Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.
Meine Damen und Herren, die Fraktion DIE GRÜNEN hat fristgerecht beantragt, den Punkt 2 von der heutigen Tagesordnung abzusetzen. Diesen Antrag werden wir im Anschluß an die Aktuelle Stunde behandeln.
Ich rufe den Zusatztagesordnungspunkt 2 auf: Aktuelle Stunde
Nationale Notstandshandlungen für die deutsche Landwirtschaft
Die Fraktion der SPD hat gemäß Nr. 1 c der Anlage 5 unserer Geschäftsordnung eine Aktuelle Stunde zu dem genannten Thema verlangt. Ich eröffne die Aussprache.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Esters.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Eine Aktuelle Stunde ist nicht dazu da, die Grundsätze der Agrarpolitik zu diskutieren; dies wird in anderem Zusammenhang hier geschehen. Mir geht es darum, die Agrarfinanzierung dieser Bundesregierung, nämlich die ständig zunehmende Renationalisierung der europäischen Agrarpolitik, etwas unter die Lupe zu nehmen. Man muß sich dabei nämlich vor Augen halten, daß 1986 von den Ausgaben für die Landwirtschaft von insgesamt rund 17,8 Milliarden DM in der Bundesrepublik ein Anteil von 58 % auf nationale Maßnahmen entfällt. Dabei sind die Programme der Bundesländer nicht einmal eingerechnet.
Was verbirgt sich denn hinter diesem harmlos klingenden Begriff der Renationalisierung? Es geht um die Bewältigung der Überschüsse der Agrarproduktion durch Zahlungen der europäischen Steuerzahler in den EG-Haushaltstopf einerseits und um zusätzliche Steuermittel auf nationaler Ebene andererseits, was in erster Linie Milliardensteuersubventionen bedeutet. Das Spezifische der deutschen nationalen Landwirtschaftssubvention heute ist, daß ihr Anlaß und ihr Inhalt von Wahlveranstaltungen und Wahlergebnissen in Schleswig-Holstein bestimmt wurde und bestimmt wird.
Erinnern wir uns an den Juni 1984: Der Haushaltsminister unseres Landes wird, wenn es um Agrarfragen geht, zum Lobbyisten,
der aus einer Wahlveranstaltung, Herr Kollege Eigen, ein Papier mitbringt, das zu einer Subvention von 23 Milliarden DM für die deutsche Landwirtschaft führt, und dies geschieht nach dem Gießkannensystem.
Man muß sich einmal die Seriosität des Bundesfinanzministers vorstellen,
indem man diese Nacht-und-Nebel-Aktion ins Verhältnis zu anderen steuerlichen Maßnahmen der Bundesregierung setzt. Die 3 Milliarden DM jährlich für die landwirtschaftliche Vorsteuerpauschale machen zwei Drittel der Kosten aus, die die Bundesregierung für die groß angekündigte Verbesserung des Familienlastenausgleichs ab 1986 aufwendet.
Nun sollte man denken, die damaligen Reaktionen im In- und Ausland hätten dem Bundesfinanzminister und dem Bundeslandwirtschaftsminister zu denken gegeben. Weit gefehlt: Nach der schleswig-holsteinischen Kommunalwahl wiederholt sich das Spiel. Der Bundeslandwirtschaftsminister verspricht 100 Millionen bis eine Milliarde DM für nationale Notstandshandlungen. Dann läßt er dementieren. Was bleibt an wirklichen Zusagen? Keiner weiß es zur Stunde genau. An erster Stelle unserer autonomen Möglichkeiten, wie Herr Kiechle sich am 10. März ausdrückte, stehen wieder einmal Möglichkeiten des Steuerbereichs. Sie haben hier Gelegenheit, den Vorhang zu lüften und Licht in das Dunkel zu bringen und den Dschungel aufzulösen, der durch Ideen, Vorstellungen und programmatische Äußerungen von anderer Stelle geschaffen worden ist.
Das alles findet aber erst nach der niedersächsischen Landtagswahl statt, und danach gibt es dann entsprechend dem Terminkalender der Bundesregierung einen neuen Entscheidungszwang, nämlich nach dem niedersächsischen Wahlergebnis und vor
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Esters
der bayerischen Landtagswahl. So hangelt sich der Bundesfinanzminister von Wahl zu Wahl. Irgendwann wird ihm die Union das möglicherweise auch honorieren.
Zunächst läßt der Bundesfinanzminister zu, daß Herr Kiechle den Bauern attraktive Wahlversprechen macht, und verweist selbst auf die Haushaltsberatungen 1987. Auf der europäischen Ebene demontiert Dr. Stoltenberg nicht nur sein Ansehen, sondern auch die Glaubwürdigkeit der deutschen Europapolitik. Der Bundesfinanzminister bezeichnet die Agrarausgaben, die schon heute 70 % aller EG-Ausgaben ausmachen, als politisch und rechtlich unumgänglich. Sie müßten auch zu Lasten aller bestehenden Verpflichtungen in den Bereichen Forschungs-, Energie-, Struktur- und Regionalpolitik aufgestockt werden.
Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit ist abgelaufen.
Sie, Herr Minister und vor allem die Kollegen von der CDU/CSU haben die Möglichkeit — dies eröffnet Ihnen die Aktuelle Stunde —, das, was an Versprechen, Ideen oder gar konkreten Vorhaben auf die Landwirtschaft zukommt, im einzelnen zu erläutern. Wenn Sie das tun, hat die Aktuelle Stunde ihren Sinn gehabt.
Das Wort hat der Abgeordnete Susset.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Kollege Esters hat wieder den Juni 1984 zitiert. Er hat aber aus der damaligen Diskussion noch nicht begriffen, daß es auch bei der SPD-Regierung Mehrwertsteuerausgleichsregelungen gab und daß es bei der SPD-Regierung auch Flächenausgleichsregelungen gab. Wenn Ihre Agrarpolitiker draußen die wirtschaftliche Lage der Landwirtschaft beklagen, auf der anderen Seite die SPD aber in ihrem Parteiprogramm Preissenkungen als einzige Lösungsmöglichkeit vorschlägt, andererseits die — —
— Herr Apel, Sie sind betroffen.
Ihr Apel-Papier, das Preissenkungen vorsieht, ist Agrarprogramm der SPD geworden.
Nun sind Sie nicht einmal bereit, hier über nationale Ausgleichsmaßnahmen nachdenken zu lassen.
Minister Kiechle hat von der Möglichkeit nationaler Maßnahmen im Bereich der Agrarpolitik für den Fall gesprochen, daß die diesjährigen Agrarpreisverhandlungen zu einem für uns unbefriedigenden Ergebnis führen. Ich habe gleich nach Vorlage der Brüsseler Preisvorschläge für die Fraktion erklärt, daß Ausgleichsmaßnahmen für die deutsche Landwirtschaft zwingend notwendig sind, wenn dies in der Europäischen Gemeinschaft durchgesetzt wird.
Meine Damen und Herren, im Gegensatz zur SPD wollen wir einen Ausbau der Förderung in den benachteiligten Gebieten, wir wollen einen Ausbau der Agrarsozialpolitik, und wir wollen ein soziales Marktentlastungsprogramm.
— Das wollen Sie?
— Herr Apel,
wenn Sie das wollen, müssen Sie sich auch danach verhalten. Sie haben im Agrarsozialbereich Abbau betrieben, nicht Aufbau.
