Gesamtes Protokol
Ich eröffne die Sitzung. Ich rufe Punkt 1 der Tagesordnung auf:
Fragestunde
— Drucksache 11/1109 —
Ich rufe zuerst den Geschäftsbereich des Bundesministers für innerdeutsche Beziehungen auf. Der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Hennig steht uns zur Beantwortung der Fragen zur Verfügung.
Ich rufe Frage 1 des Abgeordneten von Schmude auf:
Wie bewertet die Bundesregierung die Tatsache, daß die Regierung der DDR von Januar bis September 1987 lediglich 7 524 Antragstellern die Übersiedlung in die Bundesrepublik Deutschland gestattete und damit die Vorjahreszahl von 20 000 Übersiedlern in 1987 kaum noch erreicht werden dürfte?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Herr Kollege von Schmude, die Haltung der Bundesregierung zu den fundamentalen Menschenrechten ist so klar, daß ich sie nicht im einzelnen nachzuzeichnen brauche. Dies gilt insbesondere für diesen empfindlichen Bereich. Hier bemühen wir uns. Nur hilft eine öffentliche Erörterung der Gründe für die in Ihrer Frage angesprochene Entwicklung in diesem Zeitpunkt nicht weiter. Ich bitte Sie, mit dieser relativ knappen Antwort im Interesse der Betroffenen einverstanden zu sein.
Zusatzfrage, Herr von Schmude.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Staatssekretär, schätzt die Bundesregierung die Situation so ein, daß die Anzahl der Anträge auf Übersiedlung in die Bundesrepublik etwa zurückgegangen ist?
Dr. Hennig, Parl. Staatssekretär: Nein, Herr Kollege von Schmude. Die Zahl der Anträge auf Übersiedlung ist nicht zurückgegangen. Eine Schätzzahl kann deswegen nicht genannt werden, da die uns bekannte Zahl im Hinblick auf die unbekannte Dunkelziffer keine Aussagekraft hat. Aber zurückgegangen ist die Zahl der Anträge offensichtlich nicht.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr von Schmude.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Besteht nach Auffassung der Bundesregierung möglicherweise ein Zusammenhang zwischen dem Rückgang der Übersiedlerzahlen und der Zahl derjenigen Besucher aus der DDR, die in der Bundesrepublik verbleiben?
Dr. Hennig, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege von Schmude, ich müßte jetzt inkonsequent in bezug auf meine Eingangsbemerkungen werden, wenn ich doch über die Gründe philosophieren würde. Aber ich will immerhin so weit gehen zu sagen, daß ich diesen Zusammenhang nicht ausschließen kann.
Ich rufe Frage 2 des Herrn Abgeordneten von Schmude auf:
Hat die Bundesregierung bereits Schritte unternommen, um eine Erhöhung der Übersiedlerzahlen zu erreichen, und ist die Bundesregierung für den Fall, daß diese Bemühungen erfolglos bleiben, gewillt, über die Reduzierung finanzieller Gegenleistungen nachzudenken?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Dr. Hennig, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege von Schmude, die Bundesregierung setzt sich nach wie vor für Übersiedlungswillige ein. Sie ist natürlich insbesondere darum bemüht, Härtefälle möglichst schnell zu lösen.
Zusatzfrage, Herr von Schmude.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Staatssekretär, beabsichtigt die Bundesregierung, mit der Regierung der DDR über diesen Komplex zu sprechen und notfalls auch Konsequenzen aus der jetzigen Situation zu ziehen?
Dr. Hennig, Parl. Staatssekretär: Selbstverständlich haben bereits Gespräche stattgefunden. Ich bitte nur um Verständnis dafür, daß mir eine Beantwortung dieser Frage im Interesse Übersiedlungswilliger derzeit nicht opportun erscheint.
Eine weitere Zusatzfrage? — Das ist nicht der Fall. Dann sind wir am Ende dieses Geschäftsbereichs. Ich danke dem Staatssekretär für die Beantwortung der Fragen.Ich brauche nicht den Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung aufzurufen, da der Kollege Müller um schriftliche
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2524 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 38. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. November 1987
Vizepräsident WestphalBeantwortung der von ihm eingereichten Fragen 3 und 4 gebeten hat. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt.Ich brauche ebenfalls nicht den Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern aufzurufen, weil der Kollege Böhm um schriftliche Beantwortung der von ihm eingereichten Fragen 5 und 6 gebeten hat. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt.Wir kommen jetzt zum Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen. Der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Voss steht zur Beantwortung der Fragen zur Verfügung.Ich rufe Frage 7 des Abgeordneten Kolbow auf:Wie beurteilt die Bundesregierung Berichte im Nachrichtenmagazin „DER SPIEGEL", wonach die bundeseigene Materialdepot-Beteiligungsgesellschaft mit dem Ziel tätig wird, militärische Einrichtungen, insbesondere der US-Streitkräfte, in der Bundesrepublik Deutschland unter Umgehung der gesetzlichen Anhörungsverfahren durchzusetzen, und welche logistisch nutzbaren Liegenschaften ist die MDBG beauftragt zu beschaffen?
Herr Kollege Kolbow, erlauben Sie, daß ich die beiden von Ihnen eingereichten Fragen wegen des Sachzusammenhangs zusammen beantworte?
Der Abgeordnete ist einverstanden. Ich rufe also auch Frage 8 des Abgeordneten Kolbow auf:
Welche hat bzw. soll sie als Depots für Materiallagerung instandsetzen sowie instandhalten, und welche Depots betreibt bzw. verwaltet sie?
Dr. Voss, Parl. Staatssekretär: Danke schön. — Die Bundesregierung unterstützt die Bestrebungen der USA, die Stationierungsstreitkräfte der Bundesrepublik Deutschland von bestimmten Verwaltungs- und Versorgungsaufgaben zu entlasten und diese Nebenaufgaben auf private Dienstleistungsunternehmen zu übertragen.
Die Materialdepot-Betriebsgesellschaft, eine Tochter der Industrieverwaltungsgesellschaft AG, an der die Bundesrepublik mehrheitlich beteiligt ist, erbringt solche Dienstleistungen. Sie lagert und unterhält in eigenen Depots für die US-Streitkräfte konventionelles Gerät und Ausrüstungsmaterial wie Bekleidung, Lebensmittel, Fahrzeuge und Ersatzteile. Die Lagerung von Munition jeder Art und Treibstoffen ist ausgeschlossen.
Bei der Beschaffung ihrer Betriebsgrundstücke unterliegt die Gesellschaft wie jedes andere private Unternehmen voll den gesetzlichen Bestimmungen und den Kontrollen der zuständigen deutschen Behörde. Die beschafften Liegenschaften gehen nicht wie bei Maßnahmen nach dem Landbeschaffungsgesetz in die hoheitliche Verfügungsgewalt der Streitkräfte über, sondern verbleiben in der Eigenverantwortlichkeit der Materialdepot-Betriebsgesellschaft.
Die Materialdepot-Betriebsgesellschaft wurde von den US-Streitkräften beauftragt, zunächst acht Depots zu errichten und zu betreiben. Bisher konnten drei Depots in Betrieb genommen werden, und zwar in Kitzingen, Bayern, Villmar und Biebesheim, beide Hessen. Drei weitere Depots in Babenhausen, Hessen,
Merkendorf, Bayern, und Buchen, Baden-Württemberg, sind im Aufbau. Wegen der beiden letzten Standorte steht die Materialdepot-Betriebsgesellschaft mit verschiedenen Grundstückseigentümern und den zuständigen Genehmigungsbehörden in Verhandlungen. Entscheidungen sind noch nicht gefallen.
Herr Kolbow, Zusatzfrage, bitte schön.
Herr Staatssekretär, wird diese Gesellschaft auf der Grundlage eines logistischen Gesamtkonzepts tätig, das mit den Amerikanern verabredet ist, und ist, wenn ja, das Bundesministerium der Finanzen informiert?
Dr. Voss, Parl. Staatssekretär: Ja, hier besteht natürlich ein Bedürfnis, daß diese Depots in gewisser Weise, wie Sie es nennen, logistisch betrieben und verteilt werden. Das wird natürlich bei den Arbeiten, die wir gemeinsam hier betreiben, beachtet.
Weitere Zusatzfrage.
Wie geht diese Firma mit etwaigen Bürgerprotesten um, und werden Proteste von Bürgern im Zusammenhang mit der Errichtung solcher Depots auch an das Bundesministerium der Finanzen zur Information weitergetragen?
Dr. Voss, Parl. Staatssekretär: Ja, das ist in der Regel der Fall, Herr Kollege. Wir sind bemüht, den Bürgerprotesten, soweit das möglich ist, auch entgegenzukommen. Aber hier muß natürlich die Sachlage geprüft werden, und hier müssen auch übergeordnete Interessen entsprechend berücksichtigt werden.
Bitte schön, Herr Kollege.
Wie beurteilen Sie — das hat mir in Ihrer Antwort noch gefehlt — den Bericht des „Spiegel", der auch eine Wertung über die Tätigkeit dieser Firma enthält?
Dr. Voss, Parl. Staatssekretär: Der Bericht des „Spiegel" geht nicht von ganz richtigen Tatsachen aus. Hier wird beispielsweise ein Urteil erwähnt, das gegen die Materialdepot-Betriebsgesellschaft ergangen sein soll. Aber es ist kein derartiges Urteil ergangen, sondern es ist ein Urteil gegen zwei Bürger ergangen, die hier geklagt hatten. Insofern ist der „Spiegel"-Bericht in wesentlichen Teilen nicht zutreffend, Herr Kollege.
Noch eine weitere Zusatzfrage, Herr Kolbow, bitte schön.
Wenn Sie mir bitte noch beantworten wollten, wie sich diese Gesellschaft finanziert?Dr. Voss, Parl. Staatssekretär: Das ist eine Gesellschaft, die sich bisher ganz in der Zuständigkeit des Bundes befand, die aber im Zusammenhang mit der IVG und der Privatisierung, die hier durchgeführt wird, auch für einen privaten Kreis, wenn Sie so wollen, zur Verfügung steht.
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 38. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. November 1987 2525
Zusatzfrage des Abgeordneten Stiegler.
Herr Staatssekretär, steht die Beschäftigung dieser Materialdepot-Betriebsgesellschaft im Zusammenhang mit dem Rocas-Plan der USA zur Privatisierung von Tätigkeiten, die bisher von deutschen Arbeitnehmern bei den Stationierungsstreitkräften erledigt werden, und inwieweit wird denn durch Ihr Haus sichergestellt, daß die Bestimmungen des NATO-Truppenstatuts und des Zusatzabkommens über die Beschäftigung von deutschen Arbeitnehmern, Local-National-Arbeitnehmern, eingehalten werden?
Dr. Voss, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich sehe hier keinen unmittelbaren Zusammenhang. Wie ich eben gesagt habe, hat die Materialdepot-Betriebsgesellschaft die Aufgabe, die US-Streitkräfte von bestimmten Verwaltungsaufgaben, die mit derartigen Errichtungen im Zusammenhang stehen, zu entlasten. Von daher besteht kein Zusammenhang zu dem, was Sie gerade ausgeführt haben.
Sie haben eine weitere Zusatzfrage, bitte schön.
Herr Staatssekretär, sind denn diese Arbeiten früher von den Stationierungsstreitkräften selber ausgeführt worden, insbesondere von deutschen Arbeitnehmern, und welche Folgen wird das auf die Beschäftigung in den Bereichen haben, in denen diese Arbeiten bisher durch die Truppe selbst erledigt worden sind?
Dr. Voss, Parl. Staatssekretär: Nach meiner Kenntnis ist es in der Vergangenheit so gewesen, daß sich die Streitkräfte selber mit diesen notwendigen behördlichen Arbeiten befaßt haben. Dieser Zustand aber war für sie nicht weiterhin wünschenswert oder erträglich, so daß sie darum gebeten haben, daß die Materialdepot-Betriebsgesellschaft diese Aufgaben übernimmt. Von daher kann nicht gesagt werden, daß eine Verschiebung in der Beschäftigung von deutschen Arbeitnehmern damit in Zusammenhang steht.
Nun können Sie gleich stehenbleiben, weil jetzt Ihre Frage, Herr Stiegler, die Frage 9, drankommt.
Aus welchen Einzelpositionen setzen sich die hei der Regionalförderung einzusparenden 1,6 Milliarden DM zusammen, und sind bei der Einsparungsrechnung, die die Streichung des Investitionszulagengesetzes erbringen soll, die im Rahmenplan der Gemeinschaftsaufgabe ausgewiesenen Soll-Zahlen oder die jahresdurchschnittlichen Ist-Zahlen zugrunde gelegt?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Dr. Voss, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Stiegler, durch die vorgesehene Aufhebung des Investitionszulagengesetzes werden 1,6 Milliarden DM an Einsparungen angestrebt, die sich aus den Einzelposten Regionalzulage, § 1 des Investitionszulagengesetzes, mit 850 Millionen DM, Forschungszulage, § 4 des Investitionszulagengesetzes, mit 550 Millionen DM und Zulage für energiesparende Investitionen, § 4 a des Investitionszulagengesetzes, mit 200 Millionen DM zusammensetzen. In die Einsparungsrechnung sind nicht die Zahlen des Rahmenplans der Gemeinschaftsaufgabe eingegangen. Bei den Zahlen des Rahmenplans handelt es sich um normativ festgelegte Planzahlen der Länder. Der so ermittelte Bedarf an Mitteln aus der regionalen Zulage liegt regelmäßig höher als die für Finanzplanungen geschätzten Steuermindereinnahmen.
Zusatzfrage, Herr Stiegler.
Herr Staatssekretär, wenn ich es recht sehe, ist bei der Regionalzulage im Durchschnitt der letzten Jahre ein Ist von etwa 695 Millionen DM zustandegekommen. Wenn ich es richtig verstanden habe, haben Sie fast 200 Millionen DM höhere Ansätze bei der Einsparung der Regionalzulage. Wie reimt sich das?
Dr. Voss, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, es gibt für diese Dinge eine Geschäftsstatistik, die auf der Grundlage der Ist-Ausgaben des letzten Jahres basiert. Auf Grund dieser Ist-Zahlen wird die Schätzung für das nächste Jahr vorgenommen.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, wie kommen Sie dann von den 695 Millionen DM im Wege der Schätzung aus dem Durchschnitt der vergangenen drei Jahre auf diesen Betrag, den Sie soeben genannt haben. Ich habe in Erinnerung: über 800 Millionen DM waren es jedenfalls bei der Regionalzulage.
Dr. Voss, Parl. Staatssekretär: Nein, beim Investitionszulagengesetz waren es 850 Millionen DM, bei der Forschungszulage waren es 550 Millionen DM und bei dem Investitionszulagengesetz § 4 a waren es 200 Millionen DM.
Darf ich eine weitere Zusatzfrage stellen, Herr Präsident?
Schwierig! Aber vielleicht kann Herr Voss das noch beantworten.
Dr. Voss, Parl. Staatssekretär: Ich bin gerne dazu bereit.
Mir geht es nur darum, einen Widerspruch aufzuklären: Ich habe in der letzten Fragestunde vom Wirtschaftsminister die Antwort bekommen: 695 Millionen DM im Durchschnitt der letzten drei Jahre regionale Investitionszulage, Steuerausfall. Sie kommen jetzt auf 850 Millionen DM. Diese Differenz hätte ich gerne geklärt. Sie können es vielleicht auch noch schriftlich nachreichen.Dr. Voss, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, es ist schon leicht zu erklären: Die Antwort, die Sie in der letzten Fragestunde bekommen haben, bezog sich auf den Durchschnitt der letzten drei Jahre. Wir aber gehen nach der Geschäftsstatistik nicht vom Durchschnitt der letzten drei Jahre, sondern vom letzten Jahr aus. Hier ist durchaus eine Erhöhung möglich, die diese höhere Zahl begründet.
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Aber Sie lassen es noch nachprüfen?
Dr. Voss, Parl. Staatssekretär: Ja, das werde ich gerne machen.
Für den Fall, daß ich Ihnen eine Zusatzfrage zuviel gestattet habe, bitte ich um Entschuldigung.
Wir kommen zur Frage 10 des Abgeordneten Stahl .
Sind der Bundesregierung konkrete Privatisierungsvorhaben der Leitung des Royal Airforce Flughafens in NiederkrüchtenElmpt in bezug auf den Abbau von Stellen für deutsche Zivilbeschäftigte bekannt, und um wieviel Stellen für Zivilbeschäftigte geht es bei diesen Planungen?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Dr. Voss, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Stahl, konkrete Privatisierungsvorhaben der Leitung des Royal-Air-Force-Flughafens in NiederkrüchtenElmpt sind der Bundesregierung bisher nicht bekannt.
Die Frage, ob und gegebenenfalls welche Versorgungsleistungen für die britischen Stationierungsstreitkräfte künftig an Privatfirmen vergeben werden sollen, ist Gegenstand eingehender Überlegungen. Diese Überlegungen erstrecken sich nach Auskunft des Hauptquartiers der Royal Air Force auch auf den Flugplatz Brüggen mit den Einrichtungen in Niederkrüchten-Elmpt. Nach den letzten Mitteilungen des britischen Hauptquartiers sind noch weitere Untersuchungen notwendig, so daß eine Entscheidung vorerst noch nicht zu erwarten ist. Es ist deshalb auch noch nicht bekannt, ob Stellen für Zivilbeschäftigte wegfallen werden.
Die Bundesgerierung steht in dieser Angelegenheit mit dem britischen Hauptquartier in ständigem Kontakt, um sich über die weitere Entwicklung zu unterrichten.
Zusatzfrage, Herr Stahl.
Herr Staatssekretär, nun sind die damaligen Gutachten ja von den Streitkräften ausgewertet worden. Es wird darüber gesprochen, daß die britische Seite sehr wohl schon genaue Zahlen und Vorstellungen hat, wie viele Arbeitsplätze dort wegfallen werden. Können Sie dazu etwas sagen?
Dr. Voss, Parl. Staatssekretär: Nach unseren Informationen ist das noch nicht so weit, Herr Kollege. Es werden natürlich Überlegungen angestellt, wie man im Wege der Privatisierung das eine oder andere günstiger gestalten könnte; aber das ist in dem konkreten Fall, den Sie in Ihrer Frage ansprechen, zur Zeit noch nicht entschieden und uns daher auch noch nicht bekannt. Aber wie ich Ihnen schon gesagt habe, stehen wir in ständigem Kontakt und versuchen, wie wir das auch in anderen Fällen getan haben, die Zahl derjenigen, die hier als deutsche Arbeitnehmer betroffen werden, möglichst gering zu halten.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Stahl.
Herr Staatssekretär, da Sie mit den britischen Streitkräften in einem dauernden Kontakt stehen und Ihnen die Entscheidungsprozesse der Streitkräfte wohl bekannt sind, möchte ich Sie fragen, wann nach Ihrem Kenntnisstand, den Sie nach den letzten Gesprächen hatten, damit zu rechnen ist, daß die Zahl der zu Entlassenden bekanntgegeben wird.
Dr. Voss, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Stahl, zuerst müssen die britischen Streitkräfte natürlich ihr Konzept entwickeln.
-- Das Gutachten liegt vor, aber daraus werden Schlußfolgerungen gezogen. Das Gutachten ist mehr theoretisch und muß ins Praktische umgesetzt werden. Und diese Umsetzung ist noch nicht erfolgt. Erst wenn diese Umsetzung erfolgt ist, werden wir davon informiert und können dann unsere Gegenvorstellungen, unsere Gegenvorschläge machen, um zu Ergebnissen zu kommen, die für unsere Interessen und für unsere Seite günstiger sind, als sie in dieser Situation vielleicht von den britischen Streitkräften vorgeschlagen werden.
Eine Zusatzfrage, Herr Stiegler, bitte.
Herr Staatssekretär, wird mit den britischen Streitkräften auch der Rahmen erörtert, innerhalb dessen Privatisierungsvorhaben überhaupt verfolgt werden können, und wird ausgelotet, welche völkerrechtliche Grundlage das NATO-Truppenstatut und das Zusatzabkommen abgeben, die unter bestimmten Voraussetzungen die Beschäftigung von Ortskräften vorschreiben?
Dr. Voss, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, Sie können sicher sein, daß alle Aspekte, die es in diesem Zusammenhang gibt, von uns beachtet werden und daß insbesondere Einwirkungsmöglichkeiten zu unseren Gunsten nicht unbeachtet bleiben.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Kolbow.
