Gesamtes Protokol
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Meine Damen und Herren! Die Sitzung ist eröffnet.Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundene Tagesordnung zu erweitern. Die Punkte sind in der Ihnen vorliegenden Liste „Zusatzpunkte zur verbundenen Tagesordnung"1. Beratung des Antrags der Abgeordneten Verheugen, Dr. Ehmke , Voigt (Frankfurt), Toetemeyer, Dr. Hauchler, Dr. Kübler, Dr. Vogel und der Fraktion der SPDErklärung des Deutschen Bundestages zur Lage in Südafrika— Drucksache 10/5662 —2. Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und FDPLage in Südafrika— Drucksache 10/5672 —3. Beratung des Antrags der Abgeordneten Frau Borgmann, Frau Eid und der Fraktion DIE GRÜNENAbberufung des südafrikanischen Militärattachées — Drucksache 10/5202 —4. Beratung des Antrags der Abgeordneten Frau Borgmann, Frau Eid, Volmer und der Fraktion DIE GRÜNENBeendigung der polizeilichen Zusammenarbeit mit Südafrika— Drucksache 10/5203 —5. Beratung des Antrags des Präsidenten des BundesrechnungshofesRechnung des Bundesrechnungshofes für das Haushaltsjahr 1985 — Einzelplan 20 -- Drucksache 10/5470 —Oberweisungsvorschlag: Haushaltsausschuß6. Aktuelle StundeHaltung der Bundesregierung zu den Äußerungen des Bayerischen Ministerpräsidenten Dr. Franz Josef Strauß, zu den Goethe-Instituten und zu zeitgenössischen Schriftstellern bei seiner Kritik an der Auswärtigen Kulturpolitik der BundesregierungDarüber hinaus ist vereinbart worden, Punkt 19 a bis d erst am Ende der heutigen Tagesordnung aufzurufen. Es handelt sich um Vorlagen zum Internationalen Privatrecht.Punkt 25d — Erste Beratung des von der Fraktion DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Chlorsteuergesetzes — soll abgesetzt werden. Sind Sie damit einverstanden? — Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.Ich rufe die Zusatztagesordnungspunkte 1 bis 4 auf:1. Beratung des Antrags der Abgeordneten Verheugen, Dr. Ehmke , Voigt (Frankfurt), Toetemeyer, Dr. Hauchler, Dr. Kübler, Dr. Vogel und der Fraktion der SPDErklärung des Deutschen Bundestages zur Lage in Südafrika— Drucksache 10/5662 --2. Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und FDPLage in Südafrika— Drucksache 10/5672 -3. Beratung des Antrags der Abgeordneten Frau Borgmann, Frau Eid und der Fraktion DIE GRÜNENAbberufung des südafrikanischen Militärattachées— Drucksache 10/5202 —Beratung des Antrags der Abgeordneten Frau Borgmann, Frau Eid, Volmer und der Fraktion DIE GRÜNENBeendigung der polizeilichen Zusammenarbeit mit Südafrika— Drucksache 10/5203 —Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Beratung dieser Zusatztagesordnungspunkte 90 Minuten vorgesehen. — Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
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17124 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 222. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Juni 1986
Präsident Dr. JenningerIch eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Ehmke.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ginge es nur um verbale Bekundungen, würde in diesem Haus in Sachen Südafrika weitgehende Übereinstimmung bestehen. Doch der verbale Schein trügt. Die Bundesregierung hat vor kurzem ein enttäuschendes Dokument vorgelegt. Ich meine die Antwort auf unsere Kleine Anfrage zur Verwirklichung der Südafrika-Beschlüsse der Europäischen Gemeinschaft. Enttäuschend, ja im Grunde erschütternd deshalb, weil darin klar wird, daß die Bundesregierung noch nicht einmal die EG-Beschlüsse zu Südafrika, die ja sehr zurückhaltend, um nicht zu sagen, nicht ausreichend waren, durchgeführt hat. Weitergehende Beschlüsse hat der deutsche Außenminister, wie man den Gazetten entnehmen kann, gerade mit verhindert. Herr Kollege Genscher, ich halte das für schlechte deutsche Außenpolitik und auch nicht gerade für ein Musterbeispiel von liberalem Eintreten für Menschenrechte.
Was ist von einer Bundesregierung zu halten, die im EG-Rahmen verspricht, von kulturellen Beziehungen zu Südafrika abzuraten, in ihrer Antwort aber zugeben muß, daß über Mittlerorganisationen alles so weitergeht wie bisher? Was ist eigentlich mit dem südafrikanischen Militärattaché, der noch immer in Bonn ist, obwohl die Bundesregierung zugesagt hat, dem Militärattaché die Akkreditierung zu verweigern? Der alte ist noch da, seit 1979, das ist richtig, aber wäre es, Herr Kollege Genscher, nicht — wie schon so oft von uns gefordert — möglich und nötig gewesen, gegenüber Pretoria endlich auf seine Abberufung zu dringen?Das sind nur zwei Beispiele, die zeigen, wie die Bundesregierung das Südafrika-Problem in Wirklichkeit angeht. Dabei gibt es für die Bundesrepublik Deutschland drei Gründe, eine besondere Verantwortung im Hinblick auf Südafrika zu akzeptieren.Erstens gibt es in unserer heutigen Welt viele Begründungen, mit denen die Unterdrückung von Minderheiten zu rechtfertigen versucht wird; einmalig ist es aber, daß die überwältigende Mehrheit eines Volkes aller Rechte beraubt ist, daß Millionen zu Bürgern zweiter oder dritter Klasse erklärt werden, nur weil sie eine andere Hautfarbe haben als die herrschende Minderheit. Der Skandal der Apartheid wird auch nicht durch die Einsicht gemindert, daß das Verhalten der weißen Minderheit, deren Angehörige sich ja nicht als Kolonialherren, sondern als weiße Afrikaner verstehen, eine Tragödie ist.Verletzungen der Menschenrechte sind schlimm, wo immer sie vorkommen. Was aber Südafrika über das traurige Faktum der Verfolgung von Menschen durch Menschen hinaus negativ auszeichnet, ist die Tatsache, daß ein gesamter Staat ohne jeden Versuch der Verschleierung auf Prinzipien aufgebaut ist, die den Rassismus zur eigentlichen Verfassung dieser Gesellschaft machen.Nun gibt es Rassismus sicher nicht nur in Südafrika. Die schlimmsten Exzesse des Rassismus sind in unserem eigenen Lande passiert, und das liegt kaum mehr als eine Generation zurück. Gerade darum meine ich, daß wir Deutschen eine besondere Verantwortung haben, gegen Rassismus immer und überall aufzutreten, wo er sich zeigt. Rassismus ist die Negation unseres Menschenbildes, das aus der christlich-humanistischen Tradition entsprungen ist. Deshalb lehnen wir es auch ab, davon zu sprechen, die Apartheid könne reformiert werden. Die Apartheid kann nicht und soll nicht reformiert werden; sie muß abgeschafft werden.
Zweitens. Eine besondere deutsche Verantwortung gibt es auch für Namibia. Namibias Schicksal ist, wie wir wissen, aufs engste mit Südafrika verknüpft. Namibia war bis zum Ersten Weltkrieg eine deutsche Kolonie; es leben noch heute zahlreiche Deutsche dort. Schon aus diesem Grunde kann uns nicht gleichgültig sein, was im südlichen Afrika geschieht, zumal Pretoria Namibia widerrechtlich besetzt hält und sein Apartheidsystem nach Namibia hineinträgt.Schließlich drittens: Deutsche Mitverantwortung an der Situation in Südafrika folgt auch aus der Bedeutung der Bundesrepublik als einer der wichtigsten Wirtschaftspartner Südafrikas, des drittwichtigsten nach Amerika und Großbritannien. Die deutschen Direktinvestitionen in Südafrika betrugen 1984 — ohne Umweginvestitionen über Drittländer — 2,6 Milliarden DM, und wir sehen nicht nur, daß sich dieses Volumen ausdehnt, sondern sehen auch, daß deutsche Banken zunehmend in die Lücken eintreten, die amerikanische Banken durch ihren Rückzug aus Südafrika gelassen haben. Ich will das hier nicht im einzelnen ausführen; die Dinge sind bekannt.Schon aus diesen drei Gründen ergibt sich ein Imperativ für ein klares, unmißverständliches Handeln der Bundesregierung. Im übrigen gerät die Bundesregierung auch international in Gefahr, sich zu isolieren, wenn sie nicht endlich aktiv wird.Genau vor einer Woche, Herr Bundesaußenminister, hat die Commonwealth Eminent Persons Group — eine Gruppe, der auch eine große Zahl konservativer Politiker angehören, etwa der frühere Ministerpräsident Australiens, Malcolm Fraser — einen Bericht vorgelegt, der nachdrücklich auch wirtschaftliche Maßnahmen gegen Südafrika fordert. Noch im Herbst letzten Jahres hatten sich die Staatschefs des Commonwealth in Nassau nicht auf Sanktionen einigen können. Jetzt beschreibt die Commonwealth Group of Eminent Persons die Alternative, vor der Südafrika steht, so: Entweder beschließt die internationale Völkergemeinschaft Sanktionen, um Pretoria zur Aufgabe der Apartheid zu zwingen, oder das südliche Afrika versinkt in einem Blutbad, das — so heißt es in dem Bericht — das größte seit dem Zweiten Weltkrieg zu werden droht.Die Bundesregierung ist offenbar nicht bereit, auf diese ausländischen Stimmen zu hören. Sie scheintDeutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 222. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Juni 1986 17125Dr. Ehmke
auch die Sanktionsdebatte in Amerika nicht genauer zu verfolgen, die übrigens heute nacht — wenn ich es in den Nachrichten richtig verstanden habe — zur Verabschiedung des Sanktionsgesetzes durch das Repräsentantenhaus geführt hat.
Daneben haben sich mehr und mehr USA-Firmen aus Südafrika zurückgezogen. Mehrere Einzelstaaten haben Divestmentgesetze verabschiedet, dazu mehr als 20 Städte, darunter New York, Washington und Boston. Im Januar erklärte die größte amerikanische Bank, die City-Bank, daß sie alle Anleihen in den öffentlichen Sektor Südafrikas ab März 1985 einstellen werde. Viele Banken folgten diesem Beispiel. Im Kongreß waren es keineswegs nur die Demokraten, die die Sanktionsgesetzgebung vorangetrieben haben. Ob es nun der Druck des Kongresses oder eigene Überzeugung war, jedenfalls hat Präsident Reagan im September 1985 ein Maßnahmeprogramm gegen Südafrika erlassen, das den Bann von Darlehen an die südafrikanische Regierung und das Verbot des Imports von Krügerrand-Goldmünzen enthält.Hat sich die Bundesregierung bisher dazu aufgerafft? Nein, sie bleibt weit hinter den Forderungen der Commonwealth-Staaten und auch weit hinter der sonst von ihr so nachgeeiferten Reagan-Administration zurück. Wo sich andere Staaten des Westens um politische Glaubwürdigkeit bemühen, indem sie — im Widerstreit mit ihren kurzfristigen, aber durchaus in Übereinstimmung mit ihren langfristigen Eigeninteressen — ihr Bekenntnis zu den Menschenrechten und ihre praktische Politik gegenüber Südafrika in Übereinstimmung bringen, kneift die Bundesregierung vor ihrer Verantwortung. Sie verspielt damit einmal mehr ein Stück des Ansehens der Bundesrepublik in der Welt, insbesondere aber in Afrika.Wir müssen uns das klarmachen: Die Bundesrepublik gehört immer noch zu den Staaten, die das Überleben des Apartheidregimes ermöglichen. Herr Außenminister, die Führer der südafrikanischen Bevölkerungsmehrheit werden sich das merken. Aber nicht nur das. Die südafrikanische Wirtschaft hat schneller als die Bundesregierung begriffen, daß die Apartheid weg muß, wenn Südafrika und seine Menschen eine Zukunft haben sollen.
Die Argumente, die wir gegen ein energisches Vorgehen gegenüber Südafrika hören, sind vorgeschoben. Es hat doch keinen Zweck, hier den Einwand vorzutragen, jede Äußerung oder jede harte Maßnahme sei Einmischung. Ich muß Ihnen das sagen, Herr Außenminister: Eine Bundesregierung, die Nicaragua mit der Begründung Hilfe verweigert, daß dort Menschenrechte verletzt würden, verliert jeden moralischen Anspruch, wenn sie nicht etwas aktiv zur Verwirklichung der Menschenrechte in Südafrika tut.
Es sind Scheinargumente, mit denen sich die Bundesregierung vor ihrer Verantwortung drückt. Ich meine z. B. das Argument, Sanktionen würden, statt Reformen in Südafrika zu beschleunigen, nur die schwarze Mehrheit treffen. Es sind doch deren Führer, die uns immer wieder versichern, sie und die Bevölkerung würden das auf sich nehmen, wenn sie nur das Apartheidsystem loswerden.
Sie sind mehr durch das Apartheidsystem bedrückt als durch alles, was ihnen durch wirtschaftliche Sanktionen passieren kann.Auch das Argument, eine Schwächung des Apartheidregimes nütze nur der Sowjetunion, ist vorgeschoben.
Südafrika unter der Apartheid ist nicht das antisowjetische Bollwerk, ist nicht der Hüter des Seewegs um das Kap der Guten Hoffnung und nicht der unersetzliche Lieferant von für die Verteidigung des Westens wichtigen Rohmaterialien, wie es uns die Sympathisanten der Apartheid immer wieder weismachen wollen.Es kommt vielmehr darauf an, verehrte Kollegen von der Koalition, rechtzeitig mit den Widerstandsbewegungen, dem ANC, dem UDF, unsere Kontakte so auszubauen, daß wir ein stabiles Verhältnis zum zukünftigen Südafrika herstellen.
Dafür ist es entscheidend, daß sich die Widerstandsbewegungen nicht vom Westen verraten und verkauft fühlen, wie sie das heute durch die Bundesrepublik tun,
sondern daß diese Widerstandsbewegungen im entscheidenden Moment auf unsere Hilfe rechnen können. Dieser Moment ist jetzt gekommen.In dem Irrglauben, das Chaos im eigenen Lande verschieben zu können, indem sie das Chaos in die Nachbarstaaten hineintragen, hat das Apartheidregime seit den achtziger Jahren alles darangesetzt, die afrikanischen Staaten an seiner Nordgrenze zu destabilisieren. Die Contras in Mosambik und Angola würde es ohne die Unterstützung Pretorias gar nicht geben. Wir und auch Sie, Herr Außenminister, haben Grund zu der Annahme, das Südafrika beim Sturz der Regierung in Lesotho seine Hand im Spiel hatte. Die Luftangriffe auf tatsächliche oder vermeintliche ANC-Ziele in den Nachbarstaaten im Mai dieses Jahres haben einmal mehr gezeigt, daß sich die Aggressivität des Apartheidsystems nach innen, nach außen in Hegemonialstreben und in grober Mißachtung des Völkerrechts niederschlägt.Wir fordern die Bundesregierung daher auch auf, jeden möglichen Druck auf Südafrika auszuüben, solche Interventionen zu unterlassen. Wir fordern die Bundesregierung auf, die Frontstaaten ökonomisch so zu stabilisieren, daß sie sich von ihrer
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Dr. Ehmke
bedrückenden Abhängigkeit von Südafrika lösen können.Gegen jedes internationale Recht hält Südafrika Namibia besetzt. Wir bedauern, daß die Bemühungen der sogenannten Kontaktgruppe, die Resolution 435 des UNO-Sicherheitsrats in die Tat umzusetzen und Namibia in die Unabhängigkeit zu entlassen, als gescheitert angesehen werden müssen. Trotzdem gibt es zu dem in der Resolution 435 aufgezeigten Weg keine Alternative. Namibias Übergang in die Unabhängigkeit muß durch freie, von der UNO überwachte Wahlen erfolgen, an denen die SWAPO ohne jede Einschränkung teilnehmen kann.An die Adresse der Reagan-Administration füge ich hinzu: Ihr Linkage zwischen der Unabhängigkeit Namibias und dem Abzug der Kubaner aus Angola
ist schwer mit dem Geist der Resolution 435 zu vereinbaren. Vor allen Dingen aber: Es bindet in unheilvoller Weise das Schicksal Namibias weiter an das Schicksal Südafrikas. Im Interesse Namibias und der Völkergemeinschaft liegt es, alles zu tun, damit dieses schöne Land nicht in die zu befürchtende Katastrophe Südafrikas mit hereingezogen wird.Die Tage des Apartheidregimes sind so oder so gezählt. Ein Blutbad ist — wir stimmen der Analyse der konservativen und nichtkonservativen Kollegen der Commonwealth-Gruppe zu — voraussichtlich nur noch zu verhindern, wenn der Westen jetzt die Aufgabe des Apartheidsystems mit erzwingt. Die Bundesregierung darf nicht länger passiv bleiben. Darum bitten wir um Zustimmung zu unserem Antrag.Herr Kollege Rühe, ich habe mit Interesse gelesen, daß Sie nun plötzlich fordern, daß falls Pretoria nicht einschwenkt, man nicht nur wirtschaftliche und politische Sanktionen ergreifen muß, sondern -- so die Formulierung Ihres Interviews — man Südafrika politisch und wirtschaftlich völlig isolieren muß, was noch weitergeht.Wir werden an Ihrem Verhalten hier bei der Abstimmung sehen, ob das wieder einmal nur ein Stück Augenwischerei ist oder ob die Union tatsächlich bereit ist, endlich von ihrer falschen Politik gegenüber Südafrika abzugehen.Schönen Dank.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Klein .
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Kollege Ehmke weiß ganz genau, daß die Interpretation des Rühe-Interviews, die er hier gegeben hat, falsch war. Er wußte das vorher; er hat es trotzdem getan.
Meine Damen und Herren, wie oft hat dieses Hohe Haus schon über Menschenrechtsverletzungen, Gewalt und Krieg debattiert! Wie oft gab der Deutsche Bundestag auch Impulse, die in unserem Volk eindrucksvolle Aktionen der Hilfsbereitschaft auslösten! Eingedenk der bitteren moralischen und materiellen Not, die wir erst vor wenigen Jahrzehnten selbst durchlitten haben, sind wir allem Anspruchsdenken und aller Wohlstandsgesinnung zum Trotz des Mitfühlens und des Mitleidens fähig geblieben. Ein hungerndes Kind, eine geschundene Frau, ein ermordeter Mann - in Südafrika, in Äthiopien, im Libanon, in Afghanistan, in Kambodscha oder wo immer in der Welt — sie relativieren die Probleme, über die wir uns hier sonst streiten. Ein entwürdigter Mensch: Muß er uns nicht so tief bewegen, daß wir die Entwürdigung mitempfinden? Die Apartheid, diese kodifizierte Irrlehre von der getrennten Entwicklung, hat Millionen von Menschen entwürdigt.Es wäre eine große Stunde dieses Parlaments, wenn es uns einmal gelänge, über diese in des Wortes doppelter Bedeutung brennende Frage ohne parteipolitische Voreingenommenheit miteinander zu reden.Sind wir in der Vergangenheit nicht alle irgendwie mitschuldig geworden an der tödlichen Eskalation der Gewalt in Südafrika? Die einen, die das explosive Gemisch aus Rassenhaß und Klassenhaß, eine blutige, jegliche Menschenwürde erst recht zerstörende Revolution, die Vernichtung einer blühenden Wirtschaft und den sowjetischen Griff nach dem Rohstoffreichtum des Landes fürchteten, warben um Verständnis für die südafrikanische Regierung und die sie tragende Nationale Partei. Sie erhoben, von wenigen Ausnahmen abgesehen, keine dramatischen Vorstellungen dagegen, daß die dringend notwendigen Schritte zur Überwindung der Apartheid bislang meist zu spät und in zu geringem Ausmaß beschlossen wurden. Die anderen, die in der calvinistischen Selbstgerechtigkeit mancher Südafrikaner, im Engagement multinationaler,. auch deutscher, Konzerne und in den wiederholten Demonstrationen militärischer Überlegenheit der Republik Südafrika gegenüber ihren Nachbarn eine Herausforderung sozialistischer oder humanistischer Überzeugungen sahen, gewährten allen gegen das System kämpfenden Gruppierungen ihre Unterstützung. Das schloß die indirekte moralische Rechtfertigung der als Gegengewalt bezeichneten Gewalt ein.Aber hatten wir dabei immer nur das Schicksal der Menschen, der schwarzen, weißen, farbigen, asiatischen Menschen Südafrikas im Blick? Achteten nicht die einen sorgfältig darauf, daß die gegen Südafrika beschlossenen Maßnahmen die eigenen Interessen nicht schädigten? Und bedachten die an-
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Klein
deren, die Boykott und Sanktionen forderten, das mörderische Ende? Lieferte die Entrüstung nicht vielen Europäern den publikumswirksamen Vorwand, moralisch Toilette zu machen? Und war die Empörung der Amerikaner nicht zuvörderst von der Sorge um den Konsens mit der eigenen schwarzen Minderheit diktiert?
Fragen, die jeder für sich selbst beantworten muß. Je rückhaltloser diese Antworten ausfallen, desto ehrlicher wird die daraus abgeleitete Politik sein.Für die Fraktion der CDU/CSU, die sich die Erarbeitung dieser Politik nicht leichtgemacht hat, stehen drei Punkte im Vordergrund.Erstens. Bemühungen zur Überwindung der Apartheid müssen der Aussöhnung zwischen Rassen und Bevölkerungsgruppen dienen und dürfen nicht die Konfrontation verschärfen. Sie müssen auf allseitige Beendigung der Gewalt gerichtet sein und dürfen nicht die Gewaltanwendung einer Seite fördern.Zweitens. Ziel ist die Herstellung einer gesellschaftlichen und politischen Ordnung in der Republik Südafrika, die von der Zustimmung aller Südafrikaner getragen wird und in der alle Südafrikaner gerechten Anteil an der Gestaltung der Geschicke ihres Landes haben.Drittens. Die westliche Welt muß die historische Dimension der Auseinandersetzungen im südlichen Afrika begreifen und daraus die notwendigen, Not wendenden Schlüsse ziehen. Konferenzpapiere mit Kompromissen auf dem niedrigsten gemeinsamen Nenner reichen nicht mehr aus.Über das hinaus, was wir von dem bevorstehenden europäischen Gipfel erwarten, erscheint es meiner Fraktion nötig, daß die wichtigsten europäischen Staaten und die USA unverzüglich ein umfassendes Konzept für eine friedenstiftende Politik gegenüber der Republik Südafrika und ihren Anrainerstaaten entwickeln. Das ist es, Herr Kollege Ehmke, worüber der Kollege Rühe in seinem Interview gesprochen hat.
Das Schicksal der Menschen auf unserem südlichen Nachbarkontinent ist auch unser Schicksal.Diese drei Punkte sind auch der Kern des kurzen Antrags, den Ihnen die Koalitionsfraktionen heute vorlegen. Ich bitte, der Überweisung an die zuständigen Ausschüsse zuzustimmen, wo er als Grundlage für verantwortungsvolle parlamentarische Mitarbeit bei der Lösung dieses Problems unserer Tage dienen soll.Ich danke Ihnen.
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Borgmann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Selten habe ich so ein bigottes Gesülze gehört, Herr Klein, wie Sie es gerade vorgetragen haben. Wirklich!
Die Verhängung des Kriegsrechts in Südafrika in der vergangen Woche unterstreicht zweierlei:
einmal den verabscheuungswürdigen und menschenverachtenden Charakter des Apartheidregimes, das damit den Grad der Unterdrückung in Südafrika noch einmal verschärft hat. Zweitens belegt dieser Schritt, daß die Apartheit bereits heute ernsthaft in die Defensive gerät. Die Verhängung des Kriegsrechts unterstreicht die Perspektivlosigkeit und die aggressive Verzweiflung der südafrikanischen Rassisten.
Der polizeiliche Terror gegen die Opposition, die willkürlichen Verhaftungen Tausender von Apartheidgegnern und die repressiven Maßnahmen gegen Gewerkschaften, Kirchen, Zeitungen und gegen jede kritische Regung demonstrieren doch erneut, zu welch blindwütiger Brutalität die mit dem Rükken an der Wand stehende Burenmafia fähig ist. Selbst stramm rechte Presseorgane wie die „Frankfurter Allgemeine Zeitung" haben mehrfach darauf hingewiesen, daß Südafrika heute praktisch eine Diktatur des Polizei- und Militärapparates darstellt.
Diese Entwicklung ist nicht zufällig erfolgt. Sie dürfte auch niemanden wirklich überraschen.
Es handelt sich um das voraussehbare Ergebnis dessen, was uns klammheimliche Apartheidsympathisanten aus der deutsch-nationalen Ecke lange als Reform der Apartheid verkaufen wollten.
Die leicht durchschaubare Strategie dieser scheinheiligen Lobbyisten bestand und besteht in dem Versuch, uns weiszumachen, das Apartheidregime sei darauf versessen, sich durch „Reformen" selbst zu beseitigen. Dabei ist natürlich klar, daß „Reformen" der Apartheid dem alleinigen Zweck dienen, dieses System in leicht modizifierter Form am Leben zu erhalten.
Apartheid soll an die Realitäten angepaßt und so gerettet werden. Dazu werden die verschiedenen nichtweißen Bevölkerungsgruppen gegeneinander ausgespielt und durch eine Strategie des „teile und herrsche" scharf kontrolliert. An dieses durchsichtige Manöver der südafrikanischen Regierung glauben wohl nur noch jene, die unbedingt daran glauben wollen, die aus wirtschaftlich-ideologischen
Frau Borgmann
bzw. aus Gründen einer gesicherten Rohstoffzufuhr das Land unter der Knute halten wollen.
Meine Damen und Herren, ich bitte wirklich, diesen Dialog jetzt zu unterlassen.
Doch den Protestierenden in aller Welt ist klar, daß Apartheid nicht zu reformieren ist, sondern daß sie abgeschafft, daß sie gestürzt werden muß,
wenn man es mit den Menschenrechten in Südafrika ernst meint.Für die reaktionären Kräfte, vor allem in Bonn, Washington und London,
erweist es sich als höchst prekär, daß auf der internationalen Ebene eine starke Bewegung in Gang gekommen ist, die durch die gezielte Anwendung breit gestreuter Sanktionen eine Abschaffung der Apartheid fördern und erzwingen will. Hierbei wird wirtschaftlicher Druck in Form ebenso gezielter wie umfassender Sanktionen zum entscheidenden Hebel, dessen Anwendung zudem von der schwarzen Bevölkerungsmehrheit nachdrücklich immer wieder verlangt wird. Japan, die skandinavischen Länder, Kanada, Frankreich, die USA und zahlreiche andere Länder sind hierbei erste und zum Teil wichtige Schritte vorausgegangen, und erst vor wenigen Tagen hat Dänemark als Reaktion auf die Verhängung des Kriegsrechts mit einem umfassenden Wirtschaftsboykott geantwortet. Nur durch solche Maßnahmen kann die internationale Gemeinschaft einen konstruktiven Beitrag leisten und statt unglaubwürdiger Lippenbekenntnisse tatsächlichen Druck ausüben.Die Bundesrepublik steht nach wie vor abseits; schlimmer noch: Sie unternimmt eine ganze Menge, um die internationalen Sanktionen sogar zu unterlaufen und unwirksam zu machen. Die Bundesregierung bemüht sich, hinter einem Schleier verbaler Stellungnahmen gegen Apartheid die Tatsache zu verbergen, daß sie und bundesdeutsche Großkonzerne dem Apartheidregime weiterhin materielle Hilfestellung leisten. Der Anteil bundesdeutscher Banken allein an der Finanzierung öffentlicher Anleihen in Südafrika beträgt seit 1982 etwa 32%. Bundesdeutsche und britische Banken springen hilfreich ein, wenn etwa amerikanische Banken ihre Kredite zurückfordern und neue verweigern. Die Bundesregierung sieht trotzdem — ich zitiere — „keinen Anlaß, in die Freiheit des Kapitalverkehrs einzugreifen". Das kann uns nicht überraschen. Die Freiheit des Kapitalverkehrs ist eben für diese Regierung immer noch wichtiger als die Befreiung einer brutal unterdrückten Bevölkerung von der burischen Herrenrasse.
Aber das ist noch nicht alles: Der Rüstungskonzern MBB hat entgegen dem UNO-Rüstungsembargo inzwischen 18 Hubschrauber an Südafrika geliefert,
die dort nach Augenzeugenberichten — das hat z. B. Pastor Kraatz berichtet - von der Polizei zur Bekämpfung von Demonstrationen eingesetzt werden.
Aus ihnen werden Gasgranaten und Schüsse auf Demonstranten abgegeben. MBB wirbt für diesen Hubschrauber vom Typ BO 105 öffentlich mit dem Hinweis auf ihre militärischen und polizeitaktischen Qualitäten, und die Bundesregierung versucht der Öffentlichkeit immer noch einzureden, diese Hubschrauber seien „ziviler" Natur!Wo sich andere Länder zurückziehen, springen bundesdeutsche Konzerne ein, nicht nur die Banken. Nachdem die Regierung Nakasone japanischen Firmen Investitionen in Südafrika verboten hat, baut heute Daimler-Benz dort Honda-Fahrzeuge, Magirus baut Nissan-Lastwagen, die Lieferung japanischer Computer wird über BASF und Siemens abgewickelt, und die Vertreter der Bundesregierung sehen ihre vornehmste Aufgäbe im Schwingen salbungsvoller Reden, wie wir es gerade wieder gehört haben.Diese geistig-moralische Verkommenheit hat dazu geführt, daß unser Land eine der letzten tragenden Säulen des Apartheidregimes ist.
Die Koalition und ihre Lobby sind mit für das verantwortlich, was heute an Verhaftungen und Morden in Südafrika geschieht. Schlimmer noch: Einige Kräfte aus dem Lager von CDU und CSU rechtfertigen sogar offen das Vorgehen der Rassisten. Herr Strauß ist für entsprechende Sympathien ja hinlänglich bekannt, aber auch Herr von Hassel reiste kürzlich auf Einladung aus Pretoria nach Südafrika und betätigt sich nun hier als Sprachrohr seiner Gastgeber. Leute dieses Kalibers sind selbst gegen so grundlegende Forderungen wie das freie, gleiche und geheime Wahlrecht in Südafrika mit der Begründung, daß die Befreiungsbewegung ANC sonst die Regierung stellen würde. Das können Sie der Presseerklärung von Herrn von Hassel entnehmen.Wir fordern Sie auf, Herr Kohl — leider ist er heute wieder nicht da —, Ihrer immer unglaubwürdiger werdenden Empörung endlich, endlich Taten folgen zu lassen. Nur eine Serie konkreter und harter Sanktionen übt den nötigen Druck aus, der die Apartheid beseitigen hilft.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 222. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Juni 1986 17129
Frau BorgmannDer SPD-Antrag enthält eine Reihe von Forderungen, denen wir uns anschließen können. Aber am entscheidenden Punkt greift er unseres Erachtens wieder zu kurz. Die Bundesregierung wird aufgefordert — ich zitiere —... ausgewählte, rücknehmbare nationale Einschränkungen des Kapitalverkehrs und des Handels zwischen der Bundesrepublik und Südafrika ... zu ergreifen.Diese Formulierungen sind nicht präzise genug.
Daran wird deutlich, daß auch bei Ihnen noch ein gravierender Widerspruch zwischen Reden und Tun besteht.
Wir treten nach wie vor für ein umfassendes Handelsembargo ein, das den entscheidenden Anstoß zur längst überfälligen Veränderung der unerträglichen Verhältnisse in Südafrika und Namibia geben wird.
Das Wort hat der Abgeordnete Schäfer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Voigt, Sie werden nicht origineller. Selbst morgens fällt Ihnen offensichtlich schon nichts Neues mehr ein. Warten Sie doch erst einmal ab!Der Anlaß zu der heutigen Debatte, meine Damen und Herren, ist ernst genug. Wir führen diese Debatte heute, die das britische Unterhaus schon vor zwei Tagen geführt hat. Ich sehe wirklich keinen Anlaß zu Heiterkeit und Zwischenrufen dieser Art, liebe Freunde von der SPD. Ich glaube nicht, daß uns das hier weiterführen wird.
Der Anlaß zu dieser Debatte ist traurig genug, Herr Ehmke.
Ich glaube, daß wir alle darin übereinstimmen, daß die erneute Verhängung des Ausnahmezustandes in Südafrika, daß Massenverhaftungen, daß die Ankündigung von neuen Gesetzen, die jetzt verabschiedet werden sollen und die vorsehen, daß man Menschen bis zu 180 Tagen ohne ein Gerichtsverfahren in Gewahrsam halten kann, in der ganzen westlichen Welt doch nun weiß Gott Grund genug zu Abscheu sind.
Es wird mehr und mehr offenkundig, daß sich die Hoffnungen, die wir alle in den Versuch gesetzt haben, die derzeitige Regierung dazu zu bringen, Maßnahmen zu treffen, die zu einer Verbesserungder Lage führen, nicht erfüllt haben. Allein die Tatsache der Pressezensur, die eingeführt worden ist, die Beschränkung der Berichterstattung wirft ein bezeichnendes Licht auf eine Gesellschaft, die sich westlich nennt, von der man aber nicht sagen kann, daß sie an die Normen westlicher Gesellschaften auch nur im geringsten heranreicht.Offensichtlich glaubt die südafrikanische Regierung, sie könne allein mit Gewalt Herr der Lage werden, könne dadurch, daß sie erneut Maßnahmen trifft, die weit über das hinausgehen, was man als Rechtfertigung in der derzeitigen Situation ansehen kann, könne durch Niederknüppeln der Unruhen in irgendeiner Weise noch einen Prozeß aufhalten, der sich seit Jahren radikalisiert hat, aber nicht deshalb radikalisiert hat, meine Damen und Herren, weil hier wieder die bösen Kommunisten Schuld tragen, sondern weil man diejenigen Gruppen, die die Regierung seit Jahren — seit vielen Jahren — aus christlicher Verantwortung zu Reformen beschworen haben, jahrelang in zynischer Weise — ich erinnere an die erste Reise des Auswärtigen Ausschusses 1978 — mißachtet hat.
Ihnen geht die Geduld aus. Sie sind nicht mehr in der Lage, anders zu reagieren, als das jetzt der Fall ist. Aber man ist ja mit Maßnahmen wieder schnell bei der Hand. So Herr Botha in seiner Rede vom 12. dieses Monats, in der er diesen Ausnahmezustand begründet und in der er — natürlich wiederum nur sehr vage — von der Bereitschaft zu Reformen spricht, aber alle Gegner und Opponenten seines Regimes in die Nähe des Kommunismus rückt. So kann man auf Dauer keine Politik machen. Das Presseecho in der ganzen Welt, das Echo in allen Staaten der westlichen Welt ist bezeichnend.Meine Damen und Herren, ich halte es für Zynismus, wenn der Präsident der Republik Südafrika in seiner Rede vom 12. Juni erklärt:Keine verantwortungsbewußte Regierung kann eine unbegrenzte Zerrüttung von normalen politischen und wirtschaftlichen Aktivitäten in ihrem Lande durch außerparlamentarische und gewaltsame Aktionen zulassen.Man muß doch einmal die Frage stellen, wieso diese Kräfte alle noch außerparlamentarisch sind.
Wo war denn die Bereitschaft, zumindest eine Dritte Kammer für die Schwarzen einzuführen? Man ist mit diesem berühmten Versuch, zwei Kammern für Minderheiten einzuführen, gescheitert. Wir haben das mit unseren Freunden der liberalen Oppositionspartei in Kapstadt von Anfang an vorausgesagt. Wir haben nichts anderes geerntet als Hohn — auch das muß hier einmal deutlich werden —, und dies seit vielen Jahren.„Die Reforminitiativen der Regierung" — so Herr Botha — „werden von radikalen und revolutionären Gruppen zerstört, und damit wird die Republik unregierbar gemacht." — Es ist interessant, daß er sagt, dies geschehe seit 1985. Die Zeit ist also davongelaufen, und die Regierung in Südafrika hat bis
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Schäfer
zur Stunde keine Reformen gemacht, die dieses Wort verdienen. Sie hat Dinge zurückgenommen, die unmenschlich gewesen sind, aber sie hat keine durchgreifenden Reformen gemacht. Sie hat vor allen Dingen versäumt, sich mit allen authentischen Kräften an einen Tisch zu setzen und über eine neue Verfassung nachzudenken. Nichts anderes ist seit vielen Jahren von schwarzer Seite gefordert worden.Meine Damen und Herren, Herr Ehmke hat die Ergebnisse der Commonwealth Group of Eminent Persons zitiert. Ich brauche das nicht nochmals zu tun. Ich stimme in vielen Punkten der Analyse dieser Kommission zu. Man muß ergänzend sagen: Die außenpolitischen Aktivitäten der Südafrikaner haben bewiesen, daß man offensichtlich noch sehr viel Zeit verwenden kann, sich z. B. in Angola, aber auch in anderen Nachbarstaaten militärisch zu betätigen. Auch das wirft ein bezeichnendes Licht auf die wahre Gesinnung dieser Regierung.Meine Damen und Herren, ich fürchte, wir werden nicht um die Frage herumkommen, zu klären, wie es eigentlich weitergehen soll. Jetzt möchte ich doch die Commonwealth-Kommission zitieren. Hier wird gesagt, die südafrikanische Regierung — und das nach langen Gesprächen in Südafrika — sei noch nicht bereit, über die Grenzen von Hautfarbe, politischem Standort und religiöser Zugehörigkeit hinweg über eine nicht rassistische und repräsentative Regierung Südafrikas zu verhandeln, es sei denn zu ihren eigenen Bedingungen. Wenn gesagt wird, all dies sei weit entfernt von den vernünftigen Erwartungen der Schwarzen, und wenn die gleiche Kommission sagt, daß die Regierung von Südafrika Verhandlungsbereitschaft nur vorgebe, und gleichzeitig sagt, der Westen müsse etwas tun, damit dieser Prozeß beschleunigt werde, stehen wir vor einer Frage, die wir hier schon sehr oft diskutiert haben.Meine Damen und Herren, ich glaube, es ist sehr wichtig, an einen Satz der Beschlüsse der EG-Außenminister vom 13. September 1985 zu erinnern. Hier heißt es: „Die Frage anderer Maßnahmen bleibt bestehen, wenn nicht in einem bestimmten Zeitraum wirklich Lösungen erzielt werden können." Es ist also auch die Vorstellung der Außenminister der EG gewesen, eindeutig zu sagen: Unser Maßnahmenkatalog muß ergänzt werden, wenn er nicht ausreicht. Ich muß sagen: Wir sind uns doch darüber im klaren, daß der Maßnahmenkatalog vom September vergangenen Jahres eben keine Wirkungen in Südafrika erzielt hat.Nun ist immer wieder die große Forderung nach dem berühmten totalen Wirtschaftsboykott erhoben worden. Wir haben sehr ausführlich begründet, weshalb wir einen totalen Wirtschaftsboykott für sinnlos halten, für nicht durchführbar, für wirkungslos. Aber zwischen einem Wirtschaftsboykott und moralischen Appellen an die Regierung allein, die wir bereits seit Jahren gepflogen haben, ohne jeden Erfolg, gibt es noch eine Bandbreite von Möglichkeiten. So haben wir in unserem heutigen Antrag sehr deutlich gemacht, daß wir z. B. den Dialog mit allen authentischen Führern führen müssen. Ich habe bereits vor mehreren Monaten vorgeschlagen, daß der Auswärtige Ausschuß ein Hearing veranstalten solle, bei dem wir in Deutschland auch einmal die Persönlichkeiten der Opposition zu sehen bekommen, die bisher auf Grund des Paßzwangs und der Verhinderung ihrer Ausreise nicht die Möglichkeit hatten, hier ihren Standpunkt darzulegen — im Gegensatz zu Herrn Buthelezi und anderen, die wir hier alle gesehen haben. Ich finde, das wäre die Möglichkeit dazu. Vielleicht wird die südafrikanische Regierung dann auch Herrn Mandela eine Chance geben, im Ausland seinen Standpunkt über Gewalt oder Nichtgewalt darzulegen. Ich halte es nach wie vor für skandalös, daß Mandela trotz aller Versprechungen nicht freigelassen worden ist.
Das hat die Situation verschlimmert.
— Ich will Ihnen sagen, Graf Huyn: Es wird immer gesagt: Wenn diese und jene auf Gewalt verzichten! Ich bin der Auffassung, auf Gewalt verzichten muß zunächst einmal die südafrikanische Regierung, bevor sie andere dazu aufruft, auf Gewalt zu verzichten.
Es gibt doch keinen Zweifel mehr, in welcher Weise diese Gewalt ausgeübt wird.Meine Damen und Herren, ich meine, wir sollten einige konkrete Schritte überlegen. Ich möchte das hier zum Nachdenken auch an die Bundesregierung sagen. Ich halte es erstens nicht für richtig, wenn hier der Vorwurf unwidersprochen bleibt, daß dort, wo sich amerikanische Firmen und andere Firmen zurückziehen, angeblich deutsche Banken und deutsche Firmen mit Neuinvestitionen einsteigen. Wenn dieser Vorwurf zutrifft, halte ich das für eine Belastung des internationalen Prestiges der Bundesrepublik Deutschland. Das habe ich schon vor langen Monaten gesagt. Ich bitte darum, das nachzuprüfen.Ich bitte zweitens darum, zu erwägen, daß man Hermes-Bürgschaften nicht mehr nach Südafrika gibt, und zwar deshalb nicht, weil es das Geld deutscher Steuerzahler ist und weil wir auf fünf Jahre hinaus nicht wissen können, wie die Entwicklung weitergeht. Ich bin jedenfalls der Auffassung, daß dies nicht mehr zu verantworten ist.Drittens. Wir sollten möglicherweise auch über gewisse Importbeschränkungen nachdenken, wie einige Nachbarstaaten es tun. Das ist durchaus möglich, z. B. für Kohle und landwirtschaftliche Produkte.Viertens. Wenn die Südafrikaner weiterhin darauf bestehen, daß einreisende Deutsche ein Visum haben müssen, dann bin ich der Meinung, sie sollten das jetzt entweder sehr schnell aufheben oder wir sollten dann auch den Visumzwang einführen. Wenn die Südafrikaner der Auffassung sind, daß deutschen Presseleuten in Südafrika die Betätigung nicht erlaubt oder eingeschränkt wird, dann müssen wir mit ähnlichen Maßnahmen — es tut
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Schäfer
mir leid — antworten. Wir haben das j a auch bei einigen anderen Staaten getan. Wir können das alles nicht einfach hinnehmen. Schließlich, meine Damen und Herren, sollten wir weiß Gott auch endlich einmal den südafrikanischen Militärattaché aus diesem Lande verweisen, denn wir haben j a nun keine militärischen Beziehungen — —
— Ich weiß, daß dies nicht am Außenminister scheitert. Ich glaube, es gibt in diesem Zusammenhang andere Probleme.Herr Präsident, gestatten Sie mir noch einen Schlußsatz. Ich glaube, wir müssen an den bevorstehenden Gipfel, den Europäischen Rat in zehn Tagen die Erwartung richten, daß er sehr ernsthaft erwägt, ob er im Hinblick auf auf die weltweite Reaktion nicht zusätzliche Maßnahmen treffen muß. Ich hoffe, daß die Bundesregierung energisch zu solchen sinnvollen Schritten beiträgt. Ich glaube, das können wir als Abgeordnete des Deutschen Bundestages in dieser Lage erwarten.Vielen Dank.
Ich erteile dem Herrn Bundesminister des Auswärtigen das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Am Beginn einer Würdigung der in der Republik Südafrika eingetretenen Lage muß eine Standortbestimmung für die Republik Südafrika und unseres Verhältnisses zu diesem Staat stehen. Die Republik Südafrika ist kein Vorposten der freien Welt, wie ihre Machthaber es behaupten und wie es bei uns manche nachreden oder nachschreiben.
Es müßte schlecht aussehen für die freie Welt, wenn sie solcher Vorposten bedürfte.
Aber die Republik Südafrika könnte leicht zu einem Vorposten des Kommunismus werden, wenn die freie Welt in den Verdacht käme, sie sei ein Komplize der Apartheid.
Meine Damen und Herren, die Republik Südafrika wird auch nicht dadurch zum Vorposten der freien Welt, weil ihre Machthaber sich streng antikommunistisch gebärden. Antikommunismus ist kein Ersatz für Menschenrechte.
Jene weißen und jene schwarzen Südafrikaner, die sich gegen die Apartheid aussprechen, die gegen die Apartheid eintreten, werden nicht dadurch schon zu Kommunisten. Sie könnten es allenfalls dann werden, wenn sie in der freien Welt kein Gehör finden.
Dasselbe gilt und galt auch für viele Befreiungsbewegungen in Afrika, aber nicht nur dort. Oft haben sie vergeblich im Westen angeklopft und erst aus Enttäuschung in Moskau vorgesprochen, ohne deshalb übrigens zu Kommunisten geworden zu sein, wie das Beispiel vieler Staatsoberhäupter in Afrika gezeigt hat.Meine Damen und Herren, Südafrika wird auch nicht im Kommunismus versinken, wenn es zur Beseitigung der Apartheid kommt. Aber ich bin fest überzeugt: Der Kommunismus bekommt in Südafrika dann eine Chance, wenn aus Rassenunruhen einmal Rassenkrieg werden sollte.
Das oft gehörte Wort, in Südafrika gehe es den Schwarzen besser als in vielen schwarzafrikanischen Staaten, ist sicher nicht in dieser Allgemeinheit, aber ganz sicher für viele schwarze Südafrikaner zutreffend. Aber, meine Damen und Herren, Lebensstandard kann Menschenrechte nicht ersetzen, und der Mensch lebt nicht vom Brot allein.
Auch das müssen wir sehen.Deutsche und europäische Politik, die sich an den Grundwerten unserer Verfassung orientiert, kann nur Partei ergreifen gegen die Apartheid, und unsere christliche Verantwortung führt uns zu demselben Schluß. Die Verfolgten in Südafrika sind genauso unsere Brüder wie die Verfolgten in der Sowjetunion und anderswo.Der Ablauf des zehnten Jahrestages des Blutbades von Soweto ist nicht ein Sieg der weißen Staatsmacht, wie man das gelegentlich in diesen Tagen lesen konnte, er ist ein Sieg der Vernunft und der Verantwortung nach dem Aufruf vom Bischof Tutu. Er, der bei vielen, auch bei uns, gescholten wurde, als er den Friedensnobelpreis erhielt, hat seine Kritiker beschämt. Aber wir müssen fragen: Wie lange wird er mit seinen Appellen zur Mäßigung noch gehört werden?
Ich fürchte, daß diejenigen, die heute noch das geringschätzen, was Buthelezi sagt, die heute das Gespräch mit Oliver Tambo verweigern, die heute noch Mandela gefangenhalten, sich eines Tages nach der Chance zurücksehnen werden, mit diesen Männern reden zu können, weil inzwischen radikalere Sprecher der schwarzen Mehrheit ihre Positionen eingenommen haben werden.Wir haben in diesen Tagen einen Bericht der hochrangigen Persönlichkeiten des Commonwealth bekommen. Diese Persönlichkeiten, die sich aus Schwarzen und Weißen, aus Vertretern verschiedener politischer Auffassungen zusammensetzen, kommen zu dem Ergebnis, daß die Regierung Süd-
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Bundesminister Genscherafrikas nicht bereit sei, über eine grundlegende Wende ihrer Apartheidpolitik zu verhandeln. Das führt uns alle in die Verantwortung, aus dieser Feststellung der Commonwealth-Konferenz Konsequenzen zu ziehen.An der Spitze muß die Einsicht stehen: Apartheid ist nicht reformierbar. Sie muß als Lebensform einer Gesellschaft in allen ihren Erscheinungsformen beseitigt werden.
Wenn wir das erkennen, müssen wir die Verantwortlichen in Pretoria auffordern, dem Zustand des Unrechts in ihrem Lande ein Ende zu setzen.
Die Schritte, die notwendig sind, sind erstens, die Herstellung eines politischen Klimas für Verhandlungen und Gespräche der verschiedenen Bevölkerungsgruppen. Die Herstellung dieses politischen Klimas bedeutet: Entlassung der politischen Gefangenen, damit man Gesprächspartner hat. Die Herstellung dieses politischen Klimas — auch das ist die Position der Europäischen Gemeinschaft — bedeutet: Aufhebung des Banns für den ANC und, meine Damen und Herren, auch Gesprächsbereitschaft mit allen Beteiligten. Die Zahl derjenigen in Südafrika, die das Gespräch auch mit dem ANC suchen, wird größer. Die Vertreter der südafrikanischen Wirtschaft haben längst diese Gespräche, nicht hinter verschlossenen Türen, sondern offiziell aufgenommen, weil sie wissen, daß der Niedergang der südafrikanischen Wirtschaft nur aufgehalten werden kann, wenn politische Stabilität im Land zurückkehrt. Es ist so, daß sich die wirtschaftliche Lage in Südafrika heute bereits drastisch verschlechtert, weil die Hoffnung und das Vertrauen in die Zukunft auch bei der weißen Minderheit mehr und mehr der Verzweiflung und dem Gefühl der Aussichtslosigkeit weichen. Das wird bei der Beurteilung, Herr Kollege Schäfer, der einzugehenden Risiken, z. B. für Hermes-Bürgschaften, eine wichtige Rolle zu spielen haben.Die Bundesregierung ist daran interessiert, daß in der Umgebung Südafrikas stabile Staaten vorhanden sind. Deshalb wollen wir die wirtschaftliche Stärkung derjenigen Staaten, die als Frontlinienstaaten bezeichnet werden und die sich bei den Bemühungen um eine Lösung der Namibia-Frage als eine mäßigende und vermittelnde Kraft bereits in der Vergangenheit bewährt haben. Wir werden darüber beim Europäischen Rat genauso zu sprechen haben wie über Fortschritte bei der Namibia-Frage und wie bei der Bewertung der Stellungnahme der hochrangigen Persönlichkeiten aus dem Commonwealth.Hier ist kein Anlaß, Vorwürfe der moralischen Verantwortung zu erheben. Sie, Herr Kollege Ehmke, wissen so gut wie ich, daß in der Zeit, in der wir eine gemeinsame Regierung gebildet haben, auch Sie Ihre Zweifel an der Tauglichkeit von wirtschaftlichen Sanktionen hatten, obwohl das ApartheidRegime damals wie heute ein flagranter Verstoß gegen die Menschenrechte war. An dieser Bewertung hat sich sicher nichts geändert, kann sich auch nichts ändern.
— Ich meine, was die Bewertung des ApartheidRegimes angeht, kann sich sicher nichts ändern.Was sich geändert haben könnte, Herr Kollege Ehmke, ist die Frage der Tauglichkeit anderer Bemühungen.
Das ändert aber nichts an der Tatsache, daß die Wirkungsweise wirtschaftlicher Sanktionen immer natürlich auch die Schwächsten trifft.
Wir können auch an der Tatsache nicht einfach vorbeigehen, daß auch hochrangige Persönlichkeiten aus der schwarzen Mehrheit, wie z. B. Herr Buthelezi, als er hier war, sich gegen wirtschaftliche Sanktionen ausgesprochen haben.
Meine Damen und Herren, das alles werden wir mit zu bewerten haben, wenn die Europäische Gemeinschaft' beim Europäischen Rat ihre Entscheidung trifft. Es trifft nicht zu, daß die Bundesregierung am letzten Montag Entscheidungen aufgehalten hat. Das Gespräch der Außenminister diente vielmehr der Entscheidungsvorbereitung für den Europäischen Rat. Die Bundesregierung wird sich zusammen mit ihren Partnern für eine gemeinsame europäische Reaktion auf die Entwicklung der letzten Wochen, auf die bestürzende, auf die verzweifelte Entwicklung der letzten Wochen einsetzen,
um dazu beizutragen, daß endlich die Schritte in Südafrika ergriffen werden,
die uns direkt zur Überwindung der Apartheid führen.Ich danke Ihnen.
Das Wort hat der Abgeordnete Verheugen.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich finde es schade, daß die neuen und sehr weitreichenden Vorschläge des Kollegen Rühe von der CDU/CSU-Fraktion heute morgen nicht zur Diskussion gestellt worden sind,Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 222. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Juni 1986 17133Verheugendenn, Herr Kollege Rühe, darüber — nämlich über das, was Sie in Ihrem Interview vorgeschlagen haben — hätten wir uns in der Tat verständigen können. Da kann Herr Klein Interpretationskünste vornehmen, soviel er will. Sie haben klipp und klar der südafrikanischen Regierung mit der vollständigen wirtschaftlichen und politischen Isolierung gedroht und haben damit die Spitzenstellung in diesem Haus eingenommen, was die gegen Südafrika vorzunehmenden Maßnahmen angeht.Leider ist Ihre Fraktion Ihnen nicht — wieder einmal nicht — gefolgt. Leider — das muß ich sagen — hat es der Bundesaußenminister — brillant in der Analyse; völlige Übereinstimmung — auch heute vermieden, die Konsequenz aus dem zu ziehen,
was nach seiner Meinung in Südafrika die Unmenschlichkeit herbeigeführt hat.Ich will das noch einmal sehr präzise sagen: Wir reden nicht nur über das rassistische Unrecht in Südafrika, sondern über deutsche Südafrikapolitik, weil nämlich das eine — nämlich die Weigerung der Regierung Botha, den friedlichen Wandel herbeizuführen — ohne das andere — nämlich eine deutsche und westliche Südafrikapolitik, die sich auf die falsche Seite geschlagen hat — nicht möglich wäre.
Wir haben in der Tat keinen Anlaß, anklagend auf Südafrika zu weisen, sondern wir müssen vielmehr nach unserer eigenen deutschen Verantwortung fragen. Ich weiß, daß das eine gern verdrängte Frage ist. Aber sehen Sie denn nicht, wie in der ganzen Welt und wie insbesondere im Widerstand innerhalb und außerhalb Südafrikas die deutsche Bundesregierung in die Reihe derjenigen Regierungen gestellt wird, die dem Apartheid-Staat sein Überleben sichern?
Diese Regierung muß nicht stolz darauf sein, daß sie von den Bothas immer noch als ein zuverlässiger Alliierter betrachtet wird. So ist es nämlich. Als ein Alliierter bei was? In einem erbarmungslosen Krieg einer privilegierten, Macht und Wohlstand für sich allein in Anspruch nehmenden Minderheit gegen die übergroße Bevölkerungsmehrheit, die für elementare Menschenrechte kämpft.Ich weiß, daß die Bundesregierung eine andere Einschätzung ihrer Rolle hat. Sie verweist auch heute wieder auf den Dialog. Herr Genscher, ich muß Ihnen sagen, wir nehmen Ihnen das nicht mehr ab, denn Sie wissen ganz genau, daß sich die Machthaber in Südafrika von Dialog und Protesten überhaupt nicht beeinflussen lassen.Es ist sehr richtig, daß wir früher in diesen Fragen übereingestimmt haben, aber wir haben etwas dazugelernt. Man muß j a wohl etwas dazulernen. Irgendwann muß man doch begreifen, daß eine Politik das nicht gebracht hat, was sie bringen sollte. Die Politik, Südafrika durch enge politische und wirtschaftliche Beziehungen zu beeinflussen, ist gescheitert. Wieviel Beweise wollen Sie denn noch haben, um das einzusehen?Ich frage mich wirklich, woher die Bundesregierung die Berechtigung nimmt, von einem nennenswerten politischen Einfluß auf Pretoria zu reden oder zu sagen, sie würde diesen Einfluß verlieren, wenn sie wirtschaftliche Maßnahmen ergreife. Wo ist denn dieser Einfluß der Bundesregierung gewesen, wenn es darum ging, Südafrika von seinem Weg abzubringen?Nein, diplomatische Proteste und Nadelstiche à la Änderungskündigung des Kulturabkommens lenken in Wirklichkeit nur von der Tatsache ab, daß die Geschäfte in und mit Südafrika ungestört weitergehen sollen. Darum ist es nötig, einmal auszusprechen, um was für Geschäfte es sich handelt. Meine Damen und Herren, der Handel mit Südafrika wird uns immer wieder als eine Art Entwicklungshilfe für die armen Schwarzen dargestellt. Davon kann überhaupt keine Rede sein. Die deutschen Unternehmen in Südafrika beschäftigen heute keine 60 000 schwarzen Arbeitnehmer mehr, und das in einem Land, das allein auf Grund des Bevölkerungswachstums jedes Jahr 300 000 neue Arbeitsplätze brauchen würde. Die deutschen Investitionen in Südafrika, die Lieferungen nach Südafrika und die technisch-wissenschaftliche Zusammenarbeit konzentrieren sich auf die für das Überleben der Apartheid entscheidenden strategischen Bereiche der Energieversorgung, des Transports und der Kommunikation, der Hochtechnologie und des Maschinenbaus. Die Wirtschaftsbeziehungen zwischen der Bundesrepublik und Südafrika haben ganz wesentlich dazu beigetragen und tun es auch noch, daß Südafrika in seinen Bemühungen um Autarkie auf diesen Gebieten entscheidend vorangekommen ist. Ein Blick auf die Struktur unserer Handelsbeziehungen zeigt dies ganz deutlich.Aber das ist noch nicht alles. Neben den Handelsströmen und den Investitionen gibt es noch eine andere Verbindung, die einmal „die unsichtbare Pipeline" genannt worden ist, die Versorgung Südafrikas mit Krediten und Anleihen. Darüber ist erst vor wenigen Wochen hier gesprochen worden. Die unheilvolle Rolle deutscher Banken bei der Finanzierung der Apartheid ist dargestellt worden. Wir haben hier den Nachweis geführt, daß seit dem Rückzug der amerikanischen Banken aus dem Südafrika-Geschäft das deutsche Bankensystem den finanziellen Tropf zur Verfügung stellt, an dem das Apartheidsystem hängt. Es ist bewiesen, daß deutsche Banken die Deckung des Finanzbedarfs der staatlichen und halbstaatlichen Einrichtungen und Konzerne organisieren, die das Apartheidsystem abstützen. Und das ist immer noch nicht das Schlimmste.Das Allerschlimmste ist, daß die Bundesregierung auch die Absichten des Rüstungsembargos der Vereinten Nationen unterläuft. Der Embargobeschluß sagt unzweideutig, daß nichts nach Südafrika geliefert werden darf, was die militärischen und paramilitärischen Kapazitäten des Landes stärkt. Dennoch liefert die Bundesrepublik Fahrzeuge für die südafrikanischen Sicherheitskräfte.
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17134 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 222. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Juni 1986
VerheugenIch frage mich, wie Ihnen eigentlich zumute ist, wenn Sie im Fernsehen die Unimogs von Daimler-Benz sehen oder die Hubschrauber von MBB, aus denen auf die Menschen geschossen wird,
Lieferungen, die nach der geltenden Rechtslage und nach der Interpretation der Rechtslage durch die Bundesregierung noch nicht einmal genehmigungspflichtig waren.
— Ich sage es ja. — Ganz legal wird das ausgeführt. Wenn das so ist, daß das legal ist, muß ein Ausführungsgesetz her, mit dem sichergestellt wird, daß die Absichten des Rüstungsembargos der Vereinten Nationen realisiert werden.Dazu gehört dann auch — lassen Sie mich das noch anfügen —, daß wir nicht dulden können, daß deutsche Unternehmen Südafrika das Know-how und die Maschinen liefern, die es braucht, um seine eigene Rüstungsproduktion — wie es in der Vergangenheit geschehen ist - weiter auszudehnen. Aber die Bundesregierung stellt sich hin und sagt in der Antwort auf unsere Kleine Anfrage, es müsse nichts geschehen, um das Rüstungsembargo effektiv zu machen, denn alles Notwendige sei geschehen.
Das deutsche Sündenregister läßt sich fortsetzen. Ich will noch zwei besonders krasse Beispiele erwähnen, das Kulturabkommen und die Schulen. Die Bundesregierung ist die einzige Regierung auf der ganzen Welt, die mit der Republik Südafrika über ein Kulturabkommen verhandelt, und das, obwohl die Außenminister der EG mit Zustimmung der Bundesregierung im vergangenen September den Abbruch aller Kulturbeziehungen verlangt haben.
Herr Außenminister, ich weiß ja - zumindest ungefähr —, worüber in Pretoria verhandelt worden ist, und will das deshalb auch gar nicht kritisieren. Ich verstehe Ihre Intentionen. Aber könnten wir nicht vielleicht darin übereinstimmen, daß in dieser Situation der Prestigegewinn, den die weiße Regierung durch die Verhandlungen mit der Bundesregierung erzielt, zu leicht errungen ist, so daß unter den Umständen, die jetzt gegeben sind, diese Verhandlungen abgebrochen werden müßten? Ich bitte, darüber einmal nachzudenken.Was die Erziehungsmaßnahmen angeht, so ist es, glaube ich, an der Zeit, daß wir uns die deutschen Schulen in Südafrika einmal sehr ernsthaft ansehen, die das nicht geleistet haben, was schon die frühere Bundesregierung von ihnen verlangt hat, nämlich die Rassenintegration. Ich sage jetzt etwas, was ich bisher öffentlich nicht gesagt habe: Ich habe mich inzwischen davon überzeugen müssen, daß die Träger dieser deutschen Schulen in Südafrika, die Trägervereine, das von der früheren Bundesregierung durchgesetzte Rassenintegrationskonzept nur deshalb akzeptiert haben,. weil sie gewußt haben, daß es nicht funktionieren würde, weil sie gewußt haben, daß sie die Möglichkeit haben würden, es zu sabotieren. Ein anderes Konzept muß her; andernfalls ist es nicht mehr zu verantworten, daß wir für die Förderung von Apartheid-Schulen viermal soviel Geld ausgeben wie für Bildungsmaßnahmen im Bereich der schwarzen Bevölkerungsmehrheit.
Meine Damen und Herren, wir alle wollen den Frieden in Südafrika, und ich hoffe doch sehr, daß wir alle auch darin übereinstimmen, daß wir ein Südafrika wollen, in dem Angehörige aller Rassen friedlich miteinander leben können. Wie wir dahin kommen, wie dieser Weg gegangen werden kann, darüber besteht keine Einigkeit. Der Resolutionsentwurf der Koalitionsparteien spricht wieder vom Dialog, ohne zu sagen, wie der Dialog überhaupt möglich sein kann. Er kann nur möglich sein, wenn sich die weiße Regierung in Südafrika von der Apartheid abwendet,
wenn sie Nelson Mandela und die anderen politischen Gefangenen freiläßt, wenn die politischen Organisationen zugelassen werden und wenn die Sicherheitsgesetze außer Kraft gesetzt werden. Nur dann kann es einer der auch in Ihrem Entwurf erwähnten authentischen Führer der Schwarzen überhaupt wagen, sich mit dieser Regierung an einen Tisch zu setzen, nur dann!
Die Frage ist also: Wie kommen wir dahin, wie bringen wir die Weißen in Südafrika, die wir doch nicht bestrafen wollen, die wir doch nicht aus diesem Land verjagen wollen, sondern denen wir helfen wollen, dahin, auf diesen Weg zu gehen, und was können wir tun?Ich sage Ihnen: Wir dürfen nicht überhören, daß die Menschen in Südafrika, die rechtlos und unterdrückt sind, immer verzweifelter und immer dringender von uns verlangen, daß wir wenigstens mit den praktischen Maßnahmen aufhören, die das Apartheidsystem immer weiter stabilisieren.
Die Menschen in Südafrika verlangen von uns wirtschaftliche Maßnahmen. Woher nimmt eine Bundesregierung das Recht, besser wissen zu wollen
als die Menschen in Südafrika selbst, was ihnen nützt und was ihnen schadet? Woher nehmen Sie das Recht?
Ich möchte auf das hinweisen, was ein gemäßigter Führer wie Bischof Tutu uns dazu gesagt hat.
Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 222. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Juni 1986 17135VerheugenEr sagt: Jetzt kommt ihr mit dem Argument, Sanktionen würden den Schwarzen schaden, aber jahrzehntelang haben euch das Elend und die Arbeitslosigkeit der schwarzen Menschen überhaupt nicht interessiert;
jetzt, wo ihr ein kleines Opfer bringen sollt, wo ihr auf einen kleinen Profit verzichten sollt, jetzt auf einmal entdeckt ihr die armen Schwarzen, und das glaubt euch keiner!
Einer der wichtigsten Gewerkschaftsführer in Südafrika sagt: Für uns Schwarze heißt die Frage doch nur, ob wir weiter leiden müssen ohne Hoffnung, daß es anders wird, oder ob wir mehr Leiden auf uns nehmen in der Hoffnung und in der Gewißheit, daß unsere Lage besser wird. Das ist die Situation, vor der die Menschen dort stehen. Wir haben nicht das Recht, den Menschen in Südafrika zu unterstellen, daß sie bereit wären, sich gegen Arbeitsplätze, die es noch nicht einmal gibt, die Forderung nach Freiheit abkaufen zu, lassen.Nein, meine Damen und Herren, wir dürfen jetzt nicht länger zögern. Im Vorfeld der Debatte ist ja schon deutlich geworden, daß die Bundesregierung und die Koalitionsparteien bei ihrer Wasch-mirden-Pelz-aber-mach-mich-nicht-naß-Haltung bleiben wollen. Wundern Sie sich deshalb nicht, wenn Ihnen in der Südafrika-Politik nun auch der gute Wille nicht mehr geglaubt werden sollte.Spätestens als die Sabotage der EG-Beschlüsse zu Südafrika durch die Bundesregierung in der Antwort auf unsere Kleine Anfrage publik wurde, mußte man erkennen, daß diese Bundesregierung außenpolitisch unter dem Einfluß von Kräften steht, die den Rassismus in Südafrika fördern wollen.
Wenn Herr Strauß und in seiner Nachahmung der Bundeskanzler selber das für uns ganz selbstverständliche urdemokratische Grundgesetz des gleichen, freien und allgemeinen Wahlrechts in Südafrika für unmöglich erklären, dann ist das Rassismus, meine Damen und Herren.
Das Gefährlichste daran ist, daß solche Äußerungen und die faktische Tolerierung der Apartheid in Südafrika solche Kreise ermutigen, denen selbst die zaghaften Reformschritte der Regierung Botha zu weit gehen.
— Ja, Herr Klein, ich weiß, das tut Ihnen weh. Dannmachen Sie sich auf Ihren Veranstaltungen in München doch nicht gemein mit denjenigen, die diesesSystem in Südafrika tragen und es gemacht haben. Dann sagen Sie denen doch, was sie anders machen müssen.
— Ja, Terroristen sind immer die, die etwas tun, was Sie nicht wollen. Das weiß ich j a schon. Herr Klein, Sie haben sich durch Ihre Zwischenrufe in dieser Debatte enthüllt. Sie haben enthüllt, was Sie wirklich denken
im Gegensatz zu der Kreide, die Sie offenbar vor der Rede zu sich genommen hatten, die Sie hier heute morgen gehalten haben.
Meine Damen und Herren, diese Politik ermutigt die weiße Widerstandsbewegung in Südafrika. Wir haben diese Bilder j a gestern abend im Fernsehen sehen können, diese haßerfüllten Menschen mit ihren halben Hakenkreuzen, die Südafrika in einen ganzen Faschismus treiben wollen und den Restbestand an Demokratie zerstören, den es in der weißen Bevölkerungsgruppe noch gibt.Wir rufen zur Umkehr auf, die südafrikanische Regierung und uns selbst. Der amerikanische Außenminister Shultz hat doch recht, wenn er sagt: Dieser Staat der Apartheid schädigt den Westen moralisch, politisch und wirtschaftlich. Wir sagen heute: Laßt uns gemeinsam die Konsequenzen aus diesen Erkenntnissen ziehen. Wir müssen es jetzt tun. Wir müssen Maßnahmen treffen im Bereich des Kapitalverkehrs, im Bereich des Technologietransfers und im Bereich der Rohstoffexporte. Denn das sind die Punkte, bei denen Südafrika beeinflußt werden kann.Wir sind nicht der Meinung, daß wir hier noch lange Ausschußberatungen brauchen. Das haben wir nun schon hinter uns. Viele Anträge liegen doch schon vor. Wir meinen, daß wir uns hier und heute entscheiden sollten. Wir plädieren für Abstimmung über die vorliegenden Anträge. Den Anträgen der GRÜNEN, die eine Ergänzung unserer eigenen Position sind, werden wir zustimmen und bitten Sie um Zustimmung zu unserem Antrag.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Hornhues.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich gestehe, es berührt einen allmählich, immer wieder mit der Frage konfrontiert zu sein, was sich da in Südafrika eigentlich entwickelt und was dort geschieht. Der Ausnahmezustand, der dort verhängt worden ist, holt die tagtägliche Wirklichkeit der letzten Jahre in Südafrika schlaglichtartig erneut ins Bewußtsein. Die Verhängung des Ausnahmezustandes holt ins Bewußtsein, daß es bisher nicht gelungen ist, statt des Weges der Gewalt den Weg des friedlichen Ausgleichs zum Ende der
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17136 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 222. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Juni 1986
Dr. HornhuesApartheid zu finden. Die Verhängung des Ausnahmezustandes holt ins Bewußtsein, daß seit der letzten Debatte am 15. Mai dieses Jahres wieder hunderte Menschen Opfer der Gewalt geworden sind, die aus Polizeiknüppeln besteht, aus Kugeln, aus mit Benzin getränkten Halskrausen, aus einer Fülle von Mord und Terror, von mehreren Seiten inzwischen verübt.Dies, meine sehr geehrten Damen und Herren, sollte der uns bewegende Kernpunkt sein. Ich weiß nicht, ob wir hier angesichts des näherrückenden Bundestagswahlkampfs noch die Kraft finden, in das Zentrum unserer Erörterungen und unseres Bemühens die Frage zu stellen: Was können wir wirklich tun, gegebenenfalls gemeinsam tun, abgesprochen miteinander auf verschiedenen Wegen tun, um zu Veränderungen zu kommen? Ich habe in den letzten Wochen und Monaten mehrfach hier gestanden und immer wieder erklärt: Wir haben unsere Pflicht nicht getan.Herr Kollege Verheugen, Sie haben eben gerade gesagt: Es sind keine Ausschußberatungen notwendig. Sie, die GRÜNEN, haben in den letzten Monaten Berge von Papier, von Anträgen produziert. Sie haben es bisher nicht durchgesetzt — offensichtlich haben Sie auch kein Interesse daran —, in den Beratungen im Ausschuß Punkt für Punkt weiterzukommen. Ich kann mich nicht erinnern, daß wir in der letzten Zeit in Ernsthaftigkeit das getan hätten, von dem Sie meinen, es sei schon hinreichend geschehen.
— Frau Kollegin Borgmann, warten Sie doch erst einmal ab. Regen Sie sich doch nicht vorzeitig auf und erhöhen so Ihren Blutdruck.Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Lage in Südafrika hat mehrere Ursachen. Die nähere Analyse ergibt zum einen, daß die südafrikanische Regierung unter dem Druck von innen und auch von außen nach und nach eine Fülle von Veränderungen angekündigt und zum Teil auch durchgeführt hat, die, wenn man sie isoliert betrachtet, erhebliche Veränderungen gegenüber dem bedeuten, was in der Vergangenheit die Apartheid ausgemacht hat. Aber alles dies, was geschehen ist, ist unter jenem Schlagwort zu sehen und zu bewerten, das die südafrikanische Politik kennzeichnet: zu wenig und zu spät.Wenn manches von dem, was — auch unter dem Druck der Ereignisse — von der südafrikanischen Regierung heute angekündigt wird, vielleicht schon vor einem Jahr angekündigt worden wäre — beispielsweise mit Blick auf die Apartheid-Gesetzgebung wie den Mixed-Married-Act, die Paßgesetze und andere Gesetze mehr —, dann wäre bei vielen Schwarzen in Südafrika die Bereitschaft und das Vertrauen, aufeinander zuzugehen, größer, als es heute, vielleicht berechtigterweise, sein kann.Daß es dazu gekommen ist, daß es bisher keinen Weg aus der Gewalt gegeben hat, ist vor allem der Regierung Südafrikas vorzuhalten, die eine zögerliche Politik betreibt, schielend auf die Letzten im eigenen Geleitzug, nicht sehend, was sich andererseits in der Bevölkerungsmehrheit entwickelt.Insgesamt gesehen, meine sehr geehrten Damen und Herren, muß man sagen: Ja, es hat Veränderungen in der Politik der südafrikanischen Regierung gegeben. Aber sie waren zu gering, sie waren zu langsam, sie kamen noch immer zu spät. Dies hat keine Glaubwürdigkeit hervorgerufen als Basis für die notwendige Bereitschaft, sich zusammenzufinden, um über die gemeinsame Zukunft zu verhandeln.Auf der anderen Seite wurde, um eine Beschleunigung des Wandels zu erreichen, der Druck eingefordert, wurden Boykott und Sanktionen von uns eingefordert. Sie berufen sich immer darauf, daß Sie diesen und jenen getroffen und mit diesem und jenem gesprochen haben.Dann streiten wir uns: Wer sind die authentischen Führer der Schwarzen in Südafrika? Ich wäre sehr dafür, wenn die schwarzen Südafrikaner die Chance bekämen, wenigstens eines zu tun, nämlich einmal ihre authentischen Führer zu wählen,
damit wir uns nicht darüber streiten müssen, wer sie eigentlich sind.
Eine Reihe von Führern fordern Druck. Wir sollen Sanktionen und Boykotte verhängen, weil sie sich davon den notwendigen Druck versprechen.
Ich habe bei anderen Gelegenheiten deutlich gemacht, daß ich der tiefen Überzeugung bin, daß das Nachgeben in Richtung auf diesen Weg hin nur eine Konsequenz haben kann, nämlich eine Begünstigung derer, die aus ihrer Erfahrung der festen Überzeugung sind, nur die Gewalt könne das Apartheid-Regime in Südafrika beseitigen. Ich habe für meine Fraktion wiederholt hier deutlich machen müssen: Dies kann nicht der Weg sein, der unsere Politik kennzeichnet.
Das ist das eine. Auf der anderen Seite haben wir festzustellen:
Frau Kollegin, ich bitte, nicht dauernd Zwischenreden zu halten, sondern dem Redner zuzuhören.
— Nein; das sind keine Zwischenrufe. Ich finde das nicht sehr gut.
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Auf der anderen Seite muß die südafrikanische Regierung endlich begreifen, daß die Art und Weise ihrer zögerlichen Politik gleichzeitig die Hoffnungslosigkeit und Aktionen der Hoffnungslosigkeit provoziert. Damit liefert sie gleichzeitig den Rechtsaußen in ihrem Land, von denen Herr Verheugen gerade gesprochen hat, die Belege dafür, zu sagen: Diese Politik des Herrn Botha ist nicht erfolgreich; wir müssen ihr von der anderen Seite her Widerstand leisten. Das ist der zweite Komplex, den man sehen muß, wenn man der Frage nachzugehen versucht: Warum ist es zu dem gekommen? Warum ist es bei dem geblieben? Warum ist die Lage in Südafrika so, wie sie ist?Südafrika und wir: Es ist oft darüber gesprochen worden, was wir an besonderen Verpflichtungen haben ob unserer ökonomischen Beziehungen, ob unserer historischen Beziehungen, ob vor allem unserer eigenen Grundsätze, die wir in unseren Parteien, jedenfalls wir in der Union, vertreten. Wir haben oft betont, daß sich daraus die besondere Verpflichtung ergibt, sich zu bemühen, zu einer Lösung der Probleme im südlichen Afrika, zur Abschaffung der Apartheid beizutragen, auf friedlichem Weg den friedlichen Wandel gemeinsam mit allen herbeizuführen, die diesen friedlichen Wandel wollen.Wir haben uns heute zu fragen — ich halte diese Frage für berechtigt —: Ist das, was bisher geschehen ist, ausreichend gewesen? Ist das, was wir als konstruktiv-kritischen Dialog bezeichnen, eine Formel gewesen? Oder hat man sich tatsächlich bemüht, es immer und überall mit dem notwendigen Druck mit Inhalt zu füllen?Ich gestehe, daß ich trotz aller Proteste, trotz aller Bekundungen der Überzeugung bin, daß wir das, was möglich ist, und zwar jenseits von Sanktion und Boykott, noch längst nicht getan haben. Den Vorschlag, den der Kollege Rühe in diesem Zusammenhang unterbreitet hat, bitte ich nicht aus parteipolitisch opportunen Gründen zu verdrehen, sondern in dem Kontext zu nehmen, wie er ihn gesagt und gemeint hat. Ich sage deutlich, daß ich dies unterstreiche und für gut halte.
Denn dieser Vorschlag des Kollegen Rühe bedeutet, daß wir über politischen Dialog nicht nur reden, daß wir nicht darüber reden, ob wir diesen oder jenen kleinen Nadelstich oder dieses oder jenes Boyköttchen machen, sondern daß wir konzentriert die Möglichkeiten einsetzen, die der politische Dialog bedeutet, wenn er fordert, daß die vier wichtigsten politischen und wirtschaftlichen Partner Südafrikas über die Südafrika-Frage beraten und geballt und gemeinsam ihren politischen Einfluß auf Südafrika geltend machen. Dies ist bis zum heutigen Tag nicht geschehen.
Der Unterschied liegt zunächst einmal darin — lassen Sie mich das deutlich sagen —: Ich bin nicht zufrieden damit, daß — ob es die Amerikaner oder wir sind — der Dialog mit Südafrika aus Debatten im Deutschen Bundestag und gelegentlichen Besuchen von Beamten der jeweiligen Administration, die dort vielleicht das eine oder andere erklären mögen, oder aus Presseerklärungen, die wir hier abgeben, besteht.
Wir müssen das, so meine ich, was machbar ist, tun. Und hier ist notwendigerweise einiges mehr zu tun.
Lassen Sie mich, damit es keine Mißverständnisse gibt, das vorlesen, was der Kollege Rühe gesagt hat. Er hat erklärt:Aber in der Tat muß jetzt mehr geschehen.Der „Expreß", in dem das Interview erschienen ist, hat dann gefragt:Was?Der Kollege Rühe hat darauf erklärt:Jedenfalls keine werbewirksamen Maßnahmen zur Beruhigung unseres Gewissens. Denn es geht uns nicht um kurzfristigen Beifall in Europa, sondern wir wollen den friedlichen Wandel zu einer gesellschaftlichen und politischen Ordnung, der alle Menschen in Süd-Afrika zustimmen können. Dazu müssen wir Druck auf die heute Regierenden ausüben. Da helfen keine Routine-Reaktionen und wochenlange Konferenzen der zwölf EG-Länder, an deren Ende doch nur irgendein neues Papier steht.Und weiter:Ich schlage in Übereinstimmung mit vielen politischen Freunden einen Süd-Afrika-Gipfel vor, auf dem die USA, Frankreich und Großbritannien und die Bundesrepublik Deutschland als die Länder mit dem größten politischen und wirtschaftlichen Gewicht gegenüber SüdAfrika deutliche Zeichen setzen: Das Botha-Regime in Süd-Afrika steht vor der Wahl: Entweder ein klarer, international verbindlicher Zeitplan auf dem Weg zur Abschaffung der Apartheid mit deutlicher Unterstützung der Gipfelstaaten. Oder aber dem Botha-Regime droht die internationale Isolierung in allen Bereichen von Politik und Wirtschaft.
Dieser gebündelte Einfluß auf die dortigen Machthaber ist die einzige Chance, sie nachhaltig davon zu überzeugen, daß sie vor dem Weg ohne Umkehr stehen, ...
Ich habe bewußt den fast kompletten Text des Interviews des Kollegen Rühe vorgelesen.
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17138 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 222. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Juni 1986
Dr. Hornhues— Ich glaube, Herr Kollege Ehmke, Sie sind von Haus aus an sich erfahren genug, um zu wissen, was das heißt.
Ich fordere die Bundesregierung auf, diesen Vorschlag des Kollegen Rühe, den ich mir gerne zu eigen mache, zu prüfen und möglichst umzusetzen. Ich fordere die Bundesregierung auf, auf dem Europäischen Rat nicht nur über diese oder jene Möglichkeit, über diesen oder jenen Nadelstich zu diskutieren, sondern ins Zentrum der Überlegungen vor allen Dingen ein wirklich engagiertes politisches Bemühen im Sinne eines konstruktiv-kritischen Dialoges zu setzen. Das heißt reden, bedrängen und auch Hilfe für den Fall anbieten, daß die entscheiden Veränderung tatsächlich endlich vollzogen wird.
Was ich für meine Fraktion von der Regierung einfordere — in dem Bemühen möchten wir sie gern unterstützen —, ist das Realisieren dieses Satzes.Herzlichen Dank.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zuerst zur Abstimmung über den Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/5662. Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! -- Enthaltungen? — Der Antrag ist abgelehnt.
Wir stimmen nunmehr über den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP auf Drucksache 10/5672 ab. Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Antrag ist angenommen.
Wir stimmen jetzt über die Anträge der Fraktion DIE GRÜNEN ab. Wer dem Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/5202 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Antrag ist abgelehnt.
Wer dem Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/5203 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Antrag ist abgelehnt.
Ich rufe nunmehr Punkt 3 der Tagesordnung auf:
a) Beratung des Berichts des Petitionsausschusses
Bitten und Beschwerden an den Deutschen Bundestag
Die Tätigkeit des Petitionsausschusses des
Deutschen Bundestages im Jahre 1985
— Drucksache 10/5504 —
b) Beratung der Sammelübersicht 145 des Petitionsausschusses über Anträge zu Petitionen
— Drucksache 10/5335 —
c) Beratung der Sammelübersicht 149 des Petitionsausschusses über Anträge zu Petitionen
— Drucksache 10/5503 —
d) Beratung der Sammelübersicht 150 des Petitionsausschusses über Anträge zu Petitionen
— Drucksache 10/5606 -
e) Beratung der Sammelübersicht 151 des Petitionsausschusses über Anträge zu Petitionen
— Drucksache 10/5607 —
Zu den Punkten 3 b und 3 c liegen Änderungsanträge der Fraktion DIE GRÜNEN auf den Drucksachen 10/5651 und 10/5669 sowie ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/5670 vor.
Meine Damen und Herren, nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist eine gemeinsame Beratung der Punkte 3 a bis 3c von zwei Stunden vorgesehen. Zu den Punkten 3 d und 3 e ist eine Aussprache nicht vorgesehen. — Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.
Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Das Wort hat die Abgeordnete Frau Berger.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Wehrbeauftragter! Der vorliegende Bericht des Petitionsausschusses im Jahre 1985 vermittelt einen Einblick in die Vielfalt der Probleme, mit denen sich der Ausschuß zu befassen hatte. Dabei geht es um Probleme aus den Zuständigkeitsbereichen aller 18 Bundesministerien und anderer Bundesbehörden. Dies ist eine Herausforderung, aber auch eine außerordentliche Belastung für die Ausschußmitglieder und die Mitarbeiter des Ausschusses.Eine derart umfassende Befassungskompetenz macht den Petitionsausschuß aber nicht zu einem Oberausschuß. Auch aus diesem Grunde schreibt § 109 unserer Geschäftsordnung vor, daß der Petitionsausschuß eine Stellungnahme der Fachausschüsse einholt, wenn Petitionen einen Gegenstand der Beratung in den Fachausschüssen betreffen.Die Schwerpunkte der Eingaben, deren Zahl sich im Berichtsjahr gegenüber dem Vorjahr kaum verändert hat, lagen wiederum hauptsächlich in den Bereichen Sozialordnung und Arbeitsverwaltung. Von den zum Zuständigkeitsbereich des Bundes eingegangenen 8 828 Petitionen betrafen den Bereich Sozialordnung knapp 20 v. H.; auf das Gebiet der Arbeitsverwaltung entfielen rund 12 v. H. der Eingaben.Im Bereich der Sozialversicherung betrafen die meisten Eingaben die Art und Dauer der Bearbeitung von Rentenanträgen wegen Berufs- und Erwerbsunfähigkeit. Hierzu gehören aber auch Be-
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 222. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Juni 1986 17139
Frau Berger
schwerden über das Gutachterwesen. Der Arbeitsverwaltung entstehen — wie zahlreiche Eingaben zeigen — besondere Schwierigkeiten bei Änderungen des geltenden Rechts. Die Umsetzung einer Novellierung im Wege von Dienstanweisungen oder Richtlinien nimmt zuviel Zeit in Anspruch. Dies führt zu Verzögerungen und auch zu Fehlern bei der Bearbeitung von Anträgen in den Arbeitsämtern. So hatte z. B. die 7. Änderungsnovelle zum Arbeitsförderungsgesetz zahlreiche Beschwerden zur Folge.Ein weiterer Schwerpunkt betraf den Verteidigungsbereich, auf den rund 11,5 v. H. der Eingaben entfielen. Damit ist die Anzahl der Eingaben gegenüber dem Vorjahr etwa gleichgeblieben, die Petitionen aus der Truppe sind dagegen im Laufe der Jahre stetig angestiegen. Soldaten haben ein zweifaches Petitionsrecht. Sie können sich sowohl an den Petitionsausschuß als auch an den Wehrbeauftragten wenden.In diesem Zusammenhang halte ich es für erforderlich, die Zusammenarbeit mit dem Wehrbeauftragten anzusprechen. Aus dem Nebeneinander des Petitionsausschusses, eines Organs des Deutschen Bundestages, und des Wehrbeauftragten, eines Hilfsorgans des Bundestages, hat sich im Berichts-j ahr 1985 eine Lage entwickelt, die Juristen mit dem Begriff „positiver Kompetenzkonflikt" umschreiben.Worum geht es? Nach dem Wehrbeauftragtengesetz ist die Zuständigkeit des Wehrbeauftragten, nach pflichtgemäßem Ermessen auf Grund von Eingaben tätig zu werden, beschränkt. Der Wehrbeauftragte ist nur für die Behandlung solcher Eingaben zuständig, durch die Umstände bekannt werden, die auf eine Verletzung der Grundrechte der Soldaten oder der Grundsätze der Inneren Führung schließen lassen. Die Eingaben müssen also Soldaten betreffen. Obwohl Soldat nur derjenige ist, der auf Grund der Wehrpflicht oder freiwilliger Verpflichtung in einem Wehrdienstverhältnis steht, ist der Wehrbeauftragte bzw. seine Dienststelle seit Mitte 1985 stillschweigend dazu übergegangen, nach eigenem Ermessen auch Eingaben von Wehrpflichtigen vor der Einberufung sowie Eingaben von Reservisten außerhalb von Wehrübungen zu behandeln, statt diese Eingaben an den Petitionsausschuß abzugeben.Mit diesem Verfahren wurde eine seit dem Jahre 1984 vom Petitionsausschuß und dem Wehrbeauftragten anerkannte Praxis aufgegeben. Zu dieser Praxis ist im Jahresbericht 1984 auf Seite 8 unter der Überschrift „Zusammenarbeit mit dem Wehrbeauftragten" nachzulesen — ich zitiere —:Zu erwähnen ist, daß der Wehrbeauftragte nunmehr bei ihm eingehende Petitionen, die nicht seinen Zuständigkeitsbereich betreffen , in der Regel an den Petitionsausschuß abgibt.Diese Aussage aus dem Jahresbericht 1984 trifft nach der stillschweigenden und einseitigen Änderung der bisherigen Praxis nicht mehr zu.Ich hätte es begrüßt, j a sogar für erforderlich gehalten, wenn vor einer derartigen Änderung der Praxis das Gespräch mit dem Petitionsausschuß gesucht worden wäre. Durch die Abweichung von dieser Praxis werden zahlreiche Petitionen von Wehrpflichtigen, die noch nicht Soldat sind, dem Petitionsausschuß als dem verfassungsmäßig zuständigen Petitionsadressaten vorenthalten.Wie die aufgezeigten Meinungsverschiedenheiten beizulegen sind, wird zunächst zwischen den Beteiligten mit dem Ziel einer gesetzeskonformen Lösung zu beraten sein. Vor dem Hintergrund der bisher guten Zusammenarbeit mit dem Wehrbeauftragten bin ich zuversichtlich, daß es zu einer gesetzeskonformen Einigung kommen wird.Zu Massenpetitionen: Nach den Erfahrungen, die wir in den vergangenen zwei Jahren im Petitionsausschuß gemacht haben, halte ich es für erforderlich, auch auf das Problem der Massenpetitionen einzugehen.Was ist eigentlich eine Massenpetition? Unter diesem Begriff wird eine Vielzahl von Eingaben verschiedener Einsender verstanden, deren Text ganz oder in wesentlichen Teilen übereinstimmt. Dabei handelt es sich ausnahmslos um Aktionen, die von einer Person, einer Bürgerinitiative oder einer anderen Stelle zentral organisiert oder initiiert wurden. Im Berichtsjahr hatten wir uns mit zehn Massenpetitionen zu beschäftigen, z. B. mit Initiativen zugunsten von Frauenhäusern und für eine Verbesserung des Tierschutzes.Nun sind Massenpetitionen nicht etwa eine erst in dieser Wahlperiode aufgetretene Form der Petition. In Berlin würde man sagen, Massenpetitionen sind für den Petitionsausschuß „ein alter Hut". Wer sich davon überzeugen möchte, daß es sich hier nicht um eine neue Erscheinungsform von Eingaben handelt, kann in den Tätigkeitsberichten früherer Jahre nachlesen, daß es in allen Legislaturperioden seit Bestehen des Deutschen Bundestages Massenpetitionen zu den verschiedensten Themen gegeben hat.
Neu ist jedoch, daß hier und da ein besonderes Verfahren für die parlamentarische Behandlung dieser Petitionsart gefordert oder angeregt wird.Hierzu: Trifft es wirklich zu, daß Massenpetitionen, wie neuerdings vereinzelt behauptet wird, schon wegen der großen Zahl der Petenten mehr Gewicht haben als Einzelpetitionen? Trifft es wirklich zu, daß Massenpetitionen mit politischen Inhalten — z. B. Massenpetitionen mit Abrüstungsforderungen - den Charakter eines Plebiszits haben? Und kann man wirklich davon sprechen, daß die Einsender derartiger Petitionen Mitwirkungs- und Gestaltungsrechte besitzen?Gewiß ist es zu begrüßen, wenn vom Petitionsrecht in breiter Form Gebrauch gemacht wird.
Darin kommt ja auch die Überzeugung zum Ausdruck, daß dies ein taugliches Instrument des Dia-Frau Berger
logs mit dem Parlament ist. Gleichwohl muß ich als langjährige und überzeugte Verfechterin des Petitionsrechts davor warnen, diese Möglichkeit zu überdehnen und zu überschätzen. Eine solche Überschätzung des Petitionsrechts führt zu Erwartungen, die zwangsläufig enttäuscht werden müssen.Es ist nach meiner Ansicht eine Überschätzung, wenn Massenpetitionen mit politischem Anliegen ein plebiszitärer Charakter im Rechtssinn beigemessen wird.
Auch Massenpetitionen politischen Inhalts können schon deshalb nicht als Ausübung plebiszitärer Rechte angesehen werden, weil das Petitionsrecht nicht nach Wahlrechtsmündigkeit und Staatsangehörigkeit fragt.
Und weiter: Darf denn dann, wenn zu einem mit Massenpetitionen vorgetragenen Anliegen von anderen Petenten keine Gegenvorstellungen vorliegen, gefolgert werden, es gebe keine Gegenstimmen, es gebe nur Enthaltungen? Doch offenbar nicht! Die „schweigende Mehrheit", die ihre Meinung nicht in Form von Petitionen artikuliert, kann eine Mehrheit von Gegenstimmen sein. Vergessen wir doch nicht, daß die Initiatoren von Massenpetitionen immer nur zu einem Pro oder Kontra auffordern, also auf den oft vorgedruckten — Eingabetexten keine Meinungskundgebung vorsehen, die nicht ihren Intentionen entspricht.Eine Überschätzung des Petitionsrechts ist es auch, dieses Recht als Mitwirkungs- oder Mitgestaltungsrecht zu interpretieren. Auch in der Form von Massenpetitionen mit politischem Inhalt haben Petitionen nur den Charaker von rechtlich unverbindlichen Anregungen.Auch in tatsächlicher Hinsicht möchte ich vor einer Überwertung von Massenpetitionen warnen. Natürlich sind 13 277 Eingaben — das ist z. B. die Zahl der Eingaben, die 1985 zur Novellierung des Tierschutzgesetzes beim Bundestag eingegangen sind — für sich betrachtet und verglichen mit der Gesamtzahl der Neueingänge im Berichtsjahr eine hohe Zahl.
Vergleicht man diese Zahl jedoch etwa mit der Zahl der wahlberechtigten Bundesbürger — die bei der Wahl des 10. Deutschen Bundestages mehr als 44 Millionen betrug —, so ist sie gering.Zusammenfassend möchte ich feststellen, daß aus meiner Sicht kein Anlaß besteht, die geltenden Verfahrensgrundsätze für die parlamentarische Behandlung von Eingaben zugunsten von Massenpetitionen zu ändern.
Eine — bisher allerdings nur vorläufige — Meinungsbildung im Petitionsausschuß deckt sich mitdieser Auffassung. So hat auch ein in dieser Sacheengagiertes Mitglied der SPD kürzlich erklärt, die Unterscheidung von Einzelpetitionen, gemeinschaftlichen Petitionen und Massenpetitionen sei ein nur formales Problem und werfe erst bei der Bescheiderteilung Probleme auf.Klipp und klar stelle ich aber fest, daß wir im Petitionsausschuß bisher jeder Eingabe den gleichen Stellenwert zugemessen haben, unabhängig davon, ob es sich um die Petition eines einzelnen oder um eine Massenpetition von 5 000 oder 250 000 Bürgern handelte.
Auch ein einzelner Bürger kann für eine größere Anzahl von Mitbürgern, die sich in der gleichen Situation befinden, die Lösung eines Problems erreichen. So hatte die Petition eines. pensionierten Bundesbahnbeamten aus meiner Heimatstadt Berlin zur Folge, daß die Abrechnungen über die Höhe der Versorgungsbezüge vom ehemaligen Arbeitgeber künftig kostenlos ins Haus geschickt werden. Diese Petition eines einzelnen Bürgers kam im Ergebnis rund 280 000 Versorgungsempfängern zugute.
Zu Petitonen mit aktuellem politischem Bezug. Von ihrem Inhalt her kann unterschieden werden zwischen Petitionen mit privaten und solchen mit öffentlichen oder politischen Anliegen. Die Petitionen mit politischen Anliegen werden — insbesondere von einigen ideologisch orientierten Bürgerinitiativen — zunehmend zu dem Versuch genutzt, vom Bundestag bereits getroffene Entscheidungen abzuändern oder aufheben zu lassen. Das ist legitim.Legitim ist aber auch, wenn derartige Petitionen durch Mehrheitsbeschluß mit der Begründung beschieden werden, das Für und Wider des angegriffenen Bundestagsbeschlusses sei bereits geprüft worden, und für eine erneute Prüfung werde deshalb kein Anlaß gesehen. Denn die Verpflichtung des Petitonsadressaten zur sachlichen Prüfung der Petitonen bedeutet keine Verpflichtung zur inhaltlichen Auseinandersetzung mit Argumenten, mit denen sich das Parlament in den zuständigen Gremien unabhängig von Petitionen erst kürzlich befaßt hat.Nun zu den Aufgaben und der Ausstattung des Hilfsdienstes des Petitionsausschusses. Ehe ich auf die personelle Ausstattung unseres administrativen Hilfsdienstes zu sprechen komme, muß ich daran erinnern, daß der Petitionsausschuß nicht berechtigt ist, die ihm nach der Verfassung obliegende Prüfungspflicht in beliebigem Umfang auf nicht parlamentarische Stellen zu delegieren. Die Abgrenzung zwischen dem, was das Büro an Vorarbeit, Zuarbeit oder auch an selbständiger Erledigung übernehmen kann, und dem, was einer originären parlamentarischen Prüfung vorbehalten bleiben muß, ist und bleibt sensibel. Wir haben es in unseren unternommen, dieseDeutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 222. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Juni 1986 17141Frau Berger
Grenze im Einklang mit der einschlägigen verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung zu ziehen.Zweifelsfrei ist, daß die Mitglieder des Petitionsausschusses, die ausnahmslos auch Mitglieder in Fachausschüssen des Deutschen Bundestages sind, Anspruch auf Entlastung haben, soweit diese innerhalb der aufgezeigten Grenzen möglich ist. Umfangreiche tatsächliche und rechtliche Ermittlungen, insbesondere die Ausarbeitung fundierter Beschlußvorschläge, sind eine legitime Aufgabe des Büros. Dies ist schlechterdings Voraussetzung für die Wahrnehmung des Verfassungsrechts des Parlaments.Die Besetzung des Büros konnte in den vergangenen Jahren verbessert werden. Der Haushalt des laufenden Jahres hat unserem Büro nach intensiven Bemühungen zwei neue Stellen des höheren Dienstes gebracht. Weitere Stellenanforderungen, die der Ältestenrat im Grundatz bereits 1985 anerkannt hatte, sind noch offen. Eine wenigstens annähernd angemessene personelle Ausstattung des Büros ist um so dringlicher,
als der Ausschuß im Interesse der Bürger und auch des Ansehens des Bundestages eine kürzere Dauer der Bearbeitung von Petitionen anmahnt und zu Recht beanstandet, daß die Inanspruchnahme von Befugnissen des Ausschusses — z. B. die Durchführung von Ortsbesichtigungen — oft nur deshalb unterbleiben muß, weil unserem Büro für die Vorbereitung keine Zeit zur Verfügung steht.Ich habe meine Ausführungen grundsätzlichen Aspekten gewidmet. Die Einzelfälle, die aus der Tätigkeit des Ausschusses hervorzuheben sind, sind im Bericht nachzulesen oder werden von meinen Kollegen vorgetragen.Zum Schluß möchte ich allen Mitgliedern des Ausschusses danken. Die meisten von ihnen übernehmen nun schon seit Jahren, seit Legislaturperioden die doppelte Belastung der Arbeit im Petitionsausschuß und in den Fachausschüssen.Mein Dank gilt auch den Mitarbeitern des Ausschußbüros. Sie müssen — ebenso wie die Abgeordneten — das ganze Jahr über Akten bearbeiten, auch in den Parlamentsferien.
Dank gebührt aber insbesondere den Bürgern für das Vertrauen, das sie dem Petitionsausschuß und damit dem Deutschen Bundestag entgegengebracht haben. Unseren Mitbürgern sage ich heute — wie schon so oft —, daß ihre Anliegen ernst genommen werden. Der Petitionsausschuß des Deutschen Bundestages ist eine Instanz, die als ihr Anwalt für Gerechtigkeit und Menschlichkeit eintritt.Ich danke Ihnen.
Das Wort hat der Abgordnete Meininghaus.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Tätigkeitsbericht des Petitionsausschusses macht nicht nur die umfangreiche Arbeit des Petitionsbüros und der Ausschußmitglieder deutlich, er zeigt uns auch, wie vielschichtig die Sorgen und Nöte vieler Bundesbürger sind, die sich mit Bitten und Beschwerden an den Deutschen Bundestag wenden. In dieser Debatte sollten wir den Bericht daher nicht nur eriäutern und ergänzen, sondern auch kritisch kommentieren dürfen;
denn wir sind gut beraten, wenn wir unsere Arbeit von Zeit zu Zeit in Frage stellen und überlegen, wie wir sie effektiver gestalten können.
In Obleutebesprechungen, aber auch in den Sitzungen des Petitionsausschusses ist dies geschehen, und dabei ergab sich bei Auslegung des Petitionsrechtes und in Verfahrensfragen nicht immer Übereinstimmung bei den Fraktionen. Aus diesem Grunde hatte der Ausschuß bereits zu Beginn der 10. Wahlperiode des Deutschen Bundestages beschlossen, eine gründliche rechtliche Prüfung in Auftrag zu geben. Diese wurde von Professor Graf Vitzthum, Tübingen, erstellt und bereits Ende 1984 vorgelegt.
Der Petitionsausschuß ist zur Zeit noch dabei, dieses Rechtsgutachten durchzuarbeiten. Wir stellen fest, daß viele Sondersitzungen dazu notwendig sind. Aber wir hoffen, daß sich das Ergebnis positiv auswirken wird, wenn zu Beginn der nächsten Legislaturperiode des Deutschen Bundestages die Grundsätze für die Behandlung von Bitten und Beschwerden vom Petitionsausschuß neu beschlossen werden müssen.
Meine Damen und Herren, auch im Jahre 1985 machte die SPD-Fraktion von der Möglichkeit Gebrauch, zu Beschlußempfehlungen des Petitionsausschusses Änderungsanträge zu stellen und eine Aussprache im Plenum zu beantragen. Im Jahresbericht heißt es dazu lapidar: „Die Änderungsanträge wurden alle abgelehnt." So geht die Koalition als Mehrheit im Ausschuß, aber auch im Plenum des Deutschen Bundestages mit der Opposition um.
Während im Jahre 1984 nur sechs solcher Änderungsanträge gestellt wurden, mußte die Opposition 1985 15 Anträge im Plenum stellen. Ich sage ausdrücklich „mußte"; denn nur über diesen Weg in die Öffentlichkeit sind wir in der Lage, den Petenten zu dokumentieren, daß ihr Anliegen von uns unterstützt wird;
denn im Ausschuß werden wir sang- und klanglos überstimmt. Wir müssen froh sein, wenn dem Petenten mitgeteilt wird, daß der Beschluß im Ausschuß mit Mehrheit gefaßt worden ist.
Meininghaus
Aber dies differenziert der Bürger kaum. Auch im Plenum werden unsere Anträge leider von der Mehrheit abgelehnt, aber in aller Öffentlichkeit,
und das ist uns wichtig.
Wie wichtig die Öffentlichkeit des Plenarsaals des Deutschen Bundestages ist, zeigt doch beispielhaft unsere Forderung, den über 65jährigen Personen die Kindererziehungszeiten in der Rentenversicherung anzuerkennen;
Stichwort: Trümmerfrauen. Im Petitionsausschuß meinten die Kollegen der CDU/CSU, daß es völlig überflüssig sei, diese Problematik noch einmal im Ausschuß zu behandeln. Sie meinten, dies sei alles während der zweiten und dritten Lesung des Erziehungszeitengesetzes eingehend behandelt worden. Es sei die Grundsatzfrage zu stellen, ob in einer parlamentarischen Demokratie die Regelung eines Gesetzes, das soeben mit der Mehrheit der Abgeordneten des Deutschen Bundestages verabschiedet worden sei, nochmals im Petitionsausschuß beraten werden könne. Da keine neuen Erkenntnisse vorlägen, sollte die Minderheit die Entscheidung der Mehrheit hinnehmen.
Nun, was wäre geschehen, wenn wir dem gefolgt wären? Inzwischen scheint nämlich die Mehrheit doch neue Erkenntnisse zu haben.
Es heißt, daß das Gesetz schon nach dieser kurzen Zeit des Bestehens in unserem Sinne novelliert werden solle, wahrscheinlich nur durch die Hartnäckigkeit der SPD, diese Forderung immer wieder vorzutragen,
sicherlich aber auch durch den Protest in der breiten Bevölkerung
und die Tatsache, daß hier demnächst wieder Wahlen anstehen.
Was uns im Petitionsausschuß nicht gefällt, ist die Behandlung der Opposition durch die Mehrheit der Koalitionsfraktionen. Wir haben auch darüber schon gesprochen. Das Problem der Einführung eines Minderheitenrechtes wird deshalb zur Zeit vom Geschäftsordnungsausschuß behandelt.
Wir warten auf diese Stellungnahme. Es sind die Koalitionsparteien, die sich gegen die Einführung eines Minderheitenrechtes aussprechen.
Mitglieder der CDU/CSU z. B., die, als sie noch in der Opposition waren, die Minderheitenrechte befürworteten, lehnen diese jetzt ab.
Aber das wird sich aller Voraussicht nach schon Anfang nächsten Jahres bei den Wahlen zum nächsten Deutschen Bundestag ändern können. Ich bitte das zu bedenken.
Die Frage der Einführung eines Minderheitenrechtes wurde bereits bei den Beratungen des sogenannten Befugnisgesetzes 1975 diskutiert. Damals lag ein gemeinsamer Entwurf aller Fraktionen des Deutschen Bundestages vor. In § 9 des damaligen Gesetzes war folgende Bestimmung enthalten: „Der Petitionsausschuß muß auf Verlangen eines Viertels seiner Mitglieder von den Befugnissen nach diesem Gesetz Gebrauch machen." Dabei war auch der Antrag der Minderheit im Ausschuß auf Anhörung der Petenten oder der Ladung von Regierungsvertretern eingeschlossen.
In den Beratungen zu diesem Gesetz wurden dann allerdings von allen Seiten Bedenken und auch Zustimmung geäußert. Bei den Beratungen im Geschäftsordnungsausschuß am 4. Dezember 1974 erklärte ein Vertreter des Bundesministeriums des Innern, einen Vergleich des Petitionsausschusses mit den Minderheitsrechten in den Untersuchungsausschüssen könne man deswegen nicht anstellen, weil letztere immer nur ein Spezialthema behandelten. Dagegen seien die Anliegen, die beim Petitionsausschuß behandelt würden, sehr weit gestreut. Wenn aber zu häufig von den Befugnissen Gebrauch gemacht würde, könnte dies zu einer großen Belastung und Arbeitsbehinderung der Exekutive führen.
Der Ausschuß beschloß dann mit Mehrheit, den damaligen § 9 ersatzlos zu streichen. Ich hoffe, daß alle Fraktionen des Hauses heute zu neuen Erkenntnissen gekommen sind; denn interessant ist, einmal nachzulesen, welche Meinung die Frau Vorsitzende unseres Petitionsausschusses in der damaligen Debatte geäußert hat. Liebe Frau Berger, das war die 152. Sitzung am 27. Februar 1975, Stenographischer Bericht S. 10537.
Frau Berger wies damals darauf hin, daß die Erörterung einer Petition im Plenum auf Antrag der Minderheit die Möglichkeit einer Sachaufklärung durch den Petitionsausschuß nicht ersetzen könne. Sie meinte:
Die Minderheitenrechte sollten gerade im Interesse des einzelnen Bürgers nicht geschmälert werden.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten — —
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 222. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Juni 1986 17143
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Dem wäre eigentlich nichts mehr hinzuzufügen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Göhner? Bitte geben Sie eine Antwort!
Bitte schön.
Herr Kollege Meininghaus, wären Sie so freundlich, auch die rechte Spalte der von Ihnen zitierten Drucksachenseite zu zitieren, wo die damalige Regierungsfraktion der SPD exakt das abgelehnt hat, ein Minderheitenrecht in dieser Weise einzuführen?
Herr Kollege, wir sind uns absolut bewußt, daß 1974/1975, als diese Dinge beraten worden sind, die SPD und FDP die Mehrheit dieses Hauses stellten. Wir sind uns dessen bewußt, und ich sage das auch selbstkritisch, daß wir damals diese Auffassung vertreten haben.
Im Namen der SPD-Fraktion danke ich allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Petitionsbüros für die qualitative, umfangreiche Arbeit, die sie leisten. Durch ihren Arbeitseifer gewährleisten sie eine angemessen kurze Bearbeitungszeit der Petitionen. Das ist besonders anzuerkennen, weil die technische Ausstattung des Petitionsbüros unzureichend ist. Darauf habe ich bereits in der Debatte zum letzten Jahresbericht hingewiesen. Bis heute hat sich daran allerdings nichts geändert. Computertechnik und Bildschirmtexte haben hier noch keinen Einzug gehalten.
Diese Tatsache wäre eigentlich noch ein ganzes Referat wert. Man stapelt noch Akten und trägt Vorgänge herum, wie bei einer Büroorganisation vor 30 Jahren. Nachdem aber nun alle Abgeordneten mit den neuen Kommunikationssystemen ausgestattet worden sind, ist zu hoffen, daß auch dort, wo der direkte Kontakt mit den Bürgern aufgenommen werden muß, etwas in dieser Richtung geschieht. Das Petitionsbüro sollte die Visitenkarte des Deutschen Bundestages werden.
Ich danke Ihnen.
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Dr. Segall.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Petitionsausschuß hat im vergangenen Jahr wieder ein enormes Arbeitspensum absolviert. Von insgesamt 12 399 Petitionen wurden aus formalen Gründen, etwa wegen schwebender oder abgeschlossener Gerichtsverfahren, anonymen, verworrenen oder beleidigenden Meinungsäußerungen oder wegen der Zuständigkeit der Ländervolksvertretungen, 4654 nicht inhaltlich geprüft. Übrig blieben immerhin 7 745 Petitionen, mit denen sich der zuständige Petitionsausschuß inhaltlich auseinandersetzen mußte.
Es ist klar, daß diese hohe Zahl von Petitionen für den zuständigen Ausschuß, vor allem aber auch für die Petitionsausschußmitglieder einer kleinen Partei wie der FDP, die nur zwei ordentliche Mitglieder stellt, eine Fülle intensiver Arbeit mit sich bringt. Das ist eine Belastung, die sich nur durch die hervorragende Arbeit der Abteilung „Petitionen und Eingaben" der Verwaltung des Deutschen Bundestages überhaupt bewältigen und in vernünftige Bahnen leiten läßt, für die ich hier im Namen der FDP herzlichen Dank sagen möchte.
Gestatten Sie mir trotz der relativ kurzen Zeit meiner Tätigkeit — — Herr Präsident, ich dachte, ich hätte 23 Minuten, Sie haben mir nur 15 gegeben.
Frau Abgeordnete, ich werde das überprüfen lassen, aber ich befürchte, daß die eingestellte Minutenzahl die richtige ist.
Gestatten Sie mir trotz der relativ kurzen Zeit meiner Tätigkeit als Petitionsausschußmitglied und trotz der Tatsache, daß Kollege Neuhausen und Kollege Professor Rumpf den wesentlichen Teil der hier zur Debatte stehenden Arbeit des Petitionsausschusses mitgestaltet und mitverantwortet haben, einige spezielle Anmerkungen zum vorliegenden Bericht und den Stellungnahmen der Fraktionen.Auffallend sind gewisse Besonderheiten des Petitionsausschusses, die ihn ganz erheblich von der Arbeit der anderen Ausschüsse unterscheiden. Das läßt sich gerade auch am Bericht für das Jahr 1985 deutlich machen. Ich denke dabei weniger daran, daß der Ausschuß in der Regel seinen Beratungen zu besonders frühen Zeiten nachzugehen pflegt — eine Tatsache, die immerhin erwähnenswert ist und die Kollege Neuhausen einmal treffend als „trotz aller Mißhelligkeiten pädagogisch und im Interesse einer wachen Aufmerksamkeit durchaus sinnvolle Maßnahme" bezeichnet hat. Hoffentlich hat er recht damit.Lassen Sie mich aber zu den ernsthaften Besonderheiten der Arbeit des Petitionsausschusses kommen. Wenn man den Bericht des Ausschusses liest, so hat man den Eindruck, ein Spiegelbild all derjenigen ungelösten politischen und sozialen Probleme vorzufinden, die uns gerade aktuell betreffen, ein Eindruck, der in letzter Zeit durch die weitere Zunahme der politischen Massenpetitionen noch verstärkt wird.
Insoweit bieten der Petitionsausschuß und der vorliegende Bericht einen guten Überblick über die politisch brisanten Fragen und die rechtlichen Probleme, die viele einzelne Bürger auf Grund von Gesetzen, die wir hier verabschieden oder verabschiedet haben, ganz individuell erleben und erleiden.Der Jahresbericht gibt aber auch gleichzeitig einen Überblick darüber, was viele Bürger politisch bewegt. Auffallend ist, daß von den im Zuständig-Frau Dr. Segallkeitsbereich des Bundes eingegangenen Petitionen die meisten wie schon in den vergangenen Jahren den Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung betreffen, nämlich mit ca. 32 % der Petitionen. Gerade in diesem Bereich zeigt sich, daß Bürger, die sich individuell an den Petitionsausschuß wenden, oft unmittelbar existentiell betroffen sind. Ob es etwa um die Ablehnung beantragter Renten durch die Versicherungsträger oder um die Anrechnung weiterer Versicherungszeiten geht, immer wird deutlich, wie Entscheidungen des Gesetzgebers einschneidend in den individuellen Bereich der Bürger einwirken können.Meine Damen und Herren, der Einblick in die unbeabsichtigten, aber auch manchmal beabsichtigten Folgen politischen Handelns, den die Beschäftigung mit diesen Einzelfällen vermittelt, schärft die Erkenntnis über den Zusammenhang zwischen politischer Entscheidung und den unmittelbaren Auswirkungen auf die Bürger und bietet uns Ausschußmitgliedern die ständige Chance, unsere Entscheidung und die unserer Kollegen aus dem Blickwinkel der Rechtsanwendung und der individuellen Wirklichkeit heraus zu überdenken. Die Konfrontation mit dieser individuellen Wirklichkeit kann sich im Hinblick darauf, daß Politiker immer der Gefahr unterliegen, abzuheben und in die Bonner Scheinwelt zu entschweben, nur positiv auswirken.
Wir werden dadurch gezwungen, unsere eigenen Gesetze zu überprüfen.So zeigt der Bericht am Beispiel der Frauen, die vor 1921 geboren worden sind und die daher nicht in den Genuß der rentensteigernden Einbeziehung der Kindererziehungszeiten kommen, da ihr Eintritt ins Rentenalter vor dem 1. Januar 1986 lag, wie sich politisch brisante Themen der Bundespolitik in der Arbeit des Petitionsausschusses widerspiegeln. Sehr viele der betroffenen Frauen haben die derzeit gültige Regelung scharf kritisiert. Die vielen Proteste gegen die Nichteinbeziehung der älteren Frauen haben sehr deutlich gemacht, daß man dieser Kritik nicht allein mit finanzpolitischen Erwägungen und Stichtagsargumenten begegnen kann.
Sozialpolitische Maßnahmen sollten immer einen besonders hohen Anspruch an sozialer Gerechtigkeit erfüllen.Man sollte aber auch bedenken, daß wir mit der Einführung von Kindererziehungszeiten sozialpolitisches Neuland betreten haben und daß daher die administrativen und finanziellen Schwierigkeiten sehr viel größer sind als z. B. bei der Fortschreibung bestehender sozialer Gesetze. Sie wissen, die FDP hat auf ihrem Bundesparteitag beschlossen, hier Abhilfe zu schaffen.Ich bewundere allerdings das kurze Gedächtnis der SPD.
Darum möchte ich der guten Ordnung halber hier nachtragen,
daß auch ihr Gesetzentwurf von 1972 vorsah, daß nur die Frauen, die ab 1. Januar 1973 ins Rentenalter kommen würden, Kindererziehungszeiten angerechnet bekommen sollten. Dies sage ich nur der guten Ordnung halber.
An dem vorher dargestellten Beispiel läßt sich deutlich ablesen, wie das verstärkte Auftreten bestimmter Petitionen schon frühzeitig ein Indikator für Ungerechtigkeiten oder Fehlentscheidungen sein kann. Wir Ausschußmitglieder haben daher die Möglichkeit, schon früh Fehlentwicklungen zu erkennen und über die Fraktionen oder über andere Ausschüsse entsprechende Initiativen zu ergreifen.Meine Damen und Herren, es ist natürlich klar, daß sich Petitionen immer dann häufen, wenn in den Besitzstand bestimmter Gruppen eingegriffen werden muß, sei es, um Mißstände oder Auswüchse zu beseitigen, sei es, weil die finanzpolitische Situation es verlangt. Ich nenne etwa die Erhöhung der Eigenbeteiligung der Rentner an den Aufwendungen für ihre Krankenversicherung, die den öffentlichen Dienst betreffenden Maßnahmen der erweiterten Rentenanrechnung auf Versorgungsbezüge nach dem 2. Haushaltsstrukturgesetz und die im Haushaltsbegleitgesetz 1984 beschlossene Absenkung der Eingangsbesoldung für den gehobenen und den höheren Dienst, allesamt Maßnahmen, die unpopulär waren und relativ große Gruppen unserer Bevölkerung betreffen. Mich persönlich hat es betroffen gemacht, zu sehen, wie sich gerade in den letztgenannten Fällen teilweise eine erschreckende Besitzstandsabsicherungsmentalität etablierter gesellschaftlicher Gruppen offenbart, die wenig Rücksicht darauf nimmt, wie sich das auf andere, z. B. auf diejenigen, die keine Arbeit haben, auswirkt.So zeigt die Arbeit des Petitionsausschusses auch, daß viele die Wahrung des eigenen Besitzstandes vor die Solidarität mit denjenigen stellen, die weniger am allgemeinen Wohlstand partizipieren können.
Doch nun zu den in letzter Zeit immer häufiger auftretenden Massenpetitionen. Art. 17 des Grundgesetzes gibt jedermann das Recht, „sich einzeln oder in Gemeinschaft mit anderen schriftlich mit Bitten oder Beschwerden ... an die Volksvertretung zu wenden". Es ist daher sicher richtig, daß auch der Einsender einer politischen Petition wie derjenige, der ein privates Anliegen vorträgt, einen Anspruch auf „sachliche Prüfung" hat. Das bedeutet jedoch nicht — insoweit zitiere ich den vorliegenden Bericht —, „daß sich der Petitionsausschuß im Rahmen seiner Behandlungskompetenz mit jedem politischen Vorbringen inhaltlich auseinandersetzen müßte". Es ist daher richtig, daß der Petitionsausschuß dann von einer eigenen Entscheidung und Abwägung des Für und Wider einzelner Forderun-
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Deutscher Bundestag - 10. Wahlperiode — 222. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Juni 1986 17145
Frau Dr. Segallgen absieht, wenn der Standpunkt des Parlaments bereits durch die öffentliche Diskussion eines Themas in Plenardebatten oder durch Ausschußberatungen bekannt ist.Hier stoßen wir an die Grenzen des Selbstverständnisses des Petitionsausschusses; denn der Petitionsausschuß ist kein Überausschuß, der einzelnen Gruppen die Chance zur politischen Profilierung eröffnen soll.
Das Forum für allgemeinpolitische Themen sind die zuständigen Ausschüsse und das Plenum des Bundestages. Die FDP scheut nie die politische Auseinandersetzung, lehnt aber das Petitionsrecht als Möglichkeit der Fortsetzung der politischen Auseinandersetzung mit anderen Mitteln einer Fortsetzung also, die sonst an Mehrheiten gescheitert ist — entschieden ab.Sinn des Petitionsausschusses ist es, sich mit solchen Vorgängen zu befassen, bei denen der Bürger persönlich betroffen und der Auffassung ist, falsch oder ungerecht von Behörden oder anderen Institutionen behandelt worden zu sein. Es ist nicht Aufgabe des Petitionsausschusses sich mit Hunderten von gleichlautenden Petitionen zu beschäftigen, die allgemeine politische Themen aufgreifen.
Ein klassisches Beispiel hierfür ist die Petition 149. Das Ziel dieser Massenpetition ist eine Änderung des Grundgesetzes. Es soll ein Grundrecht auf gesunde Umwelt verankert werden. Über einen entsprechenden Antrag der GRÜNEN wurde am 16. Januar 1986 hier im Plenum entschieden. Gleichzeitig mit der ausgiebigen Beratung im Plenum und in den Ausschüssen wurde der Petitionsausschuß mit diesen Massenpetitionen überflutet — ein massiver Versuch, die politische Auseinandersetzung, die einer Entscheidung in den dafür vorgesehenen Gremien entgegenreifte, zu beeinflussen und, falls diese Entscheidung nicht nach dem Gusto der Petenten ausfallen sollte, es via Petitionsausschuß erneut zu versuchen.
Die Entscheidung seinerzeit hier in diesem Haus sah so aus, daß sich CDU/CSU und SPD mit uns einig waren, daß ein solches Grundrecht des einzelnen auf Umweltschutz nicht in Betracht kommt,
da die Rechtsfolgen eines derartigen Grundrechts unabsehbar sein und den Gesetzgeber in seiner Entscheidungsfreiheit auf untragbare Weise einschränken würden, wie es sich überhaupt empfiehlt, als subjektive Anspruchsberechtigungen formulierte Individualrechte, insbesondere soziale Grundrechte, nicht in das Grundgesetz aufzunehmen. Das gilt eben auch für andere soziale Grundrechte.Nun noch ein weiteres Beispiel für den Versuch, Politik über den Petitionsausschuß zu machen. Bei der Petitionssammelübersicht 145 — Bremer Abrüstungspetition — richtet sich die Kritik der Petenten im wesentlichen auf zwei Bereiche: erstens, daß die Petitionen, die als Hauptforderung bezeichnet wurden, entgegen dem Beschluß des Petitionsausschusses nicht „erledigt" seien, weil — so wörtlich — „Abrüstung ist nicht erledigt"; zweitens, daß Verfahrensfehler des Ausschusses vorliegen, weil die sogenannten Nebenforderungen nicht erledigt, nicht behandelt, ja, nicht einmal zur Kenntnis genommen worden seien.In der Sache gipfelt der Vorwurf in der Behauptung, der Bundestag habe — teilweise in Unkenntnis wichtiger Fakten — seine Entscheidung zur Nachrüstung gegen den Willen der Mehrheit der Bevölkerung getroffen.
Jetzt lehne aber diese uneinsichtige elitäre Minderheit von Abgeordneten auch noch den Versuch von Bürgern ab, vom Grundrecht der Petition Gebrauch zu machen. Der Wille der Mehrheit wird unterstellt und durch massenhafte Zuschriften und Meinungsumfragen belegt. Ich zweifle auch nicht an der Richtigkeit dieser Unterstellung. Ich zweifle auch nicht daran, daß eine Meinungsumfrage „Sind Sie für oder gegen die Gefahren der Kernenergie?" eine überwältigende Mehrheit dagegen erfassen würde. Ich zweifle nicht daran, daß eine Umfrage „Sind Sie für oder gegen die Gefahren der atomaren Aufrüstung?" ebenfalls mit einem solchen Ergebnis aufwarten könnte. Ich zweifle aber auch nicht daran, daß sich bei Umfragen „Sind Sie für oder gegen den Verlust internationaler Wettbewerbsfähigkeit?", ,,... für oder gegen höhere Strompreise?", ,,.. . für oder gegen Waldsterben durch Kohlekraftwerke?" ebenfalls eine überwältigende Mehrheit für die jeweils letztere Alternative aussprechen würde.
Es ist die Absicht — eine gute Absicht — des Verfassungsgebers gewesen, Parteien um die Zustimmung für ihre Konzepte und Programme werben zu lassen, und zur Abstimmung in Wahlen zu stellen. Diese Konzepte werden in demokratischen Prozessen aus einzelnen Bereichen zusammengefügt, abgewogen,
aufeinander abgestimmt: auf die postulierte Interessenlage, das Wohl des Ganzen. Dann kommen sie auf den Prüfstand der Öffentlichkeit, der Wähler. Auch der Wähler wird damit gezwungen, Schwerpunkte zu setzen, das Ganze zu sehen, sich zu entscheiden, und die Repräsentanten seiner gewünschten Politik zu wählen.
Genau daran hat der Sprecher der GRÜNEN, Herr Beckmann, in der Nachwahlrunde der Parteivorsitzenden Kritik geübt, indem er das Defizit zwischen Volksmeinung und Wahlentscheidung in Niedersachsen beklagte, daß nämlich 80 % der Bürger gegen Atomenergie seien, dies aber nicht im Wahlverhalten zugunsten der GRÜNEN umsetzten. Das ist genau die Verfassungskritik, die Kritik an der17146 Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 222. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Juni 1986Frau Dr. Segallrepräsentativen Demokratie, an der auch die Petenten ansetzen.In ihrem Schreiben vom 14. Mai 1985 heißt es wörtlich — ich zitiere -:Im Idealfall stellt sich Art. 17 als die legitime Demoskopie in der repräsentativen Demokratie dar.
Das Fehlen direktdemokratischer Elemente im Grundgesetz kann durch das Petitionsverfahren in gewisser Weise ausgeglichen werden.
Ein paar Sätze weiter heißt es:
Unsere Beschwerde über das Verfahren mit der „Bremer Abrüstungspetition" verfolgt erstens das Ziel, die faktisch noch unerledigten Petitionen ernsthaft zu behandeln, zweitens dem Art. 17 als Mittel politischer Teilhabe zwischen den Bundestagswahlen zum ,Durchbruch zu verhelfen.Wir sind durchaus der Auffassung, daß der Petitionsrecht als Grundrecht gewahrt bleiben muß, daß ernsthaften Anliegen ernsthaft nachgegangen werden muß.
Aber keine der ernsthaft vorgebrachten sogenannten Haupt- und Nebenforderungen sind einem Mitglied dieses Hauses unbekannt. Sie sind in der Sitzung vom 18. April 1985 auf Empfehlung des Ausschusses als erledigt beschlossen worden. Natürlich sind sie nicht erledigt im Sinne der Erfüllung des Wunschzettels, aber im Sinne des Petitionsrechts. Das Parlament hat sich in der Vergangenheit in seinem Bemühen um den Frieden immer wieder mit diesen Fragen der Abrüstung und der Rüstungskontrolle befaßt und wird dies auch in Zukunft tun.
— Nicht mit dem Erfolg, den Sie sich versprechen; das ist ja ganz logisch.
Das gilt ebenso für die anderen Themenbereiche. Wir sind allerdings nicht der Meinung, daß über den Weg der Massenpetition bestimmten Gruppen die Möglichkeit eröffnet werden darf, ein hochrangiges demokratisches Grundrecht zur technischen Überforderung des Petitionsrechts zu mißbrauchen.
Das Wort hat der Abgeordnete Fritsch.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Bürgerinnen und Bürger! Die heutige Debatte über den Jahresbericht 1985 des Petitionsausschusses ist zuallererst ein Anlaß, denMitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Ausschußbüros für ihre Arbeit zu danken.
Die sorgfältige Bearbeitung von über 12 000 Eingaben erfordert ein hohes Maß an Sachverstand und Zeit, auch wenn sicherlich manch eine Petition mit einer aus langjähriger Erfahrung resultierenden Routine behandelt werden kann.Ich möchte hier, Frau Kollegin Berger, eines in aller Deutlichkeit hinzufügen: Bemühungen um eine Ausweitung des Stellenplans oder um eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen werden stets unsere volle Unterstützung haben.Im Petitionsausschuß liegen die Sorgen und die Anregungen der Bürgerinnen und Bürger auf dem Tisch des Hauses, und an diesem Tisch müssen die Arbeitsbedingungen so beschaffen sein, daß Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gern an ihm Platz nehmen.
Ich möchte mich in meinem Beitrag auf zwei Punkte konzentrieren: erstens auf die Anzahl der Petitionen im Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung
und zweitens auf einige grundsätzliche Bemerkungen zum gegenwärtigen Petitionsrecht und seiner Weiterentwicklung.Meine Damen und Herren, wiederum stammt ein Drittel aller Bitten und Beschwerden aus dem Bereich Arbeit und Soziales. Daraus lassen sich mindestens zwei Schlüsse ziehen:Erstens. Wir sind in der Bundesrepublik Deutschland von sozialer Gerechtigkeit in einer Weise entfernt, die für den sozialen Rechtsstaat nur sehr schwer erträglich ist.
Da sind nämlich diejenigen, die nach einem arbeits-und entbehrungsreichen Leben, nach den Wechselfällen ihres Lebens und der Geschichte, die sie in der Regel nicht zu verantworten haben, das Sozialamt zum ständigen Begleiter wählen mußten. Da sind noch zu viele, die sich resigniert und mit großer Bitterkeit im Herzen darum sorgen müssen, ob es denn bis zum Monatsende reichen wird.Beheben läßt sich dieser Zustand allerdings wohl nur durch die Einführung eines garantierten Grundeinkommens. Ich bin sehr froh, daß dieser Gedanke auch in anderen Parteien in der Bundesrepublik eine gewisse politische Relevanz bekommen hat. Die Einführung eines garantierten Grundeinkommens wäre in diesem Zusammenhang wahrlich ein würdiger Schritt zu mehr sozialer Freiheit.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 222. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Juni 1986 17147
FritschZweitens. Das System der sozialen Sicherung hat ein Ausmaß von Undurchschaubarkeit erreicht, das für den demokratischen Rechtsstaat nur sehr schwer erträglich ist.
Das gilt sowohl für das System der sozialen Sicherung in seiner Gesamtheit als auch für die einzelnen Teilsysteme. Die Bürgerinnen und Bürger dieses Landes sehen sich in einem schier undurchdringlichen Dschungel von Gesetzen, Rechtsverordnungen und Anweisungen, der ihnen vor allem ein Gefühl der Unwissenheit und der Ohnmacht in ihrem Verhältnis zur Sozialbürokratie vermittelt.
Beheben läßt sich dieser Zustand allerdings wohl nur in einer großen gemeinsamen Anstrengung aller Sozialpolitikerinnen und Sozialpolitiker. Denn die Zurechtstutzung auch der Macht der Sozialbürokratie auf ein angemessenes MØ wird wohl nur gegen ihren Widerstand möglich sein.
Lassen Sie mich nun zu einigen grundsätzlichen Bemerkungen zum gegenwärtigen Petitionsrecht und den Möglichkeiten seiner Weiterentwicklung kommen.Dazu eine Vorbemerkung. Wer über Möglichkeiten der Weiterentwicklung des Petitionsrechts nachdenkt, sollte Art. 20 Abs. 2 des Grundgesetzes:Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen ... ausgeübt,in seine Überlegungen einbeziehen. Die volle Verwirklichung dieses Verfassungsauftrags steht nämlich noch aus. Das bedeutet am Beispiel der Initiative Bremer Abrüstungspetition, daß dieses Anliegen mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht auf dem Weg einer Petition, sondern auf dem einer Abstimmung, also eines Volksbegehrens und Volksentscheids, transportiert worden wäre,
auf einem Weg also, den wir in der Bundesrepublik Deutschland noch nicht haben. Ich sage deshalb „noch nicht haben", weil das Unbehagen an diesem unerfüllten Verfassungsauftrag wächst und ich die Hoffnung habe, daß sich hier in absehbarer Zeit etwas ändern läßt.
Die Zeit ist reif für eine Anreicherung der repräsentativen Demokratie mit plebiszitären Elementen.
Allerdings — und das sage ich mit gleicher Deutlichkeit — ist der Petitionsausschuß für uns keine Hintertür, Frau Dr. Segall, für die Einschleusung von Formen direkter Demokratie ins Parlament.
Da gehen wir mit unseren Überlegungen und der Bereitschaft zum Dialog durch das Hauptportal.
Auf der Grundlage dieser Vorbemerkung und der Tatsache, daß der Petitionsausschuß natürlich auch Spiegelbild der Mehrheitsverhältnisse im Parlament ist,
das heißt, daß seine Mitglieder auch der Rollenverteilung zwischen Regierungs- und Oppositionsfraktionen erliegen — das macht ja die relativ geringe Zahl der zur Berücksichtigung überwiesenen Petitionen sehr deutlich —,
eine Forderung, die schon seit längerem von in diesem Bereich tätigen Verbänden erhoben wird.
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17148 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 222. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Juni 1986
FritschIch darf sagen, daß ich mich für meine Fraktion den Bitten und Beschwerden von Kindern und Jugendlichen in besonderer Weise zuwenden werde.
Ich möchte abschließend für den Rest der Legislaturperiode, der ja unter den besonderen Bedingungen des Wahlkampfes stehen wird, die Hoffnung ausdrücken, daß Petitionen nicht in die parteipolitische Auseinandersetzung geraten.
Das täte weder dem Arbeitsklima im Ausschuß noch den Petenten gut.
Aber, Herr Dr. Göhner, die Tatsache, daß wir mehr Petitionen zu bearbeiten haben, die von öffentlichen Interesse sind, zeigt,
daß die Bevölkerung politischer geworden ist. Das ist für meine Fraktion ein gutes Zeichen.Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat der Abgeordnete Schlottmann.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Weit über eine halbe Million registrierter Ausreisewünsche von Menschen deutscher Volkszugehörigkeit aus den Ostblockländern sind uns nach Auskunft des Deutschen Roten Kreuzes bekannt. Hilferufe erreichen auch einzelne Abgeordnete und den Petitionsausschuß, der in seinem Jahresbericht unter dem Stichwort Familienzusammenführung auf die Gesamtproblematik eingeht, und das seit vielen Jahren.Familienzusammenführung bedeutet in diesem Zusammenhang die Aussiedlung deutscher Volkszugehöriger aus osteuropäischen Ländern sowie die Übersiedlung Deutscher aus der DDR, in besonderem Maße solcher Personen, die zu ihren Familien kommen bzw. wieder mit ihren Familien leben möchten. Das sind in der Mehrzahl — das habe ich in einem Auffanglager selber festgestellt — viele bedrückende Einzelschicksale.Wir wissen, daß in all diesen Fällen die Zuständigkeit beim jeweiligen Aufenthaltsland liegt und deutsche Stellen, so auch der Petitionsausschuß, mitunter zur Hilflosigkeit — leider, muß ich sagen — verurteilt sind. Der gute Wille der betreffenden Staaten ist ausschlaggebend. Er hat — das ist leider auch festzustellen — in den letzten Jahren stark nachgelassen.So sind beispielsweise in der Sowjetunion die Ausreisezahlen von 809 im Monatsdurchschnitt desJahres 1976, also des Jahres nach dem KSZE-Treffen von Helsinki, auf 44 im Monatsdurchschnitt des Jahres 1985 gesunken. Diese Zahl steht in keinem Verhältnis zu den dem Deutschen Roten Kreuz und dem Auswärtigen Amt bekannten Ausreiseanliegen von rund 180 000 Personen.
Beide Zahlen machen die Größe des Problems recht deutlich.Es verstärkt sich noch dadurch, daß gerade für die Ausreisewilligen schwerwiegende Benachteiligungen wie berufliche Schlechterstellung nach Antragstellung bis hin zur Entlassung, Beschränkung der Wohnung, Benachteiligung der Kinder in den Schulen und bei der Berufswahl erfolgen.Die Schilderungen in den Petitionen sind bisweilen erschütternd. Stellvertretend sei der Fall erwähnt, in dem die schwerkranke Mutter um die Ausreise ihres Sohnes und seiner Familie bittet, dem als einzigem von neun Kindern seit Jahren die Aussiedlung versagt wird. Eltern und acht Geschwister hingegen durften vor Jahren die UdSSR verlassen.Bedrückend ist auch die Schilderung einer pflegebedürftigen Mutter, die sich um die Ausreise ihres verheirateten Sohnes bemüht. Bei der Ausreise der Eltern 1982 blieb der Sohn in Rußland bei seiner Ehefrau, die, obgleich auch deutschstämmig, keine Ausreisegenehmigung erhielt. Russische Behörden rieten dem Sohn zur Scheidung, um ihn dann ausreisen zu lassen.Das Auswärtige Amt empfiehlt den Petenten und Ausreisewilligen Kontakte zu den Botschaften. Nach Schilderung der Petenten kommen aber viele Briefe bei der Botschaft überhaupt nicht an, ebenso nicht die Antworten der Botschaft bei den Antragstellern. Verzweifelung, meine Damen und Herren, bestimmt viele Eingaben. Lange Verfahrensdauer — mitunter sind es 30 Jahre —, persönliche Benachteiligung, aber auch der Tod Beteiligter führen zu Resignation und letztlich zur Rücknahme von Eingaben.Von den rund 22 000 Aussiedlern aus Polen sind im sogenannten gelenkten Verfahren, also mit Genehmigung der polnischen Behörden, bislang nur 10 % in die Bundesrepublik eingereist. Alle anderen kamen außerhalb dieses Verfahrens und gelten nach polnischer Auffassung als illegal. Polnische Behörden haben bislang für die dort verbliebenen ausreisewilligen Angehörigen relativ wenige Genehmigungen in zumutbarer Zeit erteilt, in der Regel nicht vor Ablauf von fünf Jahren. Nach einem solch langen Zeitablauf entstehen viele persönliche Schwierigkeiten. Ich kann das auch aus eigenem Erleben sagen; ich bin zur Zeit mit einer solchen Petition aus meinem Wahlkreis befaßt.Die humanitäre Verpflichtung gegenüber diesen Personen erfordert, daß wir und die Bundesregierung mit ihren Bemühungen die polnische Seite zu mehr Großzügigkeit zu veranlassen haben, also nicht nachlassen dürfen, dies immer wieder zu sa-
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Schlottmanngen. Von rund 1,1 Millionen deutschen Volkszugehörigen in Polen betreiben rund 125 000 Personen — aktualisiert — ihre Ausreise aus Polen. Vielfach bleibt dem Familienmitglied, das zum Besuch der hier bei uns lebenden alten hilfsbedürftigen Eltern ausreisen durfte, keine andere Wahl, als hierzubleiben und auf eine baldige Ausreise der zurückgebliebenen Angehörigen zu hoffen.Eine weitere Problemgruppe stellen diejenigen dar, die keine nahen Verwandten in der Bundesrepublik haben. Polen lehnt in diesen Fällen die Annahme von Interventionsnotizen der deutschen Botschaft ab; man bestreitet diesem Personenkreis letztlich die deutsche Volkszugehörigkeit.Die Zahl der deutschen Aussiedler aus Rumänien nahm im Vergleich zum Vorjahr um rund 1 500 ab; sie belief sich auf ca. 15 000. Bei rund 70 000 aktualisierten Aussiedlungsanliegen und insgesamt noch rund 200 000 deutschen Volkszugehörigen in Rumänien ergibt sich hier im Vergleich zu Polen und der UdSSR eine wesentlich günstigere Bilanz. Es ist allerdings beklagenswert, daß sich die Ausreiseanliegen immer noch nur durch Schmiergeldzahlungen in harter Währung beschleunigen lassen. Ich sehe in diesem Verhalten eine schwerwiegende Benachteiligung aller Personen, die in der Bundesrepublik keine zahlungsfähigen Angehörigen haben.
Der Petitonsausschuß hat in besonderen Härtefällen die Ausreiseanliegen durch Übergabe von Härtelisten an rumänische Gesprächspartner nachdrücklich unterstützt. Er nimmt mit Befriedigung zur Kenntnis, daß von der rumänischen Seite viele dieser besonderen Härtefälle bereits gelöst wurden bzw. vor der Lösung stehen.Ich wäre froh, eine solche Feststellung auch für die Härtelisten treffen zu können, die der Präsident des Deutschen Bundestages im Namen unseres Ausschusses einer Delegation des Obersten Sowjet im April 1985 in Bonn bzw. im November bei seinem Besuch in der UdSSR seinen Gesprächspartnern überreichte.
Allerdings war der Erfolg bislang nur sehr begrenzt.
Die Übersiedlungszahlen aus der DDR sind im Vergleich zum Vorjahr nahezu halbiert. Dieser Rückgang zeigt, daß sich die Erledigung der Übersiedlungsverfahren wieder verzögert. Allgemein ist festzustellen, daß diese Verfahren auch in der DDR viel zu lange dauern und bei den Betroffenen mit schweren seelischen und körperlichen Strapazen verbunden sind. Auch hier führten Ausreiseanträge vielfach zu Benachteiligungen im Berufsleben der Kinder. Wir bedauern das im Interesse der Betroffenen sehr.Meine Damen und Herren, zusammenfassend stelle ich folgendes fest: Erstens. Die Staaten Osteuropas sind aufgefordert, sich an die internationalen Verträge zu halten und entsprechende Freizügigkeit zu gewähren. Ich erinnere an die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen und berufe mich auf die Schlußakte von Helsinki, die die Familienzusammenführung ausdrücklich vereinbart.Zweitens. Wir begrüßen, daß sich der Bundestagspräsident, der Bundeskanzler, der Außenminister und einige Ministerpräsidenten osteuropäischen Regierungen gegenüber für Familienzusammenführung nachhaltig eingesetzt haben. Wir unterstützen diese Initiativen auch durch Kontakte des Petitionsausschusses, z. B. zur rumänischen Nationalversammlung.Drittens. Ich danke an dieser Stelle auch dem Deutschen Roten Kreuz für seine vielfältigen Bemühungen bei der Familienzusammenführung.
Seine Arbeit werden wir weiterhin unterstützen. Ich bedanke mich.
Das Wort hat der Abgeordnete Kühbacher.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen aus dem Petitionsausschuß! Liebe sonstige vereinzelt hier anwesende Kollegen des Deutschen Bundestages! Wir sind ja fast unter uns.
— Das sind die, die dem Petitionsausschuß nicht angehören. Ich finde es eine große Auszeichnung, daß sie uns hier heute morgen zuhören.
Das kennzeichnet ja doch ein wenig auch den Stil unserer parlamentarischen Behandlung solcher Fragen.
— Ich komme gleich auf die Regierung. —
Wir sind mit diesem Bericht, mit der Diskussion fast am Schluß der Legislaturperiode. Ich denke, es ist dem einzelnen Abgeordneten erlaubt, die eine oder andere Situation aus seiner Sicht zu beurteilen.Ich glaube, es war seitens meiner Fraktion falsch, bei der Konstituierung der Ausschüsse nicht auf den Vorsitz im Petitionsausschuß zu bestehen.
Petitionsrecht ist zum Teil ein Oppositionsrecht und wird auch von den Bürgern so gesehen. Eine Reihe von Rednern hat das heute morgen hier deutlich gemacht. Im Moment rollen eine ganze Menge von Anliegen von Bürgern, Anliegen, die sich unmittelbar auch aus der politischen Entscheidung in
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Kühbachersozialen Fällen, in rechtlichen Fällen ergeben, auf das Parlament, auf den Petitionsausschuß zu.
— Dazu wollte ich gerade kommen. Man muß ja den Anlauf dazu nehmen, Herr Kollege Friedmann.— Ich möchte mich bei Ihnen, Frau Vorsitzende, liebe Kollegin, liebe „Lilo" Berger, für Ihr Engagement bedanken.
Ich möchte einmal zeigen, wie sich Ihr Engagement auch im stillen vollzieht. Es ist ja nicht nur so, daß Sie den Ausschußsitzungen vorsitzen, daß Sie uns zur Zusammenarbeit ermahnen, daß wir bestimmte Dinge vorantreiben, nein, es ist auch so, daß dann, wenn man als Berichterstatter seinen schwarzen Aktenkoffer mit zehn/zwölf Akten bekommt, manche besonders gekennzeichnet sind, was darauf hinweist, daß diese Akten, nachdem zwei Abgeordnete— oder vielleicht sogar vier — verschiedener Parteizugehörigkeit sie bearbeitet haben, der Vorsitzenden anschließend noch einmal zugeleitet werden sollen, die sich diese Akten dann noch einmal persönlich vornimmt. Wenn ich das so richtig zusammenrechne, sind es sicherlich 600, 800 Einzelfälle, die Sie persönlich nacharbeiten. Ich denke, dieses zusätzliche Engagement von Ihnen in den Einzelfällen muß auch einmal erwähnt werden, daß Sie also solche Fälle, die Ihnen wichtig erscheinen, die Ihnen grundsätzlich erscheinen, noch einmal zusätzlich bearbeiten.
Dafür gebührt Ihnen der Respekt dieses Parlaments.Ich glaube, es macht auch etwas aus, daß sich der eine oder andere Parlamentarische Staatssekretär oder die Regierung im Ausschuß so verhält, wie sie sich verhält. Ob das bei dem Vorsitz eines Oppositionsabgeordneten so wäre, weiß ich nicht.Wir müssen uns, glaube ich, auch davor hüten, im Petitionsausschuß in Fronten zu kommen:
hier verteidigen wir die Regierung, dort opponieren wir nur. Es hat also etwas Gutes, nicht in ein Konfrontationsdenken zu verfallen. Wie sich z. B. der Staatssekretär aus dem Verteidigungsministerium gegen seine eigene Verwaltung gelegentlich durchsetzen muß, nachdem er bei uns im Ausschuß gewesen ist, das ist schon eine gute Sache. Viele Dinge, die in den Wehrbereichsverwaltungen ganz eng ausgelegt, ganz juristisch betrachtet werden, können dann letzten Endes im politischen Gespräch doch anders geregelt werden. Dem Bürger, der sich von einem ganz großen Apparat betroffen fühlt, kann geholfen werden. Das ist dann eine gute Sache. Ich denke, es ist auch der Respekt vor Ihrer Person, Frau Berger, daß sich die politische Seite der Ministerialbürokratie, die Parlamentarischen Staatssekretäre, so verhalten, wie sie sich verhalten. Das wollte ich als Positives sagen.
— Herr Göhner, wo Sie gerade klatschen: Ich glaube, wir müssen uns gemeinsam davor hüten, gerade Ihre Gruppe im Petitionsausschuß, vom Mehrheitenrecht zu oft Gebrauch zu machen, wenn ein Anliegen politisch nicht passend erscheint. Ich glaube, wir müssen darüber nachdenken, wieso es kommt, daß sich so viele Bürger zu aktuellen sozialen Fragen unmittelbar betroffen durch die eine oder andere für den Bürger nicht einsichtige Entscheidung an uns wenden. Ich nenne einmal das Spannungsfeld. Wenn Rentnern in bestimmten Bereichen soziale Einschränkungen zugemutet werden wie z. B. bei der Anrechnung von Ruhestandsgehältern und Pensionen — § 55 a Versorgungsgesetz heißt das wohl — und auf der anderen Seite gleichzeitig die Entscheidung über die Frühpensionierung von Offizieren mit dem enormen finanziellen Aufwand von 650 Millionen DM getroffen wird, dann wendet sich der Betroffene an uns und sagt: Was ist da eigentlich passiert? Wieso bei mir 17 Mark oder 20 Mark weniger und wieso diese enorme Ausgabe auf der anderen Seite?
— Natürlich zu Recht. — Dann, Herr Kollege Göhner, ist die Mehrheit im Ausschuß gelegentlich versucht, dieses unter allgemeiner politischer Notwendigkeit wegzudrücken und auf das unmittelbar Gedankliche des Betroffenen nicht mehr einzugehen.Natürlich ist Gesetz Gesetz. Ich wünschte mir, daß wir im Petitionsausschußbüro — ich bedanke mich ausdrücklich bei den vielen Mitarbeitern dort für ihr Engagement — die Kapazität hätten, hier nicht nur juristisch zu argumentieren. Ich wünschte mir gelegentlich, daß wir einen Briefeschreiber hätten, der in der Lage ist, das unmittelbare Anliegen des Betroffenen aufzunehmen und zu sagen: Bitte schön, Sie haben im Prinzip recht. Aber politische Entscheidungen sind manchmal auch für Bürger unverständlich, und Mehrheit ist Mehrheit im Parlament. — Das sollte in den Briefen öfter zum Ausdruck kommen, weil sich die Bürger mit ihren Betroffenheiten — nicht nur wegen dieser 17 Mark — an uns wenden. Dieses auffangen zu können, ist sicher die Kunst eines unabhängigen Büros. Denn dieses ist Gott sei Dank in keine parteipolitische Schublade zu schieben. Ich wünschte mir soviel Personal, daß das zu leisten wäre.
Ich will das so zusammenfassen: Ich glaube, daß die Arbeit im Ausschuß gut ist. Es ist nicht üblich, daß man sich im Parlament gegenseitig lobt. Ich denke, wir arbeiten ganz fair miteinander. Gelegentliche Auseinandersetzungen gehören zum politischen Alltag. Ich finde das auch prima.Ich will aus dem Jahresbericht nur zwei, drei Dinge herausheben, wo wir sofort einer Meinung waren und uns gar nicht zu streiten brauchten.Da gab es z. B. den Fall, daß sich ein Beschäftigter im öffentlichen Dienst — wie ich meine: zu Recht — darüber aufgeregt hat, daß seine Krankheitsgeschichte oder die Krankheitsgeschichte seiner Frau deshalb, weil er eine Beihilfe zu einer
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KühbacherHeilkur beantragt hatte, bei seiner Personalabteilung landete, weil die Behörde, die das zu bearbeiten hatte, so klein war, daß die Beihilfeangelegenheit von dort abgerechnet wurde, der auch die Beurteilung für den Betroffenen zu machen hatte. Hier muß unter Datenschutzgesichtspunkten darauf geachtet werden, daß nicht sachfremde Erwägungen den Beschäftigten im öffentlichen Dienst belasten. Wir haben Anregungen an das Innenministerium gegeben, sich in grundsätzlicher Weise dieses Falles anzunehmenIch habe mich auch gefreut, als wir eine — wie ich meine — schändliche Massenpetition zum Thema Ausländer in der Bundesrepublik hatten, wie wir im Ausschuß — einvernehmlich und natürlich auch betroffen über diese Petition — mit dieser umgegangen sind. Die Worte, die in dieser Massenpetition — es war eine, mit mehreren Unterschriften — vorkamen — Überfremdung, Inanspruchnahme deutscher Arbeitsplätze, Rückführung dieser Familien, auf keinen Fall Zuerkennung deutscher Staatsangehörigkeit —, waren Ausdruck dessen, wie natürlich Minderheiten in diesem Staat denken. Aber ich fand es einen guten Stil, daß wir über die Fraktionen hinweg sofort gesagt haben: Das ist hier in der Bundesrepublik aus der Sicht des Parlaments nicht das, was wir denken. Wir haben gemeinsam entschieden, diesen Petenten, jedem einzelnen, eine Broschüre zuzusenden, um ihnen unsere Auffassung von der Behandlung unserer ausländischen Mitbürger mitzuteilen. Es war gut, daß wir auf diese Anliegen der Petenten ablehnend eingegangen sind.
Ich bedanke mich dafür, daß das so einvernehmlich passieren konnte.Es gäbe viele Kleinigkeiten zu berichten. Einen Punkt will ich noch anschneiden, wo wir eigentlich gar nicht helfen können. Aber der Bürger wendet sich in seiner Hilflosigkeit an uns. Das sind die Banken, das sind die Versicherungen, die oft mit dem Bürger in privatrechtliche Streitigkeiten kommen. Da glaubt der Bürger, er könnte bei uns Hilfe bekommen. Wir können deren rechtsförmliche Prüfung nur über die Bankenaufsicht und über die Versicherungsaufsicht nachvollziehen. Ich wünschte mir, viele Banken oder das Kreditgewerbe oder das Versicherungsgewerbe würden einen eigenen Petitionsbereich einrichten, um manche Dinge, die dort passieren, auf dem Kulanzwege auszuräumen.
Der Bürger empfindet diese großen Instrumentarien inzwischen auch ein wenig als Staat. Ich bedaure es, daß wir dort nicht hinein können. Ich denke z. B. an die Regulierung von Ansprüchen von Geschädigten bei Unfällen usw. Das ist eine ganz schlimme Sache. Hier wird die Macht der Juristen der Versicherungskonzerne und die Macht der Bankengruppen gegenüber dem — glaube ich — in diesen Fällen hilflosen Bürger gnadenlos ausgenutzt. Der Hinweis, er könne ja eine Rechtsschutzversicherung abschließen, ist mir da zu billig. Ich meine, da ist ja auch viel Betroffenheit.Ich bedanke mich bei allen, die heute morgen hier sind und zugehört haben. Ich wünschte dem einen oder anderen Kollegen den Mut, in der nächsten Legislaturperiode im Petitionsausschuß mitzuarbeiten.Schönen Dank.
Das Wort hat der Abgeordnete Hornung.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Auch 1985 gab es ähnlich viele Petitionen und Eingaben der Bürger wie im Jahr zuvor. Das zeigt, daß der Anspruch hier immer größer wird. Allein auf den Bereich Arbeit und Soziales entfiel ein Drittel aller Petitionen. Wir stellen hier einfach fest, daß das Zusammenleben der Menschen — Politik heißt letztlich Regelung des Zusammenlebens der Menschen — immer komplizierter wird.Neues Recht bedeutet mehr Regelung. Es bedeutet neue Grenzen, und es bedeutet letztlich wieder neue Fälle, die auf uns zukommen. Oft ist gerade in diesem Bereich für den einfachen Bürger nicht mehr alles durchschaubar. Wir brauchen Spezialisten. Ich frage mich: Wird das Vertrauen in die Politik, wird das Vertrauen in die Verantwortlichen größer, und wird die Zufriedenheit größer?
Das folgende Beispiel belegt spiegelbildlich: 5 aller Petitionen im Jahre 1985 bezogen sich auf eine gesetzliche Regelung, über die 1985 diskutiert worden ist und die erst 1986 in Kraft getreten ist; ich meine die gesetzliche Regelung über die Anerkennung von Kindererziehungszeiten. Meine Damen und Herren, in bezug auf ein Gesetz, das es gestern noch nicht gab und das vielen Millionen Menschen helfen wird, haben wir bereits eine so große Anzahl von Eingaben erhalten.
Das zeigt doch, daß wir bei allem guten Willen und bei aller Hilfe immer wieder neue Grenzen öffnen.Andererseits vermerken wir mit Zufriedenheit: 25 % der Eingaben, die sich auf den Bereich Soziales beziehen, konnten geregelt werden, ein weiteres Viertel wenigstens zum Teil.Dem Petitionsausschuß fallen immer mehr Aufgaben zu. Dies bezieht sich auch auf den internationalen Bereich. Das internationale Treffen der Ombudsmänner in Wien hat gezeigt, daß auch die Verflechtungen zwischen den verschiedenen Organisationen im europäischen Bereich, aber auch zwischen dem Bund und den Ländern immer notwendiger werden.Aus meiner Sicht ist es die Hauptaufgabe des Petitionsausschusses, sich dem einzelnen Bürger mehr zuzuwenden, weil er mehr und mehr unter die Räder kommt. Er kann vieles nicht mehr beurtei-
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17152 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 222. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Juni 1986
Hornunglen, und dann keimt das Mißtrauen auf. Ich sage auch: Die Mühlen auf diesem Sektor mahlen manchmal langsam.Die politisch motivierten Petitionen, die heute auch angesprochen wurden — die berechtigt sind —, werden — ich meine, das hat die Mehrheit des Ausschusses richtig erkannt — als erledigt betrachtet, wenn vorher eine umfassende und ausgiebige Diskussion im Bundestag stattgefunden hat. Was Petitionen mit aktuellem Bezug angeht — denken wir an die Waldschäden, die Luftreinhaltung und die Geschwindigkeitsbegrenzung usw. —, so meine ich: Der Verfasser so mancher Petition hängt sich lediglich an die politische Diskussion an.Man kann aber auch viele positive Beispiele nennen. Nehmen wir den Bereich Ernährung, Landwirtschaft und Forsten. Ich denke an den Tierschutz, wo Jäger und Tierschützer gemeinsam als Wildretter das Leben in der Umwelt gestalten, wo wir vom Ausschuß der Regierung Berücksichtigung empfohlen haben, wo dem Artenschutz mit Import-und Handelsverboten positiv Rechnung getragen werden konnte. Daneben konnten wir, wo es in Europa um diese sogenannte Vernichtung von Obst und Gemüse im Zusammenhang mit dem Hunger in der Welt ging, Informationen, Hilfe geben, konnten Mißverständnisse ausgeräumt werden. Wir konnten dieses Anliegen der Bundesregierung und der EG überweisen. Ebenso konnten Erfahrungen im Bereich der Milchmengengarantieregelung gemacht werden.Viele Dinge bleiben übrig. Herr Müntefering hat vorhin zu Recht gesagt, daß auch Anträge abgelehnt worden sind — weil nicht alle Wünsche, die an den Staat herangetragen werden, erfüllt werden können. Dennoch bin ich dankbar und froh, daß neben der zusätzlichen Aufgabe auch die Freude an der Hilfe entstehen kann.
Das Wort hat der Abgeordnete Mann.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Frau Vorsitzende! Ich möchte mich eingangs dem allgemeinen Dank vor allen Dingen für Ihre engagierte Arbeit, Frau Vorsitzende, auch für die engagierte Arbeit des Büros, anschließen.Trotzdem, denke ich, ist der letzte Bericht in dieser Wahlperiode eine gute Gelegenheit, kritisch, vielleicht auch selbstkritisch, Frau Dr. Segall, über unsere grundsätzliche Arbeitsweise nachzudenken.Ich muß hier in ganz knapper Zeit zu zwei Massenpetitionen, von denen heute mehrfach die Rede war, einige Ausführungen machen. Unsere Fraktion hat Änderungsanträge vorgelegt und relativ eingehend begründet. Die SPD hat zu dem Antrag der Initiative Bremer Abrüstung ebenfalls einen Änderungsantrag vorgelegt.Ich glaube, daß das Problem der Massenpetitionen so, wie es hier bisher diskutiert worden ist, unzureichend behandelt worden ist. Ich werde das hier in der knappen Zeit auch nicht nachholen können.
Ich möchte uns vielmehr daran erinnern, was in § 48 der Geschäftsordnung der verfassungsgebenden Versammlung von 1848 stand. Das hat uns übrigens ein Petent der Bremer Abrüstungsinitiative, Herr Bockhofer, zugeschickt. 1848 hieß es:Dem Petitionsausschuß ist ein bestimmter Tag in jeder Woche zur Vorlegung seiner Berichte einzuräumen. Erst nach völliger Erledigung dieser Berichte kann zur anderweitigen Tagesordnung übergegangen werden.So war das 1848; ich denke, daß es angemessen wäre, wenn das auch 1986 und folgende so wäre.
Deswegen unser Unmut, liebe Kolleginnen und Kollegen, daß wir heute in zweistündiger Debatte sowohl über diesen außerordentlich wichtigen Jahresbericht als auch über zwei außerordentlich wichtige Massenpetitionen diskutieren sollen.
Man kann ja — das ist der Punkt, und das steht auch im Bericht — eine politische Meinung haben und aus Anlaß der Petition bei dieser Meinung bleiben, man ist aber verpflichtet, den Inhalt der Petitionen zunächst einmal von der Sache her zur Kenntnis zu nehmen und dann darüber zu entscheiden, wie verfahrensmäßig damit umzugehen ist — so auf Seite 6 des Berichts zur Petition der Initiative Bremer Abrüstung. Wie können wir denn sachgerecht über die Petition entscheiden, erledigt oder nicht — so bei der Petition der Bremer Abrüstungsinitiative von diesem Hause am 18. April 1985 schon einmal beschlossen —, wenn wir überhaupt nicht die Möglichkeit haben, darüber zu diskutieren? Dabei spielt natürlich die politische Prioritätensetzung eine große Rolle. Ihnen ist es unbequem — Frau Dr. Segall, Ihr Beitrag heute war ein guter Beleg dafür —, daß die Verankerung des Schutzes der Umwelt im Grundgesetz hier in diesem Hause im Zusammenhang mit einer Petition noch einmal diskutiert werden kann. Ihnen ist es unbequem, daß die Petenten der Initiative Bremer Abrüstung, nicht die GRÜNEN, noch einmal versuchen, über den Art. 17 des Grundgesetzes, über ihr Individualgrundrecht, uns als Abgeordnete dazu zu bringen, uns mit ihren abrüstungspolitischen Forderungen ernsthaft auseinanderzusetzen. Das ist schlicht und einfach Politik.Wenn Sie, Frau Dr. Segall, uns vorwerfen, wir würden mit dem Mittel des Petitionsrechtes Parteipolitik machen, kann ich nur sagen: Lesen Sie einmal den Art. 17 nach, lesen Sie einmal das Vitzthum-Gutachten nach, lesen Sie einmal die Kommentare zu Art. 17 nach. Gerade Sie, Herr Mischnik,
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Mannals Liberaler sollten sich darüber freuen, wenn über Petitionen FDP-Parteitagsbeschlüsse zur Verankerung des Umweltschutzes im Grundgesetz diskutiert werden können. Leider stellt sich dann heraus: Die FDP faßt Beschlüsse, und wenn es darauf ankommt, lehnt sie die entsprechenden Gesetzesanträge ab. Das ist die Realität.
— Frau Vorsitzende, ich muß zum Schluß kommen. Ich habe auf unsere eingehenden Änderungsanträge hingewiesen. Ich möchte uns alle zum Schluß an den Artikel des „Spiegel" vom 16. September 1985 mit der Überschrift „Acte der Auflehnung" erinnern.
Da ging es um Massenpetitionen und um die Petition der Initiative Bremer Abrüstung. Ich hoffe sehr, daß wir dazu kommen, die Minderheitenrechte zu verankern, so wie es der Kollege Meininghaus sehr überzeugend begründet hat, und daß es nicht dazu kommt, wie in der Deutschen Bundesversammlung 1832. Da wurden nämlich den Untertanen, als sie allzuhäufig aufmuckten, einfach Petitionen als Acte der Auflehnung gegen die im Staatsoberhaupte vereinigte Staatsgewalt verboten.Vielen Dank.
Nun hat das Wort der Abgeordnete Pöppl.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Man kann in der Öffentlichkeit nicht oft genug darauf hinweisen, daß die Behandlung von Petitionen eine eigenständige Aufgabe des Parlaments ist und daß der Petitionsausschuß nicht primär Kontrollfunktionen ausübt, sondern daß er ganz im Gegenteil die Brücke zwischen Bürger und Staat darstellt.
Wenn das so ist, Herr Kollege Mann — ich will ganz konkret auf das, was Sie soeben gesagt haben, abheben und es deutlich machen —,
müssen wir alles daran setzen, den Versuchen zu widerstehen, mit quasiplebiszitären Massenpetitionen einen neuen Seiteneingang zur politischen Bühne zu schaffen.
— Genau.Auch in diesem Berichtsjahr hat sich die Linie verstärkt fortgesetzt, politisch besonders brisante Themen — wir spüren das heute wieder - aus dem Ausschuß herauszunehmen und sie im Plenum der breiten Öffentlichkeit zu präsentieren. Es ist eine Tatsache, daß es in allen Fällen darum ging, die parteipolitischen Gegensätze ins Feld zu führen. Genau dies aber widerspricht dem Kern, dem Rollenverständnis und dem Selbstverständnis unserer Ausschußarbeit.Im Vordergrund unserer Aufgabe steht nicht zunächst das parteipolitische Kalkül, sondern die Brückenfunktion zwischen Bürger und Staat. Wenn wir dies erfüllen wollen, dürfen wir uns eine zunehmende Politisierung dieser Debatten nicht aufdrängen lassen.
Wir sollten nicht in eine faktische Arbeitsteilung kommen; das ist heute schon einmal vom Kollegen Kühbacher gesagt worden. Wir sollten also in unserem Parlament nicht zu einer Arbeitsteilung zwischen Regierungs- und Oppositionsfraktionen kommen. Es entspricht auch nicht der übrigen Praxis der Ausschußarbeit, wenn auf diese Weise in der breiten Öffentlichkeit politische Profilierungsklimmzüge gemacht werden.
Ein Beispiel, wie schnell man einer solchen Versuchung erliegen kann, hat heute der stellvertretende Vorsitzende des Petitionsausschusses, Herr Kollege Meininghaus, gegeben. Sie haben sich hingestellt und haben bei den Kindererziehungszeiten so getan, als ob dies das Erstgeburtsrecht der SPD sei. Sie haben so getan, als ob noch nie jemand auf die Idee gekommen wäre, diese Notwendigkeit zu erkennen. Sie haben natürlich völlig vermieden, darauf hinzuweisen, daß die Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen von Anbeginn der Beratungen an und auch nach der Beschlußfassung im Deutschen Bundestag einmütig erklärt haben, daß sie eine Anrechnung von Kindererziehungszeiten für alle Mütter oder Väter für wünschenswert halten. Das haben Sie vermieden. Sie haben auch nicht erklärt und darauf hingewiesen, daß das nie Grundlage und Gegenstand Ihrer, der SPD-Überlegungen waren. Sie haben auch nicht darauf hingewiesen, daß jetzt mehr als 30 Milliarden Mark Zinsen zu zahlen sind, was uns sehr daran hinderte, solche Überlegungen überhaupt ins Feld zu führen. Sie hätten, Herr stellvertretender Vorsitzender, dann darauf hinweisen können, daß 640 Petitionen zu diesem Thema bei uns eingegangen sind und daß diese auch die politische Meinung bewegen können und sollten. Das wäre sehr schön gewesen, wenn Sie es so dargestellt hätten.Ich möchte hier noch einmal ganz deutlich sagen: Das ist nicht die erste Überlegung, die Sie mit dem Gesetzesantrag einbringen; diese Überlegungen hatten wir immer, und ich glaube, wir werden auch mit diesem Sozialaspekt zu Rande kommen. Ich will aber anfügen: Wenn dies geregelt wird, sollte dies nicht von der Rentenversicherungskasse getragen werden, weil es eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist.Etwas, was auch noch nicht in ausreichendem Maße der besonderen Aufgabenstellung des Peti-
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Pöppltionsausschusses entspricht, ist die geringe Bereitschaft der Presse und überhaupt der Medien, auf die Arbeit und die Ergebnisse im Petitionsbereich einzugehen. Es wäre sehr zu begrüßen, wenn künftig von den regelmäßigen Pressemitteilungen und Interviews mehr Gebrauch gemacht würde, weil in der Tat das Petitionswesen in vielen Fällen Aufschluß über individuelle Härtefälle gibt, die häufig für einen größeren Personenkreis von Interesse sind.Diskussionswürdig ist, wie ich glaube, auch die Entwicklung der Zahl der Eingänge von Petitionen. Ich glaube, ich stehe da nicht im Gegensatz zu dem, was Kollege Hornung gesagt hat. Zunächst ist festzustellen, daß die Neueingänge im Berichtszeitraum mit über 12 000 Eingaben sich gegenüber dem Vorjahr um rund eineinhalb Tausend vermindert haben. Von besonderem Interesse scheint mir aber zu sein, daß diese Zahl, wie ein Vergleich mit den vergangenen zehn Jahren, wenn man 1976 einbezieht, wo wir eine Spitze mit über 20 000 Eingaben hatten, ergibt, um rund 41 % unter dem damaligen Höchststand angekommen ist. Wenn überhaupt, dann hat die Opposition mit ihrer Behauptung, daß an der Zahl der Eingänge die Unzufriedenheit der Bevölkerung mit der Regierungspolitik abzulesen sei, ein prächtiges Eigentor geschossen.Auch der verehrte Kollege Meininghaus hat sich bei der Debatte über den Jahresbericht 1984 hier im Plenum in die Gruppe der falschen Propheten eingereiht, als er für 1985 eine steigende Tendenz beim Eingang von Petitionen prophezeite.Meine Damen und Herren, ich möchte in der Kürze der Zeit noch an ein paar Einzelbeispielen darstellen, wie das Rollenverständnis und die Aufgabenstellung dieses Ausschusses sich verdeutlichen. Im Berichtsjahr hat z. B. die Deutsche Bundesbahn 38 Intercity-Großraumwagen in Dienst gestellt, die mit behindertengerechten Sonderausstattungen versehen sind. Daß hier schrittweise eine Verbesserung erreicht wird, ist hauptsächlich auf das Drängen des Petitionsausschusses, insbesondere aber auf die bewundernswerte Hartnäckigkeit der Frau Vorsitzenden, Lieselotte Berger, zurückzuführen. Herzlichen Dank dafür!