Ich freue mich darüber, daß der Kollege Esters hier erklärt, daß Stoltenberg nun zum Lobbyisten für die Landwirtschaft wurde. Stoltenberg hat erstens den Haushalt saniert und hat dabei zweitens die Landwirtschaft nicht — wie es bei Ihnen der Fall war — im Stich gelassen.
Im Gegensatz zu Ihnen, meine Damen und Herren von der SPD, werden wir den Rahmen der nationalen Möglichkeiten ausschöpfen. Sie hatten dazu während Ihrer Regierungstätigkeit Zeit, Sie haben aber nichts getan.
Im Gegenteil, Sie wollten die Agrarsozialpolitik finanziell aushöhlen.
Die SPD-geführte Bundesregierung — der Herr Apel war dabei — muß sich vorwerfen lassen, daß sie den im europäischen Recht vorhandenen Spielraum zur Unterstützung auch kleiner und mittlerer Betriebe und von benachteiligten Gebieten nicht genutzt hat.
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Susset
Statt dessen haben Sie mit einseitiger Förderpolitik mit dazu beigetragen,
daß in der Landwirtschaft praktisch zwei Klassen entstanden sind.
Es geht Ihnen von der SPD heute ja nicht um die Landwirtschaft;
es geht Ihnen darum, in der Öffentlichkeit den Widerstand gegen notwendige Maßnahmen zu schüren.
Ihre Grundeinstellung zur Landwirtschaft ist bekannt. Wer — wie Sie, Herr Apel, es tun — den Bauern unterstellt, sie müßten das Geld nur mit der Gabel herumschieben, der steht, glaube ich, im Abseits, der braucht sich nicht für die Landwirtschaft einzusetzen, weil ihm das nicht geglaubt wird.
In allen Wirtschaftsbereichen geht es dank einer guten Politik zur Zeit besser; die Realeinkommen steigen. Nur in der Landwirtschaft ist es anders. Natürlich müssen wir in der Europäischen Gemeinschaft einen Preis dafür zahlen, daß unsere Wirtschaft einen solchen Exportmarkt hat;
das müssen wir hier klar feststellen.
Aber dies darf nicht allein auf dem Rücken der Landwirtschaft und der agrargewerblichen Wirtschaft ausgetragen werden. Man muß ja auch einmal sagen, daß es nicht nur um die 5 oder 6 % der voll in der Landwirtschaft Tätigen geht; es geht auch um die Hunderttausende und Millionen von Arbeitsplätzen im vor- und nachgelagerten Bereich. Den Arbeitnehmern dort müssen wir sagen, daß die SPD nicht bereit ist, auch nur einen kleinen Beitrag dazu zu leisten, daß die Arbeitsplätze in der Landwirtschaft und die Arbeitsplätze in dem der Landwirtschaft vor- und nachgelagerten Bereich erhalten werden können.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben das Wort des Bundeslandwirtschaftsministers, wir haben das Wort des Bundesfinanzministers, und wir haben auch das Wort des Bundeskanzlers,
daß er nicht bereit ist, das, was für Europa notwendig ist, allein auf dem Rücken der Landwirtschaft austragen zu lassen.
Dahinter steht auch die CDU/CSU-Fraktion. Bei Ihnen in der SPD aber gibt es ja, nachdem der einzige SPD-Abgeordnete, der in der Landwirtschaft noch ein entsprechendes Ansehen hat, nämlich Dr. Martin Schmidt , nicht mehr nominiert wurde, künftig eine neue Gruppe von Agrarpolitikern. Wir müssen die Landwirtschaft künftig noch mehr davor warnen, die Agrarpolitik in die Hände der SPD und der GRÜNEN zu geben. Dies wäre schlimm für die Betroffenen.
Danke schön.
Das Wort hat der Abgeordnete Werner .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich spreche bei uns ja oft mit Bauern, und in der Nachbarschaft habe ich da einen sehr lieben Menschen, der mir immer sagt: Helmut, seit du in Bonn bist, wird es für uns in der Landwirtschaft immer schlechter. In Bonn bin ich seit März 1983. Da hat er mit seiner Feststellung leider Gottes recht.
Das vorweg.
Herr Susset, Sie haben eben gesagt, daß Sie mit Ihrer Politik Arbeitsplätze erhalten wollten. Ich weiß nicht, wie das mit dem Programm zu vereinbaren ist, daß Sie große Teile der Betriebe „herauspachten" wollen und dort somit die Arbeitsplätze vernichtet werden. Darin sehe ich einen totalen Widerspruch.
Die Verwirrung in der Agrarpolitik hier in der Bundesrepublik ist nicht mehr zu überbieten. Die Bauern sind derart verunsichert, daß sie die CDU und CSU, deren Stammwähler sie bis zu der Milchquotenregelung waren, nicht mehr wählen können. Am Montag nach dem schlechten Wahlergebnis für die CDU in Schleswig-Holstein versprach Herr Minister den Bauern eine Milliarde, am Dienstag allerdings war es keine Milliarde mehr.
Die FDP fordert mehr marktorientierte Preise, während CDU und CSU weiterhin von einer aktiven Preispolitik sprechen, in dem Glauben, das komme bei den Bauern gut an, selber aber längst wissend, daß in Brüssel die Weichen für weitere Preissenkungen schon gestellt sind. Statt sich für den Erhalt bäuerlicher Existenzen einzusetzen, sollen für die Aufgabe von Betrieben, für Sterbehilfen und Arbeitsplatzvernichtung in der Landwirtschaft riesige Summen ausgegeben werden.
Wir haben heute drei Problemkreise in der Landwirtschaft.
1. Das seit 25 Jahren anhaltende Wachsen oder Weichen der Bauern wird sich, so wie die Rahmenbedingungen von der EG und der Bundesregierung zur Zeit gestellt werden, in Zukunft noch verstärken.
2. Die Tatsache, daß intensive agrarindustrielle Landwirtschaft in großen Teilen der Bundesrepu-
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Werner
blik und der EG betrieben wird, bringt für die Umwelt Gefahren mit sich, die schon heute sichtbar sind, sich in Zukunft jedoch katastrophal auswirken können.
3. Die produzierten Überschüsse sind nicht mehr bezahlbar, bringen die Bauern in den Ruf, nur von Subventionen zu leben, und sind eine Vergeudung von Energie und Arbeit.
Zu 1. Die Agrarpolitik wird den anhaltenden Trend zu immer größeren Betrieben und Vieheinheiten nicht zum Stoppen bringen, solange die unterschiedlichen Bedingungen zur Produktion von großen und kleinen Einheiten nicht annähernd ausgeglichen werden. Das Geschrei, man wolle die Massentierhaltung und die industrielle Landwirtschaft auch nicht, ist unredlich, solange man keine Bestandsobergrenzen einführt, ist unredlich, solange man den kleinen Vollerwerbsbetrieben keine Überlebenschance läßt.
Die GRÜNEN fordern konkret die Einführung von flächengebundenen Bestandsobergrenzen und Preisanhebungen für Bauern, die nur kleine Einheiten produzieren.
