Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.
Meine Damen und Herren, die Fraktion DIE GRÜNEN hat fristgerecht beantragt, die heutige Tagesordnung zu erweitern um den Antrag zu den Grundsätzen des Denkmalschutzes bei Bauvorhaben des Deutschen Bundestages — Drucksache 11/436 —. Der Antrag soll zusammen mit Tagesordnungspunkt 22 aufgerufen werden. Es ist Übereinstimmung zwischen den Fraktionen erzielt worden, daß dieser Antrag zusammen mit dem Tagesordnungspunkt 22 auf die Tagesordnung gesetzt wird. Ist das Haus damit einverstanden? — Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 19 auf:
a) Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Wiederherstellung eines ausreichenden Schutzes bei Arbeitslosigkeit
— Drucksache 11/132 —
aa) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung
— Drucksache 11/420, 11/435 —
Berichterstatter: Abgeordneter Heyenn
bb) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung
— Drucksache 11/429 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Sieler Strube
Zywietz
b) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verlängerung des Versicherungsschutzes bei Arbeitslosigkeit und Kurzarbeit
— Drucksache 11/198 — aa) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung
— Drucksache 11/420, 11/435 —
Berichterstatter: Abgeordneter Heyenn
bb) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung
— Drucksache 11/429 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Sieler Strube
Zywietz
Meine Damen und Herren, nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die gemeinsame Beratung dieser Tagesordnungspunkte 45 Minuten vorgesehen. Ist das Haus damit einverstanden? — Ich höre und sehe keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Heyenn.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben heute den Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Verlängerung des Arbeitslosengeldes für ältere Arbeitslose zu beraten. Unseren Antrag, der verhindern wollte, daß Arbeitslose ausgegrenzt werden, der verhindern wollte, daß Langzeitarbeitslosigkeit immer häufiger zu bitterer Armut führt, haben Sie in den Ausschußberatungen bedauerlicherweise niedergestimmt.Die Bundesanstalt für Arbeit mußte in diesen Tagen die erwarteten Zahlen der Arbeitslosen nach oben korrigieren, 50 000 mehr als geschätzt, mehr als 2,2 Millionen im Jahresdurchschnitt, und das mit steigender Tendenz. Der Herr Bundesarbeitsminister hat dafür nur Aussagen übrig wie: Aufwärts oder abwärts, das liegt in unserer Hand. Aber in Ihrer Hand, stelle ich fest, Herr Bundesarbeitsminister, geht es immer nur abwärts, und dies halten wir für eine bedauernswerte Tatsache. Wir halten es für einen Skandal, daß sich bei der Bundesanstalt für Arbeit Überschüsse, bis Ende 1986 fast 6 Milliarden DM, angesammelt haben
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1068 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 17. Sitzung. Bonn, Freitag, den 5. Juni 1987
Heyennund zwar nicht obwohl sondern weil die Arbeitslosen durch Ihre Kürzungspolitik zu Lasten der Arbeitslosen immer ärmer werden.
Das ist Umverteilung von unten nach oben; Sie ziehen den Arbeitslosen das Geld aus der Tasche.
— Ich will das begründen. Durch die Kürzung der Leistungssätze beim Arbeitslosengeld und bei der Arbeitslosenhilfe sowie durch die erheblich längere Dauer der Arbeitslosigkeit
heißt Arbeitslosigkeit immer häufiger sozialer Abstieg.Wir haben zur Zeit 2,1 Millionen registrierte Arbeitslose, davon erhalten nur noch 800 000, das sind 38 %, Arbeitslosengeld.Die Zahl derjenigen Arbeitslosen, die noch Arbeitslosengeld als Versicherungsleistung erhalten, nähert sich also einem Drittel.
Die Zahl der Arbeitslosenhilfeempfänger hat sich in den letzten Jahren verdoppelt. Neue Armut, die Sie leugnen, ist bittere Realität. Wir wissen das, Sie bestreiten das. Sie halten die neue Armut offenkundig für eine Erfindung der Sozialdemokraten, der GRÜNEN, der Gewerkschaften und der Kirchen. Aber die gesellschaftliche Realität widerlegt Sie.Sie betrachten die Arbeitslosigkeit als Restgröße, die vernachlässigbar ist. Sie, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, wollen den Eindruck erwecken, als brauche man sich mit diesen Arbeitslosen nicht mehr zu beschäftigen.Ich will Ihnen dazu ein Beispiel sagen: Als wir unsere Anhörung planten, war die FDP nicht bereit oder nicht in der Lage, Vertreter von Arbeitsloseninitiativen oder Betriebsräten zu nennen, Herr Kollege Cronenberg, und hat dann einen jungen Unternehmer benannt. Der hat in der üblichen Masche gesagt: Die Arbeitslosen, die gemeldet sind, taugen alle nichts! Ich zitiere aus dem Protokoll:Ich versuche seit Ende 1986 beim Arbeitsamt Düsseldorf eine Stenotypistin zu finden, und ich bin gern bereit, mehr als der Tarif bietet zu bezahlen. Es ist mir völlig unmöglich, diese Kraft zu bekommen.
Jetzt habe ich mich erkundigt. Diese Firma wollte eine perfekte Stenotypistin haben, die mehr als 300 Anschläge pro Minute schreiben kann und zudem Spitze in der Büroorganisation ist. Eine solche Arbeitskraft kann das Arbeitsamt Düsseldorf nicht vermitteln, weil die Konkurrenz 4 500 bis 5 000 DM zahlt, die Firma dieses jungen FDP-Unternehmers aber nur bereit war, zwischen 2 300 und 2 800 DM zu bezahlen. Nebenbei hat diese Firma dann noch dreimal versucht, diese Stelle über Stellenanzeigen zu besetzen. Das ist ihr auch nicht gelungen. — Auf derart unseriöse Art soll der Öffentlichkeit suggeriert werden, alle Arbeitslosen taugten nichts; wenn man Fachkräfte benötige, könne man sie nicht finden.Ich habe in diesem Zusammenhang die Bitte an die FDP, uns in Zukunft für die Anhörung, bitte schön, seriöse Sachverständige zu benennen.
Ihr Entwurf setzt im übrigen ein historisches Markenzeichen dadurch, daß Sie das Arbeitslosengeld für über 42jährige verlängern und sagen, Sie verlängern „für ältere Arbeitslose". Damit sagen Sie, daß der 42jährige in unserer Gesellschaft schon ein älterer Arbeitsloser und nicht mehr voll vermittelbar ist.
Ich halte das für eine ganz miese Entwicklung, die Sie hier einleiten.Wir sind dafür, allen Arbeitslosen ein verlängertes Arbeitslosengeld zuzuerkennen.
Sie verzichten in vollem Umfang auf Maßnahmen im Bereich der Arbeitslosenhilfe, obwohl immer mehr Arbeitslose überhaupt nichts mehr bekommen. Bei jedem vierten Sozialhilfeempfänger muß die zu niedrige Arbeitslosenhilfe durch kommunale Sozialhilfe aufgestockt werden. Da gibt es dann diesen beschämenden Kreislauf: Kommunen mit übergroßer Arbeitslosigkeit müssen überdurchschnittlich hohe Mittel für die Sozialhilfe aufwenden und haben dann für ergänzende Maßnahmen auf dem Arbeitsmarkt keinerlei Mittel mehr zur Verfügung.Sie verweigern sich hier einer Abhilfe, weil Sie nicht bereit sind, den Kommunen zu einer besseren Finanzausstattung zu verhelfen.Wir kritisieren ganz entschieden an Ihrem Entwurf, daß der Bundesfinanzminister daran verdient. 1,4 Milliarden DM steckt er sich jährlich in seine Tasche, um andere Löcher seines Haushaltes zu stopfen,
um z. B. die Kindererziehungszeiten, diesen unwürdigen Stufenplan, zu finanzieren.Ich will nur kurz darauf hinweisen, daß selbst die Arbeitgeber in der Bundesrepublik dieses Verhalten des Norbert Blüm kritisieren.Wir meinen, daß die eingesparten Mittel bei der Bundesanstalt für Arbeit auch den Arbeitslosen zugute kommen müssen, um der neuen Armut entgegenzuwirken. Sie bleiben bei Ihrer Politik der sozialen Kälte.
Dies ist sehr negativ für die soziale Situation der Arbeitslosen.
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 17. Sitzung. Bonn, Freitag, den 5. Juni 1987 1069
HeyennIch will daran erinnern, daß in wenigen Jahren die Zahl der Haushalte, die laufend Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Sozialhilfegesetz in Anspruch nehmen müssen, um nicht weniger als 60 % gestiegen ist. Arbeitslosigkeit war schon 1985 in durchschnittlich 33 % und in Zentren hoher Arbeitslosigkeit sogar bis zu 45 % die Hauptursache für die Inanspruchnahme der Sozialhilfe. Insgesamt beziehen heute schätzungsweise drei Millionen Menschen in der Bundesrepublik, das ist jeder 20., Sozialhilfe.
Die Sozialhilfe ist beim Risiko der Arbeitslosigkeit zum Ausfallbürgen geworden.Die Sozialhilfeträger müssen die Lücken schließen, die die Arbeitslosenversicherung läßt, und zwar im wesentlichen durch Ihre Kürzungspolitik zu Lasten der Arbeitslosen. Und die Familien werden zur Kasse gebeten. Auch die Renteneinkommen der 80jährigen Eltern werden herangezogen, wenn die älteren Arbeitslosen kein Arbeitslosengeld mehr erhalten.
Ich finde, darüber kann man nun wirklich nicht lachen, so wie Sie es tun.
Der schleichende Verfall der Arbeitslosenversicherung in den letzten Jahren ist die negative Folge Ihrer Kürzungen. Er ist die Folge der zunehmenden Dauer der Arbeitslosigkeit; sie dauert durchschnittlich schon mehr als ein Jahr. Für beides sind Sie, Herr Kollege Blüm, verantwortlich.Warum, so möchte ich fragen, sind Sie nicht bereit, die unsozialen Kürzungen der Leistungssätze, wie wir das beantragt haben, zurückzunehmen? Warum gehen Sie auf unsere Vorschläge nicht ein, die Anspruchsdauer beim Arbeitslosengeld ohne Altersbegrenzung zu verlängern? Warum beenden Sie nicht die bittere Armut der Berufsanfänger und folgen unseren Forderungen, das Arbeitslosengeld und die Arbeitslosenhilfe für diesen Personenkreis zu erhöhen? Warum, so möchte ich weiter fragen, verweigern Sie sich unseren Forderungen, Gleichstellungsbeauftragte bei den Arbeitsämtern einzusetzen, um die Situation der Frauen zu verbessern?Wir sind dafür dankbar, daß — nicht auf Ihre Anregung, sondern auf Anregung des Ausschusses für Bildung und Wissenschaft — die Arbeitsämter in Zukunft in ihren Maßnahmen dafür zu sorgen haben, daß auf die geschlechtsspezifische Situation der Frauen auf dem Ausbildungs- und Stellenmarkt Rücksicht genommen wird.
Warum sind Sie nicht bereit, Herr Bundesarbeitsminister, unserer Forderung nach Öffnung der Arbeitslosenhilfe für mehr Arbeitslose, z. B. für Frauen nach Zeiten der Kindererziehung oder für Frauen nach Zeiten der Pflege von Personen, nachzugehen?
Denn hiermit würden wir einen Weg beschreiten, um Armut zu beseitigen. Warum sind Sie nicht bereit, Absolventen von berufsbildenden Schulen, von Fach-und Hochschulen aufzunehmen? All diesen Dingen verweigern Sie sich.
— Elmar, du nimmst die Sache ja noch ernst. Weiter zu meiner Rechten aber, wird darüber nur gelacht. Das halte ich für zynisch und für einen Skandal.
Ich will, Herr Kollege Seehofer, sagen, daß die notwendigen Maßnahmen finanziert werden müssen. Die Finanzierungsfrage aber kann man nicht unabhängig davon stellen, wie sich Beschäftigung und Arbeitslosigkeit weiter entwickeln. Wenn die Bundesregierung tatenlos zusieht, wie die Massenarbeitslosigkeit weiter ansteigt,
dann ist ihr eigener Gesetzentwurf, wie der Präsident der Bundesanstalt für Arbeit gesagt hat, schon in Kürze nicht mehr zu finanzieren.Wir Sozialdemokraten setzen uns mit Nachdruck dafür ein, daß insbesondere mit den Instrumenten der Wirtschafts-, der Finanz- und der Arbeitszeitpolitik die Massenarbeitslosigkeit wirksam bekämpft wird. In diesem notwendigen Zusammenhang sind die Kosten der Wiederherstellung eines ausreichenden Schutzes bei Arbeitslosigkeit auf jeden Fall zu tragen. Aber Sie verweigern sich noch unseren Forderungen nach einem Programm „Arbeit und Umwelt". Sie verweigern sich unserer Forderung nach einer Stärkung der kommunalen Finanzen. Sie verweigern sich unserer Forderung nach einer wesentlichen Reduzierung der Überstunden. Sie betreiben keine aktive Beschäftigungspolitik, sondern wollen alles den Markt regeln lassen. Ich sage Ihnen: Das geht zu Lasten der Leute, die Sie als Restgröße behandeln, nämlich zu Lasten der sozial Schwachen, der Arbeitslosen in unserer Bundesrepublik.
Meine Damen und Herren, Sie haben im Ausschuß selbst gesagt, Sie würden einigen unserer Vorschläge gerne folgen, wenn Sie die Mittel dafür hätten.Nun wissen wir ja nicht, was der Herr Bundesfinanzminister aus Venedig mitbringen wird. Vielleicht werden Sie Ende Juni hier in diesem Parlament schon ganz anders reden müssen, als Sie es heute tun.
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1070 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 17. Sitzung. Bonn, Freitag, den 5. Juni 1987
HeyennAber natürlich muß ich Ihnen den Spitzensteuersatz,
muß ich Ihnen die Vermögensteuer vorhalten. Ich muß Ihnen vorhalten, daß Sie Prioritäten zugunsten der Reichen setzen und die Arbeitslosen in die Armut schicken. Das ist die Situation.
Meine Damen und Herren, ich finde, es ist kaltschnäuzig, es ist eine Politik der sozialen Kälte — der Frau Weiler verdanke ich diesen Begriff — , wenn Sie hier die notwendigen Maßnahmen ablehnen. Ich muß Ihnen allerdings sagen: Dem Tropfen auf den heißen Stein, den Sie hier heute morgen verabschieden wollen,
werden wir zustimmen. Aber wir meinen: Dies ist in keiner Weise ausreichend. Dies ist von Ihnen nicht vorgeschlagen, um Arbeitslosen zu helfen, dies ist ein Verschiebebahnhof, um dem Bundesfinanzminister die Möglichkeit der Finanzierung von Kindererziehungszeiten und anderem zu eröffnen.Ich will Ihnen abschließend sagen, daß Sie die Probleme nicht loswerden. Die Lawine wächst weiter.
— Natürlich.Im Ausschuß wird gesagt, Sie hätten die Erwartungen für wirtschaftliches Wachstum in diesem Jahr von 2,5 auf 1,8 % reduziert. Aber vom nächsten Jahr an rechnen Sie, um Ihre unwirkliche Betrachtung, Ihre schönfärberische Betrachtung aufrechterhalten zu können, schon wieder mit 2,5 % wirtschaftlichem Wachstum. Dies ist durch nichts gedeckt.Wir Sozialdemokraten werden keine Ruhe geben, weiter eine aktive Beschäftigungspolitik zu fordern. Und wir werden weiter mit allen politischen Mitteln für eine ausreichende Absicherung bei Arbeitslosigkeit streiten. Die Bundesrepublik ist einer der reichsten Staaten der Welt. Für sie ist es unwürdig, daß eine Politik der Ausgrenzung zu Lasten der Arbeitslosen getrieben wird, die einen Großteil von ihnen in bittere Armut treibt.Vielen Dank.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Hasselfeldt.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Fraktion der CDU/CSU begrüßt den Entwurf der Bundesregierung. Damit wird ein Versprechen eingelöst, das wir vor der Wahl gegeben haben.
Wir verfolgen damit drei Ziele.Erstens. Wir wollen eine Verbesserung des sozialen Schutzes bei Arbeitslosigkeit für alle Arbeitnehmer.Zweitens. Wir werden dabei die von der Arbeitslosigkeit besonders betroffenen älteren Arbeitnehmer
auch besonders schützen.
Drittens. Wir wollen den Arbeitnehmern in der Stahlindustrie durch die Verlängerung der Dauer des Anspruchs auf Kurzarbeitergeld helfen.Diese Verbesserungen, meine Damen und Herren, sind nur möglich, weil es in der Bundesanstalt für Arbeit im Gegensatz zu der Zeit der Regierungsverantwortung der SPD wieder volle Kassen gibt.
Bei unserem Gesetzentwurf wird deutlich, daß wir keine Sozialpolitik im Gießkannensystem wollen und daß wir keine Sozialpolitik ohne finanzpolitische Verantwortung betreiben wollen.
Meine Damen und Herren, unser Ziel ist eine differenzierte Sozial- und Arbeitsmarktpolitik, eine Politik, die abstellt auf die tatsächlichen Schwachstellen, auf die besonders Betroffenen, und dies alles, meine Damen und Herren von der SPD, im Rahmen der finanziellen Möglichkeiten.Durch die deutliche Zunahme der durchschnittlichen Dauer der Arbeitslosigkeit seit Mitte der 70er Jahre ist der Anteil der Arbeitslosengeldbezieher an der Gesamtzahl der Bezieher von Lohnersatzleistungen erheblich zurückgegangen. Während 1981 von 100 Arbeitslosen noch 80 Arbeitslosengeld und 20 Arbeitslosenhilfe bezogen, lag dieses Verhältnis 1986 bei 57 zu 43. Hier wird deutlich, daß die Arbeitslosenversicherung ihre soziale Sicherungsfunktion nicht mehr voll erfüllt. Wir wollen die günstigere finanzielle Lage der Arbeitslosenversicherung dazu nutzen, dies wieder sicherzustellen.Durch die Änderung des Verhältnisses der beitragspflichtigen Beschäftigungszeit zur Dauer des Arbeitslosengeldbezugs von bisher 3 zu 1 auf 2 zu 1 wird eine Regelung getroffen, die allen Arbeitnehmern, den jüngeren und den älteren, gleichermaßen zugute kommt. Einen besonderen Wert hat diese Regelung auch für die Saisonarbeitnehmer, die damit bei achtmonatiger Beschäftigung bereits eine volle Risikoabdeckung für das ganze Jahr haben, was bisher nur bei neunmonatiger Beschäftigung der Fall war. Erlauben Sie mir, daß ich gerade als CSU-Abgeordnete dieses besonders betone und hervorhebe und daß ich mich darüber auch besonders freue, weil gerade in Bayern die Anzahl der Saisonarbeitslosen auf Grund der Wirtschaftsstruktur und der Witterungsbedingungen besonders hoch ist.
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 17. Sitzung. Bonn, Freitag, den 5. Juni 1987 1071
Frau HasselfeldtIn den Statistiken und Strukturuntersuchungen der Bundesanstalt für Arbeit wird deutlich, daß die Dauer der Arbeitslosigkeit bei älteren Arbeitnehmern höher ist als bei jüngeren. Bei den 20- bis 24jährigen beispielsweise sind es im letzten Jahr durchschnittlich 6,4 Monate gewesen, bei den 40- bis 60jährigen lag diese Dauer aber zwischen 14,2 und 23,5 Monaten. Unbestritten ist auch, daß die älteren Arbeitslosen erheblich größere Probleme bei der Suche nach einer neuen Arbeitsstelle haben. Unbestritten ist auch, daß ältere Arbeitslose in der Regel längere Zeit Beiträge gezahlt haben. Dies waren die Gründe, die uns bewogen haben, für ältere Arbeitslose ab dem 42. Lebensjahr die Bezugsdauer von Arbeitslosengeld zu verlängern. Dies ist keine willkürliche Grenze — im übrigen auch verfassungsrechtlich abgedeckt —, sondern begründet in diesen drei Kriterien: länger dauernde Arbeitslosigkeit, schwierigere Vermittlung und in der Regel auch längere Beitragszahlungen.Die Verlängerung des Arbeitslosengeldbezugs macht aber auch eine Änderung des § 128 AFG erforderlich. Deshalb haben wir einen Änderungsantrag eingebracht mit der Maßgabe, daß die Erstattungspflicht des Arbeitgebers nicht eintritt, wenn das Arbeitsverhältnis vor Inkrafttreten dieses Gesetzes gelöst oder gekündigt wurde und die Erstattungspflicht nur wegen der Verlängerung der Dauer des Anspruchs auf Arbeitslosengeld eintreten würde. Dieser Änderungsantrag gewährleistet, daß die Betriebe durch die Gesetzesänderung nicht benachteiligt werden.Im Ausschuß wurde auch die Problematik des § 128 AFG in der Stahlindustrie beraten. Es bestand Einvernehmen darüber, daß diese Handhabung großzügig ausgelegt wird. Wir hoffen, daß dies auch für die Vorabentscheidung nach § 128 Abs. 5 AFG gilt.Das Ziel unserer differenzierten Arbeitsmarktpolitik zeigt sich auch im dritten Teil dieses Regierungsentwurfs in der Verlängerung des Bezugs von Kurzarbeitergeld in der Stahlindustrie von 24 auf 36 Monate, die darin begründet liegt, daß die Arbeitnehmer in der Stahlindustrie keine Möglichkeit haben, auf Grund der hier vorhandenen Produktionsbeschränkungen eine neue Anwartschaft auf Kurzarbeitergeld zu erwerben.
— Hier liegen diese Probleme anders, weil hier die Produktionsbeschränkungen nicht vorhanden sind. Wir wissen, meine Damen und Herren, daß wir die generellen Probleme in der Stahlindustrie damit nicht lösen können.
Dazu ist eine enge Kooperation aller Beteiligten erforderlich, die über das bisher Gesagte weit hinausgeht.Lassen Sie mich aber auch noch einige Worte zum Entwurf der SPD verlieren. Sie wollen allen alles bieten, und zwar ohne Rücksicht darauf, wie dies finanziert werden soll.
Im übrigen waren Ihre Vorschläge auch früher teilweise schon Gesetz. Die Situation damals war: leere Kassen, hohe Arbeitslosenzahlen. Und die Konsequenz aus Ihren Vorschlägen heute wäre, daß die Finanzen der Bundesanstalt für Arbeit genauso kaputtgehen, wie sie während Ihrer Regierungsverantwortung kaputtgingen, und daß die Steuerzahler, die Beitragszahler und die Arbeitslosen dann diejenigen sind, die das ausbaden müssen.
Sozialpolitik, meine Damen und Herren, muß immer auch finanzpolitisch vertretbar sein.Wir wissen auch, daß wir uns mit diesem uns heute vorliegenden Gesetzentwurf nicht von einer der wichtigsten Aufgaben der nächsten Jahre entbinden, nämlich der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit.
Aber dieses Gesetz, dessen Entwurf wir Ihnen heute vorlegen, ist ein Leistungsgesetz, dessen Zielsetzung es ist, die Arbeitslosenversicherung wieder zu dem zu machen, was sie sein soll, nämlich eine echte Risikoversicherung bei Arbeitslosigkeit
unter Berücksichtigung besonderer Vermittlungserschwernisse und geleisteter Beiträge.Im übrigen, meine Damen und Herren, brauchen wir angesichts der Arbeitsmarktbilanz kein schlechtes Gewissen zu haben.
Im Gegensatz zur SPD haben wir nämlich die Millionenarbeitslosigkeit nicht verursacht, sondern gestoppt.
Und im Gegensatz zur SPD, die Tausende von Arbeitsplätzen verspielt hat, wurden unter unserer Verantwortung erstmals wieder neue Arbeitsplätze geschaffen. Auf diesem Weg, meine Damen und Herren, werden wir fortfahren.
Sie, meine Damen und Herren von der SPD, erheben den Anspruch, die Arbeitsmarktsituation mit Ihrem Gesetzentwurf zu verbessern. Glauben Sie denn im Ernst, daß Sie mit höherem Arbeitslosengeld, mit längerer Bezugsdauer für alle Altersgruppen, mit
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1072 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 17. Sitzung. Bonn, Freitag, den 5. Juni 1987
Frau HasselfeldtVerkürzung der Sperrzeiten, den Erweiterungen des Arbeitslosenhilfeanspruchs auch nur einen einzigen Arbeitsplatz zusätzlich schaffen können? Und Beschäftigungsprogramme mit der bekannten arbeitsmarktpolitischen Null-Wirkung haben wir während Ihrer Regierungszeit wahrlich genug gehabt.
Die Herabsetzung der Beschäftigungszeit sowie die Verkürzung der Sperrzeiten — auch Forderungen in Ihrem Gesetzentwurf — können schon im Interesse einer wirksamen Bekämpfung von Leistungsmißbrauch nicht in Betracht kommen. Im übrigen ist diese Aufgabe, die Bekämpfung des Leistungsmißbrauchs, nicht nur im Zusammenhang mit der Arbeitslosengeldverlängerung, sondern auch im gesamten Bereich des Arbeitsförderungsgesetzes eine Aufgabe, die uns in den nächsten Monaten verstärkt beschäftigen muß.
Wir wollen eine Sozialpolitik für die ehrlichen Arbeitgeber und Arbeitnehmer, für die, die unser Sozialsystem mittragen und mitfinanzieren.
Hier haben Schwarzarbeit, illegale Beschäftigung und andere Mißbräuche keinen Platz. Deshalb werden wir alle Bemühungen der Bundesanstalt für Arbeit und der Bundesregierung unterstützen, Mißbräuche in der Arbeitslosenversicherung zu verhindern.
Der Gesetzentwurf der Bundesregierung, meine Damen und Herren, ist sozial ausgewogen, ist arbeitsmarktpolitisch und versicherungspolitisch geboten. Und, meine Damen und Herren: Er ist solide finanziert. Deshalb bitten wir um Ihre Zustimmung.
Meine Damen und Herren, ich wende mich an alle Seiten des Hauses mit der Bitte, den Ausführungen der Redner und der Rednerinnen mit ein bißchen mehr Geduld und Zurückhaltung zuzuhören.
Die Frau Abgeordnete Hasselfeldt hat ihre erste Rede in der 11. Wahlperiode des Deutschen Bundestages gehalten. Ich beglückwünsche sie dazu.
— Frau Unruh, Sie waren jetzt nicht dran. —
Man nannte das früher „Jungfernrede".
Ich möchte Sie ermuntern, an den Beratungen des Deutschen Bundestages auch weiterhin so aktiv, couragiert und mit so großer Anteilnahme teilzunehmen.
Den männlichen Abgeordneten, wiederum nach allen Seiten gewandt, möchte ich ganz besonders ans Herz legen, daß man sie im allgemeinen als Kavaliere bezeichnet.
Diesem guten Ruf sollten Sie auch weiterhin gerecht werden.
— Der Blick war nach allen Seiten. Sie wissen nichts von meiner Routine, wie das bei mir funktioniert.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Trenz. Bitte sehr.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zuerst ein Wort zur SPD-Fraktion. Ich finde es bedauerlich, daß Sie diesem Entwurf zustimmen werden, wie Sie hier bekundet haben. Es ist mir etwas unverständlich.
Der von der Bundesregierung eingebrachte Gesetzentwurf zur Verlängerung des Versicherungsschutzes bei Arbeitslosigkeit und Kurzarbeit findet nicht unsere Unterstützung, und zwar aus zwei Gründen.
Erstens. Dieser Entwurf bewirkt vor allem eine Umverteilung der Kosten vom Bund auf die Bundesanstalt für Arbeit und ändert nichts am Grundprinzip der Arbeitslosenversicherung, die den heutigen Anforderungen längst nicht mehr entspricht.
Zweitens. Durch seine Beschränkung auf das Kriterium Alter schließt der Entwurf eine große Gruppe von Langzeitarbeitslosen aus. Für die Langzeitarbeitslosen über 42 Jahre wird die Änderung des AFG eine kleine Veränderung bringen.
Ich möchte vorab betonen, meine Damen und Herren, daß ich mich für diese Menschen freue, wenn sich wenigstens für sie die Situation ein klein bißchen verbessert. Das steht völlig außer Frage.
Zugleich kann aber diese Änderung nicht darüber hinwegtäuschen, daß die Gesetzgebung alle von Arbeitslosigkeit Betroffenen berücksichtigen muß und nicht, wie durch die Altersbegrenzung geschehen, die Mehrheit der Langzeitarbeitslosen ausgrenzen darf.
Was ist denn mit den Hunderttausenden von Jugendlichen, die in zunehmendem Maße Schwierigkeiten haben, überhaupt erst einmal in das System der Arbeitslosenversicherung hineinzukommen? Wo bleiben die Menschen, die behindert sind oder in einer strukturschwachen Region leben? Was ist mit den Ungelernten, die nie in ihrem Leben die Möglichkeit
Frau Trenz
hatten, eine Berufsausbildung mit Perspektive zu absolvieren?
Was, Herr Blüm, wird mit den vielen Frauen, die nach der sogenannten Familienphase nicht die mindeste Chance haben, einen Neu- oder Wiedereinstieg in das Berufsleben zu finden?
Die Arbeitsmarktpolitik der Bundesregierung zwingt sie, sich mit dem Funktionieren in der sanften Macht der Familie zu begnügen.
Sowenig diese Bundesregierung bereit und in der Lage ist, die Wurzeln von Massenarbeitslosigkeit und Armut zu beseitigen, sowenig ist sie bereit und in der Lage, diejenigen, die unter ihrer verfehlten Politik zu leiden haben, wenigstens sozial abzusichern.
Was sie betreibt, ist eine Politik der Verwaltung von stetig wachsenden Arbeitslosenzahlen.
Sehen wir uns an, was die vorgesehene Änderung des AFG unter diesem Aspekt zu bieten hat. Der Bund wird in den Jahren 1987 bis 1990 insgesamt rund 4,4 Milliarden DM an Zahlungen für die Arbeitslosenhilfe einsparen, während die Bundesanstalt für Arbeit im gleichen Zeitraum mit 9,7 Milliarden DM zusätzlich belastet wird.
Durch diese Kostenumverteilung wird freilich kein einziger Arbeitsplatz geschaffen.
Sie ändert nichts am nachweislichen Abbau von Dauerarbeitsplätzen zugunsten befristeter Neueinstellungen und an dem damit einhergehenden Abbau von Arbeitnehmerrechten.
Ihr Beschäftigungsförderungsgesetz, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, hat wirklich ganze Arbeit geleistet.
Und noch ein Aspekt. Die Änderung des AFG trägt dazu bei, nach der Spaltung unserer Gesellschaft in Arbeitsplatzbesitzer und Arbeitslose nun auch die Arbeitslosen untereinander zu spalten:
auf der einen Seite Langzeitarbeitslose über 42 Jahre, die nun auch schon zum alten Eisen gehören, und auf der anderen Seite die Jüngeren, die von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe leben. Auf wessen Seite diese Bundesregierung steht, ist ohnehin eine klare Sache, die sich nicht an begrenzter Sozialkosmetik festmacht, sondern an grundlegenden gesellschaftspolitischen Maßnahmen. Und da wird nach dem Motto verfahren: Wer hat, dem wird gegeben. Geht es nach den steuerpolitischen Vorstellungen der Koalitionsparteien, dann wird die Steuerreform für 8 Millionen Arbeitnehmer — das sind 40 % der Steuerpflichtigen — eine Entlastung von nicht einmal 40 DM pro Monat bringen, während Spitzenverdiener mindestens 1 000 DM pro Monat mehr einstecken. Nicht in Maßnahmen zur Beseitigung von Arbeitslosigkeit und Armut fließen unter dieser Regierung die Riesenbeträge, sondern in
die Umverteilung von unten nach oben. Das ist christdemokratisch-freiheitliche Politik in diesem Land.
Wie zynisch und aufgesetzt es ist, wenn sich diese Regierung als Vertreterin der sozial Schwachen auszugeben versucht — und damit, meine Damen und Herren, komme ich zum Schluß —, können auch kleine Zugeständnisse nicht vertuschen. Notwendig ist ein ökologischer Umbau dieser Industriegesellschaft, der sinnvolle Arbeitsplätze schafft, und darüber hinaus eine Grundsicherung für alle, die menschenwürdig die Existenz sichert.
Meine Damen und Herren, auch Frau Abgeordnete Trenz hat ihre erste Rede in der 11. Wahlperiode hier im Deutschen Bundestag gehalten. Ich beglückwünsche sie, und auf sie trifft all das zu, was ich auch der Vorrednerin gesagt habe.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Cronenberg.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Günther Heyenn hat dreizehneinhalb Minuten begründet, warum er das Gesetz ablehnen muß, um dann zum Schluß zu erklären, er stimmt zu. Es scheint mir ein schwer aufzulösender Widerspruch zwischen Begründung und Abstimmungsverhalten zu sein. Denn immerhin, Kollege Heyenn, im verregneten Wonnemonat Mai weist die Statistik erfreulicherweise die niedrigste Arbeitslosenquote seit Jahren aus. Natürlich wünsche ich mir auch mehr, viel mehr Beschäftigte und weniger Arbeitslose; aber es ist immerhin die niedrigste Arbeitslosigkeit.
Der Herr Kollege Heyenn hat gefragt, warum wir denn in dem Gesetz nicht mehr Leistungen geben. Ganz einfach: weil Sozialpolitik auf Pump ebenso schädlich ist, wie es höhere Beiträge sind. Aktive Beschäftigungspolitik bedeutet niedrige Beitragssätze in der Sozialversicherung. Das sollten wir nicht vergessen. Sozialpolitik auf Pump ist sicher das Böseste, was man machen kann.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Herr Präsident, wenn es nicht angerechnet wird — Frage und Antwort —, dann sehr gern; meine Zeit ist sehr knapp.
Immer diese Versuchung. — Bitte!
Herr Kollege, ich möchte nicht von Steuerpolitik auf Pump reden, die Sie planen, sondern möchte Sie fragen, ob Sie die Auffassung des Präsidenten der Bundesanstalt für Arbeit teilen, wonach die saisonbereinigte Zahl der Arbeitslosen sich seit Monaten im Anstieg befindet. Ich möchte Sie fragen, ob Sie die Auffassung des Präsidenten der Bundesanstalt für Arbeit teilen, es gebe keine konjunkturell,
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1074 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 17. Sitzung. Bonn, Freitag, den 5. Juni 1987
Heyennsondern nur saisonal bedingte Gründe für die Veränderung der Zahl der Arbeitslosen.
Die Interpretation des Präsidenten der Bundesanstalt für Arbeit ist richtig, wenn sie die kurzfristige Betrachtung wählen. Wir haben nun seit 1982 eine strukturelle Verbesserung unserer Arbeitsmarktsituation. Wenn Sie eben gefragt haben, warum eigentlich so viel Geld, das hier ja verteilt wird, in der Kasse ist, dann ist darauf zu erwiedern, dies ist darauf zurückzuführen, daß über 600 000 Menschen mehr Arbeit und Brot haben.
In der Tat hat sich in den letzten sechs Monaten die strukturelle Situation nicht mehr verbessert. Das ist aber über lange Zeit der Fall gewesen. Und, Herr Kollege Heyenn, Sie können einen guten Beitrag dazu leisten, daß sich dieser Trend wieder umkehrt, indem Sie statt Beschimpfungen der Unternehmer vorzubringen, wie Sie es eben getan haben, mit dafür sorgen, daß ordentliche und aktive Unternehmer in der Lage sind, auf Grund vernünftiger Bedingungen Arbeitsplätze anzubieten.
Statt, wie eben geschehen, Unternehmer zu diffamieren, sollten Sie sich bemühen, vernünftige, ordentliche Unternehmer zu bekommen, die in der Lage sind, Arbeitsplätze zu besorgen. Dann sind wir aus den Schwierigkeiten heraus.
Im übrigen möchte ich an dieser Stelle, Herr Kollege Heyenn, darauf hinweisen, daß die Qualifizierungsmaßnahmen der Bundesanstalt mit ein Beitrag dazu sind, daß wir mehr Beschäftigte haben. Erfolgreiche Qualifizierungsmaßnahmen sind besser als ABM- Maßnahmen. Wer die Statistiken unserer Arbeitslosen sieht, weiß, daß die nicht Qualifizierten und Älteren die Problemgruppen sind. Insofern geht der Gesetzentwurf der SPD ebenso wie jener der Koalition genau in die richtige Richtung — ich möchte auch einmal die Gemeinsamkeit herausstellen —, er hilft nämlich gezielt den älteren Arbeitslosen.
Ich begrüße das ausdrücklich, weil dies genau der Intention von Wolfgang Mischnick, seit vielen Jahren vertreten, entspricht, daß derjenige, der lange Zeit Beiträge in die Kasse gezahlt hat, auch längere Zeit Ansprüche auf den Bezug von Arbeitslosengeld haben muß.
Ich nehme die Gelegenheit wiederum wahr, den Bundesarbeitsminister darum zu bitten, dafür Sorge zu tragen, daß wir möglichst bald individuelle Beitragskonten bekommen, damit wir auch hier ein wirkliches Versicherungssystem einführen können.
Meine Damen und Herren, wir stimmen diesem Gesetzentwurf zu, weil wir der Meinung sind, daß wir diesen von uns verlangten Zielen ein Stück näherkommen. Wir sind auch der Meinung, daß diese Zustimmung keine Verletzung unseres Grundsatzes, den ich hier ausdrücklich noch einmal erwähnen möchte und den ich auch eingangs in Erwiderung auf den Kollegen Heyenn schon erwähnt habe, bedeutet, daß wir möglichst niedrige Beiträge brauchen, um eine aktive Beschäftigungspolitik zu betreiben. Jedes Zehntel für die Arbeitslosenversicherung mehr bedeutet für Arbeitnehmer und Arbeitgeber 750 Millionen DM mehr Kosten. Jedes Zehntel weniger an Belastung ist ein Stück mehr Chance zur Investition, ein Stück Chance zu mehr Nettolohn. Beides ist im Interesse der Wirtschaft wünschenswert.
Ich möchte das an dieser Stelle deswegen sagen, weil wir möglicherweise wieder einmal vor derselben Frage stehen. Dann sollten wir uns daran erinnern, daß Beitragssenkung aktive Beschäftigungspolitik sein kann und ist.
