Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.
Meine Damen und Herren, heute jährt sich zum hundertsten Mal der Geburtstag von Louise Schroeder. Die sozialdemokratische Politikerin hat entscheidenden Anteil an der demokratischen Entwicklung unseres Landes und vor allem Berlins in der Phase des Wiederaufbaus nach 1945 gehabt.
Als die sowjetische Besatzungsmacht Ernst Reuter die Ausübung des Amtes als Berliner Oberbürgermeister verwehrte, übernahm Louise Schroeder das schwere Amt und verkörperte während der Blockade 1948 vor aller Welt den Durchhaltewillen der in ihrer Existenz schwer bedrohten Stadt.
Unter ihrer Führung fanden sich alle demokratischen Kräfte zu gemeinsamer Abwehr der kommunistischen Bedrohung zusammen. Mit persönlichem Mut, Bescheidenheit und Prinzipientreue hat sie für die Erhaltung der Freiheit Berlins gekämpft.
Louise Schroeder kam aus einer Arbeiterfamilie in Hamburg-Altona. Kurz nach Aufhebung des Verbots der Zugehörigkeit von Frauen zu politischen Parteien schloß sie sich 1910 der SPD an.
Sie war Mitbegründerin der Arbeiterwohlfahrt und gehörte 1919 zu den ersten Frauen, die in die Weimarer Nationalversammlung gewählt wurden. 1920 wurde sie Mitglied des Reichstags, 1933 ging sie mutig den Männern voran in die von SA-Horden belagerte Kroll-Oper und stimmte mit der SPD-Fraktion gegen Hitlers Ermächtigungsgesetz.
Als Parlamentarierin hat sich Louise Schroeder für die Benachteiligten, die sozial Schwachen und die Jugendwohlfahrt engagiert. Auch im Deutschen Bundestag setzte sie ab 1949 diese Arbeit fort.
Diese tapfere Frau hatte keinen leichten Lebensweg. Trotzdem war sie es, die anderen immer wieder Hoffnung gab. Sie hat sich nicht an die Spitze gedrängt, aber sie hat Verantwortung angenommen und sich darin auf eine Art bewährt, die über ihre Zeit hinaus beispielgebend ist.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit für dieses Wort an Louise Schroeder, die heute ihren 100. Geburtstag begangen hätte.
Meine Damen und Herren, die Fraktion der SPD hat fristgerecht beantragt, die heutige Tagesordnung zu erweitern um die Beratung des Antrags „Mietpreisbindung Berlin als Dauerrecht", Drucksache 11/119. Die Fraktion DIE GRÜNEN hat fristgerecht eine Erweiterung der Tagesordnung, „Entwurf eines Gesetzes zur Beibehaltung und Verbesserung der Mietpreisbindung in Berlin", Drucksache 11/29, beantragt; das ist zeitlich eher eingegangen.
Wird dazu das Wort zur Geschäftsordnung verlangt? — Frau Abgeordnete Oesterle-Schwerin hat das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Die Fraktion der GRÜNEN beantragt, die heutige Tagesordnung zu ändern und als Punkt 1 die erste Lesung über unseren Gesetzentwurf zur Beibehaltung und zur Verbesserung der Mietpreisbindung in Berlin aufzunehmen. Unseren Gesetzentwurf haben wir schon im Februar eingereicht. Im Altestenrat war seit langem ausgemacht, daß diese erste Lesung heute hier stattfinden soll. Wir haben deswegen nur ganz wenig Verständnis dafür, daß wir vor zwei Tagen erfahren mußten, daß die Sache doch nicht auf die Tagesordnung kommen soll. Ich sage, wir haben nur wenig Verständnis dafür, weil wir natürlich schon wissen, warum den Koalitionsparteien, der CDU und der FDP, die Behandlung dieses Themas nicht nur generell, sondern ganz besonders heute unangenehm ist.
Während sich die CDU und die FDP in Berlin noch darüber streiten, wie hoch die Mietsteigerung sein darf, die sie den Berlinern zur 750-Jahr-Feier „schenken" wollen, formiert sich erneut und verstärkt der Widerstand der Mieter und der Mieterinnen in Berlin. Im Mai wird es eine von Mietervereinen organisierte Volksabstimmung geben, bei der die Mieter und Mieterinnen darüber befragt werden, ob sie für oder gegen eine Mietpreisbindung in Berlin sind.
Die Mobilisierung für diese Volksabstimmung läuft
jetzt an. Das ist der Grund dafür, daß Sie das Thema
heute hier vom Tisch haben wollen. Das ist verständ-
Frau Oesterle-Schwerin
lich. Aber das kann doch nicht im Ernst ein Grund dafür sein,
ein Thema, das für die Berliner keinen Aufschub verträgt, hier von der Tagesordnung abzusetzen.
Für die Berliner ist die Behandlung unseres Gesetzentwurfs äußerst dringlich, und zwar aus folgenden Gründen: erstens, weil in unserem Entwurf die Mietpreisbindung als Dauerrecht vorgesehen ist und weil nur dadurch eine bezahlbare Miete in Berlin gewährleistet werden kann.
Zweitens ist unser Entwurf so dringlich, weil er eine Mieterhöhung von höchstens 6 % im Laufe von zwei Jahren vorsieht.
und nur dadurch Mietexplosionen, wie sie in Hamburg und München stattgefunden haben, in Berlin verhindert werden können.
Ich möchte Sie daran erinnern, daß in anderen Ballungsgebieten Mietsteigerungen in Höhe von über 100 % im Laufe von zehn Jahren stattgefunden haben. — Das ist zur Geschäftsordnung.
Drittens ist die Behandlung unseres Entwurfs heute so dringlich,
weil schon jetzt mit Hilfe von Hochglanzbroschüren in der ganzen Bundesrepublik Spekulanten mit dem Argument nach Berlin gezogen werden, sie sollten jetzt dort Häuser kaufen, weil die Mieten dort in kurzer Zeit angehoben werden könnten.
Diese Spekulanten müssen jetzt abgewehrt werden. Das verträgt keinen Aufschub.
Unser Gesetzentwurf ist deswegen so dringlich, weil die Entwicklung der Lebenshaltungskosten in Berlin schon immer über der in der Bundesrepublik gelegen hat.
— Doch, das stimmt. Die durchschnittlichen Einkommen liegen in Berlin um ca. 15 % unter den Einkommen in vergleichbaren Ballungszentren in der Bundesrepublik. Nur weil die Mieten in Berlin um durchschnittlich 6 % niedriger liegen als in der Bundesrepublik, gibt es in Berlin einen Lebensstandard, der mit dem in der Bundesrepublik vergleichbar ist.
Bei der Einführung des weißen Kreises würden Tausende von Berlinern ihre Wohnungen nicht mehr finanzieren können. Das Wohngeld, mit dem Sie sie dann vertrösten wollen, würde nur dazu führen, daß die Begehrlichkeit der Hausbesitzer weiter wächst. Das führt zu einer Mietspirale ohne Ende.
Durch Marktwirtschaft ist noch nie eine Miete gesenkt worden. Mietpreisspiegel sind ein ganz prima Mittel dafür, die Mieten in die Höhe zu treiben.
So, meine Dame, Sie müssen zum Schluß kommen.
Ich komme jetzt zum Schluß, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Ich habe noch die salbungsvollen Worte im Ohr, mit denen der Bundeskanzler erst vor kurzer Zeit hier seine Solidarität mit Berlin beschworen hat.
Frau Kollegin, Sie müssen bitte Ihre Rede beenden. Die fünf Minuten sind weit überschritten.
Ja, ich beende meine Rede.
Ich frage den Bundeskanzler, ich frage die CDU und die FDP: —
Frau Kollegin, ich bitte Sie, zum Schluß zu kommen.
— Wem gilt Ihre Solidarität?
Gilt sie 1,2 Millionen Mieterinnen und Mietern, oder gilt Ihre Solidarität den Spekulanten?
Ich habe Ihnen gesagt, daß Sie die Redezeit überschritten haben. Ich bitte Sie, das Rednerpult zu verlassen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, was die Frage angeht, ob etwas „zur Geschäftsordnung" ist oder nicht, so fragen Sie sich bitte alle selbst, was Sie zu dem Thema hier oben schon gemacht haben, bevor Sie anderen Vorwürfe machen.
Als nächster hat Herr Kollege Wartenberg das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die SPD-Fraktion beantragt, ihren Antrag heute hier aufzusetzen. Sie wissen, die
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 8. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 2. April 1987 347
Wartenberg
Verlängerung der Mietpreisbindung ist ein Bundesgesetz. Dies ist nichts Neues für dieses Parlament. Es ist aber erstaunlich, daß, obwohl seit fünf Jahren feststeht, daß in diesem Jahr die Mietpreisbindung ausläuft, hier im Parlament in der ersten Sitzung des neuen Bundestages dies nicht beraten werden darf, obwohl wir unter Zeitdruck stehen.Auch der zweite Grund, warum wir meinen, daß dieses Gesetz hier auf der Tagesordnung stehen muß, ist ein formaler: weil der Senat von Berlin eine gute Tradition gebrochen hat.
Die Tradition in Berlin war immer die, daß, bevor man in den Bundestag geht, die Berliner Parteien vom jeweiligen Senat zu einem Gespräch eingeladen werden, um vorher eine Übereinkunft über die Mietengesetzgebung zu erzielen.Seit einem Jahr, genau seit dem 23. April 1986, liegt ein Antrag zur Verlängerung der Mietpreisbindung als Dauerrecht der SPD-Fraktion des Abgeordnetenhauses im Abgeordnetenhaus von Berlin vor. Ein Jahr lang hat dieser Senat dieses Gesetz nur bekämpft und gesagt: Die Mieten müssen freigegeben werden. Er hat zu keinem Gespräch aufgerufen. Er hat überhaupt keine Bemühung unternommen, hier für Berlin etwas zu tun. Da es aber ein Bundesgesetz ist und wir nicht länger warten können, müssen wir, wenn der Berliner Senat die Interessen der Berliner nicht vertritt, hier im Bundestag selbst tätig werden.
Ich glaube, das sollte auch Ihnen zu denken geben. Jetzt, kurz vor der Urabstimmung, die Sozialdemokraten, Mieterverein und andere Organisationen organisieren, kriegt der Senat die Hosen voll und fängt an, ein bißchen über die Mietenfrage zu diskutieren
— das geht — , aber lädt die Berliner Fraktion des Abgeordnetenhauses immer noch nicht zu einem Gespräch ein, um vor der Sommerpause in diesem Bundestag die Mietensituation der Stadt zu diskutieren und zu einem vernünftigen Beschluß zu kommen. Die Mietensituation der eingeschlossenen Stadt, der Stadt ohne Umland, ist eine andere als in jedem Ballungsgebiet. Dieser Verantwortung ist sich der Deutsche Bundestag in den vergangenen Jahren trotz gewisser Bedenken immer bewußt gewesen.Ich kann Sie nur aufrufen, sich dieser Verantwortung bewußt zu sein und mit unserem Antrag zu versuchen, den Berliner Senat endlich aufzufordern, den Pflichten nachzukommen, die er gegenüber den Berlinern hat und hier vor dem Deutschen Bundestag einlösen muß. Der Berliner Senat hat gegenüber dem Bundestag seine Pflichten nicht eingelöst. Wir sind deswegen dazu verpflichtet, hier im Bundestag von uns aus etwas zu unternehmen.
Wir fordern Sie dazu auf, nicht nur in Sonntagsreden etwas zu Berlin zu sagen, sondern auch konkret etwas zu machen.Vielen Dank.
Weiter zur Geschäftsordnung hat das Wort der Abgeordnete Seiters.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte zur Klarstellung des Sachverhalts doch zunächst noch einmal darauf hinweisen, daß in der 9. Wahlperiode des Deutschen Bundestages alle hier im Parlament vertretenen Fraktionen fast einstimmig die heute bestehende Rechtslage geschaffen haben.
Ist ja nicht ganz unwichtig, wenn man zunächst einmal darauf hinweist. Diese Rechtslage sagt aus, daß die Mietpreisbindung für Altbauwohnungen in Berlin zum 31. Dezember 1987 bei dann abzuschließenden neuen Mietverträgen beendet wird, bei bestehenden Mietverhältnissen zum 31. Dezember 1989.Es handelt sich um eine sehr detaillierte Regelung, die damals nach langen und schwierigen Beratungen in und mit den einzelnen Fraktionen dieses Hauses unter besonderer Beteiligung aller Berliner Abgeordneten und des Berliner Senats gefunden worden ist. Aus unserer Sicht war auch dies ein Zeichen der besonderen Anteilnahme und Fürsorge, die wir Berlin aus unserer gesamtpolitischen Verantwortung heraus stets haben zukommen lassen. An dieser Verantwortung wird sich auch in der Zukunft überhaupt nichts ändern.Deswegen möchte ich doch zu den etwas merkwürdigen Umständen etwas sagen, die zu der heutigen Geschäftsordnungsdebatte geführt haben, die sich bei vernünftiger Bereitschaft zum Konsens ohne weiteres hätte vermeiden lassen.
Die Fraktion der GRÜNEN hat einen Gesetzentwurf zur Mietpreisbindung in Berlin eingebracht — alles in Ordnung — , besteht aber darauf, ihn bereits heute, wo wir ohnehin unter Zeitdruck stehen,
— das ist eine Geschäftsordnungsdebatte; es geht leider nicht — hier im Parlament in erster Lesung zu beraten. Nun wollen wir doch einmal ehrlich sein und darauf hinweisen, daß alle Fraktionen dieses Hauses sich auf einen Zeitplan für heute geeinigt haben, den wir ohnehin schon um anderthalb Stunden überschreiten, und zwar auch deshalb überschreiten, weil wir kurzfristig zugestimmt haben, daß heute nachmittag noch ein von der Fraktion DIE GRÜNEN als eilbedürftig bezeichneter Antrag zum Kernkraftwerk Stade auf die Tagesordnung genommen worden ist.
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348 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 8. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 2. April 1987
Seiters— Sie können sich überhaupt nicht über die Behandlung im Parlament beklagen, meine Damen und Herren. Wenn Sie sich mit Ihren Dingen nicht durchsetzen, liegt es nämlich meist an Ihnen selbst, wie gestern exemplarisch deutlich geworden ist, als Sie zwei Abgeordnete in den Richterwahlausschuß und in das Wahlmännergremium hätten entsenden können; aber wenn von Ihren 44 Abgeordneten nur 28 hier sind und ihren eigenen Mann wählen wollen, dann geht das eben nicht.
Wir wollen einmal der erstaunten Öffentlichkeit in diesem Zusammenhang mitteilen, daß der Kollege Schily und die Kollegin Vollmer nur deswegen nicht im Richterwahlausschuß und im Wahlmännergremium sind, weil 16 Abgeordnete Ihrer Fraktion überhaupt nicht ihren parlamentarischen Pflichten hier nachkommen; das ist der Punkt.
— Daß Ihnen das nicht gefällt, kann ich mir wohl vorstellen, aber es war vielleicht doch wichtig, diese Mitteilung für die Öffentlichkeit noch zu machen.
Aber, Herr Kollege Seiters, Sie werden bestätigen, daß ich mit meiner Bemerkung zur Art der Geschäftsordnungsdebatten, die wir hier geführt haben, recht hatte.
Herr Präsident, ich habe gerade gesagt, daß es völlig in Ordnung ist, daß die GRÜNEN einen Gesetzentwurf eingereicht haben; das ist völlig klar. Wir wollen dies heute in erster Lesung nicht behandeln, und zwar auch deswegen: Gestern haben sich die Fachausschüsse des Deutschen Bundestages überhaupt erst konstituiert. Sie können in dieser Woche überhaupt gar nicht mehr tagen. In wenigen Stunden geht das Parlament in die Osterpause, ohne daß überhaupt noch — Sie haben von Dringlichkeit gesprochen — irgendeine Möglichkeit besteht, in der Sache zu verhandeln.
Deshalb ist meine Fraktion der Auffassung gewesen, daß die heutige Behandlung des Gesetzentwurfes der GRÜNEN in erster Lesung zu einem sicherlich wichtigen und komplexen Bereich, wie es der Wohnungsmarkt in Berlin ist, der Sache nicht gerecht wird und nicht angemessen ist.
Was wir wollen, ist eine seriöse und eingehende Beratung der Materie und kein Schaulaufen zu Lasten
eines guten Ergebnisses, — damit auch das einmal klar ist.
Ich bin auch der Meinung, daß wir aus Fehlern der vergangenen Legislaturperiode ein bißchen lernen sollten. Wir sollten die Gesetzgebungsarbeit des Parlaments nicht schon zu Beginn dieser Legislaturperiode mit Hektik beginnen. Wir haben — das ist ein vernünftiges Angebot — auch gestern in der Geschäftsführerbesprechung vorgeschlagen, in der ersten oder zweiten Sitzungswoche des Bundestages nach Ostern dieses Thema zu behandeln und anschließend zügig im Fachausschuß zu beraten.
Deshalb beantrage ich für meine Fraktion, für heute den Antrag der GRÜNEN und in Verbindung damit auch den Antrag der SPD zur Aufsetzung auf die Tagesordnung abzulehnen.
Ebenfalls zur Geschäftsordnung hat der Abgeordnete Lüder das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Fraktion der Freien Demokraten schließt sich dem Antrag an, heute diese beiden Anträge hier nicht zu beraten, und zwar aus folgenden Gründen.
— Wenn Sie ein bißchen besser über Berlin informiert wären, wüßten Sie, daß sich der Senat längst einig ist und daß wir nicht in der Sache streiten, sondern über eine sachgerechte Lösung nachdenken.
Wenn Sie die Themen, die mit dem Wohnungsbau und mit der Wohnungspolitik in Berlin zusammenhängen, ernsthaft behandeln wollen, dann darf das nicht in der Art und der Hektik des heutigen Tages geschehen. Wir werden uns mit allen Sachargumenten auseinandersetzen, die hier von der Frau Kollegin Oesterle-Schwerin vorgetragen worden sind. Wir werden dann darauf hinweisen, wie falsch die Mietpreisbindung für Berlin schon immer war und wie falsch es ist, sie zu verlängern.
Wir werden z. B. darauf hinweisen, daß die unterschiedliche Rate der Preisentwicklung zwischen Berlin und dem Bund im Jahre 1985 — um eine Zahl zu nennen, die man nachprüfen kann — durch die übergroßen Steigerungsraten gerade im Bereich staatlich verordneter Mieten und nicht im Bereich der freien Mieten bedingt war.
Zu dem Antrag der Sozialdemokraten! Wir werden erstens darauf hinweisen, daß die Zahlen, die dort zugrunde gelegt werden, von der Sache her nicht stimmen. Es ist nicht richtig, wenn hier gesagt wird, die Abrißpolitik führe gegenwärtig zu mehr Abrissen als in der Vergangenheit.
Wir werden uns zweitens in der Sache damit auseinandersetzen müssen, wie wir es eigentlich mit der
Lüder
Pflege des Wohnungsbestandes halten wollen. Das, was bisher in Berlin geschehen ist, führt dazu, daß es alle 500 Jahre zu einer Erneuerung des Hausbestandes kommt; aber das ist nicht erträglich.
Herr Präsident, ich will hier nicht zur Sache sprechen,
obwohl ich es getan habe. Ich nehme mir auch in dieser ersten Rede zur Geschäftsordnung die Freiheit, die altgediente Abgeordnete hier längst in Anspruch nehmen.
Meine Damen und Herren, das Thema Wohnen in Berlin ist erstens zu wichtig, als daß wir es hier in dieser Hektik behandeln könnten.
— Zweitens haben wir schon längst etwas getan. Drittens wollen wir nicht den Umweg gehen, den die Sozialdemokraten ausweislich ihres Antrags begehen wollen: Der Bundestag soll unterstützen, daß die SPD in Berlin den Senat auffordert, dem Bundesrat einen Gesetzentwurf vorzulegen, der, nachdem er die langsamen Mühlen des Bundesrates durchlaufen hat, erst im nächsten Jahr hier behandelt werden kann.
— Lieber Herr Wartenberg, vielleicht haben wir ein unterschiedliches Traditionsverständnis. Ich halte mich nicht so gerne an Traditionen wie manche Sozialdemokraten. Ich bin an der Sache orientiert, und ich möchte, daß wir eine sozial abgefederte Regelung für Berlin bekommen. Darum werden wir uns bemühen; das werden wir im Mai und nicht heute hier besprechen.
Weitere Wortmeldungen zur Geschäftsordnung liegen nicht vor.Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktion der SPD auf Erweiterung der Tagesordnung. Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. —
Wer stimmt dagegen? — Der Antrag ist mit Mehrheit abgelehnt.Wir kommen zu dem Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Erweiterung der Tagesordnung. Wer für diesen Antrag zu stimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Auch dieser Antrag ist mit Mehrheit abgelehnt.Meine Damen und Herren, bevor wir in die Tagesordnung eintreten, möchte ich Sie mit einem Gast bekanntmachen. In der Ehrenloge hat der Präsident des Europäischen Parlaments, Sir Henry Plumb, mit seiner Begleitung Platz genommen.
Im Namen des Deutschen Bundestages heiße ich Sie, sehr geehrter Herr Präsident, sehr herzlich willkommen. Wir wissen Ihren Besuch bei uns hoch zu schätzen. Die Beziehungen zwischen unseren Parlamenten haben von jeher einen besonderen Charakter, denn es ging und es geht uns um die Stärkung des demokratischen Elements in der Europäischen Gemeinschaft.Mit Freude haben wir auch Ihren Besuch in Berlin kurz nach Übernahme des Präsidentenamtes im Januar zur Kenntnis genommen. Im nächsten Monat werden Sie das erweiterte Präsidium des Europäischen Parlaments zu einer Sitzung nach Berlin einberufen. Ihre Besuche dort unterstreichen die europäische Solidarität mit der geteilten Stadt. Dafür sind wir Ihnen besonders dankbar.
Ich wünsche Ihnen, sehr geehrter Herr Präsident, gute Gespräche und einen angenehmen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland.Ich habe nun noch eine amtliche Mitteilung zu machen. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die verbundene Tagesordnung erweitert werden. Die Punkte sind in der Ihnen vorliegenden Zusatz-punktliste aufgeführt:1. Beratung des Antrags der Fraktion DIE GRÜNENEinsetzung eines Ausschusses für Frauenpolitik— Drucksache 11/101 —2. Beratung des Antrags der Fraktion der SPD Gewalt in Staat und Gesellschaft— Drucksache 11/116 —3. Aktuelle StundeHaltung der Bundesregierung zu den Agrarpreisbeschlüssen der EG-Kommission4. Beratung des Antrags der Fraktion DIE GRUNEN Nichtinbetriebnahme des Atomkraftwerks Stade— Drucksache 11/104 —5. Beratung des Antrags der Fraktion der SPDGefahren von AIDS und wirksame Wege zu ihrer Eindämmung— Drucksache 11/117 —6. Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und FDPEinsetzung einer Enquete-Kommission „AIDS"— Drucksache 11/120 —7. Beratung des Antrags der Fraktion DIE GRÜNEN Einsetzung einer Enquete-Kommission-- Drucksache 11/122 —Zusätzlich soll der Antrag der Fraktion der SPD „Atomkraftwerk Stade" — Drucksache 11/130 — auf die Tagesordnung gesetzt und in verbundener Beratung mit Zusatzpunkt 4 aufgerufen werden. Sind Sie mit der Erweiterung der Tagesordnung einverstanden? — Ich höre und sehe keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
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350 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 8. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 2. April 1987
Vizepräsident WestphalNun rufe ich Punkt 14 der Tagesordnung:a) Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und FDPDeutscher Bundestag gegen Gewalt und Rechtsbruch in der politischen Auseinandersetzung— Drucksache 11/83 —b) Beratung des Antrags der Fraktion der SPD Verteidigung der inneren Liberalität und Stärkung der Demokratie— Drucksache 11/17 — sowie Zusatzpunkt 2:Beratung des Antrags der Fraktion der SPD Gewalt in Staat und Gesellschaft— Drucksache 11/116 —
auf.Meine Damen und Herren, nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die gemeinsame Beratung dieser Tagesordnungspunkte zweieinhalb Stunden vorgesehen. — Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Geißler.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren!
Die Koalitionsfraktionen legen Ihnen einen Antrag für den demokratischen Rechtsstaat und gegen die politisch motivierte Gewalttätigkeit in der Bundesrepublik Deutschland vor.Die politisch motivierte Gewalttätigkeit hat in den letzten Jahren dramatisch zugenommen. Nach den offiziellen Angaben des Bundesministers des Innern entfielen von den 452 Brand- und Sprengstoffanschlägen im Jahre 1986 445 auf Linksextremisten, 4 auf Rechtsextremisten und 3 auf Ausländer. Die terroristischen Morde der letzten Zeit gingen genauso wie die Morde Ende der 70er Jahre auf das Konto linksextremistischer Gruppierungen wie „Rote Armee Fraktion" oder „Revolutionäre Zellen". Das gleiche gilt für die Gewalttätigkeiten der Chaoten in Hanau, Brokdorf und Wackersdorf.Nun will ich nicht behaupten, daß irgendeine Fraktion in diesem Parlament diese Gewaltmaßnahmen direkt zu verantworten hat,
aber die GRÜNEN, die Wunschpartner der Sozialdemokratischen Partei
in Bund und Ländern,
haben in ihrem Bundesprogramm Sitzstreiks, Wegesperren, Blockaden, die Landesversammlung in Hessen sogar Sabotage — was im Klartext doch heißt:Nötigung, Sachbeschädigung, Hausfriedensbruch, Landfriedensbruch — zur Durchsetzung ihrer Ziele für erlaubt erklärt. Der Vorstandssprecher der GRÜNEN Lukas Beckmann sagte: Die Aktionen des aktiven gewaltfreien Widerstands schließen Gewalt gegen Sachen nicht aus. Wir kennen die Aussagen von Frau Ditfurth, von Frau Jelpke von der GAL und von anderen.Diese Aktionen gehen im übrigen — das möchte ich an die Adresse der SPD sagen — weit über das hinaus, was von den Theoretikern des zivilen Ungehorsams wie Habermas, Rawls, Dreyer, Frankenberg und anderen in dem schönen Büchlein von Peter Glotz, vor drei Jahren herausgegeben, zwar nicht als legal, aber als legitim angesehen wurde.
Wir wissen, daß die Gewalt gegen Sachen der erste Schritt auf dem Weg in den Terrorismus ist.
Die Entwicklung der Baader-Meinhof-Bande von der Kaufhausbrandstiftung bis zu den Morden der RAF beweist: Von der bewußten und politisch motivierten Gesetzesübertretung und der Gewalt gegen Sachen bis zur Gewalt gegen Personen ist nur ein ganz kurzer Weg.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, politische Ethik kann die Anwendung von Gewalt gegen den Staat nicht immer und unter allen Umständen ausschließen. Es gab Situationen in der Geschichte, in denen der Widerstand gegen den Staat und seine Organe berechtigt und notwendig war. Das Attentat auf Hitler, der Sturz von Somoza, die Untergrundtätigkeit christlicher Demokraten und Sozialisten in Chile, das Drucken und die Weitergabe von „Samisdat" in der Sowjetunion, der Aufstand des 17. Juni und der Einsatz von „Solidarnosc" in Polen sind sittlich erlaubt. Denn diese Aktionen des Widerstandes, auch verbunden mit der Übertretung legaler Gesetze, dienten und dienen entweder zur Abwehr langanhaltender schwerster Menschenrechtsverletzungen oder zur Durchsetzung elementarer Menschenrechte und Freiheitsrechte der Menschen und erfolgten in der sicheren Erkenntnis, daß eine Veränderung der Verhältnisse mit legalen oder friedlichen Mitteln nicht mehr möglich war.Ist es aber auf dem Hintergrund dieser Tatsache nicht ein absurdes Theater, daß die GRÜNEN und ihre Freunde, so z. B. Frau Rust erst neulich im Deutschen Bundestag, erklären, die Ursache für die heutige Gewaltanwendung in der Bundesrepublik Deutschland, z. B. „dieses Schmeißen von Steinen" , sei die Atompolitik der Regierung? Ich muß es noch einmal sagen: Das ist absurdes Theater, weil aus der Sicht der GRÜNEN und ihrer Freunde offenbar der demokratische Rechtsstaat Bundesrepublik Deutschland in einen atomaren Zwangsstaat umgedeutet wird, einer Diktatur vergleichbar.
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 8. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 2. April 1987 351
Dr. GeißlerIch will die Probleme der Kernenergie und die damit verbundenen Empfindungen der Menschen, die Ängste vor der Wiederholung eines Unfalls wie in Tschernobyl
nicht bagatellisieren und bin mir darüber im klaren, daß jemand subjektiv die friedliche Nutzung der Kernenergie als eine existentielle Bedrohung empfinden kann.
Aber rechtfertigt eine so empfundene Überlebensfrage die Anwendung von Gewalt und zivilem Ungehorsam gegenüber einem demokratischen Rechtsstaat? Dies ist die zentrale Frage. Vermögen diejenigen, die so argumentieren, eigentlich nicht zu unterscheiden zwischen einem menschenverachtenden Unrechtssystem mit dem Ziel der Verletzung der Menschenrechte, der Zerstörung menschlichen Lebens und dem politischen Streit um die Anwendung einer bestimmten Technik der Energiegewinnung mit zugegebenermaßen unterschiedlich einzuschätzenden und möglicherweise sehr hohen Risiken?
Selbst in manchen kirchlichen Kreisen, so scheint mir, kann man eine solche Unterscheidung nicht mehr machen.
Man hat fast den Eindruck, daß dort der vor 50 Jahren in Deutschland gegenüber der Nazityrannei nicht stattgefundene Widerstand heute gegenüber dem demokratischen Rechtsstaat gefahrlos nachgeholt werden soll.
Es ist schwer vorstellbar, daß z. B. die Widerstandskämpfer der Weißen Rose oder des 20. Juli Verständnis für die Menschen aufbrächten, die heute gegen den Staat Widerstand leisten, für dessen Prinzipien von Recht und Freiheit die damaligen Widerstandskämpfer ihr Leben gewagt und geopfert haben.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wie ernst nehmen eigentlich die GRÜNEN und ihre Freunde selbst diese sogenannte Überlebensfrage, wenn sie zwar unter dieser Überschrift Widerstand gegen die Kernenergie in der Bundesrepublik Deutschland leisten, aber auf ihrer Bundesdelegiertenversammlung in Hannover mit großer Mehrheit die Aufforderung an die Sowjetunion abgelehnt haben, dort die Kernkraftwerke abzuschalten?
Wo war eigentlich Ihr lautstarker Protest, als Tschernobyl wieder ans Netz ging? Ich habe von Ihnen überhaupt nichts gehört!
Wie glaubwürdig ist eigentlich dieser Widerstand im Namen des Lebens — —
— Herr Präsident, ich lasse im Moment keine Zwischenfragen zu.Ich frage Sie: Wie glaubwürdig ist eigentlich dieser Widerstand im Namen des Lebens, wenn Sie gleichzeitig die jährlich hunderttausendfache Vernichtung der schwächsten Form des menschlichen Lebens, nämlich des ungeborenen Lebens, nicht nur hinnehmen, sondern auch freigeben wollen?
Ich frage Sie weiter: Wer bestimmt eigentlich, was eine Überlebensfrage ist? Vor fünf Jahren haben die GRÜNEN zusammen mit den Sozialdemokraten und mit Kommunisten den NATO-Doppelbeschluß zu einer Frage von Frieden oder Krieg, von Leben oder Tod gemacht. Günter Grass, einst Barde und Sprecher der Sozialdemokratischen Partei — nicht amtlicher Sprecher, aber Sprecher der Sozialdemokratischen Partei im überhöhten Sinne — , verglich damals den NATO-Doppelbeschluß, also den Fahrplan zur Null-Lösung, mit der Machtergreifung Adolf Hitlers. Daran möchte ich erinnern.Wir wollen den Millionen von Menschen in der Bundesrepublik Deutschland, die aus einer guten Gesinnung heraus falschen Argumenten, den Verdrehungen und den negativen Prophezeiungen bis auf die Straße gefolgt sind, damals wie heute keinen Vorwurf machen. Aber vor den politisch Verantwortlichen bei den GRÜNEN und bei der Sozialdemokratischen Partei, die in dieser Weise die Begriffe verdrehen, die Geister verwirren
und dadurch die Begründung für eine elitäre Moral und die daraus resultierende Gewalttätigkeit gegeben haben, wollen und müssen wir unseren demokratischen Rechtsstaat in Schutz nehmen.
Aus dieser Geistesverwirrung heraus haben übrigens Habermas und andere — das habe ich vorhin schon zitiert — komplette Rechtfertigungstheorien für den zivilen Ungehorsam und den angeblich gewaltlosen Widerstand gegen den NATO-Doppelbeschluß konstruiert.
Diese Rechtfertigungstheorien sind kläglich zusammengebrochen. Heute wie damals können sie im übrigen keine Antwort auf die Frage geben, wie eigentlich
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352 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 8. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 2. April 1987
Dr. Geißlerder Rechtsstaat nach ihrer Theorie reagieren soll, wenn möglicherweise heute Rechtsradikale unter Berufung auf Gewissen und subjektives Rechtsgefühl Sinti und Roma umzingeln oder Türken am Betreten ihrer Arbeitsplätze hindern sollten. Wie soll eigentlich der Rechtsstaat gegenüber dieser elitären Moral reagieren, wenn diese Theorien für andere Ziele gerechtfertigt werden? Nein, wir lehnen eine solche selektive und elitäre Moral ab. Unrecht, das auch im Rechtsstaat vorkommen kann und vorkommt, muß mit Ausnahme der Voraussetzungen des Art. 20 Abs. 4 mit legalen Mitteln bekämpft werden.Es ist im übrigen auch an der Zeit, der Begriffsverwirrung entgegenzutreten, die die Linke in der Bundesrepublik Deutschland betreibt. Sicher ist niemand berechtigt, Leute, die demokratische Versammlungen mit akustischem Lärm sprengen, wie dies auch vor der letzten Bundestagswahl gerade von der linken Seite immer wieder gemacht worden ist, oder Leute, die durch massenhafte Blockade und Wegestreiks den Verkehr lahmlegen und die Rechte Dritter beeinträchtigen,
zu potentiellen Gewalttätern zu erklären. Aber dies gilt für alle; ich mache hier gar keine Unterschiede. Sie üben nämlich durch aggressive Regelverletzungen in demonstrativer Absicht Terror aus, egal, ob wir dies als sanften Terror, akustischen Terror oder psychischen Terror bezeichnen wollen.
Nicht jede dieser neototalitären Aggressionen ist gefährlich. Gefährlich ist aber die Legitimitätskonzession diesen Aggressionen gegenüber.Meine sehr verehrten Damen und Herren, unbestritten ist — wie dies auch in der Formulierung des Art. 20 Abs. 4 zum Ausdruck kommt — , daß Widerstand und ziviler Ungehorsam immer nur als letzte Möglichkeit, als Ultima ratio, in Frage kommen können. Der gewaltsame Widerstand z. B. im Nazi-Deutschland, in der Sowjetunion und in Chile legitimiert sich aus der Unmöglichkeit einer friedlichen und rechtsstaatlichen Veränderung der Verhältnisse. Wer aber gibt eigentlich den GRÜNEN und ihren Freunden das Recht, hier in der Bundesrepublik Deutschland solche Voraussetzungen zu unterstellen? Sie haben alle Möglichkeiten, eine Änderung der politischen Verhältnisse innerhalb des Rechtsstaats und unserer demokratischen Ordnung zu erreichen. Sie haben die Freiheit der Information, der Meinungsäußerung, der Anrufung der Gerichte, der Demonstration, der Teilnahme an Wahlen, der Gründung von Parteien. Sie haben alle demokratischen Möglichkeiten, Ihre politischen Ziele zu erreichen. Nur eines haben Sie nicht, nämlich die Mehrheit. Aber das ist entscheidend. Es ist allerdings den GRÜNEN offenbar egal. Ich zitiere Ihren Sprecher — Herr Ebermann sitzt unter uns — : „Legal, illegal, scheißegal. Dies widerspiegelt die Verfassung der grünen Partei. " Dies ist ein Zitat von Herrn Ebermann aus jüngster Zeit.
Ich darf auch sagen: Es war Ihr kommunistischer Sprecher, denn Sie haben sich ja dazu bekannt. Der Salon-Realo Otto Schily meinte,
wenn es um Existenzfragen gehe, könne eine qualifizierte Minderheit ein größeres Gewicht als die quantitative Mehrheit haben. Wenn es also um Existenzfragen gehe, könne die qualitative Minderheit — die Elite oder was immer man darunter versteht — ein größeres Gewicht als die quantitative Mehrheit haben. Hier sitzen Sie also in Ihrer ganzen Schönheit, die intellektuell und moralisch Privilegierten der Nation,
die natürlich besser als die anderen informiert sind, tiefer denken, sensibler empfinden und reagieren als die irrenden gewählten Organe der Demokratie.
Die Frage, wer zu diesem elitären Kreis gehört, können natürlich wiederum nur diejenigen beurteilen, die diesem elitären Kreis selber zugehören. Welche Privilegien dieser elitäre Kreis für sich in Anspruch nehmen kann, entscheiden natürlich wieder die Privilegierten selber. Welche Rechtsverletzungen, welche Regelverstöße erlaubt und gerechtfertigt sind, wird auch alles in diesem elitären Kreis beschlossen, genauso die Frage, ob die in einer freien Abstimmung beschlossenen Gesetze
wie z. B. das Volkszählungsgesetz zu dulden oder zu sabotieren sind.Diese selbsternannte Kaste würde in der deutschen Politik nicht die geringste Rolle spielen, wenn es nicht die Sozialdemokraten gäbe. Das ist wahr.
Die Sozialdemokraten tragen die politische Schuld und Verantwortung, daß die Vertreter einer solchen elitären Unmoral, so muß ich sagen, und der daraus notwendig resultierenden Gewalttätigkeit Zugang zur Regierungsverantwortung bekommen und so die Gelegenheit erhalten sollen, ihre antidemokratischen Grundsätze zu verwirklichen. Wie soll eigentlich der gesetzestreue Bürger — diese Frage möchte ich auch an die Adresse der Sozialdemokraten stellen — , der jede Übertretung eines Parkverbotes mit drastischen Strafen büßen muß, eine positive Einstellung zum Rechtsstaat bewahren können, wenn Leute mit Ihrer Hilfe Minister werden,
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 8. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 2. April 1987 353
Dr. Geißlerdie zur Durchsetzung ihrer selbstdefinierten höheren Ziele letztendlich die Übertretung von Strafgesetzen rechtfertigen, die für alle gelten?
Es kann doch nicht so weitergehen.
Es kann doch nicht so weitergehen, daß unsere Polizeibeamten in den untersten Besoldungsgruppen von A 5 bis A 9 den Rechtsstaat gegen diese elitäre Moral und die daraus resultierende Gewalttätigkeit mit vielen Überstunden, oft verletzt und beschimpft, verteidigen,
daß sich aber die geistigen Urheber dieser elitären Moral und der daraus resultierenden Gewalttätigkeit, wie z. B. Josef Fischer, in der höchsten Besoldungsstufe B 11 als Minister von dem Rechtsstaat bezahlen lassen, den sie bekämpfen.
Früher hätten Sie als Sozialdemokraten an einer solchen Stelle Beifall gespendet; davon bin ich überzeugt.
Heute im Schlepptau der GRÜNEN schweigen Sie. Fragen Sie sich einmal, was Ihr früherer Kronjurist Adolf Arndt heute zu Ihnen sagen würde.
Staatsverständnis und Gewaltbegriff waren damals bei den Sozialdemokraten geklärt. Heute koalieren sie mit den GRÜNEN, und Adolf Arndt würde dasselbe Schicksal wie Axel Wernitz erleiden.
Nicht nur in Fragen wie der friedlichen Nutzung der Kernenergie, auch in Fragen des Rechtsstaats sind die Sozialdemokraten dabei, ihre Identität zu verlieren; ich muß dies leider sagen. Der Rechtsstaat ist nicht nur eine Errungenschaft der bürgerlichen Revolution, sondern auch der Arbeiterbewegung. Die Aushöhlung des Rechtsstaates schadet nicht denen, die ihre intellektuellen und wirtschaftlichen Ellenbogen gebrauchen, die mit der Gewalt kokettieren und alle rechtlichen Kniffe und Finessen kennen. Die Aushöhlung des Rechtsstaates schadet vielmehr den vielen Bürgerinnen und Bürgern, die sich gesetzestreu verhalten und z. B. als Arbeitnehmer für ihre soziale Sicherheit den Schutz des Rechtsstaates benötigen.
Ein funktionierender Sozialstaat setzt einen funktionierenden Rechtsstaat voraus.
Es ist leider eine historische Tatsache, daß in dieser Republik das Thema Gewalt ein Thema der Linken geworden ist.
Es waren linke Professoren, die damals im Zusammenhang mit dem Buback-Nachruf eine öffentliche Gewaltdiskussion in vielen Universitäten einleiteten. Es sind bis heute Linke, von Oskar Negt, Dieter Seng-haas, Jürgen Habermas bis zu den Jungsozialisten und den Redakteuren der „taz", die unter dem Stichwort strukturelle Gewalt und anderen falschen Begriffen diese Tradition fortsetzen. Oder wollen Sie eigentlich leugnen, daß die Linken, die Neomarxisten, die Jungsozialisten in ihrer eigenen Partei, die K-Gruppen an den Universitäten, der MSB Spartakus — der Koalitionspartner der Jungsozialisten an vielen deutschen Universitäten — für den psychischen und physischen Terror bei vielen Universitätsdiskussionen verantwortlich sind, daß sie ebenso für den die Verwilderung der Argumente, für die bewußte Verschleierung und Verwischung der Begriffe, für die maßlose Diffamierung unserer rechtsstaatlichen Demokratie verantwortlich sind?
Man kann auch nicht bestreiten, daß auch der Terrorismus als wahnwitzige politische Option, wie Karl Steinbuch ihn einmal genannt hat, nur auf dem Hintergrund einer böswilligen Verteufelung unserer Lebensordnung begreifbar wird, in der angeblich alle Formen von Repression, Ausbeutung, Konsumterror, Umweltterror und Polizeiterror als Inhalte unserer staatlichen Ordnung praktiziert werden.Das antidemokratische Denken der Rechten stand Pate bei der Zerstörung der Weimarer Republik.
Was sich heute auf der linken Seite abspielt, ist nicht von geringerer Bedeutung als die Verweigerung der Loyalität gegenüber der Weimarer Republik damals durch die rechte Intelligenz.
Damals rief der Reichskanzler Wirth im Deutschen Reichstag aus: Der Feind steht rechts. — Ich will keine der in diesem Parlament vertretenen Parteien, auch nicht DIE GRÜNEN, mit den Feinden der damaligen Demokratie identifizieren.
Aber etwas ist doch wahr: Die Gefahr für den Rechtsstaat kommt heute von links!
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354 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 8. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 2. April 1987
Dr. GeißlerDie Christlich Demokratische Union bekennt sich zum demokratischen und sozialen Rechtsstaat und zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung, wie sie in Art. 20 des Grundgesetzes niedergelegt sind. Nicht diejenigen, die diese Ordnung mit Absicht verletzen, können sich auf Art. 20 Abs. 4 und das darin enthaltene Widerstandsrecht berufen und haben ein Recht auf Widerstand, sondern umgekehrt muß Widerstand geleistet werden im Sinne unserer Verfassung — so steht es in Abs. 4 dieses Grundgesetzartikels — gegen alle, die es unternehmen, diese rechtsstaatliche und freiheitliche Grundordnung mit ihren Maßnahmen und Aktivitäten zu zerstören.
Das Wort hat der Abgeordnete Bernrath.
Herr Präsident! Verehrte Damen! Meine Herren! Eben hat uns ein elitärer Polemiker ein Schauergemälde von der Bundesrepublik gezeichnet, besorgt — wie er sagt — um die Handlungsfähigkeit, um die Glaubwürdigkeit unseres demokratischen Rechtsstaats. Ich will dazu einmal eine Frage stellen. Seit gestern gibt es den von Ihnen beschlossenen — Sie haben das durchgesetzt — angeblich fälschungssicheren, mit Sicherheit aber maschinenlesbaren Personalausweis. Er wird ausgegeben, obwohl trotz einstimmiger Entschließung des Deutschen Bundestages die dazugehörenden ergänzenden, bereichsspezifischen Gesetze im Bereich des Datenschutzes, der Meldegesetze, der Verfassungsschutzgesetze nicht nur nicht vorliegen, sondern nach wie vor in ihrem materiellen Inhalt auch noch gar nicht erkennbar sind. Wir wissen nicht, ob sie überhaupt kommen. Nach dem mageren Ergebnis der Koalitionsgespräche muß das jedenfalls bezweifelt werden.
In dem Zusammenhang stellt sich die Frage, wo der Schutz des Rechtsstaates bleibt, der bei Einführung solcher Instrumente notwendig ist, um den inneren Frieden zu gewährleisten, das Vertrauen unserer Mitbürger in den Rechtsstaat zu erhalten.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Hirsch?
Ich lasse ebensowenig wie mein Vorredner Zwischenfragen zu.Einige Tage vor der Hessen-Wahl fällt es Ihnen dagegen offensichtlich ein, daß es dringend notwendig ist, sich mittels zweier Druckseiten Propaganda zu Gewalt und Rechtsbruch in der politischen Auseinandersetzung zu äußern. Das kennzeichnet die Lage, in der wir uns befinden.
Vielleicht wäre es besser gewesen, wenn Sie sich gestern, vorgestern oder auch heute noch einmal zur Stahlkrise geäußert hätten, um dadurch Ihren Beitrag zum inneren Frieden zu leisten, um damit Vertrauen zu schaffen.
Vielleicht wäre es besser gewesen, die BangemannSprüche zurechtzurücken und damit inneren Frieden zu bewahren, statt nun zur Freude Ewiggestriger mit markigen Law-and-Order-Sprüchen in die rechte Kiste zu greifen und damit Verwirrung zu stiften.
Sie tun das, verehrter Herr Kollege Olderog, wohl wissend, daß der innere Friede, daß insbesondere der demokratische Staat in unserem Vaterland immer von rechts gefährdet worden ist und nicht von links.
Aber das hängt ganz offensichtlich damit zusammen, daß es bei Ihnen nach wie vor einen spürbaren Mangel an Traditionen oder an Anerkenntnis von Traditionen anderer und wenig Zutrauen zu parlamentarischen Institutionen gibt.Das ist noch einmal deutlich geworden, als Sie vom versäumten Widerstand sprachen, Herr Kollege Geißler; übrigens völlig zu Recht. Allerdings wäre es, wenn man damit auch Traditionen andeuten will, besser gewesen, Adressen zu nennen und uns damit aufzufordern, lernend aus den Fehlern der Vergangenheit dazu beizutragen, daß wir heute unsere Rechtsordnung behalten. Übrigens wäre es um so mehr richtig gewesen, Adressen zu nennen, da wir gerade zu Beginn dieser Sitzung an Luise Schröder erinnert haben, die aufrecht in die Krolloper gegangen ist, um dort mit unseren Freunden gegen die Ermächtigungsgesetze zu stimmen.
Aber ich habe dafür Verständnis: Eine Partei, die sich unter einem CDU-Kanzler einen Globke im Kanzleramt leistete, wird hier kaum auf Traditionen zurückgreifen können.
Sie, Herr Kollege Geißler, sehen in jeder freiheitlichen Äußerung, in jeder Äußerung, die Ihnen nicht paßt, schon ein Extrem und Extremismus, statt durch Ihre bewußte Beteiligung am Wechselspiel zwischen Bürger und Regierung, wie es in unseren Nachbarländern, vor allem in den Vereinigten Staaten, üblich ist, Extreme vermeiden zu helfen.Wie sehr Ihnen darum auch das soeben erwähnte Wechselspiel zwischen den politischen Kräften abgeht, ist uns in diesen Tagen noch einmal deutlich geworden, als in Amerika der Tower-Bericht veröffentlicht wurde und wir an die letzten etwa vier, fünf Jahre in der Bundesrepublik dachten. Von den prompten auch personellen Reaktionen auf diesen Bericht können wir bei vergleichbaren Anlässen in der Bundesrepublik nur träumen.
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 8. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 2. April 1987 355
BernrathDiese Unbeweglichkeit macht Sie aber unfähig, ein offenes, demokratisches Leben auch unter Risiken und Wagnissen zu ertragen.Wir haben Ihnen darum zwei Entschließungsanträge vorgelegt, bei denen es um die Verteidigung der inneren Liberalität und die Stärkung der Demokratie geht. Worum geht es uns dabei im einzelnen? Nach den Demonstrationen der letzten Jahre, oft von gewalttätigen Ausschreitungen begleitet — darüber kann es keinen Zweifel geben —, sind unsere Bürger in Sorge. Sie fürchten um das Gewaltmonopol des Staates und fürchten, daß wir zum Faustrecht zurückkehren könnten.
Sie bangen um die Garantie des Demonstrationsrechts, weil es von Gewalttaten — auch darüber müssen wir uns besorgt zeigen — verdrängt werden könnte.
Sie verlieren das Vertrauen in unseren Staat, der ihr Demonstrationsrecht schützen muß, aber natürlich auch ihre körperliche Unversehrtheit. Sie befürchten, daß das Vertrauen der Polizei in das Verantwortungsbewußtsein der politischen Führung verlorengehen könnte, einer politischen Führung, die immer nur vordergründig handelt.Wir teilen diese Sorgen. Allerdings ist Ihr opportunistischer Gesetzgebungsaktionismus des vergangenen Jahres darauf keine Antwort.
Er bleibt, wie wir sehen, auch erfolglos. Das Vertrauen der Bürger wird auf diese Weise lediglich aufs Spiel gesetzt.
Sie befinden sich, wie es einer, der vorhin zitiert worden ist, in den 60er Jahren gesagt hat, in einer Art Zeitgefängnis, aus dem Sie nicht herauskommen, weil Sie sich weigern, unter demokratischem Risiko nach vorn zu blicken,
durch Regelungen, die in die Zukunft weisen, Demokratie zu festigen, statt einseitig auf die Gewalt zu starren und sie nur zum Anlaß zu nehmen, mit Härte aus dem Einzelanlaß heraus zu reagieren.Gewalttaten sind zweifellos unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit besonnen und fest zu unterbinden. Dafür stehen uns Gesetze zur Verfügung.
Das staatliche Gewaltmonopol bestimmt dabei unser Handeln, rechtfertigt aber keine Maßlosigkeit. Es rechtfertigt insbesondere nicht, der Polizei die Last politischer Versäumnisse aufzubürden.
Es rechtfertigt noch weniger sinnlose Machtdemonstrationen des Staates, die im übrigen dann auch als Provokation verstanden werden können und verstanden werden.
Im übrigen ist — das wissen wir aus unserer Geschichte — Gewaltsamkeit nicht das einzige Mittel des Staates, nur das ihm eher spezifische. Max Weber sah das Monopol der Gewaltsamkeit als Folge immer unterschiedlicherer Ansprüche an die Gemeinschaft, die ihre Konflikte nicht mehr auf traditionellem Weg regeln konnte. Darum müssen wir, wenn wir uns mit den Ursachen der Gewalt auseinandersetzen wollen, über den Tellerrand blicken, weiterdenken. Es genügt nicht, Demonstrationen, Gewaltanwendung vordergründig zu verurteilen. Wir müssen versuchen, das Phänomen aller Gewalt in unserer Gesellschaft, der individuellen Gewalt, der Gewalt in der Ehe, der Gewalt gegen Kinder, gegen Ausländer, in Fußballstadien, auch der Gewalt, die sich in sinnloser Überbewaffnung zeigt,
zu erfassen. Nur dann, wenn wir das tun, wird es uns gelingen, politisch zu erkennen und zu reagieren, auf diese Zeiterscheinungen politisch einzugehen und damit kollektive Gewalt zu verhindern und den inneren Frieden zu bewahren.
Wie aber sieht es bei uns tatsächlich aus? Die Politik wird immer erst tätig, wenn Gewalt bereits ausgeübt wird, wenn sie überbordet; sie reagiert lediglich. Warum ist das so? Wahrscheinlich, weil alle starren Ordnungen, alle strengen Gebote und die aus ihnen erwachsende Unduldsamkeit ein politisch abgestimmtes, bewegliches Eingehen auf Konfrontationen verhindern. Ein vordergründiges Sicherheitsbedürfnis erweist sich dabei über kurz oder lang als nichts anderes als die schiere Angst vor dem eigenen Machtverlust. Dabei wissen wir längst, daß alles fließt, jedwedes Leben immer in Bewegung ist, so auch das gesellschaftliche Zusammenleben, insbesondere und notwendigerweise in der Demokratie.
Diese Erkenntnis wird — da haben wir es leichter als frühere Generationen — heute auch durch die Naturwissenschaften gestützt. Die starre, einteilbare, präzise tote Welt hat es eigentlich nie gegeben, war eine Arbeitshypothese, die der Wirklichkeit schon lange nicht mehr entspricht.
Es stellt sich außerdem bei jeder Rechtsanwendung für viele Bürger zunehmend das Problem der Legalität, auch der Legitimität. Denn alle Gesetze müssen — auch die, die erst gemacht werden — an den Grundsätzen unserer demokratischen Verfassung gemessen werden. Und danach kommt es bei ihrer Anwendung auf die Realisierung unserer demokrati-
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Bernrathschen Prinzipien an: Respekt vor den Grundrechten, Würde der Persönlichkeit, Meinungsfreiheit, Demonstrationsrecht usw.
Damit wir in einer so dynamischen Zeit nicht sozusagen von Fall zu Fall hinter den tatsächlichen Entwicklungen herhinken, müssen wir — ich habe es soeben angedeutet — über den Einzelfall, über den Tellerrand hinausblicken. Daran sind wir auch in den 60er Jahren erinnert worden, ohne daraus Folgerungen gezogen zu haben. Gelingt es uns, nach vorne zu blicken, gelingt uns ein solches Denken und Handeln, dann werden wir auch Schritt für Schritt eine Ordnung schaffen, in der nicht nur das Grundgesetz, die Verfassung demokratisch ist, sondern auch die anderen Institutionen des Staates ihre gelegentlich noch vordemokratisch-autoritären Strukturen und Handlungsweisen ablegen. Im Ergebnis führt uns dieser Weg dann weg von dem Staat, wie wir ihn haben, entwikkelt er unseren Staat hin zu einem Kulturstaat. Das würde dann auch den Bürger beeindrucken und ihn an unsere eigene politische Kultur binden.
Wie richtig und notwendig dieser Weg ist, verehrte Kolleginnen und Kollegen, haben wir doch erst vor zwei/drei Jahren im Schlußbericht der Enquete-Kommission „Jugendprotest im demokratischen Staat" gemeinsam festgestellt. Es heißt dort: „Riesige Verwaltungen, Großinstitutionen überhaupt, Bürokratien werden von der Jugend als lebensfeindlich erlebt."
Diese Auffassung spiegelt sich in den Vorbehalten der Jugend gegen Institutionen und in der Überschätzung von Spontaneität.
Solche Haltungen verfestigen sich in dem Maße, wie die Jugendlichen erfahren, daß ihre Anregungen, ihre Proteste, ihr Streben nach Mitwirkung vom politischen System nicht zur Kenntnis genommen oder abgewertet werden.
Ändert sich daran nichts, führt dies schließlich in die Resignation. Wenn Jugend dann ihre eigene Zukunft gefährdet sieht, hält sie Anwendung von Gewalt zur Durchsetzung ihrer Ziele bald für berechtigt.
Es geht daher um Glaubwürdigkeit. Staatliches Handeln muß als notwendig, als menschlich, als gerecht empfunden werden können. Überreaktionen sind zu vermeiden und Konflikte gewaltlos abzubauen. In einem der letzten Sätze stand: Präsentation geht vor Repression.
Darauf hat auch das Bundesverfassungsgericht 1985 hingewiesen, als es zum erstenmal zum Grundrecht auf Versammlungsfreiheit und Demonstration Stellung genommen hat. Das Gericht hat damals dem vordemokratischen Demonstrationsverständnis eine eindeutige Absage erteilt. Demonstrationen sind nicht Mobilisierung der Straße gegen die Legalität und Legitimität verkörpernde Staatsgewalt. Sie sind ein unentbehrliches Funktionsinstrument ein es demokratischen Gemeinwesens.Wir Sozialdemokraten sehen daher in unserem demokratischen Gemeinwesen auch den Ordnungsrahmen, innerhalb dessen politische Kräfte um Einfluß, Macht und Gestaltung ringen, nach vorgegebenen Regeln miteinander streiten, sich verständigen und verbünden. Der Staat ist dabei für uns keine neutrale Instanz, die über allen gesellschaftlichen Interessen steht. Er kann, er muß auch ein wichtiges Instrument für das Bemühen sein, Gesellschaft und vor allen Dingen auch Wirtschaft in Richtung auf mehr Demokratie zu verändern.Der Staat unseres Grundgesetzes ist nicht wertneutral. Ihm sind das Leben der Menschen, die Würde der Menschen, das Gewissen der Menschen vorgegeben. Er ist verpflichtet, sie zu schützen und jedem einzelnen eine Chance zu geben, sich in freier Selbstverantwortung zu entfalten.Gewiß kann auch im Namen des demokratischen Staates Herrschaftsgewalt mißbraucht werden. Dagegen helfen dann nur Wachsamkeit und mehr Demokratie, nicht weniger Demokratie, nicht Einschränkung von Rechten.
Unsere Grundrechte haben in diesem Zusammenhang eine doppelte Funktion. Sie sollen die Freiheit des einzelnen gegenüber dem Staat sichern und gleichzeitig Maßstab für die Gestaltung der Ordnung in unserer Gesellschaft sein. Im letzten Jahrzehnt haben beide Funktionen an Bedeutung gewonnen. Ich will das nicht im einzelnen ausführen.Zum anderen müssen Verfassungsgebote verwirklicht werden, Verfassungsgebote, die sich aus den Grundrechten ergeben, damit innerer Frieden gewahrt bleibt. Die Gleichstellung von Mann und Frau, der Schutz der Familie müssen im Arbeitsleben durchgesetzt werden. Die Freiheit der Information, Meinung und Presse muß nicht nur gegen politische Angriffe, sondern mehr noch gegen die Gefahren wirtschaftlicher Konzentration verteidigt
und auch in neuen elektronischen Medien durchgesetzt werden. So etwa steht es im Entwurf unseres neuen Grundsatzprogramms, das wir in diesen Tagen und Wochen beraten.Wer aber zur Durchführung seiner politischen Vorstellungen glaubt zur Gewalt greifen zu müssen,Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 8, Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 2. April 1987 357Bernrathbeweist damit, daß er sich der Unterstützung der Mehrheit unseres Volkes nicht gewiß sein kann, daß er diese Unterstützung nicht hat. Er mißachtet auch das Mehrheitsprinzip, und er versucht, dieses Prinzip durch den Führungsanspruch einer elitären — wie sie sich dann nennen — Minderheit zu ersetzen. Die Erfahrung unserer Geschichte lehrt uns, daß solche Gruppen selten Glück und Wohlstand für die Menschen gebracht haben. Darum müssen wir das bekämpfen.Wir dürfen aber nicht die Augen davor verschließen, daß Gewalt in der politischen Auseinandersetzung — wir haben es eben noch erlebt — auch als Anlaß dazu benutzt wird, den politisch Andersdenkenden zu diffamieren und ihn auszugrenzen. Die heutige Debatte ist ein Beispiel dafür, daß die an sich notwendige geistige Auseinandersetzung mit der Gewalt in unserer Gesellschaft für wahltaktische Manöver angesichts einer wichtigen Landtagswahl mißbraucht werden soll.
Der von den Koalitionsfraktionen eingebrachte Antrag soll wohl mehr eine Anklageschrift als der Versuch sein, die Gewalt, die Problematik der Gewalt einmal von all ihren Seiten anzugehen, zu durchleuchten und Wege aus diesem Dilemma aufzuzeigen. Der Antrag ist darauf angelegt, Begründungen für eine weitere Einschränkung des Demonstrationsrechts zu liefern. Eine Einschränkung des Demonstrationsrechts setzt aber immer die vorherige Ausschöpfung aller sinnvoll anwendbaren Mittel voraus. Die staatlichen Behörden sind zu vertrauensbildenden Maßnahmen nicht nur im internationalen Bereich, sondern auch innenpolitisch verpflichtet; sie müssen alles tun, was ihnen möglich ist, um ein Klima der Friedfertigkeit und der wechselseitigen Zusammenarbeit zu fördern und herzustellen.Ich fasse darum für uns zusammen: Freiheitliche Demokratie lebt von offener und öffentlicher Diskussion. Für die demokratische Meinungsbildung ist es unabdingbar, daß sich alle gesellschaftlichen Kräfte so artikulieren können, daß sie Chancen haben, gehört und beachtet zu werden. Deshalb ist die Demonstrationsfreiheit neben der Meinungsfreiheit, insbesondere aber auch der Pressefreiheit von besonderer Bedeutung. Sie gibt sonst einflußlosen Minderheiten Gelegenheit, ihre Auffassungen öffentlich zu machen.Die Demonstrations- und Versammlungsfreiheit von heute ist damit — so steht es auch in unserem Programmentwurf — gleichsam die Pressefreiheit der kleinen Leute und damit Grundvoraussetzung freiheitlicher Demokratie. Sie garantiert auch ein Stück unmittelbarer Demokratie im parlamentarischen System. Wer an Demonstrationen teilnimmt, engagiert und bekennt sich in der Öffentlichkeit; das fordert von manchem Überwindung. Deshalb reichen oft schon vermeintliche Nachteile aus, um den Bürger zum Verzicht auf Teilnahme an einer Demonstration zu veranlassen.
