Gesamtes Protokol
Meine Damen und Herren, die Sitzung ist eröffnet.
Wir treten ein in die
Fragestunde
— Drucksache 10/6207 —
Zunächst einmal kann ich Ihnen mitteilen, daß der Geschäftsbereich des Bundesministers für innerdeutsche Beziehungen nicht aufgerufen zu werden braucht, weil der Fragesteller, der Abgeordnete Lintner, um schriftliche Beantwortung seiner Fragen gebeten hat. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich kann damit den Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung aufrufen. Zur Beantwortung steht uns Herr Parlamentarischer Staatssekretär Würzbach zur Verfügung.
Ich rufe zunächst Frage 3 der Abgeordneten Frau Schmidt auf:
Liegen der Bundesregierung Erkenntnisse darüber vor, aus welchen Gründen in einem Versuchslabor der US-Streitkräfte in Fort Dietrich, US-Bundesstaat Maryland, Viren zum Zwecke der biologischen Kriegführung gezüchtet wurden, und wie bewertet die Bundesregierung diese Tatsache in Anbetracht wiederholter Äußerungen aus NATO-Kreisen, daß biologische Kampfmittel nicht zum Waffenarsenal der NATO-Streitkräfte sowie der nationalen Armeen gehörten?
Herr Staatssekretär.
Herr Präsident! Frau Kollegin Schmidt, anläßlich der zweiten Überprüfungskonferenz vom 8. bis zum 26. September dieses Jahres wurden weder vom Vertreter der Sowjetunion noch von Vertretern der übrigen Staaten, auch des Warschauer Paktes, Verletzungen des B-WaffenÜbereinkommens einzelnen NATO-Staaten vorgeworfen. Die Bundesregierung weist mit Erstaunen und Nachdruck, Frau Kollegin, die in der Frage liegende Unterstellung eines möglichen Verstoßes gegen das B-Waffen-Übereinkommen von 1972, dem alle NATO-Staaten beigetreten sind, zurück. Übrigens ist das Fort, nach dem Sie fragen, uns dem Namen nach nicht bekannt. Ich verweise auf die Ausführungen des Staatsministers Möllemann zu diesem Thema in der 232. Sitzung am 25. September dieses Jahres.
Eine Zusatzfrage, bitte sehr.
Herr Staatssekretär, können Sie mir — ich will Ihre Auskunft in keiner Weise anzweifeln — sagen, inwieweit die Bundesregierung solchen Nachrichten nachgegangen ist, denen j a immerhin eine eidesstattliche Erklärung des betroffenen Angehörigen des amerikanischen Verteidigungsministeriums zugrunde liegt und nachdem auch Akten aus dem Ministerium veröffentlicht worden sind, wonach eben doch eine Produktion jenes Virus, des Chikungunya-Virus, und zwar mehrere Liter, erfolgt ist? Ist die Bundesregierung diesem Sachverhalt nachgegangen?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, ich wiederhole, daß in der entsprechenden Konferenz, wo alle Fachleute vertreten waren, nicht einmal von der Sowjetunion auch nur annähernd ähnliche Behauptungen aufgestellt wurden. Ich habe hier das Protokoll — Sie werden es auch haben —, wonach ein Kollege der Fraktion DIE GRÜNEN ähnliche Aussagen, wie Sie sie eben unter Berufung auf die Quellen vorgetragen haben, gemacht hat; die sind für die Bundesregierung von Staatsminister Möllemann eindeutig auf Grund gewissenhafter Prüfung als nicht wahr zurückgewiesen worden.
Danke schön. Weitere Zusatzfragen sind nicht erwünscht.Ich rufe Frage 4 der Frau Kollegin Steinhauer auf.Ist der Bundesregierung bekannt, wie viele ehemalige Soldaten auf Zeit die Wiedereingliederung in den allgemeinen Arbeitsmarkt nur durch mehrjährige Maßnahmen zur Fortbildung und Umschulung erreichen können, und wann beabsichtigt die Bundesregierung, dem Gesetzgeber Vorschläge zu unterbreiten, wie für diesen Personenkreis der Lebensunterhalt während dieser notwendigen Bildungsmaßnahmen gesichert werden kann?Würzbach, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin Steinhauer, die Zahl, nach der Sie fragen, ist uns nicht bekannt. Wir haben die Bundesanstalt für Arbeit in Nürnberg gebeten, uns diese Zahlen zu geben. Die Bundesanstalt kann dies nicht; sie speichert solche Angaben nicht.Weil wir auch an solchen Zahlen interessiert sind, haben wir sozusagen mit Bordmitteln versucht,
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18500 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 240. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Oktober 1986
Parl. Staatssekretär Würzbacheine eigene Erhebung vorzunehmen. Dabei haben wir festgestellt, daß in den verschiedenen Altersgruppen der in Frage kommenden ausscheidenden Zeitsoldaten im Vergleich zu den zivilen Altersgruppen weit weniger ehemalige Zeitsoldaten arbeitslos waren. Dies sind uns aber auch noch zuviel, deshalb haben wir im 20. Finanzplan eine Summe ausgeworfen, um hier noch besser als in der Vergangenheit — das war schon gut, aber es soll noch besser werden — zu helfen.
Zusatzfrage, bitte, Frau Abgeordnete.
Herr Staatssekretär, ich weiß, daß das protokollarisch nicht richtig ist, aber darf ich Sie darauf aufmerksam machen, daß ich nicht nach Zeitsoldaten gefragt habe, sondern allgemein nach Soldaten? Das Problem trifft nämlich nicht nur Zeitsoldaten. Ich nehme an, es ist Ihnen bekannt, daß jetzt viele junge Leute eingezogen werden, weil sie arbeitslos sind; sie sind anschließend an den Wehrdienst weiter arbeitslos. Sind Sie bereit, nachdem das Problem im Verteidigungsausschuß bereits für gesundheitsgeschädigte Soldaten besprochen wurde, dieses Problem aufzugreifen und, worauf mich die Bundesanstalt für Arbeit hingewiesen hat, eine Regelung über ein Gesetz zu ermöglichen, damit im Arbeitslosenbereich diejenigen jungen Männer gleichgestellt werden, die auch nach ihrer Soldatenzeit arbeitslos sind? Das betrifft Zeitsoldaten und Wehrpflichtige.
Frau Abgeordnete, Sie haben sich j a vorher schon dafür entschuldigt, daß Sie gegen die Geschäftsordnung verstoßen haben.
Herr Staatssekretär, wenn Sie trotzdem antworten wollen, will ich Ihnen gerne die Gelegenheit geben.
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, die aktuelle Diskussion geht um die Zeitsoldaten; so hatte ich Ihre Frage verstanden. Da sind die Gemüter im Haushalts- und Verteidigungsausschuß im Augenblick arg erhitzt. Wir werden im nächsten Jahr für die Zeitsoldaten, die nur zwei bis sechs Jahre dienen — das ist die Schwachstelle —, erhebliche Verbesserungen vornehmen.
Ich komme gerne auf die Wehrpflichtigen, nach denen Sie fragen. Aber hier — das muß ich Ihnen sagen — gibt es das Arbeitsplatzschutzgesetz. Es hat inzwischen eine gute Tradition und gute Ergebnisse. Die Erfahrung, die wir machen, ist eine umgekehrte, daß nämlich Arbeitgeber die jungen Leute, die zu einer Firma kommen und sich bewerben, fragen: Hast Du schon gedient, ja oder nein? und daß dann der genommen wird, der sagt: Jawohl, ich habe die Wehrpflichtzeit schon hinter mir, und daß der einen Vorteil hat gegenüber dem jungen Soldaten, der irgendwann noch einberufen wird. Das ist das eine Problem.
Am Ende der Dienstzeit der Wehrpflichtigen — ich will Ihnen gern aus dem Kopf ein paar Zahlen sagen — haben wir allein im letzten Jahr über 10 000 junge Wehrpflichtige bis zu sechs Wochen vor dem eigentlichen Ende der Wehrpflicht vorzeitig entlassen und die Lücken in den Kompanien dafür hingenommen, damit sie rechtzeitig in ihren Beruf einsteigen konnten und nicht, wenn sie ordnungsgemäß erst entlassen worden wären, ein halbes Jahr, manche ein dreiviertel und einige sogar ein volles Jahr, verloren hätten. Dort tun wir, was wir tun können. Wir geben Sonderurlaub zur Bewerbung, zur Vorstellung mehrere Male, in ausgesprochen beweglicher Form.
Bei den Wehrpflichtigen und den Zeitsoldaten auf zwei Jahre, Frau Kollegin, sehe ich vom Gesetzgeber her keinen Handlungsbedarf.
Noch eine — wie ich annehme — jetzt wirkliche Zusatzfrage.
Man darf mit dem Präsidenten nicht diskutieren.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
„Es handelt sich hierbei durchaus um keinen Einzelfall"? Würden Sie bitte zur Kenntnis nehmen oder einmal überprüfen, ob nicht hier doch Handlungsbedarf besteht? Wie mir hier gesagt wurde, kann die Regelung lediglich durch eine Gesetzesänderung für die Betroffenen zufriedenstellend gelöst werden, zumal zwischen 20 und 29 Jahren die Arbeitslosigkeit viel höher ist als in anderen Altersgruppen.
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, ich nehme dies gern zur Kenntnis und würde Sie bitten, mir hier die konkreten Anregungen eines Arbeitsamtes zuzuleiten.
Frau Abgeordnete Schmidt , bitte sehr.
Herr Staatssekretär, Sie sagten gerade, daß Wehrpflichtige teilweise bis zu sechs Wochen vorher entlassen worden sind und daß es über 10 000 waren. Trifft diese Bezeichnung „Wehrpflichtige" auf Soldaten und Zivildienstleistende oder nur auf Soldaten zu, und wie verhält es sich da bei den Zivildienstleistenden?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, ich habe hier — und darauf bezog sich die Frage — über die Soldaten zu reden.
Dann ist der Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung schon zu Ende. Herr Staatssekretär, ich bedanke mich.Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau auf. Zur Beantwortung steht uns der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Jahn zur Verfügung.Ich rufe die Frage 5 des Abgeordneten Braun auf:Welche Maßnahmen hat die Bundesregierung vor allem im Wohnungs- und Städtebau ergriffen, um das Zusammenleben mehrerer Generationen zu erleichtern?Bitte, Herr Staatssekretär.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 240. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Oktober 1986 18501
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Braun, die Bundesregierung hat in der laufenden Legislaturperiode das Zusammenleben mehrerer Generationen durch folgende gesetzgeberische Maßnahmen erleichtert:
Erstens. Verbesserungen für das Zusammenleben mehrerer Generationen im sozialen Wohnungsbau. Hier nenne ich drei Punkte: die Anhebung des Betrages, um den sich die Einkommensgrenze des § 25 des Zweiten Wohnungsbaugesetzes für den dritten und jeden weiteren zur Familie rechnenden Angehörigen erhöht, von 6 300 DM auf 8 000 DM.
Weiter: Das dem Bauherrn einer öffentlich geförderten Eigentumsmaßnahme für mitwohnende Eltern oder Schwiegereltern zustehende Familienzusatzdarlehen ist erhöht worden; es wird nunmehr unabhängig von der Höhe ihres Einkommens gewährt.
Und weiter: Die nachträgliche Aufnahme von Angehörigen in die zweite Wohnung eines Eigenheims ist nunmehr unabhängig davon, ob das Einkommen dieser Angehörigen die Einkommensgrenze im sozialen Wohnungsbau übersteigt.
Das weitere Gebiet sind zweitens Verbesserungen für das Zusammenleben mehrerer Generationen im Wohngeldrecht. Im Rahmen der sechsten Wohngeldnovelle wurde ein Freibetrag in Höhe von 2 400 DM jährlich für mitwohnende ältere Angehörige — Eltern, Schwiegereltern — eingeführt.
Ich nenne drittens die steuerlichen Regelungen, die am 1. Januar 1987 in Kraft treten: Die Erweiterung eines Eigenheims kann künftig auch dann nach § 10e Einkommensteuergesetz — das ist heute § 7 b — gefördert werden, wenn diese Steuervergünstigung schon zuvor für den Bau und Erwerb des Eigenheims in Anspruch genommen wurde. Bei unentgeltlicher Überlassung eines Wohnungsteils an Verwandte wird die steuerliche Förderung nach § 10e Einkommensteuergesetz nicht beeinträchtigt. Und schließlich: Der Nutzungswert der einem Verwandten unentgeltlich überlassenen Wohnung wird dem Hauseigentümer nicht mehr als Einkünfte zugerechnet.
Ein vierter Komplex ist das Baugesetzbuch. Auf Grund der überkommenen Siedlungsstruktur befinden sich in Außenbereichsgebieten unseres Landes zahlreiche Wohngebäude. Das neue Baugesetzbuch, das hier morgen in zweiter und dritter Lesung beraten wird, ermöglicht künftig im Außenbereich die Einrichtung einer zweiten Wohnung in vorhandenen Wohngebäuden für Angehörige einer Familie. Damit wird das Zusammenleben einer Familie unter einem Dach auch baurechtlich unterstützt.
Und das letzte: Der Bundesminister für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau hat bei seinem Bundeswettbewerb 1984 „Familienwohnung und Familienheim" das Thema „Mehrere Generationen unter einem Dach" zum Schwerpunkt gemacht. Einige besonders richtungweisende Modelle sind im Programm des experimentellen Wohnungs- und Städtebaus mit Förderung des Bundesbauministers realisiert worden.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter? — Bitte sehr.
Herr Staatssekretär, liegen der Bundesregierung für die Vorbereitung und auch Durchführung dieser von Ihnen geschilderten Maßnahmen empirische Untersuchungen vor, damit insbesondere auch sichergestellt wird, daß im Hinblick auf das Zusammenleben und Zusammenwohnen mehrerer Generationen das berücksichtigt wird, was auch die betroffene ältere Generation möchte?
Dr. Jahn, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Braun, der Bundesregierung liegen Untersuchungen vor, z. B. vom Emnid-Institut aus dem Jahre 1984. Und es gibt noch eine ganze Reihe anderer Untersuchungen, die dieser Politik zugrunde liegen. Ich will es zusammenstellen lassen und Ihnen zuleiten.
Weitere Zusatzfrage? — Bitte sehr, Herr Abgeordneter.
Haben Sie einen Überblick, ob dieses Drei-Generationen-Modell — inzwischen sprechen wir ja schon von vier Generation — von der Bevölkerung angenommen worden ist?
Dr. Jahn, Parl. Staatssekretär: Die Bundesregierung legt Wert auf die Feststellung, daß ihrer politischen Absicht nach das Drei-Generationen-Prinzip beim Wohnen von niemandem erzwungen wird; es muß aus freien Stücken gewünscht sein. Wir stellen aber fest, daß das Drei-Generationen-Prinzip immer beliebter wird. Wir haben heute noch, gerade in ländlichen Räumen, auf den Bauernhöfen, die Verwirklichung des Drei-Generationen-Prinzips. Wenn dort einmal, auch bei der Erziehung der Kinder, die Autorität von Mutter und Vater nicht so sehr gegeben ist, steht immer noch die Autorität von Oma und Opa dahinter. Und das bekommt unseren Kindern in der Erziehung gar nicht schlecht.
Danke schön. Zusatzfrage der Abgeordneten Reschke.
Herr Staatssekretär, Sie haben soeben eine schöne Latte von Leistungen aufgezählt, die Sie für diesen Bereich erbringen wollen. Sind Sie bereit, mir jetzt auf Grund des Haushaltplanentwurfs des Jahres 1987, um die Latte zu verkürzen, einmal aufzuzählen, was wann, zu welchem Zeitpunkt und auf Grund welcher Haushaltsentscheidungen, die ja anstehen, noch in diesem Jahr wegfällt?Dr. Jahn, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Reschke, ich habe erstens auf gesetzliche Grundlagen hingewiesen, z. B. auf den sozialen Wohnungsbau. Die Bestimmungen sind in Kraft und hier beschlossen worden.Ich habe zweitens auf die Wohngeldnovelle hingewiesen. Die haben wir bereits hier in diesem Hohen Haus beschlossen.
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18502 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 240. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Oktober 1986
Parl. Staatssekretär Dr. JahnUnd ich habe drittens auf das Baugesetzbuch hingewiesen, das morgen hier in zweiter und dritter Lesung beschlossen wird.
Ich gehe davon aus, daß der Bundesrat dies in den nächsten Wochen ebenfalls tut. Deshalb dürfen Sie zur Kenntnis nehmen, daß das, was ich hier dargelegt habe, nicht ein Versprechen in die Zukunft,
sondern etwas ist, was Realität ist, das Baugesetzbuch eingeschlossen.
Zusatzfrage des Abgeordneten Immer.
Herr Staatssekretär, da Sie — abweichend von der Fragestellung — auf die Probleme von Bauernhöfen spekulativ eingegangen sind, möchte ich Sie fragen: Wie verhalten sich Ihre Ausführungen zu der Feststellung, daß ältere Menschen zunehmend auch von Bauernhöfen in Altersheime abgeschoben werden, weil die Situation auf den Bauernhöfen vom Einkommen und auch von der Ausstattung der Wohnungen her so schwierig geworden ist, daß Landwirte, die ihren Beruf noch aktiv ausüben, gar nicht in der Lage sind, alte Menschen zu pflegen?
Dr. Jahn, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Immer, ich kann das, was Sie als Frage stellen, nicht als wahr unterstellen. Die Bundesregierung hat solche Erkenntnisse nicht.
Zusatzfrage des Abgeordneten Müntefering.
Herr Staatssekretär, wollen Sie bestreiten, daß die Bundesregierung — mit der Vorlage des Haushalts 1987 beginnend — die Förderung des sozialen Wohnungsbaues deutlich reduziert, so daß ein ganzer Teil derer, die sich sonst in den kommenden Jahren eine eigene Wohnung hätten anschaffen oder bauen können, dazu nicht mehr in der Lage sein werden?
Dr. Jahn, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Müntefering, die Bundesregierung zieht sich bewußt aus der Förderung des Mietwohnungsbaues zurück, weil die Mietförderung kein flächendeckendes, sondern nur noch ein punktuelles Problem darstellt. Wenn das so ist, dann sind dafür die Länder zuständig. Wenn Sie auf die Eigentumsmaßnahmen abstellen, dann ist zuzugestehen, daß die Förderung quantitativ zurückgeht, aber nicht qualitativ; denn Angebot und Nachfrage sollen sich auch künftig die Waage halten. Zu keiner anderen Zeit als dieser waren das Angebot und die Nachfrage im Wohnungswesen so ausgeglichen wie zur Zeit.
Nun hat sich noch der Abgeordnete Klejdzinski gemeldet.
Herr Staatssekretär, da Sie Münsterländer sind und ich mindestens davon ausgehe, daß Sie das Münsterland genausogut kennen wie ich, würden Sie diese letzte Aussage, die Sie in dieser Art und Weise formuliert haben, auch für die Bedarfsdeckung im Müsterland so aufrechterhalten.
Dr. Jahn, Parl. Staatssekretär: Ich habe hier eine Auskunft für die Bundesrepublik gegeben. Einzelheiten über den Raum Münster kann ich hier in dieser Fragestunde nicht beantworten. Soweit ich informiert bin, ist die Wohnversorgung im Münsterland und auch in der Stadt Münster, aus der ich komme, im ganzen gesehen, ausgewogen, jedenfalls viel besser als 1982, als wir die Regierung übernahmen.
Nun können wir, glaube ich, zu der Frage 6 des Abgeordneten Braun kommen:
Gibt es nach Auffassung der Bundesregierung noch weitere Maßnahmen, die dem Ziel dienen, das Zusammenleben mehrerer Generationen zu erleichtern?
Herr Staatssekretär, Sie haben Gelegenheit, auf das Thema zurückzukommen.
Dr. Jahn, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Braun, auf Grund des Vierten Familienberichts prüft die Bundesregierung, welche weiteren Maßnahmen, zur Förderung des Zusammenlebens mehrerer Generationen getroffen werden können. Sie wird hierzu in der nächsten Wahlperiode Stellung nehmen.
Zusatzfrage, bitte sehr.
Hat Ihr Ministerium bei der Erstellung des Familienberichts mit dem Schwerpunkt „Leben der älteren Generation in der Familie" mitgewirkt?
Dr. Jahn, Parl. Staatssekretär: Der Bundesbauminister legt gerade auf die Bearbeitung des Themas Drei-Generationen-Prinzip großen Wert. Wir haben im Rahmen der Abstimmung der Ressorts hieran mitgewirkt, und zwar auf ausdrücklichen Wunsch des Ministers mehr, als das sonst üblich ist.
Weitere Zusatzfrage, bitte.
