Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet. Ich rufe den Zusatztagesordnungspunkt 2 auf:
Aktuelle Stunde
Bundespolitische Ursachen und Auswirkungen des Berliner Bauskandals
Meine Damen und Herren, die Fraktion DIE GRÜNEN hat gemäß Nr. 1c der Anlage 5 unserer Geschäftsordnung eine Aktuelle Stunde zu dem genannten Thema verlangt. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Ströbele.
Herr Präsident! Guten Morgen, Kolleginnen und Kollegen! Gestern hat die noch existierende Mehrheit im Berliner Abgeordnetenhaus der Stadt einen veränderten Senat beschert. Wirklich geändert hat sich Entscheidendes weder personell noch materiell-politisch-inhaltlich.
Die meisten Personen sind geblieben; vor allem wird die Politik in der Stadt die alte bleiben. Der Sumpf gärt weiter.
Die, die in Berlin nicht mehr gebraucht werden, sollen abgeschoben werden nach Bonn in den Bundestag, Herr Lummer und Herr Vetter, so wie gehabt.Die neuen Gesichter für den Senat waren kaum zusammen, da schwärmten bereits Kripo und Staatsanwälte in Berlin wieder aus, um 19 Durchsuchungen vorzunehmen: in Amtsstuben, in Büros, bei Baulöwen und überall. Der dritte Baustadtrat aus der CDU wurde unter dringenden Verdacht gestellt. Dabei hat die Beweisaufnahme im parlamentarischen Korruptionsuntersuchungsausschuß noch nicht einmal begonnen. Das CDU-Mitglied Schwanz hat ankündigen lassen, er werde im ersten Bestechungsprozeß gegen den Regierenden Bürgermeister auspacken. Wir stehen also erst am Anfang.Senat und Bevölkerung können jeder neuen Fernsehmagazinsendung und jeder neuen „Spiegel"-Ausgabe im kommenden Sommer und Herbst mit Spannung entgegensehen.
Die Zeiten, als ein Westberliner Regierender Bürgermeister — Reuter oder Brandt — trotz Skandalen und trotz schwerer Fehler in der Politik international und bundesweit noch großes Ansehen genoß, sind vorbei. Heute fällt einem bei jedem Histörchen aus dem Bordellbereich oder aus der kriminellen Fluchthilfe die Berliner CDU und der Regierende Bürgermeister ein,
selbst dann, wenn sie im konkreten Falle nichts damit zu tun haben. So weit ist es gekommen.Herr Lummer und der Berliner CDU-Parteivorstand haben Wahlentscheidungen mit Spendengeldern gekauft, indem sie den Rechtsradikalen die Wahlbeteiligung abhandelten, je billiger, desto besser.
Ein Fall für den Staatsanwalt sind die Berliner Politik und die Berliner Administration, seit die Diepgen- und Landowsky-Gruppe diese Administration übernommen und dort die Macht ergriffen haben.Der Grund für alles ist die extremistische CDU-Ideologie: „Leistung muß sich wieder lohnen" bis hin zu „Eigennutz geht vor Gemeinwohl".
Privatisieren von städtischem Eigentum um jeden Preis und Subventionspolitik zugunsten der privaten Unternehmer aus Steuermitteln ohne Rücksicht auf den Sinn der unternehmerischen Produktion oder gar ohne Rücksicht auf jede Ökologie, das ist die CDU-Politik.
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StröbeleIn der vom Bund ausgehaltenen Stadt West-Berlin hat diese Subventionspolitik schon immer seltsame Blüten getrieben. Unter der CDU wurden die Früchte vollends kriminell. Das ist der bundespolitische Zusammenhang.Als der CDU-Baustadtrat Antes Wohnungen, die der Stadt gehörten, um jeden Preis — für ein Zehntel des Schätzwertes — an einen Kaufmann aus Wuppertal verhökern wollte, wurde das von Senatsprominenz akzeptiert und scheiterte nur an der Zuständigkeitsfrage. Für den Regierenden Bürgermeister Diepgen war das noch lange keine Grund für disziplinarische Maßnahmen; es mußte erst der Staatsanwalt mit dem Haftbefehl kommen, bis Diepgen einsah, daß er da etwas falsch eingeschätzt hatte.Berlin braucht eine Alternative zu dieser Politik,
vor allem eine Alternative zur Wirtschafts- und Umweltpolitik.
Deshalb wird die Alternative Liste heute abend über die Einleitung eines Volksbegehrens für Neuwahlen entscheiden;
die SPD täte gut daran, sich anzuschließen. Jüngste Umfragen haben ergeben: In West-Berlin gibt es eine Mehrheit links von diesem Senat.
Diese Mehrheit gilt es zu nutzen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Hoppe.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir müssen wohl Sorge dafür tragen, daß uns die Aktuellen Stunden nicht zu Agitationsstunden mißraten.
Es hat schon ein früher englischer Philosoph gesagt: Es gibt Leute, die meinen, daß sie denken; in Wirklichkeit sortieren sie nur ihre Vorurteile.
Nein, meine Damen und Herren, wenn schon über Berlin, dann lassen Sie mich hier über Aussehen und Ansehen von Berlin sprechen,
und dann würde ich sagen: Das Aussehen Berlins ist proper.
Die Zeit der Schmuddelkinder ist vorbei.
Nein, meine Damen und Herren, die Stadt ist in ihrem Dreiklang „Wirtschaft, Wissenschaft und Kultur" so attraktiv geworden,
daß es erstmals nach 20 Jahren — das müssen auch Sie, lieber Herr Egert, bestätigen — wieder eine positive Zuzugsbilanz gibt,
keine Fluchtbewegung mehr aus einer gebeutelten Stadt in die glanzvollen Regionen der Bundesrepublik; nein, es gibt Zustrom aus der Bundesrepublik in eine florierende Stadt.
Insoweit, meine Damen und Herren, kann an dem Erfolg des CDU/FDP-Senats in Berlin nicht gedeutelt werden.
Dagegen wird mit dem Ansehen der Stadt Schindluder getrieben. In der Tat, einzelne Politiker haben sich nicht nur in fragwürdige Gesellschaft begeben,
sondern sind auch mit dem Vorwurf unredlicher, j a krimineller Verhaltensweisen überzogen.
Die im Baubereich zu lokalisierenden Vorgänge sind Gegenstand strafrechtlicher Verfahren. Kriminelles Unrecht soll dann auch von den zuständigen Strafverfolgungsbehörden geahndet werden,
aber es ist nicht Sache der Parteien, sich an die Stelle der Gerichte zu setzen.
Als Oberbürgermeister von München hat der Kollege Vogel seine eigene Partei noch davor gewarnt, die Rolle der Justiz zu übernehmen.Meine Damen und Herren, da trifft es sich gut,
— Herr Egert, ich sage Ihnen, da trifft es sich gut, daß zur Geschichte und Tradition der Stadt auch das hohe Ansehen der Justiz gehört. Kammergericht und preußisches Oberverwaltungsgericht
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Hoppestehen stellvertretend für dieses Ansehen.
In der Tat, meine Damen und Herren: Es gibt noch Richter in Berlin!
Was parlamentarisch zu untersuchen ist, wird durch das Abgeordnetenhaus von Berlin untersucht. Auch da ist ein Untersuchungsausschuß an der Arbeit. Nachhilfeunterricht aus dem Deutschen Bundestag ist wohl wirklich nicht angezeigt!
Andererseits aber müssen die Parteien und ihre Repräsentanten in Regierung und Parlament erkennen, daß sie durch ihr Verhalten das Maß an Zustimmung oder Ablehnung, an Vertrauen oder Mißtrauen in besonderer Weise selbst bestimmen. Wenn sich eine Vertrauenskrise in der parlamentarischen Demokratie breitmacht, profitieren davon letztlich die Gegner des parlamentarischen Systems.
Selbstkritik und Selbstreinigung müssen verhindern, daß die demokratischen Parteien „scandales en suite" spielen. Die Selbstreinigung hat aber begonnen,
und der Heilungsprozeß macht Fortschritte. Lassen wir den auch hier im Deutschen Bundestag nicht zerreden! Mit der parlamentarischen Demokratie steht viel auf dem Spiel. Dafür gilt es zu kämpfen, und dafür gilt es bei der Jugend zu werben. Werben kann aber nur der, der Vorbild in seinem persönlichen Verhalten ist. Dessen sollten wir alle uns zu jeder Stunde bewußt bleiben.
Das Wort hat der Abgeordnete Wartenberg .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ihre Rede, Herr Hoppe, war wirklich nicht mehr ulkig. Wer den Skandal und die Schmieraffären, die die Stadt Berlin seit einigen Monaten erschüttern,
und die Reaktion der Zeitungen über Berlin hinaus und auch im Ausland sich anguckt, der weiß,
daß hier ein Stück gespielt wird, das den Ruf Berlins insgesamt enorm geschädigt hat und weiter schädigen wird.
Die Situation für den Bund ist doch nicht nur dadurch bestimmt, daß jetzt sehr viele überregionale Zeitungen darüber schreiben.
Der Bund hat immer ein Interesse daran, daß Berlin in seiner Symbolkraft und in der Außenwirkung nicht geschädigt wird. Zweitens gibt der Bund große Geldsummen nach Berlin. Jede zweite Mark des Berliner Landeshaushalts ist aus dem Bundeshaushalt. Für den Bundesbürger stellt sich die Situation heute wohl so dar,
daß ein Teil dieser Steuergelder in zwielichtigen Projekten, geführt von zwielichtigen Gestalten, versickert. Das ist doch wohl auch eine Auswirkung, die eine Krise des Vertrauens gegenüber Berlin zum Ausdruck bringt.
Daß das so ist, ist nicht Zufall, sondern liegt in der Verantwortung einer Führungsriege der CDU, die nicht ohne Grund „Betonriege" heißt. Das ist der Diepgen, das ist der Landowsky; und zwei sitzen hier: der Kittelmann und der Pfennig — wobei der Name Pfennig eine Ironie der Geschichte ist, denn es geht ja um Millionenbeträge und um Hunderttausende.
Herr Kittelmann, Ihre Moral! Zu Ihrer Moral — weil Sie dawischenrufen — kann man einiges sagen. Als die SPD neulich ein Flugblatt machte, in dem nachgewiesen wurde, daß Sie 100 000 DM bekommen haben, haben Sie zu mir rotzig gesagt: Bestellen Sie mal dem Herrn Grimm da einen schönen Gruß; ich habe nicht 100 000 DM, ich habe 165 000 DM bekommen.
Genau das sind die Rotzigkeit und die mangelnde Moral, mit denen Sie Ihre Politik betreiben.
Das hat auch noch einen anderen Aspekt. Die Tradition des Geldnehmens aus dem Baugeschäft ist j a in der Berliner CDU durchaus sehr verbreitet.Da ist auch noch ein Bundesaspekt. Da sitzt der Herr Kollege Lorenz. Wir haben ja einen sehr schwierigen Fall von Spekulationsbetrug gehabt: den Garski-Fall. Der einzige Politiker, der an Garski verdient hat, war Lorenz. Man denke an den
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Wartenberg
berühmten weinerlichen Brief an Herrn Garski, daß die jährliche Rate aus dem Beratervertrag noch nicht überwiesen sei. Das ist j a damals alles ein bißchen untergegangen. Es ist also kein Zufall. Es gibt hier schon eine „chronique skandaleuse", die viele Jahre zurückreicht.
Aber es ist auch ein Problem anzusprechen, nämlich der Wohnungsbau in Berlin. Der Wohnungsbau in Berlin wird heute weitestgehend von Abschreibungsgesellschaften gemacht, die sich auf das Berlinförderungsgesetz berufen. Wir alle stehen zum Berlinförderungsgesetz.
Aber wenn der Senat diese Abschreibungsgesellschaften zuungunsten von städtischen Gesellschaften in zunehmendem Maße in der Stadt einsetzt, dann braucht man sich nicht zu wundern, wenn diese Skandale entstehen. Denn seit 1981, seitdem die CDU Senatspolitik macht, werden die städtischen Gesellschaften zurückgedrängt und nur noch Spekulanten und Abschreiber im sozialen Wohnungsbau beauftragt. Warum? Warum nur fünf Gesellschaften aus diesem Milieu? Weil es genau die Gesellschaften sind, die das meiste Geld herübergereicht haben. Das steht doch dahinter.Wenn man sich diese Hintergründe vor Augen hält, weiß man, daß hier mangelnde Moral auch noch mit Ideologie zusammenfällt. Private Spekulanten im Wohnungsbau geben Geld und versuchen dann, die städtische Politik zu bestimmen. Das ist im Augenblick eigentlich der Kern dieses Skandals in Berlin.Wir haben jetzt eine Neubildung des Senats hinter uns. Bloß, dieser Senat wird nicht lange überleben. Herr Diepgen ist gejagt. Wer die Veranstaltungen gesehen hat, in denen er auftritt, in denen das Publikum höhnisch lacht, wenn er Worte wie Sauberkeit, saubere Verwaltung, Redlichkeit in den Mund nimmt, weiß, daß dieser Mann gar nicht mehr frei sprechen kann.
Man erinnere sich an die Veranstaltungen mit Frau Ullmann im Hotel Berlin, an der 500 Leute aus dem bürgerlichen Spektrum teilgenommen haben. Als Frau Ullmann in einem anderen Zusammenhang etwas vom Kampf gegen Korruption sagte, brach frenetischer Beifall aus, während ein zusammengesackter Herr Diepgen dort saß. Dieser Mann ist am Ende.
Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit ist abgelaufen. Bitte kommen Sie zum Schluß.
Insofern wird dieser Senat nicht in der Lage sein, die Skandale, die Berlin im Augenblick beherrschen, in irgendeiner Weise zu begradigen.
Das Wort hat der Abgeordnete Lintner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Wartenberg, wenn man Sie so hört,
muß man den Eindruck haben, als hätte es in Berlin unter SPD-Zeiten die Hausbesetzerszene nie gegeben. Die SPD war doch diejenige, die den Niedergang des Ansehens Berlins verursacht hat. Deshalb hätten Sie eigentlich Veranlassung zu mehr Zurückhaltung.
— Herr Ströbele, über Ihre Vergangenheit ist genügend bekannt.Die gewundene Überschrift dieser Aktuellen Stunde zeigt bereits, daß hier ein an den Haaren herbeigezogener Versuch gemacht wird, Vorgänge aus dem lokalen Berliner Bereich auf die Ebene der Bundespolitik zu hieven. Bedauerlich ist, daß dabei eben die Interessen Berlins zwangsläufig auf der Strecke bleiben müssen. Das objektive Interesse Berlins gebietet es nämlich, eine schnelle und gründliche Bereinigung vor Ort vorzunehmen,
aber es verträgt keine parteiegoistischen Übertreibungen, wie sie durch Ihre Initiative zum Ausdruck kommen.
Die gründliche Bereinigung in Berlin selbst ist eingeleitet. Ihre konkrete Gestaltung mag im Berliner Abgeordnetenhaus von der Opposition kritisch beobachtet und begleitet werden. Wo aber Schaden von Berlin abgewendet werden kann, da sollten sich Regierungsparteien und die Opposition wieder einig sein und auch zusammenwirken.
Schaden droht eben vor allem von dem Versuch,
Berlin einer breiten Öffentlichkeit als „Sumpf" darzustellen.
Damit wird nämlich leichtfertig all das aufs Spiel gesetzt, was in den letzten Jahren an bemerkenswert Positivem erreicht worden ist. Das ist immerhin eine ganze Menge.
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LintnerBerlin vermittelt heute wieder den Eindruck von Vitalität und Optimismus, eine grundlegende Bedingung für das Gedeihen einer Stadt in dieser exponierten politischen Lage. Die Wende zum Guten, die erreicht worden ist, schlägt sich auch in objektiven Zahlen nieder. Seit 1983 liegen die Investitionen in Berlin erheblich über dem Bundesdurchschnitt. Das zeigt sich an Firmenneuansiedlungen und an der Erweiterung von bestehenden Anlagen.Dadurch wiederum entwickelt sich die Beschäftigungslage seit 1983 deutlich günstiger als im Bundesgebiet. Die Beschäftigtenzahl hat sich kräftig erhöht. Allein für 1986 erwartet man z. B. eine Zunahme der Zahl der Arbeitsplätze in Berlin um 12 000. Das wiederum führt zu der überaus erfreulichen Tatsache — Herr Kollege Hoppe hat bereits darauf hingewiesen —, daß seit 1984 erstmals wieder nach 21 Jahren ein deutlicher Wanderungsgewinn zugunsten der Berliner Bevölkerung festzustellen ist. Dazu kommt noch ein Touristenrekord. Alles in allem also eine glänzende Bilanz, die durch einzelne Skandalfälle nicht in Frage gestellt werden kann.Im Hinblick auf die Stellung und Bedeutung Berlins muß es deshalb unser gemeinsames Interesse sein, Berlin als ein Beispiel für Kreativität, Weltoffenheit und Leistungsfähigkeit darzustellen, und nicht, wie hier offenbar versucht werden soll, Zerrbilder von West-Berlin zu verbreiten.
Berlin muß auch in der Lage bleiben, meine Damen und Herren, wieder eine aktive Rolle in der Deutschlandpolitik zu spielen. Das geht aber nur, wenn es als ein gesundes städtisches Gemeinwesen anerkannt wird. Wenn aber von seiten der Initiatoren dieser Aktuellen Stunde so getan wird, als wäre das nicht so, als wären die verantwortlichen Politiker in Berlin allesamt in Skandale verwickelt,
dann schadet man damit, Herr Ströbele, in erster Linie den Berlinern, der Stadt und der deutschlandpolitischen Rolle Berlins.
Deshalb wäre es zu wünschen gewesen, daß diese Aktuelle Stunde mit ihrer negativen Zielrichtung von den GRÜNEN erst gar nicht inszeniert worden wäre.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Diederich.
Meine Damen und Herren! Das Ganze ist natürlich insofern keine Aktuelle Stunde, als es sich hier um einen Dauerbrenner handelt, der uns nun schon seit vielen Monaten beschäftigt
— ja, seit vier, fünf Jahren —, und ich fürchte, daß das leider noch eine Weile so bleiben wird, nämlich so lange, wie diejenigen, die an der Spitze die Verantwortung dafür tragen, nicht ausgewechselt worden sind. Ich meine Herrn Diepgen selber.
Berlin ist im Bund wieder ins Gerede gekommen.
— Herr Feilcke, schreien Sie doch nicht so, Sie wissen es doch selber! Sie haben dort doch die Mehrheit, und vielleicht wird sich das auch bald ändern.
Berlin ist durch Ihre Politik wieder ins Gerede gebracht worden, Herr Feilcke.
Wenn Sie heute die Berliner Zeitungen aufschlagen, werden Sie sehen, was der Geschäftsführer der Industrie- und Handelskammer gesagt hat, der nun wahrlich kein Sozialdemokrat ist, der seine Enttäuschung und vielleicht den Zorn über die sich seit Ende vorigen Jahres abzeichnenden Bestechungsskandale und Verwicklungen von Politikern zum Ausdruck bringt und der sehr bestimmt darauf hinweist, daß hier Änderungen vorgenommen werden müssen.
Berlin muß wieder aus den negativen Schlagzeilen heraus, meine Damen und Herren.
Die Rufschädigung muß beseitigt werden. Nur beseitigen Sie Schäden weder an einem Auto noch an einem Ruf dadurch, daß Sie neuen Lack darüber machen bzw. neue Kleider umhängen, sondern da muß dann schon eine Alternative her.
Ich will Sie mit den unappetitlichen Fakten, die jeder der Länge und der Breite nach zur Kenntnis genommen hat, verschonen. Ich will nur ein paar Stichworte sagen: Herr Antes, Herr Hermann, jetzt ein Stadtrat Herr Tromp, Namen wie Schwanz, Putsch, Schmidt-Salzmann — die sind ja nun in der Bundesrepublik bekannt. Man fragt sich: Sind das nur Einzelfälle?
— Ach, Sie spinnen ja, Herr Feilcke.
Herr Abgeordneter, wir sollten uns mit solchen Ausdrücken hier nicht unterhalten.
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Wenn Herr Feilcke hier mit Unterstellungen arbeitet, dann nehme ich mir auch die Freiheit, solche Ausdrücke zu verwenden.
Meine Damen und Herren, es ist nicht mit dem Auswechseln einzelner getan, es genügt nicht, die Verwaltungstransparenz in einzelnen Stellen herzustellen. Es ist ein strukturelles Problem. Es ist völlig unmöglich, diese Kette krimineller Affären, Parteispendenprobleme, Rechtsextremismusvorwürfe, zu entflechten. Es ist, wenn ich das mal mit einem Kurzwort sagen darf, der ökonomisch-politische Komplex, der sich in Berlin breitgemacht, durchgesetzt hat, und zwar mit Ihren Bataillonen, Herr Feilcke und Herr Kittelmann. Da ist nämlich ein Herrschaftsausschuß von Geschäftemachern und Suventionsabsahnern in dieser Stadt endgültig etabliert worden,
die nur daran denken, sich selbst zu bedienen, statt der Stadt zu dienen.
Hier müssen Alternativen her; da genügt es nicht, einzelne auszuwechseln.
Meine Damen und Herren, unsere Sorge in diesem Hause hier ist, daß Berlins Existenz auf der Solidarität des Bundes ruht, und Berlin hat dafür entsprechende Leistungen zu bringen. Es muß für Klarheit und für Redlichkeit gesorgt werden.
Meine Damen und Herren, ich will nur noch eines sagen. Wir dürfen nicht auf die Ebene kommen, wo die Substanz der Berlin-Förderung und der solidarischen Leistung für Berlin angetastet wird. Aber es kommt darauf an, daß Elemente nachgebessert werden. Es darf keine Bereicherung mehr zu Lasten öffentlicher Kassen geben. Ich will Ihnen mal sagen: Dieser Berliner Senat versucht ja nun, einen großen Teil von Aufgaben nach dem Beispiel der Bundesregierung zu privatisieren. Da kommt es dann eben vor, daß Wohnungen preisgünstig an den Meistbietenden aus reinen Profitinteressen verscherbelt werden und nicht zugunsten des öffentlichen Interesses.
— Ja, ich nenne bloß die Namen Putsch und Antes. Meine Damen und Herren, der Regierende Bürgermeister selbst ist verstrickt. Sie arbeiten auf Zeitgewinn statt auf Aufklärung, auf Machterhalt statt auf Perspektiven und Wertorientierung.
Ich darf nur ein Wort zu Ihrer Partei sagen, Herr Hoppe. Es tut mir persönlich sehr weh und sehr leid, daß es so leicht war, in Berlin eine Partei wie die Ihre von einigen Baulöwen aufzukaufen. Und wenn man die Geschichten kennt, daß da Haus- und Grundbesitzervereine kollektiv in den Ortsverein eintreten, um ihn zu kippen, dann weiß man genau, wo das hinläuft. Ihre Partei ist im Moment zu den Handlangern dieser Kräfte geworden.
Meine Damen und Herren, noch ein Wort zur Bundespolitik. Es wäre schön, wenn der Herr Bundeskanzler seine Verantwortung auch in dieser Richtung endlich mal spielen lassen würde und Herrn Diepgen den Rat gäbe, abzutreten, bevor er durch die kommenden Prozesse und Auseinandersetzungen dazu gezwungen wird.
Das Wort hat der Abgeordnete Reddemann.
Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Die Berliner Sozialdemokraten entsenden in den Deutschen Bundestag drei ehemalige Regierende Bürgermeister. Keiner von den dreien ist heute morgen hier. Ich habe den starken Eindruck, sie möchten diese peinliche Inszenierung der grün-roten Opposition in unserem Hause nicht miterleben.
Meine Damen, meine Herren, ich habe vor 13 Jahren führend an der Untersuchung jener Affäre mitgewirkt, die als Steiner/Wienand-Skandal in die Geschichte der Bundesrepublik Deutschland eingegangen ist. Damals ging es um den erhärteten Vorwurf, daß führende Vertreter der SPD-Bundestagsfraktion durch 50 000 Mark die Kanzlerschaft des Vorsitzenden Brandt verlängert hätten. Und es ging um den bewiesenen Tatbestand, daß sich der seinerzeitige Chef des Bundeskanzleramts — Herr Ehmke, Sie sind ja hier — weigerte, über den Verbleib von 50 000 DM aus dem Geheimfonds seines Amtes Auskunft zu geben. Ich habe in den schwierigen Untersuchungen der damaligen Monate festgestellt, daß nichts die Autorität der Demokratie so leicht untergräbt wie Korruption, daß aber auch nichts leichter in der Öffentlichkeit geglaubt wird als ein Korruptionsvorwurf gegen einen „von denen da oben".Ich ziehe, meine Damen, meine Herren, daraus den Schluß, daß alle demokratischen Parteien unerbittlich gegen jede Form von Korruption vorgehen müssen, und zwar ohne Rücksicht auf die Person und ohne Rücksicht auf die Parteifarbe.
Ich ziehe aus den Erfahrungen des Jahres 1973 aber auch den Schluß, daß alle, die eine öffentliche Verantwortung tragen, gegenüber beschuldigten Politikern mindestens ebenso peinlich korrekt sein müssen wie gegenüber anderen. Wir haben es uns angewöhnt, selbst einen mit einer Bombe bewaffneten Extremisten so lange als mutmaßlichen Terroristen zu bezeichnen, wie er nicht abgeurteilt ist. Und ich halte das für richtig. Aber gerade deswegen muß man es als abenteuerlich empfinden, wenn im Deutschen Bundestag Politiker, die aus dubiosen Quellen und von sehr merkwürdigen Menschen beschul-
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Reddemanndigt werden, bereits vorverurteilt werden, als wäre es selbstverständlich, daß man zwar Politiker vorverurteilt, daß man aber gegenüber Terroristen die große Milde walten läßt.
Gestatten Sie mir in diesem Zusammenhang eine sehr persönliche Bemerkung, weil mein alter Freund Peter Lorenz von einem Herrn Wartenberg, den ich bisher hier noch nicht wahrgenommen hatte, angegriffen wurde. Es ist einfach ein Skandal, wenn dieser Herr Wartenberg die Mahnung eines Rechtsanwalts, daß er Geld auf Grund eines Vertrages von seinem Klienten zu bekommen hat, als eine Art von Korruption hinstellt.Ich sage Ihnen, Herr Ströbele, mit aller Deutlichkeit noch eines: Es ist ein geradezu unheimlicher Skandal, wenn Ihre Partei, die einen der Entführer von Peter Lorenz nicht nur zum Mitglied, sondern sogar zum Kandidaten für das Abgeordneten-Haus gemacht hat, es überhaupt wagt, wie es in der Öffentlichkeit geschehen ist, einen ausgewiesenen Demokraten wie Peter Lorenz zu verdächtigen, in roter, grüner oder brauner Extremistenecke tätig gewesen zu sein.
Die Liste der Anklagezeugen, die wir gehört und die über die wir heute morgen wieder einiges erfahren haben, ist mehr als dubios. Wir erfahren, daß rechtskräftig Verurteilte plötzlich Kronzeugen gegenüber Menschen sind, die in ihrer ganzen politischen und sonstigen Tätigkeit sich nichts haben zuschulden kommen lassen.Ich frage vor allem die sozialdemokratischen Kollegen — an die GRÜNEN eine solche Frage zu richten, wäre Unfug —, ob sie wirklich glauben, daß sie damit in Berlin wieder eine Mehrheit bekommen, oder ob sie nicht in Wirklichkeit mit dieser ausgeuferten Art falscher Beschuldigungen sich selbst ins Abseits stellen.
Meine Damen, meine Herren, ich wiederhole noch einmal, was ich zu Beginn gesagt habe: Wenn es in Berlin wirklich Korruption gegeben hat, wenn — hier greife ich ein Wort von Willy Brandt auf — wirklich Korruption im Spiel war wie 1972/73 bei der Steiner-Affäre, sind wir moralisch verpflichtet, jeden der Betroffenen rücksichtslos aus dem öffentlichen Leben zu entfernen.
Wenn sich aber die Masse der aus trüben Quellen stammenden Vorwürfe in Luft auflöst, sollten sich diejenigen, die heute die Aktuelle Stunde zu einer Agitationsstunde gemacht haben, möglichst bald, sobald die Sache geklärt ist, hier hinstellen und sich in einer weiteren Aktuellen Stunde gegenüber solchen Politikern entschuldigen, die man maßlos und falsch angegriffen hat.
— Ströbele [GRÜNE]: Wir sprechen uns wieder, wenn Diepgen zurückgetreten ist!)
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Schmude.
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Herr Kollege Reddemann, ich glaube nicht, daß Sie den von Ihnen verteidigten Politikern dadurch einen guten Dienst erwiesen haben, daß Sie uns aufgefordert haben, sie als „mutmaßlich korruptionsverdächtig" zu bezeichnen. Dieser Begriff ist abgestempelt und wird ihnen nicht helfen.Wann immer sich in Berlin Vorgänge, Probleme abzeichneten, Vorgänge kritisch zu bewerten waren, pflegten Berliner Freunde in der Vergangenheit zu sagen: Schaut euch das gut an. Was hier geschieht, das kommt mit einiger Verzögerung auch auf das Bundesgebiet zu. — Wir hoffen zuversichtlich, daß diese bewährte Regel jetzt nicht gilt. Was an Skandalen und Affären den Berliner Senat und die politische Führung in einigen Stadtbezirken erschüttert, darf sich so im Bundesgebiet wahrlich nicht wiederholen.
Unser Interesse und unsere Anteilnahme an Berlin drücken sich in nachhaltiger, dauerhafter Unterstützung der Stadt in materieller Form wie im ideellen Sinne aus — das bei weitem nicht nur aus Gründen der politischen Pflicht. Sie könnte ein so weit gespanntes Engagement nicht auf Dauer tragen. Immer sind vielmehr auch Emotionen im Spiel gewesen, Sympathie mit den Berlinern, Wertschätzung für ihre Stadt, die faszinierende Attraktivität des dortigen gesellschaftlichen Klimas. Diese Attraktivität kann nur weiterwirken, die emotionale Verbundenheit kann nur Bestand haben, wenn unser Blick auf Berlin nicht auf Befremdliches und Anstößiges trifft.Zeitweise hat man geglaubt — und Herr Lintner hat das heute hier noch mal aufgegriffen —, Hausbesetzungen und Straßendemonstrationen seien in dieser Weise befremdend und anstößig. Sie sind vielfach so empfunden worden — aber als das Verhalten einer kleinen Minderheit, die nicht typisch war für Berlin, einer Minderheit, die auf deutliche Ablehnung fast aller Berliner gestoßen ist. Hausbesetzer und Gewalttäter haben das allgemeine Rechtsbewußtsein nicht beeinträchtigt. Sie haben es herausgefordert und geschärft. So sind sie auf den entschlossenen, aber auch umsichtigen Widerstand gestoßen,
auf die vom Regierenden Bürgermeister Vogel entwickelte Berliner Linie,
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Dr. Schmudedie sein Amtsnachfolger ausdrücklich übernommen
und erfolgreich weitergeführt hat.
Der jetzige Regierende Bürgermeister rühmt gern, daß die damaligen Vorgänge bewältigt worden sind. Aber sein Jubelruf, es sei gelungen, Berlin aus den negativen Schlagzeilen zu bringen,
wirkt inzwischen wie eine Karikatur. Nicht mehr Chaoten und Gewalttäter, sondern die politische Führung der Stadt verursacht jetzt geradezu vernichtende Schlagzeilen.
Das vielbeschworene Rechtsbewußtsein nimmt jetzt Schaden, wenn die Bürger erkennen müssen, wie in der Spitze ihres Gemeinwesens Geld und Politik miteinander verfilzt sind, bis hin zu kriminellen Machenschaften. Das schafft gefährliche Irritationen, weil es die Frage auslöst, warum sich angesichts dieser Vorbilder der einzelne eigentlich noch um Anstand und Ehrlichkeit in seinem wirtschaftlichen Fortkommen bemühen soll. Es kann Irritationen beim Außenstehenden schaffen, der leicht geneigt ist, die Stadt nach den Verfehlungen ihrer Führung zu beurteilen.Ich hoffe und wünsche sehr ehrlich, meine Damen und Herren, daß es gelingt, das alles schnell zu bewältigen. Der gestrige Ansatz stärkt diese Hoffnung nicht, sondern läßt viele, viele Zweifel übrig.
— Es wird eine weiterhin schwelende und quälende Krise in Berlin geben. Sie werden die Schlagzeilen, die nicht wir, sondern andere schreiben, ja erleben.
Immer wieder hat man in den vergangenen Jahrzehnten von West-Berlin stolz als dem Schaufenster der freien Welt gesprochen. In der Tat, man blickt jenseits der Grenzen auf diese Stadt, in der DDR und darüber hinaus. Aber wie sieht es jetzt in diesem Schaufenster aus?
Sollen durch die ausgestellten Verhältnisse alle Vorurteile und Beschuldigungen gegen die westliche Gesellschaftsordnung untermauert werden? Wir wollen das nicht. Wir setzen unser Vertrauen in die Berliner, die es auch nicht wollen, daß sie die Kraft finden, das entstandene verheerende Bild zu säubern und zu ordnen.
Meine Damen und Herren, immer wieder zieht es uns nach Berlin, weil wir die Stadt lieben. Aber wir möchten sie in ihren wesentlichen Bereichen auch liebenswert vorfinden.
Das Wort hat der Abgeordnete Grünbeck.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Als ich vergangene Woche in der ZDF-Sendung „Bonner Perspektiven" das Interview mit der von mir hochgeschätzten Frau Fuchs als sozial engagierter Kollegin gehört habe und als ich heute früh die Ausführungen von Herrn Wartenberg und Herrn Professor Diederich zur Entwicklung im Wohnungsbau in Berlin gehört habe,
stellte sich die Frage — Frau Fuchs hat die Antwort gegeben —, ob man die Ereignisse um die Neue Heimat nicht verschieben könne und eigentlich erst einmal zu den Berliner Skandalen kommen müsse. Ich weiß nicht, ob das Austauschprojekte sind. Ich will auch nicht näher auf die Berliner Ereignisse eingehen. Die hat mein Kollege Hoppe in hervorragender Weise dargestellt, wie wir sie sehen.Aber eines hätte ich den Sozialdemokraten gern ans Herz gelegt — ich habe das gestern in einer erbetenen Stellungnahme dem Staatsanwalt in Hamburg übergeben.