So können rechtstreue Bürger von der Beteiligung an Demonstrationen und Versammlungen abgeschreckt werden, wenn z. B. ungesetzliche Randerscheinungen des Demonstrationsgeschehens in den Medien oder in den öffentlichen Erklärungen maßgebender Repräsentanten des Staates dramatisiert oder verfälscht werden. Sie können auch dann abgeschreckt werden, wenn der Gesetzgeber die bloße Teilnahme an einer Demonstration zum Risiko macht, weil er die gewalttätigen Aktionen einzelner zum Anlaß nimmt, auch diejenigen mit Strafe zu bedrohen, die sich nicht schnell genug distanzieren.Reife, Selbstbewußtsein und Kultur eines demokratischen Systems zeigen sich auch in der Art, wie es mit politischen Protestbewegungen umgeht. Das gilt insbesondere für die staatliche Verwaltung und das Vorgehen der Sicherheitsorgane. Da der Schutz der Rechtsordnung die Ermöglichung und den Schutz friedlicher Demonstrationen einschließt, ist es wichtig, daß unbequeme Protestbewegungen nicht verteufelt werden, auf Provokationen nüchtern und besonnen reagiert wird, immer wieder Gespräche und Kontakt gesucht werden, um die Legalität von Aktionen zu sichern und vermeidbare Beeinträchtigungen Dritter zu verhindern, alle Bemühungen der Veranstalter selbst um Friedlichkeit ihrer Aktionen unterstützt werden und gegen Störer von Veranstaltungen, die gewalttätige Aktionen beabsichtigen, rechtzeitig und konsequent mit den gebotenen Mitteln nach dem Maßstab der Verhältnismäßigkeit eingeschritten wird.Der Einsatz von staatlicher Gewalt hat allein der Erhaltung des Rechtsfriedens zu dienen, nicht dem Ersatz von Politik.
Jedes Übermaß ist zu vermeiden. Deshalb ist auch auf Einsatzmittel mit unkalkulierbarem Risiko zu verzichten. Demonstrationen gehören zum Alltag einer funktionierenden Demokratie, sie sind keine Ausnahmeerscheinung und dürfen auch nicht als solche behandelt werden.Die SPD fühlt sich durch die vom Verfassungsgericht entwickelten Grundsätze zur Versammlungsund Demonstrationsfreiheit in ihren Auffassungen bestätigt. Sie tritt für eine Revision oder Abwehr solcher Strafnormen ein, die geeignet sind, auch die friedliche Teilnahme an Versammlungen oder Demonstrationen zum Risiko zu machen.
Weitere Verschärfungen des Demonstrationsstrafrechts, wie wir sie befürchten müssen, jede weitere Einschränkung des Versammlungsrechts werden wir auch in Zukunft ablehnen.Danke schön.
Das Wort hat der Abgeordnete Lüder.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Antrag der Koalitionsfraktionen gegen Gewalt und Rechtsbruch in der politischen
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LüderAuseinandersetzung gibt uns — und darin unterscheide ich mich von dem, was Herr Kollege Bernrath eben ausgeführt hat —
Gelegenheit, zur Klärung politischer Positionen beizutragen. Es ist keine Anklageschrift,
sondern dieser Antrag enthält eine Chance zur politischen Willensbildung.Gerade am Beginn der politischen Sacharbeit dieser Legislaturperiode bietet er die Möglichkeit, in aller Öffentlichkeit und Offenheit hier und dem Bürger draußen zu sagen, wo wir und wo jede einzelne politische Gruppierung in der Frage der Gewaltanwendung bei der politischen Auseinandersetzung steht. Dabei ist für uns Liberale der Grundsatz klar: Politische Auseinandersetzung im demokratischen Rechtsstaat muß friedlich erfolgen. Der offene Meinungswettkampf, die öffentliche Diskussion, die friedliche Auseinandersetzung, das ist es, wofür die Liberalen ja nicht nur in Deutschland und nicht erst in diesem Jahrhundert gekämpft haben, das ist es, wofür sich die Liberalen im Parlamentarischen Rat verwendet und wofür sich die Freien Demokraten in diesem Haus von Anbeginn an ausgesprochen haben.
Meinungsfreiheit, Demonstrationsfreiheit, Wahrnehmung von Grundrechten sind für uns zu wichtig und zu bedeutsam, als daß wir diese demokratischen Grundfreiheiten durch Gewaltapostel oder Sachgewaltsapostelchen in Mißkredit bringen lassen möchten.Die Absage an jegliche Form der Gewaltanwendung in der politischen Auseinandersetzung im demokratischen Rechtsstaat darf sich aber nicht darin erschöpfen, nur Bekämpfung und Bestrafung für begangene Gewalt zu fordern. Solche Selbstverständlichkeiten müssen zwar festgestellt werden, sie sollten aber nicht in der Art monotheistischer Gebetsketten stets wiederholt werden müssen. Für uns zählt nicht, wie oft von welcher Tribüne in welcher Verbalisierung Gewaltverurteilung erfolgt, für uns kommt es darauf an, alles zu unternehmen, damit Gewalt gar nicht erst entsteht.
Wir wollen die Ursachen der Gewalt noch besser verstehen, noch intensiver erforschen, noch deutlicher sehen, um Gewaltanwendung zu verhindern, um durch Information und Motivation Friedlichkeit in die politische Auseinandersetzung zu bringen.So sehr wir z. B. den Polizeibeamten dankbar sind, die zum Teil unter Einsatz ihrer eigenen Gesundheit im Interesse des Rechtsstaats Gewalt unterbinden, sosehr wir Polizei, Staatsanwaltschaft und Richterschaft Respekt zollen für ihr Bemühen um Herbeiführung gerechter Aburteilungen erkannter Gewalttäter, so sehr kommt es doch vor allem darauf an, Gewalt in der politischen Auseinandersetzung gar nicht erst entstehen zu lassen.
Das ist der Grund, warum wir uns in den Verhandlungen mit unserem Koalitionspartner so stark dafür gemacht haben, daß eine Regierungskommission eingesetzt wird, die sich noch einmal um Ursachen der Gewalt und um Möglichkeiten der Verhinderung von Gewalt in der politischen Auseinandersetzung bemühen soll.
Meine Damen und Herren, wenn der Zwischenruf kommt „Atomanlagen abschalten" : Auch die politische Auseinandersetzung um Atomanlagen rechtfertigt nicht den Einsatz von rechtswidriger Gewalt.
Meine Damen und Herren, die in der 9. Legislaturperiode eingesetzte Enquetekommission ,,Jugendprotest im demokratischen Staat", auf die Herr Kollege Bernrath zutreffend eingegangen ist, hat uns zu dem, was Ursachen der Gewalt sind, schon einiges auf den Weg gegeben. Auf den Erkenntnissen dieser Kommission werden wir aufbauen müssen, da wir deren Erkenntnisse nach wie vor beherzigen müssen.Die Enquetekommission hat uns deutlich vor Augen gehalten, daß gerade in der Gewaltdiskussion auch viel Verantwortung bei uns, bei den staatlich Handelnden, liegt. Die Enquetekommission hat uns z. B. ermahnt, daß die Aufrechterhaltung des Gewaltmonopols des Staates bedingt, daß staatliches Handeln für die Bürger einsichtig und nachvollziehbar ist. Ich zitiere wörtlich:Gerade in der Demokratie muß sich der Staat bei seinem Handeln stets neu um Glaubwürdigkeit bemühen. Zur Rechtfertigung staatlicher Entscheidungen reicht der Hinweis, daß sie in einem formal einwandfreien Verfahren zustande gekommen sind, nicht aus. Vielmehr muß staatliches Handeln von den Bürgern als menschlich und gerecht empfunden werden können.
Meine Damen und Herren, daß sich staatliches Handeln nicht nur an der Gerechtigkeitsmaxime, sondern auch an der Menschlichkeitsmaxime orientieren muß, das können wir draußen nicht immer feststellen.
Darum müssen wir uns aber bemühen. Damit staatliches Handeln gerade im sensiblen Gewaltbereich auch als gerecht empfunden wird, muß es uns z. B. hier im Bundestag gelingen, nicht nur die Splitter in der Argumentation des anderen zu sehen und zu beanstanden. Bei der Verurteilung von Gewalt darf auch nicht danach differenziert werden, ob die politische Zielsetzung für erstrebenswert gehalten wird oder nicht.
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 8. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 2. April 1987 359
LüderMeine Damen und Herren, wir Liberalen lehnen die Anwendung von Gewalt und die Hinnahme von Rechtsbruch in der politischen Auseinandersetzung ab, wo immer und durch wen immer dies geschieht, ganz gleich, ob dies am Bauzaun von Wackersdorf zur Verhinderung der umstrittenen WAA, an der Grenze nach Dänemark zur Erreichung sozialpolitischer Fortschritte oder anderswo zu anderen Zwecken geschieht.
Straßenblockade bleibt Straßenblockade, da gibt es keinen Unterschied im Gewaltbegriff, ganz gleich, ob dänische LKW, deutsche Bauerntraktoren oder internationale Atomkraftgegner die Friedlichkeit und die Freizügigkeit der Mitbürger behindern.
Meine Damen und Herren, wir Liberalen differenzieren auch nicht danach, ob Rechtswidrigkeit links oder rechts angesiedelt werden könnte. Wir wollen keine Politik aus Monokelsicht. Wir schätzen die Handwerkskunst der Optiker hoch ein, Sehhilfen zur Klarsicht in jede Dimension auf beiden Augen herzustellen. Da unterscheiden wir uns sowohl von dem, was Kollege Bernrath, als auch von dem, was Kollege Geißler hier gesagt haben.
Meine Damen und Herren, wir verurteilen jede Gewaltanwendung, weil kein Ziel im demokratischen Rechtsstaat sichtbar ist, das Gewaltanwendung legitimieren könnte.
Wir sehen mit Sorge, daß sich gerade in den letzten Wochen neue Richtungen und neue Dimensionen der Gewalt in der politischen Auseinandersetzung auftun.
Mir läuft es z. B. den Rücken kalt herunter, wenn ich verärgerte Landwirte sehen muß, die ihre vermeintlichen Gegner in Symbolen darstellen, um sie aggressiv zu bekämpfen.
So sehr ich die Friedlichkeit und Friedfertigkeit der gestrigen Demonstration der Landwirte begrüße,
so wenig dürfen wir vergessen, was in den letzten Wochen geschehen ist.
Wer Bundesminister, Verbandspräsidenten oder EGKommissare politisch an den Pranger stellen will, mag dies tun. Wer aber diese Leute als Pappfiguren an den Galgen hängt, überschreitet die Grenze des politisch Zulässigen und signalisiert unzulässige Gewalt.
Meine Damen und Herren, der Antrag der Fraktion der SPD über Gewalt in Staat und Gesellschaft ist über weite Teile inhaltsgleich,
und in manchem wählt er andere Worte. Er setzt sich aber in einigen Teilen, z. B. auf Seite 2, mit dem Hinweis auf Gefährdung des inneren Friedens dem Verdacht aus, zur Legitimierung von Gewalt objektiv die Hand zu reichen,
was nicht gewollt sein kann und nicht gewollt sein darf.Meine Damen und Herren, ich bitte Sie: Überwinden Sie Ihren Autorenstolz, stimmen Sie mit uns für den Antrag der Koalitionsfraktionen.
— Ich wundere mich, wie wenig Sie den Kollegen Geißler kennen, wenn Sie meinen, dies sei Originalton Geißler. Dann zeige ich Ihnen bei Gelegenheit mal andere Papiere und andere Reden, die der Kollege Geißler gehalten hat.
Hier ist ein ausgewogener Text einer Koalition. Diese Seite des Hauses, meine Damen und Herren, weiß, wie hartnäckig Liberale in Koalitionen um ihre Positionen kämpfen können.
An den Fragen der Rechtsstaatlichkeit und der inneren Liberalität lassen wir weder hier noch anderswo rütteln.
— Meine Damen und Herren, ich muß lachen über die Leichtfertigkeit, mit der Sie dieses Thema behandeln.
Uns ist es verdammt ernst bei der Frage von Gewalt und Rechtsbruch in der politischen Auseinandersetzung.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Schily?
Aber gern, Herr Kollege.
: Herr Lüder, dürfen wir das als Angebot verstehen, daß uns die Entwürfe von Herrn Dr. Geißler zu dem heutigen Entschließungsantrag, die ja offenbar einen anderen Inhalt, einen schärferen Inhalt hatten, noch bekanntgegeben werden?
Lieber Herr Schily, wenn Sie meinen Text nachlesen werden, werden Sie feststellen, daß ich eine allgemeine Aussage getroffen habe. Wir haben noch niemals aus Verhandlungen die ersten Teile veröffentlicht. Die Positionen von Partnern lie-
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Lüdergen immer auseinander und werden dann zu einem Kompromiß zusammengefügt.
Meine Damen und Herren, wir haben wie in jeder Koalition Entwürfe von verschiedenen Seiten. Ich habe auf die Reden von Herrn Geißler Bezug genommen, auf den Originalton von Herrn Geißler. Ich habe Wert darauf gelegt, daß wir uns zu einer gemeinsamen Haltung, zu einer gemeinsamen, aus unterschiedlichen Papieren entstandenen Resolution zusammengefunden haben. Ich habe an dieser Stelle keine Polemik verbreitet, werde dies auch nicht tun. Fairneß gehört für mich zum Stil der Koalition, so wie wir in jeder Koalition fair miteinander umgegangen sind.Meine Damen und Herren, für uns sind drei Gründe maßgebend, warum wir dieser Resolution zustimmen:Erstens. Wir dokumentieren für jedermann mit dieser Resolution in Präzision und Klarheit unsere Garantie und unser Bekenntnis zu den politischen Grundrechten des Grundgesetzes, zu Meinungs- und Demonstrationsfreiheit.Zweitens. Wir sagen Kampf an gegen jedermann, der durch Gewaltanwendung letztlich dazu beiträgt, diese Grundwerte zu erschüttern und Grundrechte zu beeinträchtigen. Gewalt darf keine politische Verhandlungsmarge bieten.Drittens. Wir wiederholen die liberale Aufforderung und Auffassung, daß nicht primär Bekämpfung von Gewalt, sondern gerade Verhinderung ihres Entstehens und Vermeidung von Gewalt Aufgabe politischer Zielsetzung ist.Uns liegt daran, diese drei Positionen gerade zu Beginn der Legislaturperiode zu bekräftigen. Deswegen bitten wir um Zustimmung zum Antrag der Koalitionsfraktionen.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Dr. Vollmer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Trotz Ihrer für Ihre Verhältnisse ganz ungewöhnlich milden Rede, Herr Geißler, werden wir Ihnen den Gefallen nicht tun: Wir werden nicht über das Stöckchen, das Sie uns hinhalten wollen, in die Grube springen, die Sie uns mit diesem Antrag und dieser Debatte gegraben haben.
Wir stellen Ihnen vor allen Dingen die Frage: Warum wollten Sie eigentlich diese Debatte?
Warum wollten Sie sie eigentlich jetzt? Mit dem äußeren Anlaß, den Hessen-Wahlen, will ich mich nicht lange aufhalten, obwohl es nicht gerade für die Stärke von Herrn Wallmann spricht, daß er einen „Salonintellektuellen" wie Heiner Geißler, so einen „neuen Sensiblen" als Hilfe braucht.
Also, warum wollten Sie eigentlich diese Debatte jetzt anzetteln? Es wäre ja durchaus sinnvoll gewesen, sich über die Gewalt in dieser Gesellschaft zu unterhalten. Denn überall da, wo gesellschaftliche Individuen miteinander zu tun haben, ist Gewalt und Aggressivität im Spiel. Aber diese Gewalt, die dumpfe, die miese, die demütigende Gewalt in den Schlaf- und Kinderzimmern, die Gewalt in den Arbeitsämtern, die Gewalt in den Heimen der Asylsuchenden, die Gewalt, die die Arbeitslosen trifft, diese schmutzige Gewalt ist nicht Ihr Thema, sondern eine höhere, sozusagen eine sauberere Gewalt. Sie sorgen sich um das Gewaltmonopol des Staates. Das kann man machen. Wir haben diese Debatten auch in unserer Fraktion.Nun frage ich Sie aber: Wo — wenn man die Nachkriegsgeschichte ohne Hysterie betrachtet — ist eigentlich das Gewaltmonopol des Staates jemals wirklich bedroht gewesen? Noch nicht einmal zu den Zeiten in den 70er Jahren, als es eine unglaubliche Aufblähung der Instrumente des staatlichen Gewaltmonopols gegeben hat. Ich verstehe, daß sich viele von Ihnen damals subjektiv sehr bedroht gefühlt haben, aber nicht einmal damals gab es — objektiv gesehen — eine wirkliche Bedrohung des staatlichen Gewaltmonopols.
Es waren schreckliche und bleierne Zeiten damals, und diese Erkenntnis bricht sich Gott sei Dank langsam auch in der SPD Bahn, wenn auch immer noch mit einer gewissen Unfähigkeit zu trauern.Wenn das Gewaltmonopol des Staates also niemals bedroht war und auch heute nicht im geringsten bedroht ist, warum wollen Sie denn eigentlich diese Debatte? Ich weise auf ein Phänomen hin, das mich immer wieder in großes Staunen versetzt. Die Frage nach der Gewalt — Ihre Lieblingsfrage, Herr Geißler — ist eigentlich etwas völlig Neues in der Geschichte. Sie haben schon darauf hingewiesen, daß nicht nur die schlimmen Passagen der Menschheitsgeschichte, sondern auch die fortschrittlichen Traditionen, auf die Sie — auch Sie ganz persönlich — sich berufen, immer mit Gewalt zu tun hatten. Ohne Gewalt hätte es keine griechische Demokratie, kein römisches Staatsrecht, keinen Emanzipationskampf des Bürgertums in der Französischen Revolution, keine Erklärung der Menschen- und Freiheitsrechte in den Vereinigten Staaten gegeben, und ohne Gewalt wären auch wir nicht vom Faschismus befreit worden. Es ist eines unserer größten Dilemmas und
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Frau Dr. Vollmereines der deutschen Traumata, daß es nicht aus eigener Kraft gelungen ist.
Herr Geißler, warum wollen Sie diese Gewaltdebatte? Was eigentlich treibt Sie an und um? Ich will es Ihnen sagen: Sie haben mit dem Ihnen eigenen Instinkt für kritische Situationen begriffen, daß dieser Staat, dessen Gewaltmonopol tatsächlich durch nichts bedroht ist, wirklich in der Krise ist. Er ist in Schwierigkeiten gekommen — und damit auch seine Regierung. Es ist keine Krise, die mit dieser oder jener gewalttätigen Gruppe zu tun hätte. Damit — das traue ich Ihnen zu — würden Sie jederzeit fertig. Die Krise dieses Staates ist vielmehr eine Legitimationskrise, die viel weniger deutlich faßbar, viel anonymer, aber auch viel massenhafter ist, und das haben Sie begriffen. Es ist nicht nur eine Legitimationskrise, weil es schlimme Rechtsbrüche dieser Regierung gegeben hat — ich verweise auf die Flick-Affäre oder auf Nukem, Alkem — , sondern es ist auch eine Legitimationskrise, weil es in der Bevölkerung in wichtigen Fragen andere Mehrheiten gibt, als sie in diesem Parlament festgestellt werden.
Es ist vor allen Dingen deshalb eine Legitimationskrise, weil es ein tiefes Mißtrauen in der Bevölkerung gibt, ob dieser Staat und diese Regierung das Überleben und die Zukunft der Menschen eigentlich noch richtig organisieren.
Kein Staat der Welt kann eine ganze Bevölkerung auf Dauer in solch existentieller Unsicherheit lassen, ohne dabei selbst in gewisser Weise in Frage gestellt zu werden.
Diese Unsicherheit merken Sie. Deswegen versuchen Sie so etwas wie eine ideologische Aufrüstung, die der militärischen Aufrüstung folgt.
Sie suchen einen Ausweg aus dieser Legitimationskrise und folgen dabei der alten militaristischen Logik: Ein Staatsfeind, ein kollektiver Übeltäter muß her! Und jetzt kommen Sie in ein Dilemma: Sie finden diesen Übeltäter nämlich nicht, weil Sie ja nicht Politik gegen eine ganze verunsicherte, bohrend nachfragende Bevölkerung machen können. Sie finden den Ausweg vor allen Dingen deshalb nicht, weil der Widerstand, der Ihnen entgegenschlägt, in der Regel eben nicht gewalttätig, sondern gewaltfrei ist.
Um es Ihnen ganz deutlich zu sagen: Sie wollen diese Debatte eben nicht, wie Sie vorgeben, weil es zu viele Gewalttäter in dieser Gesellschaft gibt, sondern weil es einen massenhaften gewaltfreien Widerstand gibt.
Das ist Ihr eigentlicher Adressat, das ist Ihr politischer Gegner.
Wir sind nämlich schlau geworden. Wir haben als Leute, die Ihrer existenzbedrohenden Politik Widerstand entgegensetzen wollen, selbst angefangen, unsere eigenen Überlebensstrategien dabei nicht aus den Augen zu verlieren. Um es an einem Beispiel zu sagen: Wir Achtundsechziger waren am Anfang unserer Politik durch und durch gewaltfrei, und wie hätten wir auch anders sein können?
Das Motiv unserer Politik war ja gerade Verachtung und Abscheu gegenüber den unglaublichen Orgien und Exzessen von Gewalt, die es im Nationalsozialismus gegeben hat.Nur wer diesen Ausgangspunkt begreift, begreift unser Entsetzen, als wir mit der Gewalt des Staates am 2. Juni konfrontiert wurden. Nur wer das begreift, begreift auch unser Entsetzen über die drohende Auslöschung des vietnamesischen Volkes, und nur wer das begreift, begreift auch das Ausmaß unseres Irrtums,
der darin besteht, daß wir uns damals tatsächlich in Gedanken und in Taten militarisiert haben,
weil wir meinten, das wäre Notwehr. Wir haben aus dieser Zeit sehr viel gelernt; wir mußten sehr viel lernen, auch über unsere eigenen Fehler. Wir sind gezwungen worden, viel zu lernen, weil wir damals zu viele verloren haben, auch Freunde.Ist Ihnen eigentlich klar, Herr Geißler, was für eine unglaubliche politische Entwicklung es bedeutet, wenn wir heute in viel größeren Existenz- und Überlebensfragen eine halbe Million Menschen auf einer Demonstration haben, die — bei dieser Bedrohung — ganz und gar gewaltfrei bleiben? Ich wage sogar die These: Sie haben begriffen, was es heißt, wenn Millionen Menschen den Konsens als Mittäter bei einer existenzbedrohenden Politik verweigern.
Sie fürchten und Sie bekämpfen es, und dafür wählen Sie drei Methoden. Die erste Methode ist: Sie versuchen, den gewaltfreien Widerstand so zu domesti-362 Deutscher Bundestag — 1 1. Wahlperiode — 8. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 2. April 1987Frau Dr. Vollmerzieren, daß er sich selbst nicht mehr ähnlich ist, daß ihm die Luft wegbleibt.
Von daher ist es interessant, daß Sie Ihre Angriffe gerade auf die Anlässe bei der Anti-AKW-Bewegung konzentrieren, wo wir nichts anderes wollen als über die richtige Methode des Widerstandes debattieren. Darüber muß debattiert werden, damit die richtige Strategie gewählt wird,
und das genau verhindern Sie!
Sie versuchen, dem gewaltfreien Widerstand nur Spielräume zu lassen, die ihn fast lächerlich machen — Sonntagsspaziergänge —, Sie fordern ihm permanent Unterwerfungsrituale ab. Damit verletzen Sie etwas, was für das Fortbestehen einer demokratischen Gesellschaft außerordentlich wichtig ist,
nämlich daß es gerade da eine politische Identität geben muß, eine Kultur der Opposition und des Widerspruchs, der niemand ungestraft ständig das Kreuz, ständig das Rückgrat brechen darf.
Dieser Identität der Linken, die Sie bekämpfen, dieser Identität der politischen Opposition, dieser Identität des gewaltfreien Widerstandes als einer wirksamen machtausübenden Einflußnahme auf die öffentlichen Dinge, genau dieser Identität wollen Sie das Kreuz brechen.
Aber aus der Erfahrung der Harmlosigkeit, der Ohnmacht, der Wirkungslosigkeit der gewaltfreien Strategien, wenn sie denn so sind, entsteht folgerichtig die Verzweiflung, die Meinung, daß es dann doch nur anders geht, und die fürchten wir. Natürlich vollziehen nicht alle Teile der politischen Opposition, sondern nur ein ganz kleiner Teil diese Lehre; bei den anderen gelingt tatsächlich die Domestizierung. Aber dieser kleine Teil,
der radikalisiert sich, und gerade um den kämpfen wir, gerade den wollen wir Ihnen und Ihrer Behandlung nicht überlassen.
Hier setzen Sie — das ist Methode 2 — auf ein Begriffspaar. Sie haben einmal dieses schreckliche Begriffspaar „Pazifismus und Auschwitz" erfunden, und jetzt sagen Sie in Ihrem Antrag: Wer nach denUrsachen der Gewalt fragt, wer Verständnis zeigt, ist schon ein Mittäter und ein Mitverantwortlicher.
Das ist so ein demagogisches Begriffspaar.
Nach Ihrer Meinung gehört der Gewalttäter ins Ghetto, ins Tabu, ins Aus, zur Hölle mit ihm! Wir sagen: Auch unser Umgang mit Gewalttätern muß von der Idee und dem Prinzip der Gewaltfreiheit getrieben sein,
auch er muß davon getrieben sein, gewaltfrei Gewalt zu überwinden. Wir wissen, das ist verdammt schwer. Aber das Vorgehen der Brüder von Braunmühl und übrigens auch die rechtsstaatliche Verteidigung von Otto Schily in den RAF-Prozessen waren genau von dieser Idee getrieben. Sie haben ihn dafür unglaublich übel diffamiert. In diesen Fragen Gewaltfreiheit auch als Ziel, als Prinzip, als Idee auch gegenüber Gewalttätern hochzuhalten, hierin hat sie ihre eigentliche und schwierigste Bewährung. Das kommt nicht aus Ihrer Schule. Zwar berufen auch Sie, Herr Geißler, sich auf die heiligsten Güter der Menschheit, aber das, was Sie machen, löscht nicht die Verbrechen der Vergangenheit aus, sondern legt die Axt an die Wurzel der politischen Kultur der Zukunft.
Ihre dritte Methode ist die: Sie nennen das gewalttätig und Rechtsbruch, was ganz einwandfrei gewaltfrei ist. Von der Art ist Ihre Reaktion auf die Verweigerung der Menschen und vieler Organisationen, sich volkszählen zu lassen. Zum Glück, möchte man sagen, sind wir hier an einem Punkt, wo für niemanden ein Zweifel bestehen kann, daß das Nichtausfüllen eines Fragebogens eine völlig gewaltfreie Sache ist.
Wenn es Menschen denn nun vorziehen, im schönen Mai lieber spazierenzugehen, als sich befragen zu lassen, und wenn sie auf die notorische Unberechenbarkeit der Deutschen Bundespost rechnen, indem ihre Briefe verlorengehen, so ist das das Aufgreifen der Tugend des pazifistischen Soldaten Schwejk und sollte von Ihnen nicht ständig mit dieser unglaublich dumpfen und banalen und brutalen Droherei beantwortet werden.
Das ist unvernünftig, Herr Geißler, sofern Sie noch begreifen, daß Vernunft von „vernehmen" kommt. Vernehmen Sie doch, daß dieses Volk nicht gezählt werden will!Es gibt eine schöne Geschichte für die Methoden des gewaltfreien Widerstandes, und die geht so:
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 8. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 2. April 1987 363
Frau Dr. Vollmer„Ich rede nicht gern", sagt der Herr zum Knecht, „wenn ich also mit dem Finger winke, dann kommst du." — „Das trifft sich gut", sagte der Knecht, „ich rede auch nicht gern. Wenn ich also mit dem Kopf schüttle, dann komme ich nicht. "
Das Wort hat der Bundesminister der Justiz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wer in dieser Debatte gegangen ist und sich vorher die Unterlagen angesehen hat, hat zunächst einmal den ursprünglichen Antrag der SPD-Fraktion zur Hand genommen, der eine Überschrift trägt, die einem richtig — und ich sage dies ohne Ironie — warm ums Herz werden läßt. Da liest man: „Verteidigung der inneren Liberalität und Stärkung der Demokratie". Wer wollte sich dafür nicht begeistern und dies nicht unterstützen?
Nur, wenn man weiterliest, und zwar den Antrag, den Sie vor zwei Tagen ergänzend vorgelegt haben, so haben Sie selbst empfunden, daß das, was Sie zur Begründung Ihres ursprünglichen Antrages ausgeführt haben, kleinklein war und Sie einen großen Gedanken verkocht haben. Wenn hier die Forderung aufgestellt ist, man solle zur Bewahrung der inneren Liberalität und zur Stärkung der Demokratie zwei Gesetzesnovellen zurücknehmen, die mittlerweile Gesetzeskraft haben, so ist Ihnen wohl selbst deutlich geworden, daß dies ja wohl nicht der Kern des Problems sein kann.
Wir können natürlich darüber nachdenken, ob wir zu viele Gesetze machen — auch im Bereich der inneren Sicherheit — oder ob wir zu wenige Gesetze machen. Nur, meine Damen und Herren von der SPD, die Art und Weise, wie Sie sich dem Problem zugewandt haben, läßt auf unserer Seite viele Fragen auftauchen. Da wissen Herr Dr. Vogel und andere sehr wohl aus den Zeiten der sozialliberalen Koalition, auf die sie Bezug nehmen, daß dort alles, aber auch alles zur Bekämpfung des Terrorismus Notwendige geschehen sei, und werden sich zurückerinnern an Vorhaben, die damals existierten, etwa die Abhörung des Gesprächs zwischen dem Verteidiger und dem in Haft befindlichen Beschuldigten, die durch unseren massiven Einsatz und nicht nur durch lautes Schlachtengetrommel, sondern durch die Hartnäckigkeit der Bemühungen schließlich verhindert werden konnten.
Wer dies alles weiß und wer daran mitgewirkt hat, in der Stunde der Not solches in die Erwägungen und in die Beratungen einzubeziehen, der sollte sich heute hüten, in einer anderen Zeit mit neuen Herausforderungen dieser Bundesregierung und dieser Koalition den Vorwurf zu machen, opportunistische Gesetzesaktivitäten zu praktizieren.
Darüber sollten wir uns in dieser Auseinandersetzung klar sein.
Wir unterhalten uns heute über die Gewalt in der politischen Auseinandersetzung. Ich meine, wir sollten dabei alle Formen und alle Arten der Gewalt zumindest immer im Hinterkopf haben, die Fragen der Allgemeinkriminalität, die auch auf unseren Straßen in Großstädten, in einem erschreckenden Maße und häufig gegen ältere Mitbürger gerichtet, mit Gewalt einhergeht. Wir sollten über alle Formen der Gewalt sprechen bis hin zu jener Gewalt, die hinter den beschirmenden und dann akustisch schützenden Mauern des familiären Heims zuweilen in der Familie stattfindet.
Über all dies sollten wir uns unterhalten und uns dann, wenn wir uns den Ursachen zuwenden, fragen: Sind es dieselben Ursachen, die Gewalt bei der Allgemeinkriminalität hat, oder ist das, was wir erleben bei der politisch ausgeübten Gewalt von anderen Ursachen und Motivationen bestimmt?
Wenn wir uns der Frage der Ursachen, die für uns Liberale — Herr Kollege Lüder hat es gesagt — eine sehr wichtige Frage ist, zuwenden, erwarten wir, von welcher Kommission auch immer, keine letzten Antworten. Nein, letzte Antworten sind letztlich Fragen der Weltanschauung, die uns hier Auskunft geben kann.
Wir erwarten auch keine billigen Patentrezepte, denn damit wäre uns nicht geholfen. Ich darf daran erinnern, daß der seinerzeit hochgeachtete Kriminologe Cesare Lombroso
den Terrorismus auf eine Vitaminmangelkrankheit zurückführte, die vor allem bei Bevölkerungsschichten festzustellen sei, die im Süden Europas genötigt seien, sich nahezu ausschließlich von Mais zu ernähren. Ich will mit diesem Beispiel einmal deutlich machen, wie man — —
Herr Minister, sind Sie zu einer Zwischenfrage bereit?
Ich bitte, Herr Präsident.
Herr Minister, haben Sie den Eindruck, daß die mangelnde Präsenz der CDU/CSUFraktion in der heutigen Debatte etwas mit dem Inhalt Ihres Debattenbeitrages zu tun hat, von einem Vitaminmangel ganz zu schweigen?
Herr Schily, es ist nicht meine Aufgabe, Betrachtungen darüber anzustellen, wer aus welchem Grunde anwesend oder nicht anwesend ist.
Ich glaube, wir können unsere Zeit zu besseren Zwecken verwenden, jeder für seine ihm notwendig erscheinenden Zwecke.Es wird aber die Aufgabe der in der Koalitionsabsprache festgelegten Regierungskommission sein,
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364 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 8. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 2. April 1987
Bundesminister Engelhardauch für den Bereich der Gewalt uns nicht nur eine Verbreiterung des rechtstatsächlichen Wissens zu geben, uns gewisse Erfahrungen aus dem Polizeibereich und anderes zu vermitteln, sondern uns, so meinen wir, einiges über die Ursachen der Gewalt und über Motivationen der Gewaltausübung zu sagen, Zusammenhänge aufzuzeigen, denn in anderen Bereichen wissen wir dies wohl. Es ist mittlerweile eine Binsenweisheit, daß verfehlte Maßnahmen des Städtebaus gerade in den 60er Jahren zu einer erhöhten Kriminalität in bestimmten neuen Siedlungsformen geführt haben. Der Mensch, bedrückt von der Gewaltigkeit der Baumasse, wird seelisch krank, oder er kann auch kriminell werden, und häufig beides.
Die totale Anonymität, das Fehlen jeglicher sozialer Kontrolle, dies alles, Zusammenhänge, die wir bei der Allgemeinkriminalität mittlerweile kennen, sollten Anlaß sein, bei der politisch motivierten Kriminalität, bei der Anwendung von Gewalt im politischen Streit gleichfalls dringenden Wert darauf zu legen, uns hier mit den Ursachen von Gewalt näher zu beschäftigen.Wir haben in der Bundesrepublik Deutschland einen Staat, der alle Voraussetzungen für das friedliche Zusammenleben seiner Bürger erfüllt. Ich will den Politologen Peter Graf Kielmansegg zitieren, der schrieb:Der freiheitliche Verfassungsstaat ist die vernünftigste und erfolgreichste Form der Bändigung von Gewalt.
Die Bändigung der Gewalt, insbesondere die Pazifizierung des politischen Konfliktes im freiheitlichen Verfassungsstaat, ist freilich keine selbstverständliche, sondern eine durchaus labile Errungenschaft.Gewalt zu bändigen und trotzdem Raum für die Austragung politischer Konflikte zu lassen, ist ein schwieriger Balanceakt. Ich glaube, daß es uns in diesem Staat gelungen ist, diesen Balanceakt in der Vergangenheit erfolgreich zu bestehen.Wir haben heute von Frau Vollmer anderes gehört. Ich meine, man stockt, wenn man sich mit den Ausführungen auseinandersetzt, weil man nahezu körperlich empfinden konnte, wie hier jemand nicht nur mit den Problemen ringt, nein, wie er sich bei der Auseinandersetzung mit der Frage politisch motivierter Gewalt schwertut, sich durchzuringen, zunächst sich selbst, und dann andere Menschen, die nicht mit ihrer Intellektualität und ihrem Verständnis der Zusammenhänge gesegnet sind, mitzureißen und klar und unmißverständlich davon abzuhalten, auf einem falschen Wege zu gehen.
Sie hat sich schwergetan, und weil Sie sich so schwer-getan hat — das war die logische Folge ihrer Befind-lichkeit — war Frau Vollmer nicht in der Lage, auch an die draußen, an die politischen Anhänger, ein klares Signal zu geben, daß DIE GRÜNEN gegen Gewalt stehen.
Sie haben von der schmutzigen Gewalt gesprochen. Jedermann möge dies noch einmal nachlesen; ich werde es tun. Es ist hochinteressant, zu verfolgen, wie Sie schmückende Beiworte, deren Berechtigung zunächst, wenn es woanders auch geschehen wäre, plausibel erscheinen mag, gewählt haben, als Sie von der schmutzigen Gewalt in den Kinderzimmern, in den Familien und von vielem, was da zugedeckt wird, sprachen. Ich gebe Ihnen recht. Ich habe gesagt: Allen Formen der Gewalt nachzugehen ist eine Aufgabe der politisch Verantwortlichen. Nur, wenn Sie damit bei einer Debatte über die politisch motivierte Gewalt etwas zuzudecken suchen, etwas in seiner Gewichtigkeit nicht so bedeutungsvoll darzustellen suchen, wenn Sie nicht expressis verbis, aber in der Schilderung der Zusammenhänge aus den Berliner Tagen — die Erlebnisse der 68er, die Freunde, die man verloren hat — quasi um Verständnis werben, daß wir uns anstrengen sollen, um Sie zu verstehen und vielleicht sogar noch für richtig zu halten, was Sie empfinden, denken und sagen, statt daß Sie sich mit Ihren politischen Freunden
auf den Weg machen umzudenken, wird deutlich, daß Sie es bisher nicht geschafft haben, an Ihrem Weltbild, an Ihrem Staatsverständnis deutliche Korrekturen vorzunehmen.
Es ist das Problem, daß wir nicht damit zufrieden sein können, wenn Sie der direkten Gewalt — wie Sie es also andeutungsweise getan haben — abschwören und eine Absage erteilen, aber weite andere Bereiche nahezu mit der Rechtfertigung „gewaltlos" versehen. Ja, für Sie ist die Verletzung eines Gesetzes korrekt. Das vertreten Sie. Das haben Sie heute auch hier vertreten.
Uns macht — damit beschäftigt sich diese Bundesregierung — eine seit Jahren deutlich werdende Erosion des Rechts Sorgen, die mit dem Wort vom zivilen Ungehorsam gekennzeichnet ist, wo man herangeht, wegen der Dringlichkeit seines Wollens und seines Vorhabens eine höhere Legitimität gegenüber der nur formalen Legalität unserer Gesetze in Anspruch zu nehmen.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Schily?
Ich bedaure.
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 8. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 2. April 1987 365
Bundesminister Engelhard
— Herr Abgeordneter Schily, ich habe jetzt aus gutem Grunde wegen der besonderen Qualität Ihrer vorherigen Zwischenfrage Ihre zweite Zwischenfrage nicht zugelassen. Indirekt dieselbe jetzt in einem Zwischenruf vorzubringen ist nicht besonders originell.Ich fahre fort und sage — ich weiß sehr wohl, daß auch Ihnen dies unangenehm ist —, daß es das Problem ist, daß Sie zu diesem Staate so lange noch kein Verhältnis gefunden haben,
solange Sie nicht erkannt haben, daß im Verfassungsstaat Bundesrepublik Deutschland unter der Herrschaft des Grundgesetzes
der denkbare Spannungsgegensatz zwischen Gesetzmäßigkeit und Legitimation aufgehoben ist.Es ist ja in diesem Zusammenhang interessant, daß sich die Befürworter des Volkszählungsboykotts, obwohl in den verschiedenen Verfahrensarten alle Türen des Bundesverfassungsgerichts offenstehen, nicht erneut an das Bundesverfassungsgericht gewandt haben, weil sie wissen, welche Antwort sie aus Karlsruhe bekämen.
Nein, hier macht man etwas anderes: Bürgerinnen und Bürger dieses Landes, auf die am 25. Januar Stimmen entfallen sind und die deshalb auf den Bänken der GRÜNEN im Deutschen Bundestag Platz nehmen konnten, gehen wie Sie, Frau Vollmer, her und sprechen von den anderen Auffassungen, die draußen in seiner Mehrheit das Volk habe.Wir haben die repräsentative Demokratie. Wenige Monate erst ist diese Wahl her. Wie eigentlich wollen wir miteinander umgehen und uns gegenseitig ernst nehmen, wenn Sie glauben, auf der einen Seite hier Parlament — ja, was ist das bei Ihnen? — spielen, auf der anderen Seite draußen aber die für Sie richtige und offensichtlich viel wichtigere Basispolitik betreiben zu können?
lm übrigen: in geistiger Verbundenheit mit Reaktionären von ehedem; denn ich habe aus gutem Grunde bereits 1983 einmal aus Schillers „Demetrius" zitiert: „Was ist die Mehrheit? Mehrheit ist der Unsinn. "Genau das ist Ihre Auffassung. Wann immer es Ihnen paßt, rufen Sie eine angeblich vorhandene Volksmehrheit von draußen an, die das wahre Sagen haben sollte.
Ich glaube, es ist Ihr Problem, daß Sie ein Verhältnis zu diesem Staate, ein Verhältnis zu unserer Verfassungsordnung finden müssen,
damit wir in der Lage sind, überhaupt vernünftig miteinander reden zu können.Ich meine, daß in diesem Zusammenhange die SPD, die in vielen Bereichen allzu nahe nach dort drüben rückt, keinen Grund zu allerlei hämischen Nebenbemerkungen hat, wenn ich verfolge, daß jetzt bei den Sitzblockaden — auch bei den Richtersitzblockaden — manche Äußerungen auch aus Ihrem Bereich fielen, die zu den größten Bedenken Anlaß geben. Wenn wir jetzt zur Kenntnis nehmen, daß die Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Juristen mit dem hochinteressanten Vorschlag aufwartete, die terminlich feststehende Volkszählung auszusetzen,
weil dagegen schwerwiegende Bedenken bestünden, dann ist es an einem solchen Tag an Ihnen, wo es nicht nur um die Gewalt geht, wo es um die Gesetzestreue geht, um jenes Minimum, das Voraussetzung ist, Gewalt zu verhindern und das friedliche Zusammenleben der Bürger in unserem Lande sicherzustellen, Ihrerseits ein deutliches Wort zu sagen.
Das Wort hat der Abgeordnete de With.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wer den Antrag der Regierungskoalition liest und dazu die Worte von Herrn Lüder hört, reibt sich zunächst die Augen. Auf den ersten Blick erscheint jeder Satz verständlich und noch dazu akzeptabel bis vielleicht auf den einen, wo es heißt:Der Deutsche Bundestag erwartet von der vorgesehenen Regierungskommission weitere Entscheidungsgrundlagen für die Entwicklung von Konzepten zur Verhinderung und Bekämpfung von Gewalt.Was solche Regierungskommissionen auszubrüten in der Lage sind, wissen wir seit deren Vorlage zum Demonstrationsstrafrecht.
Die Vorlage war derart obrigkeits- und rechtslastig,daß sogar Ihre eigenen Sachverständigen die VorlageDr. de With— ich sage: Gott sei Dank — im Anhörungsverfahren des Rechtsausschusses förmlich zerfetzten.
Gleichwohl, wir sind uns einig in der Verurteilung jeder Gewaltanwendung, auch gegen Sachen, in der Bekämpfung auch derer, die gewissermaßen schleichend durch Verständnis für Gewalt oder Billigung von Gewalt Tore öffnen, in der Verurteilung des Rechtsbruchs, in dem Schutz der grundrechtlich gesicherten Versammlungs- und Meinungsfreiheit, in der Solidarität mit Polizei, Staatsanwaltschaft und Richtern zur Bewahrung des Rechtsfriedens.Nur, meine sehr verehrten Damen und Herren von der Bundesregierung und den Koalitionsfraktionen, bei genauerem Hinsehen — und das hat man deutlich bemerkt bei Ihrer Rede, Herr Geißler — wird zweierlei offenbar: Ihr sehr allgemein gehaltener Antrag zielt im Grunde sehr einseitig nur auf die linke Szenerie. Zum anderen ist er zu kurz gefaßt, zu wenig umfassend.
Wo Sie, ein einziges Mal konkret werdend, sich offenbaren, heißt es: „Anschläge auf Strommasten, Gebäude, Verkehrs- und Versorgungseinrichtungen sind kriminelles Unrecht."Das ist auch unsere Meinung. Jedoch bedürfte es deshalb nicht der unmäßigen Ausweitung des Straftatbestands der Bildung einer terroristischen Vereinigung. Alle diese Taten waren schon vorher unter Strafe gestellt.
Bei der soeben erwähnten Passage wird natürlich— das ist offensichtlich Ihre Absicht — bei vielen rasch die Erinnerung an das Vorfeld von Wackersdorf und Grohnde wach, und das geistige Auge des Bürgers am Fernsehschirm sieht Tennisschuhe und Parkas, die er zunächst einmal bei der extremen Linken ansiedelt.
Das ist Wahlkampf.Aber, Herr Geißler, Sie vergessen zu erwähnen, daß jüngst lebensgroße Puppen von Politikern auf Marktplätzen verbrannt wurden und eine gar gekreuzigt wurde. Herr von Heereman ist leider nicht mehr hier. Der könnte Ihnen davon etwas erzählen.Damit wir einander nicht falsch verstehen: Ich kann die Erbitterung der Bauern sehr wohl nachempfinden. Aber ich kann nicht verstehen, daß Sie, meine Damen und Herren von den Koalitionsfraktionen und auch von der Regierung, dazu schweigen und die einfach hingenommen haben.
— Ich habe kein Wort dazu hier gehört; und Herr Geißler hat lange genug geredet, ebenso der Minister.
— Ich rede zur CDU/CSU. Ich habe ausdrücklich am Anfang Herrn Lüder lobend ausgenommen. Ich unterscheide sehr wohl.
Die symbolische Verbrennung von Puppen für Menschen stand am Anfang des Ku-Klux-Klan. Nach der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" — das ist bestimmt kein Blatt der Sozialdemokratischen Partei — von vorgestern hat Rudolf Schnieders, der Generalsekretär des Deutschen Bauernverbands, diesen Punkt aufgegriffen und dabei den bäuerlichen Führungskräften „Feigheit und mangelnde Zivilcourage " vorgeworfen.Und wo bleibt der Protest dagegen, daß gestern mittag klammheimlich Vertreter der Bauern unter Mißachtung der Bannmeile mit Transparenten auf der Hermann-Ehlers-Straße einen Zug bildeten,
50 Meter von diesem Haus entfernt?
Sonst sind Sie schnell bei der Hand, wenn ein paar Leute mit Turnschuhen ein Plakat hier draußen tragen. Dann rufen und brüllen Sie: Bannmeilenbruch!
Hier wird mit zweierlei Maß gemessen.
Und vergessen, meine sehr verehrten Damen und Herren von der Union, haben Sie die tagelange Blokkade auf der Bundesautobahn im Süden durch Lastwagen. Die bayerische Staatsregierung, die sonst so gern ihre Muskeln spielen läßt, ließ sich dabei lange Zeit. Und der Ministerpräsident des Freistaats, Franz Josef Strauß:
Ließ er nicht so etwas wie Sympathie für die BrummFahrer erkennen?
Ich glaube, das ist nicht sehr weit von der Billigung von Gewalt.
Aber Sie vergessen das zu erwähnen, Herr Geißler.
Herr Geißler, bei Ihnen ist Hessen durchgedrungen. Ich will deshalb daran erinnern, daß das hessische Verfassungsgericht das Förderstufenabschlußgesetz dort unlängst für verfassungsgemäß erklärt hat. Vorher haben viele Kreise mit einer CDU-Mehrheit dieses Gesetz nicht vollzogen. Und, was noch schlimmer ist: Der Landkreis Offenbach, mehrheitlich CSU,
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 8. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 2. April 1987 367
Dr. de Withhat sich sogar danach noch geweigert, das Gesetz zu vollziehen.
Sind das nicht auch Rechtsbrüche, die schleichend Tore öffnen? Aber dazu schweigen Sie. Sie können nur andere anprangern.
— Meine Damen und Herren von den GRÜNEN, klatschen Sie nicht zu früh.
— Schön, Herr Schily. — Natürlich gibt es auch Auffassungen und Äußerungen der GRÜNEN, die ich aufspießen muß.
Was hat denn Jutta Ditfurth in der „Elefanten-Runde"am Donnerstag vor der Bundestagswahl ausgeführt?Grundsätzlich
— sagte sie —
gilt für uns das Prinzip der Gewaltfreiheit.Wir alle wissen, was „grundsätzlich" heißt: Ausnahmen sind zulässig. Wenige Sekunden danach
hat sie das noch wortwörtlich begründet. Sie sagte:Ich sage also auch: Z. B. das Zaundurchschneiden zur Besetzung eines Baugeländes gegen ein Atomkraftwerk halten wir zur Verhinderung dieser atomaren Gewalt für legitim.So wörtlich Jutta Ditfurth. Hier können wir Sozialdemokraten nur sagen — ich sage das mit allem Ernst — : Wehret den Anfängen!
Denn am Ende kann dies — wenn auch ungewollt, sage ich — von manchen als Freibrief dahin mißverstanden werden, daß man eben auch mit Rammen und Molotow-Cocktails — ich bin ganz vorsichtig —
gegen Zäune losgeht.Was die Rede von Frau Vollmer angeht, so kann ich nur sagen: Sie war über eine Strecke von vier Fünftel ihrer Zeit bewegend.
Nur, im letzten Fünftel hat sie noch einen drauf gesetzt und mehr oder weniger versteckt — ich sage: offen — zum Rechtsbruch aufgerufen,
indem sie erwähnte, es sei besser, im Mai spazierenzugehen, denn Fragen zu beantworten.
Das können und sollten wir in diesem Hause nicht akzeptieren.
Deswegen sagen wir: Eines sollte unter uns klar sein: Gewalt ist in jeder Form, von wem sie auch kommt, zu bekämpfen.
Privilegien sind einer Demokratie unwürdig. Konzessionen bei der Bildung von Gewalt rühren letztlich an ihre Grundfesten.Ich habe vorhin erklärt, daß ich die Erbitterung der Bauern, jedenfalls der kleineren und mittleren, verstünde. Damit bin ich bei den Ursachen, die normalerweise gezähmte Hemmungslosigkeit
— ich darf ein kleines bißchen um Aufmerksamkeit bitten; ich rede gerade von den Ursachen —
durchaus zu Maßnahmen provozieren können, die wir alle mißbilligen. Das heißt: Wir dürfen — das widerspiegelt Ihr Antrag zu sehr; nur Herr Lüder hat eine Ausnahme davon gemacht — nicht nur die Symptome, sondern müssen gleichermaßen auch die Ursachen bekämpfen. Denn auch die geben Grund zur subtilen Gewalt. Deswegen läuft Ihr Antrag zu kurz.Unsere Politik muß darauf gerichtet sein, Polarisierungen zu vermeiden, Spannungen abzubauen und geduldig und immer wieder geduldig um Verständnis zu werben.
Schärfere Gesetze allein verhindern weder das Entstehen terroristischer oder krimineller Neigungen, noch stiften sie automatisch Rechtsfrieden. Ich darf hier Ortega y Gasset zitieren, von dem Sie so gern Gebrauch machen. Er sagt: „Was ist Gewalt anderes als Vernunft, die verzweifelt?" Deshalb gehört zu unseren Forderungen auch, daß Politik nicht Klassen entstehen lassen darf, die sich vom allgemeinen Fortschritt ausgegrenzt fühlen.
Und es ist — sehr richtig — eine Klasse der Arbeitslosen im Entstehen begriffen, und es ist in Rudimenten auch eine Klasse der den Hof verlierenden Bauern vorhanden. Es wurde auf der anderen Seite auch eine
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Dr. de WithGruppe gefördert, die glaubt, die Oder-Neiße-Grenze müsse und könne doch noch rückgängig gemacht werden. So produzieren Sie Unruhe, die Sprengkraft enthalten kann.Natürlich muß sich die Politik an die eigene Brust klopfen, wo sie Verantwortung in der Exekutive trägt. Ein Landesinnenminister darf eben nicht trutzig und trotzig zum Angriff treiben und die Polizei anweisen, mit der Folge vieler Verletzter auf beiden Seiten.
Ich bekenne auch als Sozialdemokrat — ich reagiere hier auf den Zuruf von vorhin — : Ein Innensenator darf auch nicht die sogenannte Einkesselung einfach hinnehmen.
Nur, meine Damen und Herren, der Unterschied zwischen dem Freistaat Bayern und Hamburg in diesem Fall ist der, daß in Bayern der Polizeichef in die Wüste geschickt wird und der Innenminister Sozialminister wird, in Hamburg aber der Innensenator Gott sei Dank seinen Hut nimmt.
Das ist ein bißchen politische Kultur.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir sind der Meinung, daß die in der letzten Legislaturperiode begrabene Kronzeugenregelung eben aus diesem Grunde nicht wieder das Licht der Welt erblicken sollte. Wir sind der Auffassung, daß die unmäßige Ausweitung und viele zu Terroristen stempelnden und kriminalisierenden Änderungen des Strafgesetzbuches rückgängig gemacht und daß jede weitere Verschärfung des Demonstrationsstrafrechts und jede weitere Einschränkung des Versammlungsrechts abgelehnt werden müssen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Ebermann?
Bitte schön.
Ich komme aus Hamburg und habe eine andere Erinnerung an einen Vorgang. Deswegen möchte ich Sie einfach fragen: Sind Sie sich ganz sicher, daß der Hamburger Innensenator aus Anlaß des Hamburger Kessels zurückgetreten ist? Das ist aus meiner Sicht völlig unwahr.
Ich habe es so gesagt, und es ist meine Auffassung.
Herr Ebermann, bleiben Sie bitte am Mikrophon stehen.
Ich weiß nicht, was Sie in Ihren Taschen haben. Aber sie brauchen das nicht zu schützen.
Ich habe hinreichend deutlich zum Ausdruck gebracht, was ich von der Einkesselung halte und daß die Konsequenz der Rücktritt war. Das halte ich für gut.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich appelliere noch einmal an die Regierungsfraktionen, das Problem der Gewalt nicht nur symptomatisch aufzufassen, nicht nur die Symptome zu bekämpfen, sondern den Ursachen nachzugehen und wirklich dafür Sorge zu tragen, daß Gruppen und Gruppierungen nicht ausgegrenzt werden.
Ich schließe mit einem Wort von Johann Jacoby, der als Königsberger Deputierter der Berliner Nationalversammlung Friedrich Wilhelm IV. 1848 in Sanssouci das folgende gesagt hat:
Das ist das Unglück der Könige: daß sie die Wahrheit nicht hören wollen.
Vielen Dank.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Bötsch.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich meine, daß heute hier viel Theoretisches gesagt wurde,
: Jetzt kommt
der Praktiker!)manches Richtige, viel Falsches, aber manches mit Sicherheit nur deshalb, um von dem, was hier konkret unserem Antrag zugrunde liegt, etwas abzulenken und zu konkreten Sachverhalten nicht Stellung nehmen zu müssen.
Es ist hier davon gesprochen worden, daß die Rede der Kollegin Vollmer ergreifend war. Ich habe den Eindruck: Am meisten war sie selbst von ihren Ausführungen ergriffen. Ich bin aber nicht ganz sicher, ob dies eine echte Ergriffenheit ist oder ob damit nicht nur von den Sachverhalten abgelenkt werden soll.
— Daß Sie, Frau Kollegin, nicht ergriffen sind, merkt man an jedem Ihrer Zwischenrufe allerdings.Wenn hier auf den Protest der 68er hingewiesen und das Wort Vietnam genannt wird, dann frage ich mich: Wo sind eigentlich die Proteste dagegen geblieben, daß nach dem Rückzug der Amerikaner die Kommunisten in Südostasien etwa drei Millionen Menschen ermordet haben? Dazu hätten Sie vielleicht etwas sagen sollen.
Frau Kollegin Vollmer, wenn Sie aus unserem Antrag hier zitieren und behaupten, daß wir diejeni-
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Dr. Bötschgen diffamieren, die nach den Ursachen der Gewalt fragen, so muß ich Ihnen sagen, daß davon in dem Antrag kein Wort steht. Dazu heißt es bei uns: „Wer für Gewalttaten Verständnis äußert oder ihnen Beifall spendet, trägt Mitverantwortung für die Folgen. " Das ist die Passage, und ich glaube, in dieser Passage können wir jedes Wort unterstreichen, und dazu stehen wir.
Meine Damen und Herren, die Staatsgewalt wird in freien Wahlen und Abstimmungen ausgeübt, heißt es in unserer Verfassung.
Gewalt zur Kundgabe und Durchsetzung von Meinungen sieht das Grundgesetz dagegen nirgends vor. Wenn heute zunehmend Gewalt in der politischen Auseinandersetzung eine Rolle spielt, dann ist das eine Herausforderung für alle Demokraten. Wer es mit der Demokratie ernst meint, wer die Freiheit, in der wir seit über vierzig Jahren leben, nicht aufs Spiel setzen will, der muß sich mit aller Entschiedenheit gegen die verbreitet sichtbaren Tendenzen zur Gewalt zur Wehr setzen.Meine Damen und Herren, wenn hier behauptet wird, wir wollten das Demonstrationsrecht einschränken, verschlechtern, oder wie die Begriffe alle heißen, dann kann ich nur sagen: Wir sind für das in der Verfassung verbriefte Demonstrationsrecht. Jeder soll demonstrieren können, wo er will, an welchem Ort auch immer, mit Ausnahme der gesetzlich festgelegten Einschränkungen — Stichwort Bannmeile: Herr Kollege Wernitz, die Bannmeile gilt für jeden, damit dies ganz klargestellt ist — , für die gerechteste Sache, aber meinetwegen auch für den aus meiner Sicht größten Unsinn. Auch das alles ist von der Demonstrationsfreiheit geschützt, aber eben so, wie es in unserer Verfassung steht, friedlich und ohne Waffen.
Krawalle, bei denen Steine fliegen, bei denen mit Stahlmuttern, Kugeln und Brandsätzen auf Polizisten geschossen wird,
bei denen sich Polizisten gegen Stockschläge und Messerstiche wehren müssen, sind keine legitimen Mittel der Meinungsäußerung, sondern schlicht und einfach kriminell, sind Verbrechen. Wir dürfen es nicht zulassen, daß sich an derartigen Ausschreitungen beteiligte Täter dann auf den Bonus der Meinungsfreiheit berufen.
Die Meinungsfreiheit des Grundgesetzes meint nur die Freiheit der friedlichen Meinungsäußerung, und jede Form der Gewalt in der politischen Auseinandersetzung ist ein Verstoß gegen das Friedensgebot unserer Verfassung und damit ein Anschlag auf unseren freiheitlichen Rechtsstaat.Es gibt in der politischen Auseinandersetzung auch keine legitime Gewalt gegen Sachen. Gewalt gegen Sachen ist Gewalt wie jede andere. Wer sich dieses Mittels bedient, handelt verwerflich. Wir wenden uns mit Nachdruck gegen jede Verwischung der Grenzen von Friedlichkeit und Gewalt. Der Unterschied zur Gewalt gegen Menschen liegt nur in der Schwere der Tat. Für die Meinungsfreiheit, für die freie Willensbildung und damit für unsere Demokratie ist es unerheblich, wogegen sich die Gewalt richtet. Unsere Verfassung duldet keine Gewalt in der politischen Auseinandersetzung, in keiner Weise.Wenn die Frau Kollegin Vollmer sagt, daß diese Fragen in ihrer Fraktion immer sehr intensiv diskutiert würden, dann kann ich nur sagen: Sie haben allen Grund dazu, dies bei Ihrer Haltung sehr intensiv zu diskutieren,
wenn Sie die Frage des Gewaltmonopols immer mit einem dicken Fragezeichen versehen.Meine Damen und Herren, Sprachschöpfungen und Erfindungen wie „Regelverletzung" oder „ziviler Ungehorsam" mögen verführerisch klingen, vom Boden des Grundgesetzes aus ist und bleibt derartiges Handeln Unrecht. Auch der größte Erfindungsreichtum kann nicht darüber hinwegtäuschen, daß diejenigen, die sich an derartigen Dingen beteiligen, gegen unsere Gesetze verstoßen. Die Grenzen zur Gewalt sollen damit nämlich nur durchlässig und fließend gestaltet werden.
Aus diesem Grund muß auch allen, die mit dem Boykott gesetzlicher Maßnahmen drohen, Stichwort Volkszählung — Kollege de With hat hier etwas gesagt, dem ich voll zustimmen kann — , gesagt werden, daß sie zu ungesetzlichen Mitteln greifen. Nicht nur wer Gewalt übt, sondern alle, die auf demokratischem Weg zustande gekommene Entscheidungen nicht akzeptieren wollen und gegen diese Entscheidungen auf anderen als in einer Demokratie zulässigen Wegen angehen, verletzen unsere Gesetze und verlassen den Boden der Verfassung.
— Genau das gleiche gilt auch dafür — weil das Stichwort Personalausweis gekommen ist.
Eigentlich müßte es in einer Demokratie über alle Parteien hier einen Konsens geben. Allerdings läßt die Einstellung der GRÜNEN und auch von Randgruppen der SPD gegenüber diesen Fragen Zweifel an dieser Feststellung aufkommen.