Zu 2. Nitrat im Grundwasser, Artenrückgang durch Pflanzenbehandlungsmittel und intensive Landwirtschaft, Rückstände in tierischen und pflanzlichen Erzeugnissen sind nicht der Landwirtschaft allein anzulasten. Andererseits ist sie für diese Probleme der Hauptverantwortliche. Aus ökologischen Gründen fordern wir GRÜNEN in Gebieten mit intensiver Landwirtschaft die Verringerung des Einsatzes von mineralischem Stickstoff und Agrargiften durch Stickstoffabgaben und Finanzausgleiche.
Zu 3. Gleichzeitig kann durch Intensitätssenkung, durch verminderten Stickstoff- und Agrargifteeinsatz sowie durch Begrenzung von Futtermittelimporten ein sofortiger Abbau der Überschüsse erreicht werden.
Die von der Regierung vorgeschlagenen Maßnahmen sind zu teuer und nicht wirksam, um die irrsinnige Überproduktion wirklich abzubauen.
Da sind wir wieder beim Durcheinander der Vorstellungen und Zielsetzungen der etablierten Agrarpolitik, deren Eulenspiegelei einen neuen Höhepunkt im „Spiegel"-Gespräch mit Herrn Minister Kiechle erreicht.
Minister Kiechle antwortete auf die Frage zum
landwirtschaftlichen Frühpensionär: „Er kann Heu
machen, er kann Futtergetreide anbauen, aber er
muß eben darauf verzichten, intensiv zu düngen." — Das scheint wieder ein völlig neues Programm zu sein. Wenn das für die gesamte landwirtschaftliche Fläche gelten sollte, könnten wir uns sogar damit anfreunden.
In Niedersachsen setzt Ministerpräsident Albrecht ganz auf Bioäthanol. Die Bauern werden allerdings skeptisch, wenn sie je Doppelzentner Zukkerrüben 5 DM bekommen sollen, also nur die Hälfte dessen, was die Zuckerrübenfabriken zahlen.
Staatssekretär Gallus sagt, die Bundesregierung müsse versuchen, die Mengen in den Griff zu bekommen, da die Äthanolproduktion noch nicht machbar sei, auch nicht übermorgen.
Er sagt weiter: Die Bundesrepublik wird ein Land der Nebenerwerbslandwirte werden.
Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit ist abgelaufen. Ich muß Sie bitten, zum Schluß zu kommen.
Die GRÜNEN fordern keine 10 Milliarden DM für die Zerstörung der bäuerlichen Umwelt, sondern 5 Milliarden DM für ihre Erhaltung. Anträge der GRÜNEN, die einen Ausweg aus dem Notstand weisen, liegen dem Parlament in den nächsten Wochen zur Abstimmung vor.
Das Wort hat der Abgeordnete Paintner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es war sicherlich nicht Ihr Motiv, meine Damen und Herren von der SPD, uns durch diese Aktuelle Stunde die Möglichkeit zu verschaffen, einige Dinge klarzustellen. Nun, wir nehmen diese Gelegenheit gerne wahr.Allerdings sehe ich keinerlei Anlaß zu diesem Sturm im Wasserglas. Was hat denn der Minister gesagt?
Er hat von möglichen Einkommensschäden für die deutsche Landwirtschaft dadurch gesprochen, daß die Brüsseler Preisverhandlungen nicht das gewünschte Ergebnis bringen, und er hat Notstandshandlungen für diesen Fall in Erwägung gezogen. Wer aus diesen sehr vorsichtigen Bemerkungen des Ministers ein Versprechen konstruiert, fällt ihm bei den Brüsseler Preisverhandlungen in den Rücken; und das wollen wir doch alle nicht tun.
Werfen Sie doch einmal einen Blick in den jüngsten Agrarbericht. Es kann doch niemand bestreiten, daß es der Landwirtschaft schlechtgeht.
Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 204. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. März 1986 15615PaintnerUnter den im Berichtsjahr 1984/85 noch vorhandenen 384 000 landwirtschaftlichen Vollerwerbsbetrieben
— ich habe doch gesagt, daß es ihnen schlechtgeht;
— j a, sicher! —
sind rund 127 000 Betriebe, die nur einen Gewinn von 15 171 DM je Familienarbeitskraft erzielen. Nach dem Abzug des Eigenverbrauchs ergibt sich ein Eigenkapitalverlust von 58 DM je Betrieb. Die Familien haben also das ganze Jahr hart gearbeitet, nur bescheiden gelebt und waren am Jahresende ärmer als zuvor.
Das Durchschnittseinkommen je Familienarbeitskraft von rund 24 000 DM ist wirklich auch nicht berauschend.
Ist es da verwerflich, wenn man von Einkommensmaßnahmen für die Landwirtschaft spricht?In einer solchen Situation wollen Sie, meine Damen und Herren von der SPD, die Preise senken. Das wäre ja gerade Sterbehilfe für Tausende von Landwirten.
Wir brauchen in der Landwirtschaft eine Überlebenshilfe, eine Lebenshilfe. Helfen Sie uns lieber, daß wir so schnell wie möglich das von uns vorgeschlagene soziale Marktentlastungsprogramm ins Leben rufen. Dann haben Landwirte vom 55. Lebensjahr an die Möglichkeit, ihren Betrieb aus der Produktion zu nehmen, und zwar freiwillig. Das muß immer betont werden. Sie belasten dann den Arbeitsmarkt nicht mehr. Sie tragen nicht mehr zur Überschußproduktion bei und sind nicht mehr gezwungen, bis zu ihrem 65. Lebensjahr unter allen Umständen weiterzuwirtschaften.Ich freue mich, daß auch Sie in Ihrem Agrarprogramm für die Stillegung von landwirtschaftlichen Nutzflächen gegen entsprechenden finanziellen Ausgleich eintreten. Da auch die Union unlängst ihre Bereitschaft zu einem Marktentlastungsprogramm bekundet hat, frage ich, was uns eigentlich noch daran hindert, unverzüglich die gesetzlichen Grundlagen für diese sinnvolle und dringende Maßnahme zu schaffen.
Die Bundesregierung wird aufgerufen, in Brüssel noch einmal darauf zu drängen, daß Vorschläge für eine europaweite Flächenstillegungsmaßnahme vorbereitet werden.
Machen wir uns nichts vor: Unsere leistungsfähigen bäuerlichen Familienbetriebe werden nur überleben, wenn sie die geeigneten wirtschaftlichen Rahmenbedingungen vorfinden.
Dazu zählen auch die EG-Marktordnungen, die wir auf keinen Fall auf das Spiel setzen dürfen.
Wir werden sie aber nicht finanzierbar halten, wenn wir nicht umgehend die Überschußerzeugung eindämmen.
Angesichts der Einkommenslage, in der viele Betriebe gegenwärtig stecken, kann man doch nicht von Preissenkungen reden. Haben Sie sich schon einmal überlegt, was Sie diesen Leuten mit einer Preissenkung antun?
Denen nützen auch die Einkommensübertragungen, die Sie ihnen zukommen lassen wollen, gar nichts,
wenn Sie ihnen zuvor den höheren Betrag durch Preissenkungen vorenthalten haben. So einfach, wie Sie es sich in Hessen mit dem Kleinbauernprogramm machen, geht es nicht.
Die Versprechungen und Forderungen, mit denen Sie, meine Damen und Herren von den GRÜNEN, bei den Landwirten hausieren gehen, müssen jedem überzeugten Europäer den Angstschweiß auf die Stirn treiben.