Ich habe Belege übermittelt, wonach die Neue Heimat die Mieter in einer Weise übervorteilt — —
— Wenn der Schutz von Mietern kein Thema ist, dann frage ich mich, welches Thema Sie denn gerne hätten.
Es stellt sich auch in Berlin die Frage, ob die Staatsanwaltschaft wird nachprüfen müssen, ob 31 % Rabatt, den die Heizkostenabrechnungsfirmen der Neuen Heimat gegeben haben, gesetzeswidrig nicht an die Mieter weitergeleitet worden sind, sondern an die Tochtergesellschaft Neue Heimat Städtebau.
Wenn das so ist, dann ist das eine sehr üble Geschichte, die hier mit den Mietern auch in Berlin getrieben worden ist. Es stellt sich noch die zweite Frage, ob bei vielen Materiallieferungen Rabatte und Provisionen an Tochtergesellschaften des Deutschen Gewerkschaftsbundes überwiesen worden sind,
entgegen allen gesetzlichen Regelungen, wonachnur Barzahlungsnachlässe zulässig sind. Alles an-
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Grünbeckdere hätte sowohl von den Neubaukosten als auch von den Modernisierungskosten und den Erhaltungskosten abgezogen werden müssen. Da wird die Frage zu überprüfen sein, ob das ein Subventionsbetrug ist, den Sie anderen Leuten unter die Weste jubeln wollen, Herr Diederich.
— Nein, ich bin schon beim Thema. Nun werden Sie einmal sehen, was in Berlin und in anderen Großstädten bei der Veräußerung der Wohnungen passiert. Wenn beispielsweise die Neue Heimat den Mietern die Wohnungen zu einem doppelt so hohen Preis verkauft wie an ihre eigenen Tochtergesellschaften, dann frage ich Sie, woher Sie das Recht nehmen, hier öffentlich von einem Skandal zu reden.
Meine Damen und Herren, es stellt sich ja die Frage: Hat der DGB, dessen Vertreter im Aufsichtsrat saßen, davon gewußt?
Wenn er davon gewußt hat, dann wäre es schlimm. Ich kann das nicht belegen. Wenn er nicht davon gewußt hat, dann fragt man sich natürlich, ob er seiner Sorgfaltspflicht, die dem Aufsichtsrat nach dem Gesetz auferlegt ist, entsprochen hat?Ich glaube, es ist richtig, den Mieterbund zu unterrichten. Ich habe auch den Berliner Mieterbund unterrichtet. Man prüft jetzt nach, welche Verfehlungen denn eigentlich vorliegen. Eines muß ja klar sein: Es darf keine Politik zum Nachteil der betroffenen Mieter, die der Gesetzgeber zu schützen hat, betrieben werden. Wir werden noch darüber reden müssen, ob bei den Verträgen zum Verkauf der Wohnungen der Neuen Heimat alle Kündigungsschutzbestimmungen eingehalten worden sind. Wir werden uns darüber zu unterhalten haben, ob die Mieter nicht übervorteilt wurden, indem sie übermäßig stark zur Kasse gebeten worden sind.
Es sind ja nicht die reichen Mieter, es sind ja die sozial schwachen Mieter, von denen ich hier rede.Ich glaube, es ist richtig, was mein Freund Hoppe hier erwähnt hat: Wir werden nicht zulassen, daß Staatsanwälte und Richter jetzt durch irgendwelchen Außendruck von Politikern beeinflußt werden, die hier einen Skandal inszenieren wollen.
Wir sind der Meinung, daß die Richter und dieStaatsanwälte jetzt das Wort haben. Ich bin sicher,daß der neugewählte Berliner Senat — das dürfte jaunser aller Interesse sein — seiner Aufgabe gerecht wird.
Das Wort hat der Abgeordnete Straßmeir.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Am 17. August dieses Jahres begehen wir den 200. Todestag von Friedrich II.,
eines Staatsmannes, der an der Entwicklung des Rechtsstaates in Deutschland Anteil genommen hat und der mit den Grundstein dafür gelegt hat, daß der deutsche Beamte weltweit den Ruf der Tüchtigkeit und der Unbestechlichkeit genossen hat.Meine Damen und Herren, vor diesem Hintergrund fällt es mir sicherlich nicht leicht, vor der Öffentlichkeit dartun zu müssen, daß es in Berlin zwei Bezirksbeamte gegeben hat,
die offenbar gegen diesen Grundsatz verstoßen haben und die strafrechtlicher Verfolgung ausgesetzt sind.Wir, die Berliner CDU, der Senat von Berlin, haben die sachlichen, personellen und organisatorischen Konsequenzen gezogen.
Wir sind sicher, daß uns die Gerichtsbarkeit in kürzester Zeit die entsprechenden Hinweise und auch Aufklärung und schließlich Urteile bringen wird.Nur, meine Damen und Herren: Wenn so verfahren würde, wie Sie, die Opposition in Berlin und im Deutschen Bundestag, den Fall behandeln, dann wären diese Männer, selbst diese Angeklagten, wegen eines nicht mehr möglichen fairen Prozesses längst freigesprochen. Das ist ein Politikum. In einem Lande wie Großbritannien, wo es den Gleichklang von Demokratie und Rechtsstaat wesentlich länger gibt als bei uns, würde man ein solches Verfahren erst gar nicht mehr einleiten.
Wenn Sie schon von Franke reden und als Baulöwen in Berlin, einen jüdischen Emigranten, durch die Öffentlichkeit zerren, dann frage ich Sie: Von welchem Franke reden Sie? Nehmen Sie sich ein Beispiel daran, wie wir hier unseren Kollegen Franke behandeln, den mit den 6 Millionen; da gibt es keine Debatte in der Öffentlichkeit,
obwohl Anklage erhoben ist. Sie sollten sich einBeispiel daran nehmen, wie man fair in bezug auf
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16196 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 211. Sitzung. Bonn, Freitag, den 18. April 1986
StraßmeirVorverurteilungen mit Kollegen oder politischen Persönlichkeiten umgeht.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Senat von Berlin befindet sich nicht in einer Krise. Es gibt auch keine Staatskrise. Der Senat von Berlin ist gestern umgebildet worden. Die Mehrheit im Abgeordnetenhaus ist stabil, die Regierung erfolgreich. Der Regierende Bürgermeister ist auf dem Höchstwert des Vertrauens durch die Berliner Bevölkerung,
auch nach den neuesten Umfragen. Deswegen — Herr Kollege Ströbele, schauen Sie doch mal da herüber — hat ja auch der Abgeordnete Momper
aus guten Gründen die Neuwahlen abgelehnt, weil er genau weiß, daß die Bürger von Berlin dieser Regierung erneut das Vertrauen aussprechen würden.
Hören Sie auf, ein Zerrbild von dieser Stadt zu zeichnen! Es bringt nichts. Es hat Sie zur Drittelpartei gemacht.
Wenn Sie nicht zu vertretbaren Formen der politischen Auseinandersetzungen zurückkehren, wenn Sie ein Zerrbild zeichnen, um Berlin zu schaden, und glauben, damit in den Ländern und im Bund Wahlkampfvorteile erringen zu können, dann werden Sie auch dort zur Drittelpartei werden.
Das Wort hat der Abgeordnete Egert.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der originelle Herr Feilcke hat mir zugerufen: „Heute ohne Ballonmütze?" Herr Feilcke, seien Sie noch weiterhin so geistreich; dann ist mir um Ihre Zukunft nicht bange. Aber eigentlich wollte ich mich mit dem Zustand auseinandersetzen, den Ihre Parteifreunde in Berlin herbeigeschafft haben, und nicht mit Ihnen; da sind Sie nicht wichtig genug.Ich will Ihnen sagen, was passiert ist. Der Kollege Straßmeir hat davon gesprochen, wir würden hier ein Zerrbild von Berlin schaffen. Die Wahrheit ist: Sie haben das Bild dieser Stadt bundesweit und international verdüstert durch Ihre Aktivitäten, und zwar durch Ihre kriminellen Aktivitäten. Das ist schon ein neuer Zustand in der Qualität, wenn zwei CDU-Stadträte einsitzen. Die sitzen ein im Gefängnis! Dies hat es in der Nachkriegsgeschichte Berlins nicht gegeben.
Da sind wir noch nicht am Ende. Da ist wieder ein Stadtrat, der Herr Trompe — der ist auch CDU-Mitglied —, wegen des Verdachts der Bestechlichkeit ins Gerede gekommen. Und da ist der Regierende Bürgermeister mit zweifelhaften Bekanntschaften im Gerede. Da ist der Senat im Gerede.Und, Herr Straßmeir, was soll denn diese bigotte Rede hier, wir sollten den jüdischen Emigranten Franke schonen?
— Entschuldigen Sie, Herr Straßmeir; wenn jemand versucht, uns hier vorzumachen, daß er 250 000 DM bar an Steuerzahlungen bekommen hat, und diese hilflose Ausrede für die Unübersichtlichkeit seiner Finanzgeschäfte hier abgenommen haben will, dann ist dies mehr als fragwürdig. Und dann kommt hinzu, daß er in dem sachpolitischen Bereich, für den er verantwortlich ist, offensichtlich mit seinem Rücktritt Verantwortung für sein Fehlverhalten übernommen hat. Weshalb ist er denn sonst zurückgetreten?Das gleiche gilt für Herrn Lummer. Da kommt noch eine zusätzliche Erbärmlichkeit auf Sie zu. Da wird der rechte Rand in dieser Gesellschaft aufgekauft, und dies soll dann als Integrationsversuch einer demokratischen Partei ausgegeben werden. Welcher Abgrund von Erbärmlichkeit ist dies, für den Sie in der Stadt verantwortlich sind!
Es tut mir leid, dies hier sagen zu müssen.Herr Straßmeir, was soll denn die Bemühung von Friedrich II. im Zusammenhang mit Ihrer gemeinen Korruption? Ich lasse die großen Deutschen und die großen Preußen nicht in diesen Zusammenhang zerren.
Genauso hybride ist es, wenn sich der Regierende Bürgermeister von Berlin hinstellt und Rathenau und Stresemann mit ihrem schlimmen Schicksal in der Weimarer Republik mit sich vergleicht. Welche Anmaßung ist denn dies!
Entschuldigung; aber, Herr Straßmeir, dies ist doch die Peinlichkeit, daß Sie die Fähigkeit zur Selbstreinigung, von der Herr Hoppe gesprochen hat, doch nicht mehr haben. Der Regierende Bürgermeister ist gestern zu kurz gesprungen. Ihn werden die Skandale in dieser Stadt wieder einholen; dessen
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Egertbin ich sicher, und deswegen bleibt er ein Regierender Bürgermeister auf Abruf.
Lassen Sie mich nun noch folgende Bemerkung machen: Wir Sozialdemokraten und die andere Oppositionspartei im Berliner Abgeordnetenhaus wollen doch nicht nur die bequemen Krisengewinnler sein.
Nein, es ist uns peinlich, daß wir angesichts der Zahl der Skandale, die Sie vorlegen, atemlos werden. Im übrigen werden wir Ihnen die programmatischen und die personellen Alternativen bieten, die dazu zwingen, daß diese Stadtregierung zum Teufel gejagt wird. Daß das schon so schnell, nach knapp einem Jahr, sein wird,
hatten wir am 10. März 1985 allerdings wirklich nicht gedacht.Nun will ich noch etwas zu dem Thema Neuwahlen sagen: Sie haben sich hier bemüßigt gefühlt, den Fraktionsvorsitzenden der SPD im Berliner Abgeordnetenhaus ins Spiel zu bringen. Wenn Sie einen selbstbewußten Senat in dieser Stadt stellen würden, dann würden Sie dem Beispiel von Jochen Vogel gefolgt sein. Der ist 1981 in die Stadt gekommen und hat gesagt, hier hat die Sozialdemokratie Fehler gemacht, hat bezüglich Sachen und Personen gesagt, dies will ich in drei Monaten machen, und dann stelle ich mich unter diesen neuen Voraussetzungen den Wählerinnen und Wählern in dieser Stadt. Ein selbstbewußter Senat würde sich, nachdem er sich das Wahlergebnis vom 10. März unter falschen Voraussetzungen erschlichen hat, dem Votum der Wählerinnen und Wähler von sich aus stellen. Dies hat etwas mit Moral, Sitte und Anstand zu tun. Aber dazu sind Sie tatsächlich nicht mehr fähig.Nun noch etwas zu der Behauptung, Herr Straßmeir, Sie hätten in der Stadt einen Senat, der ausreichend unterstützt wird. Die Wahrheit der Umfrage, auf die Sie sich mit Ihrer Aussage gestützt haben, ist die, daß Sie parlamentarisch keine Mehrheit hätten.
Dies ist die Wahrheit dieser Umfrage! Im Abgeordnetenhaus hat der Senat nach der letzten SFB-Umfrage keine ausreichende Unterstützung. Dabei hat diese SFB-Umfrage die letzten Skandale um Lummer und andere sowie die Senatsumbildung noch nicht mit erfaßt; sie datiert von Ende März. Auch dies müßten Sie der Redlichkeit wegen sagen.
Also, der Zustand würde inzwischen wahrscheinlichso sein, daß Sie nicht einmal die 50,4 %, mit denenSie sich beruhigen wollen, obwohl Sie es besser wissen, erreichen würden.
Meine Damen und Herren von der CDU und von der FDP, wenn Sie zur Selbstreinigung in Berlin nun wirklich etwas beitragen wollten, dann würde Eberhard Diepgen zurücktreten, dann würden wir
— ach, wissen Sie, Herr Feilcke, lassen Sie doch Ihre dummen Zwischenrufe — in der Stadt tatsächlich Neuwahlen zur Bildung eines neuen Senats haben.
Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit ist abgelaufen. Bitte, kommen Sie zum Schluß.
Dann würden wir einmal sehen, ob die Bürgerinnen und Bürger Ihnen noch das Vertrauen aussprechen. Ich bin sicher, Sie würden in der Zukunft auf Grund Ihrer Fehlleistungen mit einem erheblichen Mißtrauen leben müssen.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Kansy.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe mich gewundert, warum die Berliner Baupolitik gerade von der Opposition aufgerufen wird, unbeschadet der unappetitlichen Vorgänge, über die wir hier diskutieren. Denn, meine Damen und Herren, wir Wohnungs-und Städtebaupolitiker des Bundestages sind sehr oft in Berlin, seit vielen Jahren, und beobachten auch die Entwicklung dieser Stadt: die Zeit des Wiederaufbaus, die Zeiten der Flächensanierung und Betonbauten und jetzt auch die vorsichtige Entwicklung zu einer menschengerechten Stadtentwicklungspolitik.Meine Damen und Herren, bevor wir hier aus Westdeutschland, wie die Berliner ja zu sagen pflegen, selbstgerechte Urteile über diese Stadt fällen, sollten wir uns doch einmal daran erinnern, daß Berlin es wegen seiner Insellage und der damit verbundenen räumlichen Enge, der daraus resultierenden Grundstücksknappheit, der besonderen Struktur des Wohnungsmarktes, einer veralteten Bauleitplanung und nicht zuletzt durch die Teilung,
für die die Berliner ja nun wirklich nichts können, in der Nachkriegszeit viel, viel schwieriger gehabt hat als andere deutsche Großstädte. Die Gefahr, daß einzelne Staatsdiener für Bestechlichkeit anfällig werden, ist vor diesem Hintergrund natürlich etwas größer, wenngleich es solche Probleme auch in anderen deutschen Großstädten gibt. Nur wird das
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Dr.-Ing. Kansydort als Lokalpolitik und nicht im Plenum des Deutschen Bundestages abgehandelt.
Aber in Wahrheit geht es Ihnen ja um etwas anderes als um den Vorwurf der Bestechlickeit. Ziel der Debatte ist es, aus parteiegoistischen Gründen das immer heller gewordene Bild dieser Stadt sozusagen mit einer Art Dreckschleier zu überziehen
und damit die Erfolge einer Arbeit zu vernebeln, die gerade auch im Bereich der Städtebaupolitik und der Wohnungsbaupolitik in den letzten Jahren sichtbar geworden sind.
Es ist vorhin schon daran erinnert worden, meine Damen und Herren, daß das Ergebnis der Flächensanierung durch die SPD-Politik Hausbesetzungen waren. Fast an jedem Tag der Regierungszeit Vogel ist ein Haus besetzt worden. Der jetzige Senat hat diese Probleme gelöst, und zwar ohne den inneren Frieden dieser Stadt zu gefährden, wie Sie es behauptet haben.
Überhaupt ist in Berlin über Jahrzehnte hinweg eine Bauleitplanung betrieben worden, die man angesichts der Verhältnisse und Anforderungen unserer modernen Zeit nur als anachronistisch bezeichnen kann.
Wenn wir heute nach Ihrem Betonzeitalter im Märkischen Viertel wieder zukunftsweisende Arbeiten durchführen, um das Antlitz dieser Stadt wieder menschlicher zu gestalten, oder wenn in Kreuzberg und anderen alten Quartieren, wieder eine behutsame Stadterneuerungspolitik praktiziert wird, dann ist das mit dem Namen Weizsäcker und Diepgen verbunden, nicht aber mit Ihrer jahrzehntelangen Baupolitik in Berlin.
Weil Berlin eine Mieterstadt ist, sage ich: Dieser Senat hat ein in der Bundesrepublik vorbildliches System des Mietausgleichs geschaffen, das mit den Einnahmen aus der Fehlbelegungsabgabe Leistungen gerade auch für die sozial schwachen Mieter in Berlin vorsieht, wenn bestimmte Miethöhen überschritten werden.
Ich sage Ihnen: Man braucht kein Fachmann zu sein und kein Wohnungsbaupolitiker, man braucht nicht die Verfehlung einzelner Beamter in irgendeiner Weise zu rechtfertigen, sondern man braucht einfach nur als Besucher aus dem Westen unseres Vaterlandes durch diese Stadt zu gehen, um festzustellen, daß Berlin in den letzten Jahren heller geworden ist; nicht nur, weil die Fassaden neu gestaltet wurden, die Plätze schöner geworden sind. Die ganzen Neubauten sind anspruchsvoller, die Stadtplanung ist menschengerechter geworden. Die Internationale Bauausstellung wird zeigen, was es bedeuten kann, auch in Großstädten in den letzten Jahrzehnten dieses Jahrhunderts eine menschengerechte Baupolitik zu betreiben.Wenn heute die Stimmung in Berlin optimistischer ist als noch vor einigen Jahren, dann hängt das trotz einiger korrupter Beamter auch mit der Berliner Baupolitik in den letzten Jahren zusammen.
Meine Damen und Herren, die Bürger in Westdeutschland werden sich von einigen schrägen Vögeln im Berliner Baubereich und auch von Ihren Verleumdungskampagnen nicht davon abbringen lassen,
nach Berlin zu schauen als einer Stadt mit Hoffnung.
Das Wort hat der Abgeordnete Kittelmann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nur ein Wort ganz persönlich, Herr Wartenberg: Wenn man im Flugzeug ein persönliches Gespräch miteinander führt und feststellt, daß man in einem Ihrer ersten Sätze falsch zitiert wird, daß es falsch dargestellt wird, dann ist das auch eine Frage von Kultur. Ich habe Sie in dieser Art und Weise kennengelernt; ich bedauere das.Meine Damen und Herren, lassen Sie mich, da wir ja eine Aktuelle Stunde haben, ein paar aktuelle Daten zur Kenntnis geben.
— Meine Herren von den GRÜNEN, Sie sind, wie Sie sind. Ich hoffe, Sie sind bald nicht mehr.
51% der Berliner haben auf die Frage, wie sie die wirtschaftliche Lage ihrer Stadt betrachten, mit „sehr gut" und „gut" geantwortet. Auf die Frage, wie sie ihre eigene wirtschaftliche Lage betrachten, haben 68 % der Berliner geantwortet: besser als zuvor.Nun kommt es: 59 % der Berliner erklären ihr Einverständnis mit der Politik von Eberhard Diepgen.
Ein letzter Punkt zu den Meinungsumfragen: CDU und FDP kommen nach letzten Umfragen —
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Kittelmanndas hat die Sozialdemokraten außerordentlich schockiert, wie auch die Äußerungen von Herrn Egert gezeigt haben — auf weit über 50%. Die CDU hat sogar noch zugelegt.
Meine Damen und Herren, die gestern vollzogene Kabinettsumbildung wird zusätzliches Vertrauen in die Politik Eberhard Diepgens schaffen. Wir können sicher sein, daß vor allen Dingen
die unzähligen Berliner, die die Stadt lieben, mit dafür sorgen werden, daß wir positiv in die Zukunft gehen.Meine Damen und Herren, der Jahresbericht der IHK, der eben erwähnt worden ist, hat günstige wirtschaftliche Aussichten für 1986 prognostiziert. Er sieht zwar, wenn es so weitergeht, die Gefahr, gerade durch die Verleumdungskampagnen, die unfair geführt werden, daß das positive Ansehen der Stadt gefährdet werden könnte. Die IHK fordert in ihrem Appell Senat, Parlament und Parteien auf, den Kurs des Regierenden Bürgermeisters zu unterstützen und seinen Vorschlägen für mehr Klarheit im Baugeschehen zu folgen. Alle Bürger, die diese Stadt lieben, sind mit dem Regierenden Bürgermeister, mit der CDU, mit der FDP der Meinung — gegen diese Form und Art der Debatte, wie Sie sie führen —,
daß Berlin die aufgezwungene künstliche Krise, die einige in dem jetzigen Geschehen sehen, überwinden wird.
Berlin, diese großartige Stadt, wird weiter positiv gestalten, und ich erinnere Sie an die gemeinsame Verantwortung.
Es ist ja typisch, daß Sie fast nur sozialdemokratische Berliner Kollegen hierhergeschickt haben und daß sich die anderen außerordentlich zurückgehalten haben, daß Herr Vogel zu dieser Debatte nicht einmal erschienen ist. Diese Politik wird fortgesetzt werden entgegen Ihren Vorhersagen. Berlin ist mehr wert als die Debatte, die Sie hier heute dem deutschen Parlament aufzuzwingen versucht haben.
Meine Damen und Herren, diese Aktuelle Stunde ist zu Ende.Bevor wir in der Tagesordnung fortfahren, darf ich mitteilen, daß interfraktionell vereinbart worden ist, die Tagesordnung zu erweitern. Die betreffenden Zusatzpunkte 3 bis 5, die zusammen mit Punkt 17 der Tagesordnung aufgerufen werden sollen, ersehen Sie aus der Ihnen vorliegenden Liste der Zusatzpunkte:3. Beratung des Antrags der Abgeordneten Frau Schmidt , Delorme, Ibrügger, Jaunich, Dr. Klejdzinski, Müller (Düsseldorf), Müller (Schweinfurt), Sielaff, Frau Weyel, Dr. Vogel und der Fraktion der SPDNeuordnung des Weinrechts— Drucksache 10/5324 —4. Beratung des Antrags der Abgeordneten Schartz , Susset, Frau Will-Feld, Kroll-Schlüter, Dolata, Dr. Hoffacker, Freiherr von Schorlemer, Hornung und der Fraktion der CDU/CSU und der Abgeordneten Dr. Rumpf, Bredehorn, Paintner und der Fraktion der FDPKontrolle ausländischer Weine — Drucksache 10/5361 —5. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu der Unterrichtung durch die BundesregierungVorschlag für eine Verordnung des Rates zur Einführung einer Weinbaukartei der Gemeinschaft in den weinerzeugenden Mitgliedstaaten— Drucksachen 10/4681 Nr. 40, 10/5192 — Berichterstatter: Abgeordneter PfuhlSind Sie mit der Erweiterung der Tagesordnung einverstanden? — Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.Ich rufe den Tagesordnungspunkt sowie die Zusatztagesordnungspunkte 3 bis 5 auf:17 a) Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Frau Schmidt , Müller (Schweinfurt), Jaunich, Sielaff, Pfuhl, Witek, Frau Weyel, Dr. Vogel und der Fraktion der SPDGifte in in- und ausländischen Weinen— Drucksachen 10/3703, 10/4070 —b) Beratung des Antrags des Abgeordneten Werner und der Fraktion DIE GRÜNENAufnahme von Getränken mit mehr als 1,2 v. H. Alkohol in die Lebensmittel-Kennzeichnungsverordnung und Erweiterung um die Pflicht zur mengenmäßigen Kennzeichnung der Zusatzstoffe— Drucksache 10/3680 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forstenc) Beratung des Antrags der Abgeordneten Werner , Tatge und der Fraktion DIE GRÜNEN
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16200 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 211. Sitzung. Bonn, Freitag, den 18. April 1986
Präsident Dr. JenningerVerbot von Kaliumhexacyanoferrat und Asbestfiltern bei der Weinerzeugung— Drucksache 10/4570 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forstend) Beratung des Antrags der Abgeordneten Tatge, Werner und der Fraktion DIE GRÜNENFlaschenimport von Wein — Verbot von Weinimport in Tankwagen— Drucksache 10/4571 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forstene) Beratung des Antrags der Abgeordneten Werner , Tatge und der Fraktion DIE GRÜNENMengenmäßige Kennzeichnung von Weinmischungen und -verschnitten einschließlich Art und Weise der Süßreserve— Drucksache 10/4572 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forstenf) Beratung des Antrags der Abgeordneten Tatge, Werner und der Fraktion DIE GRÜNENVerbot des Einsatzes von ausländischem Deckrotwein— Drucksache 10/4573 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsteng) Beratung des Antrags der Abgeordneten Tatge, Werner und der Fraktion DIE GRÜNENEindeutige Kennzeichnung der Herkunft von Sekt— Drucksache 10/4574 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forstenh) Beratung des Antrags der Abgeordneten Tatge, Werner und der Fraktion DIE GRÜNENVerbesserung der Verbraucherinformation bei Wein durch Erweiterung der Pflichtangaben für die Weinetikettierung— Drucksache 10/4575 — Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsteni) Beratung des Antrags der Abgeordneten Tatge, Werner und der Fraktion DIE GRÜNENAusdehnung des Prüfungsverfahrens von Wein auf Pestizidrückstände und Schwermetalle sowie Kupfer und Arsen— Drucksache 10/4576 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forstenj) Beratung des Antrags der Abgeordneten Tatge, Werner und der Fraktion DIE GRÜNENFörderung des ökologischen Weinbaus durch die Gewährung von Umstellungsbeihilfen und die Einrichtung eines Beratungsmodells— Drucksache 10/4578 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
HaushaltsausschußZusatzpunkt 3:Beratung des Antrags der Abgeordneten Frau Schmidt , Delorme, Ibrügger, Jaunich, Dr. Klejdzinski, Müller (Düsseldorf), Müller (Schweinfurt), Sielaff, Frau Weyel, Dr. Vogel und die Fraktion der SPDNeuordnung des Weinrechts — Drucksache 10/5324 —Überweisungsvorschlag:Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit
RechtsausschußAusschuß für Ernährung, Landwirtschaft und ForstenZusatzpunkt 4:Beratung des Antrags der Abgeordneten Schartz , Susset, Frau Will-Feld, Kroll-Schlüter, Dolata, Dr. Hoffacker, Freiher von Schorlemer, Hornung und der Fraktion der CDU/CSU und der Abgeordneten Dr. Rumpf, Bredehorn, Paintner und der Fraktion der FDPKontrolle ausländischer Weine — Drucksache 10/5361 —Überweisungsvorschlag:Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und ForstenZusatzpunkt 5:Beratung der Beschlußempfehlung und desBerichts des Ausschusses für Ernährung,Landwirtschaft und Forsten
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 211. Sitzung. Bonn, Freitag, den 18. April 1986 16201
Präsident Dr. Jenningerzu der Unterrichtung durch die BundesregierungVorschlag für eine Verordnung des Rates zur Einführung einer Weinbaukartei der Gemeinschaft in den weinerzeugenden Mitgliedstaaten— Drucksachen 10/4681 Nr. 40, 10/5192 —Berichterstatter: Abgeordneter PfuhlMeine Damen und Herren, nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind eine gemeinsame Beratung der Tagesordnungspunkte 17a bis 17j sowie der Zusatztagesordnungspunkte 3 bis 5 und eine Aussprache von 90 Minuten vorgesehen. — Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.Wird das Wort zur Berichterstattung oder zur Begründung gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Sielaff.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Überwachungssystem für die Überprüfung, Kontrolle und Einhaltung der weinrechtlichen Bestimmungen ist völlig unzureichend und funktioniert häufig nur zufällig. Das führte uns der Glykolweinskandal mit österreichischen Weinen im letzten Jahr deutlich vor Augen. Dem Bundesgesundheitsministerium wie auch dem rheinland-pfälzischen Weinbauministerium ist dabei vorzuhalten, daß sie zögerlich gehandelt, eigene Untersuchungen lange Zeit unterlassen und die Gefährlichkeit des verfälschten Weines zu lange bagatellisiert haben. Wie unzureichend der Schutz der Verbraucherinnen und Verbraucher und die Ausführung von Anweisungen auch nach dem Glykolweinskandal im vorigen Jahr sind, zeigen, so meine ich, die Vorgänge um den italienischen Methanolweinskandal. Da reagiert die Bundesregierung entgegen den Vorgängen im vorigen Jahr schnell und teilt bereits am 20. März den Ländern mit, daß in italienischen Weinen Methanol festgestellt wurde. Noch 14 Tage später konnte von einem Supermarkt in Rheinland-Pfalz der verseuchte Wein als billiges Sonderangebot öffentlich durch Postwurfsendungen zum Kauf angeboten werden.
Erst auf Grund dieser Werbeaktion konnte die Polizei dann 170 Flaschen Methanolwein sicherstellen. Meine Damen und Herren, es besteht also kein Grund, so zu tun, als hätte man alles im Griff und als wäre der Verbraucher ausreichend geschützt.Offensichtlich waren die Kontrolle der Einhaltung des Weingesetzes und das Vorgehen gegen Gesetzesverstöße in der Vergangenheit nicht entschieden und wirksam genug; sonst hätte auch nicht ein ehemaliger deutscher Weinbaupräsident über Jahre hinweg gepanschten Wein verkaufen können und für diesen Wein sogar noch Preise erhalten können.
Darüber hinaus bin ich der Überzeugung, daß die Information der Verbraucherinnen und Verbraucher über gesundheitsgefährdende Inhalts- und Zusatzstoffe im Wein — wie bei anderen Lebensmitteln übrigens auch — mehr als ungenügend ist. Wie die Bundesregierung wirklich über Verbraucherschutz und Gesundheitsschutz unserer Bevölkerung denkt,
zeigt ein Vorgang in einem EG-Gremium, in dem die Bundesregierung für eine Richtlinie gestimmt haben soll, die glykolhaltige Zellglasfolie als Verpackungsmaterial von Lebensmitteln erlauben soll. Der Verbraucherschutzverband bezeichnete diesen Vorgang mit Recht als peinlichsten und folgenschwersten Lebensmittelskandal der letzten Jahre.
— So ist es.Für uns Sozialdemokraten hat die Gesundheit der Bevölkerung eindeutig Vorrang vor Wirtschaftsinteressen. Wenn es um die Gesundheit geht, kann es keine Kompromisse geben. Fehlentwicklungen müssen offen dargelegt werden. Der Versuch, zu vertuschen oder zu verniedlichen, hilft weder den Verbraucherinnen und Verbrauchern noch den Produzenten.Ich bin davon überzeugt, daß wir den deutschen Winzern nicht helfen, wenn der Glykolweinskandal zu einem rein österreichischen Skandal reduziert wird,
wie es offensichtlich auch die CDU/CSU mit ihrem heutigen Antrag tun will.
Von den etwa 200 gemeldeten Glykolweinen stammten immerhin ca. 70 Weine von der deutschen Firma Pieroth, die ja auch unter den deutschen Winzern keinen so guten Ruf hat. Die Prozesse gegen eine Anzahl von Weinpanschern auch in der Bundesrepublik zeigen, daß es auch unter den deutschen Winzern schwarze Schafe gibt.Meine Damen und Herren, dabei soll allerdings auch deutlich gesagt werden, daß es sich beim Weinpanschen in Deutschland bisher „nur" um Betrug und Wirtschaftskriminalität gehandelt hat, während die Glykol- und Methanolweine gesundheits- und sogar lebensgefährdend sind.Allein völlige Offenheit und klare Transparenz den Verbraucherinnen und Verbrauchern gegenüber kann das entstandene Mißtrauen gegen die Weinproduzenten abbauen. Gerade wenn man verhindern will, daß ein ganzer Berufszweig, daß viele ehrliche Winzerbetriebe, die jetzt um ihre Existenz kämpfen, diffamiert und ruiniert werden, sollten wir alles unternehmen, um Mißtrauen abzubauen, sollten wir weitgehende Transparenz durch großzügige Verbraucherinformation ermöglichen und schon jede Weinmanipulation hinter dem Rücken
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16202 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 211. Sitzung. Bonn, Freitag, den 18. April 1986
Sielaffder Öffentlichkeit so stark ahnden, daß sie sich wirtschaftlich nicht lohnt;
denn offenkundig, meine Damen und Herren, geht es bei der Lebensmittelkriminalität und der Weinfälschung und -manipulation allein um finanziellen Gewinn. Deshalb muß die Bestrafung dieser Taten so hoch angesetzt werden, daß sie sich finanziell in keiner Weise mehr lohnen.
Der SPD-Antrag, den wir zur heutigen Beratung mit vorlegen, ist auf dieser Grundlage aufgebaut. Ich möchte nur die wichtigsten Punkte ansprechen, die mit dazu beitragen könnten, das Vertrauen der Verbraucherinnen und Verbraucher zurückzugewinnen und den Weinfälschern und Betrügern das Geschäft zumindest zu erschweren.Wir fordern die Bundesregierung auf, aktiver zu werden und gemeinsam mit den Bundesländern endlich ein einheitliches Kontroll- und Überwachungssystem zum wirksamen Vollzug des Weingesetzes zu entwickeln, ein verbindliches Melde- und Informationssystem einzurichten und das Strafgesetzbuch so zu ändern, daß die Abschöpfung betrügerisch erlangter Gewinne ohne Beeinträchtigung der Ersatzansprüche von Geschädigten möglich wird.
