Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet. Ich rufe Punkt 1 der Tagesordnung auf: Fragestunde
— Drucksache 10/5712 —
Der Geschäftsbereich des Bundesministers für wirtschaftliche Zusammenarbeit braucht nicht aufgerufen zu werden, weil der Fragesteller, der Abgeordnete Schanz, um schriftliche Beantwortung der Fragen 1 und 2 gebeten hat. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Das gleiche gilt für den Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern mit den Fragen 3 des Abgeordneten Dr. Riedl sowie 4 und 5 des Abgeordneten Daweke und für den Geschäftsbereich des Bundesministers der Justiz mit den Fragen 6 und 7 des Abgeordneten Hinsken sowie Frage 8 des Abgeordneten Mann. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen. Zur Beantwortung der Fragen steht der Herr Parlamentarische Staatssekretär Dr. Häfele zur Verfügung.
Ich rufe Frage 9 des Abgeordneten Haungs auf:
Welche Hinderungsgründe gibt es für eine Öffnung des kleinen Grenzübergangs zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Frankreich über den Rhein bei SchwanauNonnenweier rund um die Uhr, und warum ist es nicht möglich, die Öffnung über den Kreis der Anliegergemeinden Schwanau und Gerstheim hinaus zu ermöglichen, nachdem es seitens der Zollverwaltung keine Bedenken gibt?
Herr Kollege Haungs, Verkehrsstunden für den Personenverkehr richten sich nach dem Verkehrsbedürfnis und werden durch die Grenzschutzbehörden in Abstimmung mit der deutschen Zollverwaltung und den zuständigen Behörden des Nachbarstaates festgelegt.
Bei dem nur für den Reiseverkehr geöffneten Zollamt Ottenheim besteht für den überregionalen Verkehr kein Bedürfnis zur Öffnung rund um die Uhr.
Die Bewohner der Grenzgemeinden Schwanau — Bundesrepublik Deutschland — und Gerstheim —
Frankreich — sowie seit kurzer Zeit der deutschen Gemeinde Meissenheim können auf Grund des deutsch-französischen Abkommens vom 13. Juli 1984 den Übergang rund um die Uhr benutzen. Die Gewährung der Erleichterung für Bewohner weiterer grenznaher Gemeinden wird zur Zeit durch die zuständigen Grenzschutzbehörden geprüft.
Eine Zusatzfrage, Herr Haungs.
Herr Staatssekretär, kann ich davon ausgehen, daß wir, nachdem die französischen Zollbehörden gesagt haben, daß bei ihnen ein Bedürfnis der Nachbargemeinden besteht und daß sie es begrüßen würden, wenn die Prüfung in Deutschland positiv ausgehen würde, damit rechnen können, daß in Zukunft die Bewohner nicht nur der von Ihnen erwähnten Gemeinden, sondern auch der Nachbargemeinden über Meissenheim hinaus diesen Grenzverkehr wahrnehmen können, und bis wann ist mit dieser Entscheidung zu rechnen?
Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: An dem Beispiel Meissenheim sehen Sie, daß wir bemüht sind, diesen Grenzverkehr möglichst auszudehnen. Ich hoffe, daß bald ein Ergebnis bezüglich weiterer Gemeinden zustande kommt. Natürlich muß das im einzelnen geprüft werden. Aber wir werden dafür sorgen, daß das sehr schnell geschieht.
Keine Zusatzfrage mehr? — Dann rufe ich Frage 10 des Abgeordneten Haungs auf:Wie ist die Situation an anderen kleinen Grenzübergängen in der Bundesrepublik Deutschland?Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Haungs, an den anderen kleinen Übergängen in der Bundesrepublik Deutschland, die nicht rund um die Uhr geöffnet sind, besteht folgende Lage:Mit den Niederlanden ist seit Mai 1984 vereinbart, daß Bewohner von Grenzgemeinden die Grenzübergangsstellen auch außerhalb der Öffnungszeiten passieren können. Den Bewohnern der Gemeinden an der französischen und an der belgi-
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17340 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 224. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Juni 1986
Parl. Staatssekretär Dr. Häfeleschen Grenze sind derartige Erleichterungen ab 1. April 1986 gewährt worden.Für die Bewohner von Grenzgemeinden an der deutsch-luxemburgischen Grenze werden diese Erleichterungen in Kraft treten, sobald die luxemburgische Regierung dem entsprechenden deutschen Vorschlag zugestimmt hat.
Eine Zusatzfrage? — Bitte schön, Herr Haungs.
Nachdem Sie aufgeführt haben, wo dies an anderen Grenzübergängen möglich ist, darf ich mich insofern wiederholen, als ich Sie bitten möchte, präzisierend die Frage zu beantworten, ob es möglich ist, daß in absehbarer Zeit der regionale Grenzverkehr an diesem deutsch-französischen Übergang genauso wie bei den von Ihnen erwähnten Beispielen ermöglicht wird, und zwar über die unmittelbaren Nachbargemeinden hinaus.
Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Wir wollen uns bemühen, ähnlich großzügige Regelungen, wie ich sie bezüglich der anderen Grenzen hier aufgeführt habe, auch im deutsch-französischen Grenzbereich zu erreichen.
Eine weitere Zusatzfrage? — Bitte schön, Herr Haungs.
Herr Staatssekretär, können Sie mir sagen, ob es, über die Prüfungen seitens der Finanzverwaltung hinausgehend, eventuell Bedenken sicherheitsmäßiger Art geben könnte? Sind Ihnen bezüglich anderer Grenzübergänge solche Bedenken einmal vorgetragen worden?
Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Der Zoll ist natürlich mit eingeschaltet. Aber an sich sind die Grenzschutzbehörden zuständig. Da müssen alle Gesichtspunkte — auch Sicherheitsgesichtspunkte — mitgeprüft werden.
Dann rufe ich die Frage 11 des Abgeordneten Werner auf:
Ist die Bundesregierung bereit, den an Existenzgründer nach dem Förderprogramm des Bundes zum Existenzgründungssparen gewährten Ansparzuschuß in Höhe von 20 v.H. des angesparten Kapitals von der Einkommensteuer freizustellen?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Werner, die Antwort lautet so: Ansparzuschüsse für Existenzgründungen im Bereich der gewerblichen Wirtschaft sind Betriebseinnahmen, die den allgemeinen Besteuerungsgrundsätzen unterliegen. Die Bundesregierung beabsichtigt keine Sonderregelung zur Befreiung dieser Zuschüsse von der Einkommensbesteuerung. Sie weist auf die Möglichkeit des vollen Betriebsausgabenabzugs hin, den das geförderte Unternehmen hat, soweit es betriebliche Aufwendungen aus Zuschußmitteln finanziert. Die Steuerbefreiung öffentlicher Zuschüsse ließe sich nicht sachgerecht auf bestimmte Förderprogramme beschränken. Die Freistellung aller Zuschüsse müßte jedoch schon wegen ihrer haushaltsmäßigen Auswirkungen eine Kürzung des Zuschußumfangs zur Folge haben, die nicht im Interesse der Zuschußempfänger liegen kann.
Zusatzfrage, Herr Werner.
Herr Staatssekretär, habe ich Sie richtig verstanden, daß es demzufolge — von der Steuersystematik her gesehen — kaum eine Möglichkeit gibt, diesen Vorgang etwa parallel zu der Freistellung oder Nichtveranlagung und Berücksichtigung von Wohnbausparprämien, die ja auch Zuschüsse sind und Subventionscharakter haben, zu behandeln?
Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Ja, aber das geht nicht an Betriebe.
Hier geht es um die Frage des Verhältnisses der Betriebseinnahmen zu den Betriebsausgaben. Nach unserem Steuersystem besteht ein durchgehender Grundsatz, daß ein Zuschuß als Betriebseinnahmen verbucht werden muß, so wie umgekehrt ja auch entlastend Betriebsausgaben abgezogen werden können. Wenn wir noch zusätzlich einen Teil freistellten — etwa die Einnahmen —, wäre das im Ergebnis eine Überforderung.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Die Frage 12 des Abgeordneten Stiegler wird auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Damit sind wir am Ende des Geschäftsbereichs des Bundesministers der Finanzen. Ich danke dem Parlamentarischen Staatssekretär für die Beantwortung der Fragen.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft auf. Zur Beantwortung der Fragen steht der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Sprung zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 13 des Abgeordneten Dr. Sperling auf:
Welchen Stand hat die seit ca. zwei Jahren erfolgende Prüfung der Vorschläge zur Novellierung des Energiewirtschaftsgesetzes, die die Arbeitsgruppe Energie und Umwelt der Umweltministerkonferenz vorgelegt hat, mittlerweile erreicht, und welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus dem Ergebnis der Prüfung?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Herr Kollege Sperling, die Bundesregierung hat über die Vorschläge der Umweltministerkonferenz zur Novellierung des Energiewirtschaftsgesetzes noch nicht entschieden. Wie Sie wissen, hat sich die Wirtschaftsministerkonferenz gegen eine Änderung des Energiewirtschaftsgesetzes ausgesprochen.Die Prüfung der Frage, ob das Energierecht insgesamt einer rationellen und umweltgerechten Energieversorgung ausreichend Rechnung trägt, wird im Rahmen der Wirtschaftsministerkonferenz unter Beteiligung der Bundesregierung fortgesetzt. Über mögliche Maßnahmen des Gesetzgebers kann
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Parl. Staatssekretär Dr. Sprungerst nach endgültigem Abschluß dieser Arbeiten entschieden werden.
Zusatzfrage, Herr Dr. Sperling, bitte.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen klar, daß die Nichtbeendigung des Prüfens einem Nein zur Änderung des Energiewirtschaftsgesetzes gleichkommt?
Dr. Sprung, Parl. Staatssekretär: Herr Sperling, dieser Auffassung bin ich nicht. Wir haben hier die Voten zweier unterschiedlicher Konferenzen — der Umweltminister- und der Wirtschaftsministerkonferenz. Hier muß wirklich gründlich geprüft werden. Nach der Prüfung wird entschieden werden.
Weitere Zusatzfrage, Herr Dr. Sperling.
Herr Staatssekretär, glauben Sie, daß die Wirtschaftsminister in Zukunft mit dem neuen Umweltminister Wallmann genauso umgehen werden wie mit dem bisherigen Umweltminister Zimmermann?
Dr. Sprung, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, noch einmal: Es wird ausschließlich nach sachlichen Gesichtspunkten entschieden. Die Wirtschaftsministerkonferenz hatte ja gute Gründe dafür, eine andere Haltung einzunehmen als die Umweltministerkonferenz.
Ich rufe die Frage 14 des Abgeordneten Brück auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung das vom Europäischen Parlament mit großer Mehrheit beschlossene integrierte grenzüberschreitende Programm Saar-Lor-Lux?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Dr. Sprung, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Brück, die Bundesregierung begrüßt die Entschließung des Europäischen Parlaments für ein grenzüberschreitendes Entwicklungsprogramm Saarland- Lothringen- Luxemburg. Die Bundesregierung mißt der Intensivierung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit zwischen Grenzregionen in der Europäischen Gemeinschaft — insbesondere auch im Zusammenhang mit der Verwirklichung eines europäischen Binnenmarktes — größte Bedeutung zu. Gerade im saarländisch-lothringisch-luxemburgischen Grenzraum können hierdurch wichtige Beiträge zur Bewältigung der regionalen Strukturprobleme geleistet werden.
Daher hat die Bundesregierung mit Nachdruck die Arbeit für ein solches grenzüberschreitendes Programm im Rahmen der deutsch-französisch-luxemburgischen Regierungskommission unterstützt. Leider sind diese Bemühungen auf eine Reihe von Schwierigkeiten gestoßen, so daß es bei der Erarbeitung eines solchen Programmes zu zeitlichen Verzögerungen gekommen ist.
Nunmehr hat jedoch die erwähnte Regierungskommission in ihrer letzten Sitzung im April 1986 in Metz eine Arbeitsgruppe unter Beteiligung insbesondere auch der regionalen Stellen mit der endgültigen Erarbeitung eines grenzüberschreitenden Entwicklungsprogramms für die Saar-Lor-Lux-Region beauftragt. Sie soll vor allem auch die Möglichkeit einer finanziellen Unterstützung durch die Europäische Gemeinschaft berücksichtigen.
Die Bundesregierung betrachtet den Beschluß des Europäischen Parlaments als eine wirksame Unterstützung dieser Bemühungen und wird ihren Beitrag dazu leisten, daß die Programmarbeiten zügig vorangehen und baldmöglichst abgeschlossen werden können.
Zusatzfrage, Herr Brück.
Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung bereit, zu den Mitteln der Europäischen Gemeinschaft auch nationale Mittel einzusetzen und die Regierungen der Französischen Republik und Luxemburgs aufzufordern, dies auch zu tun?
Dr. Sprung, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Brück, ich habe darauf hingewiesen, daß in die Überlegungen auch die Frage einbezogen werden sollte, wieweit eine finanzielle Unterstützung durch die Europäische Gemeinschaft möglich ist. Aber soweit ist es noch nicht. Darüber wird man dann zu sprechen und das wird man dann zu entscheiden haben, wenn die Arbeiten weiter vorangekommen sind. Im Augenblick ist es noch nicht möglich, dazu endgültig etwas zu sagen.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Brück.
Wann rechnen Sie damit, daß diese Arbeiten zu Ende geführt werden?
Dr. Sprung, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Brück, Sie kennen vielleicht den Zeitablauf. Das Ganze liegt ja schon relativ weit zurück. 1980 hat man begonnen, und dann ist nicht viel geschehen. Auf unserer Seite war die Bereitschaft voranzukommen sehr groß. Seit Anfang dieses Jahres aber hat sich etwas geändert, insbesondere seit der letzten Sitzung in Metz. Wir hoffen sehr, daß das vorankommt. Auf seiten der Bundesregierung ist — ich hatte es vorhin schon einmal gesagt — wirklich die Bereitschaft vorhanden, alles zu tun, damit dieses besondere Programm für diesen Raum entwickelt wird und dann auch ausgeführt werden kann.
Dann rufe ich die Frage 15 des Abgeordneten Uldall auf, der aber nicht im Saal ist. Die Frage wird entsprechend der Geschäftsordnung behandelt. Das gleiche gilt für die Frage 16 des Abgeordneten Dr. Hirsch. Wir sind damit am Ende dieses Geschäftsbereichs. Ich danke dem Staatssekretär für die Beantwortung der Fragen.Ich komme zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten. Der Parlamentarische Staatssekretär Gallus steht uns zur Beantwortung der Fragen zur Verfügung.
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17342 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 224. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Juni 1986
Vizepräsident WestphalIch rufe die Frage 17 des Abgeordneten Kißlinger auf:Welchen Betrag in DM würde die Bundesrepublik Deutschland einsparen, wenn unter Wegfall von Preis- und Abnahmegarantie sowie jeglicher Subventionen, Ausgleichszahlungen und übriger Hilfen den Landwirten dafür 1 500 DM je Hektar landwirtschaftlicher Nutzfläche gezahlt würden?Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Herr Kollege Kißlinger, eine völlige Abkehr von den bisherigen Grundsätzen und Maßnahmen der gemeinsamen Agrarpolitik und deren Ersatz durch flächengebundene, direkte Einkommensübertragungen sind politisch weder gewollt noch durchsetzbar. Eine solche Politik würde den Rückzug der Bundesrepublik Deutschland aus der gemeinsamen Agrarpolitik bedeuten und damit die bisher erreichten Integrationsfortschritte zwischen den Mitgliedstaaten zunichte machen.
Selbst bei einer Abkehr von der derzeitigen EG-Agrarpolitik wären wegen bestehender rechtlicher Verpflichtungen kurzfristig weder Mittel für die nationalen Hilfen noch für die EG-Maßnahmen in größerem Umfang einzusparen. Kalkulationen über einsparbare Haushaltsausgaben haben somit nur theoretischen Charakter.
Zusatzfrage, Herr Kißlinger.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Staatssekretär, wann wird die Bundesregierung endlich den Bauern und den Steuerzahlern ein schlüssiges Konzept zum Abbau der Überschußberge und damit gegen die Verschleuderung von Steuergeldern in der Agrarpolitik liefern?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, die Bundesrepublik ist dasjenige Land in der EG, das sich ganz entschieden dafür einsetzt, die Produktion zurückzuführen, z. B. durch Herausnahme von Flächen aus der Produktion und ihre Stillegung. In der Bundesrepublik Deutschland haben wir gerade einen Modellversuch laufen für die Grünbrache. Wir warten jetzt auf die Vorschläge der EG-Kommission für das soziale Marktentlastungsprogramm und darauf, wieviel die EG bezahlen will, um ganze Betriebe aus der Produktion zu nehmen. Wir sind gewissermaßen die Speerspitze in der EG in bezug auf die Reduzierung der Agrarproduktion.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Staatssekretär, wissen Sie, daß man durch Herausnahme von Flächen gerade Gebiete mit Grenzertragsböden wie den Bayerischen Wald erheblich schädigen und damit vielleicht zu einer Verfichtung dieser Gebiete beitragen
kann?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, gerade das ist nicht der Fall. Wir haben neueste Untersuchungen, welche Landwirte in welchen Gebieten bereit wären, ihre Betriebe aus der Produktion zu nehmen. Das Ergebnis ist: In allen Gebieten der Bundesrepublik Deutschland besteht in hohem
Maße die Bereitschaft — ab dem 55. Lebensjahr —, Betriebe aus der Produktion zu nehmen.
Zusatzfrage des Abgeordneten Immer.
Herr Staatssekretär, hielten Sie es nicht für sinnvoll, wenn in den Modellversuch der Stillegung insbesondere die Betriebe einbezogen würden, die denen gehören, die hier im Deutschen Bundestag durchaus gut finanziert werden — Staatssekretäre, Minister und Abgeordnete? Würde das nicht dazu beitragen, die finanzielle Seite dieses Modellversuchs abzuklären?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, bei allem Verständnis für Ihre Frage muß ich Ihnen sagen, daß es sich hier um Flächen von 100 000 Hektar dreht und ich nicht feststellen kann, in welchen Vermögens- und Bewirtschaftungsverhältnissen zu ihren Betrieben die einzelnen Abgeordneten stehen. Vielfach sind es Söhne oder andere Mitglieder der Familie, die den Hof bewirtschaften.
Ich glaube, daß Ihre Frage so nicht beantwortet werden kann.
Zusatzfrage des Abgeordneten Eigen.
Herr Staatssekretär, angesichts der Tatsache, daß ein wesentlicher Teil der Stützungen, von denen der sozialdemokratische Abgeordnete Kollege Kißlinger sprach, sozialer Art und durch den Strukturwandel der Landwirtschaft notwendig sind, frage ich Sie: Können Sie verstehen, daß er in seiner Eigenschaft als sozialdemokratischer Abgeordneter in diesem Sinne fragt, wie er es hier tut, indem er Aufwendungen für Sozialpolitik sozusagen den Großbetrieben mit einer Subvention von 1 500 DM je Hektar geben möchte?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich muß Ihnen beipflichten, daß ich die Frage von dieser Seite her absolut nicht verstanden habe. Nach diesem Vorschlag bekäme nämlich ein Betrieb mit 100 Hektar 150 000 DM im Jahr, ein Betrieb mit 10 Hektar, der auch eine Familie ernähren muß, aber nur 15 000 DM im Jahr.
Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Weyel.
Herr Staatssekretär, glauben Sie nicht, daß die von Ihnen eben zitierte Bereitschaft vieler Landwirte, sich an diesem Grünlandprogramm zu beteiligen, auch davon abhängig ist, wie der finanzielle Ausgleich dafür aussieht? Hat die Bundesregierung da inzwischen konkrete Zahlen?Gallus, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, es geht ja um zwei Dinge. Auf der einen Seite steht der Modellversuch in Niedersachsen, für den die Bundesregierung 100 Millionen DM im Jahr zur Verfügung stellt. Dort können wir erwarten, daß im Schnitt ungefähr 100 Hektar stillgelegt werden.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 224. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Juni 1986 17343
Parl. Staatssekretär GallusZweitens geht es um den Versuch, das soziale Marktentlastungsprogramm in Gang zu bringen. Hier ist die Bundesregierung allerdings der Auffassung, daß man zunächst wissen muß: In welchem Umfang ist die EG zur Mitfinanzierung bereit? Wie wird es auf nationaler Ebene finanziert? Da ist die Bundesregierung zunächst der Auffassung, daß es in erster Linie die Länder zu finanzieren haben.
Zusatzfrage des Abgeordneten Wolfram.
Herr Staatssekretär, können Sie uns einige konkrete Beispiele nennen, welche Betriebe und Unternehmen in der Bundesrepublik Deutschland an der Überschußwirtschaft ungewöhnlich hoch verdienen?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Im Augenblick, bei diesen Preisen, die wir heute haben, verdient keiner mehr etwas.
Zusatzfrage des Abgeordneten Reimann.
Herr Staatssekretär, gestatten Sie einem — ich sage das vorweg — landwirtschaftlichen Laien die Frage: Wie vertragen sich Flächenstillegungen in der Landwirtschaft, von denen Sie sprechen, mit den ständig steigenden Erträgen, die doch auch jährlich auf Grund von Düngung usw. erzielt werden sollen?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, die Frage, vor der wir stehen, lautet: Welchen Weg beschreitet man, um die Produktion insgesamt zu reduzieren? Tatsache ist, daß wir weiter einen technischen und züchterischen Fortschritt haben. Natürlich ist nicht daran zu glauben, daß, wenn wir auf der einen Seite Flächen aus der Produktion herausnehmen, dies auf der anderen Seite ohne weiteres durch die verbleibenden Flächen kompensiert werden kann,
wie das z. B. in Amerika vor 20 Jahren der Fall war, als man, von einer sehr niedrigen Produktionsstufe ausgehend, die Produktion im übrigen Bereich sehr stark steigern konnte.