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370 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 8. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 2. April 1987
Dr. BötschDas fängt bei der Verharmlosung von Rechtsbruch und Gewalt an und geht hin bis zur offenen Befürwortung und Unterstützung.
— Lüge? Nun, wie hat eigentlich Herr Trampert vor der 6. Bundesdelegiertenversammlung der GRÜNEN in Duisburg erklärt? Das staatliche Gewaltmonopol stehe den Interessen der GRÜNEN unmittelbar im Weg. Oder Joschka Fischer, der ehemalige hessische Umweltminister, bekannte in einem „Spiegel" -Interview, er werde auch weiterhin Rechtsbrüche in Kauf nehmen.Im Juni 1986 kam es in Brokdorf zu äußerst gewalttätig verlaufenden Demonstrationen mit einer Vielzahl von Verletzungen.
— So, ohne GRÜNE?
— Die GRÜNEN hatten aber einen Aufruf mitunterzeichnet, in dem es hieß, daß alle Formen des Widerstandes legitim und notwendig seien.Nach der Entscheidung des Landgerichts Bonn vom 1. November 1986 sind u. a. folgende Aussagen über die GRÜNEN zulässig:Die GRÜNEN distanzieren sich nicht von Gewalt. Delegierte der GRÜNEN haben während ihres Parteitages im Mai 1986 in Hannover, als sie von den Vorgängen in Wackersdorf gehört hatten, ihre große Freude nicht verhehlen können.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Nein. Das hören Sie sehr ungern.Bei den bürgerkriegsähnlichen Ausschreitungen in Brokdorf sind es Teile der GRÜNEN gewesen, die die zu erwartenden Ausschreitungen bewußt in Kauf genommen hätten.Und weiter das Urteil:Die GRÜNEN haben sich nach dem BrokdorfKrawall, den Terrorszenen in Wackersdorf, Hamburg und Berlin nur vereinzelt von den Gewalttätern distanziert.
— Das hören Sie sehr ungern, meine sehr verehrten Damen und Herren.
Eigentlich dürften die GRÜNEN für keine andere Partei, gleich auf welcher Ebene, ein Bündnispartner sein.
Die Tatsache aber — jetzt komme ich zu Ihnen —,
daß die SPD nicht bereit ist, diese Konsequenz zu ziehen, daß sie in Hessen mit den GRÜNEN ein Bündnis eingegangen ist und jetzt ein weiteres Bündnis anstrebt, macht die SPD in ihrer Haltung gegenüber der Gewalt unglaubwürdig.
Bei dieser Sachlage verwundert es nicht, daß die SPD nicht in der Lage ist, alle ihre Gruppierungen wie beispielsweise die Jungsozialisten vollständig zur Unterstützung
der von ihr im Deutschen Bundestag mitbeschlossenen Volkszählung zu gewinnen, und es hinnehmen muß, daß beispielsweise vom stellvertretenden Vorsitzenden der Jungsozialisten zum Boykott der Volkszählung
und damit zum Gesetzesbruch aufgerufen wird.Nur für diejenigen, die die satzungsrechtlichen Bestimmungen der SPD nicht so genau kennen: Jeder Jungsozialist muß Mitglied der SPD sein, und jedes SPD-Mitglied bis zum 35. Lebensjahr ist automatisch Mitglied der Jungsozialisten.
So ist die Lage im Unterschied zu den anderen Nachwuchsorganisationen der politischen Parteien.Weil hier der Zwischenruf „Bayern" kam: Sie haben doch die bayerischen SPD-Abgeordneten Ihrer Fraktion weiß Gott nicht sehr vornehm bei den gerade durchgeführten Wahlen behandelt.
— Herr Vogel, Sie zählen nach Berlin, Sie gehören nicht mehr nach Bayern; das wissen wir doch, meine Damen und Herren.
Sie nehme ich da jetzt einmal aus.
— Ich habe nichts gegen Berlin, nur daß Sie den Zusatz „Berlin" führen, das stört mich nämlich, wissen Sie.
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 8. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 2. April 1987 371
Dr. BötschMeine sehr verehrten Damen und Herren, ich glaube, wir haben in der Koalition notwendige Maßnahmen beschlossen, und wir werden sie in der gebotenen Zeit beraten und dann auch das, was notwendig ist, verabschieden. Dies hat nichts mit Illusionismus zu tun. Der neue Vorsitzende des innenpolitischen Ausschusses hat sich hier mit Gesetzesopportunismus und ähnlichen Begriffen eingeführt. Ich kann nur sagen: Er hat manchmal das Automobil in der Einbahnstraße etwas in die verkehrte Richtung gelenkt. Ihr Vorgänger jedenfalls, Kollege Wernitz, den Sie nicht sehr gut behandelt haben, hat in diesen Fragen wesentlich mehr Bodenhaftung bewiesen, als Sie sie hier heute vorgeführt haben.
Meine Damen und Herren, die Bekämpfung der Gewalt in der politischen Auseinandersetzung ist eine existentielle Frage für unsere Demokratie.
Der Staat, der in der politischen Auseinandersetzung Gewalt zuläßt, wird zum Willkürstaat.
— Der Herr Bundesinnenminister Zimmermann, Herr Vogel, um die Frage zu beantworten, hat eine dienstliche Verpflichtung bei der Innenministerkonferenz aller Innenminister der Bundesländer und des Bundesinnenministers in Berlin.
Meine Damen und Herren, ich habe gesagt: Der Staat, der in der politischen Auseinandersetzung Gewalt zuläßt, wird zum Willkürstaat. Wir werden alles daran setzen, Gewalt und Rechtsbruch aus der politischen Auseinandersetzung in der Bundesrepublik Deutschland fernzuhalten,
und allen gilt die Bitte, die es mit unserer Demokratie ernst meinen, uns dabei zu unterstützen.Vielen Dank.
Bevor ich der nächsten Rednerin das Wort gebe, möchte ich der Abgeordneten Frau Unruh einen Ordnungsruf erteilen, Frau Abgeordnete Unruh, verbunden mit der Bitte, sich, wenn eben möglich, dem Stil des Hauses, eines anständigen Stils, zu bedienen. Das erleichtert die Auseinandersetzung in der Sache zwischen den Fraktionen.
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Schmidt-Bott.
Die altväterlichen Ausführungen von Herrn Geißler zum zivilen Ungehorsam können nicht darüber hinwegtäuschen, daß Sie Widerstand in die terroristische Ecke definieren wollen. Kein Satz in dem Entschließungsantrag derRegierungsparteien ist entlarvender als dieser: „Es ist die Aufgabe der Polizei, die Freiheitsrechte der Bürger, insbesondere auch die Demonstrationsfreiheit zu schützen. " Wer beim Wort „Demonstrationsfreiheit" sofort an Polizeieinsätze denkt, braucht uns nicht mehr zu erläutern, was er will. Ich denke dabei sofort an jenen SPD-Innensenator Lange, der die Demonstrationsfreiheit so konsequent durch die Polizei „schützte", daß er gleich die ganze Demonstration in Schutzhaft einkesselte.
Brokdorf, Wackersdorf und Hamburg haben gezeigt, wie das Demonstrationsrecht von der Staatsgewalt gefilzt, geknüppelt, vergast und eingekesselt wird. Nürnberg hat gezeigt, wie mit dem Recht auf Versammlungsfreiheit umgesprungen wird. Ihnen geht es nicht um Recht und Freiheit, sondern um Ruhe und Ordnung, Gehorsam, Unterordnung, Anpassung. Innere Sicherheit nennen Sie das verschleiernd, um den gesellschaftlichen und sozialen Widerstand zu brechen. Schleppnetzfahndung, Rasterfahndung, Bewegungsbilder, die Überwachung und die Totalerfassung werden mit der Volkszählung und mit dem maschinenlesbaren Ausweis von Ihnen immer perfekter geplant. Das geht ja alles ganz legal, und da haben Sie auch in den Reihen der SPD Verbündete: Als sich der Hamburger Kessel nach geltender Rechtsstaatlichkeit als Rechtsbruch herausstellte, fiel dem alten und neuen Innensenator Pawelczyk nichts anderes ein als: Ein neues Gesetz muß her; damit er das nächste Mal legal einkesseln kann.
Kennzeichen dieser Regierung ist, daß sie systematisch Schritt für Schritt Freiheitsrechte ab- und polizeistaatliche Regelungen ausbaut; denn der Kanzler sagt: Wir müssen alle glücklich und zufrieden sein. Da grenzt es ja schon an Hochverrat, wenn auf der Straße Unzufriedenheit demonstriert wird von Bauern, von Arbeitnehmern, von Schülern und Studenten und von Frauen und Männern, deren Gesundheit und Leben durch Atomraketen und -energie bedroht ist.Sie behaupten: Recht schützt Freiheit. Das erzählen Sie mal den Stahlarbeitern in Hattingen, den Werftarbeitern in Hamburg bei der HDW, den Mietern, deren Wohnungen kaputtsaniert oder wegspekuliert worden sind.
Die antworten Ihnen: Das Recht schützt allein die Freiheit der Unternehmer, zu heuern und zu feuern. Das Recht schützt allein die Spekulanten und die Banken.
Bei der Debatte — und das jetzt ausdrücklich auch an die SPD — geht es nicht um Gewalt. Denn dann müßten wir reden über die Tausende von Menschen, die täglich in Kriegen und an Hunger sterben, die umgebracht und gefoltert werden. Wir müßten reden über Waffenlieferungen und über die Ausbeutung der Drit-
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372 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 8. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 2. April 1987
Frau Schmidt-Bottten Welt. Das alles passiert ganz legal, ganz nach dem legalistischen Prinzip.
Bei uns, hier in der Bundesrepublik, ist Folter kein Asylgrund.
Nach Urteilen der Verwaltungsgerichtshöfe Kassel und Mannheim schon 1982 und 1983 ist das so, weil Foltern lediglich Ausdruck „kriminaltechnischer Besonderheiten' in der Türkei und dort „praktisch allgemein" üblich ist. Da meinen wir allerdings, daß es eine moralische Pflicht ist, nicht gesetzestreu zu sein.
Da meinen wir allerdings, daß es eine Pflicht ist, gesetzbrecherisch Flüchtlinge zu schützen und zu verstecken. Da lassen wir uns nicht einschüchtern und nicht abschrecken.Wir werden weiter in gewaltfreien Aktionen unseren Protest artikulieren gegen die Bedrohung der Menschheit durch atomare und chemische Verseuchung, gegen das Atomraketenvernichtungspotential, gegen Umweltzerstörung, und wir werden uns nicht vorschreiben lassen, mit wem wir noch demonstrieren oder gar noch reden dürfen.
Frau Abgeordnete, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Hirsch?
Im Moment nicht.
Das auch noch mal ausdrücklich an die SPD, an Herrn Bernrath und Herrn de With:
Ja, wir rufen auf zu Gesetzesverletzungen, zu Rechts-und Regelverletzungen und werden uns daran beteiligen.
Denn unser Protest richtet sich gegen legal erlassene Gesetze, wie Sie das sagen. Es war Rechtsbruch, als sich die Frauen in einer Selbstbezichtigungsanzeige dazu bekannt haben, abgetrieben zu haben.
Das war Widerstand gegen diesen Rechtsstaat, und es war notwendig, und es war richtig.
Es war und ist richtig, Hausbesetzungen und Betriebsbesetzungen zu machen. Das ist nicht legal; es ist legitim und dringend notwendig.
Wir protestieren nicht gegen Alkem, um zu erreichen, daß dort legal Plutonium produziert wird,
sondern wir wenden uns gegen die Legalität von menschheitsbedrohenden Produktionen.
Frau Abgeordnete, erstens, Ihre Redezeit ist beendet. Zweitens. Ich mache Sie darauf aufmerksam, daß es einen Ordnungsruf nach sich zieht und im Wiederholungsfalle weitere Maßnahmen,
wenn Sie hier vom Podium des Deutschen Bundestages zu Rechtswidrigkeiten aufrufen.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Langner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Hätte es nicht bereits hundert Gründe für die Debatte für heute gegeben, die beiden Rednerinnen der GRÜNEN hätten sie uns heute hier nachgeliefert.
Wenn von diesem Pult zum Rechts- und Regelbruch aufgefordert wird, wenn Frau Vollmer sagt, die 68er seien noch absolut gewaltfrei gewesen — das stimmt zwar nicht —, aber danach der Satz kommt: Jetzt sind wir schlauer, dann haben wir diese Drohung sehr wohl verstanden.
Herr Kollege Bernrath, Sie haben viel weiße Salbe hier verschmiert, aber zwei Ihrer Sätze möchte ich festhalten, die Sie eher beiläufig gesagt haben. Die Bürger, so sagten Sie, fürchten um das Gewaltmonopol des Staates und die Rückkehr zum Faustrecht.
Wer glaubt, zur Durchsetzung seiner politischen Vorstellungen zur Gewalt greifen zu müssen — —
Entschuldigen Sie, Herr Abgeordneter Dr. Langner, ich will die notwendige Ruhe im Hause herstellen. Herr Abgeordneter Mechtersheimer, Frau Abgeordnete Unruh, wenn Außerun-
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Vizepräsident Cronenberggen gefallen sind, die rügenswert sind, können Sie sich darauf verlassen, daß sie gerügt werden, vorausgesetzt, daß wir sie festgehalten haben. Ich kann das hier oben nicht alles hören.
Im übrigen bitte ich den Redner, jetzt fortzufahren. — Wenn hier nicht die notwendige Ruhe hergestellt wird, lasse ich Sie aus dem Saale weisen. — Herr Dr. Langner, Sie haben das Wort.
Ich wollte den Satz des Kollegen Bernrath festhalten: Wer zur Durchsetzung seiner politischen Vorstellungen glaubt, zur Gewalt greifen zu müssen, traut sich nicht zu, Mehrheiten zu finden. Dieser Satz ist richtig, aber warum wollen Sie dann in Hessen wiederum dem politischen Radikalismus Regierungseinfluß verschaffen, frage ich mich.
Herr Abgeordneter Dr. Langner, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Schily?
Nein, meine Zeit zerfließt durch diese dauernde Unruhe. Ich bitte, mir das nicht anzurechnen.
Waren denn die GRÜNEN nicht auch Mitveranstalter der Antiatomkonferenz im Januar in Nürnberg, und konnte man dort nicht lesen, Herr Ebermann, und zwar auf einem Transparent im Eingang — ich zitiere wörtlich — : „Den Sprung von der spontanen Bewegung zur revolutionären Krafteinheit — Die militante Debatte organisieren und durchsetzen"?Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Gewalttätigkeit beginnt meist sprachlich durch Verwirrung der Begriffe.
„Ziviler Ungehorsam" ist ein solcher Begriff. Welch grüner Auflauf, bei dem nicht die Vokabel „Überlebensnotwendigkeit des zivilen Ungehorsams" bemüht wird. Der Ausgangspunkt solchen Denkens ist totalitär. Man glaubt, ein Wahrheitsmonopol gepachtet zu haben. Wie oft hörten wir von den GRÜNEN den Satz, eine qualifizierte, weil informierte Minderheit sei die eigentliche Mehrheit.Aber sind solche Avantgarden nicht immer ein Unglück für die Völker geworden, wenn sie an die Macht kamen? In so vielen Reden, die GRÜNE hier im Deutschen Bundestag gehalten haben, reklamieren sie für sich praktisch eine Art Gewissensmonopol und überziehen uns Andersdenkende mit den aggressivsten Vokabeln. Der Herr Stratmann z. B. schämte sich nicht, zur Begründung für seine Beleidigung „Gotteslästerung" nachher auch noch ein alttestamentarisches Gebot zu zitieren.
Wenn die politische Debatte so zur Gesinnungs- und Vorwurfsdemagogie entartet,
wie wir das hier erleben, dann erscheint uns eine solche Ex-cathedra-Diktion eigentlich nur noch konsequent. Ayatollah läßt grüßen.
Ein weiteres Beispiel für zivilen Ungehorsam sind sogenannte „friedliche" Sitzstreiks. Warum bleiben Blockaden in Mutlangen — neuerdings entblöden sich ja auch Richter nicht, solchen Rechtsbruch in Robe zu begehen — eigentlich ohne Handgreiflichkeiten? Denn die Blockierer greifen natürlich massiv in die Rechte anderer — z. B. der Straßenbenutzer — ein. Es ist eine erborgte Friedlichkeit, meine Damen und Herren. Diejenigen, die auf ihr Recht zur Selbsthilfe — z. B. um ihre Bewegungsfreiheit durchzusetzen — verzichten, sind friedlich, nicht die Blockierer.Ziviler Ungehorsam ist eine Art moralischer Ausbeutung derer, die sich über Rechtsbindung hinwegsetzen, auf Kosten derer, welche die Rechtsbindung einhalten. Dieser These des Verfassungsrechtlers Isensee ist vorbehaltlos zuzustimmen.Die Unterscheidung zwischen einem gewaltfreien und einem gewalttätigen Widerstand oder zwischen zivilem und militantem Ungehorsam läßt sich weder juristisch noch praktisch durchführen.Uralt ist auch das Argument für das anmaßende Gewissensmonopol, sich über geschriebenes Gesetz durch höheres Recht legitimiert hinwegsetzen zu können. Ich zitiere:Es möge sein, daß sich die herrschende Macht legaler Mittel bediene. Dennoch sei der Selbsterhaltungstrieb der Unterdrückten immer die erhabenste Rechtfertigung für ihren Kampf mit allen Waffen. Menschenrecht bricht Staatsrecht.So meinte es Adolf Hitler in „Mein Kampf". Im Kampf gegen den angeblichen Atom- und Plutoniumstaat wird solches Gewäsch doch ständig wiederholt. Es ist geradezu Mode geworden, seine politische Gesinnung als Gewissen auszugeben, hat Manfred Hättich zu Recht formuliert.Wir müssen uns vor allem, meine ich, im Gespräch mit unserer Jugend dagegen wehren, daß solche Art von Berufung auf ein Gewissensmonopol das Nachdenken ersetzt. Geht die Saat der Sprachverwirrung erst auf, folgt die Frucht gewalttätiger Aktion rasch nach.Der ehemalige grüne MdB und jetzt im hessischen Umweltministerium gut versorgte Herr Ehmke spricht in der „taz" vom 29. November 1986 von einer heimlichen Rangfolge der Aktion; die Bewegung sei eben für Unterschriftensammlungen, Petitionen, Volksabstimmungen usw. nicht mehr zu begeistern, hier bringe eben Aktion Satisfaktion, hier hätten — so wörtlich — militante Aktion und Blockade einen höheren Stellenwert.
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374 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 8. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 2. April 1987
Dr. LangnerSo weit sind wir schon, daß im noch rot-grünen Hessen hohe Beamte unbeanstandet Gefallen an militanter Aktion und Blockade finden, meine Damen und Herren!
Herr Oppositionsführer, machen Sie sich da nicht vielleicht auch etwas Illusionen über die hessischen GRÜNEN? Ich habe zugeschaut, als Sie am 25. März Herrn Bresser im Fernsehen erklärten, bei den hessischen GRÜNEN gebe es in der Gewaltfrage, in der Sie sehr sensibel seien, eben keine Unklarheiten. Sitzt dieser Herr Ehmke nicht in einem hessischen Ministerium?
Oder ist die Blutspritzaktion des Herrn SchwalbaHoth im Hessischen Landtag schon vergessen? Oder ist Ihnen das Wort von Herrn Josef Fischer nicht bekannt
— ich zitiere — : „Ich bin für einen mittleren Weg, bei dem allerdings Aktionen auch dann unterstützt werden, wenn sie gegen geltendes Recht verstoßen"?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
„Ich selbst entscheide in Situationen, in denen ich meine, daß ich sie nicht verantworten kann, mich auch über ein bestehendes Gesetz hinwegzusetzen." Das sagte er im Hessischen Landtag.
Und hat man Ihnen denn eigentlich nicht von dem Wort des grünen Vizepräsidenten Messinger berichtet, der der „taz" am 14. Januar 1984 erklärte: „Wenn ich an der Startbahn weiter Streben knacken will, dann werde ich das tun"? Oder haben Sie nicht gelesen, daß der grüne Landtagsabgeordente Chris Bop-pel, in revolutionäre Träume versinkend, träumerisch zugeschaut hat, wie eine Fallbirne im Hessischen Landtag eine Mauer zum Einsturz brachte? Sein Kommentar — Zitat — : „Auf diese Weise müßte man auch mit diesem Staat verfahren."
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Schily?
Nein. — So stand es in der „FAZ" vom 14. August 1985.
Ich unterstelle keinem Sozialdemokraten, daß er diese Gewaltsprüche seines Koalitionspartners billigt.
Herr Abgeordneter Langner, könnten Sie dem Hause erklären, ob Sie Zwischenfragen grundsätzlich ablehnen? Dann brauche ich Sie nicht erneut zu unterbrechen.
Herr Präsident, ich lasse keine Zwischenfragen zu.Ich unterstelle also keinem Sozialdemokraten, daß er das billigt. Ich weiß, daß Ihre Strategie und Hoffnung die ist, die GRÜNEN in Regierungsverantwortung läutern zu können. Herr von Dohnanyi hatte solche Illusionen in bezug auf die GAL natürlich auch. Sicher tut man Ihnen auch nicht Unrecht damit, zu vermuten, Sie hätten im Hinterkopf, die verlorenen Töchter und Söhne der großen sozialistischen Allmutter durch eine Koalition wieder fest an das sozialistische Elternhaus binden zu können.
Meine Damen und Herren von den Sozialdemokraten, als unbefangener Beobachter hat man allerdings den Eindruck, das müßten Sie gekonnter anfangen.
Im Grunde sind es doch Sie, die an der Nase herumgeführt und vorgeführt werden.
Schieben Sie auch nicht die geschichtliche Erfahrung so leicht beiseite, daß die Radikalenbändiger, die auf dem Tiger reiten wollten, nachher verfrühstückt worden sind!Nach der Sprachverwirrung und dem Gesetzesboykott folgt dann die Aktion. Mit Gewalt gegen Sachen beginnt es. Aber natürlich richtet sich ein Angriff auf das Eigentum auch gegen die Person des Eigentümers. Wenn die Frau Ditfurth im Fernsehen erklärt hat, man könne mit der Blechschere an Bauzäune in Wackersdorf heran,
und wenn Sie und andere sich weigern, sich klar gegen das Umsägen von Strommasten auszusprechen, sind das eben Formen der Gewalt in der Politik, die in der Demokratie verurteilt werden müssen. So geht es nicht!
In der „taz" kann man sich dann darüber auf dem laufenden halten, wie man Masten umlegt, wie man Schienen blockiert oder wie man Brandsätze baut. Wen wundert es da noch, daß die GRÜNEN aus Parteigeldern sogenannte Knast-Abos der „taz" finanzieren? Sachkunde ist eben durch nichts zu ersetzen. Das war wohl auch die Überlegung, die dazu geführt hat, den vorbestraften Landtagsabgeordneten Raphael Keppel im Hessischen Landtag zum „gefängnispolitischen Sprecher" zu machen.Wer kann mir eigentlich erklären, warum an der Startbahn West, warum in Wackersdorf, warum in Brokdorf oder Hanau Hunderte von Polizisten zusammengeschlagen werden, wenn man angeblich nur Gewalt gegen Sachen üben will? Wer kann diesen Widerspruch aufklären?
Was wird eigentlich aus unserem Land, wenn auchandere Extremisten, beispielsweise die Extremisten
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Dr. Langnervon rechts, sich auf ihr Wahrheits-, ihr Gewissens-, ihr Aggressionsmonopol berufen und dann munter mitmischen? Was wird dann aus unserem Land? Mein Vater, Ende der 20er, Anfang der 30er Jahre Werkstudent in Berlin, hat mir anschaulich geschildert, wie es aussieht, wenn Demokraten versagen und Extremisten sich schlagen.Unser Parteiensystem macht mir Sorgen.
Die SPD läuft den GRÜNEN nach, die GRÜNEN dulden Kräfte in ihren Reihen, die für Gewalt offen sind,
und da die SPD die GRÜNEN umwirbt, ohne daß die Gewaltfrage bisher eindeutig geklärt ist,
setzen sich diejenigen bei den GRÜNEN durch, die das staatliche Gewaltmonopol eben nicht anerkennen wollen. Viele der 3 Millionen Grün-Wähler vom 25. Januar wissen überhaupt nicht, was Herr Ebermann und andere wirklich wollen.
Meine Damen und Herren, wir werden nicht aufhören, diese Frage, die für unser friedliches Zusammenleben zentral ist, zu stellen, bis Sie auf einem Parteitag feierlich erklärt haben werden: Die grüne Partei anerkennt das Gewaltmonopol, und bei der grünen Partei kann niemand Abgeordneter oder Vorsitzender werden, der nicht das staatliche Gewaltmonopol anerkennt oder auch nur mit dem Gedanken an Gewalt in der politischen Auseinandersetzung spielt.
Sie nennen sich ja, Frau Schilling, bewußt oder nicht — ich weiß nicht, ob es nur sprachschludrig ist oder ob es auch ein Augenzwinkern gegenüber Ihren Mitgliedern ist — , „gewaltfrei"; Sie nennen sich nicht „gewaltlos". Versammlungsfreiheit, Pressefreiheit, das heißt nach grundrechtlichem Sprachgebot Freiheit zur Versammlung, Freiheit zur Meinungsäußerung, Freiheit zur Presseäußerung. Warum nennen Sie sich nicht gewaltlos, sondern gewaltfrei?
Klären Sie diese Dinge, und stellen Sie sich eindeutig hinter das staatliche Gewaltmonopol, dann werden Debatten wie die heutige überflüssig. Solange Sie das nicht tun, werden wir alles, was Sie draußen im Land und bis in Parlamentsreden hinein an heimlicher Gewalt verkünden, vorführen und Sie zwingen, davon endlich abzulassen.
Das Wort hat der Abgeordnete Stiegler.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Diese Debatte, die ja einige nachdenkliche
Töne hatte, leidet darunter, daß auf der einen Seite die Union in vollem Legalismus verharrt und keine Legitimitätskrisen hier oder da ausmacht und daß auf der anderen Seite die GRÜNEN zu leicht geneigt sind, an Hand einiger Problemfelder den Rechtsstaat insgesamt in Frage zu stellen.
Ich sage Ihnen, gerade angesichts der letzten Rede, die von den GRÜNEN gehalten wurde: Wir sollten uns darauf verständigen, daß Demokratie Herrschaft des Volkes durch Herrschaft des Rechts ist. Ich habe noch aus meiner Zeit als Schüler den Sophokles aus der „Antigone" im Ohr: „Durch sein Recht bezwingt der Schwächere den Starken."
Es ist keineswegs gerechtfertigt zu sagen, weil es an einigen Problempunkten hakt, ist die Rechtsordnung insgesamt in Frage zu stellen. Stellen Sie sich vor, wir würden es schaffen, miteinander ein anständiges Steuerrecht zu machen, und dann stellt sich der Bund der Steuerzahler hin und sagt: Es ist besser, im Mai spazierenzugehen statt Steuern zu zahlen. Da sehen Sie, wohin das führt, wenn man die Unverbrüchlichkeit der Rechtsordnung in Frage stellt.
Genauso, wie die Konservativen die Ostverträge akzeptieren mußten, muß ich, als einer, der zwischendurch in der Minderheit ist, in der Lage sein, auch etwas zu akzeptieren, was mir nicht entspricht, und mit politischen Mitteln darum kämpfen, daß man andere Mehrheiten bekommt.
Ich darf aber nicht die Herrschaft des Rechts insgesamt in Frage stellen.
Ich sage aber in Richtung der Konservativen genauso: Ich habe bei Hans Welzel hier in Bonn gelernt, daß Recht nur Recht sein kann, auch das positive Recht, und daß der Streit um die innere Legitimation des Rechts eine der Grundlagen der juristischen Auseinandersetzung ist, weil wir ja in Deutschland mit dem Rechtspositivismus unsere Erfahrungen gemacht haben.
Darum kann es nicht von vornherein verteufelt werden, wenn positiv-rechtliche Regelungen hinterfragt werden und wenn sie auf ihren moralischen oder, wenn Sie so wollen, naturrechtlichen Gehalt abgeklopft werden.
Darum ist es auch legitim, die Fragen zu stellen, die hier von verschiedenen Seiten des Hauses immer wieder an beschlossene Gesetze gestellt werden.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Hensel?
Wenn mir dies nicht auf die Redezeit angerechnet wird.
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376 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 8. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 2. April 1987
Ich rechne Ihnen die Frage sicher nicht an und die Antwort nur kurz. — Bitte sehr, Frau Abgeordnete.
Ist Ihnen eigentlich bekannt, daß der hessische CDU-Landtagsabgeordnete Kanter im Hessischen Landtag zum Widerstand gegen ein Gesetz aufgerufen hat — vor dem Hessischen Landtag —, das die dortige Regierungsmehrheit von Rot-Grün beschlossen hat?
Ich habe hier in beide Richtungen gesprochen. Ich habe gerade bewußt gemacht, daß auch die Union keineswegs Splitter in den Augen der anderen sehen soll, sondern daß sie auch die eigenen Balken betrachten soll.
Das ist die Situation. Mein Gott! Erinnern Sie sich doch an die Diskussion um die Ostverträge, was Sie oder Ihnen nahestehende Kreise hier alles veranstaltet haben. Das muß man doch auch einmal zur Kenntnis nehmen. Wenn wir uns dann etwa das Thema „Gewalt" ansehen: Muß es denn nicht ein Stahlarbeiter als Gewalt betrachten, daß Sie hier 130 000 Spitzenverdienern Milliarden schenken.
Leuten, die nicht wissen, wie sie am nächsten Ersten ihr Geld anlegen sollen, während andere nicht mehr wissen, wie sie ihre Mieten bezahlen sollen.
Das ist doch auch eine Frage, die man sich in Ihrem Bereich stellen muß.Um auf das zurückzukommen, was Sie im Demonstrationsbereich rügen: Ist es denn nicht Tatsache, daß das Demonstrationsrecht und das Recht der Meinungsfreiheit gerade in Ländern wie Bayern erst mit Hilfe des Bundesverfassungsgerichts erkämpft werden mußte? Ist es denn nicht Tatsache, daß mehrfach repressive polizeistaatliche Entscheidungen der Bayerischen Staatsregierung von Verwaltungsgerichten aufgehoben worden sind? Man muß doch auch zur Kenntnis nehmen, daß die Demonstrationsfreiheit der anderen gerade in obrigkeitsstaatlichen Traditionen mit ungeheuren Anstrengungen erkämpft werden mußte. Solange nicht akzeptiert wird, daß nicht der Bürger, der demonstriert, gute Gründe braucht, sondern daß der Staat, der eingreift und behindert, verdammt gute Gründen haben muß, so lange werden wir hier in dieser Debatte nicht zusammenkommen, meine Damen und Herren.
— Nein, nein, Herr Geißler, das ist nicht geistige Verwirrung.
Ich sage Ihnen: Wenn die Konservativen vor 1933 so sensibel gewesen wären wie manche der heute im Widerstand Stehenden, dann wäre uns manches erspart worden. Es lag doch daran, daß sie in der damaligen Zeit zu spät aufgewacht sind.
Da können sie heute nicht mit Krokodilstränen kommen; da haben sie ihre eigenen Hypotheken.
— Richtig, das ist eine Übernahme und eine politische Gestaltung, die der inneren Moralität entbehrt. Sie wirft die Frage nach der strukturellen Gewalt auf,
die Galtung und andere im Entwicklungsbereich aufgeworfen haben.
Das provozieren Sie, weil Sie nicht einsichtig sind.Ihr Antrag zeigt doch, daß Sie das eigentliche Thema nicht begriffen haben, sondern daß Herr Geißler es für den Wahlkampf instrumentalisieren will.
Sie sagen, Sie wollten eine Sachverständigenkommission, die die Ursachen erforschen solle. Sie haben aber zwei Seiten wohlfeile Antworten als Schlagknüppel gegen andere bereit. Sie wollen doch gar nichts erforscht haben, Sie wollen in dem Bereich zuhauen. Wenn Sie wirklich eine Sachverständigenkommission einsetzen würden, die frei und unabhängig forscht, würde es Ihnen wie dem Großtyrann in dem Gedicht von Werner Bergengruen gehen. Sie würden dann nämlich darauf kommen, daß in dieser Gesellschaft eben vieles der inneren Legitimation entbehrt. Wir alle miteinander auf allen Seiten des Hauses müssen suchen, wie wir Legalität und Legitimität wieder voll zusammenbringen können. Das ist eine große Gemeinschaftsleistung. Das müssen wir packen. Mit den Mitteln der Repression ist es in der Geschichte noch nie gelungen, daß auf die Dauer Konsens hergestellt werden konnte. Mit rein obrigkeitsstaatlicher Manier werden wir diese Fragen nicht lösen.
Ein Beispiel dafür ist Wackersdorf. Ich bin ein Oberpfälzer. Wir Oberpfälzer sind normalerweise Obrigkeit seit der Gegenreformation gewohnt. Wir sind gewohnt, uns sozusagen unterzuordnen. Wenn es die Bayerische Staatsregierung durch ihre Politik fertigbringt, daß sich brave Oberpfälzer Bauersfrauen, die normalerweise Linke und Sozis wie der Teufel das Weihwasser fürchten, sozusagen als Schutzschild gegenüber Steinewerfern hergeben, zeigen sie, was Sie mit Ihrer brutalen Atompolitik in der Bevölkerung angerichtet haben. Wenn ein August Lang, bayerischer Innenminister, hergeht und sagt:
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 8. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 2. April 1987 377
Stiegler„Wenn es irgendwo gelingt, eine WAA zu bauen, dann bei den braven und biederen Oberpfälzern" dann zeigt das doch, daß Sie nicht begreifen wollen, daß auch die Mehrheit Schranken hat und daß sie Rücksicht auf wesentliche Belange der Minderheit nehmen muß.
Wenn Sie diese Selbstbeschränkung, die einerseits die Gerechtigkeit und auf der anderen Seite die politische Kultur gebietet, nicht leisten, können Sie noch Hunderte solcher Debatten machen, ohne daß wir dem Problem nahekommen. Wir werden aus dieser Tradition des Obrigkeitsstaates nur mit schweren inneren Verwerfungen wieder herauskommen.Mir und uns liegt daran, daß die Rechtsstaatlichkeit in diesem Lande gewahrt wird. Dazu gehört, daß Legalität und Legitimität möglichst nahe beieinander sein müssen. Das wird nicht immer so leicht gehen. Wenn das so ist, müssen wir miteinander darum ringen, daß wir all die Ursachen, daß Menschen aus Verzweiflung, aus Negation, aus Ausgrenzung zu rechtswidrigen Mitteln greifen, beseitigen und daß wir diese Menschen zurückholen. Die deutsche Sozialdemokratie hat in den Jahren 1972 bis 1978 gezeigt, daß das weitgehend möglich ist, aber nicht durch Ausgrenzung und Verteufelung, sondern durch Dialog, auch durch Eingehen und Aufeinanderzugehen.
Das ist das Entscheidende in diesem Bereich.
Darum können auch Sie nicht so weiterleben, daß der bayerische Ministerpräsident Demonstrationen, die ihm angenehm sind, mit den allerhöchsten Weihen versieht, sie geradezu provoziert, und daß andere, die auch so handeln wie der bayerische Ministerpräsident, plötzlich Staatsfeinde werden. Das ist doch der Widerspruch und die Schizophrenie, die hier überall drinnen sind.
Wir haben, jeder auf seiner Seite, eine ganze Menge zu tun, daß wir das halten und schützen, was uns miteinander wirklich wertvoll ist und dieses Land nach wie vor zu einem Land macht, das keiner von uns austauschen möchte. Man muß auch einmal deutlich sagen, daß dieser demokratische Rechtsstaat bei all seinen Spannungen ein Staat ist, den keiner von uns ernsthaft tauschen möchte.
Nur, damit er das bleibt, müssen auch Sie sich bewegen.Vielen Dank.
Meine Damen und Herren, bevor wir zur Abstimmung kommen, gebe ich dem Abgeordneten Schily nach § 31 unserer Geschäftsordnung die Möglichkeit zu einer Erklärung zur Abstimmung.
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Nachdem ungeachtet einer Menge Plumpheiten und Derbheiten und eine propagandistischen Inszenierung, die Sie heute versucht haben,
Frau Kollegin Dr. Vollmer in einer, wie ich glaube, sehr beachtlichen und nachdenklichen Rede versucht hat, die Debattenkultur des Deutschen Bundestages um einige Grade zu verbessern,
bedaure ich es um so mehr, daß Sie aus Ihren Reihen darauf mit dem Zuruf „Das ist das Holz, aus dem die KZ-Wächter geschnitzt worden sind! " reagiert haben.
Andererseits möchte ich an dieser Stelle am Schluß der Debatte auch eine selbstkritische Bemerkung nicht unterlassen und meiner Kollegin Regula Schmidt-Bott empfehlen, hier etwas geradezustellen.
Ich habe es zumindest als einen sprachlichen Mißgriff empfunden, daß in dem Beitrag von Regula Schmidt-Bott das Wort „Vergasung" im Zusammenhang mit einer Kritik an einem Polizeieinsatz erwähnt wurde. Das halte ich für nicht erträglich.
Ich bitte Regula Schmidt-Bott, das auf jeden Fall hier zu berichtigen.
Wir kommen nunmehr zur Abstimmung.
— Es tut mir schrecklich leid. Ich befinde mich in der Abstimmung. Schluß, Feierabend!Wer dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und FDP auf Drucksache 11/83 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Damit ist der Antrag angenommen.Wir kommen nunmehr zu dem Antrag der SPD auf Drucksache 11/17. Die SPD stellt einen Antrag auf Überweisung an den Rechtsausschuß — federführend — und weitere Ausschüsse, über die sich die Geschäftsführer verständigen. Die Geschäftsführer signalisieren das'). Wer mit der Überweisung federführend an den Rechtsausschuß und weitere Ausschüsse*) Der Antrag wird zur Mitberatung an den Innenausschuß überwiesen.
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378 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 8. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 2. April 1987
Vizepräsident Cronenbergeinverstanden ist, den bitte ich um das Handzeichen.— Danke schön.
— Ja, den auf 11/116. —Nun kommen wir zu dem Antrag auf Drucksache 11/116. Es wird inhaltlich darüber abgestimmt. Wer dem Antrag der SPD auf Drucksache 11/116 die Zustimmung geben möchte, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Damit ist der Antrag abgelehnt.Damit ist dieser Tagesordnungspunkt abgeschlossen.
Frau Schmidt-Bott hat um das Wort gebeten. Frau Abgeordnete, Sie haben das Wort nach § 30 unserer Geschäftsordnung, der Ihnen das Recht gibt, eine persönliche Erklärung abzugeben.
Ich bitte Sie, zur Kenntnis zu nehmen, daß es statt „vergast" nach meinem Konzept ,, CN-begast " hätte heißen müssen. Ich hatte vor, das so auch im Protokoll aufnehmen zu lassen.
Wir haben die Erklärung zur Kenntnis genommen. Damit ist Tagesordnungspunkt 14 endgültig abgeschlossen.
Ich rufe Punkt 15 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Sechsunddreißigsten Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes
— Drucksache 11/10 —
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist eine Beratung dieses Tagesordnungspunktes von 60 Minuten vorgesehen. — Ich sehe keinen Widerspruch.
— Meine Damen und Herren, soweit Sie die Absicht haben, Diskussionen zu führen, bitte ich Sie, das außerhalb des Saales zu tun. Ich werde Herrn Dr. Hauff das Wort erst erteilen, wenn die notwendige Ruhe im Hause hergestellt worden ist. — Herr Dr. Hauff, Sie müssen sich noch einen Moment gedulden. —
Herr Dr. Hauff, Sie haben nunmehr das Wort. Ich nehme an, daß die im Saal verbliebenen Kollegen bereit sind, Ihren Ausführungen zuzuhören.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! „Nur wenn wir die Natur um ihrer selbst willen zu schützen lernen, nur dann wird die Natur auf Dauer uns Menschen erlauben weiterzuleben. " Dieses Zitat des Herrn Bundespräsidenten benennt das Problem, das heute auf der Tagesordnung des Deutschen Bundestages steht, mit klaren, einfachen und verständlichen Worten: Die Natur muß um ihrer selbst willen geschützt werden.Seit mehreren Jahren fordert die SPD-Bundestagsfraktion, daß in unsere Verfassung der einfache und klare Satz aufgenommen wird: „Die natürlichen Lebensgrundlagen stehen unter dem besonderen Schutz des Staates." Diese Initiative der SPD-Bundestagsfraktion — und im Bundesrat des SPD-regierten Landes Hessen — wurde gründlich vorbereitet und hat eine lange Vorgeschichte. 1974 wurde dieses Problem zu erstenmal in einem Regierungsdokument — im Umweltgutachten der Bundesregierung — angesprochen. 1978 übernahm der Sachverständigenrat für Umweltfragen diese Forderung. 1981 wurde unter dem Vorsitz von Professor Denninger eine Kommission von Verfassungsjuristen beauftragt, einen Vorschlag, eine Empfehlung auszuarbeiten.1984 empfahl diese Kommission, den Umweltschutz als Staatsziel in die Verfassung aufzunehmen. Die Empfehlung der Kommission hat die SPD-Bundestagsfraktion übernommen. Die CDU/CSU und auch die FDP haben diese Initiative, zuletzt in einer Abstimmung 1986, im Deutschen Bundestag nicht unterstützt. Auch im Bundesrat wurde die Initiative des Landes Hessen seit vielen Jahren von der Mehrheit der CDU/CSU-regierten Länder verschleppt und verzögert.Nun hat der Herr Bundeskanzler in der Regierungserklärung angekündigt, daß die Regierungskoalition mittlerweile auch für eine entsprechende Ergänzung des Grundgesetzes eintritt. Diese Entwicklung begrüßen wir Sozialdemokraten. Damit ist eine Chance gegeben, daß die Bemühungen um Aufnahme des Umweltschutzes in unsere Verfassung Erfolg haben können. Aber sicher ist das keineswegs; denn noch bleibt im unklaren, was die Regierungskoalition tatsächlich vorhat.Wir wollen mit dieser Initiative zu Beginn der neuen Legislaturperiode auch dazu beitragen, daß jetzt rasch Klarheit geschaffen wird.
Wir wollen, daß der Umweltschutz ohne jede Relativierung als Staatsziel in unsere Verfassung aufgenommen wird. Der Umweltschutz muß so wie der Sozialstaat eine Verpflichtung für jedes staatliche Handeln sein.Denn die natürlichen Lebensgrundlagen sind nach wie vor in Gefahr. Die Kommission der Europäischen Gemeinschaft stellt dazu fest, daß sich die natürlichen Lebensgrundlagen trotz aller Anstrengungen weiter verschlechtert haben. Wörtlich heißt es im 4. Aktionsprogramm zum Umweltschutz das aus Anlaß des Jahres des Umweltschutzes vorgelegt wurde:Durch die Intensivierung der Bodenbewirtschaftung wird die Erde ausgelaugt. Es gibt weiterhinFlüsse, die sich nur wenig von Abwässerkanälen
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 8. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 2. April 1987 379
Dr. Hauffunterscheiden. Die Luftverschmutzung führte zu erheblichen Schäden. Der Abfall nimmt ständig zu, ohne wiederaufgearbeitet zu werden. Die industriellen Risiken haben sich vermehrt.Wer wollte dies angesichts der Katastrophe von Tschernobyl, angesichts der Chemieunfälle am Rhein und angesichts des Smog-Alarms in mehreren Bundesländern in diesem Winter eigentlich bestreiten?Wir verhalten uns gegenüber der Natur nach wie vor oft wie eine Besatzungsmacht. Dabei wissen wir: Wir können auf die Dauer nur dann existieren, wenn wir die Rohstoffe, von denen wir und unsere Nachfahren leben nicht weiter verschleudern, wenn wir die Umwelt nicht mit Giften belasten, die auch kommende Generationen bedrohen, und wenn wir nicht Tiere und Pflanzen ausrotten, obwohl sie Teil der uns anvertrauten Natur sind.In der Tat, es geht darum, die Schöpfung zu bewahren. Wir haben nur eine einzige Welt. Es gibt keine zweite in Reserve. Und diese eine Welt haben wir nicht nur von unseren Vätern ererbt, sondern auch von unseren Enkeln geliehen.Deswegen müssen in der Zukunft bei unseren Entscheidungen viel mehr als bisher die Lebensinteressen der kommenden Generationen berücksichtigt werden.
Sie brauchen saubere Luft. Sie brauchen reines Wasser. Sie brauchen einen unzerstörten Boden, ein intaktes Zusammenleben von Pflanzen und Tieren. Sie brauchen ein weltweit stabiles Klima. Sie brauchen umweltschonende Technologien und umweltschonende Industrien, die die Kreisläufe und Gesetze der Natur achten.Diese Ziele lassen sich nur dann erreichen, wenn alle in Wirtschaft, Staat und Gesellschaft sich einig sind, daß diese Ziele bei ihren konkreten Entscheidungen und Handlungen beachtet werden.Diese Grundüberlegung — wenn sie denn da ist und von allen geteilt wird — muß Ausdruck in unserer Verfassung finden.Viele, die bisher Verfassungsänderungen abgelehnt haben, haben es mit dem Argument getan, man dürfe die Verfassung nicht jeden Tag ändern. Ich habe für dieses Argument sehr viel Verständnis. Mehr noch: Ich halte dieses Argument für richtig.Das bedeutet auf der anderen Seite, daß derjenige, der — wie beispielsweise wir Sozialdemokraten jetzt — für eine Ergänzung der Verfassung eintritt, dies mit überzeugenden Argumenten öffentlich darlegen muß.Ich trage meine Argumente hier vor:Erstens. Eine Grundgesetzänderung durch die Aufnahme einer Staatszielbestimmung mit dem Wortlaut „Die natürlichen Lebensgrundlagen stehen unter dem besonderen Schutz des Staates. ", ist eine Verpflichtung zum Handeln für den Gesetzgeber, für die Verwaltung und für die Rechtsprechung. Bei unserem Vorschlag kann das Bundesverfassungsgericht nur bei einer groben Vernachlässigung oder gar Mißachtung des Schutzes der Umwelt eingreifen. Dann aber, meine ich, sollte das Gericht auch Gelegenheit dazu haben. Das ist mehr als eine Deklamation. Das ist mehr als ein Signal. Und das ist insbesondere etwas völlig anderes als eine „Flucht in die Symbolpolitik", was die CDU/CSU noch im vorigen Jahr behauptet hat.
Zweitens. Es ist heute unbestritten, daß das Sozialstaatsprinzip als Staatsziel Verfassungsrang hat, weil wir wissen: Dort, wo wirtschaftliche Macht und Ausbeutung zur Bedrohung für den Menschen und das Zusammenleben der Menschen werden, muß der Staat handeln. Genau das gleiche gilt für die Natur. Dort, wo wirtschaftliche Macht und Raubbau zur Bedrohung für die natürlichen Lebensgrundlagen werden, muß der Staat eingreifen und den Frieden mit der Natur wiederherstellen.
Dieser Auftrag gehört in unsere Verfassung.Drittens. Das ist auch wirtschaftlich vernünftig. Mit den ökologischen Belastungen unserer heutigen Wirtschaftsweise zerstören wir den Reichtum der Natur und in vielen Fällen die Gesundheit der Menschen. Dafür gibt es viele Beispiele: beim Waldsterben, bei der Beeinträchtigung der Gesundheit von Menschen, bei Schäden an Gebäuden, an Kulturdenkmälern, bei den Altlasten im Bereich des Sondermülls, beim Grundwasser, bei der Bodenbelastung; diese Entwicklung müssen wir beenden.Viertens. Umweltschutz als Staatsziel setzt über die Tagespolitik hinaus ein bedeutsames Zeichen und ist eine Aufforderung an alle — an Produzenten und Konsumenten, an Unternehmer und Arbeitnehmer, an Politik und Verwaltung, an Männer und Frauen — zum verantwortlichen Handeln, zum Bewahren der Umwelt.Fünftens. Wenn auf der einen Seite gefordert wurde, wie die Bundesregierung dies beispielsweise getan hat, daß der Umweltschutz in die neuen, grundlegenden Verträge der Europäischen Gemeinschaft aufgenommen wird, sozusagen als Staatsziel der Europäischen Gemeinschaft, so kann dies doch glaubwürdig nur dann vertreten werden, wenn man auf der anderen Seite auch bereit ist, den Umweltschutz in die nationale, in die eigene Verfassung aufzunehmen, so wie das bei mehreren Landesverfassungen bereits geschehen ist. Wer hiermit gespaltener Zunge redet, der zeigt, daß er es mit dem Umweltschutz nicht ernst meint.
Ebenso klar und unmißverständlich möchte ich mich gegen die Aufnahme eines Grundrechts auf Umweltschutz in unsere Verfassung aussprechen. Nach meiner Auffassung sprechen folgende Gründe dagegen:Erstens. Ein solches Grundrecht verlagert die abwägende Entscheidung über konkrete umweltpolitische Maßnahmen vom Parlament auf die Gerichte.
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380 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 8. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 2. April 1987
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Knabe?
Nein, im Augenblick nicht. Wenn ich den Gedanken zu Ende geführt habe, gerne. — Insofern ist das Ausdruck des Mißtrauens gegen das Parlament. Es ist ein bewußter Verzicht auf parlamentarische Demokratie bei praktisch-politischen Entscheidungen.
Und das zweite: Die lebensnotwendigen Interessen künftiger Generationen ließen sich bei einer solchen Konstruktion in die aktuellen Entscheidungsprozesse nur sehr mühsam einfügen. Deswegen halte ich die- I sen Vorschlag für mehr als fragwürdig. — Bitte schön.
Bitte schön, Herr Dr. Knabe.
Glauben Sie denn, daß es wirklich genügt, ein Staatsziel zu formulieren, auf das sich der Bürger nicht konkret berufen kann?
Ja, ich glaube, daß das der richtige Weg ist, weil er in der Tat eine Handlungsaufforderung und auch die Möglichkeit enthält, daß das Bundesverfassungsgericht dort, wo diese Handlungsaufforderung gröblich mißachtet wird, tätig wird.
Das halte ich für richtig.
Ich glaube, meine Damen und Herren, daß die Zeit für Entscheidungen reif ist. Wir brauchen keine neuen Prüfungen und Anhörungen, sondern die richtige Schlußfolgerung aus einer Entwicklung, die in vielen Fällen lebensbedrohliche Ausmaße angenommen hat.
Albert Schweitzer hat einmal gesagt: „Schon lange hat der Mensch seine Fähigkeit zur Vorsorge und Vorbeugung verloren. Er wird durch die Zerstörung der Erde sein Ende finden." Ich wehre mich und weigere mich mit großer Entschiedenheit, diesen Kassandraruf zu akzeptieren. Der aufgeklärte Mensch muß der Zerstörung der Natur durch den Menschen Einhalt gebieten. Er muß begreifen, wir müssen begreifen, daß wir die Natur schützen müssen, wenn wir unsere Nachkommen leben lassen wollen. Insofern gibt es auch kein Zurück in die Sorglosigkeit früherer Jahrzehnte, und es gibt auch kein Zurück in die leichtsinnige Geringschätzung der Natur.
Deswegen sind die Sozialdemokraten auch gegen Kompromißvorschläge, die eine entsprechende Grundgesetzänderung zur reinen Alibiveranstaltung degradieren würden, etwa wenn man — um das gleich zu Beginn unserer Beratungen in dieser Legislaturperiode sehr deutlich zu sagen — eine entsprechende Grundgesetzänderung unter einen Gesetzesvorbehalt stellt. Ich möchte keinen Zweifel daran lassen: Wir Sozialdemokraten wollen, daß durch die Grundgesetzänderung auch der Gesetzgeber verpflichtet wird, wir wollen nicht, daß er durch die Grundgesetzänderung freigesprochen wird.
Die Verankerung des Umweltschutzes als Staatsziel in unserer Verfassung stellt klar: Der Staat hat für den Schutz der Natur und der Umwelt eine besondere Verantwortung. Denn Staatszielbestimmungen sind Verfassungsnormen mit rechtlich bindender Wirkung, die auch dem Verfassungsgericht mehr Kontrollmöglichkeiten gegenüber öffentlichem Handeln und vielleicht in Zukunft in verstärktem Maße auch gegenüber öffentlichem Unterlassen gewähren.
Eine solche Verfassungsänderung fordert alle Menschen eindringlich auf, sich der Umweltgefährdungen bewußt zu werden und zu verantwortlichem Handeln für Umwelt und Natur zurückzukehren. Ich bin sicher, der Tag wird kommen, an dem der Umweltschutz in unserer Verfassung steht. Das ist ein historischer Prozeß, der sich nicht aufhalten läßt.
Bei einer Änderung und Ergänzung der Verfassung sind die politischen Parteien, sind die Fraktionen zur Zusammenarbeit verpflichtet. Keiner kann es alleine. Das geht nur miteinander. Deswegen kommt es darauf an, daß wir das Gemeinsame wirklich suchen. Meine Bitte an alle Seiten dieses Hauses: Helfen Sie mit, daß wir unserer Verantwortung gegenüber der Natur und dem Leben unserer Nachkommen gerecht werden. Unübersehbarer Ausdruck dieses politischen Willens zur Gestaltung gemäß unserer Verantwortung ist auch die Ergänzung unserer Verfassung. Die Bürgerinnen und Bürger in unserem Lande sollen erkennen können: Der Deutsche Bundestag, das Parlament als Ganzes, hat die Zeichen der Zeit erkannt und daraus die richtigen Schlußfolgerungen gezogen.
Bevor ich dem Abgeordneten Eylmann das Wort gebe, möchte ich folgendes bekanntgeben: Der Ältestenrat fängt fünf Minuten nach Beendigung dieser Debatte, und die Fragestunde fängt zirka dreißig Minuten nach Beendigung dieser Debatte an.
Das Wort hat der Abgeordnete Eylmann.
Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Niemand in diesem Hause zweifelt daran, daß der Schutz und die Pflege der natürlichen Lebensgrundlagen eine elementare Staatsaufgabe ist. Sie ist im Grunde genauso selbstverständlich wie die Pflicht des Staates, für den inneren Frieden zu sorgen. Beide Staatsaufgaben sind in unserer Verfassung nicht ausdrücklich genannt. Das hat diese Koalition zu keinem Zeitpunkt gehindert, auf beiden Feldern zu handeln und insbesondere eine Fülle konkreter Maßnahmen gegen die weitere Belastung der Umwelt durchzusetzen. Auch ungeschrieben galt für uns — um ein Wort des Bundeskanzlers aus der Regierungserklärung aufzugreifen — der Satz, daß es darum geht, die Schöpfung zu bewahren, und daß der Staat verpflichtet ist, mit dazu beizutragen, daß die uns umgebende Natur geschont und gepflegt wird.
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 8. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1 April 1987 381
Eylmann
Man sollte, Herr Kollege Hauff, also nicht so tun, als ob erst die Aufnahme der Umweltschutzklausel in das Grundgesetz eine aktive Umweltpolitik ermögliche.
Das Wort von der Symbolpolitik, das hier gefallen ist, fällt eher auf diejenigen zurück, die ein zu großes Gewicht auf die Änderung des Grundgesetzes legen und damit vielleicht der Illusion Vorschub leisten, allein die Aufnahme dieser Klausel in das Grundgesetz löse schon unsere Probleme.
Dennoch, meine Damen und Herren, hat sich die Koalition vorgenommen, den Umweltschutz als Staatsziel in das Grundgesetz aufzunehmen. Es soll nicht verschwiegen werden, daß diese Entscheidung zuvor in der Koalition, in den sie tragenden Parteien und auch in der deutschen Staatsrechtswissenschaft durchaus kontrovers diskutiert worden ist. Es gibt in der Tat beachtliche Gegenargumente. So kann man geltend machen, das Staatsziel Umweltschutz ergebe sich mittelbar aus einigen Normen des Grundgesetzes. So läßt sich z. B. aus dem Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit eine staatliche Pflicht ableiten, den Bürger auch vor Umweltschäden und Umweltgefahren zu bewahren.
Außerdem wird, Herr Kollege Bachmaier, auf die negativen Erfahrungen mit der Weimarer Verfassung hingewiesen. Dort war ein ganzes Sammelsurium von höchst lobenswerten Dingen — von der Arbeitskraft über den Mittelstand bis zur Landschaft — ausdrücklich unter den Schutz des Staates gestellt worden —, ohne positive Folgen. Gerade dieser Mißerfolg war es ja, der die Väter des Grundgesetzes veranlaßte, auf programmatische Regelungen im Grundgesetz weitgehend zu verzichten und statt dessen rechtlich durchgeformte, justiziable Grundrechte aufzunehmen, also die Verfassung effektiver zu machen.
Wir sollten also, meine ich, eines einander zugestehen: Wer sich gegen die Aufnahme des Umweltschutzes als Staatsziel ausgesprochen hat oder ausspricht, ist deshalb noch kein Befürworter der Umweltzerstörung, kein Gegner des Umweltschutzes.
Wer andererseits für die Grundgesetzänderung eintritt, gibt die feste Struktur unserer Verfassung noch nicht in populistischer Manier einer flüchtigen Stimmung preis. Mit anderen Worten: Mit ökologischen Sentiments oder Ressentiments ist diesem Problem nicht beizukommen.
Ich meine, daß es gewichtige Gründe für das Staatsziel Umweltschutz gibt, und sie überwiegen nach meiner Meinung; denn wenn das Grundgesetz auch im Prinzip vollzugsfähige, klare Verfassungsregelungen enthält, so macht es doch Ausnahmen und verzichtet nicht völlig auf die Festsetzung von Staatszielen. Ich erinnere an den Verfassungsauftrag zur Wahrung der nationalen Einheit, an das Verfassungsgebot zur Sicherung des äußeren Friedens und insbesondere an das Sozialstaatsprinzip, das in lakonischer Kürze mit einem einzigen Adjektiv in Art. 20 Eingang gefunden hat, wo es heißt, daß die Bundesrepublik ein „sozialer Bundesstaat" ist. Dieses Sozialstaatsprinzip ist letztlich eine Antwort auf die ökonomisch-sozialen Veränderungen, die im Zuge der Industrialisierung seit Mitte des letzten Jahrhunderts eingetreten sind. Das Gebot, unsere Republik zu einem sozialen Staat zu machen, ist in erster Linie — das hat das Bundesverfassungsgericht mehrfach festgestellt — ein Auftrag an den Gesetzgeber, diejenigen, die sich in unserer Gesellschaft unverschuldet als die Schwächeren erwiesen haben, solidarisch zu stützen und zu schützen.
Nun meine ich, daß die im Zuge der zivilisatorischen Entwicklung immer stärker gewordene Gefährdung der Umwelt eine ähnliche Herausforderung an den Verfassungsgeber geworden ist wie vordem die ökonomisch-soziale Situation.
Die Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen des Menschen ist zu einer hochrangigen, ja existentiellen Aufgabe geworden.
Darin unterscheiden wir uns hier im Hause überhaupt nicht. Diese Aufgabe wird uns in den nächsten Jahrzehnten begleiten, und sie wird uns immer wieder fordern. Wenn es richtig ist, daß unsere Verfassung gleichsam in Form eines Konzentrats unserer Rechtsordnung umreißt, wie wir unseren Staat einrichten wollen und wie wir darin leben wollen, dann gehört in ein solches Grundgesetz, so meine ich, das Gebot, daß auch dem Staat die Sicherung und die Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen obliegt. Anderenfalls könnte die Gefahr bestehen, daß der Grundsatz des Umweltschutzes gegenüber anderen, kurzfristig mehr ins Auge fallenden Sonder- oder Allgemeininteressen zu kurz kommt. Wo, also an welcher Stelle des Grundgesetzes die Ergänzung zu erfolgen hat und wie sie auszugestalten ist, wird einer Beratung bedürfen, die in ihrer Sorgfalt dem Rang und der Bedeutung des Beratungsgegenstandes entsprechen muß. Es ist richtig: Die zur Änderung des Grundgesetzes erforderliche Zweidrittelmehrheit zwingt uns, über die Parteigrenzen hinaus den Konsens zu suchen.
Gehen wir also an die Arbeit, wobei wir uns — lassen Sie mich das zum Schluß sagen — vor der Annahme hüten sollten, wir würden allein mit der beabsichtigten Grundgesetzänderung schon Gewaltiges im Umweltschutz bewirken. Jenes Staatsziel, als das wir die Erhaltung und Sicherung der natürlichen Lebensgrundlagen postulieren wollen, ist für sich allein zunächst nicht mehr als ein Ausdruck guten Willens. Er bedarf der konkreten Ausfüllung vor allem durch den Gesetzgeber. Dieser Aufgabe wird sich die Koalition mit besonderem Nachdruck widmen.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Garbe.
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382 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 8. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 2. April 1987
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Ich habe schon in der Rede zur Regierungserklärung im Hinblick auf den Bereich Umweltschutz für meine Fraktion erklärt — vor beinahe drei Jahren hat dies auch meine Kollegin Frau Vollmer schon deutlich gemacht —, daß uns die Verankerung des Umweltschutzes als Staatszielbestimmung im Grundgesetz nicht reicht. Wir bleiben dabei: Der Schutz der Umwelt muß ein Grundrecht vom Rang der großen verfassungstragenden Grundrechte, wie z. B. des Sozialstaatsprinzips, sein.