Damit unterstützen wir eine Forderung auch des deutschen Weinbauverbands, die dieser an die Brüsseler Instanzen und an die Bundesregierung am 14. April 1986 gerichtet hat:Zur Verbesserung der Weinüberwachung in der Bundesrepublik erwartet der Verband, daß schnellstens die von ihm seit Jahren geforderte Verordnung gemäß § 58 Abs. 4 Weingesetz ergeht, damit — in Übereinstimmung mit der Entschließung des Bundesrats — die Weinkontrolle in den Bundesländern vereinheitlicht wird. Außerdem setzt sich der Verband für die Schaffung einer Zentralstelle für die Weinüberwachung in der Bundesrepublik ein.Wir unterstützen diese Forderung mit Nachdruck und fordern die Bundesregierung auf, die seit Jahren überfällige Verordnung endlich zu erlassen.
Wir Sozialdemokraten wollen eine strengere Deklarationspflicht für Weinzusatzstoffe, die Angabe der Höchstwerte von Weinzusatzstoffen sowie die Verminderung der Anzahl der Weinbehandlungsstoffe und die Herabsetzung der Höchstwerte für die dann verbleibenden Stoffe. Außerdem fordern wir die Herabsetzung der Grenzwerte bei der Verwendung von schwefliger Säure.Gerade die Diskussion um die hohe Anzahl möglicher Zusatzstoffe, die erlaubt sind, aber von deutschen Winzern fast nie zugesetzt werden, sowie die Höhe der Grenzwerte bei der Verwendung von schwefliger Säure, die nur in ungünstigen Jahren von wenigen Winzern genutzt werden, könnte durch die Verringerung bzw. die Herabsetzung positiv beeinflußt werden. Zudem wäre diese Maßnahme eine eindeutig verbraucherfreundliche Tat.Dabei sollen natürlich nicht nur Weine aus der Bundesrepublik Deutschland, sondern ebenso alle Importweine der Deklarationspflicht unterliegen. Wenn die Unionsparteien diese Forderung überzeugend unterstützen, dann kann ich mir nicht vorstellen, daß die anderen Christdemokraten innerhalb der Europäischen Gemeinschaft dieses Vorhaben weiterhin blockieren werden. Im Europäischen Parlament war es nämlich der christdemokratische Sprecher, der im Dezember 1984 erklärte:Damals schon habe ich im Entschließungstext die Kommission aufgefordert, die Bestimmung zu überdenken, aufgrund deren eine ganze Reihe von Zutaten auf dem Etikett verzeichnet werden müssen. Entweder wird diese Aufzählung der Zutaten nicht gelesen und hat somit eigentlich keinen Wert, oder sie bringt den Verbraucher nur in Verwirrung. Schließlich und endlich geht es um Zutaten, die in keiner Weise schädlich sind.
Wer so redet, weiß offensichtlich nicht, wovon er spricht, oder er will den Verbraucher oder die Verbraucherin bewußt täuschen.
Demgegenüber haben die sozialdemokratischen Parteien unsere jetzige Forderung innerhalb des Europäischen Parlaments bereits unterstützt. Ihr Sprecher in der Weindebatte am 14. Februar 1985 hat u. a. erklärt:Ich appelliere an den Ministerrat und meine eigene Regierung, endlich die Kennzeichnungspflicht für alkoholische Getränke in Kraft zu setzen und nicht den Appellen der Christdemokraten zu folgen, daß Kennzeichnung von alkoholischen Getränken zur Verwirrung der Verbraucher beitrage. Wir glauben, es trägt zur Aufklärung des Verbrauchers bei, wenn er weiß, wieviel Zucker und Schwefel und ähnliches im Wein enthalten ist.Wenn die bundesdeutsche Regierung jetzt versucht, der EG die Schuld in die Schuhe zu schieben, weil sich beim Weinrecht nichts bewegen läßt, dann sollten die Koalitionspolitiker eindeutiger und eindringlicher bei ihren Kolleginnen und Kollegen im Europäischen Parlament vorstellig werden.
Sollte die Durchsetzung der Deklarationspflicht innerhalb der EG auf Schwierigkeiten stoßen, sollte zumindest die freiwillige Deklaration über den vorgeschriebenen Rahmen hinaus ermöglicht werden.
Es kann doch wohl nicht so schwer sein, es denWinzern, die es wünschen, auch schon vor einergesetzlichen Verpflichtung zu ermöglichen, auf dem
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 211. Sitzung. Bonn, Freitag, den 18. April 1986 16203
SielaffEtikett anzugeben, war in welchem Umfang in ihren Weinen enthalten ist.Wir Sozialdemokraten wollen keine existenzvernichtende Wettbewerbsverzerrung auf Kosten deutscher Winzer. Wir wollen aber, daß die Verbraucher auf dem Etikett nachprüfen können, was sie trinken. Wir vermerken mit Genugtuung, daß auch der Präsident des Deutschen Weinbauverbandes in der Fachzeitschrift „Der Deutsche Weinbau" am 11. April dieses Jahres erklärte — ich zitiere —:Ich stehe nach wie vor zu meiner Meinung, daß wir all das auf dem Etikett angeben sollten, was geeignet ist, das Vertrauen der Verbraucher in unseren Wein zu festigen.
Die Antwort der Bundesregierung auf unsere Große Anfrage ist völlig unbefriedigend. Da ist die Rede davon, daß die Bundesregierung bereit sei, in Zusammenarbeit mit den Bundesländern Überlegungen anzustellen, ob die bisher grundsätzlich auch bei Lebensmitteln stichprobenweise durchgeführten Kontrollen verbessert werden könnten.
Auf die Frage, ob die Bundesregierung entgegen ihrer bisherigen Haltung bereit sei, im Weingesetz eine exakte Deklarationspflicht vorzuschreiben, geht die Bundesregierung überhaupt nicht ein. Sie beschäftigt sich nur mit der Kennzeichnungspflicht für den Deckrotweinzusatz.Wir hoffen, daß die Bundesregierung nach dem neuesten Weinskandal mit italienischem Methanol-wein bereit ist, unseren Forderungen zu folgen und eine bessere Verbraucherpolitik mitzutragen, die dann, wie wir meinen, auch den ehrlichen Winzern entgegenkommt, weil Vertrauen in die deutschen Produzenten zurückgewonnen werden kann.Ich möchte abschließend ausdrücklich dem Weinbaupräsidenten Muth zustimmen, der vor wenigen Tagen erklärte:Eines ist offenkundig: Der deutsche Wein wird bei dieser europaweiten Vertrauenskrise nur eine Chance haben, wenn wir glaubhaft dartun können, daß unser Produkt qualitativ einwandfrei und gesetzestreu hergestellt wird.Genau das wollen wir Sozialdemokraten mit unserem Antrag erreichen.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dolata.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Alles, was die SPD-Opposition in ihrer Großen Anfrage vom 7. August 1985 erfragt hat, und alles, was die Bundesregierung auf diese Fragen geantwortet hat — nachzulesen in der Drucksache vom 23. Oktober vergangenen Jahres —, haben wir im vergangenen Jahr im Gesundheitsausschuß — lieber Herr Kollege Sielaff, Sie erinnern sich — ausgiebig und mehrfach besprochen. Das, was Sie heute vortragen, ist in dem Sinne nichts Neues. Die
Bundesregierung — so haben wir damals festgestellt — hat bei den Vorgängen um den österreichischen Weinskandal angemessen und wirksam gehandelt.
Jetzt bei dem Skandal um den italienischen Wein hat die Bundesregierung noch schneller und noch wirksamer gehandelt.
Warum wohl? Natürlich hat sie aus den damaligen Vorkommnissen zusätzliche Konsequenzen gezogen und weitere Verbesserungen im Sinne der Kontrollen und des Verbraucherschutzes praktiziert. Dafür danken wir der Bundesregierung ausdrücklich. Das haben wir aber auch vorgestern im Gesundheitsausschuß so besprochen. Die Opposition hat dieses Verfahren hinsichtlich dieser Vorgänge am Mittwoch übrigens überhaupt nicht kritisiert.
— Wir lesen es im Protokoll nach. Dann haben Sie ein anderes.
Auch wenn man am Verhalten der Bundesregierung und der Arbeit der deutschen Behörden im Zusammenhang mit dem neueren Skandal nichts zu kritisieren hat, auf europäischer Ebene — da sind wir einer Meinung — sind durchaus Verbesserungen erforderlich. Deshalb hier einige grundsätzliche Bemerkungen und Vorschläge.
Wein — das wissen wir normalerweise — ist ein Naturprodukt. Leider können wir dieses Naturprodukt kaum noch in dieser reinen Form genießen; denn es wird seit Jahrtausenden durch entsprechende Zusätze nicht nur zum besseren Verkauf, sondern auch zum besseren Geschmack für uns Verbraucher natürlich verändert. Nun sind auch die Geschmäcker der Verbraucher sehr unterscheidlich, und was angeboten wird, muß natürlich von denen, die es produzieren, auch umgesetzt werden, und wir müssen es bezahlen. Da scheiden sich gelegentlich die Geister: von Produktion hin zum Verbrauch. Wir wollen gar nicht über die unterschiedlichen Ergebnisse, die durch die verschiedenen Anbaugebiete in der Weinmenge und in der Qualität hervorkommen, reden; aber das spielt auch eine wesentliche Rolle. Ob das alles so sein muß, wage ich gemeinsam mit Otto Normalverbraucher manchmal zu bezweifeln. Wenn es nach mir ginge, könnten alle Zusätze verboten werden; aber das ist wohl Utopie. Ich bin Realist genug, um zuzugeben, daß das nicht machbar ist.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Sielaff?
Bitte, Herr Kollege.
Wenn Sie hier schon so offen davon sprechen, daß Sie sogar alle Zusatzstoffe verbieten würden — das haben wir nicht gefordert, weil das nicht möglich ist; wenn Sie davon sprechen, dann
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16204 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 211. Sitzung. Bonn, Freitag, den 18. April 1986
Sielaffzeigt das vielleicht, daß Sie zuwenig Fachkenntnisse haben —, muß ich Sie fragen: Warum wehrt sich Ihre Fraktion dann gegen die Deklarationspflicht, wie wir sie vorschlagen?
Irrtum: Erstens trinke ich sehr gern und sehr viel Wein — ich verstehe sehr viel davon —; zweitens haben wir das gar nicht gefordert, ich auch nicht, ich habe es auch gar nicht gesagt; drittens wehren wir uns gar nicht gegen diese Deklarationspflicht. Wir werden ja noch über Einzelheiten reden.
Ich sagte, ich bin Realist genug, um zuzugeben, daß das, was man nach der Idealvorstellung des normalen Weintrinkers gern hätte, nicht machbar ist, und zwar weder bei uns in Deutschland noch in der Europäischen Gemeinschaft. Aber es muß machbar sein, daß wir zum Schutze der Verbraucher gemeinsam etwas mehr tun, um unsere Gesundheit generell besser vor skrupellosen Geschäftemachern zu schützen, die nachweisbar immer wieder gesundheitsgefährdende Stoffe dem Wein beimischen. Ob wir allerdings diese Probleme bei uns hier in der Bundesrepublik Deutschland allein lösen können, wage ich zu bezweifeln. Ich warne auch davor, das vielleicht so zu versuchen, wie das mit der ganzen Antragskette, die heute auf der Tagesordnung steht, versucht wird.
Immerhin handelt es sich bei diesem Glykolskandal genauso wie jetzt bei dem Methylalkoholproblem um importierte und nicht bei uns in der Bundesrepublik produzierte Probleme. Wie sollen da solche verschiedenen Anträge zur Lösung des Gesamtproblems beitragen?
— Ich habe sie durchgelesen, und ich bringe ein paar Beispiele: Nehmen Sie z. B. Ihren Antrag auf Erweiterung der Pflichtangaben für die Weinetikettierung, und denken Sie an den jetzigen Methanolskandal. Nach einer Vorschrift im europäischen Gemeinschaftsrecht sind die Abfüller von Wein mit einer Schlüsselnummer zu versehen. Eine solche Schlüsselnummer sagt dem Verbraucher und den Überwachungsbehörden überhaupt nichts über die Herkunft des Weines.
— Nein, denn bei diesem konkreten Fall lag den Überwachungsbehörden die Liste dieser Schlüsselnummern bei uns in der Bundesrepublik und in den Bundesländern überhaupt nicht vor. Die vom Bundesministerium angeforderte Liste wurde von den italienischen Behörden zunächst gar nicht herausgegeben. Insofern kann man also mit solchen Angaben auf solchen Etiketten gar nichts anfangen. Hier muß man ansetzen, um Verbesserungen zu erreichen, und das haben Sie auch bei den Problemen selber erkannt.
In der Antwort auf Ihre Große Anfrage ist durch die Beantwortung der Bundesregierung deutlich geworden, daß mit diesen Angaben eine gezielte Suche — ich zitiere — und damit ein schnelleres Ausdem-Verkehr- und Aus-dem-Verkauf-Ziehen der Erzeugnisse besser geklappt hätte, wenn ... Hier muß also mit Verbesserungen angesetzt werden. Oder nehmen Sie den anderen Antrag aus Ihrer Kette zur mengenmäßigen Kennzeichnung von Weinverschnitten und von Weinmischungen. Im EG-Gemeinschaftsrecht gibt es eine Vorschrift, auf den Etiketten einen Text aufzudrucken. Ich zitiere den Text wörtlich: „Verschnitt aus Weinen verschiedener Mitgliedstaaten der EG". Was sagt das? Ein solcher Text läßt nicht erkennen, aus welchen Ländern der Wein stammt, zu welchem Prozentsatz die Weine aus den einzelnen Ländern zur Herstellung dieses Erzeugnisses verwendet worden sind. Was nützen also dann solche Vorgaben auf solchen Etiketten? Hier müssen Verbesserungen eintreten. Deshalb haben wir einen entsprechenden Antrag eingebracht, der Ihnen j a hier vorliegt. Ich gehe also davon aus, daß nationalstaatliche Regelungen zum besseren Schutz des Verbrauchers vor gesundheitsgefährdenden Zusätzen im Wein nicht ausreichen. Eine einheitliche und schärfere Weinkontrolle in den Staaten der Europäischen Gemeinschaft ist nicht zu umgehen, ja im Gegenteil erforderlich. Hier, hoffe ich, werden wir einen gemeinsamen Nenner finden.
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Dr. Segall.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben heute neben der Anfrage der SPD ein ganzes Bündel von Anträgen der GRÜNEN zum Thema Wein vorliegen, eine Tatsache, die in das allgemeine Bild gut paßt. Seitdem die GRÜNEN im Bundestag vertreten sind, überschwemmen sie dieses Haus mit einer Flut von Anträgen. Es kann daher nicht sonderlich verwundern, daß auch die vorliegenden Anträge zum Wein mehr oder weniger unausgegoren oder durch die Entschließung des Bundesrates zur Weinbaupolitik und die Änderung weinrechtlicher Vorschriften vom November vergangenen Jahres überholt sind. Sie erzeugen den Eindruck, als vollziehe sich die Weinherstellung und der Vertrieb in einem mehr oder weniger rechtsfreien Raum, in dem der Winzer schalten und walten kann, wie es ihm beliebt. Das Gegenteil ist der Fall. Das zur Zeit geltende Weinrecht hat sich im wesentlichen bewährt. Seitdem Wein angebaut wird, gibt es Versuche, Wein außerhalb der Legalität zu manipulieren. Auch noch so ausgeklügelte und noch so strenge Regeln werden das nicht verhindern. Auch in Zukunft wird es schwarze Schafe geben, die versuchen werden, Wein zu panschen.
Gott sei Dank sind dies bei uns in Deutschland nurwenige. Der Weinskandal im Sommer vergangenen
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 211. Sitzung. Bonn, Freitag, den 18. April 1986 16205
Frau Dr. SegallJahres war in erster Linie ein österreichischer, so wie der jetzige Weinskandal ein italienischer ist.
Ich selbst komme aus einem Wahlkreis, der das Weinbaugebiet Rheingau umfaßt, ein Gebiet, das so gut wie vollständig vom Weinskandal verschont geblieben ist, nichtsdestotrotz insbesondere im Bereich des Exports nach Japan und in die USA starke Beeinträchtigungen zu erleiden hatte.Nicht verschwiegen werden darf, daß trotz der Weinskandale viele, insbesondere kleine Winzer keinerlei negative Wirkungen verspüren mußten. Im Gegenteil, es hat sich gezeigt, daß viele Verbraucher wieder „ihren Winzer" entdeckt haben, dem sie vertrauen und bei dem sie überzeugt sind, daß alles Rechtens ist. Insofern hat der Weinskandal nicht nur negative Auswirkungen.Insgesamt erlebt der deutsche Weinbau zur Zeit eine schwere Absatzkrise. Dies wiegt um so schwerer, als durch den österreichischen und italienischen Weinskandal der deutsche Weinmarkt in eine unverschuldete tiefe Vertrauenskrise geraten ist. Um so wichtiger ist es, daß wir Vertrauen in den deutschen Wein auch von seiten der Politiker schaffen. Das erreichen wir nicht durch permanente oder übereilte Änderung des Weingesetzes. Auf die Stärkung des deutschen Weinimages im In- und Ausland muß zur Zeit unser Hauptaugenmerk gerichtet sein. Dazu zählen vor allem intensive Werbemaßnahmen. Die FDP begrüßt die Unterstützung solcher Werbemaßnahmen auch aus öffentlichen Haushalten. Das Vertrauen gegenüber Wein und Winzern wird am ehesten dadurch gestärkt, daß die Verbraucher intensiv über die rechtliche Situation aufgeklärt werden. Zu diesen vertrauensbildenden Maßnahmen zählt auch, daß es kürzlich durch die Initiative Rheingauer Winzer und durch Vermittlung des Parlamentarischen Staatssekretärs Gallus gelungen ist, daß bei offiziellen Staatsbanketten und -empfängen nicht nur französische Weine, sondern auch deutsche Weine kredenzt werden.Zu den vertrauensbildenden Maßnahmen sind weiterhin verstärkte Kontrollen an den Grenzen bei der Einfuhr ausländischer Weine erforderlich. Die FDP begrüßt in diesem Zusammenhang ausdrücklich die Verringerung der Zolldienststellen, die für die Abfertigung von Weinimporten zuständig sind. Dies muß einhergehen mit der besseren personellen und apparativen Ausgestaltung der verbliebenen Stellen. Nur so werden die Voraussetzungen für eine bessere Kontrolle geschaffen. Das von den GRÜNEN geforderte Verbot von Weinimporten in Tankwagen halte ich allerdings für unpraktikabel. Tankwein ist an den Grenzen wesentlich einfacher zu kontrollieren als Flaschenwein. Sichergestellt sein muß aber, daß der Verbleib des Tankweins nachvollzogen werden kann, um einer „Germanisierung" vorzubeugen. Der italienische Weinskandal zeigt deutlich, daß manipulierter Wein auch in Flaschen zu uns gelangen kann.
Hier müssen wir zusätzliche Kontrollen fordern. Die bisherigen Maßnahmen reichen offensichtlich nicht aus.Meine Damen und Herren, die FDP verkennt nicht, daß unser deutsches Weingesetz in einigen Punkten verbesserungswürdig ist.
Man sollte aber nicht das Kind mit dem Bade ausschütten. So kann es in der Diskussion um die Neugestaltung der Etiketten nicht darum gehen, mehr, sondern darum, bessere Informationen für den Verbraucher zu geben.
Eines ist jedenfalls klar: Verbotene Zusätze wie Glykol, Zucker und Methanol werden auch weiterhin auf keinem Etikett erscheinen.
Säuregehalt und schweflige Säure verändern sich ständig, so daß hier allenfalls die Angabe von zulässigen Höchstmengen sinnvoll erscheint.
Überhaupt ist zu fragen, ob solche Angaben den Verbraucher nicht lediglich verwirren, statt ihn besser zu informieren.
Für wesentlich sinnvoller — —
— Herr Präsident, könnten Sie mir mal ein bißchen Ruhe verschaffen?
Meine Damen und Herren, ich bitte die Zwischenrufer doch um Verständnis dafür, daß sich die Rednerin mit ihrer Stimme nicht mehr durchsetzen kann.
Danke, Herr Präsident.Für wesentlich sinnvoller halte ich es, die bisher freiwilligen Geschmacksangaben „trocken" und „halbtrocken" zu Pflichtangaben zu machen. Zu überlegen ist auch, ob der Angabe „Diabetikerwein" nicht die Bezeichnung „durchgegoren" vorzuziehen ist.Wettbewerbsverzerrungen zuungunsten des deutschen Weines auf Grund des EG-Kennzeichnungsrechts werden den entschiedenen Widerstand der FDP-Fraktion hervorrufen.Meine Damen und Herren, Wein ist zweifellos ein Lebensmittel, bei dem eine strikte Kontrolle zum Schutz der Gesundheit des Konsumenten unabdingbar ist. Wein ist aber auch ein ganz besonderer Saft. Von daher kommt dem Wein auch eine eigen-
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16206 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 211. Sitzung. Bonn, Freitag, den 18. April 1986
Frau Dr. Segallständige gesetzliche Behandlung zu, eine Behandlung, wie er sie im deutschen Weingesetz auch erfahren hat. Das deutsche Weingesetz ist gut. Es muß nur richtig und bundeseinheitlich kontrolliert werden.
Das Wort hat der Abgeordnete Tatge.
Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der aktuelle Skandal um mit Methylalkohol vergifteten italienischen Wein trifft eher zufällig auf die für heute vereinbarte Debatte. Für uns geht es um die Zukunft des Weinbaus im allgemeinen.
Kriminelle Flüssigzuckerskandale, verbrecherische Beimischungen von Diethylenglykol oder Methylalkohol sind das Ergebnis einer jahrzehntelangen verfehlten Agrar- bzw. EG-Weinbaupolitik der etablierten Parteien. Der Ruf nach Kontrolle und mehr Überwachung kann im einzelnen durchaus sinnvoll sein, jedoch die strukturellen Probleme nicht lösen.
Doch die Skandale um Diethylenglykol und Methylalkohol könnten auch eine Chance sein, die Politiker aufzurütteln und zum Handeln zu bewegen. Noch nie zuvor war die Öffentlichkeit so sensibilisiert. Hier und jetzt wäre der Zeitpunkt zum Handeln gewesen.
Es ist sicherlich wahr, daß eine Änderung des Weingesetzes nicht generell verhindern kann, daß gepanscht wird oder kriminelle Machenschaften bei der Weinherstellung vorkommen. Die von uns vorgeschlagene Änderung des Weingesetzes einschließlich der finanziellen Hilfen für Umstellung auf ökologischen Weinbau eröffnen jedoch eine Perspektive für eine den Winzern und Verbrauchern angemessene Art, zu wirtschaften, und für eine angemessene Art, verträglich Weinbau zu betreiben. Meines Erachtens ist es durch unsere konkreten Anträge gelungen, Sie zum Handeln zu zwingen. Ich denke, auch der Antrag der SPD, Herr Kollege Sielaff, gründet darauf, daß wir die Anträge im Deutschen Bundestag eingebracht haben.
Ich muß allerdings fragen: Was ist das für eine Politik, die einerseites dazu beiträgt, daß Tausende von Winzerbetrieben vor dem ökonomischen Ruin stehen, andererseits aber so wie 1984 4,2 Milliarden Liter Tafelwein in Industriealkohol und Branntwein umgewandelt wurden und der europäische Steuerzahler dafür 5,2 Milliarden DM zahlen mußte? Was ist der Hintergrund einer solchen Politik? Hintergrund ist eine jahrzehntelange, von der CDU begründete und von der SPD/FDP-Koalition weitergeführte strukturell verkehrte Weinbaupolitik. Statt auf Qualität, guten Ruf, Selbstvermarktung, Eigenerzeugung, familiären Winzerbetrieb und Winzergenossenschaften setzte man auf Massenträger, Hektar-Ausweitung, produzierte einen europäischen Weinsee, förderte die Konzentration und die Abhängigkeit der Winzerbetriebe bis hin zu einem totalen Diktat von einzelnen, viel zu großen, übermächtigen Weinkellereien und Weinhandelsbetrieben.
Wie kommt eine solche Politik zustande? Der aus anderen politischen Bereichen bekannte Filz zwischen CDU und ökonomischen Interessen von großen Betrieben ist im Weinbau ebenso existent. Jeder von Ihnen hat schon einmal etwas von der italienischen Mafia gehört. Wenn Sie meinen, so etwas würde es in der Bundesrepublik Deutschland nicht geben, muß ich Sie enttäuschen. Gehen Sie einmal nach Rheinland-Pfalz; dort finden Sie eine jahrzehntelange Kumpanei einer gut funktionierenden Weinmafia. Die Herren Kohl, Vogel, Tyrell, Meyer — ehemaliger Weinbauminister — und Pieroth — ehemaliger Wirtschaftsminister und Profiteur von Millionen D-Mark an Steuergeldern, CDU-Mitglied und jetzt Wirtschaftssenator in Berlin — sind ein Teil dieses undurchschaubaren Konglomerats von Interessen und Geld. Ganz klar ist auch, daß die Herren von Bayer, BASF und Hoechst mitmischen. Über zweitausend Mixturen gegen Virus- und Pilzerkrankungen der Reben, gegen sogenannte Schadinsekten und Unkräuter haben die Chemiefirmen auf den Markt gebracht. Sie haben fleißig, sehr fleißig, jahrzehntelang — von der Politik sekundiert — die Winzer beraten, wie sie es nennen.
Von einer solchen Weinbaupolitik kann man nur sagen: Die Chemie hat profitiert, die Politik wurde gesponsert, einzelne Großkellereien und Händler sowie weinbauliche Großbetriebe wurden reich, der Verbraucher wurde betrogen, Winzerfamilien wurden verraten und verkauft und der Wein und sein Ruf verpanscht und versaut.
Den Moselwinzern ging es so dreckig wie nie zuvor. Trotz 9 000 Hektar flurbereinigter und damit degenerierter Rebfläche, trotz 186 Millionen DM an Steuergeldern, die 1973 bis 1983 an die Winzer an Mosel, Saar und Ruwer gezahlt wurden, sind sie durchschnittlich mit 150 000 DM verschuldet. In Rheinhessen sind die Winzer mit 76 000 DM verschuldet, in der Pfalz mit durchschnittlich 50 000 DM.
Wer, meine Damen und Herren von der CDU, hat da wohl verdient? Die Mehrheit der Winzerfamilien war es wohl nicht. Wir rufen dazu auf, daß die Winzer Widerstand gegen eine solche Politik leisten. Es ist an der Zeit, daß in Rheinland-Pfalz und auch im Bund die verfilzte und abgewirtschaftete CDU zum Teufel gejagt wird
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Tatge
und daß die Möglichkeit besteht, politische Mehrheiten für eine andere, dem Menschen angepaßte und der Natur verträgliche Politik zu finden.
Meine Damen und Herren, unsere Anträge sind klar und eindeutig. Wir wollen, daß das Weingesetz von Weinbehandlungsstoffen wie Kaliumhexacyanoferrat, aber auch Asbest und anderen Stoffen entrümpelt wird. Wir wollen, daß der Verbraucher auf dem Etikett erkennen kann, welchen Wein mit welchen Inhaltsstoffen er kauft. Wir wollen, daß deutscher Sekt eine eindeutige Kennzeichnung erhält, daß der Einsatz von ausländischen Deckrotweinen und ebenso der Im- und Export von Wein in Tanklastzügen verboten wird und — für uns ganz wichtig — daß für Winzergenossenschaften und für Winzerbetriebe mit Direktvermarktung, die auf ökologischen Weinbau umstellen, finanzielle Hilfestellungen gegeben werden. Eine Liste von ökologisch arbeitenden Winzern, die verbindliche Richtlinien haben, stellen die GRÜNEN gerne allen Interessierten zur Verfügung oder senden sie ihnen zu.
— Ich nenne ja keinen Namen.
Durch Ihre Politik, meine Damen und Herren von der CDU — das macht mich auch so zornig —, zerstören Sie nicht nur die ökonomische Existenz von Tausenden von kleinen Betrieben, zerstören nicht nur eine von Menschen früher ökologisch stabil gehaltene Landschaft, zerstören nicht nur den Ruf und das Vertrauen in den bundesdeutschen Wein; sie zerstören auch eine über zweitausend Jahre alte Kultur. Wein bedeutet für die Region, aus der ich komme, mehr als eine Einkommensquelle oder ein Stoff für fröhliche Feste. Die Menschen, die Landschaft, die Architektur, die Malerei und die Literatur, das soziale Gefüge und die Lebensart der Menschen sind zutiefst geprägt von dieser jahrhundertealten Tradition des Weinbaus an der Völkermühle Europas, am Rhein und an der Mosel.
Die Geschichte des Weinbaus ist gleichzeitig eine Geschichte unseres Landes. 53 v. Chr. intensivierten die Römer den Weinimport. Die Handelswege aus dieser Zeit lassen sich bis heute nachweisen. In Ungstein in der Pfalz finden Sie bei der Villa Weil-berg einen 1700 Jahre alten erhaltenen Winzerbetrieb. Die ersten Güterordnungen und Weingesetze wurden von Karl dem Großen erlassen. Das Christentum besorgte die Ausbreitung des Weinbaus im 16. Jahrhundert in ganz Deutschland. Auch die Geschichte der Bereicherung der Feudalherren spiegelt sich in der Geschichte des Weinbaus wider. So mußten die Winzer nach dem verlorenen Bauernkrieg von 1525 die besten Weinlagen an ihre Landesherren abtreten. Der Qualitätsweinbau in der Pfalz wurde durch die Revolutionstruppen und später durch Napoleon ermöglicht. Die Grenzen nach Frankreich waren offen. Erst der Anschluß an Bayern stürzte die Pfalz in eine tiefe ökonomische Verzweiflung.
— Das muß hier gesagt werden, sehr richtig. — Die revolutionäre Wut, die große Beteiligung der Winzer am Hambacher Fest von 1832 war eine der Folgen. Im 19. Jahrhundert konnten durch die Gründung erster Winzergenossenschaften die ernsten Vermarktungsprobleme behoben werden. Die Nazis köderten viele Winzer, denen es ökonomisch schlecht ging, radikalisierten sie. Später, nach Versprechungen, ruinierten sie tatsächlich Hunderte von Betrieben.
Wir stehen heute meines Erachtens vor der Frage, ob sich Ihre Politik der Zerstörung der Umwelt und der landwirtschaftlichen Betriebe durchsetzt oder ob wir einen Wechsel schaffen, einen Wechsel hin zu einem ökologisch verträglichen Anbau, zu Winzerbetrieben, die selbst vermarkten, und gut organisierten Winzergenossenschaften. Die Politik trifft damit auch eine Entscheidung über die Erhaltung einer über 2 000 Jahre alten Kulturlandschaft und der Bewahrung der Eigenart der Menschen und ihrer Lebensart in den Weinbauregionen. Die kriminellen Machenschaften, die Skandale der letzten Monate könnten eine Chance zum Neuanfang sein. Wir, die GRÜNEN im Bundestag, wären bereit, diese Chance zu nutzen.
Ich erteile der Frau Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit das Wort.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als die Anträge und Fragen gestellt wurden, die den Anlaß für die heutige Weindebatte geben, dachte niemand an den italienischen Weinskandal. Wir waren noch mit der Bewältigung des österreichischen Weinskandals beschäftigt, der den giftigen Stoff Diethylenglykol, den bis dahin außerhalb Österreichs niemand mit Wein in Zusammenhang gebracht hätte, weltweit bekanntgemacht hat.
Wenn ich heute morgen höre, es sei der Vorwurf der Untätigkeit, des unzureichenden Gesundheitsschutzes, der Verhinderung von besserer Verbraucherinformation zu machen, dann muß ich Sie fragen, was denn insbesondere in den letzten Monaten im Bereich des Gesundheitsschutzes geschehen ist. Gerade der jüngste Weinskandal zeigt, daß die Bundesregierung in der Lage ist, Schaden von der Bundesrepublik Deutschland abzuwehren; denn sonst hätte die Situation in der Bundesrepublik nicht so sein können.
Frau Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Sielaff?
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16208 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 211. Sitzung. Bonn, Freitag, den 18. April 1986
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ja, bitte.
Bitte sehr, Herr Kollege.
Frau Ministerin, würden Sie nicht auch zugeben, daß das Gesetz eine ganze Menge Lücken hat und daß es im Grunde doch nicht passieren darf, daß die Bundesregierung den Ländern am 20. März von den italienischen Methanol-Weinen mitteilt und daß dann über 14 Tage später noch ein Supermarkt diese Weine als Sonderangebot anbietet? Da kann man doch wahrhaftig nicht davon sprechen, daß alle Lücken dicht sind und daß nicht noch viel mehr zu tun ist.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Dazu möchte ich Ihnen nur sagen: Sie haben soeben selbst gesagt, das Gesetz allein schaffe noch keinen ausreichenden Schutz.
Das Gesetz ist die eine Ebene. Sie haben eine Reihe von Anträgen gestellt; mit den meisten haben Sie entweder offene Türen eingerannt
oder Dinge aufgenommen, die entweder schon bestehen — ich komme gleich noch einmal darauf zu sprechen — oder auf dem Wege sind.Ich muß Ihnen ferner sagen, daß dies zwar vorkommen kann. Aber wenn Sie einen Fall aufdekken, in dem nichts geschehen ist, obwohl nach der Gesetzgebung jeder Abgebende zu gewährleisten hat, daß er keine Lebensmittel — sprich hier: keine Weine — abgibt, die in irgendeiner Weise gesundheitsgefährdend sind, können Sie dies nicht auf Untätigkeit auf der Ebene von Bund und Ländern zurückführen. Dann müßten Sie jeden einzelnen Restaurantinhaber und jeden Geschäftsinhaber kontrollieren.Ich möchte hier auch einmal denjenigen Dank abstatten, die in diesen Wochen nicht nur an den Grenzen, sondern in allen Bundesländern unentwegt Untersuchungen vorgenommen haben.
Ich glaube, wir können heute sagen, daß es in enger Zusammenarbeit des Bundes mit den für die Weinüberwachung zuständigen Behörden der Bundesländer gelungen ist, Gesundheitsschäden aus dem Genuß mit Diethylenglykol verfälschter Weine von den deutschen Verbrauchern abzuwenden. Dies ist gelungen in enger Zusammenarbeit mit den Landesbehörden und der EG. Es kann heute gesagt werden, daß das Informationsnetz, die Schnelligkeit der Informationen und der Maßnahmen, die dann eingeleitet werden, entscheidend verbessert worden sind. Hierzu gehört auch die Veröffentlichung der von den Überwachungsbehörden der Länder als mit Diethylenglykol verfälscht gemeldeten Weine durch das Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit in einer fortlaufend aktualisierten Liste. Diese hat es schließlich den Verbrauchern ermöglicht, sich vor diesen Weinen zu schützen und sie in vielen Fällen an den Lieferanten zurückzugeben.Für mich ist es jedenfalls wohltuend, sagen zu können, daß nach elf Monaten kein Fall einer Gesundheitsschädigung bekannt geworden ist, die nachweislich durch eine Vergiftung mit einem diethylenglykolhaltigen Wein verursacht worden ist.