Das ist in Europa nicht der Fall und kann in Europa auch nicht der Fall sein, weil wir schon die höchste Produktionsstufe erreicht haben.
Zusatzfrage des Abgeordneten Senfft.
Herr Staatssekretär, wenn es das Ziel ist, die Produktion zu senken, wäre es dann nicht in der Tat sinnvoller, auf allen Flächen auf den Kunstdünger- und den Pestizideinsatz etwas mehr zu verzichten und damit auch die Existenzsicherung der Landwirte beizubehalten, statt die Intensivbebauung beizubehalten und einigen Landwirten die Existenz voll zu nehmen?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, diese Lösung setzt voraus, daß ein solches Konzept nicht nur in ganz Europa, sondern zumindest auch in den Vereinigten Staaten von Amerika durchgeführt werden kann. Denn sonst werden diese uns natürlich mit ihren so billig produzierten Produkten auf Grund der handelspolitischen Zusammenhänge radikal unterlaufen.
Das muß man sehen. Deshalb geht die Bundesregierung davon aus, daß wir in bestimmten Bereichen — das kann unter Umständen ein ganz erheblicher Teil der Fläche der Bundesrepublik sein — eine Extensivierung mit entsprechenden Auflagen durchführen können. So wird z. B. in dieser Woche noch das Wasserhaushaltsgesetz verabschiedet. Soviel ich weiß, wird dort ein Passus beinhaltet sein, der davon ausgeht, daß, wenn Auflagen zur Extensivierung erteilt werden, um das Grundwasser vor der Nitratbelastung zu schützen, ein entsprechender Ausgleich gezahlt werden muß. Ähnliche Fälle sind auch in Naturschutzgebieten denkbar. Dies aber generell durchzusetzen, halte ich nach Lage der Dinge in Europa für ausgeschlossen.
Also, Herr Immer, da wollen wir ein bißchen vorsichtig sein! Jetzt wollte ich Sie gerade gegenüber dem Kollegen Eigen in Schutz nehmen, der gesagt hat, „Das ist gar nicht wahr" sei schon etwas, was nicht in Ordnung sei. „Das ist gar nicht wahr" ist eine Meinungsäußerung, keine persönliche Beleidigung.
Ich rufe die Frage 18 des Abgeordneten Kißlinger auf.Ist es zutreffend, daß nur ca. 20 v. H. bis 25 v.H. der Ausgaben der EG den Landwirten zukommen, und wenn ja, ist die Bundesregierung mit mir der Auffassung, daß diejenigen, die die übrigen 75 v.H. erhalten, jede Neuordnung in der Agrarpolitik verhindern werden, weil sie an der Überschußwirtschaft ungewöhnlich hoch verdienen?Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, es ist zutreffend, daß nicht alle Ausgaben der EG zur Durchführung der gemeinsamen Agrarpolitik bei den Landwirten „ankommen" und sich in deren Einkommen voll niederschlagen. Dabei ist zu berücksichtigen, daß ein Teil der Ausgaben bewußt zur Stützung der Preise für landwirtschaftliche Produkte an andere Wirtschaftsbereiche gezahlt wird und sich über die Preisstützung mittelbar auf die
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17344 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 224. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Juni 1986
Parl. Staatssekretär GallusEinkommen der Landwirte auswirkt. Die mittel- und unmittelbaren Wirkungen auf das Einkommen der Landwirte sind nach Maßnahmen und Produkten sehr verschieden. Eine genaue Quantifizierung dieser Wirkungen auf das Einkommen ist nicht möglich.Die Bundesregierung teilt nicht die Auffassung, daß nichtlandwirtschaftliche Interessengruppen, die an den Maßnahmen der EG-Agrarpolitik beteiligt sind, jede Neuordnung verhindern. Einer grundlegenden Reform der EG-Agrarpolitik stehen — wie sich bei den Verhandlungen des Agrarministerrats über die Weiterentwicklung immer wieder zeigt — allerdings häufig fundamentale Interessen der Landwirtschaften in den einzelnen Mitgliedstaaten entgegen.
Eine Zusatzfrage, Herr Kißlinger.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Staatssekretär, gibt es eigentlich kein brauchbares und vollständiges Zahlenmaterial zu den Subventionsströmen im Bereich der Landwirtschaft? Es ist sehr schwer, an solche Dinge heranzukommen.
Gallus, Parl. Staatssekretär: Ich glaube nicht, daß es schwer ist. Die Frage ist nur, was man unter Subventionen versteht und was nicht.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Kißlinger.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Muß nicht auch die Bundesregierung den Eindruck haben, daß es starke Kräfte gibt, die jede Transparenz auf diesem Gebiete verhindern wollen und können?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, solche Kräfte kenne ich nicht.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich bedanke mich, Herr Staatssekretär.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Wolfram.
Herr Staatssekretär, wenn Sie schon nicht auf das Komma oder die Stelle hinter dem Komma genau bestätigen können, wie und wohin die Ströme fließen, können Sie dann bestätigen, daß der Kollege Kißlinger mit den von ihm genannten Relationen recht hat,
daß nämlich rund 75 % Subventionsempfänger sind, die nicht eigentlich Landwirte in dem von uns verstandenen Sinne sind?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, es ist ein Trugschluß, zu glauben, daß man hier die Landwirtschaft allein sehen darf, sondern man muß alle, die am Markt beteiligt sind, ins Visier nehmen, solange man in einer solchen Situation wie im Augenblick ist mit den gewaltigen Überschüssen.
Herr Kollege, ich möchte die Rechnung einmal anders herum aufmachen: Es ist ein großer Trugschluß, zu glauben, daß, wenn man z. B. heute nacht mit sämtlichen Interventionen in Europa aufhören würde und diese angeblichen 45 Milliarden morgen zur Verteilung an die Landwirte Europas zur Verfügung stünden, die Bauern besser fahren würden. Tatsache ist, daß in dem Moment, wo die Interventionen ausgesetzt werden, nach unseren Berechnungen die Preise um 25 bis 30 % vom heutigen Standpunkt aus noch zurückgehen werden, diese 45 Milliarden in der EG aber nur ausreichen werden, um 15% direkt auszugleichen. Das heißt, die Rechnung muß so gesehen werden, daß der Bauer zwar die eine Mark — bildlich gesprochen — in Brüssel bekommt, er aber zwei Mark verliert.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Immer.
Herr Staatssekretär, nachdem Sie festgestellt haben, daß unter diesen Bedingungen möglicherweise ein Preis- oder Einkommensverlust von 35 % erfolgen könnte, aber tatsächlich schon durch die Agrarpreisbeschlüsse ein Einkommensverlust gegenüber den letzten Vorjahren um 30 % eingetreten ist, frage ich: Würden Sie zustimmen, daß es besser wäre, man würde in weit stärkerem Maße eine Buchführungspflicht für Landwirte einführen, wie es von vielen Landesverbänden des Bauernverbandes unter der Hand gefordert wird, daß das aber eine Forderung ist, die der Bauernverband nicht erheben kann, damit er nicht 50 % seiner Mitglieder verliert?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, wenn es Ihnen recht ist - das ist genau dieselbe Frage wie die der Kollegin Weyel in bezug auf die Buchführungspflicht —, werde ich nachher ausführlich dazu Stellung nehmen.
Diese Frage wird nachher aufgerufen.
Möchten Sie hierzu noch eine Zusatzfrage stellen?
- Bitte schön, Herr Eigen.
Herr Staatssekretär, sind Sie mit mir der Meinung, daß das Zahlenspiel, das von Herrn Abgeordneten Kollegen Kißlinger hier aufgeführt wird, eigentlich immer dann gebracht wird, wenn man die Interventionsmaßnahmen der Europäischen Gemeinschaft diskriminieren will?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, es ist das gute Recht eines Abgeordneten, zu jedem Bereich Fragen zu stellen. Ich nehme das niemandem übel.
Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Weyel.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 224. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Juni 1986 17345
Herr Staatssekretär, sind Sie mit mir der Meinung, daß — offensichtlich entgegen der Auffassung des Herrn Kollegen Eigen — einige Änderungen im Bereich der Agrarpolitik auch in der der Europäischen Gemeinschaft nützlich und sinnvoll wären?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Absolut. Wir haben ja erlebt, daß die Kommission im letzten Jahr ein Grünbuch vorgelegt hat, das nach meiner Auffassung in bezug auf die Herstellung des Weltmarktpreisniveaus allerdings viel zu weit gegangen ist, was die Kommission in der Zwischenzeit eingesehen hat. Die Kommission hat sich in der Zwischenzeit mehr unseren Auffassungen angenähert.
Ich rufe die Frage 19 des Abgeordneten Eigen auf:
Welche Zuschüsse werden in der Bundesrepublik Deutschland, Frankreich, Großbritannien und Irland für die Haltung von Fleischrindern als Mutterkühen aus EG- und nationalen Mitteln gezahlt?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Eigen, aus Mitteln des EAGFL werden für alle Mitgliedstaaten 15 ECU pro Mutterkuh bezahlt. Darüber hinaus sind die Mitgliedstaaten ermächtigt, bis zu 25 ECU aus nationalen Mitteln zu gewähren.
Die Bundesrepublik Deutschland zahlt zur Zeit den vom EAGFL finanzierten Betrag in Höhe von 15 ECU pro Mutterkuh. Frankreich gewährt außer den 15 ECU aus Gemeinschaftsmitteln einen Betrag von 25 ECU per Kuh für die ersten 40 Mutterkühe pro Bestand und 5 ECU pro Kuh für die folgenden Mutterkühe aus seinem nationalen Haushalt.
Nordirland und Irland erhalten zusätzlich zu den 15 ECU aus Gemeinschaftsmitteln 20 ECU pro Mutterkuh, die ebenfalls vom EAGFL finanziert werden.
Großbritannien gewährt neben den 15 ECU aus Gemeinschaftsmitteln 25 ECU pro Mutterkuh aus nationalen Mitteln.
Zusatzfrage, Herr Eigen.
Herr Staatssekretär, halten Sie die Haltung von Mutterkühen nicht auch für sehr sinnvoll, weil sie eine ökologisch vernünftige Nutzung darstellen und weil sie auch einen relativ geringen Fleischertrag pro Hektar erbringen, so daß auch in bezug auf die Überschüsse bei Rindfleisch über die Mutterkuhhaltung eigentlich nur Vorteile zu erwarten sind?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich bin grundsätzlich Ihrer Auffassung, aber im Augenblick, da wir so viel Rindfleischüberschuß haben, ist fast jede zusätzliche Produktion von Rindfleisch von Ubel. Ich kann allerdings bestätigen, daß hier pro Hektar weniger produziert wird und daß die Mutterkuhhaltung von daher tragbarer als jede andere Art der Produktion ist.
Weitere Zusatzfrage, Herr Eigen.
Herr Staatssekretär, kann eine Ursache dafür, daß sich die Mutterkuhhaltung in der Bundesrepublik Deutschland im Gegensatz zu Frankreich, Irland und Großbritannien — deswegen bezieht sich meine Frage auf diese Länder — nur so zögernd durchsetzt, darin liegen, daß die Förderung in der Bundesrepublik Deutschland nicht in demselben Maße wie in diesen anderen Ländern erfolgt?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, wenn ich die Struktur der anderen Länder und deren geschichtliche Entwicklung auf diesem Sektor betrachte, dann komme ich nicht zu diesem Schluß, denn in Frankreich, England usw. sind aus Gründen der Tradition von jeher nur Mutterkühe gehalten worden.
Zusatzfrage des Abgeordneten Immer.
Herr Staatssekretär, ich möchte Sie noch einmal fragen, ob es als Ersatz für die doch in Schwierigkeiten geratene Milchwirtschaft und zur Verbreitung und Ausweitung der Mutterkuhhaltung — insbesondere in den Höhengebieten nicht sinnvoll wäre, eine Förderung einzurichten — die sicherlich EG-konform sein muß —, die es ermöglicht, daß die Mutterkuhhaltung in diesen Gebieten verstärkt vorgenommen werden kann, weil es aus ökologischen Gründen und auch im Blick auf die Überschußproduktion segensreich wäre?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich muß die Frage abgestuft beantworten. Aus agrarpolitischen Erwägungen am vernünftigsten ist zur Zeit — und auch in die Zukunft gedacht —, auf jegliche Produktion zu verzichten, die Flächen stillzulegen. Darüber hinaus kann man sich dann darüber unterhalten, wenn man unter den verschiedenen Produktionen abzuwägen hat, welche diejenige ist, die weniger Überschüsse bringt. Dann rangiert sicher die Mutterkuhhaltung vor Milchviehhaltung plus Fleischproduktion.
Ich rufe die Frage 20 des Abgeordneten Eigen auf:Wann wird die Bundesrepublik Deutschland die von der Europäischen Gemeinschaft vorgesehenen Mittel zur Förderung der Haltung von Fleischrindern voll ausschöpfen, um eine der unzähligen Wettbewerbsverzerrungen in der Europäischen Gemeinschaft abzubauen?Bitte schön, Herr Staatssekretär.Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, mit den Bundesländern war vereinbart worden, die Beratungen über die Gewährung der nationalen Zusatzprämie bis zum Abschluß der Verhandlungen über eine einheitliche Prämie im Rindfleischbereich auf EG-Ebene zurückzustellen. Dabei wurde davon ausgegangen, daß auch ein Beschluß über die Prämienregelung im Rindfleischbereich im Rahmen der Agrarpreisverhandlungen herbeigeführt wird. Nachdem dies nicht geschehen ist und für die
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17346 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 224. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Juni 1986
Parl. Staatssekretär GallusMutterkuhprämie für das Wirtschaftsjahr 1986/87 die gleiche Regelung wie im Vorjahr gilt, sind nunmehr mit den Bundesländern Verhandlungen über eine einheitliche Gewährung der nationalen Zusatzprämie im Gange. Ziel dieser Verhandlungen ist es, sämtlichen prämienberechtigten Mutterkuhhaltern in der Bundesrepublik Deutschland die nationale Zusatzprämie in Höhe von 25 ECU zu gewähren — aber durch Finanzierung der Länder.
Zusatzfrage, Herr Eigen.
Herr Staatssekretär, können Sie sich nicht vorstellen, daß man diese nationale Prämie, die von Brüssel nicht ohne Grund erlaubt worden ist, im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe zahlt, so daß die gleichen Zahlungen im Verhältnis 60:40. wie bei anderen Agrarförderungsmitteln möglich wären?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Ich glaube nicht, daß das nach den Grundlagen, auf denen wir die Gemeinschaftsaufgabe vollziehen, möglich ist.
Weitere Zusatzfrage, Herr Eigen.
Herr Staatssekretär, sind Sie nicht mit mir der Meinung, nachdem so viele Wettbewerbsverzerrungen zwischen der deutschen Landwirtschaft und anderen Landwirtschaften der Europäischen Gemeinschaft, eigentlich immer zu Lasten der deutschen Landwirtschaft, so schwer zu korrigieren waren, weil sie erst durch anpassende Gesetzgebung korrigiert werden konnten, daß in einem Fall, in dem die Wettbewerbsverzerrung eklatant ist, ganz selbstverständlich umfassend und sofort gehandelt werden müßte?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich bin dieser Auffassung. Ich hoffe, daß auch die Länder zu dieser Erkenntnis kommen. Überall, wo ich hinkomme, in allen deutschen Landen, in allen Bundesländern, heißt es, sie wollten vielmehr für die Landwirtschaft tun, sie würden in irgendeiner Weise jedoch daran gehindert. Hier haben nun die Länder einmal die Möglichkeit, etwas zu tun. Ich hoffe, daß sie das so schnell wie möglich tun.
Zusatzfrage des Abgeordneten Immer.
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Herr Staatssekretär, müßte nicht auch die Bundesregierung Interesse daran haben, im Blick auf die Verbraucher die Mutterkuhhaltung, die wesentlich gesünderes Fleisch als die Haltung von abgetakelten Milchkühen ergibt
— das ist doch wahr —, zu fördern, und könnte dies über die Gemeinschaftsaufgabe passieren, über die doch vieles ermöglicht worden ist, was in der EG erst später durchgesetzt werden konnte? Ist die Bundesregierung bereit, in einer solchen Frage in der EG Rückgrat zu zeigen und wirklich etwas zu tun, was den Landwirten im Hinblick auf den Abbau der Überproduktion und den Verbrauchern nützt?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, es gibt überhaupt keinen Zweifel daran. Ich selber bin ein großer Freund von Mutterkuhhaltung. Nur muß der richtige Weg beschritten werden. Sinn der Gemeinschaftsaufgabe ist es, die Strukturentwicklung zu fördern, aber nicht derartige Förderungen vorzunehmen, wie sie hier erfolgen müßten.
Ich möchte aber doch etwas zu den „abgetakelten Milchkühen" sagen, die Sie in Ihre Frage mit einbezogen haben: Eine ältere ausgemästete Kuh hat z. B. in Frankreich vom Fleisch her gesehen einen sehr hohen Stellenwert.
— Nein. Hinterviertel von gut ausgemästeten älteren Kühen sind in Frankreich eine Delikatesse.
Was man hier in der Fragestunde in seiner Eigenschaft als Verbraucher und Nichtlandwirt alles lernt, ist schon abenteuerlich.
Ich rufe nun die Frage 21 der Abgeordneten Frau Weyel auf:
Hält die Bundesregierung es unter Berücksichtigung des Vermerks des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zur Buchführung landwirtschaftlicher Betriebe vom 17. März 1986 für angemessen bzw. erforderlich, im Hinblick auf die Entwicklung der landwirtschaftlichen Einkommen und die Beurteilung betriebswirtschaftlicher Abläufe für alle Haupterwerbsbetriebe die Buchführungspflicht einzuführen, wie das für gewerbliche Betriebe gilt?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin Weyel, im Jahre 1985 hatten etwa 172 000 landwirtschaftliche Betriebe eine Buchführung. In den letzten Jahren hat sich diese Zahl deutlich erhöht. Diese Entwicklung wird begrüßt, weil die Buchführung die Informationsgrundlage im Hinblick auf die Leitung der Betriebe verbessert und einen wichtigen Beitrag zu einer effizienten Wirtschaftsweise liefert.
Die Bundesregierung hält es aber nicht für erforderlich und auch nicht für angemessen, die Buchführungspflicht für alle Haupterwerbsbetriebe einzuführen. Erstens gibt es noch zahlreiche kleinere Haupterwerbsbetriebe, für die Kosten und Nutzen der Buchführung in keinem positiven Verhältnis zueinander stehen. Zum anderen würden die Finanzverwaltungen durch eine Einbeziehung aller Haupterwerbsbetriebe in die Buchführungspflicht über Gebühr belastet, ohne daß damit das Steueraufkommen in größerem Umfang erhöht werden könnte.
Im übrigen gibt es, ähnlich wie in der Landwirtschaft, auch für kleinere Betriebe im gewerblichen Bereich eine Ausnahme von der generellen Buchführungspflicht.
Eine Zusatzfrage, Frau Weyel.
Herr Staatssekretär, glauben Sie nicht, daß ein Betrieb, der aus einer geregelten Buchführung überhaupt keinen Nutzen und keine
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Frau WeyelErkenntnisse ziehen kann, eigentlich schon in einer Größenordnung liegt, die sein Überleben als Vollerwerbsbetrieb auf die Dauer gar nicht erlaubt?Gallus, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, die Zahl derer, die jetzt in die Buchführung einbezogen sind, zeigt eines ganz deutlich: Von den 720 000 Betrieben in der Bundesrepublik Deutschland sind nur ein Viertel größer als 20 ha. Diese 172 000, diese rund 180 000 Betriebe sind genau jenes eine Viertel mit einer Größe von über 20 ha.Nun können Sie die Dinge wenden und drehen, wie Sie wollen. Es gibt eine natürliche Grenze für einen Vollerwerbsbetrieb. Ich glaube nicht, daß man diese Grenze noch weiter nach unten ziehen kann. Ich halte es für wenig sinnvoll, die übrigen Landwirte, die weniger als 20 ha bewirtschaften, gewissermaßen zur Buchführungspflicht zu drängen.Ich habe mich kürzlich mit meinem eigenen Finanzamt darüber unterhalten, ob eigentlich die jetzige Grenze, die wir haben, sinnvoll sei. Dort ist mir gesagt worden, sie sei viel zu niedrig, wir sollten sie anheben; bei den meisten komme sowieso nichts heraus.
Eine Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Weyel.
Herr Staatssekretär, darf ich Sie zunächst einmal darauf aufmerksam machen, daß aus der Vorlage Ihres Hauses hervorgeht, daß von den Vollerwerbsbetrieben bereits 40 % Buchführung betreiben — also mehr als das berühmte Viertel —, Ihnen darüber hinaus aber sagen, daß die Frage des Steueraufkommens für mich in diesem Fall gar nicht wesentlich ist — ob der Staat dadurch nämlich mehr Steuern bekommt —, sondern daß ich im Zusammenhang mit der Buchführungspflicht mehr daran gedacht habe, daß sie auch nützlich für den Betrieb ist, um eigene Schwächen oder auch Vorteile zu erkennen? Manche Leute muß man zu ihrem Glück auch zwingen, weil sie vorher gar nicht genau wissen, daß sie aus einer solchen Maßnahme auch Vorteile für ihre Betriebsführung ziehen können.
