Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet. Ich rufe den Zusatztagesordnungspunkt 2 auf:
Aktuelle Stunde
Haltung der Bundesregierung zu den Beschlüssen der Berliner SPD zur Sicherheits- und Bündnispolitik
Meine Damen und Herren, die Fraktion der CDU/ CSU hat gemäß Nr. 1 c der Anlage 5 unserer Geschäftsordnung eine Aktuelle Stunde zu dem genannten Thema verlangt.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Herr Abgeordneter Klein.
— Mir wurde niemand anders gemeldet.
Ich bitte, das künftig früher zu melden.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Lintner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Ereignisse beim Berliner Parteitag der SPD
haben wie die Spitze eines Eisbergs das Ausmaß und die Heftigkeit der Richtungskämpfe innerhalb der SPD über die Grundlagen der Außen-, Sicherheits- und Deutschlandpolitik deutlich werden lassen.
Schon heute steht fest: Nicht irgendwelche belanglosen Zirkel in der SPD, wie es gern behauptet wird, betreiben eine umfassende Richtungsänderung; nein, meine Damen und Herren, es sind die Funktions- und Perspektivträger der SPD — und das eben nicht nur in Berlin —, die sich auf die Seite der Revoltierenden geschlagen haben, und zwar nicht immer aus Überzeugung, wie wir wissen,wenn man den opportunistischen Hang des SPD-Fraktionsvorsitzenden und Berliner Abgeordneten Dr. Hans-Jochen Vogel zu den jeweiligen Mehrheiten bedenkt.
Vor diesem Hintergrund ist es besonders interessant, zu erfahren, zu welchen konkreten Inhalten u. a. Dr. Vogel dort in Berlin j a gesagt hat. Man muß z. B. an Herrn Dr. Vogel die Frage richten, was er und die Meinungsführer in der SPD denn meinen, wenn sie von „neuen Erkenntnissen und Entwicklungen" sprechen. Wer sie berücksichtige, solle ja — auch laut Dr. Vogel — sogar „verantwortungsunfähig" sein. Andere SPD-Vertreter haben auf dem besagten Berliner Parteitag sogar von einer „bewußten Zäsur" und von einem „historischen Parteitag" gesprochen.Mit all diesen Vokabeln, meine Damen und Herren, können doch wohl nur die Beschlüsse der Berliner SPD gemeint sein. Diese sind in der Deutschlandpolitik gekennzeichnet erstens von der Verweigerung des Gehorsams gegenüber den Festlegungen des Grundgesetzes und des Bundesverfassungsgerichts sowie zweitens von einer bewußten und gewollten Verfälschung des Kerngehalts unseres Wiedervereinigungsanspruchs.
Das Kernanliegen ist nämlich die Forderung nach Gewährung des Selbstbestimmungsrechts für die Deutschen und das Verlangen nach elementaren Freiheitsrechten. Sie von der SPD tun dabei aber so, als handele es sich beim Wiedervereinigungsgebot um eine aggressive Doktrin von ewig gestrigen Deutschen.
Damit beschädigen Sie bewußt und gewollt ein ganz zentrales Anliegen der, deutschen Politik.
Zur Verwirrung und Täuschung des Publikums, meine Damen und Herren, spricht die Berliner SPD in ihren Beschlüssen zwar mehrfach davon, sie
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17378 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Juni 1986
Lintnertrete für die Menschen- und Freiheitsrechte ein; wie sie aber solches tun will, ohne z. B. in den Verdacht zu kommen, eine Systemänderung des kommunistischen Regimes in Erwägung zu ziehen, ist ihr eigenes Geheimnis.Beim Umgang mit Menschenrechten verbietet sich jedes Taktieren. Zumindest in Bezug auf die Deutschen handelt es sich dabei um reine Lippenbekenntnisse. Denn wer wie die SPD vom Selbstbestimmungsrecht des deutschen Volkes nichts mehr wissen will, verweigert ihm ein ganz natürliches, der Würde jedes Menschen entspringendes Recht.So betreibt die SPD ein zynisches Verwirrspiel mit Begriffen, indem sie so tut, als sei das Wiedervereinigungsgebot etwas Unfriedliches, politisch Reaktionäres, das mit Menschen- und Freiheitsrechten nichts zu tun habe.
Das neue deutschlandpolitische, sicherheitspolitische und außenpolitische Gedankengebäude der SPD, wie es jetzt in Berlin formuliert worden ist, ist unlogisch, unredlich und polemisch zugleich.
— Herr Ehmke, wir brauchen unsere Manuskripte so lange nicht zu ändern, solange Sie sich auf diesem verhängnisvollen Weg befinden.
Es ist der Versuch, Feuer und Wasser zu einem harmonischen Inhalt zusammenzufügen. Die Begriffswelt der Beschlüsse spricht Bände, meine Damen und Herren. Mit wohlklingenden Vokabeln soll die Abkehr der SPD von der Grundsatzgemeinschaft der demokratischen Parteien in der Deutschlandpolitik versteckt werden,
der Abschied aus der Sicherheitsgemeinschaft des Westens eingeleitet
und der Ausstieg aus der Wertegemeinschaft der westlichen Demokratien vorbereitet werden.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Vogel .
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit dieser Aktuellen Stunde betreibt die Union einmal mehr das Lieblingsspiel der deutschen Rechten. Sie versucht einmal mehr die Sozialdemokraten als geschichts- und vaterlandslose Gesellen zu diskriminieren,
als Leute, die das Vaterland, die Freiheit und die Demokratie gefährden. Ihnen geht es gar nicht um Fragen der Strategie. Ihnen geht es gar nicht um die Struktur der Bundeswehr oder um das Bündnis oder um Berlin. Sie vermeiden es geradezu peinlich, auf den wirklichen Inhalt des Papieres einzugehen, das Sie zum Gegenstand Ihrer Kampagne machen.
Sie verschweigen, daß in diesem Text die Unmenschlichkeit der Sperranlagen an der Grenze zur DDR und die Unterdrückung elementarer Grundrechte in Osteuropa kritisiert werden.
Sie verschweigen, daß die Sicherung der Freiheit von Berlin-West als eigentliche Legitimation für die fortdauernde Anwesenheit der Schutzmächte bezeichnet und den Schutzmächten für ihr Engagement gedankt wird. Sie verschweigen ebenso den Satz, der die den Westen bedrohende Ambivalenz der sowjetischen Vorwärtsverteidigung und ihrer Hochrüstung im Mittelstreckenbereich als entspannungsfeindlich charakterisiert.
Ihnen geht es nur darum, politische Gegner als amerikafeindlich, als bundeswehrfeindlich, als subversiv,
j a, wie Sie es eben getan haben, als verfassungsfeindlich zu diffamieren, weil Sie zur argumentativen Auseinandersetzung völlig außerstande sind.
Nehmen Sie bitte zur Kenntnis: Wir haben nicht die Absicht, uns für unsere Existenz und für unsere Geschichte zu entschuldigen und erst recht nicht für unsere Politik und für die Diskussionsprozesse, in denen wir unsere Positionen erarbeiten.
Wir haben ebensowenig die Absicht, uns von Ihnen und von Ihren publizistischen Helfershelfern ein Denkverbot auferlegen zu lassen.
Sie wissen genauso gut wie wir: Die Verantwortung für die großen Katastrophen dieses Jahrhunderts ist auf der rechten Seite deutscher Tradition zu suchen und nicht bei der deutschen Sozialdemokratie.
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Dr. VogelAlles, was uns seit der Mitte der 60er Jahre auf dem Weg zu einer europäischen Friedensordnung vorangebracht hat,
alles, was die Lebensverhältnisse der Menschen in den beiden deutschen Staaten und gerade in Berlin wirklich verbessert hat, ist gegen den erbitterten Widerstand der Union durchgesetzt worden.
Das gilt für die Ostverträge, für den Grundlagenvertrag, für das Viermächteabkommen. Das gilt ebenso für die Schlußakte von Helsinki. Die Initiativen und kontroversen Diskussionen, die diese Politik vorbereitet haben, haben Sie genauso diffamiert wie jetzt die Beschlüsse des Berliner Parteitags, die Sie überhaupt nicht zur Kenntnis nehmen.Wäre es nach Ihnen gegangen, dann säßen wir noch heute in den Gräben des kalten Krieges.
Viele von Ihnen sind schon wieder in die Gräben des kalten Krieges zurückgekehrt.
Zuletzt hat Ihr eisiges Schweigen und Ihr mühsam unterdrücktes Murren während und nach der Rede des Altbundespräsidenten Scheel hier in diesem Saal
Ihren wahren Charakter bewiesen.
Wir lassen uns nicht beirren. Wir wollen keinen deutschen Sonderweg.
-- Herr Präsident, es drängt sich die Frage auf, ob man diese Meute eigentlich gelegentlich einmal zum Schweigen bringen kann.
Herr Abgeordneter Vogel, auch ich würde, und zwar in alle Richtungen, sagen, daß die Zwischenrufe unterbleiben sollten, aber ich möchte hier auch nicht zulassen, daß eine Partei als eine Meute bezeichnet wird.
Herr Präsident, ich nehme Ihre Belehrung mit Dankbarkeit zur Kenntnis; ich habe allerdings aus einem Kirchenlied zitiert, das ich Ihnen gerne zur Verfügung stelle.
Wir lassen uns nicht beirren. Wir wollen keinen deutschen Sonderweg, aber wir wollen jede Chance nutzen, um den Rüstungswettlauf zum Stehen zu bringen. Für Sie ist der von Helmut Schmidt in seiner Rede vor den Vereinten Nationen im Juni 1982 geprägte Begriff der Sicherheitspartnerschaft ein Schimpfwort. Für uns ist die Sicherheitspartnerschaft, ist die Verantwortungsgemeinschaft eine Überlebensnotwendigkeit. Das ist der eigentliche Unterschied zwischen uns. Es wird Ihnen mit Ihrer Kampagne nicht gelingen, diesen Unterschied zu verwischen.
Das Wort hat der Abgeordnete Ronneburger.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich kenne eine ganze Reihe von Liedern, aus denen man hier in diesem Hause besser nicht zitieren würde,
gerade wenn es sich um die Disqualifizierung einer bestimmten Gruppe dieses Parlaments handelt.Herr Dr. Vogel, Sie haben eben den Versuch unternommen, aus dem in Berlin beschlossenen Papier einige Passagen herauszunehmen und mit ihnen die Verfassungskonformität dieser Beschlüsse darzustellen. Ich bestreite ja überhaupt nicht, daß die Worte vom Frieden, von der Zusammenarbeit, von der Entspannung und von einer blockübergreifenden Kooperation, wie sie in diesem Papier enthalten sind, Grundlage unserer gemeinsamen Politik sind. Aber wenn Sie einen Vergleich mit den 70er Jahren und mit der deutschlandpolitischen Auseinandersetzung jener Zeit wagen, sollten Sie nicht übersehen, daß es einen grundlegenden Unterschied zwischen der damaligen Auseinandersetzung und derjenigen, die wir heute miteinander führen, gibt: Es gab in den 70er Jahren über die Ziele der Deutschlandpolitik überhaupt keinen Dissens.
Das Ziel der Deutschlandpolitik der 70er Jahre war die Überwindung der Teilung, die Überwindung der Trennung des deutschen Volkes in zwei Teile. Über den Weg zu diesem Ziel ist gewiß hart gestritten worden.Wenn ich aber heute in dem Berliner Papier lese, daß die fortdauernde Existenz zweier voneinander unabhängiger deutscher Staaten die Voraussetzung für die Erhaltung des Friedens in Europa ist, dann zeigt sich auf einmal, daß in dieser Grundfrage, was denn eigentlich das Ziel unserer Politik sein kann und sein muß, der Konsens verlorenzugehen droht.
Deswegen sollten Sie nicht den Versuch unternehmen, aus dem Papier nur einzelne Passagen zu zitieren, sondern sollten davon ausgehen, daß dieses Papier eine Grundtendenz enthält, die nicht der entspricht, von der wir die Einigkeit und Gemein-
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Ronneburgersamkeit der deutschland- und friedenspolitischen Haltung in der Vergangenheit abgeleitet haben,
eine Gemeinsamkeit, die wir, Herr Professor Dr. Ehmke, auch für die Zukunft zu erhalten versuchen sollten.
— Wollen wir hier eine Debatte über die Scheel-Rede, wollen wir eine Debatte über Entspannungspolitik führen? In bin zu jeder Debatte in dieser Richtung bereit. Ich bin bereit, für Entspannung einzutreten, aber ich bin nicht bereit, in diesem Hause, in der Politik des Parlaments der Bundesrepublik Deutschland, zuzulassen, daß die Verhältnisse zwischen Ost und West mit völliger Einäugigkeit dargestellt werden
und daß daraus Folgerungen abgeleitet werden, die in letzter Konsequenz zu tragen ich nicht bereit bin.Ist es eigentlich noch sinnvoll, wenn in dem Papier einer Partei wie der SPD in Berlin mit ihrer Tradition auf einmal die Rede davon ist, daß selbstverständlich alle Pershing II und Cruise Missiles abzuziehen sind, daß aber bei den SS 20 im besten Falle von einer Verringerung die Rede ist?
Wird nicht alles umgekehrt, was sich an tatsächlicher Entwicklung vollzogen hat?
Wird überhaupt nicht mehr gesehen, daß die Stationierung von Pershing II und Cruise Missiles eine Reaktion auf die Stationierung von SS 20 gewesen ist?
Wo ist denn eigentlich hier noch die Ausgewogenheit einer Politik, die unsere Sicherheit und die Sicherheit unserer Partner wirklich auf Dauer darzustellen in der Lage ist?
Ich bin mit vielen Passagen dieses Papiers — Herr Dr. Vogel, ich sage es noch einmal — einverstanden, wenn man sie aus ihrem Zusammenhang herauslöst, aber ich bin nicht damit einverstanden, daß man der Bundeswehr unterstellt, sie sei zur Aggression fähig. Die NATO ist nicht angriffsfähig, und sie wird und will es nicht sein.
Aber wir werden unsere gemeinsamen Anstrengungen darauf richten müssen, daß zur Erhaltung des Friedens in der Situation,
wie wir sie heute haben, ein ausreichendes Maß an Verteidigungsfähigkeit und Verteidigungsbereitschaft erhalten bleibt. Ich wäre dankbar dafür, wenn wir diese Grundlagen gemeinsamer Politik auch in die Zukunft hinüberbringen könnten und wenn wir in der Lage wären, das, was uns bewegt, was unser Auftrag ist, was unsere Verantwortung ist, nicht dadurch in Frage zu stellen, daß wir von den gemeinsamen Grundlagen früherer Zeiten abgehen, wie es die Berliner SPD in ihren Beschlüssen getan hat.
Ich erteile das Wort dem Herrn Bundesminister der Verteidigung.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wer dieses Dokument liest, der kann nicht glauben, daß es von Mitgliedern einer Partei verfaßt wurde,
die noch vor knapp vier Jahren die Regierungsverantwortung trug.
Zwischen diesem Elaborat — anders kann man es nicht bezeichnen — und der Politik Schmidts, von Ernst Reuter einmal ganz zu schweigen, liegen Welten.
Ich frage mich, wie der Kollege Vogel hierherkommt und sich an dieses Pult stellt. Herr Kollege Vogel, Sie waren Mitglied einer Regierung, die die Strategie der Flexible Response, der flexiblen Antwort, vom ersten bis zum letzten Tag für richtig gehalten hat. Viele der Waffen, die hier als aggressiv dargestellt sind, sind unter Ihrer Verantwortung und Mitverantwortung beschafft worden. Das kann doch nicht sein, daß Sie sich hierherstellen und nicht anerkennen, daß dieser Teil Ihrer Partei gründlich abgewandert und auf eine Linie eingeschwenkt ist, die tödliche Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland beinhaltet.
In dem Dokument wird ein Weg empfohlen, der politisch gefährlich ist, der militärisch außergewöhnlich riskant ist, den ich sogar für selbstmörderisch halte, und in dem so viel hanebüchener, aber wirklich hanebüchener strategischer und sicherheitspolitischer Blödsinn verzapft wird, daß es schwerfällt, sich auf wenige Beispiele zu begrenzen. Ich will zwei herausgreifen. Da steht der geniale
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Bundesminister Dr. WörnerSatz — nachdem gesagt wird, man dürfe sich nicht länger auf Panzer verlassen —: „Dies beruht generell auf der Überreichweite des Feuers von Raketen in bezug auf das Feuer kürzerer Reichweite der herkömmlichen Rohrwaffen." Oh Sancta Simplicitas! Ich frage mich, ob der Verfasser sich jemals im Gelände der Bundesrepublik Deutschland aufgehalten hat.Dann kommt der noch schönere Satz: „Die Tiefe des Bundesgebiets darf nicht, wie gegenwärtig, für Panzer- und Luftabwehrschlachten eingeplant werden." Erst einmal haben wir den Grundsatz der Vorneverteidigung, dem Sie bis vor kurzem auch noch angehangen haben, zum zweiten wäre es schön, wenn Sie das der Sowjetunion mitteilen würden, daß sie die Tiefe des Bundesgebietes nicht für Panzerschlachten vorsehen soll.
Was dort empfohlen wird, Herr Kollege Vogel, ist eine Strategie, die wirklich nur noch als Einladung zum Angriff auf die Bundesrepublik Deutschland bezeichnet werden kann.
Das wäre das Ende der Kriegsverhinderung.
Aber weit schlimmer noch ist der geistige und der politische Duktus dieses Papiers. Die hier skizzierte politische Straße markiert zunächst einmal den Einstieg in den Ausstieg aus dem Bündnis: Zweitens muß diese Linie zum Bruch mit unserem eigentlichen Sicherheitspartner im Westen, nämlich den Vereinigten Staaten von Amerika, führen.
Drittens verhilft diese Strategie der Sowjetunion zur Vorherrschaft über Westeuropa. Und schließlich bedeutet diese Linie die faktische Unterwerfung unter den Machtwillen der Sowjetunion, nichts anderes, meine Damen und Herren.
Dieses Konzept führt nicht zu einer Friedensordnung, führt nicht zur. Selbstbehauptung Europas. Dieses Konzept führt stracks zur Selbstaufgabe Europas und zum Ende unserer Sicherheit und unserer Freiheit.Das fängt ganz einfach damit an, daß die Analyse schon falsch ist. Da wird so getan, als ob Waffen und Strategien die eigentliche Ursache des Unfriedens wären.
Kein Wort über die Tatsache, daß die Spaltung Deutschlands, daß die Bedrohung der Bundesrepublik Deutschlands, daß die Bedrohung des Westens, daß der Unfrieden auf den Machtwillen einer expansiven Diktatur zurückgeht. Die eigentliche Bedrohung liegt nicht in den Waffen und in den Soldaten, sondern in dem Unterschied von Freiheit und Unfreiheit, meine Damen und Herren.
Ober das eigentliche sicherheitspolitische Problem Europas schweigt sich dieses Papier völlig aus, nämlich über die Tatsache, daß wir strukturell nicht angriffsfähig sind, während der Warschauer Pakt strukturell angriffsfähig ist. Das wird hier völlig unterschlagen, meine Damen und Herren. Wer so falsch analysiert, der kann natürlich auch nicht zum richtigen Ergebnis kommen.Nun wollte der Kollege Vogel, daß wir uns im einzelnen damit auseinandersetzen. Er war so freundlich, einige Passagen vorzulesen. Jetzt lese ich Ihnen auch einmal einige Passagen vor:
Ich bitte, die Zwischenrufe einzustellen.
Solange die Vereinigten Staaten eine Politik der Stärke und Überlegenheit betreiben, müssen ihre europäischen Verbündeten, voran die Bundesrepublik Deutschland, die Entspannungspolitik notfalls bis zum Konflikt im Bündnis verteidigen und vertreten.
Und dann heißt es:
Das ist der Kern dessen, was die sozialdemokratische Bundestagsfraktion die Selbstbehauptung Europas nennt.Meine Damen und Herren, ist das Ihre Auffassung? Wollen Sie dieser Entspannungspolitik, die in diesen Formulierungen ja nichts anderes als die Anpassung an die Forderungen Moskaus bedeutet, das Bündnis zum Opfer bringen? Ich kann nur sagen, Kollege Vogel, wenn das kein Argument ist, wo bleibt Ihre Auseinandersetzung damit?Dann wird davon gesprochen, man müsse sich gegen die SDI-Vorstellung der Amerikaner wenden. Kein Wort darüber, daß die Sowjets das gleiche schon seit einem Jahrzehnt tun. Dann wird von den sowjetischen Abrüstungsvorstellungen gesprochen, kein Wort von den amerikanischen.Ich frage mich, Herr Kollege Vogel: Wo waren Sie eigentlich, als dieses Papier beschlossen wurde? Sie waren doch dabei. Was haben Sie getan, um das zu verhindern? Hier wird doch der Eindruck erweckt, als ob unsere Schutzmacht, die Schutzmacht Berlins, an den Spannungen dieser Welt Verantwortung trüge, schuld wäre. Es wird so getan, als ob die Schuld bei den Amerikanern, nicht bei den Sowjets läge. Das ist noch nicht einmal Äquidistanz, das ist schon Einäugigkeit, meine Damen und Herren.
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Bundesminister Dr. WörnerDie Verfasser dieses Papiers stehen Moskau näher als den Vereinigten Staaten von Amerika, eindeutig.
— Da gibt es keinen Zweifel, lesen Sie das Papier nach; Sie können es in jedem Satz nachlesen.Besonders skandalös ist: Das passiert in Berlin,
in einer Stadt, die durch eine Mauer getrennt ist. Das passiert in Berlin, wo man die Bedrohung täglich erleben kann, meine Damen und Herren, wo man den Unterschied zwischen Freiheit und Unfreiheit täglich erleben kann. Das passiert in einer Stadt, die nur deswegen frei ist, weil eben jene beschimpften Amerikaner mit ihren Soldaten präsent sind und die Freiheit dieser Stadt verteidigen.
Das zweite, und das ist noch skandalöser: Da sprechen die linken Köpfe dieser Partei auf diesem Treffen offen von einer „bewußten Zäsur", von einem „historischen Parteitag", und sie haben ganz offen die Absicht, die ganze SPD auf diesen Weg zu trimmen. Hier soll doch eine Linie vorprogrammiert werden. Und nun die Frage: Hat die Parteispitze eingegriffen? Wo ist die Stellungnahme des Kanzlerkandidaten Rau? Von Herrn Vogel haben wir gerade gehört, daß er nichts dazu zu sagen hat.
Ich sage Ihnen: Das zeigt, wohin die Reise der SPD geht,
aus dem Bündnis ins sicherheitspolitische Niemandsland. Von dort führt ein gerader Weg in die Abhängigkeit von Moskau, meine Damen und Herren.
Unser Trost ist der, daß die überwältigende Mehrheit der Berlinerinnen und der Berliner und die überwältigende Mehrheit der freien Deutschen Ihnen auf diesem Weg nicht folgen wird, meine Damen und Herren.
Das Wort hat der Abgeordnete Lange.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das, was Herr Wörner hier jetzt gerade wieder von sich gegeben hat, bewegt sich hauptsächlich in den Denkkategorien, deren Pfeiler links und rechts angesiedelt sind, zwischen Washington und Moskau.
Dazwischen ist wenig Platz.Ich nenne einige Worte, die er in den Mund genommen hat in Richtung auf dieses Papier, von dem ich glaube, daß er es gar nicht richtig gelesen hat, wie übrigens sein Vorredner der CSU genauso.
Er sagte „tödlich", er sagte „selbstmörderisch", er sagte „Einladung zum Angriff auf die BRD".
— „BRD" hat er nicht gesagt, das hat er nicht gesagt. Das ist natürlich ein entscheidender Fehler von mir.Mit solchen Worten versucht er Stimmung gegen eine Politik zu machen, die aus der Sicht der GRÜNEN zumindest als kreativ, als der Beginn eines alternativen Denkens interpretiert werden kann.
Dagegen steht fest — und insofern wird das ein Bumerang für Sie hier sein genauso wie bei der Bülow-Debatte letztes Jahr —, daß Ihre Partei, die CDU/CSU, nichts anderes ist als sicherheitspolitisch eine Mumie,
die erst immer dann lebendig wird, wenn sie merkt, daß andere aus dieser Grabkammer herauswollen, in die Sie uns durch Ihre jahrzehntelange Politik der Aufrüstung und Westbindung gebracht haben.
Ein Verteidigungsminister, der mit dem Mittel des Antikommunismus als ideologisches Rüstzeug ausgestattet, als Agent der Rüstungsindustrie in der Welt herumreist und als Langzeitpianung immer nur mehr Waffen und noch mehr Waffen im Kopf hat, der ist der allerletzte, der berechtigt ist, sich über ein Papier aufzuregen, das versucht, aus diesen Strukturen herauszukommen.
Natürlich ist dieses Papier widersprüchlich und fordert zur Diskussion heraus. Die SPD will die Westbindung, aber sie will die Blöcke überwinden; sie will militärische Verteidigung, aber die richtige; sie sieht die Übermacht der Supermächte, sie will aber Sicherheitspartnerschaft mit diesen Supermächten; sie will die Selbstbehauptung Europas im Bündnis; sie will aber nur — wie es dort in diesem Papier heißt — bis zum Konflikt im Bündnis gehen. Die Frage wäre dann natürlich: Was passiert, wenn der Konflikt eintritt? Wie weit geht die SPD?
Sie erkennt das pathologische Verhältnis der Supermächte zueinander an, hofft aber unbeirrt nicht nur auf Rüstungskontrolle, nein, sogar auf Dialog zwischen den Supermächten.
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LangeAuf der anderen Seite aber sind durchaus richtige Analysen der Gegenwart zu finden. Die Abschreckung wird in diesem Papier zu Ende gedacht. Das Schlachtfeld Mitteleuropa wird genannt. Die Krisenherde in der Dritten Welt als Übergreifgefahr auf Europa werden genannt. Überhaupt wird der Zusammenhang der Dritte-Welt-Politik im Hinblick auf weltweite Friedenssicherung gesehen. In Papieren von ihnen ist das nicht nachzulesen.Die Möglichkeiten deutsch-deutscher Initiativen in Mitteleuropa im Sinne konstruktiver Friedenspolitik werden genannt. Es wird eine Kritik sowohl der herrschenden Bedrohungsanalyse als auch der Flexible Response angesetzt, eine Kritik, die lange überfällig gewesen war. Geist, Logik und Politik der Abschreckung werden grundsätzlich in Frage gestellt.
Meine Damen und Herren, gegenüber einer Partei, die zwar die erstarrten Blockstrukturen in Europa nicht antasten will, aber wenigstens in Bewegung bleibt und ist an ihrer Basis, bei ihren Mitgliedern,
hat die CDU/CSU als allerletzte das Recht, hier auf der Richterbank Platz zu nehmen.Die stärkste Stelle in diesem Papier nenne ich das, was Sie als größte Gefahr betrachten, nämlich die geforderte Bundestagsentscheidung zur Aufhebung des Doppelbeschlusses und das Eintreten in Verhandlungen zwischen den USA und der UdSSR zum Abzug sämtlicher Mittelstreckenraketen und Kurzstreckenraketen in Europa.
Herr Ronneburger, was den Doppelbeschluß anbelangt, sind wir uns doch hoffentlich in einem einig: Man kann darüber streiten, ob das je ein Doppelbeschluß gewesen ist, aber das es ein Doppelbeschluß in dem Sinne war, daß er doppelte Bewaffnung und doppelte Rüstung in Mitteleuropa nach sich gezogen hat, ich glaube, darüber sollten wir uns einig sein. Denn nach den Pershing II und Cruise Missiles kamen auf der anderen Seite noch mehr Raketen. Da haben Sie Ihren Erfolg, den Sie heute so hochhalten, nach wie vor nicht gehabt.
— Nein, wir haben das Papier nicht mitformuliert; vieles in dem Papier ist von uns abgeschrieben. Das ist der Sachverhalt.
Im Zeitalter permanenter beschleunigter Hochrüstung, wo die Kriegsgefahren tagtäglich wachsen, ist Konservatismus keine Steitigkeit, kein Bewahren, sondern ein gefährliches Fortschreiten in Richtung Kriegsgefahr. Im Grunde sind Sie negativ-progressiv auf dem Felde des Antikommunismus, der beharrlichen Aufrüstung, des Zementierens des Status quo in Europa, d. h. des Unfriedens unter einer knallharten amerikanischen Interessenpolitik, die Sie als Freundschaft verkaufen. Wir jedenfalls werden weiterhin dafür sorgen, daß diese Ihre Progressivität des Unfriedens zum Scheitern verurteilt sein wird. Die Bürger werden Ihre Orwellsche Sprachverdrehung, die Herr Wörner vorhin auch wieder an den Tag gelegt hat, auf Dauer nicht mehr hinnehmen, mit der Sie Friedensbewegungsfreunde als Handlanger Moskaus bezeichnen, östliche Abrüstungsvorschläge natürlich als Propaganda und das Kriegsbündnis NATO als Wertegemeinschaft hinstellen.Vielen Dank.
Das Wort hat der Abgeordnete Kittelmann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Dr. Vogel, nicht Vorwärtsverteidigung und Diffamierung wären hier am Platz gewesen, sondern der Versuch eines kritischen Zurechtrückens dessen, was in Berlin geschehen ist. Sie haben diese Chance versäumt. Sie haben dadurch, daß Sie zu den kritischen Punkten nichts gesagt haben, bestätigt, daß Sie persönlich auch hinter diesen kritischen Passagen stehen.
Kein Wort haben Sie zu alldem gesagt, was seit wenigen Tagen Berlin bewegt, was die deutsche Öffentlichkeit bewegt.
Kein Wort haben Sie zu dem gesagt — lassen wir einmal die Vorwürfe der CDU/CSU und der FDP beiseite —, was beinahe alle deutschen Zeitungen einschließlich der „Frankfurter Rundschau", einschließlich der „Süddeutschen Zeitung" — um nur die Ihnen vielleicht nahestehenden Zeitungen zu erwähnen — an Kritik geäußert haben. Sie versuchen, wegzutauchen und durch Diffamierungen über diese Aktuelle Stunde hinwegzukommen.
Diese Aktuelle Stunde ist für die CDU/CSU keine Stunde der Schadenfreude.
Sie ist vielmehr Ausdruck einer ernsten Sorge um das Schicksal der ehemaligen Berlin-Partei SPD. Wir sind besorgt über den bewußten Bruch mit gewachsenen Gemeinsamkeiten.
Die Berliner SPD gibt sich gefährlichen Illusionen hin und, wie wir heute feststellen, anscheinend auch die gesamte SPD-Fraktion. Sie stellt die durch den Schutz der drei Westmächte garantierte Le-
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Kittelmannbensfähigkeit in Frage. Sie untergräbt den gesicherten Status der Stadt.Alles das, was in den letzten Tagen und Wochen im Vorfeld dieser Diskussion gesagt worden ist — z. B. vom Vorsitzenden der SPD-Fraktion in Berlin, der einen gefährlichen Antiamerikanismus in die Debatte eingeführt hat, der den gewählten Präsidenten der Vereinigten Staaten beleidigt und gleichzeitig überhaupt nicht in Frage stellt, daß ihm der Führer der Diktatur des Proletariats, der nicht durch geheime, freie Wahlen gewählt worden ist, nähersteht als die amerikanische Schutzmacht —, zeigt, wie gefährlich der Weg der Sozialdemokraten in Berlin — und leider nicht nur in Berlin — ist.Ich habe mir die Rednerliste angesehen. Ich bitte, daß Sie die Berliner nicht verstecken. Ich erwarte, daß Herr Egert, Herr Heimann, Herr Stobbe auf das Podium gehen dürfen und nicht etwa mit einem Maulkorb versehen werden.
Jede Form konstruktiver Auseinandersetzung mit den USA — auch hinsichtlich ihrer Eigenschaft als Schutzmacht — ist nicht zu beanstanden. Konstruktive Auseinandersetzung! Aber undifferenzierte Übernahme sowjetischer Positionen und Betonung größerer Nähe zur sowjetischen Außenpolitik als zur amerikanischen Schutzmacht bedeuten für Berlin bösartigen Antiamerikanismus.
Ich frage z. B. Willy Brandt, ehemaliger Regierender Bürgermeister von Berlin und jetzt Parteivorsitzender der SPD
— ich gebe ja zu, daß er, wie er glaubte, in seiner Position in Lima wichtiger war —, warum er nicht im Vorfeld dieses Parteitages versucht hat — denn diese Parteitagspapiere wurden wochenlang vorher diskutiert —, Einfluß zu nehmen. Ich frage Herrn Dr. Vogel, jetzt Fraktionsvorsitzender, ehemaliger Regierender Bürgermeister der Stadt, warum er im Vorfeld dieses Parteitages nichts unternommen hat und warum er sitzen blieb, als andere mutige Genossen den Parteitag verließen. Heute versucht er in schäbiger Weise, sich aus seiner Verantwortung herauszureden.
Ich frage auch Sie, Herr Stobbe, nach Ihrer Haltung, obwohl ich es anerkenne, daß Sie versucht haben, Ihren Auszug nicht nur als politische Handlung zu werten. Es war j a vielmehr ein Hilferuf der inzwischen zur Minderheit gewordenen Rechten,
überhaupt auf das aufmerksam zu machen, was auf diesem Parteitag geschieht. Wären die Rechten nicht ausgezogen, würden die Linken einen Erfolg gefeiert haben. So aber ging er teilweise unter. Darüber hinaus versuchen Sie, ihn hier zu verharmlosen.
Meine Damen und Herren, der Regierende Bürgermeister
hat Herrn Rau aufgefordert, Stellung zu nehmen. Vielleicht hat Herr Rau in dem Zweieinhalb-Stunden-Gespräch, das er mit Herrn Gorbatschow hatte, frohe Kunde verkünden können, indem er das Papier der Berliner SPD erläuterte und dafür Verlängerung seines Gesprächstermins bekam.
Unser Respekt gilt denen, die diesen Parteitag verlassen haben.
Und, meine Damen und Herren: Es ist ein Glück für Berlin, daß diese ehemalige Berlin-Partei die Stadt nicht mehr regiert. Denn es wäre der Niedergang Berlins, wenn diese Partei wieder politische Verantwortung übernehmen dürfte.
Für die Zukunft der Stadt ist es positiv, daß die riesengroße Mehrheit der Berliner eine solche Politik nicht mittragen wird. Wer in den letzten Tagen die Berliner Zeitungen „Der Tagesspiegel" vom 24. Juni 1986 — Herr Böhlke —, die „Berliner Morgenpost" vom 24. Juni 1986 — Herr Stiege —, das „Volksblatt" vom 24. Juni 1986 — Herr Höppner — gelesen hat, dem wird klar, auf welchem Weg sich die Berliner SPD befindet. Ich bitte die SPD-Fraktion, die hier Solidarität zeigt, obwohl sie im Innern hoffentlich etwas ganz anderes empfindet als das, was hier gesagt wird, diese Kommentare genau nachzulesen, damit Sie wissen, wie die Öffentlichkeit denkt.
Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit ist abgelaufen. Bitte, kommen Sie zum Schluß.
Noch ist es nicht zu spät zur Umkehr. Wir fordern Sie zur Rückkehr zu Gemeinsamkeiten in existentiellen Fragen der Sicherung der Stadt Berlin auf.
Schönen Dank.
Das Wort hat der Abgeordnete Horn.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren!
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HornDiese Aktuelle Stunde hätte die Chance eröffnet, über die Grundlagen unserer Sicherheitspolitik zu diskutieren,
wenn die CDU nicht der Gefahr erlegen wäre, eine rein parteipolitische Agitationsstunde ablaufen zu lassen, an der sich der Verteidigungsminister leider Gottes in besonders einseitiger und in besonders simpler Weise beteiligt hat.
Worum geht es eigentlich? Die Militärstrategien in Ost und West sind Gegenstand der öffentlichen Kritik; ihre Glaubwürdigkeit wird zu Recht bezweifelt.
Mitteleuropa hat die größte Anhäufung von Waffen, die es auf diesem Erdball gibt. Immer neue — gefährlichere und unwägbare — Waffensysteme kommen hinzu.Die Union sagt: Frieden schaffen mit immer weniger Waffen. Aber allein in diesem Monat überschüttet die Bundesregierung uns mit Rüstungsbeschaffungsvorlagen mit einem Wert von mehr als 5 Milliarden DM.
Das Parlament hat keine Zeit zur Beratung, von Angemessenheit ganz zu schweigen. Dies zeigt: Bei dieser Regierung gehen Abrüstungsrhetorik und Aufrüstungspraxis Hand in Hand.
Da wird ein auf Europa heruntergezogenes SDI propagiert, da wird ein nichtsnutziger SDI-Vertrag abgeschlossen, da werden jenseits des Atlantiks Atomtests durchgeführt, der ABM-Vertrag in Frage gestellt,
die Chemiewaffenproduktion in die Wege geleitet und SALT II gekündigt, und von der deutschen Bundesregierung kommt nicht eine einzige Abrüstungsinitiative.
Der CDU-Mann Professor Biedenkopf hat als erster die Frage nach der Akzeptanz dieser Strategie gestellt. Das Sozialwissenschaftliche Institut der Bundeswehr hat festgestellt, daß mehr als zwei Drittel der Wehrpflichtigen, mehr als 50 % der längerdienenden Soldaten und mehr als ein Drittel der Berufsoffiziere den Einsatz von nuklearen Waffen ablehnen. Das heißt auf gut deutsch:
Sie zweifeln an der bestehenden Strategie, sie zweifeln an ihrem Auftrag; die Ergebnisse der jüngsten Untersuchungen sind noch dramatischer.Es ist doch ein beispielloser Vorgang in der NATO, daß sechs NATO-Staaten hinsichtlich der Frage der Chemiewaffenproduktion ihre Vorbehalte anmelden.
Es ist ein einmaliger Vorgang, daß die NATO-Parlamentarier in der Nordatlantischen Versammlung in Luxemburg zusammen mit den amerikanischen Demokraten den SDI-Passus in der Rüstungskooperation gestrichen haben. Die Risse zeigen sich demnach auch im Bündnis, d. h. der Konflikt geht über unsere Gesellschaft hinaus.
Der Konflikt ist weltweit. Eine Allianz von 16 Staaten, meine Damen und Herren, ist auf die Dauer nicht lebensfähig, wenn sie sich nur auf die Achse konservativer Christdemokraten in Bonn und konservativer Republikaner in Washington stützt.
Die Verkürzung des Bündnisses auf diese zwei Kräftegruppierungen wird sich auf die Dauer als schädlich und verheerend auswirken.
Selbst ein so überzeugter Atlantiker wie Helmut Schmidt hat kürzlich gesagt: Herr Reagan ist nicht der Oberbefehlshaber Europas.
Die Konservativen bleiben ihrer Tradition treu, sie trennen, sie spalten. Die deutsche Sozialdemokratie muß aus 125jähriger Tradition den Weg weiter beschreiten, Konflikte, die in unserer Gesellschaft vorhanden sind, aufzuarbeiten und für unser Volk nutzbar zu machen. Die Konservativen verdrängen die Konflikte so, wie sie übrigens auch den Einbruch der Unterwelt in die Berliner CDU auch heute noch verdrängen.
Volksparteien haben die Aufgabe, Spannungen und Konflikte, die in der Gesellschaft vorhanden sind, aufzunehmen, sie zu diskutieren, einer Lösung zuzuführen, damit sie der Staat nicht auszutragen hat. An diesem Problem ist schon einmal eine deutsche Republik trotz Warnungen der Sozialdemokraten gescheitert. Die deutschen Sozialdemokraten werden diesen Weg des inneren Konfliktaustragens um unseres Staates willen auch weiterhin begehen. Politische Parteien sind nicht Selbstzweck, sie die-
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17386 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Juni 1986
Hornnen dem Volk. Die deutsche Sozialdemokratie stellt sich jedenfalls dieser Aufgabe.
Ich erteile das Wort dem Staatsminister beim Bundesminister des Auswärtigen, Herrn Möllemann.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist in dieser Aktuellen Stunde nach der Haltung der Bundesregierung zum Beschluß der Berliner SPD zur Sicherheits- und Bündnispolitik gefragt, und ich finde, deswegen sollten wir uns auch darüber unterhalten.
Dieser Beschluß, von dem Herr Lange interessanterweise feststellt, er sei vom Papier der GRÜNEN abgeschrieben — diese Mitteilung fand ich beachtlich — macht — ich muß sagen: ein weiteres Mal — deutlich, daß sich die sozialdemokratische Partei in dem von Herrn Horn beschriebenen Prozeß nicht auf dem Weg zu dem sicherheitspolitischen Konsens bewegt, den sie mit der Abkehr vom Doppelbeschluß verlassen hat und von dem sie sich seit dem Ausscheiden aus der Regierungsverantwortung zunehmend entfernt hat. Es ist eine Abkehr vom Konsens in der Bundesrepublik Deutschland, aber auch vom Konsens im Bündnis. Das konnte man auf dem Parteitag der SPD 1983 in Köln sehen, als der frühere Bundeskanzler Helmut Schmidt für seine sicherheitspolitischen Vorstellungen noch ganze 4 % der Stimmen erhielt. Man muß sich das vorstellen: Nur wenige Monate nach seinem Ausscheiden aus dem Amt erhielt er gemeinsam mit anderen Vertretern der bis dato gültigen Regierungspolitik, noch 4 % der Stimmen, gemeinsam mit Dietrich Stobbe, mit Hans Apel, mit Peter Corterier. Ich würde mir wünschen, daß diese Kollegen hier einmal zu ihren Grundüberzeugungen in der Sicherheitspolitik sprechen.
Herr Stobbe ist doch beim Parteitag nicht deswegen ausgezogen, weil die Konservativen in Deutschland diesen und jenen Fehler machen. Offenbar hält er die Politik der eigenen Partei für fehlerhaft und verhängnisvoll, und Sie sollten sich dazu einmal äußern.
Tatsache ist, daß heute der sicherheitspolitische Weg in der SPD programmatisch-inhaltlich erkennbar eher von Erhard Eppler, Oskar Lafontaine und dem Kollegen von Bülow vorgezeichnet wird und daß sich deswegen das Entfernen von früheren gemeinsamen Positionen beschleunigt hat.
Meine Damen und Herren, der Konsens, der aus unserer Sicht weiterhin Gültigkeit hat, ist beim Außenministertreffen in Halifax zum Ausdruck gekommen. Er beruht auf der Entschlossenheit, das für die Verteidigung Notwendige zu tun und auf dieser Basis — Dialog, Zusammenarbeit und Rüstungskontrolle -- Abrüstung mit dem Osten zu suchen. Die Vorstellungen der Berliner SPD — es gibt Anzeichen, daß die Bundes-SPD weit darüber hinausgeht, die Rede von Herrn Vogel hat das eigentlich bestätigt, denn er hat ja kein kritisches Wort dazu gesagt —
dokumentieren nicht die für eine realistische Entspannungspolitik erforderliche Entschlossenheit, das für eine glaubhafte Verteidigung Notwendige zu tun.Lieber Herr Kollege Horn, wir beide waren gemeinsam im Verteidigungsausschuß, als unter dem Verteidigungsminister Georg Leber die größten Rüstungsprogramme der Bundesrepublik Deutschland in ihrer Geschichte beschlossen wurden, weil wir das für notwendig hielten. Die sogenannte zweite Welle, die an Volumina alles überstieg, was derzeit beschlossen wird, wurde damals von Ihnen und uns gemeinsam beschlossen. Ich glaube, Sie hätten den Vorwurf zurückgewiesen, hier gehe Abrüstungsrhetorik und Aufrüstungsentscheidung Hand in Hand.
Lassen Sie doch diese infamen Erklärungen. Sie wissen doch sehr genau, daß hier das aus sicherheitspolitischer Kenntnis Notwendige geschieht, daß hier Vorschläge der Bundesregierung für eine verantwortliche Politik gemacht werden.
— Herr Kollege Horn, der Hinweis, ich redete Mist, entspricht Ihrer Diktion und Ihrer Aufgeregtheit. Sie haben kein sachliches Argument vorgetragen, warum Sie sich von früheren Positionen entfernen.
Die Rezepte, die die SPD — jedenfalls die Berliner SPD — für die Bundeswehr empfiehlt, führen in die Unsicherheit.
Sie vernachlässigen vitale Interessen und würden uns auch im Bündnis — würden wir sie umsetzen — isolieren. Ich hoffe sehr, daß das nicht die Absicht ist. Eine Konfliktstrategie im Bündnis, auf dessen Schutz wir alle — ganz besonders Berlin — noch viele Jahre angewiesen sein werden, wie sie dort propagiert wird, ist kein erfolgversprechender Weg zur Gewährleistung unserer Interessen. Unser Gewicht beruht j a gerade auf den von allen Bündnispartnern anerkannten deutschen Beiträgen zur gemeinsamen Verteidigung. Ein klares Wort zum
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Staatsminister Möllemannsicherheitspolitischen Standort der deutschen Sozialdemokratie ist nun wirklich mehr als überfällig.Für die Rüstungskontrollpolitik, die nur ein integraler Teil der Sicherheitspolitik sein kann und muß, wird in dem Papier, für jedermann nachlesbar — ich empfehle die Lektüre übrigens gerade den Kollegen der sozialdemokratischen Fraktion, weil ich das Gefühl habe, daß sie das noch gar nicht gelesen haben —, ein Gemisch aus einseitigen Schritten, Vorleistungen und Wunschdenken angeboten. Ein solches Vorgehen würde nicht mehr Sicherheit schaffen, sondern mehr Instabilität.Das Ziel der Bundesregierung ist und bleibt es, mehr Stabilität zu schaffen, wenn möglich, mit weniger Waffen, wobei sich die Bewaffnung an der Bedrohungsanalyse und an den Möglichkeiten ausrichtet, bei den Rüstungskontrollverhandlungen zu einem Konsens zu kommen. Es ist unredlich, Herr Kollege Horn, wenn Sie sagen, es gebe keinerlei Initiativen in diesem Bereich. Sie haben dann wieder die beliebten Beispiele gebracht. Sie wissen als Mitglied des Verteidigungsausschusses, daß der letzte Vorschlag des Westens bei den MBFR-Verhandlungen im wesentlichen auf deutsche Initiative zurückzuführen ist. Im Ausschuß haben Sie das sogar positiv gewürdigt.
Warum stellen Sie sich jetzt hierhin und sagen: Es gibt keine Initiative?Sie wissen, daß die Bundesregierung bei den Genfer Verhandlungen über einen umfassenden Atomteststopp einen Verfahrensvorschlag für ein umfassendes Verifikationssystem eingebracht hat. Warum stellen Sie sich hierher und sagen, es gebe keine Initiative?
Sie wissen, daß wir bei den chemischen Waffen zum erstenmal in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland ein Arrangement erreicht haben, nach dem bis 1989 die hier lagernden chemischen Waffen abgezogen werden. Das haben wir früher in gemeinsamer Regierungszeit nicht erreicht. Wer sich so wenig auf den Sachpunkt bezieht, lieber Herr Horn, und so stark mit wolkigen Erklärungen abzulenken versucht,
muß das gleiche Maß an Betroffenheit in Wahrheit empfinden, das den Kollegen Stobbe ja jetzt noch sichtlich kennzeichnet und das ihn und seine Freunde zum Verlassen des Saales gebracht hat.
Es ist doch ein interessanter Vorgang, wenn 120 Mann — alles Sozialdemokraten — aus dem Saal hinausgehen, weil sie sagen: Wir sind es leid, wir können es nicht mehr ertragen, was hier als eine unverantwortliche Position beschlossen wird.
Zurückzuweisen sind auch Unterstellungen, die militärische Strategie der NATO entspreche nicht der politischen Zielsetzung, nämlich Verteidigungsfähigkeit und Entspannungsbereitschaft. Gerade die Streitkräftestruktur des westlichen Bündnisses ist im Gegensatz zu der des Warschauer Paktes nicht offensiv; sie ist ausgerichtet an dem Auftrag für Verteidigung..Ich möchte noch einmal, Herr Kollege Vogel, das Wort aufnehmen, weil mich das wirklich bedrückt: Es gibt heute keinen essentiellen Punkt, in dem sich Strategie, Struktur und Bewaffnung der NATO und unserer Bundeswehr von dem unterscheiden, was in der damaligen Regierungszeit, als Sie am Kabinettstisch saßen, galt. Wieso gehen Sie jetzt hin und bezeichnen diese Strategie, Struktur und Bewaffnung als nicht im Einklang mit dem Defensivauftrag des Grundgesetzes stehend? Warum sagen Sie. nicht, daß die Entwicklung dieser Konzepte von Helmut Schmidt über Georg Leber bis hin zu Hans Apel auch in Ihre Verantwortlichkeit gefallen ist? Sie lösen sich aus dieser Verantwortlichkeit, und das ist nicht in Ordnung.
Meine Damen und Herren, die destabilisierende Wirkung in Europa geht nicht von der NATO aus, sondern beruht vor allem auf dem Übergewicht an konventionellen Kräften des Warschauer Pakts. Deshalb haben wir auch die in Budapest bestätigte Bereitschaft der Staaten des Warschauer Pakts begrüßt, über konventionelle Rüstungskontrolle und Abrüstung in Europa vom Atlantik bis zum Ural zu verhandeln. Die Ernsthaftigkeit einer solchen Bereitschaft kann am Verhandlungstisch in Wien und Stockholm bewiesen werden. Es fällt aber auf, daß in dem Papier, über das wir hier sprechen, ein solcher Appell an die Staaten des Warschauer Pakts fehlt. Das ist wieder ein Beispiel für eine Politik, die sich einseitig nur an die falsche Adresse wendet.Wer ist denn unser Verbündeter? Wer bedroht unsere Sicherheit? Sicherheitspartnerschaft ist, denke ich, doch nur mit dem möglich, mit dem wir die Vorstellung von freiheitlicher Demokratie und Menschenrechten teilen. Meine Damen und Herren, es ist ein fundamentaler Irrtum anzunehmen, die Bundesrepublik Deutschland könne ihre Sicherheit durch Distanzierung vom und im Bündnis, durch einseitige Vorleistungen, Strukturveränderungen und Abbau der Streitkräfte erhöhen. Sicherheit ist für uns nur auf der Grundlage des Bündnisses zu gewährleisten.Eine letzte Bemerkung zu den Ausführungen, die der Vertreter der GRÜNEN hier gemacht hat. Ihre Feststellung zum Doppelbeschluß war losgelöst von jeder Sachkenntnis. Sie wissen sehr genau, daß der Doppelbeschluß die Reaktion auf die Hochrüstungspolitik der Sowjetunion im Mittelstreckenbereich,
die Reaktion auf die Aufstellung der SS 20 war. Das war der Grund, warum Helmut Schmidt und Hans-Dietrich Genscher diesen Beschluß in der damaligen Phase im Bündnis eingebracht haben. Er findet dort nach wie vor seine Rechtfertigung.
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17388 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Juni 1986
Staatsminister MöllemannZu Ihrer zweiten Bemerkung, die hier ein bißchen untergegangen ist. Sie haben erklärt, die NATO sei ein Bündnis zur Vorbereitung eines Krieges. Herr Bastian, wie ist das: Haben Sie in der Armee eines Bündnisses zur Vorbereitung eines Krieges gedient? Vielleicht erklären Sie Ihren Kollegen einmal, was die Bundeswehr ist.Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat der Abgeordnete Schwarz.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte mit einem Zitat aus einem Buch beginnen, das im Oktober 1945 erschienen ist. In dessen Vorwort heißt es:Nur in einer sich selbst formenden öffentlichen Meinung, welche aus einer freien, keinem Diktaturzwang gehorchenden Presse ihr Wissen schöpft und welche die Kraft hat, den Einflüsterungen der Propaganda und der Geschichtsfälschung gegenüber eine kritische Haltung zu bewahren, besitzen wir eine gewisse Schutzwehr für den neuen Frieden.Ich glaube, daß diese Feststellung, die im Oktober 1945 getroffen worden ist, damals richtig war und auch heute noch richtig ist. In einer „freien, keinem Diktaturzwang gehorchenden Presse besitzen wir eine gewisse Schutzwehr für den neuen Frieden".Glauben die Sozialdemokraten, daß wir, wenn festgestellt wird, daß in unserer freien westlichen Welt, nicht aber in der Sowjetunion die zu Beginn skizzierte Freiheit vorhanden ist, deshalb Feindbilder aufbauen? Denn es heißt in der Berliner Entschließung:Sozialdemokraten lehnen es ab, daß immer neue Feindbilder produziert werden.Ist das Ideologie? Ich sage das, weil der Herr Ehmke fragte. Das ist eine Ideologie. Nein, wir produzieren keine neuen Feindbilder, wenn wir heute wie in der Vergangenheit feststellen, daß es in der Sowjetunion keine Meinungs- und keine Pressefreiheit gibt. Die ständige Forderung nach der Informations- und Pressefreiheit in der Sowjetunion, in den Ländern Osteuropas bedeutet nicht, ein neues Feindbild zu produzieren. Es ist unsere Pflicht, unsere Stimme für die Freiheit in diesen Ländern zu erheben, weil die Menschen drüben dies nicht tun können.Wenn ich die Berliner Entschließung lese, dann stelle ich fest, daß sich die deutsche Sozialdemokratie als Stimme der Freiheit, wenn es um die Sowjetunion geht, abgemeldet hat. Dann muß man die Frage stellen, warum sie das tut. Da finden wir in der Berliner Entschließung den Satz — weil wir es mit der Sowjetunion gut halten müssen —:Die Sowjetunion verfügt reichhaltig über Rohstoffe, die in Westeuropa fehlen.
— Aber natürlich! Das steht in Ihrer Entschließung.Heißt es jetzt bei der SPD: Austausch von Freiheitgegen Rohstoffe? Ist das die neue SPD, die sich uns darstellt, wenn es um die Sowjetunion geht? Karl Marx hätte es als kapitalistisch bezeichnet, wenn man diese Alternative gestellt hätte.
Aber es wird ja noch viel marxistischer in Ihrer Entschließung.
Dort heißt es:Die innere wirtschaftliche Dynamik der kapitalistischen Länder drängt diese zur Produktion von Rüstungsgütern, zum Rüstungsexport und erforderlichenfalls zur militärischen Beherrschung von Rohstoffquellen und Absatzmärkten.Aber, meine Damen und Herren, so schreibt das j a noch nicht einmal die „Prawda" heute, wenn sie sich mit den Dingen auseinandersetzt.
Da lobe ich mir den fortgeschrittenen Sozialismus der Volksrepublik China, die längst über diese Entwicklung hinausgegangen ist. Ich frage mich: Wo ist die deutsche Sozialdemokratie? Wo hat sie eigentlich heute ihren Grund? Es heißt in diesem von mir eben zitierten Buch, daß die Völker der Zukunft von den Erfahrungen des sowjetischen Planaufbaus lernen wollten — so im Oktober 1945. Wenn ich Tendenz und Inhalt Ihrer Entschließungen von Berlin sehe, frage ich mich: Folgen Sie Willy Brandt, der dies damals, 1945, in einem Buch über den Zweiten Weltkrieg geschrieben hat, so weit, daß heute der Planaufbau der Sowjetunion für Sie das Vorbild für die Gestaltung der Bedingungen in der Bundesrepublik Deutschland ist? Mein Gott, die deutsche Sozialdemokratie ist ganz, ganz tief gesunken!
Sie sind nicht mehr die Vertreter, die Stimme der Freiheit, nein. Sie sind auf einem Weg zurück in eine marxistische Theorie, die in keiner Weise mit den Wirklichkeiten heute zusammenhängt.Ich bin ganz sicher
— Herr Egert, Sie sind der Anführer der Neomarxisten in dieser SPD; damit dies sehr klar und sehr deutlich ist —,
mit dieser Programmatik werden Sie in der Bundesrepublik Deutschland nicht mehrheitsfähig, genausowenig wie in Berlin,
— und mit Ihnen, Herr Vogel schon gar nicht.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Juni 1986 17389
Das Wort hat der Abgeordnete Egert.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Anführer der marxistischen Umwälzung in der SPD hat das Wort bekommen. Ich will ein paar Bemerkungen zu dieser Debatte machen.
Ich habe mich gefragt, wie die Sorge der Bundesregierung um den Zustand der Berliner SPD eigentlich den tieferen Hintergrund für eine Debatte im Bundestag abgeben soll. Da bin ich auf die Erklärung gekommen,
daß es sein könnte, daß Sie sich wirklich sorgen. Dann würde ich mich allerdings mit mehr Substanz auf diese Debatte vorbereitet haben. Ich würde voraussetzen, daß man die Beschlüsse unseres Parteitages wirklich gelesen hätte. Dies wäre die eine Möglichkeit gewesen. Dies ist nicht passiert. Also muß ich annehmen, daß es einmal mehr der deutsch-nationale Bauch ist, der sich um die SPD immer dann sorgt, wenn Sie meinen, sich dadurch Wahlkampfvorteile erschleichen zu können.
Und darum geht es: Sie wollen sich in dieser Debatte nach alten Erklärungsmustern Wahlkampfmunition drechseln. Da wird mir angst und bange, daß Sie dann alle toten Sozialdemokraten auferstehen lassen und sie in den heiligen Krieg gegen die lebenden ziehen lassen wollen. Diesen Versuch der Parteispaltung im nachhinein werden wir Ihnen nicht erlauben. Da machen wir nicht mit.
— Wissen Sie, Herr Kittelmann, wir in der Berliner SPD haben sehr überzeugend — und hätte mir gewünscht, ich hätte Sie eingeladen, weil es eindrucksvoll war — des 40. Jahrestages der Urabstimmung der Berliner Sozialdemokratie gedacht.
Auf diesen Veranstaltungen haben jung und alt, Linke wie Rechte den dreisten Versuch der Konservativen abgewehrt, den Sozialdemokraten ihre Geschichte zu stehlen. Da stehen wir in einer Kontinuität und brauchen von denen, die mit ihren geistigen Vätern Deutschland kaputtgemacht haben, keine Belehrung.
— Wir brauchen keine Belehrung, von Ihnen nicht, meine Herren.
Nun reden wir einmal über die Gemeinsamkeiten, die Sie hier beschwören wollen. Ihr erster Redner in dieser Debatte — —
— Herr Präsident, würden Sie diesen Schreihals zur Ruhe bringen?
Ihr erster Redner war, wenn ich mich recht erinnere, an einem Unternehmen beteiligt, deutschlandpolitische Gemeinsamkeiten des Bundestages herzustellen.
An wem ist denn dieses Unternehmen gescheitert? An Gerhard Heimann, einem der Mitverfasser des Berliner Papiers, oder an Herrn Lintner, weil der nicht durfte? Herr Ronneburger, Ihre Autorenschaft für eine Politik gestern habe ich immer sehr geschätzt. Was Sie heute machen, weil Sie in der neuen Koalition diese Kontinuität nicht mehr durchsetzen können, gehört doch eigentlich auf die Anklagebank. Sie sitzen auf der Anklagebank.Nun noch eine zweite Bemerkung zur Gemeinsamkeit. Diese Fraktion von lauten Menschen hier hat in der Vergangenheit die erste Phase der Entspannungspolitik bekämpft — das war Ihr historischer Beitrag zur Gemeinsamkeit —, bekämpft bis zum Ausverkauf einer demokratisch gewählten Regierung. Dies ist die historische Wahrheit hinsichtlich der Gemeinsamkeit, die Sie uns andienen.
Dann werde ich skeptisch, wenn es heute um Gemeinsamkeit gehen soll.Sie haben sich dann — und dies ist positiv — durch die Hintertür in den Erfolg sozialdemokratischer Politik eingeschlichen. Soweit, so gut. Dies ist gemeinsames Denken.Nun lassen Sie mich an die Berliner Beschlüsse anknüpfen. Ich würde den Herrn Bundesverteidigungsminister, wenn ich ihn auf dem Marktplatz träfe — er ist schon wieder weg;
nein, er sitzt doch da —, einen ehrabschneiderischen Volksverhetzer hinsichtlich der Bemerkung nennen,
daß die deutsche Sozialdemokratie auf dem Weg nach Moskau sei wegen der Beschlüsse des Berliner SPD-Parteitags.
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17390 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Juni 1986
EgertNun ein paar Bemerkungen zu diesen Beschlüssen.
— Ach, wissen Sie, Ihre aufgeregte Ungeduld verrät doch nur, daß Sie den Wahlkampf einläuten wollen.
Gut, den können Sie haben, und Sie werden ihn bekommen.Aber Sie sollten vielleicht darüber nachdenken, ob die Hoffnungen und Sehnsüchte der Menschen noch auf eine so einfache und plumpe Art und Weise, indem man versucht, ihre Sicherheitsängste zu mobilisieren, erfüllt werden können. Ich glaube, dies ist falsch. Dies ist in Berlin falsch, dies ist in der Bundesrepublik falsch.Wir knüpfen mit unserer Politik an,
Herr Kittelmann, indem wir den Menschen eine Hoffnung geben, eine Zukunft geben. Dazu gehört mehr als der Übermut, an Sonntagen allein Rechtstitel zu beschwören. Wir wollen nicht nur die Archivare von Rechtstiteln sein.
Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit ist abgelaufen. Bitte kommen Sie zum Schluß.
Wir wollen den Mut haben, den Menschen eine Zukunft in Berlin zu geben. Dafür sind diese Beschlüsse eine geeignete Grundlage, Herr Kittelmann.
Herr Abgeordneter, bitte kommen Sie zum Schluß. Ich muß Sie noch einmal ermahnen. Sie haben Ihre Redezeit beträchtlich überschritten.
Wenn Herr Diepgen so enttäuscht wäre wie Sie, dann wäre er hier gewesen.
Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister für innerdeutsche Beziehungen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Jetzt können wir uns ungefähr vorstellen, wie es auf dem Parteitag in Berlin zugegangen sein muß!
Das war wirklich Spitze, lieber Herr Egert. Ich kann nur sagen: Einen solchen Gegner als Spitze auf der anderen Seite hat der Herr Diepgen eigentlich nicht verdient.
Ich möchte nur eines sehr deutlich zurückweisen. Die Idee zur Gründung der Union, zu dieser dieKonfessionen übergreifenden Volkspartei, ist in den Konzentrationslagern entstanden.
Ich möchte es wirklich entschieden zurückweisen, welche historische Parallele Sie in Erinnerung an Alex Möller hier wiederhergestellt haben, Herr Egert.
Meine Damen und Herren, die Bundesregierung kann es nur bedauern, daß sich die andere große deutsche Volkspartei in einem so erbärmlichen Zustand befindet.
Für Schadenfreude ist da gar kein Platz. Es wäre kurzsichtig, wenn man das anders sehen wollte. Für diesen Staat ist es schlecht, daß sich die Alternative zur Regierung in so verhängnisvollen, verheerenden Perspektiven eröffnet, daß man sogar um Grundentscheidungen bangen muß, wenn diese SPD mit diesen ihren gewählten Partnern, den GRÜNEN, die nächste Bundestagswahl gewinnen sollte.
— Das machen Sie erst mal in Berlin, Herr Egert.
Ganz besonders gilt dieses Bedauern für das empfindliche Feld der Deutschland- und Berlinpolitik. Es ist wirklich schlimm genug, daß Deutschland durch willkürliche Grenzen geteilt ist.
Es wäre gut, wenn wir in der Deutschlandpolitik einig wären, wenigsten auf dieser Seite der Elbe.Es ist ohnehin schwierig genug, mit so vielen Köchen auf unserer Seite — ich erinnere nur an so geniale Verhandlungspartner wie Herrn Hiersemann und Herrn Schröder — einem zentral geführten und straff geleiteten System auf der anderen Seite gegenüberzutreten.
— Das fällt mir im Zusammenhang mit Hiersemann wirklich nicht ein.
Darum ist eine gemeinsame Deutschlandpolitik an sich gut für Deutschland. Eine weitere Spaltung in grundsatztreue Deutschlandpolitiker einerseits und grundsatzlose Anpasser andererseits nützt nur der anderen Seite.Mit welcher SPD soll man denn reden? Auf welche soll man sich verlassen? Welche SPD hat derzeit die Mehrheit? Wo gar in all diesem Durcheinander steht der Kanzlerkandidat Johannes Rau, der
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Parl. Staatssekretär Dr. Hennignoch nie den Mut hatte, sich hier hinzustellen und verbindlich für die Sozialdemokratie den Kurs klarzustellen und im Parlament Auskuft zu geben?
Welche SPD-Deutschlandpolitik gilt denn: die von Löffler, Haack und Stobbe oder die von Schröder, Bahr und Lafontaine? Und das Ganze wird von einem koordiniert, der die Unterschiede kaum be- greift.
und für die Schmutzarbeit haben Sie dann noch Herrn Sielaff.Meine Damen und Herren, der Antrag der Berliner SPD ist insofern bemerkenswert, als er zur Einleitung einer neuen Phase der Entspannungspolitik nicht nur, wie dies die Bundesregierung tut, friedens- und deutschlandpolitische Fragen miteinander verknüpft, sondern den Plan einer Sicherheitspartnerschaft zwischen den beiden Staaten in Deutschland zu einem der Hauptinhalte der Deutschlandpolitik zu machen sucht. Aufgabe der Bundesrepublik Deutschland soll es sein — so der Beschluß —, die im Rahmen dieser Sicherheitspartnerschaft mit der DDR interpretierten eigenen Ent-spannungs- und Sicherheitsinteressen im Bündnis einzubringen und durchzusetzen, notfalls „bis zum Konflikt im Bündnis" — womit in erster Linie natürlich ein Konflikt mit den USA gemeint ist.
Trotz verschiedentlicher Beschwörungen der Zugehörigkeit zum westlichen Bündnis wird so stets der angebliche Verlust der Interessenübereinstimmung zwischen Westeuropa und den USA als Ausgangspunkt für eine Entfernung von den Vereinigten Staaten genommen, die letztlich auf eine Umorientierung von den USA auf die Sowjetunion hin hinausläuft. Damit wird nichts weniger als die Bündnisfrage gestellt. Dies können auch bloße Lippenbekenntnisse zur NATO nicht verdecken.Es wäre politisch verhängnisvoll, wenn die innerdeutschen Beziehungen zu einem Bündnisproblem gemacht werden würden. Demgegenüber vertritt die Bundesregierung den klaren Standpunkt, daß Deutschlandpolitik als Friedenspolitik niemals zu einer sicherheitspolitischen Sonderrolle führen darf. Über dem Drang, die innerdeutschen Beziehungen mit sicherheitspolitischen Themen zu überfrachten, bleibt die Erörterung des zentralen Anliegens auf der Strecke, nämlich jene Frage, die den Grund für den Antagonismus der Blöcke bildet: der Gegensatz von Freiheit und Unfreiheit, von Demokratie und Totalitarismus.Es ist bezeichnend, daß als Hauptinhalt deutschdeutscher Politik nur noch die Anerkennung bestehender Grenzen, die wirtschaftlich-industrielle Zusammenarbeit und die Sicherheitspartnerschaft genannt werden. Die Interessen der Menschen im geteilten Deutschland, die doch im Zentrum aller Bemühungen stehen sollten, Herr Vogel, kommen als Hauptinhalte überhaupt nicht mehr vor.
In ihrem absurden sicherheitspolitischen Eifer hat die Berliner SPD die Menschen schlicht vergessen und damit mißachtet.
Es ist unbegreiflich, daß der Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, Herr Vogel, der an prominenter Stelle an diesem Parteitag beteiligt war, dies alles kritiklos mitgetragen hat.
Das Wort „Vogel " kommt einem kaum noch über die Lippen.
Ein GRÜNER stellt sich hier hin und lobt diese Beschlüsse, und Herr Vogel sagt zum Inhalt kein einziges Wort.
Das ist leider symptomatisch für diese Debatte.
Der Beschluß der Berliner SPD gibt — so kann man seinen Inhalt zusammenfassen — in wesentlichen Punkten die bisher bewahrte Übereinstimmung über die Parteigrenzen hinweg auf.Der Aufkündigung der Gemeinsamkeit auf dem Gebiet der Sicherheitspolitik folgt nunmehr mit aller Deutlichkeit auch die Aufkündigung der Gemeinsamkeit in der Deutschlandpolitik,
und dies bedauern wir außerordentlich.Deswegen appelliere ich mit aller Eindringlichkeit an die Führung der SPD, diesem verhängnisvollen Kurs Einhalt zu gebieten; denn andernfalls besteht die große Gefahr, daß sich die traditionsreiche Volkspartei eines Ernst Reuter, eines Kurt Schumacher und — bei allem, was uns trennte — eines Herbert Wehner
immer mehr ins deutschlandpolitische Abseits verrennt.
Das Wort hat der Abgeordnete Reddemann.
Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Der Fraktionsvorsitzende der SPD hat in seiner üblichen sterilen Aufgeregtheit heute morgen behauptet, wir hätten wieder auf den alten Begriff „vaterlandslose Gesellen" zurück-
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17392 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Juni 1986
Reddemanngegriffen. Herr Kollege Vogel, ich kann Sie beruhigen: Nachdem ich das Papier Ihres Landesverbandes gelesen habe, würde ich nie mehr von Gesellen sprechen, sondern nur noch von Lehrlingen,
und zwar von Zauberlehrlingen, die die linksradikalen Geister, die sie im Gefolge der Studentenrevolution in ihre einstige Arbeiterpartei aufgenommen haben, nicht mehr loswerden.
Herr Kollege Vogel, Ihre substanzlose Polemik — und das war ja alles, was Sie in den fünf Minuten gebracht haben — hat gezeigt: Sie haben begriffen, daß Sie mit auf die schiefe Ebene geraten sind; Sie müssen in Ihrem grenzenlosen Opportunismus ein Papier mit vertreten, das der Politik, die Sie in der Regierung lange vertreten haben, voll ins Gesicht schlägt.Trotzdem, Herr Kollege Vogel, hätte ich nicht angenommen, daß Sie schäbig genug wären, die demokratischen Parteien rechts von der Sozialdemokratischen Partei mit den zwei Weltkriegen in Verbindung zu bringen. Ich meine, Sie hätten sich das im Interesse Ihres eigenen schon ramponierten Images sparen sollen.
Der derzeitige Vorsitzende der Berliner SPD — ich fürchte, Ernst Reuter würde im Grabe rotieren, wenn er diesen Menschen noch erlebt hätte —
hat der ganzen Sache dann die Krone aufgesetzt, indem er behauptet hat, christliche Demokraten und Liberale hätten Deutschland kaputtgemacht. Herr Egert, dieser Vorwurf wurde zum ersten Male 1933 von den Nationalsozialisten und nach 1945 von den Kommunisten erhoben. Sie wissen nun, in welcher Gesellschaft Sie sich bewegen, wenn Sie derartige Thesen vortragen.
Berufen Sie — gerade Sie — sich bitte nicht auf die freiheitliche Tradition der SPD.
— Herr Horn, regen Sie sich nicht auf! Sie wissen doch ganz genau, daß Sie dem gar nicht zustimmen können und daß Sie hier nur als Feigenblatt gebraucht worden sind.
— Herr Kollege Egert, ich sage Ihnen noch einmal: Sie haben sich auf die freiheitliche Tradition der SPD berufen. Ich bin durchaus ein Anhänger dieser freiheitlichen Tradition, aber die Frage, ob Sie Kurt Schumacher oder Otto Grotewohl näherstehen, sollten Sie sich selbst beantworten!
Der Deutsche Bundestag hat 1984 mit den Stimmen der FDP, der SPD und der CDU/CSU eine gemeinsame Entschließung verabschiedet, eine Entschließung, die unsere Gemeinsamkeit in der Deutschlandpolitik noch einmal herausstellen sollte. Jeder Text, den eine Partei oder eine Gruppe zu den Grundfragen der Nation verteilt, muß an dieser damaligen Entschließung gemessen werden. Das gemeinsame Papier ging von der Erkenntnis aus, daß die Wiedervereinigung Deutschlands zwar derzeit nicht erreichbar ist, daß aber die Wiedervereinigung das angestrebte Ziel der deutschen Politik ist. Wir wollten das Selbstbestimmungsrecht nicht nur generell für alle Völker fordern, sondern auch und vor allem für unsere Landsleute in der DDR.In der Parteitagsentschließung der derzeitigen Mehrheitsfraktion der Berliner SPD kommt das Wort „Wiedervereinigung" — oder, wie andere sagen, „Neuvereinigung" — inzwischen überhaupt nicht mehr vor.
Die höchste Annäherung an das Wiedervereinigungsgebot unserer Verfassung kommt in dem Satz zum Ausdruck, die beiden Staaten in Deutschland möchten — nun zitiere ich wörtlich — in Zukunft wieder enger zueinander finden.Gleichzeitig verlangt der Beschluß, die DDR endgültig nicht mehr in Frage zu stellen, also die Teilung Deutschlands auf unabsehbare Zeit hinzunehmen. Begründet wird dies mit einer besonderen Verantwortung für den Frieden. Der Berliner „Tagesspiegel" kommentierte diese mehrfach variierte Überzeugung mit dem Satz: „Hier wird die Bewahrung der Herrschaft der SED fast zu einem politischen Auftrag für unsere Seite." Ich glaube, dem ist nichts hinzuzufügen.Meine Damen und Herren von der SPD, ich glaube nicht, daß alle von Ihnen diese Geschichte mitmachen, aber wenn das auf ihrem Bundesparteitag zur Auffassung der SPD erklärt würde, dann könnte Ihre Baracke zentnerweise heilige Schwüre von Reuter bis Brandt zur Makulatur geben, denn dann wäre alles, was Sie in den vergangenen Jahrzehnten dem deutschen Volk versprochen haben, nicht mehr wahr.
Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit ist abgelaufen. Bitte, kommen Sie zum Schluß.
Ich danke Ihnen, Herr Präsident. Ich bedaure, daß ich aus Zeitgründen nicht mehr zu diesem Papier sagen kann, aber ich möchte noch eines sagen: Mir hat ein sozialdemokratischer Kollege gesagt — —
Bitte, kommen Sie zum Schluß, Herr Abgeordneter.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Juni 1986 17393
Ich bin beim Schlußsatz. — Mir hat ein sozialdemokratischer Kollege aus Berlin gesagt, ...
Meine Damen und Herren, er kann ja wohl den Satz noch vollends zum Schluß bringen. — Bitte sehr!
... dies sei eine neue linke Position. Ich sage Ihnen mit allem Nachdruck: Dies ist nicht links, sondern dies ist östlich.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Scheer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, bei dieser Debatte geht es in erster Linie um die Frage, wer hier scheinheilig und wer nicht scheinheilig argumentiert. Das Thema dieser Aktuellen Stunde ist „Haltung der Bundesregierung zu den Beschlüssen der Berliner SPD zur Sicherheits- und Bündnispolitik". Nach Art. 21 des Grundgesetzes wirken die Parteien an der Willensbildung des Volkes mit. Dieser Artikel bedeutet nicht, daß Regierungen und Parlamente an der Willensbildung der Parteien mitwirken sollen. Ich glaube, daß es nicht zu den vornehmsten Aufgaben des Bundestages zählt, sich mit Landesparteitagsbeschlüssen oder Beschlüssen anderer Parteiorganisationen zu befassen.
Das Ergebnis wäre in der Tat eine bevormundende und keine freiheitliche Demokratie. Wir hätten nämlich solche Gelegenheiten schon öfter gehabt. Gerade wenn es um die Berliner CDU geht, hätten wir hier natürlich die tiefe Verstrickung von Teilen der Berliner CDU in die Halb- und Unterwelt Berlins zum Thema machen können.
Wir hätten zum Thema machen können, daß sich viele CDU-Leute in Berlin Sorgen darüber machen, daß Teile der Jungen Union dort mit im rechtsextremistischen Sumpf stecken,
oder darüber, daß Herr Lummer, jetzt gerade in den Berliner CDU-Landesvorstand nachgewählt, NPD-Leute finanziert hat, damit sie Wahlkampf gegen die SPD machen können, und das in Berlin.
Wir hätten auch zum Thema machen können, gerade wenn es um die Thematik geht, von der wir heute sprechen, etwa den Deutschlandtag der Jungen Union im November 1984 in Berlin, als der Delegiertentag der Jungen Union den Antrag desBundesvorstands abgelehnt hat, die Oder-NeißeGrenze anzuerkennen — und dies in Berlin —, was dazu führte, daß z. B. die „NZZ", eine seriöse konservative Zeitung, geschrieben hat, die Junge Union habe mit ihrer Diskussion über die Oder-Neiße-Linie der Bonner Ostpolitik wohl einen Bärendienst erwiesen.
— Im November 1984.
Im „Rheinischen Merkur" — ich komme gleich auf die CSU, Herr Klein — stand, in einer chaotischen Geschäftsordnungsdebatte, die man sonst nur von den GRÜNEN kenne,
habe die Junge Union dies gemacht.
Es gibt noch mehr. Auf dem CSU-Parteitag im Juli 1983 nach der Einfädelung des Milliardenkredits, wie es hieß, durch Franz Josef Strauß ging es tatsächlich bei dem Streit, der ausbrach, um die Frage, die in der ganzen Welt entschieden war, nur noch nicht in der CDU/CSU: Macht man aktive Ausgleichspolitik mit der DDR oder nicht?Das Ergebnis des Versuchs des CSU-Vorsitzenden war, daß er von 1 100 Delegierten noch 662 Stimmen bekam. 150 Delegierte hatten sich trotz mehrmaliger Aufrufe an der Abstimmung überhaupt nicht beteiligt. Und laut „Süddeutscher Zeitung" vom 18. Juli haben vor der Beratung des friedenspolitischen Antrags zwei Drittel der Delegierten den Parteitag verlassen, so daß er für beschlußunfähig erklärt werden mußte. Auch dies hätten wir hier alles zum Thema machen können. Das ist Ihnen natürlich unangenehm. Ich kann es auch verstehen. Man wäre in der Tat dazu motiviert, diese Aktuelle Stunde, so wie Sie hier vortragen, zu einer Karikatur zu machen.
Denn man kann sich hier natürlich eine ganze Menge gegenseitig vorwerfen oder substantiellere Vorwürfe machen, wie ich angedeutet habe.Zum Beispiel geht es bei Ihrem Versuch hier darum, etwas von den eigenen Kernwidersprüchen in zentralen Lebensfragen abzulenken. Sie sind immer noch nicht bereit, etwa in den territorialen Grenzfragen, wo die CDU/CSU tief zerstritten ist, eine Position einzunehmen, mit der tatsächlich eine Fortführung der Ostpolitik auf der Basis der bestehenden Verträge möglich wäre.