Vom Einzelfall, Herr Staatssekretär, einmal abgesehen, der hier angesprochen worden ist: Wie ist generell Ihr Informationsstand, was die Bestrebungen — im Vergleich zum aktuellen Vorhaben der US-Streitkräfte — bei den britischen Streitkräften zum Abbau von Dienststellen für Zivilbeschäftigte bei der Rheinarmee angeht?
Der Zusammenhang ist herstellbar. Wenn Sie antworten wollen, können Sie das tun.Dr. Voss, Parl. Staatssekretär: Im Zusammenhang mit den Haushaltseinsparungen bei den USA, die wir immer gefordert haben, werden wir natürlich in diesem Bereich Dinge erleben, die wir nicht ganz positiv bewerten können. Das steht natürlich im Zusammenhang: Wenn Sie die britische Rheinarmee ansprechen, so sind hier — wenn auch nicht in dem Ausmaß wie in
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Parl. Staatssekretär Dr. Vossdem anderen genannten Fall — Einsparungsüberlegungen und Rationalisierungsmaßnahmen ständig im Gespräch. Wir sehen unsere Aufgabe darin, darauf hinzuwirken, daß das zumindest nicht übermäßig zu Lasten der deutschen Beschäftigten geht. Ich meine, wenn Sie auch die Vergangenheit einmal kritisch beleuchten, müssen Sie zugeben, daß wir hier das Erreichbare auch erreicht haben.
Ich rufe die Frage 11 des Abgeordneten Stahl auf:
Was wird die Bundesregierung unternehmen, um zu erreichen, daß der bisherige Stand der deutschen Zivilbeschäftigten auch am oben genannten Flughafen gehalten werden kann, und wie beurteilt die Bundesregierung die Tatsache, daß bei Neueinstellungen — bis auf wenige notwendige Fachleute — nur noch Familienangehörige von Mitgliedern der Streitkräfte eingestellt werden?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Dr. Voss, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Stahl, die Bundesregierung steht wegen der Beschäftigung von Familienangehörigen von Mitgliedern der Truppe durch die britischen Stationierungsstreitkräfte in ständigem Kontakt mit den Hauptquartieren. Nach den ihr gegebenen Informationen hat sich das zahlenmäßige Verhältnis zwischen den mit Deutschen besetzten Arbeitsplätzen und den mit Familienangehörigen besetzten in den letzten Jahren praktisch nicht verändert. Die hohe Fluktuation bei den beschäftigten Familienangehörigen und die große Zahl von Teilzeitkräften unter ihnen mag allerdings dazu führen, daß zahlenmäßig mehr Familienangehörige eingestellt werden als deutsche Arbeitnehmer.
Zusatzfrage, Herr Stahl.
Herr Staatssekretär, nun erklärt der Kommandant dieses Flughafens ganz unmißverständlich, daß er bei Einstellungen den Familienmitgliedern von Angehörigen der Streitkräfte in jedem Falle den Vorrang einräumen wird. Das heißt, daß deutsche Arbeitslose auf dem Arbeitsmarkt z. B. im Kreis Viersen künftig keinerlei Chance haben, dort eingestellt zu werden, ob als Teilzeit- oder als Ganztagskraft. Ist diese Einstellung mit dem DeutschlandVertrag vereinbar?
Dr. Voss, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Stahl, ich will hier nicht eine einzelne Äußerung qualifizieren. Wenn sie so gefallen ist und wenn die Absicht in dieser Form besteht, dann wäre hier just ein Ansatzpunkt, wo wir versuchen müssen und versuchen werden, diese Einstellung zu revidieren. Denn das würde mit der bisherigen Praxis, aber auch mit einer Reihe von Vorschriften, die wir in diesem Bereich zu beachten haben, nicht in Einklang zu bringen sein.
Sie haben noch eine Zusatzfrage, Herr Stahl.
Ich will Ihnen gern die Aussagen des Kommandanten zuschicken. Aber meine Frage bezieht sich auf Ihre letzte Antwort: daß Sie sich bemühen, die Verhältnismäßigkeit insgesamt zu wahren, auch was den Abbau von Arbeitskräften angeht.
Sie haben mir unter dem 22. Mai 1987 eine Aufstellung zugeschickt, aus der ersichtlich ist, daß allein in Nordrhein-Westfalen bei den britischen, französischen und kanadischen Stationierungsstreitkräften 1976 25 350 und 1987 20 133 Zivildienstbeschäftigte waren. Finden Sie, daß damit die Verhältnismäßigkeit gewahrt ist und daß das, was Sie sagen — daß Sie über diese Probleme mit den Briten ernsthaft sprechen —, auch ernsthaft zutrifft?
Dr. Voss, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, die Relation spielt hier eine Rolle. Wir können uns hier nur insofern mit Aussicht auf Erfolg einsetzen, als wir sagen: Bisher hat es soundso viele deutsche Arbeitnehmer in diesem Bereich gegeben und soundso viele Familienangehörige. Jetzt tritt aufgrund von Privatisierungs-, Rationalisierungs- und sonstigen Maßnahmen eine Änderung ein. Wir haben dann nur die Möglichkeit, darauf zu achten, daß die Relationen nicht verändert werden.
Natürlich kann es optisch so sein, Herr Kollege, daß eine Verschiebung des Bildes eintritt. Bei den deutschen Arbeitnehmern ist es in der Regel so, daß sie dort eine Dauertätigkeit ausüben. Bei den Familienangehörigen gibt es auf Grund von Versetzungen und ähnlichem eine sehr starke Fluktuation. Wenn die ausscheiden, werden häufiger Einstellungen sichtbar. Aber die Gesamtrelation wird nicht beeinträchtigt, wird nicht zu unseren Ungunsten verändert. Das ist der Punkt, auf den wir achten und auf den wir nach meiner Vorstellung bisher mit Erfolg geachtet haben.
Zusatzfrage des Abgeordneten Stiegler.
Herr Staatssekretär, Sie haben vorhin in Ihrer Antwort auf die Zusatzfrage des Kollegen Kolbow darauf hingewiesen, daß uns die Haushaltsprobleme in England und in den Vereinigten Staaten, was die Personalsituation betrifft, noch unter Druck bringen werden. Ich frage Sie: Werden Sie bei Ihren Verhandlungen mit den Briten und mit den Amerikanern darauf drängen, daß zunächst z. B. Überstunden abgebaut und ähnliche Dinge geregelt werden, bevor bei Arbeitsplätzen gekürzt wird?
Dr. Voss, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, hier mögen vielleicht ein paar Unterschiede in den Grundauffassungen bestehen, was Überstunden betrifft. Aber ich kann Ihnen das eine zusagen: daß wir auch hier darauf dringen werden, daß es zu vernünftigen Lösungen kommt. Man kann nicht a limine sagen: Ich muß hier alle Überstunden abbauen. Das ist in einigen Bereichen gar nicht möglich und wäre von daher auch nicht vernünftig. Wir müssen dafür sorgen, daß das Verhältnis in Ordnung bleibt, so wie es bisher auch war. Das werden wir in den weiteren Verhandlungen natürlich auch tun.
Wir sind damit am Ende des Geschäftsbereichs des Bundesministers der Finanzen. Ich danke dem Staatssekretär für die Beantwortung der Fragen. Der Grund für das Ende ist, daß die beiden Abgeordneten Niegel und Dr. Hitschler ihre Fragen 12 bis 15 schriftlich beantwortet haben
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2528 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 38. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. November 1987
Vizepräsident Westphalwollen. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.Jetzt kommen die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft. Der Parlamentarische Staatssekretär Dr. von Wartenberg steht zur Beantwortung zur Verfügung.Frau Olms hat die Fragen 16 und 17 gestellt. Sie ist aber nicht im Saal. Deswegen werden ihre beiden Fragen entsprechend der Geschäftsordnung behandelt.Die Fragen 18 und 19 des Abgeordneten Menzel sollen schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.Wir kommen wieder zum Abgeordneten Stiegler
— Sie haben nur eine begrenzte Anzahl von Fragen, daran haben Sie sich gehalten; Sie brauchen sich nicht zu entschuldigen — , zu seiner Frage 20:ist der Bundesregierung bekannt, daß im Bereich der EBMIndustriegruppe Konkurrenten aus der Europäischen Gemeinschaft, insbesondere aus Spanien, im Wettbewerb mit dem Argument auftreten, sie könnten auf Dauer günstiger anbieten als ihre deutschen Wettbewerber, weil in Spanien die Umweltschutzauflagen geringer seien und im Vollzug auch nicht so streng gehandhabt würden wie in der Bundesrepublik Deutschland, und was wird die Bundesregierung unternehmen, um Wettbewerbsvorteile, die durch laxere Umweltschutzbestimmungen oder Nichtbeachtung von Umweltschutzauflagen bei europäischen Konkurrenten entstehen, auszugleichen?Herr Staatssekretär.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Stiegler, der Bundesregierung ist aus dem Bereich der EBM-Industrie ein Fall bekannt, in dem für spanische Gießereiprodukte mit den von Ihnen genannten Argumenten geworben wurde. Sie ist jedoch der Auffassung, daß für die Standortqualität bestimmter Produktionen in einem Land neben den Umweltschutzkosten noch eine Vielzahl weiterer Faktoren maßgeblich ist. Unter Berücksichtigung dessen ist festzustellen, daß die EBM-Industrie zu den Industriezweigen gehört, für die die Bundesrepublik Deutschland nach wir vor ein guter Produktionsstandort ist.
Im übrigen ist davon auszugehen, daß die zunehmenden Umweltschutzbestimmungen der Europäischen Gemeinschaft für alle Mitgliedstaaten einschließlich Spanien gleichermaßen gelten und zu vollziehen sind. Soweit die Umweltschutzmaßnahmen in der Bundesrepublik Deutschland vorübergehend eine Vorreiterrolle in der Europäischen Gemeinschaft übernommen haben, ist die Bundesregierung um Harmonisierung dieser Standards in Brüssel bemüht.
Im Gefolge des Angleichungsprozesses innerhalb der Europäischen Gemeinschaft dürften sich im übrigen auf Dauer für die deutsche Industrie auf Grund ihres technologischen Vorsprungs eher Wettbewerbsvorteile ergeben.
Herr Staatssekretär, sind Sie bitte so freundlich, für den Laien einmal den Begriff EBM-Industriegruppe zu übersetzen?
Dr. von Wartenberg, Parl. Staatssekretär: Eisen, Blech und Metall, Entschuldigung.
Jetzt hat der Abgeordnete Stiegler eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung denn gegenüber der spanischen Regierung auf geeignete Weise vorstellig geworden und hat sie darauf hingewiesen, daß solche Werbeargumente wohl kaum mit dem Geist und dem Buchstaben der Europäischen Gemeinschaften und dem Binnenmarkt, den wir ja alle anstreben, zu vereinbaren sind?
Dr. von Wartenberg, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, wir weisen bei jeder sich bietenden Gelegenheit und bei den Beratungen in Brüssel darauf hin, daß wir im Sinne des Umweltschutzes nur vorankommen, wenn wir das gemeinsame Ziel auch gemeinsam erreichen wollen.
Sie haben eine weitere Zusatzfrage, Herr Stiegler.
Herr Staatssekretär, werden Sie denn darauf drängen, daß irgendwelche Sonderzölle oder im Bereich des Dumpingverfahrens Ausgleichszölle geschaffen werden, mit denen man notfalls gegensteuern kann, wenn andere Mitgliedstaaten wirklich unter Verletzung der Umweltschutzauflagen nachhaltig versuchen, sich Wettbewerbsvorteile gegenüber den Unternehmen in der Bundesrepublik zu verschaffen?
Dr. von Wartenberg, Parl. Staatssekretär: Bevor wir uns über Dumpingzölle oder ähnliche Strafmaßnahmen Gedanken machen und sie als Vorschläge einbringen, sollten wir bei den Mitgliedstaaten werbend dahin gehend wirken, daß derartige Methoden nicht vorkommen.
Wir sind damit am Ende des Geschäftsbereichs des Bundesministers für Wirtschaft, weil auch der Abgeordnete Hinsken seine Fragen 21 und 22 schriftlich beantwortet haben möchte. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt. Ich danke dem Staatssekretär für die Beantwortung der Frage.
Jetzt kommt der Geschäftsbereich des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Dr. von Geldern zur Verfügung.
Die Frage 23 des Abgeordneten Kroll-Schlüter ist vom Fragesteller zurückgezogen worden.
Ich rufe die Frage 24 des Abgeordneten Eigen auf:
Aus welchem Grunde will die Bundesregierung die EG-Richtlinien für die Festsetzung von Mindestanforderungen zum Schutze von Legehennen in Käfigbatteriehaltung nicht einhalten, und wie hoch wird dann die Wettbewerbsverzerrung für die deutsche Landwirtschaft sein?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Herr Kollege Eigen, bei den Verhandlungen über die Richtlinie zur Festsetzung von Mindestanforderungen zum Schutz von Legehennen in Käfigbatteriehaltung hat die Bundesregierung versucht, je Henne eine Käfigmindestfläche von 600 cm2 für leichte und von
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 38. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. November 1987 2529
Parl. Staatssekretär Dr. von Geldern900 cm2 für schwere Legehennen durchzusetzen. Dieser Vorschlag hat aber keine Mehrheit gefunden. Die Richtlinie sieht in dieser Hinsicht nur vor, daß ab 1. Januar 1988 alle neuen Anlagen für jede Legehenne eine Käfigbodenfläche von mindestens 450 cm2 aufweisen müssen. Ab 1. Januar 1995 müssen alle Käfigbatterien diese Mindestanforderung erfüllen.Anläßlich der Verabschiedung dieser Richtlinie hat die deutsche Delegation gemeinsam mit anderen zu Protokoll gegeben, daß die in dieser Richtlinie enthaltenen Mindestanforderungen hinsichtlich der für jede Legehenne frei verfügbaren Käfigbodenfläche nicht befriedigen. Sie stellen allerdings das zur Zeit nur erreichbare Ergebnis dar.Diese EG-Richtlinie muß nun in nationales Recht umgesetzt werden. Dabei ist vor allem zu entscheiden, inwieweit die Möglichkeit der Hennen zu artgemäßer Bewegung eingeschränkt werden darf. Eine auf das Tierschutzgesetz gestützte Verordnung zum Schutz von Legehennen bei Käfighaltung liegt dem Bundesrat zur Zustimmung vor. Diese Verordnung orientiert sich weitgehend an der EG-Richtlinie.In drei Bereichen geht die Verordnung über die Mindestanforderungen der Richtlinie hinaus, und zwar: größere Käfigmindestflächen für Hennen mit einem Durchschnittsgewicht von mehr als 2 kg; Käfigmindestvorschriften für bestehende Anlagen schon während der Übergangszeit; schließlich eine Verkürzung dieser Übergangszeit um zwei Jahre.Die Bundesregierung hält diese Verschärfungen aus Tierschutzgründen für unerläßlich. Sofern schweren Legehennen die in der Verordnung geforderten Mindestflächen bisher nicht zur Verfügung standen, können mögliche Kostensteigerungen, insbesondere bei Direktvermarktung, auf die Kunden abgewälzt werden. Soweit sich das nicht realisieren läßt, kann der Halter auf leichtere Legehennenrassen ausweichen.Im Rahmen der Novellierung des Gesetzes über die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes" hat im übrigen die Bundesregierung vorgeschlagen, daß die Beachtung des Tierschutzes in das Gesetz aufgenommen wird. Das ermöglicht die Vergabe von Investitionshilfen.
Eine Zusatzfrage, Herr Eigen.
Herr Staatssekretär, das „weitgehend" ist eben das Problem. Es stellt sich doch die Frage, ob die Bundesregierung nicht einfach gezwungen ist, die Gesetzgebung der Europäischen Gemeinschaft zu akzeptieren und in deutsches Recht umzusetzen. Wie können Sie sich da herauswinden?
Dr. von Geldern, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Eigen, ich hatte eben schon in der Antwort gesagt, daß dies Mindestanforderungen sind. Das sind keine Anforderungen, die man nicht noch national überschreiten dürfte. Es ist auch nicht so, daß es nur in der Bundesrepublik Deutschland Bestrebungen gibt, den Tierschutz über diese Mindestanforderungen der EGRichtlinie hinaus zu verbessern. Das gilt etwa auch für Dänemark und Großbritannien.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Eigen.
Herr Staatssekretär, wir alle sind ständig bemüht, Wettbewerbsverzerrungen innerhalb der Europäischen Gemeinschaft zumindest zu verringern; wir können sie nicht ohne weiteres sofort abschaffen. In dem ganzen Umweltschutzbereich und ähnlichen Dingen haben wir das schon getan. Die Frage zur Wirtschaft hat sich eben auch schon damit befaßt. Wir haben aber jetzt eine Wettbewerbsverzerrung noch zusätzlich eingeführt. Wie kann sich die Bundesregierung da gegenüber dem Wirtschaftsbereich Geflügel verantworten?
Dr. von Geldern, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Eigen, ich glaube nicht, daß dies als Wettbewerbsverzerrung bezeichnet werden kann. Wir sind mit dem Ergebnis der EG-Richtlinie unter Tierschutzaspekten nicht zufrieden, und wir müssen unser neues Tierschutzrecht beachten. Wir gehen deshalb in den genannten drei Bereichen wie auch andere Mitgliedsländer über diese Mindestanforderungen hinaus. Wir erleichtern den Haltern die Einhaltung dieser Bestimmungen dadurch, daß wir, wie angekündigt, die Investitionshilfen dafür gewähren wollen.
Eine Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Saibold.
Herr Staatssekretär, nachdem Sie selber gerade ausgeführt haben, daß diese Richtlinie nicht den Anforderungen des Tierschutzes entspricht, und Sie andererseits Investitionszulagen für die Batteriebesitzer in Aussicht stellen, um wenigstens diesen Auflagen nachzukommen, frage ich Sie, was Sie denn generell in der Bundesrepublik und auch darüber hinaus ini EG-Bereich unternehmen, um zumindest in den nächsten paar Jahren überhaupt von der Käfighaltung wegzukommen. Sind auch hierzu Investitionen für Personen geplant, die eine vernünftige Hennenhaltung durchführen wollen, und gibt es dafür vielleicht auch einen Zeitplan?
Dr. von Geldern, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin Saibold, dies ist unser nationales Anliegen. Wir haben schon seit geraumer Zeit entsprechende Forschungsanstrengungen unternommen, um zu einer tierschutzgerechteren Haltung zu kommen. Wir haben dieses Anliegen auf EG-Ebene eingebracht und dazu beigetragen, daß auch die Kommission entsprechende Forschungsanstrengungen in Gang gesetzt hat. Wir brauchen verläßliche Ergebnisse, wenn wir zu einer Verbesserung des Tierschutzes und einer Verbesserung in diesem speziellen Bereich der Hennenhaltung kommen wollen.
Ich rufe die Frage 25 des Abgeordneten Eigen auf.In welcher Weise hat die Bundesregierung über die EG-Kommission die Wettbewerbsverzerrung gegenüber Italien wegen der Direktzuschüsse für Rind- und Schweinefleisch und Holland wegen der Schweineklassifizierung -- Anfrage vom 18. August 1987 — beenden können, und haben die Landwirte in Italien und den Niederlanden die Zuschüsse schon bekommen?Dr. von Geldern, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Eigen, wie von den Dienststellen der EG-Kommission zu erfahren war, hat die Kommission die italienische
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2530 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 38. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. November 1987
Parl. Staatssekretär Dr. von GeldernRegierung Ende August dieses Jahres aufgefordert, die Beihilfe für die Rinder- und Schweineproduktion ordnungsgemäß zu notifizieren. Dieser Aufforderung ist die italienische Regierung inzwischen nachgekommen. Die Entscheidung der Kommission darüber, ob die Beihilfe mit dem gemeinsamen Markt vereinbar ist oder nicht, soll am 18. November, heute in einer Woche, getroffen werden. Die Bundesregierung geht davon aus, daß Italien in Übereinstimmung mit dem EWG-Vertrag die beabsichtigte Maßnahme nicht durchführt, bevor die Kommission eine abschließende Entscheidung erlassen hat.Zum zweiten Teil Ihrer Frage. Das Beihilfeprüfverfahren, das die Kommission Ende 1986 gegen die Niederlande nicht nur wegen der Beihilfe zur Finanzierung der Schweineklassifizierung, sondern wegen einer Vielzahl von Finanzierungsmaßnahmen der Produktschaften eingeleitet hat, ist noch nicht abgeschlossen. Die Kommission hat im Rahmen des umfangreichen Gesamtverfahrens von der niederländischen Regierung zusätzliche Auskünfte erbeten.Wie bereits in der Fragestunde des Deutschen Bundestages am 7. Oktober 1987 erläutert, hat die Bundesregierung in dem laufenden Verfahren gegenüber der Kommission schriftlich darauf hingewiesen, daß das niederländische Finanzierungssystem zu Wettbewerbsnachteilen für die deutsche Tierproduktion führt und damit eine Beihilfe darstellt, die mit dem Gemeinsamen Markt nicht vereinbar ist.Die Kommission hat zu unserem Bedauern das Verfahren noch nicht mit der notwendigen Entscheidung zum Abschluß gebracht. Deshalb wird zur Zeit die niederländische Maßnahme noch fortgeführt.
