Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet. Ich rufe Zusatzpunkt 9 der Tagesordnung auf: Aktuelle Stunde
Einlösung des vor der Landtagswahl in Niedersachsen von der Bundesregierung gegebenen Versprechens zur Einführung eines Babyjahres für „Trümmerfrauen"
Meine Damen und Herren, die Fraktion der SPD hat gemäß Nr. 1 c der Anlage 5 unserer Geschäftsordnung diese Aktuelle Stunde verlangt.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Abgeordnete Frau Traupe.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben es heute morgen wieder einmal mit einem Beispiel des Verlustes an politischer Glaubwürdigkeit zu tun,
das uns alle angehen sollte. Der niedersächsische Landtagswahlkampf liegt gerade 14 Tage hinter uns. Wieder einmal haben interessierte Bürger zur Kenntnis nehmen müssen, daß man vielen Politikern eben nicht glauben darf, was sie im Wahlkampf sagen.
Meine Damen und Herren, von der Koalition, glauben darf man vor allen Dingen nicht Politikern wie Herrn Blüm, Herrn Stoltenberg, Herrn Albrecht und auch nicht Frau Süssmuth.Erinnern wir uns: Im Jahre 1972 legte der damalige Bundessozialminister Walter Arendt einen Rentenreformentwurf vor,
der die Einführung eines zusätzlichen Versicherungsjahres für die Zeiten der Kindererziehung vorsah. Dieser Gesetzentwurf scheiterte am 20. September 1972 im Bundestag an einer kurzfristigen CDU/CSU-Mehrheit.Bei mir im Landkreis Holzminden behauptete jedoch der jetzige Bundessozialminister Norbert Blüm Ende Mai 1986 — er ist ja kraftvoll —: Wir von der CDU sind die Reparaturkolonne für all das, was die Sozialdemokraten in 13 Jahren kaputtgemacht haben.
Er führte weiter aus — Originalton Blüm -:Familienpolitik, das hat auch etwas mit Herz zu tun.
Er versprach, diese Bundesregierung werde nun auch etwas für die Rentenversorgung der Trümmerfrauen tun.
Herr Kollege Seiters, in ihren Wahlanzeigen behauptete die niedersächsische CDU am 24. Mai landesweit:Die überwältigende Mehrheit der Niedersachsen will Ernst Albrecht als Ministerpräsidenten.
Begründet wird dies mit dem großen Vertrauen dazu, daß Ernst Albrecht für Sicherheit und Verläßlichkeit steht und daß seine Politik dem Fortschritt menschliches Maß gibt.
Noch am 16. April 1986 hatten eben dieser Mann des menschlichen Maßes und seine von ihm geführte niedersächsische Landesregierung den Antrag der sozialdemokratisch geführten Bundesländer im Bundesrat abgelehnt, auch die älteren Mütter in die Rentenverbesserung einzubeziehen. Als er dann aber merkte, wie gerade ältere Wählerinnen über die ungerechte Rentenrechtsregelung der CDU/CSU und FDP verärgert waren, schaltete er um.Am 1. Juni 1986 kam folgende Pressemitteilung heraus — ich zitiere —:Albrecht setzt sich für Trümmerfrauen ein.Der niedersächsische Ministerpräsident ErnstAlbrecht hat am Sonntag in Hannover erneut
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17512 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 226. Sitzung. Bonn, Freitag, den 27. Juni 1986
Frau Traupegefordert, daß Erziehungsjahre für die Rentenversicherung auch bei den sogenannten Trümmerfrauen der Jahrgänge '21 und früher anerkannt werden. Wie Regierungssprecher Hilmar von Poser mitteilte, vertritt Albrecht die Auffassung, daß die rechtliche Benachteiligung der Mütter im Rentenrecht auch für die Frauen dieser Jahrgänge abgebaut werden müsse.
Es geht um die Anerkennung der Lebensarbeit dieser Frauen und die Wertung dessen, was sie für die nachfolgende Generation geleistet haben.Das Wahlstudio der „Bild-Zeitung" gab ihm am 13. Juni die Schlagzeile:
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Bald gibt's Geld für Trümmerfrauen.
In diesem Landtagswahlkampf klebte die CDU nicht das Bild der Landesministerin Frau Breuel, sondern groß das von Frau Süssmuth. Das Wahlstudio der „Bild"-Redaktion am 2. Juni 1986:
Ministerin Süssmuth: Trümmerfrauen, in drei Wochen gibt's Rente.
Ja, wenn es so wäre, wäre j a wohl der 23. Juni Zahltag gewesen. In Wirklichkeit hatte da der Bundesfinanzminister, Dr. Stoltenberg, wieder begonnen, Geld bei seinen Kabinettskollegen einzusammeln — durch das Erlassen einer Haushaltssperre.
Ich hätte Ihnen jetzt noch gern — aber das geht aus Zeitmangel nicht — den Text aus der „Bild-Zeitung" vorgelesen.
Fest steht auf jeden Fall eines: Als Haushaltspolitikerin weiß ich natürlich, daß es nicht leicht ist, 2,5 bis 3 Milliarden DM jährlich mehr zur Verfügung zu stellen. Aber ich weiß auch, Herr Seiters, wie Geld von Ihnen in schneller Weise ausgegeben wird,
wenn es anderen Gruppen der Gesellschaft, die robuster und frecher sind, zugute kommen soll.
Deswegen sage ich nur: Sie haben uns mit Ihrer Haltung geschadet. Ich kann Sie nur an den Kieler Appell des Reichsbundes vom 3. Mai erinnern — in der Heimat von Herrn Stoltenberg —:
Üben Sie Gerechtigkeit an den Trümmerfrauen und Kriegerwitwen.
Ich empfehle Ihnen, Herr Stoltenberg, diese Worte ernst zu nehmen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Seehofer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Man muß der SPD sehr dankbar für diese Aktuelle Stunde sein, weil sie uns Gelegenheit gibt, noch einmal einige Wahrheiten auf den Tisch zu legen.
Die Wahrheit Nummer 1 ist, daß Sie von 1969 bis 1982 regiert und in dieser Zeit nicht die Kraft gehabt haben, die Kindererziehungszeiten einzuführen.
Frau Traupe, es kommt doch gar nicht auf das Jahr 1972 allein an. Sie hatten vielmehr 13 Jahre Zeit, sie einzuführen, aber Sie haben es nicht getan.Die Niedersachsen-Wahl liegt nicht 14 Tage zurück, sondern 13 Tage. Sie mahnen uns heute, nach 13 Tagen, an. Ich sage Ihnen: Wenn jemand 13 Jahre lang nicht die Kraft gehabt hat und uns nach 13 Tagen anmahnt, ist das der Gipfel der politischen Heuchelei, meine Damen und Herren.
Die Wahrheit Nummer 1 ist also: Sie sind 13 Jahre lang mit vollem Mund und leeren Händen umhergelaufen.Die Wahrheit Nummer 2: Wir haben keine Propagandaformeln, wir haben keine Ankündigungen benutzt, wir haben gehandelt. Wir haben das Erziehungsjahr eingeführt.
Die Rentenversicherung besteht seit über 100 Jahren. Seit über 100 Jahren wurde die Kindererziehung im Rentenrecht nicht berücksichtigt. Dies ist eine soziale Ungerechtigkeit größten Ausmaßes. — Ich muß sagen: Dies war eine soziale Ungerechtigkeit; denn wir haben dieses Erziehungsjahr eingeführt.
Es ist ein ganz logischer Vorgang, daß man, wenn man über 100 Jahre lang eine soziale Ungerechtigkeit hatte, in einem ersten Schritt dafür sorgen muß, daß diese Ungerechtigkeit nicht fortgesetzt wird. Dies haben wir getan, indem wir für die Zukunft das Kindererziehungsjahr eingeführt haben. Wir haben also Schluß gemacht mit der Fortsetzung dieser sozialen Ungerechtigkeit.
Die Wahrheit Nummer 3, Frau Traupe: Wenn ein Schiff ein Leck hat, dichtet man zunächst einmal das Leck ab. Das haben wir dadurch getan, daß wir für die Zukunft das Unrecht abgeschafft haben. Man macht doch nicht das, was Sie vorgeschlagen haben, zunächst einmal das Wasser herauszuschöpfen und das Leck offenzulassen;
denn dann liefe man der Katastrophe immer hinterher.Jetzt kommt der zweite Schritt. Es ist logisch, daß man nach dem ersten Schritt, Abschaffung der Un-
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Seehofergerechtigkeit für die Zukunft, überlegt: Wie kann man die Ungerechtigkeit für die Vergangenheit bereinigen? Wir haben dies nicht gleichzeitig mit dem ersten Schritt gemacht — das haben wir oft betont —, weil es im Jahre 1985 dafür keinen Dekkungsvorschlag gab. Nun standen wir vor der Frage: Sollen wir als Sozialpolitiker alles auf einmal fordern, oder sollen wir zunächst nur den wichtigsten Schritt tun, nämlich das Unrecht für die Zukunft beseitigen? Hätten wir alles gefordert — das wissen Sie —, hätten wir darauf bestanden, das Problem für die Zukunft und für die Vergangenheit zu lösen,
hätten wir heute überhaupt nichts.
Deshalb war es richtig, zunächst einmal den Fuß in die Tür zu bringen, das Problem für die Zukunft zu lösen und jetzt das Problem für die Vergangenheit zu bereinigen. Hätten wir diesen ersten Schritt nicht getan, könnten wir heute über diesen zweiten Schritt überhaupt nicht diskutieren.
Wir unterscheiden uns auch hier in einem wesentlichen Punkt von der SPD:
Wir werden nur eine Lösung verwirklichen — die Mütter der Geburtsjahrgänge vor 1921 können sich darauf verlassen, daß sie nicht leer ausgehen —,
die solide finanziert ist und auch auf Dauer durchgehalten werden kann.
Wir sammeln nicht nach Wahltagen wieder das ein, was wir vor Wahltagen versprochen haben.
Meine Damen und Herren, wenn ich mir einmal die Geschichte der Bundesrepublik Deutschland anschaue, dann stelle ich fest, daß es doch die Union war, die von 1949 bis 1969 alle wichtigen sozialpolitischen Gesetze verwirklicht hat. Dann war es die Union, die nach 13 Jahren SPD-Mißwirtschaft das soziale Sicherungssystem vor dem Zusammenbruch bewahrt hat, und dann war es die Union, die in den 80er Jahren auch wieder wichtige historische sozialpolitische Weichenstellungen durchgeführt hat.
Sie haben in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland die größte Sozialdemontage aller Zeiten zu verantworten,
und wir haben die sozialpolitischen Weichenstellungen in der Bundesrepublik Deutschland durchgeführt, in den 20 Jahren von 1949 bis 1969 und jetzt wieder in den 80er Jahren. Die Union ist die prägende soziale Kraft in der Bundesrepublik Deutschland, meine Damen und Herren.
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Dr. Adam-Schwaetzer.
— Die Reihenfolge bestimmt der Präsident und niemand anderes. Nehmen Sie das zur Kenntnis!
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich habe überhaupt keine Probleme, nach Herrn Seehofer zu sprechen. Die Koalition aus CDU/CSU und FDP hat 1985 den Einstieg in die Anrechnung von Kindererziehungszeiten im Rentenrecht beschlossen, und zwar in einer Form, Frau Däubler-Gmelin, wie es die Koalition aus SPD und FDP 1972 ebenfalls vorgeschlagen hatte, nämlich mit einer Stichtagsregelung. 1972 war genauso wie 1985 eine Stichtagsregelung vorgesehen, die Marie Schlei, Ihre Fraktionskollegin, damals damit begründet hat, daß für mehr kein Geld da sei.
— Liebe Ingrid, du weißt ganz genau, daß mit den Sozialdemokraten anschließend in den 70er Jahren eine solche Regelung nie wieder durchgesetzt werden konnte.
Meine Damen und Herren, es ist uns nicht gelungen, diese Entscheidung draußen umfassend klarzumachen. Im Gegenteil, gerade die älteren Frauen haben uns viele, viele Briefe geschrieben, sich darüber beklagt und ihr Unverständnis bekundet.
Daraus werden wir Konsequenzen ziehen.
Der Bundesparteitag der Freien Demokraten hat im Mai in Hannover einen Antrag verabschiedet,
in dem die Bundestagsfraktion aufgefordert wird, sehr schnell eine Lösung dieses Problems zu suchen und auch die Frauen, die vor 1921 geboren sind, in die Anrechnung von Kindererziehungszeiten einzubeziehen. Die Koalition aus CDU/CSU und FDP wird das tun. Wir fordern die Bundesregierung auf, möglichst bald die entsprechende Entscheidung zu treffen, damit die Betroffenen Klarheit haben. Es ist nicht gut, wenn in der Öffentlichkeit über eine solche Entscheidung zu lange diskutiert wird.
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Frau Dr. Adam-SchwaetzerWir sind uns über ein paar Punkte einig: Erstens. Wir sind uns darüber einig, daß ein Pauschalbetrag gezahlt werden soll,
und zwar für alle Kinder gleich und für alle Frauen gleich. Wir wollen nicht, daß eine neue Berechnung der Versicherungszeiten erfolgt, weil das ein sehr, sehr großer bürokratischer Aufwand wäre, der auch zuviel Zeit in Anspruch nehmen würde. Deshalb ist es besser und schneller, hier einen pauschalen Betrag zu vereinbaren.Zweitens. Wir sind uns auch darüber einig, daß das Geld zur Bezahlung dieser Maßnahme nicht aus der Rentenkasse genommen werden darf, sondern
daß es aus dem Bundeshaushalt gezahlt werden muß. Die Finanzierungsmodalitäten müssen nun allerdings noch diskutiert werden. Da, meine Damen und Herren, bin ich aber zuversichtlich, daß es uns gelingen wird, schon in den nächsten Tagen eine Lösung zu finden, die es uns erlaubt, eine einvernehmliche Regelung zu verabschieden.Es wird wohl nicht möglich sein, die Anrechnung in einem Schritt durchzuführen.
Die Beträge, die dann zu Buche schlügen, wären zu groß. Wir werden deshalb eine Stufenregelung ins Auge fassen müssen. Wir Freien Demokraten meinen, daß möglichst bald mit den ältesten Jahrgängen begonnen werden sollte und daß dann in möglichst wenigen Schritten alle Jahrgänge einbezogen werden. Ich bin zuversichtlich, meine Damen und Herren, daß wir schon am Ende der nächsten Woche alle wissen, woran wir sind, und damit Klarheit geschaffen ist. Auch die alten Rentnerinnen werden für ihre Erziehungsleistung eine Anerkennung in ihrer Rente bekommen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Bueb.
Meine Damen und Herren! Wir haben gerade gehört, daß die CDU/CSU die sozialpolitische Kraft Deutschlands sei.
Dem kann ich nur zustimmen: Sie sind die sozialpolitische Kraft für die Unternehmer und die Besserverdienenden;
denn denen haben Sie in der letzten Zeit, in der Sie in der Regierung sind, 210 Milliarden DM zugeschanzt, von unten nach oben verteilt.Was Sie heute hier vorexerzieren ist ein peinliches Trauerspiel in mehreren Akten und zugleich eine Demonstration der heuchlerischen politischenMoral. Die Ausgrenzung der Trümmerfrauen bei der Anerkennung eines Babyjahres und jede andere Form der Ungleichbehandlung dieser Frauen ist und bleibt ein Akt der Ungerechtigkeit und der politischen Unmoral.
Entlarvend finde ich, wie Sie damit umgehen. Sie sagten, es sei zwar für die Betroffenen ungerecht, aber systemgerecht. Eine zynische Logik, wie ich meine!
Noch bezeichnender finde ich, daß Sie den alten Frauen zunächst zugemutet haben, sie würden die gezielt gegen sie gerichtete Ungerechtigkeit hinnehmen, ja noch Verständnis für die angeblichen Finanznöte des Bundes haben. Sie haben auf die Anspruchslosigkeit und Opferbereitschaft dieser Frauengeneration spekuliert, aber Sie wurden — Gott sei Dank — eines anderen belehrt.Wie bereits vor einigen Jahren im Fall der Taschengeldkürzungen für Heimbewohner ist auch diesmal eine Woge der Entrüstung und des Protestes ausgebrochen. Und so häuften sich bei Ihnen vor der Niedersachsen-Wahl die opportunistischen Stimmen. Arbeitsminister Blüm versprach: Wir werden die Frauen der Jahrgänge vor 1921 nicht vergessen.
Aber wer diesen Ankündigungen vertraut hat und auf die Beseitigung des Unrechts gehofft hat, ist jetzt enttäuscht.
Innerhalb der Gruppe der Ausgegrenzten soll wieder neu ausgegrenzt werden; wir haben es gerade von Frau Adam-Schwaetzer gehört. Es ist j a im Gespräch, daß die Ältesten unter den über 65jährigen mit den meisten Kindern die 25 DM pro Kind erhalten sollen. Das ist die neueste Variante in der Diskussion — ein wahrlich absurder Vorschlag. Ich bin gespannt, was Sie sich noch alles ausdenken werden.Grund dieser Aktuellen Stunde ist: Stoltenberg hat sich nun zu Wort gemeldet, im Haushaltsetat 1987 seien für die Einbeziehung der Trümmerfrauen gar keine Mittel vorgesehen.
Wie läßt sich das anders verstehen, als daß sich hierein neuer Wahl- und Rentnerinnenbetrug anbahnt?
Falls die Entscheidung falle, so Stoltenberg, daß bereits im nächsten Jahr eine entsprechende Ausweitung der Anrechnung von Kindererziehungszeiten
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Buebwirksam werde, so müsse eine Entlastung des Bundeshaushaltes eben an anderer Stelle erfolgen.
Und flugs liegen die Vorschläge auf dem Tisch, wie im Rahmen des Sozialetats kostenneutral und damit natürlich wieder auf Kosten der sozial Schwachen finanziert werden soll, und zwar mit Mitteln, die bisher für Arbeitslosenhilfe an die Bundesanstalt für Arbeit gegangen sind; das ist ja im Gespräch. Dadurch, daß Sie älteren Langzeitarbeitslosen länger Arbeitslosengeld zahlen wollen,
das Sie vorher natürlich gekürzt haben,
brauchen Sie dann wieder weniger Mittel an die Bundesanstalt zu überweisen. Das verkümmerte Babyjahr für den eingegrenzten Personenkreis soll mit den Einsparungen bei den Erwerbslosen bezahlt werden.
Ich sage hierzu: typisch Blüm. Das, was Sie hier betreiben, Herr Blüm, ist ein übles Spiel. Sie sagen, bei Ihnen gebe es kein Hin und Her, sondern nur eine solide, langfristige Lösung.
In Wirklichkeit treiben Sie ein Pingpongspiel mit den Gefühlen der betroffenen Frauen, ein Pingpong mit ihren Hoffnungen und Enttäuschungen, und spielen Betroffene gegeneinander aus.
Wir haben das Babyjahr schon immer für eine verkürzte Lösung gehalten. Wir meinen, daß die Leistung der Kindererziehung damit nicht genügend anerkannt wird. Wir fordern in unserem grünen Rentenmodell
eine Anerkennung von drei Kindererziehungsjahren pro Kind, was sich mit 66 DM pro Kind auf die Rente der Frauen auswirken würde. Wir fordern ein Beitrags-Splitting zwischen Ehegatten und wir fordern ein existenzsicherndes Betreuungsgeld für die Erziehung in den ersten eineinhalb bis drei Jahren des Kindes mit Übernahme der durchschnittlichen Rentenversicherungsbeiträge. Zudem müssen die Rentenansprüche ab sofort auf ein existenzsicherndes Niveau von 1 200 DM monatlich angehoben werden,
wenn keine anderen Einkommen vorliegen. Nur dann kann von einer tatsächlichen Verbesserung der materiellen Situation der alten Frauen, die heute in Armut leben, die Rede sein. Wir werden bei den Haushaltsberatungen ein kostengerechtes Konzept vorlegen.Danke schön.
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Männle.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit der Einführung der Anerkennung von Erziehungszeiten hat die Koalition das bisherige Rentenrecht ganz grundlegend verändert. Erstmals werden immaterielle Leistungen von Müttern bei der Rente finanziell bewertet. Damit wird eine 100 Jahre alte Fixierung auf außerhäusliche Erwerbstätigkeit endlich überwunden. Erstmals wird die Forderung nach Gleichwertigkeit von Erziehungs- und Erwerbstätigkeit nicht nur verbal aufgewertet, sondern auch materiell umgesetzt.
Der entscheidende Schritt auf dem Weg der Anerkennung von Leistungen von Millionen von Müttern wurde durch unsere Entscheidung getan. Ich halte dies für eine historische Leistung.
Die SPD, überrascht — das ist klar — durch unser schnelles Handeln nach der Regierungsübernahme
— doch, da bin ich sicher —, ärgert sich nun, sucht nun Haare in der Suppe oder will uns in unsere Suppe spucken, sie versucht, uns vorzuführen, weil die Leistungen — wie im Rentenrecht üblich — erst für diejenigen wirksam werden, die mit Inkrafttreten des Gesetzes in Rente kommen.Die SPD fragt uns, wann alle Jahrgänge einbezogen werden. Die SPD muß sich fragen lassen, warum sie gar nicht handelte.
Wo haben Mütter bisher bei Ihnen Kindererziehungszeiten anerkannt bekommen?
Die SPD fragt, wann alle Jahrgänge einbezogen werden. Die SPD muß sich fragen lassen, warum sie bisher keine einzige Mutter einbezogen hat und warum sie 1972 auch nicht alle Mütter einbeziehen wollte.
Die SPD möchte uns durch ihre Frage der Unglaubwürdigkeit bezichtigen.
Wir haben uns im Wahlprogramm für die Anerkennung von Kindererziehungszeiten ausgesprochen. Wir haben unser Versprechen sofort umgesetzt. Wir wollen den Kreis derjenigen, die Erziehungszeiten
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Frau Männleangerechnet bekommen, erweitern. Meine Damen und Herren von der SPD, Sie werden es erwarten können. Sie werden überrascht sein, wie schnell diese Ausdehnung auf die älteren Jahrgänge kommen wird, auch wenn Sie es nicht glauben wollen.
Die SPD will uns an den Pranger stellen. Ich glaube, sie hat die falsche Perspektive gewählt. Sie stehen doch am Pranger, meine Damen und Herren von der SPD.
Die SPD will mit ihrer Diskussion erreichen, daß die bisherige Rentenregelung auf die älteren Jahrgänge ausgedehnt wird. Sie und auch der VdK und der Reichsbund vergessen dabei, zu sagen — und das verschweigt die SPD —, daß Hunderttausende draußen vor bleiben werden, wenn diese Regelung in dieser Weise Gesetz würde, weil sie in Anbindung an bisherige Renten erfolgen müßte. Also nur erwerbstätige, berufstätige Frauen würden berücksichtigt.
All die Mütter, die keine Rentenbeiträge geleistet haben, weil sie so viele Kinder haben, weil sie sich haben ausbezahlen lassen, bekämen nichts. Das wird verschwiegen.
Die SPD spielt sich heute als Anwalt all derjenigen auf, die bei ihr leer ausgegangen sind und die auch leer ausgehen werden, wenn das entsprechend umgesetzt wird.
Sie klagt die an, die den ersten entscheidenden Schritt getan haben und nun den zweiten verantwortlich tun werden. Das paßt Ihnen nicht. Wir in Bayern — ich möchte das deutlich sagen — nennen ein derartiges Verhalten Scheinheiligkeit.
Wir Unions-Frauen haben bei der Verabschiedung des Gesetzes deutlich gemacht, daß wir dem Gesetz wegen dieses großartigen Einstiegs zustimmen. Wir haben auch gesagt, daß wir nach dem Herzen, nach unserem Gefühl gerne gleich eine Ausdehnung gehabt hätten. Wir haben deutlich gemacht: Wir werden uns für die Interessen der älteren Frauen einsetzen. Nun stehen wir kurz vor der Entscheidung.
Das Wort hat der Abgeordnete Kirschner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Seehofer, es ist scheinheilig — lassen Sie mich das deutlich sagen —, wenn Sie uns Untätigkeit vorwerfen. Es ist und bleibt eine historische Wahrheit — dabei sollten Sie auch bleiben —, daß wir Sozialdemokraten als erste eine Regelung zum Babyjahr vorgelegt haben. Und es bleibt eine historische Wahrheit, daß diese Regelung im Sommer 1972 an der CDU/CSU gescheitert ist.
Wenn Sie den damaligen Einstieg nicht verhindert hätten, bräuchten wir die heutige Debatte nicht zu führen. Die meisten Frauen hätten jetzt für 14 Jahre ein Babyjahr. Aber Sie haben das verhindert.
— Da können Sie lachen, Herr Kolb. Das, was ich gesagt habe, können Sie nicht aus der Welt schaffen.Wir sind uns auch darüber im klaren, daß unsere damalige Regelung nicht vollkommen war. Uns allen war klar, daß sie nur einen Einstieg in der Anerkennung von Kindererziehung gebracht hätte. Aber dieser Einstieg wäre wichtiger gewesen als der von Ihnen jetzt zu verantwortende Stillstand. Wir werden Sie nicht aus der Verantwortung entlassen hinsichtlich dessen, was Sie vor der Wahl in Niedersachsen versprochen haben und daß bis heute keine Regelung auf dem Tisch liegt.
Nun ein Wort an Sie, Herr Bundesarbeitsminister. Sie werden nachher sicherlich auch noch etwas dazu zu sagen haben. Es ist gerade ein Jahr her, da tönten Sie im Deutschen Bundestag: „100 Jahre Rentenversicherung heißen 100 Jahre Rücksichtslosigkeit gegenüber den Müttern und Kindern; heute schlagen wir ein neues Kapitel auf."Herr Bundesarbeitsminister, heute wissen wir, Sie haben wieder einmal den Mund zu voll genommen. Ihre angebliche Jahrhundertleistung hat tausende, ja Millionen Frauen zutiefst verärgert und enttäuscht.
Ich sage Ihnen: Wir Sozialdemokraten verstehen diese Enttäuschung.
Es bleibt eine schreiende Ungerechtigkeit, daß ausgerechnet der Alte-Frauen-Generation das Babyjahr in der Rentenversicherung versagt bleibt.
Herr Bundesarbeitsminister, Sie haben wieder einmal den Beweis erbracht, daß Sie Weltmeister im
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KirschnerSprücheklopfen sind. Da sind Sie in der eigenen Kontinuität.
Ich darf einmal daran erinnern, weil j a hier soviel von Historie die Rede ist: „Süddeutsche Zeitung" vom 21. Februar 1980: „Müttern sollten nach Ansicht des Vorsitzenden der CDU-Sozialausschüsse, Norbert Blüm, pro Kind sechs Rentenversicherungsjahre gutgeschrieben werden."
In Essen nannte Blüm den SPD-Vorschlag, den Müttern ein Jahr anzuerkennen, lächerlich. So der Herr Blüm und ich darf aus einer Anzeige der CDASozialausschüsse Schleswig-Holstein zitieren, wo es heißt: „Anerkennung von fünf Kindererziehungsjahren bei der Altersversorgung." Ich darf Niedersachsens Ministerpräsidenten Ernst Albrecht laut „Bonner Rundschau" vom 27. September 1980 zitieren — man muß sich ja auch immer schön den zeitlichen Abstand vor Augen halten —: „Wir wollen jeder Frau, die zu Hause die Kinder erzieht, fünf Jahre Rentenanspruch geben. Das wären für meine Frau bei sechs Kindern 30 Jahre." Dies sind die Ankündigungen Ihrer Partei.
Ich darf Ihren Generalsekretär in der „Welt der Arbeit" am 20. März 1980 zitieren, wo es heißt: „Unsere Vorschläge einer zukunftsorientierten Familienpolitik liegen auf dem Tisch: Anerkennung der Familienleistung der Frau als Beitrag zum Generationenvertrag in Höhe von fünf Kindererziehungsjahren bei der Rente." Und da haben Sie den Mut, uns hier vorzuhalten, — —
— Ich bitte Sie! Was haben Sie? Sie haben die AlteFrauen-Generation bewußt außer acht gelassen.
Ich sage Ihnen deutlich: Zu Recht waren viele Frauen aufgebracht, als der Bundesarbeitsminister sie auch noch um Verständnis für diese krasse Benachteiligung bat. Ausgerechnet die Alte-FrauenGeneration sollte verstehen, daß angeblich kein Geld da ist, während gleichzeitig neue milliardenschwere Subventionen für die Großlandwirtschaft lockergemacht und 1200 Offiziere
mit einer Milliarde DM und mehr in Frühpension geschickt wurden.
Für die Ältere-Frauen-Generation blieb dagegen nur politische Prosa. Ihre Verdienste als sogenannte Trümmerfrauen beim Wiederaufbau unseres Landes wurden zwar in jeder Sonntagsrede gewürdigt, aber wenn es um politische Taten ging, hatten Regierung und Koalition für diese Frauen keinen Pfennig übrig.
Wenn es in den vergangenen Jahren um neue Steuersubventionen ging, konnte sich die Koalition im wahrsten Sinne des Wortes zwischen Tür und Angel entscheiden. Nun, wo es um die älteren Frauen, die Trümmerfrauen, um die Anerkennung ihrer Aufbau- und Erziehungsleistung geht, ...
Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit ist abgelaufen. Bitte kommen Sie zum Schluß!
... werden von Tag zu Tag neue Probleme aufgetürmt.
Wir haben jetzt zum dritten Mal einen entsprechenden Gesetzesvorschlag auf dem Tisch. Nun werden wir einmal sehen, was Sie daraus machen.
Ich erteile dem Herrn Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Verehrter Herr Kollege Kirschner, lassen wir einmal allen Wortschwall beiseite!
Beantworten Sie mir ganz ruhig die Frage — Sie brauchen nur einen Satz dafür —: Wieviel Babyjahre hat die SPD in der Zeit, in der sie in diesem Hause die Mehrheit hatte, eingeführt? Wieviel? Ich kann es Ihnen beantworten, vier Buchstaben: null, null Babyjahre!
Wie kommen diejenigen, die nichts gemacht haben, dazu, uns vorzuwerfen, wir hätten zu wenig gemacht? Die familienpolitischen Sitzenbleiber wollen uns Nachhilfeunterricht geben. Wo sind wir denn hingekommen!?
Den Sommer 1972 legen Sie als Entschuldigung vor. Sie haben im Sommer 1970, 1971, 1973, 1974, 1975, 1976, 1977, 1978, 1979, 1980 und 1981 regiert. Sie hätten 14 Sommer gehabt, Babyjahre einzuführen. Sie haben geredet und geredet. Wenn Sie noch lange reden, haben die Leute den Eindruck, Sie hätten etwas für die Trümmerfrauen gemacht. Nichts haben Sie gemacht,
weder für die Trümmerfrauen noch für irgend jemand sonst. Null und nichts haben Sie eingeführt. Das halten wir einmal fest.
Wir könnten überhaupt nicht über Ausweitung sprechen, wenn wir nicht angefangen hätten. Wei-
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Bundesminister Dr. Blümten Sie einmal null aus, Herr Bueb und andere. Erstens sagen Sie, wir würden nichts machen, und zweitens sagen Sie, wir hätten falsche Vorschläge. Was denn?Ich bleibe dabei, meine Damen und Herren: Wir reden vor der Niedersachsenwahl so wie nach der Niedersachsenwahl. Deswegen können wir die Debatte von vor drei Wochen wiederholen. Wenn Sie meinen, unser Standpunkt sei vom Zeitpunkt abhängig, dann schließen Sie von sich auf andere. Das ist eine Verwechslung. Es könnte j a sein, und es wird so sein, daß diese Aktuelle Stunde, wenn wir in der nächsten Woche zum Ende unserer Beratungen gekommen sind, für die SPD ein Elfmeterschießen aufs eigene Tor war.
— Frau Fuchs, Sie kriegen drei Schüsse frei für dieses Elfmeterschießen.Ich glaube, unsere Mitbürger interessieren sich nicht so sehr für dieses Hickhack, sondern dafür, wie es weitergeht. Deshalb halte ich für die Bundesregierung fest:
Erstens. Die Bundesregierung beabsichtigt, Kindererziehungszeiten auch in den Renten jener Frauen zu berücksichtigen, die schon in der Altersrente sind. Das ist die erste Feststellung. Wir haben das vor der Wahl gesagt und sagen das nach der Wahl.Zweitens. Wir arbeiten an der Sicherstellung einer soliden Finanzierung. Daß die Finanzierung schwierig ist, weiß jeder. Wäre sie leicht, hätten wir Kindererziehungszeiten sofort für alle Mütter eingeführt.Aber wir haben schon andere Finanzierungsprobleme gelöst. Wir haben schon ganz andere Schwierigkeiten gemeistert.
Wir haben den Schuldenschutt weggeräumt. Wir haben die öffentlichen Finanzen vor dem Desaster gerettet. Wir haben das Sozialsystem vor dem Zusammenbruch bewahrt. Das war schwer. Wenn wir mit solchen Problemen fertig geworden sind, werden wir auch mit der soliden Finanzierung der Kindererziehungszeiten für alle Frauen fertig werden.
Darauf können sich die Mütter,
auch die Mütter der Jahrgänge vor 1921, Herr Vogel, verlassen.
Das ist der Unterschied zu Ihrem dreizehnjährigen Nichtstun.Ich will zur Finanzierung allerdings noch sagen — auch das ist hier schon zum Ausdruck gebracht worden —: Die Rentenversicherung wird diese Kindererziehungszeiten nicht bezahlen. Denn wir stopfen nicht ein Loch, indem wir ein anderes aufreißen. Wir haben die Rente wieder sicher gemacht. Diesen Erfolg werden wir durch nichts gefährden, nicht einmal durch eine gute Tat. Denn das ist unser wichtigster Rentenpunkt: Keine Angst um die Rente, sichere Rente!Kindererziehungszeiten gehören zum Familienlastenausgleich. Der soll nicht vom Beitrag vom Arbeitnehmer und Arbeitgeber finanziert werden.
Ich bleibe dabei — es ist gut, daß Sie mir in dieser Debatte heute eine Gelegenheit zu der Feststellung geben —: Der größte rentenpolitische Fortschritt der letzten Jahre ist, daß Kinder in der Rente überhaupt eine Rolle spielen.