Sie sind in der Kernfrage deutscher Entwicklung, nämlich der Zusammenarbeit beider deutschen Staaten, in der CDU/CSU-Führung immer noch nicht einig, ob zum Beispiel ein Besuch Honneckers erwünscht sei oder nicht. Da haben wir ja auch eine Menge erlebt. Gerade weil auf der Tribüne des Bun-
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17394 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Juni 1986
Dr. Scheerdestages eine Delegation der Volkskammer sitzt, die ich namens meiner Fraktion begrüßen möchte,
möchte ich sagen, daß diese Delegation vom Herrn Präsidenten nicht offiziell begrüßt werden kann, liegt doch auch daran, daß allein die CDU/CSU immer noch nicht bereit ist, in dieser Frage nur auf das Niveau der Interparlamentarischen Union zu gehen und hier Beziehungen zu eröffnen.
Ich könnte hier noch eine ganze Reihe von Punkten auflisten, wo Sie in tiefster Weise zerstritten sind und zu einer Politik unfähig sind, die der Friedenssicherung und Abrüstungspolitik dient. Man sieht es an den heutigen Rednern. Von den sieben, die aufgeboten worden sind, .. .
Herr Abgeordneter, bitte, kommen Sie zum Schluß. Sie haben Ihre Redezeit erschöpft.
... gehören bekanntlich zwei derjenigen Gruppierung an, die mit Herrn Heimann das gemeinsame deutschlandpolitische Papier verabredet hatten. Dann wurden sie zurückgepfiffen.
Herr Abgeordneter, bitte, kommen Sie zum Schluß. Sie haben Ihre Redezeit um über eine Minute überschritten.
Davon sind fünf Leute, die zur Stahlhelm-Fraktion zählen. Der Sinn dieser Debatte war, dies noch einmal zu exemplifizieren.
Meine Damen und Herren, ich darf eine grundsätzliche Bemerkung machen. Es ist immer peinlich für den amtierenden Präsidenten, wenn er die Kollegen mahnen muß, die Redezeit einzuhalten. Jeder weiß, daß für die Aktuelle Stunde eine Redezeit von nur fünf Minuten vorgesehen ist. Ich bitte Sie, sich künftig daran zu halten.
Das Wort hat der Abgeordnete Klein .
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Rede des Kollegen Scheer — die nicht so bösartig war wie eine Reihe von Reden seiner Fraktionskollegen — hat im Grunde doch gezeigt, wie die SPD dieses Thema zu behandeln wünscht: Kein Wort zur Sache, Polemik gegen die CDU/CSU und die Behauptung, wir hätten das Papier nicht gelesen.Herr Scheer, Herr Vogel und Herr Egert, machen Sie sich die Sache bitte nicht so leicht. Wir haben das Papier sehr sorgfältig durchgearbeitet. Es ist ein ungeheuerliches Papier. Noch keine demokratische Partei in diesem Land hat solche Forderungen aufgestellt. Herr Egert, nachdem ich Sie habe reden hören, ist mir klargeworden, warum die KollegenStobbe und Löffler heute bei Ihnen offenbar Redeverbot haben.
Lassen Sie mich von dieser Stelle aus zuerst ein Wort an unsere amerikanischen, französischen und britischen Verbündeten, aber auch an alle anderen richten, die in den letzten Tagen irritiert auf Deutschland geblickt haben. Die Beschlüsse der Berliner SPD spiegeln nicht die Meinung der Deutschen.
Nur ein kleiner Teil unserer Bürger, eine bei Kommunisten, GRÜNEN und dem zur Zeit freilich starken linken Flügel der SPD politisch beheimatete Art Sekte, denkt so.
Sekte ist aber, wie die „Frankfurter Rundschau" aus diesem Anlaß schrieb, das Gegenteil von Volkspartei.
Wo es der SPD um das Zuschütten von Gräben, um vernünftige Zusammenarbeit mit den kommunistischen Staaten Mittel- und Osteuropas, um Verbesserung der Lebensverhältnisse unserer Landsleute in der DDR und um weltweite Verringerung der Waffenarsenale geht, unterscheidet sich ihre Politik von unserer Politik vielleicht in der Methode, nicht im Grundsatz.
Wir haben sehr genau registriert, an welcher Stelle — ich meine vor allem die Passage über den Berlin-Status — der SPD-Fraktionsvorsitzende das Parteitagspapier moderierend beeinflußt hat. Aber wir haben auch registriert, daß Sie, Herr Kollege Vogel, mit einer würdelosen Eröffnungsrede die Geister riefen, denen Sie sich dann anpassen mußten.
Drückt die aufgeregte Skandalsprache, die hemmungslose Beschimpfung politisch Andersdenkender, die peinliche Anbiederung an Moskau und die arrogante Kritik an Amerika wirklich aus, was Sie denken?
Der Berliner Forderungskatalog, den Sie selbst als Einstimmung auf die Bundestagswahl bezeichnet haben, unterscheidet sich grundsätzlich von allem, worüber sich Demokraten in der Bundesrepublik Deutschland bislang einig waren. Das Recht auf Selbstbestimmung billigt die SPD dem deutschen Volk nicht länger zu.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Juni 1986 17395
Klein
— Dann lies mal das Papier. Sie fordert es nur für Völker in der Dritten Welt.
Wohl aber ist in dem Einstimmungspapier die Rede von der Selbstbehauptung der europäischen Völker in den jeweiligen Bündnissen — eine gespenstische Formel, mit der die Verhältnisse im freien Teil Europas mit denen im kommunistischen Machtbereich gleichgesetzt werden.Haben Sie denn vergessen, daß ungezählte Tausende von Sozialdemokraten, die sich der Zwangsvereinigung mit den Kommunisten vor 40 Jahren im anderen Teil Deutschlands widersetzten, eingesperrt, gefoltert und zum Teil ermordet wurden —
Berlin 1953, Budapest 1956, Prag 1968, Warschau 1980. Das waren Beispiele für versuchte und fehlgeschlagene Selbstbehauptung europäischer Völker.
Angesichts solcher Gewaltpolitik bedurfte es keiner — wie es in dem Berliner Papier heißt — konservativen Kräfte in westlichen Demokratien, die Angst vor den Russen oder Angst vor dem expansiven Weltkommunismus schürten. Damals waren es vor allem auch die deutschen Sozialdemokraten, die vor diesen Gefahren warnten.
Sie haben an dem für uns unverändert gültigen NATO-Konzept der Festigkeit und der Verständigungsbereitschaft gegenüber dem Ostblock mitgewirkt. Heute denunzieren sie die eigenen Verteidigungsanstrengungen als hysterische Hochrüstung und ein intaktes Verhältnis zu den USA als Unterordnung unter die Globalinteressen der westlichen Führungsmacht.
Die SPD hat in Berlin den Entwurf einer antifreiheitlichen, antiamerikanischen und damit letztlich antideutschen Politik gebilligt. Auf diesem abenteuerlichen Weg werden ihr die Wähler am 25. Januar 1987 nicht folgen,
auch wenn sie — Herr Kollege Ehmke, bekanntlich haben die Kreml-Mauern Ohren — in Moskau um Wahlhilfe buhlt.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Meine Damen und Herren! Die Aussprache in der Aktuellen Stunde ist beendet.
Nach § 30 unserer Geschäftsordnung erteile ich das Wort zur Erklärung dem Herrn Abgeordneten Dr. Vogel.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe in Richtung auf eine Gruppe lärmender Zwischenrufer vorhin den Begriff Meute gebraucht. Das Lied, auf das ich dabei Bezug genommen habe, findet sich in einem evangelischen Gesangbuch. Der betreffende Vers lautet:
Fährt der böse Geist in den Betrieb, dann dukken sich die Leute. Am Fließband hängt der Segen schief, ist das ein Elend heute. Fährt der böse Geist ins Parlament, dann ducken sich die Leute. Im Plenum hängt der Segen schief. Gegängelt kläfft die Meute.
Ich möchte klarstellen, daß ich als Meute in diesem Sinn nicht die Union als Partei oder als Fraktion, sondern die Schreier verstehe, die ihnen nicht genehme Meinungen nicht mit einzelnen Zwischenrufen, sondern mit ununterbrochenem und unartikuliertem Gebrüll begleiten.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter Vogel, ich bin trotzdem der Auffassung, daß der Ausdruck Meute für den politischen Gegener nicht im Parlament benützt werden sollte.
Ich möchte das zum Anlaß nehmen, eine grundsätzliche Anmerkung zu machen. Ich habe diese Aktuelle Stunde nun in dieser Form erlebt. Ich finde, zur politischen Kultur eines Landes, zur Demokratie gehört, daß man sich zuhören kann. Wir sollten uns dieser politischen Kultur mehr befleißigen.
Die Aktuelle Stunde ist beendet. Wir fahren in unserer Tagesordnung fort.Vor Eintritt in die Tagesordnung darf ich Herrn Bundesminister Windelen, der gestern seinen 65. Geburtstag gefeiert hat, im Auftrag des Hauses die besten Wünsche übermitteln.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll Punkt 5 der Tagesordnung — Gesetzentwurf zur Sicherung der Montan-Mitbestimmung — vor Punkt 2 der Tagesordnung aufgerufen werden.Weiterhin ist interfraktionell vereinbart worden, die verbundene Tagesordnung zu erweitern. Die Punkte sind in der Ihnen vorliegenden Zusatzpunktliste aufgeführt:3. Beratung des Antrags der Fraktion der SPD Reduzierung der Belastung der Bevölkerung durch den militärischen Tiefflugbetrieb— Drucksache 10/5737 —4. Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Anderung des Gesetzes zur Durchführung der Gemeinsamen Marktorganisationen— Drucksachen 10/5236, 10/5723 —
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17396 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Juni 1986
Präsident Dr. Jenninger5. Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 7. Januar 1986 zur Änderung des Abkommens vom 17. Dezember 1973 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Staat Israel über Soziale Sicherheit— Drucksachen 10/5526, 10/5735 —6. Vorlagen zum Abgeordnetengesetz7. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses
zu dem Antrag der Fraktion der SPDVerbesserung der Situation der Sinti und Romazu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und FDPLage der Sind, Roma und verwandte Gruppenzu dem Entschließungsantrag der Abgeordneten Ströbele, Frau Dann, Mann und der Fraktion DIE GRÜNEN zur Großen Anfrage der Abgeordneten Fischer , Schily, Frau Reetz und der Fraktion DIE GRÜNENLage und Forderungen der Sinti, Roma und verwandte Gruppenzu dem Antrag der Abgeordneten Ströbele und der Fraktion DIE GRÜNENGesetzentwurf zur Regelung einer angemessenen Versorgung für alle Opfer nationalsozialistischer Verfolgung in der Zeit von 1933 bis 1945zu dem Antrag der Fraktion der SPD Bestandsaufnahme, Bericht und Prüfung von verbesserten Leistungen an Opfer nationalsozialistischer Verfolgung von 1933 bis 1945zu dem Antrag der Abgeordneten Schily, Ströbele und der Fraktion DIE GRÜNENEntschädigung für Zwangsarbeit während der NaziZeitzu der Unterrichtung durch das Europäische ParlamentEntschließung zu Entschädigungsleistungen für ehemalige Sklavenarbeiter der deutschen Industrie— Drucksachen 10/4127, 10/4128, 10/4129, 10/4040, 10/4638, 10/4640, 10/4996 —8. a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Wirtschaftsplans des ERP-Sondervermögens für das Jahr 1987
— Drucksachen 10/5406, 10/5738 —b) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft zu dem Entschließungsantrag der Fraktion der SPD zur dritten Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Wirtschaftsplans des ERP-Sondervermögens für das Jahr 1986 (ERP-Wirtschaftsplangesetz 1986)— Drucksachen 10/4438, 10/5744 —9. Aktuelle StundeEinlösung des vor der Landtagswahl in Niedersachsen von der Bundesregierung gegebenen Versprechens zur Einführung eines Babyjahres für „Trümmerfrauen"10. Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Anpassung von Dienst- und Versorgungsbezügen in Bund und Ländern 1986
— Drucksachen 10/5450, 10/5766, 10/5769 — a) Beratung der Sammelübersicht 156 des Petitionsausschusses fiber Anträge zu Petitionen— Drucksache 10/5739 —b) Beratung der Sammelübersicht 158 des Petitionsausschusses über Anträge zu Petitionen— Drucksache 10/5741 —11. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau zu dem Antrag der Abgeordneten Dr.-Ing. Kansy, Niegel, Dr. Daniels, Dörflinger, Link (Frankfurt), Linsmeier, Magin, Dr. Möller, Pesch, Frau Rönsch, Frau Roitzsch (Quickborn), Ruf, Zierer, Grünbeck, Frau Dr. Segall, Frau Seiler-Albring und der Fraktionen der CDU/CSU und FDPUmwelt und Gewerbe in der Städtebaupolitik — Drucksachen 10/4510, 10/5742 —Zugleich soll mit der Aufsetzung der Zusatzpunkte, soweit erforderlich, von der Frist für den Beginn der Beratung abgewichen werden.Sind Sie mit der Erweiterung der verbundenen Tagesordnung einverstanden? — Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.Die Fraktion der CDU/CSU schlägt vor, entsprechend der Umbenennung des Bundesministeriums für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit den betreffenden Ausschuß des Deutschen Bundestages in Ausschuß für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit umzubenennen. Sind Sie damit einverstanden? — Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.Ich rufe nun Punkt 5 der Tagesordnung auf:Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Sicherung der Montan-Mitbestimmung— Drucksache 10/5341 —Oberweisungsvorschlag des Ältestenrates:Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Ausschuß für WirtschaftNach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die Beratung 45 Minuten vorgesehen. — Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Herr Abgeordneter Urbaniak.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bereits im nächsten Jahr werden, wenn der Gesetzgeber nichts tut, zwei Unternehmen aus dem Geltungsbereich des Montan-Mitbestimmungsgesetzes und des Mitbestimmungsergänzungsgesetzes herausfallen. Um das zu verhindern, hat die SPD-Bundestagsfraktion einen Gesetzentwurf zur Sicherung der Montan-Mitbestimmung erarbeitet.
Es ist dringend notwendig, zu erreichen — —
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Juni 1986 17397
Herr Abgeordneter Urbaniak, erlauben Sie, daß ich Sie unterbreche.
Ich bitte die Damen und Herren, Platz zu nehmen. Ich weise darauf hin, daß noch eine Reihe von Plätzen frei sind.
Das gilt auch für den Abgeordneten Professor Diederich.
Bitte sehr.
Es ist dringend notwendig, zu erreichen, daß für die Unternehmen, die der MontanMitbestimmung unterliegen, das Montan-Mitbestimmungsgesetz oder das Mitbestimmungsergänzungsgesetz auch dann weitergelten, wenn in diesen Unternehmen die bisherigen gesetzlichen Voraussetzungen für die Anwendung der Montan-Mitbestimmung entfallen, jedoch eine Beziehung zum Montanbereich erhalten bleibt. Außerdem muß die Möglichkeit erweitert werden, Vereinbarungen zwischen Unternehmen und Gewerkschaften über die Anwendung der Montan-Mitbestimmung und ihre Ausgestaltung zu treffen.Unser Gesetzentwurf ist sorgfältig begründet. Tatsache ist: Von den bestehenden Formen der Unternehmensmitbestimmung ist die Mitbestimmung der Arbeitnehmer in den Unternehmensorganen nach dem Montan-Mitbestimmungsgesetz und dem Mitbestimmungsergänzungsgesetz die älteste und zugleich am weitesten gehende. Diese Mitbestimmung, die für Unternehmen des Bergbaus und der eisen- und stahlerzeugenden Industrie gilt, hat sich in fast 40jähriger Praxis bewährt,
auch und gerade in den tiefgreifenden Strukturkrisen des Bergbaus und in der Eisen- und Stahlindustrie. Wenn wir uns ähnliche Entwicklungen in anderen Ländern Westeuropas ansehen, in denen es keine Mitbestimmungsregelung gibt, dann stellen wir fest, daß bei derartigen Prozessen Armenhäuser übriggeblieben sind. Dies hat uns die Montan-Mitbestimmung erspart.
Wir danken dafür den Arbeitnehmern, den Arbeitsdirektoren, aber auch weitsichtigen Unternehmern, die diese Mitbestimmung richtig praktiziert haben. Die ganze Republik hat davon profitiert.
Wir alle wissen, daß diese Mitbestimmung inzwischen zu einem demokratischen Symbol unseres Sozialstaates, zu einem Eckpfeiler unserer Sozial- und Wirtschaftsordnung geworden ist. Deshalb hat ja auch das Mitbestimmungsgesetz von 1976 den Anwendungsbereich der Montan-Mitbestimmung ausdrücklich unangetastet gelassen. Eugen Loderer hat damals das Wort von der Montan-Mitbestimmung als Faustpfand der Wirtschaftsdemokratie und Herbert Wehner das von der Mitgift unserer Republik geprägt.
Jeder von uns weiß, daß Umstrukturierungen in der Montan-Industrie auch in Zukunft erforderlich sein werden. Sie dürfen aber nicht mit dem faktischen Abbau der Montan-Mitbestimmung verbunden sein. Ohne gesetzliche Änderung ist der Bestand der Montan-Mitbestimmung wieder einmal gefährdet.Die Mitbestimmungsrechte der im Bergbau und in der stahlerzeugenden Industrie beschäftigten Arbeitnehmer und ihrer Gewerkschaften haben in jahrzehntelanger Mitbestimmungspraxis eine Mitverantwortung herausgestellt, die sich bewährt hat. Wir dürfen sie daher nicht antasten. Die MontanMitbestimmung muß also in den Unternehmen und in den Konzernen auch dann fortbestehen, wenn der Umfang der Montan-Produktion oder des Montan-Umsatzes oder die Mindestzahl der beschäftigten Arbeitnehmer nicht mehr den bisher gültigen gesetzlichen Voraussetzungen entspricht. Dies ist unser Ziel, das wir, lieber Kollege, schon in den Gesetzentwürfen der 5. Legislaturperiode und der 8. Legislaturperiode dem Deutschen Bundestag vorgeschlagen haben.
Zu meinem persönlichen Bedauern — ich sage hier: leider — haben die Kolleginnen und Kollegen der CDU/CSU unsere Initiative zur endgültigen Sicherung nicht aufgenommen. Dafür müssen Sie selber die Verantwortung tragen.
Ich erwähne dies deshalb, meine sehr verehrten Damen und Herren, weil mit der 76er-Mitbestimmung, die j a diese Regelung, was den Montan-Bereich angeht, nur für sechs Jahre vorsieht, von der sozialdemokratischen Fraktion ausdrücklich eine Denkpause vorgesehen worden ist, die genutzt werden sollte, um sich der Sicherung der Montan-Mitbestimmung zuzuwenden. Dies tun wir nun heute mit den erweiterten Möglichkeiten unseres Gesetzentwurfs, den ich hier bereits begründet habe. Wir wollen auch, daß Vereinbarungen zwischen Gewerkschaften und Unternehmen über die Anwendung der Montan-Mitbestimmung und ihre Ausgestaltung möglich sind, also Firmenverträge.Die Bundesregierung hat, obwohl unser Gesetzentwurf schon zehn Wochen vorliegt, bisher keine Meinung dazu geäußert. Wir vermuten, daß es bei ihr sehr unterschiedliche Meinungen gibt: Will sie sie nun auslaufen lassen oder ganz entfallen lassen?
Der Bundesarbeitsminister hat in einem Nachrichtenmagazin erklärt, man könne sich da ja noch einmal unterhalten. Er möchte gern, daß sie beibehalten wird — das sage ich zu seiner Ehre und zur
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17398 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Juni 1986
UrbaniakSachlichkeit —, aber diese Koalition will wohl endgültig über diese Sache hinwegkommen, um dann mit der Montan-Mitbestimmung Schluß zu machen. Dieses werden wir von uns aus mit allen Mitteln, vor allen Dingen mit parlamentarischen, bekämpfen.
Wir wollen die Montan-Mitbestimmung erhalten, meine Damen und Herren.Der bayerische Ministerpräsident hat sich ebenfalls geäußert. Auch er möchte die Montan-Mitbestimmung sichern und das sachgerecht lösen. Er will eine Quotenherabsetzung. Wenn dies gemacht würde, wenn wir ein entsprechendes Gesetz in diesen Stunden verabschiedeten, dann wären einige Unternehmen sofort aus der Montan-Mitbestimmung entlassen, so daß der Entwurf von Strauß ins Leere zielt. Möglicherweise hat er ihn aber wegen der bekannten Notwendigkeiten, die sich aus einer Landtagswahl ergeben mögen, gestellt. Der Vorschlag von Strauß ist ungeeignet.Kollege Müller , den ich auch damals in der 8. Legislaturperiode schon angesprochen habe, hat Handlungsbedarf wohl festgestellt, und er hat hinzugefügt, man wisse nicht, ob man dem Entwurf der SPD beitreten könne. Gut, das können Sie alle prüfen. Ich unterstelle Ihnen hierbei gute Absichten. Das ist gar keine Frage. Sie haben Gelegenheit, unseren Entwurf zu unterstützen.Die bekannte Position der FDP brauche ich nur dadurch zu erwähnen, daß sie von einer unheiligen Allianz zwischen Großunternehmen, Gewerkschaften und staatskapitalistisch denkenden Politikern spricht,
worin sich Gewerkschaftsfeindlichkeit, Arbeitnehmerfeindlichkeit ausdrücken,
und darum ist von ihr wohl nichts zu erwarten.Wir werden uns nicht scheuen — so sagen die CDU-Sozialausschüsse —, den Konflikt mit dieser Partei aufzunehmen; denn auch sie wollen die Montan-Mitbestimmung sichern. Wenn das nun bei der CDU/CSU und den Sozialausschüssen, die ihr angehören, genau so geht wie bei der Änderung des § 116 AFG, dann wird das natürlich die nächste Pleite für Sie werden; denn man hat in der Arbeitnehmerschaft und in den Gewerkschaften nicht vergessen, was hier an Arbeitskampfmöglichkeiten, um zu einem schnellen Konsens in den Verteilungskämpfen zu kommen, durch die Rechtsregierung und Herrn Blüm demontiert worden ist. Das wird man auch nicht vergessen dürfen.
Unser Gesetzentwurf zur Sicherung der MontanMitbestimmung ist, wie ich hier betonen möchte, ein wichtiger Zwischenschritt. Solange sich die Mitbestimmungsregelung allein auf Kohle und Stahl bezieht, kann sie sicherlich nicht lückenlos sein. Wir werden daher das paritätische Modell auf der Grundlage des Montanmodells für Großunternehmen und Konzerne auch für die übrigen Branchen einführen wollen
und beschäftigen uns gegenwärtig mit den Grundlagen des DGB-Entwurfs zu diesem Komplex. Uns kommt es darauf an, dem Parlament dann endgültig eine klare Regelung über das Entsendungsrecht der Gewerkschaften für außerbetriebliche Aufsichtsräte und vor allen Dingen für die Letztentscheidung der Hauptversammlung vorzulegen, die ja prinzipiell mitbestimmungsfeindlich ist. Die beiden Beispiele, die wir bei der Max-Hütte in Bayern und bei der Salzgitter-AG erlebt haben, wo die Mitbestimmung ausgehebelt wurde, dürfen sich nicht wiederholen. Das muß unter allen Umständen verhindert werden.Jetzt geht es aber erst einmal darum, das Herausfallen von Unternehmen aus der Montan-Mitbestimmung zu verhindern. Diese Entscheidung muß schnell getroffen werden. Deshalb setzen wir uns für eine gründliche, aber zugleich zügige Beratung ein. Noch in dieser Legislaturperiode muß die Entscheidung getroffen werden. Das ist doch wohl zu schaffen, zumal sich gerade erst alle Arbeits- und Sozialminister des Bundes und der Länder einstimmig für den Erhalt der Montan-Mitbestimmung ausgesprochen haben.Ich bedauere ganz außerordentlich, daß wir in der 5. und in der 8. Legislaturperiode — da gab es ja die beiden Initiativen zum Erhalt der Montan-Mitbestimmung — über unseren Fraktions- bzw. Gruppenantrag keine breitere parlamentarische Mehrheit im Deutschen Bundestag erreichen konnten.
Dies ist ein bedauerlicher, aber auch ein historischer Vorgang. So ergibt sich heute erneut die Gelegenheit für alle, die auch der Auffassung sind: Die Montan-Mitbestimmung ist unverzichtbar für das Recht der Arbeitnehmerschaft und ihrer Gewerkschaften, in den Unternehmungen mitzubestimmen. Sie sollten unseren Entwurf gründlich prüfen. Ich gehe davon aus, daß ein Konsens erreicht werden wird. Wir wollen die Montan-Mitbestimmung nicht nur erhalten, sondern auch auf andere Branchen ausdehnen.Schönen Dank.
Meine Damen und Herren, bevor ich das Wort weiter erteile, darf ich Gäste begrüßen. Auf der Ehrentribüne hat der Präsident der Volksversammlung der Arabischen Republik Ägypten, Herr Professor Dr. Rifaat El Mahgoub, mit
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Juni 1986 17399
Präsident Dr. Jenningereiner Delegation der Volksversammlung Platz genommen.Ich habe die Ehre, Sie, verehrter Herr Präsident, im Namen des Deutschen Bundestages zu begrüßen. Ihr Besuch in der Bundesrepublik Deutschland unterstreicht die traditionell freundschaftlichen Beziehungen zwischen unseren Ländern und unseren Parlamenten.Mein Dank gilt Ihnen auch für Ihren Besuch in Berlin und für das Interesse, das Sie damit der besonderen Lage dieser geteilten Stadt entgegenbringen.Ich wünsche Ihnen noch einen angenehmen Aufenthalt und nützliche Gespräche hier in Bonn.
Das Wort hat der Abgeordnete Zink.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Als das Montan-Mitbestimmungsgesetz 1951 in Kraft trat, geschah dies unter der politischen Verantwortung der Unionsparteien und des von ihnen gestellten Bundeskanzlers Konrad Adenauer.
Der Gedanke der Mitbestimmung des Arbeitnehmers, der hier konsequent in die Wirklichkeit des Arbeitslebens übertragen ist, gehört zu den grundlegenden Forderungen unseres christlich-sozialen Verständnisses von der Würde der menschlichen Arbeit.
Die Mitbestimmung hat in unserem Land wesentlich zum sozialen Frieden beigetragen. Sie ist eine tragende Säule der sozialen Partnerschaft; sie ist unsere Alternative in der Sozialen Marktwirtschaft zum Klassenkampf. Keine Seite kann die andere überstimmen. Im Vordergrund steht immer die Einigung im Wege des Kompromisses.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, seit vielen Jahren bereits gibt es eine Entwicklung im Montansektor, die zu einer Verkleinerung des Anwendungsbereichs des Montan- Mitbestimmungsgesetzes führt. Da hat zum einen ein Konzentrationsprozeß stattgefunden, der wohl unvermeidlich war, damit die deutschen Montanunternehmen im internationalen Wettbewerb bestehen konnten. Zum anderen ist der Gesamtanteil der Montanproduktion am Volkseinkommen unseres Landes kontinuierlich zurückgegangen. In einigen Bereichen hat es sogar absolute Rückgänge bei den Produktionsziffern gegeben.Daneben hat es aber auch Entwicklungen gegeben, in deren Verlauf durch Umorganisation und konzerninterne Verschiebungen Unternehmen aus der Montan-Mitbestimmung herausgenommen wurden. Während zu Beginn der 50er Jahre noch mehr als 100 Unternehmen unter die Montan-Mitbestimmung fielen, waren es Anfang der 70er Jahre nur noch rund 50 Unternehmen, und heute ist die Zahl auf etwa 30 abgesunken. Wenn die MontanMitbestimmung nicht zum Museumsstück ohne reale Bedeutung werden soll, dann darf dieser Prozeß nicht einfach in dieser Form weiterlaufen.
Doch eine Lösung ist äußerst schwierig; denn wir sind weder in der Lage, diese Entwicklung zurückzudrehen, noch können wir wirtschaftliche Prozesse für die Zukunft einfach blockieren.Meine sehr verehrten Damen und Herren, auch im nächsten Jahr droht wieder das Auslaufen der Montan-Mitbestimmung in drei wichtigen Unternehmen. Meine Damen und Herren von der SPD, die Verantwortung tragen Sie, unter deren Regierungsverantwortung 1981 ein Gesetz verabschiedet worden ist, das die Probleme nicht angepackt, sondern einfach vertagt hat. Schon damals wäre es erforderlich gewesen, sich um eine grundsätzliche und für die Zukunft tragfähige Klärung des Problems zu bemühen. Doch statt dessen hat uns die SPD ein Montan-Auslaufgesetz beschert.
Die gleiche Partei, die sich 1981 auf diese Weise aus der Verantwortung gestohlen hat, legt heute einen Gesetzentwurf vor, der sich, wenn er sich realisiert, als — ich will es so ausdrücken — Mogelpackung für die Montan-Mitbestimmung erweisen würde.
Denn wer nach dem Motto „Einmal Montan-Mitbestimmung, immer Montan-Mitbestimmung" Unternehmen und Konzerne selbst dann einer ausdrücklich für den Montanbereich bestimmten Mitbestimmung unterwerfen will, wenn sie z. B. sozusagen symbolisch nur noch wenige Tonnen Stahl produzieren, der erweist der Montan-Mitbestimmung überhaupt keinen Dienst. Wir — das sage ich hier mit aller Deutlichkeit — sind nicht bereit, ein solches Spiel mitzuspielen, indem wir uns vor der Bundestagswahl als Retter der Montan-Mitbestimmung feiern lassen und nachher mit gespieltem Bedauern darauf verweisen, daß das Verfassungsgericht mit der Lösung leider nicht einverstanden sei.
Meine Damen und Herren, die Union sieht Entscheidungsbedarf in dieser Frage. Wir werden uns für die Erhaltung der Montan-Mitbestimmung einsetzen, insbesondere dort, wo möglicherweise auch von Konzernführungen speziell mit dem Ziel, der Montan-Mitbestimmung zu entgehen, konzerninterne Umorganisationen geplant werden. Aber wir werden uns auf keine unseriösen Scheinlösungen einlassen, sondern wir werden mit Fachleuten aus den Gewerkschaften, den Betrieben, aus Wissenschaft und Rechtsprechung nach einer Lösung suchen, die für die Zukunft tragfähig ist und auch der Überprüfung durch die Gerichte standhält.Herzlichen Dank.
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17400 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Juni 1986
Das Wort hat der Abgeordnete Tatge.
Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Axel Vogel! Lieber Henning Schierholz! Da die GRÜNEN generell für die Demokratisierung der Wirtschaft eintreten, ist es für uns klar, daß wir der Sicherung der Montan-Mitbestimmung zustimmen, d. h. auch dem Gesetzentwurf der SPD.
Jedoch, meine lieben Kolleginnen und Kollegen von der Sozialdemokratie,
müssen Sie folgendes zur Kenntnis nehmen: Das im Mai 1981 von der SPD/FDP-Regierung erlassene Mitbestimmungsänderungsgesetz schreibt den Bestand der Montan-Mitbestimmung auf sechs Jahre fest. Das Gesetz greift dann nicht, wenn in sechs aufeinander folgenden Jahren die Montanumsätze unter 50 % liegen. Durch Umstrukturierung sind deswegen eine Reihe von Unternehmen aus dem Bereich der Montan-Mitbestimmung herausgefallen. Das Gesetz der SPD/FDP-Regierung hat von 1981 an die Voraussetzungen geschaffen, daß die am weitesten gehende Form praktizierter Mitbestimmung in bundesdeutschen Unternehmen gefährdet wurde.Der Gesetzentwurf, den die SPD jetzt vorlegt, deutet darauf hin, daß sich die Sozialdemokratie auch weiterhin nicht dazu durchringen kann, zu einer endgültigen Absicherung einer vollparitätischen Mitbestimmung beizutragen.
Der SPD-Entwurf reiht sich in eine Kette von Gesetzen ein, die einen kurzatmigen und kurzfristigen Charakter im Hinblick auf die Sicherung der Montan-Mitbestimmung haben.
Das Auffälligste an diesen Gesetzen ist ihre Halbherzigkeit und ihre Unzulänglichkeit, was im übrigen auch in Ihrem Entwurf so gesehen wird.
Eine gewisse Selbstkritik wird ja in der Begründung deutlich.Der Deutsche Gewerkschaftsbund hat 1982 einen Entwurf für eine erweiterte Mitbestimmung in Großunternehmen beschlossen und vorgelegt, der für die Mitbestimmungsdiskussion insgesamt einen wichtigen Orientierungsrahmen darstellt.
Darin wird u. a. gefordert, für alle Großbetriebe eine Mitbestimmungsregelung zu schaffen, die auf der Grundlage der Montan-Mitbestimmung die volle Parität von Kapital und Arbeit in allen wichtigen Entscheidungsprozessen des Unternehmens gewährleistet.Da für die GRÜNEN die Demokratisierung der Wirtschaft neben der ökologischen Ausrichtung der Produkte und der Produktion ein wichtiges Motiv ihrer Wirtschaftspolitik ist, möchte ich Ihnen unsere Zielsetzungen deutlich machen. Wir treten ein für die Verbesserung und Erweiterung des Betriebsverfassungsgesetzes sowie der Mitbestimmung bei der Produktion, im Planungsstadium und bei dem Einsatz von neuen Technologien im Betrieb.
Darüber hinaus fordern die GRÜNEN die Einsetzung eines betrieblichen Umweltschutzbeauftragten sowie die Entwicklung einer regionalen Mitbestimmungsmöglichkeit im Sinne der Weiterentwicklung von Wirtschafts- und Sozialräten.
Unsere weiteren Vorstellungen werde ich nun wörtlich aus unserer Programmatik, d. h. aus dem von unserem Arbeitskreis vorgelegten Entwurf „Umbau der Industriegesellschaft", zitieren. Dies, meine Damen und Herren, wird in den nächsten Wochen um so wichtiger, als insbesondere die Kollegen von der CDU/CSU mit Schlamm- und Dreckkübeln durch das Land ziehen und versuchen, durch gewollte Fehlinterpretation und durch bewußte Lügen die GRÜNEN und unsere sozial und ökologisch ausgerichtete Politik zu diffamieren.
Unsere Ziele zur Unternehmensmitbestimmung sind folgende — ich zitiere nun wörtlich —:Erstens. Die Mitbestimmung ist zu einer vollparitätischen Mitbestimmung auszuweiten; die laut Mitbestimmungsgesetz angeblich neutrale Person muß wegfallen.Zweitens. Die Montan-Mitbestimmung muß in allen Unternehmen erhalten bleiben. Veränderungen der Unternehmensstruktur dürfen nicht zur Abschaffung der Montan-Mitbestimmung führen.Drittens. Ein letztes Entscheidungsrecht über alle wesentlichen Unternehmensentscheidungen ist den paritätisch besetzten Gremien zuzuweisen.
Viertens. Den Vertretern der abhängig Beschäftigten sind alle Sachdaten zur Verfügung zu stellen.Dies, meine Damen und Herren, macht, auch in Abgrenzung zur Sozialdemokratie, deutlich, daß die GRÜNEN im Bereich der Unternehmensmitbestimmung eine klare Position haben.
Wer eine wirkliche Unternehmensmitbestimmung aufbauen will, muß diesen unseren Programmpunkten zustimmen.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Juni 1986 17401
TatgeDanke schön.
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Dr. Adam-Schwaetzer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mitbestimmung gehört zur Grundausstattung einer demokratischen Wirtschaftsverfassung.
Dazu bekennen wir uns.
Dazu haben wir uns immer bekannt; denn Mitbestimmung ist notwendig, um den strukturellen Wandel, dem wir ausgesetzt sind, dem auch die Wirtschaft ausgesetzt ist, mit allen Härten für die Arbeitnehmer annehmbar zu machen.
Nun wird hier immer so getan, als bedürfe es besonderer Anstrengungen, damit die Montan-Mitbestimmung bleibe. Meine Damen und Herren, die Voraussetzungen für die Anwendung der MontanMitbestimmung werden nicht geändert. Das heißt, überall dort, wo die Voraussetzungen für die Anwendung der Montan-Mitbestimmung weiterhin bestehen, bleibt auch die Montan-Mitbestimmung.
— Das ist nicht Rabulistik, sondern das ist schlicht die Wahrheit.
Wenn Sie das nicht wahrhaben wollen, dann sollten Sie das vielleicht einmal nachlesen.
Wenn nun aber, wie das in den Jahren 1980/81 passiert ist, Firmen aus Gründen der Wirtschaftlichkeit, aus Gründen der Konkurrenzfähigkeit, aus der Tatsache heraus, daß der Anteil der MontanProduktion immer weiter zurückgegangen ist, sich umstrukturiert haben, dann, meine Damen und Herren, muß ja wohl überlegt werden, ob unter diesen Bedingungen nicht auch andere Formen der Mitbestimmung angemessen sind.Hier wird immer so getan, als träte, wenn die Montan-Mitbestimmung in einem Betrieb nicht mehr angewandt würde, ein mitbestimmungsloser Zustand ein.
Das ist falsch. Wir haben das Mitbestimmungsgesetz von 1976. Wenn die Montan-Mitbestimmung nicht mehr angewandt wird, ist ganz selbstverständlich der Übergang in die Voraussetzungen des Mitbestimmungsgesetzes von 1976 gegeben, eines Mitbestimmungsgesetzes, meine Damen und Herren, das im übrigen von einer breiten Mehrheit dieses Hauses verabschiedet worden ist.
Wir haben 1981 in einem harten Kompromiß mit den Sozialdemokraten das Gesetz verabschiedet, das eine Übergangsfrist von sechs Jahren für die Betriebe festlegt, in denen die Voraussetzungen für die Anwendung der Montan-Mitbestimmung entfallen sind. Wir stehen zu diesem Kompromiß. Wir meinen deshalb, daß es nicht notwendig ist, hier irgend etwas gesetzlich zu verändern. Der vorliegende Gesetzentwurf der SPD kommt mir ein bißchen vor wie die künstliche Beatmung einer schon sehr angejahrten Sache.
Hier soll die Montan-Mitbestimmung bis zum letzten Mann einer Montan-Produktion angewendet werden und damit auch alle die Nachteile, die negativen Seiten der Montan-Mitbestimmung.Die Nachteile der Montan-Mitbestimmung gegenüber dem Mitbestimmungsgesetz von 1976 liegen auf der Arbeitnehmerseite.
Ich möchte das am Beispiel der Firma Mannesmann deutlich machen, die damals im Mittelpunkt der Diskussion gestanden hat und um die es natürlich im Jahre 1987 wieder gehen wird.Bei der Firma Mannesmann sitzen zehn Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat, sowohl nach der Montan-Mitbestimmung als auch nach der 76er Mitbestimmung. Von diesen zehn Arbeitnehmervertretern müssen nach der Montan-Mitbestimmung nur drei Betriebsangehörige sein, während sieben von den Gewerkschaften, von außen, in den Aufsichtsrat delegiert und gewählt werden können.
Nach der 76er Mitbestimmung müssen sieben der zehn Arbeitnehmervertreter im Betrieb beschäftigt sein, und drei werden auf Vorschlag der Gewerkschaften von außen zugewählt.Hier gibt es ganz eindeutig den Gegensatz zwischen einer Mitbestimmung, die vorwiegend von den Arbeitnehmern des Betriebs ausgeübt wird — das ist die Form, wie wir sie gern haben möchten —,
und einer Mitbestimmung, die vorwiegend von Gewerkschaften und damit von außen als Fremdbestimmung ausgeübt wird.
Es ist uns ja 1980 in diesem Kompromiß mit der SPD wenigstens gelungen, durchzusetzen, daß die Gewerkschaften nicht mehr wie früher ohne Mitsprache der Arbeitnehmer des Betriebs ihre Auf-
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Frau Dr. Adam-Schwaetzersichtsratsmitglieder einfach delegieren können. Nach dem Gesetz von 1981 müssen diese Aufsichtsratsmitglieder, die von den Gewerkschaften benannt werden, wenigstens auch gewählt werden.Dieses will die SPD offensichtlich wieder zurückdrehen; man kann sich schon vorstellen, unter wessen Einfluß.
— Herr Urbaniak, Sie haben darauf hingewiesen, daß Sie ausdrücklich das Delegationsrecht, so wie es früher war, gern wieder einführen möchten. Das bedeutet, Sie möchten die Mitsprache der Arbeitnehmer im Betrieb zugunsten eines reinen Delegationsrechts der Gewerkschaften von außen ausschalten.
Dies ist eine Richtung der Mitbestimmung, die wir nicht wünschen.
Arbeitnehmer müssen das Recht haben, Mitsprache, Mitbestimmung auszuüben, aber nicht nur über den Umweg der Gewerkschaften, sondern auch direkt im Betrieb. Denn sie sind selbständig und können selbständig entscheiden. Sie brauchen dazu nicht in jedem Fall und nicht nur die Hilfe von Gewerkschaften.
Unbenommen ist ihnen selbstverständlich, sich zu organisieren. Aber es gibt viele Nichtorganisierte in Betrieben, die ebenso ein Recht auf Mitbestimmung haben wie die Organisierten.Deshalb gibt es bei uns die klare Priorität für die Mitbestimmung von 1976, deshalb auch die Aussage, daß es einer gesetzlichen Änderung nicht bedarf.Vielen Dank.
Das Wort hat der Abgeordnete Faltlhauser.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren!Bei der Beurteilung der Fortführung der Montan-Mitbestimmung gibt es in einem wesentlichen Punkt Einigkeit zwischen der SPD und der CDU/ CSU:
in der grundsätzlichen Einschätzung der Bedeutung der Montan-Mitbestimmung in der Nachkriegsgeschichte. Die Opposition sagt in der Begründung des Gesetzentwurfs — Sie, Herr Kollege Urbaniak, haben das auch zitiert —, daß das Montan-Mitbestimmungs-Gesetz ein demokratisches Symbol unseres als Sozialstaat verfaßten Gemeinwesens ist. Dem stimmen wir zu.
Die Montan-Mitbestimmung ist ein Symbol unseres Sozialstaates, ein Symbol für die Gestaltungskraft der Unionsregierungen in der Nachkriegszeit, und ein Symbol für den Weitblick von Konrad Adenauer und Hans Böckler.
Die Montan-Mitbestimmung geht in ihrer Bedeutung über die Techniken der Entscheidungsverfahren in einem Unternehmen hinaus. Das MontanMitbestimmungs-Gesetz ist ein Regelungswerk zum Interessenausgleich in einer Gesellschaft, die auf das Prinzip Partnerschaft setzt, die das Miteinander vor das Gegeneinander stellt. Adenauers Konzept setzte auf Partnerschaft und nicht auf Klassenkampf.In unserer demokratischen Ordnung, meine Damen und Herren, müssen wir sehr sorgsam mit derartigen gemeinschaftsbildenden Symbolen umgehen. Das will ich auch den Kollegen von der FDP sagen. In Zeiten sehr schnellen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Wandels müssen wir, Frau Kollegin Adam-Schwaetzer, die guten Traditionen in dieser Gesellschaft in besonderer Weise pflegen. In einer Zeit, in der wir in der Gesellschafts- und Sozialpolitik von Ideologien und Utopien überschwemmt werden, sind die Erfolge gerade in der Praxis hochzuhalten und zu bewahren.
Deshalb hat die Union im März 1981 den Vorschlag von Franz Josef Strauß aufgegriffen, den Montananteil als Voraussetzung der Anwendung der Montan-Mitbestimmung auf 30 % herabzusetzen. Eugen Loderer hat damals zu dem Vorschlag gesagt: „Ich habe mit einer so klaren Formulierung nicht gerechnet.". Trotzdem hat die Koalition 1981 dem Vorschlag der Union ihre Zustimmung verweigert.
Die sozialliberale Koalition hat sich für das Hinausschieben des Problems und gegen unsere klare Regelung entschieden!Ich meine, daß die Haltung der damaligen Koalition zu diesem Gesetzentwurf aus heutiger Sicht ein Symbol für den Zustand der Koalition in der damaligen Zeit ist: ein Zustand der Handlungsfähigkeit und ein Zustand der inneren Zerrissenheit.
Hätten Sie von der Opposition damals die Kraftgehabt, den Unionsvorschlag zu unterstützen, müß-
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Dr. Faltlhauserten wir uns heute, fünf Jahre danach, nicht wiederum mit diesem Problem herumschlagen. Das ist eine Art von Arbeitsbeschaffung, die wir nicht wollen.
Heute liest sich das im Gesetzentwurf der SPD natürlich ganz anders. Entschlußlosigkeit und Zerrissenheit von damals liest sich heute im Entwurf als „Denkpause". Sie haben also Pause gemacht und nachgedacht. Das Ergebnis Ihres Nachdenkens ist so geraten, daß wir nur hoffen können, daß Sie noch möglichst lange Pause vom Regieren in der Opposition machen.
Das ist ein Ergebnis nicht von Nachdenken, sondern von Querdenken: Mit gewundenen Spezialregelungen fangen Sie die einzelnen relevanten Unternehmen in den Bereich der Montan-Mitbestimmung ein. Während nach dem geltenden MontanMitbestimmungs-Gesetz von einem Unternehmen der eisen- und stahlerzeugenden Industrie nur dann die Rede sein kann, wenn die Erzeugung von Eisen und Stahl den „überwiegenden Betriebszweck" darstellt, lassen Sie diesen Anteil zu einem Rest von Montan-Produktion degenerieren. Sie sammeln gewissermaßen Montan-Krümel ein und legen sie unter die Lupe, um z. B. Mannesmann oder Thyssen in der Regelung zu belassen. Wir müssen die MontanMitbestimmung sichern; aber Ihre Krümel-Lösung, meine Damen und Herren von der Opposition, oder, wie der Kollege Zink gesagt hat, Ihre Scheinlösung ist keine geeignete Diskussionsgrundlage.
Wichtiger an Ihrem Entwurf ist, daß Sie darüber hinausgehen wollen. Wichtig ist, daß Sie die Montan-Mitbestimmung tarifvertragsfähig machen wollen.
Hier geht der Entwurf weit über das hinaus, was zur Erhaltung der Montan-Mitbestimmung bei Salzgitter, Mannesmann oder Thyssen erforderlich ist. Gerade die Montan-Mitbestimmungs-Regelungen sind ein Mittel zur Herstellung sozialer Symmetrie und zur Sicherung sozialer Stabilität gewesen. Wenn Sie die Montan-Mitbestimmung erstreikbar machen, dann wird das der Startschuß für Instabilität sein.
Das ist die Aufforderung zum Dauerstreik! Ich sehe heute schon, wie die Planer in der DGB-Zentrale einen Zeitplan aufstellen, der vorsieht, in welchem Jahr welche Industriegewerkschaft für die Einführung der Montan-Mitbestimmung streikt.
Wir von der CDU/CSU wollen nicht, daß die Montan-Mitbestimmung in unserem Land klammheimlich versickert. Dies haben wir durch unseren eigenen Gesetzentwurf in diesem Bundestag bereits unterstrichen. Den vorliegenden Gesetzentwurf derSPD halten wir jedoch nicht für den geeigneten Weg,
dieses Ziel zu erreichen. Ich bin sicher: Auch Böckler und Adenauer hätten sich Ihrer Regelung nicht zugewendet. Deshalb kann ich Ihnen von der Opposition nur sagen: zurück mit diesem Entwurf in die Schublade, und weiter lange nachdenken, aber diesmal intensiver!
Das Wort hat der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zusammenarbeit, das war die Gesinnung der Nachkriegszeit, die Trümmer und Schutt beseitigte und einen Aufbau zustande brachte, den andere das „Wirtschaftswunder" genannt haben. Kooperation ist besser als Konfrontation, Partnerschaft ist besser als Klassenkampf. Das sind die Vorfahrtsregeln der Mitbestimmung.
Die Montan-Mitbestimmung entstand in der Notgemeinschaft Arbeitnehmer/Arbeitgeber, nämlich ais Demontage drohte. Als es um Arbeitsplätze ging, war klar, daß es zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern nicht nur unterschiedliche Interessen gibt, sondern auch Gemeinsamkeiten.Die Montan-Mitbestimmung ist — darauf hat auch der Kollege Faltlhauser hingewiesen — ein Symbol für Zusammenarbeit und Kooperation. Sie ist Urgestein unseres Sozialstaates. Sie entstand auf dem Vereinbarungswege, sie ist älter als die Bundesrepublik Deutschland, und deshalb darf sie nicht Museumsstück werden, sondern bleibt das Urdokument der Partnerschaft.Ihre gesetzliche Regelung fand die Montan-Mitbestimmung 1951, und deshalb bleibt sie mit zwei großen Namen verbunden: Adenauer und Böckler. Sie haben Maßstäbe dafür gesetzt, wie man von unterschiedlichen weltanschaulichen oder parteipolitischen Positionen aus dennoch im Interesse des Allgemeinwohls zusammenarbeiten kann. Unter der Leitung von Adenauer verhandelten Arbeitnehmer und Arbeitgeber und einigten sich über die Montan-Mitbestimmung. Da zeigt sich wieder: Konsens ist die Grundlage der Mitbestimmung, und nur auf dem Konsenswege sind dauerhafte Lösungen möglich. Die Gesinnung des Konsenses ist das, was Mitbestimmung möglich macht.Ich möchte den Kumpels an Rhein und Ruhr, an der Saar und anderswo bestätigen, daß sie sich dieser Tugend der pragmatischen Einsicht in Verantwortung und Notwendigkeit nie entzogen haben; sie sind das Gegenteil von Fanatikern und Ideologen. Bei der Lesung dieses Gesetzentwurfes sollte doch nicht vergessen werden, welch große Leistung es war, einen Strukturwandel sozial befriedend zu-
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Bundesminister Dr. Blümstande zu bringen, bei dem Bergleute ihren Beruf aufgeben mußten, zu dem sie traditionell eine große Anhänglichkeit hatten, eine große Treue. Der Bergbau hat sich um ein Viertel reduziert. Welcher Sprengstoff wäre das ohne Mitbestimmung gewesen! Die Bergleute mußten ihre Arbeitsplätze auf geben, landeten am Fließband. Sie mußten Bergwerksiedlungen aufgeben. Das zeigt, wie groß die Kraft von Mitverantwortung ist, wenn sie genutzt wird. Diese Errungenschaft werden wir zu keiner Zeit in Frage stellen lassen.
— Machen Sie es nicht so kleinkariert.Ich will ausdrücklich auch die Leistung großer Gewerkschaftsvorsitzender wie Walter Arendt und Adolf Schmidt in Erinnerung rufen. Ich wünsche seinem Nachfolger Meier, daß er in der Tradition dieser großen Gewerkschaft seine Arbeit leisten kann.
Auch die Kollegen in den Aufsichtsräten der Stahlindustrie haben gezeigt, daß sie verantwortungsbewußt handeln. Interessenvertretung der Arbeitnehmer und Zusammenarbeit schließen sich nicht aus. Der elfte Mann wurde so gut wie nie für eine Entscheidung in Anspruch genommen. Auch Rudi Judith — das will ich hier ausdrücklich anerkennen — hat für die Neuordnung des Stahlbereichs wichtige Vorschläge gemacht. Ich kenne Fälle, wo die Vertreter der Arbeitnehmer die unternehmerischen Notwendigkeiten früher erkannt haben als die Anteilseigner. Das sind alles Beispiele, daß Klassenkampf-schemata von rechts und von links diese Welt nicht beschreiben. Solange in den Aufsichtsräten an Rhein und Ruhr Arbeitnehmer sitzen, die sich von den Haß- und Hetzparolen ihrer Metallzeitung nicht anstecken lassen, so lange lebt die Mitbestimmung.
Daß wir heute über Montan-Mitbestimmung verhandeln, verdanken wir der SPD, und zwar in einem zweifachen Sinne, erstens weil sie den Gesetzentwurf vorgelegt hat und zweitens weil sie 1981 ein Gesetz zustande gebracht hat, in das das Auslaufen entgegen ihren damaligen Ankündigungen einprogrammiert war.
Es war kein Sicherungsgesetz, wie mein Vorgänger Ehrenberg behauptet hat, es war, was heute zu beweisen ist, ein Auslaufgesetz.
Da hat im übrigen die SPD eine große Tradition: vor den Wahlen Mitbestimmungsinitiativen und nach den Wahlen „Vom Winde verweht".
Soll ich mal den ganzen Katalog aufzählen? 1969vor der Wahl großer Mitbestimmungsentwurf, noch' in der Großen Koalition, rechtzeitig so spät vorgelegt, daß er nicht mehr verhandelt werden konnte; nach der Wahl vergessen. 1980 vor der Wahl große Initiative: Herbert Wehner droht Gruppenanträge an; nach der Wahl war das zu diesem Auslaufgesetz zusammengeschmolzen.
Ich bin Franz Josef Strauß dankbar, daß er noch jüngst erklärt hat, er bleibe einer sachverständigen, verfassungsrechtlich sauberen Lösung des Problems treu. So sind wir. Wir reden vor der Wahl wie nach der Wahl.
— Frau Fuchs, lassen Sie mich gerade meinen Gedankengang zu Ende führen.Zur Sicherung und Ausdehnung der Montan-Mitbestimmung schlägt die SPD — da muß man einen Augenblick achtgeben — erstreikbare Tarifverträge vor. Vor Wochen habe ich hier noch gehört, es sei gar kein Streik mehr möglich.
Das haben Sie vor Wochen noch gesagt, und jetzt wollen Sie sogar für die Mitbestimmung streiken. Angeblich war das unmöglich. Sie beweisen wieder, daß auch Ihre Propaganda zu § 116 nicht stimmt. Auch das beweisen Sie mit Ihrem Gesetzentwurf.
Ich bleibe unserer Tradition treu, solche schwierigen Fragen im Konsens zu lösen, alle einzuladen, auf der Suche zu bleiben, wie man einvernehmlich, partnerschaftlich Mitbestimmung sichert,
der Montan-Mitbestimmung die Bahn erhält, nicht mit Schnellschüssen, nicht mit Entwürfen, die vor dem Verfassungsgericht keinen Bestand haben. Wir bleiben dabei, und das will ich aus Anlaß dieser Debatte auch hier bekunden: Die Mitbestimmung ist Fleisch von unserem Fleisch;
die Mitbestimmung steht nicht auf dem Boden des Klassenkampfes,
sie hat überhaupt keinen Platz im Marxismus, sie funktioniert nur in einer Sozialen Marktwirtschaft. In der Planwirtschaft gibt es nur Befehle von der Obrigkeit, wie immer sie heißt, zu empfangen. Deshalb: Ich bleibe der Idee der Mitbestimmung treu.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.Der Ältestenrat schlägt die Überweisung des Gesetzentwurfes auf Drucksache 10/5341 an die in der
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Vizepräsident WestphalTagesordnung aufgeführten Ausschüsse vor. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? — Das ist nicht der Fall. Die Überweisung ist dann so beschlossen.Ich rufe den Punkt 2 der Tagesordnung auf:Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Verteidigungsausschusses zu der Unterrichtung durch den WehrbeauftragtenJahresbericht 1985— Drucksachen 10/5132, 10/5722 —Berichterstatter: Abgeordnete Heistermann, Frau Krone-AppuhnMeine Damen und Herren, nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die Beratung 90 Minuten vorgesehen. — Dazu sehe ich keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.Ich begrüße den Wehrbeauftragten und eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Heistermann.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir stimmen zu, wenn der Herr Wehrbeauftragte seinen Bericht mit der Vorbemerkung einleitet, dieser Bericht beschreibe nicht den Gesamtzustand der Bundeswehr. Aber ebenso richtig ist, wenn ich hier feststelle, daß in ihm wichtige Indikatoren erkennbar werden. Und um die haben wir uns zu kümmern.
Lassen Sie mich vorab feststellen, der Wehrbeauftragte kann immer der vollen Unterstützung der SPD-Bundestagsfraktion sicher sein und mit ihr rechnen, wenn er unvoreingenommen die Dinge beim Namen nennt, die Sand im Getriebe der Bundeswehr sind. Der Wehrbeauftragte würde nach unserer Auffassung seine Aufgabe aber völlig verfehlen, wenn er zum Hofberichterstatter der Bundeswehr oder gar des Bundesministeriums der Verteidigung würde. Deshalb, Herr Weiskirch, Ihr erster Jahresbericht ist uns der Beweis dafür, daß Sie in der Tradition Ihrer Vorgänger bleiben wollen. Das begrüßen wir nachdrücklich.
Die 1985 stark gestiegene Zahl der schriftlichen Eingaben auf erstmals über 8 000 belegt nicht nur den größeren Bekanntheitsgrad der Institution des Wehrbeauftragten. Nein, sie ist auch ein wichtiger Hinweis, daß es mehr Schwierigkeiten in der Truppe gibt, als der Bundesminister der Verteidigung zugeben will. Immer mehr Soldaten erkennen, daß nicht alles, was in der Bundeswehr geschieht, unter der Kategorie „Befehl und Gehorsam" oder: Das müssen wir ertragen usw., eingestuft werden darf. Sie lassen sich nicht mehr jede Schikane gefallen, die in einigen Hirnen von Vorgesetzten nach wie vor anzutreffen ist. Nicht jeder Vorgesetzte eignet sich zur Menschenführung. Und wer diesen Ansprüchen nicht gerecht wird, der gehört abgelöst.
Wir erwarten heute auch vom Minister Wörner — er wird ein wenig später eintreffen, und deshalb bitte ich, ihm das als Frage vorzulegen — ein klärendes Wort zu seinen diffamierenden Ausführungen auf der sicherheitspolitischen Tagung der CDU, wo er Sozialdemokraten als Sicherheitsrisiko bezeichnete. Erklären Sie, ob Sie heute noch dazu stehen oder ob Sie bereit sind, diese diffamierenden Behauptungen zurückzunehmen. Wer sich so oft als erster Soldat der Truppe darstellt, der sollte auch die Kraft haben, das, was er von anderen erwartet, selbst einzuhalten. So wie Sie sich gebärdet haben, sind Sie jedenfalls kein Vorbild für die Soldaten.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Boroffka?
Bitte.
Herr Kollege Heistermann, haben Sie als Mitglied der Sozialdemokratischen Partei nicht die Beschlüsse der SPD auf dem letzten Landesparteitag Berlin zur Kenntnis genommen, und halten Sie diese nicht für sicherheitspolitisch außerordentlich risikoreich?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wenn Sie zugehört haben, habe ich den Minister gefragt, und ich erwarte von diesem Minister hier von dieser Stelle aus eine Antwort, damit Sie das klar und deutlich zur Kenntnis nehmen.Zu recht, Herr Wehrbeauftragter, beklagen Sie die Kälte und Herzlosigkeit, die hier und da in der Bundeswehr anzutreffen sind. Eine größere Fundstelle für Kälte und Herzlosigkeit ist allerdings das Ministerium selbst. Wer sich den Bericht zur sozialen Lage der Soldaten in der Bundeswehr vom 22. April 1986 anschaut, findet auf einer Seite — und ich betone: auf einer Seite — einen Bericht, der nicht nur in oberflächlicher, sondern in geradezu verachtender Weise mit den vielfältigen Problemen der Soldaten und ihrer Familien umgeht. Bei den materiellen Leistungen führt man vorsichtshalber schon Leistungen auf, die erst in den Jahren nach 1987 und folgende wirksam werden sollen. Herr Minister Wörner, mangels vorzeigbarer Masse bedienen Sie sich hier wiederum Potemkinscher Dörfer, um Eindruck zu schinden.Die Soldaten nehmen Ihnen aber nicht mehr ab, was in Presseverlautbarungen Ihres Hauses alles an Wohltaten verordnet wird. Sie prüfen die Worte des Ministers in der Realität. Diese sieht anders aus, als Ihre schöngefärbten Darstellungen.Glauben Sie eigentlich im Ernst daran, Herr Minister Wörner, daß die Soldaten Ihnen Ihr soziales Engagement überhaupt noch abnehmen? Einerseits stellen Sie 842 Millionen DM für neue Panzer bereit; andererseits sind Sie nicht in der Lage, eine vernünftige Dienstzeitregelung einzuführen und Soldaten auf Zeit vor Arbeitslosigkeit zu schützen.
Einerseits fordern Sie für weitere 35 Tornados Mittel in Höhe von 3,3 Milliarden DM vom Parlament an; andererseits ist kein Geld für entsprechende Büroausstattungen, von der Schreibmaschine bis zum Bleistift vorhanden.
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HeistermannGlauben Sie wirklich, Herr Minister, daß die Soldaten verstehen, daß in den kommenden Jahren für den Jäger 90 weitere 25 Milliarden DM bereitgestellt werden sollen, aber Ihr Haus nicht in der Lage ist, Benzingeld jenen Wehrpflichtigen zu erstatten, die am Wochenende ohne Auto nicht von ihrem Einsatzort nach Hause kommen? Einerseits versprechen Sie den Wehrpflichtigen, in Zukunft doppeltes Verpflegungsgeld auszuzahlen; andererseits nehmen Sie heute bei den Unteroffizieren die Heimschläfererlaubnis zurück, um eben diesem Personenkreis das Verpflegungsgeld nicht auszahlen zu müssen. Wo bleibt da eigentlich die Logik Ihrer Politik? Nennen Sie das eine am Menschen ausgerichtete Politik?Sie wollen bei den Reservisten sicherstellen, daß eine Karenzzeit von neun Monaten zwischen der Entlassung aus dem aktiven Wehrdienst und der Einberufung zu einer Mobilmachungsübung eingehalten wird; andererseits sind Sie nicht in der Lage, die Reserveübungen auf alle Reservisten zu verteilen.
Nicht einmal jeder zehnte Reservist wird zu Wehrübungen einberufen. Das nennen Sie Wehrgerechtigkeit?Sie scheitern mit diesem Modell, weil Sie kein Vertrauen bei denen finden, die Sie eigentlich zu Dienstleistungen heranziehen wollen. Niemand erkennt den Maßstab Ihrer Politik. Deshalb werden Sie auch mit dem Modell, das Sie für die Bundeswehr der neunziger Jahre vorgelegt haben, scheitern.Meine Kollegen Steiner und Kolbow werden weitere Beispiele Ihrer verfehlten Politik aufzeigen. Und Sie werden die entsprechenden Fragen hier und heute von dieser Stelle aus zu beantworten haben.Herr Minister Wörner, wer sich nur um neue Waffen kümmert, der verliert die Motivation der Soldaten aus den Augen. Wir möchten Ihnen eigentlich noch einmal ins Stammbuch schreiben, was Bundeskanzler a. D. Helmut Schmidt am 1. Oktober 1982 vor diesem Hause erklärte — ich zitiere —:Die Qualität unserer Streitkräfte und unserer Soldaten zeigt: Nicht ein hoher Rüstungshaushalt ist die Hauptsache, sondern die Männer sind die Hauptsache, ihre Motivation und ihre Ausbildung.
Wenn Sie sich einmal in Ihrer Politik daran orientiert hätten, dann hätten wir hier heute einen Bericht zu diskutieren, der wesentlich positivere Beispiele aufzuführen hätte, als das heute der Fall ist. Wir würden Ihnen dann vorbehaltlos zustimmen, wenn Sie diesen Gesichtspunkt bei der tagtäglichen Politik insbesondere gegenüber den Soldaten und ihren Familien offengelegt hätten.Herr Wehrbeauftragter, wir danken jedenfalls für den vorliegenden Bericht, und wir bitten Sie, diesen Dank auch an Ihre Mitarbeiter weiterzuleiten.Herr Präsident, gleichzeitig beantragen wir, dem Herrn Wehrbeauftragten Rederecht einzuräumen.Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Krone-Appuhn.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Heistermann, diese Rede stimmt mich eigentlich traurig. Wir haben vor acht Tagen wirklich in Sachlichkeit den Bericht des Wehrbeauftragten im Verteidigungsausschuß des Deutschen Bundestages miteinander diskutiert. Wir haben in den letzten Wochen immer wieder Fragen zur sozialen Lage der Bundeswehr angesprochen und haben auch von den Vertretern des Hauses — nicht nur vom Minister und vom Staatssekretär — konkrete Antworten zu den Problemen bekommen, die wir aufgezeigt haben und die uns bewegen. Ich erinnere z. B. an die Wohnungsfürsorge. Ich erinnere an die Versetzungshäufigkeit, die Dienstzeitbelastung und ähnliche Dinge.Wenn Sie nun gerade im Rahmen der Berichterstattung des Wehrbeauftragten in dieser Form gegen die Regierung vorgehen, dann habe ich den Eindruck, Sie sind irgendwo schon ein bißchen im Wahlkampf. Das aber haben unsere Soldaten nicht verdient; denn wir reden hier über den Bericht des Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages. Wir müssen das deswegen tun, damit wir die Schicksale der Soldaten verbessern können. Das können wir aber nicht mit kalter, sturer und wilder Politpropaganda gegen den Bundesminister der Verteidigung.Im Namen der CDU/CSU-Fraktion möchte ich Ihnen, Herr Wehrbeauftragter, für diesen informativen und sehr sorgfältigen Bericht danken. Ich möchte Sie bitten, im Laufe dieser Debatte dazu Stellung zu nehmen.Wir Parlamentarier begrüßen es, daß der Bericht nicht nur eine Mängelliste ist, sondern Lösungsvorschläge für zahlreiche Probleme enthält, die wir in zurückliegenden Debatten angesprochen haben. Besonders freut mich der Dank an die Ehefrauen der Soldaten im Ausland, die zusammen mit ihren Kindern besonders viele Schwierigkeiten zu überwinden haben. Die konkreten Vorschläge für die Mitfluggenehmigungen in das Ausland haben bereits Eingang in eine Vorlage des Bundesverteidigungsministeriums gefunden und werden gerade diesen besonders belasteten Soldatenfamilien hoffentlich bald spürbare Erleichterungen bringen.Versetzungen belasten die Soldatenfamilien aber auch im Inland. Kinder bekommen Schulschwierigkeiten, und Ehefrauen verlieren ihren Arbeitsplatz. Ich habe dazu in der Debatte zur sozialen Lage der Bundeswehr 1985 ausführlich Stellung genommen. Um so erfreuter war ich, als ich in der letzten Woche bei der Überprüfung von Versetzungen von
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Frau Krone-Appuhnzwei Soldaten feststellen konnte, daß man sich in der Abteilung Personal des Bundesverteidigungsministeriums nicht nur Gedanken über mögliche Verwendungen dieser Soldaten gemacht hatte, sondern sehr genau über das Schicksal aller Soldatenkinder sowie die beruflichen und privaten Probleme der Ehefrauen der Soldaten informiert war, die von dieser mit dem Personalstrukturgesetz zusammenhängenden Versetzungskette betroffen waren.Hier gilt also nicht mehr die übliche Ausrede von den Diensteigentümlichkeiten. Vielmehr denkt man an das berufliche und schulische Schicksal der Familienangehörigen der versetzten Soldaten. Also ist, lieber Herr Kollege Heistermann, in diesem BMVG sogar die Abteilung P, mit der wir natürlich alle unsere Probleme haben, keine Fundstelle für Kälte und Herzlosigkeit. Vielmehr wird das, was wir in den letzten Jahren gerade auf dem sozialen Sektor getan haben, um das Schicksal der Soldatenfamilien zu erleichtern, jetzt auch berücksichtigt. Das haben wir lobend anzuerkennen.Wir dürfen aber nicht aufhören, darüber nachzudenken, wie wir in der Bundesrepublik einheitliche Rahmenbedingungen auf dem Bildungssektor, auf dem Arbeitsmarkt schaffen können, um nicht nur für Soldatenfamilien, sondern ganz generell die Mobilität wieder zu fördern. Sie, Herr Minister, möchte ich darum bitten, die Gespräche mit der Kultusministerkonferenz der Länder fortzusetzen, um für die Schulkinder, deren Väter Soldaten sind, bessere und einheitlichere schulische Rahmenbedingungen zu erreichen.Ihnen, Herr Wehrbeauftragter, danke ich im Namen meiner Fraktion auch dafür, daß Sie Besuchergruppen von Parlamentariern in Ihrem Haus empfangen. Somit wird Ihr Amt in zunehmendem Maße nicht nur bei den Soldaten bekannt und von ihnen in Anspruch genommen, sondern die Bürger können sich auch allgemein informieren und bekommen einen Eindruck davon, daß der „Staatsbürger in Uniform" nicht nur ein beliebtes Schlagwort ist.In den Vorbemerkungen zum WehrbeauftragtenBericht wird noch einmal die Forderung nach mehr Herz und Wärme in den Streitkräften wiederholt. In einer hochtechnisierten Armee, die seit den 70er Jahren von Wirtschafts- und Organisationswissenschaften geprägt ist — und Wirtschafts- und Organisationswissenschaften waren nun einmal das Lieblingskind unseres ehemaligen Verteidigungsministers Helmut Schmidt —, halte ich diese Forderung für besonders wichtig. Technokratie, Überorganisation und Bürokratie bedrohen nach wie vor den Soldaten und lassen das Menschliche und die Kameradschaft in totaler Kontrolle und Verplanung verkommen. Daher ist es auch in einer hochmodernen Armee wie der deutschen Bundeswehr nötig, immer wieder daran zu erinnern, daß gute militärische Führung ohne Herz und Wärme, ohne Kameradschaft und Fürsorge nicht möglich ist.
Frau Abgeordnete, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Klejdzinski?
Bitte, Herr Kollege.
Frau Abgeordnete, Frau Kollegin, wenn Sie ausführen, daß Führung ohne Herz und Wärme nicht möglich ist, wenn Sie gleichzeitig mit mir zur Kenntnis genommen haben, daß neue Großwaffensysteme bestellt worden sind, daß dafür Geld da ist: Stimmen Sie mit mir darin überein, daß die Bundesregierung dann für die soziale Lage der Soldaten etwas mehr hätte tun müssen? Ich meine jetzt nicht geldliche Leistungen, sondern denke beispielsweise an die Bekleidung, etwa an nichtentflammbare Bekleidung für die Panzerbesatzungen, die zu beschaffen sicherlich genauso notwendig wäre wie z. B. 150 neue Leo 2.
Herr Kollege Dr. Klejdzinski, wir sind uns wohl alle darüber einig, daß das Wichtigste in den Streitkräften der Mensch ist und bleiben muß. Sie kennen aber die Schwierigkeit aller Verteidigungsminister — das galt für Herrn Leber und Herrn Dr. Apel ganz genauso —, beides miteinander kombinieren zu müssen, nämlich sowohl moderne Waffensysteme anzuschaffen, die der Qualität der Waffensysteme der potentiellen Gegner entsprechen, als auch für die sozialen Belange der Soldaten dazusein und auch in Bekleidungsfragen etwas zu tun. Und da muß ich den Minister Dr. Wörner nun einmal wirklich loben. Der hat nämlich, als wir 1984 im Verteidigungsausschuß gemeinsam eine Initiative für eine bessere Kleidung der Soldaten ergriffen haben, sofort einen Oberst aus der Kampftruppe damit beauftragt, dies in Angriff zu nehmen. Als dann der kalte Winter kam, war das Verteidigungsministerium schon vorbereitet.
Was die Planung anlangt, so ging das sehr schnell. Wir konnten schon im letzten Jahr feststellen, daß die ersten neuen Stiefel ausgeliefert sind. Die ersten 10 000 Tarnuniformen bekommt z. B. die von mir hier so häufig zitierte 4. Jägerdivision in Regensburg, die es ganz besonders nötig hat. Warme Unterwäsche haben die Soldaten inzwischen auch. Das konnten wir beim Manöver alles feststellen.
Also, sagen wir einmal Dankeschön, statt hier herumzuschreien.
Frau Abgeordnete, ich muß Sie noch einmal fragen, ob Sie eine Zwischenfrage gestatten, diesmal eine des Abgeordneten Biehle.
Wenn mir das nicht auf meine Redezeit angerechnet wird, gern.
Nein. — Bitte schön, Herr Biehle.
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Verehrte Kollegin Krone-Appuhn, würden Sie mir nicht in der Auffassung beipflichten, daß eine Fraktion, die zum Haushalt
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Biehlegrundsätzlich nein sagt, überhaupt kein Recht hat, zu kritisieren, daß zu wenig getan wird?
Da haben Sie völlig recht, Herr Vorsitzender Biehle. — Besonders wichtig ist es auch, daß der Soldat den Sinn und Zweck seines Dienstes sowie die Bedeutung des Dienstes für sein persönliches Leben erkennt.
— Meine lieben Kollegen, Sie haben sich vorhin — das war in der Debatte zu einem anderen Tagesordnungspunkt — darüber beschwert, wenn hier herumgeschrien wird. Ich bitte darum, jetzt doch ein bißchen ruhiger zu sein. Es geht schließlich um das Wohl, die Zukunft und die Erziehung unserer Soldaten. Da kann man auch einer Kollegin der CDU/ CSU einmal in Ruhe zuhören. —
Arbeitshilfen für die politische Bildung werden in ausreichendem Maße, insbesondere von der Schule für Innere Führung, hergestellt. Ebenso gibt es zahlreiche Lehrgänge und Informationsschriften von der dafür zuständigen Abteilung des Verteidigungsministeriums. Die Friedensdiskussion, das neue Schlagwort von der Sicherheitspartnerschaft mit dem Osten, die Diffamierung der Strategischen Verteidigungsinitiative als Krieg der Sterne haben erneut Verunsicherung in die Truppe gebracht. Heute morgen wurde schon ausführlich über die Parteitagsdifferenzen in Berlin gesprochen. Ich möchte dem nichts hinzufügen.
Mit dem Buch „De Officio" der evangelischen Militärseelsorge ist den Offizieren eine hervorragende Hilfe an die Hand gegeben, die ethischen Probleme ihres Berufes zu erkennen und zu durchdenken. Die Unterführer und die Kompaniechefs müssen aber wohl noch mehr als bisher befähigt werden, mit modernen Unterrichtsmethoden und nicht zu theoretisch dem Wehrpflichtigen den Sinn seines Opfers für diesen unseren Staat klarzumachen.
Die ausführliche Darstellung der Situation des Vertrauensmannes im Wehrbeauftragtenbericht halte ich für besonders wichtig. Der Vertrauensmann braucht korrekte Einweisung in seine Aufgaben, er muß den Soldaten bekannt sein, und er braucht auch einen überschaubaren Wahlbereich. Man sollte aber Informationstagungen auf Regiments- und Brigadeebenen überdenken; denn ein Vertrauensmann soll ja ein hilfsreicher Kamerad und kein permanent geschulter und konferierender Funktionär sein.
Offensichtlich brauchen die Kompaniechefs einen intensiven Unterricht, um erzieherische Maßnahmen von Disziplinarmaßnahmen unterscheiden zu können. Das Studium der Pädagogik und moderner Erziehungslehren sind hier keine Garantie für zeitgerechte Menschenführung. Daher ist es gut, wenn die zentrale Dienstvorschrift 14/3, wie der Bundesminister verspricht, nochmals überarbeitet wird.
Für besonders wichtig halte ich, daß kranke Soldaten nicht als Simulanten angesehen, sondern vernünftig behandelt werden. Kompaniechefs und Zugführer müssen hier besser mit den Sanitätsoffizieren zusammenarbeiten.
Der Herr Wehrbeauftragte wurde vom Beirat für Fragen der Inneren Führung darin bestärkt, einmal über positive und erfreuliche Entwicklungen zu berichten. Das ist eine sehr begrüßenswerte Anregung. Eine reine Mängelliste wirkt nicht nur auf Parlamentarier deprimierend, sondern erzeugt auch Angst bei Eltern und Soldaten. Wir freuen uns auf den nächsten Bericht; denn die beste Erziehung ist immer noch das gute Vorbild.
Als nächster hat der Abgeordnete Bastian das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Jahresbericht des Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages für das Jahr 1985 ist leider nicht nur dem Umfang nach dünn ausgefallen. Vielleicht ist das der Grund, weshalb das Interesse an dieser Debatte so schockierend gering ist;
denn auch was den Inhalt angeht, enttäuscht der Bericht jeden, der eine gründliche Aufarbeitung der vom Wehrbeauftragten gerügten gravierenden Mißstände in der politischen Bildung der Soldaten in ihrer zeitgemäßen, die Menschenwürde achtenden Führung und auf dem Gebiet einer sozial zufriedenstellenden Fürsorge für selbstverständlich gehalten hat.
Der Bericht enttäuscht erst recht alle, die vom Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages natürlich auch ein Eintreten für eine offenere sicherheitspolitische Diskussion in den Streitkräften, als sie derzeit möglich und offenbar auch gewünscht ist, erwartet hatten.
Alle sind enttäuscht, die z. B. geglaubt hatten, daß der Wehrbeauftragte es als seine Pflicht ansehen würde, sich gegen die Vielzahl von Schikanen und Benachteiligungen zu wenden, mit denen jene Soldaten aller Dienstgradgruppen mundtot gemacht werden sollen, die nicht bereit sind, den sicherheitspolitischen Irrwegen der Bundesregierung und ihres Verteidigungsministers mit der Hand der Hosennaht zu folgen,
sondern für sich in Anspruch nehmen, Sinn und Unsinn der ihnen zugemuteten Entscheidungen kritisch zu hinterfragen
— das paßt Ihnen nicht, das weiß ich, Herr Biehle,Ihr geringes Verständnis von Sachfragen habe ich
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Bastianschon als Divisionskommandeur kennengelernt, Sie können hier bitte gar nicht zur Sache sprechen —,
um sich als Staatsbürger und nicht als Statisten in Uniform, als mitdenkende Soldaten, nicht als blind gehorchende Marionetten ein eigenes Urteil in all den ihr Berufsbild berührenden Fragen zu bilden, die heute die Menschen nicht nur in der Bundesrepublik, sondern in vielen Ländern und Kontinenten bewegen.Im Bericht des Wehrbeauftragten zum Jahre 1985, einem Jahr, in dem die Genfer Verhandlungen wieder aufgenommen wurden und das erste Treffen Reagan-Gorbatschow stattgefunden hat, schlagen sich die weltweite Diskussion und ihre Auswirkungen auf die Bundeswehr nicht nieder, obwohl doch eine unmittelbare Auswirkung in der verheerenden und von oben geförderten Tendenz besteht, offene Diskussionen in der Bundeswehr und mit ihr zu unterbinden, jenen angepaßten Soldatentyp aber zu fördern, von dem bedingungsloser Gehorsam zu erwarten ist und der damit gerade nicht dem Leitbild vom Staatsbürger in Uniform entspricht, um dessen Verwirklichung sich die Bundeswehr jahrzehntelang mit Erfolg bemüht hat.