— Darauf komme ich noch.Die Genugtuung über die erfolgreichen Maßnahmen zum Schutze der deutschen Verbraucher wird jedoch getrübt durch den schweren Schaden, den der österreichische Weinskandal der deutschen Wirtschaft zugefügt hat.
Zwar hat die Bundesregierung gleichzeitig mit den geschilderten Maßnahmen im Inland durch eine offene Informationspolitik unter Einbeziehung der deutschen diplomatischen Vertretungen im Ausland bewirkt, daß — mit Ausnahme von Brasilien und Japan — der Export deutscher Weine und ihr Absatz in den Bestimmungsländern nicht durch behördliche Maßnahmen behindert worden sind. Auch in diesen beiden Ländern sind die Behinderungen durch erfolgreiche Initiativen der Bundesregierung beseitigt worden, in Japan letzthin durch die in langwierigen Verhandlungen erreichte Anerkennung von Untersuchungszeugnissen privater deutscher Laboratorien, nachdem die Untersuchungsämter der Länder zur Übernahme der von Japan für alle deutschen Weine verlangten Untersuchungen wegen Ausschöpfung ihrer Kapazitäten nicht mehr in der Lage waren.Es trifft einfach nicht zu, daß wir uns von seiten der Bundesregierung nicht für eine umfassende Deklarations- und Informationspflicht einsetzten. Aber das, was für die deutschen Weine gilt, muß auch für die ausländischen Weine gelten;
sonst kommt es zu einer ganz erheblichen, unzumutbaren Wettbewerbsverzerrung.
Durch den Skandal hat die deutsche Weinwirtschaft in der Tat schwere Absatzeinbußen hinnehmen müssen, weil die Verbraucher in ihrem Vertrauen zum Wein verunsichert worden sind und mit Kaufzurückhaltung reagiert haben. Dies gilt insbesondere auch für den Export. Die Bundesregierung hat in allen ihren Verlautbarungen immer wieder hervorgehoben, daß dies ein österreichischer Weinskandal ist und die deutsche Winzerschaft daran unbeteiligt gewesen ist. Ihre Einbeziehung in den Skandal, wie es durch die Große Anfrage der
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 211. Sitzung. Bonn, Freitag, den 18. April 1986 16209
Bundesminister Frau Dr. SüssmuthSPD mit der Gleichstellung „Gift in in- und ausländischen Weinen" darzustellen versucht wird, ist so unberechtigt und für die deutschen Winzer schädlich.
Lassen Sie mich das an dieser Stelle nochmals verdeutlichen: Die Arbeit unserer Winzer, die unter oft schwersten Verhältnissen in den Steillagen und unter den klimatischen Bedingungen unserer Anbaugebiete Weine erzeugen — die Verhältnisse sind oft sehr viel ungünstiger als bei den italienischen und französischen Winzern —,
die wegen ihrer Qualität und Spezialität Weltruf genießen, verdient unsere volle Anerkennung.
Wir können es nicht zulassen, daß sie mit Weinfälschern in einem Atemzug genannt und in ihre Nähe gerückt werden.
Noch bemühen sich Weinbau und Weinhandel, unterstützt von Bundes- und Landesregierungen, die Folgen des österreichischen Weinskandals zu mildern und das Vertrauen der Verbraucher zurückzugewinnen, da droht aus der Vergiftung großer Mengen italienischen Weines mit dem hochgiftigen Methanol neues, noch schlimmeres Unheil. Hier ist die wichtigste Sache, daß wir heute in der Lage sind, schnell und wirksam zu handeln.
Ich denke, daß die Erfahrungen des vergangenen Jahres, das damals entwickelte Sieben-Punkte-Programm, das rasche Handeln-Können an den Grenzen wie auch der Untersuchungsämter entscheidend dazu beigetragen haben, in dieser Weise in der Bundesrepublik rechtzeitig zu warnen und Schaden von der Bevölkerung abzuwenden.Ich möchte jetzt gern noch einmal auf die Anträge und das eingehen, was innerhalb des Gesundheitsschutzes auf der nationalen und auf der EG-Ebene erforderlich ist.Ich hoffe sehr, daß die erschreckenden Erfahrungen, die kurz nach dem österreichischen Weinskandal mit dem italienischen gemacht worden sind, die Einsicht der übrigen Mitgliedstaaten der EG und ihre Bereitschaft fördern werden, die nur auf Gemeinschaftsebene zu verwirklichenden Schritte zu unterstützen, beispielsweise die hier soeben angesprochene Zutatenliste, Schritte, die zum Schutze der Verbraucher, aber auch der vielen redlichen Winzer vor den wenigen Weinkriminellen erforderlich sind, die aus hemmungsloser Gewinnsucht auch vor lebensbedrohenden Manipulationen nicht zurückschrecken, dadurch immer größere Kreise der Verbraucher verängstigen und deren Vertrauen in das Produkt Wein zerstören.
Ich erinnere hier noch einmal an Begebenheiten, bei denen redliche Winzer gesagt haben: Es ist unerträglich, daß wir in die Kollektivschuld einbezogen werden und nichts dagegen tun können.
Dabei muß nicht nur das Überwachungssystem in der Europäischen Gemeinschaft überprüft und verbessert werden.
Vielmehr ist es erforderlich, auch die Ursachen für die jetzt in Italien bei Tafelweinen niedrigster Preislage aufgedeckten Verfälschungen zu beseitigen.
Sie liegen in dem nach dem geltenden Gemeinschaftsrecht über alle Grenzen der Mitgliedstaaten hinweg zulässigen, unbeschränkten Verschnitt von Tafelweinen. Dabei verliert der Wein auf seinem Weg durch die Kellereien und nach einer für die Überwachung häufig kaum verfolgbaren Zahl von Verschnitten den Charakter seiner geographischen Herkunft. Er wird zu einem anonymen Getränk industrieller Art — Herr Kollege Kiechle reichte mir soeben ein Weinetikett „Tafelwein — Verschnitt von Weinen aus mehreren Ländern der Europäischen Gemeinschaft"; das ist dann eine Herkunftsbezeichnung
— das stand immerhin drauf —, zu dem die an seiner Vermarktung Beteiligten schließlich oft keine andere Beziehung mehr haben als die des Gewinns.
Diese Entwicklung muß deshalb durch eine Beseitigung der bestehenden unbeschränkten Verschnittmöglichkeiten aufgehalten und zum individuellen Wein zurückgeführt werden,
der seinen Charakter aus seiner Herkunft bezieht. Ich habe daher den Präsidenten der Kommission der Europäischen Gemeinschaften in einem Fernschreiben dringend gebeten, zu veranlassen, daß die EG-Kommission die aus dem österreichischen und italienischen Weinskandal deutlich gewordene, für die Weinwirtschaft überlebenswichtige Problematik vorrangig behandelt und alsbald Vorschläge vorlegt, die neben einer Verbesserung der Überwachungsmaßnahmen auch ein Verbot der Herstellung von Tafelwein aus einem Verschnitt von Weinen aus mehreren Ländern der Europäischen Gemeinschaft, den sogenannten Euroblends, vorsehen.
Erlauben Sie mir nach allem die Bemerkung, daß mich der heute von der SPD eingebrachte Antrag in mehreren Punkten in Erstaunen setzt, nicht
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16210 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 211. Sitzung. Bonn, Freitag, den 18. April 1986
Bundesminister Frau Dr. Süssmuthnur, weil er so tut, als müsse er Entwicklungen anstoßen, die längst in Gang gekommen sind,
z. B. die Einschränkung der zulässigen Weinbehandlungsstoffe und die Einführung eines Kontrollzeichens, oder die bereits abgeschlossen sind, z. B. der Vorbehalt der Bezeichnung „Deutscher Sekt" für ein ausschließlich aus deutschen Grundweinen hergestelltes Erzeugnis.
Mit der Forderung, eine Wein- und Analysenbuchführung einzuführen, rennt der Antrag geradezu mit Vehemenz weit offene Türen ein. Beides ist nämlich seit vielen Jahren geltendes und angewandtes Recht. Es gehört schließlich auch zu den grundlegenden Prinzipien des Lebensmittelrechts, daß bei der Herstellung nur gesundheitlich unbedenkliche Stoffe eingesetzt werden dürfen.Wir sind bei der Verfolgung des guten und notwendigen Zwecks, Verbraucher und Winzer vor Schaden zu schützen, für hilfreiche Hinweise dankbar und zur Zusammenarbeit jederzeit bereit. Es sollte aber nicht versucht werden, den Eindruck zu erwecken, als müßten wir noch lernen, daß Wein aus Trauben gemacht wird.
Die Bundesregierung wird die erforderlichen Maßnahmen auf der nationalen Ebene wie auch auf der Ebene der Gemeinschaft — da gibt es manchen Kampf auszutragen — entschlossen und beharrlich vorantreiben.
Wir brauchen in ihren Auswirkungen durchdachte, ausgewogene Lösungen. Sie müssen auch vollziehbar sein. Im Zusammenhang mit dem Beispiel „Supermarkt" müssen wir bei jeder Lösung auch fragen: Was ist praktikabel?Es geht nicht darum, auf Biegen und Brechen zusammengeschusterte Regelungen in Hektik über die Bühne zu bringen, die ihre Mängel schon nach kurzer Zeit offenbaren und dann wieder geändert werden müssen. Dies dient weder der Rechtssicherheit noch dem Befolgungswillen der Rechtsunterworfenen.
Was wir brauchen, sind wirksame, einsichtige und dauerhafte Regelungen,
die den Verbraucher vor Betrug und Gesundheitsschäden schützen und ihm dadurch das Vertrauen zum Wein zurückgeben, das die Weinwirtschaft zum Überleben und zum Gedeihen braucht und das, wie ich noch einmal hervorheben möchte, die deutschen Winzer auch verdienen.Ich danke Ihnen.
Ich erteile das Wort dem Herrn Ministerpräsidenten des Landes RheinlandPfalz.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Sehr verehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es besteht wohl kein Zweifel: Dem Wein ist schwerer Schaden zugefügt worden.
Durch die schrecklichen Manipulationen ist das Vertrauen der Verbraucher in den Wein erschüttert. Das hat zur Folge, daß viele Winzer und daß die ganze Weinwirtschaft in große Schwierigkeiten gebracht worden sind.
Der von Österreich ausgehende Weinskandal hat beim deutschen Wein zu einem erheblichen Absatzrückgang geführt, bei einzelnen Betrieben bis zu 75%. Man muß sich vergegenwärtigen, was das bedeutet. Der italienische Methanol-Skandal hat ein paar Monate später erneut eine zusätzliche Verunsicherung der Verbraucher herbeigeführt.Weil in meinem Bundesland der meiste Wein wächst und weil es das Zentrum des Weinimports und des Weinexports ist, werden Sie verstehen, daß wir uns in besonderem Maße verpflichtet fühlen, den vom Weinskandal verursachten Schaden zu begrenzen und Gegenmaßnahmen zu ergreifen.
Wir haben zwei Zielsetzungen: Wir wollen das erschütterte Vertrauen des Verbrauchers in den Wein festigen, und wir wollen die wirtschaftliche Existenz unserer Winzer und der Weinhandelsbetriebe, die ein notwendiges Bindeglied zwischen Erzeuger und Verbraucher sind, sichern.
Ein nachhaltiger Verbraucherschutz kommt letztlich auch der Weinwirtschaft zugute.
Der Schutz der Verbraucher wendet sich nicht gegen die Weinwirtschaft, sondern nützt der Weinwirtschaft;
aber es muß ein nachhaltiger Verbraucherschutz sein, und nicht hektische und kurzatmige Reaktionen und eine perfektionistische Belastung des deutschen Winzers.Deswegen gilt für uns: Kontrolle — nachhaltig und umfangreich —, Information des Verbrauchers über deutsche Weine, aber auch über ausländische Weine — umfassend und ehrlich —, Verbraucher-
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 211. Sitzung. Bonn, Freitag, den 18. April 1986 16211
Ministerpräsident Dr. Vogel
schutz vor Täuschung und gesundheitlicher Gefährdung ohne jede Einschränkung.
Es gilt für uns aber auch: Nicht ständig weitere Wettbewerbsbenachteiligungen zu Lasten der deutschen Winzer und der deutschen Weinwirtschaft.
Anlaß für diese heutige Debatte ist die Antwort der Bundesregierung auf eine Große Anfrage der SPD-Fraktion. Leider hat diese Anfrage die Überschrift „Gifte in in- und ausländischen Weinen". Meine Damen und Herren, eine solche Formulierung gibt Anlaß, festzustellen, die Ereignisse des letzten Sommers und die Vorgänge um methanol-verseuchte italienische Weine belegen unmißverständlich, daß es sich um Machenschaften ausländischer Weinproduzenten
und in ihrer Folge erst um rechtswidrige Verschnitte einiger deutscher Weinkellereien, nicht aber um den deutschen Winzer handelt. Es geht nicht um Gift, das in Deutschland deutschen Weinen beigemischt worden ist,
sondern es geht um Gift, das im Ausland ausländischen Weinen beigemischt worden ist, und es geht um Verschnitte mit solchen Weinen, aber es geht nicht um deutsches Gift.
Die Überschrift dieser Anfrage suggeriert geradezu, daß es sich nicht um einen importierten Skandal handelt. Das findet sich dann wieder in der Forderung, den bezeichnungsunschädlichen Verschnitt von 15% aufzuheben. Meine Damen und Herren, eine solche Forderung kann nur erheben, wer nicht so wahnsinnig viel vom Wein versteht. Der Verschnitt wird j a nicht gemacht, um irgendeinen belasteten Stoff beizumischen, sondern der Verschnitt hat ganz andere Gründe, wie jeder Kenner weiß.
Unsere Maßnahmen und Forderungen zum Verbraucherschutz, zum Schutz vor Täuschung und gesundheitlicher Gefährdung achten auf den Verbraucher, achten aber auch auf die berechtigten Interessen der Winzer und des Weinhandels. Vordringliches Ziel muß sein, durchgreifende und vor allem vertrauensbildende Maßnahmen zu ergreifen
— gemach, Herr Kollege, wir kommen noch dazu —, aber unsere Vorschläge wollen auch verhindern, daß leichtfertig Tausende selbständige Existenzen und viele Tausende von Arbeitnehmern in der Weinwirtschaft um ihren Arbeitsplatz gebracht werden.
Meine Damen und Herren, allein in meinem Land — andere Länder kommen dazu — gibt es 38 000 Weinbaubetriebe, die zusammen mit dem Weinhandel mehr als 100 000 Menschen beschäftigen. Das sind doppelt soviel, wie die BASF als der größte Betrieb unseres Landes an industriell Beschäftigten hat.Im Beschluß des Bundesrates, der ganz wesentlich von den Forderungen von Rheinland-Pfalz geprägt ist, haben wir uns darauf verständigt, daß Maßnahmen ergriffen werden müssen. Einige davon sind umgesetzt. Das gilt vorrangig für die Verringerung der Anzahl der Zoll- und Einlaßstellen für Wein, für eine erhöhte Kontrolldichte sowie eine verschärfte Identitätskontrolle des ausländischen Weines. Das ist geschehen. Aber wir werden nicht nachlassen, auf eine Umsetzung auch der noch nicht erfüllten Forderungen zu drängen.Im Interesse der Verbraucher und im Interesse der Weinwirtschaft ist es notwendig, die Information über Wein zu verstärken.
Rheinland-Pfalz hat die Initiative ergriffen. Zum 1. Mai, also in ein paar Tagen, wird in Rheinland-Pfalz eine Zentralstelle für Weinüberwachung ihre Arbeit aufnehmen. Die Hauptaufgabe dieser Stelle ist es, alle für die Weinüberwachung relevanten Daten zu erheben, zu speichern und für die Weinüberwachungsbehörden verfügbar zu halten. Besondere Bedeutung messen wir dabei der Importweinkontrolle zu. Ich erneuere auch im Hinblick auf Anträge, die hier eingebracht sind, mein Angebot, diese Zentralstelle bundesweit zu nützen. Dadurch könnte die Koordinierung der Weinüberwachung in der Bundesrepublik verbessert und ihre Effizienz im Interesse der Verbraucher gesteigert werden.
Die kurze Aufeinanderfolge zweier ausländischer Weinskandale bestätigt nachhaltig die Forderung nach einer wirksamen Kontrolle der Importweine. Dafür müssen allerdings — vornehmlich mit Blick auf das EG-Recht — die rechtlichen Voraussetzungen geschaffen werden. Ich sage hier ganz freimütig: Ich hätte mir gewünscht, daß die Antwort der Bundesregierung im Grundton mehr Verständnis für die schwierige Situation der deutschen Weinwirtschaft hätte erkennen lassen.
Wir hätten uns auch noch ein bißchen mehr Unterstützung für die weiteren wichtigen Punkte unseres Entschließungsantrages gewünscht. Der Import von Weinen aus Drittländern sollte auf Flaschenweine beschränkt, und die Qualitätsweine innerhalb der EG sollten im Ursprungsland abgefüllt werden.
Wir halten diese Forderung, die wir nach der österreichischen Sache erhoben haben, nach der italieni-
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Ministerpräsident Dr. Vogel
schen Sache nach wie vor und erst recht für notwendig.
Solange sie nicht realisiert ist, muß die zollamtliche Abfertigung von offenen Weinen am Sitz der Importkellerei, des Abfüllers oder des Verarbeiters vorgenommen werden.
Ich möchte das hier noch einmal unterstreichen, denn sehr häufig sind Verstöße gegen weinrechtliche Vorschriften bei der Einfuhr zum Nachteil des deutschen Weines auf dem Weg von der Grenze zum Empfangsbetrieb erfolgt, und das müssen wir künftig ausschließen. Ich bitte darum, daß die Bundesregierung entsprechende Regelungen trifft.In der Entschließung hat der Bundesrat eine eindeutige Bezeichnung der sogenannten Euroblends, also der Verschnitte von Weinen aus verschiedenen Ländern der Europäischen Gemeinschaft, gefordert. Nach den jüngsten Ereignissen wird die Forderung, derartige Verschnitte überhaupt zu verbieten, mehr als verständlich.
Dieses Verbot wird — es ist gesagt worden, ich glaube, von Herrn Sielaff — auch von der deutschen Weinwirtschaft und von weiten Kreisen der Weinwirtschaft der übrigen EG-Länder — wir sind hier gar nicht allein — immer dringlicher gefordert. Ich habe den Worten der Frau Bundesminister entnommen, daß sie ähnlich denkt, und deswegen bitte ich darum, innerhalb der EG darauf hinzuwirken, daß die Kommission dem Ministerrat umgehend einen geeigneten Vorschlag macht, bevor der dritte Skandal ausbricht. Es langt jetzt; wir sollten zu dieser Lösung kommen.
Die absolute Mindestforderung muß — auch im Interesse einer wirksamen Verbraucherinformation — die sein, darauf zu bestehen, daß das jeweilige Ursprungsland auch bei Tafelweinen sichtbar auf dem Etikett angegeben wird und daß bei den Euroblends die Anteile der einzelnen Ursprungsländer mitgeteilt werden. Meine Damen und Herren, diese Forderung ist doch wirklich nicht überzogen!Diese Forderung muß mit gleichem Nachdruck für Sekt und für Sektgrundweine erhoben werden. Ohne diese Information war es z. B. beim aktuellen Methanolskandal kaum möglich, vor dem Verzehr solcher Sekte zu warnen, die aus möglicherweise kontaminierten Grundweinen hergestellt worden sind.Mit Genugtuung kann ich feststellen, daß die Europäische Gemeinschaft in ihrer Bezeichnungsregelung unserer Forderung entsprochen hat und daß nunmehr vorgeschrieben ist, daß die Angabe „Deutscher Sekt" nur dann verwendet werden darf, wenn der Sekt zu 100 % aus deutschen Grundweinen besteht.
Der Bundesregierung ist hierfür ausdrücklich zu danken.
Meine Damen und Herren, wir sind ja schon bescheiden geworden;
wir müssen ja schon feiern, wenn erreicht ist, daß es, wenn „Deutscher Sekt" draufsteht, deutscher Sekt sein muß. Eigentlich ist das eine Selbstverständlichkeit, aber daß diese Selbstverständlichkeit jetzt selbstverständlich ist, ist ein Erfolg.
Die Frage der Deklaration der Inhaltstoffe, der Zusatzstoffe und der Geschmacksrichtung muß auf EG-Ebene abschließend geklärt werden. Dabei weise ich nachdrücklich darauf hin, daß wir überhaupt keinen Anlaß haben, uns vor einer solchen Deklaration zu fürchten.
Aber, meine Damen und Herren, es hätte unannehmbare Wettbewerbsverzerrungen zur Folge, wenn deutsche Weine entsprechend deklariert werden müßten, ausländische Weine aber nicht.
Ich bitte deswegen um Verständnis dafür: Wir wollen eine klare Deklaration, aber wir wollen sie nicht für die einen und für die anderen nicht, sondern wollen sie auch für die Weine aus dem EG-Raum, auch für ausländische Weine.
Herr Ministerpräsident, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Jaunich?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ja, bitte schön.
Herr Jaunich.
Herr Ministerpräsident, könnten Sie dann mit uns übereinstimmen, daß man das Weinrecht so ändert, daß diese Angaben freiwillig vom Winzer erbracht werden können?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nein. Ich bin der Meinung: Das ist eine Sache,
die wir im Interesse der Verbraucher einheitlich in der Europäischen Gemeinschaft regeln sollten. Wir sollten sie nicht zu einer Sache individueller wirtschaftlicher Interessen, sondern zu einer gemeinsamen Sache des Verbraucherschutzes und des
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Ministerpräsident Dr. Vogel
Schutzes aller Winzer machen. Wir sollten das einheitlich regeln.
Herr Ministerpräsident, es gibt noch einen Wunsch nach einer Zwischenfrage, und zwar von Herrn Senfft. Sind Sie einverstanden?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Bitte schön.
Bitte schön, Herr Senfft.
Herr Ministerpräsident, teilen Sie unsere Ansicht, daß es sich bei der Kennzeichnungspflicht, auch wenn es sich nur auf deutsche Betriebe bezöge, nicht um einen Wettbewerbsnachteil, sondern um einen Wettbewerbsvorteil handeln würde,
weil die Verbraucher es sicher sehr würdigen werden, wenn sie einen Wein kaufen können, der exakt gekennzeichnet ist?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wissen Sie, Herr Abgeordneter: Ich habe hier nicht die Interessen einzelner Winzer zu vertreten,
sondern des ganzen Winzerstandes und aller Verbraucher. Deswegen halte ich eine Ermächtigung, für die einzelnen Mitgliedstaaten oder die einzelnen Winzer nationale oder individuelle Regelungen zu treffen, für nicht sinnvoll. Ich spreche mich für eine gemeinsame Regelung für die ganze Europäische Gemeinschaft aus.
— Ja, Entschuldigung: Wenn wir schon vorher anbieten, daß wir, wenn es nicht klappt, es anders machen, wird es nie klappen. Es muß klappen. Wir sind ein Partner, der in dieser Sache Erfolg haben kann, wenn wir es gemeinsam verlangen.
Wenn so viel von Weinskandalen die Rede ist, lassen Sie mich deutlich sagen: Es muß auch davon die Rede sein, daß die weit überwiegende Zahl der deutschen Winzer jetzt wie in der Vergangenheit ehrlich und gesetzestreu ihrer Arbeit nachgehen und daß sie die Landschaft und die Kultur weiter Teile der Bundesrepublik prägen. Diese Bürger, die einen Beitrag zur Pflege der Landschaft in unseren Weinbaugebieten leisten und einen qualitativ hochwertigen Wein liefern, haben es verdient, daß ihre Arbeit entsprechend gewürdigt wird und daß das nicht untergeht, nur weil es ein paar schwarze Schafe gibt.
Nun kommt — wenn ich das noch erwähnen darf — eine weitere für den Wein schlechte Nachricht in den letzten Tagen aus den USA. Dort besteht die Absicht, den Import von Qualitätsweißweinen zu beschränken.
Damit soll ein Ausgleich für Nachteile beim Export von amerikanischen Futtermitteln in die neuen EGMitgliedstaaten Spanien und Portugal erreicht werden. Man muß wissen: Der Export deutscher Weine in die USA hat sich in den letzten Jahren sehr erfreulich entwickelt. Er besteht zu 97 % aus Qualitätsweißwein. Der exportierte Wein kommt zu 90 % aus meinem Land. Der nach Amerika exportierte Qualitätsweißwein macht im Schnitt 10 % einer durchschnittlichen rheinland-pfälzischen Ernte aus.Deswegen möge man bitte verstehen, daß wir sofort alle notwendigen Schritte unternommen haben, um diese völlig ungerechtfertigten Beschränkungen, die in Amerika drohen, abzuwenden. Ich bitte auch von hier aus die Bundesregierung, alles zu tun, damit die Gefahr abgewendet werden kann. Denn die deutsche Weinwirtschaft hat durch den österreichischen und den italienischen Skandal so schwer gelitten, daß sie kein weiteres Opfer mehr verkraften kann.
Ich sage das in vollem Ernst. Bei den genannten Problemen und bei der Durchsetzung der von mir vorgetragenen Forderung braucht es Solidarität der Länder und braucht es auch Solidarität mit dem Bund. Deswegen wende ich mich heute morgen an Sie, und deswegen habe ich Ihre Zeit in Anspruch genommen. Dieses Haus hat über Schwierigkeiten von Wirtschaftsbereichen, deren Fortexistenz an den Lebensnerv einzelner Länder geht, häufig gesprochen. Ich erinnere an Stahl- und Werftdebatten und an Kohledebatten. Ich erinnere an Debatten, in denen es um den Lebensnerv von Ländern wie Nordrhein-Westfalen, Saarland, Bremen oder Hamburg ging. Heute geht es um einen Wirtschaftszweig, der für mein Land so prägend ist, wie die Beispiele für andere Länder prägend waren. Deswegen bitte ich Sie um Ihre Mithilfe; denn die Absatzeinbußen durch die Weinskandale treffen einen Wirtschaftszweig, der ganz unabhängig von dieser Diskussion vor sehr großen strukturellen Problemen steht, über die heute gar nicht gesprochen worden ist.
Die Strukturprobleme des deutschen Weinbaus haben damit unmittelbar gar nichts zu tun. Sie bestehen unabhängig davon. Es ist nur eine zusätzliche Last, die mich bitten läßt — auch wenn nur eines der elf Bundesländer von diesen Vorgängen so elementar betroffen ist und wenn nur weitere drei Länder ebenfalls mit betroffen sind —, uns in
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Ministerpräsident Dr. Vogel
dieser Sache zu helfen und Schaden vom Verbraucher, aber auch Schaden von den Erzeugern zu wenden.Ich bedanke mich.
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Weyel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Hohenlied Salomos — 2. Kapitel Vers 15 — heißt es:Fanget uns die Füchse, die kleinen Füchse, die die Weinberge verderben; denn unsere Weinberge haben Blüten bekommen.Die Weinskandale der letzten Jahre mit immer neuen Schreckensmeldungen in den vergangenen Monaten haben den Ruf des Weins teilweise ruiniert, die Verbraucher verunsichert und damit Winzer und Weinwirtschaft geschädigt. Ergänzend zu Vorschriften zum Schutz des Verbrauchers müssen deshalb Maßnahmen treten, die den redlichen Winzer und die ehrlich arbeitende Weinwirtschaft gegen Betrüger schützen, denen jedes Mittel recht ist, um wirtschaftliche Vorteile zu erlangen.
Dazu sind Änderungen des Weinrechts auf Bundes- und EG-Ebene erforderlich, auch Umsetzungen der bestehende Gesetze — Frau Minister, wenn Sie z. B. an das Kontrollzeichen denken — und konsequenter Vollzug in den Ländern. Es freut mich, daß der Herr Ministerpräsident dazu auch aufgerufen hat.Wesentliche Punkte eines solchen Maßnahmenpakets, wie sie in der Entschließung auch des Bundesrats zur Weinpolitik vom 8. November 1985 und unserem vorliegenden Antrag zum Ausdruck kommen — ich schließe da auch den vorliegenden Antrag der CDU/CSU ein —, sind erstens präzisere Festsetzung erlaubter Behandlung, verbunden mit einer umfassenden Deklarationspflicht; zweitens Höchstmengenregelungen; drittens eine lückenlose Kontrolle von der Weinlese bis zum Verbraucher und wirksamere Importkontrolle; schließlich — da sind wir uns anscheinend alle einig — EG-weite Regelungen zur Verhinderung von Wettbewerbsverzerrungen.Zu Punkt 1 hat sich der Kollege Sielaff geäußert. Ich habe dem nur noch hinzuzufügen, daß die Frage der freiwilligen Deklaration vielleicht doch nicht so eng gesehen werden sollte.
Wir fordern Höchstvermarktungsregelungen mit Hektarhöchsterträgen im Durchschnitt mehrerer Jahre, verbunden mit der Einführung eines Rebflächenverzeichnisses. Wir sehen darin Vorteile einer verbesserten Qualität, verbunden mit dosierter Marktbeschickung und einer Überlagerung von Mehrerträgen. Damit werden Preiseinbrüche auf Dauer verhindert, wie wir sie vor zwei Jahren erlebt haben.Der Qualitätsverbesserung dient auch eine Überprüfung der Anwendung von Pflanzenschutzmitteln.
Die Versuche der Bayerischen Landesanstalt für Weinbau und Gartenbau über die Jahre 1979 bis 1984 im Anbaugebiet Franken konnten einen ursächlichen Zusammenhang zwischen Pflanzenschutzmaßnahmen und Beurteilung des Weines náchweisen. Es zeigte sich, daß es vornehmlich zu negativen Aromanoten kam und diese besonders dann verstärkt auftraten, wenn die Wartezeiten nicht eingehalten wurden oder die Ausbringungsmengen überhöht waren. Aber auch nach sachgerechten Pflanzenschutzmaßnahmen kam es zu Fehltönen. Die Charakterisierungsmerkmale der negativ bewerteten Weine stimmten bei allen Jahrgängen weitestgehend überein. Auch hier ist es, glaube ich, notwendig, über dieses Mehr an Qualität nachzudenken.Wir sind der Meinung, daß rektifiziertes Traubenmostkonzentrat, das berühmte RTK, bei der Herstellung deutscher Qualitätsweine auch nach 1990 nicht zugelassen werden sollte. Falls RTK aber doch noch zugelassen werden sollte, muß sichergestellt werden, daß die Konzentrate nur aus Traubenmost aus den gleichen bestimmten Anbaugebieten hergestellt werden.
Wir wollen nicht erleben, daß sich eines Tages gesundheitsgefährdende Spuren in den Konzentraten aus dem Mittelmeerraum finden und damit wieder deutsche Winzer geschädigt werden.Wir fordern die verbindliche Einführung des im gültigen Weingesetz als Kann-Vorschrift vorgesehenen Kontrollzeichens für alle Weine zur lückenlosen Mengenkontrolle von der Weinlese bis zum Verbraucher. Die Kontrollzeichen könnten von den Weinprüfstellen abgegeben werden. Es wäre möglich, damit die Abgaben für den Stabilisierungsfonds Wein, Gebietsweinwerbung sowie Weinprüfstellen und chemische Untersuchungsämter zu verbinden, an Stelle der flächenabhängigen Abgaben der Winzer. Angesichts der sehr unterschiedlichen Erträge scheint uns eine solche Abgabe nach Flaschenzahl gerechter als die bisherige Flächenabgabe. Das Kontrollzeichen für Auslandsweine — auch ein solches sollte man dabei haben — sollte sich deutlich vom Zeichen für deutsche Weine unterscheiden und könnte von den chemischen Untersuchungsstellen für ausländische Weine abgegeben werden. — Es würde mich sehr freuen, wenn auch die rheinland-pfälzischen Kollegen und die Herren der rheinland-pfälzischen Regierung Gelegenheit nehmen würden, unseren Ausführungen zuzuhören.
Über die Bezeichnung „Deutscher Sekt" mit der Beschränkung auf Schaumweine ausschließlich aus deutschen Weinen ist genügend gesprochen worden. Für die anderen Schaumweine sollte eine De-
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Frau Weyelklarationspflicht hinsichtlich der Herkunftsländer der Grundweine gelten. Ich glaube, auch darüber besteht eigentlich Einvernehmen.Eine wirksamere Kontrolle der Importe und der Abfüller zum Schutz der Verbraucher und der Weinwirtschaft ist vorrangig. Prädikatsweine und Weine mit deutschen und deutsch klingenden Prädikaten sollten daher nur noch in Flaschen eingeführt werden. Aber auch da bedarf es einer schärferen Kontrolle. Auslandsweine dürfen nur noch in Kellereien abgefüllt werden, die als Verschlußkellereien anerkannt sind. In diesen Kellereien darf nur mit Zustimmung und unter Aufsicht der Weinkontrolle Importwein eingelagert, verarbeitet und vermarktet werden. Unseres Erachtens genügt dazu keine Trennung der Räume innerhalb eines Betriebes, sondern dieses sollte streng getrennt sein.
Um das wirksam zu machen: Die Konzession als Verschlußkellerei muß bei schweren Verstößen dann auch entsprechend entzogen werden.
In Ländern mit großen Abfüllbetrieben sind zur verstärkten Überwachung besonders ausgebildete Großbetriebsprüfer der Weinkontrolle nach dem Beispiel der Finanzverwaltung einzusetzen, und es scheint so, wenn ich die Ausführungen von Herrn Minister Geil richtig verstanden habe, daß das Land Rheinland-Pfalz auf dem Weg dahin ist.Für unverhoffte Prüfungen an kleinen Grenzübergängen und im Landesinnern ist ein mobiler Überwachungsdienst zu schaffen; auch der Zollfahndungsdienst könnte diese Aufgabe übernehmen. Die Kontrolldichte sollte nicht nur an den Grenzen, sondern auch durch eine Verschärfung der Weinkontrolle sowie durch bessere Ausstattung der chemischen Untersuchungsämter und des Weinkontrolldienstes erhöht werden. Auch hier sind offensichtlich Ansätze zu erkennen. Die Zollämter sollten vor allem Tanklastzüge und Kesselwagen erst freigeben, wenn die Empfänger telefonisch oder fernschriftlich benachrichtigt sind und positiv geantwortet haben. Sie erinnern sich an den sogenannten Germanisierungsskandal von 1981/82, als mit fingierten Adressaten gearbeitet wurde. Auch vor kurzem ist wieder einmal ein Tanklaster aus Italien auf deutschen Straßen verschwunden.Wie der Bundesrat und der Weinbauverband fordern wir die Bundesregierung auf, Anstrengungen zu EG-einheitlichen Regelungen zu unternehmen. Herr Justizminister, Sie haben j a diesbezüglich auch Ihre Erfahrung mit dem gärfähigen Gebinde gemacht.