Das ist keine Variante. Das ist auch kein Reförmchen. Ich vergleiche diese Reform mit der Dynamisierung der Rente. Das ist dieser Reform vergleichbar. Zum erstenmal kommt die dritte Dimension überhaupt in das Gebäude der Rentenversicherung. Bisher hatte die Rentenversicherung nur zwei Komponenten, Erwerbstätige und Rentner. Aber die Rentenversicherung basiert in Wirklichkeit auf drei Generationen: Kinder, Erwerbstätige, Rentner. Die Kinder von heute sind die Beitragszahler von morgen. Wenn es morgen keine Beitragszahler gibt, gibt es morgen keine Rentensicherheit. Daß wir Kindererziehungszeiten ins Rentenrecht einführen, ist kein Akt der Barmherzigkeit, sondern ein Akt der Gerechtigkeit. Wir führen sie ein. Wir haben sie in einem ersten Schritt eingeführt, und jetzt kommt der zweite.
Wir machen Reformen nicht auf dem Papier; wir machen Reformen in der Wirklichkeit.Meine Damen und Herren, auch das will ich noch einmal festhalten: Natürlich war es bei einer guten Sozialpolitik immer so, daß sie Schritt für Schritt vorwärtsging. Zu dieser Sozialpolitik bekenne ich mich ausdrücklich. Ich gebe zu, der erste Schritt kann nicht alle Wünsche erfüllen, kann die Gerechtigkeit nicht vollkommen verwirklichen. Aber die größte Ungerechtigkeit ist, nichts zu machen,
und diese größte Ungerechtigkeit verdanken wir der SPD in 13 Jahren Regierung.
Ich will die Gelegenheit auch nutzen, jener Generation, die mitgeholfen hat, dieses Land wiederaufzubauen, die im Bombenhagel Kinder erzogen hat, die Kinder erzogen hat, als die Väter in Krieg und
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Bundesminister Dr. BlümGefangenschaft waren, unseren großen Respekt zu sagen. Deshalb können Sie sicher sein: Wir werden Kindererziehungszeiten für alle einführen, nicht im Schnellschuß, sondern solide finanziert und dauerhaft geregelt, Kindererziehungszeiten, die endlich Gerechtigkeit in die Rentenversicherung bringen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Heyenn.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Alles blumige Gerede des Bundesarbeitsministers kann und wird nicht über die historische Tatsache hinwegtäuschen, daß die heutige Mehrheit im Jahre 1972 den Einstieg in die Anerkennung von Kindererziehungszeiten mit einer schillernden Mehrheit verhindert hat. Das ist eine Tatsache!
Sie hatten die Mehrheit; Sie haben es verhindert. Keine noch so blumigen Worte können das verschleiern!Ich habe es gestern nachgerechnet: Hätten wir das 1972 eingeführt,
hätten Sie es nicht verhindert,
würden heute 75 % der Frauen Kindererziehungszeiten auf ihre Rente angerechnet bekommen.
— Herr Seehofer, in Art. 6 Abs. 4 des Grundgesetzes heißt es:Jede Mutter hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft.
An diesen Satz sollten Sie sich einmal erinnern! Den Müttern der heutigen Mütter, den Großmüttern und Urgroßmüttern, die schon vor dem 1. Januar dieses Jahres 65 Jahre alt waren, verweigern Sie weiter den Anspruch auf Schutz und Fürsorge der Gemeinschaft. Ich würde Sie doch bitten, einmal zu überlegen, ob es nicht Konsequenz Ihrer Politik sein müßte, diesen Satz zu ändern und zu sagen: Jede Mutter, die nach 1920 geboren ist, hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft. Das wäre zwar nicht gerecht, das wäre auch nicht sozialstaatlich, aber es wäre ehrlich.Da kann man lesen: Kein Zweifel, der Ausschluß der Trümmerfrauen vom Erziehungsjahr ist absurd und ungerecht. So schreibt die „Zeit".
— Ja, aber Sie haben Teilregelungen für anderegetroffen; Sie haben diese Trümmerfrauen bewußtausgeschlossen; Sie haben es erstmalig in dieser Republik geschafft, daß wir Mütter erster Klasse und Mütter zweiter Klasse haben. Das ist Ihr Verdienst!
Ich habe in diesen Tagen einen Brief aus meinem Wahlkreis, und zwar aus Trappenkamp, erhalten. Darin heißt es: Das, was jetzt von dieser Regierung überlegt wird, sei ein sogenanntes Anerkennungsangebot; dies sei eine schlimme Sache, das seien Almosen und eine Beleidigung der Betroffenen.
Lassen Sie mich noch einmal ganz deutlich sagen, was denn eigentlich durch eine Regelung, wie Sie sie offenkundig beabsichtigen, passiert. Da nehmen Sie erst — wie Frau Dr. Adam-Schwaetzer es gesagt hat — die älteren Frauen, die ganz alten, und dann machen Sie einen Fünf- oder Zehnjahresplan, so nach dem Motto: Je länger wir warten, desto billiger wird es. Dies ist und bleibt eine Verhöhnung der betroffenen Frauen!
Im übrigen, überlegen Sie doch einmal — und ich sage dies jetzt ohne Vorwurf gegenüber irgend jemandem —, ob wir in unserem Rentenrecht nicht vor dem Hintergrund der gesellschaftlichen Diskussion eine perverse Situation haben: Über zehn Jahre an Ausbildungszeiten werden angerechnet, aber für die älteren Frauen wird kein Jahr an Kindererziehungszeiten berücksichtigt. Deswegen kann, wie ich meine, nur eine Regierung noch mit dem Wort Anstand verbunden werden, die hier und heute handelt.
Sie sind nicht bereit zu sagen: heute und hier für alle Frauen, Sie sind nicht bereit, heute zu entscheiden, sondern Sie flüchten ganz einfach in die Sommerpause.
Dies machen Sie bewußt.
Meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, ich sage Ihnen in aller Deutlichkeit: Es geht Ihnen nicht um die Frauen. Diese Frauen deklassieren Sie zu einer statistischen Größe. Ihnen kommt es immer nur auf die Wahlen an. Erst Niedersachsen mit den Zusagen, die jetzt nicht eingehalten werden.
— Sie haben vor Niedersachsen den Eindruck erweckt, für alle Trümmerfrauen gebe es jetzt das Babyjahr. Tatsache wird sein, daß Sie dies vielleicht in zehn oder 15 Jahren erfüllen.
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17520 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 226. Sitzung. Bonn, Freitag, den 27. Juni 1986
HeyennIch sage Ihnen, dies ist eine herzlose Politik auf dem Rücken der Trümmerfrauen.Und ich sage Ihnen noch eins: Wenn Sie dies aus der Arbeitslosenversicherung oder aus der Rentenversicherung finanzieren, dann steigen Sie weiter ein in den Verschiebebahnhof à la Blüm, dann zahlen die sozial Schwachen und nicht die gesamte Gesellschaft das Geld für die Trümmerfrauen. Meine Bitte: Handeln Sie hier und heute, behalten Sie den letzten Rest an Glaubwürdigkeit, Herr Bundesarbeitsminister!
Das Wort hat der Abgeordnete Eimer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich halte die Argumentation der SPD für einigermaßen unverfroren.
Ich glaube, Herr Vogel, wir müssen doch zugeben, daß wir in der sozialliberalen Koalition nicht die Kraft hatten, ein Babyjahr einzuführen. Wir können doch nicht immer so tun, als könne man sich als Entschuldigung auf das Jahr 1972 zurückziehen.
Ich möchte die SPD und vor allem den Vorredner, Herrn Heyenn, an das erinnern, was er hier gesagt hat. Er hat gesagt, diese Mehrheit habe damals, 1972, das Babyjahr verhindert. Das ist falsch. Die Freien Demokraten, die Liberalen, haben für dieses Babyjahr gestimmt. Wenn es damals gescheitert ist, dann scheiterte es an einer Stimme, an einem Mann, und dieser Mann hieß Schiller. Dieser Herr Schiller ist meines Wissens damals — und ist es auch heute — Sozialdemokrat gewesen.
Hätten Sie damals auf Herrn Schiller besser aufgepaßt, brauchten Sie heute nicht dieses Klagelied anzustimmen.
Meine Damen und Herren, diese Koalition hatte die Kraft, das Babyjahr einzuführen, und diese Koalition wird auch die Kraft haben, die sogenannten Trümmerfrauen in die Regelung einzubeziehen. Bis jetzt hat diese Koalition alles das gehalten, was sie versprochen hat.
Im Gegenteil, diese Koalition war in Versprechungen eher zurückhaltend.Wenn hier von politischen Wechselbädern gesprochen wird, vom Pingpongsystem, wie es vorhin angesprochen wurde, dann kommt das woanders her. Wer bringt denn diese Wechselbäder von überzogenen Versprechungen, die man nicht halten kann, und Verdächtigungen in der Öffentlichkeit, daß das alles nicht machbar sei? Und was ist denn das hier wieder? Ist diese Aktuelle Stunde nicht auch der Versuch, diese Wechselbäder in der Öffentlichkeit zu erzeugen?
Meine Damen und Herren, wir haben ja zu unserem Glück und zu Ihrem Pech noch Zeit bis zu den Wahlen. Der Wahltag wird offenbaren, daß wir das, was wir versprochen haben, gehalten haben und daß das, was Sie hier inszeniert haben, nichts anderes war als Propaganda.Wenn wir uns jetzt allerdings etwas schwertun, die Finanzen für diese Korrektur zusammenzubekommen, dann ist dies auch eine Tugend dieser Koalition, weil wir nämlich etwas nicht machen: Wir machen keine Wohltaten auf Pump,
und wir gehen nicht den bequemen Weg der Verschuldung,
sondern wir werden es durch Einsparungen an anderen Stellen finanzieren.
Ich darf auch an folgendes erinnern, meine Kollegen von der SPD: Frau Adam-Schwaetzer hat schon gesagt, daß auch die SPD eine Lösung vorgeschlagen hatte, die eine Stichtagsregelung enthielt. Ich kann mich noch an die Diskussionen damals erinnern. Es war ein einziger, der damals die Sensibilität hatte: Das war Ihr Fraktionsvorsitzender Wehner. Er war der einzige in der SPD. Die übrige SPD wollte eine gleiche Stichtagsregelung einführen, wie dies jetzt geschehen ist.
Meine Damen und Herren, uns wäre es lieber gewesen, wenn wir die Trümmerfrauen gleich einbezogen hätten. Herr Mischnick hat das in den Koalitionsverhandlungen deutlich gemacht. Vielleicht erinnert sich der eine oder andere Kollege in der SPD daran, daß ich dies auch in den Beratungen im Ausschuß gesagt habe. Die SPD war damals nicht sehr hilfreich, nach besseren Lösungen zu suchen, vor allem nach Möglichkeiten, wie dies finanziert werden kann.Ich muß hier auch einen Vorwurf an den damaligen Minister Geißler richten, der meiner Überzeugung nach diesbezüglich zu wenig Flexibilität gezeigt hat.Ich finde es auf alle Fälle unrecht, wenn man jetzt Vorwürfe an die Adresse von Frau Minister Süssmuth richtet. Sie ist an dieser Sache völlig unschuldig.Meine Damen und Herren, ich möchte schließen. Wir haben hier versprochen, daß wir das korrigieren. Wir haben bisher die Kraft gehabt, alles das
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 226. Sitzung. Bonn, Freitag, den 27. Juni 1986 17521
Eimer
einzuhalten, was wir versprochen haben. Wir werden auch das einhalten.Vielen Dank.
Das Wort hat der Abgeordnete Braun.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Ich begrüße, daß wir hier am letzten Sitzungstag vor der Sommerpause noch einmal zum Thema der Anrechnung von Kindererziehungszeiten auch für Frauen, die vor 1921 geboren wurden, Stellung nehmen können. Ich meine, wir sollten den Begriff „Trümmerfrauen" aus unserem Sprachgebrauch streichen.
Ich halte diese Regelung, die zum 1. Januar dieses Jahres in Kraft getreten ist, für eine ganz entscheidende Verbesserung. Zum erstenmal wird die Aufgabe, wird die Tätigkeit als Erzieherin der Kinder auch im Sozialversicherungsrecht anerkannt. Man kann es nicht oft genug auch in der Öffentlichkeit sagen: Über 100 Jahre seit Bestehen der Sozialversicherung war es nicht möglich, diese Anerkennung den Müttern bei der Berechnung der Rente zuteil werden zu lassen.
Nachdem hier der Durchbruch erzielt wurde, ergeben sich damit meines Erachtens aber auch Konsequenzen für weitere Maßnahmen, die noch zu treffen sind. Ich denke z. B. an die Regelung im Pflegekostenbereich. Auch hier kommt es darauf an, die Pflegenden entsprechend zu berücksichtigen und die Tätigkeit vornehmlich von Frauen bei der Pflege ihrer Angehörigen, die oft unter Verzicht auf eine eigene Berufstätigkeit ausgeübt wird, in der Sozialversicherung anzuerkennen.
Die jetzt getroffene, ab 1. Januar dieses Jahres gültige Verbesserung bezüglich der Kindererziehungszeiten erfolgt im Rentenrecht. Alle Frauen, die ab 1. Januar dieses Jahres das nach wie vor gesetzlich vorgeschriebene Rentenalter von 65 Jahren erreichen, erhalten pro Kind ein Jahr bei der Berechnung der Rente angerechnet. Das macht im Schnitt pro Monat 25 DM mehr für jedes Kind.
Eine Berücksichtigung der Frauen, die vor 1921 geboren wurden, war im Rentenrecht, d. h. in diesem gültigen Gesetz, nicht möglich, weil diese Frauen weitgehend keinen eigenen Rentenanspruch mehr haben. In den letzten 50, 60 Jahren hat sich — ich muß sagen: zum Glück — ein grundlegender Wandel vollzogen. Das Lebensziel der damaligen jungen Frauen war weitgehend anders als heute. Die Berufstätigkeit war früher für die junge Frau vielfach eine vorübergehende Angelegenheit, und wenn man dann nach acht oder neun Berufsjahren ausschied, ließ man sich den Anteilsbetrag auszahlen, weil man nicht davon ausgehen konnte, jemals die 15 Jahre zu erreichen, die notwendig waren, um rentenberechtigt zu werden.
Diese Frauen konnten auch nicht wissen, daß Jahrzehnte später diese Anwartschaft von 15 auf 5 Jahre herabgesetzt wird.
Daher ist meines Erachtens eine Lösung des Problems, mit dem wir uns auch heute hier wieder beschäftigen, nicht im Rentenrecht, sondern nur jenseits des Rentenrechts möglich. Es besteht keine Veranlassung, das jetzt geltende Gesetz zu ändern. Wohl aber haben wir die politisch-moralische Verpflichtung, den Frauen, die während des Krieges und in den ersten Nachkriegsjahren so viel geleistet haben, gerecht zu werden.
Ich erneuere daher meinen Vorschlag, um insbesondere allen verfassungsrechtlichen Problemen aus dem Weg zu gehen, eine Bundesstiftung zu gründen, so daß wir dieses Problem schnell lösen können.
Es geht hier nicht mehr um die Frage des Ob, sondern nur noch um die Frage des Wie. Wir werden in der nächsten Woche dazu ganz konkrete Vorschläge machen. Ich habe die Bitte — auch an die verschiedenen Ministerien —, diesen Vorschlag bei der Vorlage der Lösungsmöglichkeiten zu prüfen.
In diesen Tagen ist es genau 30 Jahre her, daß die CDU/CSU unter Konrad Adenauer und Anton Storch die große Rentenreform durchgeführt hat.
Die Regierung Helmut Kohl hat die Renten wieder sicher gemacht.
Die ältere Generation insgesamt, insbesondere die Frauen über 65, können sich darauf verlassen, daß diese Regierung sich ihrer Probleme in ganz besonderer Weise annehmen wird.
Das Wort hat der Abgeordnete Jagoda.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es war sicher erforderlich, vor der Niedersachsen-Wahl Ihre wahrheitswidrigen Aussagen zu korrigieren und unseren Beschluß zu bekräftigen, auch für die Frauen des Jahrgangs 1920 und ältere Frauen die Fragen der Kindererziehungszeiten zu lösen, sobald es finanziell geht.
Ich habe mir die Redner der Opposition heute morgen hier angehört. Herr Kollege Bueb, ich gratuliere Ihnen zunächst zum Geburtstag. Sie sind ein Jahr älter, aber leider nicht ein Jahr weiser geworden. Ich wünsche Ihnen deswegen viele Jahre hinzu, damit die Weisheit steigt.
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17522 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 226. Sitzung. Bonn, Freitag, den 27. Juni 1986
JagodaVielleicht werden Sie dann hier oder woanders erkennen, wie gut die Politik ist, die diese Koalitionsregierung gemacht hat.Meine sehr verehrten Damen und Herren, Sie sind so sportlich heute morgen. Wie kommt das? Sie freuen sich anscheinend schon aufs Endspiel.Ich komme zu Ihrer Partei, meine Kollegen von der SPD. Also, wissen Sie: Wenn Sie Ihr eigenes Unvermögen von 1972, Ihre Leute bei der Abstimmung zusammenzuhalten, der Opposition vorhalten, dann ist es das Schwächste, was ich in der Demokratie je gesehen habe.
Bei Abstimmungen 1972 war bei uns nie Geld im Spiel. Die Leute sind Ihnen fortgelaufen, weil Sie Ihre Politik nicht nach dem ausgerichtet haben, was Sie den Leuten versprochen haben.Und nun muß ich einmal eines sagen, Herr Kollege Kirschner. Erinnern Sie sich doch bitte einmal daran, welchen Dauerschaden Sie für alle Rentner in Deutschland mit dem 21. Rentenanpassungsgesetz zugefügt hätten. Sie rechnen heute vor, was die Trümmerfrauen angeblich mehr hätten. Nun, Sie haben sich doch in dieser Republik als Rentenklau betätigt, indem Sie einen Dauerschaden von über 10% herbeigeführt haben.
Und heute stellen Sie sich hin und glauben, das mit schönen Worten verschleiern zu können.Nein, nein, meine Damen und Herren; es bleibt dabei: Am 1. Januar 1986 haben wir ein hundertjähriges Unrecht im Rentenrecht beseitigt. Die Anrechnung der Kindererziehungszeiten nach den jetzt geltenden gesetzlichen Regelungen ist ein Meilenstein in der Sozialgeschichte unserer Republik. Zum erstenmal haben wir Erwerbsarbeit und Kindererziehungsleistungen den Beitragszeiten gleichgesetzt. Dies ist ein Durchbruch.Jetzt kommt der nächste Schritt, den wir angekündigt haben: die Einbeziehung der Frauen des Jahrgangs 1920 und älter. Das ist wahrhaft ein sozialer Fortschritt mit Augenmaß. Fortschritt bedeutet ja, mit dem, was man eingeführt hat, weiterzukommen. Die deutsche Sprache, unsere Muttersprache, ist ja viel vernünftiger als die Opposition, die immer gleich alles haben will. Meine Damen und Herren von der SPD, Sie wollen aber immer nur dann etwas haben, wenn sie in der Opposition sind. Wenn Sie regieren, dann sind Sie nicht fähig, auf diesem Gebiet weiterzumachen. Da kann man nur sagen: außer Reden nichts gewesen.
Es kommt ganz entscheidend darauf an — darauf lege ich Wert —, die Ausgestaltung der Einbeziehung der Kindererziehungszeiten für ältere Frauen sorgfältig zu bedenken. Dies muß solide und seriös, d. h. dauerhaft finanziert werden. Wer den Leuten heute etwas anderes vormacht, der betrügt sie um die Wahrheit. Meine Damen und Herren, Sie können das heutige Rentenrecht nicht auf über 65jährige übertragen. Das führt zu Ungerechtigkeiten.Wie wollen Sie denn einer 65jährigen Frau im Pflegeheim,
die drei Kinder gehabt hat, erklären daß sie jetzt noch 2 200 DM nachzahlen muß. Wo kommen wir denn da hin? Das können wir den alten Leuten eben nicht zumuten. Wir brauchen eine andere Lösung, und diese Lösung suchen wir.
Diese Lösung wird zwei Eckpunkte haben. Erster Punkt: Das Kind der Frau, die 1920 oder früher geboren worden ist, darf nicht schlechter behandelt werden als das Kind der Frau, die im Jahre 1921 oder später geboren worden ist. Der zweite Punkt ist: Die mühsam erworbene Stabilität der Renten darf nicht in Frage gestellt werden;
wir dürfen der Versichertengemeinschaft diese Kosten nicht auflasten.Meine sehr verehrten Damen und Herren, es kostet eine Menge Geld. Sie haben das ja immer bezweifelt. Ich erinnere an Ihre Aussagen im Ausschuß, als wir gesagt haben: Die Einbeziehung kostet 5 bis 6 Milliarden DM. Das haben Sie bestritten. Sehen wir uns einmal Ihren Vorschlag an. Sie selbst schreiben in Ihrem Gesetzentwurf, Sie bräuchten 3,8 Milliarden DM. Sie lassen 800 000 Frauen vor den Türen.
Seriöserweise müssen Sie schon 0,7 Milliarden DM dazurechnen. Dann sind Sie schon bei 4,5 Milliarden DM. Wenn Sie dann die latenten Versicherungszeiten mit einbeziehen wollen, wie wir es gemacht haben, dann würden Sie 5 bis 6 Milliarden DM brauchen.Meine Damen und Herren, wir lassen uns hier nicht irremachen. In der Sommerpause wird weitergearbeitet; wir hören j a nicht auf, zu arbeiten. Die Regierung wird einen Vorschlag machen. Er ist solide finanziert. Die Leute — insbesondere die älteren Frauen — in der Republik können sich auf uns verlassen. Wir werden sie nicht im Stich lassen.
Ich erteile der Frau Bundesministerin für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit das Wort.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit dem infamen Vorwurf vom Wahlbetrug an den älteren Frauen geben Sie uns eine hervorragende Gelegenheit, das zu wiederholen, was wir im Niedersachsen-Wahlkampf gesagt haben, nämlich, daß die älteren Frauen von uns zu Recht erwarten können, daß wir dieses Problem angehen, daß wir es lösen werden. Wir haben weder Zeit noch Stunde bestimmt, wann wir dieses Problem — im Juli oder im August — lösen.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 226. Sitzung. Bonn, Freitag, den 27. Juni 1986 17523
Bundesminister Frau Dr. Süssmuth— Insofern brauchen Sie sich nicht schon nach 14 Tagen hier hinzustellen und anzufragen, ob wir das Problem schon vorgestern gelöst hätten.
Wir brauchen kein Jota von dem zurückzunehmen, was wir ausgesagt haben. Im Gegenteil, wir können uns noch einmal hier herstellen und sagen: Ihr könnt zu Recht von uns erwarten, daß wir unsere Versprechen auch halten.
— Herr Bueb, man kann es sich nicht so leicht machen wie Sie und von Unmoral sprechen; Sie müßten den älteren Frauen erst einmal sagen, was Sie denn konkret für sie tun wollen und wie sie es zu finanzieren gedenken. Im Unterschied zu Ihnen erwarten die betroffenen Frauen von uns, daß wir das Versprechen verantwortungsvoll einlösen. Sie wollen weder Wohltaten noch eine kurzatmige Finanzierung; wenn sie eine Leistung bekommen, dann wollen sie vielmehr auch wissen, wie lange sie mit der Leistung rechnen können und wie sie aussieht.Diese Leistungen werden wir erbringen. Es ist in diesem Zusammenhang wichtig, an dem festzuhalten, was wir auch vorher haben deutlich machen müssen, nämlich daß die Stichtagsregelung keine Willkür den älteren Frauen gegenüber war und ist, sondern daß sie Ausfluß eines Finanzierungsproblems ist. Es ist ein Unterschied, ob ich im Haushaltsjahr 1986 160 Millionen DM oder eine oder mehrere Milliarden DM bereitstellen muß. Diese Milliarden müssen finanziert werden.
Ich wünschte mir, wir könnten statt Haushaltskonsolidierungspolitik noch mehr Sozialpolitik machen. Wenn wir alle die Beträge, die wir an Zinsen zu leisten haben, für die Jahrgänge vor 1921 einbringen könnten,
hätten wir das, was eingeführt worden ist, schon früher tun können.Ich bin der Auffassung, daß der erste Schritt zur Einbeziehung dieser Jahrgänge eine Leistung darstellt, die gar nicht hoch genug bewertet werden kann. Ohne meinen Amtsvorgänger Geißler könnte ich hier heute gar nicht stehen
und den zweiten Schritt tun.
Insofern kann ich nur froh sein, daß es den ersten Schritt gegeben hat, der diese Schubkraft ausgelöst hat.
Ich möchte ein Drittes sagen: Mutmaßungen über Regelungen, wie wir sie hier heute morgen vorgetragen haben, sind offenbar Ausdruck Ihrer Wünsche. Wenn wir uns hier schon nach acht Tagen, mit welchem Lösungsvorschlag auch immer, hergestellt hätten, hätten Sie ihn zerpfückt, um den älteren Frauen deutlich zu machen: Ihr werdet ungerecht behandelt, es ist die falsche Finanzierung, ihr seid doch betrogen worden. — Wir treten nicht eher mit dem Lösungsvorschlag an die Öffentlichkeit, bevor wir zwei Dinge geklärt haben. Es muß eine gerechte Lösung für die älteren Frauen geben; denn bei Ihrem Gesetzvorschlag sagen Sie nie, daß Sie Mütter ohne Rentenansprüche außen vor lassen und im Rentensystem verbleiben.
Sie wissen ganz genau, daß alle Ihre Vorschläge, auch in der Vergangenheit, Zukunftslösungen waren und nicht rückwirkende Lösungen. Sie haben heute morgen erneut nicht gesagt, daß Ihr damaliger Vorschlag aus der Rente finanziert werden sollte. Sie haben auch nicht gesagt, daß es sich um Ausfallzeiten handelte.Nun frage ich: Was ist denn nun besser, nur einen Teil der Mütter einzubeziehen oder eine Leistung außerhalb der Erwerbsarbeit für alle Mütter zu finanzieren? Vorher werden wir nicht mit einem Vorschlag an die Öffentlichkeit treten.
Das Zweite, was wir einlösen werden, ist das Versprechen einer soliden Finanzierung. Ich habe heute morgen nicht gehört, was Sie an Vorschlägen konkret einzubringen haben, um diese Leistungen im Sinne einer Hilfe für diese Frauen zu finanzieren.
Die älteren Frauen erwarten hier kein Theater, in dem wir sie für unsere Auseinadersetzungen benutzen,
sondern sie erwarten, daß wir in der Sache eine Lösung bringen.
Ich muß Ihnen sagen: Ich gehe aus dieser Debatte genauso schlau heraus, wie ich hineingegangen bin.
Wir werden, auf uns selbst gestellt, jene Sozialpolitik machen, die wir verantworten können, von der Sie reden, die Sie aber nicht gebracht haben.
Das Wort hat die Frau Abgeordnete Dr. Lepsius.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! 1972 hat es eine schwarze Stunde im Parlament gegeben, als mit einer Überläuferstimme mit dem Reformpaket von SPD/FDP das Babyjahr niedergestimmt wurde.
Frau Minister Süssmuth, als ich 1972 in dieses Parlament kam, habe ich mir geschworen, der
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17524 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 226. Sitzung. Bonn, Freitag, den 27. Juni 1986
Frau Dr. LepsiusSache der Frauen zu dienen und mich für den Ausbau der sozialen Sicherung einzusetzen.
Man muß schon langfristig glaubwürdig Rentenpolitik betreiben, um etwas zu erreichen. Ich möchte hier zur historischen Wahrheit sagen, daß Kindererziehungszeiten erstmals im Versorgungsausgleich anerkannt worden sind
— das war 1976 — und daß im Rentenrecht erstmals Kindererziehungszeiten bei der Einführung des Mutterschaftsurlaubs 1978/79 eingeführt worden sind.
Ich bitte also, damit aufzuhören, von den historischen Stunden zu reden.
Wenn wir uns ansehen, wie die Lage ist, stellen wir fest, daß es überwiegend Frauen gewesen sind, die die berüchtigten Minirenten erhielten. Überwiegend ältere Frauen waren es, die keinen Beruf erlernt haben, die für ein Taschengeld im Haushalt oder als Schwestern im Krankenhaus tätig waren. Überwiegend Frauen waren es, deren Einkommen durch Leichtlohngruppen, Frauenlohnabschläge, Teilzeitarbeit, Geringfügigkeitsbeschäftigungen miese Renten erhielten.
Es waren übrigens ausschließlich die Frauen, die durch die sogenannte Heiratserstattung bei Eheschließung ihre Anwartschaften in den Ofen geworfen haben
und die dafür ihre Aussteuer, ihre Küchen oder ihre Schlafzimmer kauften,
eine Sache, die uns noch bis ins Jahr 2010 rentenrechtliche Nachteile für die Frauen der älteren Generation, die Trümmerfrauen, bringen wird. Keine Wiedergutmachungsaktion gab es hierfür! Frauen haben die Zeche gezahlt. Wir sind uns doch darin einig, daß sie rentenrechtlich wie Nullen behandelt wurden.
Anders übrigens als bei Soldaten, die ja in der Rentenversicherung ihre Anerkennung bekommen, führte die Aufgabe der Berufstätigkeit zugunsten der Kindererziehung niemals zu einer rentenrechtlichen Anerkennung.Durchschnittlich betragen die Altersrenten von Arbeiterinnen heute 424 DM und die von weiblichen Angestellten 767 DM.
Übrigens ist das eine Rentenhöhe — das ist auch ein Skandal —, die jetzt heruntergegangen ist. Merkwürdigerweise fällt diese sinkende Spirale mit Ihrer Wende zusammen. Erklären Sie das doch einmal.
Vor diesem Hintergrund, angesichts dieses Gemäldes der traurigen Lebensdaten von Frauen stellt sich die konservative Regierung hin und verkündet — —
— Herr Eimer, bitte ersparen Sie mir einen solchen blasphemischen Zwischenruf!
Diese Regierung verkündet mit Unschuldsmiene die Einführung von Kindererziehungszeiten für alle Müttergenerationen, die ab 1986 in Rente gehen. Dabei verschweigt sie, daß die erwerbstätigen Frauen von diesem Babyjahr überhaupt nichts erhalten werden.
Dabei hat sie die billigste aller denkbaren Lösungen gewählt, die sie im Eingangsjahr — das muß man sich einmal auf der Zunge zergehen lassen — ganze 150 Millionen DM kosten wird. Haben Sie denn vergessen, daß Sie an Ihren eigenen Forderungen gemessen werden? Haben Sie Ihre Versprechungen von 1980 vergessen, Kindererziehungszeiten für alle Mütter für fünf Jahre einzuführen? Die KAB forderte sogar: sieben Jahre Rente für Mütter, weil es gerechter ist. Herr Blüm hat hier also mit Sonderwünschen aufgewartet.
Frau Abgeordnete, Ihre Redezeit ist abgelaufen. Bitte kommen Sie zum Schluß.
Ja, ich komme jetzt zum Schluß. — Sie wundern sich darüber, daß alle älteren Frauen für die vielen Kinder, die sie geboren und aufgezogen haben — ohne Mutterschutz, ohne Urlaub, ohne BAFÖG, ohne Wohlgeld —, jetzt die soziale Kälte anprangern und schlichtweg eine Gleichbehandlung wie alle anderen Mütter haben wollen. Gleichbehandlung im Rentenrecht, das ist die Parole!
Bitte kommen Sie zum Schluß, Frau Abgeordnete. Sie haben die Redezeit überschritten. Ich bitte um Verständnis.
Was Sie vor der Niedersachsen-Wahl gesagt haben, das nenne ich mit den Worten von Herrn Blüm den größten Renten-
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 226. Sitzung. Bonn, Freitag, den 27. Juni 1986 17525
Frau Dr. Lepsiusbetrug an den Frauen. Sie haben Wählertäuschung betrieben, und Herr Blüm ist zum Trümmermann der Frauen in unserer Nation geworden, und Frau Minister Süssmuth klatscht dazu.
Frau Abgeordnete, bitte beenden Sie Ihre Rede. Ich bitte um Verständnis. Wir haben die Regel, Frau Abgeordnete Dr. Lepsius, daß man bei einer Aktuellen Stunde fünf Minuten redet. Sie haben Ihre Redezeit um eine Minute überschritten. Ich bitte einfach um Nachsicht: Wenn wir uns nicht an die Regeln halten, können wir unsere Beratungen hier nicht fortsetzen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Kolb.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte hier feststellen, daß die SPD zum wiederholten Male zu Protokoll gegeben hat: Ab 20. September 1972 haben wir aufgehört zu regieren, wir haben dann nur noch gemogelt und geplündert. — Sagen Sie mir einmal, warum Sie eigentlich nicht in den folgenden Jahren den Mut gehabt haben zu sagen: Was damals mit dieser knappen Mehrheit nicht gegangen ist, bringen wir wieder auf die Tagesordnung und ziehen es durch.
Ich muß Sie an ein Zweites erinnern, weil Sie sagen, das sei finanziell nicht gegangen. 1976 ist der damalige Bundeskanzler Schmidt durch die Lande gezogen und hat gesagt, die CDU möge aufhören, Lügen im Namen Jesu Christi zu verbreiten. Die Rentenkassen seien voll, es lägen 44 Milliarden DM auf der hohen Kante, und diese 44 Milliarden DM müsse man ausgeben. Nach dieser Wahl hat Herrn Arendt der Blitz erschlagen, und deswegen gestatten Sie mir, daß ich zitiere, was Herr Arendt 1972 in einer Broschüre verkündete:
Um sich daraus ergebende Nachteile für die Alterssicherung der Frauen im Rahmen der finanziellen Möglichkeiten auszugleichen, ist vorgesehen, daß versicherte Frauen, die 1973 oder später in Rente gehen, für jedes lebend geborene Kind zur Abgeltung eines zusätzlichen Versicherungsjahres einen wachsenden Zuschlag zu ihrer Rente erhalten (1973 mehr als 11 DM monatlich). Diese Regelung wird besonders den verheirateten Frauen, die mehrere Kinder zur Welt gebracht haben oder bringen, zu einem merklich höheren Rentenanspruch verhelfen.