Im Hinblick auf die noch nicht lange Laufzeit dieser Maßnahmen, die Sie vorhin geschildert haben, liegen sicherlich noch keine Erfahrungen vor. Wären Sie bereit, mir zu gegebener Zeit zu berichten und einige Unterlagen zu übermitteln, wie sich diese Maßnahmen in der Praxis bewährt haben?Dr. Jahn, Parl. Staatssekretär: Zum Beispiel im Wohngeldrecht hat sich diese Maßnahme, die ich heute erläutert habe, schon jetzt bewährt. Eine Differenzierung, wie sich das gerade im Drei-Generationen-Prinzip auswirkt, will ich Ihnen gern, wie gewünscht, zukommen lassen.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 240. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Oktober 1986 18503
Zusatzfrage des Abgeordneten Reschke, bitte sehr.
Herr Staatssekretär, sind Sie bereit, zuzugeben und anzuerkennen, daß die Regierung bei der Förderung des Zusammenlebens mehrerer Generationen in einer Wohnung oder in einem Haus bevorzugt diejenigen steuerlich begünstigen will, die es sich leisten können, das selbst zu finanzieren?
Dr. Jahn, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Reschke, Sie gehören selbst dem Bauausschuß des Deutschen Bundestages an und wissen auch, daß die steuerliche Förderung, die jetzt ab 1. 1. 1987 in Kraft tritt, eine Lanze gerade auch für den Einkommensschwachen bildet. Wir haben z. B. die Wirkung der 7-b-Abschreibung auf den Erwerb aus dem Bestand erweitert. Wir haben weiter die Wirkung der 7-b-Abschreibung ausgedehnt auf die Hälfte der Grundstückskosten. Das alles sind Maßnahmen der Vermögensbildung und dienen insbesondere den einkommensschwachen Bevölkerungskreisen.
Abgeordneter Becker hat die Möglichkeit, eine Zusatzfrage zu stellen.
Herr Staatssekretär, können Sie mir irgendein Faktum nennen, wonach sich in bezug auf die Stadt Münster das Zusammenleben mehrerer Generationen 1986 anders darstellt als 1982?
Dr. Jahn, Parl. Staatssekretär: Die Münsteraner waren schon immer fortschrittlich. Das Drei-Generationen-Prinzip war dort in größerem Umfange verwirklicht als in manch anderen Gebieten.
Herr Abgeordneter Becker, allenfalls wäre ein Zusammenhang mit der Frage 5, aber wohl kaum mit der Frage 6 herzustellen.
— Unter Bezugnahme auf die Antwort. Wir wollen nicht streiten.
Der Abgeordnete Hirsch hat um eine Zusatzfrage gebeten.
Herr Staatssekretär, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß — abgesehen von den studentischen Wohnungsbauprogrammen — die Wohnraumversorgung im Münsterland schon am Ende meiner Amtszeit im Mai 1980 überdurchschnittlich gut war, und zwar so, daß nicht alle Wohnungen vermietbar waren?
Dr. Jahn, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Hirsch, ich bestreite nicht, daß sie im münsterischen Raum überdurchschnittlich gut war. Aber sie ist, seitdem wir regieren, noch besser geworden.
Herr Abgeordneter Immer.
Herr Staatssekretär, wie beurteilen Sie die Situation gerade in ländlichen Räumen, in peripheren Gebieten, daß Familien wegen der großen Arbeitslosigkeit ihre Zinsen und Tilgungen nicht mehr bezahlen können und daß in den Zeitungen laufend Häuser und Familienheime angeboten werden, die einfach wegen der wirtschaftlichen Situation unter den Hammer kommen?
Herr Abgeordneter, wenn Sie wenigstens in die Frage eingebaut hätten, daß in den Häusern mehrere Generationen wohnen,
hätte ich ja noch den Zusammenhang sehen können. Aber so bitte nicht.
Ich möchte jetzt allerdings allen Ernstes bitten — —Dr. Jahn, Parl. Staatssekretär: Herr Präsident, darf ich die Frage gleichwohl beantworten?
Bitte sehr, Herr Staatssekretär.
Dr. Jahn, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Immer, auch wenn der Sachzusammenhang offensichtlich nicht gegeben ist, möchte ich den Tatbestand, daß es heute Zwangsversteigerungsfälle gibt, gar nicht bagatellisieren. Die Bundesregierung bedauert das, aber sie trägt nicht die Schuld daran. Die Ursachen für die Zwangsversteigerungen liegen in erster Linie
in unseriösen Finanzierungsmodellen, in zweiter Linie darin, daß mancher Bauherr längere Zeit krank wird. Ein großer Anteil der Zwangsversteigerungen sind auf Ehescheidungen zurückzuführen. Das müssen wir im Interesse der Wahrheit auch deutlich sagen.
Zu einer Zusatzfrage Frau Abgeordnete Hürland.
Herr Präsident! Es ist sicher verständlich, daß wir im Raum angesichts des Herrn Staatssekretärs Jahn aus Münster über den münsterischen Raum sprechen und daß es da sicherlich größere Verdienste gibt als anderswo — er ist ja schon lange CDU-geführt —; gleichwohl müssen wir aber doch feststellen, daß der Staatssekretär im Bundesbauministerium nicht nur für den Bereich Münster, sondern sowohl für den Bodensee als auch für Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Hessen zuständig ist.
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18504 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 240. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Oktober 1986
Frau HürlandIst das so richtig?
Dr. Jahn, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin Hürland, ich habe dem nichts hinzuzufügen.
Damit kann ich den Bereich des Parlamentarischen Staatssekretärs Dr. Jahn abschließen. Herr Staatssekretär, herzlichen Dank.
Den Geschäftsbereich des Bundesministers für Forschung und Technologie brauche ich nicht aufzurufen, weil der Abgeordnete Catenhusen um schriftliche Beantwortung seiner Frage 7 gebeten hat. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Das gleiche trifft auf den Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes zu. Der Abgeordnete Stahl hat um schriftliche Beantwortung seiner Fragen 8 und 9 gebeten. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Wir kommen nunmehr zum Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern. Zur Beantwortung steht uns der Parlamentarische Staatssekretär Spranger zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 10 des Abgeordneten Dr. Hirsch auf:
Welche Bundesländer haben bisher auf die Anfrage des Bundesministers des Innern Stellung genommen, in der der Bundesminister des Innern entsprechend des Beschlusses der Innenministerkonferenz um Zustimmung zu einer Änderung der Stellenplanobergrenzenverordnung gebeten hat, durch die den besonders belasteten Polizeibeamten des mittleren Dienstes eine etwas bessere Beförderungsmöglichkeit von A 8 nach A 9 geboten werden soll?
Herr Kollege Dr. Hirsch, Bundesminister Dr. Zimmermann hat in einem Schreiben vom 8. Juli 1986 zugleich im Namen des Bundesministers der Finanzen die zuständigen Länderminister um Mitteilung gebeten, ob die Landesregierungen bereit seien, dem Vorschlag der Innenministerkonferenz für eine Anhebung von Stellenobergrenzen für die Schutzpolizei zu folgen.
Mit einem weiteren Schreiben vom 9. September 1986 hat sich Bundesminister Dr. Zimmermann erneut an die zuständigen Länderminister mit der Bitte gewandt, die erbetene Stellungnahme der Landesregierungen bald zu übermitteln. Zu diesem Ministerschreiben haben bisher nur die Länder Hessen, Nordrhein-Westfalen und Hamburg Stellung genommen. Da der Hamburger Senat eine Anhebung der Stellenobergrenzen entsprechend den Vorschlägen der IMK ablehnt, hat sich Bundesminister Dr. Zimmermann in einem Fernschreiben vom 14. Oktober 1986 beim Hamburger Ersten Bürgermeister Dr. von Dohnanyi und den übrigen zuständigen Länderministern erneut dafür eingesetzt, daß die Landesregierungen baldmöglichst den Vorschlägen der Innenministerkonferenz vom 18. April 1986 zustimmen. Dabei hat Bundesminister Dr. Zimmermann seinen Hinweis wiederholt, der Bund werde sich dem Wunsch nach Änderung der Obergrenzenverordnung nicht entziehen, wenn die Länder in dieser Frage Einigung erzielten. Eine baldige Einigung würde er sehr begrüßen.
Zusatzfrage, bitte sehr, Herr Dr. Hirsch.
Herr Staatssekretär, habe ich Ihrer Antwort richtig entnommen, daß die Bundesländer Bayern, Baden-Württemberg, Niedersachsen, Schleswig-Holstein, Rheinland-Pfalz dem gemeinsamen Wunsch der Innenminister aller Länder, die Stellenplanobergrenzenverordnung im Interesse der Besoldungsgruppen A 8 und A 9 zu verbessern, bisher nicht gefolgt sind?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Nein, die Länder haben bisher nicht Stellung genommen.
Herr Staatssekretär, nachdem wir beide wissen, daß die Innenministerkonferenz ihre Beschlußfassung ausdrücklich unter dem Vorbehalt der Zustimmung der Kabinette gemacht hat, und nachdem sich aus Ihrer Antwort ergibt, daß der Bundesinnenminister offenbar nur tätig werden will, wenn die Länder oder wenigstens die Mehrheit der Länder zustimmen, bedeutet Ihre Antwort dann nicht doch, daß bei der gegebenen Lage der Bundesinnenminister nichts tun will?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Nein, diese Schlußfolgerung können Sie nicht ziehen. Sie haben zu Recht dargelegt, daß der Beschluß der IMK vorbehaltlich der Entscheidungen in den jeweiligen Kabinetten ergangen ist. Das heißt: Es sind auch die Finanzminister zu beteiligen. Es ist auch eine Tatsache, daß sich im Februar der zuständige Arbeitskreis im Gegensatz zu der IMK entschieden hat und daß am 23. Oktober, also morgen, eine Sitzung der Finanzminister stattfindet, die sich mit diesem Thema befassen werden. Dann werden die Kabinette möglicherweise eine breitere Entscheidungsgrundlage als bisher haben.
Ich rufe die Frage 11 des Abgeordneten Herrn Dr. Hirsch auf:
Was gedenkt der Bundesminister des Innern zu tun, um in dieser Sache endlich weiterzukommen?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Dr. Hirsch, wie sich aus dem soeben Gesagten ergibt, müssen zunächst die noch ausstehenden Stellungnahmen der Länder abgewartet werden.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Hirsch.
Herr Staatssekretär, da es sich um die Beförderungschancen für viele Tausende von Polizeibeamten handelt: Finden Sie nicht, daß diese etwas kontemplative Betrachtungsweise, mit der Sie das Thema behandeln, nicht ausreichend ist, sondern daß man im aktiven Handeln darüber hinausgehen müßte.Spranger, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Dr. Hirsch, ich teile Ihre Bewertung nicht, daß es sich
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 240. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Oktober 1986 18505
Parl. Staatssekretär Sprangerhier um eine kontemplative Betrachtungsweise handelt. Ich habe in meiner Antwort auf Ihre erste Frage dargelegt, daß der Innenminister tätig geworden ist, daß er auch die Haltung der Länder zu dieser Frage erfahren muß, daß die entsprechenden Stellungnahmen aus diesen internen Entscheidungsprozessen sich offensichtlich verzögert haben und daß nun hoffentlich am 23. Oktober die Länderfinanzminister zu einer klaren Haltung kommen.
Herr Staatssekretär, kann ich davon ausgehen, daß der Herr Bundesfinanzminister Schulter an Schulter mit dem Innenminister bei seinen Länderkollegen dafür kämpft, daß die Stellenplanobergrenzenverordnung, so wie von uns beiden offenbar gewünscht, verbessert wird?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Dr. Hirsch, ich habe Ihnen die klare Haltung des Innenministers dargelegt. Inwieweit der Finanzminister diese Haltung teilt, kann ich nicht beurteilen.
Bitte sehr, Herr Abgeordneter.
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, antworten Sie hier nur für den Innenminister, oder sind Sie nicht verpflichtet, die Meinung der Bundesregierung wiederzugeben?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich habe Antwort zu einer Frage zu geben, die zwischen Bund und Ländern, zwischen den Ländern untereinander und natürlich auch, das ist selbstverständlich, entsprechend der Ressortverteilung streitig ist.
Bitte sehr, Herr Abgeordneter.
Herr Staatssekretär, was macht der Bundesinnenminister, wenn es morgen bei der Zusammenkunft der einzelnen Landesminister nicht zu der von Ihnen erhofften Lösung kommt?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Ich glaube, es hat wenig Sinn, auf hypothetische Situationen schon jetzt eine Antwort zu geben.
Der Abgeordnete Klejdzinski.
Herr Staatssekretär, da Sie auf hypothetische Fragen nicht antworten wollen, darf ich eine praktische stellen: Ist es, wenn man Stellen verändert, nicht im allgemeinen üblich, daß man vorher zumindest die Zustimmung des Finanzministers einholt?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Ich darf zu diesem Komplex sagen, daß sich der Innenminister sogar um die Zustimmung der Länder bemüht. Ich glaube, vor allem auch Herr Kollege Dr. Hirsch als früherer Landesinnenminister wird für diese Haltung sehr viel Verständnis haben.
— Es geht hier um die Schutzpolizei der Länder.
Frau Abgeordnete Hürland.
Herr Staatssekretär, können wir angesichts der Tatsache, daß Finanzminister aller Länder und aller Couleur bei solchen Angelegenheiten, wie sie hier gefordert sind, sehr zurückhaltend sind, von Ihnen erwarten, daß Sie, wenn die morgige Sitzung negativ ausgehen sollte, alle CDU/CSU-, FDP- und SPD-Abgeordneten bitten, auf ihre Länder dahin einzuwirken, daß es doch noch zu einem Erfolg kommt?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin Hürland, Sie können davon ausgehen, daß der Innenminister Dr. Zimmermann alle — auch parlamentarischen — Möglichkeiten ausschöpfen wird, um das umzusetzen, was die IMK beschlossen hat.
Zusatzfrage des Abgeordneten Sperling.
Herr Staatssekretär, ist die Frage nach der Haltung der Bundesregierung bereits eine hypothetische Frage, weil Sie morgen in die Verhandlungen ohne die Zusicherung des Bundesfinanzministers hineingehen?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Es ist gefragt worden, was wir tun würden, wenn die Konferenz morgen, am 23. Oktober, so oder so verläuft. Das ist eine hypothetische Fragestellung; das wird zu entscheiden sein, wenn der Ausgang dieser Konferenz feststeht.
Der Abgeordnete Reschke möchte noch eine Zusatzfrage stellen.
Sind Sie bereit, anzuerkennen, daß eben gefragt worden ist, wie die Meinung der Regierung ist? Sie haben gesagt: Die Meinung der Regierung ist noch nicht abgestimmt. Das haben Sie anerkannt. Jetzt müssen Sie doch zugeben, daß morgen die Regierung mit einer unabgestimmten Meinung in die Länderverhandlungen hineingeht.
Spranger, Parl. Staatssekretär: Das ist eine Interpretation, die ich nicht teile.
Herr Abgeordneter Müntefering, bitte sehr.
Herr Staatssekretär, welche Meinung werden Sie morgen als Meinung der Regierung vortragen?Spranger, Parl. Staatssekretär: Diese Frage müßten Sie konkreter dem Finanzminister stellen, da es sich um eine Finanzministerkonferenz handelt. Die
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Parl. Staatssekretär SprangerHaltung des Innenministers ist hier klar dargelegt worden.
Ich muß darauf aufmerksam machen, daß erhebliche Zweifel bestehen, ob der Zusammenhang der Frage, was die Bundesregierung und was der Bundesminister des Innern später zu tun gedenke, mit der Hauptfrage noch klar ersichtlich ist.
Der Bereich ist abgeschlossen. Ich rufe die Frage 12 des Abgeordneten Reschke auf:
Sieht die Bundesregierung die Gefahr eines Mißerfolgs der Volkszählung dadurch, daß es Städte und Gemeinden gibt, die die Kosten für die Durchführung der Volkszählung nicht aufbringen können?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Nach der in der Bundesrepublik Deutschland geltenden finanzverfassungsrechtlichen Ordnung haben die Länder einschließlich der Gemeinden und Gemeindeverbände die in ihrem Bereich anfallenden Kosten der Vorbereitung und Durchführung der Volkszählung zu tragen. So steht es in Art. 104 a Abs. 1 in Verbindung mit Art. 83 und 84 des Grundgesetzes.
Die Bundesregierung geht davon aus, daß die Länder alle Maßnahmen ergreifen, die zur ordnungsgemäßen Vorbereitung und Durchführung der Volkszählung erforderlich sind. Hierzu gehört auch, daß die finanziellen Voraussetzungen für die Erfüllung der den Gemeinden obliegenden Aufgaben zufriedenstellend gewährleistet sind. In diese Richtung weist auch der Beschluß der Innenministerkonferenz vom 3. Oktober 1986, der die volle Weitergabe der Finanzzuweisung des Bundes durch die Länder an die Gemeinden vorsieht.
Zusatzfrage, bitte sehr.
Welche rechtlichen Konsequenzen sieht die Bundesregierung, wenn sich Gemeinden und Städte an der Volkszählung aus Kostengründen nicht beteiligen wollen?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Ich muß sagen, hier sehe ich keinen Zusammenhang zur Hauptfrage.
Herr Staatssekretär, der Zusammenhang müßte, glaube ich, wohl bejaht werden. Wenn Sie sagen, Sie können zu der Frage jetzt nicht antworten, hat das Haus sicher Verständnis dafür. Die Frage des Abgeordneten — ich bitte, sie zu wiederholen — ist ja nicht zusammenhanglos.
Welche rechtlichen Konsequenzen sieht die Bundesregierung, wenn sich Städte und Gemeinden aus Kostengründen nicht beteiligen?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Ich kann nicht unterstellen, daß die Gemeinden nicht bereit sind, sich an der Durchführung der Volkszählung zu beteiligen, auch wenn hier aus Kostengründen Bedenken vorgetragen wurden.
Sie haben noch eine Zusatzfrage.
Welche Auswirkungen bezogen auf den Inhalt der Volkszählung sieht die Bundesregierung, wenn sich Gemeinden und Städte aus Kostengründen nicht daran beteiligen?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Die Bundesregierung geht davon aus, daß die Kostenfrage in einer Weise gelöst ist, auch durch die erheblichen Zuschüsse, die der Bund gibt. Es wird in den anderen drei Fragen noch des näheren zu behandeln sein, daß eine Gefährdung oder ein Mißerfolg der Volkszählung nicht zu erwarten ist.
Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Hirsch.
Herr Staatssekretär, wir haben ja bei der Gesetzgebung einen bestimmten Kostenrahmen zugrunde gelegt, der auf Schätzungen des Bundes und der Länder beruht. Ist diese gemeinsame Kostenschätzung durch irgendwelche neueren Ergebnisse in Frage gestellt? Ist von den Ländern irgend etwas in dieser Richtung dazu vorgetragen worden?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Dr. Hirsch, nach meiner Erkenntnis gibt es unterschiedliche Zahlen, die von den Gemeinden vorgetragen werden, die von den Ländern aber nicht übernommen worden sind.
Ich rufe Frage 13 des Abgeordneten Reschke auf:
Ist die Bundesregierung bereit, die Forderung des Deutschen Städtetages vom 16. September 1986 zu erfüllen, den Gemeinden die mit der Durchführung der Volkszählung entstehenden Kosten voll zu erstatten?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Nach der in der Bundesrepublik Deutschland geltenden finanzverfassungsrechtlichen Ordnung, die ich bereits erläutert habe, ist eine Erstattung der Volkszählungskosten der Gemeinden durch den Bund grundsätzlich ausgeschlossen. Im Hinblick auf die große finanzielle Belastung der Länder sowie der Gemeinden und Gemeindeverbände durch die Volkszählung gewährt der Bund den Ländern jedoch eine Finanzzuweisung, die entsprechend der finanzverfassungsrechtlichen Ordnung nur eine teilweise Kostenerstattung vorsehen kann. Sie ist im Volkszählungsgesetz 1987 auf 4,50 DM je Einwohner festgelegt worden. Das entspricht rund 275 Millionen DM. Damit hat der Bund einen entscheidenden Teil der finanziellen Lasten der Volkszählung übernommen.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, welche Kalkulation lag dieser auf eine Vereinbarung mit den
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ReschkeLändern zurückgehenden Zuweisung zugrunde, und wie hoch hat man seinerzeit den Deckungsgrad gegenüber den Zuweisungen des Bundes geschätzt?Spranger, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Reschke, was die Zahlen anbelangt, so würde ich gerne auf die Antworten Bezug nehmen, die ich auf die Frage von Herrn Kollegen Reuter geben werde; denn sonst müßte ich das einfach wiederholen.
Das scheint mir ein vernünftiger Vorschlag zu sein.
Keine weitere Zusatzfrage.
Dann rufe ich Frage 14 des Abgeordneten Reuter auf:
Mit welchen Kosten rechnet die Bundesregierung auf Grund der Erfahrungen der im Frühjahr und Sommer dieses Jahres stattgefundenen Probeläufe zur Durchführung des Volkszählungsgesetzes 1987, unterteilt nach den unterschiedlichen Einwohnerzahlen?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Reuter, das Statistische Bundesamt hat im September 1985 zusammen mit den Statistischen Landesämtern und der Bundesvereinigung der Kommunalen Spitzenverbände die bei der Durchführung des Volkszählungsgesetzes 1987 zu erwartenden Gesamtkosten auf 715,7 Millionen DM geschätzt. Alle Beteiligten gingen hierbei davon aus, daß diese Kalkulation die in der parlamentarischen Beratung des Gesetzentwurfs beschlossenen Änderungen im Erhebungsverfahren und in der Organisation der Zählung berücksichtigt.