Gallus, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, Sie dürfen die Strukturen in der Bundesrepublik Deutschland nicht aus den Augen verlieren. Wir haben 50 % Nebenerwerbslandwirte. Ich will gar nicht, daß diese 50 % Nebenerwerbslandwirte so intensiv wirtschaften.
— Einen Moment.
Dann geht es noch um den unteren Teil der kleinen Vollerwerbsbetriebe. Ich muß Sie in diesem Zusammenhang davon unterrichten, daß ein großer Teil dieser kleinen Vollerwerbsbetriebe, die unter 20 ha bewirtschaften, in den nächsten zehn Jahren auslaufen, weil die Kinder dieser Landwirte längst einen anderen Beruf ergriffen haben. Nicht umsonst haben wir deshalb j a auch das soziale Marktentlastungsprogramm auf diese Betriebe ausgerichtet: um den Strukturwandel gewissermaßen um sechs bis zehn Jahre vorzuziehen.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Immer.
Herr Staatssekretär, Sie reden von 20 ha, obwohl wir uns doch geeinigt haben, nicht von Flächen zu sprechen, sondern von einkommensschwachen und einkommensstarken Betrieben.
Herr Kollege Immer, Sie müssen zur Frage kommen.
Ich frage Sie: Warum eigentlich ist die Regierung nicht bereit, die Grenze für die Buchführungspflicht zu senken, um u. a. auf diesem Wege ein Konzept zu entwickeln, wie agrarpolitisch zu handeln ist? Denn jeder kleine Schustermeister muß einen Karton haben — und wenn es eine Zigarrenkiste ist —, um darin notfalls die Zettel aufzuheben, die erforderlich sind, um eine Buchführung nachzuweisen. Tut sich die Regierung nicht — —
Die Frage war schon gestellt. Wir sind für kurze Antworten, aber auch für kurze Fragen. Die Frage war erkennbar. — Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Gallus, Parl. Staatssekretär: Zunächst ist ganz klar, daß der Gesetzgeber in Landwirtschaft und Gewerbe die gleiche Buchführungspflichtgrenze eingeführt hat: bei einem Umsatz von 500 000 DM und bei einem Gewinn von 36 000 DM, beim Gewerbe bei einem Betriebsvermögen von 125 000 DM und in der Landwirtschaft bei einem Wirtschaftswert von 40 000 DM. Unterhalb gilt im gewerblichen Bereich die Schuhkartonbuchführung. Sie gilt in einem Zwischenbereich in der Landwirtschaft auch. In der Landwirtschaft gilt darunter die Buchführung nach § 13 a EStG. Ich muß mich allerdings fragen, ob die Werte, die in § 13a zugrunde gelegt sind, angesichts der niedrigen Preise heute überhaupt noch in Ordnung sind.
Zusatzfrage des Abgeordneten Löffler.
Herr Staatssekretär, stimmen Sie mir zu, wenn ich sage, daß es eine allgemeine Lebenserfahrung ist, daß diejenigen, die nicht über sehr viel Geld verfügen, genau darauf achten müssen, woher sie ihr weniges Geld bekommen und wohin dieses Geld fließt, d. h. sie sich genau ansehen müssen, was sie verdienen, womit sie es verdienen und wofür sie es ausgeben — das wäre dann ja die Buchführung?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, niemand ist gezwungen, keine Buchführung zu machen.
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17348 Deutscher Bundestag - 10. Wahlperiode — 224. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Juni 1986
Zusatzfrage des Abgeordneten Eigen.
Herr Staatssekretär, sind Sie nicht gemeinsam mit mir etwas verwundert, daß von den Kollegen der SPD solche Fragen gestellt werden, obgleich gerade von der letzten Regierung Schmidt die Agrarsteuer reformiert worden ist, und zwar Gott sei Dank verhältnismäßig vernünftig? Wieso fragt man negativ nach dem, was man gerade verhältnismäßig vernünftig geregelt hat?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, zum ersten nehme ich es keinem Kollegen in diesem Hohen Hause übel, die Bundesregierung nach dem zu fragen, was dem einzelnen Kollegen beliebt. Zum zweiten freut es mich, daß Sie der sozialliberalen Koalition, in der ich auch schon Staatssekretär war, gerade zu der Zeit, als die Neuregelung der Besteuerung für die Landwirtschaft eingeführt worden ist, etwas Positives bescheinigen. Vielen Dank.
Wenn Sie nun wüßten, daß der, der gerade hier oben sitzt, auch beteiligt war, dann würden Sie vielleicht doch — —
Wir sind am Ende des Geschäftsbereichs des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten. Ich danke dem Staatssekretär für die Beantwortung der Fragen.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung auf. Zur Beantwortung der Fragen steht der Parlamentarische Staatssekretär Vogt zur Verfügung.
Die Frage 22 des Abgeordneten Dr. Lammert ist zurückgezogen worden.
Ich komme zur Frage 23 des Abgeordneten Reimann:
Wie beurteilt die Bundesregierung die Forderung von Sozialarbeitern und Trägern von Maßnahmen zum Benachteiligtenprogramm, den Jugendlichen in Fördermaßnahmen aus Motivationsgründen die Berufsausbildungsbeihilfe nicht mehr ausschließlich einkommensbezogen zu gewähren, sondern einen festen Sockelbetrag von 275 DM zu bezahlen und den Rest einkommensabhängig zu machen, analog zum Gesetz DRL-BMA über die Gewährung von Bildungsbeihilfen für arbeitslose Jugendliche aus Bundesmitteln?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident, mit Genehmigung des Fragestellers möchte ich die Fragen 23 und 24 gemeinsam beantworten.
Sind Sie einverstanden, Herr Reimann?
Ja, gut.
Bitte schön, Herr Staatssekretär, auch die Frage 24 des Abgeordneten Reimann ist aufgerufen:Sieht die Bundesregierung eine Möglichkeit, für das Begleitpersonal in sozialpädagogischen und pädagogischen Maßnahmen die neuen Richtlinien zu den AB-Maßnahmen für Ausbilder in außerbetrieblichen Ausbildungsmaßnahmen zu übernehmen, nach denen es dem Träger möglich ist, den Ausbilder über einen Zeitraum von drei Jahren zu beschäftigen, ohne eine Verpflichtung zu Übernahme des Arbeitnehmers einzugehen?Vogt, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, die Förderung nach dem Benachteiligtenprogramm des Bundes erfolgt einkommensunabhängig. Insoweit ist die Forderung von Sozialarbeitern und Trägern von Maßnahmen zum Benachteiligtenprogramm nicht verständlich. In den Richtlinien des Benachteiligtenprogramms wird lediglich wegen der Höhe der zu zahlenden Ausbildungsvergütung auf die Berufsausbildungsbeihilfe nach § 40 des Arbeitsförderungsgesetzes verwiesen. Maßgeblich ist hier der Bedarfssatz eines unverheirateten Auszubildenden, der das 21. Lebensjahr noch nicht vollendet hat und im Haushalt der Eltern untergebracht ist.Nach dem Bildungsbeihilfengesetz wird eine einkommensunabhängige Förderung nur den Jugendlichen gewährt, die mindestens vier Monate lang eine die Beitragspflicht begründende Beschäftigung nach dem Arbeitsförderungsgesetz ausgeübt haben. Alle anderen Jugendlichen werden einkommensabhängig gefördert.Diese Regelung ist damit zu begründen, daß nur bei einer vorangegangenen Beitragszahlung zur Versichertengemeinschaft diese auch bei der Durchführung einer Bildungsmaßnahme zur Beseitigung von Arbeitslosigkeit in vollem Umfang eintreten soll.Für die grundsätzliche Beibehaltung der einkommensabhängigen Förderung bei der Berufsausbildungsbeihilfe sprechen im übrigen folgende Gründe: Erstens. Soweit der Auszubildende oder seine Eltern zur Übernahme der Kosten des Lebensunterhalts in der Lage sind, soll dieser nicht durch öffentliche Mittel oder Beitragsmittel finanziert werden.Zweitens. Es soll die Gefahr vermieden werden, daß die Tarifvertragsparteien die Ausbildungsvergütungen im Hinblick auf einen einkommensunabhängigen Sockel zu niedrig festsetzen.Mit Ihrer zweiten Frage sprechen Sie offenbar die Vorschrift des § 5 a der Anordnung des Verwaltungsrates der Bundesanstalt für Arbeit über die Förderung von allgemeinen Maßnahmen zur Arbeitsbeschaffung aus Mitteln der Bundesanstalt — kurz: ABM-Anordnung — an. Danach sind auch Maßnahmen für arbeitslose Ausbilder förderungsfähig, die der beruflichen Ausbildung in bestimmten Ausbildungsformen dienen und die es öffentlich-rechtlichen und privatrechtlich gemeinnützigen Trägern ermöglichen, zusätzliche Ausbildungsverhältnisse auf neugeschaffenen Ausbildungsplätzen abzuschließen. Die Besonderheit dieser Sonderregelung ist, daß sich die Förderungsdauer — vernünftigerweise — nach der Dauer der Berufsausbildungsverhältnisse richtet.Die Vorschrift des § 5 a ist ein Beitrag der ABM-Förderung zur Verbesserung der Ausbildungsstellensituation. Wegen des Ausnahmecharakters der Regelung hat der Verwaltungsrat der Bundesanstalt für Arbeit diese zeitlich befristet und ausdrücklich auf die Zuweisung arbeitsloser Ausbilder
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Pari. Staatssekretär Vogtbeschränkt. Daher bestimmen die Durchführungsanweisungen zur ABM-Anordnung, daß in Maßnahmen nach § 5 a zwar auch Arbeitslose für andere Beschäftigungen, z. B. zur Durchführung von Verwaltungs- und Betreuungsaufgaben, zugewiesen werden können, für deren Zuweisung jedoch die allgemeinen Förderungsbedingungen gelten.Im Hinblick darauf sieht die Bundesregierung keine Möglichkeit, sich beim Verwaltungsrat der Bundesanstalt für Arbeit für eine Erweiterung des § 5 a ABM-Anordnung einzusetzen.
Zusatzfrage des Abgeordneten Reimann.
Das war jetzt, obwohl wenig gefragt, sehr viel geantwortet. Jetzt bin ich zwar ein bißchen verwirrt, aber ich bekomme es ja noch schriftlich, Herr Staatssekretär.
Ich möchte nun zu meiner ersten Frage kommen: Die Berufsausbildungsbeihilfe mit einem Sockelbetrag von 275 DM ausschließlich einkommensbezogen zu gewähren wirft doch auch die Frage nach der Gleichbehandlung auf. Wie verhält es sich denn hier mit der Gleichbehandlung, wenn Sie es ablehnen, sie für Bildungsmaßnahmen arbeitsloser Jugendlicher aus Bundesmitteln einkommensunabhängig zu gewähren?
Vogt, Parl. Staatssekretär: Aber Herr Kollege, ich habe darauf hingewiesen, daß die Förderung nach dem Benachteiligtenprogramm des Bundes einkommensunabhängig erfolgt und daß ich von daher die Forderung der Sozialarbeiter, auf die Sie sich beziehen,
nicht verständlich finde. Die Frage geht am Sachverhalt vorbei.
Sie haben eine weitere Zusatzfrage, Herr Reimann.
Ich muß noch einmal zurückgehen, Herr Präsident, weil es für mich wichtig ist.
Sie haben zusammen vier Zusatzfragen. Wie immer Sie sie aufteilen, Hauptsache, sie sind kurz und haben ein Fragezeichen.
Danke schön. — Meine Frage ist, ob der aus Bundesmitteln gezahlte Sockelbetrag auf andere Bereiche der Bundesausbildungsbeihilfen übertragen werden kann, die ausschließlich einkommensbezogen gewährt werden.
Vogt, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, noch einmal: Beim Benachteiligtenprogramm gibt es eine einkommensunabhängige Förderung.
In den Richtlinien wird nur auf § 40 des Arbeitsförderungsgesetzes verwiesen, also auf die Berufsausbildungsbeihilfe, die in § 40 AFG festgeschrieben ist, und zwar im ersten Jahr auf 410 DM.
Etwas anderes haben wir beim Bildungsbeihilfengesetz. Dort wird nur dann eine einkommensunabhängige Förderung gewährt, wenn vorher eine versicherungspflichtige Tätigkeit von vier Monaten ausgeübt worden ist; ansonsten gibt es dort die einkommensabhängige Förderung. Und für diese einkommensabhängige Förderung sprechen die Gründe, die ich hier angeführt habe, wobei Voraussetzung eine Beschäftigung ist, die beitragspflichtig war.
Eine weitere Zusatzfrage.
Anknüpfend an meine zweite Frage möchte ich noch einmal die drei Jahre aufgreifen: Ich hatte gefragt, ob eine Weiterbeschäftigung für drei Jahre möglich ist, um die Ausbilder nicht dadurch zu dequalifizieren, daß die Ausbilder vorher herausgenommen werden. Dies sollte ohne eine feste Übernahme erfolgen. Vor diesem Hintergrund wundert mich Ihre Antwort.
Vogt, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Reimann, bei dieser Frage geht es darum, daß mit Hilfe der Mittel der Bundesanstalt für Arbeit arbeitslose Ausbilder gefördert werden können. Da die Ausbildungsverhältnisse im Normalfall drei Jahre dauern, gibt es diese befristete dreijährige Förderung. Ich meine, das ist sachgerecht, weil die Förderung dieser Ausbilder auf ein Ausbildungsverhältnis bezogen ist.
Eine letzte Zusatzfrage.
Es geht mir um die außerbetrieblichen Ausbilder.
Vogt, Parl. Staatssekretär: Dies gilt natürlich auch für außerhalb von Betrieben bestehende Ausbildungsverhältnisse. Ich habe auf Maßnahmen öffentlich-rechtlicher und privatrechtlich gemeinnütziger Träger verwiesen.
Herr Scharrenbroich, Sie haben eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, können Sie in etwa sagen, wie viele Jugendliche Berufsausbildungsbeihilfe bekommen?
Vogt, Parl. Staatssekretär: Das sind 1985 etwas mehr als 170 000 Jugendliche gewesen, und im Haushalt der Bundesanstalt für Arbeit beträgt der Haushaltsansatz für 1986 675 Millionen DM.
Bevor ich die nächste Frage aufrufe, habe ich die Ehre, Gäste zu begrüßen. Meine Damen und Herren, auf der Ehrentribüne hat der Vizepräsident der argentinischen Nation und Senatspräsident Argentiniens, Herr Dr. Victor Martínez, Platz genommen. Ich darf Sie herzlich bei uns begrüßen.
Ich freue mich, daß Sie zu uns gekommen sind, und hoffe, Sie haben in der Bundesrepublik einen angenehmen Aufenthalt.
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17350 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 224. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Juni 1986
Vizepräsident WestphalIch rufe nun die Frage 25 des Abgeordneten Jagoda auf:Wie beurteilt die Bundesregierung die Beschäftigungsmöglichkeiten der Jugendlichen des Ausbildungsjahrgangs 1983, die in diesen Wochen ihre berufliche Erstausbildung beenden?Vogt, Parl. Staatssekretär: Herr Präsident, auch hier möchte ich mit Zustimmung des Fragestellers die Fragen 25 und 26 gemeinsam beantworten.
Sind Sie einverstanden? Jagoda : Ja.
Dann rufe ich auch die Frage 26 des Abgeordneten Jagoda auf:
Hat die Bundesregierung besondere Vorsorge getroffen, daß der Berufsstart dieser Jugendlichen nicht mit Arbeitslosigkeit beginnt?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Vogt, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Jagoda, wir hatten 1983 einen Rekord an neu abgeschlossenen Ausbildungsverträgen, nämlich 676 734. Der Zuwachs gegenüber 1982 lag bei rund 45 000 und gegenüber 1981 bei rund 71 000 abgeschlossenen Ausbildungsverträgen. 1984 konnte dann diese absolute Rekordmarke bei den neu abgeschlossenen Ausbildungsverträgen mit 705 652 erreicht werden. Im vergangenen Jahr ist es bekanntlich mit 697 089 abgeschlossenen Ausbildungsverträgen gelungen, in etwa dieses hohe Niveau zu halten.
Die Bundesregierung sieht aus zwei Gründen für junge Menschen, die jetzt ihre Abschlußprüfungen machen, günstige Perspektiven der Beschäftigung. Erstens lag die Zahl der arbeitslosen Jugendlichen unter 20 Jahren im Mai dieses Jahres bei 117 855. Das ist die niedrigste Mai-Zahl der letzten vier Jahre. Die Arbeitslosenquote junger Mitbürger betrug 6 %; das sind 2,5 % weniger gegenüber der Gesamtarbeitslosenquote. Die Statistiken der Bundesanstalt für Arbeit signalisieren auch für die jungen Menschen unter 25 Jahren eine deutliche Besserung der Beschäftigungssituation. Im März 1986 lag die Arbeitslosigkeit dieser Jugendlichen unter 25 Jahren im Vergleich zum März 1984 um 6,3 % niedriger.
Zweitens wird deutlich, daß Wachstum und Optimismus in der Wirtschaft gerade jungen Leuten zugute kommen. Sie sind nach Abschluß der Ausbildung im allgemeinen gut und aktuell qualifiziert. Sie sind mobiler und flexibler als ältere Arbeitnehmer. Die gute Wirtschaftslage erleichtert den Unternehmen die Übernahme auch in Überlast Ausgebildeter. Ich gehe also davon aus, daß die Chancen der jungen Menschen, die jetzt ihre Ausbildung beenden und einen Arbeitsplatz suchen, besser als die anderer Altersgruppen sind und daß die Chance gut ist, daß erneut mehr Jugendliche nach der Ausbildung einen Arbeitsplatz finden als im vergangenen Jahr.
Die Bundesregierung hat besondere Vorsorge getroffen, jungen Menschen den Berufsstart zu erleichtern. Die aktive Arbeitsmarktpolitik wird gegenwärtig auf dem höchsten je erreichten Niveau gefahren. Junge Leute sind daran überproportional beteiligt. 1985 sind es 410 000 Arbeitnehmer gewesen, die an Maßnahmen der beruflichen Fortbildung, Umschulung oder Einarbeitung teilgenommen haben. Davon waren 30 % Jugendliche unter 25 Jahren. 1982 haben rund 76 000 junge Leute unter 25 Jahren eine Maßnahme der beruflichen Fortbildung, Umschulung oder betrieblichen Einarbeitung begonnen. 1985 waren es 120 500 junge Leute unter 25 Jahren. Das ist eine Steigerung um 59 %.
Mit der am 1. Januar 1985 in Kraft getretenen Siebten Novelle zum Arbeitsförderungsgesetz haben wir einen Schwerpunkt der zusätzlichen Aktivitäten auf Hilfen zur Überwindung der zweiten Schwelle zwischen Ausbildung und Beruf gesetzt. Erstens. Arbeitnehmer können bis zum 25. Lebensjahr Teilzeitbeschäftigung und Teilzeitbildung miteinander verbinden. Zweitens. Berufsanfänger erhalten nach abgeschlossener Ausbildung für eine Bildungsmaßnahme ein Unterhaltsgeld, das sich nach 75% des erzielbaren Tariflohns bemißt. Drittens. Unterhaltsgeld erhalten auch junge Arbeitnehmer, die eine außerbetriebliche Ausbildung abgeschlossen haben. Hinzu kommen die Möglichkeiten des Beschäftigungsförderungsgesetzes und des Vorruhestandsgesetzes. Diese Gesetze helfen den Betrieben, ausscheidende ältere Arbeitnehmer durch Ausgebildete zu ersetzen. Beim Vorruhestand
waren es immerhin fast 20 % Ausgebildete, die Arbeitsplätze, die durch die Vorruhestandsregelung freigeworden waren, wieder besetzt haben.
Die Bundesregierung hat also im Rahmen ihrer Möglichkeiten besondere Vorsorge getroffen, jungen Leuten über die zweite Schwelle zu helfen. Aber die Bundesregierung kann nicht alles. Hier müssen alle mitziehen: die Arbeitsämter und die Unternehmen. Ich appelliere insbesondere an die Unternehmen, alle Möglichkeiten zu prüfen und zu verwirklichen, Ausgebildete weiter zu beschäftigen.
Ich gebe zu, daß die Fragen dazu verführten, lange Antworten zu geben. Aber diese Antwort war überlang, Herr Staatssekretär.
Jetzt müssen wir zu den Zusatzfragen von Herrn Jagoda kommen. Bitte schön, Herr Jagoda.
Herr Staatssekretär, ich bestätige die verbesserten Chancen der Jugendlichen. Trotzdem ist das Problem noch da, und es wird im Sommer besonders aufbrechen.
Deshalb frage ich Sie: Beabsichtigt denn die Bundesregierung, darauf hinzuwirken, daß z. B. im Rahmen der ABM-Maßnahmen die Maßnahme „Arbeit und Lernen" verstärkt wird?