Meine Damen und Herren, ich hoffe, daß trotz der Kontroverse über die Arbeitslosigkeit nicht vergessen wird, daß es ein Stück Gemeinsamkeit im Hause gibt, das sich nicht nur in der Zustimmung der SPD-Fraktion ausdrückt, sondern auch darin, daß klar wird, daß alle Seiten des Hauses bemüht sind, mindestens den älteren Arbeitslosen in ihrer schwierigen Phase durch dieses Gesetz Erleichterung zu verschaffen.
Ich danke Ihnen.
Das Wort erteile ich dem Herrn Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das erste Gesetz, das dieses Hohe Haus in der 11. Legislaturperiode verabschiedet, ist eine Gesetz für die Arbeitslosen. Das ist kein Zufall, sondern auch Ausdruck unserer Sorge für die Arbeitslosen.
Dieses Gesetz ist die Einlösung unseres Wahlkampfversprechens; von Ihnen, der Opposition, angezweifelt, aber jetzt als erstes Gesetz in dieser Legislaturperiode im Deutschen Bundestag durchgesetzt. Das Gesetz soll die Lage der Arbeitslosen verbessern.
— Herr Kollege Dreßler, das ist der Unterschied: Zu Ihrer Zeit waren Schulden da. Da konnte man für die Arbeitslosen überhaupt nichts tun. Verteilen Sie mal Schulden für die Arbeitslosen!
Wir haben wieder Geld, um eine aktive Arbeitsmarktpolitik zu betreiben.
Sie haben die Bundesanstalt für Arbeit mit einemDefizit von 13 Milliarden DM, das ins Haus stand, verlassen. Das ist so viel, wie die ganze Kriegsopferver-
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 17. Sitzung. Bonn, Freitag, den 5. Juni 1987 1075
Bundesminister Dr. Blümsorgung kostet. Das ist das Ergebnis Ihrer arbeitsmarktpolitischen Finanzpolitik.
Deshalb bleiben wir bei dem Gesetz.
— Sonst muß ich zu lange über die Fehler der SPD reden. Ich will aber davon reden, was wir für die Arbeitslosen tun. Wir wollen ihre Lage verbessern und Entlassungen vermeiden.
Wir verlängern wiederum das Arbeitslosengeld. Meine Damen und Herren, wir mußten sparen; das ist richtig. Wie soll man sonst Schulden abbauen? Aber inzwischen übertreffen die Leistungsverbesserungen die Sparmaßnahmen. Die Leistungsverbesserungen belaufen sich auf rund 3 Milliarden DM, die Sparmaßnahmen auf 2 Milliarden DM. Das wir wieder mehr Geld in der Kasse haben, ist unter anderem darauf zurückzuführen — der Kollege Cronenberg hat es schon gesagt — , daß wir mehr Beitragszahler haben, weil wir mehr Beschäftigte haben. Herr Heyenn, wie kommen Sie eigentlich auf die Idee zu sagen, es würde nichts geschehen. Ich meine, ich wiederhole mich nicht gerne, aber wenn Sie pausenlos das Falsche wiederholen, muß ich halt das Richtige auch wiederholen. Seit Oktober 1983 — so die jüngste Zahl — haben wir 750 000 sozialversicherungsrechtlich Beschäftigte mehr. Ist das nichts?
— Nein, lassen Sie mich den Zusammenhang darstellen.Verehrte Sprecherin der GRÜNEN, ich halte es fast für Zynismus, wenn Sie sagen, das, was wir machten, sei Kosmetik. Wissen Sie, was das Ganze kostet? 2,8 Milliarden DM, und das bezeichnen Sie als Kosmetik! Bezeichnen Sie es als Kosmetik, wenn Arbeitnehmer länger unter dem Schutz der Arbeitslosenversicherung bleiben und nicht in die Arbeitslosenhilfe fallen? Ist das Kosmetik?
Das ist ganz konkrete Hilfe für Arbeitslose.Ich teile auch die Ansicht, die hier vorgetragen wurde, daß darin auch ein Moment der Gerechtigkeit liegt. Wer länger Beitrag gezahlt hat, sollte auch länger unter dem Dach der Arbeitslosenversicherung bleiben. Es liegt mir fern, die Logik zu vertreten, damit würden die Alten abgewertet; das stimmt überhaupt nicht. Wo steht denn, daß es, wenn länger Arbeitslosengeld gezahlt wird, eine Einladung zur Arbeitslosigkeit sei? Nein, wir machen eine menschennahe, den Verhältnissen angepaßte Sozialpolitik, nicht die Sozialpolitik mit der Gießkanne.
Da wiederhole ich: Einer, der 30 Jahre gearbeitet hat und Beiträge gezahlt hat, der sollte länger Arbeitslosengeld bekommen als einer, der zwei Jahre Beiträge gezahlt hat. Das entspricht doch auch einem Stück Gerechtigkeitsempfinden, das auch in der Sozialversicherung seinen Platz hat.
— Herr Kollege Heyenn, ich möchte im Zusammenhang darstellen. Ich bin ja für jede Diskussion dankbar. Aber lassen Sie mich noch einmal die Ziele des Gesetzes darstellen; innerhalb von acht Minuten können wir ja kaum noch mehr machen.Zweitens. Dieses Gesetz entlastet die Kommunen, und zwar gerade jene Gemeinden, die durch hohe Arbeitslosigkeit betroffen sind. Es entlastet sie von Sozialhilfeleistungen.
Sie sehen, auch das hat einen arbeitsmarktpolitischen Bezug. Denn das Geld, das sie bei der Sozialhilfe sparen, weil jetzt die Bundesanstalt zahlt, können sie nutzen, um neue Arbeitsplätze zu schaffen. Neue Arbeitsplätze sind das wichtigste in der ganzen Arbeitsmarktpolitik. So wichtig es ist, die Lage der Arbeitslosen zu verbessern, noch wichtiger ist es, gar keine Arbeitslosigkeit entstehen zu lassen.
Ein weiterer Punkt: Wir verändern das Verhältnis zwischen der Dauer des Anspruches auf Arbeitslosengeld und der Beitragszeit. Bis jetzt war es so, daß man für ein Jahr Arbeitslosengeld drei Jahre Beitrag gezahlt haben mußte; das bedeutet ein Verhältnis von 1 : 3. Wir verkürzen das auf 1 : 2. Das hört sich zunächst einmal ganz technisch an. Wissen Sie, wem das hilft? Vielen Jugendlichen, die ihren Anspruch auf Arbeitslosengeld gar nicht einlösen konnten, vielen Saisonarbeitern, die mit dem alten Anspruchsverhältnis gar nicht über das Jahr kommen. Insofern machen wir auch keine Politik, die die Jungen gegen die Alten ausspielt, die Männer gegen die Frauen, die Frauen gegen die Männer. Lassen Sie uns doch eine Politik für alle machen.Wenn Sie beklagen, verehrte Kollegin, wir hätten für die arbeitslosen Frauen nichts getan, dann sage ich Ihnen, daß das durch die Wiederholung der Behauptung nicht richtiger wird. Wir haben die Rahmenfristen verlängert, die Anspruch auf das Unterhaltsgeld geben, und deshalb gerade jenen Frauen, die in das Erwerbsleben zurückkehren wollen, auch früher wieder die Hilfe der Bundesanstalt zur Verfügung gestellt. Wir haben das Programm Teilzeit verbunden mit Teilzeitqualifizierung, das gerade jenen Frauen hilft, die nicht sozusagen in einem Schritt in die Erwerbsarbeit zurückkehren, sondern durch neue
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Bundesminister Dr. BlümQualifikationen auch an qualifizierte Arbeitsplätze zurückkehren wollen.
Wissen Sie, diese allgemeine Beschreibung, diese allgemeinen Klagelieder hören sich ja ganz gut an und sind für Kundgebungen auch ganz gut. Nur, den Menschen wird nicht geholfen. Wir machen eine Politik für die Menschen und nicht für die Sprüche.
Bleiben wir noch bei den Stahlarbeitern. Wissen Sie, was drei Jahre Kurzarbeitergeld bedeuten? Sie bedeuten, daß der Strukturwandel Zeit gewinnt, daß man sozusagen die Zeitschiene,
auf der sich der Strukturwandel vollziehen muß, nun mit Kurzarbeitergeld so unterstützt, daß Entlassungen vermieden werden können. Auch das ist ganz hautnahe Politik für die Arbeitnehmer.
— Frau Unruh, das ist nicht die Sozialpolitik der Konfettiparaden, sondern zielgenaue Sozialpolitik. Darum geht es uns.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Sellin?
Bitte!
— Doch, gleich, aber ich wollte das im Zusammenhang darstellen. Verstehen Sie das bitte nicht als Mißachtung. Sie sind gern dazu eingeladen, daß wir das jetzt im Gespräch klären.
Bitte, Herr Abgeordneter Sellin.
Vielleicht kann ich heute die Zwischenfrage zu Ende bringen, die ich schon einmal stellen wollte.
Es geht um denselben Anlaß. Sie haben über Jugendliche , ABM-Maßnahmen und Teilzeitqualifizierung geredet. Ist es richtig, daß diese Qualifizierungsmaßnahmen im Regelfall nicht zu anerkannten Berufsabschlüssen führen? Es gibt über die EG finanzierte Ausnahmeprogramme — das ist richtig — ,aber das betrifft nur eine Minderheit. Von da aus geraten gerade Jugendliche in die Situation,
daß ihnen im Rahmen des ABM-Programms keine Berufsperspektive angeboten wird, sondern eine Warteschleife.
70 % der Teilnehmer an beruflichen Bildungsmaßnahmen waren drei Monate später nicht mehr im
Leistungsbezug. Das ist mehr Perspektive, als Sie mit Ihrer Frage unterstellen, Herr Kollege.
Ich bleibe dabei: Das Wichtigste ist, Arbeitsplätze zu schaffen, und das Wichtigste ist Qualifizierung.
Da möchte ich, weil immer wieder das Gegenteil behauptet wird, auch dies wiederholen: Nie hat eine Bundesanstalt, nie hat eine Bundesregierung, nie hat eine Regierungskoalition mehr für Umschulung und Fortbildung getan als diese! Dafür sprechen die Zahlen. Darüber brauchen Sie gar nicht zu streiten.
Als Sie Ihr Amt abgegeben haben, gab es 260 000 Umschüler und Fortzubildende. Heute gibt es über 500 000. Ich wiederhole: Selbst ein Mathematiklehrer, der der GEW angehört, muß zugeben, daß 500 000 mehr sind als 260 000.
— Herr Dreßler, Sie reizen mich immer dazu, das Kontrastprogramm Blüm/Dreßler darzustellen. Als ich mein Amt übernommen habe,
gab es unter dem Parlamentarischen Staatssekretär Dreßler 29 200 ABM-Plätze. Inzwischen gibt es 110 000.
— Herr Dreßler, die einfachen Grundrechenarten reichen, um zu beweisen: Dreimal besser als Dreßler und Kompanie sind CDU, CSU und FDP.
Wissen Sie, ich habe an Ihnen ja immer das Kunststück bewundert — —
— Seien Sie doch nicht so aufgeregt!
Herr Bundesminister, entschuldigen Sie bitte, wenn ich Sie unterbreche. Meine Damen und Herren, so geht es nicht!
Herr Abgeordneter Dreßler, Sie haben für Ihre Fraktion Redezeiten, und die können Sie nutzen, aber es geht nicht an, daß man durch permanente Zwischenrufe den Redner bei seinen Ausführungen stört. Dies gilt für alle, auch für Sie, Herr Dreßler.
Herr Präsident, ich bedanke mich. — Ich lege
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Bundesminister Dr. BlümWert auf die Feststellung, daß meine Zahlenbeispiele
nicht Blümsche Rechnungsarten sind, sondern in Übereinstimmung mit Adam Riese stehen, und da sind 110 000 mehr als 29 000. Das hat nichts mit Blüm zu tun.
110 000 sind mehr als 29 200. Diese Mitteilung ist parteipolitisch völlig neutral; es ist eine rein mathematische Mitteilung.
Jetzt noch einmal zu dem von mir immer bewunderten Illusionstrick der SPD: 7,3 Milliarden DM kostet der Vorschlag, den die SPD in ihrem Gesetzespaket zusammengefaßt hat, 7,3 Milliarden! Können Sie mir das Betriebsgeheimnis verraten, wie Sie das finanzieren wollen? Sollen Beiträge erhöht werden? Sollen die Beiträge der Arbeitnehmer und die Beiträge der Arbeitgeber erhöht werden? Wissen Sie, meine Damen und Herren, die Feststellung will ich doch noch einmal treffen: Sozialpolitik, die über ihre Verhältnisse lebt, die mehr ausgibt, als sie eingenommen hat, ist keine Stütze des Sozialstaats, sondern ruiniert den Sozialstaat.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage? — Bitte sehr.
Anders als mein Kollege Dreßler habe ich Ihnen mit bemerkenswerter Geduld zugehört, Herr Minister. Ich habe den Eindruck gewonnen, daß Sie sich hier darauf beschränken, ausschließlich die Erfolge darzustellen, und daß Sie über die Mißerfolge hinwegschweigen wollen. Kann dieser mein Eindruck richtig sein, Herr Minister?
Er muß falsch sein, und zwar deswegen: Würden wir die Arbeitslosigkeit nicht als Herausforderung und als großes Problem annehmen, hätte ich dieses Gesetz nicht vorgelegt. Das ist der klassische Gegenbeweis!
Das erste Gesetz dieser Legislaturperiode, das erste Gesetz, das dieses Hohe Haus verabschiedet, dient den Arbeitslosen. Insofern bedanke ich mich für die Zwischenfrage, weil sie mir Gelegenheit bietet, die Bedeutung unserer Arbeitsmarktpolitik darzustellen.
— Lassen Sie mich noch auf ein paar Sachen eingehen.
Arbeitsplätze zu schaffen ist in der Sozialen Marktwirtschaft freilich in erster Linie die Aufgabe der Unternehmen.
Deshalb auch mein Appell an die Unternehmen, jede Chance zur Einstellung zu nutzen. Das heißt nicht, daß wir mit leeren Händen dastünden, daß wir uns auf die Zuschauerbänke begäben.
Ich nehme jedes Stichwort auf. Vorhin ist gesagt worden, im Bereich des Umweltschutzes hätten wir nichts getan. Großfeueranlagenverordnung : erste Stufe 20 Milliarden DM Investitionen ausgelöst. Wasserabgabengesetz: diese Abgaben führen dazu, daß Kläranlagen gebaut werden. Störfallverordnung: Wenn sie in Kraft tritt, wird die chemische Industrie Rieseninvestitionen tätigen müssen. Wir sind dafür, daß das nicht der Steuerzahler zahlt, sondern wir sind für das Verursacherprinzip. Ich finde, das ist sehr viel gerechter als alles, was bürokratisch geregelt werden soll.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich meinen Beitrag schließen.
Wollen Sie noch eine Zwischenfrage zulassen, Herr Bundesminister?
Wenn es gewünscht wird, Herr Präsident.
Bitte, Herr Sellin.
Ich möchte Sie fragen, ob Ihr sogenanntes erstes Gesetz in dieser Legislaturperiode darauf zurückzuführen ist, daß Sie vor vier Jahren in der 10. Legislaturperiode als erste Maßnahme die Arbeitslosenversicherung so zusammengestrichen haben, daß Sie heute angesichts anhaltend hoher Arbeitslosigkeit, nämlich von mehr als 2 Millionen zu Korrekturmaßnahmen gezwungen sind.
Herr Sellin, ich bedanke mich wiederum, daß Sie mir den Ball vor das Tor schießen. Ich muß ja nur noch den Fuß hinhalten. Soll ich wiederholen? Die Sparmaßnahmen waren geringer als die Leistungsverbesserungen, die wir beschlossen haben und jetzt beschließen. Ich bedanke mich bei Ihnen, daß ich diese Mitteilung noch einmal machen konnte.
Bleiben wir bei allem Streit dabei: Unsere größte Sorge muß sein, daß die Arbeitslosen wieder Arbeit erhalten.
Das Wort zu einer persönlichen Erklärung nach § 32 unserer Geschäftsordnung hat Herr Abgeordneter Kolb.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich muß sagen: Mir fällt es sehr schwer, diesem Gesetz zuzustimmen, vor allem deswegen, Herr Kollege Heyenn, — —
Herr Abgeordneter Kolb, wenn Sie eine Erklärung zur Abstimmung abgeben wollen, dann darf ich Sie bitten, sich wieder zu setzen. Ich rufe Sie dann nach der Abstimmung auf. Das ist eine Regelung, der alle Fraktionen zugestimmt haben.
Dieses Gesetz — deshalb die Schwierigkeit für mich — gibt manchen wieder die
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1078 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 17. Sitzung. Bonn, Freitag, den 5. Juni 1987
KolbMöglichkeit, das zu tun, was wir als Leistungsmißbrauch bezeichnen.
Für mich ist es langsam schwierig, in der Sozialpolitik alle Zahlen gleichzusetzen. Herr Kollege Heyenn, wenn von 2,1 Millionen Arbeitslosen 789 000 ohne Leistungsbezug sind und gleichzeitig Gruppen in diesem Lande dazu auffordern, sich arbeitslos zu melden, auch wenn sie keine Arbeit haben möchten, dann empfinde ich das ebenso als Mißbrauch. Ich empfinde es ebenso als Mißbrauch, wenn Herr Beckmann die Sozialversicherung zur Alimentation benutzt.
Einen Augenblick. Die CDU/CSU und die FDP einschließlich Bundesregierung haben noch zwei Minuten Redezeit gut. Ich betrachte den Beitrag des Kollegen Kolb nicht als eine klassische Erklärung nach § 32 unserer Geschäftsordnung, sondern als einen Zweiminutenredebeitrag, der diesen Fraktionen noch zusteht.
Aber, Herr Abgeordneter Kolb, kommen Sie jetzt bitte mit zwei Minuten aus.
Deswegen werden wir uns endlich darüber einig werden müssen, daß nicht jedes Gesetz die Möglichkeit eröffnen darf, daß auch hinten kräftig mitgenommen wird.
Frau Unruh, Ihnen empfehle ich: Lesen Sie Lukas 23,34. Dann kommen wir ein Stück weiter.
Schönen Dank.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zuerst zur Einzelberatung und Abstimmung über Punkt 19a der Tagesordnung, den Gesetzentwurf der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/132. Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 11/420 unter Nr. 1, diesen Gesetzentwurf abzulehnen.
Ich rufe die §§ 1 bis 3, Einleitung und Überschrift auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Mit Mehrheit abgelehnt.
Damit unterbleibt nach § 83 Abs. 3 unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung.
Wir kommen jetzt zur Einzelberatung und Abstimmung über Punkt 19b der Tagesordnung, und zwar über den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 11/198 in der Ausschußfassung.
Ich rufe die Art. 1 bis 5, Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Mit Mehrheit bei einer Anzahl von Enthaltungen angenommen.
Wir treten in die
dritte Beratung
ein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Wenn die neue Ordnung in diesem Plenarsaal eingeführt ist, kann man dann auch die Enthaltung der Fraktion DIE GRÜNEN konkretisieren. — Der Gesetzentwurf ist bei einer Anzahl von Enthaltungen mit Mehrheit angenommen.
Ich rufe Punkt 20 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die sechzehnte Anpassung der Leistungen nach dem Bundesversorgungsgesetz
— Drucksachen 11/150, 11/199 —
a) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung
— Drucksache 11/416 —
Berichterstatter: Abgeordneter Louven
b) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung
— Drucksache 11/428 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Sieler Strube
Zywietz
Hierzu liegen Änderungsanträge der Fraktion der SPD auf den Drucksachen 11/421 bis 11/426 sowie ein Änderungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/434 vor.
Meine Damen und Herren, nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Beratung 45 Minuten vorgesehen. Ist das Haus damit einverstanden? — Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Ich erteile Herrn Abgeordneten Louven das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit der heutigen Verabschiedung des Sechzehnten Anpassungsgesetzes zum Kriegsopferversorgungsgesetz ist sichergestellt, daß unsere Kriegsopfer zum 1. Juli eine Rentenerhöhung von 3,03 % erfahren. Wir sind erfreut, daß nach
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Louven1986 auch in diesem Jahr ein echtes Mehr für die Kriegsopfer übrigbleibt. Obwohl dieses Gesetz als reines Anpassungsgesetz vorgelegt worden ist, sind wir auch darüber erfreut, daß es gelungen ist, im Verordnungswege strukturelle Verbesserungen in Höhe von 20 Millionen DM zu erreichen.Strukturelle Verbesserungen in größerem Umfange sind erst — dies haben wir bereits in der ersten Lesung angekündigt — 1989 möglich. Ich erkläre aber für meine Fraktion, daß wir versuchen wollen, schon 1988 in den wichtigsten Bereichen zu Verbesserungen zu kommen.In der ersten Lesung heute vor vier Wochen und im Ausschuß ist von der SPD massiv Kritik an diesem Gesetzentwurf geübt worden. Sicher wird auch heute wieder von der „sozialen Kälte" und von der „Herzlosigkeit" der CDU gesprochen. Deshalb möchte ich mich an dieser Stelle mit den Argumenten der SPD auseinandersetzen.
— Wenn Sie es wünschen.Richtig ist, meine Damen und Herren, daß die Kriegsopfer keine Beiträge zur Krankenversicherung bezahlen. Daraus zu fordern, daß der Anpassungssatz um den Krankenversicherungsbeitrag erhöht werden müsse, ist jedoch unrealistisch. Wenn Sie den Anpassungsverbund feiern, dann muß es doch wohl dabei bleiben, daß Renten und Kriegsopferrenten im Gleichklang den verfügbaren Einkommen der Aktiven folgen.Wenn kritisiert wird, daß durch den Rückgang der Zahl der Berechtigten der eingesparte Betrag den Kriegsopfern zugute kommen müsse, so ist auch dies unberechtigt und mir unverständlich. Erstens stimmt dies rein rechnerisch nicht; ich habe dies an Hand von Zahlen am 8. Mai 1987 hier nachgewiesen. Zweitens würde dies, zu Ende gedacht, bedeuten, daß dann die letzten 12 000 Kriegsopfer je 1 Million DM bekommen würden.Ich weiß nicht, woher Sie — wie hier vor vier Wochen durch Herrn Kirschner geschehen — den Schneid nehmen, in diesem Zusammenhang dem Minister Norbert Blüm vorzuwerfen, er habe seine Glaubwürdigkeit verloren.
Wie war das denn bei Ihnen, Herr Kirschner? 1979— Sie regierten damals — Anpassung 4 % , Inflationsrate 5,4 %; 1980 Anpassung 4 % , Inflationsrate 5,5 %; 1981 Anpassung 4 %, Inflationsrate 6,3 %. Dies kostete unsere Kriegsopfer 2,8 Milliarden DM.
Von Strukturverbesserungen, Herr Kirschner, war damals überhaupt nichts zu sehen.Nun haben die Kriegsopfer nach Jahren einen echten Zuwachs, aber Sie reden von Unglaubwürdigkeit.
— Das ist richtig, Herr Kollege Seehofer. 1978 haben Sie überhaupt keine Anpassung durchgeführt.Sie fordern mit dem Hinweis auf das Alter der Kriegsopfer Strukturverbesserungen. Ich frage Sie einmal, Herr Kirschner: Gab es nicht auch 1979, 1980, 1981 sehr alte Kriegsopfer, die damals Anspruch auf Strukturverbesserungen gehabt hätten? Wir haben dann in den letzten Jahren eine Reihe von Strukturverbesserungen durchgeführt. Es würde mich auch heute wieder reizen, Ihnen die gesamte Liste hier vorzutragen.Meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist das gute Recht und die Pflicht der Kriegsopferverbände, Verbesserungen zu fordern und einzuklagen. Wir stehen zu der Zusage, jetzt und in Zukunft für die Kriegsopfer zu sorgen. Es hat uns schon gefreut, in der Anhörung von den Verbänden auch Positives zu hören. Der VdK erklärte, die vorgesehene Anpassung sei positiv. Der Reichsbund: Die Kriegsopferversorgung hat einen hohen Stand erreicht; die Leistungen für die Blinden sind gut; man kann mit dem Erreichten zufrieden sein. — Dies sollten auch Sie einmal würdigen. Oder wollen Sie auch hier behaupten — wie vorhin von Herrn Heyenn geschehen — , es seien nur unseriöse Experten gewesen, die dort für die Verbände zu Wort gekommen sind?
— Frau Steinhauer, mit Ihren 14 Anträgen, die Kosten von 700 Millionen DM verursachen, handeln Sie unsolide.
Teilweise gehen sie über das hinaus, was der VdK in einer Resolution von uns fordert. In dieser Resolution, die Sie ja alle bekommen haben, heißt es, daß wenigstens versucht werden sollte, teilweise strukturelle Verbesserungen durchzusetzen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Frau Abgeordneten Weiler?
Nein, ich erlaube keine Zwischenfrage.
Glauben Sie im Ernst, meine Damen und Herren von der SPD, damit könnten Sie bei den Betroffenen Eindruck machen? Die messen Ihre Anträge an Ihren Leistungen von 1978 bis 1981.
Die deutschen Kriegsopfer, meine Damen und Herren, die für unser Land vielfach schwere Opfer gebracht haben, können auch in Zukunft die Gewißheit haben, daß sie unsere volle Solidarität erwarten können, und ich glaube, sie vertrauen auch auf uns.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Kirschner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herrn! Herr Kollege Louven, es ist doch unredlich, wenn Sie die Aussage des Bundeskanzlers, der 1983
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Kirschnerdie Kriegsopfer — dies können Sie in der Regierungserklärung nachlesen — ausdrücklich von Kürzungen ausnahm — —
— Was stimmt da auch? Ist die Rentenanpassungsverschiebung vom 1. Januar auf den 1. Juli denn keine Kürzung? Oder wissen Sie, Herr Seehofer, nicht mehr, welchen Regelungen Sie alle hier zugestimmt haben?
— Das ist für Sie alles keine Kürzung, das ist nur Wortkosmetik, Herr Kollege Seehofer, was Sie hier an den Tag legen, nichts anderes.
Das möchte ich noch einmal deutlich machen, Herr Kollege Louven: Wenn Sie, Herr Kollege Louven, sagen, wir wollten den letzten 12 000 Kriegsopfern damit am Schluß 1 Million DM geben, dann ist das wirklich Zynismus. Wir wollen nichts anderes als das, was der Bundeskanzler damals gesagt hat. Wir wollen das noch einmal ausdrücklich in Erinnerung rufen. Seien Sie so gut und gehen Sie an die notwendigen strukturellen Verbesserungen heran!
Noch eine Bemerkung. Sie jubeln uns immer wieder diese 700 Millionen DM unter. Ich habe die Vertreter des Bundesarbeitsministeriums gebeten, sie sollten uns mal ihre Berechnungsgrundlagen detailliert geben. Das werden wir bekommen, und dann werden wir eine neue Datenbasis finden. Im übrigen darf ich darauf hinweisen, daß auch der Vertreter des Bundesarbeitsministeriums beim Durchgang im Bundesrat von den dort gestellten Anträgen in einer Größenordnung von 500 Millionen DM gesprochen hat. Zunächst muß sich die Bundesregierung einigen, welche Datengrundlage sie letzten Endes nimmt. Ich glaube, dies ist auch mal wichtig, um hier zu einer einheitlichen Datengrundlage zu kommen.
Sie wissen ganz genau: Es kommt entscheidend darauf an, wie hoch Sie die Zahl derjenigen ansetzen, diebeispielsweise die Badekuren in Anspruch nehmen— das hat auch der Vertreter der Bundesregierung im Ausschuß deutlich gesagt — , ob es 6 % oder 2 % sind. Bei 6 % kommen 180 Millionen DM und bei 2 % 60 Millionen DM heraus. Das ist der Unterschied. Dazu hat auch der Vertreter des Bundesarbeitsministeriums gesagt, daß das Annahmen sind, die auch Sie nicht beweisen können. Das Bundesarbeitsministerium ist auf die höchste Stufe gegangen. Deshalb kommen diese von Ihnen genannten 700 Millionen DM zustande. Wir sollten ehrlich miteinander über diese Dinge diskutieren.Meine Damen und Herren, eines ist festzustellen— deshalb besteht auch kein Anlaß zum Jubel für dieses Gesetz — —
— „Daß Sie nichts gemacht haben". Was soll denn das eigentlich? Sie leben doch heute noch von der Substanz einer Kriegsopferversorgung, die unter sozialdemokratischen Arbeitsministern gemacht worden ist.
— Herr Kollege Günther. Erzählen Sie doch nichts!
Sie jubeln heute noch den Anpassungsverbund hoch, der 1971 zum erstenmal in Kraft getreten ist. Das wissen Sie. Das ist die entscheidende Substanz, von der Sie heute noch leben. Sie kürzen doch diesen Anpassungsverbund durch den in keiner Weise gerechtfertigten Abzug des Krankenversicherungsbeitrages,
den Sie aus der Rentenversicherung der Arbeiter und Angestellten übertragen und den Sie in die Kriegsopferversorgung übernehmen, für den es jedoch in der Kriegsopferversorgung keine Begründung gibt. Dies wissen Sie. Sagen Sie das doch offen und ehrlich, wenn Sie eine verkürzte Anpassung durchführen wollen! Das ist der entscheidende Punkt. Lassen Sie uns doch darüber mal offen diskutieren! Wenn Sie hier Einsparungen machen wollen, dann sagen Sie es, aber verstecken Sie sich nicht hinter Wortklaubereien, indem Sie sagen, wir müßten den Anpassungsverbund erhalten, den Sie in Wirklichkeit nicht erhalten. Das ist der entscheidende Punkt.
Meine Damen und Herren, ich sage gar nicht, daß wir nicht die Anpassung der Versorgungsbezüge um 3,03 % begrüßen, nach dem Motto: lieber den Spatz in der Hand als die Taube auf dem Dach; das wissen auch wir. Aber es ist nicht berechtigt, daß Sie diese 0,7 % wegnehmen.Lassen Sie mich eines noch einmal deutlich machen: Die Kriegsopfer benötigen dringendst eine Erhöhung. Sie wissen genau, daß durch die Kürzungsmaßnahmen, durch die Anpassungsverschiebung und durch den Abzug des Krankenversicherungsbeitrags bis zum vergangenen Jahr eine reale Einkommensminderung für die Kriegsopfer zu verzeichnen war. Leider müssen wir immer wieder betonen — wir wären froh, es wäre anders — , es würde auch etwas dem ursprünglichen Willen des Gesetzgebers entsprechen, wenn die Anpassung voll und nicht über den Krankenversicherungsbeitrag gekürzt weitergegeben worden wäre. Über diese Problematik — das möchte ich noch einmal deutlich machen — haben wir uns schon wiederholt auseinandergesetzt, hier und auch im Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung.
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KirschnerMeine Damen und Herren, lassen Sie mich noch einmal sagen, es ist richtig, daß sich der Anpassungsverbund bewährt hat. Er soll auch nicht in Frage gestellt werden. Auch dies habe ich wiederholt gesagt.
— Nein, Herr Kollege Louven, hören Sie genau zu, was ich damit sagen will. Ich habe es auch schon im Ausschuß gesagt: Wir wollen ihn nicht in Frage stellen; aber richtig ist auch, daß ein Krankenversicherungsbeitrag in der Kriegsopferversorgung keinerlei Berechtigung hat — ich muß dies noch einmal sagen —,
weil die Kriegsopfer einen gesetzlich verbürgten Anspruch auf kostenfreie Heil- und Krankenbehandlung haben. Dies wissen Sie genau.Wenn Sie also Ihre Kürzungspraxis fortsetzen und den Kriegsopfern weiterhin systemwidrig einen Teil der Kosten für medizinische Versorgung aufbürden wollen, dann sagen Sie es offen, und verstecken Sie sich nicht hinter dem Anpassungsverbund. Dieses Kürzungsverfahren hat dazu geführt, daß Sie seit 1983 einen rentenmindernden Gesamtabschlag in Höhe von 5,9 To durchgesetzt haben. Dies ist Unrecht, und solange Sie das fortführen, so lange werden wir dies auch als Unrecht bezeichnen und unsere Gegenposition zur Abstimmung stellen, wie wir das auch heute wieder tun.Über die Anpassung hinaus enthält der Gesetzentwurf der Bundesregierung — darauf habe ich schon einmal hingewiesen — keinen einzigen Vorschlag zur strukturellen Verbesserung der Leistungen nach dem Bundesversorgungsgesetz.
— Nein, der Gesetzentwurf enthält keinen einzigen strukturellen Vorschlag, auch nicht in der Fassung nach Abschluß der Ausschußberatungen.Sie, die Koalitionsfraktionen können wirklich nicht behaupten, es sei Ihnen nicht eindringlich vor Augen geführt worden, daß solche Leistungsverbesserungen nicht sofort und nicht erst nach einer weiteren Verzögerung bis in die zweite Hälfte dieser Legislaturperiode hinein notwendig sind. Dies haben wir nun alle im Laufe der Sachverständigenanhörung, die der federführende Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung zur Gesetzesvorlage der Bundesregierung am 20. Mai durchgeführt hat, miterleben können. Kein einziger Vertreter der Kriegsopferverbände, die dort gesprochen haben, hielt ein weiteres Hinausschieben struktureller Leistungsverbesserungen für vertretbar. Im Gegenteil, es wurde übereinstimmend dargelegt, daß die altersbedingte besondere Situation in der Kriegsopferversorgung sofortiges Handeln notwendig macht.Im Grunde, Herr Bundesarbeitsminister — das möchte ich noch einmal sagen —, sollten Sie endlich die notwendigen strukturellen Verbesserungen in Angriff nehmen.Hätten Sie wenigstens zeitweise an der Anhörung teilgenommen, dann hätten Sie unmittelbar erleben können, wie schlecht Ihr Gesetzentwurf von den Sachverständigen benotet wurde. Im Ergebnis bedeutete es einen Verriß.
— Natürlich, Herr Kollege Louven, holen Sie sich doch nicht nur die Rosinen heraus, sondern nehmen Sie einmal unter dem Strich, was die Sachverständigen gesagt haben, die übereinstimmend zu dem Ergebnis kamen, daß strukturelle Anpassungen notwendig wären.
— Wenn das von Ihnen nicht bestritten wird, dann gehen Sie doch endlich einmal daran. Sie kommen aber nicht dazu, weil Sie das Geld anderweitig verbraten haben. Sie sind Gefangene Ihrer eigenen Politik. Wenn Sie das Geld in anderen Bereichen verbraten, dann steht es Ihnen eben für strukturelle Maßnahmen in der Kriegsopferversorgung nicht mehr zur Verfügung.
Lassen Sie mich eines deutlich machen: Die Vertreter des Reichsbundes und des VdK — das können Sie nicht wegdiskutieren — haben zum Ausdruck gebracht, daß durch die Leistungsminderungen, die mit dem Wort „Einsparungen" so schön umschrieben werden, also durch die Kürzung über den Krankenversicherungsbeitrag, der in der Kriegsopferversorgung systemwidrig ist, und die Verschiebung der Anpassung vom 1. Januar auf den 1. Juli 1,2 bis 1,3 Milliarden DM an Kürzungen bis heute erfolgt sind.
Das sind die Aussagen.Vergessen Sie eines bitte nicht: das heutige Alter der Kriegsopfer. Ich darf Sie daran erinnern, daß die Versorgungsberechtigten im Schnitt heute 68 Jahre und die Witwen 74 Jahre alt sind. Wir alle wissen, wie notwendig es deshalb ist, wenn man helfen will, daß jetzt Anpassungen struktureller Art dringendst notwendig sind und nicht erst in Zukunft.Ich darf daran erinnern, was z. B. der Vertreter des Reichsbundes im Ausschuß gesagt hat. Er sagte:Diesen Worten— und damit meinte er den Bundeskanzler —müssen nun Taten folgen. Nur an den Taten kann man den wirklichen Willen erkennen.Deswegen haben wir kein Verständnis dafür, daß im gleichen Atemzug gesagt wird: Wir machen bis 1989 gar nichts.Herr Kollege Louven, wir haben mit Aufmerksamkeit registriert, was Sie hier heute morgen sagten, daß Sie die wichtigsten Forderungen der Kriegsopferverbände im 17. KOV-Anpassungsgesetz verwirklichen wollen. Dann werden wir einmal sehen, ob diesen Ankündigungen auch wirklich Taten folgen. Dann
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Kirschnerwird auch dieser Vorwurf, daß wir hier letzten Endes Versprechungen machen können, die nicht zu finanzieren sind, hinfällig — damit strafen Sie sich letztlich ja selber Lügen — , sondern Sie gehen genau auf die Argumente ein, die auch wir vertreten. Wir tun dies ja nicht aus Spaß an der Freude, sondern weil wir sagen: Es ist im Interesse der Betroffenen dringend notwendig.Ich will hier noch einmal deutlich machen, welche Anträge wir im Plenum zur Abstimmung stellen werden. Wir wollen, daß den Kriegsopfern die Anpassung ihrer Renten- und Geldleistungen ungeschmälert zugute kommt, daß auf den systemwidrigen Anpassungsabschlag verzichtet wird, daß durch die Gewährung von Badekuren die Gesundheitssicherung der Witwen, deren sie im fortschreitendem Alter in immer stärkerem Ausmaß bedürfen, verbessert wird, daß der Zeitraum, innerhalb dessen Pflegepersonen nach dem Tod des Pflegezulagenempfängers Kurmaßnahmen erhalten können, von fünf auf zehn Jahre verdoppelt wird, daß auch behinderte Familienmitglieder von Beschädigten in die Leistungen der Kriegsopferfürsorge einbezogen werden, daß die Abgeltungsquote beim Berufsschadens- und Schadensausgleich auf fünf Zehntel angehoben wird und daß der Zeitpunkt des Beginns der Alterszulage vom 65. auf das 60. Lebensjahr herabgesetzt wird.Meine Damen und Herren, dies sind Maßnahmen, die vordringlich und notwendig sind, keinen Aufschub mehr dulden.Ich möchte deshalb die Koalitionsfraktionen bitten, diesen Änderungsanträgen Ihre Zustimmung nicht weiterhin zu versagen. Im Hinblick darauf, daß allein durch den Rückgang der Zahl der Versorgungsberechtigten jährlich Minderausgaben in dreistelliger Millionenhöhe entstehen und sich die Einsparungen im Kriegsopferetat, wie bereits gesagt, auf Grund der Kürzungsmaßnahmen der Haushaltsbegleitgesetze 1983 und 1984, auf rund 1,2 bis 1,3 Milliarden DM summieren, sind diese Verbesserungen auch finanzierbar. Solange eine so dringende Notwendigkeit zur Verbesserung der Kriegsopferversorgung besteht wie jetzt, so lange ist es auch gerechtfertigt, die infolge des Rückgangs der Zahl der Versorgungsberechtigten frei werdenden Mittel dafür einzusetzen.Herr Bundesarbeitsminister, wir wissen, daß Sie gleich wieder eine Rede halten werden. Sie werden sagen: Dies ist das zweite Gesetz, das nun verabschiedet wird.