Was, wenn nicht dies, hätte denn einen Wehrbeauftragten, der sich tatsächlich als berufener Hüter dieser Prinzipien von Innerer Führung, zeitgemäßer Menschenführung und Menschenwürde versteht, auf den Plan rufen müssen? Was wäre mehr von ihm zu fordern gewesen, als auch den vielen Pressionen ein Ende zu machen, denen z. B. die im sogenannten Darmstädter Signal zusammenwirkenden Offiziere wegen ihrer Kritik an der nuklearen Rüstungsentwicklung in Form von ungerechten Disziplinarmaßnahmen und diskriminierenden Personalentscheidungen ausgesetzt sind? Nicht wenige der Betroffenen haben auch beim Wehrbeauftragten Hilfe gesucht, wenn auch, wie der Bericht zeigt, leider vergeblich.
Allein schon dieser schwerwiegende und kaum zufällige Mangel im Bericht des Wehrbeauftragten, über den wir heute sprechen, macht es den GRÜNEN im Bundestag unmöglich, dem Bericht zuzustimmen.Aber auch da, wo sich der Bericht in teils dankenswerter Deutlichkeit mit kaum glaublichen Entwürdigungen und Mißhandlungen von Soldaten, mit ihrer ungenügenden politischen Bildung in der Bundeswehr, mit den immer noch unzureichenden Regelungen für die Arbeit der gewählten Vertrauensmänner beschäftigt oder — damit zusammenhängend — auf die mangelnde Bereitschaft von Vorgesetzten zur konstruktiven Zusammenarbeit mit dem jeweiligen Vertrauensmann eingeht, genügen die vom Wehrbeauftragten für ausreichend gehaltenen Schlußfolgerungen und Empfehlungen unseren Vorstellungen nicht.
Zwar ist es richtig, wenn der Wehrbeauftragte einleitend feststellt, daß sein Bericht als Mängelkatalog und nicht als Zustandsbeschreibung zu verstehen ist. Doch macht es die Art der im Bericht allein schon auf dem Gebiet der Menschenführung aufgezeigten Mängel absolut unmöglich, sich mit der Erklärung zufrieden zu geben, es handele sich nur um Randerscheinungen, denen weit mehr Beispiele guter Menschenführung gegenüberstünden. So einfach kann man es sich nicht machen.Die exemplarisch beschriebenen Fälle von Untergebenenmißhandlung, hinter denen nach der angefügten Statistik rund 130 Fälle entwürdigender Behandlung von Soldaten stehen sind im Gegenteil ein erschreckendes Alarmsignal, erst recht dann, wenn man aus einem Vierteljahrhundert dienstlicher Erfahrung weiß, daß der sich beschwerende oder den Wehrbeauftragten anrufende Soldat immer noch die Ausnahme bildet, weil auch heute noch allzu viele Soldaten nach dem von Vätern übernommenen falschen Grundsatz handeln, auch bei Schikanen lieber zu schweigen, als sich mit den gegebenen Rechtsmitteln zur Wehr zu setzen.
Das tatsächlich zu befürchtende Ausmaß menschenunwürdiger Behandlung und Mißhandlung von Soldaten muß darum weit höher, und zwar in einer Größenordnung angesetzt werden, die nicht mehr als Randerscheinung abgetan werden kann.Es wäre deshalb zu erwarten gewesen, daß der Wehrbeauftragte in seinem Bericht dem traurigen Kapitel der Untergebenenmißhandlung, das ja durch die von keiner wirksamen Dienstaufsicht außer Kraft gesetzte „Hackordnung` zwischen älteren und jüngeren Mannschaftsdienstgraden einen besonders widerlichen Akzent erhalten hat, mehr Bedeutung beimißt, als es tatsächlich geschehen ist. Vor allem wäre es notwendig gewesen, von der Bundeswehrführung entschiedene Maßnahmen zur Beseitigung der Mißstände zu fordern. Aber nichts dergleichen findet sich in eindrucksvoller Form im Jahresbericht 1985.
Der Hinweis auf die wachsende Anerkennung, die der Wehrbeauftragte als Institution in Truppe und Öffentlichkeit findet, gleicht dieses Manko nicht aus. Natürlich ist es gut, daß der Wehrbeauftragte in seiner möglichen Bedeutung als Hüter der Grundrechte jedes Soldaten besser verstanden und wahrgenommen wird. Doch was hilft dieses zunehmende Vertrauen, wenn der Amtsinhaber ihm in seiner Arbeit und in seiner Einschätzung der Lage in der Bundeswehr auf den von ihm zu beobachtenden Gebieten nicht gerecht wird?
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17410 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Juni 1986
BastianWir verlangen, daß der Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages sich in Zukunft auch den Problemen stellt, die sich im Innenverhältnis der Bundeswehr und für die Bewahrung des Prinzips vom mündigen Staatsbürger in Uniform in zunehmendem Maße aus der kontroversen sicherheitspolitischen Diskussion in der Gesellschaft ergeben.
Wir erwarten insbesondere, daß sich der Wehrbeauftragte schützend vor jene Soldaten stellt, die dieser Diskussion gegenüber aufgeschlossen sind und sich auch durch ihr Dienstverhältnis nicht daran hindern lassen wollen, engagiert und aktiv an ihr teilzunehmen.Wir glauben deshalb auch, daß sich der Wehrbeauftragte im Rahmen seiner Pflichten für eine Neuregelung des unzeitgemäßen und mit der angestrebten Mündigkeit unserer Soldaten nicht zu vereinbarenden Verbots einsetzen muß, bei politischen Veranstaltungen Uniform zu tragen. Warum ausgerechnet Soldaten im Gegensatz zu allen anderen Berufsgruppen daran gehindert sein sollen, außer Dienst von ihrem Recht auf Demonstrationsfreiheit auch unter Bezug auf ihre berufliche Tätigkeit Gebrauch zu machen, ist nicht einzusehen.
Wenn gesagt wird, das Tragen von Uniformen bei politischen Veranstaltungen werde das Vertrauen der Bürger in die Zuverlässigkeit der Bundeswehr untergraben oder den inneren Zusammenhalt gefährden, dann überzeugt das nicht.Es nimmt doch ohnehin jeder als selbstverständlich an, daß auch Soldaten politische Überzeugungen haben und bereit sind, sich zu ihnen zu bekennen. In einer Demokratie müßte doch politische Abstinenz weit verdächtiger und störender sein als die aktive Teilnahme der Bürger — ob in oder ohne Uniform — am politischen Geschehen.Doch auch dieses Problem bleibt — wie so viele andere — im Jahresbericht des Wehrbeauftragten ausgeklammert. Wir halten diesen Bericht deshalb für ungenügend und folgen nicht der Beschlußempfehlung des Verteidigungsausschusses.Danke sehr.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Feldmann.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zweimal im Jahr behandeln wir im Plenum des Deutschen Bundestages den Bericht des Wehrbeauftragten. Zweimal im Jahr steht der Mensch wirklich im Mittelpunkt.
Der Mensch im Mittelpunkt: das ist ein hehres Ziel, das wir uns alle hier in diesem Hause gesetzt haben.Herr Kollege Bastian und Herr Kollege Heistermann, dieses Thema eignet sich nicht als Wahlkampfthema. Ihre Kritik scheint mir doch maßlos überzogen zu sein.
— Warten Sie. — Aber ist es nicht so, daß der Mensch, daß die Soldaten, daß die Familie immer noch zu kurz kommen? Ist es nicht so, daß uns Ausgaben für Material, Gerät und Waffen immer noch leichter fallen als die entsprechenden Ausgaben für unsere Soldaten?
Beim Material sind wir nach wie vor zu großzügig.
Aber wenn unsere Soldaten Geld brauchen — Trennungsgeld, Umzugsbeihilfe, Unterhaltsförderung, Dienstzeitausgleich, um nur einige der berechtigten Forderungen zu nennen —, wird allzuoft und allzuschnell auf leere Kassen und auf die Besonderheit des militärischen Auftrags verwiesen.
Trotzdem darf ich feststellen, daß diese Regierung mehr für die Verbesserung der sozialen Lage der Soldaten getan hat, als unter Verteidigungsminister Apel getan werden konnte.
In der öffentlichen Meinung wird häufig unterstellt, die Debatte des Berichts des Wehrbeauftragten sei für uns eine lästige Pflicht. Pflicht ja, lästig nein, denn der Wehrbeauftragte ist ja schließlich unser Wehrbeauftragter. Er ist der Anwalt der Soldaten; aber er ist der Beauftragte des Deutschen Bundestages, nicht der Bundesregierung. Er entlastet uns Parlamentarier bei einer Aufgabe, die vor allem unsere Aufgabe ist und die ich sehr, sehr ernst nehme, nämlich die Rechte der Soldaten als Bürger eines demokratischen Staates und die Achtung ihrer Menschenwürde zu überwachen und sicherzustellen.In der Anonymität einer Großorganisation nimmt der einzelne leicht Schaden. Das gilt nicht nur für die Bundeswehr. Hier kommt natürlich erschwerend noch das besondere Gewaltverhältnis hinzu. Daß die Bundeswehr kein Staat im Staate ist, ist für uns eigentlich schon eine Selbstverständlichkeit. Wir können auf den hohen Integrationsgrad der Bundeswehr in unserer demokratischen Gesellschaft stolz sein. Dies ist das Verdienst aller Parteien und natürlich auch das Verdienst der Soldaten selbst.Aber wenn wir das akzeptieren, dann müssen wir auch sehen, daß sich der Beruf des Soldaten immer stärker zu einem ganz normalen Beruf entwickelt hat und daß die Soldaten folglich auch ganz normale Ansprüche haben, und zwar sowohl hinsicht-
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Dr. Feldmannlich der sozialen Leistungen als auch hinsichtlich der finanziellen Vergütungen und der menschenwürdigen Behandlung im Dienst sowie hinsichtlich eines geregelten Familienlebens. Mit dem militärischen Auftrag der Bundeswehr läßt sich nicht beliebig die Benachteiligung der Soldaten gegenüber anderen Bürgern rechtfertigen.
Aber die Bedeutung der Bundeswehr für unsere Gesellschaft ist nicht beschränkt auf die Sicherung von Frieden und Freiheit. Unsere Armee ist nicht die Schule der Nation. Aber sie wirkt prägend auf die Entwicklung junger Menschen; denn fast 250 000 junge Menschen durchlaufen die Bundeswehr in jedem Jahr. Sie befinden sich in einem Alter, das für die Persönlichkeitsentwicklung entscheidend ist.In der Bundeswehr tritt vielen der Staat zum ersten Mal direkt als befehlende Obrigkeit gegenüber, eine Obrigkeit, die viel verlangt, ausgestattet mit außerordentlichen Befugnissen, erzieherischen Maßnahmen, Disziplinarrechten, eine Obrigkeit, die auch die staatsbürgerlichen Freiheiten einschränkt, die Wehrpflichtigen für das Opfer Wehrdienst aber nur bescheiden entschädigt. Der Staat, das ist für viele junge Soldaten unserer Bundeswehr zunächst einmal der militärische Vorgesetzte. Deshalb erscheint mir ein Satz im Bericht des Wehrbeauftragten besonders wichtig — ich darf zitieren —:Sie— die jungen Soldaten —wollen erkennen, daß Wertentscheidungen und Menschenbild des Grundgesetzes im praktischen Verhalten ihrer militärischen Führer, Ausbilder und Erzieher zum Ausdruck kommen.Demokratie und Menschenwürde müssen auch in der Bundeswehr praktisch erfahren werden. Der Wehrpflichtige muß besser erkennen können, daß er etwas Sinnvolles und Wichtiges tut und daß seine Leistung, die er für die Gesellschaft erbringt, anerkannt wird. Sinnvermittlung, Anerkennung für Leistung und Respektierung der Menschenwürde jedes Wehrpflichtigen sind zentrale Forderungen, die jeden militärischen Vorgesetzten verpflichten.Der Wehrbeauftragte hat auch in diesem Jahr wieder zahlreiche Verstöße gegen diese Kernforderung, gegen das Prinzip der inneren Führung, aufgezeigt. Jeder — da stimmen wir alle überein — dieser Fälle, jeder Einzelfall, ist ein Fall zuviel. Negativmeldungen sind natürlich immer für Schlagzeilen gut. Es liegt deshalb im Interesse der Bundeswehr selbst, daß sie sich mit eigenen Mitteln darum bemüht, Übergriffe von Vorgesetzten gegenüber Untergebenen zu unterbinden.Meine Damen und Herren, auch Lob und Anerkennung sind Führungsmittel und dem Ansehen mehr als alles andere zuträglich.Der Wehrpflichtige muß im Truppenalltag natürlich auch erfahren, daß er bei der Bundeswehr nicht nur Pflichten, sondern auch Rechte hat. Der Wehrbeauftragte hat daher zu Recht das Amt der Vertrauensleute besonders herausgestellt. Der Vertrauensmann ist ein notwendiges Bindeglied zu den militärischen Vorgesetzten. Er ist aber nicht nur Prellbock. Natürlich ist er das auch, aber nicht nur. Der Vertrauensmann kann und soll als Advokat gegenüber militärischen Vorgesetzten auftreten. Aktiv wahrgenommen, kann das Amt des Vertrauensmannes sicherlich dazu beitragen, daß manche Angelegenheit, die sonst zu einer Beschwerde oder zu einer Eingabe an den Wehrbeauftragten führen würde, schon innerhalb der Truppe erledigt werden kann. Dieses Amt verdient Unterstützung und nicht Behinderung.Wir Liberalen sind sicher, daß unsere Soldaten ihre Aufgabe um so besser erfüllen können, je mehr sie Recht, Freiheit und Sozialstaatlichkeit auch im dienstlichen Alltag erfahren. Die FDP hat deshalb auf ihrem Bundesparteitag in Hannover gefordert, die Möglichkeit der Mitgestaltung der Soldaten zu verbessern, und zwar durch eine Verstärkung der Vertretung der Soldaten, durch Vertrauensleute aller Dienstgradgruppen, durch eine Verbesserung der Vertretung der Soldaten auch im Hauptpersonalrat des Bundesministeriums der Verteidigung — dort ist das Verhältnis zwischen Soldaten und zivilen Mitarbeitern immer noch 1 : 7 — und durch generelle Einführung der bereits in einigen Truppenversuchen bewährten Modelle für eine erweiterte Mitgestaltung der Soldaten.Die FDP weiß, was die Verlängerung des Grundwehrdienstes von 15 auf 18 Monate ab 1989 bedeutet, für die Truppe sicherlich eine erhöhte Anforderung an die Ausbildungsleistung, für die Wehrpflichtigen, daß sie im Interesse der Friedenssicherung noch mehr Zeit opfern müssen, für die sie niemand entschädigen kann und in der sie für ihre persönlichen Bedürfnisse viel weniger Geld zur Verfügung haben als Gleichaltrige. Die FDP begrüßt deshalb, daß die Bundesregierung ihrer Forderung entsprochen hat, den Wehrsold zum 1. Januar 1987 zu erhöhen, und schon jetzt eine strukturell ausgestaltete weitere Wehrsolderhöhung zum 1. Juni .1989 beschlossen hat. Ob diese jetzt vorgesehene zweite Erhöhung für 1989 tatsächlich ausreichen wird, bleibt zu überprüfen.Wir begrüßen auch, daß sich die Kreiswehrersatzämter verstärkt darum bemüht haben, arbeitslose Wehrpflichtige bevorzugt einzuberufen. Dies hat natürlich auch Konsequenzen für die Bundeswehr. Wir haben noch nie so viele arbeitslose Jugendliche in der Bundeswehr gehabt wie im Augenblick. Damit hat die Bundeswehr zusätzliche Verantwortung übernommen. Sie ermöglicht darüber hinaus vielen arbeitslosen Wehrpflichtigen die Aus- und Weiterbildung. Das müssen wir auch positiv anerkennen.Ein Wort noch zur Dienstzeitbelastung. Es gibt keine Berufsgruppe mit solch hoher Arbeitszeitbelastung wie unsere Soldaten. Ich habe mich zu diesem Problem bereits im März 1985 von dieser Stelle aus in der Debatte zur sozialen Lage der Soldaten geäußert. Leider ist seitdem nichts Entscheidendes geschehen. Die Mehrheit der Streitkräfte der NATO-Partner verfügt über verbindliche Dienst-
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Dr. Feldmannzeitregelungen. Warum sollte dies bei uns nicht möglich sein?
Niemand will an der notwendigen besonderen Verfügbarkeit der Soldaten rütteln. Die gegenwärtige Dienstzeitregelung, die pauschale, undifferenzierte Vergütung für Mehrarbeit, funktioniert nach dem Gießkannenprinzip, ist ungerecht, ist leistungsfeindlich und motivationsfeindlich. Das müssen wir auch sehen.
Lassen Sie mich zum Schluß an den Anfang zurückkommen, als ich Zweifel anklingen ließ, ob es uns gelungen ist, den Menschen in der Bundeswehr in den Mittelpunkt zu stellen. Seit Jahren gibt es in diesem Haus kaum eine Rede zum Bericht des Wehrbeauftragten, in der nicht die dringend erforderliche Arbeitslosenversicherung für Zeitsoldaten angemahnt wird.
Der gesetzliche Auftrag zur Lösung dieses Problems besteht seit 1954, seit die Bundeswehr besteht.Der Verteidigungsausschuß des Deutschen Bundestages hat die Bundesregierung mehrfach und einstimmig aufgefordert, die überfälligen Lösungskonzepte endlich vorzulegen. Das Problem ist aber nach wie vor ungelöst, auch wenn ein Termin jetzt in Aussicht gestellt wurde.Das scheint aber jetzt insgesamt anders zu werden. Meine Kollegen Frau Seiler-Albring und Herr Ronneburger haben gestern mitgeteilt, daß die FDP im Zusammenhang mit der vorgezogenen Beschaffung von 150 Panzern des Typs Leopard 2 durchgesetzt hat, daß die Absicherung der Zeitsoldaten gegen das finanzielle Risiko der Arbeitslosigkeit noch in diesem Jahr erfolgen soll, darüber hinaus eine Verbesserung der Unterhaltssicherung.Das gemeinsame Bemühen aller in der FDP — ich gehe davon aus: mit Unterstützung der Union — scheint Früchte zu tragen. Eine Bestätigung des Verteidigungsministeriums und des Finanzministeriums steht allerdings noch aus.
Die Soldaten wollen natürlich Taten sehen. Sie sind es leid, von Jahr zu Jahr nur mit Absichtserkiärungen vertröstet zu werden.Die FDP dankt dem Wehrbeauftragten für diesen ersten Bericht, mit dem er Kontinuität wahrt und trotzdem eigene Akzente setzt.Vielen Dank.
Das Wort hat der Abgeordnete Voigt .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Debatte über den Bericht des Wehrbeauftragten gibt uns ja immer die Möglichkeit, zum einen über den Gesamtzustand der Streitkräfte zu diskutieren, zum anderen aber auch Einzelfälle oder besondere Mißstände mit Parlament, Regierung und Truppe gemeinsam einer Lösung zuzuführen.
— Ich spreche als parteiloser Abgeordneter kraft meines Auftrags als gewählter Abgeordneter.
— Bei welcher Gruppe?
— Das liegt Gott sei Dank im Interesse und in der Entscheidung meines Dienstherrn und nicht im Interesse und in der Entscheidung des Vorsitzenden des Verteidigungsausschusses.Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich kann es nicht verhindern, wenn hier von CSU-Kollegen immer wieder persönliche Dinge eingebracht werden. Ich habe gemeint, diese Zeit sei vorbei, es geht um eine sachliche Debatte. Aber ich weiß auch hier in diesem Hause Kollegen, die es sehr wohl zu werten wissen, wenn sich einzelne darüber ärgern, daß ich frei meine Meinung äußern will.Der Wehrbeauftragte handelt kraft Gesetz. Dennoch ist er Klagemauer der Soldaten — wie die Öffentlichkeit sagt —, Frühwarnsystem und unbequemer Mahner, aber auch Kummerkasten. Ich meine: zu Recht. Denn er ist oft die letzte Instanz, die letzte Möglichkeit für den Soldaten, auf seine Probleme aufmerksam zu machen und für Abhilfe zu sorgen.Lassen Sie mich auf den Bericht konkret eingehen. Wenn die. Eingaben im letzten Jahr um zweitausend angestiegen sind und damit eine neue Rekordzahl festgestellt worden ist, dann heißt das aber auch: Es sind achttausend Fälle festgestellt worden, wo man in einem ganz besonderen Teilbereich konkrete Hilfe erwartet. Der Wehrbeauftragte berichtet, daß von 7 467 bearbeiteten Vorgängen allein aus dem Personalbereich 44% und aus dem Bereich der Fürsorgeangelegenheiten 24,3 % stammen, also aus dem Bereich Personal und Fürsorge insgesamt 68,3 %, aus allen Dienstgradgruppen, vom General bis zu den Mannschaften, von allen Soldaten, Berufs-, Zeitsoldaten, Wehrpflichtige oder Reservisten.Ich nehme einmal einen Bereich heraus, nämlich den Bereich der Personalführung, der bei den Eingaben ganz kraß hervorsticht, und stelle gegenüber, was die Bundesregierung in der Drucksache Nr. 0268 des Verteidigungsausschusses dazu auf der Seite 133 ausführt:In diesem Rahmen— Thema Personalführung, Personalgespräche —werden die persönlichen Vorstellungen und insbesondere die familiären Verhältnisse der Soldaten so weit wie möglich berücksichtigt. Sie werden sorgfältig gegen dienstliche Be-
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Voigt
lange abgewogen, bevor eine Verwendungsentscheidung getroffen wird.Ich meine, nach den Fällen, die mir persönlich bekannt sind, wird nicht sorgfältig abgewogen, vielfach oberflächlich entschieden. Die persönlichen Vorstellungen der Soldaten werden oft überhaupt nicht angehört. Die Personalbearbeiter hören die betreffenden Soldaten nicht an. Die familiären Verhältnisse bleiben unberücksichtigt. Ich kenne einen Fall, wo es geheißen hat: „Den müssen wir versetzen, bevor seine Kinder in die Kollegstufe kommen; danach geht das nur noch ganz schwer vor sich."Auch im Rahmen der Personalstrukturänderung, also beim Ausscheiden von Stabsoffizieren, sind viele Stabsoffiziere überhaupt nicht zu einem Personalgespräch vorgeladen worden, um die Besonderheiten dieser für Dienstherrn und Soldaten gleichermaßen wichtigen Entscheidung gemeinsam abzuklären.In Übereinstimmung mit dem Wehrbeauftragten fordere ich deshalb eine vorausschauende Personalplanung, die eben auch die rechtzeitige Beteiligung der Soldaten einschließt. Das Personalgespräch hat hier eine Schlüsselfunktion, um einvernehmlich individuelle Lebensplanung und die entsprechende Planung des Dienstherrn in Einklang zu bringen. Daß die betroffenen Soldaten angehört werden, bevor sie versetzt werden, müßte eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein.Nun darf man sich nicht dem Trugschluß hingeben, meine sehr verehrten Damen und Herren, daß abgesehen von den 3 516 gemeldeten Eingaben die schweigende Mehrheit der Soldaten zufrieden sei. Ich habe beobachtet, das ist nicht der Fall. Es ist ein Zustand der Resignation eingetreten. Man sagt einfach: Die Personalführung macht sowieso mit uns, was sie will.Das ist ein gravierender Vorgang. Änderungen sind nötig. Wenn das Personal nur verwaltet, aber nicht geführt wird, wenn also der Mensch an den Rand geschoben wird, obwohl er eigentlich in den Mittelpunkt gehört, dann werden Berufszufriedenheit und Motivation weiter zurückgehen, mit entscheidenden Folgen für den Gesamtzustand der Truppe. Es nützen auch modernste technische Geräte nichts, wenn der Bediener zur Planungsfigur degradiert wird. Wir brauchen eine transparente Personalführung, die jedem Soldaten ermöglicht, Personalentscheidungen nachzuvollziehen.Hier sagt der Wehrbeauftragte — im Zusammenhang mit anderen Problemen —: „Regierung und Parlament müssen sich schnellstens dazu etwas einfallen lassen!" Ich meine, so einfach geht es nicht. Absender der Eingaben sind Soldaten, deren Vorgesetzte oftmals die Grundsätze der Inneren Führung, hier insbesondere im Bereich der Personalführung und Personalfürsorge, nicht so beachten, wie es ihr Pflichtenkatalog vorschreibt. Das heißt, Personalführungsmißstände sind hausgemacht und vom Wehrbeauftragten aufgedeckt. Es liegt also an der militärischen Führung — die mit ihren Möglichkeiten sehr wohl in der Lage ist, auf Grund ihres Auftrages Entscheidungen zu fällen —, daß diese Mängel sofort abgestellt werden. Dazu braucht man keine Parlamentsinitiative; dazu braucht man nur das, was auf dem Wege von Befehl und Gehorsam angeordnet wird.Der amerikanische Panzergeneral Patton hat einmal gesagt: Der Soldat ist die Armee; keine Armee ist besser als ihre Soldaten. Also geht es hier nicht um Untersuchungen des Parlaments zum Zwecke von Verbesserungen, sondern der Wehrbeauftragte hat hier ein Signal an die militärische Führung ausgesendet, das Signal, daß die Soldaten in diesem Bereich Taten sehen wollen.Sollten aber diese Entscheidungen — das möchte ich hier betonen — so nicht fallen, ist das Parlament sehr wohl aufgerufen, den Wehrbeauftragten unter Umständen mit neuen Rechten und Möglichkeiten auszustatten. Ich meine, das Parlament ist dann auch aufgerufen, weiterhin über eine Stärkung der Rechte der Vertrauensmänner zu diskutieren und zu einer Entscheidung zu kommen.Zum Schluß möchte ich dem Herrn Wehrbeauftragten und seinen Mitarbeitern für die Arbeit, die letztlich im Interesse der Soldaten liegt, danken. Ich danke aber, auch wenn ich hier Kritik geübt habe, auch der Bundesregierung für ihre Arbeit, denn gemessen an der Gesamtzahl der Soldaten und der Führungsentscheidungen im Dienstablauf eines ganzen Jahres sind die Verstöße zwar sicher nicht entschuldbar; sagen aber nichts über den Gesamtzustand der Streitkräfte aus, den ich als befriedigend bezeichnen möchte. Deshalb begrüße ich auch mit Nachdruck die Absicht der Bundesregierung, diesen Bericht in der Truppe zu diskutieren und ihn auch im Rahmen der Ausbildung zu behandeln. Ich glaube, wir sind einer Meinung, wenn ich sage: Die Bundeswehr verdient unser Vertrauen.Ich danke Ihnen.
Meine Damen und Herren, es ist gemäß § 115 Abs. 1 unserer Geschäftsordnung ordnungsgemäß verlangt worden, dem Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages das Wort zu erteilen. Ich darf deswegen mit Vergnügen dem Wehrbeauftragten Weiskirch das Wort erteilen.Weiskirch, Wehrbeauftragter des Deutschen Bundestages: Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Jahresbericht 1985 des Wehrbeauftragten, der hier heute debattiert wird, steht insofern in der Tradition seiner Vorgänger, als auch er. von Mißverständnissen nicht verschont geblieben ist. Ich denke dabei an die gelegentlich recht düsteren Schlagzeilen, die er gemacht hat, über — na, über was schon? — Verstöße gegen die Menschenwürde von Soldaten, Schikanierereien von Mannschaften untereinander, Fehlverhalten gegenüber kranken Soldaten usf. Es scheint nun einmal unausrottbar zu sein, daß die plakativen Überschriften — der Herr Abgeordnete Feldmann hat soeben darauf hingewiesen — zunächst von den negativen Beispielen bestimmt werden.Dennoch ist es, so finde ich, mit diesem Bericht gelungen, die Mißstände in eine vertretbare Relation zu den positiven Erscheinungen in der Bundes-
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Wehrbeauftragter Weiskirchwehr zu bringen. Es hat sich letztendlich meine Feststellung durchgesetzt, daß es in unseren Streitkräften — ich zitiere — sehr viel mehr Licht als Schatten gibt.Herr Abgeordneter Bastian, Sie scheinen lange nicht mehr in der Truppe gewesen zu sein, sonst hätten Sie nicht ein solches diffuses Bild von dieser Armee zeichnen können,
von einer „schweigenden und kuschenden Armee", die es nun wirklich nicht gibt. Ich finde, das haben unsere Soldaten nicht verdient.
Viel mehr Licht als Schatten, das erwähne ich hier deshalb, weil die Stellungnahme des Beirates für Fragen der Inneren Führung, auf die die Frau Abgeordnete Krone-Appuhn bereits hingewiesen hat und für die ich im übrigen sehr dankbar bin, die Bitte enthält, der Wehrbeauftragte sollte in den künftigen Berichten — so heißt es wörtlich — doch auch stärker positive Beispiele für Verhalten im Sinne der Inneren Führung hervorheben, um Führungsverhalten konstruktiv zu orientieren.Einmal abgesehen davon, daß der Jahresbericht 1985 eine ganze Anzahl solcher positiven Beispiele enthält, habe ich mir erlaubt, auf Seite 90 unter Nr. 13 des Berichts alle zu ermuntern, mich auf solche anzuerkennenden Entwicklungen und Beispiele aufmerksam zu machen.Allen Soldaten — heißt es da —steht es frei, mich auf derartige, für meinen Jahresbericht geeignete Beispiele aufmerksam zu machen, da nicht auszuschließen ist, daß Sie mir selbst verborgen bleiben können.Meine Damen und Herren, ich werde entsprechend verfahren, vor allem dann, wenn ich den zur Abschreckung geeigneten negativen Verhaltensmustern sofort die positiven Beispiele gegenüberstellen kann. Ich möchte aber eines noch einmal nachdrücklich betonen: Wenn der Wehrbeauftragte immer wieder auf Fehlentwicklungen oder Mißstände hinweist, dann tut er das nicht, um herumzumäkeln und madig zu machen. Er nimmt im Auftrag des Parlaments, in Ihrem Auftrag, meine Damen und Herren Abgeordneten, seine Kontrollfunktion wahr.Die Institution des Wehrbeauftragten wird — daran gibt es überhaupt keinen Zweifel — in der Bundeswehr oben wie unten voll respektiert und anerkannt, und sie findet in wachsendem Maße auch das Interesse ausländischer Streitkräfte, deren Repräsentanten mich bei jeder sich bietenden Gelegenheit aufsuchen. Ich will aber nicht verhehlen, daß es hierzulande in der Bundeswehr und in ihrem publizistischen Umfeld Stimmen gibt, die den Wehrbeauftragten als ein Relikt aus den 50er Jahren betrachten und entsprechend einordnen möchten: Was damals für alle demokratischen Kräfte eine Grundbedingung für ihre Zustimmung zu den neuen deutschen Streitkräften war, der Schutz der Grundrechte für ihre Soldaten und die am Primat der Politik orientierte parlamentarische Kontrolle, habe sich eigentlich überholt und lasse sich sozusagen intern regeln. Da ist die Rede von Mimosen, die den Beschwerdeweg zum Wehrbeauftragten suchten, vom Bodensatz, mit anderen Worten von Soldaten, die diese Petitionseinrichtung letztendlich zum Schaden der Verteidigungsfähigkeit der Bundeswehr mißbrauchen wollten und auch mißbrauchen könnten. Ich möchte solchen Vorstellungen gerade als einer, der die Debatte um die Einrichtung dieser Institution des Wehrbeauftragten von Anfang an mitverfolgt und auch mitbestritten hat, nachdrücklich widersprechen.
Wir sollten das verbriefte Petitionsrecht der Staatsbürger in Uniform nicht zerreden, nicht in Frage stellen und schon gar nicht bestreiten lassen.
Meine Amtsvorgänger — und seit März 1985 auch ich selbst — konnten und können eines mit Sicherheit sagen und belegen: Die Einrichtung des Wehrbeauftragten als Hilfsorgan des Deutschen Bundestages hat ganz maßgeblich die gute innere Verfassung und — auf die Soldaten bezogen — die demokratische Glaubwürdigkeit unserer Streitkräfte mitbestimmt. Deshalb werde ich besonders darauf achten, daß sich die Soldaten der Bundeswehr auch weiterhin unbesorgt und jederzeit an mich wenden können.Leider habe ich während meiner bisherigen Amtszeit erfahren müssen, daß es Vorgesetzte gibt, die die Anrufung des Wehrbeauftragten nur dann zubilligen wollen, wenn zuvor versucht worden ist, in einem Gespräch der Soldaten mit ihnen eine Klärung herbeizuführen. Eine solche Auslegung steht mit Sinn und Zweck einer Anrufung des Wehrbeauftragten nicht im Einklang.
Zwar bin auch ich dafür, und ich darf wohl sagen, zwar sind wir alle dafür, daß das Verhältnis zwischen Vorgesetzten und Untergebenen von gegenseitigem Vertrauen geprägt ist und auch die persönliche Aussprache gesucht wird. Hierdurch lassen sich sicherlich sehr viele Probleme bereits im Vorfeld von Petition oder Beschwerde bereinigen. Es muß jedoch eindeutig klar sein, daß allein der Soldat bestimmt, wann und mit welcher Begründung er eine Eingabe an mich schreibt.
Ein Vorgesetzter, der fast beleidigt nachforscht, warum sich der Soldat nicht zuvor an ihn gewandt hat — „Junge, warum bist du nicht zu mir gekommen?" —, setzt sich leicht dem Verdacht aus, er wolle das Petitionsrecht einschränken oder Druck auf den Soldaten ausüben. Selbst die gute Absicht, hier ein bisher vielleicht nicht bestehendes Vertrau-
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Wehrbeauftragter Weiskirchensverhältnis aufzubauen, kann in diesem Zusammenhang mißverstanden werden. Die Arbeit des Vorgesetzten, Vertrauen herzustellen und zu erhalten, muß vorher ansetzen. Möglichkeiten dazu gibt es genug.
Ich nutze die Gelegenheit, hier heute sprechen zu dürfen, sehr gern, um eine weitgehende Übereinstimmung zwischen dem Bundesminister der Verteidigung und mir in der Beurteilung und Wertung der im Jahresbericht 1985 festgestellten und angemahnten Probleme und Mängel festzustellen. Ich gehe davon aus und werde darauf achten, daß es kein leeres Versprechen bleibt, wenn Herr Staatssekretär Würzbach schreibt, der Bundesminister der Verteidigung werde den Bericht des Wehrbeauftragten nutzen, um — ich zitiere — „erkannte Mängel abzustellen und weitergehende Schlüsse für Ausbildung und Führung daraus zu ziehen". Ich will allerdings nicht verschweigen, daß die Stellungnahme des Bundesministers der Verteidigung zum Jahresbericht 1985 — ich habe das im Verteidigungsausschuß des Deutschen Bundestages in der vergangenen Woche nachdrücklich betont — eine Reihe von Fragen offenläßt, und daß darin manches anders beurteilt und gesehen wird als in meinem Bericht. Die Frau Abgeordnete Krone-Appuhn und die Abgeordneten Heistermann und Feldmann haben einzelne dieser Fragen hier bereits behandelt.Ich möchte noch vier Punkte ansprechen. Zunächst will ich die unterschiedliche Bewertung zu meinem Hinweis erwähnen, daß für die gesetzlich geregelte Kasernenpflicht unterschiedliche Befreiungstatbestände vorgesehen sind. Mit diesem Hinweis wollte ich keineswegs fordern, daß auf die gesetzliche Verpflichtung von Soldaten zum Wohnen in einer Gemeinschaftsunterkunft generell verzichtet werden solle. Noch weniger wollte ich die Kasernen abschaffen, wie mir vorgeworfen worden ist. Ich habe nur auf eine Ungleichbehandlung hingewiesen, die zu erheblichen Mißstimmungen unter den Soldaten geführt hat und immer wieder in Eingaben an mich vorgetragen wird. Erst gestern nachmittag hat mir eine Gruppe von Wehrdienstleistenden aus Veitshöchheim dazu ihr Leid geklagt. Auch ich halte es für völlig unbefriedigend, wenn ein Teil der Soldaten nur Nachtausgang bis zum Wecken erhält, also zirka anderthalb Stunden vor allgemeinem Dienstbeginn wieder in der Kaserne sein muß, während ein anderer Teil der Soldaten sich als sogenannte Heimschläfer außerhalb der Kaserne bis zum Dienstbeginn aufhalten darf und obendrein auch noch Verpflegungsgeld ersetzt bekommt. Das ist teilweise ein hübsches Sümmchen, das den jungen Männern da zusätzlich zufällt, vor allen Dingen, wenn man weiß, daß sie in diesem Zeitraum sonst nichts verdienen. Mir ging es also mit meinem Anliegen allein darum, daß eine mehr einheitliche und damit gerechtere Lösung gefunden wird, die ausschließlich auf die militärischen, nicht aber auf die fiskalischen Belange abstellt. Ferner geht es mir darum, zu erreichen, daß die Entscheidung über die sogenannte Heimschläfererlaubnis für den Soldaten berechenbar wird und die Befreiungstatbestände und der Widerruf der Erlaubnis auf eine durchsichtige Rechtsgrundlage gestellt werden. Da der Bundesminister der Verteidigung in seiner Stellungnahme zum Jahresbericht 1980 bereits eine Prüfung der Handhabung der einschlägigen Erlasse angekündigt hat, erscheint es nunmehr an der Zeit zu sein, auf die Erfüllung dieser Ankündigung zu drängen.Eingehen möchte ich noch auf ein Problem, das die Innere Führung in den Streitkräften berührt hat und noch berührt, nämlich auf den Vollzug der vorzeitigen Zurruhesetzung der Offiziere des Truppendienstes. Ich bedauere es, daß der Bundesminister der Verteidigung davon absehen will, zu untersuchen, aus welchen Gründen so viele Soldaten nach dem Personalstrukturgesetz ihre vorzeitige Zurruhesetzung beantragt haben. Es hat sich dabei — und diese Tatsache hat auch mich in Erstaunen versetzt — um fast ein Viertel aller in Frage kommenden Offiziere gehandelt. Entgegen der Feststellung des Bundesministers der Verteidigung, es sei da überwiegend um rein persönliche Motive gegangen, ergeben die mir hierzu vorliegenden Eingaben ein etwas anderes Bild.
Ich habe viel von Frust, von fehlenden Perspektiven, von der Belastung der Familien durch Versetzungen usw. gelesen. Sollte der Bundesminister der Verteidigung bei seiner ablehnenden Haltung gegenüber einer Motivforschung in dieser Sache bleiben, werde ich zu gegebener Zeit zu bedenken haben, dem Parlament meine Erkenntnisse zu übermitteln, aus denen sich nach meiner Beurteilung Schlüsse auf den inneren Zustand der Streitkräfte ziehen lassen.
Wenn ich bei der weiteren Darstellung der Probleme der Personalführung zu einer Schilderung von organisatorischen und haushaltsmäßigen Hintergründen übergegangen bin, so geschah dies, um einmal aufzuzeigen, wie sehr sich diese im organisatorischen Bereich liegenden Dinge auf den inneren Zusammenhalt und die Stimmung der Truppe auswirken. Dem Dschungel von Dienstposten und zur Verfügung stehenden Planstellen, die geöffneten Scheren und STAN-Änderungen kann auf verschlungenen Pfaden nur ein wirklich intimer Kenner dieser Materie durchqueren.Der Soldat selbst, der diese Pfade nicht kennt, muß sich all dem schicksalhaft ausgeliefert fühlen. Er erhält kein Licht auf dem Pfad, der seine berufliche Laufbahn ist. Ich wende mich deswegen gegen fragwürdige Höherdotierungen von Dienstposten, die beim Dienstposteninhaber falsche, weil durch den Haushaltsgesetzgeber nicht erfüllbare Vorstellungen erwecken.Eingehen möchte ich noch auf das von mir im Jahresbericht geforderte Benzingeld für Wehrpflichtige. Ich habe — und das sage ich mit allem Nachdruck — hierbei keineswegs verlangt, daß jeder Grundwehrdienstleistende Benzingeld erhalten soll. Eine solche Zahlung sollte nur für solche Solda-
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Wehrbeauftragter Weiskirchten vorgesehen werden, deren Stand- oder Wohnort mit öffentlichen Verkehrsmitteln nur unter unzumutbarem Zeitaufwand erreichbar ist. Die derzeitige Regelung ist nicht geeignet, die Bedürfnisse der Soldaten befriedigend zu lösen.Die von mir sehr ernst genommenen Bedenken des Bundesministers der Verteidigung, die Gewährung von Benzingeld würde seinen Bemühungen um Verkehrssicherheit entgegenstehen, kann ich aber schon deshalb nicht teilen, weil sich nach den Erfahrungen der letzten Jahre und nach allen Statistiken die schweren Verkehrsunfälle der Soldaten nicht auf dem Weg von und zur. Kaserne, sondern am Stand- und Heimatort ereignen.Im übrigen — und das sollte man bei alldem nicht vergessen — wird hier verkannt, daß die Wehrpflichtigen, für die ich die Zahlung von Benzingeld fordere, die Soldaten sind, die ohnehin schon heute wegen der schlechten Verkehrsanbindung ihres Stand- oder Heimatortes für Familienheimfahrten ihren Privat-Pkw auf eigene Kosten benutzen müssen. Hier gilt es also nur, einen gerechteren Lastenausgleich zu schaffen.Zum Schluß möchte ich noch einen Punkt ansprechen, der für den inneren Zustand der Truppe meines Erachtens von ganz besonderer Bedeutung ist, nämlich die Motivation der Soldaten, insbesondere der Wehrpflichtigen, durch eine sinnvolle Dienstgestaltung. Aus vielen Gesprächen mit Soldaten, vor allem mit Vorgesetzten, habe ich erfahren müssen, daß hier noch vieles besser werden muß und kann. Die höheren Kommandeure in der Bundeswehr sollten deshalb bedenken, daß Dienstgestaltung sich nicht nur in der Erfüllung des Gesamtausbildungsplanes erschöpfen kann. Dies ist heute leider oft der Fall, wobei der Vorgesetzte der unteren Ebenen kaum die Möglichkeit hat, durch Eigeninitiative zu einer sinnvollen Dienstgestaltung und damit zu einer besseren Motivation seiner Soldaten beizutragen.Ich komme zum Schluß. Man sollte deshalb den militärischen Führern mehr Freiraum für Eigeninitiative geben. Ich hoffe, daß die Verlängerung des Wehrdienstes auf 18 Monate hierfür eine gute Gelegenheit bieten wird.Ich bedanke mich auch im Namen meiner Mitarbeiter für die freundlichen Worte, die Sie für die Arbeit meines Hauses gefunden haben.Danke schön.
Das Wort hat der Abgeordnete Steiner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bevor ich einige Ausführungen zum Fürsorgeabschnitt des Jahresberichts des Wehrbeauftragten mache, möchte ich kurz auf das eingehen, was unsere Kollegin Frau Krone-Appuhn hier gesagt hat. Sie hat gesagt: „Sie haben ja den Verteidigungsetat abgelehnt." Das ist richtig. Sie hat aber nicht gesagt, warum wir ihn abgelehnt haben. Wir haben ihn abgelehnt, weil die politischen Aussagen, die damit verbunden sind, die Politik, die Sicherheitspolitik insgesamt für uns nicht mittragbar war und weil auch die Leistung dieses Ministers für uns nicht tragbar ist.
Jetzt zu den Problemfeldern, die im Jahresbericht des Wehrbeauftragten, über den wir heute beraten, angesprochen sind. Ich beziehe — und das gilt auch für meine Kolleginnen und Kollegen — die Stellungnahme des Bundesministers der Verteidigung dazu mit ein.Zuerst zum Benzingeld: Ich bin dankbar, daß der Wehrbeauftragte dieses Thema noch einmal angesprochen hat, daß es hier nicht darum geht, an alle Wehrpflichtigen Bezingeld zu zahlen, sondern nur an die Wehrpflichtigen, die am Wochenende ihren eigenen Pkw benutzen müssen -- die Betonung liegt hier auf müssen —, um überhaupt die Chance zu haben, ein Wochenende zu Hause zu verleben. Es geht nämlich um die Soldaten, die in abgelegenen Standorten mit ungünstiger Anbindung an das öffentliche Verkehrsmittel Bundesbahn ihren Grundwehrdienst zu leisten haben oder deren Heimatwohnort eine ungünstige Anbindung an das Schienennetz hat Es geht um die Soldaten, die wirklich nur dann die Chance haben, ein Wochenende zu Hause zu verbringen, wenn sie ihren eigenen Pkw benutzen oder mit Kameraden fahren können. Viele Soldaten erreichen sonst freitags nicht mehr ihren Familienwohnort, könnten erst samstags mit der Bahn fahren, müßten aber spätestens am Sonntag nach dem Mittagessen wieder auf die Schiene, um gerade noch rechtzeitig den Standort erreichen zu können.Diese Situation wird ja nicht besser. Der Trend geht ja nicht in die Richtung einer verbesserten Verkehrsanbindung durch die Bundesbahn. Genau das Gegenteil ist der Fall. Das weist auch die Bundesbahnpolitik dieser Bundesregierung aus. Herr Minister, Angebotsverringerung und Streckenstillegungen gehören doch zu den Veränderungen, die uns jeder neuer Fahrplan der Bundesbahn beschert. Seit 1983 wurden 94 Strecken oder Teilstrekken stillgelegt, und weitere 68 Strecken wurden auf Busbedienung mit reduziertem Angebot auf diesen Strecken umgestelltDer Wehrbeauftragte spricht in seinem Jahresbericht von einem Akt der Gerechtigkeit, wenn einmal I gründlich geprüft würde, ob solchen Soldaten, die ohne zumutbaren Zeitverlust ihr Wochenendziel nur mit dem Pkw erreichen können, nicht ein Zuschlag zu den Benzinkosten gezahlt werden sollte. Der Verteidigungsminister hat dieses berechtigte Anliegen zwar geprüft, aber wohl nicht gründlich; denn er ist zu dem Ergebnis gekommen, kein Benzingeld vorzusehen. Wie er das begründet, hat der Wehrbeauftragte gerade ausgeführt Wir dürfen Ihnen, Herr Minister, deshalb unterstellen, daß Sie nach einem Scheinargument gegriffen haben, um Ihre Entscheidung überhaupt begründen zu können.Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den ,26. Juni 1986 17417SteinerZum Thema Arbeitslosigkeit ausgeschiedener Zeitsoldaten — sicherlich auch ein sehr wichtiger Bereich, der im Jahresbericht angesprochen werden mußte; wir sind dem Wehrbeauftragten sehr dankbar dafür, daß er das getan hat —: Wenn er in seinem Jahresbericht den Bundesminister der Verteidigung mahnt, sich nachhaltig um die Ausfüllung der gesetzlichen Fürsorgepflicht zu bemühen, knüpft er genau an das an, was der Verteidigungsausschuß bereits mehrmals gefordert hat. Auch der Wehrbeauftragte hat erkannt: Der Bundesverteidigungsminister hat ein seit Jahren bekanntes Problem auf die iange Bank geschoben, ohne daß eine Lösung in Sicht ist. Der Minister weist jetzt auf Erhebungen hin, die in diesem Zusammenhang zur Zeit gemacht werden. Was unsere ehemaligen Soldaten, die nach ihrer Dienstzeit in die Arbeitslosigkeit entlassen wurden und noch werden, brauchen, ist nicht die Ankündigung von möglichen Maßnahmen, sondern eine schnelle Hilfe, eine umgehende Entscheidung, eine Lösung, die sich dem Modell für Entwicklungshelfer entleihen läßt.
Die wiederholte Ankündigung des Ministers, helfen zu wollen, wird zu einer Farce, wenn die Entscheidung nicht im Zuge der Beratungen über den Bundeshaushalt 1987 fällt.Ein weiteres Thema, das die Soldaten und ihre Familien in gleicher Weise berührt, ist die Dienstzeitbelastung. Der Wehrbeauftragte hat in seinem Jahresbericht zu dem Thema Dienstzeitbelastung der Soldaten eine Stellungnahme abgegeben, die vom Umfang und Inhalt her dem Problem entspricht, das seit Jahren ungelöst ist. Die unerträglich hohe Dienstzeitbelastung der Soldaten kann nicht länger hingenommen werden.
Es müssen umgehend Maßnahmen getroffen werden, um weitere Schäden im dienstlichen, im privaten sowie familiären Bereich der Soldaten zu vermeiden.Seit dem 10. März 1982 warten die Soldaten, ihre Ehefrauen und ihre Kinder auf eine zufriedenstellende und gerechte Lösung des Dienstzeitproblems. Sie hatten wieder Hoffnung, daß der Entschließungsantrag des Verteidigungsausschusses, der an diesem Tage einstimmig verabschiedet wurde, Entlastung bringen würde. Diese Hoffnung hat sich bis heute nicht erfüllt, weil es nur Ankündigungen und Appelle, aber keine spürbare Entlastung in der Dienstzeit gegeben hat.
Die zahlreichen Beispiele, die der Bericht des Wehrbeauftragten enthält, weisen im Gegenteil darauf hin, daß es immer noch Vorgesetzte gibt, die nach Gutsherrenart über die Freizeit der Soldaten verfügen.Für uns kommen die Ausführungen des Wehrbeauftragten zu diesem Problemfeld nicht überraschend. Uns waren und sind die Probleme hinreichend bekannt. Auch Dr. Wörner wußte und weiß genau um dieses Problem. Der Verteidigungsminister, der sich noch am 5. Oktober 1982 in der Zeitung „Die Welt" über die miserable Dienstzeitsituation der Soldaten empörte und den Dienstzeiterlaß der Soldaten als einen Skandal bezeichnete, der unter seiner Verantwortung keinen Bestand haben werde, hat sein Wort bis heute nicht eingelöst.
Der Verteidigungsausschuß sah sich deshalb gezwungen, am 19. Februar dieses Jahres, also fast vier Jahre nach dem ersten Beschluß in einem gemeinsamen Entschließungsantrag die Bundesregierung und damit auch den Bundesminister der Verteidigung erneut aufzufordern, im Rahmen der Fürsorgepflicht gegenüber den Soldaten dafür zu sorgen, daß die hohe Dienstzeitbelastung auf ein vertretbares Maß reduziert wird.Außerdem wurde im Rahmen einer gerechten Lösung des Problems als Ausgleich eine spürbare Erhöhung der Vergütung für Spitzendienstzeiten gefordert. Um das noch einmal deutlich zu machen: Es geht bei der Vergütung nur um "eine finanzielle Anerkennung für Dienstzeiten von mehr als 56 Stunden wöchentlich — und das im Jahresmittel. Die politische Leitung des Verteidigungsministeriums hat uns dann zugesagt, sich für diese Erhöhung ernsthaft einsetzen zu wollen. Was ist dabei herausgekommen?
Die Bundesregierung hat mit dem Entwurf eines Gesetzes über die Anpassung von Dienst- und Versorgungsbezügen eine Erhöhung der Ausgleichspauschale für Spitzendienstzeiten der Berufs- und Zeitsoldaten von monatlich 90 DM auf 95 DM — und das steuerpflichtig — und für Grundwehrdienstleistende von täglich 1,80 DM auf 1,90 DM vorgesehen. Selbst bei wohlwollendster Beurteilung kann man da nicht mehr von einer spürbaren Erhöhung sprechen.
Dieser Erhöhungsbetrag von 5 DM ist eine Verhöhnung der Soldaten, ist eine Mißachtung der Forderung des Parlaments nach angemessenen Verbesserungen.
Wir Sozialdemokraten haben uns mit diesem lächerlichen Betrag nicht zufriedengegeben und einen Änderungsantrag eingebracht.
— Herr Kollege Ganz, Sie sollten die Kraft, die Sie jetzt in Ihre Zwischenrufe einbringen, lieber nutzen, um die Probleme zu lösen,
die für Soldaten zu lösen sind.
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SteinerDas hätten Sie gestern im Ausschuß tun können, wo Sie sich nämlich versagt haben. —
Wir Sozialdemokraten haben uns, wie gesagt, mit diesem lächerlichen Betrag nicht zufriedengegeben und einen Änderungsantrag eingebracht, der als finanzielle Übergangsregelung auf dem Weg zu einer vernünftigen Dienstzeitregelung mit einer individuell gestalteten Ausgleichszahlung eine Ausgleichspauschale von monatlich 110 DM für Berufs- und Zeitsoldaten und von täglich 2,10 DM für Grundwehrdienstleistende vorsieht. Wir meinen, daß diese Erhöhungsbeträge das mindeste sind, was man unter „spürbare Erhöhung" subsumieren kann.
In der gestrigen Beratung des Verteidigungsausschusses wurde dieser Antrag mit einer durchsichtigen und in keiner Weise haltbaren Begründung im Gleichschritt von Ihnen, Herr Kollege Ganz, mit den Kollegen der FDP — unter Mißachtung der Empfehlung des Bundesrates, die Ausgleichspauschale auf 120 DM anzuheben — abgelehnt.
So sieht's doch aus. Selbst der Ausschußvorsitzende, der bei Ihren Zwischenrufen noch nickt, der sich noch in der Juni-Ausgabe der Verbandszeitschrift des Deutschen Bundeswehrverbandes vollmundig dahin geäußert hatte, der Verteidigungsausschuß als Fachausschuß lasse sich vom Bundesrat nicht überbieten, gehörte mit zu den Umfallern. Es ist ein mittlerer Skandal, wenn man bedenkt, mit welcher Hast die Union und auch die FDP Großprojekte in Milliardenhöhe wie die Beschaffung von Fregatten und neun Tornados in den letzten Wochen durch das Parlament gepeitscht haben.
Herr Abgeordneter Steiner, der Herr Abgeordnete Biehle möchte gern eine Zwischenfrage stellen.
Nein.
Ich will das auch begründen: Herr Kollege Biehle, ich habe. hier die Möglichkeit, die Probleme im Zusammenhang anzusprechen, die es zu lösen gilt. Ich bitte Sie, hier zuzuhören. Das ist eine Gelegenheit, die Sie nutzen sollten. —
Ich habe gesagt: In den letzten Wochen haben Sie Beschaffungsvorhaben ohne angemessene Prüfungs- und Beratungszeit durch das Parlament gepeitscht und dabei Milliardenbeträge verplästert.
Noch gestern wurden zur Anfinanzierung für die Beschaffung von weiteren bisher nicht eingeplanten 150 Kampfpanzern Leopard 2 im Verteidigungsetat Mittel in Höhe von 230 Millionen DM im Jahre 1986, in diesem Etat, umgeschichtet und die Beschaffung von den Koalitionären beschlossen.
230 Millionen DM wurden über Nacht in diesem Haushaltsjahr für die Beschaffung von Panzern lockergemacht,
und im sozialen Bereich feilschen Sie um jede Mark.
Zusammengefaßt kann ich ohne jede Übertreibung sagen: Das ist eine schlimme Entwicklung im sozialen Bereich, der in Anbetracht der demographischen Entwicklung und der damit verbundenen Personalprobleme einer gewissenhafteren Beachtung und Ausgestaltung bedürfte. Dazu ist Dr. Wörner entweder nicht bereit oder nicht in der Lage.
Danke schön.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Breuer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Tatsache, daß immer mehr Eingaben an den Wehrbeauftragten gerichtet werden, ist meiner Meinung nach zum einen ein Hinweis darauf, daß der Bekanntheitsgrad in guter Art und Weise gesteigert werden konnte, ist aber zum anderen auch ein deutlicher Hinweis darauf, daß das Vertrauen der Soldaten in die Institution des Wehrbeauftragten sehr gut vorhanden ist.Ich möchte mich zunächst eingangs meines Beitrages bei Willi Weiskirch und seinen Mitarbeitern für diesen Bericht und für die Arbeit bedanken, die damit und mit der Abwicklung verbunden ist.
Ich möchte mich bei ihm insbesondere auch dafür bedanken, daß der Übergang zwischen seinem Vorgänger Karl Wilhelm Berkhan und ihm in derart harmonischer Weise vollzogen werden konnte.
Es war eine vorbildliche Amtsübergabe, obwohl die beiden Vertreter aus unterschiedlichen politischen Lagern kommen. Ein Vorbild für gelebte Demokratie!
Meine Damen und Herren, um so befremdlicher ist dann die Debatte um den ersten Bericht, den Willi Weiskirch dem Deutschen Bundestag vorge-
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Breuerlegt hat. Wenn ich feststelle, daß sich die Debattenbeiträge der SPD-Fraktion — ob der Debattenbeitrag des Kollegen Heistermann oder der des Kollegen Steiner — über weite Strecken nicht mit dem Bericht des Wehrbeauftragten auseinandersetzen, sondern den Versuch unternehmen, eine Generalabrechnung mit dem Verteidigungsminister vorzunehmen, wird das der Qualität dieses Berichts nicht gerecht, meine Damen und Herren.
Ich kann sehr gut verstehen, warum Sie versuchen, sich als großer Verfechter der Anliegen der Bundeswehr darzustellen. Wenn ich an den SPD-Parteitag in Berlin denke — Herr Heistermann, auf die Zwischenfrage des Kollegen Boroffka sahen Sie j a soeben sehr schwach aus —,
wenn ich daran denke, was in Berlin passiert ist, dann muß jeder vernünftige Mensch in unserem Land aufschrecken, wenn er die Tatsachen über die Beschlüsse der SPD hört.
Meine Damen und Herren, die Äußerungen des Ministers zu derartigen Vorgängen sind keine diffamierenden Äußerungen, wie Sie das hier darstellen, Herr Kollege Heistermann,
sondern es ist die Pflicht des Verteidigungsministers, darauf hinzuweisen, daß Sie in einem der wichtigsten Felder der deutschen Politik, wo es um unsere Sicherheit geht, dabei sind, alles aus der Vergangenheit zu verspielen.
Wenn ein Ministerpräsident der SPD, wie Oskar Lafontaine, Kriegsdienstverweigerung als moralische Pflicht bezeichnet
und innerhalb der SPD der Widerspruch darauf eher leise ist, zeigt das sehr deutlich, in welcher Schwierigkeit Sie sich hier befinden und warum Sie Generalabrechnung wollen und nicht zur Sache kommen.
Wenn der Kollege Heistermann die Frage der Beschaffung des Leopard 2 anspricht und sagt: Dafür wird Geld ausgegeben, und für die soziale Fürsorge habt ihr nichts,
muß er mit der Situation, die Sie herbeigeführt haben, und mit dem, was Sie praktiziert haben, konfrontiert werden:
Sie haben das teuerste Rüstungsprojekt der Bundeswehr aller Zeiten, den Tornado, abgewickelt und haben andererseits eine Einsparungsliste bei sozialen Fürsorgemaßnahmen zu verantworten, die einzigartig ist.
Ich nenne nur einige Beispiele — die Liste wäre sehr lang; dann käme ich aber mit meiner Redezeit nicht mehr hin —: teilweiser Wegfall und Kürzung der Verpflichtungsprämie, Kürzung der Übergangsbeihilfen, Anrechnung von Ausbildungsgängen der Bundeswehr auf die Berufsförderung, also Einschränkung der Berufsförderung, Senkung der Beitragszahlungen an Krankenkassen für alle Wehrdienstpflichtigen auf ein Zehntel des Beitrages, Senkung der Beitragszahlungen an Rentenkassen für alle Wehrdienstpflichtigen von 100 auf 75%, Streichung der Sparförderung für Wehrpflichtige.
— Das ist das Gesicht der Sozialdemokratie. Sie stellen sich jetzt hierhin, wenn wir in Verantwortung stehen, und meinen, den feinen Max markieren zu können.
Herr Abgeordneter Breuer, dies veranlaßt den Abgeordneten Klejdzinski zu einer Zwischenfrage.
Nein, der Kollege Steiner hat es eben nicht für nötig befunden, den Kollegen Biehle fragen zu lassen. Ich tue das ebenfalls nicht.Die sozialen Fürsorgemaßnahmen dieses Verteidigungsministers können sich — gemessen an den finanziellen Möglichkeiten, die wir vorgefunden haben — durchaus sehen lassen. Wir haben den Wehrsold erhöht;
wir haben das Weihnachtsgeld erhöht; wir haben das Entlassungsgeld erhöht; wir haben dafür gesorgt, daß arbeitslose Wehrpflichtige vorrangig eingezogen werden; wir haben die Mittel für die Berufsförderung erhöht.Ich will jetzt auf einen Punkt eingehen, den der Kollege Steiner ausführte. Herr Kollege Steiner, wenn Sie Spitzendienstzeiten ansprechen: Wie war das denn bei der Regierungsübernahme im Hinblick auf das, was Sie vorher angerichtet hatten? Es war doch so, daß Sie erst 1980
das Problem der Spitzendienstzeiten erkannt haben. Dann haben Sie 150 Millionen DM dafür eingesetzt und stellten fest, daß das Geld schon im ersten Jahr nicht ausreichte. Dann sollte der Sockel, ab
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Breuerwann Überstunden anerkannt werden, erhöht werden. Es war doch erst dieser Minister, der dafür gesorgt hat, daß das Problem überhaupt abgefangen werden konnte.
Dann kommen Sie hierhin und tun so, als ob die ganze Frage überhaupt keine politische Vorgeschichte hätte.
Willi Weiskirch stellt in seinem Bericht fest, daß sich das Verhältnis zwischen der Gesellschaft und den Streitkräften in den letzten Jahren nicht nur normalisiert, sondern auch ausgesprochen positiv entwickelt habe. Ich glaube, das ist die wesentliche Feststellung, die im Blick auf die Bundeswehr zu treffen ist. Solange das ein Wehrbeauftragter als Grundfeststellung in seinen Bericht hineinschreiben kann, können wir alles andere — auch die ganze Reihe der negativen Dinge — zwar nicht etwa vergessen, wie Sie das in Ihrem Zwischenruf deutlich machten, aber doch mit etwas größerer Gelassenheit sehen. Ich glaube, daß es richtig war, daß Willi Weiskirch gerade die Frage der politischen Bildung bei der Bundeswehr im Verhältnis zur Inneren Führung angesprochen hat. Er argumentierte dabei nicht formal, sondern wies darauf hin, der Vorgesetzte müsse als engagierter Staatsbürger den Untergebenen ein gutes Beispiel vorleben. Es ist wichtig, unsere Vorgesetzten darauf hinzuweisen. Es ist wichtig, dies auch von dieser Stelle aus zu tun. Die Verantwortung vor Ort in der Truppe tragen zunächst einmal die Vorgesetzten in der Bundeswehr.Ich finde es richtig, daß Willi Weiskirch, nach vorne schauend, auf die Frage der Reservisten hinweist. Die Reservisten werden uns, um den Personalbedarf der Bundeswehr für die Zukunft sichern zu können, immer mehr beschäftigen. Ich bin davon überzeugt, daß die Frage, wie wir mit den Reservisten in der Bundeswehr umgehen, eine Nagelprobe für die Akzeptanz der Bundeswehr in der Gesellschaft schlechthin sein wird.
Ich halte es für richtig, uns heute auf Schwierigkeiten mit Reservisten in der Bundeswehr hinzuweisen. Ich habe noch gestern mit einem Reservisten gesprochen, der innerhalb eines Jahres nach abgeleistetem Grundwehrdienst eingezogen worden ist, was ihn natürlich nicht fröhlich stimmte. Ich bin dafür, daß wir dies ändern und eine Karenzzeit einführen. Dieser Reservist sagte weiter: Der Übungszweck konnte nicht erfüllt werden. Wir saßen da sehr oft herum, weil für unsere Übung nicht genügend Vorsorge getroffen worden war. — Ich glaube auf Grund meiner eigenen Erfahrung als Reservist, daß dies nicht der gängige Fall ist. Aber es sind Fälle, die in der Zukunft vermieden werden müssen. Es darf in Zukunft nicht so sein, daß wir Hunderttausende von Reservisten aus dem Berufsleben ziehen, wenn wir bei der Bundeswehr keine entsprechenden Ausbildungsinhalte bieten können. Ich bin davon überzeugt, daß Minister Wörner dies entsprechend aufgreifen wird. Das wird auch schon in der Kommentierung sehr deutlich.Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Bericht des Wehrbeauftragten für das Jahr 1985 unterscheidet sich in seiner gesamten Art und Weise nicht von den Berichten der Vorgänger. Ich bin davon überzeugt: Wir werden die Möglichkeit haben, die Anregungen des Wehrbeauftragten aufzunehmen, und ich bin ferner der Auffassung, daß diese Anliegen beim Bundesminister für Verteidigung, bei Manfred Wörner, in besten Händen sind. Er hat die Unterstützung unserer Fraktion.
Das Wort hat der Abgeordnete Kolbow.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte mich auf den Bericht des Wehrbeauftragten konzentrieren, aber einzelne Punkte, die hier von seiten der Redner der Regierungskoalition angesprochen worden sind, reizen natürlich schon zum Widerspruch.Ich denke z. B. an Ihre Aussage, verehrter Herr Kollege Breuer, wir hätten das teuerste Rüstungsprojekt der Vergangenheit mit der Anschaffung des Tornados zu verantworten.
Ich frage Sie: Waren Sie nicht mit dabei, und warum bestellen Sie dann über Nacht weitere 35 Maschinen des gleichen Typs für 3,3 Milliarden DM? Sie können sich hier nicht aus der Verantwortung stehlen. Das gilt auch für das, was diese Regierung in dem gesamten Zusammenhang will, nämlich weiterhin möglichst viel zu beschaffen und nicht die notwendigen Gelder für die sozialen Belange in der Bundeswehr zur Verfügung zu stellen.
Dies werde ich Ihnen jetzt am Beispiel des Sanitätswesens darlegen. Das Sanitätswesen spielt eine ganz wichtige Rolle für die Gesundheit und die Kraft sowie für die Motivation unserer Soldaten und die Verteidigungsfähigkeit.
— Wir konnten in der Zeit, als wir die Regierungsverantwortung hatten, nicht all das machen, was Sie, Herr Kollege Zwischenrufer, in Ihrer Regierungszeit zu tun versäumt haben.
Der ehemalige Wehrbeauftragte Berkhan — um hier der Sachlichkeit des Berichts des Wehrbeauftragten wieder gerecht zu werden; manchmal fällt es schwer, mit Ihnen zu diskutieren — erklärte bereits 1984 von dieser Stelle aus: Derzeit kann der Sanitätsdienst seinen Friedensauftrag, nämlich die vom Gesetz vorgesehene unentgeltliche Heilfürsorge für alle Soldaten sicherzustellen, mehr schlecht als recht erfüllen. — Nach den uns auch im
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KolbowJahr 1986 aus vielen Truppenbesuchen und Aussagen von Betroffenen vorliegenden Erkenntnissen muß ich leider feststellen, daß diese Aussage heute — zwei Jahre, nachdem sie gemacht wurde — uneingeschränkt Gültigkeit hat, obwohl ich Verbesserungen in der materiellen Ausstattung des Truppensanitätsdienstes und der Sanitätstruppe durchaus begrüße.
Herr Abgeordneter Kolbow, Sie gestatten eine Zwischenfrage des Abgeordneten Biehle?
Aber selbstverständlich, lieber Kollege Biehle. Ein unterfränkisches Tête-à-tête im Bundestag kann nie schaden.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Kolbow, würden Sie mir beipflichten, daß ich zu einer Zeit, in der ich noch Berichterstatter für das Sanitätswesen war, Ende der 70er, Anfang der 80er Jahre, den Sanitätsbereich als eine Katastrophe bezeichnet habe, weil dort sehr vieles im argen lag, und daß in der Zwischenzeit — ich wäre dankbar, wenn Sie das bestätigten — der Inspektionsbereich Sanitätswesen alle Forderungen finanzieller Art erfüllt bekommen hat, um ab 1986 die geforderte Ausstattung, Ausrüstung verwirklichen zu können?
Lieber Herr Kollege Biehle, meine weiteren Ausführungen werden deutlich machen, daß das Sanitätswesen eben nicht alle finanziellen Forderungen erfüllt bekommen hat. Gedulden Sie sich einen Moment.
Es stimmt eben nachdenklich, wenn Angehörige der Sanitätstruppe — da bin ich gleich beim Thema — z. B. in Diskussionen mit den Mitgliedern der .SPD-Fraktion im Verteidigungsausschuß die Aussage machen, es sei um den Friedenssanitätsdienst der Bundeswehr heute sogar noch schlechter bestellt als vor zwei Jahren. Die SPD-Fraktion dankt daher dem Wehrbeauftragten, daß er deutlich zwei Felder aufgezeigt hat — und darauf berufe ich mich —, in denen nach wie vor Mängel herrschen, die den Sanitätsdienst im Frieden direkt oder indirekt betreffen bzw. in ihn hineinwirken. Der Wehrbeauftragte hat das Verhalten gegenüber kranken Soldaten und die Entwicklung im Bereich der Sanitätsoffiziere angesprochen.Meine Damen und Herren, im Bereich Verhalten gegenüber kranken Soldaten hat der Wehrbeauftragte mit seinen Feststellungen offensichtlich nur die Spitze eines Eisberges beschrieben. Der SPD-Bundestagsfraktion liegen Unterlagen über die Eingliederung wehrpflichtiger Truppenärzte in die militärische Hierarchie vor, wonach die Ärzte über den Gesundheitszustand der Soldaten lediglich Empfehlungen abgeben dürfen, über die dann Einheitsführer oder Kommandeure abhängig von derPersonal- und Auftragslage der Einheit oder des Verbandes abschließend entscheiden.
Der Wehrbeauftragte spricht diesen Zustand offen an, weist auf die Verantwortung der Disziplinarvorgesetzten für die Gesundheit der ihnen unterstellten Soldaten hin und fordert disziplinarische Ahndung eines solchen eklatanten Führungsfehlverhaltens von militärischen Vorgesetzten. Wir stimmen dieser Forderung uneingeschränkt zu.Dies ist — das muß ich der Fairneß halber sagen — ein vereinzeltes Verhalten, das aber ausstrahlt und das vor allen Dingen auch deutlich macht, daß vor allen militärischen Notwendigkeiten, insbesondere im Friedensbetrieb, die Erhaltung der Gesundheit unserer Soldaten Vorrang haben muß. Wir fordern Sie deshalb mit dem Wehrbeauftragten auf, Herr Bundesminister, hier unerbittlich durchzugreifen.
Es reicht uns nicht, wie in Ihrer Stellungnahme nachgelesen werden kann, daß Sie erwarten — ich zitiere —, daß diese Bestimmungen den verantwortlichen Vorgesetzten bekannt sind. Es gibt nach dem Bericht des Wehrbeauftragten leider eben auch in diesem Bereich oft unverantwortliche Vorgesetzte. Hier sollten Sie Ihrer Fürsorgepflicht nachkommen und diesem nicht richtigen militärischen Führungsverhalten entsprechend begegnen.Auf der anderen Seite — und daran liegt uns sehr, weil wir viele davon haben — müssen auch die jungen wehrpflichtigen Ärzte, die naturgemäß ohne große militärische Kenntnisse ihren Dienst antreten, sich ihrer wichtigen Verantwortung bewußt sein und aus ihrer Verantwortung als Arzt heraus bestimmte Dinge im Umgang mit erkrankten Soldaten mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln zu unterbinden versuchen. Ich appelliere auch ausdrücklich an diese Ärzte, ihrer medizinischen Verantwortung auch in der militärischen Hierarchie nachzukommen.Die Entwicklung im Bereich der Sanitätsoffiziere macht wie immer deutlich, daß sich die personelle Situation bei den längerdienenden Sanitätsoffizieren gegenüber 1984 nicht verbessert hat. Sie kennen die Zahlen: 38 % der Dienstposten bei den Humanmedizinern und sogar 55% der Dienstposten bei den Zahnärzten waren im Berichtszeitraum nur mit wehrpflichtigen, also kurzdienenden Ärzten zu besetzen. Über die Auswirkungen dieser „Notbesetzungen" insbesondere auf die Berufszufriedenheit und die Motivation der längerdienenden Zeitsoldaten und der Berufssoldaten bei aller Anerkennung der beruflichen Qualifikation der jungen wehrpflichtigen Truppenärzte und ihres Engagements ist an dieser Stelle schon mehrfach gesprochen worden, ohne daß sich Wesentliches geändert hätte. Der Bundesminister der Verteidigung verweist auf die Entspannung der Personallage ab 1994 — aber ebenfalls schon seit Jahren.Wir meinen, daß auch für diesen Bereich mehr Geld zur Verfügung gestellt werden sollte. Der Kol-
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Kolbowlege Feldmann hat gestern im Verteidigungsausschuß sehr augenscheinlich im Gegensatz zu einem anderen Kollegen aus seiner Fraktion und im Gegensatz zur Regierungskoalition auf diese soziale Lage hingewiesen und gemeint, wir bräuchten diese 842 Millionen DM für 150 Leopard 2 nicht. Wir haben ihm zugestimmt. Aber wir müßten dies natürlich auch in anderen Bereichen so tun, damit wir eine Mehrheit für mehr Geld für die sozialen Belange unserer Soldaten finden können.Ich weiß auch, daß uns die Auswirkungen der Änderung der Bundesärzteordnung in diesem Bereich in eine schwierige Situation bringen. Für 18 Monate wird, verursacht durch die Ausbildung als Arzt im Praktikum, kein ausreichender Nachwuchs sowohl für längerdienende als auch für wehrpflichtige Sanitätsoffiziere vorhanden sein. Dies unterstreicht meine im Zusammenhang mit der Priorität der Ausgabe von Mitteln deutlich gesehene Notwendigkeit, auch dem Sanitätsdienst, was die Personallage angeht, mit mehr Mitteln zu helfen.Ich spreche den Kolleginnen und Kollegen der Regierungskoalition im Verteidigungsausschuß den guten Willen nicht ab, aber man müßte sich dann auch beim Bundesminister für Finanzen durchsetzen können.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich meine, im Rahmen einer Bewertung des Berichts des Wehrbeauftragten — das darf ich zum Schluß sagen — muß, was den Bereich des Sanitätswesens angeht, darauf hingewiesen werden, daß es uns sehr am Herzen liegt, Herr Wehrbeauftragter, daß Sie sich des Bereichs der Betriebsärzte und der Durchführung des Arbeitssicherheitsgesetzes in der Bundeswehr annehmen. Sie haben in Ihrem Bericht nicht darauf hingewiesen: Großen Zahlen von zivilen Vertragsärzten, die für ihre Tätigkeit als Vertragsbetriebsärzte stattliche Honorare erhalten, stehen nur kleine Zahlen militärischer Betriebsärzte gegenüber, die den Einzelplan 14 viel weniger Geld kosten würden, wenn es sie in ausreichender Zahl gäbe.Es ist Ihr Verdienst — ich komme zum Schluß —, uns als die verantwortlichen Politiker auf die Schwachpunkte des Friedenssanitätsdienstes — wie Ihr Vorgänger — hingewiesen zu haben und uns damit in die Lage zu versetzen, unsere Pflicht als Parlamentarier in der Kontrolle der Regierung zu tun, wenn diese ihre Pflicht nicht erfüllt oder gegenüber dem Finanzminister nicht erfüllen kann.Ich danke.
Zum Schluß hat jetzt der Bundesminister der Verteidigung, Dr. Wörner, das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen undHerren Kollegen! Ich habe mich zunächst bei Ihnen, lieber Herr Wehrbeauftragter, und bei den Damen und Herren Ihres Amtes sehr herzlich zu bedanken für den Jahresbericht 1985. Sie haben mit diesem Bericht die Praxis Ihres Vorgängers fortgesetzt, nicht nur Felder und Mängel aufzuzeigen, sondern auch Anregungen und Handreichungen für die bessere Bewältigung der zukünftigen Aufgaben unserer Streitkräfte zu geben. Wir greifen es dankbar auf.Es gibt, wie Sie gesagt haben, wenige Bereiche, in denen es zwischen uns unterschiedliche Auffassungen gibt. Ich bin besonders dankbar für das, was Sie zur Menschenführung sagen. Das brauchen die Streitkräfte, und das brauchen auch wir. Wir müssen hier immer und immer wieder in die Verantwortung genommen werden. Sie können ganz sicher sein, daß ich alles daransetzen werde, die Menschenführung weiterhin in den Vordergrund meiner Anstrengungen, was die innere Lage der Truppe anlangt, zu stellen.
Nun zu Ihren kurzen Bemerkungen. Lassen Sie mich drei Punkte herausgreifen.Heimschläfer. Ich danke Ihnen für die Anregung. Wir werden versuchen, so gut es geht, die Praxis zu vereinheitlichen. Es ist schwierig, da es sich um zig Tausende unterschiedlicher Vorgesetzter handelt. Aber ich gebe zu, hier ist noch etwas zu verbessern.Benzingeld. Hier sind wir an der sehr schwierigen Frage: Wo gibt es Abgrenzungsmöglichkeiten? Hier schwebt mir die Lösung vor, in besonders schwierigen Fällen, wo der junge Wehrpflichtige wirklich nicht rechtzeitig zur Bahn kommt, mit Zuschüssen zu helfen. Wir haben lange darüber nachgedacht. Das Problem ist die Abgrenzung. Hier liegen die Schwierigkeiten. Aber das darf nicht dazu führen, daß wir das völlig außen vorlassen.Schwieriger ist das Problem — Sie haben es angesprochen -- mit der Motivation derer, die den Antrag im Zusammenhang mit dem Personalstrukturgesetz gestellt haben. Es ist nicht so, daß uns das nicht interessiert. Überdies wissen wir es bei vielen. Nur ist es sehr schwer, eine Methodik zu finden, eine Untersuchung, die solche Motive eindeutig und aussagekräftig herausarbeitet. Beispielsweise können Sie niemals mit letzter Sicherheit nachprüfen, ob das, was angegeben wird, tatsächlich auch das letzte Motiv ist, ganz abgesehen davon, daß viele sicher auch mehrere Motive haben. Deswegen rege ich an, daß wir uns über die Erfahrungen austauschen. Ich habe gar nichts dagegen, daß das im Verteidigungsausschuß bekanntgegeben wird.Nun lassen Sie mich zu dem kommen, was die Opposition hier veranstaltet hat. Zunächst darf ich bescheiden in Erinnerung rufen: Die drückenden, aber wirklich drückenden personellen und sozialen Probleme dieser Armee, als wir das Amt antraten, haben Sie liebenswürdigerweise unterschlagen. Ich will sie nicht alle wieder aufs Tapet bringen. Aber es muß schon befremden, daß ausgerechnet von Ih-
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Bundesminister Dr. Wörnernen Klagen über die Vernachlässigung der Belange der Soldaten bei Milliardenprojekten kommen. Herr Kollege Breuer hat es Ihnen zu Recht gesagt, und ich sage es Ihnen noch einmal: Was haben Sie denn getan? Sie alle, wie Sie hier sitzen, waren im Verteidigungsausschuß. Sie haben Ihrer eigenen Regierung durchgehen lassen, daß sie Milliarden und Milliarden und Milliarden und Milliarden beschlossen hat, zu einem Zeitpunkt, zu dem Sie Sozialleistungen gekürzt haben. Wer so wie Sie im Glashaus sitzt, der sollte nicht mit Steinen werfen..