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 224. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Juni-1986 17351
Vogt, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, diese Maßnahme „Arbeit und Lernen" hat sich ja bewährt. Sie wird von einem besonderen Personenkreis Jugendlicher gern angenommen, weil sie eben Arbeiten und Geldverdienen mit einer weiteren beruflichen Qualifizierung verbindet. Wir haben die Zahl der Teilnehmer an dieser kombinierten Maßnahme gesteigert. Ende 1985 waren es 6 900 Teilnehmer, die an der Maßnahme „Arbeit und Lernen" teilgenommen haben.
Weitere Zusatzfrage, Herr Jagoda.
Dankenswerterweise haben ja Handwerk und Wirtschaft dazu beigetragen, ein höheres Ausbildungsplatzangebot zu machen. Das bedeutet natürlich auch, daß einige Auszubildende nicht den Beruf haben, den sie weiterverfolgen können. Liegen der Bundesregierung Erkenntnisse vor, welche Ausbildungsberufe ein besonderes Arbeitsmarktrisiko für Ausgebildete darstellen?
Vogt, Parl. Staatssekretär: Zunächst einmal: Eine Ausbildung ist immer besser als keine Ausbildung. Die spezifische Arbeitslosenquote der Jugendlichen, die ohne Ausbildung sind, ist dreimal so hoch wie die durchschnittliche Arbeitslosenquote der Ausgebildeten.
Im übrigen verweise ich auf die Untersuchungen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung. Danach konzentriert sich die Arbeitslosigkeit nach Abschluß der Ausbildung auf wenige Berufe. Bei den männlichen arbeitslosen Fachkräften sind dies insbesondere die Berufe Kraftfahrzeugmechaniker oder Kraftfahrzeugschlosser, Tischler, Holzmechaniker, Bäcker oder Konditor und Fleischer; bei den weiblichen arbeitslosen Fachkräften sind es vor allem die drei Berufe Verkäuferin, Friseurin und Sprechstundenhelferin.
Gerade in solchen Berufen ist das spezielle Angebot zum Erwerb von Zusatzqualifikationen von besonderer Bedeutung. Hilfen sind, wie ich vorhin ja in Beantwortung Ihrer Frage ausgeführt habe, durch den Gesetzgeber zur Verfügung gestellt worden und werden von der Arbeitsverwaltung durchgeführt.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Jagoda.
Herr Staatssekretär, was empfiehlt denn die Bundesregierung denjenigen Jugendlichen, die nicht die Chance haben, in ihrem Ausbildungsbetrieb übernommen zu werden?
Vogt, Parl. Staatssekretär: Zunächst sollten sie sich bei der Arbeitsverwaltung melden und deren Möglichkeiten nutzen. Wichtig ist aber vor allem die regionale Mobilität. Wir haben es bei den ausgebildeten Jugendlichen ja mit Jugendlichen in einem Alter zu tun, bei dem man davon ausgehen kann, daß sie die Möglichkeiten der regionalen Mobilität nutzen und sich über den ihnen vertrauten Kreis hinweg eben auch dort bewerben, wo heute qualifizierte Arbeitskräfte leichter unterkommen als vielleicht in dem Bereich, in dem sie gerade ansässig sind.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Jagoda? — Keine. Dann Herr Abgeordneter Kastning zu einer Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, hat Ihr Haus das zur Kenntnis genommen, was im Berufsbildungsbericht 1986 veröffentlicht worden ist, nämlich daß im vorigen Jahr ein halbes Jahr nach Abschluß der Berufsausbildung nur rund 50 % aller Jugendlichen eine Beschäftigung in dem in der Erstausbildung erlernten Beruf gefunden haben?
Vogt, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich kann darauf hinweisen, daß die Zahl der Jugendlichen, die nach Ende der Ausbildung kein Arbeitsverhältnis gefunden haben, in den letzten Jahren stetig zurückgegangen ist. In dem Ausbildungsjahr, das 1985 zu Ende gegangen ist, waren es nur 37 000, während es vor drei Jahren noch über 55 000 'Jugendliche gewesen sind. Die Beschäftigungschance ausgebildeter Jugendlicher hat sich verbessert.
Herr Kastning, Sie haben eine weitere Zusatzfrage. Bitte schön.
Schade, daß Sie hier den Berufsbildungsbericht verschweigen! — Nun zu der zweiten Zusatzfrage: Das Problem der zweiten Schwelle haben Sie offenbar zumindest insoweit erkannt, als Sie die Probleme dargelegt haben. Was aber will die Bundesregierung außer Appellen eigentlich unternehmen, um diejenigen Betriebe, die bisher nicht ausbilden, zu einer Ausbildungsleistung in qualifizierten Berufen zu bringen, von denen man einigermaßen annehmen kann, daß sie Zukunftsaussichten für die Jugendlichen bieten?Vogt, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, Sie haben zwei Fragen angesprochen. Die eine Frage ist die der Überwindung der zweiten Schwelle, also des Versuchs, den Jugendlichen, die ausgebildet sind, ein Arbeitsverhältnis anzubieten. Da habe ich nicht mit Appellen an die Unternehmen gearbeitet, sondern habe ganz konkret auf die Maßnahmen hingewiesen, die im Zusammenhang mit der siebenten Novelle zum Arbeitsförderungsgesetz — im übrigen in Übereinstimmung zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaften — vorgesehen sind. Auf diese Maßnahmen habe ich in der Antwort auf die Frage des Kollegen Jagoda hingewiesen.Die zweite Frage hat etwas mit dem Angebot an Ausbildungsplätzen zu tun. Hier bin ich der festen Überzeugung, daß gerade die Steigerung der Zahl der Ausbildungsplätze, die wir in den letzten Jahren haben verzeichnen können, der Beweis dafür ist, wie leistungsfähig eine freie Gesellschaft ist, die sich ihrer sozialen Verantwortung bewußt ist. Mit staatlichen Mitteln hätten wir diese Steigerungsraten nicht erreicht.
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17352 Deutscher Bundestag - 10. Wahlperiode — 224. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Juni 1986
Zusatzfrage des Abgeordneten Reimann.
Herr Staatssekretär, Sie nannten eben die Arbeitslosenquote von 6 %. Ich frage Sie: Liegt das daran, daß sich ein beachtlicher Teil der Jugendlichen bereits in der Sozialhilfe wiedergefunden hat oder daß die Dunkelziffern so besonders hoch sind?
Vogt, Parl. Staatssekretär: Nein, Herr Kollege, das liegt eben nicht daran, sondern es liegt zuerst einmal daran, daß wir ein System praxisbezogener Berufsausbildung haben, an dem sich immer mehr europäische Länder orientieren; denn in dem Maße, in dem es gelingt, Jugendlichen Ausbildungsplätze zu vermitteln, sind sie nicht arbeitslos. Außerdem hat der ausgebildete Jugendliche im Wirtschaftsaufschwung eine gute Vermittlungschance. Das sind die beiden Gründe, warum in der Bundesrepublik der Prozentsatz der arbeitslosen Jugendlichen unter dem allgemeinen Prozentsatz der Arbeitslosigkeit liegt, während es in anderen Ländern genau umgekehrt ist, daß nämlich vor allem die Jugendlichen von Arbeitslosigkeit betroffen sind und ihre Betroffenheit von Arbeitslosigkeit höher ist als im Durchschnitt.
Zusatzfrage des Abgeordneten Scharrenbroich.
Herr Staatssekretär, Sie sprachen gerade von der Situation in anderen Ländern. Um die Realität klar zu sehen, möchte ich Sie fragen: Welchen Stand hat denn die Jugendarbeitslosigkeit in der Bundesrepublik Deutschland im Vergleich zu den anderen EG-Staaten?
Vogt, Parl. Staatssekretär: Ich kann Ihnen einen Durchschnitt aller EG-Staaten sagen: Während der Anteil der arbeitslosen Jugendlichen unter 25 Jahren an allen Arbeitslosen in den EG-Staaten im April 1986 bei 36,6 % lag, lag er bei uns bei 23,2 %, in Frankreich bei 33,7 % oder in Italien bei 46,5 %. Wir liegen also im EG-Vergleich in einer ausgezeichneten Position, was natürlich nicht heißt, daß wir in den Anstrengungen erlahmen sollten, den Jugendlichen, die noch kein Beschäftigungsverhältnis haben, ein solches zu vermitteln.
Sie haben eine weitere Zusatzfrage. Bitte schön, Herr Scharrenbroich.
Herr Staatssekretär, welche Erwartungen hat die Bundesregierung zur Beschäftigungssituation junger Menschen in den kommenden Jahren?
Vogt, Parl. Staatssekretär: Ich gehe davon aus, daß die wirtschaftliche Erholung anhalten wird. Ich gehe weiter davon aus, daß die Ausbildungsbereitschaft unserer Betriebe und Unternehmen nicht erlahmen wird, sondern auf einem hohen Niveau gehalten werden kann. Wir werden weiterhin offensiv die Mittel der Bundesanstalt für Arbeit zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit — auch der Arbeitslosigkeit Jugendlicher — einsetzen. Es besteht kein
Grund zur Resignation, sondern wir sind auf einem guten Wege.
Zusatzfrage des Abgeordneten Wolfram.
Herr Staatssekretär, können Sie mir bitte kurz und konkret — und nicht in Form von Allgemeinplätzen — bestätigen, daß gerade die Unternehmen und Betriebe und die öffentlichen Hände, die in den letzten Jahren überproportional ausgebildet haben und die so Ausgebildeten einfach nicht mehr übernehmen können, eigentlich erwarten könnten, daß Sie dort Anreize geben, damit man Ausgebildete über Bedarf beschäftigt?
Vogt, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Wolfram, es kommt darauf an, daß der Ausgebildete einen Arbeitsplatz findet. Er muß ja nicht unbedingt den Arbeitsplatz in dem Betrieb finden, in dem er ausgebildet worden ist, sondern es kommt für ihn darauf an, daß er nach erfolgter Ausbildung einen Arbeitsplatz hat. Ich will Ihnen dann noch einmal die Zahlen sagen: 1983 waren es 54 916 Ausgebildete, die nach der Ausbildung in kein Beschäftigungsverhältnis vermittelt werden konnten, 1985 waren das 37156. An diesen Zahlen sehen Sie, daß wir im Interesse der ausgebildeten Jugendlichen auf dem guten Wege sind.
Zusatzfrage des Abgeordneten Immer.
Herr Staatssekretär, nachdem Sie vorhin, wenn ich das richtig gehört habe, von der Notwendigkeit der Mobilität gesprochen haben, möchte ich Sie fragen, ob es sinnvoll ist, daß Sie in den Problemgebieten — z. B. in Ostfriesland mit 25 % Arbeitslosigkeit und in anderen Gebieten mit 10, 11, 12% Arbeitslosigkeit — eine neue Form von Heimatvertriebenen initiieren, die nämlich dann nach Baden-Württemberg reisen müssen, statt daß Sie durch eine angemessene Regionalpolitik dafür sorgen, daß die Arbeit zu den Arbeitslosen gebracht wird und daß nicht die Arbeitslosen in Massen nach Süddeutschland, nach München verschoben werden, um dann dort Gruppen zu schaffen, die einen eigenen Betreuer brauchen, wie ich es weiß, die die Sprache dort nicht beherrschen?
Herr Kollege, ich muß Sie schon wieder daran erinnern, daß — —
Ich frage nach den neuen Heimatvertriebenen, und ich möchte meinen, daß sich diese Bundesrepublik dafür nicht hergeben sollte.
Es geht hier nicht um Diskussionen, es geht um Fragen, Herr Kollege Immer.Vogt, Parl. Staatssekretär: Also, Herr Kollege, das Wort von den neuen Heimatvertriebenen möchte
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 224. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Juni 1986 17353
Parl. Staatssekretär Vogtich nun wirklich aus dieser Diskussion wegnehmen in Anbetracht des Schicksals, das die Heimatvertriebenen im Zusammenhang mit dem zweiten Weltkrieg und seinen Folgen haben erleiden müssen. Das ist meines Erachtens kein angemessener Vergleich.
Zweite Bemerkung: Wir wissen natürlich um die regionalen Ungleichgewichte in der Bundesrepublik. Sie sind übrigens kein Phänomen der letzten zwei, drei Jahre. Daß wir Problembereiche in der Bundesrepublik haben — Sie haben Ostfriesland genannt; ich könnte andere Bereiche nennen —, ist nicht neu. Hier setzt auf der einen Seite die regionale Wirtschaftsförderung ein. Auf der anderen Seite bieten wir in diesen Problembereichen verstärkt genau die Maßnahmen des Arbeitsförderungsgesetzes an. Ich könnte Ihnen durchaus schnell Zahlen vermitteln, die zeigen, daß gerade in diesen Problemgebieten die Mittel für Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen und berufliche Fort- und Weiterbildung konzentriert eingesetzt werden.Im übrigen: Viele Ausgebildete sind nach der dreijährigen Ausbildung jetzt 19 oder 20 Jahre. Überlegen Sie: Mehr als 50% der Berufsanfänger, der Anfänger in einem Ausbildungsplatz, sind heute über 18 Jahre alt. Sie sind also nach der Ausbildung keine Kinder mehr, sie sind junge Mitbürger, junge Staatsbürger. Von ihnen erwarten wir — und sie selbst stellen an sich ja auch diese Herausforderung —, daß sie regional mobil sein können, daß sie sich in der Bundesrepublik die Arbeit dort suchen, wo sie angeboten wird.
Die nächste Zusatzfrage hat der Abgeordnete Schreiner.
Herr Staatssekretär, da Sie soeben ausgeführt haben, das Beschäftigungsförderungsgesetz der Bundesregierung habe mit dazu beigetragen, daß beim Ausscheiden älterer Arbeitnehmer junge Leute eine Chance auf dem Arbeitsmarkt bekommen, frage ich Sie, ob Sie bereit wären, Ihre bestellten Lobgesänge insoweit etwas zu relativieren, als nach den Erfahrungen, die ich in meiner Region mache, diese jungen Leute, wenn sie überhaupt Arbeit bekommen, diese Arbeit zu knappesten Zeitverträgen bekommen und ihnen ein wesentlicher Kern der Arbeit, nämlich die Möglichkeit, das eigene Leben einigermaßen auf Dauer planen zu können, Anschaffungen tätigen zu können, fehlt und insoweit diese Arbeit für die Jugendlichen im höchsten Maße mit Diskriminierungen verbunden ist.
Vogt, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Schreiner, ich habe natürlich Verständnis dafür, daß Ihnen die Leistungsbilanz dieser Bundesregierung nicht gefällt. Das wird mich aber nicht daran hindern, auf diese Leistungsbilanz immer wieder hinzuweisen.
Und es ist für einen ausgebildeten Jugendlichen
immer noch besser, mit Hilfe eines Zeitvertrages
ein Beschäftigungsverhältnis zu finden, statt ganz draußen vor der Tür zu bleiben.
Eine weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Schreiner.
Herr Staatssekretär, die Alternative ist ja nicht so, wie Sie sie dargestellt haben, sondern es ist so, daß bislang Dauerarbeitsverhältnisse zerstört werden zugunsten von Zeitverträgen. Dies ist das, was Sie angerichtet haben. Ich frage aber etwas ganz anderes. Ich wollte Sie fragen, ob die Bundesregierung im Rahmen Ihrer Lobgesänge ebenfalls zur Kenntnis zu nehmen bereit ist, daß der Anteil der arbeitslosen Jugendlichen, die Sozialhilfeempfänger sind, noch nie so groß war wie in der gegenwärtigen Situation und daß die Arbeitslosen insgesamt inzwischen im Bereich der Sozialhilfeempfänger den größten Brocken ausmachen, wobei die Hälfte weniger als 25 Jahre alt ist, und daß diese Jugendlichen, deren Zahl in den letzten Jahren massenhaft angewachsen ist, ein bißchen zu viel zum Sterben und ein bißchen zu wenig zum Leben haben.
Vogt, Parl. Staatssekretär: Also, Herr Kollege, auch die Aneinanderreihung von Behauptungen, die nicht stimmig sind, macht diese Behauptungen nicht richtiger. Sie haben gerade eine Fülle von falschen Behauptungen in den Raum gestellt.
Ich will Sie nur auf einen Tatbestand hinweisen.
Wir bekommen das nicht hin, eine Fragestunde zu einer Debatte umzufunktionieren, jedenfalls nicht mit Hilfe des Präsidenten. Deswegen muß jetzt die Antwort erfolgen. Wer aus dieser Sache mehr machen will, hat als Parlamentarier andere Mittel.
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Vogt, Parl. Staatssekretär: Ich will auf den ersten Teil der Frage jetzt gar nicht mehr eingehen.
Zusatzfrage des Abgeordneten Senfft.
Herr Staatssekretär, sind Sie denn der Auffassung, daß der Bund selber mit gutem Beispiel vorangegangen ist, indem in den vergangenen Jahren das Staatsunternehmen Deutsche Bundesbahn die Auszubildenden nach ihrer Ausbildung regelmäßig auf die Straße gesetzt hat?
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17354 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 224. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Juni 1986
Vogt, Parl. Staatssekretär: Auch diese Aussage ist eine Behauptung, die durch die Tatsachen nicht belegt ist, Herr Kollege.
Auch die Bundespost steht natürlich vor der Tatsache, wenn sie über ihren eigenen Bedarf hinaus ausbildet, daß sie nicht jeden übernehmen kann. Aber Bundespost und Bundesbahn haben in ihrem Bereich einen wesentlichen Beitrag geleistet, das Problem der Jugendarbeitslosigkeit zu bekämpfen.
Noch eine Zusatzfrage, Herr Senfft? — Bitte schön, Sie haben das Recht dazu.
Herr Staatssekretär, sind Sie denn bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß die Deutsche Bundesbahn in den vergangenen Jahren von den etwa 4 000 Auszubildenden nach Abschluß der Ausbildung lediglich 1 300 bis 1700 übernommen hat?
Vogt, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, Sie wissen ebenfalls, daß sich die Bundesbahn in einem strukturellen Anpassungsprozeß befindet. Deshalb ist es zunächst einmal eine hervorragende Leistung, wenn die Bundesbahn über ihren Bedarf hinaus ausbildet und diese qualitativ gut ausgebildeten Jugendlichen in anderen Unternehmen weiterbeschäftigt werden können.
Sie wissen, daß die Deutsche Bundesbahn wegen der strukturellen Anpassung Personalabbau betreibt. Deshalb ist es eben auch unwahrscheinlich, daß sie alle ausgebildeten Jugendlichen übernehmen kann. Aber die Ausbildungsleistung ist besonders wichtig.
Sie haben vorhin meiner Antwort entnommen: Es kommt für den Jugendlichen nicht in jedem Fall darauf an, daß er dort ein Dauerbeschäftigungsverhältnis findet, wo er ausgebildet worden ist, sondern darauf, daß er auf Grund seiner Ausbildung ein Beschäftigungsverhältnis in einem angemessenen und vergleichbaren Unternehmen findet.
Hier sind die Berufs- und Beschäftigungsaussichten der Jugendlichen ganz einfach besser geworden. Diese Wirklichkeit des Lebens können Sie auch durch Ihre Fragen nicht vertuschen.
Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Hönes.
Herr Staatssekretär, welche Maßnahmen hat die Regierung getroffen; um sicherzustellen, daß Mädchen des Ausbildungsjahrgangs 1983 entsprechend ihrem Anteil Beschäftigung im öffentlichen Dienst finden?
Vogt, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, Sie wissen, daß es keine Beschäftigungsquoten gibt, weder für den öffentlichen Dienst noch für die gewerbliche Wirtschaft.
Zusatzfrage des Abgeordneten Lambinus.
Herr Staatssekretär, nachdem Sie zumindest einen Teil der vom Kollegen Schreiner aufgeführten Fakten als unwahr bezeichnet haben: Wären Sie bereit, uns in kürzestmöglicher Zeit eine schriftliche Vorlage zukommen zu lassen, in der Sie dies beweisen?
Vogt, Parl. Staatssekretär: Ich bin sehr gern bereit, Herr Kollege, auf Behauptungen, die von dem Kollegen Schreiner aufgestellt wurden, schriftlich zu antworten; da wir am Ende dieser Woche in die sogenannte parlamentarische Sommerpause eintreten werden, haben wir ja in absehbarer Zeit keine Gelegenheit mehr, uns in der Fragestunde auszutauschen.
Ich will nur noch darauf hinweisen, Herr Kollege — das weiß der Kollege Schreiner genausogut wie ich —: Ein Dauerarbeitsverhältnis, ein festes, unbefristetes Arbeitsverhältnis, ist nicht so ohne weiteres aufzulösen, um die Stelle dann mit einem befristet eingestellten Arbeitnehmer zu besetzen.
Herr Kollege Schreiner, Sie haben selbst als Parlamentarier an einem Kündigungsschutzgesetz mitgewirkt, das heute gilt und weiter gelten wird, das genau diese Manipulation, die Sie hier an die Wand gemalt haben, nicht ermöglicht.
Zusatzfrage des Abgeordneten Ruf.
Herr Staatssekretär, halten Sie es für zumutbar und ökonomisch vertretbar, daß in Anbetracht der laut Blitzumfrage der Handwerkskammern in Baden-Württemberg festgestellten 5400 offenen handwerklichen Lehrstellen — es gibt noch ein paar mehr —, davon 30 % für Mädchen geeignet, und der 4 500 gesuchten Facharbeiter, darunter 890 Hilfskräfte, die Jugendlichen zu den Arbeits- und Lehrstellen kommen, statt daß die Betriebe, wie es eben gefordert wurde, zu den Arbeitsstätten und den Lehrlingen verlagert werden?