Zusatzfrage, Herr Eigen.
Herr Staatssekretär, Sie sagten, Sie gehen davon aus, daß in Italien die Zuschüsse für Rind- und Schweinefleisch bis zur Beendigung des Verfahrens in Brüssel nicht ausgezahlt werden. Wissen Sie das, oder gehen Sie nur davon aus?
Dr. von Geldern, Parl. Staatssekretär: Wir haben keinen Anlaß, etwas anderes anzunehmen. Wir können davon ausgehen, daß Italien so verfährt, wie es der EWG-Vertrag vorsieht.
Sie haben eine weitere Zusatzfrage. Bitte schön.
Fest steht doch wohl, daß in Holland die Hennesy-Klassifizierungsgeräte vom holländischen Staat den Versandschlachtereien inzwischen schon kostenlos übergeben worden sind. Wie könnte nach Meinung der Bundesregierung die Kommission eine Rücknahme dieser Wettbewerbsverzerrung überhaupt möglich machen? Den laufenden Zuschuß kann man ja beenden, aber die sehr wertvollen Geräte sind übertragen.
Dr. von Geldern, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Eigen, nach dem vertraglichen Recht der Europäischen Gemeinschaft sind zu Unrecht gewährte Subventionen zurückzufordern.
Damit sind wir am Ende dieses Geschäftsbereichs.
— Ich schlage Ihnen vor, die Unterhaltung außerhalb der Fragestunde weiterzuführen. Das geht ja auch.
Ich danke dem Staatssekretär für die Beantwortung der Fragen.
Den Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung brauche ich nicht aufzurufen. Hierzu teile ich nur mit: Die Fragen 26 und 27 des Herrn Abgeordneten Gerster werden auf Wunsch schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt. Die Fragen 28 und 29 des Herrn Abgeordneten Leidinger sind vom Fragesteller zurückgezogen worden.
Auch den Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr muß ich nicht aufrufen. Die Fragen 30 und
31 des Herrn Abgeordneten Vahlberg und die Frage
32 des Herrn Abgeordneten Schulhoff sollen auf Wunsch der Fragesteller schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit auf. Der Parlamentarische Staatssekretär Herr Gröbl steht uns zur Beantwortung der Fragen zur Verfügung.
Der Fragesteller der Fragen 33 und 34, Herr Abgeordneter Reimann, bittet um schriftliche Beantwortung. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Wir kommen zur Frage 35 der Abgeordneten Frau Saibold:
Welche Vorkehrungen an den Grenzen hat die Bundesregierung für die lückenlose Überwachung der Importe getroffen, da laut Frau Staatsministerin Adam-Schwaetzer bei einem Alleingang der Bundesregierung bezüglich der Grenzwertfestsetzung für Cäsium 137 keine Importe von höher belasteten Produkten aus den EG-Staaten mehr möglich sind?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Die Überwachung der Lebensmittel auf Radioaktivität geschieht nach Inkrafttreten der Verordnung zur Strahlenschutzvorsorge bei infolge des Ereignisses von Tschernobyl radioaktiv kontaminierten landwirtschaftlichen Erzeugnissen am 1. November 1987 in gleicher Weise wie zuvor unter der Geltung der EG-Ratsverordnung Nr. 1707/86. Darüber hinaus werden nicht nur Lebensmittel aus Drittländern, sondern auch aus Ländern der Gemeinschaft in die Einfuhrüberwachung einbezogen werden.Der Bundesminister der Finanzen hat die Zollstellen hierzu angewiesen, für Einfuhren aus Drittländern die bisherigen Überwachungsmaßnahmen weiterhin anzuwenden, im innergemeinschaftlichen Warenverkehr bei Umgehungsimporten aus Drittländern entsprechend zu verfahren und bei Importen von landwirtschaftlichen Erzeugnissen aus Mitgliedstaaten stichprobenweise entsprechend den Erfordernissen Kontrollen durchzuführen.
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Zusatzfrage, Frau Saibold.
Herr Staatssekretär, rechnet die Bundesregierung mit einer eventuellen Klage der EG-Kommission beim Europäischen Gerichtshof wegen einer Vertragsverletzung durch die Bundesregierung, nachdem, zumindest meiner Kenntnis nach, jetzt keine einheitliche Regelung im EG-Bereich getroffen wurde? Und gibt es ansonsten vielleicht Neuigkeiten, die Sie hier auch noch darstellen könnten?
Gröbl, Parl. Staatssekretär: Die Bundesregierung rechnet nicht mit einer Klage der Kommission vor dem Europäischen Gerichtshof. Ich darf in diesem Zusammenhang auch darauf verweisen, daß sich die anderen EG-Mitgliedstaaten auf eine ähnliche Regelung faktisch verpflichtet haben, wie wir sie de jure für die Bundesrepublik Deutschland bereits eingesetzt haben. Darauf werde ich aber bei der Beantwortung Ihrer zweiten Frage noch zu sprechen kommen.
Sie haben zunächst noch eine Zusatzfrage zu dieser Frage.
Sie müssen dann aber doch zugeben, daß nach wie vor damit gerechnet werden muß, daß höherbelastete Produkte in die Bundesrepublik eingeführt werden. Denn auch die bisherigen Importkontrollen haben nicht ausgereicht, solche Importe zu unterbinden. Ich habe Ihren Ausführungen zumindest keine Verschärfung oder ähnliches entnommen, und auch die EG-Staaten wollen es ja nur vielleicht machen.
Gröbl, Parl. Staatssekretär: Die bisherige EG-Regelung 1707 hat das Gebiet der EG vor dem Import von kontaminierten Lebensmitteln — von stärker kontaminierten, als die Richtwerte es erlauben — bewahrt.
Die nationale Verordnung schirmt die Bevölkerung der Bundesrepublik vor entsprechend belasteten Importen nicht nur aus Drittländern, sondern auch aus EG-Mitgliedsländern ab. Das ist die Wirkung dieser nationalen Verordnung.
Zusatzfrage des Abgeordneten Fischer .
Herr Staatssekretär, glauben Sie, daß die Zollbeamten — in Anbetracht der Tatsache, daß sich sehr viele von ihnen an Abgeordnete aller Parteien gewandt und darauf hingewiesen haben, daß die Kontrolle an Grenzen abgebaut werden soll — personell überhaupt in der Lage sind, solche Kontrollen durchzuführen?
Gröbl, Parl. Staatssekretär: Ich gehe davon aus, daß die Zollverwaltung durchaus in der Lage ist, die Anweisung des Bundesfinanzministers zu erfüllen.
Zusatzfrage des Abgeordneten Weiss .
Herr Staatssekretär, was gedenkt denn die Bundesregierung zu tun, um nicht nur Importe von höher kontaminierten Nahrungsmitteln, sondern um auch überhaupt zu verhindern, daß entsprechende Produkte auf den Markt gelangen? Oder ist es nach wie vor möglich, daß z. B. einheimische Waren, z. B. Pilze, die in der Bundesrepublik gewachsen sind, weil sie nicht importiert werden, verkauft werden dürfen, auch wenn sie deutlich höhere Cäsiumwerte aufweisen? Sieht die Bundesregierung da Handlungsbedarf?
Gröbl, Parl. Staatssekretär: Der Unterschied der nationalen Regelung zu der EG-Richtlinie besteht nicht zuletzt auch darin, daß diese nationale Regelung das Inverkehrbringen von Lebensmitteln, die über die festgesetzten Grenzwerte hinaus belastet sind, nicht gestattet.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Dr. Daniels.
Ich möchte fragen, wie das im einzelnen kontrolliert werden kann.
Gröbl, Parl. Staatssekretär: Das Inverkehrbringen von Nahrungsmitteln?
Ja.
Gröbl, Parl. Staatssekretär: Das wird dann möglicherweise bei Stichproben festgestellt,
möglicherweise bei Beanstandungen. Sie werden nicht davon ausgehen können, daß jedes Schwammerl, jeder Pilz, jeder Fisch oder jedes Kilogramm Petersilie auf Strahlenbelastung untersucht werden kann.
Wir kommen jetzt zur Beantwortung der Frage 36 der Abgeordneten Frau Saibold:Wird die Bundesregierung bei Nichterreichen einer EG-weiten Regelung statt der bisher festgelegten Grenzwerte von 370 Bq/kg bzw. 600 Bq/kg für Cäsium 137 wenigstens die vom Europa-Parlament verabschiedeten Grenzwerte von 100 Bq/kg bzw. 125 Bq/kg Cäsium übernehmen?Bitte schön, Herr Staatssekretär.Gröbl, Parl. Staatssekretär: Seit dem 1. November 1987 fehlt eine EG-weite Verordnung für Strahlengrenzwerte von Lebensmitteln. Die Bundesregierung hat sich in ihrer seit 1. November gültigen und auf die Folgewirkungen von Tschernobyl bezogenen Verordnung für die Beibehaltung der in der bis zum 31. Oktober 1987 gültigen EG-Richtlinie 1707/86 festgelegten Grenzwerte von 370 Bq pro Kilogramm bzw. pro Liter Milch und 600 Bq pro Kilogramm Lebensmittel für Cäsium 134 und 137 mit Zustimmung des Bundesrats entschieden. Die übrigen EG-Partner haben sich mit Ausnahme von Griechenland zu einer freiwilligen Beachtung der in der Richtlinie 1707/86 geregelten Werte bis auf weiteres verpflichtet.Eine Änderung der Grenzwerte in unserer nationalen Verordnung ist weder in Hinsicht auf unsere EG-
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Parl. Staatssekretär GröblPartner noch auf Grund wissenschaftlicher Erkenntnisse veranlaßt. Sollte eine nationale Regelung für künftige Ereignisse wegen einer fehlenden Einigung im EG-Ministerrat erforderlich werden, wird sich die Bundesregierung an den bereits dargestellten Werten in dieser Größenordnung orientieren.Die Bundesregierung stützt sich in ihrer Haltung dabei auf die Ergebnisse der „Kommission zur wissenschaftlichen Vorbereitung von Rechtsverordnungen zu § 6 Abs. 1 des Strahlenschutzvorsorgegesetzes". Danach ergeben sich Werte von 400 Bq/kg bzw. Bq/1 für Milch und Milchprodukte und 500 Bq/kg für sonstige Nahrungsmittel, jeweils für die Leitnuklide Cäsium 134 und Cäsium 137.Bei den Ratsverhandlungen in Brüssel steht die Bundesregierung mit ihrer Haltung in keiner Weise in Konkurrenz zu dem hier zitierten Beschluß des Europäischen Parlaments, sondern in ausschließlicher Konkurrenz zu den höheren Werten, die von der Kommission und noch deutlicher von Frankreich, Großbritannien und Griechenland vertreten werden.
Zusatzfrage, Frau Saibold.
Herr Staatssekretär, man hätte das Festhalten an diesen alten Grenzwerten, daß man also bei 370 Bq/kg und 600 Bq/kg geblieben ist, noch als eine Verhandlungstaktik im Rahmen der EGVerhandlungen bezeichnen können. Es ist aber jetzt so, daß diese Werte, die nach der Katastrophe von Tschernobyl festgestzt wurden, in keiner Weise mehr gerechtfertigt sind und die Bundesrepublik frei wäre, auf tiefere Grenzwerte herunterzugehen, wie sie z. B. im Europäischen Parlament vorgeschlagen werden, die unserer Meinung nach immer noch zu hoch sind, aber immerhin bei 100 Bq/kg und 125 Bq/kg bzw. Bq/1 liegen. Warum geht die Bundesregierung nicht auf diese Werte herunter?
Gröbl, Parl. Staatssekretär: Ich habe in meiner Antwort von vorhin bereits ausgeführt, daß sich die Bundesregierung auf wissenschaftliche Erkenntnisse dieser §-6-Kommission stützt,
die im übrigen zu einem ähnlichen Ergebnis gekommen ist wie die Kommission nach § 31 des Euratom-Vertrages bei der EG. Aus wissenschaftlichen Erkenntnissen heraus ist eine Änderung nicht veranlaßt.
Sie haben noch eine Zusatzfrage, Frau Saibold.
Wie hat die Bundesregierung darauf hingewirkt oder wie wird sie darauf hinwirken, daß bei der Festsetzung von europäischen Grenzwerten im Falle eines Reaktorunfalls — dies steht ja noch aus — nach Art. 100 a des EWG-Vertrags statt nach dem Euratom-Gesetz gehandelt wird, da sonst keine Möglichkeit des nationalen Alleingangs gegeben wäre? Ich bitte um genaue Beantwortung.
Gröbl, Parl. Staatssekretär: Zunächst: Die rechtliche Beurteilung der Behandlung dieser Richtlinie besagt, daß diese Richtlinie nach den Euratom-Vorschriften zu beschließen ist. Dementsprechend hat sich bisher auch die Kommission verhalten, und dementsprechend hat sich bisher die Bundesregierung verhalten.
— Die Bundesregierung hat dem Kommissionsvorschlag, der höhere Grenzwerte als die, die wir in der Bundesrepublik Deutschland festgesetzt haben, vorgesehen hat, nicht zugestimmt.
Zu einer Zusatzfrage Herr Dr. Daniels.
Herr Staatssekretär, wie beurteilen Sie in diesem Zusammenhang die Aussage von Frau Adam-Schwaetzer nach den Verhandlungen, daß man bereit sei, z. B. die Grenzwerte, die die Bundesregierung derzeit noch vorschlägt, mit dem Faktor zwei zu multiplizieren, d. h. also, die Grenzwerte faktisch zu erhöhen, um sozusagen auf EG-Ebene etwas weiterzukommen?
Gröbl, Parl. Staatssekretär: Die Werte, die die Bundesregierung national übernommen hat, die sie bisher akzeptiert hat und die sie auch für eine EG-Regelung anstrebt, unterstellen, daß bei einem — hoffentlich nie eintretenden — Ereignis 100 % der Lebensmittel kontaminiert sind. An dieser politischen Einschätzung, ob 100 %, 80 %, 50 % oder 10 % der Lebensmittel kontaminiert sind, scheiden sich auch die Geister in Brüssel.
Frau Adam-Schwaetzer hat den Faktor zwei in die Verhandlungen für den Fall eingebracht, daß bei einem solchen — hoffentlich nie auf uns zukommenden — Ereignis nicht 100 % kontaminiert sind, sondern deutlich weniger.
Eine Zusatzfrage, Frau Wollny.
Die eigene Verordnung der Bundesrepublik gilt, soviel ich weiß, erstmalig auch für Inlandsprodukte. Das heißt, daß seit dem 1. November beispielsweise Kindernahrung eine Belastung von 370 Bq haben darf.
Gröbl, Parl. Staatssekretär: Ist das die Frage gewesen?
Ja. Gröbl, Parl. Staatssekretär: Ja.
Jetzt kommt die Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Lippelt.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Staatssekretär, Sie haben sich vorhin auf wissenschaftliche Empfehlungen — ich vermute, der Strahlenschutzkommission — als Richtlinie für die Formulierung der nationalen Politik berufen, und zwar im Gegensatz zu den Empfehlun-
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Dr. Lippelt
gen des Europäischen Parlaments, das sich für deutlich niedrigere Werte ausgesprochen hat.Nun meine Frage: Stimmen Sie mir darin zu, daß diese wissenschaftlichen Empfehlungen gegeben wurden, um die Katastrophe von Tschernobyl zu verarbeiten, und meinen Sie nicht auch, daß jetzt, nach Tschernobyl, dem Minimierungsgebot der Strahlenschutzverordnung deutlicher Rechnung getragen werden müßte, so daß Sie jetzt gewissermaßen unter diese nach Tschernobyl festgelegten Werte gehen müßten, nämlich in Richtung der Empfehlung des Europäischen Parlaments?Gröbl, Parl. Staatssekretär: Ich habe allen Anlaß, anzunehmen, daß die Wissenschaftler ihre Empfehlung in voller Verantwortung für die Gesundheit unserer Bevölkerung gegeben haben.
Einen Augenblick! Das ist keine Diskussions-, sondern eine Fragestunde.
Jetzt kommt die Zusatzfrage des Abgeordneten Weiss .
Herr Staatssekretär, ich glaube, daß Sie die zweite Zusatzfrage der Frau Saibold noch nicht ganz vollständig beantwortet haben. Deswegen will ich noch einmal nachfragen.
Es ist doch so, daß bisher noch nicht geklärt ist, was das vorrangige Recht ist: das der EWG oder das von Euratom. Die Frage von Frau Saibold bezog sich sehr konkret darauf, was die Bundesregierung unternommen hat, um zu verhindern, daß eines Tages unter Berufung auf Euratom auf einmal gar keine Grenzwerte mehr existieren. Ich bitte Sie, diese Frage doch genauer zu beantworten.
Gröbl, Parl. Staatssekretär: Die Ihrer Frage zugrunde liegende Annahme ist falsch. Die Bundesregierung und die Kommission haben sich juristisch sehr wohl mit der Frage auseinandergesetzt, ob eine solche EG-Richtlinie nach Euratom- oder nach EWG-Recht zu behandeln ist. Das Ergebnis lautet — ich habe es schon ausgeführt — : Die Behandlung ist nach Euratom vorzunehmen.
— Ja.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Fischer .
Herr Staatssekretär, nachdem wir vorhin festgestellt haben, daß die Zollbeamten an der Grenze mit der Feststellung solcher Werte mehr als überfordert sind, möchte ich Sie fragen, wie Sie es sich vorstellen, daß, wenn aus Frankreich oder aus welchem Land auch immer ein Import in die Bundesrepublik erfolgt, auf Grund dieser Maßnahmen dieser Quell-Ziel-Verkehr überprüft werden soll und mit welcher Sicherheitswahrscheinlichkeit — Sie haben von statistischen Qualitätskontrollen gesprochen — solche Qualitätskontrollen durchgeführt werden können, wenn der von Frau Adam-Schwaetzer genannte Faktor zwei eingeführt wird.
Gröbl, Parl. Staatssekretär: Ich glaube, hier bringen Sie zwei Dinge durcheinander. Der Faktor zwei gilt für eine EG-Regelung, hat also nichts mit Überwachung durch die Zollverwaltung an Grenzen innerhalb des EG-Raumes zu tun.
Die erste Frage bezog sich darauf, inwieweit die Zollverwaltung in der Lage ist, Importe zu kontrollieren und zu überwachen. Ich möchte Sie dazu einladen, zusammen mit einem Vertreter der Zollverwaltung die Praxis der Zollverwaltung sowohl an einer Außen-EG-Grenze als auch an einer Innen-EGGrenze zu verfolgen.
Ich rufe die Frage 37 der Abgeordneten Frau Wollny auf:
Kann die Bundesregierung die Ermittlungen der belgischen Staatsanwaltschaft bestätigen, nach denen Bestechungsgelder von Transnuklear die Mitarbeiter von Mol veranlaßt haben, „nicht mehr aufzubereitende Abfälle zu akzeptieren" , und wie beurteilt sie dies, auch in Anbetracht ihrer häufigen Verlautbarungen, „daß Manipulationen ... (nicht) ... der Umgehung notwendiger Genehmigungsverfahren dienen sollten"?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Gröbl, Parl. Staatssekretär: Über die Tatsache der Entlassung einiger Mitarbeiter im Kernforschungszentrum Mol in Belgien hinaus liegen der Bundesregierung weitergehende Erkenntnisse zu den Hintergründen weder von den zuständigen belgischen Behörden noch von der Staatsanwaltschaft Hanau vor. Eine Beurteilung kann erst nach Mitteilung der Sachverhalte im einzelnen erfolgen.
Zusatzfrage, Frau Wollny.