Herr Bundesminister
Nein, ich stehe unter Zeitdruck.
Herr Abgeordneter, es wird keine Zwischenfrage gestattet.
Ich habe von Anfang an klare Prioritäten gesetzt und diese klaren Prioritäten auch durchgehalten. Meine Priorität lautete: Personal vor Material. Das war meine Entscheidung; das bleibt meine Entscheidung.
Jetzt lassen wir einmal die Fakten sprechen. Denn die Fakten sprechen ihre eigene Sprache. Deswegen kann ich sehr guten Gewissens vor Ihnen stehen. Diese Fakten lassen Ihre Angriffe als das erkennen, was sie sind: Wahlkampfpolemik, die nur von Ihrem eigenen totalen Versagen in der Sicherheitspolitik ablenken soll, meine Damen und Herren.
Jetzt kommen die Fakten. Heute, vier Jahre nach unserer Regierungsübernahme, hat die Bundeswehr die beste Personallage, insbesondere die beste Unteroffizierslage, in ihrer Geschichte. Das wohl drückendste Problem der Bundeswehr — das sagt die gesamte militärische Führung; die Zahlen belegen es —, der Verwendungsstau bei Offizieren und Unteroffizieren, wurde angepackt, ist auf dem Weg der Lösung. Allein in diesem Jahr — hören Sie gut zu konnten über 100 Bataillonskommandeurstellen, über 300 Kompaniechefstellen mit jüngeren Offizieren besetzt werden.
Insgesamt wurden 1900 Verwendungswechsel im
ersten Jahr des Personalstrukturgesetzes durchgesetzt. Auch die Unteroffiziere sind keinesfalls zu
kurz gekommen, ganz im Gegenteil. In dieser Legislaturperiode, in knapp vier Jahren, wurden 900 zusätzliche Hauptfeldwebelstellen geschaffen. 460 zusätzliche Hauptmannstellen können auch durch Offiziere des militärfachlichen Dienstes besetzt werden.
Der Beitrag der Opposition — beiläufig gesagt, wenn Sie hier schon so polemisieren — bestand zuerst in purer Kritik — häufig noch polemisch — und dann in einem schlichten Nein ohne jede Alternative.
Bis zum heutigen Tag haben Sie auch keine geliefert.
Jetzt kommt es weiter. Wir haben die Personallage der Streitkräfte insgesamt entscheidend verbessert und konsolidert. Seit 1982 konnten zusätzlich 11 000 Unteroffiziere und 3 000 Feldwebel gewonnen werden. Wir haben 3 000 Stellenanhebungen im militärischen Bereich durchgesetzt. Wir haben den Unteroffizieren ihren Spitzendienstgrad zurückgegeben und haben damit die Bedeutung dieser wichtigen Laufbahngruppe unterstrichen.
Auch unsere sozialen Maßnahmen können sich sehen lassen. Für die Wehrpflichtigen haben wir den Wehrsold, das Weihnachtsgeld und das Entlassungsgeld erhöht. Arbeitslose Wehrpflichtige werden mit Vorrang zur Bundeswehr einberufen.
Durch eine große Anzahl von Maßnahmen unterstützen wir sie am Ende ihrer Dienstzeit bei der Arbeitsplatzsuche. Wir haben angefangen — und zwar durchgreifend und erfolgreich —, ihre Bekleidung zu verbessern. Der Kollege Breuer hat es gesagt: Allein die Mittel für Berufsförderung haben wir in den letzten drei Jahren um 26 Millionen DM erhöht.
Und jetzt kommt's: Was ich mir von Ihnen überhaupt nicht sagen lasse,
ist, daß hier nichts zur Verbesserung der Berufschancen der Zeitsoldaten geschehen wäre. Das Gegenteil ist richtig.
Mit dem Bundespräsidenten war ich in der vergangenen Woche in Koblenz, und da hätten Sie einmal hören sollen, wie unter den Gesprächspartnern mehrere waren, die — übrigens vor der Presse — ganz deutlich gemacht haben, daß sie sich über die unglaubliche Vielzahl von Veranstaltungen freuen, die wir unternehmen, um bei der Wirtschaft zu werben, und das mit Erfolg!
Die Zeitsoldaten haben bessere Berufschancen als
alle anderen am Arbeitsmarkt, meine Damen und
Herren. Da lasse ich mir von Ihnen doch nicht vor-
17424 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den' 26. Juni 1986
Bundesminister Dr. Wörner
halten, da sei nichts geschehen! Wenn ich das mit der Zeit, in der Sie regierten, vergleiche, kann ich nur sagen: eine Steigerungsrate von mindestens 500%!
Es geht weiter, und jetzt kommen die Fakten. Für die Zeit- und insbesondere für die Berufssoldaten haben wir eine große Zahl von Neuregelungen getroffen, um die Folgen der Versetzung und der Trennung von der Familie zu mildern. Ich nenne hier nur die Erhöhung des Trennungsgeldes, die deutliche Anhebung der Umzugskostenpauschale, die zweite Reisebeihilfe im Monat und die Kostenerstattung für zusätzlichen Unterricht der Kinder.
Hier möchte ich auch einmal unseren Beitrag zum Abbau der Jugendarbeitslosigkeit erwähnen. Wir haben die Ausbildungsstellen für die verschiedensten Berufe drastisch vermehrt, haben sie in meiner Amtszeit auf inzwischen 6 000 Plätze verdoppelt.
Deswegen lasse ich mir weder von Ihnen noch von irgend jemandem sonst auch nur den geringsten Vorwurf machen, was das Soziale anlangt. Gemessen an dem, was Sie gemacht haben, ist festzuhalten: Diese Regierung hat der sozialen Lage der Soldaten Vorrang gegeben, hat mehr getan, als Sie insgesamt in den vorangegangenen Jahren getan hatten.
Sie können sich ja leicht umtun. Gehen Sie doch einmal hinaus in die Truppe!
Da werden Sie — im Unterschied zu dem, was Sie hier immer herumschwätzen — finden, wie die Stimmung ist, wie die Truppe darauf inzwischen reagiert.
Nun brauchen Sie mir nicht zu sagen, daß eine Reihe von Problemen noch nicht gelöst ist. Es ist unmöglich, die Versäumnisse Ihrer Regierungszeit in vier Jahren aufzuräumen. Ich habe nie geglaubt, daß man alle Probleme der Bundeswehr auf einmal lösen kann. Wir gehen sie schrittweise an.
Die nächsten Schritte sind, um sie klar zu nennen: zunächst die Verbesserung der Vergütung für hohe Dienstzeiten. Wir sind inzwischen bei 100 statt 90 DM; das werden wir heute noch beschließen. Ich gebe Ihnen zu, daß das immer noch zuwenig ist. Im übrigen ist das, wie Sie sehr gut wissen, kein finanzielles Problem.
Dann kommt die Absicherung der Zeitsoldaten gegen Arbeitslosigkeit. Auch dies ist kein finanzielles Problem, sondern ein Problem des Präjudizes.
Da liegen doch die Gründe für die Widerstände! Sie haben das doch aus diesem Grunde nicht getan, aber wir werden es tun.
Dann kommt die Anpassung der Unterhaltsleistungen, und schließlich kommen noch weitere Maßnahmen zur Verbesserung der Lage der Familien bei den unabdingbar notwendigen Versetzungen.
Im übrigen möchte ich hier den zivilen Bereich der Bundeswehrverwaltung nicht vergessen. Auch dort gibt es Probleme; ich kann sie wegen des Zeitmangels jetzt nicht nennen. Auch da müssen wir heran; wir können nicht immer nur auf die Soldaten schauen.
Jetzt möchte ich einmal folgendes machen: Ich vergleiche Ihr Reden in der Opposition mit Ihrem Handeln während Ihrer Regierungszeit.
Da sage ich in aller Kürze: Sie haben personelle Lücken in die Bundeswehr gerissen. Sie haben 8 000 SaZ-2-Stellen gekürzt, als sich bereits abzeichnete, was kommen würde. Wir haben die beste Personallage seit Bestehen der Bundeswehr geschaffen.
Sie haben dem Verwendungsstau über mehr als ein Jahrzehnt tatenlos gegenübergestanden; wir haben ihn angepackt.
Sie haben im wahrsten Sinne des Wortes planlos gehandelt; wir haben der Bundeswehr wieder eine solide planerische Grundlage gegeben.
Entschuldigen Sie, Herr Minister, daß ich Sie unterbreche.
Meine Herren, ich habe nichts gegen Zwischenrufe. Gelegentlich kann man sich darüber durchaus amüsieren. Aber wenn alle zusammen dieses Spiel betreiben, ist wirklich kein Zwischenruf mehr verständlich. Ich bitte also, eine bescheidene Dosierung vorzunehmen.
Herr Minister, Sie haben das Wort.
Was mich wirklich besonders amüsiert: Da regen Sie sich auf, daß wir nur von 90 auf 100 DM erhöhen. Als ich mein Amt antrat, lief eine Vielzahl von
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Juni 1986 17425
Bundesminister Dr. WörnerProzessen von Soldaten, die es sich nicht gefallen ließen, daß mein Amtsvorgänger die Mittel für die Dienstzeitbelastung gekürzt hatte.
Das erste, das wir gemacht haben — und damit habe ich mein Versprechen erfüllt —: Wir haben diese Mittel um über 35 Millionen DM voll aufgestockt.
Ich kann also nur sagen: den Vergleich jederzeit und so lange, wie es geht.
Jetzt komme ich aber zu einem wichtigen letzten Punkt. Wer glauben sollte, die Lage des Soldaten bemesse sich ausschließlich nach materiellen Dingen, der täuscht sich gewaltig. Die Lage des Soldaten ist nicht nur abhängig von seiner sozialen Stellung. Das alles ist wichtig, das will ich wirklich nicht herunterspielen. Sie würden aber unsere Soldaten falsch einschätzen, wenn Sie glaubten, daß für die nur das Geld und die Sozialleistungen zählen. Da zählen andere Dinge, da zählen Gott sei Dank immer noch Idealismus, Leistungsbereitschaft, Pflichteifer. Das gibt es in dieser Truppe sehr, sehr weit verbreitet. Ich kann nur sagen, zu dieser Frage, wie sich dieser Soldat in dieser Gesellschaft fühlen kann, gehört auch die Art und Weise, wie die politischen Parteien, und zwar nicht hier im Deutschen Bundestag und bei Feierstunden, sondern draußen an ihrer Basis, mit den Soldaten umspringen.
Wir haben uns vor die Soldaten gestellt, wo immer sie angegriffen wurden. Der Bundeskanzler hat in seiner ersten Regierungserklärung vom Ehrendienst der Soldaten gesprochen. Wir haben sie in der Öffentlichkeit gezeigt. Die Zahl der öffentlichen Gelöbnisse hat sich verdreifacht.
Die 30-Jahr-Feiern der Bundeswehr sind bewußt so angelegt worden, daß sich die Bundeswehr in der Öffentlichkeit zeigen konnte. Wir sind dem Druck lautstarker Minderheiten nicht gewichen, und unser Volk hat dies begrüßt und begrüßt dies in seiner überwältigenden Mehrheit heute noch.
Sie dagegen — und da kommen wir auf einen Punkt, den erspare ich Ihnen nicht bei Ihren Philippikas, die Sie da ablassen, Pflichtübungen —, Sie dagegen — jetzt meine ich nicht die hier anwesenden Kollegen, ob ich bei all dem, was uns trennt, den Kollegen Wiefel oder Kolbow oder Heistermann angucke — habe ich nicht den Verdacht, daß Sie der Bundeswehr nicht auch innerlich aufgeschlossen gegenüberstehen. Wir arbeiten zu lange im Verteidigungsausschuß zusammen, als daß ich Ihnen das nicht mit dem gleichen Recht attestiere, wie Sie das hoffentlich auch bei mir unterstellen. Darum geht es nicht. Aber Sie dulden bis zum heutigen Tag, daß sich draußen Mitglieder der SPD an Kasernenblockaden beteiligen, Sie dulden, daß der Herr Lafontaine die Wehrdienstverweigerung zur moralischen Pflicht erklärt, Sie dulden, daß Mitglieder Ihrer Partei öffentlichen Gelöbnissen fernbleiben.
Ich habe hier eine Sammlung aus vielen Standorten der Bundesrepublik Deutschland. Jetzt gab es gerade wieder eine Landtagsdebatte in Stuttgart, wo die SPD-Fraktion beanstandet, daß Schulklassen die Truppe besuchen.
Da kann ich nur sagen: Solange Sie nicht dafür sorgen, daß das anders wird, ist das alles nicht glaubwürdig, was Sie hier für die sozialen Belange vorbringen.
Lassen Sie mich deswegen zum Schluß sagen: Sie müssen erst einmal dafür sorgen, daß in Ihrer Parteiführung Klarheit herrscht, was Sie in Ihrer Partei als Kurs festgelegt haben wollen.
Wir werden nicht zulassen, daß Sie die Doppelstrategie weiterfahren: in Bonn Festreden zur Bundeswehr und draußen Blockaden. So geht das nicht weiter.
Der Herr Rau wird Farbe bekennen müssen, und er wird auch Ordnung schaffen müssen in dieser Partei.
Ich bin nicht bereit, das Wort vom Sicherheitsrisiko zurückzuziehen,
das sich auf die Politik dieser Partei bezog,
nicht auf die Mitglieder dieser Partei und schon gar nicht auf die Soldaten, die sich dieser Partei zugehörig fühlen.
Damit kann ich die Aussprache schließen. Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Verteidigungsausschusses auf Drucksache 10/5722. Wer dieser Beschlußempfehlung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Damit ist die Beschlußempfehlung angenommen worden.Den letzten Zwischenruf, Herr Abgeordneter Horn, halte ich für nichtparlamentarisch.
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17426 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Juni 1986
Vizepräsident CronenbergWir kommen nun zu Tagesordnungspunkt 3 sowie dem Zusatztagesordnungspunkt 3:3. a) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Verteidigungsausschusses zu dem Antrag des Abgeordneten Drabiniok und der Fraktion DIE GRÜNENEinstellung der Vorarbeiten zur Einrichtung eines Tieffluggebietes östlich von Hamburg— Drucksachen 10/2803, 10/5084 —Berichterstatter:Abgeordnete Dr. Klejdzinski Wilzb) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Verteidigungsausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Auhagen, Frau Borgmann, Bueb, Frau Dann, Frau Eid, Frau Hönes, Horacek, Lange, Mann, Dr. Schierholz, Schily, Schmidt (Hamburg-Neustadt), Schulte (Menden), Ströbele, Suhr, Tischer, Vogel (München), Vogt (Kaiserslautern), Volmer, Werner (Westerland), Werner (Dierstorf), Frau Zeitler und der Fraktion DIE GRÜNENAbschaffung von Tiefflügen— Drucksachen 10/3353, 10/5085 —Berichterstatter:Abgeordnete Dr. Klejdzinski WilzZusatzpunkt 3:Beratung des Antrags der Fraktion der SPDReduzierung der Belastung der Bevölkerungdurch den militärischen Tiefflugbetrieb— Drucksache 10/5737 —Es gibt eine interfraktionäre Vereinbarung, daß die Tagesordnungspunkte 3a und 3b sowie der Zusatztagesordnungspunkt in einer gemeinsamen Beratung behandelt werden. Vorgesehen sind insgesamt 45 Minuten. Ich nehme an, daß sich Widerspruch dagegen nicht erhebt. — Das ist der Fall.Dann können wir mit der Aussprache beginnen. Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Klejdzinski.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das heutige Thema: Abschaffung von Tiefflügen wird uns nicht nur heute hier im Parlament beschäftigen, sondern ich gehe davon aus, daß es sicherlich nicht das letztemal sein wird.Wer die Abschaffung von Tiefflügen fordert, der muß auch zeigen, in welches Verantwortungsfeld er dieses einbettet; der muß letztlich ein gesamtverantwortliches Handeln zeigen. Diejenigen, die nicht bereit sind, an einem Tiefflug-Hearing teilzunehmen, müssen mir noch beweisen, warum sie sich zu dieser Thematik hier äußern wollen und nicht im Fachausschuß.Dieser Kritikansatz bedeutet grundsätzlich nicht — und darauf lasse ich mich auch nicht festlegen —, daß wir Sozialdemokraten unkritisch Tiefflüge gutheißen und einfach bereit sind, sie hinzunehmen. Militärische Tief- und Überschallflüge sind nach wie vor ein ungelöstes Fluglärmproblem. Fluglärm ist nun mal eine große Beeinträchtigung für die Bevölkerung. Fluglärm bedeutet letztlich eine schwerwiegende Beeinträchtigung des Wohlbefindens und der Gesundheit. Es ist nun einmal so, daß Tiefflüge, Überschallflüge zu außergewöhnlichen Zeiten wie bei Manövern, insbesondere auch in der Nacht und bei Start und Landung als besonders belastend empfunden werden.Ich stimme deshalb uneingeschränkt dem Vertreter einer Bürgerinitiative zu, der im Hearing am 23. Juni zum Tiefflug folgende Feststellung traf:Ein auch oberhalb des Tiefflugbandes fliegendes Flugzeug verursacht noch einen Lärmpegel, der erheblich über den Grenzwerten liegt, die zur störungsfreien und gesundheitlichen Existenz des Menschen unbedingt eingehalten werden müssen.Der Inspekteur der Luftwaffe setzt dieser Position entgegen, Tiefflug sei nach seiner Einschätzung kein Selbstzweck, sondern ein notwendiges taktisches Mittel, um im Verteidigungsfall die Bedrohung der eigenen Flugzeuge durch die gegnerische Luftabwehr deutlich zu verringern. Um dieses Ziel zu erreichen, begründet er weiter, müssen Flugzeuge möglichst tief und möglichst schnell fliegen.Tiefflug ist also für die betroffene Bevölkerung eine erhebliche Belastung, und — auch dies sei angemerkt — der Tiefflug selbst fordert die Besatzung bis an die Grenze ihrer physischen und psychischen Leistungsfähigkeit. Auch für sie ist Tiefflug insofern kein Selbstzweck, sondern ein Flugauftrag. Auch — und darüber bin ich mir im klaren — die Flugzeugführer wissen, daß der Tiefflug und der Fluglärm eine schwere Belastung für große Teile unseres Volkes sind und auch so einzuschätzen sind.In diesem aufgezeigten Spannungsfeld bewegen sich auch die Meinungen von uns Sozialdemokraten.
— Herr Schierholz, wir machen es uns nicht grundsätzlich so einfach wie die Fraktion DIE GRÜNEN, nämlich grundsätzlich nein zu sagen.Wir können aber auch die Auffassung des Bundesministers der Verteidigung nicht teilen, der gegenwärtig nicht anwesend ist und der alles darauf reduziert: Freiheit verlangt Opfer. Herr Bundesminister oder Herr Staatssekretär, der Sie ihn ja wahrscheinlich jetzt vertreten:
Dies ist zu billig, dies ist zu undifferenziert undzeigt eigentlich nur auf, daß das Bundesministerium der Verteidigung in seiner politischen Leitung,
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Juni 1986 17427
Dr. Klejdzinskiin diesen entscheidenen Fragen keine Führungsfähigkeit hat.
Herr Abgeordneter, Herr Dr. Schierholz möchte gerne eine Zwischenfrage stellen. Sie gestatten das doch?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Schierholz, wenn Sie schon nicht beim Hearing dabei waren, können wir vielleicht das Problem heute hier lösen.
Ausgezeichnet. Danke schön, Herr Klejdzinski.
Ich möchte Sie fragen, ob Sie den Forderungen der Bundesvereinigung gegen Fluglärm, die diese am 29. September 1985 verabschiedet hat, zustimmen, wo es u. a. heißt, daß die vorhandenen Tiefstfluggebiete abzuschaffen sind und daß die Mindestflughöhe auf 500 Meter anzuheben ist — eine Position, die in zahlreichen Gremien Ihrer Partei mittlerweile geteilt wird, offensichtlich aber nicht von Ihrer Fraktion.
Herr Schierholz, wenn ich Sie richtig verstanden habe — und ich gehe davon aus, daß Sie der Fachmann der Fraktion DIE GRÜNEN sind —
daß Sie behaupten, daß Tiefflüge stattfänden — ich bitte Sie zuzuhören, damit Sie das jetzt einmal mitbekommen —: Tiefstflüge werden in der Bundesrepublik Deutschland nicht durchgeführt,
sondern wir machen diese leider in Kanada. Sie haben sich j a um die einmalige Chance gebracht und diese nicht wahrgenommen. Sie hätten ja genau einen Vertreter dieser Bürgervereinigung, die Sie hier ansprechen, zum Hearing laden können, dann hätte er diese Ausführungen dort machen können.
Sie hatten das Recht, einen Sachverständigen zu benennen. Sie haben keinen Sachverständigen benannt und haben an diesem Tag durch Abwesenheit geglänzt.
Wahrscheinlich war das so, daß Sie nicht den ganzen Tag — so wie wir — dieser Angelegenheit vom Grundsatz her opfern wollten.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Schulte ?
Herr Präsident! Ich bin nicht bereit, das, was wir im Ausschuß oder im
Hearing hätten tun können, nun in Form eines Zwischenspiels mit der grünen Fraktion hier grundsätzlich zu erörtern. ,
Ich bitte, mir dies nachzulassen. Ansonsten bin ich gern bereit, auf Zwischenfragen einzugehen.
Herr Staatssekretär, ich werde das Versagen Ihrer Führungsfähigkeit noch an einem anderen Beispiel klarmachen, auf das ich später zurückkomme.
Im Hearing am 23. Juni wurde vom Ministerialdirigent Hildebrand
ausgeführt: „Militärische Tiefflugeinsätze über dem Gebiet der Bundesrepublik stehen auf einer sicheren verfassungsrechtlichen Grundlage." Soweit, so gut.
Er hat aber auch ausgeführt: „Sie müssen indessen stets mit dem gleichermaßen verfassungsrechtlich garantierten Anspruch des Bürgers auf körperliche Unversehrtheit abgewogen werden."
Rede von: Unbekanntinfo_outline
In welchen Ihrer Weisungen oder Weisungen des Ministers wird der verfassungsrechtliche Anspruch des Bürgers auf körperliche Unversehrtheit umgesetzt?
Sie haben heute sicherlich Gelegenheit, dazu zu antworten.Herr Staatssekretär, Sie teilen sicherlich meine Meinung, daß es in den Tieffluggebieten 250 Fuß, den Low Level Areas 1 bis 7 zu einer Kombination von Flughäufigkeit und besonderer Lärmintensität kommt und dies natürlich im wesentlichen durch die Flughöhe von 75 Metern bestimmt ist.Dieses trifft sicherlich — auch dies wird zwischen den Fraktionen unstrittig sein oder zumindest bei denen, die sich damit beschäftigt haben — auch auf die Tiefflugverbindungsstrecken zu. Ich unterstütze insofern mit Nachdruck den in Ihrem Ministerium ausgearbeiteten Vorschlag, an Stelle der bisherigen sieben statischen Tieffluggebiete 250 Fuß mindestens 49 Gebiete zu schaffen.
Von diesen 49 Gebieten werden jeweils sieben Gebiete für die Dauer eines Monats aktiviert.
Das müßte in Konsequenz bedeuten: 42 Gebiete würden dann in einem Monat tiefflugfrei sein. Dies ist nicht der Weisheit letzter Schluß. Aber es wäre für die Betroffenen im Westmünsterland, die das
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17428 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Juni 1986
Dr. Klejdzinskiständig seit über 40 Jahren zu ertragen haben, sicherlich eine Pause des Aufatmens.
In der Zeitschrift „Luftwaffe", 27. Jahrgang, Nr. 3, führt der Minister an: „Mit Fug und Recht kann der Bürger verlangen, daß alles Erdenkliche getan wird, um die Belastungen auf das noch verantwortbare Übungsminimum zu begrenzen." Wie ist Ihre Aussage zu verstehen, wenn Sie gleichzeitig verkünden lassen: die 49er-Regelung läßt sich politisch nicht durchsetzen, also wird sie nicht weiter verfolgt? Hierin liegt doch ein Widerspruch. Oder im Klartext, anders ausgedrückt: Weil Sie sich politisch nicht durchsetzen konnten, nämlich gegen die CDU/CSU-Ministerpräsidenten, müssen die geduldigen Schafe in den bisherigen Tieffluggebieten diesen Tiefflug weiterhin ertragen.Haben Sie denn nicht verkündet, Verteidigung ist unteilbar? Warum sollen nur die Bewohner der Tieffluggebiete 1 bis 7 den Preis für die Freiheit zahlen? Ist das nicht eine gesamtverantwortliche Aufgabe des ganzen Volkes?
Das wird nicht nur von mir so eingeschätzt, sondern auch von vielen Vertretern der Bürgerinitiativen geteilt. Das hat sich auch im Hearing ergeben.Wir Sozialdemokraten sind uns der Problematik bewußt. Wir wissen, daß wir den Tiefflug nicht völlig abschaffen können, weil auch wir den Verteidigungsauftrag bejahen. Das stelle ich fest, obwohl der Minister uns heute morgen wieder in eine Ecke stellen wollte, in die Sie uns gerne hin haben wollen, weil Sie spüren, daß es sonst für Sie am 25. Januar 1987 nicht reicht. Wir Sozialdemokraten wollen eine spürbare Entlastung der in den Tieffluggebieten vom militärischen Tiefflug betroffenen Bevölkerung. Wir versuchen, alle verantwortbaren und möglichen Maßnahmen zur Reduzierung der Fluglärmbelastung auf ein erträgliches Maß zu ergreifen und durchzusetzen.
— Herr Präsident, ich bin nicht in der Lage, das zu verstehen, was mein Vorsitzender, der Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, gegenwärtig von der Abgeordnetenbank aus als Korreferat ausführt.
Ich bedaure das mit Ihnen gemeinsam und wäre deswegen dankbar, wenn sich die Kollegen die entsprechende Zurückhaltung auferlegen würden. Ich freue mich aber ganz besonders, Herr Abgeordneter, daß diese Mahnung ausgerechnet von Ihnen kommt.
Diesem Ziel dient der Antrag der SPD-Fraktion, der heute von uns eingebracht worden ist. Mittlerweile ist aus diesem Antrag ein gemeinsamer Antrag geworden, wobei wir durchaus einsehen, daß das, was hinzugefügt worden ist, letztlich nichts wesentliches an der Problematik ändert.
Die Problematik des militärischen Tiefflugbetriebes und der damit verbundenen Flugsicherheit sowie die Belastung der Bevölkerung in den Tieffluggebieten durch den Lärm tieffliegender Kampfflugzeuge sind nicht neu und auch der SPD-Bundestagsfraktion seit vielen Jahren bekannt. Stellten wir doch in den Jahren 1969 bis 1982 den verantwortlichen Bundesminister der Verteidigung.
Insbesondere in der Zeit ab 1979 hat der damalige Verteidigungsminister Dr. Apel intensive Bemühungen unternommen,
um den Fluglärm und die damit verbundene Belastung der Bevölkerung zu reduzieren.
— Mein sehr geschätzter Herr Kollege Wimmer, wenn Sie den Zwischenruf machen,
mit welchen vermehrten Folgen usw., usf., möchte ich sagen: Das hätten Sie heute lieber Ihrem Minister sagen sollen. Das hätte der Sache mehr gedient.
Folgende Regelungen wurden nämlich zu unseren Zeiten bereits verfügt: eine zeitliche Begrenzung von Tiefflügen auf Werktage von 7 bis 17 Uhr. Damit wurde die Militärfliegerei dem Tagesablauf der arbeitenden Bevölkerung angepaßt. Weitergehende Einschränkungen — z. B. die oft geforderte Mittagspause — waren damals zwar nicht durchsetzbar; aber wir haben das ja jetzt gemeinsam geschafft.
Der lärmintensive Nachbrenner darf nur in Notfällen eingeschaltet werden.Überschallflüge dürfen über Land nur oberhalb 11 000 m durchgeführt werden.Der Wochenendflugbetrieb ist auf das unbedingt notwendige Maß reduziert worden.An- und Abflüge zu Schießplatzeinsätzen werden vermehrt in den oberen Luftraum verlegt.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Juni 1986 17429
Dr. KlejdzinskiIn der Nähe des Heimatflugplatzes sollen nach Möglichkeit keine Tiefflüge durchgeführt werden.Die Tieffluggebiete sind in der Nutzung stark eingeschränkt worden.Geräuscharme Triebwerke, Bau von Lärmschutzhallen für Probeläufe von Triebwerken wurden bereits damals von uns in Auftrag gegeben; weitergehende Verlagerung der Tiefflugausbildung über See und ins Ausland. — All das haben wir damals bereits auf den Weg gebracht. Das ist sicherlich eine gute Basis, auf der man aufbauen kann. Wenn der Herr Minister beispielsweise auch in dieser Frage von der Erblast spricht,
dann kann man zumindest in diesen Fällen sagen, daß er ein wohlgeordnetes Arbeitsfeld übernommen hat.Was bisher getan ist, ist leider nicht genug. Das ist richtig. Die SPD-Mitglieder des Verteidigungsausschusses und die SPD-Bundestagsfraktion werden in diesem Problembereich weiter tätig bleiben. Wir werden Vorschläge machen, wie wir das ändern können.
Da die SPD-Bundestagsfraktion seit 1983 zahlreiche Klagen über eine besonders in den Monaten der großen Manöver der Land- und Luftstreitkräfte stark zunehmende und nahezu unerträglich gewordene Fluglärmbelastung in bestimmten Bereichen der Bundesrepublik erreicht haben, ist sie in ihrer neuen Rolle als parlamentarische Opposition tätig geworden und hat beispielsweise erreicht, daß wir zu Beginn des Jahres 1984 zwei Skyguard-Radargeräte zur Überwachung des militärischen Tiefflugverkehrs beschafft haben
und daß bereits im April 1984 zwei weitere Skyguard-Geräte bestellt wurden. Uns ist es gelungen, dies im Verteidigungsausschuß — natürlich mit Ihrer Hilfe —
durchzusetzen.
Darüber hinaus hat die SPD-Bundestagsfraktion am 13. September 1985 eine öffentliche Anhörung zum Thema „Tiefflüge in der Bundesrepubiik Deutschland — Lärmbelastung durch militärischen Flugbetrieb" vor dem Verteidigungs- und Verkehrsausschuß unter Beteiligung des Petitionsausschusses des Bundestages beantragt. Diese Anhörung hat nun am 23. Juni 1986 im Deutschen Bundestag stattgefunden.Wir Sozialdemokraten haben im Hearing aufmerksam zugehört. Wir werden das Gehörte sorgfältig auswerten. Ich hoffe, Herr Staatssekretär, Sie werden dem Minister mitteilen, was dort vorgetragen worden ist. Ich denke, daß auch bei Ihnen noch ein paar Denkprozesse diesbezüglich in Gang zu setzen sind.Abschließend möchte ich bemerken: Erstens. Solange der Minister nicht eine Konzeption vorlegt, die eine gleiche Belastung für alle Bevölkerungsteile vorsieht, wird er von uns Sozialdemokraten keine grundsätzliche Zustimmung zu seiner Tiefflugkonzeption erwarten können. Dies kann auch so geschehen, daß eine gleichmäßige Entlastung eintritt bzw. Überlegungen angestellt werden, letztlich gänzlich auf Tiefflug zu verzichten.
Ich denke an Flugzeugmodifikationen, die , ohne die Verteidigungsfähigkeit zu vermindern, nicht mehr den Tiefflug voraussetzen.Ich fühle mich in meiner Auffassung auch durch einen Brief des Chefs des Bundeskanzleramtes vom 9. Juni 1986 an den Vorsitzenden der Aktionsgemeinschaft gegen Tieffluglärm Westmünsterland, Herrn Rinner, bestärkt, in dem es heißt — wörtliches Zitat —:Ihre Zweifel an der Notwendigkeit militärischer Tiefflüge entsprechen einer von zahllosen Überlegungen zur Optimierung unserer Verteidigungsanstrengungen. Möglicherweise werden Änderungen der Technik oder der Bedrohung tatsächlich eines Tages dazu führen, daß Tiefflüge unzweckmäßig werden.Ich bin gern bereit, unseren Beitrag dazu zu leisten, daß es möglichst frühzeitig dazu kommt, Tiefflüge abzuschaffen.
Zweitens. Wir bieten grundsätzlich unsere Mitwirkung an, wenn Lösungen angestrebt werden, deren Zielsetzung darin liegt, Belastungen durch Fluglärm von unserer Bevölkerung wegzunehmen. Das Hearing hat nach unserer Einschätzung hilfreiche Anregungen für die Diskussion gegeben.Drittens. Ich bedaure noch einmal die Nichtteilnahme der GRÜNEN am Hearing, zumal sie uns lange gedrängt haben, wir möchten dieses Hearing bitte durchsetzen. Nachdem wir Sozialdemokraten es durchgesetzt hatten — sie konnten das j a gar nicht —, sind sie einfach ferngeblieben.Viertens. Wegen der undifferenzierten Betrachtungsweise der Problematik im Antrag der GRÜNEN können wir diesem nicht zustimmen, wobei ich ausdrücklich betone, daß wir weniger Tiefflug, eine drastische Reduzierung des Tiefflugs in der Bundesrepublik anstreben.Die SPD-Fraktion hatte ursprünglich einen eigenen Antrag eingebracht. Wir sind jetzt zu einem gemeinsamen Antrag gekommen. Ich erbitte die Zustimmung aller Fraktionen zu diesem Antrag. Ich weiß, daß das, was in diesem Antrag steht, nicht ausreicht.
Es ist auch noch nicht das, was die Bevölkerung vonuns erwartet. Aber es ist ein Schritt in die richtige
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17430 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Juni 1986
Dr. KlejdzinskiRichtung, weil der Antrag darauf zielt, den Tiefflug erheblich zu reduzieren.
Ich bin der Meinung, dies sollten wir gemeinsam tragen, weil es dem Gesamtinteresse der Bevölkerung vom Grundsatz her entspricht.Recht herzlichen Dank.
Das Wort hat der Abgeordnete Wilz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion lehnt die beiden zur Debatte stehenden Anträge der GRÜNEN ab.
Wir stellen fest, daß der Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf der Drucksache 10/2803 an der Wirklichkeit völlig vorbeigeht.
Dieser Antrag fordert nämlich die Einstellung der Vorarbeiten zur Errichtung eines Tieffluggebietes östlich von Hamburg. Dieses Vorhaben wurde jedoch bereits 1984 aufgegeben.
Folgerichtig wurden auch alle Vorarbeiten zur Verwirklichung dieses Plans eingestellt. Der Antrag der GRÜNEN, in dem dies gefordert wird,
stammt dagegen erst vom 25. Januar 1985. Das läßt den Schluß zu, daß die GRÜNEN entweder nicht richtig informiert waren oder
— was wahrscheinlicher ist — in voller Kenntnis der Wahrheit ihr parteipolitisches Süppchen auf Kosten der Ängste und Besorgnisse der Bevölkerung kochen.
Solch eine Politik nenne ich zynisch. Schreckgespenster an die Wand malen und damit auf Stimmenfang gehen, das widerspricht unserem demokratischen Politikverständnis.
Ich bedaure es, feststellen zu müssen, daß sachliche Arbeit zur Problembewältigung von den GRÜNEN nicht gefragt, offenbar nicht einmal gewünscht ist.
Realistische Überlegungen zur Lösung wichtiger Anliegen der Bevölkerung werden von Ihnen mißachtet und ungeprüft verworfen.
Sie haben es nicht einmal für nötig gefunden — wir haben es soeben schon einmal gehört —, in der öffentlichen Anhörung vor drei Tagen zum Thema „Tiefflugpraxis und Auswirkungen auf die Bevölkerung" teilzunehmen,
obwohl Sie doch selbst genau diese Anhörung gefordert haben.
Das entlarvt Sie und Ihre Ziele. Damit haben Sie das Recht verwirkt, in dieser Frage einen Anspruch auf Glaubwürdigkeit erheben zu können.
Dies veranlaßt den Abgeordneten Dr. Schierholz, Sie um eine Zwischenfrage zu bitten.
Nein, Herr Präsident. Er sollte hier gut zuhören. Die GRÜNEN müssen noch so viel lernen, auch daß sie sich an den parlamentarischen Brauch halten, zur Anhörung zu kommen. Setzen Sie sich also wieder!
Sie, die GRÜNEN, wollen doch nur ein Spectaculum auf dem Rücken der betroffenen Bevölkerung, die, wie sich bei Befragungen immer wieder herausstellt, ganz überwiegend um die Notwendigkeit der Aufrechterhaltung unserer Verteidigungsbereitschaft und damit auch um das Erfordernis von Tiefflügen weiß und auch dazu steht.Ich möchte es an dieser Stelle nicht versäumen, den Teilen der Bevölkerung meinen Dank auszusprechen, die durch die Lärmeinwirkung von Tieffliegern besonders hart betroffen sind.
Ihnen zollen wir hohen Respekt, weil sie mittelbar einen wichtigen Beitrag zur Verteidigungsfähigkeit und Verteidigungsbereitschaft leisten.
Ich bin sicher, daß sie sich durch Schwarzmalerei und Panikmache nicht beeinflussen lassen, sondern das Bemühen der Bundesregierung und gerade auch der CDU/CSU anerkennen, die Lärmbelästigung durch Tiefflüge soweit wie möglich zu verringern.
Ein gänzliches Abschaffen von Tiefflugübungen kann nicht in Betracht kommen.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Juni 1986 17431
WilzWas Sie, die GRÜNEN, mit Ihrem zweiten Antrag auf Abschaffung des Tieffluges wollen, ist nichts anderes als der Einstieg in den Ausstieg aus der NATO und die Abschaffung der Bundeswehr insgesamt.
Da spielen wir nicht mit. Wir werden unsere Freiheit, sei es die innere oder die äußere, von niemandem und schon gar nicht von den GRÜNEN zerschlagen lassen.
Meine Damen und Herren, militärischer Tiefflug ist kein Selbstzweck. Nur tief und schnell fliegende Systeme mit der Möglichkeit zu elektronischen Gegenmaßnahmen haben bei der heutigen Bedrohung echte Überlebenschancen. Von unseren Piloten müssen bei Tag und bei Nacht und bei allen Wetterbedingungen für unser aller Sicherheit höchste Leistungen erbracht werden. Zur glaubwürdigen Abschreckung gehört eben auch, daß es einem Angreifer nicht möglich gemacht werden dürfte, die Lufthoheit über unserem Land zu erringen. Unsere Verteidigungsbereitschaft ist nur dann voll gewährleistet, wenn die Piloten auch dort üben können, wo sie zur Verteidigung eingesetzt werden müßten. Kenntnisse der Topographie und der Witterungsbedingungen sind dabei lebensnotwendig.Andererseits ist sich die Fraktion der CDU/CSU sehr wohl bewußt, daß durch Tieffluglärm für Teile der Bevölkerung enorme Belastungen entstehen. Diese müssen um so härter wirken, als wir einem verstärkten Umweltbewußtsein und einer hohen Lebensqualität das Wort reden.
Unsere Bundesregierung hat diese Problemstellung voll erkannt und in der erst kurzen Regierungsverantwortung so viele lärmmindernde Maßnahmen ergriffen, wie keine Bundesregierung zuvor. Dafür gebührt ihr Dank und Anerkennung.
Dagegen muß der Versuch, gegen die Bundesregierung die Dreckschleuder zu betätigen, auf die zurückfallen, die sich solcher Mittel befleißigen.
Unter anderem sind folgende und, wie ich meine, zum Teil gravierende Verbesserungen bereits in die Tat umgesetzt worden:Erstens. Fast ein Drittel aller Tiefflüge der Bundeswehr werden heute schon im Ausland durchgeführt. Die Verhandlungen mit der Türkei über ein neues Tieffluggebiet in Südostanatolien werden mit Nachdruck geführt. In diesem Zusammenhang möchte ich auch den Familien meinen Dank aussprechen, die zur Ermöglichung der Tiefflugausbildung im Ausland viele Belastungen auf sich nehmen und unter der häufigen Abwesenheit des Ehemannes oder Vaters zu leiden haben.
Hier wäre ein Aufgabenfeld für die Bundesregierung, die Mitflugmöglichkeit von Familienangehörigen mit Bundeswehrflugzeugen ins Ausland erheblich zu erleichtern.Zweitens. Seit dem 1. Mai dieses Jahres hat die Bundesregierung dafür gesorgt, daß in den Tieffluggebieten die Dauer und die örtliche Ausdehnung der Flüge von strahlengetriebenen Kampfflugzeugen in 75 m Höhe etwa um die Hälfte reduziert worden ist.Drittens. Bereit vor Jahresfrist wurde festgelegt, daß die Verweildauer im Tiefflugband zwischen 150 und 450 m von einer Stunde und zehn Minuten auf maximal 50 Minuten je Einsatz zu beschränken ist.Viertens. Erstmals mit Wirkung vom 1. Mai 1986 ist von 12.30 Uhr bis 13.30 Uhr eine Tiefflugmittagspause eingeführt worden.
— Die wird eingehalten. — Außerdem dürfen Tiefflüge generell an Werktagen nur noch von 9 bis 17 Uhr stattfinden.Fünftens. Zur Überwachung aller Tiefflugvorschriften sind bereits zwei Skyguard-Uberwachungsgeräte angeschafft worden. Die Einführung zweier weiterer Überwachungssysteme ist beschiossen und in Vorbereitung.
Die schon bisher erfolgten Kontrollen haben ergeben, daß 99 % aller Flüge ordnungsgemäß verlaufen sind. Dies beweist, wie diszipliniert sich unsere Piloten ihrem Auftrag stellen. Statt unsere Piloten und ihren Auftrag zu diffamieren, sollten auch die GRÜNEN unseren Männern der Luftstreitkräfte Respekt zollen.
Sechstens. Obgleich die Grundsatzforderung der NATO von 240 Flugstunden pro Jahr und Flugzeugführer ausgeht, haben wir die Ausbildung auf die Minimalanforderung von 180 Stunden reduziert. Davon wiederum werden nur etwa 40 % im Tiefflug geleistet.Siebtens. Die Bundesregierung unternimmt mit gutem Erfolg alle Anstrengungen, um eine Einhaltung dieses Maßnahmenkataloges auch durch die alliierten Partner und Freunde sicherzustellen.Die Anhörung am vergangenen Montag, der die GRÜNEN ferngeblieben waren, hat weitere Möglichkeiten und Perspektiven zur Minderung des Tieffluglärms erbracht. Die CDU/CSU wird alle im Hearing gemachten Vorschläge gewissenhaft prüfen und ihrer Aufgabe im Dienste der Bürger und ihrer Freiheit gerecht werden. Dabei mitzuhelfen sollte selbstverständliche Pflicht aller im Deutschen Bundestag vertretenen Parteien sein.
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17432 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Juni 1986
WilzWir bitten deshalb, dem gemeinsam von CDU/ CSU, SPD und FDP eingebrachten Antrag zuzustimmen. Die Unterschrift der SPD unter diesem Antrag wäre allerdings wesentlich glaubwürdiger, wenn sich die SPD auch draußen in der Öffentlichkeit
und in ihren Parteigliederungen, Herr Ehmke, noch eindeutig zu unserem Verteidigungsauftrag bekennen würde. Es ist an Ihnen, diesen Nachweis zu erbringen.Ich bedanke mich.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Schierholz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Bürgerinnen und Bürger! „Viel wird sich nicht ändern", das war der Kommentar des ARD-Fernsehens am Abend zu den Ergebnissen der öffentlichen Anhörung im Verteidigungsausschuß zur Problematik des militärischen Tieffluglärms. Die „Süddeutsche Zeitung" von vorgestern kommentierte: „Fluglärmgeschädigte suchen vergebens Gehör". Wenn Sie wissen wollen, weswegen wir nicht da waren,
empfehle ich Ihnen diesen Kommentar; da steht alles drin.
Wir GRÜNEN haben den Eindruck, daß alle anderen Fraktionen in diesem Hause — das macht der gemeinsame Antrag auch deutlich — auch nicht viel ändern wollen,
daß sie nur Kosmetik betreiben, indem der Tieffluglärm strikt nach dem Sankt-Florians-Prinzip etwas gerechter verteilt wird. Wir GRÜNEN bekennen uns dazu: Militärische Tiefflüge sollten abgeschafft werden,
weil sie eben nicht „unsere Sicherheit", wie das bei Ihnen heißt, fördern, sondern im Gegenteil tagtäglich — und neuerdings auch nächtlich — das Wohlbefinden, die Gesundheit und die freie Entfaltung Zehn- und Hunderttausender Mitbürgerinnen und Mitbürger bedrohen.
Dutzende von Bürgerinitiativen, sowohl in den „Tiefstfluggebieten" bis 75 Meter — ich nenne die Tiefstfluggebiete — aber auch in den „normalen" Tieffluggebieten bis 150 Meter, sind in den letzten Jahren entstanden. Ihrem Wirken ist es zu verdanken, daß — federführend durch das Odenwälder Friedensforum — eine der größten Massenpetitionen mit mittlerweise mehr als 70 000 Unterschriften auf dem Tisch dieses Hauses liegt, die je den Bundestag erreicht haben.
Diesen Petenten gewähren wir unsere Unterstützung. Sie fordern ausdrücklich: Stellt die Tiefflüge ein! Ihre Protest- und Ballonaktionen, ihr Projekt „Kinder malen Fluglärm" und ihre Forderungen haben unsere Unterstützung.Nun wird uns erzählt, die Tiefflüge und durch sie entstehende Belästigungen hätten abgenommen — Herr Wilz, wo ist er?, hat das auch gerade wieder getan —, nicht hingegen die Sensibilität der Bevölkerung.Ich möchte dazu vier kurze Bemerkungen machen:Die erste. Die Anti-Tieffliegerinitiativen berichten immer wieder — und auch in jüngster Zeit — von Verstößen gegen die von Ihnen hier gerade gelobten Grundsätze: Weder wird die Mittagspause eingehalten, geschweige denn die Mindestflughöhe; Atomkraftwerke werden überflogen, ebenso Kurorte, Kliniken und Feriengebiete. Das Draufgängertum mancher Piloten erscheint tatsächlich ungebrochen. Es waren ja auch einige tragische Abstürze die Folge.Zweitens. Die bundesdeutsche Luftwaffe rühmt sich mit geschwellter Brust ihres neuen Donnervogels, des Tornado. Sie reden von Verminderung des Tieffluglärms, und gleichzeitig wirbt die Tornado-Herstellerfirma mit dem Spruch: Unterm Zaun durch. — Der Tornado fliegt bekanntlich auch nachts, er hat zwei Triebwerke statt eines, und das verleitet doch offensichtlich geradezu zu rasanten Tief- und Tiefstflugmanövern. Fragen wir doch einmal die Menschen, etwa im Landkreis Soltau-Fallingbostel, ob durch die Einführung des Tornado die Belastung durch Tieffluglärm tatsächlich abgenommen hat!Drittens. Sie reden einerseits von den Ausbildungserfordernissen für die Luftwaffe und verschweigen andererseits, wofür: nämlich für offensive Luftkriegsoperationen, für den Schlag in die Tiefe des gegnerischen Raumes und für die Zerstörung der Übergänge an Elbe, Moldau, Oder und Weichsel. Wundert es Sie etwa, wenn immer mehr Menschen den Sinn dieser Kriegsspielereien in Frage stellen und zugleich die NATO und ihre Strategie?
— Das ist doch eine logische Konsequenz. Warum regen Sie sich auf?
Diesem Argument müssen Sie sich einmal stellen.Vierte und letzte Bemerkung. Sie begründen die Notwendigkeit militärischer Tiefflüge mit dem Unterfliegen des gegnerischen Radars. Warum verschweigen Sie, daß in einer Zeit auch luftgestützter Radarüberwachung durch AWACS und das entsprechende sowjetische Gegensystem hier eine gegenseitige lückenlose Radarkontrolle Mitteleuropas
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Juni 1986 17433
Dr. Schierholzdurch beide Militärblöcke in Ost wie in West möglich ist? Ich finde es sehr interessant, was das Kanzleramt mittlerweile an die Initiativen schreibt. Das ist die Begründung, warum wir sagen: Schafft schon heute die Tiefflüge ab.Aus all diesen Gründen haben wir GRÜNEN im Bundestag den Antrag auf Drucksache 10/3353 „Abschaffung militärischer Tiefflüge" gestellt. Er enthält sechs konkrete Sofortmaßnahmen. Ich bitte, das noch einmal zu lesen. Wir halten ihn nach wie vor für höchst aktuell.Die „Bundesvereinigung gegen den Fluglärm", in der zahlreiche Gemeinden, Naturschutzverbände und einige Bürgerinitiativen vertreten sind, haben ganz ähnliche Forderungen wie wir. Die Menschen in den Tief- und Tiefstfluggebieten empfinden Ihre gegenwärtige Tiefflugpraxis, Herr Bundesminister der Verteidigung, als Lärmterror. Deswegen nennen wir das hier auch so, auch wenn Sie sich gleich wieder nachdrücklich dagegen verwahren.
Die heutige Debatte und die Abstimmung über unseren Antrag ist in erster Linie eine Nagelprobe für das Verhalten der SPD. Es gibt zahlreiche Bezirke und Unterbezirke der SPD, die längst diese Forderungen teilen. Zahlreiche Kolleginnen und Kollegen der SPD haben hier Fragen in der Richtung gestellt, die Belastung durch den militärischen Tieffluglärm, insbesondere das 49er Modell, abzulehnen.
— Herr Klejdzinski, dem müssen Sie sich einmal stellen.Der bayerische Ministerpräsident — CSU —,
AP-Meldung vom 24. Mai 1986, hat in einem Brief an Bundesverteidigungsminister Wörner gefordert, das Tiefstfluggebiet in Bayern aufzugeben
und damit die einseitige Belastung der in dieser Region lebenden Menschen zu beenden.
Wo bleibt der Beifall der CSU? Wir fordern alle Ministerpräsidenten auf, es ihm gleichzutun.
Der Sprecher des Odenwälder Friedensforums und der Massenpetition an den Deutschen Bundestag hat die Anhörung des Verteidigungsausschusses am Montag dahin gehend kommentiert, daß der Glaube, der Verteidigungsausschuß könne damit die lärmgeschädigten Bürgerinnen und Bürger beruhigen, am nicht nachlassenden Protest der AntiTieffliegerbewegung verblassen wird. Wir GRÜNEN werden sie darin unterstützen.Herr Klejdzinski, Ihren Antrag, zusammen mit CDU/CSU und FDP, werden wir an alle Unterbezirke der SPD verteilen. Dort werden Sie dann schon eine entsprechende Reaktion erfahren.Vielen Dank.
Das Wort hat der Abgeordnete Ronneburger.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe bereits, als wir über die Ausschußüberweisung dieser beiden Anträge sprachen, darauf hingewiesen, daß diese Anträge der GRÜNEN nichts anderes sein sollen als ein Vehikel. Der berechtigte Protest, der* zweifellos berechtigte Protest einer großen Anzahl von belästigten und belasteten Bürgern in den sieben deutschen Tieffluggebieten — 250 Fuß — wird, Herr Kollege Schierholz, zu nichts anderem benutzt, als hier kinetische Energie zu verwenden, die ernsthaft bemühten Bürger als Mantel zu verwenden, unter dem einem völlig anderen Staatsziel zum Durchbruch verholfen werden soll.
— Nein, nein. Reden Sie doch nicht über mein Niveau! Ich rede auch nicht über Ihres.Der Parteitag der GRÜNEN in Hannover, meine Damen und Herren, hat dankenswerterweise auch für die Öffentlichkeit die ganze Bandbreite sichtbar werden lassen, auf der Veränderungen angestrebt werden. Mit diesem Antrag, den Sie hier vorgelegt haben, wird der konkrete Versuch unternommen — und Herr Schierholz hat das eben überhaupt nicht ausgeschlossen, er hat das deutlich werden lassen —, nach einer ebenso bewährten wie bekannten Handlungsanleitung berechtigt protestierende Bürger als Speerspitze zu mißbrauchen, die auf unsere Sicherheits- und Verteidigungspolitik im westlichen Bündnis insgesamt zielt.
— Das ist die Tatsache.Die üble Diffamierung der ausschließlich zur Verteidigung notwendigen Übungsflüge — und dies ist wiederholt von Ihrer Seite gesagt worden — in geringer Höhe als Einübung grundgesetzwidriger Angriffsfähigkeit zeigt doch deutlich genug, wohin die Stoßrichtung zielt.
— Wenn ich dann noch, Herr Kollege Schierholz, daran denke, daß Ihre mit Krokodilstränen verbrämte Begründung Ihrer Abwesenheit bei der Anhörung über Tieffluglärm nur ein neuerlicher Hinweis darauf ist, daß es Ihnen gar nicht darum geht, den Betroffenen zu helfen,
sondern daß Sie sich durch unwiderlegbare objektive Informationen nicht den Boden zu weiterer au-
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17434 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Juni 1986
RonneburgerBerparlamentarischer Agitation entziehen lassen wollen — —
— An sich, Herr Kollege Schierholz — wenn ich das sagen darf, Herr Präsident —, habe ich überhaupt keine Veranlassung, in dieser Debatte Zwischenfragen von Ihnen zuzulassen, nachdem Sie in der Anhörung nicht bereit waren, an dem Gespräch aller Fraktionen mit den Betroffenen teilzunehmen.
Wollen Sie die Frage trotzdem zulassen?
Ich überwinde mich, Herr Präsident.
— Wegen Ihrer Freundlichkeit, Frau Kollegin.
Dann danke ich Ihnen ausdrücklich, Herr Ronneburger. Ich gehe auch davon aus, daß der Herr Präsident die Zeitguillotine anhält.
Ich möchte Sie fragen, ob Sie zum einen unsere zweiseitige Begründung für das Fernbleiben bei der Anhörung gelesen und auch zur Kenntnis genommen haben, daß die Mehrheit der Anti-Tieffliegerinitiativen der Anhörung ferngeblieben ist und fernbleiben wollte, und was Sie zum anderen zu dem Kommentar der „Süddeutschen Zeitung" sagen, der da heißt — ich zitiere wörtlich —:
Bei der Absprache zum Themenkatalog verloren sie
— damit sind in diesem Fall die antragstellenden Sozialdemokraten gemeint —
aber offensichtlich das Anliegen, Lärmgeschädigten mehr Gehör zu verschaffen, aus den Augen. Nur einer von vier Punkten befaßte sich mit den Auswirkungen des Lärms auf die Bevölkerung; die drei ersten konnte das Verteidigungsministerium zu ausführlicher Darstellung nutzen.
Herr Abgeordneter, Sie sollen eine kurze Frage stellen, aber nicht hier irgendwelche Statements verlesen, wie immer Sie sie auch in eine Frage kleiden mögen.
Herr Kollege Dr. Schierholz, natürlich habe ich die Begründung gelesen, die Sie für Ihr Fernbleiben abgegeben haben. Nur, leider habe ich festgestellt, daß diese Begründung den Tatsachen nicht entsprach;
denn tatsächlich sind Betroffene in dieser Anhörung zu Wort gekommen, aber nicht von Ihnen eingeladene, sondern von anderen eingeladene.
Die haben Gelegenheit gehabt, ihre Sorgen und ihre Bedrängnis dort zur Kenntnis zu geben.
Es wäre für Sie gut gewesen, sich auch einmal über technische Möglichkeiten informieren zu lassen, die sich zur Verringerung des Fluglärms ergeben. Ich glaube, Sie sollten in dieser Debatte außerordentlich zurückhaltend sein,
wenn Sie nicht bereit sind, an dem entscheidendenPunkt in das Gespräch mit dem Bürger einzutreten— und nicht nur an den Punkten, an denen Sie glauben, Ihre Klientel vor sich zu haben.
Wir müssen, meine Damen und Herren, selbstverständlich den Bürgerinnen und Bürgern vor allen Dingen aus den Zonen 6 und 7 deutlich machen, was hier geschieht, daß sie tatsächlich — Herr Schierholz, es bleibt mir nichts anderes übrig, als das noch einmal auszusprechen — von grünen Funktionären in Anspruch genommen werden als Bewegung für den Ausstieg aus der NATO, für eine Politik, die diese Bürger in ihrer Mehrheit gar nicht wollen. Sie werden keineswegs nur für ihr Anliegen in Anspruch genommen, von lärmenden Tiefflügen entlastet zu werden. Genau dieses Anliegen unterstützen wir. Die Belästigung der Bürger durch Tiefflüge muß auf das notwendige Minimum zurückgeführt werden.Aber täuschen wir uns doch bitte nicht, wie es auch der gemeinsame Antrag der drei Fraktionen ausdrückt: Wir sind nicht in der Lage, diesem Antrag auf Abschaffung der Tiefflüge in der gegenwärtigen Situation nachzukommen; denn uns sind bei unveränderter Luftraumstruktur deutliche Grenzen gesetzt. Trotz moderner Aufklärungstechnologien, Herr Schierholz, ist Tiefflug auch in Zukunft, so wie die Dinge heute liegen und wie die technische Entwicklung ist, der wirksamste Schutz vor feindlicher Aufklärung und Waffeneinwirkung. Der Flug in niedrigen Höhen muß daher — ich sage es noch einmal — für den Verteidigungsfall, nicht zur Invasion, auch bei uns im Lande geübt werden.Einer Verlagerung von Übungszeiten ins Ausland sind Grenzen sowohl der Präsenz als auch der persönlichen Belastungsfähigkeit der Piloten gesetzt, die sonst über noch längere Zeiten als schon jetzt von ihren Familien getrennt wären.
— Herr Mann, Sie wissen doch wohl, daß es um Goose Bay herum fünf Siedlungen gibt, die nicht überflogen werden, und daß es sich im übrigen um ein Gebiet handelt, in dem keine vergleichbare Belastung wie in der Bundesrepublik entsteht.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Juni 1986 17435
RonneburgerObwohl die Triebwerke der neuen Flugzeuggeneration in der Luft schon wesentlich geräuschärmer sind als die ihrer Vorgänger und obwohl die objektive Belastung durch Tiefflüge der Bundeswehr durch Verlagerung ins Ausland und die vom dem Kollegen Milz hier deutlich aufgeführte Selbstbeschränkung der Bundesluftwaffe kontinuierlich abgenommen hat — das ist nachweisbar —,
nimmt die subjektive Belastung und damit der Protest der Bevölkerung auf der anderen Seite zu. Das ist überhaupt nicht zu bestreiten.Parallel dazu gibt es auch eine höhere Empfindlichkeit gegenüber Lärmbelästigungen in ganz anderen Bereichen. Ich will das im Moment nicht im einzelnen darstellen. Aber es ist eine Veränderung im Gange, auch bezüglich der Akzeptanz des Fluglärms durch die Bevölkerung der Bundesrepublik.Ober 40 Jahre ohne Krieg und die Erfolge der Entspannungspolitik, die unbestreitbar sind, haben in der Bevölkerung das Bewußtsein über die objektiv nach wie vor existente potentielle Bedrohung verändert. Aber die Bundeswehr, Herr Dr. Schierholz und Ihre Kollegen, und ihre Luftwaffe ist für uns ein Friedensbetrieb im Alltag und hat sich natürlich auch wie ein solcher Friedensbetrieb zu verhalten. Kompressoren und Rasenmäher sind schließlich auch schallgedämpft, und die technischen Möglichkeiten, von denen in der Anhörung die Rede war, sollten genutzt werden, um diesen Lärm auch an der Quelle einzuschränken.
— Wären Sie dagewesen, hätten Sie diese Frage eben nicht zu stellen brauchen.
Ohne ihren Auftrag zu vernachlässigen, durch ihre Existenz, durch eine optimale Einsatzbereitschaft und Einsatzfähigkeit den Frieden zu sichern, muß die Luftwaffe natürlich auch ihr Mögliches tun, die Bevölkerung nicht mehr als irgend vermeidbar zu belasten.Ich greife hier nur noch einmal, Herr Dr. Klejdzinski, auf den Vorschlag der 49 Tieffluggebiete mit 250 Fuß zurück und sage Ihnen, zustimmend zu dem, was Sie gesagt haben: Wir werden ebenfalls an einer solchen gerechteren Regelung festhalten und schlagen dazu nach wie vor eine zweijährige Erprobung vor, um zu erkennen, ob damit nicht tatsächlich mehr Gerechtigkeit herbeigeführt werden kann.
Die Bundesregierung, Herr Staatssekretär, hat in der Anhörung erneut betont — auch der Inspekteur der Luftwaffe hat es getan —, daß man sich um eine weitere Reduzierung des Tiefluglärms bemühen wird, daß man alles tun wird, was dazu möglich ist. Ich begrüße das ausdrücklich. Die Bemühungen darum können allerdings nur erfolgreich sein, wenn alle erforderlichen Maßnahmen aufeinander abgestimmt sind. Wir brauchen also eine Gesamtkonzeption zur weiteren Verringerung des Fluglärms, die alle wichtigen Elemente der Technologie, z. B. Forschung und Entwicklung geräuscharmer Triebwerke, ebenso einbezieht wie die Möglichkeiten, die eine datengestützte Flugwegeverteilung bei Tiefflügen bieten kann.Dies alles, was wir in der Anhörung erfahren haben, wird mit Sorgfalt geprüft und ausgewertet werden. Ich hoffe, daß wir damit wirklich in der Lage sind, jenes Maß an Belastung zu erreichen, das auch unter den gegebenen Umständen heute von der Bevölkerung akzeptiert werden kann. Wenn darüber hinaus die Bemühungen nicht nur um Rüstungskontrolle, sondern auch um Abrüstung weitere Möglichkeiten bieten, Tieffluglärm noch weiter einzuschränken oder ihn eines Tages vielleicht überflüssig zu machen, wären wir die letzten, die das nicht begrüßen würden.Herzlichen Dank.
Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär Würzbach.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Unsere Bundeswehr und in der Bundeswehr unsere Luftwaffe haben einen Verfassungsauftrag, den sie in unser aller Interesse zu erfüllen haben. Das heißt, Bundeswehr, Luftwaffe und in der Luftwaffe unsere Flugzeuge und die Flugausbildung sind kein Selbstzweck. Sie leisten einen Beitrag, der sich gelohnt hat. Es ist erfreulich, daß außer der einen Fraktion hier ohne Abstriche in diesen Auffassungen Übereinstimmung besteht.Zum Erfüllen dieses Auftrags gehört für einen Teil der Bundeswehr, für die Luftwaffe, daß sie auf Grund der Gegebenheiten auch den Tiefflug übt. Dies kann nicht in der Theorie oder nur an Simulatoren gemacht werden.Ich möchte hier sehr deutlich einen weiteren Aspekt über die schon angesprochenen hinaus erwähnen. Unsere Piloten wissen, daß sie über unserem eigenen Land fliegen. Unsere Piloten wissen als Deutsche, daß sie über deutschem Land und über deutschen Bürgern, über deutschen Städten und Dörfern, über deutschen Familien fliegen. Sie fühlen sich mit denen, über die sie fliegen, verbunden. Alle Piloten wissen sehr wohl, daß das tiefe Fliegen nicht nur Geräusche und Krach, sondern auch Belastung und Belästigung verursacht. Keinem der Piloten macht dies Freude. Keiner tut mehr, als nötig ist, um seine technischen fliegerischen Fertigkeiten dort auszubilden.Jeder von uns weiß — von uns im Parlament, in der Führung der Bundeswehr, der Luftwaffe bis herunter zu jedem Piloten — und tritt dafür ein, daß jeder Bürger mit Recht die Forderung erhebt, in Ruhe, mit möglichst geringen und wenigen Beeinträchtigungen leben zu können.
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17436 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Juni 1986
Parl. Staatssekretär WürzbachNur wir, die wir hier im Parlament sind, sollten besser als manch anderer wissen, daß es überall, nicht nur im politischen Leben, nie nur die eine Sache gibt. Wir müssen einen Kompromiß zwischen dem berechtigten Interesse an persönlicher Ruhe — das hoch einzuschätzen ist — und dem Erfüllen dieses Auftrags finden — das ebenfalls für alle erforderlich ist. Bei diesem Kompromiß sind wir in den letzten Jahren erheblich weitergekommen. Beispiele haben nahezu alle Kollegen genannt. Einen kurzen Katalog und vor allem klare Zahlen möchte ich gern anschließend noch hinzufügen.Vorher möchte ich feststellen: Ich staune, daß immer wieder — ich nehme an: bewußt und nicht unbewußt — von der Fraktion der GRÜNEN falsche Begriffe genannt werden. Wir führen über Deutschland keinen Tiefstflug durch — ich bedanke mich für die Klarstellung sowohl der SPD wie der FDP und der Union in diesem Punkt —, aus Rücksicht auf unsere Bevölkerung. Wir sollten unseren Freunden in Kanada dankbar sein, daß wir dies dort tun dürfen.
Würden wir keinen Kompromiß finden, sondern nur die Einsatzfähigkeit der Luftwaffe sehen, müßten solche Flüge in Baumwipfelhöhe, um die dreißig Meter, eigentlich auch bei uns getan werden.
Herr Staatssekretär, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Schierholz?Würzbach, Parl. Staatssekretär: Herr Präsident, die GRÜNEN sind im Ausschuß kaum, beim Hearing überhaupt nicht dagewesen. Dann brauchen sie diese Bühne hier nicht. Ich möchte keine Zwischenfrage von denen zulassen.
Weiter möchte ich darauf hinweisen, daß wir unter unserer Verantwortung den Luftraum, die zu befliegenden Gegenden und Strecken, erheblich erweitert haben, und zwar mit nicht geringem Ärger in den Bereichen, in die hinein wir erweitert haben; ich denke an die Gebiete an der Grenze zu Österreich und der Schweiz.Natürlich sind wir dafür offen, verstärkt Simulatoren zu nutzen, und natürlich begrüßen wir, wenn es in der nächsten Generation der Flugzeuge Triebwerke gibt, die ruhiger sind. Aber es hieße, Sand in die Augen der Bürger zu streuen, wenn wir meinten, daß dies im nächsten oder im übernächsten Jahr passiert. Noch gibt die Technik dies nicht her.
Ich nenne jetzt nicht den langen Katalog der Maßnahmen — er würde mehrere Minuten in Anspruch nehmen; der Kollege Wilz begann damit, und der Kollege Ronneburger setzte es fort —, der Maßnahmen — Sie, Herr Kollege Klejdzinski, haben aus der früheren Zeit einige genannt —, die wir der Luftwaffe zur Selbstbeschränkung schon auferlegt haben. Wir sind, was die Einschränkung undBeschränkung angeht, an einer Grenze des Kompromisses angekommen. Das möchte ich klar sagen.Nun ein wichtiger Punkt, der in dieser Debatte des Parlaments festgehalten gehört: Erstmals ist es gelungen, auch die alliierten Verbände, alle, die hier fliegen, die Amerikaner, die Briten, die Holländer, die Kanadier und alle anderen, dazu zu bringen, sich freiwillig unseren einschränkenden Regelungen anzuschließen. Jeder Fachmann weiß, daß dies auf Grund bestehender Statute nur freiwillig geschehen konnte. Es ist ein großartiger Fortschritt, der hier erreicht werden konnte,
und wir haben das mit Dank an unsere Freunde und Partner, die die Alliierten bei uns sind, zu registrieren.Ich will nicht auf die einzelnen Vokabeln eingehen, aber ich möchte im Interesse unserer Piloten hier deutlich feststellen, daß sie hoch- und höchstdiszipliniert fliegen.
Wir haben unter 1 % Verstöße gegen Flugbestimmungen. Dies ist ein gutes Ergebnis. Ich frage einmal, ob wir alle uns selbst bei der Teilnahme am Straßenverkehr oder sonstwo so diszipliniert verhalten, wie die Piloten es bei dieser Vielzahl von Auflagen tun. Unter 1 % Verstöße, das ist erfreulicherweise ein Ergebnis der Skyguard-Überwachung. Damit sollen die Verstöße nicht verniedlicht werden; diejenigen, die gegen Flugbestimmungen verstoßen haben, werden hart zur Kasse gebeten, bis hin zum Entzug der Pilotenlizenz.Jetzt ein Wort zur 49er-Regelung: Es wäre eine politisch unkluge Sache und eine ganz schlechte Situation gewesen, wenn der Bundesminister der Verteidigung — was er kraft Gesetzes hätte tun können — die 49er-Regelung gegen den ausdrücklichen Willen der Bundesländer in Kraft gesetzt hätte. Die Masse der Bundesländer war dagegen, eigentlich alle bis auf eine Ausnahme. Das gilt, Herr Kollege Klejdzinski, auch für Nordrhein-Westfalen. Wer regiert da? Das gilt für Hessen. Wer regiert da? Das gilt für das Saarland. Wer regiert da? Von dort kam schärfster Protest gegen dieses 49er-Rotationsmodell.
— Herr Präsident, gegen das Votum der Länder zu handeln, also zu sagen: „Was die Länder meinen, interessiert uns nicht; wir machen das jetzt" — bei der Sensibilität und Bedeutung dieser Frage muß man Verständnis dafür haben, daß der Verteidigungsminister das nicht getan hat.Jedem Bundesland, das kommt und sagt, es möchte in seinem Hoheitsbereich, in seinen Landesgrenzen, ein Landesrotationsmodell ermöglichen, werden wir nicht nur ja sagen, sondern werden es dabei auch nach Kräften unterstützen.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Juni 1986 17437
Herr Staatssekretär, der Abgeordnete Stücklen möchte eine Zwischenfrage stellen.
Bitte sehr.
Herr Staatssekretär, sind Sie also der Meinung, daß die, die bis heute vom Tiefflug verschont geblieben sind, auch in Zukunft verschont bleiben sollen und daß die sieben jetzigen Fluggebiete nach wie vor und weiterhin den gesamten Tiefflug-Übungsbetrieb der Luftwaffe durchstehen sollen, oder sind Sie der Meinung, daß diese sieben Gebiete einen Anspruch darauf haben,
daß die Verteidigungslasten, auch die Lärmbelästigungen, eine Sache des gesamten Volkes sind und gleichmäßig auf alle Schultern verteilt werden müssen?
Herr Präsident, ich bin der Meinung, daß die Bevölkerung in diesen sieben Gebieten seit jetzt mehr als drei Jahrzehnten
ein, verglichen mit den anderen Gebieten, ganz ungewöhnliches Maß an zusätzlicher Beeinträchtigung und Belästigung zu ertragen hat und das wir, die Verantwortlichen, alles zu tun haben, um die Bevölkerung in der Zukunft noch mehr, als wir es bisher schon taten, auf jede mögliche wie der Antrag sagt — verantwortbare Art und Weise zu entlasten.
Nun darf ich zu diesen Entlastungen kommen und einige schildern, die wir in den letzten Jahren erreicht haben. Ich möchte einmal die Zahlen nennen.
Herr Staatssekretär, auch der Abgeordnete Dr. Klejdzinski möchte eine Zwischenfrage stellen. Ich nehme an, Sie gestatten ihm das ebenfalls.
Bitte sehr.
Herr Staatssekretär, stimmen Sie mit mir in der Auffassung überein, daß beispielsweise das Westmünsterland, das seit 40 Jahren ständig von Tiefflug überzogen ist, zumindest wenn die 49er Regelung durchgezogen würde, sieben Monate im Jahr tiefflugfrei wäre, und stimmen Sie weiterhin mit meiner Analyse überein, daß Verteidigungslasten unteilbar sind und daß die gesamte Bevölkerung sie zu tragen hat?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Wir haben das Modell durchrechnen lassen, um eine Möglichkeit zu finden, die sieben Gebiete weniger belasten zu müssen. Ich habe meine Meinung dazu gesagt, warum wir das in dem jetzigen Stand — Reaktion der Länder — nicht haben umsetzen können. Wir stimmen nicht nur der Forderung zu, sondern es ist eine von uns selbst, daß wir damit nicht zur Ruhe übergehen, sondern einen Weg finden, aber gemeinsam mit den Bundesländern, um hier zu einer neuen und gerechteren Verteilung zu kommen.
Ich möchte die Zahlen nennen und darf alle Kollegen weit über den Verteidigungsausschuß hinaus bitten, diese Zahlen einmal sprechen zu lassen, weil sie die zuweilen unsachlich und subjektiv geführte Diskussion erheblich versachlichen. Ich greife mal nicht in alte Zeiten der Geschichte, sondern ins Jahr 1984 zurück. 1984 wurden noch etwa 75 000 Stunden Tiefflug über dem Bundesgebiet gemacht. Ich rede über die deutsche Luftwaffe. Dies konnte durch Verlagerung in das Ausland auf 57 000 Stunden reduziert werden. Im Jahre 1985 haben wir dies durch eine weitere Maßnahme, durch Reduzierung der Verweildauer in den Tieffluggebieten, auf 40 000 reduziert, und im Jahre 1986 werden wir es auf 37 000 Stunden bekommen. Dies heißt, daß wir in den letzten drei Jahren die Zahl der Tiefflugstunden über unserem Bundesgebiet um etwas mehr als 50% reduziert haben. Dies ist eine spürbare, eine kräftig spürbare Reduzierung.
Wenn die SPD damals schon von wohlgeordnetem Zustand sprach, dann müßte dies heute viele Male mehr so sein.
Eine weitere Möglichkeit wird darin bestehen, noch mehr Flüge in das europäische Ausland, konkret: in die Türkei, zu verlegen.
Aber auch hier müssen wir klar sagen, dies kann zu einer prozentualen Reduzierung von möglicherweise 10 oder 20% führen, aber nicht auf Null, denn die deutsche Luftwaffe und die deutschen Piloten haben sich darauf vorzubereiten, möglicherweise in Deutschland eingesetzt zu werden. Damit dies nicht geschehen muß, müssen wir täglich klar und deutlich machen, daß wir dazu in der Lage wären. Es gilt die Devise, im Tiefflug über unserem Bundesgebiet sowenig wie möglich, aber eben doch soviel wie erforderlich zu fliegen.
Das war der letzte Redner zu diesem Tagesordnungspunkt.Wir kommen zur Abstimmung, und zwar zunächst zu Tagesordnungspunkt 3 a. Es handelt sich um die Beschlußempfehlung des Verteidigungsausschusses, die Ihnen auf Drucksache 10/5084 vorliegt. Der Ausschuß empfiehlt Ihnen, den Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/2803 abzulehnen. Wer also der Beschlußempfehlung des Ausschusses, den Antrag der GRÜNEN abzulehnen, zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Damit ist die Beschlußempfehlung angenommen.
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17438 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Juni 1986
Vizepräsident CronenbergWir kommen zur Abstimmung über Tagesordnungspunkt 3 b. Es handelt sich um die Beschlußempfehlung des Verteidigungsausschusses, die Ihnen auf Drucksache 10/5085 vorliegt. Der Ausschuß empfiehlt Ihnen, den Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/3353 abzulehnen. Wer der Beschlußempfehlung des Ausschusses, den Antrag der GRÜNEN abzulehnen, zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Damit ist die Beschlußempfehlung angenommen.Wir kommen nun zu dem gemeinsamen Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, FDP und SPD auf der Drucksache 10/5737 . Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. -- Wer stimmt dagegen? — Dieser Antrag ist angenommen.Wir treten nunmehr in die Mittagspause ein. Um 14 Uhr beginnt die Fragestunde. Wir werden etwa um 15 Uhr mit den Beratungen zum Arzneimittelrecht beginnen. Da dies ursprünglich für heute vormittag vorgesehen war, bitte ich die entsprechenden Kollegen zu unterrichten, daß um ca. 15 Uhr der Tagesordnungspunkt Arzneimittelrecht aufgerufen wird.Ich wünsche Ihnen im übrigen guten Appetit. Die Sitzung ist unterbrochen.
Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet. Wir kommen zum Tagesordnungspunkt:
Fragestunde.
— Drucksache 10/5712 —
Dazu bedürfen wir einer Geschäftsordnungsentscheidung. Wollen Sie dazu etwas sagen, Frau Hönes? — Zur Geschäftsordnung, Frau Hönes.
Ich möchte für meine Fraktion begründen, warum wir nach § 42 der Geschäftsordnung Frau Bundesministerin Süssmuth herbeirufen wollen. Ich denke, es ist gerade für uns Frauen eine sehr unangenehme Situation, Fragen, die wir an die Frau Bundesministerin gestellt haben, jetzt von ihrer Staatssekretärin beantwortet zu bekommen. Wir Frauen von der Fraktion der GRÜNEN wollen mit unseren Fragen nicht die Frau Staatssekretärin in Verlegenheit bringen. Ich denke, es ist fair, wenn die Bundesministerin Frau Süssmuth hier diese Beantwortung vornimmt. Denn die Fragen sind direkt an sie gestellt.
Möchte jemand dagegen sprechen? — Wir haben gewöhnlich in solchen Fällen, in denen keine vorherige Ankündigung erfolgt ist, das Verfahren, daß wir zehn Minuten aussetzen und dann darüber abstimmen. Der Vorgang ist nur so, ich habe keine Gegenrede gehört. Daher stelle ich fest, es ist so beschlossen. Ich darf die Staatssekretärin fragen, ob es die technische Möglichkeit gibt, daß Frau Süssmuth kommen kann.
Herr Präsident, die Mitarbeiter des Hauses telefonieren schon. Ich denke, daß es möglich ist. Aber ich kann es nicht verbindlich sagen. Frau Hönes, Sie erhalten eine Antwort, sobald das möglich ist.
Ich bitte also, mich sofort zu unterrichten, wenn es darüber eine Nachricht gibt.
Ich überlege, ob wir in der Zwischenzeit einen anderen Teil der Fragestunde vorziehen können. — Ist der Staatssekretär des Ministers der Verteidigung schon da? — Er ist natürlich nicht da, weil er annimmt, das andere dauert länger. — Ist der Staatssekretär des Umweltministeriums da? — Herr Wagner stände zur Verfügung. Da haben wir einige Fragen. Sind die Abgeordneten da? — Herr Dr. Schwenk ist noch nicht da. Aber Herr Abgeordneter Schreiner ist da. Wir könnten dort beginnen. Ich wäre dankbar, wenn die Geschäftsführungen mit ein bißchen Telefonhilfe darauf hinwirken könnten, daß wir inzwischen etwas erledigen können. Ich bekomme also Nachricht.
Ich rufe auf den Geschäftsbereich des Bundesministers für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit. Ich stelle fest, daß die Frage des Abgeordneten Dr. Schwenk schriftlich beantwortet werden soll. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Die Fragen 52 und 53 des Abgeordneten Menzel sollen schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe auf die Frage 54 des Abgeordneten Schreiner:
Welche Rolle hat der Atomkraftwerkskomplex Cattenom beim jüngsten Gipfelgespräch zwischen Bundeskanzler Kohl und Staatspräsident Mitterrand gespielt?