— Es sind immer gute Reden, die der Bundesarbeitsminister hält,
nämlich Reden des warmen Händedrucks und der salbungsvollen Worte für die Kriegsopfer. Am Schluß aber bleibt letzten Endes doch verdammt wenig übrig.
Letzten Endes haben die Kriegsopfer und deren Angehörigen von leeren Versprechungen nichts.
Meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, noch ist das Parlament Herr des Verfahrens. Verblüffen Sie doch den Bundesarbeitsminister einfach dadurch, daß Sie seinen Ankündigungen endlich Taten folgen lassen und unseren Anträgen zustimmen.
Meine Damen und Herren, eine Bemerkung zum Antrag der GRÜNEN. Wir werden uns bei diesem Antrag enthalten, und zwar ganz einfach aus dem Grund, weil wir im Moment nicht übersehen können, welche Auswirkungen dieser Antrag auf andere Bereiche hat.
Ich will auch folgendes deutlich machen: Der Antrag ist erst am Mittwoch im Ausschuß vorgelegt worden. Es bestand keine Möglichkeit, diesen Antrag entsprechend seiner Tragweite, seinen Auswirkungen auf andere Bereiche zu beraten. Deshalb werden wir uns bei der Abstimmung über diesen Antrag der Stimme enthalten. Aufgeschoben heißt ja nicht aufgehoben — das heißt, daß wir über diesen Antrag einmal in aller Ausführlichkeit beraten werden.Lassen Sie uns deshalb uns jetzt auf das Notwendige und Überschaubare konzentrieren. Ich bitte Sie: Stimmen Sie unseren Anträgen zu.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Heinrich.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte das letzte Stichwort aufnehmen: leere Versprechungen. Herr Kollege Kirschner, wenn Sie das Anpassungsgesetz verstehen, richtig auslegen und erkennen, daß mit diesem Gesetz der betroffene Personenkreis ab 1. Juli 1987 3,03 % mehr erhalten wird, dann ist das doch keine leere Versprechung, sondern genau das, was wir vor der Wahl gesagt haben, daß nämlich die Anpassung weiter bestehen muß und wir in dieser Legislaturperiode weitere strukturelle Verbesserungen vorhaben.
Die leeren Versprechungen und der große Erwartungshorizont — etwa 700 Millionen DM — , den Sie vermitteln, zeigen deutlich, daß Sie hier nicht in der finanzpolitischen Verantwortung stehen und leicht in einem Antrag solche Zahlen aufbauschen können, weil Sie nachher nicht bis zum Schluß Rede und Antwort stehen müssen.Meine sehr verehrten Damen und Herren, mit der heutigen zweiten und dritten Lesung des Sechzehnten Kriegsopferversorgungs-Anpassungsgesetzes sorgen wir tatsächlich dafür, daß die Kriegsopfer und deren Angehörige in den Genuß der vorgesehenen Anpassung kommen.
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 17. Sitzung. Bonn, Freitag, den 5. Juni 1987 1083
HeinrichDie 3 % können sich wirklich sehen lassen; denn bei der derzeitigen Geldentwertungsrate kommen den Menschen die 3 % praktisch brutto wie netto zugute.In diesem Zusammenhang möchte ich auch feststellen, daß bei der Anhörung der Verbände die Richtigkeit unseres Kurses bezüglich des Anpassungsverbundes, der sicherstellt, daß die Kriegsopferrenten wie die Sozialrenten gleichermaßen dynamisiert werden, bestätigt wurde. Hier kann ich auch Zitate bringen, wenn Sie es wünschen.
Gleichzeitig wurde auch der hohe Stand der Kriegsopferversorgung insgesamt positiv erwähnt.Offensichtlich nicht verstanden wurde der Beitrag, den die Kriegsopfer in der Höhe leisten, wie er als Krankenversicherungsbeitrag der Rentner abgezogen wird. Hier stellen wir immer wieder Mißverständnisse fest — auch gerade eben beim Kollegen Kirschner.Ich möchte zur Klarstellung noch einmal darlegen, daß dieser Betrag deshalb abgezogen wurde, um den Verbund sicherzustellen und gleiche Voraussetzungen zu schaffen. Das geschieht nicht erst bei dieser Gesetzesvorlage, sondern hat Tradition. Das geht zurück bis in die sozialliberale Koalition.Ein weiterer kritisch angesprochener Punkt in der Anhörung war das hohe Durchschnittsalter der Kriegsopfer und ihrer Angehörigen. Ich sage Ihnen heute für die FDP, daß gerade diesen altersstrukturellen Veränderungen bei künftigen Verbesserungen Rechnung getragen werden wird.Die Verbände, aber auch insbesondere Sie, meine verehrten Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, haben einen ganzen Katalog von Anträgen vorgelegt.
Sie haben diesen Katalog heute morgen noch einmal unterstrichen. Er hat das Ziel zum Inhalt, strukturelle Verbesserungen zu erreichen.Ich weiß nicht, ob Sie gemerkt haben, daß wir sachlich in der Beurteilung Ihrer Anträge häufig übereinstimmen.
Die Auseinandersetzung ist nicht das Ringen um das Wie, sondern die Auseinandersetzung ist das Ringen um die Finanzierbarkeit.
Daß diese Frage für Sie natürlich untergeordnete Bedeutung hat, kann ich mir lebhaft vorstellen; dafür habe ich großes Verständnis. Sie müssen uns aber auf der anderen Seite zugestehen, daß wir für den gesamten Haushalt Verantwortung tragen und daß wir bei dieser Anpassungsnovelle keine strukturellen Verbesserungen beschließen können.Herr Kollege Louven hat es bereits für seine Partei erklärt, und ich möchte es in ähnlicher Weise tun: Wir werden 1988, wenn entsprechende Vorschläge des Bundesarbeitsministers auf dem Tisch liegen, in Beratungen über neue Leistungsgesetze eintreten. In diesem Zusammenhang möchte ich auf die ab 1987 bzw. 1988 wirksamen Verbesserungen hinweisen; Herr Kollege Louven hat die 20 Millionen DM angesprochen. Ich möchte die drei Positionen, die übrigens auch in dem Ausschußpapier schriftlich niedergelegt sind, einmal kurz nennen. Erster Punkt: Neuregelung der pauschalen Vergütung an die Versehrtensportgruppen, die für die Teilnahme von Kriegsbeschädigten an Versehrtenleibesübungen gezahlt wird. Zweiter Punkt: Angemessene Anhebung der Auslandsversorgung für Versorgungsberechtigte, die in verschiedenen ost- und südosteuropäischen Staaten leben, wirksam ab 1. Januar 1988. Dritter Punkt: Wegfall der Anrechnung von Einkommen aus selbstgenutztem Wohnungseigentum entsprechend den steuerrechtlichen Vorschriften, rückwirkend zum 1. Januar 1987.Meine sehr verehrten Damen und Herren, Sie sehen: Wir sind keine herzlosen Gesellen, sondern wir sind verantwortungsbewußte Sozialpolitiker, die im Rahmen der finanziellen Möglichkeiten alles unternehmen, um dem Personenkreis, der große Opfer gebracht hat, entsprechende Hilfe zukommen zu lassen. Kriegsopferversorgung ist und bleibt für uns ein Kernstück des sozialen Rechtsstaates.Ich danke Ihnen schön.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Unruh.
Herr Präsident! Liebe Volksvertreter und Volksvertreterinnen! Sie Spaßvogel! Das ist für mich kein Spaß. Nach über 40 Jahren noch über Kriegsopferversorgung zu reden, da hört der Spaß auf.
Daß Sie sich hier gegenseitig Ihre Versäumnisse darlegen, das ist nicht Sinn eines neugebildeten Parlaments, sondern der Sinn eines neuen, vom Wähler bestimmten Parlaments ist es immer noch, Versäumnisse gutmachen zu können.
Deshalb unterstütze ich und unterstützt auch die Fraktion der GRÜNEN — zum größten Teil, nehme ich an —
— bei uns gibt es die Abstimmungsfreiheit, und die wollen wir uns, bitte schön, auch erhalten —
voll das, was die SPD eingebracht hat, nicht weil wir SPD-freundlich sind, sondern weil wir geglaubt haben, daß 500 Millionen DM wirklich nicht die finanzielle Entlastung für die Geschädigten sein können, wie Sie das jetzt darstellen. Denn Sie haben immerhin über eine Milliarde DM an den bereits ver-
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1084 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 17. Sitzung. Bonn, Freitag, den 5. Juni 1987
Frau Unruhstorbenen Menschen eingespart. Die Menschen, die jetzt noch überlebt haben, bedürfen einer sozialen Absicherung, damit sie unter uns menschenwürdig leben können und nicht in der Not überlegen müssen— Herr Mischnick, das gibt es in unserer Gesellschaft und gerade bei den über 74jährigen Witwen — : Wie gehe ich mit einem 390-DM-Warenkorb im Monat um, was kann ich mir überhaupt beim Kaufmann an der Ecke leisten und was nicht? Das gibt es in der Tat. Besonders gebeutelt sind die Witwen der Männer, die nun einmal — ob wir es wollten oder nicht — ihre Knochen hingehalten haben.Ich glaube, es hätte Ihnen sehr gut angestanden, Herr Minister Blüm, wenn Sie sich hier finanziell großzügiger gezeigt hätten. Ich weiß auch, daß die Schuld eigentlich gar nicht Sie trifft — deshalb sollten Sie das nicht so sehr von sich aus betonen, daß das nötig ist —, sondern die Schuld trifft den Herrn Finanzminister Stoltenberg. Nebenbei: Es ist auch nicht die Schuld der Ministerin Süssmuth. Sie beide haben ja noch irgendwo ein christlich motiviertes Herz.
Aber bei den anderen, im wesentlichen bei der Fraktion, läßt das doch zu wünschen übrig.
Die SPD befindet sich im übrigen, wie man weiß, in einer Umdenkungsphase, die alle Menschen draußen, die die Wählerinnen und Wähler als sehr positiv einschätzen.
Und jetzt noch folgendes: Dann haben Sie noch eine Anhörung aufgepfropft.
Und ich muß sagen: Ich bin ein Neuling in diesem Parlament; dazu stehe ich auch.
— Nein, hier vorne hat vorhin eine Frau gesessen, die ein „Altling" ist,
die aber während eines Zurufes von mir „doof" gezeigt hat. Und da weiß ich nun auch wieder nicht, ob man sich als Dame der CDU
dazu hinreißen lasen soll, so etwas zu tun.
Was Sie angeht, Herr Kolbe, muß ich Sie auch —
— Wie?
— Kolb. Ich denke immer an den Unternehmer in Wuppertal, der Kolbe heißt. Der hat aber ein etwas anderes Herz als Sie.
Eben die Unternehmer — ich weiß nicht, wievielBeschäftigte sie haben — haben mir gesagt — jetzthören Sie einmal gut zu — , sie seien sogar bereit— wohlgemerkt privat, über ihre Einkommensteuer und so — , eine zweckgebundene Steuer zusätzlich zu zahlen, wenn es den alten Frauen, den Armen in dieser Gesellschaft auch tatsächlich zugute kommt. Also, in welcher Welt leben Sie eigentlich?
Und diese Welt, die Sie hier „verbraten" , muß weg. Deshalb bitte ich Sie wirklich inständig: Denken Sie — —
— Ich sage es wieder: Lassen Sie Herrn Beckmann aus dem Spiel!
Das ist so ein bösartiges Argument
wie mit der Sekretärin, die Sie nicht finden. Ich kann dafür sorgen, daß Sie übermorgen eine bekommen.
— Warum reden Sie denn so ein dummes Zeug im Ausschuß?
Was mich im Ausschuß ganz beglückt hat, war, mitzubekommen, daß vom Verteidigungsausschuß z. B. für die jungen Soldaten schon 50 Millionen DM bereitgestellt sind; das finde ich Spitze. Aber warum Sie sich nicht Gedanken machen, daß z. B. auch über den Verteidigungsausschuß meinetwegen 500 Millionen DM bereitgestellt werden, um Kriegsopfer minimal zu versorgen,
das verstehe ich natürlich nicht.
Ich muß leider aufhören. Mein letzter Satz, bitte schön: 6 Milliarden DM Subventionen für den Airbus, ein Panzer: 5 Millionen DM, ein Tornado: 100 Millionen DM, eine Pershing I a, Anschaffung plus Modernisierung: 16 Millionen DM, und da fragen Sie noch, wo Sie die paar 500 Millionen DM herkriegen sollen?
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung.
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 17. Sitzung. Bonn, Freitag, den 5. Juni 1987 1085
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das erste Gesetz in dieser Legislaturperiode galt den Arbeitslosen. Das erste Gesetz war ein Gesetz für die Arbeitslosen und gegen die Arbeitslosigkeit. Das zweite Gesetz ist ein Gesetz für die Kriegsopfer.
Betrachten Sie das auch als Ausdruck unserer sozialen Verpflichtung. — Es kann nicht gegen die Kriegsopfer sein. Dieses Gesetz sichert eine Kriegsopferversorgung in Höhe von rund 12 Milliarden DM. Diese Anpassung bringt eine Leistungsverbesserung von über 130 Millionen DM. Sie können doch nicht sagen, das sei nichts. Um 3 % steigen die Kriegsopferrenten am 1. Juli, drei ehrliche Prozent. Denn die wichtigste Mitteilung ist, daß wir Preisstabilität haben.
Das ist im Hinblick auf die soziale Lage der Rentner, der Kriegsopfer und der Sozialhilfeempfänger die wichtigste Mitteilung.
— Frau Kollegin Unruh, gerade Ihre Generation hat doch miterlebt, was Inflation bedeutet.
Inflation geht doch immer auf die Knochen der kleinen Leute. Klatschen Sie doch deshalb einmal, wenn ich sage: Preisstabilität ist eine wichtige Errungenschaft!
Meine Damen und Herren, was nützt denn eine Rentensteigerung um 3 %, wenn die Preise 6 % steigen? Was hat denn den Rentnern zu Ihrer Zeit 1982 eine Rentensteigerung um 4 % genutzt, wenn die Preissteigerung noch höher war?
Das war keine Erhöhung des Lebensstandards, da war mit der Anpassung eine Absenkung des Lebensstandards verbunden. Was die Anpassung mit der rechten Hand gegeben hat, hat die Inflation mit der linken Hand wieder weggenommen.
— Das ist überhaupt kein Quatsch. Da braucht man auch gar kein Volkswirt zu sein. Man braucht noch nicht einmal Mitglied der Sozialdemokratischen Partei zu sein. Da langt der gesunde Menschenverstand, daß Preisstabilität ein Betrug an dem Konsumenten — Preisstabilität ein Gewinn — —
— Ja, wenn Sie dazwischenrufen, das ist ansteckend, muß ich sagen. Doch, diese Verwirrung ist anstekkend. Sie können lachen, soviel Sie wollen. Ich bleibe dabei, Preisstabilität ist Gewinn, und Inflation ist
Verlust für die Bürger. Deshalb ist Preisstabilität der größte Gewinn.
Ich habe in diesem Hause schon einmal erwähnt, daß mir mein Großvater, ein Buchdrucker, immer erzählt hat, daß er seinen Lohn in den schlimmen Inflationsjahren in der Weimarer Zeit im Leiterwagen abgeholt hat. Der war Millionär. Was hat er denn von seinen Millionen gehabt? Er war ein armer Mann; denn ein Brötchen hat eine Million gekostet.
Deshalb — ich wiederhole mich in allen Varianten — : Preisstabilität ist die wichtigste Mitteilung für die Kriegsopfer.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Lippelt?
Bitte, bitte.
Bitte sehr.
Herr Bundesminister, ist Ihnen entgangen, daß Frau Unruh hinsichtlich Preisstabilität und Nichtpreisstabilität über Ihre Kollegen Wörner, Panzer, Flugzeuge usw. gesprochen hat?
Ich merke jetzt den Zusammenhang zwischen Panzer und Preisstabilität nicht.
Wenn Frau Unruh in Sachen Preisstabilität zustimmt, um so besser. Auch wenn GRÜNE mir zustimmen, freue ich mich, ich bin immer dafür: Was richtig ist, muß unterstützt werden. Und richtig ist Preisstabilität.
Meine Damen und Herren, wenn Sie den Anpassungsverbund in Frage stellen:
Sie haben ihn doch eingeführt. Auch in Ihrer Regierungszeit sollte doch der Krankenversicherungsbeitrag mit angerechnet werden. Das ist ja auch ganz sinnvoll. Entweder sagt man: Rente und Kriegsopferversorgung entwickeln sich im Gleichklang — das ist ein Stück Sicherheit für die Kriegsopferversorgung —
oder wir müssen einen ganz anderen Anpassungsmechanismus finden: für die Grundrente anders als für die Ausgleichsrente. Da kann man Preise nehmen, da kann man die Sozialhilfeentwicklung nehmen. Aber
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1086 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 17. Sitzung. Bonn, Freitag, den 5. Juni 1987
Bundesminister Dr. Blümes war doch ein Fortschritt — den sollten Sie doch jetzt nicht selber in Frage stellen —,
daß Rente und Kriegsopferversorgung immer im Gleichschritt marschieren. Das ist ein Stück Sicherheit für die Kriegsopferversorgung. Geben Sie doch nicht Ihre eigene — —
Ich verstehe die SPD überhaupt nicht. Jetzt hat sie ausnahmsweise eine Errungenschaft durchgesetzt. Nur weil wir sie jetzt fortführen, werden wir attackiert. Seien Sie doch froh, daß wir fortführen, was Sie eingeführt haben! Sind Sie denn schon so blind geworden, daß Sie gar nicht merken, daß Sie etwas beschimpfen, was Sie eingeführt haben?
So weit ist die Verwirrung der Opposition gediehen!
— Herr Kirschner, Ihre Verwirrung ist noch weiter gegangen. Sie haben Forderungen gestellt; und weil die Forderungen nicht erfüllt werden, sagen Sie, es seien Leistungsminderungen beschlossen worden. Nicht erfüllte Forderungen sind bei der SPD Leistungsminderungen. Also, verwirrter geht es überhaupt nicht.
Wenn Ihre Forderung nicht erfüllt wird, wird doch nichts von dem Erreichten weggenommen.In der Tat, wir bauen die Kriegsopferversorgung aus, und wir haben sie ausgebaut. Wir werden sie nicht nur auf dem Weg ausbauen, der in Anpassungsgesetzen zu beschreiten ist. In den Bereichen, die in Verordnungen und Richtlinien geregelt sind, sind auch in diesem Jahr wieder Verbesserungen an der Tagesordnung. Hier werden Verbesserungen vorgenommen. Soll ich Ihnen drei nennen?
— Aber Sie erzählen es dem Publikum nicht; und deshalb muß ich es erzählen.Erstens. Bei der Ermittlung der Ausgleichs- und Elternrente wird der Nutzungswert eigengenutzter Wohnungen nicht mehr auf das Einkommen angerechnet.
— Ja, wenn Sie es nicht weitererzählen, wenn Sie das zum Betriebsgeheimnis erklären, muß ich es doch weitererzählen.
Zweitens. Beim Versehrtensport wird die pauschale Erstattung der Aufwendungen durch eine Verordnung neu geregelt und fortgeführt.Drittens. Zum ersten Mal seit 1980 werden die Beiträge der Teilversorgung im Ostbereich ab 1988 wieder angehoben. Ich sage doch gar nicht, daß das der große Durchbruch ist. Aber so bewegt sich die Sozialpolitik, nämlich in vielen, vielen kleinen Schritten.
— Ja, 40 Jahre! Wir haben doch in den 40 Jahren viel getan. Soll ich Ihnen noch einmal die strukturellen Verbesserungen in Erinnerung rufen, die diese Koalition vorgenommen hat? Das Bestattungsgeld für Beschädigte und Hinterbliebene wurde verdoppelt und in die jährliche Leistungsanpassung einbezogen. Da war jahrelang bei Ihnen überhaupt nichts. Gleichzeitig wurde die Möglichkeit der Kapitalabfindung für die Grundrente verbessert, nämlich schon auf das Lebensalter von 60 Jahren herabgesetzt. Für annähernd 200 000 Berechtigte wurden der Berufsschadensausgleich und der Schadensausgleich erhöht, und zwar ab Anfang dieses Jahres. Das erhöht die Bezüge bis zu 159 DM. Für Beschädigte mit einer Minderung der Erwerbsfähigkeit um 50 und 60 % ist die Ausgleichsrente deutlich angehoben worden. Die Einkommenverbesserungen für den einzelnen betrugen bis zu 143 DM. Für hunderttausend Kriegsopfer wurde die orthopädische Versorgung verbessert, auch Anfang dieses Jahres.
— Ob in diesem Gesetz oder nicht in diesem Gesetz, ich trete dem Eindruck entgegen, wir würden nichts tun.
— Warum rufen Sie denn dauernd dazwischen? Ich scheine der personifizierte Blutdruckerhöher der Opposition zu sein. Hören Sie mir doch einmal zu!
— Wenn es der Gesundheit dient, wenn es Ihrer alternativen Gesundheit dient, bin ich auch dafür zuständig. — Bei den Elternrenten sowie bei der Witwen- und Waisenhilfe gab es Verbesserungen.Meine Damen und Herren, ich sage nicht, wir wären am Ende;
aber ich habe etwas dagegen, wenn die Dinge hier so dargestellt werden, als hätten wir nichts getan. Das wäre so ähnlich, wie, wenn ein Zug abgefahren ist, zu fragen: Wann fährt endlich ein Zug? — Der ist gerade abgefahren. Ich sage nicht, das sei der letzte Zug. Aber Herr Kirschner sagt, endlich müssen Strukturverbesserungen in Angriff genommen werden. Ja, wir haben sie doch gerade in diesem Jahr eingeführt.
— Ja, das wäre noch schön, Kollege Louven, wenn sie nichts gemacht hätten. Nein, sie haben strukturell abgebaut. Wieso sich die Abreißfirma jetzt als Archi-
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 17. Sitzung. Bonn, Freitag, den 5. Juni 1987 1087
Bundesminister Dr. Blümtekt des Aufbaus aufspielt, das ist mir ein Rätsel, kann ich nur sagen.
— Soll ich Ihnen mal alles vorführen? Waisenbeihilfe, Fürsorge, Kuren. Das alles haben Sie verschlechtert. Und ausgerechnet die Abbruchfirma sagt jetzt, sie wären die Dombaumeister der Kriegsopferversorgung. Nein, meine Damen und Herren, ich versichere ausdrücklich, daß es in der Kriegsopferversorgung Weiterentwicklungen geben muß.Ich nehme auch die Gelegenheit wahr, den Kriegsopferverbänden meinen Dank zu sagen, auch den vielen Ehrenamtlichen.
— Da können Sie doch ausnahmsweise mal zustimmen; da sind auch Mitglieder von Ihnen dabei.
Das sind Tausende von Mitgliedern, die ehrenamtlich Dienst am Sozialstaat tun, beraten, helfen. Deshalb möchte ich aus Anlaß der Verabschiedung dieser Anpassung den Kriegsopferverbänden und den vielen, vielen Helfern in der Fürsorge, in der Behindertenarbeit meinen Dank sagen.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung.
Der Ausschuß empfiehlt, den Gesetzentwurf unverändert anzunehmen. Ich rufe Artikel 1 auf. Hierzu liegen auf den Drucksachen 11/421 bis 11/426 Änderungsanträge der Fraktion der SPD sowie ein Änderungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/434 vor.
Wir stimmen zunächst über die Änderungsanträge der Fraktion der SPD ab. Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache 11/421? Ich bitte um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Keine Enthaltungen. Mit Mehrheit ist dieser Antrag abgelehnt.
Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/422? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Mit Mehrheit ist dieser Antrag ebenfalls abgelehnt.
Wer für den Änderungsantrag der SPD auf Drucksache 11/423 ist, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Mit Mehrheit abgelehnt.
Jetzt stimmen wir über den Antrag auf Drucksache 11/424 ab. Wer dafür ist, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Keine. Mit Mehrheit abgelehnt.
Wer für den Änderungsantrag auf Drucksache 11/425 ist, den bitte ich um ein Handzeichen. — Wer ist dagegen? — Enthaltungen? — Keine. Mit Mehrheit abgelehnt.
Wer für den Änderungsantrag auf Drucksache 11/426 stimmt, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Keine Enthaltungen. Mit Mehrheit abgelehnt.
Wir stimmen jetzt über den Änderungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/434 ab. Wer dafür ist, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei einer größeren Zahl von Enthaltungen mit Mehrheit abgelehnt.
Wer für Art. 1 in der Fassung des Gesetzentwurfs ist, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei Enthaltungen aus der Fraktion DIE GRÜNEN ist Art. 1 mit großer Mehrheit angenommen.
Ich rufe Art. 2 und 3, Einleitung und Überschrift auf. Wer den aufgerufenen Bestimmungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Keine Gegenstimmen. — Enthaltungen? — Enthaltungen aus der Fraktion DIE GRÜNEN. Die aufgerufenen Vorschriften sind damit angenommen.
Damit ist die zweite Beratung abgeschlossen. Wir treten in die
dritte Beratung
ein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Keine Gegenstimmen. Enthaltungen? — Enthaltungen aus der Fraktion DIE GRÜNEN. Damit ist dieser Gesetzentwurf mit großer Mehrheit in dritter Lesung angenommen.
Ich rufe Punkt 21 der Tagesordnung auf:
Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung
zum 40. Jahrestag des Marshall-Planes
Meine Damen und Herren, nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die Beratung eine Stunde vorgesehen. Ist das Haus damit einverstanden? — Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Das Wort hat der Herr Bundeskanzler.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Heute vor 40 Jahren hielt George Marshall jene berühmte Rede, mit der er das Wiederaufbauprogramm für Europa einleitete. Wir Deutsche haben besonderen Grund, uns an dieses Datum dankbar zu erinnern; denn damals gaben die Vereinigten Staaten ihre Bereitschaft zu erkennen, auch uns beim Wiederaufbau unseres zerstörten Landes zu helfen.Dankbarkeit darf der Politik nicht fremd sein, auch nicht den Beziehungen zwischen den Völkern. Deshalb hält es die Bundesregierung für angemessen, ja notwendig, daß wir heute im Deutschen Bundestag unseren Dank zum Ausdruck bringen und uns — wie ich hoffe: gemeinsam — einige zentrale Lehren vergegenwärtigen, die mit dem Werk von George Marshall verbunden sind.Wir ehren heute einen amerikanischen Staatsmann, dessen Namen mit der Entwicklung der Bundesrepublik Deutschland aufs engste verbunden ist, der mit
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1088 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 17. Sitzung. Bonn, Freitag, den 5. Juni 1987
Bundeskanzler Dr. Kohleinem entscheidenden Abschnitt der jüngsten deutschen Geschichte untrennbar verbunden bleibt.George Marshall hat dazu beigetragen, daß die Europäer und besonders wir Deutsche in einer Zeit bitteren Elends Hoffung und Zukunftsglauben zurückgewinnen konnten. Der Plan, der seinen Namen trägt, bleibt all jenen Menschen unvergeßlich, die das Leid und die Not der Nachkriegszeit selbst miterlebt haben — unvergeßlich als ein Dokument staatsmännischer Weitsicht und mitmenschlicher Anteilnahme.
In kurzen, prägnanten Worten beschrieb George Marshall damals, am 5. Juni 1947 in der Harvard-Universität, die moralische Grundlage seiner Überlegungen — ich zitiere — :Unsere Politik richtet sich nicht gegen irgendein Land oder irgendeine Doktrin, sondern gegen Hunger, Armut, Verzweiflung und Chaos.Nur wer die damalige Zeit miterlebt hat, meine Damen und Herren, kann ermessen, was hinter diesen Worten steht. Die Not der Flüchtlinge und Vertriebenen, der Heimat- und Obdachlosen, der Menschen in den ausgebombten Städten war durch den Katastrophenwinter 1946/47 verschärft worden. Hunger und Krankheit, der Mangel an Heizmittel, der tägliche Kampf um die Existenz bestimmten das Leben der Menschen.Aber auch unseren Nachbarn in Europa, den europäischen Siegermächten, ging es damals nicht besser. Frankreich verlor in diesem Winter auf 1 Million Hektar Anbaufläche Wintergetreide und mußte sich auf eine Hungersnot gefaßt machen. Großbritannien stand nach den Anstrenungen des Krieges am Ende seiner finanziellen Möglichkeiten. In London gab es damals täglich nur vier bis fünf Stunden elektrischen Strom. Winston Churchill beschrieb im Mai 1947 Europa als „einen Scheiterhaufen, ein Gebeinhaus, eine Brutstätte von Pestilenz und Haß". Er wußte, wovon er sprach. Denn hinter der materiellen Not der Menschen standen Mutlosigkeit, Verzweiflung und eine tiefe moralische Krise.Auch in der Weltpolitik mehrten sich damals die Anzeichen für eine bedrohliche Entwicklung: Der Konsens der Siegermächte des Zweiten Weltkrieges zerbrach. Auf der Moskauer Konferenz über Deutschland im Frühjahr 1947 wurde offenbar, daß sich die Kluft zwischen West und Ost in dramatischer Weise vertiefte. Der während des Krieges nur mühsam verdeckte Gegensatz zwischen den demokratischen Staaten und einer kommunistischen Diktatur ließ sich nicht länger überbrücken.George Marshall kehrte aus Moskau in der Überzeugung zurück, daß die Sowjetunion auf die Spaltung Europas und den wirtschaftlichen Zusammenbruch des Westens setze. Auf dem Rückflug landete er damals in Berlin zu einem Kurzaufenthalt. Tief beeindruckt berichtete er seinem Präsidenten, Harry Truman, vom Bild der Zerstörung, das unsere alte Hauptstadt darbot. Deprimierende Statistiken belegten seine Schilderung.Diese sehr persönliche Erfahrung aus dem Nachkriegseuropa verband sich bei George Marshall mit der noblen Hilfsbereitschaft des amerikanischen Volkes gegenüber Notleidenden und die nüchterne Lageeinschätzung des Soldaten mit der visionären Kraft des Staatsmannes. In wenigen Wochen entwarf er mit seinen Mitarbeitern ein Hilfsprogramm für Europa, das die Geschichtsschreibung mit Recht zu den großen Leistungen des amerikanischen Volkes rechnet.In seiner Rede vor vierzig Jahren schilderte Marshall die Gefahr eines wirtschaftlichen, sozialen und politischen Verfalls in Europa und erinnerte die Vereinigten Staaten an ihre Verantwortung. Im Zentrum seiner Rede stand der Gedanke, durch zusätzliche Hilfsleistungen die Wiederherstellung gesunder wirtschaftlicher Verhältnisse zu fördern, ohne die es, wie Marshall betonte, „keine politische Stabilität und keinen sicheren Frieden gegen kann". Meine Damen und Herren, diese Worte sind heute noch genauso richtig wie vor 40 Jahren, und wir tun gut daran, sie uns immer wieder ins Gedächtnis zu rufen.Es war bezeichnend für George Marshall, daß er niemals daran dachte, Europa ein Wiederaufbauprogramm aus amerikanischer Feder zu diktieren. Sein Programm sollte die eindeutige Handschrift Europas tragen, und so rief er die europäischen Länder ausdrücklich auf, „zu einer Einigung darüber zu kommen, was die gegenwärtige Lage am dringendsten erfordert und wieweit die Länder Europas selbst dazu beitragen können ... ". Indem er die amerikanischen Hilfeleistungen so an eine Verständigung der europäischen Länder knüpfte, verlieh er gleichzeitig der Bereitschaft der Europäer zum solidarischen Handeln einen kräftigen, vielleicht einen entscheidenden Impuls. Ohne dieses amerikanische Verlangen nach europäischer Abstimmung wäre Europa — das kann man heute wohl sagen — kaum so rasch zusammengewachsen, wie wir es nach dem Krieg erleben durften. In der Reihe der großen Männer und Frauen, die das vereinte Europa vorangebracht haben, verdient deshalb auch George Marshall einen Ehrenplatz.
Er sagte immer wieder: Die Initiative muß von Europa ausgehen. Daß er darunter das ganze Europa verstand, daß sich sein Angebot eindeutig an alle europäischen Staaten — auch an die Sowjetunion — richtete, wird heute leicht vergessen. Tatsächlich war die Sowjetunion an den ersten Beratungen über den Marshall-Plan auch beteiligt. Gemeinsam mit den Außenministern Frankreichs und Großbritanniens, Georges Bidault und Ernest Bevin, die diesen Vorschlag sofort positiv aufgenommen hatten und in einer Dreierkonferenz vollenden wollten, prüfte der sowjetische Außenminister Molotow eine Woche lang das amerikanische Angebot. Auch Staaten wie Polen, Ungarn, die Tschechoslowakei zeigten sich sehr interessiert.Aber ein Programm, das auf den Fleiß und die Leistungsbereitschaft des einzelnen baut, das neue Ideen, Mut und Phantasie freisetzen und so wirtschaftliche Kräfte wecken will, gedeiht nur auf dem Boden der Freiheit. Dort, wo die Menschen unter-
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 17. Sitzung. Bonn, Freitag, den 5. Juni 1987 1089
Bundeskanzler Dr. Kohldrückt und ihnen die Früchte ihrer Arbeit vorenthalten werden, muß es zwangsläufig versanden.
Stalin hat dies gewußt, und er hat deshalb dem Marshall-Plan sein kategorisches Nein entgegengesetzt. Unnachsichtig hat er auch die anderen Länder seines Einflußbereichs von einer Teilnahme abgehalten. Die Abschottung gegen die Freiheit war ihm wichtiger als der wirtschaftliche Aufbau. Das zu erwähnen ist auch heute wichtig, um einer vielfältigen historischen Legendenbildung entgegenzuwirken.Den überragenden Erfolg des Marshall-Plans haben die sowjetischen Maßnahmen nicht beeinträchtigen können. Die Außenminister Frankreichs und Großbritanniens luden, von Stalins Nein unbeeindruckt, alle europäischen Länder zu einer Konferenz ein. Am 12. Juli 1947 trafen sich in Paris die Vertreter von 16 Teilnehmerstaaten und gründeten am Tag darauf das Komitee für Europäische Wirtschaftliche Zusammenarbeit. Am selben Tag beschloß man, auch die Besatzungszonen Deutschlands einzubeziehen. Meine Damen und Herren, damit war ein richtiger und wichtiger Schritt getan, um dem am Boden liegenden Deutschland die Hand zu reichen und es wieder in den Kreis der freiheitlichen Demokratien zu führen. Der Weg war gewiesen, der Feindschaft überwinden konnte und der zur Versöhnung und Freundschaft führte. Bereits kurz nach der Pariser Konferenz befaßten sich einige Teilnehmerstaaten mit der Idee einer Zollunion.Im September 1947 schließlich konnte ein gemeinsamer Plan vorgestellt werden, der die eigenen Leistungsmöglichkeiten ebenso auflistete wie den Bedarf an auswärtigen Finanzhilfen. Der Einsatz, der von den USA erbeten wurde, ist angesichts heutiger Staatshaushalte eher bescheiden zu nennen: Von April 1948 bis Ende Juni 1952 flossen insgesamt 13,3 Milliarden Dollar nach Europa, davon rund 1,4 Milliarden in unser Land. Für damaligen Zeiten aber war das eine gewaltige Summe. Sie konnte sofort in dringend benötigte Rohstoffe und Maschinen umgesetzt werden und wurde so zu einer entscheidenden Initialzündung beim wirtschaftlichen Aufbau Europas.Heute läßt sich nur noch schwer ermessen, was der Marshall-Plan damals für Europa bedeutete. Gewiß, wir können errechnen, was er uns an materiellen Gütern bescherte, wir können ermitteln, wie er der weithin erschöpften Wirtschaft der europäischen Länder neue Kräfte verlieh. Was wir aber nicht mit Zahlen ausdrücken können, ist die Hoffnung, die dieses amerikanische Programm in den Menschen in Europa und auch in Deutschland weckte.Lassen Sie mich an dieser Stelle weiterer bedeutender Amerikaner gedenken, die neben George Marshall dazu beigetragen haben, dessen Plan in die Tat umzusetzen. Ich denke an Präsident Harry S. Truman, der am 3. April 1948 die entsprechende Akte unterzeichnete. Ich denke an Dean Acheson, an Lucius D. Clay, an William Clayton, Averell Harriman, Paul Hofmann, George F. Kennan und nicht zuletzt an Senator Arthur Vandenberg, dessen Name die parteiübergreifende Unterstützung für dieses Hilfsprogramm symbolisiert. Gerne nenne ich auch PaulNitze. Wir haben ihm und vielen anderen viel zu verdanken.
Kaum jemand hätte unmittelbar nach Kriegsende erwartet, daß dem Sturz in die Katastrophe so rasch ein wirtschaftlicher Aufstieg folgen würde — am wenigsten die Deutschen. Doch gerade in unserem zerstörten Land verzagten die Menschen nicht, sondern sie machten sich ans Werk im Glauben an die eigene Kraft. Konrad Adenauer brachte es in seinen Memoiren, in seinen „Erinnerungen" auf den kurzen Nenner: „Ohne amerikanische Hilfe war ein Wiederaufbau Deutschlands nicht möglich, aber ebenfalls nicht ohne unsere eigene Mitarbeit, unser Vertrauen und unseren eigenen Willen zum Wiederaufbau. "Der kraftvolle Schub der amerikanischen Hilf smaßnahmen verband sich mit dem durchschlagenden Erfolg der Idee der Sozialen Marktwirtschaft. Im freien Teil Deutschlands geschah alles andere als ein Wirtschaftswunder. Hier ging es um die Verbindung richtiger Konzepte mit den intensiven Anstrengungen vieler Menschen. Entscheidende Impulse kamen vom Willen zur persönlichen Leistung, vom Wagemut vieler Unternehmer, von der Weitsicht und der Überzeugungskraft großer Gewerkschaftsführer. Sie führten zu einem gemeinsamen Erfolg unserer Bürger, die mit harter Arbeit und auch unter Verzicht wieder Zukunft gewannen. Das konnte nur deshalb gelingen, weil herausragende politische Persönlichkeiten den Mut gehabt hatten, an diese Fähigkeiten zu glauben. Ich nenne für die Gründergeneration unserer Republik Konrad Adenauer, Theodor Heuss und Kurt Schumacher. Ich nenne im besonderen für die Soziale Marktwirtschaft Ludwig Erhard. Das waren alles Männer, die den Mut besaßen, ähnlich wie George Marshall an die Zukunft zu glauben.