Angesichts der Tatsache, daß die Deutsche Gesellschaft für Wiederaufarbeitung von Kernbrennstoffen — nachdrücklich beteiligt beispielsweise an Wackersdorf, aber auch an allen übrigen Lagerstätten — zumindest zu 20 % personell in Mol beteiligt ist, frage ich Sie: Können Sie ausschließen, daß auch Angehörige der Firma DWK in diese Bestechungsaffären verwickelt sind?
Gröbl, Parl. Staatssekretär: Ich halte eine solche Unterstellung blank für eine Zumutung für die Mitarbeiter der DWK und auch der Mol.
Weitere Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Wollny.
Stimmen Sie der Meinung der DWK zu, daß nach zweijähriger Betriebsphase die Anlage Mol nicht länger als Pilotanlage anzusehen ist, sondern mittlerweile eine Produktionsanlage geworden ist?Gröbl, Parl. Staatssekretär: Das ist eine Frage, die die belgische Regierung zu beurteilen hat und in die
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Parl. Staatssekretär Gröblwir uns von seiten der Bundesrepublik nicht einmischen werden.
Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Daniels.
Wie beurteilen Sie angesichts der Möglichkeit, daß die deutschen Betreiber von Kernbrennanlagen in Bestechungsaffären im Sicherheitsbereich verwickelt sind, die Zuverlässigkeit der DWK, insbesondere wenn man davon ausgeht, daß die DWK die führende Rolle im Genehmigungsverfahren für die atomare Wiederaufarbeitungsanlage in Wackersdorf spielt?
Gröbl, Parl. Staatssekretär: Zur Frage der Zuverlässigkeit bei Firmen der deutschen Atomwirtschaft hat sich mein Kollege Grüner auf Anfragen, die aus diesem Parlament gestellt wurden, hin ausführlich geäußert. Ich glaube, Herr Präsident, daß es nicht erforderlich ist, das zu wiederholen.
Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Lippelt.
Herr Staatssekretär, da ich damals diese Fragen gestellt und Ihr Kollege lediglich mitgeteilt hat, daß es wohl im Kernkraftwerk Würgassen einige betroffene leitende Mitarbeiter gibt, für darüber hinausgehende Vermutungen aber kein Anlaß bestehe, und nachdem Sie meiner Kollegin Wollny zu Mol geantwortet haben „Wir wissen nur, daß entlassen worden ist", nachdem Sie aber nicht die dpa-Meldung dementiert haben, die das wiederum in einen Zusammenhang mit der Transnuklear-Bestechung bringt, frage ich Sie: Glauben Sie immer noch, daß Sie bei dieser Haltung bleiben können? Es gibt jetzt schon mehrere Fälle.
Gröbl, Parl. Staatssekretär: Die Bundesregierung nimmt keine Vorverurteilung vor, sondern bemüht sich um Aufklärung der Sachverhalte, und dies geschieht ganz besonders auch in diesem Fall.
Herr Dr. Lippelt, Sie müssen sich daran halten, daß dies eine Fragestunde ist.
Jetzt kommt der Abgeordnete Weiss . Bitte schön.
Herr Staatssekretär, nach der dpa-Meldung, die der Frage von Frau Wollny zugrunde lag, scheint es ja so zu sein, daß ein Austausch stattgefunden hat: einerseits Material nach Mol, andererseits Material von Mol in die Bundesrepublik, so daß für diese Transporte auch entsprechende Genehmigungen erteilt worden sein müssen und sich doch jetzt eigentlich leicht herausfinden lassen müßte, was transportiert worden ist, was für Werte es waren und wer in diese Affäre verwickelt ist. Da die Staatsanwaltschaft Turnhout in Ost-Belgien mitteilt, daß zwischen den Mitarbeitern in Mol und Hanau offensichtlich ein Organisationsnetz für den Austausch von Nuklearabfällen aufgebaut worden ist, müßte doch eigentlich schon diese dpa-Meldung Ihrem Haus Veranlassung geben, tätig zu werden, um bei der Firma Transnuklear kräftig nachzuforschen.
Augenblick!
Was haben Sie seit dem Erscheinen dieser dpa-Meldung in dieser Richtung konkret unternommen?
Gröbl, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, dpa-Meldungen geben uns natürlich immer wieder Veranlassung zu handeln, nachzudenken und zu reagieren. In diesem besonderen Fall reicht eine dpa-Meldung natürlich nicht, sondern hier hat sich die Bundesregierung — das ist bereits die Antwort auf die nächste Frage, die Sie, Frau Kollegin, gestellt haben — an die zuständigen Stellen gewandt.
Wenn Sie gestatten, Frau Wollny, würde ich die Antwort auf diese Frage gleich vortragen.
Augenblick. Das machen wir nach Aufruf, Herr Staatssekretär.
Jetzt kommt die Frage 38 von Frau Wollny:
Was unternimmt die Bundesregierung, um ihren Kenntnisstand in dieser Angelegenheit zu verbessern, und kann sie ausschließen, dab Transnuklear in anderen Ländern auch Bestechungen vorgenommen hat?
Nun können Sie fortfahren.
Gröbl, Parl. Staatssekretär: Die Bundesregierung hat die zuständigen belgischen Stellen und die Staatsanwaltschaft Hanau bereits im Oktober darum gebeten, den Sachverhalt im einzelnen mitzuteilen. Diese Informationen liegen der Bundesregierung noch nicht vor. Hinweise auf Aktionen auch in anderen Ländern als in Belgien sind derzeit nicht bekannt.
Zusatzfrage, Frau Wollny.
Herr Töpfer hat uns zweimal über die Vorkommnisse bei Transnuklear berichtet und hat gesagt, es werde alles sehr ernst genommen und man werde dafür sorgen, daß solche Dinge nicht wieder vorkommen. Trotzdem passieren ständig neue Vorfälle, oder man hört zumindest über die Presse davon.
Frau Kollegin, jetzt muß bald das Fragezeichen kommen.
Hat die Bundesregierung überhaupt keine Möglichkeit, solche Dinge zu verhindern?Gröbl, Parl. Staatssekretär: Die Bundesregierung bemüht sich um eine rückhaltlose Aufklärung dieser Vorgänge. Deshalb unsere Anfragen bei der Staatsanwaltschaft Hanau und unsere Anfragen auf diplomatischem Weg in Belgien um entsprechende Aufklärung. Erst dann ist es möglich, entsprechende Schlüsse zu ziehen.
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 38. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. November 1987 2535
Zusatzfrage, Frau
Wollny.
Es ist aber doch bekannt, daß als Voraussetzung für die Erteilung der Genehmigung zum Betrieb von Atomanlagen oder Ähnlichem sozusagen ein Nachweis der Moral erbracht werden muß. Kommt die Bundesregierung nicht in die Verlegenheit, irgendwann einmal zugeben zu müssen, daß diesen Leuten solche Genehmigungen entzogen werden müßten?
Gröbl, Parl. Staatssekretär: Es steht nichts von Moral in der einschlägigen Vorschrift, sondern wohl von Zuverlässigkeit. Sie können davon ausgehen, daß die Bundesregierung diesen Auftrag sehr ernst nimmt.
Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Daniels.
Wenn ich diese Aussagen mit dem vergleiche, was Sie vor ungefähr zwei Monaten im Umweltausschuß dazu gesagt haben, frage ich mich, wann endlich Konsequenzen von Ihrer Seite gezogen werden. Sie sagen immer: Abwarten! Auf diese Informationen von Transnuklear in der Bundesrepublik weiß ich bisher keine Reaktion. Jetzt kommt wieder ein neuer Fall dazu. Ist die Bundesregierung tatsächlich handlungsunfähig?
Gröbl, Parl. Staatssekretär: Die Bundesregierung ist natürlich nicht handlungsunfähig. Die Bundesregierung ist aber nicht bereit, Vorverurteilungen vorzunehmen. Die Bundesregierung recherchiert vielmehr sorgfältig und wartet auf die Ergebnisse.
Zusatzfrage, Herr Dr. Lippelt.
Herr Staatssekretär, hat die Bundesregierung denn überhaupt schon einmal ansatzweise die Notwendigkeit gesehen, ein Verfahren nach § 7 Abs. 2 Nr. 1 des Atomgesetzes, also Überprüfung der Zuverlässigkeit des Betreibers, in Angriff zu nehmen?
Gröbl, Parl. Staatssekretär: Dieses Verfahren ist ja Voraussetzung für die Genehmigung für den Betreiber.
Zusatzfrage, Frau Saibold.
Herr Staatssekretär, sind Sie nach Ihren jetzigen Ausführungen bereit, der Frau Wollny einen schriftlichen Bericht zukommen zu lassen, wenn die Ergebnisse Ihrer Recherchen in Mol und wenn auch neue Erkenntnisse über ähnliche Vorgänge in anderen Ländern vorliegen?
Den Bericht müssen Sie schon selber anfordern. — Wir machen keine Dreiecksverhältnisse. Nur das ist der Sinn meiner Bemerkung.
Sind Sie bereit, ihn mir zuzusenden?
Gröbl, Parl. Staatssekretär: Ich bin nicht nur bereit, Ihnen einen schriftlichen Bericht zuzusenden, sondern ich bin selbstverständlich auch bereit — das gleiche gilt für meinen Kollegen und auch für den Minister — , im Ausschuß ausführlich auf entsprechende Fragen zu antworten.
Zusatzfrage des Abgeordneten Weiss.
Herr Staatssekretär, Sie haben in Ihrer Antwort auf die Frage von Frau Wollny gesagt, Ihnen sei nicht bekannt, daß Trans-nuklear auch in anderen Ländern als Belgien Bestechungen vorgenommen habe. Dazu muß ich Sie fragen, was Sie dann z. B. von einer dpa-Meldung vom 4. November 1987, die mir vorliegt, halten, wonach die Staatsanwaltschaft Oldenburg die Ermittlungen gegen Mitarbeiter des Kernkraftwerks Unterweser wegen des Verdachts der Bestechung ausgedehnt habe und mitteilt, daß es Hinweise gebe, daß mehrere Firmen als Auftragnehmer der Kernkraftwerke in den Komplex verwickelt sein könnten. So die Mitteilung, die hier vorliegt. Wie verträgt sich das mit Ihrer Antwort?
Gröbl, Parl. Staatssekretär: Ausgezeichnet. Wenn das Ergebnis dieser Recherchen vorliegt, dann sind eben Vorkommnisse auch in anderen Ländern bekannt.
Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Unruh.
Herr Staatssekretär, Sie wissen, daß wir Abgeordneten Sie kontrollieren und das Volk vor Schaden bewahren sollen. Sind Sie auch meiner Meinung, daß das bei Ihrem Amt nicht gegeben ist, daß wir leider auf Pressemitteilungen zurückgreifen müssen, um Sie in etwa ein Stückchen kontrollieren zu können?
Gröbl, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, ich fürchte, Sie irren hier, so wie in der Beurteilung anderer Fragen auch.
Wir sind damit am Ende des Geschäftsbereichs des Bundesministers für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit. Herr Staatssekretär, ich danke Ihnen für die Beantwortung der Fragen.Ich rufe nun den Geschäftsbereich des Bundesministers für das Post- und Fernmeldewesen auf. Herr Parlamentarischer Staatssekretär Rawe steht zur Beantwortung der Fragen zur Verfügung.Ich rufe die Frage 39 des Abgeordneten Toetemeyer auf:Ist der Bundesregierung bekannt, daß die Deutsche Bundespost plant, den Posttransport auf der Ruhr-Siegstrecke von der Schiene auf die Straße zu verlagern, und kann sie die Wirtschaftlichkeit dieser oder ähnlicher Maßnahmen auch unter dem Aspekt belegen, daß die Deutsche Bundesbahn das umweltfreundlichste Verkehrsmittel im Güterverkehr ist?Bitte schön, Herr Staatssekretär.
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2536 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 38. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. November 1987
Herr Kollege Toetemeyer, es ist richtig, daß die Deutsche Bundespost plant, die Posttransporte für den Leitraum 59 auf der Ruhr-Sieg-Strecke schrittweise von der Schiene auf die Straße zu verlagern.
Die Erarbeitung eines neuen Konzepts für die Postversorgung des Leitraumes 59 ist erforderlich geworden, um das Transportnetz in diesem Raum den vielfachen Veränderungen vor allem im Bereich der Briefbearbeitung und -beförderung, teilweise auch des übrigen Postverkehrs anzupassen. Im Zuge dieser Entwicklung ist das Sendungsaufkommen, das in den über Siegen verkehrenden begleitenden Bahnposten zu bearbeiten war, so stark zurückgegangen, daß die Beibehaltung der Schienenverbindungen des sogenannten Regionalverkehrs wegen völlig unzureichender Kapazitätsauslastung wirtschaftlich nicht mehr vertretbar ist. Die verbliebene Sendungsmenge kann ohne Schwierigkeiten stationär beim Postamt Siegen bearbeitet werden, ohne daß Zeitverluste eintreten würden. Damit ergibt sich zwangsläufig die Einrichtung von Straßenpostverbindungen aus Hagen und Siegen in die Zielorte des Leitraums 59, die im übrigen zu wesentlich günstigeren Zeiten verkehren können.
Es hat sich gezeigt, daß die Umstellung von Schienen- auf Straßentransport das wirtschaftliche Ergebnis generell verbessert. Bei der Postversorgung dieses Leitraums wird mit Einsparungen von rund 1,5 Milliarden DM im Jahr gerechnet.
— 1,5 Millionen DM im Jahr.
— Da bitte ich sehr um Entschuldigung und bedanke mich für die freundliche Korrektur, Herr Kollege.
Es ist nicht umstritten, daß die Deutsche Bundesbahn das umweltfreundlichste Verkehrsmittel im Güterverkehr ist. Aus diesen und anderen verkehrspolitischen Gründen ist es selbstverständlich, daß die Deutsche Bundespost dem Schienenverkehr immer dann den Vorzug gibt, wenn diese Art der Beförderung den Belangen des Postbetriebes mindestens ebensogut entspricht wie irgendeine alternative Organisationsform. Diese Situation besteht heute jedoch praktisch nur noch im Fernverkehr. Hier bedient sich deshalb die Deutsche Bundespost nach wie vor des Transportmittels Schiene. Im Bereich des Regionalverkehrs dagegen sind die spezifischen Vorteile der Straßenbeförderung derart gravierend, daß inzwischen im gesamten Bundesgebiet die Regionalverbindungen weitgehend auf Straßenposten umgestellt worden sind.
Zusatzfrage, Herr Toetemeyer.
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, ist meine Information richtig, daß zu diesem komplexen Bereich, den Sie jetzt nur in einem Aspekt angesprochen haben, der Verlagerung des bisherigen Verkehrs von der Schiene auf die Straße, ein umfangreiches Wirtschaftlichkeitsgutachten in Ihrem Hause vorliegt — Sie haben das ja selbst angesprochen —, und sind Sie bereit, mir, damit ich die Dinge besser beurteilen kann, nicht nur für meinen Wahlkreis, dieses Gutachten zur Verfügung zu stellen?
Rawe, Parl. Staatssekretär: Soweit wir für die einzelnen Leitbereiche Untersuchungen über die Wirtschaftlichkeit angestellt haben, können Sie die selbstverständlich jederzeit haben, Herr Kollege.
Weitere Zusatzfrage, Herr Toetemeyer.
Das empfinde ich als eine Zusage an mich selbst.
Rawe, Parl. Staatssekretär: Natürlich.
Meine Zusatzfrage: Ist Ihnen bewußt, daß das nicht nur eine Frage der Wirtschaftlichkeit der Deutschen Bundespost ist — da bin ich ja bereit mitzuziehen — , sondern daß sich hier auch ganz schwerwiegende Fragen hinsichtlich des Abbaus der Zahl der Bediensteten im Bahnpostbereich, der gegenwärtigen Altersstruktur, der Nichtneueinstellung von Bahnpostbediensteten oder Postbediensteten insgesamt ergeben und daß es auch eine Frage der Umweltbelastung ist, die hier mit hineinspielt, und würden Sie mir zustimmen, daß aus diesem Grunde eine Abstimmung auch mit anderen Häusern der Bundesregierung dringend erforderlich ist?
Rawe, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich denke, aus meiner ersten Antwort ist sehr deutlich geworden, daß wir uns der Umweltfreundlichkeit des Transportmittels Eisenbahn sehr wohl bewußt sind. Wir haben auch sehr sorgfältig abzuwägen, was Sie vorgetragen haben. Aber all das ist in unsere Überlegungen eingegangen. Ich bin ganz sicher: Würden wir hier ein Ergebnis vorzeigen, das unwirtschaftlicher wäre, würden möglicherweise, nicht von Ihnen, aber von anderen Kollegen dieses Hohen Hauses, Fragen gestellt, warum wir denn nicht wirtschaftlicher arbeiteten.
Ich rufe nun die Frage 40 der Abgeordneten Frau Faße auf:
Ist in die Überlegungen der Deutschen Bundespost über die Ausbildungsquoten 1988 eingeflossen, daß es auch im Bereich des öffentlichen Dienstes in den nächsten Jahren zu weiteren Arbeitszeitverkürzungen kommen wird, die zu einer Erhöhung des Personalbedarfs führen, und wenn ja, wie?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Rawe, Parl. Staatssekretär: Herr Präsident, ich bitte um die Erlaubnis, daß ich, wenn die Frau Kollegin Faße einverstanden ist, beide Fragen im Zusammenhang beantworten darf.
Die Abgeordnete ist einverstanden. — Dann rufe ich auch die Frage 41 der Abgeordneten Frau Faße auf:Steht eine etwaige Absenkung der Ausbildungsquoten 1988 im Zusammenhang mit einer vorgesehenen Privatisierung, Liberalisierung oder Deregulierung des Fernmeldedienstes der Deutschen Bundespost?Rawe, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin Faße, in die Überlegungen über die Ausbildungsquoten 1988 sind mögliche Arbeitszeitverkürzungen im öffentli-
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 38. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. November 1987 2537
Parl. Staatssekretär Rawechen Dienst noch nicht eingeflossen, weil zur Zeit auch noch nicht zu übersehen ist, ob und in welchem Umfang Arbeitszeitverkürzungen zu erwarten sind. Im Zusammenhang mit der Neustrukturierung der Deutschen Bundespost ist jedoch nicht an eine Absenkung der Nachwuchsquoten gedacht.Im übrigen darf ich mir vielleicht eine Zusatzbemerkung erlauben: Aus Ihrer Frage könnte der Eindruck entstehen, als ob überhaupt Privatisierungstendenzen oder -absichten bestünden. Ich darf mit Nachdruck klarstellen, daß solche Privatisierungsabsichten von der Bundesregierung bislang nirgendwo dargetan worden sind, auch nicht, wie Sie wissen, seinerzeit in der Regierungserklärung.Ich will gerne noch darauf hinweisem, daß das Ausbildungsplatzangebot der Deutschen Bundespost im Jahre 1988 aller Voraussicht nach dasjenige des Jahres 1987 nicht unerheblich überschreiten wird. Allerdings wird es zwischen den einzelnen Ausbildungsgängen und den einzelnen Berufen wahrscheinlich Verschiebungen geben.
Zusatzfrage, Frau Faße.
Sind regionale Gegebenheiten bei den Überlegungen der Deutschen Bundespost zu den Ausbildungsquoten 1988 berücksichtigt worden?
Rawe, Parl. Staatssekretär: Wir sind noch voll in der Prüfung, Frau Kollegin. Daraus, daß ich vorhin sagte, es könnte sein, daß sich Verschiebungen ergeben, wird deutlich, daß wir im gewerblich-technischen Bereich in einigen Feldern nicht mehr so viele Ausbildungsplätze vorzuhalten brauchen wie bisher. Sie wissen, wir haben in diesem Bereich immer über Bedarf ausgebildet. Wir haben aber ausdrücklich Weisung erteilt, daß die sogenannten Problemgebiete, insbesondere auch das Zonenrandgebiet und andere Gebiete, wo wir große Schwierigkeiten bei der Unterbringung der Auszubildenden haben, besonders berücksichtigt werden.
Weitere Zusatzfrage, Frau Faße.
Wenn die jetzt anstehende Arbeitszeitverkürzung nicht mit einbezogen wurde, sind Zeiten für Fort- und Weiterbildung von Postbediensteten mit bedacht worden?
Rawe, Parl. Staatssekretär: Sie sind berücksichtigt worden, soweit sie zum gegenwärtigen Zeitpunkt schon angeordnet sind.