Es gibt eine Menge Stellen, die zu klären sind. Erweist sich eine EG-einheitliche Regelung als nicht erreichbar, sind nationale Maßnahmen im Hinblick auf die gesundheitliche Gefährdung der Verbraucher durch Importe aus EG- und Drittländern unverzichtbar. Herr Ministerpräsident, ich stimme Ihnen zu, daß EG-weite Regelungen vorzuziehen sind. Es ist j a die Bundesregierung, die dann im Ministerrat die Interessen der deutschen Winzerschaft vertreten müßte.Es liegt uns auch ein Vorschlag des Rates zur Einführung einer Weinbaukartei für die weinerzeugenden Mitgliedstaaten vor. Wir schließen uns in dieser Frage der Empfehlung des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten an. Wir lehnen den Aufbau einer eigenständigen EG-Verwaltungsebene ab. Der Erhebungsumfang muß auf ein vertretbares Maß reduziert werden, wenn man sich mal die ganze lange Liste betrachtet, und die Vorschriften müssen mit den nationalen Datenschutzvorschriften im Einklang stehen.Die SPD-Fraktion ist mit dem Deutschen Weinbauverband und dessen Forderung nach verschärften Kontrollen für Auslandsweine weitgehend einig. Wir vermissen aber in den Erklärungen eigentlich ein klares Bekenntnis von Herrn Muth zu der von uns geforderten Verschlußkellerei.Die einzelnen Anträge der GRÜNEN sind weitgehend mit unserem Antrag abgedeckt.
— Das macht nichts, dafür ist er umfassender.Zu dem Antrag auf Förderung des ökologischen Weinbaus muß man folgendes sagen. Erstens gibt es bereits Betriebe, die so arbeiten und auch wirtschaftlich erfolgreich arbeiten. Zweitens könnten wir uns der Forderung nach Durchführung von Modellen anschließen. Die Durchführung müßte bei den Ländern liegen. Es wäre aber auch ein Bundesmodell möglich. Das würde dann praktischerweise in Rheinland-Pfalz durchgeführt.Leider ist nach den Erfahrungen der letzten Zeit auch die Frage zu prüfen, wie die Strafrechtsregelungen bei schwerwiegenden Verstößen zu verbessern sind. Besonderen Unwillen muß es erregen, daß die betrügerisch erlangten Vermögensvorteile nach dem geltenden Recht nicht vollständig eingezogen werden. Zwar kann das Gericht den Verfall des durch die Straftat erlangten rechtswidrigen Vermögensvorteils anordnen, dies ist aber nicht möglich, wenn dem Opfer der Straftat ein Schadensersatzanspruch gegen den Täter zusteht, auch wenn er faktisch gar nicht durchsetzbar ist. Das ist bei den meisten dieser Weinfälschungen der Fall. Denn der einzelne Käufer, der die Flasche kauft, weiß häufig gar nicht, daß er einen Anspruch hat, und wenn, weiß er nicht, wie er ihn durchsetzen soll. Diese Regelung ist unbefriedigend. Man könnte z. B. eine Regelung treffen, bei der das Gericht die Befugnis erhält, den Vermögensvorteil vorläufig für verfallen zu erklären und erst nach einer Zeitspanne für die Schadensersatzansprüche der Geschädigten endgültig für verfallen zu erklären. Während kleine Winzer um das Überleben kämpfen, kann sich ein ehemaliger hoher Verbandsfunktionär eine Million erpanschen und muß dafür ganze 160 000 DM an die Staatskasse abführen. Dafür bringt in der Öffentlichkeit niemand Verständnis auf. Es ist bezeichnend, daß die Bundesregie-
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Frau Weyelrung, bisher jedenfalls, jeden Handlungsbedarf in diesem Bereich bestritten hat.
Die Bundesregierung hat schon vor längerer Zeit eine Änderung des Weingesetzes angekündigt. Ich weiß nicht, ob die Ausführungen von Frau Minister Süssmuth so zu verstehen sind, daß sie solche Änderungen befürwortet — zumindest in einigen Passagen schien es so —, oder ob sie der Meinung ist, alles ist schön und gut, wie es ist, man sollte dabei bleiben. Dann allerdings müßten die Durchführungsverordnungen ganz entschieden schneller folgen.Es sieht eher so aus, als wolle die Bundesregierung in dieser Legislaturperiode keine Maßnahmen mehr treffen.
Dies widerspricht unserer Auffassung.
Offensichtlich hat auch die CDU mit ihren Anträgen Anregungen geben wollen, Bestehendes zu verändern. Wir fordern die Koalition und die Regierung auf, bald zu handeln.
Als letzter Redner in dieser Debatte Herr Dr. Rumpf.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die meisten Punkte sind genannt worden. Da die Zeit so kurz ist, möchte ich mich nur auf wenige beschränken.Das wichtigste Ziel ist: Das Vertrauen für den Wein muß wiederhergestellt werden. Alles andere ist zweit- und drittrangig.
Kontrollen sind in jeder Hinsicht zu verbessern. Es muß ein grenzüberschreitendes Kontrollsystem in der EG geben. Die Kommission muß sich da etwas einfallen lassen. Die Kontrollkapazitäten müssen ausgebaut und die Kontrollraster verengt werden.Die geforderte Weinbaukartei könnte ein Schritt in die richtige Richtung sein. Wir geben zu, daß das Geld kostet. Aber ich glaube, Geld für diese Maßnahmen wäre besser angelegt als für Interventionen an den Grenzen oder für andere Stützungen.
Das Vertrauen des Konsumenten muß oberste Richtschnur bleiben. Ich meine, wer mit Glykol und Methanol in ausländischen Weinen Reklame für den deutschen Wein machen will, ist auf dem Holzweg. Das Zeigen auf die Österreicher und die Italiener allein reicht nicht aus. Der Verbraucher steigt nämlich dann vom Wein auf ganz andere Getränke um.
Die Kontrollen sind auch nicht nur im Ausland und an den Grenzen, sondern auch im Inland zu verbessern. Das Problem liegt nicht nur an den Grenzen, über die die Weine reinkommen, sondern auch beim Verbleib in deutschen Kellereien und in der Germanisierungsgefahr. Derjenige, der immer behauptet, es dürften nur noch Flaschenweine importiert werden, soll mir mal sagen, wie er 100 hl Flaschenwein besser kontrollieren will als 100 hl in einem Tank. Ich meine, in einem Tank läßt sich der Wein viel besser kontrollieren. Also, diese Forderung geht ein bißchen ins Leere.Die schwarzen Schafe im Kellereibereich müssen drastisch bestraft werden.
Die Italiener machen uns das jetzt vor, wie hier bestraft werden kann. Es muß für grobe Verstöße gegen das Weingesetz ein Berufsverbot geben.
Wenn es Geldbußen gibt, müssen diese Geldbußen in einem gewissen Verhältnis zu den vorher gemachten Gewinnen durch die Übertretung des Weingesetzes stehen.
Im übrigen, Herr Dr. Bickel, ich möchte Sie als Justizminister von Rheinland-Pfalz aufrufen, dafür zu sorgen, daß die Verfahren nicht so lange wie in der Vergangenheit dauern.
Ich appelliere an die Staatsanwälte und Richter, die Prozesse zügiger und nicht so in der breiten Öffentlichkeit durchzuziehen.Der deutsche Wein hat im Markt nur eine Chance durch seine Spezialität und durch seine Qualität. Das muß so bleiben bzw. wieder so werden. Die von der Natur benachteiligten Gebiete haben gerade deshalb eine Chance gegenüber den anderen Weinen, weil sie Spezialitäten und besondere Qualität erbringen. Weine der verschiedenen Jahrgänge und verschiedenen Lagen müssen bei der Weinwerbung besser herausgestellt werden.Die Massenproduktion an Weinen müssen wir den EG-Ländern des Südens überlassen. Der deutsche Wein muß unverwechselbar bleiben.
Deshalb bin ich froh, hier für die FDP sagen zu können, daß wir gegen den EWG-Verschnitt sind. Er ist eine Quelle immer neuer Irritationen, falscher Eindrücke auf dem Etikett. Der Verbraucher wird absichtlich irregeführt.Ein neues Weingesetz brauchen wir eigentlich nicht; denn das Weingesetz ist sehr gut. Es wurde nur nicht genügend kontrolliert. Was die GRÜNEN hier auf dem Papier fordern, ist nichts anderes als eine neue Kriminalisierung der Winzer, sonst gar nichts.
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Dr. RumpfDas Weingesetz ist sehr hart und scharf. Dadurch werden die Winzer schärfer überprüft als etwa Opiumbauern in anderen Ländern.
Im übrigen, meine Damen und Herren, ändert man mit heißer Nadel kein Gesetz. Auch die SPD hat vorigen Sommer, als die Glykolaffäre aufkam, ganz hektsich die Änderung des deutschen Weingesetzes gefordert. Wir von der Koalition sind froh, daß wir das nicht gemacht haben.
Ein Weingesetz muß mit kühlem Kopf geändert werden, nicht mit heißer Nadel.
Zum Schluß möchte ich sagen, daß die Vertrauenskrise des Weines viele Winzer an den Rand der Existenz gebracht hat.
Viele dieser Winzer haben noch nicht gemerkt, daß sie bereits von der Substanz leben. Sie werden über Nacht arm, weil keine Bank mehr Kredite gewährt und niemand den Boden oder den Hof abkauft. Hier fehlen vor allem Existenzsicherungsprogramme. Es ist vielleicht nicht ganz das Thema, aber es steht hiermit im engen Zusammenhang. Die FDP wird solche Programme — Steillagenprogramme oder ähnliche, vom Land Rheinland-Pfalz oder von anderen Bundesländern aufgelegt oder vom Bund unterstützt — nachdrücklich unterstützen.
Elemente Ihres Vorschlags, meine Damen und Herren von der SPD, sind j a ganz gut.
Wir werden in aller Ruhe und mit kühlem Kopf über Änderungen des Weingesetzes diskutieren,
aber nicht hektisch, wie Sie es eigentlich empfohlen haben.Danke.
Meine Damen und Herren, der hohe Grad an Beiträgen von Regierungsvertretern in der Debatte hat dazu geführt, daß nicht einmal alle Regierungsvertreter zu Wort kommen konnten, aber auch ein hoher Verbrauch an Redezeit erfolgt ist. Deswegen akzeptiere ich, daß eine Rede des Kollegen Schartz zu Protokoll genommen wird.
Wir sind dann am Ende dieser Debatte. Es liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Ich schließe die Aussprache.Zu den Punkten 17b bis 17j der Tagesordnung und den Zusatzpunkten 3 und 4 zur Tagesordnung wird vorgeschlagen, die Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? — Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.Wir kommen nun zur Abstimmung über den Zusatzpunkt 5 zur Tagesordnung, der Beschlußempfehlung des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten auf Drucksache 10/5192. Wer dieser Beschlußempfehlung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Dann ist diese Beschlußempfehlung mit großer Mehrheit angenommen.Wir können den Punkt 18 aufrufen:a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Waschmittelgesetzes— Drucksache 10/5303 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:Innenausschuß
Ausschuß für WirtschaftAusschuß für Jugend, Familie und Gesundheit Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GOb) Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Dr. Laufs, Fellner, Clemens, Schmidbauer, Dolata, Dr. Lippold, Dr. Blank, Dr. Blens, Broll, Kalisch, Krey, Dr. Warrikoff, Dr. Olderog, Weirich, Weiß, Gerlach , Regenspurger, Austermann, Biehle, Boroffka, Frau Dempwolf, Engelsberger, Dr. Faltlhauser, Gerstein, Glos, Dr. Hoffacker, Hinrichs, Hinsken, Höffkes, Frau Hoffmann (Soltau), Dr. Jobst, Jagoda, Jung (Lörrach), Dr. Kunz (Weiden), Keller, Kraus, Lenzer, Dr. Miltner, Marschewski, Dr. Möller, Dr. Riedl (München), Frau Rönsch, Reddemann, Frau Roitzsch (Quickborn), Roth (Gießen) Schneider (Idar-Oberstein), Freiherr von Schorlemer, Schulhoff, Schulze (Berlin), Seesing und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Baum, Grünbeck, Dr. Hirsch, Beckmann, Kleinert (Hannover), Dr. Feldmann, Dr. Rumpf, Frau Seiler-Albring, Wolfgramm (Göttingen) und der Fraktion der FDPWasserversorgung— Drucksachen 10/3349, 10/4420 —c) Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Müller , Kiehm, Dr. Hauff, Antretter, Bachmaier, Bernrath, Frau Blunck, Daubertshäuser, Duve, Frau Dr. Hartenstein, Heistermann, Immer (Altenkirchen), Jansen, Kisslinger, Dr. Kübler, Frau Dr. Martiny-Glotz, Meininghaus, Menzel, Müller (Schweinfurt), Müntefering, Reuter, Schäfer (Offenburg), Frau Schmidt (Nürnberg), Stahl (Kempen), Stiegler, Frau Terborg, Wartenberg (Berlin), Frau Weyel, Wimmer (Neuötting), Frau Zutt, Dr. Vogel und der Fraktion der SPD
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16218 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 211. Sitzung. Bonn, Freitag, den 18. April 1986
Vizepräsident WestphalNovellierung der Wasserschutzgesetze— Drucksachen 10/3885, 10/5101 —d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Müller , Frau Blunck, Kiehm, Dr. Hauff, Bachmaier, Büchler (Hof), Haase (Fürth), Frau Dr. Hartenstein, Dr. Klejdzinski, Lambinus, Lennartz, Frau Dr. Martiny-Glotz, Meininghaus, Menzel, Müller
, Schäfer (Offenburg), Stahl (Kempen), Wartenberg (Berlin), Frau Weyel, Frau Zutt und der Fraktion der SPD
Trinkwasserversorgung und Landwirtschaft — Drucksache 10/3747 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:Innenausschuß
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheite) Beratung des Antrags der Abgeordneten Frau Hönes und der Fraktion DIE GRÜNENÄnderung des Wasserhaushaltsgesetzes — Drucksache 10/4415 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:Innenausschuß
Ausschuß für WirtschaftAusschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit Ausschuß für Forschung und TechnologieZu Punkt 18b der Tagesordnung liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion der GRÜNEN auf Drucksache 10/5353 vor. Meine Damen und Herren, dazu ist inzwischen interfraktionell vereinbart worden, daß die Abstimmung über diesen Entschließungsantrag auf Donnerstag, den 24. April 1986, verschoben wird. Damit entfällt die von der Fraktion der GRÜNEN für heute verlangte namentliche Abstimmung.Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind eine gemeinsame Beratung der Punkte 18a bis 18e der Tagesordnung und eine Aussprache von zwei Stunden vorgesehen. — Ich sehe und höre dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.Wird das Wort zur Begründung gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Dann eröffne ich die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Laufs.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Schutz oberirdischer Gewässer und des Grundwassers wird in unserem Land seit vielen Jahrzehnten mit ständig steigendem Aufwand und ständig wachsendem Problembewußtsein für Altlasten, Grundwasserverschmutzung und Einleitung gefährlicher Stoffe betrieben. Die Fülle der Alarmmeldungen und politischen Aktivitäten der jüngsten Zeit könnten den Eindruck entstehen lassen, mit dem Gewässerschutz müsse erst begonnen werden, und die Lage werde immer bedrohlicher. Dieser Eindruck ist falsch.Ich habe dieser Tage einen umfassenden Erfahrungsbericht des Landesgewässerwarts des Landesfischereiverbandes Württemberg- Baden, Eugen Schoch, erhalten. Er stellt auf Grund seiner jahrzehntelangen Beobachtungen fest, daß Anfang der 60er Jahre die Wasserverseuchung und -verschmutzung ihr absolut schlimmstes Ausmaß erreicht hatte. Der Landesgewässerwart schreibt:Die Rems war von Aalen bis zur Mündung fast völlig verödet. Das galt auch für die Fils und die Gutenberger Lauter sowie Metter- und Enz ab Pforzheim. In diesen Gewässern waren selbst die Kleinstlebewesen nahezu ausgestorben. Fischsterben gab es in Baden-Württemberg am laufenden Band. Was in den Gewässern noch leben konnte, waren kranke, verätzte und verpilzte Fische.Diese in den Aufbaujahren der Nachkriegszeit entstandene starke Verschmutzung unserer Gewässer dauerte etwa zehn Jahre, bis die mit dem Wasserhaushaltsgesetz von 1957 begonnenen Maßnahmen des Gewässerschutzes zu wirken anfingen. Ab 1980 hatten wir im Neckar kein nennenswertes Fischsterben mehr.
Wir konnten sogar feststellen, daß in unseren Gewässern wieder Fischarten heimisch wurden, die längst ausgestorben waren.
Nach der Aufstellung des Landesgewässerwarts sind im Jahr 1985 im Neckar ungefähr 30 000 Fische gefangen worden, darunter Hunderte Aale, Bach-und Regenbogenforellen, Hechte, zum ersten Mal wieder die seit langem völlig verschwundenen Nasen aus der Familie der Karpfenfische.
Im vergangenen Jahr wurden 515 Zander gefangen. Dazu heißt es in diesem Bericht:Das war die größte Sensation, die es im Neckar noch nie gegeben hat. Dieser Fisch ist jetzt wieder heimisch geworden. Solche Fangergebnisse treffen auch für Kocher, Jagst, Tauber, Enz, Rems, Fils, Lauter, Argen und Schussen zu. Dort sind die Fangergebnisse fast noch besser. In diesen Gewässern sind folgende Leitorganismen wieder heimisch geworden: Köcher-, Eintags- und Steinfliegenlarven, Gammarus, Planaria, Großer Schneckenegel, Mützen- und Flußnapfschnecken und teilweise wieder der Bach- und Steinkrebs, dieser vorwiegend in Rems, Buchenbach, Metter und Lauter.Sie sehen,— schreibt der Landesgewässerwart weiter —daß sich unsere Gewässer nahezu um 80 % verbessert haben, und es ist mit bekannt, daß dies von Politikern teilweise bestritten bzw. angezweifelt wird. Wir Fischer und Gewässerschützer sind jederzeit bereit, vor Ort unsere Behauptungen und Aufstellungen zu beweisen.
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Dr. LaufsMeine Damen und Herren, so stellen sich vor Ort die Erfolge einer konsequenten Umweltpolitik dar, die seit den 50er Jahren den Bau und die systematische Verbesserung von Klärwerken und Regenrückhaltebecken vorangetrieben hat, so daß heute über 90 % der Abwässer in diesen Bereichen gereinigt werden. Das hat im Industrieland Baden-Württemberg viele Milliarden gekostet, noch bevor es einen einzigen GRÜNEN gab.
Auch in anderen Bundesländern war dies so, in Niedersachsen oder Bayern, wo Freistaat und Kommunen in den vergangenen 35 Jahren 16 Milliarden DM für Abwasseranlagen investiert haben.Wir werden diese Politik fortsetzen und uns eine lebenswerte und liebenswerte Umwelt bewahren. Es ist einfach nicht wahr, daß die Gewässer immer mehr verschmutzen und die volkswirtschaftlichen Verluste immer größer werden.Wie bedauern die Politiker von GRÜNEN und SPD, die auf unserer schönen Erde nur noch Unrat, Katastrophen, Risiken und Weltuntergangsstimmung finden.
Und wir wehren uns entschieden gegen den Angriff auf die Wissenschaft, auf Vernunft und Objektivität, mit dem die Propheten des Weltuntergangs mit ihren Horrormeldungen im Mantel der Wahrheitssuche nicht wissenschaftlich argumentieren, sondern desinformieren und ideologisch agitieren.
Es ist einfach auch unwahr, wenn die SPD in ihrem Sofortprogramm zum Schutze des Wassers schreibt: „Heute droht das Wasser vor allem durch die industrielle Verseuchung erneut zu einem wesentlichen Verursacher von Krankheiten zu werden."Gerade die Union sieht ihre wichtigste Aufgabe ihrer Umweltvorsorgepolitik darin, Schädigung der menschlichen Gesundheit durch Umwelteinwirkung wirksam vorzubeugen.
Wir wissen nur wenig über die langfristigen Auswirkungen neuer Chemikalien oder industrieller Schadstoffe in sehr geringen Konzentrationen. Wir haben deshalb die Risikoforschung verstärkt, und wir bekämpfen die Schadstoffeinleitungen auch noch dort, wo sie weit unterhalb nachweisbarer Giftwirkungen liegen.
— Sie nehmen natürlich von den Realitäten des Lebens überhaupt keine Notiz,
Sie wissen ja alles besser.
Keinen Zweifel gibt es aber darüber, daß die Natur selbst die meisten und stärksten Gifte und krebserregenden Stoffe produziert. Das wird von den Heile-Natur-Ideologen nicht zur Kenntnis genommen, um das von ihnen gezeichnete Bild von der unschuldigen Natur nicht zu beschädigen.Was wir ebenfalls mit Sicherheit wissen, ist, daß trotz aller neuen und alten Gefahren in unserer hochentwickelten Industriegesellschaft die durchschnittliche Lebenserwartung der Menschen ständig angestiegen ist und heute einen historischen Höchstwert erreicht hat, der vor einigen Generationen nicht vorstellbar gewesen wäre.Meine Damen und Herren, ist uns dies genug? Sind wir damit zufrieden? Ich meine den hohen Stand der Klärtechnik, die Gesamtkapazität unserer Klärwerke, die erreichte Gewässergüte. Nein, wir sind damit nicht zufrieden. Es gibt noch eine Menge zu tun. Wir werden uns nach unseren großen Anstrengungen im Bereich der Luftreinhaltung verstärkt dem Gewässerschutz zuwenden. Ich sehe zunächst zwei wichtige Aufgaben, die ich unserer Aufmerksamkeit empfehlen möchte. Es geht uns um die Regenwasserbehandlung und die Nitrifikation der Abwässer.Was nützen selbst perfekte Klärwerke, wenn bei einem stark einsetzenden Regen sofort die Regenüberläufe in der Kanalisation anspringen und der erste große Schmutz- und Schlammstoß in das Fließgewässer statt zur Kläranlage geht? Hier ist gerade auch in vielen Städten eine empfindliche Schwachstelle. Die Kanalnetze und Staubecken müssen auf Dichtigkeit sowie auf Funktionstüchtigkeit im Falle plötzlicher, starker Niederschläge überprüft und notfalls entsprechend ausgebaut werden. Die weitere Verbesserung der Gewässergüte wird wesentlich vom Ausbau der Regenwasserbehandlung abhängen.Was nun die Kläranlagen selbst betrifft, so ist es eine häufige Erscheinung, daß die AmmoniumStickstoff-Werte am Vorfluter relativ hoch sind. Ammonium-Stickstoff-Verbindungen verzehren sehr viel Sauerstoff. Ammoniak ist ein starkes Fischgift. Viele unserer Kläranlagen müssen deshalb auf Nitrifikation ausgebaut werden, damit die AmmoniumStickstoff-Verbindungen, bakteriell umgewandelt, möglichst vollständig verschwinden.Meine Damen und Herren, Gewässerschutz beginnt selbstverständlich nicht erst an der Kläranlage. Am besten schützen wir die Gewässer, wenn wir das Entstehen von Abwasser vermeiden und seinen Verschmutzungsgrad verringern. Diesem Zweck dient unter anderem die heute vorliegende Novelle des Waschmittelgesetzes. Die neu vorgeschlagenen Regelungen reichen von Verbesserungen für die Information der Verbraucher bis zu erweiterten Möglichkeiten, die Verwendung gewässerschädlicher Stoffe in Wasch- und Reinigungsmitteln einzudämmen. Wir müssen lernen, mit Wasser und Reinigungsmitteln sparsamer umzugehen. Dies bedeutet aber keineswegs, unsere tägliche Hygiene deutlich spürbar einzuschränken, wie es die GRÜNEN fordern. Ein Zurück zu primitiven, vorindustriellen
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16220 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 211. Sitzung. Bonn, Freitag, den 18. April 1986
Dr. LaufsVerhältnissen ist von der Sache her überhaupt nicht geboten.
Meine Damen und Herren, ein weiterer Schwerpunkt unserer Gewässerschutzpolitik ist die Entlastung der Gewässer von gefährlichen Stoffen wie schwer abbaubaren organischen Giften und Schwermetallen. Hierzu zählen organische Halogenverbindungen, die erwähnten Ammonium-Stickstoff- und Phosphorverbindungen, Chrom, Nickel, Blei und Kupfer, die wir durch eine Novellierung des Abwasserabgabengesetzes abgabenrechtlich neu erfassen wollen. Die Verringerung und Vermeidung gefährlicher Stoffe an der Quelle werden wir mit der 5. Novelle zum Wasserhaushaltsgesetz verbessern, die gegenwärtig im Innenausschuß beraten wird. Diese Novelle verfolgt auch das Ziel, den Boden- und Grundwasserschutz zu verstärken.In den bisherigen und neu auszuweisenden Wasserschutzgebieten ist eine erhebliche Beschränkung der landwirtschaftlichen Nutzung unumgänglich. Wir werden Rahmenvorschriften schaffen, daß dadurch verursachte wirtschaftliche Nachteile durch Landesrecht ausgeglichen werden können. Wegen des großen Verwaltungsaufwandes für Ausgleichsleistungen sollten auch pauschale Zahlungen ohne Würdigung der konkreten Umstände des Einzelfalles möglich sein. Einwandfreies Trinkwasser heute und in Zukunft ist es wert, eine vorausschauende Vorsorgepolitik zu betreiben. Wir dürfen keine Umweltrisiken eingehen und müssen auch bereit sein, dafür eine zusätzliche geringe finanzielle Belastung zu tragen.Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat der Abgeordnete Kiehm.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich habe den Kollegen Laufs heute morgen nun zum ersten Mal als Experten für den Fischfang erlebt und will sein Bild aufnehmen: Die Politik der CDU scheint mir darin zu bestehen, mit Netzen fischen zu gehen, bei denen die Maschen nicht stimmen: Sie sind zu groß und haben ausgerechnet auch noch an den Stellen Löcher, durch die die großen Fische, also die Vergifter unserer Umwelt, ohne Komplikation durchschlüpfen können.Sie haben davon gesprochen, daß wir nicht am Punkte Null stehen; Sie haben völlig recht. Wenn ich das beispielsweise am Waschmittelgesetz festmachen darf, dann können wir feststellen, daß wir vom Beginn des Waschmittelgesetzes im Jahre 1975 bis heute eine drastische Verminderung der Phosphate in unseren Gewässern haben.
Aber ich glaube, es darf nicht unterlassen werden, festzustellen, daß wir gerade bei der Bedrohung durch gefährliche Stoffe eine erhebliche Zunahme haben, daß wir heute eine andere Einschätzung ha-ben, was die Bedrohung angeht, und wir haben andere technische Möglichkeiten, um diesen Bedrohungen entgegenzuwirken.Das, was wir in den letzten Jahren erreicht haben, ist zwar eine respektabele Leistung, aber auch die heute noch vorhandenen 170 000 Tonnen Phosphate sind zu viel. Ich leugne gar nicht, daß das Gesetz, das hier vorgelegt worden ist, in einigen Punkten eine sinnvolle Weiterentwicklung bringt. Aber Zufriedenheit kann sich auch nach dem Studium dieses Gesetzes nicht ausbreiten.Ich will jetzt einige Worte zu diesem Gesetz sagen. Die Ausdehnung auf ökologische Zielvorstellungen wird begrüßt. Nur, wir suchen verzweifelt nach praktischen Konsequenzen aus dieser neuen Zielsetzung. Warum, so fragen wir, wird zwar die Verwendung von Stoffen beschränkt und verboten, aber das Inverkehrbringen von Mitteln nur beschränkt? Herr Staatssekretär, warum machen Sie nicht von den Anregungen des Bundesrates Gebrauch und schaffen die Möglichkeiten, auch das Inverkehrbringen dieser Mittel zu verbieten?Weitgehend wird mit dem Mittel der Rechtsverordnung operiert. Aber Sie müssen uns einmal deutlich machen, wie Sie die Ausgestaltung vorsehen wollen;
es gibt da ja durchaus Möglichkeiten. Im Innenausschuß hat der Staatssekretär uns zugesagt, die Verordnung zum Wasserhaushaltsgesetz, die gefährliche Stoffe beschreibt, vor Verabschiedung vorzulegen. Sagen Sie uns, ob Sie beispielsweise bei der Höchstmengenverordnung etwas vorlegen wollen
oder aber Sie darauf verzichten und damit die technischen Möglichkeiten für das Parlament im dunkeln lassen.Es bleibt ein Weiteres — und das ist die Kernfrage, die wir schon mehrfach diskutiert haben —: Wird sich die Bundesregierung aufraffen, die Zielwerte zu bestimmen? Wird diese Bundesregierung dazu übergehen, hier die Ziele zu formulieren, oder wird sie diese weiterhin im Nebel lassen und darauf verweisen, daß diese Regelung in Abstimmung mit der Industrie erfolgen soll? Meine Damen und Herren, nach den vielen Debatten zu diesem Thema habe ich den Eindruck, daß wir bei der Regierung zumindest Zweifel ausgelöst haben. Sonst würde sie ja wohl nicht formulieren, daß sie dann, wenn sich abzeichnen sollte, daß auf der Grundlage des Kooperationsprinzips keine zufriedenstellenden Regelungen erfolgen, normative Vorschläge machen werde. Ich hoffe nur, daß Sie uns gelegentlich auch die Bedingungen sagen, unter denen Sie dieses anwenden wollen.Die Fragwürdigkeit des Kooperationssystems ist beim Abfallbeseitigungsgesetz offenkundig geworden. Da wird von der Regierung zunächst ein Gesetz eingebracht, das im Grunde auf Ergebnissen basiert, die der Innenminister mit der Industrie abgesprochen hat. Dann kassieren die Fraktionen
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Kiehmdiese Regelung und setzen an deren Stelle das eigene Ermessen — mit dem Ergebnis, daß das Abfallbeseitigungsgesetz noch schlechter geworden ist, als es der Innenminister vorgelegt hat.Sie gehen davon aus, daß die Alternative lautet: Vereinbarungslösung oder Eingriff in den Markt. Das Problem und die Alternative stellen sich aber anders. Entweder greifen Sie in den Markt ein, oder Sie nehmen weitere Eingriffe in die ökologische Situation hin. Diese Alternative müssen Sie zur Maxime Ihres Handels machen. Dann werden Sie zu Ergebnissen kommen, die sich auch sehen lassen können.Ihre Regelung im Waschmittelgesetz wird im Zweifelsfall folgende Konsequenz haben: Um eine weitere Beschädigung unserer Gewässer zu vermeiden und weil Sie nicht bereit sind, Reduzierungen beim Phosphatanteil vorzusehen, werden Sie dazu kommen, daß die kommunalen Kläranlagen eine dritte Reinigungsstufe erhalten, um eine Eliminierung der Nährstoffe zu erreichen. Den Preis dafür, daß Sie nicht konsequent sind, tragen dann andere: die Kommunen und über die Gebühr schließlich die Bürger.Bei einer preisgünstigen Anlage beispielsweise für 500 000 Einwohner wird das Baukosten von 5 Millionen DM ausmachen, ferner laufende Kosten für den Bürger in der Nähe von 0,10 DM je Kubikmeter und mehrere Tonnen zusätzlichen Klärschlamms, wiederum mit Folgewirkungen, die Sie überhaupt nicht bedacht haben.Da muß ich fragen: Wollen Sie das wirklich? Da gibt es natürlich den nahtlosen Übergang vom Phosphatbeseitigungsgroschen hin zum Wasserpfennig — oder besser gesagt: zum Wassergroschen.
Der Antrag der GRÜNEN führt diesen Begriff in die Debatte ein. Deshalb kann man dazu etwas sagen. Wir haben vor Monaten erklärt, daß dieser Wasserpfennig für uns kein geeignetes Mittel ist, weder um den Schaden zu beseitigen, noch um eine Finanzierung zu organisieren.
Sie brauchen sich zu diesem Kapitel nur die Sachverständigen anzuhören, um deutlich zu sehen, in welcher Weise ein Urteil über dieses Programm gesprochen wird.Ich bin gespannt, ob heute jemand sagen wird: Das ist eine abartige Idee dieses Ministerpräsidenten aus Baden-Württemberg, oder ob sich die CDU hier und heute zu diesem Kind Wasserpfennig bekennt.
Ich bin jedenfalls gespannt. Den Nulltarif gibt essicherlich nicht. Aber wir können nicht das Prinzipumdrehen und den Verschmutzer eines Gewässersnoch dadurch belohnen, daß die Verbraucher etwas zahlen, um diesem Verschmutzer etwas zu geben.
Zu dem Antrag der GRÜNEN muß ich über diese Feststellungen hinaus deutlich sagen, daß das, was ansonsten geboten wird, mehr ein Schnellschuß ist, bei dem man Zweifel an der Treffgenauigkeit haben kann.
Herr Abgeordneter Kiehm, sind Sie bereit, eine Zwischenfrage von Herrn Dr. Göhner zu hören?
Ja, bitte. Vizepräsident Westphal: Bitte schön.
Herr Kollege, heißt dies, daß Sie die Forderung der SPD-regierten Bundesländer — auch im Bundesrat —, für wasserschutzbedingte Nachteile der Landwirtschaft einen auch über die Enteignungsentschädigung hinausgehenden Ausgleich vorzusehen, aus den von Ihnen eben genannten Gründen ablehnen?
Nein. Wir versuchen nur, einen anderen Weg zu gehen. Erstens sind wir nicht der Meinung, daß das Verursacherprinzip in Frage gestellt werden darf.Zweitens sind wir nicht der Meinung, daß die Einnahmenseite dadurch gestaltet werden kann, daß der Verbraucher zur Kasse gebeten wird.Drittens muß bei dem von Ihnen eben zitierten Ziel abgewogen werden zwischen unterschiedlichen Interessen, nämlich der Existenzsicherung des landwirtschaftlichen Betriebs auf der einen Seite und dem sozialverpflichteten Eigentum und dem Verursacherprinzip auf der anderen Seite.