Es ist gar kein Zweifel, daß die von der Deutschen Bundesbahn ergriffenen Maßnahmen für den betroffenen Personenkreis zu einer Verbesserung der Mobilität führen. Es wäre nun wünschenswert, daß diese Umrüstungen im wahrsten Sinne des Wortes „Zug um Zug" durchgeführt werden und insbesondere auch noch Vorkehrungen getroffen werden, es den Rollstuhlbesitzern zu ermöglichen, das Ein- und Aussteigen ohne fremde Hilfe zu bewältigen und ohne besondere Erschwernisse auf den Bahnsteig zu gelangen.Auch die Köln-Düsseldorfer Dampfschiffahrt, die Jahr für Jahr Tausende von Gästen unseres Bundestages befördert, hat übrigens auf Grund einer Eingabe des Behindertenbeirats der Stadt Solingen in Aussicht gestellt, die Schiffe für unsere behinderten Besucher rollstuhlgerecht zu machen. Auch diesist ein Erfolg des Petitionsausschusses, was man hier einmal deutlich sagen sollte.Ich will noch auf einen signifikanten Aspekt der Arbeit des Petitionsausschusses am Themenbeispiel Kindergeld für Vollwaisen eingehen. Seit Jahren — so auch im Berichtsjahr 1985 — wandten sich Petenten dagegen, daß an Vollwaisen, die allein leben oder mit ihren jüngeren Geschwistern zusammen den Haushalt führen, kein Kindergeld gezahlt wurde. Der Grund lag darin, daß der Anspruch auf Kindergeld nicht dem Kind, sondern grundsätzlich den Eltern oder Ersatzeltern zusteht. Alleinstehende Vollwaisen mußten nicht nur den Schicksalsschlag, der sie getroffen hatte, überwinden; für sie konnte auch, wenn sie keine Ersatzeltern gefunden hatten, kein Kindergeld gezahlt werden. Diese soziale Unausgewogenheit war schon in den Jahren 1980 und 1981 vom Petitionsausschuß aufgegriffen worden; allerdings wurden von der damaligen Bundesregierung die zur Berücksichtigung bzw. zur Erwägung überwiesenen Eingaben abgelehnt.Der Petitionsausschuß des Deutschen Bundestages war es schließlich, der eine Regelung dieses Problems weiterhin für dringend erforderlich hielt. Eine in der 10. Legislaturperiode dem Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit zur Stellungnahme zugeleitete Eingabe und weitere der Bundesregierung zur Berücksichtigung überwiesene Petitionen führten dann dazu, daß im Rahmen der parlamentarischen Beratungen über das 11. Gesetz zur Änderung des Bundeskindergeldgesetzes eine Lösung dieses Problems im angestrebten Sinne erreicht werden konnte: Auf Grund der Beschlußempfehlung des Ausschusses für Jugend, Familie und Gesundheit hat der Deutsche Bundestag am 24. Mai 1985 im dortigen § 14 die nunmehrige Kindergeldregelung für alleinstehende Waisen kodifiziert. Diese Leistungen werden bereits seit dem 1. Januar 1986 gewährt und sind nunmehr geltendes Recht.Meine Damen und Herren, dieses Einzelbeispiel zeigt meines Erachtens einmal mehr, welch hohen Rang für die praktische Politik das im Grundgesetz in Art. 17 normierte Petitionsrecht einnimmt.Ich bedanke mich sehr.
Der Herr Abgeordnete Hansen hat das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Pöppl, Sie haben eingangs ein bißchen kritisiert, daß im Petitionsausschuß hin und wieder auch Politik stattfindet, indem man sich über unterschiedliche politische Auffassungen auseinandersetzt. Sie werden von mir ein bißchen mehr davon bekommen! Ich hoffe, Sie beschweren sich nicht darüber, und ich hoffe auch, daß das unsere Arbeit im Ausschuß nicht belastet.
Sie können uns doch nicht vorwerfen, daß wir uns beispielsweise für das Thema „Trümmerfrauen und Babyjahr" interessieren, während Sie sich anderer-
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Hansen
seits mehr für Hilfen für die Bauern und Hilfen für früh zu pensionierende Offiziere interessieren,
und daß wir das dann, wenn sich die Bürger wegen der Ungerechtigkeiten an den Petitionsausschuß wenden, natürlich aufgreifen. Ich glaube, soviel Politik muß auch im Petitionsausschuß stattfinden.
Petitionen sind nach Art und Anzahl oft ein Barometer für das Ausmaß, in dem Bürger von unseren Regelungen betroffen sind. Nahezu 32 % aller Petitionen an den Deutschen Bundestag fallen in die Zuständigkeit des Arbeits- und Sozialministers, nahezu 9,5% in den Bereich des Bundesinnenministers. Das sind überwiegend Petitionen, die mittelbar oder unmittelbar mit dem Abbau, der Veränderung oder der Streichung von sozialen Besitzständen zusammenhängen. Der Kollege Hornung hat hier in diesem Zusammenhang von „Anspruchsdenken" gesprochen.
Die Petenten meinen, Anlaß zur Unzufriedenheit zu haben, und sehen in einer Petition oftmals die letzte Möglichkeit, Entscheidungen zu ändern, die sie, auf ihre Person bezogen, als Ungerechtigkeit empfinden.
Herr Abgeordneter Hansen, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Pöppl?
Aber gerne. Vizepräsident Cronenberg: Bitte sehr.
Herr Kollege, bezeichnen Sie die Anhebung aller sozialen Ausgaben in der Zeit von 1982 bis 1985 von 525 Milliarden auf 575 Milliarden DM als einen sozialen Abbau und als einen sozialen Rückgang?
Sie müssen danach differenzieren, welcher Art die Ausgaben sind. Ich komme in meinem Bericht — hören Sie dann gut zu — auf das, was soziale Ungerechtigkeit ist und auch als solche empfunden wird.Die Mitglieder des Petitionsausschusses bemühen sich in solchen Fällen darum, das auch dann, wenn den Petenten abschlägige Bescheide erteilt werden müssen, in der Begründung richtig darzustellen, und dafür ist auch dem Büro zu danken.Ablehnungen mitzutragen fällt der Opposition natürlich immer dann schwer, wenn sie selbst in den parlamentarischen Beratungen einen anderen Standpunkt eingenommen hatte als die Koalitionsparteien. Meine Damen und Herren, niemand wird uns verübeln können, daß wir nicht gerne für Entscheidungen in Anspruch genommen werden, die wir nicht zu vertreten haben.
Eine große Anzahl von Eingaben gibt auch Anlaß, darüber nachzudenken, ob wir bei unseren Beschlußfassungen eigentlich immer alle möglichen Konsequenzen für den einzelnen Mitbürger bedenken können. Wir können das nicht. Die Petitionen sind oft ein Barometer dafür.Es wäre im Interesse der Bürger wünschenswert, wenn wir sowohl im Ausschuß wie auch im Plenum noch öfter über die Hürden vorangegangener Entscheidungen von Koalition und Opposition springen könnten. Wir sollten als Parlament öfter bereit sein, die von uns beschlossenen Gesetze und Regelungen noch einmal kritisch zu überprüfen, nachzubessern oder zu verändern, also im besten Sinne des Wortes auch einmal „nachzudenken".
Ich glaube nicht, daß auch nur ein Zipfel von Regierungsmacht gefährdet würde, wenn das passiert. Im Gegenteil: Das Vertrauen, das die Mehrheit der Bürger in das Parlament und in seine Kompetenz setzt, würde dadurch gestärkt werden können.
Ich weiß, daß ein solches Handeln von den Koalitionsparteien mehr Eingeständnisse verlangt als von der jeweiligen — das sage ich bewußt — Opposition. Dennoch ist das aus der Sicht der Bürger wohl kein unmögliches Verlangen.Ich will ein Beispiel nennen. Der Kollege Meininghaus hat in anderem Zusammenhang darauf hingewiesen: 640 Petitionen mit Bezug auf die vorgesehene Regelung der Anrechnung von Kindererziehungszeiten — Babyjahr und Trümmerfrauen sind die Stichworte —, teilweise Dutzende von Unterschriften unter diesen Petitionen. Wir haben im Plenum auf Grund dieser Petitionen eine Debatte geführt. Im Bericht finden Sie darauf einen Hinweis. Eine Berücksichtigung der Wünsche der Petenten wurde mehrheitlich abgelehnt. Aber ebenso lehnte es die Koalitionsmehrheit ab, ein Minderheitenvotum der SPD in den Jahresbericht einzufügen.
Daraus möchte ich doch hier noch einmal kurz zitieren:Die Minderheit ist jedoch der Meinung, daß auch Frauen, die bei Inkrafttreten des Gesetzes bereits über 65 Jahre sind, das Erziehungsjahr erhalten sollten. Gerade sie hätten die Erziehungsleistung unter erschwerten Bedingungen, häufig aus kriegsbedingten Gründen sogar allein und ohne die Mitwirkung des Vaters erbracht. Ihre Außerachtlassung bedeute eine Ungleichbehandlung und sei gleichzeitig eine gravierende Ungerechtigkeit im Vergleich zu jüngeren Frauen.
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Hansen
— Herr Hornung, ich weiß, daß Sie das nicht gerne hören und nicht gern daran erinnert werden, daß Sie hier dagegen gestimmt haben.Häufig seien die Renten der älteren Frauen sehr niedrig, so daß die Anrechnung eines Erziehungsjahres für sie besonders wichtig sei. Das Argument der fehlenden finanziellen Mittel sei nicht stichhaltig. In den letzten Jahren habe sich gezeigt, daß auch für andere Bereiche erhebliche finanzielle Mittel bereitgestellt wurden.Heute hören wir andere Töne aus dem Regierungslager — zwar nicht Präzises, vielleicht auch wahltaktische Manöver, aber immerhin.Meine Damen und Herren, wir hätten als Parlament auf Grund der Petitionen handeln sollen. Das Parlament kommt den Menschen näher, wenn es bereit ist, über getroffene Entscheidungen neu nachzudenken und sich auch einmal in Frage zu stellen.
Viele Petitionen betrafen auch wiederum die besoldungs- und versorgungsrechtlichen Einsparungen im öffentlichen Dienst. Ich will hier nur kurz die Bereiche aufzählen: Anrechnung von Renten auf Versorgungsbezüge, Renten wegen Berufs- und Erwerbsunfähigkeit, Ruhegehaltsfähigkeit von Dienstbezügen nach Beförderungen, Absenkung der Eingangsbesoldungen und Kürzung der Anwärterbezüge, Einbeziehung von Beamten in die gesetzliche Rentenversicherung, soziale Sicherung von arbeitslosen Beamten auf Widerruf im Vorbereitungsdienst.
— Herr Kollege Hornung, die hier angesprochenen Probleme bedrücken die Beschäftigten im öffentlichen Dienst.In den Petitionen kommt zum Ausdruck, wie sehr die durch Haushaltsstruktur- und Haushaltsbegleitgesetze geschaffenen Tatsachen in das Leben der davon betroffenen Arbeitnehmer hineinwirken.Nun hat es zugegebenermaßen auf Grund der Petitionen hier und da wohl auch Nachbesserungen und Regelungen gegeben. Man kann jedoch nicht sagen, daß alle angesprochenen Probleme für die Betroffenen befriedigend geregelt wurden.Mich bewegen immer besonders die Petitionen von Ruheständlern, die den Abbau der sogenannten Überversorgung betreffen. Ich will mich ausdrücklich dazu bekennen, daß auch nach meiner Meinung eine solche Maßnahme notwendig war. Aber ich habe Verständnis dafür, daß ein Ruheständler, der sich auf eine bestimmte Versorgungshöhe in seinen Lebensumständen eingerichtet hat, der sich Gedanken um die Versorgung seines eventuell hinterbleibenden Partners macht, es als große Ungerechtigkeit empfindet, nun sehen zu müssen, daß quasi auf 12 Jahre die Steigerung seiner Versorgung eingefroren ist. Ich glaube, wir sollten dieser Problematik in Zukunft mehr Aufmerksamkeit schenken als bisher.Abschließend, meine Damen und Herren, habe ich im Rahmen meiner Redezeit die Petition — sie wurde schon von dem Kollegen Mann erwähnt — zum Thema einer verfassungsrechtlichen Verankerung des Menschenrechts auf gesunde Umwelt im Grundgesetz anzusprechen. Mit diesem Thema hat sich der Deutsche Bundestag am 16. Januar 1986 befaßt. Es lag ein Antrag zur Änderung des Grundgesetzes vor, von der SPD-Fraktion eingebracht. Die SPD-Fraktion hat sich ebenso wie die vom Bundesminister des Innern und vom Bundesminister der Justiz beauftragte unabhängige Professorenkommission im Jahre 1983 dafür ausgesprochen, das Grundgesetz im Interesse eines wirksamen Umweltschutzes durch eine entsprechende Staatszielbestimmung zu ergänzen.Wir sind der Meinung, daß durch eine solche Staatszielbestimmung Schutz und Pflege der natürlichen Lebensgrundlagen zu einer grundgesetzlich verpflichtenden Aufgabe würden, die den Gesetzgeber verfassungsrechtlich bindet, zum Schutz der Umwelt tätig zu werden und auch bei der Ausgestaltung der Gesetze dem Umweltschutz angemessene Berücksichtigung zukommen zu lassen.Bei allem Verständnis für das Anliegen der Petenten können wir uns dem Vorschlag, diese Petition zur Berücksichtigung zu überweisen, nicht anschließen.
Unsere Auffassung bleibt, daß der Umweltschutzgedanke als Staatszielbestimmung im Grundgesetz verankert werden sollte.Ich habe Sie leider nicht verstanden, Kollege Göhner.
— Da wir im übrigen das Anliegen der Petenten materiell unterstützen, werden wir uns bei der Abstimmung der Stimme enthalten.Warum wollen wir das tun? Herr Dr. Göhner, ich darf Sie an die Debatte erinnern, die wir hier geführt haben, und an die Redebeiträge Ihrer Kolleginnen und Kollegen zu dem Thema der Verankerung des Umweltschutzes im Grundgesetz. Wenn wir heute mit Ihnen stimmen und ablehnen würden, müßten wir einen Teil Ihrer Argumente übernehmen. Dies wollen wir nicht. Deswegen enthalten wir uns der Stimme.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Göhner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst möchte ich mich bei dem Kollegen Kühbacher, auch wenn er nicht mehr im Saal ist, sehr herzlich bedanken, weil er — wie ich finde: völlig zu Recht — das Gemeinsame in der Zusammenarbeit im Petitionsausschuß hervorgehoben hat, auch wenn er zu Recht gesagt hat, daß halt gelegentlich politisch Trennendes vorkommt.
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Dr. Göhner
Ich finde es wichtig, daß wir in einer solchen Debatte nicht den Eindruck erwecken, als ob die tägliche Arbeit des Petitionsausschusses, die Arbeit seiner Mitglieder als Berichterstatter zu Petitionen, in allererster Linie parteipolitisches Hickhack sei.
Weit über 90 % aller Petitionen werden von uns mit einem einheitlichen Votum — übrigens getragen von allen vier Fraktionen dieses Hauses — beschieden. Das bedeutet, daß wir die Anliegen der Bürger in allererster Linie sehr sachlich, sehr unvoreingenommen und nicht etwa zunächst einmal mit parteipolitischen Brillen sehen.
Natürlich bringen es solche Debatten offenbar zwangsläufig mit sich, daß die verbleibenden Kontroversen hier hervorgehoben werden. Ich glaube, das ist auch in Ordnung. Das betrifft z. B. die Frage eines verstärkten Minderheitenrechts, die Kollege Meininghaus aufgegriffen hat. Nun, die Positionen sind dabei offenbar einem ständigen Wandel unterworfen.
Ich habe heute schon versucht, mit einer Zwischenfrage darauf hinzuweisen: Ihre Fraktion hat sich bei der Verabschiedung des Befugnisgesetzes massiv gegen ein solches Minderheitenrecht ausgesprochen. Heute sind Sie anderer Meinung. Ich stelle aber mit Interesse fest — ich nehme an, mein Nachredner wird den Beweis dafür antreten —, daß über die Ausgestaltung dieses Minderheitenrechts in Ihrer Fraktion ganz offensichtlich — das kritisiere ich nicht — völlig unterschiedliche und auch gegensätzliche Vorstellungen vorhanden sind.
Ich möchte Sie darauf hinweisen, Herr Kollege Meininghaus: Ich selbst habe im Ausschuß als meine persönliche Meinung zu Protokoll gegeben, daß ich mir durchaus eine Ausgestaltung des Minderheitenrechts analog zum bestehenden Untersuchungsausschußrecht vorstellen könnte. Nur warne ich vor falschen Hoffnungen. Wenn wir das täten, was beispielsweise Herr Fritsch für die Fraktion DIE GRÜNEN vorgetragen hat, wäre das damit überhaupt nicht abgedeckt. Auch das, was in Ihrer Fraktion — jedenfalls zum Teil — dazu diskutiert wird, wäre damit noch keineswegs sichergestellt. Was sichergestellt wäre, ist in etwa das, was bei uns im Petitionsausschuß Praxis ist. Das hebe ich noch einmal hervor. Im wesentlichen ist es doch so — es gibt, glaube ich, nur einen Ausnahmefall —, daß wir z. B. Anträgen der SPD-Fraktion auf Ladung eines Regierungsvertreters entsprechen, und zwar auch in solchen Fällen, wo wir der Auffassung sind, dies sei entbehrlich. Dann kommen wir ihren Wünschen entgegen. Ich meine, Sie müssen auch einräumen, daß in der Zusammenarbeit die Koalitionsfraktionen mit ihrer jeweiligen Mehrheit keineswegs alles wegbügeln, was Sie vorbringen. Im Gegenteil. Wir versuchen, auch in den Verfahrensfragen, beispielsweise bezüglich der Aufnahme von Minderheitenvoten, Ihren Vorstellungen zu entsprechen. Der Kollege Hansen hat eben als Beispiel die Petitionen in Sachen Erziehungszeiten erwähnt. Nun, wir haben Ihnen angeboten, das Minderheitenvotum aufzunehmen. Wir haben allerdings darauf bestanden, dann in der Begründung des Petitionsbescheids hinzuzufügen, daß diejenigen, die dieses Minderheitenvotum abgeben, 13 Jahre lang keine Initiative zu einer solchen Verankerung der Erziehungszeiten ergriffen haben, wie wir sie jetzt vorgenommen haben.
Einige Vorredner — ich glaube, Herr Fritsch, Herr Kühbacher und Herr Hansen — haben die Zahl von Petitionen betreffend den Bereich des Ministeriums für Arbeit und Sozialordnung als Indiz für größere Probleme im Bereich der Sozialpolitik herangezogen.
Herr Abgeordneter!
Sofort. — Ich warne davor, dies als wirkliches Indiz zu betrachten. Zunächst weise ich darauf hin: Die Zahl der Petitionen aus dem Sozialbereich — lesen Sie es im Bericht des Petitionsausschusses nach — ist 1985 gegenüber 1984 um 10 % zurückgegangen. Die höchste Zahl von Petitionen aus dem Sozialbereich hatten wir übrigens, in den Jahren 1976 und 1978. Also: Wenn das schon als Indiz für schlechtere Sozialpolitik genommen wird, erlaube ich mir den Hinweis, daß wir damals — ich sage: leider — eben nicht regiert haben.
Herr Abgeordneter Hansen, bitte schön.
Herr Kollege Göhner, da Sie das Thema noch einmal angesprochen haben, frage ich Sie: Sind Sie nicht auch der Meinung, daß die Vielzahl der Petitionen nicht darauf zurückzuführen ist, daß Sie überhaupt eine Regelung getroffen haben, sondern darauf, daß Sie eine ungerechte Regelung getroffen haben?
Herr Kollege Hansen, wir hätten in dem Petitionsbescheid gern zum Ausdruck gebracht, daß das, was wir gemacht haben, einem sehr viel größeren Personenkreis zugute kommt, als das, was Sie mit Ihrem Babyjahr jemals vorgehabt haben.
Im übrigen haben wir — das trage ich bei dieser Gelegenheit nach — in den Gründen des Petitionsbescheids deutlich gemacht, daß wir in der Sache selbstverständlich eine noch weitergehende Rückwirkung für wünschenswert und anstrebenswert halten. Entsprechend richten wir unsere derzeitigen politischen Initiativen aus.
Herr Meininghaus hat davon gesprochen, die Opposition habe häufig Debatten aus dem Petitionsausschuß ins Plenum bringen müssen. Nun, das ist in dieser Legislaturperiode erstmals erfolgt. Ansonsten gab es die Diskussion über einzelne Petitionen in den Ausschüssen. Es ist das gute Recht einer jeden Fraktion, auch ins Plenum zu gehen.
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Dr. Göhner
Allerdings fällt eines auf — und ich sage ehrlich, daß mich das hinsichtlich der Weiterentwicklung des Petitionsrechts mit großer Sorge erfüllt —: Es gibt bei beiden Oppositionsfraktionen die zunehmende Tendenz, den allgemeinpolitischen, den aktuellen, politisch brisanten Petitionen mehr Bedeutung als den Einzelanliegen einzelner Bürger beizumessen. Denn bei sogenannten Massenpetitionen von Bürgerinitiativen, bei solchen Eingaben mit aktueller politischer Brisanz, pflegen Sie in das Plenum zu gehen. Heute sind es zwei Massenpetitionen zur Abrüstung und zur Frage der Verankerung des Umweltschutzes im Grundgesetz. Beides sind Petitionen von Bürgerinitiativen.
Ich sage für uns als Fraktion: Wir bleiben dabei, alle Petitionen gleichzubehandeln,
ob es solche von Bürgerinitiativen mit vielen tausend Unterschriften sind oder ob es die handschriftliche Eingabe eines älteren Bürgers ist, der mit einem persönlichen Anliegen wegen irgendeiner Behördenmaßnahme zu uns kommt. Herr Fritsch, was Sie als Instrumentarium für Massenpetitionen oder, wie Sie es wohl formuliert haben, öffentliche Petitionen vorgeschlagen haben, würde exakt die Schaffung eines Sonderrechts für bestimmte Petitionen dieser Art, ein Sonderrecht, das dann für Petitionen einzelner Bürger nicht zur Verfügung stände, bedeuten. Das wäre eine Abqualifizierung des Petitionsrechtes. Wir möchten, daß der Petitionsausschuß seine Qualität als ein Organ erhält, an das sich jeder einzelne Bürger mit seinem persönlichen Anliegen wenden kann. Er soll sicher sein, daß er damit genauso Beachtung findet wie eine Bürgerinitiative, die uns mit vielen tausend Unterschriften etwas schickt.
Im Zusammenhang mit den beiden Petitionen, die von Ihnen heute noch einmal zur Abstimmung gestellt werden — Abrüstung, Umweltschutz im Grundgesetz —, gilt: Wir haben jeden Punkt der dort aufgezeigten Probleme in den letzten Monaten vielfach in Fachdebatten dieses Hauses intensiv behandelt.
Ich muß ehrlich sagen: Ich sehe keinen Sinn darin, aus Anlaß von Petitionen solche Fachdebatten zu wiederholen; denn mehr ist es nicht. Der Petitionsausschuß ist kein allgemeiner parlamentarischer Überausschuß und sollte sich auch nicht selbst politisch dadurch entwerten, daß Fachdebatten, die in Fachausschüssen oder auch schon im Plenum stattgefunden haben, aus Anlaß einer Petition im Plenum wiederholt werden.
Ich möchte noch eine sachliche Anmerkung zu der Petition machen, die von den GRÜNEN ins Plenum gebracht worden ist und sich mit der Frage Umweltschutz im Grundgesetz befaßt. Es gibt keine Maßnahme im Bereich des Umweltschutzes und der Umweltpolitik, der die Verfassung heute entgegensteht. Alles, was im Bereich der Umweltpolitik von uns, aber auch von Ihnen vorgeschlagen und zur Diskussion gestellt wird, kann gemacht werden, auch ohne daß wir die Verfassung ändern. Wer mehr Umweltschutz will, muß politische Taten praktizieren, so wie wir das in den letzten drei Jahren im Plenum unter Beweis gestellt haben.
Herr Abgeordneter Dr. Göhner, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Mann?
Gern.
Herr Kollege Dr. Göhner, meinen Sie ungeachtet der Bedeutung der Petitionen im Einzelfall, die wir völlig anerkennen, nicht, daß es z. B. sachgerecht ist, über die Massenpetitionen, die uns bis jetzt schon zu der Katastrophe in Tschernobyl und den politischen Folgen erreicht haben, auch in diesem Hause, in der öffentlichkeit zu diskutieren und nicht nur hinter den verschlossenen Türen des Ausschusses am Mittwoch nächster Woche um 7.30 Uhr?
Herr Kollege Mann, zunächst einmal darf ich feststellen: Es ist eine Initiative unserer Fraktion gewesen, die bisher eingegangenen Petitionen zu diesem Themenbereich in einem ersten Durchgang noch vor der Sommerpause zu behandeln. Damit geben wir uns und der Regierung die Möglichkeit, diese Dinge in die weiteren Überlegungen einzubeziehen.
Das zweite: Wir haben im Plenum bereits mehrere wichtige und große Debatten, wie ich finde, im Zusammenhang mit der gesamten Problematik, die mit Tschernobyl verbunden ist, geführt. Ich bin — leider — sicher, daß sich keine neuen Erkenntnisse ergeben werden, wenn wir das aus Anlaß der Petitionen hier wiederholen. Ich rechne selbstverständlich damit, daß Sie gleichwohl — das ist Ihr gutes Recht — einen entsprechenden Antrag auf erneute Diskussion im Plenum stellen werden.
Wenn Sie sich einmal die Zahl der Anträge ansehen, die im letzten Jahr von beiden Oppositionsfraktionen mit dem Ziel einer Debatte im Plenum gestellt worden sind, werden Sie feststellen: Es handelte sich immer um Fragen, die von Bürgerinitiativen, d. h. im Wege von Massenpetitionen vorgebracht wurden.
Davon gibt es leider, Herr Kollege Peter — ich habe das vorher noch einmal durchgesehen —, auch im Jahr 1985 keine Ausnahme. Deshalb sage ich: Sie laufen Gefahr, ein Zweiklassenrecht von Petitionen zum Nachteil der Anliegen einzelner Bürger zu schaffen. Wir möchten, daß es bei der Gleichbehandlung aller Petitionen bleibt.
Vielen Dank.
Nun hat der Herr Abgeordnete Peter das Wort.
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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch ich möchte mit einem Dank an die Frau Ausschußvorsitzende beginnen, diesem Dank allerdings ganz zugespitzt hinzufügen: Ich bedanke mich vor allen Dingen für die neue Qualität, die die Diskussion auf Grund ihrer einleitenden Anmerkungen bekommt. Die Vorsitzende hat nämlich aufgegriffen, daß vieles gut ist, aber nicht so gut, daß es nicht auch noch verbessert werden könnte.
Die Diskussion um die Verbesserung des Petitionsverfahrens und Petitionsrechts ist, glaube ich, das, was die Diskussion heute im wesentlichen prägt. Dabei haben Herr Meininghaus, Herr Fritsch und auch Herr Göhner die Anregungen und Anstöße aufgegriffen. Wir sollten uns allerdings bewußt sein, daß viele dieser Anregungen und Anstöße dadurch zustande gekommen sind, daß eine Gruppe von Petenten, die Bremer Abrüstungspetition, uns dazu gezwungen hat, sich mit ihrem Engagement für das Petitionsrecht auseinanderzusetzen.
Es kommt auch hinzu, daß unsere Beratungen des Vitzthum-Gutachtens im Ausschuß uns dazu zwingen werden, aus dieser Beratung in den Bereichen wo man etwas verbessern kann, auch Konsequenzen zu ziehen.
Auch in diesem Berichtsjahr haben wieder Zehntausende von Bürgern von ihrem Recht Gebrauch gemacht, sich gemeinsam mit Massenpetitionen in die parlamentarische Beratung von große Gruppen der Bevölkerung bewegenden Themen einzumischen. So, wie es im letzten Bericht die friedenspolitischen Petitionen waren — eine wird heute im Rahmen dieser Debatte behandelt —, waren es im Berichtsjahr die Themen Tierschutz, Umweltschutz und am Beispiel der Petition zu einer bundeseinheitlichen Finanzierung der Frauenhäuser die gesellschaftlich verursachte Gewalt gegen Frauen. Auch in diesem Jahr zeigt sich bei den Massenpetitionen gegen Tieffliegerlärm und Senkung der Rüstungsausgaben — hier ist eine Petition KasslerBürger zur Senkung der Rüstungsausgaben im Beratungsgang —, daß Massenpetitionen zu den die Menschen bewegenden Themen inzwischen zum Erscheinungsbild der parlamentarischen Demokratie gehören. Das mag in Berlin durchaus ein alter Hut sein, Frau Kollegin Berger, es zwingt uns aber, zu überprüfen, ob wir mit unserem bisherigen Verfahren dieser Erscheinungsform der parlamentarischen Demokratie in allen Stellen gerecht werden.
Für Petitionsausschuß und Parlament — ich gehe so weit zu sagen: für die Glaubwürdigkeit der parlamentarischen Demokratie — wird es entscheidend sein, ob wir einen angemessenen Weg finden, diese Bürger, die das Petitionsrecht wahrnehmen, um sich politisch einzumischen, die sich nicht damit zufrieden geben, nur bei Wahlen ihre Stimme abzugeben, die als Aktivbürger den Dialog mit dem Parlament suchen, in unsere Beratungen hineinzuholen, statt sie durch Aussitzen ihrer Forderungen oder formalistische Behandlung ihrer Petitionen auszugrenzen. Herr Pöppl, Sie haben das Petitionsrecht und den Petitionsausschuß als Brücke bezeichnet, und da stimme ich Ihnen unter der Voraussetzung zu, daß auf dieser Brücke kein Einbahnstraßenschild angebracht ist, sondern daß dadurch tatsächlich ein Dialog zustande kommt. Wir brauchen diese Aktivbürger nämlich für eine lebende Demokratie.
Der bisherige Umgang des Petitionsausschusses mit dem Petitionsrecht als politischem Teilhaberecht der Bürger stimmt allerdings eher skeptisch. Frau Berger, die Mehrzahl der Kommentare geht vom Petitionsrecht als Teilhaberecht aus. In einer Zeit, in der die Regierung dazu neigt, Grundrechte restriktiv zu behandeln, muß der Charakter des Art. 17 des Grundgesetzes als Teilhaberecht meiner Auffassung nach verteidigt werden. Die von der Mehrheit des Ausschusses durchgesetzten Formulierungen im Bericht zum Umgang mit Petitionen mit einem politischen Anliegen — was immer das sein mag —,
das bereits im Parlament behandelt wurde, ging gezielt am Problem vorbei, wie nämlich ein Dialog des Parlaments mit den Aktivbürgern zustande kommen kann.
Die Frage, ob es verfassungsrechtlich geboten ist, bereits beratene Fragen nochmals zu behandeln, ist genauso Ausdruck der Hilflosigkeit, sich politisch mit dem Problem der Massenpetition auseinanderzusetzen, wie die here Deklamation der Regierungsparteien, jeder einzelne Petent sei genauso wichtig wie die gemeinsame Wahrnehmung des Petitionsrechts.
Natürlich sind die Petitionen der einzelnen Petenten und die Massenpetitionen gleichgewichtig — das habe ich auch in der Beratung zum VitzthumGutachten gesagt —, aber es gibt eine politische Herausforderung, diese Gleichgewichtigkeit so herzustellen, daß diejenigen, die eine Massenpetition unterzeichnet haben, auch merken, wie ernsthaft wir uns mit den Anliegen der Bürger auseinandersetzen. Bei einer Einzelpetition geht das tatsächlich durch die schriftliche Bekanntgabe des Beratungsergebnisses. Für Massenpetitionen müssen hier allerdings neue Wege gefunden werden. Das kann meines Erachtens durchaus auch eine neue Form der Behandlung sein.
Herr Abgeordneter Peter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Mann?
Ja. Bitte sehr.
Herr Kollege Peter, können Sie einmal sagen, wie oft der Petitionsausschuß von der Möglichkeit, nach dem Befugnisgesetz Petenten an-
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Mannzuhören, im vergangenen Jahr Gebrauch gemacht hat?
Kein Mal.
Wir sind da bei dem Problem der Dialogvermeidung. Die Folgen dieser Dialogvermeidung — ich will hier nicht juristisch, sondern politisch argumentieren — können gefährlich sein. Wenn sich Bürger mit ihren Anliegen an das Parlament wenden und keine hinreichende Antwort bekommen, dann gibt es zwei Formen der Reaktion, die möglich sind: Die eine Form ist die der Resignation, die andere Form ist die der Aggression, die dann möglicherweise zu gewaltsamen Auseinandersetzungen bei Demonstrationen führt.
Beides ist gleichermaßen unerwünscht.
Ein Musterbeispiel für Dialogvermeidung ist die weitgehende Aussperrung der Petenten gegen Tieffluglärm aus der Anhörung, die auf Drängen der SPD-Fraktion vom Verteidigungsausschuß durchgeführt wird. Das ausdrucksvollste Beispiel, ist allerdings der Kampf der Bremer Abrüstungspetenten um angemessene Petitionsbehandlung. Heute findet der materielle Teil dieser Petition nach mehr als einjähriger Behandlung seinen Abschluß.
An dieser Stelle ein Hinweis auf unser Abstimmungsverhalten zum Antrag der GRÜNEN: Wir werden die Ziffer 1 ablehnen,
weil wir meinen, daß der Ausschuß mit einer weiteren Beratung der Einzelforderungen nichts gewinnen wird.
Herr Abgeordneter Peter, auch die Ausschußvorsitzende möchte eine Zwischenfrage stellen.
Ich möchte nur noch den Satz zum Abstimmungsverhalten zu Ende führen, Frau Vorsitzende. — Bei der Ziffer 2 werden wir uns enthalten, da wir meinen; daß die meisten der darin angesprochenen Forderungen in unserem Antrag in angemessener Form aufgenommen worden sind. — Frau Berger.
Bitte schön, Frau Berger.
Herr Kollege Peter, habe ich Sie richtig verstanden, daß Sie von einer Aussperrung von Mitgliedern des Petitionsausschusses bei der Anhörung des Verteidigungsausschusses zu Fragen des Fluglärms gesprochen haben, und ist es nicht vielmehr richtig, daß ich in der letzten Sitzung vorgetragen habe,
daß der Verteidigungsausschuß beschlossen hat, die
Anhörung am 26. Juni zu vier Punkten durchzuführen und den Mitgliedern des Petitionsausschusses die Möglichkeit zu eröffnen, an der Anhörung teilzunehmen und auch Fragen an die Sachverständigen zu richten?
Frau Kollegin Berger, ich hoffe, daß der Herr Präsident mir die Fragestellung nicht auf meine Redezeit anrechnet. — Es liegt ein Mißverständnis zugrunde: Ich habe von einer weitgehenden Aussperrung der Petenten gesprochen. Wenn mehr als drei Viertel der anzuhörenden Experten bereits in den Einzelanhörungen des Verteidigungsausschusses zu Wort gekommen sind, dann wäre es im Interesse des Anliegens die bessere Form der Behandlung gewesen, den Unterzeichnern vieler in der Bundesrepublik betriebenen Massenpetitionen gegen Tieffliegerlärm tatsächlich die Möglichkeit zu geben, ihre Belastungen darzustellen.
Vielleicht bewegt das ja etwas.
Herr Abgeordneter Dr. Göhner möchte ebenfalls eine Zwischenfrage stellen. Der Präsident wird bei der Frage der Anrechnung großzügig verfahren, wenn nicht übertrieben wird.
Okay, schönen Dank.
Herr Kollege Peter, wieviel der anzuhörenden Petenten hat Ihre Fraktion im Verteidigungsausschuß beantragt? Ist es richtig, daß kein einziger von Ihrer Fraktion beantragt worden ist?
Von der sozialdemokratischen Fraktion im Verteidigungsausschuß sind zwei Petenten eingeladen worden.
Bei Massenpetitionen wie etwa auch der Bremer Abrüstungspetition kommt es nicht darauf an, auf jedes Detail eine Antwort zu geben, sondern es kommt darauf an, zu zeigen, daß das Denken und Handeln von mündigen Bürgern von ihren Vertretern im Parlament genauso ernst genommen werden wie das Einbringen der Forderungen von Interessenverbänden in den parlamentarischen Entscheidungsgang, das allerdings — im Unterschied zu Petitionen — tatsächlich oft verdeckt erfolgt. Wenn wir die offene Auseinandersetzung, den offenen Dialog mit den Interessen der Bürger eingehen — wir können das bei den zu erwartenden Petitionen zu den Folgen von Tschernobyl als bewiesene Lernfähigkeit nachvollziehen —, dann hat diese Debatte, die von Frau Berger in eine neue Richtung angelegt wurde, ihren Sinn gehabt.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Da weitere Wortmeldungen nicht vorliegen, können wir mit der Abstimmung beginnen.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 222. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Juni 1986 17161
Vizepräsident CronenbergWir kommen zunächst einmal zum Punkt 3 b der Tagesordnung, und zwar zum Änderungsantrag der Fraktion der GRÜNEN auf Drucksache 10/5669. In diesem Antrag wird unter Ziffer 1 beantragt, die Petition an den Petitionsausschuß zurückzuverweisen. Für den Fall der Ablehnung wird unter Ziffer 2 dieses Antrags beantragt, die dort aufgeführten Änderungen vorzunehmen. Es handelt sich um eine alternative Antragstellung. Ich nehme an, daß es sinnvoll und richtig ist, darüber getrennt abzustimmen.Wer stimmt für Ziffer 1 des Änderungsantrags der Fraktion der GRÜNEN? — Wer ist dagegen? — Enthaltungen? — Damit ist die Ziffer 1 abgelehnt.Nunmehr kann ich sinnvollerweise über den Punkt 2 dieses Antrags abstimmen lassen. Wer stimmt dafür? — Dagegen? — Enthaltungen? — Damit ist auch der Teil 2 des Antrags abgelehnt.Wir kommen nunmehr zur Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/5670. Wer diesem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Damit ist dieser Antrag ebenfalls abgelehnt.Ich kann nunmehr über die Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses auf Drucksache 10/5335 abstimmen lassen. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Damit ist die Beschlußempfehlung des Ausschusses angenommen.Ich komme nun zum Punkt 3 c der Tagesordnung. Hier lasse ich zunächst über den Änderungsantrag der Fraktion der GRÜNEN auf Drucksache 10/5651 abstimmen. Wer diesem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Damit ist dieser Änderungsantrag abgelehnt.Wer der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses auf Drucksache 10/5503 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Damit ist diese Beschlußempfehlung mit überwiegender Mehrheit angenommen worden.Wir stimmen jetzt über die Punkte 3 d und 3 e der Tagesordnung ab. Wer den Beschlußempfehlungen des Petitionsausschusses auf den Drucksachen 10/ 5606 und 10/5607 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Bei einigen Enthaltungen ist die Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses angenommen. Somit ist dieser Tagesordnungspunkt abgeschlossen.Ich rufe den Punkt 4 der Tagesordnung auf:Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung der Bundeshaushaltsordnung— Drucksache 10/5247 —Beschlußempfehlung und Bericht des Haushaltsausschusses
— Drucksache 10/5506 — Berichterstatter:Abgeordnete Esters Dr. Müller Carstens (Emstek) Dr. Weng (Gerlingen)Meine Damen und Herren, im Ältestenrat ist für die Beratung ein Beitrag von bis zu zehn Minuten für jede Fraktion vereinbart worden. — Widerspruch erhebt sich nicht. Ich kann also die allgemeine Aussprache eröffnen.Das Wort hat der Abgeordnete Roth .
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Seit 1984 sehen die jährlichen Haushaltsgesetze vor, daß die Wirtschaftspläne der Nachrichtendienste durch ein besonderes Vertrauensgremium geprüft und genehmigt werden, dessen bis zu fünf Mitglieder vom Parlament als Ganzem aus der Mitte des Haushaltsausschusses des Bundestages gewählt werden.
Zur Wahl ist die Mehrheit der Stimmen der Mitglieder des Bundestages erforderlich.Auf Grund der Verankerung des Genehmigungsverfahrens im jährlichen Haushaltsgesetz mußte darüber bisher in jedem Haushaltsgesetz neu beschlossen werden. Dies führte dazu, daß auch das Genehmigungsgremium Jahr für Jahr vom Plenum des Parlaments neu eingesetzt und neu gewählt werden mußte.Nachdem nun das seit 1984 praktizierte Verfahren Anfang dieses Jahres vom Bundesverfassungsgericht in einer viel beachteten Entscheidung ausdrücklich gebilligt worden ist, soll an die Stelle der zeitlich begrenzten Regelung im Haushaltsgesetz nun eine dauergesetzliche Regelung in der Bundeshaushaltsordnung treten. Eine entsprechende Anregung hierzu hat mein Fraktionskollege Bohl dem Haus bereits Anfang Januar 1985 vorgetragen.Das heute zur Verabschiedung anstehende Dritte BHO-Änderungsgesetz wird es erlauben, künftig das Genehmigungsgremium zu Anfang einer jeden Legislaturperiode für deren gesamte Dauer einzusetzen, seine Mitglieder zu wählen und später nur noch etwa notwendig werdende Nachwahlen durchzuführen. Ebenso kann dann die Prüfung der Wirtschaftspläne der Nachrichtendienste durch das Vertrauensgremium parallel zu den Beratungen des Haushaltsplans im Haushaltsausschuß erfolgen, so daß die bisher übliche nachträgliche Behandlung entbehrlich wird. Hierdurch wird zugleich vermieden, daß die Nachrichtendienste bis zur Billigung der Wirtschaftspläne nach den Regeln vorläufiger Haushaltsführung wirtschaften müssen.Diese gesetzliche Dauerregelung soll so rechtzeitig in Kraft treten, meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, daß die einschlägigen Wirtschaftspläne für das Jahr 1987 bereits im Herbst vor Abschluß der Beratungen des Haushaltsausschusses über die Haushaltsvorlage 1987 dem nach der Sommerpause für den Rest dieser 10. Wahlperiode zu
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17162 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 222. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Juni 1986
Roth
wählenden Genehmigungsgremium zur Billigung vorgelegt werden können.Das Vertrauensgremium teilt die Abschlußbeträge der von ihm gebilligten Wirtschaftspläne dem Haushaltsausschuß mit, der daraufhin die entsprechenden Haushaltsansätze ohne Aussprache anpaßt.Meine Damen und Herrn, das Bundesverfassungsgericht hat im Urteil vom 14. Januar 1986 klargestellt, daß dieser von uns mit der Einsetzung des Vertrauensgremiums beschrittene Weg sowohl dem Budgetrechts des Parlaments und den Mitwirkungsrechten der parlamentarischen Minderheit als auch den sicherheitspolitischen Interessen der Exekutive in verfassungsrechtlich einwandfreier Weise Rechnung trägt. Wir wollen, daß das Parlament sein Budgetbewilligungsrecht auch im sicherheitspolitisch sensiblen Bereich der Nachrichtendienste ausübt,
daß die Regierung sich also auch dort ihr Finanzgebahren im Detail und nicht nur global genehmigen lassen muß. Diese Prüfung im Detail kann aber nur in einem kleineren Gremium erfolgen. Das ist auch schon vor 1984 so gehandhabt worden, wie jedermann weiß, allerdings ohne klare gesetzliche Grundlage.
Seit 1984 steht das Prüfungsgremium zunächst im jährlichen Haushaltsgesetz und künftig in der Bundeshaushaltsordnung auf einem rechtlich gesicherten Fundament.
Dies veranlaßt den Abgeordneten Mann, um eine Zwischenfrage zu bitten.
Bitte. Vizepräsident Cronenberg: Bitte sehr.
Herr Kollege, könnten Sie uns alle vielleicht darüber aufklären, ob in diesem Gremium bis 1984 alle im Bundestag vertretenen Parteien nach der Geschäftsordnung des Bundestages zwingend vertreten waren, daß mithin nach der früheren Praxis heute auch die GRÜNEN in diesem Gremium vertreten wären?
Herr Kollege Mann, ich komme sogleich auf diese Problematik zu sprechen. Jedenfalls bis zum Haushaltsjahr 1984 ist diese Prüfung nicht auf einer gesetzlichen Grundlage erfolgt, wie wir sie jetzt hier vorsehen. Das rechtlich gesicherte Fundament besteht ja gerade darin, daß das Verfahren nun auf einem Gesetz beruht, daß seine Aufgaben und Befugnisse also gesetzlich geregelt sind. Es wird vom Parlament als Ganzem und nicht mehr nur durch Beschluß des Haushaltsausschusses eingesetzt, und seine Mitglieder müssen bei der Wahl die Stimmen der Mehrheit der Mitglieder des Bundestages erhalten, denn sie sollen ja stellvertretend für den gesamten Bundestag handeln.
Mit dieser Lösung sind die Rechte des Parlaments als Ganzes voll gewahrt. Gewahrt sind aber auch die Rechte der parlamentarischen Minderheit, Herr Kollege Mann, selbst wenn nicht jede Oppositionsfraktion bei der Wahl der Mitglieder zum Zuge kommen sollte. Denn der Schutz der Minderheit beinhaltet nur das Verbot des Ausschlusses der Opposition; er bedeutet kein Gebot, jede parlamentarische Gruppierung — sei sie auch noch so klein — an jedem Gremium des Parlaments zu beteiligen.
Das Bundesverfassungsgericht hat dazu in seinen Entscheidungen festgestellt, dem Parlament sei es jedenfalls in sachlich begründeten Fällen verfassungsrechtlich unbenommen, für Ausschüsse und ähnliche Gremien eine Mitgliederzahl vorzusehen, die bei Anwendung der üblichen Regeln für die Sitzverteilung eine Berücksichtigung aller parlamentarischen Gruppierungen nicht ermöglicht. Und an anderer Stelle: Jedenfalls aus zwingenden Gründen des Geheimschutzes könne es verfassungsrechtlich hinzunehmen sein, daß einzelne Fraktionen bei der Besetzung eines Ausschusses unberücksichtigt blieben. Andernfalls bliebe in parlamentarischen Kleingremien die Mehrheit nicht mehr als Mehrheit präsent.
Dies ist ein klarer, von uns gebilligter Standpunkt.
Die Bestätigung des seit Beginn der 10. Wahlperiode geübten Verfahrens durch das Urteil dieses höchsten deutschen Gerichts, Herr Kollege Dr. Müller, hat ja, wie Sie wissen, bei der Beratung des dritten BHO-Änderungsgesetzes im federführenden Haushaltsausschuß eine besondere Hervorhebung gefunden. Über den konkreten Anlaß hinaus kommt dieser verfassungsrechtlichen Klärung durch Karlsruhe eine erhebliche Bedeutung zu.
Nachdem der vorliegende Gesetzentwurf auf Antrag der SPD-Kollegen in § 10 a Abs. 3 BHO redaktionell verändert worden war, konnte er mit breiter Ausschußmehrheit und lediglich gegen die Stimmen der Fraktion DIE GRÜNEN verabschiedet werden.
Ich darf vor diesem Hintergrund namens meiner Fraktion das Haus bitten, dem Gesetzentwurf in seiner vom Ausschuß beschlossenen Fassung zuzustimmen.
Ich danke Ihnen sehr.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Müller .
Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 222. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Juni 1986 17163
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir GRÜNEN sind es ja gewöhnt, mit Kübeln voller Dreck beschmissen,
als „Job-Killer", als „Kindermörder" bezeichnet zu werden. All dies ist ja geschehen. Das sind wir langsam gewöhnt. Ich glaube, daß wird sich auch abnutzen. — Was außerhalb des Parlaments in roher Form geschieht, findet hier nun, meine ich, seine feine, subtile Form, wird mit dem hier zu verabschiedenden Gesetz über die Diskriminierung von GRÜNEN-Abgeordneten als Volksvertreter zweiter Klasse fortgesetzt, wie mein Freund und ehemaliger Kollege hier im Parlament, Hubert Kleinert, einmal gesagt hat.
Die Kontrolle der Wirtschaftspläne des Geheimdienstes wird nun von der Regierungsmehrheit vorgenommen: drei Vertreter der Regierungsfraktionen und zwei von ihnen — und das ist das Schlimme — für genehm gehaltene Vertreter der Opposition. Das ist das Undemokratische an diesem Gesetzentwurf.
Herr Abgeordneter Dr. Müller, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Aber selbstverständlich.
Bitte sehr.
Vielen Dank, Herr Präsident.
Herr Kollege Dr. Müller, ist Ihnen bekannt, daß Angehörige Ihrer Fraktion nach Einzug in dieses Parlament erklärt haben, sie würden sich nicht an die Geheimhaltungsvorschriften halten, und daß damit die Vertrauensgrundlage für eine Mitarbeit in Geheimschutzgremien fehlt?
Herr Kollege Friedmann, ist Ihnen bekannt, daß der Abgeordnete Otto Schily, damals Fraktionssprecher der GRÜNEN, deutlich gesagt hat: Wir halten uns an die bestehenden Gesetze? Und das galt für die gesamte Fraktion!
Sicherlich geht es hier nicht um die Höhe der betroffenen Ausgabenansätze. Das sind wirklich nur 1,5 Promille des gesamten Haushalts, also 400 Millionen DM. Es geht um die Kontrolle der Mittelverwendung gerade in einem politisch sensiblen Bereich. Wie notwendig eine solche uneingeschränkte Kontrolle ist, hat sich gerade in der Affäre Mauß gezeigt. Da wurden an den Haushältern vorbei Zuwendungen der Industrie an den BND getätigt, .
um die Seveso-Fässer aufzuspüren. Das war natürlich vergleichsweise erfolglos.
Vielleicht hätte ein GRÜNER in so einem Gremium etwas zur Aufklärung derartiger Affären beitragen können, wie wir sie hier natürlich massenweise kennen.Wir sind der Ansicht, daß politische und wirtschaftliche Aktivitäten der Geheimdienste demokratisch kontrolliert werden müssen, und wir halten gerade vor dem Hintergrund der Erfahrung im Flick-Ausschuß die Anwesenheit eines GRÜNEN-Vertreters in derartigen Gremien für unverzichtbar.
In dem hier vorliegenden Gesetzentwurf wird dagegen noch weitergegangen. Ganz offen ist vorgesehen, bei „Bedarf" weitere Titel von der Kontrolle auszunehmen:Satz 2 behält es dem Bundestag vor, jährlich zu beschließen, welche geheimhaltungsbedürftigen Wirtschaftspläne dem gewählten Vertrauensgremium vorzulegen sind.Das heißt haushaltsrechtlich gesehen: Sie als Mehrheitsfraktion können alles Mögliche als geheimen Wirtschaftsplan erklären und es damit der demokratischen Kontrolle der Gesamtheit des Parlaments entziehen. Ich halte das für einen ungeheuerlichen Vorgang.Der demokratisch einwandfreie Weg wäre gewesen, einen Unterausschuß nach § 55 Abs. 1 der Geschäftsordnung des Bundestages einzusetzen, so wie es langjähriger Praxis entsprach. Sind die Unterlagen wirklich geheimhaltungsbedürftig — ich kann mir solche Fälle ohne weiteres vorstellen und würde mich auch persönlich zum Schweigen verpflichten —, dann werden die Unterlagen eben in der Sitzung ausgeteilt und nach Beratung wieder eingesammelt. Wir haben da ja eine Praxis im Verteidigungsausschuß und im Haushaltsausschuß und in anderen sicher auch.Ich zitiere aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes:Der Schutz der parlamentarischen Minderheit geht nicht dahin, die Minderheit vor Sachentscheidungen der Mehrheit zu bewahren, wohl aber dahin, der Minderheit zu ermöglichen, ihren Standpunkt in den Willensbildungsprozeß des Parlaments einzubringen.Genau hierum geht es: Das nur formal abgesicherte Verfahren ermöglicht es der Regierungsmehrheit, ihr lästige Standpunkte aus dem Beratungsverfahren herauszuhalten. Ich halte dies für problematisch, weil auf diese Art und Weise natürlich eine demokratische Kontrolle — wo wäre die eigentlich notwendiger als bei der Tätigkeit von Geheimdiensten? — entfällt.
— Sie rufen dazwischen: „Bei den GRÜNEN!" —das tun wir selber. Wenn Sie allerdings der Mei-
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17164 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 222. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Juni 1986
Dr. Müllernung sind, daß es Aufgabe der Geheimdienste sei, die GRÜNEN zu kontrollieren — das entnehme ich Ihrem Zwischenruf —, dann halte ich dieses ebenfalls für undemokratisch. Das nur am Rande.{Beifall bei den GRÜNEN — Zuruf von derCDU/CSU: Was Sie treiben!)Das verfassungsrechtliche Urteil sagt folgendes:Ebensowenig begegnet es verfassungsrechtlichen Bedenken, daß die Mitglieder des Gremiums mit der Mehrheit der Mitglieder des Bundestages zu wählen sind. Dieses Verhalten soll gewährleisten, daß nur Abgeordnete gewählt werden, die persönlich das Vertrauen der Mehrheit des Bundestages genießen. Zweck dieser Regelung ist es sicherzustellen, daß sowohl die fachliche Kompetenz wie die Verschwiegenheit der Gewählten zur Überzeugung der Mehrheit feststehen.Also: Selbst wenn die Verschwiegenheit feststeht, kommt noch die Kompetenz mit hinzu. Ich halte dies für einen entscheidenden Skandal im Bundesverfassungsgerichtsurteil. Da gibt es also kompetente und nicht kompetente Abgeordnete. Was heißt das eigentlich? — Wer- hat denn das, bitte schön, zu entscheiden außer dem Wähler? — Wir hier sicherlich nicht.
Ich war immer noch davon ausgegangen, daß es nicht eine Frage der Kompetenz sei, wer Abgeordneter wird; nach demokratischen Prinzipien kann jeder — ob kompetent oder inkompetent — Abgeordneter werden. Das hat der Wähler zu entscheiden. Dieses Recht sollten wir uns nicht anmaßen. Das ist ein Skandal im Bundesverfassungsgerichtsurteil, auf den ich hinweisen möchte.
Ich versichere Ihnen: Wenn wir hier eine andere Mehrheit hätten — so etwas kann ja einmal im parlamentarischen System passieren; Sie sollten das auf Grund langjähriger Erfahrungen wissen —, würde ich mich — wie jeder andere GRÜNE auch —, meine Damen und Herren von der FDP, dafür einsetzen, daß alle Parteien in einem derartigen Gremium vertreten sind und daß nicht eine Praxis gehandhabt wird, die irgendeine Partei ausgrenzt.
So parlamentarisch-demokratisch sind wir; Sie leider nicht.
Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts ist natürlich auch mit dieser Definition von Kompetenz eine weitere schleichende Ausgrenzung von GRÜNEN. Es enthält keinerlei Überlegung, was man denn nun beispielsweise unter „zwingenden Gründen des Geheimschutzes" zu verstehen hat. Daher ist natürlich mit diesem Spruch — so geschieht es dann auch in diesem Gesetzentwurf, dem die SPDim Haushaltsausschuß zugestimmt hat — der Willkür Tür und Tor geöffnet.Ich meine folgendes: Mit derartigen Gesetzentwürfen, die zur Ausgrenzung eines Teiles, einer Minderheit des Parlamentes dienen, gehen Sie den Weg einer weiteren Eskalation. Das ist das, was Sie tun. Ich weiß nicht, ob Ihnen das bewußt ist.Eins weiß ich aber, daß nämlich solche Gesetzentwürfe natürlich phantastisch in die jetzige Zeit passen, in eine Zeit, in der natürlich über Gewalt mit gewalttätiger Sprache geredet wird.
Lassen Sie mich da ein Beispiel bringen: Dem „Spiegel" dieser Woche entnehme ich folgendes: Die GRÜNEN seien sozusagen der Volkssturm der SPD — so Heiner Geißler, den ich eigentlich nur als die Stalinorgel der CDU bezeichnen kann. Denn das ist er ja wohl. Wer solche Sprache spricht wie Heiner Geißler in diesem Interview, der ist nur auf eines aus: Polarisierung statt Inhalt.
Polarisierung der Wähler statt inhaltliche Auseinandersetzung, das ist die Sprache von Heiner Geißler. Ich wäre froh, Herr Friedmann, wenn jemand wie Sie sich von dieser Sprache distanzieren würde,
um zur Deeskalation beizutragen.' Das wäre ein Bemühen, das ich von einem christdemokratischen Politiker erwarte, zumindest wenn er aufrecht — noch aufrecht! — überhaupt eine Äußerung zur Frage der Gewaltfreiheit machen will.
— Herr Friedmann, auch dies ist eine Unterstellung, die ich hier öffentlich zurückweise.
Nicht ein einziger GRÜNER hat Gewalt mitgeplant, nicht ein einziger GRÜNER! Ich habe mich dessen genau versichert.
Dies ist Ihre Schmutzkampagne in diesem Wahlkampf. So wollen Sie Politik machen.
Sie beschwören Gewalt mit gewalttätigen Mitteln. Das halte ich für Eskalation.
Sie wollen das im Stile von Heiner Geißler machen.
Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 222. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Juni 1986 17165Dr. MüllerSie wissen, daß Ihnen die Fernsehaufnahmen über von uns zur verurteilende gewalttätige Ausschreitungen nützen, und das ist Ihre Art der Politik der Ausgrenzung.
Ich finde es verantwortungslos, Herr Friedmann, wenn Sie hier behaupten, daß die GRÜNEN zur Gewalt aufgerufen haben. Das Gegenteil ist der Fall.
Wir sind es, die sich immer und immer wieder zur Gewaltfreiheit bekannt haben und die aktiv — so ich selbst — in die Auseinandersetzung von Brokdorf eingegriffen haben, um Gewalt zu vermeiden. Ich empfehle Ihnen, wenn Sie über Gewalt reden: Sehen Sie sich den Film von „Panorama" an,
sehen Sie sich die Gewalttätigkeit der Polizei an, sehen Sie sich die Eskalation an, die dort passiert ist. Das ist Eskalationspolitik, die dann zu etwas führt, was ich vermeiden und verhindern will: daß aus diesen Auseinandersetzungen mal so etwas hervorgeht wie eine RAF. Das wäre für die Demokratie in der Bundesrepublik das Schlimmste, was passieren kann.Danke schön.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Weng.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Kollege Dr. Müller macht es sich etwas zu leicht.
Es geht nicht an, Herr Kollege Müller, daß Sie sich gestern im Ausschuß hinsetzen und sagen: „Ich kämpfe für Friedfertigkeit innerhalb meiner Partei", und dann stellen Sie sich hierher und sagen: „Damit kämpft meine gesamte Partei für Friedfertigkeit" und sagen weiter, an der Gewalt seien Sie nicht beteiligt gewesen. Ich habe hier ein Flugblatt: „Die GRÜNEN Schleswig-Holstein — Info Nr. 5. Der erste Störfall kommt von uns." Da steht unter anderem:
Unsere Stärke ist die Vielfalt des Widerstandes. Wir müssen darauf achten, daß die verschiedenen am Widerstand beteiligten Gruppen und Einzelpersonen ihre Vorstellungen entwickeln und zum Ausdruck bringen können.
Meine Damen und Herren, wir haben im Fernsehen gesehen, wie das zum Ausdruck gebracht wurde.
Jeder weiß, und es ist unbestritten, das friedliche
Demonstration nur dann möglich ist, wenn sich die
friedfertigen Demonstranten moralisch und strategisch von den Gewalttätern trennen, und zumindest dies haben sie nicht getan.
Der zweite Punkt ist genauso einfach. Sie stellen sich hierher und sagen, einer der zahlreichen früheren Sprecher ihrer Fraktion, Herr Schily, habe erklärt, alle GRÜNEN seien vertrauenswürdig.
Andere haben erklärt, Sie würden die Vertraulichkeit nicht einhalten.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Müller?
Mit Schily und dem Rest der Fraktion für und gegen Vertraulichkeit, das ist der einfachste Weg, den Sie uns hier dargestellt haben.
Herr Abgeordneter — —
Selbstverständlich gestatte ich die Zwischenfrage des Kollegen Müller .
Herr Kollege Müller, Sie sind dran.
Herr Abgeordneter Weng, würden Sie bitte zur Kenntnis nehmen, daß der Abgeordnete Schily damals nicht gesagt hat, alle GRÜNEN neigten zur Vertrauenwürdigkeit, sondern daß er gesagt hat: „Wir halten uns an die bestehenden Gesetze"? Das ist ein Unterschied, auf den ich Wert lege.
Zweitens. Würden Sie bitte zur Kenntnis nehmen, daß in dem von Ihnen zitierten Flugblatt der Satz steht, daß jede Form von Widerstand auszuschließen ist, der Menschen gefährdet? Ich halte dieses Flugblatt nicht für gut, aber das ist zumindest doch gesagt, und dieses sollte man offen bekennen.
Danke schön.
Herr Müller, ich habe hier natürlich weder die Zeit, noch entspricht es dem Thema, nun das gesamte Flugblatt zu verlesen, in dem noch eine Reihe anderer sehr interessanter Dinge stehen.
Ich nehme das, was Sie gesagt haben, zur Kenntnis, und Sie erlauben vielleicht, daß ich mit einem Zitat den Versuch mache, eine Antwort zu geben. Ich zitiere den großen österreichischen Staatsmann Metternich,
der gesagt hat:
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17166 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 222. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Juni 1986
Dr. Weng
Tyrannei ist am unerträglichsten, wo sie hinter der Maske, die Sache der Freiheit voranzutreiben, auftaucht.
Nun haben wir für eine Weile genügend Zwischenrufe gehabt! Bitte schön, Herr Dr. Weng, fahren Sie fort.
Ich kann dem, was mein Fraktionsvorsitzender Wolfgang Mischnick gesagt hat, daß nämlich die GRÜNEN in Hannover das Vertrauenskapital, das manche wohlmeinende Bürger in sie gesetzt hatten, verspielt haben, nichts hinzufügen.
Meine Damen und Herren, wenn man — wie meine Fraktion — die Entscheidung des Deutschen Bundestages für richtig hält, die Wirtschaftspläne der Nachrichtendienste durch ein besonderes Gremium kontrollieren zu lassen, das der Deutsche Bundestag aus den Reihen der Mitglieder des Haushaltsausschusses wählt, ist der heute in zweiter und dritter Lesung zur Entscheidung anstehende Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen eine vernünftige Konsequenz; denn politisch richtige Entscheidungen über technische Abwicklungen müssen sich auch daran messen lassen, wie praktikabel sie sind, und, meine Damen und Herren, es ist doch wohl sinnvoll, wenn Haushalte beraten werden können, ehe das Haushaltsgesetz verabschiedet wird, nicht erst nachträglich. Die nachträgliche Beratung von Teilen eines bereits beschlossenen Gesetzes, wie die bisherige Rechtslage sie erforderlich machte, ist ja eher als absurd zu bezeichnen.
Nun zu dem zweiten durch die Neuregelung geänderten Bereich: Wenn nach einer Wahl der Deutsche Bundestag unter Berücksichtigung der tatsächlichen und der politischen Mehrheitsverhältnisse das besagte Gremium wählt, ist es im Sinne der kontinuierlichen Abwicklung der Geschäftstätigkeit auch einleuchtend, diese Wahl für eine ganze Wahlperiode gelten zu lassen, dies um so mehr, als sich j a bei uns die wählerbestimmten Mehrheitsverhältnisse im Deutschen Bundestag während der laufenden Wahlperiode nicht durch Nachwahlen oder ähnliche Verfahren ändern können.
Da nun also der Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen vernünftig ist und der Haushaltsausschuß des Deutschen Bundestages mit seinem Mehrheitsbeschluß auf der vorliegenden Drucksache 10/5506 dem Rechnung trägt, wird sich die Diskussion wohl auch heute wieder - dies haben die Beiträge der Vorredner ja deutlich gemacht — am Grundsätzlichen entzünden, nämlich an der Frage, ob dieses Gremium zur Genehmigung der
Wirtschaftspläne der Nachrichtendienste politisch und rechtlich eine richtige Lösung des Problems darstellt, das mit Beginn dieser Legislaturperiode regelungsbedürftig wurde.
Erinnern wir uns an das, was diese Regelungsbedürftigkeit erforderlich machte. Meine Damen und Herren, mit dem Einzug der GRÜNEN in den Bundestag ist vieles vom grundsätzlichen Konsens der demokratischen Parteien verlorengegangen, und es entstand die Notwendigkeit, Dinge, die vorher — ich sage einmal: unbürokratisch — einvernehmlich abgewickelt wurden, formell zu regeln.
Die formelle Regelung stieß auf politische Kritik. Das ist nicht verwunderlich. In der Demokratie zählen aber Mehrheiten, und die Mehrheit hat hier beschlossen.
Die Regelung stieß auch auf rechtliche und verfassungsrechtliche Kritik. Da das Argument der Verfassungsmäßigkeit in unserem ja manchmal etwas übertriebenen Rechtswegestaat an allen möglichen und unmöglichen Stellen geltend gemacht wird,
war es nach meinem Dafürhalten in diesem Fall ausdrücklich wünschenswert, daß das Verfassungsgericht mit der betreffenden Frage befaßt wurde und geurteilt hat, geurteilt übrigens in einem klaren Votum entsprechend unserer Auffassung, daß die Regelung rechtmäßig, daß sie verfassungsmäßig ist.
Meine Damen und Herren, Grund dieser Regelung war für uns niemals der Wunsch, eine bestimmte Fraktion oder gar die Opposition aus der Mitwirkung auszuschließen.
Der Deutsche Bundestag ist in seiner Wahl frei, hat aber natürlich auch die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit zwischen den Regierungsfraktionen und der Opposition zu berücksichtigen.
Er muß auch in der Wahl der Personen frei sein. Es ist eine nicht nur verständliche, es ist eine selbstverständliche Forderung, daß das Hohe Haus nur solche Personen in ein derart wichtiges Gremium wählt, die die Gewähr dafür bieten, daß sie ihrer Aufgabe gerecht werden, meine Damen und Herren, und ich sage in diesem Fall auch: insbesondere auch wegen des Vertrauensschutzes, den die Kenntnis von aus der Beratung erworbenen Tatsachen haben muß.
Daß im Gremium kein Mitglied der Fraktion DIE GRÜNEN zu finden ist, mag zum Ausdruck bringen, daß der Deutsche Bundestag gegenüber den Angehörigen dieser Fraktion reserviert ist, was den Vertrauensschutz angeht. Es sagt nichts über eine grundsätzliche Blockade aus, wie sie von den GRÜ-
Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 222. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Juni 1986 17167
Dr. Weng
NEN und dem grün sympathisierenden Teil der SPD hier unterstellt wird.
[GRÜNE]: In der
FDP haben wir auch Sympathisanten!)
Allerdings erlaube ich mir heute eine vielleicht eher hypothetische Frage an diejenigen Verfassungsrichter, die ihre abweichende Meinung beim Urteil des Bundesverfassungsgerichts mit einer breiten Begründung zum Ausdruck gebracht haben. Nach dem Chaos, nach den Beschlußfassungen zur inneren Sicherheit auf dem Parteitag der GRÜNEN in Hannover müßte zumindest die Begründung ihrer Positionen die eine oder andere Änderung erfahren. Denn der Auftrag, den die ja bekanntlich im imperativen Mandat befindlichen Abgeordneten der GRÜNEN von dort mit auf den Weg bekommen haben, ist letztendlich der zum Bruch jeder Vertraulichkeit.
Meine Damen und Herren, Zerstörung der Sicherheitsorgane des Staates und damit Zerstörung des Staates selbst kann ja wohl nicht scherzhaft gemeint sein. Der Aufruf zur Gewalt ebenso wie die Beteiligung an Vorbereitungen von Gewalttaten zeigen ja vieles von der Geisteshaltung des Teils der GRÜNEN auf, der nach meiner Überzeugung in den dortigen Reihen das Sagen hat und die Fäden der innerparteilichen Macht in Händen hält.
Meine Damen und Herren, „Wehret den Anfängen" ist ein fast schon verspäteter Aufruf. „Wehret der Eskalation" scheint mir beim heutigen Stand der Dinge eine angemessenere Forderung zu sein.
Die politischen Kräfte, die, in welcher Form auch immer, zur Gewalt aufrufen, werden an allen Stellen unsere demokratische und rechtsstaatliche Antwort erhalten.
Meine Fraktion wird dem Gesetzentwurf auch heute zustimmen, der rechtsstaatlich fundiert eine ordnungsgemäße Handhabung und Abwicklung eines sensiblen Bereichs staatlichen Handelns ermöglichen wird. Ich danke Ihnen.
Herr Abgeordneter Vogel , ich rufe Sie zur Ordnung für den Zwischenruf, den Sie gemacht haben und der hier nun wirklich nicht angebracht gewesen ist.
Bevor ich das Wort weitergebe, habe ich guten Grund, Gäste zu begrüßen. Auf der Ehrentribüne hat eine Delegation der konstituierenden Volksversammlung der Jemenitischen Arabischen Republik Platz genommen. Ich habe die Ehre, Sie im Deutschen Bundestag herzlich zu begrüßen.
Unser Dank gilt insbesondere auch Ihrem Besuch in Berlin und dem Interesse, das Sie damit der Lage unseres Landes entgegengebracht haben. Wir wünschen Ihnen einen angenehmen Aufenthalt in unserem Land und auch nützliche Gespräche hier in Bonn.
Das Wort hat nun der Abgeordnete Esters.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit der Änderung der Bundeshaushaltsordnung soll hier ein Verfahren verankert werden, das seit der letzten Bundestagswahl 1983 jedes Jahr aufs Neue die Wahl eines Gremiums von Mitgliedern des Haushaltsausschusses notwendig machte und jedes Jahr aufs Neue Fragen nach dem Ändern der Mehrheit dieses Hauses mit elementaren parlamentarischen Minderheitsrechten.Erinnern wir uns an die Zeit davor: Vor dem Regierungswechsel und vor der letzten Bundestagswahl wurde jeweils zu Beginn einer Legislaturperiode ein Unterausschuß des Haushaltsausschusses gebildet, der für die Beratung der Wirtschaftspläne der Dienste zuständig war. Dieser Unterausschuß bestand bei drei Fraktionen aus einem Dreiergremium, in dem SPD, FDP und CDU/CSU jeweils mit einem Mitglied vertreten waren. Einer speziellen Gesetzesgrundlage für die Bildung dieses Gremiums bedurfte es nicht.Nach dem Regierungswechsel hat es die Bundesregierung für notwendig gehalten, auf die Bildung eines Unterausschusses nach den Regeln der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages zu verzichten. Sie hat statt dessen versucht, den Sachverhalt gesetzlich zu regeln und jeweils jährlich in das Haushaltsgesetz aufzunehmen. Der Kernsatz dieser Regelung war, daß die Wirtschaftspläne der Genehmigung von Mitgliedern des Deutschen Bundestags bedürfen, die dem Haushaltsausschuß angehören und vom Deutschen Bundestag mit Mehrheit gewählt werden.Die Problematik dieser Regelung ist klar — der Kollege Weng hat eben andeutungsweise darauf hingewiesen —: Es liegt damit allein in der Hand der Mehrheit im Parlament, wie sie die gesetzliche Regelung auslegt. Von der Mehrheit im Parlament kann es allerdings auch abhängen, wer dazu berufen wird, die Wirtschaftspläne der Dienste zu genehmigen, und wer nicht; und zwar nicht nur für den eigenen Fraktionsbereich, sondern auch für den Bereich anderer Fraktionen.
Diese Problematik wurde spätestens dann erkennbar, als in jenem Jahr die Anträge der Regierungskoalition gestellt wurden. Es sollte ein Gremium gewählt werden, das aus bis zu fünf Mitgliedern besteht. Hierbei sollte speziell eine Fraktion, nämlich die GRÜNEN, außen vor bleiben. Mit diesen Regelungen und vor allem mit der Handhabung dieser Regelungen offenbaren die Koalitionsfraktionen aus meiner Sicht ein merkwürdiges Demokratieverständnis.
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17168 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 222. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Juni 1986
EstersSie können mit ihrer Mehrheit im Ernstfall sogar bestimmen, welche Abgeordneten der Opposition die Regierung kontrollieren dürfen.
Dies ist für mich ein eigenartiger Eingriff in die Arbeitsteilung des Parlaments und seiner Fraktionen.
Die Auslegung der gesetzlichen Regelung in dieser Weise konnte für Sozialdemokraten nicht akzeptabel sein. Wir haben daher jeweils beantragt, daß in dieses Gremium jede Fraktion ein Mitglied entsendet. Unsere Anträge sind in jedem Jahr mit der Mehrheit der Regierungskoalition abgelehnt worden.Nun hat Anfang Januar dieses Jahres das Bundesverfassungsgericht es für zulässig erkärt, daß die gegenwärtige Bundestagsmehrheit von CDU/ CSU und FDP eine kleine Fraktion von der Haushaltskontrolle der Nachrichtendienste ausgeschaltet hat. Wir Sozialdemokraten bedauern diese Entscheidung.
Wir haben gleichzeitig in unserem diesjährigen Antrag zur Wahl des Gremiums zur Genehmigung der Wirtschaftspläne der Nachrichtendienste konkret gefordert, die Anzahl der Mitglieder auf sieben zu erhöhen, damit CDU/CSU mit drei, die SPD mit zwei, die FDP und die GRÜNEN mit jeweils einem Vertreter und damit entsprechend ihrer parlamentarischen Stärke in diesem Gremium vertreten sind. Dieser Antrag ist abgelehnt worden.Wenn wir uns so beharrlich gegen den Ausschluß von Fraktionen aus dem Genehmigungsverfahren der Wirtschaftspläne der Nachrichtendienste wehren -- auch künftig werden wir dies tun —, so hat dies seine Gründe. Wir wissen aus der Geschichte unseres Volkes und natürlich ganz besonders auch aus der Geschichte unserer eigenen Partei, wohin es führen kann, wenn politische Minderheiten ausgegrenzt werden.
Wir wehren uns dagegen, wenn heute Minderheiten von der politischen Mehrheit so behandelt werden. Ein solches Vorgehen kann unserer Demokratie nur schaden und ihren Gegnern nur nutzen.Der Minderheitenschutz des § 55 Abs. 3 der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestags gibt jeder Fraktion das Recht, in einem Unterausschuß vertreten zu sein. Dieser Minderheitenschutz wird beeinträchtigt, wenn der Deutsche Bundestag mit Mehrheit beschließt, daß eine Fraktion bei der Genehmigung der Wirtschaftspläne der Dienste außen vor bleibt. Die Haushaltskontrolle ist das vornehmste Recht des Parlamentes überhaupt. In ihr liegen ja auch die Wurzeln des Parlamentarismus.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Weng?
Aber ja.
Bitte, Herr Dr. Weng.
Herr Kollege Esters, ist Ihnen bekannt, daß das hier gewählte Gremium ebenso wie eine Reihe anderer Gremien des Deutschen Bundestages kein Unterausschuß ist und damit nicht unter den von Ihnen zitierten Paragraphen fällt?
Dies ist mir klar. Nur, die Kontrolle der Geheimdienste, Herr Kollege Weng, hat in den Jahren, in denen das andere Verfahren praktiziert wurde, nicht schlechter ausgesehen als bei dem Verfahren, das Sie wählen mußten und wollten, als jener berühmte Paragraph ins Haushaltsgesetz eingefügt wurde.
Gestatten Sie eine zweite Zwischenfrage?
Aber ja.
Bitte schön, Herr Dr. Weng.
Ist Ihnen bewußt, Herr Kollege Esters, daß die Kontrolle der Geheimdienste in der alten Form keinerlei rechtliche Grundlage hatte?
Dies ist mir bekannt, Herr Kollege Weng. Nur, es hat immer glänzend geklappt.
Aber in der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages war dies alles ungeheuer klar geregelt.
- Und ist es.
Mir ist die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nur schwer verständlich, durch die die in einer Demokratie unerläßliche Kontrolle der Regierung durch das ganze Parlament eingeschränkt wird.Der bei den Nachrichtendiensten erforderliche Geheimschutz rechtfertigt die Einschränkung der demokratischen Rechte von parlamentarischen Minderheiten unseres Erachtens nicht.
Der Geheimschutz kann auf andere Weise sichergestellt werden als dadurch, daß die Bundestagsabge-
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Estersordneten von vornherein in zwei Klassen eingeteilt werden und daß es von vornherein Abgeordnete minderer Vertrauenswürdigkeit und auch minderen Rechts gibt.Vor diesem politischen Hintergrund lehnen wir, auch wenn wir im Haushaltsausschuß bei den Einzelfassungen mitgewirkt und zugestimmt haben, die Änderung der Bundeshaushaltsordnung hier ab.
Die SPD wird auch künftig bei der Wahl des Gremiums für die Genehmigung der Wirtschaftspläne der Dienste beantragen, daß alle Fraktionen des Hauses diesem Gremium angehören. Wir werden immer dafür eintreten, daß auch nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts keine Entwicklung eingeleitet wird, die den in einer Demokratie gebotenen Minderheitenschutz außer acht läßt.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung. Ich rufe die Art. 1 bis 3, Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Die aufgerufenen Vorschriften sind mit Mehrheit angenommen.
Wir treten in die
dritte Beratung
ein und kommen zur Schlußabstimmung.
Wer dem Gesetzentwurf als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich vom Platz zu erheben. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Der Gesetzentwurf ist mit Mehrheit angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 5:
Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zu der Unterrichtung des Bundesrechnungshofes
Bemerkungen des Bundesrechnungshofes 1985 zur Haushalts- und Wirtschaftsführung
— Drucksachen 10/4367, 10/5619 —
erichterstatter: Abgeordneter Rossmanith
und den Tagesordnungszusatzpunkt 5:
Beratung des Antrags des Präsidenten des Bundesrechnungshofes
Rechnung des Bundesrechnungshofes für das Haushaltsjahr 1985 — Einzelplan 20 -- Drucksache 10/5470 —
Überweisungsvorschlag: Haushaltsausschuß
auf.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Beratung 75 Minuten vorgesehen, natürlich ohne Rücksicht auf unsere Mittagspause. — Ich sehe trotzdem leider keinen Widerspruch dagegen. Demgemäß ist es so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Kühbacher.
— So ist es. Wir haben das bereits vor einigen Minuten der Fraktion mitgeteilt: Der Abgeordnete Kühbacher ist der erste.
— Oder gibt es eine Vereinbarung? Bitte, ich bin ja gern bereit, eine Vereinbarung zu akzeptieren, wenn sie zwischen den Fraktionen getroffen worden ist.
Herr Präsident, wenn der Berichterstatter zur Jahresrechnung, Herr Rossmanith, nicht im Saal ist, will ich beginnen. Aber normalerweise fängt der Berichterstatter an.
Einen Augenblick. Lassen Sie mich das eben klären.
Ich bin von dem Vorschlag unterrichtet worden, daß die Opposition anfängt. Ich habe nichts dagegen, wenn der Berichterstatter anfangen will.
Sie sind einverstanden, daß Herr Kühbacher beginnt?
— Bitte schön.
Normalerweise ist es so, daß der Berichterstatter anfängt und daß wir dann zur Einzeldebatte kommen. Kollege Rossmanith, kommen Sie doch her.
Herr Kühbacher, ich hatte Ihnen eben das Wort erteilt. Sie müssen schon ein bißchen zuhören.
Herr Präsident, dann stelle ich mich also der Verantwortung, anfangen zu müssen.Wir behandeln den Jahresbericht des Bundesrechnungshofs. Das schließt die Behandlung dieses Jahresberichtes im Rechnungsprüfungsausschuß und im Haushaltsausschuß ein. Es geht um die Frage, der Bundesregierung für das Haushaltsjahr 1983— um das handelt es sich — Entlastung zu erteilen oder nicht. Im Rechnungsprüfungsausschuß und im Haushaltsausschuß haben wir einstimmig beschlossen, der Bundesregierung die Entlastung zu erteilen für die Verwaltung und die Wirtschaftsführung im Jahr 1983. Das ist natürlich ein wenig vor dem Hin-
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Kühbachertergrund zu sehen, daß dieser Etat im wesentlichen noch von der sozialliberalen Regierung vorbereitet und dann von der neuen, im März 1983 gewählten Bundesregierung ausgeführt worden ist.Was die Beanstandungen des Rechnungshofes im einzelnen angeht, kann man das auf Grund der Protokollnotizen im Rechnungsprüfungsausschuß und im Haushaltsausschuß in dem großen Bericht nachlesen. Ich will es mir ersparen, den Kollegen das im Einzelfall vorzutragen. Der eine oder andere wird darauf zurückkommen.Was mich bewegt hat, Herr Kollege Friedmann, ist, daß wir im Ausschuß entgegen der sonst gängigen Übung in einem Punkt völlig auseinanderlagen, nämlich in der Beurteilung der Bemerkungen des Bundesrechnungshofs zur Einnahmeseite des Bundes- und natürlich auch der Länderhaushalte. Es ist — das passiert normalerweise auch nicht — bei einem Punkt kontrovers abgestimmt worden. Normalerweise sind wir uns im Haushaltsausschuß und im Rechnungsprüfungsausschuß in der Kontrolle der Regierung einig. Auch über die Anweisung, die wir erteilen, wird in der Regel nicht kontrovers abgestimmt.In einem Punkt — so muß ich das einmal spitz formulieren — haben sich die unabhängigen Abgeordneten der CDU/CSU und FDP im Ausschuß der, sage ich mal, Regierungsopportunität gebeugt
und sind dem unabhängigen und unparteiischen Urteil des Rechnungshofes bezüglich der Einnahmen des Bundeshaushaltes nicht gefolgt. Das heißt, in dem Punkt, Herr Kollege Friedmann, hat sich die Mehrheit des Ausschusses gegen das Votum des Rechnungshofes gestellt, dessen — sage ich einmal — Liberalität und Objektivität doch wohl nicht in Frage gestellt werden kann.
— Sehen Sie, Herr Kollege Strube, da fängt es ja an. Hat Finanzminister Stoltenberg oder aber der Rechnungshof die absolute Wahrheit gepachtet?
Wir müssen uns jedenfalls ein Urteil bilden.
Nun will ich Ihnen sagen, worum es geht. Der Bundesrechnungshof hat sich im Zusammenhang mit der Einnahmeseite mit der Besteuerungspraxis in der Bundesrepublik auseinandergesetzt und festgestellt, daß es bei einer bestimmten Einkommensart, nämlich bei Einkünften aus Kapitalvermögen, eine große Diskrepanz gibt. Er hat durch seine Erhebungen festgestellt, daß die Länderfinanzverwaltungen die geltenden Steuergesetze und die dazu ergangenen Ausführungsbestimmunen offensichtlich nicht anwenden bzw. einhalten. Das liegt offenkundig daran, daß der Geist in dieser Steuerverwaltung von den jeweiligen Mehrheiten in den Ländern, d. h. von den Finanzministerien bestimmt wird.