Die zu erwartenden Kosten betragen danach im einzelnen: für den Bund 60,1 Millionen DM; für die Länder 314,9 Millionen DM; für die Gemeinden 340,7 Millionen DM.
Dabei ist zu berücksichtigen, daß der Bund den Ländern nach § 19 des Volkszählungsgesetzes 1987 eine Finanzzuweisung von 4,50 DM je Einwohner gewährt, d. h. insgesamt einen Betrag von 275 Millionen DM; das habe ich vorhin schon vorgetragen.
Soweit auf Grund der Probezählungen im Frühjahr dieses Jahres einzelne Städte und Gemeinden mit höheren Durchführungskosten der Volkszählung 1987 rechnen, ist die in der Bundesrepublik Deutschland geltende finanzverfassungsrechtliche Ordnung zu beachten. Danach ist ein voller Kostenersatz durch den Bund nicht zulässig, wenn die Länder ein Bundesgesetz — wie das Volkszählungsgesetz 1987 — als eigene Angelegenheit ausführen.
Zusatzfrage, bitte schön.
Herr Staatssekretär, sind der Bundesregierung Zahlen bekannt, wonach bei Gemeinden mit über 500 000 Einwohnern Kosten von etwa 19 DM pro Einwohner entstehen? Und kann es, da Sie hier von einem Anteil des Bundes in Höhe von 275 Millionen DM sprechen, nicht auch sein, daß die Bundesregierung bei der Abfassung des Gesetzes von falschen Kalkulationsgrundlagen ausgegangen ist? Und ist die Bundesregierung bereit, hier noch einen Zuschlag zu gewähren?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Reuter, es gibt unterschiedliche Meldungen über erhöhte Kosten, die auch von Gemeinde zu Gemeinde unterschiedlich sind. Es gibt ein Schreiben der Hansestadt Lübeck, in dem mitgeteilt wird, daß der Kostenaufwand nach ihren Berechnungen möglicherweise 10 DM je Einwohner übersteigen werde. Mir liegt ein Schreiben der Stadt Dietzenbach vor — es ist das jüngste —, in dem steht, es würden Kosten in Höhe von 6,66 DM entstehen. Mir ist nicht bekannt, daß irgendeine Gemeinde bisher den Betrag von 19 DM eingeführt hätte. Wie sich die Zahlen im einzelnen errechnen, ist mir aber nicht bekannt. Das haben mir die Städte und Gemeinden — auch diejenigen, die ich hier soeben im einzelnen zitiert habe — nicht vorgetragen.
Weitere Zusatzfrage, bitte.
Ist denn der Bundesregierung das Schreiben des Deutschen Städtetages vom 25. September nicht bekannt, wo genau aufgelistet ist, wie nach den einzelnen Größenordnungen die Kostengestaltung ist? Es sind Zahlen genannt: ein Schnitt von 9,50 DM, bei 6,50 DM beginnend und bis 16 DM gehend. Ist der Bundesregierung nicht bekannt, daß selbst in der „Bonner Rundschau" vom 21. Oktober steht: „Städte beklagen hohe Kosten der Volkszählung" und davon ausgegangen wird, daß mehr als 275 und 300 Millionen DM auf die Gemeinden zukommen?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Jetzt muß ich doch etwas klarstellen. Sie haben vorhin nach den Kosten bei Städten und Gemeinden in Höhe bis zu 19 DM gefragt. Daraufhin habe ich Ihnen einige genannt. Sie haben nicht nach den Kosten gefragt, die der Deutsche Städtetag geschätzt hat. Diese Kalkulation ist der Bundesregierung natürlich auch bekannt. Der Deutsche Städtetag hat eine Erhöhung auf 9,50 DM je Einwohner kalkuliert.
Insofern ist das Schreiben bekannt, ohne daß nach der jetzigen Situation Anlaß besteht, daraus Konsequenzen im Sinne einer Erhöhung des Zuschusses zu ziehen.
Zusatzfrage des Abgeordneten Reschke.
Ist die Bundesregierung bereit, auf Grund der Meldungen aus den Gemeinden, daß sich der Deckungsgrad mittlerweile anders darstellt als in den Planungen, die Vereinbarung mit den Ländern zur Kostenerstattung zu ändern?Spranger, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Reschke, ich glaube, wenn der Bund mit 275 Millionen DM an der Finanzierung beteiligt ist — das sind über 42 % —, dann muß auch von den Ländern erwartet werden, daß sie ihrerseits den Zuschuß des Bundes nicht behalten, sondern entsprechend an
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Parl. Staatssekretär Sprangerdie Gemeinden weitergeben, um die eventuell erhöhten Unkosten abzudecken.
Herr Abgeordneter Reuter, ich müßte jetzt die Frage 15 aufrufen, die da lautet:
Sind der Bundesregierung Aussagen von Städten bekannt, die bisher schon zu erkennen gegeben haben, daß sie auf Grund ihrer Finanzkraft nicht in der Lage sind, die Kosten der Volkszählung aufzubringen?
Wenn ich das aber richtig beurteile, ist in der Diskussion dies alles schon vom Herrn Staatssekretär gesagt worden. Legen Sie Wert auf die Beantwortung der Frage 15?
Nur auf eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, sind Sie mit diesem Verfahren einverstanden?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Ich kann mit einem Satz antworten: Der Bundesregierung sind solche Äußerungen bekannt.
Ja, bitte.
Herr Staatssekretär, sieht die Bundesregierung das Ergebnis der Volkszählung nicht gefährdet, wenn die Gemeinden auf Grund des zu engen Kostenrahmens, der jetzt zutage tritt, die Zählung möglicherweise nicht so durchführen, daß vernünftige Egebnisse herauskommen?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Ich glaube nicht, daß man das Verantwortungsbewußtsein der Gemeinden richtig interpretiert, wenn man ihnen den Standpunkt unterstellt: Wenn ihr vom Bund nicht mehr Geld gebt, werden wir die Volkszählung nicht ordnungsgemäß durchführen.
Mangel an Vertrauen in die deutsche Bürokratie wäre wirklich etwas ganz Neues.
Herr Abgeordneter Klejdzinski.
Herr Staatssekretär, wenn Ihnen das bekannt ist, denken Sie nicht vielleicht daran, weil es Ihnen bekannt ist, daß Sie handeln müßten?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Diese Frage habe ich — ich bitte sehr um Verständnis — nicht ganz nachvollziehen können.
Dann darf ich sie etwas ausführlicher begründen. Sie sind gefragt worden, ob Sie wissen, daß einzelne Städte aus Kostengründen dieses und jenes nicht leisten können. Sie haben darauf geantwortet, das sei Ihnen bekannt. Wenn also eine Stadt sagt, sie sei auf Grund der Kostenbelastung nicht in der Lage, die Volkszählung durchzuführen, dann müßte das für die Bundesregierung doch ein Anlaß sein — weil sie ein Interesse daran haben müßte, daß die Volkszählung durchgeführt wird —, sich zu überlegen, wie sie den Gemeinden im einzelnen helfen kann, und sie dürfte nicht einfach nur sagen: Die Gemeinden müßten, weil sie Gemeinden sind, dies leisten.
Spranger, Parl. Staatssekretär: Nein, das hat der Bundesminister des Innern auch nicht getan. Ich darf vielleicht seine Reaktion bzw. ein Schreiben vom Kollegen Waffenschmidt an den Bürgermeister der Hansestadt Lübeck zitieren. Er teilte auf das Schreiben der Hansestadt Lübeck folgendes mit:
Das Volkszählungsgesetz 1987 wird von den Ländern einschließlich der Gemeinden und Gemeindeverbände nach Art. 84 des Grundgesetzes als eigene Angelegenheit ausgeführt. Unbeschadet der Finanzzuweisungen, die der Bund den Ländern gewährt, obliegt die Verantwortung für die Finanzierung der Aufgaben daher den Ländern. Ich habe deshalb Ihr Schreiben dem Innenminister des Landes Schleswig-Holstein zugeleitet.
Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Hürland.
Herr Staatssekretär, ist es zutreffend, daß nach vielen Jahren endgültig das Volkszählungsgesetz einstimmig hier im Deutschen Bundestag verabschiedet worden ist, einstimmig im Bundesrat verabschiedet worden ist und daß bei diesem Gesetz die Zuständigkeiten geklärt worden sind, so daß es eigentlich überflüssig ist, daß wir uns hier über Finanzierung unterhalten, die meines Erachtens zunächst über die Länder zu gehen hätten?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin Hürland, das ist alles zutreffend. Das stimmt auch hoffnungsvoll im Hinblick auf die Durchführung der Volkszählung trotz der gewissen finanziellen Bedenken, die an uns herangetragen worden sind.
Herr Abgeordneter Reschke, eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, sind Sie bereit, anzuerkennen, daß den Städten und Gemeinden eine Kostenerhöhung, die von den seinerzeitigen Kalkulationen, die auch den Fachausschüssen vorgelegen haben, abweicht, auf Grund der Finanzkraft der Städte und Gemeinden nicht mehr zuzumuten ist, insbesondere auf Grund der gestiegenen Ausgaben für die Sozialhilfe?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Die Finanzkraft der Gemeinden ist sicherlich von Gemeinde zu Gemeinde verschieden. Eine einheitliche Beurteilung möchte ich mir nicht erlauben.
Herr Abgeordneter, ich muß Sie darauf aufmerksam machen, daß die Frage 15 des Abgeordneten Reuter lautet:Sind der Bundesregierung Aussagen von Städten bekannt, die bisher schon zu erkennen gegeben haben, daß sie auf Grund ihrer Finanzkraft nicht in der Lage sind, die Kosten der Volkszählung aufzubringen?
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Vizepräsident CronenbergDiese Frage ist klar beantwortet worden. Ihre Zusatzfrage steht auch bei wirklich großzügiger Bewertung nicht mehr im Zusammenhang mit dieser Frage.Ich bitte auch Sie, Herr Abgeordneter Immer, das zu berücksichtigen.
Ich versuche es, Herr Präsident.
Herr Staatssekretär, nachdem doch klar ist, daß die Hauptinitiative zum Volkszählungsgesetz von der Bundesregierung ausgegangen ist,
frage ich Sie, ob es auf die Dauer zumutbar ist, daß immer wieder Bundesgesetze initiiert werden, die auf Kosten der Gemeinden gehen, die dann aber unter finanziellem Gesichtspunkt nicht in der Lage sind, diese Gesetze auszuführen, und ist die Bundesregierung in Verfolg dieser gesetzlichen Regelung dann nicht verpflichtet — wenn nämlich höhere Kosten anfallen, als vorher angenommen worden ist —, diese Kosten auch zu erstatten?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Immer, Ihr Eingangshalbsatz geht nach meiner Auffassung an den Fakten vorbei. Es war nicht diese Bundesregierung, sondern es war schon die vorige Bundesregierung, die das Gesetz auf den Weg gebracht hat. Im übrigen haben alle Parteien im Deutschen Bundestag damals dieses Gesetz verabschiedet, so daß jetzt auch alle gemeinsam die Verantwortung tragen. Eine parteipolitische Differenzierung in dieser Frage halte ich nicht für gut.
Herr Staatssekretär, mir bleibt nichts anderes übrig, als Ihnen zu danken.
Ich rufe nun den Geschäftsbereich des Bundesministers der Justiz auf. Zur Beantwortung der Fragen steht uns Herr Bundesminister Engelhard zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 16 des Abgeordneten Müntefering auf:
Teilt die Bundesregierung die Auffassung des Parlamentarischen Staatssekretärs Erhard, daß der Kündigungsschutz für Mieter gemeinnütziger Unternehmen gelockert werden sollte?
Herr Kollege Müntefering, der Parlamentarische Staatssekretär hat weder in seinem Referat vor dem Verband Rheinischer Wohnungsunternehmen am 25. September 1986 noch bei anderer Gelegenheit die Auffassung vertreten, daß der Kündigungsschutz speziell für Mieter gemeinnütziger Unternehmen gelockert werden sollte. Ganz im Gegenteil hat er in dem genannten Referat ausgeführt — ich zitiere —:
Bei einem Mietrecht mit freierer Kündigungsmöglichkeit werden die von den gemeinnützigen Wohnungsunternehmen schon bisher angebotenen Dauermietverträge für viele Bevölkerungsgruppen noch attraktiver werden.
Bitte sehr, Herr Abgeordneter.
Herr Minister, mir liegt ein Papier vor, von dem ich hoffe, daß es mit dem identisch ist, was veröffentlicht worden ist. Darin steht:
Noch wichtiger ist, namentlich für die gemeinnützige Wohnungswirtschaft mit ihrem umfangreichen Bestand an Sozialmietwohnungen, eine Lockerung der starren Mietpreisbindung durch Anpassung der Kostenmiete an die Marktbedingungen.
Denken Sie nicht, daß das eine Reduzierung des Mieterschutzes in den Wohnungen gemeinnütziger Art bedeutet? Und stimmt das Zitat?
Engelhard, Bundesminister: Bei der Lockerung des Kündigungsschutzes muß der Leitgedanke sein, die Möglichkeiten freier vertraglicher Gestaltung des Mietverhältnisses zu erweitern. Das ist aber im gemeinnützigen Bereich kein Thema, sondern nur für den Wohnungsmarkt insgesamt.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Müntefering.
Herr Minister, ich wiederhole die Frage, ob die Formulierung stimmt:
Noch wichtiger ist, namentlich für die gemeinnützige Wohnungswirtschaft mit ihrem umfangreichen Bestand an Sozialmietwohnungen, eine Lockerung der starren Mietpreisbindung durch Anpassung der Kostenmiete an die Marktbedingungen.
Stimmt das Zitat?
Engelhard, Bundesminister: Das Zitat ist insofern richtig und zutreffend, als im gemeinnützigen Bereich darauf gesehen werden muß, daß den Trägern derartiger Wohnungen die Möglichkeit geschaffen wird, zu einem Ausgleich hinsichtlich der Mietpreise zu kommen, die ja bei der Kostenmiete häufig höher sind als bei freien Mieten.
Eine Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Hürland.
Herr Minister, ist es zutreffend, daß gemeinnützige Wohnungsunternehmen ihre Wohnungen jetzt zum Teil deswegen nicht vermieten können, weil sie nach den geltenden gesetzlichen Bestimmungen den festgelegten Mietpreis nicht unterschreiten dürfen, und daß der Staatssekretär Erhard sehr wohl gemeint haben könnte — ich unterstelle das einmal —, daß die gemeinnützigen Wohnungsgesellschaften, wenn eine Mietpreisbindung fällt, die Wohnungen, die auf Grund der zu hohen Kostenmiete jetzt leerstehen, vermieten können?Engelhard, Bundesminister: Frau Kollegin, ich verweise darauf, daß wir uns damit bereits im Bereich der Frage 17 des Kollegen Müntefering befinden. Herr Präsident, ich kann darauf gern gleich eingehen.
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18510 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 240. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Oktober 1986
Ich nehme an, daß der Abgeordnete Müntefering einverstanden ist, wenn seine Frage 17 und die Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Hürland zu Frage 16 sozusagen gemeinsam beantwortet werden. Ich rufe also auch die Frage 17 des Abgeordneten Müntefering auf:
Teilt die Bundesregierung die Auffassung des Parlamentarischen Staatssekretärs Erhard, daß die Mietpreisbindung des Kostenmietenprinzips bei Sozialwohnungen mit dem Ziel der Anpassung an die Marktbedingungen gelockert werden sollte?
Bitte sehr, Herr Minister.
Engelhard, Bundesminister: Das starre Kostenmietenprinzip zwingt nach Auffassung der Bundesregierung die Vermieter von Sozialwohnungen dazu, Mieten zu nehmen, die vielfach nichts mit dem Wohnwert zu tun haben, wie er sich auf Grund der nachfragewirksamen Wünsche der Mieter am Markt herausgebildet hat. Die Anpassung der Kostenmiete an die Marktbedingungen kann verhindern, daß der Sozialmieter häufig teurer wohnt als der Mieter in der freien Wohnungswirtschaft, was ja auf Dauer auf keinen Fall hingenommen werden könnte.
Eine Zusatzfrage, bitte.
Herr Minister, müssen die Mieter in gemeinnützigkeitsrechtlich gebundenen Wohnungen — das sind 900 000 in der Bundesrepublik und ungefähr 30 % der Wohnungen im Bestand der Firma Schiesser — davon ausgehen, daß im nächsten Jahr die gemeinnützigkeitsrechtliche Kostenbindung für diese Wohnungen aufgehoben wird und der Eigentümer die Vergleichsmiete nehmen kann, die am Markt zu erzielen ist?
Engelhard, Bundesminister: Die Mieter müssen mit Derartigem nicht rechnen.
Eine weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Müntefering.
Herr Minister, müssen die Mieter in den gemeinnützigkeitsrechtlich gebundenen Wohnungen — 1 Million und 30 % im SchiesserBestand — davon ausgehen, daß — das ist ein weiterer Punkt in dem Papier des Staatssekretärs Erhard — im nächsten Jahr die Kündigungssperre von drei Jahren bei Umwandlung in Einzeleigentum weiter reduziert wird, so daß sie nach Umwandlung sehr schnell aus ihren Wohnungen herausgekündigt werden können?
Engelhard, Bundesminister: Wir sind damit bei der Frage, die der Kollege Sperling unter Nr. 19 gestellt hat.
Ich darf darauf hinweisen, daß die Bundesregierung die Auffassung des Parlamentarischen Staatssekretärs Erhard teilt, daß eine Verkürzung der Frist bei Eigenbedarf in Umwandlungsfällen überlegenswert ist.
Danke schön. — Weitere Zusatzfragen werden nicht gestellt.
Herr Minister, der Abgeordnete Dr. Sperling hat darum gebeten, daß seine Fragen 18 und 19 schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Herr Minister, ich danke Ihnen für die Beantwortung der Fragen.
Den Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen brauche ich nicht aufzurufen, weil die Abgeordneten Senfft und Stiegler darum gebeten haben, ihre Fragen 20 und 21 bzw. 22 und 23 schriftlich beantwortet zu bekommen. Die Anworten werden als Anlagen abgedruckt.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft. Hier steht uns der Herr Parlamentarische Staatssekretär Grüner zur Verfügung.
Die Fragen 24 und 25 des Abgeordneten Roth werden auf dessen Wunsch schriftlich beantwortet; die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Wir können somit zur Beantwortung der Frage 26 des Abgeordneten Schreiner kommen:
Welche Zechen sind durch das Vorhaben der Bundesregierung, die Förderung der Kohle auf die „kostengünstigen Zechen" zu konzentrieren , innerhalb der nächsten Jahre von der Schließung bedroht, und wie gedenkt die Bundesregierung, etwaige Arbeitsplatzverluste auszugleichen?
Herr Staatssekretär, Sie haben das Wort.
Herr Kollege, für den deutschen Steinkohlebergbau gilt wie für andere Wirtschaftsbereiche auch, daß er seine Produktion so kostengünstig wie möglich erbringen muß. Die gebotene Rationalisierung kann mit einer Vielzahl von Maßnahmen angestrebt werden. Dazu gehört auch eine Konzentration der Förderung auf kostengünstige Zechen bzw. Anlagen.
Der Bergbau hat sich dieser Aufgabe in den vergangenen Jahren stets von neuem gestellt. Er wird sich ihr auch weiterhin stellen müssen, zumal angesichts seiner gegenwärtig schlechten Wettbewerbsposition.
Es entspricht den bewährten Grundlinien der Kohlepolitik, daß dabei auch regionale und soziale Gesichtspunkte zu berücksichtigen sind. Der Energiebericht hat insoweit im übrigen nur wiederholt, was seit Jahren schon im Bundeshaushalt als Ziel der Investitionshilfen festgeschrieben ist. Es ist Sache der Unternehmen, zu entscheiden, mit welchen Maßnahmen sie ihre Förderung optimieren wollen. Dabei spielen viele Gesichtspunkte eine Rolle, neben Kosten- und Absatzlage u. a. auch Lagerstättenbesonderheiten und Qualitätsfragen. Die Bundesregierung beabsichtigt nicht, in diese Entscheidungsabläufe einzugreifen bzw. ihnen vorzugreifen.
Zusatzfrage des Abgeordneten Schreiner, bitte sehr.
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Herr Staatssekretär, wenn die Bundesregierung in einem offiziellen Dokument ihr Vorhaben dahin gehend zum Ausdruck bringt, daß nur noch die kostengünstigen Gruben gefördert werden sollen: Welche Gruben sollen denn nach Auffassung der Bundesregierung aus dem Förderbereich herausgenommen werden? Sie müßten doch dann auch in der Lage sein, gewissermaßen in der Logik Ihres eigenen Vorhabens, Roß und Reiter etwas deutlicher zu nennen, statt eine allgemeine Angstsituation bei den Bergleuten zu produzieren.