Ich bitte Herrn Staatssekretär Dr. Wagner, den ich hier erstmalig als Staatssekretär im neuen Umweltministerium begrüße, um die Beantwortung der Frage 54 des Abgeordneten Schreiner.
Herr Präsident! Herr Abgeordneter, beim jüngsten Gipfeltreffen am 17. Juni zwischen Bundeskanzler Kohl und Staatspräsident Mitterand wurden Fragen des Kernkraftwerks Cattenom angesprochen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Schreiner.
Darf ich fragen, ob das eine Antwort war, ob Sie schon fertig sind oder ob sie erst begonnen haben, die Antwort zu verlesen.
Ich hatte den Eindruck, der Herr Staatssekretär hat seine Beantwortung schon abgeschlossen. Aber da er unsere Regeln noch nicht kennt, bitte ich ihn, die ganze Zeit stehenzubleiben, während der er Antworten geben muß. Also es war eine Antwort — wie immer. Es ist Sache der Bundesregierung, zu entscheiden, wie sie inhaltlich antwortet.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Juni 1986 17439
Vizepräsident WestphalSie haben eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Schreiner.
Herr Staatssekretär, könnten Sie meiner Interpretation zustimmen, daß man sich hier als Abgeordneter bei der Dürftigkeit dieser Aussagen schlicht auf den Arm genommen fühlt, daß die Bundesregierung offenkundig das Parlament mißachtet?
Dr. Wagner, Staatssekretär: Das ist nicht der Fall. Ich habe nicht das Gefühl, daß Sie hier mit dieser Antwort auf den Arm genommen worden sind, Herr Abgeordneter.
Herr Schreiner, Sie haben eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, da seit einigen Tagen ein Sicherheitsbericht der Betreibergesellschaft von Cattenom „Electricité de France" in der Öffentlichkeit diskutiert wird, wonach einmal jährlich mit dem Bruch eines Sekundärkreislaufes und einmal in der Lebenszeit des Atomkraftkomplexes, also in 25 Jahren, mit dem Bruch des Primärkreislaufs zu rechnen sei, frage ich die Bundesregierung, ob diese Angaben zutreffen und was die Bundesregierung seit 1982, seitdem dieser Sicherheitsbericht vorliegt, unternommen hat, um bei der französischen Seite darauf hinzuwirken, daß diesen Berichten entsprechend die Wirklichkeit korrigiert wird?
Dr. Wagner, Staatssekretär: Herr Abgeordneter, die Unterstellung, die Sie hier soeben in Ihrer Frage vorgetragen haben, kann ich seitens der Bundesregierung nicht bestätigen. Im übrigen möchte ich darauf hinweisen, daß im Rahmen der Beratungen in der DFK, der Deutsch-Französischen Kommission, sämtliche Sicherheitsaspekte immer wieder auch eingehend erörtert worden sind, und zwar so eingehend, daß wir davon ausgehen müssen, daß die Sicherheit der Bevölkerung gewährleistet ist.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Laufs.
Herr Staatssekretär, ich möchte zur vorliegenden Frage zurückkommen und Sie fragen: Ist es Ihnen möglich, etwas über den Inhalt des Gespräches zwischen Bundeskanzler Kohl und Staatspräsident Mitterrand auszusagen?
Dr. Wagner, Staatssekretär: Herr Abgeordneter Dr. Laufs, die Gespräche des Herrn Bundeskanzlers mit dem französischen Staatspräsidenten waren vertraulicher Art, so daß hierzu keine näheren Angaben gemacht werden können.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Schierholz.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Staatssekretär, können Sie uns denn wenigstens verraten — und ich frage natürlich auch noch einmal: mit welchem Ergebnis —, ob über diesen von Herrn Schreiner gerade eben genannten Sicherheitsbericht in dem Gespräch zwischen Herrn Bundeskanzler Kohl und Staatspräsident Mitterrand die Rede war?
Dr. Wagner, Staatssekretär: Herr Abgeordneter, Sie können davon ausgehen, daß alle wesentlichen Punkte zu diesem Komplex zwischen unserem Bundeskanzler und dem Herrn Staatspräsidenten angesprochen worden sind.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Müller .
Herr Staatssekretär, angesichts der Zurückhaltung in der Beantwortung, die aus diplomatischen Gründen j a wohl zu verstehen ist: können wir aber davon ausgehen, daß der Herr Bundeskanzler in seinen Gesprächen mit dem Staatspräsidenten die Sorge der deutschen Bevölkerung, die in der Region des Einzugsgebietes wohnt, mit der gebotenen Nachdrücklichkeit vorgetragen hat?
Dr. Wagner, Staatssekretär: Herr Abgeordneter Müller, davon können Sie ausgehen.
Ich rufe die Frage 55 des Abgeordneten Schreiner auf:
Trifft es zu, daß die Bundesregierung am 27. März 1986 in der „Moselkommission" den Bau und den Betrieb des Atomkraftwerkskomplexes Cattenom akzeptiert hat, und inwieweit sind die Atomkraftwerke in Cattenom mit dem Euratom-Vertrag vereinbar?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Dr. Wagner, Staatssekretär: Herr Präsident, die Bundesregierung hat keinerlei Zuständigkeit für den Bau eines französischen Kernkraftwerkes. Die Internationale Moselkommission, in der neben der Bundesregierung auch die Regierungen Frankreichs und Luxemburgs vertreten sind, hat am 27. März 1986 dem Bau und Betrieb des Wasserentnahmebauwerks, des Einleitungsbauwerks und der Umschlagstelle des Kernkraftwerks Cattenom unter bestimmten Bedingungen und Auflagen zugestimmt. Hauptpunkte des Beschlusses der Moselkommission sind Wasserentnahme und Wassereinleitung, Temperatur des Moselwassers und flüssige radioaktive Einleitungen. Die Frage der Vereinbarkeit des Kernkraftwerkes Cattenom mit dem Euratom-Vertrag wird bei der Kommission der Europäischen Gemeinschaft in Brüssel in dem für alle Mitgliedstaaten verbindlichen Verfahren nach Artikel 37 des Euratom-Vertrages geprüft.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Schreiner.
Herr Staatssekretär, ist es denn zutreffend, daß im Euratom-Vertrag eine Bestimmung enthalten ist, die lautet, daß einheitliche Si-
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17440 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Juni 1986
Schreinercherheitsnormen für den Gesundheitsschutz der Bevölkerung innerhalb der EG durchzusetzen sind? Ist es unter Beachtung dieser Regelung zutreffend, daß Cattenom beispielsweise bei Flugzeugabstürzen nicht gesichert wäre?Dr. Wagner, Staatssekretär: Herr Abgeordneter, ich bin bereit, diese Frage schriftlich zu beantworten; denn ich sehe mich im Augenblick nicht in der Lage, zu diesen Details bereits eine korrekte Antwort zu geben.
Sie haben eine weitere Zusatzfrage, Herr Schreiner.
Herr Staatssekretär, unter Beachtung der soeben vorgetragenen Regelungen des Euratom-Vertrages: Trifft es zu, daß in dem Sicherheitsbericht vom Electricité de France ausdrücklich eingeräumt wird, daß der primäre Kreislauf des Kraftwerkes einmal im Verlauf der Lebensdauer des Kraftwerkes brechen kann und die sekundären Kreisläufe jeweils einmal jährlich brechen können, und ist die Bundesregierung bereit, dem Parlament die sicherheitsrelevanten Bestandteile dieses Berichts endlich zu einer Diskussion zur Verfügung zu stellen?
Dr. Wagner, Staatssekretär: Herr Abgeordneter, diese Frage ist ja vorhin schon einmal gestellt worden. Ich kann Ihnen die Angaben, die Sie eben vorgetragen haben, nicht bestätigen. Ich stelle gleichzeitig fest, daß die Bundesregierung selbstverständlich bereit ist, ail das, was nicht der Vertraulichkeit unterliegt, zu veröffentlichen. Es gibt in diesem Bericht aber auch, wie Sie wissen, vertrauliche Angaben, die der Öffentlichkeit nicht zugänglich gemacht werden können.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Müller .
Herr Staatssekretär, wie beurteilen Sie angesichts der Antwort, die Sie soeben auf die Frage gegeben haben — in der Sie auch die Kompetenzen der Bundesregierung dargestellt haben —, die Äußerungen des saarländischen Ministers Leinen, die er am 6. Juni 1986 vom Podium des Deutschen Bundestages aus gemacht hat, wo er u. a. wortwörtlich gesagt hat:
Es ist ein Skandal, daß die Bundesregierung am 27. März dieses Jahres in der Mosel-Kommission den Bau und den Betrieb der Atomkraftwerke in Cattenom akzeptiert hat, ...
Dr. Wagner, Staatssekretär: Minister Leinen hat diese Aussage in Verkennung der Zuständigkeiten gemacht. Zuständig für die Genehmigung dieses Kernkraftwerkes ist die französische Regierung, nicht die deutsche Bundesregierung.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Laufs.
Herr Staatssekretär, liegt das Ergebnis des Verfahrens nach Art. 37 des Euratom-Vertrages vor?
Dr. Wagner, Staatssekretär: Herr Abgeordneter, das Verfahren läuft. Uns ist gegenwärtig offiziell noch nicht bekannt, ob dieses Verfahren in Brüssel bereits abgeschlossen worden ist.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Immer.
Herr Staatssekretär, nachdem Sie gerade von geheimen Absprachen gesprochen haben — die also nicht zur Veröffentlichung bestimmt sind —, möchte ich Sie fragen, ob der neu gebildete Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit genauso wie der Verteidigungsausschuß und der Auswärtige Ausschuß demnächst in Kategorien wie „geheim" eingeteilt wird — dort wird dann also nur unter Ausschluß gewisser Abgeordneter etwas berichtet — oder ob er ständig über die Dinge informiert wird, die der Reaktorsicherheit dienen?
Dr. Wagner, Staatssekretär: Herr Abgeordneter, das ist zunächst einmal eine Frage des Ausschußvorsitzenden, der das so behandeln wird, wie es sachgerecht ist.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Werner .
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt — wenigstens so weit, wie wir das veröffentlicht wissen —, daß die frühere Regierung Schmidt keinerlei Versuch unternommen hat, um gegenüber der französischen Regierung eine positive Prüfung in Richtung Cattenom zu verhindern?
Dr. Wagner, Staatssekretär: Herr Abgeordneter, soweit mir bekannt ist, hat es jedenfalls keine unterschiedlichen Beurteilungen zwischen der damaligen Bundesregierung und der französischen Regierung zu diesem Projekt gegeben.
Damit sind wir am Ende des Geschäftsbereichs des Bundesministers für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit. Ich danke dem Herrn Staatssekretär für die Beantwortung der Fragen.Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundesministers für das Post- und Fernmeldewesen. Zur Beantwortung der Fragen steht Herr Parlamentarischer Staatssekretär Rawe zur Verfügung.Die Fragen 65 und 66 werden auf Wunsch des Fragestellers, des Abgeordneten Kalisch, schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Juni 1986 17441
Vizepräsident WestphalIch rufe nun die Frage 67 des Abgeordneten Dr. Diederich auf:Trifft es zu, daß gutachterliche Bodenuntersuchungen im Auftrage der Landespostdirektion Berlin ergeben haben, daß der Bau der Erde-Funk-Anlage der Deutschen Bundespost in Berlin-Wannsee erhebliche Schadstoffemissionen mit einem hohen Polychlorbiphenylen freisetzen könne und die Erschütterungen bei der Pfahlgründung der Anlage nicht nur einen enormen technischen Aufwand erfordern würde, sondern auch Auswirkungen auf den 100 Meter entfernt stehenden Kernreaktor des Hahn-Meitner-Instituts haben könnte?Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Herr Präsident, gestatten Sie, daß ich die beiden Fragen des Kollegen Diederich, wenn er damit einverstanden ist, im Zusammenhang beantworte?
Er ist einverstanden.
Ich rufe dann auch die Frage 68 des Abgeordneten Dr. Diederich auf:
Welche Schlußfolgerungen gedenkt die Deutsche Bundespost daraus zu ziehen, insbesondere im Hinblick auf die Mahnung von Experten hinsichtlich des stark methanhaltigen und damit explosiven Deponiegases, was spezielle Schutzvorkehrungen während der Bauphase sowie doppelt gesicherte Warneinrichtungen und explosionsgeschützte Lüftungen notwendig macht?
Rawe, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Diederich, es trifft nicht zu, daß die angesprochenen Gutachten im Zusammenhang mit dem Neubau der Erdfunkstelle der Deutschen Bundespost in BerlinZehlendorf das Freisetzen von Emissionen und Erschütterungen des nahegelegenen Kernreaktors des Hahn-Meitner-Instituts durch die Baumaßnahmen der Deutschen Bundespost ausweisen. Richtig ist vielmehr, daß durch die von der Landespostdirektion Berlin veranlaßten Untersuchungen im Erdreich vorhandene Schadstoffbelastungen ermittelt wurden und daß bei der erforderlichen aufwendigen Gründung der Neubauten Sonderbohrpfähle zum Einsatz gelangen, die den Gegebenheiten des Standortes und des benachbarten Hahn-MeitnerInstituts Rechnung tragen.
Der Deutschen Bundespost ist die besondere Problematik des Bauvorhabens bewußt. So sind erforderliche Vorkehrungen hinsichtlich der Deponiegase, z. B. zusätzliche Warneinrichtungen, bereits in die Planung eingeflossen. Darüber hinausgehende, weiterreichende Maßnahmen befinden sich noch im Stadium notwendiger Abklärungen.
Zusatzfrage, Herr Diederich.
Herr Staatssekretär, lassen die Ausführungen in den entsprechenden Gutachten — um hier nur ein paar Sätze zu zitieren —, nämlich daß unter dem Gebäude vertikale Gasdrains zu einer eventuellen Entgasung der Deponie vorzusehen sind, daß alle Ver- und Entsorgungen gasdicht anzuschließen sind und die Entwässerung mit Siphons zu sichern ist, daß im Gebäudeinnern Gaswarngeräte für Methan und Kohlendioxid vorzusehen sind, die zentral überwacht werden sollen, daß die elektrischen Anlagen so ausgelegt werden sollten, daß Gebäudebereiche im Falle einer Gaswarnung abgeschaltet werden können, nicht zumindest die Schlußfolgerung zu, daß die Gutachter in ihren Bodenuntersuchungen Schadstoffemissionen nicht nur nicht ausschließen, sondern sogar damit rechnen?
Rawe, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich denke, das ist leicht aufzuklären. Ich habe deutlich gemacht, daß nicht von dem Bauvorhaben an sich — das geht auch aus dem hervor, was Sie hier soeben zitiert haben —, sondern von der Deponie mögliche Gefahren ausgehen.
Wir sind uns in der Tat beide einig, daß alle Maßnahmen ergriffen werden müssen, um die Gefahren, die daraus entstehen können, zu eliminieren.
Zusatzfrage, Dr. Diederich.
Ergibt sich daraus nicht die Schlußfolgerung, daß die Anlage, die ja empfindlich ist und die dann, wenn sie abgeschaltet werden muß, offensichtlich auch keinen sicheren Betrieb mehr gewährleisten kann, an dieser Stelle nicht errichtet werden sollte?
Rawe, Parl. Staatssekretär: Nein, die Schlußfolgerung ergibt sich daraus nicht ohne weiteres. Sie würde sich vielmehr erst dann ergeben, wenn sich bei den noch laufenden Untersuchungen tatsächlich herausstellen würde, daß man das, was dort an Gefahren entstehen kann, nicht unter Kontrolle bringen kann. Dann allerdings müßten wir Ihnen folgen; das ist korrekt.
Sie haben keine weiteren Zusatzfragen, Herr Dr. Diederich? Sie hätten aber noch welche. — Gut, Sie wollen nicht.Die Fragen 69 und 70 sollen auf Wunsch des Fragestellers, des Abgeordneten Suhr, schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt.Ich rufe dann die Frage 71 des Abgeordneten Jäger auf:Teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß die derzeitige Staffelung der Fernsprechgebühren für Telefongespräche nach Entfernungszonen nicht kostengerecht ist und den ländlichen Raum benachteiligt, und welche Schritte beabsichtigt die Bundesregierung, um im Zuge des Aufbaus eines digitalen Vermittlungs- und Übertragungssystems diese Benachteiligung des ländlichen Raums abzubauen?Bitte schön, Herr Staatssekretär.Rawe, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Jäger, die Kosten der Fernsprechverbindungen werden immer mehr von der Zeitdauer und immer weniger von der Entfernung bestimmt, so wie Sie es in Ihrer Frage zum Ausdruck gebracht haben. Die Deutsche Bundespost hat seit Jahren den Weg beschritten, sich durch Abbau der Entfernungsstufen dieser
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17442 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Juni 1986
Parl. Staatssekretär Rawedurch die Technik bedingten Entwicklung anzupassen. So hat sie Anfang der 70er Jahre und durch die Tarifreform des Jahres 1980 Tarifzonen abgebaut. Die vier zur Zeit bestehenden Entfernungsstufen sind nicht mehr kostengerecht gestaltet. So weisen die Nandiensttarifzonen eine erhebliche Kostenunterdeckung und z. B. die Tarifzone III eine Kostenüberdeckung auf. Die Tarifzone III ist die weiteste Entfernung, wie Sie wissen. Die Deutsche Bundespost überlegt deshalb, die Tarife längerfristig kostenorientiert weiterzuentwickeln.Die derzeitige Staffelung der Fernsprechgebühren benachteiligt jedoch nicht den ländlichen Raum; denn nahezu 99 % aller Fernsprechteilnehmer können ihr Mittelzentrum zum Nahtarif erreichen. Die Bundesregierung ist deshalb der Ansicht, daß mit der 26. Verordnung zur Änderung der Fernmeldeordnung zum 25. Januar 1985, die eine wesentlich verbesserte Flächenverlustregelung, d. h. vergrößerte Nahbereichsradien für viele Ortsnetze im Zonenrandgebiet, sowie 50 freie Gebühreneinheiten in den Nahtarifzonen mit weniger als 30 000 erreichbaren Fernsprechteilnehmern — in der Regel in ländlichen Gebieten — brachte, eine abschließende Regelung für die Nahtarifzonengestaltung gefunden wurde.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Jäger.
Herr Staatssekretär, muß man nach dem, was Sie vorgetragen haben, nicht doch davon ausgehen, daß vor allen Dingen die abgelegeneren ländlichen Räume, die j a nicht nur mit ihren jeweiligen Unterzentren in telefonischer Verbindung stehen, sondern die z. B. auch mit den wirtschaftlichen Zentren ihres Landes, etwa in Stuttgart oder in München, in Verbindung treten wollen, dadurch benachteiligt sind, daß sie häufig in die Zonen II oder III fallen und damit die von Ihnen schon genannte stärkere Belastung durch Fernsprechgebühren in Kauf nehmen müssen?
Rawe, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Jäger, es ist Ihnen bekannt, daß über die Frage der Regelung im Nahtarif auch in diesem Hause, vor allen Dingen im zuständigen Ausschuß für das Post- und Fernmeldewesen, sehr eingehend beraten worden ist. Wir haben auch die kommunalen Spitzenverbände dazu gehört. Wie Sie sich erinnern, ging der Streit darum, ob man die Nahbereiche so ordnen sollte, daß man auf jeden Fall das Mittelzentrum erreichen konnte. Wir haben ziemlich exakte Messungen darüber, daß nicht unmittelbar der Verkehr zwischen den einzelnen Teilnehmern und einem entsprechenden Mittelzentrum, sondern daß der Verkehr zu bestimmten Wirtschaftsgebieten hin die große Rolle spielt. Genau aus diesem Grunde hat der Ausschuß für das Post- und Fernmeldewesen empfohlen, nicht eine sture Regelung zu machen, sondern 50 Freieinheiten zu gewähren, weil man dadurch in der Tat in die Lage versetzt wird, nicht nur ein nahe gelegenes Mittelzentrum, sondern z. B. weiter entfernte Wirtschaftsräume mit einer gewissen Vergünstigung zu erreichen.
Sie haben noch eine weitere Zusatzfrage.
Herr Kollege Rawe, ist die Bundesregierung bereit, die Bemühungen der Landesregierung von Baden-Württemberg — ich vermute, daß es ähnliche Bemühungen auch von anderen Landesregierungen gibt — zu unterstützen, zu einer einvernehmlichen Regelung zu gelangen, die die gegenwärtige Situation der abgelegenen ländlichen Räume in mittelfristiger Weise verbessert?
Rawe, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Jäger, ich bitte um Nachsicht: Das kann Ihnen die Bundesregierung erst versprechen, wenn sie solche Vorstellungen kennt.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Werner .
Herr Staatssekretär, ist sich die Bundesregierung zumindest der Tatsache bewußt, daß, wenn 90 %, wie Sie sagen, der Fernsprechteilnehmer das Mittel- bzw. Oberzentrum im Nahtarif erreichen können, dies immerhin beinhaltet, daß weite Teile der Bundesrepublik Deutschland von dieser — ich möchte einmal sagen — Bevorzugung ausgeschlossen sind, denn man darf hier wirklich nicht nur die Prozentzahlen sehen, sondern man muß in Verbindung mit der modernen Technologie — digitalen Netzen und ähnlichem — berücksichtigen, daß dies ganz wichtige Voraussetzungen oder Benachteiligungen für die infrastrukturelle Entwicklung der Zukunft beinhaltet?
Rawe, Parl. Staatssekretär: Herr Kollge Werner, ich teile Ihre Befürchtungen nicht, aber ich will zu dem weiteren Kern Ihrer Frage gern Stellung nehmen, wenn der Herr Präsident das erlaubt, weil mir das ganz wichtig erscheint.
Herr Präsident, es ist in der Tat richtig, daß wenn die Deutsche Bundespost ihre Netze in digitaler Form weiterentwickelt und dabei demnächst dann ein integriertes Netz für alle Dienste anbietet, wir dann Mittel und Wege finden müssen, Herr Kollege Werner, das zu einheitlichen Tarifen zu tun.
Damit sind wir am Ende des Geschäftsbereichs des Bundesministers für das Post- und Fernmeldewesen. Ich danke dem Staatssekretär für die Beantwortung der Fragen.Ich rufe jetzt den Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung auf. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Würzbach zur Verfügung.Ich rufe die Fragen 30 und 31 der Abgeordneten Frau Dr. Lepsius auf. Die Fragen sollen auf Wunsch der Fragestellerin schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.Die Fragen 32 und 33 der Abgeordneten Frau Rönsch können nicht beantwortet werden, da die Fragestellerin nicht im Saal ist. Wir haben eine besondere Situation: Ich bitte, die Fragen schriftlich zu beantworten. Ich bitte, das so ins Protokoll aufzunehmen.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Juni 1986 17443
Vizepräsident WestphalDamit sind wir am Ende dieses Geschäftsbereichs.Nun rufe ich den Geschäftsbereich des Bundesministers für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit auf. — Ich werde die Sitzung fortführen, wenn die Ministerin im Saal ist.
Ich stelle eben fest, daß auch Frau Rönsch jetzt gekommen ist. Ich möchte Ihr — der Staatssekretär ist noch da — noch die Chance geben zu fragen. Wir haben die Uhr angehalten, damit Ihnen keine Zeit verloren geht. Wir machen das so fair, wie das irgend geht.Ich rufe erneut den Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung auf.Ich rufe die Frage 32 der Abgeordnete Frau Rönsch auf:Kann die Bundesregierung mitteilen, welche Bemühungen der hessische Ministerpräsident bisher unternommen hat, um geeignete Ausweichmöglichkeiten für den Flugplatz Wiesbaden-Erbenheim zu benennen?Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Herr Präsident! Frau Kollegin Rönsch, der Bundesregierung sind keine konkreten Bemühungen des hessischen Ministerpräsidenten bekannt, um Ausweichmöglichkeiten für den amerikanischen Flugplatz Wiesbaden-Erbenheim benennen zu können. Die Bundesregierung bedauert, daß die hessische Landesregierung trotz mehrfach, auch vom Minister selbst geäußerter Bitten die erbetene Hilfe bislang versagt hat.
Zusatzfrage, Frau Rönsch.
Herr Staatssekretär, sind Ihnen Bemühungen der Landesregierung dahingehend bekannt, die Anzahl der zu stationierenden Flugzeuge zu reduzieren, und treffen Äußerungen einer Bürgerinitiative zu, daß sie Erkenntnisse hat, daß bis auf Null reduziert werden könnte?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, Äußerungen von Bürgerinitiativen hierzu kenne ich nicht; sie liegen mir nicht vor. Bekannt ist uns, daß sich Hessen immer wieder — auch öffentlich -geäußert hat, zu verhindern, daß die Amerikaner die Anzahl der sogenannten Starrflügler — der Flugzeuge, wie wir sagen, wie der Hubschrauber — in dem vorgesehenen Maße zu erhöhen. Deshalb wäre es um so logischer aus unserer Sicht, daß man sich als hessische Landesregierung dann auch mit aller Energie — gemeinsam mit uns — darum bemüht, andere Plätze zu benennen.
Zusatzfrage, Frau Rönsch.
Was wird die Bundesregierung jetzt noch einmal unternehmen, um den hessischen Ministerpräsidenten auf seine Pfichten aufmerksam zu machen, Alternativen zu benennen?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Sie wissen, daß wir den hessischen Ministerpräsidenten — zuletzt durch einen Brief des Ministers selbst, dann vom Verteidigungsausschuß über die Kollegen und immer wieder öffentlich -- gebeten haben, nunmehr die erbetene Hilfe zu geben. Auf der Ebene Abteilungsleiter, Staatssekretäre besteht eine dauernde Verbindung, um in der Richtung etwas zu bewirken. Wir werden dies fortsetzen und darin nicht nachlassen.
Zusatzfrage des Abgeordneten Reuter.
Herr Staatssekretär, Sie haben hier sinngemäß ausgeführt, die Hessische Landesregierung sei von Ihnen mehrfach gebeten worden, hier aktiv zu werden. Ich hätte von Ihnen gern gewußt, in welchem Schreiben Sie diese Aktivitäten dargetan haben, und möchte von Ihnen darüber hinaus gerne wissen, ob Ihnen ein Schreiben der hessischen Staatskanzlei vorliegt, aus dem eindeutig hervorgeht, daß Ihre Behauptungen nicht stimmen, daß weder Sie noch der Herr Verteidigungsminister jemals die Hessische Landesregierung gebeten haben, hier aktiv zu werden.
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, nur um aus einem von vielen, die mir hier in den Unterlagen zur Fragestunde vorliegen, zu zitieren:
2. Oktober 1984, Der Bundesminister der Verteidigung
— von ihm, Manfred Wörner, selbst unterschrieben —
an
— er ist j a noch Ministerpräsident — Ministerpräsident Holger Börner.
Es handelt sich um einen dreiseitigen Brief, den Sie gerne einsehen können und den ich Ihnen auch gern in Kopie zur Verfügung stelle. Sie ersehen allein daraus, daß das, was Sie mir soeben in Ihrer Frage unterstellten, einfach nicht zutrifft.
Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Schierholz.
Herr Staatssekretär, da Sie, was mich wirklich sehr wundert, die Verantwortung jetzt plötzlich auf die in dieser Frage eindeutig nicht zuständigen Länder — in diesem Falle auf das Bundesland Hessen — abschieben — nur so kann ich das verstehen —, möchte ich Sie fragen, ob Sie wenigstens bestätigen können, daß es — der Konflikt um Wiesbaden-Erbenheim ist ja sehr alt; er beschäftigt auch den Petitonsausschuß — Sache der Bundesregierung ist, hier tätig zu werden und nach Alternativen zu suchen.
Fragen, Herr Dr. Schierholz!
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17444 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Juni 1986
Würzbach, Pari. Staatssekretär: Herr Kollege, ich glaube nicht, daß man das so verstehen kann, es sei denn, man will das so verstehen. Die Bundesregierung hält sich an Gesetze, und wenn Sie sich ein ganz klein wenig mit dem Luftverkehrsgesetz beschäftigen würden, dann würden Sie sehen, daß wir für militärische Plätze zuständig sind. Aber für alle anderen Ausweichplätze, um die es hier geht, ist auf Grund des Gesetzes die Hessische Landesregierung in Zusammenarbeit mit uns verantwortlich.
Zusatzfrage des Abgeordneten Carstensen.
Herr Staatssekretär, können Sie dem Hohen Hause sagen, wie die hessische Regierung auf die Schreiben, Aufforderungen und auch auf die öffentlichen Ankündigungen und Aufforderungen reagiert hat?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Eine Antwort des hessischen Ministerpräsidenten auf das zitierte Schreiben ist mir nicht bekannt. Das haben wir auch zuletzt im Verteidigungsausschuß bedauert. Die laufenden Versuche unseres dafür zuständigen Abteilungsleiters in der hessischen Staatskanzlei sind bislang leider ohne spürbare, sachliche Konsequenzen auslösende Folgen gewesen.
Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Blunck.
Herr Staatssekretär, ich darf Sie fragen, ob wir Ihnen im Gegenzug einen Brief der hessischen Staatskanzlei zur Verfügung stellen sollen, in dem die Behauptungen, die Sie soeben wiederholt haben, zurückgewiesen werden. Es könnte ja sein, daß in dem Ministerium von Herrn Schwarz-Schilling alles drunter und drüber geht und daß Sie dieses Schreiben nicht haben. Sollen wir Ihnen dieses Schreiben, in dem bestritten wird, daß Sie jemals geschrieben haben, zur Verfügung stellen?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Für jedes Schreiben, besonders aber für jede aus der Mitte Ihrer Fraktion nun wirklich ein bißchen in Bewegung gebrachte Hilfe, um Wiesbaden-Erbenheim möglicherweise Entlastung zukommen zu lassen, ist die Bundesregierung Ihnen dankbar, Frau Kollegin.
Ich rufe Frage 33 der Abgeordneten Frau Rönsch auf:
Welchen Einfluß hat die Bundesregierung auf die schnelle Bereitstellung von Alternativstandorten?
Ich bitte, darauf zu achten, daß wir schnell zu einem Ende kommen. Großzügigkeit kann auch mißbraucht werden.
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Frau Rönsch, die Bundesregierung hat die Zuständigkeit für die Erkundung militärischer Ausweichplätze. Bei der Prüfung weiterer Ausweichplätze ist sie auf Grund des Luftverkehrsgesetzes auf die Zusammenarbeit mit dem Land Hessen angewiesen. Ich habe bereits gesagt: Wir wünschen uns, daß Hessen dies wirklich ernst nimmt und zusammen mit uns einen Ausweichplatz — möglicherweise auch einen zivilen sucht.
Zusatzfrage, Frau Rönsch.
Gibt es Erkenntnisse darüber, ob vielleicht andere sozialdemokratisch geführte Bundesländer bereit sind, für Entlastung in Hessen zu sorgen und Ausweichmöglichkeiten anzubieten? Dies war jetzt vom Ministerpräsidenten zu hören.
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Ich weiß, daß Versuche unternommen wurden, auch in anderen Bundesländern nach Ausweichplätzen zu suchen, aber ich kann mir nicht vorstellen, daß eine — wie immer auch befreundete — Landesregierung dies von sich aus anbietet, solange man nicht im eigenen Land wirklich alles geprüft hat und dann den Kollegen in anderen Bundesländern begründet sagt: Bitte hilf du mir; in meinem ganzen Land geht es nicht.
Eine weitere Zusatzfrage, Frau Rönsch. — Keine weitere Zusatzfrage.
Dann Herr Reuter zu einer Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ich gehe immer noch davon aus, daß die Fragen der Landesverteidigung Sache der Bundesregierung sind: Sie haben mehrfach darauf hingewiesen, daß das Land Hessen nicht kooperativ, nicht bereit sei zu helfen. Können Sie dem Hause bestätigen, daß die Hessische Landesregierung die Anregung gegeben hat, 25 Starrflügler nach Kassel-Calden, auf den Regionalflughafen, zu verlegen, daß das aber von den Amerikanern abgelehnt wurde?
Würzbach, Pari. Staatssekretär: Von den Amerikanern, Herr Kollege, ist signalisiert worden, daß sie bereit seien, auf dafür geeigneten Plätzen im Land Hessen einen entsprechenden Teil unterzubringen. Wir bitten seit geraumer Zeit, gemeinsam mit Vertretern des Landes Hessen, gemeinsam mit den Amerikanern als Ausweichplätze geeignete Plätze zu besichtigen. Schon dieser Beteiligung an der Besichtigung hat sich Hessen bisher entzogen, Herr Kollege.
Wir sind damit am Ende der Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung. Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär für die Beantwortung der Fragen.Wir kommen jetzt zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit. Zur Beantwortung der Fragen steht Frau Minister Dr. Süssmuth zur Verfügung.Ich rufe die Frage 35 der Frau Abgeordneten Wagner auf:Wie stellt sich die Bundesregierung die gesamte Arbeitszeitregelung vor, wenn sich die Bundesministerin für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit in ihrer Rede zu „Frauen im öffentlichen Dienst" für den zentralen Bereich ihrer Politik, die bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie, ausgesprochen hat auf der Grundlage ihrer Überzeugung „Jedes Mit-
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Juni 1986 17445
Vizepräsident Westphalglied der Gesellschaft hat ein Recht und eine Verpflichtung, in beiden Bereichen tätig zu werden" und für Lösungen, wie z. B. familienfreundliche Arbeitszeiten, eintreten will?Bitte schön, Frau Minister.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Zur Frage 35 antworte ich, daß meine Position ist, daß wir eine flexiblere Gestaltung des Arbeitslebens brauchen, gerade im Hinblick auf eine größere Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Das bedeutet mehr Flexibilitat in den Tages-, Wochen-, Monats- und Jahresarbeitszeiten. Dies bedeutet ferner einen Zuwachs an sozialversicherungspflichtigen Teilzeitarbeitsplätzen für Männer und Frauen. Dies bedeutet drittens — etwas, was auch von meinem Hause gefördert wird — Berufskontakte während der Unterbrechungsphase. Und es bedeutet viertens Ausbau der beruflichen Wiedereingliederungsmaßnahmen für diejenigen, die die Erwerbstätigkeit unterbrochen haben.
Zusatzfrage, Frau Wagner.
Da auch nach unserer Auffassung die Verwirklichung des Ziels Vereinbarkeit von Beruf und Familie nur durch eine andere Arbeitszeitpolitik möglich ist, dagegen Arbeitszeitformen wie Teilzeitarbeit und befristete Arbeitsverträge eher die Verschlechterung der ökonomischen Situation von Frauen und die Verschärfung der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung zur Folge haben, frage ich Sie, ob nicht die erhebliche Verkürzung der Wochenarbeitszeit mit Lohnausgleich, und zwar für beide Geschlechter, die wichtigste Basis für die Umverteilung der Erwerbs- und Hausarbeit bedeutet?
Frau Dr. Süssmuth, Bundesminister: Mit Blick auf die beiden Lebensbereiche Familie und Erwerbstätigkeit bin ich der Meinung, daß für Männer und Frauen gilt, daß wir nicht nur an bisherigen Arbeitszeitstrukturen festhalten können, daß wir aber eine Gesellschaft auch nicht von heute auf morgen in neue Arbeitszeitstrukturen führen können. Um den Wünschen und Nachfragen bisher überwiegend der Frauen Rechnung zu tragen und um Kinder nicht zu kurz kommen zu lassen, müssen wir Übergänge gestalten, die diese Formen annehmen, wie wir sie gegenwärtig anstreben.
Zusatzfrage, Frau Wagner.
Stellen Sie sich, Frau Süssmuth, nach Ihrer Äußerung in einem „dpa"-Gespräch, daß neben einer Veränderung der Erwerbsarbeitsstrukturen die Nichterwerbsarbeit der Frauen aufgewertet bzw. neu bewertet werden muß, die Rücknahme der von dieser Bundesregierung vorgenommenen Sozialkürzungen vor, die die Zunahme der unbezahlten Arbeit von Frauen zur Folge hatten, und damit die Wiederentlohnung bestimmter Tätigkeiten, oder denken Sie dabei nur an die ideelle Aufwertung der Frauenarbeit mit Taschengeldvergütung?
Augenblick. — Also, bitte, hier sitzt schon jemand, der allein damit umzugehen weiß, weil wir eine Geschäftsordnung haben.
Lassen Sie mich bitte vor der Beantwortung eine Anmerkung machen, gerade auch an die Fraktionsführung derjenigen, die die Fragen für diesen Geschäftsbereich eingereicht haben. Nach unserer Geschäftsordnung soll es sich um Fragen handeln, die kurz formuliert sein sollen. Das steht da. wörtlich drin. Wenn Sie sich diese Fragen ansehen, werden Sie mir bestätigen müssen: Dies ist nicht geschehen. Dies sind halbe Romane.
Dann darf man wenigstens die Zusatzfragen kurz erbitten.
Also, wo ist das Fragezeichen, Frau Wagner?
Ich frage, ob Frau Süssmuth daran denkt, die Sozialkürzungen, die diese Bundesregierung vorgenommen hat,
wieder zurückzunehmen, oder ob sie nur an eine ideelle Aufwertung der Frauenarbeit mit Taschengeldvergütung denkt. — Fragezeichen!
Frau Dr. Süssmuth, Bundesminister: Ich bin zwar auch der Auffassung, daß das mit der Frage 35 nichts zu tun hat, erkläre aber in aller Kürze: Nach jahrelanger ausschließlich ideeller Bewertung ist durch das Erziehungsgeld für nichterwerbstätige Mütter mehr als eine ideelle Anerkennung geschehen.
Wenn nach 100 Jahren Rentenrecht erstmalig — zugestanden: noch nicht für alle — ein Erziehungsjahr eingeführt worden ist, dann ist das eine materielle Aufwertung der Familienarbeit. Es ist längst noch nicht das Ende der Fahnenstange; diesen Weg haben wir in der Familienpolitik, insbesondere auch für die Pflegetätigkeit, fortzusetzen.
Zusatzfrage des Abgeordneten Vogel .
Frau Ministerin, Sie hatten vorhin in der Antwort auf die ursprüngliche Frage gesagt, Sie streben einen Zuwachs sozialversicherungspflichtiger Teilzeitarbeitsplätze an. Nun, wir kennen j a alle das Elend von 19-Stunden-Arbeitsplätzen — —
Ich muß eine Frage haben, Herr Vogel. Sie können verstehen, daß ein Prä-
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17446 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Juni 1986
Vizepräsident Westphalsident hier jetzt sehr darauf hinwirken muß, daß es kurze Fragen werden, nach so langen Romanen, die wir erst lesen müssen.
Kann ich das so deuten, daß Sie oder die Bundesregierung beabsichtigen, in Zukunft nicht erst bei Teilzeitarbeitsverhältnissen von 20 Stunden und mehr die Sozialversicherungspflicht einzuführen, sondern auch schon bei Teilzeitarbeitsverhältnissen mit geringerer Arbeitszeit?
Frau Dr. Süssmuth, Bundesminister: Ich denke, daß die Bundesregierung gerade auch im Beschäftigungsförderungsgesetz eine größere Absicherung der Teilzeitarbeit vorgenommen hat. Dies gilt auch für die Förderung der Teilzeitarbeit im Arbeitsförderungsgesetz, die vorher überhaupt nicht aufgenommen war.
Zusatzfrage des Abgeordneten Senfft.
Sehen Sie in der Forderung der Gewerkschaften nach Einführung der 35-StundenWoche einen sinnvollen Beitrag zur Arbeitszeitregelung für Frauen und Männer?
Frau Dr. Süssmuth, Bundesminister: Ich habe den Eindruck, Herr Präsident, daß ich mich jetzt auf dem Gebiet ganz neuer Fragen befinde, die vorher überhaupt nicht eingebracht wurden.
Ich rufe die Frage 36 der Abgeordneten Frau Wagner auf:
Wie erklärt sich die Bundesregierung den Widerspruch, daß Frau Bundesministerin Dr. Süssmuth auf einer Veranstaltung des Landfrauenrates Niedersachsen bei der Durchsetzung der Gleichberechtigung auf mögliche massive Widerstände hingewiesen hatte, und in einer anderen Rede auch die Notwendigkeit von Quotendiskussionen befürwortete, die sie aber dann in ihrer Rede zu „Frauen im öffentlichen Dienst" grundsätzlich ablehnte und auf Richtlinien und Leitfäden verwies, und ist die Bundesregierung mit uns der Auffassung, daß gerade angesichts der realistischen Prognose der Bundesministerin für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit nur eine Quotenregelung im Erwerbsbereich den notwendigen Druck zur Realisierung der Gleichberechtigung ausübt?
Frau Dr. Süssmuth, Bundesminister: Zur Frage 36 — Stichwort: Quotenregelung — möchte ich sagen, daß ich erstens erklärt habe, daß die Diskussion über Quotenregelungen angesichts der Anteile, die Frauen in den Parlamenten erreicht haben, nicht erstaunen kann. Ich habe von Anfang an — ich erinnere an das Wort, das Sie hier nicht zitiert haben — von flexiblen Richtwerten gesprochen, die wir auch brauchen, wenn wir wissen, wohin wir wollen.
Bezüglich der Frage, ob die Quotenregelung das einzig adäquate und wirksame Mittel zur Durchsetzung der Gleichberechtigung im Beruf sei, muß ich Sie auf die Nachbarländer und auch auf Amerika oder Kanada verweisen, wo Quoten bestehen und die Gleichberechtigung ebenfalls nicht erreicht ist. Die Quotenregelung ist vielleicht wirksam auf dem Papier, aber damit ist sie längst noch nicht in der Praxis wirksam.
Zusatzfrage, Frau Wagner.
Wenn Sie selbst die Meinung vertreten, daß es mittlerweile nicht nur ein Vorurteil, sondern ein Urteil sei, wenn Frauen unterstellt wird, sie stünden dem Arbeitgeber auf Grund ihrer Aufgaben in der Familie nur begrenzt zur Verfügung:
Sind Sie dann wirklich der Überzeugung, daß ein Personalchef sein Verhalten gegenüber den Frauen auf der Basis von Richtlinien entscheidend verändern wird?
Frau Dr. Süssmuth, Bundesminister: Sie haben sich in Ihrer Frage auf die Richtlinien für den öffentlichen Dienst bezogen. Ich denke, daß jede Fördermaßnahme — sei es im öffentlichen Dienst oder außerhalb des öffentlichen Dienstes — einen Einfluß nimmt, indem nämlich im öffentlichen Dienst Bericht erstattet werden muß und in der Privatwirtschaft der Betriebsrat der entscheidende Kontrolleur wäre, um die Frauenförderung mit durchzusetzen.
Zum anderen wissen wir, daß alle frauenfördernden Maßnahmen in erster Linie mit zum Bewußtseinswandel in der Gesellschaft beitragen sollen. Sie haben also unterschiedliche Funktionen. Niemand behauptet, daß Frauenförderungsrichtlinien als einziges Mittel genügen, um eine ausreichende Anzahl von Arbeitsplätzen für Frauen zu schaffen und die berufliche Förderung der Frau zu bewirken.
Sie haben eine weitere Zusatzfrage, Frau Wagner.
Bleiben wir beim Personalchef. Sind Sie der Meinung, daß Frauen auf der Basis von Richtlinien bis zur Pensionierung des vorurteilsbeladenen Personalchefs warten sollen, oder sollen sie sich ganz individuell ein gutes Verhältnis zu anderen Führungskräften aufbauen, oder sollten sie an Stelle der Richtlinien einen einklagbaren Anspruch
auf bevorzugte Einstellung und Förderung fordern?
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Juni 1986 17447
Frau Dr. Süssmuth, Bundesminister: In Ergänzung zu den Förderungsrichtlinien haben wir ein Verbot der Diskriminierung von Frauen am Arbeitsplatz. Sie wissen, daß in Verbindung mit dem EG-Anpassungsgesetz Richterurteile ergangen sind, wo dieses individuelle Zuwarten Frauen nicht zugemutet wird.
Zusatzfrage, Frau Blunck.
Frau Ministerin, können Sie mir bitte sagen, seit wann und wo in den Förderungsrichtlinien die Berichtspflicht für den öffentlichen Dienst verankert ist?
Frau Dr. Süssmuth, Bundesminister: Es ist in den Richtlinien zum öffentlichen Dienst eine Berichtspflicht vor dem Innenausschuß verankert. Ich habe hier im deutschen Parlament gesagt, ich gehe davon aus, daß wir diese Berichte jeweils hier im Parlament diskutieren.
Zusatzfrage, Frau Hürland.
Frau Ministerin, sind Sie mit mir der Meinung, daß es besser wäre, nicht Beziehungen zu Chefs zu fördern oder anzustreben, sondern als Frau darauf hinzuarbeiten, durch eine solide Schulbildung, durch ein Studium oder eine Ausbildung und Weiterbildung, selber Chef zu werden?
Frau Dr. Süssmuth, Bundesminister: Diese Frage kann ich rundum mit Ja beantworten. Allerdings gehören dazu auch die Rahmenbedingungen, daß es einem ermöglicht wird, Chef zu werden.
Wir kommen zur Frage 37 der Abgeordneten Frau Zeitler:
Ist die Bundesregierung der Auffassung der Bundesministerin für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit, die in einem SPIEGEL-Gespräch im letzten Jahr es als „flexibles Verhalten" ansah, wenn „weniger Frauen ein Lehramtsstudium aufnehmen , sondern eine andere Ausbildung wählen, wo sie womöglich mehr Chancen haben", und versteht sie dies so, daß der geschlechtsspezifische Arbeitsmarkt und die Diskriminierung von Frauen bei Ausbildungsplätzen, die nicht zu den wenigen traditionell weiblichen Berufen gehören, keinen Einfluß hätten, sondern kommt es nach Meinung der Bundesregierung auf die jeweils individuelle Flexibilität der Frauen an?
Bitte schön, Frau Ministerin.
Frau Dr. Süssmuth, Bundesminister: Das Ziel der Politik der Bundesregierung, die Benachteiligung von Mädchen und Frauen bei der Ausbildungsplatzsuche und im Berufsleben zu beseitigen, kann nur erreicht werden, wenn einerseits über den Weg der schulischen Bildung und Beratung, aber auch der Berufsberatung Mädchen und Frauen ihrerseits das gesamte Spektrum der Berufsmöglichkeiten ausschöpfen und ausschöpfen können und sich nicht weiterhin auf Berufe konzentrieren, die nur eingeschränkte Berufsperspektiven eröffnen.
Zusatzfrage, Frau Zeitler.
Frau Ministerin, können Sie mir sagen, wie viele Mädchen aus den Modellversuchen „Mädchen in Männerberufen" nach Abschluß ihrer Ausbildung einen der Ausbildung entsprechenden Arbeitsplatz gefunden haben?
Frau Dr. Süssmuth, Bundesminister: Nach den Erkenntnissen des Modellversuchs „Mädchen in gewerblich-technischen Berufen" sind die Vermittlungschancen in den verschiedenen Berufen sehr unterschiedlich. Wir haben Vermittlungsquoten, die sich zwischen 7% und 24 %, in anderen Bereichen bis über 70% bewegen. Wir haben aber zugleich das Problem, daß die Verweildauer im erlernten Beruf bei einer Reihe von Modellteilnehmerinnen äußerst kurz ist und sie nach einem anderen Beruf Ausschau halten, weil die Praxis der Berufsausübung und die Erfahrungen, die sie am Arbeitsplatz machen, nicht ihren angestammten Vorstellungen entsprechen.
Weitere Zusatzfrage, Frau Zeitler.
Könnten Sie mir sagen: Warum wird nach Ihrer Auffassung von den Mädchen in so geringem Maße eine Ausbildung in gewerblich-technischen Berufen angestrebt, obwohl die Modellversuche „Mädchen in Männerberufen" gezeigt haben, daß junge Frauen sehr wohl für eine solche Ausbildung geeignet sind?
Frau Dr. Süssmuth, Bundesminister: Die Gründe für die geringere Nachfrage liegen auf mehreren Ebenen. Zum einen — damit betrachte ich zugleich diese Modellversuche auch kritisch — handelt es sich um Berufe, die von Männern verlassen werden, die für sie keine Berufschancen mehr bieten und in die Frauen auch nicht hineingehen sollten. Deswegen habe ich in der Weiterführung dieser Modellversuche, bevor ich dieses Amt übernommen habe, eine Ausweitung vorgenommen: gewerblich-technische und technische Berufe.Ein zweiter Punkt ist, daß in der Entwicklung der Mädchen zwischen dem 12. und 14. Lebensjahr eine erhebliche Verengung des Berufsspektrums erfolgt. Die Experten sagen: Das hat mit geschlechtsspezifischen Erfahrungen zu tun, weil Mädchen in dieser Phase, in der sie auch Beziehungen zum anderen Geschlecht eingehen, nach wie vor erhebliche Schwierigkeiten in nicht traditionellen Berufen haben.Ein dritter Grund ist der, daß Mädchen in diesen Berufen, wenn sie dann als Gesellinnen bei Kunden erscheinen, nach wie vor mit dem Vorurteil belegt werden, daß sie die Arbeit offenbar doch nicht so angemessen wie Männer ausführen könnten.
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17448 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Juni 1986
Bundesminister Frau Dr. SüssmuthEin vierter Grund ist, daß sich die Betriebe in einem hohen Maße noch nicht auf Mädchen in nicht traditionellen Berufen eingestellt haben.Ich behaupte nicht, damit jetzt schon alle Faktoren genannt zu haben.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Vogel .
Frau Ministerin, Sie teilen also praktisch unsere Auffassung, daß bei den Mädchen zwar — —
Herr Vogel, wir wollen keine Kommentare hören, sondern Fragen.
Ich frage ja, ob die Ministerin unsere Auffassung teilt, daß bei den Mädchen zwar der Wille da ist, auch in solche Berufe zu gehen, daß aber häufig Vorurteile des Unternehmers oder Personalchefs dafür ausschlaggebend sind, daß sie keine Möglichkeit haben, solche Berufe dann auch zu erlernen.
Frau Dr. Süssmuth, Bundesminister: Ich teile diese Auffassung so, wie Sie sie formuliert haben, nicht. Es gibt die Vorurteile, und es gibt sehr viele Mädchen, die aus unterschiedlichen Gründen nach wie vor diese Berufe nicht anstreben. Ich kann die Ursachen nicht auf die Vorurteile beschränken.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Schierholz.
Frau Ministerin, wie bewerten Sie denn meine Ansicht, daß gerade die Erfahrungen mit dem Modellversuch „Mädchen in gewerblich-technischen Berufen" genau das Gegenteil Ihrer Auffassung beweisen, nämlich beweisen, daß — wie Sie es genannt haben — flexible Richtwerte zur Förderung von Frauen nicht ausreichen, sondern eben härtere Maßnahmen, etwa der von uns in die Diskussion gebrachte Entwurf eines Antidiskriminierungsgesetzes, vonnöten sind?
Frau Dr. Süssmuth, Bundesminister: Herr Schierholz, ich muß Ihnen darauf antworten: Der Tatbestand, daß bei mehreren Handwerkskammern Mädchen in gewerblich-technischen Berufen gesucht, aber nicht gefunden werden, wirft zugleich die Frage auf, ob mit einer Quotenregelung geholfen ist oder ob andere Prozesse eingeleitet werden müssen, um Mädchen anders zu motivieren.
— Ja, gut.
Eine Zusatzfrage, Frau Rönsch.
Frau Minister, welche Vorkehrungen hat die Bundesregierung vorgefunden, um Mädchen, die besonders benachteiligt sind, zu begünstigen? Es war ja abzusehen, daß geburtenstarke Jahrgänge auf uns zukommen. Hatte die letzte Bundesregierung in dieser Richtung schon etwas bewegt?
Frau Dr. Süssmuth, Bundesminister: Wir haben das Modell „Gewerblich-technische Berufe" vorgefunden. Nun möchte ich hier sagen: Das hat nichts mit einem Benachteiligtenprogramm zu tun, sondern wählt eher anders qualifizierte Mädchen aus.
Was ich hier noch einmal nachdrücklich sagen möchte, ist, daß das Benachteiligtenprogramm mit seinem ursprünglichen Ansatz von 69 Millionen DM im Jahre 1982 und seinem heutigen Ansatz von 407 Millionen DM die Maßnahme ist, mit der im Verbund von Ländern und Bund überhaupt Entscheidendes für die benachteiligten Mädchen in der betrieblichen und der überbetrieblichen Ausbildung geleistet werden konnte.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Volmer.
Frau Ministerin, sind Sie denn angesichts der diskriminierenden Erfahrungen, die Mädchen bei der Arbeitsplatzsuche machen, noch der Ansicht, daß Appelle an die Arbeitgeber ausreichen, oder sind nicht vielmehr schärfere gesetzliche Maßnahmen, wie sie etwa im Rahmen eines Antidiskriminierungsgesetzes zu formulieren wären, nötig?
Frau Dr. Süssmuth, Bundesminister: Bevor wir zu Maßnahmen greifen, von denen wir auch nicht behaupten können, daß sie den Mädchen ausreichende Startchancen geben, wäre es sinnvoller, zunächst einmal Maßnahmen einzuleiten, die tatsächlich erst modellhaft und dann flächenhaft eine intensive schulische und außerschulische Berufsberatung begleiteten, und in der Übergangszeit, wie wir es jetzt schon begonnen haben, mehr Mädchen über die überbetriebliche Ausbildung zu einer qualifizierten Ausbildung zu führen.
Eine Zusatzfrage, Frau Wagner.
Frau Ministerin, sind Sie denn mit mir der Auffassung, daß auch die Streichung des Schüler-BAföG und die Umstellung des BAföG auf Volldarlehen ihr Zusätzliches dazu beigetragen haben, die Ausbildungs- und Studiensituation von Mädchen noch weiter zu verschärfen, und was gedenken Sie dagegen zu unternehmen?Frau Dr. Süssmuth, Bundesminister: Der Nachweis, daß die Kürzung von Schüler-BAföG und Studenten-BAföG die Ausbildungssituation der Mädchen verschlechtert hat, kann zumindest nicht dergestalt geführt werden, daß wir weniger Mädchen mit qualifizierten Schulabschlüssen und in fachlichen Vollzeitschulen hätten.
Die Tatsache, daß Mädchen zu einem höheren Anteil ihre Studienwünsche zurückgestellt haben oderihre Studien abgebrochen haben, hat unter ande-
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Juni 1986 17449
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Bundesminister Frau Dr. Süssmuthrem damit etwas zu tun, daß sie zu einem überproportional hohen Anteil in den geisteswissenschaftlichen Fächern vertreten sind. Aus eigener Erfahrung kann ich sagen, wo immer ein Lehramtskandidat oder eine Lehramtskandidatin — das gilt für beide — einen Ausbildungsplatz anderenorts findet, wird von der Studienabsicht zunächst einmal Abstand genommen, um einen Beruf zu erlernen, bei dem größere Arbeitsplatzchancen bestehen.
Zusatzfrage des Abgeordneten Werner .
Frau Bundesminister, können Sie bestätigen, daß sich unter Federführung des Hauses für Bildung und Wissenschaft gerade eine Arbeitsgruppe damit beschäftigt, die möglicherweise auftretenden Erschwernisse auf Grund der Darlehenssituation — BAföG — in Verbindung mit der Harmonisierung der anderen Freibetragsgrenzen in besonderer Weise zu behandeln und vor diesem Hintergrund Vorschläge auszuarbeiten und vorzulegen?
Frau Dr. Süssmuth, Bundesminister: Mir ist die Bildung dieser Arbeitsgruppe bekannt. Ich glaube, das gilt für Mädchen und Jungen, daß wir den Bereich der Ausbildungsförderung noch einmal zu überdenken haben, um Engpässe, die gegenwärtig bestehen, zu beseitigen. Ich möchte in diesem Zusammenhang aber daran erinnern, daß selbst ein Land wie Schweden BAföG immer mit der Maßgabe der späteren Rückzahlung gewährt hat — unter im Gesamtverlauf zumutbaren Bedingungen. Ich bestreite überhaupt nicht, daß unter den gegenwärtigen Schwierigkeiten bezüglich Arbeitsmarkt und Ausbildungsplätzen der Ausbildungsförderung ein besonderer Stellenwert zukommt.
Zusatzfrage der Abgeordneten Dr. Däublin-Gmelin.
Frau Süssmuth, wollen Sie ernsthaft bestreiten, was Ihnen doch jedes Ausbildungsamt eines Landratsamtes sagen kann, daß nach der Streichung des Schüler- und Studenten-BAföG junge Frauen überproportional weniger gefördert werden?
Frau Dr. Süssmuth, Bundesminister: Wenn Sie mir diese Frage stellen, müßten Sie mir zunächst sagen, was Sie jetzt mit Förderung meinen. Soweit eine Anspruchsvoraussetzung entfällt, kann keine Förderung gewährt werden. Aber offenbar hat Ihre Frage einen anderen Inhalt.
Zusatzfrage des Abgeordneten Stahl.
Frau Bundesministerin, Sie sagten eben, daß es keinerlei Erkenntnisse über die Auswirkungen der starken Kürzung des BAföG bezüglich der Mädchen und Frauen gebe. Auf der anderen Seite hat Sie der Kollege Werner eben in einer Entlastungsfrage gefragt, ob es nicht richtig sei, hierzu eine besondere Kommission einzurichten. Finden Sie nicht, daß da ein Widerspruch zwischen der Regierung und der Regierungsfraktion im Deutschen Bundestag besteht?
Frau Dr. Süssmuth, Bundesminister: Ich möchte ganz deutlich sagen, daß es weder einen Widerspruch in der Aussage gibt noch einen Widerspruch in der Anfrage von Herrn Werner. Es sind zweierlei Dinge, ob wir auf Grund der veränderten Ausbildungsförderung eine Verschlechterung der Ausbildungschancen der Mädchen nachweisen können oder ob wir davon sprechen, daß ein größerer Anteil durch Zusatzverdienste oder erhöhte Aufwendungen der Familien für diese Schul-, Ausbildungs- und Studienabschlüsse erwirtschaftet werden muß. Insofern ist hier die Frage des Familienlastenausgleichs gestellt.
Zusatzfrage des Abgeordneten Senfft.
Frau Bundesministerin, nachdem Sie die Schwierigkeit für junge Frauen bestätigt haben, nach ihrer Ausbildung im gewerblichtechnischen Bereich eine Anstellung zu finden, als auch davon abgeraten haben, das Lehramtsstudium aufzunehmen, möchte ich Sie fragen: Für weichen Beruf würden Sie heute jungen Frauen und Mädchen empfehlen, eine Ausbildung anzustreben?
Frau Dr. Süssmuth, Bundesminister: In der gegenwärtigen Situation haben Mädchen unverhältnismäßig größere Chancen, wenn sie erstens, was bereits viele Mädchen tun, von den Geisteswissenschaften in die Sozial- und Wirtschaftswissenschaften in Kombination gehen, wenn sie zweitens in die wirtschaftlichen Berufe gehen. Ein großer Teil drängt j a gerade in die Dienstleistungsberufe. Ich nenne die neuen Technologien, sei es als Zusatzqualifikation oder als Grundberuf. In der DDR sind es 60 % der Frauen, die als Informatikerinnen tätig sind. Andere Bereiche tun sich für Frauen als neue Selbständige neu auf, wo sie bisher immer nur in anderer Rolle tätig waren. Hier hat sich der Anteil der Frauen in ganz kurzer Zeit, nachdem vorher nur jede vierte Anmeldung für selbständige Tätigkeit eine Frau betraf, um 50 % erhöht. Gegenwärtig ist jede zweite Frau in unterschiedlichen Unternehmensgrößen als Selbständige tätig, wo sich Frauen beruflich ihren Lebensunterhalt verdienen.
Ich rufe die Frage 38 der Abgeordneten Frau Hönes auf:Wie begründet die Bundesregierung den Meinungsumschwung ihrer Bundesministerin für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit, die noch im Januar 1986 anläßlich einer Rede vor der Handwerkskammer Würzburg die Forderung von Frauenvereinigungen und Frauen-Arbeitsgemeinschaften in politischen Parteien nach Quotenregelungen oder dynamischen Richtwerten für die Steigerung des Frauenanteils bei der Besetzung aller parteilichen Gremien als „jetzt schon sehr erfolgreich" begrüßt hat, sich aber zuletzt Anfang Juni 1986 gegenüber dpa gegen starre Quoten zur Erreichung dieses Zieles aussprach, und wie erklärt sie sich diese nachträgliche Distanzierung von Frau Dr. Süssmuth von der Quotie-
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Vizepräsident Westphalrungsdiskussion, die von ihr zunächst befürwortet wurde und in ihrer Bedeutung als „über die politischen Parteien hinausgehend" eingeschätzt worden war?Frau Dr. Süssmuth, Bundesminister: Zu Frage 38 kann ich nur wiederholen, was ich schon gesagt habe. Ich unterstreiche noch einmal, auch wenn ich ganz ausdrücklich gegen starre Quoten gesprochen habe, schließt das doch wohl nicht aus, daß man eine Quotendiskussion für nützlich halten kann.
Eine Zusatzfrage, Frau Hönes.
Frau Ministerin, bedeutet dieser Rückzug aus der Quotierungsdiskussion, den Sie jetzt gerade einleiten, daß Sie nun wieder auf das von Ihnen selbst als nach dem altbekannten Muster gestrickt kritisierte Alibi zurückgreifen, wonach für die Defizite der Frauen hauptsächlich die Frauen selbst verantwortlich sind und den Frauen, die in allen Parteien seit einiger Zeit wieder verstärkt um die gleichberechtigte Besetzung von Mandaten und Funktionen mit Frauen kämpfen, empfehlen, weiterhin allein auf ihre persönliche Durchsetzungskraft und die Überwindung dieser Defizite zu setzen?
Frau Dr. Süssmuth, Bundesminister: Frau Hönes, ich glaube, Sie wissen selbst, daß Sie mir damit eine Frage stellen, die auf Sie zurückfällt. Denn deutlicher, als ich das durchgängig tue, kann es wohl kaum jemand erklären, daß die mangelnde Beteiligung nichts mit Defiziten bei den Frauen zu tun hat.
Aber dies schließt nicht aus, daß wir unterschiedlicher Auffassung darüber sind, wie wirksam Quoten bei der Durchsetzung der Fraueninteressen sind.
Frau Hönes, eine weitere Zusatzfrage, aber bitte kurz.
Ja. Legt Ihre Feststellung vom September 1985, wonach einzelne Frauen, die in reine Männergremien kämen, in der Regel kaum eine Chance hätten, sich anders zu verhalten, als es die Männer erwarten — ich zitiere jetzt —, nicht gerade die Forderung nach festen Quoten für Frauen nahe, um zu verhindern, daß sich weiterhin einzelne Frauen an männlich geprägten Strukturen aufreiben?
Frau Minister, ich kann verstehen, daß Sie nicht ganz verstanden haben, was gefragt worden ist. Das tut mir furchtbar leid.
Frau Dr. Süssmuth, Bundesminister: Ob das bei mir akustisch richtig angekommen ist, kann ich nicht gewährleisten. Ich versuche aber zu antworten. Sie gehen erneut davon aus, daß der beklagenswerte Tatbestand, daß in vielen Gremien nur einzelne Frauen vertreten sind, allein durch eine Quotenregelung zu verbessern ist. Das muß ich mit einem Nein beantworten, weil Sie davon ausgehen, die Quotenregelung sei die einzig wirksame Maßnahme zur Durchsetzung von Fraueninteressen. Ich bin der Meinung, daß wir ein breiteres Spektrum von Maßnehmen brauchen. Die Quote ist das letzte
Mittel. Denn wir wissen — das sage ich noch einmal — aus den Erfahrungen in anderen Ländern, wie schwach diese Waffe sein kann.
Eine Zusatzfrage, Frau Blunck.
Frau Ministerin, würden Sie mir zustimmen, daß man für Frauen nicht nur etwas erklären, sondern etwas tun muß, und können Sie sagen, warum Sie nichts tun?
Frau Dr. Süssmuth, Bundesminister: Die Frage kommt mir wie gelegen. Wenn in jeder Legislaturperiode so viel wie von mir versucht worden wäre
-- ich bin noch nicht am Ende meines Satzes — und dies auch zu Ergebnissen geführt hätte, dann wären wir schon weiter. Ich bin gerade neun Monate im Amt.
Wenn Sie mich fragen, was ich tue, sage ich Ihnen dies: Ich habe eben damit aufgehört, mich damit zufriedenzugeben, Regelungen für Frauen nur qua Anregung und Prüfung weiterzuführen. Ich bin zwar nicht für ein isoliertes Frauenministerium, aber für ein solches, in dem wirksam die Belange von Frauen auch verfolgt werden können. Gesetzgebungskompetenz hätten Sie wahrscheinlich auch gern durchgesetzt. Dann hätten Sie mich wahrscheinlich nicht so, wie Sie es jetzt tun, aufs Korn genommen und gefragt was ich denn täte. Es gibt nichts Vergleichbares in der Bundesrepublik. Daß dies innerhalb so kurzer Zeit geschehen ist, ist durchaus als Leistung herauszustellen.
Ich nenne einen zweiten Bereich, für den ich mich maßgeblich eingesetzt habe und für den wir gegenwärtig nach einer Lösung suchen: die Jahrgänge vor 1921. Mit all denen, die eine Lösung suchen, kann ich nicht sagen, daß ich hier nur schöne Reden halte und untätig bin.
— Bei Ihnen haben wir sehr lange gewartet; bei uns warten Sie noch nicht einmal sechs Monate.
Wir sind damit am Ende der Fragestunde*). Ich danke Frau Bundesminister für die Beantwortung der Fragen.
*) Die Fragen 39 bis 50 und 63 werden von den Fragestellern zurückgezogen. Die übrigen nicht erledigten Fragen werden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen im Stenographischen Bericht über die 226. Sitzung abgedruckt.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Juni 1986 17451
Vizepräsident WestphalIch rufe nun die Tagesordnungspunkte 4 a bis 4 d auf.4. a) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Jaunich, Frau Fuchs , Egert, Hauck, Frau Schmidt (Nürnberg), Delorme, Dreßler, Fiebig, Gilges, Müller (Düsseldorf), Frau Dr. Lepsius, Sielaff, Waltemathe, Witek, Dr. Vogel und der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Arzneimittelgesetzes (2. AMG-Änderungsgesetz)— Drucksache 10/4144 —Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Jugend, Familie und Gesundheit
— Drucksache 10/5732 —Berichterstatter:Abgeordnete Frau Augustin JaunichEimer
Frau Wagner
b) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Arzneimittelgesetzes— Drucksachen 10/5112, 10/5258 —aa) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Jugend, Familie und Gesundheit
— Drucksache 10/5732 —Berichterstatter:Abgeordnete Frau Augustin JaunichEimer
Frau Wagnerbb) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung— Drucksache 10/5768 —Berichterstatter:Abgeordnete Rossmanith WaltematheDr. Müller
c) Zweite und dritte Beratung des von der Abgeordneten Frau Wagner und der Fraktion DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Arzneimittelgesetzes
— Drucksache 10/5168 —Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Jugend, Familie und Gesundheit
— Drucksache 10/5732 —Berichterstatter: Abgeordnete Frau AugustinJaunichEimer Frau Wagner
d) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Jugend, Familie und Gesundheit zu der Unterrichtung durch die BundesregierungVorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Angleichung der einzelstaatlichen Maßnahmen betreffend das Inverkehrbringen technologisch hochwertiger Arzneimittel und insbesondere solcher, die mit Hilfe biotechnologischer Prozesse hergestellt werdenVorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Änderung der Richtlinie 75/318/EWG zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die analytischen, toxikologischpharmakologischen und ärztlichen oder klinischen Vorschriften und Nachweise über Versuche mit ArzneispezialitätenVorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Änderung der Richtlinie 81/852/EWG zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die analytischen, toxikologischpharmakologischen und tierärztlichen oder klinischen Vorschriften und Nachweise über Versuche mit TierarzneimittelnVorschlag für eine Empfehlung des Rates zu den Versuchen mit Arzneispezialitäten im Hinblick auf deren InverkehrbringenVorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Änderung der Richtlinie 65/65/EWG zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften über Arzneispezialitäten— Drucksachen 10/2525, 10/5520 —Berichterstatterin: Abgeordnete Frau AugustinHierzu liegen auf den Drucksachen 10/5745 bis 10/5761 Änderungsanträge der Fraktion der SPD sowie auf Drucksache 10/5743 ein Änderungsantrag der Abgeordneten Jaunich und Frau Dr. Neumeister vor.Meine Damen und Herren, nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die gemeinsame Beratung der Tagesordnungspunkte 4 a bis 4 d 60 Minuten vorgesehen. — Dazu höre ich keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Abgeordnete Frau Augustin.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Ihnen auf Drucksache 10/5112 vorliegende und von der Bundesregierung eingebrachte Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur
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17452 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Juni 1986
Frau AugustinÄnderung des Arzneimittelgesetzes und die Beschlußvorlage des Ausschusses auf Drucksache 10/ 5732 folgen der Notwendigkeit, das am 6. Mai 1976 in diesem Hause verabschiedete Arzneimittelgesetz, welches sich vorzüglich bewährt hat, den modernen Entwicklungen heute anzupassen.Dieser Gesetzentwurf ist außerdem ein weiterer Meilenstein auf dem Weg zu einem gemeinsamen Arzneimittelmarkt innerhalb der Europäischen Gemeinschaft.Im Namen der CDU/CSU-Fraktion geht mein Dank an die Bundesregierung, die diesen Entwurf zunächst einmal erstellt hat, aber auch ganz ausdrücklich an den Bundesrat, der durch seine intensive Beratung, die von hohem Sachverstand getragen wurde, einen großen Teil dazu beigetragen hat, daß wir heute einer Vorlage zustimmen können, die wirklich in die Zukunft weist. Viele Anregungen des Bundesrates haben ihren Niederschlag in den von der Koalition vorgelegten Änderungsanträgen gefunden.In der Kürze der Zeit möchte ich nur auf einige wenige wesentliche Neuregelungen eingehen, zunächst einmal auf die Einführung einer Fachkreisinformation. Die Erfahrung hat gezeigt, daß die bisher gebrauchte Packungsbeilage zu Fertigarzneimitteln als einziges Informationsmaterial sowohl für den Arzt als auch für den Apotheker als auch für den Patienten einfach ungeeignet war. So entstanden nicht selten bei der Lektüre durch den Patienten auf Grund der vielen für den Laien oft unverständlichen Fachausdrücke Ängste und Mißverständnisse. Diesem Mißstand wird nun durch die Einführung einer Fachinformation abgeholfen.Bei der großen Zahl der auf dem Markt befindlichen Arzneimittel, die als solche gesundheitspolitisch durchaus zu begrüßen ist, war es ein weiteres Anliegen der Bundesregierung, eine Verbesserung der Überschaubarkeit dieses Arzneimittelmarktes herbeizuführen. Die im vorgelegten Gesetzentwurf vorgesehene Einrichtung einer Transparenzkommission bietet hierfür erstmals eine gesetzliche Grundlage. Aufgabe der Mitglieder dieser Transparenzkommission wird es sein, die pharmakologischtherapeutische und preisliche Transparenz herbeizuführen. Bei der Berufung der Mitglieder dieser Transparenzkommission sind die besonderen Therapierichtungen selbstverständlich berücksichtigt.Die CDU/CSU-Fraktion hat sich mit besonderer Sorgfalt dem nicht ganz einfachen Problem der Lösung der Zweitanmelderfrage gewidmet. Sie sah sich nicht in der Lage, in diesem Punkt dem Vorschlag der Bundesregierung zu folgen, der eine gespaltene Frist von fünf Jahren Verwertungssperre und fünf Jahren Verwertungsmöglichkeit bei gleichzeitiger Vergütungszahlung für die Überlassung der analytischen, toxikologischen und klinischen Prüfungsergebnisse des Erstherstellers an den Nachantragsteller vorsah. Vielmehr halten wir eine zehnjährige Verwertungssperre nach der Zulassung, nach deren Ablauf dem Nachantragsteller die Unterlagen kostenlos zur Verfügung gestellt werden müssen, für eine Lösung, die den widerstrebenden Interessen von Nachantragstellern und Vorantragstellern am besten Rechnung trägt.Sie trägt außerdem der Tatsache Rechnung, daß es sehr wohl nötig ist, ein für die Innovation gutes Klima in der Bundesrepublik Deutschland zu schaffen.
Abgesehen davon, daß es immer wieder Krankheiten gibt, die neu entstehen — denken Sie z. B. an AIDS —, gibt es immer noch viele Krankheiten, die seit langem bekannt sind, für die es aber immer noch keine wirksamen Arzneimittel gibt. Wenn von der SPD behauptet wird, durch die Zehnjahresfrist gebe es ein Mehr an Tierversuchen, so ist das falsch und irreführend. Bei aller Sensibilität unserer Mitbürger, die sich den Tierschutz zum Anliegen gemacht haben, glaube ich dennoch, daß unsere Regelung akzeptiert wird. Denn erstens sind Tierversuche in der Wiederholung verboten. Zweitens ist es für die Nachahmerfirmen wesentlich billiger, die relativ kurze Zeit zwischen Ablauf des Patents und Ablauf der Sperrfrist abzuwarten, anstatt in den exorbitant teuren Teil der klinischen und tierexperimentellen Prüfung einzutreten.
Das Eintreten in diesen Teil der Untersuchungen würde den Generika-Herstellern gerade das unmöglich machen, was sie auf dem Markt interessant macht, nämlich zu extrem niedrigen Preisen anzubieten.Hervorheben möchte ich, daß wir mit unserer Entscheidung für die Zehnjahresfrist dem Vorschlag der Richtlinien der EG auf Drucksache 10/2525 — gefolgt sind, so daß wir heute auch in der Lage sind, diese Richtlinien unter Berücksichtigung des von uns im Ausschuß am 14. Mai 1986 beschlossenen Entschließungsantrags verabschieden zu können.Ein weiteres wichtiges Ziel dieses Gesetzentwurfs ist es, die Abgabe von Arzneimittelmustern auf ein erträgliches Maß zu begrenzen. Der Bundesverband der Ortskrankenkassen schätzt die Zahl der in einem Jahr herausgegebenen Arzneimittelmuster auf 250 Millionen; das entspricht einem Wert von 2 Milliarden DM pro Jahr.
Wenn man dann noch daran denkt, daß die Hälfte dieser Muster vernichtet und gar nicht an den Patienten herausgegeben wird, muß man sagen: Das ist eine Verschwendung, die durch nichts zu rechtfertigen ist!
Deshalb ist es ordnungspolitisch konsequent und unter dem Aspekt der Arzneimittelsicherheit dringend geboten, die Abgabe von Arzneimittelmustern nur insoweit zuzulassen, als der Arzt hierdurch Erkenntnisse gewinnen kann, die er ohne das Arzneimittelmuster möglicherweise nicht hätte erwerben
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Juni 1986 17453
Frau Augustinkönnen. Das rechtfertigt die Reduzierung auf zwei Muster pro Arzneimittel pro Arzt pro Jahr.Herr Präsident, meine Damen und Herren, aus ganz grundsätzlichen Erwägungen müssen wir dem von der SPD vorgelegten Entwurf unsere Zustimmung versagen. Hier wird u. a. gefordert, daß künftig nur solche Arzneimittel zugelassen werden, die hinsichtlich ihrer Unbedenklichkeit im Verhältnis zu ihrer Wirksamkeit anderen Arzneimitteln des gleichen Anwendungsgebietes mindestens gleichwertig oder gar überlegen sind.
Meine Damen und Herren von der SPD, das hört sich natürlich großartig an,
so wie vieles, das von ihnen gefordert wird. Wenn man dahinterguckt, merkt man, daß das überhaupt nicht geht.
Es hätte Ihnen doch einleuchten müssen — spätestens in der Anhörung der Sachverständigen —, daß es keine Methode gibt und auch künftig keine Methode geben kann, mit deren Hilfe ein generelles Urteil über die Gleichwertigkeit oder gar die Überlegenheit über ähnliche Produkte gefällt werden könnte. Ihre Überlegung berücksichtigt in keiner Weise die sich oftmals überlappenden Indikationsgebiete und, daß bei der Wirkung eines Medikaments sehr individuelle Faktoren eine Rolle spielen.Aber auch in der Zweitanmelderfrage trennen uns Welten: Während wir die derzeit vom Bundesgesundheitsamt mangels gesetzlicher Grundlage praktizierte Verwertung der Zulassungsunterlagen zugunsten von Nachantragstellern mit großer Besorgnis beobachten, weil u. a. der Schutz des geistigen Eigentums in keiner Weise gewährleistet ist, vertreten Sie die Meinung, daß man diese Praxis so fortsetzen könne. Haben Sie schon einmal daran gedacht, meine Damen und Herren von der SPD-Fraktion, daß es bei einer ganzen Reihe von wertvollen Arzneimitteln, insbesondere bei solchen, die auf biotechnologischem Wege gewonnen werden, so gut wie überhaupt keinen Patentschutz gibt? Daß hier geistiges Eigentum zum Nulltarif an alle Interessierten verteilt wird — ist das vielleicht ein Teil Ihrer Umverteilungstheorie? Ihrem Gesetzentwurf, meine Damen und Herren von der SPD-Fraktion, zu folgen hieße, die pharmazeutische Forschung in der Bundesrepublik Deutschland zum Erliegen zu bringen, weil er jenen der forscht, auch noch bestraft und nicht belohnt. Das deutsche Arzneimittel, meine Damen und Herren, hat weltweit einen Namen, und das soll auch so bleiben.
Durch Ihre ideologisch geprägten Denkansätze lassen wir uns das nicht kaputtmachen.
Der von der Fraktion DIE GRÜNEN vorgelegte Gesetzentwurf ist so abstrus, daß selbst die GRÜNEN es abgelehnt haben, im Ausschuß darüber zu sprechen.Herr Präsident, meine Damen und Herren, ich bitte Sie, dem von uns vorgelegten Gesetzentwurf zuzustimmen, den Gesetzentwurf der SPD mitsamt den gestellten Anträgen, die nichts Neues bringen, jedoch abzulehnen. Das gleiche gilt für den Gesetzentwurf der Fraktion DIE GRÜNEN.
Das Wort hat der Abgeordnete Jaunich.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau Kollegin Augustin hat soeben gesagt, daß sich das Arzneimittelgesetz 1976 bewährt hat. Das ist richtig;
in dieser Feststellung treffen wir uns. Dem ging aber auch ein langer Prozeß voraus. Der Deutsche Bundestag hat sich damals, gestützt auf das, was als Contergan-Affäre zu bezeichnen war, ans Werk gemacht, unser Arzneimittelrecht umfangreich zu reformieren. Wir sind der Versuchung nicht erlegen, dem Haus ein Gesetz mit einer parlamentarischen Mehrheit, die wir Sozialdemokraten zusammen mit den Freien Demokraten hatten, aufzuknüppeln, sondern wir haben alle in die Entscheidungsfindung einbezogen. Wir haben uns dafür rund zwei Jahre Beratungszeit genommen und einen Unterausschuß gebildet.