Vogt, Parl. Staatssekretär: Ich kann das, was Sie hier dargestellt haben, nur bestätigen und im übrigen nur auf einen Zwischenrufer eingehen und sagen: „Unverschämt" ist natürlich kein Argument, Herr Kollege Immer. Bringen Sie bitte Argumente, mit denen wir uns auseinandersetzen können.
Also, Argumente hatten wir vorher, aber die Vokabeln zu diesem Thema sind nicht die besten gewesen. Das will ich hier gerne bestätigen. Das geht allerdings in mehrere Richtungen.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 224. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Juni 1986 17355
Vizepräsident WestphalJetzt kommt der Abgeordnete Reimann zu seiner letzten Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, da Sie mehrfach diese Sozialhilfeempfänger angesprochen haben, frage ich Sie konkret: Ist es richtig, daß von den 2,6 Millionen registrierten Sozialhilfeempfängern rund 50 % Jugendliche unter 25 Jahre sind?
Vogt, Parl. Staatssekretär: Also, Herr Kollege, ich habe das Problem Sozialhilfe und Sozialhilfeempfänger nicht angesprochen. Das fand ich in Fragen Ihrer Kollegen aus der SPD-Fraktion. Ich habe für diesen Sachverhalt — Sozialhilfeempfänger — im Moment keine Unterlagen zur Hand.
— Herr Kollege, ich habe die konkreten Unterlagen nicht in der Hand. Ich lasse mich jetzt auf Prozentzahlen nicht ein. Herr Kollege Schreiner, Sie haben auch keine Prozentzahlen genannt, sondern Sie haben Tendenzaussagen gemacht, und zu diesen Aussagen werde ich Ihnen ganz konkret mit Zahlen antworten. Das werden Sie noch im Laufe der nächsten Woche erhalten. Als Ferienlektüre dürfte Ihnen das vielleicht ganz nützlich sein.
Also, meine Damen und Herren, ich hatte diese Zusatzfrage nur deshalb zugelassen, weil sie sich auf eine Äußerung von Ihnen, Herr Staatssekretär, bezog, die in diesen Bereich hineinreichte und derartig eindeutig war, daß sie zugelassen werden mußte.
Aber bitte, wir haben jetzt also einen schriftlichen Vorgang, der sicher mehrere interessiert und nicht nur den Abgeordneten, der dort nach der schriftlichen Beantwortung gefragt hat.
Ich rufe nun die Frage 27 des Abgeordneten Rusche auf.
Stimmt die Bundesregierung mit der Ansicht des Bundesgesundheitsrates überein, daß für Berufstätige an Bildschirmgeräten und Fernsehwiedergabegeräten keine Gefahr für die Gesundheit und auch für an den Bildschirmgeräten arbeitende Schwangere und deren Babys kein Grund zur Besorgnis besteht?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Vogt, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Rusche, die Bundesregierung ist mit dem Bundesgesundheitsrat der Auffassung, daß keine der weltweit bisher abgeschlossenen wissenschaftlichen Untersuchungen über Bildschirmarbeit gesundheitsschädigende Auswirkungen nachgewiesen hat. Insbesondere ist nach allen bisherigen Untersuchungen auch kein erhöhtes Risiko für an den Bildschirmgeräten arbeitende Schwangere und deren Babys zu erwarten. Wie die vor wenigen Wochen beendete Konferenz über Bildschirmarbeit in Stockholm gezeigt hat, sind die Ergebnisse hinsichtlich der Schwangerschaft aber noch nicht endgültig, so daß noch in größerem Umfang weitere Untersuchungen durchgeführt werden. Das Interesse konzentriert sich dabei auf die Auswirkungen elektromagnetischer Felder, zu denen auch der Bundesgesundheitsrat weitere Klärungen und Überprüfungen gefordert hat.
Die Bundesregierung nimmt die Besorgnis von Schwangeren, die an Bildschirmgeräten arbeiten, über die Gesundheit der Babys, die sie erwarten, ernst. Sie wertet die vorliegenden Erkenntnisse — auch der Stockholmer Konferenz — aus und wird auf dieser Grundlage in Kürze praktische Empfehlungen herausgeben.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Rusche.
Herr Staatssekretär, Sie sagten eben, daß die Gefährlichkeit nicht bewiesen ist, aber Sie sagten genauso gut, daß die Ungefährlichkeit nicht bewiesen ist. Ist eine solche Entwarnung des Bundesgesundheitsrates und der Bundesregierung nicht verfrüht, wenn nicht eindeutig bewiesen ist, daß es ungefährlich ist, vor allem für Schwangere, an Bildschirmgeräten zu arbeiten?
Vogt, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, wir können uns ja hier nur auf die Ergebnisse von durchgeführten Untersuchungen beziehen. Darauf bezieht sich der Bundesgesundheitsrat; darauf habe ich mich bezogen. Wir wollen weitere Untersuchungen durchführen. Es werden weitere Untersuchungen durchgeführt, damit das, was bisher als Erkenntnis vorliegt, entweder bekräftigt wird oder, wenn es anders sein sollte, mögliche, heute noch nicht erkannte Risikofaktoren in der Zukunft ausgeschlossen werden. Ich habe hier nur den bisherigen Stand der Erkenntnisse wiedergegeben. In der Sorge um die Gesundheit werden wir uns nicht einfach nur auf diese bisherigen Erkenntnisse beziehen, sondern weitere Untersuchungen unterstützen und durchführen.
Weitere Zusatzfrage, Herr Rusche.
Herr Staatssekretär, inwieweit arbeiten der Bundesgesundheitsrat und die Bundesregierung mit der Regierung in Schweden zusammen? In Schweden werden in diesem Zusammenhang intensivste Forschungen betrieben. Beschränkt sich die Zusammenarbeit auf diese Konferenz in Stockholm, die Sie soeben genannt haben, oder geht sie auch weiter?
Vogt, Parl. Staatssekretär: Die Auswertung von wissenschaftlichen Untersuchungen ist eine Auswertung aller uns bekannten Untersuchungen, ob sie nun in der Bundesrepublik, in Europa oder außerhalb Europas durchgeführt worden sind.
Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Wagner.
Welches konkrete Ergebnis hat denn die Untersuchung über die Gefährdung von am Bildschirm Tätigen der Bundesanstalt für Arbeitsschutz in Dortmund erbracht?
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17356 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 224. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Juni 1986
Vogt, Parl. Staatssekretär: Auch diese Arbeiten der Dortmunder Anstalt sind in die Analyse der bisherigen Untersuchungsergebnisse einbezogen worden.
— Ich habe doch darauf geantwortet, Frau Kollegin: Alle uns bisher bekannten Untersuchungen haben zu dem Ergebnis geführt, daß ich hier vorgetragen habe, nämlich daß gesundheitliche Schäden nicht zu erwarten sind.
Zusatzfrage des Abgeordneten Schreiner.
Herr Staatssekretär, könnten Sie nachprüfen lassen, ob es zutrifft, daß beispielsweise in Kanada gesetzliche Regelungen bestehen, wonach schwangere Frauen ab einer bestimmten Phase der Schwangerschaft nicht mehr an Bildschirmgeräten arbeiten dürfen?
Vogt, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, auch wir haben j a schon 1982 über die Arbeitsministerkonferenz empfohlen, daß Frauen, die an Bildschirmgeräten arbeiten, nach Möglichkeit nicht den ganzen Tag über an diesen Geräten arbeiten sollen. Es sollen Unterbrechungspausen eingeführt werden, und sie sollen an anderen Arbeitsplätzen beschäftigt werden. Wir haben diese Empfehlungen längst aufgegriffen; das wird längst umgesetzt. Ich kann immer nur darauf verweisen: Wenn eine Frau meint, an einem konkreten Arbeitsplatz gefährdet zu sein, dann soll sie sich auch mit dem zuständigen Betriebsarzt in Verbindung setzen, damit mögliche Gefahren so niedrig wie möglich gehalten werden. Aber das, was in Kanada gemacht wird, haben wir längst in die Praxis umgesetzt. Wir werden im Laufe dieses Jahres noch einmal eine Informationsaktion starten, damit noch mehr als bisher von diesen Möglichkeiten Gebrauch gemacht wird.
Zusatzfrage des Abgeordneten Vogel .
Herr Staatssekretär, wenn ich richtig informiert bin, bedeutet doch „Empfehlung", daß es sich hier um eine nicht verbindliche Sache handelt.
Vogt, Parl. Staatssekretär: Nein, es handelt sich nicht um eine verbindliche Anweisung. Wir können keine verbindlichen Anweisungen erlassen, wenn keine gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnisse über eine aktuelle und akute Gefährdung vorliegen.
Bitte schön, Herr Senfft.
Herr Staatssekretär, habe ich Sie gerade richtig verstanden, daß Sie sagten, es bestehe überhaupt keine Gefährdung, und diese solle so gering wie möglich gehalten werden?
Vogt, Parl. Staatssekretär: Wenn Sie es nicht zur Kenntnis genommen haben, kann ich den ersten Satz meiner Antwort ja noch einmal vorlesen:
Die Bundesregierung ist mit dem Bundesgesundheitsrat der Auffassung, daß keine der weltweit bisher abgeschlossenen wissenschaftlichen Untersuchungen über Bildschirmarbeit gesundheitsschädigende Auswirkungen nachgewiesen hat.
Weltweit abgeschlossene Untersuchungen; nicht Vermutungen, sondern Untersuchungen!
Die Fragen 28 und 29 des Herrn Abgeordneten Kirschner sollen auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Wir sind damit am Ende des Geschäftsbereichs des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung. Ich danke dem Staatssekretär für die Beantwortung der Fragen.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit. Ich rufe diesen Geschäftsbereich noch auf, aber ich sehe schon, daß Sie morgen noch einmal wiederkommen müssen, Frau Karwatzki. — Frau Parlamentarische Staatssekretärin Karwatzki steht zur Beantwortung der Fragen zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 34 des Abgeordneten Wolfram auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung die Methoden zur Früherkennung des Lungenkrebses , wie sie vor allem von Professor Dr. Alfred Böcking, Klinikum Aachen, und die Erkennung von Erbanlagen für Krebs durch Blutproben, wie sie unter der Verantwortung von Professor Hugo W. Rüdiger von der Uni-Klinik Hamburg entwickelt und weiter verbessert wurden, und ist die Bundesregierung bereit, derartige Forschungsvorhaben als wichtige Beiträge zur Krebsbekämpfung und -vermei-dung besonders zu fördern und möglichst bald Vorsorgeuntersuchungen — insbesondere für Raucher -- einzuführen?
Bitte schön.
Herr Präsident! Herr Kollege Wolfram, die Bundesregierung hat in dem seit 1978 laufenden Forschungs- und Entwicklungsprogramm im Dienste der Gesundheit der Krebsforschung und hier gerade auch den Früherkennungsmaßnahmen einen Schwerpunkt zugeordnet und damit ihre Bereitschaft bekundet, entsprechende Studien besonders zu fördern.Herr Professor Böcking wurde zudem im Rahmen des Gesamtprogramms zur Krebsbekämpfung gebeten, die von ihm entwickelte Methode vorzustellen. Die Arbeitsgruppe „Früherkennung und Diagnostik" hat daraufhin empfohlen, den Einsatz dieses Verfahrens bei Risikopersonen, z. B. Rauchern, in Zusammenarbeit mit der Kassenärztlichen Vereinigung in Musterregionen unter praxisnahen Bedingungen zu erproben. Die Bundesregierung ist offen, eine entsprechende Studie zu fördern, wenn ein Antrag vorgelegt wird.Ähnliches gilt für die Methode von Professor Rüdiger, wobei hier, soweit noch mehr der Grundla-
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 224. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Juni 1986 17357
Parl. Staatssekretär Frau Karwatzkigenforschung zuzuordnende Arbeiten geleistet werden müssen, auch an den Sonderforschungsbereich „Molekulare und klassische Tumorcytogenetik" der Deutschen Forschungsgemeinschaft zu denken ist, der ebenfalls seitens der Bundesregierung finanziell unterstützt wird. Erst wenn in Feldversuchen erprobte Verfahren vorliegen, kann über die Art ihrer Einführung entschieden werden.
Zusatzfrage, Herr Wolfram.
Frau Staatssekretär, wäre es nicht sinnvoll, einen Antrag nicht erst abzuwarten, sondern selbst initiativ zu werden, um solche für kranke oder gefährdete Personen wichtige Voruntersuchungen so schnell wie möglich breit in die ärztliche Praxis einzuführen?
Frau Karwatzki, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Wolfram, so einfach, wie wir uns das als Abgeordnete manches Mal vorstellen, ist das ja nicht. Sie kennen die einschlägigen Gesetze, u. a. auch die Haushaltsordnung. Da können wir nicht so einfach anregen und verteilen, sondern da muß schon jemand kommen und uns bitten. Dann bekommt er auch etwas.
Weitere Zusatzfrage, Herr Wolfram.
Frau Staatssekretärin, da der Krebs nicht auf uns wartet, sondern schrecklich, heimlich und schnell voranschreitet: Wäre es nicht wünschenswert, derartige Vorsorgeuntersuchungen einzuführen, und könnten Sie mir sagen, in welchen Zeiträumen Sie sich das vorstellen könnten? Sind Sie bereit, mich auf dem laufenden zu halten, welche Ergebnisse Ihre Absprachen mit den genannten Wissenschaftlern und mit den Krankenkassen im Hinblick darauf haben, vergleichbar z. B. mit den USA Vorsorgeuntersuchungen auf freiwilliger Basis vorab einzuführen?
Frau Karwatzki, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Wolfram, dazu bin ich selbstverständlich immer bereit.
Ich werde mich auch zu dem letzten Bereich sachkundig machen und Ihnen dann sofort mitteilen, wie der Stand der Dinge ist, auch in der Kooperation zwischen uns und den USA.
Meine Damen und Herren, ich muß die Fragestunde wegen Zeitablaufs abbrechen.
Ich danke der Staatssekretärin für ihr Kommen und die Beantwortung der Fragen. Ich werde sie morgen wieder begrüßen können.
Bevor ich den nächsten Tagesordnungspunkt aufrufe, habe ich noch eine amtliche Mitteilung zur Verlesung:
Interfraktionell wird vorgeschlagen, Vorlagen zur Wiedergutmachungsproblematik, die teilweise dem Finanzausschuß und teilweise dem Auschuß für Jugend, Familie und Gesundheit federführend überwiesen wurden, alle dem Finanzausschuß zur federführenden Beratung zu überweisen. Es handelt sich dabei um die Drucksachen 10/4127, 10/4328 und 10/4129.
Sind Sie mit der Änderung der federführenden Überweisung an den Finanzausschuß einverstanden? — Kein Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Meine Damen und Herren, ich rufe Zusatzpunkt 1 der Tagesordnung auf:
Aktuelle Stunde
Haltung der im Bundestag vertretenen Parteien und der Bundesregierung zu den umweltpolitischen Forderungen und der Abschlußerklärung des Deutschen Umwelttages 1986 in Würzburg
Die Fraktion DIE GRÜNEN hat gemäß Nummer 1c der Anlage 5 unserer Geschäftsordnung diese Aktuelle Stunde verlangt.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Mann.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Während die CDU/CSU-Fraktion zu durchsichtigen Wahlkampfzwecken Aktuelle Stunden zu Beschlüssen von Parteitagen der GRÜNEN und, in dieser Woche, der SPD beantragt, will die Fraktion DIE GRÜNEN mit der heutigen Aktuellen Stunde die Ziele der deutschen Umweltschutzbewegung, wie sie in der Würzburger Erklärung formuliert worden sind, dem Bundestag und der Bundesregierung für die weitere umweltpolitische Arbeit mit Nachdruck — ich betone: mit Nachdruck — zur Kenntnis bringen.
Die vorgestern bekanntgewordene Störfallbilanz für die 17 Atomkraftwerke in der Bundesrepublik Deutschland in den Jahren 1982 bis 1987 mit insgesamt 427 Störfällen, davon 42 Schnellabschaltungen und ein Störfall der schwersten Kategorie A, belegt wieder einmal, daß in der Umweltpolitik keine weiteren Ankündigungen oder die Einrichtung von Ministerien oder eines Umweltausschusses, der bis heute seine Arbeit nicht aufgenommen hat, erforderlich sind, sondern Taten.
Das ist die Erwartung vieler tausend im Umweltschutz engagierter Bürgerinnen und Bürger, die nach Würzburg kamen, und die Haltung von Millionen Bürgerinnen und Bürgern, die sich seit vielen Jahren überparteilich im Umweltschutz engagieren.
— Die politische Botschaft von Würzburg, Herr Kollege Laufs, richtet sich an alle im Bundestag vertretenen Parteien — ich betone: an alle Parteien — und an die gesellschaftlich verantwortlichen Kräfte, z. B. an die Gewerkschaften und die Vertreter von Wirtschaft und Industrie.
17358 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 224. Sitzung. Bonn, Mittwoch, dén 25. Juni 1986
Mann
Etwa 30 000 Menschen kamen nach Würzburg. Einer war nicht darunter — jetzt ist er eingetroffen —: Walter Wallmann, erster Umweltminister der Bundesrepublik Deutschland und just am 6. Juni 1986, dem ersten Tag dieses historischen Treffens der deutschen Umweltschutzbewegung, im Deutschen Bundestag vereidigt. Mit Ihrem Nichterscheinen, Herr Wallmann, haben Sie — gleichgültig, welche wichtigen Termingründe Sie auch immer anführen mögen — am ersten Tag Ihrer offiziellen Amtszeit zum erstenmal umweltpolitisch versagt. Das läßt nichts Gutes hoffen.
Die vielfältigen Veranstaltungen des ersten Deutschen Umwelttages waren durch große Sachkunde und hohes Engagement gekennzeichnet. Wären Sie mal gekommen! Die 8 Foren, 53 Arbeitskreise und Fachtagungen von Würzburg haben eine Fülle praktischer umweltpolitischer Lösungsvorschläge gemacht.
Ich wiederhole: Die im Umweltschutz engagierten Bürgerinnen und Bürger erwarten von den Politikern endlich Taten statt leerer Worte und Ankündigungen.
Mit Stolz stelle ich für die Fraktion DIE GRÜNEN fest, daß wir in den vergangenen gut drei Jahren im Bundestag eine Vielzahl der in Würzburg erhobenen Forderungen in praktische politische Initiativen umgesetzt haben. In meinem unmittelbaren Arbeitsbereich, der Umweltrechtspolitik, erwähne ich unsere Initiative für die Verankerung des Umweltschutzes als Grundrecht in unserer Verfassung, die Einführung der Verbandsklage für Naturschutz- und Umweltschutzverbände im Bundesnaturschutzgesetz sowie unseren unmittelbar vor der Einbringung stehenden Gesetzentwurf für ein allgemeines Akteneinsichtsrecht in Umweltakten. Nur mit starken grünen Fraktionen in den Parlamenten und mit grüner Regierungsbeteiligung wird es zu einer wirklichen umweltpolitischen Wende kommen. Die Zeit für eine solche Wende ist überreif.
Lassen Sie mich zum Schluß aus der Würzburger Erklärung noch eine an alle im Bundestag vertretenen Parteien gerichtete Passage zitieren. Es wird von einem gemeinsamen Aufbruch gesprochen und aufgerufen
... zu einem Aufbruch aus Gleichgültigkeit und Resignation, Interessenverstrickung und Engstirnigkeit, Zweckmoral und Halbwahrheit ... Zu einem Aufbruch in eine Zukunft, in der der Mensch sein Bündnis mit der Natur erneuert, in der er sich auf Erfahrungen besinnt, die er, vom Fortschritt besessen, vergaß.
Lassen Sie uns endlich in diesem Sinne der Würzburger Erklärung zu umweltpolitischen Taten kommen, die die Menschen in diesem Lande von uns zu Recht erwarten.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat der Abgeordnete Bötsch.
Ich freue mich über die Gelegenheit, als Wahlkreisabgeordneter von Würzburg einige Anmerkungen zu dem Würzburger Umwelttag machen zu können. Da ich meinen Kollegen Kolbow sehe, nehme ich an, daß er nachher auch noch das Wort ergreifen wird.
Zunächst will ich etwas dazu sagen, warum die Union gegenüber dem Umwelttag von vornherein etwas zurückhaltend war. Das geht nicht zu unseren Lasten, sondern das geht eindeutig zu Lasten der Veranstalter, die von Anfang an Anlaß zu Zweifeln an der Ausgewogenheit der Darstellungen des Umwelttages gegeben haben.
Bereits die ersten schriftlichen Verlautbarungen im Vorfeld des Umwelttages ließen erkennen, daß es den Organisatoren nicht um eine sachbezogene Behandlung des Themas Umweltschutz ging.
Vielmehr war es ihr Ziel, die Politik der Bundesregierung, der Bayerischen Staatsregierung, der CDU und der CSU an den Pranger zu stellen.
Mit keinem Wort wurden die bisher erbrachten Leistungen im Bereich des Umweltschutzes auch nur erwähnt, geschweige denn gewürdigt.In unseren Zweifeln bestärkt wurden wir auch durch die Besetzung der Podien in den verschiedenen Arbeitskreisen und Foren. Politiker, Herr Kollege Mann, wurden nach Aussage der Veranstalter bewußt nicht eingeladen, sondern allenfalls als Zuhörer geduldet — mit Ausnahme eines bekannten SPD-Mannes und einer bekannten GRÜNEN. Bei Herrn Eppler und bei Frau Reetz wurde nämlich eine Ausnahme gemacht. Das ist Ihnen vielleicht überhaupt nicht bekannt.