Sie sagen weder, wie Sie Ihre Forderungen mit einem Volumen von 3 Milliarden DM finanzieren wollen, noch zeigen Sie den Weg auf, wie man dieses Geld EG-konform unter die Landwirte verteilen könnte. Solche Versprechungen schaffen bei den Landwirten nur Illusionen. Möglicherweise aber haben unsere Landwirte dies inzwischen erkannt und nehmen solche Forderungen nicht wahr.
— Glauben Sie wirklich, meine Damen und Herren von den GRÜNEN, daß wir die Landwirtschaft auf breiter Front auf unsere Groß- und Urgroßväter zurückführen können? Es sind nur wenige Landwirte — nur die, die nichts wissen und nichts verstehen —, die dies noch gar nicht miterlebt haben, was Sie wollen.
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PaintnerWas uns im Augenblick die meisten Sorgen bereitet, ist die Einkommensfrage. Es kommt jetzt darauf an, dies auch bei den anstehenden Preisverhandlungen zu berücksichtigen.
Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit ist abgelaufen. Bitte kommen Sie zum Schluß.
Wir sollten Minister Kiechle in seinen Bemühungen, in Brüssel zu einem für alle akzeptablen Preisabschluß zu kommen, nach Kräften unterstützen. Die FDP jedenfalls
wünscht ihm insbesondere im Interesse der Bauern und der Verbraucher den besten Erfolg.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich anmerken: Es ist immer peinlich, wenn der Präsident den Redner auffordern muß, die Rede zu beenden. Ich bitte alle Kolleginnen und Kollegen, sich im Rahmen dieser Aktuellen Stunde an die vorgegebene Redezeit von fünf Minuten zu halten.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Müller .
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Bei dieser Regierung müssen fast alle schon auf Krücken gehen; da haben Sie recht, Herr Kollege Susset.
Lassen Sie mich einen Satz zu Ihrer Rede, Herr Kollege Susset, sagen. Wir haben von vorsichtiger Preispolitik gesprochen, und Sie haben Preissenkungen bewirkt. Das ist der Unterschied.
Und lassen Sie mich mit einem Zitat aus der „Süddeutschen Zeitung" antworten, in der steht:Wenn es darum geht, bäuerliche Wähler mit dem Schleppnetz der Agrarsubvention einzufangen, dann wird dieser Regierung offensichtlich jeder Unfug zugetraut.So das Thema des Tages der „Süddeutschen Zeitung" am 5. März 1986. Die Glosse trägt den Titel: „Ignaz der Mißverstandene". Dieser Bewertung kann ich mich allerdings nicht anschließen, denn Millionen Fernsehzuschauer — auch ich — haben Ihre Aussage, Herr Minister, 1 Milliarde DM oder mindestens 100 Millionen DM zusätzlich als nationalen Verlustausgleich für die Landwirtschaft zur Verfügung zu stellen, gehört und auch sehr wohl verstanden. Das gilt übrigens auch für den Deutschen Bauernverband, der schon entsprechende Forderungen gestellt hat. An diesen Tatbeständen ändert auch das Dementi nichts. Sie reden zu viel, Sie versprechen zu viel. Die Folge ist, daß die Landwirte total verunsichert sind und Ihnen gar nichts mehr glauben.
Und das in einer Situation, in der unsere Bauern, wie Sie selber zugeben, voller Angst in die Zukunft blicken. Gerade jetzt bräuchten sie Richtlinien und Zukunftsperspektiven. Aber weder die Union noch die Bundesregierung haben etwas Entsprechendes anzubieten. Denn auch Ihr soziales Marktentlastungsprogramm, Herr Minister, ist bei genauem Hinsehen doch nur Augenwischerei. Auch wir sind für vorgezogenes Altersruhegeld, auch wir befürworten Flächenstillegungen, und zwar schon eher, als Sie überhaupt darauf gekommen sind, aber aus sozialen und ökologischen Gründen. Es ist doch reine Utopie, jemandem vormachen zu wollen, damit seien die Überschüsse in der EG zu beseitigen.
Der Produktivitätsfortschritt in der Landwirtschaft beträgt 21)/0 bis 3 %. Wenn man nur den auffangen wollte, müßte man in der Bundesrepublik rund 240 000 ha pro Jahr stillegen. Diese Zahlen sprechen doch für sich.Ich sage: Hier werden falsche Erwartungen geweckt. Hier wird Geld verstreut, um den Gegensatz zwischen Nord und Süd unter den Teppich zu kehren. Hier wird der Subventionshahn aufgedreht, und die Gelder werden mit der Gießkanne verteilt, weil das wesentlich einfacher ist. Diese Methode kostet Milliarden und bringt den Landwirten, die am dringendsten Hilfe bräuchten, überhaupt nichts.
Das obere Viertel der Vollerwerbsbetriebe, rund 100 000 an der Zahl, hat seit 1975/76 ein Reineinkommen je Familienarbeitskraft zwischen 50 000 und 58 000 DM. Wir sind doch froh, daß es gesunde und finanzstarke Betriebe in der Landwirtschaft gibt. Die Betriebsinhaber können auch stolz auf ihre Leistung sein. Wir sind froh, daß es Betriebe gibt, die sich aus eigener Kraft auf dem Markt behaupten können. Aber diese Betriebe sind nicht auf zusätzliche Hilfe aus Steuergeldern angewiesen.
Hilfe braucht das untere Viertel. Das sind auch um die 100 000 Betriebe, aber mit einem Reineinkommen je Familienarbeitskraft von ungefähr 10 000 DM und darunter. Diesen muß wirkungsvoll geholfen werden. Eine solche gezielte Hilfe, Herr Kollege, hat nichts mit einem Ausspielen zwischen Arm und Reich, auch nichts mit einem Ausspielen zwischen Einkommensstarken und Einkommensschwachen zu tun. Sie hat einzig und allein etwas mit mehr Gerechtigkeit und mehr Menschlichkeit zu tun. Diese vermissen wir bei Ihnen.
Ich bin sicher, daß die Landwirte zu dieser Solidarität bereit wären. Ich bin sicher, daß gezielte Hil-
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Müller
fen bei den Landwirten auch mehr Beifall fänden als Ihre bisher praktizierte Subventionspolitik mit der Gießkanne, die der Landwirtschaft insgesamt keine Zukunftschancen eröffnet.Herzlichen Dank.
Das Wort hat der Abgeordnete von Heereman.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich verstehe die Freude vor allem der Sozialdemokraten darüber, daß ich hier spreche, da ich ja aus vielen Verhandlungen in den vergangenen 14, 15 Jahren weiß, wie Bundesregierungen unter sozialdemokratischen Bundeskanzlern auf Forderungen der Landwirtschaft reagiert haben.
Meine Damen und Herren, darum verstehe ich nicht, daß wir die Notlage der Landwirtschaft zum Anlaß nehmen, um hier Erklärungen abzugeben, die doch besorgniserregend sind, genauso besorgniserregend wie die Einkommenslage der Mehrzahl unserer landwirtschaftlichen Betriebe.
— Da sieht man, wie Ihnen die Not am Herzen liegt. Diese Aussage bringt den Bauer nicht weiter.