Wir könnten ja einmal die einzelnen Finanzämter nennen, die wegen der nicht korrekten Ausführung von Gesetzen angesprochen worden sind. Es ging in der Regel um Steuerfälle, in denen Kapitalvermögen von weit über 50 000 DM, z. B. in Erbschaftsfällen, in Rede standen. Wir müssen feststellen, daß z. B. in dem Finanzamt Nienburg — das liegt in Niedersachsen, wo der Finanzminister Ritz heißt — von 191 geprüften Fällen am Ende 18 einer zutreffenden Besteuerung zugeführt worden sind; daß z. B. in Bitburg in Rheinland-Pfalz von 82 geprüften Fällen zwei einer zutreffenden Besteuerung zugeführt worden sind.
— Ja natürlich, innerhalb der Finanzverwaltung sind sie unzutreffend behandelt und nicht korrekt abgewickelt worden.
Nun könnte ich dieses Sündenregister auffüllen. Ich muß schon sagen: Hier hat der Rechnungshof zu Recht eine wunde Stelle angesprochen. Bei korrekten Kontrollmitteilungen in Erbschaftsteuersachen wurde festgestellt, daß jemand 100 000 oder 200 000 DM Vermögen hatte, Zinsen bezogen und diese nicht der Besteuerung unterworfen hatte. Das Erschreckende ist — das war für uns neu —, daß Finanzämter, die davon offiziell Mitteilung bekommen haben, daraus nur in wenigen Fällen die steuerlichen Konsequenzen gezogen haben.Jedes Finanzamt, das erfährt, daß ein junger Auszubildender 500 DM Ausbildungsvergütung im Monat bekommt, führt diesen jungen Auszubildenden über die Lohnsteuer in die Besteuerung. Jedes Finanzamt, das beispielsweise Überstundenvergütungen gemeldet bekommt, unterwirft die Überstundenvergütung von Arbeitnehmern der Besteuerung. In diesen Fällen, wo es um leistungslose Zinseinkünfte aus angehäuftem Geldvermögen geht, wird nicht so verfahren, wie es korrekt wäre.
— Sehen Sie, Herr Kollege Deres, ich will mich auf diesen ideologischen Streit nicht einlassen. Mir geht es darum, daß bei einem Arbeitnehmer penibel auf die vollständige Lohnsteuer geachtet wird, während das bei Kapitalbesitzern von den Finanzämtern, auch wenn es bekannt ist, offensichtlich nicht so gehandhabt wird.Wir haben im Ausschuß — damit will ich das beenden — einmütig darauf gedrängt, daß der Bundesfinanzminister auf die Länderfinanzverwaltun-Kühbachergen und die Finanzminister einwirkt, daß in solchen Fällen korrekt verfahren wird.
Dies scheint nun auch in diesem Sinne zu laufen, und wir hoffen, Herr Staatssekretär Voss, daß in zwei, drei Jahren ähnliche Beanstandungen in Erbschaftsteuerfällen nicht mehr vorkommen. Aber in diesem Zusammenhang hatten wir eine weitere Diskussion. Gespitzt durch diese Einfälle, die ja erschreckend genug sind, wenn man sich die Prozentzahlen anschaut, haben wir einmal nachgefragt, wie es mit der übrigen Besteuerung von Kapitalvermögen ist.
— In diesem Punkt waren wir uns einig, daß hier das Gesetz angewendet werden muß.Nun kommt es zum eigentlichen Streitpunkt. Wir haben im Verlaufe dieses Gespräches erfahren, daß aus Kapitalvermögen etwa 19 Milliarden DM der Besteuerung zugeführt werden. Der Finanzminister meint, daß sei ausreichend und auskömmlich. Unsere Frage war: Wie hoch ist eigentlich das Kapitalvermögen, und wie hoch sind die Zinserträge daraus? Dazu schweigt der Bundesfinanzminister, und er sagt, das könne er nicht ermitteln. Da lehrt ein Blick in die uns ständig zugehenden Berichte der Deutschen Bundesbank den kundigen Leser — jeder Bürger könnte das nachvollziehen —, wieviel Kapitalvermögen heutzutage bei den Banken und anderen Instituten angelegt ist. Ich habe den letzten Bericht hier; das kommt jeden Monat heraus. Dies ist vom Mai 1986: „Geldvermögen und Verpflichtungen nach Sektoren Ende 1985". Da ist die Rede von Geldvermögen in der Bundesrepublik, die sich wie folgt aufteilen: Geldanlagen bei Banken: 1,2 Billionen DM, Geldanlagen bei Bausparkassen 122 Milliarden DM, festverzinsliche Wertpapiere 322 Milliarden DM usw. Von Privathaushalten werden in der Bundesrepublik bei solchen Instituten Geldvermögen — die liegen da nicht zum Vergnügen, sondern um Zinsen zu bringen — von rund 2 Billionen DM — 2 092 Milliarden DM — gehalten.Ich unterstelle einmal den schlechtesten Ertrag, den ich z. B. mit meinem Bausparvertrag mit einem Guthaben von 36 000 DM erziele — so viel Vermögen habe ich angesammelt —, nämlich 3 %, und da bekomme ich, glaube ich, etwas über 960 DM Zinsen, die ich natürlich versteuere, wie das jeder Bausparer machen muß, weil er auf der anderen Seite seine Aufwendungen angibt. Jeder Arbeitnehmer, der einen Bausparvertrag hat, unterwirft diese Zinsen der Besteuerung. Aber das ist der kleinste Teil hier. Ich unterstelle also einmal diese 3 %. Da gibt es Leute, die das viel geschickter anlegen, mit 5, 6 oder, 8 %. Wenn man für diese 2 Billionen DM nur diese 3 % unterstellt, sind im Jahr 60 Milliarden DM Zinseinkünfte erzielt worden. Wenn ich 5 % Zinsen ansetze, bin ich schon bei 100 Milliarden DM, und das sind nur die privaten Haushalte. Ich könnte das jetzt fortsetzen: Unternehmen, angefangen bei der armen Firma Siemens, wo wir das aus der Bilanzablesen können, unterhalten 878 Milliarden DM Geldanlagen. Ich bin ganz sicher, die Masse dieser Zinseinkünfte von Unternehmungen unterliegen der Besteuerung. — Worauf ich hinaus will, ist: Wenn wir diese monatlich erscheinende Bilanz vor dem Hintergrund der Äußerung des Finanzministeriums, daß nur 19 Milliarden DM jährlich der Besteuerung unterworfen werden, einmal kritisch untersuchen, dann müssen wir doch feststellen, daß da eine riesige Differenz ist. Ich behaupte: Etwa zwischen 60 und 80 Milliarden DM an Zinseinkünften werden in der Bundesrepublik nicht versteuert.Nun ging es im Rechnungsprüfungsausschuß — das war der eigentliche Streit — um nichts anderes, als daß wir gesagt haben: Du, Bundesregierung, bitte schön, und du, Rechnungshof, setzt uns doch einmal in den Stand, diese offenkundige Differenz aufzuklären. Und da fängt es für mich an, wirklich unverständlich zu werden. In diesem Moment sagen die Mehrheiten im Ausschuß: Wir brauchen gar keine Information — weil der Finanzminister im Ausschuß erklärt, er könne sie nicht geben; das sei so differenziert.
— Ja, ja, Frau Kollegin Seiler-Albring. Wir haben im Ausschuß den Antrag gestellt — ich lese den jetzt einmal vor, damit jeder Bürger hört, was wir nur wollten —:Der Bundesrechnungshof wird gebeten, mit Hilfe eines Gutachtens eines unabhängigen finanzwissenschaftlichen Instituts ermitteln zu lassen, welche Einkünfte aus Kapitalvermögen bei vollständiger Gesetzesanwendung der Besteuerung zugeführt werden müßten und welche Einnahmeausfälle bei der gegenwärtigen Differenz — Zinseinkünfte aus Kapitalvermögen ca. 90 Milliarden DM laut Deutscher Bundesbank — versteuerte Einkünfte ca. 19 Milliarden DM — zu vermeiden wären.Mehr wollten wir nicht! Wir wollen eine Auskunft darüber, um dem dann nachzugehen. Diesen bescheidenen Antrag, Frau Kollegin Seiler-Albring, haben Sie abgelehnt. Sie wollen keine Information, weil diese Information ja die Wahrheit an den Tag bringt.
Nun will ich den Gedanken zu Ende führen: Warum wollen Sie denn diese Information nicht? Weil natürlich nicht die breite Schicht der Wähler aus der Bevölkerung dieses Kapitalvermögen hält — es hat nun nicht jeder Wähler in der Bundesrepublik eine Million oder anderthalb Millionen —, sondern weil — —
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17172 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 222. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Juni 1986
Kühbacher— Herr Strube, seien Sie doch nicht so aufgeregt! Ich will nur, daß das Gesetz angewendet wird. Sie schützen die Geldmillionäre in der Bundesrepublik und wollen nicht einmal Information. Das ist der Punkt.
Sie unterwerfen jeden Arbeitnehmer, Lohnsteuerzahler der vollständigen Besteuerung und sehen mit offenen Augen zu, daß 60 Milliarden DM nicht besteuert werden.
Nun will ich bei diesem Betrag mal die niedrigste Besteuerung zugrunde legen. 10 % pauschal bei 60 Milliarden DM bedeutet, daß wir 6 Milliarden DM mehr in die öffentlichen Haushalte von Bund, Ländern und Gemeinden kriegten. Also, wenn wir gerecht besteuern würden, hätten wir eine ungeheure Einnahmequelle.
Wenn ich das jetzt so feststelle, komme ich natürlich zu einer politischen Bewertung.
— Ich weiß ja, Herr Kollege Strube, daß Ihnen das nicht paßt.
— Seien Sie doch nicht so aufgeregt, Herr Kollege Friedmann! — Wenn ich das so sehe, dann wundere ich mich über Staatsverdrossenheit überhaupt nicht mehr.
Die jungen Leute fragen sich doch: Warum soll ich denn Zivildienst leisten, warum soll ich zusätzlich Wehrdienst leisten, wenn in dieser Bundesrepublik auf dem Gebiet des Steuerrechts keine Gerechtigkeit herrscht, wenn die Reichen, obwohl es Gesetze gibt, geschont werden?Wie sehr sie geschont werden, kann man nun auch noch beweisen. Da werfe ich dem Bundesfinanzminister massives Fehlverhalten vor. Da gibt es einen sogenannten Bankenerlaß, der in dem Bericht des Rechnungshofes zitiert wird: Ermittlungen bei Kreditinstituten. Man könnte nämlich, wenn man weiß, daß es da Millionen oder höhere Beträge als Anlage gibt, aus denen Zinsen erzielt werden, ohne Probleme Informationen an die Finanzämter geben. Da hat der Bundesfinanzminister an die Länderfinanzverwaltungen verfügt:Die Guthabenkonten oder Depots, bei deren Errichtung eine Legitimationsprüfung ... vorgenommen worden ist, dürfen anläßlich der Außenprüfung bei einem Kreditinstitut nicht zwecks der Nachprüfung einer ordnungsmäßigen Versteuerung festgestellt oder abgeschrieben werden. Die Ausschreibung von Kontrollmitteilungen soll insoweit unterbleiben.Also, der Finanzminister sagt seinen Beamten, seinen Betriebsprüfern: Wenn ihr bei einer Bank feststellt, daß da jemand eine Million, zwei Millionen oder drei Millionen hat — —
— Ich weiß, seit 1979.
Ich finde es eine Riesenschweinerei, daß es so etwas gibt.
— Ich habe doch gar keine Probleme. Wenn ich das gewußt hätte, was der Rechnungshof uns in diesem Jahr geliefert hat — und ich hätte mir gewünscht, ich hätte das schon viel früher bekommen —, dann hätte ich das einem sozialdemokratischen Finanzminister unter die Nase gerieben.
Begangenes Unrecht wird nicht dadurch besser, daß man es fortsetzt, überhaupt nicht.
Was mich wurmt, ist, daß die Betriebsprüfer praktisch dazu verurteilt werden, mit geschlossenen Augen über diese großen Geldanlagekonten hinwegzugehen. Sie dürfen nicht einmal den Finanzämtern Mitteilung machen. Das ist wieder so ein Punkt, .der mich ärgert. Jeder Unternehmer, der seinem Arbeitnehmer einen bestimmten Betrag für die Arbeit bezahlt, ist gezwungen, dem Finanzamt diese Information lückenlos zu geben, damit dieser Arbeitnehmer der vollen Besteuerung unterworfen wird. Hier wissen die Betriebsprüfer von Millionenvermögen, und sie dürfen es nicht mitteilen; sie dürfen es nicht der Besteuerung zuführen.
Um nichts anderes geht es mir, als daß die Steuergesetze angewendet werden. Denn das Gesetz sagt eindeutig: Zinseinkünfte aus Kapitalvermögen müssen versteuert werden.Sie decken mit Ihrer Verhaltensweise — die natürlich auch etwas mit der Bundestagswahl 1987 zu tun hat — eine unkorrekte Handlungsweise der Finanzbehörden und des Finanzministers. Das ist ein Skandal ersten Ranges in dieser Republik. Ich kann keinem jungen Menschen, der gerade seine Ausbildung abgeschlossen hat, mehr Mut machen, für diese Republik einzustehen, solange ein solches Unrecht geduldet und von Ihnen mitverantwortet wird.Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 222. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Juni 1986 17173KühbacherIch bedanke mich für Ihr Zuhören.
Das Wort hat der Abgeordnete Rossmanith.
. Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Respekt vor dem Präsidium hat mich veranlaßt, dem Herrn Kühbacher den Vortritt zu lassen, obwohl die Jahresberichterstattung bei meiner Person liegt. Auf das, was Sie angeführt haben, Herr Kollege Kühbacher, wird der Kollege Deres eingehen. Bei diesem phantastischen Plädoyer für die Quellensteuer, das Sie mit der Verweigerung des Zivildienstes oder Wehrdienstes vermengt haben, da fehlen mir fast die Worte. Ich kann das nicht in einen Zusammenhang bringen.
Man sieht, die Bundestagswahl 1987 wirft auch hier ihre Schatten schon sehr weit voraus. — Ertappt muß sich derjenige fühlen, der 1979 Finanzminister war und diesen Erlaß, den Kollege Kühbacher vorgetragen hat, herausgegeben hat.
Ich will auf das Thema zurückkommen, das uns an diesem Vormittag beschäftigt. Der Haushaltsausschuß hat mit der Beschlußempfehlung auf Drucksache 10/5619 sein Beratungsergebnis zur Entlastung der Bundesregierung für das Haushaltsjahr 1983 vorgelegt. Ich kann, auch wenn es nicht so geklungen haben sollte, eine weitgehende Übereinstimmung zwischen den Auffassungen des Ausschusses und denen des Bundesrechnungshofes feststellen.Herr Kollege Kühbacher, lassen Sie mich hier nur noch einen Satz zu Ihren Ausführungen machen. Weder der Bundesfinanzminister noch der Bundesrechnungshof haben die ewige und einzige Wahrheit gepachtet, auch nicht wir im Rechnungsprüfungsausschuß. Aber wir sind dazu da, Recht zu finden und den Versuch zu unternehmen, Klarheit und Wahrheit in diesen Bereich einzubringen. Wir haben das sehr lange und sehr ausführlich getan. Wir haben an 16 Sitzungstagen beraten und haben fast alle 87 Berichtsbeiträge zustimmend zur Kenntnis genommen.Als wir im vergangenen Jahr diese Debatte geführt haben, war der Bundestagsabgeordnete Kleinert von den GRÜNEN Jahresberichterstatter. Damals waren es 97 Prüfungsvermerke. Das hat er als besorgniserregend empfunden. In der Zwischenzeit, von 1982 auf 1983, sind es 10 weniger geworden. Ich freue mich deshalb, daß ich die Besorgnis von damals etwas zurückschrauben kann.Die Zahl der Fälle, in denen der Verwaltung durch den Rechnungsprüfungsausschuß Auflagen für die Zukunft gemacht wurden — es handelt sich hierbei um 53 Beiträge —, zeigt deutlich, daß es sich bei der Beratung der jährlichen Berichte des Bundesrechnungshofs keineswegs um Schnee von vorgestern oder gestern handelt, wie so oft und so gern behauptet wird. Vielmehr handelt es sich meines Erachtens um wichtige Informationen des Bundesrechnungshofes, die unmittelbar bei der Haushaltsplanaufstellung in erheblichem Umfang aufgegriffen und auch umgesetzt werden.Welchen Nutzen das Parlament aus scheinbar schon abgeschlossenen Vorgängen ziehen kann, zeigt z. B. der Bericht über Plantings- und Durchführungsmängel bei der Entwicklung und Beschaffung einer Anlage zur Abwehr von radargesteuerten Flugkörpern und zur elektronischen Bekämpfung von Feuerleitgeräten für die Fregatte F 122. Der Ausschuß hat hierbei den Eindruck gewonnen — ich zitiere —, daß Aufträge ohne das Vorliegen der militärischen, technischen und wirtschaftlichen Förderung erteilt worden sind. Daraus ergibt sich die Konsequenz, daß das Bundesamt für Wehrtechnik und Beschaffung in Zukunft den Bedarfsträger in jeder Phase einzubeziehen hat. Ohne Äußerung des Bedarfsträgers darf kein Auftrag vergeben werden. — Soweit der Rechnungsprüfungsausschuß. Diesem Votum des Ausschusses hat auch der Bundesminister zugestimmt, und ich kann den Bundesrechnungshof nur auffordern, daß er auch weiterhin beobachtet, daß sich das Haus und der Bundesminister auch in Zukunft mit an diese Aussage hält.Wir haben darüber hinaus alle Bereiche, alle Prüfungsbemerkungen besprochen und diskutiert und behandelt. Es handelte sich hier wie in den vergangenen Jahren auch u. a. um die Sondervermögen Deutsche Bundesbahn, Deutsche Bundespost und die Bundesanstalt für Arbeit. Hier haben sich besondere Schwerpunkte ergeben. Das bedeutet natürlich nicht unbedingt, daß hier besonders schlecht gewirtschaftet wird. Der Umfang der Erörterungen entspricht vielmehr auch der finanziellen Bedeutung für die Haushalts- und Wirtschaftsführung des Bundes in diesen Bereichen.So befaßt sich z. B. auch ein Prüfungsbericht mit der Arbeits- und Berufsförderung Behinderter. Die Bundesanstalt für Arbeit hat dazu betont, daß sie ihre Dienststellen auf die Notwendigkeit einer gründlichen Analyse und eingehenden Begründung des konkreten Umschulungsfalles hingewiesen hat. Bei der Betreuung von Schwerbehinderten stehe der Grundsatz „Vermittlung geht vor Leistung" im Vordergrund. Der Grundsatz, daß Vermittlung vor Leistung geht, ist im Ausschuß besonders begrüßt und gewürdigt worden. Wir hoffen auch hier, daß sich die Bundesanstalt für Arbeit mit all ihren Dienststellen und all ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern auch an diesen Grundsatz hält.Ich möchte zum Schluß noch einmal besonders hervorheben, daß bei den Beratungen im Rechnungsprüfungsausschuß grundsätzlich Einigkeit herrschte. Bei den Sitzungen von Januar bis Mai sind wir nur in einem einzigen Fall, den Kollege Kühbacher schon aufgegriffen hat und auf den Kollege Karl Deres noch näher eingehen wird, nicht zu einer einheitlichen Auffassung gekommen. Aus
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RossmanithZeitgründen kann ich hier nicht näher darauf eingehen, aber Karl Deres wird diesen Fall hier noch einmal ausführlich aufgreifen.Ich sehe deshalb in unserer Arbeit die Grundlage dafür, daß der Haushaltsausschuß des Deutschen Bundestages die Tätigkeit der Verwaltung in der Vergangenheit wirksam kontrollieren konnte und für die Zukunft fundiert initiieren kann; denn wir tragen, wie ich meine, nun einmal eine hohe Verantwortung für eine getreue Verwendung der Steuergelder in unserem Land, der Steuergelder, die wir alle, die unsere Mitbürgerinnen und Mitbürger aufzubringen haben.Ich darf mich deshalb für die Unterstützung, die wir dabei vom Bundesrechnungshof erfahren, bei Ihnen, Herr Präsident Dr. Zavelberg, und allen Ihren Damen und Herren des Bundesrechnungshofes sehr herzlich bedanken. Ich möchte bei diesem Dank allerdings auch nicht die im Ausschuß ständig anwesenden Vertreter des Bundesfinanzministeriums und die Mitarbeiter des Sekretariats vergessen.Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich bitte Sie, der Empfehlung des Haushaltsausschusses zu folgen und der Bundesregierung gemäß Art. 114 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland die Entlastung zu erteilen. Für meine Fraktion, die Fraktion der CDU/CSU, darf ich diese Zustimmung erklären.Ich bedanke mich.
Das Wort hat der Abgeordnete Suhr.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will mich hier nicht als Experte im Rechnungsprüfungswesen aufspielen. Dazu bin ich zu kurz in der ganzen Materie.
Aber wir sind eine kleine Fraktion und haben dadurch als Einzelpersonen vielfältige Belastungen.
— Wenn Sie mir eine Zwischenfrage stellen wollen, bitte, jederzeit. Melden Sie sich, und ich werde Ihnen gerne antworten.
— Ja, wir demonstrieren, solange es uns paßt. Das werden wir uns auch nicht von der CSU verbieten lassen, Herr Kollege Riedl.
So, nun wollen wir mal zum Thema kommen, meine Herren.
Ich würde gern zum Thema kommen, Herr Präsident. Nur wird es mir im Moment leider etwas schwer gemacht.
Die Bemerkungen des Bundesrechnungshofs zur Haushalts- und Wirtschaftsführung sind nicht geeignet, in der Bevölkerung den Glauben an die Fehlerlosigkeit bundesdeutscher Finanzpolitik zu stärken. Aber wir erwarten auch von niemandem, daß er ständig fehlerfreies Verhalten an den Tag legt. Deswegen sind wir auch gegen eine Energie- und eine Rüstungspolitik, die darauf angewiesen sind, daß keine Fehler gemacht werden, höchstens um den Preis eines tödlichen Risikos.
Wir denken, daß Fehler in jeder Verwaltung gemacht werden, auch unter jeder Bundesregierung. Das zeigen auch die Berichte der letzten Jahre. Sie machen deutlich, daß es oft einen wenig verantwortungsvollen Umgang mit Steuergeldern in vielen Einzelfällen in der Administration gegeben hat. Darin unterscheidet sich die jetzige Regierung nicht von den früheren Regierungen. Auch unter SPD/FDP-Regierungen wurden ähnliche Schlampereien verzeichnet. Der Kollege Kühbacher hat das gerade geschildert. Die Rede war übrigens gut. Sie haben ja auch viel mehr Zeit. Sie sind auf so viele Details eingegangen, daß man sie schon fast als Bewerbungsrede für die Nachfolge von Herrn Finanzstaatssekretär Dr. Voss unter anderer Mehrheit werten könnte.
Ich möchte wie Herr Kollege Rossmanith den Mitarbeitern und dem Präsidenten des Bundesrechnungshofs danken; denn der Bundesrechnungshof spielt sozusagen die Rolle des Wachhundes in der Finanzpolitik.
Allerdings wird er von der Regierung doch an einer sehr kurzen Leine gehalten. Wir hätten uns gewünscht, daß die Kompetenzen erweitert worden wären.
In der letztjährigen Debatte über das Bundesrechnungshofsgesetz wurde deutlch, daß diese Regierung eigentlich relativ wenig Neigung verspürt, die Kontrollrechte, sowohl des Bundesrechnungshofs wie auch des Parlaments, zu verstärken. Ich weiß nicht genau, wovor sie Angst hat. Aber offensichtlich hat sie Angst, daß die Kontrollrechte ausgeweitet werden. Weder ein parlamentarisches Vorschlagsrecht für den Präsidenten des Bundesrechnungshofes noch ein Prüfauftragsrecht für die Fraktionen fand die Regierungskoalition damals akzeptabel. Dabei wäre das nach unserer Auffassung eine hervorragende Möglichkeit gewesen, die Rechte des Parlaments gegenüber dieser übermächtigen Administration und der Ministerialbürokratie im Haushaltsverfahren zu stärken. Mit einem solchen Vorgehen hätte man die parlamentarische Demokratie und die Gewaltenteilung mit neuer Substanz füllen können. Die Stärkung der
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Suhr
Rechte des Parlaments wäre so eher möglich gewesen als jetzt z. B. durch die Einführung von Computern in Abgeordnetenbüros im Wert von 150 Millionen DM in den nächsten Jahren.
Ich glaube, viele Kollegen machen sich Illusionen, daß sie damit ihre Kontrollmöglichkeiten gegenüber der Administration ausweiten könnten.
In den rund hundert Fällen, die der Bundesrechnungshof moniert, geht es durchweg um verschwenderische, um zu großzügige oder fehlerhafte Verwendung von Steuergeldern. Der Bericht zeigt auch, daß auf Dauer mindestens eine halbe Milliarde DM jährlich eingespart werden könnte, wenn die Behörden sorgfältiger mit Steuergeldern umgingen.
So aber muß der Finanzminister Stoltenberg die Notbremse ziehen, wenn die Wahlgeschenke der Union finanziert werden sollen und die Milliardenschäden, die durch den radioaktiven Fallout entstanden sind, ausgeglichen werden sollen. Tschernobyl ist eben überall.
Das hat der Herr Finanzminister gestern gemerkt.
Ich möchte noch zwei Fälle herausgreifen — der Herr Kollege Kühbacher hatte sie schon erwähnt —, zunächst die Nichterfassung der Einkünfte aus Kapitalvermögen. Da entgehen nach Schätzung der Experten dem Bund jährlich rund 10 Milliarden DM. Das hat die „Frankfurter Rundschau" am 4. Dezember 1985 berichtet. Natürlich gehört es jetzt zum Wahlkampf, daß die Unions-Christen mit Kapitalfluchten drohen, wenn der Kapitalertrag erfaßt werden soll. Das gehört sozusagen zu Ihrem Panikorchester in den nächsten Wochen und Monaten.
Aber Sie wollen doch wohl nicht im Ernst behaupten, daß etwa in der Schweiz oder in den USA das Kapital fliehen würde, obwohl dort längst entsprechende Regelungen Praxis sind;
In den USA wird über jede Mark Zinsertrag Mitteilung an das Finanzamt gemacht. Die amerikanische Finanzverwaltung erstattet sogar Mitteilung an die bundesdeutsche Finanzverwaltung. Aber umgekehrt ist es natürlich nicht der Fall. Das führt dann zu relativ absurden Erscheinungen, daß nämlich in den USA Kapitalvermögen versteuert werden muß — auch von Deutschen —, aber hier natürlich nicht.
Der Fiskus muß ran an die Klientel Ihrer Geldsackfraktion. Es geht nicht um den kleinen Sparer. Da sind wir durchaus bereit, großzügige Freibetragsregelungen einzuräumen. Aber wir treten für einen Abbau dieser Bevorzugung einer Einkommensart ein. Das ist unserer Auffassung nach verfassungsrechtlich und haushaltspolitisch dringend geboten.
Es gibt eine Vielzahl von Fällen, vor allem im Bereich der Bundeswehr, in denen eklatante Preissteigerungen vorkommen, z. B. bei den radargesteuerten Abwehranlagen zur elektronischen Bekämpfung von Feuerleitgeräten eine Preissteigerung: von 9 Millionen DM 1977 bis auf 41 Millionen DM 1986. Das sind 450 % in acht Jahren. Es gibt eine Vielzahl von weiteren Fällen, in denen sozusagen jeder Spielzeugwunsch der Militärs erfüllt wird, ohne daß geguckt wird: Was kann man damit machen, oder was kann man damit nicht machen?
Ich sehe leider die rote Lampe aufleuchten und muß daher zum Ende kommen. Ich kann allen nur wünschen, daß sie, wenn die Fußballweltmeisterschaft vorbei ist, Zeit haben, diesen Bericht zu lesen und sich darüber Gedanken zu machen, wie hier oft mit Steuergeldern umgegangen wird.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Seiler-Albring.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber Herr Kollege Suhr, Sie sind im allgemeinen ein recht netter Kollege, und Ihr Bemühen um effektive Finanzkontrolle bewegt mich sehr. Ich würde mich freuen, wenn wir in Zukunft Gelegenheit hätten, dieses des öfteren mit Ihnen auch im Ausschuß zu praktizieren. Reden Sie sich bitte nicht damit heraus, daß Sie eine kleine Fraktion seien. Das sind wir auch.
— Noch. — Bei den stundenlangen Bemühungen, eine vernünftige Arbeit abzuliefern, haben Sie und Ihre Kollegen leider Gottes meistens durch Abwesenheit geglänzt.
Dieses ist der erste Rechnungshofbericht, der nach der Novellierung des Bundesrechnungshofgesetzes im letzten Jahr und der erstmaligen Wahl des Präsidenten des Bundesrechnungshofes und seines Vizepräsidenten durch das deutsche Parlament heute abschließend debattiert wird.Für uns Parlamentarier war die Novellierung des Gesetzes über den Bundesrechnungshof ein Meilenstein in der Parlamentsgeschichte. Es war dieser 10. Deutsche Bundestag, dem es gelungen ist, die Institution „Bundesrechnungshof" durch größere
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17176 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 222. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Juni 1986
Frau Seiler-AlbringSelbständigkeit und durch die Wahl des Präsidenten und des Vizepräsidenten aufzuwerten, nicht zuletzt, um den hohen Stellenwert - ich sage dies an dieser Stelle ausdrücklich im Vorgriff auf das, was ich nachher sagen werde —, den wir der Finanzkontrolle beimessen, gebührend zu unterstreichen.Wir Mitglieder des Rechnungsprüfungsausschusses haben gemeinsam mit den Angehörigen des Bundesrechnungshofes und den Vertretern der oft in doppelter Hinsicht „betroffenen" Ministerien die Prüfbemerkungen in langen Sitzungen beraten und darüber befunden, große und kleine Sünden festgestellt, oft scharf gerügt, viele Reibungsverluste und planerische Unzulänglichkeiten festgemacht. Gemeinsam haben wir aber auch überlegt, wie wir künftig vernünftiger und besser verfahren können.Allerdings haben wir bei der Beratung der Prüfbemerkung 44 festgestellt, daß der Rechnungshof tendenziell Neuland betritt. Dieses möchte ich zum Gegenstand meiner Ausführungen machen.Hier deutet sich eine Entwicklung an, der wir als Legislative große Aufmerksamkeit zu widmen haben, weil uns an einer sehr klaren Abgrenzung der Gewalten in diesem Staat gelegen sein muß.Der Kollege Kühbacher hat dieses Problem vorhin bereits angesprochen. Er hat nur sehr zögerlich zugegeben, daß es sich hier tatsächlich um das Thema Quellensteuer handelt.
— Herr Kollege, dann haben Sie es nicht zugegeben, aber es steht natürlich dahinter.Der Rechnungshof hat stichprobenartig bei sieben Erbschaftsteuerstellen Erbfälle in den zurückliegenden Jahren geprüft und herausgefunden, daß in mehreren Fällen trotz bestehender Weisungen die Erbschaftsteuerstellen unterschiedlich verfahren sind. Dieses nimmt der Rechnungshof zum Anlaß, sich auf ein anderes Gebiet zu begeben und die einkommensteuerliche Erfassung von Erträgen aus verzinslich angelegtem Geldvermögen privater Haushalte zu monieren. Hinter diesem schwer verständlichen Bürokratendeutsch verbirgt sich, vereinfacht ausgedrückt, der Ruf nach der Quellensteuer.Nun ist es natürlich nicht sehr verwunderlich, daß unsere sozialdemokratischen Kollegen diesen Ruf sehr gerne hören möchten und ihrerseits die alte Forderung nach der Sparbuchbesteuerung — und dieses ist es im Grunde - wieder aufleben lassen.
Ich erinnere daran, daß es bereits im Wahlkampf 1982/83 die Sozialdemokraten gewesen sind, die die Besteuerung der Sparguthaben bzw. die Einführung der Quellensteuer verlangt hatten.
Frau Kollegin SeilerAlbring, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Schlatter?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nein, im Moment nicht.
— Ich habe vorhin versucht, eine Zwischenfrage zu stellen, als der Kollege Kühbacher sprach. Diese war nicht mehr möglich.
Die schmerzlichen Erfahrungen, die die Sozialdemokraten damit gemacht haben, haben offenbar nicht vorgehalten. Dieser erneute Ruf, mit staatlichen Eingriffen die Sparguthaben der Bürger zu durchleuchten — und zwar Sparguthaben von Rentnern und Facharbeitern und und und —, zeigt, wie schwer es fällt, aus eigenen Fehlern zu lernen.
Der Rechnungsprüfungsausschuß hatte, um nicht ausschließlich im Bereich der Hypothesen argumentieren zu müssen, da der Rechnungshof keine konkreten Zahlen genannt hatte, den Finanzminister um einen Bericht gebeten, „inwieweit die vom Bundesrechnungshof gewünschten Untersuchungen zum Umfang steuerlich nicht erfaßter Einkünfte aus Kapitalvermögen durchgeführt werden können". Der Finanzminister kommt in seinem Bericht zu dem Schluß, daß auf Grund einer Fülle von statistischen Problemen der Umfang der rechtlich unzutreffend der Einkommensteuer unterworfenen Einkünfte aus Kapitalvermögen nicht annähernd verläßlich zu schätzen sei. Andererseits zieht er aus der Tatsache, daß ausweislich der Einkommensteuerstatistik die Zahl derjenigen, deren Einkünfte aus Kapitalvermögen erfaßt werden, von 1,45 Millionen Bürgern mit Einkünften von 9,6 Milliarden DM aus Kapitalvermögen im Jahr 1978 auf 2,19 Millionen mit 19,8 Milliarden DM im Jahr 1982 gestiegen ist, den Schluß, daß der Umfang der widerrechtlich unversteuerten Kapitalerträge nur einen geringen Teil des Unterschiedes ausmacht, der sich aus dem Verbleib zwischen den Geldvermögenserträgen im Sinne der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung einerseits und den deklarierten Einkünften aus Kapitalvermögen andererseits ergibt. Fazit: Wir sind so schlau als wie zuvor. Frage: Also doch Quellensteuer oder ein System von Kontrollmitteilungen, wie es die Sozialdemokraten fordern?
— Wir beachten dieses Wort „Steuergeheimnis"; daß Ihnen offensichtlich nicht daran gelegen ist, nehme ich hier zur Kenntnis.
— Herr Kollege Waltemathe, jeder in diesem Hause, der seriös argumentiert, weiß, daß in der Einkommensteuergesetzgebung sehr klar dargelegt ist, was zu versteuern ist, welche Zinserträge zu versteuern sind. Wer dieses nicht tut, macht sich strafbar. Die Behauptung des Kollegen Kühbacher von vorhin, ihm seien Fälle bekannt, in denen den Finanzbehörden klar sei, daß — —
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Frau Seiler-Albring— Nein; wenn Sie zitiert haben, Herr Kollege, dann nehme ich das zurück. Ich meine, aus Ihrer Rede entnommen zu haben, daß Sie gesagt haben, den Finanzbehörden seien Fälle bekannt, wo Zinsen aus Kapitalvermögen nicht versteuert würden und wo nicht eingegriffen würde, und zwar konkrete Fälle.
Ich halte das tatsächlich für einen enormen Vorwurf!
Sie haben von bestimmten Fällen gesprochen, und das ist, so meine ich, ungeheuerlich!
Wie gesagt, solange nicht der Beweis dafür erbracht wird, daß dem Fiskus jährlich mehrere Milliarden Mark an Steuern auf Kapitaleinkünfte verlorengehen, ist vom Gegenteil auszugehen, nämlich von der Steuerehrlichkeit unserer Bürger.
— Herr Waltemathe, ich mache meine Reden selber!Es sollten endlich einmal gesicherte Schätzungsgrundlagen geschaffen werden, und zwar eben unter Beachtung dieser Kautelen, und dann sollte die Entwicklung der steuerlich erfaßten Kapitalerträge über einen mehrjährigen Zeitraum hinweg beobachtet werden. Nur auf der Grundlage statistischer Erkenntnisse, die zu gewinnen außerordentlich problematisch und schwierig ist, sind sachgerechte und verantwortungsbewußte politische Entscheidungen möglich. Alles andere ist ein Herumstochern im Nebel.Unverantwortlich ist es unserer Ansicht nach, die von der Einführung einer Quellensteuer auf Kapitaleinkünfte ausgehenden Gefahren für die Sparbereitschaft, den Kapitalmarkt und den Finanzplatz Bundesrepublik Deutschland ohne Not in Kauf zu nehmen. Meine Damen und Herren, weshalb ist denn die Quellensteuer in der Bundesrepublik Österreich, eingeführt unter der sozialistischen Regierung Kreisky, für verfassungswidrig erklärt worden?
Nutznießer waren die Banken und Sparkassen in den benachbarten Ländern, in der Schweiz und der Bundesrepublik, die zunehmend die Sparguthaben der Österreicher erhielten.
— Nehmen Sie doch die Gelegenheit wahr, halten Sie hier eine Rede und teilen Sie dies dem Volke mit!
Das war, wie gesagt, unter Bundeskanzler Kreisky, worauf dann wohl auch der Wahlverlust der Sozialisten 1983 zurückzuführen gewesen ist.Meine Damen und Herren, die SPD übersieht meines Erachtens aber auch, daß das Sparguthaben unserer Bürger die Grundlage für die Finanzierung der Wirtschaft und des Staates ist, um die notwendigen Investitionen sicherzustellen.Der Sparer als notorischer Steuerhinterzieher? Die steigenden Steuereinnahmen — immerhin werden mehr als 20 Milliarden DM als Einkünfte aus Kapitalvermögen bei den Finanzämtern gemeldet — zeigen, daß die Bürger ihrer Steuerpflicht nachkommen. Meine Fraktion und ich lassen uns das Märchen vom steuerhinterziehenden Bürger, von wem auch immer, nicht einreden.
Wir wollen keine Aushöhlung des Bankgeheimnisses, keine Schnüffeleien in den Vermögensverhältnissen unserer Bürger. Wir wollen den total durchleuchteten und total kontrollierten Steuerzahler nicht.
Wir setzen auf das Vertrauen in die Einsichtigkeit unserer mündigen Bürger, und wenn Sie, Herr Waltemathe, auch dieser Meinung sind, lassen Sie doch bitte diese untauglichen Versuche und verunsichern Sie die Sparer in diesem Lande nicht immer und immer wieder von neuem.
Meine Damen und Herren, kaum hatten wir im Rechnungsprüfungsausschuß das Thema „Quellensteuer" mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen erledigt — was, wie schon mehrfach angesprochen worden ist, ein Novum war, denn normalerweise werden die Beschlüsse im Rechnungsprüfungsausschuß einstimmig gefaßt —, hörten wir von einem anderen Prüfbericht des Rechnungshofes, diesmal in Sachen Jahreswagen.
In diesem Prüfbericht wird vom Finanzminister verlangt, Jahreswagen und andere „geldwerte Vorteile" einzelner Gruppen von Arbeitnehmern künftig — anders als bisher — der Lohnsteuer zu unterwerfen. Die anderen geldwerten Vorteile sind u. a. die Deputate in der Tabakindustrie und der „Haustrunk" in den Brauereien. Abgesehen davon, daß es eine Stilfrage ist, zukünftig den Arbeitnehmern in der Tabakindustrie ihre Freizigaretten, die sie seit Jahrzehnten erhalten und die mittlerweile ein Bestandteil ihres Einkommens geworden sind, wegzunehmen, halte ich dies auch unter verwaltungsökonomischen Gesichtspunkten für nicht vertretbar. Ähnliches gilt für den Haustrunk bei den Brauereien.Wozu solche Überlegungen, die nicht abgestimmt worden sind, die in die Öffentlichkeit gedrungen sind, führen können, zeigt die Presseerklärung der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion vom 12. Juni 1986 — kurz vor der Niedersachsen-Wahl — mit der Überschrift „Besteuerung von Jahreswagen:
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Frau Seiler-AlbringStoltenberg plant einseitigen ,Subventionsabbau` gegen Arbeitnehmer".Meine Damen und Herren, der arme Finanzminister hatte nicht einmal Zeit und Ruhe, auf die Bemerkungen zu reagieren, da wußten der Herr Spöri und der Herr Struck aus Niedersachsen schon wahlwirksam, wohin die Reise geht: Auch hier werde die Koalition aus CDU/CSU und FDP die arbeitnehmerfeindliche Wendepolitik fortsetzen.
— Daß wir eine sehr gute Wirtschaftspolitik machen, dürfen Sie uns gerne zutrauen!
Es wurde also der Eindruck erweckt, wir wollten die kleinen Einkommen besteuern, um es den großen hinterherzuwerfen. Damit ist die SPD in Wolfsburg bei VW vor die Werkstore gezogen und hat in der Endphase des Wahlkampfes in Niedersachsen Stimmung gegen die Regierung in Bonn gemacht.
Meine Damen und Herren, man darf dem Rechnungshof wirklich nicht unterstellen, daß das die Absicht seines Prüfberichtes gewesen sei. Es zeigt sich hier aber sehr deutlich, daß sich der Rechnungshof auf eine sehr heikle Gratwanderung begibt,
je mehr er sich mit der Wahl seiner Themen der tagespolitischen Auseinandersetzung nähert.
Die Unabhängigkeit des Rechnungshofes ist ein hohes Gut. Wir alle stehen jeden Tag und gern dafür ein. Die Gewaltenteilung, meine Damen und Herren, ist dieses aber auch.
Bei der Novellierung des Bundesrechnungshofsgesetzes haben wir eine Reihe von Anregungen und Ankündigungen gemacht, mit dem Ziel, die Arbeit des Rechnungshofes in Zukunft weiter zu verbessern. Dazu gehörte u. a. auch die Stärkung der Prüftätigkeit des Rechnungshofes bei den Sondervermögen und insbesondere bei der Deutschen Bundesbahn. Wir hatten angekündigt, daß wir in Ruhe in der nächsten Zeit Möglichkeiten zur Verbesserung beraten und prüfen werden und in der nächsten Legislaturperiode eine Entscheidung treffen wollen. Diese vernünftige und von allen Fraktionen getragene Aussage hat leider dazu geführt, daß zunehmend gegen die Überlegungen polemisiert wird. Man spricht von einem „Zerschlagen der Prüfinstanzen bei der Deutschen Bundesbahn", was natürlich ein barer Unsinn ist. Was wir vermeidenwollen, ist unnötige Doppelarbeit und Kompetenzwirrwarr.
Es ist auch nicht richtig, daß wir uns Gegenargumenten verschließen. So ist das Thema „Hauptprüfungsamt bei der Deutschen Bundesbahn" bei einer Anhörung vor dem Verkehrsausschuß diskutiert worden, und es gibt wohl kaum einen Kollegen aus dem Rechnungsprüfungsausschuß, der nicht die Gelegenheit hatte, sich ausgiebig mit diesem Thema zu befassen. Wir werden in der nächsten Legislaturperiode diese Frage in Ruhe und in Absprache mit allen Beteiligten lösen.
Auch wenn die Diskussion heute vielleicht nicht gerade diesen Eindruck vermittelt hat, so ist die Arbeit im Rechnungsprüfungsausschuß, ganz besonders mit dem Kollegen Kühbacher und überhaupt auch mit den Kollegen von der SPD außerordentlich fair und kollegial. Der Wahlkampf kommt. Deshalb wird es hier ein bißchen eisenhaltiger. Im großen und ganzen kommen wir eigentlich sehr gut miteinander aus. Hierfür möchte ich mich bedanken. Obwohl oder vielleicht gerade deshalb, weil dieser Ausschuß in der Öffentlichkeit fast unbekannt ist, macht es Freude, hier zu arbeiten.Bedanken möchte ich mich bei den Mitarbeitern des Rechnungshofes, an der Spitze bei dem Herrn Präsidenten, die keine leichte und angenehme Aufgabe haben. Finanzkontrolle ist immer ein schwieriges Geschäft gewesen, ist aber unbedingt notwendig, wenn sichergestellt werden soll, daß das Geld des deutschen Steuerzahlers vernünftig angelegt wird und daß vernünftig damit umgegangen wird. Dafür danke ich namens meiner Fraktion dem Rechnungshof.Danken möchte ich aber auch all denjenigen, die bereit sind, aus den aufgezeigten Versäumnissen die Konsequenzen zu ziehen und es künftig besser machen zu wollen.Meine Fraktion erteilt der Bundesregierung für das Haushaltsjahr 1983 Entlastung.Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat der Abgeordnete Deres.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Solange die CDU/ CSU in dieser Republik die Mehrheit hat und damit die Verantwortung tragen wird, wird es keinen gläsernen Sparer geben.
Wir wenden uns gegen die Sparbuchsteuer, gegen
die Quellensteuer und gegen die Bankenmitteilun-
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Deres
gen, die jedes Sparbuch eines Kindes, der Großeltern und anderer erfaßt.
— Meine Herren von der SPD, dann würde ja auch einmal klar werden, was der DGB und die Neue Heimat an Geldvermögen bei den Banken haben.
Dann würde man dies genau erfassen. Nur waren diese bis jetzt gemeinnützig und damit überhaupt nicht steuerpflichtig. Da liegt ja auch die falsche Betrachtung, die der Kollege Kühbacher hier angestellt hat. Das, was er aus dem Bundesbankbericht herausgezogen hat, ist eine sehr pauschale Zahl, die viel differenzierter beurteilt werden muß.
Herr Vorsitzender des Rechnungsprüfungsausschusses, wir haben ja eine ganze Stunde mit dem Chefstatistiker diskutiert. Sie haben doch einsehen müssen — wir haben es wenigstens eingesehen —, daß niemand in der Lage ist, uns eine solche Feinabrechnung vorzulegen. Auch der Rechnungshof muß zugeben, daß seine Angaben nur auf ganz, ganz groben Schätzungen beruhen.
Im übrigen: Wenn wir jedes Jahr, wie Sie behaupten, 6 Milliarden DM mehr an Steuern einziehen können, so hätten Sie das 13 Jahre lang tun sollen; dann hätten wir jetzt 80 Milliarden DM weniger Schulden.
Nur: Ihre Vorstellung, Herr Kühbacher, ist doch eine Fiktion. Herr Kollege Suhr wird jetzt lächeln.
Wenn wir davon ausgehen, daß wir 6 Milliarden DM pro Jahr versteuert zusätzlich hätten einnehmen können, dann glauben Sie doch nicht, daß noch in dem Umfange Geld- und Kapitalvermögen in dieser Republik vorhanden wäre. Darüber wollen wir uns doch klar sein.
— Ja, so ist es. Wenn wir mit Unwahrheit an die Dinge herangehen und die Operation durchführen, dann dürfen wir uns nicht wundern, wenn am Schluß der Patient tot ist.
Im übrigen: Herr Kollege Suhr, zu Ihnen ist nicht viel zu sagen, und zwar nicht nur deshalb, weil Sie nicht da waren und auch nicht kommen konnten, sondern auch deshalb, weil Sie hier keinen sach- und fachgerechten Beitrag leisten konnten. Menschlich verstehe ich das j a. Aber dann würde ich Ihnen doch empfehlen, daß die GRÜNEN auf den Auftritt hier im Plenum verzichten, wenn sie nicht bei der Arbeit des Rechnungsprüfungsausschusses dabeisein können.
Herr Suhr, Sie haben — Herr Präsident, Sie haben das sicher gehört — den Rechnungshof als „Wachhund" bezeichnet. Herr Suhr, passen Sie auf, daß die GRÜNEN nicht in die Waden gebissen werden!
— Vom Rechnungshof.
In diesen Tagen hört man ja so allerhand über die „Staatsknete". Im Vorübergehen habe ich eben noch erfahren, daß Sie sogar Ihre Mitarbeiter schwarz beschäftigen und überhaupt keine Steuern zahlen. Dann stellen Sie sich bitte nicht hier hin und spielen den Moralapostel.
Das haben, wir alles nicht so gern.
Ich würde Ihnen ja ein Praktikum bei einer Bank oder einer Sparkasse vermitteln, Herr Suhr, aber ich habe die große Sorge, daß die Sparkunden dann ihre Einlagen abziehen, und das kann ich keinem Kreditinstitut zumuten.
Herr Abgeordneter Deres, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Suhr?
Es war zwar eben nicht üblich, als sich ein Kollege zu einer Zwischenfrage melden wollte. Aber ich tue das gern, Herr Präsident.
Bitte schön.
Herr Kollege, sind Sie bereit und in der Lage, Ihren Vorwurf irgendwie zu erhärten, daß bei den GRÜNEN Schwarzarbeit geleistet würde? Mir sind nur grüne Mitarbeiter bekannt, keine schwarzen.
Herr Suhr, ich habe Ihnen erklärt, daß ich das eben im Vorübergehen erfahren habe. Ich habe mich schon bei meiner Parlamentarischen Geschäftsführerin erkundigt, ob man dazu nicht doch einmal eine Kleine Anfrage einbringen soll, damit solche Gerüchte abgeklärt werden.
— Aber wir wissen, welche Probleme die Schwarzarbeiter machen. Das ist eine ganz andere Situation, Herr Kollege Waltemathe.
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Abgeordneten Suhr?
Nein.Meine Damen und Herren, der Bundesrechnungshof hat mit seinen Bemerkungen zur Haushalts- und Wirtschaftsführung im Rahmen des Einzelplans 60 — Allgemeine Finanzverwaltung — u. a. zwei Punkte der Kritik zum Thema Besteuerung der Einkünfte aus Kapitalvermögen, die nicht dem
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DeresSteuerabzug vorn Kapitalertrag unterliegen, angeführt.Zu Punkt 1: Der Rechnungshof bemängelt in seinem Bericht die ungenauen und unvollständigen Arbeiten der Erbschaftsteuerstellen und der Wohnsitzfinanzämter — also nicht nur der Erbschaftsteuerstellen —, wodurch dem Fiskus Steuereinnahmen entgehen. Darüber ist soviel diskutiert worden, daß ich das hier sehr schnell abhaken kann. Der Finanzminister hat nämlich reagiert. Er hat ein einheitliches Verfahren eingeführt. Wir haben ihn gebeten, in einer angemessenen Frist, nämlich in drei Jahren, darüber zu berichten. Wir gehen davon aus, daß das jetzt unter diesem Finanzminister funktioniert, was früher nicht möglich war.Zweitens. Der Bundesrechnungshof stellt fest, daß ein wesentlicher Teil der Zinseinkünfte der Einkommensteuer entzogen wird. Dabei gibt der Bundesrechnungshof eine Größenordnung von 21 Milliarden DM an Steuerausfällen an. Deshalb empfiehlt der Rechnungshof dem Bundesfinanzminister, Untersuchungen über den tatsächlichen Steuerausfall anzustellen. Außerdem soll durch geeignete Maßnahmen eine gleichmäßige steuerliche Erfassung dieser Einkünfte sichergestellt werden. Diese Empfehlung war der Kernpunkt unser ganzen Diskussion mit dem Versuch zu erfahren, ob das möglich ist. Da sind wir zu dem Ergebnis gekommen, daß es keine Chance hat, die in der Öffentlichkeit behaupteten Zahlen — ich komme nachher auf einzelne — zu beweisen.Die CDU/CSU-Fraktion hat im Ausschuß die Nachricht positiv aufgenommen, daß die Kontrollmitteilungen der Erbschaftsteuerämter bundeseinheitlich geregelt und umgesetzt werden. Darüber werden wir also in drei Jahren hören.
— Ja, da hat das ja von den Banken her funktioniert. Und der Umfang ist ja auch noch erträglich.
— Aber nehmen Sie doch einmal an, Sie müssen jedes Sparbuch eines jeden Kindes, mit einer Zinsgutschrift versehen, am Jahresende dem Finanzamt melden. Sie werden in der Bankwirtschaft einen Bürokratieberg erleben, der nicht mehr erträglich ist. Unterhalten Sie sich doch mal mit jenen Sparkassendirektoren, die in Ihrer Partei sind. Dann zeigen wir Ihnen mal die Unterlagen, die dem Vorsitzenden des Rechnungsprüfungsausschusses gerade von diesen Fachleuten zugegangen sind. Und ziehen Sie hier nicht dauernd die Show ab, die im letzten auf den Neidkomplex zielt.
— Ich habe sie bei Ihnen auf dem Tisch gesehen!
— Ja.Zurück zu Punkt 2. Mit großem Interesse hat die Öffentlichkeit in unseren Land die Bemerkungen des Bundesrechnungshofs zur einkommensteuerlichen Erfassung von Erträgen aus verzinslich angelegtem Geldvermögen aufgenommen. Der Bundesrechnungshof geht davon aus, daß bei dem steuerpflichtigen Bürger nur eine geringe Bereitschaft besteht, Zinserträge entsprechend den gesetzlichen Bestimmungen korrekt anzugeben. Dies — so der BRH — werde dadurch begünstigt, daß die Steuerverwaltung anscheinend nur über geringe Möglichkeiten verfüge, alle für die Ermittlung der Einkünfte maßgeblichen Sachverhalte zu erforschen.Dieser Diagnose einer vorsätzlichen Steuerunehrlichkeit der Bundesbürger haben verschiedene Stellen widersprochen. Besonders weise ich auf den Bericht der Deutschen Bundesbank hin. Der Kollege Kühbacher hat soeben den Monatsbericht hier gezeigt. Der Bericht der Deutschen Bundesbank sagt folgendes: Sie wendet sich gegen die Vermutung, der Sparer hinterziehe den überwiegenden Teil seiner Zins- und Dividendeneinnahmen. In Millionen von Einzelfällen — so die Bundesbank — liegen die Zinserträge unter oder nur geringfügig über den Freigrenzen. Die Bundesbank kommt zu dem Ergebnis, daß der überwiegende Teil der Geldvermögenserträge privater Haushalte entweder rechtmäßig unversteuert bleibt oder entsprechend versteuert wird.Herr Kühbacher, hier muß ich noch einmal auf den Arbeiter, den Sie soeben zitiert haben, kommen, dessen Einkommen auf jeden Pfennig genau gemeldet und genau versteuert wird. Gerade dieser Arbeiter, der sich aus seinem versteuerten Einkommen ein paar Groschen abspart und am Jahresende ein paar tausend Mark gespart hat und vielleicht ein Sparbuch von ein paar zigtausend hat, gerät leicht über die Freibeträge und muß jetzt damit rechnen,
daß das sauer ersparte Geld von Ihnen genau erfaßt und dann steuerlich vielleicht auf die letzte Mark ausgequetscht wird.
— Und Sie reden dann davon, die Millionäre blieben verschont, und die würden erwischt. Das glauben Sie doch selber nicht. Das ist doch nur Politik vor Wahlen, die Sie da verkaufen.
— Nein; mir tut das nicht weh. Aber dem Arbeiter tut es weh, daß die SPD in diesen Tönen über sein Sparguthaben redet.
Es besteht eine ganz klare Rechtslage zur einkommensteuerlichen Erfassung von Zinseinkünften.
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DeresHerr Suhr, Sie haben soeben gesagt: In Amerika wird es versteuert, und hier wird es nicht versteuert. Das stimmt doch einfach nicht. Das ist die Unwahrheit. Sie müssen sich schon etwas besser in die Dinge hineinknien.
Ich bin mit meinen Kollegen aus der Regierungskoalition auch einig, daß die bestehenden rechtlichen Bestimmungen ausreichen und keiner Ergänzung bedürfen.
Ich habe vorweg gesagt: Für uns gibt es keine Sparbuchsteuer.
— Ihr seid immer schnell einig, anderer Leute Geld zu holen.
Es gibt noch eine Menge dazu zu sagen. Aber die rote Lampe leuchtet auf. Ich sage zum Schluß nur noch: Alle Vermutungen, die mit großen Zahlen operieren und sagen, da werde wer weiß was unterschlagen, sind nicht beweisbar. Im Gegenteil, man muß annehmen, daß sie bewußt als eine Irreführung in die Welt gesetzt werden. Wir bleiben dabei, daß wir eine Sparbuchsteuer und eine Bankenmitteilung ablehnen und das Bankgeheimnis hüten. Und das ist in der Zeit des Datenschutzes sicher eine begründete ordentliche Grundhaltung.Vielen Dank.
Das Wort hat der Abgeordnete Walthemathe.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es konnte ja nicht ausbleiben, daß versucht wird und weiterhin versucht werden wird, den Sozialdemokraten das Bonbon ans Hemd zu kleben, sie wollten Omas kleines Sparbuch oder jedenfalls die Zinsen darauf auch noch enteignen.
— Die Kindersparbücher und die Enkelkindersparbücher.
Ich sage zunächst einmal: Herr Stoltenberg und die Abgeordneten der Koalitionsfraktionen entwikkeln sich zu Totalverweigerern. Wir haben — das haben Sie selber betont — ein klares Einkommensteuerrecht. Darin sind alle die Einkommensarten aufgezählt, die der Besteuerung zuzuführen sind. Dazu gehören auch Erträge aus Kapitalvermögen.
Dieses Recht beinhaltet selbstverständlich auch für die Arbeitnehmer Arbeitnehmerfreibeträge, für den Sparer Sparerfreibeträge. Wir können uns gerne darüber unterhalten, ob das Gesetz ausreicht, ob die
Freibeträge ausreichen. Das ist ja alles nicht das Problem.
Es gibt ein Gesetz. Sie haben sogar am Schluß Ihrer Ausführungen gesagt, Herr Deres, das Gesetz reiche aus. Der Finanzminister weigert sich aber, das Gesetz anzuwenden.
— Nein, darüber haben wir diskutiert, und ich werde es auch hier vorbringen.
Jetzt will ich einmal sagen, worum die Auseinandersetzung eigentlich geht. Der Finanzminister, das Finanzministerium hat es abgelehnt, Steuerpflichtige, die eine Steuererklärung abgegeben haben, sozusagen in höflicher Form zu fragen, ob sie vielleicht nicht eine Spalte auszufüllen vergessen hätten. Ein praktikabler Weg; er wird gar nicht erst versucht! Sie lehnen auch Kontrollmitteilungen ab. Da sprechen Sie schon von einem gläsernen Bürger. Aber wenn jemand vor einer Bildungseinrichtung einen Vortrag hält und dafür ein Honorar bekommt, lehnen Sie es keineswegs ab, daß diese Bildungseinrichtung, insbesondere wenn es eine öffentliche ist, eine Kontrollmitteilung an das Finanzamt schickt. Das ist dann wahrscheinlich der gläserne Vortragende.
Es ist doch wohl selbstverständlich, daß man Einkommensarten, die im Gesetz definiert sind, auch der Besteuerung zuführt. Eine andere Frage ist es, ob sich der Gesetzgeber darüber unterhalten muß, welche Beträge von einer Besteuerung auszunehmen sind.
Wir Sozialdemokraten schlagen keine Quellensteuer vor. Wir haben einen Antrag formuliert — Sie haben demnächst Gelegenheit, darüber abzustimmen —, der eine Verzehnfachung der Sparerfreibeträge vorsieht. Tun Sie nicht so, als wollten Sie die kleinen Leute schützen. Sie wollen die Millionäre schützen. Das ist die Wahrheit.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Kühbacher?
Bitte.
Herr Kollege Waltemathe,. würden Sie der Bundesregierung vielleicht noch einmal mitteilen, daß in den Vordrucken der Einkommensteuererklärung die Bausparnummer angegeben werden muß, wenn man die Beträge, die man auf diesen Bausparvertrag eingezahlt hat, absetzen will, in dem Bankenerlaß, den ich vorhin erwähnt habe, aber gleichzeitig ausdrücklich verboten ist, die Depotnummer anzugeben, wenn man Zinseinkünfte aus Kapitalvermögen hat? Es fängt doch da-.
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17182 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 222. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Juni 1986
Kühbachermit an, daß die Steuererklärungen nicht auskömmlich ausgedruckt sind.
— Er soll es bestätigen.
Ich kann das erstens bestätigen, und zweitens danke ich dem Bundesrechnungshof ausdrücklich für die Bemerkungen, mit denen er uns darauf aufmerksam gemacht hat, daß hier ein Problem des Gesetzesvollzuges besteht.
Ich sage: Wenn es dann ungerecht wird, das Gesetz anzuwenden, bin ich als Gesetzgeber bereit, auch meinen Teil dazu beizutragen, diese Ungerechtigkeit zu beseitigen. Darum geht die Auseinandersetzung.Der Finanzminister hat also keine Anstrengung unternommen und jede Art von Anregung abgelehnt, Gesetzestreue in diesem Bereich mit praktikablen Schritten durchzusetzen. Er hat auch das abgelehnt, was sowohl der Bundesrechnungshof als auch die SPD vorgeschlagen haben, nämlich die Erstellung eines wissenschaftlichen Gutachtens zur Frage, ob Lücken geschlossen werden müssen, die nicht in der Gesetzgebung, sondern im Gesetzesvollzug liegen.Die Bundesbank sagt 90 Milliarden DM. Tatsächlich werden 19 Milliarden DM der Besteuerung zugeführt. Niemand behauptet, daß 71 Milliarden DM — das ist die Differenz — insgesamt besteuert werden müßten. Aber ein Teil davon wahrscheinlich.
— Sie tun so, als ob Sie genau wüßten, wie viele Stunden Schwarzarbeit in der Bundesrepublik Deutschland geleistet werden, wie viele Steuern und Sozialbeiträge dadurch verloren gehen. In dem Zusammenhang stellen Sie große Anträge und beziffern das genau. Hier aber verweigern Sie sich, überhaupt erst die richtigen Zahlen zu beschaffen.Da sage ich zu Frau Seiler-Albring: Ihr Kollege Gattermann, Vorsitzender des Finanzausschusses, will just das, was die SPD im Ausschuß beantragt hat und was Sie abgelehnt haben,
nämlich ein Gutachten. Ich habe den Verdacht, diese Bundesregierung wird bei Jahreswagen und bei Freitrunk — und wie das heißt — sehr wohlwollend prüfen, ob den Anregungen des Rechnungshofs gefolgt werden kann. Aber eine Zinsbesteuerung wird es auf gar keinen Fall geben.
Zweiter Punkt, damit wir auch von diesem Thema einmal wegkommen, ist das Thema der Breitbandverkabelung. Ich will hier mal feststellen: Der Bundesrechnungshof — das erkennen wir alle an — hilft insbesondere auch dem Parlament, daß dieses seine Kontrollaufgaben wahrnehmen kann. Nun sagt niemand, daß all das, was der Bundesrechnungshof bemängelt oder als Beanstandung aufnimmt, von uns in jedem Fall sozusagen blind übernommen wird. Aber zunächst einmal teilt uns der Rechnunghof Fakten mit, und der politische Streit geht dann über die Beurteilung von Fakten.Wir haben — ich will das hier erwähnen — den Bundesrechnungshof sozusagen sanft gerügt, daß er einen wichtigen Teil seines Berichts, den er dem Postverwaltungsrat gegeben hatte, nicht auch dem Parlament — sprich: dem Rechnungsprüfungsausschuß — gegeben hat. Der Kollege Friedmann hat als Vorsitzender ausdrücklich festgestellt, daß es nicht unser Bier ist, ihm hineinzufuhrwerken, aber daß das politische Fingerspitzengefühl doch entwikkelt werden möge, damit solche Berichte von vornherein auch uns zugehen.In dem Bericht, der uns zugänglich gemacht worden ist — er ist Gegenstand der Beratungen gewesen — ist festgestellt: Es gab bei der Breitbandverkabelung eine hektische Einführung ohne durchdachte Einführungsstrategien, es hat Verstöße gegen geltendes Gebührenrecht gegeben, was zu einem Gebührenkuddelmuddel geführt hat, und die politische Verantwortung dafür liegt beim Minister Schwarz-Schilling. Die Post ist mit 65 Milliarden DM Bilanzsumme eines der größten Unternehmen in Europa, und etwa 17 Milliarden DM davon sind Investitionsgelder. Davon fließen etwa 1 bis 1,5 Milliarden DM pro Jahr in die Verkabelung. Das Verhältnis zwischen Eigenkapital und Fremdkapital der Deutschen Bundespost verschlechtert sich allerdings, und es ist festgestellt worden, daß eine Amortisation der Vorleistungen, die die Post als staatliches Unternehmen, als öffentliches Unternehmen erbringt, nunmehr frühestens nach 26 bis 30 Jahren erfolgt, obwohl bei der Einführung von optimistischeren Prognosen ausgegangen worden war. Seinerzeit war sogar zwischen dem Bundesrechnungshof und dem Postminister ein Einvernehmen über Berechnungsmethoden erzielt worden, daß die Leistungen nach sechs Jahren anfangen sollten, sich zu rentieren, und nach 19 Jahren sollte eine Art Amortisation erreicht werden. Einen Obergang zur Kostendeckung oder gar Gewinn wird es allerdings auch nur geben, wenn es künftig Gebührenerhöhungen gibt. Herr Schwarz-Schilling hat nur zugesagt, daß es vor 1988 keine Gebührenerhöhung gibt.
Er hat ausdrücklich um Unterstützung gebeten, wenn 1988 im Postverwaltungsrat die Gebührenfragen anstehen, daß die Mitglieder des Postverwaltungsrates ihn unterstützen mögen. Das steht im Protokoll des Rechnungsprüfungsausschusses; das können Sie mir glauben. Wenn die Gebührenerhöhung nicht passiert, geht das vom Gewinn ab bzw. dann würde ein Teilbereich möglicherweise durch zu hohe Telefongebühren subventioniert.Auch einen dritten Punkt will ich noch kurz ansprechen. Wir haben uns beschäftigt und wir werden uns in der nächsten Woche genauer mit der besonderen Großzügigkeit des Postministers be-
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Waltematheschäftigen, wenn es darum geht, u. a. an der Führungsakademie der Deutschen Bundespost prominente Referenten anzuheuern. Im Vergleich zu allen anderen öffentlichen und privaten Einrichtungen werden dort nämlich die höchsten Stundensätze vergütet. Bis 1984 betrug der Stundenlohn für eine Honorarkraft bis zu 250 DM; das wurde dann ab 1. Januar 1985 auf bis zu 400 DM erhöht, also um 60 %. Aber selbst solche Sätze scheinen nicht immer auszureichen; denn in sogenannten unabweisbaren Fällen werden sie überschritten.Ich sage von vornherein: Es geht hier nicht um Neidkomplexe. Wissenschaftler, Professoren, Wirtschaftsmanager sollen für Vortragstätigkeiten, die auch der Vorbereitung usw. bedürfen, angemessene Honorare erhalten. Es ist allerdings auffallend, daß insbesondere auch angebotsorientierte Wirtschaftswissenschaftler, die überhaupt nicht müde werden, z. B. Werftarbeitern einzureden, sie würden gar nicht arbeitslos oder man könnte die Arbeitslosigkeit beseitigen, wenn sie mal unterhalb von Tarifverträgen arbeiteten, noch nicht einmal mit Sätzen von bis zu 400 DM pro Stunde hinkommen, sondern 625 DM plus Mehrwertsteuer — wohlgemerkt: pro Stunde — bekommen, obwohl sie ja natürlich auch noch ein Monatsgehalt haben. —In diesem Zusammenhang füge ich nur an: Es gibt j a auch arbeitslose Akademiker. Nein, es geht nicht um den Neidkomplex, aber für mich leidet die Glaubwürdigkeit sogenannter wissenschaftlicher Theorien, wenn Wasser gepredigt und Superchampagner getrunken wird.Dem Postminister ist in diesem Zusammenhang anzulasten, daß er allen anderen Einrichtungen, auch öffentlichen, z. B. der Finanzakademie, der Bundeswehr, der Bundesakademie für öffentliche Verwaltung, dem Deutschen Institut für Betriebswirtschaft und Erwachsenenbildungseinrichtungen, durch solche Honorare sozusagen einen ziemlich unlauteren Wettbewerb bietet; denn die können sich dann solche Referenten logischerweise nicht leisten.Ich gehe zwar davon aus, daß in diesen Fällen Kontrollmitteilungen an die Finanzämter abgehen und auch Steuern bezahlt werden, aber es ist nicht einzusehen, daß für eine Stunde Vortragstätigkeit — Herr Präsident, ich bin sofort am Schluß —, auch wenn man die Vorbereitungsstunden und Materialkosten hinzurechnet, so viel bezahlt wird, wie ein Werftarbeiter pro Woche gern brutto hätte,
so er denn Arbeit bekommen würde: 625 DM.Es ist auch nicht einzusehen, daß letzten Endes die Postgebührenzahler vermeidbare Kostenerhöhungen finanzieren dürfen.Daraus ziehe ich das Fazit: Nicht alles, was aus dem Haus Schwarz-Schilling kommt, ist wirklich eitel Sonnenschein.
Das Wort hat der Abgeordnete Friedmann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herrn! Wir diskutieren hier über die Entlastung der Bundesregierung, und zwar wieder einmal — wie bei der Finanzkontrolle so oft — vor leeren Bänken. Es geht zwar um einen Vorgang im Rahmen der Finanzkontrolle, aber bei den Beratungen im Rechnungsprüfungsausschuß haben wir ja gesehen, daß fast alle Häuser betroffen sind, die wir hier heute nicht sehen.Ich ziehe für mich daraus die Lehre, daß wir die Rückkoppelung zu den Haushaltsansätzen noch schärfer vornehmen müssen,
daß wir Geldansätze noch knapper bemessen müssen. Wer nicht hören will, muß eben fühlen.
Dies als Vorbemerkung meinerseits.Der Rechnungshof hat in letzter Zeit durch seine Prüfungstätigkeit wiederholt Schlagzeilen ausgelöst.
— Ich habe dagegen nichts einzuwenden, Herr Suhr. Ich erinnere z. B. daran, wie er im letzten Jahr rügte, daß die Großbanken in dem seit Jahrzehnten von Genossen regierten Hessen nicht geprüft worden sind, daß die keine Betriebsprüfung über sich haben ergehen lassen müssen.
Das war immerhin im roten Hessen möglich, da gab es eine Steueroase. Es war in Ordnung, daß er darauf hingewiesen hat.Wir haben jetzt die Diskussion über andere Themen, z. B. über die Quellensteuer. Aber wir sollten das Kind auch beim Namen nennen, verehrter Klaus-Dieter Kühbacher und Herr Waltemathe: Sie wollen eine Quellensteuer.
Daran führt kein Weg vorbei; hier wird nicht lauter argumentiert.Der Rechnungshof hat darauf hingewiesen, daß nach einer Bankenstatistik in dem betreffenden Jahr mehr als 70 Milliarden DM Zinsen an private Haushalte ausgeschüttet worden, daß aber in den Steuererklärungen weniger als 19 Milliarden DM angemeldet worden sind. Daraus konnte man den falschen Schluß ziehen, als seien die dazwischen liegenden mehr als 50 Milliarden DM nicht versteuert worden. Aber diese Schlußfolgerung ist falsch. Denn man vergleicht hier die Statistik einer Bank, der Bundesbank, mit Erhebungen von Finanzämtern, und das paßt nicht zusammen.
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Dr. FriedmannVon dieser Zinszahlung an private Haushalte muß man z. B. das abziehen, was an gemeinnützige Stiftungen ging, die gar nicht steuerpflichtig sind,
z. B. das, was an Gewerkschaften, Kirchen und an andere Stiftungen ging. Da muß man das abziehen, was an Ausländer gezahlt worden ist, die in Deutschland gar nicht steuerpflichtig sind.
Da muß man, wie Karl Deres es vorhin gesagt hat, all die abziehen, die unter den Steuerfreibetrag von etwa 800 DM fallen. Da muß man auch abziehen, daß Gewerbetreibende, die Zinszahlungen bekommen haben, diese als Einkommen aus Betriebsvermögen versteuern; das macht allein 30 % aus.
Dies alles gibt eine Menge an Zinserträgen, die abgezogen werden müssen, bevor man eine Aussage zur Besteuerung machen kann.Ich möchte feststellen: Die Gesetzeslage ist klar. Wir vertrauen der Steuerehrlichkeit unserer Bürger. Wo die Finanzämter Zweifel haben, können sie schon heute zupacken. Wir sehen keinen Anlaß, hier die Gesetze zu ändern.
Ein dritter Punkt, durch den der Rechnungshof Diskussionen ausgelöst, ist die Besteuerung geldwerter Vorteile — Frau Seiler-Albring sprach darüber —, z. B. der Rabatte bei Jahreswagen. Ich möchte hier klarstellen: Das Ganze ist in der Phase einer internen Willensbildung. Der Rechnungshof hat dieses Thema in internen Prüfungsmitteilungen gegenüber dem Finanzministerium angeschnitten. Das Finanzministerium muß nun dazu gegenüber dem Rechnungshof Stellung nehmen. Wenn die zwei sich nicht einigen, kann diese Materie frühestens in den Prüfungsbemerkungen des Rechnungshofes erscheinen, die jetzt im Herbst vorgelegt werden und die im nächsten Jahr im Parlament beraten werden. Natürlich werden wir dann dazu auch die Regierung hören. Aber die Regierung muß das in einen Gesamtzusammenhang einbetten, wie sie sich die Steuersenkung insgesamt für Arbeitnehmer vorstellt. Dies wird sorgsam zu beraten sein. Aber das ist jetzt kein aktuelles Thema.Es war durchsichtig, daß Ihr Kollege Struck, lieber Klaus-Dieter Kühbacher, ausgerechnet im niedersächsischen Wahlkampf
am Beispiel des VW, der j a etwas mit Niedersachsen zu tun hat, den Eindruck erweckt hat, als wolle diese Koalition jetzt die armen Arbeitnehmer zusätzlich besteuern. Er hat vorgerechnet, die müßten künftig 1 000 DM mehr Lohnsteuer bezahlen.Was wollen Sie denn jetzt? Wollen Sie die Leute besteuert haben, oder wollen Sie sie nicht besteuert haben? Sie betreiben hier ein Schaukelspiel. LassenSie uns das zuerst einmal in der Sache geklärt haben, statt vorher die Dinge falsch anzupacken.
Mir liegt noch an einem anderen Punkt, nämlich daran, wie der Rechnungshof mit der Neuen Heimat umgeht. Ich sage dies auch an die Adresse des oben allein sitzenden Präsidenten Dr. Zavelberg. — Es ist so, Herr Präsident, bei unangenehmen Dingen sitzt man oft allein auf weiter Flur.Bei der Neuen Heimat geht es immerhin um die Anwendung von Bundesgesetzen. Diese waren durch Behörden anzuwenden, die auch sonst Bundesrecht anzuwenden haben,
z. B. Finanzämter, wobei Fachaufsichten Bundesministern zustanden. Das heißt, es will mir absolut nicht in den Kopf, daß der Rechnungshof hier keine Möglichkeit haben soll, zu prüfen.Verehrter Herr Präsident und Ihre Mitarbeiter vom Bundesrechnungshof, da erwarten wir ein Stück mehr Leistung Ihrerseits
bei der Überprüfung der Neuen Heimat. Das überschneidet sich nicht mit dem Untersuchungsausschuß, den das Parlament eingerichtet hat, sondern das ergänzt sich sehr wesentlich. Der Rechnungshof erhält also von uns die dringende Bitte, gegenüber der Neuen Heimat prüfungswirksam tätig zu werden.
Herr Abgeordneter, bevor Sie zu einem anderen Thema kommen: Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Esters?
Ja, bitte schön, Herr Esters.
Herr Kollege Friedmann, waren wir uns nicht seit längerem einig, daß wir in den Punkten, wo der Bundesrechnungshof auch beim Empfänger von Dotationen prüfen würde, die Bundeshaushaltsordnung ändern und dem Rechnungshof endlich auch — was wir gemeinsam tragen — die Zuständigkeit für die Überprüfung der Prüfer bei den Finanzbehörden geben müßten?
Herr Kollege Esters, wir waren bei der Beratung eines neuen Bundesrechnungshofgesetzes in diesem Punkt ein ganzes Stück weitergekommen. Wir hatten damals wegen vieler präjudizierender Wirkungen davon abgesehen, dies im Gesetz ausdrücklich zu verankern. Hier ist ein Gebiet, das dem Rechnungshof in Zu-
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Dr. Friedmannkunft vielleicht noch stärker zugänglich gemacht werden muß.
Nun, Herr Waltemathe, haben Sie die Breitbandkabelgeschichte bei der Bundespost angesprochen. Es ist ein gutes Beispiel dafür, wie das Parlament unter Inanspruchnahme des Rechnungshofes wirtschaftliche Vorgaben an die Exekutive machen kann. In dem Maße, wie die Möglichkeiten des Breitbandkabels erkennbar wurden und wie die Bundespost sich anschickte, in diese Kabel zu investieren, hatten wir den Eindruck, daß auch die Wirtschaftlichkeit dieser Investitionen im Auge behalten werden müßte. Wir haben den Rechnungshof gebeten, Untersuchungen anzustellen, und er hat uns damals ein erstaunlich klares Gutachten vorgelegt. Wir haben darüber eine zeitweise sehr harte Diskussion mit dem Bundespostminister geführt und kamen dann mit ihm einvernehmlich zu einem ganz bestimmten Ergebnis, nämlich daß jede einzelne Investition auf diesem Sektor in sechs Jahren die Gewinnschwelle erreichen muß und sich in 19 Jahren, also zu „Lebzeiten" der Investition, amortisiert haben muß. Wir haben den Rechnungshof dann gebeten, dies als Erfolgskontrolle zu überprüfen. Die Aussage war dann: Wenn nichts geschieht, werde es bis zur Amortisation 26 Jahre dauern, also länger, als die Kabel an Lebensdauer zu erwarten haben, wenn nichts geschehen würde. Aber wir haben den Minister aufgefordert — er hat dies zugesagt — gegenzuhalten, und er hat gegengehalten, indem er bereits die Kosten des Anschlusses gesenkt hat
und indem er zu einem ihm richtig erscheinenden Zeitpunkt gebührenpolitische Maßnahmen ergreift. Das ergibt sich aber aus dem Beschluß, den wir einvernehmlich mit Ihnen gefaßt haben. Insoweit ist der Bundespostminister hier auf einem klaren, sauberen, mit uns abgesprochenen Weg. Ich kann Ihnen bestätigen, daß er sich an den gemeinsam gefaßten Beschluß hält. Ich wünsche ihm sogar viel Glück beim weiteren Ausbau der Breitbandverkabelung.Ich bedanke mich als Vorsitzender sehr herzlich beim Bundesrechnungshof für die Arbeit, die er geleistet hat. Ich bedanke mich für die gute Zusammenarbeit im Rechnungsprüfungsausschuß. Auch wenn in einem Punkt, den ich hier als Quellensteuer bezeichne, kein Einvernehmen herrschte: Es gehört zur Politik, daß man wichtige Dinge auch kontrovers bespricht. Das haben wir getan, und das sollte das gute Klima in Zukunft nicht stören.Schönen Dank.
Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesministerium der Finanzen, Herr Dr. Voss.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Kein anderes Thema aus den Prüfungsbemerkungen des Bundesrechnungshofs zur Jahresrechnung des Bundes für das Haushaltsjahr 1983 hat zu mehr Diskussionen geführt als das Thema der Besteuerung der Zinseinkünfte. Das zeigt auch die heutige Debatte. Hierzu sind aus der Sicht der Bundesregierung folgende Bemerkungen erforderlich:Erstens. Die Höhe der Steuerausfälle auf Grund nicht versteuerter Zinserträge läßt sich wegen zahlreicher Schätzschwierigkeiten nicht genau ermitteln.
Dies ist in dem Bericht des Bundesministers der Finanzen an den Rechnungsprüfungsausschuß, meine Damen und Herren von der SPD, den wir ja ausgiebig diskutiert haben, vom 20. März 1986 eingehend dargestellt worden. Die von Ihnen, meine Damen und Herren von der SPD, angestrebten weitergehenden Untersuchungen durch ein wissenschaftliches Institut können zu keinen besseren Erkenntnissen führen, da es sich stets um die gleichen statistischen Probleme handelt. Es gibt eben die notwendigen Statistiken nicht. Es läßt sich z. B. nicht ermitteln, in welcher Höhe Zinseinkünfte aus Betriebsvermögen in den steuerlich erfaßten Einkünften aus Gewerbebetrieb enthalten sind.Zweitens. Die Aussage von Herrn Rau, des Kanzlerkandidaten der SPD, vor Journalisten, daß nur ein kleiner Teil der Bundesbürger seine Zinseinkünfte tatsächlich versteuere, ist ein Beweis für das tiefe Mißtrauen gegenüber dem Bürger. Die Bundesregierung unterstellt der überwiegenden Mehrzahl unserer Bürger keine Steuerunehrlichkeit.
Sie wird darin von der Deutschen Bundesbank zu Recht unterstützt und bestärkt.Drittens. Die Bundesregierung hält es angesichts der großen Unsicherheiten der Schätzung und der finanz- und wirtschaftspolitischen Risiken für eine Überreaktion, über die Möglichkeiten, die den Finanzämtern schon jetzt zur Verfügung stehen, hinaus eine allgemeine Quellensteuer auf Zinseinnahmen einzuführen. Sie wissen, Herr Kollege Kühbacher — ich habe zumindest versucht, Ihnen das im Ausschuß klarzumachen —, welche Möglichkeiten die Finanzämter heute schon haben, wenn sie Zweifel haben, daß Zinseinkünfte nicht richtig oder nicht in der richtigen Höhe versteuert werden. Sie können beim Steuerpflichtigen nachfragen, und wenn diese Nachfrage nicht zu ihrer Zufriedenheit ausfällt, können sie sich auch an die Bankinstitute wenden. Das wird auch in großer Zahl gemacht.Daher hält die Bundesregierung es nicht für vertretbar, die Verwaltung und die Kreditwirtschaft in dieser Weise unangemessen zu belasten, zumal die Nachteile dieser Maßnahmen offenkundig sind. Bei Millionen von Bürgern, insbesondere von Rentnern, müßte eine Quellensteuer angesichts bestehender
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Parl. Staatssekretär Dr. VossFreibeträge und Pauschbeträge wieder erstattet werden.
Viertens. Die Bundesregierung lehnt auch die Einführung eines Kontrollmitteilungssystems ab. Diese zusätzliche Belästigung des Bürgers und die Belastung der Kreditwirtschaft bei der Erstellung und Übersendung von Kontrollmitteilungen über jeden gutgeschriebenen Zinsbetrag und der mit der Auswertung durch die Verwaltung verbundene Aufwand wären nicht zu vertreten. Im übrigen würde ein funktionierendes Kontrollmitteilungssystem die Einführung von Personenkennziffern voraussetzen. Das wäre aus datenschutzmäßigen Gründen aber nicht zulässig.Fünftens. Der Vorschlag der SPD, zusammen mit der Einführung einer allgemeinen Quellensteuer auf Zinseinkünfte bzw. eines Kontrollmitteilungssystems den Sparer-Freibetrag zu verzehnfachen, ist abzulehnen. Er beruht auf den Gesichtspunkten des Sozialneides — man konnte das aus Ihren Ausführungen, meine Damen und Herren von der SPD, sehr deutlich entnehmen — und eines Gerechtigkeitsfanatismus, den wir nicht teilen.
Er ist im übrigen auch nicht zu Ende gedacht. Der Preis wären Steuerausfälle in Milliardenhöhe.
Herr Staatssekretär, ich muß jetzt mal eine Bemerkung zwischendurch machen.