Weitere Zusatzfrage.
Hat sich das Verhältnis Auszubildender zu Ausbildern zahlenmäßig verändert, steht das für 1988 an, und welche Auswirkungen sehen Sie?
Rawe, Parl. Staatssekretär: Sie wissen, daß wir das in den vergangenen Jahren auf Anregung des Rechnungshofs einige Male haben anpassen müssen. Für 1988 sehen wir im gegenwärtigen Zeitpunkt keine neuen Anpassungen.
Letzte Zusatzfrage.
Sind Sie mit mir der Meinung, daß das Ministerium auch 1988 alles tun muß, um allen Nachwuchskräften eine Weiterbeschäftigung möglichst im erlernten Beruf zu sichern?
Rawe, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, zu diesem Punkt bin ich in diesem Hohen Hause häufig befragt worden. Ich habe immer wieder deutlich gemacht, daß die Bundesregierung darauf bedacht ist, daß dieses im Eigentum der Bürger stehende Unternehmen tatsächlich immer wieder alle Anstrengungen in Ihrem Sinne unternimmt.
Zusatzfrage des Abgeordneten Börnsen.
Herr Staatssekretär, wie verträgt sich Ihre Aussage, daß die Ausbildungsquote nicht abgesenkt worden ist, damit, daß z. B. im Bereich der Oberpostdirektion Bremen teilweise Rücknahmen von bis zu 25 % der Ausbildungsplätze vorgenommen werden sollten und daß dies in Verhandlungen mit der Personalvertretung auf ungefähr 15 % reduziert wurde, daß aber doch eine ganz beträchtliche Absenkung bleibt?
Rawe, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich sehe keine Differenz. Ich habe gesagt: Das Gesamtausbildungsplatzangebot wird sich erhöhen. Ich habe ausdrücklich gesagt: In einigen Berufen und Berufszweigen kann es abgesenkt werden. Dabei werden wir auf die örtlichen Gegebenheiten Rücksicht nehmen. Offensichtlich haben zu diesem Zweck solche Verhandlungen, wie Sie sie vortragen, stattgefunden.
Sie könnten noch eine weitere Zusatzfrage stellen.
Ja, das habe ich auch vor.
Herr Staatssekretär, ist es dann zutreffend, daß eine generelle Zurücknahme der Ausbildungsquote auch im Bereich der Oberpostdirektion Bremen trotz gegenteiliger regionaler Äußerungen nicht vorgesehen ist?
Rawe, Parl. Staatssekretär: Eine generelle — das habe ich schon gesagt — ist nicht vorgesehen, eine partielle aber kann durchaus vorgesehen sein.
Ich rufe nun die Frage 42 des Abgeordneten Paterna auf:
Trifft es zu, daß die Deutsche Bundespost seit 1983 den zusätzlichen Raumbedarf für die gestiegenen Ausbildungsquoten zum Fernmeldehandwerker bis heute nicht oder nur in Ausnahmefällen realisiert hat?
Rawe, Parl. Staatssekretär: Herr Präsident, auch in diesem Fall würde ich um die Erlaubnis bitten, beide Fragen zusammen zu beantworten.
Herr Paterna ist einverstanden.Ich rufe auch die Frage 43 des Abgeordneten Paterna auf:
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2538 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 38. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. November 1987
Vizepräsident WestphalWie gedenkt die Deutsche Bundespost den Raumbedarf an die Ausbildungsquote zum Kommunikationselektroniker des Jahres 1987 anzupassen?Rawe, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Paterna, die Deutsche Bundespost bildet seit Jahren aus Verpflichtung gegenüber der Allgemeinheit in den gewerblichen-technischen Ausbildungsberufen weit über den eigenen Bedarf hinaus aus.Im Zeitraum von 1983 bis 1987 stieg die Zahl der zum Fernmeldehandwerker Auszubildenden von 4 750 auf 5 183, das entspricht einem durchschnittlichen Wachstum von etwas über 2 %. Der Raumbestand im gesamten Fernmeldewesen stieg im gleichen Zeitraum ebenfalls um 2 %. Der Raumbestand in den Berufsbildungsstellen, in denen die Fernmeldehandwerker ausgebildet werden, reicht nach dem gegenwärtigen Stand für die auszubildenden Fernmeldehandwerker im Jahre 1987 aus. Es kann deswegen von einem fehlenden Raumbestand nicht die Rede sein. Um sicherzustellen, daß die baulichen Anlagen des Fernmeldewesens der zügigen Entwicklung Bedarfs- und zeitgerecht folgen, ist eine eigene Planungssystematik geschaffen worden. Im Rahmen dieser Regelungen wird der Flächenmehrbedarf in einem mittelfristigen Zeitraum in der Regel durch Eigenbau realisiert, und kurzfristig werden Engpässe durch Anmietungen überbrückt.Für die Ausbildung der Kommunikationselektroniker steht im Jahr 1987, bundesweit gesehen, ausreichender Raumbestand zur Verfügung. In Einzelfällen nicht gänzlich auszuschließende Engpässe werden außer durch Anmietungen auch durch den Abbau von Raumnutzungen durch Dritte überbrückt.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Paterna.
Herr Staatssekretär, nachdem das Postministerium im August bei den Oberpostdirektionen nachgefragt hat, welchen Investitionsbedarf — es hat also nicht nur gefragt, ob überhaupt Investitionsbedarf besteht, sondern welcher — es für die Erhöhung der Raumkapazität für Ausbildungszwecke gibt, darf ich Sie fragen: Gibt es da schon Rückmeldungen und eine Bewertung durch das Ministerium?
Rawe, Parl. Staatssekretär: Nein. Eine Bewertung gibt es im gegenwärtigen Zeitpunkt nicht, und diese Umfrage diente dem Zweck, rechtzeitig nachsteuern zu können.
Eine weitere Zusatzfrage.
Darf ich Sie bitten, wenn es eine Bewertung gibt, mir diese zu gegebener Zeit zur Verfügung zu stellen?
Rawe, Parl. Staatssekretär: Ich darf beides zusagen, erstens daß wir rechtzeitig nachsteuern werden, wenn es einen solchen Bedarf gibt, und zweitens gebe ich Ihnen auch die Bewertung gern zur Kenntnis.
Eine weitere Zusatzfrage.
Darf ich Sie weiter fragen, ob Sie meine Einschätzung teilen, daß der Kommunikationselektroniker im Gegensatz zum Fernmeldehandwerker ein Industrieberuf ist, der so hoch qualifiziert ist, daß die Ausbildung von Nachwuchs nicht überwiegend durch kleine und mittlere Betriebe geleistet werden kann, daß sich daraus die Fluktuationen erhöhen und damit auch bei uns eine erhöhte Ausbildungsquote notwendig sein könnte?
Rawe, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich kann das nicht ausschließen. Ich möchte nicht in eine Qualifizierung der einzelnen Ausbildungsstätten eintreten; denn dafür müßten wir sie uns beide genauer angesehen haben. Ich bin nicht immer der Auffassung, daß ein größerer Betrieb von vornherein der bessere Ausbilder ist.
Letzte Zusatzfrage.
Darf ich davon ausgehen, daß dieser Gesichtspunkt weiter in der Prüfung bleibt, um abschätzen zu können, welche Ausbildungsquote wir brauchen, um mit Sicherheit auch in Zukunft unseren eigenen Bedarf voll zu decken?
Rawe, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, da wir die Absicht haben, dafür Sorge zu tragen, daß wir den Anforderungen, die der moderne Telekommunikationsmarkt an das Unternehmen Deutsche Bundespost stellt, nachkommen, können Sie davon ausgehen, daß wir rechtzeitig dafür sorgen werden, soweit es in unseren Kräften steht, daß wir die richtigen Nachwuchskräfte bekommen.
Wir sind damit am Ende des Geschäftsbereichs für das Post- und Fernmeldewesen. Ich danke dem Staatssekretär für die Beantwortung der Fragen.
Der Geschäftsbereich des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft braucht nicht aufgerufen zu werden, da die Fragen 44 und 45 der Abgeordneten Frau Rönsch und die Frage 46 des Abgeordneten Börnsen (Ritterhude) zurückgezogen wurden und die Fragen 47 und 48 des Abgeordneten Kuhlwein schriftlich beantwortet werden sollen. Die Antworten auf die Fragen 47 und 48 werden als Anlagen abgedruckt.
Wir sind damit am Ende der Fragestunde.
Wir werden die Sitzung um 14.30 Uhr mit der Aktuellen Stunde fortsetzen.
Die Sitzung ist unterbrochen.
Wir fahren mit der Sitzung fort.Ich rufe den Zusatzpunkt 1 zur Tagesordnung auf:Aktuelle StundeMeine Damen und Herren, die Fraktion der GRÜNEN hat gemäß Nr. 1 c der Anlage 5 unserer Geschäftsordnung eine Aktuelle Stunde zu dem Thema
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 38. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. November 1987 2539
Vizepräsident WestphalHaltung der Bundesregierung zu der bevorstehenden Aufnahme der binären C-WaffenProduktion in den USAverlangt.Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Mechtersheimer.
Herr Präsident! Meine verehrten Damen und Herren! Die Fraktion der GRÜNEN will mit dieser Aktuellen Stunde auf eine akute Aufrüstungsgefahr aufmerksam machen, und zwar bei den chemischen Waffen. Im Schatten der aktuellen Debatte über nukleare Abrüstung scheint dieses Feld völlig unbeachtet zu sein. Es hat ein Countdown begonnen, den man nach Möglichkeit stoppen sollte.
Die Freude über das Abkommen über die weltweite Beseitigung landgestützter Mittelstreckenraketen, das voraussichtlich am 7. Dezember von KP-Chef Gorbatschow und Präsident Reagan unterschrieben werden soll, wird wohl nicht lange währen. Denn in der darauffolgenden Woche wollen die USA mit der Produktion besonders heimtückischer Waffen beginnen, nämlich dieser binären chemischen Waffen.
Der amerikanische Kongreß hatte am 19. Dezember 1985 die Endmontage dieser neuen, binären C-Sprengköpfe und C-Bomben bis zum 1. Dezember 1987 aufgeschoben. Der Deutsche Bundestag hatte im Mai 1986 die Teilnehmer der Genfer Abrüstungskonferenz aufgefordert, diese Aufschubfrist voll zu nutzen, um vorher ein Verbot der Entwicklung, Herstellung und Lagerung von chemischen Waffen zu vereinbaren.
Weil das bisher nicht gelungen ist, hat Präsident Reagan am 16. Oktober dieses Jahres dem Kongreß den Beginn der Endmontage der binären chemischen Artilleriegeschosse vom Kaliber 155 mm angekündigt. Das ist keine alleinige nationale US-amerikanische Angelegenheit; denn diese chemischen Waffen würden nicht in den Vereinigten Staaten, sondern hauptsächlich in der Kampfzone Bundesrepublik eingesetzt werden, wodurch vor allem die Menschen in beiden deutschen Staaten bedroht würden. Deshalb müssen wir als Vertreter dieser potentiellen Opfer hier gemeinsam eine Mitsprache fordern.
Der Verlauf der Verhandlungen in Genf läßt hoffen, daß im nächsten Jahr ein Abkommen über ein weltweites Verbot der Chemiewaffen unterschriftsreif wird. Deshalb appellieren wir an Regierung und Parlament in Washington, die Endmontage der neuen CWaffen auszusetzen. Wir fordern den Bundeskanzler auf, sofort zu intervenieren, um die völlig überflüssige und gefährliche chemische Aufrüstung im letzten Augenblick zu verhindern.
Wenn es möglich war, die Sicherheit der USA und ihrer Verbündeten trotz des seit 18 Jahren bestehenden Produktionsstopps dieser Waffen aufrechtzuerhalten, dann ist nicht einzusehen, weshalb das nicht noch ein oder zwei Jahre länger möglich sein soll,
zumal in einer Zeit ernsthafter Abrüstungsverhandlungen und abnehmender Bedrohungsängste. Anderenfalls setzen sich die USA dem Verdacht aus, mit chemischen Arsenalen den Abzug atomarer Waffen ersetzen zu wollen.
Weshalb wollen sich die USA als Staat des Wettrüstens präsentieren, während die Sowjetunion gerade kürzlich durch eine überraschende Offenlegung ihrer Chemiewaffen einen wichtigen Beitrag zum Zustandekommen eines C-Waffen-Verbotes geleistet hat?
— Das ist richtig!
Wenn die USA am 16. Dezember 1987 mit dieser völlig überflüssigen Waffenproduktion beginnen, verringern sie die Chancen zur Beseitigung dieser besonders widerwärtigen Waffen.
Die Bundesregierung befindet sich in einer verzwickten Lage — das sei eingeräumt — , weil der bis 1992 angekündigte Abzug der alten C-Waffen-Bestände aus der Bundesrepublik an die Produktion von neuen kriegstauglichen binären Waffen gekoppelt ist. Das heißt, um den Abzug der alten Bestände nicht zu gefährden, müßte sie nach dieser Logik jetzt der Produktion der neuen Waffen zustimmen und würde damit dazu beitragen, daß das Zustandekommen eines weltweiten C-Waffen-Vertrages gefährdet wird.
Die Bundesregierung und die Koalitionsparteien haben sich — das muß man ganz nüchtern und ohne Vorwurf feststellen — in eine Situation hineinmanövriert, in der sie sich gezwungen sehen, neue gefährliche Waffen, für die übrigens in der Bundesrepublik bereits die Depots gebaut werden,
als Preis für den Abzug der alten Bestände zu akzeptieren.
Wir fordern, daß die chemischen Waffen in der Bundesrepublik als Folge eines weltweiten C-WaffenVerbots abgebaut werden und nicht deshalb, weil es einen gefährlicheren, kriegstauglicheren Ersatz dafür gibt. C-Waffen sind in Mitteleuropa Selbstvernichtungsinstrumente und müssen deshalb in jedem Fall abgezogen werden.
Wenn es in den Vereinigten Staaten wirklich einen Abrüstungswillen gibt, dann dürfen sich das Weiße Haus und der Kongreß dieser gemeinsamen Forderung aus der Bundesrepublik nicht widersetzen: nämlich weltweites Verbot der C-Waffen u n d Abzug der C-Waffen aus der Bundesrepublik.
Vielen Dank.
Das Wort hat der Abgeordnete Lamers.
Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Die Mitteilung des amerikanischen Präsidenten an den Kongreß ist vor-
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2540 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 38. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. November 1987
Lamersaussichtlich der vorletzte Schritt für die Entfernung aller chemischen Waffen aus der Bundesrepublik Deutschland. Das ist ein Erfolg der Tokioter Vereinbarung zwischen dem Bundeskanzler und dem amerikanischen Präsidenten aus dem vergangenen Jahr, und das ist nicht zuletzt ein Erfolg meiner Fraktion, an ihrer Spitze des Fraktionsvorsitzenden und des Kollegen Todenhöfer, die sich wie keine anderen in diesem Hohen Hause für die Entfernung der chemischen Waffen aus der Bundesrepublik Deutschland eingesetzt haben, und die sich — wie wir es immer und stets getan haben — für ein weltweites kontrolliertes Chemiewaffenverbot eingesetzt haben. Daran zu erinnern, besteht aller Anlaß.Zweitens. Die Mitteilung des amerikanischen Präsidenten stellt keinen Gegensatz zu einem weltweiten Chemiewaffenabkommen dar, für das wir nach wie vor mit Nachdruck eintreten. Wir hatten hier in diesem Hause am 15. Mai 1986 eine Debatte, und damals schon habe ich auf die Parallele zwischen dem Verlauf der INF-Verhandlungen und den Chemiewaffenverhandlungen hingewiesen. Erst als der Westen mit seiner Warnung ernstgemacht hat, nötigenfalls auch zu stationieren, sind wir bei dem INF-Abkommen weitergekommen. Wir können heute mit Befriedigung feststellen, daß wir auch auf sowjetischer Seite Bewegung haben, was ein weltweites Chemiewaffenverbot angeht.Ich darf einmal darauf hinweisen, daß die Sowjetunion ja in sämtlichen Bereichen nach wie vor ihr Modernisierungsprogramm weiter fortsetzt. Wir dürfen bei den Entscheidungen, die wir heute im militärischen Bereich zu treffen haben, nicht so tun, als gäbe es keine Abrüstungsverhandlungen. Wir dürfen aber auch nicht so tun, als hätten wir sie schon, sondern wir müssen alles in Betracht ziehen. An unserer Bereitschaft, das, was wir an neuen Waffen möglicherweise aufstellen, auch wieder abzuziehen, kann nach unserer Entscheidung in der INF-Frage niemand zweifeln.Meine Fraktion jedenfalls tritt unverändert und mit allem Nachdruck für ein weltweites kontrolliertes Verbot von chemischen Waffen ein. Wir wissen sehr gut, welche außerordentlichen Verifikationsprobleme hier zu bewältigen sind. Wer sich ernsthaft mit dieser Frage auseinandersetzt, kann das und darf das nicht leugnen. Sie sind ungleich größer als noch im INF-Bereich; das weiß jeder. Aber wir sagen mit derselben Klarheit: Diese Schwierigkeiten dürfen kein Anlaß sein, von diesem Ziel abzulassen.Wir bitten die Vereinigten Staaten deshalb, konsequent an einem weltweiten Verbot chemischer Waffen zu arbeiten. Die Aussichten sind — trotz der Verifikationsschwierigkeiten — in der Tat besser geworden. Meine Fraktion wird es an der notwendigen Unterstützung für ein solches Abkommen nicht fehlen lassen.Die Bundesregierung findet unsere volle Unterstützung bei ihren sehr konstruktiven Beiträgen zur Erreichung eines solchen Abkommens. Ich finde, daß wir die Gemeinsamkeit der Position in dieser Frage aufrechterhalten sollten, zumal, Herr Kollege Bahr, die Bundesregierung in dem Tokioter Abkommen alles das erreicht hat, was Sie einmal in fünf Punkten imUnterausschuß für Abrüstung und Rüstungskontrolle formuliert haben.Wir stehen auch bei den Chemiewaffen vor einem großen Erfolg. Ich freue mich, daß das ein Erfolg der Bundesregierung ist.Danke schön.
Das Wort hat der Abgeordnete Voigt .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Haltung der Bundesregierung zur chemischen Abrüstung gerät ins Zwielicht. Statt auf die Warnungen der SPD vor dem Beginn eines neuen Rüstungswettlaufs bei qualitativ neuen chemischen Kampfstoffen zu hören, hat die Bundesregierung durch ihr Schweigen der Aufnahme der Produktion neuer chemischer Kampfstoffe in den Vereinigten Staaten den Weg geebnet.Erstens. Der Präsident der Vereinigten Staaten behauptet gegenüber dem amerikanischen Kongreß, daß die Montage dieser qualitativ neuen Generation chemischer Waffen auf Grund auch der Interessen anderer NATO-Staaten erforderlich sei. Ich habe hier bereits am 15. Mai des vergangenen Jahres gesagt, daß die Bundesregierung endlich Position beziehen solle und sich gegen die geplante Aufnahme der Produktion neuer chemischer Waffen wenden solle. Die Bundesregierung hat dies nicht getan.Jeder amerikanische Kongreßabgeordnete muß, wenn die Bundesregierung dem nicht spätestens heute widerspricht, davon ausgehen, daß der Präsident der Vereinigten Staaten das Interesse der anderen NATO-Staaten — damit auch der Bundesrepublik — an der Aufnahme der Produktion neuer chemischer Kampfstoffe im Einvernehmen auch mit der Bundesregierung festgestellt hat. Die Bundesregierung aber behauptet gegenüber dem Bundestag und seinen Ausschüssen, sie habe der Aufnahme der Produktion nie zugestimmt. Dieser Widerspruch verursacht Mißtrauen in der Bundesrepublik und schadet den transatlantischen Beziehungen.Schaffen Sie heute endlich Klarheit! Haben Sie den Mut, auch vor der Öffentlichkeit und nicht nur hinter verschlossenen Türen zu sagen, ob Sie ebenso, wie der amerikanische Präsident es behauptet, die Produktion neuer chemischer Kampfstoffe im Interesse nicht nur der USA, sondern auch der Bundesrepublik Deutschland für erforderlich halten.Zweitens. Sie haben gegenüber dem Bundestag behauptet, die heute in der Bundesrepublik gelagerten chemischen Kampfstoffe würden bis spätestens 1992 abgezogen werden. Dies haben wir begrüßt. Aber warum steht über die Vereinbarung zwischen der Bundesregierung und der Reagan-Administration nichts im Brief des Präsidenten an den Kongreß? Die Bundesregierung wußte seit langem, daß dieser Brief an den Kongreß geplant war. Warum hat die Bundesregierung nicht zu erreichen versucht, daß sich der amerikanische Präsident zu diesem Abzug der chemi-
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Voigt
schen Waffen aus der Bundesrepublik auch in dieser Erklärung gegenüber dem Kongreß verpflichtet?Drittens. Die Bundesregierung hat gegenüber dem Bundestag erklärt, sie besäße ein Vetorecht gegenüber der Stationierung neuer chemischer Kampfstoffe in der Bundesrepublik Deutschland. Warum ist hiervon in der Erklärung des amerikanischen Präsidenten ebenfalls nicht die Rede? Warum hat die Bundesregierung nicht darauf bestanden, daß dies gegenüber dem Kongreß auch offiziell erklärt wird? Fürchtet die Bundesregierung, daß Klarheit und Eindeutigkeit gegenüber dem amerikanischen Kongreß ihr Konzept, das auf Doppeldeutigkeit von Erklärungen und Absichten beruht, durchkreuzen könnte?Viertens. Die Bundesregierung verspricht seit Jahren für das jeweils kommende Jahr den Abschluß eines Abkommens über ein weltweites Verbot chemischer Waffen. Wir begrüßen die Absicht seit Jahren. Aber wir vermissen ebenfalls seit Jahren den endgültigen Abschluß eines derartigen Abkommens.