Die Einkommenslage bringt die bäuerlichen Familien in eine ausweglose Situation. Alle Maßnahmen der Bundesregierung, die großen Belastungen über Ausgleichszahlungen sowie Entlastungen im sozialen, im steuerlichen, im strukturellen Bereich zu mildern, verhinderten eine noch schlimmere Entwicklung und werden von mir und meiner Fraktion begrüßt und anerkannt.
Aber die in vielen Jahren erfolgten falschen Weichenstellungen in der europäischen Agrarpolitik verursachten Einkommens- und Vermögensverluste in der Landwirtschaft, die selbst durch die genannten Maßnahmen nicht auszugleichen waren. Der ständige Druck auf die Preise zwang die Bauern ja zu einer immer stärkeren Produktion, in deren Folge den Verbrauchern zwar immer reichhaltiger gefüllte und sogar überfüllte Märkte, den Bauern in den letzten zehn Jahren aber stagnierende bzw. abgesenkte Einkommen beschert wurden.
Eine Inflationsrate von 0,7 % und damit auch eine einmalig günstige Situation bei den Lebenshaltungskosten der Mitbürger ist neben einigen wenigen anderen Faktoren der Tüchtigkeit und dem unermüdlichen Fleiß unserer Bauern zu verdanken.
Unsere Bauern aber glitten trotz dieser Leistung immer tiefer in die Krise hinein.
Meine Damen und Herren, Erosionen im ländlichen Raum, Absatzverluste und damit möglicher weiterer Verlust von Arbeitsplätzen in den der Landwirtschaft vor- und nachgelagerten Bereichen, eine weitere Ausdehnung von Formen der Landbewirtschaftung, die mit bäuerlicher Landbewirtschaftung nur noch wenig zu tun haben, Schäden an Natur und Umwelt werden ähnlich wie in einigen Regionen Nordamerikas die unausweichlichen Folgen sein können.
Deshalb ist es dringend erforderlich, rasch wirkende Maßnahmen zu ergreifen, um der akuten Notlage in den Betrieben zu begegnen. So habe ich auch diese Aktuelle Stunde verstanden, die Sie beantragt haben. Die Bauern brauchen kurzfristig wirkende kostenentlastende Maßnahmen. Zwar sind eine Reihe von Maßnahmen in der Diskussion, vorgelegt von der CDU/CSU im Programm der Albrecht-Kommission, von unserem Koalitionspartner, der FDP, von den Oppositionsparteien, der Wissenschaft und den Verbänden. Sie müssen geprüft werden, aber sie führen erst mittel- und langfristig zur grundlegenden Besserung der Lage in den bäuerlichen Betrieben. Darum brauchen wir kurzfristig ein gezieltes Entlastungsprogramm über die Kostensenkung, und zwar auch gezielte Kostensenkung — einkommensbezogen — im Bereich der Agrarsozialpolitik. Ferner brauchen wir darüber hinaus ein Existenzsicherungsprogramm für unverschuldet in Not geratene bäuerliche Betriebe. Mit diesem nationalen Programm müssen schlimmere Entwicklungen, wie gesagt, verhindert werden. Es muß Zeit gewonnen werden, um auf EG- und nationaler Ebene richtige Vorzeichen für eine mittel- und langfristige, zukunftsorientierte Agrarpolitik zu setzen.
Ich fordere alle Mitglieder des Hohen Hauses auf, die Beseitigung der Notlage unserer Landwirtschaft zu einem gemeinsamen Anliegen zu machen und die deutschen Bauern jetzt nicht im Stich zu lassen; sie arbeiten hart, verdienen wenig, leisten Unschätzbares für unsere Gesellschaft, und dieses wiederum erfordert unsere Solidarität.
Ich danke Ihnen.
Das Wort hat der Abgeordnete Gallus.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich glaube nicht, daß man in einer Aktuellen Stunde den schwierigen Problemen der Agrarpolitik Europas und der deutschen Landwirtschaft gerecht werden kann. Ich glaube, wir müssen den Realitäten nüchtern ins Auge blicken. Es hat keinen Wert, sich gegenseitig an den Wagen fahren zu wollen angesichts der allgemeinen Diskussion, die in Europa derzeit stattfindet. Auch mit Schuldzuweisungen, was die Vergangenheit anbetrifft, werden wir die Zukunft nicht ge-
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Gallus
winnen. Dazu sind die Probleme viel zu schwierig. Sie können machen, was Sie wollen, ob Sie etwas an den Preisen oder an den Mengen verändern, immer wird das Einkommen betroffen.
Meine Damen und Herren, heute morgen haben wir eine erfreuliche Meldung gehört. Spanien bleibt in der NATO.
Am 1. Januar sind Spanien und Portugal beigetreten. Meine Damen und Herren, nach dieser Hochzeit scheint mir allerdings bei den Finanzministern Europas der große Katzenjammer eingetreten zu sein. Wenn der Finanzratspräsident von Holland erklärt, die vorgestellten Rahmendaten stellten für den kommenden Haushalt einen Schock dar, dann muß man wissen, in welcher Situation sich ein Landwirtschaftsminister befindet, der in Brüssel Preisverhandlungen zu führen hat, wo die Rahmendaten vorgegeben sind und gerade die Situation der deutschen Landwirtschaft äußerst schwierig ist. Wir kommen nicht darum herum, auch angesichts dieser schwierigen Preisverhandlungen darüber nachzudenken, was mittelfristig in Europa zu tun ist. Die Frage muß gestellt werden: Was darf Europa kosten, was darf letzten Endes die europäische Agrarpolitik kosten? Agrarpolitisch hätten uns die sechs Staaten genügt. Niemand kann doch glauben, daß mit 1,4 % Mehrwertsteuer Europa gebaut werden kann. Ich jedenfalls habe das nie geglaubt. Wer Europa will, meine Damen und Herren, muß auch die andere Seite sehen und muß sich der Frage stellen, ob man in diesem Europa bäuerliche Familienbetriebe haben will oder nicht. Das ist die entscheidende Frage, die gelöst werden muß.
Ich sage Ihnen, meine Damen und Herren von der SPD und von den GRÜNEN: Mit Ihren wirtschaftlichen Vorstellungen wird das Geld in Zukunft nicht verdient, das wir brauchen, um den bäuerlichen Familienbetrieb über die Runden zu bringen; das ist ganz sicher.
Die deutschen Landwirte wissen eines ganz genau: daß diese Bundesregierung bereit und in der Lage sein wird, sie über diese schwierigen Zeiten hinwegzubringen.
Denn bei Ihnen — sowohl bei der SPD wie bei den GRÜNEN — besteht die ganz große Gefahr, daß sie in einer schwierigen Zeit des Übergangs die Frage stellen müssen, was mit ihrem Eigentum überhaupt geschieht.
Meine Damen und Herren, diese Auseinandersetzung habe ich Anfang der 70er Jahre — —
Da sitzt Herr Vogel; er hat mir vorgeworfen: „Der
Gallus ist ja immer noch da!" Herr Vogel, wenn der
Wertzuwachs an Grund und Boden hätte bezahlt werden müssen,
wenn die Vorstellungen verwirklicht worden wären, die Sie Anfang der 70er Jahre entwickelt hatten, könnte heute kein Bauer mehr bestehen.