Dies war Ihre Regelung, meine sehr verehrten Damen und Herren. Frau Däubler-Gmelin, weil Sie hier einmal gesagt haben, wir wollten dies: Sie haben stets nur die berufstätige Frau gekannt,
und Sie haben die Ideologie gehabt, daß die Frau, die zu Hause blieb und Kinder erzogen hat, eigentlich keinen Rentenanspruch hat. Genau dies ist seit dem 1. Januar 1986 geändert worden.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, hören wir doch auf, so zu tun, als ob wir Geld einfach zaubern können. Wir wußten, daß dies solide finanziert werden muß. Herr Bueb — Sie haben heute Geburtstag —, Ihnen nur zur Erinnerung: Jede hundert Mark mehr, die Sie fordern, bedeuten 5 Milliarden DM insgesamt. Wenn Sie von 400 auf 1 200 DM erhöhen wollen, dann sind das 40 Milliarden DM mehr. Ich bin gern bereit, Ihnen einmal Nachhilfe in Mathematik zu geben.
Dort haben Sie große Schwierigkeiten.
Frau Dr. Lepsius, als ich Sie soeben gehört habe, habe ich glauben müssen, ab 1982 seien wir mit der Sense durch die Landschaft gegangen. Wie war das denn mit dem 20. RAG und mit dem 21. RAG? Wir geben ja zu, daß das schwierig war, aber es geht schon ein bißchen weit, jetzt so zu tun, als ob dies alles unsere Schuld wäre, da Sie doch diese Sünden begangen haben.
Diese Regierungskoalition wird im Gegensatz zu Ihnen pro Kind einen Zuschlag bezahlen, und zwar egal, ob eine Frau rentenberechtigt ist oder nicht.
Wir werden aber keine neue Rentenformel aufbringen, die überhaupt nicht nachzuvollziehen ist. Sie wissen, welche Schwierigkeiten das bringt.
Herr Bueb, nachdem wir gestern und vorgestern gehört haben, welche Problematik in der Rentenversicherung auf uns zukommt, sollten wir nicht so tun, als ob wir nicht wüßten, was wir falsch gemacht haben und was wir ändern müßten, sondern wir sollten endlich einmal nachdenken — leider sind die beiden anderen Kollegen, Herr Heyenn und Herr Kirschner nicht mehr da — —
— Entschuldigung, ich kann nicht vorwärts und rückwärts sprechen. Wir sollten das, was wir gestern gehört haben, vernünftig zur Kenntnis nehmen, und dann sollten wir darüber nachdenken, wie wir in Zukunft seriös finanzieren. Das ist für Sie schwieriger; wir haben uns daran gehalten, wir haben nicht geplündert.
Herzlichen Dank, meine sehr verehrten Damen und Herren.
Meine Damen und Herren, die Aktuelle Stunde ist beendet.Bevor wir in der Tagesordnung fortfahren, darf ich am heutigen Tage eines Mannes in besonderer Weise gedenken: Der französische Staatsmann und überzeugte Europäer Robert Schuman wäre am 29. Juni 100 Jahre alt geworden. Wir erinnern uns in Dankbarkeit und Respekt seines Eintretens für die deutsch-französische Zusammenarbeit und seiner Leistung für die Integration Europas, vor allem aber der Initiative, die — mit seinem Namen verbunden — zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl führte.Was zunächst eine Idee seines Mitarbeiters Jean Monnet war, setzte Schuman 1950 in einem muti-
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17526 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 226. Sitzung. Bonn, Freitag, den 27. Juni 1986
Präsident Dr. Jenningergen und konstruktiven Akt um. In seiner berühmten Erklärung vom 9. Mai 1950 sagte er dazu:Der Friede der Welt kann nicht gewahrt werden ohne schöpferische Anstrengungen, die der Größe der Bedrohung entsprechen. Europa läßt sich nicht mit einem Schlage herstellen und auch nicht durch einfache Zusammenfassung: es wird durch konkrete Tatsachen entstehen, die zunächst eine Solidarität der Tat schaffen.Ihm war klar, meine Damen und Herren, daß es besser sei, das Aufbauwerk mit einem auf sechs Länder beschränkten Zusammenschluß zu beginnen, als vergeblich auf die noch abseits stehenden Staaten zu warten. Er wollte das „organisierte und lebendige Europa", das dank seiner Anziehungskraft als Kristallisationspunkt und Schwungscheibe die Entwicklung voranzutreiben habe.Bei ihrer Gründung umfaßte die Montanunion sechs Staaten mit einer Bevölkerung von 172 Millionen Einwohnern, heute dagegen umfaßt die Gemeinschaft zwölf Staaten mit 320 Millionen EG-Bürgern. Einen besseren Beweis für die Richtigkeit des Ansatzes von Robert Schuman gibt es nicht.Die Weitsichtigkeit seines Denkens zeigte sich auch darin, daß er dem geschlagenen Deutschland die Hand zur Versöhnung entgegenstreckte, als die öffentliche Meinung in Frankreich noch von tiefem Mißtrauen gegenüber unserem Land geprägt war. Schuman wußte, daß Frankreich den Fehler des Versailler Vertrages nicht wiederholen durfte. Ihm war bewußt, daß der Frieden nur durch eine gleichberechtigte Teilnahme und Einbindung des westlichen Teils Deutschlands in die Europäische Gemeinschaft gesichert werden konnte.Dabei fand er in Konrad Adenauer einen kongenialen Partner. Beide wurzelten in einer europäischen Grenzregion, beide waren von tiefer Frömmigkeit geprägt, beide glaubten an die europäische Berufung ihrer Länder. Beiden gemeinsam war auch die Abneigung gegen den alten, militärisch geprägten Nationalismus, in dem sie das Haupthindernis für eine europäische Integration sahen.Schuman verstand Europa und die Atlantische Gemeinschaft nicht als Gegensatz. Vielmehr sah er in der Atlantischen Staatengemeinschaft die Grundlage für die Sicherung nach innen und außen. Frankreich, so sagte er damals, erhalte das, was es zwischen den beiden Weltkriegen vergeblich erhofft habe: die Erklärung der Vereinigten Staaten, daß es für Amerika weder Frieden noch Sicherheit geben könne, solange Europa in Gefahr sei.Meine Damen und Herren, Schuman teilte die Meinung Adenauers, daß ein neutralisiertes Deutschland letztlich die Ausdehnung des sowjetischen Einflusses auf ganz Europa mit sich bringen würde. Den Ausweg sah er in der Solidarität der Europäer untereinander, in einer geistigen Übereinstimmung, die über die gemeinsamen wirtschaftlichen Interessen hinausreichen muß. Dieser Gedanke ist, so meine ich, unverändert gültig.Robert Schuman hat das Nachkriegseuropa geprägt wie nur wenige seiner Zeitgenossen. Er hat die Idee des vereinigten Europa, die schon vor ihm viele Menschen bewegt hatte, auf einen zwar steinigen, aber auf einen gangbaren Weg gebracht. Seine Vorstellung war es, den Kampf der europäischen Nationen um Hegemonie und Gleichgewicht zu durchbrechen und zu einer echten und dauerhaften Partnerschaft zwischen den europäischen Nationen zu gelangen.Dieses geistige Erbe verpflichtet uns. Es darf auch angesichts zahlreicher Schwierigkeiten auf vielen Gebieten europäischer Zusammenarbeit nicht verspielt werden.Der Deutsche Bundestag gedenkt heute deswegen eines Mannes, dessen politische Leistung sich in dem Ehrentitel fassen läßt: Er war der Vater Europas.Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
Wir fahren in der Tagesordnung fort. Ich rufe Punkt 17 der Tagesordnung auf:a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Fünften Gesetzes zur Änderung des Wasserhaushaltsgesetzes— Drucksache 10/3973 —aa) Beschlußempfehlung und Bericht des Innenausschusses
— Drucksache 10/5727 —Berichterstatter:Abgeordnete Kiehm Dr. GöhnerFrau HönesBaumbb) Bericht des Haushaltsausschusses
gemäß § 96 der Geschäftsordnung
— Drucksache 10/5728 —Berichterstatter:Abgeordnete Dr. Friedmann KühbacherDr. Weng
Dr. Müller
b) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Innenausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Frau Hönes und der Fraktion DIE GRÜNEN Änderung des Wasserhaushaltsgesetzes— Drucksachen 10/4415, 10/5727 —Berichterstatter:Abgeordnete Kiehm Dr. GöhnerFrau HönesBaumc) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Innenausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Müller (Düsseldorf), Kiehm, Dr. Hauff, Frau Blunck, Frau Dr. Hartenstein, Schäfer (Offenburg),
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 226. Sitzung. Bonn, Freitag, den 27. Juni 1986 17527
Präsident Dr. JenningerDr. Sperling, Wartenberg , Frau Weyel und der Fraktion der SPD Sofortprogramm zum Schutz des Wassers— Drucksachen 10/1823, 10/5727 — Berichterstatter:Abgeordnete KiehmDr. GöhnerFrau HönesBaumd) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Innenausschusses zu der Unterrichtung durch die BundesregierungBericht der Bundesregierung über notwendige Maßnahmen zur Vermeidung von Gewässerbelastungen durch schwerabbaubare und sonstige kritische Stoffe— Drucksachen 10/2833, 10/5727 — Berichterstatter:Abgeordnete KiehmDr. GöhnerFrau HönesBaumZu Tagesordnungspunkt 17 a liegen ein Änderungsantrag und ein Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf den Drucksachen 10/5763 und 10/5764 vor.Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die gemeinsame Beratung der Tagesordnungspunkte 17 a bis d 75 Minuten vorgesehen. Ich höre keinen Widerspruch. — Dann ist so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Herr Abgeordneter Fellner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin froh darüber, daß wir am heutigen Tag, kurz vor der Sommerpause, unserer Umweltgesetzgebung einen weiteren Baustein hinzufügen können. Wir haben in der vergangenen Woche das Abfallbeseitigungsgesetz verabschiedet. Heute geht es darum, eine Novellierung des Wasserhaushaltsgesetzes zu verabschieden.Es ist sicherlich der richtige Zeitpunkt, einmal daran zu erinnern, daß sich diese Bundesregierung von Anfang an eine umfassende Novellierung aller Umweltgesetze zum Ziel gesetzt hat. Wir werden am Ende dieser Legislaturperiode sicherlich mit Stolz sagen können, daß wir das auch geschafft haben.
Wir haben begonnen mit einem Paket von Gesetzen zum Thema Luftreinhaltung. Man sieht ja, wie sich die Diskussion normalisiert hat. Man stellt mit Erstaunen fest, daß es bei der Diskussion um den Ausstieg aus der Kernenergie heute keine Rolle mehr spielt, ob man vielleicht wieder höhere Luftbelastungen in Kauf nimmt.
Das zeigt sehr deutlich, wie ernst Sie Umweltgesetzgebung nehmen. Sie sind sozusagen mit dem grünen Karren hier eingefahren, am Anfang noch etwas mit Blümchen dekoriert. Aber es zeigt sichimmer mehr, was Sie eigentlich an Unrat und teilweise Unsinn in dieses Parlament eingebracht haben.
Am Anfang der Legislaturperiode hätten Sie noch stolz darauf verwiesen, daß bei einer Umweltdebatte mindestens die halbe Fraktion der GRÜNEN anwesend ist.
Heute sitzen von Ihnen genauso wenige hier wie von den anderen Fraktionen, weil Sie gemerkt haben, daß es in diesem Haus auch noch anderes zu tun gibt.
So normalisieren sich die Verhältnisse. Und es wird in diesem Parlament sicherlich noch ein ganzes Stück normaler werden, wenn Sie das nächste Mal nicht mehr hier sind.
Ich wollte eingangs darstellen, daß sich diese Gesetzgebung zum Gewässerschutz nahtlos in eine Reihe von Vorhaben einreiht, die etwa den Abbau der Luftbelastung und den Bodenschutz bezwecken. Wir haben eine Bodenschutzkonzeption vorgelegt, mit der wir in einer Vielzahl von Politikfeldern die Belastungen des Bodens vermindern wollen. Nun sind wir dabei, den Gewässerschutz umfassend zu novellieren, und zwar heute mit dem Wasserhaushaltsgesetz. Wir haben in den Ausschüssen auch bereits das Abwasserabgabengesetz und das Waschmittelgesetz auf den Weg gebracht. Ich hoffe, daß der so gut gemeinte Umweltausschuß nicht dazu führt, daß sich diese Gesetzgebungsvorhaben verzögern.Die Ziele des neuen Wasserhaushaltsgesetzes wird Herr Minister Wallmann sicherlich im einzelnen darstellen. Ich möchte nur kurz vier Schwerpunkte skizzieren. Es geht einmal um eine drastische Verschärfung der Anforderungen an das Einleiten von Abwasser, das gefährliche Stoffe enthält. Es geht zweitens um eine nachhaltige Verbesserung des Grundwasserschutzes. Es geht drittens um eine stärkere Beachtung der Funktion der Gewässer als eines Bestandteils des Naturhaushalts einschließlich der Aufnahme eines Gebots zum sparsamen Umgang mit Wasser. Schließlich gibt es in diesem Wasserhaushaltsgesetz eine Vielzahl von Regelungen, die der Entbürokratisierung dienen.Der Innenausschuß als Noch-Umweltausschuß hat sich umfassend mit diesem Gesetzentwurf der Bundesregierung auseinandergesetzt. Wir haben noch verschiedene Änderungen eingebracht, was wiederum zeigt, daß unsere Ausschüsse sehr sachgerecht und sehr intensiv arbeiten.Ich will von den von uns noch hinzugefügten Änderungen ein paar skizzieren. Es geht einmal um eine Abänderung des § 7 a Wasserhaushaltsgesetz. Wir machen dort keine stoffbezogene, sondern eine
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FellnerAbwasservorschrift. Die Verordnungsermächtigung erstreckt sich nicht auf die Bestimmung von gefährlichen Stoffen, sondern auf die Herkunftsbereiche von Abwasser, das gefährliche Stoffe enthält.Wir haben schließlich hier das Anforderungsniveau „Stand der Technik" wirksam festgeschrieben. Es wird durch das Inkrafttreten der Verwaltungsvorschriften wirksam, die die entsprechenden Einleitungswerte festsetzen.Wir haben schließlich, weil es einfach vom Verwaltungstechnischen her zweckmäßig und notwendig war, auch den § 8 Abs. 2 abgeändert. Er betrifft in erster Linie die Wasserkraftwerke. Wir wollen diese Kraftwerke nicht behindern, sondern eher fördern und wollen deshalb ihre Arbeit erleichtern.Wir haben schließlich im § 19 unter dem Abs. 4 für die Landwirtschaft, dort, wo Wasserschutzgebiete festgesetzt werden, festgelegt, daß ein angemessener Ausgleich für wirtschaftliche Nachteile geschaffen wird, die durch die Beschränkung der land- oder forstwirtschaftlichen Nutzung von Grundstücken infolge erhöhter wasserrechtlicher Auflagen in diesen Gebieten eintreten.
Lassen Sie mich dazu ein paar Sätze sagen. Der Kollege Göhner wird sicherlich darauf noch intensiver eingehen, weil er es war, der innerhalb unserer Reihen maßgeblich dafür gekämpft und dies durchgesetzt hat. Wir haben das im Interesse unserer Bürger getan. Denn wir wollen zunächst, daß es besser und eher und leichter möglich ist, daß Wasserschutzgebiete festgesetzt werden, nicht nur für Gebiete, wo jetzt schon Grundwasser gewonnen wird, sondern auch für Gebiete, in denen wir künftig vielleicht Grundwasser, Wasser, Trinkwasser gewinnen müssen. Wir wollen, daß dies erleichtert wird, daß dem keine Hemmnisse entgegenstehen. Deshalb ist es auch erforderlich für diejenigen, die dadurch mit besonderen Belastungen rechnen müssen, einen Ausgleich zu schaffen.Wir machen mit dieser Regelung beileibe keine Abkehr vom Verursacherprinzip. Wir verabschieden uns auch nicht von den bisherigen Entschädigungsregelungen, die es nach unserem Grundgesetz gibt, nämlich daß es entweder eine Enteignung ist, für die entschädigt werden muß, oder aber daß diese Belastung im Rahmen der Sozialpflichtigkeit hingenommen wird. Wir sind der Meinung, daß ein Landwirt, der dulden muß, daß auf seinem Gebiet ein Wasserschutzgebiet festgesetzt wird, was die Konsequenz hat, daß er dieses Grundstück nicht so bewirtschaften kann, wie er es eigentlich rechtmäßig und im Interesse einer angemessenen Landbewirtschaftung tun könnte, eine Entschädigung für die besonderen Belastungen enthält, die er hinnehmen muß.
Wir waren uns ja — zumindest verbal und in öffentlichen Erklärungen — darin zunächst mit den Kollegen der SPD einig. Allerdings muß ich sagen, als es dann zum Treffen gekommen ist, hat sich wieder einmal herausgestellt, daß die SPD zwar große Reden hält, wenn es um die Interessen der Landwirtschaft und der kleinen Landwirte geht, daß sie sich aber sehr schnell verabschiedet, wenn es dann konkret wird.
Sicherlich kosten diese Regelungen etwas. Die Länder werden sich überlegen müssen, in welcher Form sie das Ganze umlegen. Es wird sicherlich in irgendeiner Form zur Belastung der Bürger führen. Ich halte das aber durchaus für angemessen. Ich meine sogar, daß es heilsam ist. Denn die großen Reden und die großen Forderungen nach mehr Umweltschutz werden dann ernster genommen, wenn der Bürger konkret verspürt, daß Umweltschutz auch etwas kostet. Ich glaube, daß es zumutbar ist, wenn wir im Wege der zusätzlichen Belastung der Wasserkosten den Bürgern zeigen, daß hier für den Umweltschutz tatsächlich etwas getan worden ist.Verbunden mit diesem Gesetzentwurf haben wir auch eine Entschließung verabschiedet, mit der wir zeigen wollen, daß wir die Diskussion um die Wassergesetze und um dieses Wasserhaushaltsgesetz noch nicht für abgeschlossen erachten. Wir wollen untersuchen lassen, ob die Anforderung an weitere Stoffe dem Stand der Technik angepaßt werden muß. Wir lassen die Frage prüfen, ob weitere Einleiter benannt werden, die diesen Anforderungen entsprechen werden.Insgesamt bin ich sicher, daß wir mit diesem Gesetz einen maßgeblichen Schritt zu einem verbesserten Gewässerschutz tun. Ich glaube, daß wir, wenn wir am Ende dieser Periode auf die restlichen Gesetze, die dann verabschiedet sein werden, zurückblicken, sagen können: Wir haben im Umweltschutz in dieser Periode umfassend all das getan, was nur denkbar ist.Danke schön.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Kiehm.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Kollege Hirsch hat in einer Aktuellen Stunde in dieser Woche mit Blick auf die Sozialdemokraten gesagt, wir hätten uns ganz gewiß der Leistungen für den Umweltschutz in der sozialliberalen Koalition nicht zu schämen. — In der Tat, gerade im Bereich des Gewässerschutzes darf man sagen, daß in erfreulichem Maße Bäche und Flüsse sauberer geworden sind.
Das ist auch das Ergebnis einer konsequent vertretenen Gewässerschutzpolitik, Herr Baum, die Sozialdemokraten und Freie Demokraten seinerzeit gemeinsam betrieben haben.Es waren mehrere Elemente, die zu diesem Ergebnis geführt haben, nämlich eine konzertierte Aktion mit Wasserhaushaltsgesetz, Abwasserabgabengesetz, Waschmittelgesetz und nicht zuletzt einer Investitionsförderung im Rahmen des ZIP, die erhebliche Ergebnisse gebracht hat. Das Ganze hat
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Kiehmeine Schubkraft entfaltet, die dieses Ergebnis dann möglich gemacht hat.Aber es bleibt festzuhalten, daß Risiken und Gefahren offen sind. Das ist einmal das Problem der gefährlichen Stoffe in den Gewässern, die Belastung der Gewässer, die ihre biologischen Funktionen herabsetzt, insbesondere die Gefährdung des Grundwassers, und es ist das Fehlen einer ausreichenden Lösung für die Indirekteinleitung.Als Mittel zur Bewältigung dieser Aufgaben werden uns nun die Novellierung des Wasserhaushaltsgesetzes, des Abwasserabgabengesetzes und des Waschmittelgesetzes angeboten. Dazu will ich zunächst zwei Feststellungen treffen.Zum Gelingen fehlt unserer Meinung nach ein wesentliches Element, um eine größere Anstoßwirkung zu erreichen, warum, so fragen wir, ist es nicht möglich, Steuerbegünstigungen nicht nur für einen reparierenden Umweltschutz zu gewähren, sondern auch für solche Investitionen, die Umweltschutzmaßnahmen in den Produktionsprozeß integrieren?
Denn das halten wir für die beste der Vermeidungsstrategien. Es bleibt festzustellen, daß mit dem hier vorliegenden Wasserhaushaltsgesetz die angekündigten Ziele nur widerstrebend verfolgt werden, daß insgesamt zögerlich vorgegangen wird und daß sogar neue Risiken geschaffen werden, die nicht nötig wären.Liebe Kolleginnen und Kollegen, das größte Risiko, die größte Gefahr geht nach meiner Meinung davon aus, daß diese Koalition ohne Grund das Verursacherprinzip in Frage stellt.
Das Wasserhaushaltsgesetz verpflichtet jedermann, die erforderliche Sorgfalt anzuwenden, um eine Verunreinigung des Wassers oder eine sonstige nachteilige Veränderung seiner Eigenschaften zu verhüten.
Dieser Grundsatz wird nicht beachtet. Der Verursacher hat nicht mehr für den Schaden einzustehen.
Nach dem Willen der Koalition soll ein Schadensverursacher nicht etwa nur freigestellt werden, sondern er erhält, wenn er den Schaden auf staatliche Aufforderung hin kleiner macht, als er ihn gewöhnlicherweise machen würde, dazu noch eine Prämie.
Ich spreche hier von der vorgesehenen Regelung für die Landwirtschaft. Mein Kollege Pfuhl und der Kollege Müller werden sich dem Thema noch nachhaltig widmen.
Es ist auch kein Wunder, daß bei einer Anhörung außer den Vertretern des Bauernverbandes sämtliche Sachverständige und die Interessenverbände von BDI bis zu DGB sich eindeutig gegen diese Regelung ausgesprochen haben.
Das, was die CDU hier will, ist in Ihrem Sinne klar. Aber, Herr Kollege Göhner, es ist natürlich falsch. Sie leisten dem Umweltschutz einen Bärendienst.
Klarheit vermissen wir aber auch an anderen Seiten. In Ihrem Gesetz steht, daß es darum gehen soll, Belange der Gewässerökologie stärker zu beachten. Was ist es anderes als eine selbstverständliche Feststellung, wenn Sie hineinschreiben, daß Gewässer als Bestandteil des Naturhaushaltes zu behandeln sind? Das ist doch keine politische Zielvorgabe, nach der man handeln kann.
Wir haben vorgeschlagen, deutlich zu sagen, daß die Gewässer so zu bewirtschaften sind, daß ihr natürlicher Zustand so weit wie möglich erhalten oder wiederhergestellt wird. Sie lehnen das mit dem Argument „zu rigoros, zu weitgehend" ab. Das ist doch keine Position, die Sie berechtigen kann, zu sagen, Sie seien auf dem besten Wege, den Umweltschutz voranzubringen.Herr Präsident, meine Damen und Herren, lassen Sie mich einige Minuten darauf verwenden, etwas zu den Vollzugsproblemen zu sagen, denn eines scheint mir nach den Debatten, die wir geführt haben, deutlich zu sein: Es ist nicht nur eine Frage der Gesetzgebung.
Bei der Diskussion der Vollzugsproblematik bleibt es uns nicht erspart, auf das Verhältnis von Bund und Ländern im Gewässerschutz einzugehen. Mir ist die Rechtslage klar, und ich weiß von der Notwendigkeit des Kompromisses. Ich will auch durchaus in meine Überlegungen einbeziehen, daß, vom Bund her gesehen, zukünftig — zumindest hoffentlich — Umweltschutzgesichtspunkte beim Gewässerschutz eine größere Rolle spielen. Aber die Länder leiden heute offenbar darunter, daß bei der Anbindung des Gewässerschutzes an verschiedene Ressorts dem Gewässerschutz die Ressortinteressen immer noch mehr anhaften als der Gesichtspunkt des Umweltschutzes.
Nach den Erfahrungen mit § 7a — Einführung des Standes der Technik — wird das ja sehr deutlich. Der Bund hatte zunächst nach Abstimmung mit den Ländern einen Gesetzentwurf vorgelegt, der vorsah, dem Stand der Technik bei gefährlichen Stoffen mit sofortiger Wirkung Rechtskraft zu geben. Wie soll ich es aber verstehen, wenn dieselbe Bundesregierung nach einem Gespräch mit hohen Länderbeamten offenbar ihr Ziel aufgibt und nunmehr zu dem Verfahrensvorschlag kommt „nicht mehr Stand der Technik sofort, sondern Stand der
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KiehmTechnik erst dann, wenn Verwaltungsvorschriften erlassen sind", als könnten wir uns bei der Gefährdung durch gefährliche Stoffe eine jahrelange Zeitverzögerung erlauben?
Hier ist eine Regelung eingeführt worden, die deutlich macht, daß der Bund nicht in dem Maße, wie es nötig ist, offensiv für den Umweltschutz kämpft, sondern sich in diesen Fragen mehr als Urkundsbeamter von Länderinteressen verstanden hat.
— Wir haben keine Kompetenz, aber wir können deutlich machen, daß dieser Bundestag die Bundesregierung darauf hinweist,
daß nicht alles von vornherein im Wege des Kompromisses anzustreben ist, sondern daß Bundestag und Bundesregierung hier Flagge zeigen und zum Ausdruck bringen, daß wir auch gegenüber den Ländern — bei Wahrung ihrer Zuständigkeiten — deutlich machen müssen, was wir im gesamtstaatlichen Interesse von ihnen verlangen.
Wenn wir Umweltschutz nicht unter dieser politischen Maxime verstehen, sondern wenn Umweltschutz in einen Streit um Zuständigkeiten und um administrative Fragen abrutscht, sage ich Ihnen eines: Die Unzufriedenheit in der Bevölkerung wird deshalb größer werden, weil es keine politischen Signale aus diesem Bundestag gibt,
und die Bevölkerung wird sich nicht mit dem Hinweis, die Zuständigkeiten seien nicht hinreichend geklärt, abspeisen lassen.Lassen Sie mich zum Abschluß folgendes sagen: Wir haben uns mehrfach Mühe gegeben, auf sachliche Weise mit den Kollegen von CDU/CSU und FDP zusammenzuarbeiten. Was mich in Erstaunen versetzt, ist, daß von einem ganz bestimmten Punkte an nicht mehr die sachliche Debatte, sondern das Festhalten an in der Koalition eingegangenen Kompromissen die entscheidende Rolle spielt, so daß auch diese Regelung kein Beitrag dazu ist, den Umweltschutz voranzubringen.
Das Wort hat der Abgeordnete Baum.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben im Gewässerschutz erhebliche Erfolge. Unsere Gewässer sind von Schadstoffen gereinigt worden. Es sind Milliarden von allen Beteiligten investiert worden. Wir können also auf eine gute Bilanz zurückblicken.Es bleiben eine ganze Reihe von Problemen. Es bleiben gefährliche Stoffe in den Gewässern. Deshalb ist es wichtig, daß diese Stoffe jetzt nach dem strengen Stand der Technik, den wir vorschreiben, erfaßt werden. Wir schreiben vor, daß nun auch für Indirekteinleitungen aus den Kläranlagen eine Vereinheitlichung und Verschärfung im ganzen Bundesgebiet erfolgt.Wir schlagen vor, daß eine weitere Reinigung erfolgt, insbesondere eine Phosphatfällung. Wir sehen nicht ein, daß nur wenige Kläranlagen bisher diese Reinigungsstufe haben.Meine Fraktion hat entschieden einen sogenannten „Wasserpfennig" abgelehnt, der das Verursacherprinzip verletzt hätte. Wir sind für eine Entschädigung der Landwirte, wenn Wasserschutzgebiete ausgeweitet werden. Wir sehen, daß bestimmte Formen der intensiven Landwirtschaft unsere Gewässer, insbesondere das Grundwasser, belasten können.Wir beklagen ein gewisses Vollzugsdefizit. Ich sage hier rückblickend mit einiger Wehmut: Leider hat der Bund die Vollkompetenz im Wasserrecht nicht bekommen. Die Länder haben ihm nur eine Rahmenkompetenz zugestanden. Vielleicht ist es jetzt an der Zeit, erneut darüber nachzudenken, ob es nicht besser wäre, hier im Sinne eines wirksameren Umweltschutzes in der Bundesrepublik Deutschland auf dem Gewässersektor die Bundeskompetenz anzustreben.Meine Damen und Herren, die gefährlichen Stoffe haben eine besondere Bedeutung. Das Gesetz legt nunmehr fest, daß die Bundesregierung mit Zustimmung des Bundesrates allgemeine Verwaltungsvorschriften erlassen kann. Wenn es sich um gefährliche Stoffe handelt, müssen diese Verwaltungsvorschriften dem „Stand der Technik" entsprechen. Das ist eine wesentliche Verschärfung. Sie wird aber nur dann greifen, wenn die Rechtsverordnungen schnell und wirksam in Kraft treten können. Deshalb appellieren wir, Herr Minister Wallmann, an die Bundesregierung und auch an die Bundesländer, das Gesetz jetzt mit Leben zu erfüllen. Sonst bleibt das, was wir hier festlegen, auf dem Papier.Besondere Bedeutung kommt der Novelle auch in bezug auf die nun eingeführte Indirekteinleiterregelung nach § 7 a zu. Damit werden endlich die Indirekteinleitungen vom Wasserhaushaltsgesetz erfaßt. Aus Gründen des Gewässerschutzes war dieses dringend notwendig, zumal etwa 50 % der gewerblichen und der industriellen Abwässer nicht direkt in Gewässer eingeleitet werden, sondern zunächst in öffentliche Abwasseranlagen, die häufig überfordert sind. Die Neuregelung bietet aus unserer Sicht eine gute Grundlage, um die Probleme, die bisher auf Grund der satzungsrechtlichen Regelung bestanden, zu lösen. Auch werden unterschiedliche Handhabungen in den einzelnen Ländern und den einzelnen Kommunen verhindert werden. Aber auch hier kann nicht der Bundestag tätig werden. Hier müssen die Länder tätig werden, sie müssen das Gesetz ausfüllen.
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BaumDie erste Verwaltungsvorschrift für die kommunalen Abwässer aus dem Jahre 1979, die 1982 geändert worden ist, ist überholt. Sie macht deutlich, daß die Anforderungen durch die neuen Erkenntnisse gestiegen sind, daß wir auch neue Techniken zur Verfügung haben. Die meisten Abwasserbehandlungsanlagen, die wir heute in den Kommunen haben, bringen schon erheblich bessere Qualitäten. Aber eben nicht alle! Deshalb sind wir der Meinung, daß diese veralteten Vorschriften überarbeitet werden müssen.Die Eutrophierung der Gewässer macht deutlich, daß die Nährstofffrage bislang nicht die Beachtung gefunden hat, die ihr eigentlich zukommt. Auch bei den Beratungen des Bundesrates zur Novelle des Abwasserabgabengesetzes hat gerade die Frage der Eliminierung von Phosphaten und Stickstoffen eine besondere Rolle gespielt. Die Phosphatfällung ist eine bekannte Technologie. Warum, so fragen wir, wird sie nicht überall konsequent angewandt? Die Eutrophierungsprobleme im Bereich des norddeutschen Küstenraums sind groß. Wir brauchen jetzt, so meine ich, eine konsequentere Bekämpfung von Phosphaten und von Stickstoffen in den Kläranlagen.Eine wichtige Verbesserung des Wasserrechts sieht schließlich die vorgesehene Verstärkung des Grundwasserschutzes durch den § 19, also durch die Befugnis, Wasserschutzgebiete auszuweisen, vor. Wenn gegenwärtig etwa 50 % der Wasserschutzzonen noch nicht ausgewiesen sind, weil auf kommunaler wie auch auf Landesebene ein Vollzugsdefizit besteht, so bedauern wir dies. Auch hier muß das Gesetz vollzogen werden. Die Länder müssen die Gebiete ausweisen. Wir haben ihnen eine generelle Ausgleichsregelung für die Landwirte an die Hand gegeben. Wir sind der Meinung, daß eine solche Regelung gerechtfertigt ist. Wir sollten die Fragen des Umweltschutzes nicht auf Kosten und auf dem Rücken der Landwirte austragen. Wir sehen, daß die Menge von Düngemitteln und Pflanzenbehandlungsmitteln ein Problem für unser Grundwasser darstellt. Bestimmte Formen der intensiven Landnutzung führen zu einer Schädigung unserer Gewässer. Wir wollen uns der Lösung dieses Problems in einem ersten Schritt nähern.Wir haben, wie ich sagte, die Einführung eines Wasserpfennigs abgelehnt. Seine Erhebung würde dem Verursacherprinzip widersprechen. Jede Entschädigung, die der Wasserverbraucher hätte zahlen müssen, wäre absurd gewesen. Das wäre so, als zöge man die Waldbesitzer zur Finanzierung der Rauchgasentschwefelung heran. Diese Vorschläge von Herrn Späth und anderen entsprechen nicht unseren Vorstellungen.