Sie werden gebeten, eine Zwischenfrage zuzulassen. Die werde ich auch zulassen, wenn Sie es gestatten. Wir sind aber jetzt 20 Minuten über die Zeit, die zwischen den Fraktionen vereinbart worden ist. Und Ihre Rede. löst eine neue Runde aus. Darüber müssen Sie sich im klaren sein.
Jetzt frage ich Sie, ob Sie eine Zwischenfrage zulassen.
Ja, selbstverständlich.
Bitte schön, Herr Esters.
Herr Staatssekretär, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß der Entschließungsantrag der SPD-Bundestagsfraktion zu diesen Punkten, die Sie jetzt zitieren, nicht Gegenstand der Beratungen ist, sondern daß es hier um die Entlastung der Bundesregierung für das Haushaltsjahr 1983 geht?
Herr Kollege Esters, ich sehe meine Aufgabe heute hier auch darin, die Diskussion, die wir im Rechnungsprüfungsausschuß und auch im Haushaltsausschuß geführt haben, zusammenzufassen. Nicht mehr habe ich getan, und nicht mehr werde ich tun.
Meine Damen und Herren, die Verzehnfachung des Sparer-Freibetrages für sich allein führte zu Steuerausfällen von rund 3 Milliarden DM im Jahr. Demgegenüber ist die Höhe der Steuermehreinnahmen aus einer verschärften Zinsbesteuerung ungewiß.
Die Schätzangaben der SPD zwischen 3 und 15 Milliarden DM sind durch nichts belegt und gehören in das Reich der Fabel, der Spekulation und der Phantasie.
Abgesehen von den bereits erwähnten Schätzschwierigkeiten müßte zusätzlich ein verändertes Verhalten der Kapitalanleger in Betracht gezogen werden, wie es jeder in Österreich beobachten konnte.
Insbesondere muß aber gesehen werden, daß eine so deutliche Anhebung des Sparer-Freibetrages aus verfassungsrechtlichen Gründen eine Erhöhung der Freibeträge bei anderen Einkunftsarten zur Folge hätte. Dies würde Steuerausfälle in Milliardenhöhe bedeuten.
Sechstens. Die Bundesregierung hat die Anregung des Bundesrechnungshofs aufgegriffen, das bisherige Kontrollmitteilungsverfahren der Erbschaftsteuer-Finanzämter wirksamer zu gestalten. Unter Beteiligung des Bundesfinanzministeriums haben die obersten Finanzbehörden der Länder in gleichlautenden Erlassen vom 17. Februar dieses Jahres die Erbschaftsteuer-Finanzämter angewiesen, dem für die Besteuerung des Erblassers nach dem Einkommen und Vermögen zuständigen Finanzamt den ermittelten Nachlaß mitzuteilen, wenn dessen Reinwert 250 000 DM übersteigt oder das zum Nachlaß gehörende Kapitalvermögen mehr als 50 000 DM beträgt.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich abschließend den Kollegen des Rechnungsprüfungsausschusses für die geleistete gute Arbeit sehr herzlich danken.
Ich bitte Sie, der Bundesregierung wegen der Jahresrechnung für das Haushaltsjahr 1983 die Entlassung zu erteilen.
Ich danke schön.
Das Wort hat der Abgeordnete Kühbacher.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kollegen Damen und Herren! Es war ein Novum, daß die Bundesregierung hier anläßlich einer Entlastungserteilung das Wort nahm. Aber offensichtlich fühlt sie sich in einem Punkt getroffen, der hier kontrovers diskutiert worden ist. Ich bin ganz froh, daß der Herr Staatssekretär Voss hier geredet hat; denn, Herr Kollege Deres, dadurch wurde ganz deutlich, warum Sie sich anders verhalten haben, als ich das normalerweise von den Kollegen im Rechnungsprüfungsausschuß kenne.
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Kühbacher
Die Bundesregierung wünscht nicht, daß über das Thema Steuergerechtigkeit geredet wird. Herr Staatssekretär Voss, ich empfinde es geradezu als Auszeichnung für uns, daß Sie uns Gerechtigkeitsfanatismus vorwerfen, während Sie zu Ungerechtigkeit — das ist die gegensätzliche Position — aufrufen.
Nun will ich noch einmal einige Ihrer Worte auf das Prüfbrett zumindest derer legen, die vielleicht nachlesen oder das hören. Bei der Frage der Erhöhung des Steuerfreibetrages kann Herr Voss sehr exakt durch sein Haus ermitteln lassen, daß dadurch 3 Milliarden DM Steuerausfälle entstehen.
Wie entstehen denn diese Steuerausfälle, wenn man die Basiszahl der der Besteuerung zugrunde liegenden Zinseinkünfte gar nicht kennt oder kennen will? Ich weiß gar nicht, wie er auf 3 Milliarden DM Steuerausfälle kommt, denn da muß er sogar noch die Prozentsätze der einzelnen Einkommensteuergruppen zugrunde gelegt haben.
— Sehen Sie, Herr Kollege Deres, worauf ich hinaus will, ist, daß der Beamte im Finanzministerium, der normalerweise die Statistiken zu machen hat, im Ausschuß nur so reden durfte, wie es die politische Leitung wollte. So ist doch die Welt. Diese politische Leitung möchte nicht, daß die Wahrheit der Nichtbesteuerung von Kapitaleinkünften an das Tageslicht kommt.
Nun will ich auch noch einmal für das Parlament zum Ausdruck bringen, welche Kritik der Präsident des Bundesrechnungshofes sich im Ausschuß seitens der Bundesregierung dafür gefallen lassen mußte, daß anläßlich einer Zusammenkunft aller Rechnungshöfe über dieses Thema öffentlich geredet worden ist. Herr Präsident Zavelberg, wenn ich Sie zu einem ermuntern darf: Lassen Sie nicht zu, daß die Bundesregierung Ihnen Zensuren darüber erteilt, welche Themen Sie aufgreifen und welche nicht. Denn dann kommt der Bundesrechnungshof in den Geruch, politisch willfährig zu handeln. Sie müssen alle unangenehmen Themen auf den Tisch bringen.
Wie unangenehm dieses Thema für die Bundesregierung ist, hört man j a aus den vielen Wortbeiträgen, die herauskommen.
Ich will noch einmal auf den für mich unverständlichen Bankenerlaß hinweisen, weil ich meine, daß er als erstes aufgehoben werden muß. Da heißt es ausdrücklich in Ziffer 4:
In Vordrucken für Steuererklärungen soll die Angabe der Nummern von Konten und Depots, die der Steuerpflichtige unterhält, nicht verlangt werden, soweit nicht steuermindernde Ausgaben oder Vergünstigungen geltend gemacht werden, die die Absicherung des Zahlungsverkehrs mit dem Finanzamt bedingt.
Also, wenn der Betroffene z. B. Prämien zu Bausparbeiträgen verlangt, muß er die Nummern der Verträge angeben. Wenn er aber Kapitaleinkünfte erzielt — das sind oft hohe Beträge —, wird es geradezu untersagt, dies in die Vordrucke hineinzubringen, obwohl allein schon das Eindrucken dieser Angabe einen ganz hohen erzieherischen Wert hätte. Meine Bitte im Ausschuß, man möge doch in dem Gespräch mit den Länderfinanzministern sich einigen, z. B. bei Steuererklärungen einfach einmal nachfragen, ob denn der geneigte Millionär nicht vergessen habe, seine Zinsen anzugeben, wurde verworfen.
— Herr Kollege Deres, ich verstehe ja, daß man als CDU-Abgeordneter seine Regierung permanent unterstützen muß.
Das darf allerdings eine gewisse Grenze nicht überschreiten.
Worum es uns geht, ist, die offensichtliche Differenz aufzuklären, die sich aus den Angaben der Bundesbank über die Geschäftsstatistiken ergibt und die j a nicht bestritten wird. Es geht dabei um eine Größenordnung zwischen 19 Milliarden und 90 Milliarden DM. Ich kann eigentlich nur den Kollegen Gattermann von der FDP unterstützen. Er hat gesagt: In diesen eigentlich unerquicklichen Streit, der im Moment öffentlich entsteht, müßte Aufhellung hinein. Dieses hat er öffentlich erklärt. Ich finde das hervorragend.
Worum wir bitten, ist, daß der Bundesrechnungshof mittels eines unabhängigen Instituts instand gesetzt wird — und dazu sollten wir ihn beauftragen —, diese Untersuchungen zu führen. Das ist aber auch von den FDP-Kollegen im Ausschuß abgelehnt worden.
Herr Staatssekretär Voss, daß Sie Kritik an unserem Entschließungsantrag üben, nehme ich Ihnen übel. Dieses Parlament hat doch wohl von sich aus noch das Recht, zu beantragen, daß der Rechnungshof das eine oder andere für das Parlament erarbeiten soll. Wie die Bundesregierung dazu kommt, das Parlament zu tadeln, wenn es vom Bundesrechnungshof Auskünfte wünscht, wirft doch ein bezeichnendes Licht auf die Regierung. Wie kommen Sie als Organ eigentlich dazu, uns als Parlament verbieten zu wollen, vom Rechnungshof mehr wissen zu wollen, als wir im Moment schon wissen? Das haben Sie vorhin getan. Sie fanden unseren Entschließungsantrag überhaupt nicht passend.
Ich sage Ihnen noch einmal, Ihre verzweifelten Versuche, über diese, wie ich zugebe, für Sie unangenehme Steuerungerechtigkeit und die Verdek-kung von Steuerhinterziehung den Mantel des Nichtwissens und der statistischen Schwierigkeiten zu breiten, werden Ihnen noch Probleme bereiten. Eines sage ich Ihnen: Selbst wenn Sie mich hier wegtragen, ich bleibe bei meinem Gerechtigkeitsfanatismus. In dieser Bundesrepublik kann es nicht angehen, daß Millionäre leistungslos Einkünfte be-
Kühbacher
kommen und das mit dem Mantel der Liebe zugedeckt wird, daß aber jeder Arbeitnehmer, jeder Jugendliche seine Überstundenvergütung voll der Besteuerung unterwerfen muß. Dieses kann ich nicht zulassen; sonst hätte ich mein Mandat hier verfehlt.
Und wenn ich von Ihnen des Gerechtigkeitsfanatismus bezichtigt werde, Herr Staatssekretär Voss,
dann stecke ich mir das an, als Edelstein und als Kompliment von der Bundesregierung.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Der Präsident gestattet sich aber folgende Bemerkung. Wenn man dieser Debatte aufmerksam gefolgt ist, bekommt man Lust zu einer Gesetzesänderung, die dem Rechnungshofpräsidenten das Recht gibt, hier auch einmal zu sprechen.Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses auf Drucksache 10/5619. Wer dieser Beschlußempfehlung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? - Diese Beschußempfehlung des Haushaltsausschusses ist einstimmig angenommen worden.Zu dem Zusatzpunkt 5 der Tagesordnung wird vorgeschlagen, den Antrag auf Drucksache 10/5470 an den Haushaltsausschuß zu überweisen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? — Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.Meine Damen und Herren, ich nehme an, daß Sie einverstanden sind, daß wir eben noch die Tagesordnungspunkte abwickeln, die ohne Aussprache zu erledigen sind. Ich bitte Sie, wegen der Abstimmungen dabeizubleiben. Da die Punkte unproblematisch sind, glaube ich, daß wir sie eben noch vor Beginn der Fragestunde abwickeln können.Ich rufe Punkt 6 der Tagesordnung auf:Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Fünften Gesetzes zur Änderung des Textilkennzeichnungsgesetzes— Drucksache 10/5151 —Beschlußempfehlung und Bericht des Aus-schusses für Wirtschaft
— Drucksache 10/5510 —Bericherstatter:Abgeordneter Dr. Haussmann
Eine Aussprache ist nicht vorgesehen. Wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung. Der Ausschuß für Wirtschaft empfiehlt in seiner Beschlußempfehlung auf Drucksache 10/5510, den Gesetzentwurf unverändert anzunehmen.Ich rufe Art. 1 bis 4, Einleitung und Überschrift auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Die aufgerufenen Vorschriften sind bei einer Enthaltung angenommen.Wir treten in diedritte Beratungein und kommen zur Schußabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Dieser Gesetzentwurf ist einstimmig angenommen.Ich rufe die Tagesordnungspunkte 7 bis 11 auf:7. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 28. November 1984 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Schweizerischen Eidgenossenschaft über die gegenseitige Hilfeleistung bei Katastrophen oder schweren Unglücksfällen— Drucksache 10/5534 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Innenausschuß8. Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung des Umweltschutzes in der Raumordnung und im Fernstraßenbau— Drucksache 10/5347 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau
InnenausschußAusschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Ausschuß für Verkehr9. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 7. Januar 1986 zur Änderung des Abkommens vom 17. Dezember 1973 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Staat Israel über soziale Sicherheit— Drucksache 10/5526 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Auswärtiger Ausschuß10. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 16. März 1985 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und St. Lucia über die Förderung und den gegenseitigen Schutz von Kapitalanlagen— Drucksache 10/5407 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Wirtschaft Auswärtiger AusschußFinanzausschußAusschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit11. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 2. November 1983 zwischen
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Vizepräsident Westphalder Bundesrepublik Deutschland und der Republik Panama über die Förderung und den gegenseitigen Schutz von Kapitalanlagen— Drucksache 10/5408 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Wirtschaft Auswärtiger AusschußFinanzausschußAusschuß für wirtschaftliche ZusammenarbeitDer Ältestenrat schlägt die Überweisung der Gesetzentwürfe auf den Drucksachen 10/5534, 10/5347, 10/5526, 10/5407 und 10/5408 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vor. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? — Das ist nicht der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.Ich rufe Tagesordnungspunkt 12 auf:Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zu dem Antrag des Bundesministers der FinanzenVeräußerung von bundeseigenen Grundstücken in Berlin-Kreuzberg— Drucksachen 10/5244, 10/5505 —Berichterstatter: Abgeordnete Esters Roth
SuhrEine Aussprache ist nicht vorgesehen. Der Ausschuß empfiehlt, der Veräußerung zuzustimmen.Wer der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses auf Drucksache 10/5505 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Dann ist diese Beschlußempfehlung einstimmig angenommen.Ich rufe Punkt 13 der Tagesordnung auf:Beratung des Antrags des Bundesministers der FinanzenEinwilligung in die Veräußerung des bundeseigenen Grundstücks in Helsinki, Kaivopuisto/Östra Brunnsparken Nr. 8, gemäß § 64 Abs. 2 BHO— Drucksache 10/5546 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: HaushaltsausschußEine Aussprache ist nicht vorgesehen. Der Ältestenrat schlägt die Überweisung des Antrages auf Drucksache 10/5546 an den Haushaltsausschuß vor. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? — Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.Nun hätte ich eigentlich aufzurufen, daß wir in die Mittagspause eintreten sollten; genau diese hat aber nicht stattgefunden.Ich bitte meine Kollegin, die Leitung der Fragestunde zu übernehmen.
Meine Damen und Herren, ich rufe Punkt 1 der Tagesordnung auf:
Fragestunde
— Drucksache 10/5655 —
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau. Die Fragen 4 und 5 des Abgeordneten Dr. Sperling werden auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern. Frage 6 des Abgeordneten Brück wird auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet; auch hier wird die Antwort als Anlage abgedruckt.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit auf. Zur Beantwortung der Fragen steht die Parlamentarische Staatssekretärin Frau Karwatzki zur Verfügung.
Frage 34 wird auf Wunsch der Fragestellerin, der Abgeordneten Frau Simonis, schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe Frage 35 des Abgeordneten Kroll-Schlüter auf:
Welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, darauf einzuwirken, daß Ehepartner, die jahrelang zusammengelebt haben und dann in ein Heim kommen, dort nicht getrennt untergebracht und gepflegt *erden?
Bitte schön, Frau Staatssekretärin.
Frau Präsidentin, Herr Kollege, die Bundesregierung geht davon aus, daß die Wünsche älterer Ehepartner, die ein ganzes Leben miteinander verbracht haben, im Falle einer Heimaufnahme berücksichtigt werden, indem ihnen die Heimleitung ein gemeinsames Leben im Alten- oder Pflegeheim ermöglicht. Daß Wünsche dieser Art nicht berücksichtigt worden sind, ist der Bundesregierung bisher nicht bekannt.Der Aufnahme eines alten Menschen in ein Alten- oder Pflegeheim liegt regelmäßig eine vertragliche Vereinbarung zugrunde. Gegenstand dieser Vereinbarung dürfte bei Eheleuten auch die Frage sein, ob und unter welchen Voraussetzungen sie — ein entsprechender Wunsch vorausgesetzt - im Heim weiter zusammenwohnen können.Sollte sich diese Frage zwischen den Beteiligten nicht befriedigend klären lassen, könnte auf Wunsch der zuständige Träger der Sozialhilfe helfend tätig werden. Zu seinen Aufgaben im Rahmen der Altenhilfe nach § 75 Abs. 2 BSHG gehört u. a. die Hilfe in allen Fragen der Aufnahme in eine Einrichtung, die der Betreuung alter Menschen dient, insbesondere bei der Beschaffung eines geeigneten Heimplatzes, wobei diese Hilfe, soweit es im Einzelfall um persönliche Hilfe geht, ohne Rücksicht auf vorhandenes Einkommen und Vermögen gewährt werden soll.Ein darüber hinausgehender Bedarf an gesetzlichen Regelungen besteht nach Auffassung der Bun-
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Parl. Staatssekretär Frau Karwatzkidesregierung nicht; er ist ihr auch aus der Praxis der Sozialhilfe bisher nicht bekannt.
Keine Zusatzfrage? — Schönen Dank, Frau Staatssekretärin.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft. Zur Beantwortung der Fragen steht Herr Staatssekretär Piazolo zur Verfügung.
Ich rufe Frage 58 des Abgeordneten Reimann auf:
Hat die Bundesregierung Informationen, inwieweit die in den Benachteiligtenprogrammen erfaßten Zielgruppen noch mit den nicht vermittelbaren Jugendlichen vor Ort übereinstimmen, und welche Änderungen bezüglich dieser Zielgruppendefinition plant die Bundesregierung?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsident, Herr Abgeordneter Reimann, das Programm für die Förderung der Berufsausbildung von benachteiligten Jugendlichen soll solchen Jugendlichen eine Ausbildung in anerkannten Ausbildungsberufen ermöglichen, die auf Grund schulischer Defizite und sozialer Schwierigkeiten auch nach dem Besuch einer berufsvorbereitenden Maßnahme eine Ausbildung nur mit Hilfe zusätzlicher Lernunterstützung mit Erfolg durchlaufen können. Dieser besondere Förderansatz kennzeichnet das Programm und ist nach wie vor aktuell. Auch für das Ausbildungsjahr 1986/87 zeichnet sich eine sehr hohe Nachfrage nach den Ausbildungsmaßnahmen des Programms für die ursprüngliche Zielgruppe des Programms ab. Für viele ehemalige Sonderschüler, Hauptschulabgänger ohne Abschluß und junge Ausländer, die eine berufsvorbereitende Maßnahme bereits absolviert haben, ist die Förderung durch das Programm die einzige Chance für eine volle berufliche Qualifizierung als Voraussetzung für eine anschließende Eingliederung in den Arbeitsmarkt.
Um auch über den Kreis der ursprünglichen Zielgruppen hinaus einen Beitrag zur Entspannung der Ausbildungsplatzsituation zu leisten, wurden in den Ausbildungsjahren 1984/85 und 1985/86 in Defizitregionen auch Jugendliche mit Schulabschluß, vorrangig Mädchen, in die Ausbildungsmaßnahmen des Programms aufgenommen. Neben 13 000 Jugendlichen aus den ursprünglichen Zielgruppen werden zur Zeit rund 4 000 Jugendliche aus der erweiterten Zielgruppe in den Vollmaßnahmen des Programms ausgebildet.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Reimann.
Herr Staatssekretär, nicht vermittelbare Jugendliche ohne berufsvorbereitende Maßnahmen können ebenfalls nicht gefördert werden, womit eine weitere Zahl von Jugendlichen für Förderungsmaßnahmen nicht in Betracht kommt.
Wie gedenkt die Regierung diesen Jugendlichen zu einer Ausbildung zu verhelfen?
Plazolo, Staatssekretär: Wir prüfen, inwieweit diese Jugendlichen im Rahmen des Benachteiligtenprogramms gefördert werden können.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, in der Praxis hat sich gezeigt, daß Hauptschulabgänger mit schlechtem Abschluß und vor allem Mädchen auch mit Realschulabschluß auf dem Ausbildungsmarkt kaum vermittelbar sind. Diese Jugendlichen fallen auch in kein Förderungsprogramm. Was gedenkt die Regierung denn bei diesen Jugendlichen zu tun?
Piazolo, Staatssekretär: Wir haben schon bisher durch die erweiterte Zielgruppe des Benachteiligtenprogramms 4 000 Jugendliche vornehmlich in Defizitregionen aufgenommen. Wir beabsichtigen, diese Maßnahme im nächsten Jahr fortzusetzen, und kommen dann auf diesen Personenkreis zurück, den Sie eben genannt haben.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Sielaff.
Herr Staatssekretär, Sie sprachen eben davon, daß Sie dieses Programm auf Defizitregionen erweitert hätten. Können Sie erläutern, welche Regionen darunter im einzelnen zu verstehen sind oder nach welchen Kriterien die Defizitregionen festgelegt werden?
Piazolo, Staatssekretär: Im vergangenen Jahr wurde das Verhältnis von unbesetzten Berufsausbildungsstellen zu noch nicht vermittelten Bewerbern als Kriterium für Defizitregionen angesetzt. Auf diese Weise ist ein Schlüssel gefunden worden, der für die Verteilung einer bestimmten Summe Geldes maßgebend war. Wir haben dann in einer ersten Runde aus dem Verzeichnis der Arbeitsamtbezirke, das 144 Arbeitsamtsbezirke umfaßt, die ungünstigsten ersten 36 herausgenommen; in einer zweiten Runde wurde eine erneute Verteilung vorgenommen.
Wir beabsichtigen, in diesem Jahr die Verteilungskriterien mit den Ländern zu besprechen und dann erneut eine Reihenfolge für Defizitregionen zu bilden, die wir mit Zuschüssen versehen.
Ich rufe die Frage 59 des Herrn Abgeordneten Reimann auf:Hält es die Bundesregierung für sinnvoll, schon zu Anfang eines Haushaltsjahres ein Minimum an Fördermitteln zu beschließen, um den Trägern von Maßnahmen eine kontinuierliche Planung ohne zwischenzeitliche Entlassungen zu ermöglichen, zumal die Entwicklungen im großen und ganzen ja bekannt sind, insbesondere bei den ausbildungsbegleitenden Hilfen?Plazolo, Staatssekretär: Frau Präsident, Herr Abgeordneter, der Bundesminister für Bildung und Wissenschaft hat der Bundesanstalt für Arbeit, die das Programm durchführt, bereits im März die
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 222. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Juni 1986 17191
Staatssekretär PiazoloMöglichkeit gegeben, im Rahmen der 1986 verfügbaren Haushaltsmittel für den Herbst 1986 die Wiederbesetzung der freiwerdenden Ausbildungsplätze zu planen und die ausbildungsbegleitenden Hilfen im bisherigen Umfang weiterzuführen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Reimann.
Herr Staatssekretär, viele Träger müssen nach Beendigung ihrer Maßnahmen einen Teil des eingearbeiteten Fachpersonals leider entlassen, da die Mittel für neue Maßnahmen noch nicht bewilligt sind. Wie gedenkt denn die Regierung den Trägern, vor allem aber den betroffenen Mitarbeitern für die Zukunft zu helfen, so daß das nicht mehr sein muß?
Piazolo, Staatssekretär: Wir haben für das kommende Jahr Vorsorge getroffen, daß bis zu einer Gesamtzahl von 4 400 im Herbst frei gewordene Plätze wieder aufgefüllt werden können. Diese Regelung ist so rechtzeitig ergangen, daß die Arbeitsämter schon jetzt Planungen in dieser Richtung vornehmen können. Ich gehe davon aus, daß die Arbeitsämter diejenigen Träger bedenken, bei denen wegen frei werdender Plätze die Personal-Jugendliche-Relation nicht voll ausgeschöpft werden kann, und dort Plätze nachschieben. Auf diese Weise kann verhindert werden, daß Personal freigestellt werden muß.
Eine zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, wir hören immer wieder das Argument des Mitnahmeeffekts, nach dem Motto: Erst soll die Industrie dafür sorgen, und wenn diese nicht handelt, kommen wir mit Programmen. Hat die Bundesregierung konkrete Erkenntnisse über diese Mitnahmeeffekte?
Piazolo, Staatssekretär: Solche konkreten Erkenntnisse über Mitnahmeeffekte liegen im Detail nicht vor. Die gesamte Politik der Bundesregierung ist darauf angelegt, die Eigenverantwortlichkeit der Wirtschaft bei der Schaffung von Lehrlingsplätzen in den Vordergrund zu stellen. Deswegen wurde beispielsweise einer Umlagefinanzierung nicht nähergetreten. Wir gehen davon aus, daß eine Umlagefinanzierung sehr nachteilige Folgen für die Freiwilligkeit der Bereitstellung von Ausbildungsplätzen gehabt und vielleicht auch Mitnahmeeffekte mit sich gebracht hätte. Die Politik der Bundesregierung ist aber darauf angelegt, solche Mitnahmeeffekte zu vermeiden.
Danke schön, Herr Staatssekretär.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung auf. Herr Parlamentarischer Staatssekretär Vogt steht zur Beantwortung der Fragen zur Verfügung. Die Frage 20 der Abgeordneten Frau Steinhauer, die Frage 21 des Abgeordneten Immer und die Fragen 22 und 23 des Abgeordneten Stiegler werden auf Wunsch der Fragesteller und Fragestellerinnen schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe die Frage 24 des Herrn Abgeordneten Kirschner auf. — Er ist nicht da. Die Frage wird nicht beantwortet, ebenso die Frage 25.
Ich rufe die Frage 26 des Abgeordneten Lammert auf. — Er ist ebenfalls nicht da. Die Frage wird ebenfalls nicht beantwortet.
Ich rufe die Frage 27 des Abgeordneten Dreßler auf:
Wann endlich beabsichtigt die Bundesregierung, dem einstimmigen Beschluß des Deutschen Bundestages vom 12. September 1985 nachzukommen und die Arbeitserlaubnisverordnung entsprechend in dieser Legislaturperiode zu ändern?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsidentin, wenn der Fragesteller damit einverstanden ist, möchte ich die Fragen 27 und 28 gemeinsam beantworten.
Nein, ich bin nicht einverstanden.
Vogt, Parl. Staatssekretär: Die Gespräche zwischen den beteiligten Bundesressorts zur Änderung der Arbeitserlaubnisverordnung entsprechend dem Beschluß des Bundestags vom 12. September 1985 sind noch nicht beendet.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter.
Herr Staatssekretär Vogt, was hat die Bundesregierung dazu zu sagen, daß sie einen über neun Monate zurückliegenden einstimmigen Beschluß des Deutschen Bundestags schlicht ignoriert?
Vogt, Parl. Staatssekretär: Herr Abgeordneter Dreßler, in Ihrer Frage steckt eine Behauptung, die ich zurückweisen muß.
Herr Kollege, Sie haben noch eine Frage.
Herr Staatssekretär, welche Formulierung hat die Bundesregierung dafür parat, daß sie einen über neun Monate zurückliegenden einstimmigen Beschluß des Deutschen Bundestags bis zu dieser Stunde nicht umgesetzt hat?
Vogt, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Dreßler, die beteiligten Ressorts, zwischen denen eine Abstimmung erfolgen muß, haben weitere Vorschläge zur Änderung der Arbeitserlaubnisverordnung eingebracht. Über diese weiteren Vorschläge ist bisher zwischen den beteiligten Ressorts keine Übereinstimmung erzielt worden.
Damit haben Sie wohl von Ihrer Seite her die Frage 28 des Herrn Abgeordneten Dreßler gleich mit beantwortet. Gibt es dazu noch eine besondere Antwort? Dann rufe ich die Frage 28 des Abgeordneten Dreßler auf:
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Vizepräsident Frau RengerIst das zwischen den beteiligten Ressorts durchzuführende Abstimmungsverfahren mittlerweile erledigt, bzw. welche Gründe gibt es für die Nichterledigung?Vogt, Parl. Staatssekretär: Ich kann die Frage 28 dahin gehend beantworten, daß, bevor die Änderung der Arbeitserlaubnisverordnung in Kraft treten kann, eine weitere Abstimmung im Kabinett erforderlich ist.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter.
Herr Staatssekretär Vogt, wenn die Bundesregierung mittlerweile über neun Monate gebraucht hat und immer noch nicht dazu gekommen ist, einen Abstimmungsprozeß zwischen den Ressorts über ein einstimmiges Votum des Deutschen Bundestags herbeizuführen, das im übrigen nicht mehr interpretationsfähig war: Können Sie mir sagen, wie lange dieser Abstimmungsprozeß noch dauert? Können Sie mir sagen, was Sie den betroffenen Menschen — es sind nämlich zig Tausende -- als Bundesregierung dazu zu sagen gedenken?
Vogt, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Dreßler, ich muß noch einmal darauf hinweisen, daß zwischen den Ressorts der einstimmige Beschluß des Deutschen Bundestags nicht streitig ist. Ich habe in der Antwort auf Ihre Frage 27 darauf hingewiesen, daß im Zusammenhang mit der Änderung der Arbeitserlaubnisverordnung weitere Vorschläge von Ressorts eingebracht worden sind. Diese sind noch nicht übereinstimmend geregelt.
Zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, kann mir die Bundesregierung erklären, warum sie einem einstimmigen Beschluß des Deutschen Bundestags über neun Monate lang nicht folgt, aber gleichwohl durch das Einbringen weiterer Vorschläge, die augenscheinlich nicht der Beschlußlage des Deutschen Bundestags entsprechen, den Beschluß des Deutschen Bundestags zu verwässern beabsichtigt?
Vogt, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Dreßler, es ist eine Behauptung, daß die Bundesregierung den Beschluß des Deutschen Bundestages verwässern will. Das, was der Deutsche Bundestag beschlossen hat, ist zwischen den beteiligten Ressorts unstreitig. Ich wiederhole: Es sind weitere Vorschläge gemacht worden. Das ist das gute Recht eines jeden Ressorts, wenn Verordnungen geändert werden. Ober diese weiteren Vorschläge ist noch kein Einvernehmen erzielt worden.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Peter.
Herr Staatssekretär, beabsichtigen Sie, noch in dieser Legislaturperiode zu einer Lösung des Problems zu kommen, oder hoffen Sie darauf, daß die Initiative des Bundestags nach dem Prinzip der Diskontinuität entfällt?
Vogt, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Peter, ich gehe davon aus, daß das Bundeskabinett noch vor der allgemeinen Sommerpause entscheiden wird, daß also im Juni/Juli die Entscheidung getroffen wird.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Scharrenbroich.
Herr Staatssekretär, die Bundesregierung hat sich ja wiederholt zur Integration der langjährig im Bundesgebiet arbeitenden Arbeitnehmer bekannt.
Hält die Bundesregierung die Verwirklichung des Parlamentsbeschlusses für integrationsfördernd?
Vogt, Parl. Staatssekretär: Ja.
Eine hervorragend kurze Antwort. Es muß nur noch durchgeführt werden. Das ist das Problem.
Danke schön, Herr Staatssekretär.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen auf. Zur Beantwortung der Fragen steht der Herr Parlamentarische Staatssekretär Dr. Häfele zur Verfügung.
Wir kommen zunächst zur Frage 7 des Abgeordneten Borchert. — Er ist nicht im Saal. Die Frage 7 wird deshalb nicht beantwortet. Dasselbe gilt für die Frage 8 des Abgeordneten Borchert.
Ich rufe die Frage 9 des Abgeordneten Dr. Spöri auf:
Kann die Bundesregierung angeben, zu welchem Anteil sie indirekte Steuern etwa erhöhen will, um die 20 Milliarden DM-Differenz zwischen der in der kommenden Legislaturperiode beabsichtigten Brutto- und Nettosteuersenkung zu finanzieren, und wie stark etwa der Subventionsabbau zur Finanzierung beitragen soll?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Herr Kollege Dr. Spöri, die Antwort lautet: Die Bundesregierung sieht in einer weiteren durchgreifenden Senkung der direkten Steuern in der nächsten Legislaturperiode einen bedeutsamen Ansatz, um die Wachstumskräfte unserer Volkswirtschaft auf Dauer zu stärken und noch mehr Arbeitsplätze zu schaffen. Einzelheiten sind in der nächsten Legislaturperiode festzulegen. Die Frage eilt der Entwicklung voraus.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Spöri.
Herr Kollege Häfele, der Bundesfinanzminister hat ja mehrmals darauf hingewiesen, daß die Bundesregierung für die nächste Wahlperiode eine Steuerreform im Umfang von ca. 40, 45 Milliarden DM plant und in diesem Zusammenhang einen umfassenden Subventionsabbau zur finanziellen Deckung durchsetzen will. Ich frage Sie daher: Würde sich aus Ihrer Sicht das beabsichtigte Volumen dieser Steuerreform reduzieren, wenn die-
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 222. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Juni 1986 17193
Dr. Spörises ehrgeizige Ziel eines umfassenden Subventionsabbaus nicht realisiert würde?Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Am Bundesfinanzminister wird es mit Sicherheit nicht scheitern, möglichst viele Subventionen abzubauen. Je mehr wir davon abbauen, desto mehr Spielraum haben wir.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Spöri.
Herr Kollege Häfele, ist es nicht auch aus aktueller Sicht ein großer Widerspruch, wenn gegenwärtig der Bundesfinanzminister zur Notbremse einer Haushaltssperre greifen muß und auf der anderen Seite dem Bürger für die nächste Legislaturperiode 40 bis 45 Milliarden DM Steuerentlastung versprochen werden?
Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Nein. Es ist genau umgekehrt. Die neue Maßnahme des Bundesfinanzministers, zusätzlich eine Miliarde in diesem Jahr einzusparen, erhärtet die Linie der Finanzpolitik, daß nur die Begrenzung der Ausgaben die Voraussetzung dafür schafft, Steuern senken zu können.
Wir bedanken uns, Herr Staatssekretär.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft auf. Der Herr Parlamentarische Staatssekretär Grüner steht zur Beantwortung der Fragen zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 10 der Abgeordneten Frau Dr. Hamm-Brücher auf:
Gedenkt die Bundesregierung gesetzliche und/oder administrative Konsequenzen aus der Verurteilung von Managern des Rheinmetall-Konzerns wegen der Verstöße gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz zu ziehen?
Bitte sehr, Herr Staatssekretär.
Frau Kollegin, ob und welche Konsequenzen gegebenenfalls aus dem Urteil des Landgerichts Düsseldorf in den Verfahren gegen Angehörige der Firma Rheinmetall wegen Verstoßes gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz und das Außenwirtschaftsgesetz zu ziehen sind, kann erst entschieden werden, wenn die schriftlichen Urteilsgründe vorliegen. Schon die Tatsache der Verurteilung wegen ungenehmigter Ausfuhr von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern zeigt indes, daß die bestehenden Vorschriften eine wirksame Schranke gegen Versuche bilden, die Genehmigungserfordernisse zu umgehen. Sollten die schriftlichen Urteilsgründe dazu Veranlassung geben, würde die Bundesregierung das Genehmigungsverfahren überprüfen.
Bitte schön, Frau Kollegin Hamm-Brücher.
Herr Staatssekretär, bis wann werden Sie denn die Prüfung abgeschlossen haben und Ergebnisse vorlegen können?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Ich kann das im Augenblick nicht sagen. Aber ich nehme an, daß wir die Urteilsgründe in den nächsten vier Wochen bekommen werden. Ich will mich nicht festlegen. Die Prüfung ist nach meiner Einschätzung dann in verhältnismäßig kurzer Zeit möglich. Aber ich muß auch hier den Vorbehalt machen, daß es wirklich auf die Gründe ankommt, die hier etwa vorgetragen werden, ohne daß ich das jetzt abschätzen kann.
Zweite Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Dr. Hamm-Brücher.
Herr Staatssekretär, ist nicht unabhängig von der Urteilsbegründung viel Anlaß gegeben, die derzeitige gesetzliche und administrative Handhabung zu überprüfen?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Nein, Frau Kollegin; denn bisher haben wir keine Anhaltspunkte für Lücken in unserem Genehmigungsverfahren, die zu einer solchen Handhabung zwängen. Ich schließe nicht aus, daß das Verfahren und das Urteil eine Änderung unserer Haltung notwendig machen. Deshalb das Abwarten der Gründe des Urteils.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Hirsch.
Herr Staatssekretär, Sie sagten eben, daß die geltenden Bestimmungen des Kriegswaffenkontrollgesetzes eine wirksame Kontrolle gegen illegale Exporte ermöglichten. Diese Aussage können Sie j a nur machen, wenn Ihnen Unterlagen darüber vorliegen, wie viele illegale Exporte es gibt und in wie vielen Fällen es inzwischen Verfahren oder Verurteilungen wegen solcher illegalen Exporte gegeben hat Können Sie uns darüber etwas sagen?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Nein, Herr Kollege, das ist nicht so zu sehen. Ich habe mich erstens auf das Urteil, auf die Tatsache bezogen, daß verurteilt worden ist und daß offenbar unser rechtliches Instrumentarium in diesem Fall entgegen dem, was im Verlaufe des Prozesses behauptet worden ist, gegriffen hat.
Zweitens haben wir unser Genehmigungsverfahren, vor allem natürlich bei der Neuformulierung der rüstungsexportpolitischen Grundsätze von 1982, sehr eingehend diskutiert und nach allen Richtungen durchdacht. Es hat eine intensive Diskussion mit dem Deutschen Bundestag darüber stattgefunden. Es hat Vorschläge gegeben, so daß wir im Augenblick nicht in der Lage sind, gedanklich sagen zu können, wo denn eine Lücke sein soll. Das gilt unabhängig von der Tatsache, daß etwaige illegale Umgehungen, die uns nicht zur Kenntnis kommen, nichts darüber aussagen, ob die Gesetze funktionieren, sondern nur etwas darüber, daß Gesetze im Einzelfall auch immer einmal wieder umgangen werden.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Gansel.
Herr Staatssekretär, sind Ihre Äußerungen über das Funktionieren des zur Zeit in
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17194 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 222. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Juni 1986
GanselKraft befindlichen Gesetzes nach dem Urteil des Düsseldorfer Landgerichtes so zu verstehen, daß die Bundesregierung ihren noch in der Gesetzgebung befindlichen Entwurf zur Änderung des Kriegswaffenkontrollgesetzes zurückziehen wird, mit dem z. B. ein solches Verbrechen, wie es jetzt in Düsseldorf abgeurteilt wurde, zu einem Vergehen herabgestuft werden soll? Werden Sie daraus wenigstens die Konsequenz ziehen, das Gesetz nicht zu entschärfen, wie Sie es im Gesetzgebungsverfahren schon beantragt haben?Grüner, Parl. Staatssekretär: Nein, Herr Kollege. Hier besteht überhaupt kein Zusammenhang. Vielmehr habe ich die Frage beantwortet, ob das Urteil Anlaß gibt, das derzeitige Genehmigungsverfahren zu ändern. Diese Frage kann ich erst abschließend beantworten, wenn uns die Urteilsgründe vorliegen.
Ich rufe die Frage 11 der Abgeordneten Frau Dr. Hamm-Brücher auf:
Sind der Bundesregierung weitere indirekte Umgehungsmöglichkeiten der gültigen gesetzlichen Bestimmungen für Waffenexportgeschäfte bekannt?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Grüner, Parl. Staatssekretär: Der Bundesregierung sind keine — auch keine indirekten — Umgehungsmöglichkeiten bekannt, die nicht nach dem Kriegswaffenkontrollgesetz und dem Außenwirtschaftsgesetz geahndet werden könnten. Daß Umgehungen versucht werden, läßt sich weder durch gesetzliche noch administrative Maßnahmen völlig ausschließen.
Eine Zusatzfrage, Frau Hamm-Brücher.
Welche Umgehungsmöglichkeiten, Herr Staatssekretär, gibt es denn?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, in diesem Zusammenhang ist das Risiko der hohen Strafen zu berücksichtigen, die auf der Nichtbeachtung der Ausfuhrvorschriften etwa nach AWG oder Kriegswaffenkontrollgesetz stehen.
Eine zweite Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, fällt unter die Umgehungsmöglichkeiten z. B. auch der illegale Verkauf von Pausen von Waffen oder waffenähnlichen Konstruktionen oder die Hilfe beim Aufbau von Munitionsfabriken?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, alles, was verboten ist, kann trotzdem begangen werden, wie die Lebenserfahrung in allen Lebensbereichen, die wir kennen, zeigt. Das gilt auch für diesen Bereich. Wir haben die von Ihnen gestellte Frage im Kriegswaffenkontrollgesetz und im Außenwirtschaftsgesetz geregelt; auch das, was etwa Genehmigungserfordernisse für Blaupausen und anderes anlangt.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Hirsch.
Herr Staatssekretär, wenn Sie sagen, man habe sich ja lange Zeit den Kopf darüber zerbrochen — auch im Zusammenhang mit den Vorschlägen der Fraktionen —, wie man Umgehungsmöglichkeiten beseitigen kann, dann wissen Sie doch selber, daß die damalige Bundesregierung die Vorschläge der Fraktionen nur zu einem geringen Teil verwirklicht hat, z. B. die Möglichkeiten der parlamentarischen Kontrolle abgelehnt hat, und zwar vollkommen. Sehen Sie darin nicht ebenfalls ein Instrument, um in Zukunft solche eklatanten Verstöße und Umgehungen des Kriegswaffenkontrollgesetzes zu verhindern, wie sie hier an Hand des Rheinmetall-Falles — an Hand eines einzigen Falles! — nun wirklich bekanntgeworden sind?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, zu einer parlamentarischen Kontrolle bedarf es der Mehrheit der Mitglieder des Deutschen Bundestages; sie kann auf gesetzlichem Wege eingeräumt werden, wenn eine Mehrheit des Deutschen Bundestages dieses höchst problematische Instrument tatsächlich einsetzen will.
— Die Bundesregierung war der Meinung, daß das nicht das zweckmäßige und richtige Mittel sei, sondern daß eine klare Trennung zwischen exekutiver Verantwortung und legislativer Verantwortung in dieser Frage bestehen bleiben sollte. Das ist bisher auch die Mehrheitsmeinung des Deutschen Bundestages in dieser Frage gewesen. Wenn der Bundestag seine Meinung ändert, hat er die Möglichkeit, das Gesetz entsprechend zu ergänzen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Gansel.
Herr Staatssekretär, da Sie erneut darauf hingewiesen haben, daß hohe Strafen eine Umgehung erschweren, muß ich Sie auch erneut fragen: Warum hat denn die Bundesregierung bei der Novellierung des Waffengesetzes zugleich eine Novellierung des Kriegswaffenkontrollgesetzes mit dem Ziel gefordert, daß die in Düsseldorf abgeurteilten Verbrechen der Herren von Rheinmetall auf ein simples Vergehen herunterzustufen seien? Warum wollen Sie denn das Strafmaß senken, wenn Sie ein hohes Strafmaß als wirksamsten Schutz gegen Umgehungsmöglichkeiten hier herausstellen? Das paßt doch nicht zusammen. Das können Sie doch nicht wirklich so meinen, wie Sie sagen.Grüner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, Ihre Unterstellung ist unrichtig. Einen solchen Versuch hat es nicht gegeben, er war nicht beabsichtigt.
Es steht lediglich zur Diskussion, Herr Kollege, Bagatellverstöße im Inland nicht zu einem Verbrechen
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Deutscher Bundestag - 10. Wahlperiode — 222. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Juni 1986 17195
Parl. Staatssekretär Grünerzu erkären, es aber dabei zu belassen, daß Ausfuhren — -
In dem Entwurf, den wir hier vorgelegt haben, geht es um Bagatellverstöße. Ich gebe zu, daß das in der ursprünglichen Fassung nicht der Fall war, aber den Kritikern war ja auch nicht bekannt, um welche Bagatellverstöße im Inland es sich tatsächlich handelt, die heute als Verbrechen abgeurteilt werden müßten,
obwohl das in hohem Maße problematisch ist. Für mich ist entscheidend, daß die Bundesregierung nicht die Absicht hat, dem Parlament vorzuschlagen, etwa Verstöße gegen die Exportvorschriften in der Strafbewehrung zu verändern. Das ist jedenfalls die Haltung, die die Bundesregierung in dieser Frage einnimmt.Ich sage noch einmal sehr deutlich, Herr Kollege Gansel, dØ nie die Absicht bestanden hat, etwa auf das Rheinmetall-Verfahren Einfluß zu nehmen, was im übrigen auch nicht möglich gewesen wäre.
Ich rufe die Frage 12 des Herrn Abgeordneten Dr. Hirsch auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß in der Urteilsbegründung der Zehnten großen Strafkammer des Düsseldorfer Landgerichts als mildernde Umstände die „halbherzige Kontrolle" der zuständigen staatlichen Stellen beim Rüstungsexport, mangelnde Koordinierung der verschiedenen für die Kontrolle des Waffenexports zuständigen staatlichen Stellen und eine Handhabung dieser Kontrollen zugunsten der Wirtschaft genannt worden sind, und kann die Bundesregierung gegebenenfalls aufzeigen, welche „halbherzigen" Kontrollen damit gemeint sind?
Vielleicht können Sie dazu noch einmal eine Zusatzfrage stellen.
Grüner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich würde gerne Ihre beiden Fragen im Zusammenhang beantworten.
Da der Fragesteller einverstanden ist, rufe ich auch die Frage 13 des Herrn Abgeordneten Dr. Hirsch auf:
Welche Konsequenzen wird die Bundesregierung aus diesem Urteil ziehen?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Wie ich schon in der Antwort auf die Fragen von Frau Dr. Hamm-Brücher dargelegt habe, kann die Bundesregierung über die Frage, ob und gegebenenfalls welche Konsequenzen aus dem Urteil des Landgerichts Düsseldorf zu ziehen sind, erst entscheiden, wenn ihr die schriftlichen Urteilsgründe vorliegen. In diesem Zusammenhang ist jedoch grundsätzlich zu sehen, daß sich etwaige Hinweise des Gerichts nicht generell auf das heute praktizierte Genehmigungsverfahren, sondern auf einen konkreten Einzelfall beziehen, der mittlerweile etwa acht Jahre zurückliegt.
Herr Dr. Hirsch, eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß das Gericht in seiner mündlichen Begründung ausdrücklich folgende mildernden Umstände zuerkannt hat — das gehört also zu tragenden Urteilsgründen —: die halbherzige Kontrolle der zuständigen staatlichen Stellen beim Rüstungsexport, mangelnde Koordinierung der verschiedenen für die Kontrolle des Waffenexportes zuständigen staatlichen Stellen und eine Handhabung dieser Kontrollen zugunsten der Wirtschaft? Ist Ihnenn bekannt, daß dies alles als tragende Urteilsgründe für eine Milderung des Strafmaßes in der mündlichen Begründung ausdrücklich vorgetragen worden ist?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Nein, Herr Kollege, das ist mir nicht bekannt. Ich bin erst durch Ihre Frage auf diese Formulierungen aufmerksam geworden. Um so wichtiger wird es sein, die substantiierte Begründung einer etwaigen solchen Aussage des Gerichtes kennenzulernen, auf einen Einzelfall bezogen, der, wie gesagt, acht Jahre zurückliegt. Aber wir werden dem natürlich sehr eindringlich nachgehen, wenn sich bestätigen sollte, daß das Gericht die Praxis der Behörden in dieser Weise charakterisiert hat, und dafür auch Begründungen liefert.
Zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, Sie haben soeben die besondere Verantwortung der Exekutive dargestellt, deretwegen Sie das Parlament mit solchen Fragen ja verschonen wollen: Sind Sie nicht der Meinung, daß diese besondere Verantwortung eine sorgfältige Verfolgung dieses Prozesses durch die Exekutive verlangt?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Ja, und das wird am ehesten durch eingehendes Studium der Urteilsgründe gewährleistet. Denn nur darauf kann man sich wirklich stützen, wenn man die Konsequenzen aus einem solchen Prozeß ziehen will.
Weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, darf ich denn davon ausgehen, daß die Exekutive ihre große und sorgfältig auszuübende Verantwortung auf diesem Gebiet dadurch wahrgenommen hat, daß sie nicht nur auf die Urteilsgründe wartet, sondern diesen Prozeß auch durch einen Prozeßbeobachter verfolgt hat? Darf ich fragen, ob das geschehen ist.Grüner, Parl. Staatssekretär: Ich kann Ihnen diese Frage, bezogen auf den gesamten Prozeßverlauf, aus dem Stand nicht beantworten, aber selbstverständlich ist der Prozeß aufmerksam verfolgt worden. Ich gebe Ihnen dazu gern eine Information, wie das gehandhabt worden ist. Aber ich bestehe darauf, daß lediglich die Urteilsgründe eine verläßliche
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17196 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 222. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Juni 1986
Parl. Staatssekretär GrünerGrundlage dafür sein werden, ob in einem solchen Verfahren gemachte Äußerungen tatsächlich eine tragende Grundlage haben oder ob sie im Rahmen des Prozeßverlaufs eine Bedeutung erlangt haben, die bei nachträglicher Prüfung tatsächlich nicht das Gewicht hat, das ihr zunächst beigemessen werden muß. Das ist eine Erfahrung, die Juristen ja haben und die wir auch hier anwenden.
Die vierte Zusatzfrage, bitte.
Die dritte, Frau Präsidentin, die dritte Zusatzfrage.
Also, es ist die vierte. Entschuldigen Sie, ich habe vier Striche gemacht.
Na gut, einverstanden. — Herr Staatssekretär, wenn dieser Prozeß — der jahrelang verschleppt worden ist, der erhebliches öffentliches Aufsehen erregt und wegen seiner bedeutenden außenpolitischen Implikationen berechtigterweise höchstes öffentliches Interesse genießen mußte — vom Wirtschaftsministerium, wie Sie sagen, sorgfältig verfolgt worden ist, wie ist es eigentlich möglich, daß Ihnen dann die von mir in der Frage dargestellten Urteilsgründe für die Milderung des Strafmaßes entweder nicht bekannt sind oder von einem Prozeßbeobachter nicht berichtet worden sind oder es gar keinen Prozeßbeobachter gegeben hat, und sind Sie bereit, diesem Hause, sobald die schriftlichen Gründe vorliegen, eine öffentliche, klare Stellungnahme dazu abzugeben?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich finde es nicht berechtigt, daß Sie hier aus einer Prozeßbeobachtung und deren Intensität Schlüsse ableiten, die ich einfach zurückweisen muß. Ich bestehe darauf, daß eine solide Prüfung eines Urteils und seiner Konsequenzen für bestehende Gesetze nur beim Studium der schriftlichen Urteilsgründe wirklich möglich ist.
Das werden wir tun, und darüber werden wir selbstverständlich auch den zuständigen Ausschüssen gegenüber — oder wer immer daran interessiert ist, etwa durch die Fragestellung im Bundestag, in welcher Form auch immer — Rechenschaft abgeben; das ist selbstverständlich.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Gansel. Sie haben zwei Fragen.
Die erste Frage ist eine Doppelfrage, die zweite auch.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen eigentlich bewußt, daß Sie persönlich die Verantwortung dafür tragen, daß, wie das Gericht in der mündlichen Urteilsbegründung ausgeführt hat, eine mangelnde Koordinierung, eine halbherzige Kontrolle, eine Handhabung dieser Kontrollen zugunsten der Wirtschaft stattgefunden hat, und daß Sie persönlich durch die Vernachlässigung Ihrer Aufsichtspflicht die Umstände dafür geliefert haben, daß die Verbrecher mildernde Umstände erhalten haben und deshalb nur mit Bewährung verurteilt worden sind, ist Ihnen das eigentlich bewußt, und haben Sie — zweite Hälfte der Frage — die schriftliche Begründung des Urteils beim Landgericht in Düsseldorf bereits angefordert?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, Sie ziehen hier sehr weitgehende Schlüsse aus einem Urteil, das Sie noch nicht einmal im Wortlaut kennen, und betreiben gleichzeitig eine Urteilsschelte mit Begründungen, die Ihnen jedenfalls im Augenblick noch nicht vorliegen. Was die politische Verantwortung anlangt: Es ist richtig, daß die politisch Verantwortlichen im Endergebnis geradestehen müssen, auch für etwaige Fehler, die im Bereich der Exekutive geschehen. Aber ich möchte mit großem Nachdruck Ihre Bemerkung einer persönlichen Verantwortung zurückweisen. Eine politische Verantwortung besteht selbstverständlich für die politische Leitung eines Ministeriums. Aber ich wäre sehr dankbar, wenn man über die Frage der Verantwortung an Hand der konkreten Sachverhalte und dann vielleicht auch im Lichte dessen sprechen würde, was seither am Genehmigungsverfahren nach sehr eingehenden Diskussionen, auch mit den Interessierten hier im Hause, geändert worden ist.
Zweite Zusatzfrage, Herr Gansel.
Ich stelle nur die abstrakte Frage, ob Sie wirklich in dieser Art und Weise, Herr Staatssekretär, zwischen politischer und persönlicher Verantwortung unterscheiden können, und ich stelle fest — fragend —, daß Sie nicht auf die Frage geantwortet haben, ob Sie die schriftliche Begründung des Urteils beim Landgericht in Düsseldorf bereits angefordert oder erst durch diese Fragestunde die Notwendigkeit gesehen haben, sich eingehender zu informieren.
Grüner, Parl. Staatssekretär: Nein, Herr Kollege. Inzidenter habe ich das beantwortet, indem ich gesagt habe: Wir brauchen die schriftlichen Urteilsgründe. Die haben wir selbstverständlich angefordert.
Sie haben zwei Fragen, Frau Dr. Hamm-Brücher. — Ihre erste Frage.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen nicht die Diskrepanz zwischen der Beantwortung meiner ersten Frage — Sie sagten, das würde alles ganz gründlich kontrolliert und beobachtet und Ihnen seien solche Vorgänge nicht bekannt — und der Urteilsbegründung, wie sie hier in der Frage wörtlich zitiert worden ist, bewußt geworden? Ist es nicht eine Diskrepanz, wenn das Gericht Ihnen Halbherzigkeit bescheinigt und Sie hier antworten, das sei alles so streng kontrolliert, daß so etwas eigentlich gar nicht möglich sei?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Nein, Frau Kollegin. Was ich erreichen möchte, ist, daß, wenn es eine solche Aussage des Gerichts gegeben hat, die Begründung für eine solche sehr schwerwiegende Auffas-
Parl. Staatssekretär Grüner
sung schriftlich niedergelegt und in den Zusammenhang gestellt wird, in dem es tatsächlich gesagt worden ist. Erst das erlaubt eine sachliche Prüfung. Ich bitte sehr um Verständnis, daß das Gespräch, das wir hier führen, wirklich sinnvoll und auch kritisch erst fortgesetzt werden kann, wenn diese Gründe vorliegen.
Zweite Zusatzfrage.
Ich möchte eine grundsätzliche Zusatzfrage stellen, Herr Staatssekretär, im Interesse der Rechte der Abgeordneten. Ist es nicht die Verpflichtung der Bundesregierung, wenn eine Woche vor der Fragestunde eine Frage gestellt wird, die dort behaupteten Sachverhalte nachzuprüfen, in diesem Fall den Wortlaut der mündlichen Urteilsbegründung? Wäre das nicht Anlaß, den Abgeordneten im Parlament etwas konkreter und etwas gründlicher Rede und Antwort zu stehen?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Nein. Ich bin davon ausgegangen, daß es im Interesse aller Beteiligten und Interessierten liegt, daß man an Hand der schriftlich vorliegenden Gründe diese Frage erörtert.
Ich rufe die Fragte 14 des Herrn Abgeordneten Gansel auf:
Ist es zutreffend, daß die Bundesregierung die Endverbleibsregelung für U-Boote und Fregatten ändern will, die aus der Bundesrepublik Deutschland an Argentinien geliefert worden sind, und wenn ja, was hat die Bundesregierung bewogen, die bisherige Regelung in Ziffer 14 der Politischen Grundsätze der Bundesregierung für den Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern vom 28. April 1982 aufzugeben?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Grüner, Parl. Staatssekretär: Es trifft nicht zu, daß die Bundesregierung die Endverbleibsregelung für U-Boote und Fregatten ändern will, die aus der Bundesrepublik Deutschland an Argentinien geliefert worden sind. Für Schiffslieferungen gilt unverändert die Endverbleibsregelung, wie sie — nicht nur im Falle Argentinien — schon von der vorherigen Bundesregierung praktiziert wurde. Bei Schiffslieferungen sichern die jeweiligen Empfängerländer zu, daß die Schiffe nur für den eigenen Bedarf bestimmt sind und die Weitergabe an Dritte der vorherigen Zustimmung der Bundesregierung bedarf. Diese Endverbleibsregelung wurde vorgesehen, weil Schiffe relativ langlebig sind und zu einem späteren Zeitpunkt häufig ausgemustert werden, wobei als Abnehmer in der Regel nur ein ausländischer Interessent in Betracht kommt.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Gansel.
Ist es dann zutreffend, daß sich der Bundessicherheitsrat nicht mit der Weitergabe der aus der Bundesrepublik gelieferten oder zu liefernden U-Boote und Fregatten von Argentinien an Drittländer beschäftigt hat?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Der Bundessicherheitsrat muß sich mit einer solchen Frage beschäftigen, wenn sie politisch bedeutsam ist. Aber ich möchte in diesem Falle keine konkrete Aussage machen.
Zweite Zusatzfrage.
Kann ich Ihren verklausulierten Auskünften entnehmen, daß die Bundesregierung im Rahmen von Ausnahmemöglichkeiten älterer Endverbleibsregelungen Argentinien die Genehmigung erteilt hat, die aus der Bundesrepublik stammenden U-Boote und Fregatten an Drittstaaten weiterzuveräußern?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, wenn Sie erlauben, würde ich diese Antwort gleich mit der Antwort auf Ihre nächste Frage verbinden, weil sie den gleichen Sachverhalt betrifft.
Dann rufe ich Frage 15 des Herrn Abgeordneten Gansel auf:
Wird die Bundesregierung mit der argentinischen Regierung den weiteren Endverbleib vertraglich sichern, und hat der potentielle Erwerber auch in der Vergangenheit Kriegswaffen aus der Bundesrepublik Deutschland erhalten?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Falls die argentinische Regierung die genannten Schiffe weiterveräußert, wird die Bundesregierung auch hinsichtlich des Käuferlandes auf einer Endverbleibserklärung bestehen, wie ich sie in meiner Antwort auf die Frage 14 schon erläutert habe. Das heißt, daß Argentinien mit dem Erwerber auch den Zustimmungsvorbehalt der Bundesregierung vertraglich vereinbaren müßte.
Maßstab für die Zustimmung der Bundesregierung zu einer etwaigen Weiterveräußerung ist, ob im Zeitpunkt der Zustimmung auch eine Direktlieferung deutscher Schiffe an das betreffende Land entsprechend den Vorschriften der rüstungsexportpolitischen Grundsätze von 1982 in Frage kommen würde, und nicht, ob dieses Land auch in der Vergangenheit Kriegswaffen aus der Bundesrepublik Deutschland erhalten hat.
Zusatzfrage, Abgeordneter Gansel.
Herr Staatssekretär, wenn es zutreffend ist, daß die Bundesregierung die Endverbleibsregelung für diese Kriegsschiffe in Argentinien geändert hat: Warum haben Sie die erste Frage dann nicht mit Ja beantwortet? Warum denn dieses Hin und Her?Grüner, Parl. Staatssekretär: Nein, es ist nicht zutreffend; es ist nicht geändert worden. Die vertraglichen Verpflichtungen, die bei Schiffslieferungen dem Abnehmerland auferlegt werden, beinhalten
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17198 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 222. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Juni 1986
Parl. Staatssekretär Grünerfür den Fall der Weiterveräußerung vielmehr eine Zustimmungsverpflichtung, d. h. eine Verlängerung der Endverbleibserklärung, eine ausdrückliche Zustimmung der Bundesregierung. Es hat sich nichts am Sachverhalt geändert.
Zweite — nein, die dritte Zusatzfrage.
-- Jetzt ist es die dritte.
Ja, von vieren, Pardon! Ich habe heute nacht Fußball gesehen. Ich bitte um Entschuldigung, Frau Präsidentin.
Ich auch. Trotzdem kann ich bis drei zählen.
Es waren aber fünf Tore. — Herr Staatssekretär, hat es zwischen der Bundesregierung oder Stellen der Bundesregierung und argentinischen Stellen Gespräche über eine Weiterveräußerung dieser Kriegsschiffe an Drittstaaten gegeben?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Ja, das ist der Fall. Vizepräsident Frau Renger: Letzte Zusatzfrage.
Wird die Bundesregierung ausschließen, daß diese Kriegsschiffe in den Nahen und Mittleren Osten geliefert werden?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, wir werden die Entscheidung, wenn sie überhaupt zu treffen ist, fällen; wir werden aber nicht vorher über mögliche Entscheidungen spekulieren.
Zwei Zusatzfragen für Sie, Frau Dr. Hamm-Brücher. Die erste, bitte.
Nein, ich brauche nur eine, Frau Präsident. - Eine Lernfrage: Herr Staatssekretär, passiert es denn häufig, daß Endverbleibsvereinbarungen nachträglich wieder geändert werden und — wenn ja — in welchen Fällen? Es würde dem Mißbrauch ja doch Tür und Tor geöffnet, wenn das sehr leicht geändert werden könnte.
Grüner, Parl. Staatssekretär: Nein, es gibt keine Änderungen bei den Endverbleibserklärungen; wir haben vielmehr gerade für Schiffe eine spezielle Regelung, weil die Weiterveräußerung von Schiffen einen häufigen Tatbestand darstellt. Deshalb sehen die Endverbleibserklärungen, die wir bei Schiffen verlangen, vor, daß etwa die Weitergabe solcher Schiffe ebenfalls die vorherige Zustimmung der Bundesregierung erfordert und daß deshalb ohne unsere Zustimmung eine Weitergabe nicht erfolgen kann, so daß die Regierung — in diesem Fall die Regierung Argentiniens — sich im Falle einer Weiterveräußerung an uns wenden muß, was sie — ihrer vertraglichen Verpflichtung entsprechend — auch getan hat.
Zweite Zusatzfrage, bitte.
Wie verhält es sich mit anderen Waffen?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Da lautet die Endverbleibserklärung anders. Da gibt es diese Problematik, die es hier im Hinblick auf Schiffe gibt, im Einzelfall nicht, wobei ich mich jetzt nicht festlegen will für jede einzelne — —
-- Nein, das könnte man ändern, aber die Regelung, die wir hier gefunden haben, ist zweckmäßig.
Zusatzfrage, Dr. Hirsch.
Herr Staatssekretär, gibt es, wie es bei Panzern in bezug auf Argentinien Lizenzvergaben gegeben hat, die in großem Umfang ausgenutzt worden sind, im Zusammenhang mit diesen U-Boot-Lieferungen Lizenzvergaben an Argentinien?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich werde Ihnen das gerne schriftlich beantworten. Ich kann das jetzt nicht aus dem Gedächtnis sagen.
Zweite Zusatzfrage, bitte, Herr Dr. Hirsch.
Kann ich Ihrer Antwort an den Kollegen Gansel entnehmen, daß Sie jedenfalls die Lieferung von U-Booten an Staaten im Nahen Osten durch Argentinien nicht ausschließen?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Ich möchte keine Aussage machen, keine Namen nennen; denn es ist das Interesse der argentinischen Regierung, für diese U-Boote einen Käufer zu finden. Wir müssen, wenn es mit unseren rüstungsexportpolitischen Grundsätzen im Einklang steht - ich betone das —, zu einer solchen Weiterveräußerung unsere Genehmigung erteilen.
Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Vogel .
Herr Staatssekretär, welche Möglichkeiten hat die Bundesregierung, zu verhindern, daß Argentinien entgegen den Vereinbarungen die U-Boote weiterverkauft, ohne die notwendige Zustimmung der Bundesregierung dafür zu haben?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Die Bundesregierung kann ihre vertraglichen Rechte wahrnehmen. Sie hat keinen Anlaß, davon auszugehen, daß sich ein solcher Fall stellen wird.
Zweite Zusatzfrage, bitte.
Für den Fall, daß das eintritt, müssen doch zumindest Gedankenspiele
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Vogel
darüber vorhanden sein, was die Bundesregierung unternehmen will?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Ich halte es nicht für gut, im internationalen Zusammenhang Gedankenspiele anzustellen und damit unseren Interessen zu schaden.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Kübler.
Ich habe die Frage nach der Praxis der Bundesregierung in dem Fall, daß sie feststellt, daß ein Land, an das geliefert wurde und mit dem entsprechende Vereinbarungen geschlossen wurden, sich nicht an die Vereinbarungen hält, und ich frage weiter, ob die Bundesregierung in Zukunft noch Waffengeschäfte mit einem solchen Land machen würde oder auf Grund des fehlerhaften Verhaltens dieses Landes das nicht tun würde, weil eine solche Praxis der Bundesregierung sicherlich die Länder anhalten könnte, sich vertragsgemäß zu verhalten?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Das ist sicher eine der denkbaren Konsequenzen aus einem solchen Verhalten.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Brück.
Herr Staatssekretär, trifft es zu, daß Argentinien weiterverkaufen will, weil es in Zahlungsschwierigkeiten ist?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Das trifft zu.
Keine weiteren Zusatzfragen. Ich rufe Frage 16 des Herrn Abgeordneten Dr. Kübler auf:
Welche Erkenntnisse liegen der Bundesregierung darüber vor, in welcher Größenordnung die privaten und industriellen Verbraucher von Erdölprodukten infolge des Rückgangs der Ölpreise in den ersten fünf Monaten 1986 insgesamt finanziell entlastet worden sind und im Jahresdurchschnitt voraussichtlich finanziell entlastet werden, und um wie viele Prozentpunkte ist die Preissteigerungsrate durch die fallenden Ölpreise bereits reduziert worden bzw. wird sie im Jahresdurchschnitt reduziert werden?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Für die Nettoölrechnung — also den Wert des eingeführten Rohöls, zuzüglich importierter Mineralölerzeugnisse, abzüglich Abfuhr von Mineralölerzeugnissen — liegen zur Zeit statistische Ergebnisse bis einschließlich Berichtsmonat April 1986 vor. In den ersten vier Monaten des Jahres betrug die Nettoölrechnung der Bundesrepublik Deutschland rund 14,3 Milliarden DM. Das sind 7,4 Milliarden DM weniger als zur gleichen Zeit des Vorjahres. Beim derzeitigen Preis- und Wechselkursniveau und unter der Voraussetzung unveränderter Mengen und Produktstrukturen für die noch ausstehenden Monate des Jahres gegenüber dem vergleichbaren Vorjahresniveau ist damit zu rechnen, daß die Nettoölrechnung 1986 um rund 30 Milliarden DM geringer als im Vorjahr ausfällt. Der Rückgang entspräche etwa 11/4 % der volkswirtschaftlichen Endnachfrage, also von Verbrauch, Investitionen und Exporten.
Im Zeitraum Januar bis Mai 1986 lag der Preisindex für die Lebenshaltung aller privaten Haushalte um 0,3 % höher als im gleichen Zeitraum des Vorjahres. Ohne die direkten Effekte der innerhalb Jahresfrist eingetretenen Verbilligung von Mineralölprodukten betrug der Anstieg zur gleichen Zeit 1,7 %. Die direkten Effekte der fallenden Ölpreise auf die Lebenshaltung beliefen sich also auf rund 11/2 Prozentpunkte. Mit etwa dieser Größenordnung ist beim derzeitigen Rohölpreis- und Wechselkursniveau auch für den Jahresdurchschnitt 1986 zu rechnen.
Zusatzfrage, Herr Dr. Kübler.
Herr Staatssekretär, die Bundesregierung gibt ja eine Reihe positiver Zahlen, insbesondere auch solche, die Sie jetzt genannt haben, in der Öffentlichkeit als auf Grund ihrer Wirtschaftspolitik zustande gekommen an: Stimmen Sie mit mir überein, daß wesentliche positive konjunkturelle wirtschaftliche Zahlen letztlich nicht auf die Wirtschaftspolitik der Bundesregierung zurückzuführen sind, sondern auf diesen Ölpreiseffekt?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Ja, Herr Kollege, es ist richtig, ich habe bestätigt, daß diese Preisniveaustabilität ohne den Ölpreiseffekt und die daraus folgenden Entwicklungen so nicht eingetreten wären.
Aber entscheidend ist doch, daß es ein Ergebnis unserer Politik war, daß wir eine enorme Reduzierung der Preise auch zu einem Zeitpunkt erreicht haben, zu dem das Ölpreisniveau noch sehr hoch war. Das hat dies verstärkt, erleichtert, hat aber natürlich auch negative wirtschaftliche Auswirkungen, die man sehen muß: Der Dollarkurs spielt eine Rolle, die Exporte werden erschwert, und auch Produzenten sind von dem Ölpreisverfall betroffen worden. Wir haben also nicht nur positive Wirkungen; im Augenblick haben wir aber überwiegend ausgesprochen positive Wirkungen.
Zweite Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, würden Sie dann mit mir übereinstimmen, daß diese positiven Auswirkungen schon in der sozialliberalen Zeit maßgeblich und schwerpunktmäßig angelegt worden sind?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich meine, es ist immer gut, wenn die Wirtschaftspolitik und ihre Ergebnisse nicht allein einer Regierung zugerechnet werden, sondern auch im Bewußtsein der Bevölkerung als ein Zusammenwirken vieler Umstände — auch der von außen kommenden — wirkt. Die Ölpreisexplosion, die uns zweimal hart getroffen und uns in Beschäftigungsschwierigkeiten gestürzt hat, ist ja von allen Menschen als ein von außen wirkendes Ereignis empfunden worden. Insofern stimme ich Ihnen zu, daß nicht allein die gute Politik die Konjunktur bestimmt. Aber daß sie
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Parl. Staatssekretär Grüner
ganz entscheidend ist und war in dieser Frage, können die Zahlen, die heute vorliegen, durchaus belegen.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Uldall.
Herr Staatssekretär, welchen Rang nimmt die Bundesrepublik mit 1,7 % Preissteigerungsrate, wenn man die Ölpreissenkung ausschließt, im Vergleich zu den Preissteigerungsraten in anderen Ländern, wenn man bei denen ebenfalls die Ölpreissenkungen ausschließt, ein?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich schicke Ihnen eine Tabelle zu, weil ich das aus dem Kopf nicht beantworten kann. Aber daß wir eine Spitzenposition haben und daß wohl unter den vergleichbaren Industrieländern nur noch Japan unter ähnlich günstigen Bedingungen arbeitet, glaube ich, jetzt schon sagen zu können. Aber ich schicke Ihnen das zu, weil ich keinen Vergleich anstellen will, den ich aus dem Gedächtnis nicht machen kann.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Brück.
Herr Staatssekretär, ist es, weil Sie die niedrige Preissteigerungsrate als Ergebnis der Politik dieser Bundesregierung dargestellt haben, nicht richtig, daß in allen Industrieländern in den letzten beiden Jahren die Preissteigerungsraten zurückgegangen sind? Wenn von der Spitzenposition der Bundesrepublik gesprochen wird: War es nicht schon immer so, daß bei allen Regierungen die Preissteigerungsraten in der Bundesrepublik, gemessen an anderen Industriestaaten, relativ niedrig waren?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Es ist richtig, daß wir immer den Versuch gemacht haben, Stabilitätspolitik in den Mittelpunkt zu stellen, daß wir aber nicht immer so erfolgreich im internationalen Vergleich wie im Augenblick waren. Das muß man doch hinzufügen.
Danke schön, Herr Staatssekretär.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten auf. Herr Parlamentarischer Staatssekretär Gallus steht zur Beantwortung der Fragen zur Verfügung. Ich rufe die Frage 17 des Abgeordneten Jäger auf:
Welche Bestimmungen des geltenden EG-Rechts im einzelnen verbieten es, unausgenutzte einzelbetriebliche Referenzmengen von Milch auf spätere Jahre zu übertragen — auch nicht in Härtefällen — wie die Bundesregierung in ihrer Antwort auf meine schriftliche Anfrage vom 14. Mai 1986 meint, und gibt es derzeit kein einziges Mitgliedsland der EG, das seinen Bauern derartige Übertragungen zumindest in Härtefällen erlaubt?
Bitte sehr, Herr Staatssekretär.
Herr Kollege Jäger, in Art. 5 c Abs. 1 der Verordnung Nummer 804/68 des Rates ist festgelegt, daß bei Anwendung der Formel A jeder Milcherzeuger eine Abgabe für die Milch und/oder Milchäquivalenz-mengen bezahlt, die von ihm an einen Käufer geliefert wurden und die in dem betreffenden Zwölfmonatszeitraum eine zu bestimmende Referenzmenge überschreiten.
Daraus ergibt sich, daß bei der Berechnung der Abgabe jeweils nur auf einen Zwölfmonatszeitraum abgestellt wird. Eine Übertragung nicht ausgenutzter Referenzmengen auf einen späteren Zwölfmonatszeitraum ist deshalb nicht zulässig.
Ob in anderen Mitgliedstaaten in diesem Punkt gegen geltendes Recht der Gemeinschaft verstoßen wird, ist mir nicht bekannt.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Jäger .
Herr Staatssekretär, schließt diese Bestimmung, die Sie eben vorgetragen haben, tatsächlich die Anwendung einer solchen Übertragbarkeit aus einem früheren Jahr in Härtefällen aus, was mir nach dem Text, den Sie vorgelesen haben, zumindest zweifelhaft erscheint?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, es ist aber so, wie ich Ihnen vorgelesen habe.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Jäger.
Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung bereit, nachzuprüfen und mir darüber notfalls Mitteilung zu machen, wie diese Frage in anderen Mitgliedsländern der EG gehandhabt wird und ob dort tatsächlich nicht in Härtefällen eine Ausnahme gestattet wird und bestimmten Betrieben bei einer großen Diskrepanz, die unverschuldet eingetreten ist, eine Übertragung möglich gemacht wird?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, wir werden den Versuch unternehmen, das herauszubekommen. Das wird allerdings geraume Zeit in Anspruch nehmen.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Oostergetelo.
Herr Staatssekretär, gehe ich richtig in der Annahme, daß sowohl die Verteilung auf Jahre als auch die Verteilung innerhalb von Regionen oder unter Nachbarn nicht möglich ist? Fordert dies nicht zu einer Steigerung der Milchproduktion heraus, weil alle meinen, möglichst ihre Quote voll ausnutzen zu sollen? Müssen dafür nicht andere ihre sogenannte Superabgabe zahlen? Können Sie mir sagen, wieviel Millionen das für die deutsche Landwirtschaft pro anno ausmacht, die die deutschen Bauern für Überlieferungen zahlen müssen, obwohl, regional gesehen, eventuell gar keine da sind?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, wir haben uns für dieses Modell entschieden, das in der Bundesrepublik Deutschland gilt, nämlich die ein-
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Parl. Staatssekretär Gallus
zelbetriebliche Quote, wobei es hier keine Übertragungen gibt mit Ausnahme derer, die in den Verordnungen im Zusammenhang mit der Fläche festgelegt sind. Einzelheiten brauche ich hier nicht vorzutragen. Wir haben andererseits in der Bundesrepublik Deutschland noch gewisse Unterlieferungen, die dazu dienen, das, was wir auf der anderen Seite für Überlieferungen an die EG abzuführen haben, abzumildern; dies ist eine Tatsache.
Ich rufe Frage 18 des Herrn Abgeordneten Eigen auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß die dänische Firma Vejle von der dänischen Regierung die Erlaubnis zur Her, stellung von Milchimitaten erhalten hat, und was gedenkt sie zu tun, um die dänische Regierung von ihrer unverantwortlichen Handlungsweise abzubringen?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Eigen, gestatten Sie, daß ich die beiden Fragen zusammen beantworte?
Ich rufe auch Frage 19 des Herrn Abgeordneten Eigen auf:
In welcher Weise verhindert die Bundesregierung den Import von Milchimitaten in die Bundesrepublik Deutschland, und ist sie bereit, bei der EG-Kommission eine Senkung der dänischen Milchquote zu beantragen, da die dänische Regierung die Herstellung von Milchimitaten genehmigt?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Eigen, der Bundesregierung ist durch entsprechende Veröffentlichungen bekanntgeworden, daß das Kopenhagener Landwirtschaftsministerium dem dänischen Margarinehersteller Vejle eine Sondergenehmigung für die Produktion eines Erzeugnisses erteilt hat, das aus Butterfett sowie pflanzlichen Ölen und Fetten besteht. Das Erzeugnis soll ausschließlich nach Großbritannien exportiert werden, wo die Produktion und das Inverkehrbringen derartiger Butterimitate erlaubt ist.
Nach den in der Bundesrepublik Deutschland geltenden Bestimmungen — § 36 Milchgesetz — sind Herstellung und Verkauf dieses Butterimitats wie auch alle anderen Milchimitate verboten.
Wegen des für Milchimitate bestehenden Importverbots hat die EG-Kommission die Bundesrepublik Deutschland vor dem Europäischen Gerichtshof verklagt mit der Begründung, § 36 Milchgesetz behindere den freien Warenverkehr innerhalb der Gemeinschaft. Wegen einer entsprechenden Vorschrift wurde auch Frankreich von der EG-Kommission vor dem Europäischen Gerichtshof verklagt.
Das Verfahren gegen die Bundesrepublik Deutschland ist auf Betreiben der Bundesregierung und der EG-Kommission vom Gerichtshof ausgesetzt worden und ruht derzeit.
Um die Verdrängung von Milch und Milcherzeugnissen durch Imitationsprodukte zu verhindern, setzt sich die Bundesregierung auf europäischer Ebene mit Nachdruck für den Erlaß einer gemeinschaftlichen Regelung zum Schutz der gemeinsamen Milchmarktorganisation in Form eines EG-weiten Imitationsverbotes ein. Bei Beratungen in verschiedenen EG-Gremien wurde auch die Möglichkeit einer Kürzung der Milchquote für die Mitgliedstaaten, die Imitationserzeugnisse zulassen, in Erwägung gezogen.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Eigen.
Herr Staatssekretär, was Sie eben äußerten, ist ja sehr positiv. Ist der Bundesregierung klar, welche Bedeutung dieses Imitations-verbot für die Milcherzeuger in der Europäischen Gemeinschaft hat? In USA ist die Milchproduktion von 1950 bis heute wegen der Milchimitate um 50 zurückgegangen. Wird dies in die Planung der Europäischen Gemeinschaft mit eingebaut?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Was Sie hier sagen, ist der Bundesregierung sehr wohl bekannt. Inwieweit die Europäische Gemeinschaft während dieser Ruhepause, die eingelegt worden ist, unseren Auffassungen folgt, wird sich zeigen.
Eine weitere Zusatzfrage.
Ist bei den Beratungen in der Europäischen Gemeinschaft auch in der Richtung, die Sie eben andeuteten, darauf hingewiesen worden, daß in Deutschland Art. 36 des Milch- und Fettgesetzes auch zugunsten der Verbraucher so gefaßt ist, damit nämlich der Verbraucher dann, wenn er Milchprodukte wie Joghurt oder Butter oder Käse kauft und ißt, ganz sicher sein kann, ein Milchprodukt vor sich zu haben, nicht ein Manschprodukt?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, so ist es. Wir haben in der Begründung unserer Auffassung bei der EG keinen Bereich des Gesamtproblems ausgelassen.
Die dritte Zusatzfrage.
Wird die Bundesregierung bei den Verhandlungen auch einmal sicherstellen, daß es nicht zu einem Kompromiß auf dem kleinsten Nenner kommt, sondern daß in solchen für Verbraucher und Erzeuger wirklich entscheidenden Fragen unser Spitzenniveau im Lebensmittelrecht zum EG-Recht wird?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, diese Auffassung vertreten wir dort, wo es um diese Fragen geht, seit Anfang der 70er Jahre. Was am Ende dabei herauskommt, wird man sehen. Ich kann die Entscheidung, die letzten Endes vielleicht einen Kompromiß darstellen wird, nicht vorwegnehmen, aber unsere Verhandlungsposition ist die, daß allein die deutsche Haltung das Richtige für die ganze EG ist.
Die vierte Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, kann man an der Tatsache, daß Großbritannien gegen
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Eigen
das Hormonfütterungsverbot bei der Erzeugung von Rindfleisch inzwischen beim EuGH klagt, möglicherweise erkennen, daß sich Großbritannien auch in diesem Falle bei den Verhandlungen sehr hartnäckig verhalten wird?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, es ist bekannt, daß das Vereinigte Königreich in diesen Fragen eine grundsätzlich andere Haltung hat, sowohl in der Frage der Hormone - das zeigt ja die Tatsache, daß geklagt wird — als auch bei den Milchimitaten, die dort ja zugelassen sind, und auch — wenn ich noch einen weiteren Fall anführen darf — bei der Beimischung vom Sojamehl zur Wurst, was ja bei uns ebenfalls verboten ist. Es ist also durchaus nicht so, daß alle europäischen Staaten die Auffassung teilten, die die Bundesrepublik Deutschland vertritt und von der wir hoffen, daß sie zur Grundlage der Entscheidung für ganz Europa gemacht wird.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Oostergetelo.
Herr Staatssekretär, da ja in den letzten Verhandlungsrunden auf EG-Ebene deutlich geworden ist, daß es 1:11 gegen die Bundesregierung stand, möchte ich fragen, ob ich annehmen kann, daß in dieser Sache die Meinung der Bundesregierung nicht nur von der französischen Regierung, sondern auch noch von anderen Staaten unterstützt wird, oder stehen da Deutschland und Frankreich allein?
Gallus, Pari. Staatssekretär: Ich bin der Auffassung, daß diese Frage keinesfalls so gesehen werden kann, wie es bei den Verhandlungen über die Preise der Fall war, wo praktisch, wenn es zu einer Abstimmung gekommen wäre, 11:1 gegen die Bundesrepublik entschieden worden wäre. Ich bin durchaus der Meinung, daß nicht nur einige Staaten — wie z. B. Frankreich — schon auf unserer Seite stehen, sondern auch in den anderen Staaten die Besinnung in der Frage zunimmt, was eigentlich geschehen würde, wenn Imitate auf breiter Front zugelassen würden, und was wir dann mit den Überschüssen überhaupt anfangen sollten.
Die zweite Zusatzfrage.
Ich lebe ja auch in der Hoffnung, Herr Staatssekretär, daß die Besinnung bei den anderen zunimmt. Könnte denn die Besinnung auch bei der Bundesregierung in der Hinsicht zunehmen, daß man endlich von der Einstimmigkeit zu Mehrheitsbeschlüssen kommt? Wir könnten es uns dann ja leisten.
Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, bei den Verhandlungen in der EG ist man ja, was die Agrarpolitik betrifft, schon so weit, daß de facto Mehrheitsbeschlüsse vollzogen werden. Das haben die Agrarpreisverhandlungen ja gezeigt.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Jäger .
Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung, angesichts der in der europäischen Öffentlichkeit noch weit verbreiteten Unkenntnis, die ich z. B. bei meinen Kollegen im Europarat feststellen kann, bei der Unkenntnis hinsichtlich der Gefährlichkeit der Imitate, was die Frage anlangt, wie man mit der Überschußproduktion fertig werden soll, bereit, zusammen mit allen anderen Ländern, die sich daran beteiligen wollen, in ganz Europa eine umfassende Informationskampagne zu starten, um diesen Mangel an Informationen zu beseitigen?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, die Bundesregierung hat bis jetzt alles getan, um den Verantwortlichen in Kommission und Ministerrat unsere Haltung deutlich zu machen. Wenn Sie aber glauben, daß das auch noch in bezug auf die Abgeordneten des Europäischen Parlaments und des Europarates notwenig ist, sind wir dazu gern bereit.
Keine weitere Zusatzfrage.
Danke schön, Herr Staatssekretär.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung auf. Zur Beantwortung steht Herr Parlamentarischer Staatssekretär Würzbach zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 31 des Herrn Abgeordneten Brück auf:
Wann ist mit dem Bau eines gemeinsamen Dienstgebäudes für die Bundeswehr in Saarbrücken zu rechnen?
Bitte sehr, Herr Staatssekretär.
Frau Präsidentin! Herr Kollege Brück! Nach derzeitiger Planung ist vorgesehen, mit dem Bau im Herbst 1988 zu beginnen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Brück.
Herr Staatssekretär, sieht die Bundesregierung eine Möglichkeit der Beschleunigung des Bauvorhabens, weil dies angesichts des doch beachtlichen Bauvolumens eine Hilfe für die in Schwierigkeiten befindliche Bauwirtschaft wäre?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, auch wir sind interessiert daran, aus den von Ihnen genannten Gründen, aber auch um endlich ein Dach für all die vielen Dienststellen zu bekommen, diesen Bau so zügig wie möglich zu beginnen und fertigzustellen. Wenn ich Ihnen sage, daß wir noch in diesem Monat der Oberfinanzdirektion den Planungsauftrag geben, nachdem erst vor wenigen Wochen nun endlich grünes Licht für die Art des Gebäudes und den Umfang der unterzubringenden Dienststellen gegeben wurde, dann sehen Sie, daß wir auch sehr interessiert daran sind, und alle Möglichkeiten nutzen, zügig zu beginnen, zügig fertigzuwerden.
Keine weitere Zusatzfrage.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 222. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Juni 1986 17203
Vizepräsident Frau RengerIch rufe die Fragen 32 und 33 des Herrn Abgeordneten Kolbow auf. — Er ist nicht im Saal. Es wird verfahren, wie in der Geschäftsordnung vorgesehen.Danke, Herr Staatssekretär.Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für das Post- und Fernmeldewesen auf. Herr Parlamentarischer Staatssekretär Rawe steht zur Beantwortung der Fragen zur Verfügung.Ich rufe die Frage 54 des Herrn Abgeordneten Uldall auf:Wie oft werden die Ansagedienste der Deutschen Bundespost, insbesondere der Börsenansagedienst auf ihre Belastung überprüft, und wie haben diese sich entwickelt?Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Frau Präsidentin, wenn der Herr Kollege Uldall einverstanden ist, würde ich gerne wegen des Sachzusammenhangs seine beiden Fragen gemeinsam beantworten. — Vielen Dank.
Dann rufe ich auch die Frage 55 des Abgeordneten Uldall auf:
Welche Maßnahmen hat das Bundesministerium für das Post- und Fernmeldewesen ergriffen, um die in der letzten Zeit aufgetretenen Unzuträglichkeiten beim Anwählen des Börsenansagedienstes für die Postbenutzer zu beseitigen, und wie ist sichergestellt, daß es angesichts des zunehmenden Interesses für Aktienanlagen gegenwärtig und in Zukunft keine Schwierigkeiten beim Anwählen des Ansagedienstes mehr gibt?
Rawe, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Uldall, der gleichzeitige Zugang der interessierten Kunden zu einer Fernsprechansage der Deutschen Bundespost wird grundsätzlich nach dem Bedarf bemessen. Dazu werden je Fernsprechansage ein- oder zweimal jährlich Verkehrsmessungen in den Sonderdienstvermittlungsstellen der Deutschen Bundespost durchgeführt. Darüber hinaus werden monatlich die registrierten Anrufzahlen erhoben. Die Fernsprechansage „Börsennachrichten" erfreute sich 1985 bei den interessierten Kunden großer Beliebtheit und erreichte eine Steigerung der Anrufzahlen um ca. 60 %. Dieser Trend scheint sich im Jahre 1986, wenn auch auf deutlich niedrigerem Niveau, fortzusetzen.
Aufgrund der Verkehrssteigerungen hat die Deutsche Bundespost den Zugang zur Fernsprechansage „Börsennachrichten" den regionalen Gegebenheiten entsprechend bedarfsgerecht erweitert bzw. entsprechende Erweiterungen durch Aufträge über den Kauf und Aufbau von Ansageübertragungen veranlaßt. So ist z. B. der gleichzeitige Zugang bei der Börsenansage im Bereich Düsseldorf Anfang des Jahres 1986 von 50 auf 61 Möglichkeiten erhöht worden, und im Ansagebereich Bonn ist der Zugang Mitte Mai 1986 von 10 auf 20 verdoppelt worden. Nach meiner Meinung ist nach den gegenwärtigen Verkehrsbeobachtungen ein besonderer Handlungsbedarf nicht mehr gegeben.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Uldall.
Herr Staatssekretär, geht die Bundesregierung davon aus, daß sich auch in den kommenden Jahren diese erfreuliche Entwicklung fortsetzen wird und die Post auf Grund der neuen Gesetzgebung, die eingeleitet wurde, wie z. B. das Börsenzulassungsgesetz, das Unternehmensbeteiligungsgesetz, neue Schaltungen vornehmen wird?
Rawe, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Uldall, Sie wissen, daß sich die Bundesregierung bei diesen Fragen gerne Wertungen enthält, aber wenn Sie das als erfreulich bezeichnen, will ich Ihnen gerne zusagen, daß wir dies mit Aufmerksamkeit verfolgen und ggf. dann auch weitere Schritte einleiten werden.
Keine weitere Zusatzfrage.
Dann rufe ich die Frage 56 des Herrn Abgeordneten Paterna auf:
Trifft es zu, daß der Programmanbieter SAT 1 der Deutschen Bundespost Gebühren in Millionenhöhe schuldet, und wenn ja, wie werden die Rückstände beigetrieben?
Bitte sehr, Herr Staatssekretär.
Rawe, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Paterna, nach den gegenwärtigen Erkenntnissen, die der Bundesregierung vorliegen, trifft dies nicht zu.
Eine Zusatzfrage, Herr Paterna.
Herr Staatssekretär, haben Sie Ihre Nachfragen z. B. an die Adresse zuständiger Hamburger Ämter — bezogen auf APF — ausgedehnt, und würden Sie das für diesen speziellen Fall auch so sagen können?
Rawe, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Paterna, soweit mir bekannt ist, haben die Mitarbeiter unseres Hauses diese Fragen auf alle möglichen Dienststellen ausgedehnt. Ich bitte, sehr wohl zu unterscheiden zwischen dem Tatbestand des Fälligwerdens einer Schuld zu einem bestimmten Zeitpunkt und ihrer Begleichung zu einem bestimmten Zeitpunkt. Das trifft gelegentlich in allen Vertragsverhältnissen zu.
Zweite Zusatzfrage.
Können Sie bitte bezogen auf APF, mit dem es einen speziellen Vertrag gibt, erläutern, in welchen Zeitfolgen welche Beträge fällig werden, und bestätigen, daß sie eingegangen sind?
Rawe, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, solange ein Schuldner mit einer Zahlung nicht in Verzug geraten ist, bin ich nicht bereit, darüber eine Auskunft zu erteilen.
Ich rufe die Frage 57 des Abgeordneten Paterna auf:Trifft es zu, daß die Oberpostdirektionen durch das Bundesministerium für das Post- und Fernmeldewesen beauftragt worden sind, Breitbandverkabelungsstatistiken und andere „Erfolgsmeldungen" wahlkreisbezogen zu erstellen, und wenn ja, wie wird diese Maßnahme begründet?Bitte schön, Herr Staatssekretär.
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17204 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 222. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Juni 1986
Rawe, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Paterna, auf Grund verschiedener Anfragen von Abgeordneten des Deutschen Bundestages über Einrichtungen des Post- und Fernmeldewesens, insbesondere über Investitions-, Infrastruktur- und Personaldaten, bereitet in der Tat das Bundespostministerium zur Zeit wahlkreisbezogene Unterlagen auf, die jedem Mitglied des Deutschen Bundestags zur Information zur Verfügung gestellt werden. In diesen Unterlagen befinden sich auch Angaben über die Breitbandverkabelung.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Paterna.
Herr Staatssekretär, können Sie mir bitte den Katalog derjenigen Punkte nennen, die Bestandteil diese Aufarbeitung sind? BK haben Sie genannt. Was gehört sonst dazu?
Rawe, Parl. Staatssekretär: Ich muß Ihnen gestehen, daß ich den Fragenkatalog nicht gänzlich im Kopf habe. Ich bin gern bereit, Ihnen die Ablichtung unserer Verfügung an die Oberpostdirektionen zur Verfügung zu stellen, in der wir die Präsidenten aufgefordert haben, uns diese Unterlagen zur Verfügung zu stellen.
Ich darf noch einmal daran erinnern: Hier handelt es sich auf Grund vieler Anfragen von Kolleginnen und Kollegen aller Fraktionen darum, jedem Mitglied dieses Hohen Hauses vernünftige Unterlagen über das zur Verfügung zu stellen, was wir in der von Ihnen angesprochenen Frage zu tun vorhaben.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Paterna.
Herr Staatssekretär, ist denn vor Auftragsvergabe an die Oberpostdirektionen ermittelt worden, welcher Personalbedarf dadurch entsteht und ob diese Aufgaben neben den normalen Aufgaben zu erledigen sind oder ob dies zu Personalzuwächsen führen muß?
Rawe, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Paterna -- ich bitte die Frau Präsidentin ausdrücklich um Erlaubnis für das, was ich jetzt sage —: In diesem Hause werden manchmal so viele Fragen gestellt, die weitaus mehr Personalaufwand erfordern. Aber hier handelt es sich darum, die Mitglieder dieses Hohen Hauses über das in Kenntnis zu setzen, was das Unternehmen vorhat, das den Bürgern dieses Landes gehört. Darauf haben sie einen Anspruch. Deswegen ist uns der Personalbedarf nicht zu schade.
Zusatzfrage von Herrn Oostergetelo.
Herr Staatssekretär, da Sie wahlkreisbezogene Daten erstellen: Wird auch aufgelistet, wieviel Kaufkraft durch Gebühren verlorengeht, wenn sich ein bestimmter Prozentsatz anschließt?
Rawe, Pari. Staatssekretär: Dies, verehrter Herr Kollege, kann ich Ihnen so nicht bestätigen. Ich sehe auch keinen unmittelbaren Zusammenhang mit der von dem Kollgen Paterna gestellten Frage.
Dem kann man nicht widersprechen.
Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär.
Damit sind wir am Ende der Fragestunde. Wir unterbrechen die Sitzung bis 15.30 Uhr.
Wir setzen die unterbrochene Sitzung fort.
Meine Damen und Herren, nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll Tagesordnungspunkt 24, erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Richterwahlgesetzes, abgesetzt werden. Ist das Haus damit einverstanden? — Dann ist das so beschlossen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 14 auf:
Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes zu dem Ersten Gesetz zur Änderung des Tierschutzgesetzes
— Drucksache 10/5617 —
Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Emmerlich
Im Ältestenrat sind für die Berichterstattung und für die Abgabe von Erklärungen ein Beitrag von bis zu fünf Minuten für jede Fraktion vereinbart worden. Kein Widerspruch? — Dann ist das so beschlossen.
Das Wort zur Berichterstattung hat der Herr Abgeordnete Emmerlich.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Vermittlungsausschuß hat das Anrufungsbegehren des Bundesrates zum Ersten Gesetz zur Änderung des Tierschutzgesetzes am 5. Juni 1986 beraten. Der Beschluß des Vermittlungsausschusses ergibt sich aus der Ihnen vorliegenden Drucksache 10/5617.
Der Vermittlungsausschuß hat sich bei seinem Vermittlungsvorschlag im wesentlichen von folgenden Erwägungen leiten lassen:
Zum Anrufungsgrund eins: Zu § 4 a — der Vorschrift über das betäubungslose Schlachten — folgt der Vermittlungsausschuß dem Bundestag darin, daß für das Schächten eine behördliche Genehmigung erforderlich ist. Dadurch wird die Überwachung wesentlich erleichtert. Voraussetzung für das Schächten ist, daß zwingende religiöse Vorschriften entweder diese Art des Schlachtens gebieten oder den Genuß von Fleisch nicht geschächteter Tiere verbieten. Damit wird dem Grundrecht der freien Religionsausübung Rechnung getragen.
Für den Fleischexport darf nicht geschächtet werden.
Um eine Bundeseinheitlichkeit hinsichtlich der Einzelregelungen in Rechtsverordnungen über das Schächten herbeizuführen und zu bewahren, schlägt der Vermittlungsausschuß entsprechend
Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 222. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Juni 1986 17205
Dr. Emmerlich
dem Anrufungsbegehren des Bundesrates vor, den § 4 a Abs. 3 zu streichen und die Ermächtigung des § 4b Nr. 1 durch den unter Ziffer 5 der Anlage zur Beschlußempfehlung aufgeführten Text zu ergänzen.
Anrufungsgrund zwei: Zu § 8 — Genehmigung von Tierversuchen — schlägt der Vermittlungsausschuß vor, auf die Vorlage der Bundesregierung zurückzugreifen. Danach darf die Genehmigung nur erteilt werden, wenn der Antragsteller u. a. wissenschaftlich begründet dargelegt hat, daß die in § 8 aufgeführten Voraussetzungen gegeben sind. Ungeachtet dessen muß die Verwaltungsbehörde ihrerseits feststellen, ob die Darlegungen des Antragstellers zutreffen und die im Tierschutzgesetz im einzelnen festgelegten materiellen Voraussetzungen für die Genehmigung des Tierversuchs vorliegen.
Der Vermittlungsausschuß hatte Zweifel, ob der vom Bundestag gewählte Begriff „glaubhaft machen" sachgerecht ist.
Der Vermittlungsausschuß hält es darüber hinaus für notwendig, bei den Anforderungen an die Begründung für Anträge auf Genehmigung von Tierversuchen über die bloße Glaubhaftmachung deutlich hinauszugehen.
Anrufungsgrund drei, § 16 a0: Obwohl bezweifelt werden mag, daß für diese Vorschrift eine unerläßliche Regelungsnotwendigkeit besteht, ist der Vermittlungsausschuß dem Bundesrat — mit redaktionellen Verbesserungen — gefolgt. Die Rechtsanwendung wird nach Auffassung des Vermittlungsausschusses erleichtert, wenn die behördlichen Anordnungsbefugnisse bei Verstößen gegen das Tierschutzgesetz im Gesetz selbst ausdrücklich hervorgehoben werden, ohne Rücksicht darauf, ob sich diese Befugnisse aus anderen Gesetzen, insbesondere landesrechtlichen Vorschriften, ergeben. Das Tierschutzgesetz hat eine so große Bedeutung, daß eine Erleichterung bei seiner Anwendung besonders wichtig ist.
Erwähnen möchte ich noch, daß der Vermittlungsausschuß gemäß § 10 Abs. 3 Satz 1 seiner Geschäftsordnung beschlossen hat, daß im Deutschen Bundestag über die einzelnen Beschlußempfehlungen gemeinsam abgestimmt werden soll.
So weit, meine sehr geehrten Damen und Herren, mein Bericht. Eine Bewertung des Vermittlungsvorschlages ist dem Berichterstatter im Rahmen der Berichterstattung verwehrt.
Vielen Dank.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter.
Das Wort zur Abgabe einer Erklärung hat der Abgeordnete Dr. Langner.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Der verbesserte Tierschutz sollte nun möglichst bald Gesetzeskraft erlangen. Wo Bundestag und Bundesrat unterschiedlicher Auffassung waren, empfiehlt' der Vermittlungsausschuß eine Kompromißlinie, die Gründe des Bundestagsbeschlusses und des Regierungsentwurfs einerseits sowie des Anrufungsbegehrens andererseits aufeinander abstimmt.
In den §§ 4 a und 4 b des Gesetzes wird das betäubungslose Schlachten, das sogenannte Schächten, neu geregelt. Wenn der Bundesrat die Voraussetzungen dieser Schlachtungsart des näheren durch eine Bundesrechtsverordnung statt durch einzelne Landesgesetze geregelt wissen will, sollte der Bundestag dem nicht entgegenstehen. Daß das Schächten nur auf Grund zwingender Vorschriften einer Religionsgemeinschaft erlaubt sein soll, ist eine Verbesserung des Gesetzes. Es ist andererseits aber notwendiger Ausfluß der Religionsausübungsfreiheit, daß das Recht nicht so zu fassen war, daß nur dem mosaischen Gesetz Rechnung getragen worden wäre. Wem muslimischer Glaube den Genuß von Fleisch nicht geschächteter Tiere zwingend untersagt, dem muß diese Schlachtungsart auch zugestanden werden. Aber es sind strenge Anforderungen an die Schlachtvorrichtungen und an die Sachkunde der ausführenden Personen zu stellen. Das Tier sollte durch den gekonnten Schnitt ähnlich schnell schmerzbefreit sein wie bei der Betäubung. Die Rechtsverordnung wird das zu regeln haben. Der Vermittlungsausschuß hat im übrigen das Exportverbot für Fleisch aus Schlachtung ohne Betäubung wiederhergestellt.
Über die Regelung der Antragserfordernisse und Genehmigungsvoraussetzungen für Tierversuche gibt es in der Öffentlichkeit Streit, der sich mehr im Bekennerhaften als im Juristisch-Begrifflichen bewegt. Mit scheint, daß hier theoretisch Alternativen formuliert werden, die in der Praxis rechtsstaatlicher Gesetzesanwendung so nicht vorkommen.
Ausgangspunkt ist der Glaube der Tierschützer, der Gesetzentwurf der Bundesregierung sei dadurch verbessert worden, daß die Antragsvoraussetzungen „glaubhaft" zu machen seien; so der Gesetzesbeschluß des Bundestages. Das Glaubhaftmachen, aus der Zivilprozeßordnung als Form der minderstrengen Beweisführung bekannt, war in diesem Zusammenhang ein unbrauchbarer Rechtsbegriff, meine Damen und Herren. Es geht um die Überprüfung, ob es sich um einen zulässigen und ethisch vertretbaren Versuch handelt. Wie vom Bundesrat gefordert, muß der Antragsteller wissenschaftlich begründet darlegen, daß der Versuch zulässig im Sinne des § 7 Abs. 2 ist. Der Versuch muß also unerläßlich sein, und er muß einem der vier Versuchsziele, enumerativ und abschließend im Gesetz aufgeführt, dienen. Der Antragsteller muß weiter wissenschaftlich begründet darlegen, daß der Versuch auch ethisch vertretbar ist.
Die Genehmigungsbehörde hat das Gesetz eng auszulegen. Es heißt nämlich im Gesetz: „Die Genehmigung darf nur erteilt werden, ..." Das ist eine enge Gesetzesauslegung. Die Behörde überprüft, ob Versuchsziel und -zweck nach dem neuesten Stand der Wissenschaft schlüssig und plausibel dargelegt sind und ob der zulässige Versuch auch ethisch vertretbar ist. Das heißt, bei der Güterabwägung, die zu diesem ethischen Werturteil führt, muß das Tier als Mitgeschöpf des Menschen gewichtet werden.
17206 Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 222. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Juni 1986
Dr. Langner
Die Behörde überprüft alle vorgetragenen Tatsachen. Sie überprüft auch, ob das Versuchsziel und der Versuchszweck mit diesen Tatsachen erreicht werden können. Das ist Ausfluß des Prinzips der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung. Sie kann bei Zweifel auch auf Nachbesserung der Antragsvoraussetzungen bestehen, oder sie kann Gutachten einholen.
In seiner ersten Stellungnahme, meine Damen und Herren, die wohl vom Agrarausschuß formuliert war, hat sich der Bundesrat nach meiner Auffassung mißverständlich ausgedrückt, wenn er das Genehmigungsverfahren als formellen Prüfungsakt auffaßte. Zweifeln an der Richtigkeit vorgetragener Tatsachen ist nachzugehen. Wenn sie nicht ausgeräumt werden, ist die Genehmigung nicht zu erteilen. Die Verwaltung kann auch zur Bildung des Werturteils, ob der Versuch ethisch vertretbar ist, die Ethikkommission um ihre Stellungnahme bitten.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, für Tierschutz und für Wissenschaft benötigen wir klare Gesetzesbegriffe. Das ist ein Anliegen des Vermittlungsausschusses in diesem Zusammenhang.
Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion wird dem Einigungsvorschlag zustimmen.
Das Wort zur Abgabe einer Erklärung hat der Abgeordnete Sander.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Namens der SPD-Fraktion habe ich zur Beschlußempfehlung des Vermittlungsausschusses zur Änderung des Tierschutzgesetzes folgende Erklärung abzugeben.
Erstens. Die SPD-Fraktion bleibt bei ihrer grundsätzlichen, ablehnenden Haltung gegenüber dem neuen Tierschutzgesetz. Die Gründe dafür sind in der dritten Lesung ausführlich dargelegt worden. Nach wie vor sind wesentliche Forderungen, die an ein neues Tierschutzgesetz zu stellen sind, nicht erfüllt worden. Die SPD-Fraktion bedauert ausdrücklich, daß die von den sozialdemokratisch geführten Ländern im Bundesrat eingebrachten Vermittlungsvorschläge keine Mehrheit gefunden haben.
Zweitens. Die SPD-Fraktion begrüßt allerdings, daß durch eine neue Vorschrift zum betäubungslosen Schlachten die Einzelheiten des Schächtens im Wege der noch zu erlassenden Rechtsverordnungen bundeseinheitlich geregelt werden sollen. Das stellt ohne Zweifel eine Verbesserung des Gesetzes dar.
Drittens. Die SPD-Fraktion begrüßt ferner die Zusammenfassung der Behördenanordnungsbefugnisse im § 16 a0. Hierdurch werden Übersicht und Anwendung erleichtert.
Viertens. Nicht einverstanden ist die SPD-Fraktion mit der Wiederaufnahme der bereits im Regierungsentwurf enthalten gewesenen Formulierungen, wonach im Rahmen des § 8 — dieser § 8 regelt die Voraussetzungen für Genehmigungen von Tierversuchen — bei einem Antrag auf Durchführung eines Versuchsvorhabens die Antragsvoraussetzungen „wissenschaftlich begründet darzulegen" sind. Hier ist — jetzt werde ich ganz vorsichtig — die SPD-Fraktion der Auffassung, daß die bisherige Formulierung der Glaubhaftmachung womöglich schärfer ist als die nunmehr vorgesehene der „wissenschaftlich begründeten Darlegung".
Fünftens. Die SPD-Fraktion wendet sich insbesondere dagegen, daß der Vermittlungsausschuß das Begehren des Bundesrates, in § 8 Abs. 3 Nr. 1 die Worte „glaubhaft gemacht ist, daß" ersatzlos zu streichen, nicht erfüllt hat. Statt dessen sind die Worte „wissenschaftlich begründet dargelegt ist, daß" aufgenommen worden. Damit hat die Genehmigungsbehörde nur die Möglichkeit, zu prüfen, ob die Voraussetzungen des § 7 Abs. 2 und 3 sowie des § 8 wissenschaftlich begründet dargelegt worden sind. Ein eigenes Prüfungsrecht hat die Behörde nicht.
Sechstens. Die SPD-Fraktion erhofft sich mit ihrem heutigen Nein die Wiederaufnahme des Vermittlungsverfahrens. Bei dieser Gelegenheit sollte mit geklärt werden, meine Damen und Herren, ob nicht sowohl der Begriff der „Glaubhaftmachung" als auch der Begriff der „wissenschaftlich begründeten Darlegung" durch ein anderes, eindeutigeres Wort ersetzt werden kann. Zur Zeit streiten sich die Gelehrten darüber, welches die schärfere Fassung ist.
Siebtens. Aus den von mir vorgetragenen Gründen wird die SPD-Fraktion dem Vermittlungsvorschlag nicht folgen.
Herzlichen Dank.
Das Wort zur Abgabe einer Erklärung hat der Abgeordnete Bredehorn.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Die FDP-Fraktion begrüßt die Beschlußempfehlungen des Vermittlungsausschusses. Sie tragen nach unserer Auffassung dazu bei, einige Paragraphen des Tierschutzgesetzes konkreter zu fassen, Details zu präzisieren und die Anwendung sowie die Durchsetzung des neuen Rechts zu erleichtern.
Uns liegen bereits Stellungnahmen sowohl von seiten der Wissenschaft als auch positive und negative Stellungnahmen von seiten des Tierschutzes zu den Empfehlungen vor.
Zu den Änderungen möchte ich im einzelnen folgendes erklären:
Erstens. Das Genehmigungsverfahren ist verbessert worden. Der Genehmigungsantrag soll wissenschaftlich begründet und nicht nur glaubhaft gemacht werden. Der Bundestag hatte sich für die zweite Version entschieden, vielleicht u. a. auch aus einem gewissen Mißverständnis über die eigentliche Wortbedeutung von „glaubhaft machen" heraus. Ich erinnere mich nämlich gut, daß es sich widersprechende Meinungen über die Interpretierbarkeit
Deutscher Bundestag— 10.Wahlperiode — 222. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Juni 1986 17207
Bredehorn
von „glaubhaft machen" im Zusammenhang mit dem Genehmigungsverfahren gegeben hat. Nach der jetzigen Regelung reicht es eben nicht aus, die Notwendigkeit eines Versuchsvorhabens der Behörde bzw. der Tierschutzkommission glaubhaft zu machen. Dies hätte bedeutet, daß z. B. die eidesstattliche Versicherung des Antragstellers genügen würde, einen Tierversuch zu genehmigen. Eine Überprüfung in der Sache wäre der Genehmigungsbehörde weitgehend verwehrt gewesen.
Der Vermittlungsausschuß folgte der Anregung des Bundesrates, die Genehmigungsvoraussetzungen präziser zu umschreiben. Wie schon im Entwurf der Bundesregierung vorgeschlagen, muß in dem Antrag auf Genehmigung eines Versuchsvorhabens „wissenschaftlich begründet dargelegt" werden, daß die Durchführung von Tierversuchen für das Versuchsvorhaben unumgänglich notwendig ist. Die Angaben können und müssen vor Erteilung der Genehmigung von der Behörde überprüft werden. Damit ist sichergestellt, daß das Genehmigungsverfahren seinen Zweck erfüllen kann.
Zweitens. Das Schächten wird restriktiver gefaßt. Eine bundeseinheitliche Regelung löst unterschiedliches Vorgehen der Länder ab. Die Beschlußempfehlung des Vermittlungsausschusses sieht eine restriktivere Handhabung des betäubungslosen Schlachtens vor. Nur noch auf Grund von zwingenden Geboten einer Religion, so z. B. für orthodoxe Juden oder zum Teil auch für Angehörige des islamischen Glaubens, ist das Schächten erlaubt, allerdings nur, wenn sie in der Bundesrepublik Deutschland ansässig sind. Eine Ausnahme von dem Verbot des betäubungslosen Schlachtens ist aus verfassungsrechtlichen Gründen notwendig, da die Freiheit der Religionsausübung im Grundgesetz geschützt wird. Angehörige jeder Religion haben das Recht, ihr Leben nach den Geboten ihres Glaubens zu gestalten.
Auf Wunsch der Länder soll eine bundeseinheitliche Regelung in Kraft treten. Damit wird ein Schlußstrich unter mögliche unterschiedliche Handhabung der Vorschrift in der Praxis gezogen. Bisher ging es nämlich u. a. auch um das heikle Problem, daß durch unterschiedliche Reglementierung in den Ländern womöglich das eine Bundesland ausländerfreundlicher bzw. religionstoleranter als das andere angesehen wurde.
Weiterhin bleibt das Schächten für den Export verboten.
Drittens. Die Eingriffsbefugnisse der Behörden wegen Verstößen gegen das Tierschutzgesetz sollen ausgebaut werden. Klargestellt wird, daß die Behörde wegen Verstößen gegen die artgerechte Haltung eines Tieres einschreiten kann. Zum Beispiel kann Personen, die wiederholt Verstöße gegen das Tierschutzrecht begehen, das Halten von Tieren untersagt werden. Auch diese letzte Regelung halte ich im Sinne von mehr Tierschutz für richtig und notwendig.
Die FDP-Fraktion wird den Beschlußempfehlungen des Vermittlungsausschusses zustimmen.
Ich möchte mich zum Schluß für die unterstützende Arbeit des Vermittlungsausschusses bedanken.
Das Wort hat der Abgeordnete Werner .
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Sie kennen die Stellung der GRÜNEN zu Tierversuchen. Angesichts des umstrittenen Nutzens der teilweise qualvollen Tierversuche für die Gesundheit des Menschen und angesichts des umstrittenen, unnötigen Ausmaßes der Tierversuche haben wir uns für ein Moratorium bei Tierversuchen ausgesprochen, um eine kritische Bestandsaufnahme zu erstellen.
Wir lehnen das Tierschutzgesetz in seiner jetzigen Fassung entschieden ab.
In § 8 werden die Bedingungen festgelegt, unter welchen Voraussetzungen die Genehmigungsbehörden Versuchsvorhaben zulassen sollen. Dies ist ein für die Anwendung des Tierschutzgesetzes zentraler Punkt. Im Regierungsentwurf — § 8 — war vorgesehen:
Die Genehmigung darf nur erteilt werden, wenn wissenschaftlich begründet dargelegt wird, daß ..
In seiner ersten Stellungnahme zum Regierungsentwurf schlug der Bundesrat vor, die Worte „wissenschaftlich begründet 'dargelegt" zu streichen. Nach dem Regierungsentwurf wäre von der Genehmigungsbehörde lediglich zu prüfen, ob wissenschaftlich begründet dargelegt wird, daß die verlangten Genehmigungsvoraussetzungen erfüllt sind. Nach dem Wunsche des Bundesrates sollte die Genehmigung aber nur dann erteilt werden, wenn die Voraussetzungen wirklich erfüllt sind.
Ein Änderungsantrag, der die Genehmigungsbehörde verpflichten sollte, zu genehmigen, und damit weitere Verschlechterungen für den Tierschutz gebracht hätte, kam von den Regierungsparteien im Forschungs- und Technologieausschuß. Statt „darf nur erteilt werden", sollte es heißen „ist zu erteilen". Dieser Vorschlag wurde allerdings nicht aufgenommen.
Der Ernährungsausschuß hat diese Stelle des § 8 ausführlich besprochen und sich entschieden für:
Die Genehmigung darf nur erteilt werden, wenn glaubhaft gemacht wird, daß ...
Hier wird der Antragsteller sicher stärker in die Pflicht genommen als bei „wissenschaftlich begründet". So ist der Gesetzentwurf von Ihnen, meine Damen und Herren von der Koalition, auch verabschiedet worden.
Wenn jetzt die Formulierung „wissenschaftlich begründet dargelegt" wieder aufgenommen wird, so ist dies eine Verschlechterung der von Ihnen verabschiedeten Form.
Sie alle haben ein Schreiben des Deutschen Tierschutzbundes erhalten, worin dieser die gleiche
Werner
Auffassung vertritt. Es kann doch nicht wahr sein, daß wir im Ernährungsausschuß die Worte „wissenschaftlich begründet" ausgewechselt und als Verbesserung hineingeschrieben haben „glaubhaft gemacht" und jetzt, als eine neue Verbesserung, „wissenschaftlich begründet" wieder hineingeschrieben werden soll. Das dürfte doch wohl keine zweimalige Verbesserung sein.
Für die Ausführungsbestimmungen des Schächtens, betäubungslosen Tötens, bedeutet die Neufassung, daß für die Anhänger des Islam Tiere nicht geschächtet werden dürfen, da ihnen ihre Religion nicht zwingend vorschreibt, nur geschächtetes Fleisch zu verwenden.
Wir können diesen Anträgen nicht zustimmen.
Die Diskussion über Tierversuche und Tierschutz ist mit dieser Novellierung des Gesetzes mit Sicherheit nicht abgeschlossen. Wir werden auch auf dem Gesundheitssektor dazu kommen müssen, vernünftige, dem menschlichen Leben dienende Vorsorgemaßnahmen zu treffen, statt nur nachträglich zu reparieren. Es kann uns niemals eine am Tier getestete Pille die notwendige Kurskorrektur unserer allgemeinen Einstellung zu Krankheit und Heilung abnehmen. Konsequenter Tierschutz auf allen Ebenen und von der Mehrheit der Menschen getragen braucht als Voraussetzung ein besseres Verhältnis zu sich selbst und zur Umwelt, als es heute der Fall ist.
Ich weiß, daß auch in den Regierungsparteien einzelne Abgeordnete diesem Tierschutzgesetz aus Gewissensgründen nicht zustimmen können und daß viele von ihnen bei einer Zustimmung Bauchschmerzen haben, dieses aber verdrängen, damit die einheitliche Linie gewahrt bleibt.
Immer wieder ist gesagt worden, dem Tierschutz müsse über die Fraktionen hinweg Geltung verschafft werden. Wir können also nur hoffen, daß bald eine echte Novellierung des Tierschutzgesetzes erfolgt, der alle Abgeordneten dieses Hauses wirklich zustimmen können.
Schönen Dank.
Meine Damen und Herren, wir kommen jetzt zur Abstimmung*). Der Vermittlungsausschuß hat gemäß § 10 Abs. 3 Satz 1 seiner Geschäftsordnung beschlossen, daß über die Änderungsvorschläge gemeinsam abzustimmen ist. Wer der Beschlußempfehlung des Vermittlungsausschusses auf Drucksache 10/5617 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Mit Mehrheit angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 15 auf:
Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Kittelmann, Wissmann, Klein , Dr. Pinger, Lenzer, Höffkes; Echternach, Graf Huyn, Frau Geiger, Lattmann, Dr.
1 Erklärungen zur Abstimmung siehe Anlagen 2 und 3 Schwörer, Schwarz, Clemens, Dr. Unland, Kolb, Dr. Kunz , Dr. Jobst, Repnik, Weiß, Hornung, Hinrichs, Frau Roitzsch (Quickborn), Frau Dr. Hellwig, Jagoda, Dr. Stercken, Dr. Schroeder (Freiburg), Lowack, Hedrich, Kraus, Dr. Lammert, Reddemann, Magin, Ruf, Müller (Wadern) und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Dr. Graf Lambsdorff, Dr. Haussmann, Beckmann, Frau Seiler-Albring, Dr. Weng (Gerlingen), Dr. Feldmann, Dr. Solms, Frau Dr. Segall, Dr. Rumpf, Dr.-Ing. Laermann, Kohn und der Fraktion der FDP
Wettbewerbschancen der deutschen Wirtschaft im pazifischen Raum
— Drucksachen 10/3995, 10/5133 —
— Hinausgehen können Sie, meine Damen und Herren, aber bitte nicht so laut.
Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/5699 vor.
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die Beratung 90 Minuten vorgesehen. — Es erhebt sich kein Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Kittelmann.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Als die Koalition vor einem Jahr die zur Debatte stehende Anfrage einbrachte, verkündete die veröffentlichte Meinung lautstark, die deutsche Wirtschaft habe im pazifischen Raum den Anschluß verpaßt. Euro-Sklerose, Japan-Syndrom und die deutsche Krankheit sind nur einige Beispiele für die teilweise bis heute anhaltende Schwarzmalerei.Die jetzt vorliegende Antwort der Bundesregierung verdeutlicht demgegenüber: Die deutsche Wirtschaft ist im Wettbewerb um den pazifischen Raum keineswegs abgeschlagen, ihr Engagement in dieser Region ist wieder sehr hoch; sie stellt sich dem Wettbewerb; ihre Erzeugnisse sind gefragt, und ihre Wettbewerbsbeteiligung ist dort willkommen.Die CDU/CSU-Fraktion möchte der Bundesregierung für die ausführliche und konstruktive Antwort ausdrücklich ihren Dank aussprechen.Die sogenannte Japan-Neurose ist überwunden. An Stelle von Selbstlähmung zeichnet sich die deutsche Wirtschaft durch Eigeninitiative und Profilierungswillen aus. Wie kaum ein anderes Land hat die deutsche Industrie in einer sehr schwierigen Zeit gewaltige Modernisierungsanstrengungen unternommen. Unsere Wirtschaft ist offen für neue Technologien. Sie nutzt ihre Originalität und Kreativität für eigenständige Entwicklungen. Wir wissen: Technologiefeindlichkeit führt zu wirtschaftlicher Verkrustung, unsere Technologiefreundlichkeit fördert wirtschaftliche Eigendynamik.Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 222. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Juni 1986 17209KittelmannGerade im Technologiebereich ist ein kräftiger Investitionsschub auf breiter Front nötig. Im Verhältnis zu den USA und Japan haben wir noch immer Rückstand aufzuholen. Jedoch hat sich unsere Wirtschaft seit einiger Zeit auf die eigenen Stärken besonnen. Eine ganze Reihe deutscher Firmen geht ihrerseits in die Offensive Richtung Fernost. Wir haben hier gute Gründe, mit Optimismus in die Zukunft zu schauen. Die Entwicklung im pazifischen Raum führte zu neuen Handelsströmen. Unsere Wirtschaft hat dies nicht als Bedrohung angesehen, sondern seitdem wir auch in der wirtschaftlichen Originalität in der Offensive sind, als Chance begriffen und ergriffen.Gerade im Export sind wir wieder erfolgreich. In fast allen Exportbereichen liegen wir seit 1980 weit über dem damaligen Niveau. Im April verzeichneten wir einen Exportüberschuß von rund 10 Milliarden D-Mark. Das Rekordergebnis von 1985 könnte noch übertroffen werden. Diese Exportstärke ist im wesentlichen eine Folge einer exportorientierten Politik unserer Wirtschaft. Sie zwingt unsere Firmen, auf internationalen Märkten zu bestehen, wettbewerbsfähig zu bleiben und den internationalen Wettbewerb zu suchen.Unsere Wirtschaft hält insbesondere auch im pazifischen Raum im Wettbewerb gut mit. Dies zeigen gerade die positiven Entwicklungen unseres Außenhandels 1984 und 1985. Unsere Exporte in den pazifischen Raum erhöhten sich z. B. im Handel mit Südkorea um 17 % bis zu 30 % mit Hongkong.Sowohl im Hinblick auf die ASEAN-Staaten als auch bei den nicht zu. den ASEAN-Staaten gehörenden Ländern der Region ergab sich 1985 ein deutliches Exportplus von etwa 20 %. Dies zeigt nachdrücklich: Die deutsche Wirtschaft hat die Herausforderung des pazifischen Raumes angenommen. Sie sichert sich ständig Marktanteile und erhält so ihre internationale Wettbewerbsfähigkeit.
Dies alles darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, daß es noch viel zu tun gibt. Unsere Positionen sind noch ausbaufähig. Noch ist die deutsche Exportwirtschaft in dem dynamischen Wirtschaftsraum des pazifischen Beckens nicht so vertreten, wie es eigentlich unserer wirtschaftlichen Stärke entspricht. Die Märkte im Fernen Osten sind allerdings, wie wir wissen, auch schwer zu durchdringen. Nichttarifäre Handelshemmnisse, einengende Vorschriften für ausländische Investoren oder Schwierigkeiten beim Grunderwerb hemmen den Zugang.Es ist auch Aufgabe der Politik, in Gesprächen mit den ASEAN-Ländern dafür zu sorgen, daß im asiatischen Bereich die Länder mehr offene Handelsströme zulassen, als es in der Vergangenheit der Fall war.Darüber hinaus hat sich die deutsche Wirtschaft insbesondere mit marktverzerrenden Praktiken, Subventionen und Dumping der Konkurrenten auseinanderzusetzen. Gleichwohl ist es einigen deutschen Unternehmen bereits gelungen, in so schwer zugänglichen Ländern wie Japan, Korea und ChinaZugang zu finden. Dies ist für uns ein außerordentlich positiver und zu begrüßender Erfolg.Die ostasiatischen Länder ihrerseits versuchen, eine starke einseitige Wirtschaftsbeziehung zu den USA bzw. Japan aufzulösen und ihren Außenhandel insbesondere auf die Bundesrepublik Deutschland und die EG hin zu erweitern.Dies verursacht zwangsläufig Gegenbewegungen. Asiatische Länder verstehen den Export bedauerlicherweise sehr häufig als Einbahnstraße. Auch hier besteht für die Politik die Notwendigkeit, mitzuhelfen, daß sich das ändert.Für Ostasien ist die Bundesrepublik Deutschland geradezu ein Wunschpartner. Wer in diesen Ländern Gespräche führt, erlebt dies immer wieder. Unbelastet von kolonialer Vergangenheit besitzt sie eine marktwirtschaftliche Ordnung, eine leistungsfähige Industrie und einen offenen Absatzmarkt für asiatische Produkte. Ihre eigenen Erzeugnisse — und dies ist für die deutsche Wirtschaft positiv zu sehen — bürgen für Qualität. Der Besuch des KP-Chefs von China hat dieses bewiesen. Er hat die Qualität der deutschen Exportgüter gelobt, sich allerdings zurückhaltender über die Preise geäußert.Festzuhalten ist jedoch, daß die Märkte im Fernen Osten schwierig zu durchdringen sind. Der pazifische Raum steckt voller handelspolitischer Barrieren. Obwohl die Länder durch den ASEAN-Pakt miteinander verbunden sind, betreibt jedes Land für sich eine eigene, unabgestimmte Handelspolitik. Chancen für den Export in diesem Bereich sind deshalb stark beschränkt. Zum Teil fehlt auch ein Potential für vernünftige Produktionsgrößen. Deshalb sind die Länder im pazifischen Raum aufgerufen, untereinander die bestehenden Handelsbeschränkungen abzubauen und damit Anreize für mehr Direktinvestitionen zu geben.Meine Damen und Herren, dies ist für uns auch für die Zukunft ein sehr wichtiges Thema. Direktinvestitionen im pazifischen Raum sind aus außenwirtschaftlichen, aber auch und vor allem aus entwicklungspolitischen Gründen dringend notwendig und sind, wie wir wissen, zu beiderseitigem Nutzen. Gerade wenn wir das Motto „Hilfe zur Selbsthilfe" ernst nehmen, können sich die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem pazifischen Raum nicht in Exporten erschöpfen. Die deutsche Wirtschaft kann das Ihre dazu tun, indem sie sich mittels Direktinvestitionen vor Ort engagiert. Wer die Statistiken kennt, weiß, daß wir im Hinblick auf Direktinvestitionen gegenüber den USA und Japan außerordentlich im Rückstand sind.Für deutsche Exporteure hat sich in Südostasien ein harter Konkurrenzkampf insbesondere mit den japanischen Wettbewerbern entwickelt. Mit fortschreitender Entwicklung und steigenden Einkommen wird im pazifischen Raum das Marktpotential für hochwertige Erzeugnisse allerdings wachsen. Aus diesem Grunde und um für die asiatischen Länder das richtige Marketing zu entwickeln, ist es sinnvoll, sich mit Direktinvestitionen im pazifi-
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Kittelmannschen Raum zu engagieren. Unsere Position dabei ist, wie ich vorhin bereits ausführte, ausbaufähig.Größere deutsche Firmen sind in vielen Fällen bereits durch Vertriebsniederlassungen oder eigene Produktionsstätten vertreten. Für kleinere und mittlere Unternehmen jedoch ergeben sich nach wie vor große Probleme, auf den Märkten Asiens Fuß zu fassen. Diese Klein- und Mittelbetriebe, die etwa 80 % unserer Wirtschaft ausmachen, haben besondere Schwierigkeiten bei der Überwindung geographischer, entfernungsmäßiger und mentalitätsbedingter Schwellen. Es ist die Politik der CDU/ CSU und die der Koalition, gerade hier Anreize zu schaffen und den Mittelstandsbetrieben dabei zu helfen, auch in diesem Bereich tätig werden zu können.
Angesichts der besonderen Finanzierungsmöglichkeiten japanischer Konkurrenten in Verbindung mit gekoppelten Entwicklungshilfeleistungen ihrer Regierung ist für deutsche Unternehmen ein Engagement in Fernost unter finanziellen Aspekten häufig sehr riskant. Wenn man sich die Zahlen ansieht, stellt man fest — und das ist außerordentlich interessant —, wie stark die japanische Regierung ihre Industrie in diesem Bereich unmittelbar unterstützt, in einem Bereich, den wir außerordentlich kritisch sehen müssen, weil es sich dabei nach unseren marktwirtschaftlichen Vorstellungen um einen Protektionismus besonderer Art handelt.Es ist deshalb unrealistisch, anzunehmen, daß wir in absehbarer Zeit mit unseren Hauptkonkurrenten Japan und USA gleichziehen könnten, aber die deutsche Wirtschaft ist, was wir begrüßen, dabei, den notwendigerweise immer noch bestehenden Rückstand erheblich zu verringern.Meine Damen und Herren, wir haben den Fuß in der Tür, und das ist besonders wichtig, weil seitens der Länder des pazifischen Raumes ein langfristig orientierter Kontakt vor Ort gewünscht wird. Sofortige Investitionen sind nicht die Regel. Zunächst muß man Vertrauen schaffen, man muß vor Ort erkunden, man muß Erfahrungen gewinnen, um zu wissen, wo Investitionen angelegt werden und wie sie langfristig auch gesichert werden können.Einen zusätzlichen Anreiz für Direktinvestitionen bietet der vergleichsweise wesentlich niedrigere Arbeitskostenanteil, der von dort zu vermelden ist.
Deutsche Betriebe, die an Direktinvestitionen interessiert sind und dabei hochwertige Produktionstechniken mitbringen, sehen sich hier offenen Türen gegenüber.Die asiatischen Länder ihrerseits sind immer mehr — wobei zwischen den einzelnen Ländern zu differenzieren ist — darum bemüht, den Ruf des Billiglohnlandes abzuschütteln und verstärkt zu kapital- und technologieintensiven Fertigungen überzugehen. Hieraus ergeben sich interessante Möglichkeiten der Zusammenarbeit, wiederum auch und insbesondere für unsere mittelständischeWirtschaft. Gerade kleineren deutschen Industriebetrieben stehen oft hochwertige Produktionstechniken zur Verfügung. Für sie bietet es sich deshalb besonders an, sich im ASEAN-Bereich zu engagieren. Auch im pazifischen Bereich ist man, wie vor allem die Gespräche mit Vertretern der Volksrepublik China immer wieder ergeben, dabei, langfristig großen Wert darauf zu legen, mittelständische Betriebe aufzubauen und entsprechende neue Wirtschaftsvorstellungen umzusetzen.Eine verstärkte Präsenz in den Ländern des pazifischen Raumes hilft, geographische und kulturelle Entfernungen besser zu überwinden, potentielle Abnehmer über unser Warenangebot zu unterrichten und unsere Unternehmen selbst besser über die dort vorhandenen Absatzmöglichkeiten zu informieren. Es gibt kaum einen anderen Bereich, in dem es nachweisbar so wichtig ist, bei der Förderung der Entwicklung durch eine gemeinsame Handelspolitik zu helfen.Ein Grundstein für die Verbesserung der Informationsmöglichkeiten wurde im vergangenen Jahr durch die Bewilligung personeller und sachlicher Ausweitung im Bereich der Wirtschaftsdienste gelegt. Die CDU/CSU begrüßt dies, wird jedoch ihr Augenmerk darauf richten, daß das Problem verbesserter Wirtschaftsdienste auf der Tagesordnung bleibt, weil wir trotz Schwierigkeiten, die wir im Haushalt haben, der Meinung sind, daß es sich wirtschaftlich lohnt, in dieser Frage mehr Hilfe zu leisten, weil das, was man finanziell mehr ausgibt, auf anderen Wegen sehr schnell wieder zurückkommt. Das ist auch ein Appell an den Haushaltsausschuß, bei der Bewilligung solcher Stellen flexibler zu sein.
Das Engagement der deutschen Wirtschaft im pazifischen Raum ist mittlerweile sehr hoch. Es ist wenig hilfreich, wenn die Politik ihrerseits der deutschen Wirtschaft unbegründete Vorwürfe macht. Politik soll animieren, soll unterstützen. Die Wirt- schaft hingegen — zumindest ist das unser Wirtschaftsverständnis — muß die eröffneten Freiräume ihrerseits nutzen und ausfüllen.Die deutsche Wirtschaft ist auf dem besten Wege, den pazifischen Raum expansiv zu nutzen. Sie hat ein gesteigertes Engagement nicht zuletzt deshalb eingesetzt, um auch langfristig unsere nationalen Interessen in diesem Bereich zu sichern.Der dort ständig wachsende Konkurrenzkampf bietet bei entschlossener und angemessener Reaktion auch Chancen für unsere deutsche Industrie. Die pazifische Region ist heute zweifellos die aussichtsreichste Wachstumszone der Weltwirtschaft.
Der pazifische Raum entwickelt sich zu einem Markt der Zukunft, in dem die deutsche Wirtschaft ihre gute Position weiter ausbauen kann und auch ausbauen wird.Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 222. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Juni 1986 17211KittelmannDie Politik hat die erforderlichen Rahmenbedingungen hierzu geschaffen.
Jetzt gilt es, sie weiter auszufüllen und in dem Bemühen um den pazifischen Raum nicht nachzulassen.Für die CDU/CSU wird die Wettbewerbsfähigkeit im pazifischen Raum weiter auf der Tagesordnung bleiben.Ich danke Ihnen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Mitzscherling.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der pazifischen Herausforderung stehen deutsche Unternehmer auf allen Märkten gegenüber. Überall treffen sie auf Anbieter aus asiatisch-pazifischen Ländern, die mit deutschen Produkten im Preis- und Qualitätswettbewerb konkurrieren.Hier sind wir einig: Der bisherige Erfolg der deutschen Unternehmen, auch der der international tätigen Handelshäuser, kann sich sehen lassen. Qualität, Diversifizierung und zuverlässiger Service sind bekannt. Aber auch der unterbewertete Dollar half zusätzlich.Dies hat sich seit dem vorigen Jahr geändert. Die D-Mark ist teurer, der Wettbewerb ist härter geworden, vor allem dort, wo die Konkurrenten Heimvorteile genießen. Das bedeutet für jedes Neuengagement langfristig orientierte und alle Risiken abwägende Überlegungen — jedenfalls für die deutsche Exportwirtschaft.Da hat es die Bundesregierung leichter. Sie erklärt einfach, da drüben im asiatisch-pazifischen Raum wartet man auf deutsche Unternehmen. Warum eigentlich diese Zurückhaltung? Diese Herausforderung muß man doch annehmen. Das wachstumsträchtige Potential muß man anzapfen. Es bietet Absatzchancen auch für die vielen mittelständischen Unternehmen in unserer Wirtschaft. Jedenfalls hat der Herr Bundeswirtschaftsminister all diese Eindrücke im letzten Jahr von seiner Sommerreise mitgebracht: Er hat erklärt, was er erwartet: mehr Engagement, mehr Investitionen, eine stärkere Präsenz vor Ort, ein gemeinsames Vorgehen mittelständischer Unternehmen bei Akquisition, bei Produktion und bei Absatz. Den Rest würde dann schon die Bundesregierung mit einer hervorragender Außenwirtschaftspolitik erledigen, die neu konzipiert werden müßte. Das hat er dann von Südostasien aus verkündet. Das hat viele erstaunt, seine Beamten wahrscheinlich am meisten. Aber immerhin, die Zuweisungen für Messen und Ausstellungen sind erhöht worden; auch die Außenhandelskammern bekommen mehr; es gibt detailliertere Informationen, und die Wirtschaftsdienste der Auslandsvertretungen sind aufgestockt worden.Aber offensichtlich glaubt die Bundesregierung, mit diesen Verbesserungen des Instrumentariums allein — so jedenfalls kann man das aus ihrer Antwort entnehmen — sei es nun getan, damit fortan einer zunehmenden Kooperation, einem kräftigeren Exportwachstum und einer Verstärkung unserer Marktposition im pazifischen Raum nichts mehr im Wege steht.Das Motto lautet: Wir haben mit unserer Politik den Rahmen schön gestaltet; nun engagiert euch endlich, sonst verschlaft ihr eure Chancen; ihr seid selbst schuld, wenn der Exportrückgang in neuen Märkten nicht ausgeglichen werden kann!Ich meine, damit macht es sich die Bundesregierung sehr leicht. Es mag stimmen, daß die Deutschen spät gestartet sind. Aber wer von Anfang an ihm Geschäft war — da stimme ich Herrn Kittelmann zu —, der hat sein Geld dort verdienen können. Aber jeder Newcomer muß sehen, daß in diesen Ländern nach einer kräftigen Steigerung ihrer Leistungskraft, von einem sehr niedrigen Niveau aus, die Zuwachsraten abgeflacht sind. Heute erzeugen diese Länder mit Ausnahme Japans und der anderen Industrieländer des Raums ein Sozialprodukt, das nicht einmal jenes der Benelux-Länder erreicht.Jeder, der sich dort engagieren will, muß seine Exportchancen im wesentlichen auf den Investitionsgütersektor erstrecken; denn der gesamte Raum — ohne Japan — nimmt allenfalls ein Importvolumen an Investitionsgütern von 100 Milliarden Dollar auf. Das ist ein Kuchen, um den sich dann alle Industrieländer streiten.Jedes interessierte Unternehmen muß bedenken, daß diese Wirtschaftsdynamik im asiatischen Raum den gleichen konjunkturellen Einflüssen unterliegt wie die der westlichen Industrieländer und daß in Phasen schrumpfenden Welthandels oder eines schwachen Wachstums des Welthandels die in vielen Ländern durch Rohstoffverkäufe geprägte Ausfuhr dann in der Regel zurückgeht und durch Importrestriktionen beantwortet wird.
Jedes interessierte Unternehmen muß sich darüber informieren und zur Kenntnis nehmen, daß diese Märkte schwer erschließbar sind — das wurde gesagt —, daß dort keine schnellen Gewinne zu machen sind und daß die gewaltigen Marktpositionen der USA und Japans unübersehbar sind. Deshalb ist es auch gar nicht verwunderlich, daß es dort Schwierigkeiten gibt.Viele dieser kreditnehmenden Länder im pazifischen Raum stehen heute vor gewaltigen strukturellen Problemen. Es stimmt nicht, daß es dort ständig aufwärtsginge. Im Gegenteil, wegen der Abschwächung des Welthandelswachstums und auch wegen der indirekten Auswirkung der weltweiten Schuldenkrise kommt es dort zu Kreditattentismus. Es kommt dort zur Zurückhaltung, ja direkt zur Verweigerungshaltung der kreditnehmenden Länder. Das ist kein Wunder, denn auch die Dollarveränderung und der Fall der Rohstoffpreise wirken sich auf diese Weise aus.
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17212 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 222. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Juni 1986
Dr. MitzscherlingSelbst das exportstarke Japan leidet letztlich unter dem immer teurer werdenden Yen. Schließlich ist von 1984 auf 1985 das Wirtschaftswachstum in den 16 Mitgliedstaaten der asiatischen Entwicklungsbank von 6,6 % auf 3,6 % zurückgegangen.Die exportorientierten Schwellenländer waren 1985 besonders hart betroffen. Wachstumseinbrüche, Stagnation, zum Teil sogar Rezession, Firmenzusammenbrüche, schlechtere Immobilienbewertung haben nicht nur die Länder selbst, sondern auch ausländische Banken betroffen, wie wir bei uns feststellen konnten. Man spricht dort von Anpassungsprozessen, die in vielen asiatischen Ländern bereits heute die Dimensionen Lateinamerikas erreichen.Zwar kann man daraus schlußfolgern, daß bestimmte indirekte Wirkungen der Schuldenkrise in diesem Attentismus sichtbar werden, obwohl die Schuldenlast des einzelnen Landes noch gar nicht so drückend sein mag; aber es zeigt sich eben im Importvolumen.Zwar hat das DIW in einer Untersuchung gerade jetzt festgestellt, daß die Ölpreissenkungen vereinzelt die Lage verbessern werden: In einigen Ländern wie in Südkorea, in Taiwan, in Thailand. Dagegen sind in den Ölexportländern Malaysia, Indonesien und auch in der Volksrepublik China beträchtliche Erlös- und Wachstumseinbußen festzustellen. Dies bedeutet Importdrosselung, dies bedeutet zunehmenden Exportwettbewerb.Dieser Wettbewerb wird für unsere Wirtschaft durch den Dollarverfall noch verschärft, weil die pazifischen Währungen zumeist an den Dollar geknüpft sind.Auch Japan hat steigende Exportschwierigkeiten, weil der japanische Yen stärker aufwertet. Doch ich bin sicher, daß die Japaner, die drohende Einschränkung ihrer Absatzmärkte in den USA vor Augen, ihre Position im Pazifik ausweiten werden, in jedem Fall halten wollen, und sei es unter Hinnahme von Verlusten. Sie werden mit den Preisen heruntergehen und die Märkte vor ihrer Haustür mit ihren Produkten überschwemmen.Deshalb sehe ich, anders, als es die Bundesregierung tut und es in den Worten von Herrn Kittelmann zum Ausdruck kam, im Prinzip für mittelständische Unternehmen nur recht geringe Chancen.
Warum soll denn ein kleines oder mittleres Unternehmen angesichts dieser Unsicherheiten und dieses undurchsichtigen Raums, den Sie j a dargestellt haben, Markterschließungskosten in Millionenhöhe gleichsam vorstrecken? Kleine Unternehmen denken doch in überschaubaren Kalkulationszeiträumen. Deshalb meine ich, daß vor allem große und ohnehin schon weltweit operierende Unternehmen dort ihre Marktstellung behaupten, vielleicht auch im Einzelfall verstärken werden, am ehesten dann, wenn sie auf europäischer Ebene miteinander kooperieren. Es mag sein, daß das eine oder andere mittelständische Unternehmen gleichsam im Hukkepack-Verfahren an einer Kooperation beteiligt wird.
— Sicher wäre das schon ein relativer Vorteil. Aber davon zu träumen, daß es dort einen gewaltigen Ausbau der Märkte gäbe, ist, glaube ich, illusionär.Überdurchschnittlich könnte die Position in der Volksrepublik China ausgeweitet werden. Aber auch dort wachsen die Bäume nicht in den Himmel. Wie haben gehört, daß zu optimistische Erwartungen im Grund nicht am Platze sind. Zunehmende Kooperation kann man sich in Australien im Rohstoffsektor vorstellen. Auch Neuseeland könnte ein Markt der Zukunft sein. Aber der Zugang zum gewaltigen japanischen Binnenmarkt wird trotz aller Versprechungen der Japaner weiterhin ein großes Problem sein. Er wird sicher erst ganz allmählich leichter werden.Das bedeutet aber für uns: Es reicht nicht, daß wir Außenhandelskammern ausbauen, daß wir einige Planstellen in den Auslandsvertretungen verbessern und bereitstellen, daß wir detailliertere Informationen zur Verfügung halten. Da genügen auch nicht die Blitzbesuche des Bundeskanzlers, der mal eben so auf dem Weg nach Tokio mit seinen Ministern irgendwo Station macht, aber nicht einmal Zeit hat, ernsthafte Wirtschaftsgespräche zu führen. Es genügt sicher auch nicht, daß man sich von führenden Repräsentanten der deutschen Wirtschaft begleiten läßt, ohne ihnen überhaupt die Möglichkeit zu wirtschaftlich relevanten Gesprächen zu verschaffen. Aber immerhin, Tourismus vermittelt ja zusätzliche Erkenntnisse. Allein diese Unzulänglichkeiten in der politischen Selbstdarstellung sind schon ärgerlich.Aber kritikwürdig ist vor allem der gesamtpolitische Ansatz, der hier deutlich wird, der unsere außenwirtschaftliche Orientierung aber in vielfältiger Weise tangiert. Hier werden Versäumnisse und Fehler sichtbar.In ihrer Antwort auf die Große Anfrage der Koalitionsparteien erklärt doch die Bundesregierung, daß sie zur Sicherung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft alles tun wolle für ein offenes multilaterales Welthandelssystems im Rahmen des GATT. Und sie sagt, daß sie für ein Zusammenwirken der Außenwirtschaftspolitik mit allen Politikbereichen Sorge tragen möchte. Wenn sie das täte, wäre das gut. Aber leider tut sie das nur unzureichend.
So geben der Kanzler und seine Minister zwar immer feierliche Bekenntnisse für eine weitere Liberalisierung des Welthandels und für eine neue GATT-Runde ab. Doch was betreiben sie eigentlich für eine politische Praxis, die darauf gerichtet ist? Auf der einen Seite Freihandelsbekenntnisse im gewerblichen Bereich; auf der anderen Seite ein un-verholener Protektionismus im Agrarsektor.Der Vorwurf, daß hier eine unglaubwürdige Doppelstrategie getrieben wird, wird doch immer häufi-Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 222. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Juni 1986 17213Dr. Mitzscherlingger an die Adresse der Bundesregierung gerichtet. Glauben Sie denn ersthaft, meine Damen und Herren von den Koalitionsparteien, sich hier hinter der EG verstecken zu können, wenn es um diese Vorwürfe geht? Es ist doch nicht nur das Problem, das mit dem Beitritt Portugals und Spaniens im Agrarsektor in der EG entstanden ist, wie es der Herr Bangemann heute im „Handelsblatt" beschreibt. Mit einer Agrarpolitik, die sich vorwiegend an kurzfristigen, auch an sehr durchsichtigen Interessen ausrichtet, haben Sie die Lösung der europäischen Agrarfrage noch schwieriger gemacht. Ich frage Sie: Wo sind denn eigentlich Ihre ernsthaften Bemühungen zum Abbau von Agrarüberschüssen, zur Bekämpfung des Agrarprotektionismus und zur Rückführung der Exportsubventionen?
Damit könnten Sie die Absatzmöglichkeiten in den Entwicklungsländern, in den Schwellenländern, aber auch in den Vereinigten Staaten, Neuseeland und Australien sicherlich bessern helfen. Hier sind unsere Märkte, von denen Sie immer reden, noch nicht offen. Sie sind geschlossen. Und alle haben von dieser Politik schlichtweg die Nase voll.Die Agrarfrage steht heute vor jeder GATT-Runde. Wenn Sie diese GATT-Runde verwirklichen wollen, sind gerade Sie in der Regierung zu einer Initiative verpflichtet, die auf die Lösung der europäischen Agrarprobleme gerichtet ist.
Denn über eines sollten wir uns alle im klaren sein: Eine Eskalation im Agrarhandel würde mit Sicherheit auf den Außenhandel mit gewerblichen Produkten überschwappen. Dann würde unsere exportorientierte Wirtschaft voll getroffen, am stärksten von allen Mitgliedsländern der Europäischen Gemeinschaft.Herr Grüner mag das vielleicht wissen. Er mag auch seine Konzepte haben, wie man das abstellt. Aber sein großer Koalitionspartner schweigt sich zu der Frage aus, was man machen kann.Deshalb sind auch Klagen über zunehmenden Protektionismus überhaupt nicht angebracht, wenn man sich durch eigenes Verhalten in eine solche Situation begibt.
Dann hat es auch keinen Sinn, Exporterfolge zu bejubeln, von denen man genau weiß, daß sie nur zeitweilig Exporterfolge sein werden.
Wer soll denn diese Politik eigentlich verstehen? Das ist doch nicht die Flankierung der Außenwirtschaftspolitik, wie sie die Bundesregierung in ihrer Antwort auf die Große Anfrage angekündigt hat.
— Natürlich hatten wir damals einen sehr gut funktionierenden Außenhandel; genauso wie heute.Aber wir hatten damals auch andere Währungsverhältnisse als heute.Sie müssen sich darauf einstellen, daß der protektionistische Druck der Vereinigten Staaten immer stärker wird. Die gewaltigen Handelsungleichgewichte zwischen den USA und den Überschußländern Japan und Bundesrepublik Deutschland führen zunehmend zu Spannungen. Die müssen weg. Die Erklärungen der Amerikaner auf der Bostoner Währungskonferenz sind doch überhaupt nicht mißzuverstehen. Da sagte Baker klipp und klar: Wenn die Deutschen ihre binnenwirtschaftliche Nachfrage nicht stärken — durch Zinsabbau oder Steuersenkung oder öffentliche Investitionen —, dann muß der Dollar weiter herunter. Dann sieht es mit den Exporterfolgen ganz anders aus.
Die Amerikaner haben die Macht und die Möglichkeiten, den Dollar herunterzubringen, sogar herunterzureden. Und sie wollen ihn tiefer sehen. Daran zweifeln wir bitte nicht! Sie wollen ihre Außenhandelsposition stärken. Um das zu erreichen, werden sie auch nicht vor verschärftem Protektionismus zurückschrecken.Wir haben schon vor einem Jahr in unserer Großen Anfrage zum Weltwirtschaftsgipfel auf diese drohende Entwicklung hingewiesen. Die Bundesregierung hat sich das angehört, aber sie hat zuwenig getan. Sie hat sich damit nicht auseinandergesetzt, um dieser Entwicklung wirksam zu begegnen.
Wir können nur wiederholen: Der Bedarf an enger wirtschaftspolitischer Kooperation ist immer größer geworden. Hierbei fällt den Vereinigten, Staaten als der Welt größter wirtschaftlicher Führungsmacht eine ganz entscheidende Rolle zu. Wenn die Vereinigten Staaten wirtschaftliche Schwierigkeiten haben, trifft das den Welthandel und das Wirtschaftswachstum in allen Teilen der Welt, auch bei uns. Deshalb tun die Deutschen und die Japaner gut daran, im eigenen Interesse die amerikanischen Konsolidierungsbemühungen durch Stärkung ihrer eigenen Binnenkräfte zu unterstützen.
Sicherlich werden wir weiter exportieren; ohne jeden Zweifel. Aber die gewaltigen Exportüberschüsse, die Sie heute so beklatschen, will in dieser Welt keiner mehr: weder die Vereinigten Staaten noch die OPEC-Länder, weder Lateinamerika noch die RGW-Staaten noch die Staaten innerhalb der Europäischen Gemeinschaft. Und was die Länder des pazifischen Raums anlangt: Dort werden die Japaner ihre Produkte abzuladen versuchen, notfalls zu konkurrenzlosen Preisen, um ihre Marktanteile zu behaupten oder zu vergrößern.Die Aufgabe der strukturellen Anpassung der nächsten Jahre heißt deshalb: Abbau der deutschen und japanischen Leistungsbilanzüberschüsse und des amerikanischen Defizits. Dazu ist ein Saldo an Warenströmen von rund 130 Milliarden US-Dollar umzukehren. Wir werden schneller steigende Im-17214 Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 222. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Juni 1986Dr. Mitzscherlingporte hinnehmen müssen. Wir werden zu einer Stärkung unseres binnenwirtschaftlichen Wachstums, unserer binnenwirtschaftlichen Kräfte notfalls gezwungen werden. Wir werden künftig nicht mehr mit nahezu unserer gesamten Produktionspalette auf den Märkten konkurrenzfähig sein. Der Wettbewerbsdruck der USA, aber auch der pazifisch-asiatischen Schwellenländer wird mit niedrigerem Dollar auf allen Märkten der Welt immer härter werden. Deshalb genügt es künftig nicht mehr, mit den herkömmlichen Bordmitteln der Außenwirtschaftspolitik zu operieren. Die Bundesregierung muß umfassende, globale Anstrengungen unternehmen, um auf die Situation einzuwirken. Sie muß gefährlichen Entwicklungen rechtzeitig entgegenwirken.
Dies heißt für die Gegenwart und für die nähere Zukunft: Stärkung der binnenwirtschaftlichen Kräfte — nicht allein bei uns, sondern in Europa.
Die Bundesrepublik ist wirtschaftlich das stärkste Land Europas, und deshalb muß sie auch hier endlich eine Initiative zu einer Politik für mehr Wachstum und mehr Beschäftigung ergreifen.Ich bedanke mich.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Solms.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Botschaft hör' ich wohl, Herr Kollege Mitzscherling, allein mir fehlt der Glaube. Wenn Sie „Stärkung der Binnenkräfte" sagen, dann müssen Sie auch sagen, was und wie Sie es tun wollen.
Darf ich vielleicht die Vorschläge des Vorstands der SPD zu Steuererhöhungen als Vorschläge zur Stärkung der Binnenkräfte verstehen? Oder wollen Sie wieder der Lokomotivtheorie vom Ende der 70er Jahre anhängen? Dann müssen Sie der Öffentlichkeit aber auch sagen, wozu das dann geführt hat: zu Inflation, zu Arbeitslosigkeit, zu einer Senkung des Wirtschaftswachstums. Diese Folgen haben wir heute wieder auszugleichen.
Deswegen warne ich davor zu glauben, mit einer staatlichen Stärkung der Binnenkräfte — das heißt, auf deutsch gesagt, staatliche Ausgabenprogramme — könnten wir die Politik und die wirtschaftliche Situation in der Bundesrepublik verbessern.
Nein, meine Damen und Herren, wenn es um die Wettbewerbssituation der deutschen Wirtschaft im pazifischen Raum geht, dann ist das zunächst einmal eine Angelegenheit der Wirtschaft selbst. Der Staat, welche Regierung auch immer, kann nur etwas tun, um die Rahmenbedingungen dazu ordnungspolitisch vernünftig zu gestalten.
Das ist das Entscheidende. Diese merkantilistischen Vorstellungen, die aus Ihrer Rede hervorgeblitzt sind, können keine Verbesserungen erreichen.
Das Wirtschaftspotential des pazifischen Raumes ist nun einmal — das wissen wir aus allen Statistiken — in den letzten Jahren und vermutlich auch in den nächsten vor uns liegenden Jahren einer der großen Wachstumsräume in der Weltwirtschaft. Grundsätzlich marktwirtschaftlich orientierte Wirtschaftssysteme sind dort vorhanden, oder sie entwickeln sich immer mehr dazu. Eine leistungsfähige, leistungsbereite, zunehmend gut ausgebildete Bevölkerung mit der Bereitschaft, zu lernen und zu arbeiten, und ein reiches Rohstoffpotential machen die Wettbewerbsvorteile dieser Region heute aus. Hinzu kommt der sich allmählich entfaltende immens große Wirtschaftsraum der Volksrepublik China, der sich zunehmend auch an marktwirtschaftlichen Organisationsprinzipien orientiert.Auf einer Reise nach China habe ich kürzlich feststellen können: Es ist unglaublich, wenn man sieht und vergleicht, wie sich die Wirtschaft dort nur innerhalb der letzten drei Jahre entwickelt hat, wie sich kleine wirtschaftliche Märkte entwickeln,
in denen viele Tausende von Menschen mittlerweile aus eigenem Interesse eigene Initiativen starten, die eben auch zu diesem enormen Wirtschaftswachstum in China beigetragen haben. Dies wird sich natürlich auf Dauer auch auf die Entwicklung Chinas und die Verflechtung Chinas mit den Weltmärkten auswirken.Auf Grund ihrer traditionellen Ausrichtung auf den europäischen und darüber hinaus natürlich auf dem nord- und lateinamerikanischen Kontinent ist die Bundesrepublik oder die deutsche Wirtschaft im pazifischen Raum gegenwärtig noch stark unterrepräsentiert. Die geographische Entfernung, insbesondere aber auch sprachliche und kulturelle Unterschiede, sind insbesondere für die kleineren und mittleren Unternehmen der Wirtschaft Hemmnisse, die nur schwer zu überwinden sind. Wenn man weiß, wie schwierig es ist, Verhandlungen beispielsweise in Japan oder in China zu führen, wie zeitaufwendig das ist, wie lange es dauert, bis man zu Entscheidungen kommt, und wie kostenaufwendig das ist — nicht nur der weite Flug, sondern die teuren Hotels dort, so daß jede Reise von vornherein 10 000 bis 20 000 DM kostet —, so kann man feststellen, daß das für einen kleinen Unternehmer, dessen Arbeitskraft auch zu Hause benötigt wird, ein Aufwand, ein Risiko bedeutet, das er nur selten auf sich nehmen kann.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 222. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Juni 1986 17215
Dr. SolmsUm so intensiver ist das Engagement der USA — natürlich historisch bedingt — und Japans im pazifischen Wirtschaftsraum. Die Vereinigten Staaten dienen dabei in erster Linie als Absatzmarkt für die wachsende Industrie dort, während Japan mit den übrigen pazifischen Ländern technisch und wirtschaftlich auf das engste verflochten ist.Die Verflechtung der USA und Japans im pazifischen Raum läßt sich an einigen Daten erläutern. Während die Bundesrepublik nur 3,2 % ihrer ausländischen Direktinvestitionen im pazifischen Raum angelegt hat, sind es bei den USA 9,7 % und bei Japan sogar 32,6 %. Absolut gesehen betragen die amerikanischen und japanischen Pazifik-Investitionen jeweils rund das Fünfzehnfache der Investitionen der Bundesrepublik. In absoluten Zahlen heißt das: Die Bundesrepublik hat dort etwa 1,6 Milliarden US-Dollar investiert, während die USA und Japan dort jeweils rund 20 Milliarden US-Dollar investiert haben. Ähnliche Daten gelten für die Export- und Importströme, für die Handelsströme. Dies zeigt die außerordentliche Verflechtung dieser Länder, aber auch die Abhängigkeit, die dadurch entstanden ist.Die wirtschaftlich aufstrebenden Länder im Pazifik-Raum würden es ganz besonders begrüßen, wenn sie ihre starke wirtschaftliche und technologische Abhängigkeit von diesen beiden Ländern, von Japan und den USA, abbauen könnten. Hierzu bedürfte es eines stärkeren Engagements der EG-Länder, insbesondere natürlich der Bundesrepublik als industriell weitestentwickeltem Land. Dies wird von den dortigen Vertretern der Wirtschaft, aber auch der Regierungen in vielen Ländern deutlich gesagt und gefordert. Hinzu kommt natürlich auch die historische Verflechtung mit Japan, das ja in vielen Ländern über viele Jahrhunderte eine Kolonialherrenfunktion ausgeübt hat. Dies ist mit ein Grund dafür, daß man sich von Japan stärker unabhängig machen möchte.Es besteht großes Interesse, die Wirtschaftsbeziehungen mit Europa, aber insbesondere eben mit der Bundesrepublik Deutschland zu intensivieren. Gerade beispielsweise Südkorea als ein Land, das in den letzten 20 Jahren einen bemerkenswerten Entwicklungsprozeß im wirtschaftlichen Bereich vollzogen hat, bietet sich als Sprungbrett für deutsche Unternehmen zu industriellen Investitionen für den gesamtpazifischen Raum an. In bezug auf Dienstleistungsunternehmungen bieten sich die Basen Singapur und Hongkong an, die eine sehr gut ausgebildete Infrastruktur aufweisen, von denen aus sich die anderen asiatischen Länder erobern lassen. Kooperationen mit deutschen Unternehmen werden beispielsweise von koreanischen Firmen, von der koreanischen Wirtschaft dringend gesucht und von staatlichen Stellen dort stark unterstützt.Für ein stärkeres Engagement der Bundesrepublik auf den pazifischen Märkten kann die Bundesregierung, wie ich anfangs schon gesagt habe, eben nur begleitende Hilfestellungen leisten. Ihre Bemühungen sollten darauf konzentriert sein, protektionistische Bestrebungen, insbesondere in der EG, abzuwehren oder auch abzubauen und die Liberalisierung und Öffnung der Märkte weltweit zu unterstützen. Die eigentlichen Anstrengungen müssen aber von den Unternehmen selbst unternommen werden. In einem marktwirtschaftlichen System muß die Initiative immer von den einzelnen Wirtschaftssubjekten ausgehen. Das kann der Staat nicht unternehmen; dazu fehlt ihm schon die Sachkompetenz.Was der Staat tun kann, ist, wie ich gesagt habe, Rahmenbedingungen zu setzen. Die kürzlich getroffenen Maßnahmen der Bundesregierung im Rahmen des Haushaltes 1986 sind ein Beispiel für die richtige Verbesserung von Rahmenbedingungen. Sie müssen allerdings in der Zukunft verstärkt fortgesetzt werden. Die personelle Verstärkung der dortigen Botschaften und Industrie- und Handelskammern mit Wirtschaftsexperten ist eines dieser Beispiele. Allein 13 von 48 neuen Stellen im Bereich des auswärtigen Dienstes gelten diesem Raum. Die Erhöhung der Zahl der Auslandskammern im pazifischen Raum und eine bessere Ausstattung mit Kommunikationsmitteln sind anzustreben. Zum Vergleich sei angeführt, daß die Bundesrepublik allein in Lateinamerika 14 Auslandskammern hat, im pazifischen Raum, in ganz Asien aber nur sechs.Sehr zugenommen hat erfreulicherweise die Beteiligung deutscher Firmen an Messen in dieser Region. Auch die Fördermittel für Messen sind gegenwärtig auf diesen Raum konzentriert und damit für diesen Raum erhöht worden.In einem Industrieland wie der Bundesrepublik, das zu einem guten Drittel von der internationalen Verflechtung lebt, müßte man von den Führungskräften in Wirtschaft, aber auch in Verwaltung und Wissenschaft größere Mobilität und eine größere Bereitschaft zu mehrjährigen Auslandsaufenthalten verlangen können. Dies gilt beispielsweise für die Mitarbeiter der Wirtschafts- und Finanzministerien, Geschäftsführer von Industrie- und Handelskammern und die leitenden Mitarbeiter international tätiger Unternehmen. Ich meine, Unternehmen wie Verwaltung wie auch Wissenschaft sollten Leuten, die in diesem Bereich tätig sind, eine bestimmte Stufe der Karriere nur dann zulassen, wenn sie über einige Jahre Auslandsaufenthalt und Auslandserfahrung verfügen.
Das ist die einzige Methode, um die dort stark herrschende Immobilität, die geringe Bereitschaft, ins Ausland zu gehen, überwinden zu helfen. Es darf nicht so sein, daß nur die Bediensteten im Auswärtigen Amt diese Verpflichtung haben. Das muß auf weitere Bereiche ausgedehnt werden, insbesondere auch Bereiche der Verwaltung, die mit den wirtschaftlichen Beziehungen im internationalen Raum zu tun haben.Flexibilität, Mobilität und die Bereitschaft zum Engagement bei den einzelnen Unternehmen bilden entscheidende Voraussetzungen für intensivere Wirtschaftskontakte mit dem pazifischen Raum. Mein Eindruck ist: Die Länder dort warten darauf. Die Chance ist vorhanden. Wir müssen die Chance wahrnehmen.
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17216 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 222. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Juni 1986
Dr. Solms Danke schön.
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Eid.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! In der Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der Regierungskoalition zu den Wettbewerbschancen der deutschen Wirtschaft im pazifischen Raum wird ein selten konsequentes und in sich homogenes Konzept präsentiert. In beinahe lobenswerter Offenheit bekennt sich die Bundesregierung als Vertreterin der Profitinteressen der deutschen Industrie, insbesondere der Großkonzerne in den Bereichen Maschinenbau, Chemie, Elektronik und Kraftfahrzeugbau.
Bei der Beurteilung dieser Region beschränkt sich die Bundesregierung offenbar auf deren Wirtschaftsdaten und Wachstumsraten. Peinlicherweise sind selbst diese nicht einmal korrekt.
In ihrer Antwort behauptet die Bundesregierung, „daß die pazifische Region wegen ihres Rohstoffreichtums, ihres wachsenden Industriepotentials sowie einer zunehmend gut ausgebildeten Bevölkerung auch in Zukunft überdurchschnittliche Wachstumsraten erzielen wird".
Die Asiatische Entwicklungsbank, die 32 Länder in der asiatisch-pazifischen Region vertritt, kommt zu ganz anderen Ergebnissen. In ihrem Bericht von 1985 verzeichnet sie sinkendes Wirtschaftswachstum, verschlechterte Terms of trade, hohe Handelsdefizite und steigende Schuldendienste.
Da sich die Bundesregierung von der Einschätzung leiten läßt, das Gravitationszentrum des Konkurrenzkampfes zwischen Japan und den USA liege im pazifischen Becken, konzentriert sie sich — neben Korea und China — vor allem auf die ASEAN-Staaten, damit die bundesdeutsche Wirtschaft beim Kampf um die Zukunftsregion Pazifik verstärkt Fuß fassen kann.
Meine Herren und Damen von der Bundesregierung, nehmen Sie doch die Realitäten auf dem angeblichen Wachstumsmarkt Südostasien zur Kenntnis. Gerade die Länder des ASEAN-Bündnisses, die in den letzten Jahren allzu sehr das hiesige Industrialisierungsmodell zu kopieren versuchten, sind mit einer wachsenden Verschuldung konfrontiert. So stiegen die Schulden dieser Länder von 35,2 Milliarden US-Dollar im Jahre 1978 auf 91,3 Milliarden US-Dollar 1984.
Mit Blick auf die Philippinen möchte ich sagen, daß bedauerlicherweise u. a. gerade die hohe Verschuldung dazu benutzt wird, eine eigenständige Entwicklung, die auf die Befriedigung der Bedürfnisse der breiten Bevölkerung ausgerichtet ist, zu blockieren.
Es steht zu befürchten, daß IWF-Auflagen und Weltbankkonditionen dazu führen, den Demokratisierungsprozeß in den Philippinen zu bremsen.
Die meisten ASEAN-Staaten exportieren landwirtschaftliche Rohstoffe, Bodenschätze oder Konsumgüter wie z. B. Textilien, deren Erlöse durch sinkende Weltmarktpreise, Handelszölle und Protektionismus der Industrieländer rückläufig sind. Trotz dieser bekannten Fakten hält die Bundesregierung am Konzept einer Industrialisierungspolitik als zentralem Bestandteil ihrer Außenwirtschaftspolitik fest, da die deutsche Wirtschaft sonst nicht aus eigener Kraft am wachsenden Handel der pazifischen Region teilnehmen könnte. Um diesem Ziel näherzukommen, werden als flankierende Maßnah-. men auf schamlose Weise entwicklungspolitische Projektgelder eingesetzt. Wieder einmal wird — insbesondere in den ASEAN-Ländern — Entwicklungspolitik offen zu einem Erfüllungsgehilfen deutscher Exportförderung degradiert, und das in Ländern, wo durch die Industrialisierungspolitik der einheimischen Eliten die Mehrheit der Bevölkerung in unvorstellbarer Armut lebt.
Ich frage Sie, Herr Minister Warnke — dieses Thema ist ihm offensichtlich nicht wichtig genug, denn sonst wäre er hier; auch sein Staatssekretär ist nicht anwesend —: Wo bleibt Ihre gerade in den letzten Wochen so viel zitierte Armutsbekämpfung durch Selbsthilfe, wenn Institutionen wie die Gesellschaft für technische Zusammenarbeit gezielt zur Beratung von Unternehmen eingesetzt werden, die an Investitionen interessiert sind? Herr Minister Warnke, wie ernst nehmen Sie Ihren entwicklungspolitischen Auftrag, durch Ihr Haus zur Verbesserung der Lebensgrundlagen der verarmten Menschen in der Dritten Welt beizutragen, wenn Gelder aus Ihrem Haushalt z. B. für die Ausrüstung von Messen und Konferenzen für Fach- und Führungskräfte ausgegeben werden?