Grüner, Parl. Staatssekretär: Nein, Herr Kollege, das ist Sache der Unternehmen selbst und war es immer. Es wäre falsch, wenn die Bundesregierung hier etwa aus dem Gesichtspunkt der Kostenoptimierung einzelne Bereiche herausgriffe und unmittelbar in Unternehmensentscheidungen eingriffe, von denen sie nicht voraussehen kann, ob die dazu berufenen Unternehmensorgane sie tatsächlich so in Angriff nehmen.
Ihre zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Schreiner.
Herr Staatssekretär, wie ist es angesichts dessen, daß der Wettbewerb zwischen südafrikanischer Kohle und deutscher Steinkohle dahin gehend verzerrt ist, als die Lebens- und Arbeitsbedingungen der südafrikanischen Bergarbeiter im glatten Gegensatz zu den grundlegendsten Rechten stehen, die von der UNO-Menschenrechtskommission gefordert werden, zu erklären, daß in den letzten Jahren der Import von Kohle aus Südafrika sprunghaft angestiegen ist?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich bin aus dem Stand nicht in der Lage, hier etwas über die Importe aus Südafrika zu sagen. Ich will nur sagen, daß Importe grundsätzlich beschränkt sind und daß alle Regierungen auch in der Vergangenheit an dieser Importbegrenzung festgehalten haben. Das ist die Grundlage unserer Kohlepolitik, d. h. Schutz der heimischen Kohle durch strikte Importbegrenzung.
Zusatzfrage des Abgeordneten Brück.
Herr Staatssekretär, kann man Ihre Antwort so interpretieren, daß die Bundesregierung Grubenstillegungen nicht ausschließt?
Grüner, Parl. Staatssekretär: So kann man das interpretieren, Herr Kollege; denn es ist ja offenkundig, daß es sehr kostenungünstige Anlagen gibt. Es ist auch offenkundig, daß es Anlagen gibt, deren Reserven erschöpft sind, die also zu einem bestimmten Zeitpunkt nicht mehr weiter betrieben werden können, weil nichts mehr zu fördern ist.
Der Herr Abgeordnete Klejdzinski hat um das Wort zu einer Zusatzfrage gebeten.
Herr Staatssekretär, beziehen Sie „kostengünstig" auf die gesamte Bundesrepublik, oder gibt es diesen Begriff „kostengünstige
Zeche" auch für eine Region? Anders ausgedrückt: Kann eine kostengünstige Zeche im Saargebiet kostenungünstiger als eine Zeche im Ruhrgebiet sein? Würden Sie das bitte interpretieren.
Grüner, Parl. Staatssekretär: Das ist zunächst einmal eine Frage, die sich das betroffene Unternehmen zu stellen hat. Die Kostensituation der einzelnen Unternehmen ist hinsichtlich der Förderung sehr unterschiedlich gelagert, und eine sehr günstige Förderung oder eine sehr ungünstige Förderung hat viele Ursachen. Die Antwort bezieht sich auf das Unternehmen und seine Wettbewerbs- und Existenzfähigkeit.
Zusatzfrage der Frau Abgeordneten Hürland.
Herr Staatssekretär, kann ich davon ausgehen, daß nicht beabsichtigt ist, in den nächsten zehn Jahren irgendwelche Zechen zu schließen, und kann ich weiter davon ausgehen, daß, wenn solche Maßnahmen anstünden, das Parlament und nicht irgendein Ministerium darüber zu entscheiden hätte?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, das Parlament hat genauso wie die Regierung über die Subventionen zu entscheiden, die in diesem Bereich gezahlt werden.
Zechenstillegungen können nicht ausgeschlossen werden — ich habe die Gründe genannt —, z. B. wenn nichts mehr zu fördern da ist; das ist der extreme Fall. Dabei stellt sich natürlich auch die Frage, wann von der Kostenseite her der Zeitpunkt gekommen ist, eine unergiebige Zeche zu schließen. Auch aus diesem Grunde kann Zechenstillegung nicht ausgeschlossen werden. Es ist weiter eindeutig so, daß es außerordentlich kostengünstige Anlagen gibt und daß es extrem kostenungünstige Anlagen gibt. Die Unternehmen sind verpflichtet, um ihrer Wettbewerbsfähigkeit willen und um der Arbeitsplätze willen, die sie haben, in ihre Kostenüberlegungen auch diesen Aspekt mit einzubeziehen.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Toetemeyer.
Herr Staatssekretär, Sie haben soeben als Meinung der Bundesregierung festgestellt, daß zum Schutz der heimischen Steinkohle Importbeschränkungen nach wie vor erforderlich seien. Wie erklären Sie sich dann die Stellungnahme des Herrn Bundeskanzlers in der Europäischen Gemeinschaft, der Importbeschränkungen bei südafrikanischer Kohle ausdrücklich abgelehnt hat?Grüner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich habe mich auf die Importbeschränkungen bezogen, die wir seit vielen Jahren praktizieren, die die Zustimmung hier dieses Hauses gefunden haben, und das hat nichts mit der Frage zu tun, ob man bestimmte Sanktionsmaßnahmen im Falle Südafrika für richtig hält oder nicht.
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18512 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 240. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Oktober 1986
Ich rufe die Frage 27 des Abgeordneten Schreiner auf:
Beabsichtigt die Bundesregierung, den Ausbau der Fernwärmeversorgung und die Nutzung der Kraft-Wärme-Kopplung weiter zu fördern und das am 31. Dezember 1986 auslaufende Unterstützungsprogramm mit den Bundesländern fortzusetzen?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Bund und Länder haben sich in der Wirtschaftsministerkonferenz am 18. September 1986 auf eine Verlängerung des Bund-Länder-Programms um ein Jahr bis zum 31. Dezember 1987 ohne Aufstockung der Mittel verständigt, nachdem das Programm auch nach rund fünfjähriger Laufzeit und einer Verlängerung im vergangenen Jahr im Bundesdurchschnitt erst zu 85% ausgeschöpft ist. Ein weitergehender Antrag, der auf ein neues Anschlußprogramm abzielte, fand keine Mehrheit. Das Auslaufen des Programms jetzt zum 31. Dezember 1987 bedeutet, daß bis zu diesem Zeitpunkt die Aufträge für zur Förderung vorgesehene Projekte erteilt sein müssen. Die Realisierung dieser Projekte wird dann noch mehrere Jahre in Anspruch nehmen.
Unabhängig von der Förderung der Fernwärme durch das Bund-Länder-Programm bleibt die Förderung gemäß § 4 a des Investitionszulagengesetzes wie auch durch die Möglichkeit zur erhöhten steuerlichen Abschreibung der Fernwärmeanschlüsse nach § 82 a der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung bestehen.
Eine Zusatzfrage, bitte sehr, Herr Abgeordneter.
Herr Staatssekretär, kann die Bundesregierung bestätigen, daß der Ausbau von Nah- und Fernwärmeversorgungssystemen die wichtigste Technik zur Energieeinsparung, gegenwärtig und auf absehbare Zeit, darstellt, und läßt sich aus der Weigerung der Bundesregierung, ein Anschlußprogramm mit zu initiieren, die Vermutung herleiten, daß diese Weigerung darin begründet ist, daß die Bundesregierung einseitig auf den weiteren Ausbau der Atomenergie setzt?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Nein, Herr Kollege, das kann man daraus nicht schließen, sondern ich bestätige, daß der Ausbau der Fernwärme nach wie vor ein energiepolitisch wichtiges Ziel ist. Sie wissen, daß die Länder seit langem den Verzicht auf die Mischfinanzierung fordern. In der entsprechenden Bund-Länder-Konferenz hat sich die Mehrzahl der Länder gegen die Fortsetzung dieses Programms ausgesprochen. Das war auch die Meinung der Bundesregierung. Ihre Auffassung ist, daß da, wo sich geeignete Möglichkeiten zur Fortsetzung des Fernwärmeausbaus bieten, die Länder entsprechende Maßnahmen in eigener Regie ergreifen sollen und können. Ich füge hinzu: Die bisher zur Verfügung gestellten Mittel sind noch nicht ausgeschöpft, so daß auch hier noch ein Spielraum gegeben ist.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Schreiner.
Herr Staatssekretär, da Sie soeben sagten, es solle ohne Aufstockung der Mittel um ein Jahr verlängert werden, frage ich: Wie interpretiert denn die Bundesregierung Stellungnahmen, die lauten, daß das Interesse an diesem Programm in der Vergangenheit bei weitem die zur Verfügung gestellten Mittel überstiegen hat?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, es ist in den einzelnen Ländern sehr unterschiedlich gewesen. Es gibt Länder, die die Mittel voll abgerufen haben, und es gibt andere Länder, die diese Mittel nicht abgerufen haben. Dadurch entsteht ein Belegungsgrad der noch zur Verfügung stehenden Mittel von im Augenblick 85,9 %. Es ist also noch Spielraum für den Abruf weiterer Mittel. Es wird zunächst darauf ankommen, ob die Länder, die die Mittel noch nicht abgerufen haben, von dieser Möglichkeit Gebrauch machen. Es ist auch nicht auszuschließen, daß, wenn bei solchen Ländern ein Interesse nicht besteht, diese Mittel für andere Länder zur Verfügung gestellt werden können, die ein Interesse daran haben.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Brück.
Herr Staatssekretär, sind Sie nicht auch der Auffassung, daß Fernwärme und KraftWärme-Koppelung aus ökonomischen und ökologischen Gründen auch in der Zukunft gefördert werden müßten, und sind Sie in der Lage, die Länder zu nennen, die das Programm bisher nicht oder nicht ausreichend genutzt haben und die, wie Sie sagten, in der Mehrheit dagegen gewesen seien, es zu verlängern?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Es handelt sich um die CDU/CSU-regierten Länder, die sich gegen die Fortsetzung dieser Mischfinanzierung ausgesprochen haben.
Der Belegungsgrad ist unterschiedlich. Ich möchte Ihnen gerne eine Liste mit dem Belegungsgrad übergeben, die alle Länder umfaßt. Ich füge allerdings hinzu, daß die wirtschaftlichen Möglichkeiten für den Fernwärmeausbau sehr unterschiedlich gelagert sind. Es ist ein Problem dieser Förderung, daß es extreme Kosten verursacht, den Fernwärmeausbau voranzutreiben. Das ist der Grund dafür, daß wir zwar Fortschritte gemacht haben, aber nicht in der Intensität, wie das energiepolitisch wünschenswert wäre. Daß die augenblickliche Preissituation diese Lage noch zusätzlich verschärft, liegt auf der Hand.
Danke schön. Ich rufe die Frage 28 des Abgeordneten Toetemeyer auf:Ist der Bundesregierung bekannt, daß der Vizepräsident der südafrikanischen Nationalbank, Herr Dr. de Kook, zusammen mit Herrn Dhlomo von der Inkatha-Bewegung vom 11. bis 13. Oktober 1986 in Boppard mit Vertretern der deutschen Wirtschaft konferiert hat, und wenn ja, hat sie diese Zusammenkunft finanziell gefördert?Grüner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, wenn Sie einverstanden sind, würde ich gerne beide Fragen zusammen beantworten.
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Ich rufe auch die Frage 29 auf:
Kann die Bundesregierung die Meldung des südafrikanischen Fernsehens vom 14. Oktober 1986 bestätigen, wonach führende deutsche Industrielle Herrn Dr. de Kook erklärt haben, sie seien bereit, verstärkt in Südafrika zu investieren, und ist sie bereit, diese Investitionen gegebenenfalls durch Hermes-Bürgschaften abzusichern?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Es tut mir leid, Herr Kollege, beide Fragen muß ich mit einem klaren Nein beantworten.
Zusatzfrage.
Herr Präsident, ich habe jetzt ein paar Zusatzfragen?
Sie haben vier Zusatzfragen, selbstverständlich.
Kann ich davon ausgehen, Herr Staatssekretär, nachdem Sie die Frage 28, also meine erste Frage, mit Nein beantwortet haben, daß Sie — Sie antworten ja für die Bundesregierung — Ihre Beantwortung nicht mit dem Auswärtigen Amt abgestimmt haben?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, wir haben von diesem Besuch des Vizepräsidenten der südafrikanischen Nationalbank aus der Presse gehört, und wir haben auf Grund Ihrer Anfrage bei den Spitzenverbänden der deutschen Wirtschaft nachgefragt und von dort keine Auskunft bekommen bzw. keine Bestätigung dieser Meldungen, auf die Sie sich berufen. Deshalb sagen wir, es ist uns nicht bekannt, daß ein solcher Besuch stattgefunden hat und daß Gespräche stattgefunden haben; wir kennen sie nicht.
Bitte schön.
Darf ich also dann davon ausgehen, daß Ihnen die Untersuchungen des Auswärtigen Amtes, wonach diese Veranstaltung vom Konsulat der südafrikanischen Republik in Frankfurt durchgeführt wurde, nicht bekannt ist?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Nein, Herr Kollege, das ist mir nicht bekannt. Ich werde dem gerne nachgehen, aber an dem Tatbestand wird sich sicher nichts ändern, daß die von Ihnen gestellte Frage von mir mit Nein beantwortet werden muß, weil, wie gesagt, dieses Treffen nicht bekannt ist und auch, wenn es stattgefunden hat, woran ich nicht zweifle, keine inhaltlichen Angaben zu diesem Gespräch möglich sind, dafür auch keine Veranlassung besteht.
Weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, halten Sie es für eine Zumutung, daß sich die Bundesregierung auch einmal in dem auch Ihnen bekannten Hotel in Boppard erkundigt hätte, welche Veranstaltung dort stattgefunden hat?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, das würde ich wirklich für unzumutbar halten. Sie fragen mich, ob eine finanzielle Förderung eines Besuches stattgefunden hat, von dem wir aus der Zeitung erfahren haben. Wir haben keinerlei Kontrolle — und wollen auch keine haben — über Besuche und über Gespräche, die geführt werden. Wichtig ist, daß es keinerlei offizielle Unterstützung eines solchen Besuches gegeben hat und daß den Spitzenverbänden der deutschen Wirtschaft dieser Besuch nach ihrer Auskunft uns gegenüber, die wir erst auf Grund Ihrer Anfrage bekommen haben, nicht bekannt war.
Letzte Zusatzfrage.
Letzte Frage: Darf ich, da es sich bei dieser Tagung um eine Tagung handelte, die vom Spitzenverband des Deutschen Handwerks ausging, davon ausgehen, daß Sie den Spitzenverband des deutschen Handwerks nicht gefragt haben?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Das ist richtig, Herr Kollege. Der Spitzenverband des deutschen Handwerks wurde nicht gefragt. Ich bin gerne bereit, mich auf Grund der von Ihnen jetzt gegebenen zusätzlichen Information auch danach zu erkundigen, füge aber hinzu, daß der Kern Ihrer Frage, nämlich eine finanzielle Förderung, und auch die Frage, ob etwaige Investitionen gefördert würden, wenn sie in Südafrika getätigt würden, mit einem klaren Nein zu beantworten ist, so daß sich aus der eigentlichen materiellen Frage keine Änderung der Situation ergeben wird.
Bitte schön, weitere Zusatzfragen.
Herr Staatssekretär, müssen sich bei uns Verbandsvertreter oder andere Vereinigungen, wenn sie Tagungen durchführen, bei der Regierung anmelden, wenn sie das machen wollen?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Nein, natürlich nicht, aber es ist selbstverständlich, daß wir uns auf Grund der Anfrage des Kollegen bemüht haben, bei den Spitzenverbänden eine Information zu bekommen. Eine Verpflichtung, solche Auskünfte zu geben, besteht nicht. Es ist eine reine Höflichkeit gegenüber dem anfragenden Kollegen, daß wir das getan haben. Ich halte das auch für selbstverständlich. Es gilt ganz grundsätzlich, daß bei uns jeder tagen kann, auch jeder Ausländer tagen kann, wie er das will, und daß es darüber keine Kontrolle und auch keine Rechtfertigungspflicht gegenüber irgend jemandem gibt.
Eine Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Weyel.
Herr Staatssekretär, würden Sie den Spitzenverband des deutschen Handwerks nicht als einen der Spitzenverbände der deutschen Wirtschaft bezeichnen?Grüner, Parl. Staatssekretär: Doch, und ich habe deshalb klargestellt, welche Spitzenverbände wir
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18514 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 240. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Oktober 1986
Pari. Staatssekretär Grünergefragt haben in dem Bemühen, der Anfrage des Herrn Kollegen Rechnung zu tragen und möglicherweise zusätzliche Informationen zu bekommen, die über die Zeitungsnotizen hinausgingen, von denen wir Kenntnis gehabt haben.
Damit ist der Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft abgeschlossen. Ich bedanke mich bei dem Staatssekretär Grüner.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten auf. Zur Beantwortung steht uns der Parlamentarische Staatssekretär Gallus zur Verfügung.
Ich rufe zunächst einmal die Frage 30 des Abgeordneten Michels auf:
Was gedenkt die Bundesregierung angesichts der Tatsache zu tun, daß das Land Hessen für die Erfassung und den Vertrieb von Milch und Milchprodukten den Milchproduzenten 22 Stallhaltungstage auferlegt hat, 30 Landwirte aus dem Kreis Höxter ihre Kühe 22 Tage im Stall halten mußten, da sie die Milch an eine Molkerei in Hessen abliefern, das Land Nordrhein-Westfalen diese Landwirte aber nur für zwölf Tage entschädigt, weil Nordrhein-Westfalen nur zwölf Stallhaltungstage verfügt hatte?
Herr Staatssekretär, Sie haben das Wort.
Herr Kollege Michels, der Sachverhalt ist der Bundesregierung bekannt. Am 1. August 1986 hat im Bundesumweltministerium eine Bund-Länder-Besprechung stattgefunden, die sich grundsätzlich mit der Frage des finanziellen Ausgleichs bei ländergrenzüberschreitenden Milchanlieferungen befaßt hat. In dem Protokoll dieser Sitzung heißt es dazu:
Im Hinblick auf die Empfehlung des Bundes zur Vorsorge im Bereich Milch waren in den Ländern Beschränkungen beim Weideaustrieb und bei der Frisch-Grünfütterung veranlaßt worden, die in den Ländern, zum Teil auch innerhalb der Länder in verschiedenen Regionen, wegen der auf Grund der jeweiligen Gegebenheiten unterschiedlichen Einschätzung der Kontamination des Bewuchses durch die zuständigen Landesbehörden zu unterschiedlichen Zeitpunkten ausliefen. Diese Beschränkungen gelten naturgemäß nur im Zuständigkeitsbereich der Behörden, die sie ausgesprochen haben, soweit diese nicht ohnehin weitere regionale Differenzierungen vornahmen. Für die Feststellung des Schadens ist daher allein der Betriebssitz des Antragstellers maßgebend.
Diese Rechtsauffassung wird vom Bund und der Mehrheit der Länder vertreten. Diese Regelung — Abstellen auf den Betriebssitz — ermöglicht ja auch die schnelle und effiziente Abwicklung der Ausgleichszahlungen. Unabhängig von der Rechtslage wäre es auch nicht vertretbar, im nachhinein auf den Sitz der Molkerei als maßgebliches Kriterium abzustellen, weil dann Milcherzeuger mit Betriebssitz in einem Bundesland mit längerer Beschränkung des Weideaustriebs einen Ausgleich nur für die am Sitz der Molkerei geltende kürzere Fristbeanspruchen könnten. Dies würde für einen großen Teil von Milcherzeugern eine Schlechterstellung bedeuten.
Herr Abgeordneter Michels, eine Zusatzfrage. Bitte sehr.
Herr Staatssekretär, wie soll sich der einzelne Landwirt dagegen wehren können, wenn ihm zur Auflage gemacht wird, daß er seine Kühe 22 Tage im Stall halten muß, das Land, in dem er wohnt, ihm aber nur 12 Tage Entschädigung gibt? Welche Möglichkeit hat der Landwirt nun, für diese zehn offenen Tage eine Entschädigung zu bekommen?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, er hat rechtlich praktisch keine Möglichkeiten. Ich habe Ihnen ja erklärt, daß der Betriebssitz des Unternehmens maßgebend ist. Denn umgekehrt wäre es ja ebenso falsch, wenn hier die andere Situation entstehen würde, die ich geschildert habe. Das beweist eben, wie notwendig es war, daß die Bundesregierung das Strahlenschutzvorsorgegesetz verabschiedet hat, um für einheitliche Zuständigkeiten in diesen Fragen in der Bundesrepublik Deutschland zu sorgen.
Eine weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Michels. Bitte sehr.
Herr Staatssekretär, sind Sie nicht mit mir der Meinung, daß das Rechtsempfinden des nun so behandelten Landwirts doch mächtig gestört wird?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Das kann sein. Nur: Ich muß mich an das halten, was hier ausgemacht worden ist. Das Protokoll habe ich verlesen. Falls der zuständige Landwirt damit nicht einverstanden ist, kann er den Rechtsweg beschreiten.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Stockhausen.
