können es von alleine in den bisherigen Formen, in denen wir uns auch mit uns selbst auseinandersetzen, wohl nicht schaffen, ein Forum zu sein, in dem die weitere Demokratisierung in den Institutionen des Staates stattfinden kann; jedenfalls ist es noch nicht so weit. Wir brauchen dazu Einrichtungen; wir brauchen dazu Foren; wir brauchen dazu solche Träger der politischen Bildung, die frei von politischem Entscheidungsdruck sind und die es möglich machen, daß die Sprecher der unterschiedlichen Auffassungen in solchen Foren die Chance haben zu reden. Das hat dann auch die Konsequenz, daß das Fachexpertenwissen, das sich ja immer monopolisiert oder zu monopolisieren versucht, selber demokratisiert wird. Das heißt, daß dann eine relative Einebnung von enteignetem Wissen stattfindet, das der Bevölkerung weggenommen wird und das manchmal auch verschleiert wird oder das sich besonders dann, wenn Bestechungen oder ähnliches im Spiel sind, auch gegen die Bürgerinnen und Bürger wenden kann.
Wir brauchen solche Formen des politischen Streites und der politischen Kultur, die dazu beitragen, daß eine Abrüstung der innenpolitischen Auseinandersetzung stattfindet. Sie muß mit der Sprache beginnen, die wir selber sprechen.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

Wir werden die Debatte um die politische Bildung in den Ausschüssen des Deutschen Bundestages nutzen, damit die Träger der politischen Bildung, denen wir für die großartige Leistung, die sie in den vergangenen Jahrzehnten für die Entwicklung der Demokratie geleistet haben, herzlichen Dank sagen, dazu in den Stand gesetzt werden. Wir werden versuchen, ihre Rahmenbedingungen zu verbessern, damit sie diese große Aufgabe, an einem neuen gesellschaftlichen Konsens mitzuarbeiten, wirklich schaffen können.
Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN sowie der Abg. Frau Dr. Hamm-Brücher [FDP])


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1105509000
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Daweke.

Klaus Daweke (CDU):
Rede ID: ID1105509100
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte drei kurze Vorbemerkungen machen. Die erste bezieht sich auf die Diskussion vorhin über die Frage der Rednereinteilung. Ich würde vorschlagen, daß ich in meiner ersten Vorbemerkung kurz einmal darstelle, wie wir die beiden Fraktionsredner in unserer Fraktion bestimmt haben, um denjenigen, die die Debatte nachlesen, und denjenigen, die hier zuhören, davon einen Eindruck zu vermitteln.

(Frau Dr. Hamm-Brücher [FDP]: Herr Kollege, warum soll sich jemand anders nicht auch noch melden können?)

— Ja, das ist gut möglich.

(Frau Dr. Hamm-Brücher [FDP]: Das ist eben nicht möglich!)

Ich will nur sagen, daß es in diesem Falle ein Popanz ist, über den wir hier streiten, weil das nämlich gar nicht nötig war.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Es ist so gelaufen: Als wir den Antrag der SPD auf der Tagesordnung entdeckt haben, haben sich der Kollege Johannes Gerster, der der Arbeitsgruppe „Inneres" vorsteht, und ich, der ich für Bildung und Wissenschaft zuständig bin, darüber geeinigt, daß aus diesen beiden Arbeitsgruppen je ein Redner mit jeweils 15 Minuten, was viel Redezeit ist, sprechen solle. Wir haben herumgefragt, ob wir noch andere
Deutscher Bundestag — l 1. Wahlperiode — 55. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. Januar 1988 3801
Daweke
bedienen könnten, die sich dafür interessierten. Das war nicht der Fall. Dann ist der Kollege Neumann genannt worden. Er hat aber gesagt, er verstehe von dieser Sache zu wenig, um spontan hier reden zu können. Man sollte ja hier übrigens auch einmal sagen, daß es Leute gibt, die nicht reden, weil sie sagen, sie verstünden davon nichts. Das finde ich sehr gut, und das ehrt den Kollegen Neumann.
Dann wurde gesagt, die Gruppe „Inneres" lasse sich durch den Kollegen Krey repräsentieren, der mir hier gleich nachfolgen wird. Das ist jemand, der sehr lange in der Erwachsenenbildung tätig ist, der als Kuratoriumsvorsitzender ein Haus in Berlin leitet und sehr viel Erfahrung mitbringt. Es wurde weiter gesagt, dann solle der Daweke reden, der jetzt hier redet, der seit 1980 der Vorsitzende des Kuratoriums der Bundeszentrale für politische Bildung ist und seit über zehn Jahren in diesem Gremium sitzt. So ist das gelaufen. Keiner in dieser Fraktion von über 200 Leuten hat gefunden, daß er dadurch diskriminiert würde, daß er hier nicht reden könnte. Das wollte ich einfach einmal so darstellen.

(Beifall bei der SPD — Gerster [Mainz] [CDU/ CSU]: So ist es! Das ist die Wahrheit!)

Mit meiner zweiten Vorbemerkung möchte ich Sie direkt ansprechen, Frau Hamm-Brücher. Nehmen Sie es mir bitte nicht übel; wir kennen uns lange genug. Ich bin ja passives Mitglied in Ihrer Gruppe, weil ich das, was Sie machen, mit großem Interesse verfolge, und ich habe Sie sechs Jahre lang als Oppositionsabgeordneter begleitet, als Sie Mitglied der Bundesregierung waren. Ihre Bemühungen um die Parlamentsreform begannen erst, und Sie haben Ihr Herz für das Parlament aus meiner Sicht eigentlich erst entdeckt, als Sie nicht mehr in der Regierung waren.

(Beifall bei der SPD)

Ich erinnere mich an ein paar Dinge: Als ich Oppositionsabgeordneter war und zum Bereich auswärtige Kulturpolitik einmal nach dem Goethe-Institut in Windhuk fragte, da haben Sie mich abblitzen lassen; das ärgert mich noch heute.

(Dr. Lippelt [Hannover] [GRÜNE]: Das karten Sie jetzt hier noch nach?)

Wenn dann jemand so über Parlamentsreform redet, frage ich immer: Sag mal, wann hat die denn ihr Herz für das Parlament erst entdeckt?

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1105509200
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Dr. Hamm-Brücher?

Klaus Daweke (CDU):
Rede ID: ID1105509300
Natürlich, immer. Bitte.

Dr. Hildegard Hamm-Brücher (FDP):
Rede ID: ID1105509400
Da gibt es natürlich unterschiedliche Erfahrungen. Bei Windhuk war es natürlich der Fall, daß die Regierung das Konsulat schließen wollte, und das habe ich Ihnen gesagt, und Sie haben es als Abfuhr empfunden. Aber im Prinzip würde ich sagen: Ich habe mein Herz für das Parlament im Jahr 1950 entdeckt, als ich in Bayern insgesamt 22 — —

(Zuruf von der CDU/CSU)

— Ich schicke Ihnen gern einmal meine Aufsätze zur Parlamentsreform zu, die ich in den 50er Jahren geschrieben habe, weil das ein Thema für mich ist, solange ich mich als junge Demokratin damit beschäftigt habe, was wir nach der grauenhaften Nazizeit eigentlich tun müssen — — Ach so, ich muß eine Frage stellen, Entschuldigung. Herr Kollege Daweke, ich wollte Sie gerne fragen, ob Sie einmal bereit sind, sagen wir einmal, den jetzigen Entwicklungshilfeminister Klein und viele Kollegen in Ihrer Fraktion zu fragen, die mir immer dafür gedankt haben, daß ich mich gerade als Staatsminister im Zweifel immer für die Abgeordneten eingesetzt, sie gefragt, ihnen alle Auskünfte und Unterlagen gegeben habe.

(Kuhlwein [SPD]: In vielen Fragestunden aber nicht, Frau Kollegin!)

— Doch.

(Kuhlwein [SPD]: Wir werden es einmal im Protokoll nachlesen!)

— Ja, lesen Sie es einmal nach. Ich habe in der Fragestunde sehr viel Beifall von Ihnen bekommen. — Aber meine Frage ist: Wollen Sie es sich nicht doch einmal überlegen und noch ein bißchen genauer nachgucken, ob Sie auf Grund einer Enttäuschung, die Sie in einer Frage, nämlich bei Windhuk, gehabt haben, weil wir da — noch heute, nehme ich an — unterschiedlicher Meinung sind, nun behaupten können, ich hätte mein Herz für die Parlamentsreform erst nach 1982 entdeckt? Ich habe mein Herz in dieser Frage 1950 entdeckt. Solange es schlägt, werde ich weiter für ein Parlament kämpfen.

Klaus Daweke (CDU):
Rede ID: ID1105509500
Ja, mit dem Kollegen Johnny Klein zu reden ist immer ein großes Vergnügen. Das will ich gerne tun.

(Frau Dr. Hamm-Brücher [FDP]: Gut, danke!)

Die dritte Vorbemerkung — die thematisch schon sehr weit von der zweiten entfernt ist — , die ich machen will, entspringt einer persönlichen Erfahrung. Wenn ich jemandem im Ausland erklären will, was der Vorsitzende der Bundeszentrale für politische Bildung tut, dann erhalte ich ganz ungläubige und erstaunte Rückfragen, weil es in unseren Nachbarländern oder in alten Demokratien so eine Einrichtung natürlich überhaupt nicht gibt. Auch der Begriff „politische Bildung" ist dort eigentlich nicht geläufig. Es gibt so etwas wie „civic education". Aber der Ausdruck „politische Bildung" selbst zeigt unser sehr schwieriges Verhältnis zu unserer Geschichte als Demokratie und die sehr schwierige Entwicklung in Richtung einer Hinwendung der Menschen zu dieser Demokratie.
Nun möchte ich meinen Beitrag gerne mit sehr vielen persönlichen Erfahrungen gestalten. Das ist sehr subjektiv — das gebe ich zu — , aber vielleicht läßt sich hier auch über ein paar ganz konkrete Erfahrungen reden.
Ich will zuerst die positiven Erfahrungen nennen. Sie beziehen sich auf die Tatsache, daß ich — vielleicht im Gegensatz zum Kollegen Weisskirchen — glaube, daß die Verwurzelung der demokratischen



Daweke
Einrichtungen im Lande tiefer ist, als das in Ihrem Beitrag soeben vielleicht deutlich wurde. Ich will einmal sagen: Der Großteil unserer Mitbürger glaubt an diese Republik. Er glaubt an die Demokratie als gestaltende Lebensform. Deshalb habe ich eben dazwischengerufen: Die Tatsache, daß die GRÜNEN im Parlament sitzen, zeigt doch, daß das System funktioniert.

(Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: Wenn sie wieder hinausfliegen, funktioniert es aber auch!)

Ich finde z. B. auch, daß — Sie haben es hier heute morgen auch erlebt — die Einsetzung des Untersuchungsausschusses doch eine Antwort auf die Frage ist: Was tut ihr denn, um solchen Herausforderungen wie denen, die nun entstanden sind, tatsächlich zu begegnen?

(Kuhlwein [SPD]: Sehr freudig habt ihr da aber nicht mitgemacht!)

Die Leitbegriffe dieser Demokratie — Freiheit, Frieden, Gerechtigkeit — finden, glaube ich, einen großen Konsens. Ich finde, wir sollten deshalb zu Beginn dieser Debatte auch sagen, daß diese Republik — im Gegensatz zur Weimarer Republik — sehr stark im Herzen und im Verstand der Leute verwurzelt ist und daß das auch ein Erfolg der politischen Bildung ist. Ich finde, das muß man feststellen. Ich sage das hier deshalb, weil es ja auch eine ganze Reihe von interessanten Beispielen gibt, die die Bundeszentrale für politische Bildung gibt und wo sie sehr erfolgreich arbeitet.
Überlegen Sie einmal: Die „Informationen zur politischen Bildung" — ein sehr erfolgreiches Instrument — haben eine Auflage von 2,5 Millionen Stück. Diese Schriftenreihe muß von Lehrern für Schulklassen angefordert werden. Themen sind etwa die Vereinigten Staaten oder der Nationalsozialismus. 2,3 Millionen Exemplare wurden auf Anforderung verschickt. Das zeigt doch, daß die Leute Informationen sammeln und sie verarbeiten. Fast jeder Schüler lernt irgendwann im Laufe seines Schullebens diese Hefte der „Informationen zur politischen Bildung" kennen. „Schlaglichter der deutschen Geschichte" — ein Buch in der Schriftenreihe der Bundeszentrale — wurde 50 000 mal angefordert. „Die Identität der Deutschen" von Weidenfels ist ein „Renner" im Programm der Bundeszentrale. 22 000 Teilnehmer jährlich nur bei der Bundeszentrale sprechen für eine tiefe Verantwortung und für ein großes Interesse an diesem Thema.
Weil es hier aber vielleicht doch weniger angebracht ist, sich auf die Schulter zu klopfen, will ich auch ein paar kritische Anmerkungen machen und sagen, was mich stört, wenn ich das Stichwort „politische Bildung" höre und überlege wie politische Bildung bei uns abläuft. Wir betreiben politische Bildung in diesem Lande eigentlich so, als wollten wir den Leuten beibringen, wie man eine fremde Sprache lernt, und gestalten das nicht so wie wirklich gelebte Demokratie, also als etwas, was eine alltägliche Erfahrung der Leute ist. Das ist so, als wenn wir von außen einsteigen müßten, und nicht so, als wenn das mitten unter uns wäre. Das ist auch der Grund, weshalb die anderen nicht verstehen, daß wir das extra betreiben.

(Dr. Lippelt [Hannover] [GRÜNE]: Aber Sie wissen doch, daß an den amerikanischen Schulen „government studies" unterrichtet wird!)

— Ja, das ist aber mehr auf Geschichte angelegt, auf die Sozialgeschichte Amerikas, weniger auf politische Bildung.
Bei einem haben Sie recht, und das ist mein zweiter Punkt. Im Grunde betreiben die ein viel intensiveres Pauken der Institutionenkunde. Die Tatsache, daß wir jeder Gruppe, die hier sitzt, erklären müssen, wie das Parlament abläuft, wie Ausschüsse arbeiten, welche Funktion ein Ausschußvorsitzender hat, ist für einen Amerikaner in der Tat völlig unverständlich, übrigens auch für die meisten Engländer. Die Amerikaner blikken auf eine 200jährige Geschichte ihrer Demokratie. Wir haben eine sehr kurze Geschichte. Aber gerade in diesen fremden Ländern gibt es sehr viel Institutionenkunde.
Das zweite, was ich kritisch sagen will: Die Sprache der politischen Bildung ist eine für viele völlig unverständliche Sprache. Ich will Ihnen nur einmal zwei Sätze aus einem Bericht über ein Drogenseminar zitieren, was mit jungen Leuten abgehalten worden ist:
Den Sachzusammenhang durchzuarbeiten bedeutet in diesem Seminar
— das ist ein Bericht darüber —
Informationen aufzunehmen und kritisch zu verarbeiten, die alltägliche Dimension der allgemeinen Strukturen aus dem individuellen Deutungsmuster zu entwickeln und dabei auch spontan Kontakt mit verschiedenen Gefühlen zu bekommen, das Zusammenfallen von öffentlichen und inneren Bildern.
Ehrlich gesagt, wer so redet, der vernebelt. Das ist eine Sprache, mit der erreichen Sie doch nicht 16jährige oder 17jährige und machen sie an diesen Seminaren interessiert. Ich finde, das ist ein wichtiger Punkt, diejenigen, die politische Bildung treiben, müssen zumindest aus meiner Sicht eine andere Sprache lernen.
Das dritte, was ich kritisch sagen will, gilt der Organisation von politischer Bildung. Ich habe gerade in diesen Tagen eine Einladung zu einem Seminar in Bad Boll bekommen. Das läuft wie immer, Beginn mit Kaffeetrinken, Begrüßung durch den Akademiedirektor: „Quo vadis Demokratie?", „Jugend und Demokratie", „Partizipation in Jugendverbänden", „Wie Politiker Jugendliche sehen", „Jugendorganisationen politischer Parteien, ein Beitrag zur politischen Kultur?" usw. Wahrscheinlich wird bei der Begrüßung gleich gesagt, wo es hinterher die Reisekosten gibt, „Bitte um 10 Uhr den Schlüssel abgeben", „Um 22 Uhr gibt es Bier im Fernsehraum". Ich weiß nicht, ob wir mit dieser Organisationsform junge Leute tatsächlich interessieren. Im übrigen garantiere ich Ihnen, die, über die da geredet wird bei diesem Seminar, werden nicht da sein. Jugendliche werden nicht da sein, das werden alles Profis sein, sozusagen Politikprofis, die politische Bildung als Profis betreiben. Und



Daweke
das ist der dritte Punkt, den ich hier nennen will, nämlich: Wie erreichen die politischen Bildner ihre Leute? Wo holen sie sie ab? Gelingt es, an die heranzukommen, die eigentlich ihre Klientel sind, oder ist das nicht ein Wanderzirkus von Leuten, die in diesem Feld organisiert sind? Wie kommt man an diejenigen heran, die aus unserer Sicht politische Bildung tatsächlich dringend brauchen?
Eine allerletzte kritische Bemerkung, bevor ich noch ein paar Dinge zu den Schlußfolgerungen sage. Es gibt einen Phänotyp von politischem Bildner, der mich, gelinde gesagt, irritiert. Ich gebe zu, ich mache jetzt eine große Pauschalierung, aber ist es eigentlich richtig, wenn ich den politischen Bildner als Phänotyp so beschreibe, daß er einer ist, der eher larmoyant ist, verbissen, missionarisch, mit erhobenem Zeigefinger durch die Gegend gehend: „Ich weiß es, bitte, glaub mir das"? Damit man dann auch noch eine andere Meinung hört, spricht ein anderer Missionar dagegen, und die streiten sich. Es gibt diesen Typ wirklich, und ich frage mich, ob das einer ist, der die jungen Leute, an die wir immer zuerst denken, oder diejenigen in der Erwachsenenbildung tatsächlich erreicht. Wenn ich das einmal mit einem Bild sagen darf: Als wir in den Bildungsstätten noch immer über Jugendprotest diskutierten, rannten die Missionare mit ihren alten Jeans herum und sahen aus wie die 68er, und die jungen Leute hatten schon längst die Flanellhosen an. Also, es war ein sichtbarer Widerspruch zwischen dem, was da eigentlich zelebriert wurde, und denjenigen, die man erreichen will.
Ich möchte meine Schlußfolgerungen gerne mit dem Hinweis auf folgende Beobachtung beginnen, die man machen muß und die uns beschäftigen sollte: Der Jungwähler des Jahres 1990 — den nehme ich jetzt mal — ist 1972 geboren. Da wurde Willy Brandt in einer gigantischen Wahl wiedergewählt.

(Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: Das waren dunkle Zeiten!)

Als der Junge zwei Jahre alt war, kam Herr Schmidt an die Regierung. Als der Junge zehn Jahre alt war, kam Kohl an die Regierung.

(Kuhlwein [SPD]: Seitdem ist er ein Opfer der Wende!)

Der wird Politik zuerst bewußt erlebt haben, als es den Kanzler Kohl gab. Und der wird sich an Schmidt erinnern, sozusagen wie wir uns an Bismarck erinnern.

(Heiterkeit)

Ich will in diesem Zusammenhang nur auf eines hinweisen: Was muß ich einem solchen 18jährigen an politischer Bildung mitgeben, damit er in die Lage versetzt wird, z. B. einen solchen Regierungswechsel in die Geschichte der Bundesrepublik einzuordnen?
Deshalb möchte ich als erste Schlußfolgerung anführen: Ich finde, die Bundeszentrale braucht so etwas wie einen Grundkanon politischer Bildung, der abfragbar ist, wo die Leute sagen könnten: Du, wenn du das Standardwerk nicht gelesen hast, weißt du über die Geschichte der Institutionen, die Geschichte unserer Republik und die Verfassung dieser Republik nicht Bescheid. — Ist das leistbar? ist die Frage.
Die zweite Schlußfolgerung, die ich gerne ziehen will: Brauchen wir nicht in der Organisation und der Vermittlung politischer Bildung ein paar neue Ansätze? Es ist z. B. zu beklagen, daß es zur Zeit keinen Überblick über die Vielzahl der Träger politischer Bildung, der verschiedenen Töpfe, aus denen politische Bildung finanziert wird, gibt. Es gibt da keinen gemeinsamen Ansatz. Da müßte man mal mit den Ländern reden — ich denke, wir sollten das mal in einer Anhörung tun — , wie wir zu besseren, konzentrierteren Aufgabenlösungen kommen könnten.
Ich sage als eine weitere Schlußfolgerung: Wir müssen viel mehr neue Medien in der politischen Bildung einsetzen. Gerade junge Leute sind dadurch sehr gut erreichbar. Ich denke an Btx, Computerprogramme, Video, Bildplatte, Filme. Sehen Sie sich einmal den Adenauer-Film der Bundeszentrale an. Der ist in einer Art gemacht, wie man gerade junge Menschen erreichen kann.
Schließlich möchte ich fragen: Ist die Bundeszentrale für politische Bildung in unserem Land so organisiert, daß sie tatsächlich schlagkräftig arbeiten kann, etwas, was wir im Kuratorium diskutieren sollten?

(Dr. Lippelt [Hannover] [GRÜNE]: Das ist eine berechtigte Frage!)

Mal ganz im Ernst: Eine Behörde, die forscht, ist dem Innenministerium unterstellt. Paßt das?

(Kuhlwein [SPD]: Beim Innenministerium kann man sich das sehr schwer vorstellen!)

Paßt es, daß das in den BAT und das Beamtenrecht eingeordnet ist? Ist das alles noch stimmig, Herr Staatssekretär, daß dort drei Direktoren entscheiden und daß, wenn sie sich nicht einig werden, Sie entscheiden müssen? ist das eine Struktur, die auch in Zukunft tragfähig ist, wenn wir wissen, wie politische Bildung sonst draußen organisiert ist — plural und mit vielen, vielen Trägern?

(Dr. Lippelt [Hannover] [GRÜNE]: Einen Direktor ohne Parteibuch!)

Ich stelle diese Fragen auch im Hinblick auf die zukünftigen Ausschußberatungen. Ich denke, beide Anträge, unserer und der der Opposition, werden uns Gelegenheit geben, viele Details in den nächsten Wochen und Monaten zu klären.
Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1105509600
Das Wort hat Frau Abgeordnete Hillerich.

Imma Hillerich (DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90):
Rede ID: ID1105509700
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Anlaß der heutigen Debatte war zwar der Antrag der SPD-Fraktion im parlamentarischen Geschäftsgang, aber auch meine Vorredner haben schon den Anlaß wahrgenommen, daß das Thema politische Bildung durch die jüngsten Ereignisse besondere Brisanz gewonnen hat. Angesichts der Unglaubwürdigkeit offizieller und hochrangiger Reprä-



Frau Hillerich
sentanten und Repräsentantinnen dieses Staates, angesichts von Machtmißbrauch, Lügen und Skrupellosigkeit ist es nicht erstaunlich, wenn viele Bürgerinnen und Bürger und besonders viele Jugendliche von Politik nichts mehr wissen und sich für Politik auch nicht bilden lassen wollen. Sie wollen dieses schmutzige Geschäft lieber anderen überlassen, weil sie an Demokratie nicht mehr glauben. Da bin ich nicht der Auffassung meines Vorredners, Herrn Daweke, daß dieser Grundkonsens noch so bestehe, wie er vorhin hat glauben machen wollen.
Andererseits: Im Hamburger Kessel oder in Wakkersdorf — das sind etwas zurückliegende Ereignisse —, in Rheinhausen und in Hanau, in Lübeck und in Kreuzberg, da wurde und wird politisch gelernt. Ich frage Sie: Was sollen eine Politiklehrerin oder ihr männlicher Kollege morgens im Klassenzimmer noch Schülerinnen und Schülern erzählen, die direkt als Beteiligte oder durch die Medien solche Art Erfahrungen gemacht haben?

(Beifall des Abg. Dr. Lippelt [Hannover] [GRÜNE])

Diese Dinge sind nicht mit Geld und nicht mit Richtlinien für die Institutionen der politischen Bildung und auch nicht durch die Informationen zur politischen Bildung von der Bundeszentrale zu kompensieren. Da hilft auch keine moderne Mediendidaktik, und Computer- und Videoeinsatz können das auch nicht wieder gutmachen, was die politische Realität in den Köpfen anrichtet.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Ist es nicht ohnehin eine unglaubliche Zumutung, unter den gegebenen Umständen immer wieder von Politiklehrern und Politiklehrerinnen zu erwarten, daß sie wie pädagogische Don Quichottes mit geschlossenen Augen die schwarz-rot-goldene Fahne der Demokratie, der Freiheit und der Gerechtigkeit und des Parlamentarismus schwingen sollen?
Ich meine, diesen vielbeschworenen demokratischen Konsens halten viele Jugendliche inzwischen nur noch für ein Gerücht von Politikern und Lehrern.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Als für das Handeln verbindlichen Konsens hat es ihn in Wirklichkeit in unserer Republik überhaupt noch nicht gegeben. Er müßte erst einmal hergestellt und gesichert werden, bevor von Jugendlichen erwartet werden kann, daß sie sich ihm anschließen.
So gesehen, meine Damen und Herren, liegt es doch eher nahe, politisches Lernen sei erst einmal wieder eine Aufgabe für Politiker und Politikerinnen und für ihre Parteien.

(Beifall bei den GRÜNEN — Kuhlwein [SPD]: Die GRÜNEN eingeschlossen!)

— Das ist richtig.
Nebenbei: Es wäre wahrscheinlich wirklich eine spannende Angelegenheit, das zu analysieren und zum Gegenstand politischer Bildung zu machen, was eigentlich Skandalpolitiker während ihrer Parteikarrieren und während ihrer parlamentarischen Karrieren politisch lernen. Offensichtlich gibt es hier so etwas wie einen heimlichen Lehrplan für die Taktik und die Tricks des Machterwerbs und des Machterhalts und wenig Chancen, um echtes Demokratieverständnis zu entwickeln.

(Beifall bei den GRÜNEN — Conradi [SPD]: Von welcher Fraktion reden Sie gerade?)

— Ich habe von Skandalpolitikern gesprochen.
Es liegt mir fern, ein Waterkantgate lediglich auf defizitäre politische Bildung zurückzuführen. Dennoch: Kiel ist kein Einzelfall in unserer Republik; das wissen wir alle. Es muß auch festgehalten werden, daß hier ein erschreckender Mangel selbst an Formalwissen über Grundsätze und Spielregeln der parlamentarischen Demokratie bei einem großen Personenkreis offenbar geworden ist. Teilweise scheint es ja bei der dreisten Ausnutzung von staatlicher Macht und staatlichen Ressourcen für die Zwecke der CDU noch nicht einmal ein Unrechtsbewußtsein gegeben zu haben, wie die Äußerungen des bayerischen Ministerpräsidenten gezeigt haben.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

Alle, die heute noch die Aufgabe von Schulen und Trägern der politischen Bildung darin sehen, brave und loyale und funktionierende Staatsbürger zu produzieren, mögen sich gesagt sein lassen: Dieses Lernziel darf gar nicht erreicht werden, erst recht nicht, solange in diesem Land hochrangige Politiker nahezu tagtäglich Skandale produzieren und solange sie so unverfroren mit den Trägern wirtschaftlicher Macht unter einer warmen Decke stecken und solange die Mehrheit der Politiker so wenig Anzeichen zum Umdenken zeigt.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Anzeichen zum Umdenken haben wir auch mit der Einrichtung von Untersuchungsausschüssen noch nicht gesehen.
Die Bedrohung unseres Lebens durch Hochrüstung und Umweltzerstörung, durch Technologien, die mehr und mehr Ausdruck menschlichen Größenwahnsinns sind, der soziale Skandal der „neuen Armut" und die Massenarbeitslosigkeit — all dies fordert Widerstandsbereitschaft und politische und ökonomische Kritik- und Konfliktfähigkeit als Ziele politischer Bildung. Ich möchte bezweifeln, ob für den Neuwähler von 1990 das Kanonwissen zum Einordnen der Regierungswechsel in diesem Zusammenhang wirklich so wichtig ist.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD — Daweke [CDU/CSU]: Worauf wollen Sie denn sonst aufbauen?)

Diesen Ansatz von politischer Bildung und Didaktik der Kritik- und Konfliktfähigkeit, wie er in einigen didaktischen Theorien der siebziger Jahre formuliert wurde und seitdem in vielfältigen Abwandlungen praktiziert wird, halte ich für einen ganz entscheidenden und damals wie heute fälligen Schritt zur Überwindung der nationalsozialistischen Gehirnwäsche.
Weder die aufgezwungene und weitgehend gescheiterte Reeducation nach dem Krieg noch die harmonisierende Staatsbürger- oder Gemeinschaftskunde der fünfziger und sechziger Jahre, die haupt-



Frau Hillerich
sächlich dem Ziel der ideologischen Integration in die Front des Kalten Krieges zu dienen hatte, haben vorher zur Entwicklung des demokratischen Bewußtseins Wesentliches beitragen können.
Neben die schulische und durch Institutionen vermittelte politische Bildung trat seit den siebziger Jahren aber auch noch eine ganz andere Art politischer Bildung, auf die Herr Weisskirchen schon hingewiesen hat. Massenweise erwerben seitdem Menschen in Bürgerinitiativen und in den neuen sozialen Bewegungen politische Entscheidungs- und Handlungskompetenzen. Der Kampf von Frauen um soziale, wirtschaftliche und politische Gleichberechtigung und Selbstbestimmung, Ökologie- und Friedensbewegung, aber auch die Häuserinstandbesetzungsbewegungen, der Kampf von Jugendlichen um autonome Jugendzentren sind für mich Beweise von massenhaft gelungenen politischen Lernprozessen, die meist sehr intensiv, kontinuierlich und zeitaufwendig waren und vielfach auch ohne öffentliche Unterstützung ablaufen.

(Beifall bei den GRÜNEN)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1105509800
Frau Abgeordnete, gestatten Sie eine Zwischenfrage? — Bitte schön, Herr Daweke.

Klaus Daweke (CDU):
Rede ID: ID1105509900
Frau Kollegin, weil wir ungefähr aus derselben Generation stammen — ich will Ihnen nicht zu nahe treten — und Sie eben die politische Bildung, die Staatsbürgerkunde in den sechziger Jahren so niedergemacht haben, möchte ich Sie fragen: Was hat denn bei Ihnen in den sechziger Jahren, Anfang der siebziger Jahre zur Bewußtseinsbildung geführt, die zum Schluß hier im Parlament endete?

Imma Hillerich (DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90):
Rede ID: ID1105510000
Also, wir sind altersmäßig wohl doch nicht so nahe beieinander.

(Heiterkeit)

Ich weiß jetzt nicht, wo Sie sich da so fürchterlich verschätzen.

(Heiterkeit und Beifall bei den GRÜNEN und der SPD — Dr. Lippelt [Hannover] [GRÜNE]: Er hält sich für jünger! — Daweke [CDU/ CSU]: Ich gucke das bald einmal nach!)

Ich habe in den 50er und 60er Jahren

(Daweke [CDU/CSU]: Ich habe extra die 70er Jahre mit dazugenommen!)

noch keine Staatsbürger- und Gemeinschaftskunde genießen können, während meiner ganzen schulischen Ausbildung nicht. Ich habe mich während des Studiums entschlossen, Sozialwissenschaft zu studieren.

(Daweke [CDU/CSU]: Ach, dann ist es das! — Heiterkeit — Dr. Lippelt [Hannover] [GRÜNE]: Damit ist für Sie die Frage erledigt, nicht? — Weitere Zurufe von den GRÜNEN und der SPD)

Die Aufbrüche, von denen ich vorhin gesprochen habe, in der schulischen und natürlich außerschulischen, im gesellschaftlichen Prozeß stattgefundenen politischen Bildung sind bekanntlich nicht von allen mit politischen Ämtern betrauten Demokraten freudig begrüßt worden. Im Gegenteil: So mündig sollten Bürgerinnen und Bürger nun doch nicht werden ! Es ist ein wirklich trauriges Kapitel der deutschen Bildungspolitik, daß die CDU/CSU auf Länderebene wirklich keine Anstrengung gescheut hat, die emanzipatorischen Ansätze von politischer Bildung in den 70er Jahren in Schulen, Lehrerausbildung und -fortbildung, in Rahmenrichtlinien und Schulbüchern zu liquidieren.

(Beifall bei den GRÜNEN und des Abg. Weisskirchen [Wiesloch] [SPD])

Institutionenwissen und Systemkonformität, neue Vaterlandsliebe, möglichst Wehrbereitschaft und vor allem Bereitschaft zur Stimmabgabe — das sind die hohen Werte, die den braven Staatsbürger — die Staatsbürgerin vielleicht noch etwas braver — nach christdemokratischem Verständnis hauptsächlich auszeichnen sollten.
„Ruhe ist die erste Bürgerpflicht", so könnte man das Theaterstück um die hessischen Rahmenrichtlinien betiteln. Um bei Hessen zu bleiben: Kürzlich wurde dort verordnet, den Lernbereich Gesellschaftslehre wieder in historizistischen Geschichtsunterricht und bornierten Fächerpartikularismus der anderen Bereiche aufzuspalten, ein bewährtes Mittel, um Politisierung, die eingesetzt hat, wieder zu neutralisieren. Fächerübergreifendes, an den realen Problemen der Betroffenen ansetzendes politisches und weitgehend autonomes Lernen gefährdet den konservativen Schulfrieden. Menschen als handelnde Subjekte innerhalb von politischen Lernprozessen sind unerwünscht. Gleiches gilt für die Öffnung der Schulen und Bildungsinstitutionen nach außen. Wirklich auf Kritikfähigkeit beruhende politische Handlungskompetenz, solidarisches Engagement und soziale Phantasie — meines Erachtens sind das die wichtigsten Lernziele politischer Bildung — sind auch vielen Damen und Herren, insbesondere der CDU/CSU, weiterhin suspekt. Sie stehen unter Indoktrinationsverdacht.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Die längst fällige Demokratisierung der Schulen als das Mittel, Demokratieverständnis und -bereitschaft bei Jugendlichen aus eigener Anschauung zu entwikkein, halten immer noch viele Verantwortliche in dem Bereich für antiautoritären Unfug statt für eine vordringliche und weithin ungelöste Aufgabe.

(Beifall bei den GRÜNEN und der Abg. Frau Dr. Hamm-Brücher [FDP])

Auch die selbstverständliche Parteilichkeit von Lehrerinnen und Lehrern für ihre Schülerinnen und Schüler, für deren Lebenschancen und Interessen wird von vielen noch immer nicht für legitim gehalten.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Und daß der undemokratische Radikalenerlaß von 1972 und die ihm folgende, fast ausschließlich auf Linke angewendete Berufsverbotspraxis neben den direkten persönlichen Folgen für die Betroffenen auch



Frau Hillerich
einschüchternde Auswirkungen auf das gesamte Klima in unseren Bildungseinrichtungen haben,

(Beifall bei den GRÜNEN und der Abg. Duve [SPD] und Conradi [SPD])

mögen besonders die älteren Damen und Herren der SPD-Fraktion, einschließlich Willy Brandts — leider sind die nicht alle da — , mit ihrem politischen Gewissen ausmachen. Ich sagte: „haben" ; denn hierbei handelt es sich nicht um Vergangenheitsbewältigung. Noch immer gibt es neue Berufsverbotsfälle.

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1105510100
Frau Abgeordnete, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Duve?

Imma Hillerich (DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90):
Rede ID: ID1105510200
Ja. Vizepräsident Stücklen: Bitte sehr.

Freimut Duve (SPD):
Rede ID: ID1105510300
Frau Kollegin, sind Sie bereit, anzuerkennen oder zumindest zur Kenntnis zu nehmen, daß — in einem relativ seltenen Fall von Einsicht — der ehemalige Bundeskanzler Willy Brandt von diesem Ministerpräsidentenerlaß nicht nur sehr deutlich abgerückt ist, sondern auch sehr viel dazu beigetragen hat, daß sich das Klima hat wandeln können und daß diese Praxis dann dort, wo Sozialdemokraten Macht, Regierungsmacht haben, nicht mehr angewandt wird?

(Beifall bei der SPD — Zuruf des Abg. Daweke [CDU/CSU])


Imma Hillerich (DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90):
Rede ID: ID1105510400
Ja, das ist richtig. Ich bin bereit, das anzuerkennen. Dennoch gibt es immer wieder Berufsverbotsfälle. Ich denke, da könnten auch Solidarität und ein empörter Aufschrei von Sozialdemokraten durchaus weiterhelfen.

(Zurufe von der CDU/CSU) — Sie müssen die Zeitungen lesen. —


(Zurufe von der SPD)

Solche Fälle hat es z. B. jüngst in Niedersachsen, in Rheinland-Pfalz wieder gegeben. Demokratisierung der Schulen — das hieße auch stärkeres Eingehen auf den latenten und offenen Ausländerhaß und Neofaschismus,

(Frau Dr. Hamm-Brücher [FDP]: Das ist richtig!)

Erbe der geistig und politisch unbewältigten und verdrängten großdeutschen Vergangenheit. Und ich finde es beschämend — das ist eine bittere Wahrheit, die ich noch hinzufügen möchte — : Auch die Entnazifizierung der bundesdeutschen Schulen ist noch nicht abgeschlossen.

(Daweke [CDU/CSU]: Und des Westdeutschen Rundfunks!)

Kurz zum Antrag der SPD, der sich hauptsächlich mit politischer Bildung im Rahmen institutionalisierter Erwachsenenbildung befaßt und damit einen weiteren Mißstand der politischen Bildung anspricht. Ihr Anteil wird im Angebot der Träger von Erwachsenenbildung gegenüber rein beruflichen Weiterbildungsveranstaltungen zunehmend an den Rand gedrängt.
Besonders deutlich ist dies im Angebot der Volkshochschulen im Laufe der letzten Jahre festzustellen.
Technische Innovationen in Betrieben und Verwaltungen führen zu einem Qualifikationsdruck auf die dort Beschäftigten, der sich beispielhaft an der steigenden Zahl von Computerkursen ablesen läßt. Allerdings haben diese Kurse nichts mehr mit Weiterbildung im Sinne von Bildung zu tun. Die Teilnehmer und Teilnehmerinnen lernen den Umgang mit Computern, sicherlich oder hoffentlich beruflich verwertbares Wissen und Fertigkeiten. Aber zur Bildung gehört auch Auseinandersetzung, Reflexion und Selbstreflexion,

(Beifall bei den GRÜNEN)

z. B. auf das Verhältnis Mensch/Maschine, auf die Konsequenzen des Einsatzes von Computern am Arbeitsplatz, auf Probleme des Datenschutzes usw. Andererseits bieten Volkshochschulen im Bereich der politischen Bildung durchaus auch Kurse an, die das Verhältnis von neuen Technologien und Gesellschaft thematisieren, in dem Sinne, wie das auch vom Herrn Weisskirchen angesprochen wurde. Aber erstens stoßen diese Kurse nur bei wenigen auf Interesse. Ihre Anzahl ist gering. Zweitens, so paradox das ist, handelt es sich häufig nicht um den Teilnehmerkreis, der auch Computerkurse besucht. Oft fehlt den Teilnehmern und Teilnehmerinnen und den Kursleitern und Kursleiterinnen sogar praktische Erfahrung im Umgang mit Computern. Diese Paradoxie macht wirklich deutlich, daß gerade im Hinblick auf die neuen Technologien die Trennung zwischen beruflicher und politischer Weiterbildung offensichtlich obsolet geworden ist. Weiterbildung muß ganzheitlich angelegt sein, wenn sie nicht auf bloße Anpassungsqualifizierung reduziert sein soll, sondern auch zur Einflußnahme auf Ziel und Abläufe, ja eigentlich zur selbstbewußten Gestaltung des technischen und des damit verbundenen sozialen Wandels befähigen soll.
Wir begrüßen das Anliegen des Antrags der SPD und sind auf die Ausschußberatungen gespannt. — Damit möchte ich meinen Kollegen noch etwas Redezeit übriglassen.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1105510500
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Neuhausen.

Friedrich Neuhausen (FDP):
Rede ID: ID1105510600
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gert Weisskirchen hat zu Anfang der Debatte auf die Parallelität der heutigen Aussprache mit dem Jahre 1968 hingewiesen. Um einer Rückfrage von Klaus Daweke — der gerade telefoniert — nach dem Lebenslauf zuvorzukommen, will ich hier bekennen, daß mich damals zu der Zeit, als die FDP eine Große Anfrage zur politischen Bildung stellte und die damalige Große Koalition, CDU/CSU und SPD , ein paar Tage später nachzog und es erst ein Jahr später zur Debatte kam, diese Unbeweglichkeiten dazu geführt haben, in diesem Jahre Mitglied der FDP zu werden.

(Heiterkeit und Beifall bei der FDP — Frau Dr. Hamm-Brücher [FDP]: Sternstunde!)




Neuhausen
Nur damit Du genau Bescheid weißt.

(Abg. Daweke meldet sich zu einer Zwischenfrage)

— Bitte schön.

Klaus Daweke (CDU):
Rede ID: ID1105510700
Herr Kollege Neuhausen, sind Sie bereit zuzugeben, daß das zu einem Zeitpunkt war, wo die Kollegin Hillerich noch so jung war, daß sie das alles gar nicht verfolgen konnte? Ich habe nämlich inzwischen nachgelesen, daß sie tatsächlich elf Jahre jünger ist und ich deshalb meine Bemerkung von vorhin relativieren muß.

Friedrich Neuhausen (FDP):
Rede ID: ID1105510800
Ich nehme das gerne zur Kenntnis. Ich gehe allerdings davon aus, daß mir der Herr Präsident diesen Versuch einer Richtigstellung nicht anrechnet.

(Heiterkeit)

Meine Damen und Herren, es lohnt sich schon, auf die damalige Debatte, die Fragestellungen, die Antwort der Regierung, die Aussprache hier im Hause zurückzukommen. Denn damals kam in Frage und Antwort und in der Aussprache eine Fülle von Gesichtspunkten zur Sprache, die vor dem Hintergrund der 68er Zeit — die den Hintergrund bildete — das Ziel und die Aufgabe von politischer Bildung, wie sie damals gesehen wurde, umschrieb und natürlich auch damals den mehr institutionell-organisatorischen Aspekt, den wir eben behandelt haben, nicht außer acht ließ. Denn wir müssen beides zusammen betrachten: das, was uns angeht, und das, was wir in mehr haushaltstechnischer und anderer Hinsicht veranlassen sollten.
Meine Damen und Herren, nun ist es ja so, daß in der Zwischenzeit nicht einfach nichts geschehen wäre. Wer den schwierigen Versuch macht, sich wirklich einmal einen Überblick über die umfangreich gewordene inhaltliche und methodisch-didaktische Literatur zum Thema politische Bildung zu verschaffen, und wer den scheiternden Versuch einer Übersicht über die Vielzahl von Trägern — freien Trägern, gewerkschaftlichen Trägern, kirchlichen Trägern, staatlichen Trägern, verschiedenster öffentlicher Stellen — unternimmt, der will natürlich die Gelegenheit nutzen, denen allen zu danken, trotz der Defizite, die wir hin und wieder anmahnen, trotz der kritischen Anmerkungen,die gemacht werden. Denn das sind Menschen und Institutionen, die unsere Arbeit begleiten und dabei viel leisten.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Da es sich bei vielen von denen, die Herr Daweke als die Konferenzreisenden betrachtete — jetzt im positiven Sinne — , um die berühmten Multiplikatoren handelt, z. B. Lehrer, die das, was sie da mitbekommen, in die Schule weitergeben, wollen wir sie nicht allzu kritisch betrachten. Sie sind Menschen wie Sie, wie wir, mit ihren Eigentümlichkeiten. Es gehört zur politischen Bildung, auch das ernst- und wahrzunehmen.
Meine Damen und Herren, schon damals brachte die Bundesregierung ein Eingangskapitel zu ihren Ausführungen mit dem Titel: „Ursachen des Unbehagens an Politik und Staat". Was damals Unbehagen genannt wurde, ist — man sieht es offensichtlich — keine zeitlich punktuelle Erscheinung. Heute sprechen wir von dem hier schon zitierten Vertrauensschwund. Damals wurde das Unbehagen hauptsächlich auf zwei Punkte bezogen, die auch wir immer nennen, nämlich auf die, wie es hieß, „Unruhe aktiver Minderheiten", die als ebenso heilsam wie aber auch zerstörerisch in ihren Möglichkeiten bezeichnet wurde, und dann auf einen, wie es da hieß, „Entfremdungsprozeß breiter Schichten" als Folge der „komplizierten und differenzierten Einflüsse und Spannungen des politischen Geschehens".
Wenn man das heute betrachtet, werden fast ähnliche Vokabeln zur Erklärung heutiger sogenannter politischer Apathie vorgebracht. In dem Planungsbericht der Bundeszentrale ist auch vom „Anschein mangelnder Transparenz" und von der „Komplexität politischer Strukturen" die Rede. Aber — es wurde schon gesagt — es besteht doch, wenn man das realistisch betrachtet, ein wesentlicher Unterschied: Heute engagieren sich weitaus mehr Bürger für Fragen, durch die sie sich unmittelbar betroffen fühlen,

(Zuruf von der CDU/CSU: Genau das!)

die wir ihnen nicht vorschreiben können, die sie selber aufgreifen, sei es im Zusammenhang mit bestimmten Problemen der großen Politik, sei es aber auch in lokalen Bezügen,

(Zuruf von der CDU/CSU: So ist das!)

bis hin zu kulturpolitischem Engagement usw. Darin liegt eine Chance.

(Daweke [CDU/CSU]: Das muß man zur Kenntnis nehmen!)

Wir sollten die Bürger auch in ihrem freien Willen ernst nehmen, das zu tun, was ihnen als richtig erscheint.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Meine Damen und Herren, der Teil, den wir indirekt leisten, ist hier schon deutlich angesprochen worden, und wir müssen uns dazu auch ganz ehrlich bekennen. Ralf Dahrendorf hat etwas provokativ einmal geschrieben:
Politik ist im Normalfall langweilig. Für die Mehrzahl der Menschen ist die Verwaltung der öffentlichen Dinge kaum interessanter als der Alltag an der Börse
— das ist jetzt vielleicht ein bißchen anders zu sehen —
und eher weniger interessant als ein Fußballwochenende im zweiten Drittel der Saison.
Er meint das nicht kritisch, und doch liegt in dieser Feststellung ein Defizit, für das die institutionelle politische Bildung überhaupt keine Verantwortung trägt. Denn zum Normalfall gehört nicht nur der unvermeidliche graue Alltag mit seinen Formalien und Regula-rien, sondern das Bild der Politik, das die politisch Handelnden vermitteln. Darin wirkt Konturenlosigkeit ebenso langweilig wie ständige, oft nur rhetorisch-taktische Streitereien. Das Spiel der gegenseitigen Unterstellungen — das ist nicht nur auf eine Seite zu schieben — läßt Öde aufkommen. Auch die ermü-



Neuhausen
dende Wiederholung von Übertreibungen sprengt die Enge des Normalfalls nicht.
Wehe dem,
— schrieb Dahrendorf ironisch in diesen Zusammenhang —
der die nächste Wahl nicht für das wichtigste Ereignis der Zeitgeschichte hält: die Politik lebt von der Dramatisierung des Unbedeutenden.
Daran haben wir alle, jeder einzelne, teil. Affären und Skandale tun ein übriges, das Bild von Politik, ihrer Bedeutung, ihrer Lebensnotwendigkeit zu verzeichnen. Auch moralischer Monopolismus hilft da nicht viel weiter. Denn wer von uns hätte das Recht, andere zu moralisieren? Jeder braucht seinen — hier allerdings wörtlich gemeinten — Spiegel. Aber die Hinweise darauf gehören zum Thema.
Politische Bildung,
— schrieb Sontheimer —
die zu politischer Kultur in normativem Sinne beitragen will und soll, steht ... auf fast verlorenem Posten, wenn die Politik sie ständig Lügen straft.
Das gilt für uns alle immerzu.
Oder Karl-Hermann Flach sagte schon 1963:
Ein Staat ist kein abstraktes Gebilde aus Normen, Gesetzen und Apparaten, sondern das Produkt ständiger Zusammenarbeit lebendiger Menschen. Die Verfassung kann vorzüglich sein, die Gesetze mögen gut funktionieren, der Staatsapparat mag wie geölt laufen — entscheidend sind Gesinnung und Gesittung der in ihm Tätigen.
Das gilt immer, und das bedeutet nicht profillose Harmonie. Denn Konflikte sind unvermeidbar. Dissens gibt es, und er muß geübt werden. Für die politische Bildung — ich komme zu Schluß, Herr Präsident — muß aber auch der Konsens jenseits von Konflikt und Dissens, der Konsens in der Verantwortlichkeit auf dem Boden der Demokratie deutlich gemacht werden dürfen und nicht nur Feierstunden vorbehalten sein. Er muß sich in unserem Tun widerspiegeln.
Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und der SPD)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1105510900
Das Wort hat Frau Abgeordnete Niehuis.

Dr. Edith Niehuis (SPD):
Rede ID: ID1105511000

(la würden irgendwelche bestimmt, gerade bei diesem Thema — wissend, wie das alles entstanden ist und wer reden darf — ein wenig unangebracht, und ich fühlte mich dabei ganz falsch behandelt. Gestatten Sie eine Zwischenfrage? Aber nur, wenn die Zeit dafür abgezogen wird; nur, wenn Sie die Uhr stoppen. Selbstverständlich! Natürlich! Okay. Vizepräsident Stücklen: Bitte. Frau Kollegin würden Sie bitte zur Kenntnis nehmen wollen, daß ich es gerade bei Ihnen sehr bedauere, wenn Sie sich getroffen fühlen? Aber würden Sie bitte auch zur Kenntnis nehmen, daß in keinem dieser Anträge je die Vorstellung vorhanden ist, Freunde und Kollegen, die sich mit der Materie beschäftigen, sollten in ihrer Redezeit auch nur um eine Sekunde beeinträchtigt werden? Es ist ja nicht meine Idee, sondern eine Idee der Ad-hocKommission „Parlamentsreform" , daß man die Debatte hier dadurch beleben könnte, wenn jeder, der sich die Zeit zum Zuhören nimmt, unter Umständen zu den gründlich vorbereiteten Vorträgen Zustimmung, neue Gedanken äußert, also einen Dialog führt. Das ist doch die Idee: nicht, jemandem etwas wegzunehmen, sondern Zusätzliches zu machen, um diesen Debatten den Transport in die Öffentlichkeit zu ermöglichen. (Dr. Lippelt [Hannover] [GRÜNE]: Daß man von den vorbereiteten Manuskripten zwei Minuten weglassen soll!)


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1105511100
Dr. Edith Niehuis (SPD):
Rede ID: ID1105511200

(Zuruf der CDU/CSU: Keine Drohungen!)

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1105511300
Dr. Edith Niehuis (SPD):
Rede ID: ID1105511400
Dr. Hildegard Hamm-Brücher (FDP):
Rede ID: ID1105511500
Ich bitte, zur Kenntnis zu nehmen, daß ich es sehr bedauern würde, wenn Sie das Gefühl hätten, daß irgend jemand hier die Rede eines anderen beschneiden will. Wir wollen vielmehr etwas Zusätzliches bewirken.

Dr. Edith Niehuis (SPD):
Rede ID: ID1105511600
Gut. Danke schön.
Aber nun zu dem Thema. Als ich Sie, Herr Daweke, gehört habe, habe ich gedacht: Na ja, eigentlich ist Konsens. Wir alle halten politische Bildung in dieser Bundesrepublik für richtig, weil sie der Erhaltung der Demokratie dienen soll. Aber ich glaube, der Eindruck, hier sei Konsens, stimmt einfach nicht. Die Reden haben das schon gezeigt.
Wenn ich gucke, wer auf der Regierungsbank sitzt, vermisse ich einen ganz bestimmten Minister, nämlich den Bildungsminister.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Ich kann mir überhaupt keine Situation vorstellen, daß man über Bildung redet und der Bildungsminister nicht hier sitzt und sich das nicht anhört.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)




Frau Dr. Niehuis
Ich glaube, an dieser Stelle fängt es an.

(Abg. Dr. Lippelt [Hannover] [GRÜNE] meldet sich zu einer Zwischenfrage)

— Ich unterbreche. Aber meine Uhr? Ist deren Lauf wieder unterbrochen? Sonst nicht!

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1105511700
Wenn es zu diesem aufgerufenen Tagesordnungspunkt inhaltlich vertretbar ist, dann würde ich durchaus sagen: Ich halte die Uhr an. Sonst kann ich es nicht, weil der ganze Terminplan über den Haufen geworfen wird. — Bitte sehr, Herr Lippelt.

Dr. Helmut Lippelt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1105511800
Ich mache es natürlich ganz kurz. Meinen Sie nicht, daß auch der Bundeskanzler fehlt?

Dr. Edith Niehuis (SPD):
Rede ID: ID1105511900
Das ist ja noch schlimmer.

Dr. Helmut Lippelt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1105512000
Denn dessen Begriff von politischer Bildung hat eine ganz spezifische Prägung, und darüber muß man etwas sagen.

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1105512100
Herr Abgeordneter Lippelt!

Dr. Edith Niehuis (SPD):
Rede ID: ID1105512200
Na ja, das war kein — —

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1105512300
Einen Augenblick! Darf ich mich mal einschalten?

Dr. Edith Niehuis (SPD):
Rede ID: ID1105512400
Die Uhr läuft!

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1105512500
Ich empfehle Ihnen dringend, sich in einer Mußestunde — sie sollte nicht allzu fern sein — einmal die Geschäftsordnung vorzunehmen und dort zu lesen, welche Möglichkeiten die Abgeordneten dieses Bundestags haben. Eine Anklage oder Klage am Mikrophon im Saal ist in diesem Zusammenhang nicht angebracht.

(Beifall bei der CDU/CSU — Kuhlwein Natürlich würde auch ich mich freuen, wenn sich der Herr Bundeskanzler die Debatte zu diesem Thema anhören würde. Daß der Bundesbildungsminister nicht hier sitzt, ist, glaube ich, kein Zufall. Es ist auch nicht nur eine Frage der Zuständigkeit. Es hat vielmehr schon etwas mit diesem Thema zu tun. Wenn man sich seine Reden anhört — und er hat ja viele Gelegenheiten, zu denen er redet — , fällt auf, daß das Wort „Politische Bildung" in diesen Reden überhaupt nicht auftaucht. Mir wäre in der Tat ein Bildungsminister lieber, der auch in seinen vielen Reden immer wieder auf den bedeutenden Stellenwert der politischen Bildung eingeht. Da ist bei diesem Minister totale Fehlanzeige. Es gibt allerdings Momente, wo er sich über den Begriff Allgemeinbildung an die Thematik herantastet, zum Beispiel, wenn er in seinen Reden davon spricht, daß man den allgemeinbildenden Anteil in der Berufsschule zurückdrängen sollte. Da hat er schon einmal unvorsichtig zwei Fächer genannt, nämlich Sport und Religion. Er hat heftige Proteste bekommen und mußte sich zaghaft zurückziehen, ist aber dennoch bei dem Vorschlag geblieben, den allgemeinbildenden Anteil in der Berufsschule zurückzudrängen, um die Erstausbildung zu verkürzen. Da frage ich mich natürlich: Wenn es nicht mehr Sport und Religion sein sollen, welche Fächer sollen es dann sein? Ich glaube, Antworten darauf gehören auch zur Situation der politischen Bildung hier in der Bundesrepublik. Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage? Jetzt muß ich das langsam — — Er will das nicht immer so, wie ich das möchte. Sie strapazieren mich heute außerordentlich. Sie stoppen also noch einmal die Zeit; dann darf Herr Daweke eine Zwischenfrage stellen. Ich wollte Sie nur fragen, ob Sie den Brief des Bundeskanzlers an den Bundesbildungsminister kennen, den er in dieser Sache geschrieben hat. Er gehört zu denen, die heftigst widersprochen haben, als diese Äußerung gefallen ist. Ich kenne ihn nicht, aber ich freue mich, daß er da widersprochen hat. Ich würde ihn allerdings ganz gern mal kennenlernen. Vielleicht können Sie ihn mir mal zustellen. — Okay. Mit scheint, bei solchen Kleinigkeiten geht es hier auch um eine Grundsatzfrage, nämlich um die Grundsatzfrage, um welches Bildungsverständnis es eigentlich geht. Immer wenn es um das Bildungsverständnis geht, geht es auch um das Menschenbild, das dahinter steht. Das Menschenbild, das hinter dem Bildungsverständnis dieser Bundesregierung steht, glaube ich, läßt sich leicht durch eine Überschrift des Bildungsministers beschreiben, die er immer so über seine Presse-Infos setzt, und da bekommen wir sehr viele. Eine Überschrift hieß einmal: „Fit durch Weiterbildung". Ich wäre gar nicht ärgerlich, wenn er „Fit durch Weiterbildung" nun auch vernünftig beschreiben würde, (Weisskirchen [Wiesloch] [SPD]: Wenn er es auf sich selbst beziehen würde!)


(SPD): Die schwächste Waffe jedenfalls!)

Dr. Edith Niehuis (SPD):
Rede ID: ID1105512600

(Beifall bei der SPD)


(Beifall bei der SPD)

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1105512700
Dr. Edith Niehuis (SPD):
Rede ID: ID1105512800
Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1105512900
Dr. Edith Niehuis (SPD):
Rede ID: ID1105513000
Klaus Daweke (CDU):
Rede ID: ID1105513100
Dr. Edith Niehuis (SPD):
Rede ID: ID1105513200

(Daweke [CDU/CSU]: Das wird zum Grundkanon gerechnet!)

nur bringt er dann fünf Punkte, die ich einmal nennen will, warum Fitsein durch Weiterbildung nötig ist, warum lebenslanges Lernen nötig ist, warum permanente Weiterbildung nötig ist.
Die fünf Punkte lauten:
Erstens. Auf Grund der Entwicklungsgeschwindigkeit neuer Technologien ändern sich die Qualifikationsanforderungen in Wirtschaft und Gesellschaft.



Frau Dr. Niehuis
Zweitens. Der technische Wandel erfaßt immer mehr Berufe.
Drittens. Die Änderung der betrieblichen Organisation erfordert höher qualifizierte Mitarbeiter.
Viertens. Die Qualifikationen müssen an die Erfordernisse des Arbeitsmarktes angepaßt werden.
Fünftens. Der Rückgang an jungen Fachkräften kann am kostengünstigsten durch einen Ausbau von Weiterbildungssystemen aufgefangen werden.
Das ist für den Bundesbildungsminister „Fitsein durch Weiterbildung". Ich würde dies gar nicht kritisieren, wenn diese fünf Punkte ausschließlich die technische Entwicklung und ihre Folgen beschreiben würden. Nein, ich kritisiere, daß diese fünf Punkte bildungspolitische Notwendigkeiten beschreiben. Ich kritisiere, daß die technische Entwicklung im Grunde mit bildungspolitischen Notwendigkeiten gleichgesetzt wird.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Gute bildungspolitische Tradition ist, daß im Zentrum der Bildungspolitik der Mensch steht. Er ist das Subjekt allen bildungspolitischen Denkens.

(Beifall bei Abgeordneten aller Fraktionen)

— Das freut mich. Aber die Technik in diesem Verständnis von Herrn Möllemann wird zu einem eigenständigen Gegenüber des Menschen, an das sich der Mensch anzupassen hat. In dem Moment, wo man so etwas tut, Herr Daweke, wird die Technik zum Subjekt, und der Mensch wird zum Objekt.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN)

Mit diesem gedankenlosen Bildungsverständnis des Bundesbildungsministers verlassen Sie jede humanistische, jede christliche und jede aufklärerische Tradition, was Bildung angeht.

(Beifall bei der SPD — Kuhlwein [SPD]: Auch die liberale Tradition!)

— Auch die liberale.
Wir Sozialdemokraten aber wollen — das möchte ich hier noch einmal betonen — , daß im Zentrum allen wirtschaftlichen, allen technischen und allen bildungspolitischen Tuns der Mensch steht, und das werden wir in dieser Diskussion einfordern.

(Beifall bei der SPD)

Daß der Mensch diese Technik beherrschen soll, sie sozial gestalten soll, sie kritisch begleiten soll, all das ist im Bildungsverständnis dieser Bundesregierung unterbelichtet. Gerade die jüngsten Vorgänge um Hanau müßten, glaube ich, jeden überzeugen, daß Menschen der technischen Entwicklung nicht unkritisch gegenüberstehen dürfen, sondern daß sie die Technik auch in ihren möglicherweise menschenverachtenden Dimensionen erkennen und beherrschen können müssen. Wie sollen Menschen diese kritisch-konstruktive Einstellung lernen, wenn die Bildungspolitik hierfür nicht die Weichen stellt? Sie können es nur lernen, wenn sie politische Bildung erfahren.

(Dr.-Ing. Kansy [CDU/CSU]: Aber nicht à la Hauff!)

Ihnen geht es — das habe ich mal in einer Zeitschrift gelesen, und das fand ich genau richtig, wenn es um Bildung geht — eigentlich um die Ausbildung von olympiareifen Stammbelegschaften in Betrieben.
Aber vielleicht sollte der Bildungsminister einmal ein Gespräch mit dem Minister Töpfer führen. Man braucht sich nur zu erinnern, was er in der letzten Woche hier gesagt hat. Da will ich wie er einen Hirtenbrief zur Energie und Umwelt der deutschen Bischöfe zitieren, und dort heißt es:
Der Mensch darf nicht alles, was er kann; aber je mehr er kann, um so größer wird seine Verantwortung.

(Sehr richtig! bei der CDU/CSU)

Wie soll denn der Mensch lernen, diese Verantwortung zu übernehmen, wenn nicht durch politische Bildung?

(Zuruf von der CDU/CSU: Und Bildung!) Das ist doch die Frage.


(Beifall bei der SPD)

Als ich mich vorbereitet habe, habe ich mir gedacht: Wenn Sie konsequent wären, sollten Sie eigentlich in irgendeiner Regierungsvorlage einmal dafür sorgen, daß der Titel Bundesbildungsminister abgeschafft wird, denn wenn man einen Bundesbildungsminister hat, muß man auch einen Bildungsbegriff haben, den man ernst nimmt, und dieser Bildungsbegriff ist nicht da. Ich würde Ihnen vorschlagen: Nennen Sie ihn doch schlichtweg Qualifizierungsminister; das wäre ein Begriff, der viel besser passen würde.

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Denken Sie bitte einmal an die Einladung zur Konzertierten Aktion Weiterbildung, die Herr Möllemann verschickt hat. Da fällt auf, daß in dem vierseitigen Fragenkatalog das Thema „Politische Bildung" mit keinem Wort erwähnt wird. Dazu kann ich nur sagen: Da lädt ein Minister Verbände und Institutionen ein, um mit ihnen über das Thema „Zukunft der Weiterbildung" zu reden, und mit keinem Wort kommt politische Bildung vor. Das scheint also für diese Bundesregierung kein Thema zu sein.

(Neuhausen [FDP]: Was Sie da sagen, ist nicht ehrlich!)

— Doch, das ist ehrlich. Weisen Sie mir nach, daß es nicht ehrlich ist. Es ist wirklich ehrlich. Wir können darüber gerne reden. Ich habe mir das extra noch einmal angeschaut.
Stattdessen rücken — das ist viel wesentlicher — in den bildungspolitischen Vorstellungen dieser Bundesregierung zwei andere Begriffe in den Vordergrund. Der eine Begriff ist „Marktcharakter der Weiterbildung", und der andere Begriff ist „Wettbewerb". Hier im Raum sitzen jetzt keine Wirtschaftswissenschaftler; aber richtige soziale Marktwirtschaftler, die von der Sache etwas verstehen, würden doch gar nicht auf die Idee kommen, das Bildungswesen nach den Regeln des Marktes zu strukturieren, denn sie wissen, daß das Bildungswesen eine öffentliche Aufgabe ist und daß es total abwegig ist, ökono-



Frau Dr. Niehuis
mische Kategorien auf Bildungsprozesse zu übertragen.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN — Abg. Daweke [CDU/CSU] meldet sich zu einer Zwischenfrage)

— Nun muß ich wieder nett zu Herrn Stücklen sein.

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1105513300
Frau Kollegin, das ist sehr großzügig oder sehr anerkennenswert, aber ich bitte doch zu beachten, daß der Zeitplan durch diese Zwischenfragen, die ich alle nicht auf die Redezeit angerechnet habe, natürlich schwer durcheinanderkommt.
Bitte, Herr Daweke!

Klaus Daweke (CDU):
Rede ID: ID1105513400
Ich rede ganz schnell: Würden Sie einem Marktwirtschaftler konzedieren, daß z. B. gerade das interessante Schulwesen der Waldorfschulen durchaus nach Marktgesichtspunkten strukturiert ist?

(Widerspruch bei der SPD — Dr. Lippelt [Hannover] [GRÜNE]: Das kennen wir aber anders!)