Ich sage Ihnen eines, meine Damen und Herren:
Wir müssen uns dazu durchringen, daß die Überschüsse in Europa verschwinden. Es muß Fläche aus der Produktion heraus. Daran geht kein Weg vorbei. Ob das über ganze Betriebe oder Teilbetriebe geht, darüber muß geredet werden. Wir müssen in Europa Schluß machen mit jeder Förderung. Es ist von Europa falsch gewesen, im letzten Jahr darüber zu reden, wie sich die Strukturen in den nächsten zehn Jahren entwickeln sollen. Wir müssen Schluß machen, und zwar mit einem Sofort-stopp jeglicher Förderung, sonst werden unsere Bauern an den Märkten nichts mehr verdienen können.
Um diese entscheidenden Fragen geht es. Die FDP ist der Meinung, daß sich die Agrarpolitik am schlechtesten dazu eignet, zwischen den Parteien künstliche Gegensätze aufzubauen.
Wir müssen in Brüssel gemeinsam sehen, daß wir weiterkommen. Wir vertrauen auf unseren Minister.
Danke schön.
Das Wort hat der Abgeordnete Oostergetelo.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Gallus, ich habe den Eindruck, daß man das, was Sie vorgetragen haben, psychologisch verstehen muß. Agrarpolitisch auf Quarantäne gestellt, haben Sie versucht, Entlastungsangriffe zu starten und dann Salto mortale, obwohl Sie völlig entgegengesetzter Meinung sind, indem Sie noch sagen: Der MinisterDeutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 204. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. März 1986 15619Oostergetelowird diese Schwierigkeiten bewältigen. Das glauben wir auch. Die Frage ist nur: Wie?Der Ministerpräsident meines Landes Niedersachsen sagt: Die Bauern brauchen Klarheit. Ich sage: „Recht hat er." Aber wie sieht denn diese Klarheit aus? — Alles, was ich bei Ihnen höre, ist doch nur ein Herauskaufen, nachdem Sie die Ergebnisse von Wahltagen hinter sich gebracht haben. Wenn Herr Albrecht zugibt, daß die Agrarpolitik in einer Krise ist, ist das schon ein Wort. Nur, Freunde, das Leugnen dieser Tatsache hat doch immer bedeutet daß man den Leuten vorgegaukelt hat:
„Wir machen aktive Preispolitik." Als ob man damit Betriebe im unteren und mittleren Bereich aus ihrer ausweglosen Situation retten könnte!
Sie wissen: Es hat niemals einen Zeitraum gegeben, in dem die Preise so nach unten gegangen sind, wie in dem, in dem Sie die Regierung stellen. Behaupten Sie doch jetzt nicht das Gegenteil!
Was haben denn die Bauern eigentlich von diesen Versprechungen?
Ich kann es Ihnen sagen: 8 % minus in diesem Jahr; bei den Einkommen lebt ein Drittel von der Substanz; der Einkommensrückgang ist so groß wie noch nie. Dann sagen Sie in dieser ernsten Lage, in der es um Tausende von Existenzen geht: aktive Preispolitik. Ich bitte Sie: Sagen Sie doch auch einmal vor Wahlkampftagen die Wahrheit. Alles, was Sie bringen, ist, wenn Sie das Albrecht-Papier einmal untersuchen, letztlich nichts anderes als Sterbehilfe oder bestenfalls Hilfe für übermorgen. Sonst steht da nichts drin.Beispiel: nachwachsende Rohstoffe. Albrechts Kommission sagt: goldene Zeit, nach dem Motto: Pack die Rübe in den Tank! Der Forschungsminister sagt: Es ist nicht finanzierbar. Recht hat er! Was sollen also diese Erklärungen als Hilfe für heute? Da ist Lothar Späth ehrlicher, wenn er das Bioethanol-Programm einen großen Bluff nennt.
Das Urteil der Presse über das CDU-Papier ist vernichtend. Ich habe nicht die Zeit, das hier umfassend aufzuführen: „weder vernünftig", „Schnellschüsse", „langfristige Konzeption ist nicht da", „Landwirtschaftspolitik der Union auf Kosten der Glaubwürdigkeit", usw. usw.Aber auch mit dem agrarpolitischen Programm in Niedersachsen ist es nicht weit her. Die Möglichkeiten, die sich bieten, werden nicht ausgenutzt.
— Schreien Sie nicht so!
Sein Landesprogramm zur Härtefallregelung beispielsweise nennt Albrecht „Hilfe zur Existenzgründung". Nun seien Sie doch einmal redlich:
Jeder dritte Betrieb, der in Not geraten ist bekommt bestenfalls eine Kuh. Das nennt man Existenzsicherung. Ist das nicht ein Hohn?, meine Freunde, „Jungbauernhilfe im Milchbereich", verspricht das Agrarpapier. Wissen Sie, wie viele bisher in diesem Sinne berücksichtigt worden sind? Kein einziger Betrieb! Obergrenzen haben Sie angesprochen, und dann weigern Sie sich, Zahlen zu nennen. Sie kneifen mit Rücksicht auf die Klientel der Großproduzenten vor verbindlichen Aussagen. Was denn sonst?Mit Quoten und aktiver Preispolitik, selbst wenn diese möglich wären, kann man den kleinen Betrieben nicht helfen.
Das ist doch die Wahrheit. Übrigens hat das ein Mitglied einer CDU-Regierung gesagt: Gallus vor den Bauern in Saulgau. Das klang ganz anders, Herr Gallus, vor den Bauern in Saulgau als das, was Sie hier als Rettungsversuch gebracht haben.Es bedarf einer Kurskorrektur in der Agrarpolitik jetzt. Diese besteht nach unserer Auffassung in einer stärkeren marktwirtschaftlichen Ausrichtung;
denn, wer immer gegen den Markt regiert, wird schließlich vom Markt regiert. Das heißt nicht, daß wir die Landwirte in ihrer Not allein lassen.
Im Gegenteil: Wir stehen zu ihnen. Das bedeutet vielmehr, daß unter Aufrechterhaltung der bestehenden Agrarschutzzölle an der Außengrenze produktionsneutrale Einkommenshilfen
eine stärker marktorientierte Agrarpolitik zusammen mit einer Bündelung von Maßnahmen flankieren. Damit kann man die Existenz der Bauern retten und nicht mit Versprechungen.Ich sage Ihnen: Die Landwirte haben Versprechungen satt. Sie sagen zu Recht: An ihren Taten sollt ihr sie erkennen.
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15620 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 204. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. März 1986
OostergeteloDie Bauern fallen auf Milliarden-Versprechen nicht mehr herein. Das, was die Landwirte brauchen, sind realistische Perspektiven, auf denen sie ihre Zukunft aufbauen können. Sie brauchen keine Versprechungen von einem zum anderen Wahltermin.
Das Wort hat der Abgeordnete Brunner.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Müller, nur ein paar kurze Bemerkungen: Diese Regierung hat sich die Handlungsfähigkeit auch in Sachen Agrarpolitik bewahrt.
Das sollten Sie wissen. Minister Kiechle hat das Ohr des Kanzlers, was bei seinem Vorgänger gegenüber Kanzler Schmidt nicht immer oder überhaupt nicht feststellbar war.
Herr Kollege Oostergetelo, Ihre Agrarpolitik ist substanz- und einfallslos. Das lassen Sie sich einmal bescheinigen.