Herr Staatssekretär, es handelt sich um eine begrenzte Zahl von Landwirten, die an Ländergrenzen wohnen, die sich natürlich auf der Entschädigungsseite benachteiligt fühlen, die die gleichen Auflagen erfüllen mußten wie ihre Kollegen aus dem anderen Teil, die aber zehn Tage weniger bezahlt bekommen. Sieht die Bundesregierung eine Chance, noch im nachhinein diese Fälle aus dem Gerechtigkeitsgefühl heraus auszugleichen?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Ich sehe keine Chance, nachdem sich Bund und Länder auf diesen Rechtsstandpunkt, den ich Ihnen vorgetragen habe, geeinigt haben.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Klejdzinski.
Herr Staatssekretär, kommt in dem, was hier zu Recht gefragt worden ist, nicht zum Ausdruck, daß die Bundesregierung in dieser Zeit, wenn man so will, zwar nicht geschlafen, aber
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 240. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Oktober 1986 18515
Dr. Klejdzinskidoch nicht die nötige Vorsorge in dieser Angelegenheit getroffen hat?Gallus, Parl. Staatssekretär: Nein, das überhaupt nicht, Herr Kollege. Es ist die Situation entstanden, daß es in einzelnen Bundesländern unterschiedliche Zeitenvorgaben gegeben hat, weil die Bundesländer die Situation unterschiedlich beurteilt und auch das Recht gehabt haben, in bezug auf die Zeiten, in denen ausgetrieben werden darf oder nicht, entsprechend zu handeln.
Zusatzfrage des Abgeordneten Eigen.
Herr Staatssekretär, dies ist nun für die beteiligten Landwirte ein so eklatanter Fall, daß sie die Weisheit der Regierenden eigentlich nur sehr schwer erkennen können.
Und wenn es sich um so wenig handelt wie hier in diesem Falle, wäre es dann nicht doch besser, wenn man einen Weg finden würde, eine solche wirklich eklatante Ungerechtigkeit, die mit Händen greifbar ist, auszugleichen?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, selbst wenn ich dieser Auffassung wäre, muß ich dabei bleiben, daß ich hier erklärt habe — ich wiederhole —, daß am 1. August 1986 eine Bund-LänderBesprechung im Bundesumweltministerium stattgefunden hat, die sich mit der Frage grundsätzlich befaßt hat. Das Protokoll, das darüber erstellt worden ist, habe ich verlesen. Damit ist das der Rechtsstandpunkt der Bundesregierung, und ich kann hier keine zusätzlichen Versprechungen machen.
Zusatzfrage des Abgeordneten Reuter.
Herr Staatssekretär Gallus, Sie haben dem Kollegen Michels vorhin erklärt, daß die Bundesregierung auf Grund der hier in Frage stehenden Themen das Strahlenschutzvorsorgegesetz gemacht habe, das dann diese Fälle regelt. Ich hätte von Ihnen gern gewußt, wo in diesem Gesetz eine Passage enthalten ist, die den Fall, den der Kollege Michels hier vorträgt, regelt.
Gallus, Parl. Staatssekretär: Nein, das ist natürlich nicht konkret geregelt. Aber es werden z. B. einheitliche Werte für die Bundesrepublik Deutschland in bezug auf die Belastung, in bezug auf die Vorsorgezeiten vorgegeben, an die man sich dann im ganzen Bundesgebiet halten muß.
Sie wissen ja, daß wir sehr unterschiedliche Werte gehabt haben. Wir haben nach Tschernobyl die Werte der Weltgesundheitsorganisation gehabt, an die sich die Franzosen, die Engländer und viele andere gehalten haben. Deshalb hat es dort keine Belastung gegeben, obwohl die Belastung dort vielleicht so hoch wie in der Bundesrepublik Deutschland war.
Der Bund hat die Werte der Strahlenschutzkommission vorgegeben, und das Land Hessen z. B. hat ja dann sehr viel niedrigere Werte festgelegt. Daraus resultiert diese Unterschiedlichkeit.
Danke schön. — Herr Abgeordneter Reuter, Sie haben eine Zusatzfrage zu der Antwort des Herrn Staatssekretärs gestellt, aber keine Zusatzfrage zu der ursprünglichen Frage. Das nur der guten Ordnung halber.
Die Fragen 31 und 32 werden auf Wunsch des Fragestellers, des Abgeordneten Kroll-Schlüter, schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 33 des Abgeordneten Eigen auf:
Welche Maßnahmen gedenkt die Bundesregierung zur Beschränkung der Macht der Kommission der Europäischen Gemeinschaft einzuleiten, nachdem die Kommission mit einer Senkung der Exporterstattung für Rindfleisch die Rindfleischmarktordnung ausgehöhlt hat und damit den Ministerrat und das Europäische Parlament desavouiert?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Eigen, die Bundesregierung ist über die Auswirkungen der von der EG-Kommission mit Wirkung vom 15. Oktober 1986 beschlossenen Senkung der Erstattungen bei Export von frischem und gekühltem Rindfleisch sehr besorgt. Sie hat wegen dieser Entscheidung beim Vizepräsidenten der EG-Kommission, Herrn Andriessen, schriftlich und mündlich interveniert, auf die ernsten Folgen der unerwarteten Erstattungssenkung für die betroffenen Unternehmen aufmerksam gemacht und unverzüglich Abhilfe verlangt.
Die Bundesregierung bedauert die Entscheidung der EG-Kommission, gegen die außer der Bundesrepublik Deutschland drei andere Mitgliedstaaten gestimmt haben. Fünf Mitgliedstaaten haben sich der Stimme enthalten.
Das Vorgehen der EG-Kommission ist kaum dazu angetan, einen Beitrag zur Lösung der schwierigen Probleme auf dem Rindfleischmarkt zu leisten. Im Hinblick auf das Abstimmungsverhalten der Mehrzahl der Mitgliedstaaten hat die EG-Kommission jedoch ihre Befugnisse im Rahmen der Marktverwaltung nicht überschritten.
Zusatzfrage des Abgeordneten Eigen.
Das, Herr Staatssekretär, ist der Ansatzpunkt meiner Nachfrage: Müßte man, wenn das so ist, nicht darüber nachdenken, ob man die Kompetenzen zwischen Kommission und Rat doch insoweit anders verteilen müßte, als die Kommission aus ihrer Zuständigkeit heraus Beschlüsse des Rates nicht in solcher Weise torpedieren kann, wie sie es hier über den Verwaltungsausschuß getan hat? Denn die Rindfleischmarktordnung sagt, daß der Marktpreis an 90 % des Orientierungspreises herangeführt werden soll, und die Maßnahme, die vom Ministerrat beschlossen worden ist, ist bestimmt keine, die Rindfleischmarktordnung zu vollziehen.
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18516 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 240. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Oktober 1986
Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich muß davon ausgehen, daß sich die EG-Kommission der rechtlichen Seite ihres Handelns bewußt und vielleicht an die Grenze dessen gegangen ist, was möglich ist. Aber wir können nicht ersehen, daß sie diese Grenze überschritten hätte. Falls die Zuständigkeiten der Kommission begrenzt werden sollen, wäre dies eine Aufgabe, überhaupt darüber nachzudenken, wie der EG-Vertrag geändert werden soll, um die Kompetenzen neu zu verteilen; vielleicht auch eine Aufgabe des Europäischen Parlaments.
Sie haben eine weitere Zusatzfrage, bitte sehr.
Herr Staatssekretär, jetzt ist nicht nur in dieser Sache die Kompetenz von Kommission und Ministerrat gefragt, sondern wir sind mitten im Weideabtrieb
— von Bullen und Ochsen; das für die Kollegen, die das sonst nicht verstehen —, und da belastet natürlich eine solche Maßnahme die Regelungen, die ja schließlich auch mit dem Haushalt der Bundesregierung durch Aufstockung der Berlin-Reserve so günstig wie möglich für die Landwirtschaft geschaffen worden sind. Das alles wird durch eine solche Maßnahme torpediert, besonders in einem Gebiet, in dem man sich sehr viel Mühe gegeben hat, durch den Export Luft im Rindfleischmarkt in der Bundesrepublik Deutschland zu bekommen.
Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich verstehe die Sorge, auch die Sorge aus Schleswig-Holstein beim Weideabtrieb. Die Bundesregierung hat dementsprechend gehandelt und bei der EG-Kommission, bei Herrn Andriessen interveniert. Ich glaube, damit haben wir unsere Möglichkeiten ausgeschöpft.
Zusatzfrage des Abgeordneten Michels.
Herr Staatssekretär, hat denn die Kommission aus der Tatsache, daß wir selber so viel Rindfleisch zuviel haben, nicht die Erkenntnis gezogen, die Importe von Rindfleisch aus anderen Ländern in die EG hinein nun wirklich wesentlich stärker drosseln zu sollen, als das bisher geschehen ist?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, dazu ist zu sagen, daß sich die Situation in den letzten 15 Jahren total verändert hat. Vor 15 Jahren hat die EG 900 000 Tonnen Rindfleisch importiert, nichts exportiert. Heute exportieren wir bis zu 800 000 Tonnen Rindfleisch — z. B. im letzten Jahr — und importieren nur noch 400 000 Tonnen Rindfleisch. Diese Menge ist — in einzelnen Größenordnungen — im GATT festgelegt.
Zusatzfrage des Abgeordneten Müller .
Herr Staatssekretär, ist es nicht so, daß z. B. bei den letzten Agrarpreisbeschlüssen ausgerechnet der Ministerrat — auch unser Agrarminister — auf Beschlüsse in diesem Bereich verzichtet und es der Kommission überlassen hat, nach Lösungen zu suchen?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich muß sagen, daß gerade wir von der bundresrepublikanischen Seite — und Herr Minister Kiechle — stets darauf gedrängt haben, auch im Rindfleischsektor schnell zu neuen Lösungen zu kommen. Nicht die Bundesrepublik ist es gewesen, die hier gebremst und die Dinge hinausgezogen hat, sondern insbesondere Frankreich.
Danke schön.
Dann kann ich die Frage 34 des Abgeordneten Eigen aufrufen:
Worin sieht die Bundesregierung die Gründe für den totalen Zusammenbruch der Schweinepreise in der Bundesrepublik Deutschland, und welche Maßnahmen kann und will die Bundesregierung ergreifen, um den in große Not geratenen Schweine- und Ferkelerzeugern zu helfen?
Herr Staatssekretär.
Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, die Marktsituation bei Schweinefleisch ist seit Mitte 1985 durch ein steigendes inländisches Angebot gekennzeichnet. Im Wirtschaftsjahr 1985/86 lagen die Schlachtungen aus Eigenerzeugung mit 39,1 Million Stück um 4,2 % über dem Ergebnis von 1984/85. Nach dem Ergebnis der letzten Schweinezählung im August dieses Jahres wird in der Bundesrepublik Deutschland für das Wirtschaftsjahr 1986/87 mit einem Anstieg der Schweineschlachtungen auf 39,7 Millionen Stück — das sind plus 1,5% — gerechnet. In der EG wird für den gleichen Zeitraum ein Produkionsanstieg von 2 bis 3% erwartet.
Bei diesem Produktionsanstieg war es nicht überraschend, daß die Schlachtschweinepreise stark rückläufig waren. Im Wirtschaftsjahr 1985/86 waren die Schlachtschweinepreise rund 10% niedriger als ein Jahr zuvor.
Die Schweineproduktion ist trotzdem weiter ausgedehnt worden. Dies ist offensichtlich darauf zurückzuführen, daß die Erlösminderungen bei den Schlachtschweinen weitgehend durch niedrigere Ferkel- und Futterkosten ausgeglichen werden konnten.
Ich wäre dem Hause dankbar, wenn wir so viel Ruhe hätten, daß wir die Fragestunde ordentlich abwickeln können.
Herr Staatssekretär, jetzt kommt die Zusatzfrage des Abgeordneten Eigen.
Herr Staatssekretär, Ihre Aussage war richtig bis vor 14 Tagen, als der Schweinepreis zusätzlich zusammenbrach. Meine Frage habe ich deswegen gestellt, weil es doch Möglichkeiten geben muß, den Ursachen nachzugehen und, wenn es geht, einige dieser Ursachen auch auszugleichen. Ich denke da z. B. an die private Einlagerung, deren Auslagerung jetzt zusätzlich zu einem Überangebot
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 240. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Oktober 1986 18517
Eigenam Markt erfolgt. Ich denke als Beispiel daran, die private Einlagerung fortzusetzen.Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, der Schweinefleischmarkt ist, wie Sie sagen, gegenwärtig zusätzlich belastet durch Auslagerung im Rahmen der privaten Lagerhaltung, die im Frühjahr 1986 in der EG durchgeführt worden ist. In den Monaten Oktober bis Dezember 1986 stehen in der EG über 50 000 t zur Auslagerung an. Auf Grund des neuerlichen starken Preisrückgangs hat das BML bei der EG-Kommission eine Verlängerung der Lagerhaltung dieser Bestände beantragt, um den Druck auf den Markt von dieser Seite zu verringern. Es kann davon ausgegangen werden, daß die Kommission diesem Antrag folgen wird.Außerdem setzen wir uns für eine Anhebung der Exporterstattungen bei Schweinen ein.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, falls sich die Katastrophe am Markt für Schweinefleisch verlängern sollte, denken Sie dann auch daran, die Möglichkeit einer Grenzsperrung gegenüber EGLändern zu erwägen, also in dem Fall, daß wirklich ein Zusammenbruch des Marktes erfolgt?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich glaube, daß es nicht in Frage kommt — darüber sind wir uns wohl einig —, innerhalb der EG die Grenzen dichtzumachen. Wir haben einen einheitlichen Markt. Er muß offenbleiben, wenn nicht ganz Europa in seiner Entwicklung stagnieren soll.
Ich bin aber der Auffassung, daß aus der jetzigen Konsequenz am Markt die Erkenntnis, Schluß zu machen mit der Förderung im Überschußbereich bei Schweineställen, bei denen wachsen sollte, die noch bis vor einem Jahr der Meinung gewesen sind, daß man, wenn in einer Region zu wenig Schweine vorhanden sind, lustig drauflosproduzieren kann; das spiele keine Rolle. Sie wissen, daß sich unser Minister in Brüssel bemüht hat, die Förderung der Schweinehaltung zu reduzieren. Aber wir sind noch nicht so weit gekommen, diese Förderung im Investitionsbereich völlig auszusetzen. Wenn uns das nicht gelingt, wird das Desaster im Bereich der Schweinehaltung unaufhaltsam weiterschreiten.
Ich rufe die Frage 35 des Abgeordneten Funk auf:
Kann die Bundesregierung zusammen mit den Ländern alsbald erreichen, daß schweinehaltende Betriebe in die Ausgleichszulage der benachteiligten Gebiete aufgenommen werden, da diese Betriebe keinerlei Marktstützung bekommen und deshalb besonders benachteiligt sind?
Herr Staatssekretär, Sie haben das Wort zur Beantwortung.
Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, die EGKommission hat Vorschläge zur Weiterentwicklung der Verordnung Nr. 797/85 zur Verbesserung der Effizienz der Agrarstruktur vorgelegt, nach denen u. a. bei der Ausgleichszulage die Erweiterung des Anwendungsbereichs auf alle pflanzlichen Produktionszweige mit Ausnahme von Weizen und verschiedenen Sonderkulturen erwogen wird. Das bedeutet, daß beispielsweise zukünftig auch Betriebe, die stärker auf Schweinehaltung oder Marktfrüchte ausgerichtet sind, die Ausgleichszulage erhalten könnten. Wie eine solche Regelung gestaltet sein wird, ist derzeit noch nicht zu übersehen. Die Beratungen auf EG-Ebene bleiben abzuwarten, zumal die Mitgliedstaaten bestrebt sein werden, die eigenen Vorstellungen und Wünsche durchzusetzen. Im übrigen müssen die eventuellen Kosten der Finanzierung bei allem bedacht werden.
Zusatzfrage, bitte sehr.
Herr Staatssekretär, es ist doch so, daß der überwiegende Anteil der Finanzierung für die benachteiligten Gebiete von Bund und Ländern getragen wird. Können der Bund und die Länder daraus nicht die Konsequenz ableiten, daß sie dann, wenn das bei uns notwendig ist, solche neuen Regelungen auch von sich aus einführen?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, die Situation ist einfach so: Wir finanzieren in der Gemeinschaftsaufgabe die benachteiligten Gebiete; 60% der Bund, 40 % die Länder, und jeweils 25% daran zahlt die EG. Der Bund kann keine neuen Kriterien — in bezug auf Ihre Fragestellung — einführen; dies müßte zuvor von der EG als Rahmen genehmigt werden.
Sie haben eine weitere Zusatzfrage, bitte sehr. — Sie wird nicht gewünscht.
Ich rufe dann noch die Frage 36 des Abgeordneten Funk auf:
Sieht die Bundesregierung Möglichkeiten, durch entsprechende finanzielle Anreize kurzfristig die Milchgarantiemenge zu reduzieren, ohne daß den betreffenden Landwirten Einkommenseinbußen entstehen?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, im Prinzip j a. Voraussetzung ist, daß eine solche Maßnahme im Ministerrat der EG beschlossen wird.
Zusatzfrage des Abgeordneten Funk.
Darf ich Sie fragen: Hat sich die Bundesregierung bemüht, mit den anderen großen Milcherzeugerländern der EG Kontakt aufzunehmen, um einmal festzustellen, ob eine Bereitschaft für eine so rasche Rückführung der Milchproduktion vorhanden ist, damit auf diesem Markt Kosten und Angebot wieder etwas mehr ins Gleichgewicht kommen?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, wir sind dauernd im Gespräch mit den anderen Ländern und bemühen uns stetig, zu vernünftigen Lösungen, insbesondere in der Milchpolitik, zu kommen.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Immer, bitte sehr.
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18518 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 240. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Oktober 1986
Herr Staatssekretär, stimmt es, daß Minister Kiechle im Ministerrat eine lineare Kürzung der Milchquoten um 5 % mit einem Kostenaufwand von 1,7 Milliarden DM und eine Entschädigung von 0,35 Pf pro Kilogramm abgesenkte Quote vorgeschlagen hat?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, Tatsache ist, daß im Augenblick diskutiert wird, wie man einen Weg findet, mit dem Problem der Milch fertig zu werden. Hier gibt es Vorschläge von allen möglichen Ländern. Von seiten der Bundesrepublik ist ein Vorschlag in ähnlicher Richtung, wie Sie ihn vortragen, gemacht worden, wobei die Einzelheiten bis jetzt keineswegs festgelegt worden sind.
Weitere Fragen sind nicht da. Dann schließe ich die Fragestunde.
Meine Damen und Herren, bevor ich den nächsten Tagesordnungspunkt aufrufe, möchte ich folgendes erklären: Der 10. Deutsche Bundestag hat am 5. Juni 1986 in der Wahrnehmung seines Rechtes nach Art. 44 des Grundgesetzes einen Untersuchungsausschuß „Neue Heimat" eingesetzt. Nach Art. 44 Abs. 2 des Grundgesetzes finden auf die Beweiserhebungen die Vorschriften über den Strafprozeß sinngemäß Anwendung. Sie sehen vor, daß Zeugen, die in unzulässiger Weise die Aussage und damit die Aufklärung von Sachverhalten verweigern, mit den Zwangsmitteln der Strafprozeßordnung zur Aussage angehalten werden können. Dies ist, wie Sie wissen, geschehen.
Dazu sind in den letzten Tagen in der Öffentlichkeit Wertungen vorgenommen worden, die die Inanspruchnahme dieser Instrumente des Rechtsstaates mit der Pervertierung des Rechts während der nationalsozialistischen Diktatur verglichen haben.
Als Präsident des Deutschen Bundestages habe ich die Würde und die Rechte dieses Hohen Hauses zu wahren. Aus diesem Grunde bin ich verpflichtet, solche durch nichts gerechtfertigten Angriffe und Unterstellungen mit äußerster Entschiedenheit zurückzuweisen.
Meine Damen und Herren, im übrigen hat niemand in diesem Hause die im Grundgesetz garantierte Koalitionsfreiheit und deren Grundlagen in Frage gestellt. Wir alle sind von der Existenzberechtigung, ja Existenznotwendigkeit einer freiheitlichen Gewerkschaftsbewegung in der Bundesrepublik Deutschland überzeugt.
Lassen Sie mich noch zwei Dinge anmerken:
Erstens. Die Vorgänge der letzten Tage, auch im Bereich der Justiz, machen deutlich, wie notwendig die Verabschiedung eines Gesetzes über die Einsetzung und das Verfahren von Untersuchungsausschüssen ist.
Zweitens. Bei aller Härte der Auseinandersetzungen, die in einer parlamentarischen Demokratie, zumal im Wahlkampf, unausweichlich ist, bitte ich Sie alle, den demokratischen Grundkonsens und die Institutionen unserer Verfassung nicht zu gefährden.