Dr. Edith Niehuis (SPD):
Rede ID: ID1105513500
Gar nicht! Ich bitte Sie, mir doch zuzuhören, wenn ich diesen Gedanken weiterentwickle. Markt und Wettbewerb haben so, wie sie in den Ausführungen der Bundesregierung beschrieben werden, nichts damit zu tun, daß es hier um das Bemühen geht, die Qualität zu verbessern, sondern Wettbewerb wird dort ausschließlich im ökonomischen Sinne gesehen, und das hat dann nichts mit der Waldorfschule zu tun.

(Zuruf von den GRÜNEN: Genau! — Neuhausen [FDP]: Das ist wahr! — Daweke [CDU/CSU]: Das sehe ich wirklich ganz anders!)

— Gut, ich habe ja bisher die zwei Begriffe nur erwähnt, aber noch nichts weiter dazu gesagt. Hätten Sie sich das angehört, wäre das, glaube ich, auch noch ein bißchen deutlicher geworden.
Das, was mit diesen Begriffen „Marktcharakter" und „Wettbewerb" passiert, bereitet mittlerweile überall sehr viel Sorge. Ich will Ihnen auch sagen, worum es geht. Da steht in vielen Schriften insbesondere des Bildungsministeriums — und ich bin nach wie vor der Meinung: da gehört es hin — , daß die öffentliche Hand dafür sorgen muß, daß sie durch Förderungen, durch finanzielle Zuwendungen den nichtöffentlichen Trägern auch noch ganz gerechte Zulassungsmöglichkeiten zum Markt eröffnet. Da bitte ich Sie doch, sich einmal zu überlegen, was das bedeutet. Es heißt: Öffentliche Förderung von Trägern bedeutet Wettbewerbsverzerrung auf dem Bildungsmarkt. Das wiederum bedeutet im Klartext: Hier werden weitere Streichungen im Bildungswesen angekündigt. Da macht sich Sorge nicht bei den Trägern der betrieblichen Weiterbildung breit, denn diese werden ihre betriebliche Weiterbildung weiterhin als Anpassung an betriebliche Erfordernisse oder auch als Teil der Personalpolitik durchführen. Nein, Sorge macht sich da insbesondere bei bewährten Trägern der politischen und allgemeinen Bildung breit, und da sind wir wieder beim Thema. Da wird es besorgniserregend.

(Zustimmung des Abg. Weisskirchen [Wiesloch] [SPD])

So hat der Arbeitskreis deutscher Bildungsstätten
— Sie kennen ihn; 98 Bildungsstätten gehören dazu, und dort ist ein breites Spektrum von politischer Bildung vertreten — im Oktober 1986 auf seiner Mitgliederversammlung sehr bemerkenswerte Worte zum Zustand der politischen Bildung in dieser Republik gesagt. Es wurde dort u. a. formuliert:
Eine Gefährdung politischer Bildung zeichnet sich auch im Zusammenhang mit den Prinzipien ab, die für die künftige Gestaltung der Weiterbildung grundlegend sein sollen. Wenn der Wettbewerb der Träger untereinander gefordert wird, die Teilnahme an Weiterbildung durch Tarifpartner geregelt wird, Teilnehmergebühren so zu gestalten sind, daß sie auch nichtöffentlichen Anbietern Marktchancen eröffnen,
— das ist ja das, was Sie wollen —
muß auch bedacht werden, welche Auswirkungen eine Verwirklichung dieser Postulate auf die Organisationsstruktur der Weiterbildung hat.
Also nicht nur ich befürchte, daß durch eine solche Politik die Struktur der Weiterbildung zerschlagen wird, sondern auch bewährte Träger der Weiterbildung befürchten dies.
Sie wollen also politische Bildung zu einem Zeitpunkt zurückdrängen, wo sie besonders gebraucht wird. Das ist in vielen Reden vorher herausgekommen. Wenn Sie sich hier hinstellen und sagen, für Sie sei politische Bildung genauso wichtig, dann glaube ich das einfach nicht. All die Bekenntnisse von CDU und FDP sind im Grunde, wenn Sie die Politik in Hessen ansehen, widerlegt worden, denn das erste, was Sie dort gemacht haben, ist die Streichung der Gesellschaftslehre in den Richtlinien.
Ich halte es — das sage ich einmal ganz ehrlich — für eine äußerst unredliche Sache, wenn CDU und FDP in Wahlkämpfen an kleine Kinder Parteifähnchen, Luftballons und Lutscher mit Parteiaufdrucken verteilen und zugleich verhindern, daß diese Kinder in der Schule und ihre Eltern in der Weiterbildung eine vernünftige politische Bildung bekommen. Das gehört doch zusammen. Dies nur, damit alle wissen, worum es geht.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN — Frau Dr. Hamm-Brücher [FDP]: Verteilen Sie keine Fähnchen? — Kuhlwein [SPD]: Aber wir streichen nicht die Gesellschaftslehre! — Neuhausen [FDP]: Genau das sind die Übertreibungen, die nicht zur politischen Bildung gehören!)

— Mir geht es darum, daß dies in der Tat zusammengehört. Wenn man das tut, muß man die Menschen auch in die Lage versetzen, sich zu informieren, und politisch bilden. Dies gehört zusammen. Wenn man eines streicht, wird es fahrlässig.

(Neuhausen [FDP]: Das ist der moralische Monopolismus!)




Frau Dr. Niehuis
Insofern glaube ich, daß es heute nur der Anfang ist, wenn wir über politische Bildung diskutieren. Vieles werden wir in den Ausschüssen weiter diskutieren müssen. Ich meine, es ist sehr nötig, daß wir das diskutieren, und zwar unter dem Aspekt „Bildung" und nicht unter dem Aspekt „Inneres".

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1105513600
Das Wort hat der Abgeordnete Krey.

Franz Heinrich Krey (CDU):
Rede ID: ID1105513700
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Kollegin, ich habe mir, als Sie eben so temperamentvoll und engagiert über dieses Thema gesprochen haben, vorgenommen, Ihnen ein herzliches Wort des Dankes dafür zu sagen, daß Sie sich in Ihrer Fraktion Gedanken gemacht haben und auch einige Kolleginnen und Kollegen gewonnen haben, die heutige Debatte überhaupt zu initiieren. Ich bleibe auch dabei, daß ich Ihnen dafür danke, möchte allerdings doch reklamieren — Sie haben das Stichwort Inneres genannt — , der Empfehlung, wie sie hier auf den Tischen liegt, zu folgen und den Innenausschuß mit der Federführung der Beratungen, die sich jetzt notwendigerweise ergeben, zu betrauen. Das scheint im Konsens wohl auch möglich zu sein.
Weil ich es für sehr wichtig halte, daß wir heute über dieses Thema miteinander sprechen, darf ich, Herr Kollege Daweke, im Vertrauen darauf, daß die Frau Kollegin Hamm-Brücher das nicht erneut zum Anlaß einer Aufklärung suchenden Zwischenfrage macht, doch eine Richtigstellung vornehmen. Vielleicht versöhnt Sie das. Die Tatsache, daß ich hier rede, hängt nun nicht damit zusammen, daß der Kollege Neumann weniger kompetent sei als ich — ich vermute sogar, daß er viel mehr einzubringen hat — , sondern einfach damit, daß er registriert hat, daß ich mich ungestüm zu Wort gemeldet habe, als in unserer Arbeitsgruppe die Frage auftauchte, wer denn heute reden sollte. Da hat er gesagt: Ich trete gerne für Sie zurück, zumal ich in dieser Woche ja noch andere Aufgaben zu erfüllen habe. —

(Abg. Frau Dr. Hamm-Brücher [FDP] meldet sich zu einer Zwischenfrage)

— Jetzt habe ich das natürlich doch provoziert.

Dr. Hildegard Hamm-Brücher (FDP):
Rede ID: ID1105513800
Darf ich, Herr Kollege Krey? — Ich wollte angesichts des konkreten Beispiels des interessanten und sehr klaren Beitrags von Frau Kollegin Niehuis noch einmal sagen, wie wichtig es wäre, daß der Herr Präsident jetzt die Möglichkeit hätte, jemandem, der sich mit Ihnen in einen direkten Dialog begeben möchte, auch einmal das Wort dazu zu erteilen. Mehr wird gar nicht erwartet. Wir wollen ja nicht unsere Ordnung umstülpen. Das, was ich Sie fragen wollte, war eigentlich, ob wir es bei der nächsten Debatte dieser Art nicht wirklich anders machen sollten.

Franz Heinrich Krey (CDU):
Rede ID: ID1105513900
Ich entnehme Ihrer Frage ein bestimmtes Bekenntnis.
Ich möchte nun etwas zu den Formen politischer Bildungsarbeit in der heutigen Zeit sagen. Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, dazu gehört auch, daß wir sehr ernst nehmen, daß unsere Demokratie, um die es hier ja geht — jedenfalls für mich ist es unvorstellbar, daß es anders gehen könnte — , mehr als jede andere denkbare und von mir abgelehnte alternative Staatsform darauf angewiesen ist, daß wir bestimmte Formen, bestimmte Regeln und bestimmte Verabredungen miteinander außerordentlich ernst nehmen. Das sollte, glaube ich, für uns Veranlassung sein, darüber nachzudenken, daß diese Formen und diese Regeln selbstverständlich nicht zum Selbstzweck erhoben werden, daß sie weiterentwickelt werden müssen und daß auch Innovationen ermöglicht werden. Wo kommen wir mit unserer Demokratie hin, wenn wir diesen Punkt nicht ernst nehmen?
Aus diesem Grunde — das sage ich noch einmal — ist es sehr zu begrüßen, daß wir uns hier auf den Weg machen, die Grundlagen der politischen Bildung zu durchleuchten, ihre Inhalte und Zielsetzungen auch kontrovers und kritisch zu durchleuchten, miteinander darüber zu diskutieren, daß wir uns aber auch mit Fragen der Methoden und der Organisation auseinandersetzen.
Lassen Sie mich aber doch noch ein kurzes Wort sagen: Es klang ja bisher in den Vorreden mehrfach an, daß es ein besonderes Problem für die Politik in diesem Bereiche geben würde. Das Stichwort „Skandal" ist mehrfach gefallen. Meine Damen und Herren, ich sage es ganz kurz: Unsere Demokratie ist keine Skandaldemokratie. Unser Staat ist keine Skandalrepublik. Es ist sicher unübersehbar, daß es in unserer Demokratie, in unserem Staat Skandale gibt. Es gibt auch skandalöses Fehlverhalten von Politikern. Nur, daraus den Umkehrschluß zu ziehen, diese Demokratie, dieser Staat sei mit dem Etikett „Skandal" hinreichend beschreiben, dürfen wir gemeinsam nicht zulassen. Wir müssen auch deutlich machen, daß diese Demokratie wie keine andere Staatsform die Fähigkeit hat, Fehlverhalten nicht nur durch eine freie Presse und viele andere Formen der Beteiligung an der politischen Diskussion aufzudecken, sondern daß sie auch die Selbstreinigungskraft besitzt, Korrekturen vorzunehmen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Diese Fähigkeit — und zwar nicht im parteipolitischen Sinne, nicht für oder gegen die etablierten Parteien, die GRÜNEN oder andere Konkurrenten, die da kommen — in den Menschen, in ihren Köpfen und Herzen zu wecken ist unsere gemeinsame Aufgabe, ist Aufgabe auch der politischen Bildung. Ich glaube, das müssen wir ganz, ganz ernst nehmen.
Ich bin als junger Mensch in die Politik hineingewachsen. Ich erinnere mich noch, daß ich nach einer Unterhauswahl in England war und als gläubiger Anhänger meiner politischen Richtung einem englischen ehemaligen Abgeordneten gegenüberstand, der durch die — für mich übrigens nicht ganz unsympathische — Art des englischen Wahlrechtes von einem Tag auf den anderen wieder in den Status eines normalen Bürgers katapultiert war. Ich wollte ihm etwas Trostreiches sagen. Da sagte er: Wissen Sie, das ist so ein großes Problem nicht; die einen Sünder sind her-



Krey
ausgegangen und die anderen Sünder hereingekommen.

(Kuhlwein [SPD]: Wir sind allemal Sünder!)

Daß wir uns alle ein wenig bemühen, nicht immer mit dem Finger auf die anderen zu zeigen, und auch eingestehen, auch öffentlich machen, daß wir alle fehlerhafte Menschen sind, halte ich für eine ganz wichtige Aufgabe,

(Dr.-Ing. Kansy [CDU/CSU]: Sehr richtig!)

damit draußen nicht der Eindruck entsteht, die Demokratie, das Parlament, der Deutsche Bundestag seien, wenn es denn bei der Auswahl der Beteiligten nur gerecht zuginge, eine Ansammlung von Heiligen und Fehlerlosen. Meine Damen und Herren, diese Zielvorstellung anzustreben ist uns aufgegeben, aber erreichen werden wir dieses Ziel nie.

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1105514000
Sie gestatten eine Zwischenfrage des Abgeordneten Kuhlwein?

Franz Heinrich Krey (CDU):
Rede ID: ID1105514100
Ja.

Eckart Kuhlwein (SPD):
Rede ID: ID1105514200
Herr Kollege, wenn Sie von Fehlern sprechen, die Politiker wie andere Menschen auch selbstverständlich an sich haben, würden Sie dazu doch wahrscheinlich nicht Machenschaften, wie sie in Kiel von Ihrer Partei praktiziert werden, zählen und damit als Fehler verharmlosen?

Franz Heinrich Krey (CDU):
Rede ID: ID1105514300
Ich will nichts verharmlosen. Es gibt kleine Fehler, kleine Sünden, große Fehler und große Sünden. Hier steht kein Richter über das Verhalten von Menschen. Aber ich räume ein, daß mich solche Vorgänge im Innersten auch aufwühlen und tief beschäftigen. Ich bekenne mich dazu, daß es unsere gemeinsame Aufgabe ist, d. h. die Aufgabe der Parteien, in der öffentlichen Diskussion dafür zu sorgen, daß sich solche Ereignisse in unserem Lande nicht wiederholen. Das ist meine feste Überzeugung.
Aber bei aller Berechtigung der Sorge vor drohenden Gefahren, die ja auch angedeutet worden sind, bei allen Klagen über Fehler und Skandale darf doch nicht untergehen, daß unsere Demokratie in der Bevölkerung eine feste Verankerung hat und daß unsere Mitbürgerinnen und Mitbürger trotz all dieser Fehlerhaftigkeit unsere Staatsform in übergroßer Mehrheit bejahen. Die Bereitschaft, sich gegen verfassungsfeindliche Bestrebungen und eben auch gegen fehlerhaftes Verhalten der politisch Verantwortlichen zu wenden, ist in unserer Bevölkerung außerordentlich groß und wird auch mit Lebendigkeit reklamiert.
An dieser Entwicklung hat die politische Bildung ihren Anteil. Ich darf bei dieser Gelegenheit auch einmal sagen, daß wir, wenn wir uns jetzt möglicherweise auf den Weg machen, das Gute durch das Bessere abzulösen, alle Veranlassung haben, denen zu danken, die sich beruflich und ehrenamtlich in den hinter uns liegenden Jahrzehnten dieser wichtigen Aufgabe gewidmet haben.
Wir wissen alle, was es bedeutet, die Ansprüche politischer Bildungsarbeit in der heutigen Zeit zu verwirklichen. Die Konkurrenz ist sehr groß. Ich will auch nicht die Entwicklungen übersehen, die eben angedeutet worden sind. Ich weiß auch, daß viele junge Menschen sagen, sie würden sich anderen Betätigungsfeldern deshalb zuwenden, weil Politik für sie keinen Spaß mehr mache. Die Ansprüche, die unsere Demokratie an die Mitverantwortung aller stellt, können uns in diesem Punkte nur beflügeln, die Attraktivität auch des politischen Bildungsangebotes zu vergrößern.
Gestatten Sie mir deshalb auch einige wenige kritische Bemerkungen zur Bundeszentrale für politische Bildung. Ich möchte das Positive an den Anfang stellen. Ich fand die Plakate zur Bundestagswahl, die Plakate zum Thema Terrorismus, die Schallplatte und das Begleitheft zur Nationalhymne und auch die Wappenmappe gut, die ich kürzlich auf den Tisch bekam.

(Sehr richtig! bei der CDU/CSU)

Ich freue mich auch, daß die Buchreihe der Bundeszentrale mit großem Erfolg weitergeführt wird und Standardpublikationen auf dem Markt für politische Bücher der Bundesrepublik Deutschland darstellen, die nicht mehr wegzudenken sind.

(Zustimmung bei der FDP)

Mit großem Vergnügen verfolge ich auch die erstaunliche Aktualität und Vielfalt der Hefte aus der Reihe „Informationen zur politischen Bildung". Hervorheben möchte ich auch die Beilage „Aus Politik und Zeitgeschichte " . Ich stelle bei der Lektüre des Stenographischen Berichtes fest, daß mancher Kollege davon auch für die Arbeit hier trefflich Gebrauch macht.
Kolleginnen und Kollegen, die Gruppen aus dem Wahlkreis nach Bonn einladen, könnten das Angebot eigentlich noch mehr nutzen, die Bundeszentrale zu besuchen und dort Diskussionen zu führen. Diese Möglichkeit besteht erfreulicherweise. Kritische Diskussionen sind sicherlich auch für die Mitarbeiter der Bundeszentrale von großem Nutzen.
Wir werden ja nach gründlicher Beratung des Antrags im Herbst eine größere Debatte zum Thema politische Bildung in diesem Hause führen. Lassen Sie mich aber jetzt schon einige kritische Fragen loswerden; dabei stelle ich sie sozusagen so in den Raum, ohne zu behaupten, daß das berechtigt ist. Aber ich möchte gerne, daß danach auch einmal geforscht wird. Ich frage mich, ob es sinnvoll ist, daß die Bundeszentrale in den letzten Jahren einen bestimmten Schwerpunkt zunehmend auf die Entwicklung von Massenpublikationen legt, ob es nicht besser ist, die Inanspruchnahme, die Versorgung, aber auch die Erfassung von Multiplikatoren für die politische Bildungsarbeit noch zu verstärken. Ich meine, daß die Frage nach der Innovation der Bundeszentrale auch eine Frage an die Führung des Hauses ist. Diese einmalige oder seltene Konstruktion an der Spitze der Bundeszentrale will ich nicht in Frage stellen oder kritisieren. Aber ich möchte doch darauf hinweisen, daß es notwendig ist, dem Bürokratismus in diesem Bereich gewissermaßen Schranken zu setzen und dafür der Motivation und der Innovationsmöglichkeit auch



Krey
der Mitarbeiterschaft und der vielen Partner einen breiteren Raum zu eröffnen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, unsere Demokratie kann nicht gedeihen, wenn sich die Bürger von der Politik abwenden, weil sie meinen, sie sei ein schmutziges Geschäft. Wer diese unsere Demokratie weiterentwickeln will, muß mit dazu beitragen, daß sich immer mehr Menschen mit Engagement informiert und auf der Grundlage eines profunden Wissens mit den Zusammenhängen in der Politik befassen und damit den Auswahlprozeß in den Parteien und unter den Parteien möglicherweise dann doch auch qualitativ entscheidend verbessern.
Deshalb rege ich an, daß eine unabhängige Regierungskommission unter Beteiligung auch der Länder — das ist ja zu Recht angesprochen worden — einmal ohne Vorurteile die Bildungsarbeit des Bundes und der Länder im Bereich der politischen Bildung auf Zielsetzung und Effektivität hin überprüft.
Ich darf zusammenfassen. Erstens. Fast 40 Jahre nach der Gründung der Bundesrepublik ist es höchste Zeit, die Bedeutung politischer Bildung für alle Bürger, die jungen und die alten, wieder stärker hervorzuheben. Mehr Wissen um die Grundlagen der Politik baut Vorurteile ab, kann den unerläßlichen Konsens fördern, ohne den kein freiheitliches Gemeinwesen auskommt, und hilft, die Auswahl und den Wettbewerb des politischen Angebots zu verbessern.
Zweitens. Eine Kommission sollte den gestellten Fragen nachgehen und Vorschläge zur Verbesserung der politischen Bildung machen.
Drittens. Politische Bildung sollte auch in den Massenmedien verstärkt möglich sein und sich nicht nur auf Seminare, Schulen oder Volkshochschulen beschränken. Es wäre vielleicht einmal zu überlegen, ob nicht so etwas wie in der Verkehrserziehung auch im Bereich der politischen Bildung möglich ist, also eine Art „Der 7. Sinn" für den wichtigen Bereich des Gemeinsinns. Wir müssen ja alle Menschen aus unterschiedlichen Bereichen ansprechen.
Die politische Bildung sollte sich über die Bundeszentrale stärker als bisher den Multiplikatoren zuwenden. Denn politische Bildung ist eine notwendige Aufgabe für den Staat, aber ohne die freien Träger und ihren hohen Anteil geht es nicht; ohne die Parteien und unsere Vereine kann diese Arbeit nicht geleistet werden.
Meine Damen und Herren, da meine Redezeit zu Ende ist, möchte ich Sie alle herzlich bitten, damit einverstanden zu sein, daß wir die für den Herbst angesetzte Debatte in den vor uns liegenden Monaten mit großer Intensität in den Ausschüssen vorbereiten.
Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1105514400
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Lippelt.

Dr. Helmut Lippelt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1105514500
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der Kürze der mir nur noch zur Verfügung stehenden Zeit möchte ich folgendes sagen: Auch ich habe in der Tat wie Herr Neuhausen einmal nachgeblättert. Es ist ja nun sehr interessant, wenn man sich die damalige Debatte vor 20 Jahren ansieht und feststellt, daß dazu der Bericht der Kommission zur politischen Bildung vorlag, daß , die Große Koalition unter der Führung von Rainer Barzel und Helmut Schmidt diese Anfrage stellte und daß dann ein Innenminister Benda die Empfehlungen übernahm. Wenn man sich dann den Katalog ansieht, liest man u. a. — ich zitiere jetzt in der Kürze der Zeit nur einen kleinen Ausschnitt — :
c) die Förderung der Erkenntnis des eigenen Standortes und der eigenen Interessen im Rahmen der Gesamtgesellschaft.
Herr Daweke, von hier aus ist die Reformbemühung ausgegangen, die zu diesem unsäglichen Streit um die hessischen Rahmenrichtlinien und zu dem Scherbenhaufen, den wir heute haben, geführt hat. Denn es passierte doch, daß genau an einem Punkt, wo eigentlich politische Bildung auszuformulieren war, der Streit der traditionellen Geschichtswissenschaft mit der neu aufkommenden Gesellschaftswissenschaft begann. Das ist der Punkt, auf den ich Sie ansprechen will. Mit Ihrer Frage nach dem Grundkanon politischer Bildung, danach, ob sich Institutionen verfestigt haben, wird ja genau dieses Problem aufgeworfen. Ich denke, es ist nötig, im Rahmen politischer Bildung Methoden zu schulen, mit der Kompliziertheit in unserer Welt klarzukommen.

(Dr.-Ing. Kansy [CDU/CSU]: Wir sind von einem Extrem ins andere gefallen!)

— Ja. — Dazu gehört immer auch eine historische Schulung. Aber die völlige Abqualifizierung der aufkommenden Gesellschaftslehre und der Gemeinschaftskunde hat zu einem Scherbenhaufen geführt, und diesen Scherbenhaufen müssen wir wieder mit reflektieren, wenn wir neu anfangen.

(Zustimmung des Abg. Kuhlwein [SPD])

Ich fand sehr interessant, was Sie zu formativen Perioden in der Biographie gesagt haben. Dazu hätte man viel sagen können. Ich sehe, daß meine Redezeit abläuft. Deshalb nur ein letzter Satz. Das Ergebnis, das auf dem Tisch liegt, ist doch folgendes: Unser Bundeskanzler wünscht sich Häuser und Museen der Geschichte und meint, über eine historische Orientierung ein „gesundes" Staatsbewußtsein zu organisieren. Wer wissen will, wohin das führt, der vergegenwärtige sich hierzu den unsäglichen Historikerstreit. Man kann mit Historikern sehr wohl aus der Geschichte entfliehen. Deshalb appelliere ich, daß wir genau an dem Punkt noch einmal anfangen und eine Debatte darüber führen, wie der Begriff „politische Bildung" eigentlich definiert werden sollte, denn das müssen wir aus dem Scherbenhaufen wieder herausholen. Das ist die Aufgabe, die ich hier gern noch einmal in Erinnerung rufen wollte.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD und der FDP)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1105514600
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Richter (FDP).




Manfred Richter (FDP):
Rede ID: ID1105514700
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die FDP-Fraktion begrüßt, daß im Bundestag nach langer Zeit wieder einmal eine grundsätzliche Diskussion über die politische Bildung stattfindet. Nun war die politische Bildung in der Zwischenzeit ja keineswegs tabu. Die lange Zeit zwischen den beiden Debatten zeigt, daß die politische Bildung nicht mehr in dem Maße Gegenstand parteipolitischer Auseinandersetzungen war und daß die jüngste deutsche Geschichte — jedenfalls was Aufgaben und Ziele der politischen Bildung anbelangt — zumindest in diesem Bereich bewältigt zu sein scheint.
Ich glaube, die politische Bildung in der Geschichte des Nachkriegsdeutschland war ein ziemlich genaues Spiegelbild der gesellschaftlichen Entwicklung. 1945 bis 1949 war „reeducation" das Grundanliegen politischer Bildung. Das Tagesgeschehen war damals von den Nachkriegsereignissen — Kriegsheimkehrer, Flüchtlinge, Besatzungsmächte — geprägt. Ende der 50er Jahre stand die Erziehung zur Partnerschaft im Mittelpunkt der politischen Bildung, die Harmonie des „Miteinander — Füreinander" — so der Titel eines Gemeinschaftskunde-Lehrbuchs — , parallel zum Beginn des Wirtschaftswunders. Als Gegenpol folgte in den 60er Jahren dann der Konflikt als Grundbegriff der politischen Bildung, einhergehend mit der zunehmenden Unruhe in der Jugend und dem Aufkommen der Studentenbewegung.
Kollege Weisskirchen hat ja die Verbindung zwischen der politischen Bildung und der aktiv ausgeübten Politik dargestellt. Daran ist viel Wahres. Was nützt die schönste politische Bildung, wenn es an Vorbildern mangelt? Was nützt die schönste politische Bildung, wenn die Anschauungsobjekte, die Parlamente, die Parteien, unzureichend sind?
Doch ich glaube, wir müssen uns auch vor falschen Umkehrschlüssen hüten.

(Sehr richtig! bei der FDP)

Die politische Bildung in einem demokratischen Gemeinwesen hat ja in erster Linie die Aufgabe, das politische, wirtschaftliche, soziale Zeitgeschehen zu begleiten. Das schließt nicht aus, daß auch Alternativen aufgezeigt und diskutiert werden. Es darf aber nicht dazu führen, daß die politische Bildung meint, durch einen eigenständigen politischen Beitrag etwa gesellschaftliche Veränderungen selbst herbeiführen zu wollen. Politische Bildung darf auch nicht — das ist ein anderes Extrem — darin bestehen — wie Friedrich Naumann einmal sehr zutreffend gesagt hat —, daß „die Leute einen politischen Katechismus mit Forschheit aufsagen können". Das etwa sind die Pole, zwischen denen wir uns bewegen.
Frau Kollegin Hillerich hat gesagt: Bildungsziel darf nicht der loyale Staatsbürger sein.

(Frau Hillerich [GRÜNE]: Der brave, funktionierende, loyale Staatsbürger! Ja, das ist richtig!)

— Ja, ich habe es noch im Ohr. — Es geht nicht darum,
den Staatsbürger brav zu machen. Das wäre ein Zerrbild der politischen Bildung. Aber ich glaube schon,
daß Respekt vor unserer Verfassung, vor den Werten unserer Verfassung,

(Daweke [CDU/CSU]: Ächtung der Gewalt!)

daß Respekt vor unserem freiheitlichen Rechtssystem und daß letzten Endes auch individuelle Einsicht darin, daß meinem Handeln Grenzen gezogen sind, daß ich mir Beschränkungen auferlegen muß, um andere nicht zu beeinträchtigen, durchaus Ziele der politischen Bildung sind und bleiben müssen.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Die Aufgabe der politischen Bildung liegt auch darin, Verständnis für politische Sachverhalte zu wekken und das demokratische Bewußtsein zu festigen und die Bereitschaft zur politischen Mitarbeit zu stärken. Dabei sollen insbesondere die Möglichkeiten und Chancen zur Beteiligung am politischen Geschehen aufgezeigt werden. Heute aber ist die Lage so, daß sich viele jüngere Leute sehr wohl engagieren. Das ist hier vorhin schon gesagt worden. Sie engagieren sich allerdings außerhalb der bestehenden Bildungseinrichtungen, sei es in Bürgerinitiativen oder in Parteien. Das ist keine Resignation, sondern ist genau das, was wir mit der politischen Bildung fördern wollen, nämlich die Fähigkeit, mit demokratisch legitimierten Mitteln selbst zu handeln. Man muß ja die politische Bildung im Kontext des gesamten Bildungsangebotes als Bestandteil der allgemeinen Bildungsaufgabe sehen, insbesondere auch im Bereich der Weiterbildung. Da haben wir in der Bundesrepublik ein pluralistisches und dezentral strukturiertes Angebot, und das ist gut so. Nur die Vielfalt und die Unabhängigkeit der Träger kann gewährleisten, daß politische Bildung auch in der vor uns liegenden Zeit den Herausforderungen begegnen kann.
Ich will mit einem Beispiel schließen. Heute, da wir an der Schwelle zur europäischen Integration stehen, müssen wir uns fragen, ob das Wertesystem, auf dem sich unsere Gesellschaft begründet, wirklich hinreichend gelebt wird. Wir erleben manchmal ein erschreckendes Maß an Toleranzdefiziten in unserer Gesellschaft, und das Stichwort „Ausländerfeindlichkeit" umreißt eine ganz besonders üble Erscheinungsform. Toleranz heißt ja nicht nur, den anderen zu ertragen. Wir müssen lernen, den anderen so, wie er ist, in seiner Andersartigkeit aufzunehmen, ihn zu wollen. Wenn uns das gelingt, dann wird auch — Stichwort europäische Integration — das Zusammenwachsen der europäischen Kulturen von unseren Bürgern als eine Bereicherung erfahren, und das, glaube ich, ist wirklich ein weites Feld für politische Bildungsarbeit.

(Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und der SPD)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1105514800
Ich erteile das Wort dem Herrn Parlamentarischen Staatssekretär Waffenschmidt.

Dr. Horst Waffenschmidt (CDU):
Rede ID: ID1105514900
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Für die Bundesregierung möchte ich hier ausdrücklich feststellen: Wir begrüßen sehr nachdrücklich diese Initiativen aus dem



Parl. Staatssekretär Dr. Waffenschmidt
Parlament. Sie geben Gelegenheit, Zwischenbilanz in den Bemühungen um politische Bildung zu ziehen, und ich will heute schon sagen: Ich wünsche mir, wir wünschen uns gerade auch im Bundesministerium des Innern — und ich sage das hier für die gesamte Bundesregierung —, daß eine Fülle weiterer Impulse bei der Arbeit für die politische Bildung dabei herauskommt.
Ich will hier ausdrücklich sagen, weil das in der Debatte angesprochen worden ist: Politische Bildung soll weiter ausgebaut werden, sie soll intensiviert werden. Niemand denkt in der Bundesregierung daran, politische Bildung zurückzudrängen, wie das eben in einem Diskussionsbeitrag gesagt wurde. Wenn die Geschichtsmuseen angesprochen wurden, „Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland", „Haus der deutschen Geschichte" in Berlin, zwei Vorhaben, die gerade Bundeskanzler Helmut Kohl sehr nachdrücklich unterstützt, dann ist doch klar auszusprechen: Nur wer die Geschichte kennt, wer sich mit der Geschichte befaßt, der gewinnt wichtige Orientierungspunkte für die Gestaltung von Gegenwart und Zukunft. Ich finde, sich mit der Geschichte zu befassen, ist ein ganz integraler Bestandteil für politische Bildung, und dem sollen die beiden Einrichtungen auch dienen.

(Kuhlwein [SPD]: Aber macht sie noch nicht allein aus!)

— Es ist nicht das alleinige, da gebe ich Ihnen ganz recht, aber Sie sollten mit mir darin übereinstimmen: es ist ein wichtiger Beitrag.

(Kuhlwein [SPD]: Ein Haus der Geschichte kann politische Bildung nicht ersetzen!)

— Da sind wir völlig einer Meinung, aber es ist schon ein wichtiges Element.
Warum spreche ich für den Innenminister? Die Frau Kollegin, die eben gesprochen hat, hat gefragt: Warum spricht nicht der Bildungsminister? Wir haben eine gute, bewährte Praxis, daß der Verfassungsminister — der Innenminister ist der Verfassungsminister — der Minister ist der für kulturelle Aufgaben, soweit der Bund neben der Kulturhoheit der Länder eine Zuständigkeit hat, hier zuständig ist, und bei ihm ist dies, die politische Bildung, glaube ich, ganz gut aufgehoben.
Ich will gerne in die Debatte einbringen, was heute einmal gestreift wurde. Es wurde angesprochen, daß wir 1989 40 Jahre Bundestag, Bundesrat, Bundesregierung, Bundesorgane, also Bundesrepublik Deutschland in der Gesamtheit, feiern. Ich möchte gerne heute sehr nachdrücklich aussprechen, daß ich mir vorstelle, daß wir das als große Chance begreifen, nicht nur Bilanz zu ziehen, was geworden ist in diesem freiheitlich-demokratischen Rechtsstaat Bundesrepublik Deutschland, sondern daß wir dieses Jahr 1989 auch zum Anlaß nehmen, um weitere Impulse zu geben, die Brücke zwischen den Bürgerinnen und Bürgern zu bauen, die sich in unserem Land engagieren, und denen, die beauftragt sind, immer auf Zeit beauftragt sind, diesen Staat zu repräsentieren und zu regieren. Ich will hier als Koordinator der Bundesregierung für diese Aufgabe „40 Jahre Bundesrepublik Deutschland" deutlich sagen: Ich will nicht, daß das etwa eine Jubelfeier der Regierung wird, sondern das soll eine Sache aller Bürger sein und auch eine Chance für politische Bildung. Ich glaube, so sollten wir es anfassen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Kuhlwein [SPD]: „Die Botschaft hör ich wohl..."!)

— Ich finde, wenn wir daran denken, Herr Kollege, sollten wir, die politisch tragenden Kräfte beim Wiederaufbau unseres Landes, gemeinsam — Ihre Fraktion war auch in der Regierung in Bund und Ländern und ist in einigen Ländern in der Regierung, auch in vielen Kommunen; Sie haben das mitgetragen — ehrlich Bilanz ziehen. Das sollten wir auch als Aufgabe der politischen Bildung begreifen: Was ist gut gelungen in unserem Staat, und was müssen wir als neue Herausforderung bewältigen?
Eines, finde ich, dürfen wir auch heute schon im Interesse und im Sinne unserer Bürger feststellen: Die Bundesrepublik Deutschland ist der freiheitlichste Staat, den wir je auf deutschem Boden hatten. Das sollten wir nutzen, auch für die Zukunft, auch für unsere junge Generation, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und der SPD)

Wenn wir Meinungsumfragen in Bund und Ländern haben, wie die Bürger, auch die jungen Bürger, zu unserem Staat stehen, ist es doch eine gute Sache, daß sich bei allen Umfragen, auch bis in die letzten Wochen des Jahres 1987 hinein, die weit überwiegende Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger, auch der jungen Bürger, zu diesem demokratischen Staat bekennt und ihn als eine Grundlage für ein gedeihliches Zusammenleben begreift.

(Daweke [CDU/CSU]: Sehr richtig!)

Meine Damen und Herren, ich will über das Gesagte hinaus ein paar Orientierungspunkte geben, wie wir aus der Sicht der Bundesregierung und unseres Hauses die Aufgaben für politische Bildungsarbeit sehen. Im dem Katalog, der von Innenminister Benda vorgestellt wurde, heißt es z. B.: möglichst objektive Information über Faktoren und Funktionszusammenhänge politischer Prozesse. Ich möchte hier gerne sagen, auch als einer, der nun schon durch etliche Jahre mittun darf, in einem kommunalen Parlament, in einem Landesparlament, im Bundesparlament und jetzt in der Bundesregierung: Ich glaube, der entscheidende politische Beitrag, den wir als Abgeordnete, als Vertreter einer Regierung, einer Verwaltung zu leisten haben, ist der, daß wir im Umgang miteinander, auch im Umgang mit politisch Andersdenkenden, demokratisches Verhalten deutlich und sichtbar machen. Die politische Kultur, die wir selbst mitgestalten, ist der beste Beitrag zur politischen Bildung, den wir überhaupt leisten können.

(Beifall bei CDU/CSU und der FDP)

Darum sollten wir uns bei dem, was jetzt ansteht, bemühen.
In diesem Zusammenhang ist auch ein Wort des Dankes an viele Hunderttausende von Mitbürgerinnen und Mitbürgern angebracht, die sich in unserem



Parl. Staatssekretär Dr. Waffenschmidt
Lande ehrenamtlich für diesen Staat, für seine Einrichtungen, für seine Städte, Gemeinden, für seine Einrichtungen, für das allgemeine Wohl engagieren. Ich danke von dieser Stelle gerade bei dieser Debatte auch den Zehntausenden junger Menschen, die sich im Interesse des Allgemeinwohls und damit für unser Land, für seine Bürger, für diesen Staat engagieren. Sie sind ein Schatz für unser Zusammenleben, und wir sollten ihnen dafür herzlich danken.
Meine Damen und Herren, der zweite wichtige Gesichtspunkt, ist, daß demokratische Spielregeln immer wieder eingeübt werden müssen, daß demokratische Spielregeln das Lebenselixier für unsere freiheitliche Demokratie sind.

(Frau Hillerich [GRÜNE]: Deswegen Demokratisierung der Schulen!)

Kollege Krey hat schon darauf hingewiesen — andere haben es auch gesagt — : Dieser demokratische Staat ist nicht der Staat der Skandale, sondern er hat die Spielregeln, die gerade Skandale offenlegen können und Instrumentarien geben, sie zu bewältigen.
Ich möchte ein Weiteres hinzufügen. Ein Orientierungspunkt für jegliche politische Bildung muß sein, daß wir die sachliche Auseinandersetzung wollen, hier im Parlament, auch draußen in den politischen Parteien und unter den Parteien. Ich glaube, die Erfahrung der letzten Wochen hat uns gelehrt: Es darf nie dazu kommen, daß der politische Gegner zum politischen Feind wird. Das sage ich für die Bundesregierung auch hier und heute. Politische Bildung muß dafür die Spielregeln ganz deutlich zur Verfügung stellen.

(Zustimmung bei der CDU/CSU und der FDP)

Weil das heute morgen im Parlament eine Rolle gespielt hat, will ich auch sagen: Es gibt leider — das muß man auch ansprechen — schlechte Beispiele im Hinblick auf demokratische Spielregeln. Wenn — das möchte ich mit Nachdruck sagen — sogar hier im Hause offen zum Widerstand gegen Gesetze und geltendes Recht aufgerufen wird, dann ist das kein Beitrag für die Herausbildung guter demokratischer Spielregeln in einem demokratischen Staat.

(Beifall bei der CDU/CSU und bei der FDP)

Im Zusammenhang mit der politischen Bildung muß man auch bejahen, daß es sicherlich darum geht, die Mehrheit in diesem Lande und auch im Parlament zu erringen. Wenn das Parlament aber gesprochen, wenn die Mehrheit entschieden hat, dann ist dies anzuerkennen. Ich glaube, man muß als aktuellen Auftrag für die politische Bildungsarbeit ansehen, klarzumachen, daß es in unserem Land keine Widerstandsrechte gegen demokratisch zustandegekommene Rechtsregeln und Rechtsordnungen geben kann. Hier ist ein Defizit entstanden.
Ich will, bezogen auf einen Beitrag in dieser Debatte, deutlich machen: Es kann auch keine selbsternannten — ich nehme einen Begriff auf, der hier gefallen ist — autonomen Kleinrepubliken gegen die demokratischen Staatsorgane geben. Wohin kämen wir denn bezüglich der Wahlentscheidung der Bürger, wenn sich einige, die mit den jeweiligen Mehrheiten im Bund oder in einem Bundesland nicht einverstanden sind, in einer autonomen Eigenrepublik einrichteten? Das ist eine Herabsetzung der Mehrheitsentscheidung, die auf freien Wahlen basiert. Ich glaube, das muß man deutlich aussprechen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Ich will an dieser Stelle ein herzliches Wort des Dankes sagen an die vielen Träger der politischen Bildung für alle Bemühungen, die es über Jahre hinweg in der Bundeszentrale für politische Bildung gegeben hat. Ich möchte Dank sagen für die vielen Bemühungen in den Schulen und im Rahmen der außerschulischen politischen Bildung. Ich danke für die Bemühungen in Bund, Ländern und Gemeinden bei den vielen, vielen freien Trägern.
Ich finde — das sage ich ganz bewußt — , daß in diesem System der politischen Bildung auch die politischen Parteien mit den ihnen nahestehenden Stiftungen ihren Platz haben. Das hat auch das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich anerkannt.
Es wurde hier gefragt, ob genügend Mittel zur Verfügung stehen. Dazu möchte ich einige wenige Angaben machen. Die Zahlen sollen hier aber genannt werden.
Wir hatten im Jahre 1968, als zum letzten Mal die Grundsatzdebatte über dieses Thema geführt wurde, 12 Millionen DM zur Verfügung. Wir haben im Jahre 1988 27,1 Millionen DM zur Verfügung. Ich sage nicht, daß die Geldmittel das A und O sind, aber sie sind doch auch ein Indikator dafür, daß sich das Parlament auch durch die Bereitstellung der Mittel darum bemüht hat. Der auf die Tagungsarbeit entfallende Anteil stieg von 2,2 Millionen DM auf 7,3 Millionen DM. Ich halte das für gut.
Es klang aber auch schon an: Das Bessere ist der Feind des Guten. Sicher kann es in einigen Bereichen noch bessere und effektivere Arbeit geben. Dafür sind wir aufgeschlossen. Soweit ich die Kolleginnen und Kollegen in der Bundeszentrale kenne, sind sie dafür ebenfalls aufgeschlossen.
Politische Bildungsarbeit muß Kontinuität aufweisen. Man sollte sie nicht verpflichten wollen, als Feuerwehr aufzutreten, etwa in dem Sinne: Hier und da weist die Politik einige Versäumnisse auf, diese muß die politische Bildung beseitigen. Das kann nicht der Sinn sein, sondern die politische Bildung muß kontinuierlich ihre Schwerpunkte haben.
Ich möchte kurz zwei Schwerpunkte erwähnen. Ein Schwerpunkt — das sollten wir in den vor uns liegenden Diskussionen berücksichtigen — sollte das von mir bereits erwähnte Gebiet des Einübens und des Deutlichmachens der Spielregeln der Demokratie sein. Dazu gehört auch eine bewußte Werbung für noch mehr Toleranz im Umgang miteinander. Unsere freiheitliche Demokratie lebt davon, daß man Standpunkte engagiert vertritt, aber auch davon, daß man auf der Basis der Werteordnung unseres Grundgesetzes die notwendige Toleranz für den anderen aufbringt. Ich glaube, hier haben wir auch einem ungehörigen Maß an Aggressivität, einer Haltung, die den Andersdenkenden gleich verdammt, entgegenzuwir-



Parl. Staatssekretär Dr. Waffenschmidt
ken. Im Werben für Toleranz sehe ich eine wichtige Aufgabe der politischen Bildung.
Ich will hier ganz bewußt einen weiteren Punkt nennen, weil wir in den ersten sechs Monaten dieses Jahres wieder die Präsidentschaft in der EG haben. Meine Damen und Herren, auch das Stichwort „Europa" sollte uns zur politischen Bildungsarbeit anregen, gerade auch dazu, deutlich zu machen: Was ist Europa, dieses freiheitliche Europa, das wir uns wünschen, auch als politische Union, für unsere Zukunft? Was können wir tun, um mit den Staaten in Europa auch bei der politischen Bildungsarbeit in Europa zusammenzuarbeiten? Ich finde, dieses Stichwort sollte in unsere Bemühungen eingehen.
Ich darf zusammenfassen: Wir werden in den Fachausschüssen — sicherlich auch im zuständigen Kuratorium — eine Debatte haben. Ich betone nochmals: Die Bundesregierung hält — wie die beiden Anträge — nach 20 Jahren Bericht und Debatte zur politischen Bildung für sehr wünschenswert. Ja, ich wünsche mir — dies sage ich für die Regierung — , daß viele — auch neue — Impulse ausgehen, damit wir das wichtige Feld der politischen Arbeit mit Orientierung für die Zukunft angehen können. Es sollte so sein, daß wir es auch mit einem großen demokratischen Konsens angehen. Denn hier haben wir auch die Gelegenheit, deutlich zu machen, daß die überwältigende Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger in unserem Land und ihre politischen Repräsentanten für diese freiheitlich-demokratische Ordnung einsteht, die ein großer Gewinn, ein großer Schatz und eine riesige Chance für unser Volk und das Zusammenleben ist.
Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1105515000
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Kretkowski.

Volkmar Kretkowski (SPD):
Rede ID: ID1105515100
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Debattenbeiträge haben deutlich gemacht, daß es doch so etwas wie einen Grundkonsens hier in diesem Haus gibt, daß der demokratische Staat nicht nur hochqualifizierte Spezialisten — in welchen Bereichen auch immer — braucht, sondern auch geradezu auf das Engagement kritischer und aufgeklärter Bürger angewiesen ist. Ich freue mich darüber, weil die Vergangenheit hier und dort doch signalisiert hat, daß das praktische Handeln nicht immer dem entsprochen hat, was hier vorgetragen worden ist.

(Beifall bei der SPD)

Engagement kritischer und aufgeklärter Bürger setzt auch politische Bildung voraus. Eine sich weiterentwickelnde Gesellschaft mit veränderten Bedingungen macht die politische Bildung notwendiger denn je, ja, sie spielt für den Bestand und die innovativen Kräfte in unserer Demokratie eine entscheidende Rolle. Sie bedeutet Chance und Notwendigkeit, die Vertrauensbasis für demokratisches Handeln zu festigen, die Qualifizierung von Bürgerinnen und Bürgern für die Teilnahme am politischen Leben zu fördern.
Herr Waffenschmidt, wenn Sie der politischen Bildung die Aufgabe zuweisen, dafür zu sorgen, daß aus politischer Gegnerschaft nicht politische Feindschaft wird, dann, so befürchte ich, überfordern Sie die politische Bildung, wenn Sie nicht gleichzeitig darauf hinweisen, daß die Politik dafür zu sorgen hat, daß aus politischer Gegnerschaft nicht Feindschaft wird.

(Beifall bei der SPD und der Abg. Frau Hillerich [GRÜNE])

Überhaupt meine ich, Herr Waffenschmidt, meine sehr verehrten Damen und Herren, daß die politische Bildung nicht das korrigieren kann, was die Politik vermasselt hat.
Meine Damen und Herren, staatliche Stellen, z. B. die Bundes- und Landeszentralen, aber wahrscheinlich mehr noch die freien Träger und Stiftungen haben in den vergangenen Jahren ihren Beitrag dafür geleistet, indem sie vielfältige Möglichkeiten boten, daß Menschen unterschiedlicher sozialer Herkunft, unterschiedlicher Lebens-, Alters- und Arbeitserfahrungen, unterschiedlichsten Informationsstandes zum Dialog über Staat, Gesellschaft und eigene soziale Lage gefunden haben. Hier liegt, wie ich meine, der Schlüssel dieser Einrichtungen, nämlich in der Sicherstellung eines pluralistischen Bildungsangebots und dem Gespräch aller beteiligten Gruppen.
Ein demokratischer Staat, der auf politische Bildung, auf welcher Bildungsstufe auch immer, verzichtet, behindert die Teilnahme seiner Bürger und stellt sich damit selbst in Frage. Für den Staat ist politische Bildung geradezu existenznotwendig. Im Gegensatz zur Vereinzelung oder Isolierung am Arbeitsplatz, wo Kommunikation häufig nur mit der Maschine stattfindet, bietet politische Bildung Raum für persönliches, kreatives, kulturelles, soziales und politisches Handeln. Weiterbildung ist nicht nur an technologische und wirtschaftliche Entwicklungen zu koppeln oder von der internationalen Wettbewerbsfähigkeit abhängig zu machen. Neue Technologien oder Umweltgefahren dürfen die Arbeitnehmer nicht beherrschen. Umgekehrt wird ein Schuh daraus. Die Arbeitnehmer müssen durch Weiterbildung in der Lage sein, Technologie und Umwelt zu beherrschen.
Neue Technologien, Zukunft der Arbeit, das Verhältnis von Ökonomie zu Ökologie sind nicht nur Probleme für die berufliche Qualifizierung, sondern wegen ihrer Auswirkungen auf Wirtschaft und Gesellschaft sind sie auch Themen und Probleme politischer Bildung. Politische Bildung darf sich nicht allein auf die Behandlung staatlicher Entwicklung oder Haupt-und Staatsaktionen beschränken, sondern muß auch ökonomische und gesellschaftliche Wandlungsprozesse reflektieren und durchsichtig machen. Politische Bildung muß integraler Bestandteil der Weiterbildung sein und bleiben, und zwar nicht nur als Fach, das sich mit gesellschaftlichen Folgen des industriellen, des technischen Wandels auseinandersetzt, sondern auch als Prinzip, das den Lehrplan durchzieht.

(Beifall bei der SPD)

Sie ist Grundstein für die Motivation zur Übernahme gesellschaftlicher Verantwortung des einzelnen, des lebenslangen Lernens im gesellschaftlichen und politischen Kontext. Politische Bildung bildet die Mög-



Kretkowski
lichkeit zur Diskussion, der Festigung und Überprüfung des eigenen verantwortungsbewußten Handelns. So werden gesellschaftliche Prozesse durchschaut, bewertet und können somit auch neu entwikkelt werden.
Dazu bedarf es aber auch der ausreichenden öffentlichen Finanzierung, die so mit dazu beitragen muß, daß die politische Bildung über einen genügenden Zeitrahmen, über genügend Methodenvielfalt, über ein umfangreiches Medienangebot sowie Materialien verfügen kann, wie sie Bildung in der Form der angebotenen Seminararbeit nun einmal braucht.
Politische Bildung, meine Damen und Herren, ist nur zu verwirklichen, wenn die Menschen Zeit haben, sich weiterzubilden. Die Belastung des Arbeitslebens, familiäre Eingebundenheiten sowie die Notwendigkeit der Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit machen Freistellungen von der Arbeit zum Zwecke der Weiterbildung unabdingbar, egal ob mit Hilfe von Bildungsurlaubsgesetzen oder tarifvertraglichen Regelungen, Teilzeitarbeit, Beurlaubung, Arbeitszeitverkürzungen oder welchen Regelungen auch immer.

(Beifall bei der SPD)

Politische Bildung muß das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger zu manipulationsfreier Meinungsbildung und Meinungsprüfung sichern. Durch Enttäuschung oder Orientierungsverlust gewinnen politische Apathie, moralische Heilserwartungen, Flucht in den Fundamentalismus oder zu frustrierter Wut Antrieb, nicht nur bei den jungen Menschen, sondern auch bei den alten Menschen. Ich meine ohnehin, wir müssen bei unseren Überlegungen nicht allein die jungen Menschen in den Vordergrund stellen — das liegt vielleicht aus parteitaktischen Überlegungen besonders nahe —, sondern wir müssen auf Grund der gesellschaftlichen Veränderungen gerade unsere älteren Mitbürger in das Konzept der politischen Bildung stärker einbinden. Hier liegt eine weitere Herausforderung, um über den Dialog und den Austausch von Erfahrungen zum demokratischen Erleben, ja zum Durchleben von Demokratie beizutragen. Wer einmal während eines Seminars verschiedene Argumente, Motive und Perspektiven des anderen kennengelernt hat, ist eben eher in der Lage zu fragen, zu bewerten, zu verstehen, und geübter in der Akzeptanz der Meinungsvielfalt.
Diesen Fragen sollten sich die Politiker auch über Parteigrenzen hinaus stellen, und niemand sollte hoffen oder darauf spekulieren, daß unbewußte politische Sozialisationsprozesse zu seinen Gunsten ausgehen könnten. Keiner darf sich diesen Anforderungen verschließen. Wir müssen sie aufgreifen und fragen, wie politische Bildung den neuen Bedingungen gerecht werden kann, wie sie organisiert ist, wie sie finanziell sichergestellt und ausgeweitet werden kann, welchem Druck oder Zwang sie unterliegt und wie man diesen gegebenenfalls beseitigen kann.
Bildung und Weiterbildung, liebe Kolleginnen und Kollegen, sind historisch und bleiben zukünftig eine wichtige Aufgabe. Das Leitmotiv der Arbeiterbildung „Wissen ist Macht, Macht ist Wissen" als eine über die Qualifizierung des einzelnen hinausgehende Demokratisierung der Gesellschaft durch Bildung hat auch heute noch seine Berechtigung und seine Perspektive.

(Beifall bei der SPD)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1105515200
Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird vorgeschlagen, den Antrag der Fraktion der SPD und den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und FDP an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen.
Die Fraktion DIE GRÜNEN hat entgegen der Vereinbarung im Ältestenrat und der interfraktionellen Absprache beantragt, die Anträge zur politischen Bildung federführend nicht an den Innenausschuß, sondern an den Ausschuß für Bildung und Wissenschaft zu überweisen.
Ich glaube, dieser Antrag ist überschaubar und für jeden abstimmungsreif.

(Kleinert [Marburg] [GRÜNE]: Kurze Begründung durch Frau Hillerich!)

— Sie wollen das noch begründen? Bitte schön, aber machen Sie es bitte ganz kurz!

Imma Hillerich (DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90):
Rede ID: ID1105515300
Danke schön.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es hört sich so hinterrücks an: entgegen der interfraktionellen Absprache. Das Problem ist folgendes: Wir hatten in der Obleutebesprechung im Ausschuß für Bildung und Wissenschaft nicht die Gelegenheit, diese interfraktionelle Absprache überhaupt zu beeinflussen. Deswegen möchte ich Sie von dieser Stelle noch einmal bitten, diesen Überweisungsvorschlag zu ändern.
Wir meinen, daß der Antrag der SPD — der Anlaß für die heutige Debatte um politische Bildung — politische Bildung vor allen Dingen im Verhältnis zu Bildung insgesamt und zur Weiterbildung thematisiert. Das sind Gegenstände, die genuin in den Ausschuß für Bildung und Wissenschaft gehören.
Unser Vorschlag richtet sich nicht gegen die Kolleginnen und Kollegen des Innenausschusses, wirklich nicht. Aber wir möchten — das ist unser Problem —, daß der Bereich der Weiterbildung in dem Antrag, um den es hier heute ging und um den es in den Ausschußberatungen gehen soll, tatsächlich ausführlich diskutiert und verarbeitet werden kann. Deswegen bitte ich Sie um Ihre Zustimmung, daß wir im Ausschuß für Bildung und Wissenschaft die Federführung übernehmen.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1105515400
Zur Geschäftsordnung Herr Abgeordneter Daweke.

Klaus Daweke (CDU):
Rede ID: ID1105515500
Frau Hillerich, ich möchte diesem Antrag widersprechen und möchte das auch begründen: Wir haben in diesem Hause die Übung, daß jene Ausschüsse federführend werden, die parallel zur Federführung innerhalb der Bundesregierung konstituiert sind. Innerhalb der Bundesregierung liegt



Daweke
die Federführung bei „Innen". Ich sage — in Klammern — : Man kann sicher trefflich darüber streiten — auch als Bildungspolitiker —, ob das eine kluge Entscheidung ist. Sie ist historisch zu begründen, aber man könnte heute sicherlich auch Argumente dafür finden, es anders zu machen. Nur ist das Innenministerium federführend, und deshalb ist auch der Innenausschuß federführend. Darum bitten wir um Verständnis, wenn wir Ihren Antrag ablehnen werden.

(Hüser [GRÜNE]: Sind Sie denn so unflexibel?)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1105515600
Zur Geschäftsordnung, Herr Abgeordneter Kuhlwein.

Eckart Kuhlwein (SPD):
Rede ID: ID1105515700
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die SPD-Fraktion wird dem Geschäftsordnungsantrag der GRÜNEN zustimmen. Die Initiative zu dieser Debatte um die politische Bildung ist bei uns zu Recht und ganz bewußt von den Bildungspolitikern ausgegangen, weil wir es für notwendig halten — da weise ich noch einmal auf die Ausführungen der Kollegin Niehuis hin —, daß ein Ansatz, ein Versuch gemacht wird, die notwendige Integration von politischer, allgemeiner und beruflicher Weiterbildung voranzutreiben. Niemand in diesem Haus wird bestreiten, daß für die berufliche Weiterbildung und die Teile, bei denen es Bundeskompetenz im Bereich der allgemeinen Weiterbildung gibt, der Bundesbildungsminister und dann auch der Bildungsausschuß des Deutschen Bundestages zuständig sind. Es darf doch nicht so weit kommen, daß wir nur deshalb, weil der Bundesinnenminister für die Bundeszentrale für politische Bildung zuständig ist, deren Probleme ja nur einen Teilbereich der Debatte um politische Bildung ausmachen, der Organisationsstruktur oder dem Anliegen der Innenpolitiker sowohl in der Regierung als auch im Parlament folgen und automatisch diesen ganzen Problembereich dem Innenausschuß zuweisen.
Ich bitte Sie deshalb, dem Antrag der GRÜNEN zu folgen. Wir als SPD-Fraktion werden es jedenfalls tun.

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1105515800
Wir kommen zur Abstimmung. Wer dem Antrag der GRÜNEN zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Eine Enthaltung. Das zweite war die Mehrheit. Dieser Antrag ist abgelehnt.
Wir stimmen nun über den auf der gedruckten Tagesordnung wiedergegebenen Überweisungsvorschlag ab. Wer diesem Vorschlag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Zwei. Wer enthält sich? — Einige beteiligen sich überhaupt nicht. Der in der gedruckten Tagesordnung aufgeführte Überweisungsvorschlag ist angenommen.
Interfraktionell ist vereinbart worden, die Tagesordnungspunkte 4 und 5, für die jeweils eine Aussprache von 30 Minuten vorgesehen ist, erst heute nachmittag nach der Aktuellen Stunde, also erst gegen 16.45 Uhr, aufzurufen. Sind Sie damit einverstanden? Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Es ist so vereinbart.
Wir treten in die Mittagspause ein. Die Sitzung wird um 14 Uhr fortgesetzt.
Die Sitzung ist unterbrochen.

(Unterbrechung von 13.03 bis 14.00 Uhr)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1105515900
Ich eröffne die unterbrochene Sitzung wieder und rufe Tagesordnungspunkt 1 auf:
Fragestunde
— Drucksache 11/1657 —
Meine Damen und Herren, vorab möchte ich Ihnen mitteilen, daß auf Grund der Fragen, die uns vorliegen, die milde Hoffnung besteht, daß wir mit der Fragestunde möglichweise etwas eher fertig sind. Die Geschäftsführer und der Ältestenrat sind der Auffassung, daß die Aktuelle Stunde, die im Anschluß an die Fragestunde vorgesehen ist, dann sofort beginnt. Ich bitte also, gegebenenfalls die Fraktionen von diesem Sachverhalt zu unterrichten. Das wird man zweckmäßigerweise dann tun, wenn wir etwas besser überblikken, ob wir tatsächlich Zeit einsparen.
Zunächst kommen wir zum Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes.
Die Fragen 2 und 3 des Abgeordneten Dr. Schöfberger werden auf dessen Wunsch schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Somit darf ich den Geschäftsbereich des Bundesministers für wirtschaftliche Zusammenarbeit aufrufen. Zur Beantwortung der Fragen steht uns der Parlamentarische Staatssekretär Köhler zur Verfügung.
Den Herrn Staatssekretär muß ich zunächst davon unterrichten, daß auch der Abgeordnete Schanz wünscht, daß seine Fragen 25 und 26 schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe die Frage 27 des Abgeordneten Dr. Weng auf:
Kann die Bundesregierung den Bericht der Wochenzeitung DIE ZEIT vom 8. Januar 1988 bestätigen, wonach in erheblichem Umfang Steuermittel über die DEG zur Finanzierung eines Hotelkomplexes am Dalyan-Strand an der türkischen Küste verwendet werden und hierdurch in erheblichem Umfang schützenswerte Natur, insbesondere wichtige Ei-Ablagestätten für Meeresschildkröten, zerstört werden, und in welcher Weise kann bzw. will die Bundesregierung dieses noch verhindern?
Herr Staatssekretär, Sie haben das Wort.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1105516000
Herr Kollege Weng, die Bundesregierung kann bestätigen, daß die DEG eine Finanzierungszusage für das Projekt in Höhe von insgesamt 10,7 Millionen DM, davon 8,75 Millionen DM aus Eigenmitteln und 1,95 Millionen DM aus dem Niederlassungsprogramm des Bundes, erteilt hat. Somit erfolgt nur eine Teilfinanzierung aus direkten Mitteln des Bundes.
Die Bundesregierung hat umgehend, nachdem sie von der Umweltproblematik erfuhr, in Abstimmung mit dem World-Wild-Life-Fund, eine Umweltverträglichkeitsstudie veranlaßt. Auf der Grundlage der Gutachterempfehlungen sind mit der türkischen Regierung Absprachen zur technischen Beratung bei der Überarbeitung der Entwicklungsplanung für die Re-



Parl. Staatssekretär Dr. Köhler
gion und für die Einrichtung eines Nationalparks getroffen worden. Die DEG hat die von den Gutachtern empfohlenen Auflagen zur umweltgerechten Durchführung der Bauarbeiten, der Gestaltung des auf 620 Betten reduzierten Hotelkomplexes sowie der Durchführung des Hotelbetriebes vertraglich im Rahmen der Projektgesellschaft festgeschrieben.
Die Bundesregierung ist der Ansicht, daß auf dieser Grundlage eine großräumige touristische Nutzung der Region verhindert und der Schutz der Natur und insbesondere der gefährdeten Meeresschildkröte Caretta caretta bestmöglich gesichert und durch die entwicklungspolitische Zusammenarbeit mit der Türkei ein wichtiger Beitrag zur umweltgerechten Entwicklung des touristischen Potentials des Landes geleistet wurde.
Nach Abwägung aller Umstände beabsichtigt die Bundesregierung daher nicht, die DEG zum Bruch vertraglicher Vereinbarungen zu veranlassen und damit ihre Einwirkungsmöglichkeiten auf die Entwicklung dieses Gebietes zu gefährden.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1105516100
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Weng, bitte sehr.

Dr. Wolfgang Weng (FDP):
Rede ID: ID1105516200
Herr Staatssekretär, wird die Bundesregierung künftig verstärkt darauf achten, daß es schon im Vorfeld entsprechender vertraglicher Bindungen der DEG dazu kommt, daß zumindest Gefährdungen, wie sie hier ersichtlich sind, nicht erst im nachhinein deutlich werden, sondern daß sich die DEG dann einfach nicht an Projekten beteiligt und schon zu einem Zeitpunkt vertraglich gebunden ist, wo erst festgestellt wird, daß das die hier aufgezeigten Umweltprobleme haben kann, auch wenn im Verlauf vielleicht eine gewisse Abschwächung erreicht wird?
Dr. Köhler, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Weng, das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit hat mit dem 1. Januar dieses Jahres verbesserte und verschärfte Vorschriften für die Prüfung der Umweltverträglichkeit bei allen Projekten der deutschen Entwicklungszusammenarbeit in Kraft gesetzt. Wir hoffen, damit in der Tat solche Gefahren zu vermindern. Es geht letzten Endes aber auch, wie dieses Beispiel wiederum zeigt, darum, daß die Partnerregierung ihrerseits solche Probleme entsprechend ernsthaft würdigt und solche Dinge bei den Projektarbeiten frühzeitig selbst mit einbezieht. Sonst entsteht eine Lage wie hier, wo wir vor der Frage standen, ob wir größeren Schaden verhindern könnten. Das hätten wir aber durch völlige Aufgabe der Beteiligung nicht gekonnt.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1105516300
Eine weitere Zusatzfrage? — Bitte schön.

Dr. Wolfgang Weng (FDP):
Rede ID: ID1105516400
Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung denn bereit, auf die DEG dahin gehend einzuwirken, daß bei vergleichbaren Projekten zukünftig vorbeugend Umweltschutzverbände aus unserem Land zumindest insoweit beteiligt werden, daß sie gehört werden? Denn oft haben diese Verbände — das sage ich einmal feststellend, wenn Sie, Herr Präsident, mir das erlauben — in solchen
Fragen offensichtlich ein besseres Know-how als die damit befaßten Behörden, die nachher Verträge schließen müssen.

(Frau Garbe [GRÜNE]: Sehr gut!)

Dr. Köhler, Parl. Staatssekretär: Ich kann diese Frage mit einem klaren Ja beantworten. Da wir übrigens inzwischen selber in anderen Ländern Projekte zur Erhaltung und Nutzung des vorhandenen Wildtierbestandes durchführen, hat sich zwischen dem Ministerium und den geeigneten Verbänden auch schon ein sehr enger Dialog ergeben.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1105516500
Eine Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Blunck.