Bis in unsere Tage hinein vermag uns der MarshallPlan auch noch andere wegweisende Einsichten und Lehren zu vermitteln. Es gilt, die Erfahrungen jener Tage als Orientierungshilfen für heute zu nutzen und mit ihnen Gegenwart und Zukunft zu gestalten.Der Marshall-Plan ist zu einem Eckpfeiler der Brücke der Freundschaft geworden, die das deutsche und das amerikanische Volk über den Atlantik hinweg verbindet. Bis heute ist diese Freundschaft für uns von existentieller Bedeutung, und sie wird es auch in Zukunft sein.
Damals, in den Hungerjahren der Nachkriegszeit, ging es um das Überleben unseres Volkes, um den Wiederaufbau eines zerstörten Landes. Später, mit der Gründung der Bundesrepublik Deutschland, ging es um die Errichtung einer freiheitlichen Demokratie. Heute und morgen geht es um die Sicherung des Friedens in Freiheit, auch und besonders in Berlin. Immer und in jedem Fall aber ist die Zukunft unseres Volkes mit der deutsch-amerikanischen Freundschaft verbunden.
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1090 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 17. Sitzung. Bonn, Freitag, den 5. Juni 1987
Bundeskanzler Dr. KohlDie Generationen, die damals beiderseits des Atlantiks den Grund dafür gelegt haben, sind gefordert, an die nachwachsende Generation dieses Vermächtnis weiterzugeben. Wir müssen die Freundschaft und Verbundenheit mit den Vereinigten Staaten nach besten Kräften pflegen. Es gilt, sie über alle Wechselfälle des Alltags — auch über kontroverse Diskussionen — hochzuhalten und zu bewahren.
Meine Damen und Herren, dem dient auch der German Marshall Fund, den wir zum 25. Jubiläum des Marshall-Plans als sichtbare Würdigung und als Unterpfand deutsch-amerikanischer Verbundenheit gestiftet haben. Ihm wird jetzt in Washington eine beachtliche Spende überreicht werden. Sie dient der Anschlußfinanzierung für seine Arbeit in den nächsten zehn Jahren.
Ich nehme diese Gelegenheit wahr, hier vor dem Hohen Haus an die junge Generation auf beiden Seiten des Atlantiks zu appellieren, die Chancen zur persönlichen Begegnung und zum unmittelbaren Kennenlernen zu nutzen. Mit dem Rat für Jugendaustausch, den Präsident Reagan und ich im Oktober vergangenen Jahres ins Leben gerufen haben, wollen wir helfen, den Strom der Begegnungen zu verbreitern. Aber junge Leute sollten nicht einfach auf den Staat warten, sie sollten selbst initiativ werden.Es gibt eine weitere und besonders naheliegende Möglichkeit, die deutsch-amerikanische Freundschaft zu festigen: indem wir den Kontakt zu den amerikanischen Soldaten und ihren Familien suchen, die in unserem Lande leben.
Es sind seit Gründung der Bundesrepublik immerhin knapp über 10 Millionen Soldaten, die mit ihren Familien in der Bundesrepublik Deutschland gelebt haben. Sie leisteten und leisten — oft unter schwierigen materiellen Bedingungen — ihren Dienst für die gemeinsame Freiheit. Um so wichtiger ist es, daß sie unsere Sympathie spüren und daß wir als Ausdruck unserer Dankbarkeit auch immer wieder die Begegnung mit ihnen suchen.Der Aufbau eines geeinten Europas bleibt — das ist gemeinsame Aufgabe und auch Meinung des Hohen Hauses — unser historischer Auftrag. Die erfolgreiche Zusammenarbeit, die nicht zuletzt durch den Marshall-Plan im Rahmen der OEEC begonnen hat und die dann im kleineren Kreis in der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl, später in der EWG und heute in den Europäischen Gemeinschaften fortgesetzt wurde, hat über alle Zweifel hinweg bewiesen: Nur gemeinsam können wir in Europa die wirtschaftliche und politische Zukunft unseres Kontinents gestalten.Wir müssen endgültig den nationalen Egoismus überwinden, der der europäischen Einigung immer wieder im Wege steht. Wir dürfen nicht durch ein ängstliches Festhalten an überkommenen Denkformen und Besitzständen die visionäre Kraft der europäischen Idee lähmen. Bis Ende 1992 wollen wir den gemeinsamen Binnenmarkt einführen. Dies ist ein wichtiger Markstein auf dem Weg zur Europäischen Union.Vergessen wir über all dem aber nicht das ganze Europa. Das Nein Stalins von 1947 darf kein Schlußwort sein. Wir brauchen im Warschauer Pakt neues Denken, und wir brauchen auch neues Handeln. Wir begrüßen daher, daß die EG und der Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe nunmehr endlich über gemeinsame Interessen und Möglichkeiten der Zusammenarbeit sprechen. Wir wollen diesen Weg weitergehen.Ein wichtiger Schritt wird dabei das Ost-West-Wirtschaftsforum sein, das ich vor einem Jahr angeregt habe und das nunmehr als Vorschlag der EG auf dem Wiener Verhandlungstisch zur Beratung ansteht. Es soll neue, zukunftsträchtige Formen der wirtschaftlichen Zusammenarbeit entwickeln, die die Initiative des einzelnen ansprechen und Grenzen der Systeme überwinden und eine Chance bieten, den Wohlstand auf beiden Seiten zu mehren. Damit dienen wir auch den Menschen in beiden Teilen Europas.Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Unsere Welt kennt heute noch immer viel zu viele Regionen, wo Menschen hungern, wo der Kampf um die bloße Existenz den Alltag prägt, wo Hoffnungslosigkeit umgeht, wo — sagen wir es ehrlich — selbst langjährige Entwicklungszusammenarbeit die Dinge nicht entscheidend zum Besseren gewendet hat.Mit diesem Zustand können, wollen und dürfen wir uns nicht abfinden. Für uns, denen in schwerster Zeit geholfen wurde, muß diese tätige Hilfe menschliche und moralische Pflicht sein.Wir werden unsere Politik gegenüber den Ländern der Dritten Welt im Bewußtsein dafür gestalten, daß die Idee vom freien Menschen eben nicht nur bürgerliche und politische Freiheit umfaßt, sondern auch ein Leben „frei von Furcht und Not". So steht es aus gutem Grund in der Atlantik-Charta und dann auch in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte. Die armen und die ärmsten Länder brauchen heute unsere Hilfe. Das ist im Kern ein moralischer Appell an uns, den Frieden stets auch als ein Werk ausgleichender Gerechtigkeit innerhalb der Völkergemeinschaft zu betrachten.
In der Praxis — das wissen wir — bleiben heute noch viele Wünsche offen. Sicher traf der Marshall-Plan damals im zerstörten Europa auf andere Strukturen als heute die Entwicklungshilfe der Industrieländer für die Staaten der Dritten Welt. Wahr ist aber auch, daß viele Mißerfolge heutiger Entwicklungshilfe gerade darin begründet sind, daß klare und einfache Einsichten, wie George Marshall sie 1947 formulierte, eben nicht berücksichtigt wurden: So z. B. die Notwendigkeit, die Erzeugung von Nahrungsmitteln in den Entwicklungsländern selbst zu fördern. Hilfe darf nicht nur von einer Krise zur anderen organisiert werden; es sind Pläne auszuarbeiten, die die Empfänger in eigener Verantwortung und mit eigenen Beiträgen gestalten können. Regionale Zusammenarbeit muß Vorrang vor nationalem Prestigedenken haben. Und schließlich: Ohne Vertrauen in die
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Bundeskanzler Dr. KohlEigeninitiative der Bürger ist eine selbsttragende Entwicklung in den Empfängerländern nicht denkbar.
— Das schließe ich überhaupt nicht aus. Wir werden in ein paar Tagen in Venedig jedenfalls als Position der Bundesregierung nachdrücklich gegen jede Form des Protektionismus Stellung nehmen. Das war, ist und bleibt unsere Politik.Andere Grundzüge der Entwicklungszusammenarbeit müssen nach den spezifischen politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Gegebenheiten in den Partnerländern erarbeitet werden. Nüchternheit im Befund und Kühnheit im Entwurf sind gefragt.Die schwierige finanzielle Entwicklung in vielen Ländern der Dritten Welt wird uns auch in kommenden Jahrzehnten vor erhöhte Anforderungen stellen. Aber ohne gesunde wirtschaftliche Verhältnisse — ich nehme noch einmal das Wort von George Marshall auf — wird es in der Welt keine politische Stabilität und keinen sicheren Frieden geben.Die Botschaft, meine Damen und Herren, die George Marshall heute vor vierzig Jahren verkündet hat, behält ihre Aussagekraft, und wir wollen sie weiter beherzigen. Wie wichtig sie gerade für uns Deutsche ist, dafür legen wir heute hier im freigewählten deutschen Parlament Zeugnis ab. In der nächsten Woche wird unser Bundespräsident Richard von Weizsäcker in der Harvard-Universität — gleichsam vor Ort — George Marshall würdigen: den Staatsmann und seine Leistung für unser Land, für Europa und für die freie Welt insgesamt. Wir Deutschen vergessen nicht, was wir diesem Mann und was wir dem amerikanischen Volk zu verdanken haben.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Frau Abgeordnete Renger.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn wir heute in der Bundesrepublik Deutschland dankbar den 40. Jahrestag der Gründung des Europäischen WiederaufbauProgramms, kurz Marshall-Plan genannt, begehen, so erinnern sich nur wenige Menschen daran, in welchem Zustand sich Deutschland damals zwei Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg befand. Chaos und Hunger, Verzweiflung oder Lethargie, so sah die Hinterlassenschaft des „tausendjährigen Reiches" der Nationalsozialisten nach der totalen Niederlage aus. Das Elend der Vertriebenen, Flüchtlinge, Heimkehrer und Arbeitslosen, die Demontagen und die Reparationen nahmen kein Ende. Aus der allgemeinen Lähmung, Hoffnungslosigkeit und oft auch Selbstaufgabe schien es keinen Ausweg zu geben. Deutschland war aus der Gemeinschaft der Völker ausgeschlossen, und Morgenthaus und Vansittarts Vergeltungsdrang — in gewisser Weise verständlich — wollte aus Deutschland einen Kartoffelacker machen.George Marshall, der ehemalige Generalstabschef der Armee der Vereinigten Staaten, war demgegenüber ein weitblickender Politiker, der in seiner berühmten Rede vom 5. Juni 1947 als Außenminister erkannte, daß die Wiederherstellung des Vertrauens bei den europäischen Völkern auf die wirtschaftliche Zukunft ihrer Länder und ganz Europas die Voraussetzung für eine politische Stabilität und einen sicheren Frieden ist. Dieses Umdenken in der amerikanischen Politik hatte bereits im September des Vorjahres Byrnes in seiner nicht minder wichtigen und berühmten Stuttgarter Rede signalisiert.Der Plan George Marshalls richtete sich nicht an einzelne Empfängerländer, wie die schon vorher geleistete Hilfe, sondern war an die europäischen Länder als Gruppe gerichtet, die zur gegenseitigen Hilfeleistung verpflichtet wurden, als Bedingung für den Empfang der amerikanischen Hilfe. Das Angebot richtete sich an alle europäischen Staaten, einschließlich der Sowjetunion, Polens, der Tschechoslowakei u. a. und auch an Deutschland, an das Land, das zuvor andere Länder mit Zerstörung überzogen hatte.Dieser Plan wurde damit aber zur Initialzündung für den Wiederaufbau unseres Landes. Der damalige Bundeskanzler Helmut Schmidt würdigte in seiner Ansprache zum 30. Jahrestag des Aufbauplanes die Weitsicht George Marshalls, dem der damalige Präsident Truman die Organisation des Friedens zutraute, nachdem er zuvor den Krieg hatte organisieren müssen.Meine Damen und Herren, es ist keine Überraschung, daß damals wie heute der Marshall-Plan auch aus politischer Sicht kritisiert oder sogar abgelehnt wurde. So erklärte der sowjetische Außenminister Molotow auf der Konferenz in Paris im Juni 1947, daß er den Plan zur gegenseitigen europäischen Wirtschaftshilfe ablehne, weil durch ihn die wirtschaftliche Unabhängigkeit und Souveränität der Teilnehmerländer bedroht würde. Die Staaten, wie Polen und Tschechoslowakei, die am Programm teilnehmen wollten, mußten vor der sowjetischen Intervention kapitulieren. Es ist gar nicht auszudenken, meine Damen und Herren, in welchem politischen und sozialen Zustand wir uns in Europa heute befänden, hätte die amerikanische Wirtschaftshilfe von ganz Europa in Anspruch genommen werden können.
Von 1948 bis 1952 erhielten die nicht unter dem Einflußbereich der Sowjetunion stehenden europäischen Staaten insgesamt rund — die Zahlen variieren etwas — 14 Milliarden Dollar Wirtschafts- und Militärhilfe, und davon bekam die Bundesrepublik, einschließlich West-Berlins, für das die Hilfe bis 1957 fortgesetzt wurde, etwa 1,5 Milliarden Dollar. Es ist wohl unbestritten, daß durch dieses Wiederaufbauprogramm die schnelle wirtschaftliche Entwicklung Westdeutschlands möglich und die soziale Integration der Millionen Flüchtlinge und Heimatvertriebenen erleichtert wurde.Eine Tatsache ist es allerdings auch, daß durch diese amerikanische Wirtschaftshilfe über das von allen demokratischen Kräften erklärte Bekenntnis zur westlichen Demokratie und zur internationalen Zusammenarbeit hinaus auch ein wirtschaftliches System mit geprägt wurde, das man dann später die freie oder Soziale Marktwirtschaft nannte, und dar-
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Frau Rengerüber gibt es natürlich immer gewisse Meinungsverschiedenheiten. Dazu sagte Kurt Schumacher auf dem Nürnberger Parteitag der SPD 1947:Die Amerikaner haben erkannt, daß man, wenn man Folgen der Verelendung nicht will, die Bedingungen ändern muß, aus denen solche Folgen entstehen. Die Pflicht aller Sozialdemokraten in jedem europäischen Land ist unserer Ansicht nach diese Hilfe mit guten und stichhaltigen Argumenten zu begrüßen und zu sagen, wie sie sich auf das Europäertum und auf die spezielle Situation jedes europäischen Landes erstrecken sollte. Diese amerikanische Hilfe zwingt die Völker Europas, sich einander anzunähern.So Kurt Schumacher.Der Marshall-Plan ist auch im Zusammenhang mit der Frage der Wiedervereinigung, wie auch später bei der Währungsreform, auf Kritik gestoßen: Er habe die Teilung Deutschlands und Europas eingeleitet.Gleichzeitig wurde sozusagen der Vorwurf an die Amerikaner erhoben, sie hätten mit der amerikanischen Entwicklungshilfe für Europa lediglich die Eindämmung des sowjetischen Expansionsdranges erreichen und der weiteren Ausbreitung des Kommunismus entgegenwirken wollen.Meine Damen und Herren, ich möchte in Erinnerung rufen, daß sich die drei Besatzungsmächte damals auf der Potsdamer Konferenz im Jahre 1945 noch zur wirtschaftlichen und politischen Einheit Deutschlands bekannt hatten. Später konnten sie sich über die künftige Gestaltung Deutschlands nicht einigen. Dem ging allerdings voraus, daß die Sowjetunion in ihrem Einflußbereich sehr früh eine systematische Sowjetisierung begonnen hatte, die ihren Ausdruck unter anderem in der Zwangsvereinigung von Sozialdemokraten und Kommunisten in der damaligen SBZ fand.Am 7. Februar 1947 wurde die polnische Regierung der nationalen Einheit durch eine kommunistische Regierung abgelöst. Ihr folgte alsbald die CSSR.Willy Brandt sagte 1972 zum Marshall-Plan:Nüchterne Analyse der absurden europäischen Situation nach der Moskauer Konferenz vom April 1947 traf sich mit der Entschlossenheit zum Handeln, ehe das schreckliche „zu spät" gesagt wurde. Das europäische Wiederaufbauprogramm, das der Außenminister damals umriß, enthielt ein ehrliches Angebot, die Gemeinsamkeit der Verantwortlichkeit für Europa in Ost und West wiederherzustellen. Es wurde im Osten zurückgewiesen. Und das hieß: Vertiefung und Zementierung der Teilung.Diese Worte sagte Willy Brandt bei seiner Ansprache vor der Harvard-Universität, als er nach längeren Verhandlungen, die der frühere Finanzminister Alex Möller geführt hatte, die Gründung der Deutschen Marshall-Stiftung als Geschenk der Deutschen verkündete.Es ist also sinnvoll, die Historie nicht zu vergessen.Eine Analyse der heutigen Situation zwischen Moskau und dem Westen würde mit Sicherheit positivere Akzente tragen, nachdem sich im kommunistischen Machtbereich deutliche Veränderungen zeigen, und wir können nur hoffen, daß diese sich auch sehr im Verhältnis der Mächte untereinander bewähren werden.Der Bundestag stellte der Stiftung über 15 Jahre lang ein laufendes Einkommen von insgesamt 147 Millionen DM zur Verfügung.Der Marshall-Plan ist auch heute noch aktuell in seinem Appell an die reichen Nationen, auch im eigenen Interesse immer dort Hilfe zu leisten, wo wirtschaftliche Not herrscht. Mit seinem Konzept der Hilfe zur Selbsthilfe hat George Marshall für solche Unterstützungsmaßnahmen einen Weg gewiesen. Wir sollten uns dessen nicht nur erinnern, sondern diesen Appell auch befolgen.Ich danke Ihnen.
Das Wort hat der Abgeordnete Niegel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich den Dank an unsere amerikanischen Freunde aus der Sicht desjenigen abstatten, der seit geraumer Zeit im Parlament Verantwortung für die ERP-Wirtschaftspläne trägt.Der 5. Juni 1947 war ein entscheidendes Datum, als der US-Außenminister George Marshall vor der Harvard-Universität das amerikanische Hilfsprogramm für Europa, das ERP-Programm, ankündigte. Damit wurde auch amtlich in Amerika eine Denkweise zu unseren Gunsten verändert: Statt des MorgenthauPlans kam nun der Marshall-Plan.Zunächst wurden die Marshall-Plan-Gelder, die Warenunterstützungen und die GARIOA-Güter — auch an sie sollte man erinnern — von der Militärregierung verwaltet. Dann wurde dafür eigens ein Institut geschaffen, nämlich die Kreditanstalt für Wiederaufbau in Frankfurt. Daran hatte Herr Abs einen besonderen Anteil. Ich glaube, man sollte heute auch ihn würdigen. Später wurde dann das ERP-Sondervermögen ein Teil des Bundesvermögens.Diese Marshall-Plan-Gelder sollten als Sondervermögen erhalten bleiben. Sie sollten zum Wiederaufbau und zur Förderung der deutschen Wirtschaft eingesetzt werden. Wir haben daraus das gemacht, was wir heute als den ERP-Wirtschaftsplan bezeichnen, ein Vermögen von 15 Milliarden DM mit einer jährlichen Förderungssumme von fast 5 Milliarden DM. Wir haben das Ausgangskapital als revolvierenden Fonds angelegt und vermehrt, während es bei den meisten unserer europäischen Nachbarn in den Ritzen des Staatshaushalts versickerte. Ich darf aber auch darauf hinweisen, daß wir über 1 Milliarde Dollar zurückgezahlt haben.Meine Damen und Herren, erinnern wir uns noch an die Zeit vor 1947. Der Bundeskanzler hat es sehr ausführlich getan. Auch ich kann mich gut erinnern: ich war seinerzeit 14 Jahre alt. Unser Land war zerbombt.
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 17. Sitzung. Bonn, Freitag, den 5. Juni 1987 1093
NiegelWir hatten keine Kohle, stundenweise Stromabschaltung, keine Nahrung, eine zerstörte Verkehrswirtschaft, zusätzlich über zehn Millionen Flüchtlinge, keine Wohnungen. In manchen Wohnungen waren drei bis vier Familien eingezwängt. Trotzdem haben die Menschen den Lebensmut nicht verloren, den Karren wieder aus dem Dreck zu ziehen. Sie hatten Hoffnung zum Wiederaufschwung, Glauben an den Aufstieg. Hier muß ich deutlich sagen: Die ERP-Hilfe war ein Katalysator. Wir hatten zwar die Facharbeiter, das Know how, der Aufbauwille war vorhanden, es fehlte aber das Kapital. Hier half dieser Marshall-Plan.Zunächst mußten die wichtigsten Grundstoff- und Investitionsgüterindustrien und die Berlin-Förderung im Vordergrund stehen. Später wurden die Wirtschafts- und Regionalförderung mit einbezogen. Dann kam der Umweltschutz dazu. Ich darf darauf hinweisen: Bereits seit 1962 beinhaltet der ERP-Plan die Förderung des Umweltschutzes.Heute ist der ERP-Haushalt ein Instrument der Regionalpolitik und als Folge der Teilung Deutschlands auch ein Instrument der Zonenrandförderung und der Förderung in Berlin, der Förderung der Existenzgründung — dafür stehen fast 1 Milliarde DM pro Jahr zur Verfügung; ich erinnere an 16 bis 18 000 Anträge, die jedes Jahr genehmigt wurden — , ein Instrument der Wirtschaftsförderung, der Gemeindefinanzierung und des Umweltschutzes.Die Entwicklung über vier Jahrzehnte zeigt die Flexibilität der ERP-Förderung. Ich darf sagen: Es ist ein marktwirtschaftliches Institut. Die Hauptanstrengungen müssen vom Investor kommen, die Verantwortung muß bei ihm bleiben. Es ist eine Hilfe zur Selbst-hilf e.In diesem Zusammenhang darf ich abschließend auch daran erinnern — der Herr Bundeskanzler hat es in ähnlicher Weise getan — : Sollten nicht 40 Jahre Marshall-Plan und ERP-Programm für uns Anlaß sein, Anstöße in anderen Ländern zu geben, z. B. in der Dritten Welt, daß dort ein ähnlicher revolvierender Fonds, eine Art ERP-Plan für die Dritte Welt, geschaffen wird, damit langfristig eine sich selbst tragende Aufbaufinanzierung der dortigen Wirtschaft ermöglicht werden kann?
Das wäre auch ein Art Dank an die Väter des Marshall-Plans.Vielen Dank.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Graf Lambsdorff.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen, meine Herren! Am Mittwoch der vergangenen Woche hat der amerikanische Außenminister Shultz im State Department einen Empfang gegeben. Dazu eingeladen waren die Angehörigen des State Departments, und zwar die, die vor 40 Jahren am Zustandekommen des Marshall-Plans mitgearbeitet hatten, unter ihnen Walter Levy, manchem hier im Hause bekannt. Weil er Jude war, mußte der Sohn eines hochdekorierten Frontkämpfers des Ersten Weltkrieges nach 1933 aus Deutschland fliehen. 1947 arbeitete er im State Department. Paul Nitze — der Bundeskanzler hat ihn erwähnt — schickte ihn zum Kongreß, um den störrischen Vorsitzenden eines wichtigen Ausschusses dazu zu bewegen, die parlamentarischen Beratungen für den Marshall-Plan nicht zu blockieren. Walter Levy übernahm den Auftrag, mit Erfolg. Vorige Woche sagte er mir in New York: „Wir wollten verhindern, daß sich Versailles wiederholte." Welche menschliche Größe einzelner, welche Größe einer Nation gehörten 1947, zwei Jahre nach dem Ende des schrecklichen Zweiten Weltkrieges und des Holocaust, zu einer solchen Haltung?
Ein anderer Rückblick, meine Damen und Herren. 1947: Ich studierte damals im ersten Semester an der Universität Bonn. Sie war zerbombt. Wir hungerten. Amerikanische Tiefflieger hatten mich verwundet. Aussichten gab es für uns keine und kaum Hoffnung auf Besserung. Aber seit der Rede des US-Außenministers Byrnes in Stuttgart — Frau Renger hat ihn erwähnt — , seit dem Ende des Fraternisierungsverbotes gab es Veränderungen, wenn auch erst nur atmosphärische. So recht begriffen habe ich damals wohl nicht, was George Marshall da eigentlich unternahm. Erst nach und nach sahen wir, daß sein Plan eine neue Grundlage für unsere Zukunft geschaffen hatte.
Das Angebot traf auf ein zerstörtes Land. Aber es traf auf eine personelle Infrastruktur, die intakt war. Unternehmer und Arbeitnehmer, alle im Lande, machten sich ans Werk des Wiederaufbaus, Tag und Nacht, unermüdlich. Und sie hatten Erfolg, nicht zuletzt, weil mutige, von manchen als tollkühn empfundene, wirtschaftspolitische Entscheidungen mit Zwangswirtschaft und Staatskontrolle radikal Schluß machten, weil die Deutschen wirtschaftlich den Atem der Freiheit spürten. Marshalls Erfolg wäre ohne Ludwig Erhard und seine Freunde nicht so groß geworden. Die Deutschen nutzten die Chance, die zur Währungsreform, zum 20. Juni 1948 und dem darauf folgenden Montag des großen Staunens führte.
Persönliche Erinnerung, meine Damen und Herren, gebietet persönlichen Dank. Was wäre ohne die Großtat des Marshall-Plans, ohne die Weitsicht des Präsidenten Truman wohl aus uns, aus der unmittelbaren Nachkriegsgeneration geworden? Mögen wir auch gelegentlich Ärger mit den Vereinigten Staaten haben, was wiegt das im Verhältnis zur Großtat und zum Großmut des amerikanischen Volkes damals, 1947?
Deshalb freue ich mich, im Namen meiner politischen Freunde, aber auch sehr persönlich, heute sagen zu dürfen: Herzlichen Dank Amerika!
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Mitzscherling.
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1094 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 17. Sitzung. Bonn, Freitag, den 5. Juni 1987
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen, meine Herren! Eine Würdigung der Leistung George Marshalls aus ökonomischer Sicht könnte lauten: Seine Gedanken und Vorstellungen, die zum Europäischen Wiederaufbauprogramm führten, sind die eigentliche Grundlage der ökonomischen Stärke unserer Volkswirtschaft.Dies wäre richtig, aber auch falsch zugleich. Richtig, weil der Marshall-Plan die rasche Beseitigung von existentieller Not im kriegszerstörten Europa, auch im besiegten Deutschland, ermöglicht hat. Richtig, weil der Marshall-Plan ökonomische Impulse freisetzte, die zur Wiederherstellung und Ausweitung der Produktionsanlagen und der Infrastruktureinrichtungen führten. Richtig auch, weil der wirtschaftliche Aufschwung der westeuropäischen Länder von einer immer intensiveren wirtschaftlichen Zusammenarbeit in Europa begleitet war.Marshalls und der Vereinigten Staaten Ziel der „Wiederbelebung einer funktionierenden Weltwirtschaft, damit die Entstehung politischer und sozialer Bedingungen ermöglicht wird, unter denen freie Institutionen existieren können", scheint erreicht. Nun, wir wissen alle, daß die Integration der westeuropäischen Volkswirtschaften in das westliche, von den USA bestimmte Wirtschaftssystem eben auch ein politisches Ziel war.Falsch aber wäre es, daraus zu schlußfolgern, die ökonomische Dynamik und die Vitalität einer marktwirtschaftlich verfaßten Wirtschaftsordnung allein machten unsere wirtschaftliche Attraktivität aus, gewährleisteten allein politische Stabilität und wären ein Bollwerk gegen einen expansiven Kommunismus. Was hätten die finanziellen Hilfeleistungen des Marshall-Plans für Westdeutschland und West-Berlin bewirken können, wenn es nicht die vielen qualifizierten deutschen Arbeitnehmer mit ihrem gewaltigen Aufbauwillen gegeben hätte?
Sicher, in der aufstrebenden Bundesrepublik Deutschland fehlte es nicht an tüchtigen, an dynamischen, an weitsichtigen Unternehmern; aber was hätten die erreicht ohne unsere verantwortungsbewußten, mithelfenden Gewerkschaften?Was für eine Wirtschaftsordnung und Verfassung hätten wir wohl heute, die allein von ungezügeltem Kapitalismus geprägt wären, wenn nicht vor allen anderen die deutschen Sozialdemokraten um die soziale Ausformung und die soziale Abstützung dieser Ordnung gerungen hätten? Der sozialen Ausgestaltung, der immerwährenden Korrektur unserer Wirtschaftsordnung sind wir ständig verpflichtet, gerade heute, in einer Zeit, in der unsere Bevölkerung wie nach dem Kriege wieder unter Massenarbeitslosigkeit leidet.Dies alles schmälert nicht das Verdienst George Marshalls und der Vereinigten Staaten. Wir sind ihnen zu Dank verpflichtet für ihre Hilfe, doch auch für den Weg, mit dem diese Hilfe umgesetzt werden konnte. Denn mit dem Marshall-Plan wurde wesentlich mehr geleistet als kurzfristige Wirtschaftshilfe. Auf das engste mit der Wirtschaftshilfe verbunden war das Angebot zur Selbsthilfe, war die Idee der Staatsgrenzen überwindenden Solidarität der Europäer, war der Appell an den Willen zur politischen Gemeinsamkeit. Diese Verknüpfung politischer und ökonomischer Interessen der USA hat heute vor 15 Jahren Willy Brandt in Boston zu Recht als genial bezeichnet.In dieser damals von den Amerikanern, unter ihnen namhafte Wirtschaftstheoretiker wie Harrod und Samuelson, entwickelten Überzeugung, daß von wachsenden Wirtschaftsbeziehungen letztlich alle Beteiligten profitieren, liegt eine der Wurzeln der späteren Entwicklung in Europa. Die ersten Stationen dieser europäischen Renaissance hießen OEEC und Montanunion. Danach kamen die Römischen Verträge, wurde das Europäische Währungssystem geschaffen, und kürzlich haben wir die Europäische Akte in diesem Hause ratifiziert. Deshalb ist es richtig zu sagen: Der Marshall-Plan hat für die Entwicklung unserer Volkswirtschaft in den letzten Jahrzehnten entscheidende Impulse gegeben.
Quantitativ war weniger das Ausmaß entscheidend, es waren zwischen 1948 und 1952 insgesamt fast 14 Milliarden US-Dollar für Europa, darunter rund 1,5 Milliarden für die Bundesrepublik. Ausschlaggebend waren die Wirkung und die Kraft dieser Initialzündung für den Wiederaufbau im kriegszerstörten Europa und insbesondere im zerbombten Deutschland.Ein Drittel der gesamten deutschen Marshall-PlanHilfe floß unmittelbar nach Berlin. Das möchte ich als Berliner Abgeordneter ausdrücklich und dankbar feststellen.
Dies hat wesentlich zur Stärkung der Wirtschaftskraft Berlins und damit zu seiner Überlebensfähigkeit beigetragen. Die Hilfe der USA für Berlin stärkte den Selbstbehauptungswillen der Stadt. Wenn Partnerschaft zwischen einstigen Kriegsgegnern sich zur Freundschaft entwickeln konnte, dann ist Berlin hierfür die Wiege gewesen.
Die politische Entscheidung, die nach dem Abschluß des Wiederaufbaus zurückfließenden Mittel in einem Gegenwertfonds zum ERP-Sondervermögen zusammenzufassen, war richtig. Mit diesem Sondervermögen wird noch heute die deutsche Wirtschaft gefördert; vor allem sind es mittlere und kleinere Betriebe, ist es der Bereich des Umweltschutzes, ist es Berlin.Betrachtet man aber die Ergebnisse der Entwicklung in den vergangenen vier Jahrzehnten, muß man sicherlich feststellen, daß die alles überragende Idee der supranationalen Mitverantwortung und Solidarität der Völker viel von ihrem ursprünglichen Glanz eingebüßt hat. Das gilt in besonderem Maße für die Entwicklungspolitik, die zunehmend von den reichen Völkern als Last und als Faß ohne Boden empfunden wird. Wäre es nicht an der Zeit, Marshalls Ideen erneut aufzugreifen? Die Äußerungen des Kollegen
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 17. Sitzung. Bonn, Freitag, den 5. Juni 1987 1095
Dr. MitzscherlingNiegel waren hoffnungsvoll. Müssen die westlichen Industrieländer über ihre humanitären Verpflichtungen hinaus nicht auch ein wirtschaftliches und politisches Interesse daran haben, den Ländern der Dritten Welt in ihrer Entwicklung zu helfen, Hilfe zur Selbsthilfe zu geben?
Wir Sozialdemokraten meinen: ja. Deshalb haben wir unser „Zukunftsprogramm Dritte Welt" vorgelegt, das Sie abgelehnt haben.Wie steht es denn heute um den Geist des Freihandels, der von neuentstandenen Protektionismusströmungen überspült zu werden droht, und dies gerade im Lande George Marshalls selbst? Schlecht! Wir wollen einen ungestörten Welthandel, wir wollen eine neue GATT-Runde, und wir wollen die Idee eines Vereinten Europas weiterentwickeln. Doch dies alles ist durch eine absurde Agrarmarktordnung gefährdet.Sie, Herr Bundeskanzler, und die Regierungschefs der anderen Industrieländer werden sich nach fast genau 40 Jahren der Rede George Marshalls in Venedig erneut mit einer Weltwirtschaft zu beschäftigen haben, deren Funktionieren bedroht ist. Mehr Kooperation und Koordination sind heute wieder gefragt.Aber heute sind nicht allein die Vereinigten Staaten an George Marshall zu erinnern. Auch die deutsche Bundesregierung ist gefordert. Sie muß den Amerikanern beim Abbau ihrer Defizite helfen, und sie muß dann die in den USA ausfallende Nachfrage durch Stärkung der deutschen Binnennachfrage ausgleichen helfen. Sie muß eine Schrittmacherrolle für eine beschäftigungsfördernde Politik in Europa übernehmen.Gerade uns Deutschen bieten sich doch heute Parallelen mit den Jahren des Wiederaufbaus an: Damals wie heute stehen wir vor einer Wirtschaftsaufgabe von historischen Dimensionen. Damals hieß sie Wohnungsbau in einem zerbombten Deutschland, heute heißt sie Beseitigung und Sanierung der Altlasten, die der Industriestaat Bundesrepublik Deutschland der Umwelt in 40 Jahren ökologisch ungezügelten Wachstums zugemutet hat. Damals hatten wir eine Unterbeschäftigung von mehr als zwei Millionen Menschen, heute haben wir mehr als zwei Millionen Arbeitslose. Und es besteht die Gefahr, daß die Zahl weiter steigt und sich die Massenarbeitslosigkeit immer mehr verfestigt.Deshalb wollen wir Sozialdemokraten dem so hilfreichen ERP-Sondervermögen ein neuzuschaffendes Sondervermögen „Arbeit und Umwelt" zur Seite stellen, um damit die beiden großen Herausforderungen unserer Zeit — nämlich Arbeitslosigkeit und Umweltlasten — gemeinsam und gleichzeitig bestehen zu können.
Diese gewaltige Aufgabe ist es wert, in einem Atemzug mit dem Marshall-Plan genannt zu werden.Bekennen auch Sie sich zu dieser Aufgabe, handeln Sie endlich! Die Zeit ist reif dazu!
Das Wort hat der Bundesminister für Wirtschaft.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Für viele Bürger verbirgt sich hinter dem Wort „Marshall-Plan" etwas Vergangenes, etwas, das zur Geschichte der Bundesrepublik gehört und keine Gegenwart mehr hat. Vor allem für die jungen Leute ist das, was unsere Freundschaft mit den USA begründet hat, der Geist, in dem uns nach dem Zweiten Weltkrieg geholfen wurde, etwas Abstraktes. Den allerwenigsten ist bewußt, daß der Marshall-Plan bis in die heutige Zeit hineinwirkt und als ERP-Sondervermögen ein wichtiges Instrument der Wirtschaftsförderung geblieben ist.Am 40. Jahrestag der Verkündung des Europäischen Wiederaufbauplanes durch George Marshall können wir mit einigem Stolz sagen, daß wir, die Bundesrepublik Deutschland, mit der Marshall-Plan-Hilfe gut gewirtschaftet haben. Wir standen — wie die anderen europäischen Länder — vor der Wahl, das Geld entweder auszugeben oder es in der Form von Krediten zu Vorzugskonditionen an die gewerbliche Wirtschaft auszuleihen. Wir haben uns für den zweiten Weg entschieden und dadurch erreicht, daß der deutschen Wirtschaft in einem Kreislauf von Ausleihung — Zurückzahlung immer wieder neues Kapital zur Verfügung gestellt werden konnte.Von 1949 bis heute waren das zusammen 68 Milliarden DM. Die Kreditmittel fließen in erster Linie kleinen und mittleren Unternehmen zu. Sie sind es, die von der Starthilfe, als die die Marshall-Plan-Mittel wirtschaftlich von Anfang an gedacht waren, am meisten profitiert haben. Die Mitfinanzierung von Investitionen gleicht einen Nachteil aus, den kleine und mittlere Unternehmen gegenüber größeren haben. Sie haben geringere Möglichkeiten, Kapital am Markt aufzunehmen. Nach der Währungsreform ging es aber in erster Linie darum, den verheerenden Kapitalmangel zu mildern, und für kleine und mittlere Unternehmen sind die ERP-Möglichkeiten bis heute eine wichtige Kapitalquelle geblieben. Im Jahre 1985 haben mehr als 27 000 kleine und mittlere Unternehmen knapp 2,3 Milliarden DM verbilligte ERP-Kredite aufgenommen und zur Mitfinanzierung von fast 7 Milliarden DM Investitionen verwendet.In diesem Jahr ist das Zusagevolumen ähnlich hoch. Den Hauptteil machen Kredite an Unternehmen in regionalen Fördergebieten und für die Existenzgründung aus. Diese Möglichkeit — daran haben wir heute zu erinnern — verdanken wir, verdanken die kleinen und mittleren Unternehmen, der Hilfe, die uns die USA vor 40 Jahren zum Wiederaufbau zur Verfügung gestellt haben.Ein zweiter wichtiger Förderzweck des ERP-Programmes sind Investitionen im Umweltschutz geworden. Zwar gehört Umweltschutz nicht unmittelbar zur „Förderung der Wirtschaft" ; so lautet der Verwen-
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1096 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 17. Sitzung. Bonn, Freitag, den 5. Juni 1987
Bundesminister Dr. Bangemanndungszweck, den das ERP-Verwaltungsgesetz vorschreibt. Das ERP tritt hier aber ergänzend ein, um die nötigen Fortschritte im Umweltschutz zu beschleunigen. Mit der Einschränkung, die uns das Gesetz auferlegt, ist auch gleichzeitig die Grenze gezogen, die wir natürlich nicht überschreiten wollen und können. Immerhin, wir haben 1985 zusammen mit den Ländern für zwei Jahre die Mittel für Umweltschutzinvestitionen von Kommunen und Unternehmen im ERP erhöht.Der Ansatz für das Zusagevolumen enthält in diesem Jahr die Förderung von Bauinvestitionen ebenfalls im Bereich des Umweltschutzes. Der Ansatz beträgt 1,3 Milliarden DM und wird sich in dieser Höhe nicht wiederholen lassen. Luft, Wasser und Boden so wenig wie möglich zu belasten und Schäden zu beseitigen, ist Aufgabe derer, die diese natürlichen Ressourcen nutzen. Das Verursacherprinzip sollte uns auch hier Zurückhaltung auferlegen und die Förderung mit öffentlichen Mitteln möglichst begrenzen.Als dritten, politisch aber sehr hochrangigen Förderzweck des ERP nenne ich die Berlin-Förderung. Sie stand von Anfang an ganz oben auf der Prioritätenliste. Berlin war in besonderem Maße zerstört und wurde in Sektoren aufgeteilt. Die besondere Förderung war wegen der besonderen Lage der Stadt nötig. Sie ist auch heute noch nötig, um die Bindung Berlins an die Bundesrepublik zu erhalten.