— Die Schwierigkeiten, sehr geehrter, lieber Kollege, sind, wenn Sie sich einmal bei der Bundesregierung erkundigen, nicht nur sowjetischer Art, sie waren in den vergangenen Jahren auch amerikanischer Art. —
Wer aber in diesem Jahr die Aufnahme der kostspieligen Produktion neuer amerikanischer oder auch französischer chemischer Kampfstoffe bejaht oder stillschweigend hinnimmt, der erwartet doch wohl kaum ein weltweites Verbot der chemischen Kampfstoffe im kommenden Jahr. Schon aus diesem Grunde bleibt unser Vorschlag für eine chemiewaffenfreie Zone in Europa weiterhin aktuell.
Wir sind des Wartens auf chemische Abrüstung müde. Wir wollen endlich Taten sehen. Wir begrüßen es, wenn die Bundesregierung die Großmächte zu einem Abkommen über eine weltweite Ächtung chemischer Waffen drängt. Aber wir, die wir in den kleinen und mittelgroßen europäischen Staaten wohnen, wollen — wo immer möglich — auch selber für die Abrüstung in Ost und West und insbesondere in Europa handeln.Statt wie die Bundesregierung der Aufnahme der Produktion neuer chemischer Kampfstoffe in internen Mauscheleien den Weg zu ebnen, hätten wir Sozialdemokraten deshalb parallel zu unserem Drängen auf ein weltweites Verbot chemischer Waffen mit Verhandlungen über eine chemiewaffenfreie Zone in Europa begonnen. Wir wollen nicht den Makel der Mitverantwortung für die Produktion neuer chemischer Kampfstoffe übernehmen, wir wollen uns damit nicht beflecken.Wir wollen den Frieden ohne chemische Waffen
und nicht die Aufrüstung mit neuen chemischen Waffen.Vielen Dank.
Das Wort hat der Abgeordnete Feldmann.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es kann doch keine Rede davon sein, Herr Kollege, daß die Haltung der Bundesregierung in dieser Sache im Zwielicht ist. Die Haltung der Bundesregierung zu den chemischen Waffen ist klar und eindeutig: Die Bundesrepublik Deutschland ist das einzige Land, das auf die Herstellung und den Besitz chemischer Waffen vertraglich verzichtet hat. Es ist richtig: Auf unserem Boden liegen noch große Mengen, die ein erhebliches Gefährdungspotential darstellen. Aber uns bedroht auch das große C-Waffen-Potential der Sowjetunion.Ziel unserer Politik kann nur sein, chemische Waffen schnellstmöglich vom europäischen Kontinent zu verbannen und weltweit zu ächten.
Auf diesem Weg hat die Bundesregierung viel erreicht, mehr erreicht als alle Regierungen zuvor. Darüber waren wir uns doch im Unterausschuß Abrüstung und Rüstungskontrolle klar. Es ist unfair, Herr Kollege, hier von internen Mauscheleien zu sprechen.
Diese Bundesregierung hat mehr erreicht als alle Regierungen zuvor. Sie hat erreicht, was zu erreichen war.Sie hat die Zusicherung des amerikanischen Präsidenten erwirkt, daß die bei uns lagernden C-Waffen — im Fall der Produktion neuer binärer Waffen —, daß der Altbestand vom Gebiet der Bundesrepublik bis 1992 ersatzlos — ich betone: ersatzlos — abgezogen wird.
Aus dieser Verpflichtung werden wir unseren Bündnispartner USA nicht entlassen.
Eine neue Stationierung amerikanischer C-Waffen kommt auf unserem Boden nicht in Frage.
Meine Damen und Herren, neue amerikanische C-Waffen in Europa — das wissen wir — könnten nicht mehr Sicherheit bringen. Wir gewinnen aber Sicherheit, wenn die Sowjetunion ihre C-Waffen beseitigt. Wir wollen keine chemische Nachrüstung, sondern ein weltweit verbindliches, verläßlich nachprüfbares Verbot der Herstellung, des Besitzes, der Lagerung und der Weitergabe chemischer Waffen. Dabei wollen wir, Herr Kollege Voigt, nicht auf halbem Wege stehenbleiben. Wir sagen nein zu einer regionalen Lösung. Wir wollen die weltweite Lösung, so wie wir es auch bei der doppelten Null-Lösung geschafft haben.
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2542 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 38. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. November 1987
Dr. FeldmannBei den Genfer C-Waffen-Verhandlungen erscheint ein Vertragsschluß innerhalb weniger Monate möglich. Mit einem solchen Vertrag wäre selbstverständlich auch die Neuproduktion amerikanischer C-Waffen hinfällig. Auch die Komponenten für neue, binäre Waffen sind auf der Verbotsliste und könnten nach einem Vertragsschluß nicht mehr produziert werden. Aber, Herr Mechtersheimer, die Entscheidung über das amerikanische Modernisierungsprogramm fällt nicht allein in Washington, sondern auch in Genf und auch in Moskau. Das will ich hier von dieser Stelle aus in aller Deutlichkeit sagen.
Und es darf auch nicht verschwiegen werden, daß die Sowjetunion das amerikanische Modernisierungsprogramm — lassen Sie es mich einmal so deutlich sagen — provoziert hat. Nach dem Vietnam-Schock, nach 1969, haben die Amerikaner keine C-Waffen mehr produziert. Die Sowjetunion hat dieses einseitige amerikanische Moratorium nicht honoriert. Im Gegenteil: Sie haben weiter produziert und modernisiert und weiter die chemische Kriegführung mit ihren Soldaten eingeübt. Das ist nicht nur ein abrüstungspolitisches Versäumnis. Zugegeben: Die Sowjetunion zeigt jetzt Bewegung in Genf. Das begrüßen wir alle sehr; aber wir müssen jetzt die Sowjetunion beim Wort nehmen und vertraglich auch in die Pflicht nehmen.Beide Regierungen, beide Großmächte sind aufgefordert, einen klaren Weg zur Ächtung der C-Waffen aufzuzeigen. Unter diesem Gesichtspunkt, Herr Kollege, bedauere ich die amerikanische Produktionsentscheidung; denn es besteht die Gefahr, daß andere Staaten dies als Absage an ein Abkommen mißverstehen könnten oder — noch mehr — es als Legitimation einer eigenen Produktion mißbrauchen könnten.
Chemische Waffen dürfen nicht zur Atomwaffe der kleinen Mächte werden.
Auch wegen der Gefahr der Weiterverbreitung muß schnellstmöglich auf ein weltweites C-Waffen-Verbot gedrängt werden.Ich bedanke mich.
Das Wort hat der Staatsminister im Auswärtigen Amt, Herr Schäfer.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Voigt, Sie sprachen vom Zwielicht, in das angeblich die Bundesregierung gerückt sei. Ich kann nur sagen: Ihre Argumentation war zwielichtig. Wenn Sie sich an die Worte Ihres neben Ihnen sitzenden Fraktionskollegen Bahr erinnern, der uns damals nach Tokio hier im Saal gesagt hat: Fabelhaft, daß Sie das erreicht haben, dann, glaube ich, ist es nicht ganz ehrlich, HerrVoigt, wenn Sie jetzt versuchen, dieses Erreichte wieder in Zweifel zu ziehen;
aber wir sollten natürlich auf die einzelnen Argumente eingehen.Herr Mechtersheimer, es kann natürlich nicht die Rede davon sein, daß wir uns in eine Lage hineinmanövriert hätten daß gar Depots in der Bundesrepublik gebaut würden; das ist schlicht nicht wahr.
Wir haben uns in die Lage hineinmanövriert, Waffen, die seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges unter anderem in der Pfalz gelagert sind, endlich aus der Bundesrepublik herauszubekommen. Daß wir dann nicht noch die Bedingungen den Vereinigten Staaten diktieren können, wird, glaube ich, jedem deutlich, der die Größenverhältnisse zwischen den Vereinigten Staaten und der Bundesrepublik realistisch sieht.
Die Haltung der Bundesregierung zu chemischen Waffen ist eindeutig und vor diesem Hohen Hause wiederholt dargelegt worden. Der Bundesminister des Auswärtigen hat sie in seiner Rede vom 15. Mai 1986 wie folgt zum Ausdruck gebracht — ich zitiere — :Für uns, für die Bundesregierung, hat das weltweite Verbot der chemischen Waffen höchste Priorität. Chemische Waffen gehören zu den schrecklichsten Vernichtungswaffen, die man sich vorstellen kann. Nicht nur hier, sondern überall in der Welt müssen sie verschwinden, um diese Geißel von der Menschheit zu nehmen.Ich bin dankbar, daß der Kollege Feldmann Ihnen gesagt hat: Deshalb lehnen wir regionale Zonen ab und fechten für die globale Beseitigung dieser Waffen.Die Bundesregierung befindet sich mit dieser Haltung in voller Übereinstimmung mit ihren Partnern im Atlantischen Bündnis, die in der Erklärung von Reykjavik vom 12. Juni 1987 bekräftigt haben, daß die weltweite Beseitigung chemischer Waffen ein wichtiges Element des kohärenten Gesamtkonzepts der Rüstungskontrolle und Abrüstung des Bündnisses darstellt.Auch der amerikanische Präsident hat eindeutig klargestellt, daß die Vereinigten Staaten am Vorrang eines weltweiten Verbotsabkommens über chemische Waffen festhalten. Präsident Reagan hat dazu in seiner Botschaft vom 16. Oktober 1987 an den amerikanischen Kongreß ausgeführt:Wir streben unverändert ein weltweites und wirksam nachprüfbares Verbot chemischer Waffen an.Ich betone jetzt:Bis zur Erreichung dieses Ziels ist es jedoch für uns von großer Bedeutung, ein sicheres und modernes Arsenal an chemischen Waffen beizubehalten, mit dessen Hilfe unsere potentiellen Gegner vom Einsatz chemischer Waffen abgeschreckt werden können.
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 38. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. November 1987 2543
Staatsminister SchäferDas gilt für diese Übergangszeit und für sonst nichts. Ein solches Abkommen würde jeden Staat, der chemische Waffen besitzt, verpflichten, seine Bestände binnen zehn Jahren nach Inkrafttreten des Abkommens zu vernichten.Was die Altbestände von chemischen Waffen in der Bundesrepublik angeht, bleibt es im übrigen bei der Absprache von Tokio vom Mai 1986: Diese Waffen werden spätestens 1992 aus der Bundesrepublik abgezogen, und sie werden — das hat Herr Feldmann deutlich gemacht — auch nicht durch neue Produktionen ergänzt. Dafür haben wir gesorgt, und das ist ein Erfolg dieser Bundesregierung, den man hier nicht wegdiskutieren kann.Jetzt ist die Genfer Abrüstungskonferenz, die das Mandat zur Ausarbeitung eines weltweiten Verbotsabkommens chemischer Waffen hat, gefordert. Es gilt, durch Beseitigung der chemischen Waffen mehr Sicherheit zu gewinnen, und es gilt auch, der voranschreitenden Proliferation chemischer Waffen vorzubeugen. Durch zügigen Abschluß der Verhandlungen muß der Gefahr entgegengewirkt werden, daß sich weitere Staaten in den Konfliktherden der Dritten Welt dieser — wie jemand gesagt hat — Nuklearwaffen des kleinen Mannes bedienen.
— Es ist sicher, Herr Kollege Voigt, eine ganz große zusätzliche Schwierigkeit bei den Verhandlungen über die weltweite Abschaffung, daß wir gerade in diesem sehr sensitiven Bereich von Konfliktherden, die nicht völlig von uns kontrollierbar sind, versuchen müssen, politisch einzuwirken. Das ist eine der schwierigsten Folgen.Es gilt, durch Beseitigung der chemischen Waffen mehr Sicherheit zu gewinnen. In den Verhandlungen der Genfer Abrüstungskonferenz ist bereits viel erreicht worden, auf dem aufgebaut werden kann. Ein in großen Teilen ausformulierter Vertragsentwurf liegt vor. Bei den bilateralen Gesprächen zwischen den USA und der Sowjetunion in jüngster Zeit, insbesondere auch bei den Gesprächen der beiden Außenminister in Washington und in Moskau, sind in zentralen Fragen der Verifikation eines Chemiewaffenverbots wichtige Fortschritte erzielt worden. In der Schlüsselfrage, wie im Falle des Verdachts einer Vertragsverletzung vorgegangen werden soll, ist es zu einem Durchbruch gekommen. Die Sowjetunion hat der amerikanischen Forderung nach unverzüglichen Inspektionen vor Ort ohne Ablehnungsrecht, an welchem Ort auch immer sie verlangt werden, zugestimmt. Die Sowjetunion hat sich ferner bereit gezeigt, westlichen Forderungen nach mehr Offenheit und Transparenz im Chemiewaffenbereich entgegenzukommen. Die sowjetische Einladung von Mitgliedern der Genfer Abrüstungskonferenz zum Besuch der sowjetischen Chemiewaffeninstallationen in Shikhany war ein positiver Anfang.Eine der wichtigsten Fragen, die jetzt in Genf noch zu lösen sind, betrifft die systematische Kontrolle der chemischen Industrie. Dadurch soll verhindert werden, daß einschlägige chemische Stoffe, die z. B. bei der Herstellung von Pflanzenschutzmitteln anfallen, aus der zivilen Produktion für die Herstellung chemischer Waffen abgezweigt werden. Die Welt muß sicher sein, daß nach Inkrafttreten eines Chemiewaffenverbotsabkommens chemische Waffen nicht mehr produziert werden.Schon jetzt besteht in Genf Einvernehmen darüber, daß die Produktion der Schlüsselausgangsstoffe für binäre chemische Waffen nach Inkrafttreten einer CW-Konvention verboten sein soll.Weitere offene Fragen sind die Ausgestaltung der Vertragsorganisation für ein Verbotsabkommen über chemische Waffen und der Fahrplan für die Beseitigung aller chemischen Waffen. Das sind im wesentlichen technische Fragen, die den Abschluß eines Verbotsabkommens nicht aufhalten dürfen.Die Bundesrepublik Deutschland als Staat an der Schnittstelle zwischen den beiden Bündnissen hat ein vitales Interesse am völligen Verbot chemischer Waffen. Durch die Beseitigung dieser schrecklichen Waffenkategorie würde eine gefährliche Bedrohung, der wir uns ausgesetzt sehen, verschwinden. In diesem Sinne wirken wir durch unsere Beiträge in der Genfer Abrüstungskonferenz und durch einen intensiven Dialog mit den Staaten, die in diesen Verhandlungen eine führende Rolle spielen, aktiv für ein baldiges Verbotsabkommen. Die Bundesregierung wird weiterhin ihr ganzes Gewicht zur Geltung bringen, damit die noch offenen Fragen zügig bewältigt und ein Abkommen binnen kürzestmöglicher Frist erreicht werden können.Vielen Dank.
Das Wort hat der Abgeordnete Lowack.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Das Thema hätte eigentlich die Vermutung nahelegen können, daß es den GRÜNEN wirklich einmal um eine akzeptable Empfehlung an die Bundesregierung gehen würde. Tatsächlich war es wieder einmal ein grandioses Ablenkungsmanöver, und leider habe ich auch von seiten der SPD bisher viel Schaum, aber nicht allzuviel Positives gehört.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Anwendung von C-Waffen ist seit dem Genfer Abkommen von 1925 verboten, und es ist inzwischen auch als Völkergewohnheitsrecht anerkannt, daß sie nicht verwendet werden dürfen. Es gäbe bei den chemischen Waffen überhaupt kein Problem, wenn nicht die Sowjetunion entgegen diesem Verbot über Jahrzehnte in einem unglaublichen Umfang chemische Waffen produziert hätte
und wenn sie sie nicht zu einem Bestandteil ihrer strategischen Überlegungen zur Kriegführung machen würde.
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2544 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 38. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. November 1987
LowackIch muß einfach wieder einmal an die Feldvorschrift erinnern, die bis heute immer noch besteht, die die Sowjetunion nicht geändert hat und die zur chemischen Kampfführung folgendes sagt:Chemische Waffen werden angewandt, um dem Gegner Massenverluste an Menschen beizubringen und um die Handlungen seiner Truppen sowie Tätigkeiten im Hinterland zu erschweren. Sie werden überraschend und massiert eingesetzt.Wer für Vertrauen in diesem Bereich sorgen will, soll erst einmal diese Feldvorschrift für das sowjetische Heer ändern, damit wir wissen, woran wir mit einem Vertragspartner sind. Daran muß man doch einmal erinnert haben.
Es war doch die Sowjetunion, lieber Kollege Mechtersheimer, die ständig den Einsatz chemischer Kampfstoffe geübt hat, im Gegensatz zu irgendeinem NATO-Land. Die NATO hat niemals den chemischen Waffen irgendeine Bedeutung für die Kriegsführung beigemessen, sondern die Absicht bestand ausschließlich darin, dem Land, das die größten Vorräte hat und die Waffen modernisiert hat, klarzumachen, daß man im Falle einer Verwendung dieser Mittel im Krieg antworten könnte.Es ist die Sowjetunion, meine sehr verehrten Damen und Herren, die chemische Waffen entgegen dem Völkerrecht in Afghanistan eingesetzt hat und, wie es teilweise gesagt wurde, erprobt hat. Das muß man doch berücksichtigen, wenn man weiß, um was es heute geht und welche Vertrags- und Verhandlungspartner sich gegenüberstehen.Sie prügeln die Vereinigten Staaten von Amerika, die ihre C-Waffen-Produktion seit Ende der 60er Jahre eingestellt haben, die die Produktion auch der binären chemischen Waffensysteme zurückgestellt haben, um der Sowjetunion Gelegenheit zu geben, zu einem gemeinsamen Text zu kommen. Das war doch auch wieder eine Vorleistung der Vereinigten Staaten von Amerika und des Westens gegenüber der Sowjetunion, die von ihr nicht genutzt wurde.Wer hat denn eigentlich die Sowjetunion davon abgehalten, ein umfassendes Angebot über das Verbot der Entwicklung, Herstellung und Lagerung von CWaffen vorzulegen? Wer hat die Sowjetunion eigentlich davon abgehalten, Hunderttausende von Tonnen chemischer Waffen abzubauen? Das hätte sie doch längst als eine vertrauensbildende Maßnahme machen können. Dann wären wir heute weiter.
— Lieber Herr Kollege Voigt, dann hätten wir nicht darüber zu sprechen und zu diskutieren, ob die Sowjetunion technisch in der Lage wäre, ihre Waffenarsenale abzubauen.