Lieselott Blunck (SPD):
Rede ID: ID1105516600
Sind der Bundesregierung die Ergebnisse der Arbeitsgruppe im Zusammenhang mit der Fortschreibung der Berner Konvention aus dem Dezember 1987 bekannt, und wird sie sich im Sinne der Protokollnotiz, die da lautete, auch in Bau befindliche Vorhaben seien herauszunehmen, mit ihrem Einfluß an die DEG wenden, um hier nicht gegen die von ihr selbst unterschriebene Berner Konvention zu verstoßen?
Dr. Köhler, Parl. Staatssekretär: Ja, Frau Kollegin. Auf der Tagung des ständigen Ausschusses vom 8. bis 11. Dezember ist auch über diese Thematik diskutiert worden. Leider ist in den Pressemeldungen das Ergebnis der Beratungen nicht zutreffend wiedergegeben worden.

(Frau Blunck [SPD]: Ich war dabei! Deswegen referiere ich es hier! Entschuldigen Sie bitte, daß ich das einwerfe! Es hat eine Protokollnotiz gegeben, und die ist referiert worden!)

— Frau Kollegin, ich habe hier nichts zu entschuldigen.

(Frau Blunck [SPD]: Weil ich Sie unterbrochen habe!)

— Das können Sie, wenn der Herr Präsident es gestattet, so oft, wie Sie wollen.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1105516700
So oft, wie sie es will, gestattet es der Präsident mit Sicherheit nicht, Herr Staatssekretär. Wenn der Dialog nun aber beendet und die Antwort gegeben werden könnte, wäre ich dankbar.
Dr. Köhler, Parl. Staatssekretär: Herr Präsident, ich bemühte mich darum.
Der Ausschuß hat eine generelle Empfehlung zum Schutz der Meeresschildkröten und eine spezielle Empfehlung zur Region Dalyan verabschiedet. Bei dem letztgenannten Beschluß bestand Konsens darüber, daß das, wie ich vorhin ausführte, nun auf 620 Betten beschränkte Bauvorhaben nach Abwägung aller Umstände keine Neuentwicklung darstellt, die gegen die Empfehlung verstoßen würde.

Lieselott Blunck (SPD):
Rede ID: ID1105516800
Ich habe keine Zusatzfrage mehr, und der Herr Präsident gestattet sicher auch keine.




Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1105516900
Das läßt die Geschäftsordnung nicht zu, aber ich bin sicher, daß Sie beide diesen Dialog, der Sie sehr interessiert, gleich noch fortsetzen können, denn ich kann, da weitere Fragen nicht vorliegen, den Herrn Staatssekretär entlassen, wohlgemerkt: für heute.
Dr. Köhler, Parl. Staatssekretär: Herr Präsident, ich hatte nur einen Satz aus der Frage der Kollegin Blunck noch nicht beantwortet: Selbstverständlich sind wir bereit, in diesem Sinne fortlaufend auf die DEG wie auch auf alle anderen Durchführungsorganisationen einzuwirken.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1105517000
Herzlichen Dank, Herr Staatssekretär.
Damit ist der Geschäftsbereich des Bundesministers für wirtschaftliche Zusammenarbeit abgewickelt. Wir bedanken uns bei Ihnen, Herr Staatssekretär.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers des Auswärtigen. Zur Beantwortung der Fragen steht uns Herr Staatsminister Schäfer zur Verfügung.
Der Abgeordnete Lowack hat darum gebeten, daß die Frage 28 schriftlich beantwortet wird. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe Frage 29 des Abgeordneten Dr. Soell auf:
Ist die Bundesregierung in der Lage, die endgültige Struktur der ministeriellen WEU-Organe darzustellen oder andernfalls mitzuteilen, welche Probleme in diesem Bereich noch gelöst werden müssen, nachdem die Übergangsphase, die sich die WEU gesetzt hatte, am 31. Dezember 1987 abgelaufen ist?
Herr Staatsminister, Sie haben das Wort.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1105517100
Herr Kollege, die Bundesregierung befürwortet in Übereinstimmung mit allen WEU-Partnern eine Zusammenlegung der bisher getrennt in Paris und in London angesiedelten ministeriellen Organe der WEU an einem Ort. Sie ist der Auffassung, daß dies eine entscheidende Voraussetzung für eine rationellere und wirkungsvollere Gestaltung der künftigen Arbeit ist. Allerdings konnte bisher noch keine Entscheidung über den Ort selbst getroffen werden.
Eine Übergangsfrist bis Ende 1987 wurde von den Ministern auf ihrer Tagung in Bonn im Jahre 1985 nicht hinsichtlich dieser Frage, sondern lediglich hinsichtlich der damals neu errichteten drei Agenturen der WEU für Sicherheitsfragen beschlossen. Diesbezüglich wurde auf dem Ministertreffen der WEU im vergangenen Oktober beschlossen, die drei Agenturen für Sicherheitsfragen in Paris zu einer einzigen Behörde zusammenzulegen und unter die Leitung eines Direktors zu stellen. Unter den Mitgliedsregierungen dauern zur Zeit die Verhandlungen darüber an, wie diese Beschlüsse im einzelnen durchzuführen sind.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1105517200
Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Soell, bitte sehr.

Dr. Hartmut Soell (SPD):
Rede ID: ID1105517300
Herr Staatsminister, ist es richtig, daß gewisse Regierungen innerhalb der Westeuropäischen Union die Auseinandersetzung über die neue Personalstruktur angesichts der Zusammenlegung der Agenturen dazu benutzen, den ganzen Prozeß der Neuorganisation der WEU aufzuhalten?
Schäfer, Staatsminister: Herr Kollege, das deckt sich, glaube ich, mit einer Frage, die ich nachher beantworten muß, aber ich kann sie auch schon vorweg beantworten. Es ist so — Sie wissen das — , daß in dem Zusammenhang mit der Frage des Sitzortes der WEU und im Zusammenhang mit den eben von mir beschriebenen Maßnahmen, also bis zu einer endgültigen Entscheidung, eine Zusammenlegung der Agenturen zunächst in Paris vorzunehmen, bestimmte Interessen bestimmter Mitglieder der WEU natürlich in verschiedene Richtungen gehen.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1105517400
Wir müssen gleich klären, ob damit die Frage 31 des Abgeordneten Dr. Klejdzinski de facto beantwortet ist.
Aber zunächst zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Dr. Soell.

Dr. Hartmut Soell (SPD):
Rede ID: ID1105517500
Herr Staatsminister, in welchem Umfang und in welchen Formen finden die Konsultationen innerhalb des Ministerrats der Westeuropäischen Union zu Problemen außereuropäischer Krisenregionen, z. B. zu den Problemen am Golf und des Einsatzes europäischer Schiffe dort im Golf, statt?
Schäfer, Staatsminister: Es bieten sich, Herr Kollege, nicht nur im Zusammenhang mit Ministerratstagungen der WEU Gelegenheiten zu Gesprächen zwischen den Außenministerkollegen. Es gibt verschiedene andere europäische Ebenen, wie Sie wissen, so daß ich sagen kann, daß solche Fragen ständig, wenn auch nicht immer nur im Zusammenhang mit der WEU, zwischen den Außenministern der Partnerstaaten angesprochen werden.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1105517600
Eine Zusatzfrage zu Frage 29, Herr Dr. Klejdzinski.

Dr. Karl-Heinz Klejdzinski (SPD):
Rede ID: ID1105517700
Herr Staatsminister, wenn Sie referieren, daß einerseits die Franzosen eine Zusammenlegung in Paris vorgeschlagen haben, andererseits die Briten darauf bestehen, daß es doch Brüssel sein sollte, kann ich mir vorstellen, daß hier auch die Bundesregierung eine Meinung hat und sie ihre Meinung vielleicht davon abhängig macht, wo zufälligerweise das bessere Wetter stattfindet.
Schäfer, Staatsminister: Herr Kollege, die Bundesregierung mag gelegentlich vielleicht sogar die Wetterlage berücksichtigen, wenn sie Sitzorte zu entscheiden hat, aber das ist für uns nicht der ausschlaggebende Grund. Wir nehmen sogar Rücksicht auf das Interesse unserer Abgeordneten bei der WEU, den Sitzort für die Parlamentarier bei der WEU in Paris zu belassen. Wie ich höre, soll Bonn nicht ganz so favorisiert werden, falls man sich möglicherweise aus Paris entfernt.
Aber es ist klar, Herr Kollege — um ernst zu werden — , daß die Bundesregierung — das will ich bei einer der Fragen, die einer Ihrer Kollegen gestellt hat, noch einmal verdeutlichen — natürlich der Meinung war und ist, daß Brüssel aus verschiedenen Gründen als Sitz der WEU besonders geeignet wäre, daß wir



Staatsminister Schäfer
aber gleichzeitig auch Rücksicht auf die Vorstellungen unserer Partnerstaaten nehmen müssen, die Ihnen bekannt sind.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1105517800
Ich möchte noch einmal darauf aufmerksam machen, daß sich Abgeordneter Dr. Soell genaugenommen in der Frage 29 mit den Strukturfragen auseinandersetzt, während die Sitzfragen in der Frage 31 des Abgeordneten Dr. Klejdzinski ihren Niederschlag finden. Insofern findet hier eine Vermengung statt.
Ich rufe nunmehr die Frage 30 des Abgeordneten Dr. Soell auf:
Kann die Bundesregierung mitteilen, welche Initiativen im Rat der WEU unternommen werden, um die künftigen Entwicklungen auf dem Gebiet der Rüstungskontrolle und Abrüstung im europäischen Sicherheitsinteresse zu beeinflussen und um insbesondere zu einem gemeinsamen westlichen Konzept in diesem Bereich beizutragen?
Schäfer, Staatsminister: Herr Kollege, im Rahmen ihrer sicherheitspolitischen Abstimmung haben die Außen- und Verteidigungsminister der WEU ihre halbjährlichen Tagungen in den Jahren seit der Belebung 1984 regelmäßig zu einem intensiven Meinungsaustausch genutzt, um ihre Auffassungen gerade auch in den Fragen der Abrüstung und Rüstungskontrolle abzustimmen. Die dabei erzielte breite Übereinstimmung ist in den Kommuniqués der Ministertagungen von Bonn, Venedig und Luxemburg erkennbar. Sie geht insbesondere auch aus der „Plattform für europäische Sicherheitsinteressen" hervor, die auf den Ministertreffen der WEU im vergangenen Oktober verabschiedet wurde.
Es ist einhellige Meinung unter den Mitgliedsregierungen, daß diese Thematik auch in Zukunft für die europäischen Sicherheitsinteressen von allergrößter Wichtigkeit sein wird und daher im gemeinsamen Gespräch mit Vorrang behandelt werden muß. Sie wird daher Teil der Tagesordnung der Sitzung des Ministerrats im April 1988 sowie der vorangehenden Sitzung des Ständigen Rats der WEU sein.
Zur Vorbereitung der Konsultationen auf Ministerebene dient insbesondere auch die Arbeit der mit hochrangigen Fachleuten der Mitgliedstaaten besetzten Sonderarbeitsgruppe der WEU. Sie befaßt sich fortlaufend mit aktuellen Aspekten im gesamten Bereich der Sicherheitspolitik einschließlich der Fragen der Rüstungskontrolle und der Abrüstung. Zweck dieser Abstimmung ist es jedoch nicht, Positionen zu erarbeiten, die Entscheidungen präjudizieren könnten, die multilateral in den zuständigen Gremien des Bündnisses zu fällen sind. Jedoch tragen die Bemühungen um eine Harmonisierung der europäischen Auffassungen in der WEU nach unserer Auffassung zu einer besseren Vorbereitung der Bündnispositionen und Entscheidungen bei.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1105517900
Zusatzfrage, bitte schön.

Dr. Hartmut Soell (SPD):
Rede ID: ID1105518000
Herr Staatsminister, welche Haltung nimmt die Bundesregierung zu dem Vorschlag der Parlamentarischen Versammlung und der Westeuropäischen Union ein, daß der Nordatlantikrat aufgefordert werden soll, den Vorschlag des Warschauer
Paktes positiv aufzunehmen, Konsultationen zwischen den beiden Bündnissen mit dem Ziel zu beginnen, Strategien zu vergleichen und Wege zu finden, um die Ungleichgewichte bei bestimmten Waffenarten und bei den Streitkräften zu beheben und von Fall zu Fall auch Reduzierungen vorzunehmen?
Schäfer, Staatsminister: Sie wissen, daß wir eine ganze Fülle von internationalen Konferenzen haben, auf denen diese Fragen besprochen werden. Ich wäre froh gewesen, ich hätte diese Frage als Hauptfrage bekommen, weil ich im Augenblick nicht sagen kann, was wir zu diesem speziellen Vorschlag der WEU-Parlamentarier bereits entschieden haben. Ich kann nur sagen: Das, was hier vorgeschlagen wird, ist natürlich im Gesamtinteresse unserer Bemühungen, den West-Ost-Dialog in Fragen der Sicherheitspolitik voranzutreiben. Ich selbst werde morgen Gelegenheit nehmen, bei der Eröffnung der wie wir hoffen, letzten Runde, der KSZE genau dieses Thema in meiner Rede als Vertreter der Bundesregierung und damit auch der EG darzutun.

Dr. Hartmut Soell (SPD):
Rede ID: ID1105518100
Können wir dann im Zweifelsfall diese Rede und gerade diese Passage Ihrer Rede auch noch an die Hand bekommen?
Schäfer, Staatsminister: Sehr gern.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1105518200
Ich nehme an, daß der Pressedienst des Auswärtigen Amts dafür Sorge tragen wird.
Herr Dr. Klejdzinski.

Dr. Karl-Heinz Klejdzinski (SPD):
Rede ID: ID1105518300
Herr Staatsminister, kann die Bundesregierung nähere Angaben über die Ziele, Funktionen, Zusammensetzung und den Status des deutsch-französischen Verteidigungsrates und der deutsch-französischen Brigade machen? Teilt sie die Auffassung der WEU-Versammlung, daß diese Projekte wie alle anderen Entwicklungen im Bereich der bilateralen Zusammenarbeit zwischen WEU-Mitgliedsländern im WEU-Rat mit dem Ziel erörtern werden sollten, diese Zusammenarbeit auf die Gesamtheit der Mitgliedsländer auszudehnen?
Schäfer, Staatsminister: Herr Kollege, in Anbetracht der Tatsache, daß aller Voraussicht nach morgen angesichts des Jubiläums des Elysée-Vertrages in Paris, wo die Bundesregierung gemeinsam mit der französischen Regierung eine Reihe wichtiger Protokolle bzw. Regierungsvereinbarungen zu diesem Thema unterzeichnen wird, im Anschluß sehr viel gesagt werden wird zur Interpretation sowohl dieses Verteidigungsrates wie der deutsch-französischen Brigade. Dazu gibt es genaue Vorstellungen, die gestern auch noch einmal im Kabinett erörtert worden sind.
Ich kann dazu nur sagen: Wir werden uns natürlich bemühen, in der WEU diese spezielle Form der Zusammenarbeit — wie wir es bisher schon versucht haben — auch weiterhin zu interpretieren als nicht gegen die WEU gerichtet, sondern sie im Zusammenhang mit der WEU zu sehen. Sie ist aber auch für die Frage der Verteidigung unserer Grenzen wichtig, nämlich im Hinblick auf französische Auffassungen



Staatsminister Schäfer
von früher und, wie wir hoffen, neue französische Auffassungen, die in unserem nationalen Sicherheitsinteresse liegen. Sie können sicher sein, daß wir alles unternehmen werden, innerhalb der WEU den Eindruck zu vermeiden, als handelte es sich hier um eine Art Sonderweg.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1105518400
Zusätzliche Fragen sind nicht gewünscht.
Dann rufe ich die Frage 31 des Abgeordneten Dr. Klejdzinski auf, von der ich annehme, daß sie eigentlich soeben im wesentlichen schon beantwortet wurde. Ich nehme an, Herr Dr. Klejdzinski, Sie sehen das anders und bestehen auf Beantwortung der Frage.
Trifft es zu, daß eine Nlitgliedsregierung der WEU ihre Zustimmung zu der Neustrukturierung der WEU-Organe von der Regelung der Sitzfrage abhängig macht und dadurch das weitere Vorgehen blockiert?
Deswegen, Herr Staatsminister, fahren Sie fort.
Schäfer, Staatsminister: Herr Präsident, ich stimme mit Herrn Klejdzinski überein und werde es gern noch beantworten.
Im Rahmen ihrer Bemühungen um eine Neustrukturierung der ministeriellen Organe der WEU haben die Mitgliedsregierungen auf der WEU-Ministerkonferenz in Den Haag einstimmig den Beschluß gefaßt, die bisher in London und Paris getrennt angesiedelten Organe an einem Ort zusammenzulegen.
Unterschiedliche Auffassungen bestehen, wie Sie wissen, noch hinsichtlich der Ortswahl. Inzwischen haben Frankreich, Belgien und Großbritannien offizielle Kandidaturen ihrer Hauptstädte angemeldet. Die Konsultationen darüber dauern an.
Auf dem Ministertreffen der WEU im vergangenen Oktober wurde zusätzlich beschlossen, die drei Agenturen für Sicherheitsfragen in Paris, wie ich eben bereits ausgeführt habe, zu einer einzigen Behörde zusammenzulegen und unter eine einheitliche Leitung eines Direktors zu stellen. Die Durchführung dieser Maßnahme stößt zur Zeit auf Schwierigkeiten, da sie von Frankreich mit der Entscheidung über die Sitzfrage verbunden worden ist. Wir bemühen uns — wie immer — , durch ergänzende Vorschläge einen Ausgleich unter den Beteiligten herbeizuführen, und hoffen, daß sich die angestrebte, für die weitere Arbeit der WEU-Organe so dringend erforderliche Umstrukturierung bald erreichen läßt.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1105518500
Eine Zusatzfrage, bitte schön, Herr Abgeordneter Dr. Klejdzinski.

Dr. Karl-Heinz Klejdzinski (SPD):
Rede ID: ID1105518600
Herr Staatsminister, wenn ich das, was Sie jetzt lang und breit ausgeführt haben, richtig interpretiere, komme ich zu dem Schluß, daß Frankreich der Staat ist, der im Sinne meiner Frage gegenwärtig die Sache blockiert. Ist das so richtig?
Schäfer, Staatsminister: Herr Kollege, wiederum im Hinblick auf die morgen bevorstehenden wichtigen Gespräche mit Frankreich, im Hinblick auf den Elysee-Vertrag, den wir alle sehr gut finden, und im Hinblick darauf, daß Kollegen Ihrer Fraktion wie Kollegen anderer Fraktionen gemeinsam mit der Bundesregierung morgen in Paris die deutsch-französische Zusammenarbeit feiern werden, möchte ich den sehr harten Ton, den Sie anschlagen, nicht teilen. Vielmehr möchte ich Ihnen sagen: Blockieren ist sicher nicht richtig. Die Franzosen haben eigene Interessen eingebracht, und wir haben uns mit diesen Interessen auseinanderzusetzen.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1105518700
Eine weitere Zusatzfrage, bitte schön, Herr Abgeordneter Dr. Klejdzinski.

Dr. Karl-Heinz Klejdzinski (SPD):
Rede ID: ID1105518800
Ich möchte darauf doch noch ein bißchen bestehen und sie fragen, wenn Sie meine Formulierung als „hart" interpretieren: Ist es eine richtige Auffassung, wenn ich sage, daß Frankreich die endgültige Beschlußfassung gegenwärtig blokkiert, indem es diese Entscheidung mit der Sitzfrage verbindet?
Schäfer, Staatsminister: Ich darf wiederholen, Herr Kollege, daß ich das Wort „blockieren" nicht für richtig halte. Ich habe zum Ausdruck gebracht, daß wir die Bedenken Frankreichs gegen Brüssel zur Kenntnis genommen haben; daß wir wissen, daß die französische Hauptstadt vorgeschlagen worden ist; daß wir wissen, daß die britische Hauptstadt vorgeschlagen worden ist; daß es jetzt darum geht, einen Konsens herzustellen.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1105518900
Herr Abgeordneter Dr. Soell.

Dr. Hartmut Soell (SPD):
Rede ID: ID1105519000
Herr Staatsminister, ist am Rande der Gespräche schon einmal der Vorschlag Bonn als Sitz der Organe des Ministerrats der Westeuropäischen Union aufgetaucht, und wie würde sich die Bundesregierung verhalten, wenn dieser Vorschlag offiziell eingebracht würde?
Schäfer, Staatsminister: Herr Kollege, am Rande von Gesprächen, an die auch ich mich persönlich erinnere — etwa neulich in Straßburg anläßlich der Ministerratstagung des Europarates —, sind durchaus solche Überlegungen aufgetaucht. Ich könnte mir vorstellen, daß man die weitere Entwicklung abwarten muß, ehe wir uns möglicherweise auch über diese Frage hier einmal ernsthaft unterhalten.
Das würde heißen: Für den Fall, daß man sich jetzt gegenseitig — ich greife den von Herrn Klejdzinski verwendeten Begriff auf: blockiert — Belgien, Frankreich, Großbritannien —, wäre es sicher erwägenswert, zu fragen, ob sich dann möglicherweise alle drei Staaten mit Bonn einverstanden erklären könnten. Aber das sage ich Ihnen jetzt nicht im Namen der Bundesregierung, sondern im Hinblick auf mögliche weitere Erörterungen.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1105519100
Weitere Zusatzfragen liegen nicht vor.
Die Fragen 32 und 33 des Abgeordneten Antretter werden auf dessen Wunsch schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Herr Staatsminister, wir bedanken uns für Ihre Bemühungen und nehmen die Gelegenheit wahr, Ihnen



Vizepräsident Cronenberg
einen angenehmen und erfolgreichen Paris-Aufenthalt zu wünschen.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung auf. Zur Beantwortung steht uns der Parlamentarische Staatssekretär Vogt zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 39 der Abgeordneten Frau Bulmahn auf:
Warum hat die Bundesregierung seit 1982 keine Neubearbeitung des zuvor (1973, 1977, 1979) kontinuierlich herausgegebenen Handbuchs „Gesellschaftliche Daten" erstellt?

Wolfgang Vogt (CDU):
Rede ID: ID1105519200
Herr Präsident, wenn die Frau Abgeordnete einverstanden ist, möchte ich die Fragen 39 und 40 gemeinsam beantworten.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1105519300
Die Fragestellerin ist einverstanden. Dann rufe ich auch die Frage 40 der Abgeordneten Frau Bulmahn auf:
Welche sozialpolitischen Schlußfolgerungen will die Bundesregierung durch die Nichtvorlage der Daten vermeiden?
Vogt, Parl. Staatssekretär: Die Bundeszentrale für politische Bildung hat 1983, 1985 und 1987 „Datenreport — Zahlen und Fakten über die Bundesrepublik Deutschland" herausgegeben. Diese Veröffentlichungen entsprechen im Grundsatz dem vom Presse- und Informationsamt der Bundesregierung herausgegebenen Taschenbuch „Gesellschaftliche Daten". Um eine doppelte Berichterstattung zu vermeiden, wurde bislang davon abgesehen, das Taschenbuch „Gesellschaftliche Daten" fortzuführen.
Die neueste Ausgabe „Datenreport 1987", die vom Statistischen Bundesamt und vom Sonderforschungsbereich 3 der Universitäten Frankfurt und Mannheim erarbeitet wurde, erschien als Band 257 der Schriftenreihe der Bundeszentrale für politische Bildung. Die für diese Taschenbücher ausgewerteten Statistiken können überdies ausführlicher aus den Originalquellen entnommen werden.
Das heißt, die Bundesregierung hält keine gesellschaftlichen Daten zurück. Deshalb ist Ihre Annahme, Frau Kollegin, die Bundesregierung wolle durch Nichtvorlage der Daten sozialpolitische Schlußfolgerungen vermeiden, gegenstandslos und haltlos.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1105519400
Ihre erste Zusatzfrage, bitte schön.

Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1105519500
Herr Staatssekretär, teilen Sie die Meinung, daß es für die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes einfacher ist, wenn sie auf eine einheitliche Statistik zurückgreifen können, in der die einzelnen Bereiche zusammengefaßt sind, und daß von daher die Statistiken der einzelnen Ministerien oder der einzelnen Bereiche ein solches Taschenbuch oder eine derartige Zusammenfassung nicht ersetzen?
Vogt, Parl. Staatssekretär: Ich teile diese Auffassung nicht; denn alles verfügbare Material wird dem Bürger durch die Schriftenreihen, die ich hier genannt habe, zugänglich gemacht.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1105519600
Eine zweite Zusatzfrage, bitte schön.

Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1105519700
Herr Staatssekretär, in dem angeführten Handbuch „Gesellschaftliche Daten" wurden auch Daten zur Erwerbstätigkeit veröffentlicht, z. B. zu der Zahl der erwerbstätigen Frauen, differenziert nach Alter und Arbeitszeit und nach der Zahl der Kinder. Es wurden dort auch Daten zu Unfällen und Berufskrankheiten und zur Arbeitszufriedenheit veröffentlicht, was der subjektiven Einschätzung unterliegt. Dies ist in den von Ihnen genannten Unterlagen nicht mehr ersichtlich und wird dort auch nicht mehr veröffentlicht. Ich frage Sie: Beabsichtigen Sie, in Zukunft auch Befragungen vorzunehmen und Daten der Bürgerinnen und Bürger unserer Bundesrepublik in den unterschiedlichsten Bereichen zu veröffentlichen, die auf subjektiven Einstellungen beruhen?
Vogt, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, zunächst einmal darf ich Sie darauf verweisen, daß ja die Bundesanstalt für Arbeit monatlich ihren Bericht mit umfangreichem statistischen Matrial veröffentlicht. Die Bundesanstalt für Arbeit veröffentlicht ferner jedes Jahr eine Analyse der Struktur und der Bewegung auf dem Arbeitsmarkt, in der gerade Fragen beantwortet werden, wie Sie sie am Anfang Ihrer zweiten Frage gestellt haben.
Ich verweise dann im übrigen auf den Unfallverhütungsbericht, den die Bundesregierung diesem Hause vorlegt und der derzeit im Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung beraten wird. Die Bundesregierung wird durch unabhängige Forschungsinstitute in den von Ihnen genannten Bereichen jeweils Untersuchungen durchführen lassen, wenn sie dies als erforderlich ansieht.
Im übrigen gibt es zu den Fragen, die Sie angesprochen haben, auch Untersuchungen, die nicht von der Bundesregierung in Auftrag gegeben worden sind. Hier liegt Material vor, das jeweils ausgewertet werden kann.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1105519800
Eine weitere Zusatzfrage, bitte schön.

Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1105519900
Verstehe ich Sie richtig, daß Sie nicht beabsichtigen, in Zukunft eine Zusammenstellung dieser Daten, die ich eben genannt habe, herauszugeben und der Öffentlichkeit in einem Handbuch zugänglich zu machen?
Vogt, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, ich will noch einmal bestätigen, daß wir eine doppelte Berichterstattung vermeiden wollen. Wenn Zahlen, Statistiken und Untersuchungen einmal veröffentlicht sind und diese Veröffentlichung jedermann zugänglich ist, sehen wir es nicht als unbedingt erforderlich an, dann noch einmal in einem gesonderten Band zu berichten.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1105520000
Ihre letzte Zusatzfrage, bitte schön.

Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1105520100
Sind Sie bereit, nach einer Zusammenstellung von mir die Punkte aufzunehmen,



Frau Bulmahn
die z. B. in diesem Handbuch vorhanden sind, nicht jedoch in den Statistiken, die Sie genannt haben?
Vogt, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie mir das schriftlich mitteilen würden. Ich bin gern bereit, das zu beantworten.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1105520200
Weitere Zusatzfragen zu diesen beiden Fragen werden nicht gewünscht.
Jetzt käme an sich die Frage 41 des Abgeordneten Stiegler.

(Stiegler [SPD]: Schriftlich!)

— Ja, ich wollte Sie nur fragen, weil Sie im Saale sind. Bleiben Sie bei Ihrem Wunsch, diese Frage möge schriftlich beantwortet werden? — Ach so, danke schön. Das ist ihr gutes Recht, selbstverständlich. — Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Dann rufe ich die Frage 42 der Abgeordneten Frau Dr. Dobberthien auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, warum nur so wenige Arbeitgeber — 12 v. H. nach einer Studie im Auftrag des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung — grundsätzlich bereit sind, bei gleicher Qualifikation Frauen bevorzugt einzustellen?
Vogt, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, bei der angesprochenen Studie handelt es sich um das Forschungsprojekt „Einstellungsverhalten von Arbeitgebern und Beschäftigungschancen von Frauen", aus dessen ersten Ergebnissen im Rahmen einer Tagung „Frauenförderung in Unternehmen der Bundesrepublik" von der Sozialforschungsstelle Dortmund zitiert wurde. Die Sozialforschungsstelle Dortmund ist das beauftragte Forschungsinstitut.
Unter anderem wurden auch Zwischenergebnisse zu Fragen an Unternehmen vorgestellt, welche Vorschläge zur beruflichen Förderung von Frauen grundsätzlich sinnvoll seien. Insgesamt wurden den Unternehmen zu diesem Fragenkomplex acht verschiedene Antworten vorgelegt mit der Bitte, die vorgeschlagenen Maßnahmen zu bewerten.
In diesem Zusammenhang wurde die Aussage — ich zitiere jetzt — „Bei anstehenden Bewerbungen sollten bei gleichen Qualifikationen Frauen bevorzugt eingestellt werden" mit nur 12 % von den befragten Unternehmen als am wenigsten sinnvoll zur beruflichen Förderung von Frauen angesehen.
Diese Ergebnisse lassen also zu der in Ihrer Frage unterstellten Annahme, nur 12 v. H. seien grundsätzlich bereit, bei gleicher Qualifikation Frauen bevorzugt einzustellen, keine Aussage zu.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1105520300
Zusatzfrage, bitte schön, Frau Abgeordnete.

Dr. Marliese Dobberthien (SPD):
Rede ID: ID1105520400
Herr Staatssekretär, da bin ich etwas anderer Auffassung. Sie sagen, die Arbeitgeber würden es als wenig sinnvoll ansehen, bei gleicher Qualifikation Frauen bevorzugt einzustellen. Meine Frage dazu, Herr Staatssekretär: Wie verträgt sich die von 12 % der befragten Arbeitgeber geäußerte Auffassung mit der von Frau Ministerin Süssmuth wiederholt abgegebenen Erklärung, die Benachteiligung von Frauen im Arbeitsleben abbauen zu helfen?
Vogt, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, die Unternehmen haben auf die zitierte Antwort hin zum Ausdruck gebracht, sie hielten sie für am wenigsten sinnvoll. Sie meinen also, es gebe sinnvollere Gesichtspunkte, die zur Einstellung und zur Förderung der Frauen geltend gemacht werden könnten. Deshalb kann ich Ihre Schlußfolgerung aus dieser Untersuchung, deren Zwischenergebnisse vorgestellt werden, nicht nachvollziehen.

Dr. Marliese Dobberthien (SPD):
Rede ID: ID1105520500
Herr Staatssekretär, dann würde ich aber gerne wissen, welche Schlußfolgerungen Sie aus diesen Äußerungen der Arbeitgeber ziehen bzw. welche Schlußfolgerungen Ihr Ministerium daraus zieht.
Vogt, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, die Unternehmen sind zunächst einmal autonom in der Entscheidung, wie sie Fragen beantworten. Wir werden dann Schlußfolgerungen aus der Untersuchung zu ziehen haben, wenn die endgültige Fassung dieser Untersuchung vorliegt. Ich hatte gesagt: Es ist ein Zwischenergebnis, das der Öffentlichkeit vorgestellt werden sollte. Die Studie wird Ende März 1988 fertiggestellt sein.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1105520600
Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Blunck.

Lieselott Blunck (SPD):
Rede ID: ID1105520700
Herr Staatssekretär, ich möchte noch einmal nach dem Zwischenergebnis fragen. Warum haben Sie sich denn bitte ein Zwischenergebnis geben lassen, wenn sie nicht der Ansicht sind, daß Sie auf Grund dieses Zwischenergebnisses auch schnell Folgerungen ziehen müßten, weil die Arbeitslosigkeit von Frauen extrem angestiegen ist?
Vogt, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, ich kann jetzt nicht die Frage beantworten, warum ein Zwischenergebnis vorgelegt und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden ist. Aber wir sind immer daran interessiert, wie ein Forschungsprojekt in den verschiedenen Stadien abläuft. Deshalb sind wir bei der Fülle von Untersuchungen die wir in Auftrag geben auch immer an Zwischenergebnissen interessiert. Aber die gezielte Frage, warum dieses Zwischenergebnis bekanntgemacht worden ist, bekanntgeworden ist, kann ich nicht beantworten.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1105520800
Abgeordnete Frau Bulmahn wünscht auch eine Zusatzfrage? — Bitte schön.

Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1105520900
Können Sie mir auf der Grundlage der vorigen Antwort beantworten, warum Sie dann überhaupt Modellprojekte mit wissenschaftlicher Begleituntersuchung durchführen, wenn Sie auf Grund dieser Daten und Fakten, die Sie durch diese wissenschaftlichen Begleituntersuchungen oder durch solche Zwischenberichte erhalten, nicht auch konkrete Handlungsalternativen entwickeln wollen?
Vogt, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, es dürfte doch wohl sinnvoll sein, wenn eine Untersuchung in Auftrag gegeben worden ist, das endgültige Resultat abzuwarten, bevor daraus Schlußfolgerungen gezogen werden. Deshalb bin ich nicht bereit, mir den



Parl. Staatssekretär Vogt
Schuh anzuziehen, den Sie gerade hingestellt haben.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1105521000
Offensichtlich gibt es noch einmal den Wunsch zu einer Nachfrage, Herr Staatssekretär. — Bitte sehr.

Dr. Rose Götte (SPD):
Rede ID: ID1105521100
Meinen Sie nicht, Herr Staatssekretär, daß die Zahl 12 % eine klare Tendenz aufzeigt, die auch durch ein endgültiges Ergebnis nicht wesentlich verfälscht werden kann, und wäre es deshalb nicht höchste Zeit, aktiv zu werden?
Vogt, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, ich habe schon vorhin darauf hingewiesen, daß die Unternehmer geantwortet haben, welches Kriterium sie als am wenigsten sinnvoll ansehen. Es ist nicht zitiert worden, welche anderen Gesichtspunkte sie als bedeutsamer ansehen. Das werden wir aus dem Endergebnis der Untersuchung kennenlernen, und dann wird in die Bewertung einzutreten sein, und wir werden dann gemeinsam beraten müssen, ob, gegebenenfalls wie, auf das Verhalten der hier angesprochenen Personen Einfluß genommen werden kann.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1105521200
Eine weitere Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Schmidt (Nürnberg).

Renate Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1105521300
Herr Staatssekretär, Sie haben sehr gut aus diesem Zwischenbericht zitiert. Dann wissen Sie sicherlich, welche sinnvolleren Möglichkeiten die Arbeitgeber gesehen haben. Können Sie uns beispielhaft — nicht vollständig — die eine oder andere nennen?
Vogt, Parl. Staatssekretär: Nein, kann ich nicht nennen, will es auch nicht, selbst wenn ich es derzeit könnte, weil aus diesem Zwischenergebnis möglicherweise Schlußfolgerungen gezogen werden, die aus dem Gesamtergebnis der Untersuchung nicht gezogen werden können.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1105521400
Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Lippelt.

Dr. Helmut Lippelt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1105521500
Herr Staatssekretär, betreiben Sie Forschung „just for fun"?
Vogt, Parl. Staatssekretär: Ich nehme an, daß aus dem Interesse und aus den Zusatzfragen Ihrer Kolleginnen hervorgeht, daß hier schon ein bedeutsamer Komplex erforscht wird. Wir werden immer dann die Schlußfolgerungen ziehen, wenn das Ergebnis vorliegt, Herr Kollege.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1105521600
Bitte sehr.

Prof. Monika Ganseforth (SPD):
Rede ID: ID1105521700
Herr Staatssekretär, ich möchte wissen, wann das Endergebnis vorliegt, nachdem Sie uns jetzt nichts Genaueres sagen können.
Vogt, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, vielleicht sind Sie durch Gespräche abgelenkt worden, ich hatte es vorhin genannt: Das Ergebnis wird Ende März vorliegen, vielleicht wird es auch Anfang April, aber jedenfalls in wenigen Wochen. Dann werden wir genügend Gelegenheiten haben, gemeinsam Konsequenzen zu ziehen.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1105521800
Ich hoffe, daß Sie sich nun nicht mehr zu wiederholen brauchen, Herr Staatssekretär, denn es liegen weitere Wortmeldungen zu diesem Bereich nicht vor.
Ich rufe die Frage 43 des Abgeordneten Werner auf:
Wie gedenkt die Bundesregierung die Anpassungsstrategien bei der Sicherung der Renten und des Nachwuchses (Bundesminister Dr. Schäuble am 11. Dezember 1987) zu verändern in Richtung auf eine die sozialen Systeme sichernde Strategie, die sowohl den Bereich des Familienlastenausgleichs als auch den Erwerb von Rentenansprüchen im Sinne eines Drei-Generationen-Vertrages zusammenbetrachtet und Maßnahmen der Familienförderung durchgängig berücksichtigt?
Vogt, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, in einer Arbeitsgruppe aus Vertretern der Koalitionsfraktionen unter dem Vorsitz des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung werden zur Zeit Einzelfragen der Strukturreform in der gesetzlichen Rentenversicherung besprochen. Hierzu gehört auch die von Ihnen angesprochene Frage. Entscheidungen zu Einzelfragen sind noch nicht gefällt.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1105521900
Zusatzfrage, bitte schön, Herr Abgeordneter Werner.

Herbert Werner (CDU):
Rede ID: ID1105522000
Habe ich Sie im Zusammenhang richtig dahin gehend verstanden, daß Sie dabei auch Erziehungsleistungen der Familie, sei es in Form der Staffelung von Beiträgen, sei es durch die Schaffung bzw. Verstärkung von Rentenansprüchen für Mütter, in besonderem Maße in Ihre Überlegungen einbeziehen?
Vogt, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Werner, das, was Sie als Fragestellung und als zusätzliche Fragestellung hier angesprochen haben, werden wir in der genannten Arbeitsgruppe erörtern.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1105522100
Weitere Zusatzfrage, bitte schön.

Herbert Werner (CDU):
Rede ID: ID1105522200
Darf ich Sie dann des weiteren fragen, ob nach Ihrer Auffassung und nach Auffassung der Kommission, soweit sich dies bisher absehen läßt, bei jeder Regelung etwa von Selbstbeteiligungen im Gesundheitswesen aber auch bei Regelungen etwa zur Neufestsetzung von Renten, in Zukunft der Gesichtspunkt der Zahl der Kinder jeweils besondere Berücksichtigung finden müßte?
Vogt, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich bitte um Verständnis: Es sind keine Entscheidungen in Einzelfragen getroffen worden. Deshalb kann ich Ihre Frage nicht beantworten.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1105522300
Frau Abgeordnete Blunck.

Lieselott Blunck (SPD):
Rede ID: ID1105522400
Herr Staatssekretär, würden Sie mir zustimmen, daß die beste Familienförderung die Förderung von Frauen ist? Ich sage das ausdrücklich auch im Hinblick auf die vorher gestellte Frage.
Vogt, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, nach meinem Verständnis — ich weiß nicht, ob das auch Ihr Verständnis ist — gehören zu einer Familie eine Mutter, ein Vater — darauf lege ich persönlich wert —, und auch Kinder sind für eine Familie wichtig. Zur



Parl. Staatssekretär Vogt
Förderung einer Familie gehört die Förderung von Müttern, von Frauen, von Männern, von Vätern und von Kindern.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1105522500
Frau Abgeordnete Schmidt (Nürnberg).

Renate Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1105522600
Herr Staatssekretär, darf ich in Anlehnung an die Frage des Kollegen Werner fragen, ob sich die Regierung nicht nur die Sicherung der Renten, sondern auch die Sicherung des Nachwuchses zum Ziel gesetzt hat, was darunter zu verstehen ist und wie die Bundesregierung dieses dann gegebenenfalls tun will?
Vogt, Parl. Staatssekretär: Die gesetzliche Rentenversicherung ist kein Instrument der Bevölkerungspolitik.

(Frau Schmidt [Nürnberg] [SPD]: Das wollte ich hören!)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1105522700
Weitere Wortmeldungen für den Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung liegen nicht vor. — Herr Staatssekretär, wir bedanken uns für Ihre Bemühungen und Ihre Geduld.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung.
Sämtliche Fragen, die Frage 44 des Abgeordneten Dr. Feldmann und die Fragen 45 und 46 der Frau Abgeordneten Fuchs (Verl), sollen schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit. Zur Beantwortung der Fragen steht uns der Parlamentarische Staatssekretär Pfeifer zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 47 der Frau Abgeordneten Blunck auf:
Ist der Bundesregierung die Studie der „US-Consumer Product Safety Commission" aus dem September 1985 bekannt, in der nachgewiesen wird, daß Diethylhexylphthalat (DEHP) herz- und leberschädigend ist, die Entwicklung der männlichen Sexualorgane stört, die Zeugungsfähigkeit vermindert und Leberkrebs verursacht, und warum wurden aus dieser Studie noch keine Konsequenzen (z. B. Verbot der Verwendung von PVC mit DEHP für Spielsachen) gezogen?
Herr Staatssekretär, Sie haben das Wort.

Anton Pfeifer (CDU):
Rede ID: ID1105522800
Herr Präsident! Frau Kollegin Blunck, die in der Anfrage genannte Studie aus den USA von 1985 ist bekannt. In der Zwischenzeit sind weitere Untersuchungen zum Stoffwechsel- und Wirkungsmechanismus von DEHP bei verschiedenen Tierarten durchgeführt worden. Auf Grund dieser Untersuchungen ist das Bundesgesundheitsamt zu der Auffassung gelangt, daß die bei Ratten und Mäusen festgestellte krebserzeugende Wirkung von DEHP für den Menschen nicht relevant ist

(Frau Garbe [GRÜNE]: Also, da haben wir es mal wieder! Warum macht man dann so eine Untersuchung? Das ist der vierte Fall! Das ist nicht zu fassen!)

und daß eine gesundheitsschädigende Wirkung von Kunststoffspielzeug, das DEHP als Weichmacher enthält, somit nicht anzunehmen ist.
Gleichwohl besteht aus Gründen des vorbeugenden Gesundheitsschutzes bereits seit Jahren eine Empfehlung des Bundesgesundheitsamtes, nach der der Weich-PVC nur dann zur Herstellung von Spielwaren verwendet werden darf, wenn diese so groß sind, daß sie von Kindern als Ganzes nicht in den Mund genommen oder verschluckt werden können und von ihnen keine kleinen Stücke abgebissen oder abgebrochen werden können. Beim Anfassen und Ablecken solcher Spielwaren aus Weich-PVC findet nur ein sehr geringer Weichmacherübergang statt, so daß hierfür nach Auffassung des Bundesgesundheitsamtes keine weiteren Einschränkungen erforderlich waren.
Im übrigen werden derzeit zur weiteren gesundheitlichen Abschätzung von DEHP eine Reihe von Forschungsvorhaben durchgeführt. Das Bundesgesundheitsamt wird zu DEHP eine Sachverständigenanhörung durchführen. Sollten sich hieraus neue Erkenntnisse ergeben, auf Grund derer angenommen werden muß, daß Spielzeug, das den Stoff DEHP enthält, geeignet ist, die Gesundheit zu schädigen, würde solches Spielzeug nach den Verbotsvorschriften des § 30 des Lebensmittel- und Bedarfsgegenständegesetzes weder hergestellt noch in den Verkehr gebracht werden dürfen.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1105522900
Zusatzfrage, bitte schön.

Lieselott Blunck (SPD):
Rede ID: ID1105523000
Auf welche Untersuchungen stützt sich die Bundesregierung bei der von Ihnen hier vorgetragenen Behauptung, daß die bei Mäusen und Ratten beobachtete krebserregende Wirkung auf den Menschen nicht übertragbar ist und aus welchem Grund sind dann überhaupt Tierversuche durchgeführt worden, und handelt es sich hier nicht um dieselbe Situation, die wir häufig erleben, nämlich das Hin- und Herschieben, gerade so, wie es paßt, nämlich daß die Ergebnisse des Tierversuchs einmal übertragbar sind, einmal nicht?
Pfeifer, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, zunächst möchte ich sagen: Ich habe hier die Position des Bundesgesundheitsamts dargestellt; eine Position, die sich aus der wissenschaftlichen Diskussion ergibt.
Nach den mir vorliegenden Informationen hat das Bundesgesundheitsamt eine ganze Reihe von Untersuchungen herangezogen.

(Frau Blunck [SPD]: Welche?) — Eine ganze Reihe von Untersuchungen.


(Frau Blunck [SPD]: Zum Beispiel?)

Ich habe Ihnen dargelegt, daß auch weitere Untersuchungen herangezogen werden.
Nach den mir vorliegenden Informationen ist es offensichtlich so, daß der Abbaumechanismus von



Parl. Staatssekretär Pfeifer
DEHP im Rahmen des Stoffwechsels bei Ratten und Mäusen anders ist als beim Menschen.
Ich bin aber gern bereit, Ihnen die genauen Belegstellen zur Verfügung zu stellen.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1105523100
Weitere Zusatzfrage.

Lieselott Blunck (SPD):
Rede ID: ID1105523200
Herr Präsident, ich hatte noch mehr Fragen in den einen Satz gepackt.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1105523300
Sie machen mich darauf aufmerksam, daß ich in der Auslegung der Geschäftsordnung nicht scharf genug gewesen bin. Oder was wollten Sie damit zum Ausdruck bringen?

Lieselott Blunck (SPD):
Rede ID: ID1105523400
Ich hätte gern die gesammelte Antwort, nicht nur immer so bruchstückhaft. — Dann möchte ich noch einmal eine Frage stellen.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1105523500
Herr Staatssekretär, wollen Sie noch eine Ergänzung geben, oder sollen wir erst die weitere Frage der Abgeordneten Frau Blunck abwarten?

(Frau Blunck [SPD]: Ich frage weiter!)

— Aber ich bitte, ein bißchen darauf zu achten, daß nicht mehrere Fragen zusammengefaßt werden.

Lieselott Blunck (SPD):
Rede ID: ID1105523600
Herr Präsident, das tue ich doch.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1105523700
Dann ist es ja gut. Bitte schön.

Lieselott Blunck (SPD):
Rede ID: ID1105523800
Wie bewertet die Bundesregierung die Aussage in der Studie der „US-Consumer Product Safety Commission" vom September 1985, daß die in Versuchen mit Nagetieren festgestellten Ergebnisse zur Schädlichkeit von DEHP auch auf den Menschen zutreffen — das steht genau im Gegensatz zu dem, was Sie gesagt haben — und daß als gesichert angesehen werden kann, daß DEHP beim Menschen krebsauslösend ist?
Pfeifer, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, das sind wissenschaftliche Fragen, deren Bewertung durch die Regierung, glaube ich, in mancher Hinsicht eine Überforderung wäre. Das sind Fragen, die die Wissenschaftler — in diesem Fall das Bundesgesundheitsamt — bewerten.

(Frau Blunck [SPD]: Vorbeugender Gesundheitsschutz!)

Ich habe Ihnen hier dargestellt, zu welcher Bewertung das Bundesgesundheitsamt gekommen ist. Ich habe Ihnen auch dargestellt, welche Schlußfolgerung die Bundesregierung gegebenenfalls zöge, wenn solche Schädigungen tatsächlich nachweisbar wären.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1105523900
Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Schmidt (Nürnberg).

Renate Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1105524000
Herr Staatssekretär, Sie haben sich hier nur auf die krebserregende Wirkung bezogen. Die Frage von Frau Kollegin Blunck bezog sich aber auch auf die Herz- und Leberschädigungen. Darüber haben Sie nichts gesagt. Können Sie uns dazu eine Auskunft geben?
Im Zusammenhang mit Ihrer Antwort frage ich: Wie erklären Sie sich, daß im Kinderspielzeug dennoch bis zu 39 % dieser Weichmacher enthalten sind?
Pfeifer, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, was die anderen Schädigungen angeht, werden diese vom Bundesgesundheitsamt selbstverständlich mit in die Überprüfungen einbezogen.
Was den von Ihnen geschilderten Fall angeht, bitte ich, damit einverstanden zu sein, daß ich bei der Beantwortung der nächsten Frage dazu Stellung nehme.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1105524100
Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Lippelt.

Dr. Helmut Lippelt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1105524200
Herr Staatssekretär, Sie haben sich bei Ihrer ersten Antwort auf eine Fülle von Unterlagen und Forschungen bezogen. Haben Sie auch nur davon eine einzige einmal auf Ihrem Schreibtisch gehabt, und können Sie deren Titel nennen?
Pfeifer, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich bin gern bereit, Ihnen die Belegstellen für diese einzelnen Untersuchungen zu nennen. Mir ist z. B. bekannt, daß sich auch das Krebsforschungszentrum in Heidelberg dieser Frage annimmt und im Augenblick dabei ist, hierzu Forschungsergebnisse zu erarbeiten.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1105524300
Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Weyel.

Gudrun Weyel (SPD):
Rede ID: ID1105524400
Herr Staatssekretär, Sie haben vorhin darauf hingewiesen, daß das Verbot für Spielzeuge gilt, die ganz oder in Teilen in den Mund gesteckt werden können. Gibt es konkretere Ausführungen darüber, wann diese Grenze erreicht ist, oder wie sieht das im einzelnen aus?
Pfeifer, Parl. Staatssekretär: Dieses sind Fragen, die die Überwachungsbehörden feststellen müssen. Die Überwachungsbehörden sind die zuständigen Behörden der Länder.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1105524500
Zusatzfrage des Abgeordneten Schily.

Otto Schily (SPD):
Rede ID: ID1105524600
Herr Staatssekretär, ist Ihnen aufgefallen, daß Sie die Frage meines Kollegen Dr. Lippelt soeben überhaupt nicht beantwortet haben, und hätten Sie die Güte, auf die Frage in der Weise zu antworten, ob Ihnen eine dieser wissenschaftlichen Ausarbeitungen in der Tat jemals auf dem Tisch gelegen hat und Sie sich vielleicht auch in einige Sätze vertieft haben?
Pfeifer, Parl. Staatssekretär: Also, Herr Kollege Schily, ich bin nicht der Meinung, daß es meine Aufgabe ist, hier im einzelnen darzustellen, wie ich mich auf eine Fragestunde vorbereite. Aber ich möchte Ihnen sagen, daß ich gerade bei diesen Fragen sehr sorgfältig vorgegangen bin. Diese Fragen sind beispielsweise auch gestern und vorgestern von mir im Bundesgesundheitsamt erörtert worden.

(Schily [GRÜNE]: Das ist wiederum nicht die Antwort auf die Frage!)





Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1105524700
Bitte sehr, eine Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Dr. Götte.

Dr. Rose Götte (SPD):
Rede ID: ID1105524800
Herr Staatssekretär, mich hat in Ihrer Antwort verwirrt, daß Sie eine Gefahr — wenn überhaupt — nur bei solchen Spielsachen erkennen wollen, die klein genug sind, um in Gänze in den Mund gesteckt zu werden. Weiß denn das Bundesgesundheitsamt nicht, daß Kleinkinder alles in den Mund nehmen, auch den Kinderwagen, auch den Laufstall, daß sie sich an der Größe des Gegenstandes überhaupt nicht orientieren, sondern ihre Umgebung mit dem Mund erforschen?
Pfeifer, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, es geht im Kern darum, daß es in der Tat auch Gebrauchsgegenstände gibt, die Kinder häufiger und intensiver in den Mund nehmen. Wir werden nachher bei Ihren Fragen, beispielsweise in bezug auf Schnuller, auf die Sache noch einmal zurückkommen.
Hier handelt es sich um Gegenstände, um Spielsachen, die nur für einen sehr kurzen Zeitraum entweder in den Mund genommen oder abgeleckt werden. In dem Augenblick, in dem die Gefahr besteht, daß solche Spielsachen von Kindern beispielsweise verschluckt werden können — das habe ich in meiner Antwort gesagt — , ist die Sache natürlich anders zu beurteilen.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1105524900
Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Dr. Dobberthien.

Dr. Marliese Dobberthien (SPD):
Rede ID: ID1105525000
Herr Staatssekretär, habe ich Sie richtig verstanden, daß also dann, wenn die Überwachung bei den Behörden der Länder liegt, die Behörden der Länder bei kleinen, verschluckbaren Gegenständen im Kinderzimmer auftauchen und überwachen, ob die Kinder so etwas verschlucken, während bei den großen Teddybären keiner etwas überwacht, obwohl die Kinder in die Teddybären ja genauso hineinbeißen können?
Pfeifer, Parl. Staatssekretär: Ich meine, daß die Länder eine ganz erhebliche Erfahrung auch im Umgang mit dieser Thematik haben. Darüber hinaus habe ich ausdrücklich darauf hingewiesen, daß die Sache anders zu beurteilen ist, wenn die Gefahr besteht, daß beispielsweise bestimmte Dinge abgebissen werden können.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1105525100
Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Ganseforth.

Prof. Monika Ganseforth (SPD):
Rede ID: ID1105525200
Herr Staatssekretär, ich möchte noch einmal auf die wissenschaftlichen Unterlagen zu sprechen kommen, auf die Sie das Urteil stützen, daß die Ergebnisse aus Tierversuchen mit Weichmachern nicht auf Menschen übertragen werden können. Sind die Untersuchungen, auf die Sie sich beziehen, aus der neuesten Zeit? Denn in dieser hier angesprochenen Studie wird nachgewiesen, daß es eine veraltete Auffassung ist, daß ausgeschlossen werden kann, daß die krebserzeugende Wirkung auch bei Menschen eintreten kann.
Pfeifer, Parl. Staatssekretär: Die Studien, auf die sich das Bundesgesundheitsamt — darauf muß ich immer wieder hinweisen — bezieht, sind zum Teil auch Studien, die nach 1985, also nach Vorlage dieser US-Studie, gefertigt worden sind. Ich habe soeben im Zusammenhang mit einer Zusatzfrage bereits darauf hingewiesen, daß im Augenblick auch eine Studie des Krebsforschungszentrums in Heidelberg, die diese Fragestellung mit einschließt, durchgeführt wird.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1105525300
Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Garbe.

Charlotte Garbe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1105525400
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, das DEHP nur ein Phthalat von vielen ist, das vor allem in Polyvinylchlorid eingearbeitet wird, und sind Sie meiner Meinung, daß dieser Stoff maßgeblich zur Verschlechterung der toxischen Gesamtsituation beiträgt?
Pfeifer, Parl. Staatssekretär: Auch hier ist das Bundesgesundheitsamt nach meinen Informationen darum bemüht, die ganze Palette der Gefährdungen mit in die Überlegungen einzubeziehen.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1105525500
So, nun kann ich die Frage 48 der Abgeordneten Frau Blunck aufrufen:
Welche Schlußfolgerungen zieht die Bundesregierung aus dem Bericht des Magazins „ZAK" (WDR III), daß in PVC-Spielzeug für Kleinkinder der krebsauslösende Weichmacher DEHP in Konzentrationen von bis zu 32 Gewichtsprozenten enthalten ist, und warum wurde die Verwendung dieses Weichmachers für PVC-Spielzeug bisher noch nicht verboten?
Pfeifer, Parl. Staatssekretär: Erst durch Berichte in den Medien und auf Nachfrage hat das Bundesgesundheitsamt von den Untersuchungsergebnissen des Chemischen Landesuntersuchungsamtes Stuttgart Kenntnis erhalten, wonach im Jahre 1987 in einem Beißring ein Gehalt von 33 % DEHP nachgewiesen worden ist. Im Interesse des vorbeugenden Gesundheitsschutzes hat das Bundesministerium für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit das Bundesgesundheitsamt beauftragt, eine spezielle Empfehlung für Kunststoffe zu erarbeiten, die mit den Schleimhäuten in Kontakt kommen. Dabei sollen die für Kleinkinder bestimmten Gegenstände vorrangig behandelt werden. An Hand der Ergebnisse der anstehenden Neubewertung von DEHP wird das Bundesministerium für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit prüfen, ob über die Empfehlungen des Bundesgesundheitsamtes hinaus im Rahmen des vorbeugenden Gesundheitsschutzes ein Verbot nach § 32 Abs. 1 des Lebensmittel- und Bedarfgegenständegesetzes für diesen Stoff in bestimmten Kunststoffgegenständen vorzusehen ist, die von Kindern in den Mund genommen werden. Voraussetzung hierfür ist, daß eine ausreichende und wissenschaftlich abgesicherte gesundheitliche Bewertung vorliegt, die auch einer Überprüfung unter den Gesichtspunkten der Art. 30 und 36 des EG-Vertrages standhält.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1105525600
Zusatzfragen? — Bitte sehr, Frau Abgeordnete Blunck.

Lieselott Blunck (SPD):
Rede ID: ID1105525700
Herr Staatssekretär, ich werde es nicht tun, aber ich hätte nicht übel Lust, mich belehren zu lassen, wie in Ihren Augen die Definition von vorbeugendem Gesundheitsschutz aussieht. Ich möchte nur die Frage anschließen: Ist die Bundesre-



Frau Blunck
gierung der Auffassung, daß es vorbeugender Gesundheitsschutz ist, wenn von seiten des Bundesgesundheitsamtes dazu aufgefordert wird, bei Knetgummi auf Warnhinweise zu achten, statt die Verwendung von PVC mit dem Weichmacher DEHP generell zu verbieten?

(Beifall der Abg. Frau Garbe [GRÜNE])

Pfeifer, Parl. Staatssekretär: Hier ist es so, daß in einem Gespräch am 17. Februar im Bundesministerium für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit mit Vertretern der betroffenen Wirtschaft, der Verbraucherschaft, der Überwachungsbehörden und des Bundesgesundheitsamtes ein Ergebnis erzielt worden ist, das folgendes enthält:
Weichmacherhaltige Modelliermassen zur Herstellung kunstgewerblicher Gegenstände, die nach der Bearbeitung im Backofen gehärtet werden, sollen nur von Erwachsenen verwendet werden. Gelangen sie in Kinderhände, so besteht die Gefahr, daß Teile dieser Modelliermassen in der Tat verschluckt werden. Außerdem läßt sich nicht ausschließen, daß die beim Härten entstehenden Dämpfe eingeatmet werden. Da die gesundheitliche Bewertung der dabei auf Kinder einwirkenden Stoffe zur Zeit nicht abschließend möglich ist, werden die Hersteller diese Erzeugnisse umgehend mit folgendem Warnhinweis versehen: Kein Kinderspielzeug, Gefahr von Gesundheitsschäden beim Verschlucken und beim Einatmen von Dämpfen. Die für die Überwachung von Bedarfsgegenständen zuständigen Landesbehörden sind gebeten worden, auf die Einhaltung dieser Ergebnisse zu achten.
Das macht deutlich, daß dort, wo es sich um Knete handelt, die die Erwachsenen verwenden können, der entsprechende Warnhinweis für Kinder erfolgt. Für ein Verbot der Verwendung solcher Knetmassen auch für Erwachsene ist eine Grundlage nicht gegeben.

Lieselott Blunck (SPD):
Rede ID: ID1105525800
Herr Präsident, ich habe eine Frage zur Geschäftsordnung. Darf ich sie stellen?

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1105525900
Aber bitte.

Lieselott Blunck (SPD):
Rede ID: ID1105526000
Ich habe den Eindruck, daß der Herr Staatssekretär meine Frage nicht verstanden hat. Könnte ich sie vielleicht wiederholen, damit er mir eine Antwort auf meine Frage geben kann?

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1105526100
Frau Abgeordnete, bitte wiederholen Sie die Frage. Ich habe mir eben schon überlegt, ob das eine Beantwortung Ihrer Frage war, weil sie im Zusammenhang mit den Kindern gestellt worden ist. Im Umkehrschluß könnte ich darin eine Antwort sehen.
Herr Staatssekretär, wenn Sie vielleicht noch ergänzen würden, dann brauchten wir uns nicht der Mühe zu unterziehen, die Frage durch die Abgeordnete Blunck neu stellen zu lassen.

Lieselott Blunck (SPD):
Rede ID: ID1105526200
Ich würde das sehr kurz machen.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1105526300
Okay, dann bitte schön.

Lieselott Blunck (SPD):
Rede ID: ID1105526400
Ich möchte gern noch mal nach dem vorbeugenden Gesundheitsschutz fragen. Warum bitte statt Warnhinweis nicht Verbot von Weichmachern, unter dem Gesichtspunkt des vorbeugenden Gesundheitsschutzes, Herr Staatssekretär?

(Beifall des Abg. Schily [GRÜNE])

Pfeifer, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, das habe ich in meinem abschließenden Satz zu Ihrer Zusatzfrage zu erklären versucht. Diese Knetmasse wird von Erwachsenen verwendet, beispielsweise im Rahmen von Tonarbeiten. Sie soll Kindern nicht zugänglich gemacht werden.

(Schily [GRÜNE]: Ich glaube, dieser Staatssekretär ist selber eine Knetmasse!)

In einer solchen Situation muß eine differenzierte Handhabung möglich sein, nämlich daß Erwachsene, die das verwenden können, ohne daß Gefährdungen entstehen

(Frau Flinner [GRÜNE]: Das stimmt ja nicht!)

— die Erwachsenen nehmen das nicht in den Mund und können sich gegenüber dem Einatmen von Dämpfen schützen —,

(Frau Flinner [GRÜNE]: Aber die Dämpfe atmen sie ein!)

sie weiter verwenden können, aber gleichzeitig darauf geachtet wird, daß das nicht in die Hände von Kindern kommt.

(Frau Blunck [SPD]: Vorbeugender Gesundheitsschutz!)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1105526500
Frau Abgeordnete, nun haben Sie die Möglichkeit, eine weitere Zusatzfrage zu stellen. Aber ich bitte, ein ganz klein wenig darauf zu achten, daß wir uns nicht in einer Diskussion, sondern in einer Fragestunde befinden.

Lieselott Blunck (SPD):
Rede ID: ID1105526600
Das ist so schwierig, wenn der zu Fragende nicht bereit ist — —

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1105526700
Überstrapazieren Sie bitte auch nicht die Großzügigkeit des Präsidenten. Sie haben nunmehr die Möglichkeit, eine Frage zu stellen.

Lieselott Blunck (SPD):
Rede ID: ID1105526800
Ist der Bundesregierung bekannt, daß DEHP auch über die Haut aufgenommen werden kann, und welche Konsequenzen wird die Bundesregierung daraus für die Verwendung von DEHP-haltigem PVC in Spielsachen wie z. B. Bällen, ziehen?
Pfeifer, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, da muß ich das Bundesgesundheitsamt bitten, zu dieser Frage Stellung zu nehmen. Ich bin gerne bereit, Ihnen dann diese Stellungnahme zur Verfügung zu stellen.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1105526900
Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Schmidt (Nürnberg).




Renate Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1105527000
Herr Staatssekretär, noch einmal zum Kinderspielzeug: Sie haben eben gesagt, daß es sich hier um einen Beißring handelt. Wir haben auf Grund von Fernsehsendungen und auf Grund der Ergebnisse der von Ihnen zitierten Landesforschungsanstalt die Gewißheit, daß z. B. auch in Micky-Maus-Bällen und in anderen Kinderspielzeugartikeln DEHP-Anteile um die 30 % — 29, 30, 31, 32 % — enthalten sind. Halten Sie es, wenn Sie feststellen, daß Ihre Empfehlungen schlicht und einfach nicht wahrgenommen werden, für richtig, daß man diesen Stoff dann verbietet, oder glauben Sie, daß erhebliche volkswirtschaftliche Interessen betroffen sind, wenn wir solche Micky-Maus-Bälle aus anderen Stoffen herstellen?
Pfeifer, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, was die volkswirtschaftlichen Interessen angeht, können Sie davon ausgehen, daß die Bundesregierung allen Möglichkeiten und Notwendigkeiten des Gesundheitsschutzes den Vorrang gibt. Wir müssen auf der anderen Seite -- das habe ich in der Antwort auf die Anfrage von Frau Kollegin Blunck zum Ausdruck gebracht — deutlich machen, daß wir abgesicherte gesundheitliche Bewertungen brauchen, wenn wir z. B. Verbotsmaßnahmen ergreifen wollen. Das ergibt sich aus der gesamten rechtlichen Situation, wie sie im übrigen auch innerhalb der EG besteht.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1105527100
Zusatzfrage des Abgeordneten Penner.

Dr. Willfried Penner (SPD):
Rede ID: ID1105527200
Herr Staatssekretär, können Sie mir erklären, warum sich die Bundesregierung beim vorbeugenden Gesundheitsschutz so schwertut, hingegen beim Erfinden immer neuer Strafrechtslücken im Bereich der inneren Sicherheit rege Aktivitäten entwickelt?
Pfeifer, Parl. Staatssekretär: Ich halte es nicht für zulässig, Herr Kollege, das eine in einen Vergleich zu dem anderen zu stellen.

(Frau Schmidt [Nürnberg] [SPD]: Der Gesundheitsschutz ist wichtiger!)