Deshalb war es konsequent, Berlin in den Vordergrund der ERP-Hilfe zu stellen. Bis Anfang der 70er Jahre entfielen rund 30 % der Kredite auf Berlin. 1987 beträgt das Zusagevolumen für Berlin 685 Millionen DM, von denen für Investitionen 90 % zur Verfügung standen. Das sind rund 20 % der ERP-Kredite.An dieser Politik, die der Kapitalbildung, d. h. der Schaffung von Arbeitsplätzen, den Vorrang vor dem Konsum gibt, gedenken wir festzuhalten; ebenso daran, die verbilligten Kredite vor allem kleinen und mittleren Unternehmen anzubieten. Wir erreichen mit dieser Form der Wirtschaftsförderung, daß neue Unternehmen von unten nachwachsen und daß der Schritt in die Selbständigkeit erleichtert wird.Es war auch die tragende Idee des Marshall-Planes, den Anstoß für wirtschaftliche Selbständigkeit zu geben. Nicht die Staaten sollten wirtschaften, sondern die Menschen sollten eine Grundlage finden, auf der sie wirtschaften können. In diesem Geiste wollen wir die Förderpolitik des ERP fortsetzen.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 22Beschlußfassung betr. Wiederherstellung/ Neubauten des Plenarsaals des Deutschen Bundestages— Drucksachen 11/406, 11/407, 11/408 — und denAntrag der Abgeordneten Kleinert , Frau Teubner und der Fraktion DIE GRÜNEN: Grundsätze des Denkmalschutzes bei Bauvorhaben des Deutschen Bundestages— Drucksache 11/436 —auf.Meine Damen und Herren, nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die Beratung zwei Stunden vorgesehen. — Ich sehe dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.Ich mache darauf aufmerksam, daß nach Schluß der Aussprache namentliche Abstimmungen stattfinden.Ich eröffne die Aussprache. Als erster hat sich der Abgeordnete Dr. Jenninger zu Wort gemeldet. Ich meine, es ist wohl zutreffender, ihm für die bevorstehende Debatte das Wort als Präsidenten unseres Hauses zu geben.Dr. Jenninger, Präsident des Deutschen Bundestages: Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich in meiner Eigenschaft als Präsident dieses Hauses ein paar einleitende Bemerkungen zu diesem, wie ich meine, für uns, für unser Haus wichtigen Tagesordnungspunkt machen.Nach 17 Jahren mühevoller Planung, nach 17 Jahren des Hin und Her — ob Neubau des Bundestages auf der „grünen Wiese" oder Restauration des alten Plenarsaals oder Neubau an derselben Stelle — , nach 17 Jahren Planung mit Kosten in Höhe von über 50 Millionen DM, wenn man die Herrichtung dieses Ersatzplenarsaales noch nicht einmal mit einbezieht, erbitte ich heute die Entscheidung des Hohen Hauses, um dieser Unsicherheit, wenn ich es so formulieren darf, ein Ende zu bereiten, und um die Entscheidung, wie es weitergehen soll: ob wir erneut einen Auftrag für eine neue Planung mit einer Verzögerung von rund zwei Jahren erteilen sollen oder ob wir die bereits genehmigte und ausführungsreife Planung der Architektengruppe Professor Behnisch und die Beschlüsse des Ältestenrates, nämlich Einbau einer neuen Heizungsanlage, einer neuen Klimaanlage, einer Tageslichtdecke und vor allem einer Hochwassersicherung des Parlamentsgebäudes, realisieren wollen.Ich möchte, liebe Kolleginnen und Kollegen, meinen Ausführungen vorausschicken, daß ich es noch lieber als einen Neubau in Bonn sehen würde, wenn unser deutsches Parlament wieder dort sein könnte, wo es seinen historisch begründeten Ort hat, nämlich im Herzen Deutschlands, in seiner alten Hauptstadt, mitten in Berlin, wo unser Reichstagsgebäude steht und darauf wartet, einstmals wieder eine Versammlung aller Deutschen aufnehmen zu können.
Ich verhehle nicht, daß dies unser Bestreben und unsere Hoffnung bleibt.Aber ich trete auch mit Nachdruck und Überzeugung dafür ein, daß der Deutsche Bundestag, der vor fast 40 Jahren an diesem Ort zum erstenmal zusammentrat, hier in Bonn nun auch baulich so gestaltet
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 17. Sitzung. Bonn, Freitag, den 5. Juni 1987 1097
Präsident Dr. Jenningerund ausgestattet wird, wie es für ein modernes Parlament erforderlich ist.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Seiters?
Dr. Jenninger, Präsident des Deutschen Bundestages: Bitte sehr.
Herr Präsident, haben Sie Verständnis für die Empörung vieler Abgeordneter dieses Hauses aus mehreren Fraktionen, daß die Fraktion der GRÜNEN an dieser wichtigen Debatte nicht teilnimmt, sondern die Demonstration auf den Straßen für wichtiger hält?Dr. Jenninger, Präsident des Deutschen Bundestages: Herr Kollege Seiters, ich habe für dieses Verhalten nicht das geringste Verständnis. Es ist ein bedenkliches Parlamentsverständnis und es entspricht auch nicht den Verpflichtungen, die wir eingegangen sind, niedergelegt in unserer Geschäftsordnung, daß sich alle Mitglieder des Deutschen Bundestages an den Arbeiten des Parlamentes zu beteiligen haben.
Ich komme noch einmal auf meine Ausführungen zurück und sage, daß mir sehr daran liegt, daß wir hier in Bonn auch baulich so ausgestattet sind, wie es für ein modernes Parlament erforderlich ist. Wir erstreben keine übertriebene Repräsentation. Wir wollen keine Prachtbauten am Rhein. Meine Damen und Herren, wir wollen nichts anderes als eine funktionsfähige Arbeitsstätte für unser Parlament, die aber auch der Würde und dem Ansehen des Parlaments als des zentralen Organs unserer parlamentarischen Demokratie gerecht wird. Wir wollen zumutbare und ausreichende Arbeitsmöglichkeiten für die Abgeordneten und für die Mitarbeiter schaffen, Arbeitsplätze, meine Damen und Herren, die wenigstens den gesetzlichen Bestimmungen entsprechen, die wir in diesem Hohen Hause beschlossen haben. Das sind wir, so meine ich, auch unserem Volk und unserer Demokratie schuldig.
Der Plenarsaal wurde im Jahre 1949 als Anbau an die ehemalige Pädagogische Akademie in der unglaublich kurzen Bauzeit von sechs Monaten in Tag- und Nachtarbeit errichtet. Er sollte, wie Sie alle wissen, bis zum Umzug nach Berlin als Provisorium dienen. Der Saal — so ist nachzulesen — sollte einerseits für den Deutschen Bundestag geeignet sein, andererseits aber auch für Konzerte, Ausstellungen und andere Zwecke verwendbar sein.
Es ist bekanntlich der Nachteil derartiger multifunktionaler Konzepte, daß sie häufig für keinen Zweck wirklich gut geeignet sind.
Aber wie schnell sich parlamentarische Anforderungen an den Plenarsaal ändern können, beweist die Tatsache, daß bereits 1954, vier Jahre nach der Konstituierung des 1. Deutschen Bundestages, durch eine Änderung des Wahlgesetzes und eine damit verbundene Erhöhung der Anzahl der Mitglieder des Hauses eine Vergrößerung und ein grundlegender Umbau des Plenarsaals notwendig wurden, die sein ursprüngliches Aussehen seinerzeit schon entscheidend verändert haben.Meine Damen und Herren, die schlechte Bausubstanz und die unbefriedigenden funktionalen Bedingungen haben im Laufe der folgenden Jahre zu dem Wunsch nach umfassenden Veränderungen geführt. Häufig wurde Kritik aus dem Kreise der Kolleginnen und Kollegen, aber auch in der Öffentlichkeit laut, die den Hörsaalcharakter des Saales und seine mangelnde Eignung für einen lebendigen Debattenstil beklagten.Von 1970 — also vor 17 Jahren — bis 1981 wurden umfangreiche Planungen für Neubauten des Deutschen Bundestages bis zur Baureife entwickelt, jedoch aus verschiedenen Gründen nicht weitergeführt bzw. realisiert. Nach dem Beschluß des Hauses vom 5. Juli 1981 sollten u. a. der alte Plenarsaal nach einer umfassenden Sanierung weiterhin genutzt werden und die Altbauten des Bundeshauses erhalten bleiben; denn wesentliche konstruktive Teile des Plenarsaales entsprechen seit langem nicht mehr den heute geltenden Vorschriften. Zum Teil handelt es sich um bauordnungsrechtliche Mängel — z. B. der fehlende Brandschutz — , um Verstöße gegen die Versammlungsstättenverordnung, gegen die Arbeitsstättenverordnung, die eine konkrete Gefahr für Abgeordnete und Besucher auslösen können und daher unbedingt ausgeräumt werden müssen.Meine Damen und Herren, der Regierungspräsident Köln hat im November 1983 an den Präsidenten einen Brief geschrieben, der mit dem Satz endet: Ich halte „den weiteren Aufschub der Sanierungsarbeiten für nicht mehr vertretbar und bitte nachdrücklich, die beteiligten Gremien des Deutschen Bundestages auf die Gefahrenlage aufmerksam zu machen und auf Zustimmung zum Umbau zu drängen. " Das war im Jahre 1983.
Meine Damen und Herren, nach jahrelangen Untersuchungen und nach einer sehr umfassenden und eingehenden Diskussion in der Baukommission des Altestenrats hat sich gezeigt, daß die Beseitigung der schwerwiegenden baulichen Mängel des Plenarsaals nur unter erheblichen Eingriffen in die vorhandene Bausubstanz möglich ist. Die Baukommission hat sich diese Arbeit nicht leichtgemacht. Ich möchte an dieser Stelle dem langjährigen Vorsitzenden dieser Baukommission, dem Kollegen und Vizepräsidenten Richard Stücklen, sehr herzlich danken für seine geduldige und sachkundige Arbeit, mit der er sich dieser Aufgabe gewidmet hat.
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1098 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 17. Sitzung. Bonn, Freitag, den 5. Juni 1987
Dr. JenningerMeine Damen und Herren, der Ältestenrat hat sich dann im Juni 1984 nach Erörterung der Planung und in weitgehender Übereinstimmung mit den Fraktionen mehrheitlich für die Einbeziehung gestalterischer und funktionaler Verbesserungen, ebenso für eine abgesenkte kreisförmige Sitzordnung und für ein neues Eingangsgebäude ausgesprochen. Der Stuttgarter Architekt Professor Behnisch hat hierauf aufbauend die Planung weiterentwickelt, die im Ergebnis auf eine grundlegende Erneuerung des Plenarsaals, d. h. auf den Abbruch und den Neubau des Plenarsaals an alter Stelle hinausläuft. Der Ältestenrat hat diese Planung Ende 1985 mehrheitlich gebilligt und die Bauverwaltung Anfang 1986 mit Nachdruck aufgefordert, mit der Bauausführung spätestens am 1. Juli 1986 zu beginnen.Aber auf Grund gegen den Abbruch des alten Plenarsaals vorgebrachter Bedenken des Denkmalschutzes und der damit ausgelösten Diskussion habe ich im Herbst 1986 die Bundesbauverwaltung gebeten, zu prüfen, ob und unter welchen Voraussetzungen der alte Plenarsaal als Baudenkmal erhalten werden kann.Der Bundesbauminister hat mir am 13. April dieses Jahres den erbetenen Bericht übermittelt. Grundlage dieses Berichts war eine umfassende Stellungnahme des Ingenieurbüros Professor Schlaich und Partner, das den Auftrag hatte, eine Untersuchung und Begutachtung des Tragwerks und der Bausubstanz des Plenarsaals durchzuführen. Dazu kam eine Stellungnahme des Architektenbüros Professor Behnisch und — last not least — eine, wie ich meine, gute und wichtige fachliche Beurteilung der beiden Gutachten durch die Bundesbaudirektion in Berlin.Meine Damen und Herren, lassen Sie mich die Aussagen der Fachleute in ihrem Kern zusammenfassen: Alle drei Gutachten kommen zu dem Ergebnis, daß zwar einerseits die Sanierung des Plenarsaals technisch möglich ist, daß aber im Zuge einer solchen Sanierung wesentliche Teile des Plenarsaals entfernt, ersetzt oder wieder eingebaut werden müssen.Die Bundesbaudirektion schließt ihre Stellungnahme mit dem Satz ab:Bei der aufgezeigten baukonservatorischen Lösung ist zu bedenken, daß nur wenig sichtbare Substanz erhalten bleiben kann und somit ein wirklicher Denkmalschutz nicht erreicht werden kann. Aus baufachlicher Sicht wäre der Neubaulösung der Vorzug zu geben.Meine Damen und Herren, die baukonservatorische Lösung erfordert — das haben uns der Bundesbauminister und die Fachleute mitgeteilt — eine neue Planung — wie ich schon sagte —, eine neue Haushaltsunterlage Bau. Das würde wiederum eine Zeitverzögerung um mindestens weitere 15 Monate bedeuten. Wahrscheinlich ist es realistisch, zwei Jahre anzunehmen. Mit dem Baubeginn könnte also erst 1989 und mit der Fertigstellung Ende 1991 gerechnet werden.Meine Damen und Herren, im Hinblick darauf, daß selbst bei einer unumgänglichen Sanierung — ich glaube, das dürfte eigentlich unstrittig sein — des Plenarsaals dem Denkmalschutz nicht ausreichend Rechnung getragen werden kann und wir nach 17 Jahren der Planung nochmals eine Zeitverzögerung in der genannten Größenordnung hinnehmen müssen, daß vor allem von uns gewünschte Verbesserungen — wie Hochwassersicherung, Schalldämmung, Akustik, Beleuchtung, eine bessere Klimaanlage — nicht oder nur unzureichend möglich sind, daß der Sicherheitsstandard dann niedriger als beim Neubau ist, komme ich zu dem Ergebnis, daß wir uns für die Neubaulösung mit den vorgeschlagenen Verbesserungen entscheiden sollten.Entgegen manchen Behauptungen — lassen Sie mich das wirklich deutlich sagen, meine Damen und Herren — haben wir uns dem wichtigen Anliegen des Denkmalschutzes in keiner Weise verschlossen. Im Gegenteil: Wir haben uns gerade aus diesem Grunde die Entscheidung nicht leicht gemacht. Wir haben uns, wie ich sagte, ein Jahr Zeit genommen, um die Bausubstanz gründlich untersuchen zu lassen, mit dem Ergebnis, das ich Ihnen schon mitgeteilt habe.Es gibt, meine Damen und Herren, keinen Zweifel daran, daß das gesamte Bundeshaus als Ort und Sitz des Deutschen Bundestages und des Bundesrates und als Symbol für die Wiederbegründung der parlamentarischen Demokratie in Deutschland ein Geschichtszeugnis ersten Ranges darstellt und als Baudenkmal Schutz verdient. Deshalb möchte ich auch von dieser Stelle aus allen Zweiflern und Unwissenden sagen, daß in keiner Weise die Absicht besteht, das gesamte Bundeshaus abreißen zu lassen.
Wir werden im Gegenteil, meine Damen und Herren, wesentliche Teile des gesamten Hauses erhalten, insbesondere das sogenannte alte Akademiegebäude, weil es mit seinem historischen Bauhauscharakter ja eine gewisse Bedeutung hat. Auch wird die vielgerühmte Silhouette des Bundeshauses in Zukunft weiterhin bestimmend sein. Nur dort, wo in Teilen die Bausubstanz so schlecht ist, daß sie nicht mehr erhalten werden kann, können wir mit bestem Willen den Gesichtspunkten des Denkmalschutzes — und das triftt vor allem für das Plenarsaalgebäude zu — nicht in vollem Umfang Rechnung tragen.
Meine Damen und Herren, der Plenarsaal soll — so sieht es eine der Möglichkeiten vor — äußerlich ein neues Gesicht erhalten. Er soll aus seinem Versteck zwischen dem Präsidialbau und dem alten Akademiegebäude herausgeholt, etwas angehoben werden und künftig vom Rhein aus sichtbar sein. Übrigens ist das ein Gedanke, den der damalige Architekt, der den Plenarsaal entworfen hat, Professor Schwippert, schon verfolgt hat. Er hatte damals geschrieben:Ich will ein Haus der Offenheit, eine Architektur der Begegnung und des Gesprächs.Es hat ihn tief getroffen, daß man hinterher seine Wünsche nicht erfüllt und durch die späteren Ergänzungsbauten den Plenarsaal zugedeckt hat.Der Leiter des Rheinischen Amtes für Denkmalpflege hat mir in seinem Brief — er ist den Fraktionen ja auch zugegangen — am 4. Februar 1986 geschrieben, daß „mit einer Unterschutzstellung" des Bundes-
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 17. Sitzung. Bonn, Freitag, den 5. Juni 1987 1099
Dr. Jenningerhauses „keine unabänderliche Festschreibung des jetzigen Zustandes verbunden" sei. Er schrieb, „der symbolische Aussagewert des Bundeshauses" beruhe „nicht vorrangig auf der architekturgeschichtlichen Bedeutung des Akademiegebäudes" und der Anbauten; vielmehr seien die „Bauten insgesamt als Form für alle Bürger Sinnbild für ,ihr Bundeshaus' geworden". Das gelte insbesondere für die innere Gestaltung und die Sitzanordnung im Plenarsaal.Meine Damen und Herren, ich weiß, daß viele Kolleginnen und Kollegen diese Auffassung teilen. Deswegen liegt auch, was die innere Gestaltung des Plenarsaals betrifft, der Vorschlag — mit dem ich mich identifiziere — auf dem Tisch, möglichst den Charakter des bisherigen Plenarsaals unverändert zu lassen und ihn in seinem Erscheinungsbild mit den besonderen Merkmalen — der Stirnwand mit dem Adler, der Rednertribüne, der Regierungsbank, der Bundesratsbank und der bisherigen Sitzanordnung — weitgehend zu erhalten.Meine Damen und Herren, ich glaube, daß wir damit, was den Plenarsaal betrifft, einerseits dem Gedanken des Denkmalschutzes Rechnung tragen, soweit die Umstände es zulassen, andererseits aber auch und insbesondere den Wünschen vieler Kolleginnen und Kollegen und übrigens auch vieler Bürgerinnen und Bürger unseres Landes entsprechen, die das gewohnte Bild unseres Plenarsaals erhalten haben möchten. Lassen Sie mich klar sagen: Wenn sich das Hohe Haus für diese Variante entscheiden sollte, will ich gern persönlich dafür Sorge tragen, daß dieser Wunsch respektiert wird, denn darüber, wie gebaut wird, bestimmt nicht der Architekt, sondern der Bauherr.
Lassen Sie mich noch eine letzte Anmerkung machen: Es hat in diesen Tagen eine öffentliche Diskussion gegeben, und es ist der falsche Eindruck entstanden, als ob eine Neubaulösung und der damit verbundene Abriß des alten Plenarsaals gegen geltendes Recht verstoßen würden. Ich stelle hierzu nach gründlicher Prüfung fest: Das ist eindeutig nicht der Fall. Nach § 9 Abs. 2 des Denkmalschutzgesetzes von Nordrhein-Westfalen ist die Erlaubnis für die bauliche Veränderung eines Baudenkmals zu erteilen, wenn ein überwiegendes Interesse die Maßnahme verlangt.Der für den Denkmalschutz zuständige Landesminister hat mir mit Schreiben vom 22. Mai 1985 und auch in seinem Schreiben vom 3. Juni dieses Jahres mitgeteilt, daß die mit den geplanten Um- und Erweiterungsbauten verbundenen Ziele, nämlich die Funktionsfähigkeit des Bundestages zu verbessern und das Bundeshaus städtebaulich in das Parlaments- und Regierungsviertel einzubinden, solche öffentlichen Interessen von besonders hohem Rang sind. Wenn das der zuständige Minister sagt, habe ich keine Sorge, daß dies nicht auch Rechtens ist.
Es ist also eine Abwägung vorzunehmen, die wir uns in der Tat nicht leichtgemacht haben. Wenn allerdings das zentrale Verfassungsorgan, der Deutsche Bundestag, in dieser Angelegenheit eine Entscheidung gefällt hat, gehe ich davon aus, daß diese Entscheidung auch respektiert wird.
Ich bitte Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, schließlich auch um Ihre Zustimmung zu der sogenannten Schürmann-Planung. Das ist der Bau weiterer Räume für Abgeordnete und Fraktionen, für Bibliothek und Verwaltung, die ich möglichst rasch realisieren möchte. Ich will Ihnen bei dieser Gelegenheit sagen, daß wir unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in der Verwaltung des Deutschen Bundestages und natürlich auch vielen Kolleginnen und Kollegen eine Menge zumuten. Wir sind mittlerweile auf 68 einzelne Liegenschaften im Raum Bonn verteilt
und zahlen für Anmietungen 6,5 Millionen DM Miete im Jahr.
Das ist ein Zustand, den wir wahrlich nicht in die ewige Zukunft perpetuieren können.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des eben eingetroffenen Abgeordneten Dr. Hirsch?
Dr. Jenninger, Präsident des Deutschen Bundestages: Bitte sehr, Herr Kollege Hirsch; wenn ich Ihnen behilflich sein kann, tue ich das sehr gern.
Herr Präsident, ich bedauere, daß ich jetzt erst zu der Zwischenfrage komme. — Bezieht sich nicht die Erklärung des zuständigen nordrhein-westfälischen Ministers nur auf den Fall, daß die Funktionsfähigkeit durch eine baukonservatorische Lösung nicht erreicht werden kann, und bedeutet nicht Ihre eigene Vorlage, daß der Zweck einer normalen parlamentarischen Nutzung auch mit einer baukonservatorischen Lösung zu erreichen ist?Dr. Jenninger, Präsident des Deutschen Bundestages: Herr Kollege Hirsch, ich habe mit dem zuständigen Minister nicht nur gesprochen, sondern auch, wie Sie wissen, korrespondiert. Nach den Gutachten ist eindeutig, daß die von uns gewünschte Funktionsfähigkeit, z. B. die Hochwassersicherung, im Wege einer baukonservatorischen Lösung nicht realisiert werden kann.
— Sie schütteln den Kopf. Ich muß, lieber Kollege Hirsch, als Laie natürlich den Fachleuten vertrauen. Man kann immer wieder andere Fachleute hinzuziehen. Aber wir haben uns wirklich ein Jahr Zeit gelassen — ich habe es schon gesagt — und drei Gutachten eingeholt. Sie sind alle übereinstimmend zu diesem Ergebnis gekommen. Deswegen sehe ich keine Veranlassung — ich bitte um Verständnis dafür — , auf diese Dinge zurückzukommen.
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1100 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 17. Sitzung. Bonn, Freitag, den 5. Juni 1987
Sind Sie bereit, eine weitere Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Matthäus-Maier zuzulassen?
Dr. Jenninger, Präsident des Deutschen Bundestages: Bitte sehr, Frau Matthäus-Maier.
Herr Präsident, halten Sie es eigentlich für angemessen, daß Sie Weisung erteilen, den Brief von Minister Zöpel — egal, wie man zu dem Inhalt steht — nicht an Abgeordnete herauszugeben, mit der Folge — das ist mir gestern passiert —, daß ich mir den Brief bei Herrn Zöpel selbst besorgen mußte? Meinen Sie, Sie könnten uns die Entscheidung nicht selber überlassen?
Dr. Jenninger, Präsident des Deutschen Bundestages: Aber natürlich. Ich habe keinerlei Weisung gegeben. Ich habe den Originalbrief gestern abend bekommen. Es entspricht nicht der Regel des Hauses, Briefe, die der Präsident bekommt, von morgens bis abends an die Kolleginnen und Kollegen zu verteilen. Selbstverständlich bin ich bereit, diesen Brief auch an die Kolleginnen und Kollegen zu verschicken.
— Wenn Sie es wollen, bitte sehr, dann kann ich das gerne tun.
Nur, ich bitte auch um Verständnis, wenn ich sage: Man hat 17 Jahre geplant, und 17 Jahre gab es diese Bedenken nicht.
Im 17. Jahr, einen Tag vor der Abstimmung hier,
kommt dieser Brief an.
— Nein, entschuldigen Sie, ich will jetzt nicht den Minister kritisieren. Es ist sein gutes Recht, ja ich möchte sogar sagen: seine Pflicht, die Bedenken seiner Mitarbeiter hier vorzutragen.
Er hat mir gestern am Telefon gesagt, daß sich sein Standpunkt, den er mir vor einem Jahr vorgetragen hat, nicht geändert hat. Ich habe ihm damals gesagt: Wenn das Plenum — das hat für mich Vorrang — entschieden hat, bin ich natürlich gerne bereit, die Gespräche über all diese Probleme fortzusetzen. Bisher, Frau Kollegin, wurde dem Haus, dem Präsidenten, der Verwaltung der Vorwurf gemacht: Ihr wißt ja nicht, was ihr wollt. Deswegen habe ich gesagt: Ich will erst einmal sicherstellen, daß wir wissen, was wir überhaupt wollen. Dann reden wir mit diesen Leuten.
Herr Abgeordneter, sind Sie bereit, eine weitere Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Matthäus-Maier zuzulassen?
Dr. Jenninger, Präsident des Deutschen Bundestages: Bitte sehr, gerne. Ich will die Debatte nur nicht zu sehr verlängern.
Da Sie sagen, es sei nicht so gewesen, möchte ich Sie nur fragen: Wollen Sie bitte zur Kenntnis nehmen, daß der Brief bereits gestern mittag in Ihrem Hause vorlag und daß er trotz mehrerer Telefonate nicht zu bekommen war mit dem Hinweis darauf, Sie hätten die Weisung dazu erteilt? Ich finde, wir müssen uns selber ein Bild machen.
Dr. Jenninger, Präsident des Deutschen Bundestages: Es tut mir leid. Ich habe den Brief wirklich nicht für so bedeutungsvoll gehalten, daß ich ihn sofort persönlich hätte weiterreichen sollen; denn er enthält keine neuen Gesichtspunkte. Anders lauten leider die Pressemeldungen über diesen Brief. Im übrigen habe ich darüber dem Ältestenrat auch Mitteilung gemacht.
Ich möchte zum Schluß kommen und zusammenfassen. Nach all den Jahren der Planung sind wir es uns in diesem Hause, aber auch den Bürgerinnen und Bürgern unseres Landes schuldig, heute in eigener Sache eine klare Entscheidung zu treffen. Ich persönlich — lassen Sie mich das abschließend sagen — vermag nicht für eine Lösung zu plädieren, die es trotz eines Kostenaufwandes von rund 140 Millionen DM mit sich bringt, daß weiterhin das Rhein-Hochwasser in die Kellerräume unter dem Plenarsaal dringt. Ich vermag nicht zu akzeptieren, daß weiterhin Bedienstete unserer Verwaltung unter unzumutbaren Umständen ihre Arbeit verrichten müssen.
Ich vermag nicht einzusehen, meine Damen und Herren, daß die Kolleginnen und Kollegen weiterhin unter Bedingungen arbeiten müssen, die den heutigen Anforderungen in keiner Weise gerecht werden.
Ich wünsche uns eine gute Entscheidung. Herzlichen Dank.
Das Wort hat der Abgeordnete Conradi.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Am 10. Mai 1941 wird bei einem Luftangriff das englische Unterhaus zerstört. Am 28. Oktober 1943 debattiert das Unterhaus — mitten im Krieg! — seinen Neubau, und der Premierminister Winston Churchill hält bei dieser Debatte eine große Rede über den Charakter des britischen Parlaments, über seine Arbeitsweise, über den Zusammenhang zwischen seinem Redestil und seiner baulichen Gestalt. Dabei sagt er den berühmten Satz: We shape our buildings, and afterwards our buildings shape us" — Wir formen das Haus, dann formt das Haus uns.
Wir entscheiden heute über die Form des zukünftigen Plenarsaales. Diese Entscheidung hat eine
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 17. Sitzung. Bonn, Freitag, den 5. Juni 1987 1101
Conradiandere Qualität als Gesetzesentscheidungen, denn was wir heute hier beschließen, wird in Stahl und Beton und Glas gebaut und wird, so hoffen wir alle, künftigen Generationen von Abgeordneten als Plenarsaal dienen, wird ihr Verhalten, ihre Arbeit formen.Unsere Entscheidung ist nicht strittig zwischen Koalitionsmehrheit und Opposition. Die Meinungen gehen quer durch die Fraktionen. Die Entscheidung über die Gestalt des Plenarsaals ist eine Entscheidung des Parlaments in seiner Verantwortung. Sie wird sich auf Jahrzehnte auswirken, in denen hier andere Regierungen, andere Oppositionen und andere Abgeordnete sitzen. Deshalb entscheiden wir auch nicht über Fraktionsanträge, sondern wir entscheiden über Anträge des Präsidenten, über die jeder Abgeordnete frei entscheiden muß — frei, aber in Verantwortung für eine Entscheidung, die nicht nur der Vergangenheit, sondern auch der Zukunft dieses Parlaments gerecht wird. Deshalb wollen wir hier miteinander reden, aufeinander hören und am Ende namentlich abstimmen, damit die Verantwortung eines jeden von uns für diese Entscheidung deutlich wird.Die erste Frage ist: Soll der Plenarsaal auf der Grundlage der bisherigen Planung neu gebaut, oder soll er saniert und erhalten werden? Man muß die Argumente derer ernst nehmen, die den Plenarsaal erhalten wollen. Unsere Republik ist jung, sie hat nicht eben viele Zeugnisse ihrer baulichen Geschichte. Aber man muß den Befürwortern der Erhaltung auch sagen: Der Plenarsaal 1986 ist nicht der historische Plenarsaal von 1949.
Das war ein offener, lichter Saal mit hohen seitlichen Fensterwänden. Man konnte von außen nach innen und von innen nach außen — bis hin zum Rhein — sehen. Der Architekt — der Herr Präsident hat es zitiert — wollte ein „Haus der Offenheit". Später kamen dann die Tribünen und rechts und links die Lobbies, und es kam dieser schreckliche Bürobau für den Präsidenten dazu. Am Schluß war der einstmals offene Plenarsaal rundherum zu- und eingebaut. Niemand konnte mehr sehen, wo der Plenarsaal ist, und aus dem Plenarsaal konnte man auch nicht mehr nach draußen sehen. Ich finde es ja schon gut, daß wir hier im Wasserwerk Fenster haben, damit der Begriff parlamentarischer Fensterreden angemessen ist.
Im alten Bundestag waren wir räumlich eingeschlossen.Aber selbst diejenigen unter uns, die nicht den historischen Plenarsaal von 1949, sondern den verbauten, verunstalteten Plenarsaal von 1986 erhalten wollen, müssen sich damit auseinandersetzen, daß bei einer Erhaltung allenfalls ein Drittel der baulichen Substanz erhalten werden könnte.
Der Plenarsaal wurde 1949 als Provisorium in wenigen Monaten an die Pädagogische Akademie angebaut. Herr Hirsch, Sie haben in der „Frankfurter Rundschau" , aufgeregt von einem „Bubenstück" gesprochen und Sie haben dort behauptet, es gehe darum, die alte Pädagogische Akademie zu erhalten. Offenbar wissen Sie nicht, daß der Plenarsaal nichts mit der Pädagogischen Akademie zu tun hat. Er wurde erst 1949 angefügt. Ich meine, etwas Sachkenntnis wäre der Debatte förderlicher als die Aufregung.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Hirsch?
Mit Vergnügen.
Herr Conradi, ich rede dazu gar nicht aufgeregt, und ich habe mit keinem Wort gesagt, die alte Pädagogische Akademie müsse erhalten werden, sondern ich habe gesagt: Man muß doch begreifen, daß sich dieses Gebäude verändert hat wie ein Baum, der Jahresringe ansetzt. Der alte Teil der Pädagogischen Akademie, den man an dem Bauhausstil erkennen kann, ist durch einen Plenarsaal ergänzt worden, der in der Tat ein Provisorium sein sollte, der vielleicht ein Transitorium geworden ist. Stimmen Sie mir zu, daß Sie, wenn Sie alles abreißen, einen Teil der Geschichte unserer Bundesrepublik abreißen, die hier wie in keinem anderen Gebäude sichtbar ist? Ich habe noch dazugesagt, verehrter Herr Kollege, daß die Architekten, wenn sie einen Baum konstruieren sollten, ihn viereckig machen würden, die Jahresringe dieselben Abstände hätten und es keinen Ast daran gäbe.
Herr Hirsch, würden Sie bitte eine Frage an mich richten?
Ist es nicht gerade das Wesen einer lebendigen Entwicklung, daß man auch ihre Entstehungsgeschichte erkennen und weiterhin verfolgen kann?
In dem Punkt stimme ich Ihnen zu, Herr Hirsch. Ich halte einen Denkmalschutz für museal, der ein Gebäude in dem zufälligen Zustand von 1986 für alle Zukunft festschreiben will. Das hat mit Denkmalpflege überhaupt nichts zu tun. Die vergangenen Generationen sind unbefangener mit ihrer baulichen Geschichte umgegangen. Sie haben ihre Klöster und ihre Bürgerhäuser, ihre Paläste und Schlösser umgebaut, jede Generation nach ihren Bedürfnissen. Oft besteht der Charme dieser Gebäude gerade darin, daß sie in Jahrhunderten ergänzt, mit neuen Jahresringen versehen, umgebaut und verändert wurden. Genau hier liegt mein Vorwurf gegen den musealen Denkmalschutz.
— Nein, Herr Hirsch; ich bitte Sie, nachher eine Rede zu halten und nicht Zwischenfragen zu Reden zu benutzen.Wenn es nach dem Landeskonservator und dem Bauminister von Nordrhein-Westfalen ginge, dann wäre der Kölner Dom 1248 nicht begonnen worden. Da stand vorher 300 Jahre lang eine karolingische Kir-
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Conradiche; die hätten Herr Zöpel und seine Herren unter Denkmalschutz gestellt und der Kölner Dom wäre dort nie gebaut worden.
Ich will nicht behaupten, daß das, was wir vorhaben, so gut wird wie der Kölner Dom. Aber besser als der alte Plenarsaal — das kann ich Ihnen versichern — wird es sicher.Die bauliche Substanz dieses alten Plenarsaals ist marode. Wenn wir sie erhalten wollten, dann könnten wir keine technischen Verbesserungen vornehmen. Außerdem brauchen wir zahlreiche Befreiungen von Vorschriften der Bauordnung Nordrhein-Westfalens. Ich fände es nicht gut, wenn sich das Parlament von Vorschriften befreien würde, die für jeden anderen Bürger dieses Landes gelten.
Ich wäge sorgfältig ab. Man muß die Nutzung dieses Saales betrachten, seine Zweckmäßigkeit, die technischen Bedingungen, den Kostenaufwand, die Zeit und den Denkmalswert. Die Gutachter sagen: Das meiste, was das heutige Erscheinungsbild des Saales ausmacht, muß entfernt und erneuert werden. Ich nehme die Einwände des Denkmalschutzes ernst. Aber wenn Denkmalschützer uns allen Ernstes vorschlagen, wir sollten den Plenarsaal zum Museum machen, sollten auf der grünen Wiese einen neuen Plenarsaal bauen, dann greife ich mir an den Kopf.
Ist die Bundesrepublik, ist das Parlament nach 40 Jahren schon museumsreif?
Ist die Angst vor der Zukunft die Ursache für diese pathetische Beschwörung der Vergangenheit? Ist die Vergangenheit alles, die Zukunft nichts? Haben wir so wenig Vertrauen in die Zukunft unserer parlamentarischen Demokratie, daß wir ihre ersten 40 Jahre bereits im Museum mumifizieren wollen?
Ich wünsche dieser Republik und ihrem Parlament eine gute Zukunft, die länger dauert
— Herr Kollege Kansy — , als die 40 Jahre, die hinter uns liegen. Deshalb bin ich gegen ein Museumsparlament und für diesen Neubau, eingefügt ins Bundeshaus, am historischen Ort.
Die zweite Frage lautet: Wie soll denn der neue Plenarsaal gebaut werden? Soll es eine Rekonstruktion, eine Kopie des bisherigen Saals werden, oder wollen wir eine neue Form? Dabei geht es im Kern um die Sitzordnung.