— Das sollen die Länder aus dem allgemeinen Haushalt regeln, aber nicht auf Kosten derjenigen, die das Wasser verbrauchen. Die haben nämlich mit der Vergiftung des Wassers überhaupt nichts zu tun, Herr Kiehm.Wie die Anhörung auch deutlich gemacht hat, bestehen erhebliche Probleme bezüglich des Vollzugs des Wasserhaushaltsgesetzes. Wir möchten eineÜbersicht darüber haben, wie der Vollzug erfolgt. Vielleicht wäre es gut, Herr Kollege Kiehm, wenn wir alle zwei Jahre einen Bericht über den Vollzug des Gesetzes entgegennähmen. Ich sehe die Vollzugsprobleme ähnlich wie Sie.Der sparsamen Wasserverwendung kommt weiterhin Bedeutung zu, vor allen Dingen im Bereich der Industrie. Ich möchte darauf hinweisen, daß nicht nur nationale Maßnahmen notwendig sind, sondern wir müssen die Gewässerschutzpolitik in der EG und auch mit unseren anderen Nachbarn fortsetzen.Meine Damen und Herren, hiermit wird ein weiterer wichtiger Schritt der Koalition in Sachen Umweltgesetzgebung getan. Wir haben auf dem Wassersektor noch zwei wichtige Gesetze in der Beratung: das Waschmittelgesetz und das Abwasserabgabengesetz. Das ist eine Bilanz, meine Damen und Herren, die sich sehen lassen kann.
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Hönes.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Trotz des etwas peinlichen Selbstlobs meiner Kollegen von der Regierungskoalition, die sich jetzt gegenseitig bestätigen müssen, daß sie eine Berechtigung für die Sommerpause haben,
muß konstatiert werden, daß der vorliegende Entwurf des Fünften Gesetzes zur Änderung des Wasserhaushaltsgesetzes nicht in der Lage sein wird, die Probleme des Gewässerschutzes zu lösen und die Versorgung der Bevölkerung mit gesundheitlich unbedenklichem Trinkwasser zu sichern.
— Das ist eine gute Idee, Herr Kollege. Wir GRÜNEN sollten wirklich hierbleiben und während der Sommerpause ein vernünftiges Gesetz machen.
Bereits 1983 mußte Staatssekretär Gallus einräumen, daß 800 von 6 000 Wasserwerken Wasser mit Nitratgehalten über dem ab Herbst dieses Jahres gültigen Grenzwert von 50 mg/l förderten. Die Nitratgehalte steigen weiterhin bundesweit jährlich um 1 bis 2 mg/l an. Ursache dieser Brunnenvergiftung ist die zunehmend industrialisierte Landwirtschaft mit einer zum Teil nur noch als kriminell zu bezeichnenden Überdüngung der Böden.
Anreiz hierzu bietet eine völlig verfehlte Agrarpolitik, die förmlich zur Überproduktion und Mißachtung der Umweltgegebenheiten zwingt.Und was gedenkt diese Regierung zum Schutz des Grundwassers zu tun? — Nichts, außer die Ausweisung von Wasserschutzgebieten auch dort zu ermöglichen, wo nicht unmittelbar Trinkwasser geför-
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Frau Hönesdert wird. Nur in Wasserschutzgebieten soll die Düngung reduziert werden.Die Damen und Herren der Fraktionsparteien handeln dabei wider besseres Wissen. Die zur Anhörung zum Wasserhaushaltsgesetz geladenen Experten sowie der Sachverständigenrat für Umweltfragen haben ausführlich dargelegt, daß diese Maßnahme nicht ausreicht. Nur ein flächendeckender Verzicht auf Überdüngung kann unser Grundwasser schützen. Wir wissen, daß eine Reduzierung der Düngung zu Ertragseinbußen und damit auch zu spürbaren Einkommensminderungen gerade der kleineren Betriebe führen kann. Das haben wir immer gesagt.Dennoch wehren wir uns gegen den Versuch der Koalitionsfraktionen, Ausgleichszahlungen im Wasserhaushaltsgesetz zu verankern. Denn es ist Sache der Agrarpolitik, die schon lange überfällige Umstellung der Landwirtschaft auf natur- und umweltschonenden Anbau zu fördern.
Deshalb treten die GRÜNEN für eine Landwirtschaft ein ohne Massentierhaltung, ohne Überdüngung der Böden, ohne Agrargifte, die ins Grundwasser gelangen können, ohne großflächige mehrjährige Monokulturen — wie z. B. Mais — und ohne Überproduktion.
Wir brauchen eine Agrarpolitik, die Umweltschutz und Nahrungsmittelqualität statt Quantität honoriert.
Der von Ihnen eingeschlagene Weg — Nutzungsbeschränkungen nur in Wasserschutzgebieten und auch dann nur gegen Ausgleichszahlungen — wird diese Umkehr in der Agrarpolitik weiter hinausschieben. Ich meine, das können wir uns nicht leisten. Er wird die Bauern ein weiteres Mal zu Almosenempfängern machen, statt ihnen für ihre Arbeit ein angemessenes Einkommen zu ermöglichen, und er stellt die Prinzipien des Umweltschutzes auf den Kopf. Ausgleichszahlungen für den Verzicht auf Umweltverschmutzung — und Überdüngung ist nichts anderes — sind ein unglaublich dreister Verstoß gegen das Verursacherprinzip.
Dieser Verstoß wird, mit dem Ruf nach Gleichbehandlung, auch Umweltverschmutzer aus Industrie und Gewerbe auf den Plan rufen. Darauf können Sie sich verlassen. Es geht nicht an, daß derjenige, der sauberes Wasser trinken will, zahlen soll. Es geht um das Recht des einzelnen auf sauberes Wasser.Nun zum Bereich der Abwässer aus Industrie, Haushalt und Gewerbe. Von der Gesetzeslogik her ist jede Gewässerverschmutzung verboten, es sei denn, sie ist erlaubt. Diese Erlaubnis erhält man nur dann, wenn bestimmte Auflagen eingehalten werden. So sind Haushaltsabwässer und „nicht kritische" Abwässer aus Industrie und Gewerbe nach den allgemein anerkannten Regeln der Technik zu reinigen. Kritische Abwässer — das sind solche, die giftige, langlebige, anreicherungsfähige, krebserzeugende Stoffe enthalten — sind, definiert nach Herkunftsbereichen, nach dem Stand der Technik zu reinigen. Das ist gut so.Nur, bei der Erarbeitung der Verwaltungsvorschriften, was für ein Abwasser bestimmter Herkunft als Stand der Technik zu gelten hat, werden die Herren der Industrie in altbekannter Weise mitreden. Und da werden Sie natürlich keinen Riegel vorschieben. Die Vertreter der Industrie, die über die ökonomisch und ökologisch effizientesten Möglichkeiten, die Umweltbelastungen zu reduzieren, am besten Bescheid wissen, werden leider ihre intellektuellen Fähigkeiten wie gewohnt nicht dazu nutzen, ökologisch sinnvolle Maßnahmen vorzuschlagen, sondern den Behörden und der Offentlichkeit vorführen, was an Umweltschutz alles nicht geht.Denn Ziel der Industrie ist es, den Stand der Technik so niedrig wie möglich zu halten
und auf so wenige Branchen wie möglich anzuwenden. So spricht der BDI in seiner Stellungnahme zum § 7 a von einer Diskriminierung derjenigen Branchen, die den Stand der Technik einzuhalten haben, als wäre es lediglich üble Nachrede, daß z. B. die chemische Industrie die Umwelt und damit auch die Gewässer mit einer Unzahl hochgiftiger Stoffe belastet. Weitere Ziele der Industrie sind, die Reduzierung der Schadstoffe an der Quelle möglichst zu umgehen — denn Verdünnen ist billiger als Reinigen — und die Indirekteinleiter nur in einzelnen Fällen den Direkteinleitern gleichzusetzen. Und es gilt, durch Verzögerung des Wirksamwerdens der neuen Regelungen Geld zu sparen, kurz, durch weniger Umweltschutz Extraprofite zu erwirtschaften.Und Sie, meine Damen und Herren der Koalitionsparteien und verehrter Umweltminister Wallmann, kommen den Wünschen des BDI natürlich bereitwillig entgegen.Die GRÜNEN dagegen setzen sich dafür ein, daß die Öffentlichkeit, vertreten durch sachkundige Mitglieder der Umweltverbände, mitberät, wie der Stand der Technik für welche Branchen auszusehen hat. Wir wollen es den Ländern nicht überlassen, ob und inwieweit die Indirekteinleiter den Direkteinleitern gleichzusetzen sind. Die Reduzierung giftiger Schadstoffe am Ort ihres Entstehens muß verbindlich vorgeschrieben werden. Wir wollen, daß der Umgang mit wassergefährdenden Stoffen in dem Maß eingeschränkt wird, wie es zum Schutz des Grundwassers nötig ist. Die Nährstoffelimination, die zum Schutz der Nordsee vor weiterer Eutrophierung nötig ist, muß für alle Abwässer vorgeschrieben werden. Und der Schutz des Grundwassers vor einer Verseuchung mit Nitraten aus der landwirtschaftlichen Düngung muß gewährleistet
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Frau Hönessein. Die Verankerung von Ausgleichszahlungen im Wasserhaushaltsgesetz ist eine Zumutung.Wer solche Regelungen nicht vertritt, dessen Reden von vorbeugendem Gewässerschutz ...
Frau Abgeordnete Hönes, ich muß Sie bitten, zum Schluß zu kommen.
Ich komme zum Schluß. —... sind nichts als leeres Geschwätz,
um nicht zu sagen: nichts als Lüge und Vertuschung von Interessenverquickung.
Ich erteile dem Herrn Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit das Wort.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen, meine Herren! Ich darf zunächst doch feststellen, denke ich, daß die Herren Abgeordneten Fellner und Baum hier nicht irgendein peinliches Selbstlob angestimmt haben. Es hat hier auch kein leeres Geschwätz gegeben.
Die Herren Abgeordneten haben vielmehr ganz nüchtern die Sachsituation geschildert. Der Abgeordnete Baum hat nicht nur von den unbestreitbaren Erfolgen dieser Koalition gesprochen, sondern er hat auch über Probleme geredet, die es natürlich nach wie vor gibt. Ich stehe auf dem Standpunkt, daß wir mit diesem Gesetz heute dazu beitragen, weitere Probleme abzubauen. Ich denke, das dürfen wir ganz ruhig feststellen.
Ich darf Ihnen, gnädige Frau, sagen, daß § 19 Abs. 4 keinen Verstoß gegen das Verursacherprinzip darstellt; denn der Landwirt erhält nur dann einen Ausgleich, wenn er in Wasserschutzgebieten höheren Anforderungen unterliegt als Landwirte außerhalb solcher Gebiete. Das heißt mit anderen Worten: Ihm wird eine Sonderbelastung aufgebürdet, und dafür wollen wir ausgleichen. Ich glaube, das ist eine korrekte, gute Lösung.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, in der vergangenen Woche haben wir das Abfallgesetz verabschiedet. Heute wird mit der fünften Novelle zum Wasserhaushaltsgesetz, denke ich, ein weiteres durchaus bedeutendes Umweltgesetz beschlossen. Auch der Gewässerschutz hat für die Umweltpolitik dieser Bundesregierung große Bedeutung. Die Sicherung der Versorgung der Menschen mit Wasser ist natürlich — das wissen wir alle miteinander — eine Daueraufgabe, die wirklich lebenswichtig ist.Die Qualität unserer Gewässer muß deshalb durch ganz konsequente Vorsorgemaßnahmen erhalten und, wo notwendig, nachhaltig verbessert werden. Auch im Gewässerschutz heißt die Maxime unseres Handelns: Vorsorgen ist immer besser, als anschließend zu heilen.Deswegen hat die Bundesregierung entschlossen die notwendigen Initiativen ergriffen. Schwerpunkte der nationalen Gewässerschutzpolitik bilden die Gesetzentwürfe zur umfassenden Novellierung der drei Wassergesetze des Bundes.Die parlamentarischen Beratungen zur Änderung des Abwasserabgabengesetzes und des Waschmittelgesetzes sind eingeleitet, und die Beratung der fünften Novelle zum Wasserhaushaltsgesetz wird heute abgeschlossen. Ziel aller drei Gesetzesvorhaben ist, die Belastung unserer Gewässer durch kritische Stoffe soweit wie irgend möglich einzudämmen und abzubauen. Die Herren Abgeordneten Fellner und Baum haben darauf hingewiesen.Ich darf noch einmal sagen: Im Wasserhaushaltsgesetz soll das klassische Instrumentarium des Ordnungsrechts, im Abwasserabgabengesetz soll der ökonomische Anreiz zu weitergehenden fortschrittlichen Reinigungsleistungen der Einleiter und im Waschmittelgesetz der produktbezogene Teil des Wasserrechts weiter ausgebaut werden.Die Bundesregierung hat damit ein breit angelegtes und systematisch aufeinander abgestimmtes Konzept entwickelt, das eine durchgreifende Verbesserung des Gewässerschutzes ermöglicht. Sie hat damit ein modernes Wasserrecht konzipiert, das keinen Vergleich mit Regelungen in anderen europäischen Ländern zu scheuen braucht. Die deutlichen Fortschritte, die hierbei die Novellierung des Wasserhaushaltsgesetzes bringt, möchte ich in vier Punkten zusammenfassen.Erstens. Kernstück der Novelle ist die drastische Verschärfung der Anforderungen an das Einleiten von Abwasser, das gefährliche Stoffe enthält. Zu diesen Stoffen gehören in erster Linie giftige und schwer abbaubare organische Stoffe sowie eine Reihe von Schwermetallen. Diese Stoffe müssen künftig durch den Einsatz von Verfahren nach dem fortschrittlichen Stand der Technik vom Abwasser soweit wie nur möglich ferngehalten werden. Wir haben damit im Vergleich zu den Anforderungen des bisherigen Wasserrechts einen wichtigen Schritt getan. Diese neuen, strengen Anforderungen sollen jetzt auch bundeseinheitlich für Abwassereinleitungen gelten, die nicht direkt in die Gewässer, sondern in die öffentliche Kanalisation gehen; mit dieser Ausdehnung des Wasserhaushaltsgesetzes auf die sogenannten Indirekteinleiter — darauf hat Herr Abgeordneter Baum schon hingewiesen — werden immerhin etwa 50 % aller gewerblichen und industriellen Betriebe erfaßt; eine Konsequenz der Novelle, die wir nicht hoch genug einschätzen können.Die damit geforderte innerbetriebliche Reinigung von Abwasser mit gefährlichen Stoffen wird die öffentliche Kanalisation und Kläranlagen ganz wesentlich entlasten und auch ihre Funktionsfähigkeit deutlich verbessern. Alle, die einmal Kommunalpolitiker gewesen sind oder noch sind, wissen, was dieses gerade für die Kommunen bedeutet.
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17534 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 226. Sitzung. Bonn, Freitag, den 27. Juni 1986
Bundesminister Dr. WallmannDie Bundesregierung hat bereits vor Erlaß der gesetzlichen Grundlagen damit begonnen, die Verwaltungsvorschriften für die nach dem Stand der Technik einzuhaltenden Emissionsbegrenzungen auszuarbeiten. Wir werden diese Arbeit mit allem Nachdruck und mit höchster Priorität vorantreiben.Zweitens. Der nächste Schwerpunkt der fünften Novelle zum Wasserhaushaltsgesetz ist die nachhaltige Verbesserung des Grundwasserschutzes. Nahezu drei Viertel unseres Trinkwassers werden ja aus dem Grundwasser gewonnen. Ein an der Vorsorge orientierter Schutz unseres Grundwassers ist deshalb für eine langfristige Sicherung einer einwandfreien Trinkwasserversorgung unverzichtbar. Das Wasserhaushaltsgesetz wird daher um Regelungen ergänzt, die strenge Schutzvorkehrungen für Anlagen vorschreiben, in denen mit wassergefährdenden Stoffen umgegangen wird. Außerdem wird die Befugnis der Länder wesentlich erweitert, Wasserschutzgebiete festzusetzen und die im konkreten Fall gebotenen Anordnungen zu treffen.Es ist richtig, was hier gesagt worden ist: Natürlich muß dieses Gesetz mit Leben erfüllt werden. Natürlich muß es auch tatsächlich vollzogen werden. Aber ich bin eigentlich zuversichtlich. Die Instrumente, die erforderlich sind, die von uns geschaffen werden können, sind damit zur Verfügung gestellt worden.Ich will auf den dritten Punkt kommen: Bei der Bewirtschaftung unserer Gewässer sind künftig die ökologischen Belange, also die Funktion der Gewässer als Bestandteil des Naturhaushaltes, stärker als bisher zu berücksichtigen. Damit hebt der Bundesgesetzgeber als wichtiges Ziel der Wasserwirtschaft hervor, daß unsere Gewässer entweder in einem naturnahen Zustand zu erhalten sind oder daß er wiederherzustellen ist.Viertens schließlich bringt das Gesetz eine Reihe rechtsvereinfachender Regelungen, die zur Entbürokratisierung der Verwaltung beitragen. Ich will sie im einzelnen nicht aufzählen, um Ihnen nicht Zeit zu nehmen. Ich will nur soviel sagen: Dieses neue wasserrechtliche Instrumentarium wird den hohen Anforderungen gerecht, die ein wirksamer Gewässerschutz in unserer Zeit stellt. Das Konzept, über das heute hier befunden wird, ist mit den Ländern weitgehend erörtert und auch weitgehend abgestimmt worden.Ich weiß um die hohe Verantwortung, die den Ländern nach unserer Verfassung gerade im Bereich der Wasserwirtschaft zukommt. Der Bund besitzt hier nur eine Rahmenkompetenz. Der wasserrechtliche Vollzug ist allein Aufgabe der Länder. Eine erfolgreiche Gewässerschutzpolitik ist daher ohne konstruktive Zusammenarbeit von Bund und Ländern gar nicht möglich.
Meine Kollegen in den Ländern haben deswegen einen Anspruch auf ein Höchstmaß an Kooperationsbereitschaft seitens der Bundesregierung. Ich will mich bemühen, diesem Anspruch gerecht zu werden.Ich bin der festen Überzeugung, daß wir auf dieser Basis den Schutz unserer Gewässer einen wichtigen Schritt in Richtung einer zukunftsweisenden Sicherung des Lebenselementes Wasser voranbringen werden.Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat der Abgeordnete Pfuhl.
Paß auf!Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Deutsche Bundestag hat Anfang 1984 in einer Entschließung festgestellt: Wer Umweltbelastungen verursacht, hat auch die Kosten ihrer Vermeidung oder Beseitigung zu tragen. Was wir heute aber im Zusammenhang mit diesem Gesetzentwurf diskutieren, ist genau das Gegenteil dessen, was wir damals postuliert haben;
denn gemäß § 19 Abs. 4 der Ausschußfassung wird für eine durch Anordnung nach Abs. 2 erhöhte Anforderung, die die ordnungsgemäße land- und forstwirtschaftliche Nutzung eines Grundstücks beschränkt, ein nach landesrechtlicher Maßgabe festzulegender Ausgleich geleistet. Was dieser Passus bedeutet, ist nicht mehr und nicht weniger als ein Entschädigungschaos in der Bundesrepublik mit einer noch zu erwartenden Vielzahl von Prozessen.
Entgegen der Forderung des Bundesrates vom 14. Juni letzten Jahres, bundeseinheitliche Rechtsvorschriften zum Zwecke der gleichartigen Rechtsentwicklung sicherzustellen
— nein, das machen Sie nicht —
— gucken Sie doch einmal in das Gesetz, das Sie konzipiert haben —, entgegen der Forderung des Deutschen Bauernverbandes vom 8. April dieses Jahres, eine bundeseinheitliche Regelung zu finden, entgegen selbst der Auffassung der CDU-Landtagsfraktion in Nordrhein-Westfalen, die den Bundestag in einem Antrag aufgefordert hat, bundeseinheitliche Entschädigungen festzulegen, haben Sie sich für eine länderuneinheitliche Regelung entschieden.
Jedes Land kann nun nach seinem Verständnis entschädigen oder es auch bleiben lassen.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 226. Sitzung. Bonn, Freitag, den 27. Juni 1986 17535
PfuhlIn einem Landesgrenzen überschreitenden Wassereinzugsgebiet, z. B. in Hessen und Rheinland-Pfalz, kann es passieren, daß derselbe Landwirt auf dieser Seite eine andere Entschädigung erhält als auf der anderen Seite der Grenze.
Sie tragen mit dieser Regelung — darüber müssen Sie sich auch klar sein — auch wieder zur Unzufriedenheit in der Landwirtschaft dieser Republik bei.
Wir Sozialdemokraten fordern demgegenüber eine klare Regelung zur Erhaltung einer möglichst großen Anzahl bäuerlicher Existenzen, aber auch keine Durchlöcherung des Verursacherprinzips. Die Sozialpflichtigkeit des Eigentums muß gewährleistet bleiben, ebenso der Vorrang des Gewässerschutzes und auch die Einhaltung der Vorschriften, die wir im Umweltschutz erlassen haben.
Wir haben hier festzustellen, daß in der Zukunft auch mit einem gewissen Gießkannenprinzip gearbeitet werden soll. Hilfe muß nach unserer Auffassung derjenige erhalten, dessen Existenz gesichert werden muß. Auch hier wäre, meine Damen und Herren gerade aus der Agrarlobby, die Möglichkeit gegeben, endlich einmal anzufangen mit einer Umstrukturierung der Landwirtschaft in diesem Bereich. Wir haben in unserem Programm zur Korrektur der Landwirtschaft gesagt: Zur Förderung der Extensivierung oder Umwidmung bisher intensiv genutzter landwirtschaftlicher Flächen können Ausgleichszahlungen gewährt werden, um die Ziele der Existenzsicherung und des Natur- bzw. Gewässerschutzes gleichrangig zu verwirklichen. Aber diese Mittel muß der Bund dann gemeinsam mit den Ländern aufbringen. Sie dagegen handeln hier doch nach der Devise, von anderer Leute Leder große Riemen zu schneiden, damit zu protzen, aber den Ländern nicht zu sagen, wie sie die Mittel aufbringen sollen.Nun ist ja sehr interessant, daß der Haushaltsausschuß in seiner Vorlage gesagt hat, daß die Ausgleichsregelung für Wirtschaftsbeschränkungen entsprechend dem geänderten § 19 Abs. 4 des Entwurfs dem Bund keine Kosten verursacht; dagegen können den Länderhaushalten dadurch Kosten entstehen, deren Höhe sich zur Zeit nicht abschätzen läßt. Diese können aber gegebenenfalls durch eine Belastung der Wasserverbraucher — wie z. B. durch den Wasserpfennig im Lande Baden-Württemberg — ausgeglichen werden. So der Haushaltsausschuß.Sehr geehrter Herr Kollege Baum, Sie haben gesagt, Sie seien gegen den Wasserpfennig. Ich frage Sie: Wie will denn das Land Niedersachsen die Mittel aufbringen, um sicherzustellen, daß die Landwirte für diese riesigen Wassereinzugsgebiete, die die Stadt Hamburg nutzt, entschädigt werden?
Wollen Sie, daß die niedersächsischen Steuerzahler dies für die Hamburger Wasserverbraucher zahlen? — Nein; also werden Sie, ob Sie es wollen oder nicht, zum Wasserpfennig kommen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wie halten Sie es mit Ihrer früheren Meinung zu diesem Thema Wasserpfennig?
Wie gesagt, aus anderer Leute Leder ist gut Riemen schneiden. Wir warnen vor diesem Präzedenzfall, den Sie hier einführen. Ich glaube auch nicht, daß es das letztemal ist, daß wir uns damit beschäftigen; denn der Vermittlungsausschuß läßt doch heute schon schön grüßen. Die Länder haben andere Vorstellungen davon, vor allem auch im Hinblick auf die Aufbringung der Mittel, die hier gebraucht werden.
Anstatt Aufgabe des Verursacherprinzips — ich zitiere hier — und einer Töpfchenwirtschaft mit Subventionen und Abgaben sind ordnungspolitische Klarheit und umweltpolitische Vernunft gefragt, schreiben selbst Ihre Freunde vom Bundesverband der Industrie.
Meine Damen und Herren, dem haben wir nichts hinzuzufügen. Wir lehnen dieses Gesetz in dieser Form ab.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Göhner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst liegt mir daran, der Behauptung des Kollegen Kiehm zu widersprechen, wir seien bei der sehr intensiven und sehr sachlichen Beratung dieses Gesetzes im Innenausschuß tatsächlich auf keinerlei sachliche Anregungen der Opposition eingegangen. Das Gegenteil ist richtig. Wir haben z. B. ganz zum Schluß der Beratung Ihren Entschließungsantrag sehr sachlich beraten, Ihre Anregungen aufgenommen, weil wir darin eine Menge Vernünftiges gesehen haben, und deshalb sollten wir hier nicht den gegenteiligen Eindruck stehenlassen.Frau Kollegin Hönes und Herr Kollege Kiehm haben dieses Wasserhaushaltsgesetz als einen umweltpolitischen Rückschritt gegeißelt. Für mich gibt es ein gutes Indiz dafür, daß wir hier den Wasserschutz erheblich verbessern. Wenn ich mir nämlich angucke, wie etwa beim Sachverständigenhearing wie auch in der Beratung parallel zum Innenausschuß einige industrielle Verbände gegen die Verschärfung des Wasserrechtes, des Wasserschutzes Sturm gelaufen sind, dann ist das für mich ein interessantes Indiz. In der Tat, allein das, was wir
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17536 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 226. Sitzung. Bonn, Freitag, den 27. Juni 1986
Dr. Göhnerbei der Einbeziehung der Indirekteinleiter in verschärfte wasserrechtliche Vorschriften schaffen, belastet einige wichtige Industriebereiche. Wir mußten das tun, weil wir im Sinne des Wasserschutzes hier eine Verschärfung brauchen. Natürlich werden die Herkunftsbereiche mit gefährlichen Stoffen künftig dem Stand der Technik unterworfen, und das bedeutet eine ganz wesentliche — lesen Sie das doch im Sachverständigenanhörungsprotokoll nach! — von der Wasserwirtschaft ausdrücklich begrüßte Verbesserung des Wasserschutzes.Liebe Kolleginnen und Kollegen, natürlich gab es auch Kontroversen, z. B. um diesen „Stand der Technik". Aber Sie berufen sich auf das einmütige Votum der Sachverständigen immer dann, wenn es Ihnen paßt. Daß wir den „Stand der Technik" für gefährliche Stoffe an das Vorliegen von Verwaltungsvorschriften binden, genau das war es, was von uns in der Sachverständigenanhörung durch die Wasserwirtschaft, die ein massives Interesse daran hat, daß hier der „Stand der Technik" verwirklicht wird, gefordert worden ist. Herr Salzwedel hat das von uns eingefordert. Uns wurde überzeugend dargelegt, daß sonst der Vollzug vor Ort in ein heilloses Chaos geriete. Wie kommen wir denn dazu, als Gesetzgeber par ordre du mufti zu sagen: Ab morgen „Stand der Technik", ohne den Betroffenen zu sagen, was das konkret bedeutet? Deshalb haben wir in Übereinstimmung mit der Wasserwirtschaft, in Übereinstimmung mit dem breiten Tenor im Sachverständigenhearing gesagt: Wir wollen diese Novellierung des Wasserhaushaltsgesetzes auch als eine Verbesserung des Vollzugs. In der ersten Lesung dieses Gesetzes haben wir, Herr Kollege Kiehm, doch gemeinsam beklagt, daß es in vielen Bereichen des Wasserrechtes am Vollzug mangelt, und deshalb ist es, glaube ich, gut, daß wir gerade bei dem wichtigen Bereich der Eliminierung gefährlicher Stoffe die Bedingungen eines verbesserten Vollzuges hier berücksichtigt haben.Ein zweiter Streitpunkt waren natürlich die Fragen von Landwirtschaft und Umwelt. Die Frau Kollegin Hönes hat davon gesprochen, daß die Nitratbelastung unserer Gewässer zunehme. Ich darf zunächst darauf hinweisen: Tun wir bitte nicht so, als ob dies allein aus der Landwirtschaft komme!
Jedes Jahr gehen 3,5 Millionen Tonnen Stickoxide auf die Acker der Bundesrepublik Deutschland nieder.
Wenn wir Ihrer Politik folgen, dann erhöht sich dieser Anteil beträchtlich; denn wenn Sie den sofortigen Ausstieg aus Kernenergie und den Umstieg auch auf fossile Energieträger fordern — heute nachmittag werde ich im Herforder Kreistag Gelegenheit haben, zu einem Antrag Ihrer GRÜNEN dort zu sprechen, die in der Tat die Abschaltung eines Kernkraftwerkes und Wiederinbetriebnahme von Kohlekraftwerken fordern —, dann erhöht sichdiese hohe Belastung an Stickoxiden und damit auch die Nitratbelastung des Grundwassers.
Herr Abgeordneter Dr. Göhner, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Schulte ?
Bitte sehr.
Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß nach unserem Ausstiegszenario, das wir zur Abschaltung der Atomkraftwerke entwickelt haben, die Stickoxide gleichzeitig nicht ansteigen?
Herr Kollege Schulte, ich kann nur feststellen: So, wie Sie dann vor Ort agieren und z. B. heute — ich sage es Ihnen nochmal — im Herforder Kreistag statt Grohnde die Wiederinbetriebnahme von Kohlekraftwerken fordern, ist selbst bei Entstickungsanlagen bei modernster Technik eine drastisch zunehmende Belastung der Stickoxide und damit auch eine höhere Belastung der Gewässer die Folge, weil die Stickoxide letztlich im Grundwasser landen.
Lassen Sie mich nun etwas zur Entschädigungsklausel sagen. Zunächst, Herr Kollege Pfuhl: Ich habe dem Protokoll des Ernährungsausschusses mit Interesse entnommen, daß die SPD-Fraktion im Ernährungsausschuß über unsere Regelung sehr viel differenzierter und zu einem großen Teil sehr positiv gesprochen hat — zu Recht. Denn wir schaffen eine rechtsverbindliche und bundeseinheitliche Regelung. Nach dieser Klausel, die wir heute verabschieden, werden die betroffenen Landwirte in Wasserschutzgebieten einen rechtsverbindlichen, überall in der Bundesrepublik Deutschland einklagbaren Anspruch auf einen Nachteilsausgleich haben, Nachteilsausgleich für die erhöhten Anforderungen, die an sie in diesen bestimmten Sondergebieten gestellt werden.
Wenn wir sagen: nach Maßgabe des Landesrechts, dann bedeutet dies — und das ist im Bericht nachzulesen, dem wir dem Hohen Hause vorgelegt haben —, daß eine Umsetzung dieser rechtsverbindlichen Regelung — wie übrigens auch bei § 7 a und vielen anderen Vorschriften dieses Rahmengesetzes, des Wasserhaushaltsgesetzes — in die Landeswassergesetze erforderlich ist. Wir möchten dabei z. B. pauschalierenden Regelungen Raum geben, um auch hier einen einfachen Verwaltungsvollzug zu ermöglichen.Wir lassen in der Tat auch offen, wie die Aufbringung der Mittel organisiert ist. Wir hätten übrigens im Rahmen der Rahmengesetzgebung dazu gar keine Gesetzgebungskompetenz.
Aber im übrigen will ich Ihnen folgendes sagen: Wirhaben drei Wege, drei denkbare Wege, wie dieseMittel aufgebracht werden könnten: erstens durch
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 226. Sitzung. Bonn, Freitag, den 27. Juni 1986 17537
Dr. Göhnerdie jeweiligen Bundesländer aus Steuermitteln; zweitens nach nordrhein-westfälischem SPD-Modell, wonach das Land zwar Schuldner der Entschädigungsleistung ist, aber gleichzeitig einen Regreßanspruch gegen den Betreiber der Trinkwassergewinnungsanlagen in dem jeweiligen Wasserschutzgebiet hat.
— Nein, Herr Kollege Pfuhl, Schuldner wären letztlich die jeweiligen Betreiber der Trinkwassergewinnungsanlagen.
Und ich sage Ihnen: Das halte ich persönlich in der Tat für eine richtige Kombination, wie sie nach dem nordrhein-westfälischen Landeswassergesetz, von der SPD geschaffen, gegeben ist. Denn das bedeutet letztlich
— jawohl, Sie haben recht —, daß es auf den Wasserpreis geht.
Das ist richtig, das ist konsequente Anwendung des Verursacherprinzips.Da bitte ich Sie, doch einmal das zu beherzigen, was, Herr Kollege Pfuhl, auch von Ihrer Seite im Ernährungsausschuß zu Recht vorgebracht worden ist. Es geht um folgenden Nachteilsausgleich: Der Gesetz- und Verordnungsgeber anerkennt bundesweit auf Grund von wasserrechtlichen, abfallrechtlichen Vorschriften als ein umweltverträgliches Maß die Düngung durch die Landwirtschaft mit drei Dungvieheinheiten Gülle — beispielsweise. Wenn der Gesetz- und Verordnungsgeber aber sagt, über dieses von uns definierte, allgemein umweltverträgliche Maß wollen wir in bestimmten Sondergebieten zum Zwecke der Trinkwasserentnahme hinausgehen und erhöhte Anforderungen stellen, dann ist doch Verursacher eindeutig derjenige, der diese erhöhten Anforderungen zum Zwecke der Trinkwasserentnahme festsetzt.
Deshalb tragen wir dem Gedanken des Verursacherprinzips in diesem Bereich mit der neuen Ausgleichsregelung Rechnung. Es ist nur konsequent, daß sich dies — wie in anderen Bereichen auch — letztlich in der Tat auch auf den Preis auswirkt. Und da möchte ich Sie an das erinnern, was im Bereich der Luftreinhaltung passiert. Wir haben die Großfeuerungsanlagen-Verordnung gemacht, und niemand von Ihnen hat etwa kritisiert, daß der Strompreis selbstverständlich um 2 Pf überall dort gestiegen ist, wo diese von uns gewollten und notwendigen Maßnahmen im Sinne des Umweltschutzes durchgeführt worden sind.
So unvermeidbar es war, daß sich solche Maßnahmen im Sinne des Umweltschutzes auf den Strompreis ausgewirkt haben, so unvermeidbar wird es letztlich auch zu Auswirkungen auf den Wasserpreis kommen, allerdings in einem sehr viel geringeren Umfang.