Meine Damen und Herren, die Fraktion der CDU/CSU hat fristgemäß gemäß 1 c der Anlage 5 unserer Geschäftsordnung eine Aktuelle Stunde verlangt. Ich rufe den Zusatztagesordnungspunkt 1 auf:
Aktuelle Stunde
Angriffe auf Bundestag und Justiz im Zusammenhang mit der totalen Aussageverweigerung des Gewerkschaftsmanagers Lappas
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Dregger.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vier Klarstellungen sind notwendig:Erstens. Von der Pflicht zur Aussage vor einem Untersuchungsausschuß kann sich niemand selbst befreien.
Vor dem Gesetz sind wir alle gleich. Was für den Bundeskanzler gilt, muß auch für Herrn Lappas gelten.
Zweitens. Herr Lappas wurde als erster in Beugehaft genommen, weil er sich als erster vor einem Untersuchungsausschuß des Deutschen Bundestags total verweigert hat. Wenn wir das hätten durchgehen lassen, würde sich in Zukunft jeder darauf berufen können.Drittens. Dienstherr des Amtsgerichtes Bonn, das über den Antrag des Untersuchungsausschusses zu entscheiden hatte, ist das sozialdemokratisch regierte Land Nordrhein-Westfalen. Das Urteil war von der Hamburger Polizei zu vollstrecken, die dem sozialdemokratischen Bürgermeister, Herrn von Dohnanyi, untersteht. Aus alledem folgt: Herr Lappas ist nicht einem Komplott zum Opfer gefallen, sondern seiner Selbstgerechtigkeit und seiner Arroganz.
Die feudalen Allüren einiger kochbezahlter Gewerkschaftsmanager waren auch die eigentliche Ursache für den Neue-Heimat-Skandal.
Viertens. Der Vergleich der Verhaftung des Herrn Lappas — der Herr Bundestagspräsident ist darauf eingegangen — mit den Zwangsmaßnahmen der Nazi-Herrschaft war eine skandalöse Beleidi-
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 240. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Oktober 1986 18519
Dr. Dreggergung des Deutschen Bundestages, der nordrhein-westfälischen Justiz, der Hamburger Polizei und vor allem der Opfer des Nazi-Regimes, die mit einem Herrn Lappas nicht auf eine Stufe gestellt werden dürfen.
Gewerkschaftsvorsitzender Schröder hat sich entschuldigt — und Sie, Herr Kollege Vogel? Sie hatten ihm doch Beifall gezollt.
Eine abschließende Bemerkung: Der DGB und die Industriegewerkschaft Metall sollten das Gesetz ihres Anfangs nicht vergessen. Das Gesetz ihres Anfangs war die Einheitsgewerkschaft sozialdemokratischer und christlich-demokratischer Gewerkschaftler. Die Anhänger der Union können in einer Gewerkschaft, in der sie eine Minderheit sind und in der sie auf das übelste beschimpft werden, wenn sie sich mit abweichenden Ansichten zu Wort melden, wie es jetzt unserem Freund Helmut Wagner aus Leverkusen auf dem IG-Metall-Kongreß passiert ist, ihre parteipolitischen und konfessionellen Bindungen nicht „hintanstellen", wie es in einem Antrag der IG-Metall gefordert worden war.
Die gewerkschaftliche Hetzkampagne, die seit dem Regierungswechsel gegen den Gewerkschaftler Norbert Blüm geführt wird, ist schlicht unerträglich.
Ich warne: Wer die Einheitsgewerkschaft kaputtmacht, wirft die Gewerkschaftsfrage neu auf. Wir, die größte Volkspartei unseres Landes, soeben in Bayern mit über 55 % der Stimmen bestätigt,
lassen uns unseren Arbeitnehmerflügel nicht kaputtmachen!
Seien Sie sicher: Die ganze Union steht hinter Norbert Blüm und hinter der christlich-demokratischen Arbeitnehmerschaft.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Vogel.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Für ihre Aktuelle Stunde hat die Union die Überschrift gewählt: „Angriffe auf Bundestag und Justiz." Das ist eine Irreführung.
Sonst sind Sie, meine Damen und Herren, nämlichgar nicht so feinfühlig. Ich erinnere nur an Ihremaßlosen Angriffe gegen die Justiz während derErmittlungsverfahren gegen den Herrn Bundeskanzler
oder an das ungewöhnlich dreiste Auftreten des bayerischen Ministerpräsidenten vor dem Flick-Untersuchungsausschuß.
Darüber, daß Herr Lappas die Aussage nicht verweigern durfte, gibt es auch gar keinen Streit. Nein, Ihnen geht es in Wahrheit um etwas ganz anderes: Ihnen geht es um die Fortführung und Steigerung Ihrer Kampagne gegen die deutschen Gewerkschaften.
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Polizeigewerkschaft! — Weitere Zurufe vonder CDU/CSU)Wir lassen uns von Ihnen nicht auf Nebenkriegsschauplätze locken. Wir kommen zum Kern der Sache:
Kern der Sache ist die Skrupellosigkeit, mit der Sie erstmals in der Geschichte des Deutschen Bundestages von dem rechtlich höchst umstrittenen Instrument der Inhaftnahme eines Zeugen Gebrauch gemacht haben.
Kern der Sache ist die grobe Verletzung des verfassungsmäßigen Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit. Reden Sie sich, meine Damen und Herren und Herr Kollege Dregger, jetzt nicht auf das Gericht oder die Polizei heraus! Wir kritisieren gar nicht die Justiz oder die Polizei. Wir kritisieren Sie! Ohne Ihren maßlosen Mehrheitsbeschluß,
auf dessen sofortigen Vollzug Sie gedrängt haben,
hätte es gar keinen Haftbefehl, hätte es auch keine Verhaftung im Zusammenhang mit einem Gewerkschaftskongreß gegeben. Jetzt erregen Sie sich über die Reaktion, die Ihr Beschluß hervorgerufen hat, und greifen den Mann an, der inzwischen selbst die nötigen Klarstellungen zu seinen Äußerungen in Hamburg gegeben hat.
Eine Erklärung, die wir beispielsweise von Ihnen, Herr Kollege Dregger, bis heute vermissen, obwohl Ihnen im November 1985 selbst eine Demonstration vor der Wohnung eines Abgeordneten Anlaß genug war, kühl vom Schreibtisch aus die Erinnerung an 1933 heraufzubeschwören, und zwar mit ganz unmißverständlichen Worten.
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18520 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 240. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Oktober 1986
Dr. VogelIhr Mehrheitsbeschluß ist auch keine Panne oder ein Zufall. Sie wollten die Verhaftung, Sie wollten die Provokation. Sie wollten nicht die Provokation des Herrn Lappas. Er ist auch Ihnen als Person in Wahrheit ja gar nicht so wichtig.
Sie wollten die Provokation der deutschen Gewerkschaften.
Sehr geschätzter Herr Kollege Dregger, Ihr Drehbuch für den Untersuchungsausschuß „Neue Heimat" enthält Anleitungen, was man tun muß,
damit es zu einer — so wörtlich — „möglichst wirksamen öffentlichen Vernehmung von Vertretern des DGB kommen kann".
Das war offenbar nicht genug. Jetzt haben Sie das Ihre getan, damit es zu einer möglichst wirksamen öffentlichen Verhaftung eines Vertreters des DGB kommen konnte.
Das paßt nahtlos in Ihre Strategie der Herausforderung der Gewerkschaften.
Meine Damen und Herren von der Union, von Provokation verstehen Sie etwas. Aus welchem Grund sonst zielen Sie mit Ihren arbeitnehmerfeindlichen Gesetzen jeweils ausgerechnet auf den Tag der Arbeit, auf den 1. Mai? Für den 1. Mai 1985 mit dem sogenannten Beschäftigungsförderungsgesetz und für den 1. Mai 1986 mit dem Gesetz zur Änderung des § 116 AFG? Das alles hat doch Methode!
Ernst Breit hat Ihnen eine Antwort gegeben, deren Besonnenheit Respekt verdient.
— Vielleicht, Herr Präsident, ist auch diese Art der Reaktion eine Frage der Würde und des Ansehens des Hauses.
Ernst Breit hat Ihnen eine Antwort gegeben, deren Besonnenheit Respekt verdient. Er hat gesagt, er halte die Konfliktspirale für verhängnisvoll. Der DGB sei bereit zu einer neuen Nachdenklichkeit nach innen und in Richtung Bonn; wenn die Regierungskoalition aber mit ihren Provokationen so weitermache, dann würden sich die Gewerkschaften ihrer Haut zu wehren wissen.Wir rufen Ihnen zu: Halten Sie endlich ein!
Reizen Sie die Gewerkschaften nicht bis aufs Blut!
Beenden Sie Ihren Feldzug gegen den sozialen Frieden in unserem Land! Kommen Sie endlich zur Vernunft!
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Kleinert.
Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Für den früheren Bundesjustizminister wäre dies eine sehr gute Gelegenheit gewesen, auf eine Fülle von Rechtsfragen einzugehen, die sich in diesem Zusammenhang stellen. Herr Vogel, das haben Sie hier mit äußerster Sorgfalt vermieden. Sie haben sich vielmehr in den Chor derjenigen auf Gewerkschaftsseite eingereiht, die hochbegeistert sind, daß man ihnen in einer sehr peinlichen Situation in Erfüllung der Aufgaben des Ausschusses und anschließender auch meiner Ansicht nach nicht sehr glücklicher Handhabung eines nun einmal notwendig gewordenen Beschlusses die Gelegenheit geboten hat, endlich einmal von der Sache abzulenken, nach der die Gewerkschaften, die Gewerkschafter ja noch viel mehr als irgend jemand aus der Regierungskoalition fragen. Sie fragen nämlich, was sie mit ihrem Geld gemacht haben und wieso das, was den Gewerkschaftern alles abgenommen worden ist und was dann unter Milliardenzuschüssen von Steuerzahlern investiert worden ist, hinterher nur noch eine Mark wert gewesen sein soll.
An dieser Frage möchten wir Sie nicht gern auslassen.Da ich den logischen Verstand des Fraktionsvorsitzenden Vogel sehr schätze,
verwundert mich, daß Sie meinen, hier habe ein Komplott vorgelegen. Die Leute müßten ja mit dem Klammerbeutel gepudert gewesen sein,
die der Gewerkschaft die Gelegenheit verschaffen, sich über einen Mißgriff der Hamburger Polizei zu erregen,
statt sich in Ruhe mit der Sachauseinandersetzung über den Skandal Neue Heimat zu befassen.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 240. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Oktober 1986 18521
Kleinert
Da stimmt irgend etwas mit der Logik nicht.Die Sache ist ganz einfach die — jetzt komme ich auf die Notwendigkeit und auf die Unverhältnismäßigkeit —: Das Höchste, was der Ausschuß tun kann, wenn erstmals in der Geschichte von Untersuchungsausschüssen dieses Hauses jemand einfach kommt und sagt: „Ich sage nichts", das ist, eine Geldbuße von 1 000 DM zu verhängen. Dazu genügt ein Griff in das kleine Täschchen, das Gewerkschafter in ihrer Weste haben,
um die tausend Mark herauszuholen, darin den Saal zu verlassen und den Ausschußvorsitzenden mit dem Problem zurückzulassen, was er dem nächsten Zeugen sagen soll, der kommt und sagt: Ich sage nichts; mir paßt dieser Ausschuß nicht.Als Außenstehender bekommt man von Zeit zu Zeit eine Gewerkschaftszeitung in die Hand. Dort sieht man Karikaturen, auf denen sind Leute abgebildet mit Melone und einer dicken Zigarre,
ungewöhnlich fiese Typen. Ich höre, es soll sich dabei um Spätkapitalisten handeln, um die Sozialpartner der Gewerkschaft, die da so dargestellt werden. Ich habe im wirklichen Leben noch nie einen privaten Kapitalisten dieses Aussehens beobachten können. Erstmals ist jetzt diese Figur ins Leben getreten, und das in der Gestalt von Herrn Lappas,
erst beim Verkauf der Neuen Heimat und dann bei seinem unglaublichen Verhalten vor dem Untersuchungsausschuß.Der Ausschuß war sehr gut beraten, hier das Amtsgericht um Hilfe zu bitten. Das Amtsgericht hat entschieden. Auf die Zuständigkeit hat der Kollege Dregger schon aufmerksam gemacht: alles in Nordrhein-Westfalen. Herr Kollege Vogel, wir haben schon so viel an Zufälligkeiten merkwürdigster Art von der nordrhein-westfälischen Justiz klaglos hingenommen,
wegen unseres Respekts vor der Institution unserer juristischen Behörden.
Ich habe auf diesem Sektor in den letzten Jahren sehr viel zurückgehalten, wegen dieses Respektes.
Aber nun kommen Sie doch nicht und werfen Sie uns ausgerechnet das Gegenteil vor! Korrekter, als es hier zugegangen ist, konnte es gar nicht zugehen. Wir sind sehr dankbar, daß sich Herr Schröder für die anschließenden Äußerungen, die eine weitere bezeichnende Ausgeburt der Hypertrophie der Macht, in die sich die Gewerkschaften gesteigert haben, gewesen sind, entschuldigt hat. Wir bedauern aber nach wie vor, daß er meint, ausgerechnet die Gewerkschaften, so wie sie sich am Sonntag aufgeführt haben, seien die geeignete Instanz, um uns und unseren Rechtsstaat zu behüten. Wir hoffen, daß die Gewerkschaften das bald wieder sind. Wir denken überhaupt nicht daran, Gewerkschaften zu verteufeln.
Wir wissen, daß wir funktionierende, neutrale Gewerkschaften brauchen. Wir hoffen, daß sie bald wieder dazu zurückfinden.
Das Wort hat der Abgeordnete Werner .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Titel dieser Aktuellen Stunde ist ein Böllerschuß: „Angriffe auf Bundestag und Justiz" usw., vorher die Gewerkschaftsseite mit einem ebensolchen Böller: „Angriff auf Verfassungsrechte", „Erinnerung an '33" — alles schön laut und grell.Die Schlachtfelder verlagern sich, Nebelwerfer verbreiten Unklarheit. Was ist jetzt eigentlich noch wichtig? Um was geht es eigentlich noch? Wie wird es den Mietern bei Schiesser ergehen?
Was tut die öffentliche Hand zur Erhaltung der Sozialbindung der Wohnungen? Hat die Wohnungsgemeinwirtschaft noch eine Chance? Das sind doch in Wahrheit die Fragen, die anstehen.
Zum Fall Lappas: Wir GRÜNEN haben dem Untersuchungsauftrag zugestimmt. Wir haben damals erklärt, daß wir alles aufgeklärt haben wollen bis hin zur strafrechtlichen Würdigung von Wirtschaftskriminalität und auch eingeschlossen die Frage möglicher Schadenersatzansprüche. Ich habe auch den Beschluß des Untersuchungsausschusses mitgetragen,
angesichts der totalen und rechtlich nicht begründeten Aussageverweigerung des Zeugen Lappas zum Mittel der Erzwingungshaft zu greifen.
Hätte der Ausschuß das nicht getan, müßte für alle Zukunft befürchtet werden — das meine ich ganz im Ernst —, daß das Instrument Untersuchungsausschuß stumpf und unbrauchbar geworden wäre. Wir werden dieses Instrument noch brauchen. Auch wir GRÜNEN sehen vorher, daß das noch wichtig sein wird.
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18522 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 240. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Oktober 1986
Werner
Daß es im Gegensatz zu Aktenbeschlagnahmeersuchen zu einer so raschen Durchsetzung der Erzwingungshaft kam, hat niemand erwartet.
Daß es dabei zu einer spektakulären Aktion auf einem Gewerkschaftstag kam, ist ein politisch ganz grober Stilfehler. Das ist nicht zu entschuldigen und absolut unangemessen.
Aber die Märtyrerrolle, in die der Manager Lappas durch diese Aktion auf dem Gewerkschaftstag gedrängt wurde, muß ihm sehr willkommen gewesen sein; denn für den einfachen Gewerkschafter ist die Position dieses Gewerkschaftsmanagers mit seinem Dreiviertel-Million-Jahresgehalt einfach nicht akzeptabel.
In der Öffentlichkeit hat es Stimmen gegeben, die von einer schwarz-grünen Koalition geredet haben, weil es im Falle der Erzwingungshaft ein gleichartiges Stimmverhalten gab. Die Absurdität einer solchen Einschätzung wird sofort deutlich, wenn man sich die unterschiedliche Haltung zur Wohnungsgemeinwirtschaft und zum Problem der Neuen Heimat insgesamt ansieht. Die Koalition will Wahlkampf, soweit irgend möglich, mit der Verfilzung betreiben, die zwischen DGB, Neuer Heimat und SPD sichtbar wurde. Wir GRÜNEN wollen die Erhaltung der Sozialbindung, und wir wollen die öffentliche Hand weiter in die Pflicht nehmen, in der sie angesichts des sozialen Treuhandverhältnisses zur Neuen Heimat als Treugeber auch weiterhin steht.Die Haltung der SPD ist leider manchmal schon als unangebrachte Kameraderie zu bezeichnen.
Aber das ist wohl verständlich; denn bei allen wichtigen Leuten dieses Skandals stehen hinter dem Namen jeweils in Klammern die drei Buchstaben SPD.Verantwortlichkeit, Hilfe zur Aufklärung, Bereitschaft zu Konsequenzen — das ist jetzt gefragt, dazu müssen sich die DGB-Verantwortlichen jetzt durchringen. Dazu sollte die SPD beitragen.
Nochmals die Frage: Wie wird es den Mietern der Neuen Heimat bei Schiesser ergehen? In der letzten Aktuellen Stunde zu diesem Thema habe ich den Schiesser-Deal als großes Windei bezeichnet. Leider hat mich der bisher bekanntgewordene Text des Kaufvertrags nicht zu einer anderen Meinung bringen können. Ich bin nicht einmal sicher, ob mit diesem Vertragstext wirklich der echte Text vorliegt.
Und die Frage, ob Schiesser nur ein Strohmann ist, ist nach wie vor als ungeklärt anzusehen, fürchte ich.Die CDU/CSU und die FDP sind in der ganzen Affäre als moralische Falschspieler aufgetreten.
Sie sollten diese Rolle jetzt endlich fallen lassen zugunsten einer echt verantwortlichen Haltung für die Hunderttausende von Mietern in den Wohnungen der Neuen Heimat. Das Dregger-Papier, mit dem dieser Ausschuß als reines Wahlkampftheater konzipiert wurde, signalisiert eine Haltung, die dem Problem genauso wenig angemessen ist wie die Kumpanei der SPD.DIE GRÜNEN fordern: Macht endlich reinen Tisch! Konzentriert euch auf das eigentliche Problem: Das ist das Schicksal der Mieter!
Ich erteile das Wort dem Herrn Bundesminister der Justiz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Äußerungen und Schlagzeilen der letzten Tage haben die große Mehrheit der Bevölkerung tief betroffen gemacht.
Die von einem unabhängigen Gericht verhängte Beugehaft und den anschließenden Vollzug als schamloses Schmierentheater oder als gezielten, von giftiger Entschlossenheit getragenen Schlag der Rechten zur Schwächung und Diffamierung der Gewerkschaften zu bezeichnen
ist schon — die Anleihe bei dieser Art von Wortwahl muß ich mir gestatten — schmierig und giftig genug;
aber den ganzen Vorgang in die Nähe des Nationalsozialismus zu rücken,
wie es mit Jubel quittiert, auf dem Gewerkschaftstag getan wurde, ist mehr als eine Geschmacklosigkeit und mehr, weit mehr als eine bloße Instinktlosigkeit. Wie können Vertreter einer großen demokratischen Organisation jetzt schon wieder so furchtbar entgleisen? Uns allen ist ja noch in lebendiger Erinnerung, wie vor kurzem, bei der Diskussion und der Auseinandersetzung um § 116 des Arbeitsförderungsgesetzes, in schamloser Weise die Parallele zum Nationalsozialismus gezogen wurde, wofür man sich nachträglich zu entschuldigen hatte. Wären wir im gegebenen Falle in einem Strafverfahren, so würde das Gericht in seiner Urteilsbegründung darauf hinweisen müssen: Straferschwerend kam hinzu, daß nach so kurzer Zeit schon wieder so gehandelt wurde.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 240. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Oktober 1986 18523
Bundesminister EngelhardMeine Damen und Herren, das ist ein diffamierender Angriff auf unseren Rechtsstaat, eine Mißachtung des Parlaments und der Justiz und letztendlich eine Verunglimpfung der Opfer des nationalsozialistischen Unrechtsregimes.
Daß an dieser Stelle der ehemalige und langjährige Bundesminister der Justiz,
heute Sprecher der Opposition, dazu Worte nicht findet, dies wiegt doppelt schwer
und macht mehr als nachdenklich.