Wollen wir die bisherige Sitzordnung mit dem Rednerpult zwischen der Regierungs- und der Bundesratsbank, oder wollen wir die runde, zur Mitte hin abgesenkte Sitzordnung, wie Altestenrat und Präsidium sie vor einem Jahr mit Ausnahme der FDP einstimmig vorgeschlagen haben?Ich bin in diesem Punkt mit den Denkmalpflegern übrigens einig. Die Denkmalpfleger sagen: „Wenn ihr das abreißt und dann eine Replik, eine Rekonstruktion baut, dann hat das mit Denkmalpflege überhaupt nichts zu tun."Der Hinweis auf die 40 Jahre Tradition der bisherigen Sitzordnung reicht nicht aus, ihre Wiederherstellung zu begründen. Churchill war gewiß ein konservativer Herr, aber er wäre nicht auf die Idee gekommen, die Wiederherstellung des britischen Unterhaussaales nur damit zu begründen, daß der Saal 100 Jahre alt war. Churchill argumentierte mit dem Arbeits- und Redestil des Unterhauses. Er sagte: „Die Essenz einer guten Unterhaus-Debatte ist ihr Gesprächscharakter, ist die Möglichkeit für rasche, informelle Unterbrechungen und Wortwechsel". Wer das House of Commons kennt und mit unserem Plenarsaal vergleicht, der weiß, was Churchill damit meint. Der alte Plenarsaal war, so Ernst Lemmer, eine „überdimensionierte Turnhalle", in der höchst selten so etwas wie Atmosphäre entsteht.
Die Anordnung des Rednerpults vor den Reihen der Abgeordneten erinnert an den Universitätshörsaal; deshalb gibt es bei uns mehr Vorlesungen als Debatten.
Ich stimme Ihnen zu, Herr Hirsch, diese Anordnung hat etwas mit der pädagogischen Anstalt zu tun, die früher in den Räumen war, und diese Art von Frontalunterricht entspricht den geheimen erzieherischen Neigungen vieler Abgeordneter.
Nur ist eine Erziehungsanstalt etwas anderes als ein Parlament, in dem man miteinander redet.Ich will hier unseren geschätzten Kollegen, Detlef Kleinert zitieren, der am 21. Mai 1974 in einer Nachtdebatte über den Haushalt — Herr Kleinert, ich kann es leider nicht so wiedergeben, wie Sie es damals gesagt haben, aber ich gebe mir Mühe — ausführte:Es wird ... allerhöchste Zeit, daß wir von der Vorleserei hier einmal wegkommen, daß wir einmal dazu kommen, uns miteinander zu unterhalten, ganz frank und frei. Dazu brauchen wir etwas anderes als diesen nachgeahmten Hörsaal.
Die runde nach innen abgesenkte Sitzordnung könnte etwas von der Gesprächsatmosphäre, von der Dichte, von der Konzentration herstellen, die zur Essenz guter Parlamentsdebatten gehören. Nicht ohne Grund hat der Landtag von Rheinland-Pfalz seinen Plenarsaal gerade in Kreisform umgebaut, und nicht ohne Grund hat sich der Landtag von Nordrhein-Westfalen bei seinem Neubau für die Kreisform entschieden.
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 17. Sitzung. Bonn, Freitag, den 5. Juni 1987 1103
ConradiDie Sitzordnung des alten Plenarsaals entsprach dem traditionellen Gegenüber von Regierung und Parlament. Tatsächlich gibt es nicht nur die Kontrolle des gesamten Parlaments über die Regierung, die Kontrolle durch die Mehrheitsfraktion wird stärker in Zusammenarbeit mit der Regierung ausgeübt — da gebe ich Herrn Hirsch recht — , während die Opposition die Regierung stärker öffentlich kontrolliert. Es gibt also ein Miteinander, nämlich Mehrheitsfraktion und Regierung, und ein Gegeneinander, Parlament gegen Regierung oder Mehrheit gegen Minderheit. Die kreisförmige Sitzordnung mache beides deutlich, das Gegeneinander, aber auch das Miteinander. Sie würde zeigen, wie Bundesregierung und Bundesrat, Parlamentsmehrheit und -minderheit an der politischen Diskussion, an der Gesetzgebung, an der Regierung und ihrer Kontrolle beteiligt sind. Unterschätzen Sie nicht die prägende, die symbolische Kraft einer solchen Sitzordnung, auch nach außen!Natürlich soll auch bei der kreisrunden Sitzordnung als Ausdruck der Kontinuität dieses Parlaments, die „Adlerwand" erhalten bzw. wiederhergestellt werden. Die Bürger haben sich an die „Adlerwand" gewöhnt, und sie werden an dieser Wand auch bei kreisförmiger Sitzordnung unser Parlament erkennen.Es mag sein, daß ich die Auswirkungen von Architektur auf menschliches Verhalten überschätze; schließlich war ich einmal Architekt. Mancher Rechtsanwalt, mancher Gesetzesgeber überschätzt auch die Wirkung von Gesetzen auf das Verhalten von Menschen.
Aber ich finde die Vorstellung bestechend, daß wir künftig nicht mehr wie im Hörsaal, sondern im Kreis, vom Platz aus miteinander sprechen können. Ich finde die Vorstellung gut, daß der Oppositionsführer nicht den Bundeskanzler rechts hinter sich anreden muß, sondern im Kreis gegenüber hat und von Angesicht zu Angesicht ansprechen kann, so wie es im Unterhaus geschieht. Architektur soll sich nicht schlechter Realität anpassen, also nicht unserem bisher unbefriedigenden Debattenstil, Architektur soll die Möglichkeit einer besseren Realität, eines besseren parlamentarischen Redens schaffen.Natürlich können wir den Plenarsaal so wiederaufbauen, wie er war, obwohl wir fast alle der Meinung waren: Gut war er nicht. Was nicht gut ist, soll man verbessern. Mir erscheint es richtiger, die Grundsätze, die Prinzipien, die damals im Jahre 1949 beim Bau des Plenarsaales galten, wieder zu beleben und durch die Gestalt des Plenarsaals auszudrücken: „ein Haus der Offenheit, eine Architektur der Begegnung und des Gesprächs" hat Schwippert gefordert. Ich sage: einen schönen, offenen, lebendigen Plenarsaal, den wir jetzt formen und der dann uns und die nach uns Kommenden formen wird.
Das Wort hat der Abgeordnete Bohl.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die heutige Debatte findet in der Öffentlichkeit große Beachtung. 1949 hingegen wurde der Plenarsaal in wenigen Monaten fast unbemerkt errichtet. Ich glaube, deutlicher kann der Kontrast zu den jetzigen jahrelangen Diskussionen und der öffentlichen Anteilnahme nicht sein. Ich finde, das ist zu begrüßen. Kommt in dieser Anteilnahme doch die Identifikation breiter Kreise unserer Bevölkerung mit dem Schicksal unseres Deutschen Bundestages zum Ausdruck. Ich finde, das ist eine gute Entwicklung.1981, meine Damen und Herren, ist die Entscheidung für die weitere Nutzung des Plenarsaals nach meiner Überzeugung im Grunde genommen schon gefallen. Damals wurde sich gegen ein Haus der Geschichte hier und einen Neubau auf der grünen Wiese dort ausgesprochen. Das ist vor unserem geschichtlichen Hintergrund in unserem geteilten Land eine symbolträchtigere Entscheidung, als mancher meint.Nach meinem Verständnis war es damals, 1981, der Wille, daß unser freigewähltes Parlament gerade nicht ein Aussehen erhalte, das alles Provisorische hinter sich läßt, wie es heute die FAZ schreibt.Bei den Beratungen nach 1981 stellte sich aber heraus, daß die weitere Nutzung des Plenarsaales in seiner jetzigen Form nicht unproblematisch ist. Es waren die Behörden des Landes Nordrhein-Westfalen, die auf die Baufälligkeit hinwiesen und nach Abhilfe riefen. Es waren die Behörden des Landes Nordrhein-Westfalen, die davon sprachen, daß man „den Laden dichtmachen" würde, wie es wörtlich hieß, wenn es sich nicht um den Deutschen Bundestag handeln würde.Nur vor diesem Hintergrund ist es meines Erachtens verständlich, daß die Gremien des Bundestages nach einem Neubau an alter Stelle Ausschau hielten.Auch in unserer Fraktion gab und gibt es zwei grundsätzliche Auffassungen, die gegenläufig sind. Die eine Meinung sieht die Funktionsfähigkeit des Parlaments im Vordergrund: Hochwasserschutz, Brandschutz, Klimaanlage und Beleuchtung sind hierzu nur die wichtigsten Stichpunkte, aber ebenso die Verbesserung der Arbeitsbedingungen im Parlament selbst und die Stärkung dessen Dialogfähigkeit. Daher auch bei uns der Wunsch nach einer runden, kreisförmigen Sitzordnung, nicht zuletzt, um den in der Verfassungswirklichkeit nicht mehr vorhandenen Gegensatz zwischen Regierung und Opposition im Parlament symbolhaft aufzuheben.Es gibt aber bei uns auch die andere Meinung, daß sich in dem jetzigen Plenarsaal doch ein bedeutsames Stück unserer Geschichte widerspiegelt und daß er deshalb ein Baudenkmal von höchstem Rang ist, also sozusagen steingewordener Ausdruck unserer zweiten Republik, unserer freiheitlichen Demokratie. Dieser Plenarsaal sei also ein Zeichen des freiheitlichen Deutschland, für alle Deutschen und für die ganze Welt.Ich finde, es ist gut, daß durch den Einspruch unserer Fraktion der Abriß im letzten Jahr verhindert wurde,
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1104 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 17. Sitzung. Bonn, Freitag, den 5. Juni 1987
Bohlund wir durch neue Gutachten die Frage zu klären versuchten, ob und unter welchen Bedingungen ein Erhalt des Plenarsaals und damit eine Sanierung oder baukonservatorische Lösung möglich ist.Wir haben uns die Entscheidung nicht leicht gemacht. Wir müssen aber jetzt zur Kenntnis nehmen, daß nach dem Bericht des Bundesbauministers im günstigsten Fall vielleicht zirka ein Drittel der Bausubstanz erhalten werden kann. Es erscheint daher fraglich, ob bei einer vernünftigen Sanierung überhaupt noch von einer Erhaltung des Baudenkmals gesprochen werden kann, weil doch sehr viel verlorengeht.Angesichts dieser Ausgangslage ist bei uns ein Kompromiß zustandegekommen, der vorsieht, die beiden wichtigsten Elemente zusammenzuführen, einerseits Funktionsfähigkeit und Verbesserung der Arbeitsbedingungen für das Parlament — Abgeordnete, Mitarbeiter, Besucher, Journalisten usw. — und andererseits Erhalt des bisherigen Charakters und Erscheinungsbild des Plenarsaals, so wie es viele Millionen Bürger nicht nur in der Bundesrepublik vom Fernsehen her kennen.Es ist zuzugeben, daß wir damit einer Kopie das Wort reden, die sich bei einer Annahme der Anträge I A und II C ergäbe. Wir wollen auch — das möchte ich deutlich sagen —, daß in diesem Falle Regierungsbank, Präsidium, Bundesratsbank und Adler im Original erhalten bleiben, sich im Original in einem solchen Neubau wiederfinden,
daß auch die Sitzanordnung in etwa so bleibt wie jetzt.Meine Damen und Herren, es mag nun eingewandt werden, das sei eine halbherzige Lösung, ein Kompromiß.
Ich muß den Befürwortern der baukonservatorischen Lösung — für die ich die allergrößten Sympathien habe — allerdings entgegenhalten, daß bei einer baukonservatorischen Lösung wegen der nur minimalen Erhaltung der Bausubstanz es weitgehend auch eine Kopie ist, die dann übrigbleibt. Ich muß den Befürwortern einer runden Sitzanordnung entgegenhalten, daß lebendige Parlamentsdebatten in erster Linie eine Sache der Geschäftsordnung und von uns Abgeordneten selbst ist,
und nicht der Sitzanordnung ist.
Ich will an dieser Stelle auch mein Erstaunen gegenüber den Äußerungen des nordrhein-westfälischen Wohnungsbauministers nicht verhehlen, dessen Erklärungen nicht nur in rechtlicher Hinsicht verwundern. Zwar ist es zu begrüßen, daß sich Herr Zöpel für den Denkmalschutz so engagiert und den Versuch unternimmt, den Bundestag zu sensibilisieren. Dennoch bleibt festzustellen, daß es nicht angeht, über Monate und Jahre hinweg den Bundestag im Glauben zu lassen, man werde seine Entscheidung respektieren, dann aber wenige Tage vor einer solchen Entscheidung in massiver Form zu intervenieren.
Wir können, Herr Fraktionsvorsitzender Vogel, nur der Hoffnung Ausdruck geben, daß das keine sozialdemokratische Doppelstrategie nach dem Motto ist: Hier in Bonn für Totalabriß und das Moderne und dort in Düsseldorf für baukonservatorische Lösungen und Denkmalschutz. Ich bitte Sie, diese, unsere Sorge durchaus ernst zu nehmen.
Meine Damen und Herren, die heutige Entscheidung ist eine Entscheidung, bei der es nicht um alltägliche politische Regelungen geht, bei der die übliche Grenzziehung zwischen Regierung einerseits und Opposition andererseits bestimmend sein kann.
Es ist eine gemeinsame Angelegenheit des Parlaments, das bei der Abstimmung über klare Alternativen mehrheitlich seinen Willen zum Ausdruck bringen wird. Jeder Abgeordnete ist hier persönlich gefordert und wird sich der Tragweite seiner Entscheidung sicherlich bewußt sein.
Die Meinung der CDU/CSU ist sicherlich ein Kompromiß, ein respektabler Kompromiß, wie ich meine. Sollte der Parlamentsbau so beschlossen werden, wie wir uns ihn vorstellen, so ist er vielleicht für unsere zweite Republik typischer und signifikanter, als uns bewußt ist. Ein solcher Parlamentsbau würde im wahrsten Sinne des Wortes auf dem Boden von 1949 stehen und sich damit über die Teilung Deutschlands politisch nicht hinwegsetzen. Er würde versuchen, an Traditionen und Symbole unserer Republik anzuknüpfen. Er würde aber auch deutlich machen, daß wir an Veränderungen und Fortentwicklungen aktiv Anteil nehmen müssen, daß wir die Augen vor Gegenwart und Zukunft nicht verschließen.Die angebliche Halbherzigkeit, die manche hinter einer solchen Kompromißlösung sehen, und die langwierige Diskussionen, um zu dieser Lösung zu finden, machen aber auch — das möchte ich für meine Person zumindest mit Deutlichkeit sagen — die Zerrissenheit in unserem Land, das Dilemma unserer Geschichte und vielleicht auch das sehnsüchtige Suchen unseres Volkes nach Identifikation mit sich selbst besonders deutlich.Vor unserem geschichtlichen Hintergrund brauchen wir uns dieses Zustandes sicherlich nicht zu schämen. Er sollte aber Mahnung für alle verantwortlichen Demokraten in unserem Land zu verantwortlichem politischen Handeln sein, weit über die Entscheidung über diesen Plenarsaalneubau hinaus.Ich danke Ihnen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Beckmann.
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 17. Sitzung. Bonn, Freitag, den 5. Juni 1987 1105
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Seit Beginn der Diskussionen über die Zukunft unseres Plenarsaales haben wir Freien Demokraten keinen Zweifel daran gelassen, welche Bedeutung wir einer historisch und politisch verantwortungsvollen Lösung unserer Bauprobleme beimessen. Eine weitestgehend bewahrende, konservatorische Lösung war hierbei stets unser angestrebtes Ziel.
Diese Zielsetzung hat sich bis heute nicht geändert. Wir wollten und wir wollen dem Bürger die Möglichkeit bewahren, sich in seinem Parlament und in dessen historischer Entwicklung wiederzufinden. Deshalb haben tiefgreifende Umgestaltungen oder gar pompöse Neubauten zu keiner Zeit unseren Beifall gefunden. Auch an dieser Auffassung halten wir fest.
Es bleibt auch heute unser Ziel, den Charakter des alten Plenarsaals zu erhalten, wie er sich, trotz mancher Wandlung, uns allen und vor allen Dingen unseren Mitbürgern nachhaltig ins Bewußtsein eingeprägt hat. Wir wären Toren, ja, ich meine, Ignoranten, wenn wir vergessen würden, daß dies der Ort ist, an dem die Gründerväter unserer Politik
und viele bekannte und auch weniger bekannte Parlamentarierinnen und Parlamentarier am Aufbau und an der Weiterentwicklung der Bundesrepublik Deutschland gearbeitet haben.
Der Plenarsaal des Deutschen Bundestages verkörpert im Bewußtsein unserer Bevölkerung gleichsam das Herz unserer parlamentarischen Demokratie. Eine völlige Aufgabe seines Charakters würde ein, wie ich meine, unverzichtbares geschichtliches Erbe auslöschen. Deswegen wollen wir in enger Anknüpfung an die alte bauliche Substanz und den Raumkörper, auch in der räumlichen Ausmessung der ursprünglichen architektonischen Konzeption und der historisch gewachsenen Gestalt unseres alten Plenums, unser altes Plenum als den Ort gekämpfter und gelebter demokratischer Tradition und parlamentarischer Lebendigkeit unter verbesserten Arbeits- und Beratungsbedingungen wiederherstellen.
Meine Damen und Herren, für die FDP folgt hieraus zweierlei: noch einmal die klare Absage an eine grundlegende Änderung der Sitzordnung und auch eine klare Absage an die zeitweilig diskutierte Gigantomanie des Eingangsbauwerks.
Ein gegenüber der ursprünglichen Konzeption erheblich reduzierter Eingangsbau, der sich harmonisch den vorhandenen Bauten anpaßt, erscheint uns angemessen, aber auch ausreichend.
Auch die bewährte Gestalt der Lobby mit ihren beiden Seitenteilen wollen wir als traditionell und funktionell wichtige Stätte der Begegnung mit den Kollegen des Hauses und der Öffentlichkeit bewahren.
Meine Damen und Herren, ich rede hier keiner verstaubten Denkmalstümelei das Wort. Wir verkennen nicht, daß der Geist unserer parlamentarischen Entwicklung nicht im Mörtel des Jahres 1949 ruht und auch nicht in jedem Stein der Umbauten der 50er Jahre. Ich habe sehr viel Verständnis für den begreiflichen Überschwang des Landeskonservators Professor Mainzer, wenn er gar von „Heiliger Stätte" spricht. Aber auch beim historisch bewußten Bürger fände es wohl wenig Gefallen, wenn wir aus dem haarklein konservierten Plenarsaal ein doch lebloses, weil der Funktion der demokratischen Debatte und Willensbildung entkleidetes Denkmal machten, Denkmal in des Wortes trostlosester Bedeutung, und das Plenum dann anderen Ortes neu aufbauten und somit völlig von seinen Wurzeln abschnitten.
Deswegen, meine Damen und Herren, bevorzugen wir Freien Demokraten eine Lösung, die den Charakter des bisherigen Plenarsaals möglichst unverändert in Sitzordnung und Erscheinungsbild erhält und den frei gewählten Abgeordneten des deutschen Volkes die Möglichkeit gibt, sobald wie möglich wieder an traditioneller Stelle ihrer Arbeit zum Wohle ihres Landes nachzugehen.
Meine Damen und Herren, selbstverständlich muß jeder Abgeordnete die heute zu treffende Entscheidung für sich alleine treffen und mit sich ausmachen; doch ich denke, daß die von meiner Fraktion in Aussicht genommene Lösung der Vitalität unserer parlamentarischen Tradition einen guten Dienst erweisen wird.
Vielen Dank.
Das Wort hat der Abgeordnete Kleinert .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach der Rede des Kollegen Beckmann habe ich endlich verstanden, weshalb er so viel Wert darauf gelegt hat, abweichend von der üblichen Praxis und unter Verweis darauf, daß wir hier keine Fraktionsanträge und Fraktionspositionen vorzutragen hätten, vor uns zu sprechen. Das Bedürfnis war offensichtlich, hier die baukonservatorische Position der FDP als die konservativste aller Positionen zu profilieren. Das Bedürfnis war überdeutlich. Ich meine trotzdem, daß wir uns mit solchen Beiträgen auf einen Weg begeben, der uns von dem wegführt, was eigentlich in dieser Debatte angestrebt worden war, nämlich daß wir nicht kompakte Fraktionspositionen vorstellen, sondern daß jeder einzelne Überlegungen vorträgt.
Ich will versuchen, auf den Weg zurückzukehren. Ich denke, daß die heutige Entscheidung nur vordergründig eine vor allem technische und organisatorische Frage ist. Es geht um viel mehr als um die Bequemlichkeit von Abgeordneten, um die Art der Sitzordnung, die Erfüllung baupolizeilicher Auflagen und dergleichen. Es ist auch viel mehr als eine bloß
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1106 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 17. Sitzung. Bonn, Freitag, den 5. Juni 1987
Kleinert
architektonische Problematik, über die wir hier streiten.Ich kann durchaus verstehen, daß nach dem jahrelangen Hickhack und nach dem ganzen Hin und Her ein starkes Bedürfnis da ist, daß nun endlich gehandelt werden solle. Das ewige Debattieren soll ein Ende haben, zumal dann, wenn wir fast täglich erleben, daß sich das Wasserwerk als Ersatzplenarsaal nur außerordentlich wenig eignet. Nun also soll endlich etwas passieren. Aus dieser Stimmung heraus beziehen die Abrißbefürworter im Grunde ihr stärkstes Argument, wobei dann noch unterstellt wird, die baukonservatorische Lösung würde erneut viel Zeit kosten und wäre dazu noch die teurere Lösung.Ich will da gar nicht allzusehr ins Detail gehen, ich will mich, was dieses Problem betrifft, nur auf die Feststellung beschränken: Wesentliche Argumente, die dazu vorgebracht worden sind, sind nicht stichhaltig: Stichhaltig ist nicht das Kostenargument, und stichhaltig ist auch nicht das Zeitargument. Selbst wenn die baukonservatorische Lösung ein paar Monate länger in Anspruch nehmen würde, könnte das das ausschlaggebende Argument nicht sein, denn dazu steht hier schlicht und ergreifend viel zuviel auf dem Spiel.Wenn das also so ist, haben wir die Chance, die Entscheidung von der eigentlichen Kernfrage aus anzugehen. Die Kernfrage betrifft genau das, was der Kollege Conradi zu Recht angesprochen hat, nämlich das Verhältnis des Parlaments zu seiner eigenen Tradition. Der Kollege Conradi hat mir den Gefallen getan, in seinem Beitrag hier wesentliche Teile seines Aufsatzes vorzutragen, so daß ich durch das Zitieren seines Aufsatzes gleichzeitig auch auf seinen Beitrag eingehen kann. Sie haben zu Recht die Zusammenhänge dargestellt, leider sind nur die Schlußfolgerungen, die Sie ziehen, Herr Kollege Conradi, ganz falsch. Bei Ihnen heißt es — ich zitiere — : „Pathetisch wird der Plenarsaal zum Museum hochstilisiert", und in polemischer Zuspitzung wird den baukonservatorischen Kräften die Angst vor der Zukunft als Ursache für ihre — ich zitiere wieder — „pathetische Beschwörung der Vergangenheit" unterstellt. Sie treiben das so weit, daß Sie unterstellen — jetzt zitiere ich wieder — , „konservative Großväter" gingen das „Bündnis ein mit alternativen Enkeln, die sich vor lauter Angst vor der Zukunft an die Vergangenheit" klammerten.
— Nein, Herr Conradi, darum geht es genau nicht, wenn die überwiegende Mehrheit der GRÜNEN mit Entschiedenheit dafür eintritt, den alten Plenarsaal zu erhalten. Ich bin nun wahrlich Kritiker dieses Parlaments genug, um nicht in den Verdacht kommen zu können, wir wollten hier den Geist von Adenauer oder gar den Geist von Globke und Oberländer verzweifelt am Leben erhalten. Darum kann es nicht gehen. Ich habe wahrlich ein kritisches Verhältnis zu der Tradition, die zu diesen Räumen gehört,
aber es ist die Tradition des Parlaments der Bundesrepublik Deutschland. Und es ist ein Irrsinn, wenn auf der einen Seite ein paar Meter vom Bundeshaus entfernt ein Museum für die Geschichte der Bundesrepublik entstehen soll, aber auf der anderen Seite 37 Jahre Parlamentsgeschichte der Spitzhacke zum Opfer fallen sollen. Das ist schlicht ein Irrsinn.
Und ich meine, daß es bei einem Parlamentsbau nicht in erster Linie darum gehen kann, Zweckmäßigkeitserfordernissen gerecht zu werden. Es kann auch nicht um die Bequemlichkeit der Abgeordneten und dergleichen gehen. Ein Parlament kann nicht an Kriterien bloßer Zweckmäßigkeit gemessen werden. Man kann ein Parlament schließlich nicht einfach versetzen wie ein Einfamilienhaus. Man kann nicht einfach sagen: Das ist baufällig, also bauen wir uns einmal gerade etwas Neues. Ein Parlament lebt in einer bestimmten historischen Tradition, und es arbeitet mit dieser Tradition. Und erst diese Tradition bringt auch ein atmosphärisches Element hervor. Wenn Sie das beseitigen, dann nehmen Sie dem Parlament etwas ganz Wesentliches.
Für mein Gefühl ist das im „Wasserwerk" schon deutlich genug geworden. Hier spürt man — ich empfinde das jedenfalls so — täglich, daß irgend etwas fehlt.
Ich kann das jetzt nicht vertiefen, ich habe nur noch zwei Minuten.Ich muß Ihnen mit aller Deutlichkeit sagen: Ich bin über das Verständnis von Geschichte und Tradition entsetzt, das in der Behandlung der Neubau-Frage zum Ausdruck kommt. Wenn es tatsächlich so ist, wie Conradi in dem Artikel ausführt, daß Architektur etwas über geistige und politische Entwicklungen ausdrückt, dann kann es bei der großen Koalition der Abrißbefürworter nicht eben gut damit bestellt sein. Ich wundere mich auch weniger über die Haltung der Mehrheit der SPD — wir kennen die bekannten Probleme sozialdemokratischer Vorstellungen von Erneuerung;
die überspitztesten Formen kann man heute in der Architektur mancher Großstadtrandbereiche bewundern —,
sondern was mich in dieser Fage sehr viel mehr wundert, ist, daß ausgerechnet die, die sich ansonsten so viel auf Traditionsbezug und Geschichte zugute halten, in der Mehrheit namentlich die Unionsfraktionen, mit den Symbolen und den geschichtlichen Wurzeln der Bundesrepublik hier so bedenkenlos umspringen wollen. Sie, die Sie in den 70er Jahren aus der Frage der Zukunft des Geschichtsunterrichts eine Art Kulturkampf machen wollten, behandeln die Neubau-
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frage vornehmlich als technisch-organisatorisches Problem. An dieser Stelle entpuppen sich Ihre Sprüche über Geschichte und Tradition als Worthülsen. In Wirklichkeit regiert auch bei Ihnen bürokratisches Effizienzdenken. Das ist mein Eindruck aus dieser Debatte.Ich denke, daß die Bundesrepublik nicht gerade ein Übermaß an Zeugnissen und Symbolen ihrer eigenen Geschichte hat. Und gerade Sie, die Kollegen von den anderen Parteien, die sich ansonsten gern an die stolzgeschwellte Brust klopfen und die Demokratie in der Bundesrepublik abfeiern, wollen hier eines der halbwegs demokratischen Symbole der Geschichte der Bundesrepublik
einfach so abreißen. Für mich ist das eine schreckliche Vorstellung. Deswegen kann ich an Sie nur appellieren: Lassen Sie uns den Abriß hier gemeinsam verhindern! Lassen Sie uns die baukonservatorische Lösung verwirklichen!
Lassen Sie uns verhindern, daß wir uns eines Tages noch sehr darüber ärgern werden, daß wir heute eine falsche Entscheidung getroffen haben. Ich fände es schlicht und ergreifend unerträglich, wenn der alte Plenarsaal der Spitzhacke zum Opfer fiele.Danke schön.
Das Wort hat nun die Abgeordnete Frau Götte.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn man bedenkt, daß sich der Deutsche Bundestag seit 1949 in nicht weniger als 40 Plenarsitzungen mit dem Thema Neubau bzw. Umbau des Plenarsaales befaßt hat, und sich die lange Liste all der prominenten Leute ansieht,
— die heute erweitert wird —,
die dazu schon etwas gesagt haben, dann mag man es vielleicht als Zumutung empfinden, daß meine Fraktion meinte, nun sollte auch noch ein Neuling dazu etwas sagen dürfen.Ich finde es gut und ich freue mich darüber, zumal ich hier ohne Vorgabe der Fraktion, ohne Rücksicht auf Parteiprogramme und anderer Leute Ansichten meine ganz persönliche Meinung sagen darf.
— Wir alle könnten es öfters machen.
Ich soll mich also entscheiden: Halte ich es mit Hermann Hesse, wenn er sagt:Es muß das Herz bei jedem Lebensrufe bereit zum Abschied sein und Neubeginne.Später heißt es:Wir sollen heiter Raum um Raum durchschreiten,an keinem wie an einer Heimat hängen.Der Weltgeist will nicht fesseln uns und engen.Er will uns Stuf' um Stufe heben, weiten .. .Oder stimme ich der Auffassung meines Genossen Christoph Zöpel zu, der durch einen solchen Abschied die Glaubwürdigkeit des Staates in Frage gestellt sieht?
Oder der Meinung des Kollegen Hirsch, der vorhin vom Abriß der Geschichte gesprochen hat? Oder dem Kollegen Beckmann, der gar die Auslöschung der Geschichte darin sieht, wenn wir nicht die konservative Lösung wählen?Ein Plenarsaal ist noch keine Geschichte, aber er ist eine Form parlamentarischer Selbstdarstellung. Das läßt sich am Beispiel des alten Plenarsaals mit seinem Notbehelfs- und Übergangscharakter, mit seiner Schlichtheit und seinem Versuch bestätigen, Würde, Gewichtigkeit und Autorität zu vermitteln, sei es auch nur durch schwarzgebeizte Holzblenden, die eine eher armselige Bausubstanz verkleidet haben. Dieser Saal sagt in der Tat etwas über die Geschichte dieses Parlaments aus. Wenn nicht die Gefahr bestanden hätte, daß uns beinahe die Decke auf den Kopf gefallen wäre,
hätte das Parlament sicher noch lange in diesem historischen Raum getagt und weiter darüber diskutiert, wie denn nun der Neubau aussehen sollte.Aber nun zwingt uns der bauliche Zustand des Hauses, auch über neue Lösungen nachzudenken. Da muß es erlaubt sein, auch alternative Vorschläge zu diskutieren.Welche Form parlamentarischer Selbstdarstellung wünsche ich mir also? Wie soll der künftige Plenarsaal aussehen? Es muß deutlich werden, daß es sich hier nicht um irgendeinen Sitzungssaal handelt, auch wenn es wahr ist, daß wichtige parlamentarische Entscheidungen in der Regel nicht im Plenarsaal getroffen werden; hier werden sie meist nur gegenüber der Öffentlichkeit begründet und durch Abstimmungen besiegelt. So muß der Plenarsaal doch auch in Zukunft Herzstück des Bundeshauses und Symbol parlamentarischer Tätigkeit bleiben. Er soll kein Tempel für Halb- oder Viertelgötter sein, aber ein Raum, der sichtbar macht: Hier geschieht etwas, was für das Leben vieler Menschen wichtig ist. Hier arbeiten Menschen zusammen, die in besonderem Maße für das verantwortlich sind, was sie entscheiden, weil die beschlossenen Gesetze für jedermann gültig sind und in die Lebensgestaltung anderer Menschen im Rahmen des Grundgesetzes oft massiv eingreifen.
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Frau Dr. GötteIch wünsche mir ein offenes Haus, offen für Besucher, aber auch offen für Licht und Luft.
Der Raum sollte so gestaltet werden, daß sichtbar wird: Hier kann sowohl in kleiner Runde miteinander diskutiert werden, hier können aber auch Sitzungen abgehalten werden, an denen das ganze Parlament teilnimmt. Ein Saal, wie es der alte war, dessen unbesetzte Stühle optisch zum Himmel schrien, wird immer die weitverbreitete Volksmeinung festigen und bestärken, die faulen Abgeordneten gingen spazieren, statt ihrer gutbezahlten Arbeit nachzugehen.Allerdings würde ich auch nicht so weit gehen, zu fordern, daß rings um den Plenarsaal Sitzungssäle mit Glasfronten eingebaut werden, damit auch die Besucher auf der Tribüne ebenso wie die Zuschauer am Fernsehen sehen könnten, wie fleißig wir in Wirklichkeit sind.
— Ja. Daß ein in den Raum hereingezogener Tribünenbereich dazu beitragen könnte, daß der Bundestag und die dort anwesenden Abgeordneten nicht als ein Häuflein Versprengter erscheinen, halte ich für eine gute Lösung.Insgesamt kann ich also sagen: Mir gefällt die neue Planung. Ich würde mich dort wohlfühlen.Vor allen Dingen der Gedanke, daß wir in Zukunft am runden Tisch zusammensitzen könnten, gefällt mir sehr. Im Landtag von Rheinland-Pfalz, aus dem ich komme, haben die CDU und die SPD gemeinsam eine solche Lösung für das Parlament beschlossen.
Das Ergebnis wurde vorgestern eingeweiht. Ich kann Ihnen nur raten, sich das einmal anzuschauen. Es ist ein wunderschöner Plenarsaal geworden, mit dem alle Abgeordneten von allen Fraktionen sehr zufrieden sind.
Natürlich weiß ich, daß eine runde Sitzordnung noch keine Garantie dafür darstellt, daß nicht auch in Zukunft geschieht, was die Menschen draußen so abstößt und aufregt: die Beschimpfungen, der Mangel an Fairneß, die Schläge unter die Gürtellinie und die demagogischen Attacken, die hier ablaufen. Aber solange derjenige unter uns mit dem stärksten Beifall seiner Fraktion rechnen kann, der die gröbsten Vereinfachungen, die schärfsten Attacken, die oberflächlichsten Kalauer losläßt, so lange wird auch eine andere Sitzordnung nichts am Stil dieses Hauses ändern.
Aber es ist auch nicht auszuschließen, daß es eine Wirkung hat, wenn die Abgeordneten der verschiedenen Fraktionen einander ins Gesicht sehen, wenn durch die Sitzordnung demonstriert wird: wir müssen gemeinsam nach Lösungen suchen, wir sitzen in einem Boot, wir setzen uns an einen Tisch, wir sind gleichberechtigte Abgeordnete, die mit der Regierung und dem Bundesrat verpflichtet sind, vernünftige Entscheidungen zu treffen.Wenn wir uns aber für einen solchen Plenarsaal entscheiden, wird man uns vorwerfen, wie es heute ja auch der Fall war, wir wollten „das wichtigste Denkmal der Geschichte der Bundesrepublik liquidieren". Ich lasse das einmal so stehen; denn am alten Plenarsaal hängen tatsächlich viele Erinnerungen an die ersten vier Jahrzehnte unserer Republik. Ich würde aber auch nicht gleich jeden zum geschichtslosen Gesellen abstempeln, der andere Prioritäten setzt und z. B. die Altstadtsanierung seiner Heimatstadt oder das Berliner Luftbrückendenkmal für wichtiger hält oder eine KZ-Gedenkstätte für bedeutsamer in unserer Geschichte ansieht.Es geht gar nicht um die Frage, ob der alte Plenarsaal ein geschichtsträchtiger Ort ist. Natürlich ist er das. Es geht darum, daß wir zur Kenntnis nehmen müssen, daß die Erhaltung dieses Saales aus bautechnischen Gründen lediglich vorgetäuscht werden könnte. Das hat, meine ich, auch ein bißchen etwas mit Kitsch zu tun,
daß allenfalls einige Versatzstücke des alten Bauwerks wiederverwendet werden können, während in Wirklichkeit alles im alten Stil neu gebaut werden müßte.
— Darüber kann man sich sehr streiten. Nur ist es eben so, daß in Danzig überhaupt nichts mehr übriggeblieben ist. — Weil das Alte neu gemacht werden mußte, halte ich es für ehrlicher und auch für besser, einen modernen Neubau anzustreben, in dem wir uns wohlfühlen und wiederfinden können und gerne arbeiten.Daß außerdem geplant ist, auch neue Abgeordnetenbüros zu bauen, begrüße ich ganz besonders, da ich zu dem armen Teil der Abgeordneten gehöre, die bis jetzt lediglich ein kleines Arbeitseckchen im Büro ihres Mitarbeiters zugestanden bekommen haben.
Insgesamt wünsche ich, daß der Neubau zügig voranschreitet und daß wir während dieser Bauzeit nicht wieder dringliche Anfragen an die Bundesregierung wegen illegaler Beschäftigung von Leiharbeitern richten müssen.Ich danke Ihnen.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Daniels .
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die bisherige Diskussion — von den 40 Sitzungen habe ich nur
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Dr. Daniels
ganz wenige miterlebt — über die Neu- und Umbauten des Deutschen Bundestages erinnert ja ein wenig an die Echternacher Springprozession,
allerdings mit einem entscheidenden Unterschied, nämlich daß sich die Echternacher Springprozession doch immerhin kontinuierlich nach vorne bewegt und schließlich dann auch am Ziel ankommt.
Meine Damen und Herren, ich will die Leidensgeschichte hier natürlich nicht wiederholen. Der letzte Akt begann damit, daß der Ältestenrat des Deutschen Bundestages schon einmal mit großer Mehrheit beschlossen hatte, daß wir den Plenarsaal abreißen und neu bauen. Dafür hatte das Plenum des Deutschen Bundestages bereits Mittel in den Haushalt eingestellt.Dann traten die Denkmalschützer auf den Plan. Wir haben ihre Bedenken außerordentlich ernst genommen und aus diesem Grunde noch einmal monatelang untersuchen lassen, ob es denn überhaupt eine Möglichkeit gibt,
diesen Plenarsaal zu erhalten und gleichzeitig die baulichen Mängel zu beseitigen, damit er wieder eine für uns tragbare Versammlungsstätte wird.Das Ergebnis würdigt der Bundesbauminister abschließend — ich zitiere — :Es bleibt festzuhalten, daß im Zuge der Sanierung wesentliche Teile des Plenarsaals entfernt, ersetzt oder wieder eingebaut werden müssen. Es ist fraglich, ob unter diesen Umständen noch von der Erhaltung eines Denkmals gesprochen werden kann.Wir stehen also vor der Situation, daß wir entweder diesen Plenarsaal weiter benutzen — dann müssen wir ihn so umbauen, daß von einer Erhaltung des Denkmals kaum noch gesprochen werden kann —, oder wir erhalten ihn, wie er ist — das schlagen ja auch manche Heimatschützer und Denkmalpfleger vor —, und ziehen selbst aus — an eine andere Stelle und bauen dort wieder neu. Diese Alternative hat der Deutsche Bundestag 1981 nach früheren anderen Plänen mit Recht bereits verworfen.