Wenn wir uns darüber verständigen können, dann sind wir einen Schritt weiter. Der Wasserpfennig ist — das wissen Sie genausogut wie ich — etwas, was Sie und andere in die Irre führt und bei der Landwirtschaft lediglich den Eindruck erwecken soll,
Sie würden reale Hilfen leisten. Was Sie uns hier vorführen, das ist blinder Aktionismus.
Aber nun zur Situation der GRÜNEN. Frau Hönes, Sie müssen uns schon sagen, was Sie konkret wollen. Wollen Sie, daß aus dem Bundeshaushalt gezahlt wird, wie Sie im ersten Teil Ihres Antrages sagen, oder wollen Sie, daß Bund und Länder zahlen, wie Sie im weiteren Verlauf Ihres Antrages sagen? Glauben Sie allen Ernstes bei der Größenordnung, um die es hier geht — in der Anhörung haben wir j a gehört, daß Industrie und Kraftwerke
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Kiehmallein mit einem Aufwand von 2,5 Milliarden DM rechnen; dann dürfte die Gesamtsumme vielleicht bei 4 Milliarden DM liegen —, daß Sie Ihre Verpflichtung, einen Haushalt nicht nur für Umweltschutz, sondern auch für den sozialen Bereich günstig zu gestalten, dadurch einhalten, daß Sie lapidar fordern, für den Übergang habe der Bund oder hätten Bund und Länder zu leisten. Mir scheint, hier haben Sie einen Vorschlag unterbreitet, der zwar diskussionswürdig sein kann, der aber heute eine Entscheidung nicht zuläßt.
Der Kollege Pfuhl wird im Verlauf seines Beitrages sicherlich dazu noch etwas sagen.Nun ein letztes Wort. Ich bin der Meinung, daß wir bei der Beratung des Wasserhaushaltsgesetzes, Herr Kollege Göhner, Ihren Vorschlag, den Sie offenbar jetzt vorlegen wollten, in aller Sachlichkeit diskutieren werden. Ich darf aber noch einmal darauf hinweisen: Wir bitten Sie, nicht undifferenziert Zahlungen an landwirtschaftliche Betriebe, gleich, in welcher wirtschaftlichen Lage sie sich befinden, und allein aus dem Tatbestand des Flächenbestandes in schutzwürdigen Gebieten festzulegen, sondern hineinzuformulieren, unter welchen Bedingungen Sie leisten wollen, und deutlich zu sagen, wer bezahlt. Am Ende darf nicht stehen, daß die CDU im Bund einen Beitrag zur Sanierung in der Landwirtschaft leistet und es den Trägern der Wasserwirtschaft und des Naturschutzes überläßt, Ländern und Gemeinden, die Mittel aufzubringen. Die Regelung „ich gönne und verteile Wohltaten, und der andere bezahlt" scheint mir ein unpolitischer Weg zu sein.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Baum.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Antwort der Bundesregierung der Großen Anfrage macht den hohen Stand der Versorgungssicherheit und der Trinkwasserqualität in unserem Lande deutlich. Der Anteil der Wasserabgabe der öffentlichen Wasserversorgung ist sogar rückläufig.
Dennoch gibt es Probleme. Es gibt Mengenprobleme, regional gesehen, und es gibt Qualitätsprobleme. Wir sehen, daß insbesondere dem Verbrauchssektor Haushalt und Kleingewerbe entscheidende Bedeutung zukommt. Es muß noch weiter Wasser eingespart werden; das ist unsere Position. Der Grundwasserverbrauch muß durch Sparmaßnahmen reduziert werden. Wir sollten Grundwasser mit Trinkwasserqualität möglichst nicht für Zwecke verwenden, für die auch anderes, nämlich Brauchwasser, genutzt werden kann. Grundwasser darf nur in dem Umfang entnommen werden, wie es neu gebildet und zur Erhaltung des jeweiligen Ökosystems nicht benötigt wird.
Es bestehen Mengenprobleme regionaler Art; ich nenne: hessisches Ried, Lüneburger Heide. Wir müssen sehen, daß die übermäßige Nutzung des
Grundwassers dort zurückgedrängt wird. Verbrauchsnahe Wasservorranggebiete sind wichtiger als zentrale größere Wasserversorgungsanlagen. Diese sind dann auch weniger krisenanfällig.
Wir haben ein Qualitätsproblem. Die langfristige Sicherung der Trinkwasserversorgung ist nur zu gewährleisten, wenn den verschiedenen Grundwassergefährdungen wirksam begegnet wird. Ich nehme Bezug auf das eindrucksvolle Gutachten von Professor Dr. Jürgen Salzwedel in unserer Anhörung. Er weist darauf hin, daß die wasserrechtliche Beschränkung landwirtschaftlicher Betriebsweisen ein Schlüsselproblem ist. Die Überdüngung ist ein wesentlicher Faktor der Nitratbelastung des Grundwassers. Das entscheidende Problem der nächsten Jahre ist, ob der Trend zu immer noch steigender Nitratbelastung gebrochen werden kann. Professor Salzwedel weist darauf hin, daß der Boden eine Denitrifizierungsfunktion hat. Durch den Boden werden also Nitrate abgebaut, bevor sie ins Grundwasser gelangen. Auch diese Funktion ist gefährdet; die Erschöpfbarkeit dieser Funktion des Bodens ist also ein Problem.
Wir machen darauf aufmerksam, daß schon nach § 1 des Wasserhaushaltsgesetzes solche Schäden vermieden werden müssen. Wir werden im Wasserhaushaltsgesetz vorsehen, daß derjenige Landwirt, der hier erhöhten Anforderungen unterworfen wird, die wirtschaftlichen Nachteile ausgeglichen bekommt.
Wir sind allerdings ganz und gar gegen die Finanzierungslösung „Wasserpfennig".
Das wäre ein Anschlag auf das Verursacherprinzip.
— Ich freue mich darüber, daß die Sozialdemokraten hier zustimmen, weil Sie, meine Damen und Herren, mit Ihrem Programm „Arbeit und Umwelt" ja auch gewisse Pfennig-Finanzierungen, die nicht verursacherbezogen sind, ins Auge gefaßt haben. Konsequenterweise müßten Sie jetzt die Finanzierungsmodalitäten Ihres Programms „Arbeit und Umwelt" umstellen, Herr Kollege Hauff.
Herr Kollege Baum, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Hauff?
Ja, wenn es nicht angerechnet wird, gerne.
Herr Kollege Baum, wären Sie so freundlich, zur Kenntnis zu nehmen, daß in unserem Programm „Arbeit und Umwelt" steht, daß das Kernstück der Umweltpolitik das Verursacherprinzip sein muß und daß die andere Methode nur in den Fällen greifen soll, in denen das Verursacherprinzip nicht oder nicht mehr angewendet werden kann?
Ich nehme das sehr gerne zur Kenntnis; nur haben Sie solche Finanzierungsvor-
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Baumschläge etwa im Zusammenhang mit der Erhöhung des Strompreises gemacht,
ebenso im Zusammenhang mit den Ölpreisen. Sie wollen eine Finanzierung durch Abschöpfung mit solchen Energie-Pfennigen; Sie wollen also beim Nichtverursacher abschöpfen, um andere Umweltmaßnahmen zu finanzieren. Das halten wir für nicht richtig. Unsere Aufforderung lautet: Bleiben Sie konsequent beim Verursacherprinzip!
Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage, Herr Baum?
Bitte schön.
Bitte, Herr Hauff.
Ich teile Ihre Position, daß wir beim Verursacherprinzip bleiben müssen, wo immer es anwendbar ist, frage Sie aber: Würden Sie mir darin zustimmen, daß es Felder gibt, auf denen dieses Prinzip nicht angewendet werden kann, in denen das Gemeinlastprinzip greifen muß, womit wir immer dabei sind, daß die Finanzierung beim Nichtverursacher ansetzt?
Ja, es gibt solche Fälle. Wir haben in der Vergangenheit solche Fälle gehabt — etwa das Rhein-Bodensee-Programm —, und wir werden in Zukunft solche Fälle haben, z. B. die Altlastensanierung, aber — ich wiederhole das — nicht in dem Umfang, wie Sie es in Ihrem Programm „Arbeit und Umwelt" vorsehen.
Das ist ein Unterschied. Ich bin nicht so naiv, anzunehmen, daß wir das Gemeinlastprinzip nicht auch praktiziert hätten,
aber eben im Ausnahmefall und nicht mit einer so massiven Zusatzfinanzierung, daß wir praktisch den Verursacher aus den Augen verlieren.
Nun möchte ich zum Waschmittelgesetz einige Worte sagen. Es ist richtig, was hier schon gesagt wurde: Das Gesetz von 1975 und die Phosphathöchstmengenverordnung haben wesentliche Verbesserungen mit sich gebracht. Die Gewässerbelastung wurde erheblich vermindert. Der Phosphateintrag wurde reduziert. Wir begrüßen auch die Anstrengungen der Waschmittelindustrie bezüglich erheblicher Verbesserungen bei der Umweltverträglichkeit von Waschmitteln. Erste Markenartikel werden heute ohne Phosphate angeboten. Auf einige Tenside hat die Waschmittelindustrie freiwillig verzichtet. Das ist zu begrüßen.
Wir wollen mit diesem neuen Gesetz das Instrumentarium verschärfen. Eine Vielzahl bisher nicht erfaßter Reinigungsmittel soll nun einbezogen werden. Wir setzen uns auch dafür ein, daß eine verständliche, praxisorientierte Verbraucherinformation stattfindet. Wir brauchen eine chemische Abrüstung im Haushalt; es werden viel zu viele chemische Produkte im Haushalt verwendet. Wir wollen auch, daß bei der weiteren Beratung des Gesetzes geprüft wird, ob nicht Herstellern von Wasch- und Spülmaschinen Auflagen bezüglich der technischen Einrichtung der Geräte entsprechend dem Stand der Technik gemacht werden sollen.
In bezug auf die Verordnungsermächtigungen nach § 5 des Gesetzes wollen wir prüfen, was im Interesse der Umwelt wirklich notwendig ist. Vielleicht gelingt es hier, Fortschritte schneller und unkomplizierter auf freiwilliger Basis zu erreichen; wir werden dazu ja auch eine Anhörung haben.
Seit Beginn der 70er Jahre wurde auf nationaler Ebene eine Vielzahl von Maßnahmen getroffen. Ich stimme dem zu, was Sie gesagt haben, Herr Kollege Laufs. Wir haben erhebliche Fortschritte unter erheblichem Einsatz von Mitteln und wissenschaftlichem Sachverstand und durch Einsatz auch unserer Behörden und privater Investitionen in großem Umfang gemacht. Wir haben in den 70er Jahren ein modernes Gewässerschutzinstrumentarium geschaffen. Leider haben wir es in der damaligen Koalition mangels Zustimmung der Länder nicht geschafft, die Wasserkompetenz auf den Bund zu ziehen. Ich hätte es begrüßt, wenn der Bund eine Vollkompetenz gehabt hätte.
Für Vollzugsdefizite, meine Damen und Herren von der Opposition, die Sie beklagen, sind natürlich die Länder verantwortlich, auch Ihre Bundesländer. Sie sollten da mit Kritik vorsichtig sein.
Die Anstrengungen zur Reduzierung der Gewässerbelastung, insbesondere bezüglich schwer abbaubarer Stoffe, Salzen und Phosphaten, ist weiter zu verstärken. Entsprechend der besonderen Gefährdung der Gewässer durch gefährliche Stoffe ist ein Schwerpunkt der künftigen Maßnahmen, daß für gefährliche Stoffe, z. B. organische und Halogenverbindungen und bestimmte Schwermetalle, Verfahren nach dem fortschrittlichsten Stand der Technik angewendet werden. Wir müssen die Wasserschutzgebiete ausweiten. Wir müssen den Vollzugsdefiziten entgegenwirken. Wir dürfen nicht bei der biologischen Reinigungsstufe stehenbleiben. Notwendig ist die Einführung des Standes der Technik auch bei der Abwasserbehandlung. Stand der Technik ist die über die biologische Stufe hinausgehende Reinigungsstufe.
Die Koalition hat sich vorgenommen, das Wasserhaushaltsgesetz, das Waschmittelgesetz und das Abwasserabgabengesetz zügig zu beraten. Wir fordern alle auf, mit ihrem Sachverstand dazu beizutragen. Wenn das gelingt, ist das ein weiterer wichtiger Schritt zur Sanierung unserer Gewässer in der Kontinuität früherer Politik.
Ich danke Ihnen.
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Hönes.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch wenn der Innenminister
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Frau Hönesnicht unter uns weilt, werde ich ihn gleich einmal zitieren. Er bemüht sich ständig, zu betonen, daß in allen Bereichen des Umweltschutzes, bei der Luftreinhaltung, beim Schutz der Gewässer und des Bodens und in der Abfallwirtschaft die Bundesregierung auf seine Initiative richtungweisende Maßnahmen zum Schutz unserer natürlichen Lebensgrundlagen ergriffen habe.
Also, ich erinnere mich nur an Flops: Katalysator, TA-Luft und Buschhaus, Abfallbeseitigungsgesetz, Lex Aldi.
Nun der nächste Versuch. Die Wasserschutzgesetze sind, gemessen an Zimmermanns Vorbemerkung, vorbeugender Gewässerschutz sei gefragt, ein Schlag ins Wasser.Das beginnt schon beim Waschmittelgesetz. Die Fraktion DIE GRÜNEN im Bundestag beantragte bereits im Mai 1984 eine Novellierung des Waschmittelgesetzes und der Tensid-Verordnung. Die Erkenntnisse über die Gefährdung unserer Gewässer durch Wasch- und Reinigungsmittel waren unser Motiv. Bedingt durch zu hohen Nährstoffeintrag, zum großen Teil als Phosphat aus Wasch- und Reinigungsmitteln, sind große Teile der Nord- und Ostsee von der Eutrophierung bedroht. Einige Seegebiete sind bereits biologisch tot. Jeder von Ihnen kann dies nachlesen, es ist in Gutachten über Gutachten ausführlich dargelegt.Ziel unserer Gesetzesanträge war es, die Umweltverträglichkeit so weit wie möglich zu verbessern und — darauf kommt es an — ökologisch bedenkliche Waschmittelinhaltsstoffe vom Markt zu nehmen.Die Resonanz war verblüffend: Sah der Innenminister in unseren Vorschlägen eine Täuschung der Öffentlichkeit, bewies sein Fraktionskollege Laufs schon etwas mehr Durchblick und taktisches Geschick. Meinen herzlichen Glückwunsch! Er konstatierte: Diese Regelungen seien „seit eh und je von Umweltpolitikern angestrebt". Das Streben von Umweltpolitikern Ihres Schlages, Herr Laufs, wird nur leider allzu oft durch Interessen der Industrie nachhaltig gebremst. Unsere Anträge wurden abgelehnt. Gleichzeitig mit der Ablehnung brachten die Koalitionsfraktionen im Innenausschuß allerdings einen Entschließungsantrag zur Novellierung ein. Wir freuen uns, daß wir so gute Entwicklungsarbeit geleistet haben.
Einige unserer Forderungen zur Änderung des Waschmittelgesetzes wurden von den Regierungsparteien einfach abgeschrieben.
Nur, in wesentlichen Punkten haben Sie uns immer noch nicht verstanden.Ich erkläre noch einmal kurz, welche Regelungen wichtig sind.Erstens. Auf Phosphate und Phosphorverbindungen in Wasch- und Reinigungsmitteln ist nach Schweizer Vorbild ganz zu verzichten.Zweitens. An die als Phosphatersatz verwendeten Komplexbildner sind strenge Kriterien bezüglich Abbaubarkeit sowie Klärschlammverträglichkeit anzuwenden. Dazu ist eine Komplexbildnerverordnung zu erlassen.
Frau Kollegin Hönes, sind Sie bereit, eine Zwischenfrage des Abgeordneten Schmidbauer zuzulassen?
Im Moment nicht. Nachher.Drittens. Stoffe, die im Verdacht stehen, ökologisch bedenkliche Zwischenprodukte beim Abbau zu bilden, oder sich im Klärschlamm anreichern, sind per Rechtsverordnung zu verbieten. NTA als Ersatzstoff wurde z. B. im Trinkwasser gefunden und birgt die Gefahr der Remobilisierung von Schwermetallen in sich. Freiwillige Vereinbarungen mit der Industrie sind in solchen Fällen nicht ausreichend. Das sollten Sie zur Genüge wissen.Viertens. Chlororganische und chlorabspaltende Verbindungen sind auf Grund der Produktion und Anwendungsrisiken, schlechter Abbaubarkeit und toxikologischer Bedenklichkeit explizit als Inhaltsstoffe von Wasch- und Reinigungsmitteln auszuschließen.Fünftens. Die Inhaltsstoffe aller Wasch- und Reinigungsmittel sind zu deklarieren. Komplexbildner sind als solche zu benennen.Sechstens. Die Bewertung der Umweltverträglichkeit ist von einem unabhängigen Gremium durchzuführen und muß Teil der Deklaration sein. Nur das ermöglicht dem Verbraucher eine umweltbezogene Kaufentscheidung. Die Bewertung ist so vorzunehmen, daß Baukastensysteme favorisiert werden.Diese Regelungen sind unverzichtbar. Sie fehlen in Ihrem Entwurf.Meine Damen und Herren, Sie sollten unseren Vorschlägen folgen, auch wenn Sie immer noch fragen, ob die Gefährdung der Meere und Binnengewässer durch Waschmittelinhaltsstoffe wissenschaftlich überhaupt hinreichend gesichert ist. Sie sollten aus Fehlern lernen. Wer immer wieder auf die letzten Kausalbeweise einer Ursachen-SchadenBeziehung pocht, wer nicht anerkennt, daß der hundertprozentige Beweis erst — wenn überhaupt — zu erbringen ist, wenn der Schadensfall bereits eingetreten ist, und nicht lernt, auf der Basis von Indizien zu handeln, der wird immer hinter den Problemen herlaufen, um Schadensbegrenzung und notdürftige Reparaturen zu bewerkstelligen.
Das gilt auch für das Wasserhaushaltsgesetz. Vorbeugender Gewässerschutz ist mit ihm nicht möglich.Nun zur Landwirtschaft. Als Folge einer zunehmend industrialisierten Landwirtschaft und einer
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Frau Hönesvöllig verfehlten Agrarpolitik ist so mancher Brunnen mit Nitrat und Pestiziden vergiftet. Bereits 10% ländlicher Wasserversorgungsunternehmen stehen zur Disposition. Sie können kein gesundheitlich unbedenkliches Wasser liefern. Und was liest man hierzu in der Novelle? Nichts als die Ermächtigung, Wasserschutzgebiete zukünftig in einem sogenannten vereinfachten Verfahren — ohne Anhörung der Betroffenen — und auch in Bereichen ausweisen zu können, wo nicht unmittelbar Trinkwasser gefördert wird. Worauf ein solcher Schutz des Grundwassers durch Schutzzonen hinausläuft, wissen Sie selbst: auf die zentrale Wasserversorgung. Auf deren ökologische Gefahren — als Beispiel seien nur das hessische Ried und die Lüneburger Heide genannt — hat im übrigen der Innenminister immer wieder selbst hingewiesen. Aber auch Wissen schützt vor Torheit nicht.Auch die geladenen Experten haben anläßlich der Anhörung zur fünften Novelle dargelegt, daß der Entwurf unzureichend sei. Deshalb fordern die GRÜNEN: Landwirtschaftliche Bodennutzung ist wasserrechtlich zu untersagen, wenn sie das Grundwasser verschmutzt. Im einzelnen bedeutet das Verbot der Massentierhaltung, Verbot von Agrargiften, die ins Grundwasser gelangen können, eine Düngeobergrenze von 150 kg Stickstoff pro ha, eine Düngeobergrenze von 1,5 Düngeeinheiten pro ha und Verbot von großflächigen, mehrjährigen Monokulturen wie Mais.
Wir wissen, daß eine Reduzierung der Düngung zu Ertragseinbußen und damit auch zu spürbaren Einkommensminderungen gerade der kleineren Betriebe führen kann. Dennoch wehren wir uns gegen jeden Versuch, Ausgleichszahlungen im Wasserhaushaltsgesetz zu verankern; denn es ist Sache der Agrarpolitik, die schon lange überfällige Umstellung der Landwirtschaft auf natur- und umweltschonenden Anbau zu fördern.
Wir brauchen eine Agrarpolitik, die Umweltschutz und Nahrungsmittelqualität honoriert. Ausgleichszahlungen machen die Bauern lediglich weiter zu Almosenempfängern, statt ihnen für ihre gesellschaftlich notwendige Arbeit ein angemessenes Einkommen zu bieten.Der Wasserpfennig, wie ihn Ihr Parteikollege Weiser in Stuttgart propagiert, ist ein unglaublich dreister Verstoß gegen das Verursacherprinzip.
Er wird mit dem Ruf nach Gleichbehandlung auch Umweltverschmutzer aus Industrie und Gewerbe auf den Plan rufen; das kann ich Ihnen versichern. Der Verzicht auf Umweltsauereien ist j a dann bares Geld wert. Eine schöne Zukunft: Wer sauberes Wasser trinken will, soll zahlen, wer saubere Luft atmen will, soll zahlen. So wird das laufen.Nun zum Bereich der kritischen Stoffe.
Lassen Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Schmidbauer zu?
Nein, im Moment lasse ich keine Zwischenfrage zu.
Sie sollen nach der fünften Novelle nach dem Stand der Technik aus dem Abwasser entfernt werden. Das ist gut so. Nur, welche von den 50 000 Chemikalien auf dem deutschen Markt, welche Hunderttausende von Nebenprodukten aus der Produktion und welche der ebenso zahlreichen Abbauprodukte weisen eines der folgenden Merkmale für kritische Stoffe auf? Welche der vielen Substanzen ist giftig, langlebig, anreicherungsfähig, krebserzeugend, fruchtschädigend oder erbgutverändernd? Der größte Teil aller Chemikalien ist niemals toxikologisch untersucht worden, die meisten Nebenprodukte sind nicht einmal namentlich bekannt. Trotzdem wollen Sie, daß per Rechtsverordnung definiert werden soll, welcher Stoff als kritisch zu betrachten ist und wie das entsprechende Reinigungsverfahren nach dem Stand der Technik auszusehen hat. Langwierige Expertenstreite werden offenbaren, daß diese Regelung das vorprogrammierte Vollzugsdefizit ist, das wir hier ständig beklagen.Warum machen Sie es nicht so einfach, wie wir es beantragt haben? Wir brauchen keinen Nachweis, welche der einzelnen Abwasserinhaltsstoffe der chemischen Industrie besonders schädlich sind. Wir wissen es, und es ist allgemein bekannt, daß derartige Abwässer in aller Regel besonders problematisch sind. Das gilt z. B. auch für Abwässer aus der Zellstoffindustrie und auch für Abwässer der Metallindustrie. Für solche Abwässer verlangen wir ohne Wenn und Aber, ohne langwierige verwaltungsrechtliche Komplikationen den Stand der Technik. Als Übergangsfrist sind drei Jahre festzuschreiben.Ein besonderer Problembereich ist die Nordsee. Im Juli 1985 legten die Professoren Buchwald, Rincke und Rudolph ihr Gutachten „Umweltprobleme der ostfriesischen Inseln" vor. Fazit: 30 000 Arbeitsplätze im Fremdenverkehrsgewerbe sind gefährdet — das sollte Sie wirklich alarmieren —, wenn der Gewässerschutz, den Sie vorschlagen, nicht endlich verbessert wird.Ein Hauptproblem ist der Nährstoffeintrag über die großen Flüsse. Zwei- bis fünffach ist die Zunahme des Phosphatgehaltes. Diese Nährstoffflut muß zu massenhaftem Algenwachstum und zu gefährlichen Sauerstoffdefiziten führen.Meine Damen und Herren, ich möchte Sie auffordern, unseren Vorschlägen zu folgen. Diese Forderungen decken sich im übrigen in allen wichtigen Punkten mit den Stellungnahmen der Experten, die zur Anhörung zur fünften Novelle des Wasserhaushaltsgesetzes eingeladen wurden. Im anderen Fall ist die nächste Novellierung bereits vorprogrammiert.
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16226 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 211. Sitzung. Bonn, Freitag, den 18. April 1986
Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister des Innern, Herr Spranger.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte kurz die Frage des Kollegen Kiehm, warum die Bundesregierung bisher keine Waschmittelprodukte verboten hat, beantworten. Ein solches Verbot ist nach dem Verhältnismäßigkeitsprinzip, Herr Kollege Kiehm, nicht erforderlich, weil die Gefahren für die Umwelt nur von den darin enthaltenen Stoffen ausgehen. Die Inhaltsstoffe können zwar verboten werden, doch von der Berechtigung dazu brauchte bisher kein Gebrauch gemacht zu werden, weil sich die Industrie in entsprechenden Vereinbarungen freiwillig dazu bereit erklärt hat, solche schädlichen Stoffe aus den Produkten herauszunehmen, so daß das Kooperationsprinzip hier ein solches Verbot bisher überflüssig gemacht hat.In der umweltpolitischen Gesamtkonzeption der Bundesregierung hat der Gewässerschutz stets eine sehr hohe Priorität eingenommen. Die Versorgung der Bevölkerung mit dem lebensnotwendigen Gut Wasser langfristig zu sichern, ist eine Daueraufgabe von herausragender Bedeutung. Die weitere Verbesserung der Gewässerqualität durch konsequente Vorsorgemaßnahmen ist eine der wichtigsten Aufgaben der Umweltpolitik.Die Bundesregierung nimmt diese Aufgabe sehr ernst. Sie hat ein umfassendes Konzept für eine durchgreifende Verstärkung des Gewässerschutzes vorgelegt. Im Vordergrund steht dabei die Verschärfung des wasserrechtlichen Instrumentariums im letzten Jahr. Anfang dieses Jahres hat sie umfangreiche Gesetzesinitiativen zur Änderung der drei Wassergesetze des Bundes — Wasserhaushaltsgesetz, Abwasserabgabengesetz, Waschmittelgesetz — auf den Weg gebracht. Wo für den Bund Handlungsbedarf besteht, hat die Bundesregierung die notwendigen Maßnahmen ergriffen. Dabei darf allerdings nicht außer acht gelassen werden — das ist bereits erwähnt worden —, daß gerade im Bereich der Wasserwirtschaft auch die Länder hohe Verantwortung tragen.Im Rahmen des Gewässerschutzes gibt es für die Bundesregierung drei Kernpunkte von besonderer Bedeutung, erstens die Vermeidung der Gewässerbelastung durch gefährliche Stoffe. Der Eintrag von Schadstoffen in die Gewässer ist durch den Bau zahlreicher biologischer Kläranlagen im kommunalen Bereich und durch Intensivierung der Schadstoffreduzierung im industriellen Abwasserbereich in den vergangenen Jahren wesentlich verringert worden. Dies gilt auch für die sauerstoffzehrenden organischen Abwasserinhaltsstoffe.Das Hauptproblem im Gewässerschutz bildet derzeit die Belastung der Gewässer mit gefährlichen Stoffen, in erster Linie also mit giftigen, schwer abbaubaren organischen Stoffen sowie bei bestimmten Schwermetallen. Die konsequente Vermeidung oder zumindest deutliche Verminderung der Einleitung dieser Stoffe ist vorrangiges Ziel der Gewässerschutzpolitik dieser Bundesregierung.Die Bundesregierung hat deshalb zunächst das klassische ordnungsrechtliche Instrumentarium ausgebaut. Abwasser mit gefährlichen Stoffen muß künftig durch Anwendung von Verfahren nach dem fortschrittlichen Stand der Technik gereinigt werden. Diese neuen, strengeren Anforderungen sollen jetzt auch bundeseinheitlich für Abwassereinleitungen in die öffentlichen Kanäle gelten. Mit dieser Ausdehnung des Wasserhaushaltsgesetzes auf die sogenannten indirekten Einleiter werden etwa 50 % aller gewerblichen und industriellen Betriebe erfaßt.Die Bundesregierung hat die mit der Novellierung des Wasserhaushaltsgesetzes angestrebte Reduzierung der Gewässerbelastung durch gefährliche Stoffe abgaberechtlich flankiert. Der im Februar 1986 beschlossene Entwurf zur Änderung des Abwasserabgabengesetzes baut die Abwasserabgabe als ökonomisch wirkendes Instrument des Gewässerschutzes weiter aus. Er dehnt die Abgabepflicht auf bestimmte gefährliche Stoffe im Abwasser aus. Der Anreiz, Gewässerschutzmaßnahmen nach dem hohen Stand der Technik durchzuführen, wird erheblich verstärkt. Derjenige, der die Gewässer in unerlaubtem Ausmaß verunreinigt, soll noch stärker als bisher zu Abgabezahlungen herangezogen werden. Dies ist nicht nur eine wirksame, sondern auch eine einsichtige Gewässerschutzpolitik. Sie wird bei den Betroffenen die Bereitschaft erhöhen, die für den Gewässerschutz notwendigen staatlichen Auflagen zu akzeptieren.Zweiter Kernpunkt der Gewässerschutzpolitik der Bundesregierung ist die Verstärkung des Gewässerschutzes. Etwa 70 % unseres Trinkwassers werden aus dem Grundwasser entnommen. Vorsorgender Grundwasserschutz ist deshalb für eine langfristige Sicherung der Trinkwasserversorgung unverzichtbar. Hauptgefahren für das Trinkwasser können resultieren aus einer intensiven Bewirtschaftung des Bodens — ich verweise auf das allgemein bekannte Nitratproblem — und aus einem unsachgemäßen Umgang mit wassergefährdenden Stoffen.Zu beiden Problembereichen sieht der Regierungsentwurf zur 5. Novelle wirksame Gegenmaßnahmen vor. Einmal werden Anlagen, in denen mit wassergefährdenden Stoffen umgegangen wird, in größerem Maße als bisher strengen wasserrechtlichen Schutzvorschriften unterworfen. Zum anderen werden, um den Eintrag von Düngemitteln und Pflanzenschutzmitteln in das Grundwasser zu verhüten, die Befugnisse der Länder erweitert, Wasserschutzgebiete festzusetzen und im konkreten Fall ergänzende Anordnungen zu treffen.In diesem Zusammenhang bin ich der festen Überzeugung, daß eine zufriedenstellende Regelung für die Probleme der Landwirtschaft gefunden wird, die Einkommensverluste bei Einschränkung einer ordnungsgemäßen landwirtschaftlichen Nutzung vermeidet.Schließlich der dritte Kernpunkt: die Verringerung der Gewässerbelastung durch Wasch- und Reinigungsmittel. Mit dem hier vorliegenden Gesetzentwurf, den wir in erster Lesung beraten, wird
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 211. Sitzung. Bonn, Freitag, den 18. April 1986 16227
Parl. Staatssekretär Sprangerauch der produktbezogene Teil des wasserrechtlichen Instrumentariums nachhaltig verschärft. Ziel der Novelle ist es, die Umweltverträglichkeit von Wasch- und Reinigungsmitteln fortlaufend nach dem technischen Fortschritt zu verbessern und den Verbrauch auf die Mengen, die zur Reinigung ausreichen, zu beschränken.Dazu dienen im wesentlichen folgende Regelungen. Der Anwendungsbereich des Gesetzes wird auf eine Vielzahl bisher nicht erfaßter Reinigungsmittel ausgedehnt. Der Verbraucher wird besser als bisher informiert, um eine möglichst weitgehende gewässerschonende Verwendung von Wasch- und Reinigungsmitteln sicherzustellen. Die Produzenten von Wasch- und Reinigungsmitteln müssen dem Umweltbundesamt umfangreiche Meldungen über die Umweltverträglichkeit ihrer Erzeugnisse übermitteln, damit das Umweltbundesamt entsprechend darauf reagieren und geeignete Wasserschutzmaßnahmen auf den Weg bringen kann.Schließlich wird das Gesetz ergänzend zu den Anforderungen an die Beschaffenheit der chemischen Erzeugnisse eine maschinenbezogene Regelung einführen. Die Reinigung dienenden technischen Einrichtungen wie Waschmaschinen sollen so gestaltet werden, daß der Verbrauch von Wasch- und Reinigungsmitteln sowie von Wasser und Energie auf das unbedingt notwendige Maß beschränkt wird.Das Waschmittelgesetz mit seinen produktbezogenen Regelungen bekämpft Gewässerschädigungen an der Quelle ihrer Entstehung. Es verwirklicht damit in besonders wirksamer Weise das Vorsorgeprinzip als eines der tragenden Elemente unserer Umweltpolitik.Meine Damen und Herren, die hier im Überblick skizzierten Aktivitäten der Bundesregierung machen deutlich: Die Bundesregierung betreibt eine offensive und erfolgreiche Gewässerschutzpolitik
nach einem breit angelegten systematisch aufeinander abgestimmten und in der Praxis wirksam greifenden Konzept. Die Bundesregierung betreibt eine Politik des Augenmaßes, eine Politik, die im internationalen Vergleich eine umweltpolitische Spitzenstellung bedeutet und die erfolgreich sein wird. Sie wird diese bewährte Umweltpolitik weiter fortsetzen.
Das Wort hat der Abgeordnete Müller .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Fünf Vorlagen machen es notwendig, auch zu einer Bestandsaufnahme über unsere Politik für sauberes Wasser und geschütztes Grundwasser zu kommen.Ich glaube, es ist unzweifelhaft, daß man feststellen muß, daß wir in den letzten zehn Jahren Fortschritte erzielt haben. An dieser Feststellung darf und kann man nicht vorbeigehen.Aber genauso muß man heute feststellen, daß der erreichte Stand der Gewässerschutzpolitik insbesondere aus folgenden zwei Gründen nicht ausreicht. Der erste ist, daß wir nach wie vor erhebliche Vollzugsdefizite haben bzw. das Instrumentarium in einigen Bereichen nicht effektiv genug ist.
Der zweite ist — das muß man genauso sehen —, daß wir teilweise in den letzten fünf, sechs Jahren eine Problemverschiebung sehen, daß wir neue Probleme auch beim Gewässerschutz haben und deshalb auch das Instrumentarium erweitern müssen.