Meine Damen und Herren, Ziel dieser Aktuellen Stunde muß es deshalb sein, einiges zurechtzurükken und auch die Bevölkerung darüber aufzuklären, was wirklich geschehen ist und wie die Vorgänge tatsächlich und wahrhaftig zu bewerten sind.Herr Lappas hat — dies ist in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland einzigartig — einem vom Deutschen Bundestag eingesetzten Untersuchungsausschuß gegenüber in arrogantester Weise jegliche Aussage verweigert. Daraus hat der Ausschuß seine ihm gesetzlich zustehenden Konsequenzen gezogen, nicht mehr und nicht weniger. Nach Art. 44 Abs. 2 Satz 1 des Grundgesetzes finden auf Beweiserhebungen durch Untersuchungsausschüsse die Vorschriften über den Strafprozeß sinngemäße Anwendung. Dem Untersuchungsausschuß ist das Recht gegeben, außenstehende Dritte notfalls unter Anwendung von Zwang zur Offenbarung des Wissens zu veranlassen, das der Untersuchungsausschuß für die Erfüllung seiner Aufgabe benötigt. Zu diesem Zweck kann der Untersuchungsausschuß bei dem zuständigen Gericht Erzwingungshaft beantragen.Von dieser gesetzlichen Regelung hat der Ausschuß zur Erfüllung seines ihm vom Parlament erteilten Auftrages Gebrauch gemacht.
Das Bonner Amtsgericht hat dem Antrag des Untersuchungsausschusses stattgegeben.
Ein unabhängiger Richter hat entschieden!Gegen die Entscheidung des Amtsgerichts gibt es das Rechtsmittel der Beschwerde, wovon Herr Lappas Gebrauch gemacht hat. Nun hat die Strafkammer des Landgerichts Bonn in richterlicher Unabhängigkeit ihre Entscheidung getroffen.
— Meine Damen und Herren, zur Heiterkeit ist gerade von Ihrer Seite in dieser Situation kein Anlaß.
Der Justiz unseres Landes die Kompetenz zur Rechtsprechung zu bestreiten, ihre Unabhängigkeit, ihre Unparteilichkeit in Zweifel zu ziehen — das offenbart bei denen, die so reden, ein Staatsverständnis, das einem Grausen macht.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Unsere Gerichte entscheiden nach Recht und Gesetz und nach nichts sonst. Wer dies in Zweifel zieht, der hebelt all das aus, was wir über die Jahrzehnte aus den Trümmern der Niederlage und der Zerstörung des letzten Krieges und des Dritten Reiches aufgebaut haben.
Wenn hier Heiterkeit aufkommt und Sie jetzt in dieser Art und Weise in eine Rolle schlüpfen, obwohl Sie noch die Gelegenheit hätten, deutliche Worte der Distanzierung zu finden,
so macht dies alle, die es mit unserem Staat ernst meinen, die hier Versammelten und alle Bürger draußen noch einmal und noch tiefer betroffen als all das, was wir erlebt haben.
Unsere Justiz, unabhängig und unparteilich, verdient unser Vertrauen.
Wir stellen dies mit aller Deutlichkeit fest. Jetzt ist die Rolle an Ihnen, hier ein klares Wort zu sagen.
Das Wort hat der Abgeordnete Rappe.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Tatsache, daß die Mehrheit des Untersuchungsausschusses ohne längeres Abwägen sofort die Beugehaft beschlossen hat,
läßt darauf schließen, daß die CDU/CSU und die FDP durchaus einkalkuliert haben, den politischen Eklat am vergangenen Wochenende herbeiführen zu wollen.
Daß die Verhaftung von Herrn Lappas auf dem IGMetall-Kongreß stattfand, ist insofern von der Ausschußmehrheit politisch zu verantworten und kann
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18524 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 240. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Oktober 1986
Rappe
auch im nachhinein nicht den Richtern oder der Polizei in die Schuhe geschoben werden.
Meiner Auffassung nach ist dies der erste Höhepunkt der politischen Wahlkampagne, in die von Anfang an der Untersuchungsausschuß eingespannt wurde.
Die Koalitionsparteien würdigen ein parlamentarisches Instrument zur reinen Wahlkampfmaschine ab. Sie schaden dem Ansehen dieses Hauses!
Im übrigen stütze ich die Haltung von Herrn Lappas, nicht als Vorsitzender der BGAG auszusagen; denn diese Ausleuchtung eines Unternehmens — in diesem Fall mit dem Nebeneffekt des Auskundschaftens des Gewerkschaftsvermögens — ist nicht Aufgabe des Untersuchungsausschusses.
Meiner Ansicht nach soll das Ganze auch den Zweck erfüllen, die Gewerkschaften in der Öffentlichkeit in ihrem Ansehen zu schädigen und zu schwächen.
Diese konservative Regierung zeigt zunehmend rechte Ausschläge, wie wir sie vor allem von Frau Thatcher in England kennen.
Die Hinnahme der Arbeitslosigkeit, die Lastenverteilung auf die kleinen Leute im Lande, die Beschneidung der Arbeitnehmerrechte im Beschäftigungsförderungsgesetz und die Beschneidung der Streikfähigkeit durch § 116 sind Stufen dieser Entwicklung. Sie hatten überdies das geschmacklose Geschick, beide Gesetze jeweils Anfang Mai in Kraft zu setzen.
Die politische Mehrheit im Untersuchungsausschuß setzt diese Kette nur fort.
Diese Politik der rechten Ausuferung zerstört den Konsens in unserem Lande.
Es beweist wieder einmal in unserer Geschichte, begleitet durch Erfahrungen in anderen Ländern, daß die rechtsorientierte Politik das soziale Wohl des Ganzen, die Kompromißfähigkeit, den notwendigen Konsens der großen Gruppen nicht bewirken kann,
möglicherweise auch nicht erreichen will.
Von dieser Politik, meine Damen und Herren, haben auf die Dauer die vorausschauenden Kräfte der beiden großen Volksparteien nichts, auch nicht die liberalen Kräfte in der FDP. Weder die Gewerkschaften und die Arbeitnehmer im oder außerhalb des DGB noch die Arbeitgeber haben aus Ihrer Konfrontationspolitik Nutzen. Entscheidungen durch den rechten Flügel dieses Hauses bewirken Gegenabwehr ideologisierter linker Gruppen. Es kann ja sein, daß jeder Thatcher auch seinen Scargill bekommt.
Bei ruhiger Betrachtung sollten Sie über das Ergebnis Ihrer Politik selbst erschrocken sein.
Insofern sollte die Gefangennahme des Gewerkschafters Lappas auf dem Gewerkschaftskongreß in Hamburg wenigstens eine selbstverschuldete Warnung für Sie sein. Versichern kann ich Ihnen eines: Dann, wenn es sein muß, wird sich der DGB geschlossen wehren.
Die Ergebnisse Ihrer Politik führen mich aus staatspolitischen Gründen zu der Feststellung, daß ich eine andere Bundesregierung haben möchte,
in der wieder Frauen und Männer für Konsensfähigkeit sitzen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Bötsch.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Auch die beiden Vorredner von der SPD werden nicht vom eigentlichen Anlaß der heutigen Aktuellen Stunde ablenken können,
der in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland und in der Geschichte dieses Bundestages einmalig ist.
Ich bin sicher, meine Damen und Herren, das Verhalten des DGB-Funktionärs Lappas vor dem Untersuchungsausschuß und die Reaktion des DGB hierauf werden über die heutige Debatte hinaus unauslöschliche Spuren und Narben hinterlassen. Mit seiner pauschalen Weigerung, vor dem Untersu-
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 240. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Oktober 1986 18525
Dr. Bötschchungsausschuß Neue Heimat auszusagen, hat Lappas nämlich den vom Deutschen Bundestag mit der Klärung der Vorgänge um die Neue Heimat beauftragten Ausschuß bei der Erfüllung seiner Arbeit nicht nur erheblich behindert, sondern es war ein letzter Versuch, die Vorgänge um die Neue Heimat zu vertuschen.
Dies stellt eine noch nie dagewesene Mißachtung des Deutschen Bundestages in seiner Gesamtheit dar, die nur den Schluß auf ein gestörtes Verhältnis zu unserem freiheitlichen Rechtsstaat überhaupt zuläßt.
Herr Kollege Vogel, der Vergleich mit der Aussage des Ministerpräsidenten Strauß vor dem Untersuchungsausschuß ist schief; denn er hat ausgesagt und seine Meinung dort gesagt,
und die Wähler in Bayern haben auch dies bei ihrer Wahlentscheidung am letzten Sonntag eindrucksvoll mit bestätigt.
Der DGB soll froh sein, daß er sich nicht irgendwo dem Wählervotum stellen muß, denn das wäre vernichtend.
Wenn Sie von der maßlosen Mehrheit im Untersuchungsausschuß sprechen, Herr Kollege Vogel: Würden Sie eigentlich auch die Stimmenthaltung der beiden Kollegen von Ihrer Fraktion als maßlos qualifizieren?
Ich glaube, Herr Vogel, Ihre Rede hier sollte zu nichts anderem dienen, als endgültig aus dem Bewußtsein herauszufiltern, daß Sie einmal über Jahre hinweg Justizminister dieses Landes gewesen sind.
Meine Damen und Herren, wir müssen in diesem Zusammenhang an den DGB die Frage richten, ob es zutrifft, was ein Hamburger Nachrichtenmagazin, das sicherlich nicht meiner Fraktion und der derzeitigen Bundesregierung nahesteht, in der Ausgabe dieser Woche berichtet, nämlich Rechtsberater der BGAG hätten den Fall vorher sehr gründlich durchgespielt und den Lappas-Auftritt geplant. Ihr Urteil: Die juristischen Waffen des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses seien stumpf; spätestens am Ende der Legislaturperiode sei Lappas aller Sorgen ledig; dann gäbe es keinen Ausschuß mehr, keine Fragen, keine Aussageverweigerung, kein Ordnungsgeld, keine Strafen, nichts, es würde im Sande verlaufen. — Meine Damen und Herren, so hat sich der DGB dieses vorgestellt, aber so geht es nicht in einem Rechtsstaat.
Die Anordnung der Beugehaft gegen den Zeugen durch das Amtsgericht steht voll im Einklang mit unserer Verfassung und den gesetzlichen Vorschriften. Dies hat der Bundesjustizminister hier eindeutig vorgetragen.
Meine Damen und Herren, ich bedaure es, daß ein eigentlich sonst von uns als maßvoll eingeschätzter Gewerkschaftsfunktionär wie Herr Rappe sich in diesem Fall voll in die Solidarität stellt.
Aber noch schlimmer, meine Damen und Herren — beim DGB verstehe ich noch die Erregung, und wir sind froh darüber und freuen uns, daß Herr Schröder
sich entschuldigt hat —, Herr Rau hat von einem Spiel mit dem Feuer gesprochen. Wen meint er damit eigentlich? Wollte er damit auch versöhnen? Er hat damit nicht versöhnt, sondern verhöhnt, nämlich das frei gewählte deutsche Parlament.Danke schön.
Das Wort hat der Abgeordnete Graf Lambsdorff.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Ich würde gerne eine einleitende Bemerkung machen. In der Diskussion hier und draußen wird immer wieder im Zusammenhang mit der Neuen Heimat von „den Gewerkschaften" gesprochen. Die Deutsche Angestellten-Gewerkschaft und die christlichen Gewerkschaften haben mit dieser Sache überhaupt nichts zu tun.
Zweitens. Herr Rappe, es ist eine mehr als bedenkliche Bemerkung, wenn Sie von dieser Stelle aus sagen, Sie unterstützten die Weigerung des Herrn Lappas.
— Natürlich!
Welche Begründung auch immer Sie dafür anführen, es geht nicht an, daß wir irgend jemandem das Recht geben, dort nicht auszusagen. Ich sage das aus eigener Erfahrung; ich habe vor einem Untersuchungsausschuß ausgesagt, als ich in einer sehr kritischen Parallelsituation war. Ich habe dort erklärt, wegen des Respekts vor dem Gremium des Parla-
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18526 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 240. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Oktober 1986
Graf Lambsdorffmentarischen Untersuchungsausschusses sage ich aus; ich weiß das sehr genau.
Wir können das Instrument des parlamentarischen Untersuchungsausschusses wegwerfen, wenn wir eine solche Weigerung entgegennehmen. Das kann nicht richtig sein.
Sie sprechen von Regie des Ausschusses. Für das Wochenende in Hamburg, meine Damen und Herren, darf ich einmal sagen, wo Fragen nach der Regie berechtigt sind. Da trifft das Fernschreiben auf dem Kongreß in Hamburg ein. Herr Steinkühler kündigt an, demnächst werde eine Verhaftung vorgenommen. Ihm gegenüber sitzen Herr von Dohnanyi, Herr Vogel und Herr Lappas. Ist irgend etwas unternommen worden, um diese Verhaftung auf dem Kongreß zu verhindern? Ist etwas unternommen worden von dem Dienstherrn der Hamburger Polizei und auch von den anwesenden führenden Vertretern der SPD, die neben ihm saßen,
um dafür zu sorgen, daß eine solche Verhaftung dort stattfindet, wo man sie sonst vornimmt, im Hotel oder beim Betreten des Raumes? Ist etwas Derartiges geschehen?
Ist es richtig, daß Herr Lappas, als er abgeführt wurde, gesagt hat: Jetzt dreht sich das gegen die? — Die, das sind die hier in Bonn.
Meine Damen und Herren, dies bedeutet erstens eine völlige Fehleinschätzung — jedenfalls der Bevölkerung — über die Vorgänge, die in Hamburg vor sich gegangen sind. Das können Sie ja hören, wenn Sie im Lande umherfragen.
Zweitens. Es macht ein erstaunliches und bedenkliches Maß an Realitätsverlust bei den Verantwortlichen auch bei der Kongreßleitung und damit beim DGB deutlich und erkennbar.Meine Damen und Herren, wegen der Vorgänge um die Neue Heimat hat man das Gefühl — und das sage ich als einer, Herr Rappe, von dem Sie genau wissen, daß er mit dem Deutschen Gewerkschaftsbund kritisch umgeht —, daß der Deutsche Gewerkschaftsbund irgendwo angeschlagen in der Ecke steht. Angeschlagene Boxer keilen ja nur noch zurück.
— Aber, Herr Vogel, dann muß ausgeräumt werden, was mit dieser Sache „Neue Heimat" geschehen ist. Dann müssen die Karten auf den Tisch gelegt werden.
Dann kann doch nicht Herr Lappas die Aussageverweigern und Herr Breit das rechtfertigen, verunklaren, vernebeln, vertuschen. Das ist doch ganz unmöglich.
Sie können diese Sache nur aus der Welt bringen, wenn Sie die Karten auf den Tisch legen, wenn Sie wirklich die Fakten offenbaren, wahrscheinlich auch nur dann, wenn die Verantwortlichen persönliche Konsequenzen ziehen. Mancher ist so angeschlagen, daß es nicht mehr anders geht.Meine Damen und Herren, wir wollen — und das sage ich noch einmal, Herr Rappe, als einer, der mit den Gewerkschaften keineswegs immer freundlich umgeht — einen reaktionssicheren, starken, und deswegen auch rational handelnden und denkenden DGB und nicht eine emotional angeschlagene Truppe, die nicht mehr so recht weiß, wie sie reagiert.
Was im übrigen das Politikergebnis anlangt, Herr Rappe, mit dem Sie hier geschlossen haben: Seit 20 Jahren nicht mehr haben so viele Menschen wie heute in der Bundesrepublik — auch die von Ihnen Vertretenen — die Frage positiv beantwortet, ob es ihnen gutgeht. Diese Frage entscheidet über die nächste Regierung. Ich weiß genau, wie sie aussehen wird: so positiv wie die Antwort auf die Frage.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Langner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Präsident hat soeben die Hamburger Parlamentsbeschimpfung beeindrukkend zurückgewiesen. Der Deutsche Richterbund hat gegen die Justizverunglimpfung Stellung bezogen. Selbst Herr Schröder hat in Hannover unter dem Druck seiner Polizisten wenigstens ein halbes Bedauern gefunden. Da flattert uns soeben die dpa-Meldung auf den Tisch, der DGB beabsichtige eine Flugblattaktion mit dem Satz: Der Haftbefehl gegen Alfons Lappas ist ein politischer Haftbefehl. — Eine Ungeheuerlichkeit, meine Damen und Herren!
Die demokratischen Institutionen dieses Staates vertragen eine ganze Menge. Was sie aber auf Dauer nicht vertragen,
sind Opportunismus, gespaltene Zunge und doppelte Moral, meine Damen und Herren.
Herr Oppositionsführer, Herr Kanzlerkandidat von gestern und morgen
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 240. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Oktober 1986 18527
Dr. Langner— bitte sehr —, wie glaubhaft waren eigentlich Ihre Krokodilstränen, die Sie angeblich im Interesse des Parlaments und des Flick-Untersuchungsausschusses damals geweint haben, wenn Sie nun in Hamburg Beifall klatschten? Das muß ich Sie fragen.
Die SPD stellt in ihrem Minderheitsvotum unter Textziffer 496 im Bericht des Flick-Ausschusses folgendes fest:
„Im parlamentarischen Untersuchungsverfahren haben alle Auskunftspersonen zu erscheinen und auszusagen." So der SPD-Originalton.
„But some animals are more equal", meine Damen und Herren. Herr Lappas hat das offenbar nicht nötig. Kanzler und Ex-Kanzler — Brandt, Schmidt, Kohl — standen stundenlang Rede und Antwort, aber wer Gewerkschaftsvermögen verwaltet, muß wohl etwas Besseres sein, meine Damen und Herren.
Der Zeuge Lappas, dieses Schulbeispiel „neuer Armut" und „der Umverteilung von unten nach oben",
dieser Zeuge mit 750 000 DM Jahreseinkommen und erlesenen Jagdgewohnheiten wollte hier wohl bewußt provozieren. Soll es wirklich wahr sein, daß die demokratische Gewerkschaftsbewegung das unterstützt, daß sie für diese Strategie auch juristische Beratung zur Verfügung gestellt hat?Meine sehr verehrten Damen und Herren, ein weiteres Beispiel für gespaltene Zunge: SPD-Minderheitsvotum im Flick-Ausschuß: „Es gibt grundsätzlich keinen Sachbereich, der nicht Gegenstand eines parlamentarischen Untersuchungsverfahrens sein kann."
Meine sehr verehrten Damen und Herren, das ist in dieser Allgemeinheit zwar falsch, paßte damals aber der Opposition in den Kram. Heute ist sie beim Aufklären, wie man hört und liest, mit sehr viel gebremsterem Schaum dabei,
Ex-Verfassungsrichter Martin Hirsch, SPD, ist flugs mit Zweifeln zur Stelle, ob der Bundestag überhaupt einen Untersuchungsausschuß mit derartiger Zielsetzung und Fragestellung wie den „Neue Heimat"-Ausschuß berufen durfte. Er fragt — laut dpa —: Wohin würde es führen, wenn der Bundestag völlig unbeschränkt untersuchen könne,was er wolle? — Späte Einsicht, meine Damen und Herren; oder besser: immer, wie es paßt.
1952 erließ ein Berliner Untersuchungsausschuß selbst mit SPD-Stimmen den Beugehaft-Befehl. Am Montag behauptete dann die SPD-Allzweckgutachterwaffe, Professor Schneider aus Hannover, im Deutschlandfunk, Beugehaft sei noch nie vorgekommen und bei Lappas unverhältnismäßig. Meine sehr verehrten Damen und Herren, hätte der Herr Professor doch lieber einmal vorher in seine Bücher geguckt!Und wem dann gar nichts anderes mehr einfällt, der muß dann wenigstens die NS-ZusammenhangTotschlagswaffe einführen.
Herr Schröder hat sich entschuldigt; wir nehmen das zur Kenntnis. Aber die Behauptung, er habe das zur Beruhigung des Kongresses getan, ist wohl eine halbe Rücknahme seiner Entschuldigung. Ich habe das als eine maßlose Entgleisung damals empfunden.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, nach dem Verwirrspiel des gestrigen Tages sollte der Zeuge Lappas einsehen, daß auch er sich an demokratische und rechtsstaatliche Spielregeln zu halten hat.
Deeskalation heißt das Gebot der Vernunft. Sie muß von dem ausgehen, der den ersten Stein geworfen hat: vom Zeugen Lappas.
Der Kollege Hüsch, der Vorsitzende des Ausschusses verdient unser aller Unterstützung bei seinem umsichtigen Bemühen,
den Zeugen wieder in den Zeugenstand zurückzuführen, meine Damen und Herren.
Bitte, kommen Sie zum Schluß.
Ja. — Letzter Satz: Daß dieses Parlament Zeugenrechte zu wahren weiß, haben wir im Flick-Ausschuß, zum Teil Neuland betretend, gezeigt, ist heute morgen im „Neue Heimat"-Untersuchungsausschuß wiederum bewiesen worden. Aber es darf niemand rechtsstaatliche Sensibilität mit Schwäche verwechseln und mit Unverschämtheit beantworten, meine Damen und Herren. Zurück zur Vernunft, Zeuge Lappas!
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18528 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 240. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Oktober 1986
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Sperling.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir alle wollen, daß Verfassungsorgane geachtet und nicht verachtet werden.