Die Bundesregierung tut sich, was den vorbeugenden Gesundheitsschutz angeht, nicht schwer, sondern die Bundesregierung bemüht sich, alle zur Verfügung stehenden wissenschaftlichen Informationen in die Beratungen des Bundesgesundheitsamtes einzubeziehen. Die Bundesregierung ist davon überzeugt, daß auch das Bundesgesundheitsamt alle diese Informationen in seine Überlegungen einbezieht. Daraus ziehen wir dann die notwendigen Schlußfolgerungen.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1105527300
Ehe ich der Abgeordneten Frau Teubner das Wort zu einer Zusatzfrage gebe, würde ich dem Abgeordneten Penner einmal empfehlen, darüber nachzudenken, welcher direkte Zusammenhang zwischen der ursprünglichen Frage und der von ihm gestellten Frage besteht.

(Dr. Penner [SPD]: Herr Präsident, Sie haben mich angesprochen! Die Frage beantwortet sich von selbst: Sie haben sie nämlich zugelassen!)

Frau Abgeordnete Teubner, Sie haben das Wort.

Maria Luise Teubner (DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90):
Rede ID: ID1105527400
Herr Staatssekretär, Sie haben eben gesagt: Um Maßnahmen zu ergreifen, brauchen Sie abgesicherte wissenschaftliche Grundlagen. Ich möchte Sie fragen, wie sich dieses Prinzip zu der Aussage der Bundesregierung in den Leitlinien der Bundesregierung zur Umweltvorsorge, kurz „Leitlinien Umweltvorsorge", vom September 1986 verhält, wo Sie sagen — ich zitiere —
Die Realität der Risiken, die Stoffeinträge vor allem langfristig für Mensch und Umwelt verursachen können, darf nicht mit dem Hinweis darauf angezweifelt werden, die drohenden Auswirkungen könnten nicht oder noch nicht in Zahlen ausgedrückt werden.
Würden Sie mir in diesem Zusammenhang einmal definieren, was Sie unter vorbeugender Gesundheitsvorsorge verstehen?
Pfeifer, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, zu dem, was Sie hier aus diesen Leitlinien vorgetragen haben, habe ich nur zu sagen, daß ich das nachdrücklich unterstütze. Hier besteht auch kein Widerspruch zu den Aussagen, die im Zusammenhang mit DEHP gemacht worden sind, weil hier das Bundesgesundheitsamt alle Möglichkeiten bis hin zu Untersuchungen, die erst in der nächsten Zeit vorgelegt werden und bei denen sich das Bundesgesundheitsamt um Zwischenergebnisse bemüht, ausschöpft, um zu einer richtigen Bewertung zu kommen. Vorbeugender Gesundheitsschutz heißt, daß aus diesen Bewertungen dann alle Konsequenzen gezogen werden, die notwendig sind, um in diesem Fall Kinder vor gesundheitlichen Gefährdungen zu schützen.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1105527500
Zusatzfrage der Frau Abgeordneten Ganseforth.

Prof. Monika Ganseforth (SPD):
Rede ID: ID1105527600
Herr Staatssekretär, ist es nicht sinnvoll, unter vorbeugendem Gesundheitsschutz zu verstehen, daß man nicht erst abwartet, bis diese Bewertungen ergeben, daß das DEHP gesundheitsschädlich ist? Sollte es nicht vielmehr vorbeugender Gesundheitsschutz sein, daß man das aus dem Verkehr zieht, bis erwiesen sein sollte, daß es da tatsächlich keinen Zusammenhang mit gefährlichen und toxischen Wirkungen gibt?
Pfeifer, Parl. Staatssekretär: Es geht darum, festzustellen, ob etwas gesundheitsgefährdend, gesundheitsschädigend ist oder nicht. Das ist eine Frage, die die Wissenschaftler aus ihrer Verantwortung heraus beantworten müssen. Das ist dann eine Antwort, aus der das Bundesgesundheitsamt seine Empfehlung ableitet. Die Bundesregierung wird nicht zögern, die notwendigen Schlußfolgerungen aus diesen Empfehlungen zu ziehen.

(Frau Ganseforth [SPD]: Das ist doch nicht vorbeugend!)

Das haben wir bisher immer so gemacht. Das werden wir auch in Zukunft so machen.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1105527700
Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Schily.

Otto Schily (SPD):
Rede ID: ID1105527800
Herr Staatssekretär, haben Sie nicht nach dem Verlauf der heutigen Fragestunde mit



Schily
mir den Eindruck, daß Ihre Erklärungen politische Knetmasse darstellen, die extrem umweltgefährlich ist?

(Heiterkeit und Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

Pfeifer, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Schily, das ist ein Vorwurf, den Sie verantwortlichen Wissenschaftlern machen, die an dieser Sache mit großem Zeitaufwand und auch großem Engagement arbeiten. Ich halte diesen Vorwurf an die Adresse dieser Wissenschaftler nicht für gerechtfertigt. Ich bin der Meinung, daß beispielsweise nicht nur die Mitarbeiter des Bundesgesundheitsamtes, sondern genauso die Wissenschaftler des Krebsforschungszentrums in Heidelberg, die sich mit dieser Frage befassen, sich mit dem in dieser Sache notwendigen Verantwortungsbewußtsein bemühen, zur richtigen Bewertung zu kommen. Ich wäre deswegen vorsichtig mit solchen Vorwürfen an die Adresse der Leute, die sich hier um eine richtige Bewertung bemühen. Die Bundesregierung — das habe ich mehrmals gesagt — wird sofort alle Schlußfolgerungen ziehen, die sich aus solchen Bewertungen ergeben. Aber wir können hier nicht Maßnahmen gewissermaßen auf Verdacht ergreifen,

(Zuruf von der SPD: Vorbeugend!)

ohne daß sich hierfür irgendwelche Grundlagen aus Empfehlungen des Bundesgesundheitsamtes ergeben.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1105527900
Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Seidenthal.

Bodo Seidenthal (SPD):
Rede ID: ID1105528000
Herr Staatssekretär, wie viele Kinder müssen erkranken oder sterben, bis Sie vorbeugend tätig werden?
Pfeifer, Parl. Staatssekretär: Ich bin absolut sicher, daß das Bundesgesundheitsamt, wenn Befürchtungen, wie Sie sie hier äußern, zu Recht bestünden, bereits Empfehlungen gegeben hätte.

(Schily [GRÜNE]: Woher wissen Sie das?)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1105528100
Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Garbe.

Charlotte Garbe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1105528200
Ist es richtig, daß dann, wenn das Bundesgesundheitsamt einen Stoff beurteilt hat, diese Beurteilung erst noch von der MAK-Kommission (Maximale Arbeitsplatz-Konzentration) beurteilt werden muß und diese MAK-Kommission immerhin eine Reihe von Mitgliedern hat, die in der chemischen Industrie sind?
Pfeifer, Parl. Staatssekretär: Es handelt sich hier um eine Kommission der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Ich bin nicht der Meinung, daß man der Deutschen Forschungsgemeinschaft solche Vorhaltungen machen sollte. Selbstverständlich werden auch diese Überlegungen einbezogen. Aber ich sage noch einmal: Die Empfehlungen des Bundesgesundheitsamtes sind dann für die Schlußfolgerungen maßgeblich, die auch die Bundesregierung zieht.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1105528300
Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Götte.

Dr. Rose Götte (SPD):
Rede ID: ID1105528400
Herr Staatssekretär, wie kommt es denn, daß die Kommunikation zwischen den einzelnen Ländern und auch zwischen dem Bundesgesundheitsamt und den Universitäten, was Forschungsergebnisse betrifft, so schleppend vorangeht, daß das Bundesgesundheitsamt immer meint, es müsse erst noch eigene Untersuchungen in Gang setzen, um nachzuprüfen, was in zahlreichen anderen Untersuchungen bereits bestätigt ist? Können wir uns das leisten, wenn es um Gesundheitsschutz geht?
Pfeifer, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin Dr. Götte, gestern ist in der Sitzung des Bundestagsausschusses für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit im Bundesgesundheitsamt darauf hingewiesen worden, daß das Bundesgesundheitsamt sich um einen sehr engen Kontakt und auch um eine Zusammenarbeit mit den Forschungsinstituten der Universitäten bemüht. Es ist sehr häufig so, daß die Forschungsaufträge, die das Bundesgesundheitsamt in diesen Fragen vergibt, gerade solchen Forschungsinstitutionen übertragen werden.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1105528500
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Lippelt.

Dr. Helmut Lippelt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1105528600
Herr Staatssekretär, im Anschluß an die Fragen meines Kollegen Schily, nach denen Sie die Wissenschaftler so sehr in Schutz nahmen, frage ich Sie: Haben Sie nicht bemerkt, daß das, was uns hier so erregt, nicht Wissensdefizite, sondern Vollzugsdefizite sind?
Pfeifer, Parl. Staatssekretär: Entschuldigen Sie bitte, diese Frage verstehe ich jetzt überhaupt nicht, weil ich hier im einzelnen dargelegt habe, zu welchen Ergebnissen das Bundesgesundheitsamt und die Institute des Bundesgesundheitsamtes, auch die Wissenschaftler im Bundesgesundheitsamt, gekommen sind

(Schily [GRÜNE]: Sie verstehen nichts von vorbeugendem Umweltschutz! Das ist Ihr Problem!)

und daß es hier darum geht, daraus Schlußfolgerungen zu ziehen. Wenn hier aber noch keine Ergebnisse
in dem von Ihnen genannten Sinne vorliegen, gibt es
keinen Grund, hier ein Vollzugsdefizit anzumahnen.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1105528700
Eine Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Bulmahn.

Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1105528800
Herr Staatssekretär, können Sie mir die Frage beantworten, wer Ihrer Meinung nach die politische Verantwortung für Fakten oder Schlußfolgerungen trägt, die sich aus unterschiedlichen wissenschaftlichen Bewertungen ergeben, die aber die Bevölkerung konkret betreffen? Trägt die Regierung diese politische Verantwortung dafür, und ist sie diejenige, die die politischen Beschlüsse fassen muß, oder sind es die einzelnen Wissenschaftler?
Pfeifer, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, wir legen großen Wert darauf — das ist auch gestern noch einmal in der Sitzung des Bundestagsausschusses für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit im Bundesgesundheitsamt ausdrücklich bestätigt worden —, daß die Wissenschaftler nicht unter politischen Vorga-



Parl. Staatssekretär Pfeifer
ben arbeiten sollen, sondern daß die Wissenschaftler den Freiraum und die Freiheit der Wissenschaft zur Verfügung haben müssen. Wenn die Wissenschaftler dann zu Ergebnissen kommen, die zu Empfehlungen führen, dann ziehen wir daraus die entsprechenden Schlußfolgerungen. Das ist dann unsere Verantwortung.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1105528900
Frau Dr. Dobberthien, Sie haben die nächste Zusatzfrage.

Dr. Marliese Dobberthien (SPD):
Rede ID: ID1105529000
Herr Staatssekretär, können Sie mir sagen, wessen Schutz Ihnen mehr am Herzen liegt, der Schutz der Kinder oder der Schutz der Weichmacher?

(Beifall der Abgeordneten Frau Blunck [SPD])

In diesem Zusammenhang möchte ich fragen, ob Sie es für richtiger halten, erst die Unschädlichkeit der Weichmacher wissenschaftlich nachgewiesen zu haben und sie dann wieder zuzulassen, als umgekehrt vorzugehen — : obwohl ein begründeter Verdacht bereits wissenschaftlich besteht, die Weichmacher erst zu verbieten, wenn dieser Verdacht nochmals bestätigt wird?
Pfeifer, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, es gibt überhaupt keinen Zweifel daran, daß es hier auch dem Bundesgesundheitsamt und den Wissenschaftlern, die mit dieser Frage befaßt sind, um den Gesundheitsschutz für die Kinder geht.

(Frau Blunck [SPD]: Worum geht es der Frau Süssmuth?)

Alles, was von seiten der Bundesregierung veranlaßt worden ist, damit das Bundesgesundheitsamt auch Neubewertungen vornimmt, erfolgt ausschließlich unter dem Gesichtspunkt, daß hier der notwendige Schutz für die Kinder sichergestellt wird.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1105529100
Eine Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Unruh.

Gertrud Unruh (GRÜNE):
Rede ID: ID1105529200
Es sind begründete Verdachtsmomente und mehr vorhanden. Ist die Bundesregierung bereit, obwohl sie so zögerlich Entscheidungen trifft, dann entsprechende Schadensabfindungen an krank gewordene Kinder oder deren Eltern großzügig zu zahlen?
Pfeifer, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, der Ausgangspunkt Ihrer Frage wird vom Bundesgesundheitsamt, wie ich hier dargelegt habe, anders beurteilt.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1105529300
Eine Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Schmidt.

Renate Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1105529400
Herr Staatssekretär, Wissenschaftler kommen, wie wir alle wissen, zu unterschiedlichen Ergebnissen, auch in diesem Fall. Wir haben in diesem Fall einen Professor, der sich zu diesem Thema Weichmacher, DEHP, habilitiert hat und der zu dem Ergebnis kommt: Es ist gesundheitsschädlich. Wir haben andere, die uns das Gegenteil sagen. Beide Bewertungen — jeweils nach bestem Wissen und Gewissen, ich würde hier niemandem etwas anderes unterstellen — liegen Ihnen vor. Irgend jemand hat dann die Schlußfolgerungen zu ziehen. Ich frage Sie jetzt: Wer ist das, und ist nicht vorbeugender Gesundheitsschutz in diesem Fall, sich auf die sicherste Seite zu begeben?
Pfeifer, Parl. Staatssekretär: Es ist immer vorbeugender Gesundheitsschutz, wenn man sich auf die sichere Seite begibt. Aus diesem Grunde bin ich gern bereit, dazu beizutragen, daß der Wissenschaftler, den Sie vor Augen haben, zu der bevorstehenden Anhörung des Bundesgesundheitsamtes eingeladen wird. Ich sage noch einmal: Wenn das Bundesgesundheitsamt entsprechende Empfehlungen gibt, wird sofort gehandelt.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1105529500
Nun, Frau Abgeordnete Schmidt (Nürnberg), können Sie stehenbleiben, denn der Herr Staatssekretär wird Ihre Frage 49 beantworten:
Welche Schlußfolgerungen zieht die Bundesregierung aus der Tatsache, daß im Krankenhausbereich PVC-Artikel mit DEHP als Infusions- und Beatmungsgeräte, Blutkonserven, Dialyse-Schläuche etc. im Einsatz sind (mit bis zu 39,8 v. H. DEHP-Gewichtsanteilen) und hierdurch nach Schätzungen von US-Experten z. B. ein Dialyse-Patient pro Sitzung 90 Milligramm DEHP (das sind jährlich ca. 14 Gramm DEHP) direkt in den Körper aufnimmt?
Pfeifer, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin Schmidt, die Belastung der Dialyse-Patienten mit DEHP ist bekannt. DEHP ist der am besten erforschte Weichmacher. Die Anforderungen an Kunststoffe, die im medizinischen Bereich angewandt werden, unterscheiden sich von den Anforderungen an Stoffe, die für den alltäglichen Gebrauch bestimmt sind. Das sage ich im Hinblick auf die Fragen, die wir eben behandelt haben.
Das Kernproblem bei der von Ihnen aufgeworfenen Frage liegt darin, daß Weichmacher nach gegenwärtigem Wissensstand im PVC benötigt werden, um den Schläuchen und auch den Blutbeuteln die notwendige technische Eignung für ihre Anwendung im Gesundheitsbereich zu geben. Damit die Belastung der Patienten mit DEHP vermieden werden kann, bemüht sich die Bundesregierung seit langem, für den Medikalbereich eine Alternative zur PVC/DEHP-Kombination zu erhalten. Das alternative Material muß jedoch mindestens die gleiche Eignung wie der bisherige Kunststoff haben und zu einer geringeren Belastung des Patienten führen. Deshalb fördert seit 1981 das Bundesministerium für Forschung und Technologie Projekte, die dieses Ziel verfolgen. Ein anderer Weichmacher als DEHP scheint erfolgversprechend zu sein. Um hier ein abschließendes Urteil fällen zu können, müssen aber die Studienergebnisse, die in Kürze vorliegen sollen, ausgewertet werden. Hinreichende Erkenntnisse über andere mögliche Ersatzmaterialien liegen der Bundesregierung sonst nicht vor.
Das Europäische Arzneibuch läßt bei Behältnissen für Blut und Blutprodukte bis zu 40 % DEHP zu. Das Bundesgesundheitsamt hat die für das Deutsche Arzneibuch in dieser Sache zuständigen Sachverständigen für den 25. Januar zu einer Sitzung über DEHP eingeladen. Diese Sitzung dient zur Vorbereitung eventueller Schritte bei der Europäischen Arzneibuchkommission des Europarates. In dieser Sitzung



Parl. Staatssekretär Pfeifer
wird auch die Frage nach anderen geeigneten Weichmachern erneut diskutiert werden.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1105529600
Eine Zusatzfrage, Frau Abgeordnete.

Renate Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1105529700
Herr Staatssekretär, meines Wissens hat auch das BMJFFG, damals noch BMJFG, 1980 ein Forschungsprojekt vergeben. Ich habe Kenntnis davon, daß bereits seit 1981 DEHPfreie medizinische Schläuche für die Dialyse z. B. in Rehau, Oberfranken, produziert werden, allerdings leider nur für den Export in die USA.
Sehen Sie vor dem Hintergrund dieser Informationen die Notwendigkeit, daß wir hier endlich reagieren und daß wir dafür sorgen, daß gerade in diesem Bereich endlich DEHP-freie Schläuche verwendet werden?
Pfeifer, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin Schmidt, ich bin der Frage, ob für DEHP-Weichmacher ein Ersatz, der im Medikalbereich verwendet werden kann, zur Verfügung steht, nachgegangen. Mein Informationsstand ist bis heute nachmittag der, daß ein Ersatz, der den von mir geschilderten Anforderungen entspricht, zwar in der Entwicklung ist, daß wir aber noch nicht sicher sagen können, er stehe zur Verfügung. Wenn Sie mir Informationen zur Verfügung stellen können,

(Frau Schmidt [Nürnberg] [SPD]: Gerne!)

daß dies der Fall ist, bin ich dafür nicht nur dankbar, sondern dann werde ich auch die gesamten Unterlagen sofort an das Bundesgesundheitsamt weitergeben. Für die von mir genannte Anhörung am 25. Januar wäre das, glaube ich, ein wichtiger Vorgang.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1105529800
Eine weitere Zusatzfrage? — Bitte schön.

Renate Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1105529900
Von Medizinern, die in diesem Bereich tätig sind, haben wir auch die Auskunft bekommen, daß auf Messen bereits solche DEHP-freien Schläuche ausgestellt werden. Ich nehme also an, daß die Produkte, die in die Vereinigten Staaten — die ja hohe Sicherheitsanforderungen haben — exportiert werden, auch den Sicherheitsansprüchen in der Bundesrepublik genügen würden.
Ich hätte aber noch die Frage, ob Sie, falls es zutrifft, daß es hier Ersatz gibt, daran denken, auch die Krankenhäuser zu informieren und sie darauf hinzuweisen, daß DEHP mit hohen Risiken für Dialyse-Patienten und Frühgeburten belastet ist, damit sie die Schläuche dann tatsächlich auswechseln.
Pfeifer, Parl. Staatssekretär: Das Bundesgesundheitsamt wird gegebenenfalls entsprechende Empfehlungen herausgeben. Frau Kollegin, wir werden bei der nachfolgenden Frage erörtern müssen, ob da nicht sogar noch weitergreifende Maßnahmen erforderlich sind.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1105530000
Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Götte.

Dr. Rose Götte (SPD):
Rede ID: ID1105530100
Herr Staatssekretär, nach meinen Informationen ist DEHP in der Schweiz verboten, aber auch in der Schweiz wird operiert, und auch dort werden Schläuche eingesetzt. Haben Sie Informationen darüber, welche Schläuche dort verwendet werden?
Pfeifer, Parl. Staatssekretär: Nein, die habe ich nicht. Aber ich bin gerne bereit, mich zu erkundigen und Ihnen dann eine entsprechende Information zukommen zu lassen.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1105530200
Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Lippelt.

Dr. Helmut Lippelt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1105530300
Herr Staatssekretär, ist Ihnen eigentlich der Widerspruch zwischen den uns von Ihnen zum vorigen Komplex mündlich gegebenen Antworten und den für Sie hier aufgeschriebenen Antworten zum nächsten Bereich aufgefallen? Aufgeschrieben war Ihnen hier eben, DEHP sei der am besten erforschte Weichmacher. Vorher haben Sie uns permanent erzählt, daß Sie da noch erheblichen Forschungsbedarf haben.
Pfeifer, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich habe hier ausdrücklich darauf hingewiesen, daß im Medikalbereich die Dinge anders zu beurteilen sind als in dem Bereich, den ich vorher genannt habe, weil im Medikalbereich natürlich eine völlig andere Verwendung von DEHP erfolgt, und daß deswegen von den hier verwendeten Weichmachern DEHP der am besten erforschte Stoff ist.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1105530400
Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Blunck.

Lieselott Blunck (SPD):
Rede ID: ID1105530500
Herr Staatssekretär, würden Sie über die Informationen, die Sie den Parlamentariern geben wollen, hinaus den Krankenhäusern, den Dialyse-Stationen und insgesamt den Patienten diese Informationen geben?
Pfeifer, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, ich habe auf die Frage von Frau Kollegin Schmidt ausdrücklich gesagt, daß das Bundesgesundheitsamt gegebenenfalls die entsprechenden Empfehlungen geben wird, und zwar natürlich an alle Krankenhäuser und alle diejenigen, die im medizinischen Bereich tätig sind.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1105530600
Eine Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Unruh.

Gertrud Unruh (GRÜNE):
Rede ID: ID1105530700
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, was meinen Sie eigentlich, was die Bürger und Bürgerinnen draußen von einem solchen Bundesgesundheitsamt halten? Wir Parlamentarier bekommen aus der Presse Nachricht — und das Bundesgesundheitsamt bekommt diese Nachricht nicht?
Pfeifer, Parl. Staatssekretär: Ich habe gesagt, das Bundesgesundheitsamt hat diese Informationen aus den entsprechenden Medien erhalten. Ich habe dann gesagt, welche Schlußfolgerungen das Bundesgesundheitsamt daraus zieht.
Aber ich darf in diesem Zusammenhang, da Sie das Bundesgesundheitsamt angreifen, auf folgendes hinweisen. Gestern ist in der Sitzung des Bundestagsausschusses, auf die ich mehrfach Bezug genommen



Parl. Staatssekretär Pfeifer
habe, beispielsweise gesagt worden, daß allein im letzten Jahr rund 15 000 Risikoanzeigen bei Arzneimitteln das Bundesgesundheitsamt erreicht haben. Die Kolleginnen und Kollegen, die gestern an der Sitzung teilgenommen haben, konnten sich ein Bild davon verschaffen, mit welcher Sorgfalt das Bundesgesundheitsamt versucht, alle diese Risikobereiche abzudecken. Ich bin vor diesem Hintergrund der Meinung, daß man mit Vorwürfen an die Adresse des Bundesgesundheitsamtes, so wie das in Ihrer Frage impliziert gewesen ist, sehr vorsichtig sein sollte.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1105530800
Nun rufe ich die Frage 50 der Abgeordneten Frau Schmidt (Nürnberg) auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß z. B. an der Universitäts-Kinderklinik in Köln Zwischenfälle bei der künstlichen Beatmung von Frühgeburten im Zusammenhang mit DEHP auftraten und dabei DEHP im Kondenswasser des Beatmungsgerätes, in den Schläuchen selbst, im Urin des Babys und im Fall eines verstorbenen Babys nach Obduktion auch in der Lunge nachgewiesen wurde sowie eine bis jetzt nicht bekannte Veränderung der Lunge festgestellt wurde, und warum hat die Bundesregierung bisher kein Verbot der Verwendung von Schläuchen aus PVC mit DEHP für den Klinikbereich durchgesetzt?
Pfeifer, Parl. Staatssekretär: Der Bundesregierung sind die erwähnten Zwischenfälle bei der künstlichen Beatmung von Frühgeburten im Zusammenhang mit DEHP der Universitäts-Kinderklinik in Köln bekannt. Nach einer Mitteilung des Ministers für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen hat ein Rückruf bei der Universitäts-Kinderklinik Köln ergeben, daß ein Zusammenhang mit dem erwähnten Todesfall offenbar nicht gegeben ist und daß die Ergebnisse der Überprüfung der Zwischenfälle in Kürze publiziert werden.
Unabhängig davon bleibt es meine Überzeugung, daß alle Anstrengungen unternommen werden müssen, um eventuelle Risiken aus Kunststoffen in diesem Bereich zu erkennen und wirksame Maßnahmen des vorbeugenden Gesundheitsschutzes zu ergreifen.
Das Bundesgesundheitsamt hat darüber hinaus zu einem Sachverständigengespräch eingeladen und ein Stufenplanverfahren nach dem Arzneimittelgesetz eingeleitet. Im Anschluß an diese Aktivitäten wird geprüft werden, inwieweit Regelungsbedarf besteht.
Das Bundesgesundheitsamt steht auch wegen der Notwendigkeit der Durchführung eines Forschungsvorhabens zur Erforschung möglicher Schädigungen durch DEHP für Früh- und Neugeborene mit der Universitäts-Kinderklinik in Köln in Verbindung.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1105530900
Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Schmidt (Nürnberg).

Renate Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1105531000
Herr Staatssekretär, ich habe mich bei meiner Frage ausdrücklich nicht nur auf diesen einen Todesfall bezogen, sondern auf Zwischenfälle insgesamt, die es in der Kinderklinik Köln gegeben hat. Ist Ihnen bekannt, daß der dortige Leitende Kinderarzt in der Zwischenzeit diese Schläuche bei den Beatmungsgeräten ausgetauscht hat und daß sich diese Fälle nicht wiederholt haben, sich im Falle eines Babys sogar bei demselben Baby nicht wiederholt haben? Glauben Sie nicht mit mir, daß es im Sinne eines vorbeugenden Gesundheitsschutzes wäre, jetzt überall diese anderen Schläuche, die es offensichtlich ja gibt, dort anzubringen?
Pfeifer, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, richtig ist: Nachdem die Universitäts-Kinderklinik Köln die Charge der damaligen Beatmungsschläuche gegen eine neue Charge ausgetauscht hat, sind nach den mir vorliegenden Informationen weitere Zwischenfälle nicht beobachtet worden. Nach den mir vorliegenden Informationen ist in einem Gespräch eines Vertreters des BGA mit der Universitäts-Kinderklinik Köln allerdings nicht bestätigt worden, daß diese neue Charge kein DEHP mehr enthält. Ungeachtet dieses Sachverhalts bleibe ich bei meiner Meinung, wir brauchen einen Ersatz für DEHP. Deswegen darf ich Sie nochmals bitten, jede Information, die Ihnen hinsichtlich eines Ersatzes von DEHP zur Verfügung steht, mir umgehend zur Kenntnis zu geben. Ich lege Wert darauf, daß sie das Bundesgesundheitsamt noch vor der Anhörung am 25. Januar erreichen.

(Frau Schmidt [Nürnberg] [SPD]: Sie können sicher sein, daß das der Fall sein wird!)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1105531100
Frau Abgeordnete, Sie haben noch eine zweite Zusatzfrage.

Renate Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1105531200
Herr Staatssekretär, ist Ihnen vielleicht zu dem, was Sie soeben gesagt haben, bekannt, daß die Kunststoffkommission in veröffentlichter Literatur, die selbstverständlich auch dem Bundesgesundheitsamt zur Verfügung steht — besser als mir, muß ich sagen, weil ich zu diesem Thema keine Fachfrau bin —, schon 1975 gesagt hat, daß sie Ersatzstoffe in ausreichendem Ausmaß hat, und daß leider Gottes seither darauf nicht reagiert worden ist, wobei ich hinzufügen möchte, dies bezieht sich nicht vor allem auf medizinische Schläuche?
Pfeifer, Parl. Staatssekretär: Auch hier muß ich sagen, nach den mir zugänglichen Informationen ist offensichtlich das Problem, daß die unbedenkliche Verwendbarkeit von Alternativen noch nicht zweifelsfrei feststeht. Ich habe aber bereits in der Antwort auf Ihre vorherige Frage darauf hingewiesen, daß es eine begründete Aussicht gibt, daß ein solcher Ersatz durch die Arbeiten, die vom Bundesministerium für Forschung und Technologie unterstützt worden sind, wie ich hoffe, bald zur Verfügung steht.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1105531300
Frau Abgeordnete Garbe, bitte schön.

Charlotte Garbe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1105531400
Zu dem Stichwort ,,vorbeugender Gesundheitsschutz", Herr Staatssekretär: Ist Ihnen bekannt, daß 85 % der gesamten DEHP-Produktion in PVC-Produkten verarbeitet werden? Sind Sie mit mir der Meinung, daß allein schon aus diesem Grund — es gibt noch viele andere Gründe — die Verwendung des Massenprodukts PVC drastisch eingeschränkt werden muß?
Pfeifer, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, ich habe gerade bei den Antworten auf die beiden Fragen der Frau Kollegin Schmidt

(Frau Garbe [GRÜNE]: Sie haben sich auf DEHP bezogen!)




Parl. Staatssekretär Pfeifer
großen Wert darauf gelegt, deutlich zu machen, daß wir im Medikalbereich in bezug auf DEHP nach Ersatz suchen und daß hier die entsprechende Forschung von der Bundesregierung nachdrücklich unterstützt wird. Ich denke, das macht doch sehr deutlich, daß wir alle Anstrengungen unternehmen, um im Rahmen des vorbeugenden Gesundheitsschutzes ein Stück weiterzukommen.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1105531500
Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Unruh.
Dann liegen hoffentlich keine weiteren Zusatzfragen vor; denn wir nähern uns dem Ende der Fragestunde.

Gertrud Unruh (GRÜNE):
Rede ID: ID1105531600
Das Bundesgesundheitsamt ist mehrfach in Negativschlagzeilen gekommen. Meinen Sie nicht, daß Sie Ihrer Ministerin vorschlagen sollten, daß eine Patientenschutzkammer dringend nötig ist?

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1105531700
Herr Staatssekretär, Sie können, wenn Sie wollen, die Frage beantworten. In direktem Zusammenhang mit der Frage 50 steht diese Zusatzfrage nicht. — Sie verzichten auf Beantwortung. Das ist Ihr gutes Recht.
Damit sind wir am Ende der Fragestunde.*) Die nicht aufgerufenen Fragen werden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe Zusatzpunkt 3 der Tagesordnung auf: Aktuelle Stunde
Verhalten der Bundesregierung bei der Aufklärung der Veräußerung von Konstruktionsunterlagen für U-Boote an Südafrika — die Rollen des Auswärtigen Amtes, des Bundesverteidigungsministeriums, des Bundeswirtschaftsministeriums und des Bundesfinanzministeriums
Die Fraktion der GRÜNEN hat gemäß Nr. 1 c der Anlage 5 unserer Geschäftsordnung diese Aktuelle Stunde verlangt. Die Aktuelle Stunde ist fristgemäß entsprechend der Nr. 2 b der Richtlinien verlangt worden.
Es wurde vereinbart, die Aktuelle Stunde jetzt durchzuführen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile der Abgeordneten Frau Eid das Wort.

Ursula Eid-Simon (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1105531800
Herr Präsident! Sehr geehrte Herren und Damen! Verehrter Herr Kollege Bohl, Sie sind vor wenigen Tagen in den „Flensburger Nachrichten" mit den Worten zitiert worden, Sie seien sich noch nicht sicher, ob die Entscheidung der Oberfinanzdirektion Kiel nun das Ende oder den Anfang des U-Boot-Untersuchungsausschusses einläute. Ganz wohl war Ihnen also nicht bei der abenteuerlichen und skandalösen Entscheidung der StoltenbergBehörde.
*) Die Frage 51 der Abg. Frau Dr. Götte wurde zurückgezogen.
Von einem Ende des Untersuchungsausschusses kann jetzt wirklich keine Rede mehr sein. Jetzt wird es noch einmal richtig spannend, denke ich. Die Entscheidung der OFD ist in einer Weise angreifbar und politisch töricht, daß Sie sich noch eines Tages wünschen werden, man hätte in Kiel den Schein gewahrt und anstandshalber wenigstens ein geringes Bußgeld verhängt. Aber, Herr Bohl, Sie wissen so gut wie ich, daß die Behörde für diese taktisch sicherlich klügere Entscheidung keinen Spielraum hatte. Sie wissen, daß die OFD von den Firmen und von der Bundesregierung in massivster Form bedrängt wurde, einen Freispruch zu erwirken.

(Zuruf von den GRÜNEN: Unglaublich!)

Von Anfang an hatte die OFD allergrößte Bauchschmerzen und Bedenken. Aus den Akten der OFD wird folgendes deutlich.
Erstens. Die OFD war der festen Überzeugung, daß eine Straftat vorliege. Das Auswärtige Amt werde zu dem Ergebnis kommen, daß die auswärtigen Beziehungen der Bundesrepublik erheblich gestört worden seien. Dann sei es eine Sache für die Staatsanwaltschaft.
Zweitens. Die OFD hatte erhebliche Zweifel an der Darstellung von Kanzleramtsstaatssekretär Waldemar Schreckenberger, er habe den Firmen kein „grünes Licht" gegeben. Wenn es sich bei seinem berüchtigten Telefonat vom 31. Juli 1984, bei dem er die Zustimmung des Bundeskanzlers und von Franz Josef Strauß übermittelte,

(Jungmann [SPD]: Was hat der überhaupt damit zu tun?)

wirklich um ein Mißverständnis gehandelt hätte, hätte Schreckenberger das den Firmen sofort schriftlich mitteilen müssen. Die OFD hatte vor, Schreckenberger und Mitglieder der Bundesregierung zu diesem Punkt zu vernehmen.
Drittens. Die OFD ist über die im Zusammenhang mit dem U-Boot-Geschäft gezahlten Schmiergelder und Provisionen gestolpert und verlangte Aufklärung, die sie jedoch nie erhalten hat.
Viertens. Die OFD war der Meinung, daß zumindest ein Bußgeld hätte verhängt werden müssen, und zog einen Großteil der tatsächlichen Behauptungen der Firmen über den Umfang der Kooperation mit Südafrika in Zweifel.
Wer hat die OFD unter Druck gesetzt und warum? Nach einjähriger Verfahrensdauer intervenierte HDW-Vorstandsmitglied Hansen-Wester am 30. Oktober 1986 zum ersten Mal bei der OFD und forderte ultimativ, das Verfahren zu einem Ende zu bringen; die Zumutbarkeitsgrenze der Firmen sei erreicht; HDW und IKL seien zu einer politischen Beendigung des Projektes bereit unter der Voraussetzung, daß die Höhe des Bußgeldes akzeptabel sei.

(Hört! Hört! bei der SPD)

Die Bundesregierung hat sich diesem erpresserischen Druck der Firmen in allen Punkten gebeugt. Ich kann der Zeit wegen hier nicht alle Punkte im einzelnen aufführen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Unglaublich!)




Frau Eid
Sie hat auch sonst alles getan, um den Firmen die weitere Abwicklung des U-Bott-Geschäftes mit Südafrika zu ermöglichen.
Erstens. Aus den Unterlagen der OFD geht hervor, daß Bundeswirtschaftsminister Bangemann bei dem Gespräch mit Herrn Zoglmann und Herrn Nohse am 18. Juni 1985 keineswegs auf der Beendigung des Geschäftes bestanden hat.
Zweitens. Obwohl Herr Bangemann von Nohse und Zoglmann darüber unterrichtet wurde, daß man beabsichtigte, den Rest des Geschäftes über die Türkei abzuwickeln, hat er dieses Wissen für sich behalten und das Bundesamt für Wirtschaft nicht informiert.
Drittens. Die OFD bestätigt in ihrem Prüfbericht, daß die Bundesregierung bereits 1983 über den geplanten Dokumentenschmuggel über die südafrikanische Botschaft informiert gewesen ist. Dies sei aber nicht beanstandet worden, da hierin der sicherste Weg des Transports gesehen worden sei.

(Gansel [SPD]: Hört! Hört! — Dr. Struck [SPD]: Unerhört!)

Lassen Sie mich ein paar Worte zum Kernstück der Einstellungsverfügung der OFD sagen. Sie basiert auf der Grundannahme, daß Südafrika mit dem gelieferten Material nichts anfangen kann. Diese Annahme ist falsch. Ich werde im folgenden eine Reihe von handfesten Indizien darlegen, die dafür sprechen, daß der U-Boot-Vertrag in vollem Umfang weitergeführt wird, daß Südafrika also tatsächlich U-Boote baut. Bitte bedenken Sie dabei, daß alle Fakten, die ich nachher vortragen werde, auch der OFD vorlagen. Dort wurde nicht nur schlampig ermittelt; bei der OFD wurden bewußt wichtige Hinweise übersehen.
Damit Südafrika U-Boote bauen kann, benötigt es die Pläne, das U-Boot-Modell im Maßstab 1 : 5, Expertenhilfe und die Zulieferung von U-Boot-Teilen. Die OFD behauptet, all das hätte Südafrika nicht oder nicht vollständig bekommen. Daß diese Behauptungen falsch sind, werde ich in meinem zweiten Beitrag darlegen.
Vielen Dank, Herr Präsident.

(Beifall bei den GRÜNEN)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1105531900
Das Wort hat der Abgeordnete Bohl.

Friedrich Bohl (CDU):
Rede ID: ID1105532000
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich nehme an, mit der heutigen Aktuellen Stunde verfolgt die Opposition zwei Ziele. Zum einen wollen Sie in Erinnerung rufen, daß es diesen U-Boot-Untersuchungsausschuß überhaupt noch gibt,

(Schily [GRÜNE]: Jedenfalls wollen sie nicht, daß der Ausschuß vor sich hindümpelt, wie Sie das einmal gesagt haben!)

und zwar angesichts der Tatsache, daß die öffentliche Aufmerksamkeit dafür erheblich schwindet.

(Zurufe von der SPD und den GRÜNEN)

Herr Präsident, wenn ich mir die Anmerkung erlauben darf: Dieses rote Licht irritiert mich ein wenig.

(Schily [GRÜNE]: Schwarzes Licht für Herrn Bohl!)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1105532100
Ich werde das sofort ändern, damit Sie in Ruhe Ihre Ausführungen fortsetzen können, und ich werde die Zeit auch nicht anrechnen.

Friedrich Bohl (CDU):
Rede ID: ID1105532200
Zum anderen wollen Sie offensichtlich Gelegenheit nehmen, dem Hohen Hause eine Art Zwischenbericht zu geben. Ich finde, das ist gut so, denn die bisherigen Beratungen haben folgendes eindeutig ergeben:
Erstens. Die Bundesregierung hat keine Genehmigung für die Lieferung von U-Boot-Blaupausen oder U-Boot-Teilen nach Südafrika erteilt.
Zweitens. Die Unternehmen haben auch keinen entsprechenden Antrag gestellt.

(Jungmann [SPD]: Richtig, weil sie geschmuggelt haben!)

Drittens. Die Unternehmen haben Vorgespräche im Bereich der Bundesregierung geführt.
Viertens. Die Unternehmen haben das Ergebnis dieser Vorgespräche richtig verstanden,

(Lachen bei der SPD und den GRÜNEN — Schily [GRÜNE]: Wohl wahr! Da lacht er selber!)

denn sie haben davon abgesehen, einen Antrag auf Genehmigung des von ihnen ursprünglich geplanten Exportgeschäftes zu stellen. Demzufolge ist auch ein Genehmigungsverfahren nicht durchgeführt worden.
Fünftens. Die Bundesregierung hat korrekt gehandelt, als sie 1985 Ermittlungen durch die zuständige Oberfinanzdirektion Kiel eingeleitet hat.
Das ist der Sachverhalt, soweit er sich im Bereich der Bundesregierung abgespielt hat. Es ist alles völlig korrekt; daran gibt es nichts zu kritisieren.
Nun hat die Oberfinanzdirektion Kiel nach zweijährigen gründlichen Ermittlungen das Verfahren gegen die Unternehmen eingestellt. Wer die Arbeit im Untersuchungsausschuß verfolgt hat und wer die Akten der OFD gelesen hat, den kann eigentlich dieses Ergebnis nicht überraschen. Denn es entspricht der Rechtslage und den tatsächlichen Gegebenheiten.

(Jungmann [SPD]: Bei Ihnen kann auch gar nichts mehr überraschen!)

Die Schwelle der Genehmigungspflicht ist nicht erreicht worden, und alle gegenteiligen Beteuerungen und Behauptungen Ihrerseits sind allenfalls Verdachtsmomente, aber keine Beweise. Wir leben nicht in einer Verdachtsdemokratie. Die Angelegenheit wird in einem rechtsstaatlichen und geordneten Verfahren abgewickelt. Deshalb sollten Sie endlich von diesen Behauptungen Abstand nehmen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Ich muß auch sagen: Es gibt nicht den geringsten Anhaltspunkt — außer daß Sie es ständig wieder be-



Bohl
haupten — , daß in irgendeiner Weise diese Bundesregierung auf das OFD-Verfahren Einfluß genommen hat.

(Jungmann [SPD]: Die OFD hat doch immer um Weisung gebeten!)

— Entschuldigung, das stimmt doch gar nicht. Sie wissen, daß die OFD im Rahmen ihrer allgemeinen Berichtspflicht das Bundesfinanzministerium in der Tat unterrichtet hat. Das ist auch so vorgesehen. Sie würde sich ja ordnungswidrig verhalten,

(Lachen bei der SPD)

wenn sie etwas Gegenteiliges tun würde. Die Bundesregierung hat die Informationen also völlig korrekt erhalten, und sie hat dieses Ergebnis der OFD gebilligt.

(Zurufe von der SPD)

— Wenn Sie sich an dem Begriff „ordnungswidrig" stören, dann sagen wir „pflichtwidrig".

(Dr. Penner [SPD]: Strafbar!)

Dann korrigieren wir den Begriff und sagen „pflichtwidrig". Das ist auch so typisch für Sie in diesem ganzen Verfahren: An solchen Kleinigkeiten hängen Sie sich auf. Davon leben Sie politisch in dieser ganzen Angelegenheit.

(Frau Unruh [GRÜNE]: Schleswig-Holstein ist ein schönes Land!)

Meine Damen und Herren, ich möchte auch klar darauf hinweisen, daß sich die Staatsanwaltschaft mit diesem Komplex sehr wohl befaßt hat. Es ist ja nicht so
— wie Sie behaupten —, daß die Staatsanwaltschaft beide Augen zumacht und den Sachverhalt eigentlich gar nicht zur Kenntnis nehmen will. Davon kann keine Rede sein.
Die Staatsanwaltschaft hat eine Beobachtungsakte
— wie das in der Fachsprache heißt — angelegt. Sie hat die Dinge geprüft und ist bisher zu dem Ergebnis gekommen, daß kein Ermittlungsverfahren gegen irgend jemanden einzuleiten ist.

(Zurufe von der SPD)

— Ja, aber ich bitte Sie. Wollen Sie denn hier zur Strafverfolgung Unschuldiger aufrufen? Sollen die Staatsanwälte in Kiel oder in Karlsruhe entgegen ihrer Überzeugung, daß die Verdachtsmomente nicht ausreichen, um ein staatsanwaltschaftliches Ermittlungsverfahren einzuleiten, das dennoch tun? Was muten Sie diesen Staatsanwälten eigentlich zu?
Ich muß ganz offen sagen: Das ist auch ein Armutszeugnis gerade für die Oppositionsfraktion der SPD, deren Vorsitzender ja immerhin der ehemalige Bundesjustizminister Dr. Vogel ist. Herr Gansel, wie arm muß diese Opposition sein, wenn sie glaubt, ihre Werftenpolitik nur noch auf dem Rücken einer Vielzahl von Arbeitnehmern

(Lachen bei der SPD — Dr. Struck [SPD]: Jetzt reicht es aber!)

und durch den Versuch der Kriminalisierung zweier Unternehmen des Schiffbaus machen zu können. Wir finden das schäbig.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1105532300
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Struck.

Dr. Peter Struck (SPD):
Rede ID: ID1105532400
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Bohl, Sie haben soeben ein übles Beispiel dafür gegeben, wie wenig ernst ein Mitglied eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses den Auftrag nimmt, den ihm dieses gesamte Parlament erteilt hat. Sie haben sich nur als Vertu-scher unverantwortlichen Regierungshandelns betätigt.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Ich finde es unglaublich, wie Sie mit dem Auftrag dieses Parlaments umgehen. Herr Kollege Bohl, das wird auch nicht dadurch besser, daß Sie nun versuchen, Persilscheine mit an den Haaren herbeigezogenen Begründungen auszustellen.
Wir, die SPD-Bundestagsfraktion, stellen fest: Die Entscheidung der Oberfinanzdirektion hinterläßt bei allen, die sich ernsthaft mit dieser Frage befaßt haben, einen faden Beigeschmack. Meine Damen und Herren, diese Entscheidung ist nicht nur wegen ihres Inhalts fragwürdig, sondern sie ist auch deshalb sehr fragwürdig, weil im Bereich der Behörden mögliche Täter und Ermittler nahezu identisch sind. Die Bundesregierung ist die vorgesetzte Dienstbehörde für die Oberfinanzdirektion in Kiel.

(Frau Unruh [GRÜNE]: So ist es!)

In der Tat, Herr Minister Stoltenberg, läßt sich der Eindruck nicht verwischen, daß Ihr Haus auf die Entscheidung der Oberfinanzdirektion Kiel Einfluß genommen hat.

(Bohl [CDU/CSU]: Woraus schließt du das denn? — Lowack [CDU/CSU]: Stimmt doch gar nicht!)

Wenn das nicht der Fall war, dann bitte ich und fordere Sie, Herr Minister Stoltenberg, auf, hierher zu kommen und zu erklären, daß Sie das nicht getan haben.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN)

Dann bitte ich Sie aber auch, die Frage zu beantworten, ob es zutrifft, daß, wie wir aus unseren Akten entnehmen konnten, das Bundesministerium der Finanzen der Oberfinanzdirektion Kiel die Weisung gegeben hat, das Bundesamt für Wirtschaft nicht einzuschalten. Ich bitte Sie, diese Frage hier zu beantworten. Lassen Sie sich von Ihren Mitarbeitern unter Hinzuziehung der Akten korrekt beraten, bevor Sie etwas Falsches sagen.

(Bohl [CDU/CSU]: Alles korrekt bisher!)

— Nun regen Sie sich doch nicht auf. Ihre Verteidigungsposition ist sowieso zusammengebrochen,

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN — Lachen bei der CDU/ CSU)

denn einiges, Herr Kollege Bohl, hat die OFD ja nun mit Sicherheit nicht getan: Sie hat nicht das Verhalten der Bundesregierung geprüft. Sie ist nicht auf die Idee gekommen, Herrn Staatssekretär Schreckenberger einmal zu fragen, was es denn mit den Telefonaten,



Dr. Struck
die er mit Herrn Nohse und Herrn Ahlers geführt hat,

(Bohl [CDU/CSU]: Brauchte die auch gar nicht!)

auf sich hat. Sie ist nicht auf die Idee gekommen, den Bundeskanzler danach zu fragen oder anzuhören, ob die Äußerung von Franz Josef Strauß in einem Interview der „Bild"-Zeitung zutrifft, der Bundeskanzler habe ihm gesagt: Der Wunsch der südafrikanischen Regierung wird positiv entschieden. Die Oberfinanzdirektion Kiel ist nicht der Frage nachgegangen, ob der Staatssekretär Schreckenberger mehrere Gespräche mit Herrn Ahlers geführt hat.

(Bohl [CDU/CSU]: Das brauchten die auch nicht, weil nichts Genehmigungspflichtiges geliefert worden ist!)

Ich frage mich, warum sie das nicht getan hat. Ich stelle hier bis zum Beweis des Gegenteils die Behauptung auf, daß das deshalb nicht geschehen ist, weil die Oberfinanzdirektion die Weisung der Bundesregierung hatte, nicht in diesem Bereich zu prüfen. Diese Behauptung stelle ich auf.

(Bohl [CDU/CSU]: Das ist eine Umkehrung der Beweislast!)

— Da die OFD das nicht getan hat, Herr Kollege Bohl, werden wir das in unserem Untersuchungsausschuß tun. Wir nehmen den Auftrag dieses Parlaments ernst.

(Bohl [CDU/CSU]: Ihr braucht nur noch Wahlkampfmaterial bis zum 8. Mai!)

Wir werden überprüfen, welches Verhalten die Bundesregierung in diesem Punkte gezeigt hat. Es tut mir leid, daß korrekt handelnde Beamte der Oberfinanzdirektion Kiel

(Bohl [CDU/CSU]: Unter vier Augen guckt Ihr doch schon unter Euch, wenn Ihr den Namen Gansel hört!)

von der Bundesregierung gehindert werden, auch im Verantwortungsbereich der Bundesregierung zu forschen und zu überprüfen. Ich denke, daß dann, wenn es eine solche Weisung nicht gegeben hätte, wenn die Bundesregierung nicht versucht hätte, sich selbst einen Persilschein auszustellen, bei der Entscheidung über diesen Sachverhalt ein anderes Ergebnis herausgekommen wäre.

(Zuruf des Abg. Lowack [CDU/CSU])

Ich verweise auch auf folgenden Punkt und bitte Herrn Minister Stoltenberg dazu noch einmal Stellung zu nehmen: Warum eigentlich, Herr Kollege Stoltenberg, haben Sie als Vertreter des Eigentümers Bund bei der Firma HDW nicht zu Beginn der Ermittlungen und bei Bekanntwerden dieses Skandals eine Erklärung dahin gehend abgegeben, daß Sie und Ihr Haus die Stellung als Eigentümer bei HDW zurückstellen, quasi ruhen lassen, bis diese Affäre vollständig aufgeklärt ist? Auch hätten Sie den Verantwortungsbereich der Bundesregierung auf eine Behörde übertragen können, die nicht irgendwie von Ihnen beeinflußt werden kann. Ich frage mich, Herr Stoltenberg: Warum haben Sie nicht dafür Sorge getragen, daß nicht eine Oberfinanzdirektion ermittelt, sondern
Staatsanwälte, in die wir in diesem Falle, da die Oberfinanzdirektion eine weisungsgebundene Behörde ist, sehr viel mehr Vertrauen gehabt hätten, als in die Beamten, die jetzt ermittelt haben?
Es bleibt das Fazit: Dieser fade Beigeschmack wird nur dann beseitigt werden, wenn der Untersuchungsausschuß endgültig und vollständig alles das aufklärt, was aufzuklären ist, und wir werden das im Gegensatz zu Ihrer Verweigerungshaltung tun.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1105532500
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Seiler-Albring.

Ursula Seiler-Albring (FDP):
Rede ID: ID1105532600
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Struck, ich habe das Gefühl, daß Ihnen die Art des Verfahrens nur dann paßt, wenn das Ergebnis Ihren Erwartungen entspricht. Ich glaube, so können wir das ganze nicht anfassen.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Meine Damen und Herren, die Oberfinanzdirektion hat nach langen Beratungen das Ermittlungsverfahren gegen HDW und IKL eingestellt. Wir konnten erleben, daß die Opposition diese Einstellung mit einer Reihe von, zumindest bei der Fraktion der GRÜNEN, reichlich unerträglichen Pressemeldungen kommentierte. Die Vorwürfe reichen von der Rechtsbeugung bis zur vermuteten bzw. behaupteten direkten Einflußnahme des Bundesfinanzministers. Solange diese Vorwürfe nicht mit konkreten Unterlagen und Angaben belegt werden, ist das Verhalten von SPD und GRÜNEN gegenüber den betroffenen Beamten der Oberfinanzdirektion ungeheuerlich.

(Frau Eid [GRÜNE]: Wie hat denn der Minister auf den Bericht reagiert?)

Die deutschen Interessen im Ausland, die Interessen der deutschen Firmen im In- und Ausland und die Sicherheit der Arbeitsplätze im Inland — ich konnte mich am Montag an der Küste davon überzeugen — sind sehr gefährdet, denn diese Vorwürfe sind diesen unzuträglich.
Die Oppositionsparteien versuchen nun zum dritten Mal, dieses Thema zu billigen Wahlkampfzwecken zu mißbrauchen. Hier wird mit aller Gewalt und wahrhaftig nicht nach allen Regeln der Kunst versucht, einen an sich zu Ende gehenden Untersuchungsausschuß künstlich am Leben zu halten.
Dabei gibt es eigentlich eine Reihe von Gesichtspunkten, dieses Thema in der Tat sorgfältig und mit Augenmaß zu behandeln. Es ist unzweifelhaft, daß durch das Verhalten der beiden Firmen im Ausland Irritationen hervorgerufen worden sind. Hier hat es an der nötigen Sensibilität gegenüber den politischen Verhältnissen im südlichen Afrika gefehlt.

(Beifall bei der FDP)

Wir müssen uns auch der Frage zuwenden, welche Verpflichtungen uns eigentlich die Resolution des UN-Sicherheitsrates aus dem Jahre 1977 mit dem Waffenembargo gegenüber Südafrika auferlegt. Dann, wenn wir zu dem Ergebnis kommen, daß auch die Lieferung von Blaupausen verboten sein sollte, muß man sich fragen, ob wir innerstaatlich genügend



Frau Seiler-Albring
getan haben, dieser völkerrechtlichen Verpflichtung der Bundesrepublik Deutschland nachzukommen.

(Beifall bei der FDP — Schily [GRÜNE]: Kein Beifall bei der CDU/CSU, interessanterweise!)

Dieses könnte ein sinnvolles Ergebnis des U-BootAusschusses sein. Aber, um es noch einmal zu wiederholen, diese Frage läßt sich nicht mit billigem Klamauk oder durch das laute Erheben von Vorverurteilungen schlimmster Art beantworten.
Was die Bundesregierung zur Aufklärung der Lieferung von U-Boot-Blaupausen nach Südafrika getan hat, läßt sich präszise feststellen. Lassen Sie mich nur zusammenfassend folgendes darstellen: Der Bundesminister für Wirtschaft hat von dem geplanten Geschäft erfahren. Er hat ordnungsgemäß die Sache sofort prüfen lassen und sichergestellt, daß die notwendigen Maßnahmen in seinem Bereich ergriffen wurden. Weitere Lieferungen sind gestoppt worden. Der Bundesminister für Wirtschaft hat die Sache an den Bundesfinanzminister zuständigkeitshalber zwecks Verfolgung etwaiger Verfehlungen abgegeben. Dieser hat die zuständige Oberfinanzdirektion in Kiel mit der Durchführung von Ermittlungen und der Aufklärung des Sachverhaltes beauftragt. Das Verfahren hat lange gedauert, weil es sowohl vom Tatsächlichen als auch vom Rechtlichen her zweifellos schwierig war. Das Schwierigste allerdings war, die unsachlichen Angriffe der Opposition auf die Verfahrensführung abzuwehren, insbesondere deren Versuche, dieses Verfahren in ihrem vordergründigen politischen Interesse zu beeinflussen.
Zu dem Verfahren hat der Bundesminister des Auswärtigen im Ausschuß die erforderliche Stellungnahme zur Bewertung der außenpolitischen Fragen abgegeben. Der Verteidungsminister hat dann Amtshilfe bei der Klärung der technischen Fragen, insbesondere zur Klärung von Vorwürfen zum Geheimnisverrat, geleistet.
Meine Damen und Herren, was kann man hier noch mehr verlangen? Ist das alles nur deswegen nichts oder zu wenig, weil eben das Ergebnis des Verfahrens, Herr Struck, der Opposition nicht in den Kram paßt? Was ist denn das eigentlich für ein Rechtsverständnis der SPD, integeren Beamten quasi Rechtsbeugung vorzuwerfen? Ich habe dafür wirklich kein Verständnis.

(Beifall bei der FDP — Jungmann [SPD]: Die Beamten können doch nichts dazu! Die stehen unter der Knute von Stoltenberg!)

Welche Anhaltspunkte hat die SPD hierfür? Wer die Entscheidung der Oberfinanzdirektion im Inland oder im Ausland in Frage stellt, meine Damen und Herren, ohne Roß und Reiter zu nennen, schadet dem Ansehen der Bundesrepublik Deutschland.
Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1105532700
Das Wort hat die Frau Abgeordnete Eid.

Ursula Eid-Simon (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1105532800
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Lassen Sie mich nun darlegen, daß entgegen der OFD-Behauptungen Pläne, U-Boot-Modell, Expertenhilfe und Zulieferungen nach Südafrika gelangten.
Erstens zu den Plänen: Der entscheidende Hinweis steht in der sogenannten Feasebility-Studie. Diese Studie wurde von HDW und IKL für Südafrika angefertigt. Sie weist die Machbarkeit des U-Boot-Baus nach. Es heißt dort zweifelsfrei, daß Südafrika im Besitz der kompletten Pläne für das Indien-U-Boot, Typ 1500, ist und daß der von Südafrika gewünschte Typ 1650 daraus entwickelt werden kann. Die Pläne sind also komplett. Wir fordern die Staatsanwaltschaft Kiel auf, auf Grund dieser Tatsache ihre Ermittlungen auch wegen § 34 AWG neu zu eröffnen. Und wir fordern von Minister Stoltenberg, die OFD-Entscheidung unverzüglich aufzuheben.
Zweitens, das U-Boot-Modell: Ich habe den Verdacht, daß das U-Boot-Modell über den Umweg Israel nach Südafrika gelangt ist. Ich vermute, daß sich das 1:5-Modell in einem 1,8 t schweren Container befand,

(Bohl [CDU/CSU]: Alles Vermutungen!)

der free on board am 15. Dezember 1986 von der Firma Hamacher über den Flughafen Hamburg verschickt wurde.

(Bohl [CDU/CSU]: Alles Vermutungen!)

Genau so war die Auslieferung des Modells im Geheimvertrag vereinbart: free on board über Flughafen Hamburg frühestens ab dem 1. Juli 1986.
In den Akten der OFD sind alle Stellen geschwärzt, die sich mit dem Inhalt dieses Containers befassen.

(Schily [GRÜNE]: Das ist ja sehr interessant! Da sind die Schwärzer am Werke! — Jungmann [SPD]: Entlarvend ist das!)

Solange die Bundesregierung die Öffentlichkeit nicht darüber informiert, was am 15. Dezember 1986 free on board über den Hamburger Flughafen geliefert wurde, schenken wir dem Kernstück des OFD-Berichts, das Modell sei nie ausgeliefert worden, keinen Glauben;

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

denn es gibt ein weiteres gravierendes Indiz, daß sich das Modell längst in Südafrika befindet: HDW und IKL haben von Südafrika eine Summe von 2,6 Millionen DM erhalten, für die sie offiziell keine Leistungen erbracht haben. Bei diesem Betrag handelt es sich ziemlich genau um den vereinbarten Preis für die Lieferung des U-Boot-Modells.

(Jungmann [SPD]: Richtig!)

Ich hätte noch Ausführungen zu machen zur Expertenhilfe und zu Zulieferungen, aber die Zeit bleibt mir nicht.
Sie sehen: Die OFD-Darlegungen stehen auf wakkeligen Beinen. Dem U-Boot-Untersuchungsausschuß kommt nun die verstärkte Verantwortung zu.



Frau Eid
Herzlichen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD — Frau Unruh [GRÜNE]: Wer hat da durchgestrichen? Beamte oder wer?)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1105532900
Das Wort hat der Abgeordnete Eylmann.

Horst Eylmann (CDU):
Rede ID: ID1105533000
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn sich in der politischen Diskussion dieser Republik an einem Mittwoch noch nicht der Skandal der Woche etabliert hat, geraten strebsame Abgeordnete der Oppositionsparteien in die Versuchung, mit einem handfesten Verdacht — möglichst schwerwiegend — an die Öffentlichkeit zu treten. Am Donnerstag erklären sie dann meistens, daß sich der Verdacht schon in der Nähe der Gewißheit bewege. Am Freitag, etwas in Schwierigkeiten geraten, beziehen sie sich auf irgendwelche Akten oder Informanten, deren Namen sie nicht offenlegen können. Am Wochenende, vollends in der Defensive, behaupten sie dann frech und frei, so möchte ich es sagen, man solle ihnen doch erst einmal das Gegenteil beweisen.

(Zustimmung bei der CDU/CSU — Frau Unruh [GRÜNE]: Durchgestrichen!)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn ich die politische Diskussion der letzten Wochen verfolge, komme ich zu dem Ergebnis: Der Verdacht ist alles, der Beweis ist nichts.

(Zustimmung bei der CDU/CSU — Jungmann [SPD]: Das sagen Sie mal Herrn Wallmann!)

So läßt sich auch diese heutige Aktuelle Stunde begreifen. Aus den umfangreichen Akten der OFD, die uns im Untersuchungsausschuß inzwischen vorliegen, ergibt sich nicht der geringste Hinweis darauf, daß die Bundesregierung einen Druck auf die OFD ausgeübt hat, das Verfahren einzustellen. Die Verdächtigungen, die hier ausgesprochen werden, sind Verdächtigungen ins Blaue. Diese Verdächtigungen sind letztlich verantwortungslos.

(Jungmann [SPD]: Sie müssen es doch genau wissen! Sie waren doch oft genug in Südafrika)

Meine Damen und Herren, die Verdächtigungen sind verantwortungslos, weil Sie nämlich die Beamten der OFD Kiel, von denen Sie aus den Akten wissen,

(Schily [GRÜNE]: Wie oft waren Sie denn in Südafrika?)

daß sie sich sehr, sehr intensiv mit der Aufklärung des Sachverhalts und auch mit der Klärung der sehr schwierigen Rechtsfragen befaßt haben, schlicht als willfährige Knechte und Kreaturen der Bundesregierung diffamieren. Dasselbe gilt für die Staatsanwaltschaft.

(Zuruf des Abg. Schily [GRÜNE])

Im Aussprechen der Verdächtigungen ist die Opposition groß, in der Verifizierung ist sie klein. Darauf komme ich gern einmal zu sprechen. Man sieht es nämlich im Untersuchungsausschuß.

(Erneuter Zuruf des Abg. Schily [GRÜNE])


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1105533100
Herr Abgeordneter Schily, es scheint Ihrer Aufmerksamkeit entgangen zu sein, daß ich das Wort dem Abgeordneten Eylmann erteilt hatte und nicht Ihnen.

(Schily [GRÜNE]: Leider! Schade!) Bitte sehr, fahren Sie fort.


Horst Eylmann (CDU):
Rede ID: ID1105533200
Herr Kollege Schily, Sie haben zunächst gesagt, dieser Ausschuß dümpelt vor sich hin. Dieser Eindruck ist wohl auch richtig.

(Jungmann [SPD]: Weil Sie als Vorsitzender ihn haben dümpeln lassen!)

Nur: Das liegt daran, daß die Ruderer auf der linken Seite dieses Bootes das Rudern weitgehend eingestellt haben. Bei der Beweiserhebung in der letzten Woche war die gesamte Opposition nur noch mit dem Abgeordneten Gansel vertreten. Auf diese Weise wurde sinnfällig klar, wer überhaupt noch ein Interesse an diesem Ausschuß hat. Sie arbeiten in diesem Ausschuß doch eigentlich gar nicht mehr mit.
Von Ihnen, verehrte Kollegin Eid, höre ich im Ausschuß eigentlich auch wenig. Mit dem Kollegen Schily war es noch etwas anderes im Flick-Ausschuß. Aber nun bringe ich den in Schwierigkeiten; das möchte ich nicht.
Ich will Ihnen ein Beispiel erzählen. Als ich mich mit den Kolleginnen und Kollegen von der CDU und von der FDP vor einiger Zeit bemühte, freiwillig in einem Rechtsgespräch eine Herausgabe der Akten zu erreichen, wurde ich diffamiert, ich verhielte mich würdelos. Erst jetzt, nachdem der Berater des Ausschusses, ein Mann Ihres Vertrauens, klargemacht hat, daß eigentlich noch gar keine rechte Grundlage für ein Beschlagnahmeverfahren besteht, schließen Sie sich diesen Bedenken an. Nun versuchen Sie mit einiger Mühe, durch eine Erweiterung des Untersuchungsauftrags überhaupt eine Basis für die weitere Arbeit zu erreichen.

(Bohl [CDU/CSU]: Sehr richtig!)

Zu diesem Zweck haben Sie jetzt zum zweitenmal beantragt, den Beschlagnahmeantrag zurückzustellen. Sie können doch nicht leugnen, daß wir heute nicht einmal einen Teil der Akten hätten, wenn wir uns, als Sie den Ausschuß boykottierten und an der Sitzung überhaupt nicht mehr teilnahmen, nicht darum bemüht hätten.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Wir sind in der absurden Situation, daß wir, die Regierungsparteien, die diesen Ausschuß für überflüssig hielten, ihn voranbringen müssen, während Sie dort nichts tun und sich in der Öffentlichkeit lauthals mit Verdächtigungen hervortun.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Dr. Struck [SPD]: Das ist wider besseres Wissen!)

Sie reden gern und vollmundig — auch heute morgen — über politische Kultur. Die Etablierung des Verdachts, der seinen Wert schon als solcher in sich trägt und seine Verifizierung als ein belangloses Anhängsel erscheinen läßt, also die Etablierung sozusagen des Verdachts an und für sich als Mittel der Politik



Eylmann
ist ein sehr fragwürdiger Beitrag der Opposition zur politischen Kultur dieses Landes.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Jungmann [SPD]: Da erinnere ich Sie an Schleswig-Holstein! — Bohl [CDU/CSU]: Der Verdacht ist alles, der Beweis ist nichts! — Jungmann [SPD]: Ihr seid durch Beweise doch gar nicht zu überzeugen, schon gar nicht der Stoltenberg!)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1105533300
Das Wort hat der Abgeordnete Stobbe.