Seit Regierungsübernahme im Oktober 1982 hat die Regierung Kohl im Wirtschafts-, Währungs- und Sozialbereich hervorragende Ergebnisse erzielt: höchste Geldwertstabilität in Europa, niedrigste Teuerungsrate, ein stetig steigendes Sozialprodukt, sinkende Arbeitslosenzahlen und verschiedenes mehr. Im landwirtschaftlichen Teil unserer Volkswirtschaft sind wir noch nicht in diese überaus positive Entwicklungsphase gekommen. Gleichwohl weist der Agrarbericht 1984/85 einen deutlichen Einkommensanstieg auf. Aber im laufenden Wirtschaftsjahr geht die Tendenz bereits wieder in Richtung eines leichten Rückgangs der bäuerlichen Einkommen.Das ist auf Dauer eben nicht das Richtige. Der Abstand zu vergleichbaren außerlandwirtschaftlichen Einkommen wird noch größer. Ich gönne jedem das Seine, doch müssen gewisse Verhältnismäßigkeiten gegeben sein. Die Brüsseler Agrarpolitik wird den bäuerlichen Einkommensbedürfnissen nicht in der Weise gerecht, wie wir das wünschen. Bundesminister Kiechle hat bereits in der ersten Verhandlungsrunde die deutsche Haltung zur Preispolitik deutlich gemacht. Weitere Preissenkungen können wir nicht mehr hinnehmen. Ich bitte die Bundesregierung, darauf zu achten, daß sich die Einkommensschere nicht noch weiter zuungunsten der deutschen Landwirte öffnet.Unsere Bauern danken der Bundesregierung für ihr bisheriges Engagement,
durch finanzielle Ausgleichsleistungen die gröbsten Ungerechtigkeiten zu mildern,
insbesondere die Einkommensverluste zu mindern, die durch eine falsche Weichenstellung in der Agrarpolitik während der sozialistischen Ära entstanden sind. Mit dem Erlaß des Subventionsabbaugesetzes im Jahre 1981 wurde dann der Abbau der Sozialleistungen eingeleitet, die die Sozialdemokraten doch immer als ihre Erfindung hingestellt haben.Was fordern die Sozialisten heute in ihrem Programm? Mehr Markt! Das bedeutet in Zeiten voller Märkte absolute Preissenkung. Sie schlagen Ersatzleistungen, und zwar degressiver Art, vor.
Ja, wie reimt sich denn das alles zusammen? Das ist eben genau die Linie, die die SPD-Abgeordneten im Europa-Parlament
auch am 14. März 1985 konsequent eingehalten haben, indem sie den Preissenkungsvorschlägen der Kommission zugestimmt haben, anders als die Christdemokraten, die damals eine 3,5%ige Preisanhebung forderten.Wir brauchen auch für die Zukunft die Preisgarantie der EG-Agrarmarktordnungen. Erstes Ziel ist die Marktbereinigung, gleichzeitig die Sicherung der Preisgarantien. Die reine Lehre der Marktwirtschaft ist auf die Agrarwirtschaft nicht anwendbar.Als zweites müssen die Leistungen der Landwirtschaft
im landeskulturellen Bereich noch deutlicher gewürdigt und entgolten werden. Es ist unumgänglich, die bisherigen Gebietskulissen der benachteiligten Gebiete zu erweitern und abzurunden. Es ist dringend geboten, alle Nutzflächen in diesen Bereichen in die Entschädigungsleistungen einzubeziehen. Die Beträge müssen insgesamt angehoben werden. Der bayerische Ministerpräsident machte dies in seiner Rede vom 1. März 1986 in München erneut deutlich. Er wies darauf hin, daß zur Existenzsicherung gerade der kleinen und mittleren Betriebe weitere ergänzende Finanzhilfen notwendig sind, so im sozialen und steuerlichen Bereich und auch zur Tilgung von existenzgefährdenden finanziellen Belastungen.Kurz- und mittelfristig müssen wir Möglichkeiten zur Umlenkung agrarischer Rohstoffe einleiten. Das Leguminosenprogramm läuft. Das Alkoholprogramm muß verabschiedet werden. Der Einsatz von agarischen Stärken muß entscheidend forciert werden. 01- und Faserpflanzen bieten große Absatzchancen. Es bedarf aber auch hier der Unterstützung durch die politischen Gremien.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 204. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. März 1986 15621
BrunnerLetztlich muß unser grundsätzliches agrarpolitisches Denken und Handeln darauf ausgerichtet sein, eine möglichst große Zahl landwirtschaftlicher Betriebe mit breit gestreutem Eigentum zu erhalten.Herzlichen Dank.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Handlos.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich spreche hier für die Freiheitliche Volkspartei als Vertreter der Kleinlandwirte. Sie sind neben den Arbeitslosen und den Sozialhilfeempfängern die Ärmsten der Armen in unserem Land.
Die Landwirte wurden in letzter Zeit geschädigt erstens durch die Milchkontingentierung, zweitens durch die fallenden Getreidepreise, drittens durch die Bulleneinfuhren aus der DDR, viertens durch die Holzeinfuhren aus der Tschechoslowakei. Dies sind nur einige Beispiele. Ich fürchte, daß nach den französischen Wahlen in diesem Monat praktisch der Franc abgewertet und die DM damit aufgewertet wird und daß, nachdem der Grenzausgleich abgeschafft wurde, die Preise der Landwirte damit erneut in den Keller fallen.
Nur ein Wort noch einmal zur Milchkontingentierung.
Es wäre gerecht gewesen, wenn die Flächenkontingentierung gekommen wäre. Aber sie ist nicht gekommen. Deswegen müssen die süddeutschen Kleinlandwirte sozusagen in das Gras beißen. Allein in Bayern müssen 30 000 Kleinlandwirte in nächster Zeit aufhören. Dies sagt kein Geringerer als Herr Sühler, der Präsident des Bayerischen Bauernverbandes.
Ich erinnere nur noch einmal an das Thema Flurbereinigung. Auf der einen Seite wird Flurbereinigung betrieben, um die Produktivität in der Landwirtschaft zu erhöhen, vor allem in Grünlandgebieten; andererseits wird mit der Milchkontingentierung den Leuten genau das weggenommen, was vorher durch die Flurbereinigung praktisch mehr erwirtschaftet werden sollte. Da weiß doch die eine Hand nicht, was die andere tut. Hören Sie möglichst bald mit der Flurbereinigung auf! Führen Sie sie nur noch dort durch, wo es unbedingt notwendig ist!
Aber die Flurbereinigungsbehörden versuchen immer wieder, ihre Existenz zu rechtfertigen.
Ich erinnere auch an die Bulleneinfuhren. Es ist ja interessant, daß ausgerechnet die Firma Marox in Rosenheim 20 000 Bullen einführen darf und bei dieser Firma Marox in Rosenheim der Milliardenkredit mit Herrn Strauß eingefädelt wurde. Auch das darf ich an dieser Stelle einmal sagen.
— Ja, man muß doch einmal sagen, wie die Dinge liegen.
Nur kurzfristig und mittelfristig kann der Landwirtschaft geholfen werden. Zur kurzfristigen Hilfe habe ich sehr gern das gehört, was Herr von Heereman heute sagte. Ein Existenzsicherungsprogramm wäre eine Möglichkeit. Eine weitere Möglichkeit sind Zinsverbilligungs- und Umschuldungsprogramme für die Kleinlandwirte. Die Kleinlandwirte arbeiten nur noch für die Banken, meine Damen und Herren. Kurzfristig sind Zinsverbilligungs- und Umschuldungsprogramme eine Möglichkeit, um diese Berufsgruppe über Wasser zu halten. Darüber hinaus — das ist heute schon des öfteren gesagt worden — könnte die Bundesregierung einen Teil der Soziallasten für die Kleinlandwirte übernehmen.