Eigentlich hat uns der Kollege Eylmann in unserer Auffassung bestärkt.
Die Intention des Gesetzentwurfs der SPD bietet keine Gewähr, daß sich der einzelne Mensch wirklich in Berufung auf das Grundgesetz wehren kann. Das haben Sie auch nicht beabsichtigt, Herr Kollege Hauff. Wir halten dies aber für unabdingbar.
Die abstrakte Staatszielbestimmung, meine Herren und Damen, muß sehr allgemein bleiben und ist außerhalb konkreter Problemlösungen völlig bedeutungslos. Schlimmer, sie kommentiert eine gefährdete Natur mit der Makulatur moralischer Appelle und Sonntagsreden.
Die Fraktion der SPD schreibt, daß sie durch die Aufnahme dieses Staatsziels in das Grundgesetz positive Impulse und Auswirkungen auf Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung erwarte. Gewartet, meine verehrten Herren und Damen, haben Sie aber doch schon viel zu lange. Es war und ist ja die unverantwortliche Haltung der Politiker und Politikerinnen, daß sie meinten und immer noch meinen, abwarten zu können, in der Hoffnung, die Natur werde schon irgendwie alles regeln und verkraften, was ihr zugemutet wird.
Das Grundgesetz und die Menschenrechte sind entstanden, um Willkür, Gewalt, strukturelle Gewalt — und wir GRÜNEN haben vorhin deutlich gemacht, was wir unter struktureller Gewalt verstehen — auszuschließen und enthält auch ein Grundrecht auf eine intakte Umwelt, Herr Kollege Eylmann. Da stimme ich Ihnen voll zu. Die SPD schreibt jedoch, im geltenden Verfassungsrecht sei ein zufriedenstellender Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen nicht gewährleistet. Ja, was sagt denn der Art. 2 Abs. 2 Satz 1?
Jeder hat das Recht auf Leben und ... Unversehrtheit.
— Pardon, „... körperliche Unversehrtheit".
Dazu gehört auch das Recht auf saubere Luft, auf gesundes Wasser, auf giftfreie Lebensmittel usw. Wie anders soll denn sonst die körperliche Unversehrtheit garantiert werden, meine Herren und Damen?
Tatsache ist: Die elementarsten Lebensgrundlagen der Menschen müssen völlig neu definiert werden.
Nun kann man ja die Frage stellen: Hat das Grundgesetz so gravierende Mängel? Sind die Gründer der Bundesrepublik Deutschland dem gewollten Zweck nicht gerecht geworden? Die Antwort ist nein. Nicht die Verfassung ist schuld an dem katastrophalen Zustand der Umwelt, sondern die Unfähigkeit, die Ignoranz und die Arroganz der verantwortlichen Politiker, der Minister, die mit der Abgabe des feierlichen Schwurs, Schaden vom Volke zu wenden, permanent gegen das Grundrecht auf eine intakte Umwelt verstoßen haben.
Peter Cornelius Mayer-Tasch, meine Herren und Damen, hat sich in seinem Buch „Ökologie und Grundgesetz" ausführlich mit diesem Thema auseinandergesetzt. Er meint, die Geschichte und die Gegenwart des Rechtes offerierten eine hinreichende Basis für die These, daß das Recht so viel wert sei wie die Rechtsanwender, mit anderen Worten: daß gerade Pauschalbegriffe, zu denen Staatszielbestimmungen nun einmal zählten, weite Freiräume für mehr oder weniger beliebige Interpretationen böten. An Hand der äußerst unterschiedlichen Deutungen, die z. B. die Sozialstaatsklausel des Grundgesetzes im Verlauf ihrer nun 30jährigen Geschichte erfahren hat, ließe sich das sehr schön belegen.
Ich komme zum Schluß, meine Damen und Herren, und möchte hier noch einmal an die Entstehungsgeschichte der GRÜNEN erinnern. Nur auf Druck der Bürgerinitiativen und auf den Protest von Umweltschützern und Friedensbewegten und weil wir Ihnen Stimmen abgenommen haben, sind Sie doch erst einmal zum Überlegen gekommen, Frieden mit der Natur zu suchen.
Also müssen wir auch das probate Mittel, die Macht der Bürger und Bürgerinnen, stärken, z. B. durch die Aufnahme der Verbandsklage für anerkannte Umwelt- und Naturschutzverbände in die Verwaltungsgerichtsordnung. Ich kündige hier an, meine Herren und Damen: Die GRÜNEN werden im Laufe des Jahres einen konkretisierten, also überarbeiteten Gesetzentwurf vorlegen, weil wir der Meinung sind, daß die überragende politische Bedeutung des Umweltschutzes der verfassungsrechtlichen Anerkennung durch die Einführung eines Grundrechtes auf Umweltschutz bedarf.
Ich danke Ihnen.
Das Wort hat der Abgeordnete Baum.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist schon ein merkwürdiger Alleinvertretungsanspruch in Sachen Umweltschutz, den Sie hier praktizieren. Als ob wir anderen hier diese Ziele nicht hätten! Wir streiten uns über die Prioritäten, wir streiten uns über die Wege, wir sollten uns aber doch nicht gegenseitig absprechen, daß wir hier gemeinsame Ziele haben. Das haben Sie doch heute früh gehört,
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 8. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 2. April 1987 383
Baumdas sind doch keine Lippenbekenntnisse. Wir haben doch auch Taten nachzuweisen.
Sie sollten aufhören, uns immer auf die Anklagebank zu setzen, meine Damen und Herren von den GRÜNEN.Mit der Aufnahme des Umweltschutzes in die Verfassung soll der Umweltschutz stärker werden. Er soll eine Rückenstärkung in Konfliktsituationen erhalten. Auf dem mühsamen, langen Weg der Umorientierung unserer Gesellschaft hin zu umweltfreundlichen Produkten, umweltfreundlichen Produktionsweisen und umweltfreundlichem Verhalten soll der Umweltschutz Rückenwind und Rückenstärkung durch die Verfassung bekommen. Es ist ja gar kein Zweifel: Würden wir heute das Grundgesetz neu schreiben, würden wir es konzipieren, dann gäbe es ein solches Staatsziel von Anfang an; denn dies entspricht dem allgemeinen Verantwortungsbewußtsein für unsere natürlichen Lebensgrundlagen, wie es heute besteht. Wir nehmen uns damit auch als Parlament in die Pflicht, meine Damen und Herren. Das Staatsziel ist also keine weiße Salbe, wie manche meinen. Es hat keine nur plakative Wirkung. Wir wollen, daß der Umweltschutz stärker wird. Wir haben dazu Formulierungen vorgeschlagen, die das auch bewirken. Dieses Verantwortungsbewußtsein, das wir haben, muß sich stärker in Taten ausdrücken. Dazu haben wir für die nationale, aber auch für die internationale Politik Vorschläge vorgelegt.Ich bedauere es immer wieder, daß bei wichtigen internationalen Verhandlungen und Treffen andere Themen im Vordergrund stehen — und wenn es die Abrüstung ist. Ich meine, daß die Umweltthemen mindestens den gleichen Stellenwert haben müssen. Warum unterhalten sich die Staatsmänner bei Besuchen und Treffen nicht über die Ozonschicht mit der gleichen Intensität, wie sie das über andere Themen tun?
Die FDP setzt sich seit ihren Freiburger Thesen von 1971 für die Aufnahme des Umweltschutzes in das Grundgesetz ein. Dies konnte in der Koalition mit der SPD bis 1982 nicht vereinbart werden.
Ich hätte das gerne schon in den Koalitionsverhandlungen 1980 getan, Herr Kollege Vogel. Wir haben allerdings gemeinsam eine Kommission zur Prüfung dieser Frage eingesetzt. Das Ergebnis dieser Kommission hat uns recht gegeben.
Meine Fraktion fußt heute auf den Ergebnissen der sogenannten Denninger-Kommission. Herr Kollege Vogel, Sie wollten damals dieses Staatsziel mit anderen Staatszielen verknüpfen, was die Kommission allerdings abgelehnt hat. Jetzt haben wir den Weg frei. Nachdem, was der Herr Kollege Eylmann hier gesagt hat, ist bestätigt worden: Die Vereinbarung in den Koalitionsverhandlungen gibt uns jetzt den Wegfür gemeinsame Beratungen über eine Formulierung frei. Wir waren im übrigen, Herr Kollege Hauff, nie gegen eine Verfassungsänderung. Wir haben sie nie abgelehnt.
— Ja, wir haben sie aber nie abgelehnt; wir hatten keine Mehrheit in der Koalition. — Wenn es auch 16 Jahre gedauert hat, sind wir froh, daß dieser Weg nun zu einem Erfolg gerät.Ich möchte bei dieser Gelegenheit darauf hinweisen, daß es auch andere Ziele in der Koalition gibt, die wir noch nicht durchgesetzt haben, z. B. die Verbandsklage. Möglicherweise wird auch das eines Tages Realität; ich hoffe das.
Das Umweltgrundrecht lehnen wir ab — das ist ja schon gesagt worden — , das Staatsziel ist notwendig. Die Denninger-Kommission hat dargelegt, daß das allgemeine Interesse am Umweltschutz in der Gesetzgebung, in der Verwaltung, aber auch in der Rechtsprechung allzuleicht in Gefahr gerät, gebenüber anderen kurzfristigeren oder stärkeren Interessen zurückgesetzt zu werden, und daß deshalb hier eine Lücke geschlossen werden muß. Eine Staatszielbestimmung ist ein Handlungsauftrag an die Gesetzgebung, eine normative Richtlinie. Die Staatszielbestimmung ist auch ein Handlungsauftrag und eine Abwägungs- und Auslegungshilfe für die Verwaltung. Der Umweltschutz erhält ein seinem hohen Rang entsprechendes stärkeres Gewicht bei der Auslegung der Gesetze, bei der Konkretisierung unbestimmter Gesetzesbegriffe, bei der Ausübung von Ermessen. Schließlich ist eine Staatszielbestimmung für die richterliche Rechtsanwendung von Bedeutung, ohne der Rechtssprechung eine umweltpolitische Führungsaufgabe zuzuweisen. Meine Damen und Herren, diese haben wir; diese hat die Gesetzgebung, wir hier, die Parlamente, und darauf müssen wir bestehen.Eine Staatszielbestimmung Umweltschutz wird nach unserer Auffassung als verfassungsrechtliche Grundsatz- und Impulsnorm auf alle Rechtsbereiche Auswirkungen haben, Auslegungs- und Abwägungsmaßstäbe geben und alle drei Staatsgewalten binden. Die ökologisch verpflichtete Marktwirtschaft erhält damit einen noch verbindlicheren Ordnungsrahmen. Die umweltpolitische Wertneutralität des Grundgesetzes wird beseitigt.Wir wollen jetzt mit Ihnen in Beratungen eintreten. Wir haben unsere Vorschläge vorgelegt. Wir haben gesehen, daß in diese ganze Debatte Bewegung gekommen ist, auch im Bundesrat. Vielleicht gibt uns dies Gelegenheit, meine Damen und Herren von der SPD-Opposition, überhaupt zu einer etwas größeren Gemeinsamkeit im Umweltschutz zurückzukehren. Wir hatten sie ja einmal am Anfang der Umweltschutzpolitik von 1969 an mit der heutigen Regierungspartei CDU/CSU. Ich möchte daran erinnern, daß wir wichtige, grundlegende Entscheidungen in der Gesetzgebung hier in diesem Hause gemeinsam getroffen haben.
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384 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 8. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 2. April 1987
BaumEs ist also eine Bewegung in die Debatte gekommen, und ich möchte darauf hinweisen, daß natürlich nach dieser Änderung der Verfassung kein Anlaß besteht, sich bequem zurückzulehnen und nun zu sagen: Damit ist ein Impuls gegeben, und ansonsten treten wir kürzer. Nein, meine Damen und Herren, gleichzeitig müssen die konkreten Vorhaben behandelt werden. Wir haben uns hohe Ziele in dieser Koalition gesteckt. Wir haben eine sehr präzise, sehr umfangreiche Koalitionsvereinbarung getroffen, die umgesetzt werden muß. Das wird in einigen Punkten nicht einfach werden. Wir werden auf Widerstände stoßen, aber meine Fraktion ist fest entschlossen, die Koalition ist fest entschlossen, das Vereinbarte zu realisieren. Die Aufnahme des Umweltschutzes in die Verfassung und die Verwirklichung der konkreten Ziele, die wir uns vorgenommen haben, gehören also zusammen.Vielen Dank.
Das Wort hat der Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Koalition und Bundesregierung sind fest entschlossen, in dieser Legislaturperiode den Umweltschutz
als Staatsziel in das Grundgesetz aufzunehmen. Ich hoffe darauf, daß die SPD dabei konstruktiv mitwirkt.
— Sie haben mich überhaupt nicht getrieben. Ich weiß auch nicht, verehrter Herr Vogel, warum Sie so aufgeregt sind. Warum sind Sie denn so aufgeregt, Herr Kollege Vogel?
— Also, die Begriffe „Quatsch" und dergleichen überlasse ich Ihnen gerne. Ich stelle fest, daß meine Position von Anfang an klar gewesen ist.
Ich hoffe also sehr darauf, meine Damen und Herren, daß die SPD dabei konstruktiv mitwirkt und nicht in Rechthaberei macht, wie ich es eben von Ihnen, Herr Vogel, erlebt habe.Die Erhaltung und die Verbesserung unserer natürlichen Lebensgrundlagen kann ja durch die Staatszielbestimmung eine wesentliche Stärkung erfahren. Ich sage bewußt „kann", meine Damen und Herren, denn alleine mit der Aufnahme des Umweltschutzes als Staatsziel in das Grundgesetz sind natürlich konkrete Fortschritte noch nicht bewirkt;
Herr Kollege Eylmann und Herr Kollege Baum habenzu Recht darauf hingewiesen. Dazu bedarf es viel-mehr der andauernden Fortentwicklung bestehender gesetzlicher Vorschriften, neuer Gesetze und Verordnungen,
wo und wann es geboten ist, und nicht zuletzt eines wirksamen Vollzugs des Umweltrechts. Da stimmen wir doch sicherlich überein.
Umweltschutz ist ein zentrales Anliegen, eine zentrale Aufgabe allen staatlichen Handelns. Parlament und Regierung müssen diesem Ziel bei ihren Entscheidungen verpflichtet bleiben. Ich hoffe daher, daß es eine breite Übereinstimmung gibt, den Umweltschutz in Form der Staatszielbestimmung in das Grundgesetz aufzunehmen.Die Fraktion der GRÜNEN möchte demgegenüber den Umweltschutz als Grundrecht in unserer Verfassung verankern; wir haben es soeben gehört.
— Nein, es wäre nicht besser, Herr Abgeordneter Dr. Knabe. Wir lehnen dies aus wohlerwogenen Gründen ab, denn angesichts der unüberschaubaren Fülle möglicher, teilweise sogar miteinander konkurrierender Umweltschutzmaßnahmen könnte ein derartiges Grundrecht niemals hinreichend präzise formuliert werden. Den Bürgerinnen und Bürgern würde lediglich ein individueller Grundrechtsanspruch vorgegaukelt, der in der Rechtswirklichkeit schlicht und einfach nicht durchsetzbar wäre.
In den Grundrechtskatalog unserer Verfassung gehören nur solche Bestimmungen, die den einzelnen Staatsbürger mit eindeutigen und einklagbaren, also durchsetzbaren Rechten ausstatten.Meine Damen und Herren, der Schutz unserer natürlichen Lebensgrundlagen ist natürlich zuerst eine Verpflichtung für jeden einzelnen von uns, aber in besonderem Maße auch der öffentlichen Hände, der kommunalen Gebietskörperschaften, der Bundesländer und des Bundes. Dies ist der Kerngedanke, der einer Verankerung des Umweltschutzes als eines verbindlichen Staatsziels zugrunde im Grundgesetz liegt. Wir verpflichten damit Parlament und Regierung, bei all ihren Entscheidungen mögliche Konsequenzen für unsere Umwelt mit zu bedenken, zu berücksichtigen.Es gibt bei vielen Kolleginnen und Kollegen — das sollte gesagt werden, und es ist ja von Herrn Kollegen Eylmann auch mit aller Klarheit hier zum Ausdruck gebracht worden — eine durchaus verständliche Scheu, an Änderungen des Grundgesetzes heranzugehen, denn das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland hat sich ja in 40 Jahren hervorragend bewährt. Es hat sich in dieser Zeit als solider und geeigneter Rahmen für unser Leben in Freiheit, in sozialer Gerechtigkeit und wirtschaftlichem Wohlstand erwiesen. Eine solche Verfassung sollte nicht ohne Not geändert werden. Wir haben es uns darum ganz gewiß nicht leicht gemacht; auch darauf hat Herr
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 8. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 2. April 1987 385
Bundesminister Dr. WallmannKollege Eylmann hingewiesen. Wir bekennen uns dazu; wir treffen solche Entscheidungen nicht mit leichter Hand.Mir ist bewußt, daß Besorgnis bestand und hier und dort sicherlich auch noch besteht, daß die Aufnahme des Umweltschutzes als Staatsziel in das Grundgesetz Entscheidungen des Parlaments auf Gerichte verlagern könnte. Ich selbst halte solche Bedenken für unbegründet, aber es gibt solche Bedenken. Wenn ich sie teilen würde, dann hätte ich mich auch ganz persönlich anders entschieden, denn ich bin schon der Auffassung des Stuttgarter Oberbürgermeisters Manfred Rommel, der vor der zunehmenden Inbesitznahme der Politik durch die Justiz — zu Lasten der anderen Gewalten — warnt.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Schily?
Aber sicher, bitte.
Bitte sehr, Herr Abgeordneter.
Herr Minister, wie vertragen sich Ihre salbungsvollen Ausführungen zum Umweltschutz eigentlich mit der Tatsache, daß Sie dadurch fortgesetzt politische Beihilfe zur Umweltkriminalität leisten, daß Sie die ungenehmigte Errichtung und den ungenehmigten Betrieb der Hanauer Nuklearbetriebe dulden und unterstützen?
Ich will gerne darauf eingehen, weil ich Ihre Frage wie Sie das in bezug auf die von mir bisher gemachten Bemerkungen auch getan haben — dann auch qualifizieren will. Ich will Ihre unqualifizierte Frage gerne beantworten. Sie wissen sicherlich, daß Ihr Sozius, Herr Geulen, ein Gutachten für Herrn Fischer erstellt hat. In diesem Gutachten wird festgestellt, der Betrieb der Hanauer Betriebe sei illegal. Damit werden schwerwiegende Vorwürfe gegen Ihren bisherigen Koalitionspartner in Hessen, die Sozialdemokraten, erhoben.
Ihnen ist sicherlich auch bekannt, daß die Hessische Landesregierung ein anderes Gutachten in Auftrag gegeben hat, und Ihnen ist sicherlich bekannt, daß der hessische Regierungschef am 5. November des vergangenen Jahres eine klare, eindeutige Erklärung vor dem Parlament abgegeben hat. Er hat dieses Gutachten Ihres Sozius, des Herrn Geulen, als völlig unqualifiziert und bar jeder Rechtskenntnis bezeichnet.
Er hat gesagt: Alles, was da erklärt worden ist, trifft nicht zu. Er hat weiter gesagt, alles, was dort in Hanau seit 1975 geschehen ist, seit nämlich unter der Kanzlerschaft von Herrn Schmidt jene sogenannte dritte Novelle zum Atomgesetz erlassen worden ist und damit Rechtsgrundlage für den Weiterbetrieb der Hanauer Betriebe gewesen ist, sei eindeutig rechtmäßig und legal gewesen.
Im übrigen will ich die Gelegenheit gleich nutzen, um auch von dieser Stelle aus zum Ausdruck zu bringen: Alle, die da behaupten, es ginge dort bei Alkem um den Einstieg in die Plutoniumwirtschaft, sagen ja bewußt die Unwahrheit oder wissen nicht, worüber sie reden.
Denn, meine Damen und Herren, die Produktionsmenge wird nicht erweitert. Die Wahrheit ist, daß es hier um ein neues Bauvorhaben geht. Das dauert nun schon zwölf Jahre. Die Hessische Landesregierung ist nicht imstande gewesen, diesen Antrag und dieses Vorhaben endlich zu einem Ende zu bringen. Es geht um mehr Sicherheit. Die Fertigungsstraße, die im übrigen unverändert bleiben soll, soll z. B. gegen Flugzeugabstürze gesichert werden. Das heißt, wenn man es auf den Punkt bringen will: Die Hessische Landesregierung verweigert den Bürgerinnen und Bürgern und den Arbeitnehmern jenes Mehr an Sicherheit, auf das diese ganz gewiß einen Anspruch haben.
Herr Bundesminister, der Herr Abgeordnete Schily hat mich gebeten, Sie zu fragen, ob Sie noch eine weitere Zwischenfrage beantworten.
Nein, ich glaube, er hat seine Frage klar und deutlich beantwortet bekommen.
Ja, das liegt allein in Ihrer Entscheidung.
Meine Damen und Herren, ich habe den Eindruck, er möchte ein bißchen von diesem Thema ablenken, um das wir uns in der Koalition so nachdrücklich bemüht haben, wobei wir in der Tat zu einem bemerkenswerten Ergebnis gekommen sind. Die Koalition ist darauf, finde ich, zu Recht sehr stolz. Sie hat eine beachtliche Leistung erbracht.
— Zum Beispiel alles das, was Sie nicht fertiggebracht haben! Wir haben uns bei Fluorchlorkohlenwasserstoff festgelegt, wir haben uns bei den Partikelemissionen festgelegt, wir haben dafür gesorgt, daß die CO2-Emissionen weiter erforscht werden, alles Dinge, die Sie nicht getan haben. Zu allem, was wir beschlossen haben, haben Sie doch gar keine Initiativen eingebracht.
Nun, meine Damen und Herren, machen Sie nicht in Polemik, sondern lassen Sie uns uns um die Sache kümmern; sie ist ernst genug.
Ich sage noch einmal: Es hat eine Reihe von Besorgnissen gegeben, z. B. auch die Besorgnis, die ich
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386 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 8. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 2. April 1987
Bundesminister Dr. Wallmann1 ansprechen will, nämlich daß die Aufnahme des Umweltschutzes in das Grundgesetz von den eigentlichen Problemen dieses Umweltschutzes ablenken könnte. Auch die in dieser Argumentation zum Ausdruck kommende Auffassung teile ich überhaupt nicht. Natürlich ist mir als dem zuständigen Bundesumweltminister bewußt — ich wiederhole es — , daß die Umweltprobleme allein mit Hilfe einer Staatszielbestimmung nicht zu lösen sind.
Umweltschutz bedarf stets konkreter sachorientierter Einzelmaßnahmen. Notwendig sind ein anspruchsvolles Umweltrecht, das sich am Vorsorge-, am Verursacher- und am Kooperationsprinzip orientiert, ein Umweltrecht, das — was sehr, sehr wichtig ist — auch konsequent vollzogen wird, ein ständiges Vorantreiben von Umweltforschung und Umwelttechnik und nicht zuletzt die Bereitschaft jedes einzelnen und aller Gruppen in unserer Gesellschaft, ihren engagierten Beitrag für eine bessere Umwelt zu leisten.Unsere Politik, d. h. die Umweltpolitik der Koalition, stellt sich diesen Aufgaben und Herausforderungen. Mit dieser Politik haben wir in den vergangenen Jahren ja wirklich anerkanntermaßen Beachtliches erreicht, viel mehr, als vorangegangene Regierungen auch nur als Zielvorstellungen zu formulieren gewagt haben. Auch innerhalb der EG ist unbestritten, daß die Bundesrepublik Deutschland gerade in der Umweltpolitik längst eine Vorreiterrolle übernommen hat.Auch für diese Legislaturperiode hat sich die Bundesregierung, wie Sie wissen, ein anspruchsvolles Arbeitsprogramm auf der Grundlage der Koalitionsvereinbarungen vorgenommen, die — ich möchte das wiederholen, was hier vom Kollegen Baum gesagt worden ist — in der Tat die präzisesten und umfänglichsten sind, die es seit 1949 zu Beginn einer Wahlperiode gegeben hat. Ich möchte mich vor allem auch bei Herrn Kollegen Dr. Laufs dafür bedanken, daß wir das dort gemeinsam ausgearbeitet haben.Die Bestimmung des Umweltschutzes als Staatsziel wird diese Umweltpolitik der Koalition und der Bundesregierung bestätigen und stärken. Sie wird vor allem den Stellenwert des Umweltschutzes verdeutlichen. Sie verleiht dem Umweltschutz verfassungsrechtlichen Rang und nimmt damit Parlament und Regierung so deutlich in die Pflicht, wie es in unserer Rechtsordnung nur möglich ist. Sie wird zudem das Umweltbewußtsein nicht nur bei staatlichen Organen erhöhen, sie wird auch bei Bürgern und gesellschaftlichen Gruppen Einsicht und Engagement für den Umweltschutz fördern. Die Bestimmung des Umweltschutzes als Staatsziel wird — davon bin ich überzeugt — dazu beitragen, daß sich der Umweltschutz besser als bisher gegenüber anderen Interessen behaupten kann. Dieses halte ich für ganz, ganz bedeutsam.Meine Damen und Herren, der Umweltschutz muß aus all den genannten Gründen als Staatsziel im Grundgesetz verankert werden. Offen — das sagen wir auch in aller Ehrlichkeit — ist noch der Weg, die Frage nämlich, an welcher Stelle des Grundgesetzesund mit welcher Formulierung dies wirklich sinnvoll und wirksam zu geschehen hat.
— Ich weiß, Herr Schäfer, Sie wissen immer alles. Es gibt so vorzügliche Zeitgenossen, die haben auf jede Frage eine Antwort; Sie gehören dazu. Ich stehe auf dem Standpunkt, es ist sehr gut, wenn man sehr gründlich nachdenkt und seine Entscheidung nach sorgfältiger Abwägung trifft.Dazu gibt es eine Reihe von Vorschlägen. Sie wissen das. Wir werden dieses alles miteinander zu beraten haben.Meine Damen und Herren, ich bin mir vor allem bewußt, daß wir dieses Vorhaben nur auf der Grundlage eines breiten Konsenses verwirklichen können. Deswegen sind wir zur eingehenden Diskussion verpflichtet. Wir brauchen diesen Konsens im Bundesrat wie auch hier im Bundestag. Dieser Zwang zur Gemeinsamkeit, so denke ich, ist heilsam, denn er macht uns bewußt, daß Umweltschutz eine Gemein- schaftsaufgabe ist, die sich für parteipolitische Profilierungen nicht eignet. Es geht um vitale Interessen in unserem Land, es geht um die schöpferische Weiterentwicklung unseres Verständnisses von Umwelt, von Gesundheit, also um Gemeinwohl, wie es sich in der Werteordnung des Grundgesetzes ausdrückt. Ich bitte Sie alle dazu um Ihre Mitarbeit.
Das Wort hat der Abgeordnete Bachmaier.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es war ursprünglich nicht meine Absicht, hier noch etwas zu sagen. Wenn ich aber die gigantischen Wolkengebäude sehe, die hier heute aufgebaut wurden, und wenn ich die Anhäufung von Sprechblasen sehe, wie uns das zuletzt in einer wahren Meisterleistung vorexerziert worden ist,
dann muß man doch einmal nachfragen. Was wir von Regierungsseite gehört haben, macht uns eher nachdenklich, hat eher unseren Glauben erschüttert,
daß den groß angekündigten Worten in der Koalitionsvereinbarung wenigstens kleine Taten folgen werden.
— Herr Baum, wir haben es heute zum wiederholten Male mit einer ganz konkreten Gesetzesvorlage unserer Fraktion zu tun. Hier sind die Regierungsvertreter einschließlich des Bundesumweltministers Revue gelaufen, ohne ein Wort dazu zu sagen, ob sie unserem Vorschlag wenigstens von der Essenz her zustimmen oder nicht.
„Da muß man prüfen, an welcher Stelle des Grundgesetzes und in welchen Worten man dieses ausdrückt" ,
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Bachmaierheißt es, als würden wir erst heute mit dieser Diskussion beginnen. Herr Eylmann, wir haben in der letzten Legislaturperiode im Rechtsausschuß eingehende Beratungen dazu gehabt, wir haben zu diesen Fragen gründlich alle „Wenn und Aber" abgeklopft. Eine Sachverständigenkommission unter Leitung von Professor Denninger, führende Verfassungsrechtler haben ihre Meinung konkret kundgetan, und Sie fangen schon wieder mit Ihrer Verzögerungstaktik an, mit der die 10. Legislaturperiode geendet hat. Wir wollen jetzt von Ihnen Taten sehen. Wir sind bereit, das Staatsziel Umweltschutz ins Grundgesetz aufzunehmen. Wozu wir nicht bereit sind, ist eine unverbindliche Grundgesetzlyrik. Das läuft mit uns nicht. Wir wollen konkrete, wirksame Formulierungen und erwarten von Ihnen, nachdem Sie in der Koalitionsvereinbarung so konkrete und schnelle Taten angekündigt haben, daß hier endlich etwas kommt und nicht weiter mit dieser wirklich unzumutbaren Verzögerungstaktik gearbeitet wird.Herzlichen Dank.
Das Wort hat der Abgeordnete Schily.
Ich glaube, Herr Minister Wallmann hat heute ein Musterbeispiel dafür geliefert, wie man eine schöne Kulisse aufrichten kann, um bei der Umweltzerstörung und der Propagierung und Forcierung der umweltfeindlichen Atomenergie ungestört fortfahren zu können.
Was Sie hier zu meinem Sozius Dr. Geulen gesagt haben, ist das unqualifizierte Gewäsch, das Sie auch sonst in diesem Zusammenhang produzieren. Sie haben nicht ein einziges Argument. Sie sagen immer: Das Gutachten ist Unsinn, aber Sie haben noch nicht eine einzige Rechtsvorschrift, nicht ein einziges rechtliches Argument in diesem Zusammenhang vorgebracht; das fällt mir auf.
Ich habe im vergangenen Jahr mit Spannung gehört, wie Sie gesagt haben: Die Hanauer Nuklearfabriken arbeiten auf einwandfreier rechtlicher Grundlage. Dann wollte ich hören: Wie ist denn die Begründung? Begründung: Null! Nur die Begründung: Weil ich, Walter Wallmann, es sage! So ist es aber hier noch nicht; das kann allenfalls in einem Feudalstaat gelten. In einem Dokument des Bundesinnenministeriums aus dem Jahre 1981 steht der Satz:
In keinem Land der Welt wird in einem dicht besiedelten Gebiet Plutonium so ungesichert verarbeitet wie in Hanau.
Solange Sie zu diesem Satz nicht Stellung nehmen, Herr Wallmann, dementieren Sie Ihre Absicht, etwas für den Umweltschutz zu tun.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Grüner?
Nein, ich habe ja nur drei Minuten zur Verfügung. — Eindeutig ist, daß die Staatsanwaltschaft Anklage erhoben hat. Eindeutig ist, daß die Hanauer Nuklearfabriken weder eine immissionsschutzrechtliche noch eine atomrechtliche Errichtungsgenehmigung und Betriebsgenehmigung haben. Das ist die klare Verwirklichung des Straftatbestandes im § 327 des Strafgesetzbuches, den Sie, glaube ich, noch nie gelesen haben. Den Eindruck habe ich. Dazu müssen Sie hier im Deutschen Bundestag einmal Stellung nehmen, ehe Sie sich auf Schleichwegen um einen Ministerpräsidentenposten in Hessen bewerben.
Danke schön.
Das Wort hat der Abgeordnete Blens.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Lassen Sie mich ganz kurz zu dem was Herr Schily hier ausgeführt hat, etwas sagen. Herr Schily, ich fange mit dem letzten an: Herr Wallmann hat nicht vor, sich in Hessen an die Macht zu schleichen. Er macht das in einem Wahlkampf, und wir sind sicher, daß er ihn gewinnen wird
und daß er mit dem Votum der Mehrheit der Wähler in Hessen am Sonntag Ministerpräsident dieses Landes sein wird.Das zweite: Herr Schily, Sie haben gefragt: Wo sind denn die Argumente für die Rechtmäßigkeit des Betriebs von Nukem und Alkem? Die Argumente sind Ihnen bekannt.
— Es gibt eine vorläufige Genehmigung für Nukem und Alkem, die nach wie vor gilt.Wenn Sie hier das Zitat aus dem Bundesinnenministerium bringen, daß nirgendwo in einem Land Plutonium so ungesichert verarbeitet werde wie dort, dann müssen Sie auch dazusagen — ich behaupte, Sie wissen das — , daß das Genehmigungsverfahren, das zur Zeit läuft, daß die Genehmigung, die beantragt worden ist, gerade dazu dient, die Sicherheiten dort zu schaffen,
die erforderlich sind, um Plutonium sicher verarbeiten zu können.
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Dr. BiensGenau dies, Herr Schily, machen Ihre Genossen in Hessen — leider mit Hilfe der SPD — dadurch unmöglich, daß sie trotz Vorliegens aller rechtlichen Voraussetzungen die Erteilung der Genehmigung kaputtmachen und sabotieren. Das ist die Politik, die Sie machen. Sie sind der letzte, der das Recht hat, sich hier hinzustellen und zu sagen, dort fehle eine rechtlich zulässige Genehmigung. Sie sind es, die diese Genehmigung hintertreiben.
Herr Abgeordneter Schily, Sie möchten offensichtlich eine Zwischenfrage stellen. Ich sehe das mit großem Erstaunen, denn Sie haben das eben selber mit der Begründung, Sie hätten nur drei Minuten, abgelehnt. Die Logik dieses Verhaltens leuchtet mir beim besten Willen nicht ein.
Sie können fortfahren.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Im übrigen muß ich sagen: Ich bedaure, Herr Schily, daß durch Ihre Zwischenfrage die sehr sachliche Diskussion über die Änderung des Grundgesetzes in ein Fahrwasser geraten ist, in dem Verfassungsdiskussionen am besten nicht geführt werden.
Ich meine, hier ist eine Reihe von Argumenten genannt worden. Sie wissen, daß ich persönlich die Änderung bisher abgelehnt habe. Meine Gründe, die ich dafür vorgetragen habe, sind auch nicht einfach widerlegt; das sage ich dazu. Aber wir werden jetzt Formulierungen suchen,
die auch den Bedenken Rechnung tragen.
Bedenken, Herr Hauff, die Sie gegen das Grundrecht geäußert haben, bestehen auch gegenüber bestimmten Formulierungen der Staatszielbestimmung. Da müssen wir in der Tat aufpassen, daß politische Abwägungsprozesse und politische Abwägungsentscheidungen auch in Zukunft politische Entscheidungen bleiben und nicht auf die Gerichte übergehen. Das ist für mich der entscheidende Punkt bei der Formulierung der Grundgesetzänderung, an der wir mitarbeiten und für die wir selbstverständlich einen Vorschlag machen werden.
Meine Damen und Herren, da weitere Wortmeldungen nicht vorliegen, kann ich die Aussprache schließen.
Der Ältestenrat hat Überweisung der Vorlage auf Drucksache 11/10 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse beschlossen. Andere Vorschläge haben Sie offensichtlich nicht zu machen. Dann ist so beschlossen.
Ich unterbreche die Sitzung bis zur Fragestunde um 13.45 Uhr.
Die unterbrochene Sitzung wird forgeführt.
Wir treten in die
Fragestunde
— Drucksache 11/93 —
ein.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung auf. Zur Beantwortung der Fragen steht uns Herr Parlamentarischer Staatssekretär Vogt zur Verfügung.
Frage 1 der Frau Abgeordneten Steinhauer:
Wie beurteilt die Bundesregierung arbeitsmedizinische Untersuchungsergebnisse, wonach ein hoher Anteil der Krankenpfleger/innen in Alten- und Pflegeheimen durch häufiges Heben der Heimbewohner unter ernsthaften Rückenschmerzen leidet, und sieht die Bundesregierung darin auch Zusammenhänge hinsichtlich der Personalausstattung im Pflegebereich?
Bitte.
Herr Präsident, wenn die Kollegin Steinhauer zustimmt, würde ich gern die Fragen 1 und 2 gemeinsam beantworten.
Einverstanden. Ich rufe dann auch Frage 2 der Frau Abgeordneten Steinhauer auf:Teilt die Bundesregierung die Einschätzung, daß diese Berufsgruppe ein hohes Risiko trägt, Wirbelsäulenschäden davonzutragen, und ist die Bundesregierung bereit, die Bemühungen, diese Schäden als Berufskrankheiten anerkennen zu lassen, zu unterstützen?Vogt, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, gezielte arbeitsmedizinische Untersuchungen über Wechselwirkungen zwischen häufigem Heben von Pflegebedürftigen in Alten- und Pflegeheimen einerseits und Rückenschmerzen oder Wirbelsäulenerkrankungen des Pflegepersonals andererseits liegen im Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung nicht vor. Dabei ist natürlich bekannt, daß das Heben und Tragen von Lasten im beruflichen wie außerberuflichen Bereich, aber auch bestimmte Bewegungsabläufe negative Auswirkungen auf den gesamten Stütz- und Bewegungsapparat des Menschen haben können, wenn auch nicht haben müssen. Jedenfalls sind Rükkenschmerzen und Wirbelsäulenerkrankungen bei sehr unterschiedlichen Berufsgruppen und auch in der Allgemeinbevölkerung verbreitet. Präventiv sind bei dieser Problematik im Krankenhaus- und Pflegebereich — unabhängig von der Personalausstattung der Einrichtungen — in erster Linie auf die konkrete Tätigkeit ergonomische Lösungen anzustreben. Bereits nach geltendem Recht ist hier das Benutzen von technischen Hebe- und Tragehilfen vorgeschrieben.Nach der Verordnungsermächtigung in § 551 Abs. 1 der Reichsversicherungsordnung kann die Bundesregierung nur solche Erkrankungen in die Liste der Berufskrankheiten aufnehmen, die erstens nach neuen medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnissen und zweitens durch besondere gesundheitsschädigende berufliche Einwirkungen verursacht sind, sofern eine bestimmte Personengruppe diesen
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 8. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 2. April 1987 389
Parl. Staatssekretär Vogtschädigenden Einwirkungen in erheblich höherem Maße als die übrige Bevölkerung ausgesetzt ist. Nach unserem derzeitigen Wissensstand können danach Wirbelsäulenerkrankungen von Pflegepersonen in Alten- und Pflegeheimen nicht als Berufskrankheiten anerkannt werden. Es fehlt zum einen an neuen medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnissen, daß das Heben und Tragen von Pflegebedürftigen die wesentliche Ursache der anzutreffenden Wirbelsäulenschäden ist. Zum anderen treten diese Erkrankungen bei der Gruppe des Pflegepersonals nicht auffällig häufiger auf als bei anderen Berufsgruppen und bei der übrigen Bevölkerung.
Zusatzfrage bitte.
Herr Staatssekretär, wenn Sie mehrfach betonen, daß Erkenntnisse bei Ihnen nicht vorliegen, wären Sie denn bereit, Untersuchungen anzustellen, um das Problem einmal wissenschaftlich untersuchen zu lassen?
Vogt, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, zu den Arbeitsbedingungen des Pflegepersonals im Gesundheitswesen und zu den ergonomischen Problemen von Hebe- und Tragearbeiten wurden verschiedene Forschungsvorhaben schon in Auftrag gegeben und sind durchgeführt worden. Ich will nur auf zwei Studien hinweisen, nämlich auf die Studie der Herren Bröll und Streich unter dem Titel „Arbeitszeit und Arbeitsbedingungen im Krankenhaus" und auf die Studie von Herrn Hettinger unter dem Titel „Heben und Tragen von Lasten". Aber aus diesen Untersuchungen und auch aus anderen Untersuchungen, die uns vorliegen, können eben keine anderen Konsequenzen gezogen werden als die, die ich hier vorgetragen habe.
Weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, würden Sie denn bitte einmal überprüfen, ob es zutrifft, daß 87 % der Beschäftigten in diesen Berufsgruppen unter Rückenschmerzen leiden, und würden Sie aus dieser Tatsache nicht herleiten, daß man doch einmal untersuchen muß, ob hier nicht eine Berufskrankheit vorliegt?
Vogt, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, ich bin gern bereit, dieser Frage nachzugehen. Ich wäre Ihnen natürlich sehr dankbar, wenn Sie mir die Studie zugänglich machen könnten, aus der Sie diese Prozentzahlen entnehmen, die Sie gerade genannt haben. Aber wenn solche Studien vorliegen, gehen wir selbstverständlich der Frage nach und werden sicherlich auch die Konsequenzen prüfen, die dann gezogen werden müssen.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, würden Sie denn auch einmal mit den zuständigen Länderaufsichtsbehörden zur Frage des Arbeitsschutzes Kontakt aufnehmen, ob nämlich überhaupt die Überprüfung der Arbeitsstätten in ausreichendem Maße erfolgt?
Vogt, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, die Beschäftigten in Alten- und Pflegeheimen unterliegen ja dem Geltungsbereich der Unfallverhütungsvorschrift Gesundheitsdienst. Diese Beschäftigten müssen vor Aufnahme der Beschäftigung arbeitsmedizinisch untersucht werden. Die zuständige Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege hat für diese arbeitsmedizinische Überwachung ein besonderes Merkblatt herausgegeben. Sie kontrolliert in den entsprechenden Einrichtungen auch die konkreten Arbeitsbedingungen.
Eine letzte Zusatzfrage.
Es ist zwar nicht erlaubt, mit dem Staatssekretär hier eine Diskussion zu führen, aber ich muß sagen: In dem Fall habe ich nicht von Beschäftigten, sondern von Arbeitsstätten gesprochen.
Herr Staatssekretär, würden Sie, abgesehen von den weiteren wissenschaftlichen Untersuchungen, die ich mir wünsche, auch gesetzliche Ausweitungen der Arbeitsstätten- und Betriebsstättenverordnung ins Auge fassen, falls das notwendig ist? Es könnte ja sein, daß dort die Arbeitsplätze nicht ordentlich sind und man deshalb mehr Rückenschmerzen bekommt.
Vogt, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, wenn das der Fall sein sollte, werden wir sicherlich die entsprechenden Maßnahmen ergreifen.
Ich will nur noch einmal darauf hinweisen, daß nach dieser Unfaliverhütungsvorschrift Gesundheitsdienst die entsprechenden Einrichtungen — Krankenhäuser und Pflegeheime — eben auch die entsprechenden Apparate haben müssen, damit das Tragen von Pflegebedürftigen auch durch technische Hilfsmittel unterstützt wird.
Keine weiteren Zusatzfragen. — Damit ist der Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung beendet.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr. Die Fragen 3 und 4 des Abgeordneten Dr. Schroeder werden auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt. Damit ist der Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr ebenfalls abgeschlossen.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern auf. Zur Beantwortung der Fragen steht uns Herr Parlamentarischer Staatssekretär Spranger zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 5 des Herrn Abgeordneten Dr. Nöbel auf :
Welche Konsequenzen wird die Bundesregierung daraus ziehen, daß der Untersuchungsausschuß der Internationalen Arbeitsorganisation hinsichtlich der Praxis der Überprüfung der Verfassungstreue im öffentlichen Dienst in der Bundesrepublik Deutschland zu folgendem Ergebnis gekommen ist: „Die in Anwendung der Treuepflicht zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung getroffenen Maßnahmen (haben) sich in verschiedener Hinsicht nicht innerhalb der Grenzen für die Einschränkungen gehalten, die Artikel 1 Abs. 2 des Übereinkommens Nr. 111... zuläßt"?
Herr Kollege Dr. Nöbel, der von der Inter-
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390 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 8. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 2. April 1987
Parl. Staatssekretär Sprangernationalen Arbeitsorganisation eingesetzte Untersuchungsausschuß hat sich nicht einigen können, sondern ist zu entgegengesetzten Wertungen gekommen. Die Bundesregierung teilt die Auffassung der Ausschußminderheit, daß ein internationales Übereinkommen zum Schutz der Menschenrechte nicht dazu mißbraucht werden darf, einem Totalitarismus Vorschub zu leisten, der die Menschen verachtet und die Menschenrechte beseitigt. Die Empfehlungen der Ausschußmehrheit, die der Verwaltungsrat der Internationalen Arbeitsorganisation noch gar nicht behandelt hat, sind nicht bindend. Dagegen haben der Grundsatz der wehrhaften Demokratie und das Gebot der Verfassungstreue im öffentlichen Dienst Verfassungsrang und verpflichten jede Regierung im Bund und in den Ländern.
Eine Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß der Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 22. Mai 1975 für die Praxis unterschiedliche Interpretationsmöglichkeiten zuläßt?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Dr. Nöbel, es ist ja nicht nur allein die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes aus dem Jahre 1975, sondern es sind das Grundgesetz, die Beamtengesetze, die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichtes und des Bundesarbeitsgerichtes, mit denen ein so klares Gerüst an Regelungen geschaffen worden ist, daß es an sich nicht zu unterschiedlichen Entscheidungen kommen könnte.
Eine weitere Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, sprechen nach Auffassung der Bundesregierung die ja durchaus hohen Anforderungen an die Verfassungstreue der Beamten eher für eine Ausweitung oder für eine Reduzierung des Anteils der Beamten im öffentlichen Dienst?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Dr. Nöbel, hier sehe ich keinen Zusammenhang mit dem Thema, das in Ihrer Frage behandelt ist.
Weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Conradi.
Herr Staatssekretär, muß ich Ihren Hinweis auf das Minderheitsvotum des Untersuchungsausschusses dahin verstehen, daß Sie der Mehrheit des Ausschusses unterstellen, sie wolle mit ihrer Auslegung des Übereinkommens hier totalitäre Tendenzen fördern?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Ich glaube, hier unterstellen Sie mir etwas. Ich habe der Mehrheit des Ausschusses nichts unterstellt, sondern auf die Frage von Herrn Kollegen Dr. Nöbel, der von einem „Ergebnis des Untersuchungsausschusses" gesprochen hatte, eine Interpretation dahin gehend vorgenommen, daß dieser Untersuchungsausschuß sich tatsächlich nicht hat einigen können, sondern zu entgegengesetzten Wertungen gekommen ist.
Weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Paterna.
Herr Staatssekretär, dieser Untersuchungsausschuß hat sich ja auch mit einer Vielzahl von Einzelfällen intensiv beschäftigt. Darf ich Ihre Antwort auf die Frage des Kollegen Nöbel so verstehen, daß die Einzelpersonen, um die es da ging — ich greife die bei der Post beschäftigten Beamten heraus —, als Personen in dem Verdacht stehen, einer totalitären Entwicklung in diesem unserem Lande Vorschub zu leisten?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Paterna, ich bitte doch, die Frage von Herrn Dr. Nöbel, die Ausgangspunkt Ihrer Zusatzfrage war, nicht in dieser Form auszudehnen, daß ich veranlaßt werden könnte, zu Einzelfragen oder zu Einzelfällen in abstrakter Form bewertend Stellung nehmen zu müssen.
Weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Olderog.
Herr Staatssekretär, teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß die auch vom Untersuchungsausschuß der Internationalen Arbeitsorganisation anerkannten stabilen demokratischen Verhältnisse in der Bundesrepublik Deutschland auch dadurch herbeigeführt worden sind, daß bei uns der Grundsatz der wehrhaften Demokratie zu beachten ist und beachtet worden ist?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Dr. Olderog, ich glaube, es ist richtig, daß diese Einhaltung des Verfassungsgrundsatzes der wehrhaften Demokratie und der Verfassungstreue der im öffentlichen Dienst Tätigen dazu beigetragen hat, daß wir hier über viele Jahre stabile demokratische Verhältnisse haben.
Weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Kalisch.
Herr Staatssekretär, trifft die Behauptung des Untersuchungsausschusses zu, in der Bundesrepublik Deutschland sei es bei der Prüfung der Verfassungstreue im öffentlichen Dienst seit Oktober 1982 zu einer Verschärfung der Verwaltungspraxis gekommen?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Diese Aussage ist nicht zutreffend.
Weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Klejdzinski.
Herr Staatssekretär, darf ich Sie fragen, wo in unserer Verfassung der Begriff „wehrhafte Demokratie" niedergelegt ist?Spranger, Parl. Staatssekretär: Das ist ein allgemeiner Verfassungsgrundsatz, der in all den von mir genannten Gerichtsentscheidungen, insbesondere
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 8. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 2. April 1987 391
Parl. Staatssekretär Sprangerder Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom Jahr 1975, ausdrücklich dargestellt ist.
Eine weitere Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Dr. Götte.
Wie viele Überprüfungen von Verfassungstreue hat es im vorigen Jahr gegeben, und wie oft wurden „positive" Erkenntnisse gefunden?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Ich glaube, daß auch das mit der gestellten Frage nicht in Zusammenhang zu bringen ist.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Ich rufe die Frage 6 des Herrn Abgeordneten Dr. Nöbel auf:
Welche Konsequenzen wird die Bundesregierung aus den Empfehlungen des Untersuchungsausschusses der Internationalen Arbeitsorganisation zur Einhaltung des Übereinkommens (Nr. 111) über die Diskriminierung (Beschäftigung und Beruf), 1958, durch die Bundesrepublik Deutschland ziehen?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Spranger, Parl. Staatssekretär: Die Bestimmungen des Grundgesetzes und die sie erläuternde Grundsatzentscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 22. Mai 1975 werden für die Bundesregierung maßgebliche Richtschnur bleiben.
Im übrigen darf ich auf meine Antwort auf Ihre erste Frage verweisen.
Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, führt die Regelanfrage beim Verfassungsschutz nicht zu Duckmäusertum, zu Leisetreterei bei Jugendlichen, denen doch eigentlich auch gestattet sein sollte, durch Irrtum zu lernen, und will die Bundesregierung eine solche Entwicklung in der Bundesrepublik?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Dr. Nöbel, ich kann hier nur Antworten für die Bundesregierung erteilen. Seitens der Bundesregierung oder hinsichtlich der im Bundesdienst Tätigen findet eine Regelanfrage nicht statt.
Weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Conradi.
Herr Staatssekretär, will sich die Bundesregierung, die ja sonst in diesem Hause sehr auf das Mehrheitsprinzip pocht, unter Berufung auf ein Minderheitsvotum der Erfüllung des Übereinkommens entziehen?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Wir haben nach dieser Entscheidung keinen Anlaß — genausowenig wie wir ihn vorher hatten —, die Erfüllung des Übereinkommens in Zweifel zu ziehen. Die Bundesregierung wird ihre Antwort und ihre Stellungnahme entsprechend den Vorschriften, Art. 29 des Übereinkommens, vorbereiten; hier bestehen Fristen. Ich möchte
der Antwort der Bundesregierung — auch im Respekt
vor den internationalen Gremien — nicht vorgreifen.
Weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Paterna.
Herr Staatssekretär, die Prüfungsfrist ist ja nicht abgelaufen; sorgfältige Prüfung ist sicher in unserem Sinne. Aber sehe ich es für den Fall, daß die Bundesregierung zu dem Schluß kommt, die Mehrheitsempfehlungen nicht zu akzeptieren, dann richtig, daß es grundsätzlich zwei Möglichkeiten gibt, daß nämlich die Bundesregierung zum einen vor dem Internationalen Gerichtshof klagt oder zum anderen das ILO-Abkommen kündigt? Oder gibt es noch eine weitere Möglichkeit, und welche würden Sie dann wählen?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Paterna, ich habe in der Fragestunde wiederholt erklärt, daß ich auf hypothetische Fragen keine Antwort geben möchte. Daran möchte ich mich auch bei Ihrer Frage halten.
Weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Olderog.
Herr Staatssekretär, trifft es zu, daß der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte bei der Bewertung dieser Frage zu einem anderen Ergebnis gekommen ist als der Untersuchungsausschuß der Internationalen Arbeitsorganisation?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Es ist zutreffend, daß der Europäische Gerichtshof im Jahre 1986 in zwei Entscheidungen zu dem Ergebnis gekommen ist, daß die Praxis hinsichtlich der Überprüfung der Beachtung der Verfassungstreue im öffentlichen Dienst in der Bundesrepublik Deutschland mit den entsprechenden Regelungen des europäischen Rechts in Einklang steht.
Weitere Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Matthäus-Maier.
Nur zur Bestätigung, Herr Staatssekretär: Habe ich Sie soeben richtig verstanden, daß Sie gesagt haben, es gebe im Bereich der Bundesverwaltung keine Regelanfrage mehr?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Ich habe mich hier, glaube ich, eindeutig ausgedrückt.
Ich habe keinen Anlaß, das nach meinem Wissensstand auf Ihre Zusatzfrage hin zu korrigieren.
Gut, danke schön. — Zusatzfrage: Gibt es bei der Handhabung der Regelanfrage Unterschiede zwischen der Bundesverwaltung und den CDU-regierten Bundesländern?Spranger, Parl. Staatssekretär: Ich darf nur sagen: Ich habe hier für die Bundesregierung Auskunft zu geben und habe nicht die Praxis der Bundesländer zu bewerten.
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392 Deutscher Bundestag -- 11. Wahlperiode — 8. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 2. April 1987
Keine weiteren Zusatzfragen.
Ich rufe die Frage 7 des Herrn Abgeordneten Conradi auf:
In welcher Weise wird die Bundesregierung die Empfehlung des Untersuchungsausschusses der Internationalen Arbeitsorganisation aufgreifen, im einzelnen zu prüfen, durch welche Maßnahmen die volle Einhaltung des Übereinkommens (Nr. 111) über die Diskriminierung in der Bundesrepublik Deutschland bewirkt werden kann?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Conradi, die Bundesregierung ist unverändert davon überzeugt, das Übereinkommen 111 der Internationalen Arbeitsorganisation über Diskriminierung in Beschäftigung und Beruf in vollem Umfange einzuhalten. Sie kann sich dabei auch auf die Ansicht der Minderheit des Untersuchungsausschusses stützen, wonach ein internationales Übereinkommen zum Schutze der Menschenrechte nicht so ausgelegt werden kann, daß es der Beseitigung dieser Grundrechte Vorschub leistet.
Auf die Beantwortung Ihrer schriftlichen Frage vom 4. März 1987 nimmt die Bundesregierung ergänzend Bezug.
Zusatzfrage? — Bitte.
Die Untersuchungskommission hat festgestellt, daß wir das Übereinkommen nicht voll einhalten, und hat empfohlen, zu prüfen, mit welchen Maßnahmen dies gewährleistet werden könne. Wird die Bundesregierung dieser Aufforderung nachkommen?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Conradi, ich muß sagen, das ist in anderer Form eine Wiederholung Ihrer gestellten Frage, und die habe ich mit der ersten Antwort beantwortet.
Herr Abgeordneter Conradi, jetzt hat der Herr Staatssekretär das Wort. — Bitte sehr.
Spranger, Parl. Staatssekretär: Ich muß wiederholen, was ich Ihnen vorhin zur Antwort gegeben habe, und nehme darauf Bezug.
Vizepräsident Stücklen: Weitere Zusatzfrage.
Dann werden Sie der Feststellung nicht widersprechen, daß die Bundesregierung hier der Aufforderung des Untersuchungsausschusses, zu prüfen, mit welchen Maßnahmen sie die Einhaltung des Abkommens erreichen kann, nicht nachkommen wird. — Sie widersprechen nicht; das ist die klare Äußerung.
Spranger, Parl. Staatssekretär: Nein. Sie unterstellen mit Ihrer Frage etwas. Ich habe vorhin schon einmal darauf hingewiesen, daß sich die Bundesregierung im Rahmen der ihr nach Art. 29 gesetzten Frist äußern wird.
Weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Klejdzinski.
Herr Staatssekretär habe ich Sie richtig verstanden, daß Sie ausgeführt haben, daß sich die Bundesregierung in diesem Falle auf die Minderheitenmeinung des Gutachtens stützt, und muß ich daraus schließen, daß es durchaus gängige Praxis bei dieser Bundesregierung ist, sich in geeigneten Fällen auf die jeweilige Minderheitenmeinung in einem Gutachten zu berufen?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Nein. Auch das wäre eine unzutreffende Interpretation. Ich habe dargestellt, daß die Bundesregierung von Anfang an der Meinung war, daß sie das Übereinkommen 111 einhält. Bei dieser durch entsprechende Gerichtsentscheidungen und auch durch die von mir schon zitierten entsprechenden Gesetze abgesicherten Meinung kann sich die Bundesregierung auch auf die Minderheitenmeinung dieses Untersuchungsausschusses stützen.
Weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Paterna.
Herr Staatssekretär, nachdem dieser ILO-Bericht in der Tendenz der Bundesregierung empfiehlt, sich der Praxis der SPD-regierten Bundesländer anzuschließen, darf ich Sie fragen — ich denke, das ist keine hypothetische Frage — , ob die Bundesregierung die Praxis der sogenannten A-Länder für verfassungswidrig hält. Wenn ja: Was gedenkt die Bundesregierung dagegen zu unternehmen?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Auch hier gehen Sie davon aus, daß wir jetzt im Rahmen der Fragestunde zu einer Bewertung der Praxis bestimmter Bundesländer kommen. Ich habe hier über die Praxis der Bundesregierung in diesem Zusammenhang Stellung zu nehmen, auch in bezug auf das Gutachten, und möchte mich nicht wertend oder bewertend zur Praxis in den Bundesländern, gleich, welcher politischen Couleur, äußern.
Keine weitere Zusatzfragen.Ich rufe die Frage 8 des Herrn Abgeordneten Conradi auf :In welcher Weise wird die Bundesregierung dem Hinweis des Untersuchungsausschusses der Internationalen Arbeitsorganisation Rechnung tragen, daß sich die ratifizierenden Staaten gemäß Artikel 3 b des Übereinkommens verpflichten, „Gesetze zu erlassen . . ., die geeignet erscheinen, die Annahme und die Befolgung" der innerstaatlichen Politik der Gleichheit der Gelegenheiten und der Behandlung mit Bezug auf Beschäftigung und Beruf „zu sichern"?Spranger, Parl. Staatssekretär: Die beamtenrechtlichen Bestimmungen zur Treuepflicht konkretisieren lediglich einen Grundsatz unserer Verfassung. Ihre Änderung ist daher ausgeschlossen. Im übrigen hat selbst die Mehrheit des Untersuchungsausschusses der Internationalen Arbeitsorganisation festgestellt, die deutschen Verfassungs- und Gesetzesbestimmun-
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 8. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 2. April 1987 393
Parl. Staatssekretär Sprangergen zur Verfassungstreue im öffentlichen Dienst stünden ihrem Wortlaut nach nicht im Widerspruch zu den Regelungen des Übereinkommens 111.
Zusatzfrage, bitte,
Wird sich die Bundesregierung in dem Falle, in dem ihre Praxis nicht mit den Grundsätzen des Übereinkommens übereinstimmt, ihrer Verpflichtung nach Art. 3 des Übereinkommens entziehen, Gesetze zu erlassen, die geeignet sind, die Annahme und die Befolgung des Übereinkommens zu sichern?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Vielleicht haben wir unterschiedliche Fragen. Nach meiner Vorlage ist die Frage 8 genau in der Form gestellt, wie ich sie beantwortet habe. Sie haben in Frage 8 gefragt, ob nach Art. 3 b des Übereinkommens die Bundesregierung verpflichtet sei, Gesetze zu erlassen, die geeignet erscheinen, die Annahme und die Befolgung der innerstaatlichen Politik der Gleichheit der Gelegenheiten und der Behandlung mit Bezug auf Beschäftigung und Beruf zu sichern. — Auf diese Frage habe ich Ihnen bereits eine Antwort gegeben.
Noch eine Zusatzfrage, bitte.
Ich habe gefragt, in welcher Weise die Bundesregierung ihrer Verpflichtung nachkommen will. Aber da Sie diese Frage offenbar nicht beantworten wollen und sagen, Sie seien noch am Prüfen: Darf ich erwarten, daß die Bundesregierung das Parlament unterrichten wird, bevor sie in der gegebenen Frist auf den Untersuchungsbericht Antwort gibt, oder werden wir erst hinterher informiert?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Auch darüber wird die Bundesregierung in dem anstehenden Entscheidungsprozeß, für den sie nach Art. 29 eine Frist von drei Monaten hat, zu befinden haben.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Die Fragen 9 und 10 des Herrn Abgeordneten Catenhusen sowie die Fragen 11 und 12 des Herrn Abgeordneten Peter werden auf Wunsch der Fragesteller schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe die Frage 13 des Herrn Abgeordneten Weisskirchen auf:
Teilt die Bundesregierung die Auffassung des Untersuchungsausschusses der Internationalen Arbeitsorganisation , aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit folge als erstes, „dafi öffentlich Bedienstete beim Genuß der den Bürgern im allgemeinen zustehenden Rechte und Freiheiten keinen engeren Begrenzungen als denjenigen unterliegen sollten, die nachweislich notwendig sind, um das Funktionieren der Institutionen des Staates und der öffentlichen Dienste zu gewährleisten"?
Bitte sehr, Herr Staatssekretär.
Spranger, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Weisskirchen, die Bundesregierung verweist hierzu auf die
Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes. In seiner Grundsatzentscheidung vom 22. Mai 1975 heißt es wörtlich:
Der Beamte genießt Grundrechtsschutz. Er steht zwar im Staat und ist deshalb mit besonderen Pflichten belastet, die ihm dem Staat gegenüber obliegen, er ist aber zugleich Bürger, der seine Grundrechte gegen den Staat geltend machen kann. Der notwendige Ausgleich ist so zu suchen, daß die für die Erhaltung eines intakten Beamtentums unerläßlich zu fordernden Pflichten des Beamten die Wahrnehmung von Grundrechten durch den Beamten einschränken.