Denn hier, an der Görresstraße, ist der historische Ort, der 1949 als Bundeshaus ausgewählt wurde, die Pädagogische Akademie, im Stile des Bauhauses errichtet, von den Nazis als „undeutsche Architektur" verunglimpft, dann in den Jahren des Provisoriums im Schnellverfahren ergänzt, erweitert und nicht selten auch verschandelt.Aber es ist dennoch diese Gesamtheit der historische Ort der Tradition. Das, so scheint mir, in seiner Gesamtheit ist auch das Geschichtsdenkmal Bundeshaus. Nicht alle Zutaten, nicht jeder einzelne Stein sind denkmalswert. Der Standort selbst allerdings darfnicht zur Disposition stehen. Wer den Plenarsaal seiner Funktion beraubt, ihn zum Museum macht, wer den Deutschen Bundestag aus diesem Plenarsaal vertreibt und an einer anderen Stelle, auf einem Fußballplatz, einen Neubau errichtet, der zerstört in Wahrheit das Geschichtsdenkmal Bundeshaus.Wir haben also nur die Wahl zwischen einer baukonservatorischen Lösung, die in Wirklichkeit gar keine ist, bei der von einer Erhaltung des Denkmals letztlich nicht gesprochen werden kann, und einem Umbau an alter Stelle, der nur durch Abriß und Neubau möglich ist. Nur dieser Neubau erlaubt wichtige funktionale Verbesserungen wie Heizungs- und Klimaanlage, Tageslichtdecke, Hochwassersicherung.Auch bei einem Neubau kann das Bild des bisherigen Plenarsaals mit seinen besonderen Merkmalen — mit der Stirnwand, mit der Regierungsbank, mit der Bundesratsbank, mit der bisherigen Sitzanordnung — erhalten bleiben.Mein Plädoyer gilt deshalb einmal dem Erhalt des historischen Orts dieses Plenarsaals, zum anderen auch dem Erhalt des historischen Erscheinungsbilds und damit auch dem Geschichtsdenkmal Bundeshaus. Es gilt nicht der Halbherzigkeit einer letztlich nur dem Namen nach baukonservatorischen Lösung, die im Grunde eine Augenwischerei gegenüber der Öffentlichkeit wäre.
— Herr Kansy nimmt mir das Wort aus dem Mund. Wir haben alle erlebt, wie es beim Petersberg im Zuge der Bauarbeiten ging,
nachdem wir vorher auch eine baukonservatorische Lösung beschlossen hatten, die sich nicht hat durchführen lassen.Mein Plädoyer gilt deshalb einem Neubau an der Görresstraße am alten Platz, der die besseren Möglichkeiten für überzeugende politische Arbeit der Zukunft bietet.Mein Plädoyer gilt schließlich dem Wunsch, das langjährige Hin und Her und Vor und Zurück nun endlich zu beenden und mit einem mutigen und in die Zukunft weisenden Beschluß mit städtebaulicher Qualität die heutige Debatte abzuschließen.
Das Wort hat der Abgeordnete Cronenberg .
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die vor 38 Jahren getroffene Entscheidung für Bonn als Regierungs- und Parlamentssitz war eine Entscheidung für ein Provisorium; das müssen wir uns bei dieser Debatte auch wieder vor Augen führen. Entsprechend provisorisch war auch der Ausbau des Hohen Hauses, der damals in erfreulich kurzer Zeit erfolgte. Offen gestanden, ich wünschte mir für manches Bauvorha-
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1110 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 17. Sitzung. Bonn, Freitag, den 5. Juni 1987
Cronenberg
ben, daß es so schnell ginge, wie dies damals möglich war.
— Die Zeiten haben sich, Herr Kollege Kolb, gründlich geändert, und was diesen Punkt anbelangt, nicht zum besseren.Schon 1950 gab es unverhohlene Kritik über zu schnelles und technisch schlechtes, unvertretbare Kosten verursachendes Bauen. Daß diese Kritik nicht unberechtigt war, belegen nicht zuletzt die Ihnen allen bekannten und vorliegenden Untersuchungen zur Bausubstanz des Plenarsaals. Wer davon allein nicht überzeugt ist, kann ja einmal einen Blick in den Plenarsaal werfen, um sich von der Richtigkeit dieser Feststellungen zu überzeugen.Seit Beginn der siebziger Jahre besteht aber auch Einvernehmen darüber, daß die Hoffnung auf eine Rückkehr in den Berliner Reichstag nicht bedeuten kann, daß diese Jahrzehnte andauernde provisorische Unterbringung zu einem Dauerzustand werden soll. Ein Arbeitsparlament, wie es der Deutsche Bundestag unumstritten ist, braucht Räumlichkeiten, die mit unseren eigenen Gesetzen und Bestimmungen in Einklang stehen sollten. Dies sollten wir uns auch immer wieder ins Gedächtnis zurückrufen. Ich weiß aus eigener leidvoller Erfahrung — mein eigener Betrieb steht zum Teil, richtigerweise, unter Denkmalschutz — , wie penibel darauf geachtet wird, daß Bauordnungen eingehalten werden. Wenn man das vom Bürger verlangt, dann muß man das drüben im Plenarsaal und auch hier ebenfalls verlangen.
So vernünftig also die Abkehr von überzogenen Vorstellungen einer völligen Neugestaltung in der Kernmeile der Bonner Politik war, so unvernünftig erscheint es mir nun, dieses Provisorium zum Museum machen zu wollen. Was der Bürger draußen will und was auch wir sehen sollten, ist das Bedürfnis, die Kontinuität unseres Parlaments auch in der Optik zu erhalten.Deswegen bin ich von Anfang dafür eingetreten, daß trotz Neubaus der Charakter des alten Plenarsaals erhalten bleiben soll. Neben Stirnwand mit Adler heißt das auch die Erhaltung der Sitzordnung in ihrem Gegenüber von Regierung und Parlament. Hier drückt sich ein grundlegendes Verfassungsverständnis aus. Eine runde Sitzordnung dagegen würde nicht nur den Charakter des Parlaments verändern, sondern auch die Sichtbarkeit dieser mir notwendig erscheinenden Gewaltenteilung in unangemessener Form überdecken.
Ich halte es für richtig und wichtig, daß die mit der bisherigen Sitzordnung im alten Saal korrespondierende Lobby als Räumlichkeit erhalten bleibt. Ein parlamentarischer Meinungsaustausch, in anderer Form, kann in dieser Lobby stattfinden; denn im Plenum geht es ja meistens kontrovers zu. Gesetze werden aber häufig und richtigerweise in ordentlicher Form friedlich in der Lobby besprochen. Deswegen ist mir an der Erhaltung der beiden Lobbys, sowohl auf der Seite der FDP wie der SPD, wenn ich das einmal so sagen darf, sehr viel gelegen.
— Aber ich bitte Sie; ich weiß doch, daß die Kollegen der SPD diese Lobby in der Vergangenheit für vernünftiges, manchmal sogar gemeinsames Tun immer so nett genutzt haben und daß das Risiko, das Lobbyisten in dem Sinne, wie Sie es meinen, verehrter Herr Kollege, dort Zugang finden, sehr gering ist, dies also ein risikoloses Unterfangen wäre.Ich trete also entschieden für die Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit des Hauses unter Beachtung der eben genannten Grundsätze ein: Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit durch die vorgeschlagene Lösung, und dies unter Wahrung der wünschenswerten Kontinuität, d. h. Erhalt des Charakters des alten Plenums.Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, das vorgesehene Abstimmungsverfahren— das man möglicherweise noch etwas besser hätte gestalten können — gibt Ihnen die Chance, so zu verfahren, wie ich es mir seit langem gewünscht habe. Ich bitte für diese Position um Unterstützung.Herzlichen Dank.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Teubner.
Herr Präsident! Liebe Zuhörinnen und Zuhörer!
— Sie sind doch auch Zuhörer, Herr Kansy. Jetzt beschweren Sie sich mal nicht gleich.Gestern abend, am späten Abend, wurde hier im ziemlich leeren Saal die Debatte über ein Thema geführt, das in seiner Konfliktträchtigkeit und seiner gesellschaftlichen Bedeutung mit den ganz großen Themen vergleichbar ist, die uns in den letzten Jahren bewegen, nämlich mit den Fragen der Atomtechnologie und des Friedens.
Gegenstand der Diskussion gestern abend war der Bericht der Enquete-Kommission „Chancen und Risiken der Gentechnologie". Er wäre es wert gewesen, vor einer größeren Öffentlichkeit, zu einem besseren Zeitpunkt und mit einem viel größeren zeitlichen Aufwand auch in diesem Plenum erörtert zu werden.
Es ist ein bemerkenswertes Zeichen für das wahre Verständnis der in diesem Lande Herrschenden zur kritischen Öffentlichkeit, daß sie — —
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Frau Teubner— Ich komme gleich darauf zu sprechen, wo wir heute sind.
— Ich habe mich gestern abend mit der Vorbereitung für heute beschäftigt. Das werden Sie mir wohl erlauben. Ich schreibe meine Reden noch alleine.
— Ich habe genauso wie jeder andere Palamentarier auch ein Recht, hier zu reden!
— Jetzt hören Sie mir erst einmal zu! Ich werde Ihnen gleich eine Erklärung geben, warum wir hier heute nur so sparsam vertreten sind.
Dieser Bericht der Enquete-Kommission zur Gentechnologie
— ich komme gleich zum Thema —
enthält ein ungeheures Potential an gesellschaftlichem Zündstoff. Der wurde aber praktisch an der Öffentlichkeit vorbei vom Tisch gebracht.
An diesem Beispiel hat sich gezeigt, was für ein gestörtes Verhältnis Sie zu der von Ihnen im Zusammenhang mit den Bundesbauten so gern zitierten Offenheit und Transparenz haben. Das Beispiel zeigte doch genau wie Hunderte anderer praktisch unter Ausschluß der Öffentlichkeit getroffener Entscheidungen, daß der alte Plenarsaal, und zwar im Zustand von 1953 mit seinen weitgehend zugebauten Fensterflächen, das beste Symbol für die Undurchschaubarkeit der tatsächlichen Machtausübung in diesem Land war und ist.
Es ist in den letzten Jahren und auch heute wieder so gern von der repräsentativen Demokratie gesprochen worden, die sich auch repräsentative Bauten erlauben könne, ja, die ihr Selbstverständnis auch in repräsentativen Bauten dokumentieren müsse. Ich erlaube mir die Frage, ob das in diesem Land herrschende System nicht längst und viel ehrlicher in den Bankpalästen von Mainhattan, in der Skyline von Frankfurt, repräsentiert ist.
Meine Damen und Herren, wenn die Bevölkerung in der Bundesrepublik wieder davon überzeugt sein soll, daß sie wirklich selbst zu bestimmen hat, dann müssen Sie sich schon etwas anderes einfallen lassen, müssen z. B. endlich einmal in Überlebensfragen einen Volksentscheid zulassen.
Wir wollten uns ja zunächst — das haben Sie völlig richtig mitgekriegt — an dieser Diskussion gar nicht beteiligen,
weil wir bei dem, was wir politisch für bedeutsam halten, eben andere Schwerpunkte setzen. Da hat gerade nach der gestrigen Regierungserklärung zur Nichtabrüstung die Blockade der Geilenkirchener Raketenbasis für uns eben einen erheblich höheren Stellenwert als die Teilnahme an der Abstimmung über Bundesbauten. Denn das ist ja wohl klar, und es soll auch in dieser Stunde noch einmal betont werden: Wenn es uns nicht glingt, bald für die Verschrottung aller Waffensysteme zu sorgen — und die Bundesregierung könnte, wenn sie wollte, den ersten Schritt dafür sofort tun — —
Frau Kollegin, darf ich Sie einen Moment unterbrechen! Hier an diesem Rednerpult kann man über alles frei reden, aber es muß einen Zusammenhang mit der Tagesordnung haben.
Warten Sie doch bitte die zweite Hälfte des Satzes ab!
Nein, die Tagesordnung sieht vor, daß wir den Bau des Plenarsaals und des Bundeshauses miteinander besprechen. Ich bitte Sie, sich daran zu halten.
Herr Präsident, es geht aber auch um den Zusammenhang zwischen der Öffentlichkeit, der Bevölkerung, und unserem Selbstverständnis als Parlament. Es geht darum, welche Rolle die Öffentlichkeit spielt.
Wenn es uns nicht bald gelingt, für die Verschrottung aller Waffensysteme zu sorgen, dann werden wir uns auf die Dauer über die Verrottung alter Bausubstanz überhaupt keine Gedanken mehr machen müssen.Bei unserem Plädoyer für die konservatorische Lösung geht es uns nicht um eine falsche Nostalgie oder Romantik. Es liegt uns auch fern, mit dem Landeskonservator den alten Plenarsaal zu einem heiligen Ort hochzustilisieren. Aber wir haben es ja nun einmal wirklich mit einem historischen Denkmal im besten Sinne zu tun. Deshalb auch unser Antrag. Die Öffentlichkeit kann gespannt sein, wie Sie sich zu die-
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Frau Teubnersen wirklich unumstrittenen Prinzipien stellen, die wir in dem Antrag niedergelegt haben.„Daß der Kernbereich des Bundeshauses" — das hat Herr Jenninger vorhin auch schon zitiert — „als Ort und Sitz des Deutschen Bundestages und des Bundesrates, als Symbol für die Wiederbegründung der parlamentarischen Demokratie ein Geschichtszeugnis ersten Ranges darstellt" , hat heute noch niemand zu bestreiten gewagt. Hoffentlich beharrt Herr Minister Zöpel auf seiner Bereitschaft, diesen Streit zu wagen. Denn an ihm liegt es, die Zustimmung zum Abriß zu geben oder zu verweigern.
Frau Abgeordnete, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Duve?
Es ist in diesem Haus eine Gepflogenheit, daß man Neulinge bei ihrer ersten Rede nicht durch Zwischenfragen verunsichert.
Ich bitte, das zu berücksichtigen.
Nein, es ist Ihre freie Entscheidung, ob Sie eine Zwischenfrage zulassen oder nicht.
Bitte schön, fahren Sie fort.
Wenn sich Herr Minister Zöpel bei seiner Entscheidung auf einen Souverän berufen will — was ja völlig in Ordnung ist — , dann doch bitte auf den richtigen. Das ist in diesem Lande ja immer noch die demokratische Öffentlichkeit selbst.
Wenn wirklich jemand von Ihnen Angst vor nassen Füssen hat oder davor, daß Ihnen dort drüben die Decke auf den Kopf fällt, dann lassen Sie dort drüben doch Ihr heiß ersehntes Deutsches Museum einziehen, und tagen Sie weiter hier. Dann können Sie, nebenbei gesagt, auch noch eine Menge Geld sparen. Das sollte man ja auch nicht so ganz unterschätzen.
Wenn es Ihnen aber wirklich ernst ist mit der heute auch schon oft zitierten Klimaverbesserung und Dialogbereitschaft, die in der Neubau-Diskussion so gern beschworen wird, muß ich sagen: Dann haben Sie in diesem Haus viel bessere Chancen, dem guten Willen die Tat folgen zu lassen. Daß Sie dazu nicht bereit sind, hat Ihre Reaktion auf meinen Vortrag bewiesen.
Das Wort hat nun der Abgeordnete Dr. Ehmke.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Debatte um den Umbau dieses Hohen Hauses hat notwendigerweise zu einem Rückblick auf die Geschichte der Bundesrepublik geführt und damit auch auf die Wahl Bonns zur Bundeshauptstadt. Diese Wahl ist seinerzeit sehr umstritten gewesen. Heute besteht breiteÜbereinstimmung, daß mit der Wahl Bonns der Rang Berlins respektiert, die Einbindung der Bundesrepublik in die Tradition westlicher Demokratien bekräftigt und der föderative Aufbau der Republik unterstrichen worden ist.Der Bundestag hat in der Stadt Bonn größere öffentliche Wirkung entfalten können, als es vielleicht in einer Großstadt der Fall gewesen wäre. Das Bonner Parlaments- und Regierungsviertel ist bürgernah, wenn auch der Zugang von der Stadt zum Rhein durch die B 9 in sehr unglücklicher Weise erschwert wird. Die Lage des Bundestages am Rhein symbolisiert in besonderer Weise den Stellenwert dieser Parlamentsgründung in der deutschen Geschichte.Die bauliche Geschichte des Bundeshauses ist in der heutigen Debatte bereits eingehend erörtert worden: vom Bauhausgebäude der Pädagogischen Akademie über die ersten Umbaupläne des Architekten Schwippert, die bereits einen kreisrunden Plenarsaal vorsahen, zum ersten Umbau durch die Bundesbaudirektion im Jahre 1949 einschließlich des Anbaus des Plenarsaals mit den steilen Regierungs- und Bundesratsbänken. Und wie Peter Conradi schon gesagt hat: Erst durch einen weiteren An- und Umbau 1956 erhielt der Plenarsaal dann sein heutiges Gesicht einschließlich der Stirnwand mit dem etwas füllig geratenen Adler.
Angesichts dieser Baugeschichte, verehrte Kolleginnen und Kollegen, will mir der Streit der letzten Jahre und Monate um die Mischung von Neubau und Restaurierung etwas künstlich erscheinen. Dieses Haus ist mit unserer Demokratie gewachsen. Wir wollen an seinem Ort unbedingt festhalten. Darum haben wir seinerzeit auch gegen die pompösen Neubaupläne für das Parlament gestimmt, abgesehen davon, daß sie auch mit dem Charakter der Stadt Bonn nicht vereinbar waren. Wir wollen dieses für die Geschichte der zweiten deutschen Demokratie so wichtige Haus behutsam fortentwickeln, wie wir ja auch unsere Demokratie insgesamt nicht unter Denkmalschutz stellen können.
Ich freue mich ja über dieses Wiedererwachen konservativen Gedankengutes bei der FDP in dieser Debatte. Ich bin aber der Meinung: Weder unser demokratischer Staat noch unser Parlament dürfen in diesem Sinne museal werden.
Ich glaube allerdings, ein Ja zum Umbau muß mit dem Eingeständnis verbunden werden, daß sich der Deutsche Bundestag — ich meine uns alle — in dem langjährigen Planungsverfahren als Bauherr nicht gerade mit Ruhm bekleckert hat.
Lassen Sie mich nun zu der unter uns quer durch die Fraktionen immer noch strittigen Frage der Sitzordnung kommen. Der Vorschlag einer kreisförmigen Sitzordnung ist, wie gesagt, nicht neu; er stand am Anfang dieses Parlaments. Sicher läßt sich das Votum für die eine oder die andere Sitzordnung nicht staats- oder parlamentstheoretisch ableiten. Es bestehen
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Dr. Ehmke
aber doch Zusammenhänge zwischen dem Parlamentsverständnis und der Sitzordnung, zwischen dem Parlamentsverständnis und der architektonischen Gestaltung.
Darf ich einen Augenblick um Aufmerksamkeit bitten. Frau Kollegin Berger, seien Sie so nett und zeigen Sie uns Ihre Vorderseite nach hierher und setzen Sie sich dann anschließend.
Ich kann für diese Bemerkung leider keinen Ordnungsruf erteilen.
Das war höflich und freundlich gemeint.
So spiegelt die Sitzordnung des englischen Parlaments mit dem Gegenüber von Regierungs- und Oppositionsbank zweierlei wider: das Verständnis der Regierung als Ausschuß des Parlaments und das politische Wechselspiel eben nicht, verehrter Herr Kollege Vizepräsident, zwischen Regierung und Parlament, sondern zwischen Regierungsmehrheit und Opposition, und zwar in einem auf dem Mehrheitswahlrecht beruhenden Zweiparteiensystem, bis jetzt jedenfalls noch.
Die Sitzordnung kontinentaler Parlamente mit geringerer historischer Tradition spiegelt vor allem in der besonderen Regierungsbank stärker das alte konstitutionelle Gegeneinander von Monarch und Parlament wider.
Nationale und historische Sonderheiten kommen hinzu.
Verehrter Herr Kollege Hirsch, in unserem alten Plenarsaal ist z. B. die pädagogische Herkunft des Gebäudes einfach in dem Anbau fortgeschrieben worden: ein größerer Hörsaal mit zunächst stark erhöhten, dann etwas herabgesetzten Bänken für die Regierungsautoritäten. Nun habe ich nichts gegen Hörsäle, eigentlich auch nichts gegen Regierungsautoritäten, wenn sie denn die richtigen sind, Herr Kollege Schneider,
nur, als sehr parlamentarisch habe ich den alten Plenarsaal nie empfunden. Er verleitet zum Ab- oder zum Vorlesen, und Zwischenrufe da drüben bleiben entweder anonym, weil der Redner sie meist gar nicht verstehen kann, oder sie werden zu Zwischenschreien gesteigert, was der Debatte auch nicht nützt.
Ich muß hier einmal etwas zu Ehren des Wasserwerkes sagen, das hier noch gar nicht richtig erwähnt worden ist. Ich finde diesen Raum sehr viel debattenfreundlicher als den alten Raum.
— Ich finde ihn sehr viel debattenfreundlicher. Herr Kollege Kleinert ist anderer Meinung, aber er verfügt auch über längere Erfahrung als ich im alten Plenarsaal.
Das ist ein schlimmer Rückfall. Dieser Rückfall und das, was Sie hier über das Parlament sagen, ist fast schwerer zu verzeihen als die Wende.
Herr Abgeordneter, wenn Sie schon solche Bemerkungen machen, dann müssen Sie auch eine Zwischenfrage von Herrn Cronenberg zulassen.
Kollege Professor Ehmke, ist Ihnen eigentlich aufgefallen, daß der von Ihnen so gelobte Saal hier keine kreisrunde Anordnung hat und Debatte sehr wohl ermöglicht?
Ich werde Ihnen gleich sagen, warum dies bei einem kreisrunden noch besser ist; ich bin gerade dabei.
Sie sollten dies richtig verstehen. Das war die List der Vernunft. Sie sollten von diesem starren preußischen Hörsaalstil auf einen etwas zusammenbindenden Debattenstil eingeübt werden, den die Skandinavier Samtal, Sich- Zusammenreden, nennen.Aber bevor ich dazu komme, will ich zunächst einmal sagen, daß eine kreisrunde Sitzanordnung, verehrte Frau Ingrid Matthäus-Maier, auch unserer politischen Ordnung sehr angemessen ist. Sie würde für unsere Besucher und unsere Fernsehzuschauer optisch erfahrbar werden lassen, daß die Regierung dem Parlament weder vorsitzt noch ihm übergeordnet ist.
Sie würde die Bank des Bundesrates — ein Strukturelement unserer föderativen Ordnung — in die Gesamtdebatte einbauen. Sie wäre schließlich auch Ausdruck der Tatsache, daß bei uns als ein Ergebnis des Verhältniswahlrechts im Regelfall Koalitionsregierungen amtieren und nicht absolute Mehrheit einer Oppositionspartei gegenübersteht. Wenn sich daran etwas ändert, dann eher in dem Sinn, daß dies zur Zeit noch wahrer wird.Vor allem aber, verehrter Herr Kollege Mischnick und verehrter Herr Kollege Cronenberg, könnte eine solche Sitzordnung den Debattenstil positiv beeinflussen. Die Debatte Auge in Auge und vom eigenen Platz
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Dr. Ehmke
aus, Zwischenrufe und Zurufe in aller Hörweite, das Nebeneinander und das Miteinander bei allem Gegeneinander würden meines Erachtens sowohl manche Langeweile als auch manchen Krampf aus unseren Debatten nehmen.
Die Debatten wären persönlicher, obwohl Parlamentsreden natürlich immer auch aus dem Fenster gehalten werden. Ich garantiere Ihnen: Wir würden erleben, daß diese Art des Debattenstils auch im Fernsehfenster der Zuschauer für das Hohe Haus und seine Arbeit werben würde, was heute keineswegs der Fall ist.
Die Frage der Sitzordnung ist keine Frage der Weltanschauung, keine Frage der Parteizugehörigkeit. Darum möchte ich Sie alle bitten — besonders herzlich diejenigen, die bis jetzt noch nicht überzeugt waren; ganz, ganz besonders herzlich meine Kollegin Ingrid Matthäus-Maier — , sich doch diesen Argumenten anzuschließen und heute für eine kreisförmige Sitzordnung zu stimmen.
Lassen Sie mich aber eines hinzufügen. Der schönste Plenarsaal wird nichts nützen, wenn das Parlament leer bleibt oder sonst in ihm nichts los ist. Harold Laski hat die Gefahr eines zunehmenden Bedeutungsverlustes des Parlaments in der Hektik des modernen Politikbetriebes schon vor 50 Jahren analysiert. Von Harold Laski stammt der Satz, das Parlament werde nur dann Bedeutung behalten, wenn in ihm Bedeutendes geschehe.
Herr Abgeordneter!
Ich komme zum Ende, Herr Präsident.
Das müssen Sie auch.
Der Deutsche Bundestag ist zunehmend in Gefahr, in einer Masse von Einzelheiten und Unwichtigkeiten zu ersticken. Das ist einer der Hauptgründe dafür, daß nicht nur der Plenarsaal oft leer, sondern auch die Parlamentsberichterstattung der Medien oft erschreckend dünn ist.
Herr Abgeordneter, ich muß Ihnen sagen, daß Ihre Redezeit weit überschritten ist.
Eine Minute, Herr Präsident.
Ich begrüße die Reformbestrebungen von Kolleginnen und Kollegen, zu deren Sprecherin sich die verehrte Frau Hamm-Brücher gemacht hat. Aber diese Bestrebungen gehen nicht an den Kern der Sache, der eine Grundgesetzänderung erfordert. Wir müssen meines Erachtens die Plenarsitzungen und -entscheidungen auf wichtige politische Fragen beschränken und für das laufende Parlamentsgeschäft einfache Verfahren entwickeln.
Herr Abgeordneter, es ist nun leider so. Das war auch ein brauchbarer Schlußsatz.
Ein letzter Satz: — Mit einem Wort — —
Tut mir leid, Herr Abgeordneter. Sie haben weit überschritten. Ich muß die Kollegen fair behandeln. Sie müssen aufhören.
Ich beuge mich dem Präsidenten.
Das Wort hat nun der Abgeordnete Dr. Möller.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In einem Punkt stimme ich dem Kollegen Ehmke zu, nämlich was die Qualität dieses Wasserwerks und unseres Ersatzplenarsaals angeht. Am 9. September 1986 haben wir zum erstenmal hier in diesem Wasserwerk getagt. Damals haben alle, insbesondere unser Bundestagspräsident Dr. Jenninger, die Qualität dieses Werkes gelobt. Insbesondere wurde dankbar hervorgehoben, daß dieses Gebäude erhalten worden ist; denn auch dieses Gebäude war schon für den Abriß vorgesehen, und die Genehmigung lag schon da. Heute sind wir dankbar, daß dieses Gebäude, dieses Wasserwerk nicht abgerissen worden ist,
sondern daß wir es als Ersatzplenarsaal sinnvoll nutzen können. Daran sollten wir uns heute erinnern.Denn mit der anschließenden Abstimmung über den Abbruch und über die konservatorische Erneuerung des Plenarsaals werden wir erneut gefordert, uns mit dem Denkmalschutz sinnvoll auseinanderzusetzen. Heute geht es nämlich um die Entscheidung, ob wir den zentralen Ort unserer parlamentarischen Geschichte und Gegenwart einfach abreißen und durch einen Ersatzbau ersetzen oder ob wir ihn sorgfältig sanieren und modernisieren, indem wir ihn erhalten. Mit der Zustimmung zu den Vorschlägen von Professor Behnisch — darüber müssen Sie sich alle klar sein — stimmen wir dem kompletten Abriß von der Görresstraße bis zum Rheinufer zu. Abgerissen wird etwa auf einer Schneise von 30 Metern.Meine Damen und Herren, der 1949 vom Präsidenten des Parlamentarischen Rates Konrad Adenauer in Auftrag gegebene und von Professor Schwippert entwickelte und gebaute Plenarsaal wird dann der Vergangenheit angehören. Ich werde dem Abbruch des Plenarsaals mit den übrigen Räumen nicht zustimmen. Mit Recht hat Bundestagspräsident Jenninger
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Dr. Mölleram 27. Juni 1986, als wir zum letztenmal im Plenarsaal tagten, auf die historische Bedeutung des Raumes hingewiesen. Er sagte: „Viele Mitbürger sehen in diesem Plenarsaal den Mittelpunkt unserer Demokratie. " Da stimme ich ihm zu.
Meine Damen und Herren, mit dem Abriß des Plenarsaals reißen wir auch ein ganz wesentliches Stück unserer Geschichte weg. Auch wenn wir dank Dr. Dregger bei einem Wiederaufbau erreichen, daß der Charakter des bisherigen Plenarsaals möglichst unverändert weitgehend erhalten bleibt, ist ein neuer Plenarsaal in dieser Form nicht das Original. In dem vorhandenen Plenarsaal sind die wichtigsten Entscheidungen unserer parlamentarischen und demokratischen Entwicklung seit 1949 getroffen worden. Unsere parlamentarische Demokratie ist hier von 1949 an wiederbegründet, gefestigt und praktiziert worden, und der Bundestag mit seinem Plenarsaal stellt deshalb ein Geschichtszeugnis ersten Ranges dar. Die Geschichtlichkeit hat sich ohne Wenn und Aber in diesem Bundeshaus konkretisiert, wie es das Rheinische Amt für Denkmalpflege deutlich und überzeugend festgestellt hat. Deshalb ist das Bundeshaus mit dem Plenarsaal ein Baudenkmal von höchstem Rang und steht deshalb mit Recht unter Denkmalschutz.Meine Damen und Herren, ich kenne keinen Raum, keinen Saal, kein Gebäude in der Bundesrepublik Deutschland, in dem so wichtige, für Bürger und Staat, für Demokratie und Recht, für Freiheit und Sicherheit bedeutsame Entscheidungen gefällt worden sind wie im Plenarsaal des Deutschen Bundestages.
Meine Damen und Herren, der Plenarsaal ist der Bundestag, nicht das Hochhaus, nicht die anderen Gebäude. Deshalb ist der Plenarsaal ein Monument unserer Geschichte, aber auch ein Monument unseres Selbstverständnisses, und wenn wir es abreißen, reißen wir einen Teil unserer Geschichte ab.
Meine Damen und Herren, liebe Freunde, ich frage mich, wie wir unseren jüngeren Mitbürgern eigentlich klarmachen sollen, warum wir ein solches Symbol nationaler Bedeutung abgerissen haben.Wenn wir einen Neubau errichten, auch mit dem traditionellen Erscheinungsbild des bisherigen Plenarsaals, wird das eine Kopie, wird das eine Replik, wird das Dublette sein. Eine Kopie oder eine Replik ist aber nie das Original.
Nur das Original ist Dokument für einen historischen Tatbestand. Eine Kopie ist im Gegensatz zum Original nie in der Lage, überzeugende Aussagekraft zu bekommen.Lassen Sie mich noch eine letzte Bemerkung machen. Am 1. Juli tritt das neue Bundesbaugesetz in Kraft. Übereinstimmend haben alle Fraktionen, haben wir im Ausschuß und Sie alle an der Formulierung des Gesetzes mitgewirkt, das gerade den Denkmalschutz in eine besondere Kategorie mit besonderer Bedeutung stellt. Heute können wir beweisen, ob wir unsere eigenen Vorstellungen und Zielrichtungen ernst nehmen und in die Tat umsetzen und dem Schutz unseres eigenen Denkmals, des Denkmals der Deutschen, den angemessenen Platz einräumen.Wie sollen wir dem Bürger klarmachen, daß er ein denkmalgeschütztes Objekt nicht abreißen darf, sondern erhalten und renovieren muß, wenn wir selbst einen solchen Ort unserer eigenen Geschichte trotz der Bedenken der Denkmalschützer abreißen? Heute können wir beweisen, daß wir unsere eigenen Gesetze ernst nehmen.
Lassen Sie mich eine letzte Bemerkung machen. Wir alle kennen in Bonn, Herr Oberbürgermeister, das Bonner Beethovenhaus. In dieses Beethovenhaus soll ein kleiner Konzertsaal eingebaut werden. Was würden wir sagen, wenn zum Einbau eines solchen Konzertsaales zunächst das ganze Beethovenhaus abgerissen und dann als Neubau entstehen müßte? Wir alle wären entsetzt über die Behandlung eines historischen Gebäudes. Mit dem Plenarsaal wird es nicht anders sein, wenn wir ihn abreißen.Ich bitte Sie deshalb eindringlich, sich heute für unsere Geschichte, für die Geschichte unseres Plenarsaals zu entscheiden und gegen den Abriß zu stimmen. Ich empfehle Ihnen deshalb, auf dem Stimmzettel I für die Alternative B zu versehen; das nämlich ist die konservatorische Lösung, die den Abriß verhindert.Herzlichen Dank.
Das Wort hat der Abgeordnete Kleinert .
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren!
Einen Augenblick, Herr Kollege, warten Sie einen Moment.
Meine Damen und Herren, Sie wissen, daß es dann, wenn es auf Abstimmungen zugeht, hier sehr unruhig ist. Aber diejenigen, die zu spät kommen, haben einen guten Grund, ganz besonders gut zuzuhören, damit sie nachher richtig abstimmen können.
Das Wort hat der Abgeordnete Kleinert.
Mit Beethoven wollten wir uns nicht unbedingt vergleichen; das scheint mir, gerade wenn ich mich so angucke, ein unangemessener Vergleich zu sein,
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1116 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 17. Sitzung. Bonn, Freitag, den 5. Juni 1987
Kleinert
Wir haben heute gehört, daß dies alles in der Planung schon 17 Jahre lang gedauert hat. Wenn man sich möglichst lange Umwege vornimmt, dauern Wege nun einmal länger, man braucht mehr Zeit. Und hier hat es ja einige Umwege gegeben. Wir haben uns 1979, als in diesem Saal alte Tische, die aus mir unbekannten Gründen aufbewahrt worden sind, und kaputte Stühle und außerdem noch reichlich Maschinen vorhanden waren, von Spinnweben überzogen, interfraktionell mit einer Gruppe von Kollegen versammelt, um das Auge der Öffentlichkeit auf die geplanten gigantomanischen Bauten in der Rheinaue zu lenken, die damals nämlich noch in der Diskussion waren.Heute haben sämtliche Redner das so ganz beiläufig weggewischt, als wären sie nie dabei gewesen, als hier Mehrheiten dafür waren, dort hinten Dinge zu bauen, die dreimal so groß geworden wären wie alles zusammen, was hier derzeit existiert. Dies mußte erst alles einmal zurückgedreht werden.Außerdem mußte auch zwischen den Vertretern verschiedener Meinungen über die zweckmäßige Gestaltung eines Plenarsaales sehr trickreich gearbeitet werden, um verschiedene unerwünschte Zwischenplanungen zu Fall zu bringen, so daß man unter denen, die jetzt als baukonservatorisch hier in Erscheinung treten, auch Leute findet, die lediglich verhindern wollten, daß eine zu große Eingangszone gebaut wird, daß deshalb die Straße umgebaut werden muß, daß gegenüber die weltberühmte „grüne Mitte" entsteht mit einem netten Kriegerdenkmal in der Mitte und was dergleichen Planungen mehr sind.
— Lieber Herr Kollege Vogel, wenn ich umziehen müßte, um den Beweis zu erbringen, daß es mir um höhere Güter geht als um mein zweifelhaft behagliches Büro, dann würde ich das tun,
weil es mir nämlich tatsächlich um die Umweltqualität in diesem Bereich geht, um etwas mehr menschliches Stadtbild anstatt zu viel steifer und gestelzter Feierlichkeit, die uns mit Sicherheit den Wählern nicht näherbringen wird,
sondern uns noch weiter von ihnen entfernt.Nachdem wir aber nun eine Reihe von taktischen Vor- und Rücksprüngen und Winkelzügen hinter uns gebracht haben, brauchen wir uns an früheren Denkmustern doch nicht mehr so streng festzuhalten.
Wenn das ganze Ensemble den Bundestag und seine 40jährige Geschichte repräsentiert und in allen Bestandteilen oft genug geändert worden ist, wenn baulich gewichtige Gründe dafür sprechen, den Bau zunächst einmal abzureißen, statt scheinheilig mit vielen Kunstgriffen ein wenig zu erhalten, um es wieder herzustellen,
dann ist das noch lange keine Kopie, kein Falsifikat, sondern dann ist das unter Umständen eine Verbesserung des Originals, was unter einigen baulichen und technischen Bedingungen ohne weiteres gesagt werden kann.
Ich habe mir kürzlich den sehr verdienstvollen Nachdruck des Werkes von Adam Smith zugelegt.
Ich muß sagen: Ich habe große Freude an diesem Buch, wenn es auch nur eine Kopie ist. Es hat übrigens einige Nachteile einer etwa noch aufzutreibenden Originalausgabe nicht: Es zerfällt nicht so leicht, es riecht nicht so unangenehm, und es ist nicht annähernd so teuer.
Deshalb meine ich — ich bedauere, daß ich jetzt leider nur noch sehr kurz Zeit habe, auf den Hauptpunkt einzugehen
den verdienstvollerweise Herr Ehmke angesprochen hat — , es ist viel wichtiger: Wie gestalten wir den neuen Plenarsaal innen? Dazu möchte ich anmerken, daß in der Beschlußvorlage meiner Meinung nach die wichtigsten Worte sind: erhalten soweit wie möglich. Wenn wir uns dahin verständigen können, daß wir noch einen breiten Raum haben, während der Errichtung der Baulichkeiten über die vernünftige Inneneinrichtung nachzudenken, und wenn wir dabei im Auge haben, daß nur selten die List der Vernunft, die hier genannt worden ist, es ermöglicht, empirisch herauszufinden, wie es auch anders geht, nämlich in diesem Wasserwerk, dann kommen wir hoffentlich zu einer Lösung, mit der wir auch einen wichtigen Beitrag zum Stil des Hauses und seiner Debatten leisten. Daß auch anderes eine Rolle spielt, kann uns ja nicht davon befreien, auf jeden der maßgeblichen Punkte, also auch auf die bauliche Gestaltung, größte Sorgfalt zu verwenden.Herzlichen Dank.
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Matthäus-Maier.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich gehöre zu den Abgeordneten, die für die sogenannte baukonservatorische Lösung eintreten,
d. h. für eine möglichst umfassende Sanierung des Plenarsaales und gegen den Abriß.