Es ist doch abenteuerlich, wenn die Sowjetunion versucht, aus ihrem immensen Vorsprung bei Umfang und Modernisierung der chemischen Waffen Kapital zu schlagen, indem sie teilweise auf Kontrollen bestanden hat, die eine ganz andere Absicht vermuten lassen, als sie es bei der Kontrolle und der Produktion chemischer Waffen geben kann.Die Haltung der Bundesregierung gegenüber CWaffen ist und war klar: Wir haben keine chemischen Waffen, wir wollen keine chemischen Waffen haben. Wir sind für ein weltweites Verbot der Forschung, Herstellung und Lagerung von C-Waffen. Dazu haben wir uns im WEU-Vertrag bereits vertraglich verpflichtet.Es geht heute darum, eine optimale Abstimmung, die wir mit den Vereinigten Staaten bereits erreicht haben, durchzusetzen.Lieber Herr Kollege Voigt, ich bin über Ihren Beitrag eigentlich etwas erstaunt. Sie waren mit Zeuge im Unterausschuß „Abrüstung und Rüstungskontrolle", in dem klargestellt wurde, daß die Entscheidung des amerikanischen Präsidenten, die Produktion von binären Systemen freizugeben, Voraussetzung für den Abbau der chemischen Waffensysteme in der Bundesrepublik Deutschland ist. Sie waren Zeuge dafür.
Die Entscheidung, die der amerikanische Präsident jetzt getroffen hat, ist die Voraussetzung dafür, daß diese Systeme bei uns abgebaut werden. Sie wissen, daß mit dieser Voraussetzung einer der wichtigen Punkte, die wir mit den Vereinigten Staaten klären konnten, jetzt tatsächlich erfüllt wird.
Wenn der amerikanische Präsident, weil die Sowjetunion bislang nicht bereit war, ein angemessenes Angebot zu unterbreiten, diese Entscheidung getroffen hat, dann sollten wir das als eine weitere Chance sehen — Sie wissen: Wir stehen vor dem Gipfel am 7. Dezember — , zu einem angemessenen und guten Abkommen zu kommen, um die chemischen Waffen weltweit restlos abzubauen und zu verbieten.
Das Wort hat der Abgeordnete Gerster .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Chemische Waffen sind kein abstraktes Thema. Sie sind vorhanden. Sie werden da und dort in diesen Monaten und Jahren auch eingesetzt.
— Leider.Sie sind auch in der Bundesrepublik vorhanden. Herr Kollege Lowack, Sie sagten: Wir haben sie nicht.— Dann fragen Sie doch bitte einmal die Bevölkerung etwa in der Pfalz, bei Pirmasens, ob sie auch der Meinung ist, daß wir auf unserem Boden derzeit keine chemischen Waffen gelagert haben. Dies ist nie offiziell bestätigt worden. Hieraus soll nur ein milder Vorwurf erhoben werden; denn frühere Bundesregierungen haben diese Praxis der offiziellen Nichtbestätigung solcher Angaben ebenfalls geübt. Trotzdem ist die Frage zu stellen, ob größere Transparenz in diesen
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Gerster
Fragen die Glaubwürdigkeit der Verteidigungspolitik nicht insgesamt erhöhen würde. Hier können wir uns im übrigen einiges auch von der Praxis der amerikanischen Regierung abschneiden, die es sich gar nicht mehr leisten kann, solche Fragen zu Verschlußsachen zu machen und nicht auch der davon betroffenen Bevölkerung — Beispiel: MX-Stationierung — Informationen zugänglich zu machen.
In einem Land und einer Region, wo die Verteidigungslasten besonders hoch sind, nämlich in Rheinland-Pfalz und in der Pfalz, haben wir gesicherte Erkenntnisse, daß chemische Waffen bereits vorhanden sind, in einem Land übrigens, das Verteidigungslasten hat, die man sich in der Weite des amerikanischen Kontinents nicht vorstellen kann und die man sich auch nicht in der Nähe einer so starken Besiedlung vorstellen kann, wie sie etwa in dem genannten Bundesland, aber auch in anderen Regionen der Bundesrepublik gegeben ist.Diese Verteidigungslasten wurden von der Bevölkerung bisher ertragen und getragen, weil das Bewußtsein, Waffenkammer der westlichen Welt zu sein, erst in den letzten Jahren wieder stark wurde, nachdem wir in den 50er Jahren eine breite Bewegung hatten, die wir ja alle zum Teil aus eigenem Erleben, zum Teil aus historischem Wissen kennen, während die 60er und die 70er Jahre so etwas wie eine Latenzphase waren. Aber in den letzten Jahren ist die Grundzustimmung zu allen Teilen der westlichen Sicherheitspolitik nicht mehr ohne weiteres gegeben. Deswegen müssen wir uns als Verteidigungspolitiker aller Schattierungen für Elemente unserer Verteidigung verteidigen, oder wir müssen sie selber in Frage stellen, die nicht mehr ohne weiteres plausibel gemacht werden können.Die Akzeptanz der Notwendigkeit der chemischen Abschreckung im westlichen Bündnis ist nicht einmal bei den Fachleuten gegeben. Ich kenne aus den letzten Jahren kein einziges Dokument, keinen einzigen flammenden Appell, wir dürften auf keinen Fall auf die Option der chemischen Abschreckung verzichten. Ich kenne keinen General der Bundeswehr, ich kenne keinen Sicherheitspolitiker, der dies mit echter innerer Überzeugung gesagt hätte. Es war immer eine defensive Argumentation nach dem Motto: Wenn auf der anderen Seite so viel mehr doch wohl schon vorhanden ist, wie vermutet oder bewiesen werden kann, dann dürfen wir nicht ganz darauf verzichten.Auch wenn wir vor einer möglichen weltweiten Lösung stehen, die wir ja — da ist gar kein Dissens — alle begrüßen: Wäre hier nicht ein Fall gegeben, wo wir schon ein paar Jahre vorher, als diese weltweite Lösung noch nicht erkennbar war, hätten sagen können: Hier kann der Westen sogar einseitig auf eine Option verzichten, weil wir uns nicht wehrlos machen, wenn wir gegen einen möglichen chemischen Angriff dann notfalls eben auch mit anderen Waffenkategorien reagieren können?
Wir wollen das Dazulernen aller Beteiligten nicht in Abrede stellen. Aber Sozialdemokraten sind seit geraumer Zeit — sie können unsere Parteitagsbeschlüsse seit vielen Jahren verfolgen — der festen Überzeugung, daß wir selbst dann, wenn wir vorübergehend die Abschreckung auch in den verschiedenen Elementen aufrechterhalten müssen, auf die chemische Abschreckung ersatzlos verzichten können.Diesen Standpunkt vertreten nicht nur Politiker und nicht nur die sogenannten Experten, sondern die Bevölkerung drängt uns, hier kurzfristig etwas zu tun, damit die Lager chemischer Waffen aufgelöst werden, und zwar ersatzlos aufgelöst werden.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Lummer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der letzte Satz lautete also: Die Bevölkerung drängt uns, daß die chemischen Waffen bei uns verschwinden. Wenn ich mich als Neuling an die Lektüre der Texte zu diesem Thema erinnere, kann ich nur bestätigen: Dies hat die Bundesregierung erreicht. Wenn man das liest, findet man auch ein erstaunlich hohes Maß an Übereinstimmung nicht nur innerhalb der Koalition, sondern auch im ganzen Haus, sowie ein hohes Maß an Kontinuität in der Politik; denn frühere Bundesregierungen anderer Couleur haben keine andere Auffassung als die heutige Bundesregierung vertreten. Deshalb war ich ein bißchen überrascht über den Beitrag des Kollegen Voigt, der wohl für das Schaufenster gesprochen hat; ich weiß es nicht so genau.Dieses hohe Maß an Übereinstimmung sollte jedenfalls mit Genugtuung festgestellt werden, was ja auch in der Bemerkung zum Ausdruck kommt: Wir wollen den Frieden ohne chemische Waffen. Ich glaube, es sollte niemand in diesem Hause die Aufrichtigkeit des anderen bezweifeln, daß dieses Ziel das entscheidende ist.Wenn also die weltweite Vernichtung chemischer Waffen das entscheidende gemeinsame Ziel ist, dann ist doch die Frage: Was fördert dieses Ziel und was behindert es? Dabei stellt sich die konkrete Frage, die ja in der Formulierung der GRÜNEN zum Ausdruck kommt: Sollen wir die Entscheidung der Vereinigten Staaten, zu produzieren, zu verhindern versuchen? Ist das nützlich in bezug auf das Ziel der weltweiten Abrüstung in diesem Bereich?Hier habe ich durchaus meine Zweifel. Zwar sagen eine Reihe von Sowjets und auch die GRÜNEN: Ja, das behindert den Prozeß der weltweiten Abrüstung. Aber es gibt auch andere Sowjets, die das nicht so sehen, sondern die durchaus anerkennen, daß eine solche Entscheidung diese Bemühungen nicht beeinträchtigt. Außerdem darf man nicht übersehen, daß die Vereinigten Staaten mit diesem langwierigen Moratorium den ernsthaften Versuch gemacht haben, die Sowjetunion zu einem gleichwertigen Handeln zu bewegen, aber die Sowjetunion handelte nicht entsprechend. Ich meine, man darf bei der Nachrüstung auch nicht den Sachverhalt, auf den der Kollege La-
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Lummermers ja zu Recht beim letztenmal und auch diesmal hingewiesen hat, übersehen, daß erst gewisse Entscheidungen auf unserer Seite die Bereitschaft der Sowjetunion nachhaltig gefördert haben. Ich vermute einmal, das wird hier nicht anders sein. Der Hinweis des Staatsministers auf das, was sich in Genf bewegt hat, bestätigt ja im Grunde diese These, d. h. die Erfahrung spricht dafür, daß erst die Entschlossenheit, zu produzieren, die Sowjetunion bewegen wird, auf diesem Wege hin zu einer weltweiten Abrüstung voranzuschreiten.Es ist sicherlich eine griffige Formulierung, wenn man sagt — Herr Kollege Bahr, Sie haben sie ja auch beim letztenmal verwendet — , hier werde der Versuch gemacht, Abrüstung durch Aufrüstung zu erreichen. Das wurde dann von Ihnen als Scheinlogik oder sonst etwas bezeichnet. Aber manchmal hat man mit solchen Paradoxien in der Politik zu tun, wie ja schon am Beispiel der Nachrüstung erwiesen worden ist. Deshalb möchte ich in drei Punkten daran erinnern, was damals zu dieser Frage gesagt wurde.Es gab offenbar große Übereinstimmung im Hinblick darauf, daß die Produktionsentscheidung der Vereinigten Staaten die Voraussetzung für die Beseitigung der hier vorhandenen chemischen Waffen ist. Das wurde von allen begrüßt. Es bleibt ja auch heute bei der Feststellung, daß diese Produktionsentscheidung für uns in dem Sinne vorteilhaft ist, daß damit die alten Waffen bis 1992 verschwinden. Das finde ich gut so. Insofern sollte man diesen Zusammenhang, zu dem man sich damals bekannt hat, auch nicht leugnen. Aber natürlich neigt man dazu, wie Herbert Wehner gelegentlich gesagt hat, draufzusatteln, und diesen Eindruck habe ich im Moment in bezug auf die Sozialdemokraten.Das zweite ist: Diese Sache ist vielleicht sogar notwendig zur Aufrechterhaltung einer begrenzten Abschreckung. Davon hat der Kollege Gerster gesprochen. Das ist früher Bekenntnis der Bundesregierung gewesen und wohl auch heute noch richtig. Das sage ich wegen des Hinweises des Kollegen Lowack auf die Einbeziehung dieser Waffen in die sowjetische Militärdoktrin.Das dritte, was ich sagen möchte, ist: Ich halte es für nützlich, diese Entscheidung zu treffen, weil ich fest davon überzeugt bin, daß dies in Genf weitere Bewegung schaffen wird und daß wir damit schneller zu dem gemeinsam gewollten und gewünschten Ziel kommen, eine weltweite Abrüstung chemischer Waffen zu erreichen.
Das Wort hat der Abgeordnete Erler.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Erklärung des amerikanischen Präsidenten vom 16. Oktober 1987, die eine Aufnahme der Produktion von binären chemischen Waffen nach Ablauf von 60 Tagen — also noch in diesem Jahr — ermöglicht, ist ein schwerer Schlag gegen die weltweiten Hoffnungen und die weltweiten Erwartungen auf eineUmkehr der Rüstungsspirale. Getroffen wird damit vor allem das neu erwachte Vertrauen in Abrüstung durch Verhandlungen. Auf dem Spiel steht vor allem Glaubwürdigkeit. Insofern besteht eine Parallele zu dem Ergebnis der 42. Tagung der NATO-Planungsgruppe in Monterey. Auch da war das Ergebnis Enttäuschung, ja Empörung darüber, daß dieser Abrüstungsschritt, der jetzt vor der Tür steht, gerade in einem Moment, wo man dachte, daß er zu einem Umdenken führen, die Tür zu weiteren Abrüstungsschritten aufstoßen würde, durch eine Modernisierung aufgefangen werden soll, also eigentlich durch eine mit technischen Tricks erreichte Fähigkeit, die Aufgaben, die bisher Mittelstreckenwaffen übernommen hatten, durch Kurzstreckenwaffen übernehmen zu lassen.Die Parallele zu dem Thema Chemiewaffen besteht darin, daß man uns immer wieder sagt — auch heute hier wieder von Regierungsseite —, ein Abkommen über den Abbau chemischer Waffen stehe vor der Tür und sei bereits im nächsten Jahr erreichbar. Wie kann eigentlich ein normaler Mensch verstehen, daß dann im Dezember dieses Jahres eine neue Generation chemischer Waffen in Produktion gehen muß,
eine Waffengeneration, die sich allein gegen Menschen richtet, die gegenüber der vorhergehenden wirksamer, toxischer und leichter einzusetzen ist, eben weil sie gefahrloser zu lagern und zu transportieren ist, die aber schwerer zu kontrollieren und deshalb auch schwerer in ein Abrüstungsabkommen einzubeziehen ist?Wie sich ein normaler Mensch fragt, wie man denn jetzt schon auf die Feiern am 7. Dezember über die Abrüstung eingestimmt werden soll, wenn gleichzeitig im Schatten derer, die das verabredet haben, schon eine neue Aufrüstung oder Nachrüstung oder Modernisierung verhandelt wird, so fragt er sich auch: Was ist denn nun richtig? Steht ein CW-Abkommen vor der Tür, oder ist die Chance dazu noch so weit entfernt, daß tatsächlich eine neue Generation noch gefährlicherer chemischer Waffen gebaut werden muß?Die Bundesregierung trägt erhebliche Mitverantwortung dafür, daß diese für jeden normalen Menschen unverständliche Situation entstanden ist. Sie hat zugestimmt, diese neuen Waffen in das Streitkräfteziel der NATO aufzunehmen. Sie hat zugestimmt, daß diese neuen Waffen im Krisenfall nach Beratung in die Bundesrepublik gebracht werden könnten. Herr Kollege Feldmann, wenn Sie sagen, die Bundesregierung werde dem nie zustimmen, hätte ich gewünscht, daß dies vorher in Amerika bekannt gewesen wäre. Dann hätte es nämlich möglicherweise diese Erklärung des amerikanischen Präsidenten vom 16. Oktober dieses Jahres gar nicht gegeben.
Ohne diese von mir erwähnten Erklärungen der Bundesregierung — so hatte es nämlich der amerikanische Kongreß beschlossen — wären die Voraussetzungen für den jetzigen Produktionsbeschluß gar nicht gegeben gewesen. Mit anderen Worten: Diese Regierung hat ihre Hand gereicht für die chemische Aufrüstung. Das war ein sehr teurer Preis für den angekündigten Abzug der in der Bundesrepublik sta-
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Erlertionierten chemischen Waffen bis 1992, von denen der ehemalige amerikanische Verteidigungsminister Caspar Weinberger schon vor vielen Jahren gesagt hat, daß ihr hauptsächliches Kennzeichen Selbstgefährdung sei.Jetzt fällt diese amerikanische Entscheidung zur Produktion, die ohne die vorherigen deutschen Hilfsdienste nicht denkbar wäre, in die ungünstigste Zeit, eine Zeit, wo endlich Bewegung in die CW-WaffenVerhandlungen gekommen ist und wir, wie immer wieder gesagt wird, vor einem Abkommen stehen.Jahrelang hat man uns gesagt: Das scheitert an den Verifizierungsproblemen. Jetzt hat sich — das wird auch eingestanden — insbesondere die Sowjetunion in dieser Frage bewegt.In diesem Zusammenhang muß man daran erinnern, verehrte Kolleginnen und Kollegen, daß das erste Dokument, in dem sich diese Bewegung angedeutet hat, jenes am 19. Juni 1985 veröffentlichte Dokument, ausgehandelt zwischen SPD und SED, über eine chemiewaffenfreie Zone in Europa war.
Damals hat Herr Lamers das als eine „trügerische Sumpfblüte" bezeichnet. Heute wissen wir, daß darin zum erstenmal diese Elemente enthalten waren, nämlich u. a. die Zustimmung zu einer internationalen Kontrolle, auch der Vor-Ort-Kontrolle, die heute offizielle Position der Sowjetunion in den Verhandlungen ist.
Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit ist abgelaufen.
Ich komme zum Schluß. Ich habe vorhin von der Glaubwürdigkeit gesprochen. Glaubwürdigkeit in dieser Frage würde heute heißen, daß nicht eine neue Generation chemischer Waffen auf die Tagesordnung kommt, die die Chancen bei den Verhandlungen, wie die sowjetische Seite — Herr Kar-pow — gesagt hat, behindern würden. Glaubwürdigkeit würde heißen, daß die Bundesregierung jetzt die Hindernisse bei den Verhandlungen über ein weltweites Chemieabkommen auf die Tagesordnung setzte und nicht eine neue Generation noch gefährlicherer Chemiewaffen.
Ich danke Ihnen.
Herr Feldmann, Sie haben noch einmal das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich verstehe die Reden der Opposition eben als die Reden der Opposition. Meine Kolleginnen und Kollegen, noch im letzten Jahr waren Sie sprachlos über das, was diese Bundesregierung im Bereich der C-Waffen erreicht hat. Damals hat Ihnen die Sprache gefehlt. Diese Bundesregierung hat zum erstenmal erreicht, daß C-Waffen von deutschem Boden abgezogen werden.
Jetzt versuchen Sie durch Nachkarten, den Erfolg dieser Bundesregierung in Mißkredit zu bringen. Ich finde das nicht sehr fair.
Wenn jetzt Vorwürfe kommen, Herr Kollege Voigt, die Bundesregierung sei Wegbereiter chemischer Aufrüstung, dann ist das unter Ihrer parlamentarischen Würde. Diese Behauptung darf ich energisch zurückweisen.Ich meine, die eindeutige Haltung der Bundesregierung im Bereich der C-Waffen ist nun mehr als bekannt und kann wirklich nicht bestritten werden. Die Bundesregierung hat mit ihren Vorschlägen zur Vernichtung der C-Waffen und zur Verifizierung des Abkommens maßgeblich zu den bedeutsamen Fortschritten beigetragen, die wir jetzt in Genf sehen können. Wir rechnen alle damit, daß wir in Genf zu ähnlichen Ergebnissen kommen, wie wir sie hoffentlich bald im Bereich der Mittelstreckenwaffen haben.Wir haben auch eine verbesserte Rechtsposition erreicht. Wir werden so eine Art Vetorecht bekommen; denn die alten amerikanischen C-Waffen auf unserem Boden lagern hier auf Grund des NATOTruppenstatuts. Wir haben keine Möglichkeit, auf eine Beseitigung zu drängen. Wir erhalten jetzt gleiche Rechte wie die anderen europäischen Verbündeten.Ich muß Sie an unseren Entschließungsantrag vom 13. Mai 1986 erinnern. Hier haben wir festgestellt, daß in einem Eventualfall — wir wollen ja darüber gar nicht schweigen — eine Verbringung amerikanischer binärer chemischer Waffen — auch diese Entscheidung ist eine nationale amerikanische Entscheidung —nur auf Grund umfassender politischer Konsultationen in der NATO, nur bei Sicherstellung breiter Beteiligung der Bündnispartner, so daß kein Land singularisiert wird, und nur mit Billigung und auf Bitte der Aufnahmeländer in Frage kommt.Wir haben also eine verbesserte Position. Dies hat die Bundesregierung erreicht, im Gegensatz zu allen erfolglosen Bemühungen vorher. Das wollte ich in aller Deutlichkeit noch einmal betonen.Herr Kollege Gerster, Sie haben die Abschrekkungsfunktion der Waffen und speziell der C-Waffen zu Recht angesprochen. Es ist leider so: Der Frieden in Europa beruht auch auf der Abschreckung. Wir brauchen aber, Herr Gerster, keine Abschreckung auf jeder Ebene; das sage ich Ihnen in aller Deutlichkeit von dieser Stelle aus. Wir brauchen sie nicht, und wir brauchen auch keine Perfektionierung der Abschrekkung. Was wir brauchen, sind ganz konkrete Fortschritte bei der Rüstungskontrolle. Wir brauchen weniger Waffen, weniger Optionen. Wir brauchen und wollen Abrüstung statt Wettrüsten, vor allem im Bereich der C-Waffen. Da werden auch Sie mir zustimmen können.Danke sehr.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Mechtersheimer.