Schließlich möchte ich Ihnen das dritte Modell nennen — und das unterscheidet sich im Ansatz ja überhaupt nicht von dem, was die SPD anderswo vertritt —: Das ist in der Tat die Möglichkeit eines Wasserpfennigs, von dem ich persönlich nicht sehr begeistert bin, weil ich die Regelung, die im nordrhein-westfälischen Landeswassergesetz geschaffen worden ist — ich habe sie hier dargestellt —, für die bessere halte. Ich höre, daß in vielen Bundesländern, die übrigens — machen Sie sich da keine Illusionen — diese Regelung sehr begrüßen, weil sie der Forderung des Bundesrates nach einer bundeseinheitlichen Regelung genau entspricht, über eine Konstruktion der Aufbringung der Mittel für diese Ausgleichsregelung in gleicher Weise gedacht wird.
Sie erlauben eine Zwischenfrage? — Bitte schön, Herr Abgeordneter Pfuhl.
Herr Kollege Dr. Göhner, ist es im Grunde nicht das gleiche, ob ich das auf diesem Wege zum Wasserpreis hinzurechne oder getrennt als Wasserpfennig oder Wassergroschen erhebe, und sind Sie im übrigen als Kommunalpolitiker in Herford auch bereit, das gegenüber den Verbrauchern in dieser Form zu vertreten?
Herr Kollege Pfuhl, das letztere habe ich mit großem Vergnügen bereits getan. Ich kann Ihnen nur sagen: Ich war auch im niedersächsischen Landtagswahlkampf in vielen Wasserschutzgebieten unterwegs, und immer waren Vertreter der Wasserwirtschaft anwesend. Wir haben in Bonn mit den Vertretern der Wasserwirtschaft gesprochen. Wir vertreten das mit großer Überzeugung. In Wahrheit ist das Verständnis viel größer, als vorgegeben wird.Ich will Ihnen auch sagen, warum, und damit Ihre erste Frage beantworten. Entscheidend ist doch: Wie können wir das von uns für notwendig gehaltene Maß an — auch räumlich — mehr Wasserschutz verwirklichen? Wenn man die Konflikte, die es heute in unerträglicher Weise nach altem Recht bei der Landwirtschaft gibt, dadurch löst, daß man die wirtschaftlich unerträglichen Folgen beseitigt, dann ist das durchaus auch im Sinne der Trinkwassergewinnungsbetreiber, die froh darüber sind, daß wir mit diesem Gesetz im übrigen eine erweiterte Möglichkeit des Grundwasserschutzes — durch erweiterte Möglichkeiten zum Ausweisen von Wasserschutzgebieten — schaffen.
Ich möchte Sie an einen Punkt besonders erinnern. Sie haben — Herr Kollege Kiehm, Sie persönlich — als SPD-Fraktion in der letzten Debatte im
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17538 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 226. Sitzung. Bonn, Freitag, den 27. Juni 1986
Dr. GöhnerDeutschen Bundestag angekündigt, Sie würden eine zwar andere als die von uns vorgeschlagene Ausgleichsregelung, aber eine neue Ausgleichsregelung im Wasserhaushaltsgesetz unter Abwägung von Existenzgefährdung betroffener landwirtschaftlicher Betriebe und Sozialpflichtigkeit des Eigentums vorlegen. Herr Kollege Matthiesen, Ihr nordrhein-westfälischer Landwirtschafts- und Umweltminister, ist monatelang durch die Lande gezogen und hat eine über Enteignungsentschädigung hinausgehende Ausgleichsregelung im Wasserhaushaltsgesetz gefordert. Das war die einstimmige Empfehlung des Bundesrates, aller SPD-geführten Landesregierungen: im Wasserhaushaltsgesetz eine erweiterte Entschädigungsregelung.Dann kommen Sie urplötzlich in der abschließenden Beratung im Innenausschuß und sagen: Wir haben es uns überlegt — das haben Sie in einem Beschlußantrag ausdrücklich vorgelegt —, wir wollen gerade keine Regelung im Wasserhaushaltsgesetz. Sie haben statt dessen auf vage Möglichkeiten allgemeiner Agrarpolitik hingewiesen.
Das hat bewiesen, daß Sie — Herr Matthiesen hat übrigens nie mehr zu dem Problem Stellung genommen, nachdem wir unseren Vorschlag vorgelegt haben, und zwar bis heute nicht — in Wahrheit eine Mogelpackung vorhatten.Wir haben für das konkrete Problem, das wir hier zu bewältigen haben, eine praktikable Regelung, die existenzbedrohten Betrieben in Wasserschutzgebieten eine Zukunft sichert und damit gleichzeitig auch den Wasserschutz im Sinne unserer grundsätzlichen Zielsetzung der Umweltpolitik, im Sinne einer Umweltvorsorge verbessert.
Das Wort hat der Abgeordnete Müller .
Meine Damen und Herren! In den 70er Jahren haben wir wesentliche Fortschritte in der Wasserschutzpolitik gemacht. Heute geht es nicht nur um die Frage der Weiterentwicklung dieser Gesetze, sondern es geht auch darum, daß wir heute gefordert sind, den Schwerpunkt des Gewässerschutzes zu verlagern. Bisher wurde im wesentlichen auf der Basis biologischer Abwasserverfahren, also verschiedener, unterschiedlicher Verfahren, vorrangig darauf abgezielt, die Gewässer von sauerstoffzehrenden, von biologisch abbaubaren und von organischen Substanzen freizuhalten.Heute kommt es im Kern darauf an, die spezifische Behandlung besonders gefährlicher Stoffe in das Wasserrecht aufzunehmen bzw. es weiterzuentwickeln, weil die bisherigen Regelungen unzureichend sind. Beispiele: Wir registrieren eine Zunahme von gefährlichen synthetischen Stoffen, die man nicht mit Globalmaßnahmen in den Griff bekommt. Zweites Beispiel: Schwermetalle schlagen sich nicht mehr alleine im Wasser nieder, sondern sie kommen über die Reinigungsverfahren in den Klärschlamm. Man könnte noch weitere Beispiele hinzufügen. So gelangen in der Papier- und Zelluloseindustrie die Schadstoffe nicht mehr nur ins Wasser, sondern sie werden über Verbrennungsanlagen in die Abluft gejagt. Von daher ist es heute notwendig, zu einer veränderten Weiterentwicklung des Wasserrechtes zu kommen, damit es den Zielsetzungen des vorbeugenden Schutzes vor besonders gefährlichen Stoffen entspricht.Die Bundesregierung hat seit 1983 immer wieder betont, daß die Wasserpolitik ein wesentlicher Schwerpunkt ihrer Umweltschutzpolitik ist. Sie stützt sich dabei zum einen natürlich auf die Vorgaben ihrer Vorgänger. Andererseits ist sie aber zum ersten Mal in einem Verfahren frei von Vorüberlegungen des früheren Innenministeriums.Wenn man das Ergebnis ansieht, dann kann man feststellen, daß — gemessen an den Ansprüchen und an den Ankündigungen — eigentlich nur Dürftiges herausgekommen ist. Das ist der Tatbestand, den wir bei der Novellierung des Wasserhaushaltsgesetzes feststellen müssen — und dieses noch vor dem Hintergrund, daß alle Fraktionen hier im Hause bereit waren, weitreichende Wasserschutzforderungen zu unterstützen, und auch vor dem Hintergrund, daß neben den Umweltgruppen auch die Wasserwirtschaft bereit war, eine Weiterentwicklung nachhaltig zu fördern. Wir können nichts anderes sagen, als daß die Bundesregierung weit hinter den erhobenen Forderungen zurückgeblieben ist und daß sie insbesondere die breite Kritik der Umweltverbände und der Wasserwirtschaft ignoriert hat.Dies gilt besonders für folgende Kritikpunkte: Erstens, daß der Stand der Technik auf Abwässer mit bestimmten gefährlichen Stoffen begrenzt bleibt, obwohl — und da unterstützen wir beispielsweise die Auffassung des Umweltbundesamtes — alle Abwasser — alle! darauf liegt die Betonung — Stoffe einzubeziehen, die wegen der Besorgnis der Giftigkeit, der Langlebigkeit, der Anreicherungsfähigkeit oder der krebserzeugenden, fruchtschädigenden bzw. erbgutverändernden Wirkung als gefährlich zu betrachten sind. Umweltschutz fordert nicht nur Reformen, sondern in einigen Bereichen auch einen Kurswechsel, nämlich einen Kurswechsel von der nachträglichen Reparatur zur vorsorgenden Schadensbekämpfung. Diese Forderung wird mit diesem Novellierungsentwurf nicht erfüllt.Zweitens. Wir sehen die Gefahr, daß durch die Vorschaltung der Verwaltungsvorschriften erst eine absolut perfekte Lösung angestrebt wird. Dies bedeutet, daß alles erstens sehr lange dauert und daß zweitens die Vorreiterfunktion, die wir hinsichtlich der Entwicklung des Stands der Technik brauchen, nicht erfüllt wird. Vorschaltung heißt, daß die notwendigen Maßnahmen — auch die, die wir in dem Gesetzentwurf begrüßen — erst einmal auf lange Bank geschoben werden.Der dritte Punkt, den wir kritisieren, ist die unzureichende Regelung in bezug auf die Indirekteinleiter. Sie haben es erwähnt. Da, wo er konkret werden müßte, bleibt der Entwurf unklar. Die Regelung bleibt den Ländern überlassen. Wenn Sie sagen, da
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Müller
habe der Bund keine ausreichende Rahmenkompetenz, ist dies nur zum Teil richtig. Man hätte zweifellos schärfere Rahmenbedingungen vorgeben können.Der vierte Punkt, den wir kritisieren, ist, daß die Anforderungen an Anlagen zum Umgang mit gefährlichen Stoffen unzureichend sind. Uns fehlt hier der klare Bezug zum Gefährdungspotential der Giftstoffe.Der nächste Kritikpunkt, den wir zu dem Gesetzentwurf vorzubringen haben, ist, daß die Frage der Fällung unzureichend behandelt wird. Wir hätten erwartet, daß auch klarer bestimmt wird, daß die chemische Stufe an den Zentren der Abwasserverschmutzung vorgesehen werden muß.
— Dieser liegt im Sofortprogramm vor. Ich meine, wir können auch Ihnen nicht ersparen, daß Sie dies zumindest einmal lesen.
Herr Abgeordneter Müller, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Göhner?
Ja, natürlich.
Bitte schön, Herr Abgeordneter.
Herr Kollege Müller, da Sie eine Regelung im Wasserhaushaltsgesetz vermißt haben, darf ich Sie fragen, wo denn Ihr Antrag dazu gewesen ist?
Kollege Göhner, unter den Forderungen zum Wasserhaushaltsgesetz in dem Sofortprogramm der SPD zum Schutz des Wassers steht dies als ein Punkt drin.
— Es enthebt Sie doch nicht der Pflicht, auch darüber nachzudenken.
Was soll das? Nehmen Sie mir es nicht übel. Ich werde jetzt keine Zwischenfrage mehr zulassen. Dieses Kinderspiel können Sie mit jemand anderem machen, aber wirklich nicht hier.
Dies, Herr Abgeordneter Müller, veranlaßt den Abgeordneten Göhner — —
Bitte fahren Sie in Ihrer Rede fort.
Warum bringen Sie es dann nicht ausdrücklich rein? Warum machen Sie es dann nicht konkret?
— Gut, das werden wir dann sehen. Ich sehe es jedenfalls nicht in Ihren Änderungsvorschlägen.
— Sehr witzig heute wieder!Der nächste Punkt ist das Wassersparen. Wir hätten es begrüßt, wenn der Punkt Wassersparen ausführlicher im Wasserhaushaltsgesetz behandelt worden wäre. Wir sehen, Herr Dr. Göhner, daß es auch auf der Basis der bestehenden Gesetze ein erhebliches Defizit gibt.
Wir meinen, daß viele Kommunen sehr viel mehr machen könnten, als sie tun.
Aus dieser Erkenntnis heraus — übrigens ist das keine Kontroverse zwischen den Parteien — hätte es sich die SPD gewünscht, daß in das Gesetz klarere Vorstellungen zum Thema Wassersparen, intelligente Nutzung, Kreislaufsysteme und ähnliches hineingekommen wären.
Der nächste Punkt, den ich noch ansprechen möchte, ist die Frage der landwirtschaftlichen Nutzung. Ich finde, Herr Dr. Göhner, Sie haben sehr wohl klargemacht — auch wenn Sie es hier verklausuliert beschreiben —, daß Ihr Vorschlag auf den Wasserpfennig abzielt. Diese Regelung läuft auf den Wasserpfennig hinaus.
— Die nordrhein-westfälische Regelung war die, die wir mit dem Antrag zur Trinkwasserversorgung und landwirtschaftlichen Nutzung hier eingebracht haben.
Dies entspricht nicht dem, was Sie jetzt in Ihrem Entwurf haben. Ich sage Ihnen: Wir machen das Spiel nicht mit, sich auf der einen Seite groß als Retter der Bauern hinzustellen, aber auf der anderen Seite dem Verbraucher massive Belastungen aufzubürden. Das ist keine saubere Lösung.
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17540 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 226. Sitzung. Bonn, Freitag, den 27. Juni 1986
Vizepräsident CronenbergWenn wir Ausgleichsleistungen wollen, so müssen die klar definiert werden.
Das heißt erstens, man muß auf die einzelbetriebliche Betroffenheit abstellen. Das war unser Vorschlag. Dem hätten Sie folgen können.
Zweitens müssen Sie den Ausgleich im Bereich der Agrarpolitik suchen.
Sie dürfen das nicht auf den Verbraucher abwälzen. Das ist unserer Auffassung nach eine unsaubere Lösung.
— Haben wir nicht. Lesen Sie es einmal nach.
Ein weiterer Punkt, der in Zukunft noch einmal aufgegriffen werden sollte, ist die Frage der generellen Verbesserung der Gewässer durch Rekultivierung im Bereich der Uferzonen, d. h. der Wiederherstellung natürlicher Flußläufe der Gewässer. Wir sind der Auffassung, daß sich der Gewässerschutz nicht nur an Trinkwasserbedingungen orientieren darf, sondern auch die ökologischen Bedingungen des Wassers einbeziehen muß. Dazu gehört beispielsweise auch die Verbesserung der ökologischen Situation unserer Gewässer durch Stopp der Praxis der Uferbegradigung bzw. der ständigen Verrohrung.
Das muß unserer Auffassung nach sehr viel stärker in der Wasserschutzpolitik verankert werden.Im Bereich der Wasserpolitik ist Vorsorge das Entscheidende. Sie ist unverzichtbar. Sie muß von der Besorgnis zukünftiger Gefährdungen ausgehen. Daraus ergeben sich Schlußfolgerungen, die wir gemeinsam weiter konkretisieren müssen: erstens, Bekämpfung der Schadstoffe an der Quelle, zweitens Verhinderung nicht nur der direkten Wassergefährdungen, sondern auch der indirekten Gefährdungen über Luft und Böden. Wasserschutzpolitik bedeutet nämlich Umweltpolitik insgesamt und darf nicht auf das Wasser reduziert werden. Die Verbindung zwischen der medialen und der stofflichen Betrachtung ist entscheidend. Wir wollen die Reinigungsfähigkeit der Gewässer stärken. Wir wollen, wo immer es geht, das Wassersparen fördern.Wir bestreiten nicht, daß dies nicht allein eine bundespolitische Aufgabe ist. Wir müssen auch den Ländern mehr Dampf machen. Nur scheint es hier ähnlich zu sein wir bei europäischen Regelungen. Wir können bei der Verantwortung für bestimmte unzureichende Lösungen nicht ständig darauf verweisen, daß andere nicht mitziehen. Wer heute Umweltpolitik ernst nimmt, muß auch in Einzelfragen vorangehen. Wer nicht vorangeht, bleibt auf der Stelle stehen und ist nicht in der Lage, sinnvolle und notwendige Lösungen zu erreichen.Wir brauchen also eine Philosophie des vorsorgenden Gewässerschutzes. Wasser ist unser wichtigstes Lebensmittel. Wasser hat eine zentrale Funktion im ökologischen System, im Verhältnis zwischen Mensch und Umwelt. Deshalb sollte es uns mehr Wert sein als dieses Reförmchen.
Meine Damen und Herren, das war der letzte Redner zu dieser Vorlage. Wir kommen also zur Einzelberatung und Abstimmung zu Punkt 17 a der Tagesordnung, zu dem von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Fünften Gesetzes zur Änderung des Wasserhaushaltsgesetzes — Drucksache 10/3973 — in der Ausschußfassung.Ich rufe zunächst Art. 1 auf. Hierzu liegt Ihnen auf Drucksache 10/5763 ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD vor. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? — Wer stimmt dagegen? — Stimmenthaltungen? — Damit ist der Änderungsantrag abgelehnt.Wir können nunmehr über Art. 1 in der Ausschußfassung abstimmen. Wer stimmt für diese Vorschrift? — Wer stimmt dagegen? — Stimmenthaltungen? — Damit ist Art. 1 angenommen.Ich rufe Art. 2 bis 5, Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Stimmenthaltungen? — Damit sind die Vorschriften angenommen, und die zweite Beratung ist abgeschlossen.Wir treten in diedritte Beratungein. Wer dem Gesetzentwurf als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Wer stimmt dagegen? — Stimmenthaltungen? — Damit ist die Vorlage angenommen.Wir stimmen nunmehr über den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/5764 ab. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? — Wer stimmt dagegen? — Stimmenthaltungen? — Damit ist der Entschließungsantrag abgelehnt.Wir stimmen nunmehr über die Vorlage unter Punkt 17 b ab über die Beschlußempfehlung des Innenausschusses auf Drucksache 10/5727. Der Ausschuß empfiehlt Ihnen unter Nr. 2.1, den Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/4415 abzulehnen. Wer dieser Beschlußempfehlung des Ausschusses zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Stimmenthaltungen? — Damit ist die Beschlußempfehlung des Ausschusses angenommen.Ich komme nunmehr zur Abstimmung zu Punkt 17 der Tagesordnung. Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 10/5727 unter Nr. 2.2, den An-
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 226. Sitzung. Bonn, Freitag, den 27. Juni 1986 17541
Vizepräsident Cronenbergtrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/1823 abzulehnen. Wer dieser Beschlußempfehlung des Ausschusses zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Stimmenthaltungen? — Damit ist die Beschlußempfehlung des Ausschusses angenommen.Wir kommen jetzt zu Punkt 17 der Tagesordnung. Der Innenausschuß empfiehlt in seiner Beschlußempfehlung auf Drucksache 10/5727, die Unterrichtung durch die Bundesregierung auf Drucksache 10/2833 zustimmend zur Kenntnis zu nehmen. Wer dieser Beschlußempfehlung des Ausschusses zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Stimmenthaltungen? — Damit ist die Beschlußempfehlung des Ausschusses angenommen.Der Ausschuß empfiehlt Ihnen des weiteren auf Drucksache 10/5727 unter Nr. 4 die Annahme einer Entschließung. Wer dieser Entschließung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Stimmenthaltungen? — Bei einigen Enthaltungen ist die Entschließung angenommen.Ich rufe Zusatzpunkt 10 der Tagesordnung auf:Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Anpassung von Dienst- und Versorgungsbezügen in Bund und Ländern 1986
— Drucksache 10/5450 —a) Beschlußempfehlung und Bericht des Innenausschusses
— Drucksache 10/5766 —Berichterstatter:Abgeordnete Bernrath BrollDr. Hirschb) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung— Drucksache 10/5769 —Berichterstatter:Abgeordnete Dr. Riedl KühbacherDr. Weng
Dr. Müller
Interfraktionell ist vereinbart worden, daß jeder Fraktion eine Redezeit von fünf Minuten zusteht. Ich nehme an, daß das Haus damit einverstanden ist. — Wir können so verfahren.Das Wort hat der Herr Abgeordnete Broll.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir passen mit diesem Gesetz die Versorgungs- und Beamtenbezüge mit 3,5% der Entwicklung im Tarifbereich an. Wenn wir bedenken, daß wir praktisch Preisstabilität haben und daß dieser Anpassungssatz einen echten Zuwachs an realer Kaufkraft — eben von 3,5 % — ausmacht, stellen wir fest, daß erstmals seit vielen Jahren eine bedeutende Verbesserung der materiellen Lage unserer öffentlichen Bediensteten erreicht wird. Einige Jahre früher am Ende der Ära Schmidt gab es zwar auch große prozentuale Gehaltssteigerungen, aber die Inflationsrate war in der Regel größer, so daß in Wirklichkeit für die Bediensteten keine Verbesserung herausgekommen ist.Gedanken wie etwa denen des Kollegen Vogelsang von der SPD, der kürzlich einmal den Wunsch geäußert hatte, man möge in Zukunft Gehaltserhöhungen nur noch bis zur Besoldungsgruppe des Regierungsrats, A 13, linear nachvollziehen, von da ab aber nur noch 50% dessen geben, was im Tarifbereich beschlossen worden ist, solchen irrenden Gedanken haben wir dieses Mal nicht zustimmen können und werden wir auch in Zukunft nicht folgen. Solche Entwicklungen wären für Qualität und Gerechtigkeitsempfinden im öffentlichen Dienst verheerend.
Wir haben in intensiven, länger dauernden Beratungen, die allerdings die Zahlung der Gehälter auf Vorschuß nicht verhindert haben, an dem Gesetzentwurf der Bundesregierung einige Verbesserungen vorgenommen:Erstens. Die Zulage, welche Soldaten bei besonders starker Dienstzeitbelastung erhalten und die die Regierung um 5 DM von 90 auf 95 DM erhöhen wollte, haben wir auf 100 DM zu erhöhen beschlossen, um einer seit vier, fünf Jahren feststehenden Summe durch eine gerechte Anpassung den gleichen Wert zu geben, den sie früher einmal hatte, als sie erfunden worden ist. Das bedeutet für die Wehrpflichtigen eine Erhöhung von 1,80 auf 2 DM pro Tag.Zweitens hatten sich die Innenpolitiker der Koalition in Vorgesprächen darauf geeinigt, die Zulage „Dienst zu ungünstigen Zeiten" die 75 Pfennig und für bestimmte andere Zeiten 1,25 DM pro Stunde beträgt, für Empfänger der Polizeizulage auf 1,50 DM generell zu erhöhen. Anlaß war sicher das, was in den letzten Monaten gerade Polizeibeamten zugemutet worden ist. Tieferer Grund, eigentliches Motiv ist aber natürlich, daß diese Zulage dem Tarifbereich, wo sie immer schon 1,50 DM betragen hat, hinterherhinkt, seit vielen Jahren auf gleicher Höhe verharrt und angesichts der komplizierten Berechnungsmethoden viel zu gering ist.Nun ist von der Regierung der Vorschlag gekommen, das nicht per Gesetz, sondern per Verordnung zu machen. Dem stimmen wir zu. Wir haben gern, wenn die Regierung arbeitet und wir als Parlament nicht mit allen Dingen im einzelnen beschäftigt werden. Wir haben aber festgestellt, daß die Regierung den Kreis der Empfänger dieser erhöhten Zulagen noch einmal verringern, d. h. auf besonders belastete Beamte begrenzen will. Der Gedanke ist irgendwie verständlich, andererseits schafft er Ungerechtigkeiten.
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17542 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 226. Sitzung. Bonn, Freitag, den 27. Juni 1986
BrollUnser Wunsch ist es, daß alle Empfänger der Polizeizulage diese Erhöhung bekommen. Wenn ein Kollege von der SPD wie Sie jetzt oder der Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei, Herr Schröder, nun anfängt, diese gute Sache von vornherein mit einem miesen Begriff madig zu machen, dann verantworten Sie das vor den Polizeibeamten. Ich fände es grotesk, wenn man, nur weil man die teilweise bessere Regelung um bestimmter anderer Verbandsmitglieder willen vergrößern will, die gute Tat am Anfang kritisiert. Wir sind es leid, wegen guter Ansätze ständig kritisiert zu werden, in diesem Falle aus parteipolitischen Gründen durch den Herrn Schröder. Er sollte sich einmal an das Verfahren erinnern, wie die A-9-Zulageregelung getroffen worden ist. Erst waren es Polizeibeamte, und wenige Jahre später hatten es alle Inspektoren aus dem mittleren Dienst. Wenn man nicht so klug ist, den richtigen Weg mitzugehen, und von vornherein nur parteilich-boshaft Kritik übt, braucht man nur ein Telegramm an den Bundeskanzler oder den Finanzminister zu schicken, dann fällt alles weg. Er möge es tun, wenn er es verantworten kann, ich halte diese Politik der GdP-Vorsitzenden für töricht.Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben eine Resolution in bezug auf § 55 Beamtenversorgungsgesetz gefaßt. Wir hoffen, noch im Herbst eine Regelung vorlegen zu können, einvernehmlich zwischen Bund und Ländern und zur besseren Zufriedenheit derer, die betroffen waren.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Bernrath.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Soweit es sich um lineare Anpassungen handelt, also Realisierungen des Tarifabschlusses für Beamte, gibt es keine Probleme, stimmen wir zu.
Wir bedauern, daß Sie entgegen unserem Vorschlag die Spitzendienstzeitvergütung für Soldaten und Wehrdienstleistende nicht spürbarer angehoben haben. Wir bedauern das insbesondere, weil Bayern, das bekanntlich von der CSU regiert wird, eine noch stärkere Anhebung als in unserem Antrag vorgesehen vorgeschlagen hat.
Das gehört, Herr Broll, allerdings mit in das Kapitel: Ankündigungen vor Wahlen und sehr viel Zurückhaltung nach Wahlen, was die Realisierung solcher Ankündigungen angeht. Hier — das hat sich dieser Tage bei Veranstaltungen der Bundeswehr gezeigt — geht es um Wochendienstbelastungen von bis zu 55, 60 Stunden, die — um eines Ihrer Worte zu verwenden — mit lächerlichen 5 DM, die es ursprünglich waren, und jetzt noch einmal lächerlichen 5 DM wohl kaum ausgeglichen werden können. Sie haben sich nicht dazu durchringen können, den Betrag so zu erhöhen, daß der Bundeswehrverband das als Kompromiß betrachten und für sich akzeptieren konnte.
Zu der Absicht, die Sie im Innenausschuß verkündet haben, für Polizeivollzugsbeamte eine Erschwerniszulage von nunmehr 1,50 DM zu zahlen, muß ich allerdings — ich habe die letzten Sätze, die Sie dazu gesagt haben, mitgehört — erklären, daß sich derjenige anklagt, der sich verteidigt. Sie bedauern die Reaktion von Herrn Schröder, die so zusammengefaßt werden kann, daß er das, was Sie jetzt tun wollen, mit dem Wort „Knüppelzulage" charakterisierte.
— Wenn man, Herr Broll, Ihre eigenen Worte im Innenausschuß richtig wertet, kann es in der Tat nur eine Knüppelzulage sein. Ich hatte Sie im Innenausschuß gebeten, uns einmal zu erläutern, welcher Kreis von Vollzugsbeamten denn unter eine solche Erhöhung fiele. Sie haben mir gesagt: Das sind Leute, die bei Einsätzen mit Steinen beworfen werden, die mit Knüppeln traktiert werden. Sie sind der Schöpfer dieses Wortes „Knüppelzulage", denn ausschließlich an diese Leute wollen Sie diese 0,75 DM verteilen, statt an die Ursachen zu gehen. Sie glauben, damit schon die Probleme gelöst zu haben.
Dies veranlaßt den Abgeordneten Broll zu einer Zwischenfrage.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Lieber Herr Kollege Bernrath, erinnern Sie sich vielleicht daran, daß ich im Ausschuß zunächst die Formulierung gebraucht habe, die uns vom Kabinett vorgegeben war, nämlich daß „besonders belastete Polizeibeamte" diese erhöhte Zulage bekommen sollten, und daß ich nur auf die zweifelnde Frage Ihrer Seite — ich weiß nicht, ob von Ihnen persönlich —, der ich entnehmen mußte, daß Sie die Belastungen der Polizeibeamten vielleicht überhaupt nicht kennen, nur einige praktische Beispiele gebracht habe, und unter anderem diejenigen, die Sie soeben genannt haben?
Sie bleiben also dabei, daß es eine Knüppelzulage ist;
denn die besondere Belastung haben Sie mit diesen Beispielen charakterisiert. Sie haben — das lag aus Gründen der Aktualität auch nahe — darauf hingewiesen, daß Sie diese Zulage denjenigen geben wollen, die gefährdet sind, nicht denjenigen, die belastet sind. Das ist schließlich nicht der Sinn dieser Zulage.Wir haben dann darüber gesprochen, ob man die Gefährdungen nicht politisch einfangen muß, um die Polizei zu entlasten, ob man die Polizei befähigen muß — um es positiv auszudrücken —, mit solchen aktuellen Situationen fertigzuwerden.Es bleibt also dabei: Es ist eine unzureichende Erhöhung. Sie ist von Nachteil, weil, wenn Ihre jetzige Definition „besonders belastet" stimmt, die Begrenzung auf wenige Polizeivollzugsbeamte sicherlich nicht berechtigt ist.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 226. Sitzung. Bonn, Freitag, den 27. Juni 1986 17543
BernrathVon daher müssen wir das kritisch sehen.Noch ein Wort zur Regelung nach § 55 betreffend die Beseitigung der Doppelversorgung für Beamte, die in einem Teil ihres Berufslebens Rentenversicherungsansprüche erworben haben, über einen längeren Zeitraum von 12 Jahren. Sie haben in Veranstaltungen vor den Wahlen massiv angekündigt, der besonderen Lage und der Belastungen wegen, die sich hieraus ergeben, sei dringend eine weitere Entlastung notwendig. Sie haben das als eine Verpflichtung für Sie dargestellt, weil Sie sich sozusagen frei von der Mitverantwortung für diese Regelung des § 55 fühlen. Diese Behauptung kann sicherlich nicht ernsthaft aufrechterhalten werden.Wir glauben, es muß möglich sein, eine weitere Entlastung dieses Personenkreises zu finanzieren. Denn die Auskunft des Innenministeriums zu den Fragen, was mit der Änderung des § 55 eingespart werden sollte und was damit tatsächlich eingespart worden ist, hat gezeigt, daß über das Ziel, 2 Milliarden DM einzusparen, hinaus sich insgesamt 2,5 Milliarden DM Einsparungen eingestellt haben und damit rund 250 Millionen DM für die Finanzierung einer Zwischenlösung zur Entlastung vor allem der älter gewordenen Pensionäre, die hier betroffen sind, zur Verfügung stehen. Daher bedauern wir noch mal, daß das nicht möglich war.Wir hoffen, daß wir nun im Herbst zu einer Regelung kommen. Unsere Anträge liegen vor.Im übrigen: Zustimmung zum Gesetzentwurf.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Hirsch.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst erlaube ich mir die Vorbemerkung, daß ich mich glücklich preise, vor der Sommerpause noch in diesem Saal reden zu können. Wenn man den Schreckensrufen, vor allem den schriftlichen des Kollegen Conradi, glauben wollte, müßte man ja den Eindruck haben, daß hier jeden Augenblick die Decke herunterfallen und daß man hier nur mit Stahlhelm sitzen kann. Die Erfahrung zeigt, daß das zu den üblichen Interessenargumentationen gehört, die Bauverwaltungen immer bereit haben, wenn sie und ihnen nahestehende Architekten den Leuten klarmachen wollen, daß sie nicht nur aus Lust, sondern aus Notwendigkeit etwas Bestehendes — —
Herr Abgeordneter Dr. Hirsch, unsere Geschäftsordnung sieht vor, daß Sie zur Sache, zur Vorlage zu sprechen haben, nicht zu einem fremden Thema.
Im übrigen erlaubt sich der Abgeordnete Conradi, eine Zwischenfrage an Sie zu richten. Ich nehme an, Sie gestatten das.
Herr Präsident! Da muß ich eine Frage klären. Ich nehme an, daß der Abgeordnete Conradi nicht zur Sache fragen will, sondern zu meiner nicht zur Sache gehörenden Vorbemerkung.
Da muß ich wissen, ob ich, wenn ich seine Frage zulasse, weiter nicht zur Tagesordnung und außerhalb meiner Redezeit antworten kann.
Dies, Herr Abgeordneter, kann ich erst beurteilen, wenn der Abgeordnete Conradi seine Frage gestellt hat. Kann er das tun?
Dann kann ich sie nicht zulassen, ...
Dann wollen Sie sie nicht zulassen. Okay.
... weil ich dann unter Umständen auf eine polemische Frage nicht mehr antworten kann.
Das ist Ihr gutes Recht. Ich bitte Sie nun fortzufahren.