Das Ergebnis war so, daß man zu einem Konsens gelangen konnte.
Den, der dies noch in Erinnerung hat, kann heute nur Wehmut beschleichen. Zwar ist die — gestützt auf den Erfahrungsbericht — neuerlich vorzunehmende Novellierung nicht so umfangreich wie das Vorhaben seinerzeit. Aber wenn Sie einmal die Beratungszeit, die wir uns diesmal genommen haben, mit der von 1976 vergleichen, dann werden Sie feststellen, daß das eine Zumutung ist. Es kann einen, wie gesagt, nur Wehmut beschleichen.
Frau Augustin, Sie haben den Sachverstand des Bundesrates hier eingeführt. Ich frage mich eigentlich nur, warum Sie diesen Sachverstand des Bundesrates in vielen Punkten so schmählich ignoriert haben. Warum haben Sie sich denn nicht vom Sachverstand des Bundesrates hinsichtlich der Musterregelung leiten lassen, warum haben Sie sich nicht von den kritischen Anmerkungen des Bundesrates zur Beschränkung von Werbung für freiverkäufliche Arzneimittel leiten lassen, und warum haben Sie sich eigentlich nicht am Bundesrat orientiert, wenn es um Fragen der Selbstbedienung geht?
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17454 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Juni 1986
JaunichZu diesen von mir zuletzt genannten Punkten hat der Bundesrat die Bundesregierung im Laufe des Gesetzgebungsvorhabens gebeten, dem Parlament Vorschläge vorzulegen. Die Bundesregierung hat sich nicht imstande gesehen, uns bei den Beratungen hierzu zu helfen. Es hat großer Mühe von uns als Sozialdemokraten bedurft, um wenigstens als Erinnerungspunkte in die Entschließung, die heute dem Hause vorliegt, hineinzubringen, daß die Bundesregierung diese beiden Felder beobachtet.Um das vorwegzunehmen: Dieser Entschließung, die die Einigung auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner ist, werden wir zustimmen, der Gesetzesnovellierung allerdings nicht. Wenn hier von Ideologie die Rede ist, Frau Augustin, dann sollten Sie sich das ganz gut überlegen. Wer ist denn hier ideologisch: derjenige, der, orientiert an den Interessen der Bevölkerung, ein Maximum an Arzneimittelsicherheit und Überschaubarkeit des Arzneimittelmarktes fordert, oder derjenige, der in seinen Intentionen wohl mehrheitlich dadurch bestimmt war, sich bestimmten Gruppierungen anzudienen?
Ich werde das im weiteren Verlauf meiner Rede noch deutlich machen.Ich komme noch einmal auf das Beratungsverfahren zurück: Im Jahre 1976 hatten wir bei der grundsätzlichen Arzneimittelreform für die Beratungen zwei Jahre, jetzt hatten wir nur drei Monate eingerechnet die Oster- und die Pfingstpause zur Verfügung, genauer gesagt: eine Sachverständigenanhörung und zwei Ausschußsitzungen mit insgesamt weniger als fünf Stunden Beratungszeit. Ich glaube, wir werden damit den Pflichten nicht gerecht, die wir den Bürgern gegenüber haben. Daß die Bundesregierung nicht die vorgesetzte Dienststelle des Parlaments ist, darüber sollten wir uns eigentlich einig sein.
Wir sollten uns aber auch darin einig sein, daß die Terminpläne für den Bundestag weder vom Adenauer-Haus noch von der Kennedyallee aus bestimmt werden. Um das aber auch letztlich durchzuhalten, bedarf es politischen Rückgrates und auch eines gewissen Sachverstandes.
Beides war wohl zu vermissen. Wenn heute Lauthalts darüber geklagt wird, daß wir diesmal nicht zu einer einvernehmlichen Regelung kommen, dann liegt das zu einem Großteil an diesem unmöglichen Beratungsverfahren.In diesem Zusammenhang nur noch ein Hinweis darauf, daß wir eine Flut von Zuschriften und Petitionen hatten, die der Ausschuß samt und sonders nicht behandelt hat. Meine Damen und Herren, ich finde, das ist nicht in Ordnung.Ich bin mir nicht sicher, ob Sie von der Koalition mit diesem Gesetzesvorhaben nicht genauso kläglich untergehen werden wie mit ihrer 4. Novelle zur Bundesärzteordnung, die kurz danach mit einer 5. Novelle nachgebessert werden mußte — zurückzuführen auf das damalige Hopplahopp-Verfahren. Ich kann mir vorstellen, daß es Ihnen beim Arzneimittelgesetz ähnlich geht. Soweit zum Beratungsverfahren.Nun zu den Inhalten, zu denen wir unsere Zustimmung nicht erteilen können. In einigen Punkten sind die Koalitionsfraktionen auch unseren Vorstellungen gefolgt. Wer jedoch die politischen Kernprobleme einer Novellierung des Arzneimittelrechtes beleuchtet, der wird an Hand des nun mit Mehrheit beschlossenen Textes sehr schnell erkennen können, daß keiner der politisch wichtigen Vorschläge der SPD-Fraktion Eingang in Ihre Beschlußempfehlung gefunden hat. Es war ja nicht so, daß unsere Haltung hierzu indifferent gewesen wäre. Nein, ganz im Gegenteil: Seit über einem Jahr liegt ein von uns formulierter Gesetzentwurf vor, den wir der Öffentlichkeit präsentiert haben. Vier Monate, bevor sich die Bundesregierung schließlich auf den Weg machte, dem Parlament einen Entwurf zu präsentieren, haben wir unseren Entwurf vorgelegt.
Unsere Grundzüge hatten wir der Öffentlichkeit bereits in einer Entschließung zugänglich gemacht, gestützt auf den von der Bundesregierung vorgelegten Erfahrungsbericht. Kein Zweifel kann aufkommen: Auch heute noch halten wir Sozialdemokraten unseren Gesetzentwurf für den fundierteren und für den Entwurf, der den Erfordernissen der Arzneimittelsicherheit besser gerecht wird als der Ihre.Lassen Sie mich auf diese wichtigen Punkten eingehen, die uns im Regierungsentwurf fehlen und die uns neben dem Beratungsverfahren auch aus diesen Gesichtspunkten heraus eine Zustimmung zum vorliegenden Entwurf unmöglich machen.Wir alle in diesem Hause klagen über die Unübersichtlichkeit des Arzneimittelmarktes. Nun frage ich Sie: Welche Regelungen in Ihrem Entwurf wenden sich eigentlich diesem Thema zu? Was schlagen Sie vor, um der Unübersichtlichkeit zu Leibe zu rücken? Meine Antwort darauf: nichts. Sie haben es mit großer Sorgfalt vermieden, sich inhaltlich mit dieser Problematik zu beschäftigen.Wir haben in unserem Entwurf einen Vorschlag, den wir Ihnen heute noch einmal als Änderungsantrag unterbreiten. Wir wollen vor allen Dingen im Bereich der Kombinationspräparate Klarheit schaffen. Wir wollen wirksame Arzneimittel. Das heißt, daß in Kombinationspräparaten jeder Arzneimittelbestandteil wirksam sein muß und daß seine Wirksamkeit nachgewiesen sein muß. Wir alle kennen Dutzende von Kombinationspräparaten, bei denen unsinnige Bestandteile miteinander vermischt werden.
— Ich habe Ihren Zwischenruf akustisch nicht verstehen können; aber er wird nicht von sonderlicher Qualität gekennzeichnet gewesen sein.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Juni 1986 17455
JaunichWir alle kennen Dutzende von Kombinationspräparaten, die — um Ihnen das noch einmal deutlich zu machen — völlig unwirksame Bestandteile enthalten. Wer hinter die Kulissen schaut, weiß, warum jene obskuren Wirkstoffe beigemengt werden: ausschließlich aus preislichen Gründen. Ein Schmerzmittel — kombiniert mit einem Vitaminpräparat — ist ja kein besseres Schmerzmittel, aber es kann teurer verkauft werden, um nur ein Beispiel zu nennen.Die pharmazeutische Wissenschaft ist sich einig, daß es nur sehr wenige fixe Arzneimittelkombinationen gibt, die einen Sinn machen. Trotzdem ist der Markt überflutet von solchen Kombinationspräparaten. Wir wollten damit Schluß machen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Kroll-Schlüter?
Ja, Herr Präsident! Vizepräsident Westphal: Bitte schön.
Vielen Dank, Herr Kollege Jaunich. Können Sie bestätigen, daß der Anteil der Kombinationspräparate zurückgeht und der Anteil der Monopräparate ansteigt?
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Das kann man in dieser Pauschalität so nicht sagen. Es gibt einen gewissen Trend. Damit ist aber nicht das markiert, was ich ausgeführt hatte, Herr Kollege.Wir wollten damit Schluß machen. Wir wollten keine Arzneimittel mehr zulassen, bei denen nicht für jeden einzelnen Arzneimittelbestandteil die Wirksamkeit nachgewiesen ist und nicht belegt ist, daß die Kombination insgesamt sinnvoll aufeinander abgestimmt ist und einen therapeutischen Effekt erbringt.Ein weiterer Hinweis: Beklagen wir nicht auch häufig genug gemeinsam, daß auf Grund der Vielzahl der einzelnen Präparate der verordnende Arzt nicht mehr den Überblick hat? In der pharmazeutischen Wissenschaft sind viele Einzelpräparate umstritten. Da kommen jährlich Dutzende von neuen Präparaten auf den Markt, die keine neuen Wirkstoffe enthalten, sondern nur geringfügige Molekülvariationen darstellen. Dem wollten wir ein Ende setzen. Sie waren nicht bereit, auf diesem Weg mitzugehen.Wenn wir sagen: Die Regelung macht einen Sinn, daß nur solche neuen Präparate auf den Markt kommen, die den vorhandenen mindestens gleichwertig sind, frage ich Sie, Frau Augustin: Woher nehmen Sie denn eigentlich den Mut, einer solchen Regelung zu widersprechen? Da muß man doch fragen: Welche Interessen nehmen Sie in diesem Parlament wahr?
Im Zusammenhang damit wird uns der Vorwurf gemacht, das sei innovationsfeindlich. Ich kann diesen Vorwurf nicht nachvollziehen. Nun frage ich mich: Ist es denn nicht ein Ansporn zur Innovation, wenn die pharmazeutische Industrie durch eine solche gesetzliche Bestimmung darauf fixiert würde, Arzneimittel auf den Markt zu bringen, die besser als die vorhandenen sind? Muß denn der Wettbewerb darum gehen, unter Umständen auch noch schlechtere auf den Markt zu bringen? Ich vermag hierin keine Logik zu sehen. Es geht hier um Verdienstmöglichkeiten. Ein undurchsichtiger und unüberschaubarer Arzneimittelmarkt bietet eben bessere Möglichkeiten, das finanzielle Schäfchen — ich füge ein: zur Not auch mit zweifelhaften Präparaten — ins Trockene zu bringen, als ein klar gegliederter Arzneimittelmarkt. Mit uns gibt es eine solche Regelung nicht!
Ein weiterer Punkt: Spricht nicht alles für eine wirksame, d. h. zuallererst kontrollierbare Begrenzung der Arzneimittelmuster? Sie haben das Thema beredt angesprochen, Frau Augustin. Was soll denn eigentlich mit diesen zwei Mustern geschehen? Von einem Präparat, das seit 20 Jahren auf dem Markt ist, sollen dem Arzt jährlich zwei Muster zur Verfügung gestellt werden, damit er es „begreifen" kann? Das können Sie doch niemandem in diesem Hause im Ernst einreden wollen. Sie wollen im Grunde nichts als die Beibehaltung der bisherigen Praxis. Mit einer Bußgeldbewehrung ist die Kontrolle doch nicht in den Griff zu bekommen. Wir stellen dem unsere klare Lösung gegenüber: Altpräparate werden nicht mehr durch Muster beworben, Neupräparate zahlenmäßig begrenzt, maximal bis drei Jahre. Da gibt es nämlich ein Bedürfnis, und zwar sowohl für den Arzt, es zu „begreifen", wie Sie das im Ausschuß umschrieben haben, wie auch dafür, es in die Therapie einzuführen. Wenn Sie sagen, diese zwei Muster dürften nicht zur therapeutischen Anwendung zur Verfügung stehen, dann frage ich Sie: Zu welcher Anwendung beim Arzt stehen sie denn überhaupt zur Verfügung? Kurzum: Sie werden mit Ihrer Musterregelung nichts weiter erreichen, als den jetzigen unbefriedigenden Zustand festzuschreiben.Wenn Sie mit Ihrem Vorschlag ernsthaft an einer drastischen Reduzierung interessiert waren, dann frage ich Sie: Warum haben Sie dann nicht zumindest unserem Vorschlag zugestimmt, daß Ärztemuster nicht mehr durch Pharmareferenten in der Praxis übergeben werden dürfen? Gerade hier wird dem Mißbrauch doch Tür und Tor geöffnet.
Ein weiteres Thema. Halten Sie es eigentlich für sinnvoll, wenn beim Laien für Arzneimittel geworben werden darf? Unsere Antwort ist klar: Wir halten dies für bedenklich. Deswegen wollten wir in einem ersten Schritt Werbeverbote für besonders problematische Gruppen von Arzneimitteln aussprechen. Nach dem Heilmittelwerbegesetz darf zwar ohnehin nur für rezeptfreie, für nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel geworben werden, aber unter diesen gibt es problematische Gruppen von Präparaten. Ich nenne Schmerzmittel, ich nenne Appetitzügler, und ich nenne Abführmittel. Sie wollten sich unseren Vorstellungen nicht anschließen. Im Gegenteil, Sie halten das für den Un-
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17456 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Juni 1986
Jaunichtergang der Welt oder zumindest für den Zusammenbruch
der freien Marktwirtschaft.Gerade beim Stichwort Marktwirtschaft komme ich noch einmal auf das Thema Arzneimittelmuster zurück. Die FDP als die Gralshüterin der Marktwirtschaft, als die sie sich hier und draußen immer aufspielt, stimmt einer solchen Musterregelung zu. Auf die Frage der Zweitanmeldung komme ich noch zu sprechen. Auch das muß man ja einmal unter marktwirtschaftlichen Gesichtspunkten sehen.
Aber zurück zu den von uns für bedenklich erachteten Arzneimitteln, für die geworben werden kann. Fernsehwerbung für Arzneimittel nach dem Motto: „Das Präparat X schaltet den Schmerz ab" kann doch wohl nicht die gesundheitspolitisch richtige Antwort auf diese Fragestellung sein. Wir sind der Auffassung: Wer meint, er müsse sich selbst behandeln, der sollte im Falle einer Erkrankung mindestens zum Apotheker gehen. Dafür braucht man dann keine Werbung.Apropos Apotheker: Sie, Frau Dr. Augustin, und andere erwecken den Eindruck, als ginge es Ihnen um die Probleme der Apothekerschaft im Lande. Ich muß Sie an Ihre Haltung — dieses Gesetz betreffend — zur Musterabgabe, zur Selbstbedienung, zum Festpreis für die Apothekenabgabe von Arzneimitteln erinnern. Diesbezüglich haben Sie alle unsere Vorschläge vom Tisch gewischt. Dies ist keine Haltung, die den berechtigten Belangen der Apothekerschaft in unserem Lande entgegenkommt.
Ihr einziges Entgegenkommen lag darin, daß Sie den Apothekern einen zweiten Sitz in der Transparenzkommission verschafft haben. Dazu kann ich nur sagen: gewogen und für zu leicht befunden.
— Herr Kollege Kroll-Schlüter, es kommt darauf an, daß man eine vernünftige Politik macht, keine interessenbezogene Politik. Ich meine schon, daß, wenn Interessen artikuliert werden und wenn sie im Interesse der Gesamtheit vernünftig erscheinen, das Parlament darauf eingehen sollte.
Nun zur Zweitanmelderproblematik. Die Arzneimittelindustrie beklagt sich — sofern es sich um Unternehmen handelt, die Forschung betreiben — über eine zu geringe Laufzeit für ihre Präparate, solange sie geschützt sind. Sie beklagt, sie habe nicht ausreichend Zeit, um die Forschungskosten unter Patentschutz am Markt zu erwirtschaften, bevor andere das Präparat imitieren.Sie beklagt sich zudem darüber, daß diese Nachahmer bei der Zulassung des nachgeahmten Präparats auch noch auf Unterlagen der forschenden Industrie zurückgreifen können. Da denkt doch jeder vernünftige Mensch: Einverstanden, dies ist problematisch. Wir müssen darüber reden, ob dem forschenden Unternehmen, sofern sich ein Imitator von Arzneimitteln auf seine Forschungsergebnisse beruft, nicht ein finanzieller Ausgleich zu zahlen ist.— Das ist die Position, die wir vertreten; über diese Position hätte man mit uns reden können. — Sie gehen aber einen anderen Weg, indem Sie eine zehnjährige Verwertungssperre vorsehen. Sie scheren sich keinen Deut darum, was die EG-Kommission hier signalisiert, und Sie scheren sich keinen Deut darum, daß Sie durch eine solche Regelung neue, zusätzliche Tierversuche initiieren.
— Das ist nicht falsch, Herr Kollege Kroll-Schlüter.
Dann hat die Bundesregierung falsch unterrichtet. Ich kann hier aus dem Schreiben des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zitieren, der uns das sehr deutlich vor Augen geführt hat.
— Das ist nicht überholt; das entspricht dem Sachstand des Tierschutzgesetzes. Wenn Sie dieses Papier richtig gelesen hätten, Herr Kroll-Schlüter, hätten Sie festgestellt, daß der Landwirtschaftsminister sagt: Selbst wenn im Inland diese Tierversuche nicht durchzuführen sind, werden diese Unternehmen ins Ausland ausweichen und dort Tierversuche unternehmen.
Herr Kroll-Schlüter, wer es mit dem Tierschutz ernst meint, dem muß das Argument wichtig genug sein; denn für mich macht es keinen Unterschied, ob Tiere in der Bundesrepublik unnötig gequält werden oder in Belgien, Holland, Frankreich oder wo auch immer sonst.
Der Bundeslandwirtschaftsminister weist auch auf verfassungsrechtliche Probleme hin, die mit einer zehnjährigen Verwertungssperre verbunden sind.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Kroll-Schlüter?
Ja, wenn das nicht angerechnet wird, gerne.
Nein, wir sind da großzügig.
Vielen Dank, Herr Jaunich. — Ganz schnell: Können Sie bestätigen, daß
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Juni 1986 17457
Kroll-Schlüterwir ausdrücklich hineingeschrieben haben, daß weitere Tierversuche ausgeschlossen sind?
Herr Kroll-Schlüter — —
— Also, Herr Hoffacker, wenn Sie sich so sachkundig bei den Beratungen dieses Gesetzes gezeigt hätten, wie Sie sich jetzt hier durch Ihre Zwischenrufe offensichtlich artikulieren wollen, wäre ich sehr froh gewesen.
Zu Ihrer Frage, Herr Kroll-Schlüter: Was Sie hier hineinschreiben, kann erstens den Effekt im Ausland nicht beseitigen. Zweitens kann Ihre Aussage auch nicht die Rechtslage verändern. Davon müssen Sie wie wir leider ausgehen. Also, mit dieser zehnjährigen Verwertungssperre — noch wissen wir nicht, ob sie Bestand haben wird; denn die Europäische Kommission hat Rechtsmittel angedeutet — wird bewirkt werden, daß unnötige Tierversuche stattfinden, oder aber Sie kommen vor das Bundesverfassungsgericht, weil der Zweitanmelder in dieser Frage, wie es der Bundeslandwirtschaftsminister ausgeführt hat, sagen wird, daß hier eine Beschränkung seiner Berufsfreiheit vorgenommen werde. Das ist die Situation, wie sie sich für dieses Parlament stellt.
Sie richten einen Schutzzaun in einem Bereich auf, wo es ohnehin nicht zuviel, sondern allenfalls zuwenig Wettbewerb gibt, nämlich im Preiswettbewerb. Solche Schutzzäune wirken bei Oligopolisten so, daß höhere Preise verlangt werden. Diese höheren Preise muß schließlich zum überwiegenden Teil die gesetzliche Krankenversicherung tragen — und all dies unter der Führung der Gralshüter der Marktwirtschaft, der Freien Demokraten, die hier sonst immer für Wettbewerb streiten. In diesem Bereich, wo es ohnehin nur einen ganz minimalen Wettbewerb gibt — die Nachahmerprodukte machen unter 4% am gesamten Arzneimittelmarkt aus, in einigen Teilbereichen allerdings mehr; in den Vereinigten Staaten von Amerika liegt dieser Anteil deutlich höher —, wird der Untergang der forschenden Industrie reklamiert, wenn es nicht zu einer solchen Regelung käme. Dies ist unaufrichtig, finde ich. Es ist unredlich, dies hier so darzustellen.
Meine Damen und Herren von der Koalition, wir Sozialdemokraten lehnen Ihre Regelung der Zweit anmelderproblematik daher auch ab. Ich muß fragen: Was oder wer zwingt Sie eigentlich zu einer solchen Regelung? Bei wem stehen Sie hier eigentlich im Wort? Noch einmal — damit hier kein falscher Zungenschlag entsteht —: Wir waren bereit, mit Ihnen darüber zu reden, wie eine Regelung gefunden werden kann, die den Zweitanmelder unter Bezugnahme auf die vorliegenden Unterlagen verpflichtet, mit dem forschenden Unternehmen darüber zu reden, einen Vertrag des Inhalts zustande zu bringen, daß er ihm einen Teil der Forschungskosten erstattet. Das wäre eine saubere Lösung im
Hinblick auf die forschenden Unternehmen gewesen. Dies hätte gerade nicht einen Preiswettbewerb auf dem ohnehin nicht durch Wettbewerb gekennzeichneten Arzneimittelmarkt unmöglich gemacht.
Meine Damen, meine Herren, aus all diesen Gründen können wir Sozialdemokraten dieser Novellierung des Arzneimittelgesetzes, die Sie als Koalition zu verantworten haben, nicht zustimmen. Sie verbessert die Arzneimittelsicherheit in den entscheidenden Punkten nicht. Sie bringt keine Verbesserung der Transparenz auf dem unübersichtlichen Arzneimittelmarkt. Und sie behindert eine wirtschaftliche Arzneimittelversorgung.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Eimer .
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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ziel des Gesetzentwurfs ist es, wie es auch im Vorblatt zur Beschlußempfehlung des Ausschusses steht, auf der Grundlage der mit dem Arzneimittelgesetz von 1976 gemachten Erfahrungen die Arzneimittelsicherheit weiter zu verbessern. Anders als damals ist diesmal ein gemeinsames Vorgehen zwischen Koalition und Opposition nicht möglich. Ich bedaure das. Viele Ansatzpunkte für gemeinsames Handeln waren im Ausschuß sichtbar. Von Niederknüppeln der Opposition im Ausschuß kann überhaupt keine Rede sein, Herr Kollege Jaunich.
Ich gestehe Ihnen allerdings zu, daß der Beratungszeitraum viel zu kurz war.
Mir wäre es lieber gewesen, wir hätten mehr Zeit für die Beratungen gehabt. Wir haben auch bei der Entschließung und der Festlegung der Termine, bis der nächste Bericht vorliegt, gerade darauf geachtet, daß wir das nächste Mal nicht wieder in diese zeitliche Verklemmung kommen können.Ich bedaure, daß es der Opposition nicht möglich zu sein scheint, unserem Entwurf zuzustimmen. Ich hätte mir die Kontinuität aus der Vergangenheit sehr gewünscht Immerhin ist aber im Ausschuß ein gemeinsamer Entschließungsantrag beschlossen worden. Dies zeigt, daß wir uns in wesentlichen Punkten einigen konnten. Tatsächlich geht es ja hier um die Arzneimittelsicherheit zugunsten der Menschen. Ich möchte daher nicht weiter auf das Trennende zur Opposition eingehen.Hervorheben möchte ich lediglich noch, daß uns der gemeinsame Entschließungsantrag in der obengenannten Aufgabe, nämlich der Arzneimittelsicherheit zu dienen, verbindet. Aber auch in vielen Details — ich habe das schon gesagt — besteht Einigkeit zwischen Opposition und Koalition, so z. B. in Fragen der Fachinformation für Angehörige der Heilberufe und beim Verfalldatum, um nur zwei Punkte zu nennen.
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Eimer
Man kann in der Kürze der Zeit nicht auf alle Punkte eingehen. Es werden sehr viele Bereiche des Arzneimittelwesens im weitesten Sinne mit dieser Novelle neu geregelt. Deswegen muß ich mich — auch weil ich weniger Zeit habe als meine Vorredner — auf einige Punkte beschränken.Ein in der Öffentlichkeit besonders heiß diskutierter Punkt war die Frage der Arzneimittelmuster. Das haben Sie, Herr Jaunich, auch angesprochen. Wir hatten gehofft — ich muß sagen: Wir hatten es uns auch gewünscht —, daß der Gesetzgeber hier nicht tätig werden muß. Uns wäre eine funktionierende Selbstbeschränkung lieber gewesen. Gesetzliche Regelungen können nie flexibel genug sein für die in der Praxis auftretenden Fälle. Auch Ihr Modell ist j a nur ein Versuch. Sie werden zugeben müssen, daß Ihr Vorschlag auch nicht optimal ist.
Diese Hoffnung hat sich leider nicht erfüllt. Der Ärger der Apotheker, der Hinweis auf die Arzneimittelsicherheit waren verständlich und berechtigt. Ich meine, deswegen war der Druck auf den Gesetzgeber auch folgerichtig.Die Tatsache, daß der Widerstand der Pharmaindustrie erlahmte, zeigt wohl auch die Einsicht, daß eine Änderung der herrschenden Praxis notwendig war. Ein vollständiges Musterverbot begegnet auf den ersten Blick großen Sympathien, vor allem weil es am leichtesten kontrollierbar ist.Mit der jetzigen Regelung wurde ja offensichtlich Mißbrauch getrieben. Der gesetzlich vorgeschriebene Erprobungszweck für die Abgabe der Muster stand nur noch auf dem Papier. Die Selbstbeschränkungsmaßnahmen der Industrie haben nur völlig unzureichend gegriffen.Ich habe großes Verständnis für die Klagen der Apotheker, die immer wieder wahre Arzneimittelberge aus Arztpraxen oder privaten Haushalten auf eigene Kosten vernichten mußten.
Dennoch begegnet ein Musterverbot erheblichen Bedenken. Ich glaube, wir können es Ärzten kaum zumuten, Medikamente zu verschreiben, die sie noch nicht einmal in der Hand gehabt haben. Insofern muß in Zukunft das Arzneimittelmuster vor allem der Information des Arztes dienen.Wir hatten aber auch zu berücksichtigen, daß ein völliges Musterverbot zum jetzigen Zeitpunkt die Marktstrategien der pharmazeutischen Hersteller in Bereiche lenken könnte, die ebenso unerwünscht sind wie der jetzige Zustand der Musterabgabe.In diesem Zusammenhang appelliere ich an die pharmazeutische Industrie, den Pharmakodex unbedingt einzuhalten. Jeder einzelne pharmazeutische Hersteller tut sich selbst einen schlechten Gefallen, wenn ein Mißstand alltägliche Praxis wird, der schließlich nur noch durch den Gesetzgeber behoben werden kann.Zur politischen Ehrlichkeit gehört aber auch die Feststellung, daß das Musterunwesen nicht allein der Pharmaindustrie zuzuschreiben ist. Zu dem, der Muster abgibt, gehört auch derjenige, der die Muster annimmt.
Die Neuregelung wird zu einer erheblichen Einschränkung der Ärztemuster führen. Dies ist zu begrüßen; das haben wir gewollt.In Zukunft knüpfen sich daran zwei Forderungen, nämlich erstens: Die Länder bzw. die zuständigen Behörden müssen die Einhaltung der Vorschriften strenger als bisher überprüfen. Zweitens müssen sich alle Beteiligten darüber klar sein, daß ein weiterer Mißbrauch den Gesetzgeber nicht kaltlassen kann.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Jaunich?
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Bitte schön.
Bitte schön, Herr Jaunich.
Herr Kollege Eimer, könnten Sie mir wenigstens in Grundzügen einmal erklären, wie Sie sicherstellen wollen, daß Ihre Bemusterungsregeln eingehalten werden, wie die Überwachungsbehörden hier vorgehen sollen?
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Herr Kollege Jaunich, ich habe es vorhin schon angedeutet: Wir sind der Meinung, daß sich diese Musterregelung nicht im Detail kontrollieren läßt, genausowenig wie Ihre. Die einzige Regelung, die sich genau kontrollieren läßt, ist die: Wir verbieten alle Muster. Wir können aber nicht das Kind mit dem Bade ausschütten.
Ich habe nur darauf hingewiesen, warum wir Muster insgesamt für nötig halten. Deswegen glaube ich, daß die Lösung, die wir gefunden haben, ein Kompromiß ist, den wir mit gutem Gewissen vertreten können, und zwar sowohl gegenüber den Ärzten als auch gegenüber den Verbrauchern, als auch gegenüber den Apothekern und den Patienten.
Gestatten Sie eine weitere Frage?
Herr Präsident, die Zeit rennt davon. Ich habe noch nicht die Hälfte von dem angesprochen, was ich ansprechen wollte.Neben den Arzneimittelmustern hat die sogenannte Zweitanmelderregelung eine wichtige Rolle gespielt. Zweitanmelder können bei der Anmeldung ihrer Medikamente erst nach einer Frist von zehn Jahren auf die Unterlagen des Erstanmelders zurückgreifen. Wir sind zu der Auffassung gekommen, daß wir in Abwägung zwischen einer ordnungspolitisch unbedenklichen Lösung und der Forderung nach einem gewissen Schutz der forschenden und auch der mittelständischen Industrie einen vernünftigen Weg gefunden haben. Die Betonung liegt hierbei auf „forschende Industrie". Es sind von dem
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Juni 1986 17459
Eimer
zehnjährigen Zweitanmelderschutz lediglich die Medikamente betroffen, die nach § 49 des Arzneimittelgesetzes einzustufen sind. Gehen wir vom geltenden Recht aus, so betrifft dies gerade 11% der Neuanmeldungen seit 1978. Es war dies auch ein Abwägen zwischem dem Schutz für die Entwicklung von neuen Medikamenten und den Möglichkeiten für Zweitanmelder, die als Preisbrecher für eine genügende Konkurrenz sorgen. Herr Kollege Jaunich, Ihr Vorschlag, daß nur noch solche Medikamente zugelassen werden sollten, die sich als besser oder gleichwertig erweisen, hätte die Konkurrenz auf dem Arzneimittelmarkt eher behindert. Wir sind der Meinung, daß die Konkurrenz da sein muß. Wir brauchen diese Konkurrenz.
Wenn das Entwickeln neuer Medikamente finanziell zum Risiko wird, haben auch Zweitanmelder keine Chance mehr. Daran sieht man, daß wir keinen Schutzzaun um die pharmazeutische Industrie aufbauen wollten. Es ging uns gezielt um eine wirtschaftliche Chance für die forschende, insbesondere für die forschende mittelständische Industrie. Bitte denken Sie daran, daß die Entwicklung eines neuen Wirkstoffs bis zur Marktreife heute 100 Millionen DM kosten kann. Die Entwicklungszeit beträgt zwischen acht und zwölf Jahren.Dabei möchte ich einem Irrtum entgegentreten. Die Zweitanmelderregelung, wie wir sie beschlossen haben, ist keine zehnjährige Verlängerung über den Patentschutz hinaus.
Sie setzt vielmehr bei der Zulassung an, die, wie gesagt,
— aber es kommt so heraus — acht bis zwölf Jahre nach der Anmeldung eines Patents erfolgt. Das heißt, nur solche Medikamente kommen in den Genuß des Zweitanmelderschutzes, die unter § 49 fallen und die eine Entwicklungszeit von mehr als zehn Jahren haben. Ich nenne ein Beispiel. Ein Medikament braucht zwölf Jahre zur Entwicklung. Die Restzeit des Patents beträgt acht Jahre. Dann wirkt dieser Schutz gerade noch zwei Jahre über die Patentzeit hinaus. Ich glaube, hier kann man nicht die Vorwürfe erheben, wie Sie sie erhoben haben.Zu dem Punkt Tierversuche brauche ich nichts mehr zu sagen. Das wurde von meiner Vorrednerin gemacht.Zur Transparenzkommission. Die gesetzliche Grundlage dafür ist einer der Kernpunkte dieses Gesetzes. Die Zusammenarbeit zwischen Bundesausschuß, Ärzten, Krankenkassen und der Transparenzkommission wird geregelt. Ich erwarte von der Kassenärztlichen Bundesvereinigung und dem Bundesverband der gesetzlichen Krankenversicherungen, daß sie die Möglichkeiten, die hier geschaffen wurden, nutzen. Den Nutzen sehe ich im Erhalt der Therapiefreiheit des Arztes zugunsten des Patienten und darin, daß wir eine De-facto-Positivliste vermeiden.In dem Entschließungsantrag haben wir uns einvernehmlich an die Bundesregierung gewandt und sie aufgefordert, bei der Berufung der Transparenzkommission die besonderen Therapierichtungen angemessen zu berücksichtigen.Ein weiterer Teil des Entschließungsantrags war die Forderung nach einem einheitlichen Apothekenpreis. Er ist für uns, die Koalition, wie auch für die SPD unverzichtbar. Allein nach betriebswirtschaftlichen Kriterien läßt sich eine Apotheke dann nicht führen, wenn sie einen gesundheitspolitisch gewollten Versorgungsauftrag wahrnimmt. Das berührt allerdings nicht — ich möchte das ausdrücklich betonen — die freie Preisbildung auf der Herstellerstufe.Meine Damen und Herren, ich möchte zum Schluß kommen und mich bei all denen bedanken, die an der Novellierung dieses Gesetzes mitgewirkt haben. Ich meine damit besonders die Mitarbeiter des Ministeriums, den Bundesrat, die Kollegen im Ausschuß, aber auch die Kollegen der Opposition. Herr Kollege Jaunich, wie Sie die Beratungen im Ausschuß hier dargestellt haben, waren sie nicht. Ich habe den Eindruck, wir haben im Ausschuß wesentlich besser zusammengearbeitet. Es hat nur noch der letzte Mut von Ihnen gefehlt, dem Gesetz zuzustimmen.
Ich glaube, die Zusammenarbeit im Ausschuß ist wesentlich besser, als hier der Eindruck erweckt wird.Vielen Dank.
Mir fiel gerade der Satz ein: Der Mut wächst mit dem Quadrat der Entfernung.
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Wagner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die pharmazeutische Industrie hat in der Bundesrepublik Deutschland auf Grund der herrschenden Strukturen im Gesundheitswesen und des wirtschaftspolitischen Rahmens einen Arzneimittelmarkt schaffen können, der gekennzeichnet ist durch eine unsinnig hohe Zahl von Medikamenten, einen enormen Umsatz — und das heißt eben auch: einen überhöhten Arzneimittelverbrauch —, eine große Zahl von Medikamenten, deren Wirksamkeit und Unbedenklichkeit fraglich sind, die allzu giftig sind oder Sucht und Abhängigkeit hervorrufen, eine große Zahl von überflüssigen oder fragwürdigen Tierversuchen und ein besonders hohes Preisniveau und steigende Profite.Es sollte also — sollte man meinen — ein Gesetz vorgelegt werden, das diese Mißstände behebt oder ihnen zumindest beizukommen versucht. Doch wer glaubt, daß hier nun ein solches Gesetz verabschiedet werden soll, der täuscht sich. Im Gesetzentwurf der Bundesregierung findet sich nichts, was geeignet wäre, den Mißständen beizukommen; ganz im
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Frau WagnerGegenteil, einige werden sogar noch zementiert. Die Profite der Pharmaindustrie werden gesichert, das hohe Preisniveau der Medikamente wird festgeschrieben. Neben dem schon bestehenden Patentschutz wird es noch eine zusätzliche zehnjährige Schutzfrist für die pharmazeutische Industrie geben. Zehn Jahre länger können die Firmen ohne Angst vor Konkurrenz leben und die Preise diktieren.Der Pharmaindustrie wird also ein Geschenk gemacht, und bei nächster Gelegenheit wird dann wieder über die ausufernden Kosten im Gesundheitswesen lamentiert.Es ist durchaus eine schwierige Aufgabe, die Geschäftsinteressen der Anbieter von medizinischen Leistungen mit den Interessen der gesamten Wirtschaft an möglichst niedrigen Lohnnebenkosten in Einklang zu bringen. Doch auch sie wird gelöst, indem die Interessen der Wirtschaft als höheres Gut bewertet werden.Schrill werden die Töne erst dann, wenn wir nach der Rolle der Patienten fragen. Das große Geschäft der Industrie, in diesem Falle der Pharmaindustrie, wird nicht angetastet. Statt dessen wendet sich Herr Blüm auf der Suche nach Rationalisierungsmaßnahmen im Gesundheitswesen immer rabiateren Mittelbegrenzungs- und Verbilligungsstrategien zu, die allesamt die Patienten treffen. Das Geschäft mit der Krankheit kann und soll also weiter florieren. Die Gesundheitsbranche ist nun einmal eine der wichtigsten Wachstumsbranchen. Es hat sich ein profitträchtiger medizinisch-industrieller Komplex entwickelt, und gegen dieses Machtkartell wird nichts unternommen.Der Bereich des Arzneimittelangebotes wird weiter allein den Entscheidungen der pharmazeutischen Industrie und damit ihren Expansions- und Profitinteressen unterliegen. Es wird dagegen nichts unternommen, einmal abgesehen von ein paar Appellen des Arbeits- und Sozialministers, zweimal im Jahr anläßlich der konzertierten Aktion im Gesundheitswesen. Nützen tun sie zwar nichts, aber man hat seiner Pflicht Genüge getan.Die Preisfestsetzung sowie der ganze Bereich der Forschung und damit der Weiterentwicklung werden auch weiterhin keiner öffentlichen Kontrolle unterliegen. Da hält sich die Bundesregierung eben vornehm zurück.Die GRÜNEN gehen demgegenüber davon aus, daß die Versorgung mit Arzneimitteln sowie die Forschung und Weiterentwicklung auf diesem Gebiet eine öffentliche Aufgabe sein müssen. Um dies zu erreichen, muß die Kontrolle der Preisgestaltung durch staatliche Stellen und Krankenkassen sowohl auf der Erzeuger- als auch auf der Großhandelsebene mit dem Ziel einer Preissenkung erreicht werden.
— Nein, so nennen wir das nicht, Frau Augustin.
Sie hätten das besser einmal nachlesen sollen.
Die Pharmaforschung muß durch den Aufbau öffentlich finanzierter und kontrollierter Forschung entprivatisiert werden. Besondere finanzielle Vorteile für die sogenannte forschende Industrie entfallen damit.Ich möchte noch zu einem anderen Punkt des neuen Arzneimittelgesetzes kommen; leider kann ich nicht auf alle Punkte eingehen, da mir nur fünf Minuten zur Verfügung stehen. Interessant war die Auseinandersetzung mit den Arzneimittelmustern in der Bundesrepublik. Im Regierungsentwurf waren ursprünglich sechs Muster pro Jahr und Medikament vorgesehen. Bei dieser geplanten Regelung befürchteten die Krankenkassen sogar eine Ausweitung des Musterunwesens. Doch dann kam der Paukenschlag: Der Bundesrat beschloß, die Muster generell zu verbieten. Nun lieferten sich Musterbefürworter und -gegner heiße Kämpfe, die in allen ärztlichen Zeitschriften ausgetragen wurden. Die Bundesregierung sah sich unter Zugzwang, und so findet sich nun das Wörtchen „zwei" statt „sechs" im Gesetz. Das ist der Kompromiß zwischen Bundesratsentscheidung, die man schließlich nicht unbeachtet lassen konnte, und der pharmazeutischen Industrie, die ein starkes Interesse an den Mustern als Werbemittel hat. Mit dem Argument, daß der Arzt ein Anschauungsstück in den Händen haben müsse und sich selbst von der Größe, der Farbe und der Darreichungsform überzeugen solle, ging man auf zwei Muster zurück. Es ist zwar unlogisch, daß dann ein Anschauungsstück im Gesetz „zwei" ist, doch auch dies versuchte man uns zu erklären. Leider ohne Erfolg. Ich habe das nicht verstanden.
Aber man wird es uns hier sicherlich noch einmal erklären. Vielleicht verstehen wir dann Ihre neue Logik „zwei gleich eins" besser.
Wir sind grundsätzlich gegen Arzneimittelmuster und haben dies auch in unseren Gesetzentwurf aufgenommen.Weitere Verbesserungen, die in unserem Gesetzentwurf zum Tragen kommen, sind folgende: Die Sicherheitsstandards für die Zulassung von Medikatnenten werden deutlich erhöht, die Anzahl der zugelassenen Medikamente wird deutlich reduziert, Tierversuche werden nur noch in genau bezeichneten und öffentlich kontrollierten Ausnahmefällen zugelassen.Ich danke Ihnen.
Das Wort hat Frau Professor Süssmuth, Bundesminister für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Zweite Novelle zum Arzneimittelgesetz bedeutet einen Schritt zur Ver-
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Bundesminister Frau Dr. SüssmuthBesserung der Arzneimittelsicherheit. Wir fragen bei Gesetzen: Wie dauerhaft sind sie? Wenn es um die Frage des endgültigen Schutzes oder des endgültigen Sicherheitsstandards geht, ist gerade im Arzneimittelbereich eine Situation gegeben, die nicht endgültig ist, sondern in der gesetzliche Vorschriften in Abständen novelliert werden müssen.Die vorgelegte und vom Deutschen Bundestag beratene Novelle geht von der gemeinsamen und von allen Fraktionen des Deutschen Bundestages getragenen Neuordnung des Arzneimittelgesetzes von 1976 aus. Das damalige Gesetz hat sich bewährt und scheint, wie es auch die Beratungen ergeben haben, an einigen wenigen Punkten nachbesserungsbedürftig. Grundsätzlich neu sind die Regelungen der Zweitantragstellerproblematik und die gesetzliche Verankerung der Transparenzkommission. Die übrigen Regelungen sind im weitesten Sinne Weiterentwicklungen bestehender Rechtsinstitute.Ich habe mich gefreut, daß der Gesetzentwurf im federführenden Ausschuß weitgehend Zustimmung gefunden hat, auch bei der Opposition, und diese weitgehende Zustimmung wird auch nicht dadurch wesentlich getrübt, daß andere Punkte strittig geblieben sind, in denen die Bundesregierung jeweils glaubt, daß es auch Gründe für die Auffassung der Koalition gibt, bei der jetzt vorgeschlagenen Regelung zu verbleiben. Darum nochmals: Ich halte es für bedeutsamer, daß Einvernehmen über die Regelungen für sterile Einmalgeräte, die Allgemeinverständlichkeit der Packungsbeilage, das allgemeine offene Verfallsdatum, die Einführung einer besonderen Fachinformation, die Erweiterung der Meldepflichten der pharmazeutischen Industrie bei Nebenwirkungen, die Überwachung der klinischen Prüfung und der Einfuhr besteht.Selbstverständlich werde ich die Auswirkungen dieser Änderungen sehr aufmerksam beobachten; denn es darf z. B. nicht geschehen, daß die Einführung der besonderen Fachinformation für Ärzte die Hersteller veranlaßt, einen Teil seltener Nebenwirkungen in der Fachinformation unterzubringen und in den für die Patienten bestimmten Informationen zu verschweigen. Darauf werden die Zulassungsbehörden zu achten haben. Sie haben die Mittel in der Hand, eine solche Praxis zu steuern.Eine schwierige Frage war die Veröffentlichung der Fachinformation und ihrer therapierelevanten Änderungen. Ich glaube, die jetzt gefundene Lösung ist überzeugend. Sie läßt einerseits den Beteiligten die Freiheit, im Einzelfall die richtige Art der Informationsverbreitung zu wählen, und gibt der Zulassungsbehörde die Möglichkeit zu einem korrigierenden Eingriff.Die neuen Regelungen können nur schrittweise und zunächst nur für die neu zugelassenen Präparate greifen. Das gilt für die Kennzeichnungsvorschriften, insbesondere für die Forderung auf Allgemeinverständlichkeit der Gebrauchsinformation, des Verfalldatums, aber auch die neuen Anforderungen für fixe Arzneimittelkombinationen. Materiell werden die Altpräparate erst nach und nach im Zuge der Aufbereitung des wissenschaftlichen Erkenntnismaterials über ihre Unbedenklichkeit undWirksamkeit den neuen Regelungen entsprechend in den Verkehr gebracht.In diesem Zusammenhang möchte ich auch erklären, daß aus meiner Sicht nicht bis zum Jahr 1990 gewartet werden kann, wenn es um die Aufbereitungsmonographien geht, um Aussagen zur Wirksamkeit und Unbedenklichkeit veröffentlichen zu können. Für einen verantwortungsbewußten Hersteller dürfte das selbstverständlich sein.Ein wichtiger Gegenstand der Novelle sind die sogenannten Feldversuche mit zugelassenen Arzneimitteln. Hier hatten sich in der Vergangenheit Probleme gezeigt. Die Novellierung läßt zu, daß diese Untersuchungen als Teil der klinischen Prüfung und unter den gesetzlich geregelten Voraussetzungen nach der Zulassung durchgeführt werden. Damit soll aber kein Ersatz für die erheblich eingeschränkte Musterwerbung geschaffen werden. Arzneimittel zur klinischen Prüfung dürfen in der Regel nicht als das Markenpräparat erkennbar sein, weil sonst das Ergebnis angezweifelt werden könnte und zu verfälschenden Aussagen Anlaß geben könnte.Bei den Arzneimittelmustern ist mit zwei Mustern je Arzneimittel, Arzt und Jahr aus meiner Sicht ein akzeptabler Kompromiß erreicht worden. Auf Grund der detaillierten Aufzeichnungspflichten ist die Regelung bedingt überwachbar. Übertretungen sind als Ordnungswidrigkeiten mit Geldbuße bedroht.Eines der schwierigsten Probleme des Gesetzentwurfs, das mich auch persönlich interessiert hat, war die Zweitantragstellerproblematik. Hier galt es einen Ausgleich zu finden zwischen widerstreitenden Interessen und unterschiedlichen Bereichen. Die Konflikte liegen beim Tierschutz, im wirtschaftlichen Interessenausgleich einschließlich der Wettbewerbsneutralität, aber auch in ureigensten gesundheitlichen Belangen. Denn einerseits geht es darum, durch Preiswettbewerb eine preisgünstige Arzneimittelversorgung der Bevölkerung sicherzustellen, andererseits aber auch darum, der forschenden Industrie Raum für Innovationsentscheidungen zu lassen. Die Entscheidung für eine einheitliche Frist von zehn Jahren Unterlagenschutz stellt keinen Freibrief für den nachstoßenden Wettbewerb zu Tierversuchen dar. Deren Zulässigkeit bestimmt sich nach dem Tierschutzgesetz.
Im übrigen kann für eine längere Sperrfrist im Arzneimittelbereich die zusätzliche Notwendigkeit klinischer Prüfungen geltend gemacht werden. Die Regelung ist zudem augenscheinlich einfacher und geeignet, Prozesse um Ausgleichszahlungen zu vermeiden. Ich denke, das hat auch das Hearing zum Arzneimittelgesetz noch einmal deutlich gemacht. Zum anderen wäre eine einheitliche EG-Regelung auf dieser Ebene sonst weniger erreichbar gewesen. Ich verweise in diesem Zusammenhang auch darauf, daß bei der EG eine neue Tierschutzregelung, eine Richtlinie, in Vorbereitung ist. Das noch einmal zu dem, was Sie eben in die Debatte warfen, Herr Jaunich.
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Bundesminister Frau Dr. SüssmuthDie Novelle bietet eine Rechtsgrundlage für die Transparenzkommission. Denn gleich nach dem Inkrafttreten dieser Vorschriften werden weitere Listen veröffentlicht werden. Ich erwarte, daß sie von den Selbstverwaltungskörperschaften als zuverlässige wissenschaftliche Grundlagen genutzt werden. Ohne Zusammenarbeit des Bundesausschusses für Ärzte und Krankenkassen und der Transparenzkommission können beide Institutionen nicht optimal zusammenwirken.Lassen Sie mich zum Schluß noch auf ein besonderes Anliegen zu sprechen kommen, nämlich auf die bessere Arzneimittelversorgung der Entwicklungsländer. Bei dem bedeutenden Arzneimittelexport trägt die Bundesrepublik hierbei eine besondere Verantwortung.
Die Verantwortung des Importeurs ist um so größer, je weniger medizinisch-pharmazeutisches Fachwissen im Einfuhrland vorhanden ist, je geringer dort die Möglichkeiten zur verwaltungsmäßigen Überwachung sind.Besonderer oder zusätzlicher gesetzlicher Regelungen bedarf es allerdings für dieses Ziel nicht. Die grundsätzlichen Anforderungen an die pharmazeutische Qualität, an die Unbedenklichkeit und Wirksamkeit der Arzneimittel gelten für Exportarzneimittel wie für den Inlandsbedarf.Jede Arzneimittelherstellung in der Bundesrepublik unterliegt den gleichen von der Weltgesundheitsorganisation anerkannten Herstellungsvorschriften. Die Tätigkeit der deutschen Überwachungsbehörde erstreckt sich auch auf Exportarzneimittel.Mit der vorliegenden Novelle wird es auch möglich sein — und daran ist mir gelegen —, daß sich der Sektor Naturheilkunde stabilisieren und weiterentwickeln kann.
Angesichts der Position der Naturheilkunde in unserem Gesundheitswesen ist das wichtig.
Ich möchte nicht schließen, ohne dem federführenden Ausschuß und seinem Vorsitzenden für die zügige Beratung des Gesetzentwurfes zu danken.
In diesen Dank beziehe ich die mitberatenden Ausschüsse ein.Danke schön.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.Wir kommen jetzt zu den Abstimmungen, und zwar zunächst zur Einzelberatung und Abstimmung über Tagesordnungspunkt 4 b, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 10/5112 in der Ausschußfassung. Hierzu liegt eine Reihe von Änderungsanträgen der Fraktion der SPD sowie ein Änderungsantrag der Abgeordneten Jaunich und Frau Dr. Neumeister auf den Drucksachen 10/5743 und 10/5745 bis 10/5761 vor.Meine Damen und Herren, wir kommen zu Art. 1 in der Ausschußfassung.Ich rufe Nr. 1 bis 3 auf. Wer stimmt dafür? — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Dann sind die aufgerufenen Vorschriften mit Mehrheit angenommen.Ich rufe Nr. 4 auf. Hierzu liegt auf der Drucksache 10/5745 ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD vor. Wer stimmt für den Änderungsantrag? — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Dann ist der Änderungsantrag mit Mehrheit abgelehnt.Wer stimmt für Nr. 4 in der Ausschußfassung? — Gegenprobe. — Enthaltungen? — Nr. 4 ist mit Mehrheit angenommen.Ich rufe Nr. 5 auf. Hierzu liegt auf Drucksache 10/5746 ein Änderungsantrag der SPD vor. Wer stimmt für den Änderungsantrag? — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Der Änderungsantrag ist mit Mehrheit abgelehnt.Wer für Nr. 5 in der Ausschußfassung stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Nr. 5 ist mit Mehrheit angenommen.Ich rufe Nr. 6 auf. Hierzu liegt auf Drucksache 10/5747 ein Änderungsantrag der SPD vor. Wer stimmt für den Änderungsantrag? — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Der Änderungsantrag ist mit Mehrheit abgelehnt.Wer stimmt für Nr. 6 in der Ausschußfassung? — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Nr. 6 ist mit Mehrheit angenommen.Ich rufe Nr. 7 auf. Wer stimmt dafür? — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Die Nr. 7 ist mit Mehrheit angenommen.Ich rufe Nr. 8 auf. Hierzu liegt auf Drucksache 10/5748 ein Änderungsantrag der SPD vor. Wer stimmt für den Änderungsantrag? — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Dieser Änderungsantrag ist mit Mehrheit abgelehnt.Wer stimmt für Nr. 8 in der Ausschußfassung? — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Nr. 8 ist mit Mehrheit angenommen.Ich rufe Nr. 8 a auf. Hierzu liegt auf Drucksache 10/5749 ein Änderungsantrag der SPD vor. Wer stimmt für den Änderungsantrag? — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Der Änderungsantrag ist mit Mehrheit abgelehnt.Wer stimmt für die Nr. 8 a in der Ausschußfassung? — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Nr. 8 a ist mit Mehrheit angenommen.Ich rufe Nr. 9 auf. Hierzu liegt auf Drucksache 10/5750 ein Änderungsantrag der SPD vor. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Der Änderungsan-
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Juni 1986 17463
Vizepräsident Westphaltrag ist bei einer Reihe von Enthaltungen mit Mehrheit abgelehnt worden.Wer stimmt für Nr. 9 in der Ausschußfassung? — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Nr. 9 ist mit Mehrheit angenommen.Ich rufe Nr. 10 auf. Hierzu liegt auf Drucksache 10/5751 ein Änderungsantrag der SPD vor. Wer stimmt für den Änderungsantrag? — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Der Änderungsantrag ist mit Mehrheit abgelehnt.Wer stimmt für Nr. 10 in der Ausschußfassung? — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Nr. 10 ist mit Mehrheit angenommen.Ich rufe Nr. 11 auf. Hierzu liegt auf Drucksache 10/5752 ein Änderungsantrag der SPD vor. Wer stimmt für den Änderungsantrag? — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Der Änderungsantrag ist mit Mehrheit abgelehnt.Wer stimmt für Nr. 11 in der Ausschußfassung? — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Nr. 11 ist mit Mehrheit angenommen.Ich rufe Nr. 12 und 13 auf. Wer stimmt dafür? — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Die aufgerufenen Vorschriften sind mit Mehrheit angenommen.Ich rufe Nr. 14 auf. Hierzu liegt auf Drucksache 10/5753 ein Änderungsantrag der SPD vor. Wer stimmt für den Änderungsantrag? — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Der Änderungsantrag ist mit Mehrheit abgelehnt.Wer stimmt für Nr. 14 in der Ausschußfassung? — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Nr. 14 ist mit Mehrheit angenommen.Ich rufe Nr. 15 auf. Hierzu liegt auf Drucksache 10/5743 ein Änderungsantrag der Abgeordneten Jaunich und Frau Dr. Neumeister sowie auf Drucksache 10/5754 ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD vor.Wir stimmen zuerst über den Änderungsantrag auf Drucksache 10/5743 ab, also über den von Frau Neumeister und Herrn Jaunich. Wer stimmt dafür? — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Bei einer Enthaltung ist der Änderungsantrag mit Mehrheit abgelehnt.Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/5754? Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Der Änderungsantrag ist mit Mehrheit abgelehnt.Wer stimmt nun für Nr. 15 in der Ausschußfassung? — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Nr. 15 ist mit Mehrheit angenommen.Ich rufe Nr. 16 bis 19 auf. Wer stimmt dafür? — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Die aufgerufenen Vorschriften sind mit Mehrheit angenommen.Ich rufe Nr. 20 auf. Hierzu liegt auf Drucksache 10/5755 ein Änderungsantrag der SPD vor. Wer stimmt für den Änderungsantrag? — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Der Änderungsantrag ist mit Mehrheit abgelehnt.Wer stimmt für Nr. 20 in der Ausschußfassung? — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Nr. 20 ist mit Mehrheit angenommen.Ich rufe Nr. 21 und 21 a auf. Wer stimmt dafür? — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Die aufgerufenen Vorschriften sind mit Mehrheit angenommen.Ich rufe den Änderungsantrag der SPD auf Drucksache 10/5756 auf. Es wird beantragt, nach Nr. 21 a eine Nr. 21 b neu einzufügen. Wer stimmt dafür? — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Bei einigen Enthaltungen ist der Änderungsantrag mit Mehrheit abgelehnt.Ich rufe Nr. 22 bis 24 auf. Wer stimmt dafür? — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Die aufgerufenen Vorschriften sind mit Mehrheit angenommen.Ich rufe Nr. 25 auf. Hierzu liegt auf Drucksache 10/5757 ein Änderungsantrag der SPD vor. Wer stimmt für den Änderungsantrag? — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Der Änderungsantrag ist mit Mehrheit abgelehnt.Wer stimmt für Nr. 25 in der Ausschußfassung? — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Nr. 25 ist mit Mehrheit angenommen.Ich rufe Nr. 26 und 27 auf. Wer stimmt dafür? — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Die aufgerufenen Vorschriften sind mit Mehrheit angenommen.Ich rufe den Änderungsantrag der SPD auf Drucksache 10/5758 auf. Es wird beantragt, nach Nr. 27 eine neue Nr. 27 a einzufügen. Wer stimmt dafür? — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Der Änderungsantrag ist mit Mehrheit abgelehnt.Ich rufe Nr. 28 bis 38 a auf. Wer stimmt dafür? — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Die aufgerufenen Vorschriften sind mit Mehrheit angenommen.Ich rufe Nr. 39 auf. Hierzu liegt auf Drucksache 10/5759 ein Änderungsantrag der SPD vor. Wer stimmt für den Änderungsantrag? — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Der Änderungsantrag ist mit Mehrheit abgelehnt.Wer stimmt für Nr. 39 in der Ausschußfassung? — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Nr. 39 ist mit Mehrheit angenommen.Ich rufe den Änderungsantrag der SPD auf Drucksache 10/5760 auf. Es wird beantragt, nach Nr. 39 eine neue Nr. 39 a einzufügen. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. —Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Der Änderungsantrag ist mit Mehrheit abgelehnt.Ich rufe Nr. 40 bis 43 auf. Wer stimmt dafür? — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Die aufgerufenen Vorschriften sind mit Mehrheit angenommen.Art. 1 in der Ausschußfassung ist somit angenommen.Ich rufe Art. 2 in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen
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17464 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Juni 1986
Vizepräsident Westphalwünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? — Die aufgerufenen Vorschriften sind mit Mehrheit angenommen.Ich rufe Art. 3 auf. Hierzu liegt auf Drucksache 10/5761 ein Änderungsantrag der SPD vor. Wer stimmt für den Änderungsantrag? — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Der Änderungsantrag ist mit Mehrheit abgelehnt.Wer stimmt für Art. 3 in der Ausschußfassung? — Bitte die Gegenprobe! — Enthaltungen? — Art. 3 ist mit Mehrheit angenommen.Ich rufe die Art. 3 a bis 5, Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Die aufgerufenen Vorschriften sind mit Mehrheit angenommen. Damit ist die zweite Beratung abgeschlossen.Wir treten in die dritte Beratungein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich der Stimme? — Der Gesetzentwurf ist mit Mehrheit angenommen.Wir kommen jetzt zur Einzelberatung und Abstimmung über den Tagesordnungspunkt 4 a, den Gesetzentwurf der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/4144. Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 10/5732 unter Nr. 2, diesen Gesetzentwurf abzulehnen.Ich rufe die Art. 1 bis 5, Einleitung und Überschrift auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Das Gesetz ist in zweiter Beratung bei einer Reihe von Enthaltungen mehrheitlich abgelehnt.Damit unterbleibt nach § 83 Abs. 3 unserer Geschäftsordnung jede weitere Beratung.Wir kommen nunmehr zum Tagesordnungspunkt 4 c, zum Gesetzentwurf der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/5168.Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 10/5732 unter Nr. 3, diesen Gesetzentwurf abzulehnen.Ich rufe Art. 1 bis 3, Einleitung und Überschrift auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich der Stimme? — Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung bei einer größeren Anzahl von Enthaltungen mit Mehrheit abgelehnt.Damit unterbleibt nach § 83 Abs. 3 unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung.Der Ausschuß empfiehlt weiter auf Drucksache 10/5732 unter Nr. 4 die Annahme einer Entschließung. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich der Stimme? — Die Entschließung ist bei einer Reihe von Enthaltungen mit großer Mehrheit angenommen.Wir kommen nunmehr zur Abstimmung über Tagesordnungspunkt 4 d, und zwar über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Jugend, Familie und Gesundheit auf Drucksache 10/5520. Wer dieser Beschlußempfehlung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Die Beschlußempfehlung des Ausschusses ist mit großer Mehrheit angenommen.Jetzt kommt noch eine Reihe von Tagesordnungspunkten, bei denen ich Ihre Mitwirkung brauche, obwohl nichts zu debattieren ist.Ich rufe den Zusatz-Tagesordnungspunkt 5 auf:Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 7. Januar 1986 zur Änderung des Abkommens vom 17. Dezember 1973 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Staat Israel über Soziale Sicherheit— Drucksache 10/5526 —Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung
— Drucksache 10/5735 —Berichterstatterin: Abgeordnete Frau SteinhauerHierzu finden nur zwei Beratungen statt. Eine Aussprache ist nicht vorgesehen.Wir kommen zur Schlußabstimmung. Ich rufe das Gesetz mit seinen Art. 1 bis 3, Einleitung und Überschrift auf. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Das Gesetz ist bei einer Enthaltung einstimmig angenommen.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 6 auf:Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ausführung zwischenstaatlicher Anerkennungs- und Vollstreckungsverträge in Zivil- und Handelssachen
— Drucksache 10/5711Eine Aussprache ist nicht vorgesehen.Es wird vorgeschlagen, den Gesetzentwurf auf Drucksache 10/5711 an den Rechtsausschuß zu überweisen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? — Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 7 auf:Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft zu der Verordnung der Bundesregierung
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Juni 1986 17465
Vizepräsident WestphalAufhebbare Verordnung zur Änderung des Deutschen Teil-Zolltarifs
— Drucksachen 10/5024, 10/5402 —Berichterstatter: Abgeordneter LattmannEine Aussprache ist nicht vorgesehen.Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuß empfiehlt, die Aufhebung der Verordnung nicht zu verlangen. Wer der Beschlußempfehlung auf Drucksache 10/5402 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Die Beschlußempfehlung des Ausschusses ist bei einer Reihe von Enthaltungen mit großer Mehrheit angenommen.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 8 a und 8 b sowie den Zusatz-Tagesordnungspunkt 11 a und 11 b auf:8. a) Beratung der Sammelübersicht 152 des Petitionsauschusses über Anträge zu Petitionen— Drucksache 10/5674 —b) Beratung der Sammelübersicht 153 des Petitionsausschusses über Anträge zu Petitionen— Drucksache 10/5675 —11. a) Beratung der Sammelübersicht 156 des Petitionsausschusses über Anträge zu Petitionen— Drucksache 10/5739 —b) Beratung der Sammelübersicht 158 des Petitionsausschusses über Anträge zu Petitionen— Drucksache 10/5741 —Zur Sammelübersicht 158 liegt ein Änderungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/5770 vor. Eine Aussprache ist nicht vorgesehen.Wir kommen zur Abstimmung. Wer den Beschlußempfehlungen des Petitionsausschusses auf den Drucksachen 10/5674,10/5675 und 10/5739 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Bei Enthaltungen der Fraktion DIE GRÜNEN sind diese Beschlußempfehlungen des Ausschusses angenommen worden.Wir kommen nunmehr zur Abstimmung über Zusatztagesordnungspunkt 11 b, und zwar zuerst über den Änderungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/5770. Wer dem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Der Änderungsantrag ist mit Mehrheit bei einer Reihe von Enthaltungen abgelehnt worden. Damit ist die Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses auf Drucksache 10/5741 angenommen.Ich rufe jetzt den Zusatztagesordnungspunkt 12 auf:Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau zu dem Antrag der Abgeordneten Dr.-Ing. Kansy, Niegel, Dr. Daniels, Dörflinger, Link (Frankfurt), Linsmeier, Magin, Dr. Möller, Pesch, Frau Rönsch, Frau Roitzsch (Quickborn), Ruf, Zierer, Grünbeck, Frau Dr. Segall, Frau Seiler-Albring und der Fraktionen der CDU/CSU und FDPUmwelt und Gewerbe in der Städtebaupolitik— Drucksachen 10/4510, 10/5742 —Berichterstatter:Abgeordnete Müntefering, PeschEine Aussprache ist nicht vorgesehen. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP auf Drucksache 10/4510 anzunehmen. Wer dieser Beschlußempfehlung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Die Beschlußempfehlungen des Ausschusses sind mit Mehrheit angenommen.Ich rufe den Zusatzpunkt 6 a und 6 b der Tagesordnung auf:a) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP eingebrachten Entwurfs eines Sechsten Gesetzes zur Änderung des Abgeordnetengesetzes und eines Fünften Gesetzes zur Änderung des Europaabgeordnetengesetzes— Drucksache 10/5733 —b) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP eingebrachten Entwurfs eines Siebten Gesetzes zur Änderung des Abgeordnetengesetzes— Drucksache 10/5734 —Meine Damen und Herren, interfraktionell ist für die Beratung dieser Zusatzpunkte ein Beitrag bis zu fünf Minuten für jede Fraktion vereinbart worden. — Ich sehe dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Spilker.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Ich war heute eigentlich auf eine verbundene Debatte über drei verschiedene Komplexe des Abgeordnetengesetzes — natürlich bei entsprechender Redezeit — vorbereitet,
die notwendigen und gewünschten Änderungen dieses Gesetzes aus dem Jahre 1977 zum Inhalt haben sollte. Zu unserer großen Überraschung hörten wir, daß ein Komplex, nämlich der für die Verhaltensregeln
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17466 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Juni 1986
Spilkerder Abgeordneten maßgebende, abgesetzt wurde — gerade dieser —, weil die einmütige Beschlußfassung des federführenden Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung von der SPD-Fraktion nicht akzeptiert wurde. Ich will das nicht bewerten, aber feststellen und erklären, daß es damit bis auf weiteres bei den Verhaltensregeln bleibt, die in der Geschäftsordnung festgelegt und seit vielen Jahren praktiziert wurden. Auch wir hätten freilich diesen Teil des Abgeordnetengesetzes für die Verhaltensregeln gern fortgeschrieben, weiterentwickelt und der Praxis angepaßt. Eine zwingende oder gar dramatische Notwendigkeit dazu, wie von manchen betont, vor allen Dingen vor vielen Monaten, bestand und besteht allerdings nicht. Wir können also abwarten, wie die weitere Entwicklung sein wird.Anders, meine verehrten Damen und Herren, sieht es bei einem anderen Komplex des Abgeordnetengesetzes aus, für den nun ein gemeinsamer Entwurf von CDU/CSU, SPD und FDP vorliegt. Änderungen sind hier notwendig geworden, da es beträchtliche Probleme beim Vollzug des Abgeordnetengesetzes vom 1. April 1977 gegeben hat und gibt: Versorgungs- und Versicherungsfragen, Probleme der Hinterbliebenenversorgung, Bemessung der Beitragszuschüsse zur Krankenversicherung, Anrechnung von Bezügen aus öffentlichen Kassen auf die Leistungen nach dem Abgeordnetengesetz, Versorgungsausgleich und andere Fragen mehr verlangen Änderungen, Ergänzungen, auch Klarstellungen, die nunmehr beantragt worden sind. Gewiß, das ist eine recht komplizierte und sehr in die Einzelheiten gehende Materie , zumal es sich in vielen Fällen um Ausnahmen handelt, aber auch um Entwicklungen in der Rechtsprechung, vor allem bei den Familiengerichten.Bei dieser Gelegenheit möchte ich im übrigen den Mitarbeitern des Hohen Hauses ausdrücklich danken, die der Rechtsstellungskommission, die vom Ältestenrat berufen worden ist, mit ihrer Zuarbeit behilflich waren. Ich erinnere daran, daß diese Rechtsstellungskommission unter dem Vorsitz von Frau Vizepräsident Renger stand und steht.Der jetzt vorliegende Entwurf -- ich deutete es an — bedarf eingehender Beratungen. Wir beantragen auch unter diesem Gesichtspunkt Überweisung an den zuständigen Ausschuß.Nun haben wir einen weiteren Komplex. Er umfaßt die Änderung des Abgeordnetengesetzes und des Europaabgeordnetengesetzes bezüglich der Entschädigung der Mitglieder des Deutschen Bundestages und der deutschen Mitglieder des Europäischen Parlaments. Nach § 30 des Abgeordnetengesetzes hat der Präsident des Deutschen Bundestages im Benehmen mit dem Ältestenrat seinen Bericht über die Angemessenheit der Entschädigung im Sinne des Art. 48 Abs. 3 des Grundgesetzes erstattet und einen Vorschlag zur Anpassung der Entschädigung unterbreitet. Der Präsident schlägt in diesem Bericht eine Erhöhung der steuerpflichtigen Entschädigung um 2,8 % vor. Gleichzeitig empfiehlt er die Erhöhung der Kostenpauschale um 1,8 %. Diese Vorschläge sind in einem gemeinsamen Entwurf der Fraktionen von CDU/CSU, SPD und FDP auf Drucksache 10/5733 niedergelegt. Wir begrüßen diese Vorschläge und beantragen, den Gesetzentwurf an den federführenden Ausschuß zu überweisen.Ich danke Ihnen sehr.
Das Wort hat der Abgeordnete Becker .
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte zu dem Gesetzentwurf, den Herr Spilker angesprochen hat und den wir gar nicht beraten, auch ein paar Bemerkungen machen: Bei der abschließenden Beratung eines vorgesehenen Entwurfes für ein Fünftes Gesetz zur Änderung des Abgeordnetengesetzes sind in bezug auf die Verhaltensregeln für die Mitglieder des Deutschen Bundestages ganz am Schluß noch Fragen aufgetreten, die nicht abschließend beantwortet werden konnten. Es handelt sich um Probleme bei der Anzeigepflicht der Abgeordneten und um Fragen der Verfassungsmäßigkeit der vorgesehenen Bestimmungen.Deshalb haben die Fraktionen des Bundestages die abschließende Beratung dieses Gesetzentwurfes auf die Zeit nach der Sommerpause verschoben, mindestens die Fraktionen der CDU/CSU, SPD und der FDP.Ich will sagen, daß es in bezug auf die abschließende Beantwortung dieser Fragen darum ging, daß die SPD weitergehende Vorstellungen bei der Offenlegung hat und hatte, als sie gestern abschließend beantwortet werden konnte. Wir haben auch im Ausschuß nicht formell abgestimmt. Die Rückkoppelung in die Fraktionen war möglich.Ich sage nach wie vor: Ich möchte mich darum bemühen, daß es zu einem Konsens in dieser Frage kommt. Es wäre j a sehr einfach, die beiden Vorschläge, die gemacht worden sind — den der CDU/ CSU und den der SPD —, zur Abstimmung zu stellen. Aber ich glaube, daß es doch vernünftiger wäre, wenn wir uns weiterhin darum bemühen, zu einem Konsens bei den Verhaltensregeln für die Abgeordneten zu kommen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, nun zum Sechsten Gesetz zur Änderung des Abgeordnetengesetzes, in dem es um die Anhebung der Bezüge der Mitglieder des Deutschen Bundestages geht. Ich darf hier in der ersten Lesung sagen: Der Präsident hat seinen Vorschlag gemacht; die Fraktionen von SPD, CDU/CSU und FDP haben diesen Vorschlag zur Kenntnis genommen und daraus einen Gesetzentwurf entwickelt, der uns heute vorliegt.Ich will bei dieser Gelegenheit noch einmal daran erinnern, daß wir uns, nachdem uns das Bundesverfassungsgericht die Aufgabe übertragen hat, hier selbst über unsere Bezüge zu diskutieren und zu entscheiden, damals darauf verständigt haben, bei
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Juni 1986 17467
Becker
diesem Gesetz die Löhne und Gehälter in Industrie und Handel, die Dienst- und Versorgungsbezüge im öffentlichen Dienst, die Vergütungen der Angestellten und die Löhne der Arbeiter im öffentlichen Dienst, die Renten in der gesetzlichen Rentenversicherung und die Leistungen nach dem Bundessozialhilfegesetz zu berücksichtigen. Das heißt, aus der breiten Palette der Erhöhung von Einkommen in einem Jahreszeitraum einen Durchschnittssatz zu ermitteln, der uns angemessen erscheint. Das ist auch jetzt der Fall. Darüber wollen wir in zweiter und dritter Lesung noch beraten.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Hirsch?
Bitte sehr.
Herr Kollege Becker, halten Sie es für legitim und zulässig — wie es in der Begründung des Gesetzentwurfs heißt —, auch die zurückliegenden Nicht-Erhöhungen aus den Jahren 1977 bis 1983 als Begründung für eine Diätenerhöhung heranzuziehen, obwohl doch sicherlich ein Teil der Mitglieder dieses Hauses dem Haus damals gar nicht angehört hat? Halten Sie es für legitim, die frühere Enthaltsamkeit sozusagen rückwirkend wieder aufzuheben?
Lieber Kollege Dr. Hirsch, wir haben das schon geändert. Ich glaube, Sie haben nicht den letzten Text des Gesetzentwurfs in der Hand. Dort steht jetzt nämlich:
Im Hinblick auf die seit Mai 1985 eingetretene reale Einkommensentwicklung ist eine Anpassung der Entschädigung erforderlich.
Der Satz, auf den Sie abheben, ist bereits gestrichen.
— Ja, dieser Satz in der Begründung war falsch. Darauf haben wir aufmerksam gemacht.
Meine Damen und Herren, ich darf vielleicht noch kurz auf den Entwurf eines Siebten Gesetzes zur Änderung des Abgeordnetengesetzes eingehen. Herr Kollege Spilker hat auch hier schon darauf hingewiesen, daß eine ganze Reihe von Fragen nach der Verabschiedung des Gesetzes vom 1. April 1977 aufgetreten sind, mit denen wir uns noch einmal beschäftigen müssen.
Lassen Sie mich nur einen einzigen Punkt herausgreifen. Hier geht es um Regelungen, die wir hier damals für Hinterbliebene getroffen haben. Dabei sind hier einige sehr schwierige Fälle aufgetreten. Daran wird deutlich, daß man sich nach zehn Jahren auch mit dieser Materie noch einmal beschäftigen muß. Wir wollen das in den Auschußberatungen nach Ende der Sommerpause sorgfältig tun. Wir werden dann die Gesetze zur zweiten und dritten Beratung hier im Plenum wieder vorlegen.
Wir stimmen den vorgesehenen Überweisungen an die Ausschüsse zu.
Vielen Dank.
Das Wort hat der Abgeordnete Mann.
Frau Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Politisch Mächtige und ihre Organisationen ziehen Geld an wie ein Magnet die Eisenspäne.
Ich zitiere Peter Lösche „Wovon leben die Parteien? — Über das Geld in der Politik", ein Buch, das ich allen Kolleginnen und Kollegen dringend zur Lektüre empfehle.
Wir sprechen hier heute an diesem Zahltag, einen Tag, bevor die Sommerpause beginnt, über unsere eigenen Einkünfte, über Änderungen der Rechtsstellung der Abgeordneten und leider — was ich sehr bedaure — nicht über die Verhaltensregeln. — Herr Kollege Langner, ich freue mich, daß Sie, der frühere Vorsitzende des 1. Untersuchungsausschusses, des Flick-Untersuchungsausschusses, anwesend sind. Hier in diesem Hohen Hause war im Herbst 1984 von Selbstreinigung, von Konsequenzen aus dem Fall Barzel die Rede.
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen von der SPD, Sie haben gestern dafür gesorgt, daß hier heute nicht über die Verhaltensregeln diskutiert werden kann. Ich finde, das ist parlamentarisch ein sehr schlechter Stil. Ich bedaure außerordentlich, daß wir hier in erster Lesung über die Rechtsstellung der Abgeordneten — einschließlich mancher Privilegien — sowie über eine Diätenerhöhung beraten, ohne — wir sind da im Wort — unsere Verpflichtung vom Herbst 1984 den Bürgern gegenüber zu erfüllen, zur Selbstreinigung Richtlinien, Verhaltensregeln zu beschließen, die eine echte Offenlegung, gläserne Taschen für Abgeordnete bedeutet hätten.
Das wird jetzt in der Hoffnung auf das schlechte Gedächtnis der Bürgerinnen und Bürger draußen im Lande auf die Zeit nach der Sommerpause vertagt. Wir sind sehr gespannt, Herr Kollege Becker, wie die Haltung der SPD nach den Sommerferien sein wird.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Schwenk?
Wenn sie nicht auf die Redezeit angerechnet wird.
Nein, sie wird nicht auf die Redezeit angerechnet. Das ist doch allgemein bekannt.
Bitte sehr.
17468 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Juni 1986
Herr Kollege Mann, ich würde gern wissen, wie Sie der Tatsache, daß sich die SPD nach einer intensiven Beratung entschlossen hat, die Vorlagen nicht zu beschließen, entnehmen, daß das im Herbst doch der Fall sein werde.
Herr Kollege Dr. Schwenk, ich kann hier nur feststellen, daß bis gestern in der Frage der Verhaltensregeln in diesem Hause eine große Koalition, an der die GRÜNEN in der Tat nicht beteiligt sind, bestanden hat, alles beim alten zu belassen — um das in dieser kurzen Zeit politisch auf den Punkt zu bringen.
— Ich bin dabei gewesen und stelle das hier in dieser Form fest. Das können Sie übrigens heute auch in verschiedenen Zeitungen nachlesen.
Ich stelle für die GRÜNEN fest: Wir sind weder hinsichtlich der Diätenerhöhung noch der Festschreibung von Privilegien bereit, uns an der großen Koalition der Altparteien, an einer Selbstbedienungskoalition, zu beteiligen. Das war in den vergangenen Jahren so, und das wird auch immer so bleiben.
Ich habe darauf hingewiesen, daß wir aus den Affären Flick und Barzel, die in der Tat nur die Spitze eines Eisberges sind, durch eine umfassende Offenlegung der Abgeordneteneinkünfte einschließlich der Nebeneinkünfte und der Nebentätigkeiten Konsequenzen ziehen sollten. Daran fehlt es. Deswegen — und das ist der Punkt, den ich hier heute in dieser kurzen Zeit nur betonen kann — ist es vom politischen Stil her unglaublich, eine Diätenerhöhung in den Bundestag einzubringen, die dazu führt, daß Abgeordnete eine Entschädigung, einschließlich der Kostenpauschale, von etwa 13 000 DM zur Verfügung haben, etwa 5 000 DM steuerfrei und über 8 000 DM zu versteuern. Das ist einfach unglaublich.