Dietrich Stobbe (SPD):
Rede ID: ID1105533400
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Unwahrscheinliche ist geschehen: Ausgerechnet eine deutsche Verwaltungsstelle, die Oberfinanzdirektion Kiel, hat es geschafft, meine eher langweiligen Bonner Nächte zu einem Erlebnis werden zu lassen: Aktenstudium. Man liest und liest und liest — ich gebe zu: mit entzündeten Augen, aber selbstverständlich nie ermüdend — , und man weiß nicht so recht, ob man lachen oder weinen soll.

(Zuruf von der CDU/CSU: Sie sehen schon so traurig aus! — Bohl [CDU/CSU]: Jetzt kommt Dietrichs Märchenstunde, weiter so! — Seiters [CDU/CSU]: Stobbes Märchenstunde!)

Deutsche Bürokratie in ihrer Perfektion: ein paar handfeste politische Vorgaben — und die hat es gegeben, Herr Kollege Eylmann; Sie waren ja am Anfang im Untersuchungsausschuß nicht dabei — ,

(Bohl [CDU/CSU]: Doch, doch, immer, von Anfang an, seit Anfang ist er Vorsitzender! Schon wieder die Unwahrheit!)

dann feinziselierte juristische Arbeit, und dann fallen die Mikadostäbe eben so, wie die Regierung sie braucht oder meint, daß sie sie braucht:

(Dr. Struck [SPD]: Richtig!)

Einstellung des Verfahrens. Es darf ja nicht sein, was nicht sein kann.

(Dr. Struck [SPD]: Richtig!)

Aber ob diese Vorgehensweise den Fragen einer sehr kritischen Weltöffentlichkeit standhält? Da hatten wir im vergangenen November in der Generalversammlung der Vereinten Nationen die Debatte über Apartheid. Natürlich ist die Bundesregierung gegen Apartheid; das bringt ihr Vertreter zum Ausdruck. Er wird von dem ghanaischen Botschafter herausgefordert. Dieser beschwert sich über den Verkauf von U-Boot-Blaupausen an Südafrika durch eine staatseigene Firma in der Bundesrepublik Deutschland: Die Bundesregierung habe davon gewußt und verfolge die Verletzung des UN-Embargos nur höchst inkonsequent. Viel Zeit sei vergangen, seit mit der Untersuchung des Falles begonnen wurde. Und jetzt gäbe es in der Generalversammlung die Gerüchte, daß die betreffenden Firmen nur mit einer leichten Ordnungsstrafe zu rechnen hätten, deren Verhängung aber erst erfolgen solle, wenn die Generaldebatte vorbei sei. Er bittet um eine Erklärung des Botschafters der Bundesrepublik.
Unser Mann in New York antwortet: Die zuständigen Behörden der Bundesrepublik Deutschland hätten sofort mit einer Untersuchung begonnen, sobald der unautorisierte Verkauf der Blaupausen bekanntgeworden sei. Ob er politisch autorisiert war oder nicht, war aber gerade Gegenstand unserer Debatte im Untersuchungsausschuß. Davon natürlich kein Wort! Davon, daß die Regierung die Möglichkeit gehabt hätte, die Strafverfolgungsbehörden einzuschalten, dies aber eben nicht getan, sondern von Anfang an auf das Ordnungswidrigkeitenrecht verwiesen hat, ebenfalls kein Wort.
Aber dann kommt die Trumpfkarte unseres Botschafters. Die Trumpfkarte ist der parlamentarische Untersuchungsausschuß, der vom Deutschen Bundestag eingesetzt wurde; so seine Ausführungen. Er dient dem Vertreter der Bundesrepublik in der Generaldebatte als Hauptargument dafür, daß die Vorgänge streng untersucht werden. Von dem Verhalten der Bundesregierung und der Mehrheitsfraktionen in diesem Ausschuß, z. B. hinsichtlich der Verzögerungsstrategie, die wir alle dort durchleiden müssen, natürlich ebenfalls kein Wort. Nein, es werde alles auf das sorgfältigste untersucht.
Frappierend ist, wenn man die Akten liest, daß unser Botschafter in der Weltorganisation diese Ausführungen zu einem Zeitpunkt macht, in dem die Bundesregierung, mindestens der Bundeswirtschaftsminister, gegenüber der Finanzdirektion Kiel längst zum Ausdruck gebracht hat, daß sie mit einer Einstellung des Verfahrens einverstanden ist. Wohlgemerkt: mit einer Einstellung, also noch nicht einmal eine Ordnungsstrafe!

(Gansel [SPD]: So ist das! — Lowack [CDU/ CSU]: Darüber wird dann in Zukunft der ghanaische Vertreter zu befinden haben!)

Dies bedeutet jetzt, daß die Bundesregierung, die gegenüber dem Embargoausschuß der Vereinten Nationen — das ist immerhin ein Unterausschuß des Sicherheitsrates — eine Versprechung gemacht hat, in eine sehr peinliche Situation kommen wird.
Wir, die Opposition, waren nicht daran interessiert, diesen Fall international hochzuspielen. Jedenfalls haben wir nichts getan, um das zu tun. Aber wenn die Bundesregierung bei der Linie bleibt, daß sie nach außen mit dem Hinweis auf strengste Prüfungen abwiegelt und gleichzeitig nach innen blockt und verzögert, dann, finde ich, müssen wir uns unsere Position noch einmal überlegen dürfen.

(Beifall bei der SPD)

Ich könnte mir vorstellen, daß in den Vereinten Nationen viele Staaten ein Interesse daran hatten, die von der Opposition bereits zutage geförderten Fakten und auch z. B. die Art und Weise, wie diese Untersuchung von der Regierung geführt wurde, näher kennenzulernen.

(Dr. Struck [SPD]: Richtig!)

Ähnlich verhält es sich hinsichtlich Indiens. Dort hat unser Botschafter ebenfalls auf die laufenden Untersuchungen hingewiesen, und, wie man den Akten entnehmen kann, bewußt beiläufig angemerkt, daß die übersandten Blaupausen einem eigens für dieses



Stobbe
Projekt Südafrika entwickelten Typ entsprechen. Die Bundesregierung weiß aber ganz genau, daß diese Angabe im höchsten Maße fraglich ist. Wir werden eine erhebliche Störung der Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland bekommen,

(Lowack [CDU/CSU]: Wenn ihr sie herbeiführt! — Bohl [CDU/CSU]: Ihr inszeniert sie! So ist es!)

wenn sich herausstellen sollte, daß die Teile, daß die Unterlagen, die geliefert worden sind, dem Typ entsprechen, der von der Bundesrepublik Deutschland an Indien verkauft worden ist.

(Beifall bei der SPD)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1105533500
Ich erteile dem Herrn Bundesminister der Finanzen das Wort.

Dr. Gerhard Stoltenberg (CDU):
Rede ID: ID1105533600
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung hat bereits in zahlreichen Sitzungen, insbesondere vor dem parlamentarischen Untersuchungsausschuß, seit Dezember 1986 ausführlich dargestellt, wie sie die hier zur Debatte stehende Angelegenheit dem Gesetz entsprechend behandelt hat. Sie hat dazu beigetragen, daß das Verfahren frei von politischen Einflüssen, Pressionen von auswärts, die ja versucht worden sind, nach rechtsstaatlichen Grundsätzen durchgeführt werden konnte.
Im Juni 1985 wurde dem Bundesminister für Wirtschaft, dem Kollegen Bangemann, durch eine der betroffenen Firmen eine mögliche Zuwiderhandlung gegen das Außenwirtschaftsrecht bekannt. Er hat nach einer ersten Prüfung den Vorrang an das Bundesministerium der Finanzen abgegeben,

(Gansel [SPD]: Hand zu Hand!)

da für Ermittlungen von Zuwiderhandlungen gegen das Außenwirtschaftsgesetz

(Gansel [SPD]: Ihnen persönlich in die Hand gedrückt!)

die Zollabteilungen der Oberfinanzdirektionen nach § 43 Abs. 3 des Außenwirtschaftsgesetzes zuständig sind. Ich unterstreiche das, weil die Vorwürfe, die die Frau Kollegin Eid gegen Herrn Kollegen Bangemann erhoben hat, vollkommen unbegründet sind, meine Damen und Herren.

(Gansel [SPD]: Sie haben prüfen lassen, wie Sie die Staatsanwaltschaft vermeiden können!)

Ich habe auch gewisse Bedenken dagegen, daß von Ihnen, Frau Eid, in bruchstückhafter und teilweise ausgesprochen irreführender Weise — so muß ich sagen — aus den Akten zitiert wurde.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Gansel [SPD]: Machen Sie sie doch offen!)

— Wir kommen gleich noch auf Datenschutz zu sprechen, Herr Gansel. Die Maßstäbe verändern sich bei Ihnen sehr, je nach Opportunität,

(Dr. Ehmke [Bonn] [SPD]: Das muß ausgerechnet so jemand sagen!)

wenn es um Datenschutz geht.

(Gansel [SPD]: Täterschutz!)

Ich habe nach einer internen Vorprüfung durch die zuständigen Beamten des Finanzministeriums veranlaßt, daß der Vorgang am 14. November 1985 zur weiteren Bearbeitung an die Oberfinanzdirektion Kiel abgegeben wurde. Die Oberfinanzdirektion hat das Verfahren gegen das Ingenieurkontor Lübeck, danach auch gegen HDW und leitende Mitarbeiter dieser Unternehmen eigenverantwortlich durchgeführt. Von den zuständigen Beamten der Oberfinanzdirektion wurde der Sachverhalt in dem gebotenen Umfang sorgfältig aufgeklärt. Es handelte sich um tatsächlich und rechtlich sehr schwierige Ermittlungen, was den Zeitraum des Verfahrens begründet. Ich habe volles Vertrauen in die fachliche Kompetenz und die Integrität der beteiligten Beamten und Angestellten und weise die hier erhobenen Vorwürfe gegen sie als haltlos zurück.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Jetzt komme ich zum Datenschutz. Wenn hier kritisch angesprochen wurde, daß einzelne Passagen in den Akten geschwärzt sind, dann sage ich auf Grund einer Rücksprache hier im Hause mit dem zuständigen Referatsleiter: Das ist ausschließlich dort erfolgt, wo Passagen, die das Betriebsgeheimnis berühren und nicht vom Untersuchungsauftrag erfaßt sind, datenschutzrechtlich so behandelt werden müsse. Man kann nicht abwechselnd je nach politischer Opportunität Vorkämpfer des Datenschutzes sein und in anderen Fällen die Beachtung von Datenschutzvorschriften kritisieren.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Frau Eid [GRÜNE]: Es sind doch sowieso Geheimakten! Wieso sind Geheimakten noch geschwärzt?)

Die zuständigen Beamten des Bundesministeriums der Finanzen haben das Verfahren begleitet. Ich habe mich von Zeit zu Zeit über den Vorgang unterrichten lassen. Es sind der Oberfinanzdirektion zu keiner Zeit Weisungen erteilt worden, die sich einschränkend auf Umfang oder Art der Ermittlungen hätten auswirken können. Soweit Hinweise und Anregungen gegeben wurden, bezogen sie sich im Gegenteil auf zusätzliche Feststellungen, die die zuständigen und erfahrenen Beamten des Finanzministeriums für erforderlich hielten.
Herr Kollege Struck, zur Frage der Beteiligung des Bundesamtes für Wirtschaft sagte mir auch der erfahrene und kundige Referatsleiter: Es ist ab Dezember 1986 am Verfahren ordnungsgemäß im Rahmen seiner Zuständigkeiten beteiligt worden.
Meine Damen und Herren, selbstverständlich wurden der Oberfinanzdirektion die rechtlichen Wertungen der beteiligten Ressorts, insbesondere des für das Außenwirtschaftsgesetz federführenden Bundesministeriums für Wirtschaft, übermittelt. Alle Unterstellungen, die Bundesregierung habe zugunsten der in Verdacht geratenen Firmen oder Personen Einfluß auf das Verfahren genommen, entbehren jeder Grundlage.
Außer dem Bundesminister für Wirtschaft sind auch das Auswärtige Amt und das Bundesministerium der



Bundesminister Dr. Stoltenberg
Verteidigung beteiligt worden. Die Oberfinanzdirektion ist nach Abschluß ihrer Ermittlungen zu dem Ergebnis gekommen, daß ein Verstoß gegen außenwirtschaftliche Bestimmungen nicht nachgewiesen werden konnte. Nach rechtsstaatlichen Grundsätzen mußte das Verfahren daher eingestellt werden. Das Bundesministerium der Finanzen ist hierüber unterrichtet worden.

(Gansel [SPD]: Wann?)

Es hat keine Veranlassung gesehen, das Vorgehen der Oberfinanzdirektion zu beanstanden.

(Gansel [SPD]: Sagen Sie doch das Datum!)

— Ich kann es Ihnen aus dem Gedächtnis nicht sagen, aber die Frage kann im Ausschuß geklärt werden, Herr Gansel.

(Dr. Struck [SPD]: Sind Sie persönlich in die letzte Entscheidung eingeschaltet gewesen?)

— Ich habe Ihnen doch meine Position in diesem Zusammenhang hier zu Protokoll gegeben, Herr Struck. Sie können das alles nachlesen.
Nach dem Ergebnis der Ermittlungen und nach den eingeholten technischen und rechtlichen Stellungnahmen reichten die gelieferten Unterlagen nicht aus, um damit ein U-Boot oder wesentliche Teile davon zu bauen.
Es haben sich für die Oberfinanzdirektion auch keine Anhaltspunkte dafür ergeben, daß ausfuhrgenehmigungspflichtige Lizenzen an Patenten erteilt worden sind. Nach dem Ermittlungsergebnis der Oberfinanzdirektion stellt der Beginn der Lieferung von Unterlagen in dem festgestellten begrenzten Umfang auch keinen Versuch eines Verstoßes gegen das Außenwirtschaftsrecht dar.
Ich teile Ihnen hier die rechtliche Würdigung mit, unabhängig von politischen Bewertungen über den Vorgang und das Verhalten der Firmen als solches. Aber ich muß hier vor dem Parlament, wenn das zum Thema gemacht wird, nun auch die Rechtsgründe nennen, die nach meiner Überzeugung nach gewissenhafter Prüfung die zuständige Behörde zu dieser Entscheidung veranlaßt haben.
Die Oberfinanzdirektion hat im Zuge ihrer Ermittlungen in engem Kontakt mit der Staatsanwaltschaft Kiel gestanden; auch das möchte ich zu Ihren Ausführungen, Herr Struck, sagen. Die Staatsanwaltschaft hat bisher keine Veranlassung gesehen, ein eigenes Verfahren durchzuführen. Soweit sich die Staatsanwaltschaft Kiel mit dem Vorgang befaßt, geht es ausschließlich um mögliche Verstöße gegen Gesetzesvorschriften, deren Verfolgung nicht in die Zuständigkeit von Verwaltungsbehörden des Bundes fällt. Das ist uns auch durch die öffentlichen Mitteilungen in letzter Zeit bekanntgeworden.
Meine Damen und Herren, Herr Kollege Struck hat schließlich gefragt — lassen Sie mich das als letztes kurz sagen — : Warum haben wir die Beteiligung des Bundes bei HDW nicht ruhen lassen? Sie wissen, daß es keine direkte Beteiligung des Bundes gibt, sondern eine Beteiligung der Salzgitter AG, die wieder im Eigentum des Bundes ist. Mich hat Ihre Frage aber auch in einem anderen Zusammenhang überrascht: Ich bin
in einem viel früheren Stadium dieser Erörterungen
— ich weiß nicht, ob es im Haushaltsausschuß war, ich weiß auch nicht mehr, ob es im Untersuchungsausschuß war — von einem Ihrer Kollegen gefragt worden, warum ich als Beteiligungsminister nicht sofort tätig geworden bin. Das sind zwei sehr unterschiedliche Fragestellungen.

(Verheugen [SPD]: Zu unterschiedlichen Zeitpunkten!)

— Nein, das kann man so nicht sagen. — Ich habe damals gesagt und will das hier vor dem Plenum wiederholen: Ein Tätigwerden als Beteiligungsminister über die Organe der Salzgitter AG hätte als eine gewisse Tangierung des unabhängigen Verfahrens der Oberfinanzdirektion verstanden werden können. Andererseits gab es, Herr Struck, keinen Grund, wegen dieses schwebenden Verfahrens bei einer mittelbaren Bundesbeteiligung die Beteiligung ruhen zu lassen. Das wäre eine Entscheidung von Salzgitter gewesen. Sie wissen, daß wir uns auch als mittelbarer Gesellschafter sehr stark für die Werft in Kiel und für die Mitarbeiter engagieren; sie sind darauf angewiesen. Ich bitte, die weiteren Diskussionen so zu führen, daß dieses große Unternehmen und seine Mitarbeiter nicht Schaden nehmen. Auch daran sollten wir denken.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1105533700
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Verheugen.

Günter Verheugen (SPD):
Rede ID: ID1105533800
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Diese Aktuelle Stunde ist auch deshalb so besonders aktuell, weil einer der politischen Väter dieses U-Boot-Projekts sich mit dem anderen Vater dieses Projekts gerade gestern in Südafrika getroffen hat. Ich spreche von dem bayerischen Ministerpräsidenten in seiner Eigenschaft als Sonderbeauftragter des Bundeskanzlers — darüber wird noch zu sprechen sein —,

(Dr. Ehmke [Bonn] [SPD]: Blüm-Ersatz! — Zuruf des Abg. Schily [GRÜNE])

dessen Rolle in dieser Affäre ja von ihm selber eingeräumt worden ist. Kollege Struck hat auf das Interview in der „Bild"-Zeitung vom 28. November 1986 hingewiesen.
Die Frage, die ich gern stellen möchte, ist: Ist es nicht so, daß dieses U-Boot-Geschäft ganz unabhängig von den rechtlichen Problemen auf jeden Fall politisch gewollt war? Politisch war es gewollt.

(Schily [GRÜNE]: Das ist die richtige Frage, ja!)

Ich will auch zu den Gründen etwas sagen. Wenn es nicht politisch gewollt gewesen wäre, dann hätte der Bundeskanzler wohl in dem berühmten Gespräch, bei dem das Sofa herausgetragen wurde, zum Ansinnen des Herrn Präsidenten — damals noch Ministerpräsidenten — Botha sofort Nein sagen müssen. Wenn es politisch nicht gewollt gewesen wäre, dann hätten nicht der Vorsitzende der CSU und auch noch andere aus dieser Partei so nachhaltig interveniert, daß es zustande kommt.



Verheugen
Ich habe hier den „Bayernkurier" von übermorgen.

(Heiterkeit bei der CDU/CSU)

Da schreibt der sattsam bekannte Kollege Bötsch, den ich hier heute leider vermisse:

(Bohl [CDU/CSU]: Der ist in Südafrika!)

„Franz Josef Strauß ist wie kein anderer deutscher oder europäischer Politiker ein Kenner der Verhältnisse und Probleme im südlichen Afrika."
Lassen wir den in der CSU üblichen Byzantinismus einmal beiseite und fragen wir, ob dieser profunde Kenner der Verhältnisse in Südafrika dann nicht auch wissen müßte, was die Rolle der südafrikanischen Marine ist.
Darüber gibt es eine ausnehmend große und reichhaltige Literatur, die mir, der ich kein so profunder Kenner bin, bekannt ist und deshalb Herrn Strauß bekannt sein muß.

(Bohl [CDU/CSU]: Vielleicht ist es deshalb auch etwas verkürzt!)

Ich zitiere aus einem Aufsatz des Oberbefehlshabers der südafrikanischen Marine über die Rolle südafrikanischer Kriegsschiffe. Er sagt: „Es geht darum, in sichtbarer Weise endlich in den Kampf gegen Aufrührer eingreifen zu können."

(Gansel [SPD]: So ist das!)

Was nach südafrikanischer Definition Aufrührer sind, Herr Kollege Bohl, der Sie sich darüber so wundern, sind nach unserer Auffassung Menschen, die für nichts anderes als für ihre Menschenwürde, ihr Recht und ihre Freiheit kämpfen.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Das sind nach südafrikanischer Definition Aufrührer. Gegen diese Menschen sollten die U-Boote eingesetzt werden, die laut Wunsch von Herrn Strauß und unter der Mitwirkung anderer maßgeblicher Herren dieser Regierung

(Lowack [CDU/CSU]: In Soweto werden sie eingesetzt!)

geliefert werden sollten. Das ist der Punkt. Es war gewollt.
Es gibt noch eine andere Seite der Affäre. In demselben Aufsatz des Oberbefehlshabers der südafrikanischen Marine, der übrigens sehr neu ist — er ist erst ein halbes Jahr im Amt — , schreibt er etwas über die indische Marinerüstung. Er schreibt über die indische Marinerüstung, daß sie nicht verständlich wäre, es sei denn, Indien schaffe sich so viele Überwasserschiffe und U-Boote an, weil es eine regionale Hegemonie im Südpazifik und Südatlantik anstrebt.
Weshalb wohl hat Südafrika U-Boot-Pläne eines Typs haben wollen, der bis damals nur nach Indien geliefert worden war, nämlich U-Boot-Pläne des Typs 1650? Sie wissen ganz genau, daß es diese nur in Indien gibt. Was wollten die Südafrikaner? Wollten sie diese U-Boote bauen? Nein, das wollten sie nicht, denn sie haben andere Pläne gekauft. Sie wollten wissen, wie die Leistungsfähigkeit der indischen Marine ist.
Jetzt frage ich einmal nach den Rechten unseres Vertragspartners Indien und danach, ob hier, wenn diese für die Sicherheit Indiens wichtigen Informationen weitergegeben worden sind,

(Bohl [CDU/CSU]: 1650 M!)

nicht der Tatbestand des Verrats militärischer Geheimnisse vorliegt.

(Bohl [CDU/CSU]: Sie sind nicht informiert! 1650 M! Nicht 1650!)

Ich frage, warum die wie immer betont wird, sofort tätige Staatsanwaltschaft in Schleswig-Holstein in dieser Sache bis auf den heutigen Tag nicht tätig geworden ist.

(Beifall bei der SPD — Bohl [CDU/CSU]: Sie sind nicht informiert!)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1105533900
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Lowack.

(Dr. Struck [SPD]: Jetzt wird es schlimm! Jetzt kommt wieder so ein Vertuscher!)


Ortwin Lowack (CSU):
Rede ID: ID1105534000
Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Stobbe, dieses Parlament wäre tatsächlich traurig dran, wenn wir über eine innere deutsche Angelegenheit oder eine Diskussion über etwas, was sich bei uns abspielt, den Vertreter Ghanas bei den Vereinten Nationen entscheiden lassen würden. Lieber Kollege Verheugen, dieses Parlament wäre auch traurig dran, wenn wir hier noch über Vaterschaften zu entscheiden hätten.
Aber an sich befaßt sich diese Aktuelle Stunde mit einem anderen Thema. Es wird nach der Aufklärung oder der Verhinderung der Aufklärung durch die Bundesregierung gefragt; von der Formulierung her wird sogar eine Art Rollenspiel unterstellt. Meine sehr verehrten Damen und Herren, wer so fragt, will nicht nur der Bundesregierung, sondern er will der Bundesrepublik Deutschland schaden. Wir können das hier doch gar nicht von der außenpolitischen Folge trennen: Jeder Verdacht, der hier geäußert wird, ohne daß er bewiesen werden kann, oder ein Verdacht, den man selber in die Welt gesetzt hat, schadet der Bundesrepublik Deutschland. Das ist doch der Maßstab, den wir anlegen müssen.

(Dr. Ehmke [Bonn] [SPD]: Das hättet ihr gern! Das haben die Deutschnationalen 1870/71 gesagt! Euch muß mal was Neues einfallen!)

Wir haben überhaupt nichts dagegen, wenn aufgeklärt wird, und wir haben auch nichts gegen eine schonungslose Aufklärung, und die Institution des Untersuchungsausschusses soll ja dazu beitragen, daß aufgeklärt werden kann. Aber wir sollten ein Mindestmaß an Objektivität und Verantwortung erwarten können. Ich habe den Eindruck, daß den Antragstellern dieser Aktuellen Stunde dieses Mindestmaß an Verantwortung fehlt.
Ich halte noch einmal fest: Das Entscheidende ist, daß es hier nicht nur um einen Vorgang geht, der uns im Innern betrifft, sondern daß jede unbedachte Au-



Lowack
ßerung, die hier fällt, dem Namen und dem Ruf der Bundesrepublik Deutschland schaden muß.

(Frau Eid [GRÜNE]: Dem Geschäft! — Schily [GRÜNE]: Herr Lowack, was schadet es dem Ruf der Bundesrepublik, wenn der bayerische Ministerpräsident sagt: Baut endlich für Südafrika?)

Ich bitte Sie, das bei Ihrer Fragestellung mit zu berücksichtigen.
Ich halte fest — nicht als Mitglied der Bundesregierung, sondern als Mitglied des Deutschen Bundestags und als Mitglied des Untersuchungsausschusses — : Es gibt keinerlei Anhaltspunkte dafür, daß die Bundesregierung die Aufklärung der Veräußerung von Konstruktionsplänen für U-Boote nach Südafrika verhindert, behindert oder auch nicht gefördert hätte.

(Bohl [CDU/CSU]: Schily ist der Verdachtsparlamentarier! — Zurufe von der SPD)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, es gibt von seiten der Fraktion DIE GRÜNEN noch nicht einmal einen einzigen Beweisantrag im Untersuchungsausschuß, der in diese Richtung läuft. Das heißt, Sie haben überhaupt kein Interesse daran gezeigt, im Untersuchungsausschuß als dem zuständigen Gremium etwas zu untersuchen und zu erforschen. Ihnen geht es nur darum, daß Sie hier in der Öffentlichkeit diffamieren, ohne daß Sie in irgendeiner Art und Weise Ihre Verdachtsmomente belegen oder begründen können. Ihnen geht es um haltlose Verdächtigungen und plakative Unterstellungen.

(Beifall bei der CDU/CSU — Zurufe von den GRÜNEN)

Meine sehr verehrten Damen und Herren von den GRÜNEN und von der sozialdemokratischen Fraktion, Ihnen paßt das Untersuchungsergebnis nicht. Die sozialdemokratische Fraktion hat diese Aktuelle Stunde gar nicht beantragt, und ich verstehe teilweise Ihr Engagement heute gar nicht.

(Jungmann [SPD]: Deswegen können wir doch dafür sein!)

Daß sich eine Beteiligung von Mitgliedern der Bundesregierung am Verkauf der Konstruktionspläne gerade nicht ergeben hat oder daß die Lieferung dieser Konstruktionspläne gar nicht rechtswidrig ist, ist noch lange keine Begründung dafür, daß Sie hier haltlose Unterstellungen zum Gegenstand einer politischen Diskussion machen. Warum zitieren Sie eigentlich nicht — das ist meine Frage an Sie — aus den jetzt offenen Protokollen des Vorstands von HDW? Da ist in der Notiz über das Gespräch mit Bundesminister Stoltenberg festgehalten: Absage an das Geschäft. Da ist in der Notiz über das Gespräch mit Außenminister Genscher festgehalten: Absage an dieses Geschäft. Warum zitieren Sie nicht aus dem Vernehmungsprotokoll des Außenministers, in dem er klargestellt hat: kein Druck oder sonst etwas von seiten des Bundeskanzlers? Das müßten Sie hier doch erst einmal vortragen, damit wir wissen, wie diese Aktuelle Stunde überhaupt zustande kommt. Wer schiebt denn zur Zeit die Durchführung eines Beschlagnahmebeschlusses hinaus? Es ist darauf hingewiesen worden: Wer
drängt nicht mehr darauf, sondern verschiebt die Untersuchungen?

(Jungmann [SPD]: Sie wollen doch den Beschluß immer kippen!)

Das ist doch die Opposition, die sozialdemokratische Fraktion. Wer muß denn jetzt seinen Untersuchungsauftrag, wie es so schön heißt, präzisieren oder ergänzen?
Ich räume ein, Kollege Gansel, Sie haben das mit sehr gequältem Gesicht vorgetragen. Ich habe das schon gemerkt, welche innere Spannung Sie bewegt hat, als Sie Ihren eigenen Untersuchungsauftrag auf einmal stoppen mußten. Aber Schaden entsteht doch nicht durch das Verhalten der Bundesregierung, sondern Schaden entsteht durch einzelne Mitglieder dieses Parlaments, die sich so verhalten. Schaden ist durch die Verdrehung der Wahrheit durch Mitglieder der Opposition entstanden, und Schaden ist durch eine völlig falsche Darstellung und den Eindruck entstanden, den Sie durch voreilige, skandalöse Pressemitteilungen geweckt haben.
Lieber Kollege Gansel, so kann man es natürlich nicht machen, daß wir eine geheime Sitzung im Untersuchungsausschuß haben und daß Sie anschließend hinauslaufen und entgegen dem, was der Zeuge dort gesagt hat, Behauptungen aufstellen,

(Gansel [SPD]: Das stimmt doch nicht! Das können Sie nur behaupten, weil es eine geheime Sitzung war!)

die dann in der Presse erscheinen und für die Staatsanwaltschaft Anlaß sein könnten, wieder Ermittlungen aufzunehmen. Das muß man einmal herausstellen: Mit Ihrer Pressepolitik versuchen Sie, das Verfahren zu beeinflussen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, Indien dann noch als Hoffnungsschimmer herauszustellen, wenn alles andere nicht bewiesen wurde, ist in meinen Augen eine echte Schwäche, die hinter diesem Untersuchungsantrag steht. So kann man es letztlich auch nicht machen.

(Glocke des Präsidenten) — Ein Wort bitte noch, Herr Präsident.


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1105534100
Herr Abgeordneter, kommen Sie zum Schluß.

Ortwin Lowack (CSU):
Rede ID: ID1105534200
Sie leisten mit Ihrer Art, in der Sie das heute vorgetragen haben, einer Diffamierungsdemokratie Vorschub, und Sie schaden damit unserem Rechtsstaat.
Danke.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1105534300
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Gansel.

(Bohl [CDU/CSU]: Jetzt spricht der Verdachts-Abgeordnete Gansel! — Jungmann [SPD]: Herr Präsident, haben Sie das gehört?)


Norbert Gansel (SPD):
Rede ID: ID1105534400
Herr Präsident! Zur Rolle von Minister Stoltenberg werden wir ein andermal kommen.



Gansel
Heute geht es darum, daß der OFD-Präsident Hansen bei seiner Einstellungsverfügung u. a. als „maßgeblich" bezeichnet hat, daß das Konstruktionsmodell im Maßstab 1 : 5 nicht nach Südafrika ausgeliefert worden sei.
Nun gibt es Fachleute, die der Meinung sind, man könne U-Boote auch ohne solche Modelle bauen. Aus den Akten, die ich hier nicht im Wortlaut zitieren kann, weil sie von der Bundesregierung für geheim erklärt worden sind, ergibt sich aber, daß es für die Firmen mindestens zwei konkrete Möglichkeiten gegeben hat, das U-Boot-Modell auf direktem bzw. indirektem Wege nach Südafrika zu transportieren. Frau Eid hat eine Möglichkeit angesprochen.
Aus den Akten ergibt sich nicht, ob diese Möglichkeiten durch die Überprüfung der OFD ausgeschlossen werden können, ja noch nicht einmal, ob sie überhaupt geprüft worden sind. Es wäre jedenfalls ein Tiefpunkt in der ganzen Skandalchronik, sollte sich herausstellen, daß das U-Boot-Modell nach Südafrika zu dem Zeitpunkt geliefert worden ist, als der U-BootAusschuß gerade eingesetzt worden war und mit der Bundesregierung über die Herausgabe der ersten Akten stritt.
Herr Stoltenberg, Sie haben vorhin ein Zitat über den Beginn der vertraglichen Lieferungen von Blaupausen gebracht. Es ist richtig: Der OFD-Präsident hat gesagt, das sei noch nicht einmal der Versuch einer Ordnungswidrigkeit, denn — ich zitiere —
die Betroffenen hätten nicht den Willen gehabt, das Geschäft auch ohne schriftliche Genehmigung des Bundesamtes für Wirtschaft durchzuführen.
Nun gibt es ein Vernehmungsprotokoll der OFD vom 30. Oktober 1986 mit dem für Rüstungsgeschäfte zuständigen Vorstandsmitglied bei HDW, und daraus zitiere ich — es ist offen —:
Der Genehmigungsbedürftigkeit des SüdafrikaProjekts sei man sich voll bewußt gewesen.

(Dr. Penner [SPD]: Ja!)

Deshalb habe man auch die nötigen Vorgespräche geführt ... Herr Hansen-Wester
— so ist sein Name —
hob hervor, daß von dem geplanten SüdafrikaGeschäft vor allem . . .
— Land gelöscht —
als Käufer des Bootstyps 1650 nichts habe erfahren dürfen. Erst nach den Äußerungen maßgeblicher Personen auf Regierungsebene sei der Vertrag mit dem Südafrikanischen Partner abgeschlossen worden. Bei Firmenentscheidungen sei in diesem Bereich bisher das Interesse der Bundesregierung berücksichtigt worden. Es seien sogar Lieferungen vorgenommen worden, die Einbußen bei anderen Vertragspartnern zur Folge gehabt hätten.

(Dr. Struck [SPD]: Hört! Hört!)

Daraus ergibt sich: Erstens. Offenbar sind im Auftrage der Bundesregierung Rüstungsexporte auch dann durchgeführt worden, wenn sie Arbeitsplätze im zivilen Bereich gefährdet haben.
Zweitens. Offenbar sind bei dem Südafrika-Geschäft die Interessen eines Drittstaates bewußt geschädigt worden.
Drittens. Dies geschah nach den Äußerungen maßgeblicher Personen auf Regierungsebene.
Viertens — und das ist nun entscheidend — : Man war sich der Genehmigungsbedürftigkeit des Südafrika-Projekts voll bewußt. Das ergibt sich übrigens auch aus anderen Begleitumständen wie Tarnbegriffen, Coverstories, Mikrofilmen und besonderen Pässen für Dienstreisen.
Vor dem Untersuchungsausschuß im Februar 1987 zuletzt dazu befragt, haben Sie, Herr Stoltenberg, sich zu der kurzen Bewertung durchringen können — ich zitiere —:
Das sind ungewöhnliche Methoden, die zeigen, daß hier die Absicht bestand, ein nicht genehmigtes Geschäft im Dunkeln abzuwickeln.

(Zuruf von der SPD: So ist es!)

Vieles ist im Dunkeln geblieben. Einiges wird Licht bringen, so wenn Sie endlich der Bitte der Kieler Staatsanwaltschaft vom 16. Oktober 1987 folgen werden und ihr das Geheimschutzabkommen mit Indien zustellen werden und wenn Sie endlich die erforderliche Ermächtigung erteilen, damit staatsanwaltliche Ermittlungen aufgenommen werden können. Warum bisher eigentlich nicht? Da gibt es eine Vermutung: Der Rechtsanwalt des IKL, Herr Zoglmann, erklärte jedenfalls bei einer Anhörung — ich zitiere das Protokoll —,
man wolle nicht mehr offenbaren, als für die Entlastung seines Mandanten erforderlich sei, da jede neue Einzelheit naturgemäß auch mit Indiskretionen bezüglich Dritter verbunden sei. Er wolle jedoch audrücklich darauf hinweisen, daß sein Mandant zwar ohne formelle Genehmigung, nicht aber ohne Kenntnis offizieller Stellen gehandelt habe und sich erforderlichenfalls noch erheblich besser als bisher verteidigen könne.
Der Untersuchungsausschuß wird diesen Spuren oder Drohungen nachgehen. Wir werden dabei auch klären, wo die 2,5 Millionen DM Schmiergelder abgeblieben sind, die bezahlt worden sind, und die 40 Millionen DM hingehen sollten, die man ursprünglich im Sinn hatte. Das waren schmutzige Provisionen, denn am Ende solcher Waffengeschäfte mit solchen Regierungen wie dem Rassistenregime in Südafrika stehen immer Menschen, stehen Zerstörung, Erpressung, Unterdrückung, Bürgerkrieg und Krieg. Deshalb werden wir weiter aufklären.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1105534500
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Börnsen (Bönstrup).

Wolfgang Börnsen (CDU):
Rede ID: ID1105534600
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Was wir zum Schluß von



Börnsen (Bönstrup)

Herrn Gansel gehört haben, waren reine Verdächtigungen. Kein einziges Faktum war dabei;

(Jungmann [SPD]: Das haben die Leute doch gesagt! Sie haben die Akten überhaupt nicht gelesen!)

auch wenn man zitiert und damit eine scheinbare Glaubwürdigkeit erzeugen will — nichts ist davon wahr, und nichts ist davon zutreffend.

(Gansel [SPD]: Geben Sie den Zwischenbericht an das Finanzministerium frei!)

Was wir heute erleben, hat sich bereits am 13. Januar in der Fragestunde offenkundig abgezeichnet. Sozialdemokraten und Grüne reiten eine Attacke gegen das geltende Recht. In schönster Eintracht werden hier Minister diskriminiert, wird die Rechtschaffenheit von Beamten herabgesetzt und wird eine maßlose Urteilsschelte vorgenommen. Auch wenn Sie die Entscheidung der OFD in Kiel nicht akzeptieren wollen, was ich verstehen kann, so respektieren Sie diese Entscheidung wenigstens! Die Entscheidung der OFD in Kiel ist nach Recht und Gesetz ausgefallen. Es hat keine strafbare Handlung gegeben. Es hat nicht einmal ein ordnungswidriges Handeln gegeben. Mit der Kieler Kampagne untergraben Sie die Respektierung von Rechtsentscheidungen. Sie werden damit Ihrer Verantwortung als Abgeordnete nicht gerecht. Im Gegenteil, Sie geben unseren Bürgern ein ganz böses Beispiel.
Eine ganz andere Frage ist, ob der Maßstab der OFD, den der Gesetzgeber bestimmt, jüngsten Entwicklungen im Waffenhandel noch entspricht. Wenn sich der Eindruck bestätigen sollte, daß Waffenembargoländer und Krisenregionen internationale Vereinbarungen und nationale Bestimmungen mit einer sogenannten Mosaikstrategie umgehen, indem sie sich unproblematische Einzelinformationen in verschiedenen Ländern beschaffen, die in ihrer Zusammenstellung aber Waffenfähigkeit bedeuten, so hat der Gesetzgeber zu prüfen, zu handeln und auch zu werten. Doch diese Konsequenz vermisse ich bei Ihnen.
Tatsache ist, daß Ihr Bauwerk an haltlosen Verdächtigungen gegenüber der Bundesregierung von Anfang an zusammengefallen ist. Bereits im Januar 1987 hat der Generalbundesanwalt ein rechtswidriges Verhalten der Regierung in Abrede gestellt. Im Sommer 1987 hat die Staatsanwaltschaft in Kiel eingestellt. Am Ende des Jahres hat die OFD in Kiel ihre Ermittlungen nach sorgfältigen Prüfungen eingestellt. Sozialdemokraten wie Grüne erfahren eine Kette bitterer Niederlagen. Und warum? Weil es keinen wirklichen Nachweis gibt, daß die Bundesregierung, ob bei Blaupausen oder Plänen, ihre Weitergabe stillschweigend gefordert, geduldet oder genehmigt hätte. Im Gegenteil, sie hat Waffengeschäfte in Problemgebiete verhindert. Sie hat recht gehandelt.
Viel fragwürdiger ist dagegen Ihr Vorgehen im U-Boot-Verfahren selbst. Fest steht, daß der Untersuchungsauftrag fehlerhaft formuliert worden ist, teilweise verfassungswidrig ist.

(Dr. Struck [SPD]: Das steht nicht fest! — Jungmann [SPD]: Behauptungen und Verdächtigungen!)

Fest steht, daß der Untersuchungsauftrag einem Gerichtsverfahren vermutlich nicht standhält. Das wissenschaftliche Gutachten und der Rechtsvertreter des Ausschusses bestätigen diesen Eindruck.

(Conradi [SPD]: Was heißt verfassungswidrig? Gehen Sie nach Karlsruhe!)

Fest steht, daß Sie Ihren Auftrag umschreiben müssen.

(Jungmann [SPD]: Das ist richtig!)

Und warum? Weil dieser Untersuchungsauftrag, im Wahlkampf geboren, nicht als Aufklärungs-, sondern als Diffamierungsinstrument benutzt werden sollte: für die Bundestagswahl und für die Landtagswahl in Kiel.

(Gansel [SPD]: Ach Gott! — Jungmann [SPD]: Da gibt es doch wohl andere Dinge! Dazu brauchen wir diesen Ausschuß nicht, das sollten Sie als Schleswig-Holsteiner wissen!)

Diesen Mißbrauch von Untersuchungsausschüssen lehnen wir ab. Auch bei dieser Aktion haben Sie Schiffbruch erlitten.
Doch ich will Ihnen schon zugute halten, Sie haben einen Erfolg gehabt: Der Ruf deutscher Firmen, deutscher Werften wird von Ihnen systematisch ruiniert.

(Beifall bei der CDU/CSU — Jungmann [SPD]: Haben wir das Geschäft angebahnt oder die?)

Daß HDW den Vier-Milliarden-DM-Australien-Auftrag nicht erhalten hat, geht auf dieses Erfolgskonto.

(Gansel [SPD]: Das ist unerhört!)

Die Frauen und Männer bei HDW werden es Ihnen, Herr Gansel, ganz besonders danken. Kommen Sie endlich zu der Einsicht, daß hier kein U-Boot illegal mit Regierungshilfe abgetaucht ist.

(Gansel [SPD]: Selbst die Bundesregierung hat erklärt, daß das damit nichts zu tun hat!)

Begrenzen Sie den Schaden, den Sie angerichtet haben, für unsere Wirtschaft, für unsere Regierung und für das Ansehen unseres Landes!
Danke schön.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Jungmann [SPD]: Wir sehen uns alle in Schleswig-Holstein wieder, am 8. Mai!)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1105534700
Meine Damen und Herren, die Aktuelle Stunde ist beendet.
Zur Abgabe einer Erklärung nach § 30 unserer Geschäftsordnung hat Frau Abgeordnete Eid das Wort.

Ursula Eid-Simon (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1105534800
Vielen Dank, Herr Präsident.
Herr Eylmann, Sie haben vorhin an dieser Stelle eine Bemerkung zu meiner Person gemacht. Ich möchte Sie darauf aufmerksam machen, daß Sie als Ausschußvorsitzender die Macht haben, das Fragerecht zu erteilen. Leider handhaben Sie das Fragerecht nicht so liberal wie Ihr Vorgänger, Herr Penner. Sie halten sich stets strikt an die Fragefolge: 1. Vorsit-



Frau Eid
zender, 2. Vorsitzender, CDU/CSU, SPD, FDP, GRÜNE. Ich bitte Sie also dringend, das Opfer von Regeln, die Sie anwenden, hier nicht zum Täter zu machen.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD — Bohl [CDU/CSU]: Das ist doch unglaublich! — Jungmann [SPD]: Das ist bei denen üblich!)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1105534900
Wir können die persönlichen Erklärungen nach § 30 der Geschäftsordnung jetzt selbstverständlich unmittelbar abwickeln.

(Gansel [SPD]: Dann habe ich auch noch eine abzugeben!)

Herr Eylmann, Sie haben das Wort.

Horst Eylmann (CDU):
Rede ID: ID1105535000
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, Frau Kollegin Eid, Sie sind so selten im Ausschuß anwesend, daß Sie meine Praxis nicht kennen.

(Sehr richtig! bei der CDU/CSU — Jungmann [SPD]: Das ist unverschämt als Vorsitzender!)

Denn ich bin außerordentlich großzügig im Zulassen von Zwischenfragen.

(Bohl [CDU/CSU] : Jawohl!)

Wir kommen meist gar nicht zu der vereinbarten Gesprächsrunde, weil ich schon während meiner Befragung in so großem Umfange Zwischenfragen von allen zulasse, daß die Gesprächsrunde anschließend überflüssig ist.

(Zuruf von der SPD: Das ist eine Rechtfertigung und keine persönliche Erklärung! — Frau Unruh [GRÜNE]: Wann hat Frau Eid gefehlt! — Gegenruf des Abg. Bohl [CDU/ CSU]: Laufend!)

Jeder kann sich in den öffentlichen Sitzungen davon überzeugen.
Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1105535100
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 6 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Pflichtversicherungsgesetzes
— Drucksache 11/677 —
Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses (6. Ausschuß)

— Drucksache 11/1661 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Klein (Dieburg) Sauter (Ichenhausen)

(Erste Beratung 27. Sitzung)

Eine Aussprache ist nicht vorgesehen.
Ich rufe die Art. 1 bis 3, Einleitung und Überschrift mit der vom Ausschuß empfohlenen Änderung auf.
Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Keine; die einstimmige Annahme ist festgestellt.
Wir treten in die
dritte Beratung
ein und kommen zur Schlußabstimmung.
Wer dem Gesetzentwurf als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich vom Platz zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Ich stelle die einstimmige Annahme fest.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 7 bis 9 und den Zusatztagesordnungspunkt 2 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Europawahlgesetzes
— Drucksache 11/1557 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Innenausschuß (federführend)

Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung
Auswärtiger Ausschuß
Rechtsausschuß
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Zusatzvertrag vom 21. Oktober 1986 zum Auslieferungsvertrag vom 20. Juni 1978 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika
— Drucksache 11/1610 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Rechtsausschuß
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 10. April 1984 über den Beitritt der Republik Griechenland zu dem am 19. Juni 1980 in Rom zur Unterzeichnung aufgelegten Übereinkommen über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht
— Drucksache 11/1611 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Rechtsausschuß
Beratung des Antrags der Abgeordneten Charlotte Garbe und der Fraktion DIE GRÜNEN
Maßnahmen zum Schutz vor Gesundheits- und Umweltgefahren durch Perchloräthylen und andere chlorierte Kohlenwasserstoffe
— Drucksache 11/1673 —
Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Umwelt
Naturschutz und Reaktorsicherheit (federführend) Auschuß für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuß für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit
Eine Aussprache ist nicht vorgesehen.
Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Gibt es dazu andere Vorschläge? —



Vizepräsident Stücklen
Das ist nicht der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe Punkt 10 der Tagesordnung auf:
Beratung der ersten Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau (16. Ausschuß)

zu dem Antrag der Fraktion der SPD Bauschäden
zu dem Antrag der Abgeordneten Dr.-Ing. Kansy, Ruf, Dr. Vondran, Schwarz, Pfeffermann, Sauer (Stuttgart), Dr. Schroeder (Freiburg), Dörflinger, Ganz (St. Wendel), Dr. Stark (Nürtingen), Magin, Fuchtel, Seehofer, Dr. Hüsch, Dr. Möller, Dr. Götz, Oswald, Deres, Bayha, Börnsen (Bönstrup), Krey, Höffkes, Dr. Grünewald, Schemken, Schreiber, Müller (Wadern), Hinsken, Herkenrath, Wilz, Frau Geiger, Weiß (Kaiserslautern), Biehle, Nelle, Schulze (Berlin), Glos, Frau Dr. Wisniewski, Dr. Kunz (Weiden), Graf von Waldburg-Zeil, Müller (Wesseling), Kalisch, Doss, Hauser (Esslingen), Zierer, Carstensen (Nordstrand), Pesch, Link (Frankfurt), Dr. Schwörer, Niegel, Spilker, Reddemann, Dr. Czaja, Maaß, Werner (Ulm) und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Grünbeck, Nolting, Zywietz, Frau Dr. Segall, Dr. Feldmann und der Fraktion der FDP
Bauwerksschäden
— Drucksachen 11/343, 11/798, 11/1652 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Conradi Ruf
Eine Aussprache ist nicht vorgesehen. Wer stimmt für die Beschlußempfehlung des Ausschusses? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmige Annahme.
Ich rufe Punkt 11 der Tagesordnung auf:
a) Beratung der Sammelübersicht 38 des Petitionsausschusses (2. Ausschuß) über Anträge zu Petitionen
— Drucksache 11/1636 —
b) Beratung der Sammelübersicht 39 des Petitionsausschusses (2. Ausschuß) über Anträge zu Petitionen
— Drucksache 11/1637 —
Auch dafür ist eine Aussprache nicht vorgesehen. Wer stimmt für die Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei Enthaltungen aus der Fraktion DIE GRÜNEN ist die Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses mit Mehrheit angenommen.
Ich rufe Punkt 4 der Tagesordnung auf:
a) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau (16. Ausschuß) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Änderung der Richtlinie 71/305/EWG über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge
— Drucksachen 11/442, 11/1653 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Conradi Ruf
b) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau (16. Ausschuß) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Vorschlag für eine Richtlinie des Rates bezüglich der Annäherung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten betreffend die Bauprodukte
— Drucksachen 11/443, 11/1654 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Conradi Ruf
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die gemeinsame Beratung der Tagesordnungspunkte 4 a und 4 b 30 Minuten vorgesehen. Ist das Haus damit einverstanden? — Ich sehe keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Ruf.

Rudolf Ruf (CDU):
Rede ID: ID1105535200
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! 1992 ist für die Europäische Gemeinschaft ein entscheidendes Datum. Bis dahin sollen in der Gemeinschaft alle Hemmnisse beseitigt werden, die einem einheitlichen europäischen Binnenmarkt entgegenstehen. Politik und Wirtschaft begrüßen die Anstrengungen, einen von Beschränkungen freien europäischen Markt zu schaffen.
Für die Bauwirtschaft in der Bundesrepublik Deutschland — damit meine ich das Bau- und Ausbauhandwerk und die Bauindustrie — sind zwei Bereiche von vorrangiger Bedeutung: erstens das Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge und zweitens — in Kurzfassung gesagt — die technischen Rahmenbedingungen des Bauens, d. h. im Amtsdeutsch die Annäherung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten betreffend die Bauprodukte. Beide Bereiche sollen in entsprechenden EG-Richtlinien neu oder überhaupt geregelt werden und stehen heute auf der Tagesordnung dieser Plenarsitzung.
Die Bedeutung dieser beiden Richtlinien für die gesamte deutsche Bauwirtschaft steht im umgekehrten Verhältnis zu der zur Verfügung stehenden Redezeit im Deutschen Bundestag und der Präsenz im Hohen Hause.
Bedanken möchte ich mich an dieser Stelle und zu Beginn meiner Ausführungen zur Sache ausdrücklich bei der SPD-Arbeitsgruppe Raumordnung, Bauwesen und Städtebau — bei Ihnen, Herr Kollege Conradi —, die im Interesse der Sache zu einer kooperativen und konstruktiven Zusammenarbeit mit der Koalition bereit war, wie aus den gemeinsamen Anträgen von CDU/CSU, FDP und SPD zu entnehmen ist. Leider



Ruf
kann ich die Fraktion der GRÜNEN in diesen Dank nicht einbeziehen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Schade!)

Was will die EG-Kommission im Baubereich? Ab 1992 soll jeder Bauunternehmer mit Sitz in der Gemeinschaft die Möglichkeit haben, völlig ungehindert in jedem EG-Mitgliedstaat Aufträge übernehmen und bauen zu können. Die EG-Kommission will durch die Öffnung der Märkte für öffentliche Bauaufträge eine Voraussetzung für die Vollendung des europäischen Binnenmarktes schaffen und übersieht dabei, daß mindestens 95 % aller Bauunternehmen aus wirtschaftlichen Gründen nur im lokalen und regionalen Umkreis arbeiten. Für die restlichen 5 % der Bauunternehmen in Europa sollten nicht Regeln geschaffen werden, die allgemein das Bauen bürokratisieren, erschweren oder gar verhindern.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Wer sich durch den Wust der bis jetzt vorliegenden Richtlinien-Vorschläge durchgearbeitet hat, wird das Fazit ziehen müssen: Erstens. Hier wächst ein Amtsschimmel zu europäischem Format heran. Bekanntlich ist der Amtsschimmel ja kein Pferd; der Amtsschimmel kann auch niemanden treten. Zweitens. Hier werden im Baubereich zusätzliche Hürden aufgebaut, die die Auftragsvergabe erschweren und verzögern und drittens damit das Bauen behindern und verteuern.
Die zur Verfügung stehende Zeit reicht nicht aus, um alle wichtigen Bestimmungen anzusprechen. Ich möchte deshalb auf die BT-Drucksachen 11/1653 und 11/1654 verweisen und in Kurzfassung stichwortartig zu einigen Punkten Stellung nehmen.
Ich wende mich zunächst der Baukoordinierungsrichtlinie — auch Vergaberichtlinie genannt — zu, die gegenwärtig in den Ausschüssen des Rates der EG diskutiert werden soll. Auch wenn von Brüssel Ergänzungen oder Änderungen signalisiert werden, kann es nicht schaden, wenn wir heute hier eine klare Position beziehen.

(Baum [FDP]: Das ist immer gut!) — Danke schön.

Meine Damen und Herren, der Vorschlag der EG-Richtlinie nimmt auf die nationalen Vergabeverfahren und die für Bauverträge in der Bundesrepublik Deutschland geltenden Vorschriften keine Rücksicht. Die bewährte deutsche VOB, die Verdingungsordnung für Bauleistungen, wäre in Gefahr, auch im nationalen Bereich. Die Neuregelung und Anhebung des Schwellenwertes für EG-weite Ausschreibungen von 1 Million Ecu auf 7 Millionen Ecu ist zu begrüßen. Abzulehnen ist jedoch die Einführung eines zweiten niedrigen Schwellenwertes von 700 000 Ecu, der dann auch für Einzelaufträge gilt, wenn die geschätzten voraussichtlichen Gesamtkosten 7 Millionen Ecu überschreiten. Der jetzt vorliegende Entwurf macht außerdem die Ablehnung eines ungewöhnlich niedrigen und vermutlich nicht kostendeckenden Angebots nahezu unmöglich.
Zu den weiteren bürokratischen und die Vergabe und Durchführung von Baumaßnahmen hemmenden Einzelregelungen gehören u. a. die Anwendung der
Richtlinie bei Bauvorhaben privater Maßnahmeträger mit öffentlicher Förderung und die Einbeziehung privater Unternehmen mit entsprechenden öffentlichen Konzessionen sowie öffentlicher Verkehrs- und Versorgungsunternehmen, die erhebliche Verlängerung der Bekanntmachungs- und Angebotsfristen, die vorgesehene Pflicht zur Vorinformation über geplante Bauvorhaben sechs Monate vor der Ausschreibung, die überzogenen Anforderungen an die Niederschrift einer Vergabeverhandlung und einige andere verwaltungsaufwendige, dem Bauen selbst in keiner Weise förderliche administrative Bestimmungen.
Noch problematischer wird der ganze Vergabebereich im Bauwesen in der EG durch die heute nicht auf der Tagesordnung stehende sogenannte Überwachungs- oder Eingriffsrichtlinie — Bundestagsdrucksache 11/818 —, die in unmittelbarem Zusammenhang mit der Baukoordinierungsrichtlinie gesehen werden muß. Nach dieser Richtlinie könnte die EG-Kommission u. a. bei laufenden Ausschreibungsverfahren intervenieren und Vergaben bis zu drei Monaten aussetzen. Auch die Länder, die Kommunen und die Bauwirtschaft teilen die heute vorgetragenen Bedenken. Deshalb ist eine gründliche Überarbeitung der genannten EG-Richtlinien einschließlich der Festlegung längerer Übergangsfristen erforderlich, oder die Baukoordinierungsrichtlinie müßte in ihrer Gesamtheit durch die Bundesregierung abgelehnt werden.
Meine Damen und Herren, es gibt keinen Zweifel, daß die Maßnahmen zur Vollendung des EG-Binnenmarktes im Baubereich zu begrüßen sind. Sie werden baupolitisch große Bedeutung haben und das Baugeschehen auch in der Bundesrepublik Deutschland im nächsten Jahrzehnt entscheidend beeinflussen. Deshalb können wir auch — mit einigen noch offenen Änderungs- und Verbesserungsvorschlägen — der sogenannten Bauproduktenrichtlinie zustimmen. Si e kann und wird wichtige Voraussetzungen für einen ungehinderten Handelsaustausch und die Anwendung von Bauprodukten in der EG schaffen.
Die Vorschläge von CDU/CSU, FDP und SPD im 16. Bundestagsausschuß sind in der Bundestagsdrucksache 11/1654 dargelegt und begründet. Wie der Bundesminister für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau bereits erklärt hat, werden weitere Verhandlungen in Brüssel über alle EG-Richtlinien im Baubereich in enger Abstimmung mit den Bundesländern und der Bauwirtschaft geführt. Der 16. Bundestagsausschuß sollte dabei nicht vergessen werden.
Insbesondere, so der Bauminister, will sich die Bundesregierung während der deutschen Ratspräsidentschaft im ersten Halbjahr 1988 um wesentliche Änderungen und Verbesserungen der genannten Richtlinien bemühen. Dafür danke ich dem Herrn Bundesminister im Namen der CDU/CSU-Bundestagsfraktion sehr herzlich und wünsche seinen Bemühungen in Brüssel den auch von uns erhofften Erfolg.
Meine Damen und Herren, gestatten Sie mir in der verbleibenden Redezeit noch einige grundsätzliche Ausführungen zu EG-Richtlinien. In einer vorzüglichen Ausarbeitung der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages — Fachbereich III — sind



Ruf
die Mitwirkungs-, Kontroll- und Entscheidungsrechte des Deutschen Bundestages bei den die Bundesrepublik Deutschland berührenden Maßnahmen der Organe der Europäischen Gemeinschaft hervorragend dargestellt und erläutert. Nach einer ausführlichen Würdigung der verschiedenen Rechtsstandpunkte kommen die wissenschaftlichen Dienste zu der Auffassung, daß der Einfluß der nationalen Parlamente beim Erlaß von EG-Verordnungen und EG-Richtlinien sehr gering sei. Mit der Übertragung nationaler Kompetenzen auf die Europäische Gemeinschaft habe das Parlament weitgehend auf seine eigene Rechtsetzungsbefugnis verzichtet. Die dem Parlament verlorengegangenen Rechte kämen bei uns in der Bundesrepublik unmittelbar der Bundesregierung zugute, da diese die Mitwirkungsrechte der Bundesrepublik Deutschland in der Europäischen Gemeinschaft ausübe.
Meine Damen und Herren, das bedeutet nicht, daß wir kein Interesse an der EG hätten. Um keine Mißverständnisse aufkommen zu lassen: Wir wollen ein Europa, wir wollen ein farbiges und lebendiges Europa. Wir bejahen die europäische Einigung und den europäischen Binnenmarkt. Aber wir wollen kein Europa, das im tristen Grau der Funktionäre verkümmert, das Angesicht mit der Tinte der Bürokraten verspritzt, um sich langweilig und öde zugrunde zu wirtschaften. Dieses Europa wollen wir nicht.

(Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und der SPD)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1105535300
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Conradi.

Peter Conradi (SPD):
Rede ID: ID1105535400
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! 562 Europa-Richtlinien sind im letzten Jahr über unsere Schreibtische gegangen. Hand aufs Herz, verehrte Kolleginnen und Kollegen: Was haben Sie mit den 562 Richtlinien gemacht? Wahrscheinlich dasselbe, was ich damit gemacht habe: Sie haben sie im Papierkorb versenkt. Das hätte ich auch mit der EG-Richtlinie über die Vergabe von Bauaufträgen gemacht, hätte mich nicht die tüchtige Justitiarin des Bundes Deutscher Architekten angerufen und gesagt: Herr Conradi, schauen Sie einmal da hinein; darin stehen tolle Sachen. — Dann habe ich mir die Richtlinie besorgt, und es standen wirklich abenteuerliche — abenteuerliche! — Geschichten darin.
Beispielsweise sieht Art. 12 vor, daß bei geplanten Großbauvorhaben sechs Monate vor der Ausschreibung eine öffentliche Vorabbekanntmachung erfolgen muß, daß in sechs Monaten ausgeschrieben wird. Ich weiß nicht, was für Fachleute dort in Brüssel sitzen. Sie stellen sich offenbar vor, daß ein großes Bauunternehmen, wenn es erfährt, daß in sechs Monaten ein Auftrag ausgeschrieben wird, den es dann vielleicht kriegt, schon sechs Monate vorher entsprechend Kapazitäten einplant.
In Art. 14 und 15 werden die Angebotsfristen von 36 auf 50 Tage verlängert. Das wäre noch nicht so schlimm. Aber wenn die Vorabinformation nicht erfolgt, dann werden die Angebotsfristen auf 100 Tage das sind über drei Monate — verlängert. Das wird das Bauen verzögern und verteuern.

(Baum [FDP]: Da können die Architekten noch einmal nachdenken!)

— Auf die Architekten komme ich auch gleich zu sprechen, Herr Baum. Wir haben eigentlich erwartet, daß die Partei, die sich sonst immer als die Wahrerin der freien Berufe hier aufspielt, insbesondere deren Minister Bangemann, hier etwas tut, aber der hat da offenbar geschlafen,

(Dr. Rose [FDP]: Unerhört!)

denn im Entwurf der Richtlinie steht, daß die Architektenleistungen zukünftig nicht nach dem Leistungswettbewerb , sondern im Preiswettbewerb ausgeschrieben werden, also daß dann im Preiswettbewerb ein Quadratmeterplan per Ausschreibung vergeben wird.
Schießlich soll nach Art. 24 der Vergabebeamte rechtsmittelfähig begründen, wenn er das billigste Angebot ablehnt. Das muß man sich einmal auf der Zunge zergehen lassen. Wenn der Vergabebeamte Zweifel hat, ob das billigste Angebot solide ist, und er will einem anderen den Auftrag geben, dann muß er das rechtsmittelfähig begründen. Das heißt: Die Firma kann ihn dann mit einem Prozeß überziehen.
Zusammengefaßt: Die Verfasser der Richtlinienentwürfe sind nur von geringem Sachverstand getrübt. Die Richtlinie würde die Verfahren bürokratisieren. Sie würde das Bauen verteuern und verlangsamen.
Was mich erstaunt, ist, daß in der Richtlinie von sozialen Kriterien überhaupt nicht die Rede ist. Wenn also eine Firma aus einem anderen europäischen Land hierher kommt und mit Leiharbeitern arbeiten und sich nicht an unsere Bestimmungen halten will, dann kann sie ja billiger anbieten. Davon steht aber bezeichnenderweise in der Richtlinie überhaupt nichts.
Wir — alle Parteien — sind uns im Ausschuß einig, daß diese Richtlinie in dieser Form nicht annehmbar ist, und wir fordern die Bundesregierung sehr nachdrücklich auf, auf eine Änderung hinzuwirken oder die Richtlinie abzulehnen. Das gilt vor allem für den Bundeswirtschaftsminister, der ja hier nicht gerade einen atemberaubenden Tätigkeitsdrang an den Tag legt, sondern eher nach dem hedonistischen Lebensprinzip agiert.

(Dr.-Ing. Kansy [CDU/CSU]: Keine Beschimpfung unserer Minister!)

— Ich wußte gar nicht, daß er in Ihrer Partei ist, Herr Dr. Kansy.

(Dr.-Ing. Kansy [CDU/CSU]: Wir sind eine Koalition! — Zuruf des Abg. Baum [FDP])

Der Bundeswirtschaftsminister soll sich hier dafür einsetzen — aber sein Ministerium ist zuständig, wie Sie sicher wissen Herr Baum — , denn die Folgen dieser Richtlinie werden die deutsche Bauwirtschaft, die deutschen Bauarbeiter und auch die deutschen Architekten belasten.

(Baum [FDP]: Vielleicht auch noch die Mieter!)




Conradi
— Es dreht sich um öffentliche Bauvorhaben. Ich wüßte nicht, Herr Baum, wo in öffentlichen Bauvorhaben Mieter leben. Ich werde mich da noch sachkundig machen.

(Baum [FDP]: Hausmeister!)