Herr Conradi, Sie kennen meinen Standpunkt in dieser Frage genauso lang, wie wir wissen, daß Sie alles tun, um den Abriß dieses Plenarsaales zu erreichen. Gut.Herr Kollege Broll hat zu dem Gesetz gesprochen, das wir eigentlich im Nachklapp zu der schon ausgezahlten Anhebung der Gehälter um 31/2% gemacht haben. Das ist in Ordnung. Die eigentlichen politisch interessanten Fragen sind diejenigen, die sich nicht auf diese 31/2% beziehen.Dies ist zum einen die Zulage bei den Soldaten für Mehrarbeit über 53 Stunden hinaus. Natürlich, Herr Kollege Bernrath, wissen Sie, daß wir, wenn es im Rahmen der finanziellen Möglichkeiten des Haushalts gelegen hätte, gern bereit gewesen wären, diese Zulage weiter anzuheben. Ich finde aber, es ist anerkennenswert, daß wir die Möglichkeit gehabt haben, über die Regierungsvorlage hinauszugehen und immerhin eine Anhebung auf 100 DM zu erreichen.Das zweite ist die Zulage bei den Polizeibeamten für den Dienst zu ungünstigen Zeiten, also nachts, samstags und sonntags. Das ist eine Zulage, die wir von einem wirklich unzureichenden Niveau von teilweise 75 Pfennigen auf 1,50 DM anheben wollen, also auf einen Betrag, der mit dem bei den Tarifen vergleichbar ist.Diese Zulage wollen wir jenen Beamten geben, die die Polizeivollzugszulage erhalten. Das ist unsere Absicht. Wenn nun aus finanziellen oder anderen Überlegungen eine Eingrenzung auf besonders belastete Polizeibeamte notwendig ist, ist das eine Entscheidung, deren Einzelheiten wir in das normale Verfahren geben wollen. Es ist eine Verordnung, die die Bundesregierung mit Zustimmung des Bundesrates erlassen muß. Ich vertraue darauf, daß die Bundesregierung zusammen mit den Innenministern der Länder eine sachgerechte Abgrenzung finden wird. Denn es geht natürlich nicht, daß die Innenminister in den Landtagen immer wieder sagen: Wir würden die Zulage gern auf 1,50 DM anhe-
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17544 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 226. Sitzung. Bonn, Freitag, den 27. Juni 1986
Dr. Hirschben; leider hindert uns der Bund daran. Das ist zu Ende. Wir sind sicher, daß die Bundesregierung mit den Innenministern der Länder unverzüglich in Verbindung treten wird, um bei sachgerechter Abgrenzung eine Anhebung dieser Zulage auf 1,50 DM durchzusetzen. Diese Zulage ist ja, wie Sie wissen, seit Anfang der 70er Jahre unverändert.Der dritte Punkt ist das leidige Thema des § 55 Beamtenversorgungsgesetz. Ich bin nicht der Meinung, daß es eine Doppelversorgung ist. Es treffen zwei Versorgungen zusammen, aber beide sind erarbeitet, verdient. Sie werden gegeneinander verrechnet. Das Unangenehme war ja, daß wir diese Verrechnungsmöglichkeit durch eine Gesetzesänderung rückwirkend geschaffen haben, so daß es natürlich Beamte, Versorgungsempfänger gibt, die sich bei der Gestaltung ihrer Altersversorgung gar nicht mehr auf diese Änderung der Rechtslage einrichten konnten. Das ist ein Zustand, der viele Menschen in der Tat außerordentlich hart betroffen hat, und zwar in einem hohen Maße. Die Summen sind, wie Sie wissen, höher, als wir uns das damals überlegt haben. Ich denke schon, daß es richtig ist, die Bundesregierung zu bitten, alsbald nach der Sommerpause dazu Vorschläge zu machen, und sie aufzufordern, mit finanzierbaren Vorschlägen auf diesem Wege weiterzugehen, um diese zusätzliche Belastung gerade lebensälterer Personen abzubauen. Dazu sind Vorschläge gemacht worden. Die Berechnung der Finanzierungsmöglichkeit ist außerordentlich schwierig, aber ich glaube, wir sollten gemeinsam alles tun, um die damalige Haushaltsentscheidung jedenfalls abzubauen und das Problem damit endlich in befriedigender Weise zu lösen.Vielen Dank.
Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär Waffenschmidt.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Vorschlag, die Bezüge zum 1. Januar 1986 um 3,5% zu erhöhen, ist angemessen und vertretbar, und zwar auch im Lichte der inzwischen überschaubaren allgemeinen Einkommensentwicklung. Ich will hier für die Regierung auch noch einmal gerne feststellen: Wir haben die gute Tradition früherer Jahre fortgesetzt und das Tarifergebnis in den Gesetzentwurf übernommen.Ich darf zwei Punkte besonders herausstellen:Bereits die Anpassung im Vorjahr hat wegen der erfreulich niedrigen Preissteigerungsrate ein reales Plus für alle Besoldungs- und Versorgungsempfänger gebracht. Ich meine, dies ist entscheidend. Eine Erhöhung würde den Mitarbeitern wenig nützen, wenn die Inflationsrate vieles wieder wegnehmen würde. Insofern freuen wir uns, daß dieses reale Plus entstanden ist.Für das Jahr 1986 verstärkt sich die Wirkung. Zusätzlich wird — wie im Tarifbereich — für die Besoldungsempfänger in den unteren Gruppen bis einschließlich der Empfänger von Dienstbezügen nach A 8 ein um 150 DM erhöhtes Urlaubsgeld vorgeschlagen, womit auch die soziale Komponente angemessen berücksichtigt wird.Der Gesetzentwurf ist im federführenden Innenausschuß in der empfohlenen Fassung, was die Maßnahmen zur linearen Anpassung angeht, unterstützt worden. Es gibt keine Vorschläge zu strukturellen Besoldungsproblemen. Auch dies entspricht im Interesse der Verwirklichung der Anpassungsmaßnahmen gutem und bewährtem Brauch.Ich will noch auf die zusätzlichen Initiativen aus dem Innenausschuß eingehen. Ich sage hier für die Regierung deutlich: Wir stellen mit Genugtuung fest, daß bei den Ausschußberatungen trotz der angespannten Haushaltslage ein Weg gefunden werden konnte, den finanziellen Ausgleich für Soldaten mit Spitzendienstzeiten weiter zu erhöhen.Die Bundesregierung wird sich ferner bemühen, kurzfristig — ich betone: kurzfristig — durch Änderung der Erschwerniszulagenverordnung eine Erhöhung der Zulagen für Dienst zu ungünstigen Zeiten auf 1,50 DM je Stunde für besonders belastende polizeiliche Einsätze herbeizuführen. Ich finde, wir sollten das jetzt nicht zerreden, sondern miteinander sagen: Hier soll auch ein Zeichen gesetzt werden, das unsere Polizei so werten darf, daß wir zu unserer Polizei stehen, gerade dann, wenn sie schwierige und belastende Einsätze durchzuführen hat.Darüber hinaus begrüßt die Bundesregierung die vom Innenausschuß gefaßten Entschließungen, nach denen bestimmte Sparregelungen für Versorgungsempfänger überprüft und Vorschläge für eine angemessene Problemlösung erarbeitet werden sollen.Zu dem Problem § 55 des Beamtenversorgungsgesetzes: Wir werden das, was der Innenausschuß wünscht, so bald, wie es in dem vorgesehenen Zeitplan möglich ist, auch vorlegen.Das Bundesbesoldungs- und -versorgungsgesetz 1986, meine Damen und Herren, führt die wieder in Gang gekommene positive Besoldungsentwicklung fort. Gesetzgeber und Regierung haben damit erneut bewiesen, daß sie die im Besoldungsrecht verankerte Pflicht, unter Beachtung des Leistungsgrundsatzes die Beamten am wirtschaftlichen Fortschritt teilhaben zu lassen, nicht als Leerformel ansehen.In diesem Zusammenhang möchte ich aber auch den Mitarbeitern des öffentlichen Dienstes noch einmal dafür danken, daß auch sie ihren Beitrag zur Konsolidierung der öffentlichen Haushalte geleistet haben. Sie haben damit auch einen wichtigen Beitrag geleistet, damit die bessere wirtschaftliche Entwicklung in Gang kommen konnte, die uns heute ermöglicht, auch dieses Gesetz zu verabschieden und zu finanzieren.Das möglichst störungsfreie Funktionieren unseres Gemeinwesens wäre ohne einen intakten, leistungsbereiten öffentlichen Dienst kaum vorstellbar. Zur Bewältigung der vielfältigen und für den Bürger oft lebensnotwendigen Aufgaben sind der
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 226. Sitzung. Bonn, Freitag, den 27. Juni 1986 17545
Parl. Staatssekretär Dr. WaffenschmidtStaat und die Beamtenschaft besonders eng miteinander verbunden. Bei dieser umfassenden, in der Regel lebenslangen Inanspruchnahme durch den Staat ist es andererseits nur recht und billig, daß der Dienstherr dem Beamten in der Sorge um die wirtschaftliche Existenz beisteht und ihn hier entlastet. Hierzu trägt das Anpassungsgesetz 1986 bei.Ich will auch sagen: Nur wenn die Beamten die Gewißheit haben können, daß die so oft zitierte Treuepflicht keine Einbahnstraße ist, können sie sich auch mit voller Kraft ihrem Beruf widmen.Ich will hier abschließend feststellen, daß im öffentlichen Dienst nicht mehr, aber auch nicht weniger verdient werden soll, als es der allgemeinen Einkommenslage und wirtschaftlichen Entwicklung entspricht. Dies schließt von vornherein die Übernahme der Rolle eines Lohnführers durch den öffentlichen Dienst aus. Unter diesem Blickwinkel paßt der dem Hohen Hause zur Beschlußfassung vorliegende Gesetzentwurf genau in die gegenwärtige konjunkturelle und haushaltspolitische Landschaft.Ich möchte mich ausdrücklich bei den beteiligten Ausschüssen für die zügige und sehr konstruktive Beratung bedanken. Ich denke, wir tun damit, daß wir den Entwurf heute verabschieden, einen wesentlichen weiteren Schritt, um für unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im öffentlichen Dienst etwas Sichtbares, Fühlbares an Verbesserungen zu erreichen.Herzlichen Dank.
Bevor wir zur Abstimmung über die Vorlage kommen, erteile ich dem Abgeordneten Conradi nach § 30 unserer Geschäftsordnung das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Abgeordnete Hirsch hat hier wahrheitswidrig behauptet, ich täte alles, damit der Plenarsaal abgerissen werde. Leider hat er mir nicht die Möglichkeit gegeben, diese Anschuldigung in einer Zwischenfrage zu klären. Das ist wohl das neuliberale Parlamentsverständnis.
Im Unterschied zu Ihnen, Herr Hirsch, habe ich gelesen, was uns der Bundesbauminister über die konstruktiven und feuerpolizeilichen Mängel dieses Plenarsaals mitgeteilt hat. Der Bundesbauminister hat eine konkrete Gefahr — und Sie als Jurist wissen ja, was das heißt — in diesem Gebäude festgestellt.
Ich bin wie der Ältestenrat und die Baukommission der Auffassung, daß der Bundestag für sich, Herr Kollege Hirsch, keine Sonderrechte beanspruchen, sondern sich an die Gesetze und Vorschriften halten sollte — auch an die Bauordnung und die feuerpolizeilichen Vorschriften —, die für jeden Bürger dieses Landes gelten.
Deswegen bin ich der Auffassung: Wir sollten die Mängel dieses Saales hier beseitigen und ihm zu einer neuen, vernünftigen, unseren Bedürfnissen angemessenen Gestalt verhelfen.
— Schauen Sie, Herr Hirsch, das unterscheidet uns. Nach meinem liberalen Parlamentsverständnis gebe ich Ihnen hier die Möglichkeit zu ausreichenden Zwischenrufen, die alle ins Protokoll kommen. Das ist ein wesentlicher Unterschied.
Ich will Ihnen eines zum Schluß sagen: Wenn Sie in dieser Sache hier weiter wahrheitswidrig reden, wird die statische Kontruktion des Saales nach einem guten alten deutschen Sprichwort weiter gefährdet; denn es gibt Auswirkungen der Unwahrheiten auf die jeweiligen Träger, die sich unter Umständen in ihrer Durchbiegung verändern. Das würde die konkrete Gefahr dann möglicherweise zu einer akuten Gefahr machen, die keiner von uns wünschen kann.
Im übrigen darf ich die beiden Kontrahenten darauf aufmerksam machen, daß über dieses Thema im September noch eine ausführliche Debatte im Plenum stattfinden wird.
— Herr Abgeordneter Roth, der neue Plenarsaal ist dann das Wasserwerk.
Wir kommen nun zur Einzelberatung und Abstimmung. Ich rufe auf die §§ 1 bis 8, Einleitung und Überschrift mit den vom Ausschuß empfohlenen Änderungen. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Die Vorschriften sind bei einigen Enthaltungen angenommen.Wir treten in diedritte Beratungein, kommen also zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf insgesamt zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Bei wenigen Enthaltungen angenommen.Ich rufe nunmehr den Tagesordnungspunkt 18 a bis d auf:a) Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ände-
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Vizepräsident Cronenbergrung wirtschafts- und verbraucherrechtlicher Vorschriften— Drucksache 10/4741 —Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses
— Drucksache 10/5771 —Berichterstatter:Abgeordnete Eylmann Sauter Dr. Schroeder (Freiburg) Dr. Schwenk (Stade)
b) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Dr. Schwenk , Bachmaier, Dr. Emmerlich, Fischer (Osthofen), Klein (Dieburg), Dr. Kübler, Lambinus, Schmidt (München), Schröder (Hannover), Stiegler, Dr. de With und der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb— Drucksache 10/80 —Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses
— Drucksache 10/5771 —Berichterstatter:Abgeordnete Eylmann Sauter Dr. Schroeder (Freiburg) Dr. Schwenk (Stade)
c) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Rechtsausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Roth, Rapp (Göppingen), Ranker, Oostergetelo, Stiegler, Dr. Schwenk (Stade), Bachmaier, Curdt, Fischer (Homburg), Huonker, Meininghaus, Müller (Schweinfurt), Pfuhl, Reschke, Stahl (Kempen), Vosen, Frau Weyel, Wolfram (Recklinghausen), Dr. Vogel und der Fraktion der SPDWettbewerb und Verbraucherschutz im Einzelhandel— Drucksache 10/5002, 10/5771 —Berichterstatter:Abgeordnete Eylmann Sauter Dr. Schroeder (Freiburg) Dr. Schwenk (Stade)d) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Rechtsausschusses zu dem Antrag der Fraktion der SPD Ladenschluß im Einzelhandel— Drucksachen 10/5003, 10/5771 — Berichterstatter:Abgeordnete Eylmann Sauter Dr. Schroeder (Freiburg) Dr. Schwenk (Stade)Auf den Drucksachen 10/5773 bis 10/5775 liegen Änderungsanträge der Fraktion der SPD, sowie auf Drucksache 10/5789 liegt ein Änderungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN vor. Die Fraktion der CDU/ CSU hat zur Schlußabstimmung über ihren Gesetzentwurf namentliche Abstimmung verlangt. Ich mache also darauf aufmerksam, daß am Ende der Diskussion eine namentliche Abstimmung stattfindet.Ich werde gerade darüber verständigt, daß entgegen der bisherigen Annahme die vereinbarte Gesamtredezeit auf 75 Minuten verkürzt worden ist, und frage gleichzeitig, ob das Haus mit dieser Regelung einverstanden ist. — Das ist der Fall. Dann können wir mit der Aussprache beginnen. Ich erteile dem Abgeordneten Sauter das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit der heutigen Verabschiedung der UWG-Novelle hält die Koalition wieder einmal Wort. Die SPD war in ihrer Regierungszeit trotz großsprecherischer Ankündigungen zu schwach — wie gewohnt —, eine längst überfällige Gesetzesnovellierung zu verabschieden. CDU/CSU und FDP haben dies, wie versprochen, in dieser Legislaturperiode nunmehr geschafft.Ich möchte eingangs gleich darauf hinweisen, daß diese UWG-Novelle nicht den Anspruch erhebt und erheben will, die gegenwärtigen Probleme der Konzentration und des Verdrängungswettbewerbs im Einzelhandel zu lösen. Das UWG kann hier, wie allgemein bekannt, sowieso nur flankierende Hilfe leisten. Zentraler Ansatzpunkt für die Problematik im Handel muß das Kartellgesetz sein, dessen Überprüfung meines Erachtens sofort nach der Verabschiedung der UWG-Novelle in Angriff genommen werden muß.Im wesentlichen möchte ich auf die Fragen eingehen, die bei der Anhörung intensiv angesprochen worden sind und im Rechtsausschuß natürlich nochmals ausführlich diskutiert wurden.Erstens. Durch das Verbot der öffentlichen Werbung mit mengenmäßiger Beschränkung im neuen § 6 d werden nicht etwa preisgünstige Sonderangebote erschwert, wie ein Teil der Verbände fälschlicherweise angenommen hat. Es geht vielmehr darum, einen speziellen Fall des Lockvogelangebots zu erfassen. Mengenbegrenzungen werden praktisch ausschließlich bei besonders günstigen Sonderangeboten, namentlich bei Verlustpreisangeboten, praktiziert. Die Rationierung hat regelmäßig nur den Zweck, den Werbe- und Anlockeffekt eines Unterpreisangebots zu verlängern. Die neue Vorschrift kommt vor allem dem mittelständischen Einzelhandel zugute, der normalerweise nicht mit derartigen Unterpreisangeboten wirbt, weil er mit den Preisen der großen Handelsunternehmen ohnehin nicht mithalten kann. Der Vorteil für den Kleinbetrieb
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Sauter
liegt zudem in der verminderten Lockvogelkonkurrenz und außerdem darin, daß die Sonderangebote der Großen von ihm für seinen eigenen Einkauf genutzt werden können.Schwerpunkt der UWG-Novelle ist zweifelsohne die Reform des Sonderveranstaltungsrechts. Vorrangiges Ziel ist dabei, die eklatanten Mißbräuche im Ausverkaufs- und Räumungsverkaufswesen einzudämmen. Dies geschieht auf zweierlei Weise: Zum einen werden die besonders mißbrauchsanfälligen Räumungsverkaufsgründe gestrichen und damit die Räumungsverkäufe auf die wirklich zwingenden Fälle der höheren Gewalt und der Geschäftsaufgabe reduziert, zum anderen werden insbesondere durch erweiterte Sperrvorschriften zusätzliche Vorkehrungen gegen Mißbräuche getroffen. Unabhängig davon — das möchte ich betonen — bleibt es natürlich bei den Sommer- und Winterschlußverkäufen für bestimmte Branchen — im übrigen für mehr Branchen als bisher — zu den immer schon geltenden Zeiten.Auf Grund der in der Anhörung vorgetragenen Bedenken werden künftig in eingeschränktem Rahmen Räumungsverkäufe wegen Umbaus noch zugelassen. Ein gewisses Bedürfnis hierfür muß wohl anerkannt werden, wenn auch gerade im Zusammenhang mit Umbauten bisher die meisten Mißbräuche aufgetreten sind. Ich halte es für einen sachgerechten Kompromiß, Räumungsverkäufe in Zukunft nur noch bei solchen Umbauten zuzulassen, die nach den baurechtlichen Vorschriften anzeige- oder genehmigungspflichtig sind und somit ein gewisses Gewicht und auch Transparenz aufweisen
und zur Ehrlichkeit beitragen, Herr Kollege.Nicht durchgreifend waren die Argumente, die für eine Zulassung von Räumungsverkäufen wegen Aufgabe von Filialen vorgetragen worden sind. Auch dieser Räumungsverkaufsgrund hat in der Praxis bisher zu zahlreichen Schwierigkeiten geführt, die vor allem die Frage der Strohmannproblematik und der Räumungszwangslage betrafen. Man wird den Unternehmen, insbesondere den ganz großen, die sich in den letzten Wochen noch massiv an uns gewandt haben, im Regelfall zumuten können, bereits beim Einkauf angemessen zu disponieren und die verbleibenden Waren in andere Niederlassungen umzulagern. Wegen einzelner Härtefälle, die ich nicht in Abrede stellen möchte, sollte hier nicht wieder eine gefährliche Schleuse geöffnet werden.Als wesentlichen Fortschritt sehe ich die Einführung des zivilrechtlichen Sanktionssystems auch im Räumungsverkaufsrecht an. Das UWG ist privates Kaufmannsrecht, nicht öffentliches Recht, und der zivilrechtliche Abwehranspruch hat sich im gesamten übrigen UWG seit nunmehr fast 80 Jahren bewährt. Er wird auch im Räumungsverkaufsrecht künftig wesentlich effizienter sein als das bisherige aufwendige und umständliche Verwaltungsverfahren, bei dem sich gerade die Kammern und die Verwaltungsbehörden jährlich mit Tausenden völlig problemloser Räumungsverkaufsanzeigen befassen mußten und sinnlosen Bürokratismus betrieben haben.Natürlich kann es im Einzelfall Beweisprobleme und Kostenrisiko geben; das ist aber im gesamten Privatrecht so, und die Risiken treffen die Gegenpartei nicht weniger. Entscheidend ist, daß die Wirtschaft hier wieder zum Prinzip der Selbsthilfe zurückkehrt, das von ihr — im übrigen zu Recht — bei anderen Gelegenheiten immer wieder betont wird und selbst in viel problematischeren Bereichen favorisiert wird. Wenn ich allein daran denke, zu welchen Selbsthilferegelungen die Wirtschaft sich angeboten hat, als es um sämtliche Probleme des UWG gegangen ist, dann kann ich mir nicht vorstellen, daß dann, wenn wir in dem jetzt angesprochenen Bereich zum zivilrechtlichen Sanktionssystem zurückkehren, die auftretenden Schwierigkeiten nicht sachgerecht bewältigt werden könnten.
Es war aus diesem Grunde im übrigen auch das Genehmigungsverfahren, das aus der Sicht der Wirtschaft vorgeschaltet werden sollte, so nicht zu akzeptieren, weil es zusätzliche Erschwernisse zu dem bisher schon bestehenden Verwaltungsverfahren gebracht hätte, und man fragt sich manchmal, wie hier gedacht wird, wenn solche Vorschläge auf den Tisch gelegt werden.Das Gesetz, meine sehr verehrten Damen und Herren, schafft auch eine längst überfällige Handhabe gegen das sogenannte Abmahnunwesen. Sie wissen, daß ursprünglich beabsichtigt war, die erste Abmahnung völlig kostenfrei vorzusehen. .Dies wäre sicherlich wirksam, aber vielleicht auch etwas zu radikal gewesen. Jetzt haben wir eine Lösung gefunden, die ausschließlich auf Mißbräuche abstellt — und dies in umfassender Weise. Die seriösen Abmahnvereine, meine sehr verehrten Damen und Herren, bleiben geschützt, die unseriösen werden nach diesem Gesetz in Zukunft nicht weiter tätig sein können.
Das Gesetz enthält auch eine wesentliche Verbesserung des Verbraucherschutzes. Ich darf darauf hinweisen, daß in Zukunft ein Rücktrittsrecht gegeben sein wird, wenn der Abnehmer durch eine unwahre und zur Irreführung geeignete Werbeangabe zu einem Vertragsabschluß bestimmt worden ist.Die Beweislastumkehr, die aus meiner Sicht ebenfalls in das Gesetz hätte mit aufgenommen werden sollen, war leider nicht durchsetzbar. Es war am Schluß möglich, darauf zu verzichten, weil die Rechtsprechung hier zwischenzeitlich Grundsätze erarbeitet hat, die den Anliegen, die hier zu Recht vorgetragen worden sind, Rechung tragen werden.Insgesamt ist die UWG-Novelle in sich stimmig und ausgewogen. Daher wird die CDU/CSU-Fraktion diesem Gesetz zustimmen.Herzlichen Dank.
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17548 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 226. Sitzung. Bonn, Freitag, den 27. Juni 1986
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Schwenk.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Leider kann ich in die Lobpreisungen meines Vorgängers nicht einstimmen.
Wenn selbst der bayerische Ministerpräsident kürzlich erklärt hat — Sie brauchen nur die „Süddeutsche Zeitung" von vorgestern zu lesen
— ja, den lese ich nun nicht;
das wäre ein bißchen viel verlangt
— ja, ja —, daß die UWG-Novelle der Koalition nur eine flankierende Vorabmaßnahme darstelle, daß die wirklichen Wettbewerbsprobleme nur durch Änderung des Kartellgesetzes erreicht werden könnten, dann zeigt das schon, wie dürftig das Ergebnis in Wahrheit ist. Dabei will ich daran erinnern, daß die SPD-Fraktion am 19. Juni 1986 einen Antrag auf Änderung des Kartellrechts gestellt hat.
— Na, dann machen Sie noch mehr; ich habe Sie ja an die Worte Ihres Ministerpräsidenten erinnert.
Es war, Herr Sauter, soeben schon auffallend, daß Sie zu den Mengenbeschränkungen nur kurz etwas gesagt haben, aber auf die neuen Bedingungen für Sonder- und Räumungsverkäufe sehr ausführlich eingegangen sind, denen wir in der Sache zugestimmt haben, obwohl wir ganz erhebliche Bedenken haben, Abwehr von Verstößen nur mit einer Unterlassungsklage auszustatten. Denn wir meinen, daß gerade dem kleinen Gewerbetreibenden die amtlichen Möglichkeiten, etwa die Gewerbeaufsicht, zur Verfügung stehen müssen. Wenn er auf die Unterlassungsklage angewiesen ist, dann ist das für ihn eine Verschlechterung. Wenn wir hinzunehmen, daß Sie nicht bereit waren, für Unterlassungsklagen eine Streitwertobergrenze vorzusehen, nämlich die von 50 000 DM, dann ist das für den Kleinen, der möglicherweise eine Unterlassungsklage gegen einen Großen anstreben muß, ein erhebliches Prozeßrisiko. Damit haben Sie dieser Vorschrift schon wieder einen ziemlich scharfen Zahn gezogen.Sosehr wir also feststellen, daß die Verbesserungen der materiellen Bedingungen für Räumungsverkäufe, Jubiläumsverkäufe usw. gegeben sind, und dem zustimmen — ein Ergebnis der von uns beantragten Anhörung; das will ich eimal ausdrücklich feststellen —, so sehr bedauern wir, daß Sie den anderen Schritt der angeblichen Entbürokratisierung und damit auch der Schlechterstellung der Kleinen gegangen sind.Das Ergebnis der UWG-Novelle rechtfertigt die propagandistische Begleitmusik, die Sie ihr verpaßt haben, nicht. Ganz deutlich muß dazu auch noch angemerkt werden, daß Sie das Verbot der Rabattspreizungen und die Verbesserung der Konditionen nicht in Angriff genommen haben. Es sind die Einzelhandelsverbände gewesen, die noch einmal darauf hingewiesen haben, daß dies ein ganz wichtiges Anliegen für sie ist: die Sonderkonditionen für die Großen, die den Kleinen nicht zugute kommen, endlich zu bekämpfen. Wenn Sie das unterlassen — was Sie ja tun —, haben Sie nicht viel gegeben.Ich muß Sie wieder daran erinnern: Das wenige, was jetzt mit der UWG-Novelle den mittelständischen Betrieben gegeben wird, nehmen Sie ihnen, indem Sie im Ladenschlußgesetzteil das Tor zur weiteren Aufweichung des Ladenschlußgesetzes weit aufreißen.
Das wissen die Betroffenen auch. Wir sagen es ihnen noch einmal ganz deutlich, damit sie sich nicht blenden lassen und sich vor Augen halten, was das Gesamtgesetz in Wahrheit bringt, nämlich für die Kleinen keine Verbesserungen, sondern neue Gefahren.
— Den Schadensersatz bringen Sie auch nicht.Hinsichtlich des Rücktritts sind wir mit Ihnen einer Meinung; das haben Sie ja aus unseren Vorschlägen übernommen. Ihre UWG-Novelle baut zu einem erheblichen Teil auf unseren Vorarbeiten auf. Wo Sie unsere Vorschläge übernommen haben, stimmen wir selbstverständlich zu. Aber Sie sind beim Rücktrittsrecht wegen irreführender Werbung stehengeblieben. Den Schadensersatzanspruch wollen Sie nicht mehr zugestehen. Auch das ist ein ganz erheblicher Mangel.Wir haben drei Anträge gestellt, über die ja nachher in der Einzelabstimmung befunden werden wird. Leider haben Sie sich im Ausschuß unseren Alternativen nicht angeschlossen. Sie haben sie niedergestimmt. Selbst als wir im Zusammenhang mit § 247 — betrifft Kündigungsmöglichkeiten im Darlehenswesen — den Vorschlag gemacht haben, die Darlehenskündigung für die Berufstätigen sicherer zu machen, also die Einschränkungen auf die wirklich selbständigen Unternehmer zu beschränken, sind Sie uns nicht einen Schritt entgegengekommen. Wenn Sie Ihr Abstimmungsverhalten in bezug auf unseren Änderungsantrag so beibehalten, können wir allerdings die Gesamtänderungen zur Ablösung des § 247 nicht mittragen.
— Wenn Sie so ein bedauerndes Gesicht machen,bitte, dann müssen Sie auch bereit sein, unserenVorstellungen, die verbraucherfreundlich sind, ei-
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Dr. Schwenk
nen Schritt entgegenzukommen. Wenn Sie aber sagen: nicht einen Schritt, dann können Sie von uns auch nicht erwarten, daß wir Ihren Vorschlägen zustimmen.Ein wenig Verbraucherschutz sollte auch das UWG beinhalten. Da, Herr Sauter, sind wir anderer Meinung als Sie. Das UWG ist nicht nur Recht für die Kaufleute, es ist auch ein Teil Verbraucherschutzrecht. Aber das, was wir den Verbrauchern an zusätzlichen Schutzrechten geben wollen, wollen Sie dann wieder nicht. Ich finde es bedauerlich, daß Sie das UWG erneut zu einem ausschließlichen Kaufmannsrecht erklären und auch so behandeln. Da hätten Sie durchaus ein Stück mehr neuzeitlicher Vorstellungen übernehmen können.
Ich sage schon jetzt: Meine Kollegen Uwe Jens und Renate Schmidt werden zum Wettbewerbsrecht und zum Ladenschlußgesetz noch weitere Ausführungen machen.Zur Frage, ob jetzt eine Änderung im Zusammenhang mit den Bahnhöfen und den internationalen Flughäfen und Seehäfen angebracht ist, kann ich Ihnen nur noch einmal sagen: Das, was Sie mit Fährhäfen gemacht haben, ist schon lachhaft. Was ist denn nun eigentlich ein Seehafen, ein internationaler Seehafen? Liegt Hamburg an der See, oder liegt Hamburg an der Elbe, ist aber trotzdem ein Seehafen? Da sind Sie reichlich unklar und überlassen letztlich alles den dortigen Verordnungsgebern.Ein Wort noch zu den Preisgegenüberstellungen. Sie wollen Preisgegenüberstellungen abschaffen, soweit sie blickfangmäßig herausgestellt werden. Nun frage ich mich schon: Welcher unglückliche Richter soll denn feststellen, was blickfangmäßig war oder nicht? Wenn Herr Kollege Schroeder dann in den Bericht ausdrücklich noch hineinschreibt — zu Abs. 2 Nr. 2 —, der Ausschuß gehe davon aus, daß Preise in verkehrsüblicher Weise gegenübergestellt werden könnten, frage ich mich, was denn nun eigentlich Sache ist.
Dann ist eigentlich alles so, wie es war; nur wollen Sie denen, die es lesen sollen, weismachen: Blickfangmäßig, also ganz knallig, darf er Preisunterschiede nicht herausstellen. Wenn er es ein bißchen versteckter macht, dann darf er wieder.Ich hatte das Vergnügen, aus bestimmtem Anlaß am Montag eine Winterskijacke zu kaufen.
Da brauchte ich nur hinzusehen und sah die Preisgegenüberstellung. War das nun blickfangmäßig? War das nicht blickfangmäßig? Den armen Richter, der das dann nachher entscheiden soll, bedauere ich. Da hätten Sie mal lieber mit offenen Karten spielen sollen, als der Öffentlichkeit und uns etwas vorzumachen, was schnell entlarvt ist.
Zum Abschluß noch einmal: Wo Sie richtige Gedanken von uns übernommen haben, stimmen wir zu. Dem, was Sie verbessert haben, stimmen wir zu. Aber da, wo Sie die entscheidenden Schritte nicht gehen wollen, wo Sie nicht verbraucherfreundlich sind, insbesondere beim Ladenschlußgesetz, aber auch bei den Verschlechterungen für die Bediensteten, nämlich in der Reichsversicherungsordnung, bekommen Sie unser entschiedenes Nein.
Das Wort hat der Abgeordnete Kleinert.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Die Problematik im ersten Teil des hier vorliegenden Artikelgesetzes, nämlich beim UWG, besteht doch wohl darin, daß zunächst alles, was den Verbraucher und die Verbraucherfreundlichkeit solcher Regelungen betrifft, nach unserer Auffassung durch den Markt geregelt werden muß und daß dann das große Problem auftritt, ob dieser Markt mit dem seit sehr langer Zeit bestehenden UWG fairer und funktionsfähiger gestaltet worden ist oder ob er in Wirklichkeit verzerrt worden ist. Diejenigen, die das eine oder das andere behaupten, sitzen im gleichen Verband: in der Gesamtgemeinschaft des Einzelhandels.Wir haben viel guten Rat. Wir sind ausdrücklich dankbar für die Einblicke, die uns von zahlreichen Fachleuten in die Praxis der Abwicklung im Einzelhandel gewährt worden sind. Andererseits komme ich nicht umhin festzustellen, daß Gegenläufigkeiten unter den verschiedenen hier Betroffenen völlig unübersehbar waren und daß gerade das auch zu Erscheinungen führt, wie sie Herr Schwenk eben beklagt hat, daß man hier nämlich zu einem einheitlichen Duktus, von dem man hinterher zufrieden sagen würde: Das ist alles in sich vollkommen logisch und führt in die gleiche Richtung eines fairen Wettbewerbs, nicht kommt, weil sich nämlich der eine gerade da im Wettbewerb behindert fühlt, wo der andere sich gefördert fühlt,
was mit unterschiedlichen Betriebsstrukturen, mit unterschiedlichen Standorten und all dergleichen Dinge zusammenhängt.Deshalb sind wir auch der Meinung, daß das Beste in diesem Bereich Zurückhaltung ist. Herr Schwenk hat sich doch z. B. vorbildlich verhalten, indem er sich bei diesem herrlichen Sommerwetter eine Skijacke gekauft hat.
Denn sicherlich hat er sie zu einem viel günstigeren Preis bekommen, als das im Herbst möglich gewesen wäre.
Deshalb zeigt er, worauf es eigentlich ankommt:Daß sich der Verbraucher umsichtig und klug ver-
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Kleinert
hält, wird wichtiger sein als alles, was wir auf mehr oder weniger komplizierte Weise in dieses Gesetz hineinzuschreiben versuchen, weil der eine es fordert, während der andere es genauso ablehnt.
Wir haben uns also bemüht, eine Reihe von Vorschriften, die ja wohl nach der Idee, daß man von Gesetzgebungsseite und von Behördenseite hier für fairen Wettbewerb sorgen müßte, entstanden sind, zu lichten und zu modernisieren. Der Verhau des geltenden Rechts bei den Sonderveranstaltungen ist ja ein ungeheurer gewesen. Machen Sie sich doch einmal in einer etwas ruhigeren Stunde die Freude und lesen Sie den jetzt noch geltenden Text zum Recht der Sonderveranstaltungen, und studieren Sie, welche unglaublich klugen Vorgänger des jetzigen Gesetzgebers dort Listen aufgestellt haben über Dinge, die im Herbst in den Ausverkauf dürfen, aber nicht im Frühjahr und umgekehrt, wie z. B. die berühmten Lederblumen, die offenbar nur im Winter vom Publikum begehrt werden und dann im Frühjahr ausverkauft werden müssen, obwohl: warum nicht Lederblumen auch im Sommer?