Anfang der 70er Jahre ging es in erster Linie darum, akut sauerstoffzehrende, akut toxisch wirkende Stoffe aus den Gewässern zurückzudrängen. Anlaßpunkte waren damals insbesondere Geruchsbelästigung, Fischsterben, große Dreck- und Schmutzfrachten, sichtbar unhygienische Zustände.Wir haben seit Mitte der 70er Jahre auf diesem Gebiet eine Reihe von neuen, sinnvollen Gesetzen entwickelt bzw. bestehende erweitert. Besonders die Sozialdemokraten haben das Abwasserabgabengesetz, vom Prinzip her, nicht in seiner konkreten Ausformulierung in allen ihren Bestandteilen, als einen wesentlichen Fortschritt begrüßt.Die Zielvorstellungen vor zehn Jahren waren: bis 1985 etwa 90 % der Abwassereinleitungen an vollbiologische Kläranlagen anzuschließen, die Anzahl der Direkteinleiter drastisch zu verringern, den biologischen Index der Güteklasse II für die meisten Gewässer als Zielvorstellung anzustreben sowie den Grundwasserschutz zu verbessern. Die beiden Instrumente für diese Zielsetzung waren einerseits die Mindestanforderungen nach den allgemein anerkannten Regeln der Technik und zum zweiten das Abwasserabgabengesetz, das bislang einzig und erstmalig im Wasserbereich das Verursacherprinzip konsequent zu entwickeln versucht.
Aus der heutigen Sicht müssen wir sehen: Dies war ein wichtiger, ein unerläßlicher erster Schritt, aber bei weitem kein ausreichender Schritt; denn in den letzten fünf bis zehn Jahren ist neben diesen Wasserproblemen vor allem die Gefährdung durch die Schädlichkeit von Chemieprodukten hinzugekommen. Das heißt, die Aufgabe in der Gewässerpolitik der nächsten Jahre muß es vor allem sein, eine stoffliche Neubewertung der Umwelt vorzunehmen.
Das ist der entscheidende Schwerpunkt. Da gibt es vor allem drei entscheidende Ansatzpunkte: erstens den Abbau der biologisch schwer abbaubaren organischen Substanzen, zweitens die Zurückdrängung der toxischen Schwermetalle und drittens die Verringerung der eutrophierenden Stoffe, insbesondere der Stickstoff- und Phosphorverbindungen.Wenn das die Aufgabe der nächsten zehn Jahre ist, muß man sich darüber im klaren sein, daß sie in ihrer Tragweite noch ganz anders ist als die Reduzierung der bisherigen Schmutz- und Dreckfrach-
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Müller
ten. Denn diese Stoffe sind vor allem unter dem Gesichtspunkt der Langzeitwirkung, unter dem Gesichtspunkt der Anreicherungsfähigkeit, unter dem Gesichtspunkt der Remobilisierbarkeit und vor allem unter dem Gesichtspunkt vom Kombinationswirkungen sehr viel problematischer zu sehen als die Schadstoffe, mit denen wir es in der Gewässerpolitik bisher vorrangig zu tun hatten.Wir wissen, daß im ökologischen System Mensch — Umwelt das Wasser eine Schlüsselfunktion hat, d. h. daß letztlich jeder Gefahrstoff in den Wasserkreislauf kommen und von dort ausgehend langfristige ökologische Veränderungen auslösen kann. Vor diesem Hintergrund sehen wir mit großer Sorge das massive Anwachsen der Menge der freigesetzten synthetischen Stoffe in der Umwelt; vor allem in den letzten Jahren hat sie überproportional zugenommen.
Ich glaube, daß wir dieses Gefahrenpotential bislang unterschätzt oder verharmlost haben — in unserem Interesse nehme ich lieber das erstere an — und daß wir vor allem die Selbstreinigungskraft der Gewässer und des Untergrundes, insbesondere des Bodens, nicht überschätzen dürfen. Wir wissen, daß wir über diese langfristigen Wirkungen eigentlich zu wenig wissen. Das bedeutet, daß wir in der Wasserpolitik nicht allein nach dem Verursacherprinzip verfahren dürfen, sondern daß das Verursacherprinzip nach der Besorgnis über zukünftige Entwicklungen mit dem Vorsorgeprinzip konsequent verbunden werden muß.
Wir wissen beispielsweise, daß in der Literatur ungefähr neun Millionen chemische Formulierungen vorhanden sind. Wir wissen aber nur von einem Bruchteil, welche Auswirkungen diese tatsächlich für die Umwelt, für den Menschen haben. Wir können darüber nichts sagen. Es wäre vermessen, wenn sich irgendein auch noch so qualifizierter Wissenschaftler hinstellen und sagen würde, er kenne die Wirkungen. Das gibt es nicht.
Gerade weil das so ist, sind wir gezwungen, zu einer anderen, vorsorgenden Umweltpolitik zu kommen.
Das bedeutet neben der Weiterentwicklung der Vorsorge, daß im Mittelpunkt die stoffliche Bewertung der Umwelt stehen muß. Wir haben dazu einen Anstoß gegeben, indem wir ein Konzept für eine umwelt- und gesundheitsverträgliche Chemiepolitik entwickelt haben. Dazu gehört die baldige systematische Beseitigung der Altlasten.Das heißt, wir brauchen heute nicht einen Schadstoff des Monats, wir brauchen keinen Aktionismus, sondern wir brauchen eine langfristige Systematik in der Wasser- und Umweltpolitik.
Das ist das Erfordernis, vor dem wir stehen.Im Mittelpunkt steht daher das Vorsorgeprinzip, steht daher der zentrale Grundsatz des Umweltprogramms der Bundesregierung von 1971, den wir auf der Basis der Erkenntnisse von heute neu konkretisieren und in den einzelnen Bereichen umsetzen müssen, was heißt, daß wir nicht nur in Einzelbetrachtung Wasser, Luft und Boden sehen dürfen, sondern diese einzelnen Komponenten mit der stofflichen Bewertung verzahnen und verbinden müssen.Vorsorgeprinzip heißt danach: handeln vor dem Hintergrund der Begrenztheit unserer Erkenntnisse, handeln nach dem Besorgnisgrundsatz, Umkehr der Beweislast in dem Sinne, daß die Freisetzung von Stoffen in den Gewässern mit hoher Wahrscheinlichkeit als unbedenklich zu gelten hat, Aufgabe des Verdünnungsprinzips, umfassende Forschungsstrategie und vor allem ständige Forcierung der Technologieentwicklung und nicht nur Orientierung an Grenzwerten. Das bedeutet, Umweltgefahren dort zu verhindern, wo sie entstehen. Das heißt Aufgabe der bisherigen Philosophie „end of the pipe". Das heißt, wo immer das geht, Stoffkreisläufe zu schließen.
Unter diesem Gesichtspunkt sind wir der Auffassung, daß die Beantwortung der beiden Großen Anfragen nicht ausreichend ist.
Wir sehen in Einzelpunkten sicherlich Verbesserungen. Wir sehen aber, daß dieser Grundphilosophie nicht ausreichend Rechnung getragen wird, im Gegenteil. Nach unserer Einschätzung werden beispielsweise beim Abwasserabgabengesetz die Novellierungsvorschläge in Einzelpunkten hinter dem heutigen Gesetz zurückfallen. Als Beispiele nenne ich die Einschränkung der Handlungsmöglichkeiten der Länder bei der Benennung oder auch die unbestimmte Festlegung von Verwaltungsvorschriften.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Mann?
Ja, natürlich.
Darf ich um Aufklärung darüber bitten, ob sich das „wir" innerhalb der Sozialdemokratie auch auf die beispielsweise von Herrn Rappe vertretenen Positionen der IG Chemie bezieht?
Unsere Fraktion hat einen Beschluß zur Durchführung eines Sofortprogramms zum Schutze des Wassers verabschiedet. Dies war ein einstimmiger Beschluß. Ich sehe auch überhaupt keinen Grund anzunehmen, es gebe diesbezüglich unterschiedliche Meinungen in unserer Fraktion.Ich komme zum Schluß. Vor uns liegt die Aufgabe, das — von uns bisher in Teilen akzeptierte — Instrumentarium auf dem Gebiete des Abwasser-
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Müller
rechts, insbesondere des Abwasserabgabengesetzes, weiterzuentwickeln. Die Opposition bietet ihre Unterstützung bei der Weiterentwicklung einer fortschrittlichen Politik auf dem Gebiet des Wasserrechts an. Bloße Ankündigungen reichen nicht aus; notwendig ist vielmehr eine konsequente Politik.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Hirsch.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die feinsinnige Regie unserer Geschäftsführer hat dazu geführt, daß wir zuerst über die Weingesetze gesprochen haben und nun eine längere Debatte über das Wasser führen.
Ich weiß nicht, auf welchem Gebiet ich der Zukunft mit größerem Vertrauen entgegensehen soll. Immerhin muß man feststellen, daß bezüglich der Weingesetzgebung ein leibhaftiger Ministerpräsident eines daran beteiligten Landes sich, uns und seinen Hintersassen die Ehre gegeben hat, aus dem Bundesrat herüberzukommen und hier zu sprechen. Demgegenüber müssen wir bezüglich der Gesetzgebung auf dem Gebiete des Wasserrechts — wir alle wissen, daß Wein nicht nur aus Trauben, sonder auch aus Wasser hergestellt wird —, an der, wie wir gehört haben, die Länder ja in lebhafter Weise mitwirken — sie tragen darüber hinaus auch ein gerüttelt Maß Mitverantwortung beim Vollzug der Gesetze —, leider des Beistandes eines Vertreters der Länder hier entraten.
Herr Kollege Hirsch, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Pfuhl?
Eine Zwischenfrage meines verehrten Kollegen Pfuhl selbstverständlich immer. — Herr Pfuhl.
Sehr verehrter Kollege Hirsch, sind Sie nicht der Meinung, daß es doch erfreulich ist, daß wenigstens für den Innenminister, der federführend ist, ein Parlamentarischer Staatssekretär anwesend ist, während die Landwirtschaft — gemessen an der Besetzung der Regierungsbank — völlig vernachlässigt wird, oder glauben Sie, daß der Minister für innerdeutsche Beziehungen die Landwirtschaft vertreten sollte?
Verehrter Kollege Pfuhl, ich stelle fest, daß die Bundesregierung politisch vertreten ist. Der Parlamentarische Staatssekretär, also der politische Vertreter des federführenden Innenministers, hat in seiner Rede hier selbstverständlich auch, wie Sie gehört haben, über die Zusammenhänge mit der Landwirtschaft gesprochen. Aber man muß beklagen — das sage ich nicht nur bezogen auf Hessen oder Bayern, sondern auch auf Nordrhein-Westfalen —, daß die Vertreter der Länder, deren Aufgabe die Durchführung der wasserrechtlichen Bestimmungen ist, bei dieser elementaren Diskussion leider nicht anwesend sind.
Meine verehrten Kollegen, wenn man sich die Vielfalt der Drucksachen vor Augen führt, dann muß man ja wirklich ein ausgefeiltes Archiv haben, um die Reihenfolge feststellen zu können. Wir sind ja auf dem besten Wege, wieder eine der üblichen Auseinandersetzungen über die Vaterschaft zu führen, wer was zuerst am meisten verfolgt hat: Es gibt einen Gesetzentwurf der Bundesregierung. Während dieser Entwurf im Bundesrat beraten wird, wird eine Große Anfrage eingebracht, obwohl im Innenausschuß völlig klar war, daß eine Anhörung zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung stattfinden soll. Dann gibt es einen Antrag der SPD „Trinkwasserversorgung und Landwirtschaft" in Thesenform. Der Sache nach handelt es sich um Änderungsanträge zu einem ausformulierten Gesetzentwurf der Bundesregierung. Warum machen Sie sich nicht das Vergnügen, Ihre Thesen so auszuformulieren, daß man in der parlamentarischen Beratung damit umgehen kann?Dann gibt es einen Gesetzentwurf der Fraktion der GRÜNEN, und zwar wenige Wochen vor der Anhörung im Bundestag. Ich habe zu meinem Bedauern festgestellt, daß Sie heute uns nicht dargestellt haben, welche Folgen Sie aus dem ziehen wollen, was wir in der Anhörung zur Kenntnis genommen haben, da aus Ihrem Entwurf hervorgeht — wie der Vertreter des Umweltbundesamtes sagt —, daß wir Standards zu 6 Millionen Stoffen festschreiben müssen. Ich weiß nicht, mit welch riesigem Kontrollapparat Sie so was leisten müßten. Da müssen wir mal hergehen und fragen: Wie hätten Sie es denn gerne? Mit allgemeinen Formeln kommen wir da doch nicht weiter. Also, ich glaube, wir sollten etwas mehr an der Sache arbeiten.Ich stelle fest, daß wir grundsätzliche Unterschiede, Herr Müller, zu dem, was Sie gesagt haben, politisch nicht haben. Es ist eine Basis, auf der sich in der Tat weiter zusammenarbeiten läßt. Wir fußen ja in vielem, was wir machen, auf einer Gesetzgebung der 60er und 70er Jahre mit hervorragenden Ansätzen, mit guten Wirkungen. Das ist das Instrumentarium, das wir gemeinsam weiterentwickeln können und wollen. Da muß man keine Katastrophengemälde entwerfen. Es gibt — das muß man der Bevölkerung sagen — keine Wasserverknappung, es ist auch keine Gefahr bei der Trinkwasserqualität zu erwarten. Wir stellen fest, daß der Wasserverbrauch der Industrie in erfreulicher Weise gesenkt worden ist. Das ist eine Entwicklung, die man sicherlich auch durch die Tarife unterstützen kann. Einen wesentlichen Anteil daran hat das Wasserabgabengesetz gehabt, das in der Industrie in weiten Teilen zur Einführung von betrieblichen Wasserkreisläufen geführt hat. Da sage ich Ihnen, Herr Müller, zu Ihren Bemerkungen hier: Sie können ganz sicher sein, daß wir Verschlechterungen, also ein Zurückgehen hinter das geltende Recht, natürlich auch beim Wasserabgabengesetz nicht machen werden.
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16230 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 211. Sitzung. Bonn, Freitag, den 18. April 1986
Dr. HirschDie Erfahrungen zeigen, daß es natürlich Probleme gibt, deren man Herr werden muß: die Belastung des Grundwassers, das Problem der zentralen Grundwasserentnahme und Probleme im Vollzug, die ich, jedenfalls im Prinzip, hier schon erwähnt habe.Ich will nicht alles wiederholen, was hier von vielen Seiten gesagt wurde, was auch von dem Kollegen Baum im einzelnen dargestellt wurde. Lassen Sie mich nur noch zu einem Problem etwas sagen. Ich glaube, in unseren Debatten über das Wasserhaushaltsgesetz, über Waschmittel, klingt das Verbot der Phosphate natürlich wunderschön. Nur müssen Sie dann auch andere Angebote machen. Das heißt, es muß sicher sein, daß wir Ersatzstoffe haben, die nicht umweltschädlicher sind. Was das Waschmittelgesetz angeht, so ist ein ganz elementarer Punkt die Aufklärung, nicht nur über diese Weichspüler, die in Deutschland besonders beliebt sind, sondern über die Härtegrade des Wassers, über die notwendige Dosierung. Hier sind wir über die Stellungnahme des Bundesrates etwas enttäuscht und glauben, daß wir auf die Dosierungsempfehlungen nicht verzichten sollten.Ich wollte nur noch einen Satz zum Nordseeschutz sagen. Das ist ein ganz elementarer Punkt. Das ist nicht nur mit Verboten zu bewältigen, sondern hier müssen Angebote gemacht werden zur preiswerten Ölentsorgung der Schiffe. Es muß natürlich eine bessere Kontrolle erfolgen. Wir appellieren an die Bundesregierung, alles zu tun, die Anrainerkonferenz von 1984 — das war ein erster Schritt — nicht zu einem einmaligen Ereignis werden zu lassen, sondern dafür zu sorgen, daß die elementaren, gemeinsamen Aufgaben der Nordseeanrainer mit größerer Intensität als bisher verfolgt werden.Vieles von dem, was hier gesagt worden ist, ist nicht neu, kann nicht neu sein. Der griechische Philosoph Thales hat schon im Jahre 600 v. Chr. gesagt, das Prinzip aller Dinge ist das Wasser; aus Wasser ist alles, und ins Wasser kehrt alles zurück — nicht nur der Wein, sondern vieles mehr.
— Ja, alles fließt. Wasser ist eines der elementaren Dinge unseres Lebens, dem wir uns mit größter Sorgfalt widmen müssen, wollen und werden.
Das Wort hat der Abgeordnete Handlos.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe heute vormittag sehr aufmerksam zugehört und dabei festgestellt, daß zum Thema Wasserversorgung und Landwirtschaft sehr wenig gesagt worden ist. Bei dem Thema Landwirtschaft und Wasserversorgung handelt es sich meiner Meinung nach um einen Zielkonflikt zwischen Ökologie und Ökonomie. Ich bin der Meinung, daß hier für die Bauern eine neue Zeitbombe tickt, über deren Gefährlichkeit sich viele Landwirte und Bauernverbände noch gar nicht so richtig im klaren sind.Vorher noch ganz allgemein ein Wort zum Thema Wasser in der Bundesrepublik Deutschland. In dieser Minute, in der ich hier spreche, werden Millionen von Litern Trinkwasser für Industriezwecke verwandt, durch Toiletten gespült und ähnliches mehr. Jeder Bewohner der Bundesrepublik Deutschland benötigt pro Tag 140 Liter Wasser. Davon sind eigentlich nur drei Liter Trinkwasser, Wasser, das zum Trinken benötigt wird.
— Direkt oder indirekt, Herr Kollege. — Wir haben im Grundsatzprogramm der Freiheitlichen Volkspartei die Voraussage, daß wir in zehn Jahren Trinkwasserknappheit in Deutschland und in Europa haben werden, wenn nicht mit dem Bau von Zweitleitungen für Brauchwasser begonnen wird, und zwar dort, wo das möglich ist — und es ist heute noch möglich. Dies ist ein ganz wesentlicher Aspekt.
Wie gesagt, es muß damit begonnen werden, meine Damen und Herren. Alles das, was hier gesagt worden ist, ist schön und gut, aber es sind nur kosmetische Operationen, nichts anderes. Das Problem wird in einigen Jahren in aller Schärfe auf uns zukommen, genauso wie das Waldsterben auf uns zugekommen ist. Darüber hinaus wird es noch andere Probleme geben, Probleme der Zukunft, auf die wir aufmerksam machen möchten.
Aber nunmehr zurück zu den Landwirten, meine Damen und Herren: Die Wasserschutzgebiete werden in den nächsten Jahren in der Bundesrepublik Deutschland nahezu verdoppelt, und die Auflagen in den Wasserschutzgebieten in der Wasserschutzzone 2 und 3, werden entscheidend verschärft. Das heißt: Es darf keine Gülle, keine Jauche mehr ausgebracht werden. Es darf z. B. kein Grünland mehr umbrochen werden, der Maisanbau wird eingeschränkt und ähnliches mehr.Was bedeutet dies für die Landwirte, die z. B. durch Milchkontingentierung, durch Bulleneinfuhren, durch die Senkung der Getreidepreise, durch die fallenden Preise bei Schweinen usw. sowieso schon entsprechend geschädigt sind? Die Sozialdemokraten haben in ihrem Antrag auf Drucksache 10/3747 in Ziffer I 4 ganz allgemein auf die Notwendigkeit der Entschädigung hingewiesen. Es heißt dort wörtlich:Bei Auflagen in Wasserschutzgebieten, die eine Enteignung darstellen, sind Entschädigungen entsprechend der Rechtslage zu zahlen. Für nicht enteignungsgleiche Auflagen können
Ausgleichszahlungen nach Prüfung der einzelbetrieblichen Betroffenheit aus sozial- und umweltpolitischen Gründen gewährt werden.Und hier, meine lieben Kollegen, liegt der Pferdefuß: Nach § 19 des Wasserhaushaltsgesetzes gibtes Entschädigungen nur — bisher wenigstens —,
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Handloswenn eine Enteignung vorliegt. Und wir haben ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts
vom 15. Juli 1981, in dem sinngemäß festgestellt wird, daß die Nutzung des Grundwassers nicht mehr vom Eigentumsrecht des entsprechenden Landwirts am Grundstück gedeckt wird, so daß eine Entschädigung für die Enteignung nicht mehr bezahlt werden muß; das muß man einmal berücksichtigen, meine Damen und Herren. Genauso ist es bei einer geringfügigen Erhöhung des Nitratwertes im Grundwasser: Eine solche geringfügige Erhöhung — und hier werden die Landwirte automatisch als die Schuldigen hingestellt — stellt schon eine Beeinträchtigung dar, die nach § 34 des Wasserhaushaltsgesetzes nicht erlaubt ist, so daß auch keine Entschädigung gezahlt werden muß. Das ist eine daraus folgende rechtliche Konsequenz. Wenn die Landwirte wirtschaftlich entschädigt werden sollen, muß der Bundestag hier erst einmal die rechtlichen Grundlagen ändern.Ich kann in diesem Zusammenhang beispielhaft auf zahlreiche Landwirte in der Donautiefebene verweisen. Ich nehme nur einmal die Gemeinde Moos im Landkreis Deggendorf. Dort liegen zahlreiche Grundstücke von Bauern in Wasserschutzgebieten. Zum Teil sind es ganze Bauernhöfe, meine Damen und Herren, die nur noch höchst eingeschränkt bewirtschaftet werden können. Deswegen spreche ich von einer neuen Zeitbombe, die hier tickt, vor allem auch für die kleinen und für die mittleren Betriebe. Die Landwirte haben mir erklärt, sie seien an einer Geldentschädigung nicht interessiert. Das, was sie vom Staate möchten, ist, daß er ihnen Ersatzland zur Verfügung stellt, weil sie ihre Höfe für ihre Kinder erhalten möchten. Man sollte also dabei bedenken, daß diese Dinge mit Geldzahlungen nicht abgegolten werden können.
Außerdem, meine Damen und Herren, müssen die Finanzämter in solchen Fällen den verringerten Nutzungswert der Grundstücke berücksichtigen, die j a nur noch höchst eingeschränkt bewirtschaftet werden können.Dies ist nur ein Fall von vielen, der an mich herangetragen wurde. Zum Teil gibt es noch die Torheit, daß die Wasserschutzgebiete durch einzelne Grundstücke hindurchgehen, so daß der eine Teil des Grundstücks anders bewirtschaftet werden darf als der andere Teil. Hier muß von der praktischen Seite her wirklich eine Klärung erfolgen.Ich möchte mich auch dagegen verwahren, daß die Landwirte nach dem Verursacherprinzip im Hinblick auf die Nitratbelastung allein als Schuldige hingestellt werden. Niederschläge, Luftverschmutzung, Kleinkläranlagen, Mülldeponien tragen ihren Anteil dazu bei. Aus diesem Grund müssen Bund und Länder gemeinsam Überlegungen anstellen, wie diese Zeitbombe für die Landwirte rechtzeitig entschärft werden kann. Für uns von derFreiheitlichen Volkspartei dürfen die Bauern nicht als Sündenböcke der Nation hingestellt werden.Herzlichen Dank.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Göhner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Rede des Kollegen Müller veranlaßt mich zunächst zu der Bemerkung, daß wir nun doch die Hoffnung haben können, das Wasserhaushaltsgesetz und das Wasserabgabengesetz im wesentlichen von gemeinsamen Grundüberzeugungen her ausgestalten zu können. Was Sie vorgetragen haben zum Vorsorgeprinzip, zur Bekämpfung von Verschmutzungen an der Quelle, zur Erweiterung der Bekämpfung neuer Stoffe sind genau die wesentlichen Kernstücke, denen die Novellierung dieser beiden Gesetze dient.
Ich möchte mich auf einige Anmerkungen zum Verhältnis zwischen Landwirtschaft und Wasserschutz beschränken. Man hat gelegentlich den Eindruck, als ob die bäuerlich strukturierte Landwirtschaft bezüglich des Wasserschutzes zuallererst auf der umweltpolitischen Anklagebank sitzt. Als Kardinalproblem wird immer wieder — das haben auch schon einige Vorredner erwähnt — die Nitratbelastung des Grundwassers gesehen. Es ist überhaupt nicht zu leugnen, daß uns vielerorts die zu hohe Nitratbelastung des Grundwassers große Sorgen bereitet. Aber die landwirtschaftliche Düngung zum alleinigen Schuldigen zu stempeln, das wäre ebenso leichtfertig wie das Ignorieren dieses Problems. Natürlich gibt es in Gebieten mit leichten, besonders wasserdurchlässigen Böden und gleichzeitig starker Viehhaltung besondere Probleme im Zusammenhang mit der Ausbringung von Gülle. Aber die Nitratbelastung des Grundwassers hat auch andere Ursachen.
Jährlich gehen über drei Millionen Tonnen Stickoxide auf unsere Böden nieder, von denen ein Teil selbstverständlich als Nitrat im Grundwasser landet.Ich verweise als weitere Ursache für die Nitratbelastung unserer Gewässer z. B. auf die Stickstofffrachten von in Kläranlagen vorgeklärten Abwässern. Im Namen des Gewässerschutzes wird beispielsweise die Untergrundverrieselung der im Dreikammersystem vorgeklärten Wässer aus Hauskläranlagen gefordert. Auch hier gibt es Stickstofffrachten, die wir als Nitrate wiederfinden.Im übrigen fehlt es an einer jedenfalls flächenbezogenen nachweisbaren Kausalität zwischen landwirtschaftlicher Düngung und Nitratbelastung. Wie sonst wäre es möglich, daß z. B. im Wald, wo keine landwirtschaftliche Düngung stattfindet, hohe Nitratbelastungen im Grundwasser anzutreffen sind?
Andererseits gibt es — wie in anderen Berufen auch — vereinzelt Umweltsünder, die zu bekämpfen
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16232 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 211. Sitzung. Bonn, Freitag, den 18. April 1986
Dr. Göhnerweniger eine Frage von neuen gesetzlichen Regeln als vielmehr eine Frage nach der Anwendung des bestehenden Rechts ist.Die Probleme der Umweltbelastung durch die Landwirtschaft bestehen auch weniger durch die bäuerlich strukturierte Landwirtschaft; vielmehr sind das Probleme im Bereich industrialisierter bodenunabhängiger Tierproduktionen mit der daraus folgenden Güllesituation.Deshalb unterstützen wir auch alle Bemühungen der Bundesregierung zur Bindung der Tierproduktion an die Flächen und zur steuerlichen Abgrenzung zwischen landwirtschaftlicher und gewerblicher Tierproduktion.
Mancher gutgemeinte Vorschlag für mehr Umweltschutz und insbesondere für mehr Wasserschutz hätte, wenn wir ihn aufgreifen würden, gegenteilige Wirkungen. Eine Stickstoffabgabe oder eine Stickstoffsteuer — ein Vorschlag, der vom Sachverständigenrat gemacht wird,
und auch die SPD sympathisiert, wenn ich das richtig sehe, mit der Einführung einer solchen Stickstoffsteuer, und die GRÜNEN rufen jetzt „Sehr gut!", aber in dem Antrag der GRÜNEN finde ich das nicht —,
würde geradezu die bodenunabhängige und gewerbliche gülleintensive Tierproduktion fördern und die kapitalkräftige industrialisierte Landwirtschaft begünstigen; denn die Stickstoffabgabe verteuert den entsprechenden Handelsdünger, macht die Gülle daher als Dünger kostenmäßig interessanter, fordert geradezu einen Gülletourismus heraus und begünstigt damit insgesamt den gülleintensiven Betrieb. Kapitalintensive Betriebe würden sich vom teureren Stickstoff im übrigen nicht schrecken lassen. Deshalb sage ich, dieser Vorschlag wäre sowohl agrar- als vor allem auch umweltpolitisch im Ergebnis eher schädlich.Ein anderes Patentrezept sehen zum Teil die gleichen Erfinder darin, die landwirtschaftliche Düngung durch eine entsprechende gesetzliche Regelung im Wasserhaushaltsgesetz zu einem generell erlaubnispflichtigen Tatbestand zu machen. Jede Düngung wäre dann grundsätzlich verboten, es dei denn, durch behördlichen Genehmigungsbescheid erlaubt. Diese nicht vollziehbare verrückte Vorstellung wird vom Bund wie, das betone ich, von allen Bundesländern abgelehnt. Kontrollierbar wäre eine solche Forderung nämlich nur, wenn man hinter jedem Düngerstreuer und hinter jedem Güllefaß einen Beamten hinterlaufen lassen würde.
— Herr Kollege Pfuhl, das war von Sachverständigen aus der Wasserwirtschaft und zum Teil auchaus Ihrer Partei heraus die zentrale Forderung beispielsweise auch im Hearing des Bundestages zum Wasserhaushaltsgesetz. Deshalb erwähne ich es hier. Das ist eine verrückte Vorstellung.Wir gehen im neuen Wasserhaushaltsgesetz einen anderen wirksamen und effektiven Weg zum Schutz des Grundwassers auch vor Nitratbelastung. Da, wo es der Schutz des Grundwassers erfordert, können künftig Wasserschutzgebiete auch dort ausgewiesen werden, wo keine Trinkwassergewinnung beabsichtigt ist. In bestehenden wie in nach dieser Ermächtigung neu auszuweisenden Wasserschutzgebieten wird es deshalb selbstverständlich wie bisher erhebliche Beschränkungen für die landwirtschaftliche Nutzung geben, z. B. Düngungsbeschränkungen. An diesem Instrumentarium der möglichen und notwendigen Einschränkungen ändern wir mit unseren gesetzlichen Vorschlägen nichts.Ich möchte darauf hinweisen, wir haben als Bund im Wasserrecht nur eine Rahmenkompetenz. Das bedeutet, daß diese Regelungen auch weiterhin von den Ländern zu treffen sind und ja auch getroffen werden.Aber was wir neu regeln werden, ist die Entschädigung der Landwirtschaft für die Beschränkungen in Wasserschutzgebieten. Wir werden im Wasserhaushaltsgesetz eine klare rechtsverbindliche Regelung treffen, wodurch jeder Landwirt den vollen Ausgleich jener wirtschaftlichen Nachteile beanspruchen kann, die er auf Grund spezifischer Beschränkungen aus Wasserschutzgründen in solchen Gebieten hinnehmen muß. Ich sage deutlich, es geht dabei nicht um eine Subventionierung der Landwirtschaft, sondern allein um einen Nachteilsausgleich. Wenn nämlich im Rahmen der ordnungsgemäßen Landwirtschaft außerhalb von Wasserschutzgebieten z. B. nach der Düngerverordnung drei Jungvieheinheiten je Hektar zulässig sind, so werden das in Wasserschutzgebieten nur zwei oder eineinhalb Jungvieheinheiten sein. Eine solche für Wasserschutzgebiete typische besondere Einschränkung der landwirtschaftlichen Nutzung wird nach bisherigem Recht nicht ausgeglichen, obwohl es j a ein besonderes Opfer ist, weil noch nicht das Ausmaß einer enteignenden Wirkung gegeben wäre. Wir können und wollen aber nicht die in Wasserschutzgebieten liegenden landwirtschaftlichen Betriebe darauf verweisen, daß eine derart ausgedehnte Sozialpflichtigkeit des Eigentums einen Ausgleich dieser wirtschaftlichen Nachteile verbietet. Im Gegenteil, wir sorgen mit dem neuen Wasserhaushaltsgesetz dafür, daß der wasserschutzbedingte wirtschaftliche Nachteil diesen Landwirten ausgeglichen wird. Dabei wird es sich nicht um eine Härtefallregelung handeln, wie sie offenbar Ihnen von der SPD-Fraktion bei Ihrem Antrag vorschwebt. Das Kriterium der Existenzgefährdung, Herr Kollege Kiehm, das Sie in Ihrer Rede wieder genannt haben, würde doch bedeuten, daß ich solange, wie die landwirtschaftlichen Beschränkungen noch keine Existenzgefährdungen verursachen, auf Sozialpflichtigkeit verweise und dann vielleicht nach sieben, acht oder neun Jahren, wenn mittlerweile das Stadium einer Existenzgefährdung er-
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Dr. Göhnerreicht ist, sage, daß eine Entschädigung erforderlich wäre. Das wäre eine Härtefallregelung, die wir ablehnen. Sie wäre völlig unzureichend. Es muß eine verbindliche Ausgleichsregelung sein, und es muß eine Regelung sein, bei der man nicht darauf wartet, daß das Ausmaß der Nachteile schon die Existenz des Betriebes gefährdet.Die Ausgleichsregelung, die wir vorschlagen werden, gibt dem betroffenen Landwirt einen Anspruch auf Entschädigung, und zwar wie bisher, wie im bestehenden Wasserrecht, gegen das Bundesland. Ich möchte darauf hinweisen, daß wir j a auch im bestehenden Wasserrecht Entschädigungsverpflichtungen haben,
zum Teil auch für Eingriffe, die nicht eine Enteignung ausmachen, z. B. im nordrhein-westfälischen Landeswassergesetz.
Herr Dr. Göhner, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Kiehm?
Ja, gleich, wenn ich diesen Gedanken ausgeführt habe.
Viel Redezeit haben Sie nicht mehr.
Es war vereinbart, daß ich 15 Minuten habe.
Deshalb, Herr Kollege Kiehm, ist eine der entscheidenden Grundüberlegungen — auch im Zusammenhang mit der Frage des Verursacherprinzips — diese: Wenn ich schon nach dem bestehenden Wasserschutzrecht Entschädigungsverpflichtungen, die sich gegen das Bundesland richten, habe, so haben wir als Bund auf Grund unserer Rahmenkompetenz überhaupt keine Möglichkeit — alles andere wäre ein Eingriff in die Kompetenz der Länder —, zu bestimmen, wie diese Ausgleichsregelung von den Ländern finanziert werden soll.
Nun tun Sie bitte nicht so, als ob die Grundüberlegung des baden-württembergischen Wasserpfennigs, wie er geplant ist, bei Ihnen ein Fremdkörper wäre.
Das nordrhein-westfälische Landeswassergesetz, von der SPD-Mehrheit im Landtag verabschiedet, beinhaltet exakt das gleiche, z. B. einen Aufwendungsersatz bei besonderen Aufwendungen in Wasserschutzgebieten, beispielsweise dann, wenn für die Abdichtung von Öltanks besondere Aufwendungen erforderlich sind.