— Hausmeister vielleicht.
EG-Richtlinien sollen eigentlich nur die Ziele vorschreiben, und die nationalen Parlamente sollen dann die gemeinsamen Ziele in nationales Recht umsetzen. Was wir aber erleben, ist, daß die EG-Richtlinien immer mehr ins Detail gehen, daß sie den Mitgliedstaaten und den Parlamenten fast keinen Spielraum mehr lassen, selbst zu beschließen, wie die EG-Richtlinie umgesetzt werden soll. Da frage ich mich, ob diese EG-Richtlinie, die wir hier vor uns haben, nicht das zulässige Maß an Regelungsdichte schon überschreitet, ob sie nicht einen Eingriff in die Rechte der Parlamente der einzelnen EG-Staaten darstellt.
Wenn das nationale dichte Regelwerk, was wir haben, jetzt noch von einem EG-Regelwerk überwölbt wird, wird das dem europäischen Gedanken nicht guttun. Wenn Europa für die Menschen vor allem in einer Vermehrung von Vorschriften und einer Vermehrung von Beamten, die diese Vorschriften kontrollieren, besteht, wird die europäische Idee Schaden nehmen, dann werden Gleichgültigkeit und Ablehnung gegenüber Europa zunehmen. Insofern müssen das Europäische Parlament und auch die Europäische Kommission selbst mehr dafür tun, daß Europa akzeptiert wird, und müssen die Eurobürokraten in die Schranken weisen. Den Eurobürokraten geht es vor allem um Zugewinn an Macht, an Kompetenz und natürlich an Personal, Planstellen und Geld.
Ich habe mir einmal die Ausschußberatungen des Europäischen Parlaments über die Bauproduktenrichtlinie geholt. Da sagt der Haushaltsausschuß unserer europäischen Kollegen in schöner Offenheit:
Der Haushaltsausschuß stellt fest, daß die Kornmission der Europäischen Gemeinschaft eine beträchtliche Erhöhung der Planstellen fordert. Er wird auf jeden Fall seine Besorgnis über die Tendenz der Kommission zum Ausdruck bringen, für jeden neuen Richtlinienvorschlag, der in den Rahmen des Weißbuches über die Vollendung des Binnenmarktes fällt, zusätzliches Personal zu verlangen.
Das scheint doch eine der wesentlichen Funktionen dieser Richtlinien zu sein, der Europäischen Kommission zusätzliche Planstellen, zusätzliches Personal zu verschaffen. Wenn das aber die Folge der Richtlinie ist — und insgesamt stehen uns für die Verwirklichung des europäischen Marktes 300 solcher Richtlinien ins Haus — , dann kann man hier nur sagen: „Gute Nacht Europa", dann wird die schöne Frau Europa im Dikkicht der Bürokraten, im Dickicht der Vorschriften erstickt werden.
Der Bundeswirtschaftsminister, der hier vor allem aufgerufen ist, sollte nicht dumme Sprüche über die Sklaverei des Wohlfahrtsstaates machen, sollte nicht den Sozialstaat der Verfassung und die Menschen, die auf ihn angewiesen sind, beleidigen, sondern sollte sich darum kümmern, daß Europa davor bewahrt wird, in die Sklaverei der Eurobürokraten zu geraten. Das wäre seine Position.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN)

Wir haben aber den Eindruck, meine Kolleginnen und Kollegen, daß der Bundeswirtschaftsminister mehr an den Posten in Brüssel interessiert ist als an den Positionen, die dort eigentlich vertreten werden müßten.

(Zurufe von der FDP: Unverschämtheit!)

Deshalb wollen wir ihn und die Bundesregierung hier nachdrücklich auffordern, das, was unser Ausschuß hier in großer Einmütigkeit beschlossen hat, in Brüssel auch zu vertreten.
Schönen Dank.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1105535500
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Zywietz.

Werner Zywietz (FDP):
Rede ID: ID1105535600
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Für die FDP ist die Errichtung eines einheitlichen europäischen Binnenmarktes ein zentrales und erklärtes Ziel. Wir bekennen uns auch ausdrücklich zu einer Einheitlichen Europäischen Akte, die in Zukunft zur Verwirklichung des Binnenmarktes den Mehrheitsbeschluß im Ministerrat vorsieht.
Lassen Sie mich diese Vorbemerkung machen, weil sich daraus, wie ich meine, einige Konsequenzen für die konkrete Politik ergeben. Die Übernahme der Präsidentschaft in der EG gibt uns Deutschen Pflicht und Chance zugleich, Europa in einigen konkreten Einzelpunkten voranzubringen, in den zwei Einzelpunkten, die hier vorliegen und über deren Schwierigkeiten wir hier schon einiges gehört haben.
Die Bauproduktenrichtlinie folgt aber doch einem verbesserten, einem sogenannten neuen Ansatz, der nicht mehr alle Einzelheiten einheitlich in Europa regeln will, was zu ungeheuren bürokratischen Anstrengungen führen würde. Die Richtlinie gibt Gott sei Dank nur noch die wesentlichen Sicherheits- und Gesundheitsziele vor. Zur ihrer Konkretisierung wird auf bestehende oder zu schaffende europäische Normen verwiesen.
Wir begrüßen, daß es künftig möglich sein wird, für alle Baustoffe und Bauteile, die im Hoch- und Tiefbau eingesetzt werden, den Brauchbarkeitsnachweis EGweit durch ein EG-Zeichen zu dokumentieren. Wir sehen diesen Richtlinienentwurf als wesentlichen Beitrag zur Schaffung eines einheitlichen Binnenmarktes für Bauprodukte.
Dennoch gibt es einige Punkte in diesem Richtlinienentwurf — sie sind schon angesprochen worden — , die auch wir von der FDP, gemeinsam im Bundesrat und mit Hilfe der Bundesregierung, verbessert sehen wollen. Wir meinen, es müßte darauf hingewirkt werden, eine Verlängerung der Umsetzungsfrist zu erreichen. Wir meinen, eine Vereinfachung bei einer Reihe von Regelungen und Abstufungen nach dem vorhandenen Risiko sei anzustreben. Die Regelungsdichte — das Vokabular ist hier gebraucht worden — ist z. B. unterschiedlich, je nachdem, ob es sich



Zywietz
um Betondecken oder Dachziegel handelt, um einmal zwei praktische Beispiele zu nennen.
Angesichts des umfangreichen vorhandenen nationalen Baunormenwerkes sollte das Prinzip der totalen Harmonisierung für eine Übergangszeit durch das der optionellen Harmonisierung, d. h. der parallelen Harmonisierung, ersetzt werden. Es ist schwer vorstellbar, daß bis 1992 das gesamte nationale Regelwerk durch ein europäisches ersetzt werden könnte.
Zu dem zweiten Punkt. Für in der vorliegenden Form unakzeptabel hält die FDP dagegen die Entwürfe der Kommission zur Koordinierungsrichtlinie für die Vergabe öffentlicher Aufträge und die damit verbundene Überwachungsrichtlinie. Das Hearing des Bauausschusses hat gezeigt, daß sowohl Arbeitgeber wie Gewerkschaften, Gebietskörperschaften und andere daran Beteiligte fast einheitlich diesen Richtlinienentwurf ablehnen. Es mag vom Ziel her richtig sein, daß die Europäische Kommission Wettbewerb zwischen Baufirmen aus allen europäischen Partnerländern bei der Ausschreibung größerer öffentlicher Aufträge ermöglichen will. Wir unterstützen auch das Anliegen, gegen Diskriminierung europäischer Anbieter vorzugehen. Der vorliegende Entwurf ist aber zu interventionistisch, zu bürokratisch, zu perfektionistisch. Auch einfache Auftragsvergaben würden in Zukunft mit übermäßiger europäischer Bürokratie belastet werden. Selbst wenn wir konstatierten, daß gerade im öffentlichen Auftragswesen die Neigung zu Protektionismus verbreitet ist, so sind doch einfachere Wege denkbar, gerechten Wettbewerb in Europa herzustellen.
Man kann zusammenfassend feststellen: Dieser Gesetzentwurf ist der falsche Weg.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Der europäische Baumarkt bietet gerade für unsere sehr leistungsfähige Bauindustrie erhebliche Chancen. Wir sollten uns daher dem Vorhaben dieser Vereinheitlichung öffentlicher Auftragsvergabe in der EG nicht von vornherein und vollständig verschließen. Allerdings müssen wir darauf einwirken, daß ähnlich wie im Verkehrsbereich und vielen anderen Bereichen, die hier schon in großer Zahl genannt worden sind, durch Harmonisierung der Wettbewerbsvoraussetzungen die entsprechenden fairen Grundlagen geschaffen werden. Es ist nicht sinnvoll, daß Umweltschutz- und Arbeitsschutzbestimmungen, die in der Bundesrepublik viel strikter sind als in anderen Mitgliedsländern, dazu führen, daß künftig Bauunternehmen aus Mitgliedsländern unter Umgehung unserer nationalen Arbeitsschutzgesetzgebung sehr viel billiger anbieten und damit deutsche Firmen sozusagen aus dem Wettbewerb werfen können. Wir müssen also weiter verhandeln, und wir wollen dafür der Bundesregierung auch den Rücken stärken.
Ich muß allerdings die doch sehr massive und nicht zutreffende Kritik, Kollege Conradi, im Hinblick auf diese anstehenden Verhandlungen zurückweisen.

(Jahn [Marburg] [SPD]: Weisen Sie mal!)

Der Bundeswirtschaftsminister schläft nicht, wie Sie sagten, er ist immer hellwach.

(Beifall bei der FDP)

Und er ist auch nicht so, wie er heißt, nämlich kein Bangemann. Ich bin sicher, daß er im weiteren Verfahren unsere nationalen Interessen bei dieser Harmonisierung mit Nachdruck vertreten wird.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Conradi [SPD]: Vor allem seine, seine persönlichen, ja!)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1105535700
Das Wort hat Frau Abgeordnete Teubner.

Maria Luise Teubner (DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90):
Rede ID: ID1105535800
Herr Präsident! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer! Wieder einmal wird in diesem Hause ein altbekannter, ach, so vertrauter Gesang angestimmt. Die Titelmelodie heißt „Liberalisierung". Das Hohelied des ungehemmten Wettbewerbs wird wieder einmal gesungen. „Liberalisierung" klingt doch gut. „Liberal" heißt freiheitlich, frei. Wer wird dagegen schon etwas haben? Natürlich haben die GRÜNEN — Herr Ruf hat darauf hingewiesen — bei der Erarbeitung des interfraktionellen Antrages nicht mitsingen wollen. Überall hören diese GRÜNEN mißliche Untertöne und Dissonanzen, so auch hier.
Wir nehmen den Verfechtern der Liberalisierung einfach nicht ab, daß es ihnen ernsthaft und hauptsächlich um die Interessen der Verbraucherinnen und Verbraucher in Europa an einem verbesserten Waren- und Preisangebot geht, wie es uns Fernand Braun, Generaldirektor bei der Kommission der EG, in der neuesten Ausgabe der „Europäischen Zeitung" erzählt.
Ginge es um die Interessen der Menschen, dann müßte so manche Entscheidung der europäischen Regierungen bis jetzt doch wohl etwas anders ausgesehen haben. Ein markantes Beispiel dafür, daß es um diese Interessen nicht geht, zeigte beispielsweise im letzten Herbst der Eiertanz um die Festsetzung der Grenzwerte bei der nächsten sogenannten radiologischen Notstandssituation — sprich: beim nächsten atomaren Notfall.

(Zuruf von der CDU/CSU)

— Es geht um Normierung und Harmonisierung. — Da wurde auch die Taktik der Bundesregierung gut deutlich: Sie benutzte die vorgeschlagenen, skandalös hohen EG-Normen, um sich mit geringeren, aber immer noch viel zu hohen Werten selbst positiv herauszustellen, nach dem Motto: Unser großer Ökomanager Töpfer hat uns vor Schlimmerem bewahrt. Wir sagen: nein, allerhöchstens vor noch Schlimmerem.
Hervorragend funktioniert hat der Trick auch
— man erinnere sich — bei der Diskussion um den Katalysator.
So wird es auch funktionieren, wenn es demnächst um die Festsetzung europäischer Normen für Baustoffe, Bauprodukte und bauliche Anlagen geht. Die Bundesregierung wird uns weiszumachen versuchen, sie hätte ja gern viel schärfere Grenzwerte, viel strengere ökologische Richtwerte, aber leider, leider müsse sie sich der Europäischen Kommission, dem Ministerrat oder Frau Thatcher persönlich beugen.

(Beifall bei den GRÜNEN — Dr.-Ing. Kansy [CDU/CSU]: Das ist ja Sexismus!)




Frau Teubner
Die einzelnen Regierungen verstecken sich ihrerseits hinter den europäischen Institutionen. In den Richtlinien wird das dann so umschrieben wie beispielsweise in der Richtlinie vom letzten Dezember für die Atomgrenzwerte — davon sprach ich eben schon —, man wolle „vermeiden, daß sich Vorschriften auf internationaler Ebene auseinanderentwikkeln" .
Unter anderem für die Bauprodukte wird dies vermutlich nichts anderes bedeuten als Liberalisierung zum ökologischen und sozialen Billigsttarif, Harmonisierung auf kleinstem ökologischen Nenner. Denn hinter den nationalen Delegationen im Ministerrat, die demnächst die Mindestqualitätsstandards aushandeln werden, stecken ja nicht die Verbraucherverbände oder die Arbeitnehmervertretungen, sondern ganz andere Lobbyisten, in deren Bilanzen nur der Umsatz und der massenhafte Absatz zählen, nicht aber die gesellschaftlichen Kosten, die sich aus der Ausbeutung der menschlichen Arbeitskraft und der ungehemmten Umweltzerstörung ergeben.
Kernforderung in einer Richtlinie für Bauprodukte müßte unseres Erachtens aber die Berücksichtigung der derzeit weitestgehenden umwelt-, gesundheits- und sozialpolitischen Standards als generell gültiger Maßstab für alle Produkte und Produktionsweisen sein.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Diese Standards dürften bei entsprechender technologischer Entwicklung zwar überschritten, aber nirgendwo unterschritten werden. Solche Produkte müßten natürlich gegenüber einer Art „ Ökologiedumping " durch Billigprodukte aus dem Ausland außenwirtschaftlich abgesichert werden. Das hat nichts mit Protektionismus zu tun, aber sehr viel mit einer Wirtschaftsweise, die wirklich ökologisch und sozialverträglich wäre und sich nicht nur zum Schein, wie es uns hier erzählt wird, an den Interessen der Bewohnerinnen und Bewohner Europas orientieren würde.

(Beifall bei den GRÜNEN)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1105535900
Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zunächst zur Abstimmung über Tagesordnungspunkt 4 a, und zwar über die Beschlußempfehlung des Ausschusses zur Richtlinie der Europäischen Gemeinschaft über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge.
Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? — Gegenprobe! — Keine Gegenstimmen. Enthaltungen? — Enthaltungen aus der Fraktion DIE GRÜNEN. Damit ist die Beschlußempfehlung angenommen.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über Tagesordnungspunkt 4 b, und zwar über die Beschlußempfehlung des Ausschusses, die sich auf die Annäherung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten betreffend die Bauprodukte bezieht. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei Gegenstimmen aus der Fraktion DIE GRÜNEN ist die Beschlußempfehlung mit Mehrheit angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 5 auf:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (10. Ausschuß) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Bericht der Bundesregierung über alle nationalen und internationalen Regelungen, in denen Tierversuche vorgeschrieben und vorgesehen sind, sowie Maßnahmen zur Einschränkung entsprechender Tierversuche
— Drucksachen 10/5892, 11/1459 — Berichterstatterin: Frau Abgeordnete Adler
Meine Damen und Herren, nach Vereinbarung im Ältestenrat ist eine Beratungszeit von 30 Minuten vorgesehen. Ist das Haus damit einverstanden? — Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Parlamentarische Staatssekretär von Geldern.

Dr. Wolfgang von Geldern (CDU):
Rede ID: ID1105536000
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach einem Jahr Erfahrung mit dem neuen Tierschutzgesetz zeigt sich, daß das Bemühen, dem Schutzanliegen der Tiere besser gerecht zu werden, ohne die Gesundheit des Menschen zu vernachlässigen, Früchte trägt. Durch das verschärfte Genehmigungsverfahren mit der gesetzlich vorgeschriebenen ausführlichen, wissenschaftlich begründeten Darlegung der Unerläßlichkeit und der ethischen Vertretbarkeit der beantragten Versuchsvorhaben sowie durch die Beteiligung der beratenden Kommissionen hat die Entscheidungsfindung eine bessere Qualität bekommen.
Bisher haben die zur Unterstützung der zuständigen Behörden bei der Entscheidung über die Genehmigung von Tierversuchen berufenen Kommissionen — entgegen mancherlei vorherigen Bedenken —recht zufriedenstellend gearbeitet. Dabei hat sich auch gezeigt, daß die vorgeschriebene mehrheitliche Besetzung aus bestimmten wissenschaftlichen Fachrichtungen keineswegs zur Folge hatte, daß alle gestellten Anträge letztlich doch befürwortet wurden. Die im Tierschutzgesetz ferner vorgeschriebene Beteiligung des Tierschutzbeauftragten hat auch dazu geführt, daß Anträge auf Genehmigung eines Versuchsvorhabens sorgfältiger vorbereitet werden als früher.
Daten über Zahl und Art der Versuchstiere sowie Art der Versuche werden erst vorliegen, wenn die entsprechende Tierversuchsmelde-Verordnung in Kraft getreten sein wird; dies soll am 1. Januar 1989 geschehen.
Ich glaube feststellen zu können, daß die Novellierung des Tierschutzgesetzes im Bereich der Tierversuche eine erfolgversprechende Entwicklung eingeleitet hat. Der weitere Fortgang wird abzuwarten sein. Dies wird dann, meine Damen und Herren, zu gegebener Zeit Gegenstand des von der Bundesregierung alle zwei Jahre vorzulegenden Tierschutzberichtes sein.



Parl. Staatssekretär Dr. von Geldern
Wie der Bericht, um den es heute geht, zeigt, sind Tierversuche in zahlreichen Rechtsvorschriften weiterhin vorgeschrieben, sei es direkt oder indirekt. Im wesentlichen sind dies Rechtsvorschriften, die das Inverkehrbringen von Stoffen und Produkten regeln oder zum Schutz der Gewässer vor nachteiligen Einflüssen erlassen worden sind.
Fast alle diese Vorschriften haben ihr Gegenstück im EG-Recht oder beruhen auf Richtlinien der OECD. Die Entwicklung und Erforschung von Produkten vollziehen sich heute in nicht geringem Umfang im internationalen Rahmen. Dies erklärt auch, warum es außerordentlich schwierig ist, auf diesem Gebiet kurzfristig voranzukommen.
Die Bundesregierung setzt sich in allen nationalen und internationalen Gremien nachdrücklich dafür ein, daß die Zahl der vorgeschriebenen Tierversuche verringert wird. In Fällen, in denen das nicht gelingt, bemüht sich die Bundesregierung darum, daß zumindest weniger belastende Tierversuche vorgeschrieben werden.
Vor allem durch unsere Aktivität wird in den Gremien der OECD verstärkt über Möglichkeiten beraten, Ersatz- und Ergänzungsmethoden bei der Prüfung von Chemikalien vorzusehen. Auch die EG-Kommission, die die Untersuchungsmethoden zur Prüfung von Chemikalien zur Zeit überarbeitet, hat sich das Anliegen zu eigen gemacht, Tierversuche — wo immer möglich — zu reduzieren. Im Vordergrund stehen dabei der Draize-Test und die Bestimmung der LD 50.
Ich bin zuversichtlich, daß beide Methoden in absehbarer Zeit — wenn nicht ganz abgeschafft — doch auf klar definierte Fälle begrenzt werden können. Im Bundesgebiet wird in allen Fällen, in denen dies vertretbar ist, der LD-50-Test bereits jetzt durch den approximativen LD-50-Test ersetzt.
Voraussetzung für die Einführung von Ersatz- und Ergänzungsmethoden in Rechtsvorschriften ist die Untersuchung der Zuverlässigkeit und Anwendbarkeit dieser Methoden für definierte Fragestellungen. In den meisten Fällen stehen derartige Untersuchungen noch aus. Daher hat die Bundesregierung beschlossen, eine zentrale Stelle zur Erfassung und Bewertung von Ersatz- und Ergänzungsmethoden beim Bundesgesundheitsamt einzurichten.

(Frau Garbe [GRÜNE]: Endlich!)

Unabhängig hiervon werden im Rahmen des Forschungsprogramms „Biotechnologie" des Bundesministers für Forschung und Technologie und von der — durch die Bundesregierung initiierten — Stiftung zur Förderung der Erforschung von Ersatz- und Ergänzungsmethoden zur Einschränkung von Tierversuchen auch künftig Mittel für die Weiterentwicklung entsprechender Methoden bereitgestellt.
In Zusammenhang mit der Reduzierung vorgeschriebener Tierversuche stehen auch zwei wichtige neue EG-Richtlinien vom 24. November 1986 und vom 18. Dezember 1986, die ich abschließend erwähnen möchte. Die erste schreibt unter anderem die gegenseitige Anerkennung der Versuchsergebnisse innerhalb der ganzen Europäischen Gemeinschaft vor. Die zweite schreibt die Anwendung der „Grundsätze der guten Laborpraxis" bei der Erstellung von Unterlagen über Chemikalien vor. Beide Richtlinien tragen dazu bei, EG-weit die Zahl unnötiger Doppelversuche zu verringern.
Der Ihnen vorliegende Bericht, meine Damen und Herren, und mein kurzer Überblick über die in den letzten eineinhalb Jahren ergriffenen Maßnahmen der Bundesregierung zur Minderung von Tierversuchen lassen aber auch erkennen, daß auf diesem Gebiet noch viel Arbeit vor uns liegt.
Die Notwendigkeit, die ethische Stellung des Tieres in unserer Rechts- und Gesellschaftsordnung weiter zu verbessern, hat allgemeine Anerkennung gefunden. Diesen Gedanken in die Rechtspraxis umzusetzen bleibt eine Daueraufgabe, zu der alle, nicht nur die Bundesregierung, aufgerufen sind.
Danke schön.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1105536100
Das Wort hat Frau Abgeordnete Adler.

Brigitte Adler (SPD):
Rede ID: ID1105536200
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das meistgebrauchte Wort in dem Bericht der Bundesregierung zu den Tierversuchen ist das Wort „prüfen". Der erste Bericht nach der Verabschiedung des neuen Tierschutzgesetzes wurde im Juli 1986 veröffentlicht. Leider beschäftigt sich das Parlament erst heute, anderthalb Jahre später, damit. Eine aktualisierte Fassung wäre angebracht gewesen. Prüfen wir, was dieser Bericht wert ist.
Das Tierschutzgesetz sagt im Abschnitt 5 einiges zu Tierversuchen aus. So werden in § 7 die Versuchszwecke genau benannt: medizinische Zwecke, Umweltgefährdungen aufdecken, Unbedenklichkeitsuntersuchungen und Grundlagenforschung. Es heißt dann wörtlich:
Bei der Entscheidung, ob Tierversuche unerläßlich sind, ist insbesondere der jeweilige Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse zugrunde zu legen und zu prüfen, ob der verfolgte Zweck nicht durch andere Methoden oder Verfahren erreicht werden kann.
Erfreulich ist, daß „Tierversuche zur Entwicklung und Erprobung von Waffen, Munition und dazugehörigem Gerät" verboten sind,

(Beifall bei der SPD)

ebenso zur „Entwicklung von Tabakerzeugnissen, Waschmitteln und dekorativen Kosmetika" . Leider wird im nächsten Satz das alles wieder eingeschränkt:
Der Bundesminister wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates Ausnahmen zu bestimmen, soweit es erforderlich ist, um konkrete Gesundheitsgefährdungen abzuwehren, und soweit die notwendigen neuen Erkenntnisse nicht auf andere Weise erlangt werden können.
Wir Sozialdemokraten haben im Landwirtschaftsausschuß den Bericht der Bundesregierung zur Kenntnis genommen. Was blieb uns auch anderes übrig? Er lag gedruckt vor. Inhaltlich aber nehmen wir den Be-



Frau Adler
richt zum Anlaß, die Bundesregierung an ihren eigenen Ansprüchen kritisch zu messen.
In § 9 Abs. 2 heißt es:
Tierversuche sind auf das unerläßliche Maß zu beschränken. Bei der Durchführung ist der Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse zu berücksichtigen.
Was aber haben Sie unternommen, daß das „unerläßliche Maß" erreicht wird? Die Forschungsmittel machen eine Spottanteil aus, gemessen an den zahlreichen Tierversuchen und deren Kosten. Ein Fonds der Industrie, um Alternativmethoden entwickeln zu lassen, wäre aus dieser Erkenntnis heraus endlich zu realisieren. Die wirtschaftlichen Interessen sind endlich dem Tierschutz unterzuordnen und nicht umgekehrt.

(Beifall bei der SPD)

Wünschenswert wäre es ebenfalls, wenn der Herr Bundesjustizminister endlich Initiativen zur Verbesserung des Tierschutzes im Zivilrecht vorlegte, wie er es versprochen hat.

(Jahn [Marburg] [SPD]: Ach du lieber Gott, wie lange sollen wir darauf noch warten?)

Denn auch er sagt, daß Tiere als schmerzempfindliche Lebewesen und Mitgeschöpfe des Menschen nicht wie leblose Sachen behandelt werden dürfen. Solange das nicht der Fall ist, so lange darf also der LD50-Test angewandt werden, auch wenn die approximative LD-50-Bestimmung schon eine Verminderung der Tierversuche erbringen könnte.
Ganz glaubt man auch bei dem Bundesseuchengesetz nicht verzichten zu können, auch wenn Ersatz-und Ergänzungsmethoden entwickelt wurden. Besonders interessant wird es natürlich dann, wenn internationale und EG-Rechte eine Rolle spielen. Wie selbstbewußt und mitbestimmend sieht die Bundesregierung da ihre Rolle? Der Wille zur Änderung fehlt. Das Tierschutzgesetz läßt generell Tierversuche zu. Die Hürden zur Erlangung einer Genehmigung sind zu niedrig angesetzt, um die Eindämmung von Tierversuchen wirksam zu erreichen. Unser Vorschlag, das generelle Verbot mit eng begrenzten Ausnahmen, wäre der bessere Weg. Tierschützer, die Anwälte der Tiere, haben durch ihre Arbeit oft bewiesen, daß das Leid der Tiere im Tierversuch oft „untierisch" ist. Das Tier ist ein Lebewesen, das es verdient, als solches anerkannt und geachtet zu werden. Eine falsch verstandene Wissenschaftlichkeit kann gegen ethische und moralische Pflichten verstoßen. Deshalb gilt es, das Leiden der Tiere zu beenden.

(Beifall der Abg. Frau Unruh [GRÜNE])

Es git Beispiele, die der Deutsche Tierschutzbund in einer Schrift „Leid ohne Mitleid" veröffentlicht hat — ich zitiere — :
Genaue Daten über die Ausdauer gezüchteter und wilder Ratten wollte der Wissenschaftler C. R. ermitteln. Er zwang die Tiere, in ca. 75 cm tiefen Gefäßen zu schwimmen, bis sie ertranken. Einige Tiere schwammen bis zu 80 Stunden, bevor sie diesen Tod erlitten.
Es wird wohl jedem denkenden Menschen unmöglich sein, in diesem Versuch überhaupt irgendeinen Sinn zu erkennen.
Wie steht es damit, wenn 1983 ein Beauftragter des Landwirtschaftsministeriums auf eine Anfrage, ob kleinen Nagetieren die ungeborenen Jungen ohne Betäubung herausgeschnitten werden, folgendes mitteilt:
Bei nahezu allen Versuchsreihen werden auch bei kleinen Nagern die Muttertiere vor Entnahme der Feten betäubt oder getötet. Soweit — was in Ausnahmefällen zutrifft — Betäubung oder Tötung eine Beeinflussung der Versuchsergebnisse erwarten lassen, erfolgt eine betäubungsfreie Fetenentnahme nur nach Genehmigung.
Sollten hier geschickte Formulierungen über bestialische Versuche hinwegtäuschen? Oder werden diese Versuche dadurch, daß sie nur nach Genehmigung durchgeführt werden dürfen, für die Tiere weniger qualvoll?
Diese Beispiele ließen sich leider in endloser Zahl fortsetzen. Sie zeigen bereits, daß dringend gehandelt werden muß. Die Forderung nach Betäubung im Tierversuch muß mit Nachdruck gestellt werden. Zum Wohle der Menschen können schmerzvolle Versuche nicht sein. Sie müssen die genehmigungspflichtige Ausnahme bleiben.
Bei Tierversuchen im Rahmen der Ausbildung werden immer wieder Versuche verlangt, die, so denke ich, nie mehr benötigt werden. Lehrfilme könnten die gleiche Aufgabe leisten. Auch hier hat der Gesetzgeber dringenden Handlungsbedarf, um die Ausbildungsrichtlinien entsprechend zu gestalten. Anzuerkennen ist, wenn Auszubildende in den Labors und an den Hochschulen unnötige Experimente mit Tieren ablehnen.
Der Deutsche Tierschutzbund hat auf Hilfe aus dem politischen Raum nicht warten können und wollen. Die Akademie für Tierschutz hat die „Gelbe Liste" veröffentlicht, aus der Alternativen zu bestehenden Tierversuchen hervorgehen. 1 800 Nennungen aus aller Welt wurden in dieser Datenbank gesammelt; eine vergleichbare Datenbank fehlt in der Bundesrepublik. Unsere Forderung nach einer Koordinierungsstelle für die Bewertung von Ersatz- und Ergänzungsmethoden hat in der Zwischenzeit selbst der Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie aufgegriffen. Eine Datenbank, die die Erfahrung und Auswertung der alternativen Methoden ermöglicht, muß angeschlossen werden.

(Duve [SPD]: Seit sechs Jahren wird das gefordert!)

Frau Ministerin Süssmuth hat in einem Schreiben an meine Kollegin Frau Schmidt bereits zugesagt, daß noch in diesem Jahr eine Stelle zur Bewertung und Koordinierung von Alternativmethoden zu Tierversuchen beim Bundesgesundheitsamt eingerichtet werden soll.
Es ist höchste Zeit, eineinhalb Jahre nach dem ersten Bericht konkrete Schritte in Richtung auf die Einhaltung der selbstgesetzten Grundsätze zu tun. Dennoch: Das bestehende Recht gibt noch zuviel Spiel-



Frau Adler
raum. Der überwiegende Teil der Tierversuche muß noch immer nur angezeigt werden. Bei Verstößen fehlen schmerzhafte Sanktionen.
Ein weiterer Passus im Gesetz bringt Unruhe statt Hilfe: die Ethikkommissionen. In der vorgegebenen Art der Besetzung liegt bereits der Keim des Konflikts. Der Lobby der Tierversuchsbefürworter ist die Stimmenmehrheit gesichert. Nicht den Mut zu haben, solche Kommissionen paritätisch zu besetzen, zeugt von Kleinkariertheit, aber auch von Industrie- und Wissenschaftsgläubigkeit.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Erfreulich war im Ausschuß für Landwirtschaft, daß die Kollegen der CDU mitgemacht haben, daß geprüft werden soll, ob der Fischtest im Abwasser nicht durch den von Professor Ahne entwickelten Zelltest ersetzt werden kann. Der Bericht der Bundesregierung geht auch auf Ersatzmethoden ein. Wie steht es aber eineinhalb Jahre nach der Aussage:
Ziel ist es, zunächst zwischen Bund und Ländern die vorhandenen Informationen aufzubereiten und praxisgerechte Vorschläge für den Vollzug zu erarbeiten. Entsprechende Schritte sind eingeleitet.
Alles halbe Sachen, Augenwischerei. Haben Sie doch endlich den Mut, konkret die 30 000 bis 40 000 Versuchstiere, die täglich benutzt werden, zu schonen! Ein Tierschutzgesetz muß den Namen „Schutz" ehrlich verdienen.
Deshalb gehen Sie endlich den Weg zu einem Tierschutzgesetz mit uns, das folgenden Ansprüchen und Forderungen gerecht wird: Tierversuche sind verboten. Ausnahmen werden auf Antrag in engbegrenzten Fällen zugelassen. Unabhängige Tierschutzbeauftragte werden bestellt. Paritätisch besetzte Ethikkommissionen, die Ausnahmeanträge prüfen und genehmigen, werden berufen. Gründung eines Forschungsfonds für alternative Versuchsverfahren. Errichtung einer Koordinierungsstelle zur Bewertung von Alternativmethoden beim Bundesgesundheitsamt. Einrichtung von Datenbanken zur Vermeidung von Mehrfachversuchen.
Diese Forderungen nach Neugestaltung des Tierschutzgesetzes hat meine Fraktion wiederholt vorgetragen. Es ist jetzt an Ihnen, mit uns „Mitleid mit dem Leid" der Versuchstiere zu haben und politische Konsequenzen zu ziehen. Auf diesem Weg, meine Damen und Herren von der CDU/CSU und der FDP, unterstützen wir Sie nach Kräften.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1105536300
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Bredehorn.

Günther Bredehorn (FDP):
Rede ID: ID1105536400
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der vorliegende Bericht der Bundesregierung über nationale und internationale Regelungen, in denen Tierversuche vorgeschrieben sind, gibt uns Parlamentariern einen guten Überblick und auch Ansatzpunkte, künftig Tierversuche noch mehr einzuschränken.
Bei der Novellierung des Tierschutzgesetzes im April 1986 war der Bereich der Tierversuche einer der
Schwerpunkte. Ich habe in meinem damaligen Beitrag von dieser Stelle aus deutlich gesagt, daß wir auch in Zukunft im Interesse des Gesundheitsschutzes und des Verbraucherschutzes nicht ganz auf Tierversuche verzichten können. Aus dieser Sicht sind Tierversuche auch ethisch verantwortbar.
In dem neuen Tierschutzgesetz haben wir allerdings sehr restriktiv festgelegt, daß Tierversuche auf das absolut unerläßliche Maß eingeschränkt und Schmerzen und Leiden der Versuchstiere, soweit es geht, verhindert oder vermindert werden müssen.
Damit ist automatisch die Forderung an Forschung und Wissenschaft verbunden, sich mehr als bisher um alternative Versuchsmethoden zu bemühen. Hier sind wir schon ein Stück vorangekommen. Trotzdem muß noch mehr geschehen.
Es ist festzustellen — ich bitte auch die Tierschützer, dies zur Kenntnis zu nehmen — , daß Tierversuche Gott sei Dank rückläufig sind, und zwar besonders dann, wenn Alternativtests so ausgereift sind, daß sie routinemäßig angewendet werden können.
Es wird dabei immer ein Zielkonflikt bleiben, zum Beispiel Arzneien und Chemikalien für den Menschen nutzbar zu machen und ihn vor gesundheitsschädlichen Risiken zu schützen und auf der anderen Seite den Schutz der Tiere zu beachten. Es geht darum, unsere Bemühungen zu verstärken, Alternativtests bis zur Praxisreife zu entwickeln.
Anscheinend ist bei den vom Ernährungsausschuß in der Drucksache 11/1459 vorgeschlagenen alternativen Zelltests zum Ersatz von Fischtests bei Abwasserüberprüfungen noch keine Praxisreife gegeben, so daß wir hier vorerst leider noch nicht zum Erfolg kommen.
Ich bitte allerdings das BML, zu prüfen, ob nicht zusätzliche Mittel zur Entwicklung eines solchen Alternativtests notwendig sind.
Bei den 15 nationalen Rechtsvorschriften, die Tierversuche direkt oder indirekt beinhalten, muß man sicher auch unterscheiden, welche Ziele in diesen einzelnen Gesetzen und Rechtsvorschriften verfolgt werden. So scheint es mir angebracht zu sein, beim Futtermittelgesetz tatsächlich Versuche mit Tieren durchzuführen, da es hier um die ernährungsphysiologische Bewertung von Futtermitteln geht, ein direkter Zusammenhang mit Tieren also gegeben ist.
Insgesamt möchte ich feststellen und als positiv anerkennen, daß die Bemühungen energisch vorangetrieben werden, durch Ersatzmethoden Tierversuche einzuschränken, z. B. durch Einsatz von Mikroorganismen, Einsatz von Zellkulturen sowie Anwendung von biochemischen Methoden und computergestützten Modellen.
Im übrigen begrüße ich es, daß gerade das Bundesverwaltungsgericht in Berlin erklärt hat, daß alle Tierversuche, die gesetzlich vorgeschrieben sind oder geregelt werden müssen, genehmigungspflichtig sind, das heißt nicht nur angezeigt werden müssen. Im Sinn eines besseren Tierschutzes ist diese Entscheidung meines Erachtens ein Erfolg.
Das Bundesforschungsministerium stellt für die Methoden zum Ersatz von Tierversuchen Forschungs-



Bredehorn
beiträge in Höhe von mehreren Millionen DM zur Verfügung. Ich appelliere deshalb an alle in diesem Bereich arbeitenden Forschungsinstitute, qualifizierte Anträge an das Forschungsministerium zu stellen, damit Mittel bewilligt werden.
Noch ein Wort zum internationalen Bereich: Viele der von Tierversuchen betroffenen Gesetze greifen inzwischen in EG-Recht ein und verlangen nach einer internationalen Abstimmung. Allein schon der Blick auf den gemeinsamen Binnenmarkt 1992 gebietet, daß einheitliche Tierschutzbestimmungen gültig werden. Das von uns 1986 novellierte Tierschutzgesetz ist das fortschrittlichste Tierschutzgesetz in Europa. Bei unseren EG-Nachbarn und im Ausland gibt es allerdings teilweise sogar Skepsis und Zurückhaltung gegenüber diesem Gesetz. Ich möchte deshalb die Bundesregierung auffordern, auch weiterhin im internationalen Rahmen ihre Bemühungen um besseren Tierschutz, d. h. insbesondere auch um weniger Tierversuche, fortzusetzen.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Für die FDP ist klar: Für die erfolgreiche Bekämpfung vieler Krankheiten — denken Sie z. B. an AIDS — und Seuchen bei Menschen und Tieren sind auch zukünftig noch Tierversuche notwendig. Es bleibt aber unser Ziel, die Tierversuche grundsätzlich einzuschränken.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1105536500
Das Wort hat Frau Abgeordnete Garbe.

Charlotte Garbe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1105536600
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Zur Beruhigung der Bevölkerung tut die Bundesregierung so, als ob sie sich für weniger Tierversuche einsetzen würde oder gar gegen Tierversuche sei. Nur wegen der gesetzlichen Vorschriften müßten halt immer noch Tierversuche vorgenommen werden. Diesen Eindruck muß man nach der Lektüre des Berichts der Bundesregierung über Tierversuche gewinnen. Es werden weiterhin unschuldige Tiere sinnlos gequält und geopfert, damit sich die Wissenschaftler und die Regierung nach der blutigen Arbeit die weiße Weste des Biedermanns anziehen und den Leuten einreden können: Wir haben alles geprüft, die Chemikalien, die Waschmittel, die Luft, die Arzneimittel, die Pflanzengifte. Sie sind alle unschädlich, unbedenklich, ungiftig, eben sauber. Das heißt, meine Herren und Damen, dies alles ist wissenschaftlicher und politischer Betrug.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Diese Selbsterkenntnis vermissen wir allerdings in dem Bericht. Deshalb markiert der Bericht leider auch wieder nur eine Zwischenstation für weitere Tierquälerei. Wenn es allerdings hart auf hart geht, dann kommen die Herren Tierversucher ins Schwitzen. Dann zeigt sich die nackte Wahrheit.
Ich darf an Formaldehyd erinnern: Als Formaldehyd eindeutig als krebsauslösend identifiziert war und für die Gesundheit der Menschen Konsequenzen gezogen werden mußten, hieß es: Das waren nur Tierversuche, die sind für die Situation bei Menschen bedeutungslos, auf Menschen also nicht übertragbar.
In der Fragestunde hörten wir, zur Abschätzung der Gefährlichkeit des Weichmachers DEHP seien Tierversuche an Mäusen und Ratten gemacht worden.
Bei Perchloräthylen, also bei dem Stoff, der in chemischen Reinigungsanlagen angewendet wird, wurden auch Versuche an Mäusen vorgenommen. Ergebnis: „clear evident", also krebserzeugend. Das Tierversuchsergebnis sei aber nicht auf Menschen übertragbar. Tierversuche an Ratten, Ergebnis „clear evident", aber die Ratte hat einen Vormagen, die Menschen nicht; nicht übertragbar. Die Liste dieser sinnlos betriebenen Tierversuche ließe sich hier lange fortsetzen.
Die Frage ist: Wie viele Tiere werden für diese Sinnlosigkeit verbraucht? „Verbraucht", so wird es im Fachjargon genannt, wenn Tiere bei Tierversuchen zu Tode gequält oder eingeschläfert werden. Warum gibt es wohl in der Bundesrepublik ganz im Gegensatz zu den anderen Ländern immer noch keine vollständige Statistik? Wie viele Tiere sterben wirklich täglich in bundesdeutschen Labors? Sind es zwischen 17 000 und 60 000 Tiere, wie angenommen wird, oder gar noch mehr? Haben Sie inzwischen Tierbanken für Tierversuche eingerichtet? Bis jetzt noch nicht, hat Herr von Geldern eben ausgeführt. Haben Sie den Membrantest am Hühnerei validiert, um endlich den unseligen Draize-Test abzuschaffen? Bis jetzt noch nicht, haben wir von Herrn von Geldern gehört. Haben z. B. die Tierversuche in Munster aufgehört, wenn es nun schon verboten ist? Ich warte auf eine Antwort.
Wir GRÜNEN fordern schon seit langem die Einstellung der Tierversuche. Es gibt längst andere Möglichkeiten, und es gibt Gott sei Dank immer mehr Bürger und Bürgerinnen im In- und Ausland, die Tierversuche für ethisch nicht mehr vertretbar halten und anprangern und fordern, den Tierquälern endlich das Handwerk zu legen. Also Schluß damit!
Zur Beschlußempfehlung möchte ich für meine Fraktion sagen: Wir nehmen den Bericht der Bundesregierung mit Grausen und Trauer zur Kenntnis. Die zweite Empfehlung ist für uns eine längst überfällige Selbstverständlichkeit.
Danke schön.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1105536700
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Michels.

Meinolf Michels (CDU):
Rede ID: ID1105536800
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Seit dem 1. Januar 1987 ist das neue Tierschutzgesetz in Kraft. Das Gesetz von 1972, das schon als eines der strengsten und vorbildlichsten der Welt galt, wurde aus dem vollkommen neuen Verständnis heraus, daß das Tier nicht als Sache, sondern als Mitgeschöpf des Menschen eingestuft wird, weiter verbessert.
§ 1 Abs. 1 hat nun folgenden Wortlaut:
Zweck dieses Gesetzes ist es, aus der Verantwortung des Menschen für das Tier als Mitgeschöpf dessen Leben und Wohlbefinden zu schützen.
Diese Ethik der „Mitgeschöpflichkeit", von dem Züricher Theologen Fritz Blank entwickelt, mißt dem Le-



Michels
ben des Tieres eine besonders hohe Bewertung bei, die es grundsätzlich von der bisherigen im abendländischen Recht üblichen Einstufung als Sache unterscheidet.
Zuletzt fand 1984 eine Überprüfung aller einschlägigen Rechtsvorschriften auf Möglichkeiten der Verringerung von Tierversuchen statt. Das ist nun vier Jahre her. Die Fortentwicklung des Tierschutzes muß doch aber eine Daueraufgabe sein.
Auf meine Anregung und meinen Antrag hin haben wir dann in das neue Tierschutzgesetz die zweijährige Berichtspflicht der Bundesregierung eingebaut.

(Beifall des Abg. Eigen [CDU/CSU])

Am 1. Januar 1989 wird uns dieser Bericht genauere Auskunft darüber geben, wie das Tierschutzgesetz in der Praxis umgesetzt werden konnte.
Meine Damen und Herren, nach § 7 des neuen Gesetzes dürfen Tierversuche nur durchgeführt werden, wenn geprüft worden ist, „ob der verfolgte Zweck nicht durch andere Methoden oder Verfahren erreicht werden kann".
Die Bundesregierung hat seit 1985 die Mittel zur Erforschung von Ersatzmethoden zum Tierversuch von 10 Millionen DM auf heute 20 Millionen DM gesteigert. Die Arzneimittelhersteller geben etwa ein Viertel ihres Forschungsetats für die experimentelle biomedizinische Forschung auf dem Gebiet der Gewebekulturen und der Mikroorganismen aus. Allein im Bereich des durch gesetzgeberische Vorschriften an Tierversuche gebundenen Verbraucher- und Gesundheitsschutzes kann zur Zeit durch die Anwendung anderer Testverfahren ungefähr ein Viertel aller Tierversuche ersetzt werden.
So sehr wir alle uns dies auch wünschen, ein Teil der Tierversuche auf bestimmten Gebieten ist wohl in absehbarer Zeit leider noch nicht ganz zu ersetzen. Ein lebendes Tier ist eben mehr als die Summe von Reaktionen isolierter Zellen, Gewebe oder Organe.

(Zustimmung bei Abgeordneten der SPD)

Es gibt mittlerweile eine Reihe vielversprechender Ansätze im Bereich der Ersatz- und Ergänzungsmethoden, die, wie wir gehört haben, auch schon in der Praxis genutzt werden. Der LD-50-Test konnte auf Initiative der Bundesregierung EG-weit durch die approximative Bestimmung ersetzt werden; das bedeutet die Einsparung von 50 bis 75 % der Versuchstiere in diesem Bereich durch Anwendung theoretischer Modelle. Weitere Einsparungen auf diesem Gebiet sind signalisiert.
Die Entwicklung von Zell- und Gewebekulturen macht ständig Fortschritte. Ende 1987 erhielt Professor Maurer von der Universität Berlin für seinen Zellkolonie-Test den Preis der Erna-Graff-Stiftung. Der Draize-Test am Kaninchen — hier eben schon zweimal angesprochen — kann durch das Aufbringen der Prüfsubstanz auf eine Hühnereimembran ersetzt werden.
In Zukunft wird es für die Übernahme in die Praxis darauf ankommen, die Testsysteme zu standardisieren, um damit eine internationale Anerkennung der Tests zu erreichen. Beim Bundesgesundheitsamt soll deshalb eine Koordinierungsstelle für Ersatz- und Ergänzungsmethoden eingerichtet werden. Außerdem unterstützen wir einen weiteren Ausbau der Forschungsförderung im Bereich der Ersatz- und Ergänzungsmethoden. Eine Stiftung, die Ersatzmethoden zur Einschränkung von Tierversuchen erforscht, hat ihre Arbeit schon aufgenommen. Die Finanzierung in Höhe von 1 Million DM wurde von verschiedenen Stiftern aufgebracht.
Meine Damen und Herren, unsere ethische Verpflichtung gegenüber dem uns anvertrauten Tier gebietet es, daß wir mit unvermindertem Einsatz an der Aufhebung bzw. zunächst an der Schmerz- und Leidensbegrenzung bei Tierversuchen weiterarbeiten.
Anläßlich des uns vorliegenden Berichts der Bundesregierung fordere ich deshalb dazu auf, daß der vorzulegende Tierschutzbericht der Bundesregierung aufführt, welche Leistungen und Waren wir einführen, die im Ausland unter Anwendung von Tierversuchen erzeugt werden. Ebenso sollte dieser Bericht klären, wieweit die Bestimmungen des Gesetzgebers in der Genehmigungspraxis wirklich funktionieren. Weiterhin rege ich an, alle bestehenden Rechtsvorschriften, die Tierversuche zur Folge haben, erneut auf ihre Notwendigkeit zu überprüfen, die Forschung der alternativen Methoden weiter auszubauen, allgemeine Grundsätze, wie sie die Gute-Labor-Praxis der OECD beschreibt, bei Tierversuchen anzuwenden sowie internationale Vereinbarungen zur gegenseitigen Anerkennung tierexperimentell gewonnener Daten zu treffen, wie dies auf EG-Ebene durch die Richtlinie des Rates vom 24. November 1986 zur Annäherung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften zum Schutz von Versuchstieren bereits geschehen ist.
Entsprechend den neuen Erkenntnissen, insbesondere im Bereich der Ersatz- und Ergänzungsmethoden, müssen Änderungsvorschläge ständig geprüft werden. Dies ist eine Daueraufgabe, die unserer ethischen Verpflichtung dem Tier gegenüber entspringt.
Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1105536900
Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung. Wer für die Beschlußempfehlung des Ausschusses stimmt, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Keine Gegenstimmen. Enthaltungen? — Keine Enthaltungen. Die Beschlußempfehlung des Ausschusses ist einstimmig angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 12 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Duve, Dr. Apel, Dr. Penner, Dr. Spöri, Bernrath, Dr. Böhme (Unna), Börnsen (Ritterhude), Conradi, Erler, Graf, Frau Hämmerle, Dr. Hauchler, Huonker, Kastning, Kuhlwein, Frau Dr. Martiny, Frau Matthäus-Maier, Dr. Mertens (Bottrop), Müller (Pleisweiler), Frau Dr. Niehuis, Frau Odendahl, Oesinghaus, Poß, Reschke, Rixe, Frau Schmidt (Nürnberg), Schmidt (Salzgitter), Sielaff, Toetemeyer, Wartenberg (Berlin), Frau Weiler, Weisskirchen (Wiesloch),



Vizepräsident Stücklen
Westphal, Frau Weyel, Dr. Wieczorek, Wiefelspütz, Dr. Vogel und der Fraktion der SPD Erhaltung des halben Mehrwertsteuersatzes für Bücher, Zeitungen und Zeitschriften
— Drucksache 11/920 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Finanzausschuß (federführend)

Innenausschuß
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist eine Redezeit von 30 Minuten vorgesehen. Das Haus ist damit einverstanden? — Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Duve.

Freimut Duve (SPD):
Rede ID: ID1105537000
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als wir diesen Antrag in unserer Fraktion besprochen und entworfen haben, war das, was in der Öffentlichkeit als Giftliste bezeichnet worden war, anscheinend entgiftet worden. Die Idee, den halben Mehrwertsteuersatz aufzugeben, war im Finanzministerium aufgegeben worden.

(Dr. Weng [Gerlingen] [FDP]: Die Erfindungen von Herrn Spöri waren das!)

— Ich lobe Sie ja. Ich freue mich ja, daß Sie das dann nicht verwirklicht haben, was in ihrem Haus diskutiert wurde. Sie haben sich auch sehr zu Herzen genommen, was Herr Spöri gesagt hat. Das ist doch sehr angenehm für uns, für alle Betroffenen und vielleicht auch für Sie. — Dies geschah nicht ohne Druck von außen und nicht ohne die politische Erkenntnis, daß natürlich der Bund auch für die Rahmenbedingungen der Kultur verantwortlich und zuständig ist. So ist eigentlich von allen Fraktionen und auch von der Bundesregierung erklärt worden, daß dies nicht mehr die Absicht sei. Das halte ich für sehr wichtig; wir müssen das hier auch festhalten.
Mir scheint, daß das ein guter Anlaß ist, in einer sehr grundsätzlich gemeinten Form den Bundestag mit einem solchen Gegenstand noch einmal zu befassen, denn vor 25 Jahren hat man sich dazu entschlossen; der Finanzminister Etzel hat es damals getan. Seither hat der Bundestag die Begründung für diese Maßnahme speziell für diesen Sektor eigentlich nie wieder diskutiert und auch nie wieder festgehalten, auch für dieses Gewerbe nicht. Deshalb fanden wir es einen guten Anlaß, diese Diskussion dazu zu nutzen, vielleicht zu einer gemeinsamen Meinungsbildung zu kommen, die nach dem, was Spöri und andere und ich gesagt haben, durchaus erkennbar war.
Wir befassen uns mit solchen Gegenständen selten genug; in meiner Erinnerung zweimal: einmal zur grundsätzlichen Frage der Filmförderung im Rahmen der EG-Wirtschaftsordnung und zum anderen bei der Frage der Buchpreisbindung im europäischen Maßstab. In beiden Fällen haben wir hier zu gemeinsamen Entschließungen gefunden.
Wir werden 1992 den einheitlichen europäischen Binnenmarkt haben. Wir haben zur Zeit ein wahres Chaos an Mehrwertsteuersätzen für die sogenannten Printmedien, insbesondere für die Bücher. Wir haben zur Zeit einen Satz von 7 %, Irland erhebt auf Bücher überhaupt keine Mehrwertsteuer, England auch nicht und das „superreiche" Portugal ebenfalls nicht. Sie fördern also alle in besonderer Weise diesen Bereich. In Italien sind es 2 %. Wir sind an der obersten Kante.
Wenn wir in diesem Bereich, auch im Rahmen einer anvisierten gemeinsamen europäischen Kulturpolitik, zu Gemeinsamkeiten kommen wollen, dann ist es nur gut, wenn sich das nationale Parlament einmal begründet, auch kulturpolitisch begründet, zu dieser Sache äußert. Nicht mehr und nicht weniger ist mit diesem Antrag gemeint. Die vorbereiteten Zornesausbrüche gegen Herrn Spöri, Herr Kollege, die Sie in Ihrer Rede möglicherweise haben, können Sie bei sich behalten. Wir können in aller Ruhe und Gelassenheit darüber diskutieren.
Ich denke, es ist gut, wenn der Bundestag einmal feststellt, daß die Bücherkultur für steuerpolitische Spiele auch in Zeiten knapper Kassen absolut tabu sein muß.

(Beifall bei der SPD)

Vielleicht ist es ganz gut, wenn wir das auch jetzt in der Diskussion, die wir in den letzten Tagen hatten, hier gemeinsam feststellen. Sie können sich dann, Herr Minister, irgendwelcher unkeuschen Verführungsabsichten leichter erwehren.

(Dr. Blens [CDU/CSU]: Wer will den denn verführen?)

— Eine gute Frage, Herr Blens. Herr Blens hat gefragt: Wer will denn den Minister Stoltenberg verführen?

(Dr. Blens [CDU/CSU]: Sie scheinen doch was zu wissen! — Zuruf von der SPD: Da gibt es eine ganze Menge!)

— Gut, ihr könnt euch darüber streiten, wer das gerne machen will. Daß das gerade Kollegen sind, die diese Frage stellen!
Ich will es noch einmal sagen: Dies ist die Begründung für diesen Antrag, nicht mehr und nicht weniger.
Literatur wird bei uns privatwirtschaftlich betrieben: Autoren schreiben, Verlage produzieren Bücher, und Politiker rühmen sich der Kulturnation. Theater, Film und Musik brauchen erhebliche öffentliche Förderung, um sich in einer Welt der Walkmen und Walkwomen im Ohr zu behaupten. Die einzige Form, in der dem Buchgewerbe kulturpolitisch geholfen wird, ist dieser halbierte Mehrwertsteuersatz. Mehr gibt es nicht an Maßnahmen. Er gilt seit 25 Jahren.
Ich meine, es ist wirklich an der Zeit, dieser Institution — es ist eine Institution geworden — durch parlamentarische Befassung grundsätzliche Unterstützung zu geben. Das ist das, was ich hier vortragen will. Die inhaltliche Begründung steht ja in dem Antrag. Ich hoffe, daß wir dann in der Beratung im Innenausschuß und im Finanzausschuß so weit geraten, daß wir möglichst bald eine gemeinsame Beschlußfassung hier im Bundestag zu dieser grundsätzlichen Frage bekommen.
Herr Präsident, in der Vorlage, die wir haben, steht: Überweisung an den Finanzausschuß. Ich möchte jetzt, auch im Einvernehmen mit den Kollegen der



Duve
anderen Fraktionen, bitten, daß hinzugefügt wird: Überweisung an den Innenausschuß.
Ich danke für die freundliche Aufmerksamkeit

(Beifall bei der SPD)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1105537100
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schulhoff.

Wolfgang Schulhoff (CDU):
Rede ID: ID1105537200
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Sachzusammenhang mit einer EG-Vorlage, Herr Duve, wurde dieser Antrag schon am 9. Dezember 1987 im Finanzausschuß beraten. Schon damals stellten die Koalitionsfraktionen fest, daß der von der SPD-Fraktion vorgelegte Antrag durch die Beschlüsse zum Abbau von Steuervergünstigungen hinfällig geworden sei; denn diese Beschlüsse ließen den derzeit geltenden Mehrwertsteuersatz für Bücher, Zeitungen und Zeitschriften unangetastet. Da dieser Antrag also jeder Grundlage entbehrte, erklärte der Ausschuß mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen die Vorlage für erledigt. Die SPD-Fraktion trat dafür ein, die Vorlage wenigstens zur Kenntnis zu nehmen. Sie selbst schienen etwas irritiert zu sein.
Da der jetzt vorliegende Antrag auch nicht Neues beinhaltet und die Bundesregierung unverändert ihren Standpunkt bekräftigt, keine Erhöhung des Mehrwertsteuersatzes für Zeitungen und Bücher vorzunehmen, wäre es an sich logisch gewesen, diesen Antrag einfach zurückzuziehen. Es bleibt dabei: Nach wie vor entbehrt er doch jeder Grundlage.

(Duve [SPD]: Nein! Ich habe das doch eben begründet, und zwar sehr liebevoll!)

— Deshalb werde ich das auch ganz liebevoll erklären, Herr Duve. —
Gleichzeitig skizziert er aber das Vorgehen der Opposition wie in anderen Themenbereichen leider auch. Am 1. Juli 1987 wird von Herrn Spöri — ich sage das in aller Gelassenheit, aber es muß einmal festgestellt werden — in einer Presseerklärung die Behauptung erhoben, die Bundesregierung plane, im Zuge der Steuerreform 1990 die Umsatzsteuervergünstigung für Zeitschriften, Bücher usw. zur Finanzierung der Steuerreform zu streichen. Expressis verbis hat er das gesagt.

(Dr. Weng [Gerlingen] [FDP]: Auch Spöris Unwahrheiten haben kurze Beine!)

Das wurde so lange wiederholt, bis man einen Antrag formulierte.

(Duve [SPD]: So funktioniert Politik!)

Ich dachte — nehmen Sie es mir bitte nicht übel — , für die Abteilung Verdächtigungen, Gerüchte und Unterstellungen sei Herr Hauff zuständig. Nur, wenn ich die Aktuelle Stunde heute betrachte, muß ich sagen, daß das bei Ihnen leider eine sehr große Abteilung geworden ist.
Sei es, wie es sei, jedenfalls sind Sie in diesem Fall Opfer Ihrer eigenen Propaganda geworden. Sie haben so lange über die falsche Behauptung geredet, bis Sie selbst daran glaubten.
Deshalb nochmals in aller Klarheit: Zur Finanzierung der Steuerreform ist weder eine Mehrwertsteuererhöhung noch eine Anhebung des Umsatzsteuersatzes für Bücher usw. geplant. Deshalb — lieber Herr Duve, das ist natürlich nicht Ihr Ressort, aber es ist ja nun bei uns in der Finanzpolitik gelandet — reden wir lieber über das, was effektiv geplant ist, und nicht über das, was nicht geplant ist. Das erstere ist doch zumindest produktiver.
Geplant ist nämlich das Steuerreformgesetz 1990 — da wollten Sie ja gerade mit dem Antrag torpedierend eingreifen — , das Ihnen jetzt im Referentenentwurf auch vorliegt. Hierüber sollten wir reden. Das sollten wir konkret tun, damit endlich Schluß gemacht wird mit den ungeheuerlichen Neid- und Angstkampagnen, mit denen unsere Bevölkerung in diesem Zusammenhang von Ihnen tagtäglich belastet wird.

(Dr. Penner [SPD]: Das glauben Sie doch selber nicht! — Gegenruf des Abg. Bohl [CDU/ CSU]: Sehr richtig!)

— Ja, das sehen Sie doch selbst. Sie haben doch jetzt auch wieder versucht, Ihre Branche zu irritieren, indem Sie sagten, die Mehrwertsteuer werde angehoben.
Zu dieser Diskussion laden wir Sie herzlich ein. Dann werden Sie sehr schnell feststellen, daß die Steuerreform 1990 im wesentlichen den Arbeitnehmern zugute kommt, gerade den Bevölkerungskreisen mit kleinen und mittleren Einkommen, die durch die erdrückende Progression unseres Steuertarifs mehr als gebeutelt werden und weiter in zunehmendem Maße gebeutelt werden, wenn wir nicht handeln. Handeln heißt hier ganz deutlich nach den beiden ersten Entlastungsschritten 1986 und 1988 die Verwirklichung des Steuerreformgesetzes 1990.
Hier gibt es in einigen Punkten — ich gebe das zu — vielleicht noch Diskussionsbedarf. Herr Schily, wir haben das ja gestern abend noch gesehen. Hier erwarten wir sehr gerne Ihre sachkundigen Vorschläge. Das, was wir bisher von Ihnen gehört haben, führt uns natürlich nicht weiter.
Ich darf kurz erinnern, wie denn die Steuerbilanz aussieht. Wir haben das immer wieder vergessen. Die Belastung der Bürger und Unternehmen mit direkten Steuern explodierte doch förmlich: innerhalb von wenigen Jahren um 275 %. 1969 betrug das Aufkommen aus diesen Steuern 79,9Milliarden DM. 1982 waren es 219 Milliarden DM. Wenn man einmal die Statistik unserer Steuerzahler im Zeitablauf betrachtet, so kann man feststellen, daß sich bis 1961 über 75 % unserer Steuerzahler in der Proportionalzone befanden. Heute ist das Verhältnis genau umgekehrt. Das sieht in Zahlen so aus: 1960 betrug das Aufkommen der Lohnsteuer 8 Milliarden DM, 1970 35 Milliarden DM und 1986 immerhin 152 Milliarden DM. Die Lohnsteuer stieg viermal so schnell wie die Löhne selbst.
Ich habe noch vor einer Woche hier darauf hingewiesen, daß es Helmut Schmidt war, der das vor seiner Fraktion 1982 reklamierte.

(Zurufe von der SPD)




Schulhof f
— Sie haben recht: Wer ist Helmut Schmidt? So handeln Sie auch; völlig richtig.

(Frau Hämmerle [SPD]: Nein, wir kennen Helmut Schmidt!)

Er hatte recht.
Damit, meine Damen und Herren, kommen wir zu Themen, über die es sich zu reden lohnt. Es lohnt sich, darüber zu reden, ob es richtig ist, daß 500 000 Steuerzahler zukünftig keine Steuern mehr zahlen. Es lohnt sich, darüber zu reden, ob es richtig ist, daß wir gerade die Klein- und Mittelverdiener um 15 Milliarden DM entlastet haben, und es lohnt sich auch, miteinander darüber zu reden, ob es richtig ist, daß wir den Eingangssteuersatz wieder auf 19 % gesenkt haben.
Wenn der Rauch der von Ihnen gelegten Nebelbomben langsam abzieht, wird man sehr schnell feststellen können, daß es sich bei der Steuerreform 1990 um eine echte, tiefgreifende Reform handelt. Hierzu sagte der Ihnen bestimmt bekannte Finanzwissenschaftler Haller am 13. November 1987 in einem Interview in der „Zeit" :
Die Tarifänderungen sind so markant, daß man ohne weiteres sagen kann: Es handelt sich um eine echte Steuerreform.
Darüber, meine sehr verehrten Damen und Herren der Opposition, sollten wir im Interesse unserer Bürger sachlich miteinander reden.
Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Frau Vennegerts [GRÜNE]: Welcher Bürger? Der reichen!)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1105537300
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Hüser.

Uwe Hüser (GRÜNE):
Rede ID: ID1105537400
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, Herr Kollege Schulhoff, Sie haben den verkehrten Redetext gegriffen,

(Beifall bei den GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

aber wir werden die Themen, die Sie hier angesprochen haben, im Ausschuß noch diskutieren.
Wir haben es hier mit einem Antrag zu tun, der oberflächlich betrachtet wohl nicht mehr aktuell zu sein scheint, da in dem Referentenentwurf zur Steuerreform 1990 eine Abschaffung des halben Mehrwertsteuersatzes für Bücher, Zeitungen und Zeitschriften nicht vorgesehen ist. Wie Sie alle wissen, war aber gerade dies in der hektischen Diskussion um die Finanzierung der Steuerreform auch ein Punkt, der ernsthaft in Erwägung gezogen worden ist.
Ich will Ihnen zu dieser Situation im letzten Herbst ein Zitat zur Kenntnis geben:
Wenngleich ja wohl die Anhebung des Mehrwertsteuersatzes für Druckerzeugnisse inzwischen von den Urhebern dieser unsinnigen Idee von der Tagesordnung gestrichen worden ist, wirft gerade diese kurzfristig geplante Maßnahme ein mehr als bezeichnendes Licht auf das allgemeine Durcheinander, das die gegenwärtige
Koalition in Bonn bietet. Sollte dieser Vorschlag nochmals auf den Tisch kommen, wird sich meine Partei gegen diesen Vorschlag wenden.
Dieses Zitat stammt allerdings nicht aus dem Herbst 1987, sondern ist eine Äußerung von Edmund Stoiber in einem Brief an den Verband Deutscher Zeitschriftenverleger vom September 1981. Denn damals wurde diese Maßnahme in der SPD/FDP-Koalition diskutiert, um ein Beschäftigungsprogramm zu finanzieren.
In der Kürze der Zeit möchte ich hier allerdings noch einige Gründe nennen, warum unsere Fraktion diesen Antrag begrüßt. Eine Aufhebung des halben Mehrwertsteuersatzes würde die gesamten Printerzeugnisse verteuern. Dies hätte starke negative Auswirkungen auf Buchhandel, Verlage und Autoren, da insgesamt weniger Bücher verkauft würden, weil anzunehmen ist, daß das Gesamtbudget für den Bücherkauf gleichbleiben würde. Kleine Buchhandlungen müßten genauso wie kleine Verlage schließen. Dies hätte eine weitere Konzentration im Verlagswesen und in der Presselandschaft zur Folge. Dies hätte auch Auswirkungen auf die Titelbandbreite des deutschen Buchhandels, um die wir allgemein international beneidet werden.

(Duve [SPD]: Sehr gut!)

Besonders betroffen von dieser Maßnahme wären auch gerade sozial Schwache wie Schüler, Studenten, Arbeitslose und andere. Ebenso hätte die Aufhebung des halben Mehrwertsteuersatzes erhebliche Auswirkungen auf Bibliotheken in der Bundesrepublik Deutschland, und sie hätte damit eine drastische Einschränkung des Kulturangebots gerade auch für die sozial Schwachen zur Folge.