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 17. Sitzung. Bonn, Freitag, den 5. Juni 1987 1117
Frau Matthäus-MaierWenn wir — das sage ich ausdrücklich — in unserem Land viele bauhistorische Denkmäler aus dieser zweiten Republik hätten, dann würde ich, lieber Kollege Ehmke, der Alternative A mit dem neuen runden Saal zustimmen in der Hoffnung, daß es bessere Debatten und auch ein neues Verständnis gibt.Allerdings möchte ich hinzufügen: Der Hauptgrund, warum aus meiner Sicht die Gewaltenteilung zwischen Regierung und Parlament bei uns so wenig klappt, liegt sicher nicht an dem einen Meter, den die Herren dort höher sitzen,
sondern daran, daß, bei welcher Koalition auch immer, die Abgeordneten der Mehrheitsfraktion in Punkt und Komma der jeweiligen Regierung folgen.
Ich halte diese Selbstamputation für schlimmer.Ich würde dem also zustimmen, wenn wir mehr Baudenkmäler hätten, wir haben aber so wenige; und dieser Plenarsaal gehört dazu.Er spiegelt einen wichtigen Teil der Geschichte dieser zweiten Republik wider. Er ist Symbol für die Wiederbegründung der zerstörten parlamentarischen Demokratie nach dem Kriege. Das Herzstück ist nun einmal dieser alte Plenarsaal, in dem alle wichtigen Entscheidungen dieser Republik getroffen worden sind. Auch die Bürger erkennen in dem Plenarsaal ihr Parlament, auch wenn sie nicht immer mit dem einverstanden sind, was wir dort beschließen, oder sich oft ärgern, weil der Plenarsaal so leer ist.Dies ist übrigens nicht meine nostalgisch orientierte Privatmeinung, sondern weil eben der Plenarsaal ein Kulturdenkmal allerersten Ranges ist, hat er den Wert eines Baudenkmals und ist in die entsprechende Liste eingetragen. Wenn dieser Plenarsaal ein Baudenkmal im juristischen Sinne ist, sehe ich nicht ein, warum wir ihn nicht auch als Baudenkmal behandeln — er wurde übrigens im Einvernehmen mit Bundestag und Bundesrat in diese Liste aufgenommen — , so wie wir das von jedem Bürger verlangen.
Ich kenne Bürger, auch in meinem Wahlkreis, die sauer sind, weil sie ihr Haus nicht umbauen dürfen,
da es unter Denkmalschutz steht. Ich glaube, wir werden unglaubwürdig, wenn wir das vom einzelnen Bürger verlangen, es als Gesetzgeber beim Plenarsaal aber nicht selber tun.In den letzten 40 Jahren haben wir eher zuviel als zuwenig abgerissen. Der Petersberg ist nur ein Beispiel.
Die Bauordnungsmängel, insbesondere die Feuerschutzmängel, können mit der baukonservatorischen Lösung beseitigt werden. Herr Kleinert, das ist nicht scheinheilig, sondern wenn ich das richtig sehe, kann man hier sehr gut Denkmalschutz-, Brandschutz- und sonstige Auflagen erfüllen.Deswegen stimme ich der Alternative B zu und bitte, daß auch viele Kollegen zustimmen.Danke schön.
Meine Damen und Herren, ich bitte noch um ein bißchen Geduld. Wir haben noch zwei sehr kurz bemessene Reden vor uns.
Jetzt hat der Abgeordnete Wolfgramm das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Ich glaube, wir sollten uns doch noch einen Augenblick mit dem Thema beschäftigen. Es ist eben nach der langen Zeit jetzt der Punkt der Entscheidung gekommen.Wenn Sie den Antrag I einmal zur Hand nehmen, finden Sie die Alternativen A und B. Wenn ich das so betrachte, sehe ich, daß die Alternative B, die Restaurierung, doch etwas lieblos behandelt worden ist.
Der erste Teil ist etwas voluminös und mit guten Worten garniert, und der zweite enthält noch nicht einmal das Wort „historisch" . Ich meine, daß wir das auch bei der Abstimmung bedenken sollten.Es ist von der Tradition der Bundesrepublik gesprochen worden. Lieber Herr Kollege Conradi, Sie haben dabei nicht ganz bedacht, daß wir ein föderativer Staat sind. Die Tradition der Bundesrepublik findet nun eben hier in der Bundeshauptstadt, in Bonn, in besonderer Weise statt — wenn wir den Bund nehmen, und das, was wir hier praktizieren, ist der Bund. — Deswegen, meine ich, müssen wir das schon etwas sorgsamer betrachten.Sie haben von Umbauen gesprochen, gegen das Sie sich nicht wenden wollten. Ein Umbau ist etwas anderes als ein Abriß. Ein Abriß ist nun einmal eine Beseitigung durch einen totalen Kahlschlag.Ich habe mit Interesse vernommen, daß der Kollege Kleinert uns hier deutlich machen wollte, daß die Kopie eben besser sei als das Original. Er hat wohl ein bißchen daran gedacht, daß der Bundestagsdichter Friedrich Neuhausen in einem Gedicht zum Bundestag am Schluß gesagt hat:Bevor der Tag zu Ende geht,— er bezieht sich dabei auf einen Japaner — verkauft er ein Kopiergerät.
Ich meine, wir sollten schon sehen, daß das Original seinen Stellenwert hat. Wir sind der Auffassung, daß das Original so weit wie möglich erhalten bleiben sollte. Das Wort „museal" ist gefallen, von Herrn Ehmke.
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1118 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 17. Sitzung. Bonn, Freitag, den 5. Juni 1987
Wolfgramm
— Herr Ehmke, wenn Sie bei Carlo Schmid nachlesen, müssen Sie dieses Wort schleunigst zurücknehmen. In der Umgebung von Schumacher, von Dehler, von Carlo Schmid und von Adenauer zu sitzen und sie so weit wie möglich erhalten zu wollen ist nichts Negatives. — Er hat sich sehr deutlich in seinen Memoiren darüber ausgelassen. Lesen Sie es einfach mal nach.
Wir sind gegen die kreisrunde Lösung,
— die FDP — , weil wir der Meinung sind, daß wir in einem föderativen Staat den Bundesrat nicht auslassen können.
Der Hinweis auf England, lieber Herr Kollege, geht fehl, England hat kein föderatives System. Ich möchte nach wie vor sehen, ob der Bundesrat hier ausreichend vertreten ist. Wir hatten eine Nordseedebatte. Dabei war von den fünf Ländern, die an dem Thema Interesse hätten haben müssen, gerade eines vertreten. Ich habe das gerne im Auge.Ich habe auch gerne im Auge, wenn die Regierung da sitzt und ihre Verantwortung damit deutlich demonstriert. Ich möchte das nicht verwischt haben.
Herr Kollege Conradi, Sie haben von dem freien Debattenstil gesprochen, der hier möglich sein könnte und müßte. Sie haben aber die zweite Frage des Herrn Kollegen Hirsch abgelehnt.
Da hätte sich eine Debatte vielleicht entwickeln können, aber Sie haben die Frage abgelehnt. So werden gute Vorsätze durch schlechte Gewohnheiten eben nicht zur Wahrheit.Der Kollege Kleinert hat hier für die GRÜNEN gesprochen. Na ja, wo sind denn die GRÜNEN jetzt? Warum sind sie bei einer so wichtigen Debatte nicht dabei?
Sie machen außerparlamentarische Opposition, aber nicht hier im Parlament, wo es gerade um den Parlamentsbau geht. Übrigens, Herr Kleinert, den Beifall, den Sie vorhin bekommen haben, haben Sie nicht von den GRÜNEN bekommen, sondern von Frau Teubner. Wenn Sie nämlich das Protokoll nachlesen, sehen Sie: Beifall bei Frau Teubner, denn sonst waren keine GRÜNEN anwesend.Ich möchte Sie bitten, daß wir, wie immer wir heute entscheiden — Sie wissen, wo ich stehe — , die Entscheidung dann mit Schwung und Mut vertreten.Vielen Dank.
Meine Damen und Herren! Ich sehe mit einiger Sorge, daß Kollegen spät kommen, aber früh ihre Zettel ausfüllen. Sie sollten das lassen. Es werden einige Erläuterungen erforderlich sein, damit ordentlich abgestimmt werden kann. Wir haben noch einen Redner; diese Geduld sollten Sie aufbringen. Dann werden wir den Abstimmungsprozeß erläutern.
Das Wort hat der Abgeordnete Stücklen.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In diesen Tagen werde ich sehr häufig gefragt, da ich nun der letzte Abgeordnete des ersten Deutschen Bundestages bin, ob ich es verantworten könnte, daß der Saal, in dem die Bundesrepublik Deutschland, die parlamentarische Demokratie geboren wurde, Professor Heuss als erster Bundespräsident, Adenauer als Kanzler gewählt wurden und die entscheidenden Gesetze in der ersten und zweiten Legislaturperiode, die heute noch Grundlage sind, verabschiedet wurden, abgerissen wird. Natürlich bin ich geschichtsbewußt genug, um zu wissen, was dieser Plenarsaal, diese Stätte für die parlamentarische Demokratie, nach 1945 für die Bundesrepublik Deutschland, für heute und für die Zukunft, bedeutet.Aber ich bin kein illusionärer Mensch, der nicht die Realitäten sieht: Da gibt es einen Baukörper, zu dem meine eigene Fraktion einen Antrag eingebracht hat. In ihm steht: Es muß Tageslicht sein, die Klimaanlage muß herunter, der Saal muß hochwasserfrei gemacht werden. Die kann man nicht mit dem Kochlöffel machen.
Das bedeutet, daß ein massiver Angriff rein vom Bautechnischen her durchgeführt werden muß.Im übrigen haben wir ein leuchtendes, zumindest sichtbares Zeichen, nämlich den Petersberg: Man wollte ihn baukonservatorisch erhalten. Wenn Sie einmal hineindürften — es geht nicht, er ist abgesperrt —, dann würden Sie sehen, daß mühsam, mit künstlichen Methoden die Arkaden aufrecht erhalten worden sind und nur so lange aufrecht erhalten werden, bis der andere Baukörper hochgezogen ist, damit man sie beseitigen kann.Meine Damen und Herren, ich will nur sagen: Ein alter Baukörper ist schwer so zu renovieren, daß die alte Substanz und damit die historische Bedeutung körperlich und räumlich vorhanden sind. Deshalb habe ich gesagt: Wenn wir schon diesen Eingriff in die Bausubstanz durchführen müssen — bis weit über ein Drittel der Substanz, und es ist keineswegs sicher, ob es bei diesem Drittel bleibt; das würde sich erst erweisen, wenn man in der Durchführung ist — , dann, glaube ich, haben wir auch ein Recht, diesen Plenarsaal nach moderneren Vorstellungen zu gestalten.
Sie haben alle völlig recht. Als ich am 7. September 1949 die konstituierende Sitzung des ersten Deutschen Bundestages miterlebte, hatte der Plenarsaal ein ganz anderes Erscheinungsbild: Es gab z. B. kei-
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Stücklennen Adler, es gab die Wappen der Länder usw. Dann, meine Damen und Herren, kam der zweite Ausbau 1956. Alles dies ist geschildert worden. Trotzdem ist dieser Plenarsaal noch die historische Stätte. Auch wenn wir ihn jetzt gründlich renovieren, auch mit solchen Mitteln — denn anders geht es bautechnisch gar nicht —, daß man von Abriß spricht, meine Damen und Herren — es sollte einmal einer von den Sachverständigen auftreten und versuchen, dies anders darzustellen —,
bleibt dieser Plenarsaal doch eine historische Stätte. Dem tun der neue Fußboden, die neue Decke und die neugestaltete Stirnwand keinen Abbruch. Das Präsidium in der Mitte, die Bundesregierung und der Bundesrat haben dort weiterhin ihren Platz. Das Erscheinungsbild dieses Plenarsaales bleibt für die deutsche Öffentlichkeit visuell und erst recht historisch erhalten.
Deshalb, meine Damen und Herren, kann ich das mit meinem Geschichtsbewußtsein und mit meinem Erleben in diesem alten Plenarsaal vereinbaren. Und deshalb bitte ich: Geben Sie dem Fortschritt und der Historie gleichzeitig eine Chance!
Meine Damen und Herren, es liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Ich schließe die Aussprache.
Bevor wir nun zur Abstimmung kommen, möchte ich mitteilen, daß Frau Kollegin Hartenstein eine Erklärung zur Abstimmung nach § 31 der Geschäftsordnung zu Protokoll gegeben hat.* )
Wir kommen zunächst zur Abstimmung über den Antrag auf Drucksache 11/406. Dazu und auch über den Antrag auf Drucksache 11/407 ist namentliche Abstimmung verlangt worden.
Für die Abstimmung über den Antrag auf Drucksache 11/406 ist ein blauer Stimmzettel verteilt worden. Der gelbe Stimmzettel ist für eine weitere gegebenenfalls notwendig werdende namentliche Abstimmung vorgesehen — wir haben zu erwarten, daß sie erforderlich ist —, also für die Abstimmung über den Antrag auf Drucksache 11/407.
Auf den Stimmzetteln tragen Sie bitte Ihren Namen — gegebenenfalls mit Ortszusatz — sowie Ihre Fraktion handschriftlich in Druckbuchstaben ein. Das macht klar, daß es keine geheime, sondern eine offene, namentliche Abstimmung ist.
Und jetzt werde ich ein paar Erläuterungen geben und brauche dafür Ihre volle Aufmerksamkeit. Auf dem blauen Stimmzettel finden Sie sechs Möglichkeiten, ein einziges Kreuz zu machen. Es gibt die Alternativen A und B. Sie haben bei A drei denkbare Entscheidungsmöglichkeiten, dann natürlich keine mehr bei B. Oder Sie können für eine der drei Möglichkeiten bei B stimmen. Jeder Abgeordnete hat also nur eine Entscheidungsmöglichkeit, mehr nicht. Also,
') Anlage 3
machen Sie bitte nicht zwei Kreuze; sonst ist Ihr Stimmzettel ungültig. Ich bitte um Verständnis dafür.
— Wenn Sie sich vorher nicht darauf eingerichtet haben, daß das hier erläutert wird und Ihren Stimmzettel schon falsch ausgefüllt haben, können Sie einen neuen Stimmzettel erhalten; ich höre, daß es genügend Stimmzettel gibt. Geben Sie Ihren alten ab und holen Sie sich einen neuen! Sonst kommen wir in Auszählungsschwierigkeiten.
— Darf ich noch ein bißchen um Ihre Aufmerksamkeit bitten. — Wir brauchen zunächst das Ergebnis der Abstimmung mit dem blauen Zettel. Erst wenn die Stimmen dieser Abstimmung ausgezählt worden sind, kann die zweite Abstimmung vorgenommen werden. Ich sage es noch einmal: Sie dürfen nur ein Kreuz an einer der sechs möglichen Stellen machen.
Meine Damen und Herren, wir kommen nun zur Abstimmung. Ich bitte die Schriftführer, die Plätze einzunehmen. — Das haben sie getan.
Ich eröffne die namentliche Abstimmung und bitte, die ausgefüllten Stimmzettel in die hier vorne und dort hinten aufgestellten Urnen zu geben.
Ich frage, ob es noch einen Abgeordneten gibt, der von seinem Stimmrecht Gebrauch machen will, es aber noch nicht getan hat. Er sollte es schnellstens tun.
— Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen.' )
Ich bitte die Kollegen, inzwischen Platz zu nehmen, weil wir in der Zwischenzeit eine nichtnamentliche Abstimmung durchführen können.
Meine Damen und Herren, es liegt uns ein Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/436 vor. Wenn Sie ihn aufmerksam gelesen haben, werden Sie möglicherweise gleich mir einige Bedenken bekommen haben. Der Antrag der Frakion DIE GRÜNEN betrifft, wie es im Text ausdrücklich heißt, Grundfragen des Denkmalschutzes. Bei mir — so muß ich das sagen — bestehen Zweifel darüber, ob die Beschlußfassung über einen solchen Antrag überhaupt in den Kompetenzbereich des Bundestages fällt. Es ist eindeutig eine Länderzuständigkeit, dazu Gesetze zu machen.
Ich möchte Ihnen deshalb vorschlagen — ich kann das nur vorschlagen, ich kann das nicht entscheiden —, den Antrag zu einer entsprechenden Prüfung in den Rechtsausschuß zu geben und ihn dann, wenn er von dort zurückkommt, hier im Plenum auf normale Weise zu behandeln.
Herr Kleinert, Sie wollen sich zur Geschäftsordnung melden? — Bitte schön.
In aller Kürze. Erstens von der Sache her: Es geht darum, daß sich der Deutsche Bundestag in dem Zusammenhang, um den es heute geht, zu ganz bestimmten Grundprinzipien des Denkmalschutzes bekennt. Dazu ist er völlig frei. Weil*) Ergebnis Seite 1121A
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1120 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 17. Sitzung. Bonn, Freitag, den 5. Juni 1987
Kleinert
es sich um eine politische Festlegung und damit indirekt um eine Selbstverpflichtung handelt, ist der Bundestag völlig frei und durch keinerlei rechtliche Bedingungen gehindert.Punkt zwei: Ich muß sagen, ich empfände es als etwas ärgerlich und äußerst bedauerlich, wenn dadurch ein Präzedenzfall entstehen würde. Es war bisher üblich, daß entsprechend verfahren wurde, wenn vorher zwischen den Fraktionen einvernehmlich geklärt war, daß ein Antrag auf die Tagesordnung genommen und abgestimmt wird. Ich finde es bedauerlich, wenn dagegen plötzlich in letzter Minute Bedenken geäußert werden.Ich bitte daher um Abstimmung. Es macht keinen Sinn, diesen Antrag an den Ausschuß zu überweisen. Es begegnet überhaupt keinen Bedenken, daß sich der Bundestag hier zu Grundsätzen des Denkmalschutzes politisch erklärt.
Herr Kollege Kleinert, meinerseits muß ich sagen, bei Entschließungen ist das eine völlig klare Sache. Da hat der Einbringende das Recht, zu verlangen, daß dann abgestimmt wird und nicht Überweisung erfolgt. Bei Anträgen — und Sie haben einen Antrag eingereicht — ist die Überweisung an einen Ausschuß unsere Praxis, und dieser Überweisungsantrag hat Vorrang. Ich kann keinen Antrag stellen.
Sie haben zur Geschäftsordnung Ihre Meinung gesagt. Ich frage, ob die Auffassung des Präsidenten eine Unterstützung hat. Dann würde ich gerne darum bitten, daß dazu eine Meinungsäußerung des Plenums erfolgt.
— Ich hatte danach gefragt, ob es eine Unterstützung gibt.
Kann ich davon ausgehen, daß es eine geschäftsordnungsmäßige Meinung dazu gibt? — Sie haben sich zur Geschäftsordnung gemeldet. Bitte schön, Herr Conradi.
Ich übernehme den Antrag auf Überweisung an den Rechtsausschuß zur Prüfung des Sachverhalts.
Er übernimmt meine Anregung. Anders kann es ja wohl nicht gewesen sein. Ich habe versucht, mich sehr korrekt zu verhalten.
Meine Damen und Herren, ich habe nebeneinander stehen den Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Abstimmung über ihren Antrag auf Drucksache 11/436. Zur Geschäftsordnung ist dazu gesprochen worden. Meine Anregung ist zu einem Antrag gemacht worden in dem Sinne, daß eine Überweisung an den Rechtsausschuß zur Prüfung der Frage, die ich aufgeworfen habe, vorgenommen wird.
Wollen Sie noch einmal zur Geschäftsordnung sprechen?
Ich muß definitiv erklären: wenn eine solche Praxis hier Platz greift, dann kann in Zukunft keinerlei Absprache auf Geschäftsführerebene mehr Gültigkeit haben. Das kann nicht angehen. Entschuldigung, ich weiß, daß man den Präsidenten nicht kritisieren darf. Ich tue es hier ausdrücklich trotzdem. Es kann nicht angehen, daß auf diese Weise in Regelungen eingegriffen wird, die hier ansonsten als selbstverständlich gelten können. Das kann nicht sein, das kann nicht sein.
Deswegen bitte ich ausdrücklich: Lassen Sie uns das hier umsetzen, was vorher verabredet worden ist, nämlich eine Abstimmung über den Antrag.
Herr Kollege Kleinert, ich habe meine Bedenken geltend gemacht. Ich bin sehr fair vorgegangen und habe Ihnen noch einmal das Wort zur Geschäftsordnung gegeben.
Gibt es dazu weitere Wortmeldungen? — Herr Kollege Seiters, Sie möchten dazu sprechen?
Es war der Versuch unternommen worden, in der Frage der Überweisung vielleicht eine Übereinstimmung herbeizuführen. Nach diesem Beitrag haben wir keine Probleme mit einer Abstimmung zur Sache. Ich plädiere dafür, in der Sache abzustimmen.
Meine Damen und Herren, nun stehen von der Geschäftsordnung her die Anträge gegeneinander, in der Sache abzustimmen oder an den Ausschuß zu überweisen. Der Antrag auf Ausschußüberweisung hat den Vorrang. Ich bitte diejenigen um ein Handzeichen, die für Überweisung an den Rechtsausschuß sind. — Wer stimmt dagegen? Die Alternative dazu heißt: Jetzt abstimmen. — Das ist eindeutig die Mehrheit. Damit ist die Überweisung abgelehnt.Nunmehr lasse ich über den Antrag auf Drucksache 11/436 in der vorliegenden Fassung abstimmen. Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Der Antrag ist bei einigen Enthaltungen mit großer Mehrheit abgelehnt worden.Meine Damen und Herren, wir haben eine kurze Unterbrechung, bis die Schriftführer das Ergebnis der Abstimmung vorlegen.
— Gibt es Einverständnis darüber, daß wir jetzt schon über den Antrag III des Präsidenten abstimmen können? Dann brauche ich Sie nach der nächsten namentlichen Abstimmung nicht alle hierzubehalten. — Kein Widerspruch dazu.Wir stimmen über den Antrag III des Präsidenten auf Drucksache 11/408 betr. Bauvorhaben III — soge-
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Vizepräsident Westphalnannter Schürmann-Bau und seine Planungen — ab. Wer diesem Antrag seine Zustimmung geben will, den bitte ich um ein Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Dann ist dieser Antrag mit allen Stimmen gegen eine Stimme angenommen worden.Ich unterbreche die Sitzung für eine kurze Zeit und rufe Sie sofort wieder zusammen, wenn das Ergebnis vorliegt.
Meine Damen und Herren, ich darf die unterbrochene Sitzung wieder eröffnen.Ich kann Ihnen das von den Schriftführern ermittelte Ergebnis unserer ersten Abstimmung, also der Abstimmung über den Antrag auf Drucksache 11/406, bekanntgeben. Es wurden 360 Stimmen abgegeben. Davon war keine ungültig.Zum Ergebnis der Abstimmung über den Buchstaben A des Antrags, d. h. sofortige Durchführung der genehmigten Planung: Mit Ja haben 335 Mitglieder gestimmt. Mit Nein haben 2 Mitglieder gestimmt. Es hat eine Enthaltung gegeben.Endgültiges Ergebnisder Abstimmungen über die Buchstaben A und B der Anträgeauf Drucksache 11/406Insgesamt abgegebene Stimmen 361Antrag A: ja 314nein 3enthalten 1ungültig 2JaCDU/CSUAustermannBauer BayhaDr. Becker Frau Berger (Berlin) BiehleDr. BlümBörnsen BohlsenBorchertBreuer BuschbomCarstensen Dr. Daniels (Bonn) DawekeFrau DempwolfDeres DörflingerDr. DreggerEhrbar Eigen Dr. FaltlhauserDr. Fell Fellner Fischer
Dr. FriedmannDr. FriedrichFuchtelGanz
Dr. von GeldernGerstein Gerster
Dr. GöhnerDr. Grünewald GüntherDr. HäfeleFrau Hasselfeldt Hauser HedrichFreiherr Heereman vonZuydtwyckHinrichs Hinsken Höffkes Höpfinger Hörster Dr. HoffackerFrau Hürland-Büning Dr. HüschDr. Jahn
Dr. JenningerDr. JobstJung
Jung
Kalisch Dr.-Ing. KansyDr. KappesFrau KarwatzkiKlein
Dr. Köhler KolbKossendeyKrausKreyKroll-SchlüterDr. Kunz LamersDr. Lammert Dr. Langner LattmannFrau Limbach Link
LintnerDr. Lippold Dr. h. c. LorenzLouvenLowackLummerMaaßFrau Männle MaginDr. Miltner Müller
Müller
NelleDr. Neuling Neumann NiegelDr. Olderog PeschPetersenPfeiferDr. Pfennig Dr. Pinger Dr. Pohlmeier Dr. ProbstRauenRaweReddemann Regenspurger Dr. RiesenhuberFrau Rönsch Frau Roitzsch (Quickborn) RossmanithDr. Rüttgers RufSauer
Sauter Schartz (Trier)Schemken ScheuSchmidbauer Schmitz
Dr. Schneider Freiherr von Schorlemer SchreiberDr. Schroeder Dr. Schulte
Schulze (Berlin)
SchwarzSeehoferSeesingSeitersSpilkerDr. SprungDr. Stark
Dr. StavenhagenDr. Stercken Dr. Stoltenberg Straßmeir StrubeStücklenSussetDr. TodenhöferDr. Uelhoff Dr. Unland Frau VerhülsdonkVogel
Vogt Dr. WaigelGraf von Waldburg-Zeil Dr. WarrikoffDr. von Wartenberg WeirichWeiß Werner (Ulm)Frau Will-FeldFrau Dr. WilmsWilzWindelenFrau Dr. WisniewskiDr. WittmannWürzbach Dr. Wulff Zeitlmann ZinkSPDFrau Adler AndresAntretter Dr. Apel Bachmaier BahrBecker
Frau Becker-InglauBindigDr. Böhme
Börnsen
BrandtBrückBüchler
Dr. von BülowFrau BulmahnBuschfort CatenhusenConradiFrau Dr. Däubler-Gmelin DaubertshäuserDillerDreßlerDuveEgertDr. Ehmke
Dr. EmmerlichErlerEstersEwenFrau FaßeFischer
Frau Fuchs
Frau Fuchs
Dr. GautierGerster
GilgesFrau Dr. GötteGrafGroßmann GrunenbergDr. Haack Haack
HaarFrau HämmerleFrau Dr. Hartenstein HasenfratzDr. HauchlerDr. Hauff Heimann HeistermannHeyenn HornHuonker Ibrügger Jahn
Jaunich Dr. Jens Jung
Kastning KiehmKirschner Kißlinger Klein
Koltzsch KretkowskiKühbacherKuhlweinLeidinger
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1122 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 17. Sitzung. Bonn, Freitag, den 5. Juni 1987
Vizepräsident WestphalLeonhartLohmann
LutzMeyerMüller MünteferingNagel Nehm Frau Dr. NiehuisDr. NieseNiggemeierFrau Odendahl OesinghausPaterna PauliPfuhlDr. Pick Porzner PoßPurpsReimannFrau RengerReuter RixeRothSchäfer SchanzScherrer SchluckebierSchmidt
Frau Schmidt Schmidt (Salzgitter)Dr. SchmudeSchreinerSchröer SchützSeidenthalFrau SeusterSielaffSieler
SingerFrau Dr. Skarpelis-Sperk Dr. SoellDr. SperlingSteinerFrau SteinhauerStiegler Dr. StruckTietjenFrau Dr. Timm ToetemeyerFrau TraupeUrbaniakVahlbergWaltematheWartenberg
Weiermann Frau WeilerWeisskirchen WestphalFrau Weyel Dr. WieczorekWieczorek Wiefelspützvon der Wiesche Wischnewski WittichWürtzZeitlerZumkleyFDPCronenberg GattermannGriesFrau Dr. Hamm-Brücher HeinrichDr. HoyerIrmerKleinert KohnDr.-Ing. Laermann LüderPaintnerRichterRindRonneburgerDr. RumpfFrau Dr. SegallDr. ThomaeTimm ZywietzNeinCDU/CSU Dr. Warnke FDPBredehornDr. Weng
EnthaltenCDU/CSU GlosBei der Abstimmung über den Buchstaben B des Antrags — Erstellung einer neuen Planung — haben 22 Mitglieder mit Ja gestimmt. Die anderen Möglichkeiten haben keine Stimmen bekommen.Endgültiges Abstimmungsergebnis überAntrag B: ja 41JaCDU/CSUDr. Blank Dr. Bötsch BohlDr. Czaja Dr. Dollinger DossGeisGröblHarriesDr. HennigDr. HornhuesDr. Kronenberg Dr. LaufsDr. MöllerOswaldSauer Sauter (Epfendorf) ScharrenbroichSchulhoffDr. VondranSPDGanselLennartzFrau Matthäus-Maier VerheugenFDPFrau Dr. Adam-Schwaetzer BaumBeckmannDr. FeldmannFrau Folz-Steinacker GenscherDr. Hirsch HoppeDr. Graf Lambsdorff Mischnick Möllemann NeuhausenNoltingDr. SolmsWolfgramm Frau WürfelDIE GRÜNEN Kleinert
Das heißt, wir haben mit doch beachtlicher großer Mehrheit entschieden, daß dem Vorschlag des Präsidenten gefolgt wird, mit der sofortigen Durchführung der genehmigten Planung zu beginnen.
Wir kommen jetzt zu der nächsten Abstimmung. Dazu liegt die Bitte der Abgeordneten Frau Teubner vor, eine Erklärung nach § 31 unserer Geschäftsordnung abgeben zu können. Bitte!
Ich habe eine persönliche Erklärung zum Ergebnis der Abstimmung über den Antrag auf Drucksache 11/436 abzugeben, den Antrag, den Sie vorhin mehrheitlich — mit Ausnahme von Herrn Kleinert und mir — abgelehnt haben.
Ich habe diesen Antrag formuliert und habe ihn nicht formuliert. Es handelt sich bei diesem von uns vorgelegten Antrag wortgetreu um Auszüge aus dem Denkmalschutzgesetz des Landes Nordrhein-Westfalen.
Einen Augenblick, meine Damen und Herren! Lassen Sie uns ruhig die Geduld aufbringen, auch dies hinzunehmen und zu ertragen.
Ich finde es gerade in Anbetracht des Ergebnisses der namentlichen Abstimmung außerordentlich bemerkenswert, daß Sie versucht haben, diese Frage des Denkmalschutzes, die im Baugesetzbuch ja auch zur Bundessache erklärt worden ist, hier in den Rechtsausschuß abzuschieben, um sich vor der Frage zu drücken, wie Sie zu diesem Problem des Denkmalschutzes stehen.
Meine Damen und Herren, unsere Debatte haben wir gehabt. Die Meinungen sind gebildet worden, und die Entscheidung ist gefallen.Wir kommen nun zu dem Antrag auf Drucksache 11/407. Sie haben die Möglichkeit, an einer der sechs Stellen auf dem Stimmzettel ein Kreuz zu machen. Wir verfahren in gleicher Weise wie eben. Die namentliche Abstimmung ist eröffnet.
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 17. Sitzung. Bonn, Freitag, den 5. Juni 1987 1123
Vizepräsident WestphalMeine Damen und Herren, ich sehe, daß es keinen Kollegen mehr gibt, der von seinem Abstimmungsrecht noch nicht Gebrauch gemacht hat. — Kann ich jetzt die Abstimmung schließen? — Ja. Ich bitte die Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen.Ich sehe, daß viele Kollegen den Saal verlassen. Wir hier oben werden aushalten, bis ausgezählt worden ist, werden dann das Ergebnis mitteilen und danach die Sitzung schließen. Allen Kollegen, die jetzt schon abreisen und das Ergebnis im Radio oder im Fernsehen hören wollen, wünsche ich ein gutes Pfingstfest.Ich teile Ihnen das von den Schriftführern ermittelte Ergebnis der zweiten namentlichen Abstimmung über den Antrag auf Drucksache 11/407 mit.Zunächst zum Buchstaben C:Die Sitzplätze im Plenarsaal des Deutschen Bundestages werden so angeordnet, daß der Charakter des bisherigen Plenarsaals möglichst unverändert und in seinem Erscheinungsbild so weit wie möglich erhalten bleibt.Es wurden 356 Stimmen abgegeben. Dafür haben 175 Mitglieder gestimmt. Es hat keine Nein-Stimmen, keine Enthaltungen und auch keine ungültigen Stimmen gegeben.Endgültiges Ergebnisder Abstimmungen über die Buchstaben C und D der Anträgeauf Drucksache 11/407Insgesamt abgegebene Stimmen 357Antrag C: ja 174ungültig 3JaCDU/CSUAustermannBayhaDr. Becker BiehleDr. BlankDr. BlümDr. BötschBohlBorchertBuschbomDr. CzajaDr. Daniels DeresDr. DollingerDossDr. DreggerEigenDr. FaltlhauserDr. FellFellnerDr. FriedmannDr. FriedrichFuchtelGanz Dr. von Geldern GersteinGerster
GlosGröblDr. Grünewald GüntherDr. HäfeleHarriesFrau Hasselfeldt Dr. HennigHinrichsHinskenHöffkesHöpfingerDr. Hoffacker Dr. HornhuesFrau Hürland-Büning Dr. HüschDr. Jahn Dr. JenningerDr. JobstJung Jung (Lörrach) KalischDr.-Ing. Kansy Dr. KappesFrau Karwatzki Klein
Dr. Köhler KossendeyKrausKreyDr. Kronenberg Dr. Kunz Dr. LangnerDr. LaufsFrau Limbach Link LintnerDr. Lippold LouvenDr. Miltner Dr. Möller Dr. Neuling NiegelOswaldPeschPetersenPfeiferRauenReddemann RegenspurgerDr. RiesenhuberFrau Roitzsch RufSauer
Sauter
Sauter ScharrenbroichSchartz
Schemken ScheuDr. Schneider Dr. Schroeder (Freiburg) SchulhoffDr. Schulte Schulze (Berlin)SchwarzSeehoferSeesingSeitersSpilkerDr. SprungDr. StavenhagenDr. Stercken Dr. StoltenbergStraßmeir StrubeStücklenFrau Dr. SüssmuthSussetDr. UnlandFrau VerhülsdonkDr. WaigelGraf von Waldburg-Zeil Dr. WarnkeWeirichFrau Will-FeldFrau Dr. WilmsWindelenFrau Dr. WisniewskiDr. Wittmann WürzbachDr. WulffZeitlmann ZinkSPDDr. ApelBecker
BrückDuveDr. EmmerlichGerster
GrafDr. HaackFrau Dr. Hartenstein LennartzFrau Matthäus-Maier NagelNehmNiggemeierPaterna Porzner Schanz Stiegler Tietjen Wartenberg
FDPFrau Dr. Adam-Schwaetzer BaumBeckmann BredehornCronenberg Frau Folz-Steinacker GattermannGenscher GriesDr. Hirsch HoppeIrmerKohnDr.-Ing. LaermannDr. Graf LambsdorffLüderMischnick Neuhausen NoltingPaintner RichterRindRonneburgerDr. Rumpf Frau Dr. SegallDr. Solms Dr. Thomae TimmDr. Weng Wolfgramm (Göttingen) Frau WürfelZywietzDIE GRÜNEN Kleinert
Jetzt folgt das Ergebnis der Abstimmung über Buchstabe D:Die Sitzplätze im Plenarsaal des Deutschen Bundestages werden kreisrund und abgesenkt angeordnet.Hier haben 180 Mitglieder mit Ja gestimmt.
Es hat eine Nein-Stimme gegeben, keine Enthaltungen und keine ungültigen Stimmen.
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1124 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 17. Sitzung. Bonn, Freitag, den 5. Juni 1987
Vizepräsident WestphalEndgültiges Abstimmungsergebnis überAntrag D: ja 178nein 1ungültig 1JaCDU/CSUBauerFrau Berger Börnsen (Bönstrup) BohlsenBreuerCarstensen DawekeFrau Dempwolf DörflingerEhrbarFischer Dr. GöhnerHauser HedrichFreiherr Heereman von ZuydtwyckHörsterKolbKroll-SchlüterLamersDr. LammertLattmannDr. h. c. Lorenz LowackLummerMaaßFrau MännleMaginMüller Müller (Wesseling) NelleNeumann Dr. OlderogDr. PfennigDr. PingerDr. PohlmeierRaweFrau Rönsch RossmanithDr. RüttgersSauer SchmidbauerSchmitz Freiherr von Schorlemer SchreiberDr. Stark Dr. TodenhöferDr. UelhoffVogel Vogt (Duren)Dr. VondranDr. von Wartenberg Weiß Werner (Ulm)WilzSPDFrau Adler AndresAntretter Bachmaier BahrFrau Becker-Inglau BindigDr. Böhme Börnsen (Ritterhude) BrandtDr. von BülowFrau BulmahnBuschfort Catenhusen ConradiFrau Dr. Däubler-Gmelin DaubertshäuserDillerDreßlerEgertDr. Ehmke
ErlerEstersEwenFrau FaßeFischer
Frau Fuchs
Frau Fuchs
GanselDr. GautierGilgesFrau Dr. Götte Großmann GrunenbergHaack
HaarFrau Hämmerle HasenfratzDr. HauchlerDr. Hauff Heimann HeistermannHeyenn HornHuonker Ibrügger Jahn
Jaunich Dr. JensJung KastningKiehmKirschner Kißlinger Klein
Koltzsch KretkowskiKühbacherKuhlweinLeidingerLeonhartLohmann
LutzMeyerMüller Müntefering Frau Dr. NiehuisDr. NieseFrau Odendahl Oesinghaus PauliPfuhlDr. PickPurpsReimannFrau Renger ReuterRixeRothSchäfer ScherrerSchluckebier Schmidt
Frau Schmidt Schmidt (Salzgitter)Dr. Schmude SchreinerSchröer SchützSeidenthal Frau Seuster SielaffSieler SingerFrau Dr. Skarpelis-Sperk Dr. SoellDr. Sperling SteinerFrau SteinhauerDr. Struck Frau Dr. Timm Toetemeyer Frau Traupe UrbaniakVahlbergVerheugen Dr. VogelWaltemathe Weiermann Frau WeilerWeisskirchen WestphalFrau Weyel Dr. WieczorekFrau Wieczorek-Zeul Wiefelspützvon der Wiesche Wischnewski WittichWürtzZeitlerZumkleyFDPDr. Feldmann HeinrichNeinFDPDr. HoyerDamit ist mit — wenn auch sehr knapper — Mehrheit die Alternative D — wie in der Behnisch-Planung vorgesehen — angenommen worden.
Meine Damen und Herren, wir sind am Schluß unserer heutigen Tagesordnung.Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Dienstag, den 16. Juni 1987, 12 Uhr ein.Den restlichen anwesenden Kollegen und Gästen wünsche ich ein schönes Pfingstfest.Die Sitzung ist geschlossen.