Eine Zusatzfrage, bitte.
Würden Sie denn nicht auch davon ausgehen, Herr Parlamentarischer Staatssekretär, daß die Bundesrepublik Deutschland in diesem ganzen problematischen Umfeld nicht in den Verdacht geraten sollte, möglicherweise ihrerseits Grundrechte zu verletzen?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Ich glaube, in diesen Verdacht gerät die Bundesrepublik Deutschland nicht.
Eine weitere Zusatzfrage, bitte.
Auch dann nicht, wenn Sie in diesem Punkte der Mehrheit der Kommission nicht folgen wollen? Glauben Sie nicht, daß hier die Bundesrepublik Deutschland letztlich selbst elementare Grundrechte verletzt?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Ich glaube, auch dann nicht.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Paterna.
Herr Staatssekretär, nachdem Sie immer wieder auf die Treuepflicht des Beamten verweisen, darf ich Sie so verstehen, daß Bereiche, etwa das Dienstleistungsangebot der Deutschen Bundespost, insbesondere im Hoheitsbereich, in denen heute mit dem Hinweis auf Hoheitsaufgaben und Funktionsvorbehalt Beamte eingesetzt werden, grundsätzlich nicht für eine Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen zur Verfügung stehen?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Paterna, auch das berührt den Fragenkomplex nur so, daß ich keinen direkten Zusammenhang mit der Frage sehe.
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, ich möchte Sie entlasten. Das geht über die Fragestellung hinaus.
Ich darf Herrn Abgeordneten Kalisch zu einer Zusatzfrage bitten.
Herr Staatssekretär, bei dieser Diskussion stellt sich z. B. die Frage: Welche Konsequenzen hätte es für unser Schulwesen, wenn den
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KalischEmpfehlungen dieses Ausschusses gefolgt werden würde?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Wenn man den Empfehlungen der Mehrheit in der Praxis folgen würde, hätte das die Konsequenz, daß erst dann, wenn links- oder rechtsextremistische Lehrer tatsächlich mit Beeinflussungs- und Einwirkungsversuchen und -bemühungen begonnen haben und wenn dies nachweisbar ist, sie mit Konsequenzen zu rechnen hätten. Damit wäre das Prinzip der Prävention, die diese Situation schon im Vorfeld zu vermeiden sucht, aus den Angeln gehoben.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Conradi.
Habe ich Ihre Antwort, Herr Staatssekretär, richtig verstanden: Die aus dem Dienst entlassenen Lehrer sind nicht wegen irgendwelcher Verstöße oder wegen irgendwelcher Handlungen, sondern allein vorbeugend unter dem Gesichtspunkt der Prävention entlassen worden, sie könnten möglicherweise als Lehrer Schüler indoktrinieren?
Spranger, Pari. Staatssekretär: Herr Kollege Conradi, so ganz haben Sie mich nicht verstanden. Ich wollte etwas einfacher ausdrücken, was das Bundesverfassungsgericht in der schon zitierten Entscheidung auf Seite 352 gesagt hat — ich darf zitieren —
Gerade weil die Entfernung eines Beamten auf Lebenszeit oder auf Zeit aus dem Dienst wegen Verletzung seiner Treuepflicht nach den hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums nur im Wege eines förmlichen Disziplinarverfahrens möglich ist, muß der Dienstherr darauf sehen, daß niemand Beamter wird, der nicht die Gewähr dafür bietet, jederzeit für die freiheitlichdemokratische Grundordnung einzutreten. Der Dienstherr hat auch dem Bewerber gegenüber die Pflicht, die verfassungsrechtlich möglichen Vorkehrungen zu treffen, damit er nicht genötigt wird, Beamte wegen Verletzung ihrer politischen Treuepflicht in ein Disziplinarverfahren zu ziehen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Lambinus.
Herr Staatssekretär, Ihre bisherigen Antworten veranlassen mich, Sie zu fragen, ob die Bundesrepublik Deutschland im Untersuchungsausschuß der IAO, der diese Feststellungen getroffen hat, vertreten war, und wenn ja, durch wen, und wie sich die Vertreter der Bundesrepublik Deutschland dort zu den Feststellungen verhalten haben?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Ich kann Ihnen nur sagen, daß sie vertreten war und daß sie auch ihre
Argumentation vorgetragen hat. Nähere Einzelheiten müßte ich Ihnen dann schriftlich übermitteln.
Weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Lippelt.
Herr Staatssekretär, haben Sie schon mal über die historische Erfahrung nachgedacht, daß rechte Lehrer linke Schüler erzeugt haben und daß dogmatisch linke Lehrer eher rechte Schüler erzeugen? Wie bringen Sie das mit Ihrem Weltbild in Übereinstimmung?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Das müßten Sie als Lehrer viel besser wissen als ich.
Weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Knabe.
Sie haben eben erklärt, man müsse bei der Einstellung von Bewerbern die Möglichkeit prüfen, ob sie nicht unter Umständen die Treuepflicht gegenüber dem Staat so verletzten, daß man das nur mit einem Disziplinarverfahren beheben könne. Müßte man dann nicht in gleicher Weise auch bei der Einstellung jedes Bewerbers prüfen, inwieweit er im späteren Beamtendasein bestechlich wird, sich also empfindsam für Zuwendungen zeigt und seine Amtsgeschäfte nicht zum Nutzen des Staates, sondern zum Nutzen bestimmter Privatinteressenten ausübt?
Zuwendungen an Beamte, Herr Abgeordneter Knabe, sind nicht statthaft.
— Darf ich Sie bitten, noch am Mikrophon zu bleiben?
Bitte schön.
Spranger, Parl. Staatssekretär: Ich sehe ebenfalls keinen Zusammenhang zwischen diesen Alternativen möglichen Fehlverhaltens und dem eigentlichen Problem.
Keine weiteren Zusatzfragen.Dann rufe ich die Frage 14 des Herrn Abgeordneten Weisskirchen auf:Wird die Bundesregierung der Anregung des Untersuchungsausschusses der Internationalen Arbeitsorganisation folgen, daß bei Bewerbern für den öffentlichen Dienst die Verfassungstreue in der Praxis der Bundesrepublik Deutschland allgemein vorauszusetzen ist und daß die Betätigung für legale politische Parteien nicht als unvereinbar mit der Treue zur Grundordnung gelten soll, sofern kein mit den Pflichten der jeweiligen Stellung unvereinbares spezifisches Verhalten vorliegt?Spranger, Parl. Staatssekretär: Auch insoweit gilt für die Bundesregierung das eben erwähnte Urteil des Bundesverfassungsgerichtes. Danach ist die Gewähr,
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Parl. Staatssekretär Sprangerjederzeit für die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes einzutreten, eine subjektive Einstellungsvoraussetzung, die bei jedem Bewerber zu prüfen ist. Ein Stück des Verhaltens, das für die hier geforderte Beurteilung der Persönlichkeit des Bewerbers erheblich sein kann, kann auch der Beitritt oder die Zugehörigkeit zu einer politischen Partei sein, die verfassungsfeindliche Ziele verfolgt, unabhängig davon, ob ihre Verfassungswidrigkeit durch Urteil des Bundesverfassungsgerichts festgestellt ist oder nicht. So das Bundesverfassungsgericht in der entsprechenden Entscheidung.
Zusatzfrage, bitte.
Wie wollen Sie denn, Herr Staatssekretär, auf Dauer mit den Konflikten leben, über die wir hier heute nachmittag diskutieren, wenn ein tatsächlich geeintes Westeuropa entsteht, in dem eine ganze Reihe von Ländern völlig andere Auffassungen haben, als Sie sie hier den ganzen Nachmittag produzieren?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Da müßten Sie schon sehr konkret werden, in welchen Ländern hier eine strengere Praxis, vor allem im Verfahren, in den verschiedenen Rechtszügen, herrscht als in der Bundesrepublik Deutschland.
Weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter.
Ich will Ihnen ganz konkret das Beispiel Italien oder auch das Beispiel Frankreich nennen, wo andere Praktiken gelten, wo z. B. Linkssozialisten oder Kommunisten die Chance haben, in einer Art und Weise anders, demokratischer, behandelt zu werden als in unserem Land.
Spranger, Parl. Staatssekretär: Ich glaube, hier müßten Sie sehr unterscheiden, was die Verfahrenspraxis anlangt und was die Verfassungslage anlangt. Daß die in den entsprechenden Ländern anders ist als bei uns, ist unbestritten.
Weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Olderog.
Herr Staatssekretär, trifft es zu, daß nach unserem Grundgesetz und nach den Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts die Bundesregierung wie alle anderen öffentlichen Behörden überhaupt nicht frei sind in der Frage, ob sie eine sorgfältige Prüfung vornehmen, ja oder nein, sondern daß sie für den Fall, daß sie das nicht tun, einen Verfassungsbruch begehen?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Wir müssen davon ausgehen, daß es hier in der Bundesrepublik Deutschland eine unterschiedliche Praxis gibt. Wenn die eindeutigen Regelungen der Verfassung, der Beamtengesetze und die Rechtsprechung der entsprechenden Gerichte in der Praxis entsprechend angewendet würden, dürfte es eine solche unterschiedliche Praxis allerdings nicht geben.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Dann darf ich Frage 15 des Herrn Abgeordneten Dr. de With aufrufen:
Gegen welche anderen westeuropäischen Staaten sind Klagen nach Artikel 26 der Verfassung der Internationalen Arbeitsorganisation erhoben worden, und wie haben diese Staaten auf die Empfehlungen der jeweils eingesetzten Untersuchungsausschüsse reagiert?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Bei dem die Bundesrepublik Deutschland betreffenden Verfahren der Internationalen Arbeitsorganisation handelt es sich um kein Klageverfahren, sondern um ein Untersuchungsverfahren, das der Verwaltungsrat dieser Organisation nach Art. 26 Abs. 4 der Verfassung der Internationalen Arbeitsorganisation von Amts wegen eingeleitet hat. Da es das erste dieser Art ist, kann die Bundesregierung zum Verhalten anderer westeuropäischer Staaten keine Angaben machen.
Zusatzfrage, bitte.
Gerade weil es das erste ist, würden Sie es deswegen nicht für besonders angemessen halten, darauf sofort zu reagieren und z. B. auch die Innenministerkonferenz damit zu beschäftigen, die, wie wir heute gehört haben, derzeit in Berlin tagt?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Dazu besteht weder nach der Gesetzeslage noch nach der Entscheidung dieses Untersuchungsausschusses eine Verpflichtung. Die sich aus dem Art. 29 ergebenden Verpflichtungen wird die Bundesregierung einhalten.
Weitere Zusatzfrage?
Herr Staatssekretär, würden Sie zur Kenntnis nehmen, daß Sie uns darüber nicht belehren müssen, sondern daß meine Frage allein darauf gezielt war, ob der Bundesminister des Innern die Innenministerkonferenz damit beschäftigen wird, nachdem dort im Kern alle wirklich relevanten Fragen zur Sprache kommen und dies eine relevante Frage ist?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Ich gehe davon aus, daß sich die Bundesländer von sich aus mit diesem Thema beschäftigen und sich auch mit den im Untersuchungsergebnis dargelegten Auffassungen auseinandersetzen, so daß der Bundesinnenminister von sich aus nach meiner Auffassung keine Verpflichtung hat, dieses Problem in die Innenministerkonferenz hineinzutragen.
Weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Knabe.
Würden Sie freundlicherweise Auskunft geben, welche Konsequenzen sich aus dem von Ihnen zitierten Paragraphen ergeben und in welchem Zeitrahmen die Bundesregierung diese Konsequenzen zu erfüllen bereit ist?Spranger, Parl. Staatssekretär: Nach Art. 29 muß binnen drei Monaten die Bundesregierung dem Ver-
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Parl. Staatssekretär Sprangerwaltungsrat, der sich anschließend mit dem Thema zu beschäftigen hat, eine Stellungnahme zuleiten. Das habe ich schon mehrfach zum Ausdruck gebracht. Das wird geschehen, Herr Dr. Knabe.
Keine weiteren Zusatzfragen. — Ich rufe die Frage 16 des Herrn Abgeordneten Dr. de With auf:
Beabsichtigt die Bundesregierung gemäß Artikel 29 der Verfassung der Internationalen Arbeitsorganisation, die Empfehlungen des Ausschusses zur Überprüfung der Einhaltung des Übereinkommens Nr. 111 über die Diskriminierung anzunehmen, oder beabsichtigt sie nach Artikel 29, den Streitfall dem Internationalen Gerichtshof zu unterbreiten?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Nach Art. 29 Abs. 2 der Verfassung der Internationalen Arbeitsorganisation hat sich die Bundesregierung zu dieser Frage innerhalb von drei Monaten gegenüber dem Generaldirektor des Internationalen Arbeitsamtes zu äußern. Dies wird sie tun. Die Achtung vor den Institutionen dieser Organisation gebietet es, die Entscheidung der Bundesregierung nicht bereits vorher öffentlich zu machen.
Weitere Zusatzfrage?
Gibt es bereits wenigstens Überlegungen mit einer gewissen Tendenz, die Sie offenbaren können; denn es liegt ja auf der Hand, daß die Öffentlichkeit wissen will, wie in etwa die Bundesregierung reagieren wird?
Spranger, Pari. Staatssekretär: Herr Kollege Dr. de With, ich bitte um Verständnis, wenn ich hier auch keine Tendenz unter der Berücksichtigung meiner ersten Antwort zu Ihrer Frage zum Ausdruck bringen möchte.
Weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. de With.
Hat der Bundesminister des Innern außerhalb der Innenministerkonferenz inzwischen Kontakt mit den Länderinnenministern und -senatoren aufgenommen, um zu einer einigermaßen abgestimmten Auffassung zu gelangen, nachdem Sie selbst eingeräumt haben, daß die Praxis innerhalb der Länder ja sehr unterschiedlich ist, was zu bedauern ist?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Ich kann jetzt wirklich nicht sagen, ob der Minister oder irgendwelche anderen Ebenen im Bundesinnenministerium Verbindungen zu den entsprechenden Stellen in den Ländern aufgenommen haben.
Weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Conradi.
Wann läuft denn die Dreimonatsfrist ab, Herr Staatssekretär?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Das Gutachten ist, glaube ich, im Februar bei uns eingetroffen. Wenn Sie drei Monate zulegen, dürfte die Frist im Mai ablaufen.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Die Fragen 17 und 18 des Abgeordneten Stiegler,
19 und 20 der Abgeordneten Frau Dr. Däubler-Gmelin sowie 21 und 22 des Abgeordneten Bachmaier sollen auf Wunsch der Fragesteller schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Damit bleibt noch eine Frage. Ich rufe die Frage 23 des Herrn Abgeordneten Kuhlwein auf :
Liegen der Bundesregierung Erkenntnisse vor, nach denen es im Zusammenhang mit dem Betrieb von Spielhallen zu wachsender Kriminalität kommt, und ist die Bundesregierung bereit, durch eine Anderung der Spielverordnung den Kommunen eine restriktivere Handhabung der Zulassung von Spielhallen zu ermöglichen?
Bitte sehr.
Spranger, Parl. Staatssekretär: Nach den Erkenntnissen des Bundeskriminalamtes zur Kriminalität im Zusammenhang mit dem Betrieb von Spielhallen wurden 1986 sechs Tötungsdelikte und 32 Raubstraftaten begangen gegenüber vier Tötungsdelikten und
20 Fällen von Raub im Jahre 1985. Die Anzahl der dem Bundeskriminalamt mitgeteilten Fälle von Einbruchsdiebstahl und von Diebstahl aus Automaten mittels Gerätemanipulation ist verschwindend gering.
Diese Erkenntnisse sind jedoch unvollständig und erlauben keine gesicherte Trendaussage, da in diesem Kriminalitätsbereich die Länderdienststellen gegenüber dem Bundeskriminalamt keine Meldepflicht haben. Auf Grund von in der Presse veröffentlichten Zahlen habe ich das Bundeskriminalamt gebeten, die Kriminalitätslage in diesem Bereich mit den Landeskriminalämtern zu erörtern. Einer möglichen Zunahme könnte allerdings nicht mit einer Änderung der Spielverordnung begegnet werden.
Das Gewerberecht bietet keine Handhabe, strafrechtlich relevante Übergriffe auf Spielhallen zu reduzieren. Es hat vielmehr den Zweck, Gefahren, die von den Spielhallen selbst ausgehen, also übermäßige Ausnutzung des Spieltriebs, und damit in erster Linie die Spieler treffen, zu begegnen. Einer Verbesserung des Spielerschutzes in diesem Sinne dient die Änderung der Spielverordnung vom 11. Dezember 1985, wonach in Spielhallen auf 15 m2 Grundfläche nur noch ein Geldspielgerät, höchstens jedoch zehn Geräte je Spielhalle, aufgestellt werden darf.
Die den Kommunen zur Verfügung stehenden bauplanungsrechtlichen Steuerungsmittel sind in der Antwort des Parlamentarischen Staatssekretärs Grüner vom 3. Dezember 1986 auf die Frage des Abgeordneten Stahl aufgezeigt worden, auf die ich verweise.
Eine Zusatzfrage, bitte.
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Herr Staatssekretär, sind der Bundesregierung Äußerungen aus den Ländern bekannt, die in der vorvergangenen Woche im „Spiegel" und gestern in der „Süddeutschen Zeitung" abgedruckt waren, wonach eine Initiative zur Änderung der planungsrechtlichen Bestimmungen unbedingt erforderlich sei, weil sich herausgestellt habe, daß auch nach der Änderung der Spielverordnung oder vielleicht gerade nach der Änderung der Spielverordnung die Kriminalität in Zusammenhang mit Spielhallen zugenommen habe?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Ich bitte um Nachsicht, wenn mir außer den von Ihnen zitierten Pressestellen nun konkrete Aussagen der Länder nicht bekannt sind. Ich bin aber gern bereit, nachprüfen zu lassen, ob hier auch beim Bundesinnenminister entsprechende Vorstellungen schon vorgetragen wurden.
Eine weitere Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, muß ich aus Ihrer ersten Antwort schließen, daß die Bundesregierung die Problematik der Spielhallen mit der Spielverordnung vom Dezember 1985 für abschließend befriedigend geregelt hält?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Es kommt sehr darauf an, welche Problematik Sie jetzt meinen. Wenn Sie in dem ersten Teil Ihrer Anfrage von der Kriminalitätsentwicklung sprechen, dann habe ich ausgeführt, daß hier die Frage der Änderung der Spielverordnung positiv oder negativ keine entscheidende Rolle spielt. Was die Frage der Handhabung in den Spielhallen selbst anbelangt, meinen wir, daß hier die Änderung aus dem Jahre 1985 ausreichende Grundlagen zum Schutze der Spieler selbst geschaffen hat.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Klejdzinski.
Herr Staatssekretär, Sie haben auf die Antwort an Herrn Stahl verwiesen, in der inhaltlich steht, daß die Kommunen auf Grund des Bauplanungsrechts Möglichkeiten hätten, dies einzuschränken, wobei Sie darauf verweisen, daß jeweils Bebauungspläne aufgestellt werden könnten und dementsprechende Beschränkung en erfolgten. Herr Staatssekrektär, ist es denn nicht so, daß beispielsweise in den sogenannten Kerngebieten von Städten und in Kerngebieten von Dörfern vom Grundsatz her keine Bebauungspläne mehr aufgestellt werden und auch nicht aufgestellt werden können, weil dort ein historischer Bestandsschutz existiert, und daß insbesondere in diesen Bereichen gerade Spielhallen eingerichtet werden, weil die Kommunen keine Möglichkeiten haben, sie abzulehnen?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Ich kann hier nur noch auf die Antwort des Parlamentarischen Staatssekretärs Grüner vorn 3. Dezember 1986 auf die Frage von Herrn Kollegen Stahl verweisen, der hier damals sagte — darauf muß ich Bezug nehmen —:
Den Kommunen steht jedoch, wenn sich entgegen meiner Einschätzung der Situation weiterhin
ein Trend zu immer mehr Spielhallen und -automaten ergeben sollte, im Bauplanungsrecht ein Steuerungsmittel zur Verfügung.
So hier der zuständige Wirtschaftsminister.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Conradi.
Herr Staatssekretär, warum eigentlich läßt das Bundeskriminalamt ständig Geldspielgeräte zu, obwohl das Glücksspiel in dieser Republik doch strafrechtlich verboten ist?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Ich glaube nicht, daß die Zulassungen durch das Bundeskriminalamt erteilt werden.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Kühbacher.
Herr Staatssekretär, halten Sie es im Hinblick auf Ihre Antwort betreffend die Gewaltkriminalität in Spielhallen für angezeigt, in der Länderinnenministerkonferenz darauf hinzuwirken, daß versucht wird, die Gewaltkriminalität durch geeignete polizeiliche Präventivmaßnahmen in diesen Hallen einzudämmen, und wann wollen Sie dieses Thema in der Innenministerkonferenz erörtern?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Sollte dieses Thema in der Innenministerkonferenz noch nicht behandelt worden sein, so bin ich gern bereit, Ihre Anregung entsprechend weiterzuleiten und auf eine schnellstmögliche Behandlung dieses Themas dort zu drängen.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Wartenberg.
Herr Staatssekretär, was hält die Bundesregierung davon, daß jetzt neuerdings auch auf Bahnhöfen der Deutschen Bundesbahn solche Spielhöllen eingerichtet werden?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Zwischen Spielautomaten und Spielhöllen besteht, glaube ich, ein kleiner Unterschied.
— Hallen. — Ich kann das aus eigener Anschauung und aus eigener Erfahrung nicht beurteilen. Ich bin gerne bereit, Ihre Frage an das zuständige Haus weiterzuleiten, damit man sich dort entsprechend mit diesem Thema beschäftigt.
Keine weiteren Zusatzfragen.Damit ist auch dieser Geschäftsbereich abgeschlossen. Vielen Dank, Herr Staatssekretär.
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398 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 8. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 2. April 1987
Vizepräsident StücklenIch rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen auf. Zur Beantwortung der Fragen steht uns der Herr Parlamentarische Staatssekretär Dr. Häfele zur Verfügung.Die Fragen 24 und 25 des Herrn Abgeordneten Nehm und die Fragen 37 und 38 des Herrn Abgeordneten Reschke sollen auf Wunsch der Fragesteller schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.Ich rufe die Frage 26 des Herrn Abgeordneten Uldall auf:Wie beurteilt die Bundesregierung die Wettbewerbsverzerrung, die dadurch entsteht, daß in der Bundesrepublik Deutschland die Umsätze der Duty-Free-Shops mit Fluggästen aus EGLändern wie Inlandsumsätze besteuert werden, während in den übrigen EG-Ländern diese Umsätze steuerfrei bleiben?
Herr Kollege Uldall, die Antwort lautet so: Die Bundesregierung prüft derzeit die Wettbewerbslage der deutschen Duty-Free-Shops. Hierbei ist nicht nur das Verhältnis zu den ausländischen Duty-Free-Shops, sondern auch das zum normalen gewerblichen Einzelhandel innerhalb und außerhalb der Flughäfen zu beurteilen.
Unabhängig vom Ergebnis der Prüfung setzt sich die Bundesregierung auf EG-Ebene weiterhin dafür ein, daß die ungleiche umsatzsteuerliche Behandlung der Verkäufe in Duty-Free-Shops in der Europäischen Gemeinschaft baldmöglichst beseitigt wird.
Zusatzfrage, bitte sehr.
Hat die Bundesregierung irgendwelche zeitlichen Vorstellungen, ab wann diese Wettbewerbsverzerrungen auf die eine oder die andere Weise verschwinden sollen?
Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Auf unser Betreiben hin sind auch bei der Kommission schon mehrere Anläufe unternommen worden, um hier Einheitlichkeit zu erreichen. Die Kommission war sich nicht ganz schlüssig, ob sie per Gerichtsverfahren gegen die anderen Länder einschreiten soll oder ob sie eine Richtlinie erlassen soll. Dazu gab es schon Vorschläge, aber die Kommission hat sie dann wieder zurückgezogen. Wir drängen auf jeden Fall darauf — die EGKommission ist ja Herr des Verfahrens — , daß hier jetzt möglichst schnell Klarheit geschaffen wird. Denn auf die Dauer ist eine solche ungleiche Behandlung eigentlich nicht angängig.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ist es richtig, daß zahlreiche Bundesländer diesem Anliegen positiv gegenüberstehen?
Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Sicherlich, da gibt es auch Bestrebungen, weil die Länder vielfach auch an den Flughäfen beteiligt sind. Es ist ein gewisses Interesse vorhanden.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Ich rufe die Frage 27 des Herrn Abgeordneten Spöri auf:
Tritft es zu, daß die Bundesregierung derzeit noch keinen Überhlick hat, wie sich das angekündigte „Steuerpaket 1990" im Ergebnis auf die Steuerbelastung der einzelnen Bürger auswirkt?
Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Dr. Spöri, ich darf so antworten: Mit ihren steuerpolitischen Vereinbarungen haben die Koalitionsparteien CDU/CSU und FDP die Voraussetzungen für eine leistungsfördernde und sozial ausgewogene Steuerreform geschaffen. Der Gesamtrahmen umfaßt gut 44 Milliarden DM. Davon werden die Steuerzahler 25 Milliarden DM als echte Steuerentlastung erhalten.
Kernstück der Steuerreform 1990 ist ein Einkommensteuertarif mit völlig neuem Zuschnitt. Der geradlinig-progressive Tarif beseitigt vor allem den besonders steilen Anstieg der Grenzbelastung im bisherigen unteren Bereich der Progressionszone, dem sogenannten Facharbeiter- und Mittelstandsbogen.
Der neue Zukunftstarif verwirklicht auch eine sozial ausgewogene und familienfreundliche Besteuerung. Jeweils rund 7 Milliarden DM werden für die Anhebung des Grundfreibetrages um 1 080 DM bzw. bei Verheirateten um 2 160 DM auf 5 616 DM bzw. 11 232 DM und die Absenkung des Eingangssteuersatzes von 22 v. H. auf 19 v. H. eingesetzt. Beide Maßnahmen entlasten in erster Linie kleine Einkommen. Durch die Erhöhung des Grundfreibetrages werden allein rund eine halbe Million Steuerpflichtige ganz steuerfrei gestellt.
Die reinen Tarifentlastungswirkungen der geplanten Steuersenkung sind selbstverständlich bekannt. Ich habe Ihnen, Herr Kollege Dr. Spöri, vor wenigen Tagen ja auch bereits eine Übersicht mit Entlastungsbeispielen zugesandt. Da Einzelheiten über eine Erweiterung der Bemessungsgrundlage noch nicht festgelegt sind, können diese Beispiele die genaue Nettoentlastung, also die Entlastung im Saldo, noch nicht berücksichtigen.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, nun interessieren den Bürger vorrangig nicht Eckdaten einer Steuerreform, sondern die konkreten Auswirkungen. Es trifft zu, daß Sie mir eine entsprechende Berechnung, eine Tabelle, zugesandt haben. Ich möchte an Sie die Frage richten: Ist es tatsächlich wahr, daß die Bundesregierung zum gegenwärtigen Zeitpunkt konkrete Vorstellungen nur zur Tarifentlastung 1990 für den einzelnen Bürger hat und keinerlei Vorstellungen von der Belastung, die durch die Finanzierung im Umfang von 19 Milliarden DM auf den Bürger zukommt?Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Dr. Spöri, wir sind doch sehr frühzeitig dran. Das Ganze soll am 1. Januar 1990 in Kraft treten. Wir haben jetzt in wenigen Wochen nach der Wahl die Eckdaten der Entlastung festgelegt. So frühzeitig war eigentlich ein Steuergesetzgeber nie dran. Wir wollen
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 8. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 2. April 1987 399
Parl. Staatssekretär Dr. Häf eleja nicht kurzfristig operieren. In der Tat, den Schlußakt müssen wir im Laufe dieses Jahres noch leisten,
und das betrifft auch die Ausgleichsmaßnahmen. Das ist aber im Blick auf den 1. Januar 1990 sehr rechtzeitig. Keine Regierung hat so frühzeitig Entscheidungen getroffen wie wir. Schauen Sie sich die Beispiele der letzten zehn Jahre an!
Es gibt kein Beispiel für so frühzeitiges Handeln. Wir sind hier also wirklich gut in der Zeit.
Eine weitere Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, ich kann Ihnen ja darin zustimmen, daß Sie mit den Entlastungsbeispielen sehr früh dran sind;
aber halten Sie es für einen seriösen politischen Stil, daß Sie dem Bürger jetzt, vor den Landtagswahlen dieses Jahres, nur Entlastungsbeispiele nennen, die sich auf seinen Geldbeutel auswirken, und ihm überhaupt nicht sagen, wie nach der Finanzierung nach den Landtagswahlen die Nettoentlastung oder sogar die Zusatzbelastung tatsächlich aussieht?
Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Ich glaube, seriöser, als wir sie betreiben, kann die Information nicht mehr sein.
Seit einem Jahr betonen wir, daß es im Saldo 25 Milliarden Entlastung sind, daß bei den 44 Milliarden aber 19 Milliarden noch gegengerechnet werden müssen.
Ich glaube, es gibt kaum jemanden in der ganzen deutschen Politik, der so aufrichtig ist wie die Regierung.
Keine weiteren Zusatzfragen. Wir kommen noch zu anderen Fragen, und da können Sie sicher noch alles unterbringen.
Ich rufe die Frage 28 des Abgeordneten Huonker auf:
Kann die Bundesregierung verbindlich ausschließen, daß durch das Steuerpaket 1990 einzelne Bürger unter Berücksichtigung der angekündigten „Umschichtungen" im Ergebnis höher belastet werden?
Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Huonker, die Antwort auf Ihre erste Frage lautet: Die Koalitionsparteien haben mit ihren steuerpolitischen Beschlüssen die Eckpunkte der für 1990 geplanten Steuerreform beschlossen. Sie soll eine Bruttoentlastung von 44 Milliarden DM umfassen. Zur Finanzierung der Reform sollen steuerliche Umschichtungen in Höhe von 19 Milliarden DM erfolgen.
Nach Feststellung der Koalition macht die geplante nachhaltige Tarifsenkung für alle Einkommensteuerpflichtigen es möglich, einen Teil dieses Umschichtungsbetrages von 19 Milliarden DM im Sinne einer Vereinfachung des Steuersystems durch den Abbau von Steuervergünstigungen und steuerlichen Sonderregelungen zu gewinnen. Geprüft werden soll allerdings auch, ob im Rahmen des Gesamtplans eine begrenzte Anhebung einzelner indirekter Steuern erforderlich ist.
Die Bundesregierung wird bis zur Vorlage des Gesetzentwurfes für die Steuerreform die dafür notwendigen Einzelentscheidungen treffen. Bevor diese Entscheidungen getroffen worden sind, können über einzelne Finanzierungsteile und deren Auswirkungen auf die Gesamtentlastung einzelner Steuerzahler keine näheren Angaben gemacht werden. Das Ziel ist, daß alle Steuerzahler im Ergebnis entlastet werden.
Zusatzfrage, bitte sehr.
Herr Staatssekretär, würden Sie mir unter den Gesetzen der Logik zustimmen, daß Ihre Aussage zumindest zur Hälfte falsch ist, daß unter dem Strich alle Steuerzahler entlastet werden, wenn Sie es gleichzeitig offenlassen, ob indirekte Steuern angehoben werden, also Millionen von Rentnern, Sozialhilfeempfängern, Schülern und Studenten über Steuererhöhungen — sprich: Mehrwert-, Tabak-, Branntweinsteuer — belastet werden, und glauben Sie, daß man davon reden kann, daß alle Steuerzahler entlastet werden, wenn Sie offenlassen, ob Millionen von Steuerzahlern durch die Erhöhung von indirekten Steuern belastet werden, und würden Sie mir zustimmen, daß Steuerzahler auch derjenige ist, der zusammen mit anderen Mitbürgern Milliarden D-Mark an Mehrwertsteuer, Tabak- und Branntweinsteuer zahlt?
Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Huonker, die Logik besagt, wenn eine Entlastung um 44 Milliarden DM stattfindet und nur 19 Milliarden DM gegenzurechnen sind, daß der Löwenanteil eine Entlastung ist, die alle Steuerbürger spüren werden. Das ist logisch.
Weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, dann will ich etwas einfacher fragen. Stimmen Sie mir zu, daß ein Rentner, der heute auf Gebrauchsgüter 14 % Mehrwertsteuer zahlt und nach einer möglichen Erhöhung der Mehrwertsteuer um einen Punkt 15 % zahlt — dies schließen Sie nicht aus — und der keine Lohn-und Einkommensteuer zahlt, unter dem Strich durch die Erhöhung der Mehrwertsteuer, der Tabak- oder Branntweinsteuer mehr und nicht weniger Steuern zahlt?
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400 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 8. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 2. April 1987
Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Huonker, im Gegensatz zu der SPD-geführten Bundesregierung, die 1977 und 1979 bei der Steuerentlastung jeweils eine Erhöhung der Mehrwertsteuer um einen Punkt beschlossen hat, wollen wir eine Erhöhung der Mehrwertsteuer vermeiden. Helfen Sie mit, dieses durch Abbau von steuerlichen Vergünstigungen zu erreichen!
Eine weitere Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Uldall.
— Herr Abgeordneter Carstensen, wollten Sie Ihre Zusatzfrage damit als erledigt angesehen wissen?
Herr Staatssekretär, können Sie sich daran erinnern, daß der frühere SPD-Finanzminister Apel, als er nach den Auswirkungen seiner Umschichtungen und zusätzlichen Belastungen befragt wurde, damals von einem Pferd getreten wurde?
Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Das war das Ergebnis der „großen" Steuerreform 1975.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Ich rufe die Frage 31 des Abgeordneten Dr. Wieczorek auf.
— Frage 29 ist noch nicht beantwortet? Und Sie legen Wert darauf?
So, wie Sie mich kennen sollten, Herr Präsident, lege ich Wert darauf.
Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: In Übereinstimmung mit dem Fragesteller lege ich Wert darauf, die Frage zu beantworten.
Ich rufe die Frage 29 des Abgeordneten Huonker auf
Wird nach Auffassung der Bundesregierung die Anzahl der Veranlagungsfälle bei der Einkommensteuer infolge der Verkürzung der Proportionalzone ansteigen?
Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Die Zahl der Veranlagungsfälle ändert sich nicht durch die von der Bundesregierung beschlossene Erhöhung des Grundfreibetrages ab 1988, wohl aber durch die geplante Verkürzung der unteren Proportionalzone ab 1990. Die Zahl der Veranlagungsfälle erhöht sich allerdings nur gering, so daß die Mehrarbeit für die Finanzverwaltung und damit auch für die Steuerbürger nicht von Bedeutung ist.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen die von Finanzminister Posser am 26. März dieses Jahres im nordrhein-westfälischen Landtag geäußerte Schätzung bekannt, wonach durch die von Ihnen genannte Maßnahme die Zahl der Arbeitnehmer, die auf Grund der Verkürzung der unteren Proportionalzone erstmalig eine Einkommensteuererklärung abgeben müssen, 500 000 betragen wird?
Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Mir ist diese Rede nicht bekannt, aber in unserem Haus sind auch Berechnungen angestellt worden, und ich wiederhole: Es handelt sich um eine nicht erhebliche Zahl.
Weitere Zusatzfrage, bitte.
Könnten Sie sagen, was „nicht erheblich" ist?
Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Ich habe keine Größenordnung, aber es ist zahlenmäßig wirklich nicht sehr bedeutsam.
Weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Uldall.
Herr Staatssekretär, in welchem Umfange werden die Finanzämter und die Steuerzahler dadurch entlastet, daß Steuerzahler völlig aus der Steuerpflicht herausfallen?
Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Das ist eine wesentlich stärkere Entlastung und Vereinfachung als das andere Problem, das der Kollege Huonker angesprochen hat. Eine weitere halbe Million neben bisher rund 3 Millionen Steuerpflichtigen fallen völlig aus der Steuer heraus. Deshalb ist das die durchgreifendste Steuervereinfachung, die es überhaupt gibt.
Keine weiteren Zusatzfragen?Ich rufe die Frage 30 des Herrn Abgeordneten Dr. Wieczorek auf:Wie viele Steuerpflichtige werden durch die bereits im Detail festgelegte Tarifänderung 1990 eine geringere Steuerentlastung als 1 000 DM im Jahr erhalten?Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Dr. Wieczorek, die erste Antwort lautet so: Nach einer groben Schätzung werden schon im Erstjahr der Tarifreform 1990 rund zwei Drittel der Steuerzahler um mindestens 1 000 DM entlastet. Wer schon jetzt weniger als 1 000 DM Steuern zahlt, kann nicht um mehr entlastet werden.Bei etwa einem Drittel der Steuerzahler fällt die Steuersenkung geringer als 1 000 DM aus — bei einem Drittel der Steuerzahler! Davon zahlen rund ein Fünftel schon nach geltendem Recht weniger als 1 000 DM Einkommensteuer.Bei einem Progressionstarif steigt die Steuerbelastung schneller als das Einkommen. Eine durchgän-
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 8. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 2. April 1987 401
Parl. Staatssekretär Dr. Häfelegige Senkung überzogener Grenzsteuersätze führt daher zwangsläufig zu absolut größeren Entlastungsbeträgen bei höheren Einkommen. Der Vergleich absoluter Entlastungsbeträge reicht für eine richtige Beurteilung der Tarifreform nicht aus. Ebenfalls einzubeziehen ist die bisherige und die verbleibende Steuerbelastung. Selbstverständlich müssen auch nach der Steuersenkung die Bezieher höherer Einkommen absolut und prozentual mehr zahlen als Kleinverdiener.
Zusatzfrage, bitte.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Staatssekretär, stimmt es, daß bei dem Durchschnittseinkommen verheirateter Arbeitnehmer von rund 43 000 DM 1990 die Tarifabsenkung unter 1 000 DM liegen wird?
Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Da müßte ich jetzt die Tabelle zur Hand haben. Da müssen Sie selbst einem Staatssekretär ein bißchen Zeit lassen. Ich will Ihnen die Frage gern beantworten. Alles haben wir nicht im Kopf.
Haben Sie eine weitere Zusatzfrage?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Dann möchte ich in diesem Zusammenhang eine weitere Zusatzfrage stellen. Wenn diese Vermutung richtig wäre, könnten Sie uns dann auch die Antwort geben, daß das praktisch hieße, daß über 12 Millionen — das ist mehr als die Hälfte der Arbeitnehmer — tatsächlich nicht eine Steuersenkung von 1 000 DM oder mehr, sondern weniger bekämen? Könnten Sie das dann damit hineinfassen?
Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Nein, das ist nicht zutreffend. Im übrigen haben Sie in der zweiten Frage genau die Frage nach Einkommensbeziehern gestellt. Die Antwort ist vorbereitet. Ich habe Ihnen ja gesagt, daß zwei Drittel der Steuerzahler um mindestens 1 000 DM entlastet werden — zwei Drittel! Bei den restlichen gibt es ein Fünftel, die schon nach geltendem Recht weniger als 1 000 DM Steuern zahlen, die also nicht um mehr als 1 000 DM entlastet werden können — also zwei Drittel, die Zahl ist eindeutig.
Dr. Wieczorek: : Ich glaube, ich kann in diesem Zusammenhang keine weitere Zusatzfrage stellen, sonst hätte ich gerne noch eine dazu gestellt.
Sie haben die Zahl Ihrer Zwischenfragen erschöpft. — Herr Abgeordneter Uldall bitte.
Herr Staatssekretär, wie hoch war die Entlastung bei der letzten SPD-Steuerreform 1981, die ein Durchschnittsverdiener mit drei Kindern damals netto bekommen hat?
Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Wir haben uns in der Tat, weil die Opposition immer nur mit absoluten Zahlen operiert, einmal die absoluten Zahlen der Steuersenkung 1981 angeschaut, die damals unter der
SPD-geführten Bundesregierung durchgeführt wurde. Da gibt es einige Beispiele — wir haben einen schönen Schriftwechsel mit Kollegen von Ihnen, deshalb sind uns die Zahlen ins Auge gesprungen — :
Da ist es so, daß ein Familienvater mit drei Kindern — Steuerklasse III/3 — mit einem Durchschnittseinkommen 1981 eine Steuerentlastung von monatlich 85 Pfennig — 85 Pfennig! — erhalten hat.
Da war ein Bürger so verärgert, daß er diesen Betrag dem damaligen SPD-Bundesfinanzminister durch Überweisungsauftrag für ein Jahr wieder zur Verfügung gestellt hat.
Eine weitere Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Matthäus-Maier.
Herr Staatssekretär, nachdem Sie eben hier gesagt haben, daß ein Drittel aller Steuerpflichtigen weniger als 1000 DM Steuerentlastung durch die geplante Steuersenkung bekommen werden, wie erklären Sie sich dann, daß die CDU im hessischen Wahlkampf — ich habe es selber in der Zeitung gesehen — Anzeigen schaltet, in denen steht: Jeder Bürger bekommt eine Steuersenkung von mindestens 1000 DM?
Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Wir haben immer erklärt, und der Bundesregierung war es immer völlig klar, daß es hier um Durchschnittswerte geht. Es geht sogar weit darüber hinaus: Zwei Drittel erhalten eine Entlastung um mehr als 1 000 DM. Etwas anderes hat die Bundesregierung nie gesagt.
Weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Klejdzinski.
Herr Staatssekretär, wie viele Steuerzahler erhalten mehr als 5 000 DM Steuerentlastung?
Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Klejdzinski, der Vergleich mit absoluten Zahlen ist völlig verfehlt. Entscheidend ist, wieviel prozentual entlastet wird. Es ist das Ergebnis, daß die unterdurchschnittlich Verdienenden überdurchschnittlich entlastet werden und daß die überdurchschnittlich Verdienenden unterdurchschnittlich entlastet werden, so daß die ganze These in sich zusammenbricht.
Weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Soell.
Herr Staatssekretär, wenn Sie sich schon Fragen bestellen lassen und ebenso vorbereitete Antworten auf bestellte Fragen geben und aus der Steuerreform von 1981 zitieren, würden Sie dann auch Ihren Kollegen mitteilen, daß unter der sozialliberalen Koalition 1975, 1977, 1979 und 1981, also alle zwei Jahre, die progressions- und auch inflationsbe-
402 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 8. Sitzung, Bonn, Donnerstag, den 2. April 1987
Dr. Soell
dingten Steuererhöhungen zum wesentlichen Teil zurückgegeben worden sind,
während bei Ihnen zwischen 1981 und 1986 ein Fünfjahreszeitraum klaffte?
Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Soell, ich bin Ihnen sehr dankbar für diese Frage. Sie gestattet mir den Hinweis etwa auf die letzte Steuersenkung, die die SPD-geführte Regierung 1981 vorgenommen hat. Da war es so: Ein verheirateter Steuerpflichtiger mit einem zu versteuernden Einkommen von 20 000 DM hat eine Entlastung von 4 DM erhalten. Wer 100 000 DM hatte, bekam eine Entlastung von 1844 DM. Das ist das 460fache. Wenn Sie also heute sagen, der Großverdiener werde um das 25fache gegenüber dem Kleinverdiener entlastet, muß ich sagen: Die SPD hat beim Großverdiener eine Entlastung um das 460fache vorgenommen.
Herr Abgeordneter Soell, ich darf doch davon ausgehen, daß das keine abgesprochene Frage war?
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Kuhlwein, bitte sehr.
Herr Staatssekretär, ich komme noch einmal auf Ihre Antwort auf die Frage von Frau Kollegin Matthäus-Maier zurück. Wie erklären Sie es sich, daß Bundesminister Wallmann als Mitglied der Bundesregierung Ihre Auffassung teilen muß, daß bei der Steuerreform im Durchschnitt 1000 DM für jeden Steuerzahler an Vergünstigung herauskämen, daß er aber als Spitzenkandidat der CDU in Hessen Anzeigen veröffentlicht, in denen drinsteht, daß bei der Steuerreform mindestens 1000 DM für jeden Steuerzahler herauskommen würden, und würden Sie meine Auffassung teilen, daß solche Aussagen des CDUSpitzenkandidaten in Hessen und des Mitglieds der Bundesregierung falsch sind, daß sie nicht der Wahrheit entsprechen.
und daß man das auch als Wahlbetrug bezeichnen könnte?
Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Ich teile Ihre Auffassung nicht. Die Einlassungen der Bundesregierung waren immer klar. Wenn irgendein Parteiverband ein Inserat herausgibt, liegt das nicht in der Verantwortung der Bundesregierung.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Huonker.
Herr Staatssekretär, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen und zu bestätigen, daß die eindrucksvollen Beispiele, die Sie als Ergebnis der letzten Steuersenkung der sozialliberalen Koalition genannt haben, im wesentlichen dadurch verursacht worden sind, daß die CDU/CSU-Mehrheit im Bundesrat, ohne dessen Zustimmung Steuergesetze nicht verändert werden können, massive Entlastungsmaßnahmen draufgesattelt hat, daß also die Verzerrung, die Sie vorgetragen haben, im wesentlichen auf die Verweigerungshaltung der damaligen Mehrheit im Bundesrat zurückzuführen ist?
Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Beim besten Willen, Herr Kollege Huonker, das ist zu viel der Geschichtslegende. Schauen Sie Ihren eigenen Gesetzentwurf vom Jahre 1981 an. Da kommen Sie zu ähnlichen Ergebnissen. Das hängt doch einfach mit der Natur des progressiven Tarifs zusammen. Wer die Progression mildern will, muß in absoluten Zahlen bei denen, die stärker belastet sind, absolut mehr entlasten. Trotzdem wird er relativ weniger entlastet als der andere und zahlt auch relativ mehr Steuern, auch nach der Steuerentlastung. Das ist das Grundgesetz jedes progressiven Tarifs.
Wenn Sie den progressiven Tarif abschaffen wollen — wir wollen ihn nicht abschaffen — , können wir darüber miteinander reden. Wenn jeder gleich viel Steuern zahlt, kann man ihn auch gleich entlasten. Aber dann müssen wir den progressiven Tarif abschaffen. Wenn Sie das wollen, können wir darüber reden.
Ist Ihre Meldung erledigt, Herr Kollege Kühbacher?
Dann rufe ich Herrn Abgeordneten Fischer auf.
Herr Staatssekretär, ich bin selbst Mathematiker, und ich weiß, wie Durchschnittswerte errechnet werden.
Dazu brauche ich also keinen Staatssekretär, der mir darin erst noch Nachhilfeunterricht erteilt. Ich möchte von Ihnen einmal wissen, wenn Sie schon solche Zahlen in die Welt setzen — durchschnittliche Entlastung von 1 000 DM für alle — , wie diese Durchschnittsberechnung überhaupt vorgenommen worden ist und wie viele bei dieser angeblichen durchschnittlichen Entlastung überhaupt daran partizipieren können. Vielleicht können Sie diese Zahl einmal nennen.
Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Das ist natürlich seriös berechnet: mit gewichteten Zahlen, wie es bei Schätzungen üblich ist. Ich habe schon gesagt: Bei zwei Dritteln führt das dazu, daß sie im Ergebnis um mehr als 1 000 DM entlastet werden.
Weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Poß.
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Herr Staatssekretär, fühlen Sie sich eigentlich nicht durch Ihren Amtseid auch verpflichtet, offensichtliche Täuschungen, was die Durchschnittsentlastung angeht, die durch Anzeigen Ihres Landesverbandes Hessen hervorgerufen werden, öffentlich zu korrigieren und in dem Sinne Wahlkampflügen, wie wohl Herr Geißler sagen würden, nicht zuzulassen?
Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Poß, ich verstehe Ihren Hinweis auf irgendeinen Eid nicht. Die Bundesregierung hat in dieser Frage immer ganz klar und eindeutig Auskunft gegeben. Wir haben nicht einen Satz zurückzunehmen.
Herr Abgeordneter, Sie haben zu dieser Frage schon eine Frage gestellt. Sie stehen bei mir an dritter Stelle nach Matthäus-Maier. Ich muß korrekt vorgehen.
— Sie haben bereits darauf verzichtet. Sie haben mit dem Kopf geschüttelt. Gibt es da eine andere Deutung?
— Gut, also Sie haben sich gemeldet, Herr Abgeordneter Kastning.
Herr Staatssekretär, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen — damit das auch wirklich nach draußen deutlich wird — , daß sich mit Ihrer Auskunft zu den Anzeigen der CDU im hessischen Wahlkampf die Bundesregierung heute von einem ihrer Regierungsmitglieder und einer der sie tragenden Parteien in der Steuerpolitik öffentlich distanziert hat?
Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Überhaupt nicht. Ein Kollege von Ihnen — ich weiß nicht, wer es war — hat vor einer Woche oder gar vor zwei Wochen eine entsprechende schriftliche Frage eingereicht. Bei der Antwort haben wir genau das gesagt, was wir immer gesagt haben: um mindestens 1 000 DM oder durchschnittlich 1 000 DM. Etwas anders hat die Bundesregierung nie gesagt.
Herr Abgeordneter Uldall, Sie fallen unter genau die gleiche Bestimmung wie Herr Abgeordneter Klejdzinski. Zulässig ist eine Zusatzfrage, da Sie nicht Fragesteller sind.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Ich rufe die Frage 31 des Herrn Abgeordneten Dr. Wieczorek auf:
Wie ist in Anbetracht der Tatsache, daß ein verheirateter Einkommensmillionär bei der Steuersenkung 1990 um 38 440 DM entlastet wird, ein verheirateter Durchschnittsverdiener hingegen nur etwas mehr als 900 DM Entlastung erfährt, die Aussage von Bundeskanzler Kohl in seiner Regierungserklärung zu verstehen, daß das Schwergewicht der Entlastung bei den unteren und mittleren Einkommen liege?
Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Dr. Wieczorek, die Antwort auf Ihre zweite Frage lautet so: Ein verheirateter Einkommensmillionär hat nach geltendem Recht, also Tarif 1988, so wie er im Gesetzblatt steht, 522 980 DM oder 52,3 v. H. Einkommensteuer zu zahlen. Nach Tarif 1990 wird die Steuerbelastung um 7,4 v. H. gesenkt. Die verbleibende Belastung beträgt 484 298 DM oder 48,4 v. H. des zu versteuernden Einkommens. Ein verheirateter Durchschnittsverdiener mit einem zu versteuernden Einkommen von etwa 34 500 DM wird demgegenüber anteilig mehr als doppelt so stark, nämlich um 16,4 v. H. der bisherigen Steuerschuld, entlastet. Die nach der Senkung verbleibende Steuerbelastung von 4 664 DM beträgt dann 13,5 v. H. des zu versteuernden Einkommens.
Insgesamt entfällt auf die Bezieher kleinerer Einkommen in dem bisherigen unteren Proportionalbereich, also bei zu versteuerndem Einkommen bis 18 000 DM bei Ledigen oder 36 000 DM bei Verheirateten, mit 6,6 v. H. ein wesentlich höherer Entlastungsanteil, als es ihrem Beitrag zum Steueraufkommen von 4,4 v. H. entspricht.
Für eine sachgerechte Beurteilung der Steuerreform genügt es bei einem progressiven Tarif nicht, absolute Entlastungsbeträge für verschieden hohe Einkommen zu vergleichen. Ebenfalls einzubeziehen ist die bisherige Steuer und die nach der Senkung verbleibende Belastung.
Das deutsche Steuersystem bleibt progressiv. Auch nach der Steuerreform müssen die Bezieher hoher Einkommen absolut und prozentual erheblich mehr Steuern entrichten als Bezieher kleiner und mittlerer Einkommen.
Eine Zusatzfrage, bitte.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Staatssekretär, wie bewerten Sie dann die Tatsache, daß für den verheirateten Durchschnittsverdiener nach Ihren Vorschlägen 1990 eine Entlastung lediglich um 2,7 % des Bruttoeinkommens herauskommen wird, für den angesprochenen Einkommensmillionär dagegen eine Entlastung um 3,8 %?
Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Wenn jemand nur in der Proportionalzone war und jetzt schon wenig Steuern bezahlt, einen ganz geringen Steueranteil trägt
— womöglich nur 10 oder 12 % —, dann kann er natürlich nicht noch mit 10 oder 20 % entlastet werden. Die Entlastung findet dort statt, wo die Belastung am stärksten ist. Und das ist im mittleren Bereich der Fall. Das ist der Sinn einer Milderung der Progression.
— Das ist allen Zahlen zu entnehmen, die Sie immer gekriegt haben.
Eine zweite Zusatzfrage.
404 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode 8. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 2. April 1987
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Staatssekretär, eine weitere Frage in dem Zusammenhang: Ist nach Ihrer Auffassung, wenn Sie das so sehen, noch das Prinzip der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit gewährleistet, d. h. daß diejenigen, die weniger verdienen, sehr viel weniger Steuern zu zahlen hätten als diejenigen, die mehr verdienen und deshalb auch mehr Steuern zahlen können?
Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Ja. Die in der unteren Proportionalzone Befindlichen werden sogar überdurchschnittlich entlastet: um 50 % mehr, als ihr Beitrag zum Steueraufkommen ausmacht. Dagegen werden die sogenannten Spitzenverdiener im Spitzensteuersatz nur um rund 7,5 % entlastet, obwohl sie 13,2 % Steuern beitragen. Diese Entlastung ist also weit unterdurchschnittlich. Das Ergebnis ist also genau umgekehrt. Die Relation wird durch unseren Tarif sogar zuungunsten der Oberen verschoben.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Klejdzinski.
Herr Staatssekretär, da die Bundesregierung ja auch eine Informationspflicht hat, darf ich Sie darum bitten, daß Sie Ihren Kabinettskollegen, den sehr geschätzten Herrn Minister Wallmann, darüber informieren, daß das, was er gegenwärtig in Hessen verbreiten läßt, nicht richtig ist? Zumindest müßte das Wort „mindestens" durch „durchschnittlich" ersetzt werden.
Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Die Bundesregierung hat jedermann gegenüber seit Monaten überall betont — sie hat damit ihre Aufklärungspflicht erfüllt —,
daß durchschnittlich um 1 000 DM — ich wiederhole sogar: über zwei Drittel um mehr als 1 000 DM — entlastet wird. Das haben wir immer gesagt, und das wiederholen wir. Mehr Aufklärung können wir nicht machen. Wenn wir alles widerlegen sollten, was die SPD täglich verlautbart, käme die Bundesregierung nicht mehr zum Arbeiten.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Lippelt.
Herr Staatssekretär, hat die Bundesregierung Herrn Wallmann für die Zeit des Wahlkampfs aus der Kabinettsdisziplin entlassen?
Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Herr Dr. Wallmann kämpft für eine Mehrheit, damit wir diese vernünftige Steuerreform wirklich durchsetzen können. Ich kann ihm nur vollen Erfolg wünschen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Huonker.
Herr Staatssekretär, da es erstens offenkundig keinen Gegensatz in der Beurteilung der Tatsache gibt, daß Herr Dr. Wallmann der Bundesregierung angehört, und da es zweitens keine unterschiedliche Einschätzung darüber gibt, daß es einen substantiellen Unterschied zwischen dem Wort „mindestens" und dem Wort „durchschnittlich" 1 000 DM gibt, frage ich Sie: Ist die Bundesregierung bereit, ihrem Kabinettsmitglied Dr. Wallmann deutlich zu machen, daß es jedenfalls im Bereich der Steuerpolitik einen klaren Unterschied gibt zwischen der Aussage, jeder Steuerzahler wird um durchschnittlich 1 000 DM entlastet, und der Aussage, jeder Steuerzahler wird um mindestens 1 000 DM entlastet?
— Sie werden nervös; ich kann nichts dafür.
Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Ich wiederhole zum sechstenmal, wenn Sie zum sechstenmal fragen. Was ich hier für die Bundesregierung sage, gilt für die gesamte Bundesregierung einschließlich aller Bundesminister.
Herr Abgeordneter Uldall, wir sind in der Fragestunde.
— Herr Abgeordneter Uldall, so geht es nicht. Es gibt eine gewisse Ordnung.
Die sollte nach Möglichkeit eingehalten werden.
Eine Zusatzfrage, bitte, Herr Dr. Mertens .
Herr Staatssekretär, stimmen Sie mir zu, daß von der Erhöhung des Grundfreibetrags alle Steuerpflichtigen, das heißt auch die Spitzenverdiener profitieren, während von der Senkung des Spitzensteuersatzes nur Steuerzahler mit einem zu versteuernden Einkommen von 120 000 bzw. 240 000 DM profitieren?
Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Ja, aber Kollege Dr. Mertens: Unten wird um 14 Milliarden und oben nur um 1 Milliarde entlastet. Das führt dazu, daß unten überdurchschnittlich und oben nur unterdurchschnittlich entlastet wird.
Es findet, relativ gesehen, eine echte Umverteilung von oben nach unten statt. Das ist die Wahrheit.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Diese eine Frage beansprucht so viel Zeit, daß normalerweise für eine solche Frage eben ein eigener Tagesordnungspunkt gerechtfertigt gewesen wäre oder künftig zu rechtfertigen wäre.
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 8. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 2. April 1987 405
Vizepräsident StücklenDie anderen Kolleginnen und Kollegen, die auf Beantwortung ihrer Fragen warten, werden wahrscheinlich nicht mehr zum Zuge kommen. Das möchte ich zu bedenken geben und zur Beachtung empfehlen.Sie sind also damit einverstanden, daß wir die Zusatzfrager, die wir schon notiert haben, noch zum Zug kommen lassen und dann diese Frage als erledigt ansehen.Sie sind noch dabei, Herr Kollege Oesinghaus. Bitte sehr.
Halten Sie es tatsächlich für gerechtfertigt, daß auf die 140 000 Spitzenverdiener eine höhere Entlastungsmasse insgesamt als auf die 5,7 Millionen Verdiener niedrigerer Einkommen zukommt?
Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Das ist nicht zutreffend.
In der unteren Proportionalzone werden 14 Milliarden durch Erhöhung des Grundfreibetrags, der natürlich durchgehend wirkt, und die Senkung des Eingangssteuersatzes erzielt. Aber das Ergebnis ist, daß in der unteren Proportionalzone durch die Anhebung des Grundfreibetrags und vor allem durch die Herabsetzung des Eingangssteuersatzes von 22 auf 19 % überdurchschnittlich entlastet wird.
Die letzte Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Brück.
Herr Staatssekretär, teilen Sie meine Auffassung, daß Bundesminister auch in Landtagswahlkämpfen die Wahrheit sagen sollten?
Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Das ist selbstverständlich der Fall. Ich kenne keine Äußerung, daß der Bundesminister nicht die Wahrheit gesagt hätte.
Damit ist diese Frage abgeschlossen.
Ich rufe die Frage 32 der Abgeordneten Frau Matthäus-Maier auf:
Kann die Bundesregierung widerlegen, daß die Lohn-/Einkommensteuerbelastung eines ledigen Arbeitnehmers mit statistischem Durchschnittseinkommen in den einzelnen Jahren von 1969 bis 1982 stets niedriger war als in diesem Jahr, in dem die Steuerbelastung mehr als 23. v. H. des Brutto-Arbeitslohns beträgt?
Bitte sehr.
Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin Matthäus-Maier, die Steuerbelastung eines ledigen Facharbeiters mit Durchschnittseinkommen hat in den Jahren 1969 bis 1986 immer weniger als 23 v. H. des Bruttoarbeitslohns betragen. Nach Angaben im Sozialbudget 1986 — Materialband S. 248 — war die Steuerbelastung im Jahr 1974 mit 20,6 v. H. am höchsten; 1986 belief sie sich auf 20,4 v. H.
Für die Einkommensentwicklung der Arbeitnehmer ist die wiedergewonnene Preisstabilität von entscheidender Bedeutung. Anstelle einer Teuerungsrate von 6,3 v, H. im Jahre 1981 hatten wir 1986 einen Preisrückgang um 0,2 v. H. Preisstabilität und Steuersenkungen haben entscheidend dazu beigetragen, daß die Kaufkraft der verfügbaren Einkommen 1986 um rund 41/2 v. H. zunehmen konnte. Nach der Kaufkraftschrumpfung Anfang der 80er Jahre ist das der stärkste Anstieg der Realeinkommen seit langem.
Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Matthäus-Maier.
Herr Staatssekretär, können Sie bestätigen, daß die Lohnsteuerquote, also die prozentuale Belastung der Bruttolöhne und Bruttogehälter mit Lohn- und Einkommensteuer, unter Ihrer Regierung dauernd höher war als in 13 Jahren sozial-liberaler Koalition?
Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Frau Matthäus-Maier, Sie wissen so gut wie ich — und das ist die übereinstimmende Meinung der Bundesländer, auch der SPD-regierten, und aller Fachleute einschließlich der Bundesbank bei der Steuerschätzung —, daß die Lohnsteuerquote seit Jahren nichts mehr besagt, weil man Einkommensteuer und Lohnsteuer wegen der vielen Veranlagungs- und Erstattungsfälle nicht mehr seriös voneinander trennen kann. Das ist die übereinstimmende Meinung. Eine Lohnsteuerquote gibt es nur noch in der Propaganda der SPD, nicht mehr in der Wirklichkeit.
Haben Sie noch eine Zusatzfrage? — Bitte.