(Bohl [CDU/CSU]: Untergang des Abendlandes!)

In Rheinland-Pfalz würden z. B. die Bibliotheken jährlich ca. 20 000 bis 25 000 Bände weniger erwerben können. Gerade in der angespannten Finanzlage der Gemeinden, die im Zuge der Steuerreform noch verschärft werden wird, ist nicht zu erwarten, daß die entsprechenden Etats angehoben werden.

(Bohl [CDU/CSU]: Die bürgerliche Kultur geht unter!)

Zu vermuten ist auch, daß sich die Maßnahme erneut, vor allem im ländlichen Bereich, sehr negativ bemerkbar machen würde, weil gerade hier eine Anhebung des Erwerbungsetats nicht anzunehmen ist und dadurch als Konsequenz ein Stadt-Land-Gefälle im Bibliothekswesen noch weiter anwachsen würde.

(Beifall bei Abgeordneten der GRÜNEN und der SPD)

Eine Ausdörrung im ländlichen Bereich, die sowieso schon stattfindet, würde beschleunigt, und dies kann doch keiner wollen.

(Baum [FDP]: Das will ja keiner!)

Ich hoffe, daß auch die Regierungskoalition dem Ansinnen dieses Antrages nachkommt. Da Sie dies nicht wollen, können Sie diesem Antrag auch in den
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 55. Sitzung, Bonn, Donnerstag, den 21. Januar 1988 3865
Hüser
Ausschüssen und in der zweiten und dritten Beratung zustimmen

(Duve [SPD]: Sehr gut!)

und damit auch dem Bundeskanzler zustimmen, der in seiner Regierungserklärung meinte, die Zeit sei reif, sich auch in dieser Legislaturperiode vermehrt für ein kulturfreundliches Steuerrecht einzusetzen. Dem Antrag dürfte also nichts im Wege stehen, und ich hoffe, daß wir das in den Ausschüssen dann solidarisch beraten können und daß wir in der dritten Lesung einen einstimmigen Beschluß in diesem Haus zusammenbekommen.
Danke schön.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1105537500
Das Wort hat der Abgeordnete Baum.

Gerhart Rudolf Baum (FDP):
Rede ID: ID1105537600
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Ich weiß nicht, warum wir alles förmlich beschließen sollen, was wir nicht wollen. Es ist ja gar nicht zu bestreiten, daß diese Frage diskutiert worden ist.

(Abg. Duve [SPD] meldet sich zu einer Zwischenfrage)

— Jetzt habe ich zwei Sätze gesagt, und schon kommt eine Zwischenfrage. Ja, gut, bitte.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1105537700
Jetzt kann ich gar nicht fragen, ob Sie die Zwischenfrage zulassen. Aber das scheint der Fall zu sein. — Bitte schön.

Gerhart Rudolf Baum (FDP):
Rede ID: ID1105537800
Hier steht: noch vier Minuten. Ich habe erst zwei Sätze gesagt.

Freimut Duve (SPD):
Rede ID: ID1105537900
Herr Kollege, sind Sie bereit, mir darin zuzustimmen, daß es diesen Zustand seit 25 Jahren gibt und daß das Parlament ihn in diesen 25 Jahren noch nie so kulturpolitisch begründet hat, wie Sie es jetzt hier alle tun, und daß es sinnvoll ist, es einmal zu tun?

Gerhart Rudolf Baum (FDP):
Rede ID: ID1105538000
Na, gut, ich will Ihnen in der Sache gar nicht widersprechen. Ich bin mit Ihnen vehement der Meinung, daß eine Erhöhung des Mehrwertsteuersatzes auf diesem Gebiet verheerende kulturpolitische Folgen hätte. Ich frage nur, ob wir das alles jetzt beschließen müssen, denn es ist ja nicht beabsichtigt. Es wird auch keine Mehrheit in diesem Hause geben. Sie haben immer von der Regierung gesprochen. Es wird nicht gemacht. Es ist diskutiert worden — wie vieles diskutiert worden ist —

(Duve [SPD]: Hört! Hört!)

es ist aber nicht geplant worden, und es ist auch nicht entschieden worden.

(Zuruf von der SPD: Vielleicht weil diskutiert worden ist!)

Herr Spöri hat unrecht, wenn er das sagt. Ich erinnere mich an Gespräche, die der Börsenverein — auch mit unserer Partei — geführt hat. Ich bin wirklich froh, daß es so entschieden worden ist, und das steht.
Es wäre natürlich eine Gefährdung gewesen; Sie haben ja recht. Es wäre eine Gefährdung für kleine Verlage, für Buchhandlungen gewesen, und es würde möglicherweise zu Konzentrationen kommen. In der Buchwirtschaft ist jetzt eine Belastung durch Nachzahlungen im Bereich der Künstlersozialversicherung entstanden. Es ist die Frage des internationalen Wettbewerbs zu berücksichtigen, auch die Lage der Bibliotheken.
Es geht überhaupt um das Lesen. Ich freue mich ja, daß jetzt eine Stiftung Lesen zustandegekommen ist, an der sich der Börsenverein und andere beteiligen, denn wir sind ja einem sehr starken Druck der elektronischen Medien ausgesetzt. Diese Gesellschaft muß sich dagegen wehren — und das Buch auch. Ich zitiere, was die Bundesregierung 1986 auf die Große Anfrage zum Leseverhalten gesagt hat:
Lesen ist der Schlüssel für Kultur und zur Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. Leseförderung ist deshalb eine wichtige gesellschaftspolitische Aufgabe, die einer besonderen Pflege und Förderung bedarf.
Das wollen wir tun.
Deshalb wird es mit uns eine solche Mehrwertsteuererhöhung nicht geben. Wir halten an der jetzigen Situation fest. Auch diejenigen, die das möglicherweise ernsthaft überlegt haben, sind überzeugt. Herr Duve, das ist unsere politische Erklärung die Sie hier von den Mehrheitsfraktionen hören. Damit sollte und könnte die Diskussion eigentlich abgeschlossen werden.
Es verlockt in diesem Zusammenhang natürlich, Herr Bundesfinanzminister, den Blick einmal über diese Frage des Steuerrechts — Kultur — hinauszuwerfen. Ich bin da sehr vorsichtig. Ich bin von den Finanzpolitikern meiner Fraktion auch gewarnt worden. Sie kennen ja die steuerpolitischen Vorschläge meiner Partei. Ich weiß selber, daß sie in ihrer ganzen Bandbreite nicht zu realisieren sind.
Aber um es Ihnen und uns leicht zu machen, möchte ich nur einen Satz aus der Regierungserklärung vom 18. März 1987 zitieren, weil das eine gewisse Aktualität hat. Ich will es dann gar nicht kommentieren. Es heißt dort:
Jetzt wollen wir größere Anreize für die Errichtung von Stiftungen schaffen.
Wir müssen den Freiraum für gemeinnütziges Handeln erweitern, damit Bürger sich an der Lösung von Problemen der Gemeinschaft durch die Errichtung von Stiftungen beteiligen ... Dem müssen auch die steuerlichen Voraussetzungen Rechnung tragen.
Ich meine, daß dieses Parlament seine Aufgabe weiter wahrnehmen sollte, auch die Kulturpolitik zu diskutieren. Wir hatten in der letzten, auch in der vorletzten Legislaturperiode Gelegenheit dazu. Das Gesamtparlament empfindet also eine zunehmende Verantwortung für die Rahmenbedingungen kulturellen Schaffens, kultureller Tätigkeit. Im Sinne dieses Bewußtseins haben wir auch die heute zur Debatte stehende Entscheidung getroffen. Herr Kollege Duve, es gibt keine Mehrwertsteuerfront mit Verlegern, Buch-



Baum
händlern, Lesern, Autoren. Sie haben uns Gelegenheit gegeben, das noch einmal zu bekräftigen. Das haben wir nun getan. Eine weitere Beratung wäre aus unserer Sicht damit überflüssig.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1105538100
Das Wort hat der Bundesminister der Finanzen, Herr Dr. Stoltenberg.

Dr. Gerhard Stoltenberg (CDU):
Rede ID: ID1105538200
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich habe in meiner Amtszeit als Bundesminister der Finanzen selten eine so harmonische Debatte über Steuer- oder Finanzfragen erlebt wie heute.

(Duve [SPD]: Sie brauchten mal Streicheleinheiten!)

— Na, ja, das sage ich Ihnen jetzt.

(Baum [FDP]: Die ist so harmonisch, weil sie überflüssig ist!)

— Auch das kann man sagen.
Sie gingen von einer falschen Prämisse aus, aber der Verbreiter dieser falschen, unkorrekten Behauptungen ist nicht im Saal, deswegen will ich darauf nicht weiter eingehen. Meine Vorredner haben klargestellt, daß sich die Koaltion entschieden hat, daß es aus den überzeugend und überparteilich dargelegten Gründen beim halben Steuersatz bleibt. Ich glaube, daß wir damit auch einem wichtigen Bereich produktiver kultureller Tätigkeit und Entfaltung die richtigen Rahmenbedingungen geben.
Man muß bei internationalen Vergleichen etwas vorsichtig sein. Wenn man andere Länder nennt, die hier eine noch niedrigere Besteuerung haben, muß man sich ihr Steuersystem insgesamt und auch die Struktur der Mehrwertsteuer ansehen. Ein Eckpunkt für die jetzt beginnenden Gespräche über Steuerharmonisierung in der Europäischen Gemeinschaft ist für die Kommission, für uns und für andere, daß es nicht mehr als zwei Steuersätze im Bereich der Mehrwertsteuer geben soll. Wir würden eine erhebliche Verschlechterung der Struktur unseres Steuersystems diskutieren, wenn wir, wie einige Länder in der EG, drei, vier oder gar fünf Mehrwertsteuersätze ins Auge faßten. Insofern ist die deutsche Rechtssituation, die in den 60er Jahren geschaffen wurde, Ausgangspunkt auch für die Vorschläge der Europäischen Kommission.
Ich weiß natürlich, Herr Kollege Baum, daß es eine ganze Reihe von Vorstellungen und Überlegungen in der Öffentlichkeit, sicher auch bei manchen Kollegen in diesem hohen Haus gibt, die steuerlichen Rahmenbedingungen speziell im genannten Bereich noch weiter zu verbessern. Dazu muß ich allerdings sagen, daß mit den Entscheidungen der Koalition, die wir in dem erwähnten Referentenentwurf umgesetzt haben, der Spielraum für Steuerentlastungen in dieser Wahlperiode ausgeschöpft ist. Die drastische Absenkung der Sätze des Tarifverlaufs bei der Einkommensteuer und der Körperschaftsteuer wird nach meiner Überzeugung gerade im Bereich privater Initiative auch bessere Voraussetzungen für Stiftungen, Spender und andere schaffen. Selbstverständlich ist es aber berechtigt, nachdem diese Entscheidungen so getroffen sind, auch längerfristige Perspektiven zur Diskussion zu stellen für einen späteren Zeitpunkt, in dem wieder gesetzgeberischer Spielraum vorhanden ist. Wir wollen diese Diskussion fortsetzen, ohne falsche Erwartungen zu wecken. Ich begrüße es noch einmal, daß wir das in einer so vernünftigen kurzen Debatte heute tun konnten.
Schönen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1105538300
Das Wort hat der Abgeordnete Duve.

Freimut Duve (SPD):
Rede ID: ID1105538400
Herr Kollege Schulhoff — ich weiß nicht, ob er noch im Raum ist — —

(Schulhoff [CDU/CSU]: Ich sitze Ihnen im Rücken!)

— Ach, Sie sitzen gleich hinter mir. Sehen Sie, so ängstlich habe ich Sie gemacht. Ich fand, Sie lagen hier in einem Ton nicht richtig. Es war ein ernst diskutiertes Vorhaben, und ich will jetzt etwas sagen, was ich eigentlich nicht sagen wollte. Das ist nicht Spöri, sondern wir sind aus der Koalition informiert worden, von Abgeordneten und von anderen Leuten, und zwar sehr unmittelbar. Wir sind gewarnt worden. So findet das statt, und so ist natürlich auch der Börsenverein informiert worden. Wir wollen hier keine Namen nennen, aber so war das.
Nun tun Sie so, als sei das nie eine Absicht gewesen.

(Bohl [CDU/CSU]: War es auch nicht!)

Ich bin nach dem Verlauf dieser Debatte, wo alle heilige Eide geschworen haben, um so mehr der Meinung, der Bundestag soll dieses einmal grundsätzlich erklären, dann hätten wir wenigstens einmal eine kulturpolitisch relevante steuerpolitische Entscheidung des Bundestages bei einer Sache, die es schon gibt, die bisher aber noch nie begründet worden ist.
Wenn der Finanzminister eben erklärt hat, es werde für die bildenden Künste und für andere Künstler und für die Stiftungen mehr nicht geben, dann rückt er damit im Grundsatz von Erklärungen ab, die in den letzten zwei Legislaturperioden immer wieder aus Ihrer Fraktion als Versprechungen in dieser Richtung gekommen sind. Wir haben hier eine Erklärung des Bundesfinanzministers: Mehr kulturpolitisch relevantes Steuerrecht wird es in dieser Legislaturperiode nicht geben. — Das ist sehr interessant, Herr Bundesfinanzminister.
Also, bitte, Gemeinsamkeit in diesem Punkt ist hier festgestellt worden.
Wir werden in den Ausschüssen, wie mein Kollege von den GRÜNEN das hier eben auch vorgeschlagen hat, versuchen, eine gemeinsame Entschließung zu bekommen. Dann sind wir alle glücklich. Die Betroffenen, deretwegen wir hier reden, sind dann noch glücklicher als wir.
Ich danke für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)





Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1105538500
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Der Ältestenrat schlägt vor, den Antrag zur federführenden Beratung an den Finanzausschuß zu überweisen, und weiter ist interfraktionell vereinbart worden, daß die Vorlage zur Mitberatung an den Innenausschuß überwiesen wird. — Das Haus erhebt keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich rufe Punkt 13 der Tagesordnung auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Wüppesahl, Frau Schmidt-Bott und der Fraktion DIE GRÜNEN
Datenspeicherungspraxis beim Bundeskriminalamt
hier: Hinweise auf HIV-Infizierte — Drucksache 11/1157 —
Überweisungsvorschlag des Altestenrates:
Innenausschuß (federführend)

Ausschuß für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit
Im Ältestenrat ist für die Beratung ein Beitrag bis zu zehn Minuten für jede Fraktion vereinbart worden. Erhebt sich dagegen Widerspruch? — Das ist nicht der Fall. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Frau Abgeordnete Schmidt-Bott.

Regula Schmidt-Bott (GRÜNE):
Rede ID: ID1105538600
Speziell für diejenigen, die gern so penetrant mit der Rechtsstaatlichkeit argumentieren, möchte ich ins Gedächtnis rufen, daß die Speicherung einer AIDSInfizierung im polizeilichen Informationssystem ganz eindeutig rechtswidrig ist.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Der Hinweis auf eine AIDSInfizierung im polizeilichen Informationssystem befindet sich im sogenannten Stammdatensatz, in dem die Personengruppen gespeichert sind. Das bedeutet: Bei einem relativ beliebigen Anlaß erscheint der AIDS-Hinweis bei Abruf der gespeicherten und gesuchten Personen, und zwar nicht nur bei Personen, die einer Straftat verdächtigt werden und nach denen gefahndet wird, wie fälschlicherweise viele Menschen glauben, sondern auch bei vermißten oder nicht identifizierten hilflosen Personen, gefährdeten Personen, geschädigten oder, im Rahmen zeitlich befristet geführter Spurendokumentationssysteme sogar Anzeigenerstattern, Hinweisgebern und Zeugen.
Als angebliche Rechtsgrundlage für die personenbezogene Sammlung bei der Kriminalpolizei werden im wesentlichen die polizeiliche Generalklausel, die Zuweisungsnormen in den Polizeiorganisationsgesetzen, die Strafprozeßordnung und die Richtlinien für die Führung personenbezogener Sammlungen, die sogenannten KpS-Richtlinien, angeführt.
Den KpS-Richtlinien bin ich schon vor Jahren begegnet, als es darum ging, schließlich erfolgreich aufzudecken, daß entgegen allen Beteuerungen amtlicherseits Prostituierte allein auf Grund der Tätigkeit ihres Gewerbes in Polizeidateien gespeichert sind. Das, was gesetzlich verboten ist, wurde und wird im Zweifel, denke ich, auch heute noch, über die KpS-
Richtlinien gemacht und praktiziert. — Ich sehe Kopfschütteln da oben. Es würde mich freuen, wenn das heute nicht mehr der Fall wäre. Es war nachweislich so in Hamburg, nachzulesen im Bericht des Datenschutzbeauftragten.
Nach dem Volkszählungsurteil des Bundesverfassungsgerichts von 1983 gibt es ein Recht auf informationelle Selbstbestimmung, d. h. die Befugnis des einzelnen, grundsätzlich selbst über die Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten zu bestimmen. Einschränkungen dieses Rechts sind nur im überwiegenden Allgemeininteresse möglich. Sie müssen eine gesetzliche Grundlage haben, aus der sich die Voraussetzung und der Umfang der Beschränkung klar und für den Bürger erkennbar ergeben und die damit dem rechtsstaatlichen Gebot der Normenklarheit entspricht. Ferner muß der Gesetzgeber bei seinen Regelungen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachten.
Es ist offensichtlich, daß die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts bei der Speicherung des AIDS-Hinweises nicht erfüllt sind und diese Praxis klar rechtswidrig ist.

(Beifall bei den GRÜNEN) Trotzdem wird es weiter praktiziert.

Aber das ist nicht meine vordringliche Kritik: Auch rechtlich abgesichert wäre die Speicherung grundsätzlich und generell abzulehnen. Sie ist nicht nur überflüssig, sondern vor allem Ausdruck einer inhumanen Gesinnung. Hysterie und fachliche Unkenntnis kommen nicht ernsthaft als Ursache dieser blödsinnigen Datensammelwut in Frage. So viel Dusseligkeit kann ich den Verantwortlichen nicht unterstellen.
Die Ursache dafür ist politischer Natur, nämlich die Absicht, staatlicherseits ganz generell möglichst viele Personen in möglichst vielen Lebensbereichen für möglichst viele Zwecke zu erfassen und zu kontrollieren. Symptomatisch dafür ist, daß die AIDS-Hinweisspeicherung heimlich hinter dem Rücken von mindestens mitzuständigen Gesundheitsministerien und Datenschutzbeauftragten eingeführt wurde. Das geschah in einer Zeit, in der schon einige heimlich durchgeführte Tests die Öffentlichkeit alarmiert hatten.
Auch die Gesundheitsminister und Datenschutzbeauftragten wurden erst durch eine kritische Presseöffentlichkeit über die AIDS-Datei im BKA aufgeschreckt.
Die Begründung der Polizei ist unglaubwürdig, nicht stichhaltig und für mich ein weiterer Beweis für das Bedürfnis nach lückenloser Kontrolle, die dem ehemaligen BKA-Chef schon 1979 vorschwebte, als er davon schwärmte, daß die Polizei der Zukunft „gesellschaftssanitäre" Aufgaben haben sollte.
Das Argument, die Polizei müsse sich schützen, ist schlichter Unsinn. Die Infizierungsgefahr ist dort nicht größer bzw. — das betone ich — genauso gering wie bei anderen Berufsgruppen: im Sanitätswesen, in Krankenhäusern, in Schulen, in Kindergärten oder in Beratungsstellen. Der Schutz der Polizei ist auch deshalb eine unglaubwürdige Behauptung und ein Vor-



Frau Schmidt-Bott
wand, weil die gespeicherten AIDS-Infizierungshinweise noch nicht einmal auf ihre Richtigkeit hin überprüft werden. Der Hinweis auf AIDS stammt in der Regel aus eigenen Angaben der Betroffenen — das muß man sich einmal vor Augen führen — oder aus Hinweisen Dritter.

(Dr. Hirsch [FDP]: Sie müssen es doch wissen!)

Wie der Denunziation Tür und Tor geöffnet werden, dazu nur ein Beispiel aus dem jüngsten Tätigkeitsbericht der baden-württembergischen Datenschutzbeauftragten Leutze; ich nehme an, Herr Hirsch, Sie haben das schon mit Interesse gelesen. In einem Fall führte allein der Hinweis des Ehepartners, der andere sei AIDS-infiziert, zur Einspeicherung. Eine Ehefrau hatte gegen ihren Ehemann wegen Tätlichkeiten Strafanzeige erstattet. Als dieser davon erfuhr, erstattete er ebenfalls Strafanzeige wegen Bedrohung und sagte der Polizei dabei: „Meine Frau ist Trägerin der HTL-III-Viren. Dies erfuhr ich im August 1985." Ohne jegliche Überprüfung wurde das in die Datei aufgenommen.
Worum geht es eigentlich? Noch einmal zur Erinnerung: Es geht um die möglichst lückenlose Erfassung und Kontrolle möglichst vieler Lebensbereiche möglichst vieler Bürgerinnen zu möglichst vielen staatlichen Überwachungszwecken. Darüber hat Herr Ministerialdirigent Vogel aus Baden-Württemberg im Sinne der Heroldschen „gesellschaftssanitären" Aufgaben in einer Sitzung des Innenausschusses erstaunlich ehrlich geplaudert. Im Zusammenhang mit AIDS sei die rechtzeitige Überwachung von Gruppen nötig, u. a. die Überwachung der Gruppe der Homosexuellen und Bisexuellen. Warum er die Heterosexuellen ausgeschlossen hat, ist mir schleierhaft. Aber vielleicht sind heterosexuelle Menschen mit häufig wechselndem Geschlechtsverkehr ja auch schon im Visier der Speicherer; denn schließlich warb „Thomas mit den vielen Frauen" für die AIDS-Politik von Frau Süssmuth, jedenfalls eine Zeitlang, im Kino. — Offensichtlich haben es doch nicht so viele mitbekommen.
Wir sind sehr daran gewöhnt und entsprechend abgestumpft, daß sogenanntes abweichendes Verhalten, d. h. Minderheitengruppen, schon traditionell erfaßt, überwacht und kontrolliert werden. Erfaßt werden traditionell Schwule, Lesben, Prostituierte, Behinderte, Menschen in der Psychiatrie, Menschen mit Suizidversuchen, Kranke, AIDS-Infizierte in allen möglichen Behörden- und Polizeidateien, oft mehrfach.
Das sind alles Menschen, die scheinbar nicht der Norm entsprechen. Dabei setzt sich das Normale aus einer ganzen Bandbreite unterschiedlichster Charaktere und verschiedener Normen zusammen. Nicht der formierte Mensch in einer formierten Gesellschaft ist die Norm, sondern die ganze Palette und Vielfalt menschlichen Lebens ist das Normale.
Aber sogenannte gesellschaftliche Minderheiten sehen sich weiterhin der Erfassung, Ausgrenzung und Aussonderung gegenüber. Die Erfassung läuft derzeit auf allen Touren, zum Teil per Zwang — in Bayern —, zum Teil scheinbar noch freiwillig. Aber Frau Süssmuths Politik ist nur verständlich vor dem Hintergrund der bayerischen Zwangsmaßnahmen. Die Appelle von Frau Süssmuth richten sich an die zukünftigen Opfer der Repression, ihre Verfolgung dadurch zu verhindern, daß sie freiwillig das tun, was man andernorts mit Zwang durchsetzen will.
Auch mit der Ausgrenzung haben wir bereits erste schlimme Erfahrungen: Kindern wird von ihren Eltern verboten, mit anderen Kindern zu spielen; Schulen weigern sich, AIDS-infizierte Kinder oder Kinder, bei denen das Virus nachgewiesen ist, in die Schule aufzunehmen; im Beruf findet die Einstellung nur noch nach Test statt. Bei positivem Ergebnis erfolgt keine Einstellung. Die Liste ist beliebig verlängerbar.
Der Übergang von der Ausgrenzung zur Aussonderung ist fließend. In Nordrhein-Westfalen mußte zurückgenommen werden, daß rote Punkte an Zellentüren im Knast die dort einsitzenden HIV-Positiven kennzeichneten. Der „Frankfurter Rundschau" von heute ist zu entnehmen, daß es demnächst eine gemeinsame Empfehlung der Bundesärztekammer und der Deutschen Krankenhausgesellschaft geben wird, die vorschlagen, daß die Behandlung bei der Verweigerung des AIDS-Testes abgelehnt wird. Brutaler, inhumaner, menschenverachtender geht es nicht mehr.
Meine Zeit ist um.

(Dr. Penner [SPD] und Dr. Blens [CDU/CSU]: Nein, nur Ihre Redezeit!)

— Meine Redezeit ist um.
Um den Gesamtzusammenhang noch einmal deutlich zu machen: Mit drei neuesten Vorschlägen aus dem Blüm-Ministerium zur Regelung und Verwendung der Sozialversicherungsnummern soll ein allgemeines Personenkennzeichen eingeführt werden. Das hat eine umfangreiche Leistungs- und Gesundheitsüberwachung der Bevölkerung durch den Staat zur Folge, mit der neben AIDS Zigaretten, Alkoholkonsum und jeder „blaue Montag" erfaßt, kontrolliert und sanktioniert werden. Wenn wir heute die Ablehnung, Aufhebung, Löschung der Speicherung von AIDS-Infizierten im BKA fordern, dann ist dies nur ein Bruchteil dessen, was uns an Problematik noch ins Haus steht.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1105538700
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Blens.

Dr. Heribert Blens (CDU):
Rede ID: ID1105538800
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die GRÜNEN beantragen, wie gerade schon gesagt, in den Dateien des BKA keinen Hinweis auf AIDS-Infektion oder -Erkrankung aufzunehmen und bestehende Vermerke zu löschen. Ich sage schon ganz am Anfang: Die CDU/CSU-Fraktion wird dieser pauschalen Forderung der GRÜNEN nicht zustimmen; wir werden das ablehnen.
Worum geht es in der Sache? Seit 1986 wird bei Personen, die in der Datei INPOL des Bundeskriminalamtes gespeichert sind und bei denen das Risiko der AIDS-Übertragung besteht, eine Anmerkung mit dem Wortlaut „Vorsicht, Blutkontakte" aufgenom-



Dr. Blens
men. Zum Stand der Zahl der Vermerke: Am 7. September 1987 waren in INPOL insgesamt 255 Eintragungen dieser Art gespeichert. Ich halte es für notwendig, auf die Zahl hier hinzuweisen, um hysterische Reaktionen zu vermeiden.
Seitdem bekannt ist, daß diese Praxis besteht, gibt es eine öffentliche Diskussion. Lassen Sie mich zu einigen Stichworten dieser Diskussion hier kurz Stellung nehmen, Stichworte, die hier ja soeben auch aufgetaucht sind.
Erstes Stichwort: „AIDS-Datei". Das Stichwort ist falsch, vermittelt ein falsches Bild, Frau Schmidt-Bott. Denn Sie wissen natürlich ganz genau, daß niemand in diese Datei aufgenommen wird, weil er AIDS-infiziert oder -erkrankt ist. Vielmehr wird nur so verfahren, daß jemand, der wegen einer Straftat ohnehin in dieser Datei steht, den Zusatzvermerk „Vorsicht, Blutkontakte" erhält, wenn bei ihm Hinweise darauf vorhanden sind, daß er AIDS-infiziert oder -erkrankt ist. Auch die Zahl der gespeicherten Fälle — ich habe sie soeben genannt: 255 — zeigt, daß es sich nicht um eine AIDS-Datei handelt. Der Vertreter des Landes Nordrhein-Westfalen hat in der Sitzung des Innenausschusses am 16. September 1987 gesagt, nordrheinwestfälische Behörden schätzten die Zahl der Infizierten und Erkrankten in Nordrhein-Westfalen auf 20 000 bis 40 000. Wenn Sie das auf die Bevölkerung der Bundesrepublik hochrechnen, dann kommen Sie auf schätzungsweise 80 000 bis 160 000 Infizierte und Erkrankte. Setzen Sie die 255 Gespeicherten in Relation zu dieser Zahl, dann kommen Sie zu dem Ergebnis, daß da 0,15 bis 0,3 % aller vermuteten Infizierten und Erkrankten gespeichert sind.

(Frau Schmidt-Bott [GRÜNE]: Das wird ja auch noch nicht lange praktiziert! Da kommen schon noch mehr hinein!)

Meine Damen und Herren, in Anbetracht dessen von einer AIDS-Datei zu sprechen und den Eindruck zu erwecken, als würden hier umfassend Menschen wegen AIDS in Dateien aufgenommen werden, ist offensichtlich eine bewußte Irreführung der Öffentlich
Schließlich als letztes im Zusammenhang mit der ,,AIDS-Datei" : Der normale Benutzer von INPOL, also die Polizei, hat überhaupt keine Möglichkeit, etwa unter dem Suchwort AIDS abzufragen, wer von den in INPOL gespeicherten Personen AIDS-infiziert ist. Diese Möglichkeit hat nur das Bundeskriminalamt selbst, und zwar deshalb, weil es über besondere Software zur Pflege ihrer Daten verfügt, die es ihm gestattet, auch unter diesem Suchwort festzustellen, bei wem ein Vermerk über AIDS gespeichert ist.

(Frau Schmidt-Bott [GRÜNE]: Und wen wollen Sie damit beruhigen?)

Das heißt, der normale Benutzer, auch der normale Benutzer beim BKA, hat keine Möglichkeit, etwa mit dem Suchwort AIDS-Infizierte aus der Datei herauszufinden. Ich sage deshalb noch einmal: Von einer AIDS-Datei kann hier überhaupt keine Rede sein.
Es ist auch falsch, Frau Schmidt-Bott, wenn Sie sagen, die Speicherung ist überflüssig. Es geht um den Schutz von Polizeibeamten vor der Ansteckung mit
AIDS, so wie wir das bei anderen Vermerken auch haben, die ebenfalls in der Datei sind. Wir haben Vermerke über ansteckende Krankheiten wie Hepatitis, offene Tbc; wir haben Vermerke über Geschlechtskrankheiten, die alle dem Schutz der Polizeibeamten dienen.

(Frau Schmidt-Bott [GRÜNE]: Vor allen Dingen das mit den Geschlechtskrankheiten!)

Auch Sie müssen zur Kenntnis nehmen, daß Polizeibeamte besonders häufig mit Angehörigen der Hauptrisikogruppen zu tun haben, mit Prostituierten, mit Rauschgiftsüchtigen usw. Dabei kann es natürlich auch zu Handgreiflichkeiten kommen. So selten ist das bei der Polizei nicht.

(Frau Schmidt-Bott [GRÜNE]: Dadurch kriegt man nicht die Syphilis!)

Dabei kann es auch zu Verletzungen auf beiden Seiten kommen. Dabei kann es auch zu Blutkontakten und damit zur Übertragung der Infektion kommen. Wir sind nun einmal der Überzeugung, daß es die Pflicht des Dienstherrn ist, solche Risiken so weit wie möglich zu verhindern. Dazu kann die Speicherung des AIDS-Hinweises in INPOL als Warnhinweis hilfreich sein. Dabei ist es keine Frage, daß man damit nicht alle Risiken vermeiden kann, sondern es müssen weitere Vorsichtsmaßregeln getroffen werden. Das ergibt sich schon daraus, daß die Zahl der in der Datei Gespeicherten im Verhältnis zu der Zahl der wahrscheinlich Infizierten so gering ist.

(Frau Schmidt-Bott [GRÜNE]: Also muß die Datei noch größer werden?!)

Dritter Punkt — auch das haben Sie angeschnitten — : Geraten da nicht unter Umständen Leute in ungerechtfertigten Verdacht, wenn der AIDS-Vermerk bei ihnen gespeichert wird, ohne daß sie infiziert oder erkrankt sind? Diese Gefahr ist in der Tat nicht von der Hand zu weisen. Aber sie ist durch die Richtlinien, die bestehen — ich gehe davon aus, daß sie auch beachtet werden — , so weit wie möglich ausgeschlossen. Denn es wird nur eingespeist, wenn entsprechende Angaben der Betroffenen oder von Angehörigen oder Hinweise von Ärzten oder amtliche Hinweise vorliegen.
Ich komme also zu dem Ergebnis, daß die Speicherung des AIDS-Vermerks zum Schutz der Polizeibeamten angebracht ist.

(Duve [SPD]: Lächerlich!)

Es gibt keine sogenannte AIDS-Datei, und es sind Vorkehrungen getroffen, um zu verhindern, daß jemand in falschen Verdacht gerät.
Was im Ausschuß sicherlich weiterer Erörterung bedarf, ist die Frage, ob und wie sichergestellt werden kann — ich bin der Meinung, es muß sichergestellt werden — , daß nur diejenigen von dem Vermerk erfahren, zu deren Schutz der Vermerk aufgenommen worden ist, d. h. die Polizeibeamten, die auf Grund ihres Auftrags in Körperkontakt mit Infizierten geraten können. Das fordert schon die Zweckbindung, die das Bundesverfassungsgericht auch aus der Verfassung hergeleitet hat.



Dr. Blens
Wir werden dieser Frage unter Hinzuziehung der Stellungnahme der Konferenz der Datenschutzbeauftragten nachgehen. Ich bin sicher, daß wir befriedigende Lösungen für diesen letzten Punkt finden werden. Frau Schmidt-Bott, Sie werden die Stellungnahme der Konferenz der Datenschutzbeauftragten kennen, die vor einigen Tagen eingegangen ist. Auch die Datenschutzbeauftragten akzeptieren grundsätzlich, daß diese Vermerke angebracht sind,

(Frau Schmidt-Bott [GRÜNE]: Nur unter anderen Bedingungen!)

zum Schutz der Polizeibeamten. Das akzeptieren sie grundsätzlich. Sie machen einige Einschränkungen, was den Benutzerkreis angeht. Ich sage Ihnen noch einmal: Wir werden diesen Forderungen und Vorschlägen der Datenschutzbeauftragten nachgehen.
Ich bin sicher, daß wir im Ausschuß Lösungen finden werden, die allen Seiten gerecht werden.

(Beifall bei der CDU/CSU — Frau SchmidtBott [GRÜNE]: Mir sicher nicht!)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1105538900
Das Wort hat der Abgeordnete Wartenberg (Berlin).

Gerd Wartenberg (SPD):
Rede ID: ID1105539000
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die politische Diskussion um die Krankheit AIDS hat in den letzten zwei, drei Jahren eine Entwicklung angenommen, die außerordentlich widerwärtige Züge in sich trägt, besonders, seitdem einige Profilneurotiker unter den Politikern dieses Thema entdeckt haben

(Duve [SPD]: Sehr wahr!)

und meinen, man könne sich zum Retter der Menschheit aufspielen, indem man bestimmte harte Verhaltensweisen des Staates fordert. Man vergißt allzu leicht dabei, daß man mit diesen Diskussionen eine Gruppe von Menschen trifft, die keine Chance hat, sich zu wehren. Ich glaube, in diesem Zusammenhang muß man auch die Frage der Speicherung von AIDS-Daten in Polizeicomputern werten, unter welchen restriktiven Annahmen auch immer. Das ist ein grundsätzliches Problem.
Insbesondere die Diskussion um die Ansteckungsgefahr und die daraus resultierenden kontroversen Diskussionen und Ansichten, wie man der weiteren Verbreitung von AIDS am wirkungsvollsten begegnen kann, haben mehr zu einem Klima von Unsicherheit und Angst geführt als dazu, daß es irgendwelche wirkungsvollen Schritte gegeben hat, insbesondere da, wo es um staatliches Handeln im Sicherheitsbereich geht. Es gibt keine andere Krankheit, bei der die Gefahr so groß ist, daß die Betroffenen ins gesellschaftliche Abseits und in die totale Isolation gedrängt werden. Das heißt: Es bleibt bei allen Maßnahmen sehr wichtig, dem besonderen Schutzbedürfnis von AIDS-Infizierten und -Erkrankten Rechnung zu tragen.

(Zustimmung des Abg. Duve [SPD])

Besonders wichtig ist es auch, daß Eingriffe in das Grundrecht der AIDS-Kranken, nämlich selbst über die Preisgabe und Verwendung ihrer Daten zu entscheiden, tatsächlich nur dann erfolgen, wenn das überwiegende Allgemeininteresse unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit sie zwingend gebieten. Dabei können und dürfen vielfach unreflektierte und subjektive Angstgefühle nicht den Maßstab für staatliches Handeln bilden.
Ein Schwerpunkt unserer Diskussion in unserer Gesellschaft ist, ob der Staat gut daran tut, eine namentliche Meldepflicht von AIDS-Infizierten einzuführen. Unter diesen Umständen einer schwierigen, emotional aufgeladenen Diskussion war es nicht verwunderlich, daß sich auch im Bereich der Polizei Überlegungen und Handlungen einstellten, die darauf abziehen, AIDS-Infizierte zu identifizieren und in Polizeicomputern zu speichern, und zwar sowohl in den Landeskriminalämtern als auch im Bundeskriminalamt. Die Hauptargumentation war in diesem Zusammenhang, daß diese Maßnahmen für die Eigensicherung der Polizeibeamten vorgenommen werden müssen. Dabei ist festzuhalten, daß eine derartige Maßnahme, nämlich die Speicherung von AIDS-Infizierten in Polizeidateien, überhaupt keine ausreichende Sicherung für die Beseitigung eines vorgeblichen Anstekkungsrisikos bedeuten kann.

(Duve [SPD]: Sehr wahr!)

Polizeibeamte wie auch andere Bürger erliegen nur dann der Gefahr, wenn sie mit dem Transportmittel des Virus tatsächlich in Berührung kommen. Dies kann in diesem Falle nur der direkte Blutkontakt auf beiden Seiten sein.
Nun muß man aber sehen, daß im täglichen Dienst bei der Polizei eine Vielzahl von Festnahmen durchgeführt wird, bei denen der Festgenommene der Polizei im Normalfall überhaupt nicht bekannt ist. Das heißt, die Einspeicherung eines Teils der AIDS-Infizierten, die vielleicht straffällig werden, kann bei einer aktuellen Festnahme natürlich keine Schutzvorkehrung sein. Wie stellt man sich das eigentlich vor? Soll, wenn es bei einer Festnahme zu einer Schlägerei kommt, ein Polizeibeamter vorher beim BKA oder beim LKA anrufen und fragen, ob der Festzunehmende AIDS-infiziert ist? Das ist eine so alberne Vorstellung, daß man die Diskussion schon vor diesem Hintergrund des Versuchs, ein Schutzbedürfnis zu befriedigen, nicht weiterführen kann. Festnahmen erfolgen überwiegend so, daß der Polizeibeamte, selbst wenn eine Speicherung vorgenommen worden ist, keine Möglichkeit hat, eine solche Speicherung abzufragen.

(Duve [SPD]: Er muß den Prügelnden in der Kneipe bitten, eine halbe Stunde zu warten!)

Es hat auch Schlägereien bei Festnahmen gegeben, bei denen hinterher festgestellt worden ist, daß die dabei Festgenommenen mit AIDS infiziert waren. Es hat Kontrolluntersuchungen gegeben. Alle Bundesländer haben im Ausschuß bestätigt, daß es nicht einen einzigen Polizeibeamten gibt, der auf diese Art und Weise infiziert worden ist.

(Duve [SPD]: Hört! Hört!)

Das heißt, das Risiko ist außerordentlich gering. Wenn
man sich zum Beispiel überlegt, welche Schutzvorkehrungen bei Erster Hilfe getroffen werden müssen,



Wartenberg (Berlin)

steht es in überhaupt keinem Verhältnis zu dem, was hier eigentlich angestrebt worden ist.
Es wird immer auf das Beispiel des Rauschgiftsüchtigen hingewiesen: Der Polizist will jemanden festnehmen oder einen Tatverdächtigen untersuchen und sticht sich dabei an der Nadel einer Spritze. So etwas gibt es; so etwas ist vorgekommen. Nur, es ist überhaupt nicht notwendig, daß ein Polizist weiß, ob dieser betreffende Rauschgiftsüchtige oder Verdächtige AIDS-infiziert ist. Jeder Polizeibeamte wird sich heutzutage bei der Festnahme und Untersuchung von Rauschgiftsüchtigen natürlich angesichts der Tatsache vorsehen, daß von Rauschgiftsüchtigen Krankheitserreger leichter übertragen werden. Hepatitis war in diesem Bereich früher schon ein großes Problem, ebenso andere Krankheiten; heute ist es AIDS. Das heißt, auch hierfür ist die Frage der Speicherung in Polizeicomputern eigentlich völlig bedeutungslos.
Für die Speicherung von AIDS-Infizierten in einer Polizeidatei gibt es bis jetzt auch keine rechtliche Grundlage. Deswegen sollte bei der besonderen Situation und auch der gesellschaftlichen Diskussion dieser Krankheit darauf verzichtet werden, eine derartige Speicherung vorzunehmen.
Ein besonderes Problem liegt auch darin, daß eine AIDS-Infizierung nicht notwendig offen zutage liegt — darauf hat das Bundesgesundheitsministerium noch einmal hingewiesen — , sondern daß ein Infizierter noch 20 Jahre gesund sein und kein Polizeibeamter die Infektion feststellen kann.
Vor diesem Hintergrund ist es natürlich auch ein besonderes Problem, Informationen über einen Menschen zu erlangen, ob er AIDS-infiziert ist. Das heißt, wenn man sagt, es müssen abgesicherte Informationen vorliegen, um jemand speichern zu können, so ist das natürlich indirekt eine Aufforderung, pausenlos Informationen zu sammeln. Die Frage ist: Was bringt das eigentlich? Ich bin der Meinung, hierin liegen mehr Probleme, als daß man der Problemlösung in irgendeiner Weise näherkommt.
In den Ländern wird das im Moment sehr differenziert gehandhabt. Hamburg und Bremen haben an das INPOL-System bis jetzt niemanden gemeldet, und zwar ganz eindeutig mit dem Hinweis auch darauf, solange keine allgemeine rechtliche Grundlage vorliege, wolle man darauf verzichten.
Die Hamburger haben eine Regelung vorgeschlagen, die sehr restriktiv ist und der man unter bestimmten Umständen zustimmen könnte: Nur wenn jemand ganz aktuell zur Fahndung ausgeschrieben und ein Gewalttäter ist und die gesicherte Erkenntnis vorliegt, daß er AIDS hat, kann man ihn speichern. Das ist ohne Frage eine ganz wichtige Gruppe.
Nur, das Problem liegt auch hier darin: Die gesicherte Erkenntnis über ihn zu erlangen, bedeutet, zu versuchen, gesicherte Erkenntnisse auch über viele andere zu bekommen. Die Forderung nach der gesicherten Erkenntnis bedeutet, daß man wahrscheinlich in diesen Kreis der Untersuchung sehr viel mehr Leute einbeziehen muß, als dann tatsächlich gespeichert werden.
Die Datenschutzbeauftragten der Länder haben das Verfahren, das jetzt durchgeführt wird, abgelehnt. Sie haben gesagt, man könne unter Umständen etwa nach den Kriterien, die das Land Hamburg festgelegt hat, in eine Diskussion eintreten. Aber ich glaube, das sollten wir sehr sorgfältig im Ausschuß bei der Beratung dieses Antrags prüfen, dessen Tendenz wir unterstützen.

(Dr. Blens [CDU/CSU]: Die Datenschutzbeauftragten haben nicht abgelehnt!)

— Die Datenschutzbeauftragten haben gesagt: Im Moment gibt es keine rechtliche Grundlage für diesen schwierigen Bereich, und sie haben ganz enge Kriterien genannt, unter denen man vielleicht so etwas machen könnte. Sie kämen in etwa der Hamburger Regelung nahe. Aber wir werden ja darüber noch einmal sprechen.
Meine Forderung an die Bundesregierung ist, daß, wenn die Innenminister im April darüber beschließen, der Bundestagsinnenausschuß vorher über den Stand der Entwicklung informiert wird. Es hat keinen Sinn, daß wir im Nachklapp ein großes Wehgeschrei anstimmen, sondern wir müssen als Innenausschuß, bei dieser doch sehr schwierigen Materie in das Verfahren, in den Prozeß der Diskussion einbezogen werden. Dies war auch die Verabredung innerhalb des Innenausschusses. Wir glauben allerdings nicht, daß wir einer Regelung der Speicherung von AIDS-Infifizierten in Polizeicomputern zustimmen können.
Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1105539100
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Hirsch.

Dr. Burkhard Hirsch (FDP):
Rede ID: ID1105539200
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Man kann ja — Gott sei es geklagt — den Anträgen der GRÜNEN selten zustimmen, und wir haben den Eindruck, daß auch dieser Antrag davon keine Ausnahme macht.

(Frau Schmidt-Bott [GRÜNE]: Bei Ihnen wundert mich das gar nicht!)

Die einfachen Lösungen sind meistens nicht überzeugend, und so ist das auch hier. Wir reden nämlich nicht über allgemeine seuchenrechtliche Maßnahmen oder eine allgemeine Strategie gegen AIDS. Der Bundestag hat dazu eine Enquete-Kommission eingerichtet, der wir nicht vorgreifen wollen, die ihre Arbeit nicht abgeschlossen hat.
Es ist völlig klar, daß die zwangsweise namentliche Speicherung eines HIV-Infizierten politisch nicht die Frage beantwortet, was lebenslang mit ihm geschehen soll. Es ist völlig unstreitig, daß es für den Betroffenen äußerst nachhaltige und nachteilige Folgen hat, wenn seine Infektion bekannt wird: Er wird vielfältig geächtet. Das trifft natürlich auch Personen, die sich diese Infektion nicht schuldhaft, sondern schicksalhaft zugezogen haben. Ich teile eher die Auffassung, daß bei einer zwangsweisen namentlichen Speicherung die Zahl der Personen drastisch zurückgehen wird, die sich freiwillig einer AIDS-Untersuchung unterziehen und daß damit unsere wirkliche Kenntnis



Dr. Hirsch
über den Verlauf dieser Seuche wesentlich verschlechtert werden würde.
Aber in den hier vorliegenden Problemen geht es nicht um die allgemeine Bekämpfung der Krankheit, sondern ausschließlich um die Frage, ob und wie ein Polizeibeamter vor den spezifischen Gefahren geschützt werden kann oder sollte, denen er bei seiner Berufsausübung, also z. B. bei der Festnahme eines HIV-Infizierten, zweifelsfrei — auch nach dem, was Sie gesagt haben — ausgesetzt ist.
Es ist richtig, daß nicht jeder infizierte Straftäter in einer polizeilichen Datei als Virusträger erfaßt werden kann. Das heißt, daß sich die Polizei immer darauf einstellen sollte, daß eine festzunehmende Person infiziert ist, auch wenn man das von ihr nicht weiß. Aber das allein reicht nicht aus, eine Speicherung abzulehnen, weil man nicht wollen kann, daß eine Infektion nicht verhindert wird, wenn das auch unter Wahrung der Interessen des Infizierten möglich gewesen wäre.
Nun haben die Datenschutzbeauftragten in ihrer Sitzung am 7. Dezember vergangenen Jahres, wie ich finde, ziemlich geeignete Vorschläge gemacht, die wir für überzeugend halten und die sowohl den Interessen der Polizei als auch denen der Virusträger gerecht werden. Die laufen darauf hinaus, daß die Hinweise nicht in dem bundesweiten INPOL-System erscheinen, weil sie dann für sämtliche Abfragen erkennbar werden, auch wenn keine Infektionsgefahr, auch kein kriminalpolizeiliches Interesse an der Kenntnis besteht. Sie sollen aber in Dateien aufgenommen und abrufbar sein, wenn sie als Grundlage für die Eigensicherung der Polizei bei einem Einschreiten notwendig wird.
Im übrigen kommt eine Speicherung natürlich nicht auf der Grundlage irgendwelcher Gerüchte in Frage, wie hier von Frau Schmidt-Bott vorgetragen wurde, sondern nur auf Grund einer gesicherten ärztlichen Erkenntnis und zwar auf der Grundlage einer solchen Kenntnis, die die Polizei rechtmäßig erlangt hat. Es muß unter allen Umständen an dem Grundsatz festgehalten werden, daß nur solche Informationen in das System kommen, die rechtmäßig in den Besitz der Polizei gelangt sind.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1105539300
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Dr. Burkhard Hirsch (FDP):
Rede ID: ID1105539400
Aber natürlich.

Dr. Willfried Penner (SPD):
Rede ID: ID1105539500
Herr Kollege Hirsch, würden Sie denn akzeptieren, daß, wenn man Ihrer Überlegung folgt, nur ein Anwendungsbereich in Betracht kommt, in dem bei Festnahmen vorher der mögliche Täter bekannt ist?

Dr. Burkhard Hirsch (FDP):
Rede ID: ID1105539600
Aber Herr Kollege Penner, das sagt eigentlich die Logik. Wenn Sie ein Datensystem nicht abfragen, ist es für Ihre Tätigkeit schnurz, was in dem Datensystem steht.

(Frau Dr. Vollmer [GRÜNE]: Stellen Sie sich das doch einmal praktisch vor, Herr Hirsch!)

— Ich bin völlig praktisch, Frau Kollegin Vollmer. Die Polizei geht ja nicht nur in Kneipen, um Leute festzunehmen, und ist dann völlig überrascht, wen sie da antrifft, sondern die Wirklichkeit sieht doch so aus, daß sie sich bemüht, eine bestimmte Person festzunehmen. Man schickt Beamte los, um jemanden festzunehmen, und dann wollen, sollen und müssen die durchaus wissen, ob der Mann z. B. bewaffnet ist, ob er ein bekannter Gewalttäter ist oder ob er eine Ansteckungsgefahr für den Polizeibeamten ist. Ich möchte Sie einmal erleben, wenn Sie Innenminister eines Landes wären!

(Lachen und Zurufe von den GRÜNEN)

— Es wäre ja jedenfalls theoretisch denkar, daß Sie Innenministerin wären. Mich würde interessieren, wie Sie dann mit einem Polizeibeamten umgehen würden, der sich bei einem solchen Einsatz infiziert hat.

(Frau Vennegerts [GRÜNE]: Wie soll er das denn machen?)

Stellen Sie sich vor, Sie hätten die Möglichkeit gehabt, das zu verhindern!
Sie mögen sagen: Die Fälle sind selten.

(Frau Vennegerts [GRÜNE]: Wirklich selten!)

— Einverstanden! Aber ich möchte, daß auch nicht ein einziger Polizeibeamter dem sicheren Tod überantwortet wird, wenn man es hätte verhindern können,

(Zustimmung des Abg. Wolfgramm [Göttingen] [FDP])

ohne den Betroffenen in seinen Interessen zu belasten.

(Sehr gut! bei der CDU/CSU)

Darum kommt es nicht — wie der Antrag Ihrer Fraktion sagt — darauf an, grundsätzlich die ersatzlose Löschung in allen denkbaren Dateien vorzusehen. Vielmehr fängt da die Frage erst an, wie Sie die notwendige Eigensicherung bewerkstelligen wollen. Diese Eigensicherung akzeptieren Sie ja bei anderen Merkmalen — schwere Bewaffnung, Waffenträger oder was auch immer — doch wohl auch. Oder wollen Sie solche Merkmale auch gelöscht haben? Wenn es so ist, daß der Mann als unerlaubter Waffenträger bekannt ist, was ja tatsächlich als Personenmerkmal gespeichert wird, werden Sie doch wahrscheinlich damit einverstanden sein, daß das in eine Datei aufgenommen wird, damit der Polizeibeamte, der ihn festnehmen muß, sich darauf einstellen kann.
Wenn Sie das dort bejahen, müßten Sie es im Grunde auch bei HIV-Infizierten jedenfalls dann bejahen, wenn das Risiko, das für den HIV-Infizierten besteht, nämlich daß er lebenslang geächtet wird, so gering gehalten wird wie irgend denkbar, wenn also sein Interesse genauso beachtet wird.

(Frau Schmidt-Bott [GRÜNE]: Sie gehen von falschen Voraussetzungen aus!)

Darum trage ich ja die Resolution der Datenschutzbeauftragten vor, wie man das sicherstellen kann, nämlich indem Sie den Zugang zu einer solchen Datei auf das notwendige Mindestmaß beschränken und indem Sie sicherstellen, daß eine solche Speicherung
Deutscher Bundestag — 1 1. Wahlperiode — 55. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. Januar 1988 3873
Dr. Hirsch
nicht — wie es hier behauptet worden ist oder vielleicht auch geschehen ist — auf der Grundlage irgendwelcher abstrakten Gerüchte erfolgen kann, sondern nur auf der Grundlage einer wirklich gesicherten — und, so füge ich hinzu, rechtmäßig erlangten — Kenntnis der Polizei möglich ist. Das ist natürlich die Voraussetzung.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1105539700
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage?

Dr. Burkhard Hirsch (FDP):
Rede ID: ID1105539800
Aber ja.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1105539900
Frau Vollmer!

Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1105540000
Herr Kollege Hirsch, eine der Fragen, die in diesem Zusammenhang anstehen, ist ja, warum nun der Beruf des Polizisten dieser Gefährdung so ganz besonders ausgesetzt sein soll. Man könnte ja meinetwegen sagen, das müßte man auch für Hochschullehrer oder für Kindergärtnerinnen wissen. Es kann ja im Kindergarten jedem passieren, daß er sich beim Spielen verletzt. Gerade dieser Hysterie wird ja durch die öffentliche Aufklärung ständig entgegengetreten. Für die Polizisten wird dies nun mit der Argumentation von Bißverletzungen zwingend gemacht.

(Zuruf von der FDP: Fragen!)

Sehen Sie nicht die Notwendigkeit, dies dann — Ihrer Argumentation folgend — auf alle Bereiche auszudehnen?

Dr. Burkhard Hirsch (FDP):
Rede ID: ID1105540100
Frau Vollmer, Sie werfen eine Frage auf, die man im Rahmen der hier zur Verfügung stehenden Zeit eigentlich nur schwer beantworten kann. Natürlich ist es richtig, daß es viele Berufe gibt — angefangen bei den Zahnärzten bis ich weiß nicht wohin — , deren Angehörige in ihrer Tätigkeit Gefahr laufen, in Blutkontakt mit einem Virusträger zu kommen, und die sich dementsprechend infizieren können. Die Antwort auf diese Frage ist in der Tat die Lösung, die ja in einem Bundesland befürwortet wird, nämlich zu sagen: Laßt uns die alle speichern. Dann laufen die also wie im Mittelalter herum, wo der Aussätzige mit einer Rassel herumlaufen mußte, damit jeder wußte: Wenn ich dem zu nahe komme, wird es für mich gefährlich. Das wollen wir nicht. Wir sind nicht mehr im Mittelalter.
Nur müssen Sie auch die andere Seite sehen. Wenn Sie einen Menschen hinschicken, einen anderen festzunehmen, von dem wir rechtmäßig wissen, daß er ein besonderes Risiko darstellt, möchte ich in der Tat für den Beamten den Schutz haben, daß er das weiß. Die Frage, die Sie stellen, ist eine Frage, die wir alle gemeinsam nicht beantwortet haben, für die wir eine Enquete-Kommission eingesetzt haben, nämlich: Wie gehen wir mit dieser Krankheit grundsätzlich um? Das ist eine offene, schwierige Frage, bei der ich auch fürchte, daß die Hysterie die Vernunft überbieten wird.
Aber die radikale Lösung, auf der anderen Seite zu sagen: Wir schließen die Augen, laßt uns so tun, als ob es diese Viren überhaupt nicht gibt, wird, sage ich Ihnen, weder politisch noch tatsächlich halten. Auch damit werden Sie den Interessen der Menschen nicht gerecht.

(Frau Vennegerts [GRÜNE]: Das sagt kein Mensch, Herr Hirsch! — Abg. Dr. Penner [SPD] meldet sich zu einer Zwischenfrage)

Darum muß man immer abwägen, was zum Schutz eines Teils der Bevölkerung getan werden kann, wenn das möglich ist, ohne die anderen Menschen, ohne die Infizierten sozusagen lebenslang der Achtung preiszugeben. Die Vorschläge, die die Datenschutzbeauftragten gemacht haben, scheinen uns dafür einen passablen Weg zu weisen. Ich habe die Kriterien aufgezählt. Dazu kommt, daß aufgenommen und auch gespeichert werden muß, von wem die Kenntnis kommt und auf welcher Grundlage, weil nur so eine wirkliche Kontrolle möglich ist. Wir wollen keine Verdachtsspeicherung, wie sie hier an die Wand gemalt worden ist.

(Frau Schmidt-Bott [GRÜNE]: Aber da wird der Denunziant gleich mitgeliefert!)

— Sie sagen: der Denunziant. Es handelt sich um einen Arzt, der rechtmäßig die Kenntnis an die Polizei weitergibt; vielleicht mit Zustimmung des Betroffenen, wie das z. B. in den Haftanstalten geschieht. Dort ist das Einverständnis für die Untersuchung selbstverständlich. — Bitte!

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1105540200
Auf diese Weise redet der Redner 20 Minuten. Sie haben das Wort, Herr Abgeordneter Penner.

Dr. Willfried Penner (SPD):
Rede ID: ID1105540300
Das ist aber ein interessantes Thema.
Da Sie, Herr Hirsch, in respektabler Weise nicht für die vollständige Speicherung sind, und wir erfahren haben, daß bisher nur einige Hundert gespeichert sein sollen: Akzeptieren Sie damit nicht, daß Sie Ihrer eigenen Argumentation entgegenstehen, mit Ihrem Weg das Risiko für die Polizisten in nennenswerter Weise zu minimieren?

Dr. Burkhard Hirsch (FDP):
Rede ID: ID1105540400
Entschuldigen Sie, ich habe die Frage jetzt nicht verstanden. Ich will das Risiko für den Beamten verringern, selbstverständlich, wo es möglich ist.

Dr. Willfried Penner (SPD):
Rede ID: ID1105540500
Darf ich es kurz erklären? Eigentlich darf man nur fragen; aber Herr Hirsch ist ein sehr kluger Mann.

Dr. Burkhard Hirsch (FDP):
Rede ID: ID1105540600
Ich freue mich, daß das auf diese Weise ins Protokoll gekommen ist.

Dr. Willfried Penner (SPD):
Rede ID: ID1105540700
Das soll ruhig sein.
Sie selbst sind nicht dafür, daß vollständig erfaßt wird. Wir wissen, daß die Erfassung bisher nur in ganz kärglicher Weise stattfindet. Wir wissen, daß es nur ein paar Hundert sind. Wenn man Ihre Argumentation zugrunde legt, dann muß man angesichts der Zahlen und angesichts Ihrer Zurückhaltung einer vollständigen Erfassung gegenüber doch akzeptieren — wenn man in der Logik bleibt — , daß sich damit das Risiko für die Beamten nur in nicht nennenswerter Weise ermäßigt.




Dr. Burkhard Hirsch (FDP):
Rede ID: ID1105540800
Ich habe Ihre Frage eigentlich schon beantwortet. Ich habe vorhin gesagt, daß der Polizeibeamte im Grunde genommen immer davon ausgehen muß, daß jemand, mit dem er sich auseinandersetzt, infiziert ist, weil es unmöglich ist, jeden zu erfassen. Das ist richtig.

(Frau Schmidt-Bott [GRÜNE]: Das denken Sie einmal konsequent zu Ende!)

Aber das Argument, das darüber hinausgeht, heißt natürlich: Können Sie es verantworten — falls ich positiv, rechtmäßig, von jemandem weiß, daß er infiziert ist — , daß auch nur ein einziger Beamter zusätzlich infiziert wird, wenn Sie die Infektion auf rechtmäßige Weise hätten verhindern können, ohne dadurch die Interessen des Virusträgers zu verletzen? Das kann man nicht.

(Dr. Penner [SPD]: Darf ich trotzdem noch einmal fragen?)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1105540900
Aber Herr Kollege!

Dr. Burkhard Hirsch (FDP):
Rede ID: ID1105541000
Lassen Sie mich zum Schluß noch eines sagen. — Wir werden im Ausschuß darüber reden, Herr Kollege Penner — : Ich hoffe, daß sich die Innenministerkonferenz mit den Vorschlägen der Datenschutzbeauftragten intensiv beschäftigen wird. Wir werden im Ausschuß darauf achten, daß die Voraussetzungen, die dort definiert worden sind, in der Praxis beachtet werden, weil sie in der Tat notwendig sind, wenn man auch die andere Seite fair und korrekt behandeln will.
Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1105541100
Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär Spranger.

Carl-Dieter Spranger (CSU):
Rede ID: ID1105541200
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Innenministerkonferenz hat mit einem einstimmigen Beschluß vom Oktober 1986 die Notwendigkeit bestätigt, aus Gründen der Fürsorge für Polizeibeamte, die mit AIDS-Infizierten oder mit AIDS-Kranken in Kontakt kommen können, in bestimmten Fällen eine Speicherung des Hinweises auf eine bestehende Ansteckungsgefahr vorzusehen. Die Speicherung erfolgt nur bei Personen, die ohnehin, etwa als Straftäter, zur Festnahme in INPOL ausgeschrieben sind. Sie ist neben der Fahndung auf den Kriminalaktennachweis und die Falldatei Rauschgift beschränkt und dient ausschließlich der Eigensicherung. Sie ist eine Maßnahme zum Schutz unserer Polizeibeamten etwa für den Fall — das ist hier in der Debatte ja auch schon dargelegt worden — , daß ein Festzunehmender Gewalt anwendet und daß es dabei zu Verletzungen mit Blutkontakten kommt.
Seit jeher gibt es in INPOL derartige sogenannte personengebundene Hinweise auf Ansteckungsgefahr. Wenn die Polizei Erkenntnisse hat, daß von einer aus anderen Gründen gespeicherten Person die Gefahr einer Ansteckung durch eine schwerwiegende Krankheit, wie z. B. Tuberkulose, Hepatitis oder Typhus, ausgeht. Der Entschließungsantrag der GRÜNEN und auch die Rede, die wir heute gehört haben, werden diesem Sachverhalt in kaum einem Punkt gerecht.

(Frau Unruh [GRÜNE]: Na, na! Wehret den Anfängen!)

Er besteht aus einer Sammlung von falschen Tatsachenbehauptungen und unrichtigen Wertungen, von denen ich hier nur einige ansprechen möchte.
In der Speicherung kann unter keinem Gesichtspunkt eine gesellschaftliche Diskriminierung von AIDS-Kranken oder AIDS-Infizierten gesehen werden,

(Frau Schmidt-Bott [GRÜNE]: Das sehen die Betroffenen ganz anders!)

da nach den einschlägigen Richtlinien der Inhalt der Dateien vertraulich und grundsätzlich nur für den Dienstgebrauch innerhalb der Polizei des Bundes und der Länder bestimmt ist. Der Hinweis wird zudem dem abfragenden Polizeibeamten nur aus Anlaß der Abfrage im Einzelfall bekannt. Da der Hinweis kein Sachkriterium darstellt, ist es auch nicht möglich, über eine INPOL-Abfrage eine Liste der gespeicherten AIDS-Kranken oder AIDS-Infizierten zu bekommen. Das hat der Kollege Blens im einzelnen ja schon dargelegt.
Wie auch schon ausgeführt, werden die Hinweise aus Fürsorgegesichtspunkten im Interesse der Eigensicherung der Polizeibeamten im Zusammenhang mit Notierungen gespeichert, für die ausschließlich ein polizeilicher Anlaß wie Fahndung oder ein Ermittlungsverfahren besteht.

(Frau Schmidt-Bott [GRÜNE]: Durch Ihre Wiederholungen wird das nicht richtiger!)

Es handelt sich also um eine spezifisch polizeiliche Maßnahme. Demzufolge gab es auch, was in dem Antrag kritisiert wird, für den Bundesminister des Innern keine Veranlassung für eine Abstimmung mit dem Bundesminister für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit.
Die Behauptung, für die Speicherungen gäbe es keine Rechtsgrundlage, ist ebenfalls unrichtig. Sie ergibt sich vielmehr aus den Polizeigesetzen der Länder und dem BKA-Gesetz. Auch der Hinweis auf eine Verletzung der Verhältnismäßigkeit ist unzutreffend.
Ich darf daran erinnern, daß es sich bei AIDS nach allem, was wir heute wissen, um eine Krankheit handelt, die tödlich ausgeht. Es erstaunt auch, daß trotz der bekannten Gefährlichkeit der Krankheit diese Speicherungspraxis hier diskutiert wird, wohingegen früher die Einbeziehung von Krankheiten minderer Gefährlichkeit keinerlei Kritik erfahren hat.
Wenn schließlich die GRÜNEN auf Grund dieser Maßnahmen Polizeibeamte in die Rolle der „Seuchen-" oder „Kondom-Polizei" gedrängt sieht und unterstellt, dadurch sollten Drogenabhängige oder Homo- und Bisexuelle überwacht werden, so belegt dies, daß der Entschließungsantrag mit dem hier zu behandelnden Sachverhalt nichts mehr zu tun hat und auf Polemik ausgerichtet ist.