Fest steht, daß der Versuch, die Dinge möglichst richtig zu machen, dazu geführt hat, daß der Perfektionismus alles immer falscher hat werden lassen. Deshalb sind wir froh, daß wir wenigstens ein bißchen mehr Luft und mehr Klarheit in diese Regeln gebracht haben, obwohl ich jetzt schon wieder dem verehrten Vorredner, Herrn Sauter, entgegen muß: Bei den Filialen könnte man auch streiten, ob es sinnvoll ist, einen nun einmal vorhandenen Bestand, wenn man denn so ein Geschäft aufgeben muß; über weite Entfernungen zu transportieren, ganz zu schweigen von der Frage, ob man nicht da, wo man weiter verkauft, schon den vorhandenen Bestand braucht, um das Geschäft lagermäßig laufend versorgt zu halten, und deshalb für zusätzlichen Bestand überhaupt keine Verkaufsmöglichkeiten hat, so daß der Filialausverkauf doch sinnvoll sein könnte.Derartige Fragen lassen sich hier fast an jeder Stelle anknüpfen. Ich will damit nur sagen: Was der eine für richtig hält, um nicht von der bösen Konkurrenz hinter die Fichte geführt zu werden, das hält der andere für ganz falsch, weil es ihn in seiner unternehmerischen Dispositionsfreiheit beschränkt. Daß beide recht haben, kann uns bei dem Versuch, die Materie zu regeln, nicht fröhlicher stimmen. Darum stimmt uns höchstens fröhlich, daß wir in den Regelungen einigermaßen zurückhaltend geblieben sind.Richtig ist auf jeden Fall, daß der Einzelhandel ein ganz schwerer Beruf ist, daß dort länger und härter gearbeitet wird als in vielen anderen Branchen,
die in höherem Maße in den Genuß der Rationalisierung kommen, und daß unter dem Wettbewerbsdruck von den Arbeitnehmern dort obendrein durchschnittlich weniger verdient wird als in anderen Bereichen, von dem Gewinn der kleinen selbständigen Familienunternehmer einmal ganz zu schweigen, denen häufig die Selbständigkeit viel mehr bedeutet als die Möglichkeit der Gewinnerzielung, die sie in anderen Bereichen vielleicht bequemer hätten.Darum wissen wir, daß hier viele Leute der Schuh drückt. Er wird leider auch weiter drücken. Wir konnten nur versuchen, ein wenig Linderung zu schaffen.Die interessante Frage, ob wir es hier mit einem Recht der Kaufleute für ihren Wettbewerb untereinander oder mit einem Verbraucherschutzrecht zu tun haben, muß meiner Ansicht nach in erster Linie wohl dahin beantwortet werden, daß die Regelung des fairen Wettbewerbs, also der Funktionsfähigkeit des Marktes in diesem Bereich — ich sage vorsichtiger: der weitgehenden Funktionsfähigkeit des Marktes in diesem Bereich — dem Verbraucher zugute kommen soll und es sich auf diese indirekte Weise um einen Verbraucherschutz handelt, der hier geschaffen wird. Unmittelbare Ansprüche für den Verbraucher werden hier besser nicht abgeleitet, um nicht in große systematische Schwierigkeiten im Verhältnis zu den hergebrachten Regeln des BGB zu geraten. Das ist auch der Grund, warum wir den Schadenersatzvorstellungen der SPD seit vielen Jahren widerstanden haben und jetzt nur sehr zögernd auf das Rücktrittsrecht eingehen: weil darin auch dieser von mir eben angedeutete Systembruch liegt. Wir nehmen ihn unter anderem deshalb in Kauf, weil vernünftige Kaufleute ohne weiteres, wenn jemand umtauschen will, das auf der Stelle erledigen. Das ist auch verständlich, wenn man sich vorstellt, welchen „Werbeeffekt" die lautstarke Diskussion in einem geöffneten Ladengeschäft über derartige Fragen hat. Da regelt sich vieles auf ganz einfache Weise, ohne daß es größerer gesetzgeberischer Maßnahmen bedarf.
Also konnten wir das mitmachen, wenngleich mit gewissen dogmatischen Bedenken.Wir finden es hervorragend, daß endlich die völlig überständige Regelung des § 247 auf eine sehr ausgewogene Weise — für die dem Bundesminister der Justiz besonders zu danken ist, weil er sich auch persönlich da sehr eingesetzt
und zu einem guten Ergebnis beigetragen hat — geregelt ist. Wir haben damit einen deutlichen Anachronismus beseitigt, haben eine sehr überständige Vorschrift abgeschafft.Beim Ladenschluß haben wir die interessante Situation, daß die einen sagen, dies sei das Äußerste, was man auf diesem Sektor allenfalls machen könne, während die anderen sagen, dies sei ein Einstieg in das, was man demnächst mindestens noch machen müsse. Alle finden phantastische Argumente
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Kleinert
und sprechen dabei auch noch vom Verbraucherschutz.
Ich weiß nicht, ob ihnen das im Duktus etwas durcheinandergeraten ist; Verbraucherschutz sind die Ladenschlußregeln wahrlich nicht, Herr Schwenk, und ob die Ladenschlußregeln für den kleinen Selbständigen wirklich eine Hilfe sind, wage ich auch zu bezweifeln. Ich würde jedermann, der sich überhaupt mit diesem Thema weiter bef assen will, raten, auf den sozialen Schutzzweck der Vorschrift mehr Bedacht zu nehmen, nämlich darauf, daß die Arbeitnehmer vor noch längeren und unübersichtlicheren Arbeitszeiten geschützt werden sollen. Daraus ziehe ich dann allerdings die Konsequenz, unterhalb gewisser Betriebsgrößen, dort also, wo sich alles noch im engsten persönlichen Bereich sinnvoll regeln läßt, auf die Ladenschlußzeiten zu verzichten
und das jeden so machen zu lassen, wie er es gerne will. Dann hätten Sie nämlich die Situation wie in einer Reihe unserer Nachbarstaaten, daß die kleinen Läden offen und die großen geschlossen sind; es ist dann mehr Leben in der Stadt, und es ist mehr für den Verbraucher geschehen. Allein die Idee, daß ein anderer etwas verkaufen kann, während ich meinen Laden freiwillig schon geschlossen habe, und daß mich das umtreibt oder auf dem Stuhl, auf dem ich sitze, rotieren läßt, ist für mich kein ausreichender Grund. Diese Art von peinlich kleinlichem Konkurrenzdenken kann nicht dazu führen, daß wir nicht weiter über diesen Punkt nachdenken, und zwar mit neuen und flexiblen Vorstellungen.Herzlichen Dank.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Auhagen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will mich in meinem Beitrag auf die Ladenschlußregelung in dem vorliegenden Gesetzesantrag konzentrieren.Was den Anlaß für die Novellierung des Ladenschlußgesetzes, nämlich den Fall der Klett-Passage in Stuttgart, angeht, sind wir für eine gesetzliche Regelung, die es in einem eng begrenzten Maße möglich macht, den Abendverkauf in Bahnhofspassagen zu erlauben. Wer Tunnelmonster wie die Klett-Passage kennt, weiß, daß die Akzeptanz des öffentlichen Nahverkehrs und auch die Bahnbenutzung leiden würde, wenn solche Passagen zu reinen Verbindungsgängen würden. Einem vermehrten Polizeieinsatz ziehen wir daher eine Belebung des Passantenverkehrs durch Einkaufsgelegenheiten auch am Abend vor.
Außerdem gehen in diesem Falle von der Klett-Passage keine nennenswerten Wettbewerbsverzerrungen für umliegende Läden aus. Vor allem die Abendverkaufsregelung wird von den betroffenen Beschäftigten anscheinend akzeptiert. Keine Partei in Stuttgart setzt sich entschlossen gegen den Abendverkauf ein, auch Ihre Partei nicht, liebe Kollegen von der SPD.Die FDP allerdings betreibt — das ist mein Verdacht, auch wenn ich Ihren Ausführungen, Herr Kleinert, zum Teil durchaus folgen kann — unseres Erachtens mit dieser konkreten Sonderregelung den Einstieg in eine generelle Flexibilisierung
und Liberalisierung der Ladenschlußzeiten.
Ich bezweifle, daß die Argumente des Herrn Kleinert für die gesamte FDP gültig sind.
Mir scheint eher, daß die FDP als großwirtschaftliche Lobbypartei,
der es nicht um die Sonderregelung für die KlettPassage geht, diese als ein Hors d'œuvre für das betrachtet, was in der nächsten Legislaturperiode zu erwarten sein wird.
Offen wird erklärt, daß durch die Vorbildfunktion der Passagen die Erweiterung der Ladenöffnungszeiten für den Einzelhandel insgesamt betrieben werden soll. Deshalb wird die Regelung schon für Städte ab 200 000 Einwohner ausgelegt, obwohl dort keine mit den Stuttgarter Verhältnissen vergleichbare Sachlage vorliegt.
Wir stellen daher den Änderungsantrag, die Sonderregelung auf Städte ab 400 000 Einwohner zu begrenzen. Wenn dieser Antrag nicht angenommen wird — und davon gehe ich aus —, muß meine Fraktion den Ladenschlußteil dieses Gesetzesentwurfs ablehnen.Meine Damen und Herren, uns allen ist klar, ich denke, auch dem Einzelhandelsverband und den Gewerkschaften, daß es hier nicht um die Sonderregelung an sich geht, sondern um eine symbolische Auseinandersetzung, hinter der die generelle Frage der Ladenschlußzeiten steht. Es wäre besser, wenn hier offen diskutiert würde statt verdeckt. Eine generelle Erweiterung der Ladenschlußzeiten für alle Typen des Einzelhandels von dem kleinen Tante-Emma-Laden bis hin zum Selbstbedienungszentrum auf der grünen Wiese, lehnen wir GRÜNEN entschieden ab. Letztere, die Selbstbedienungswarenhäuser, sind die einzigen außer den Konsumenten, die eine Freigabe der Ladenschlußzeiten wollen, nämlich um angesichts der großen Kapital- und ge-
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Auhagenringen Personalintensität ihre Verkaufsanlagen möglichst lange zu nutzen.Mit der generellen Freigabe würde ein neuer Konzentrationsschub sehr bedenklichen Ausmaßes stattfinden. Im Lebensmittelhandel ist es jetzt schon eine katastrophale Situation. 0,2 % der Unternehmen haben einen Anteil von 70 % am Gesamtumsatz.
Eine generelle Freigabe würde diesen Konzentrationsprozeß noch verschärfen.Die Arbeitssituation der Lohnabhängigen im Einzelhandel würde sich wesentlich verschlechtern. Schon heute ist bei Vollzeitarbeitsplätzen im Einzelhandel die Arbeitszeit lang und ungünstig und das bei äußerst schlechter Bezahlung. Angesichts der Wegrationalisierung von Vollzeitarbeitsplätzen ist die Freiwilligkeit, zu späteren Zeiten zu arbeiten, absolut nicht gewährleistet. Deshalb muß der Staat reglementierend eingreifen, weil eine generelle Freigabe einseitig zu Lasten der Lohnabhängigen und der kleinen Einzelhändler gehen würde.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Mann?
Wird die angerechnet? Vizepräsident Cronenberg: Die Frage sicher nicht.
Lieber Kollege Hendrik, würdest du mir bitte die Frage des Kollegen der CDU, der nicht gewagt hat, dich laut danach zu fragen, beantworten, wo du einkaufst, ob in diesen großen Selbstbedienungsläden oder im Tante-Emma-Laden?
Herr Abgeordneter, unsere Geschäftsordnung sieht keine Dreiecksfragen vor. Darauf möchte ich Sie aufmerksam machen.
Wenn die Möglichkeit besteht, in der Umgebung einzukaufen, bin ich durchaus bereit, in kleinen Läden einzukaufen.
Nur gibt es diese nicht mehr. In meiner Stadt gibt es in meiner Umgebung keine kleinen Läden mehr.
Der Staat muß reglementierend eingreifen, weil eine generelle Freigabe einseitig zu Lasten der Lohnabhängigen und der kleinen Einzelhändler gehen würde.
Diese Legitimation für staatliches Handeln wird allerdings fraglich, wenn es sich um den späteren Verkauf durch die Inhaber selbst handelt. Mit welchem Recht wird einem kleinen Lebensmittelhändler, der keine Leute beschäftigt, untersagt, bis 20 oder 21 Uhr zu verkaufen? Weder sind Lohnabhängige betroffen noch gibt es Wettbewerbsverzerrungen angesichts der Tatsache, daß 3 000 kleine Lebensmittelläden jährlich verschwinden.
Das Argument, der Staat müsse die Menschen vor sich selbst schützen, zeugt von obrigkeitsstaatlicher Mentalität.
Wir würden es uns wohl verbitten, wenn uns die Hausinspektion um 18.30 Uhr von unseren Schreibtischen vertreiben würde.
In dieser Richtung eines Inhaberprivilegs hat auch der Kollege Lutz von der SPD Ende letzten Jahres in einer Presserklärung gedacht. Hierüber könnte in der nächsten Legislaturperiode diskutiert werden. Verwunderlich ist nur, daß die SPD jetzt einen absoluten Tabuantrag vorlegt: keinerlei Änderung der Ladenschlußzeiten.
Das ist ein Antrag, der von den meisten Kollegen Ihrer Fraktion, würde ich behaupten, so eigentlich nicht gewollt wird.
Die Lebensverhältnisse in der Bundesrepublik haben sich in den letzten 30 Jahren verändert, die Lebensstile haben sich verändert. Deswegen müßte man über andere Formen durchaus nachdenken. Weil aber der von den Fraktionen der CDU/CSU und der FDP vorgelegte Antrag über die Notwendigkeit einer eng gefaßten Ausnahmeregelung für die Klett-Passage hinausgeht und einen verdeckten Einstieg in eine generelle Flexibilisierung freigibt, müssen wir ihn ablehnen, ebenso den SPD-Antrag, was ich begründet habe. Was die Anträge der SPD zum Schutz der kleinen Einzelhändler angeht, so können wir denen zustimmen.
Danke schön.
Das Wort hat der Bundesminister der Justiz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bei dem vorliegenden Entwurf ist das Justizministerium zuständig für die Novellierung des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb und für die Neuregelung des Kündigungsrechts bei langfristigen Darlehensverträgen.Aus dem Bereich des UWG möchte ich lediglich drei wichtige Punkte herausgreifen.Erstens. Bei der Gegenüberstellung von Preisen und der mengenmäßigen Beschränkung der Abgabe von Waren haben sich in der Vergangenheit Geschäftspraktiken gezeigt, die vor allem zu Lasten des mittelständischen Einzelhandels und der Verbraucher zur Irreführung des Publikums geführt haben. Solchen Praktiken soll der nun vorliegende Entwurf einen Riegel vorschieben.Zweitens. Im Bereich der Sonderveranstaltungen beschneiden wir einen Regelungswildwuchs, der selbst von Fachleuten kaum noch durchdrungen werden kann und marktwirtschaftlichen Grundsät-
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Bundesminister Engelhardzen Hohn spricht. Dies ist ein wichtiges Beispiel dafür, was ernsthafter Wille zur Entbürokratisierung wenigstens im Ansatz zu leisten vermag.Drittens sorgen wir im Bereich der irreführenden Werbung durch ein Rücktrittsrecht für den Verbraucher dafür, daß niemand auf Produkten sitzenbleiben muß, die ihm durch bewußt falsche Werbeangaben aufgeschwatzt worden sind.Ich meine, daß die Koalitionsfraktionen mit dieser UWG-Novelle einen wichtigen Beitrag dazu leisten, daß die Lauterkeit des Wettbewerbs auch in Zukunft gesichert ist. Dabei verkenne ich nicht — auch aus eigenem Miterleben —, daß die Verhandlungen sehr schwierig waren und daß es schwierig ist, gerade im Bereich des Einzelhandels in ausgewogener Weise allen Interessen gerecht zu werden.Meine Damen und Herren, die dringend notwendige Neuordnung des Schuldnerkündigungsrechts wurde gleich zu Beginn der Legislaturperiode in Gang gesetzt und sehr sorgfältig vorbereitet. Wenn wir uns in vergangene Zeiten zurückversetzen, so wissen wir, daß die Diskussion über die Bestimmungen des § 247 des Bürgerlichen Gesetzbuchs die Emotionen hochschlagen ließ, zahlreiche Veröffentlichungen ausgelöst hat und daß auf der Seite der Kreditnehmer wie aber auch eines Teils der Kreditgeber eine andere Betrachtungsweise üblich war.Nun haben wir bei der Anhörung von mehr als 30 Verbänden im Rechtsausschuß des Deutschen Bundestags erlebt, daß der jahrelange Widerstand der gewerblichen Kreditnehmer mehr oder weniger kampflos aufgegeben wurde, weil mittlerweile die Einsicht und Übereinstimmung Platz gegriffen hatte, daß das geltende Recht durch die Entwicklung auf dem Kapital- und Kreditmarkt volkswirtschaftlich nicht mehr hinnehmbar war. Schon der Grenzzinssatz von 6 %, der deutlich unterhalb des heute als Normalzins empfundenen Niveaus liegt, zeigt ja, daß die Vorschrift völlig, aber auch wirklich völlig antiquiert ist.Das geltende Recht führte in der Niedrigzinsphase Anfang der 70er Jahre zu einer Kündigungswelle, die die Kreditgeber damals überraschte. Die Kündigungen wurden auf § 247 BGB gestützt, der bis dahin j a weitgehend ein Dornröschendasein geführt hatte. Ich möchte jetzt gar nicht den Schiedsrichter spielen und Erwägungen anstellen, ob diese Kündigungswelle damals richtig und wirtschaftlich vernünftig war. Darauf kommt es nicht an. Entscheidend ist allein, daß die damaligen Ereignisse für die Kreditgeber der Anlaß waren, ihre Geschäftspolitik auf diese nunmehr erlebte Rechtslage sehr nachdrücklich einzustellen und für die Zukunft Abwehrmaßnahmen zu ergreifen.Jetzt mag man diese Abwehr je nach Standpunkt als Aushöhlung des § 247 BGB bedauern oder auch nicht. Wesentlich ist aber die Tatsache, daß es sich hierbei um legitime Abwehrmittel gehandelt hat, die von der Rechtsprechung weithin sanktioniert wurden. Vom Kündigungsrecht des § 247 BGB ist somit kaum noch etwas übriggeblieben.Jetzt schafft die Neuregelung einen angemessenen, vernünftigen Interessenausgleich zwischen den Kreditgebern und den Kreditnehmern. Der festverzinsliche Kredit wurde auf eine solide rechtliche Grundlage gestellt. Dies wird den Kreditnehmern in Gestalt eines verstärkten Wettbewerbs und verbesserten Angebots im Bereich des langfristigen festverzinslichen Kredits zugute kommen.
Ich möchte mit dem Wunsch schließen, daß es in der knappen Zeit gelingt, im Bundesrat gleichfalls in zügigen Beratungen das heute hier zu Beschließende zu verabschieden, damit der vorliegende Gesetzentwurf möglichst bald in allen seinen drei Teilen in Kraft treten kann.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Schmidt .
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Herren und Damen! Schamhaft versteckt in diesem Artikelgesetz, soll heute versucht werden, das Ladenschlußgesetz zu ändern, eines der bewährtesten Arbeitsschutzgesetze — da gebe ich dem Herrn Kleinert ausdrücklich recht —, einen vor 30 Jahren gefundenen Kompromiß, der heute noch von allen Beteiligten getragen wird.
Jetzt werden mit falschen Argumenten und der Drohung, einige hundert Arbeitsplätze angeblich vernichten zu wollen, die Arbeitsbedingungen von 2,2 Millionen Arbeitnehmern und vor allem Arbeitnehmerinnen und von hunderttausend kleinen Selbständigen, also die Lebensbedingungen von vier bis sechs Millionen Menschen, radikal verschlechtert.
— Wissen Sie: Die haben auch Frau und Kinder. Die müssen Sie einbeziehen. Die können Sie nicht einfach unberücksichtigt lassen.Über eines sind sich die Experten einig — und da gebe ich auch dem Redner der GRÜNEN recht —: Wird dieses Gesetz erst einmal gültig, dann wird die weitere sogenannte Liberalisierung stattfinden. Weitere Verschlechterungen sind nicht aufzuhalten.
Die Konsequenzen sind klar: Noch mehr teilzeitbeschäftigte und geringfügig beschäftigte Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen im Einzelhandel; noch mehr Flexibilität — mit noch mehr Rationalisierungseffekten —, und zwar eine Flexibilität im Interesse auschließlich der Betriebe und nicht etwa der Familien; noch weniger gemeinsame Freizeit von Mann, Frau und Kindern, sofern einer von ihnen im Handel beschäftigt ist; nicht etwa — inso-
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Frau Schmidt
weit hat das durchaus etwas mit Verbrauchern zu tun — mehr Verbraucherfreundlichkeit, sondern weniger, weil die damit verbundenen höheren Betriebskosten natürlich höhere Preise und geringfügig Beschäftigte weniger sachkundige Bedienung bedeuten, da dies garantiert kein qualifiziert ausgebildetes Personal mehr ist.
— Weil ich im Handel so lang beschäftigt war und das so gut — wesentlich besser als die gesamten Männer — kenne.
— Ich kann keine Zwischenfrage zulassen, weil ich zuwenig Zeit habe.Weitere Konsequenzen: Die Wettbewerbsfähigkeit wird zugunsten der Verbrauchermärkte und zu Lasten der Mittel- und Kleinbetriebe eingegrenzt. Also: weiteres Ladensterben — fragen Sie mal die kleinen Selbständigen in Ihrer Fraktion, was die davon halten —
mit den Folgen für alte und behinderte Menschen und für Frauen mit Kleinkindern, die heute schon in ihrem Wohnumfeld außerhalb der Stadtzentren Schwierigkeiten haben, ihren Bedarf zu decken.Die Veränderung des Ladenschlußgesetzes betrifft nicht die Beschäftigten des Einzelhandels alleine. Plötzlich gehört dann weder Papi noch Mami am Samstag den Kindern, und auch der Sonntag ist nicht mehr ganz so heilig.Der Herr Strauß und der Herr Albrecht haben angekündigt, dieses nunmehr geänderte Gesetz nicht anwenden zu wollen. Herr Albrecht hat es vor den Wahlen gesagt; Herr Strauß hat dies öffentlich angekündigt. Ich frage mich: Warum stimmt man hier einem Gesetz zu, wenn man es dann trotzdem nicht anwenden will? Ich fordere die Kollegen aus diesen Bundesländern auf, diesem Gesetz in diesem Punkt heute die Zustimmung zu versagen.
— Wieso ist das nicht fair? Warum stimmt man einem Gesetz zu, das man schließlich nicht anwenden will, da man es für falsch hält?Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich bin selber lange genug Betriebsrätin in einem Handelsbetrieb gewesen.
— Ja, Quelle heißt er. — Ich kenne aus eigener Erfahrung die Probleme berufstätiger Frauen und Mütter, weil ich trotz drei Kindern immer gearbeitet habe. Das ist mir jetzt ernst: Deshalb weiß ich ganz genau, daß man die Schwierigkeiten der einen Gruppe von Frauen nicht zu Lasten der anderen beheben kann.
Deshalb weiß ich auch, daß berufstätige Frauen mit Kindern nicht das Bedürfnis haben, nach der Arbeit nach Hause zu hetzen, um dann mit Mann und Kindern wieder in die Innenstädte zu kommen und einzukaufen.
Vielleicht sollte das auch einmal die für Frauen zuständige Ministerin erfahren, die sich leider Gottes auch in die Reihen der Befürworter des Gesetzes eingereiht hat.Darüber, daß Verkäuferinnen vielleicht auch einmal am Mittwochnachmittag zum Arzt, nach 18.30 Uhr zur Post gehen wollen, redet keiner. Aber das vergessene Brot und das Päckchen Butter werden zum großen Problem hochstilisiert. Auch Verkäuferinnen und Verkäufer und die kleinen Selbständigen mit ihrer 70-Stunden-Woche wollen am Abend einmal in Ruhe ins Kino gehen können, auch Verkäufer und Verkäuferinnen wollen am Abend nicht abgekämpft, sondern in Ruhe kulturelle Veranstaltungen oder Gewerkschafts- oder politische Versammlungen besuchen, auch Verkäuferinnen und Verkäufer wollen das Fernsehprogramm ab den Nachrichtensendungen mitbekommen und nicht nur die letzten zwei Drittel des Spielfilms.
— Wissen Sie, ich mische mich nicht in die Stuttgarter Verhältnisse ein.
Mir langen die bayerischen. Herr Sauter, ich wünsche mir, daß Sie heute — genauso wie Ihr Ministerpräsident - sagen, daß Sie dieser Änderung nicht zustimmen können.
Für die Belebung der Innenstädte nach 20 Uhr reichen Konsumangebote nicht aus; keinesfalls sind dafür die schlecht bezahlten Verkäuferinnen zuständig.
Die Diskussion um das Ladenschlußgesetz hat uns erneut dazu gebracht, uns mit der Frage der im Einzelhandel Tätigen zu beschäftigen. Dort arbeiten überwiegend Frauen, ein großer Teil von ihnen mit Teilzeitverträgen. Für diese dürften unserer Auffassung nach keine Nachteile entstehen.
Aber wie sieht die Wirklichkeit aus? Für die vielen geringfügig Beschäftigten — in manchen Verbrauchermärkten sind es inzwischen 60 bis 80% der Arbeitnehmer, die derartige Arbeitsverträge haben — gibt es weder Kranken- noch Arbeitslosenschutz und natürlich auch keine Alterssicherung.Dies führt darüber hinaus zu ganz eklatanten Mißständen. Um nur drei zu nennen: Aufspalten von Vollzeitbeschäftigungen in geringfügige Teil-
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 226. Sitzung. Bonn, Freitag, den 27. Juni 1986 17555
Frau Schmidt
zeitbeschäftigungen, Ausüben mehrerer geringfügiger Beschäftigungen nebeneinander mit allen Konsequenzen auch für die Arbeitgeberseite, Einstellen von Arbeitnehmern unter verschiedenen Namen, also sogenannte Strohmänner. All dies dient nur dem Zweck, Sozialversicherungsbeiträge zu sparen.Deshalb fordern wir hier und heute die Streichung der Geringfügigkeitsgrenze. Von der generellen Versicherungspflicht sehen wir lediglich zwei Ausnahmen vor, nämlich bei den geringfügig Beschäftigten im privaten Haushalt und in gemeinnützigen, mildtätigen und kirchlichen Verbänden sowie bei ehrenamtlichen Beschäftigungen in Sportvereinen.
Wir fordern diese Streichung, wie gesagt, hier und heute, weil das der richtige Platz ist. Das ist ein Weg, um den vielen Verkäuferinnen wirklich zu helfen, nicht aber diese blödsinnige Änderung des Ladenschlußgesetzes.
Wir wollen, daß Frauen in diesem Beruf neben qualifizierter Ausbildung und einem geordneten Arbeitsplatz auch einen Lebensplan aufstellen können, damit sie ihren Beruf sachkundig und verbrauchernah ausüben können.Meine Damen und Herren, deshalb sage ich: Hände weg vom Ladenschluß! Weg mit der Geringfügigkeitsgrenze!
Das Wort hat der Abgeordnete Eylmann.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mein Thema ist nicht der Ladenschluß, obwohl es mich sehr reizen würde, darauf zu erwidern, sondern der § 247 BGB. Nach dieser Vorschrift kann ein Darlehensnehmer einen Kredit kündigen, wenn der Zinssatz höher als 6% jährlich ist. Der Paragraph ist in unserem Rechtssystem geradezu ein Fossil. Seine Wurzeln lassen sich nämlich zurückverfolgen bis zum kanonischen Zinsverbot, in dem sich bekanntlich der urchristliche Gedanke ausdrückte, Geld zu geben sei eine Tat der Nächstenliebe, aber habe nicht der Gewinnerzielung zu dienen.
Als sich dieses Zinsverbot Ende des Mittelalters nicht mehr halten ließ, verfiel man auf den Kompromiß, Zinshöchstsätze vorzusehen. Und als das mit dem Beginn der Industrialisierung nicht mehr ging, wurde die allgemeine Zinsfreiheit statuiert. Dem widersetzten sich insbesondere in Preußen — es ist wirklich eine interessante Geschichte — die nordelbischen Grundbesitzer. Sie setzten 1867 schon, gegen den Rat der Juristen, ein außerordentliches Kündigungsrecht bei Krediten mit einem Zinssatz von über 6 % durch. Dieses Gesetz des Norddeutschen Bundes wurde der unmittelbare Vorläufer des § 247, den wiederum der nordelbische Großgrundbesitz in das BGB hineinzwang. Heute nun — zu ihrer Ehre sei es gesagt — sind es keineswegs die Landwirte, die den § 247 verteidigen. Nein, es sind nur einige wenige Verbraucherverbände und teilweise auch noch mittelständische Kreise, die nicht mehr sehr nachdrücklich in Nachhutgefechten diese Vorschrift verteidigen — und damit natürlich in der Tradition des norddeutschen Großgrundbesitzes stehen.
Vom Privileg der Gutsbesitzer bis zum sozialen Besitzstand des kleinen Mannes — die Geschichte des § 247 BGB zeigt plastisch, wie sich eine gesetzliche Regelung völlig von ihrem eigentlichen Sinn und Zweck entfernen kann.
— Sie sagen es: „Vernunft wird Unsinn, Wohltat Plage". Die Koalition will die kreditgebende, aber auch die kreditnehmende Wirtschaft von dieser Plage des § 247 BGB befreien.Daß ich in diesem Zusammenhang die Kreditnehmer erwähne, mag überraschen. Es hat aber in der Diskussion über Sinn und Nutzen des § 247 immer die Fehlentwicklung gegeben, daß man verkannte, daß auch die Kreditnehmer an seinem Fortbestand kein Interesse haben können.Lassen Sie mich das kurz begründen: Früher war der § 247 als Schutz vor überhöhten Zinsen gedacht. Als er geschaffen wurde, lag der Zinssatz bei 3 bis 4 %. Ein Zinssatz von 6 % war exorbitant hoch. Heute liegen die Zinsen in der Regel über 6 %. Die Vorschrift schützt also den Schuldner nicht in einer Ausnahmesituation, sondern gewährt ihm in der Praxis ein ständiges Zinsanpassungsrecht. Sehr schön, könnte man sagen, ein solches Recht gegen die wirtschaftlich mächtigen Banken ist doch etwas Gutes. Man verkennt aber dabei, daß sich die Banken dieses Risiko der jederzeitigen Kündigung, das ihre Refinanzierung erheblich erschwert, natürlich bezahlen lassen. Sie behalten sich auch ihrerseits ein ständiges Zinsanpassungsrecht vor und verändern die Kreditkonditionen vor allem durch eine Erhöhung des Disagios.Es kann, meine Damen und Herren, keinem Zweifel unterliegen, daß § 247 BGB die Versorgung der Wirtschaft, insbesondere auch der mittelständischen Wirtschaft, mit langfristigen Investitionskrediten zu festen und möglichst günstigen Zinssätzen erschwert hat.Ein weiterer Nachteil für die Kreditnehmer besteht darin, daß wir einen Zwei-Klassen-Schuldnerschutz haben. Nach Abs. 2 des § 247 kann nämlich das Kündigungsrecht vertraglich ausgeschlossen werden bei Darlehen, die zu einer Deckungsmasse für Schuldverschreibungen gehören sollen. Alle Kreditinstitute, die diese Möglichkeit haben, machen davon auch Gebrauch. Für den Kreditnehmer ist das aber nicht transparent. Er weiß nicht,
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Eylmannwelche Kreditinstitute die Kündigungsmöglichkeit wirksam ausschließen können und welche nicht. Das ist ungerecht, zum einen für die Kreditinstitute, die mit unterschiedlichen Möglichkeiten in den Markt hineingehen müssen, zum anderen für die Kreditnehmer, die aus nicht einsehbaren Gründen das Privileg des Kündigungsrechts einmal haben und ein andermal nicht haben, wobei sie nicht einmal erkennen können, wann es ihnen zusteht und wann nicht. Das hat im übrigen auch dazu geführt, daß in den bisherigen Zinssenkungsphasen — einmal 1959 und dann noch einmal in den Jahren 1976/ 77 — nicht in erster Linie der Verbraucher, der vielzitierte kleine Mann vom Kündigungsrecht Gebrauch gemacht hat. Es waren vielmehr findige Hausbesitzer, die auf Grund ihres Berufes Bescheid wußten oder Zeit hatten, sich mit der Materie zu beschäftigen. Es waren größere Industrieunternehmen, meist mit einer eigenen Rechtsabteilung. Und es waren Kommunen, deren Kämmerer den letzten Zinsbruchteil sparen wollten, die mit dem gesetzlichen Kündigungsrecht eine Zinsanpassung durchsetzten.Eine Reform dieser unbefriedigenden Gesetzeslage war also überfällig. Wir haben uns entschlossen, den § 247 nun allerdings nicht einfach schlicht zu streichen, sondern das gesetzliche Kündigungsrecht des Darlehensnehmers dort auf ein angemessenes Maß zurückzuführen, wo es sich in der Vergangenheit als besonders störend erwiesen hat. Die neue gesetzliche Regelung beschränkt das gesetzliche Kündigungsrecht bei festverzinslichen Krediten auf folgende drei Fälle:Erstens. Beim Auslaufen einer beiderseitigen Zinsbindung soll der Schuldner nicht einem einseitigen Zinsbestimmungsrecht des Gläubigers unterliegen.Zweitens. Nach einer Laufzeit von zehn Jahren soll er immer kündigen können.Drittens. Für Verbraucherdarlehen im engeren Sinne wird aus sozialen Gründen ein kurzfristiges Kündigungsrecht des Schuldners vorgesehen.Der Kreditnehmer hat in Zukunft die Wahl, ob er einen längerfristigen Kredit zu festen Konditionen nehmen will oder einen kurzfristigen Kredit oder auch einen längerfristigen Kredit zu variablen Konditionen. Insgesamt wird sich das alles positiv auf die Kreditversorgung unserer Wirtschaft auswirken. Somit ist auch diese Änderung des Bürgerlichen Gesetzbuches in unsere Bemühungen einzuordnen, der wirtschaftlichen Entwicklung in der Bundesrepublik möglichst günstige Rahmenbedingungen zu bieten.