Meine Damen und Herren, warum wurde der bis zum 6. Juni verantwortliche Bundesinnenminister nicht zu der Tagung eingeladen?
Dann hat der Würzburger Oberbürgermeister, der für Showeffekte immer sehr aufgeschlossen ist, schnell Herrn Wallmann eingeladen, gewissermaßen abkommandiert: So, jetzt hast du zu kommen; heute abend ist die Veranstaltung.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 224. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Juni 1986 17359
Dr. BötschAls hätte er zu diesem Zeitpunkt nichts anderes zu tun gehabt, meine sehr verehrten Damen und Herren!Erst sehr spät hat man sich auf unsere Vorhaltungen hin zu einer Diskussion im Vorfeld des Umwelttages entschlossen. Aber auch da kann man die Vorbereitung nur als eine Mischung von Täuschung und Dilettantismus bezeichnen, sonst nichts.
Dann wird mit unwahren Behauptungen gearbeitet und in die Welt gestellt, daß zugesagte Zuschüsse zurückgenommen wurden. Herr Kollege Lambinus, beweisen Sie mir, welches zuständige Gremium für diesen Umwelttag einen Zuschuß zugesagt und dann nicht bewilligt hat. Niemand hat das bisher beweisen können, weil diese Behauptungen der Herren Sander und Kneitz die Unwahrheit sind.Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn sich unsere Befürchtungen, gewalttätige Demonstrationen würden stattfinden, Gott sei Dank nicht bewahrheitet haben, dann deshalb, weil die Damen und Herren sich am gleichen Wochenende in Brokdorf und in Wackersdorf aufgehalten hatten und nur Herr Jungk bei der Würzburger Kundgebung sein Verständnis für Gewalt bei der Durchsetzung politischer Ziele in seiner Rede ausgedrückt hat.
— Das ist nicht unerhört, das können Sie in allen Zeitungen nachlesen, Herr Mann. Sie haben sich mit dem Thema nicht beschäftigt. Das ist der Sachverhalt.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, in der sogenannten Würzburger Erklärung sind eine Reihe von Forderungen erhoben, die entweder schon verwirklicht sind, die auf den Weg gebracht sind oder sicherlich realisiert werden müssen. Dazu gibt es überhaupt nichts zu sagen.Allerdings sind hier auch Forderungen erhoben worden — z. B. nach öffentlicher Kontrolle —, die der Erklärung bedürfen. Was ist darunter zu verstehen, außerhalb des Parlaments unabhängige Institutionen zu schaffen? Ich frage das die SPD. Sie von den GRÜNEN frage ich nicht. Wie Sie das verstehen, das ist mir schon klar.Trotzdem gab es einen erfreulichen Aspekt. Das Engagement und der Idealismus der vielen Teilnehmer, die dort zusammengekommen sind, sind sicherlich positiv zu würdigen.Ich bedanke mich.
Das Wort hat der Abgeordnete Kolbow.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als Würzburger SPD-Abgeordneter stelle ich zunächst fest: Der Umwelttag hat gegen dasWetter, gegen autonome Bürgerinitiativen und gegen die CDU/CSU und leider auch gegen Sie, Herr Kollege Dr. Bötsch, stattgefunden.
Die Veranstaltung hat ein präzises Bild der Stellung der deutschen Umwelt- und Naturschutzverbände und christlicher Gruppen im gesellschaftlichen und politischen Feld gegeben. Wir haben in Würzburg Menschen erlebt, die kritisch, aber nicht weltfremd, die begeistert waren, Mitbürger, die dem Leben die Zukunft bauen wollen. Die Würzburger Bevölkerung hat das Motto des Umwelttages „Ja zum Leben — Mut zum Handeln" aufgegriffen,
den Teilnehmern spontan Privatquartiere zur Verfügung gestellt und sich lebhaft — auch CSU-Mitglieder, Nichtfunktionäre — an den Veranstaltungen beteiligt.
In Würzburg trafen sich Vertreter der deutschen Naturschutz- und Umweltverbände und keine Radikalinskis. Das muß sich insbesondere die CSU hinter die Ohren schreiben, deren ablehnender Haltung auf allen politischen Ebenen es zuzuschreiben ist, daß der deutsche Umwelttag mit einem Defizit von etwa 250 000 DM abschließen mußte, da einkalkulierbare Zuschüsse ausfielen. Die gesammelten Pressewerke kann ich Ihnen gern geben. Sie kennen sie auch. 30 000 DM hat der unterfränkische Bezirkstag im Haushalt eingestellt und durch die CSU-Mehrheit wieder beseitigt.
Als feststand, daß die Ablehnung der Wiederaufbereitungsanlage in Wackersdorf von allen veranstaltenden Verbänden getragen wurde, schaltete gerade die CSU von vorsichtiger Kooperation auf offene Konfrontation um. Ihre Kampagne gegen den Umwelttag, die von Horrorgemälden einer zerstörenden, randalierenden und schaufenstereinschlagenden Meute gezeichnet war, und Ihre Behauptung des CSU-Kreisverbandes Würzburg, die zeitgleich stattfindenden Demonstrationen in Brokdorf und Wackersdorf hätten Gewalttaten in Würzburg verhindert, sind eine ungeheure Verunglimpfung der Veranstalter.
Die Wirklichkeit sah ganz anders aus. Ich sage Ihnen — wir können, wie Sie wissen, miteinander persönlich immer reden —: Eine Partei stellt sich ins politische Abseits, wenn sie die Bedeutung aller relevanten Natur- und Umweltschutzverbände sowie christlicher Gruppen, die als Veranstalter hinter diesem Umwelttag standen, nicht erkennt,
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17360 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 224. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Juni 1986
Kolbowfalsch einschätzt, ja, diskriminiert. Die katholische Landjugendbewegung wird sich jedenfalls für die Einschätzung seitens der CSU bedanken.
Wir haben den Umwelttag stets unterstützt. Die einzige Partei — bundesweit und örtlich, auch mit allen SPD-Umweltministern —, die dort vertreten war, war die SPD. Ich hätte mir ein ähnliches Engagement auch der anderen Parteien — auch bei Ihnen, meine Damen und Herren von den GRÜNEN, war es nicht übermäßig stark —
gewünscht.
Wir identifizieren uns mit der Aussage des Präsidenten des Deutschen Naturschutzrings in seiner Eröffnungsrede:Wir brauchen — so sagte er —eine neue Ordnung für das politische Handeln. Ihr erster Punkt muß die Sicherung des Lebens, des Überlebens der Menschheit auf dem Planeten Erde sein.Deshalb fühlt sich die SPD von der Würzburger Erklärung in die Pflicht genommen.
Die Veranstaltung in Würzburg — bedenken Sie das bitte — wird sich auf die Politik auswirken. Dem Umweltschutzgedanken wurde dort neuer Auftrieb gegeben. Auch die Politiker haben dort neue Ideen und Vorstellungen erhalten. Alles in allem, meine Damen und Herren: ein eindrucksvoller Ruf von Ernst und Konsequenz auch für uns.Es hätte — das muß ich hier auch sagen — dem Umweltminister gut angestanden, der Einladung des Würzburger Oberbürgermeisters zu folgen, statt sich der Verweigerungsstrategie der CSU zu nähern und Verbundenheit mit den deutschen Umwelt- und Naturschutzverbänden nicht an den Tag zu legen. Es hätte Ihnen gut angestanden, Herr Wallmann, wenn Sie in Würzburg gewesen wären. Die Würzburger jedenfalls haben Ihre Absage nicht verstanden.
Die Sicherung unserer Lebensbasis, meine Damen und Herren, braucht die Bereitschaft zum Dialog, zum Gespräch unter vielen. Eine sprachlose Politik, die sich dem Gespräch, dem kritischen Argument und der gezielten Nachfrage verweigert, kann die Probleme nicht dadurch lösen, daß sie Hunderte junger Polizisten in Brokdorf und Wackersdorf verheizt. So dürfen sich Politiker nicht aus der Verantwortung stehlen. Die friedlichen, zukunftsoffenen und erfolgreichen Gespräche, Foren, Arbeitskreise und Diskussionen in Würzburg haben gezeigt, daß nicht das Schüren von Emotionen und deren Eskalation, sondern Kommunikation, das Zuhören auch der Politiker — wir brauchen nicht immer auf dem Podium zu sitzen —
und das geduldige Eingehen auf andere Meinungen von grundlegender Bedeutung sind.Wir, die SPD, haben in Würzburg, so meine ich, gezeigt, auf wessen Seite wir stehen. Wir werden versuchen, viele Ideen und Vorschläge des Umwelttages in tägliche Politik umzusetzen.
Das Wort hat der Abgeordnete Baum.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Mann, wir brauchen nicht Ihre Mahnungen, um den Umwelttag zur Kenntnis zu nehmen. Unsere Zusammenarbeit mit den Verbänden besteht seit vielen Jahren. Ich habe den Aufruf zum Umwelttag unterschrieben, und ich habe an einer politischen Diskussion — übrigens mit Kollegen aller Fraktionen dieses Hauses — in Würzburg teilgenommen. Im übrigen sind der Umwelttag und die Umweltverbände keine Untergliederung der grünen Partei.
Dann würden sie nämlich ihre Funktion verlieren. Auch sollten Sie sich davor hüten, diese Organisationen für sich zu vereinnahmen, Herr Kollege Mann.
— Na, das tun Sie. Sie stellen sich hier so hin, alsseien Sie sozusagen der Wortführer der Umweltverbände im Deutschen Bundestag; das sind Sie nicht.
Es gibt bei diesen Verbänden allerdings auch einige Tendenzen, die die Gesprächsbereitschaft mit den anderen Parteien verschütten könnten.
Die Verbände sollten im eigenen Interesse darauf achten, daß sie ihre wichtige Funktion parteineutral, engagiert in der Sache wahrnehmen.Die Kritik, die Sie — von beiden Seiten der Opposition — hier an dem Umweltminister geübt haben, halte ich für unberechtigt. Herr Wallmann war erst zwei Tage im Amt. Er hat reagiert, er hat ein Telegramm geschickt
und sich zu den Zielen geäußert. Das ist ein Bekenntnis, eine Gesprächsbereitschaft im Hinblick auf die Umweltverbände, die ich anerkenne. Sie sollten den Umweltminister jetzt nicht sozusagen von der Umweltbewegung trennen.
— Sie sind doch sauer, daß die Bundesregierung ein
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 224. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Juni 1986 17361
BaumUmweltministerium eingerichtet hat; das ist doch der Punkt.
Jetzt wollen Sie einen Keil zwischen den Umweltminister und die Umweltverbände treiben.
Das wird Ihnen nicht gelingen, und ich habe auch einige Kritik am Umweltminister, die aus Würzburg gekommen ist, nicht verstanden.
Die Umweltverbände müssen ein Interesse daran haben, mit dem Umweltminister zu sprechen. Er ist dazu bereit — das stellen wir fest —, und die andere Seite muß es auch sein.
— Diese Geräuschkulisse, wissen Sie, zeugt von einer gewissen Intoleranz. Sie brüllen einfach dazwischen,
und ich muß hier laut brüllen, damit ich mich überhaupt verständlich mache.
— Dieses höhnische Gelächter ist Ausdruck von Toleranz!Das Umweltengagement zehntausender Einzelgruppen ist immer wichtig gewesen, und wir brauchen es. Friedrich Naumann hat mit Recht gesagt: Jeder Bürger ist ein Stück Staat. Ich habe vor jedem einzelnen, vor jeder Gruppe, die sich für Umweltziele engagieren, hohen Respekt. Ich weiß, daß der Umweltschutz überhaupt nur durch solche Bürgerinitiativen Impulse bekommen hat, und deshalb setze ich auch darauf.Die Ergebnisse von Würzburg, auch die Messe, zeigen ein vielfältiges Engagement. In der Tat kann man lernen, aber nicht von allem. In der Erklärung stehen natürlich eine Fülle von allgemeinen Forderungen, die die Parteien seit Jahren aufstellen.
Das sind allgemeine Forderungen, die überhaupt nicht weiterhelfen. Wir brauchen realisierbare Konzepte, wir müssen Umweltpolitik in dieser Wirklichkeit machen. Allgemeine Forderungen, wie „wir alle übernutzen die Landschaft" oder ähnliches, helfen nicht weiter.
Wir müssen uns also fragen: Was hindert uns, manche Dinge zu tun?
Dazu gehören diese Übertreibungen, die Sie machen, diese Politik mit dem „Schadstoff des Monats", daß sie bestimmte Dinge übertreiben, daß Sie den Leuten Angst machen, daß eine sachliche Diskussion nicht mehr zustande kommt. Dazu gehörtdas Verharmlosen. Umweltpolitik ist in der Umsetzung manchmal schwerfällig.Der Zustandsbeschreibung stimme ich zu. Hier nehme ich für meine Partei und auch für die Koalition in Anspruch: Wir handeln, wir realisieren Umweltschutz, und wir lassen das, was wir hier machen, nicht denunzieren. Wir setzen auf die Partnerschaft mit den Umweltverbänden, wir erbitten aber auch eine faire Beurteilung dessen, was wir tun.
Das Wort hat der Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich denke, es ist eine Aussage, die wir alle unterschreiben können, wenn ich sage: Umweltschutz ist eine zentrale gesellschaftliche Aufgabe.
Es ist falsch, meine sehr verehrten Damen und Herren von der Opposition, auch wenn man mit diesem oder jenem nicht einverstanden ist, zu sagen, in der ganzen Umweltpolitik habe es bis jetzt außer leeren Worten nichts gegeben. Dies ist falsch. Es ist nicht redlich. Wir haben allen Anlaß, allen, die in der Vergangenheit, wo auch immer, politische Verantwortung für diesen Bereich wahrgenommen haben, zu danken.
Ich bin dieser Auffassung, und es hat gar keinen Zweck, wenn wir uns hier nur lauthals anschreien. Die Aufgabe, die wir zu erfüllen haben, ist,
unsere Umwelt zu bewahren, alles zu tun, was erforderlich ist, und wir werden dies weiter in der Verantwortung vor den Menschen leisten.Umweltschutz kann nicht vom Staat allein bewältigt werden. Wirksamer Umweltschutz erfordert die Mitarbeit aller Bürger, aller Gruppen der Gesellschaft, und wir dürfen auch feststellen, daß das, was wir das Umweltbewußtsein nennen, in unserer Bevölkerung
nicht nur gewachsen ist, Herr Abgeordneter, sondern sehr hoch ist. Das ist keine Selbstverständlichkeit. Das spiegelt sich übrigens auch in den Mitgliedszahlen der Umweltverbände wider: Mehr als 4 Millionen Bürger sind Mitglieder von lokalen, regionalen, bundesweiten Umwelt- und Naturschutzverbänden. Ich darf dem Herrn Abgeordneten Dr. Mann sagen: Wir verunglimpfen niemanden, der sich als Demokrat für die Umwelt engagiert. Wir sind für dieses Engagement dankbar; ich möchte
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17362 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 224. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Juni 1986
Bundesminister Dr. Wallmanndas für die Bundesregierung hier ausdrücklich feststellen.
Wir haben nicht nur dieses Engagement, sondern wir haben auch festzustellen, daß ein großes Potential an Sachverstand vorhanden ist. Auch dieses Potential an Sachverstand nehmen wir gerne an und auf. Wir wissen, daß nicht nur wir, sondern auch andere etwas von den Problemen wissen, und wir sind immer bereit zu lernen, wo wir um der Sache willen etwas dazugewinnen können. Daraus, meine ich, ergibt sich eine große Chance für den Umweltschutz.
Das bedeutet aber auch hohe Verantwortung — natürlich; das ist die Kehrseite der Medaille — für die Umweltverbände. Unser demokratischer Staat braucht freie Initiativen und Gruppen. Ich sage das ausdrücklich.
Es sind freie Initiativen, die Sachkunde, Verantwortungsbewußtsein und tätige Mitarbeit bei vielen Menschen aktivieren können. Ich füge hinzu — und das wird sicher richtig verstanden —, daß auch diese Gruppen selbstverständlich die Spielregeln unserer Demokratie einhalten müssen.
Gewalttätigkeit hat nirgendwo, unter welcher Überschrift auch immer, Platz in unserem Rechtsstaat.
— Nein; das beziehe ich überhaupt nicht auf diesen Umwelttag.
Ich sage nur, daß auch unter dieser Überschrift Gewalttätigkeit zu verzeichnen war.
Ich meine, Sie erwarten von mir, daß ich das sage, was ich in diesem Zusammenhang als notwendig erachte.
Ich sage auch, daß rein lokale Interessen nicht auf Kosten der Allgemeinheit durchgesetzt werden dürfen.
Es wird — sagen wir auch das bei dieser Gelegenheit — immer schwieriger, beispielsweise Standorte für Mülldeponien zu finden. Wir erleben hier mehr als einmal das Sankt-Florians-Prinzip. Es ist leicht, in einer großen Resolution große Ziele zu beschreiben, aber schwer, das zu verwirklichen, was man den Menschen versprochen hat.
Dieser Würzburger Umwelttag hat gezeigt, daß solche Gruppen und Verbände viele Initiativen und Impulse geben können. Dafür sind wir dankbar. Ich begrüße es besonders, daß sich führende Verbände im Umweltschutz zum erstenmal auf einer Großveranstaltung zusammengefunden haben.
und eine teilweise beachtenswerte Erklärung erzielt haben. Was dort ausgesagt worden ist, wird von uns allen — da gibt es überhaupt keinen Widerspruch zwischen dem Herrn Abgeordneten Dr. Bötsch und mir — —
Nein, überhaupt nicht. Darin stimmen wir überein.
meine Erwartungen, die ich in meinem Grußtelegramm formuliert hatte,
haben sich insofern schon erfüllt: Die Würzburger Erklärung fordert uns alle auf, verantwortungsbewußt mit Technik und Fortschritt umzugehen.
Sie mahnt, die Umwelt nicht ausschließlich als Wirtschaftsfaktor, sondern als gemeinsame Existenzgrundlage zu begreifen. Völlig einverstanden! Sie warnt vor Bequemlichkeit, ökonomischem Ehrgeiz, aber auch vor Gruppenegoismus. Völlig einverstanden! Sie ruft alle Bürger auf, mit dem Schutz der Umwelt bei sich selbst anzufangen. Völlig einverstanden! Bei der Arbeit, zu Hause, am Ort: Jawohl!
Sie weist darauf hin, daß die heutigen Möglichkeiten der Naturwissenschaften eine ethisch-moralische Herausforderung von ganz neuer Qualität darstellen. Jawohl; einverstanden! Das sind alles Positionen, zu denen wir j a sagen. Und das sind die Positionen, die der Umweltpolitik unserer Bundesregierung zugrunde liegen. Ich sehe also weitgehende Übereinstimmung. Das gilt für die Ziele.Das gilt aber keineswegs immer für die vorgeschlagenen Mittel und Wege. So hält die Bundesregierung aus wirtschaftspolitischen wie aus umweltpolitischen Gründen eine sofortige Stillegung aller Atomanlagen nicht für realisierbar. Auch das muß gesagt werden.
Wir können unendlich viel hinzufügen. Aus Zeitgründen unterlasse ich das.Die Stromerzeugung aus Kernenergie bleibt für einige Zeit, jedenfalls auf absehbare Zukunft, energiepolitisch notwendig. Wenn Sie der Auffassung sind, daß diese Aussage falsch ist, meine ich: Ich
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 224. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Juni 1986 17363
Bundesminister Dr. Wallmannhatte neulich schon Gelegenheit, darauf hinzuweisen, daß wir jedenfalls in diesem Punkt übereinstimmen mit dem Vorsitzenden der SPD, Herrn Brandt, mit Herrn Rau, Ihrem Kanzlerkandidaten, mit Herrn Mayr mit seiner jüngsten Erklärung, die er als Vorsitzender der IG Metall abgegeben hat, oder z. B. mit dem, was Herr Jochimsen zu diesem Thema gesagt hat. In diesem Punkt stimmen wir überein.
Wenn Sie etwas anderes wollen, wenn Sie der Auffassung sind, es kann sofort ausgestiegen werden, dann formulieren Sie bitte nicht nur dieses Ziel, sondern begründen Sie hier vor diesem Hohen Hause, daß Sie dazu bereit sind,
und geben Sie an, wie hoch die Kosten sind, die dafür von uns allen zu bezahlen sind.