Herr Staatssekretär, ich muß auf den vorigen Punkt zurückkommen. Ich frage Sie sehr ernsthaft: Meinen Sie nicht, es würde der Glaubwürdigkeit von Politik und Politikern insgesamt dienen, wenn Sie hier, statt — ich darf so sagen -- sich arrogant auf Ihre Kompetenzen in der Bundesregierung zurückzuziehen, einfach einmal ehrlich zugäben, daß es besser wäre, wenn sich Herr Wallmann nicht in einen Bundesminister und einen Landesvorsitzenden der CDU aufspalten und als solcher schäbige unwahre Anzeigen schalten würde?
Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Gegenfrage: Was hat diese Frage mit Ihrer Ausgangsfrage zu tun?
— Ich frage die Frau Präsidentin, ob diese Frage mit der Ausgangsfrage etwas zu tun hat.
Verehrter Herr Staatssekretär, ich kann das auf Grund des Wechsels hier im Vorsitz jetzt nicht nachvollziehen. Aber Sie brauchen darauf nicht einzugehen, wenn Sie das so für richtig halten.
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406 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 8. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 2. April 1987
Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Darauf habe ich wiederholt geantwortet.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Meyer zu Bentrup.
Herr Staatssekretär, wie haben sich die Einkommen von 1969 bis 1982 und die jeweilige Steuerbelastung in diesem Zeitraum prozentual entwickelt?
Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Von 1969 bis . . .?
Bis 1982. Es geht hier ja um die Lohnsteuerquote.
Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Ich kann's Ihnen auf Anhieb nicht beantworten. Ich bin gern bereit, Ihnen das nachzureichen. Auf jeden Fall hat die steuerliche Belastung wesentlich stärker zugenommen als der Lohn.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Poß.
Herr Staatssekretär, hat die Tatsache, daß die Lohnsteuerquote — trotz mancher statistischer Ungenauigkeiten — über Jahrzehnte ermittelt und veröffentlicht wurde und dies erst in Ihrer Regierungszeit, in den letzten zwei Jahren nicht mehr gemacht wurde, nicht etwas damit zu tun, daß Sie die rasante Erhöhung der Lohnsteuerquote gegenüber den Arbeitnehmern verschleiern wollen?
Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Überhaupt nicht.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Spöri.
Herr Staatssekretär, wir gehen wohl konform in der Analyse, daß die Lohnsteuereinnahmen in der Vergangenheit, in den letzten Jahren eine weit überdurchschnittliche Steigerungsrate zu verzeichnen hatten. Wäre es, ausgehend von dieser Analyse, steuerpolitisch dann nicht konsequent, den Entlastungsschwerpunkt einer Steuerreform im Lohnsteuerbereich, und zwar im unteren Einkommensbereich, zu setzen und nicht etwa den Spitzensteuersatz zu senken?
Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Genau aus diesem Grund haben wir 1986 damit begonnen, führen wir das 1988 fort und vollenden wir es 1990.
In erster Linie werden die Lohnsteuerzahler in den Genuß dieser Steuersenkung kommen.
Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Uldall.
Herr Staatssekretär, angesichts des ursprünglichen Sinns der Progression, daß nur die höheren Einkommen einer progressiven Besteuerung unterliegen sollten, frage ich Sie: Wie haben sich die Arbeitnehmereinkommen in den letzten 10/15 Jahren entwickelt,- die heute bereits der progressiven Besteuerung unterliegen?
Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Ich weiß nur, daß wir im Augenblick rund 65 To der Steuerbürger und damit auch die Mehrheit der Arbeitnehmerschaft in der Steuerprogression haben, und das hat sich vor allem in den 70er Jahren entwickelt. Wenn ich es — legen Sie mich nicht fest; ich kann es Ihnen schriftlich nachreichen — recht in Erinnerung habe, war das 1961 noch eine ganz kleine, verschwindend geringe Minderheit, die in der Steuerprogression war. Der eigentliche Durchbruch, daß die Mehrheit in die Steuerprogression hineingewachsen ist, ist in den 70er Jahren erfolgt.
Ich rufe die Frage 33 der Frau Abgeordneten Matthäus-Maier auf:
Trifft es zu, daß ein verheirateter Arbeitnehmer ohne Kinder mit einem Jahres-Brutto-Einkommen von 60 000 DM um 14. v. H., ein verheirateter Arbeitnehmer ohne Kinder mit einem Jahres-Brutto-Arbeitslohn von 150 000 DM um 25,7 v. H. entlastet wird?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Die Antwort lautet so: Auf der Grundlage der Lohnsteuerjahrestabelle mit Berücksichtigung des Weihnachts-Freibetrages hat ein kinderloser verheirateter Arbeitnehmer, also Steuerklasse III/0, mit einem Jahresbruttolohn von 60 000 DM nach geltendem Recht, also Tarif 1988, wie er im Gesetzblatt steht, 9 638 DM oder 16,1 v. H. an Lohnsteuer zu entrichten. Durch die Tarifreform 1990 erfolgt eine Entlastung um 1 222 DM oder 12,7 v. H. der bisherigen Steuerbelastung. Die verbleibende Belastung beläuft sich auf 8 416 DM oder 14 v. H. des Jahresbruttoverdienstes.
Bei einem Jahresbruttolohn von 150 000 DM beträgt die Lohnsteuerbelastung nach geltendem Recht — wiederum Tarif 1988 — 46 086 DM oder 30,7 v. H. Die Entlastung beträgt 9 704 DM oder 21,1 v. H. der bisherigen Lohnsteuer. Es verbleibt eine Belastung von 36 382 DM oder 24,3 v. H. der Jahresbruttobezüge.
Der Entlastungsverlauf der Tarifreform 1990 muß vor dem Hintergrund des steilen Anstiegs des bisherigen Tarifs bewertet werden. Die Begradigung der Progression führt natürlich dort zur deutlichsten Entlastungswirkung, wo die Steuerbelastung nach geltendem Recht besonders drückend ist.
Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Matthäus-Maier.
Darf ich von Ihnen die Bestätigung bekommen, Herr Staatssekretär, daß Höchsteinkommen nicht nur in absoluten Zahlen stärker entlastet werden als das von Otto Normalverbraucher, sondern auch relativ eine höhere Entlastung erhalten?
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 8. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 2. April 1987 407
Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Nein, das ist nicht zutreffend. Die Spitzenverdiener werden unterdurchschnittlich entlastet. Überdurchschnittlich werden vor allem die entlastet, die in der unteren Proportionalzone sind, also die sogenannten Kleinverdiener.
Zweite Zusatzfrage, Frau Matthäus-Maier.
Dann muß ich Ihre Zahlen eben falsch verstanden haben. Aber die bekomme ich ja noch schriftlich.
Ich stelle die Frage anders: Ist es zutreffend, daß nach Ihrer Vorstellung an irgendeiner Stelle des Tarifs Höherverdienende auch prozentual eine höhere Entlastung bekommen als Geringerverdienende?
Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Natürlich gibt es da gewisse Unterschiede im mittleren Bereich.
— Ja, das ist selbstverständlich. Dort, wo der Facharbeiter- oder Mittelstandsbogen am stärksten ist, findet auch die stärkste Entlastung statt. Das ist so gewollt.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Knabe.
Ich habe die bescheidene Frage, wie hoch die Steuerentlastung nach der Steuerreform für einen Bundestagsabgeordneten ist, und zwar — vielleicht können Sie das nicht sofort beantworten — für einen Bundestagsabgeordneten, der verheiratet ist, und einen, der ledig ist. Ich glaube, auch die Wähler wird interessieren, wieviel wir selber davon profitieren.
Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Das ist an den Tabellen leicht ablesbar. Steuerberatung hier ist an sich unzulässig.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Huonker.
— Die Frage war schon beantwortet, wenn ich das richtig verstanden habe.
Herr Staatssekretär, habe ich Sie richtig verstanden, wenn ich davon ausgehe, daß die Berechnungsbeispiele, die Sie Frau Matthäus-Maier gegenüber genannt haben, auf dem Vergleich des Tarifs 1988 mit dem Tarif 1990 basieren? Stimmen Sie mir zu, daß Sie, wenn ich Sie richtig verstanden habe, die große Entlastung der Spitzenverdiener, verheiratet und ohne Kinder, die im Tarif 1988 steckt und deswegen erst zum 1. Januar 1988 in Kraft tritt, herausgetrickst haben? Stimmen Sie mir ferner zu, daß zum 1. 1. 1988 der Steuervorteil durch das Ehegattensplitting bei Spitzenverdienern um rund 4 000 DM auf ca. 18 000 DM steigt?
Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Huonker, ich wiederhole zum zigtenmal, daß Vergleiche mit absoluten Zahlen nicht zutreffend sind. Wir müssen vergleichen: Wieviel Prozent Steuern zahlt jemand bisher, wieviel Prozent kriegt er Entlastung, und wieviel Prozent zahlt er nach der Entlastung? Da ist das Ergebnis — ob Sie jetzt 1990 oder ob Sie die Steuersenkung 1986/88 nehmen, die ja eine Einheit in zwei Stufen ist — , daß die unterdurchschnittlich Verdienenden überdurchschnittlich entlastet werden. Das gilt sowohl für 1990 als auch für 1986/88, wo wir mit den kleineren Einkommen begonnen haben. Hier kann man uns keinen Vorwurf machen, wenn zuerst, nämlich 1986, die kleineren Einkommen entlastet werden und die anderen bis 1988 warten müssen. Deswegen ist die Reform 1986/88 eine Einheit.
Meine Damen und Herren, wir sind am Ende dieser Fragestunde. Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär. Die Fragen, die noch nicht beantwortet sind, werden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Die Fraktion der CDU/CSU hat gemäß Nr. 1 c der Anlage 5 unserer Geschäftsordnung eine
Aktuelle Stunde zu dem Thema
Haltung der Bundesregierung zu den Agrarpreisbeschlüssen der EG-Kommission
verlangt.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Susset.
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Vorschläge der EG-Kommission für die Preisrunde 1987/88 sind für die Bundesrepublik Deutschland nicht annehmbar. Sie sind eine einseitige Benachteiligung unserer Landwirtschaft und tragen nicht zur Lösung der derzeitigen Probleme bei.Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat sofort nach Bekanntgabe dieser Vorschläge diese mit Nachdruck zurückgewiesen. Die EG-Kommission hat nun gestern hier getagt und ist auch heute noch hier. Es finden Gespräche mit den Bundesministern unter der Leitung von Bundeskanzler Dr. Kohl statt. Vor diesem Hintergrund ist es wichtig, daß der Deutsche Bundestag in dieser Aktuellen Stunde nochmals seinen Standpunkt deutlich zum Ausdruck bringt.Es ist eigentlich zu bedauern, daß die Bundesregierung gerade jetzt zum 30. Jahrestag der EG so massiv auftreten muß. Es bleibt uns jedoch kein anderer Ausweg. Es geht jetzt nicht nur um die Existenz der Landwirtschaft, sondern es geht auch um eine Vielzahl von Arbeitsplätzen in anderen Bereichen. Das wurde auch gestern bei der Protestdemonstration, die hier in Bonn stattgefunden hat, deutlich. Es geht um Arbeitsplätze, in der Landmaschinenindustrie, im Handel, in den Molkereien und vielen anderen Bereichen.
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408 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 8. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 2. April 1987
SussetWir weisen die Vorschläge zum Abbau des positiven Währungsausgleiches zurück. Der Plan der Kommission über die zukünftige Behandlung der Währungsausgleichsbeträge läuft auf einen automatischen Abbau hinaus. Deswegen werden wir uns wehren. Kein deutscher Finanzminister könnte im Rahmen zukünftiger EWS-Verhandlungen seine Zustimmung zur DM-Aufwertung geben, wenn er damit automatisch Preissenkungen für seine Landwirtschaft beschließt.Bundesfinanzminister Stoltenberg hat zu diesem Thema anläßlich der Mitgliederversammlung des Deutschen Bauernverbandes am 24. März klare Aussagen gemacht. So war es auch richtig, daß Bundeskanzler Dr. Kohl die Briefe an den EG-KommissionsPräsidenten Delors geschrieben und ein Nein zu diesen Beschlüssen gesagt hat: denn wir können auf Dauer die Landwirtschaft nicht dafür bestrafen, daß wir hier in der Bundesrepublik Deutschland die stabilste Währung haben. Wir können nicht die Differenz, die sich aus den ständigen Währungsangleichungen ergibt — den Aufwertungen bei uns, den Abwertungen in anderen Ländern, also aus allen diesen Währungsveränderungen — , auf den Rücken der Land-und Ernährungswirtschaft abwälzen und von ihr zahlen lassen. Wir sind der Meinung: Lieber geht es in Europa einmal etwas langsamer voran, als daß wir die Land- und Ernährungswirtschaft und den ländlichen Raum praktisch auf der Strecke lassen.Mit unseren nationalen Anstrengungen, besonders im agrarsozialen Bereich, konnten wir schlimmeres verhüten; wir konnten jedoch die ursächlichen Probleme nicht lösen. Auch das heutige Dilemma der Landwirtschaft kann nicht national gelöst werden, die Ursachen liegen in der Überschußproduktion in Europa und in vielen Teilen der Welt. Nur wenn wir an der Wurzel des Übels, nämlich an der Überschußproduktion, ansetzen, kann es gelingen, der Landwirtschaft wieder eine Perspektive zu geben.Wir von der CDU/CSU-Bundestagsfraktion haben Vorschläge gemacht, und unser Bundesminister Kiechle hat sie in Brüssel eingebracht. Es wurden auch schon Teilerfolge erzielt. Ich denke an die Ausweitung des Bergbauern-Programms, ich denke an die gemeinschaftlich finanzierte Umweltbeihilfe. Aber alle diese Maßnahmen müssen künftig maßgeschneidert auf die jeweiligen Bedingungen und die verschiedenen Regionen der Gemeinschaft zugeschnitten werden. Aus diesem Grund ist es künftig wichtiger als bisher, daß wir mehr regionale Agrarpolitik machen können. Auch hierzu haben wir Zusagen der Bundesregierung.Die Agrarpolitik darf nicht zum Sprengsatz in Europa werden. Deshalb müssen die Besonderheiten der Mitgliedstaaten respektiert werden. Den Bauern fällt es derzeit schwer, an Europa zu glauben. Sie sehen nur einen wachsenden Eurobürokratismus, der ihnen das Leben schwermacht. Hier muß dringend wieder Manövrierspielraum geschaffen werden, der es den einzelnen Regierungen und Parlamenten möglich macht, auf die vielfältigen ökonomischen, ökologischen und sozialen Gegebenheiten in Europa im Sinne der Betroffenen zu reagieren.Ich fordere alle Fraktionen des Deutschen Bundestages auf, hier nicht immer nur die Bundesregierung zu kritisieren, sondern gemeinsam mitzuarbeiten, daß wir in einem Jahrhundertvertrag die Probleme lösen.Danke schön.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Müller .
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Preisvorschläge liegen auf dem Tisch. Die Bundesregierung lehnt sie ab. Aber wo, Herr Kollege Susset, ist ein konsensfähiges Konzept der Bundesregierung,
und wo ist auch nur ein Bündnispartner für die Durchsetzung berechtigter deutscher Interessen? Soll trotzdem der Schwarze Peter wieder auf Brüssel geschoben werden? Die Zeiten, in denen der Bundesernährungsminister den Bauern seine Niederlagen in Brüssel als Erfolge verkaufen konnte, sind doch vorbei. Das hat selbst der Bauernverband festgestellt — leider erst nach der Bundestagswahl. Vorher wäre es glaubwürdiger gewesen.Auch die Bauern wissen, daß es immer weiter bergab gehen wird, wenn die Bundesregierung bei ihrer Politik bleibt.
Die landesweiten Proteste spiegeln ihre Verbitterung über diese Politik wider, die ihnen keine Zukunftsperspektive mehr aufzeigt. Wenn sich die Kommission in Brüssel mit ihren Preisvorschlägen durchsetzt, droht der deutschen Landwirtschaft eine noch viel größere Existenzgefährdung als bisher.
Die ist zu befürchten; denn — so frage ich — ist nach der unsinnigen Kampfansage Minister Kiechles an die EG und an ihre Mitgliedstaaten noch Entgegenkommen zu erwarten? Ihre starken Worte, Herr Minister und auch die anderer Politiker haben sicher manchem deutschen Landwirt imponiert, einige unbesonnene auch zu unverantwortlichen Handlungen hingerissen. Aber ist nicht mit Verhandlungsgeschick und mit guten Freunden mehr zu erreichen?Die Lage der Landwirtschaft ist ernst. Wir Sozialdemokraten sind weit davon entfernt, Schadenfreude über verfehlte Politik zu empfinden oder die Situation in parteipolitische Polemik ummünzen zu wollen. Was die Landwirte endlich brauchen, sind Zukunftsperspektiven, denen sie vertrauen können. Schnelle und klare politische Entscheidungen sind unumgänglich. Diese können nicht so aussehen, wie die Verfechter der reinen Marktwirtschaft es wünschen. Sie können aber auch nicht in noch mehr Planung und noch mehr Quoten bestehen.
Auch kann den Landwirten in den benachteiligtenGebieten, auf den Grenzertragsböden, denen mit
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 8. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 2. April 1987 409
Müller
unzureichenden Umsatz- und Einkommenskapazitäten mit aktiver Preispolitik und auch mit Nutzung nachwachsender Rohstoffe nicht geholfen werden.
Sie brauchen ein zweites Einkommen, sei es über Fremdenverkehr, über die Honorierung ökologischer Leistungen oder als Nebenerwerbslandwirte.Wir wollen für die Landwirtschaft insgesamt stärker marktorientierte Preise. Aber wir wollen auch eine soziale Abfederung des Drucks, der dadurch entsteht. Wir wollen direkte produktionsneutrale Einkommensübertragungen. Wir sind sogar bereit, meine Damen und Herren, vorübergehend höheren Ausgaben für die Agrarpolitik zuzustimmen, wenn absehbar ist, daß durch solche Maßnahmen die sinnlose Vergeudung von Mitteln für unverkäufliche Überschüsse eingedämmt und die Existenz lebensfähiger Betriebe wieder sicherer wird.Wir bieten deshalb unsere Hilfe für eine gemeinsame Lösung der Probleme an, für eine Lösung, die, ohne den Bauern unerfüllbare Versprechungen zu machen, die familienbäuerliche Struktur unseres Landes sichert, weil wir überzeugt sind, daß unser Land eine gesunde Landwirtschaft und lebensfähige ländliche Räume ebenso dringend braucht wie eine wettbewerbsfähige Industrie.Herzlichen Dank.
Das Wort hat der Abgeordnete Bredehorn.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Die Preisvorschläge der EG-Kommission — und deshalb haben wir hier diese Aktuelle Stunde — haben Unruhe, Zorn, Unsicherheit, ja sogar Wut bei den Bauern hervorgerufen. Das merken wir an Demonstrationen, die im ganzen Bundesgebiet stattgefunden haben. Auch gestern gab es eine große, ich meine, beeindruckende friedliche Demonstration hier in Bonn mit guten Argumenten für die Belange unserer Bauern. Ich kann nur hoffen, daß bei den augenblicklichen Gesprächen der Kommission mit dem Bundeskanzler, mit den Bundesministern davon etwas überkommt.
Nun muß man ganz nüchtern feststellen: Die dramatische Situation im Bereich der Überschüsse — Sie kennen sie: über 1 Million t Butter, 800 000 t Magermilchpulver, 700 000 t Rindfleisch, 16 Millionen t Getreide — fordert sicher zum Handeln auf.
Wir müssen feststellen: Seit 30 Jahren ist über die Hälfte unserer bäuerlichen Betriebe ausgeschieden. Wir haben seit 1984 das planwirtschaftliche Element einer Milchkontingentierung eingeführt. Manche Politiker wollten uns weismachen, die Quotenregelung ermögliche aktive Preispolitik. Dies ist leider alles nicht eingetreten. Aber auch das, was die Kommission fordert, nämlich die Rückführung der Preise, kann uns keinen Erfolg bringen. Seit einigen Jahren sind hie die Agrarpreise rückläufig. Die Herstellung des Gleichgewichts im Markt über eine Rückführung der Preise wird von der FDP ganz klar abgelehnt.
Die Herstellung des Marktgleichgewichts wird kurz- und mittelfristig nur möglich sein über den Kapazitätsabbau gegen finanzielle Entschädigung für die Landwirte. Die FDP-Vorschläge hierzu liegen vor, sind auch in dem Koalitionspapier verankert worden: Stillegung, Herausführung von ganzen Betrieben durch Vorruhestandsregelung, Teilflächenstillegung durch Grünbracheprogramm, Extensivierung von Landwirtschaft und Bezahlung der ökologischen Leistung der Landwirtschaft durch entsprechende Beträge.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch ganz kurz etwas zum Milchmarkt sagen. Hier haben wir es im Grunde genommen mit einem Ergebnis zu tun, das nicht befriedigen kann. In Vorschlägen dazu schlägt die Kommission Kürzungen vor. Die Bundesregierung will diese Kürzungen national in einem Jahr durchsetzen mit 8,5 %; 3 % Kürzung, 5,5 % Stillegung gegen Ausgleich. Man muß dazu aber feststellen, daß wir durch die nur in Deutschland durchgeführte und schlecht konzipierte Härteneuregelung zusätzlich noch 3 bis 4 % der Mengen aus dem Markt herausnehmen müssen. Die Bundesregierung will das durch eine nationale Milchrentenaktion. Für mich ist die Absicht der Bundesregierung unverständlich und wird auch abgelehnt, die Übertragbarkeit der Milchquoten bei Kauf oder Pacht durch einen erhöhten Abzug von 20 % auf 80 %, also den Abzug der Milch und Einziehung durch den Staat, wirtschaftlich kaputtzumachen. Notwendig und vernünftig wäre nach Ansicht der FDP, das Angebot der Milchrente für den Einzelbetrieb finanziell attraktiver zu machen und die notwendigen Quoten aus dem Markt herauszunehmen.
Ziel der FDP ist es, noch in dieser Legislaturperiode zu mehr Flexibilität auf dem Milchmarkt zurückzufinden. Wir müssen deshalb möglichst bald zu handelbaren Quoten übergehen, damit den Erzeugern wieder ein Minimum an unternehmerischem Spielraum gegeben wird.
Meine Damen und Herren, in der EG-Agrarpolitik haben wir eine schwere Wegstrecke vor uns. Sonntagsreden über bäuerliche Familienbetriebe und Jahrhundertvertrag helfen nicht weiter.
Wir müssen den Mut haben zu sagen, daß nicht jeder, der Bauer bleiben will, Bauer bleiben kann. Wir müssen weg von Kontingentierung, Planwirtschaft und Bürokratie zu mehr sozialer Marktwirtschaft in der Agrarpolitik,
damit der Tüchtigere, der Fleißigere, der Intelligentere Bauer bleiben kann.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Kreuzeder.
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410 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 8. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 2. April 1987
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Minister Kiechle! Es ist schon klar, warum die Aktuelle Viertelstunde heute gemacht wird: damit man den Bauern und den Bäuerinnen vorgaukeln kann, daß die Regierung Interesse am Erhalt möglichst vieler bäuerlicher Betriebe hat. Dem ist aber nicht so. Die Schuld für die Misere in der Landwirtschaft, für das Bauernsterben, daß jede Stunde einer aufhören muß, liegt ganz woanders. Die liegt bei den Politikern im Lande, die nicht einmal wissen, was Grundgesetz und Verfassung unserer Bundesländer heißt.
Herr Kiechle, ich frage mich, auf was Sie einen Eid abgelegt haben, auf das Grundgesetz oder auf die EGBeschlüsse, und wem Sie verpflichtet sind, den GATTVerträgen oder den Verfassungen in unseren Bundesländern. Was die Regierungen in dem Land von den Gesetzen halten, die für Bauern und Bäuerinnen gemacht sind, sieht man an dem Programm zur Erhaltung „möglichst vieler bäuerlicher Betriebe", wie es so schön heißt. Einzelbetriebliches Förderungsprogramm, Milchkontingentierung, die gewesene und die am 1. April in Kraft getretene, sind in meinen Augen ebenso wie das Flurbereinigungsgesetz kapitalistische Zwangswirtschaft in Reinkultur. Sie haben mit Demokratie überhaupt nichts zu tun.
Und zur Besetzung des Bauernlandes brauchen Sie keinen Panzer und auch keinen Hubschrauber. Das geht über die Schreibtischattentäter in den Ministerien, Herr Kiechle. Da läuft die kalte Enteignung der Bauern.
Zu Flächenstillegungen: Sie sind doch der Bauernminister. Was glauben Sie, wo der Name „Bauer" herkommt? Von stillegen oder von bebauen? Aufforsten sollen die Bauern, pro Jahr und Hektar für 1 000 DM. Wenn die TA-Luft weiterhin so greift wie bisher, kann der Bauer in zehn Jahren nicht einmal mehr einen Christbaum ernten, weil er keine Chance hat zu überleben.
Herr Kollege, darf ich einmal einen Moment anhalten? Ich muß die Stenographen fragen, ob sie mitkommen.
Geht es gut? — Ja? — Wunderbar, dann dürfen Sie mit dem bayerischen Akzent fortfahren.
Es tut mir leid, wenn Sie kulturellen Nachholbedarf haben. Ich verstehe Ihr Hochdeutsch auch. Da müssen Sie schon bayerisch verstehen.
Vorruhestandsregelung und Milchrente sind das Programm: „zur Erhaltung der bäuerlichen Betriebe! ". Biosprit bedeutet ein Existenzsicherungsprogramm für die Großbetriebe und die Agrarindustrie, damit sie weiterhin ihre eineinhalb Millionen Tonnen Stickstoff und ihre 30 000 Tonnen Pestizide jährlich absetzen können, aber nicht für die durchschnittlichen 15-Hektar-Betriebe in Bayern.
Landaufkaufbetriebe sollen installiert werden. Herr Kiechle, ich komme aus Bayern. Da heißt es in Art. 153 der Verfassung: Die Klein- und Mittelstandsbetriebe der Landwirtschaft sind in Gesetzgebung und Verwaltung zu fördern und gegen Überlastung und Aufsaugung zu schützen.
Steuerfreibeträge: Das ist der Hammer, daß sich Herr Kohl, Herr Kiechle und Co., der Bauernverband, Heereman rühmen, daß sie Herrn Stoltenberg so weit gebracht haben, daß die Bauern, wenn sie ihren Grund verkaufen müssen, weil sie zu verschuldet sind, Steuerfreibeträge bekommen.
In Art. 165 in meinem Bundesland heißt es: Die Überschuldung bäuerlicher Betriebe ist durch die Gesetzgebung zu verhindern. Genau das Gegenteil haben Sie zur Pflicht.
Der Hammer ist der Punkt 4 unter den nationalen Maßnahmen der Koalitionsvereinbarungen. Da heißt es dann: zugunsten der bäuerlichen Landwirtschaft Abbau gesetzlicher Hemmnisse, die den Strukturwandel behindern; sprich: Bauernsterben. Wir wissen ja inzwischen, was Strukturwandel heißt.
— Bei uns in Bayern heißt das Bauernsterben.
Die Forderungen der GRÜNEN: Bestandsobergrenzen, flächenbezogene Produktion, gestaffelter Preis und vor allem, daß Bäuerinnen und Bauern endlich für die Arbeit, die sie leisten — 70-Stunden-Woche ist normal — so entlohnt werden wie die 53 % Beamten im Bundestag zum Beispiel.
Aber all die Dinge, die wir GRÜNE von Ihnen wollen, Herr Kiechle, sind für Sie ein Fremdwort, leider. Sie handeln weiterhin gegen die Gesetze, die für uns Bauern, für die Bäuerinnen und für die Menschen im Land gemacht sind.
Ich stelle mir einmal vor, was ich in den letzten Wochen gehört habe: Wenn ich als bayerischer Bauer die Volkszählung boykottiere, dann werden mir bis zu 10 000 DM Strafe angedroht.
Wenn man für die Agrarpolitik, die Sie in den letzten 30 Jahren in dem Land betrieben worden ist, Strafe zahlen müßte, dann wäre der Herr Stoltenberg mit seinem Haushalt pleite.
Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit ist zu Ende.
Deutscher Bundestag 1 1. Wahlperiode 8. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 2. April 1987 411
Nur noch ein Satz, dann bin ich fertig.
Aber wirklich nur einen, ganz schnell.
Herr Minister, Sie sind für mich und meine Kollegen schlimmer als ein Hagelschlag kurz vor der Ernte. Treten Sie endlich zurück!
Das Wort hat der Abgeordnete Schartz .
Frau Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Herr Kollege Kreuzeder, das war Ihre Jungfernrede. Ich will es mir deswegen versagen, darauf zu antworten. Heute ist nicht die Stunde der parteipolitischen Polemik; heute ist die Stunde, in der sich der Deutsche Bundestag als objektiver Sachwalter der deutschen Bauern gegenüber der EG darstellen soll.Meine sehr geehrten Damen und Herren, durch die Agrarpolitik der EG sind die deutschen Bauern arm geworden. Die Vorschläge, die die EG-Kommission jetzt erarbeitet hat, werden, wenn sie Wirklichkeit werden, die deutschen Bauern ruinieren.Die deutschen Bauern sind arm geworden. Die Einkommen der deutschen Bauern liegen beispielsweise um mehr als die Hälfte unter den Einkommen der holländischen Bauern. Sie liegen unter den Einkommen der Bauern in Dänemark, weit unter den Einkommen der Bauern in Belgien, unter den Einkommen der Bauern in Luxemburg und in Frankreich. Die deutschen Bauern sind also im Vergleich zu den Bauern in den anderen Ländern Europas arm geworden. Die Einkommen der deutschen Bauern liegen im Vergleich zu den Einkommen der übrigen Bürger der Bundesrepublik Deutschland um rund 40 % niedriger. Teilweise — das gilt für Kleinbauern in Mittelgebirgslagen — liegen ihre Einkommen unter dem Sozialhilferichtsatz.Die deutschen Bauern sind also auch im Vergleich zu den übrigen Mitbürgern in der Bundesrepublik Deutschland arm geworden. Diese Armut der deutschen Bauern und die Zukunftsangst sind der Grund für die sozialen Spannungen, für die Wut, die Empörung und die Resignation der deutschen Bauern, die sich ja gestern eindrucksvoll auf dem Münsterplatz versammelt und auf ihre Lage aufmerksam gemacht haben.Aber ich will auch als Präsident eines Landesbauernverbandes eindeutig sagen: Kleine Gruppen haben gestern auf dem Münsterplatz die Nationalhymne mit Pfiffen begleitet. Ich distanziere mich für mich und meine Berufskollegen von dieser Art des Verhaltens.
Wir Bauern in der Bundesrepublik Deutschland stehen zu unserem Staat. Wir müssen die Politik in unserem Staat und in der EG verbessern.Die Agrarpolitik der Europäischen Gemeinschaft muß reorganisiert werden, und — ich will ein Wort gebrauchen, das in der politischen Diskussion bisher nicht hoffähig war — wir müssen die nationalen Zuständigkeiten in der EG vergrößern. Es ist widersinnig, meine Damen und meine Herren, wenn beispielsweise Holland fast 300 % seines Bedarfs an Milch und Schweinefleisch produziert, an der Beseitigung dieser Überschüsse aus der Gemeinschaftskasse der EG aber mit weniger als 10 % beteiligt ist. Die Finanzierung der Überschüsse muß mehr in die nationale Zuständigkeit gelegt werden. Das ist die Voraussetzung für den Abbau der Überschüsse und für eine Aufgabe des Verdrängungswettbewerbs um die Produktionspotentiale.Meiner Meinung nach ist eine vernünftige europäische Agrarpolitik nur durchzuführen, wenn mehr auf regionale und nationale Belange eingegangen wird. Dazu gehört sicher auch, daß wir zum Schutze der bäuerlichen Veredelungsbetriebe Bestandsobergrenzen einführen. Es muß damit aufhören, daß kapitalkräftige, nahe an den Seehäfen gelegene landwirtschaftlich-gewerbliche Betriebe die Produktion an sich reißen und die Bauern aus der Veredelungsproduktion herausdrängen. Hier fordere ich auch die Bundesregierung zu einem nationalen Alleingang auf. Ich sage ganz deutlich: Betriebe, die beispielsweise mehr als 5 000 Schweine in einem Jahr produzieren, gehören für mich nicht mehr zu der Gruppe der bäuerlichen Familienbetriebe.Ich bedaure zutiefst, daß der einzig vernünftige Vorschlag, den die EG-Kommission auf den Tisch gelegt hat, nämlich die Einführung von soziostrukturellen Maßnahmen, also die Einführung einer vergleichsweise vorgezogenen Altersrente, von der Kommission nicht beschlossen wurde, sondern daß sie ihn vor sich hergeschoben hat.Ich fordere die Bundesregierung mit allem Nachdruck auf, dafür zu sorgen, daß eine Vorruhestandsregelung abgabewillige Landwirte in die Lage versetzt, auch ohne die Weiterbewirtschaftung ihrer Betriebe finanziell und sozial abgesichert zu sein. Wir müssen die Bauern von dem Zwang befreien, produzieren zu müssen, damit sie leben können. Das würde Produktionskapazitäten freisetzen, und es würde dazu dienen, Jungbauern durch eine Strukturverbesserung zu helfen und auch Kontingentskürzungen zu vermeiden. Das wäre ein vernünftiger Ansatz für eine positive Weiterentwicklung der Agrarpolitik.
Das, was die EG-Kommission jetzt will, ist eine Politik des stupiden Preisdrucks. Eine solche Politik würde sich zuerst gegen die kleinen, gegen die mittleren bäuerlichen Familienbetriebe in den Mittelgebirgslagen richten. Sie müßten zuerst aufgeben, mit der Folge, daß unsere Gesellschaft verfällt und ganze Landstriche veröden. Dagegen müssen wir energisch Widerstand leisten.Ich fordere die Bundesregierung auf, diesen Widerstand zu leisten, nicht nur um der Erhaltung der deutschen Bauern willen, sondern auch um dem Verfassungsgebot Rechnung zu tragen, das soziale Gerechtigkeit in unserem Lande vorschreibt.
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412 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 8. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 2. April 1987
Schartz
Ich bedanke mich.
Das Wort hat der Abgeordnete Oostergetelo.
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich finde, es ist gut, daß wir in dieser ernsten Lage, in der sich die Landwirtschaft befindet, hier miteinander diskutieren. Es ist auch gut, Herr Schartz, daß wir nach Gemeinsamkeiten bei Obergrenzen und anderen Dingen suchen, über die früher nicht zu reden war. Aber warum erst jetzt, wo das Kind in den Brunnen gefallen ist?
Die Vorschläge der EG-Kommission zum Abbau des Währungsausgleichs sind hochexplosiv; sie sind eigentlich der hochexplosive Kern des diesjährigen Preispakets. Darüber ist bisher kein Wort gesagt worden. Der Bundeskanzler hat das zur Chefsache erklärt. Offenkundig hat er damit aber den Bock zum Gärtner gemacht; denn es kann doch keinen Zweifel daran geben: Zum echten Sprengsatz ist der Währungsausgleich erst unter der Regierung Kohl geworden.
1984 nämlich hat die Bundesregierung ohne Not den Währungsausgleich mit einem Ruck um 8 % abgebaut, um die unsinnige Milchquotenregelung durchzudrücken. Zum Ausgleich dafür hat sie die unsoziale, zeitlich befristete Mehrwertsteuerpauschale erzwungen.
Schlimmer noch, sie hat durch die von ihr selbst vorgeschlagene Systemänderung permanente Senkungen der deutschen Agrarpreise provoziert. Dies ist auch auf dem Bauerntag klargeworden. Gleichzeitig wurden den Konkurrenzländern nationale Agrarpreiserhöhungen zwischen 3 und 51 % ermöglicht: Frankreich 13 %, Italien 16 %, Griechenland 50 %. Auch wenn ich die Geldentwertung einrechne, ist das für deutsche Bauern so nicht akzeptabel, meine Freunde!
Wenn diese Regierung dann immer noch von dem Ziel einer aktiven Preispolitik redet, erfüllt das in meinen Augen den Tatbestand der Vortäuschung falscher Tatsachen. Das ist für uns in den Hartwährungsländern nicht mehr möglich!
Aber damit keine Legenden hochkommen: Auch wir halten die Kommissionsvorschläge im Währungsbereich für nicht annehmbar.
Der Fortbestand des Währungsausgleichs ist bis zur Herstellung einer gemeinsamen Wirtschafts- und Währungsunion unverzichtbar. Das System selbst ist dabei so fortzuentwickeln, daß die gravierenden Wettbewerbsverzerrungen abgebaut werden. Dies ist notwendig; dies ist jetzt die vornehmste Aufgabe.
Politisch auch nicht vertretbar ist die Senkung des noch vorhandenen positiven Grenzausgleichs. Dies würde für die deutschen Bauern einen gravierenden Einkommensverlust durch Preissenkungen bedeuten.
Aber, meine Damen und Herren, diese berechtigte Kritik darf nicht darüber hinwegtäuschen, daß es die Bundesregierung selber war, die die Landwirtschaft durch ihre Initiative 1984 und durch die Umstellung des Systems in diese unselige Lage gebracht hat. Wie sagte der Bundeskanzler damals, am 22. Mai, wörtlich? Er fragte: Herr Kollege Vogel, warum haben Sie denn den Grenzausgleich nicht abgebaut? Sie hatten doch Zeit genug dazu. Sie haben auf diesem Gebiet nichts getan.
Diese Unkenntnis der Dinge bei dem Mann, der die Richtlinien der Politik bestimmt, hat katastrophale Folgen für die deutsche Landwirtschaft. Dies ist die Wahrheit!
Meine Freunde, genauso katastrophal ist das Ungeschick des Bundesfinanzministers, der dann auch noch sagte, die Belange der Bauern seien berücksichtigt worden. Entweder ist das eine Dokumentation seines Nichtbegreifens, oder es ist schlicht eine Falschaussage. Nein, Freunde, die Franzosen verlangen weiter den Abbau des Grenzausgleichs. Ist es nun ein Wunder, daß die Bauern auf die Straße gehen? Ich sage: Nein, weil sie dieser Regierung nichts zutrauen, auch nicht das Zustandebringen des Jahrhundertvertrages zur Erhaltung der bäuerlichen Struktur.
Wir Sozialdemokraten sind bereit, in dieser harten Situation daran mitzuwirken, daß die aus gesamtgesellschaftlicher Sicht gewünschte vielfältige bäuerliche Struktur erhalten bleibt. Dies kann aber unserer Meinung nach nur geschehen, wenn wir endlich Ernst machen, endlich anfangen mit dem Umbau der umsatztreibenden und umsatzbezogenen Subventionen in sozial- und umweltverträgliche Einkommenshilfen. Dies muß realisiert werden! Was die Bauern brauchen, sind keine Sprüche mehr,
sondern sind Taten jetzt.
Danke schön.
Das Wort hat der Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, Herr Kiechle.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich glaube, es ist gut, daß der Deutsche Bundestag heute immerhin auch anläßlich des Besuchs der Kommission der Europäischen Gemeinschaft hier in Bonn — ein bisher einmaliges Ereignis — und im Vorfeld der nun anlaufenden Verhandlungen in Brüssel zu der Frage „Haltung der Bundesregierung zu den Agrarpreisbeschlüssen der
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 8. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 2. April 1987 413
Bundesminister KiechleEG-Kommission" Stellung bezieht. Ich bin für diese Stellungnahme bzw. die Gelegenheit, öffentlich dazu Haltung zu zeigen, dankbar.Es besteht kein Zweifel darüber, daß die deutsche Landwirtschaft bei ihrer Einkommensentwicklung mit dem Rücken zur Wand steht. Die Gründe sind vielfältig. Die Landwirte haben mit der Überschußsituation zu tun, mit dem bei Lebensmitteln fast geschlossenen Weltmarkt, mit der Marktsituation insgesamt und natürlich auch mit der, seitdem die neue Kommission in Brüssel ihr Amt angetreten hat, neuen EG-Agrarpolitik. Die jetzt vorliegenden Vorschläge bringen die Landwirtschaft zusätzlich in Bedrängnis, und zwar die Vorschläge sowohl bezüglich der Preise als auch der Handhabung des Währungsausgleichs.Die EG-Kommission verletzt damit zwei grundlegende Prinzipien der europäischen Zusammenarbeit, erstens das Prinzip der Solidarität — dieses Prinzip verbietet, Probleme einseitig auf Kosten eines Partners zu lösen — und zweitens das Prinzip, daß eingegangene Verpflichtungen zu respektieren sind. Ich meine damit das 1984 ausdrücklich noch einmal bekräftigte Gentlemen's Agreement, wonach ein Abbau von Währungsausgleichsbeträgen dann ausgeschlossen ist, wenn dies zu einer Preissenkung in nationaler Währung führen würde.Die deutschen Bauern haben ohnehin schon ein Monopol für eine ungerechte Behandlung beim Grenzausgleich, und zwar seit es ihn gibt.
Als Folge krebsen die Einkommen in der deutschen Landwirtschaft seit gut zehn Jahren auf dem Niveau von 1975 herum. Abbau des Grenzausgleichs für die Bauern bei allen Preisverhandlungen, entschädigungslos gegen gewisse Preiserhöhungen, bedeutete eben einen Rückgang der Einkommen. Wir haben wenigstens für die 5 %, die wir 1985 abgebaut haben, über die Mehrwertsteuerlösung eine 5%ige Entschädigung gewählt.Ich habe deshalb Verständnis für Unzufriedenheit und Resignation unter den Bauern. Ich habe wenig Verständnis — um nicht zu sagen: kein Verständnis — für die jetzt vorliegenden Vorschläge der EGKommission. Ich habe dies am Montag und Dienstag in Brüssel am Ratstisch in unmißverständlicher Deutlichkeit gesagt, ich habe es heute morgen namens der gesamten Bundesregierung auch der gesamten EGKommission — dies war eine gute Gelegenheit, es nicht nur dem Agrarkommissar, sondern der Gesamtkommission zu sagen — mit aller Eindringlichkeit erläutert und möchte es hier noch einmal wiederholen.Die Bundesregierung hält zwar eine Rückführung der Agrarerzeugung für erforderlich, lehnt aber den Weg des unsozialen Preisdrucks kategorisch ab. Dabei ist es für den Landwirt gleichgültig, ob der Preisabbau nun durch direkte Preissenkungen, durch sogenannte flankierende Maßnahmen oder durch den Abbau des Grenzausgleichs erzwungen werden soll.Wir wollen einen anderen Weg gehen. Wir haben hier schon oft erläutert, wir sind für mengenbegrenzende und intensitätsreduzierende Maßnahmen, d. h. bei Milch für die konsequente Anwendung der Garantiemengenregelung, bei Getreide für Produktionsstillegungen und Anbau von Defizit- und Alternativprodukten, bei Rindfleisch für Prämienzahlungen direkter Art und bei Raps und Hülsenfrüchten für eine hektarbezogene Beihilfe. Wir sind für eine konsequente Qualitätsförderung, allerdings so, daß gute Qualitäten honoriert und nicht normale Qualitäten mit Preisabschlägen versehen werden.Ein Beispiel für eine mißverstandene und ökonomisch sinnlose Qualitätspolitik wäre die endgültige Verringerung des Feuchtigkeitsgehalts bei Getreide von 15 % auf 14 %. Wir werden daher versuchen, das zu verhindern.Zu einer konsequenten Stabilitätspolitik gehört auch die Abwehr von Imitationsprodukten.Meine Damen und Herren, wir sind nicht uneinsichtig. Dazu ist auch die Lage am Agrarmarkt insgesamt, und zwar weltweit, viel zu ernst. Wir sind nicht uneinsichtig, sagte ich, denn wir wissen, daß auch die deutsche Landwirtschaft ihren Anteil zur Lösung der Probleme leisten muß. Die Bereitschaft dazu hat sie auch in der Vergangenheit bewiesen, sonst hätten wir heute nicht einen Grenzausgleich zwischen 1,8 und 2,9 %, sondern von 21 %. Eine Mehrheitsabstimmung über den Grenzausgleich, der jetzt noch vorhanden ist, würde einen tiefgreifenden Konflikt mit der Bundesregierung herbeiführen. Sie wird es nicht zulassen, daß ein ganzer Berufsstand durch einen solchen brutalen Preisdruck in eine unerträgliche wirtschaftliche Randlage gedrückt wird.Die Grundrichtung der EG-Kommission ist deshalb auch nicht richtig, meine Herren von der SPD, Herr Müller und Herr Oostergetelo. Ihr Fraktionsvorsitzender, Herr Dr. Vogel, hat das so erklärt: Die Bundesregierung solle dieser richtigen Grundrichtung der EGKommission folgen. Das ist eine Erklärung, die anläßlich der Sitzung der SPD-Fraktionsvorsitzenden von Bund und Ländern am Freitag in Mainz so abgegeben worden ist.
Wir folgen dieser Grundrichtung nicht. Diese Richtung ist eindeutig falsch. Da nützen auch Ihre kräftigen Worte hier nichts, wenn Ihr Fraktionsvorsitzender in dieser Form draußen dann vor Zusammensetzungen agiert.Jetzt zitiere ich einmal:Nein: „Wir erheben den Markt nicht zum Götzen, dem beliebige Opfer darzubringen sind. Wir kennen die Grenzen der Leistungsfähigkeit des Marktes. Der Markt ist blind für die sozialen und regionalen Folgen seiner Entscheidungen.
Deshalb bedarf er fester Rahmenbedingungen und auch korrigierender Eingriffe, wann und wo Schäden nicht anders abzuwenden sind."Das sind die Worte der SPD.
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414 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 8. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 2. April 1987
Bundesminister KiechleAllerdings hat dies Herr Dr. Vogel — er hat noch hinzugefügt, was immer die Logik des Marktes besagt, das Aus für die Kohle, den Stahl und den Schiffbau wird es mit uns Sozialdemokraten nicht geben — eben nur in dem Zusammenhang gesagt, während er bei der Landwirtschaft ständig von mehr Markt redet.
Soll das also auch für die Bauern gelten, oder soll das nun nicht gelten? Meine Damen und Herren, dann muß er es auch sagen und nicht sonst von mehr Markt reden.
— Nein, das Zitat ist absolut korrekt.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ob, in welchem Ausmaß und zu welchem Zeitpunkt der Grenzausgleich abgebaut wird, muß von der Preis-und Einkommensentwicklung abhängen. Dazu bedarf es Augenmaßes und Instinkt für das jeweils Machbare. Dieses Augenmaß fehlt bei den Preis- und Währungsvorschlägen der EG-Kommission. Sie würden das wirtschaftliche Todesurteil von der Systematik her für große Teile der deutschen Landwirtschaft bedeuten. Sie können sich darauf verlassen: Wir werden dies zu verhindern wissen.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Adler.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Agrarpreispolitik der EG hat bei Ihnen von der CDU/CSU den Wunsch ausgelöst, die Märtyrerrolle des Herrn Landwirtschaftsministers am Ratstisch von Brüssel hier vorzuführen. So kurz vor einer wichtigen Landtagswahl aufzeigen zu wollen, daß nur die anderen die Bösen sind, wird von den Betroffenen aber durchschaut.Wo gibt es Grund zum positiven Herausstellen der Haltung der Bundesregierung? Nun, die Fettsteuer scheint dem Harmoniebedürfnis nach innen entgegenzukommen. Gleichzeitig kann man Konfliktbereitschaft und Härte signalisieren.Was ist mit dieser Fettsteuer geplant? Ab Juli dieses Jahres soll eine Abgabe von 330 ECU — das sind circa '700 DM — pro Tonne auf pflanzliche Öle und Fette erhoben werden. Welchen Zweck soll nun diese Steuer erfüllen? Zur Erhöhung der Eigeneinnahme soll sie beitragen, heißt es lapidar. Die explodierenden Agrarkosten sollen mit den rund zwei Milliarden ECU einen Tropfen auf den heißen Stein erhalten.Der zweite Grund ist der Außenschutz, um den nicht wettbewerbsfähigen Produkten der Gemeinschaft neue Absatzmärkte zu eröffnen. Ob es hier zu einer Umschichtung von Margarine zu Butter kommen wird, steht in Frage, da sich für die Verbraucher, wenn sie sich der Margarine zuwenden, eine entscheidende Verteuerung ergeben wird; Margarine wird pro Kilo 70 Pfennig teurer als bisher werden.Außerdem zieht man sich den Zorn der Drittländer zu. In den GATT-Verhandlungen würde die EG große Probleme wegen des protektionistischen Kurses bekommen. Die Länder der Dritten Welt wären dabei auf Grund ihrer landwirtschaftlichen Monostrukturen besonders hart betroffen,Die Einführung einer einheitlichen Abgabe auf eingeführte und einheimische pflanzliche Öle und Fette sowie Fischöl zur menschlichen Verwendung ist aus mehreren Gründen abzulehnen. So diskriminiert z. B. die für die Produkte einheitliche Höhe der Abgabe die in der Bundesrepublik erzeugten pflanzlichen Öle und Fette. Die mit dem kommenden Wirtschaftsjahr zu erwartende Preissenkung und damit verbundene Minderung der Verarbeitungshilfe für Ölsaaten wird die Wettbewerbssituation der einheimischen Öle weiter verschlechtern. Die Ziele, die damit erreicht werden sollen, werden total verfehlt.So gut es ist, die Einnahmen zu erhöhen: Diese Steuer ist dazu ein untaugliches Mittel. Der Finanzkollaps kann nur durch eine Reform an Haupt und Gliedern verhindert werden.
Die Fettsteuer als dauerhafte Einnahmequelle ist absurd.Das nächste Fettnäpfchen steht bereits da: Unbürokratische Vorgehensweise war versprochen worden, als es um das Abschmelzen des Butterberges ging. 6,5 Milliarden DM erfordert es, rund eine Million Tonnen Lagerbutter abzugeben. Stolz präsentiert der Landwirtschaftsminister in einer Pressemitteilung eine erste Bilanz: 16 Millionen Butterpäckchen, 187 000 Kilo Rindfleisch, 5,5 Millionen Kilo Mehl und anderes wurden von den Wohlfahrtsverbänden bestellt. Grundsätzliche Kritik wurde aber während der Kältehilfe laut: Die Bezugsberechtigten sollten einen Nachweis erbringen, um ihre Armut auszuweisen. Besonders in den Dörfern hat es Szenen der Hilfslosigkeit gegeben. Zur Schau gestellt zu werden hat viele Betroffene verletzt.
Über die Art des Vorgehens sollte unbedingt kritisch nachgedacht werden. Armut läßt sich nicht durch Lebensmittelverteilung beheben. Die ökonomischen Ursachen müssen beseitigt werden. Arbeit für alle, Erhöhung des Sozialhilfesatzes, Aufstockung des Arbeitslosengeldes sind vordringliche Aufgaben. Die gerechte Verteilung ist, wie man sieht, aus dem Lot. Lebensmittel kostenlos abzugeben ist eben noch billiger, als sie für Milliardenbeträge weiter zu lagern oder zu vernichten. Mit christlicher Nächstenliebe ummäntelt, erhält diese Aktion einen schalen Geschmack.
Für die Betroffenen in ihrer jetzigen Situation war und ist es eine Hilfe; dies soll nicht bestritten werden. Überdecken darf diese karitative Wohlfahrt aber nicht, daß diese Menschen nicht von Almosen leben wollen, sondern arbeiten wollen und eine existenzsichernde Rente brauchen.
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 8. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 2. April 1987 415
Frau AdlerAber nicht nur Arbeitnehmern geht es so. Diesoziale Sicherung der Landwirte liegt im argen: Kein Wort über die Vorruhestandsregelung für die Landwirte bei den Verhandlungen in Brüssel. Das durchschnittliche vorzeitige Altersruhegeld bei Berufsunfähigkeit liegt bei 482 DM monatlich. Die strukturelle Benachteiligung macht den betroffenen Landwirten sehr zu schaffen.Überhaupt nicht mit einbezogen in diese Diskussion ist die soziale Sicherung der Landfrauen. Zu Recht fordern sie eine eigenständige Absicherung, denn sie arbeiten ja auch eigenständig und eigenverantwortlich auf dem Hof. Im Alter nicht um jede Mark betteln zu müssen ist ihr Wunsch. Dazu, Herr Minister, muß Ihnen eine Lösung einfallen. Wir haben in unseren Vorschlägen aufgezeigt, daß es Wege aus der verfahrenen Situation gibt. Sie haben Sitz und Stimme am Ratstisch. Sie gestalten in Brüssel die Agrarpolitik. Die deutschen Bauern mit ihren unterschiedlichen Strukturen haben kein Vertrauen mehr in diese konservative verfehlte Politik. Greifen Sie unsere angebotenen Alternativen auf. Fettnäpfchen lassen sich auf diese Weise umgehen.
Das Wort hat der Abgeordnete Eigen.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wenn die Kollegen Müller und Oostergetelo hier der Bundesregierung und den Regierungsfraktionen anbieten, daß sie die wirklich gravierenden Agrarprobleme mit uns gemeinsam lösen wollen, dann nehmen wir das ganz ernst.
Wir werden alle Ihre Vorschläge zur Agrarpolitik ernst nehmen, mit Ihnen durchdiskutieren, und wir werden sehen, was dann von uns zu akzeptieren ist. Nur, Herr Kollege Müller, mit marktorientierten Preisen sind wir alle einverstanden, aber marktorientierte Preise erst dann, wenn die Überschüsse tatsächlich abgebaut sind und sich ein vernünftiger Markt in Angebot und Nachfrage überhaupt erst entwickeln kann. Dann sind alle für marktorientierte Preise.
Bei den Überschüssen, die wir heute haben, bedeuten marktorientierte Preise, daß wir den heutigen Preis für Getreide minus 30 DM Erstattung für den Export nach Rußland erhalten. Einen solchen Preis können unsere Bauern überhaupt nicht vertragen.
Bei der Milch liegt der marktorientierte Preis heute unter der Rentabilität Kuhschrot, d. h. bei 30 Pfennig. Diesen marktorientierten Preis können unsere Milchbauern bestimmt nicht ab.
Herr Kollege Oostergetelo, Sie haben wieder einmal die 5 % hervorgezaubert. Wir sagen Ihnen dazu ganz etwas anderes. Zum erstenmal hat diese Bundesregierung den Abbau des positiven Grenzausgleichs mit 5 % Vorsteuerpauschale ausgeglichen. Das war die Voraussetzung für diese Methode der Veränderung des Grenzausgleichs. Diese Maßnahme ist keine Sozialmaßnahme und hat es nie sein sollen. Sie ist ein Ausgleich für Preisverluste, die durch den Abbau des Grenzausgleichs entstanden sind.
Wir sind sehr froh darüber, daß in den Koalitionsverhandlungen festgelegt worden ist, daß diese 5 % über den 1. Januar 1989 hinaus gezahlt werden, bis das Problem möglicherweise gelöst ist.Frau Adler, zum erstenmal sprechen Sie hier im Bundestag. Sie sind uns als Kollegin im Ernährungsausschuß herzlich willkommen. Ich will gerne Ihren Aussagen zur Fettsteuer etwas hinzufügen. Die Bundesregierung lehnt wie Sie die Fettsteuer ab.
— Bei mir wird es schon ein bißchen kribbelig.
— Darüber kann man offen sprechen. Ich würde eine andere Methode für die bessere halten, nämlich die, beim pflanzlichen 01, beim pflanzlichen Fett etwa wie bei der Marktordnung Getreide zu verfahren. Auch dies würde natürlich gegenüber den Lieferländern gewisse Schwierigkeiten ergeben. Die Mittel für den Fiskus wären aber noch höher als bei der Fettsteuer, und die Probleme wären leichter zu lösen. Aber dieser Weg ist natürlich wegen GATT-Verhandlungen und all dieser Dinge, die Sie ja kennen, sehr schwer zu gehen.Meine Damen und Herren, das, was die EG-Kommission uns, den deutschen Bauern, der deutschen Bundesregierung, angeboten hat, ist nun geradezu eine Katastrophe, ja man kann sagen: Eine Provokation. Im Gegensatz zu Ihnen, Herr Müller, muß ich sagen: Für diese Vorschläge ist erst einmal die Kommission verantwortlich, nur sie allein. Sie könnte auch Alternativvorschläge machen. Ebenso kann sie sagen: Hätten wir mehr Geld, würden wir andere Vorschläge machen; aus Geldmangel — dann muß sie das auch so sagen -- machen wir aber jene Vorschläge. — Leider haben unsere beiden Kommissare Narjes und Pfeiffer dabei eine unrühmliche Rolle gespielt,
nämlich insofern, als sie sich bei der entscheidenden Abstimmung über den Grenzausgleich der Stimme enthalten haben.
Wenn die Vorschläge zum Abbau des Grenzausgleichs und der Nichtwiedereinführung in Zukunft realisiert werden, dann gibt es für die deutsche Landwirtschaft überhaupt keine Chance. Daher müssen Sie bitte den Zorn unserer Bauern verstehen. Dann
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416 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 8. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 2. April 1987
Eigenmuß man sich natürlich auch die Frage stellen: Wer ist denn eigentlich schuld, wenn es hier und da auch einmal Entgleisungen gibt?Jedenfalls bin ich fest davon überzeugt, daß unsere Bundesregierung in den Verhandlungen in Brüssel sicherstellen wird
— ich bin sofort fertig —, daß diese Beschlüsse der Kommission nicht zum Zuge kommen. Im übrigen gibt es zur Agrarpolitik der CDU/CSU und der FDP, der Koalition überhaupt keine Alternative.
Jetzt hat das Wort der Herr Abgeordnete Heinrich.
Heinrich [FDP]: Verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Die Situation der Bauern ist schlecht. Die Situation der Bauern ist sogar so schlecht, daß sie dafür ihre Höfe verlassen, mehrere Hundert Kilometer weit mit dem Bus unterwegs sind und zu Großdemonstrationen fahren, um die Öffentlichkeit darauf aufmerksam zu machen. Jeder, der die Mentalität der Landwirte kennt, weiß, was das für eine Überwindung für die Menschen darstellt. Ich selber weiß, was das heißt; denn ich bin selber Landwirt, und ich habe gestern selber an vorderster Front an der Demonstration teilgenommen.
In dieser harten Zeit müssen wir zusammenstehen. In dieser Zeit unterstützen wir auch den Agrarminister Kiechle bei seinen schweren Verhandlungen in Brüssel, nicht nur, weil wir eine Koalition mit der CDU/CSU haben, sondern auch deshalb, weil er eine vernünftige Richtung in der Agrarpolitik einschlägt.
Da das Stichwort Brüssel gefallen ist, möchte ich auch der Staatsministerin Frau Adam-Schwaetzer meinen Dank aussprechen, die sich gerade jetzt sehr nachdrücklich für die deutsche Landwirtschaft einsetzt und im Zusammenhang mit den vorgeschlagenen Maßnahmen der Europäischen Kommission betreffend die Frage des Währungsabbaus ganz deutlich unsere Position bezogen hat.
Die Auswirkungen, die die Verwirklichung der Vorstellungen der Europäischen Kommission auf die deutsche Landwirtschaft hätte, wären katastrophal. Insbesondere muß man feststellen, daß der Ansatz falsch ist, über reduzierte Preise — wie auch immer hergestellt — die Überschüsse abzubauen, d. h. Angebot und Nachfrage in Einklang zu bringen. Genau dieser Ansatz ist falsch, und man darf nicht müde werden, darauf hinzuweisen. Noch nirgends in der Welt sind durch niedrige Preise Überschüsse abgebaut worden.
Deshalb können wir diese Politik auch nicht mittragen.
Sehen wir uns insbesondere die Situation in Amerika an. In einem der fruchtbarsten Gebiete der Welt, im Gebiet des Maisgürtels mit seinen Schwarzerdeböden, in Minnesota, in Iowa, im Mittelwesten können die Betriebe mit 150, 200, 300 ha nicht mehr überleben, nicht etwa, weil sie eine schlechte Struktur haben oder weil die Landwirte faul sind, sondern weil die Preise unter Gestehungsniveau sind. Wer soll denn da überleben? Wollen wir unsere zukünftige Agrarpolitik auf diese Art und Weise gestalten?
Wenn die Kommissionsvorschläge realisiert würden, ergäben sich für unsere Landwirtschaft 10 bis 30 % Einkommensrückgang. Das können wir in keinem Fall hinnehmen. Das hätte nicht nur zur Folge, daß die kleineren Betriebe nicht mehr weiterkämen, sondern das hätte auch zur Folge, daß unsere Politik nachhaltig konterkariert würde. Auch gut geführte, in einer gesunden Struktur vorhandene Vollerwerbsbetriebe mit guten Betriebsleitern könnten dann nicht mehr über die Runden kommen. Hier wollen wir natürlich ganz energisch dagegenhalten.
Die Vorstellungen der FDP sind auch von dieser Stelle aus schon häufig dargestellt worden.
Ich möchte deshalb nur noch einmal ganz kurz skizzenhaft aufzeigen: Einkommensschwachen Vollerwerbsbetrieben müssen wir in der Zukunft über steuerliche, über soziale Maßnahmen helfen. Wir müssen insbesondere die direkte Einkommensübertragung verstärkt zur Wirkung bringen.
Des weiteren müssen wir selbstverständlich das Instrument der Ausgleichszulagen in benachteiligten Gebieten ausbauen. Denn nur mit dieser Maßnahme können wir sichern, daß unsere Kulturlandschaft auch in Zukunft erhalten bleibt und daß wir eine flächendeckende Landwirtschaft haben.