Dann aber müssen wir die Verfassungsorgane so nutzen, daß der Geist des Grundgesetzes unser Handeln und Entscheiden bestimmt.
Der Zeuge Lappas hat den gebührenden Respekt vor dem Untersuchungsausschuß verweigert.
Darauf dürfen wir nicht mit Verletzung der Verfassung antworten.
Verzichtet die Mehrheit bewußt auf das Ausräumen verfassungsrechtlicher Zweifel, dann handelt sie in dem Geist, den sie anderen vorwirft.
Ein Untersuchungsausschuß soll Mißstände untersuchen, damit sie bereinigt werden können. Dann darf er selber nicht Mißstände hervorrufen, indem er schludrig und eifernd mit seinen Rechtsmitteln umgeht.
Wer in zehn Legislaturperioden kein Untersuchungsgesetz fertigbrachte — der Präsident hat es gesagt — und dann erstmalig tief in privatrechtliche Verhältnisse hineinleuchten will, der muß wegen seiner unzulänglichen Rechtsgrundlage behutsam sein.
Dazu aber taugt der Geist der Rache nicht
und auch nicht der Eifer des Hexenverfolgers.
Für die Ausschußmehrheit stand von Anfang an fest: Die Neue Heimat ist ein bösartiges Geschöpf, sie muß brennen wie eine Hexe, und wenn die Zeugenaussagen nicht entsprechende Erwartungen erfüllen, dann müssen Zwangsmittel her.
Die Herren Gerster und Grünbeck waren im Eifer nicht zu bremsen.
Kein Hinweis auf notwendige Bedenkzeit, die wir namens der Fraktion gefordert haben und die mehrheitlich abgelehnt wurde — gegen alle guten Sitten dieses Hauses.
Die Mehrheit hat gesagt: Macht nichts, der Lappas muß ins Loch, und damit hat es sich.
Dies Eifern war die Richtschnur der Mehrheit im Ausschuß.
Herr Hirsch, Herr Baum, Frau Hamm-Brücher, wozu braucht es noch die SPD?
Der liberale Geist des Grundgesetzes ist Herrn Lambsdorff und Herrn Grünbeck keinen Pfifferling wert, wenn es gegen die Gewerkschaften geht.
Haß auf den DGB, Rache für § 116,
das ist das Wesen des Dregger-Papiers. Wären nicht die Gewerkschaften Eigentümer der Neuen Heimat, nie hätte es die Abfolge der Aktuellen Stunden gegeben,
auch nicht den Fahrplan des Herrn Dregger.
Der Respekt vor dem grundgesetzlich geschützten Eigentum und dem ausgeübten Geschäftsbetrieb hätte die Mehrheit des Hauses dazu gebracht,
nicht auf solche Art und Weise umzugehen.
Sie regen sich nun auf, daß Gewerkschaften protestieren, weil für die Gewerkschaften im DreggerPapier eine Sonderbehandlung geplant und exekutiert wird. Wer die Haß- und Hetzkampagne führt, der schafft ein Klima, in dem Verdächtigung und Argwohn das Handeln auch Dritter bestimmen und zurückschlagen.
Wer gebietet denn eigentlich, daß Gewerkschafter in der Wortwahl zimperlicher sein sollen als die Herren Gerster und Grünbeck?
Wer überschwemmt denn die hiesigen Schreibtische mit reichlich patzigen Presseerklärungen?Den Journalisten muß man doch Schmerzensgeld
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 240. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Oktober 1986 18529
Dr. Sperlingzahlen, derweil sie all dieses an gewerkschaftfeindlichem Unsinn lesen müssen.
In der mehr als hundertjährigen Geschichte der deutschen Gewerkschaften
hat es keine verläßlicheren Demokraten gegeben als diese Berufsgruppe der Gewerkschafter.
Nur die Mitglieder der Gewerkschaften in dieser Mehrheit können mit dem gleichen Stolz in diesem Punkt auf die deutsche Geschichte zurückblicken. Als Gewerkschafter für Demokratie und Rechtsstaat streikten, haben Richter nach den Gesetzen, die andere Berufsgruppen gemacht haben, diese Gewerkschafter ins Gefängnis geschickt. Dies ist angesichts der deutschen Geschichte — —
Denken Sie einmal an die Rechtmäßigkeit der Richtersprüche zur Zeit des Sozialistengesetzes.
Wer mußte damals, wenn er für den 1. Mai streikte, ins Gefängnis?
Wer in unserer Geschichte zurückblickt und angesichts dieser Geschichte unzutreffende Vergleiche zurückweisen will, der muß sich fragen, ob er Grund zur Behutsamkeit hat, damit er Vorbild für die Kritisierten bleibt.
Herr Abgeordneter, kommen Sie zum Schluß.
Dies gilt in diesem Hause, und es gilt für andere außerhalb dieses Hauses. Die Mehrheit hier versprach durch Kanzlers Mund geistig-moralische Erneuerung. Das Versprechen wird durch niederträchtigen Umgang mit politischen Gegnern „eingelöst".
Auch wenn das Ansehen — —
Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit ist abgelaufen. Bitte, kommen Sie zum Schluß.
Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit ist abgelaufen. Bitte, kommen Sie zum Schluß.
Ich komme zum Schluß.
Bitte, kommen Sie zum Schluß.
Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit ist über eine Minute überschritten. Ich bitte um Verständnis, daß ich Sie bitten muß, zum Schluß zu kommen.
Ich komme zum Schluß.
Bitte kommen Sie zum Schluß.
Mit meinem letzten Satz — —
Ich entziehe Ihnen das Wort.
Wir haben eine gute Verfassung. Wahren wir gemeinsam ihren Geist.
Meine Damen und Herren, ich bitte um Verständnis dafür, daß wir nach unserer Geschäftsordnung für die Aktuelle Stunde fünf Minuten Redezeit pro Redner vorgesehen haben und daß sich alle Kollegen daran halten müssen.
— Entschuldigung, ich habe ihm ausdrücklich noch eine Minute länger gegeben. Ich bitte dann aber um Verständnis dafür, daß die Geschäftsordnung in diesem Hause eingehalten werden muß.
Das Wort hat der Abgeordnete Helmrich.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Drei parlamentarische Untersuchungsausschüsse bemühen sich, die Verstöße von Funktionären des Gewerkschaftsbundes gegen das Wohnungsgemeinnützigkeitsgesetz im Neue Heimat-Konzern aufzuklären: in Hamburg und in Nordrhein-Westfalen zwei Ausschüsse eingesetzt mit den Stimmen der SPD-Mehrheit, und der Ausschuß des Bundestages, ebenfalls mit den Stimmen der SPD eingesetzt. Alle Parteien — das scheint vergessen worden zu sein — tragen die Untersuchungsaufträge dieser Ausschüsse.
Gewerkschafter halten das für einen nötigen Reinigungsprozeß. Die Hamburger Bürgerschaft stellt einstimmig mit den Stimmen der SPD 213 Rechtsverstöße fest. Hier rechnen Beobachter mit der Feststellung von Rechtsverstößen in der Größenordnung von 80 bis 100. Es handelt sich u. a. um
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18530 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 240. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Oktober 1986
Helmrichunzulässige Vermögens- und Gewinnverschiebungen sowie um persönliche Bereicherung von Gewerkschaftsfunktionären bis hin zu Untreue und Betrug. Zwei Gewerkschaftsgeschäftsführer in Berlin sind bereits — —
Meine Damen und Herren, ich bitte um Aufmerksamkeit für den Redner.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Zwei Neue-Heimat-Geschäftsführer sind wegen Subventionsbetruges verurteilt — Geschäftsführer!
Ermittlungsverfahren in Hamburg und in Nordrhein-Westfalen, in Düsseldorf, laufen gegen Gewerkschaftsfunktionäre.
Meine Damen und Herren, ich bitte jetzt wirklich um Aufmerksamkeit.
Wenn wir in einer parlamentarischen Demokratie nicht mehr vernünftig miteinander diskutieren, frage ich mich, wie das in diesem Hause ist.
— Das ist auf beiden Seiten so, meine Damen und Herren. Ich lasse es nicht zu, daß die Beratungen in dieser Form fortgesetzt werden. Ich lasse es nicht zu!
Bitte fahren Sie fort.
— Ich habe das genauso gesagt. Ich rufe Sie zur Ordnung, Herr Abgeordneter Schreiner.
— Ich rufe Sie zur Ordnung, Herr Abgeordneter Schreiner, zum zweitenmal.
Herr Abgeordneter Helmrich, fahren Sie bitte fort.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Hunderte von Rechtsverstößen, Verhöhnung und Behinderung der Arbeit des Parlaments und seines Untersuchungsausschusses,
Gerichtsbeschimpfung übelster Art und Sonderrechte für Gewerkschafter und Gewerkschaftskongresse: Was geht in den Köpfen solcher Funktionäre vor?
Sehen sie sich als Staat im Staate, oder glauben sie, außerhalb von Gesetz und Recht zu stehen? Diese Funktionäre brauchen — so meine ich — Nachhilfeunterricht in Demokratie und Rechtsstaatlichkeit.
Die Betriebsräte der Neuen Heimat verteilen ein Flugblatt beim IG Metall-Kongreß in Hamburg — das wird verschwiegen —, in dem es heißt: Bei der Neuen Heimat wird bewußt Meinung durch Verschweigen wesentlicher Tatsachen und Vereinbarungen manipuliert.
Zweiter Akt heute früh im Untersuchungsausschuß: Herr Dr. Harro Iden erklärt, er könne wohl zu sämtlichen Fragen nicht aussagen, die gestellt worden sind.
Das stünde möglicherweise im Fortsetzungszusammenhang. Möglicherweise müsse er sich selbst strafbarer Handlungen bezichtigen;
er könne deshalb auf alle Fragen insgesamt wohl gar nichts sagen.
Was heißt das? Das kann nur zweierlei heißen: Entweder ist es ein neuer Trick oder seine Handlungen für die Neue Heimat waren fortgesetzte strafbare Handlungen.
Das muß geprüft werden. Die Öffentlichkeit und das Parlament haben Anspruch darauf zu wissen, was Herr Lappas und Herr Dr. Iden verheimlichen, soweit nicht § 55 StPO eingreift.
Das Wort hat der Abgeordnete Brandt.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe den Eindruck bestätigt bekommen, daß es hier nicht um die Würde des Parlaments geht, sondern um ein ungutes Stück Wahlkampf.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 240. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Oktober 1986 18531
BrandtIch habe auch den Eindruck bestätigt bekommen,
Herr Kollege, daß es nicht um die Gefährdung demokratischer Institutionen geht, sondern darum, ob es noch möglich ist, böse bis bösartige Angriffe auf die deutschen Gewerkschaften zurückzunehmen, weil ich sonst für den sozialen Frieden in diesem Land, der ein hohes Gut ist, Gefahr sehe.
Mich hat das nicht ganz überrascht. Ich habe Ende August in Nürnberg nicht nur meiner eigenen Partei, sondern, soweit man sie erreichen konnte, der deutschen Öffentlichkeit gesagt: Ich möchte auf einen kalt kalkulierten Wahlschlager aufmerksam machen.
„Dafür gedenkt" — so sagte ich und darf hier wiederholen — „die gegenwärtige Bonner Mehrheit einen Untersuchungsausschuß des Bundestages zu mißbrauchen. Sie" — die Mehrheit meine ich —„will die Mißwirtschaft" — ich wiederhole es: die Mißwirtschaft — „an der damaligen Spitze der Neuen Heimat zum Vorwand nehmen, um Gewerkschaftsführer als Sündenböcke vorzuführen und die SPD gleich mit in den Dreck zu ziehen." Ich finde das voll bestätigt.
Ich will aber auch gleich einen weiteren Satz hinzufügen, den ich dort gesagt habe: Man möge folgendes zur Kenntnis nehmen: „Gegen Freunde, die— gestützt auf das Vertrauen ihrer Mitglieder — an der Spitze der deutschen Gewerkschaften stehen, gegen sie lassen wir uns nicht aufbringen."
— Wer aus bitteren Erfahrungen, wie die bei der Neuen Heimat, Herr Kollege, Lehren ziehen will, der hat uns auf seiner Seite. Wer propagandistische Exzesse veranstaltet, der hat die SPD gegen sich.
Wenn Sie einen Augenblick an Herrn Breit denken:
Vorsitzender des Deutschen Gewerkschaftsbundes, in gewisser Hinsicht der Vorgesetzte des Mannes, von dem hier wiederholt gesprochen wurde. Herr Breit lebt in der Vorstellung, daß ein Zeuge veranlaßt werden sollte, an der Ausforschung der Gewerkschaftskassen mitzuwirken.
Wenn dieser Eindruck besteht, müßte jedem klar sein,
daß die Gewerkschaften nicht mitspielen, weil sie befürchten, daß man sie ausbluten lassen will. Das sage ich Ihnen ohne alle sonstige Schärfe: Ob Axt oder Messer, wer die Gewerkschaften existentiell treffen will,
der bringt nicht nur sie gegen sich auf, sondern auch die deutsche Sozialdemokratie.
Wir sind keine Gewerkschaftspartei; wie greifen weiter, das weiß man, aber
wir — und hoffentlich nicht nur wir — wissen auch, daß die Gewerkschaften nicht ein Verband sind wie jeder andere, sondern daß starke Gewerkschaften unentbehrliche Partner für einen modernen demokratischen Staat und für die Volkswirtschaft sind.
Dann muß man sich zudem bewußt sein, welche Rolle sie gespielt haben. Man darf nicht nur bei Jubiläen würdigen, welche Rolle sie gespielt haben — sicherlich haben sie nicht immer Recht gehabt —: beim Aufbau, bei der Festigung der Demokratie in diesem Land
und durch ihren Beitrag zu dem sozialen Frieden, um den uns viele beneiden.
Herr Präsident, meine Damen und Herren, mir ist nicht nach Juristenschelte zumute. Wo aber ein erschreckender Mangel an politischem oder anderem Augenmaß zu verzeichnen ist, da darf man dies bei Gelegenheit auch offen erwähnen.
Von einem Angriff auf den Deutschen Bundestag kann keine Rede sein, wenn man nüchtern darauf hinweist — lesen Sie es in der heutigen Ausgabe der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" nach —, daß Untersuchungsausschüsse mit ihren Mehrheiten „politische Kampfinstrumente" seien. Genau das haben wir bestätigt bekommen.
Es ist eine Irreführung der Öffentlichkeit, wenn man — zumal in Vorwahlkampfzeiten — einen Untersuchungsausschuß als sicheres Instrument zur Ermittlung der reinen Wahrheit ausgibt. Davon
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18532 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 240. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Oktober 1986
Brandtkonnte auch bei Flick keine Rede sein, bei Guillaume auch schon nicht.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich bitte dies noch sagen: Ich habe Grund anzunehmen, daß auch eine Reihe von Kolleginnen und Kollegen, die die Dinge sonst anders sehen, als ich sie sehe,
aus der Union und aus den Reihen der Freien Demokraten, Zweifel haben bei dem, was wir heute diskutieren. Ich finde, es wäre besser, als sich in diese Diskussion weiter zu steigern, wenn diejenigen, die ebenso entsetzt sind wie ich, miteinander überlegten, wie wir verhindern, daß der entstandene Schaden noch größer wird,
und wie wir hier verhindern, daß die deutschen Gewerkschaften in eine Ecke gedrängt werden, in die sie nicht hineingehören.
Wir täten gut daran, statt über Scheinthemen über die wirklichen Themen des anstehenden Wahlkampfes miteinander zu streiten.
Das Wort hat der Abgeordnete Scharrenbroich.
Herr Kollege Brandt, es kann sein, daß hier auch Wahlkampf stattgefunden hat. Ich halte Wahlkampf nicht für etwas Schlechtes, wenn er der Aufklärung dient, insbesondere wenn er der Aufklärung der Bürger dient, wie ernst Ihre Partei das Wort Ihres Kanzlerkandidaten nimmt: versöhnen statt spalten. Sie haben heute gespalten, und ich meine auch, der Kollege Sperling sollte das in Ordnung bringen, wenn er Kollegen der Koalition in die Nähe der Nationalsozialisten bringt.
So ist das zu verstehen gewesen, nachdem der Vorsitzende der Polizeigewerkschaft sich hier entschuldigt hat. Herr Kollege Sperling, bringen Sie in Ordnung, daß dies nicht der Fall ist.„Wenn einige Funktionäre glauben, alles so darstellen zu müssen, als ob sie die Basis wären, dann kann ich nur warnen. Was Funktionärsmeinung ist, ist noch lange nicht Basismeinung."
Das, was ich gerade gesagt habe, ist nicht die Meinung des HBV-Mitgliedes Scharrenbroich, sondern das hat der IG Metall-Vorsitzende Eugen Lo-derer 1982 gesagt, nachzulesen in der „Zeit".Und Kollege Rappe, ich will nicht so persönlich werden, wie Sie bei einer anderen Gelegenheit es gewesen sind. Ich will nicht vom „Verfall einer Persönlichkeit" sprechen, aber ich bin erschüttert, wie Sie Ihre Autorität in einer Pflichtübung abbauen, weil Sie die Nummer eins auf der Liste der niedersächsischen Sozialdemokraten sind. Das halte ich für bedauerlich.
Genau damit wird auch das Dilemma deutlich, in dem sich unsere Einheitsgewerkschaft befindet. Sie ist nämlich abhängig von den Sozialdemokraten. Als Beleg: Wenn das Präsidium der Sozialdemokraten am 21. Oktober verlautet: „Die SPD wendet sich schärfstens gegen die Verhaftung von Alfons Lappas auf dem Gewerkschaftstag der IG Metall", dann ist das die Sprache, die wir anwenden, wenn Gewerkschafter in Chile oder in Nicaragua verhaftet worden sind. Aber so kann ich doch nicht gegenüber einer freiheitlich-rechtsstaatlichen Justiz verfahren.
Deswegen ist es nur ein Nachplappern, wenn der DGB dieses Flugblatt jetzt so verfaßt: „Der Haftbefehl gegen Alfons Lappas ist ein politischer Haftbefehl."Die Gewerkschafter sollten ruhig sein, denn jeden Tag produzieren sie einen neuen Skandal. Es ist eine erneute Schwächung der Gewerkschaftsbewegung, was wir hier hören müssen. Ich appelliere an die verantwortlichen Gewerkschaftsfunktionäre — nicht alle; aber es sind Gewerkschaftsfunktionäre, die das Ansehen der Gewerkschaften schwächen und nicht die Bundesregierung, nicht Frau Thatcher und nicht Mr. Scargill —: Nehmt die Gewerkschaftsbewegung wieder wichtiger als euch selbst! Verführt die Mitglieder und Kongreßdelegierten nicht zu einer falschen Solidarität mit eurem Versagen. Treibt die Demokraten nicht aus der Einheitsgewerkschaft heraus!
Laßt euch nicht von der SPD zu einer sozialistischen Richtungsgewerkschaft machen,
denn dann ist für Christliche Demokraten kein Platz mehr in dieser Einheitsgewerkschaft.Deshalb sage ich den Arbeitnehmern: Verlaßt die Gewerkschaften nicht wegen dieser Krise, sondern geht vielmehr hinein, wenn ihr nicht schon drin seid, denn wir brauchen viele Demokraten in diesen Gewerkschaften.
Dem jetzt notwendigen Selbstreinigungsprozeß in den Gewerkschaften dient auch, wenn der Untersuchungsausschuß Neue Heimat des Deutschen Bundestages das Versagen von Gewerkschaftsfunktionären sozusagen als Nebenprodukt deutlich macht. Dies ist um so dringlicher, als gerade diese
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ScharrenbroichGewerkschaftsfunktionäre ihren Mitgliedern immer wieder das Gegenteil einreden wollen, nämlich die Bundesregierung sei an allem schuld: sowohl an der Schwächung der Gewerkschaften als auch am Konkurs der Neuen Heimat. Nein, die jetzige Schwächung des Ansehens der Gewerkschaften haben einige Funktionäre selber zu verantworten.
Ich begrüße es, daß sich gestern der DGB-Vorsitzende Breit und heute der GdP-Vorsitzende Schröder davon distanziert haben, hier sei eine Verbindung zu den Nationalsozialisten herzustellen. Aber ich würde mich freuen, wenn auch die IG Metall ihren alten Vorsitzenden dazu bewegt hätte, dies zu erklären, oder wenn der neue Vorsitzende so verfahren würde. Er und die anderen Verantwortlichen in der Einheitsgewerkschaft sollten den Schlußsatz aus dem offenen Brief der Betriebsräte der Neuen Heimat an den DGB-Bundesvorstand beherzigen:„Bevor ihr darangeht, die Welt zu verbessern." — schreiben diese DGB-Kollegen —, „geht dreimal durch das eigene Haus." Das ist die Aufforderung an die Einheitsgewerkschaft in dieser Stunde.
Meine Damen und Herren, die Aktuelle Stunde ist beendet.
Wir sind damit am Schluß unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 23. Oktober 1986, 8 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.