Wir wollen, wie der Herr Bundeskanzler in seiner Erklärung vor dem Hohen Hause am 14. Mai 1986 festgestellt hat, keineswegs bei der Energieerzeugung durch Kernspaltung stehenbleiben. Ich sage das ausdrücklich. Das ist unsere Position. Wir unterstützen die vielfältigen Forschungsanstrengungen für andere Energiequellen, auch für neue. Auch hierüber kann und soll man sprechen. Ich bin dazu bereit. Mir liegt am Gespräch mit den verschiedenen Gruppen unserer Gesellschaft. Zahlreiche positive Signale in den letzten Tagen bestärken mich in der Hoffnung, daß es im Umweltschutz über unterschiedliche politische Grundsatzpositionen hinweg viele Gemeinsamkeiten gibt.Herr Präsident, Gott sei Dank habe ich noch Gelegenheit, kurz auf die Frage einzugehen, ob ich denn zu diesem Umwelttag überhaupt eingeladen gewesen bin und warum ich nicht hingegangen bin. Ich will das kurz chronologisch darstellen.Diese Veranstaltung dauerte von Freitag, dem 6. Juni, bis Sonntag, dem 8. Juni. Am 6. Juni bin ich vereidigt worden. Am 6. Juni habe ich meine Ernennungsurkunde entgegengenommen.Dann habe ich ein Glückwunschtelegramm bekommen, unterschrieben von dem Präsidenten Wolfgang Engelhard, in dem es wörtlich heißt:Erwarten und erhoffen bestmögliche Zusammenarbeit, erbitten baldmöglich Termin zu Grundsatzgespräch mit unserem Präsidium.Dieses Telegramm ist bei mir am Montag, dem 9. Juni, eingegangen. Die Veranstaltung war bereits beendet.Ferner habe ich ein Telex meines früheren Kollegen Oberbürgermeister Dr. Zeitler vom 3. Juni erhalten. Darin heißt es:Ich lade Sie im Hinblick auf Ihre zukünftige Tätigkeit zum ersten Deutschen Umwelttag am 6. bis 8. Juni nach Würzburg ein.Nun konnte ich aber gar nicht kommen. Ich will gar nicht darauf abstellen, daß natürlich Herr Dr. Zeitler nicht der Einladende gewesen ist. Auf diese Formalie will ich gar nicht abstellen; ich will nur sagen, daß ich angerufen und gesagt habe, warum ich nicht kommen kann. Im übrigen habe ich ein Telegramm geschickt.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, zum Schluß will ich aber doch noch sagen, daß es ein Schreiben des Touristenvereins „Die Naturfreunde, Bundesgruppe Deutschland" vom 4. Juni 1986 gibt, und darin heißt es:Zum Schluß noch eine Anregung oder Bitte: Es würde Ihre Glaubwürdigkeit im Amt ungemein stärken, wenn Sie sich raschestens entschließen könnten, dem Deutschen Umwelttag 1986 in Würzburg einen Besuch abzustatten.Auch dieses Schreiben ist am 9. Juni eingegangen.
— Verzeihen Sie, ich habe nicht gedacht, daß Sie derart unter Niveau diskutieren.
Ich bin immer der Auffassung gewesen, daß ich hier vor dem Hohen Hause diskutiere und daß man sich zumindest wechselseitig zuhört.Herr Präsident, gestatten Sie mir ein letztes Zitat. In diesem gleichen Schreiben vom 4. Juni steht auch:Denn der bisher dafür zuständige Bundesinnenminister Dr. Zimmermann und die leider nicht unabhängige, sondern sehr abhängige Strahlenschutzkommission haben in den letzten Wochen eine fast kriminelle Schuld auf sich geladen, auch wenn es dafür keinen geschriebenen Straftatbestand geben sollte. Und einen dringenden Rat glauben wir Ihnen mitgeben zu sollen: Vermuten Sie bei wahrscheinlich der Hälfte aller maßgebenden Leute im Management von Atomkraftwerken, daß diese mit Umgangsformen von Ganoven recht vertraut sind.Meine Damen und Herren, dies halte ich nicht für verträglich, und ich stehe auf dem Standpunkt: Wer sich so äußert, muß sich fragen lassen, wie seriös er sich in diesen wichtigen Fragen eigentlich selbst einschätzt.Ich bedanke mich.
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Dr. Martiny.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Wallmann, der Tenor Ihrer Rede erinnert mich an einen klassischen Ausspruch meines geschätzten Gegenkandidaten Herrn Dr. Probst, der auch auf der Regierungsbank
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17364 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 224. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Juni 1986
Frau Dr. Martiny-Glotzsitzt, aus unserem ersten gemeinsamen Wahlkampf; ich glaube, es war 1969. Damals hat Herr Probst gesagt, er wäre ja auch für Reformen, aber erst dann, wenn sie sich bewährt haben.
Jetzt, wo sich herausgestellt hat, daß das mit dem Umwelttag in Würzburg eine gute und verdienstvolle Sache war, erkennen Sie, Herr Wallmann, an, daß Sie vielleicht doch ganz geschickt beraten gewesen wären, wenn Sie sich daran beteiligt hätten. Das ändert aber nichts an Ihrem Grundmißverhältnis zu Bürgerinitiativen und anderen nicht in Parteien organisierten Gruppen dieser Gesellschaft.
Sie gehen nach wie vor davon aus, Sie könnten Umweltschutz für die Bürger im Grunde par ordre de Moufti machen,
statt sich endlich darauf einzustellen, daß Umweltschutz, gerade Umweltschutz, wirklich nur funktionieren kann, wenn man ihn im Dialog mit den Bürgern macht.
Daß Sie von diesem quasi autoritären Vorverständnis ausgehen, Herr Wallmann, hat auch die Rede gezeigt, die Sie in der letzten Woche hier gehalten haben. Sie hätten die Chance gehabt, vor 520 eigens eingeladenen jungen Menschen im Rahmen der Veranstaltung „Jugend und Parlament" diese jungen Leute zu umwerben und für Ihre Ziele zu gewinnen zu suchen, damit sie sich nämlich auf diesem Feld engagieren, Gesetzesvorstöße unterstützen, Anregungen für die praktische Anwendung geben usw. Statt dessen haben Sie einen blassen Text matt vorgetragen. Die Jugendlichen fühlten sich mißbraucht, wie sie mir am Nachmittag bei der Diskussion, die ich mit ihnen hatte, deutlich gesagt haben, weil sie sich benutzt fühlten.
Wir haben business as usual betrieben und von den jungen Leuten auf der Zuschauertribüne überhaupt nicht Notiz genommen.
Damit haben Sie eine Chance für praktizierte Demokratie vertan.
Das liegt ganz auf der Regierungslinie, die nämlich lieber diskriminiert als diskutiert.
Was hat es nicht alles an voreiliger Diffamierung dieses Umwelttages gegeben? Jeder Teilnehmer und jede Teilnehmerin wurde im Vorfeld wieder einmal zum wirklichkeitsfremden Träumer oder zur Chaotin gestempelt. Tun die Umweltverbände nicht einen Teil dessen, was die politischen Parteien tun müßten?
Profitieren die Umweltverbände nicht von den Halbherzigkeiten einer Politik, die beim Ringen um den Katalysator auf die Autoindustrie, beim Abfallgesetz auf Aldi, bei der TA Luft auf die Kraftwerkindustrie, beim Chemikaliengesetz auf Bayer, Hoechst und BASF schaut?
— Ja, das könnte man noch fortsetzen.Wir Sozialdemokraten danken den Umweltverbänden ausdrücklich für die Veranstaltung des ersten Deutschen Umwelttages.
Wir stimmen der Bewertung in der Würzburger Erklärung ausdrücklich zu, in der es heißt:Die Umweltbewegung hat sich in einem breiten Bündnis von Natur- und Umweltschützern, Friedensbewegten, Bürgerinitiativen, Bauern, Christen und Verbrauchern ohne ideologische Scheuklappen und ohne parteipolitische Abgrenzungen zu diesem Deutschen Umwelttag zusammengefunden.
Für diese Leistung praktizierter Demokratie sind wir dankbar.
Politik ist dann gut, wenn sie den Dialog mit den Bürgerinnen und Bürgern tatsächlich zustandebringt und nicht bloß davon redet. Herr Wallmann hatte bei seiner Absage offensichtlich ein autoritäres Blackout.
Politik bewährt sich daran, ob sie imstande ist, Bürgerwillen und Bürgerprotest aufzunehmen und in aktives politisches Handeln einmünden zu lassen. Wir können uns doch nur deshalb unserer besonderen Sicherheitstechnik, meine Herren Zwischenrufer, bei den Kernreaktoren rühmen, weil die Anti-
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 224. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Juni 1986 17365
Frau Dr. Martiny-GlotzAKW-Bewegung diese in den 70er Jahren erstritten hat. Das ist doch so.
So wäre diese Regierung jetzt also gut beraten, die Anregungen ernst zu nehmen, die die katholische Landjugend für eine umweltfreundliche Landwirtschaft entwickelt oder die der Bund Naturschutz, der BUND oder die anderen Umweltverbände hinsichtlich des Straßenverkehrs, der Energieversorgung oder anderer Fragen formuliert haben. Wer nicht will, daß Gewalt entsteht, wer Polarisierung vermeiden will, muß dialogfähig bleiben und Betroffenheit ernst nehmen.
Keineswegs kann er mit der Attitüde wie Franz Josef Strauß eine Anlage in Wackersdorf betreiben wollen, die Ernst Albrecht mit dem Hinweis abgelehnt hat, diese sei demokratisch nicht durchzusetzen.
Vielen Dank.
Das Wort hat der Abgeordnete Schmidbauer.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Frau Kollegin Martiny, Sie fallen mir in der Tat — ich habe Ihnen wieder zugehört, ohne zu stören — zum zweitenmal dadurch auf,
daß Sie etwas tun, was in der Würzburger Erklärung natürlich nicht steht, denn dort steht: Aufbruch aus Engstirnigkeit, Zweckmoral und Halbwahrheit.
Es steht auch nichts von Polemik in dem Bereich des Umweltschutzes und der Umweltschutzpolitik darin.Allerdings fallen Sie mir — da Sie zum zweitenmal überhaupt zum Umweltschutz reden — auf, wenn Sie davon reden, daß es Dialog- und Gesprächsbereitschaft geben muß. Dazu gehört natürlich auch, daß Toleranz besteht und daß wir uns gegenseitig zuhören und nicht Polemik gegen irgendeine Seite machen, wie Sie dies getan haben.
Sie haben dies getan mit dem neuen Umweltminister. Sie haben dies getan — das gilt für den Kolle-gen Mann — mit dem früher dafür zuständigen Minister, und Sie tun es jetzt, während ich rede. Ich habe Sie darauf aufmerksam gemacht: Ich habe zugehört. Sie können nicht mal zuhören. Wie wollen Sie dann in der Lage sein, diese schwierige Materie in Kooperation unter allen demokratischen Kräften gemeinsam zu bewerkstelligen?
Sie entlarven sich durch dieses Verhalten hier im Plenum, im Parlament. Das, was Sie hier tun, ist sehr durchsichtig. Aber das ist von unserer Seite erkannt. Wir müssen mit dieser Situation eben leben.
Viele Ansätze der Würzburger Erklärung — ich will auf das Thema dieser Aktuellen Stunde etwas eingehen — —
— Das hätten Sie mal tun müssen, Herr Kollege Mann. Kein Wort zur Sache! Kein Wort zum Inhalt der Würzburger Erklärung!
Kein Satz zur Sache!
Wir meinen, daß viele Ansätze der Würzburger Erklärung von uns unterstützt werden können, was die Zielsetzung anlangt. Ich nenne als Bèispiel vor allem das Vorsorgeprinzip. Es ist auch ein wichtiges Prinzip unserer Umweltpolitik. Wir haben es in vielen Bereichen durchgesetzt. Beispiele dafür sind natürlich auch die Luft- und die Gewässerreinhaltung. Denken Sie an die GroßfeuerungsanlagenVerordnung, an die Technische Anleitung Luft, das Bundes-Immissionsschutzgesetz, an das Wasserhaushaltsgesetz, das Wasch- und Reinigungsmittelgesetz, das Abwasserabgabengesetz und vieles ähnliche.
Hier sind in der Tat die Sätze der Würzburger Erklärung identisch mit dem, was wir realisiert haben, und mit dem, was wir auf den Weg bringen.
— Ein Zeichen dafür, daß Sie nicht mal nachlesen, Herr Kollege Schulte.
Ich darf Ihnen vorhalten, was darin steht. Herr Schulte, Sie sollten nicht darüber reden, Sie sollten einmal nachlesen. Darin steht: Luftreinhaltung, systematische Verschärfung der Vorschriften in den
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SchmidbauerBereichen der Luftreinhaltung und des Gewässerschutzes.
Genau dies haben wir mit diesen Gesetzen — —
Einen Augenblick! Entschuldigen Sie, lassen Sie mich einmal unterbrechen. Eine Sekunde! Ich stoppe die Zeit auch. — Wir müssen hier ein bißchen darauf achten, daß die Menge der Zwischenrufe, die hier erfolgen, nicht in ein reziprokes Verhältnis zu ihrer Qualität gerät. Ich bitte alle, sich danach zu richten. Ich richte diesen Appell an alle Seiten. Es müssen auch keine Zwischenreden sein, die hier dauernd gemacht werden.
Auch andere Punkte in der Erklärung mögen in ihrer Zielsetzung sicher zu bejahen sein. Bei näherem Hinsehen stellt sich natürlich die Frage nach der Möglichkeit der Realisierung. Wenig hilfreich — das will ich sehr deutlich sagen — sind natürlich auch Allgemeinplätze wie z. B. „Förderung der Energieeinsparung in jeder möglichen Weise". Wer könnte dem eigentlich nicht zustimmen!
Trotzdem denke ich, daß es für die Umweltpolitik in unserem Lande wichtig wäre, gerade dort, wo wir unterschiedlicher Auffassung sind, in eine kritische Auseinandersetzung einzutreten, um damit dem Ziel einer von allen gewollten vorsorgenden Umweltpolitik näherzukommen.
Um es noch einmal deutlich zu sagen: Wir sind gesprächsbereit und wünschen eine kritische Begleitung unserer Politik. Was uns nicht weiterhilft und was wir ablehnen, ist, wenn bestimmte politische Gruppierungen die Umweltschutzpolitik als Vehikel zur Durchsetzung ihrer politischen Absichten benutzen und sich im übrigen in Verweigerung ergehen bzw. sich nur mit unrealistischen Forderungen an der Umweltpolitik beteiligen oder durch Unsachlichkeit sich auszeichnen. Der Beitrag der GRÜNEN zu dieser Aktuellen Stunde war ein Musterbeispiel für ein solches Verhalten.
Herzlichen Dank.
Das Wort hat der Abgeordnete Vahlberg.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe es sehr bedauert, daß nicht mehr Kolleginnen und Kollegen den Umwelttag in Würzburg besucht haben. Nicht nur die großen Reden und die zentralen Forderungen an die Adresse von Politik und Industrie, sondern auch die tausendfachen Einzelaktivitäten zur Erhaltung der Umwelt, über die man sich beim Spaziergang durch die Zelte informieren konnte, haben mich beeindruckt, wie überhaupt der Ernst und das Engagement der 30 000 Besucher dieses Umwelttages die Hoffnung zulassen, daß wir vielleicht doch noch rechtzeitig aus unseren liebgewordenen Denkmustern und überkommenen Verhaltensweisen herausfinden werden.Davon bin ich allerdings überzeugt: Wenn die Bürger nicht aufstehen und sagen: „So nicht und mit uns nicht; wir wollen keine schrankenlose Ausbeutung der Natur, keine zerteilte, zerstückelte, zernierte Natur", dann läuft alles so weiter wie gehabt.
Herr Baum, wir haben einen Umweltminister ja auch nur deshalb bekommen, weil die Umfrageergebnisse vor der Wahl in Niedersachsen für die CDU so verheerend waren.
Der Umweltminister ist im Grunde genommen ein Geschenk der Demoskopie.
Sieben Foren, 53 Arbeitskreise mit 300 Wissenschaftlern, 30 000 gesprächsbereite Bürger — und , die CDU/CSU geht nicht hin!
Hingehen bedeutet doch nicht, daß man sich dort produzieren muß, sondern man kann doch auch zuhören. Es kommt ja nicht darauf an, daß man bei den Foren, die dort diskutieren, eingesetzt wird.
Das Zuhören tut uns auch gut. Uns fällt keine Zacke aus der Krone, wenn wir das tun.Nicht hingehen — und das sage ich mit Nüchternheit — ist fast kriminell. Wer als Politiker das Gespräch mit den gesprächsbereiten Bürgern über ihre Sorgen und Ängste verweigert, zersetzt die Fundamente der Demokratie.
— Sie tun das, Herr Probst. Sie sind nicht hingegangen.
Wer wie Sie glaubt, Politik von oben machen zu können, zu dekretieren und zu administrieren, der nimmt in Kauf, daß sich immer mehr Bürgerinnen und Bürger radikalisieren und daß der Teil der Bürger, die bei Demonstrationen radikale Aktivitäten entfalten, immer weiter anwächst.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 224. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Juni 1986 17367
VahlbergJunge Polizeibeamte müssen ihre Knochen hinhalten — und ich stehe noch unter dem Eindruck eines Besuches in Wackersdorf vor zwei Tagen —
für verfehlte politische Entscheidungen, für die Arroganz der Entscheidungsträger.
Ich habe mich vor zwei Tagen vergewissert, wie das in Wackersdorf aussieht und wie dort Gewalt ausgeübt wird.
— Von Gewalttätern. Ich vermeide das Wort „Demonstranten". Der Kreis der Gewalttäter wird aber immer größer, und die Polizisten müssen für die verfehlte Politik, die wir zu verantworten haben, ihre Knochen hinhalten.
Sie sind nicht nach Würzburg gegangen. Wenn aber die KWU oder die Elektrizitätsversorgungsunternehmen einladen, dann kann man Sie sehen, dann sind Sie dabei,
zum Gespräch mit anschließendem Büffett. Dann sind Sie beflissen bereit, die Diskussion dort zu führen. Dann stimmt der Rahmen, dann stimmt die Atmosphäre. Dann ist man gern bereit, darüber zu parlieren, daß es draußen im Lande Panikmache gibt, wenn es um den Umweltschutz geht.
Ihre Haltung zu Würzburg macht zwei Dinge deutlich: erstens die Mißachtung des Bürgers, zweitens ihr Desinteresse am Thema. Daß der Umweltminister Wallmann nicht nach Würzburg gegangen ist, dafür habe ich noch ein gewisses Verständnis, denn wie er selbst nach seiner Berufung gesagt hat, versteht er nichts vom Umweltschutz. Es hätte ja sein können, daß er dort in Gespräche verwickelt wird.
Zur bayerischen Staatsregierung ist das, was gesagt werden muß, schon gesagt worden: zunächst die Zusage, nach Würzburg zu kommen, dann die Absage. Zeitweilig hat man sich an das Chaos wie in den denkwürdigen Tagen nach Tschernobyl erinnert gefühlt.
Umweltpolitik kann man nur mit den Bürgerinnen und Bürgern machen. Mit gesetzlichen Regelungen allein, mit Geboten und Verboten, mit derEntwicklung von Umwelttechniken allein ist es nicht getan. Wir müssen neue Sozialtechniken entwickeln.
Soziales Verhalten kann man nicht wie ein Maschinist, der an einem Handrad dreht, verändern, sondern das erfordert Gesprächsbereitschaft, Lernbereitschaft, tausendfachen Dialog.
Herr Abgeordneter, ich bitte Sie, zum Schluß zu kommen.
Es erfordert Einsichtsfähigkeit und den Mut, gemachte Fehler einzugestehen. Es erfordert die Förderung von Kreativität und Phantasie. Ich glaube jedenfalls — —
Herr Abgeordneter, es tut mir leid, die Redezeit ist abgelaufen. Das war auch ein ganz guter Schlußsatz.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Carstensen .
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lieber Herr Vahlberg, ich hätte Ihnen noch stundenlang zuhören können, aber ich glaube, Sie wären auch dann sicherlich noch nicht zum Thema gekommen.Zu den GRÜNEN: Meine lieben Kollegen von den GRÜNEN, an sich müssen wir uns bei Ihnen bedanken, daß Sie diese Aktuelle Stunde beantragt haben.
Diese gibt uns nämlich Gelegenheit, auch einmal wieder darzustellen und vielen ins Gedächtnis zurückzurufen, was in dieser Legislaturperiode auf dem Gebiet des Umweltschutzes in Angriff genommen worden ist.
— Ich komme auch noch zum Thema.Meine Damen und Herren, diese Regierung ist nicht nur gut, wenn es um das Erreichen positiver gesamtwirtschaftlicher Daten geht, was auch eine Voraussetzung ist, wenn etwas für den Umweltschutz getan werden soll. Sie ist auch gut, wenn es um ihre Aktivitäten zum Schutze unserer Umwelt geht. Wo andere geredet haben, haben wir gehandelt.Der Umwelttag in Würzburg sollte an sich dazu dienen, der Öffentlichkeit in Form von Aktionstagen und auf einer Messe Aktivitäten im Umweltbereich darzulegen und die Sensibilität für die Probleme unserer Umwelt zu verstärken. Ob aber ein Verband wie z. B. der Deutsche Naturschutzring diese Aufgabe noch in aller Konsequenz und Objek-
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17368 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 224. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Juni 1986
Carstensen
tivität wahrnehmen konnte, wage ich hier doch einmal zu bezweifeln.
Es ist schon bedauerlich, wenn es offensichtlich notwendig gewesen ist, daß dieser Dachverband von seinen großen Migliedsverbänden, die immerhin weit über eine Million Mitglieder vertreten,
aufgefordert werden mußte, sich doch an strikte parteipolitische Neutralität zu halten.Man erweist den Bemühungen um den Erhalt und die Verbesserung unserer natürlichen Lebensgrundlagen einen Bärendienst, wenn man den Umweltschutz nur vorschiebt, um mit dieser Sympathiewerbung — wie bei den GRÜNEN — die eigentlichen unsympathischen politischen Ziele zu verdecken.