Auch die Außenpolitik reduziert sich im Kampf um Wettbewerbschancen im pazifischen Raum auf eine bloße Außenwirtschaftspolitik. Denn alle Fragen der politischen Verhältnisse, der Demokratie, der Menschenrechte, der sozialen und ökologischen Folgen einer strikt an Profitinteressen orientierten Industrialisierung werden einfach ignoriert. Herr Minister Genscher — er ist auch nicht anwesend —, wo bleibt Ihr wiederholt erhobener Anspruch, die Durchsetzung der Menschenrechte zu einer Richtschnur Ihrer Außenpolitik zu machen? Weder in der Anfrage noch in der Antwort darauf kommt das Wort Menschenrechte auch nur einmal vor, und das in einer Region — lassen wir die industrialisierten Länder der Region einmal beiseite —, wo wir es samt und sonders mit Entwicklungsdiktaturen der schlimmsten Sorte zu tun haben. Ich nenne hier nur einmal Südkorea.
Ein Wort an die Adresse der SPD. Herr Mitzscherling, ich war entsetzt, daß in Ihrem Beitrag auch nicht einmal das Wort Menschenrechte auftauchte. Bei der CDU und der FDP habe ich das gar nicht erwartet; deswegen war ich da nicht entsetzt. Wieder einmal wird deutlich: Sobald die Menschen-
Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 222. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Juni 1986 17217
Frau Eid
rechte mit den Interessen der deutschen Wirtschaft zusammenstoßen, ziehen sie den kürzeren.
Indonesien z. B. wird immer wieder als besonders erfreuliches Beispiel der Zusammenarbeit genannt. Verschwiegen wird, daß in Indonesien vor 21 Jahren eine Militärdiktatur durch einen Putsch an die Macht kam, der mindestens 500 000 Menschen das Leben gekostet hat. Verschwiegen wird die völkerrechtswidrige Annexion der portugiesischen Kolonie Osttimor. Verschwiegen wird, daß seitdem 200 000 Osttimoresen ermordet wurden. Da dieser anhaltende Völkermord innerhalb der Kirchen zusehends auf harte Kritik stößt — ich erwähne hier den gemeinsamen Brief des Diakonischen Werkes und Justitia et pax an alle Bundestagsfraktionen —, war sich die CDU nicht zu schade, einen als engen Freund des indonesischen Militärs bekannten Pfarrer aus Brühl nach Osttimor zu schicken. Ganz im Sinne seiner Auftraggeber leugnet dieser vermeintlich unabhängige Kronzeuge jetzt die dortigen Verbrechen.
Über den Aspekt der Menschenrechte hinaus ist Indonesien ein eklatantes Beispiel, wie sich Projektförderung der Bundesregierung allein an den Bedürfnissen deutscher Unternehmen und einheimischer Eliten orientiert. Wem sonst dient die von Forschungsminister Riesenhuber forcierte Förderung eines Fernsehdirektempfangs-Satellitensystems? Wem sonst dient die Entwicklung eines vollelastischen klappengesteuerten Rotorsystems für kleine Hubschrauber der Marke MesserschmidtBölkow-Blohm? Wem sonst dient der bundesdeutsche Mehrzwecknuklearreaktor MRP 30 oder das radiometallurgische Labor?
Meine Damen und Herren, wenn wir schon vom pazifischen Becken sprechen, sollten wir uns auch klarmachen, daß diese Region Schauplatz einer schwindelerregenden Militarisierung ist, bei der sich die Nachrüstung in Europa eher als flankierende Maßnahme ausnimmt. Das pazifische Bekken ist wichtigstes Testgebiet für Atomwaffen und Interkontinentalraketen. Tausende von Menschen sind Opfer der atomaren Verseuchung dort geworden. Mit ihrer verstärkten Rüstungszusammenarbeit, insbesondere mit den ASEAN-Staaten, unterstützt die Bundesregierung die US-amerikanischen Ansprüche auf den Pazifik „als amerikanisches Hoheitsgebiet".
Zum Abschluß möchte ich sagen, daß die GRÜNEN einen Entschließungsantrag eingebracht haben, in dem wir fordern, erstens, daß die wirtschaftliche Zusammenarbeit mit den Staaten des asiatisch-pazifischen Raumes mit der Forderung nach demokratischer Entwicklung gekoppelt wird, zweitens, daß die Bundesregierung Schritte unternimmt zur Beendigung der völkerrechtswidrigen Besetzung Osttimors durch Indonesien und, schließlich, daß alle Rüstungsexporte in die Länder des asiatisch-pazifischen Raumes unverzüglich gestoppt werden.
Vielen Dank.
Das Wort hat der Herr Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft, Herr Dr. Sprung.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Kollegin von den GRÜNEN — —
— Das Auswärtige Amt ist hier vertreten. Ich darf Sie hier darauf aufmerksam machen. Dort auf der Regierungsbank sitzt der Staatsminister im Auswärtigen Amt, Herr Stavenhagen.Sie sagten, wir ließen den Aspekt der Menschenrechte für den ostasiatischen Raum unbeachtet. Ich darf Sie hinweisen auf die nun wirklich noch nicht so alte Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage Ihrer Fraktion, in der wir sehr ausführlich zu diesem Punkt Stellung genommen haben. Auch dies geht also, wenn Sie so wollen, an der Wahrheit vorbei.
Herr Mitzscherling, es ist nun wirklich nicht so, wie Sie die Dinge hier dargestellt haben. Die Situation ist anders, als Sie sie beschrieben haben. Ich werde darauf gleich noch im einzelnen zurückkommen.Ich möchte aber das, was Sie, gleichsam als generelle Aussage, gemacht haben, vorab kurz ansprechen. Sie sagten, es sei nötig, eine globale Anstrengung zu unternehmen, um die weltwirtschaftlichen Probleme zu lösen. Das ist völlig richtig. Wir stimmen da mit Ihnen, Herr Mitzscherling, voll und ganz überein, und die Bundesregierung verhält sich auch entsprechend. Sie tut dies mehr, als das jedes andere Land tut; ich weise nur darauf hin, daß sie sich etwa in der Frage einer neuen GATT-Runde in einem Ausmaß engagiert hat, wie das keine Regierung eines anderen Landes getan hat.Ein weiterer Punkt, den ich ganz kurz vorwegnehmen möchte: die Chancen der mittelständischen Unternehmen. Ich darf Herrn Mitzscherling darauf hinweisen, daß es eine ganze Reihe von mittelständischen Unternehmen gibt, die erfolgreich in Asien tätig sind, wenn sie moderne Technologien und Produktionsprozesse haben. Solch ein Erfolg auch mittelständischer Unternehmen spricht sich herum. Aber, meine Damen und Herren, wir reden auch nicht jedem mittelständischen Unternehmen zu, nach Asien zu gehen. Wenn sich aber ein solches Unternehmen entschlossen hat, dort zu investieren, erhält es von uns auch die Unterstützung, die es braucht.Noch ein Punkt vorweg kurz angesprochen: das Agrarproblem. Die Probleme des EG-Agrarmarktes sind uns allen bekannt. Ich verweise aber darauf, Herr Mitzscherling, daß es diese Bundesregierung ist, die die Probleme angeht. Sie haben das nicht
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17218 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 222. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Juni 1986
Parl. Staatssekretär Dr. Sprunggetan, als Sie noch in der Regierungsverantwortung waren.
Der pazifische Raum zählt heute zu einem der Gravitationszentren der Weltwirtschaft. Es ist das Verdienst von CDU/CSU und FDP, daß sie in der Großen Anfrage auf die bedeutende Rolle, die diese Region im wirtschaftlichen, aber auch im politischen Bereich inzwischen spielt, aufmerksam gemacht haben. Sie ermöglicht es, zugleich auch auf Erfolge und Probleme deutscher Außenwirtschaft in Ostasien und im pazifischen Raum hinzuweisen.Es ist unbestreitbar: Die Industrieländer und die Entwicklungsländer Ostasiens haben in den vergangenen Jahren erheblich von der wirtschaftlichen Entwicklung, von den Märkten in Westeuropa und in den USA profitiert. Die Bundesrepublik Deutschland ist der wichtigste Partner dieses Raumes in Westeuropa. Die Bundesregierung hat sich immer wieder aktiv in Brüssel und weltweit für die Offenhaltung der Märkte eingesetzt, auch dies unter dem Aspekt, weltweit etwas zu tun, globale Maßnahmen zu ergreifen und zu beschließen, Herr Mitzscherling, wie Sie es angesprochen haben. Diese Haltung — auch dies muß gesagt werden — ist von den ostasiatischen Staaten und Ländern auch stets gewürdigt worden.Die Große Anfrage konzentriert sich besonders auf die Frage: Wie steht die deutsche Wirtschaft heute in Südostasien da? Was Japan betrifft, so haben wir in den Ausschüssen und im Plenum schon mehrfach über unsere bilateralen Probleme gegenüber Japan debattiert. Ich brauche darauf jetzt nicht näher einzugehen.Was die Region als Ganzes und die Entwicklungsländer Ostasiens angeht, so kann ich feststellen: Die deutschen Unternehmen haben ihre Wettbewerbsposition weiter verbessert. Der hohe technische Stand deutscher Erzeugnisse, eine attraktive Produktpalette ebenso wie pünktliche Lieferungen, exzellenter Service und vor allem stabile Preise haben dazu beigetragen, daß deutsche Produkte vermehrt in Ostasien und im Pazifik Märkte gewinnen konnten.Die deutsche Wirtschaft hat sich — dies ist keine Frage — in den letzten Jahren intensiver um diese Region bemüht. Die Leistungsschau der deutschen Industrie im Frühjahr 1984 in Tokio wurde von vielen deutschen Unternehmen als ein Signal des Aufbruchs in dem gesamten ostasiatischen und pazifischen Raum verstanden. Sie hat ihr Ziel voll erreicht. Das können wir heute feststellen.Unsere Exportwirtschaft steigerte ihre Präsenz in diesen Ländern in der Zwischenzeit beträchtlich. Zugleich hat die Bundesregierung die Wirtschaftsdienste, ihre Auslandsvertretungen verstärkt und geholfen, das Netz der Außenhandelskammern und Wirtschaftsdelegierten und nicht zuletzt von Korrespondenten der Bundesstelle für Auslandsinformation enger zu knüpfen. Darauf ist bereits hingewiesen worden.Der Handelsaustausch mit Ostasien ist in den letzten Jahren kontinuierlich ausgeweitet worden. Er erreichte 1985 die doch beträchtliche Größe von 62 Milliarden DM. Die Steigerung des Exports in die Volksrepublik China um über 100% auf 6,5 Milliarden DM im Jahre 1985 ist das herausragende Ergebnis dieser breit angelegten und erfolgreichen Bemühungen.Nach wie vor wickeln wir aber rund 50 % unseres Außenhandels mit den Ländern der Europäischen Gemeinschaft ab. Dies ist bei einem Vergleich des Außenhandelsvolumens mit den Fernostländern zu unserem Gesamtaußenhandel, wie bei einem Vergleich mit Japan sicherlich zu sehen. Japan konzentriert seine Außenwirtschaftsbemühungen wie seine Entwicklungshilfe auf die Region vor seiner Haustür. Wir tun j a ähnliches, wenn man an die Zahlen denkt, die ich eben genannt habe.Wenn sich deutsche Unternehmen dennoch vergleichsweise gut in Fernost behaupten, so ist dies für mich ein Zeichen dafür, daß unsere Bemühungen um die Gewinnung neuer Absatzmärkte in diesem Raum Erfolg gehabt haben.
Wir haben in der Antwort auf die Große Anfrage auch dargelegt, wo die Japaner vorne liegen. Aber die insgesamt gute Wettbewerbsposition eines Landes wird nicht dadurch beeinträchtigt - damit meine ich die Bundesrepublik —, daß in einzelnen Bereichen andere Länder führend sind und höhere Marktanteile erzielen, wie z. B. die Japaner bei der Datenverarbeitung und bei den Büromaschinen. Im Gegenteil: Konkurrenz belebt bekanntlich das Geschäft.Voraussetzung allerdings ist, daß diese Konkurrenz fair ist. Deshalb richten wir unser Augenmerk weniger darauf, was und wieviel die Japaner verkaufen, sondern mehr darauf, wie sie es tun, ob sie sich insbesondere an die internationalen Regeln, z. B. an den OECD-Konsensus, halten.Natürlich ist die Frage, ob und wie sich die deutschen Unternehmen im südostasiatischen Raum behaupten, zu allererst Sache der Unternehmen selbst. Herr Kittelmann hat dies deutlich gemacht. So hängt es ganz entscheidend von ihrer Dynamik ab, wie sie die sich bietenden Marktchancen ausnutzen.Gerade im Verhältnis zur Region Ostasien und zum Pazifik wurde zuweilen die Befürchtung geäußert, die deutsche Wirtschaft habe Nachteile im technologischen Bereich. Zahlreiche Studien sind seinerzeit darüber angefertigt worden. Wir haben ja auch in den Ausschüssen relativ intensiv darüber diskutiert.Aber auch in einer Untersuchung des Bundesministeriuns für Wirtschaft über Hochtechnologien und internationale Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft vom Juli 1984 sind wir dieser Frage nachgegangen. Was ist dabei herausgekommen? Belegen ließen sich diese Befürchtungen allesamt nicht. Die tatsächliche Entwicklung der Exporte seit 1983 zeigt, daß die Bundesrepublik auch
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Parl. Staatssekretär Dr. Sprungin wichtigen technologischen Bereichen mithalten kann.Ausgesprochen positiv hat sich auch die politische Präsenz der Bundesrepublik Deutschland in Ostasien in jüngster Zeit — ich nenne die Reise des Bundespräsidenten, die Besuche von Delegationen des Parlaments und der Bundesregierung — ausgewirkt. Die Bemühungen der deutschen Wirtschaft in Fernost sind dadurch wirksam unterstützt worden.Bei diesen Gelegenheiten sind unsere Gesprächspartner in den asiatischen Industrie- und Entwicklungsländern immer wieder auch darauf hingewiesen worden, was aus unserer Sicht notwendig ist, um zu einem noch intensiveren wirtschaftlichen Leistungsaustausch zu gelangen.Ich nenne hierfür nur zwei Beispiele. Die Märkte in Asien sind noch zu stark gegeneinander abgeschottet. Wer verstärkt investieren soll, braucht aber größere Wirtschaftseinheiten, braucht größere Märkte. Bei allem Verständnis für nationale Industriealisierungskonzepte muß die Durchlässigkeit für den Absatz auch in asiatischen Nachbarländern möglich sein. Wenn merkantilistisches Denken in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft Asiens nicht abgebaut wird, kann die Region nie die Rolle in der Weltwirtschaft spielen, die sie eigentlich spielen könnte.Zum zweiten gibt es in einer Reihe von Staaten Ostasiens noch zu schwerfällige Administrationen. Das schreckt ebenso ab wie staatlich verordnete Exportauflagen für Joint Ventures.Insgesamt — ich glaube, diese Feststellung kann man treffen — findet heute der Dialog mit Ostasien sehr viel nüchterner statt, als das noch vor kurzem der Fall gewesen ist. Die erste Euphorie riesiger pazifischer Entwicklungsmöglichkeiten, ja Überlegenheit hat einer realistischeren Bewertung der eigenen Möglichkeiten Platz gemacht. Ich meine, das ist für alle Beteiligten im Wettbewerb auf diesen Märkten gut so.In allen Ländern sehen wir zudem mit Befriedigung, daß über die Wirtschafts- und Haushaltspolitik die notwendigen Anpassungen an die veränderten weltwirtschaftlichen Entwicklungen vollzogen werden. Es wäre interessant, einige Beispiele zu nennen — aus zeitlichen Gründen kann ich das nicht —, die dieses belegen und demonstrieren.Überwiegend wird außerdem eine Wechselkurspolitik betrieben — Sie haben es angesprochen, Herr Mitzscherling —, die auf realistischere Austauschverhältnisse zum Meßdollar, der Leitwährung Ostasiens, durch Abwertung abzielt. Allenthalben bedient man sich dabei marktwirtschaftlicher Instrumente. Deshalb werden die ostasiatischen Entwicklungsländer und die Volksrepublik China mit ihrer Öffnungspolitik auch weiterhin verläßliche und wirtschaftlich interessante Partner der westlichen Industrieländer bleiben.Meine Damen und Herren, die Bundesregierung hält daran fest, die politischen und die wirtschaftlichen Beziehungen zu Ostasien weiter auszubauen.Wir werden in den bevorstehenden GATT-Verhandlungen nachdrücklich dafür eintreten. Herr Mitzscherling, dort ist der Platz, wo wir das aufgreifen, das verhandeln und auch das beschließen, was Sie angesprochen haben, daß die Absatzmöglichkeiten für Produkte der Entwicklungsländer verbessert werden. Dafür brauchen wir die Unterstützung des Parlaments und Verständnis bei unserer Industrie. Dadurch werden wir aber auch erreichen, daß mehr Aufträge aus Fernost an deutsche Unternehmen gehen.In Brüssel — um auch das noch anzusprechen — hat die Bundesregierung kontinuierlich darauf hingewirkt, daß sich die Gemeinschaft in Fernost stärker engagiert. Diese Politik hat ein positives Echo gefunden. Heute sieht man in Asien das handelspolitische und entwicklungspolitische Engagement Brüssels.Das Verständnis für unsere internen Probleme, vor allem in der Agrarpolitik, ist in Asien zweifellos gewachsen. Aber erwartet wird zugleich auch, daß sich die europäischen Regierungen der Exportinteressen der Entwicklungsländer noch stärker annehmen, als das bis jetzt der Fall ist. Hier müssen wir in der Tat nicht nur darüber nachdenken, sondern mehr tun, als wir bisher getan haben.Wir wollen außerdem, daß sich die Industrien — und das ist ein wichtiger Punkt — der EG-Mitgliedstaaten stärker als bisher gemeinsam um Großprojekte in Fernost bemühen. Es gibt Möglichkeiten, miteinander zu arbeiten, statt gegeneinander und nur gegeneinander zu konkurrieren.Die EG hat sich in langfristigen Abkommen mit 'den ASEAN-Staaten und mit der Volksrepublik China verpflichtet, Handel und Kooperation der europäischen Industrie mit diesen Ländern zu fördern; Hilfe z. B. in Form von Wirtschaftssymposien wird gegeben.Meine Damen und Herren, wir sehen überall in Asien ein breites Interesse an der Bundesrepublik Deutschland. Im Oktober wollen wir in Manila, in Tokio und in Bangkok Wirtschaftskonferenzen gemeinsam mit den deutschen Außenhandelskammern abhalten. Wir brauchen solche öffentlichkeitswirksamen Veranstaltungen, auf denen wir auch Gelegenheit geben wollen, über mehr Aufträge für die deutsche Wirtschaft zu sprechen. Ich darf darauf hinweisen, daß der Bundesminister für Wirtschaft Anfang September zur fünften Tagung der gemischten deutsch-chinesischen Kommission für wirtschaftliche Zusammenarbeit nach Peking reisen wird. Auch dort wird über die Möglichkeiten des neuen chinesischen Fünfjahresplans für die deutsche Wirtschaft gesprochen werden.Meine Damen und Herren, ich möchte abschließend einige Sätze zum Entschließungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN zu diesem Tagesordnungspunkt sagen.
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17220 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 222. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Juni 1986
Parl. Staatssekretär Dr. SprungIch möchte hier für die Bundesregierung erklären, daß sie diesen Entschließungsantrag ablehnt.
Die Bundesregierung hat in ihren Antworten auf die Kleinen Anfragen der Fraktion DIE GRÜNEN ihre Haltung ausführlich dargelegt. Es ist nicht Aufgabe der Bundesregierung, zu den inneren Verhältnissen der Staaten des pazifischen Raumes pauschal wertend Stellung zu nehmen. Die Bundesregierung wird sich aber weiterhin im Rahmen des ihr Möglichen für die Einhaltung der Menschenrechte überall in der Welt einsetzen.Ich danke Ihnen, meine Damen und Herren.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Jens.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich darf zunächst einmal meine Verwunderung darüber zum Ausdruck bringen, daß diese Große Anfrage betreffend Wettbewerbschancen der deutschen Wirtschaft im pazifischen Raum zwar 45 Abgeordnete der Koalitionsfraktionen unterschrieben haben, wenn ich richtig gezählt habe, daß aber nur sieben Abgeordnete anwesend sind.
Das macht natürlich keinen so furchtbar guten Eindruck.
Die Antwort des Wirtschaftsministeriums auf die Große Anfrage — das will ich bestätigen, Herr Unland — ist eine lobenswerte Fleißarbeit,
die eine Fülle von Informationen und auch von Hintergrundmaterial enthält. Man kann nur jedem empfehlen, der sich mit dieser Materie zu befassen hat, sich die Große Anfrage und insbesondere die Antwort darauf einmal anzusehen. Es handelt sich, so glaube ich, um einen ganz lesenswerten Bericht, für den ich ausdrücklich den Referenten des BMWi danken möchte, aber auch nur den Referenten.
Die Spitze des Hauses hat sich wiederum bemüht, die Antworten ein bißchen zu schönen, und hat manches stark rosarot getönt.
— Jetzt kommen wir zum Thema.
Ich möchte auf vier Bemerkungen eingehen.
Erstens. Die wichtigsten Länder für die deutsche Wirtschaft im pazifischen Raum sind aus meiner Sicht Japan und China. Japan kann und muß wesentlich mehr zur Öffnung des eigenen Marktes für europäische Produkte tun.
Da gibt es viele nichttarifäre Handelshemmnisse, aber auch das schwer durchschaubare Gestrüpp des japanischen Handels- und Distributionsweges. Mittlerweile sind von der japanischen Regierung genug Versprechungen zum Abbau des Protektionismus gemacht worden. Ich meine: Den vielen Worten müssen mittlerweile Taten folgen.
Ich glaube jedoch, daß die Regierung und auch die Koalition der deutschen Wirtschaft nicht helfen, wenn sie öffentlich lautstark lamentieren. Der japanische Markt ist ein schwieriger Markt. Wer hier Erfolge haben will, muß Spitzenprodukte anbieten. Immerhin haben es einige deutsche Firmen geschafft; zum Teil haben sie eine hervorragende Stellung auf dem japanischen Markt errungen. Verallgemeinerungen sind hier, wie so häufig, einfach fehl am Platz.
Auch die deutsche Wirtschaft muß sich intensiver um diesen japanischen Markt bemühen.Das gleiche gilt für den wichtigen Wachstumsmarkt China. Dort hat die deutsche Wirtschaft, dort haben ihre Produkte sehr hohes Ansehen. Seitens der Politik gibt es nahezu alle vertraglichen Hilfen, die möglich sind, im übrigen, Herr Staatssekretär, bereits aus der Zeit der sozialliberalen Koalition.
Dennoch gibt es nur wenige deutsche Unternehmen, die es wagen, unter den dortigen Bedingungen Gemeinschaftsunternehmen zu gründen oder in den Freihandelszonen zu produzieren. Deutsche Unternehmen und vor allem ihre Kapitalgeber denken leider immer noch viel zu kurzfristig.
Wer in China Fuß fassen will, braucht einen langen Atem.
Eine „schnelle Mark", wie es die deutsche Wirtschaft gewohnt war, ist dort nicht zu verdienen.Meine zweite Bemerkung: Die Amerikaner sind zur Zeit bemüht, den Dollarkurs nach unten zu drücken. Mein Kollege Mitzscherling hat das schon ausführlich dargelegt. Die Wettbewerbsposition der deutschen Wirtschaft wird aber bei einem Dollarkurs von weniger als 2,20 DM insbesondere im pazifischen Raum immer schwieriger und problematischer. Wenn es gelänge, die Wirtschaft heute vom Export einfach auf die Binnennachfrage umzuschalten, wäre dies eine wünschenswerte Entwicklung. Aber Exportgüter können nicht morgen im
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Dr. JensInland verkauf werden. Unsere Wirtschaft ist leider von dieser Regierung ausschließlich auf Export getrimmt worden. Dadurch wurden zum Teil falsche Strukturen aufgebaut, so daß wir nicht nur heute, sondern auch in den nächsten Jahren mit einer viel zu hohen Arbeitslosigkeit leben müssen. Jetzt befindet sich die Bundesregierung in einer Zwickmühle; insbesondere gegenüber den Vereinigten Staaten. Mit Recht werfen ihr hohe amerikanische Politiker wie Volcker und Baker vor, daß wir einen extrem hohen Leistungsüberschuß haben, eine sehr niedrige Inflationsrate und dennoch höchste Arbeitslosigkeit. Die Bundesregierung tut nach Ansicht der Reagan-Administration nicht genug zur Belebung des internen wirtschaftlichen Wachstums.
Weigert sich die Bundesregierung, zusätzliche Maßnahmen zur Ankurbelung der Binnenwirtschaft zu ergreifen, so werden die Amerikaner den Dollarkurs noch weiter senken.
Die Bundesregierung liefert außerdem den Vereinigten Staaten ein Alibi für zusätzliche protektionistische Maßnahmen. Beides wäre für unsere Wirtschaft, so wie sie heute strukturiert ist, verhängnisvoll. Deshalb wäre die Bundesregierung gut beraten, wenn sie dem Verlangen der Amerikaner nachkäme.
Die amerikanischen Forderungen sind im Ansatz im übrigen auch sozialdemokratische Forderungen. Wir haben sie wiederholt vorgetragen.
Wir brauchen kurzfristig keine Exportoffensive, sondern eine Verstärkung der binnenwirtschaftlichen Nachfrage, weil nur sie unsere Arbeitslosenprobleme lösen kann.
Die bisherige Umverteilungspolitik dieser Regierung hat die Binnennachfrage jedoch nachhaltig geschwächt.
Die Arbeitnehmer haben real und netto in den vergangenen vier Jahren bis Ende 1985 in jedem Jahr Einkommensverluste hinnehmen müssen.
— Ich gebe zu: In diesem Jahr gibt es zum erstenmal nach vier Jahren wieder real und netto Zuwachsraten. Aber vier Jahre unter der Regierungder konservativen Koalition haben sie weniger in der Tasche gehabt.
Die Folge ist erzwungener Konsumverzicht der deutschen Verbraucher. Dies und nichts anderes ist die binnenwirtschaftliche Kehrseite der Medaille, auf deren Vorderseite ein Leistungsbilanzüberschuß von beinahe 40 Milliarden DM steht.
Diesen Konsumverzicht können die Arbeitnehmer nicht länger hinnehmen.
Sie mußten ihn aber eine Zeit ertragen, obgleich dafür zwangsweise hohe Arbeitslosigkeit in Kauf genommen werden mußte.
Jetzt haben die deutschen Arbeitnehmer das Schlechteste aus beiden Welten, nämlich Arbeitslosigkeit und reale Einkommensverluste.
Drittens ein Wort zum zunehmenden Protektionismus:
Hier ist ein verhängnisvoller Circulus vitiosus in Gang gekommen, besonders betrieben von den Vereinigten Staaten. Nur dann, wenn es gelingt, die Bedingungen in den Ländern, auch in den Entwicklungsländern, so zu gestalten, daß jedes Land aus Eigeninteresse gegen Protektionismus ist, hat der Kampf eine Chance.
Notwendig erscheint es deshalb, dafür zu sorgen, daß in den weniger entwickelten Ländern Produktionskapazitäten aufgebaut werden. Dort muß es ebenfalls zu einer entsprechenden kaufkräftigen Nachfrage kommen. Auch dort müssen die Realeinkommen der breiten Bevölkerungsschichten steigen.
Denn zu einem funktionierenden Markt gehört nicht nur Angebot, sondern auch Nachfrage.
Das hat diese Bundesregierung leider bisher immer noch nicht begriffen. Für diese kaufkräftige Nachfrage durch alle Bürgerinnen und Bürger eines Staates müssen entweder die Regierung oder, wie bei uns, die Gewerkschaften sorgen. Zumindest die Einhaltung bestimmter sozialer Mindestnormen, wie sie immer wieder vom Internationalen Arbeitsamt in Genf gefordert wurden, liegt nicht nur im
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Dr. JensInteresse der Entwicklungsländer, nein, sie liegt auch im Interesse der Industrienationen.
Viertens. Verzerrungen gibt es im übrigen im Weltmaßstab nicht nur beim Protektionismus. Der pazifische Raum ist seit langem kein freier Markt entsprechend den neoliberalen Vorstellungen. Dort greift der Staat massiv in den Wirtschaftsprozeß ein, und zwar an allen Ecken und Kanten. Ich erinnere an das MITI, und ich erinnere an die großen Ausgaben durch das Pentagon, insbesondere in Kalifornien.Wir meinen deshalb, daß unsere neoliberale Philosophie auf Dauer keinen Sinn ergibt.
Diese massiven staatlichen Wettbewerbsverzerrungen durch diese Länder müssen irgendwie ausgeglichen werden. Ich glaube, wir müssen über eine sinnvolle ideologiefreie Industriepolitik nachdenken.
— Über eine ideologiefreie Industriepolitik. Doch so etwas wie eine Umgestaltung z. B. der Forschungs- und Technologiepolitik zu einer Innovationspolitik wird im Wirtschaftsministerium seit langem aus ideologischen Gründen abgelehnt. Die ideologiebeladene Politik dieser Regierung muß jedoch scheitern.Schönen Dank.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Unland.
Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Jens hat das Kunststück fertiggebracht, in einer kurzen Zeit zwei Reden zu halten. Sofern er über Pazifik und zum Thema gesprochen hatte, war das ja im wesentlichen vernünftig, und da gab es auch gar nicht soviel Meinungsunterschiede. Soweit er aber aus dem Stehsatz der SPD-Wahlkampfagitatoren vorgetragen hat, war das natürlich bare Ideologie, und es war schon interessant, daß er hinterher eine ideologiefreie Industriepolitik gefordert hat. Ich habe bisher noch keine Industriepolitik, auch nicht schriftlich, erläutert bekommen, die nicht von einer Ideologie getragen war. Ich glaube, meine Damen und Herren, wir sollten wirklich zum Thema reden. Der pazifisch-ostasiatische Raum ist für die deutsche Wirtschaft im Grunde viel zu wichtig, als daß wir jetzt in der kurzen Zeit, die uns hier zur Verfügung steht, in Wahlkampfagitation eintreten. Das brauchen wir alle nicht.Nach dem Stabilitäts- und Wachstumsgesetz ist die Bundesregierung dem Ziel des außenwirtschaftlichen Gleichgewichts verpflichtet. Außenwirtschaftspolitik ist aber ebenso wie die allgemeine Wirtschaftspolitik kein kurzfristiges Krisenmanagement, sondern an mittelfristigen Zielen orientiert.Die Wirtschaftspolitik in allen Ländern ist gefordert, die Strategie zur Sicherung von Wachstum und Preisstabilität fortzusetzen und bestehende Verwerfungen abzubauen. Ich glaube, daß gerade die Länder des pazifischen Raumes in diesen Fragen unsere Partner sind und an einer engen Zusammenarbeit mit der Bundesrepublik und der Europäischen Gemeinschaft interessiert sein müßten. Deswegen ist es unbedingt erforderlich, daß die deutsche Wirtschaft ihre Bemühungen im pazifisch-asiatischen Raume verstärkt. Hierauf ist schon mehrfach zu Recht hingewiesen worden. Von 1975 bis 1984 hat sich das Volumen des deutschen Warenverkehrs mit diesem Raum von 22 auf 68 Milliarden DM mehr als verdreifacht. Der Anteil des Pazifikhandels am gesamten Außenhandel hat von 5,4 auf 7,4 % zugenommen. Zwar liegen die Steigerungsraten unserer Exporte in diese Region auch jetzt schon über dem Wachstum unserer Gesamtausfuhren, dennoch sollten die Chancen für eine Ausweitung von Handel und Zusammenarbeit in verstärktem Maße genutzt werden.Meine Damen und Herren, die Unionsfraktion weiß sehr wohl die Bemühungen auch der Bundesregierung zu schätzen, die sie mit ihren flankierenden Maßnahmen für die Geschäftstätigkeit der deutschen Wirtschaft in diesem Raume unternommen hat. Herr Staatssekretär Sprung hat schon darauf hingewiesen, daß die Wirtschaftsabteilungen der Botschaften personell aufgestockt worden sind. Er hat darauf hingewiesen, daß wir die Auslandsmessen fördern, daß wir in den wichtigsten Ländern Außenhandelskammern eingerichtet haben, und endlich, meine Damen und Herren — ich betone das Wort „endlich" —, sind auch in Hongkong und in Kuala Lumpur Stellen für sogenannte Delegierte der deutschen Wirtschaft eingerichtet worden, von denen ich hoffe, daß sich hieraus bald bilaterale Handelskammern entwickeln werden. Ich möchte nicht unterlassen, darauf hinzuweisen — das dürfen wir, glaube ich, gemeinsam feststellen —, daß der Wirtschaftsausschuß des Bundestages diese Maßnahmen stets nachdrücklich gefordert und auch unterstützt hat. Ebenso sind wir gemeinsam mit den Kollegen des Haushaltsausschusses stets dafür eingetreten, die Mittel für diese wichtige Arbeit unserer außenwirtschaftlichen Vorposten aufzustocken. Sicherlich wird das auch in Zukunft der Fall sein. Dabei stellt sich aus meiner Sicht insbesondere die Aufgabe, Herr Staatssekretär, unsere Außenhandelskammern beschleunigt mit Geräten der modernen Informationstechnik auszustatten.Wie produktiv relativ geringfügige Beträge im außenwirtschaftlichen Bereich angelegt sind, ist an zwei Beispielen darzustellen. Ich meine zum einen die deutsche Leistungsschau in Tokio 1984, die einen großen psychologischen Wert in Japan gehabt hat. Ich verweise zum anderen auf das technische Symposion der deutschen Wirtschaft im November 1985 in Bangkok, an dem statt der erwarteten 3 000 Ingenieure nicht weniger als 12 000 Ingenieure teilgenommen haben.Dr. UnlandAuch in der Entwicklungspolitik können im Rahmen der finanziellen und technischen Zusammenarbeit positive Effekte für die deutschen Unternehmen erwartet werden. Dennoch müßte gerade dieser Region, einer Wachstumszone mit bemerkenswertem Wachstumspotential, von seiten der deutschen Wirtschaft noch mehr Aufmerksamkeit zugewendet werden. Das ist zu Recht bereits betont worden.Wenn ich von der deutschen Wirtschaft spreche, meine ich damit ausdrücklich auch die mittelständische Wirtschaft, der wir verstärkt helfen sollten, auf den pazifisch-asiatischen Märkten Fuß zu fassen. Herr Kollege Mitzscherling, Ihre skeptischen Bemerkungen kann ich überhaupt nicht teilen. Es gibt doch eine Fülle von mittelständischen Unternehmen, die dort bereits mit großem Erfolg engagiert tätig sind.
— Warum sollen denn Newcomer dort nicht genauso tätig werden, wie es andere mittelständische Firmen bisher sind? Ich halte die mittelständischen Unternehmer für viel initiativreicher und viel klüger. Es ist natürlich schwierig, große Aufwendungen vorzufinanzieren. Aber wenn wir ihnen eine gewisse Hilfestellung geben, halte ich das für die Zukunft nicht für unmöglich. Es kommt im Grunde auf gute Produkte und gutes Management an. Daß das schwierig ist, ist selbstverständlich völlig unstreitig.
Sicher sind die Länder Südostasiens und des Pazifiks durch den Rückgang ihrer Exporte in die Vereinigten Staaten in ihrem weiteren wirtschaftlichen Wachstum behindert. Trotz dieses verlangsamten Wachstums ist und bleibt der pazifisch-asiatische Raum ein interessanter Markt für die deutsche Wirtschaft. Das gilt besonders für Anlagenexporte, Elektrotechnik und Maschinenbau. Da gerade die Länder des pazifischen Raums ihre Strategien auf eine Ausweitung der Industrieproduktion ausgerichtet haben, sind die Lieferchancen der eben genannten Industriebereiche außerordentlich günstig. Aber auch die zunehmende Nachfrage nach Konsumgütern in diesen Ländern wird dazu führen, daß sich die Absatzchancen für hochwertige Konsumgüter aus deutscher Produktion dort verbessern.Man kann sich mit unseren Wirtschaftsbeziehungen zum pazifisch-asiatischen Raum nicht beschäftigen, ohne nicht ein spezielles Wort an unseren japanischen Partner zu sagen. Auch der Kollege Jens hat das eben getan. Die Unionsfraktionen begrüßen es außerordentlich, daß Premierminister Nakasone deutliche Anstrengungen unternommen hat, die japanischen Märkte für europäische und US-Lieferungen weiter zu öffnen. Nichtsdestoweniger bleibt die Tatsache bestehen, daß es eine Fülle von Schwierigkeiten für unsere Exporteure gibt, die weniger auf staatlichen Bestimmungen als vielmehr auf einer Fülle von informellen Handelsschranken — wie ich das nennen möchte — beruhren. Ich unterstreiche nachdrücklich die Aussage der Bundesregierung in ihrer Antwort auf unsere Frage 14:Das Handelsungleichgewicht zwischen Japan und der Europäischen Gemeinschaft ist ein Konfliktpotential mit protektionistischen Gefahren.
— Nicht nur das. — Wir können unsere japanischen Freunde nur in ihrem eigenen Interesse nachdrücklich bitten, dazu beizutragen, daß aus diesen Gefahren keine Beeinträchtigung des Welthandels entsteht. Aber auch die Bundesregierung hat hier die wichtige Aufgabe, ständig auf die japanische Regierung und die japanische Öffentlichkeit einzuwirken, dieses Konfliktpotential realistisch zu beurteilen und daraus die entscheidenden Konsequenzen zu ziehen. Diese Konsequenzen sollten nicht defensive Strategien der EG, d. h. eine Abschottung des europäischen Markts sein, sondern eine wirkliche Marktöffnung Japans.In diesem Zusammenhang möchte ich unserem Kollegen und früheren Bundeswirtschaftsminister Graf Lambsdorff ausdrücklich dafür danken, daß er während seiner Amtszeit mindestens einmal im Jahr, meistens sogar mehrmals im Jahr nach Japan geflogen ist, um diese wichtigen Fragen mit der japanischen Regierung zu erörtern. Ich kann seinen Nachfolger und amtierenden Wirtschaftsminister Bangemann nur nachdrücklich bitten, diese bewährte Tradition und Praxis von Graf Lambsdorff fortzusetzen.Die Antwort der Bundesregierung, für deren sorgfältige Beantwortung und Bearbeitung ich den federführenden Beamten des Bundeswirtschaftsministeriums ebenso wie der Kollege Jens danken möchte — wobei man sagen kann: Beamte können nur so gut sein, wie ihre Chefs sie gut sein lassen; also auch die Chefs müssen gut sein, damit Beamte gut arbeiten können —, zeigt deutlich, welches Potential im pazifischen Raume steckt. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion sieht sich in ihren Bemühungen um ein offenes und multilaterales Welthandelssystem durch die Antwort der Regierung bestärkt. Es ist daher nach unserer Auffassung erforderlich, daß auf der für Anfang 1987 vorgesehenen GATT-Sondersitzung auf Ministerebene eine Entscheidung für die neue GATT-Runde fallen muß. Hier gilt es, den Kontakt mit den Ländern des pazifischen Raums zu intensivieren, da auch sie mit uns der Auffassung sind, daß das GATT als Basis des freien Welthandels gestärkt werden muß.Zum Antrag der GRÜNEN möchte ich — das erwarten Sie sicherlich nicht anders — nur darauf hinweisen, daß die Koalitionsfraktionen diesen Antrag ablehnen. Die Begründung empfinden wir als moralisierend und scheinheilig. Zur Begründung verweise ich auf die Pressekommentare, die im Anschluß an den Parteitag der GRÜNEN in Hannover veröffentlicht worden sind.
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17224 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 222. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Juni 1986
Dr. UnlandSie wollen offensichtlich, daß wir nicht mehr in diese Region exportieren, daß die Leute dort ihre Waren in Japan kaufen und daß die deutschen Arbeitnehmer auf der Straße stehen. Das ist die menschenverachtende Politik, die Sie im allgemeinen betreiben.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zu dem Entschließungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/5699. Es ist beantragt, diesen Entschließungsantrag zu überweisen zur federführenden Beratung an den Ausschuß für Wirtschaft und zur Mitberatung an den Verteidigungsausschuß, den Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit und den Auswärtigen Ausschuß. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? — Das ist nicht der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe Punkt 16 der Tagesordnung auf:
Beratung des Antrags der Fraktion DIE GRÜNEN
Rekommunalisierung und Demokratisierung der Energieversorgung
— Drucksache 10/5010 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Wirtschaft
Im Ältestenrat ist für die Beratung ein Beitrag bis zu zehn Minuten für jede Fraktion vereinbart worden. Ich höre keinen Widerspruch. — Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Tatge.
Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Wenn Sie erlauben, möchte ich heute die Debatte mit einem Gedicht von Heinrich Heine einleiten — sozusagen als Prolog —, das die Situation der bundesdeutschen Energiewirtschaft treffend kennzeichnet.Hat man viel, so wird man bald Noch viel mehr dazu bekommen. Wer nur wenig hat, dem wird Auch das Wenige genommen.Wenn Du aber gar nichts hast, Ach, so lasse dich begraben — Denn ein Recht zum Leben, Lump, Haben nur, die etwas haben.Das heute gültige Energiewirtschaftsgesetz wurde am 13. Dezember 1935 von den Nationalsozialisten verabschiedet. Es ist noch heute die entscheidende Rechtsgrundlage für die öffentliche Energieversorgung der BRD.
Das Gesetz auf Nazi-Grundlage befördert den verschwenderischen und ineffizienten Umgang mitEnergie. Ökologische und soziale Aspekte werdengenerell nicht berücksichtigt. Dieses Gesetz ist ein Gesetz zur Förderung der großen Energiemonopole. Es ist ein zentralistisches, für eine Kriegswirtschaft oder für eine zentrale Verwaltungswirtschaft erdachtes Gesetz. Es ist demokratiefeindlich und steht einer Energiesparpolitik sowie einer umweltverträglichen Energieversorgung im Wege.
Nach dem Atomsperrgesetz haben die GRÜNEN nun als erste Stufe zur Neuordnung und Rekommunalisierung der Energiewirtschaft diesen Antrag vorgelegt. Wer bereit und in der Lage ist, aus Tschernobyl etwas zu lernen, dem geben wir mit unserem Antrag eine Chance, dies zu beweisen.Die Atomenergie ist weder sauber noch beherrschbar. Das ist die eindeutige Lehre, die aus Tschernobyl zu ziehen ist. Daher ergibt sich die Notwendigkeit einer Energiewende, eine Stromerzeugung ohne Atom als überfällig und machbarer Schritt handelnder Politiker.Es ist in der Fachwelt völlig unumstritten, daß ein Kernschmelzunfall mit katastrophaler Freisetzung von Radioaktivität in der Umgebung auch bei deutschen Kernkraftwerken nicht ausgeschlossen werden kann. Dies bestätigen selbst die Ergebnisse der offiziellen deutschen Risikostudie „Kernkraftwerke". Eine Kontroverse gibt es unter den Fachwissenschaftlern lediglich zu der Frage, mit welcher Wahrscheinlichkeit eine solche Katastrophe zu erwarten ist. Wer sagt, eine solche Katastrophe sei bei uns auszuschließen, versteht entweder nichts von der Materie oder sagt bewußt die Unwahrheit.So weit der Atomwissenschaftler Klaus Traube.
Die Behauptung der Bundesregierung, der Ausstieg aus der Atomenergie bis zum Jahre 2000 würde 1 Billion DM kosten, ist falsch; es ist eine maßlose, lügenhafte Übertreibung. Der tatsächliche monetäre Wert aller bundesdeutschen Atomreaktoren liegt bei 31 Milliarden DM. Nach Berechnungen des Öko-Instituts würden bei dem Ausstieg jährlich Kosten von 6,8 Milliarden DM anfallen, was für den Strompreis eine Erhöhung um 2,2 Pf/kWh bedeuten würde.
— Das ist aber ein Preis, den man zahlen kann und der zumutbar ist.Die Mehrkosten beinhalten den Ersatz für die ausgefallenen AKW's, Kosten und Entschädigungen für die im Bau befindlichen Kraftwerke, Kosten für Netzausbau, Sozialplan für die in den AKW's beschäftigten Menschen, Haldenkosten für gelagerte Kohle. Eine realistische Berechnung wird immer zu ähnlichen Zahlen kommen, aber die Bundesregierung ist ja nicht an Aufklärung und Änderung, son-Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 222. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Juni 1986 17225Tatgedern an Schauergemälden und Panikmache interessiert.
Ein weiterer Blick in die Geschichte des Gesetzes zur Förderung der Energiewirtschaft hält auch für die Gegenwart interessante Fakten bereit. Nach 1933 war es zu einer fruchtbaren Symbiose aus faschistischen Staatszielen und Interessen der Verbund-EVU gekommen.
So forderte die Arbeitsgemeinschaft für Deutsche Energiewirtschaft in einem eigens dafür erstellten Gutachten unverhohlen die Stillegung der gesamten Stromerzeugungskapazität der kommunalen Energiewirtschaft, d. h. die Stillegung von stadteigenen Kraftwerken, wie z. B. denen von Mannheim, Stuttgart, Karlsruhe, Bonn, Aachen und Düsseldorf, um nur einige Beispiele zu nennen. Darüber hinaus wurde die Ausschaltung aller ca. 6 000 ländlichen Elektrizitätsgenossenschaften gefordert. Es war schon damals nicht überlegene ökonomische und ökologische Effizienz, die dem Großverbundsystem seine Machtposition verschaffte; die politisch-ökonomische Grundlage hierfür bildete vielmehr die unheilvolle Allianz aus energieproduzierenden wie energieverbrauchenden Konzernen in Verbindung mit expansiven Staatszielen.Wenn die Verbände der Energiewirtschaft heute die notwendigen ordnungspolitischen Eingriffe in ihre Machtstellung als Dirigismus zu denunzieren versuchen, muß man sie darauf hinweisen, daß die Geschichte der Energiewirtschaft eine Geschichte des privatwirtschaftlichen Dirigismus der großen Energiekonzerne ist, die erfolgreich bis heute den Staat für ihre Expansions- und Gewinninteressen einsetzen.
Der Verweis auf den formal hohen Staatsanteil in der Versorgungswirtschaft darf nicht darüber hinwegtäuschen, daß einzelwirtschaftliche Kapitalverwertung unabhängig von der konkreten Eigentumsform und gleichgültig, ob aus gewinnorientierten oder fiskalischen Zwecken, das eigentlich geförderte und durchgesetzte Ziel der deutschen Energiewirtschaft war und ist.
Entscheidend für eine andere, für eine sozial und ökologisch orientierte Energiewirtschaft ist eine vorbeugende Umweltpolitik. Das bedeutet heute, daß vor allem eine grundsätzliche Neustrukturierung der Energiewirtschaft und insbesondere dieStillegung aller Atomkraftwerke absolute Priorität haben müssen.
Zusammenfassend sind die Kernpunkte unseres Antrages folgende: Erstens. Die Kommune, d. h. Stadt, Gemeinde und Landkreise, wird zentraler politischer Ort der Umwandlung und Nutzung von Energie.Zweitens. Wir schaffen Energiedienstleistungsunternehmen statt Energieversorgungsunternehmen, die nach dem Bedarfsprinzip und der Nutzung statt der Angebotsorientierung arbeiten.Drittens. Die Kraftwerke befinden sich im Eigentum von Betreibergesellschaften, die in der Regel von kommunalen bzw. gemischt-öffentlichen Anteilseignern kontrolliert und betrieben werden.Viertens. Wir sehen flankierende Gesetzesnovellierungen vor: a) eine gesetzliche Einspeiseregelung zur Förderung kommunaler Heizkraftwerke und von Systemen auf der Basis regenerativer Energiequellen; b) die Novellierung der Bundestarifordnung Elektrizität mit der Einführung eines linearen, zeitvariablen Tarifs; c) die Novellierung des Gemeindefinanzierungs- und des Verkehrsfinanzierungsgesetzes mit dem Wegfall der Konzessionsabgabe und der Entflechtung der Finanzierung des öffentlichen Personennahverkehrs; d) die Novellierung des Kartellrechts.
— Das habe ich mir selber aufgeschrieben, Herr Kollege. Man muß halt etwas davon verstehen; das ist das Problem.Seit einigen Wochen gibt es in der Öffentlichkeit eine breite Diskussion über die Möglichkeit, Atomkraftwerke stillzulegen und eine andere, sichere Energieversorgung aufzubauen. Wenn ich in diesem Zusammenhang an die Äußerungen der Regierung denke, so muß ich Ihnen bestätigen, daß es wenige Politiker in der Bundesrepublik gibt, die in der Lage sind, mit einem solchen Ausmaß an Borniertheit und Arroganz über die realen Fakten und Ängste der Menschen hinwegzugehen.Da ich mit einen Prolog von Heinrich Heine angefangen habe, möchte ich mit einem Epilog von ihm schließen, einem Gedicht, das insbesondere die Stellungnahmen von Herrn Kohl, Herrn Laufs und Herrn Bangemann nachhaltig beschreibt und sich über eine Änderung der Regierungspolitik skeptisch äußert:O welche Wonne, ein Esel zu sein! Ein Enkel von solchen Langohren!Ich möcht es von allen Dächern Schrein: Ich bin als Esel geboren.Der große Esel, der mich erzeugt, Er war von deutschem Stamme; Mit deutscher Eselmilch gesäugt Hat mich die Mutter, die Mamme.
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17226 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 222. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Juni 1986
TatgeIch bin ein Esel,
und will getreu,Wie mein Väter, die Alten, An der alten, lieben Eselei, Am Eseltume halten.Danke schön.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Spies von Büllesheim.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der hier behandelte Antrag mit der umständlichen Bezeichnung „Rekommunalisierung und Demokratisierung der Energieversorgung" ist eine Art von Energiekonzept der GRÜNEN. Ich sage „eine Art von Energiekonzept", weil das Konzept nicht in sich geschlossen ist
und weil es sich im wesentlichen nur mit Gas, Elektrizität und Fernwärme befaßt.Aber dieser Antrag hat einen Vorteil. Denn er weist doch ziemlich deutlich aus, welche Zukunft die GRÜNEN für unser Land anstreben.
Das Papier enthält auf 45 Seiten eine Fülle von Darstellungen der „Wirklichkeit", die mit der Wirklichkeit eben nicht übereinstimmt, von Annahmen, von falschen Schlußfolgerungen und sicherlich auch von Utopien. Aber ich kann wegen der Kürze der Zeit nur auf wenige Punkte eingehen.Zunächst ist richtig, daß unser Energiewirtschaftsgesetz aus dem Jahre 1935 stammt. Aber es ist nicht richtig, daß der Inhalt des Gesetzes etwa von nationalsozialistischen Vorstellungen oder, wie vom Kollegen Tatge gerade gesagt, von Gesichtspunkten der Kriegswirtschaft bestimmt worden ist.
Es ist lange vorbereitet worden. Daß die Äußerung des Kollegen Tatge nicht zutrifft, beweist schon die Tatsache, daß eigentlich alle modernen Industriestaaten eine etwa ähnlich organisierte Energiewirtschaft wie wir haben.Sie beklagen, daß der Umweltschutz in diesem Gesetz nicht genannt sei. Aber dabei vergessen Sie, daß Umweltschutz natürlich nicht nur von der Energiewirtschaft, sondern von allen Wirtschaftsbereichen zu beachten ist. Deswegen ist Umweltschutz in besonderen Gesetzen niedergelegt: Bundes-Immissionsschutzgesetz, Großfeuerungsanlagen-Verordnung, TA Luft. All das muß erwähnt werden. Sie wissen, daß gerade die Regierung Kohl diese Gesetze erheblich verbessert hat.
Ihr Antrag zeichnet ein Zerrbild der Wirklichkeit, wenn Sie von Energieverschwendung, von Gewinnmaximierung und von den Monopolen sprechen.
Da ist die einfache Tatsache, daß Strom eben nicht speicherbar ist. Das muß ich Ihnen offenbar sagen, weil man manchmal den Eindruck hat, daß Sie das nicht begriffen haben. Es ist nicht möglich, an einer Straße entlang zwei Stromleitungen zu führen, damit der Bürger die Möglichkeit hat, von zwei Unternehmen Elektrizität angeboten zu bekommen. Das wäre, wie sicherlich auch Sie zugeben, kostenmäßig nicht zu schaffen. Deswegen bedarf es der abgegrenzten Versorgungsgebiete mit Anschluß- und Versorgungszwang.In der Anfangsphase der Elektrizitätsversorgung hatten wir dezentrale Einzelversorgungen. Die sind aber nicht aus ideologischen Gründen aufgegeben worden, sondern um eine flächendeckende Elektrizitätsversorgung zu schaffen, um etwa gleiche Strompreise in Stadt und Land zu erreichen, um vorhandene Standortnachteile auszugleichen, um zu einer kostengünstigen Betriebsführung zu kommen und natürlich durch übergreifende Netze zu einem hohen Grad an Versorgungssicherheit. Das ist der Grund, warum in allen Industriestaaten die Energieversorgung etwa so organisiert ist wie bei uns. Wir haben im übrigen — auch das wird von Ihnen nicht ausreichend dargestellt — eine sehr eingehende Staatsaufsicht im Energiebereich.Wenn Sie von monopolistischen Strukturen sprechen, haben Sie recht. Da sind Gefahren, die wir auch im Auge behalten müssen. Ich darf darauf verweisen, daß z. B. der § 103a GWB eingefügt worden ist, der die Versorgungsverträge auf höchstens zwanzig Jahre befristet, damit die Gemeinden Bewegungsfreiheit gewinnen.
Wir haben im übrigen in der Bundesrepublik Deutschland eine vielschichtigere und pluralistischere Struktur unserer Energieversorgung, auch der Elektrizitätsversorgung, als in anderen Industrieländern. Sie ist historisch gewachsen, und sie hat sich bewährt. Im übrigen — auch diese Zahl sollte man nennen — befindet sich die deutsche Elektrizitätswirtschaft zu etwa 70 % im Eigentum der öffentlichen Hand.
Das vorliegende Papier läßt die Ziele preisgünstiger Energie und sicherer Energieversorgung außer acht; ich vermute, die Energiepreise schon deshalb, weil bei einer Verwirklichung Ihrer Vorstellungen ein ganz erheblicher Anstieg der Energiepreise zu
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 222. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Juni 1986 17227
Dr. Freiherr Spies von Büllesheimbefürchten wäre. Die von Ihnen vorgeschlagene bürgerschaftliche Kontrolle der Strompreise als Gegenmittel kann allenfalls in der Vorstellungswelt von linken Ideologen Preise niedrig halten, aber niemals in der Wirklichkeit.
Auch Energieversorgungsunternehmen — das müssen auch Sie anerkennen — müssen im übrigen Ergebnisse erwirtschaften, die eine Verzinsung des Kapitals ermöglichen. Wo immer das nicht möglich ist, kommt es zu Schwierigkeiten. Wir haben jüngst in Sowjetrußland ein Ereignis erlebt, das auch mit Kapitalmangel in der Energiewirtschaft zu begründen ist.
Sie wollen im übrigen einen wesentlichen Teil der Energieversorgung durch Energieeinsparung sicherstellen. Die alte Wahrheit, daß eine ersparte Einheit besser ist als eine sonst zu erzeugende Einheit, teilen wir alle. Die ist nicht von den GRÜNEN erfunden worden. Wir in der Bundesrepublik Deutschland haben weltweit Maßstäbe bei der Energieeinsparung gesetzt, aber dies mit marktwirtschaftlichen Mitteln. Wenn Sie jetzt andere Mittel, staatlichen Dirigismus, verstärkt einsetzen wollen, dann werden Sie die Quellen, aus denen heraus der deutsche Bürger gespart hat, weitgehend verschütten.
Es ist natürlich populär, den Bürger glauben zu machen — wie Sie das in Ihrem Papier einmal mehr tun —, daß regenerative Energiequellen in absehbarer Zeit die anderen Primärenergien zu wesentlichem Anteil ersetzen könnten. Sie wissen wie ich, daß das heute 2,4 % sind und daß es überhaupt keine ernsthafte Studie gibt, die etwa voraussagen würde, daß der Anteil der regenerativen Energie auf mehr als das Dreifache — das ist schon die Obergrenze der Schätzung — bis zum Jahre 2000, also auf 7 % bis 8 %, zu erhöhen wäre.
Ich glaube, wichtiger, als noch auf viele Einzelpunkte einzugehen, ist die Auseinandersetzung mit den in Ihrem Papier formulierten Zielen. Wenn es noch irgendeines Beweises bedurft hätte, daß Sie in diesem Lande eine Systemveränderung, eine „andere Republik" anstreben, dann würde er durch das hier vorliegende Papier geführt.
Im Energiebereich gehen Sie mit ideologischen Vorstellungen ans Werk. Ihre ideologischen Vordenker streben unter dem Mantel von Umweltschutz und Ökologie eine radikale Veränderung unserer Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung an.
Das tun Sie mit wohlklingenden Worten wie „Energieeinsparung`, „Umweltschutz", „Optimierung nach ökologischen und sozialen Kriterien", „Bürgernähe", „Selbständigkeit der Gemeinden", aber Sie wollen die Struktur unserer Energiewirtschaft zerstören.
— Ja, Sie klatschen sogar. Ich bin dankbar, daß Sie an dieser Stelle klatschen.
Wenn Sie die Energiewirtschaft zerstören, dann entziehen Sie unserer Industriegesellschaft — das wissen Sie genau, und deswegen klatschen Sie auch — die Lebensgrundlage. Ich sage Ihnen weiter: Auf Dauer wären dann Wohlstand und Freiheit dahin, und das werden wir zu verhindern wissen.
Sie sehen eine Flut von Verordnungen, Richtlinien, Verboten, Vorschriften, Kontrollen, Anordnungen und Genehmigungserfordernissen vor. Die Kraftwerke und Leitungsnetze sollen verstaatlicht werden.
Energieplanungsräte, von Verbraucherverbänden natürlich wesentlich beeinflußt, sollen Investitionsentscheidungen treffen. Nicht mehr der Bürger soll über seinen Energieverbrauch entscheiden können und ihn bezahlen dürfen. Alles, was Sie vorsehen, ist eine bürokratische, dirigistische Energiewirtschaft.
Energiepreise in der Wirtschaft spielen für Sie ohnehin keine Rolle. Ob die internationale Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie beeinträchtigt wird, ist für Sie gar keine nachdenkenswerte Kategorie. Ob unsere Wirtschaft ihren Motor verliert, ist Ihnen gleichgültig.Es ist zwar noch nicht von allen Bürgern dieses Landes erkannt, aber es wird in diesem Antrag deutlich: Unter wohlklingenden Allgemeinformeln sind hier Vordenker am Werk, die tatsächlich diese „andere Republik" wollen.Ich greife durch diese Feststellung nicht einzelne Mitglieder Ihrer Fraktion an, aber die ideologischen Vordenker, die solche Papiere produzieren, müssen Sie sich zurechnen lassen:
Herr Präsident, ich komme zum Schluß. Die gegebenen Strukturen unserer Energiewirtschaft sollen nun wirklich nicht völlig unverändert bleiben und dadurch unbeweglich werden. Die Strukturen müssen vielmehr mit behutsamer Hand, aber nach den Grundsätzen der Sozialen Marktwirtschaft fortentwickelt werden.
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17228 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 222. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Juni 1986
Dr. Freiherr Spies von BüllesheimEs ist der Vorteil Ihres Antrages, daß in ihm ganz deutlich die Fratze der Systemveränderung erscheint, aber der Wähler wird dies zu verhindern wissen.
Das Wort hat der Abgeordnete Wolfram.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es liegt in der Kontinuität sozialdemokratischer Energiepolitik, daß wir uns nicht nur mit den aktuellen energiepolitischen Fragen beschäftigen, sondern daß wir wissen, wie wichtig gerade in der Energiepolitik mittel- und langfristige Perspektiven sind. Energiepolitische Planungen und Entscheidungen dürfen nicht kurzatmig und kurzfristig getroffen werden, sondern bedürfen einer langfristigen Orientierung. Dazu gehört für uns selbstverständlich auch, daß wir uns mit vorhandenen Strukturen und Praktiken kritisch befassen und daß wir — wie viele andere auch — selbstverständlich der Meinung sind: Gesetze, vor allem Gesetze aus dem Jahre 1935 sind reformbedürftig und novellierungsbedürftig.Im übrigen ist das keine Erkenntnis, die die GRÜNEN mit ihrem Antrag einbringen; es gibt seit Anfang der 80er Jahre vielmehr Arbeiten von BundLänder-Kommissionen auf dem Gebiete der Novellierung des Energierechts.
Es gibt eine Kleine Anfrage der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion von November 1983 und die entsprechende Antwort der Bundesregierung, und es gibt eine Fülle von Beschlüssen und Vorschlägen meiner Partei und unserer Fraktion mit dem Ziel, daß wir novellieren und verbessern und anpassen, was notwendig ist, aber auch in der Erkenntnis,
daß wir nicht etwas übers Knie brechen, was einer gründlichen Beratung bedarf.Ich will vorab noch einmal festhalten, daß zu den Grundsätzen einer von uns angestrebten Novellierung des Energiewirtschaftsrechts unter anderem gehören: der Vorrang für eine sparsame und rationelle Energienutzung, die Deckung des Energiebedarfs mit einem so geringen wie möglichen Primärenergieverbrauch, ein Höchstmaß an Schutz der Natur und einer gesunden Umwelt, der Vorrang der heimischen Kohle und eine optimale umweltverträgliche Nutzung der heimischen Lagerstätten — im übrigen kein Wort bisher von der heimischen Kohle in Ihren Diskussionsbeiträgen —
— ja, ich habe zugehört, ich habe genau zugehört —, die Förderung von Innovationen, die Einbeziehung der Fernwärme in das Energiewirtschaftsrecht, die Abkehr von der Plutoniumwirtschaft undeiner Wiederaufbereitungstechnologie und die schrittweise Reduzierung des Anteils der Kernenergie.Meine Damen und Herrn, für uns Sozialdemokraten steht also fest, daß das Energiewirtschaftsgesetz auf eine neue Grundlage gestellt werden muß und daß die Zielsetzungen Schonung der Umwelt soziale Verträglichkeit, Energieeinsparung, rationelle Energieverwendung unabhängig von dem, was durch flankierende Gesetze heute schon da ist und was durch den § 4 möglich ist, in ein neues Energierecht einfließen müssen. Ich sage noch einmal: Wir brechen ein so wichtiges Thema nicht übers Knie. Eine in über hundert Jahren gewachsene Energieversorgungsstruktur läßt sich nicht kurz- oder mittelfristig ändern.Meine Damen und Herrn, über die Frage der Gebietsmonopole, der Demarkationsgrenzen, der Konzessionsabgaben gehen die Meinungen auseinander. Brüssel will zum Beispiel zur Zeit die Lieferung von Kernenergiestrom aus Frankreich liberalisieren, um den überschüssigen französischen Kernenergiestrom in die Bundesrepublik und in andere Länder der EG zu lassen. Das werden wir — hoffentlich gemeinsam — mit allen uns zur Verfügung stehenden Mitteln zu verhindern versuchen. Ich habe gehört, Herr Engelsberger, die CSU will das. Das wollen wir doch mal im Protokoll festhalten.
Ich hatte eben bei CDU-Kollegen eine andere Reaktion festgestellt. Das ist sehr interessant. Ich bin Ihnen dankbar für diese Klarstellung.Ich sage nur: Wer für die Liberalisierung der Durchleitungsrechte plädiert, hilft in dieser konkreten Situation Brüssel und Paris, nicht uns und nicht denen, die weniger Kernenergiestrom in unserer Wirtschaft haben wollen.Meine Damen und Herren, der uns vorliegende Antrag der GRÜNEN hat einen anspruchsvollen Titel. Da ist von einer Rekommunalisierung die Rede. Mein Kollege Spies von Büllesheim hat bereits gesagt, daß die meisten deutschen EVU in kommunaler oder regionaler Hand oder gemischtwirtschaftlich strukturiert sind und daß es bei ihnen, bei vielen zumindest, kommunale Stimmrechtsmehrheiten gibt. Das müßten Sie wissen. Das verdrängen Sie einfach.Damit will ich nichts dazu sagen, wie kommunale Aktionäre — —
— Hören Sie doch zu, Herr Tatge! Ich habe Ihnen doch auch zugehört.Eine andere Frage ist, ob und wenn ja, in welcher Form die Kommunen ihre Eigentümerfunktion wahrgenommen haben. Da habe auch ich oft Kritik geübt. Ich versuche in meiner Eigenschaft als Kommunalpolitiker da einen anderen Weg zu gehen.
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Wolfram
Im übrigen gibt es in vielen Kommunen bereits örtliche Energieversorgungskonzepte, von denen Sie gar keine Kenntnis nehmen, wo man sich sehr intensiv darum bemüht, zu einer sinnvollen Struktur und einer Optimierung des Angebots und der Versorgung unter Berücksichtigung der von mir genannten Ziele zu kommen.In ihrem Titel erscheint das Wort der Demokratisierung. Sie müßten doch eigentlich wissen, meine Damen und Herren, daß den Aufsichtsorganen der EVU demokratisch gewählte und legitimierte Vertreter angehören. Die mögen Ihnen nicht passen. Sie drängen aber vor Ort in diese Organe. Sie kandidieren dafür. Und Sie müßten wissen, daß die für die Energieaufsicht zuständigen Länderregierungen demokratische Institutionen sind und ihre Funktion natürlich auch unter diesem Aspekt wahrnehmen.
Meine Damen und Herren, die GRÜNEN wollen — das ist in der Tat das Ziel — bewährte Strukturen beseitigen. Sie wollen nicht Fehler und Mängel vorhandener Strukturen sinnvoll ergänzen oder ändern, sondern Sie wollen vorhandene Strukturen zerschlagen. Das ist Ihr Ziel.
Jetzt müßten Sie logischerweise Beifall klatschen, damit wir das auch im Protokoll festhalten können.
Ich registriere betretenes Schweigen bei Ihnen.Das ist Ihr Ziel. Deshalb kann ich nur sagen: Das machen wir Sozialdemokraten nicht mit. Überhaupt richtet sich unsere Kritik an dem Antrag der GRÜNEN darauf, daß vieles nicht der Wirklichkeit entspricht. Ich habe das schon zum Teil erwähnt. Im Gegensatz zu den Vorstellungen der GRÜNEN behaupte ich, daß unsere strengen Umweltschutzgesetze, die von der Elektrizitätswirtschaft anerkannt werden, inzwischen Vorrang in der Energiewirtschaft haben. Wir werden in den nächsten Jahren enorme Fortschritte und Erfolge erzielen. Wir werden in Europa eine Spitzenstellung auf diesem Gebiet einnehmen. Unsere Forderung hier und heute richtet sich einmal mehr an Brüssel, die gleichen strengen Umweltschutzauflagen in der EG durchzusetzen.
Ich möchte auch ein Wort an die Adresse der über 160 000 in unserer öffentlichen Energiewirtschaft Beschäftigten richten: Sie müssen wissen, daß sie unser Vertrauen genießen, daß wir wissen, daß sie den Zielen, denen wir alle verpflichtet sind, Rechnung tragen, daß sie sich bemühen, energiesparende Technologien zu entwickeln und durchzusetzen.Trotz dieser Einwendungen — ich könnte noch viele kritische Anmerkungen im Detail machen — unterscheidet sich dieser Antrag der GRÜNEN wohltuend von anderen Anträgen Ihrer Fraktion in der bisherigen Legislaturperiode. Das erklärt sich aber schnell, wenn man weiß, daß die Autoren dieses Antrages nicht in der Fraktion DIE GRÜNEN, sondern im Öko-Institut in Freiberg sitzen.
— Freiburg. Was habe ich gesagt? — Freiberg? Da können Sie sehen: Mein deutsch-deutsches Verständnis kommt da wieder einmal durch. Vielen Dank. Ich freue mich, daß Sie das bestätigen, daß Sie die Autorenschaft nicht für sich reklamieren.
Ich muß Ihnen sagen: Wir sprechen auch mit dem Üko-Institut, und wir nehmen sie ernst, wenn sie ernstzunehmen sind; wir kritisieren sie, wenn sie in Panik machen oder falsche Ideologien predigen. Ich meine, die Herren Hennicke, Johnson, Kohler, Seifried, und andere wären besser beraten gewesen, ihre Meinungen in den Beratungsprozeß über die Reform des Energiewirtschaftsrechts einzuspeisen, als sich von Ihnen einen Antrag formulieren zu lassen.
Das alles wird uns Sozialdemokraten nicht hindern, uns sachlich und gewissenhaft mit allen Einzelheiten Ihres Antrags zu beschäftigen. Wir stimmen mit Teilen des Antrags überein. Da will ich gar nicht sagen, daß Sie das bei uns abgeguckt haben. Sie kommen da sicherlich hinter uns. Aber das ist egal; wir wollen da in keinen Wettbewerb eintreten. Wir stimmen mit Teilen des Antrags überein. Andere Teile schießen über das Ziel hinaus, und manches andere ist schlicht und einfach falsch. Das muß man klarstellen. Das wollen wir aber sachlich und fair im Wirtschaftsausschuß und in den mitberatenden Ausschüssen mit Ihnen erörtern.Wir Sozialdemokraten werden unsere Position in einer gesetzgeberischen Initiative zu Beginn der nächsten Legislaturperiode festlegen. Wir werden sie mit den von uns geführten Ländern abstimmen. Wir werden sie danach einbringen. Ich fordere Sie auf, mit uns eine wichtige Materie in einem sachlichen Dialog gemeinsam einer zukunftsorientierten und konstruktiven Lösung zuzuführen.Vielen Dank.
Das Wort hat der Abgeordnete Beckmann.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die GRÜNEN überschreiben ihren Antrag mit hehren und effektheischenden Worten, und sie begründen ihn mit Halbwahrheiten. Die Vorstellungen der GRÜNEN enthalten eine radikale Abkehr von einer gegenwärtig in allen Industriestaaten verfolgten Energiepolitik, verbunden auch mit einer Abkehr von unserer Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung. Ich kann dás, was die Kollegen Erich Wolfram und Dr. von17230 Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 222. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Juni 1986BeckmannSpies gesagt haben, in dieser Hinsicht nur voll unterstreichen.
Ich bin sehr froh darüber, daß wir uns in den Traditionsfraktionen dieses Hauses in dieser Hinsicht zumindest außerordentlich einig sind.Bei der einseitigen Verfolgung bestimmter Ziele wie z. B. der sparsamen und rationellen Energieversorgung oder auch der Umweltverträglichkeit vernachlässigen Sie andere staatspolitische Ziele, die für die Sicherung der Lebensgrundlagen unserer Gesellschaft von ebenso existentieller Bedeutung sind. Ich kenne niemanden, der nicht für sparsame und rationelle Energieverwendung wäre.
Ich kenne niemanden, der nicht für Umweltschutz wäre. Diese Ziele können aber ohne Rücksicht auf Kosten und Sicherheit der Versorgung nicht durchgesetzt werden. Hinter den Stichworten Rekommunalisierung und Dezentralisierung verbergen sich vollkommen andere Versorgungsstrukturen, die unsere privatwirtschaftliche Struktur der Energiewirtschaft grundlegend verändern sollen. Die vorgesehene Bestellung und die Entscheidungskompetenz von Energie- und Planungsräten entspricht nicht unserem Demokratieverständnis. Damit ist auch keine stärkere Liberalisierung und Deregulierung der Energiewirtschaft herbeizuführen. Ganz im Gegenteil würden Ihre Vorschläge ein Versorgungssystem mit mehr Dirigismus zur Folge haben.
In den Jahren seit der Ölkreise hat sich gezeigt, daß gerade eine auf privatwirtschaftliche Initiative bauende Energiepolitik mit den Problemen am besten fertig wird.
Die Bilanz dieser Politik kann sich auch im internationalen Vergleich sehen lassen. Wir verbrauchen heute kaum mehr Energie als 1973, obgleich das Bruttosozialprodukt im gleichen Zeitraum um mehr als 20 % gestiegen ist. Damit wurde auch ein Großteil des Energieeinsparpotentials ausgeschöpft. Im Vergleich nehmen die deutschen Verbraucher damit bei der Energieeinsparung einen guten Platz ein. EG-weit liegt der spezifische Energieverbrauch der deutschen Industrie am niedrigsten. Zugleich hat sich gezeigt, daß mit einer marktwirtschaftlichen Politik, in der dem Preis eine Signalfunktion zukommt, die richtigen Anreize gegeben werden.Unsere Energieversorgung ist in dieser Zeitspanne relativ sicherer geworden, denn der Anteil des Öls ist von 56 % auf rund 40 % unseres heutigen Primärenergieverbrauchs gesunken. Dabei hat sich auch die Struktur der Ölbezüge entscheidend verbessert. Heute beziehen wir 30 % unseres Öls aus sicheren Nordseequellen. Der Nahe Osten ist nicht mehr unser größter Lieferant. Die Umweltbelastung hat durch die Energieversorgung in den letzten Jahren entscheidend abgenommen. So kommt eine grobe Modellrechnung für die Jahre 1966 bis 1982 zu einem nationalen Rückgang an Schwefeldioxid- und Staubausstoß pro verbrauchter Energieeinheit um jeweils 70%.Grundsätzlich wird deshalb auch der Nachweis zu erbringen sein, ob ein dezentrales System überhaupt in der Lage ist, eine langfristig gesicherte Energieversorgung auf einem volkswirtschaftlich angemessenen Kostenniveau zu gewährleisten. Historische Tatsache ist es, daß unsere heutige Struktur der Elektrizitätsversorgung aus kleinen dezentralen Inselbetrieben und -netzen zusammengewachsen ist. Das Ziel, vorhandene Ressourcen rationell zu nutzen, sowie Kosten- und Sicherheitsgesichtspunkte haben diese Entwicklung maßgeblich beeinflußt. Dies ist in allen Industrieländern, in Ost wie in West, parallel verlaufen. Der vollkommene Verzicht auf kostengünstige Großkraftwerke zugunsten kleiner dezentraler Anlagen würde zu einer erheblichen Verteuerung der Energieversorgung und damit auch zu einer starken Beeinträchtigung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft sowie einer beträchtlichen Belastung des einzelnen Bürgers mit Energiekosten führen müssen.Auch läßt die Forderung nach einer Umstrukturierung der Elektrizitätswirtschaft in eine dezentrale, auf Kraft-Wärme-Kopplung gestützte Elektrizitäts- und Wärmeversorgung die Realitäten wirtschaftlicher Wärmeversorgung völlig außer acht. Es ist zwar richtig, daß die gleichzeitige Erzeugung von Elektrizität und Niedertemperaturwärme zu einem, auf die beiden unterschiedlichen Energiearten bezogen, günstigen Wirkungsgrad führen kann, Wärme- und Strombedarf sind jedoch tages- und jahreszeitlich unterschiedlich und nicht gleichlaufend. Außerdem verursacht der Wärmetransport hohe Investitionskosten, so daß im wesentlichen nur Ballungsgebiete mit einer hohen Anschlußdichte für eine wirtschaftliche Fernwärmeversorgung in Betracht kommen. Damit ergeben sich zwangsläufig auch Versorgungsprobleme auf dem flachen Lande. Eine sichere und kostengünstige Energieversorgung wird deshalb durch ein dezentralisiertes Versorgungssystem nicht gewährleistet.Lassen Sie mich an einem anderen Beispiel deutlich machen, inwieweit die Forderung nach Dezentralisierung dem Ziel einer besseren Energienutzung widerspricht. Hochhäuser und Massenverkehrsmittel als typische Großtechniken sind nachweislich energiegünstiger als das Einfamilienhaus und der Pkw, doch werden die letzten auf Grund sozialer und persönlicher Präferenzen bevorzugt. Deshalb kann der Grundsatz der Dezentralität keine generelle Richtschnur für Energiepolitik sein. Auch Großanlagen leisten einen Beitrag für eine preiswerte, umweltfreundliche und sichere Energieversorgung.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 222. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Juni 1986 17231
BeckmannAuf ihre Nutzung kann nicht verzichtet werden. Die Energiepolitik, die seit vielen Jahren in diesem Hause betrieben wird,
hat stets versucht, das Potential an großen und kleinen Anlagen entsprechend ihren jeweiligen Vorteilen auszuschöpfen. Die dogmatische Präferenz der GRÜNEN für groß oder klein, für Zentralität oder Dezentralität ist daher verfehlt. Es kommt vielmehr darauf an, eine Technologie zu entwickeln, die den jeweiligen Lebensverhältnissen der Menschen entspricht.Im übrigen ist auch darauf hinzuweisen, daß gerade die kritisierte Elektrizitätswirtschaft bei uns dezentraler strukturiert ist als in vielen anderen Industriestaaten. So gehören zur öffentlichen Elektrizitätsversorgung in der Bundesrepublik Deutschland heute etwa 1 000 Unternehmen unterschiedlicher Größe und Funktion. Diese pluralistische Struktur hat sich bisher bewährt; sie ist seit Jahrzehnten sicher und krisenfest.
Im Rahmen des wirtschaftlich Sinnvollen werden neben Großkraftwerken schon jetzt dezentrale Systeme eingesetzt. Auch haben die Kommunen durch ihre Verfügungsgewalt über die öffentlichen Wege, die zur Verlegung der Leitungen benutzt werden müssen, einen erheblichen Einfluß auf die Energieversorgung in ihrem Gebiet. Deshalb ist auch der Vorwurf unberechtigt, das geltende Energiewirtschaftsgesetz behindere die dezentrale Energieversorgung;
zu dem anderen Aspekt hat der Kollege Wolfram schon sehr richtig Stellung genommen.Im übrigen ist Ihr Vorwurf, das Energiewirtschaftsgesetz sei ein Nazi-Gesetz, nur ein vordergründiger Versuch, dieses Gesetz zu diskreditieren.
Sie wissen ebenso gut wie ich — der Herr Kollege Spies hat darauf schon hingewiesen —, daß dieses Gesetz zwar in der Zeit des Nationalsozialismus erlassen wurde, daß die wesentlichen Vorarbeiten aber in den 20er Jahren geleistet worden waren und sich gerade nicht auf nationalsozialistisches Gedankengut stützen. Das zeigt sich im übrigen auch an der zurückhaltenden Ausgestaltung des Aufsichtsinstruments und an der Tatsache, daß Investitionsfreiheit und Investitionsverantwortung der Versorgungsunternehmen weitgehend unberührt blieben.Nach Inkrafttreten des Grundgesetzes wurde — daran sollten Sie von den GRÜNEN sich vielleicht auch einmal orientieren — das Energiewirtschaftsgesetz geprüft und, soweit erforderlich, den verfassungsrechtlichen Anforderungen des Grundgesetzes angepaßt. Seine Fortgeltung wurde vom Bundesverfassungsgericht bestätigt. Zugleich möchte ich daran erinnern, daß alte Gesetze — wie z. B. das Bürgerliche Gesetzbuch von 1900 — zumeist gute Gesetze sind.
Meine Damen und Herren, im übrigen ist das Energiewirtschaftsgesetz im Laufe der Zeit nicht unverändert geblieben. Immer, wenn sich ein entsprechender Handlungsbedarf ergab, ist der Bundesgesetzgeber tätig geworden. Ein größerer Reformbedarf bestand allerdings auf anderen Gebieten des Energierechts und hat zu wichtigen Änderungen geführt. Durch neue allgemeine Versorgungsbedingungen für Strom, Gas, Fernwärme und Wasser wurde das Verhältnis zwischen den Versorgungsunternehmen und ihren Kunden grundlegend neu gestaltet. Die Stellung der Kunden konnte deutlich verbessert werden. Dabei wurde auch das Ziel der Energieeinsparung berücksichtigt. Im Interesse der Energieeinsparung wurden auch die Stromtarife reformiert. Die Degression wurde abgeflacht und im Haushaltssektor mit der Einführung der sogenannten linearen Komponente gestoppt. Durch einen Sondertarif wurde der Einsatz von Wärmepumpen im Haushalt attraktiver gemacht. Zugleich darf ich daran erinnern, daß die von der Bundesregierung erwogene Abschaffung des Haushaltstarifs II vom Bundesrat unter Einschluß des Landes Nordrhein-Westfalen abgelehnt wurde. Schließlich wurde mit der vierten Kartellrechtsnovelle der Gebietsschutz auf 20 Jahre befristet, und die Kartellaufsicht wurde gestrafft. Einen ersten Erfahrungsbericht der Bundesregierung hierzu erwarten wir zum Ende des Jahres.Meine Damen und Herren, das Energiewirtschaftsgesetz favorisiert keine bestimmte Versorgungsstruktur und verschafft auch den Energieversorgungsunternehmen keine Privilegien,
sondern begründet staatliche Aufsichtsrechte. Die grüne Strategie dagegen führt zu massiven staatlichen Eingriffen und zu hohen Belastungen für unsere demokratischen Strukturen.
Wir werden Gelegenheit haben, darüber im Ausschuß intensiv zu diskutieren.Vielen Dank.
Meine Damen und Herren, die Aussprache kann geschlossen werden, weil keine weiteren Wortmeldungen vorliegen.Der Ältestenrat schlägt Ihnen Überweisung des Antrages auf Drucksache 10/5010 an den Ausschuß für Wirtschaft vor, und es gibt noch ein Novum. Wir haben interfraktionell vereinbart, daß dieser Antrag auch an den noch zu bildenden Umweltausschuß zur Mitberatung überwiesen wird. Wenn ich
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17232 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 222. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Juni 1986
Vizepräsident Cronenberges richtig sehe, ist das die erste Vorlage, die diesem Ausschuß überwiesen wird.
Insofern ist das ein historischer Akt.Gibt es weitere Vorschläge zur Überweisung? — Das ist nicht der Fall; dann darf ich das Ganze als beschlossen betrachten.Ich rufe Punkt 17 der Tagesordnung auf:a) Beratung der Unterrichtung durch das Europäische ParlamentEntschließung zum Technologietransfer — Drucksache 10/5197 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Wirtschaft Ausschuß für Forschung und Technologieb) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Forschung und Technologie zu dem Entschließungsantrag der Abgeordneten Vosen, Roth, Dr. Hauff, Dr. Ehmke (Bonn), Catenhusen, Fischer (Homburg), Grunenberg, Hansen (Hamburg), Dr. Kübler, Nagel, Stahl (Kempen), Stockleben, Vahlberg, Frau Blunck, Wolfram (Recklinghausen), Kuhlwein, Reuter, Antretter, Brück, Dr. Hauchler, Dr. Holtz, Ibrügger, Jungmann, Dr. Klejdzinski, Schanz, Voigt (Frankfurt), Dr. Vogel und der Fraktion der SPD zur Erklärung der Bundesregierung zu EUREKA— Drucksachen 10/4139, 10/5404 —Berichterstatter:Abgeordnete Lenzer VosenDr.-Ing. Laermann Dr. SchierholzIm Ältestenrat ist eine gemeinsame Beratung über die unter a und b aufgeführten Vorlagen mit einer Dauer von insgesamt 60 Minuten vereinbart worden. — Widerspruch erhebt sich offensichtlich nicht, so daß ich dem Abgeordneten Vosen das Wort erteilen kann. Bitte sehr.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Der unserer heutigen Debatte zugrunde liegende Entschließungsantrag meiner Fraktion zu Eureka war anläßlich der zweiten Eureka-Konferenz in Hannover Anfang November 1985 eingebracht worden. Ich habe Sie, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, in der damaligen Debatte schon aufgefordert, unserem Entschließungsantrag in Übereinstimmung mit Ihren europapolitischen Beschlüssen zuzustimmen. Sie aber haben diesen Antrag an den Forschungsausschuß überwiesen, weil Sie sich nicht getraut haben, ihn direkt abzulehnen.Heute nun aber ist die Stunde der Wahrheit. Sie werden heute sagen müssen, was Sie forschungs- und technologiepolitisch für Europa wollen oder nicht wollen.Bis zur dritten Eureka-Konferenz in London sind es noch 10 Tage. Es wird wieder eine Unzahl von euphorischen Erklärungen über den europäischen Aufbruch in eine großartige gemeinschaftliche Zukunft über uns hereinbrechen. Dabei wird die besondere Rolle der Forschungs- und Technologiepolitik herausgestrichen werden.