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Wirtschaft.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte einige Worte zum Ladenschluß und zu der geplanten Novellierung des Ladenschlußgesetzes sagen. Zunächst einmal sollte man in der Debatte auseinanderhalten, daß es sich jetzt bei dieser Novellierung um einen Spezialfall handelt, also um die Deckung eines Bedarfs von Reisenden, von Berufspendlern, der sehr stark angestiegen ist
und der überall dort, wo ein solcher Bedarf schon gedeckt wird, zur Zufriedenheit aller gedeckt werden kann. Das Beispiel der Klett-Passage ist nicht das einzige Beispiel, aber es ist ein besonders eindrucksvolles Beispiel dafür, daß in einer besonderen Situation eine andere Öffnungszeit, die auf die Gewohnheiten der Verbraucher, insbesondere der Reisenden, Rücksicht nimmt, von allen angenommen wird, und zwar nicht nur von den Reisenden selbst, also den Verbrauchern, sondern auch vom Handel und von den Angestellten, den Arbeitnehmern in diesen Geschäften.
Ich möchte wirklich darum bitten, daß sich die Kollegin aus Bayern, die hier das hohe Lied ihres Ministerpräsidenten gesungen hat,
— ich hatte Sie so verstanden, daß Sie das ungewöhnlich lobend erwähnten —, einmal mit der Klett-Passage befaßt. Es ist nicht nur so, daß die Verbraucher das Angebot annehmen, sondern gerade auch die Beschäftigten dort, und zwar vor allem Frauen, die ausgebildet sind, die Fachkräfte sind, die eine Familie haben, die einen Teilzeitarbeitsplatz suchen, haben mit großem Vergnügen, mit großer Genugtuung von dem Angebot, dort zu arbeiten, Gebrauch gemacht.
Halb Stuttgart steht für die Klett-Passage auf den Barrikaden. Daran geht man einfach vorbei und wiederholt hier die Geisterschlachten von vor 50 Jahren. Dies kann nicht Sinn und Zweck dieser Novellierung und dieser Debatte sein.Jetzt will ich aber auch noch ein zweites Wort zu den Möglichkeiten, und wie ich meine, Notwendigkeiten sagen, die sich später ergeben. Das Ladenschlußgesetz hat sich in vielfacher Hinsicht bewährt.
Es ist in einiger Hinsicht überholt, z. B. durch die Veränderung der Einkaufsgewohnheiten. Es hat übrigens — worauf ich hinweisen möchte — der Konzentration im Handel, insbesondere im Lebensmitteleinzelhandel, nicht Einhalt geboten; denn diese Konzentration ist bei Geltung des jetzigen Ladenschlußgesetzes vor sich gegangen. Deswegen muß man sich überlegen, was man anders machen kann, um die Chancen des Einzelhandels zu verbessern. Der Anteil des Versandhandels liegt in der Bundesrepublik doppelt so hoch wie in jedem anderen Land. Ich sage, das hat etwas damit zu tun, daß unsere Ladenschlußzeiten zu starr sind. Es kann nicht um die Aufhebung des Ladenschlußgesetzes insgesamt gehen, es kann nicht darum gehen, die
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Bundesminister Dr. BangemannGesamtöffnungszeiten zu verlängern; denn das würde eine Vergrößerung der Kosten bedeuten. Ich sage hier klipp und klar: Was eine Vergrößerung der Kosten bedeutet, kann nicht im Sinne des Einzelhandels liegen, und wir werden das nicht verfolgen.Aber es ist sehr wohl denkbar, daß — abgehend von den starren Anfangs- und Schlußzeiten — eine Auflockerung etwa im Sinne eines Dienstleistungsabends erfolgt, so daß man die Geschäfte an einem Abend in der Woche länger offenhält, daß das auch die Banken, die öffentlichen Büros und andere amtliche Stellen tun, damit der Verbraucher an einem Abend ein Angebot vorfindet, das er dann wahrnehmen kann, bei dem er in Ruhe Waren auswählen kann, die gerade eine stärkere Beratung voraussetzen. Wenn man das vernünftig anpackt, dann wird das genausogut angenommen werden wie die KlettPassage.
Ich sage noch einmal: Wir werden und wir wollen hier auch in Zukunft keine Radikallösungen machen, und wir werden schon gar nicht Lösungen machen, die dem kleinen und mittelständischen Händler das Leben schwerer machen, als er es heute schon hat. Aber daß wir ihm auch helfen müssen, sich mit den gewandelten Gewohnheiten des Verbrauchers so anzufreunden, daß er auf den Verbraucher zugehen kann, und daß es viele Menschen gibt, z. B. viele Arbeitslose, die einen Teilzeitarbeitsplatz suchen, die solche Chancen gerne wahrnehmen wollen, ist auch klar. Deswegen wäre es verhängnisvoll, wenn sich die reaktionäre Einstellung durchsetzen würde, die die Kollegin aus Bayern hier vorgetragen hat. Ich möchte ausdrücklich sagen: die Kollegin der SPD, denn die CSU aus Bayern trägt keine reaktionären Einstellungen vor.
Wenn sich diese Haltung durchsetzen würde, dann werden Sie erleben, daß eines Tages gerade der kleine und mittelständische Handel diejenigen angreifen und sich bei denjenigen beklagen wird, die nicht den Mut gehabt haben, rechtzeitig ein Gesetz so zu verändern, daß es allen nützt. Das ist Sinn und Zweck dieser Unternehmung.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Jens.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Diese Regelung, wie sie von der Regierungskoalition zum Ladenschlußgesetz vorgesehen ist, können wir beim besten Willen nicht akzeptieren. Hier machen sich Interessen aus Stuttgart bemerkbar; dieses ist keine Regelung im Interesse der Händler und der gesamten Volkswirtschaft. Deshalb muß das abgelehnt werden.
Ich will kurz zu einigen wenigen Punkten dieses ominösen Omnibusgesetzes Stellung nehmen. UnsSozialdemokraten macht die zunehmende Konzentration im Handel große Sorgen,
aber dieses Gesetz trägt überhaupt nicht dazu bei, dieses Problem zu lösen.
In § 6 d wird vorgesehen, daß der Unternehmer, der in Zukunft wirbt, die Menge, die er angepriesen hat, unbegrenzt an einen Kunden abgeben muß. Das heißt im Grunde: Der Konkurrent, der ihm Böses will, kann vorfahren und aufkaufen. Wenn er nicht verkauft, hat er den Prozeß, der sich daran anschließt, bereits verloren. Dies erinnert sehr an einen Kontrahierungszwang, den wir unbedingt ablehnen. Wie will man denn eigentlich in einem Unternehmen eine knappe Ware einigermaßen gerecht verteilen, wenn nicht durch Mengenbegrenzung? Nein, Sonderangebote werden durch diese Regelung eingeschränkt. Sonderangebote brauchen wir jedoch,
davon profitieren die breiten Schichten, insbesondere die Arbeitnehmer. In letzter Zeit sind breite Schichten verstärkt auf billige Sonderangebote angewiesen.
Das Verbot der Preisgegenüberstellung ist überhaupt nicht zu vertreten. Jetzt hat ein Händler nicht mehr die Möglichkeit, seine Leistungsfähigkeit, die sich im Preis ausdrückt, einigermaßen deutlich zu machen. Diese Regelung in § 6 e ist eine Perversion der Grundsätze einer marktwirtschaftlichen Ordnung.
Wir wollen die Konzentration im Handel ebenfalls eindämmen, und wir erinnern an unsere §§ 37 a und 26 des Kartellrechts. Wir erinnern an unseren Antrag, den wir vorgelegt haben. Notwendig wäre zunächst ein vernünftiger Mieterschutz, insbesondere für die kleinen Händler in den Innenstädten. Das wäre ein Beitrag, um dem Konzentrationsprozeß entgegenzuwirken.
Notwendig wäre ferner eine Novellierung der Baunutzungsverordnung,
so daß auch die Gemeinden mehr Möglichkeiten haben, dem ausufernden Wettbewerb durch große Konzerne entgegenzuwirken.Notwendig wäre ferner eine Novellierung der Fusionskontrolle — so wie wir Sozialdemokraten das gefordert haben — durch eine Abkoppelung der Eingriffsmöglichkeiten vom Marktbeherrschungsbegriff. Man muß schon eingreifen können, wenn wettbewerbliche Strukturen in Gefahr sind. Damit
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Dr. Jenswürde man z. B. eine Fusion Kaufhof-Metro untersagen können.
Aber dies haben wir noch nicht, und deshalb mußte der BGH so entscheiden.Der Vorschlag von Herrn Hauser aus der CDU ist ja völlig undurchdacht, wenn er meint, wir könnten etwa für den Handel eine besondere Fusionskontrolle einführen. Wohin führt denn das, wenn wir demnächst für jeden Wirtschaftszweig eine Fusionskontrolle einführen? Das muß das geltende Wettbewerbsrecht zerstören, das kratzt an den Grundfesten einer dezentralen marktwirtschaftlichen Ordnung. Ich behaupte: Die CDU — das zeigt dieser Entwurf einmal mehr — hat keine Wirtschaftspolitiker, die in der Lage sind, in Kategorien der marktwirtschaftlichen Ordnung zu denken.
Es steht traurig um diese Partei, die sich auf Ludwig Erhard beruft. Die CDU ist nur ein Verein zur Verfolgung einzelwirtschaftlicher Interessen.
Die Paragraphen, die ich angesprochen habe, gehören unbedingt in den Orkus.
Schönen Dank.
Bevor ich dem Abgeordneten Dr. Schroeder das Wort gebe, möchte ich die Damen und Herren bitten, Platz zu nehmen und sich auch die letzte Rede noch in Geduld und Ruhe anzuhören. — Herr Abgeordneter, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst möchte ich die Kollegin Schmidt fragen: Frau Kollegin, wollen Sie die 120 Arbeitsplätze in der Stuttgarter Klett-Passage kaputtmachen?
Wie halten Sie es damit? Ich frage Sie und auch die hessische Landesregierung: Wie halten Sie es mit der Einkaufsstadt am Frankfurter Flughafen,
wo rund um die Uhr alles, aber auch alles gekauft werden kann? Wollen Sie die Arbeitsplätze und die Einzelhändler auch dort kaputtmachen?Der Herr Kollege Kleinert hat vorhin schon einen Blick über die Grenze ins europäische Ausland gewagt. Aber, Herr Kollege Kleinert, Sie wissen ja genauso gut wie ich auch, daß der Blick ins europäische Ausland bei hartgesottenen Gegnern einer Liberalisierung recht wenig nützt. Mancher Bundesbürger, der als Tourist in Frankreich noch gerade von der liberalen Lebensart unserer französischen Nachbarn geschwärmt,
mit Selbstverständlichkeit, Herr Kollege Kolb, Baguette, Wein und Boursin oder auch Souvenirs eingekauft und die Lebensart am Abend in den Städten, wo die Geschäfte offen sind, gepriesen hat, kehrt nach Deutschland zurück und wird hier ganz schnell wieder zum eingefleischten Verfechter der reinen Lehre staatlich verordneter Einheitssperrzeiten.
Es wird argumentiert, daß in Italien und in Frankreich sowieso alles anders sei. Frau Kollegin Schmidt: Das Beispiel Schweden mit flexiblen Ladenschlußzeiten soll hier auch nicht Schule machen. Mit Skepsis werden hier die schwedischen Erfahrungen zur Kenntnis genommen, daß flexible Ladenschlußzeiten nicht zum Todesstoß für Tante-Emma-Läden geführt haben, sondern seit der Liberalisierung die Überlebenschancen gerade für die kleinen Läden zugenommen haben. — Aber in der Bundesrepublik gehen die Uhren offensichtlich anders.Meine Fraktion nimmt die Argumente des Mittelstandes und der Arbeitnehmerseite — nach einer eingehenden Anhörung zum Ladenschlußrecht — nicht auf die leichte Schulter und lehnt deshalb eine allgemeine Lockerung der Ladenschlußzeiten in der Bundesrepublik im Ergebnis nach wie vor ab. Befürchtungen, daß mit der jetzigen Novellierung der Einstieg in die allgemeine Liberalisierung beginne, der große Dammbruch, sind deshalb unbegründet.Es kann jedoch auch nicht übersehen werden, daß das Ladenschlußrecht bereits heute in der Bundesrepublik wie ein Schweizer Käse durchlöchert ist. Die vorgesehene Neuregelung des Ladenschlusses ist aber keine Lex Klett-Passage. Allerdings ist die Neuregelung auch für den Fortbestand der in Stuttgart von einer breiten Mehrheit — auch von der Stuttgarter SPD — gewünschten Fortführung der Klett-Passage zwingend erforderlich. Die bisherigen Erfahrungen in der Klett-Passage mit verlängerten Ladenöffnungszeiten — darauf ist schon hingewiesen worden — haben durchaus positive Ergebnisse für Arbeitnehmer, für Hausfrauen und für die Einzelhändler.
Vor allem aber kann das Bedürfnis zahlreicher berufstätiger Pendler aus dem Stuttgarter Umland, die ansonsten bei Erreichen ihres Wohnortes keine Einkaufsmöglichkeit mehr haben, in sachgerechter Weise befriedigt werden.Stuttgart steht nur beispielhaft für eine Entwicklung, die sich im Ballungsraum von Großstädten in den letzten Jahrzehnten immer mehr verstärkt hat. Aus den Großstädten sind immer mehr Menschen ins Umland gezogen. Die Einkaufsgebiete der Großstädte sind immer weiter geworden. Zur verkehrsmäßigen Erschließung dieser Gebiete gibt es große Verkehrsverbundsysteme. Allein in Stuttgart beträgt die Zahl der Berufspendler im Augenblick 300 000 täglich. Vergleichbare Entwicklungen gibt
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Dr. Schroeder
es auch in anderen Ballungszentren der Bundesrepublik.Die jetzige Novellierung trägt damit einem vorhandenen unabwendbaren Verbraucherbedürfnis und Verbraucherverhalten Rechnung. Nach vorliegenden Feststellungen findet ein erheblicher Berufspendler- und Reiseverkehr in allen Städten der Bundesrepublik über 200 000 Einwohner statt — auch am späten Abend —, und zwar je größer die Stadt, desto intensiver und länger.
Meine Damen und Herren, ich bitte um Aufmerksamkeit für den Redner und daher die Kolleginnen und Kollegen, die stehen, Platz zu nehmen.
In Städten unter 200 000 Einwohnern nimmt die Zahl der Berufspendler hingegen bereits nach 18.30 Uhr deutlich ab. Deshalb ist die Grenzziehung zwischen Städten unter 200 000 Einwohnern und über 200 000 Einwohnern treffsicher und sachgerecht. Sie verletzt auch nicht den Grundsatz der Gleichbehandlung.
Die Koalitionsfraktionen haben Bedenken gegen eine Ausuferung dadurch Rechnung getragen, daß eine Ausnahmeregelung vorgeschaltet wird, die durch Rechtsverordnung der jeweiligen Landesregierung erlassen wird. Die Landesregierungen haben daher die Möglichkeit, von dieser Ermächtigung Gebrauch zu machen oder auch davon abzusehen.
Ein besonderes Bedürfnis ist auch auf Verkehrsflughäfen mit internationalem Reiseverkehr gegeben. In Frankfurt wie auch auf anderen internationalen Flughäfen kommen Flugreisende rund um die Uhr an. Sie haben nach oftmals sehr langen Reisen aus anderen klimatischen Zonen einen dringenden Bedarf nach Gegenständen des täglichen Lebens.
Ähnliches gilt auch für internationale Fährhäfen, insbesondere für Puttgarden und für Travemünde mit insgesamt über 8 Millionen Fährgästen.
Bei einer emotionsfreien Beurteilung der Novellierung des Ladenschlußrechts kann hierin weder ein Einstieg in eine allgemeine Liberalisierung des Ladenschlusses durch den Hintereingang noch ein Pilotprojekt zur partiellen Erprobung verlängerter Ladenöffnungszeiten gesehen werden. Wir haben über den vorliegenden Gesetzentwurf lange und intensiv beraten und umfangreiche Anhörungen durchgeführt. Die jetzigen Vorschläge sind ein fairer und sachgerechter Kompromiß, mit dem alle leben können. Deshalb stimmen wir dieser Novellierung aus Überzeugung zu.
Ich bedanke mich.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.Wir kommen nun zu den Einzelberatungen und Abstimmungen. Ich bitte Sie alle, Platz zu nehmen, da diese etwas Zeit in Anspruch nehmen. — Ich habe nicht die Absicht, die Beratungen fortzusetzen, wenn die Kolleginnen und Kollegen, die stehen, nicht Platz nehmen.Meine Damen und Herren, wir kommen erst zur Einzelberatung und Abstimmung über Tagesordnungspunkt 18 a, Gesetzentwurf der Fraktion der CDU/CSU und FDP auf Drucksache 10/4741 in der Ausschußfassung.Wir kommen zu Art. 1 in der Ausschußfassung. Ich rufe die Nr. 1 auf. Hierzu liegt auf Drucksache 10/5773 unter Nr. 1 ein Änderungsantrag der SPD vor. Wer stimmt für den Änderungsantrag? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Änderungsantrag ist abgelehnt.Wer stimmt für Nr. 1 in der Ausschußfassung? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Nr. 1 ist angenommen.Ich rufe die Nr. 2 bis 6 auf. Wer stimmt dafür? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Die aufgerufenen Vorschriften sind angenommen.Ich rufe die Nr. 7 auf. Hierzu liegt auf Drucksache 10/5773 unter Nr. 2 ein Änderungsantrag der SPD vor. Wer stimmt für den Änderungsantrag? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Änderungsantrag ist abgelehnt.Wer stimmt für Nr. 7 in der Ausschußfassung? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Nr. 7 ist angenommen.Ich rufe die Nr. 8 und 9 auf. Wer stimmt dafür? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Die aufgerufenen Vorschriften sind angenommen.Ich rufe die Nr. 10 auf. Hierzu liegt auf Drucksache 10/5773 unter Nr. 3 ein Änderungsantrag der SPD vor. Wer stimmt für den Änderungsantrag? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Änderungsantrag ist abgelehnt.Wer stimmt für Nr. 10 in der Ausschußfassung? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Nr. 10 ist angenommen.Ich rufe die Nr. 11 bis 14 auf. Wer stimmt dafür? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Die aufgerufenen Vorschriften sind angenommen.Damit ist Art. 1 in der Ausschußfassung angenommen.Ich rufe die Art. 2 bis 4 in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Die aufgerufenen Vorschriften sind angenommen.Ich rufe Art. 5 auf. Hierzu liegt auf Drucksache 10/5774 ein Änderungsantrag der SPD vor. Wer stimmt für den Änderungsantrag? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Änderungsantrag ist abgelehnt.Wer stimmt für Art. 5 in der Ausschußfassung? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Art. 5 ist angenommen.
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17560 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 226. Sitzung. Bonn, Freitag, den 27. Juni 1986
Präsident Dr. JenningerIch rufe die Art. 6 bis 9 in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Die aufgerufenen Vorschriften sind angenommen.Ich rufe den Art. 10 auf. Hierzu liegen auf Drucksache 10/5775 ein Änderungsantrag der SPD sowie auf Drucksache 10/5789 ein Änderungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN vor.Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion der SPD? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Änderungsantrag ist abgelehnt.Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Änderungsantrag ist abgelehnt.Wer stimmt für den Art. 10 in der Ausschußfassung? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Art. 10 ist angenommen.Ich rufe die Art. 11 und 12 auf. Hierzu liegt auf Drucksache 10/5775 ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD vor. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Änderungsantrag ist abgelehnt.Wer stimmt für Art. 11 und 12 in der Ausschußfassung? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Die Art. 11 und 12 sind angenommen.Ich rufe nunmehr die Art. 13 bis 15, Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Die aufgerufenen Vorschriften sind angenommen.Damit ist die zweite Beratung abgeschlossen. Der Ordnung halber gebe ich bekannt, daß die Abgeordneten Conradi, Hinsken und Hinrichs eine persönliche Erklärung zur Begründung ihres Abstimmungsverhaltens zu Protokoll gegeben haben.*)Meine Damen und Herren, bevor wir zur namentlichen Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und FDP kommen, weise ich auf folgendes hin. Für die Verabschiedung des Zusatzpunktes 4 zur Tagesordnung ist die Zustimmung der Mehrheit der Mitglieder des Bundestages erforderlich. Eine Aussprache ist hierfür nicht vorgesehen. Ich bitte Sie alle und schlage vor, daß wir hier über diesen Punkt unmittelbar nach der namentlichen Abstimmung entscheiden. Bleiben Sie deswegen nach der namentlichen Abstimmung im Saal.Wir kommen zunächst zur namentlichen Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und FDP auf Drucksache 10/4741 in der Ausschußfassung.Ich eröffne die namentliche Abstimmung. —Meine Damen und Herren, ist jemand im Saal, der seine Stimme noch nicht abgegeben hat? — Wenn das nicht der Fall ist, schließe ich die Abstimmung.4) Anlagen 2 bis 4Meine Damen und Herren, ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie zur Abwicklung unserer restlichen Tagesordnung noch kurz Platz nehmen würden. Es ist sicher in unser aller Interesse, die weiteren Beratungen zügig zu erledigen.Meine Damen und Herren, lassen Sie mich, bevor ich den nächsten Punkt der Tagesordnung aufrufe, eine kurze Bemerkung machen. Dies ist für uns alle ein, ich will nicht den Begriff „historisch" gebrauchen, aber zumindest denkwürdiger Augenblick, denn die heutige 226. Sitzung in der 10. Legislaturperiode ist nach aller Voraussicht zugleich die letzte Sitzung in unserem alten Plenarsaal. Nach der Sommerpause werden wir uns im September im ehemaligen Wasserwerk wiedersehen.Seit der konstituierenden Sitzung des 1. Deutschen Bundestages am 7. September 1949 hat sich in diesem Saal das Plenum des Deutschen Bundestages 2 168mal versammelt. Weitere 10 Plenarsitzungen fanden außerhalb Bonns statt. In Berlin tagte das Plenum des Deutschen Bundestages zuletzt am 7. April 1965. Am 29. Juni 1953 fand eine Sitzung im Funkhaus des Nordwestdeutschen Rundfunks in Köln statt. Ich erwähne diese Sitzung aus folgendem Grund: Damals wurde unser Plenarsaal, der 1949 in nur sechs Monaten errichtet worden war, umgebaut. Er wurde zur Rheinseite hin erweitert und erhielt seine seitlichen Wandelgänge. Unser jetziger Auszug ist also nicht der erste in der Geschichte dieses Hauses.Liebe Kolleginnen und Kollegen, viele Mitbürger sehen in diesem Plenarsaal den Mittelpunkt unserer Demokratie. Alle Bundeskanzler wurden hier gewählt, aber auch der erste Bundespräsident; am 12. September 1949 tagte hier die erste Bundesversammlung. Der Plenarsaal war aber auch Schauplatz internationaler Konferenzen.Bedeutsam erscheint mir darüber hinaus, daß seit 1949 8,5 Millionen unserer Mitbürger diesen Plenarsaal besucht haben. Mit ihrem Besuch im Deutschen Bundestag erlebten sie ein Stück lebendiger parlamentarischer Demokratie. Nicht immer waren sie mit dem zufrieden, was sie sahen und hörten, aber dadurch dürfte ihnen auch bewußt geworden sein, wie schwierig es ist, Demokratie zu praktizieren.Wenn wir heute diesen Plenarsaal verlassen, tun wir dies in der Überzeugung, daß wir uns nach einiger Zeit hier wieder versammeln werden, nicht in einem Museum und auch nicht in einem Denkmal,
sondern im lebendigen Zentrum unseres freiheitlichen demokratischen Staates, der Bundesrepublik Deutschland.
Nun darf ich noch Zusatzpunkt 4 der Tagesordnung aufrufen:Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs einesZweiten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 226. Sitzung. Bonn, Freitag, den 27. Juni 1986 17561
Präsident Dr. Jenningerzur Durchführung der Gemeinsamen Marktorganisationen— Drucksache 10/5236 —Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
— Drucksache 10/5723 —Berichterstatter:Abgeordneter Werner
Das Wort zur Berichterstattung hat der Abgeordnete Werner . Eine Aussprache ist nicht vorgesehen. — Er verzichtet.Wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung. Ich rufe Art. 1 bis 4, Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung mit der vom Berichterstatter vorgetragenen Berichtigung auf. Wird die Berichtigung nachgereicht? — Ist nicht notwendig. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Die aufgerufenen Vorschriften sind angenommen.Wir treten in diedritte Beratungein. Nach Art. 87 Abs. 3 Satz 2 des Grundgesetzes bedarf das Gesetz zu seiner Annahme der Mehrheit der Stimmen des Deutschen Bundestages. Das sind 250 Stimmen. Bei der gegenwärtigen Besetzung des Hauses läßt sich die erforderliche Mehrheit ohne Auszählung feststellen.Wir kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Der Sitzungsvorstand stellt fest, daß mindestens 250 Abgeordnete dem Gesetz zugestimmt haben. Das Gesetz ist angenommen.Meine Damen und Herren, das Ergebnis der Auszählung liegt noch nicht vor. Da aber eine Reihe von Kolleginnen und Kollegen schon gehen wollen, darf ich ihnen und ihren Familien gute und erholsame Sommerferien wünschen.Meine Damen und Herren, ich darf Sie bitten, Platz zu nehmen. Ich gebe das von den Schriftführern ermittelte Ergebnis der Schlußabstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/ CSU und der FDP auf Drucksache 10/4741 bekannt. Von den voll stimmberechtigten Mitgliedern des Hauses haben 378 ihre Stimme abgegeben, davon ungültige Stimmen keine; mit Ja haben 215 gestimmt, mit Nein 160, Enthaltungen 3.12 Berliner Abgeordnete haben ihre Stimme abgegeben, davon ungültige Stimmen keine. Mit Ja haben 7 gestimmt, mit Nein 5.Endgültiges ErgebnisAbgegebene Stimmen 377 und 12 Berliner Abgeordnete; davonja: 215 und 7 Berliner Abgeordnete nein: 159 und 5 Berliner Abgeordneteenthalten: 3JaCDU/CSUFrau Augustin Austermann BayhaDr. Becker BergerDr. BernersBiehleDr. BlankDr. BlensDr. BlümBöhm
Dr. BötschBohlBohlsenBraunBreuerBrollBrunnerDr. BuglCarstens Carstensen (Nordstrand) Dr. CzajaDr. DanielsDawekeDeresDörflingerDr. Dollinger Dr. DreggerEhrbarEngelsberger Erhard
Eylmann
FellnerFrau Fischer Fischer Francke (Hamburg)Dr. Friedmann FunkGanz Frau GeigerDr. GeißlerDr. von Geldern Gerlach GersteinGerster GlosDr. GöhnerDr. GötzGötzervon Hammerstein Hanz HaungsHauser Hauser (Krefeld) HedrichFrau Dr. Hellwig Dr. HennigHerkenrathHöffkesDr. HoffackerFrau Hoffmann HornungFrau Hürland Dr. HüschDr. HupkaGraf HuynJäger JagodaDr. Jahn
Dr. Jenninger Dr. JobstJung
Dr.-Ing. KansyFrau KarwatzkiKellerKlein
Dr. Köhler Dr. Köhler (Wolfsburg) KolbKrausDr. Kreile KreyKroll-SchlüterFrau Krone-AppuhnDr. KronenbergDr. Kunz LamersDr. LammertDr. Langner Lattmann Dr. Laufs LenzerLink
Link Linsmeier LintnerDr. Lippold LöherLohmann LouvenMaaßFrau MännleMaginMetzDr. Mikat Dr. Miltner MilzDr. MöllerMüller Müller (Wadern)Müller
NelleFrau Dr. Neumeister NiegelDr.-Ing. OldenstädtFrau Pack PeschPetersen Pfeffermann PfeiferDr. Pinger PöpplDr. PohlmeierDr. Probst RaweReddemann RepnikFrau Rönsch Rossmanith RufSauer
Sauer
SaurinSauter Sauter (Ichenhausen) Dr. Schäuble ScharrenbroichSchartz Schemken ScheuSchlottmann SchmidbauerSchmitz Schneider
Freiherr von Schorlemer Schreiber
Dr. Schroeder SchulhoffDr. Schulte
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17562 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 226. Sitzung. Bonn, Freitag, den 27. Juni 1986
Präsident Dr. JenningerSchultz SchwarzSeesingSeitersDr. FreiherrSpies von Büllesheim SpilkerDr. SprungDr. Stark
Dr. Stercken Stockhausen Dr. StoltenbergStommelStrubeStutzerSussetTillmann UldallDr. UnlandFrau VerhülsdonkVogel
Vogt Dr. VossDr. WaffenschmidtDr. WaigelGraf von Waldburg-Zeil Dr. WarnkeDr. Warrikoff WeirichWeißWerner
Frau Will-FeldFrau Dr. WilmsWilzWimmer WindelenFrau Dr. Wisniewski WissmannDr. WittmannWittmann Dr. WörnerDr. Wulff ZinkBerliner AbgeordneteFrau Berger BuschbomDolataFeilckeDr. Pfennig StraßmeirFDPFrau Dr. AdamSchwaetzerBaumBeckmannCronenberg Eimer (Fürth)EngelhardDr. Feldmann GattermannFrau Dr. Hamm-Brücher Dr. HaussmannDr. HirschKleinert KohnDr.-Ing. Laermann Mischnick PaintnerRonneburgerDr. Rumpf Schäfer
Frau Dr. SegallFrau Seiler-AlbringDr. SolmsDr. Weng Wolfgramm (Göttingen)Berliner Abgeordneter HoppeNeinCDU/CSU Hinsken SPDAmlingDr. ApelBachmaier BahrBecker BernrathBerschkeit BindigFrau Blunck BrandtBrückBuckpesch Büchler Büchner (Speyer)Dr. von BülowBuschfort ColletConradiFrau Dr. Däubler-Gmelin DelormeDreßlerDuveDr. Ehrenberg EickmeyerDr. EmmerlichDr. Enders EstersEwenFiebigFischer Fischer (Osthofen)Frau Fuchs
Frau Fuchs
Gerstl
GilgesGlombigGrunenberg Dr. Haack HaarHaehserHansen
Frau Dr. Hartenstein Heistermann HerterichHettlingHiller
Dr. HoltzFrau Huber HuonkerJahn
Dr. JensJung Junghans. KastningKiehmKirschner Kisslinger Klein
KloseKolbowKuhlwein Lennartz Leonhart Frau Dr. LepsiusLiedtkeLohmann
LutzMatthöfer Meininghaus MenzelDr. Mertens Müller (Düsseldorf)Dr. Müller-Emmert MünteferingNagelNehmDr. NöbelOostergeteloPauliDr. PennerPeter
PoßPurpsRapp Rappe (Hildesheim) ReimannFrau RengerReschkeReuterRohde RothSchäfer SchanzSchlagaSchluckebierDr. Schmidt Schmidt (München)Frau Schmidt Schmidt (Wattenscheid) Schmitt (Wiesbaden)Dr. SchmudeDr. Schöfberger SchreinerSchröer Schulte (Unna)Dr. Schwenk Frau SimonisDr. SoellDr. SpöriStahl
SteinerFrau Steinhauer StieglerStocklebenDr. StruckFrau TerborgTietjenFrau Dr. Timm ToetemeyerFrau TraupeUrbaniakVahlbergVogelsangVosenWaltematheWaltherWestphalFrau WeyelDr. WieczorekWiefelvon der Wiesche WischnewskiWitekDr. de WithWolfram ZeitlerFrau ZuttBerliner AbgeordneteHeimann LöfflerStobbeDr. VogelDIE GRÜNENAuhagenBastianFrau BorgmannBuebFrau DannFrau EidFischer FritschFrau HönesFrau KellyMannRuscheSchmidt
Schulte SenfftTatgeVogel VolmerFrau WagnerWerner Frau ZeitlerBerliner Abgeordneter StröbeleEnthaltenCDU/CSUClemensHinrichsSPD VerheugenDas Gesetz ist damit angenommen.Meine Damen und Herren, wir müssen noch einige Abstimmungen vornehmen. Wir kommen unter Tagesordnungspunkt 18 b zur Einzelberatung und Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/80 betreffend Anderung des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb. Der Ausschuß empfiehlt, diesen Gesetzentwurf abzulehnen.Ich rufe Art. 1 bis 6, Einleitung und Überschrift auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Das Gesetz ist in zweiter Beratung abgelehnt. Damit unterbleibt nach § 83 Abs. 3 unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 226. Sitzung. Bonn, Freitag, den 27. Juni 1986 17563
Präsident Dr. JenningerWir kommen unter Tagesordnungspunkt 18 c zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Rechtsausschusses auf Drucksache 10/5771. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/5002 betreffend Wettbewerb und Verbraucherschutz im Einzelhandel abzulehnen. Wer dieser Beschlußempfehlung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Die Beschlußempfehlung ist angenommen.Wir kommen nunmehr unter Tagesordnungspunkt 18 d zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung auf Drucksache 10/5771. Der Rechtsausschuß empfiehlt, den Antrag der SPD auf Drucksache 10/5003 betreffend Ladenschluß im Einzelhandel abzulehnen. Wer dieser Beschlußempfehlung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Die Beschlußempfehlung des Ausschusses ist angenommen.Meine Damen und Herren, damit sind wir am Ende unserer Tagesordnung. Für uns beginnt jetzt nach vielen Wochen anstrengender Beratungen die Sommerpause. Ich darf Ihnen und Ihren Angehörigen noch einmal einen erholsamen Urlaub und eine gesunde Rückkehr wünschen.Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestags auf Mittwoch, den 10. September 1986, 9 Uhr, ein.Die Sitzung ist geschlossen.