Ich möchte zum Abschluß die Sorge loswerden, daß dann, wenn wir in Brüssel nicht erfolgreich sind, die Begeisterung für Europa in eine Abwendung von Europa umschlägt und wir in der wichtigen Frage der europäischen Integration nicht einen einzigen Schritt vorankommen, sondern zehn Schritte zurückfallen. Auch ich trete dafür ein, daß das nicht stattfindet.
Herzlichen Dank.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Flinner. Sie haben zwei Minuten, Frau Kollegin.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Nach allem, was ich heute gehört
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 8. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 2. April 1987 417
Frau Flinnerhabe, habe ich den Eindruck, daß Sie, Herr Minister Kiechle, sowie Ihre Kolleginnen und Kollegen überhaupt nicht wissen, wie es uns kleinen und mittleren Betrieben geht.
Das sehe ich an der von Ihnen zu verantwortenden Milchquotenregelung am besten. Bei der ersten Kürzung wurden kleinen und mittleren Betrieben bei uns in der Gegend bei den Quoten bis zu 11 % abgezogen.
— Jawohl, das stimmt.
Diese Mengen wurden dann an die sogenannten Härtefälle
— ich kann Ihnen die Beweise bringen — , man kann auch sagen: an Großbetriebe oder nach Gutdünken der jeweiligen Landwirtschaftsämter verteilt.
— Das stimmt! Ich könnte Ihnen genug Beispiele dafür bringen,
daß Großbauern viele Kühe dazukaufen mußten, um ihre zugeteilten Quoten zu erfüllen.
Wen wundert es, daß der Milchsee und der Butterberg durch diese Politik immer größer wurden. 70 % der Milchbetriebe haben weniger als 20 Kühe. Ihre Produktion entspricht 40 % der erzeugten Milch. Nicht sie sind es, die den Milchsee verursacht haben, sondern es sind die restlichen 30 % Großbetriebe, die 60 % der Milch erzeugt haben.
Ganz gezielt und politisch gewollt wurde hier das Abschlachten von uns klein- und mittelbäuerlichen Betrieben vorangetrieben.Nun wird erneut gekürzt, und zwar um 8,5 %. Wir Klein- und Mittelbetriebe sind auch hier die Hauptbetroffenen. Für viele meiner Berufskolleginnen und -kollegen ist dies das endgültige Aus. Das ist eine Umverteilung von unten nach oben wie so vieles andere in Ihrer Politik.
Wir fordern zur Existenzsicherung unserer klein-und mittelbäuerlichen Betriebe in der Milchwirtschaft: bis 50 000 kg Milch keine erneuten Abzüge, sondern eine Erhöhung des Erzeugerpreises um 10 Pfennige je kg Milch. Zum Abbau der Überschüsse wären z. B. ein sofortiger Stopp der Futtermittelimporte — ich denke besonders an Sojaschrot — , eine Stickstoffabgabe sowie die Förderung des ökologischen Landbaus nötig.
Von den Subventionen für die Landwirtschaft, die hier öfters angesprochen wurden, bekommen die Nahrungsmittelindustrie, die Lagerhaltung, Agrarfabriken usw. 70 %; bei uns Bauern kommt so gut wie kein Geld an.
Auf dem Rücken von uns deutschen Bauern
fährt die Industrie ihre Gewinne ein. Aber ohne gesunde Landwirtschaft wird die Bundesrepublik auch als Industriegesellschaft nicht überleben.
Mit dem Schutz der Bauern und somit der Natur erhalten wir uns und unseren Kindern Arbeit und Leben.Wir fordern: Beendet den Krieg gegen uns Bauern! Der Bauer muß Vorrang haben vor Industrie, Konsum und Freizeitgewerbe.
Noch einen Satz: Nach dem Krieg haben wir deutschen Bauern — das gilt gerade für die vielen klein-und mittelbäuerlichen Höfe — dafür gesorgt, daß die Bevölkerung nicht verhungert ist. Das sollten und dürfen wir nicht vergessen.Danke schön.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Kalb.
Verehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Unsere Landwirtschaft in ihrer ohnehin schon schwierigen Lage gerät immer mehr in den Würgegriff der EG-Kommission. Natürlich wird der Druck auf die Preise so lange nicht nachlassen, wie die europäischen Märkte nicht geordnet sind, d. h. die Überschußproduktion nicht zurückgeführt ist.Es hat aber keinen Sinn, darauf zu hoffen, daß wir unsere in Europa erzeugten Überschüsse irgendwo auf der Welt noch zu einkömmlichen, zu erträglichen Preisen absetzen können. Es hat auch keinen Sinn, immer mehr Überschüsse anzuhäufen, aufzutürmen, vor sich herzuschieben und dann irgendwo zu verscherbeln und zu verschleudern, ohne sicher sein zu können, daß sie nicht auf Umwegen eventuell wieder zurückkommen — und dies alles mit ungeheuren Kosten, zur Freude derer, die Lagerhäuser zur Verfügung stellen, zur Freude der Exporteure, zu Lasten des Steuerzahlers, als vermeintlicher Aufwand für die Bauern, bei denen aber immer weniger ankommt.Wir müssen unsere Landwirtschaftspolitik deshalb neu ausrichten, unserer Landwirtschaft neue Aufgaben zuweisen und neue Märkte mit neuen Produkten eröffnen. Wir müssen Flächen und nochmals Flächen
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418 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 8. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 2. April 1987
Kalbaus der Nahrungsmittelproduktion — nicht aus der Landwirtschaft — herausnehmen.
Das kann bedeuten: mehr Flächen für Naturschutzbelange, Produktion von Eiweißfutter auf unseren Standorten, nachwachsende Rohstoffe und Energien.Unsere Landwirtschaft ist bereit, neue Wege zu gehen. All dies braucht aber viel Zeit. Gerade deshalb wirken sich die Kommissionsvorschläge wie der berühmte Mühlstein am Halse aus. Die Verwirklichung dieser Vorschläge würde es zumindest der deutschen Landwirtschaft nicht mehr erlauben, das rettende Ufer zu erreichen.Wir müssen auch darauf achten, daß unsere Bemühungen zur Rückführung der Nahrungsmittelproduktion nicht durch Mehrproduktion in anderen EGLändern unterlaufen werden. Wir brauchen deshalb, wie schon angesprochen, meines Erachtens dringend die Regionalisierung. Dringend notwendig ist auch die Entbürokratisierung. Wir haben doch aus unseren Landwirtschaftsberatern Landwirtschaftsverwalter gemacht.Auch hinsichtlich der nationalen Ebene habe ich Sorge, daß Agrarproduktion aus bestimmten Gebieten abwandert — das ist vorhin schon angesprochen worden — , inbesondere aus sogenannten benachteiligten Gebieten — Gebirgs- und Mittelgebirgslagen — , und die Landschaft dort nicht mehr offengehalten, nicht mehr kultiviert werden kann. Zudem handelt es sich dabei meist auch um strukturschwache Gebiete, deren Landschaft jedoch sehr reizvoll und deshalb in ihrer Erholungsfunktion nicht nur für die heimische, sondern auch für die gesamte Bevölkerung unserés dichtbesiedelten Landes von größter Bedeutung ist.Die Landwirtschaft erbringt hier — über die Nahrungsmittelproduktion hinaus — beachtliche Leistungen zum Wohle der gesamten Bevölkerung.
Das kann nicht umsonst geschehen. Bund und Länder haben hier mit der Ausweitung des EG-Bergbauern-Programms, mit Zahlung von Erschwernisausgleich für ökologisch bedeutsame Flächen und ähnlichen Programmen bereits eine entscheidende Weichenstellung vorgenommen. Diese Programme müssen weiter ausgebaut werden. Andererseits appelliere ich auch an die Landwirte, diese Möglichkeiten zu nutzen und Aufgaben im Bereich des Natur- und Umweltschutzes bewußt zu übernehmen. Dieser Aufgabenbereich wird zunehmend an Bedeutung gewinnen. In diesem Zusammenhang müssen auch extensivere Wirtschaftsformen genannt werden.Ein wichtiger Punkt wird künftig die Verbraucheraufklärung und Vermarktung sein. Es schmerzt mich, zu sehen, wie wir durch unser Gerede über Bio- und Alternativprodukte — ich bin nicht gegen alternativen Landbau — beim Verbraucher den Eindruck erwecken, als wären die deutschen Nahrungsmittel von minderer Qualität. Genau das Gegenteil ist der Fall.
Ich wage die Behauptung: Kein anderes Land in Europa produziert nach strengsten Bestimmungen qualitativ so hochwertige und einwandfreie Nahrungsmittel wie die deutsche Landwirtschaft.
Das gilt für alle Formen der Erzeugung.
Wir alle treten für den Erhalt der bäuerlichen Landwirtschaft ein. Die Frage ist: Was verstehen wir darunter? Wenn ich mir die Vorschläge des Berufsstandes, beispielsweise zur Einführung von Bestandsobergrenzen, anschaue, dann stelle ich fest, daß hier die Auffassungen schon sehr weit auseinandergehen. Ich sage es ganz offen: 120 Kühe und 1 700 Mastschweine, die es ermöglichen würden, die Milchviehhaltung auf 13 % und die Mastschweinehaltung auf 2 % der derzeit viehhaltenden Betriebe zu konzentrieren, entsprechen nicht meiner Auffassung.Ich danke Ihnen.
Das Wort hat der Abgeordnete Pfuhl.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn es noch eines Beweises bedurft hätte, wie zerstritten selbst die CDU/CSU in Agrarfragen ist, dann wurde er durch die Tatsache geliefert, daß auf der einen Seite die Regierung gegen die Fettsteuer ist, der Karl Eigen aber etwas anderes will. Er steht nicht allein auf diesem Gebiet. Herr von Heereman, ich glaube, Sie stimmen ihm zu. Wenn es noch eines Beweises bedurft hätte, daß Sie Angst haben, daß Ihnen auch in Hessen die Bauern weglaufen, dann hat ihn die Terminierung dieser Aktuellen Stunde auf den heutigen Tag geliefert, die in erster Linie auf die hessische Landtagswahl gemünzt war.
Denn eines ist sicher: Was der Minister hiermit weinerlicher Stimme vorgetragen hat, ist nicht geeignet, den letzten Wähler für die CDU noch hinter dem Ofen hervorzuholen. Das muß ich Ihnen sagen.
Meine Damen und Herren, wenn wir die Agrarpolitik gemeinsam so anpacken sollen, wie Sie das wollen, dann muß sie auch konsensfähig sein. Wenn Sie aber glauben, Sie könnten uns in dieser national wichtigen Frage irgend etwas vorlegen und wir hätten es zu schlucken, dann irren Sie sich. Das werden wir nicht mitmachen. Denn hier geht es darum, eine Lösung zu finden, die von allen getragen werden kann. Wenn Sie
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 8. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 2. April 1987 419
Pfuhlmeinen, Herr Kollege Susset, daß Ihre Meinung die einzig richtige sei,
dann irren Sie sich gewaltig.Ich stehe hier als Hesse. Das will ich einmal deutlich sagen. Als die Hessische Landesregierung vor sechs Jahren ein Konzept für eine Neuorientierung der europäischen Landwirtschaft vorgelegt hat, hat man gesagt: Was wollen diese verrückten Hessen? Wir fahren unseren alten Kurs bis zum bitteren Ende.Dabei geht es doch darum, daß wir versuchen — in Hessen haben wir das getan —, mit neuen Gedanken und neuen Ideen, vor allem auch mit direkten Zuweisungen an die Landwirte etwas zu tun, was ihnen Geld in die Kasse bringt. Nur noch 20 % unten anbringen, das hilft nicht weiter.Solche Reformvorschläge sind damals in Brüssel und auch hier in Bonn abgelehnt worden.
Wir haben versucht, Ihnen neue Gedanken vorzulegen. Wir haben in Hessen ein Programm zur Förderung der Grünlandbewirtschaftung eingeführt. Was ist geschehen? Mit halber Zustimmung ist es nach Brüssel gegangen und wurde dort abgelehnt. Es mußte neu konzipiert werden. Was herausgekommen ist, war nicht der Stein der Weisen; das gebe ich zu. Es wäre besser gewesen, wir hätten es in der ursprünglichen Form angenommen.Wir haben die Ausdehnung der Ausgleichszulagen im Rahmen des Bergbauernprogramms eingeführt, die Entschuldungsprogramme für existenzgefährdete Landwirte, ländliche Regionalprogramme zur Förderung vor allem der Direktvermarktung, zur Schaffung von Arbeitsplätzen im ländlichen Raum und vor allen Dingen das Dorferneuerungsprogramm in einer Größenordnung von jährlich 50 Millionen DM — in der guten Hoffnung, daß das nicht nur den Landwirten, sondern auch dem Handwerk und dem Handel auf dem Dorf etwas bringt. Letzteres war ein gutes Beispiel für eine sinnvolle Synthese zwischen notwendiger Raumordnungspolitik und regionalbezogener Arbeitsmarkt- und Strukturpolitik. Wie kein anderes Programm hat sich das Dorferneuerungsprogramm als beschäftigungsintensiv erwiesen, auch für Landwirte, die im Nebenberuf in der Bauwirtschaft arbeiten.
Hessen könnte mehr tun, wenn es nicht die 900 Millionen DM im Länderfinanzausgleich — u. a. auch an Bayern — zahlen müßte.
Sie könnten Ihren Beamten in Bayern noch nicht einmal das Weihnachtsgeld zahlen, wenn sie nicht die Zulage von Hessen bekämen. Das muß man einmal ganz deutlich sagen.
— Ich könnte auch andere Herren angucken, diedavon profitieren. Ich wundere mich nur, mit welchemRecht und mit welcher Chuzpe Sie nach Hessen kommen und uns erzählen, wie wir es besser machen sollten, und auf der anderen Seite die Hand aufhalten und von uns noch die Zulage bekommen.
Meine Damen und Herren, wir haben in Hessen konsequent gehandelt. Wir haben den Bauern auch die Wahrheit gesagt, und zwar frühzeitig, was Sie nicht getan haben.
— Nein, das haben Sie nicht getan. — Wir helfen den Bauern direkt und schnell.Ich glaube, die Zeit drängt. Schwierige Probleme brauchen kühne Lösungen auf neuen Wegen. Hier sollten Sie bereit sein mitzugehen.
Das Wort hat der Abgeordnete Kroll-Schlüter.
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Die deutschen Bäuerinnen und Bauern leisten seit Jahren einen hervorragenden Beitrag zur fortschreitenden Einigung Europas. Der Dank dafür ist bis heute ausgeblieben. Verdient hätten sie, wenn das möglich wäre, die Verleihung des deutschen Karlspreises. Aber sie würden gern auf ehrende Preise verzichten, wenn für ihre Produkte gute Preise gezahlt würden.
Der Agrarbericht 1987 zeigt: Direkte Einkommensbeihilfen können nicht Grundlage für ein verdientes Einkommen der Bäuerinnen und Bauern sein, zumindest nicht die wichtigste Grundlage. Im wesentlichen muß das Einkommen über den Preis erzielt werden.
Der Preis ist aber zu niedrig, das Einkommen zu gering, die Lage schlecht. Im allgemeinen Interesse, nicht nur im Interesse der Landwirtschaft selbst, muß der Landwirtschaft geholfen werden.
Bundesregierung und Koalition haben die Landwirtschaft in ihrer schwierigen Situation nicht im Stich gelassen. Wir haben geholfen, wo wir konnten, z. B. mit dem Dritten Agrarsozialen Ergänzungsgesetz, mit einer weiteren Entlastung für kleine und mittlere Betriebe beim Sozialversicherungsbeitrag, bei der Zusatzversorgung für frühere Landarbeiter, durch den Bundeszuschuß für die Altershilfe, der von 75 auf 80 % erhöht wurde. Auch jüngere mitarbeitende Familienangehörige ab dem 25. Lebensjahr werden in der Altershilfe für Landwirte gesichert. Die sozialliberale Koalition hatte vorgesehen, den Zuschuß des Bundes zur Unfallversicherung für Landwirte völlig abzubauen; er ist wieder auf 400 Millionen DM erhöht worden. Dabei ist wichtig, daß es sich hier um eine langfristige Sicherung eines notwendigen Zuschusses handelt.
Wenn früher eine Bauersfrau ein Kind bekam, erhielt sie kein Mutterschaftsgeld, auch kein vergleichbares Erziehungsgeld. Dies ist heute anders geworden. Jetzt erhalten auch Bäuerinnen Erziehungsgeld, jetzt bekommen auch Bäuerinnen durch
420 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 8. Sitzung, Bonn, Donnerstag, den 2. April 1987
Kroll-Schlüter
die Anrechnung von Erziehungszeiten einen eigenen Rentenanspruch.
Die Mehrfachbelastung der Bäuerin durch Haushalt, Hof und Familie wird oftmals durch pflegebedürftige Angehörige noch zusätzlich erhöht. Hier wird besonders deutlich wie dringend notwendig ein Pflegekostenzuschuß und eine Pflegekostenregelung ist. Die Unterstützung der häuslichen Pflege in ländlichen Haushalten gehört zu den wichtigsten sozialpolitischen Vorhaben der Koalition in dieser Legislaturperiode.
4,6 Milliarden DM Zuschuß im agrarsozialen Bereich — das ist beachtlich. Aber es gilt, dieses vorbildliche soziale Sicherungssystem weiter auszubauen, aber nicht an Stelle einer vernünftigen Preispolitik, sondern als ergänzende, wenn auch in sich selbständige Agrarsozialpolitik.
Unsere Agrarpolitik richtet sich auch nicht gegen die EG, aber unsere Agrarsozialpolitik ist auch nicht dafür gedacht, die Fehler der EG auszugleichen. Agrarsozialpolitik ist auch mehr als ein Reparaturbetrieb. Bestimmte Beschlüsse auf EG-Ebene können nicht durch agrarsoziale Maßnahmen ausgeglichen werden.
Ich will nur einmal drei nennen: Die Senkung des Feuchtigkeitsgrades bei Getreide auf 14 To ist schlichter Unsinn.
Dieser Beschluß muß nach oben korrigiert werden.
Die Verletzung des Reinheitsgebots beim Bier ist bedauerlich; sie erfolgt ausgerechnet in einer Zeit, in der wir uns sehr anstrengen, die Nahrungsmittel noch reiner, noch gesünder zu machen.
In der Bundesrepublik Deutschland sind Milchprodukte ohne Milchfette, also Milchprodukte mit Zusatz von pflanzlichen Fetten, verboten. Aus gutem Grund gilt auch hier ein Reinheitsgebot. Was fällt der EG dazu ein? Auch dieses Reinheitsgebot wird auf gegeben; es werden Zusätze erlaubt. Aber Zusätze von pflanzlichen Eiweißen oder Fetten würden eine Verdrängung der natürlichen Milch in Höhe von 6 Millionen Tonnen vom Markt bedeuten. Katastrophal, kann man nur sagen!
Es gibt auch eine deutsche Regelung sozusagen für die reine Wurst, die Vorschrift, daß keine pflanzlichen Eiweiße zugesetzt werden dürfen. Auch hier haben wir also ein Reinheitsgebot. Was fällt der EG dazu ein? Auch hier sollen pflanzliche Zusätze erlaubt werden.
Wir wehren uns also energisch gegen diese Absichten, nicht nur im Interesse der Landwirtschaft, sondern auch im Interesse der Verbraucher. Es geht um eine gesunde Ernährung und um gesunde Nahrungsgüter.
Wenn ich das zusammenfassen darf: Es geht um die Wurst,
das Maß Bier ist voll, die Milch läuft über, die EGKommission, die hier in Bonn weilt, möge dies bedenken; denn es geht nicht nur um die materielle Seite der Landwirtschaft, es geht auch um die Förderung des europäischen Gedankens in der Landwirtschaft, der seit Jahrzehnten in der Landwirtschaft tief verwurzelt war, und es wäre mehr als leichtsinnig, ihn durch solche Beschlüsse zu gefährden. Wir fordern auch hier eine Wende.
Meine Damen und Herren, damit ist die Aktuelle Stunde beendet.
Ich habe Ihnen zwei Mitteilungen zu machen.
Ausweislich des inzwischen vorliegenden Stenograpischen Protokolls hat die Abgeordnete Frau Schmidt-Bott heute vormittag in ihrer Rede zum Gesetzes- und Rechtsbruch aufgerufen. Der sitzungsleitende Vizepräsident Cronenberg legt Wert auf die Klarstellung, daß er der Abgeordneten einen Ordnungsruf erteilt hat.
Die zweite Mitteilung: Auf Grund der Erklärung des Abgeordneten Schily nach § 31 der Geschäftsordnung, betreffend einen heute vormittag angeblich erfolgten Zuruf „Das ist das Holz, aus dem KZ-Wächter geschnitzt worden sind", stelle ich fest: Dieser Zuruf ist weder vom amtierenden Präsidenten noch von den Schriftführern oder von den Stenographen gehört worden. Ein Ordnungsruf ist deswegen nicht erteilt worden. Über die Ungeheuerlichkeit eines solchen Zurufs, sofern er erfolgt wäre, gibt es keinen Zweifel.
Meine Damen und Herren, ich rufe Zusatzpunkt 4 der Tagesordnung auf:
Beratung des Antrags der Fraktion DIE GRÜNEN
Nichtinbetriebnahme des Atomkraftwerks Stade
— Drucksache 11/104 — Beratung des Antrags der Fraktion der SPD Atomkraftwerk Stade
— Drucksache 11/130 —
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Daniels
Liebe Bürgerinnen und Bürger! In Tschernobyl explodierte ein Atomkraftwerk. Wir alle sind von den Folgen dieses größten technischen Unfalls in der Geschichte der Menschheit betroffen. Wir alle wurden und werden von der radioaktiven Strahlung bedroht. Die Regierung hat keine ernstzunehmenden Konsequenzen wie die Stillegung aller Atomkraftwerke gezogen. Deswegen ist es nicht verwunderlich, daß auch der Wider-
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Dr. Daniels
stand vor Ort wächst, so auch am Schrottreaktor Stade, wo zur Zeit ein Brennelementwechsel vorgenommen wird.Dieser Schrottreaktor ist der älteste kommerziell betriebene Druckwasserreaktor, der heute nicht mehr genehmigungsfähig wäre und deshalb auch nicht mehr in Betrieb gehen darf. Ein Kernschmelzunfall kann ca. ein bis zwei Stunden nach Ereigniseintritt, z. B. bei einer Dampfexplosion, zu massiven Spaltstofffreisetzungen in die Umgebung führen. Die bittere Wahrheit ist: Eine Katastrophe vom Ausmaß dessen, was in Tschernobyl geschehen ist, und noch darüber hinausgehend kann auch in Stade nicht ausgeschlossen werden. 377 000 Menschen wohnen in einem Umkreis von 20 km. Wird der Kreis etwas größer gezogen, geht die Zahl in die Millionen. Hamburg liegt in der Hauptwindrichtung.Welche Gründe sprechen nun im einzelnen gegen den Weiterbetrieb? Hier können nur Beispiele erwähnt werden.Die Versprödung des Reaktordruckbehälters durch Neutronenstrahlung ist bei diesem Reaktor besonders weit fortgeschritten. Der Druckkessel neigt zum Bersten, weil die Schweißnähte einen hohen Kupfergehalt aufweisen. Die Materialeigenschaften dieses Stahls verändern sich sprunghaft. Unterhalb eines gewissen Temperaturbereichs, der sogenannten Sprödbruchübergangstemperatur, verliert er ziemlich schnell an Zähigkeit. Bei bestimmten Beanspruchungen, z. B. beim planmäßigen Herunterfahren oder beim Schnellabschalten, bricht der Druckkessel dann im Grenzfall wie Glas. Die Gefahr ist akut, daß der Stahl plötzlichen Veränderungen des Drucks oder Temperaturunterschieden nicht mehr standhält. Falls der Reaktordruckbehälter berstet, werden keine Sicherheitssysteme mehr wirksam, weil dieser Unfall offiziell nicht vorgesehen ist.Die Sicherheitstechnik des Stader Reaktors ist völlig überholt. Zum Beispiel sind die Frischdampfleitungen nicht basissicher ausgelegt. Sie können abreißen. Es existieren keine Schnellschlußarmaturen, wie sie z. B. in Biblis nachgerüstet wurden. Durch den Kühlmittelverlust im Sekundärkreislauf gehen die Heizstäbe im Dampferzeuger kaputt. Damit besteht ein unmittelbarer Weg für den radioaktiven Dampf, aus dem Primärkreislauf außerhalb des Containments in die Umgebung zu gelangen.Eine Nachbesserung ist in Stade aus Platzgründen nicht möglich. Die hektisch durchgeführten ca. 100 Nachrüstungen haben keinen Sicherheitsgewinn gebracht. Durch sie ist zwar möglicherweise die Sicherheit einzelner Aggregate erhöht worden, aber es sind zusätzliche Fehlerquellen entstanden, die zu einem Absinken der Gesamtsicherheit führen. Die Nachrüstungen sind im übrigen nicht veröffentlicht worden und sind damit schlichtweg illegal.Nach Tschernobyl überprüft der TÜV im Auftrag der Landesbehörde die Sicherheit dieser Anlage. Das bedeutet, daß man hier den Bock zum Gärtner gemacht hat, weil nun der TÜV seine eigenen Gutachten überprüft und keine unabhängigen Wissenschaftler beteiligt sind. Die Sicherheitsberichte und andere Gutachten werden sogar dem Hamburger Senat vorenthalten. Es scheint also wieder etwas im Busch zu sein. Durch diese Geheimniskrämerei wird die Verunsicherung der sogenannten Experten erneut offengelegt.Nun zum SPD-Antrag: Er sieht eine Änderung des Atomgesetzes vor. Nach § 17 Abs. 5 kann aber die Betriebsgenehmigung widerrufen werden, wenn dies wegen einer erheblichen Gefährdung der Allgemeinheit erforderlich ist. Das ist in diesem Fall gegeben. Wir brauchen also nicht länger zu warten. Der Stader Reaktor muß abgeschaltet bleiben, wenn man die Bevölkerung nicht weiter gefährden will.Wir werden die dort lebenden Menschen beim Widerstand vor Ort unterstützen und ihnen klarmachen, daß dieser Bundesregierung die Zukunft der Menschen in unserem Land nichts, aber auch gar nichts bedeutet.
Meine Damen und Herren, ich möchte noch einmal darauf aufmerksam machen, daß interfraktionell vereinbart worden ist, über diese beiden Punkte mit Redebeiträgen von jeweils fünf Minuten zu diskutieren. — Kein Widerspruch. Danke schön.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Eylmann.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die GRÜNEN wechseln in ihrem Kampf gegen die friedliche Nutzung der Kernkraft gern das konkrete Angriffsobjekt: Was gestern Alkem in Hanau war, ist heute Preußenelektra in Stade.
Hier ist es wegen des Wechsels der Brennstäbe zu einer Abschaltung gekommen, und diese Abschaltung spornt die GRÜNEN zu erhöhter Aktivität an.Sie arbeiten auf allen Ebenen: Um gesetzlich geregelte Zuständigkeiten scheren Sie sich nicht im geringsten. Nachdem ihre im wesentlichen Bleichlautenden Anträge im Stader Stadtrat, im Kreistag, im niedersächsischen Landtag abgelehnt worden sind, machen sie heute einen Versuch im Bundestag und mißbrauchen ihn als Genehmigungsbehörde.
Bei der Begründung ihrer Anträge wenden sie den Kunstgriff an, schon seit Jahren bekannte und widerlegte Behauptungen frisch aufzupolieren und als vermeintlich neue Erkenntnisse zu verkaufen. Neuerdings beruft man sich auf ein sogenanntes Gutachten der „Gruppe Ökologie" aus Hannover.
Dieses Gutachten ist im Auftrage der GRÜNENzusammengestellt worden. Alle in diesem Gutachten
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Eylmannangesprochenen Fragen sind den Fachleuten seit Jahren bekannt.
Die „Gruppe Ökologie" hat keinerlei neue Überlegungen oder neue Argumente eingebracht. Alle Behauptungen sind schon seit Jahren behandelt und widerlegt worden.Meine Damen und Herren, Tatsache ist, daß der TÜV Norddeutschland in seinem letzten zusammenfassenden Gutachten zu dem Ergebnis gekommen ist, die Sicherheit des Reaktordruckbehälters sei bei allen Betriebs- und Störfallsituationen bis weit über die vorgesehene Lebensdauer gewährleistet. Tatsache ist ferner, daß seit Inbetriebnahme des Kernkraftwerks über 100 Nachrüstungsmaßnahmen durchgeführt wurden, die sich auch auf die Notstromversorgung bezogen.
— Was wollen Sie: Rüsten wir nach, sagen Sie, das beweist die Unsicherheit; rüsten wir nicht nach, sagen Sie auch, es beweist die Unsicherheit. Das ist eine völlig absurde Argumentation.
Tatsache ist ferner, daß die Reaktorsicherheitskommission, die sich mehrfach intensiv mit dem Kernkraftwerk in Stade befaßt hat, zu dem Ergebnis gekommen ist, daß es keine sicherheitstechnischen Bedenken gebe
und daß die Anlage durchaus ein gleich hohes Niveau wie neuere Anlagen aufweise. Das hat sie zuletzt 1985 gemacht. Sie wird sich in diesem Jahre wieder damit beschäftigen.
Das alles hält die GRÜNEN nicht davon ab, das Stader Kernkraftwerk als Schrottreaktor zu bezeichnen und zu versuchen, mit Horrorgeschichten über eine angeblich jederzeit mögliche Explosion die Bevölkerung in Angst und Schrecken zu versetzen. Mir scheint, Ihr Ideal ist nicht der mündige Staatsbürger,
sondern der verängstigte Staatsbürger.
Dazu bedienen Sie sich auch der Straße.
In den letzten Wochen hat sich in Stade zwecks Einschüchterung der Arbeitnehmerschaft des Kernkraftwerks das ereignet, was Sie friedliche Demonstration nennen, was aber in Wahrheit auf eine rechtswidrige Blockade des Kraftwerks, also auf die Anwendung von Gewalt, hinausgelaufen ist. Die Arbeiter des Kernkraftwerks haben doch wohl das selbstverständliche Recht, unter Benutzung der öffentlichen Straßen zu ihrem Arbeitsplatz zu kommen. An der Ausübung dieses selbstverständlichen Rechtes werden sie gehindert, obwohl man dort ohne weiteres demonstrieren kann, ohne eine Straße zu blockieren.Wenn ich heute für meine Fraktion den Antrag der GRÜNEN und auch den Antrag der SPD ablehne,
so kann ich das in Übereinstimmung mit der sozialdemokratischen Fraktion im Rat der Stadt Stade tun.
Sie hat nämlich erst vor zweieinhalb Wochen gemeinsam mit uns diesen Antrag der GRÜNEN abgelehnt und sich gegen die Stillegung des Stader Kernkraftwerks gewandt.Nun fällt es mir im Augenblick allerdings schwer, festzustellen, welche der unter dem Dachverband „SPD" zusammengefaßten Parteien in Sachen Kernkraft die Stimmführerschaft hat. In der Stadt Stade ist man gegen, im Landtag ist man für die Stillegung, und wenn ich Ihre Stellungnahme zusammenfasse, so endet sie ja mit einem sehr deutlichen und entschiedenen Jein. Sie mogeln sich wieder einmal um eine Entscheidung herum.
Die Arbeitnehmer der Industrieregion Stade, deren Arbeitsplätze weitgehend vom Weiterbetrieb des Stader Kernkraftwerks abhängen, können beruhigt sein: Wir werden das Stader Kernkraftwerk nicht abschalten, solange es sicher ist.
Wir handeln damit auch in Übereinstimmung mit der ganz eindeutigen Mehrheit der Bevölkerung im Kreis Stade. Die Ergebnisse der letzten Landtags-, Kommunal- und Bundestagswahl gerade in dieser Region haben gezeigt, daß das Stader Kernkraftwerk dort nach wie vor auf eine breite Akzeptanz stößt.Vielen Dank.
Das Wort hat der Abgeordnete Schäfer .
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Mein Herr Vorredner eben ist ein Musterbeispiel für jene Sorte von Mitgliedern der CDU-Fraktion, die offenkundig aus den Vorgängen in Harrisburg, Tschernobyl und um Sandoz nicht nur nichts gelernt haben,
sondern noch nicht einmal bereit sind, auch nur einmal einen Moment innezuhalten, um zu überprüfen, ob ihre bisherige Position richtig ist. Ich denke, meine Damen und Herren von der Koalition, Sie tun sich keinen Gefallen, wenn sie Herrn Eylmann und ähnliche Vertreter stets für sich reden lassen und Biedenkopf und andere, die viel nachdenklicher sind, permanent verstecken.
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Schäfer
Meine Damen und Herren, der Deutsche Bundestag ist der Ort, wo über die Risiken von Großtechnologlen debattiert, beraten und entschieden werden muß. So ist es auch richtig, daß wir heute über die beiden Anträge befinden.Sie kennen die Position der Sozialdemokratischen Partei. Unsere Beschlußfassung liegt auf Drucksache 11/13 vor — Kernenergieabwicklungsgesetz —, wo im einzelnen die rechtlichen Voraussetzungen genannt werden, die notwendig sind, um die Kernenergie nach einer Übergangszeit bis zum 31. Dezember 1996 zu beenden.
Für die Übergangszeit gilt — und da sollten eigentlich alle zustimmen können, auch Sie, Herr Eylmann, auch Sie, Herr Daniels — , daß alle Kernkraftwerke, auch die älteren, dem neuesten Stand von Technik und Wissenschaft entsprechen müssen.
Das heißt, auch die älteren Kernkraftwerke wie Stade müssen in ihren Sicherheitsanforderungen dem neuesten Kernkraftwerk entsprechen. Genau dies, Herr Eylmann, ist nicht der Fall.Sie haben eben mit Vehemenz die Reaktorsicherheitskommission zitiert. Ich antworte mit der Antwort der Bundesregierung auf unsere Kleine Anfrage zur Sicherheit im Kernkraftwerk Stade. Da wird ausdrücklich bestätigt, daß Sicherheitsmängel bei Stade bestehen. Da wird ausdrücklich darauf hingewiesen, daß beispielsweise der Dampferzeuger nicht dem heute gültigen Vorschriftenstand von Wissenschaft und Technik entspricht.
Da wird ausdrücklich darauf hingewiesen, daß beispielsweise die Kanalbauten nicht voneinander getrennt ausgelegt sind, was für neue Kernkraftwerke nach dem Kabelbrand in einem amerikanischen Kernkraftwerk unverzichtbar notwendig ist. Das heißt: Diese Bundesregierung räumt selbst ein, daß Stade nicht dem neuesten Stand von Wissenschaft und Technik entspricht. Meine Damen und Herren, weil das so ist, entlarvt sich Ihre permanente Behauptung, Sicherheit habe absoluten Vorrang vor Wirtschaftlichkeit, als reines Lippenbekenntnis,
es sei denn, Sie stimmen nachher unserem Antrag zu.Was sagt unser Antrag aus? Unser Antrag sagt aus — ich wiederhole — : Alle Kernkraftwerke müssen in der Übergangszeit dem neuesten sicherheitstechnischen Stand entsprechen.
Das gilt für alle Kernkraftwerke. Die älteren Kernkraftwerke müssen überprüft werden. Wenn dies nicht möglich ist, dann müssen sie stillgelegt werden. Herr Kollege Gerstein, es geht nicht, zu sagen: Alle Kernkraftwerke bei uns haben den gleichen Sicher-heitsstandard, um dann, wie soeben geschehen, per Zwischenruf zu sagen: Stade kann gar nicht so sicher sein wie das neueste Kernkraftwerk. Wenn das so ist, dann müssen Sie Stade stillegen. Genau das ist der Punkt.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Sellin?
Ja, bitte schön.
Gibt es Ihrer Ansicht nach sichere Kernkraftwerke in der Bundesrepublik? So habe ich Sie jetzt verstanden.
Es gibt Kernkraftwerke in der Bundesrepublik, die nach den geltenden atomrechtlichen Bestimmungen den Sicherheitsanforderungen entsprechen. Sonst müßten wir heute, sofort alle Kernkraftwerke stillegen.
Meine Damen und Herren, wir schlagen folgendes vor — darin unterscheiden wir uns von den GRÜNEN — : Gegenwärtig wird im Kernkraftwerk Stade ein Austausch der Brennelemente vorgenommen. Wir wollen während dieser Zeit, während der das Kernkraftwerk abgeschaltet ist, eine Sicherheitsüberprüfung durchführen lassen, übrigens unter Einbeziehung des gesamten Sachverstandes. Dazu müssen Wissenschaftler mit unterschiedlicher Haltung zur Kernenergienutzung herangezogen werden. Das dürfen keine Gefälligkeitsgutachten sein. Wenn die Überprüfung ergibt, daß Stade nicht dem neuesten Stand von Wissenschaft und Technik entspricht, dann muß nachgerüstet werden; wenn dies nicht möglich ist oder wenn das zu teuer würde, dann muß stillgelegt werden.
Im übrigen, Herr Kollege Daniels, wissen Sie, daß das, was wir vorschlagen, im Vergleich zu dem, was Sie vorschlagen — Sie wissen ja schon von vornherein, wie das Ergebnis der Überprüfung aussieht —, zudem noch den Vorteil hat, daß in diesem Fall die Stillegungsverfügung ohne entsprechende Entschädigung erfolgen kann, weil der jeweilige Stand von Wissenschaft und Technik nicht eingehalten ist.
Meine Damen und Herren, ich bitte Sie sehr, unserem Antrag zuzustimmen. Ich bitte auch die Koalitionsfraktionen zuzustimmen. Wenn es Ihnen wirklich ernst ist mit Ihrer in der Art einer tibetanischen Gebetsmühle dauernd vorgetragenen Formel, Sicherheit habe absoluten Vorrang, dann müssen Sie ja sagen zu einer Überprüfung und gegebenenfalls auch zu einer Stillegung, wenn sicherheitstechnische Zweifel nicht ausgeräumt werden können.
Das Wort hat der Abgeordnete Wolfgramm.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen, meine Herren! Diese Debatte ist außerordentlich wichtig. Das Thema ist wichtig, natürlich auch unsere Überlegungen dazu und schließlich das Resümee, das wir am Ende ziehen
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Wolfgramm
werden. Aber am heutigen Tage ist diese Debatte ganz fehl am Platze. Wir — ich meine jetzt die Politiker — haben eine solche Debatte am 29. Januar 1987 im Niedersächsischen Landtag geführt. Das Thema ist dann am 16. Februar 1987 noch einmal im dortigen Umweltausschuß behandelt worden. Dabei sind die Fakten sehr sorgfältig auf den Tisch gelegt worden, nämlich das hier noch zwei Überprüfungen angestellt werden, deren Ergebnisse noch ausstehen. Ich weiß nicht, wieso wir uns, nachdem Sie von den GRÜNEN und auch Sie von den Sozialdemokraten genau wissen, daß diese Prüfungen noch anstehen, heute mit dieser Frage beschäftigen.Nach Tschernobyl ist eine sorgfältige Überprüfung der Sicherheitskonzepte erfolgt. Das hat Stade ebenfalls eingeschlossen.Ein zusätzlicher Auftrag ist von der niedersächsischen Landesregierung an den TÜV Norddeutschland ergangen, der diese Fragen im Augenblick sehr sorgfältig und umfassend prüft. Das Ergebnis wird uns vorgelegt werden, und dann wird sich der niedersächsische Landtag und gegebenenfalls auch der Deutsche Bundestag mit dieser sehr wichtigen Frage beschäftigen, aber doch nicht jetzt, nicht heute, da uns das Ergebnis überhaupt nicht vorliegt.Es gibt einen zusätzlichen Punkt: Die Reaktorsicherheitskommission beschäftigt sich unabhängig von dem TÜV Norddeutschland mit der Frage des Sicherheitsstandards des Kernkraftwerks Stade. Auch diese Prüfung ist nicht abgeschlossen; auch das Ergebnis dieser Prüfung wird uns vorgelegt werden. Es wird breit und intensiv diskutiert werden, sinnvollerweise zusammen mit dem Ergebnis des TÜV Norddeutschland.Ich frage wiederum: Wieso behandeln wir dieses Thema jetzt? Wieso behandeln wir es heute? Wir haben die Unterlagen überhaupt nicht. Die GRÜNEN haben allerdings natürlich schon vorweg — wie es sich gehört — in ihrem Antrag erklärt — ich zitiere — :„Die Informationspraxis ... beweist, wie gefährlich . " usw. Und im übrigen: „Die Regierung verheimlicht Untersuchungsergebnisse und andere wissenschaftliche Erkenntnisse. "
Das ist eine erhebliche, eine unzumutbare Unterstellung. Das ist die Art, in der Sie Politik betreiben.
Es gibt ein Gutachten der „Gruppe Ökologie", und Sie wissen, daß dieses Gutachten der „Gruppe Ökologie " vom niedersächsischen Umweltminister per Auftrag in die Überprüfung durch den TÜV Norddeutschland einbezogen worden ist. Das Ergebnis dieser Überprüfung — auf der Grundlage auch dieser Einbeziehung — liegt nicht vor, und ich frage mich, wieso Sie da erklären können, daß Untersuchungsergebnisse, die es noch gar nicht geben kann, verheimlicht oder gar unterdrückt werden.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ich warte darauf, Herr Kollege!
Ich habe gestern ein Telefongespräch mit Herrn Professor Kußmaul geführt,
der für die Frage der Sprödigkeit des Materials zuständig ist. Es gibt neue Untersuchungen, die auf die Gefahr hinweisen, daß auch in Stade diese Sprödigkeit noch wesentlich gefährlicher ist, als es bisher dargestellt wurde. Wir haben keine exakte Auskunft bekommen; es ist praktisch der Telefonhörer aufgelegt worden. Ist das die Art, in der die Bundesregierung oder Vertreter der Reaktorsicherheitskommission uns informieren?
Herr Kollege, es ist ein ungewöhnliches Verfahren, daß sich ein Vertreter des Bundestages auf diese Weise Informationen zu verschaffen versucht, die es noch gar nicht gibt. Denn die Untersuchung durch die Reaktorsicherheitskommission hat erst begonnen. Im Mai werden dort vor Ort Untersuchungen vorgenommen. Natürlich kann Ihnen jetzt, in diesem Stadium, niemand irgend etwas Verbindliches sagen, es sei denn, Ihre „Gruppe Ökologie" weiß natürlich schon im vorhinein, daß die ganze Sache nicht in Ordnung ist.
Wir gehen seriös davon aus, daß die Ergebnisse erst auf dem Tisch liegen müssen, bevor wir sie hier diskutieren können. Sie haben damals auch schon beim Sondergutachten über Fragen des Nordseeschutzes hier eine Diskussion begonnen, bevor das Gutachten überhaupt auf dem Tisch lag. Das scheint üblich zu sein; das scheinen Sie gerne fortsetzen zu wollen.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Schäfer?
Bei dem Kollegen Schäfer spielt natürlich die alte Verbundenheit eine solche Rolle, daß ich die zweite Zwischenfrage gern zulasse.
Diese alte Verbundenheit bringt mich ja auch zu der Zwischenfrage, Herr Kollege!
Ich wollte Sie fragen, ob Sie unserer Forderung zustimmen, daß alle Kernkraftwerke in der Bundesrepublik Deutschland unabhängig von ihrem Alter dem jeweils neuesten Stand von Wissenschaft und Technik entsprechen müssen.
In alter Verbundenheit: ja oder nein?
Ich kann dazu in alter Verbundenheit gleich das sagen, was unser Parteitag konkret beschlossen hat. Er hat nämlich beschlossen: Die FDP hält an der friedlichen Nutzung der Kernenergie so lange fest, wie nicht durch andere,
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Wolfgramm
1 umweltfreundlichere Energiegewinnungsformen der Energiebedarf gedeckt werden kann.
Genau das ist unser Beschluß, und der beinhaltet natürlich, daß Kernkraftwerke, die nicht mehr dem größtmöglichen sicherheitstechnischen Standard entsprechen und bei denen eine wirksame Nachrüstung nicht erfolgen kann, stillzulegen sind. Das bedeutet, lieber Herr Kollege, daß wir selbstverständlich — wie vorhin im Zusammenhang mit den GRÜNEN ausgeführt — die sorgfältigen Prüfungen des TÜV und der Reaktorsicherheitskommission abwarten und dann hier darüber debattieren und entscheiden.
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage?
Nein, lieber Herr Kollege, die Zeit ist abgelaufen.
Das bedeutet auch, daß wir uns in diesem Hause insgesamt sehr sorgfältig damit befassen müssen, welche Wertung wir denn in der Frage der Konsequenzen für die Energiepolitik vornehmen wollen. Die Deutsche Physikalische Gesellschaft hat auf ihrer Tagung gestern erklärt, von den weltweit noch vorhandenen fossilen Brennstoffen dürfe maximal noch ein Drittel verbrannt werden, und man müsse vor allem auf Energieträger wie Kernkraft und Solarenergie setzen, da bei ihnen keine Substanzen freigesetzt werden, die
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Die Sozialdemokraten wiederholen in ihrem Antrag die bekannte Forderung nach dem Ausstieg aus der Kernenergie innerhalb einer Frist von zehn Jahren. Ich möchte dazu folgende Bemerkungen machen:
Nach wie vor ist die friedliche Nutzung der Kernenergie verantwortbar. Die Ereignisse in Tschernobyl, die ja Anlaß für diese Forderung der SPD gegeben haben, sind auf deutsche Kernkraftwerke nicht übertragbar.
Dazu hat die Reaktorsicherheitskommission am 18. Juni 1986 folgendes festgestellt:
Wegen des hohen Sicherheitsstandards der deutschen Kernkraftwerke und der großen konzeptionellen Unterschiede zum Reaktortyp in Tschernobyl besteht kein Anlaß für Sofortmaßnahmen in deutschen Kernkraftwerken.
Auf der Sonderkonferenz der Internationalen Atomenergieorganisation in Wien ist dies im letzten Herbst auch von der internationalen Fachwelt bestätigt worden. Das Restrisiko eines deutschen Kernkraftwerks ist mit dem Restrisiko des Tschernobyl-Reaktors in keiner Weise vergleichbar.
Ein nationaler Ausstieg aus der Kernenergie im Alleingang — auch das ist hier häufig diskutiert worden — würde im übrigen auch keinen zusätzlichen Sicherheitsgewinn bringen, wenn die Nachbarländer unverändert an der Kernenergie festhalten.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Nein, ich möchte im Zusammenhang sprechen.Die Forderung der Sozialdemokraten ist im übrigen auch widersprüchlich. Wenn die SPD das Restrisiko nicht für verantwortbar hält, dann müßte sie die sofortige Abschaltung aller Kernkraftwerke verlangen. Nach Auffassung der Bundesregierung gibt es dazu keinen Grund. Aber das ist das Dilemma, in dem wir hier stehen: Der politische Wunsch, der hier vorgetragen wird, wird getragen von dem politischen Willen der sofortigen Abschaltung und wird getragen von dem Wunsch der Bündnisfähigkeit mit den GRÜNEN, die diese sofortige Abschaltung verlangen. Damit kommt in die Diskussion ein emotionales Element hinein, daß der sachlichen Auseinandersetzung mit dieser Frage, auch unserer Verantwortung der Umwelt gegenüber, nicht gerecht wird. Ich verweise auf den Beitrag, den Herr Kollege Wolfgramm gerade eben geleistet hat.Es ist doch mit großem Ernst die Frage zu stellen, wie die Erwärmung der Atmosphäre durch die CO2-Abgabe, wie die Verbrennung fossiler Energieträger mit den Auswirkungen auf das Klima der Erde in die Umweltdiskussion einbezogen wird.
Wenn sich diese Befürchtungen bestätigen sollten,
dann kann es durchaus sein, daß weltweit der Ruf nach zusätzlichen Kernkraftwerken laut wird. Das muß man sich in dieser Diskussion, in dieser Auseinandersetzung um die Verantwortbarkeit dieser Energie und um künftige weiterführende Lösungen ernsthaft vor Augen halten.Ich betone, daß die deutschen kerntechnischen Anlagen einer ständigen strengen Kontrolle durch die Aufsichtsbehörden der Länder unterliegen.Die Reaktor-Sicherheitskommission hat den ständigen Auftrag, zu den Möglichkeiten einer Verbesserung der Sicherheit der in der Bundesrepublik Deutschland im Bau und im Betrieb befindlichen
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Parl. Staatssekretär GrünerKernkraftwerke Stellung zu nehmen. Eine komplette Sicherheitsüberprüfung der deutschen Kernkraftwerke durch die Reaktor-Sicherheitskommission, Herr Kollege Schäfer, läuft bereits. Es bedarf dazu keines besonderen Antrages.Die Begründung des Antrages der GRÜNEN stellt eine bewußte Irreführung der Öffentlichkeit dar, wenigstens die Antragsbegründung zu Stade. Ich möchte das belegen. Ich habe den Eindruck, daß hier sehr bewußt Angste geschürt werden sollen. Das Trommelfeuer, das derzeit von den GRÜNEN und der SPD in Hamburg, Niedersachsen und im Bund auf das Kernkraft Stade abgelassen wird, basiert auf einem Papier der „Gruppe Ökologie" Hannover. Es ist im Auftrag der GRÜNEN im niedersächsischen Landtag Anfang des Jahres vorgelegt worden und trägt den Titel „Gutachten zu den Schwachstellen des Kernkraftwerks Stade". Den technisch-wissenschaftlichen Anforderungen an ein Gutachten im atomrechtlichen Verfahren hält es in keiner Weise Stand.
Der interessierten Offentlichkeit ist bekannt, daß die Sicherheit des Kernkraftwerks Stade in den letzten zehn Jahren immer wieder auf dem Prüfstand gestanden hat und daß immer wieder umfangreiche Nachrüstungen vorgenommen worden sind, durch die das Kernkraftwerk an den jeweiligen Stand von Wissenschaft und Technik herangeführt worden ist. Sie können dies in der Antwort des Bundesumweltministers auf die Kleine Anfrage der Fraktion der SPD vom 11. März 1987 im einzelnen nachlesen. Die zuständige Landesbehörde, der Technische Überwachungsverein, die Reaktorsicherheitskommission und der zuständige Bundesminister haben sich immer wieder intensiv mit den Sicherheitsfragen des Kernkraftwerks Stade auseinandergesetzt. Keine Fragen sind offengeblieben.
Sie wissen das alles aus den zahlreichen Unterlagen, die die niedersächsische Landesbehörde der Öffentlichkeit zugänglich gemacht hat. Der Vorwurf der Geheimhaltung, der in dem Antrag der GRÜNEN erhoben wird, ist deshalb eine Irreführung der Öffentlichkeit und soll Angst hervorrufen.
Zu den Behauptungen im Antrag der GRÜNEN in einzelnen: Falsch ist, daß das Kernkraftwerk Stade erhebliche Sicherheitsmängel habe. Vor allem der seit Jahren erhobene Vorwurf , der Reaktordruckb ehälter sei nicht sicher, ist nicht haltbar. Richtig ist: Seit 1978 ist ein beispielhaftes Überprüfungs- und Absicherungsprogramm für den Reaktordruckbehälter durchgeführt worden. Die Reaktor-Sicherheitskommission wie auch die Sachverständigen der verschiedenen hinzugezogenen Gutachterorganisationen kommen auf Grund des experimentellen Datenmaterials zu dem Ergebnis, daß für den Reaktordruckbehälter des Kernkraftwerks Stade bis über die geplante Betriebszeit hinaus keine Sprödbruchgefahr gegeben ist.Falsch ist, durch fortschreitende Schwächung der Wanddicke und eine zunehmende Sprödigkeit der Dampferzeugerheizrohre würden Lecks auftreten, deren Beherrschbarkeit nicht mit ausreichender Sicherheit nachgewiesen werden könnte. Richtig ist demgegenüber: Neben dem jährlich sehr umfangreichen Prüfprogramm gibt es im Kernkraftwerk Stade ein Sonderprüfprogramm.
Dabei wurde regelmäßig der einwandfreie technische Zustand nachgewiesen. Selbst wenn sich Schäden anbahnen würden, könnten sie rechtzeitig erkannt und Gegenmaßnahmen getroffen werden.Falsch ist, die Notstromversorgung sei nicht zuverlässig genug. Richtig ist: Wie andere Teile des Kernkraftwerks auch ist die Notstromversorgung im Laufe der Zeit — insbesondere 1985/86 — ertüchtigt und erweitert worden. Die Verfügbarkeit der Notstromversorgung im Kernkraftwerk Stade steht heute in keiner Weise derjenigen von neueren Kernkraftwerken nach.
Der SPD-Antrag wiederholt die Behauptungen aus Ihrer Kleinen Anfrage vom 11. März dieses Jahres. Diese Behauptungen werden auch durch Wiederholungen nicht richtiger.
Ich will es deshalb mit dem Hinweis auf die Antwort der Bundesregierung vom 25. März 1987 bewenden lassen.
— Das haben wir in unserer Antwort vom 25. März 1987 dargelegt. Dort sind diese Behauptungen widerlegt worden.
Lassen Sie mich abschließend nochmals betonen, daß es beim Kernkraftwerk Stade keine Sicherheitsdefizite gibt. Die Bundesregierung hat deshalb keinen Anlaß, eine Abschaltung des Kernkraftwerks Stade zu verfügen.Ich möchte die Bitte hinzufügen, daß wir die Diskussion um die Sicherheit, die entscheidend eine Diskussion um das sogenannte „Restrisiko" ist, mit aller Härte in der Sachfrage, aber nicht mit Unterstellungen und nicht mit einer bewußten Verunsicherung der Bevölkerung führen. Angesichts der Tragweite der Entscheidungen, die wir mit unserem Ja zur Kernenergie — das ist mit Leidenschaft von allen Parteien dieses Hauses mit Ausnahme der GRÜNEN betrieben worden — , zu verantworten haben, halte ich es für notwendig, daß wir mit aller Klarheit diese gemeinsame Verantwortung auch als eine gemeinsame verstehen, auch in der Lage, in der wir uns heute befinden. Das ist mein Appell, und vor diesem Hintergrund nimmt die Bundesregierung ihre Verantwortung auch zur Sicherheit der Kernkraftwerke wahr.
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 8. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 2. April 1987 427
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über die vorliegenden Anträge, zuerst über den Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/104. Wer dem Antrag zuzustimmen wünscht, bitte ich um ein Handzeichen.
— Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Antrag ist abgelehnt.
Wir stimmen jetzt über den Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/130 ab. Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht, bitte ich um ein Handzeichen.
— Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Antrag ist abgelehnt.
Meine Damen und Herren, ich rufe die Zusatztagesordnungspunkte 5 bis 7 auf.
Beratung des Antrages der Fraktion der SPD
Gefahren von AIDS und wirksame Wege zu ihrer Eindämmung
— Drucksache 11/117 —
Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und FDP
Einsetzung einer Enquete-Kommission
„AIDS"
— Drucksache 11/120
Beratung des Antrags der Fraktion DIE GRÜNEN
Einsetzung einer Enquete-Kommission
— Drucksache 11/122 —
Interfraktionell ist eine gemeinsame Beratung dieser Tagesordnungspunkte und ein Beitrag bis zu zehn Minuten für jede Fraktion vereinbart worden. — Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Frau Abgeordnete Conrad.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit der Immunschwäche AIDS haben wir es mit einer Krankheit zu tun, die zum einen eine Herausforderung an die Wissenschaft darstellt. Aber ebenso ist diese Infektionskrankheit, unser Umgang mit ihr und ihre Folgen — dies läßt sich nach einem Beobachtungszeitraum von sechs Jahren in den USA und vier Jahren in Europa sagen — eine politische Herausforderung.Sie ist eine Herausforderung an unser Verständnis vom Umgang der Menschen miteinander, von Freiheit und Schutz der Individualrechte des einzelnen, von Demokratie und Rechtstaatlichkeit, von gesellschaftlicher Solidarität und Verständnis der nicht oder noch nicht Infizierten mit den Infizierten, aber auch umgekehrt.Deswegen hatte Hans-Jochen Vogel für die SPDFraktion schon im Januar 1987 eine Enquete-Kommission gefordert. Wir begrüßen es, daß die übrigen Fraktionen des Hauses dieser Initiative im Grundsatz gefolgt sind.Dem Parlament liegen heute leider drei Anträge vor, der CDU/CSU und der FDP, der SPD und der GRÜNEN, gemäß § 56 der Geschäftsordnung eineEnquete-Kommission einzusetzen. Nach den im November 1986 einmütig gefaßten Beschlüssen des Parlaments zu den wesentlichen Fragen der Aufklärungsförderung, der Ablehnung der namentlichen Meldepflicht, der Reihenuntersuchung abgrenzbarer Bevölkerungsgruppen und der Zwangstestung bei Risikogruppen sahen wir eine politische Basis für einen gemeinsamen Antrag für die Einsetzung einer Enquete-Kommission. Da es zu diesem Antrag bis heute nicht gekommen ist, verknüpfen wir mit dem Antrag auf Überweisung unseres Antrages an den Ausschuß für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit die Hoffnung, uns auf ein gemeinsames Vorgehen im Ausschuß verständigen zu können.
Dies heißt für uns aber nicht, daß wir uns den bayerischen Vorstellungen beugen.Auch die Fraktion der GRÜNEN bestand auf einem eigenen Antrag. Hierzu einige Bemerkungen.Erstens: Der Titel „Möglichkeiten der Menschen in der Bundesrepublik, mit AIDS zu leben" ist, ehrlich gesagt, eine schicke Formulierung, uns aber entschieden zu passiv. Wir sind nicht bereit, einer persönlichen, politischen und medizinischen Hilflosigkeit gegenüber der Krankheit das Wort zu reden.
Zweitens: Unser Antrag geht im wesentlichen weiter, weil wir die gesellschaftspolitische Dimension der Krankheit stärker gewichten, sowohl in unserem Vorschlag zur Zusammensetzung der Kommission, als auch bei der Beschreibung des Kommissionsauftrages. Ich gehe jedoch davon aus, da ich Ihre Politik etwas kenne, daß die Fraktion der GRÜNEN unseren Antrag eigentlich unterstützen kann, da er ihrem in der Intention nicht entgegensteht, eher noch weiter geht und Probleme schärfer hervorhebt.Ich habe Verständnis dafür, daß bei der Auseinandersetzung mit dem gesellschaftlichen Problem AIDS Emotionen mitschwingen. Die Furcht vor Infektionen, die Furcht, als Infizierter oder Infizierte krank zu werden, mit der Krankheit zu leben, fordert zutiefst die Gefühle und die Angstfähigkeit des einzelnen Menschen. Dies rechtfertigt aber in keiner Weise die Hysterie, die leider nicht nur von bestimmten Gazetten sondern auch von Politikern geschürt wird. Eine Enquete-Kommission muß dieser Hysterie entgegenwirken.
Diese Infektionskrankheit, auf die bis heute weder die Immunologie noch die kurative Medizin eine Antwort weiß, demaskiert auf traurige Weise Schwächen unseres Gesundheitssystems. Wir haben kaum eine Infrastruktur für Prävention und psychosoziale Betreuung. Sie deckt auch die Schwächen einer rein auf Naturwissenschaft ausgerichteten kurativen Medizin auf.In einer Situation, in der es keine Therapie gibt — ich wage keine Prognose, wann es eine geben wird, weil wir es hier mit den typischen Tücken einer Viruserkrankung zu tun haben —, sind Prävention, Aufklärung über Infektionsweg und notwendige persön-
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428 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 8. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 2. April 1987
Frau Conradliche Verhaltensweise die einzige erf olgversprechende Therapie.
Deshalb wird die Enquete-Kommission auch zu untersuchen haben, wie diese Maßnahmen effektiviert werden können. Sie wird aber auch Vorschläge machen müssen, welche psychosozialen Hilfen wir Infizierten und Kranken, den Lebensgemeinschaften mit AIDS-kranken Kindern und Erwachsenen anbieten.Wer sich um Aufklärung und Sexualerziehung in Jugendeinrichtungen und Schulen bemüht hat, weiß um die Tabus, aber auch um die politischen Widerstände, mit denen zu rechnen ist. Heute wären wir froh, hätten wir auch hier eine Offenheit und Sensibilität, eine Infrastruktur und Grundlage, die wir benutzen könnten. Statt dessen müssen wir heute Tabus mühsam abbauen. Wir müssen auf gesellschaftliche Realitäten eingehen, die nichts mit Vorstellungen zu tun haben, die an den Leitbildern wie Monogamie und Suchtfreiheit festhalten. Verdrängung und das Predigen sexueller Abstinenz sind absolut keine Lösungsansätze.
Wir können kein Interesse daran haben, daß gesundheitspolizeiliche Maßnahmen ein Abtauchen der Betroffenen und einen AIDS-Tourismus von Bundesland zu Bundesland zur Folge haben. Die baden-württembergische Gesundheitsministerin Schäfer — bekanntlich nicht meiner Partei zugehörig — sagt:Menschen werden heimatlos gemacht.Das isolierte Vorgehen der Bayern, die Jagd auf Verdächtige führt zur Verdrängung der Ratsuchenden, vor allem der Risikogruppen.Jeder muß wissen, daß eine Bekämpfung von AIDS ohne Mitarbeit der Infizierten erfolglos sein wird.