Ich will noch einen letzten Satz sagen, vielleicht zum Verständnis: Wir sind der Meinung, daß es in der Parteienfinanzierung viele ungelöste Probleme gibt.
Was unsere Diäten angeht, so ist in allen Fraktionen festzustellen, daß an Fraktionen, daß an Parteien Beträge von den Diäten geleistet werden, was der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts widerspricht. Deswegen finde ich es gar nicht schlecht, daß wir nach der Sommerpause noch einmal über die Verhaltensrichtlinien zu entscheiden
haben werden. Bis dahin wird nämlich, am 9. Juli, das Bundesverfassungsgericht über das Parteienfinanzierungsgesetz entschieden haben. Ich hoffe hier auf eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, die einen ersten Schritt hin zu einer demokratischen Parteienfinanzierung ermöglicht. Wir werden in der Zukunft diesem Hohen Hause Vorschläge unterbreiten, die dazu führen, daß in den Parteien so viel innerparteiliche Demokratie hergestellt wird, daß möglichst nur noch Bürger kandidieren, die nicht käuflich sind.
— Bitte schön, Herr Kollege Bohl.
Herr Kollege Mann, wann wird denn die Partei DIE GRÜNEN endlich die ihr nicht zustehenden 9 Millionen DM zurückzahlen?
Herr Kollege Bohl, ich kann angesichts der kurzen Zeit auf diese sehr polemische Frage nur ganz kurz antworten:
Wir reden hier zu Abgeordnetendiäten.
Ich möchte zum Schluß feststellen: Die GRÜNEN haben durchschaubare Beschlüsse. Wir geben von unseren Diäten erhebliche Teile, ich für meine Person im Monat fast 6 000 DM, dem Steuerzahler mittelbar zurück, indem wir ökologische und alternative Projekte fördern.
Nehmen Sie sich an uns ein Beispiel, statt Ihre billige Polemik, Ihre Wahlkampfpolemik an dieser Stelle, wo Sie fürwahr genug Dreck am Stecken haben, in den Bundestag einzubringen!
Vielen Dank!
Das Wort hat der Abgeordnete Wolfgramm.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Das Bundesverfassungsgericht hat uns ja Kriterien zur Regelung der Abgeordnetendiäten an die Hand gegeben. Es ist vielleicht hilfreich — auch für die GRÜNEN —, sich einmal mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts wirklich auseinanderzusetzen. Sie haben ja gerade angekündigt, daß Sie ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts mit besonderer Spannung erwarten; vielleicht lesen Sie dieses mit besonderer Spannung nach.
— Herr Kollege Mann, Sie sollten das tun. Dannwerden Sie feststellen, daß das Bundesverfassungs-
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Juni 1986 17469
Wolfgramm
gericht erstens die Belastung eines Abgeordneten als Kriterium heranzieht. Vielleicht haben Sie nicht viele Belastungen; das mag j a sein. Wir haben einige Belastungen.Zweitens gewichtet das Bundesverfassungsgericht die mit dem Amt verbundene Verantwortung. Es mag j a auch sein, daß Sie diese gering einschätzen.Drittens hebt das Bundesverfassungsgericht die Position des Abgeordneten im gesamten Verfassungsgefüge hervor. Diese schätzen Sie mit Sicherheit für sich selbst sehr gering ein.Diese Kombination, die das Bundesverfassungsgericht vorgegeben hat, dieser Dreiklang, ist die Grundlage für die Überlegungen, wie diese Entschädigung nun finanziell eingebunden werden soll.Ich bin dem Bundestagspräsidenten dankbar, daß er gemäß seiner Pflicht nach dem Abgeordnetengesetz diese Vorlage unterbreitet hat. Er hat sorgfältig gegeneinander abgewogen: die Anhebung im öffentlichen Bereich, im Tarifbereich, im Rentenbereich. Das, was er vorschlägt, ist sehr maßvoll im Hinblick auf das, was im öffentlichen Bereich und im privatwirtschaftlichen Bereich von den Tarifpartnern vorgeschlagen worden ist, was exekutiert wird, und was auch im Rentenbereich geschieht. Ich meine, das ist ein Punkt, den wir festhalten dürfen: eine maßvolle, eine gerechtfertigte Anhebung, gerade im Hinblick auf das Urteil auf das Bundesverfassungsgerichts.
Übrigens, Herr Kollege Mann, haben Sie sich in Ihrer Rede weitgehend mit Verhaltensregeln beschäftigt. Sie wollten das wohl deswegen tun, weil Sie gestern schon eine Voraberklärung dazu veröffentlicht haben und nun feststellen müssen, daß diese Rede gar nicht gehalten werden kann, denn sie stehen ja nicht auf der Tagesordnung. Man muß eben doch flexibel bleiben können.Ich möchte zu dieser Phantomdebatte nur eines anmerken.
— Es ist eine Phantomdebatte, weil dazu keine Gesetzesvorlage existiert.Ich möchte dazu anmerken, daß wir uns wünschen, daß im Herbst so bald wie möglich die zweite und dritte Beratung dieses Gesetzes über die Verhaltensregeln erfolgen kann. Ich wünsche mir auch, daß die Einmütigkeit des Geschäftsordnungsausschusses nach langen Kompromißüberlegungen dazu führt, daß wir gemeinsam mit den Sozialdemokraten ein so wichtiges Gesetz, das uns alle sehr betrifft, verabschieden können.Aber zurück zu dem Thema, zu dem hier die Gesetzesvorlage auf dem Tisch liegt. Herr Kollege, Sie haben wortreich beklagt, daß hier unerhörte Anhebungen geschehen. Sie haben erklärt: Die GRÜNEN werden sich immer außerordentlich sparsam verhalten, sie werden den Steuerzahler nicht belasten.
Sie wollten schon vor drei Jahren dem Haus erklären, wie Sie es denn mit Ihren eigenen Diäten halten; daß Sie für jeden Unterhaltsberechtigten 500 DM freistellen.
Ich kenne eine ganze Menge von Kollegen hier im Hause, die sehr froh wären, wenn sie für jeden Unterhaltsberechtigten in der Familie, für den sie einstehen müssen, 500 DM steuerfrei zusätzlich bekämen.
Aber das ist ja noch nicht alles, Herr Kollege Mann.
— Sie können zum Schluß auf die Dinge eingehen. Ich bin ja gern bereit, Ihre Frage entgegenzunehmen. Aber es kommen noch einige Punkte.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Mann?
Frau Präsidentin, ich möchte gern die drei Punkte im Zusammenhang vortragen, damit der Kollege Mann Gelegenheit hat, sie alle drei aufzugreifen.Wie kommt es denn, daß Sie in Hessen für unqualifizierte GRÜNE hohe und höchste Beamtenstellen fordern? Wie kommt das? Wie verträgt sich das mit Ihren Vorstellungen, die Sie hier vortragen? Wie sieht das eigentlich aus?
Da, wo Sie an der Krippe sind, weil Sie einen Minister stellen, meinen Sie, können Sie zuschlagen. So sieht das aus.
Wie sieht es denn aus, Herr Kollege Mann, wenn ein früherer Bundestagsabgeordneter, in Berlin wohnend, zusätzlich zu dem Übergangsgeld — das nicht zu knapp bemessen ist, weil wir ja möchten, daß eine Eingliederung möglich ist — von 16 000 DM auch noch Arbeitslosengeld beansprucht? Sind das neue Möglichkeiten, den Staat anzuzapfen?
Ich meine, bevor Sie hier den Moralapostel spielen und der Mehrheit dieses Parlaments einen Spiegel vorhalten wollen, sollten Sie selbst in diesen Spiegel sehen. Sie werden überraschende Einblicke haben.
Ich möchte noch ein Wort zum Siebten Gesetz zur Änderung des Abgeordnetengesetzes sagen. Der Kollege Spilker hat schon vorgetragen, um was es da alles geht. Ich kann mich kurzfassen. Es gibt dabei für uns eine wichtige Leitlinie. Wir werden sie in den Beratungen sorgfältig betrachten. Die Abge-
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17470 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Juni 1986
Wolfgramm
ordneten sind keine Beamten. Wir sind keine, wir wollen auch keine sein; wir sind nicht auf Lebenszeit gewählt wir sind unabhängig. Deswegen müssen wir darauf achten, daß wir in den Regeln, die wir uns selbst geben, nicht verbeamtet werden. Die Fraktion der Freien Demokratischen Partei wird darauf ein besonderes Augenmerk legen.
Meine Damen und Herren, der Herr Abgeordnete Lammert hat um das Wort nach § 29 Abs. 3 gebeten.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Der Bundestag sollte sich heute nachmittag ursprünglich mit drei unterschiedlichen Regelungsabsichten zum Abgeordnetengesetz befassen. Nach einer Vereinbarung sind zwei davon übriggeblieben.
Ich möchte zum Ausdruck bringen, daß ich die Entscheidung, den dritten vorgesehenen Regelungsgegenstand von der Tagesordnung abzusetzen, für unglücklich, unnötig und auch peinlich halte.
Ich halte ihn deswegen für unnötig, weil nach monatelangen sorgfältigen Beratungen im ersten Ausschuß ein Ergebnis über die Materie Verhaltensregelungen erzielt war, von dem nicht nur ich persönlich glaube, sondern mit Ausnahme des Vertreters der GRÜNEN alle Mitglieder des Ausschusses über alle Parteien hinweg der Überzeugung waren, daß dies eine der Sache und der Bedeutung dieser Frage angemessene Regelung des Sachverhalts hätte sein können.
Ich finde es deshalb sehr unglücklich, daß dies von der Tagesordnung gestrichen worden ist, weil man über einen Tagesordnungspunkt, der nicht mehr vorhanden ist, auch nicht inhaltlich reden kann und deswegen nicht die Möglichkeit besteht, die den Sachverhalt völlig verzerrenden Darstellungen des Kollegen Mann Punkt für Punkt zurückzuweisen, die er vorhin vorgetragen hat. Ich finde es im übrigen -- um es vorsichtig zu sagen — höchst unverständlich, wem es weiterhelfen soll, wenn hier ein Beitrag abgeliefert wird, Herr Kollege Mann, der mit hohem polemischem Aufwand und gespielter Entrüstung in einem deprimierenden Gegensatz zu dem sehr begrenzten Einsatz in der Sache steht, den Sie bei der Beratung dieses Sachverhalts im Ausschuß zu diesem Thema bewiesen haben.
Ich finde die Absetzung des Tagesordnungspunkts aus dem Kontext, in dem er gestanden hat, für uns alle deswegen peinlich, weil der Eindruck entstehen könnte, als wäre von drei Absichten zur Änderung des Gesetzes, von denen zwei mit den Ansprüchen der Abgeordneten zu tun haben und der dritte mit Verpflichtungen, im Konsens nur die Abteilung Ansprüche zu regeln und die Abteilung Pflichten nicht. Ich finde das in hohem Maße bedauerlich und gehe davon aus, daß die Fraktionen, die sich zu dieser Absetzung entschlossen haben, weil sie nach wie vor der Meinung sind, daß diese Regelung, die wir alle wollen, im Konsens verabschiedet werden müsse, sich zu dieser Art von Beratung nur deswegen heute entschlossen haben, weil es sich bei den verbleibenden Bestandteilen des Abgeordnetengesetzes um eine erste Lesung handelt und deswegen die Möglichkeit besteht, den inneren Zusammenhang wiederherzustellen, wenn wir in die zweite und dritte Lesung dieser Teile eintreten.
Ich möchte an uns alle appellieren, daß wir diesen fast schon zu einem erfolgreichen Ergebnis gebrachten Prozeß der Herstellung eines Einvernehmens über die Neudefinition von Verpflichtungen, die sich für Abgeordnete ergeben, unmittelbar nach der Sommerpause zu einem endgültigen Abschluß bringen können.
Danke schön.
Das Wort zur Geschäftsordnung hat nach § 29 Abs. 3 der Herr Abgeordnete Dr. Schwenk.
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Lammert, ein Punkt in Ihrer Erklärung hat mich veranlaßt, mich ebenfalls noch zu Wort zu melden.Es muß einer Fraktion vorbehalten bleiben, bis zur Schlußentscheidung die Vorbereitungen für nicht ausreichend zu erklären, wenn mindestens ein wichtiger Punkt nicht zur Zufriedenheit dieser Fraktion geklärt ist.
— Herr Kollege Bohl, ob die Fraktion in ihrer Fraktionssitzung mehrheitlich unter einigen Vorbehalten, die ich in der Ausschußsitzung noch einmal vorgetragen hatte, zugestimmt hat, dann erneut vorgetragen bekommen will, wie die Sache aussieht, und schließlich wegen eines wesentlichen Punktes zu einer anderen Entscheidung kommt, muß ihr nun einmal vorbehalten bleiben, denn das letzte Wort hat hier im Plenum zu fallen. Auch wenn wir in den Beratungen mitgeteilt haben, wie weit wir in der Rückkopplung mit unserer Fraktion sind, ist das nicht eine Vorwegnahme der Schlußentscheidung hier im Plenum; sonst könnten wir nämlich das Plenum auflösen, und das wollen wir nicht. Hier im Plenum fällt die letzte Entscheidung, und vorher muß man sagen können: Ein wichtiger Punkt ist nicht zu unserer Zufriedenheit geregelt, und deshalb kann dem nicht zugestimmt werden.Das, was Sie wegen der Kopplungen gesagt haben, kann ich so nicht unterstreichen, sondern hier ging es um einen Punkt, den wir von unserer Fraktion nicht mitmachen konnten, weshalb die Entscheidung abgesetzt worden ist.Ob es im Herbst zu neuen, erfolgversprechenden Verhandlungen und Beratungen kommt, kann ich von dieser Stelle aus nicht sagen. Dazu wurde der entscheidende Punkt auch als zu gravierend angesehen. Darüber muß fraktionsintern noch einmal
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Juni 1986 17471
Dr. Schwenk
gründlich beraten werden, und es muß nach anderen Lösungen gesucht werden. Ich will hier aber noch einmal feststellen: Es handelt sich nicht um Kopplungsgeschäfte, sondern um Entscheidungen in der Sache.
Meine Damen und Herren, die Aussprache ist geschlossen.
Es wird vorgeschlagen, den Gesetzentwurf auf der Drucksache 10/5733 zur federführenden Beratung an den Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung sowie zur Mitberatung und zur Beratung gemäß § 96 der Geschäftsordnung an den Haushaltsausschuß zu überweisen.
Weiter wird vorgeschlagen, den Gesetzentwurf auf der Drucksache 10/5734 zur federführenden Beratung an den Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung, zur Mitberatung an den Innenausschuß, den Rechtsausschuß und den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung sowie zur Mitberatung und gemäß § 96 der Geschäftsordnung an den Haushaltsausschuß zu überweisen. Ist das Haus damit einverstanden? — Es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 9 der Tagesordnung auf:
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ströbele, Mann, Frau Dann, Dr. Schierholz und der Fraktion DIE GRÜNEN
Errichtung einer Gedenk- und Dokumentationsstätte im ehemaligen Konzentrationslager Salzgitter-Drütte
— Drucksache 10/3990 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Innenausschuß
b) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Innenausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Tietjen, Bachmaier, Dr. Ehrenberg, Dr. Emmerlich, Ewen, Fischer (Osthofen), Klein (Dieburg), Dr. Kübler, Lambinus, Oostergetelo, Polkehn, Schmidt (München), Schröder (Hannover), Stiegler, Dr. de With, Dr. Schwenk (Stade), Frau Terborg und der Fraktion der SPD
Errichtung eines Dokumentations- und Informationszentrums auf dem Gelände des ehemaligen Konzentrationslagers Esterwegen
— Drucksachen 10/579, 10/3950 —
Berichterstatter: Abgeordnete Broll Tietjen
Meine Damen und Herren, im Ältestenrat sind eine gemeinsame Beratung der unter a und b aufgeführten Vorlagen und ein Beitrag bis zu fünf Minuten für jede Fraktion vereinbart worden. Ist das Haus einverstanden? — Es ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Seiters.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich möchte zunächst ein Wort zur Errichtung eines Dokumentations- und Informationszentrums über die Emsland-Lager und über die Beschlußempfehlung und den Bericht des Innenausschusses sagen. Ich möchte persönlich, aber auch für meine Fraktion diese Beschlußempfehlung begrüßen und die Anerkennung, die in ihr für die private Initiative des Aktionskomitees zur Sammlung, Auswertung, Aufarbeitung und Darstellung von Materialien aus der Zeit der Emsland-Lager während der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft und für die Arbeiten der Stadt Papenburg und des Landkreises Emsland zum Ausdruck kommt.Ich möchte auch wiederholen, was ich ähnlich in der ersten Lesung hier im Deutschen Bundestag bereits erklärt habe: Wir teilen die Auffassung, daß die Geschichte der Konzentrationslager nicht in Vergessenheit geraten darf. Es ist unsere gemeinsame Aufgabe, die Erinnerung an die geschichtlichen Ereignisse und die Verbrechen des Nationalsozialismus wachzuhalten. Dies gilt auch und uneingeschränkt 50 Jahre nach der Machtergreifung, auch für das Emsland und das ehemalige Konzentrationslager Esterwegen.Wie ich höre, ist die Bundesregierung bereit, die Errichtung eines Dokumentations- und Informationszentrums, in dem über die Geschichte der Emsland-Lager und das Schicksal der dort inhaftierten Menschen berichtet wird, nicht nur im Rahmen der politischen Bildungsarbeit zu fördern, sondern auch mit Mitteln der Arbeitsmarktpolitik und bei künftigen Forschungsvorhaben. Die Bundesregierung hat mir auch mitgeteilt, daß sie bereit sei, beim Aufbau des Zentrums Hilfestellung durch Vermittlung von Kontakten zum Institut für Zeitgeschichte München und zum Deutschen Historischen Institut London zu leisten. Beide Einrichtungen könnten mit ihrer reichhaltigen Erfahrung das Zentrum beim Aufbau seiner Dokumentation beraten. Da die britische Regierung kürzlich die Archivbestände zur Besatzungszeit 1945 bis 1955 freigegeben habe, sei es nicht ausgeschlossen, daß das Zentrum mit Hilfe des Deutschen Historischen Instituts Unterlagen zur Zeitgeschichte der EmslandLager erschließen und erwerben könne. Im übrigen sei die Bundesregierung für jede weitere Anregung und Überlegung aufgeschlossen, die dazu führen könne, das Vorhaben dieses Dokumentations- und Informationszentrums auch von Bundes wegen mit voranzubringen.Mir liegt auch eine Stellungnahme des niedersächsischen Ministers des Innern vom 16. Juni 1986 vor, in der es unter anderem heißt:Ich darf versichern, daß ich das Vorhaben nachdrücklich unterstützen werde, soweit eine Förderung mit Landesmitteln in Betracht kommt, und mich auch für die Bereitstellung privater Mittel einsetzen werde, soweit das Land hierauf Einfluß nehmen kann.Von daher hoffe ich, daß es im Emsland jetzt gelingt, zwischen dem Verein „Historisch-Ökologisches Schulungszentrum Emsland", der Stadt Pa-
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17472 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Juni 1986
Seiterspenburg, dem Landkreis und dem Aktionskomitee zu einer gemeinsamen Konzeption zu gelangen.Der Beschlußempfehlung des Innenausschusses stimmen wir zu.Meine Damen und Herren, diese Überlegungen müssen grundsätzlich auch für das ehemalige Konzentrationslager Salzgitter-Drütte gelten. Der Zielsetzung des vorliegenden Antrags, zu einer Auseinandersetzung mit der lokalen Geschichte des Nationalsozialismus zu ermutigen, wird niemand hier im Hause widersprechen. Ich darf in diesem Zusammenhang auf die vorhandenen Gedenkstätten in der dortigen Region hinweisen: auf den Ehrenfriedhof Westenholz in Salzgitter-Hallendorf mit 860 Toten, auf den Ehrenfriedhof Jammertal bei Salzgitter-Lebenstedt mit 3 000 Toten, aber auch auf Bergen-Belsen, das in Niedersachsen mit Abstand größte Lager, in dem sich am Tage der Befreiung noch ca. 60 000 Menschen befanden. Sie wissen, daß die Landesregierung Bergen-Belsen zu einer zentralen Gedenkstätte für ganz Niedersachsen ausgebaut hat. Die Bilder und Dokumente, die in dieser Gedenkstätte ausgestellt sind, stehen steilvertretend für das leidvolle Geschehen auch in anderen Lagern und Außenstellen.Dennoch, auch wenn von manchem die Frage gestellt wird, ob durch eine Vermehrung von Gedenkstätten die Intensität des Gedenkens wirklich vertieft wird, es sollte nach meiner Auffassung dabei bleiben, daß die Kommunen, aber nicht nur sie, aufgefordert sind, im örtlichen Bereich an Stätten der NS-Gewaltherrschaft zu erinnern. Die rechtliche Entscheidung über eine Wiederherstellung der KZ- Anlage liegt beim Vorstand des Stahlwerks PeineSalzgitter, das — und das ist die eine Position — gegen die Errichtung eines Denkmals im unmittelbaren Werksgelände die Werkssicherheit und innerbetriebliche Argumente ins Feld führt, aber bereit ist, eine Gedenkstätte z. B. in der Schachtanlage Haverlahwiese, in der in erheblichem Umfang Zwangsarbeiter und KZ-Häftlinge eingesetzt worden waren, zu unterstützen. Dort sei das im Originalzustand aus dem Dritten Reich erhaltene Verwaltungsgebäude auf dem damaligen Betriebsgelände bereits unter Denkmalschutz.Ich weiß, daß es zum Standort zwei unterschiedliche Meinungen gibt. Ich habe mich vorhin bei einem Rundgang durch die Ausstellung auch davon überzeugen können.Ich sichere zu, daß wir die Argumente unvoreingenommen im Ausschuß prüfen werden, weil wir immer wieder in Erinnerung rufen wollen, was eine Diktatur für die Menschen, für die Freiheit und für den Rechtsstaat bedeutet.Wir bitten, den Antrag an die zuständigen Ausschüsse zu überweisen.
Das Wort hat der Abgeordnete Ströbele.
Frau Präsident! Verehrte Männer und Frauen! Liebe Freundinnen undFreunde aus Salzgitter-Drütte, die hier heute dieser Debatte beiwohnen!Unter der Hochstraße, in dem Werk SalzgitterDrütte, dort war das Lager, dort wurden die Leute aufgehängt. Die deutschen Arbeiter, die oben über die Hochstraße gingen, konnten das nicht sehen. Kontakte der Häftlinge zu den deutschen Arbeitern waren bei Todesstrafe verboten.Das erzählen zwei ehemalige Häftlinge des Lagers Salzgitter-Drütte, ein Pole und ein Franzose, die jetzt Gelegenheit hatten, an die Stätte ihrer Leiden zurückzukommen.Die Hochstraße und die wesentlichen Baulichkeiten dieses Lagers gibt es heute noch. Die Werksleitung will beides abreißen und 95 Millionen DM an dieser Stelle investieren. Der Betriebsrat des Stahlwerkes Salzgitter-Peine steht voll hinter dem Projekt, hieraus eine Gedenk- und Dokumentationsstätte zu machen. Der Stadtrat von Salzgitter hat sich mit großer Mehrheit ebenfalls hinter diese Pläne gestellt. Ehemalige Häftlinge aus Polen und aus Frankreich haben sich dafür eingesetzt. Die Leute in Salzgitter diskutieren und tragen die Dokumente aus der damaligen Zeit zusammen. Es gibt Diskussionen in der Stadt. Der niedersächsische Landtag hat bereits darüber diskutiert; ein Landtagsausschuß war vor Ort.Die Menschen, die sich mit der eigenen Geschichte, der Geschichte ihrer Stadt und der Geschichte ihres dortigen Industriebetriebes beschäftigen, haben sehr viel in Bewegung gebracht. Jetzt sind sie mit ihrem Anliegen beim Deutschen Bundestag, weil die Peine-Salzgitter AG zu fast 100% in der Hand des Bundes ist. Der formelle Grund für die Beschäftigung des Bundestages liegt darin.Aber Salzgitter, die Stadt, der Industriekonzern Salzgitter-Peine sind vor 40 Jahren entstanden, geboren allein aus der Nazi-Rüstungsindustrie. Die Bürger der Stadt, die Arbeiter in der Fabrik, haben diese Geschichte nicht verdrängt. Sie stehen, im Gegensatz zu vielen anderen Deutschen, zu ihrer Geschichte, zu ihrer Stadt und zu dem Werk. Solche Menschen und solche Institutionen schützen uns am ehesten davor, daß sowas, wie in Drütte von 1942 bis 1945 geschehen, jemals wieder in Deutschland passiert. Deshalb ist es so wichtig, daß das Projekt erfolgreich ist und daß die Gedenk- und Dokumentationsstätte unter der Hochstraße auch tatsächlich eingerichtet wird, weil sich nichts anderes so eindrucksvoll dazu eignet, die Geschichte der Stadt und des Werkes an andere weiter zu vermitteln, wie die Erhaltung der alten Mauern unter der Hochstraße mitten in einer lebenden und sich entwickelnden Fabrik.Solche Projekte, wie das in Salzgitter-Drütte und in Esterwegen haben wir gemeint, als wir uns dafür eingesetzt haben, dezentral, regional und lokal Gedenkstätten und Dokumentationsstätten in der Bundesrepublik zu errichten und dort, wo Geschichte tatsächlich stattgefunden hat, die Geschichte zu studieren, zu versuchen aus der Geschichte zu lernen. Wir sind dankbar für jeden Men-
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Juni 1986 17473
Ströbelesehen, der eine solche Initiative ergreift und solche Geschichtsprojekte mit uns gemeinsam fördert.Gegen den Plan eines monumentalen historischen Museums in Berlin oder eines sogenannten nationalen Mahnmals hier in Bonn setzen wir die Unterstützung vieler, möglichst tausender solcher Projekte wie der Gedenkstätte in Salzgitter-Drütte. Das ist der richtige Weg, sich mit Geschichte zu beschäftigen, aus der Geschichte zu lernen und damit eine solche Geschichte in Zukunft in Deutschland unmöglich zu machen.Danke sehr.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Tietjen.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Bei der Einbringung des Antrages der SPD-Fraktion habe ich am 2. Dezember 1983 in diesem Hause unter anderem gesagt, daß weder der Antrag noch die Debatte notwendig gewesen wären, wenn man dem ehemaligen Verteidigungsminister Dr. Hans Apel gefolgt wäre, der mir damals, im April 1982, mitgeteilt habe, daß der Bund bereit sei, ein Gelände von 5 000 Quadratmetern in Esterwegen zur Einrichtung eines Dokumentations- und Informationszentrums zur Verfügung zu stellen. Ich habe dafür seinerzeit Herrn Minister a. D. Apel im Namen der SPD-Bundestagsfraktion herzlich gedankt und wiederhole dies heute.
Weiter habe ich ausgeführt, daß der Antrag und die Debatte notwendig geworden seien, weil nur ein Jahr nach der Zusage durch Dr. Apel dessen Nachfolger, Herr Dr. Wörner, diese Zusage rückgängig gemacht habe.
Inzwischen, meine Damen und Herren, arbeitet das Aktionskomitee für ein Dokumentations- und Informationszentrum in der von-Velen-Anlage in Papenburg. Ich sage hier für mich dazu, daß der Standort eines Dokumentations- und Informationszentrums auf dem Gelände eines der ehemaligen emsländischen Lager, wie z. B. in Esterwegen, der angemessenere Standort gewesen wäre.
Wir stimmen der einstimmigen Beschlußempfehlung des Innenausschusses auch bei der heutigen Plenardebatte zu — dies auch deshalb, weil wir inzwischen die Früchte der Arbeit des Aktionskomitees für ein Dokumentations- und Informationszentrum Emslandlager in Papenburg erkennen.
Im Vergleich zu früheren Jahren zeigen die öfentlichen Reaktionen der letzten Zeit, daß das Aktionskomitee mit seinem Anliegen endlich ernst genommen wird. Ich bin dankbar dafür, daß die objektive Notwendigkeit eines Dokumentations- und Informationszentrums zur Geschichte der Emsland-Lager von keiner ernstzunehmenden Stelle mehr in Frage gestellt wird. Daher will ich mich an dieser Stelle auch beim Landkreis Emsland und der Stadt Papenburg für die dem Aktionskomitee allerdings erst nach Überwindung einiger Startschwierigkeiten gewährte Unterstützung bedanken.
Die ehemaligen Emsland-Lager gestatten wegen ihrer Verschiedenartigkeit einen differenzierten Einblick in die Nazi-Diktatur. Die besondere Bedeutung der Emsland-Lager im Zusammenhang mit dem NS-Terrorsystem liegt darin, daß dort vornehmlich in der Anfangszeit mit politischen Gegnern des Nazismus abgerechnet wurde. Dem entspricht der hohe Anteil von Mitgliedern von im Reichstag vertreten gewesenen politischen Parteien unter den Gefangenen. Die Emsland-Lager waren ein Ort, an dem sich auch ein Kapitel der Geschichte des deutschen Parlamentarismus abgespielt hat.
Im Emsland-Lager saß damals unter anderem als sogenannter Schutzhäftling der Zentrumspolitiker und preußische Wohlfahrtsminister Hirtsiefer ein. Hier waren die Reichstagsabgeordneten Friedrich Ebert, Sohn des ehemaligen Reichspräsidenten, Julius Leber, Theodor Haubach, Ernst Heilmann, der Vorsitzender der SPD-Fraktion im preußischen Landtag war; er wurde in den Emsland-Lagern besonders gequält. In den Emsland-Lagern wurde aber auch der Reichstagsabgeordnete und frühere Polizeipräsident von Altona Otto Eggerstedt hinterrücks erschossen — genauso wie der Bergarbeiterführer und Reichstagsabgeordnete Fritz Husemann. Dies sind nur wenige Namen, und ich weiß, daß ich die prominenteren herausgegriffen habe.
Auch Fritz Erler, einer der führenden Parlamentarier der Bundesrepublik Deutschland, verbrachte einen Teil der ihm vom Volksgerichtshof zudiktierten Zuchthausstrafe wegen angeblichen Hochverrats in einem der Emsland-Lager. Das Mitglied des Deutschen Bundestages, Egon Franke, war unter den Häftlingen ebenso wie der ehemalige Ministerpräsident von Niedersachsen, Georg Diedrichs.
Meine Damen und Herren, ich will abschließen mit einem Zitat aus der Beschlußempfehlung des Innenausschusses:
Die private Initiative des Aktionskomitees zur Errichtung eines Dokumentations- und Informationszentrums zur Sammlung, Auswertung, Aufarbeitung und Darstellung von Materialien aus der Zeit der Emsland-Lager verdient den Respekt und die Anerkennung des Deutschen Bundestages.
Ich sage zu dem Antrag der GRÜNEN, daß er uns Gelegenheit gibt, über das Problemfeld Salzgitter-Drütte hinaus das ganze Gebiet der staatlichen Beteiligung — der staatlichen Beteiligung, nicht nur der gemeindlichen Beteiligung allein — an solchen Dokumentations- und Informationszentren noch einmal im Innenausschuß zu prüfen. Ich sehe dieser Beratung im Innenausschuß mit sehr großer Erwartung entgegen.
Ich bedanke mich.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Hirsch.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe in den Reden meiner Vorredner keine ernsthaften Gegen-
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17474 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Juni 1986
Dr. Hirschsätze zur Kenntnis nehmen können, wenn ich von der Bemerkung des Kollegen Ströbele absehe, der sich zu der zentralen Mahn- und Gedenkstätte negativ geäußert hat. Ich kann diesen Zusammenhang nicht sehen; denn unabhängig davon, wie wir mit dieser zentralen Gedenk- und Mahnstätte in Bonn verfahren, zu der wir natürlich eine einheitliche, eine übereinstimmende Lösung brauchen und haben wollen, kann und muß man sich die Frage stellen, was wir tun, um die Erinnerung an düstere Vorgänge auch an den Orten des Geschehens selber wachzuhalten.Der Innenausschuß hat sich eingehend mit dem Zentrum auf dem Gelände des ehemaligen Konzentrationslagers in Esterwegen befaßt. Ich will hier über die Schwierigkeiten, die sich j a über lange Zeit hingezogen haben und die sich der Verwirklichung dieses Planes entgegengestellt haben, nicht mehr im einzelnen sprechen. Es ist schon richtig, daß eine örtliche Gedenkstätte die Erinnerung an bestimmte Dinge in besonderer Weise wachhält, die wir weder vergessen dürfen noch vergessen wollen. Sie waren düster genug; Herr Tietjen hat das dargestellt. Man kann die Liste der Namen, Herr Tietjen, wenigstens noch um einen verlängern, nämlich um Carl von Ossietzky, der in einem dieser Lager ein schlimmes Schicksal erlitten hat. Und man muß an die vielen denken, deren Namen wir nicht gegenwärtig haben. Das war düster.Wenn man die Erinnerung daran wachhalten will, dann ist es, glaube ich, nicht damit getan, daß man ein Gebäude oder einen Gedenkstein errichtet, wohin man Besucher führen und wo man einen Kranz niederlegen kann, und dann geht man anschließend seiner Wege. Vielmehr kommt es darauf an, die damalige Wirklichkeit für diejenigen nachvollziehbar zu machen, die keine eigene Erinnerung mehr an die Wirklichkeit des sogenannten Dritten Reiches haben; die Zahl dieser Menschen nimmt ja naturgemäß immer mehr zu. Es ist wichtig, das nachvollziehbar zu machen. Darum ist es im Ergebnis richtig, daß die Kommunen des Emslandes gemeinsam mit diesem Aktionskomitee für ein Dokumentations- und Informationszentrum dort ein gemeinsames Schulungszentrum errichten wollen, um dort politische Bildungsarbeit betreiben zu können.Wir haben mit Befriedigung zur Kenntnis genommen, daß die Bundesregierung bereit ist, dieses Projekt mit finanziellen Mitteln zu unterstützen. Ich denke, sie wird prüfen, in welchem Umfang sie gemeinsam mit der Niedersächsischen Landesregierung auch an anderen Orten solche Einrichtungen fördern und unterstützen kann.Nun will ich zu Salzgitter-Drütte etwas sagen: Ich bin bisher nicht dort gewesen. Bei allen solchen Diskussionen merke ich, wie schwierig es ist, von hier aus zu entscheiden, welche der unterschiedlichen Meinungen über die örtliche Gestaltung oder den Ort selber richtig ist. Das ist außerordentlich schwer.Daß örtliche Einrichtungen einen besonderen Sinn haben, habe ich für uns betont. Ich denke, daß sich meine Fraktion bei allen Erörterungen im Innenausschuß wesentlich auch daran orientieren wird, was die Gremien vor Ort, was die Gemeinde, was die Parteien vor Ort, was die Vertretungen vor Ort, was die Landesregierung dazu sagen werden. Ich denke, daß es nicht nur ein Salzgitter-Drütte gibt, sondern daß es viele solcher Orte geben kann, an denen es wert ist, sich zu erinnern, sich erinnern zu sollen.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Zu Tagesordnungspunkt 9 a schlägt der Ältestenrat Überweisung des Antrags auf Drucksache 10/3990 an den Innenausschuß vor. Gibt es dazu noch weitere Vorschläge? — Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Wir kommen zur Abstimmung über Tagesordnungspunkt 9 b, und zwar über die Beschlußempfehlung des Innenausschusses auf Drucksache 10/3950. Wer dieser Beschlußempfehlung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig so beschlossen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 10 auf:
Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung tarifrechtlicher Bestimmungen im Seehafenhinterlandverkehr
— Drucksache 10/3532 —
Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr
— Drucksache 10/5695 —
Berichterstatter: Abgeordneter Hettling
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die Beratung 30 Minuten vorgesehen. Erhebt sich dagegen Widerspruch? — Das ist nicht der Fall. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Fischer .
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zum Zeitpunkt eines Weltereignisses des Sports möchte ich mit einem Vergleich aus der Welt des Sports beginnen, um die Lage der deutschen Seehäfen gegenüber der Konkurrenz in den RheinmündungsHäfen von Belgien und Holland zu beschreiben. Es ist im Sport selbstverständlich, daß deutsche Sportler, z. B. bei Olympiaden, an der gleichen Startlinie beginnen wie Sportler aus den europäischen Partnerstaaten. Und beim Fußball ist selbstverständlich, daß die Entfernung beim Strafstoß zum Tor für die deutsche Mannschaft genauso weit ist wie für Mannschaften aus anderen europäischen Ländern
und allen Ländern, die sich beteiligen.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Juni 1986 17475
Fischer
Dies ist leider Gottes beim Seehafenhinterlandverkehr nicht so. Hier gelten unterschiedliche Bedingungen für den Wettbewerb. Die Rheinmündungs-Häfen haben eben einen kürzeren Weg zum Tor oder einen kürzeren Weg zum Ziel als die deutschen Häfen. Sie haben im Wettbewerb entscheidende Vorteile. Die Realität, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist paradox: Längere Transporte zu den Rheinmündungs-Häfen sind billiger, kürzere Wege zu den deutschen Seehäfen teurer. Das Resultat ist: Wir haben den ohnehin bestehenden geographischen Nachteilen unserer Häfen hausgemachte Nachteile — auf Grund unterschiedlicher Ordnungspolitik, je nachdem, ob der nationale Verkehr oder der grenzüberschreitende Verkehr gemeint ist — hinzugefügt.Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf werden die Probleme des Hinterlandverkehrs unserer Seehäfen sicherlich nicht endgültig abgehakt, aber es wird doch ein ganz entscheidender Schritt zu mehr Chancengleichheit für unsere Häfen getan. Das Thema Seehafenhinterlandverkehr beschäftigt uns nicht erst seit gestern, sondern schon seit Jahren. Es war ein langer Weg bis zu der heutigen Entscheidung. Zunächst hat die Bundesregierung das Thema seinerzeit einmal gründlich angepackt. Sie hat in zwei Berichten zum Seehafenhinterlandverkehr eine gründliche Analyse der Situation durchgeführt und wichtige Entscheidungshilfen geliefert. Es ist ein Arbeitskreis Seehafenhinterlandverkehr eingerichtet worden, der im Frühjahr 1983 seine Ergebnisse vorgelegt hat. Damals wurden verschiedene Gesetzesänderungen vorgeschlagen, aber es sollten zunächst einmal freiwillige Anstrengungen, Tarifmaßnahmen des Gewerbes, abgewartet werden. Sowohl vom Binnenschiffahrtsgewerbe als auch vom Güterkraftverkehrsgewerbe sind dann zahlreiche Tarifmaßnahmen für den Seehafenhinterlandverkehr ergriffen, eingeführt worden. Das waren sehr sinnvolle Beiträge zur Lösung der Probleme. Beiträge, die auch heute und in der Zukunft ihre Wirksamkeit voll entfalten können.Es muß die Bundesregierung auch deswegen gelobt werden, weil der Bundesverkehrsminister die Deutsche Bundesbahn von der Einzeltarifgenehmigungspflicht für die Verkehre zu den Seehäfen zum 1. Januar 1984 sehr spontan freigestellt hat. Wir haben in der parlamentarischen Beratung diese Fragen ebenso gründlich angepackt und durchgearbeitet. Wir haben eine öffentliche Anhörung durchgeführt, in der alle Verbände ihre Probleme und Interessen vortragen konnten. Es haben unzählige Einzelgespräche über Jahre mit allen Interessenvertretern stattgefunden, und die jetzige Entscheidung ist insoweit sehr gründlich vorbereitet worden.Ich meine -- meine Fraktion hat dieser Lösung auch deswegen zugestimmt —, daß jetzt ein fairer Kompromiß gefunden worden ist. Diese Gesetzesnovelle ist ein fairer Interessenausgleich für alle Beteiligten, sowohl für die Seehäfen als auch für das Lkw-Gewerbe, und ich meine, alle können daher diesem Parlament in seiner Entscheidung vertrauen.Für die Seehäfen wird jetzt endlich die Möglichkeit geschaffen, flexibler durch Sonderabmachungen Frachtbedingungen zu verhandeln und dann auch vertraglich zu vereinbaren. Der Grundgedanke ist, daß dann ein günstigerer Preis für die Beförderung von Gütern zu und von unseren Seehäfen weg vereinbart werden soll, wenn eine große Menge in einem kurzen Zeitraum befördert und damit die Auslastung der Lkw optimiert werden kann. Dieses war immer der entscheidende Punkt bei der Diskussion um den Seehafenhinterlandverkehr: große Mengen mit günstiger Kalkulationsgrundlage zu günstigen Preisen. Ich meine, daß davon auch das Lkw-Gewerbe mit einer besseren Auslastung seiner Transporte im Ergebnis profitieren wird.Diese Novelle ist kein Polster für die Seehäfen, ganz im Gegenteil. Die Hafenwirtschaft, die Hafenadministrationen müssen sich weiterhin offensiv dem Wettbewerb mit den Rheinmündungshäfen stellen. Es muß darauf geachtet werden, daß auf Grund von Hafendurchgangskosten und Abfertigungsbedingungen keine Wettbewerbsnachteile entstehen. Ich meine, an der Stelle muß den Betroffenen gesagt werden: Hafenstrategie ist notwendig. Dieses muß in der Zukunft bei allen Entscheidungen bedacht werden.Wir haben uns nicht entschließen können, die EG-Margenregelung im Güterkraftverkehr, wie sie im grenzüberschreitenden Verkehr praktiziert wird, für unsere Seehafenhinterlandverkehre zu übernehmen. Das heißt, wir haben uns bemüht, eine behutsame Lockerung des Ordnungsrahmens in einem begrenzten Sonderbereich, aber keine prinzipielle Liberalisierung vorzuschlagen.Auf dem Sektor der Binnenschiffahrt haben wir wegen umfangreicher Margen-Tarifmaßnahmen gegenwärtig für die Einführung des Instituts der Sonderabmachung keine Notwendigkeit gesehen. Allerdings müssen bei allen freiwilligen Tarifmaßnahmen in der Zukunft die Beratungs-, Beschluß- und Genehmigungsverfahren sehr zügig durchgeführt werden.Es gab in der Beratung ein Problem mit unseren Binnenhäfen, soweit von ihnen oder zu ihnen Seetransporte abgewickelt werden. Wir haben im Wege der Interpretation und der Zusage der Bundesregierung, dieses administrativ umzusetzen, aufgrund der gleichen ordnungspolitischen Wettbewerbslage zu den Rheinmündungshäfen, z. B. in Neuss oder Duisburg, entschieden, daß, wenn von dort aus direkter Seeverkehr abgewickelt wird, auch diese Verkehre für Sonderabmachungen offen sein müssen, daß man auch für solche Verkehre derartiges nach dem Güterkraftverkehrsgesetz abschließen können sollte. Ich bin sicher, daß damit auch den Binnenhäfen für solche Transporte eine gleiche und gerechte Behandlung in der Zukunft zuteil wird. Ich habe keinen Zweifel, daß dies auch für die Tarifmaßnahmen in der Zukunft Praxis sein wird. Das heißt also, wir knüpfen nicht mehr an irgendwelche Seehäfen oder Binnenhäfen an, sondern wir knüpfen an Seetransportgeschäfte an.Fischer
Meine sehr verehrten Damen und Herren, was ist in der Zukunft zu tun? Ich meine, in erster Linie ist politisch auf EG-Ebene dafür zu streiten, daß endlich eine Harmonisierung der Wettbewerbsbedingungen stattfindet: Angleichung aller Wettbewerbsfaktoren in der Europäischen Gemeinschaft, d. h. im sportlichen Sinne ein fairer Wettbewerb unter gleichen Startbedingungen. Hier hat die Bundesrepublik Deutschland darauf zu drängen, daß harmonisiert wird, weil wir im Vergleich zu anderen EG-Ländern besonders schlecht gestellt sind, z. B. hinsichtlich der fiskalischen Belastung des Güterkraftverkehrsgewerbes, bei der Kfz-Steuer, bei der Mineralölsteuer, bei den Straßenbenutzungsgebühren, natürlich auch bei den Maßen und Gewichten der Nutzfahrzeuge, bei dem einheitlichen Vollzug der EG-Sozialvorschriften. Hier müssen die Kontrolle und die Verfolgung von Verstößen mit gleicher Intensität in allen europäischen Staaten durchgeführt werden. Der Ausschuß meint — wir haben das auch in einer Entschließung zum Ausdruck gebracht, die heute vorgelegt worden ist —, daß auf diesem Sektor in der Zukunft politisch offensiv gehandelt werden muß.Ich komme zum Schluß und möchte den Bundesländern an dieser Stelle für ihr kooperatives Verhalten bei den langwierigen und schwierigen Diskussionen danken. Sie haben über einem langen Zeitraum der Entscheidungsfindung immer Verhandlungs- und Kompromißbereitschaft gezeigt. Wir werden leider mit der heutigen Entscheidung die Wünsche nicht vollständig umsetzen können. Ich hoffe und glaube aber, daß sie dennoch immer überzeugt waren, daß wir uns in der Sache sehr viel Mühe gegeben haben. Ich bin sicher, daß der Bundesrat unserem ausgewogenen Vorschlag seine Zustimmung nicht versagen wird.Wenn in den letzten Tagen der Bundesratsverkehrsausschuß mit einer überwältigenden Mehrheit schon im Vorwege, also vor unserer heutigen Entscheidung, die Annahme dieser Initiative vorgeschlagen hat, kann auch Anfang Juli vielleicht im Bundesrat die Entscheidung positiv ergehen. Ich bin überzeugt, daß wir damit alle in einer großen gemeinsamen Anstrengung für unsere Seehäfen etwas erreicht haben.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Hettling.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kollegen! Mir wurde soeben zugerufen, ich solle doch Herrn Fischer ins Abseits stellen, um im sportlichen Bild zu bleiben. Ganz ins Abseits stellen werde ich ihn nicht können. Aber ich werde einige Unterschiede in der Betrachtungsweise dessen, was Hintergrund und Verlauf der letzten zwei Jahre in dieser Debatte waren, darstellen, denn zwei Jahre ist es her, seit wir im April 1984 eine Entschließung des Bundestages hatten, doch mit allen Mitteln sicherzustellen, daß die Wettbewerbsverzerrungen der deutschen Seehäfen gegenüber den Westhäfen aufgehoben bzw. beseitigt werden.Die dazu notwendigen Berichte der Bundesregierung kamen erst zwei Jahre später, obwohl schon damals jeder wußte, um welche Wettbewerbsverzerrungen es sich handelte. Es bedurfte erst einmal einer Anhörung des Verkehrsausschusses des Bundestages im Juni 1985, also genau vor einem Jahr, um noch einmal die Problematik von allen Seiten zu beleuchten. Es gab im Grunde genommen keine neuen Erkenntnisse über die Notwendigkeit einer Änderung, einer Änderung, wie sie dann, weil es auf Bundesebene nicht voranging, der Bundesrat durch einen eigenen Gesetzentwurf, der heute zur Debatte steht, eingeleitet hat.Die Bundesregierung und die Koalition waren ausschließlich darauf eingestellt, daß sie mit freiwilligen Maßnahmen des Gewerbes die Wettbewerbsverzerrung beseitigen wollten, die Wettbewerbsverzerrung wohlgemerkt im tariflichen Bereich. Diese Bemühungen sind letztendlich vor ungefähr vier oder fünf Wochen gescheitert, nachdem Kollegen des Bundestages, die Kollegen Metz und Fischer, noch einmal versucht hatten, dies mit dem Gewerbe in der letzten Minute hinzubekommen. Erst dann war die Koalition überhaupt bereit, in einem Mindestbereich — für die Häfen aber ein sehr wichtiger Bereich, nämlich in dem Bereich der Sondervereinbarungen im Güterkraftverkehr — entsprechende gesetzliche Regelungen zu machen. Wir hatten dies schon lange gefordert und sind nach wie vor der Auffassung — und zwar mit der Küste —, daß auch die Margentarife bei Lkw wie auch die Margentarife und Sondervereinbarungen der Binnenschifffahrt im Gesetz zu regeln sind.Der Gesetzentwurf, wie er jetzt vorliegt und im Bundestagsverkehrsausschuß einstimmig beschlossen worden ist, ist ein Optimum dessen, was zur Zeit durchsetzbar ist. Der Gesetzentwurf übernimmt die Flexibilität der EG-Regelung im Bereich der Sondervereinbarungen und stellt durch einen Erlaß des Bundesverkehrsministers sicher, daß auch direkter Seeverkehr, der über Binnenhäfen wie Duisburg abgewickelt wird, genauso behandelt wird wie direkter Seeverkehr, der über die deutschen Seehäfen abgewickelt wird.Der Widerstand gegen ein solches Gesetz, wie es der Bundesrat eingebracht und der Verkehrsausschuß jetzt beschlossen hat, kam zu einem überwiegenden Teil vom Bundesverband des Deutschen Güterverkehrs. Eine der wesentlichen Ursachen dieses Widerstandes war, daß das Güterverkehrsgewerbe, aber auch die Binnenschiffer der Auffassung waren, mit einer solchen Gesetzesänderung werde der gesamte Ordnungsrahmen in Frage gestellt. Dies wollte hier im Bundestag und auch im Ausschuß niemand, dies will auch niemand an der Küste. Gerade diese Gesetzesregelung, wie sie jetzt hier vorliegt, zeigt auch eindeutig, daß in Zukunft sichergestellt ist, daß der Ordnungsrahmen erhalten bleibt. Aber es muß möglich sein, notwendige Verbesserungen und eine flexible Handhabung des Ordnungsrahmens durchzusetzen.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Juni 1986 17477
HettlingNur wenn die Interessen aller Beteiligten berücksichtigt werden — wie in diesem Fall die der Seehäfen —, ist eine gemeinsame Front gegen weitere Liberalisierungsbestrebungen außerhalb der EG gegenüber dem Ordnungsrahmen in der Verkehrswirtschaft möglich. Dies sollten sich der BDF und auch die Binnenschiffahrtsverbände gut merken. Nur gemeinsam sind wir, die Küste, die Verlader und auch die Fuhrunternehmen, in der Lage, den Ordnungsrahmen zu gestalten, der zur Abwicklung der Hinterlandverkehre und des übrigen Verkehrs erforderlich ist.Wie gesagt, der Gesetzentwurf ist ein Kompromiß. Er enthält das, was jetzt gegenüber dem entsprechenden Gewerbe durchsetzbar ist. Wir, die SPD, stimmen diesem Gesetzentwurf ausdrücklich zu. Wir sind aber der Auffassung, daß mit diesem Gesetzentwurf nicht alles erledigt ist. Ich habe eingangs schon gesagt, daß dieser Gesetzentwurf die Wettbewerbsverzerrungen, soweit sie im tariflichen Bereich vorhanden sind, nur zum Teil beseitigt hat. Es wird sich zeigen, ob die freiwilligen Maßnahmen wirksam sind, ob sie ausreichen oder ob später noch eine Änderung vorzunehmen ist.Bei der Debatte über den Seehafenhinterlandverkehr spielte aber immer die Frage eine Rolle, inwieweit die Seehäfen überhaupt bereit sind, ihre Wettbewerbsfähigkeit herzustellen oder zu sichern. Man muß ganz deutlich sagen, daß in einer Studie, in der ein Vergleich zwischen den drei Nordseehäfen und den Westhäfen angestellt worden ist, festgestellt wurde, daß die Supra- und Infrastruktur dieser Häfen identisch ist, daß die deutschen Seehäfen in Teilbereichen sogar schneller und besser sind. Es sind also überwiegend nur künstliche Wettbewerbsverzerrungen
— überwiegend, habe ich gesagt, Herr Fischer —, die die Nachteile nach sich ziehen.Deshalb unterstütze ich auch die Forderung der Häfen, die klipp und klar sagen: Wir wollen keine Privilegien, sondern wir wollen gleiche Wettbewerbsbedingungen. Das wird in der Zukunft für uns alle sehr wichtig sein. Wenn ich mir anschaue, daß nicht nur im Bereich der Tarife, der Steuern, bei der Einhaltung der Sozialvorschriften, sondern auch bei den Maßen und Gewichten sowie bei den Freimengen für Dieselkraftstoff, der mit über die Grenzen genommen werden darf, unterschiedliche Bedingungen — sowohl beim Lkw-Verkehr als auch beim Binnenschiffsverkehr — herrschen, dann stelle ich fest, daß hier noch eine ganze Menge Arbeit zu leisten ist, um diese Wettbewerbsverzerrungen zu beseitigen.Ich möchte noch einmal unterstreichen: Allein die steuerliche Situation stellt sich so dar, daß ein deutscher Lkw 9 000 DM Kraftfahrzeugsteuer kostet, ein holländischer Lkw nur 3 000 DM. Die Mineralölsteuer in Holland beträgt rund 16 Pf; bei uns sind es 44 Pf. Wenn man sich die Kalkulation eines entsprechenden Fuhrunternehmers ansieht, kann man davon ausgehen, daß es Unterschiede von bis zu 40% gibt. Wie soll da noch kalkuliert werden, und wie kann da noch von gleichen Wettbewerbsbedingungen geredet werden? Also, über den Teil hinaus, den wir heute geregelt haben, ist es unbedingt notwendig, daß die Bundesregierung auf der EG-Ebene, insbesondere in den Verhandlungen mit den Niederländern und Belgiern, die weiteren Wettbewerbsverzerrungen beseitigt.Ich will noch ein paar Zahlen nennen: Der Stückgutumschlag in den deutschen Häfen hat in der Zeit von 1980 bis 1984 um 16%, aber in den Westhäfen um 28 % zugenommen. In derselben Zeit sank der Anteil der deutschen Seehäfen am Stückgutumschlag beim Import von 47 auf 41 % und beim Export von 60 auf 45%. Daran zeigt sich sehr deutlich, wie berechtigt die Forderung der Küste ist. Ich wiederhole das mit aller Eindringlichkeit. Wir wollen auch in den anderen Bereichen gleiche Wettbewerbsbedingungen. Wenn wir die haben, werden die deutschen Häfen auch in der Lage sein, mit den Westhäfen zu konkurrieren.Wir sind einen wesentlichen Schritt in der Frge gleicher Wettbewerbsbedingungen weitergekommen, was den tariflichen Bereich angeht. Ich fordere die Kollegen der CDU/CSU-, der FDP-Fraktion und der Fraktion DIE GRÜNEN auf, genauso kooperativ weiterzuarbeiten, um die Interessen der Küste durchzusetzen. Leider haben wir im entsprechenden Gewerbe nicht dieses Verständnis. Bei der Bundesregierung, meine ich, kann dieses Verständnis wiederum nur mit der vereinten Kraft der Küste herbeigeführt werden.Schönen Dank für die Aufmerksamkeit.
Das Wort hat der Abgeordnete Kohn.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Thema der Änderung tarifrechtlicher Bestimmungen im Seehafenhinterlandverkehr scheint auf den ersten Blick ein sehr sprödes Thema zu sein. Wenn man sich aber intensiver damit beschäftigt, wird man feststellen, daß es sich hier um sehr fundamentale ökonomische Probleme handelt, die weit über das hinausgehen, was mit diesem Thema zunächst verbunden zu sein scheint.Was ist das Problem? Das Problem besteht darin, daß die deutschen Seehäfen in einem harten Wettbewerbskampf mit den Rheinmündungshäfen stehen. Es gibt in diesem Wettbewerb Verzerrungen zu Lasten der deutschen Seehäfen auf Grund verkehrsrechtlicher Bestimmungen in der Bundesrepublik Deutschland. Ich darf darauf hinweisen, daß wir bei dem, was wir die grüne Grenze nennen, bei der Binnenschiffahrt einen freien Preiswettbewerb haben und beim gewerblichen Güterkraftverkehr Margen von plus/minus 15%, während bei der blauen Grenze das Tarifniveau erheblich über demjenigen des grenzüberschreitenden Verkehrs innerhalb der EG liegt. Dies hatte zur Konsequenz, daß der Marktanteil der deutschen Seehäfen am deutschen Außenhandel in den Jahren 1980 bis 1983
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17478 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Juni 1986
Kohnbeim Import von 47 auf 41 % und beim Export von 80 auf 45 % zurückgegangen ist.Das Verkehrsgewerbe hat vor diesem Hintergrund eine Reihe von Tarifsenkungen von und nach den deutschen Seehäfen eingeführt bzw. den Spielraum für Tarifsenkungen erweitert, so im Schienengüterverkehr die Freistellung von der Einzeltarifgenehmigungspflicht. In der Binnenschiffahrt werden nur noch Margen beschlossen, meistens kombiniert mit Frachtsenkungen und Abschlägen. Im Straßengüterfernverkehr wurden eine Reihe von neuen Ausnahmetarifen beschlossen bzw. bestehende erweitert. Diese Maßnahmen haben sicherlich eine gewisse Entspannung gebracht, gewisse Fortschritte beim Abbau der bestehenden Wettbewerbsverzerrungen gebracht. Jedoch sind die erreichten Ergebnisse leider nicht befriedigend gewesen.Deshalb hat sich der Verkehrsausschuß nach sorgfältiger Beratung — Herr Kollege Fischer hat das hier im historischen Ablauf dargestellt — dafür ausgesprochen, den Gesetzentwurf des Bundesrates im Sinne einer kleinen Lösung zu akzeptieren.Ich möchte an dieser Stelle eine Anmerkung zum Kollegen Hettling machen: Es zeigt sich an dieser Frage gesetzliche Regelungen j a oder nein sicherlich der Unterschied zwischen Sozialdemokraten und Liberalen. Während Sozialdemokraten immer dann, wenn irgendwo ein Problem entsteht, dazu neigen, zu sagen, es müsse auf der Stelle mit dem großen Knüppel des Gesetzes operiert werden, sagen wir Liberalen: Laßt uns erst sehen, ob es möglich ist, zu freiwilligen Regelungen zu kommen; gesetzliche Regelungen sollten erst dann ergriffen werden, wenn sich zeigt, daß die freiwilligen Maßnahmen nicht ausreichend sind.So haben wir Liberalen auch in diesem Fall gehandelt.Nach unserer Auffassung ist die Beschlußempfehlung des Verkehrsausschusses ein fairer und akzeptabler Kompromiß zwischen den Interessen der deutschen Seehäfen und der verladenden Wirtschaft einerseits und dem Verkehrsgewerbe anderseits. Ich versage es mir, die Maßnahmen hier im einzelnen darzustellen. Das wurde schon von den Kollegen Fischer und Hettling vorgetragen.Ich möchte aus Anlaß dieser Diskussion drei grundsätzliche Bemerkungen machen. Erstens. Wir Liberalen sind der Auffassung, daß ein erheblicher europäischer Harmonisierungsbedarf besteht. Ich verweise hier etwa auf die fiskalische Belastung des Güterkraftverkehrsgewerbes, ich verweise auf das Problem des einheitlichen Vollzugs der Sozialvorschriften innerhalb der Europäischen Gemeinschaft, wo es j a erhebliche Unterschiede gibt.Zweitens. Wir glauben, daß die Hafenwirtschaft auch in Zukunft wichtige Beiträge leisten muß, um ihre Wettbewerbssituation zu erhalten oder auszubauen. Ich nenne hier nur die Stichworte Hafendurchgangskosten und Abfertigungsbedingungen.
Drittens. Sie alle wissen, daß der Europäische Gerichtshof gefordert hat, daß wir bis 1992 im Rahmen der Europäischen Gemeinschaft zu einer Herstellung des Binnenmarkts auch im Verkehrsbereich kommen sollten. Dies ist, wie ich denke, eine Herausforderung für die Verkehrspolitik, ja darüber hinaus für die Wirtschaftspolitik in der nächsten Legislaturperiode, wobei es insbesondere darum gehen wird, dafür zu sorgen, daß wir ein leistungsfähiges Verkehrsgewerbe haben, das den Bedingungen einer fortgeschrittenen Industriegesellschaft Rechnung trägt und — es wird Sie nicht überraschen, wenn ein Liberaler dieses hier sagt — das auch der Bedingung Rechnung trägt, daß wir das mittelständisch strukturierte Verkehrsgewerbe lebensfähig halten.Dies sind die beiden Voraussetzungen, die zu erfüllen sind. Bundeswirtschaftsminister Bangemann hat hierzu in der Vergangenheit eine Reihe von, wie ich denke, guten und klaren Worten gesagt.Meine Damen und Herren, in der „Deutschen Verkehrszeitung" vom Dienstag konnten wir einen interessanten Kommentar finden, den ich Ihnen nicht vorenthalten möchte. Er lautet:Die anstehende Erweiterung des tariffreien Raums zusammen mit den freiwilligen Tarifmaßnahmen vergrößert den Handlungsspielraum für die Häfen und verkleinert gleichzeitig die Wettbewerbsverzerrungen gegenüber der ausländischen Hafenkonkurrenz. Das Transportgewerbe hat zwar Federn gelassen, ist aber nicht Verlierer dieser langanhaltenden verkehrspolitischen Auseinandersetzung.Ich glaube, daß dies eine präzise und gute Beschreibung des Sachverhalts ist. Ich möchte deshalb an dieser Stelle sagen, daß die FDP-Fraktion dem Gesetzentwurf in der Fassung der Vorschläge des Verkehrsausschusses zustimmen wird. Ich möchte an das Gewerbe appellieren, mit mehr Selbstvertrauen in die schwierigen Diskussionen der nächsten Jahre einzutreten. Ich glaube, es hat allen Anlaß dazu, Vertrauen in die eigene Leistungsfähigkeit zu haben. Wir deutschen Liberalen werden es jedenfalls bei der Herstellung fairer Wettbewerbsbedingungen nachhaltig und nachdrücklich unterstützen.Vielen Dank.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Müller .
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Natürlich ist es ein Schritt vorwärts, wenn es auf Initiative letztendlich der norddeutschen Küstenländer gelungen ist, das, was an Benachteiligung der deutschen Häfen — insbesondere Hamburg, Bremen und Bremerhaven — durch die bisherige Tarifstruktur gegeben ist, einigermaßen auszugleichen. Ich möchte doch auf einiges hinweisen; denn mir scheint in dieser Debatte deutlich zu werden, daß die Diskussion über diese Situation unter dem Aspekt der Konkurrenz mit anderen, insbesondere unter dem Aspekt der
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Juni 1986 17479
Dr. Müller
Tarife bezüglich des Seehafenhinterlandverkehrs, die Gefahr in sich birgt, daß die wirkliche Problematik der Häfen auf diese Art und Weise verdrängt wird.Die norddeutschen Häfen sind nicht einzig und allein dadurch benachteiligt, daß der Seehafenhinterlandverkehr von Rotterdam aus günstiger abzuwickeln ist. Sie sind auch dadurch benachteiligt, weil sie schlichtweg ins Abseits gekommen sind, Kollege Fischer. Eines muß man klar sagen, falls Sie die Abseitsregel beherrschen: Da läuft man meistens hinein. Selbstverständlich gibt es auch eine Reihe von Gründen zu nennen, warum die norddeutschen Häfen in diese Abseitsfalle gelaufen sind. Das heißt, es gibt auch ein eigenes Zutun. Das muß man sehen.Wir sind der Auffassung, daß die Tarifänderung noch einen weiteren erheblichen Wermutstropfen in sich birgt. Sie ist eine einseitige Förderung des Lkw-Verkehrs.
Ich brauche nicht zu betonen — der Kollege Senfft hat es immer wieder getan —, daß der Lkw-Verkehr aus ökologischen Gründen nicht zu befürworten ist.Wenn Ihnen aber daran gelegen wäre, norddeutsche Häfen konkurrenzfähig zu halten, und wenn Sie davon ausgehen, daß durch die Modernisierung des gesamten Transportverkehrs das, was wir in Norddeutschland an Hafenkapazität überhaupt haben, bereits Überkapazität geworden ist — das ist Faktum —, dann allerdings, meine Damen und Herren von der CDU und auch von der SPD, hätte ich natürlich erwartet, daß Sie dem Dollarthafenprojekt nicht zustimmen.
Es gibt eine Reihe von Projekten, wo dieselbe Konkurrenz eine große Rolle spielt, beispielsweise der Bau der A 60. Da hätte man mehr erwartet. Der Bau der A 60 wird letztlich bringen, daß die Rheinhäfen noch weiter in Vorteil kommen.
Um die norddeutsche Hafenstruktur überhaupt zu verbessern, sind wir der Auffassung, daß sich eine Reihe von Forderungen zu entwickeln haben. Ich nenne sie im einzelnen.Es kommt darauf an, daß wir eine Entwicklung von flexibleren Bundesbahngütersystemen in der Zukunft bekommen und damit der Konkurrenzvorteil, der durch Straßenbaumaßnahmen einzig und allein dem Lkw-Verkehr zukommt, ausgeglichen wird.Zweitens kommt es darauf an, daß eine grundsätzliche Stärkung des vorhandenen Wirtschaftspotentials an der Küste, insbesondere die Umwandlung von Werftbetrieben in moderne Betriebe des Anlagebaus, gewährleistet ist, um die Wirtschaftsstruktur der Küste zu verbessern.Es kommt drittens darauf an, daß in Zukunft — vielleicht ist das hier ein erster Schritt — eine Kooperation zwischen den deutschen Häfen geschaffen wird, um zu einer rationellen Verteilung des Güteraufkommens zu gelangen, die langfristig die Aufhebung der nationalen Hafenkonkurrenz garantiert. Statt Neubau von Hafenanlagen — ich denke insbesondere an den Dollarthafen — käme es darauf an, eine Rekultivierung von Industriebranchen in Hafennähe herbeizuführen, um einen modernen Hafenbetrieb möglich zu machen.Letztendlich — ich komme damit zum Schluß —, meine Damen und Herren: Wenn Sie wirklich etwas für die Hafenwirtschaft tun wollen, dann kommt es darauf an, die Arbeitsbedingungen in den Häfen zu verbessern. Ich denke insbesondere an Arbeitszeitverkürzungen. Denn Hafenarbeit ist harte Arbeit.Vielen Dank.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.Wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung. Ich rufe die Art. 1 bis 4, Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei einigen Gegenstimmen und einer Enthaltung sind die Vorschriften angenommen.Wir treten in diedritte Beratungein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei einigen Gegenstimmen und einer Enthaltung ist das Gesetz angenommen.Der Ausschuß empfiehlt weiter auf Drucksache 10/5696 unter Nr. H die Annahme einer Entschließung. Wer dieser Entschließung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei einigen Enthaltungen ist die Entschließung angenommen.Ich rufe den Zusatzpunkt 7 zur Tagesordnung auf:Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses
zu dem Antrag der Fraktion der SPDVerbesserung der Situation der Sinti und Romazu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und FDPLage der Sinti, Roma und verwandte Gruppenzu dem Entschließungsantrag der Abgeordneten Ströbele, Frau Dann, Mann und der Fraktion DIE GRÜNEN zur Großen Anfrage der Abgeordneten Fischer , Schily, Frau Reetz und der Fraktion DIE GRÜNEN
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17480 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Juni 1986
Vizepräsident Frau RengerLage und Forderungen der Sinti, Roma und verwandte Gruppenzu dem Antrag der Abgeordneten Ströbele und der Fraktion DIE GRÜNENGesetzentwurf zur Regelung einer angemessenen Versorgung für alle Opfer nationalsozialistischer Verfolgung in der Zeit von 1933 bis 1945zu dem Antrag der Fraktion der SPDBestandsaufnahme, Bericht und Prüfung von verbesserten Leistungen an Opfer nationalsozialistischer Verfolgung von 1933 bis 1945zu dem Antrag der Abgeordneten Schily, Ströbele und der Fraktion DIE GRÜNENEntschädigung für Zwangsarbeit während der Nazi-Zeitzu der Unterrichtung durch das Europäische ParlamentEntschließung zu Entschädigungsleistungen für ehemalige Sklavenarbeiter der deutschen Industrie— Drucksachen 10/4127, 10/4128, 10/4129,10/4040, 10/4638, 10/4640, 10/4996, 10/5765 —Berichterstatter:Abgeordnete Schulhoff PoßInterfraktionell ist für die Beratung ein Beitrag bis zu fünf Minuten für jede Fraktion vereinbart worden. — Es erhebt sich kein Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Waltemathe.
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es gibt Themen, die für parteipolitische Auseinandersetzungen und Profilierungen eigentlich wenig geeignet sein sollten. Heute behandeln wir eine Entschließung aller Fraktionen dieses Hauses über Nazi-Unrecht und Wiedergutmachung. Dieses Thema geht alle Demokraten gleichermaßen moralisch und politisch an, und so positiv es nun ist, einen gemeinsamen Beschluß zu fassen, so ist doch auch unverkennbar, daß nur ein kleiner gemeinsamer Nenner gefunden werden konnte.Meine Damen und Herren, zu einem großen Teil können wir ja auf Wiedergutmachungsgesetze und Wiedergutmachungsleistungen nach Niederringung des Faschismus stolz sein, aber dieser Stolz wird getrübt. Man darf sich nämlich nicht den Blick dafür verstellen, daß ganz bewußt oder auch unbewußt bestimmte Opfer und Opfergruppen des Nazi-Terrors und der rassenideologischen Verblendung vergessen worden sind. Deshalb kann auch 41 Jahre nach dem Jahre 1945 noch kein Schlußstrich gezogen werden.Der Bundesfinanzminister hat Ende April dieses Jahres im Haushaltsausschuß des Bundestages eine Vorlage eingebracht, die in unseren Augen eine Dokumentation des Nichtwillens ist, bisher nicht geregelte Fälle doch noch auf gerechte und vernünftige Weise einer Regelung zuzuführen. Der Bundesfinanzminister hat bei den Parlamentariern Furcht erwecken wollen mit Milliardensummen, die angeblich noch zusätzlich nötig wären, um Gerechtigkeit herzustellen. Er hat so getan, als solle das Parlament lieber die Finger davon lassen.Mit der gemeinsamen Entschließung, die wir heute verabschieden wollen, wollen wir die Bundesregierung in die Lage versetzen, eine ehrliche Bilanz zu ziehen und eine glaubwürdige Aufstellung über die noch notwendigen Maßnahmen und die dafür erforderlichen Finanzmittel vorzulegen. Wir Sozialdemokraten werden uns nicht davon abhalten lassen, Vorschläge einzubringen, damit die vergessenen oder bewußt ausgeschlossenen Opfer des Nationalsozialismus doch noch zu ihrem Recht kommen. Mit allen sozialdemokratischen Landtagsfraktionen sind wir uns darin einig, das nach Möglichkeit über eine öffentliche Stiftung zu bewerkstelligen.Wir wollen, daß folgende Gruppen einbezogen werden: erstens die Angehörigen der Sinti und Roma und verwandter Gruppen, zweitens die Opfer der Erbgesundheitsgesetzgebung. Das Erbgesundheitsgesetz von 1933 selbst und die darauf gegründeten Unrechtsurteile müssen für null und nichtig erklärt werden. Euthanasiegeschädigte, Zwangssterilisierte und Frauen, bei denen vor der Sterilisation eine schon entstandene Leibesfrucht zwangsweise abgetrieben worden ist, haben schweres Unrecht über sich ergehen lassen müssen, und dies muß durch gerechte Entschädigungsleistungen dokumentiert werden.Drittens. Während der Nazizeit wurden vielfach Homosexuelle in KZs gebracht. Sie konnten die Wiedergutmachungsgesetze innerhalb der Frist nicht in Anspruch nehmen, weil eine Antragstellung sie einer Strafverfolgung nach dem damals noch geltenden § 175 des Strafgesetzbuches unterworfen hätte. Ihnen muß heute eine Entschädigung angeboten werden.Viertens. Es gibt weitere Personenkreise, die ohne Gerichtsverfahren in Konzentrationslager oder in Tötungsanstalten für geistig und körperlich Behinderte gebracht wurden, und es gibt politisch Verfolgte, die nach 1945 von den Leistungen der Wiedergutmachungsgesetzgebung ausdrücklich ausgeschlossen wurden.Fünftens, meine Damen und Herren, gibt es neben diesen meist nicht jüdischen Opfern auch noch jüdische Opfer, die besonders grausam verfolgt und behandelt wurden und die mit den normalen Leistungen der Wiedergutmachungsgesetze nicht gerecht entschädigt worden sind. Als Beispiel nenne ich Zwillinge, die als Kinder in Auschwitz-Birkenau medizinischen Experimenten unterworfen wurden. Von insgesamt 1 500 dieser sogenannten MengeleZwillinge haben 1945, bei der Befreiung von Auschwitz, noch 180 gelebt; heute leben noch 100. Dieses Parlament wäre keinen Pfifferling wert, wenn es diesen besonders schwer mißhandelten und dauergeschädigten Menschen nicht eine angemessene Hilfe anbieten würde, unbürokratisch und so, daß
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Juni 1986 17481
Waltemathesie wenigstens heute rehabilitiert werden und heute, materiell gesehen, ein menschenwürdiges Leben führen können.
Sechstens nenne ich schließlich die Zwangsarbeiter. Unser Staat muß garantieren, daß sie endlich eine Entschädigung erhalten. Aber die Entschädigung ist nicht allein Sache des Staates, sondern wir wollen, daß auch die Profiteure der Zwangsarbeit, also die Industrie, sich daran finanziell kräftig beteiligen.Wir Sozialdemokraten stimmen also der Entschließung zu. Wir sind uns bewußt, daß dies der erste Schritt ist. Für uns, und wir meinen: für alle Fraktionen, sind damit die Anträge zwar formal erledigt, aber bestimmt nicht inhaltlich. Die Inhalte werden wir weiterverfolgen.Wir werden uns nicht davon abbringen lassen, noch in dieser Legislaturperiode auf der Grundlage des angeforderten Berichts und nach Anhörung der Betroffenen einen Gesetzentwurf über eine Stiftung einzubringen, die noch vorhandenes Unrecht und Ungerechtigkeiten lindern soll. Es muß gelingen — auch da waren wir uns einig — noch in dieser Legislaturperiode zu materiellen Lösungen zu kommen. Es ist höchste Zeit, aber es ist noch nicht zu spät, wenigstens den heute noch lebenden Opfern ihre Ehre und ihre Menschenwürde wiederherzustellen und ihnen, soweit dies möglich ist, eine gerechte Entschädigung zu gewähren.Vielen Dank.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Schulhoff.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir befassen uns jetzt mit einem Thema, dessen historische Bedeutung einen Konsens über alle Fraktionsgrenzen hinweg bewirkt hat. Herr Waltemathe, ich stelle dies wie Sie mit großer Freude und Genugtuung fest. Gemeinsam haben wir eine Beschlußvorlage erarbeitet, die noch einmal das schwere Unrecht deutlich macht, das Sinti, Roma und verwandten Gruppen während der nationalsozialistischen Schreckensherrschaft zugefügt wurde. Sie zeigt darüber hinaus auch das Bekenntnis aller im Deutschen Bundestag vertretenen Parteien zu mehr Bewußtseinsbildung im Umgang mit anderen Bevölkerungsgruppen, zur Hilfe im Einzelfall und — das halte ich eigentlich auch für das Wichtigste — für die Bereitschaft zur Versöhnung. Letzteres ist zugegebenermaßen ein sehr schwieriger Weg. Denn er läßt sich eben nicht nur mit finanziellen Hilfen beschreiten. Versöhnung ist ein langwieriger Prozeß, der täglich erlebt werden muß, in Dialog und Zusammenleben mit den Betroffenen. Er bedeutet Aufgeschlossenheit und Toleranz, Anteilnahme und Hilfsbereitschaft. Manchmal stören schon pauschale Vorurteile das friedliche Miteinander.Nur wenn sich alle am Dialog Beteiligten wirklich um Verständnis bemühen — und ich glaube, das haben wir bei der Beratung im Ausschuß getan —, können wir erwarten, daß aus dem Versuch der Verständigung eine Versöhnung wird. Das bedingt jedoch auch, daß wir unsere Geschichte nicht verdrängen. Wir müssen uns dessen hier ständig bewußt sein; denn nur so läßt sich die Gegenwart im Dialog mit den vom Unrecht unserer Vergangenheit Betroffenen gestalten.
Deshalb muß an dieser Aufgabe auch unsere junge Generation mitwirken — alleine können wir das nicht —, die sicherlich nicht für das verantwortlich gemacht werden kann, was damals geschah. Aber sie ist in der Gegenwart und damit für die Gegenwart verantwortlich und somit für das, was in der Geschichte aus der Vergangenheit wird.Lassen Sie mich unseren Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker zitiern, der anläßlich des 40. Jahrestages des Kriegsendes vor dem Deutschen Bundestag in seiner großen Rede erklärte:... Es geht nicht darum, Vergangenheit zu bewältigen. Das kann man gar nicht. Sie läßt sich j a nicht nachträglich ändern oder ungeschehen machen. Wer aber vor der Vergangenheit die Augen verschließt, wird blind für die Gegenwart. Wer sich der Unmenschlichkeit nicht erinnern will, der wird wieder anfällig für neue Ansteckungsgefahren .. .„Das Vergessenwollen verlängert das Exil, und das Geheimnis der Erlösung heißt Erinnerung."
Auch die gängige Redewendung, daß die Zeit alle Wunden heile, ist im Hinblick auf das „Gebirge menschlichen Leidens", um nochmals unseren Bundespräsidenten zu zitieren, mehr als fragwürdig. Wer nämlich glaubt, man könne jetzt einfach unter diesen Abschnitt unserer Geschichte einen Schlußstrich ziehen, weil der zeitliche Abstand so groß ist und weil man annimmt, es wäre j a finanziell viel geschehen, hat aus unserer Geschichte nichts gelernt. Im Gegenteil, die wache Erinnerung an die unzähligen Opfer von Gewaltherrschaft und Rassenwahn darf niemals verlorengehen. Denn nur so begreife ich die auf der Inschriftenwand von Bergen-Belsen mahnenden Zeilen — ich zitiere —: „Durch ihren gewaltsamen Tod sind sie den Lebenden Mahnung zum Widerstand gegen das Unrecht." Diese Mahnung, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist heute noch so aktuell wie zu dem Zeitpunkt, als sie geschrieben wurde. Sollten wir jemals über diese Themen hinweg, weil sie vielleicht unangenehm sind, einfach zur Tagesordnung übergehen, so lösen wir uns aus unserer geschichtlichen Verantwortung, ja wir machen uns wiederum schuldig an den Opfern der Gewaltherrschaft.
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17482 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Juni 1986
SchulhoffUnd lassen Sie mich direkt mit einem Zitat aus der uns hier vorliegenden gemeinsamen Beschlußempfehlung fortfahren: „Rassendiskriminierungen darf es auf deutschem Boden nie mehr geben."