In diesem Falle besteht für die Wasserwerke eine Erstattungspflicht. Das heißt, die Entschädigungen, die in Nordrhein-Westfalen auf Grund des Landeswassergesetzes gezahlt werden, müssen dem Land von den Wasserwerken erstattet werden.
Nun sage ich: Wie die Länder das organisieren wollen, ob so, wie es in Nordrhein-Westfalen der Fall ist, durch eine Abwälzung der vom Land zu erstattenden Leistungen auf die Wasserwerke, ob aus Haushaltsmitteln oder auf Grund eines Wasserpfennigs, kann der Bundestag auf Grund seiner Rahmenkompetenz nicht bestimmen, und es ist auch durchaus möglich, hier unterschiedlichen Vorstellungen der Länder Raum zu geben.
Was wir aber verbindlich regeln wollen und werden, ist, daß es für die betroffenen Landwirte einen Erstattungsanspruch gibt. Damit wollen wir den Ausgleich wirtschaftlicher Nachteile sicherstellen.
Gestatten Sie jetzt eine Zwischenfrage, allerdings nun von einem anderen Fragesteller, von Herrn Abgeordneten Klejdzinski? — Bitte schön.
Herr Kollege, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß Sie in NordrheinWestfalen, wenn Sie dort einen Öltank bauen, keinerlei Erstattung von irgendeinem Wasserwerk für besondere Vorkehrungen bekommen, und zwar auch dann nicht, wenn Sie in einer Wasserschutzzone wohnen?
Herr Kollege, Sie irren. § 15 Abs. 3 und Abs. 4 des nordrhein-westfälischen Landeswassergesetzes regelt, daß es für besondere Aufwendungen in Wasserschutzgebieten eine Entschädigung auch dann geben kann, wenn die Aufwendung noch nicht das Ausmaß einer enteignenden Wirkung hat.
Herr Matthiesen ist oft sehr stolz auf diese Regelung und hat diese immer wieder angeführt, um im Bundesrat vom Bund eine bundeseinheitliche Regelung für Entschädigungsleistungen auch unterhalb der Enteignungsschwelle zu fordern. Deshalb sage ich Ihnen, daß dieses Landeswassergesetz gerade im Grundgedanken sehr wohl dem entspricht, was in Baden-Württemberg mit dem Wasserpfennig geplant wird.Nun wollen j a auch Sie eine Entschädigung gewähren, allerdings offensichtlich erst dann, wenn das Ausmaß der Existenzgefährdung erreicht ist. Sie müßten sich einmal dazu äußern, wer diese Ihre Entschädigungen zahlen soll. Wenn das aus Haushaltsmitteln geschehen soll, ist das eine alternative Überlegung, die man zur Regelung der Angelegenheit durchaus auch anstellen kann.Lassen Sie mich zum Verursacherprinzip etwas sagen. Das Verursacherprinzip muß in diesem Zusammenhang die Tatsache berücksichtigen, daß wir — z. B. durch die Gülleverordnung — ein generell umweltverträgliches Maß der Landwirtschaft festlegen. Wenn ich dann wegen einer Wasserentnahme besondere, über dieses allgemeine Maß der Umweltverträglichkeit hinausgehende Beschränkungen vorsehe, ist die Verursachung in der Tat in der Wasserentnahme zu sehen.
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16234 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 211. Sitzung. Bonn, Freitag, den 18. April 1986
Dr. GöhnerNun bitte ich Sie wiederum, sich zu überlegen: Was geschieht denn, wenn auf Grund von Wassergewinnung der Grundwasserspiegel absinkt? Dann ist doch selbstverständlich eine klare Verursachung durch die Grundwasserentnahme gegeben. Heute aber ist auch dort der Landwirt auf die Frage verwiesen, ob diese Grundwassersenkung für ihn eine enteignende Wirkung hat.Deshalb sage ich deutlich: Die Anwendung des Verursacherprinzips erfährt in diesem Bereich eine Einschränkung; aber dieses Prinzip wird nicht, wie Sie behaupten, umgekehrt.Politiker aller Parteien, auch der SPD, betonen immer wieder in Reden, den Landwirten müsse eine Honorierung ihrer landschaftspflegerischen Tätigkeit gewährt werden. Zum erstenmal im gesamten Umweltrecht werden wir mit der geplanten Ausgleichsregelung diesen Grundsatz verwirklichen und in eine politische Regelung umsetzen. Es handelt sich, davon bin ich überzeugt, um eine bahnbrechende Regelung, die auch im Landschaftsrecht der Länder entsprechende Entschädigungsregelungen nach sich ziehen muß. Die Regelung wird, auch davon bin ich fest überzeugt, gewissermaßen Vorbildcharakter haben, um der Landwirtschaft besondere ökologische Leistungen wirklich zu vergüten. Wir leisten damit zugleich einen Beitrag für die Existenzsicherung der in diesen betroffenen Gebieten liegenden Betriebe.
Das Wort hat der Abgeordnete Pfuhl.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Entgegen der Meinung des Kollegen Hirsch, die er auf meine Zwischenfrage geäußert hat, bedaure ich wirklich, daß das Ministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten hier nicht vertreten ist.
— Das war wohl Herr Gallus. Ich hörte: Der Minister ist in Niedersachsen. Bei allem Verständnis für die Notwendigkeit des Wahlkampfes, dort zu retten, was noch zu retten ist: Er könnte lieber hiersein.
Das Thema „Trinkwasserversorgung und Landwirtschaft" ist Bestandteil der Ausführungen, die ich hier machen will, und zwar im Zusammenhang mit den gesetzlichen Maßnahmen, die getroffen werden müssen.Sehr verehrter Herr Handlos, ich habe nicht die Absicht, mich jetzt an dem Status quo aufzuhängen, denn wir wollen ja etwas Besseres schaffen. Deswegen können Sie Ihre Argumente nicht am Status quo der Gesetzgebung aufhängen.Die Belastung von Grund- und Oberflächenwasser durch die intensive Landbewirtschaftung ist heute wohl unbestritten, wobei diese nicht allein der Belastungsgrund ist. Die neuerliche Absenkung des duldbaren Nitratwerts im Trinkwasser auf 50 mg/l bringt viele Wasserwerke in Verlegenheit. Die bestehenden wasserrechtlichen Vorschriften zum Schutz vor Nitratbelastung sind im Bereich der Landwirtschaft nicht immer beachtet worden. Der sogenannte Verdünnungsimport von unbelastetem Wasser in belastete Regionen mittels immer länger werdender Fernleitungen verursacht derartige Kosten, daß die zuständigen Behörden auf immer restriktivere Grenzwerte drängen werden.Wenn jetzt deswegen Bewirtschaftungsvorschriften auf die landwirtschaftlichen Betriebe in Wassereinzugsgebieten zukommen, müssen gleichzeitig existenzbedrohende Härten für die betroffenen Landwirte vermieden werden. Die SPD-Bundestagsfraktion fordert deshalb in ihrem Antrag „Trinkwasserversorgung und Landwirtschaft", der einem Bundesratsbeschluß folgt, die Bundesregierung auf, im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens zur Fünften Novelle zum Wasserhaushaltsgesetz bundeseinheitliche Vorschriften für die Entschädigung der von Umweltauflagen betroffenen Landwirte vorzuschlagen. Wir können einfach nicht einsehen, warum die Bundesregierung dieser Aufforderung nicht nachkommen will. Die Bundesregierung zögert bedauerlicherweise, einen solchen Vorschlag vorzulegen, aus — so sehe ich es — formalistischen Gründen. Sie beruft sich auf die Rahmenkompetenz. Dabei ist diese Unsicherheit in der Sache um so unverständlicher, als z. B. selbst die CDU-Landtagsfraktion in Nordrhein-Westfalen in einem Antrag von der Landesregierung verlangt hat, den Bundestag aufzufordern, den § 19 Abs. 3 des Wasserhaushaltsgesetzes mit dem Ziel zu ändern, bundeseinheitliche Entschädigungen bei der Ausweisung von Wasserschutzzonen auch dann zu ermöglichen, wenn der Eingriff unterhalb der Enteignungsschwelle liegt. Also auch hier wird die Forderung nach bundeseinheitlichen Entschädigungen erhoben.
Auch der Deutsche Bauernverband fordert dies ja in seiner jüngsten Entschließung, die er in der vorigen Woche auf der außerordentlichen Bundesversammlung beschlossen hat.Die SPD-Bundestagsfraktion verlangt im Interesse der deutschen Landwirtschaft, daß die Bundesregierung zu einer klaren Regelung kommt, die die Zielsetzungen der Anwendung des Verursacherprinzips, der Sozialpflichtigkeit des Eigentums, des Vorrangs des Gewässerschutzes und der Einhaltung der Vorschriften des Wasserhaushaltsgesetzes auf der einen Seite, aber auch die Erhaltung einer möglichst großen Anzahl bäuerlicher Existenzen auf der anderen Seite in Einklang bringt.Was die Landwirtschaft in ihrer heutigen Lage braucht, sind keine Ankündigungen, keine Gummiparagraphen, sondern verbindliche Aussagen darüber, welche Belastungen sie aus der künftigen Umweltpolitik zu tragen hat und in welchen Fällen die Allgemeinheit verpflichtet ist, die Leistungen gemeinsam mit den Landwirten zu tragen.
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PfuhlGleichzeitig muß die Bundesregierung auf eine grundlegende Änderung der Agrarpolitik in der gesamten EG dringen, um so auch die wirtschaftlichen Voraussetzungen für eine umweltverträgliche Landwirtschaft zu schaffen. Die Ankündigungen auf dem Agrarelefantentreffen am Montag in Niedersachsen und die Kabinettsbeschlüsse vom Mittwoch lassen aber den Schluß zu, daß eine grundlegende Agrarreform mit dieser Regierung nicht möglich ist. Ich kann nur sagen: Der Berg kreißte, und heraus kamen einige Mäuslein des Herrn Kiechle.Die SPD-Bundestagsfraktion fordert deshalb die Bundesregierung auf, die Einführung auch einer Abgabe auf Stickstoffdünger zu überprüfen. Es ist interessant, daß mittlerweile selbst hohe Bauernverbandsfunktionäre, die Landtagsabgeordnete der CDU sind, an so etwas denken. Ich habe hier einen Artikel des Bauernverbandspräsidenten in Baden vorliegen, der fordert — ich zitiere —: „Der Stickstoff muß vier- bis fünfmal soviel kosten wie heute, damit es sich auch für den Landwirt nicht lohnt, Spitzenbeträge herauszuholen." Das heißt also, hier werden die Verminderung der Stickstoffdüngung und damit auch eine Verminderung der Produktion ins Spiel gebracht.Wenn der Effekt einer solchen Maßnahme im Hinblick auf die Überproduktion auf dem EGAgrarmarkt auch fraglich ist — wir wissen, wie schwierig es sein wird, dort gemeinsame Regelungen zu finden —, so liegt es doch nahe, den Düngereinsatz in der Landwirtschaft zu überdenken, um dadurch die Trinkwasserbelastung zu verringern. Ich glaube auch, daß mit dieser Maßnahme gegebenenfalls Ausgleichszahlungen für solche Landwirte finanziert werden können, die aus Umweltschutzgründen auf geringerer Intensitätsstufe produzieren und Ertragseinbußen hinnehmen müssen.Wir wenden uns in dieser Sache gegen einen länderpolitischen Alleingang in Richtung auf einen Wasserpfennig — oder wie immer das genannt werden soll —, weil die Lasten dann von Land zu Land, von Region zu Region ungerecht verteilt werden und kein ausreichendes Signal in Richtung einer umweltschonenden Landwirtschaft allgemein in der Bundesrepublik gesetzt wird. Aus diesem Grunde haben wir diesen Antrag eingebracht. Ich bitte, ihm zuzustimmen.Herzlichen Dank.
Das Wort hat der Abgeordnete Schmidbauer.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte eine Vorbemerkung machen. Frau Kollegin Hönes von den GRÜNEN, ich biete Ihnen, die Sie vorhin meine Zwischenfrage nicht zugelassen haben, aber freiweg behauptet haben, daß die Bundesregierung bei der Formulierung der Novelle zum Waschmittelgesetz blankweg von Ihnen abgeschrieben habe, angesichts Ihres kümmerlichen Gesetzentwurfs von 1984 folgende Wette an: Für jeden Paragraphen, bei dem Sie mir nachweisen können, daß er abgeschrieben wurde, erhalten Sie von mir ein Waschmittelpaket oder, wenn Sie wollen, geraspelte Kernseife, ganz nach Ihrem Belieben, in entsprechender Menge. Ich bitte Sie aber auch, daß wir dann diese Wette entweder einlösen oder solche Dinge nicht einfach behaupten. Übrigens wäre es gefährlich für die Fraktion, wenn wir festgestellt hätten, daß dem so wäre; denn dann wüßten wir in der Tat, daß wir politisch auf einem völlig falschen Dampfer gewesen wären.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Hönes?
Ich möchte mich jetzt nicht revanchieren. Sie kann das nachher mit mir ausmachen.Zum Kollegen Pfuhl. In der Tat, Herr Kollege Pfuhl, regeln wir jetzt in § 19 des Wasserhaushaltsgesetzes diesen bundeseinheitlichen Rahmen der Entschädigungsmöglichkeit für die Landwirte. Ich habe Ihrer Rede entnommen, daß Sie dem zustimmen. Ich meine nur, daß dann auch die entsprechenden Anträge der SPD-Fraktion vorgelegt werden müßten. Im übrigen darf ich darauf hinweisen, daß bereits bei der Einbringung der Novelle zum WHG im letzten Jahr der Kollege Spranger auf diese Rahmenregelung und die Absicht der Bundesregierung sowie unserer Fraktion hingewiesen hat, das zu regeln.Kampfstimmung im Hinblick auf den Wasserpfennig zu erzeugen halte ich für sinnlos. Wir müssen uns dann in den Ländern darüber unterhalten, wie dies finanziert wird. Ich hoffe, daß wir hier in der Tat von der Sache her — so hoffe ich nach den Reden von Herrn Müller, Herrn Pfuhl und Herrn Kiehm — nicht weit auseinanderliegen. Dabei gibt es natürlich ein gewisses Potential an Verbalakrobatik im Hinblick auf den Wahlkampf, insbesondere wenn ich daran denke, was Sie, Herr Pfuhl, hier soeben gesagt haben, daß so viele von uns in Niedersachsen sind.
Wenn Ihre Minister nicht in Niedersachsen sind, dann zeigt das vielleicht, daß Sie in Niedersachsen keine Chance mehr sehen — um Ihnen das zurückzugeben.Im übrigen halte ich gar nichts davon, wenn wir jeweils wechselseitig auf die Bänke sehen, wer hier anwesend ist und wer nicht. Weiterhin darf ich feststellen, daß die IMK tagt, und ich gehe davon aus, daß auch Ihre Minister bei der IMK anwesend sind und deshalb heute nicht hier sitzen können.Ich möchte zum Thema kommen und Ihnen sagen, daß wir wohl alle der Meinung sind, daß sauberes Wasser als Grundlage unseres Lebens unentbehrlich ist und daß saubere Gewässer auch für eine dauerhafte Sicherung unserer Trinkwasserversorgung Voraussetzung sind. Die CDU/CSU-Fraktion hat die Bundesregierung in ihrem Entschlie-
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16236 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 211. Sitzung. Bonn, Freitag, den 18. April 1986
Schmidbauerßungsantrag vom 9. Februar 1984 gebeten, die notwendigen Verbesserungen der Gewässerreinhaltung in die Wege zu leiten. Wir begrüßen, daß die Bundesregierung unserem Auftrag in einem sehr breit angelegten Konzept nachgekommen ist. Die Bundesregierung läßt keinen Zweifel daran, daß der Gewässerschutz in ihrem Umweltschutzprogramm einen herausragenden Stellenwert hat.Im Oktober des letzten Jahres haben wir bei der ersten Lesung über die Regierungsvorlage der Fünften Novelle zum Wasserhaushaltsgesetz über die Verschärfung des ordnungsrechtlichen Instrumentariums des Gewässerschutzes diskutiert. Dieses Gesetz wird dem Deutschen Bundestag in Kürze zur Entscheidung vorliegen. Heute stehen die produktbezogenen Regelungen des Waschmittelgesetzes auf der Tagesordnung. Der Innenausschuß kann seine ausführlichen Beratungen im Anschluß daran aufnehmen. Ich bin hier sehr zuversichtlich. Ich hatte in der letzten Woche bei der IG Metall Gelegenheit, diese Fragen mit Betriebsräten zu diskutieren, und ich denke, daß wir hier sicher zu Lösungen kommen, die sowohl der Ökologie als auch den ökonomischen Belangen dienen können. Das Abwasserabgabengesetz mit dem ökonomischen Instrument der Abwasserabgabe wird folgen; darauf haben bereits einige Kollegen hingewiesen.Das Gesamtkonzept unserer Gewässerschutzpolitik hat die Bundesregierung in der Antwort auf die Große Anfrage der SPD-Fraktion zur Novellierung der Wasserschutzgesetze ausführlich dargelegt. Heute können wir feststellen: Diese Koalition und die von ihr getragenen Bundesregierungen wissen um ihre Verantwortung für den Umweltschutz. Wir orientieren unsere Politik an den realen Problemen in der Praxis. Die getroffenen Maßnahmen sind effektiv und bringen uns wie im Bereich der Luftreinhaltung auch im Gewässerschutz einen großen Schritt voran.Welche Probleme haben wir noch zu bewältigen? Ich denke, daß wir mit den Schaumbergen auf den Gewässern keine Sorgen mehr haben müssen, verursacht durch schwer abbaubare waschaktive Substanzen in Wasch- und Reinigungsmitteln. Hier gab es spürbare Verbesserungen. Der Herr Kollege Baum hat von der Kontinuität der Politik gesprochen, die übrigens von 1957 mit dem Wasserhaushaltsgesetz über 1975 mit dem Waschmittelgesetz jetzt zur Novellierung führt. Heute gilt es vielleicht noch zu erwähnen, daß auch die biologische Abwasserreinigung inzwischen einen zufriedenstellenden Stand erreicht hat.Heute gilt es, unsere Umwelt vor den in immer größerem Umfang auftretenden gefährlichen Stoffen zu schützen. Hier sind in erster Linie die insbesondere für die Trinkwasserversorgung gefährlichen Stoffgruppen wie Halogenverbindungen und bestimmte Schwermetalle zu nennen.
Die Neufassung des § 7 a des Wasserhaushaltsgesetzes — Kollege Göhner ist darauf eingegangen — und als flankierende Maßnahme die veränderte Abwasserabgabe markieren die Schwerpunkte in demderzeit problematischen Teil der Gewässerreinhaltung.Der zweite kritische Bereich ist die Verstärkung des Grundwasserschutzes, über den wir bei der ersten Lesung zur Novellierung des Wasserhaushaltsgesetzes ausführlich gesprochen haben.Schließlich möchte ich als dritten Punkt die zu hohe Belastung vor allem unserer stehenden und langsam fließenden Oberflächengewässer mit phosphor- und stickstoffhaltigen Nährstoffen nennen. Dies führt, Frau Kollegin Hönes, wie Sie richtig analysiert haben, zu übermäßigem Algenwachstum und beeinträchtigt viele Gewässernutzungen, umschrieben mit dem Begriff der Eutrophierung. An diesem Punkt setzen die Instrumente des Waschmittelgesetzes an. Sie kennen alle die umstrittene Bezeichnung der Deutschen als Europameister im Verbrauch von Wasch- und Reinigungsmitteln und als Weltmeister im Verbrauch von Weichspülern. Tatsache bleibt, daß die Produktion von Wasch- und Reinigungsmitteln in den letzten 30 Jahren um mehr als das Vierfache zugenommen hat. Als überzeugte Marktwirtschaftler verstehen wir zwar das Interesse jedes Produzenten an jährlichen Produktionssteigerungen. Wir dürfen aber die damit verbundene Zunahme der Umweltbelastung nicht vernachlässigen und müssen dann als Gesetzgeber zwischen den ökonomischen und ökologischen Interessen den richtigen Ausgleich finden. Das mehr als 10 Jahre alte Instrumentarium des geltenden Waschmittelgesetzes reicht dafür heute nicht mehr aus.Die CDU/CSU-Fraktion sieht für die notwendigen Verbesserungen des Waschmittelgesetzes folgende Schwerpunkte:Erstens. Der Schutzbereich des Gesetzes muß ausgeweitet werden. Die Liste der Wasch- und Reinigungsmittel, die unter das geltende Gesetz fallen, ist unzureichend und muß erweitert werden. Ich nenne nur die in großen Mengen eingesetzten Weichspüler. Es geht dabei aber auch um andere chemische Substanzen.Zweitens. Wir dürfen uns nicht darauf beschränken, nur den Einsatz der Chemie zu reglementieren. Wir müssen auch dafür sorgen, daß z. B. die Waschmaschinen so konstruiert werden, daß ein möglichst gewässerschonender Effekt erreicht wird. Wasch- und Reinigungsmittel hängen auch von den technischen Einrichtungen ab. Es besteht hier eine wechselseitige Abhängigkeit.Drittens. Die Möglichkeiten, die Umweltverträglichkeit von Wasch- und Reinigungsmitteln fortlaufend nach dem technischen Stand zu verbessern, müssen erweitert werden. Ich denke dabei weniger an starre und fragwürdige gesetzliche Verbote als daran, ein flexibles Vorsorgeinstrumentarium zu schaffen, mit dem bei konkretem Bedarf die gebotenen Gegenmaßnahmen getroffen werden können.Viertens. Der Verbraucher muß stärker in die Lage versetzt werden, seine eigene Verantwortung bei der richtig dosierten Verwendung von Wasch- und Reinigungsmitteln zu erkennen und ihr gerecht zu werden. Wir werden sehr sorgfältig zu prü-
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Schmidbauerfen haben, welche Informationen am besten geeignet sind, dieses Ziel zu erreichen. Wir haben dazu Zeit im Innenausschuß.Der vorliegende Gesetzentwurf erfüllt zwei wichtige Bedingungen. Erstens: Schadstoffe werden an der Quelle reduziert. Zweitens: Das Vorsorgeprinzip wird ebenfalls realisiert. Dies sind zwei wichtige Elemente unserer Umweltpolitik.Bei der Durchsetzung der berechtigten Belange des Umweltschutzes — das möchte ich abschließend noch ausdrücklich betonen — wollen wir keine überflüssigen staatlichen Eingriffe. Ich begrüße hier ausdrücklich die gerade von der Waschmittelindustrie immer wieder erklärte und auch wiederholt praktizierte Bereitschaft, von sich aus eine ausreichende Umweltverträglichkeit ihrer Produkte sicherzustellen. Dies beweist, die Soziale Marktwirtschaft kennt ihre Verantwortung für die Sicherung einer gesunden Umwelt. Dies zeigt ihre Überlegenheit anderen Wirtschaftsformen gegenüber nicht nur bei der Lösung ökonomischer, sondern auch bei der Lösung ökologischer Fragen.
Richtig ist allerdings auch — und insoweit stimme ich dem Kollegen Kiehm zu —, daß freiwillige Absprachen die präzise Positionsbestimmung durch den Gesetzgeber nicht ersetzen, sondern Voraussetzung sind. So kann das Kooperationsprinzip richtig funktionieren.Nun, Herr Kiehm, zu Ihrem Schlenker mit Bezug auf das Abfallbeseitigungsgesetz.
— Das macht nichts. Er liest es vielleicht im Protokoll nach, wenn ich ihn einmal gelobt habe. Es geht um sein Zitat vom 20. Juni 1985. Mit Ihrem Schlenker zum Abfallbeseitigungsgesetz hätten Sie warten müssen, bis wir das Abfallbeseitigungsgesetz in zweiter und dritter Lesung beraten. Dann hätten Sie sich dazu auslassen können. Aber bei der SPD ist es ja meistens so, daß, wenn es um das Abfallbeseitigungsgesetz geht, in vielen Zeitschriften etwas erzählt wird, was vielleicht die Erwartungshaltung sein könnte, aber nicht darauf Bezug genommen wird, was wir real nachher hier beschließen wollen.Mit der Vorlage unserer Wassergesetze wird deutlich, daß wir eine breit angelegte Gewässerschutzpolitik betreiben und am Ende der Legislaturperiode auch in diesem Bereich eine außerordentlich positive Bilanz vorweisen können.Ich danke Ihnen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Sperling.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Kollege Hirsch von der FDP hat den Bogen vom Wein zum Wasser gespannt. Ich möchte den Bogen etwas weiter spannen. Wer nach der Aktuellen Stunde heute morgen um 8 Uhr in diesem Haus an Berlin denkt, der wird noch dieHoffnung gehabt haben, sich mit Wein trösten zu können. Nachdem hier die Weindebatte gelaufen ist, wird man den Wunsch haben, der Wein möge möglichst mit genügend Wasser verdünnt sein.
Bei der Wasser-Debatte fragt man sich dann, ob man denn wohl auch den Sprudel von der richtigen, täglich durch ein gutes Labor kontrollierten Quelle trinkt.
Ich sage dies, weil es ein verbindendes Stichwort für alle drei Dinge gibt, ein bißchen launig gemeint, aber doch ganz ernsthaft: Das ist das Thema Liquidität. Liquidität ist das Problem in Berlin. Und die flüssigen Stoffe, über die wir heute gesprochen haben, hängen damit zusammen; denn wer das Wasser schützen will, der braucht eine Regierung, die handlungsfähig und unabhängig ist.
Bei dem Stichwort Liquidität ist mein Zweifel an der Unabhängigkeit dieser Bundesregierung, was Umweltschutzpolitik angeht, gegeben. Beim Katalysator durften wir vermuten, daß die Unabhängigkeit fehlt, auch aus Parteifinanzierungsgründen. Ich glaube, daß es bei der Wasserschutzpolitik bei dieser Regierung auch nicht anders ist.
Dabei ist es so, daß sich das Regierungswissen nicht von der Opposition unterscheidet. Wenn ich die Antworten der Bundesregierung lese, kann ich dem Text entnehmen, daß die Gefährdung des Wassers groß ist und die Sorgen der Regierung eigentlich auch.
Dennoch ist der Ton, in dem geantwortet wird, verhaltener, als wenn manchmal Regierungsmitglieder über Wasserprobleme sprechen. Ich habe den Staatssekretär Gallus z. B. schon ganz anders in Erinnerung zu Wasserproblemen, als ich hier heute Herrn Spranger gehört habe.In der Tat muß es eigentlich zu weitaus alarmierenderer Sprache führen, verehrte Kollegen aus der Regierung, als sie in der Antwort vorhanden ist, wenn man weiß, daß die Zahl der Wasserwerke, die eigentlich über der Schadensgrenze in bezug auf den Nitratgehalt liegendes Wasser ins Versorgungsnetz einspeisen, von Jahr zu Jahr steigt, und zwar mit Steigerungsraten, die den Waldsterbensfortschritten nicht nachstehen. Wenn dies so weitergeht und wir doch wissen, daß in den Bodenschichten über den Trinkwasservorräten schon längst über Jahre Depots angehäuft sind, die jetzt vom Regen langsam in die Grundwasservorräte hinuntergespült werden, müßte uns allen klar sein, daß wir eigentlich Grund haben, sehr viel schneller zu handeln, obwohl wir noch mit steigenden Schadensmeldungen auch in der Zukunft zu rechnen haben.Da können wir uns nicht beruhigen, daß es uns zur Zeit gelingt, den Oberflächengewässern mehr
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Dr. Sperlingund mehr Schmutz zu entziehen, wenn wir aus Kreislaufüberlegungen wissen, daß das Deponieren des dem Oberflächenwasser entzogenen Schmutzes auf Deponien leider mit der problematischen Wirkung behaftet ist, daß der Schadstoff der aus den Fließgewässern herausgeholt ist, nun auf den Deponien, allerdings mit Langzeitwirkung, sickern wird.Nun mag man da manches eingrenzen können, indem man kontrolliert deponiert. Dennoch bleibt das Problem erhalten, daß man auf diese Art und Weise langfristige Vorsorge nicht hinlänglich betreibt.Da ich von Deponien spreche, will ich das Säumen und Zögern der Bundesregierung in anderen Bereichen mit Wasserschutz anprangern, „ansprangern", müßte man es eigentlich nennen;
denn wenn ich mir anschaue, daß wir 50 000 Altdeponien haben, die nicht alle die schlimme Qualität von Münchehagen haben müssen, aber in denen Stoffe sind, über deren Wirkung sich die Kommunalpolitiker jeweils lieber nicht Aufschluß geben, weil sie, wenn sie wüßten, was drinsteckt, handeln müßten, den Kommunen aber das Geld fehlt, um zu handeln, bleibt eigentlich nur: Wer Wasserschutz treiben will, für den bleibt nur eine bundesweite Finanzierung der Überprüfung unserer Altlasten, unserer Deponien, übrig — wenn man wirklich Grundwasser schützen will.
Wenn hinter die Altlastbeseitigung, weil dahinter auch noch Kriegsfolgewirkungen stecken, nicht der Bund mit Finanzierungskompetenz tritt, bleibt alles Reden über Trinkwasserschutz eigentlich Schall und Rauch. Und solange der Bund bei den Finanzierungsfragen im Zusammenhang mit der Altlastenproblematik zögert, nehme ich dieser Regierung keine ernsthafte Wasserschutzpolitik ab.
Dieser Regierung fehlt die Unabhängigkeit und darum die Fähigkeit, im Interesse des Wassers zu handeln. Man kann in der Tat in den Texten der Antwort dasselbe entdecken, was hier auf diesem Buch steht: daß das Wasser eines unserer wichtigsten Lebensmittel ist. Das ist eine wunderbare Einleitung einer jeden Antwort. Dieses Buch habe ich gestern in einer Bahnhofsbuchhandlung zufällig entdeckt. Da steht: Report über das Lebensmittel Nummer 1. Die eigentliche Überschrift heißt: Todeskandidat Wasser. Darin ist eine entsetzliche Reihe von Beispielen enthalten, wie schludrig wir in Alltagssorglosigkeit mit den Wasservorräten unseres Landes umgehen.
Auch beruhigende Erklärungen über die Quantität des Wasserdargebots können nicht darüber hinwegtäuschen, daß wir höchst beunruhigt über die sich verschlechternde Qualität unseres Wasserangebots zu sein haben und daß dieses so lange weiterlaufen wird, wie die alltägliche Sorglosigkeit im Umgang mit wassergefährdenden Stoffen anhält.
Das gilt von Hausfrauen bis zu Landwirten. Das gilt für Kommunen bis zu großen Unternehmen. Wenn man dagegen etwas tun will, dann — das ist völlig richtig — geht das nicht mit Staatsanwalt, Polizei und Gerichten,
sondern es muß an die Stelle der alltäglichen Sorglosigkeit und zum Teil der Ahnungslosigkeit über die Problematik der Stoffe, die man benutzt, etwas treten, was mit dem in dieser Gesellschaft funktionierenden Prinzip — Sie würden immer sagen: Marktwirtschaft — funktioniert. Wenn nicht in die Kostenkalkulation der Haushalte und in die Ertragskalkulation der Unternehmen eingeht,
daß die Schädigung der Natur vorbeugend bezahlt werden muß,
dann gibt es keine konsequente Umweltschutzpolitik. Wenn Sie diese jedoch wollen, dann brauchen Sie einen Staat, der handlungsfähig und unabhängig gegenüber Interessen ist, die da sagen: Die kurzfristige Kalkulation des Ertrages ist mir wichtiger, als nach dem Verursacherprinzip zuvor zur Kasse gebeten zu werden. Ich werde auf Sie, auf die Regierungsparteien, Einfluß nehmen — es gibt sie, diese Versuche der Einflußnahme, auch bei anderen.
Wir möchten lieber, daß Schäden später nach dem Gemeinlastprinzip beseitigt werden, als heute nach dem Verursacherprinzip zur Kasse gebeten zu werden. —
Das ist eine verständliche Grundhaltung. Wenn einzelne sie haben, wären andere idiotisch, sie nicht zu teilen, nach dem Wirtschaftsprinzip, nach dem diese Gesellschaft angetreten ist.Folglich gehört es in das Prinzip dieser Gesellschaft hinein, daß vorbeugender Umweltschutz von der Regierung in Kosten- und Preiskalkulationen eingebracht wird.
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Dr. SperlingSolange diese Regierung sich solchem Denken verweigert
und ihre Vordenker in Baden-Württemberg mit dem Wasser-Pfennig genau das Gegenteil vordenken,
so lange traue ich Ihnen, verbliebene Regierungsmitglieder, außer persönlicher Gutwilligkeit keine Handlungsfähigkeit und keine Unabhängigkeit zu, die dafür sorgt, daß das Lebensmittel Nummer 1 in unserem Land von dieser Regierung in der Tat hinlänglich geschützt wird.Dies würde auch bedeuten — um das an einem Beispiel zu zeigen —, daß man nach den Konsequenzen für das Bewußtsein aller Politikbereiche — Kommunalpolitik, Landespolitik, Bundespolitik — fragt, wenn das Prinzip der Fernversorgung mit Trinkwasser weiter läuft. Wir brauchen im Grunde genommen für jede Gemeinde die Kontrolle dessen, was in ihrem Gebiet geschieht,
und zwar dadurch, daß sie verpflichtet ist, auf eigenem Grund und Boden einen Mindestbeitrag zur Trinkwasserversorgung ihrer Bevölkerung zu leisten, so daß in der Tat aus jeder Kommune der Druck entsteht, für Gewässerschutz zu sorgen. Daß wir heute Verhältnisse haben, wo nur wenige Gemeinden mehr in der Lage sind, aus eigenem Grund und Boden ihre Wasserversorgung sicherzustellen,
ist von vielen zu kritisieren, auch von mir, selbst wenn die frühere Politik meiner eigenen Partei in dieser Richtung manches mitbewirkt hat.
Aber wer ein wasserschützendes Bewußtsein entwickeln will, muß organisatorische Vorkehrungen treffen, daß Prozesse, die dauernd Sorglosigkeit herstellen, beendet werden.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich schließe damit: Ich wünsche Ihnen an diesem Wochenende, daß Sie immer gutes Wasser zu trinken bekommen.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Zu Tagesordnungspunkt 18a, d und e schlägt der Ältestenrat die Überweisung der Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vor. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? — Das ist nicht der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Damit sind wir am Schluß unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 23. April 1986, 13 Uhr ein.
Ich wünsche Ihnen ein gutes Wochenende. Die Sitzung ist geschlossen.