Parl. Staatssekretär Spranger
Ich darf daher namens der Bundesregierung bitten, den Antrag zurückzuweisen.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1105541300
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Der Ältestenrat schlägt vor, den Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Ist das Haus damit einverstanden? — Das ist der Fall; dann ist das so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 14 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Stratmann, Frau Kelly, Frau Wollny und der Fraktion DIE GRÜNEN
Öffentliches Gerichtsverfahren für Mordechai Vanunu
— Drucksache 11/1474 —
Im Ältestenrat ist für die Beratung ein Redebeitrag bis zu fünf Minuten für jede Fraktion vorgesehen. Ist das Haus damit einverstanden? — Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Bitte, Herr Abgeordneter Stratmann, Sie haben das Wort.

Eckhard Stratmann (DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90):
Rede ID: ID1105541400
Liebe Mitbürgerinnen und liebe Mitbürger! Liebe Kolleginnen und liebe Kollegen! Die Prozeßverhandlung in Israel gegen Mordechai Vanunu wird Ende Januar abgeschlossen sein. Im April soll das Urteil gesprochen werden. Vanunu ist wegen Hochverrats und Spionage angeklagt. Er soll den Feind mit geheimer Information beliefert haben in der Absicht, der Sicherheit des Staates Israel zu schaden.
Mordechai Vanunu hat neun Jahre lang als Atomtechniker in dem unterirdirschen Atomreaktor Dimona gearbeitet, dessen Existenz Israel der heimischen und internationalen Öffentlichkeit gegenüber immer geleugnet hat. Am 5. Oktober 1986 veröffentlichte die englische Zeitung „Sunday Times" einen detaillierten Bericht mit Photodokumenten und Lageskizzen aus dem Reaktorinneren, aus dem zweifelsfrei hervorgeht: Israel produziert in dem Reaktor waffenfähiges Plutonium und verfügt bereits über eine Kapazität von über 100 Atombomben. Es steht damit in der Rangfolge der Atomwaffenstaaten auf einer Stufe mit Frankreich, Großbritannien und China.
Das Material zu dem Bericht der „Sunday Times" stammt von Mordechai Vanunu. Es ist vor der Veröffentlichung durch die Redaktion und britische Experten gründlichst begutachtet worden. Bis heute hat die israelische Regierung dem Bericht im wesentlichen nicht widersprochen.
Was im Zusammenhang mit diesem Bericht mit Mordechai Vanunu geschah und geschieht, ist eine Kette von Verletzungen internationalen Rechts und der Menschenrechte von Vanunu durch staatliche Instanzen Israels.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Vanunu wurde vom israelischen Geheimdienst von
London nach Rom gelockt und von dort nach Israel
entführt. Dort wird ihm seither der Hochverratsprozeß gemacht, und zwar unter Ausschluß der Öffentlichkeit.
Vanunu wird bis heute in strenger Isolationshaft gehalten. Nur alle 14 Tage darf er für eine halbe Stunde Familienangehörige sprechen. Seine Zelle ist Tag und Nacht beleuchtet. Er wird dauernd von einer Videokamera überwacht. Diese Informationen wurden noch in dieser Woche vom israelischen Unterstützungskomitee für Vanunu bestätigt.
Wir protestieren gegen diese anhaltende Verletzung der Menschenrechte von Mordechai Vanunu und hoffen, daß wir uns im Bundestag einig darin sind: Das Verfahren gegen Vanunu muß als ein öffentliches Verfahren zu Ende geführt werden; die Isolationshaft und die Dauerbeleuchtung der Zelle von Vanunu müssen aufgegeben werden. Das erfordert die Achtung der Menschen- und Bürgerrechte Vanunus.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Israels Außenminister Peres hat als Zeuge vor dem Gericht Anfang dieses Jahres ausgesagt, Vanunu habe die Sicherheit Israels untergraben. Wir GRÜNEN schließen uns der Beurteilung des israelischen Vanunu-Komitees an und widersprechen dieser Aussage von Herrn Peres entschieden. Worin besteht das Vergehen Vanunus, wenn schon Ende 1973 der israelische Staatspräsident Katzir öffentlich von der „jecholet hagarinit" , der nuklearen Fähigkeit Israels, sprach?
Wir anerkennen das Recht Israels auf die Sicherheit seiner staatlichen Existenz. Aber es gibt keine staatliche Sicherheit, wenn die Bürgerrechte vor dem Staat nicht mehr sicher sind.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Die Achtung und der Schutz der Menschenrechte sind der Sinn der staatlichen Sicherheit. Dafür überall auf der Welt einzutreten ist die Pflicht der internationalen Öffentlichkeit.
So wenig wie die Sicherheit Israels ohne Achtung der Menschenrechte gewährleistet werden kann — auch Bundeskanzler Kohl hat in diesen Tagen im Zusammenhang mit der Deportation von vier Palästinensern nach Südlibanon durch den Staat Israel kritisch darauf hingewiesen — , so wenig gibt es Sicherheit für den Staat Israel ohne Frieden im Nahen Osten.
Israel verfügt — Vanunu hat es durch seinen mutigen Bericht bewiesen — über Atomwaffen und, soweit wir wissen, in der Krisenregion des Nahen Ostens über ein Atomwaffenmonopol. Um einer atomaren Erpressung durch Israel zu entgehen, stehen die anderen Staaten des Nahen Ostens unter Druck, sich — wie auch immer — in den Besitz eigener Atomwaffen zu versetzen. Die israelische Atombombe birgt die Gefahr einer Nuklearisierung des Nahostkonflikts in sich. Stellen Sie sich auch unter diesem Gesichtspunkt einmal vor, Libyen könnte sich auf irgendeine Weise in den Besitz von Atomwaffen bringen. Wie sollte ein Atomkrieg im Nahen Osten auf die Region begrenzt werden können?



Stratmann
Der Frieden im Nahen Osten erfordert daher, daß Israel sein Atomwaffenpotential vernichtet und den Atomwaffensperrvertrag unterzeichnet.
Wir sagen: Mordechai Vanunu hat nicht für den Feind Israels spioniert. Er ist sozusagen ein Spion für den Frieden in der Region und für den Weltfrieden. Wir freuen uns daher, daß er 1987 den alternativen Friedensnobelpreis erhalten hat.
Zusammen mit den Vanunu-Komitees in Israel, Australien, in den USA, Frankreich, der Bundesrepublik und Großbritannien setzen wir uns für die Achtung seiner Bürgerrechte und seine Freilassung ein. Wir bitten Sie daher, unserem Antrag zuzustimmen.

(Beifall bei den GRÜNEN)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1105541500
Das Wort hat der Abgeordnete Vogel (Ennepetal).

Friedrich Vogel (CDU):
Rede ID: ID1105541600
Frau Präsidentin Meine Damen und Herren! Der Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN enthält ein doppeltes Petitum, einmal die Forderung nach einem öffentlichen Verfahren, zum zweiten die Forderung nach Aufgabe angeblicher Isolationshaftbedingungen.
Ich will zunächst zu der Forderung nach einem öffentlichen Verfahren etwas sagen. Die Sedes materiale hier ist der Art. 14 des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte, weil er die völkerrechtlichen Normen vorgibt, nach denen das Verfahren in Israel zu beurteilen ist. Dieser Art. 14 nennt die Voraussetzungen, unter denen in einem Strafverfahren die Öffentlichkeit und die Presse ausgeschlossen werden können.
Wenn wir diese Maßstäbe hier anlegen und den Gegenstand des Anklagevorwurfs nehmen, liegen die Voraussetzungen für den Ausschluß der Öffentlichkeit vor. Auch im deutschen Strafverfahren kann die Öffentlichkeit in Staatsschutzverfahren ausgeschlossen werden. Das heißt also, dem ersten Petitum der Fraktion DIE GRÜNEN fehlt die Grundlage.
Zum zweiten: Eigentlich könnte man es dabei bewenden lassen, darauf hinzuweisen, daß nach der eigenen Begründung des Antrages durch die Fraktion DIE GRÜNEN die Voraussetzungen für den Vorwurf einer Isolationshaft überhaupt nicht vorliegen. Sie haben selbst darauf hingewiesen, daß Herr Vanunu regelmäßig Besuch durch seine Familie in der Haft bekommen kann. Auch wenn das nur alle 14 Tage der Fall ist, ist dies eine regelmäßige Möglichkeit.
Daß im übrigen die Kontaktmöglichkeiten beim vorliegenden Vorwurf begrenzt und beschränkt werden können, liegt in der Natur dieses Verfahrens.
Sie bemängeln, daß er keinen Besuch durch seine Freundin bekommen könne. Hier muß man darauf hinweisen, daß diese Freundin nach meinen Informationen amerikanische Staatsbürgerin, also für Israel Ausländerin ist. Deshalb ist es in einem Staatsschutz-verfahren sehr wohl verständlich, daß die Kontaktmöglichkeit beschränkt ist. Vanunu hat die Möglichkeit des Kontaktes. Er hat Gelegenheit, über Kassette mit seiner Freundin zu verkehren. Er kann Briefe schreiben und empfangen. Er hat entgegen Ihren Behauptungen die Möglichkeit regelmäßigen Besuchs durch einen Pfarrer. Also fehlen schon die Voraussetzungen für den Vorwurf der Isolationshaft. Deshalb kann auch diesem Petitum hier nicht stattgegeben werden.
Für meine Fraktion beantrage ich, den Antrag der GRÜNEN abzulehnen.

(Zuruf von den GRÜNEN: Das ist aber schwach! — Frau Vennegerts Nicht einmal Beifall hat er gekriegt!)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1105541700
Meine Damen und Herren, das Wort hat der Abgeordnete Koschnick.

Hans Koschnick (SPD):
Rede ID: ID1105541800
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Ich mache nur wenige Bemerkungen. Der erste Punkt ist: In Staatsschutzfragen ganz generell gilt innerstaatliches Recht, soweit es nicht gegen Völkerrecht verstößt. Wir haben in vielen Fällen — nicht nur in Israel, sondern auch bei uns — Vorschriften, daß in bestimmten Bereichen die Öffentlichkeit nicht stattfindet. Der Anklagevorwurf hier ist beachtlich. Nur kennen wir eigentlich auch im deutschen Strafrecht nicht den totalen Ausschluß der Öffentlichkeit. Die Öffentlichkeit kann bei der Vernehmung zur Person zugelassen werden, aber möglicherweise nicht zur Sache.
Meine zweite Bemerkung: Daß Regierungsmitglieder in bestimmten Fragen und in solchen Verfahren einen besonderen Vertrauensschutz genießen, ist nicht typisch nur für Israel.
Die dritte Bemerkung: Der Vorwurf der Isolationsfolter wird von mir nicht geteilt, wenngleich ich weiß, wie es in solchen Verfahren ist, wenn man lange Zeit in Einzelhaft ist und dabei auch noch andere Bedingungen vorliegen, die das Leben ganz besonders belasten.
Gleichwohl sage ich: Meine Forderung ist nicht so sehr auf ein öffentliches Verfahren, sondern auf ein faires Verfahren gerichtet. Ich möchte gerne wissen: Wie ist der Angeklagte wirklich nach Israel gekommen? Um das zu beurteilen, möchte ich die Entscheidung des Gerichts kennen. Sie selbst haben vorhin gesagt, daß das Verfahren im Januar abgeschlossen und daß im April entschieden wird. Ich möchte mich dann erst in die Sachbeurteilung einschalten, wenn ich wirklich weiß, was vorgefallen ist. Im Augenblick steht Erklärung gegen Erklärung. Ich bin nicht hier, um Erklärungen für oder gegen Israel abzugeben. Was ich möchte, ist ein faires Verfahren.
Insofern sind wir nicht in der Lage, Ihrem Antrag zuzustimmen.

(Beifall bei der SPD)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1105541900
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Irmer.

Ulrich Irmer (FDP):
Rede ID: ID1105542000
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In dem Antrag der GRÜNEN steht — ganz am Anfang — ein richtiger Satz: „Der Deutsche Bundestag fordert weltweit die Achtung der Menschenrechte bei Gerichtsverfahren." — Ich sage: Wir fordern weltweit die Achtung der Menschenrechte, ob innerhalb oder außerhalb von Gerichtsverfahren. Dies ist eine Selbstverständlichkeit.



Irmer
Das gilt natürlich auch für Israel. Wir wissen alle, daß unsere Beziehungen zu Israel nicht Beziehungen wie zu irgendeinem beliebigen anderen Land sind. Das hat natürlich Auswirkungen. Kein Deutscher kann gegenüber Israel unbefangen sein; das gilt nach wie vor. Wir haben Israel gegenüber eine besondere Verpflichtung. Aber ich betone hier: Das bedeutet nicht, daß man alles gutheißen muß, was die eine oder andere israelische Regierung tut. Gerade wenn man einem Land, einem Freund besonders verpflichtet ist, dann heißt das, daß man ihm auch sagen können darf und muß, was man an seinem Verhalten zu kritisieren hat. Wenn es also so wäre, daß hier tatsächlich Menschenrechtsverletzungen vorkommen, dann sollten wir uns nicht scheuen, das auch laut und deutlich zu sagen. Wir dürfen uns nicht als Schulmeister auf spielen, aber wir müssen den Maßstab anlegen, den wir überall anlegen — ohne Ansehen der Person, ohne Ansehen der politischen Richtung. Wir müssen das an Menschenrechten einfordern, was wir für notwendig halten.
Zum konkreten Fall hat Herr Vogel alles gesagt, was zu sagen war. Die Forderung, dieses Verfahren öffentlich zu machen, kann nicht auf irgendwelche Normen des internationalen Rechts gestützt werden. Die Behauptung, hier liege Isolationshaft vor, kann ich nicht beurteilen; ich kann sie nicht nachvollziehen. Ich sage wie Herr Koschnick: Wir müssen ein faires Verfahren einfordern.
Was mich sehr bedenklich stimmt — und das sage ich hier— : Die Entführungsgeschichte hat möglicherweise einen wahren Kern. Zwar haben die Regierungen von Großbritannien und Italien gesagt, daß sie mit den Erklärungen Israels zufrieden waren. Ich kann es nicht beurteilen. Es spricht manches dafür, daß an der Entführungsgeschichte etwas Wahres dran ist, und das ist sehr bedenklich. Ich sage hier — das gilt auch gegenüber Israel — : Der Zweck heiligt nicht die Mittel, der Zweck kann die Mittel nicht heiligen. Das gilt hier bei uns, das gilt in Südafrika, in Chile, das gilt überall auf der Welt; das gilt ganz eindeutig auch für Israel.
Was ich jetzt hier am Schluß noch sagen möchte, ist: Ich habe Zweifel, Herr Stratmann und meine Damen und Herren Kollegen von den GRÜNEN. Warum haben Sie diesen Antrag hier eingebracht? Geht es Ihnen denn wirklich um Herrn Vanunu?

(Frau Vennegerts [GRÜNE]: Um wen sonst? — Stratmann [GRÜNE]: Wir wollten einen gemeinsamen Antrag, Herr Irmer!)

Wem nützen Sie mit diesem Antrag? Ich habe den Eindruck, Sie haben vorhin die Katze so ein bißchen aus dem Sack gelassen. Sie sind dagegen, daß Israel Atomwaffen herstellt. Das ist ein ehrenwertes Petitum. Aber dann sagen Sie es doch. Dann kleiden Sie es doch nicht heuchlerisch in das Gewand eines Antrages zu Menschenrechtsverletzungen. Was mich bei Ihnen so nachhaltig stört, ist, daß Sie immer mit einer doppelten Moral und mit dem Anschein, Menschenrechte einzufordern, Dinge auf die Tagesordnung setzen, mit denen Sie im Grunde etwas ganz anderes bezwecken. Ich habe den Eindruck — ich äußere den Verdacht hier ganz klar — , daß Sie bloß Ihre innerparteilichen und innerfraktionellen Probleme, die Sie ja
bekanntlich mit einer Reise von Mitgliedern Ihrer Fraktion nach Israel hatten, hiermit irgendwie ableiten wollen.

(Frau Nickels [GRÜNE]: Billiger geht es nicht, Herr Irmer!)

Der Verdacht ist nicht von der Hand zu weisen.
Ich fasse für meine Fraktion zusammen. Wir werden diesem Antrag nicht zustimmen. Wir werden ihm deshalb nicht zustimmen, weil die Forderung nach einem öffentlichen Verfahren nach internationalen Rechtsregeln in einem solchen Ausnahmefall offensichtlich nicht begründet ist. Wir schließen uns Herrn Koschnick insoweit an, als er sagt, wir müßten ein faires Verfahren einfordern. Das wird hier öffentlich gesagt, auch für meine Fraktion. Aber Ihr Antrag schießt weit an dem Anliegen, das hier ausgedrückt ist, vorbei. Ich habe Zweifel an den lauteren Motiven, die Sie hierbei haben. Wir werden Ihren Antrag ablehnen.
Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1105542100
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der GRÜNEN auf Drucksache 11/1474. Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Antrag ist abgelehnt.
Ich rufe Punkt 15 der Tagesordnung auf:
a) Beratung der Sammelübersicht 34 des Petitionsausschusses (2. Ausschuß) über Anträge zu Petitionen
— Drucksache 11/1494 —
b) Beratung der Sammelübersicht 37 des Petitionsausschusses (2. Ausschuß) über Anträge zu Petitionen
— Drucksache 11/1497 —
Hierzu liegen Änderungsanträge der Fraktion DIE GRÜNEN auf den Drucksachen 11/1700 und 11/1701 vor.
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die Beratung dieses Tagesordnungspunktes 30 Minuten vorgesehen. Das Haus ist damit einverstanden? — Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Frau Garbe.

Charlotte Garbe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1105542200
Frau Präsidentin! Meine Herren und Damen! Was die Änderungsanträge zu den Beschlüssen des Petitionsausschusses betreffend die Petitionen bezüglich des Haar- und Barterlasses der Bundeswehr und der Grube Messel angeht, so wollen wir heute hier nur auf die Petition zur Grube Messel eingehen. Wir sind mit unserem Änderungsantrag und der Forderung, die Petition der Bundesregierung zur Berücksichtigung zu überweisen, die Grube Messel nicht als Abfalldeponie zu benutzen, sondern diese paläontologisch ertragreiche Grube in die Liste des Weltkultur- und -naturerbes aufzunehmen, in eine



Frau Garbe
aktuelle Situation gekommen. Der Hessische Verwaltungsgerichtshof hat Ende 1987 den Planfeststellungsbeschluß wegen inhaltlicher Mängel aufgehoben. Nun stellt sich mir nicht mehr so sehr die Frage: Sind die Hessen vielleicht Kulturbanausen?"; nein, es tut sich sogar ein Fünkchen Hoffnung auf, denn durch die gerichtliche Blockade denkt die Hessische Landesregierung über Alternativen nach. Es sind aber alles erst noch Überlegungen, Deutungen, noch keine klaren Entscheidungen, ob nun diese einzigartige paläontologische Grabungsstätte der internationalen Völkergemeinschaft als schutzwürdig gemeldet werden soll.
Die bisherige Untätigkeit der Hessischen Landesregierungen bezüglich der Unterschutzstellung der Grube Messel hat bereits dem Ansehen der Bundesrepublik geschadet. Internationale Fachgruppen, Einzelpersönlichkeiten und Institutionen haben schon seit Mitte der 70er Jahre in Petitionen, Gutachten, Resolutionen die Hessische Landesregierung zum Handeln aufgefordert. Wenn ein Bundesland darauf gar nicht reagiert und die internationalen Verpflichtungen, die die Bundesregierung eingegangen ist, konterkariert und die Bundesregierung dadurch vor der Weltöffentlichkeit — das ist ein wichtiger Aspekt — der Lächerlichkeit preisgeben wird nach dem Motto: „Uns ist der Müll wichtiger als die Urpferdchen", dann kann, ja dann muß die Bundesregierung trotz der Kulturhoheit der Länder, an der auch wir GRÜNE nur ungern rütteln lassen, nach den Art. 4 und 34 des Übereinkommens ihre bundesrechtliche Zuständigkeit im Interesse des UNESCO-Abkommens zum Schutze des Kultur- und Naturerbes der Welt einsetzen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Nicht mehr und nicht weniger fordert der Petent, und wir unterstützen sein Petitum.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir vererben künftigen Generationen große Mengen strahlenden und giftigen Mülls, der in Löchern, Kuhlen und Kavernen abgelagert wird und abgelagert werden soll, lassen Sie uns alles tun, daß die Grube Messel den Paläontologen vorbehalten bleibt. Lieber Urpferdchen statt Müll!

(Beifall bei den GRÜNEN)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1105542300
Das Wort hat der Abgeordnete Jung.

Michael Jung (CDU):
Rede ID: ID1105542400
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Kollegin Garbe, Sie hatten die Frage gestellt: Die Hessen waren weder vor noch nach der letzten Landtagswahl Kulturbanausen.

(Frau Garbe [GRÜNE]: Das werden wir noch sehen!)

Und wenn Sie gesagt haben, daß sich hier die Alternative zwischen Müll und Urpferdchen ergebe, dann ist diese falsch aufgezeigt.

(Frau Garbe [GRÜNE]: Nicht an dieser Stelle!)

Nun darf ich in diesem Zusammenhang an Sie die Frage stellen, wie denn das mit Ihrer eigenen Verantwortlichkeit ist, die Sie früher in diesem Bereich im Lande Hessen hatten; denn die Vorwürfe, die Sie heute erhoben haben, fallen doch auf Sie zurück, nachdem ein Mitglied Ihrer Partei in diesem Bereich im hessischen Kabinett Verantwortung getragen hat.

(Frau Garbe [GRÜNE]: Das stimmt nicht! Der Joschka Fischer hatte nicht den Denkmalschutz! — Frau Nickels [GRÜNE]: Der Joschka Fischer hatte ein Ressort, nicht die Gesamtregierung! Er war nicht Gesamtminister!)

Sie hätten das, was Sie heute fordern, damals eigentlich durchsetzen müssen, wenn Sie es ernst meinen.
Sie sind über die Rechtslage, die wesentlicher Teil der Ausschußberatungen war, hier hinweggegangen, ohne dieser überhaupt ein einziges Wort zu widmen. Vielleicht darf ich einmal darauf hinweisen, wie sich das hier ausnimmt.
Wir als CDU/CSU-Bundestagsfraktion lehnen ein bundesrechtliches Eingreifen ab. Wir beantragen insoweit in Übereinstimmung mit der Mehrheit des Ausschusses, die Petition als erledigt anzusehen. Wir schlagen statt dessen vor, sie dem Hessischen Landtag zu überweisen, soweit der Petent die Anmeldung für die Aufnahme der Grube Messel in die Liste des Weltkultur- und -naturerbes fordert. Wir tun dies auf Grund der Rechtslage, die wir hier zu beachten haben; denn dem Deutschen Bundestag — Frau Kollegin, Sie sind darauf, wie gesagt, leider nicht eingegangen— ist eine inhaltliche Entscheidung in dieser Frage verwehrt,

(Sehr richtig! bei der CDU/CSU)

und zwar wegen der verfassungsrechtlich festgelegten Kulturhoheit der Länder.

(Frau Garbe [GRÜNE]: Ich habe doch aufgezeigt, welche Möglichkeiten es gibt!)

Die Zuständigkeit für die Erfüllung dieses Übereinkommens liegt innerstaatlich nach unserer föderativen Ordnung bei den Ländern.

(Frau Garbe [GRÜNE]: Das wissen wir doch alles, wie da argumentiert wird!)

— Wenn Sie es wissen, ist es um so bedauerlicher, daß Sie darauf nicht eingegangen sind.

(Frau Garbe [GRÜNE]: Ich habe doch aufgezeigt, nach welchen Bestimmungen die Bundesregierung tätig werden kann!)

Eine Anmeldung für die Aufnahme in die Liste des Welterbes setzt einen Antrag des jeweiligen Landes oder dessen Einverständnis voraus. Die Zuständigkeitsregelungen des Grundgesetzes, Art. 30 und 70, sind zu beachten. Die Ständige Konferenz der Kultusminister der Länder hat gemäß diesen rechtlichen Voraussetzungen bereits eine Vorschlagsliste erstellt, die der UNESCO vorliegt.
Sie haben auf den Art. 34 dieses Abkommens abgehoben.

(Frau Garbe [GRÜNE]: Und auf Art. 4!)




Jung (Limburg)

aus diesem Art. 34 wird gerade deutlich, daß eine Ratifizierung durch den jeweiligen Vertragsstaat nicht dessen innerstaatliche Zuständigkeitsregelung aufhebt.

(Sehr richtig! bei der CDU/CSU)

Die Zuständigkeit für die Erfüllung dieses Übereinkommens richtet sich nach den innerstaatlichen Regelungen, nämlich nach den Art. 30 und 70 des Grundgesetzes.

(Frau Garbe [GRÜNE]: Dann kann die Bundesregierung kein Weltabkommen eingehen, wenn sie nicht tätig werden will!)

Meine Damen und Herren, wenn wir unseren föderativen Staatsaufbau ernst nehmen, müssen wir es auch in einer solchen Frage tun. Wir können den Ländern nicht unsere eigene politische Auffassung vorschreiben,

(Frau Vennegerts [GRÜNE]: Sie mogeln sich doch raus!)

sondern wir müssen dafür Sorge tragen, daß auch und gerade in wichtigen Fragen dieser Art die Länder ihre originäre Zuständigkeit behalten.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Im übrigen muß ich sagen, daß das Land Hessen seine Pflichten aus dem UNESCO-Übereinkommen bezüglich der Grube Messel ja erkannt hat, und zwar die vorherige Regierung und die jetzige Regierung. Es ist ein Kompromiß zwischen den Altertumsforschern und der Müllentsorgung gefunden worden. Sie haben mit Recht darauf hingewiesen, daß es derzeit neue Überlegungen im Lande Hessen gibt. Ich erinnere an die Regierungserklärung und auch an Presseverlautbarungen des hessischen Ministerpräsidenten Wallmann.

(Frau Garbe [GRÜNE]: Neue Überlegungen, aber mehr auch nicht!)

Ich habe heute mittag noch einmal mit Umweltminister Weimar gesprochen. Es gibt derzeit neue Überlegungen im Lande Hessen hinsichtlich dieser Frage. Dabei muß natürlich das berechtigte Anliegen der Altertumsforscher berücksichtigt werden, aber auch andere Fragen wie die der Müllentsorgung im südhessischen Raum, für die dort bereits 40 Millionen DM investiert worden sind, und anderes mehr.
Die Entscheidung wird in Wiesbaden getroffen werden. Von daher ist es gerade im Sinne der Altertumsforscher, wenn wir die Petition dorthin verweisen, wo eine Zuständigkeit gegeben ist.
Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1105542500
Das Wort hat der Abgeordnete Reuter.

Bernd Reuter (SPD):
Rede ID: ID1105542600
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Frau Kollegin Garbe, ich bedaure sehr, daß ich bei der vorliegenden Petition Ihrer Argumentation nicht folgen kann, sondern an dieser Stelle der Argumentation des Kollegen Jung von der anderen Feldpostnummer folgen muß.
Das Auswärtige Amt hat in einer Stellungnahme vom 1. Juli 1987 folgendes ausgeführt:
Die Zuständigkeit für die Erfüllung des Übereinkommens zum Schutz des Kultur- und Naturerbes der Welt liegt innerstaatlich bei den Ländern. Eine Anmeldung für die Aufnahme in die Liste des Welterbes setzt einen Antrag des jeweiligen Bundeslandes oder dessen Einverständnis voraus.
Im Rahmen dieser Zuständigkeiten nach Art. 30 und 70 unseres Grundgesetzes, auf die der Kollege Jung hingewiesen hat, hat die Ständige Konferenz der Kultusminister eine Vorschlagsliste der Bundesrepublik Deutschland für die Nominierung für die Liste des Weltkulturerbes erstellt, die auch an die UNESCO weitergeleitet wurde.
Es kann deshalb, meine Damen und Herren, nicht die Aufgabe des Deutschen Bundestages sein, im Rahmen der Beratungen einer Petition in die Kulturhoheit eines einzelnen Bundeslandes eingreifen zu wollen. Insofern hat der Petitionsausschuß in Würdigung dieses Sachverhalts zu Recht beschlossen, die Petition dem Hessischen Landtag zu überweisen, soweit der Petent die Anmeldung der Grube Messel in die Liste des Weltkultur- und -naturerbes fordert, und sie als erledigt anzusehen, soweit der Petent ein bundesrechtliches Eingreifen wünscht.
Meine Damen und Herren, auch sachliche Gründe sprechen gegen die Anmeldung der Grube Messel, so z. B. die Tatsache, daß diese Grube ja nicht in ihrem derzeitigen Zustand erhalten werden soll. Vielmehr sollen in dieser Grube die paläontologischen Grabungen weitergehen, damit die entsprechenden Funde möglichst vollständig gehoben werden können. Damit sind die Voraussetzungen von Art. 4 des UNESCO-Übereinkommens zum Schutz des Kultur- und Naturerbes der Welt leider nicht erfüllt. Es ist sicher nicht von der Hand zu weisen, daß hier zwei unterschiedliche Interessen sehr hart aufeinanderstoßen: zum einen das Suchen nach einer dringend notwendigen Deponiefläche für Müll und Abfallstoffe im südhessischen Raum und zum anderen das sicher auch wichtige Erhalten eines Schaufensters in die Entstehungsgeschichte unserer Welt.
Von meinem Fraktionskollegen Heinrich Klein, der damals Landrat in Dieburg war, weiß ich, daß es ohne den Erwerb der Grube Messel durch den kommunalen Zweckverband und ohne das Absenken des Wasserspiegels nie möglich gewesen wäre, die fundträchtigen Ölschieferschichten ans Tageslicht zu bringen, so daß sie dadurch für die Paläontologen erst zugänglich wurden.
Nur der Ordnung halber will ich noch darauf hinweisen, daß von diesem Zweckverband einschließlich des Ankaufs bereits 40 Millionen DM aufgewendet wurden.
Man muß bei der Beurteilung des Gesamtzusammenhangs auch wissen, daß bei der Planung und dem Feststellungsbeschluß auf die Einwände insbesondere der Senckenberg-Gesellschaft in Frankfurt sowie anderer Altertumsforscher Rücksicht genommen wurde.



Reuter
Abschließend möchte ich noch auf zwei Dinge hinweisen. Erstens hat der Verwaltungsgerichtshof in Kassel durch seine Entscheidung vom 16. Dezember die Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit des Planfeststellungsbeschlusses aufgehoben, soweit sie sich auf die Inbetriebnahme dieser Abfallbeseitigungsanlage bezieht.
Zweitens liegen mir eine Anzahl von Presseerklärungen vor, wonach die Hessische Landesregierung möglichst keine Deponie mehr in der Grube Messel errichten will. Dieses muß wohl mit einem Fragezeichen versehen werden, wenn man die Situation in Südhessen kennt.
Aber unabhängig davon, wie nun der Entscheidungsprozeß in Hessen weitergehen wird, bin ich der Überzeugung, daß sich bei der erforderlichen Einsicht aller Betroffenen eine Kompromißlösung finden läßt. Es muß möglich sein, sowohl die Vorstellungen und Wünsche der Forscher als auch die von den kommunalpolitisch Verantwortlichen als zwingend erachteten Notwendigkeiten für eine geordnete Entsorgung unter einen Hut zu bringen.
In diesem Sinne, meine Damen und Herren, ist die vom Petitionsausschuß getroffene Entscheidung hilfreich. Den Antrag der GRÜNEN müssen wir ablehnen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1105542700
Das Wort hat Frau Abgeordnete Dr. Segall.

Dr. Inge Segall (FDP):
Rede ID: ID1105542800
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zunächst ganz kurz zu der Petition, in der es um den Haartracht- und Barterlaß der Bundeswehr geht. Es ist schon mehrfach gerichtlich überprüft worden, daß dieser Erlaß seine Richtigkeit hat und damit die Grundrechte der Menschenwürde und der freien Entfaltung der Persönlichkeit nicht eingeschränkt werden.
Außerdem ist der Petent inzwischen entlassen worden und kann sein Grundrecht, eine beliebige Haartracht zu tragen, wieder voll wahrnehmen.
Jetzt komme ich aber zu dem eigentlich ernsthaften Problem. Dabei geht es um die Grube Messel. Wie Herr Reuter schon richtig dargelegt hat, ist die Beschlußlage des Petitionsausschusses eindeutig: Das ist eine Angelegenheit des Landes. Infolgedessen soll die Petition überwiesen werden. Außerdem liegt bereits eine Vorlage, eine Petition des gleichen Petenten beim Landtag vor, die dort auch entschieden werden wird.
Man könnte ja jetzt Schluß machen. Trotzdem möchte ich, weil ich eben wie Herr Jung — wir sind sogar aus dem gleichen Wahlkreis — und wie Herr Reuter auch aus Hessen komme, zu diesen Petitionen doch einmal kurz Stellung nehmen.
Es ist doch eigentlich traurig, daß es hier jetzt darauf hinausläuft, daß es heißen soll: Müll oder Forschung. Wir haben uns mit dem Problem Grube Messel schon in den 70er Jahren herumgeschlagen. Dabei war gerade auch die FDP im Lande Hessen ganz maßgeblich daran beteiligt, hier einen Kompromiß zu finden, der nämlich lautet: Müll und Forschung. Die Idee dazu stammt sogar vom Gerichtshof in Kassel. Insoweit steht auch immer noch die Genehmigung des Verwaltungsgerichtshofs in Kassel vom 19. Oktober 1984, mit der die Bedeutung der Grube Messel als Fossilienlagerstätte rechtlich gewürdigt wurde und dennoch die Genehmigung für eine Deponie erteilt wurde.
Das, womit wir uns jetzt herumschlagen, ist ein Fehler, der in Planfeststellungsverfahren gemacht worden ist und der heilbar ist. Wir müssen hier auch bedenken, daß im Vertrauen auf diesen Beschluß vom Zweckverband Abfallverwertung Südhessen bereits eine erhebliche Investition für die Grube Messel getätigt worden ist. Ich möchte hier nur einmal ganz am Rande anmerken: Wer erstattet diesem Zweckverband eigentlich diese 40 Millionen DM? Der Kompromiß für die Grube Messel hat gerade davon gelebt, daß wir davon ausgegangen sind, daß diese Grube erst mit dem Verfüllen von Schlacke und Bauschutt stabilisiert werden kann und daß der Zweckverband die Entwässerung finanziert, die den Paläontologen ja überhaupt erst das Arbeiten ermöglicht. Ich frage mich: Wer wird denn jetzt diese Sicherungsmaßnahmen, die da wahrscheinlich in Form von Betonwänden eingebracht werden müssen, und wer wird die Entwässerung finanzieren? Das müssen die Paläontologen jetzt irgendwie selber organisieren. Ob die UNESCO, bei der wegen des Austritts der Amerikaner eh kein Geld mehr vorhanden ist, da Gelder à la Abu Simbel hineinstecken kann, ist problematisch. Insofern ist es also wirklich traurig, daß der Kompromiß, der für beide etwas gebracht hätte, der den hessischen Müllnotstand und die Wünsche der Paläontologen mit im Auge gehabt hat, jetzt zu zerbrechen droht.
Wenn ich mir dann die Alternative angucke, d. h. den Vorschlag, dort eine Hochdeponie aufzubringen, für die etwa 42 Hektar Wald abgeholzt werden sollen — und das in einem Ballungsraum wie dem Frankfurter —, dann frage ich mich nur: Ist dieser Vorschlag, Grünes zu opfern, überhaupt vertretbar? Sinnigerweise stammt dieser Vorschlag von den GRÜNEN. Dazu erübrigt sich jeder Kommentar.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Frau Vennegerts [GRÜNE]: Sehr realistisch ist das!)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1105542900
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Zumkley.

Peter Zumkley (SPD):
Rede ID: ID1105543000
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zur Aussprache steht heute auch ein uns lange bekanntes Thema: der Haar- und Barterlaß der Bundeswehr. Zwar bin ich der Auffassung, daß dieses Thema im Vergleich zu anderen Fragen, die die Streitkräfte betreffen, zur Zeit nicht gar einen so hohen Stellenwert hat,

(Zuruf der Abg. Frau Nickels [GRÜNE]: Sie haben kein Problem damit!)

aber, Frau Kollegin Nickels, es ist selbstverständlich das gute Recht einer Fraktion, diese Frage im Plenum aus Anlaß einer Petition zu behandeln.
Die Regelung für Haar- und Barttracht besteht in dieser Form seit 1972, nachdem man über die Vorgänger-Regelung bei uns im Lande, aber auch darüber



Zumkley
hinaus heftig diskutiert hatte. Damals gab es keine Beschränkungen der individuellen Vorstellungen in Sachen Haare und Bärte. Ergebnis dieser Diskussion, die von Spöttern gelegentlich mit dem Stichwort „German Hairforce" überschrieben worden war,

(Heiterkeit)

war der jetzige Erlaß. Im übrigen, Frau Kollegin Nikkels, hatte sich auch das Haarnetz damals nicht bewährt, auf das Sie in Ihrem Antrag zu sprechen kommen.

(Frau Nickels [GRÜNE]: Wieso denn nicht?)

Heute kann man feststellen, daß sich die geltende Regelung im allgemeinen in der Truppe bewährt hat. Auch Gerichte, die angerufen worden waren, haben bestätigt, daß diese Regelung dienstlichen Zwecken dient, die Menschenwürde nicht beeinträchtigt, nicht gegen das Grundrecht der freien Entfaltung der Persönlichkeit verstößt, nicht gegen das Gebot der Verhältnismäßigkeit verstößt und nicht unzulässig in das Grundrecht auf körperlicher Unversehrtheit eingreift.
Aber auf das nicht einfach wegzuwischende Argument der Hygiene muß in diesem Zusammenhang gerade und insbesondere bei lang andauernden Übungen hingewiesen werden.

(Zurufe von den GRÜNEN)

— Es herrscht wieder Unruhe im Saal. — Die jetzige Handhabung ist für jeden Soldaten zumutbar, meine Damen und Herren, zumal auf übertriebene Anforderungen verzichtet wurde. Wir sehen heute keinen Anlaß, die zur Zeit gültige Regelung aufheben zu lassen, und sehen damit die Petition als erledigt an.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1105543100
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Kossendey.

(Frau Hämmerle [SPD]: Ein Bartträger! — Dr. Penner [SPD]: Der ist befangen!)


Thomas Kossendey (CDU):
Rede ID: ID1105543200
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Als Bartträger bin ich in diesem Fall nicht befangen, sondern vielleicht in besonderer Weise prädestiniert, etwas dazu zu sagen, zumal ich auch Soldat war.
Die Entscheidung über die vorliegende Petition ist uns im Ausschuß relativ leicht gefallen. Zum einen war der Sachverhalt relativ klar, zum anderen aber war die Art und Weise, in der der Petent sein Anliegen vorgetragen hat, nicht dazu angetan, uns die Entscheidungsfindung zu erschweren.
Ich will Ihnen vielleicht mit einigen Zitaten deutlich machen, worum es dem Petenten geht. Er hat auf die Stellungnahme des Bundesverteidigungsministers, der auf Hygiene und Unfallschutz hingewiesen hatte, folgendes an den Petitionsausschuß geschrieben:

(Frau Nickels [GRÜNE]: Zitieren Sie mal den Verteidigungsminister!)

Was die unwahre Darstellung des Verteidigungsministers von wegen Hygiene anbelangt, so wird
hier mit vornehm unterkühltem Ton gesagt, daß
alle Soldaten mit Ausnahme der Reservisten und der weiblichen Soldaten eine Horde von Drecksäuen sind, bei denen man offenbar wie bei kleinen dummen Jungen darauf achten muß, daß sie sich nicht etwa Läuse zuziehen. ... Es wäre durchaus nicht zuviel verlangt, wenn jeder Soldat in seiner persönlichen Ausrüstung etwa ein Läusepulver hätte.... Was die Unfallsicherheit anbelangt, glaubt die Hardthöhe wohl, Soldaten seien zu blöde, unfallfrei mit Messer und Gabel zu essen.
So weit der Originalton der Petition.
Unbeschadet der verletzenden und diffamierenden Äußerungen dieses Herrn haben wir uns im Ausschuß mit dem Problem auseinandergesetzt.

(Frau Unruh [GRÜNE]: Das ist doch menschlich!)

Wir haben auch diesen Haar- und Barterlaß in Länge und Breite diskutiert. Wir haben ihn für korrekt angesehen, insbesondere was die Zweckmäßigkeit angeht.
Nun gibt es in unserem Land ja sicher viel zu viele Dinge, die bürokratisch geregelt sind. Es soll sogar Beamte geben, die nachts im Bett senkrecht hochschrecken, wenn ihnen ein Lebenssachverhalt einfällt, der noch nicht bürokratisch geregelt ist. Ich glaube, dieser Erlaß zählt nicht zu dieser Spezies. Er ist vielmehr sehr sinnvoll, etwa aus hygienischen Fürsorgegesichtspunkten.

(Frau Nickels [GRÜNE]: Was soll das denn?)

Aber auch aus militärischen Zweckmäßigkeiten ist es angebracht, den Soldaten einen Anhaltspunkt dafür zu geben, wie Frisur und Barttracht auszusehen haben. Keine Berufsgenossenschaft würde heute zulassen, daß in solch technologisierten Betrieben Menschen arbeiten, die nicht besondere Schutzvorrichtungen um ihre Haare haben. Ausdrücklich, meine ich, läßt der Erlaß dem individuellen modischen Wunsch der Soldaten genügend Freiheit. Der Erlaß hat meines Erachtens ein ausgewogenes Verhältnis zwischen den Bedürfnissen der Truppe und dem individuellen modischen Bewußtsein geschaffen. Er ist sozusagen der goldene Mittelweg zwischen Yul Brunner und Udo Lindenberg.

(Ah-Rufe bei den GRÜNEN)

Im übrigen hat sich das Bundesverfassungsgericht ziemlich ausführlich mit diesem Erlaß befaßt und ihn für rechtmäßig angesehen.
Ich will noch etwas zu Ihrer Stellungnahme zu dieser Petition sagen, Frau Nickels. Sie haben uns im Petitionsausschuß geschrieben, daß dieser Petent ein besonders kritischer und sensibler junger Mann ist, der mit der Bundeswehr besondere Probleme habe. Ich halte diesen Petenten weder für besonders kritisch noch für besonders sensibel.

(Dr. Penner [SPD]: Hat der einen Bart? — Frau Hämmerle [SPD]: Ja, er hatte einen!)

Denn so wie er in den eingangs zitierten Bemerkungen mit der Bundeswehr, mit den Rechten anderer
Soldaten umgeht, glaube ich, ist er weder besonders



Kossendey
sensibel noch besonders kritisch. Er ist möglicherweise Schlichtweg egoistisch.
Ich meine, wir sollten diesem Petenten darüber hinaus auch deutlich sagen, daß niemand, der sich an den Petitionsausschuß wendet, damit gleichzeitig das Recht gebucht hat, andere in ihren Rechten zu verletzen. Aus dem Grunde bitte ich Sie, daß wir den Antrag der GRÜNEN ablehnen und uns dem Entscheid des Petitionsausschusses anschließen.
Schönen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1105543300
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung, und zwar zuerst über den Änderungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/1700. Wer diesem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Antrag ist abgelehnt.
Wer der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses auf Drucksache 11/1494 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Die Beschlußempfehlung ist angenommen.
Wir kommen zur Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/1701. Wer diesem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Antrag ist abgelehnt.
Wer der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses auf Drucksache 11/1497 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Die Beschlußempfehlung ist angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 16 auf:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Innenausschusses (4. Ausschuß) zu
der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Entwurf einer Richtlinie des Rates über die gleichzeitige Durchführung der allgemeinen Volkszählungen
— Drucksachen 11/138 Nr. 3.3, 11/988 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Wartenberg (Berlin) Frau Schmidt-Bott
Dr. Blens
Dr. Hirsch
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die Beratung 30 Minuten vorgesehen. — Ich sehe, daß das Haus damit einverstanden ist. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Blens.

Dr. Heribert Blens (CDU):
Rede ID: ID1105543400
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich habe einige Probleme damit, wie ich zu diesem Punkt die Redezeit ausfüllen soll. Denn an sich braucht man zu diesem Punkt überhaupt nichts zu sagen.

(Zurufe von den GRÜNEN)

— Ich rede ja auch kürzer. Es sind so viele Leute hier
— das ist man nicht gewöhnt — , das muß man doch ausnutzen.
Ich will Ihnen nur sagen, worum es geht: Die Europäische Gemeinschaft will 1991 in der ganzen Gemeinschaft eine Volkszählung durchführen, was wir schon gemacht haben. Sie braucht das aus denselben Gründen wie wir, nämlich um rationale Politik zu machen. Wir stimmen dem zu. Das heißt aber nicht, daß auch wir wieder eine Volkszählung machen, sondern wir nehmen die Daten aus unserer Volkszählung von 1987 und füllen damit die Fragebögen für die EG aus. Das ist alles, worum es heute geht, und damit wäre an sich mein Redebeitrag schon beendet, denn wir stimmen dem zu.
Jetzt habe ich mir überlegt: Warum bestehen die GRÜNEN darauf, daß hier zu diesem Punkt 30 Minuten lang geredet wird? Da ich über hellseherische Fähigkeiten verfüge, gehe ich davon aus, daß Sie diesen Punkt — er ist zwar ungeeignet, aber trotzdem — als Aufhänger benutzen wollen, um hier über die Frage zu diskutieren, wieso und warum in APIS, in der Datei des BKA, sogenannte Volkszählungsgegner gespeichert werden. Da mir das mein hellseherischer Sinn sagt, lassen Sie mich dazu einige Punkte sagen.

(Zuruf der Abg. Frau Schmidt-Bott [GRÜNE])

— Sie kommen nachher dran, Frau Schmidt-Bott. — Es hat schon in allen Zeitungen gestanden, aber ich sage es noch einmal: Das Bundeskriminalamt selbst hat keinerlei Speicherungen im Zusammenhang mit der Volkszählung vorgenommen. Zweiter Punkt: In APIS ist niemand nur deshalb gespeichert, weil er Gegner der Volkszählung ist. Es ist niemand wegen seiner Gesinnung dort eingespeichert worden. Es sind dort nur Leute gespeichert worden, die im Zusammenhang mit der Volkszählung Straftaten begangen haben.

(Frau Schmidt-Bott [GRÜNE]: Schnibbeln!)

— Nein, das Schnibbeln ist nicht das Entscheidende.
— Dort sind Leute gespeichert worden, die Volkszähler zusammengeschlagen haben, die Büros in Brand gesetzt haben, die Hausfriedensbruch begangen haben usw., und zwar auch nur dann, wenn ein extremistischer Hintergrund erkennbar war und das Ziel, den Staat und seine Organe anzugreifen, wie das in der Errichtungsanordnung für diese Datei APIS auch vorgesehen ist.
Ich halte es für berechtigt, daß so verfahren worden ist. Ich habe allerdings Bedenken, ob in allen Ländern
— nur die Länder haben in diese Datei eingestellt — der gleiche Maßstab angewandt worden ist. Wenn ich z. B. lese und höre, daß in Hamburg mit einer Bevölkerung von zwei Millionen Einwohnern über 80 Leute in die Datei eingestellt worden sind und daß in Bayern mit der dreifachen Bevölkerung, nämlich sechs Millionen Einwohnern, die gleiche Zahl von Leuten eingestellt worden ist, dann kann ich mir das nur so erklä-



Dr. Blens
ren, daß entweder in Bayern dreimal so viele staatstreue Leute wie in Hamburg wohnen oder — das ist die andere Erklärung — Bayern im Gegensatz zu Hamburg der Hort der Liberalität ist. Jedenfalls, für mich ist wahrscheinlicher, daß hier die Maßstäbe unterschiedlich interpretiert und angewendet worden sind.
Ich meine, darüber werden wir nachdenken, und zwar im Zusammenhang mit dem 9. Tätigkeitsbericht des Datenschutzbeauftragten. Ich nehme an, daß wir in absehbarer Zeit zu vernünftigen Ergebnissen kommen.
Es bedurfte nicht Ihres Versuchs, diesen ungeeigneten Punkt als Aufhänger zu nehmen, um dieses Thema in die Öffentlichkeit zu bringen. Wir hätten es ohnedies gelöst, und wir werden es in absehbarer Zeit vernünftig lösen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1105543500
Das Wort hat Frau Abgeordnete Hämmerle.

(Dr. Penner [SPD]: Jetzt geht es aber zur Sache!)


Gerlinde Hämmerle (SPD):
Rede ID: ID1105543600
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lieber Kollege Dr. Blens, ich weiß, daß Sie jetzt fortgehen müssen und mir nicht zuhören können. Aber einen Satz nehmen Sie bitte mit auf den Weg: So lustig wie Sie finde ich dieses Thema eigentlich nicht. Ich muß Ihnen das schon sagen.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

In einem gebe ich Ihnen recht: Wenn es um nichts anderes gegangen wäre, als hier und heute über die EG-Richtlinie zu sprechen, wäre auch meine Rede sofort beendet; denn ich hätte erklärt, daß die SPD-Fraktion im Innenausschuß dieser Richtlinie des Rates über die gemeinsame Durchführung von Volkszählungen zugestimmt hat.
Dabei bleibt es natürlich auch heute, obwohl — und dazu muß ich Ihnen jetzt sagen: das ist sehr wohl ein Punkt, über den sich der Deutsche Bundestag heute einmal unterhalten kann — in der jüngsten Vergangenheit Ereignisse bekannt geworden sind, die dazu beitragen, das so häufig und so kontrovers diskutierte Thema Volkszählung erneut in das kritische Bewußtsein der Menschen zu rücken.
Diese Ereignisse — da haben Sie recht — wurden durch die Berichte der Datenschutzbeauftragten in den Ländern und beim Bund aufgedeckt. Die Datenschutzbeauftragten — ich sage das in aller Deutlichkeit — haben in anerkennenswerter Weise und in Erfüllung ihrer Aufgabe auf Mißstände und auch auf skandalöse Vorkommnisse bei der Speicherung von Daten hingewiesen.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN — Dr. Penner [SPD]: Hört! Hört!)

Zunächst aber zu dieser Vorlage: Die EG-Kommission muß zur Erfüllung der ihr nach dem EG-Vertrag obliegenden Aufgaben, vor allem für ihre Sozial- und Regionalpolitik, über hinreichend zuverlässige, untergliederte und vergleichbare statistische Angaben verfügen. Es handelt sich hierbei um Angaben über Bevölkerung, private Haushalte, Beschäftigung usw.
Ich rufe in Erinnerung, daß die SPD in diesem Haus nach langer gründlicher und auch kontroverser Diskussion der Volkszählung in der Bundesrepublik Deutschland zugestimmt hat. Also ist es nur konsequent, daß wir heute dieser EG-Richtlinie zustimmen. Hält man nämlich den Grundsatz für richtig, die Bundesrepublik brauche Daten für eine erfolgreiche Planung wichtiger politischer Bereiche, so kann man dies für die Europäische Gemeinschaft logischerweise nicht verneinen.
Nicht gefolgt sind wir allerdings genauso wie Sie, Herr Dr. Blens, der Maßgabe in der Richtlinie, daß die Mitgliedsländer zwischen dem 1. März und dem 31. Mai 1991 eine gemeinsame allgemeine Volkszählung durchführen sollen. Wir halten es für völlig selbstverständlich, daß die Bundesrepublik Deutschland nach einer Zählung im Jahr 1987 nicht bereits 1991 eine erneute Zählung durchführen wird. Zur Erfüllung dieser EG-Richtlinie können die fortgeschriebenen Daten aus der Volkszählung 1987 zur Verfügung gestellt werden.

(Dr. Penner [SPD]: Sehr richtig!)

Aber nun doch noch einige Minuten zu den Ereignissen, die in den letzten Tagen bekannt geworden sind und bei denen es — wir wissen es — um die Speicherung von Volkszählungsgegnern geht.
Die Volkszählung, deren Durchführung den Ländern oblag, ist fast abgeschlossen. Sie ist besser und erfolgreicher beendet worden, als mancher angenommen hat und als manche es sich gewünscht haben. Dennoch ist die Diskussion neu entflammt. Aber — das ist das Phänomen — die Diskussion ist nicht über die Volkszählungsdaten und -ergebnisse entflammt, denn diese sind tatsächlich entgegen der Voraussagen der Volkszählungsgegner nur statistisch interessant. Dafür werden jetzt — das ist der zentrale Punkt der Diskussion in der Öffentlichkeit — umfassende Dateien über Volkszählungsboykotteure angelegt. Das heißt, nicht die Volkszählung selbst, sondern der Widerstand gegen sie führt zu schweren datenschutzrechtlichen Problemen.
Die Tatsachen, die durch die Berichte der Datenschutzbeauftragten ans Tageslicht gekommen sind, sind — Herr Dr. Blens, ich sage das mit Nachdruck — in weiten Bereichen ein Skandal. So berichtet z. B. die Datenschutzbeauftragte des Landes Baden-Württemberg Ruth Leuze in ihrem Tätigkeitsbericht vom Dezember letzten Jahres von Personen, die wegen Ordnungswidrigkeiten — ich sage, man könnte auch sagen: wegen Nichtigkeiten — in der Staatsschutzdatei APIS gespeichert wurden. Sie hatten nämlich — es stimmt eben nicht, was Sie sagten, Herr Kollege — Kennummern von leeren Volkszählungsbögen abgeschnitten oder dazu aufgefordert, andere hatten an Veranstaltungen oder Informationsständen teilgenommen — man bedenke mal, was das für ein Verbrechen ist —, oder sie sind als Referenten dort auf getreten. Wieder andere haben Plakate abgerissen oder Plakate überklebt. Dieses, so Ruth Leuze, ist ein Vorgang an Datenspeicherungen, die das Maß des Zulässigen bei weitem überschreiten.



Frau Hämmerle
Damit kein Irrtum entsteht, sage ich ganz deutlich: Die SPD hat Boykottaufrufe, Gewalt gegen Personen und Sachen, kurz die Mißachtung des rechtmäßigen Volkszählungsgesetzes, stets verurteilt. Rechtmäßige und rechtsstaatliche Gesetze sind die Grundlage unseres Zusammenlebens und die Basis eines demokratischen Staates. Weil dies so ist und weil dies für uns unumstößlich ist, kann es auch nicht mißgedeutet werden, wenn ich sage, daß bei der Speicherung von Volkszählungsgegnern in APIS und den Dateien der Länder der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit der Mittel in eklatanter Weise verlassen wurde.

(Beifall bei der SPD und der Abg. Frau Unruh [GRÜNE])

Ein Rechtsstaat muß sich um seiner Glaubwürdigkeit willen selbst so verhalten, daß an seiner Rechtmäßigkeit und an der Rechtmäßigkeit seines Handelns keinerlei Zweifel bestehen können. APIS ist aber eine Staatsschutzdatei, die insbesondere den sogenannten klassischen Staatsschutzdelikten wie Spionage, Straftaten gegen Verfassungsorgane oder Terrorismus vorbehalten ist. Dagegen wende ich mich auch nicht. Ich wende mich auch nicht dagegen, daß Überfälle auf Volkszähler, Brandstiftungen und Anschläge auf Statistische Landesämter erfaßt werden. Das ist völlig in Ordnung. Wenn aber Ordnungswidrigkeiten wie das Abschneiden der Kodierung auf einem Volkszählungsbogen und ähnliche Delikte zur Speicherung in einer Datei für Staatsfeinde führen und einen Sprecher des Landes Baden-Württemberg zu der Äußerung veranlassen, jeder Terrorist habe einmal klein angefangen,

(Dr. Penner [SPD]: Er ist mal geboren worden!)

dann ist zweierlei geboten: erstens eine genaue Überprüfung der Überreaktion der zuständigen Stellen und zweitens eine gründliche Diskussion über das System von APIS. Die SPD-Fraktion wird diese Diskussion in der nächsten Zeit führen.

(Dr. Hirsch [FDP]: Warum denn heute abend?)

Es ist nicht unsere Aufgabe, hier im Deutschen Bundestag die Datenschutzberichte der Länder zu diskutieren — dies werden die Landtage tun —, es ist aber sehr wohl unsere Aufgabe — deswegen dieser Beitrag heute abend, Herr Kollege Dr. Hirsch — , als Gesetzgeber, der für das Volkszählungsgesetz an sich verantwortlich ist, deutlich zu machen, daß wir Verstöße gegen den Datenschutz, gleichgültig, in welchem Bundesland sie vorgekommen sind, nicht billigen können.
Das Mißtrauen gegen unseren Staat ist nicht durch das Volkszählungsgesetz als solches, sondern durch die Speicherungspraktiken geschaffen worden. Tun wir alles dafür, daß der Verlust an Glaubwürdigkeit noch abgefangen werden kann!

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN — Dr. Penner [SPD]: Das war sehr gut!)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1105543700
Das Wort hat die Frau Abgeordnete Schmidt-Bott.

Regula Schmidt-Bott (GRÜNE):
Rede ID: ID1105543800
Herr Dr. Blens, daß Ihnen nichts eingefallen ist und daß Ihr Beitrag im wesentlichen eine Wiederholung dessen war, was wir schon gestern im Ausschuß von Ihnen gehört haben, entschärft nicht, daß Sie diese Speicherung so wenig ernst nehmen. Wenn es tatsächlich nur um die EG-Richtlinie ginge, hätte auch ich keine Lust mehr gehabt, hier das zu wiederholen, was wir an kontroversen Diskussionen über Sinn und Zweck der Volkszählung geführt haben, weil da wirklich nur noch ausgetauscht würde und wir alle uns wiederholen würden.
Deshalb will ich jetzt auch zu dieser EG-Richtlinie gar nichts weiter sagen, als daß es zu erwarten war und sicher auch bekannt ist, daß wir es natürlich ablehnen, eine Volkszählung EG-weit in allen Ländern zu machen, wenn wir sie hier sehr kritisch beurteilt haben und zum Boykott aufgerufen haben. Wir hoffen eigentlich, daß es aufgrund der Erfahrungen hier in der Bundesrepublik — das Ergebnis schätze ich da doch nach wie vor anders ein als Sie, Frau Hämmerle, und ich wundere mich, wie gläubig Sie den offiziellen Angaben folgen — und der früher schon in Holland gemachten Erfahrungen einen entsprechend breiten Widerstand gegen die vorgesehenen Volkszählungen auch EG-weit geben wird.
In der Bundesrepublik ist bisher nur vom Saarland bekannt, daß Boykotteure nicht gespeichert werden. Frau Hämmerle, ich möchte Ihre Erwartung nicht ganz enttäuschen und speziell Hamburg erwähnen, ein Land, in dem die SPD zwar nicht mehr allein regiert, aber doch immer noch mit an der Regierung ist. Auch dort wird kräftig nach den gleichen Maßstäben, wie Sie sie aus Baden-Württemberg berichtet haben, gespeichert, übrigens auch entgegen einer ganz offiziellen Absprache mit dem Datenschutzbeauftragten, der hier wieder einmal — wie so oft auch in den anderen Bundesländern und im Bund geschehen — wirklich übers Ohr gehauen worden ist. Es war ausdrücklich zugesagt worden, keinerlei Speicherung vorzunehmen. Jetzt haben wir sie. Da kann ich nur wiederholen und auch noch einmal an den vorherigen Tagesordnungspunkt „AIDS-Speicherung" erinnern: Woher nehmen Sie alle eigentlich noch das Vertrauen, den offiziellen Angaben so blauäugig zu glauben?

(Beifall bei den GRÜNEN — Beckmann [FDP]: Könnten Sie einmal zum Thema sprechen? — Dr. Penner [SPD]: Sagen Sie einmal etwas Freundliches über Nordrhein-Westfalen!)

Bundesweit gibt es seit letztem Jahr ca. 650 neue Terroristen; so jedenfalls die Angaben von offizieller Seite. Ich vermute, daß es noch mehr sind bzw. werden — dank der vor zwei Jahren neu eingerichteten Datei APIS, in der laut Innenministern von Bund und Ländern die Speicherung nur von Personen vorgesehen ist, die des Hochverrats, des Landesverrats, der Agenten- oder Sabotagetätigkeit, der Bildung einer terroristischen Vereinigung oder anderer Straftaten mit staatsfeindlicher Zielsetzung verdächtigt oder überführt sind. Die staatsfeindliche Zielsetzung muß in jedem Einzelfall konkret belegt sein. Da dies in der Regel nicht zu belegen ist, wird dann eben aus Baden-



Frau Schmidt-Bott
Württemberg argumentiert, alle Terroristen hätten mit Kleinigkeiten angefangen.

(Dr. Penner [SPD]: Sie sind einmal geboren worden!)

Leute, die Autos klauen, haben in der Regel auch einmal falsch geparkt. Falsch geparkt habe ich auch schon. Demnach muß ich auch irgendwann einmal ein Auto klauen.

(Dr. Penner [SPD]; Also, Frau Schmidt-Bott, keine Selbstbezichtigungen!)

Da es mit dieser Beweisführung so kompliziert ist, ist es dann auch überhaupt nicht überraschend, wenn — wiederum aus Baden-Württemberg — berichtet wird, daß die Polizei es gelegentlich sogar für meldenswert hielt, wenn auf einer Veranstaltung nicht zum Boykott aufgerufen wurde.

(Frau Flinner [GRÜNE]: Das ist ein Musterländle!)

Da faßt man sich nun wirklich an den Kopf! Die Delikte waren — Herr Dr. Blens, lesen Sie es im Zweifel besser noch einmal nach; das Material liegt ja vor — : Nummern herausschneiden, Demos mit leeren Bögen u. ä. Das wurde dann auch unter dem Vermerk „Extremismus links" erfaßt. Das bedarf keiner weiteren Kommentierung.
Der Datenschutzbeauftragte Baumann hat schon im 9. Tätigkeitsbericht bemängelt, daß Kleinkriminalität, z. B. wildes Plakatieren, nicht in diesen APIS-Speicher gehört, und sieht auch jetzt die derzeitige Speicherung nicht als gerechtfertigt an.
Wenn man sich die Hysterie auf staatlicher Seite ansieht, dann muß ich eigentlich fragen, warum Herr Springermann, — Herr Spranger und Herr Zimmermann

(Heiterkeit)

— ein schönes neues Kürzel — eigentlich nicht längst den Notstand ausgerufen haben.

(Beifall bei den GRÜNEN)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1105543900
Als letzter hat das Wort Herr Abgeordneter Dr. Hirsch.

Dr. Burkhard Hirsch (FDP):
Rede ID: ID1105544000
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Dies ist wirklich eine der merkwürdigsten Debatten, die ich hier bisher erlebt habe. Alle Redner reden nicht zum Thema, und sie betonen das auch noch. Der Ausgangspunkt, der auf der Tagesordnung steht, ist eine Richtlinie der Europäischen Gemeinschaft, die uns erlaubt, keine Volkszählung zu machen und statt dessen die Daten zu verwenden, die in der allgemeinen Statistik enthalten oder in der letzten Volkszählung gesammelt worden sind. Ich war baß erstaunt, als ich hörte: Es gibt eine kontroverse Abstimmung, die GRÜNEN wollten dieser segensreichen Entscheidung nicht zustimmen. — Da kann ich nur sagen: Wir stimmen der Beschlußempfehlung des Innenausschusses, daß die Richtlinie vernünftig ist, zu. — Damit ist die Debatte im Grunde genommen beendet.
Nun hat der Kollege Blens in seiner unermüdlichen Vorsorge das Wort APIS eingeführt, was nicht nur Allgemeines polizeiliches Informationssystem heißt, sondern, wie ich gelernt habe, auch noch Biene. Manche Menschen, die sich damit beschäftigt haben, haben offenbar den Eindruck, daß sie, um APIS gerecht zu werden, nun bienenfleißig sammeln müßten. Dies ist nicht der Fall. Wir sind der Meinung, daß sich dieses Informationssystem insbesondere auf die Sammlung von Informationen über Menschen bezieht, die bereits Straftaten von erheblicher krimineller Bedeutung, die in der Errichtungsanordnung aufgezählt sind, begangen haben. Das betrifft Hochverrat, § 129 a StGB, also Taten mit terroristischem Einschlag und was immer.
Da es — gottlob — keine 29 000 Menschen gibt, die eine solche Straftat begangen haben, haben wir den Eindruck, daß es etwas zuviel geworden ist, wenn tatsächlich 29 000 Menschen, wie ich gelernt habe, in dieser Datei enthalten sind, weil es so viele dieser Art nicht gibt und nicht geben wird. Darum: Wer so viel einstellt, dient nicht der inneren Sicherheit, sondern behindert dieselbe,

(Dr. Penner [SPD]: Jetzt sind wir sogar bei der inneren Sicherheit!)

weil zu viele Daten, die zu dem Sammlungszweck nichts aussagen, nur verwirren. Allzu große Nähe zum Detail erschwert den Überblick, wie wir aus vielen Debatten hier bereits gelernt haben.

(Dr. Penner [SPD]: Herr Hirsch, sagen Sie auch einmal etwas zur Vermummung! — Heiterkeit)

Also brauchen wir zu diesem Thema heute nicht weiter zu sprechen.
Es bleibt dabei, daß APIS interessant ist, heute nicht auf der Tagesordnung steht und daß wir der Beschlußempfehlung des Innenausschusses ohne jede Einschränkung zustimmen.

(Beifall bei der FDP)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1105544100
Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Innenausschusses. Wer dieser zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Die Beschlußempfehlung des Innenausschusses ist gegen eine Stimme aus den Reihen der GRÜNEN angenommen.
Damit sind wir am Schluß unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, 22. Januar 1988, 9 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.