Wir wollen uns von solchen Visionen nicht blenden lassen. Betrachten wir die Dinge so, wie sie sind. Und da sage ich Ihnen: Es steht nicht gut um die europäische Forschungs- und Technologiepolitik, es steht nicht gut um Eureka im besonderen. Der Bundesforschungsminister ist zusammen mit dem Bundesfinanzminister im Prinzip ein Bremser der europäischen Forschungspolitik.Ich will Ihnen dazu einige Fakten mitteilen: EG-Kommissar Narjes, CDU-Mitglied, hatte ein FünfJahres-Programm zur europäischen Forschungs- und Technologiepolitik vorgelegt, das einen vernünftigen Anstieg der Ausgaben für die Forschung auf etwa 4 Milliarden DM im Jahr vorsah, also gegenüber dem laufenden Mehrjahresprogramm etwa eine jährliche Verdoppelung. Das macht zur Zeit etwas mehr als 2% der gesamten EG-Ausgaben aus und sollte im Mittel auf 4 % gesteigert werden.Man muß sich das angesichts des Agrar-Wahnsinns einmal klarmachen: Europa wäre sich 4 % Forschungs- und Entwicklungsausgaben für seine Zukunft wert. Vier Prozent! Selbst aber diese bescheidene Anforderung ist auf Betreiben insbesondere der deutschen Seite nicht zu verwirklichen.Nun gut, mir ist auch bekannt, daß die einzelnen Mitgliedstaaten das Mehrfache dieser Beträge noch immer in mehr oder weniger nationalstaatlicher Konkurrenz aufwenden. Aber um so weniger verstehe ich, daß so große Hemmungen bestehen, die europäische Forschungspolitik selbst auf diese unwahrscheinlich lächerlichen 4 % aufwachsen zu lassen. Der unzutreffende Einwand ist — Sie kennen ihn: Die europäische Bürokratie ist nicht effektiv, es kommt nichts dabei herum.Meine Damen und Herren, das ist nun wirklich nicht wahr. Wer angesichts der manifesten Gesundheitsschädigung durch das Rauchen für die Marktordnung für Tabak mehr aufwendet als für Entwicklung und Forschung, wer ständig die Informationstechnikförderung ESPRIT in Europa preist, wer neben etablierten Forschungs- und Technologieförderstrukturen nun noch auf den europäischen Wanderzirkus Eureka setzt, für den — je nach Jahreszeit — mal Geld da ist, dann wieder keins, der argumentiert nicht überzeugend und vor allen Dingen uneuropäisch. Hinzu kommt, daß man im Agrarsektor zu den europäischen Regelungen steht und sie, wo es geht, verteidigt Bei der Forschungs- und Technologiepolitik will man widersprüchlich einmal nichts von ihnen wissen und baut auf der anderen Seite ein zusätzliches Europa-Sekretariat auf.Der wahre Grund für diese restriktive Handlung der deutschen Regierung in der europäischen For-
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Vosenschungspolitik ist die Regierungskoalition. Sie haben etwas gegen Zukunftsorientierung; Sie wehren sich gegen eine vorausschauende Infrastruktur-und Strukturpolitik, die auch die europäischen Ungleichgewichte ausgleicht und wollen dafür kein Geld zur Verfügung stellen. Diese Ihre Haltung ist kurzsichtig, Sie verschließen die Augen vor den Problemen der europäischen Integration.Herr Riesenhuber hat uns j a am Montag ein weiteres bedauerliches Paradebeispiel für diese Art von Politik des Kopf-in-den-Sand-Steckens geboten. Er hat, weil er der europäischen Weltraumprobleme, die er entschlußlos Jahre vor sich herschob, nicht Herr werden konnte, den Beamten rüde entlassen, der ihm bei der Lösung der Probleme allein hätte helfen können.
Ein ganz besonderer Aspekt dieser deutschen Politik des Kopf-in-den-Sand-Steckens ist leider, daß der Forschungsminister dies immer auf Befehl des Finanzministers tut, der auf diese Weise der eigentliche Forschungsminister ist.Ganz peinlich für den Forschungsminister muß es da sein, wenn sein hessischer Parteifreund Bernhard Sälzer am 9. Juni im Europäischen Parlament als Berichterstatter eine Entschließung durchgesetzt hat, in der es heißt, daß das Europäische Parlament den von der Kommission errechneten Finanzbedarf für Forschung und Entwicklung für die nächsten fünf Jahre für voll und ganz gerechtfertigt hält. Ich kann also nur sagen, diese Melodie — in Straßburg so, in Bonn so — irritiert uns schon lange.Man könnte angesichts dieser Finanzmisere sagen, Europa ist freiwillig auf dem Weg zum Agrarkontinent, wenn man die Situation der EG-Kommission isoliert betrachtet. Aber machen wir uns nichts vor: Es wird nicht gelingen, den qualitativen Sprung, den der EG-Kommissar Narjes vorschlägt; ersatzweise über das von Ihnen formulierte Eureka-Projekt zu erreichen. Eureka hat weder konkrete Ziele noch genügend Finanzen noch eine hinlängliche Organisation. Die Projekte werden sowieso alle mehr oder weniger aus ohnehin vorhandenen nationalen Finanzmitteln gemacht. Die Tatsache, daß ein Eureka-Sekretariat als Koordinierungsgremium neben der Verwaltung der Kommission eingerichtet werden soll, ist gänzlich unakzeptabel. Es soll jetzt ja nach Brüssel kommen.Ich möchte nicht davon ablenken, daß unser Hauptvorschlag immer gewesen ist, eine ganz andere Art von Eureka-Programm in Europa ins Werk zu setzen, was bedeutet hätte, der Kommission in Brüssel eine zentrale Verantwortung zu übertragen. Das ist unser Antrag, den Sie, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, heute ablehnen.Ihre christdemokratischen Kolleginnen und Kollegen im Europäischen Parlament sind dabei nicht mit Ihnen einer Meinung. Ich wundere mich schon sehr lange über Ihre Doppelstrategie, im Europäischen Parlament große europapolitische Beschlüsse zu fassen und im Bundestag diese dann abzulehnen.Es gibt ja eine Reihe von Beispielen, die das Europäische Parlament mit Stimmen der Konservativen, der CDU, beschlossen hat, etwa: Das Europäische Parlament bedauert insbesondere, daß die bestehenden Instrumente der Gemeinschaft für eine gemeinsame Forschungs- und Technologiepolitik nicht genutzt worden sind. Es kritisiert, daß durch lediglich zwischenstaatliche Vereinbarungen — wie bei Eureka — weder das erklärte politische Ziel einer geschlossenen europäischen Technologiepolitik noch die Verbindung mit anderen Gemeinschaftspolitiken noch eine effektivere parlamentarische Kontrolle gewährleistet wird. Eine Reihe von Kritikpunkten, die also auch Ihre Kollegen in Brüssel mit formuliert haben!Ich könnte diese Beispiele weiter fortführen, aber die Redezeit läßt dies nicht zu.Ich meine, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, wenn Sie diese Beschlüsse Ihrer Kollegen in Brüssel im Europäischen Parlament zugrunde legen, müssen Ihnen doch die Ohren klingen. Wenn Sie das hören, können Sie unserem Antrag nur zustimmen.Ich fordere Sie heute erneut auf, Ihre im Forschungsausschuß gefaßte Beschlußempfehlung heute und hier zu revidieren. Folgen Sie Ihren Kollegen im Europäischen Parlament, dann folgen Sie gleichzeitig auch uns.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Lenzer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Vosen, ich bin eigentlich ein bißchen traurig, daß Sie die heutige Debatte wiederum nicht genutzt haben, um eigene Positionen aufzuzeigen, sondern Sie haben wieder Ihre sattsam bekannten Angriffe an die Bundesregierung gerichtet,
insbesondere an den Bundesforschungsminister. Das mag ja das Wesen der Oppositionstätigkeit sein, aber das führt doch nicht weiter.
Wir haben uns in der 172. Sitzung des Deutschen Bundestages am 8. November bereits mit der gleichen Thematik beschäftigt. Damals gab es auch Erklärungen der Bundesregierung durch die Bundesminister Genscher und Riesenhuber, die an Eindeutigkeit nichts zu wünschen übrig gelassen haben. Wir haben uns wirklich auch im Forschungsausschuß bei der Beratung dieses Antrags viel Zeit genommen. Sie können nicht sagen, daß wir Ihre
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LenzerAnliegen, die zum Teil durchaus bedenkenswert und beherzigenswert sind, nicht ernst genommen und diskutiert hätten. Vieles davon ist ja auch berücksichtigt. Das hängt vielleicht ein bißchen damit zusammen, daß Sie — den Eindruck habe ich jedenfalls zuweilen — offensichtlich aus dem Kommuniqué der Konferenz in Hannover ein wenig abgekupfert haben.
Auch die zeitliche Nähe Ihres Antrags mit dem Schlußkommuniqué der Konferenz in Hannover legt diesen Verdacht schon ziemlich nahe.
— Sie haben j a immer einen guten Draht ins Ministerium gehabt und haben ihn heute noch.
— Ich sage es noch einmal: Sie haben immer einen guten Draht ins Ministerium gehabt und haben ihn heute noch.Vielleicht sollten wir die Gelegenheit nutzen, ein paar grundsätzliche Bemerkungen zu Grundsätzen und Zielen von Eureka zu machen, auf das ich mich konzentrieren will. Zur Problematik Technologietransfer will ich nachher noch nur ganz wenig sagen.
Die wirtschaftliche, soziale und politische Zukunft des freien Europa, so glaube ich, wird auch durch die Beherrschung wichtiger moderner Technologien maßgeblich beeinflußt. Sie sichern Beschäftigung und schaffen neue Arbeitsplätze mit hoher Wertschöpfung. Technologische Innovation sichert auch die Wettbewerbsfähigkeit sogenannter klassischer Industriezweige.
— So ist es aber auch. Das muß ja deswegen nicht falsch sein. — USA, Japan, Großbritannien und die Bundesrepublik Deutschland — um einmal diese wichtigen Industrieländer zu nehmen — wickeln 75,8 % des Welthandels mit Hochtechnologiegütern ab. Neue Techniken sichern aber auch den sozialen Fortschritt und eröffnen neue Lebenschancen, wenn ich nur an die moderne Medizin denke, für die dieser Forschungsminister einiges an Geld ausgibt. Es besteht also ein innerer Zusammenhang zwischen sozialem Frieden, Wirtschaftswachstum und technischem Fortschritt.Europa — im Gegensatz zu Ihrer Auffassung, Herr Vosen —, hat es bisher durchaus verstanden, im Wettbewerb mit den hochentwickelten Regionen, insbesondere den USA und Japan, seine führende Stellung in vielen wissenschaftlichen und technologischen Gebieten zu behaupten. Allerdings sind die USA und Japan dabei, ihre Position mitHilfe neuer Regierungsinitiativen ständig zu verbessern. Dem müssen wir Rechnung tragen.In Europa besteht auch seit geraumer Zeit eine erfolgreiche Zusammenarbeit in der Grundlagenforschung. Ich nenne CERN, ich nenne das ILL-Institut in Grenoble, ich nenne das europäische Labor für Molekularbiologie. Dagegen gibt es nur verhältnismäßig wenige europäische industriell-technologische Projekte, z. B. Airbus, Weltraumlabor, Spacelab, Ariane. Gerade diese Projekte machen jedoch deutlich, daß die europäischen Staaten dort, wo sie ihre Kräfte bündeln, hervorragendes leisten und auf zukunftsträchtigen Märkten die technologische Unabhängigkeit Europas im notwendigen Maße sichern können.Das unstreitig vorhandene hohe wissenschaftliche und technologische Potential der Gemeinschaft wird nicht optimal in der Gemeinschaftsdimension des einheitlichen Binnenmarktes genutzt. Insbesondere gibt es hohe Defizite — das sehen wir durchaus ein — bei der Kooperation im Bereich der Forschung und Entwicklung, in der Mobilität der Wissenschaftler und im Fluß von Gütern und Dienstleistungen europäischer Herkunft. Auch die große Vielfalt untereinander konkurrierender europäischer Industrieunternehmen und ihre privaten sowie national orientierten öffentlichen Kunden erschweren das Zusammenwachsen des Marktes.Wir müssen weiter feststellen, daß andere Staaten außerhalb Europas mit Hilfe zusätzlicher Regierungsinitiativen ihre volkswirtschaftliche Leistungsfähigkeit weiter erhöhen. Wir nehmen auch mit Interesse zur Kenntnis, daß sich bei unseren Nachbarn, gerade bei Frankreich, eine erhebliche Zunahme des Interesses, eine erhebliche Zunahme des Engagements in der Politik manifestiert, was sich auch in der Haushaltsgestaltung niederschlägt.
Wir sind davon überzeugt, daß zusätzliche Anstrengungen unternommen werden müssen, um die wissenschaftliche und technologische Leistungsfähigkeit der deutschen und der europäischen Industrien im Zusammenwirken von Wissenschaft und Wirtschaft zu erhalten und zu steigern.Die CDU/CSU-Fraktion wird sich entsprechend der Zusage des Europäischen Rates vom 29. und 30. März 1985 dafür einsetzen, daß die Gemeinschaftsmittel für Forschung und Entwicklung auch in Zukunft in ausreichendem Maße bereitgestellt werden. Wir sind bereit, auch hier ab 1986 weitere Beiträge zu gemeinsamen europäischen Projekten zu leisten. Wir müssen aber auch sehr genau darauf achten, daß bei marktnahen Projekten immer wieder eine entsprechende Eigenbeteiligung der Industrien eingeworben wird.Die gegenwärtige Situation wird von den für die Forschungstechnologie und Industriepolitik Verantwortlichen in vielen Ländern der Europäischen Gemeinschaft als unbefriedigend empfunden. Zahlreiche Aufgaben in öffentlicher Verantwortung, wie z. B. Umweltschutz, Gesundheitswesen, neue, mo-
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Lenzerderne Infrastrukturen, das Verkehrs- und Kommunikationswesen, stellen sich in allen europäischen Staaten gleichartig. Sie fordern ein gemeinsames europäisches Handeln.Deswegen ja diese Initiative vom 15. April 1985, vorgetragen und ausgelöst durch den Brief des französischen Außenministers an den Bundesaußenminister! Wir unterstützen diese Initiative. Wenn man sich die französische Diktion einmal genau ansieht, dann, glaube ich, kann man feststellen, daß ein wesentlicher Kritikpunkt der französischen Überlegungen gerade die Schwerfälligkeit der Entscheidungsfindung und Programmdurchführung innerhalb der EG, vor allem seitens der Kommission, betrifft. Das Europäische Parlament, Herr Kollege Vosen, ist natürlich als Partner der Kommission in einer etwas anderen Rolle. Ich glaube, wir haben da viel mehr Freiheit, in diesem Zusammenhang auch einmal ein Wort der Kritik zu sagen.Wir können uns, wie gesagt, dieser Kritik nicht verschließen, aber wir halten es für richtig, wenn im Rat der Europäischen Gemeinschaft über ehrgeizige, kostenintensive und vielfältige nationale Forschungsmaßnahmen hart verhandelt wird, um Kompromisse zu erzielen. Wir sehen aber mit Sorge, daß das Zustandekommen europäischer Forschungsprogramme zeitraubend ist und daß ihre Durchführung mit erheblichem bürokratischem Aufwand verbunden ist. Das gilt auch für Programme wie etwa ESPRIT — Sie haben es auch zitiert —, die gemeinhin durchaus positiv beurteilt werden. Statt die knappen Programm-Mittel auf ausgewählte, große und größere, richtungweisende Projekte zu konzentrieren, wird zu oft eine Vielzahl kleinerer Vorhaben unkritisch unterstützt, was zur Zersplitterung der Mittel und Möglichkeiten führt. Hiergegen wachsen in immer mehr Mitgliedstaaten, vor allem in den größeren, erhebliche Vorbehalte. Eine derartige Politik der Gemeinschaft ist nicht geeignet, den neuen technologischen Herausforderungen zu begegnen.Die CDU/CSU-Fraktion sieht es daher als notwendig an, in ausgewählten Bereichen kooperative Anstrengungen der Forschungs- und Technologieförderung außerhalb der bisher praktizierten administrativen und politischen Strukturen der Gemeinschaft rasch und flexibel einzuleiten. Die Bundesregierung und natürlich auch die Koalitionsfraktionen haben den französischen Vorschlag für die Eureka-Initiative von Anfang an unterstützt. Dies wird schließlich auch durch die Organisation und die Ausrichtung der zweiten Ministerkonferenz vom 5./6. November 1985 in Hannover deutlich, wo entscheidende Schritte für die Festlegung eines Rahmens und für einen raschen Beginn der technologischen Zusammenarbeit in Projekten eingeleitet wurden.
Bei Eureka arbeiten 18 europäische Staaten um die EG-Kommission als gleichberechtigte Partner mit. Der geographische Rahmen umfaßt also sowohl die EG- als auch die EFTA-Staaten. Eureka ist daher von der eingangs zitierten Europäischen Technologiegemeinschaft zu unterscheiden, die sich lediglich auf die zwölf Mitgliedstaaten der EG erstreckt.Aber, meine verehrten Kollegen von der SPD-Fraktion, Ihren Vorschlag, die Eureka-Initiative auf die DDR auszudehnen, betrachte ich mit äußerster Skepsis.
Ich glaube, das sollten Sie sich noch einmal überlegen.Der zivile Charakter von Eureka ist sowohl in der Grundsatzerklärung wie im Schlußkommuniqué von Hannover hervorgehoben. Daß das immer wieder deutlich wird, war ja auch eines Ihrer Anliegen. Ich glaube, dem wird Rechnung getragen.Dabei ist zu beachten, daß Eureka einen Rahmen für grenzüberschreitende technologische Zusammenarbeit bei Projekten bildet. Eureka ist also ein Sammelbegriff für zusätzliche Anstrengungen, um Wissenschafts- und Technologiepotentiale in europäischen Staaten zusammenzufassen und so die Wettbewerbsfähigkeit und den Leistungsstand Europas zu erhalten und zu steigern.Anläßlich der zweiten Eureka-Konferenz am 5. und 6. November 1985 in Hannover wurde folgendes festgelegt:Bestimmungen von Zielen und Kriterien für Eureka-Projekte;Festlegung von Strukturen, Organisation und Finanzierungsmodalitäten für Eureka.Auch hier unterscheiden wir uns von Ihnen, meine Kollegen von der SPD-Fraktion. Wir sind nicht der Meinung, daß es gut wäre, zunächst das Geld in die Hand zu nehmen, und dann den großen Wettlauf zu den Fleischtöpfen Ägyptenlands einsetzen zu lassen. Wichtig ist vielmehr, daß man sich erst einmal darüber klar wird, was man in der technologischen Zusammenarbeit bewirken will und was das kostet. Dann macht man sich über die Finanzierung Gedanken.Weiter wurden in Hannover erste, beispielhafte Projekte geregelt. Die Bundesrepublik Deutschland ist ja nach dieser Hannover-Liste an vier einzelnen Projekten beteiligt. Es soll nach dem Prinzip der variablen Geometrie vorgegangen werden. Wir halten das für äußerst vernünftig. Denn es führt dazu, daß sich bei diesen Projekten nur Partner finden, die gemeinsame Interessen haben, und daß sich in gleicher Weise Partner finden, die auch von ihrem technisch-wissenschaftlichen Potential her in etwa geeignet sind, ein solches Projekt zu realisieren.Nun, meine Damen und Herrn, mit Eureka wird darüber hinaus auch ein neuer Weg hinsichtlich der Finanzierung von Forschungsprojekten beschritten. Es kann gar nicht oft genug gesagt werden — ich wiederhole es —: Die Finanzierung soll nicht in erster Linie durch erhöhte öffentliche Mittel, sondern durch Eigenbeträge der Unternehmen, durch Inanspruchnahme des Kapitalmarktes und dann, wenn notwendig, durch öffentliche Mittel erfolgen. Eureka steht auch allen leistungsfähigen Kapazitä-
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Lenzerten offen, auch denen der kleinen und mittleren Betriebe, sowie den kleinen Forschungsinstituten. Eureka-Projekte beziehen sich in erster Linie auf Produkte, Verfahren und Dienstleistungen aus den Bereichen der Hochtechnologie, z. B. Informations- und Kommunikationstechnik, Robotertechnik, Werkstoffe, Fertigungstechnik, Biotechnologie, Meerestechnik, Lasertechnik sowie Techniken zum Umweltschutz und Verkehr. Ziel ist es nicht, zu neuen Subventionstatbeständen zu gelangen, sondern die Eigeninitative von Unternehmen und Institutionen insbesondere auch im Hinblick auf die Suche nach Zusammenarbeitspartnern zu stärken.Meine Damen und Herrn, wenn ich mir den SPD-Antrag betrachte, dann werde ich wieder in der Meinung bestärkt, daß es richtig war, diesen Antrag im Ausschuß mit Mehrheit abzulehnen — Sie haben als einzige Fraktion für Ihren eigenen Antrag gestimmt —; denn wir können wirklich sagen: Fast alles, was Sie in Ihrem Antrag gefordert haben, ist durch die Erklärung berücksichtigt. Lesen Sie das Kommuniqué, lesen Sie die Erklärung von Hannover! Es ist weitgehend dem Rechnung getragen, was Sie gefordert haben. Aus diesem Grunde können wir uns eine weitere vertiefte Beratung schenken, und ich empfehle uns, daß wir die Beschlußempfehlung des Ausschusses annehmen, nämlich Ihren Antrag abzulehnen.Zum Schluß nur noch eine kurze Bemerkung zum Stichwort Technologietransfer. Sicherheitspolitisch motivierte Exportkontrollen in der Bundesrepublik Deutschland, den USA und allen wesentlichen Partnerstaaten des westlichen Bündnisses gibt es seit Ende des Zweiten Weltkrieges. Sie dienen der effektiven Verhinderung des Abflusses von militärisch relevanten westlichen Gütern und Technologien in die Staaten des Warschauer Paktes. Diesen Grundsatz ist Ausdruck des gemeinsamen Sicherheitsinteresses des westlichen Bündnisses. Er wird auch von der deutschen Wirtschaft anerkannt und voll mitgetragen. Seinen praktischen Niederschlag findet er in den gemeinsam festgelegten COCOM-Regeln und den darauf beruhenden nationalen Ausfuhrbestimmungen. Nationale Alleingänge bei Beschränkungen aus Sicherheitsgründen gegenüber dem Ostblock, die über COCOM hinausgehen, lehnen wir ab. Exportkontrollen lassen sich wirksam nur in Kooperation zwischen den Hauptlieferländern realisieren.Das Bundesministerium für Wirtschaft ist in Abstimmung mit den anderen Ressorts den Behauptungen, die USA beschränkten den Transfer von Technologie auch gegenüber den Verbündeten, nachgegangen. Hierbei ist festgestellt worden, daß die deutsche Wirtschaft häufig aus eigener Kraft mit administrativen und verfahrensmäßigen Problemen, vor allem Verzögerungen, fertiggeworden ist und daß Vorwürfe, die USA benutzten Exportkontrollen zur Erlangung von Wettbewerbsvorteilen, sie ließen sich nicht von sicherheitspolitischen, sondern von handelspolitischen Überlegungen leiten, nicht belegbar sind.
— Ich bitte um Verständnis, ich kann Ihre Frage nicht mehr zulassen, weil meine Redezeit jetzt zu Ende ist.
Ich darf abschließend sagen: Welch hohen Stellenwert die Bundesregierung dem Thema Technologietransfer beimißt, ergibt sich aus der mit den USA abgeschlossenen Grundsatzvereinbarung über Technologieaustausch vom 27. März 1986. Hiermit soll der wechselseitige Austausch wissenschaftlicher Forschungsergebnisse und die Zusammenarbeit von Wissenschaft und Wirtschaft in Forschung, Produktion und Vermarktung gefördert werden. Danach werden beide Seiten darauf hinarbeiten, verwaltungstechnische Belastungen auf ein Mindestmaß zu beschränken. Mit dem in der Vereinbarung vorgesehenen Konsultationsmechanismus Soll in pragmatischer Weise die Zusammenarbeit deutscher Unternehmen mit Partnern in den USA weiter erleichtert und diese Kooperation, wo immer notwendig und nützlich, flankiert werden. Wir erwarten, daß sich dieses Instrument auch im Hinblick auf Extraterritorialitätskonflikte besser bewährt als die vom Europäischen Parlament, von Ihnen zitiert, vorgeschlagene Abwehrgesetzgebung, die wir gleichwohl als Ultima ratio nicht völlig ausschließen können.Ich bedanke mich.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Schierholz.
Herr Präsident! Meine wenigen verbliebenen Damen und Herren!
Liebe Bürgerinnen und Bürger! Wir haben hier zwei Entschließungen bzw. Unterlagen zu beraten: auf der einen Seite die EG-Entschließung zum Technologietransfer, auf der anderen Seite die Beschlußempfehlung und den Bericht zur Erklärung der Bundesregierung zu Eureka. Die beiden Vorredner haben hier zwischen beidem Trennungsstriche gezogen. Ich habe mich gefragt: Was verbindet diese beiden Vorlagen eigentlich? Meine Antwort ist: Es gibt Verbindungen zwischen diesen beiden Vorlagen, weil sie beide das Thema SDI, Eureka und die Behinderungen des Ost-West-Technologietransfers behandeln.
Herr Lenzer, Sie haben bedauerlicherweise nicht gesagt, daß die Entschließung des Europäischen Parlaments zum Technologietransfer in erster Linie die Beschränkungen des internationalen Technologietransfers durch die USA und deren schädliche Auswirkungen auf die Entwicklung der europäischen Gemeinschaft analysiert und hart kritisiert. Das haben Sie hier nicht gesagt, und deswegen will ich auch mit dieser Entschließung anfangen. Sie hat ja in den Debatten über SDI verschie-
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Dr. Schierholzdentlich eine Rolle gespielt. Das ist die Antwort auf den Zwischenruf: Was hat das eigentlich mit SDI zu tun? Verschiedene Kollegen von den Oppositionsfraktionen haben schon früher darauf hingewiesen, daß die Technologiepolitik der USA unter dem Diktat militärischer Interessen steht. Das ist der Punkt, um den es hier geht und der auch bei dieser Entschließung zum Technologietransfer zur Debatte steht, die übrigens mit den Stimmen der Konservativen im Europäischen Parlament verabschiedet worden ist.
SDI wird diese Entwicklung verstärken. Das ist unsere Analyse. Dem ist in den Ausschüssen, in denen wir j a auch schon Gelegenheit hatten, darüber zu beraten, nicht widersprochen worden.Ich zitiere einen der wesentlichen Sätze aus der Entschließung:unter Hinweis darauf, daß die USA über — ich füge jetzt ein: zahlreiche —... Embargo-Vereinbarungen hinaus zusätzlich einseitige Embargo-Listen anwenden und daß Westeuropa in der Praxis dadurch ebenfalls von einem amerikanischen Embargo betroffen ist, nämlich für die technologischen Produkte, die es selbst zwar in den Ostblock liefern will, die USA jedoch nicht, was einschneidende Konsequenzen für die Unternehmen in Westeuropa hat und ihre Abhängigkeit von den Vereinigten Staaten erhöht,Dann kommen eine ganze Reihe von Aufforderungen an die Regierungen und an die Parlamente in Westeuropa, diesem Zustand abzuhelfen. Und in der Tat, wir brauchen eine andere Technologiepolitik, die die Technologieentwicklung vom Diktat militärischer Interessen freimacht. Von daher sehen wir den Beratungen über diese Entschließung des Europaparlaments in den Ausschüssen mit großem Interesse entgegen. Wir finden es wichtig, daß hier von einer europäischen Institution endlich einmal darauf aufmerksam gemacht wird, welche Entwicklungen hier Platz gegriffen haben, die die Ost-WestZusammenarbeit behindert.Und nun zu Eureka. Der Zusammenhang zwischen SDI und Eureka ist ja der: SDI ist ein militärisches Projekt mit zivilen Abfallprodukten, und bei Eureka ist es umgekehrt. Das scheint mir die SPD bis heute nicht begriffen zu haben.
— Ja, Herr Vosen, auch Sie sind hier in Ihrem Beitrag soeben darauf leider nicht eingegangen.
Sie haben auf der einen Seite vom Wanderzirkus Eureka gesprochen
und kritische Anmerkungen gemacht, und auf deranderen Seite hängen Sie den Illusionen nach, mitder „Selbstbehauptung Europas" eine andere Technologiepolitik in die Wege leiten zu können. Ja, ich frage mich, Herr Vosen: Wo bleibt da eigentlich Ihr Realitätsbewußtsein?
Was mit Eureka gewollt wird, ist letztlich eine Art Konkurrenzprojekt zur EG, nämlich eine europäische High-Tech-Unternehmergemeinschaft,
eine EUG. Was Sie damit wollen, SPD wie CDU wie FDP, ist letztlich im High-Tech-Bereich ein Europa der verschiedenen Geschwindigkeiten. Aber Sie müssen den Bürgerinnen und Bürgern dann bitte auch sagen, daß bei diesem Europa der verschiedenen Geschwindigkeiten etliche Autos am Straßenrand liegenbleiben, weggekippt werden und damit auch die Interessen vieler Bürgerinnen und Bürger auf der Strecke bleiben. Das können wir nicht zulassen.
Herr Vosen, Ihr Antrag stammt bekanntlich aus der Vor-Hannover-Zeit. Er ist mittlerweile längst überholt. Ich finde bei diesen Plänen einen einzigen interessanten Gedanken — darauf wird der Herr Staatsminister Stavenhagen sicher gleich noch eingehen -, nämlich einige Eureka-Projekte für die Ost-West-Zusammenarbeit zu nutzen. Da hat sich der Herr Genscher wieder einen klugen Gedanken in den letzten Tagen einfallen lassen. Das sollten Sie einmal erläutern. Wenn auf dieser Basis über Eureka geredet würde, könnten Sie sogar mit unserem Mittun rechnen.
Es war ein Industriemanager, der festgestellt hat, daß unser vielgestaltiges kleinräumiges kulturelles Klima als Treibhaus der Neugier, als Motor für eine eigenständige Entwicklung in Europa dienen müsse. Dies gibt sowohl die Notwendigkeit wie auch die Chance für eine technische Neuorientierung ab, die auf die Befriedigung gesellschaftlicher Bedürfnisse, sozialer Erfahrungen und kultureller Prägungen Rücksicht nimmt und die eine dauerhafte und nachhaltige Beseitigung der ökologischen, gesellschaftlichen und psychosozialen Schäden unserer Industriekultur ermöglicht. Wir brauchen zunächst einmal das Europa von unten. Dabei sind angepaßte Technologien statt der High-Tech-Träume gerade in der kulturellen Vielfalt Europas eine attraktive Perspektive, die geeignet ist, ein Gegengewicht, technisch wie philosophisch, zum amerikanischen SDI-Programm, zum europäischen High-TechRausch darzustellen und ein Selbstbewußtsein gegenüber diesen Machtphantasien zu erzeugen.Vielen Dank.
Das Wort hat der Abgeordnete Professor Dr. Laermann.
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Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Dr. Schierholz, ich habe mit Interessen Ihren Ausführungen zugehört. Sie haben zum Schluß ganz große Worte gebraucht. Wichtig für mich war: technologische Neuorientierung, angepaßte Technologien. Aber es wäre vielleicht einmal interessant, zu erfahren, wie Sie Europa mit diesen Ihren Vorstellungen, jetzt konkretisiert, über die politischen, wirtschaftspolitischen und sozialen Hürden bringen wollen. Das hätte ich ganz gerne gewußt. Ich glaube, jedermann hat einen Anspruch darauf, nicht allein Ihre Sprechblase zur Kenntnis zu nehmen, sondern dann wirklich das Konkrete zu erfahren, das, was dahintersteckt.
Wenn Europa die technologische Herausforderung zukünftig bestehen und seine wirtschaftliche Position in der Welt behaupten will, dann müssen, Herr Schierholz, alle kreativen Kräfte und auch die finanziellen Ressourcen in Forschung und Entwicklung zusammengefaßt und zielorientiert eingesetzt werden.
Unter diesen Aspekten — nun hören Sie gut zu — halte ich die Idee Eureka für eine großartige Idee. Wir sollten alle Kraft daransetzen, diese Idee zu realisieren und sie zu verwirklichen.
Ich sage aber auch, daß die Idee Eureka nicht schon allein dadurch zu verwirklichen ist, daß es eine Vielzahl mehr oder weniger umfangreicher Kooperationsprojekte zu den unterschiedlichsten Fragestellungen gibt. Wenn auch die Tatsache durchaus positiv zu bewerten ist, daß bereits über 120 Projekte in Eureka auf dem Wege sind, so fehlt mir dabei doch die große Linie. Ich sage: Mit Kleinkram können wir Europa technologisch nicht nach vorne bringen.
Aber, Herr Kollege Vosen, auch mit Organisationsstrukturen — da stimme ich Ihnen völlig zu —, mit Bürokratie, und sei diese auch noch so klein — wir sind in Europa gewiß nicht mit zuwenig Bürokratie bedacht —, tragen wir Europa nicht in die Zukunft.
Herr Kollege Lenzer, auch diese Frage muß man gestatten: warum denn in die Überlegungen nicht das eine oder andere osteuropäische Land einbezogen werden kann. Gewiß ist im Augenblick die Zeit nicht reif. Aber von vornherein zu sagen, die kommen nicht in Frage, halte ich nicht für richtig und nicht für vertretbar.
Ich bin bereit, auch diese einzubeziehen.
Gerade unter diesen Aspekten ist es interessant, sich einmal über die Entschließung des Europaparlaments in bezug auf Technologietransfer zu unterhalten.
Hier wurde die Bundesregierung von Ihnen gescholten: Sie schieben das immer auf SDI. Sie vergessen und verschweigen dabei, daß es zwei Vereinbarungen sind, die abgeschlossen worden sind. Gerade aus diesem Grunde haben wir es für notwendig gehalten, daß der Bundeswirtschaftsminister mit den USA darüber verhandelt, im Sinne dessen, was in der Entschließung des Europaparlaments steht, und gerade im Interesse der Notwendigkeit, nämlich auch nach dem Osten zu die Frage des Technologietransfers offenzuhalten.
Mit Sicherheit, Herr Kollege Schierholz, wird es dabei nicht um angepaßte Technologien gehen;
machen wir uns doch keine Illusionen! —Ich komme auf die Bürokratie zurück. Statt langer Verhandlungen darüber, ob es denn nun ein großes oder kleines Eureka-Sekretariat geben soll und an welchem Ort dieses schließlich angesiedelt werden soll, müssen wir doch vielmehr darüber nachdenken, wie die Aktivitäten auch der Europäischen Gemeinschaft insgesamt mit in die Idee Eureka einbezogen werden können. Ich wiederhole: Es scheint mir notwendig, alle Kräfte auf dem Sektor der Wissenschaft, der technologischen Entwicklungen zu bündeln und nicht zu verzetteln, weil wir zu viele Töpfe haben.Das ist natürlich auch eine Frage des Geldes. Aber heißt es, daß da hinein zusätzlich Geld gegeben werden muß, oder heißt es, daß wir die finanziellen Ressourcen auch konzentrieren müssen, konzentrieren können, statt uns auf diesem Gebiete zu verzetteln und auf Grund von zuviel Bürokratie zu viele Reibungsverluste hinnehmen zu müssen? Das ist eine Frage der Einsparung der finanziellen Ressourcen. Ich denke, daß hier eine Menge an finanziellen Mitteln freigeschaufelt werden kann.Wäre es nicht notwendig, die gesamte Energieforschung insgesamt in die Programmatik der Idee Eureka mit einzubeziehen, etwa ausgehend von EURATOM und den EG-Programmen in der Energietechnik, meinetwegen auch einschließlich der Fusionstechnik? Wäre es nicht notwendig, gerade im Lichte der jüngsten Entwicklungen alle Aktivitäten über den Rahmen der EG-Staaten hinaus unter der Idee Eureka zusammenzufassen? Ich denke, hier wäre es des Schweißes der Edlen wert, uns insgesamt um Energietechniken zu bemühen und dieses Bemühen in der europäischen Konzentration voranzutreiben.Ist es nicht zwingend notwendig, auch den gesamten Bereich der Luft- und Raumfahrt — man kann diese Bereiche weder von der Sache her noch von der vorhandenen Industriestruktur her trennen
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Dr.- Ing. Laermann— unter der Idee Eureka zusammenzufassen? Für die Raumfahrt existiert eine funktionierende Agentur, die ESA. Machen wir uns doch deren Erfahrungen und Leistungen in Europa zunutze. Was dort praktiziert wird, ist Eureka. Ich meine, hier liegen wichtige Zukunftsfelder, auf denen es gilt europäische Autonomie zu sichern. Wenn wir dies wollen, dann muß sich auch die Bundesrepublik für ein rückkehrfähiges Raumfahrzeug wie z. B. Hermes entscheiden.
Hier sind Entscheidungen notwendig.
Gewiß ist es richtig und notwendig, das große Problem Umwelt, Vermeidung von Belastungen, Abbau von bestehenden Belastungen auf europäischer Ebene in Forschung und Entwicklung aufzugreifen, genauso wichtig ist aber auch die Erzeugung oder die Herbeiführung von wissenschaftlich abgesicherten Werten, Festlegung von Belastungsgrenzwerten, abgesichert auf europäischer Basis. Auch dies ist eine Aufgabe für die europäische Wissenschaft.Damit komme ich zu einem ganz entscheidenden Punkt. Wenn die Idee Eureka nicht nur in wissenschaftlich-technischer Hinsicht tragfähig gemacht werden soll, sondern wenn sie auch die notwendigen wirtschaftlichen Impulse für Europa bringen soll, dann muß als Voraussetzung dafür ein europäisches Regel- und Normenwerk geschaffen werden.
— Das heißt aber nicht, Herr Kollege Schierholz, Bürokratie; sondern ein Regel- und Normenwerk. Ich weiß, daß die GRÜNEN jede Regel und Norm absolut ablehnen. Das hat nichts mit Bürokratie zu tun. Sie wollen doch auch Festlegungen haben, Sie verlangen sie doch.
— Richtig, darin stimme ich mit Ihnen überein, aber hindern Sie uns nicht ständig daran, dies zu tun.
Aber, Herr Kollege Lenzer, solche Festlegungen von internationalen Regeln und Normen dürfen natürlich auch nicht daraufhin angelegt werden, etwa den Wettbewerb in Europa auszuschalten. Das wollen wir nicht in der Bundesrepublik, und das wollen wir auch nicht in Europa. Ich denke, ein gesunder Wettbewerb ist in unser aller Interesse.Deswegen sage ich in bezug auf ein Normen- und Regelwerk: Es muß so etwas wie eine Europaverträglichkeitsprüfung eingeführt werden. Ich weiß, wie schwierig das sein wird, aber die Arbeit muß geleistet werden, soll der Idee Eureka der erwartete Erfolg beschieden sein.Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang aber auch deutlich und unmißverständlich feststellen, daß wir zunächst einmal in dieser Richtung im eigenen Lande zu einer Harmonisierung z. B. von Grenzwerten kommen müssen und nicht einzelneBundesländer in Verfolgung vermeintlich partikularistischer Interessen hergehen und Sand in das Getriebe eines gerade anlaufenden europäischen Technologiemarktes zu streuen versuchen dürfen. Ich glaube, wir müssen hier den Anfängen wehren. Wenn wir das in Europa wollen, müssen wir in unserer Republik anfangen und auch den Bundesländern deutlich sagen, welche Aufgabenverpflichtungen sie in Richtung auf Europa eingehen müssen. Es wird darum gehen, in diesem europäischen Technologiemarkt die Ergebnisse aus europäischer Forschung und Entwicklung umzusetzen und einen europäischen Binnenmarkt herzustellen.Ich will jetzt an dieser Stelle nicht im einzelnen wiederholen, was wir uns auf diesem Gebiet vorstellen: Gemeinsame Beschaffungspolitik, gemeinsame Innovationspolitik, dies alles müßte als Folge eines funktionierenden Eureka-Programms dann für Europa zustande kommen.Ich denke, daß wir zu Recht — ich komme auf den Antrag der SPD — den Antrag der SPD im Ausschuß abgelehnt haben,
weil er, Herr Kollege Vosen, durch das Kommuniqué von Hannover im Grunde genommen als weitgehend erledigt anzusehen ist. Dem einen oder anderen Teilaspekt mag ich ja noch zustimmen, aber sagen Sie doch selbst: Würden Sie, um einen Liter Milch trinken zu können, eine ganze Kuh kaufen?
Aus diesem Grunde ist, meine ich, unsere grundsätzliche Ablehnung Ihres Antrages sicherlich gerechtfertigt.Danke schön.
Das Wort hat der Abgeordnete Hansen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herrn! Lassen Sie mich zunächst zwei Bemerkungen machen, eine zu Ihnen, Herr Kollege Lenzer. Wenn man Ihre Ausführungen zur europäischen Technologiepolitik gehört und dann vernommen hat: Wir stimmen im Grundsatz zu, dann erinnert das an den Ihnen nahestehenden konservativen Politiker Bismarck, der gesagt hat: Wenn jemand in der Politik sagt, er stimme etwas grundsätzlich zu, beabsichtigt er nicht, es durchzuführen.
Das scheint bei Ihnen der Fall zu sein.
— Der Bismarck war ein kluger Mann. Und sie bestätigen damit, daß Sie auf europäischer Ebene nichts durchführen wollen.Herr Kollege Schierholz, ich glaube, Sie haben unseren Antrag nicht richtig gelesen, mißinterpre-
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Hansen
tiert; denn es geht uns doch um die folgenden Punkte, die ausdrücklich drinstehen: Inangriffnahme von Infrastrukturprojekten, die geeignet sind, die innereuropäischen Grenzen abzubauen, Programme zur Humanisierung des Arbeitslebens, zum Umweltschutz, zur Ressourcenschonung. Ich weiß nicht, warum Sie dem nicht zustimmen können,
sondern meinen, wieder Gelegenheit nehmen zu müssen, hier auf den Dingen herumzutrommeln.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Schierholz?
Herr Kollege Schierholz, bitte.
Habe ich es richtig in Erinnerung, Herr Hansen, daß sowohl im Plenum, als wir uns über Eureka unterhalten haben, als auch in den Ausschüssen die Eureka-Vorstellungen der SPD ständig im Zusammenhang mit der Selbstbehauptung Europas propagiert worden sind?
Aber richtig, das hat etwas damit zu tun. Das haben Sie richtig in Erinnerung. Dazu bekennen wir uns auch.Mein Fraktionskollege Vosen hat in seinem Beitrag zu Eureka und zur europäischen Forschungspolitik schon auf den engen Zusammenhang hingewiesen, der zwischen den Ursprüngen von Eureka und der Strategischen Verteidigungsinitiative der Vereinigten Staaten besteht. Ich möchte auf diesen Aspekt einmal zu sprechen kommen und auf die Behinderung des Technologietransfers von den USA nach Europa zum Nachteil der Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft und ihrer Forschungspolitik eingehen. Es wurde schon gesagt, daß die CDU-Abgeordneten in diesem Zusammenhang in Straßburg bestimmte Beschlüsse gefaßt haben und die CDU-Abgeordneten hier in Bonn das Gegenteil beschließen. Ein erschreckendes Beispiel für diese Widersprüchlichkeit und Unglaubwürdigkeit ist die uns vorliegende Entschließung des Europäischen Parlaments zum Technologietransfer.
Mit dieser Entschließung befindet sich das Europäische Parlament genau auf der Position, die meine Fraktion sein Anbeginn der Technologietransferdebatte eingenommen hat.Es heißt in der Entschließung des Europäischen Parlaments in den Einleitungsabschnitten H, I und J:H. in der Erwägung, daß die Politik der amerikanischen Regierung offiziell damit begründet wird und einzig zum Ziel hat, daß nur bei militärisch empfindlicher Technologie, nicht aber bei aller militärisch anwendbaren Technologie verhindert werdensoll, daß sie vom Ostblock genutzt werden kann,I. in der Erwägung, daß die USA in der Praxis jedoch versuchen, den Zugang des Ostblocks zur gesamten militärisch anwendbaren Technologie zu verhindern,J. unter Hinweis darauf, daß die USA vor allem von den Getreidelieferungen in den Ostblock profitieren, während die wirtschaftliche Bedeutung der europäischen Exporte in den Ostblock in erster Linie den Industriesektor betrifft; ferner unter Hinweis darauf, daß diese Exporte das Ergebnis eines Wettbewerbs unter Industrienationen sind,Herr Präsident! Meine Damen und Herrn! Genau das ist der zentrale Vorwurf, den wir schon mit unserem Entschließungsantrag vom 24. Oktober 1984 ausgesprochen haben, daß sich nämlich die Vermutung aufdrängt, daß die amerikanische Regierung damit auch handelt und Konkurrenzinteressen zugunsten der amerikanischen Wirtschaft verbindet.
Dies haben Sie damals empört abgelehnt.
Was sagen Sie jetzt dazu, daß Ihre christdemokratischen Freunde in Straßburg so denken wie wir? Wozu führen Sie das unglaubwürdige Theater in Straßburg so und in Bonn anders auf?
Meine Erklärung dafür ist, daß das kritische Potential innerhalb Ihrer CDU/CSU-Fraktion viel größer ist, als wir manchmal denken, daß aber Ihre moralische Kraft unter dem Eindruck des Fraktionszwangs und unter dem Druck Ihrer amerikanischen Freunde dahinschwindet, den Mut zu haben, eigene Meinungen zu sagen.
Meine Kolleginnen und Kollegen, wir haben ja noch die Gelegenheit, im Ausschuß über diese Dinge im einzelnen zu diskutieren. Hier will ich für meine Fraktion einmal zum Ausdruck bringen, was unsere Kritik am Vorgehen der Bundesregierung bei SDI ist und was wir als das Versagen bei der Wahrnehmung der deutschen Interessen auf dem Gebiet der internationalen Forschungs- und Technologiepolitik und dem in diesem Zusammenhang bestehenden Problem des Technologietransfers kritisieren.Mit der vorliegenden Entschließung fordert das Europäische Parlament in Punkt 10 den Rat und die Kommission auf,gegenüber den USA all ihren Einfluß geltendzu machen, um einen Technologietransfer ohne
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 222. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Juni 1986 17241
Hansen
Beschränkungen zwischen den USA und der EG zu erreichen;
Dieser Aufforderung schließen wir uns an.Diese Aufforderung hat aber die Bundesregierung als Ratsmitglied mit dem Abschluß der SDI-Verträge bereits verletzt. Der Wirtschaftsminister hat ständig von einer Verbesserung des Technologietransfers durch die „Gemeinsame Grundsatzvereinbarung über technologische Zusammenarbeit" gesprochen. Er hat sich dabei eines sprachlichen Tricks bedient. Er meinte nicht die Verbesserung des Technologietransfers von den USA nach Europa, sondern er hat wohl die Verbesserung der Methoden gemeint, den Technologietransfer von West nach Ost einzuschränken.
Das ist ihm auch gelungen, aber leider in einem ganz anderen Sinn, wie die von der BoulevardPresse veröffentlichten Abkommen und Briefwechsel zeigen. Klipp und klar wird dort gesagt: Die USA haben die Bundesregierung über den Tisch gezogen.
Herr Bangemann hat, wie wir schon früher gesagt haben, für ein Linsengericht von 100 Millionen DM SDI-Beteiligung gleichzeitig die Geschäftsaussichten des deutschen Osthandels in einem Gesamtumfang von über 30 Milliarden DM auf das schwerste gefährdet. Er hat — wahrscheinlich unbeabsichtigt —
den Technologietransfer, über dessen Verbesserung wir ständig diskutieren, nämlich den von den USA nach Westeuropa, nicht nur nicht verbessert, sondern weiter beeinträchtigt.
Der Bundesforschungsminister, der auch heute nicht da ist, hat zu diesen Vorgängen die ganze Zeit geschwiegen.
Meine Damen und Herren, im atlantischen Hochtechnologiebereich kann man feststellen: Es besteht keine Zweibahnstraße. Die deutsche Industrie bedrängt die Bundesregierung schon lange, die Bedingungen für die technologische Zusammenarbeit mit den USA zu verbessern. Hauptsorge bereitet in diesem Zusammenhang die alarmierende amerikanische Praxis, Ausländer von technologisch bedeutsamen Fachtagungen und Konferenzen auszusperren. Die Liste dieser Konferenzen in den USA, bei denen das Pentagon eine Zensur ausübte, ist bereits sehr lang. Sie ist in der verdienstvollen Studie des Frankfurter Friedensforschers Bernd Kubich eindrucksvoll dokumentiert worden. Die Bundesregierung hat bisher nichts unternommen, die Zweibahnstraße herzustellen, wie das von der Industrie gefordert wurde. Wir dürfen darüber hinaus noch unsere interessanten Technologien, die den USA in ihrer SDI-Architektur fehlen, wie z. B. die Hochleistungsoptik, ihnen gegen ungleichwertige Bedingungen abliefern. Von drüben erfahren wir nichts.Auf europäischer Ebene wurde diese Praxis schon seit langem kritisiert. Der ehemalige EG-Vizepräsident Davignon hat Ende 1984 die Tendenzen der US-Exportkontrollen auf dem High-TechSektor als eine Bedrohung der industriellen Autonomie der Gesellschaft bezeichnet. Verglichen mit den auf diesem Sektor drohenden Auseinandersetzungen sei der dauernde Agrarstreit mit den USA nur Kleinkram. Herr Davignon hat nicht voraussehen können, daß sich Herr Bangemann mit den USA auf diesem Gebiet überhaupt nicht auseinandergesetzt hat. Herr Bangemann hat sich einfach den amerikanischen Forderungen unterworfen.Der EG-Forschungsminister Narjes hatte die europäischen Forschungsminister im Dezember 1985 aufgefordert, gemeinsam auf die Aufrechterhaltung europäischer Positionen gegenüber den USA auf diesem Gebiet zu achten. Die Bundesregierung hat auch diesen Aufruf zur europäischen Solidarität in den Wind geschlagen. Wir werfen der Bundesregierung vor, daß sie sich nicht um eine Verbesserung des Technologietransfers bemüht. Wir werfen der Bundesregierung vor, daß sie die Aufrufe der europäischen Kommission und des Europäischen Parlaments mißachtet.Wir haben die Hoffnung, daß die Ausschußberatungen dazu führen können, daß die christlich-demokratischen Positionen, die im Europäischen Parlament zum Tragen gekommen sind, auch bei uns der Vernunft zum Durchbruch verhelfen können. Mit dieser Perspektive hoffen wir auf die Ausschußberatungen.
Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär Probst.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Bisher war man daran gewöhnt, daß Antiamerikanismus insbesondere eine Angelegenheit der GRÜNEN in Deutschland ist
und noch linkeren politischen Schattierungen; jetzt ist es offenbar große Mode, auch bei der SPD in Antiamerikanismus zu machen.
Herr Kollege Vosen und Herr Kollege Hansen, ichbedaure das zutiefst, weil das Problem des Technologietransfers zwischen West und Ost mit so einfa-
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17242 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 222. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Juni 1986
Parl. Staatssekretär Dr. Probstchen Floskeln nicht abzuhandeln ist. Hier handelt es sich um ein unerhört schwieriges, unerhört kompliziertes, weitläufiges Unterfangen, das sehr wohl gründlich diskutiert werden muß, das aber nicht mit dieser schlichten primitiven antiamerikanischen Darstellung bewältigt werden kann.Herr Schierholz, Ihnen möchte ich etwas sagen. Sie werden in Deutschland keinen Stich machen, keinen weiter — die erste Quittung haben Sie schon bekommen —,
wenn Sie „Sowjets ja, Amerikaner nein" sagen; denn Ihre ganze Rede kann man auf diese Formel bringen: Sowjets mit uns und Amerikaner eben nicht.
Meine Damen und Herren, ich möchte die Gelegenheit benutzen, einige Ausführungen zu Eureka und dem Stand der Verhandlungen zu machen.Im April 1985 wurde durch eine deutschfranzösische Regierungsinitiative Eureka aus der Taufe gehoben. Eureka ist ein Symbol für verstärkte gemeinsame europäische Forschungsanstrengungen von Wirtschaft, Wissenschaft und Staat. In Eureka wollen wir grenzüberschreitend solche Aufgaben in Forschung und Technologie angehen, die die nationalen Möglichkeiten überschreiten oder in gemeinsamer Anstrengung besser zu bewältigen sind.
Dazu gehören z. B. große Projekte, die die Zusammenlegung von finanziellen Mitteln und wissenschaftlichen Kapazitäten erfordern, die frühzeitige Entwicklung einheitlicher Normen und Standards,
eine gemeinsame Erschließung von Märkten und die Risikoteilung auf dem Weg in technologisches Neuland.Die Bundesrepublik Deutschland war Gastgeber für die zweite Eureka-Ministerkonferenz Anfang November 1985 in Hannover. Die Hannover-Konferenz hatte zwei wesentliche Ergebnisse. Das erste waren die Verabschiedung einer Grundsatzerklärung mit der Festlegung von Zielen, Kriterien und Schwerpunkten für Eureka, sowie die Verabschiedung der Verfahren der Projektdurchführung und -koordinierung.
Mit der Bekanntgabe erster gemeinsamer Projekte wurde in einem Zuge sowohl das inhaltliche und organisatorische Konzept für Eureka geschaffen als auch sichergestellt, daß die angestrebte technologische Zusammenarbeit rasch beginnen konnte.Eureka bildet einen Rahmen für verstärkte Zusammenarbeit auf wichtigen Gebieten der Hochtechnologie mit dem Ziel einer langfristigen Steigerung von Wettbewerbsfähigkeit, Leistungsfähigkeit und Produktivität der Volkswirtschaften und Industrien in den beteiligten Ländern. Im Mittelpunkt der Zusammenarbeit stehen gemeinsame zivile Projekte, die auf Anwendungen in Zukunftsmärkten sowohl des privaten als auch des öffentlichen Sektors gerichtet sind. Eingeschlossen sind weiterhin Vorhaben, die der Schaffung der technischen Voraussetzungen für eine moderne Infrastruktur oder der Lösung grenzüberschreitender Probleme — z. B. im Umweltbereich — dienen und insoweit teilöffentliche Aufgaben sind. Entscheidend ist bei allen Projekten die Initiative von Unternehmen oder Forschungseinrichtungen, die selber die Zusammenarbeit vereinbaren.Auf der Ministerkonferenz in Hannover wurden zweitens die ersten zehn Eureka-Projekte verabschiedet, darunter vier Projekte mit deutscher Beteiligung. Diese vier Projekte haben voraussichtlich Gesamtkosten von 1,2 Milliarden DM. Als Zuschuß des Bundesministers für Forschung und Technologie sind für die Jahre 1986 bis 1995 rund 250 Millionen DM vorgesehen.
Die vier Projekte sind: erstens das Projekt EuroLaser;
ich brauche es wegen der Kürze der Zeit nicht näher zu erläutern. Das zweite Projekt ist das europäische Forschungsnetz,
ein Verbund von Datenbanken und Computern zur Verbesserung der wissenschaftlichen Infrastruktur. Das dritte Projekt, Eurotrac, soll sich insbesondere mit der Ausbreitung und Umwandlung von Schadstoffen in der Troposphäre befassen.
Es ist ein außerordentlich wichtiges Umweltprojekt. Schließlich nenne ich „Phototronics", die Herstellung von amorphem Silicium für die Photovoltaik.In der Vorbereitungsphase der dritten EurekaMinisterkonferenz in London haben Unternehmen und Forschungsinstitute der Eureka-Staaten mehr als 100 weitere Projekte vorgeschlagen; etwa 60 von ihnen werden so weit vorbereitet sein, daß sie den Zielen und Kriterien von Eureka entsprechen und ihre Finanzierung sichergestellt ist.Eine Analyse zeigt, daß sowohl kleine und mittlere Unternehmen als auch universitäre und außeruniversitäre Forschungseinrichtungen in größerer Anzahl an den Eureka-Projekten mit deutscher Beteiligung mitarbeiten. Weitere Projektvorschläge befinden sich in der Diskussion, auch eine erhebliche Zahl von deutschen Projekten.Die Attraktivität des Grundgedankens von Eureka in seiner Flexibilität und seiner einfachen Organisation hat zu Interesse und Teilnahmeüberlegungen bei anderen europäischen, aber auch bei außereuropäischen Staaten geführt.Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 222. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Juni 1986 17243Parl. Staatssekretär Dr. ProbstUnter den Eureka-Teilnehmerstaaten besteht grundsätzliches Einvernehmen, den Kreis auf die jetzigen 18 Länder und die Europäische Gemeinschaft zu beschränken, da sich Eureka als eine Initiative europäischer, einer gemeinsamen Wertordnung verpflichteter Staaten versteht. Dem flexiblen Charakter Eurekas allerdings entsprechend haben gleichwohl Unternehmen und Forschungsinstitute aus anderen Staaten die Möglichkeit, sich an Eureka-Projekten zu beteiligen, sofern Projektbeteiligte aus den Teilnehmerstaaten dies wünschen und von Eureka-Regierungen keine Einwände erhoben werden.Dem Unternehmen Eureka ist bereits bis jetzt ein rascher und überzeugender Start gelungen. Europäische Unternehmen und Forschungsinstitute betrachten die Eureka-Initiative als Ausgangspunkt und Rahmen für eine verstärkte Technologiekooperation in Europa. Sie schätzen die Flexibilität und das unbürokratische Vorgehen.Mit zahlreichen neuen Eureka-Projekten wird uns die Londoner dritte Eureka-Ministerkonferenz am 30. Juni 1986 einen weiteren Schritt zur europäischen Technologiegemeinschaft voranbringen.Ich darf um die Unterstützung aller Fraktionen des Deutschen Bundestages bitten. Ich darf Sie also herzlich bitten, die Regierung bei ihrem Bemühen, die europäische Technologiegemeinschaft weiterzuentwickeln und zu vollenden, zu unterstützen.
Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache.
Zu Tagesordnungspunkt 17 a schlägt der Ältestenrat eine Überweisung der Vorlage auf Drucksache 10/5197 an die in der gedruckten Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vor. Weitere Vorschläge werden nicht gemacht. Dann ist das so beschlossen.
Wir kommen nunmehr zur Abstimmung zu Tagesordnungspunkt 17 b, also über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Forschung und Technologie auf Drucksache 10/5404. Der Ausschuß empfiehlt Ihnen hier, den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/4139 abzulehnen. Wer also dieser Beschlußempfehlung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Damit ist dieser Beschlußempfehlung zugestimmt worden.
Ich rufe nunmehr den Tagesordnungspunkt 18 auf:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Bericht des Bundesministers für Verkehr
über Maßnahmen auf dem Gebiet der Unfallverhütung im Straßenverkehr für die Jahre
1984 und 1985 — Unfallverhütungsbericht Straßenverkehr 1985 — Übersicht Rettungswesen
— Drucksachen 10/5030, 10/5431 —
Berichterstatter: Abgeordneter Straßmeir
Ich kann Ihnen die erfreuliche Mitteilung machen, daß sich die Geschäftsführer geeinigt haben, daß dieser Punkt ohne Debatte abgewickelt wird.
Wir kommen also gleich zur Abstimmung über diese Beschlußempfehlung des Ausschusses für Verkehr auf Drucksache 10/5431. Wer dieser Beschlußempfehlung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Damit ist diese Beschlußempfehlung mit überwiegender Mehrheit angenommen worden.
Wir kommen nunmehr zu Tagesordnungspunkt 21:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Statistik für Bundeszwecke
— Drucksache 10/5345 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Innenausschuß
Rechtsausschuß
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
Die Geschäftsführer haben sich übereinstimmend darauf geeinigt, diesen Tagesordnungspunkt vorzuziehen. Hier ist eine Vereinbarung im Ältestenrat getroffen worden, daß ein Beitrag von fünf Minuten je Fraktion vorgenommen wird.
Ich darf die Aussprache eröffnen. Der Herr Abgeordnete Broll hat das Wort.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Eigentlich hatte ich mir vorgenommen, nur ganz wenige Worte in dieser ersten Lesung zum Statistikgesetz zu sagen. Ich sehe aber noch keinen der übrigen Berichterstatter. Ich fürchte also, vor der Pflicht zu stehen, so lange zu reden, bis der nächste Redner da ist. — Entschuldigung, Herr Wernitz ist da. Ich bin also glücklich, daß mein Redebeitrag sehr kurz sein kann.Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Statistik wird von vielen Bürgern, insbesondere auch von denen, die Unternehmen leiten, häufig beklagt. Man schimpft über die große Belastung, die der Staat von den einzelnen Bürgern verlangt. Ich muß sagen, als Abgeordneter leide ich unter ähnlichen Symptomen. Auch wir Abgeordnete haben uns im Bundestag, zumindest solange ich ihm angehöre, seit gut zehn Jahren, sehr häufig mit statistischen Rechtsvorschriften beschäftigen müssen, nicht nur mit Volkszählung und Mikrozensus, sondern auch mit vielen einzelnen Statistiken, vorwiegend Wirtschaftsstatistiken. Und nun haben wir wiederum das Bundesstatistikgesetz zu beraten, sozusagen
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17244 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 222. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Juni 1986
Brolldas Obergesetz — um das Wort Grundgesetz zu vermeiden — der Statistik.Dieses Gesetz entspricht in der Formulierung, wie die Regierung es im Entwurf vorlegt, erstens den Anforderungen des Volkszählungsurteils; es legt sehr präzise, viel präziser als bisher, Löschungsvorschriften, Erhebungsvorschriften, Grenzen der Erhebung, Vorschriften über die Geheimhaltung der Erhebungsdaten usw. fest. Zweitens folgt dieses Gesetz, wie es so üblich ist, dem allgemeinen Trend zu immer größerer Perfektionierung. Schon aus diesem Grunde wird es wohl so gekommen sein, daß dieses Gesetz im Entwurf doppelt so lang ist wie das bisherige Bundesstatistikgesetz. Aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, was tut man als Abgeordneter nicht alles, wenn man das Gefühl hat, etwas Wesentliches für das Wohl des deutschen Volkes leisten zu können!Wir werden uns im Ausschuß recht gründlich mit diesem Gesetzentwurf beschäftigen. Ich habe vernommen, daß die SPD-Fraktion sogar eine Anhörung wünscht; die wiederum halten wir sachlich für nicht ganz nötig.
Wenn sie aber gewünscht wird, wollen wir uns auch dieser Tortur unterziehen.Eine interessante Frage, über die wir im einzelnen sprechen müssen, ist z. B., ob und in welchem Maße man anonymisierte Gesamtergebnisse weitergeben darf. Solche Ergebnisse, die überhaupt nicht mehr auf einzelne Befragte zurückgeführt werden können, die also nicht, wie es im Fachjargon heißt, reanonymisierbar sind, werden wir in jedem Fall jedem geben, der sich dafür interessiert. Einzelangaben allerdings, so sieht der Entwurf vor, sollen nur demjenigen gegeben werden, der im Dienste des Staates, also auch vom Staat besonders greifbar, wenn er Mißbrauch betreibt, steht und im Auftrag des Staates arbeitet.Nun gibt es Wünsche von seiten der Wirtschaft, von seiten freier Forschungsinstitute, mehr Einzelangaben zu bekommen. Ich prophezeie schon jetzt, daß wir uns diesen Wünschen außerordentlich kritisch widmen werden, und ich glaube nicht, daß wir ihnen werden entsprechen können. Es würde nicht nur praktisch das Vertrauen der Bevölkerung zur Statistik gefährden, wenn sie befürchten müßten in unkontrollierten Händen Einzelangaben wiederfinden zu müssen, sondern es würde auch möglicherweise die Wahrhaftigkeit der Aussage bei der Befragung selbst stören; denn wer nicht weiß, daß das, was er als Antwort gibt, völlig anonym bleibt, wird die Neigung haben, die Wahrheit dann nicht zu sagen, wenn die Wahrheit zu sagen aus irgendwelchen Gründen nicht opportun erscheint.Wir werden also noch in dieser Legislaturperiode des Bundestages das Gesetz beraten und abschließen und damit für alle weiteren statistischen Gesetze hoffentlich eine gute Grundlage bilden.Nur zur Vorsicht, weil ich nicht mehr antworten kann, möchte ich sagen, daß das, was die GRÜNENKollegen zu dem Gesetzentwurf sagen werden, wahrscheinlich alles falsch ist.
Das Wort hat der Abgeordnete Ströbele.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Das Bundesstatistikgesetz liegt auf dem Tisch. Die Bundesregierung begründet es mit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, dem berühmten Volkszählungsurteil, in dem einige Grundsätze für die Wahrung des Geheimnisses der Statistik aufgestellt werden, in dem als wichtige Voraussetzung für die Planung im Sozialstaat aber auch eine Statistik bestätigt wird, die den Behörden, dem Sozialstaat die Daten an die Hand gibt, um seine Planungen durchführen zu können.
Ich glaube, in der Statistik wie in der Volkszählung liegt das Problem nicht nur darin, daß die Daten, die in der Statistik gegeben werden, reanonymisiert, d. h. dem einzelnen Bürger, der sie gegeben hat, wieder zugeordnet werden können. Vielmehr sollten wir unsere Aufmerksamkeit noch auf ein anderes Problem richten. Ich hoffe, im Ausschuß wird Gelegenheit sein, darüber zu diskutieren. Statistik schafft Sachzwänge, mit denen der Staat argumentiert, um bestimmte Vorhaben durchzusetzen. Statistische Zahlen sind geeignet, dem Bürger Zwang anzutun, aber überhaupt nicht, zu vernünftigen Planungen und vernünftigen gesellschaftlichen Einrichtungen zu kommen. Wir denken nur an das große Krankenhaus in Aachen, das unmenschlich ist, und die Autobahnen, die überall gebaut werden und Lebensraum zerstören. Wir können eigentlich in jeder Stadt und jedem Dorf sehen, was trotz vorliegender Statistiken, die es ja seit Jahrzehnten gibt, an Fehlplanungen läuft.
Wir müssen überlegen: Wie kommen wir zu vernünftigen Planungen im Sozialstaat? Da müssen wir uns darauf zurückbesinnen, daß die Menschen vor Ort, in den Gemeinden, Stadtvierteln, Dörfern, Fabriken, Schulen, Universitäten und am Arbeitsplatz eigentlich am besten wissen, was für eine Planung für sie und ihre Interessen die angemessene sein sollte. Das heißt, das erste müssen die Interessen der Menschen vor Ort sein, dezentral überschaubar, wo sie sich artikulieren können, wo sie selber Erfahrungen machen können, wo sie selber Erfahrungen Mitmenschen mitteilen können und wo sie dann gemeinsam überlegen, welche Planungen die vernünftigen sind.
Wir wehren uns deshalb nicht gegen Statistiken. Aber wir meinen, daß generelle Statistiken, Großstatistiken eigene Fakten setzen, die den Staat veranlassen, den Bürgern angeblich auf Grund von Sachzwängen etwas aufzuzwingen. Deshalb sollten wir dazu kommen, zunächst die Bürger selber zu befragen, was sie wollen, was ihren Interessen entspricht. Wir sollten uns dann Statistiken bedienen, die dezentral erstellt worden sind, auf die Interessen der Bürger Rücksicht nehmen und uns dann
Deutscher Bundestag - 10.Wahlperiode — 222. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Juni 1986 17245
Ströbele
ein ausreichendes Mittel an die Hand geben, damit wir sehen, wie man am besten und vielleicht auch am ökonomischsten die Interessen der Bürger durchsetzt und für die Interessen der Bürger plant.
Das ist einer der Grundsätze, die in das Statistikgesetz eingearbeitet werden müssen. Der andere wichtige Grundsatz ist: Wenn der Bürger vom Staat ernstgenommen werden soll, muß der Staat, die Gesellschaft den Bürger davon überzeugen, daß es im Interesse aller richtig ist, freiwillig Daten zu geben, statt zwangsweise Daten für Statistiken einzutreiben. Es ist also eine weitere Aufgabe, auch in diesem Statistikgesetz, dafür Vorsorge zu treffen, daß der Bürger ernstgenommen wird, auch insofern, daß man ihn von wirklichen Problemen überzeugen kann und man auf dieser Grundlage zu den erforderlichen Daten kommt.
Lassen Sie mich mit einem sehr unrühmlichen Beispiel für den Sachzwang von Statistiken und den Selbstlauf von Statistiken schließen. In vielen Zeitungen gibt es im Augenblick und schon seit längerer Zeit Werbung für die Akzeptanz der Volkszählung mit dem Slogan: „Ihr Name hilft uns beim Zählen und wird später vernichtet." Man sollte einmal darüber nachdenken, was es bedeutet, den Namen eines Bürgers zu vernichten und nur an den Daten interessiert zu sein.
Danke sehr.
Das Wort hat der Abgeordnete Wernitz.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit der Neufassung des Gesetzes über die Statistik für Bundeszwecke — kurz: Bundesstatistikgesetz - aus dem Jahr 1980 sollen nunmehr die Konsequenzen aus dem Volkszählungsurteil des Bundesverfassungsgerichts vom 15. Dezember 1983 für eine Vielzahl von Bundesstatistiken gezogen werden. Bekanntlich wurden bereits für zwei wesentliche Teilgebiete der Statistik, nämlich Mikrozensus und Volkszählung, die notwendigen gesetzgeberischen Maßnahmen aus den Vorgaben bzw. Grundsätzen des Urteils umgesetzt. Der sogenannte Umsetzungsbonus für den Gesetzgeber aus dem Volkszählungsurteil sollte nicht überstrapaziert werden. Wir haben ihn, aber er ist begrenzt. In diesem Sinne war die Vorlage des Entwurfes fällig. Im Interesse einer parlamentarischen Beratung mit ausgiebiger Zeitvorgabe wäre eine etwas frühere Vorlage wünschenswert gewesen. Gleichwohl sollte in der verbleibenden Zeit der Legislaturperiode — da stimme ich mit dem Kollegen Broll überein — ernsthaft versucht werden, das Gesetzgebungsvorhaben zum Abschluß zu bringen.
Ich will zum Inhalt dieses Gesetzentwurfes etwas sagen, weil dazu auch einiges angedeutet wurde. Ich zitiere einen Satz aus der Begründung, der mir wichtig zu sein scheint. Dort heißt es: „Aufgabe der Bundesstatistik ist es nicht, personen- oder institutionsbezogene Nachweise zu liefern, sondern sich mit Massenerscheinungen auseinanderzusetzen."
Das auch in Richtung auf die Argumentation des Kollegen Ströbele.
Vor dem Hintergrund des Volkszählungsurteils muß sich der Gesetzentwurf daran messen lassen, ob und inwieweit es gelungen ist, den Prinzipien der statistischen Geheimhaltung und des Datenschutzes Rechnung zu tragen. Hierbei konnte in der Tat auf einschlägige, abgesicherte Vorarbeiten und Weichenstellungen aus dem Mikrozensus- und dem Volkszählungsgesetz 1987 zurückgegriffen werden.
In wichtigen Einzelfragen bleibt freilich Klärungsbedarf im Rahmen der parlamentarischen Beratungsarbeit. Das gilt z. B. für die Vorschrift, mit der der Bundesstatistik erstmals ein Instrument zur Verfügung gestellt werden soll, kurzfristig auftretenden Datenbedarf zu bewältigen und wissenschaftlich-methodische Fragen beantworten zu können. Möglichkeiten und Grenzen einer solchen Regelung bedürfen der eingehenden Prüfung. Das gilt auch für die Vorschriften über die Einrichtung und Handhabung von sogenannten Adreßregistern oder Adreßdateien.
Ebenso werden wir die Vorschläge zu den Fragen von Auskunftspflicht und zum gesetzlichen Ausschluß von Widerspruch und Anfechtungsklage überprüfen müssen.
Auf den parlamentarischen Prüfstand werden weiterhin die vorgeschlagenen Übermittlungsregelungen kommen. Dabei gilt es, dem Grundsatz der Trennung von Statistik und Verwaltungsvollzug Rechnung zu tragen. Den einschlägigen, sehr weitgehenden Bundesratsvorschlägen stehen wir mit großer Skepsis gegenüber. Auch hier hat der Kollege Broll Andeutungen in dieselbe Richtung gemacht.
Die Übermittlungsregelungen für wissenschaftliche Zwecke dürften ebenfalls einen Schwerpunkt der Erörterungen bilden.
Angesichts des Klärungsbedarfs in wichtigen Einzelfragen und der grundlegenden Bedeutung des Gesetzentwurfs für die Bundesstatistik im allgemeinen, aber auch für die Statistikgesetzgebung in den Bundesländern hält die SPD-Bundestagsfraktion die Durchführung einer öffentlichen Anhörung durch den federführenden Innenausschuß Anfang September für zweckmäßig und erforderlich. Mit dem Blick auf die Volkszählung im Jahre 1987 sollte allen Beteiligten klar sein, daß es gerade auch bei diesem Gesetzentwurf auf ein kritisch-sensibles und gründliches Gesetzgebungsverfahren ankommt. In diesem Sinne und mit dieser Maßgabe stimmen wir dem Überweisungsvorschlag an die Ausschüsse zu.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit zu später Stunde.
Das Wort hat der Abgeordnete Wolfgramm.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Wir haben als Vorgabe für dieses Gesetz das Bundes-
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17246 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 222. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Juni 1986
Wolfgramm
verfassungsgerichtsurteil vom 15. Dezember 1983. Inzwischen haben wir auch das Mikrozensusgesetz von 1985 und das Volkszählungsgesetz für 1987.Die SPD hat den Wunsch nach einer Anhörung geäußert. An sich ist das Thema schon sehr sorgfältig und sehr umfassend behandelt worden, lieber Kollege Wernitz. Ob es also zweckmäßig und nützlich ist, wird die Anhörung selbst ergeben müssen. Man muß sich dann sehr gezielt konzentrieren, damit das Instrument nicht in eine Zeiterweiterung und Zeitverzögerung ausläuft. Wir werden uns nicht dagegen wenden wollen, im Gegenteil, aber wir wollen es doch sehr sorgfältig und gezielt haben.Über die Vielzahl von Wünschen nach statistischen Angaben ist schon eine Menge von Glossen geschrieben worden. Wir sollten hier vielleicht festhalten, daß wir immer sehr sorgfältig prüfen müssen, ob diese Angaben wirklich nötig sind.Es gibt eine Fülle von kleinen Betrieben, von Selbständigen, die damit geplagt werden, daß sie von einer Vielzahl statistischer Anforderungen heimgesucht werden, die sie dann selber ohne Hilfskräfte, die sie dafür einstellen könnten, in mühsamer Nachtarbeit ermitteln müssen, bei denen man dann zum Schluß doch nicht ganz so genau weiß, ob es wirklich so notwendig gewesen ist und zur Hilfe und zur Durchführung von staatlichen Planungen und Infrastrukturmaßnahmen dienlich ist.Ich möchte da also noch einmal an alle Beteiligten, auch an die Verwaltung, appellieren, bei jeder Frage, die sie stellen möchten, doch sorgfältig zu prüfen, ob sie wirklich gestellt werden muß.
Wir haben gleichzeitig ein zweites Statistikbereinigungsgesetz vor uns. Das gibt uns nun im Parlament die Möglichkeit, daß wir im Gegenzug, so notwendig statistische Angaben sicher sind — —. Die GRÜNEN fordern bei jeder Debatte, daß sie immer sehr konkrete und genaue Unterlagen und Vorlagen der Verwaltung bekommen; dann müssen sie auch bereit sein, Statistikangaben zu diesen Fragen hinzunehmen und zu dulden. Ich denke gerade z. B. an die Debatte über das Tempolimit. Aber dann muß auf der anderen Seite auch sichergestellt sein, daß diese Dinge als notwendig erachtet werden. Ich möchte also hoffen, daß das Statistikbereinigungsgesetz uns zu einer Entlastung der davon Betroffenen führt.Im übrigen wünsche ich mir, daß bei der Frage der Freiwilligkeit doch auch der Anreiz und damit die Begründung von Staats wegen sehr deutlich gemacht wird; denn es dient uns nicht, wenn eine Freiwilligkeit dazu führt, daß Angaben falsch oder anders gemacht werden. Wir brauchen dann schon die richtigen Angaben.Also bitte: so wenig wie möglich, aber dann doch auch so rasch wie nötig und möglich verabschieden.Vielen Dank.
Meine Damen und Herren, mangels weiterer Wortmeldungen kann ich die Aussprache schließen.
Der Ältestenrat schlägt die Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 10/5345 an die in der gedruckten Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vor. — Widerspruch erhebt sich nicht. So ist dies beschlossen.
Ich komme nun zu Tagesordnungspunkt 20:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Abwasserabgabengesetzes
— Drucksache 10/5533 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Innenausschuß
Ausschuß für Wirtschaft
Haushaltsausschuß
Auch hier haben die Geschäftsführer dankenswerterweise vereinbart, keine Aussprache durchzuführen, so daß ich gleich zur Abstimmung über diesen Punkt kommen kann.
Der Ältestenrat schlägt die Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 10/5533 an die in der gedruckten Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vor. — Weitere Vorschläge werden nicht gemacht. So ist dies beschlossen.
Herr Abgeordneter Vogel!
Herr Präsident, es bestand Einvernehmen, daß die Möglichkeit besteht, in diesem Fall Reden zu Protokoll zu geben.
Ich mache darauf aufmerksam — das trifft auch für die weiteren Tagesordnungspunkte zu, die ohne Aussprache abgewikkelt werden —: Diejenigen Abgeordneten, die dies wünschen, haben die Gelegenheit, ihre vorgesehenen Reden zu Protokoll zu geben *). Dies ist einvernehmlich zwischen den Fraktionen vereinbart.Ich rufe nunmehr Tagesordnungspunkt 22 auf:Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Rechtsbereinigungsgesetzes— Drucksache 10/5532 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:Innenausschuß
Rechtsausschuß Finanzausschuß Ausschuß für WirtschaftAusschuß für Arbeit und SozialordnungAusschuß für Jugend, Familie und GesundheitAusschuß für VerkehrAusschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96Auch hier keine Aussprache. *) Anlagen 4 bis 7Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 222. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Juni 1986 17247Vizepräsident CronenbergDer Ältestenrat schlägt die Überweisung des Gesetzentwurfs an die in der gedruckten Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vor. — Andere Vorschläge werden nicht gemacht. Es ist so beschlossen.Ich rufe Tagesordnungspunkt 23 auf:Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der kassenärztlichen Bedarfsplanung— Drucksache 10/5630 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuß für Jugend, Familie und GesundheitEbenfalls keine Aussprache.Es wird vorgeschlagen, diesen Gesetzentwurf an die in der gedruckten Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. — Weitere Vorschläge werden nicht gemacht. Dann ist dies beschlossen.Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 19 a und b auf:a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung des Internationalen Privatrechts— Drucksache 10/504 —Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses
— Drucksache 10/5632 —Berichterstatter:Abgeordnete Eylmann Stiegler
b) Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 19. Juni 1980 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht— Drucksache 10/503 —Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses
— Drucksache 10/5632 —Berichterstatter:Abgeordnete Eylmann Stiegler
Wir kommen zur Abstimmung zu Punkt 19 a. Ich rufe die Art. 1 bis 7, Einleitung und Überschrift mit den vom Ausschuß empfohlenen Änderungen auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenstimmen? — Keine Enthaltungen? — Auch keine. Einstimmig beschlossen.Wir kommen zurdritten Beratung und zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Wer stimmt dagegen? —Enthaltungen? — Einstimmig beschlossen.Nun kommen wir zu Tagesordnungspunkt 19b. Es handelt sich um ein Vertragsgesetz, zu dem nurzwei Beratungen erforderlich sind.Ich rufe den Gesetzentwurf auf Drucksache 10/503, Art. 1 bis 3, Einleitung und Überschrift auf. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Wer stimmt dagegen? — Niemand. Stimmenthaltungen? — Eine Enthaltung. Damit ist das Gesetz angenommen.Wir kommen nunmehr zum Tagesordnungspunkt 19c:Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu den Haager Übereinkommen vom 2. Oktober 1973 über die Anerkennung und Vollstreckung von Unterhaltsentscheidungen sowie über das auf Unterhaltspflichten anzuwendende Recht— Drucksache 10/258 —Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses
— Drucksache 10/5633 —Berichterstatter:Abgeordnete Buschbom Stiegler
Es handelt sich hier ebenfalls um ein Vertragsgesetz mit nur zwei Beratungen.Wir kommen zur Schlußabstimmung. Der Rechtsausschuß empfiehlt auf Drucksache 10/5633 unter Buchstabe a, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 10/258 unverändert anzunehmen.Ich rufe auf das Gesetz mit seinen Art. 1 bis 3, Einleitung und Überschrift. Wer dem Gesetz zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich vom Platz zu erheben. — Gegenstimmen? — Enthaltungen? — Einstimmig angenommen.Wir kommen nunmehr zu Tagesordnungspunkt 19 d:Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ausführung des Haager Übereinkommens vom 2. Oktober 1973 über die Anerkennung und Vollstreckung von Unterhaltsentscheidungen
— Drucksache 10/241 —Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses
— Drucksache 10/5633 —Berichterstatter:Abgeordnete Buschbom Stiegler
Metadaten/Kopzeile:
17248 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 222. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Juni 1986
Vizepräsident CronenbergIch rufe die §§ 1 bis 3, Einleitung und Überschrift mit der vom Ausschuß empfohlenen Änderung auf. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das. Handzeichen. - Gegenstimmen? — Enthaltungen? — Keine. Einstimmig angenommen.Wir kommen zur Schlußabstimmung. Ich möchte Sie bitten, sich zu erheben, falls Sie dem Gesetz zuzustimmen wünschen. — Wer stimmt dagegen? — Niemand. Enthaltungen? — Einstimmig angenommen.Ich berufe nunmehr den Bundestag auf morgen, Freitag, den 20. Juni 1986, um 8 Uhr ein. Ich wünsche Ihnen einen angenehmen Abend und will nicht versäumen, mich bei den Geschäftsführern noch einmal dafür zu bedanken, daß sie zu dieser übereinstimmenden Regelung gekommen sind.