Die Maßnahmen, die in Bayern praktiziert werden, führen zum Gegenteil dessen, was sie zu beabsichtigen vorgeben. Sie führen zur Ausweitung der Krankheit, sie lassen Hilfesuchende allein. Wir sind aus medizinischen und menschlichen Gründen dagegen.Wir müssen alles tun — das wird Aufgabe der Kommission sein — , Infektionsopfer nicht zu Schuldigen zu machen und die eh schon vorhandene latente Diskriminierung der Betroffenengruppen Homosexuelle, Prostituierte und Suchtkranke nicht zu fördern. Im Gegenteil! Nicht die Prostituierten, die gerne Kondome benutzen würden, die sich schon heute freiwillig testen lassen, sind das Risiko. Das eigentliche Risiko sind die anonymen Freier.
Mich erschrecken die Umfrageergebnisse — mehr oder weniger wissenschaftlich — , wonach 60 % der Bevölkerung für Pflichtuntersuchungen für alle sind, 50 % für namentliche Meldepflicht — die Wickert-Institute haben dafür noch höhere Zahlen genannt —, weil ich weiß, wie verführerisch sie für manche in der Politik sind. Diese Umfragen spiegeln Angst wider, aber auch, daß hier absolute Fehlinformation vorherrscht, die Identifikation aller Ansteckungsquellen sei möglich und diese seien abgrenzbar. Nicht nur die Infizierten müssen handeln, sondern wir alle — Herr Kollege, das war die Antwort auf Ihren Zwischenruf vorhin.Unter Berücksichtigung des zu erwartenden Anstiegs der Zahlen der Infizierten und Kranken frage ich: Wollen wir Sonderkindergärten für HIV-infizierte Kinder, HIV-positive Schulklassen, AIDS-Gefängnisse, Berufsverbote für HIV-Positive im öffentlichen Dienst und in der privaten Wirtschaft? Ich denke, nein. Wir wollen ja wohl auch keine Sitzordnung im Deutschen Bundestag nach AIDS-positiv oder den Ausschluß solcher Kolleginnen und Kollegen.
— Herr Kollege, Ihr Zwischenruf zeigt mir, daß Sie wohl auch zu denjenigen gehören, die über diese Krankheit wenig informiert sind. Und Fehlinformation heißt nun einmal auch, Hysterie zu schüren, Herr Kollege.
Weil wir keinen Überwachungsstaat wollen, keine repressive Gesellschaft, kein Miteinander, bei dem menschliche Kontakte, eben — jetzt hören Sie genau zu — Körperkontakte, mit AIDS besetzt sind — einDeutscher Bundestag — 11, Wahlperiode — 8. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 2. April 1987 429Frau Conradsolcher Kontakt führt nämlich nicht zur Infektion —, brauchen wir Empfehlungen, die in ihren sozialen, medizinischen, rechtlichen und gesellschaftliche Voraussetzungen und Konsequenzen durchdacht sind. Verantwortliches Handeln muß den Verführungen populistischer Entscheidungen nach Meinungsbarometer widerstehen können.
Mit der Auswahl der Sachverständigen, die aus dem Bereich der Medizin und der Gesellschaftswissenschaften, der Rechts-, Sexual- und Kommunikationswissenschaften sowie der Selbsthilfe und der gesetzlichen Krankenversicherung kommen sollen, wird den vorgenannten vielfältigen Aspekten der Immunschwächekrankheit Rechnung getragen. Wir haben uns bewußt gegen eine Dominanz der Medizin entschieden. Das heißt nicht, daß wir deren Arbeit für die AIDS-Forschung und Betreuung der Infizierten und Kranken unterschätzen. Uns geht es aber vor allem um Prävention. Das sind politische Entscheidungen. Es geht uns darum, die gesellschaftspolitischen Folgen einzuschätzen und Gefahren begegnen zu können. Das ist unsere Verantwortung! Zum Schluß soll ein Wissenschaftler das Wort haben:Mikroben machen weder Geschichte noch Politik. Aber der Umgang mit Mikroben ist Politik.Ich bitte Sie, unserem Antrag auf Überweisung an den Ausschuß für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit zuzustimmen.Vielen Dank.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Verhülsdonk.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Weltseuche AIDS geht uns alle an. Die rasche Ausbreitung der unheimlichen Krankheit kann niemand gleichgültig lassen. Längst sind die Grenzen der ursprünglichen Risikogruppen, der Homosexuellen und Fixer, übersprungen.Nach heutigem Kenntnisstand kann man den Menschen sagen, AIDS ist eine Krankheit, die man sich zwar holen, die aber nicht einfach jeden treffen kann. Früheren Seuchen wie der Pest war man dagegen ausgeliefert. Andererseits wissen wir: Unfallopfer und Bluter haben sich durch Bluttransfusionen infiziert, bevor diese als Infektionsquelle bekannt waren.Schätzungsweise 10 Millionen Menschen tragen in etwa 100 Staaten — so die Weltgesundheitsorganisation — das Virus in sich, darunter vermutlich zwischen 100 000 und 200 000 Bewohner unseres Landes. Die Schätzungen ändern sich. Aber man kann heute bereits absehen, daß diese Krankheit unsere Gesellschaft auf beunruhigende Weise verändert.Die Menschen fangen an, sich distanzierter zu begegnen. Die Frage, ob der andere den Tod bringen kann, steht mittlerweile auch im alltäglichen Leben zwischen Menschen, die sich ansonsten unbefangen begegnet sind. Wenn man Berichte aus Arzt- und Zahnarztpraxen hört, dann versteht man, was ich damit meine. Angst geht um, und die täglichen Informationen in den Medien dienen nicht zur Beruhigung.Die Bundesregierung, die Landesregierungen, die Kommunen haben vernünftige Maßnahmen ergriffen, um die Krankheit einzudämmen. Der von den Koalitionsparteien verabredete Maßnahmenkatalog ist nach heutigem Erkenntnisstand ein Konzept, das alle zur Zeit sinnvollen Reaktionen umfaßt: anonyme Registrierung der Ausbreitung von Infektionen und von Krankheitsfällen, die notwendigen Tests, Aufklärung — das ist ganz wichtig — und Beratung, administrative Maßnahmen zur Unterbrechung der Infektionskette, Verstärkung der Forschung — hier sehe ich auch einen ganz besonders wichtigen Schwerpunkt — sowie medizinische Betreuung von Infizierten und Kranken. Zudem schafft die Bundesregierung ein Instrumentarium, das notwendige Aktionen steuern, koordinieren und leiten kann.Warum dann noch eine Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages? Die wichtigste Antwort: Bei der Bekämpfung von AIDS geht es nicht allein um Seuchenrecht und Seuchenpolitik, sondern es geht um ein gesellschaftspolitisches Problem beispielloser Größenordnung. Die Seuche AIDS ist, solange kein medizinisches Gegenmittel gefunden wird, eine existentielle Bedrohung und wird von den Menschen so empfunden. Da muß sich der Deutsche Bundestag einfach zu Wort melden, und zwar nicht nur in einer Debatte oder einer Aktuellen Stunde, wo die Gefahr besteht, daß eher Grobschlächtiges, Streitiges oder Schemenhaftes dazu gesagt wird, sondern in einem Rahmen, in dem wir uns intensiv und mit dem notwendigen wissenschaftlichen Rat dieser Bedrohung annehmen können, die den Menschen tagtäglich beschäftigt. Was wäre das für ein Parlament, das diese Diskussion allein den Experten überlassen würde!Die modernen Menschen haben es verlernt, mit solchen Plagen umzugehen. Wir müssen es wohl wieder lernen. Und wir müssen in diesem Zusammenhang vor allem wieder lernen, daß Tugenden wie Liebe, Treue, Verantwortung nicht bloße Worthülsen sind,
sondern daß sie im wahrsten Sinne des Wortes lebenserhaltend sein können.Hier liegen im übrigen die tieferen Gründe, die mich veranlaßt haben, bereits am 4. März 1987 im Namen der Frauenvereinigung der CDU eine Enquete-Kommission anzuregen. Es ist gut, daß dieser Vorschlag bei den anderen Fraktionen des Hauses Zustimmung gefunden hat.Nach unserem Parlamentsverständnis ist es zweifellos eine Aufgabe des Deutschen Bundestages, Vorschläge zu erarbeiten, wie der Schutz der Gesunden vor Ansteckung gewährleistet und wie den Kranken und Infizierten geholfen werden kann, vor allem, wie sie vor Diskriminierung und Ausgrenzung geschützt werden können. Dies alles hat gesundheitliche, soziale, erhebliche finanzielle, rechtliche und verfassungspolitische Auswirkungen, die in dem notwendigen Abstand zur tagespolitischen Diskussion erarbeitet werden müssen.
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Frau VerhülsdonkIch betone noch einen besonderen wichtigen Aspekt. Wissenschaftler berichten uns, daß die Seuche AIDS besonders weit in Staaten ausgebreitet ist wie z. B. in Afrika, die über eine nur ungenügende Infrastruktur zur Eindämmung der Seuche verfügen. Ich meine, unsere Aufgabe ist es auch, nach Möglichkeiten zu suchen, wie wir diesen Ländern z. B. im Rahmen der Entwicklungshilfe wirksam helfen können. Ich kann mir zum Beispiel vorstellen, daß es die Enquete-Kommission für sinnvoll erachtet, ein „AIDS-Programm Afrika" zu entwickeln, das weitgehend von Europa getragen wird. Wir erwiesen damit der Welt einen Dienst.Diese Kommission hat nicht die Aufgabe, tagesaktuell zu entscheiden. Darum sollte sie auch nicht unter Zeitdruck arbeiten. Sie soll ihre Arbeit als eine Herausforderung begreifen, die Auswirkungen durchaus auch auf das Leben folgender Generationen haben kann.Der Deutsche Bundestag hat die Pflicht, sich in dieser Frage zu engagieren. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion stimmt deshalb der Überweisung der Anträge an den Ausschuß für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit zu. Sie verbindet damit die Hoffnung, daß die Ausschüsse sofort nach der Osterpause beraten und entscheiden, damit die Kommission vom Deutschen Bundestag bald eingesetzt werden kann.Vor allem, Frau Kollegin Conrad, kommt es darauf an, daß in dieser wichtigen Frage alle Fraktionen zusammenarbeiten und sich schnell über die zuzuziehenden Sachverständigen und die sachlichen Prioritäten einigen.AIDS ist wahrlich kein Thema, das sich zur parteipolitischen Profilierung eignet.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Wilms-Kegel.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zu dem Tagesordnungspunkt „Einsetzung einer Enquete-Kommission" legen die GRÜNEN heute einen eigenen Antrag vor, der ganz eindeutig eine völlig andere Zielsetzung hat als die Anträge der Koalitionsfraktionen und der SPD. In einer Zeit, in der die Immunschwächekrankheit AIDS zur Weltseuche Nummer eins erklärt wird und Boulevardblätter ihre Auflagenzahlen in voyeuristischer und pornographischer Weise mit Schlagzeilen über AIDS-Horrorgeschichten zu steigern versuchen, kann es nicht Aufgabe des Deutschen Bundestages sein, die Diskussion aus der Gesellschaft in ein Wissenschaftlergremium zu tragen. Gremienpolitik ersetzt nicht eine gute Regierungspolitik. Wir dürfen AIDS nicht aus der gesellschaftlichen Diskussion in Spezialistengruppen verweisen. Nach unseren Vorstellungen ist es weder dienlich, wenn Wissenschaftler in dieser Kommission über die Verteilung von Forschungsprojekten diskutieren, noch wenn Technokraten general-stabsmäßige Seuchenbekämpfungspläne entwikkeln.Sie, meine Damen und Herren von den Koalitionsfraktionen, fordern als wichtigste Aufgabe, daß die Enquete-Kommission Vorschläge zu erarbeiten habe, wie der Schutz der Gesunden vor Ansteckung gewährleistet und die Weiterverbreitung der Krankheit wirksam verhindert werden kann. Da haben die Vorstellungen der bayerischen CSU wohl auch Eingang in die Köpfe der Koalitionsfraktionen gefunden. Man braucht nicht viel Phantasie, um sich Ihren abgestuften Maßnahmenkatalog vorstellen zu können. Das ist tatsächlich Ihre erste und wichtigste Forderung: der Schutz der Gesunden vor den Kranken. Von einer christlichen Partei könnte man allerdings erwarten, daß sie zuallererst an die in Angst lebenden HIV-positiven Menschen und an die AIDS-Kranken denkt, erst dann an die Gesunden.
Wir alle sind doch von AIDS betroffen.Der SPD-Antrag hat neben mannigfachen Forschungsprojekten gar zum Ziel, zu prüfen, wie Änderungen menschlicher Verhaltensweisen im Intimbereich gefördert werden können. Also, das geht doch wirklich zu weit! Wer als eine politische Aufgabe der Kommission festlegt, bis in die Betten der bundesdeutschen Bevölkerung zu forschen, läßt die Grundprinzipien der von Ihnen so oft beschworenen Freiheit in unserem Staat nun wirklich außer acht.
— Das ist aber meine wirkliche Auffassung.Was wirklich helfen kann, ist eine Diskussion mit den Betroffenen, mit Menschen, die diese Betroffenen betreuen, und mit Menschen, die die gesellschaftlichen Auswirkungen von administrativen Maßnahmen gegen AIDS und die Verbreitung von AIDS beurteilen können. Das führt in der Diskussion weiter, wenn darüber gesprochen wird, warum Ärzte in der Öffentlichkeit erklären müssen, daß ihnen Personal zur ausreichenden Pflege von AIDS-Kranken fehlt, daß ihnen keine Psychologen und Ärzte zur fachübergreifenden Betreuung zur Verfügung stehen. Es muß darüber diskutiert werden, daß Ärzte unter dem unhaltbaren Vorwand, das Personal schützen zu müssen, ihre eigenen Vorurteile spielen lassen und ohne Einwilligung an offensichtlich nicht an AIDS erkrankten Menschen in ihrer Klinik AIDS-Tests vornehmen lassen. Das ist illegal, das ist Körperverletzung.Mit solcher Problematik muß sich die EnqueteKommission befassen. Sie muß sich mit den alltäglichen Diskriminierungen und Verdächtigungen, die schon jetzt festzustellen sind, auseinandersetzen und mit den Betroffenen über Schutzmaßnahmen für HIVPositive und AIDS-Kranke beraten. Die Kommission muß mit den Betroffenen gesellschaftliche Perspektiven für den kommenden Umgang mit AIDS entwikkeln. Sie muß die Voraussetzung schaffen, daß auch die Menschen, die sich in Zukunft infizieren oder krank werden — und das können weder Präventionsmaßnahmen, die von Wissenschaftlern ausgearbeitet wurden, noch Zwangsmaßnahmen verhindern — , in unserer Gesellschaft leben können, ohne schuldig gesprochen und diskriminiert zu werden.
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 8. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 2. April 1987 431
Frau Wilms-KegelUnsere Vorstellung ist nicht, daß ein erlauchtes Gremium für die Menschen in der Bundesrepublik — seien sie nun direkt oder indirekt von AIDS betroffen — die Probleme lösen kann. Die Kommission sollte die gesellschaftliche Problematik aufarbeiten, die durch die HIV-Infektion in der Bundesrepublik bereits entstanden ist, und dieses Ergebnis dann in die Diskussion des Bundestages einbringen. Es geht wirklich darum, daß die Menschen in der Bundesrepublik die Möglichkeit haben müssen, mit AIDS zu leben. Und das ist doppeldeutig gemeint: Die Menschen müssen in der Bundesrepublik mit AIDS leben können, die HIV-positiv oder an AIDS erkrankt sind, und die Menschen, die davon nicht direkt betroffen sind, müssen die Möglichkeit erhalten, mit HIV-Positiven und AIDS-Kranken zusammenzuleben.Die so oft geforderte Veränderung im sexuellen Verhalten darf nicht dazu führen, daß die sexuelle Selbstbestimmung und das Recht der Menschen auf Sexualität beschnitten werden, darf nicht zu einem Rückschritt in den Muff der 50er Jahre führen.
Das Erkennen, ob eine Veränderung des sexuellen Verhaltens notwendig ist, was ja auch eine Belästigung darstellen kann, muß jedem selbst überlassen bleiben. In den Schlafzimmern der bundesdeutschen Bevölkerung hat die Enquete-Kommission wirklich nichts zu suchen.
Das Wort hat der Abgeordnete Eimer .
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Ich gebe zu, daß wir nicht mit großer Begeisterung in diese Enquete-Kommission gehen. Es könnte der Eindruck erweckt werden, nachdem die Wissenschaft kein Gegenmittel findet, maßen wir Politiker uns die Kompetenz von Wissenschaftlern an. Wir müssen deutlich machen, daß diese Enquete-Kommission keine Konkurrenz zu der Vielzahl der AIDS-Kommissionen bilden kann und darf.Ich will heute hier auch keinen Vortrag über AIDS und über unsere Vorstellungen halten. Denn erstens ist darüber oft genug gesprochen worden, und zweitens wollen wir, wenn wir eine Kommission einsetzen, diese erst einmal arbeiten lassen. Die Folgerungen wollen wir erst dann ziehen.Was die Politik zur Bekämpfung beitragen kann, ist, genügend finanzielle Mittel bereitzustellen — die Voraussetzung, um die Forschung zu verbessern —, das ist die bessere Koordination der verschiedenen Aktivitäten. Wir müssen aufklären bzw. Aufklärung unterstützen. Wir müssen fundierte Vorschläge von Wissenschaft und Forschung schnell umsetzen.
Das alles wäre auch in normaler Ausschußarbeit gut möglich gewesen, auch unter Hinzuziehung von Betroffenen.Wenn wir dennoch dieser Enquete-Kommission zustimmen, dann aus folgenden Gründen. Wir wollen eine Gemeinsamkeit bei dieser wichtigen Frage herstellen und uns nicht ausgrenzen. Die Frage nach der besten Arbeitsmethode darf keinen politischen Streit auslösen. Dazu ist die Sache viel zu ernst. Wir wollen bei der Lösung der Probleme ernsthaft mitarbeiten. Wir wollen Einfluß nehmen, daß keine Ausgrenzung und Diffamierung Betroffener oder Gefährdeter stattfindet. Menschenwürde gilt auch für diesen Personenkreis. Des weiteren wollen wir dazu beitragen, daß Verfahren gefunden werden, mit denen permanent, also über die Zeit der Enquete-Kommission hinaus, Informationen schnell ans Parlament weitergeleitet und Erkenntnisse möglichst schnell umgesetzt werden können.Wir sind nicht sehr glücklich darüber, daß es uns nicht gelingt, uns auf einen gemeinsamen Antrag zu einigen. Dieser Versuch wurde gemacht, leider vergeblich. Der Streit geht um Selbstverständliches. Alle in der Diskussion befindlichen Maßnahmen müssen in dieser Kommission selbstverständlich geprüft werden, selbstverständlich auch die umstrittene Pflicht zur namentlichen Meldung, auch wenn wir in der FDP gegen eine solche Pflicht sind. Man kann diese Selbstverständlichkeit im Antrag niederschreiben. Nötig ist es nicht. Ich frage mich also, warum die CSU auf der Formulierung einer solchen Selbstverständlichkeit besteht, vor allem dann, wenn ein gemeinsamer Antrag daran scheitert.
Brauchen Sie denn diesen Antrag als Alibi für politisches Handeln?Ich frage aber auch umgekehrt: Warum sind die Sozialdemokraten gegen die Aufnahme der Prüfung der Meldepflicht in den Antrag? Sind nicht alle Fachleute gegen diese Meldepflicht? Kann nicht unser Standpunkt aus einer solchen Befragung nur gestärkt hervorgehen?
Die Untersuchung aller Maßnahmen sollte selbstverständlich sein. Das kann in der Formulierung des Antrags zum Ausdruck kommen, muß es allerdings nicht. Ist es dieser Punkt wert, auf eine Demonstration des gemeinsamen Willens dieses Hauses zu verzichten?
Ich fürchte, wir verzögern durch die Unfähigkeit, uns auf einen gemeinsamen Text zu einigen, das ganze Verfahren unnötig.
Wir müssen die Anträge jetzt erst einmal überweisen und können erst dann abstimmen.
— Sie haben nicht ganz zugehört, daß ich auch in IhreRichtung gesprochen habe. Denn eine Prüfung ist
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432 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 8. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 2. April 1987
Eimer
1 doch selbstverständlich. Dem hätten Sie doch auch zustimmen können.
Ich möchte in diesem Zusammenhang vor allem meinem Kollegen Hoffacker für die Bemühungen, zu einer einheitlichen Lösung zu kommen, danken.
Wir werden, auch wenn es heute zu einer kontroversen Abstimmung kommt, nicht nachlassen, für einen breiten Konsens des politischen Vorgehens zu werben. Auch wenn es jetzt nicht zu einer Einigung auf einen gemeinsamen Antrag kommt, werden wir uns an die Vereinbarungen halten, die wir gemeinsam getroffen haben. Das betrifft z. B. die fachliche Besetzung der Enquete-Kommission. Das kann ich für die FDP zusagen. Herr Dr. Hoffacker bemüht sich in gleicher Weise.Lassen Sie micht noch ein Wort zum Antrag der GRÜNEN sagen. Er ist überschrieben mit „Möglichkeiten der Menschen in der Bundesrepublik, mit AIDS zu leben". Ich frage mich: wirklich nur „mit AIDS zu leben"? Sind nicht die Bestrebungen, die von allen anderen Fraktionen beschrieben worden sind, genauso wichtig, nämlich diese Seuche zu bekämpfen? Aber auch wenn uns der Antrag der GRÜNEN nicht ganz gut ausformuliert und nicht gut durchdacht erscheint, gilt auch hier das Angebot für eine vernünftige Zusammenarbeit. Ich will hoffen, daß dieses Verfahren besser endet, als es heute beginnt.Vielen Dank.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Alle Antragsteller haben beantragt, ihre Anträge zur Einsetzung einer Enquete-Kommission „AIDS" zur — federführenden — Beratung an den Ausschuß für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit zu überweisen. — Das geschieht sicherlich einvernehmlich.
Es ist noch Einvernehmen mit den Fraktionen darüber zu erzielen, an welche weiteren Ausschüsse die Anträge zur Mitberatung überwiesen werden sollen. Darüber wird noch Beschluß gefaßt werden müssen. Haben Sie schon Vorschläge, meine Damen und Herren?
— Hervorragend, dann hat sich das schon erledigt. Vielen Dank. Dann ist dieser Tagesordnungspunkt abgeschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 16 auf:
a) Beratung des Antrags der Fraktion der SPD
Einsetzung eines Untersuchungsausschusses
— Drucksache 11/50 — b) Beratung des Antrags DIE GRÜNEN Einsetzung eines Untersuchungsausschusses
— Drucksache 11/84 —
Interfraktionell sind eine gemeinsame Beratung der Punkte 16a und 16b und je ein Beitrag bis zu 10 Minuten in der verbundenen Debatte für jede Fraktion vereinbart worden. — Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Herr Abgeordnete Gansel.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Dem amerikanischen Kongreß hat USAußenminister Shultz vor wenigen Tagen einen Bericht vorgelegt, in dem u. a. die Bundesrepublik Deutschland beschuldigt wird, mit Lieferungen an Südafrika das Rüstungsembargo der Vereinten Nationen durchbrochen zu haben. Spätestens seit der Arbeit des 4. Untersuchungsausschusses der vergangenen Legislaturperiode kann niemand mehr abstreiten, daß solche Beschuldigungen nicht aus der Luft gegriffen sind.Zur gleichen Zeit hat sich der staatliche Rundfunk des Apartheidsystems damit gebrüstet, daß Südafrika weltweit zu einem führenden Waffenexporteur geworden ist. Dieser zweifelhafte Erfolg beruht nicht auf der eigenen Leistung der südafrikanischen Rüstungsindustrie; sie hat für ihre Produkte Konstruktionsunterlagen im Ausland erwerben müssen. Seit der Arbeit des 4. Untersuchungsausschusses der 10. Legislaturperiode ist bekannt, daß jener Vertrag zwischen Firmen aus der Bundesrepublik und der südafrikanischen Rüstungsagentur, der irgendwann vor Einsetzung des Untersuchungsausschusses im Bundeskanzleramt dem Reißwolf anheimgegeben wurde, nicht nur die Lieferung von Unterlagen zum Inhalt hatte, sondern auch die Gewährung von Lizenzen und finanzielle Vergütungen für den Export von U-Booten in Drittländer.Der Untersuchungsausschuß hat wichtige Erkenntnisse gebracht, aber die wichtigsten Fragen sind noch offen geblieben: Warum hat sich die Bundesregierung auf ein Geschäft eingelassen, das legal nicht abgewikkelt werden konnte,
warum ist sie untätig geblieben? Wenn Sie sagen, es stimmt gar nicht, dann frage ich Sie, aus welchem Grunde es dann im Bundeskanzleramt fast ein Dutzend Spitzengespräche zwischen der administrativen Leitung und den Rüstungsunternehmen gegeben hat.
Warum ist die Bundesregierung untätig geblieben, als es darum ging, die rechtswidrigen Lieferungen zu verhindern, warum hat sie den Sachverhalt bis heute noch nicht aufgeklärt und ihn mit einer Bestrafung der Verantwortlichen abgeschlossen, wo liegen die Motive für ihr Verhalten, und was hat sie eigentlich
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 8. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 2. April 1987 433
Ganseldaraus gelernt? Weil diese Fragen, insbesondere die letzten, nicht beantwortet sind,
ist es wichtig, daß sich der neue Untersuchungsausschuß auch damit beschäftigt, was die Bundesregierung seit Einsetzung des letzten Untersuchungsausschusses getan oder unterlassen hat.
Dem 4. Untersuchungsausschuß stand für Akten und Zeugenvernehmung nur wenig Zeit zur Verfügung. Die Vernehmung der wichtigsten Zeugen mußte vorzeitig abgebrochen werden, andere ließen sich in der Hoffnung entschuldigen, die Arbeit des Ausschusses käme nach Ablauf der Legislaturperiode zum Erliegen. Der Ausschuß war nicht in der Lage, einen Bericht zu erarbeiten und zu beschließen, den man auf einvernehmlicher Basis auch in dieser Legislaturperiode zum Gegenstand einer Bundestagsdebatte hätte machen können.
Daß die Regierungsparteien Beweisbeschlüsse, Aktenvorlagen und Zeugenvernehmungen durch den Gebrauch ihrer Ausschußmehrheit über Wochen verzögerten, ist mit dem herannahenden Wahltag zu erklären, allerdings nicht zu entschuldigen gewesen. Sie haben sich bemüht, die von der SPD betriebenen Untersuchungen des Ausschusses als Wahlkampfaktivitäten herabzusetzen. Durch all diese Manöver haben die Regierungsparteien allerdings auch darauf hingewirkt, daß nach dem Wahltag die Fortführung der Ausschußuntersuchungen so notwendig ist wie in den Tagen vor der Wahl.
Aus diesen Gründen hat sich die SPD-Fraktion für die Erneuerung des Untersuchungsauftrages entschieden.Die Regierungsparteien üben Kritik daran, daß wir in unserem heutigen Antrag die Lieferung von U-Boot-Unterlagen an Südafrika als rechtswidrig bezeichnen. Wir haben das auch in unserem Antrag vom 9. Dezember 1986 getan, und die Regierungsparteien haben darauf mit Enthaltsamkeit reagiert. Würden wir das Rüstungsgeschäft als rechtmäßig klassifizieren, so könnten wir uns allerdings den Untersuchungsausschuß sparen.
und uns sogleich in die politische Auseinandersetzung darüber begeben, ob ausgerechnet mit Südafrika globalstrategische Interessen des freien Westens vertreten werden müssen, wie man immer wieder aus der Stahlhelm-Fraktion der Regierungsparteien hört, und ob es sich ausgerechnet die Bundesrepublik Deutschland leisten kann, die völkerrechtlichen Bindungswirkungen des UN-Rüstungsembargos gegen Südafrika zu unterlaufen.Im übrigen müssen die Regierungsparteien zur Kenntnis nehmen, daß die Oberfinanzdirektion Kiel in jenem Zwischenbericht, der mit dem skandalösen Vorschlag endete, die ganze Affäre mit einer Geldbuße von 50 000 DM aus den Vermögen der Firmen zu beenden, die Rechtswidrigkeit des Rüstungsgeschäftes jedenfalls voraussetzte. Wir haben deshalb keinen Anlaß, an dem in der vergangenen Legislaturperiode beschlossenen Untersuchungsauftrag irgendwelche Abstriche vorzunehmen.Die Fraktion der GRÜNEN hat eine Erhöhung der Zahl der Ausschußmitglieder von 11 auf 13 vorgeschlagen. Wir sehen dafür keine Notwendigkeit und lehnen den Vorschlag ab. Wir lehnen auch die Art und Weise ab, in der die GRÜNEN den Untersuchungsauftrag neu formuliert haben. Allen Fragen, die die GRÜNEN neu gestellt haben, sind wir schon in der vergangenen Legislaturperiode nachgegangen. Nichts an diesen Fragen ist neu. Neu ist auch nicht, daß diese Fragen noch nicht beantwortet sind. Weil wir Antworten haben wollen, beantragen wir schließlich die Neueinsetzung des Ausschusses. Wir wollen aber durch die zum Teil willkürliche Aufzählung der Fragen in dem Antrag der GRÜNEN nicht den Eindruck entstehen lassen, daß sich aus dem von uns formulierten Untersuchungsauftrag eine Reihe weiterer Fragen nicht noch ergeben könnte. Der Antrag der GRÜNEN ist deshalb nicht eine Erweiterung des Untersuchungsauftrages; er könnte vielmehr als eine Einengung ausgelegt werden. Deshalb lehnen wir ihn ab.Wir wollen die Arbeit des Untersuchungsausschusses bald beginnen, um zügig zu einem Ende zu kommen. Wir wollen nach Möglichkeit verhindern, daß die Vernehmungen aus der letzten Legislaturperiode wiederholt werden müssen. Wenn sich der Ausschuß einvernehmlich darauf einigt, bestehen nach unserer Auffassung keine rechtlichen Bedenken, die Protokolle des 4. Untersuchungsausschusses der vergangenen Legislaturperiode als Beweismittel für die Arbeit des 1. Untersuchungsausschusses der neuen Legislaturperiode heranzuziehen.
Auch aus diesem Grunde beantragen wir, den Untersuchungsauftrag unverändert zu erneuern.Wir schlagen vor, daß wir im neuen Untersuchungsausschuß mit der Vernehmung der Firmenvertreter beginnen. Sollten sich daraus keine Erkenntnisse ergeben, die zu weiteren oder neuen Zeugenvernehmungen führen, könnte der Untersuchungsausschuß seine Arbeit so beenden, daß wir unmittelbar nach der Sommerpause den Abschlußbericht dem Bundestag zur Debatte vorlegen könnten.Das allerdings erfordern der parlamentarische Stil und die Selbstachtung der Opposition, die sich nicht mit Verzögerungstaktik und anderen Tricks ausspielen läßt. Das erfordert die Brisanz dieser politischen Affäre, bei der es nicht nur um die Einhaltung von Gesetzen geht, sondern auch um elementare außenpolitische Interessen der Bundesrepublik. Daß die Bundesrepublik in der UNO als verläßlicher Partner gilt, daß sie völkerrechtliche Verpflichtungen einhält, daß sie in ihrem Verhältnis zum unmenschlichen Apartheidregime in Südafrika kein doppeltes Spiel treibt, daß sie die Exportinteressen unserer Wirtschaft nicht durch zwielichtige Rüstungsgeschäfte gefährdet,
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Ganselliegt im Interesse unserer Republik. Und wo die Regierung versagt, ist das Parlament gefordert.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Eid.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Herren und Damen! Der am 10. Dezember im letzten Jahr vom Deutschen Bundestag eingesetzte U-Boot-Untersuchungsausschuß konnte seinen Untersuchungsauftrag nicht erfüllen, auch wenn die CDU/CSU dies in ihrem Abschlußbericht behauptet. Anzulasten ist dies den Regierungsfraktionen. Sie haben durch ihre Störmanöver von vornherein die Arbeit im Ausschuß behindert. Mit einer Sabotage fingen sie an,
als sie nach kurzer Sitzungsdauer den Abbruch der konstituierenden Sitzung erzwangen, um die Beschlußfassung der Beweisanträge zu verhindern.
Dies war ein unglaublicher und in der Geschichte des Bundestages einmaliger Vorgang, Herr Kollege Beckmann.
Sie haben Ihre Mehrheit dazu mißbraucht, durchzudrücken, daß erst vier Wochen nach Einsetzung des Ausschusses die Beweisanträge verabschiedet werden konnten. Der Ausschußvorsitzende konnte so erst viel zu spät Schritte zur Herbeiziehung der Akten unternehmen. In vielen Sitzungen war der Ausschuß damit beschäftigt, die Sachlage auf der Ebene der Ministerialbürokratie zu durchleuchten. Der CDU/CSU-und-FDP-Mehrheit gelang es auf diese Weise, die Vernehmung der Firmenseite total zu blockieren. Die Vernehmung der politisch Verantwortlichen, der Bundesminister Stoltenberg, Bangemann und Genscher sowie des Bundeskanzlers, wurde deshalb zur Farce. Sie haben auf schändliche Art und Weise ihre Machtmittel mißbraucht.
Anstatt die Regierung zu kontrollieren, haben Sie alles daran gesetzt, mitzuhelfen, die Wahrheit zu vertuschen und die politisch Verantwortlichen zu entlasten.
Damit diese Strategie nicht aufgeht, stellen die GRÜNEN den Antrag auf Wiedereinsetzung des U-BootUntersuchungsausschusses.
Wegen dieser Störmanöver der Regierungsparteien war es dem letzten Ausschuß nur möglich, grobe Umrisse des illegalen Verkaufs von U-Boot-Konstruktionsplänen an das Apartheidregime und der Verwicklung von Regierungsmitgliedern in dieses Rüstungsgeschäft aufzudecken.
In groben Umrissen wurde bekannt, daß die Minister über das illegale Rüstungsgeschäft frühzeitig informiert waren. Obwohl mit einer atemberaubenden Offenheit und Unverfrorenheit ein rechtswidriges Ansinnen an die Minister von den Rüstungsfirmen herangetragen wurde, haben diese nichts unternommen, um diesen Geschäften Einhalt zu gebieten.
In groben Umrissen wurde auch bekannt, welche Rolle das Bundeskanzleramt spielte. Ausgehend von den positiven Erfahrungen der Firma IKL mit dem illegalen Zustandekommen des U-Boot-BlaupausenExports nach Israel unter der sozialliberalen Koalition Anfang der 70er Jahre suchten die Firmen IKL und HDW nach der staatlichen Stelle, die ihnen eine ähnliche Blankovollmacht für das Südafrikageschäft ausstellen würde. Sie haben sie in dem damaligen Staatssekretär des Bundeskanzleramts, Professor Schrekkenberger, gefunden.
Die Rolle des Bundeskanzlers selbst ist mehr als zwielichtig. Bei seiner Vernehmung wurde deutlich, daß er an einem wichtigen Punkt möglicherweise die Unwahrheit gesagt hat. Die Frage, ob Schreckenberger und Teltschik den Bundeskanzler im Oktober 1984 darüber unterrichtet haben, daß HDW und IKL mit den Südafrikanern bereits einen Vertrag unter Vorbehalt abgeschlossen hatten, verneinte der Bundeskanzler mehrfach und entschieden. Teltschik hingegen hat dies bei seiner Vernehmung ausdrücklich bejaht. Wenn Teltschik den Bundeskanzler tatsächlich unterrichtet hat, dann ist das illegale Geschäft direkt vor den Augen des Bundeskanzlers abgewikkelt worden, ohne daß dieser irgend etwas unternommen hätte, es zu stoppen.
In groben Umrissen wurde deutlich, daß das Verhalten der Minister Bangemann, Stoltenberg und Genscher sowie des Bundeskanzlers einer möglichen Strafvereitelung im Amt ziemlich nahekommt.
Mit welcher anderen Vokabel läßt sich der Tatbestand beschreiben, daß gleich in drei Ministerien entscheidende Aktenstücke der Oberfinanzdirektion nicht zur Verfügung gestellt wurden?
Das Memo tauchte bei Ihnen erst wieder auf, als der Untersuchungsausschuß eingerichtet wurde. Im Kanzleramt wurden die entscheidenden Aktenstücke gleich dem Reißwolf anheimgegeben.
Nach Meinung des Bundeskanzlers sind die auswärtigen Beziehungen der Bundesrepublik durch das illegale U-Boot-Geschäft eines bundeseigenen Unternehmens nicht gestört worden. Ich behaupte, Sie stören mit dieser Politik die auswärtigen Beziehungen und gefährden das friedliche Zusammenleben der Völker.
Vor wenigen Tagen hat das Magazin „Wiener" bisher noch unbekannte Unterlagen von IKL veröffentlicht
Deutscher Bundestag 11. Wahlperiode - 8. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 2. April 1987 435
Frau Eid
— „Wiener" —,
die eindeutig beweisen: Die verkauften U-Boot-Pläne wurden so von den bundesdeutschen Firmen modifiziert, daß sie sich ausschließlich für Terroraktionen gegen die schwarzafrikanischen Nachbarstaaten Südafrikas eignen. Die Regierung ist mitverantwortlich, wenn Südafrika demnächst mit den U-Booten von HDW und IKL die Frontstaaten militärisch bedrohen, überfallen und destabilisieren kann.
Schlimm genug, daß die Bundesregierung das Apartheidregime in seiner Rassenpolitik durch Umschuldungskredite und wirtschaftliche Hilfsmaßnahmen stützt. Nein, sie unterstützt das Apartheidregime auch in seiner Aggressionspolitik gegen die Frontstaaten.
Der neue Ausschuß muß deshalb untersuchen, ob Südafrika die U-Boote tatsächlich bauen kann. Denn es gibt Hinweise darauf, daß der Vertrag zwischen IKL, HDW und den südafrikanischen Firmen erfüllt worden ist.
Ich denke, es ist deutlich geworden, wieviel noch aufzuklären ist. Wir GRÜNEN halten es sinnvoll, auf der Grundlage der erworbenen Kenntnisse aufzubauen, und haben im Gegensatz zur SPD unseren Untersuchungsauftrag für den einzusetzenden Ausschuß präziser formuliert, da es uns nun vor allem darauf ankommt, die Verwicklung der Zulieferfirmen im U-Boot-Geschäft, die Rolle von Drittländern und auch die Rolle der schleswig-holsteinischen Landesregierung aufzuzeigen. Wir wollen wissen, ob Schmiergelder im Spiel sind und ob diese möglicherweise an Parteien oder Politiker gegangen sind, die das U-Boot-Geschäft eingefädelt haben.
Bei der Neueinsetzung des Ausschusses geht es darum, exemplarisch aufzuzeigen, wie das UNOEmbargo durch bundesdeutsche Firmen und Regierungsstellen umgangen wird. Es ist klar, daß der illegale Verkauf der U-Boot-Konstruktionspläne nur die Spitze eines Eisberges ist. Bekanntlich sind allein in den Jahren 1983 bis 1986 Rüstungsgüter im Wert von 815 Millionen DM nach Südafrika genehmigt worden. Der letzte U-Boot-Ausschuß hat zutage gefördert, daß die Regierung diese Tatsache nicht mehr als Bruch des Embargos betrachtet. Nach ihrer vor dem Ausschuß erstmals öffentlich so geäußerten Meinung fällt nur Teil I A der Ausfuhrliste, also Waffen, unter das Embargo, nicht aber Teil B — das sind Nukleargüter — und nicht Teil C — das sind Waren strategischer Bedeutung. Diese Auskunft gab Staatssekretär von Würzen vom Wirtschaftsministerium bei seiner Vernehmung. Der Ausschuß hat zutage gefördert, daß selbst Teil A der Ausfuhrliste nicht mehr so streng wie bisher behandelt werden soll.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Auch gegenüber Südafrika darf es keine Tabus mehr geben; selbst ganze U-Boote könnten rein rechtlich exportiert werden. U-Boote sind aber Kriegswaffen und fallen unter das Kriegswaffenkontrollgesetz. Nimmt man noch die entsprechenden Vorstöße von Franz Josef Strauß hinzu, so wird deutlich, daß die Bundesregierung offenbar alle Schranken für den Rüstungsexport nach Südafrika fallenlassen will.
Dies gilt es zu verhindern.
Herzlichen Dank.
Das Wort hat der Abgeordnete Beckmann.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Frau Kollegin Eid, es wird Sie sicherlich nicht überraschen, wenn ich Ihnen mitteile, daß die FDP-Fraktion den Antrag der GRÜNEN ablehnen wird. Sie versuchen nur das bisher schon erfolglose Unterfangen fortzusetzen, in einem stockdüsteren Keller eine schwarze Katze zu jagen, die sich gar nicht darin befindet. Dafür haben wir keine Zeit.
Den Antrag der SPD-Fraktion werden wir passieren lassen. Ich muß aber wirklich sagen: Wer die Hoffnung gehabt hat, die SPD könnte sich und das Parlament doch noch vor einer Neuauflage des U-BootUntersuchungsausschusses bewahren, der sieht sich wahrhaftig enttäuscht. Ihr Antrag macht klar, daß Sie, die deutsche Sozialdemokratie, offenbar unter einem Mangel an Themen leiden, denn die Wiedereinsetzung dieses U-Boot-Ausschusses ist ja nur der durchsichtige Versuch, von Ihren eigenen Problemen abzulenken. Es gibt doch wahrhaftig dringlichere Probleme als die Wiederholung dieses U-Boot-Untersuchungsausschusses.
— Schon beim letzten Untersuchungsausschuß zu diesem Thema in der 10. Legislaturperiode wollte Ihre Fraktion, Herr Gilges, nicht zur Kenntnis nehmen — das muß ich Ihnen einmal sagen; ich fürchte, Ihre Kollegen haben Ihnen das verschwiegen —, daß die Bundesregierung die maßgeblichen Fakten schon vorher auf den Tisch gelegt hatte. Jetzt will die SPD-Fraktion sogar die Ermittlungsarbeit des Ausschusses der 10. Legislaturperiode geflissentlich übersehen und einfach darüber hinweggehen. Bei allem Verständnis: Solch ein blindwütiges Wahlkampfspektakel können wir nicht unterstützen.
Wir haben bessere Programme für die anstehenden Landtagswahlen als ein solches Thema.
Meine Damen und Herren, darüber hinaus ist der Antrag der SPD auch mit gravierenden Mängeln behaftet. Ohne Begrenzung und ohne Rücksicht auf das Bund-Länder-Verhältnis, Herr Kollege Struck, soll hier das Verhalten von Landesregierungen ausgekundschaftet werden. Rechtsstaatlich in höchstem
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436 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 8. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 2. April 1987
BeckmannMaße angreifbar ist das Unterfangen der SPD, durch einen Untersuchungsausschuß Einfluß auf die noch nicht abgeschlossenen Verfahren bei der Oberfinanzdirektion Kiel zur Ahndung von etwaigen Verstößen gegen das Außenwirtschaftsgesetz zu nehmen. Das steht zwar nicht so im Antrag; daß aber der SPDFraktion auch das Vehikel des Untersuchungsausschusses zur Beeinflussung der Strafverfolgungsbehörden oder der Bußgeldbehörden recht ist, beweisen die Erfahrungen mit dem U-Boot-Ausschuß in der vergangenen Legislaturperiode.Es wurde immer wieder der Vorwurf erhoben, der außenpolitische Schaden sei so groß, daß die Staatsanwaltschaft eingeschaltet werden müsse. Immer wieder wurde behauptet, es lägen Anhaltspunkte für einen strafrechtlich zu verfolgenden Geheimnisverrat vor. Viele von uns haben diese starken Sprüche und Auftritte des Kollegen Gansel vor Augen, die wir immer dann erleben konnten, wenn er eine Fernsehkamera oder ein Mikrophon vor die Nase gehalten bekam. Es wurden die Vorüberlegungen der Oberfinanzdirektion über die Höhe etwa zu verhängender Bußgelder breitgetreten, und es wurden Vorhaltungen gemacht, warum denn kein Verfall des Gewinns in Betracht gezogen werde.Meine Damen und Herren, besonders schlimm ist es, wenn diese Dinge durch gezielte Indiskretionen aus dem Ausschuß herausgetragen werden und dadurch ein rechtsstaatlich einwandfreies Verfahren durch die zuständige Verfolgungsbehörde gefährdet wird. Wir können von Glück sagen und den zuständigen Amtswaltern bei den Staatsanwaltschaften und der Oberfinanzdirektion dafür danken, daß sie sich bis heute davon nicht haben beeindrucken lassen. Sie haben treu nach Buchstaben, Sinn und Zweck des Gesetzes gehandelt.Das darf aber für Sie von den GRÜNEN und von der SPD jetzt kein Freibrief sein. Es ist mir einfach unverständlich, warum der Untersuchungsauftrag dieselben Vorverurteilungen wie der alte Antrag der 10. Legislaturperiode enthält.
Der Ausschuß soll doch erst feststellen, wie die internationale Rechtslage ist, und ob und gegebenenfalls welche deutschen Rechtsvorschriften zur Anwendung kommen. Welche Hybris kommt denn darin zum Ausdruck, wenn Sie bereits jetzt von rechtswidrigen Lieferungen sprechen!Es hätte der SPD-Fraktion und besonders ihrem Vorsitzenden und Einser-Juristen gut angestanden, zumindest insoweit fraktionsintern auf die Bereinigung des Untersuchungsauftrages zu dringen. Aber Sie waren ja in letzter Zeit, wie ich soeben schon sagte, mehr mit sich selbst beschäftigt.Ich darf für die Ausschußarbeit jetzt schon ankündigen: Wir werden Mißbrauch mit dem Untersuchungsauftrag nicht dulden.
Wir werden sowohl auf eine eindeutige Kompetenzabgrenzung im Bund-Länder-Verhältnis achten alsauch jede Einflußnahme auf die laufenden Verfahreninnerhalb des Ausschusses verhindern. Von Ihren Vorverurteilungen lassen wir uns nicht präjudizieren!
Meine Damen und Herren, Ihre Gründe für diesen Antrag sind — wie beim letztenmal — an den Haaren herbeigezogen. Schon bei der Einsetzungsdebatte vor gut drei Monaten, Anfang Dezember 1986, habe ich erklärt, daß dieser Untersuchungsausschuß überflüssig ist wie ein Kropf.
Dies gilt heute in noch viel stärkerem Maße. Sämtliche Fragen, die Herr Gansel nach Abschluß der Arbeiten des Untersuchungsausschusses der vergangenen Legislaturperiode aufgeworfen hat, hätte er an Hand des von Herrn Kollegen Bohl und mir vorgelegten Entwurfs eines Abschlußberichts beantworten können. Wenn die Opposition die Beweisergebnisse des vergangenen Ausschusses nicht zur Kenntnis nehmen will, weil sie ihre Vermutungen und Verdächtigungen nicht bestätigt findet, läßt dies für die Zukunft fürwahr Schlimmes befürchten.
Da Ihnen die Themen auszugehen scheinen, muß unter diesen Umständen wohl auch mit einem weiteren Untersuchungsausschuß zu diesem Thema in der 12. Legislaturperiode gerechnet werden.
Ich möchte festhalten, was auf Grund der Ermittlungen des Untersuchungsausschusses der 10. Legislaturperiode festgestellt wurde und was die Bundesregierung auch schon vorher offenbart hatte: Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher hat von Anfang an erklärt, für ihn komme eine Genehmigung nicht in Betracht. Dasselbe ist von Finanzminister Dr. Stoltenberg und auch ganz eindeutig von Bundeswirtschaftsminister Dr. Bangemann erklärt worden.
Versuche der Firmen, das Bundeskanzleramt — Herr Kollege Struck, ich ahne Ihre Fragen voraus — für sich zu gewinnen, sind nach intensiver rechtlicher und politischer Prüfung trotz der Sorge des Bundeskanzlers um die Arbeitsplätze in der deutschen Werftindustrie zurückgewiesen worden. Etwas anderes wird sich auch bei einer Neuauflage des Untersuchungsausschusses nicht herausstellen.
Gleichwohl einen Untersuchungsausschuß einzusetzen, bedeutet doch nichts anderes als den erfolglosen Versuch, Ihr Wahlkampfspektakel von der letzten Jahreswende fortzusetzen.
Aber noch schlimmer, verehrte Frau Kollegin von den GRÜNEN, ist Ihr Antrag. Er zielt einfach auf Dis-
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Beckmannkriminierung weiter Teile der deutschen Wirtschaft und Industrie und damit letztlich auf die Vernichtung von Arbeitsplätzen. Außerdem wird, wie wir das von Ihnen ja kennen, die NATO gleich mit einbezogen. Selbst wenn die SPD heute den Antrag der GRÜNEN ablehnt, ist für die Ausschußarbeit — da spreche ich aus Erfahrung — das Gegenteil zu befürchten.
Es ist bedauerlich, daß Sie, meine Kolleginnen und Kollegen, sich teilweise einfach nicht zu schade dafür sind, sich vor den Karren der GRÜNEN spannen zu lassen.
Das haben wir im letzten Ausschuß in vielen Fragen erlebt. Man kann an diesem Beispiel deutlich sehen, was von einer rot-grünen Koalition z. B. in Hessen zu erwarten sein wird.
Sie sind innerhalb der SPD einfach zu schwächlich, um sich gegenüber den vermeintlichen Sauberfrauen und Saubermännern der GRÜNEN durchzusetzen. Sie sollten sich mehr auf Ihre Verantwortung für den Staat und die Bürger besinnen. Niemand hat mir bisher zu erklären vermocht, warum die SPD diesen Untersuchungsausschuß betreibt, obwohl die Entscheidung der Bundesregierung in diesen Fragen voll im Einklang mit den Rüstungsexportrichtlinien steht, die die SPD selbst in ihrer sozialliberalen Regierungszeit beschlossen hat.
Wir halten daran fest: Die Koalition steht voll zur Südafrikapolitik der Bundesregierung, insbesondere zum Waffenembargo,
nicht nur deshalb, weil die Bundesregierung das Waffenembargo des VN-Sicherheitsrates aus dem Jahre 1977 selbst mitgetragen hat, sondern auch und insbesondere deshalb, weil wir es inhaltlich für völlig richtig halten.
Wenn Verstöße gegen das innerstaatliche Recht geschehen sind, müssen sie geahndet werden, sei es im Wege des Bußgeldverfahrens, sei es im Wege eines Strafverfahrens. Das gebietet die Autorität des gesetzten Rechts. Nur muß auch die Opposition, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, daran erinnert werden, daß weder sie noch der Untersuchungsausschuß zum Staatsanwalt oder zum Richter berufen sind.Vielen Dank.
Das Wort hat der Abgeordnete Bohl.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist wieder Wahlkampfzeit und die grün-rote Opposition braucht ihren Untersuchungsausschuß. Willig folgt die SPD wieder einmal den GRÜNEN. In der vergangenen Wahlperiode hatten die GRÜNEN noch mit einem eigenen Antrag den roten Genossen den Weg zeigen müssen, diesmal reichte allein die Ankündigung in einer Presseerklärung, nämlich vom 24. Februar, aus, um die SPD zum U-Boot-Wahlkampf aufzurüsten.Ich glaube, wir werden das wie auch beim letztenmal erleben, das Motto wird lauten: Kaum ausgelaufen, schon aufgelaufen. Sie werden es nicht erleben, daß Sie damit Erfolg haben. Der Sachverhalt, der aufgeklärt werden soll, ist nämlich längst klar. Ich darf ihn noch einmal in Erinnerung rufen, weil Sie offensichtlich gar nicht bereit sind, ihn zur Kenntnis zu nehmen:Tatsache ist: ab Mitte 1983 versuchten Repräsentanten der interessierten Unternehmen in Sondierungsgesprächen die Genehmigungsfähigkeit einer Zusammenarbeit auf dem Gebiet des U-Bootbaus mit Südafrika auszuloten. Die angesprochenen Ministerien ließen die Unternehmen wissen, daß es keine Aussicht auf Erteilung der erforderlichen Genehmigung gebe.Der Bundeskanzler, der in diesem Zusammenhang unter anderem von dem südafrikanischen Premier Botha angesprochen wurde, beauftragte Staatssekretär Schreckenberger und Ministerialdirektor Teltschik mit einer wohlwollenden Prüfung der Angelegenheit. Der Bundeskanzler hat dabei darauf hingewiesen, daß er ein großes Interesse habe, Arbeitsplätze in der Werftindustrie zu sichern. Es gab dann verschiedene Gespräche zwischen dem Kanzleramt und der Unternehmensseite. Im Oktober 1984 wurde den Unternehmen seitens des Kanzleramtes von dem beabsichtigten Projekt abgeraten. Auf den Hinweis der Unternehmen auf in früheren Zeiten praktizierte Verfahren zur Ermöglichung solcher Geschäfte — ich nenne in diesem Zusammenhang nur das Stichwort „U-Boote für Israel" — wurde den Unternehmen erneut, und zwar zuletzt im Januar 1985, mitgeteilt, daß keine Aussicht auf Genehmigung des beabsichtigten Geschäfts bestünde. Daraufhin haben die Unternehmen von der Stellung eines Antrages abgesehen, und dementsprechend wurden auch keine Genehmigungen erteilt.Um das deutlich zu machen, noch einmal — das Gesetz sieht es ja auch vor — : Genehmigungen müssen schriftlich erfolgen. Das war den Unternehmen auch bekannt. Es ist aber weder eine schriftliche noch eine mündliche Genehmigung erfolgt. Gleichwohl — und das ist richtig und wird auch nicht bestritten — haben die Unternehmen einen Vertrag, zunächst unter Vorbehalt, mit Südafrika geschlossen und von Oktober 1984 bis Juni 1985 auch Konstruktionsunterlagen geliefert. Als die Bundesregierung von diesem Sachverhalt erfuhr, und zwar im Juni 1985, hat sie das nach dem Gesetz vorgesehene Ermittlungsverfahren eingeleitet. Seit dieser Zeit ermittelt die Oberfinanzdirektion Kiel als zuständige Behörde. Da es bisher nur Anhaltspunkte für die Begehung einer Ordnungswidrigkeit gibt, bestand für niemand Anlaß, die Staatsan-
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Bohlwaltschaft einzuschalten, die selbst auch kein solches Verfahren eingeleitet hat.Das ist der Sachverhalt. Den mag jeder bewerten wie er will, nur besteht weiterer Aufklärungsbedarf mit Sicherheit nicht. Und wenn Sie hier sagen, die Bundesregierung hätte nicht alle Akten vorgelegt, so stimmt das doch einfach nicht. Die Bundesregierung hat sofort alle Akten, die bis zum Einsetzungsbeschluß angefallen sind, vorgelegt. Sie hat sogar darüber hinausgehend, obwohl sie gar nicht verpflichtet ist, Akten herausgegeben, die nach erfolgtem Einsetzungsbeschluß angefallen sind.Wenn Sie, Herr Gansel, beklagen, Sie hätten nicht genügend Zeit gehabt, einen Abschlußbericht zu machen, dann darf ich Ihnen sagen, daß der Kollege Beckmann und ich einen solchen Abschlußbericht erarbeitet und 24 Stunden vor Abschluß der Legislaturperiode vorgelegt haben. Wo ist denn Ihrer eigentlich geblieben? Warum haben Sie sich nicht die Mühe gemacht, das einmal zu schreiben, was Sie so bewegt?Ganz schwach ist nun Ihre Begründung, Zeugen hätten von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch gemacht. Sie selbst haben den Zeugen dieses Recht im Untersuchungsausschuß zugestanden, weil es der Rechtslage entspricht. Ich kann nur sagen: Dieses Zeugnisverweigerungsrecht besteht weiterhin, Herr Kollege Gansel; denn es knüpft rechtlich nicht an das Ermittlungsverfahren an, sondern, wie Sie wissen, an die Möglichkeit der Selbstbelastung. Diese Möglichkeit besteht im Grunde genommen bis zum Ablauf der Verjährungsfrist. Wollen Sie also tatsächlich im Deutschen Bundestag Untersuchungsausschüsse so lange wiederholen, bis die Zeugen entweder ein Zeugnisverweigerungsrecht nicht mehr haben oder davon nicht mehr Gebrauch machen?Ich möchte Sie auch noch darauf hinweisen, daß die formelle Prüfung Ihres Antrages doch erhebliche, auch verfassungsrechtliche Bedenken aufwirft. Wir haben nicht die Kompetenz, Länderexekutiven zu überprüfen. Ich muß Ihnen ganz offen sagen — wir haben darüber ja im Untersuchungsausschuß mehrfach gesprochen, und wir werden genauso verfahren wie beim letztenmal — : Wir werden es nicht zulassen, daß ein Bundes-Untersuchungsausschuß die Länderexekutiven kontrolliert.Auch bei der Sachkompetenz gibt es große Zweifel. Nach dem Flick-Urteil steht fest, daß Untersuchungsgegenstand nur abgeschlossene Vorgänge sein dürfen und daß nicht in laufende Verhandlungen oder in Entscheidungsvorbereitungen eingegriffen werden darf. Das Ermittlungsverfahren bei der Oberfinanzdirektion Kiel ist nicht abgeschlossen; das wissen Sie genau. Es drängt sich der Verdacht auf, daß Sie mit diesem Verfahren bei dem Untersuchungsausschuß nur in das Ermittlungsverfahren eingreifen wollen oder zumindest Einfluß nehmen wollen, was rechtlich nicht zulässig ist.Sie sprechen in Ihrem Antrag durchweg von „rechtswidrigen Lieferungen", obwohl diese Feststellung bis heute niemand getroffen hat. Sie mögen ja dieser Rechtsauffassung sein. Hier aber mit diesem Untersuchungsausschuß geht es doch mittelbar um öffentlicheGewalt. Ein Urteil, ob etwas rechtswidrig ist oder nicht, steht der Exekutive oder in der Prüfung der Judikative zu; es kann aber nicht in der Form eines Einsetzungsbeschlusses durch den Deutschen Bundestag abgegeben werden. Sie gehen über die Rechte, die wir hier haben, mit Ihrem Antrag weit hinaus. Das ist verfassungsrechtlich mehr als bedenklich.Wir haben also große Bedenken — ich will das noch einmal sagen — , auch wenn wir das Minderheitenrecht nach Art. 44 respektierten und den Antrag passieren lassen.
Sie sollten sich aber wirklich einmal ernsthaft selbst prüfen, ob Sie sich damit einen Gefallen tun, wenn Sie über die rechtlichen Zuständigkeiten dieses Bundestages und des Untersuchungsausschußrechtes hinausgehen. Ich muß Ihnen sagen: Sie entwerten nach meinem Eindruck damit dieses Instrument des Untersuchungsausschusses selbst, wenn Sie über die rechtlichen Zuständigkeiten, die wir haben, hinausgehen. Dann dürfen Sie sich nicht wundern, wenn Sie — und der Bundestag und der Untersuchungsausschuß — damit in ein schiefes Licht kommen.Wenn wir schon dabei sind, will ich Ihnen auch sagen: Wir werden in dem Ausschuß natürlich auch deutlich machen, welche — ich muß es so sagen — Heuchelei dahintersteckt, wenn Sie von der SPD versuchen, dieser Bundesregierung Vorwürfe zu machen im Zusammenhang mit einem Ermittlungsverfahren, das von dieser Bundesregierung wegen des Verdachtes ungenehmigter Blaupausen-Exporte eingeleitet wurde.Unter den von der SPD geführten Bundesregierungen befinden sich Waffenexporte besonderer Art, zum Beispiel die Anfang der 70er Jahre von der Regierung Brandt genehmigten Exporte nach Chile von 840 Schnellfeuergewehren, 500 Maschinengewehren und 170 Maschinenpistolen. Oder denken Sie einmal an die zwischen 1976 und 1978 von der Regierung Schmidt erteilten Exportgenehmigungen für Gewehre und Munition im Werte von über 30 Millionen DM nach Nicaragua — ausgerechnet nach Nicaragua!
Zu jener Zeit herrschte dort doch das von den Sandinisten bekämpfte Somoza-Regime. Beschäftigen Sie sich also lieber, so meine ich, Herr Kollege Gansel, mit der Aufarbeitung Ihrer eigenen schlimmen Waffenexport-Vergangenheit, als uns mit dem unsinnigen, untauglichen und sicher erfolglosen Versuch, dieser Bundesregierung in Sachen Waffenexporte etwas ans Bein zu binden, noch monatelang zu langweilen.Diese Bundesregierung hat sich in Sachen Waffenexporte immer korrekt verhalten. Das wird auch so bleiben, und das wird dieser Untersuchungsausschuß einmal mehr bestätigen.Vielen Dank.
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 8. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 2. April 1987 439
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Einsetzung eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses auf Drucksache 11/84. Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht, bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? —
— Wir haben vorher gezählt. Der Sitzungsvorstand ist sich einig: Der Antrag ist abgelehnt.
Meine Damen und Herren, wir brauchen über den Antrag der SPD nicht abzustimmen. Der Deutsche
Bundestag ist bei einem Antrag eines Viertels seiner Mitglieder verpflichtet, einen Untersuchungsausschuß einzusetzen. Der Antrag der Fraktion der SPD entspricht diesen Voraussetzungen. Ich kann somit feststellen, daß gemäß Art.44 Abs. 1 des Grundgesetzes der Untersuchungsausschuß eingesetzt ist.
Wir sind damit am Schluß unserer Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 6. Mai 1987, 13 Uhr ein.
Ich wünsche Ihnen frohe Ostertage. Die Sitzung ist geschlossen.