Der Glanz ist also ab. Die damalige Propagandawelle, daß es dieser Bundesregierung gelungen sei, einen wirklich tiefgreifenden Abrüstungsschritt im C-Waffen-Bereich zu erreichen, sollte man nicht länger wiederholen. Denn das ist sehr teuer erkauft worden, nämlich mit der Bereitschaft zur Produktion ganz neuer, kriegstauglicher C-Waffen, die drüben übrigens bereitgehalten werden, während hier alles zur Lagerung vorbereitet wird. Wir finanzieren mit dem Wartime Host Nation Support-Abkommen genau die Voraussetzungen, die es möglich machen, diese Waffen sehr schnell hierher zu bringen. Denken Sie an den Druck, auch im amerikanischen Kongreß, diese Waffen schon möglichst früh nach Europa zu bringen. Der Widerspruch, den Herr Erler herausgearbeitet hat, ist wirklich frappierend: Da soll ein Abkommen geschlossen werden — dieselbe Regierung in Washington sagt, die Chancen sind gut — , und man beginnt mit der Endfertigung. Das ist ein Anlaß, nachzudenken, unter welchen Bedingungen in den USA Abrüstung überhaupt möglich ist. Ist sie erst dann möglich, wenn die Waffen bezahlt und geliefert sind?
Die Rüstungsindustrie freut sich, wenn ein Abkommen diese Waffen dann wegschafft. Es wäre denkbar, daß es erst dann Abrüstung gibt, wenn die Waffen bezahlt sind. Deswegen hat auch die ganze bisherige Abrüstung keine Auswirkungen auf die Aufwendungen, auf den Ressourcenverbrauch. Ich meine, daß wir kritisch prüfen müssen, ob wir es hier wirklich mit Abrüstung oder nur einer Variation von Aufrüstung zu tun haben.
Weil Herr Lowack mich dazu herausgefordert hat, möchte ich zum Schluß auch etwas zitieren. Sie haben aus der sowjetischen Dienstvorschrift zitiert. Ich zitiere auch: „Kommandeure müssen darauf vorbereitet sein, nach Eingang der Freigabe chemischer Kampfstoffe diese in ihre atomaren und konventionellen Feuerpläne zu integrieren". Das ist die Vorschrift FM 100-5 der US-Army. Sie finden das in beiden Vorschriften, auf beiden Seiten. Ich kann nur appellieren, Herr Lowack und alle anderen, die betroffen sind: Seien Sie doch endlich einmal ein bißchen selbstbewußter, und koppeln Sie sich emotional als Propagandist einer Seite dieses Blocksystems ab.
— Nein. Das ist hier die Dienstvorschrift, die Wort für Wort das enthält, was Sie nur für eine Seite zur Rechtfertigung anführen.
Lassen Sie sich, meine Herren, durch Ihr eigenes Feindbild doch nicht immer wieder verdummen.
Vielen Dank.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Uelhof f.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Produktion von CWaffen ist kein Anlaß zur Freude; die Produktion von Waffen kann niemanden erfreuen. Doch die Übermacht des Gegners ist für den Unterlegenen immer auch der Anfang vom Ende. Die vom amerikanischen Präsidenten jetzt getroffene Entscheidung zur Produktion binärer Giftkampfstoffe war seit Jahren absehbar, spätestens seit zwei Jahren, und ich bewerte diese Entscheidung bei allen Reserven gegenüber Waffenproduktionen eher positiv, weil am Ende eine chemiewaffenfreie Welt stehen kann.
Ich bewerte sie aus folgenden Gründen positiv: Erstens. Sie schafft einen Ausgleich gegenüber der einseitigen sowjetischen Giftgasvorrüstung und dient der Abschreckung und deshalb der Sicherheit des gesamten westlichen Bündnisses. Zweitens. Sie kann dazu beitragen, daß die C-Waffen-Verhandlungen in Genf, die sich seit sieben Jahren hinschleppen, endlich auch von der Sowjetunion mit dem notwendigen Nachdruck betrieben werden.
Drittens. Sie schafft die Voraussetzung zur Erfüllung des Reagan-Kohl-Abkommens vom Mai 1986 in Tokio, daß die in Deutschland als einzigem europäischen NATO-Staat jetzt noch gelagerten amerikanischen Giftkampfstoffe ersatzlos verschwinden. Dies wollen wir, meine sehr verehrten Damen und Herren.Bundeskanzler Kohl hat durch seine Vereinbarung mit Präsident Reagan im Mai 1986 erreicht, daß die Amerikaner ihre Rechte aus dem Aufenthaltsvertrag von 1954 aufgeben. Sie ziehen ihre in unserem Land stationierten chemischen Waffen 1992 ersatzlos ab und werden die neuen binären Giftkampfstoffe bei uns nicht stationieren. Gerade ich als Abgeordneter aus der Westpfalz bin unserem Bundeskanzler für diese Politik des Abzugs von chemischen Waffen sehr dankbar.
Am 19. Dezember 1985 hat der amerikanische Kongreß die Produktion binärer Giftkampfstoffe davon abhängig gemacht, daß es bis zum 1. Dezember 1987 noch kein umfassendes Abkommen über das Verbot chemischer Waffen gibt, und zwar nicht nur ein Verbot des Einsatzes dieser Waffen — dies gilt seit 1924 —, sondern es geht um das völkerrechtliche Verbot der Entwicklung, der Lagerung und um die wirksame Kontrolle. Seit 18 Jahren haben die USA einseitig auf die Produktion von chemischen Waffen verzichtet. Seit nunmehr sieben Jahren wird in Genf über ein solches Abkommen vergeblich verhandelt. Fol-
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Dr. Uelhoffgendes Zitat vom sozialdemokratischen Bundeskanzler Helmut Schmidt gehört zu seinem politischen Nachlaß. Er erklärte im September 1982 — auch auf Kosten der kostbaren Redezeit möchte ich dieses Zitat wörtlich bringen — :Gerade im Bereich der chemischen Waffen haben wir jedoch erfahren müssen, daß eine allgemeine kontrollierte Abrüstung durch einseitige Maßnahmen allein nicht zu erreichen ist.
Obwohl die Bundesrepublik Deutschland schon 1954 auf chemische Waffen völkerrechtlich wirksam verzichtet hat, bleibt unser Land bedroht durch ein großes und in aktiven Produktionsstätten der Sowjetunion ständig ausgebautes Potential sowjetischer chemischer Waffen.Amerikanische Ermittlungen haben ergeben, daß die Sowjetunion 9 Lagerstätten für Kampfstoffe verschiedener Art auf eigenem Gebiet und weitere 32 Depots in allen Ländern des Warschauer Pakts unterhält — eine wahrlich schlimme Vorstellung. Die einseitige sowjetische C-Waffen-Rüstung in den letzten 17 Jahren hat zu einer Verschiebung des Kräftegleichgewichts zugunsten der Sowjetunion beigetragen. Glasnost und Perestroika haben daran leider überhaupt nicht geändert.Ich frage einmal die GRÜNEN als Antragsteller dieser Aktuellen Stunde: Wo waren eigentlich Ihre Fragen und Ihre Proteste gegen die fortdauernde C-Waffen-Produktion in der Sowjetunion trotz des jahrelangen Moratoriums der Vereinigten Staaten? Sie haben geschwiegen, weil Sie nämlich auf einem Auge blind sind, weil Sie lieber den Splitter bei unserer amerikanischen Schutzmacht mit der Lupe vergrößern, anstatt den Giftbalken in der Sowjetunion zur Kenntnis zu nehmen.
Warum haben bei den zahlreichen Reisen Ihrer Funktionäre — Frau von Ditfurth war neulich noch bei Herrn Gorbatschow — Sie niemals ihren hochrangigen Gesprächspartnern empfohlen, es den USA wenigstens gleichzutun und nachprüfbar mit der Produktion der C-Waffen aufzuhören?
Warum läßt nicht in Genf Herr Gorbatschow seinen großen Worten endlich konkrete Taten folgen, und warum gibt es nicht endlich auch dort ein umfassendes Abkommen?Wir wollen alle Giftkampfstoffe überall auf der Welt verschwinden lassen. Wir wollen, daß keine neuen produziert werden. Aber wir wollen das nicht als einen einseitigen Verzicht des Westens, sondern wir wollen es als gemeinsame und kontrollierte Verpflichtung von Ost und West. Auch das Giftzeug verschwindet, wenn die Sowjets erkennen, daß es deshalb zur Erpressung nicht mehr taugt, weil ihr Verhandlungspartner seine eigenen Sicherheitsinteressen wahrnimmt. Nicht Nachgiebigkeit, sondern Festigkeit führt zum Erfolg.
Der Erfolg, den wir anstreben, meine sehr verehrten Damen und Herren, das ist keine chemiewaffenfreie Zone, das ist eine chemiewaffenfreie Welt.Danke schön.
Das Wort hat der Abgeordnete Bahr.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst einmal möchte ich die GRÜNEN dazu beglückwünschen, daß Sie diese Aktuelle Stunde beantragt haben. Denn in der Tat ist es notwendig, über dem, was sonst passiert, nicht zu vergessen, was auf diesem Gebiet im Begriff ist zu passieren.Zweitens. Nachdem nun sowohl der Kollege Lamers wie Herr Schäfer darauf hingewiesen haben, daß ich gewissermaßen aus dem Handgelenk im Unterausschuß fünf Punkte formuliert habe, die die Mindestanforderungen für eine Vereinbarung sind, ist es komisch, wenn Herr Feldmann dann sagt, wir wären sprachlos gewesen, und anschließend die Bundesregierung verkündet, sie sei so stolz auf den Erfolg — der darin besteht, daß sie das erreicht hat, was jemand aus der Opposition formuliert hat. — Na fabelhaft!
Aber das ist gar nicht so wichtig.
Denn wir haben festzustellen, daß sich auch nach Auffassung von Sprechern der Koalition die sozialdemokratische Opposition sehr konstruktiv verhalten hat,
um zu erreichen, daß wir die alten chemischen Waffen loswerden. Sie wissen ganz genau, welche Unklarheiten es in dieser Abrede zwischen Reagan und Kohl noch gibt. Was dort noch alles klärungsbedürftig ist, haben wir im Unterausschuß weiß Gott mehr als einmal besprochen.Ich will bewußt trotzdem jetzt nicht darauf eingehen. Aber eines ist auch klar. Die Kollegen der CDU sollten sich in ihren Argumenten einmal ein bißchen mit der Bundesregierung abstimmen. Der letzte Sprecher ebenso wie der Kollege Lowack erzählen hier von der phantastischen Überlegenheit der sowjetischen chemischen Waffen und haben gar nichts dagegen und finden es sogar fabelhaft, wenn die Bundesregierung den einseitigen Abzug der chemischen Waffen von unserem Boden fordert. Erkläret mir, Graf Oerindur, diesen Zwiespalt der Natur! Der letzte Sprecher sagte eben: Wir wollen keinen einseitigen Verzicht. Gerade das, sagt die Bundesregierung, sei ihr Erfolg.Wir wollen doch bitte nicht davon weggehen: Ob es ein weltweites chemisches Abkommen im nächsten
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Bahroder übernächsten oder im drittnächsten Jahr geben wird, die Vereinbarung, geschlossen durch die Bundesregierung, zum einseitigen Abzug aus der Bundesrepublik Deutschland steht.
— Ja, natürlich steht sie.
Reden Sie nicht so schrecklich viel von der Überlegenheit, die Sie nicht daran hindert, den einseitigen Abzug zu einem Erfolg zu machen.
— Uns wäre es natürlich lieber, wenn es eine chemiewaffenfreie Zone in Europa gäbe, so daß auch die anderen garantiert und kontrolliert chemiewaffenfrei wären. Selbstverständlich.
Ich möchte mich aber jetzt einmal auf den Standpunkt der Bundesregierung stellen
und den Verteidigungsminister zitieren, der hier erklärt hat: „Die chemischen Waffen in der Bundesrepublik Deutschland werden ersatzlos bis spätestens 1992 aus der Bundesrepublik Deutschland abgezogen,
falls die Endfertigung binärer Waffen in Amerika im Dezember 1987 beginnen kann."
Nach der Mitteilung des amerikanischen Präsidenten ist diese Voraussetzung erfüllt. Die Produktion wird im Dezember beginnen.
Das bedeutet: Jetzt ist interessant der Vollzug zwischen Kohl und Reagan.Welche Vorbereitungen sind getroffen worden, um mit dem Abzug der alten chemischen Waffen zu beginnen? Wenn die Produktion der neuen Waffen im Dezember anläuft, sollte auch der Abzug der alten Waffen mit Beginn des neuen Jahres einsetzen.Auch eine andere Klärung ist erforderlich. Sollte sich herausstellen, daß die Produktion neuer chemischer Waffen den Abschluß eines Abkommens weltweit behindert, so darf dieser Faktor nichts am Vollzug der deutsch-amerikanischen Vereinbarung ändern. Die Angabe des Termins ist also von der Bundesregierung einzufordern, zu dem der Abzug der alten chemischen Waffen der Amerikaner aus unserem Land beginnt.
Das Wort hat der Abgeordnete Ganz.Ganz (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nein, Herr Kollege Bahr, ich kann den GRÜNEN nicht gratulieren;
denn wie wir in dieser Aktuellen Stunde erfahren haben, hat das von den GRÜNEN vorgegebene Thema mit Aktualität so viel zu tun wie der Sack Kaffee, der gestern in Brasilien geplatzt ist, oder das Fahrrad, das heute auf dem Großen Platz in Peking umgefallen ist.Zum Thema chemische Waffen, Herr Mechtersheimer,
und andere völkerrechtswidrige Waffen hätten Sie in der vorigen Woche einen aktuellen Bezug gehabt, als eine in Afghanistan helfende deutsche Ärztin über die Presse ihr Entsetzen über die Praktiken der Sowjetarmee zur Ausrottung dieses Volkes zum Ausdruck brachte. Aber darüber schweigen Sie. Statt dessen nehmen Sie ein Thema, mit dem sich der Auswärtige Ausschuß, der Verteidigungsausschuß, der Unterausschuß Abrüstung und das Parlament selbst seit Jahren wiederholt befaßt haben und bei dem die Haltung der Bundesregierung und der sie tragenden Fraktionen und auch Ihrer Fraktion hinlänglich bekannt ist.
Aber zumindest für einen Teil der GRÜNEN — insbesondere für die, die heute nicht da sind — geht es dabei um ganz andere Dinge, nämlich erstens: Sie wollen das Vertrauen der Bevölkerung in die Kompetenz und Integrität der Verantwortlichen zerstören.
Zweitens. Sie wollen den Willen der Völker, ihre Freiheits- und demokratische Lebensordnung geistig und politisch zu behaupten und gegen jeden eventuellen Aggressor zu verteidigen, lähmen. Drittens. Sie wollen einmal mehr suggerieren, daß unsere amerikanischen Verbündeten — Sie haben es ja zum Ausdruck gebracht — wieder einmal an der Rüstungsschraube drehen,
an Abrüstung überhaupt nicht interessiert sind und dabei wieder einmal die Unterstützung dieser Bundesregierung erfahren.Damit Ihnen das nicht gelingt, nehmen Sie bitte folgendes zur Kenntnis. Erstens. Die Legitimität der Macht und der darauf beruhenden politischen Entscheidungen ist in den USA und bei allen Verbündeten in der Allianz durch Wahlen als Vertrauensbeweis geklärt,
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Ganz
dagegen die der UdSSR bis heute nicht geprüft und angemaßt wie seit 70 Jahren. Im Gegensatz zur UdSSR unterliegt staatliches Handeln in der Allianz dem Zwang der Begründung, der Rechtfertigung und der ständigen Kontrolle durch die Parlamente und die öffentliche Meinung. Diesen Erfordernissen wurde von allen Beteiligten in der Allianz bei der in Frage stehenden Entscheidung Rechnung getragen.
Zweitens. Der Wille zur Verteidigung ist ebenso wie das Vertrauen in die politisch Handelnden Voraussetzung für eine Kriegsverhütung und Basis für alle Abrüstungsbemühungen, ob Ihnen das paßt oder nicht. Wer dies verneint, hat die Lehren aus der Geschichte nicht gezogen.Diese Entscheidung der Allianz zum NATO-Streitkräfteziel verfolgt das Ziel der Kriegsverhütung, Herr Mechtersheimer, und damit die Sicherung des Friedens und der Freiheit. Sie ist damit politisch gerechtfertigt und entspricht dem Willen der Mehrheit der Bevölkerung.
Gleichwohl sind wir uns der Unzulänglichkeit und der Gefahren auch dieses Instruments der Kriegsverhütung bewußt. Chemische Waffen sind für uns genauso schwer erträglich wie atomare Waffen. Wir betrachten die chemische Bewaffnung ebenso wie die nukleare als Grenzsituation, die selbst ungeeignet ist, auf Dauer einen wirklichen Frieden zu gewährleisten, aber solange keine politische Alternative realisierbar erscheint,
unter dem Gesichtspunkt des Gleichgewichts als notwendig.
Ihr Vorwurf gegenüber uns und gegenüber unseren Alliierten, damit an der Rüstungsschraube zu drehen und Kriegsvorbereitungen zu treffen, erhebt auch die Frage nach der Zulässigkeit und Verantwortbarkeit dieser Entscheidung unter ethischen und moralischen Aspekten.
Das, was die Vollversammlung des Zentralkomitees der Deutschen Katholiken und die EKD in ihren Denkschriften zur atomaren Bewaffnung formuliert haben, gilt auch für chemische Bewaffnung, daß nämlich das heutige System der Abschreckung unter ethischen Gesichtspunkten nur dann zu tolerieren sei, wenn mit aller Kraft darauf hingearbeitet werde, substantielle Fortschritte auf dem Gebiet der Rüstungsbegrenzung und Rüstungsminderung zu erzielen und so effektive Schritte zur Abrüstung zu unternehmen.
Ich habe mit allen Kolleginnen und Kollegen der CDU-Fraktion, die das hier zum Ausdruck gebracht haben, überhaupt keinen Zweifel daran, daß dies das vorrangigste Ziel auch dieser Entscheidung ist.Ich danke Ihnen.
Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesministerium der Verteidigung, Herr Würzbach.
Herr Präsident! Verehrte Kollegen! Für die Regierung hatte mein Kollege aus dem Auswärtigen Amt gesprochen. Ich habe kurz um das Wort gebeten, um besonders den Kollegen der SPD auf eine — wie ich finde — bei einer solch ernsten Frage nicht angebrachte Doppelzüngigkeit hinzuweisen. Da wird im Unterausschuß auch durch den Vorsitzenden begrüßt, was die Bundesregierung in diesem Zusammenhang erreicht hat. Hier wird der gleiche Tatbestand in einer grimmigen Form kritisiert.
Ich habe zu fragen: Was hat die SPD in der Zeit, in der sie die Regierung stellte, getan? Ich frage: Hat sie überhaupt den Abzug dieser Waffen, den wir jetzt erreicht haben, gefordert?
— Ich weiß, daß Sie das trifft.
Ich zitiere aus dem Protokoll des Deutschen Bundestages vom 13. Mai 1981, also etwa ein Jahr, bevor wir die Regierung wechselten. Da stellte mein Vorgänger, der verehrte Kollege Dr. Penner, im Plenum hier fest:
Die Bundesregierung beabsichtigt nicht, die USA aufzufordern, ihr in der Bundesrepublik Deutschland gelagertes C-Kampfstoffpotential abzuziehen.
Es gab nicht einmal die Absicht aufzufordern, dieses hier wegzunehmen. Wir haben das jetzt zeitlich fest verankert und erreicht, daß es abgezogen wird.
Das ist ein Fortschritt, verehrte Kollegen, den Sie — das würde ich begrüßen — mit uns öffentlich als solchen kennzeichnen sollten.
Meine Damen und Herren, wir sind damit am Schluß unserer Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Donnerstag, den 12. November 1987, 9 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.