In diesem Zusammenhang begrüßen wir auch die Klarstellung der Bundesregierung, daß Sinti und Roma im Informationssystem INPOL nicht besonders erfaßt werden und Bund wie Länder entsprechend dem Anliegen des Zentralrates deutscher Sinti und Roma die Begriffe „Landfahrer" und „Zigeuner" im INPOL-System gestrichen haben. So wird gerade vor dem geschichtlichen Hintergrund jeglicher Anschein einer Diskriminierung vermieden. Wir werden heute mit der gemeinsam erarbeiteten Vorlage die Bundesregierung auffordern, einen umfassenden Bericht über den gesamten Problemkomplex abzugeben. Denn es gilt, auf der Grundlage vollständiger Daten in vielen Fällen, Herr Waltemathe, direkt zu helfen. Ich denke z. B. an die Verbesserung der Ausbildungschancen durch Alphabetisierungsprogramme, berufliche Förderungsmaßnahmen und Werkstattmodelle mit traditionellen Berufen der Sinti und Roma, die ihnen eine soziale Eigenständigkeit sichern können. Es gibt viele Einzelprobleme. Die Stadt Düsseldorf beispielsweise hat in vorbildlicher Weise Probleme gemeinsam mit den Sinti gelöst.Meine Damen und Herren, letztlich wird es auf das Miteinander von allen Bürgern unseres Landes ankommen, um unser Ziel, nämlich die Aussöhnung mit den Sinti und Roma und verwandten Gruppen zu erreichen. Dies erreichen wir jedoch nur, wenn unsere Bemühungen auch die Herzen der Betroffenen erreichen.Ich danke Ihnen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Ströbele.
Herr Präsident! Verehrte Männer und Frauen!
Ich hatte eigentlich hier heute nach langen Verhandlungen und vielen Ausschußsitzungen — Innenausschuß, Finanzausschuß, Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung -- die Absicht, eine versöhnliche, eine fast frohe Rede zu halten, weil ich dachte, wir hätten uns hier auf einen Entschließungsantrag geeinigt, durch den wenigstens einige Forderungen der Verfolgten, insbesondere der Sinti und Roma, erfüllt werden können und mit dem die Bundesregierung dazu veranlaßt werden kann, einen konkreten Vorschlag zu machen und einen detaillierten Bericht über die bisherige Entschädigungs- und Wiedergutmachungspraxis vorzulegen. Was ich dann aber gestern im Finanzausschuß erlebt habe -- und es ist sicherlich nicht unsymptomatisch, daß von der SPD, wahrscheinlich auch von der FDP nicht die Vertreter aus dem Finanzausschuß hier an das Rednerpult geschickt werden, sondern andere
Vertreter, die schöne Worte finden können —, hat es mir kalt den Rücken herunterrieseln lassen. Alle Parteien haben kalt, eiskalt, systematisch und bürokratisch die Verfolgten um ihre berechtigten Ansprüche in diesem und im nächsten Jahr betrogen. Das haben Sie gestern hier hingekriegt.
Sie haben mit Ihrer Mehrheit im Ausschuß einen Entschließungsantrag durchgedrückt,
über den man inhaltlich reden kann,
der aber der Bundesregierung bis zum 1. November dieses Jahres Zeit gibt, einen Bericht vorzulegen. Jeder weiß, wie dieser Bericht aussieht und daß in dieser Legislaturperiode keinerlei gesetzliche Regelung für Ansprüche von Verfolgten mehr erfolgen wird. Das wissen Sie alle. Sie sagen es nicht, aber sie handeln so.
Das ist der erste Punkt.
Der zweite Punkt: Sie haben diesen Entschließungsantrag, der hier so umsäuselt wird und den ich in einzelnen Passagen auch richtig finde, den wir in einzelnen Passagen unterstützen, mißbraucht und zum Anlaß genommen, sämtliche Anträge auf gesetzliche Regelung für Wiedergutmachung und für Zwangsarbeiter vom Tisch zu wischen. Sie sind erledigt, so wurde erklärt; sie sind für diese Legislaturperiode erledigt. Das ist die Ungeheuerlichkeit, die Sie nicht uns angetan haben, sondern die sie ganz kalt berechnend den Betroffenen angetan haben, weil Sie wissen, daß diese Menschen, die in den Genuß der Ansprüche kommen könnten, in einigen Jahren nicht mehr leben werden. Das kalkulieren Sie ein, das wollen Sie. Sie wollen Zeit gewinnen, Sie wollen auf diese niedrige Art Geld machen.
Darum geht es Ihnen, darum geht es der SPD genauso wie der CDU/CSU. Das Ergebnis ist, daß in dieser Legislaturperiode keine einzige Mark mehr an die Verfolgten gezahlt wird.
Herr Waltemathe, alles was Sie sagen, ist falsch. Es gibt überhaupt keine Anträge auf Initiativen mehr. Es ist überhaupt nicht mehr möglich, in dieser Legislaturperiode irgend etwas zu machen.
Herr Abgeordneter Ströbele, gestatten Sie Zwischenfragen?
Ja.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Juni 1986 17483
Bitte schön, Herr Waltemathe.
Herr Kollege Ströbele, abgesehen davon, daß es keine höhere Moral verleiht, wenn man die Gnade des späten Einzuges in den Bundestag erlangt hat —
Manchmal bin ich froh, daß ich das erlebe!
— möchte ich Sie fragen, ob Sie erstens wissen, daß ich Mitglied des Haushaltsausschusses bin und dort für einvernehmliche Regelungen gesorgt habe? Zweitens, ob es zutrifft, daß die Vertreter der GRÜNEN die Entschließung, der wir zustimmen wollen, mit ausgehandelt haben,
und drittens, daß wir uns gemeinsam bemühen wollen, noch in dieser Legislaturperiode eine Regelung hinzubekommen? Trifft das zu oder ist das falsch?
Ich will Ihnen alle drei Fragen beantworten, Herr Waltemathe.
Erstens. Daß im Haushaltsausschuß irgend etwas für die Verfolgten erreicht worden ist, ist falsch. Wenn Sie das in der Öffentlichkeit behaupten, dann legen Sie mir das vor, was Sie erreicht haben — irgendeine Gesetzesvorlage, irgendeinen Vorschlag, der abgesegnet worden oder auch nur diskutiert worden ist.
Sie haben ja in den Ausschüssen über unsere Anträge auf eine Gesetzesinitiative für die Verfolgten nicht einmal inhaltlich diskutiert, bis heute nicht.
Sie haben sie einfach vom Tisch gewischt. Sie haben sie mit einem Geschäftsordnungstrick vom Tisch gewischt.
Nun zu dem Entschließungsantrag. Es ist richtig, daß die Vertreter unserer Fraktion — auch ich — sich im Finanzausschuß für diesen Entschließungsantrag stark gemacht haben, aber ohne das Datum, das die ganze Sache auf den November 1986 verschiebt,
im sicheren Wissen, daß dann in dieser Legislaturperiode nichts mehr daraus wird. Ich wußte nicht, daß dieser Entschließungsantrag dazu mißbraucht wird, gleich fünf weitere Initiativen vom Tisch zu wischen.
Sie betrügen die Verfolgten. Sie gehen offen in die Öffentlichkeit, in Interviews, ins Radio, ins Fernsehen und versichern ihnen, was Sie alles für sie tun. Sie tun nichts für sie.
Sie verhindern, daß ihnen Geld gezahlt wird. Ich
weiß, wann Sie etwas freigebiger werden, wann es
bei Ihnen umschlägt: wenn einige Jahre ins Land gegangen sind, wenn weniger da sind, wenn die meisten gestorben sind. Damit kalkulieren Sie. Dieses üble Spiel spielen Sie mit den Verfolgten.
Das sollten Sie nicht tun.
Herr Abgeordneter Ströbele, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage von Herrn Abgeordneten von Wartenberg? — Bitte schön.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege, sind Sie der Meinung, daß Sie durch Ihre unbeherrschten, hektischen
und kalt berechnenden Emotionsausbrüche den Betroffenen wirklich helfen?
Herr Kollege, ich sehe als meine Aufgabe an, endlich einmal in der Öffentlichkeit davon zu berichten, was hinter verschlossenen Türen in den Ausschüssen geschieht, was gestern im Finanzausschuß von Ihnen gemacht worden ist,
was Sie mit den Interessen der Verfolgten tun. Sie treiben Schindluder und stellen sich hierhin und halten salbungsvolle Reden.
Wir werden uns dafür einsetzen, daß dieser Entschließungsantrag ohne dieses Datum 1. November 1986 durchkommt. Wir werden noch in dieser Woche unsere Anträge, die Sie gestern vom Tisch gewischt haben, neu im Bundestag einbringen. Wir werden Sie immer wieder zwingen, dazu zu reden. Wir können sie nicht durchsetzen, aber wir können in der Öffentlichkeit klarmachen, welches verlogene Spiel Sie mit den Interessen der Verfolgten hier spielen.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Hamm-Brücher.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, ich spreche im Namen aller anderen Fraktionen, wenn ich die Unterstellungen und Vorwürfe des Vorredners zurückweise
und versuche, wieder zu einer sachlichen Auseinandersetzung zurückzukehren, die in Anbetracht der wirklich sehr ernsten Materie auch geboten ist.
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17484 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Juni 1986
Frau Dr. Hamm-BrücherIch verstehe ja Ihre Erregung, Herr Kollege Ströbele. Aber ich glaube, wir kommen so nicht weiter. Wir müssen doch endlich etwas tun. Das ist doch der große Ansatz unserer gemeinsamen Erklärung. Wir brauchen doch ein Datum. Herr Ströbele, wenn wir nicht den November als Termin setzen, bekommen wir doch von der Exekutive in dieser Legislaturperiode überhaupt nichts mehr. Das wäre ein falscher Weg.Ich glaube — das darf ich für die Fraktion der Freien Demokraten sagen —, daß der heute vorliegende Entschließungsantrag aller Fraktionen ein vorläufiges — und nur ein vorläufiges — Ergebnis der zahlreichen Debatten, Bemühungen, Anfragen und auch Initiativen in dieser Legislaturperiode darstellt. Ich erinnere an die sehr bewegenden Debatten, die wir quer durch alle Fraktionen geführt haben. Der Antrag ist ein gutes Ergebnis dieser Diskussionen, für das wir allen danken wollen, die dazu beigetragen haben.Er ist auch ein gutes Ergebnis, Herr Abgeordneter Ströbele, wenn man bedenkt, wie schwierig es war, in diesem Parlament einen neuen Anlauf zu nehmen, wie bedrückend es auch für uns und für mich persönlich war, zu sehen, daß viele heimliche und offen vorgetragene Widerstände zu überwinden waren, um diesen Anlauf zu nehmen.Vizepäsident Stücklen: Frau Abgeordnete, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Wenn es mir nicht angerechnet wird, gerne.
Frau Kollegin, können Sie bitte einige Worte dazu sagen, daß gestern im Finanzausschuß die Anträge aller Parteien, auch die von den GRÜNEN, als erledigt erklärt worden sind auf Grund eines Auftrags an die Bundesregierung, lediglich zu berichten? Damit sind Anträge, Gesetzesinitiativen, Forderungen auf Einrichtung von Fonds und Stiftungen vom Tisch. Sie sind nicht mehr Gegenstand der Beratung im Plenum, und sie stehen nicht mehr auf der Tagesordnung der Ausschüsse. Dazu hätte ich von Ihnen gerne eine Äußerung.
Herr Kollege Ströbele, ich weiß nicht, was sich da abgespielt hat. Aber ich denke, wenn der Bericht im November vorliegt, haben wir doch alle die Freiheit, konkrete Initiativen, die sich auf Grund dieses Berichtes als notwendig erweisen, zu ergreifen. Das führt doch weiter, weil wir dann besser informiert sind.
Es geht darum, daß wir gemeinsam die immer noch ungelösten Probleme aus der makabren Erbschaft des Nationalsozialismus nun endlich einer erträglichen Lösung zuführen. Mehr als eine erträgliche Lösung werden wir nicht mehr schaffen. Es sind die ungezählten vergessenen Opfer der Schreckensherrschaft. Ihnen soll wenigstens ein kleines Stück Genugtuung — denn von Wiedergutmachung kann ja kaum noch die Rede sein — zuteil werden. Es handelt sich um die von Herrn Kollegen Waltemathe genannten Gruppen der aus rassischen und/oder sozialen Gründen verfolgten Sinti und Roma, der Zwangssterilisierten, der Angehörigen von Opfern der Euthanasie, der Homosexuellen, der Sklavenarbeiter in deutschen Rüstungsbetrieben und — auch das möchte ich hinzufügen und ausdrücklich in den Auftrag einbeziehen, weil es erst in den letzten Tagen bekannt wurde — der wenigen noch überlebenden Opfer grausamster medizinischer Experimente des KZ-Arztes Mengele. Sie wurden damals an Zwillingen ausgeführt, von denen nur diejenigen, die damals noch Kinder waren, überhaupt überleben konnten.Ich glaube, der vorliegende Antrag schafft eine gute Voraussetzung dafür, der bisher leider zögernden und hinhaltenden Exekutive heute einen klaren und unmißverständlichen Auftrag mit auf den Weg zu geben. Das ist wichtig, weil das nämlich das Selbstverständnis des Parlaments unterstreicht, daß wir die Initiative ergreifen müssen, wenn sie seitens der Exekutive offenbar nicht ergriffen wird. Wir, die Vertreter des ganzen Volkes, wollen bekunden, daß dieses hoffentlich letzte Kapitel materiell und ideell unerledigter Entschädigungen angesichts unserer fortwirkenden Verantwortung durch erträgliche und vertretbare Regelungen abgeschlossen wird. Ich glaube auch, daß wir so bald wie möglich — noch in dieser Legislaturperiode und ohne weiteres Zögern — diese Entscheidung treffen müssen. Es war ja oft kaum noch verständlich und kaum noch erträglich, wie ich selber in ungezählten Anfragen und Briefen erfahren habe, mit welch unerbittlicher — ich finde keinen anderen Ausdruck — Sturheit hier seitens der Exekutive geantwortet wurde. Wenn ich den in Form und Sprache wirklich verletzenden Brief an den Rechtsvertreter der wenigen überlebenden Opfer eben jener medizinischen Experimente lese, dann kann ich nicht anders, als mich der bürokratischen Kälte dieser deutschen Bundesbehörde zu schämen.
Ich bitte Sie, sich diesen Brief daraufhin anzugukken. Wer die verstümmelten, lebenslang leidenden, vom Schmerz gezeichneten Opfer dieser Experimente im Fernsehen gesehen hat, vermag es nur noch als zynisch zu bezeichnen, daß das Finanzministerium bei seiner Ablehnung sich auf einen Kabinettsbeschluß aus dem Jahre 1951 beruft und eine „akute Notlage" dieser 80 bemitleidenswerten Opfer verneint.Meine Damen und Herren, im vorliegenden Entschließungsantrag wird klargestellt, daß wir eine Bereinigung des gesamten Komplexes anstreben, und hierzu bedürfen wir zunächst der nötigen Vorarbeiten. Ich denke, diese Initiative ist ein erfreulicher Beweis unseres parlamentarischen Selbstverständnisses. Wir werden uns darauf gefaßt machen müssen — und vielleicht ergreift hier ein Vertreter des Finanzministeriums auch noch das Wort —, daß dem heutigen ersten Schritt ein zweiter, sicher schwierigerer wird folgen müssen. Aber auch dieser
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Juni 1986 17485
Frau Dr. Hamm-BrücherSchritt muß getan werden, weil wir dieser kleinen, von Jahr zu Jahr kleiner werdenden Gruppe von bisher vergessenen und nicht berücksichtigten überlebenden Opfern des Naziterrors, diese kleine Entschädigung bisher schuldig geblieben sind.
Meine Damen und Herren, wir sind am Ende der Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Finanzausschusses auf Drucksache 10/5765. Die GRÜNEN haben abschnittsweise Abstimmung beantragt. Ich rufe Abschnitt I auf. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Keine Gegenstimmen. Enthaltungen? — Keine. Einstimmige Annahme.
Ich rufe den Abschnitt II auf. Unter Ziffer 1 möchten Sie eine Änderung haben.
Ich beantrage, als Berichtsdatum nicht den 1. November 1986, sondern den 10. September 1986 einzusetzen.
Wer dieser Änderung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! Enthaltungen? — Bei einigen Enthaltungen mit Mehrheit abgelehnt.
Wer dem Abschnitt II Ziffer 1 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei einigen Gegenstimmen ohne Enthaltungen angenommen.
Wer Abschnitt II als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig angenommen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 11 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gebrauchsmustergesetzes
— Drucksache 10/3903 —
a) Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses
— Drucksache 10/5720 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Saurin Stiegler
b) Bericht des Haushaltsausschusses
gemäß § 96 der Geschäftsordnung
— Drucksache 10/5721 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Frau Zutt von Hammerstein
Suhr
Meine Damen und Herren, im Ältestenrat ist für die Beratung ein Beitrag bis zu fünf Minuten für jede Fraktion vereinbart worden. — Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Saurin.
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Mit der heutigen Verabschiedung der Novellierung des Gebrauchsmustergesetzes erfolgt in dieser Legislaturperiode ein weiterer Schritt der Regierungskoalition, um den Schutz von geistigem Eigentum und Erfindungen zu verbessern. Durch die Novellierung wird der Gebrauchsmusterschutz im Interesse der Einzelerfinder sowie der kleinen und mittleren Unternehmen, die sich vorwiegend dieses Schutzrechtes bedienen, ausgedehnt und erweitert.Gerade der Gebrauchsmusterschutz ist von Anfang an durch das praktische Bedürfnis getragen worden, eine Schutzform für die „kleinen Erfindungen" zu haben, für die sich ein Patent nicht lohnt oder nicht eignet.In den letzten Jahren hat insbesondere das Interesse von kleinen und mittleren Unternehmen am Gebrauchsmusterschutz zugenommen, da er für diese im Rahmen einer Kosten-Nutzen-Kalkulation auf Grund geringerer Gebühren und einfacherer Handhabung vorteilhafter ist.Durch den Gesetzentwurf wird das Gebrauchsmusterrecht an das Patentgesetz angepaßt, das auf Grund einer Vereinbarung der Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft an das europäische Patentrecht angeglichen worden ist.Lassen Sie mich kurz einige Aspekte der Novellierung beleuchten. Im Gebrauchsmusterrecht wird die Recherche eingeführt. Dies ist in der Vergangenheit häufig von den beteiligten Kreisen gefordert worden, um die Rechtsbeständigkeit des ungeprüften Schutzrechts und die Aussichten eines Verletzungsverfahrens besser abschätzen zu können.Der Gebrauchsmusterschutz wird auf räumlichkörperlich konkretisierte Schaltungen, Schaltschemata und Schaltprinzipien, die Teil eines Gebrauchsgegenstandes sind, erweitert. Bisher wurde der Gebrauchsmusterschutz dann versagt, wenn Erfindungen elektrisch-funktioneller Art hauptsächlich auf den Schutz für ein reines Schaltschema oder Schaltprinzip hinausliefen. Um die bestehenden Abgrenzungsschwierigkeiten zu beseitigen und dem technischen Fortschritt Rechnung zu tragen, werden Schaltungen zukünftig geschützt.Die Berichterstatter haben im Rahmen der Gesetzesberatung auch überlegt, gänzlich auf das Raumformerfordernis beim Gebrauchsmusterschutz zu verzichten. Das Raumformerfordernis wirft erhebliche Abgrenzungsprobleme auf, wie seitenweise Ausführungen der juristischen Wissenschaft und Rechtsprechung der Gerichte belegen. Die Entscheidungen des Bundespatentgerichts zum materiellen Gebrauchsmusterrecht befassen sich zu 63 % mit der Frage der einheitlichen Raumform.Zudem sind viele Neuentwicklungen mangels Raumform nicht schutzwürdig. Wenn z. B. mit Gebäuden fest verbundene wesentliche Bestandteile
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17486 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Juni 1986
Saurin— wie Heizungs- oder Klimaanlagen — als unbewegliche Sachen nicht als gebrauchsmusterfähig angesehen werden, dagegen aber demontierbare und transportable Gebäude, Frischluftanlagen oder Schiffsrümpfe den Schutz erhalten, so gibt es dafür heute keine wirtschafts- oder rechtspolitischen Gründe mehr.100 Jahre nach Erlaß des Gesetzes erscheint es erwägenswert, den Gebrauchsmusterschutz zu einem kleinen Patent fortzuentwickeln, in dem auf das Raumformerfordernis verzichtet wird. Eine solche grundlegende Änderung des Gebrauchsmustergesetzes hätte jedoch Diskussionen mit allen beteiligten Kreisen über einen längeren Zeitraum notwendig gemacht. Die Verabschiedung der Gesetzesnovellierung wäre dann in dieser Legislaturperiode unmöglich gewesen. Im Interesse der Einzelerfinder sowie kleiner und mittlerer Unternehmen wurde daher einer zügigen Verabschiedung des Gesetzes Vorrang eingeräumt.Um die Streichung des Raumformerfordernisses weiterverfolgen zu können, liegt dem Haus ein Entschließungsantrag vor, in dem die Bundesregierung aufgefordert wird, in zwei Jahren einen Bericht zur Problematik des Raumformerfordernisses vorzulegen.Der Gebrauchsmusterschutz wird durch die Novellierung auch um zwei Jahre verlängert. Diese Schutzrechtsreform wird damit vor allem für Einzelerfinder sowie für kleine und mittlere Unternehmen noch attraktiver gemacht.Auf Grund eines erheblichen Bedürfnisses der Wirtschaft hat der Rechtsausschuß eine Änderung des Regierungsentwurfs vorgenommen. Damit sollen die nachteiligen Konsequenzen einer Entscheidung des Bundesgerichtshofs, wonach einfache Lizenzen gegenüber dem Erwerber des lizenzierten Schutzrechts keine Wirkung haben, beseitigt werden. Diese Entscheidung des Bundesgerichtshofs führt zu einer Risikoverlagerung, die den wirtschaftlichen Erfordernissen nicht gerecht wird. Es wurde daher eine Bestimmung aufgenommen, wonach der Fortbestand einfacher Lizenzen nicht durch eine spätere Veräußerung oder Belastung des lizenzierten Patents beeinträchtigt wird. Eine Publizitätspflicht wird der Wirtschaft ausdrücklich nicht auferlegt. Gerade mittlere und kleine Unternehmen, die in der Regel nicht ständig über juristischen Sachverstand verfügen können, werden von dieser Gesetzesänderung profitieren.Herzlichen Dank.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Stiegler.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es wird hier oft beklagt, daß es zu wenig Kooperation über alle Seiten hinweg gibt. Die Beratungen, die in dieser Legislaturperiode zum Thema gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht geführt worden sind, zeigen, daß es doch noch eine ganze Menge Gemeinsamkeiten gibt und daß es möglich ist, über Fraktionsgrenzen hinweg zu einvernehmlichen Lösungen zu kommen. Die Reform betreffend, das sogenannte kleine Patent, ist ein Beleg dafür, wie in enger Zusammenarbeit mit dem Bundesjustizministerium und mit den entsprechenden Verbänden der interessierten Kreise kooperiert werden kann.
Wir begrüßen, daß wir durch diese Novelle eine höhere Verfahrenspraktikabilität bekommen werden, daß wir durch die Möglichkeit, die Schutzdauer zu verlängern, vor allem den kleineren und mittleren Unternehmen geholfen haben, daß wir mit der Gebrauchsmuster-Recherche sehr viel in der praktischen Arbeit helfen und vor allem auch, daß es uns gelungen ist, den Widerstand des Justizministers zu überwinden, die Weitergeltung der einfachen Lizenz zu gewährleisten, auch wenn sie vorher nicht publiziert worden ist. Hier sind wir dem Vorschlag der Deutschen Vereinigung für gewerblichen Rechtsschutz und Urheberrecht gefolgt und haben die beteiligten Kreise unterstützt. Der Bundesjustizminister, der sicherlich gute Gründe dafür hatte, andere Vorschläge zu machen, ist letzten Endes diesen Weg mit uns gegangen.Wichtig ist die Erweiterung des Gebrauchsmusterschutzes auf Schaltungen. Das ist ein wichtiger Schritt von den schlichten Arbeitsgerätschaften, die bei der Schaffung des Gesetzes vor 100 Jahren Schutzgegenstand waren, hin zu den modernen Entwicklungen, zu den modernen Tageserfindungen mit entsprechend verringertem Schutzbedürfnis bzw. verringertem Schutzdauerbedürfnis. Aber wir sind den Weg nicht zu Ende gegangen; der Kollege Saurin hat darauf hingewiesen, daß die Berichterstatter, stark beeinflußt durch einen Aufsatz und durch ein persönliches Gespräch mit Professor Beier, eigentlich grimmig entschlossen waren, die überholte Raumform zu beseitigen. Wir haben uns dann aber letzten Endes von Ministerialdirektor Krieger davon abbringen lassen, das schon jetzt zu machen, weil noch eine Reihe von Bedenken vorgetragen worden ist, die uns zwar nicht überzeugt haben, die aber, wenn wir sie gründlich erörtert hätten, die Anpassung an das Patentrecht in dieser Legislaturperiode verhindert hätten. So haben wir uns zähneknirschend, so muß ich sagen, entschlossen, nur einen kleinen Schritt in die richtige Richtung zu tun. Wir meinen, daß wir bald die volle Parallelität zum patentrechtlichen Erfindungsbegriff auch im Gebrauchsmusterrecht durchsetzen müssen. Wir hoffen, daß wir im Jahre 1988, wenn der Regierungsentwurf vorliegen wird, in einem nächsten Schritt wesentlich weiterkommen.Es ist wirklich unglaublich, wenn man sich einmal alle Entscheidungen der entsprechenden Gerichte und des Patentamtes ansieht und vor Augen führt, welche geradezu scholastischen Übungen veranstaltet werden müssen, um dem sogenannten Raumformerfordernis zu entsprechen. Man sieht dann, daß hier eigentlich unnötigerweise Arbeitskapazitäten gebunden sind und daß uns nur eine überholte Formulierung im Gesetz auf der Grundlage der Erfahrungen von vor 100 Jahren daran hindert, bei schutzwürdigen Erfindungen zu vernünftigen
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StieglerLösungen zu kommen. Wir werden hier weitergehen.Ich schließe mit dem Dank an die beteiligten Kreise, an die Deutsche Vereinigung für gewerblichen Rechtsschutz und Urheberrecht. Ich schließe ausdrücklich auch mit dem Dank an Professor Beier, der die Diskussion zur Raumform sehr belebt und sehr heftige Reaktionen ausgelöst hat. Ich schließe mit dem Dank an die Fachbeamten des Bundesjustizministeriums, angeführt von Ministerialdirektor Dr. Krieger, die in einer sehr soliden Weise mit den Berichterstattern zusammengearbeitet haben.Wir stimmen dem Gesetzentwurf zu. Wir kündigen an, daß wir auf die Vollendung dieses kleinen Schrittes hin zu einem großen Schritt und zu einer vollständigen Anpassung des Gebrauchsmusterrechts an die Begriffe des Patentrechts weiterarbeiten werden.Vielen Dank.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Beckmann.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Die hier vorgesehene Novellierung des Gebrauchsmusterrechts zeigt auf, daß die Bundesregierung auch auf rechtspolitischen Nebenkriegsschauplätzen bemüht ist, eine Verbesserung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen herbeizuführen. Ich freue mich, daß aus den Ausführungen des verehrten Kollegen Stiegler hervorgegangen ist, daß dies auch bei der Opposition anerkannt wird.Meine Damen und Herren, empirisch abgesicherte sozialwissenschaftliche Untersuchungen haben verdeutlicht, daß das Gebrauchsmuster, das sogenannte kleine Patent, für die kleineren Erfindungen gerade für die mittelständische Industrie von enormer Bedeutung ist. Diese mittelstandspolitische Komponente des Gebrauchsmusterrechts wird durch die hier vorgesehenen Änderungen weiter verstärkt und ausgebaut. Der Gesetzgeber erkennt in noch stärkerem Maße als bisher an, daß die Anmeldung eines Gebrauchsmusters für kleine und mittlere Unternehmen oft der einzige gangbare Weg ist, sich vor Zugriffen auf Betriebsergebnisse zu schützen. Der Gesetzgeber will diesen Unternehmen ein gewerbliches Schutzrecht an die Hand geben, das zwar nicht den starken rechtlichen Bindungen unterliegt wie das Patent, das jedoch einen immerhin sechs Jahre, nach nunmehriger Verlängerungsmöglichkeit bis zu acht Jahre dauernden Abwehrtatbestand schafft.Die hier vorgenommene Ausgestaltung des Gebrauchsmusterrechts konstituiert einen kostengünstigen und vor allem schnellen Schutz von Erfindungen ohne ein vorheriges langatmiges und aufwendiges Prüfverfahren. Es trägt der vielfach zu beobachtenden Erfahrung Rechnung, daß gerade die Unternehmen, die nicht über den notwendigen verwaltungstechnischen und wissenschaftlichenUnterbau verfügen, vor einer Patentanmeldung zurückschrecken und eher auf den Gebrauchsmusterschutz ausweichen.Die Novellierung des Gebrauchsmustergesetzes unterstützt diesen Trend, ohne allerdings das Patent als eigenständiges Schutzrecht anzutasten. Aus diesem Grunde ist auch keine völlige Gleichstellung beider Verfahrensbereiche vorgenommen worden. Es war durchaus Absicht des Gesetzgebers, an dieser Zweiteilung festzuhalten.Neben dieser mittelstandspolitischen Komponente trägt der Entwurf auch europäische Züge. Er berücksichtigt die auf europäischer Ebene in den letzten Jahren vorgenommenen Änderungen im Gebrauchsmuster- und Patentrecht. Er führt den Prozeß der Harmonisierung und Rechtsangleichung auch in diesem Bereich fort und trägt damit zu mehr Rechtssicherheit, aber auch zu einem — insgesamt betrachtet — einfacheren und schnelleren Verfahren bei.Meine Damen und Herren, mit der vorgelegten Reform ist gewährleistet, daß das deutsche Gebrauchsmusterrecht europäischen Erfordernissen genügt und der durch die Eintragung in das Gebrauchsregister entstehende Musterschutz eine europaweite Ausstrahlung erhält.Der vorliegende Entwurf stellt allerdings keine völlige Um- und Neuordnung des Gebrauchsmusterrechts dar. Er legt das fest, was in der augenblicklichen Situation festgelegt werden konnte und was im Sinne der Rechtsanwender dringend erforderlich war.So mußte eben auch ein Problembereich ungeregelt bleiben — darauf ist vorhin schon hingewiesen worden —, obwohl sich der Rechtsausschuß der Schwierigkeiten in diesem Punkt durchaus bewußt war.Die Problematik des sogenannten Raumformerfordernisses ist ausgeklammert worden, weil man noch kein einheitliches Meinungsbild hat gewinnen können. Weder die Betroffenen aus der Wirtschaft noch die damit befaßte wissenschaftliche Literatur konnten sich auf eine einheitliche Betrachtungsweise verständigen, so daß es angebracht erschien, diesen Komplex späteren Novellierungen vorzubehalten.Es ist aber ausdrücklich zu begrüßen, daß die Bundesregierung aufgefordert wurde, sich dieser Problematik anzunehmen und Vorschläge für eine Neuordnung in diesem Bereich zu unterbreiten. Wir gehen nun davon aus, daß diese Überprüfungsphase bis zum Sommer 1988 abgeschlossen werden kann und dann Ergebnisse und Vorschläge vorliegen, die gesetzgeberisch umgesetzt werden können.Insgesamt betrachtet, meine Damen und Herren, stellt diese Überarbeitung des Gebrauchsmusterrechts aber dennoch einen wesentlichen Fortschritt auf dem Weg hin zu einem effektiven und vor allem praktisch handhabbaren Musterschutz dar.Meine Fraktion stimmt diesem Entwurf daher gerne zu.
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Beckmann Vielen Dank.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Mann. —
— Sehr verehrter Herr Kollege, dann ziehen Sie doch bitte die Wortmeldung zurück.
— Mann ist hier gemeldet.
Das Wort hat der Herr Bundesminister der Justiz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung will mit dem Entwurf einer Novelle des Gebrauchsmusterrechts die Rahmenbedingungen und Marktchancen insbesondere für die mittelständische Wirtschaft verbessern. Sie möchte damit vor allem die für die gesamte Wirtschaft wichtige Innovationsbereitschaft der kleinen und mittleren Unternehmen fördern, die in einem sehr beachtlichen Maß Gebrauchsmuster anmelden.
Ich freue mich, daß dieses Anliegen in den Ausschüssen des Deutschen Bundestages breite Unterstützung und Übereinstimmung gefunden hat.
Diese Novelle wird, wie bereits erwähnt, folgende Verbesserungen bringen: Die Einführung der Gebrauchsmusterrecherche erlaubt es künftig allen Betroffenen, die Rechtsbeständigkeit des ungeprüften Schutzrechts vor Verletzungsverfahren und Löschungsanträgen besser abzuschätzen.
Weiter: Die Verlängerung der Schutzdauer um zwei Jahre wird es vor allem den Einzelerfindern und kleinen und mittleren Unternehmen ermöglichen, die gestiegenen Innovationskosten leichter aufzufangen. Sie können dadurch ihre Marktposition insbesondere im Wettbewerb mit Großunternehmen verbessern. Trotz dieser Verlängerung soll der Wettbewerb aber nicht unverhältnismäßig durch Schutzrechte behindert werden, die für den Rechtsinhaber nur mehr geringere Bedeutung haben. Deswegen hat sich die Bundesregierung in den Ausschüssen dafür eingesetzt, die von ihr vorgeschlagene Verlängerungsgebühr in Höhe von 600 DM nicht zu ermäßigen. Die Bundestagsausschüsse sind dieser Auffassung der Regierung gefolgt und haben insofern nicht aufgegriffen, was seitens des Bundesrats angeregt worden war.
Ich freue mich, daß dieser Entwurf heute hier abschließend beraten und verabschiedet werden kann. Das ist nicht zuletzt ein Verdienst der zu Ende einer Legislaturperiode stark in Anspruch genommenen Ausschüsse, insbesondere des Rechtsausschusses.
Ich kann feststellen, daß der Bereich des gewerblichen Rechtsschutzes und das Urheberrecht beim Rechtsausschuß des Deutschen Bundestages gut aufgehoben sind. So war es möglich, vor gut einem Jahr die Novellierung des Urheberrechts zu verabschieden. Heute ist das Gebrauchsmustergesetz dran. Wenn ich recht höre, so ist durchaus beabsichtigt, in der Kürze der noch verbleibenden Zeit in dieser Legislaturperiode auch den Entwurf des Geschmacksmustergesetzes abschließend zu beraten und zu verabschieden. Mit Aussicht auf diese noch sehr wichtige Ergänzung für diesen Bereich habe ich meinerseits an dieser Stelle für die Bundesregierung zu danken.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen nun zur Einzelberatung und Abstimmung. Ich rufe die Art. 1 bis 7, Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe!
— Enthaltungen? — Eine Enthaltung. Mit großer Mehrheit angenommen.
Wir treten in die
dritte Beratung
ein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Bei einer Enthaltung mit großer Mehrheit angenommen.
Ich rufe Punkt 12 der Tagesordnung auf:
Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Schäfer , Dr. Wernitz, Dr. Penner, Dr. Nöbel, Tietjen, Bernrath, Duve, Frau Dr. Hartenstein, Jansen, Kiehm, Reuter, Schröer (Mülheim), Wartenberg (Berlin), Paterna und der Fraktion der SPD
Personalinformationssysteme und Datenschutz
— Drucksachen 10/3657, 10/4594 —
Meine Damen und Herren, nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die Beratung 45 Minuten vorgesehen. Ist das Haus damit einverstanden?
— Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Wartenberg.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In immer mehr Großbetrieben sowohl im öffentlichen als auch im privaten Bereich werden Personalinformationssysteme eingeführt, d. h. immer mehr Arbeitnehmer werden von diesen Einrichtungen betroffen werden.Vordergründig signalisieren Personalinformationssysteme nicht mehr als einen Wandel der Verarbeitungstechnik. Wo die Entscheidung für ihre Verwendung fällt, beherrscht die Automatisierung das Feld. Die Verarbeitung wird mit Hilfe der Personalinfomationssysteme auf eine völlig neue Grundlage
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Wartenberg
gestellt, die Inhalt und Tragweite der Verwendung von Arbeitnehmerdaten von Grund auf verändert.Wohl am deutlichsten zeigt sich dieser Wandel in der vielfachen Verwendbarkeit, also der Multifunktionalität dieser Daten. Die automatische Verarbeitung sichert nicht nur den jederzeitigen Zugriff; sie verwandelt zugleich die einmal erhobenen Angaben in ein für die verschiedensten Zwecke beliebig nutzbares Informationsmaterial. Ganz gleich, aus welchem Anlaß die Angaben gespeichert werden: Der Grund für die Speicherung umschreibt nicht mehr als ein erstes vorläufiges Verwendungsziel. Dadurch wird ein nahtloser Übergang von der Personalverwaltung zur Personalkontrolle und zur Personalplanung möglich.So rechnen beispielsweise Angaben zum Verlauf der Arbeitsleistung zwar zu den selbstverständlichen Voraussetzungen einer korrekten Lohnberechnung bei der Akkordzeit, sie lassen sich aber auch gut für eine gezielte Langzeitüberwachung bestimmer Arbeitnehmer verwenden oder — nach einer Verknüpfung mit Daten des Arbeitsprozesses — für eine Neuberechnung der Normleistung.Nicht anders ist es bei Fehlzeitangaben. Wiederum wird in aller Regel ein administrativer Grund der Speicherungsanlaß sein. Sobald die Daten jedoch registriert sind, bietet sich die Chance, sie für konkrete und auf einzelne Arbeitnehmer bezogene Maßnahmen ebenso heranzuziehen wie dafür, langfristige Veränderungen der Personalstruktur vorzubereiten.Die möglichst exakt festgehaltenen Arbeitsplatzanforderungen bestimmen damit über die Beschäftigungschancen des einzelnen Arbeitnehmers. Jeder Schritt in diese Richtung ist aber zwangsläufig an ein wachsendes Maß an Informationen zur Person der Arbeitnehmer gebunden. Erst wenn Arbeitsplatz und persönliches Profil übereinstimmen, erreicht eine konsequente Personalplanung ihr Ziel, nämlich den „richtigen" Arbeitnehmer dem „richtigen" Arbeitsplatz zuzuordnen.Der Weg in die Personalplanung ist deshalb zugleich der Weg in eine ständig zunehmende und immer weiter differenzierte Verarbeitung von Arbeitnehmerdaten. Das kann und wird, wenn es nicht gesetzlich eingegrenzt wird, dazu führen, daß die derzeitige Machtverteilung zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern weiter einseitig zugunsten der Arbeitgeber verschoben, wenn nicht sogar aufgehoben wird.Beurteilt man nun die Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der SPD, so muß man das an dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Volkszählung messen, in dem die Grundsätze der informationellen Selbstbestimmung festgelegt worden sind. Grundsätzlich positiv ist bei der Beantwortung der Anfrage durch die Bundesregierung zu bemerken, daß erstmals auch die Bundesregierung fordert, daß gesetzliche Regelungen des Arbeitnehmerdatenschutzes geboten sind und damit einer mißbräuchlichen und unangemessenen Verwendung entgegengewirkt werden muß.Leider ist in dem Entwurf zur Änderung des Datenschutzgesetzes, den die Bundesregierung eingebracht hat, von dieser positiven Antwort, die wir auf diese Große Anfrage erhalten haben, überhaupt nichts zu spüren. Das heißt konkret, in den Gesetzesvorschlägen der Bundesregierung, finden wir überhaupt nichts, in der Antwort zur Anfrage allerdings positive Grundaussagen.Trotzdem begrüßen wir es, daß die Bundesregierung an vielen Punkten auf die Tätigkeitsberichte des Datenschutzbeauftragten eingegangen ist und selbst meint, daß in diesem Bereich gesetzliche Grundlagen geschaffen werden müssen.Wenn man den Komplex der Arbeitnehmerdaten und Personalinformationssysteme diskutiert, kann man den individualrechtlichen Ansatz in der Datenschutzgesetzgebung nicht von der Frage nach den arbeitsrechtlichen Konsequenzen trennen. Dazu werde ich hier aber nichts sagen. Das macht mein Kollege Peter.In der Antwort auf die Anfrage gibt es allerdings auch Falschbeurteilungen. Es wird gesagt, die betriebenen und geplanten automatisierten Personalverwaltungssysteme eignen sich weder als Kontrollinstrument noch für die Erstellung und Erfassung von Persönlichkeitsprofilen im Bereich der öffentlichen Verwaltung. Das ist falsch. Bei der Bundesbahn und insbesondere nach den Plänen, die die Bundespost schon verwirklicht hat oder die zum Teil vorliegen, zeigt sich, daß auch in der von der Regierung unterstellten Großbehörde nach Grundsätzen gearbeitet wird, die nicht den Anforderungen entsprechen, die der Datenschutzbeauftragte aufgestellt hat. Nicht richtig ist, daß die in der Bundesverwaltung bestehenden automatisierten Personalverwaltungsverfahren die vom Bundesverfassungsgericht zum Volkszählungsgesetz aufgestellten Grundsätze bereits berücksichtigen. Offensichtlich weiß die Bundesregierung in ihrem eigenen Bereich gar nicht, daß bei Bundespost, Bundesanstalt für Arbeit und Bundesbahn zum Teil schon Personalcomputer und Personalinformationssysteme eingeführt sind oder sich in der Einführungsphase befinden. Sonst könnte die Bundesregierung die Antwort zur Großen Anfrage so nicht geben.Bezüglich der Verwendung von Personalcomputern sind die Anforderungen an die Verwirklichung von Datenschutz aus zwei Gründen zu verschärfen.Erstens entfallen bei der Arbeit an Personalcomputern mit auch durch den Anwender selbst entworfener Software das sogenannte Vieraugenprinzip, die Protokollierungsmöglichkeit und damit jede mögliche Form der nachträglichen oder auch mitlaufenden Kontrolle wie auch der unkontrollierten Multiplizierbarkeit der gespeicherten Informationen, beispielsweise bei telefonischer Direktübertragung in andere Systeme.Zweitens verfügt der Anwender allein am Ort sowohl über den Datenträger als auch über die Programme und das System. In diesem Bereich sind eine enge Kontrolle und lückenlose Überprüfung der Datenverarbeitung notwendig, und zwar nicht nur für Systeme, die zur Personaldatenverarbei-
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Wartenberg
tung bestimmt sind, sondern, wie es auch der Bundesdatenschutzbeauftragte postuliert, auch für solche Systeme, die für die Erstellung und Verarbeitung von Personaldaten zwar nicht bestimmt, aber geeignet sind.Lassen Sie mich an dieser Stelle nur auf das vom Bundesbeauftragten genannte Beispiel der Wartungsdienste und Einsatzplanungen der Bundesbahn verweisen, stellvertretend für viele Systeme, die zwar zu Zwecken angeschafft werden, die zunächst einmal mit der Personaldatenverarbeitung nichts zu tun haben, dann aber quasi als Abfallprodukt eine Auflistung von Leistungsprofil und Krankenstand der einzelnen Arbeitnehmer abwerfen, was natürlich zur Planstellenkoordination tauglich und nützlich ist, aber auch für alle anderen Entscheidungen verwandt werden kann.Im übrigen ist die Antwort der Bundesregierung trotz konkreter Fragen so allgemein gehalten, daß man von einer Nichtbeachtung der Forderungen des Bundesbeauftragten in vielen Fällen sprechen kann, die dieser insbesondere im achten Tätigkeitsbericht aufgestellt hat.Maß aller Dinge im Datenschutz und vor allem im Arbeitnehmerdatenschutz muß das Zweckbindungsprinzip für die Speicherung, Verarbeitung und Weitergabe von Daten sein. Ich will gar nicht im einzelnen auf die Probleme eingehen, die bei der Erhebung von Daten entstehen, wenn Eigenschaften und Leistungen von Personen auf Raster übertragen werden. Unsere Phantasie setzt uns da keine Grenzen. Aber es steht unzweifelhaft fest, daß dabei das, was das Individuum ausmacht, die Menschlichkeit, verlorengeht. Der Gesetzgeber muß seiner Pflicht nachkommen, die aus dem Volkszählungsurteil resultierenden Anforderungen zum Schutze von Arbeitnehmerdaten umzusetzen sind.In der Frage der Datensicherung und der Datenkontrolle beantwortet die Regierung den Sachverhalt falsch. Es ist nicht richtig, daß inzwischen insbesondere in den Bundesverwaltungen zum Schutze der automatisierten Personalverwaltungssysteme so umfangreiche Sicherungsmaßnahmen getroffen worden sind, wie sie vom Bundesbeauftragten für den Datenschutz vorgeschlagen worden sind.Wenn wir schon gerade bei der Kontrolle sind, muß man wohl auch einmal darauf hinweisen, daß beim Bundesdatenschutzbeauftragten ganze vier Leute für die Kontrolle dieses Bereichs zuständig sind, und denen unterstehen der gesamte Bereich der Betriebskrankenkassen und der gesamte Bereich der Bundesanstalt für Arbeit; außerdem sollen sie eigentlich beratend tätig sein, und zwar bei Betriebsräten aus der freien Wirtschaft, die, etwa bei Großunternehmen, vor der Problematik stehen, daß Personalinformationssysteme eingeführt werden sollen. Ich glaube, man muß auch hier sagen, daß dieser Bereich personell ausgeweitet werden muß; sonst wird man zwar ein System gesetzlich normieren können, aber eine Kontrolle im individualrechtlichen Bereich — bei dem, was arbeitsrechtlich nicht abgesichert ist — wird dann durch den Bundesdatenschutzbeauftragten nur in ganz wenigen Fällen möglich sein.Mir scheint, daß diese Beantwortung der Großen Anfrage in der Tendenz von uns durchaus positiv bewertet werden kann; allein, uns fehlt der Glaube, wenn wir den konkreten Gesetzentwurf zum Bundesdatenschutzgesetz sehen. Die Sozialdemokraten haben ja einen eigenen Entwurf vorgelegt, in dem diese Regelungen auch schon gefordert und ausformuliert worden sind. Wir bitten Sie, gerade diesen Teil aus dem Entwurf der Sozialdemokraten mit zu übernehmen, und bitten Sie auch dringend, das dann umzusetzen, weil ohne diese Grundlagen die rasante technische Entwicklung zukünftig zuungunsten der Arbeitnehmer laufen wird.Insofern habe ich bei der Beantwortung manchmal das Gefühl: Das alles ist zwar vom Ministerium für Arbeit und Sozialordnung sehr positiv gesehen worden, aber der Bundesinnenminister, der für das Datenschutzgesetz zuständig ist, hat offensichtlich nicht viel von dem gewußt, was in dieser Antwort steht. Wir hoffen jedenfalls, daß Sie in der Lage sind, mit uns zusammen diese gesetzlichen Grundlagen zu schaffen.Vielen Dank.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Fellner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Schutz der Persönlichkeitsrechte und der Umgang mit Personaldaten haben den Bundestag in der Vergangenheit schon mehrfach beschäftigt. Die rasante Entwicklung der Technik mit ihren vielfältigen Anwendungsmöglichkeiten zwingt uns dazu, immer wieder zu prüfen, wie wir den einzelnen Menschen und seine Belange schützen, ohne die technische Entwicklung zu hemmen. Die Bedeutung der anstehenden Fragestellungen für die Realisierung der Grundrechte sowie für die weitere gesellschaftliche Entwicklung steht außer Frage. Im Namen der CDU/CSU-Fraktion erkläre ich hier ausdrücklich, daß wir uns diesen Fragen stellen und uns um ausgewogene und angemessene Lösungen bemühen.Die Diskussion um den Schutz von Personaldaten wird uns der Lösung der anstehenden Probleme nur dann näherbringen, wenn wir diese Diskussion sachlich und ohne Vorurteile führen. Eine generelle Technologiefeindlichkeit, eine Verteufelung der elektronischen Datenverarbeitung, ist ebenso töricht wie die Unterstellung, eine gesellschaftliche Gruppe wolle mit Hilfe der EDV die andere unterdrücken. Es tut der Sache nicht gut, wenn Sie, Herr Kollege Wartenberg, das sachlich legitime Anliegen des Schutzes von Personaldaten dadurch selbst entwerten, daß Sie glauben, eine klassenkämpferische Pflichtübung machen zu müssen, indem Sie die Arbeitgeber verdächtigen, sie würden mit Hilfe der Personalinformationssysteme — ich zitiere jetzt wörtlich aus der Vorbemerkung Ihrer Anfrage, und Sie, Herr Kollege Wartenberg, haben das eben ja auch wiederholt — „die derzeitige Machtverteilung
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Fellnerzwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern weiter einseitig zugunsten der Arbeitgeber" verschieben, wenn nicht sogar aufheben.Diese und ähnliche Töne lenken von den eigentlichen Problemen ab und schieben die Diskussion auf ein Gleis, das uns in eine Richtung führt, in der gerade nicht der Schutz der Menschenwürde oberstes Ziel ist.
Schlagworte wie „gläserner Mensch" oder die berühmten Schauermärchen über die Gefahren der EDV-mäßigen Verknüpfung sind in bestimmten Kreisen zwar üblich geworden; sie hindern aber daran, in sachlichen Diskussionen zu zeitgerechten und überzeugenden Lösungen zu gelangen, weil sie unnötige Ängste aufbauen.Meine Damen und Herren von der SPD, Sie sollten in Personalinformationssystemen nicht, wie Sie es tun, die „Ausgeburt des Bösen" sehen; sonst müßte ich Ihnen vorhalten, Sie wären an diesem Geburtsvorgang selber beteiligt gewesen. Als Sie die Bundesregierung stellten, gab es zahlreiche Initiativen und auch erhebliche finanzielle Mittel, um die Entwicklung von Personalinformationssystemen zu fördern. Ich will Sie hierfür beileibe nicht tadeln; aber Sie sollten bitte nicht vergessen, was Sie selber damals für gut befunden haben.Wir sehen in Personalinformationssystemen das, was sie tatsächlich sind, nämlich Hilfsmittel der Personalverwaltung, um Personalentscheidungen gerechter, schneller, fehlerunabhängiger und wirtschaftlicher zu machen. Insofern bringen sie dem Arbeitnehmer in Wirtschaft und Verwaltung ebenso einen Nutzen wie dem Arbeitgeber. Personalinformationssysteme schaffen nicht den gläsernen Menschen. Sie wollen auch kein umfassendes Persönlichkeitsbild zeichnen, das in einem diabolischen technischen System gleichzeitig überwacht und kontrolliert. Ein Personalinformationssystem macht auch die individuelle Personalentscheidung des für Personalfragen zuständigen Entscheides nicht überflüssig, sondern stellt Daten zur Verfügung, so wie es in der Vergangenheit jede Personaldatei getan hat. Die Personalentscheidung per Knopfdruck gehört ebenso zu den Hirngespinsten wie vieles mehr, was sonst in diesem Zusammenhang zu lesen ist.Ich stelle natürlich nicht in Abrede, daß Gefahren aufkommen, wenn das „Werkzeug" EDV mit seinen vielfältigen Möglichkeiten eingesetzt wird. Hier gilt es, zu beobachten und Vorkehrungen zu treffen, die den notwendigen Schutz der Persönlichkeitsrechte der Arbeitnehmer gewährleisten. Ich begrüße daher die Ankündigung der Bundesregierung, sowohl für den Bereich des Arbeitsrechts wie auch für die öffentliche Verwaltung neben dem allgemeinen Datenschutzrecht bereichsspezifische gesetzliche Regelungen zu schaffen. Sie haben ja in einem Entwurf eines Datenschutzgesetzes, der nicht übermäßig Beachtung gefunden hat und auch nicht übermäßig Beachtung verdient, solche Vorschläge gemacht. Ich glaube, daß eine bereichsspezifische Regelung, wie sie hier von der Bundesregierung in Aussicht gestellt ist, das Problem sachgerecht löst.Wir werden uns von seiten unserer Fraktion an den Arbeiten für diese Gesetzentwürfe tatkräftig beteiligen. Wir werden uns hierbei davon leiten lassen, daß oberstes Ziel der Schutz der Persönlichkeitsrechte sein muß. Zahlreiche Einzelprobleme harren dabei einer gesetzlichen Regelung. Sie sind in der Antwort der Bundesregierung genannt. Wir behalten uns vor — und wir werden es sicherlich tun —, weitere Fragestellungen in die Diskussion einzubringen.Wir werden aber auch darauf achten, daß keine Lösungen geschaffen werden, die jede zukunftsorientierte Entwicklung unmöglich machen. Eine gesetzlich verordnete Technologiefeindlichkeit ist inhuman, weil sie die Kreativität als Ausdruck menschlicher Freiheit — ein ebenso hohes wie schützenswertes Gut — schrumpfen läßt und zu einer Gefährdung unseres Innovationsvermögens führt. Wir sind, um international bestehen zu können, darauf angewiesen, moderne Technologien auch im Dienstleistungssektor zu nutzen. So schwierig im Einzelfall ein rechtsstaatlicher Ausgleich zwischen dem Schutz der Persönlichkeitsrechte und einer technologisch gestützten Zukunftsentwicklung sein mag, ich bin jedenfalls optimistisch und hänge nicht einem allgemeinen Kulturpessimismus an, wie er bei mancher Frage von Ihnen, meine Damen und Herren von der SPD, durchschimmert. Wenn wir Schutzbestimmungen für notwendig halten, Herr Kollege Peter, werden auch die notwendigen technischen Sicherungen dafür bereitgestellt werden können.Lassen Sie mich abschließend zum Ausdruck bringen, daß ich die Diskussion um Nutzen, Gefahren und Gestaltung von Personalinformationssystemen begrüße und rechtsstaatliche gesetzliche Regelungen für notwendig halte. Wir sollten in einen Dialog mit der Bundesregierung eintreten. Wir sollten in diesen Dialog Technologieforscher, Arbeitnehmer und Arbeitgeber ebenso wie Datenschutzbeauftragte und Gerichte einbeziehen. Wir sollten uns nicht von einem Mißtrauen — wie häufig bei Datenschutzdebatten — leiten lassen, sondern von dem gemeinsamen Bemühen um eine rechtsstaatliche und zweckmäßige Lösung.Danke schön.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Peter .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der Frage der Technikentwicklung, Herr Kollege Fellner, geht man eigentlich immer davon aus, daß die Wissenschaft gegenüber denjenigen, die die Technik anwenden, einen Vorsprung von fünf, sechs Jahren hat, gegenüber der Politik einen Vorsprung von zehn Jahren und nach dem, was ich eben gehört habe, gegenüber dem Bundestagsabgeordneten Fellner etwa einen Vorsprung von 15 bis 20 Jahren.
17492 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode —.225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Juni 1986
Peter
Der Bericht über die Notwendigkeit einer gesetzlichen Regelung des Datenschutzes für die Arbeitnehmer und die Antwort der Bundesregierung auf unsere Große Anfrage zum Personalinformationssystem zeigt j a durchaus, daß die Bundesregierung bereit ist, diesen Abstand zwischen wissenschaftlichem und technischem Stand der Diskussion und den nachhinkenden Erfordernissen der gesetzlichen Regelung zu verkürzen. Das verdient Anerkennung. Die Situation ist allerdings so, als hätte man die Bundesregierung dabei zum Jagen tragen müssen. Wir haben bereits 1982 den Antrag auf einen Bericht über die Erforderlichkeit von gesetzlichen Regelungen und über Handlungsbedarf im Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung und im Innenausschuß verabschiedet. Es ist eben so wie in all diesen Bereichen, in denen Sozialpolitik oder Arbeitsrecht angesprochen wird, daß immer dann, wenn es um die Interessen der Arbeitnehmer geht, die Lippen gespitzt werden, aber gepfiffen wird nicht. Da wird vom Prüfen gesprochen, aber entschieden wird nichts. Würden Sie nur einen Bruchteil der gesetzgeberischen Energie, die Sie zur Durchsetzung von Arbeitgeberinteressen aufwenden, für berechtigte Belange der Arbeitnehmer und der Gewerkschaften einsetzen, dann hätten wir auch mit unserer Unterstützung eine vernünftige Regelung des Arbeitnehmerdatenschutzes und der Mitbestimmung bei der Planung, Einführung und Inbetriebnahme von Personalinformationssystemen längst verabschiedet. Wir brauchten dann nicht jeweils auf die nächste Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts zu hoffen.
Es ist nämlich in der Tat höchste Zeit. Die technische Entwicklung der computergestützten und vernetzten Informationssysteme läuft der Gesetzeslage immer weiter davon. Die Ausweitung betrieblicher Informationssysteme, der damit verbundene Zwang zur Protokollierung läßt immer mehr Daten anfallen, die geeignet sind, die informationelle Selbstbestimmung der Arbeitnehmer anzutasten. Der Trend zur Überwachung ist einfach in der Technik spezifisch angelegt. Die Beschäftigung des Bundesarbeitsgerichts mit der Frage: Zur Verarbeitung von Personaldaten vorgesehen oder geeigent? erfaßt dabei nur die Spitze des Eisberges. Es ist inzwischen so, daß das Instrumentarium der Betriebsräte zur Kontrolle dieser Entwicklung trotz der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts immer weniger ausreicht. Der Betriebsbegriff beginnt sich zu wandeln, der Arbeitnehmerbegriff beginnt sich zu wandeln, und Verarbeitung von Personaldaten erfolgt immer mehr auf internationaler Ebene. — Das hat den Kollegen Fellner so verschreckt, daß er fluchtartig die erste Bankreihe verläßt.
Die SPD hat die notwendige Novellierung des Betriebsverfassungsgesetzes im Bundestag eingebracht. Auf seiten der CDU fehlt dafür weiterhin die Bereitschaft, sich auf die Diskussion einzulassen. CDA-Vorschläge erwecken bei uns von seiten der SPD längst keine Hoffnung mehr. Im Gegenteil, sie erfüllen mit Mißtrauen, und Vertröstung statt mutigen Herangehens an die Probleme kann keine Alternative sein.
Deshalb unsere Eckpunkte: Um mit dem Problem der Personalinformationssysteme fertig zu werden, brauchen wir die Mitbestimmung des Betriebsrates bei Einführung, Anwendung, Änderung und Erweiterung neuer technischer Einrichtungen und Verfahren jetzt — das ist geprüft, da gibt es Erfahrung in den Betrieben; da gibt es offensichtlich ein Verabschiedungshemmnis innerhalb der Bundesregierung —, Mitbestimmung bei der Festlegung, ob und wie arbeitnehmerrelevante Daten erhoben, verwendet und übermittelt werden dürfen, die Subsumierung der Auslagerung von Arbeit unter den Begriff der Betriebsänderung, das Recht außerbetrieblichen Sachverstand zur Regelung der innerbetrieblichen Probleme vom Betriebsrat durchzusetzen, und die Sicherstellung der Kontrollierbarkeit durch Vorgaben bei der Entwicklung der Techniken. Das sind die Eckpunkte von uns vorliegender Gesetzentwürfe. Schieben Sie eine gesetzliche Regelung der Probleme im Interesse der Arbeitnehmer nicht weiter auf die lange Bank! Dann wäre uns und den Arbeitnehmern viel geholfen.
Das Wort hat der Herr Abgeordente Hirsch.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Peter, ich glaube, Sie haben irgendwann im Verlauf Ihrer Rede gesagt, Sie wollten jemanden zum Jagen tragen. Bei dem Temperament, das Sie hier offenbart haben, müssen Sie die Schnecke für ein jagdbares Wild halten. Sonst kann ich mir das Bild nicht vorstellen.
Herr Kollege, so leicht können Sie einen Hirsch nicht auf die Decke legen.Die Bundesregierung hat ja in ihrer Antwort einen Bericht vom April 1985 beigefügt, in dem sie ausführlich dazu Stellung genommen hat, daß sie eine gesetzliche Regelung der Personaldatenverarbeitung für notwendig hält. Soweit diese Debatte es zeigt, stimmen offenbar alle mit dieser Absicht überein. Wir wissen auch alle, daß wir im Laufe dieser Legislaturperiode mit diesem segensreichen Werk nicht mehr zu Rande kommen werden.Trotzdem spielen sich diese Systeme nicht im rechtsfreien Raum ab, sie unterliegen den Datenschutzgesetzen, und sie unterliegen dem Betriebsverfassungsgesetz, wie es ja die sich allmählich dazu ausbildende Rechtsprechung der Arbeitsgerichte dankenswerterweise zeigt.In dem Gesetzentwurf der SPD ist eine, ich muß sagen: rudimentäre Lösung des Problems versucht worden, die wir nicht für ausreichend halten. Wir glauben auch nicht, daß es möglich ist, dies in einem Auffanggesetz zu machen. Man muß also entweder ein eigenes Gesetz für die Personalinformationssysteme machen, oder man muß entsprechende
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Dr. HirschRegelungen in das Betriebsverfassungsgesetz aufnehmen.
Diese Personalinformationssysteme sind ja in der Tat in den siebziger Jahren in breitem Umfang in Wirtschaft und Verwaltung eingeführt worden, und dafür — ich sehe Herrn Fellner nicht — kann man keinen verantwortlich machen. Wir haben selber dazu beigetragen, nämlich durch eine Fülle von gesetzlichen Regelungen, die den Arbeitgebern die Verpflichtung auferlegen, bestimmte Daten vorzuhalten. Das sind bis zu 214 Einzelangaben zu einer Person auf Grund von 126 Gesetzen und Verordnungen. Es sind bis zu 239 unterschiedliche gesetzlich vorgeschriebene Datenübermittlungen an 75 öffentliche Stellen — direkt oder über den Betroffenen —, die in immerhin 323 Rechtsnormen verankert sind.Wenn man so etwas verlangt, wenn man so etwas machen will, dann geht dies nur mit einer funktionierenden Datenverarbeitung. Deswegen hat man damals diese Systeme als eine wesentliche Erleichterung der Personalverwaltung betrachtet, und — das muß man hinzufügen — man hat sie damals auch als ein Element der Gerechtigkeit im Sinne von Gleichbehandlung der Arbeitnehmer betrachtet.Erst in den letzten Jahren ist die Kehrseite der Medaille immer deutlicher geworden, daß man nämlich mit Personalinformationssystemen Überwachungssysteme einrichten und betreiben kann, daß man individuelle Entscheidungen schematisch vorbereiten und treffen kann und daß solche Personalinformationssysteme gleichzeitig als ein Mittel der Überlegenheit durch Wissen zu nutzen sind. Genau das führt dazu, daß in den Betrieben Arbeitgeber und Arbeitnehmervertretungen über den Umfang dieser Daten und über den Zugang zu ihnen streiten.Diese Tatbestände sollen zwar nicht, können aber zu einem Instrument der Machtausübung in Unternehmen und Betrieben werden.Uns beschäftigt nicht so sehr der Einfluß der Organisationen, sondern uns interessiert zunächst einmal insbesondere, welche Rechte der einzelne Arbeitnehmer hinsichtlich seiner Daten hat und welchen Einflüssen er unterworfen wird. Darum muß eine gesetzliche Regelung nach unserer Überzeugung nicht etwa allein daran anknüpfen, wann Mitbestimmungstatbestände berührt sind, sondern man muß mit der Frage beginnen, ob in solchen Personalinformationssystemen Daten über Arbeitnehmer und Arbeitsverhältnisse auch auf Vorrat gesammelt werden können oder ob zu jedem einzelnen Datum der Nachweis erforderlich ist, daß der Arbeitgeber dieses Datum für eine konkrete Entscheidung im Rahmen der Personalführung oder im Rahmen seiner gesetzlichen oder vertraglichen Verpfichtungen nach dem Arbeitsverhältnis benötigt.Von ebenso entscheidender Bedeutung für den einzelnen ist es, ob er wirklich lückenlosen Einblick in die über ihn gespeicherten Daten bekommt und verlangen kann.
Wir begrüßen es, daß sich Rechtsprechung, Wissenschaft und Praxis den Fragen umfangreich widmen, die mit den Personalinformationssystemen zusammenhängen. Wir hoffen, daß diese Vorarbeiten es uns erleichtern werden, möglichst bald nach Beginn der nächsten Legislaturperiode in eine Gesetzgebung zu diesem Bereich einzutreten, die sowohl für das Betriebsklima wie für die Rechte der Arbeitnehmer und für die Unternehmen von erheblicher Bedeutung ist.
Das Wort hat der Herr Parlamentarische Staatssekretär Vogt.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Debatte über Datenschutz darf nicht in das falsche Fahrwasser geraten. Das berechtigte Interesse der Bürger am vertraulichen Umgang mit ihren persönlichen Daten darf nicht zum Geschäft mit der Angst werden. Wir brauchen eine ruhige und eine sachliche Diskussion. Klar ist nämlich: Die elektronische Datenverarbeitung bringt Vorteile, die unbestreitbar sind.Sie entlastet die Personalabteilungen von umfangreichen, fehlerträchtigen und arbeitsintensiven manuellen Tätigkeiten. Bei der Lohn- und Gehaltsabrechnung und bei der Datenübermittlung an die Sozialversicherungsträger gibt es keine vernünftige Alternative zur elektronischen Datenverarbeitung.Dieses grundsätzliche Ja zum Einsatz von Personalinformationssystemen ist aber natürlich an Bedingungen geknüpft; denn die Technik erlaubt den Verbund mehrerer Dateien, bei denen der Betroffene den Überblick verliert, wer welche persönlichen Daten zu welchen Zwecken verwendet. Diese Undurchschaubarkeit macht den Schutz des Betroffenen besonders vordringlich.Dabei gibt es, Herr Kollege Peter, einen Interessenkonflikt: auf der einen Seite das berechtigte Interesse des Arbeitgebers an einem möglichst großen und kombinierbaren Datenbestand; auf der anderen Seite das Interesse des Arbeitnehmers, personenbezogene Daten so wenig wie möglich preiszugeben. Der Arbeitgeber braucht jedoch bestimmte Daten; er muß sie dazu auch auswerten. Insoweit gibt es gar keinen Gegensatz zu den Belangen des Arbeitnehmers. Der Arbeitnehmer hat allerdings auch in diesem Falle ein Interesse an der Geheimhaltung seiner Daten und daran, daß sie nicht von Unberufenen abgerufen und ausgewertet werden können.Bei dieser Abwägung brauchen wir gesetzliche Regelungen, die sowohl für Arbeitnehmer als auch für die Arbeitgeber einsichtig sind. Sie müssen den Datenschutz wahren und im Arbeitsleben eine Befriedungsfunktion ausüben.Die Bundesregierung will dem Mißbrauch und der unangemessenen Verwendung personenbezoge-
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17494 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Juni 1986
Parl. Staatssekretär Vogtner Arbeitnehmerdaten entgegenwirken. Das wird durch einen Ausbau des rechtlichen Schutzes von Personaldaten geschehen. Die Bundesregierung hat sich auch in ihrem dem Innenausschuß des Bundestages erstatteten Bericht über die Notwendigkeit einer gesetzlichen Regelung des Datenschutzes für Arbeitnehmer vom 30. April 1985 für eine gesetzliche Regelung des Datenschutzes im Arbeitsrecht ausgesprochen.Bei der Vorbereitung gesetzlicher Regelungen geht die Bundesregierung selbstverständlich von dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Volkszählungsgesetz aus.
Darin hat das Bundesverfassungsgericht festgestellt, daß der Schutz des einzelnen gegen unbegrenzte Erhebung, Speicherung, Verwendung und Weitergabe seiner persönlichen Daten von dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht umfaßt ist. Die zum Schutz dieses Rechts auf informationelle Selbstbestimmung notwendigen Regelungen lassen sich nicht, Herr Kollege Peter, als zwei generalklauselartige Zusatzparagraphen in das Bundesdatenschutzgesetz einfügen, wie es der SPD-Entwurf zur Änderung des Bundesdatenschutzgesetzes vorsieht.
Die Sensibilität der Arbeitnehmerdaten verlangt eine sehr sorgfältige Ausgestaltung der gesetzlichen Regelung. Sie muß die jeweilige spezielle Verarbeitungsbedingung und Verarbeitungsmöglichkeit der Daten berücksichtigen. Denn das Bundesverfassungsgericht fordert auch die Einhaltung der Grundsätze der Normenklarheit und der Verhältnismäßigkeit einer gesetzlichen Regelung. Natürlich wird die Bundesregierung auch die Empfehlungen des Bundesbeauftragten für den Datenschutz prüfen und ausloten.Ich habe meine Zweifel, ob sich eine solche gesetzliche Regelung des Arbeitnehmerdatenschutzes für eine Aufnahme in das Bundesdatenschutzgesetz eignet. Denn das Bundesdatenschutzgesetz soll ein allgemeines Auffanggesetz bleiben. Deshalb brauchen wir eine eigenständige — wie die Juristen sagen: bereichsspezifische — Regelung. Diese Regelung sollte sich nicht darauf beschränken, Verbotsnormen aufzustellen. Ein wirksamer Datenschutz macht es vielmehr auch nötig, die Rechtsfolgen eines Verstoßes im einzelnen zu regeln. Das komplexe Thema verbietet also gesetzgeberische Schnellschüsse, und Sie haben etwas schnell geschossen, Herr Kollege Peter.Wir haben die Arbeiten für eine gesetzliche Regelung aufgenommen, aber wir sollten uns zeitlich nicht unter Druck setzen. Denn der Arbeitnehmer ist bis zum Inkrafttreten eines Gesetzes keineswegs schutzlos, wie manchmal dargestellt wird. Auch heute bereits sind Arbeitnehmerdaten in gewissem Umfang geschützt, u. a. durch die Vorschriften des Bundesdatenschutzgesetzes, durch die Mitbestimmungs- und Kontrollrechte des Betriebsrates, durch die Rechtsprechung zum Fragerecht des Arbeitgebers, zur Zulässigkeit von Eignungsuntersuchungen, zum Zeugnisrecht und zur Erteilung von Auskünften. Außerdem ist davon auszugehen, daß künftige arbeitsgerichtliche Entscheidungen die Grundsätze des Volkszählungsurteils beachten und dem Datenschutz im Arbeitsrecht einen höheren Rang als bisher verschaffen. Das Bundesarbeitsgericht hat z. B. bereits Konsequenzen für das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bei der Einführung und Anwendung von technischen Einrichtungen zur Überwachung des Verhaltens oder der Leistung von Arbeitnehmern gezogen.Meine Damen und Herren, Ziel der Bundesregierung ist es, zu einer für Arbeitgeber und Arbeitnehmer gleichermaßen befriedigenden Regelung zu kommen. Personalinformationssysteme sollen nicht den Konflikt zwischen Kapital und Arbeit reaktivieren. Sie sollen vielmehr konsensfähige Arbeitserleichterungen für die Praxis bringen. Über dieses Ziel sollten wir uns einig sein, für dieses Ziel sollten wir deshalb auch gemeinsam arbeiten.Vielen Dank.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.Ich rufe nunmehr den Tagesordnungspunkt 13 auf:a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Hauff, Frau Dr. Hartenstein, Bachmeier, Frau Blunck, Brück, Duve, Dr. Hauchler, Dr. Holtz, Ibrügger, Immer , Dr. Klejdzinski, Kretkowski, Lennartz, Menzel, Müller (Düsseldorf), Reschke, Reuschenbach, Schäfer (Offenburg), Stahl (Kempen), Wolfram (Recklinghausen), Dr. Vogel und der Fraktion der SPDKonzept zur Sanierung von Altlasten— Drucksache 10/5527 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Innenausschuß
Ausschuß für WirtschaftAusschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau Ausschuß für Forschung und Technologieb) Erste Beratung des von der Fraktion DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über Finanzhilfen des Bundes zur Beseitigung von Altlasten
— Drucksache 10/5529 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Innenausschuß
FinanzausschußAusschuß für WirtschaftHaushaltsausschußc) Erste Beratung des von der Fraktion DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Erhebung einer Sonderab-
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Vizepräsident Stücklengabe auf Sondermüll
— Drucksache 10/5531 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Innenausschuß
FinanzausschußAusschuß für WirtschaftHaushaltsausschußd) Erste Beratung des von der Fraktion DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Chlorsteuergesetzes— Drucksache 10/5530 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Finanzausschuß
InnenausschußAusschuß für WirtschaftHaushaltsausschußMeine Damen und Herren, im Ältestenrat ist eine gemeinsame Beratung der Tagesordnungspunkte 13 a bis 13d vereinbart worden. Die ursprüngliche Vereinbarung über eine Aussprache mit Beiträgen bis zu fünf Minuten ist hinfällig geworden, weil auf die Aussprache verzichtet wird.Nun, meine Damen und Herren, besteht eine interfraktionelle Vereinbarung, daß die Reden zu diesen und den folgenden Tagesordnungspunkten zu Protokoll gegeben werden'). Dieser Regelung schließt sich auch der Herr Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit an, so daß wir heute keine weiteren Wortmeldungen mehr haben. Ist das Haus mit dieser Regelung einverstanden? — Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Es ist also so beschlossen.Meine Damen und Herren, die Vorlagen unter den Punkten a bis c sollen zur federführenden Beratung nicht — wie in der Tagesordnung ursprünglich aufgeführt — an den Innenausschuß, sondern an den Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit überwiesen werden. Ansonsten bleibt es bei den in der Tagesordnung aufgeführten Überweisungsvorschlägen. Ist das Haus damit einverstanden? — Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.Zu Punkt 1 d wird vorgeschlagen, den Gesetzentwurf auf Drucksache 10/5530 zur federführenden Beratung an den Finanzausschuß und zur Mitberatung an den Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit und den Haushaltsausschuß zu überweisen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? — Das ist nicht der Fall. Es ist so beschlossen.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 14 auf:a) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft zu dem Antrag der Abgeordneten Büchler (Hof), Rapp (Göppingen), Dr. Hauchler, Amling, Ibrügger, Dr. Klejdzinski, Kretkowski, Lambinus, Frau Matthäus-Maier, Menzel, Dr. Mitzscherling, Oostergetelo, Frau Schmedt (Lengerich), Sieler, Frau Dr. Skarpelis-Sperk, Dr. Soell, Dr. Spöri, Stahl (Kern-') Siehe Anlagen 2 bis 6pen), Stiegler, Dr. Wieczorek, Wolfram , Dr. Vogel und der Fraktion der SPDAnschlußregelung zum Welttextilabkommen— Drucksachen 10/5067, 10/5614 —Berichterstatter: Abgeordneter Tatgeb) Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und FDPAnschlußregelung zum Welttextilabkommen— Drucksache 10/5702 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates Ausschuß für Wirtschaft Ausschuß für wirtschaftliche ZusammenarbeitMeine Damen und Herren, auch hier wird auf die Aussprache verzichtet.Wir kommen zuerst zur Abstimmung über Tagesordnungspunkt 14a, also über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft auf Drucksache 10/5614. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/5067 abzulehnen. Wer dieser Beschlußempfehlung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das ist also bei einigen Enthaltungen mit Mehrheit angenommen.Zu Tagesordnungspunkt 14b schlägt der Ältestenrat die Überweisung des Antrags auf Drucksache 10/5702 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vor. Gibt es anderweitige Vorschläge? — Das ist nicht der Fall. Es ist so beschlossen.Ich rufe den Zusatzpunkt 8 der Tagesordnung auf:a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Wirtschaftsplans des ERP-Sondervermögens für das Jahr 1987
— Drucksache 10/5406 —Beschlußempfehlung und Bericht des Aus-schusses für Wirtschaft
— Drucksache 10/5738 —Berichterstatter:Abgeordnete NiegelJung
b) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft zu dem Entschließungsantrag der Fraktion der SPD zur dritten Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Wirtschaftsplans des ERP-Sondervermögens für das Jahr 1986 (ERP-Wirtschaftsplangesetz 1986)— Drucksachen 10/4438, 10/5744 —Berichterstatter:Abgeordnete Grünbeck Rapp
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17496 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Juni 1986
Vizepräsident Stücklen
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bitte, die beiden Zusatzpunkte 8 a und 8 b getrennt zu behandeln, weil wir über sie getrennt abstimmen müssen.
Wir kommen zunächst zur Einzelberatung und Abstimmung über den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 10/5406 in der Ausschußfassung.
Ich rufe die §§ 1 bis 11, Einleitung und Überschrift mit den vom Ausschuß empfohlenen Änderungen auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Es ist mit Mehrheit angenommen.
Wir treten in die
dritte Beratung
ein und kommen zur Schlußabstimmung.
Wer dem Gesetzentwurf als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Keine Gegenstimmen. Enthaltungen? — Zwei Enthaltungen. Angenommen.
Wir kommen nunmehr zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft auf Drucksache 10/5744. Der Ausschuß empfiehlt, den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/4438 abzulehnen. Wer der Beschlußempfehlung zuzustimmen, also den Entschließungsantrag abzulehnen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Damit ist die Beschlußempfehlung des Ausschusses angenommen. Der Entschließungsantrag der SPD ist abgelehnt.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 15 auf:
Erste Beratung des von der Fraktion DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Aufhebung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes
— Drucksache 10/4288 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Ausschuß für Wirtschaft
Meine Damen und Herren, der Ältestenrat schlägt auf Drucksache 10/4288 Überweisung des Gesetzentwurfes an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vor. Gibt es weitere Vorschläge? — Das ist nicht der Fall. Es ist so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 16 auf:
Erste Beratung des von den Abgeordneten Dr. Emmerlich, Bachmaier, Fischer , Klein (Dieburg), Lambinus, Schmidt (München), Dr. Schöfberger, Schröder (Hannover), Dr. Schwenk (Stade), Stiegler, Dr. de With, Dr. Vogel und der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Richterwahlgesetzes
— Drucksache 10/5446 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Rechtsausschuß
Der Ältestenrat schlägt die Überweisung des Gesetzentwurfes auf Drucksache 10/5446 an den Rechtsausschuß vor. Ist das Haus damit einverstanden? — Dann ist es so beschlossen.
Bevor ich Schluß mache, habe ich noch zwei amtliche Mitteilungen zu machen.
Erstens. Im Ältestenrat ist vereinbart worden, die verbundene Tagesordnung um den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP und der Fraktion DIE GRÜNEN zur Überweisung von Vorlagen an den Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu erweitern. Sämtliche Überweisungen sind auf der inzwischen verteilten Drucksache 10/5786 zusammengestellt. Sind Sie mit den Überweisungen einverstanden? — Ich höre und sehe keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Zweitens. Darüber hinaus ist im Ältestenrat vereinbart worden, daß in der ersten Sitzungswoche nach der Sommerpause wegen der Haushaltsberatungen keine Fragestunden und keine Aktuellen Stunden stattfinden sollen. Sind Sie auch mit diesem Vorschlag des Ältestenrates einverstanden? — Ich höre und sehe keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Meine Damen und Herren, wir sind damit am Schluß unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag den 27. Juni 1986, 8 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.