Die Würzburger Erklärung hat zum Motto „Ja zum Leben — Mut zum Handeln". Meine Damen und Herren, genau das kann das Motto der Politik dieser Koalition im Umweltschutzbereich sein.
Wir haben den Mut und auch die Entschlossenheit zum Handeln gefunden, was sich insbesondere auch in den Aktivitäten des Forschungsministeriums auf diesem Gebiet zeigt.Die Würzburger Erklärungen fordern auf, Verfahren zur Abschätzung von Technologiefolgen zu entwickeln.
Es ist den Verfassern offensichtlich entgangen, daß beim Deutschen Bundestag in dieser Legislaturperiode eine Enquete-Kommission eingerichtet worden ist, die genau das zum Ziel hat.Forderungen nach mehr Forschung und Ausbildung im Umweltschutzbereich, wie sie ebenfalls in der Erklärung aufgestellt werden, sind auch von dieser Bundesregierung erfüllt worden. Jeder kann nachlesen, was getan worden ist.
Sehen Sie sich das BMFT-Programm „Umweltforschung und Umwelttechnologie 1984 bis 1987" an. Wir wissen, daß Umweltforschung und Umwelttechnologien wichtige Bestandteile einer zukunftsorientierten Umweltpolitik sind,
die, wie es im Programm heißt — lieber Herr Kollege Bueb, daß Sie das nicht begreifen, das habe ich mir schon gedacht. Jeder Pfeifenraucher weiß an sich, daß in einen Holzkopf nicht viel reingeht —,
„unsere Umwelt als Lebensraum für Menschen, Tiere und Pflanzen in ihrer Gemeinschaft für künftige Generationen zu erhalten" trachten muß. Wir haben danach gehandelt, und wir werden weiter danach handeln.Der Forschungsminister hat einen vorzüglichen Zwischenbericht über die bisherige Durchführung des Programms vorgelegt, der heute auch im zuständigen Ausschuß behandelt wird.
— Das glaube ich auch.
Die Ergebnisse der ökologischen Forschung, der Waldschadensforschung, der Forschung im Bereich der atmosphärischen Stoffkreisläufe, der Ökotoxikologie, der Bodenbelastung und des Wasserhaushalts, der Umweltprobenbank, der Ökosystemforschung und im Bereich der Umwelt und Gesundheit können sich genauso sehen lassen wie die Ergebnisse der erarbeiteten Technologien zur Reduzierung der Umweltbelastungen in der Wasserwirtschaft, in der Abwasser- und in der Schlammbehaltung,
bei der Wasserversorgung und Hydrologie und —was mich besonders mit großer Befriedigung erfüllt— bei der Reinhaltung der Meere.Es wird weitergeforscht werden. Wir werden die Ergebnisse umsetzen, und wir können stolz auf die Bilanz unserer Umweltpolitik sein.
- Ich weiß, das ärgert Sie, und das freut mich, weilgerade Sie von den GRÜNEN etwas ganz anderes im Sinn haben, als für unsere Umwelt zu arbeiten.
Herr Kollege Carstensen, das Wort, das Sie in bezug auf den Abgeordneten Suhr verwendet haben, möchten Sie sicher nicht auf sich verwendet wissen. Deswegen lassen wir es lieber aus dem parlamentarischen Sprachgebrauch hier heraus.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Hirsch.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich merke im Laufe dieser Debatte, daß ich zu den diskriminierten Abge-
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Dr. Hirschordneten gehöre, die keine Einladung bekommen haben.
— Ich kann Sie nicht verstehen.
Herr Abgeordneter, es ist auch nicht nötig, daß Sie alle Zwischenrufe verstehen,
weil wir sie — jedenfalls von der Menge her — zu vermeiden versuchen.
Es ist vorteilhaft, aber wenn man aus den Reihen der GRÜNEN — zwar nicht heute, aber bei einer anderen Gelegenheit — als bezahlter Volksverhetzer bezeichnet wird, dann, muß ich sagen, ist das eine unverschämte Lümmelei, die ich am liebsten gleich beantworten würde.
Man muß aus der Frage, ob man zu einer solchen Veranstaltung geht oder nicht, ja keine Glaubensfrage machen. Das Entscheidende ist vielmehr, zu begreifen, daß wir kein Monopol haben, uns mit bestimmten Fragen auseinanderzusetzen, und daß man mit dem Umweltschutz nicht weiterkommt, wenn man ihn sich nur als eine staatliche Veranstaltung vorstellt.
Wir müssen das Gespräch mit den Bürgern suchen, und wir müssen uns freuen, wenn in diesem Bereich Engagement gezeigt und eingesetzt wird.
Ich bin nicht mit allem einverstanden, was ich hier lese. Zu der Würzburger Erklärung gibt es manche Fragen. Es heißt z. B., man wolle die Einführung gestaffelter Preise in der Landwirtschaft durchsetzen. Ich möchte einmal wissen, was das in der Wirklichkeit heißt. Oder es heißt, man wolle statt Massentourismus vorrangige Förderung aller Formen sanfter Erholung.
Ich kann mir viele Formen sanfter Erholung vorstellen, aber ich hätte gerne gewußt, was diejenigen sagen, die nun einmal auf den Massentourismus angewiesen sind.
Zur Technologie wird gesagt: Neue Technologien sind öffentlicher Kontrolle zu unterziehen durch neu zu schaffende unabhängige Institutionen, also offenbar nicht durch die Parlamente. Ich frage: durch wen? — Gesellschaftliche Kontrolle der technischen Überwachung usw.: Da gibt es Formeln, die jedenfalls in einer parlamentarischen Demokratie sehr sorgfältig überlegt und daraufhin geprüft werden müssen, was sich hier eigentlich entwickeln soll.
Ich bin erstaunt über das, was Herr Mann gesagt hat. Er hat ausgerufen: Lassen Sie uns endlich zu Taten kommen. — Es gibt ja Kollegen, die das Rad immer wieder erfinden. Wir machen seit 1972 aus Leibeskräften Umweltschutz.
Ich bin unzufrieden mit dem, was wir erreicht haben, und ich bin stolz auf das, was wir getan haben. Die Sozialdemokraten sollten ebenfalls stolz sein, weil sie auch ihren Anteil daran haben.
Wir haben — neben vielen Einzelerfolgen im Bereich des Umweltschutzes — zwei wesentliche Dinge erreicht: Wir haben einmal die Mentalität der Bürger verändert. Ich erinnere mich, daß es vor vielen Jahren ein Ausweis der Stärke war, wenn der Schornstein rauchte; Lärm war ein Zeichen von Stärke. Die Leute lachten sich kaputt, als vom „blauen Himmel über der Ruhr" gesprochen wurde oder wenn Reinhold Maier vom reinen Wasser sprach. All das hat sich dramatisch verändert. Es ist die Voraussetzung dafür, daß wir im Umweltschutz tatsächlich weiterkommen.
Das zweite, was wir erreicht haben, ist, auch der Wirtschaft, auch den arbeitenden Menschen gezeigt zu haben, daß Umweltschutz kein Hindernis auf dem Weg zum Wohlstand, zu Wachstum, zu Prosperität ist, sondern daß Umweltschutz die Voraussetzung dafür ist, überhaupt investieren zu können, überhaupt zu einer industriellen und wirtschaftlichen Weiterentwicklung zu kommen. Es ist sehr gut, daß die Wirtschaft verstanden hat, daß auch der Umweltschutz ihr Märkte eröffnet, die uns — im Vergleich zu anderen — enorme Vorsprünge garantieren.
— Auch umgekehrt, natürlich.
Diese Entwicklung müssen wir fördern. Wir dürfen nicht nur auf staatliche Mechanismen vertrauen, sondern wir müssen das Gespräch mit dem Bürger suchen, um seine Bereitschaft zu gewinnen, im notwendigen Umweltschutz mit uns voranzugehen.
Das Wort hat der Abgeordnete Michels.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Es ist mir heute nachmittag wieder richtig klar geworden, warum uns die Besuchergruppen, die wir alle haben, immer wieder fragen: Warum müssen die sich denn, selbst wenn es um so wichtige Dinge geht, so attackieren? — Die Besuchergruppen, auch die, die jetzt hier im Hause sind, hätten sicherlich auch vonMichelsIhnen gern mehr über die sachlichen Zusammenhänge gehört,
auch über die Forderungen, die vom Umweltforum in Würzburg aufgestellt worden sind.Wenn jemand der Umwelt und der Natur dienen will, sollte er die Polemik, ja die Ideologie, zu Hause lassen.
Ich kann wohl mit Fug und Recht sagen, daß ich zu jener Gruppe gehöre, die schon sehr früh mit all dem, was Boden, Pflanzen usw. anbetrifft, sehr eng zu tun hatte. Viele, die heute sehr viel reden, haben in ihrem Leben noch keinen Baum gepflanzt.
Meine Damen und Herren, in den Forderungen steht — ich darf zitieren —: Jeder ist aufgefordert, bei sich anzufangen, in der Arbeit zu Hause und am Ort.
Ich bin mit dem, was der Kollege Hirsch gerade gesagt hat, sehr einverstanden, daß wir hierbei alle auch lernen müssen. Seien wir doch ehrlich, tun wir doch nicht so, als ob dieses Problem heute auf Grund schuldhaften Verhaltens oder Uneinsichtigkeit da wäre. Dies war und ist vielmehr ein Entwicklungsprozeß; den wir sehen müssen. Vieles haben wir erst durch die Entwicklung wahrgenommen.Ich will noch auf ein paar Punkte, gerade bezogen auf Landschaft und auch auf Landwirtschaft, eingehen.Meine Damen und Herren, diese Koalition hat während der letzten dreieinhalb Jahre auf diesem Sektor nicht nur geredet, sondern sie hat gehandelt. Wir haben in dem Baugesetzbuch, welches Ihnen allen vorliegt, neue Regelungen vorgesehen, die deutlich machen, daß wir in Zukunft mit dem Verbrauch von Landschaft sehr sparsam sein müssen und mittels kontrollierender Gremien auch sein werden. Wir sollten aber auch bedenken, daß wir eines der am dichtesten besiedelten Länder in Europa sind.
Wenn wir wissen, daß heute 10% unserer Fläche mit Straßen, Wohnungen und Fabrikanlagen bebaut sind, werden wir dies in die richtige Relation setzen müssen.
Wir haben Ihnen das Bodenschutzkonzept vorgelegt. Nach diesem Bodenschutzkonzept wird es in Zukunft nicht mehr so ohne weiteres möglich sein, daß Schadstoffimmissionen in den Boden hineinkommen.
Wir werden aus den Vorgängen, auch negativen Vorgängen, die entsprechenden Schlüsse ziehen. Sie haben also keinen Grund, uns hier in irgendeiner Weise anzuklagen.Meine Damen und Herren, das Wasserhaushaltsgesetz liegt Ihnen ebenfalls vor. Dieses Wasserhaushaltsgesetz wird auf die Würzburger Forderungen Bezug nehmen. Die können von mir zum Teil voll unterstützt werden. Es wird auf die Fragen Antwort geben, die uns allen hier vorgelegt wurden.Ich bitte Sie herzlich, sich auch im Hinblick auf den Bereich der Landwirtschaft nicht in allgemeinen Äußerungen zu ergehen, z. B. zu sagen: „bäuerliche Landwirtschaft" und dann sofort: „klein und groß".
Wer hat denn während dieser Zeit die gesamte Förderung für die Landwirtschaft umgestellt? Waren Sie es, oder haben wir das getan? Zu Ihrer Zeit wurde mit der Gießkanne gefördert. Wir haben sämtliche Förderung zugunsten kleiner und mittlerer Betriebe umgestellt.
— Was kann ich dazu, wenn Sie Ihre Vorlagen nicht lesen. Das ist doch nicht mein Bier. Sie haben durch Ihr Lachen doch nur kundgetan, daß Sie nicht einmal die aktuelle Politik wahrgenommen haben. Sonst hätten Sie doch nicht gelacht.
Wir haben z. B. die Alterskassenbeiträge besonders für die kleinen Betriebe gestützt. Wir haben die Krankenkassenbeiträge für die kleinen Betriebe ermäßigt
— Und Sie haben von allem keine Ahnung, wollen aber draußen polemisieren.
Mit dieser Art kommen wir in der Sache nicht weiter.Ich bin mir sicher, daß wir in der vor uns liegenden Zeit einen Großteil dieser Forderungen, die ich für berechtigt halte, in die Praxis umsetzen werden, daß wir in Zukunft auch zeigen werden, wer hier wirklich nur Ideologie betreibt und wer wirklich in der Sache etwas verbessert.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 224. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Juni 1986 17371
MichelsSchönen Dank.
Das Wort hat der Abgeordnete Bachmaier.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nachdem ich Sie, meine Herren von der Union, heute in der Aktuellen Stunde so reden gehört habe, ist mir klar, warum Sie nicht nach Würzburg gegangen sind. Denn was hätten Sie einschließlich Ihres neu gekürten Herrn Umweltministers dort eigentlich sagen sollen?
— Langsam, ich komme ja jetzt zur Sache.
Ich habe ein paar Sätze zum Thema Umweltrecht zu sagen. Wir sind uns mit den Teilnehmern des Würzburger Umwelttages darin einig, daß das umweltrechtliche Instrumentarium und insbesondere der Vollzug der bestehenden Gesetze einer nachhaltigen Verbesserung bedürfen.
— Das sagen Sie manchmal auch, aber gesehen habe ich bis heute noch nichts.
Während in den 70er Jahren so grundlegende Gesetzeswerke wie das Bundesnaturschutzgesetz, das Wasserhaushaltsgesetz
— hören Sie zu; das hören Sie nicht gern —, das Abfallbeseitigungsgesetz und das Bundesimmissionsschutzgesetz geschaffen wurden, gilt es jetzt, unser traditionell gewachsenes Recht so auszugestalten, daß die Lebensgrundlagen erhalten und Umweltschäden wirksamer begegnet werden kann. Unser Ziel ist es — das sollte auch Ihr Ziel sein —, der Umwelt zu ihrem Recht zu verhelfen.
Da haben Sie im Augenblick an zwei Orten eine ganz aktuelle Chance.
Setzen Sie sich, Herr Bundesminister Wallmann, z. B. dafür ein, daß bei der derzeitigen Beratung des Bundesnaturschutzgesetzes die Verbandsklage in dieses Gesetz aufgenommen wird.
Setzen Sie sich dafür ein, daß unser Grundgesetz endlich nicht mehr — wie bisher — zur Frage des Umweltschutzes gänzlich schweigt. Treten Sie dafür ein, daß der Umweltschutz seinen ihm gebührenden Platz in unserem Grundgesetz erhält.
Dazu sind die Vorarbeiten geleistet. Da braucht man sich nicht lange einzuarbeiten.
— Herr Laufs, daß Sie in dieser Frage der — fast hätte ich gesagt — Reichsbedenkenträger sind, wissen wir ja. Wir kennen auch die Argumente, warum Sie dagegen so nachdrücklich eintreten.
Oder nehmen wir einige andere Dinge, die der Realisierung harren. Im Jahre 1980 haben wir, noch in der sozialliberalen Koalition, das Umweltstrafrecht
— Herr Schmidbauer — im Strafgesetzbuch kodifiziert. Seit einigen Jahren wissen wir, daß es hier nachhaltige Vollzugsdefizite gibt.
Wir haben ganz konkrete Vorschläge gemacht, um zu verhindern, daß im Umweltstrafrecht weiterhin der Grundsatz gilt: Die Kleinen hängt man, und die Großen läßt man laufen. Das wissen Sie.
Aber nach wie vor geschieht es so, so daß ich annehmen muß, daß das auch Ihre Strategie, Ihr Ziel ist. Sie wollen offenkundig genau das, was da abläuft. Es paßt ja auch in Ihr Weltbild, daß das so läuft.
Oder nehmen wir das zivilrechtliche Schadensersatzrecht. Wir haben Vorschläge unterbreitet. Warum haben Sie bis heute nicht die Klageposition der Umweltgeschädigten verbessert?
Warum schaffen Sie z. B. nicht ein verschuldensunabhängiges Schadensersatzrecht?
Warum schaffen Sie nicht eine Verbesserung der Beweisposition der Geschädigten? Warum überlassen Sie ihnen einen Großteil oder die gesamte Beweislast, so daß sie finanzstarken Unternehmen oft hilflos ausgeliefert sind und ihre liebe Mühe haben, auch nur ein bißchen in einem Schadensersatzprozeß zu erringen?
Oder ein weiteres Beispiel — ich bin gleich fertig —: Seit längerer Zeit ist die EG-Richtlinie zur Umweltverträglichkeitsprüfung verabschiedet. Gehen Sie doch daran, diese EG-Richtlinie endlich in nationales Recht umzusetzen. Sie hätten es doch in der Hand. Sie haben die Mehrheit. Unsere Hilfe sei Ihnen auch in diesem Fall versichert.
Meine Damen und Herren, abschließend noch einen Satz. Ich glaube, es ist dringend nötig, daß wir der Umwelt das Recht geben, das sie zum Leben, das sie zum Überleben benötigt.
Herzlichen Dank.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Laufs.
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17372 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 224. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Juni 1986
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Würzburger Umwelttag begann am 6. Juni, exakt an dem Tag, an dem Bundesminister Dr. Wallmann vor dem Deutschen Bundestag vereidigt wurde. Es ist ein Zeichen heftiger Aufgeregtheit und Maßlosigkeit, den neuen Umweltminister mit einer widerlichen Schmähkritik, wie sie uns hier heute zugemutet worden ist, zu überziehen, weil er nicht gleichzeitig in Würzburg antrat.
Wir können dazu nur sagen: Bundesminister Wallmann muß bei der Opposition große Nervosität ausgelöst haben.
Meine Damen und Herren, im Leitwort des Deutschen Umwelttages 1986 finden sich eine Fülle von Feststellungen zum Schutz der Umwelt und Natur, die wir zum Teil sehr begrüßen und unterstützen, zum Teil aber überhaupt nicht übernehmen können. So enthält die Würzburger Erklärung zur Energiepolitik — die ich mit meinem Beitrag ansprechen möchte, weil sie von den GRÜNEN hier an erster Stelle angeführt worden ist — einige Forderungen, die wir uns voll zu eigen machen können, wie z. B. die Forderung des Energiesparens oder der Erschließung erneuerbarer und sauberer Energiequellen. Darum bemühen wir uns mit großem finanziellen Aufwand. Dafür werden wir auch weiterhin energisch kämpfen, auch wenn sich die Erfolge nur mühsam und in kleinen Schritten einstellen.
Die Würzburger Erklärung fordert aber auch den sofortigen Baustopp in Wackersdorf und Kalkar
und die Stillegung aller Atomanlagen in West und Ost. Immerhin, meine Damen und Herren von den GRÜNEN!
Die GRÜNEN wollen ja nur die westlichen Reaktoren abschalten und die sowjetischen verschonen.
die haben aus ökomarxistischer Sicht einen zu sympathischen Standort, so miserabel ihr Sicherheitsstandard im übrigen ist.
Wir halten vom Ausstieg aus der Kernenergie nichts, solange wir keine brauchbaren und belastbaren Alternativen haben.
Die gegenwärtige Risikodiskussion — so auch in Würzburg — leidet entscheidend daran, daß sie sich mit verengtem Blickwinkel allein mit dem isolierten Bereich der Kernenergie befaßt. Die Zusammenhänge sind aber viel umfassender und komplexer, die Fragen vielfältiger, als sie derzeit diskutiert werden. Wie groß sind z. B. die Risiken anderer Energiearten? Sind die Restrisiken der Kohleverbrennung hinnehmbar, nicht nur wegen der ausgeworfenen Schadstoffe, auch wegen der schleichenden irreversiblen Veränderung der Atmosphäre und drohender globaler Klimaveränderungen?
Können wir mit den Risiken der Abholzung der Regenwälder, der Übernutzung der Böden und Verbrennung wertvoller organischer Substanzen in der Dritten Welt auf Dauer leben? Die Menschheit ist energiehungrig wie nie zuvor. Was sind die Risiken einer unzureichenden, unsicheren und teuren Energieversorgung für das Wohlergehen der Menschen?
Für uns ist der plötzliche Bruch mit einer seit Jahrzehnten sorgfältig entwickelten und genutzten Technik nicht zu verantworten. Diese Technik hat in unserem Land durch unsere Anlagen keinen Schaden, sondern großen Nutzen gebracht. Wir fordern den Einstieg in mehr Sicherheit nach dem hohen Stand von Wissenschaft und Technik, und zwar weltweit. Die CDU/CSU wird in wenigen Tagen eine öffentliche Anhörung zum Thema „Internationale Standards der Reaktorsicherheit und des Haftungsrechts" durchführen.
Wir greifen die Sorgen der Menschen auf, nehmen den Schutz der Menschen und ihrer Umwelt sehr ernst,
nicht, indem wir davonlaufen, radikal Schluß machen, wertvolle Technik vernichten und neue, andere Gefahren heraufbeschwören, sondern indem wir vorsorglich handeln, mehrfach sichern, immer wieder prüfen und verbessern, um die Zahl der Störfälle und ihre Folgen soweit wie möglich zu reduzieren.
Danke.
Meine Damen und Herren, die Aktuelle Stunde ist beendet. Wir sind damit am Schluß unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 26. Juni 1986, 8 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.