Eine Problematik liegt auch darin, daß die sogenannten Subventionen, die die Landwirte bekommen, nicht in die Taschen der Landwirte, sondern in die Taschen des Zwischenhandels fließen, meine Damen und Herren. Ich nenne Ihnen hier das Beispiel, daß ein Transportunternehmer einen Fleischtransport von Bayern nach Holland, von Holland nach Belgien, von Belgien nach Frankreich, von Frankreich nach England und von England wieder nach Bayern gefahren hat, ohne dieses Fleisch einmal abzuladen. Hier geht im Hintergrund ein Schwindel großen Ausmaßes vor sich. Hier und nirgendwo anders müßte der Hebel angesetzt werden.
Flächenstillegungen, meine Damen und Herren, sind eine Möglichkeit, aber sie sind bei Gott nicht das Allheilmittel; auch dies darf ich einmal sagen. Mittelfristig wäre notwendig, daß man sich wirklich zur Einführung von Bestandsobergrenzen durchringt. Ich weiß natürlich, wie schwierig das ist: Die einen sagen, Bestandsobergrenzen sind da, die anderen sagen, sie sind an einer anderen Stelle. Aber Bestandsobergrenzen ebenso wie die anderen Maßnahmen, die vorgeschlagen worden sind, sind notwendig.
Insgesamt darf ich zum Abschluß sagen, meine Damen und Herren: Die Landwirte haben die Ernährungsgrundlage unseres Volkes Jahrhunderte hindurch gesichert; auch das muß hier einmal dankbar anerkannt werden. Und wenn das schon so ist, dann dürfen die Landwirte jetzt nicht als Stiefkinder der Nation betrachtet werden.
Herzlichen Dank.
Ich erteile das Wort dem Herrn Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte eine Vorbemerkung zu den Ausführungen des Herrn Abgeordneten Handlos machen.
15622 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 204. Sitzung. Bonn, Donnerstag. den 13. März 1986Bundesminister KiechleEr hat wieder einmal aas Märchen von der sogenannten Bezahlung von Krediten an die DDR durch Agrareinfuhren aus der DDR, ein Märchen, das er in Niederbayern ständig wiederholt, aufgetischt.
Er weiß genau, daß es nicht wahr ist. Er weiß genau, daß wir mit der DDR in diesem Bereich seit fünf Jahren gleichgroße Einfuhrzahlen haben. Obwohl wir sie jetzt auf die Hälfte gekürzt haben, ist er hier in verleumderischer Absicht dabei, diese Dinge selbst vom Pult dieses Hohen Hauses aus seinem kleinkarierten Blickwinkel heraus auch hier zu wiederholen.Meine sehr verehrten Damen und Herren, als ich hörte, daß die SPD eine Aktuelle Stunde über Notstandshandlungen für die deutsche Landwirtschaft beantragt habe, hatte ich einen Augenblick tatsächlich geglaubt, ihr gehe es um die Sorgen unserer Bauern.
Ich hätte es an und für sich gleich besser wissen müssen. Die Argumente gleichen schlicht und einfach Klassenkampfargumenten, sie sind Ideologie. Sie helfen keinem Bauern, sein Einkommen zu verbessern. Sie helfen nicht der Natur und der Umwelt, und sie helfen auch nicht den Verbrauchern. Hätte die SPD meine Äußerungen gelesen oder wenigstens gut zugehört und nicht absichtlich mißverstehen wollen, hätte sie diese Aktuelle Stunde auch gar nicht zu beantragen brauchen.Nein, meine sehr verehrten Damen und Herren von der Opposition, Sie betreiben hier und vor allem draußen im Land Wahlkampf, und zwar mit den primitivsten Mitteln,
indem Sie Neid schüren, indem Sie Unruhe stiften. Obendrein unterminieren Sie bewußt den deutschen Verhandlungsspielraum auf EG-Ebene.
Ihnen paßt unsere agrarpolitische Linie zugunsten der Bauern nicht.
Aber auch uns paßt nicht, daß die SPD offensichtlich ein Hauptziel hat, nämlich gegen die deutsche Landwirtschaft gerichtete Preissenkungen zu praktizieren.
Das wäre glatt eine Sterbeaktion zu Lasten unserer Bauern, und sonst gar nichts.
Dazu braucht man nur die verschiedenen Äußerungen von Herrn Wettig oder z. B. das Apel-Papier in alter und neuer Auflage nachzulesen. Uns paßt auch nicht, daß die SPD die Ausgleichsmaßnahmen über die Mehrwertsteuer als „Milliardencoup", als „Subventionsskandal" oder als „Nacht-und-NebelAktion" abqualifiziert. Uns paßt auch nicht, daß sich die SPD hier ausfallend und hemmungslos äußert,während die Überschußlager direkt und indirekt den Schuldenstempel der SPD tragen.
Sie erregen sich darüber, meine Damen und Herren, daß das Wort „Notstandshandlungen" gefallen ist. Weshalb verschweigen Sie ganz bewußt, daß ich von einer „Art Notstandshandlung" gesprochen habe?
Die Union hat in den letzten drei Jahren mehr an finanziellen Mitteln für die Landwirtschaft zur Verfügung gestellt als je zuvor in einer Legislaturperiode. Wir haben es aus Überzeugung getan, weil es notwendig war. Wir haben die Zuschüsse zur Altershilfe aufgestockt und dabei insbesondere die kleinen und mittleren Betriebe begünstigt. Wir haben die von der SPD geplante und auch schon vorgenommene Streichung der Unfallhilfe aufgehoben und diese wieder aufgestockt. Die SPD hat bei den Bauern Sozialabbau betrieben; wir haben das rückgängig gemacht. Wir haben nach 13 Jahren sozialdemokratischer Untätigkeit die Ausgleichszulagengebiete nahezu verdreifacht, und wir streben nachdrücklich eine nochmalige Erweiterung um 50 % auf 6 Millionen Hektar an. Dazu haben wir auch die erforderlichen Mittel bereitgestellt und nicht nur darüber geredet, und das wird auch in Zukunft der Fall sein.
Wir haben jahrelang geforderte Steuererleichterungen durchgesetzt und erstmals den Bauern für den Abbau des Währungsausgleichs entschädigt. Wir haben viel an Hilfe geleistet. Wir haben nur eines stets abgelehnt — das wird auch so bleiben, meine Damen und Herren —, nämlich den erbarmungslosen Preiskampf von jetzt 9 Millionen Bauern in der Gemeinschaft gegeneinander, wie ihn die SPD offensichtlich will.
Dies wäre eine Politik der verbrannten Erde für viele Bauern. Sie verträgt sich nicht mit den agrar- und gesellschaftspolitischen Grundsätzen der Union.Für mich ist es jeder Arbeitsplatz, auch in der Landwirtschaft, wert, daß man um ihn kämpft. Deswegen will ich bessere Preise erreichen, aber nicht so, wie die SPD-Regierung
— lachen Sie ruhig — dies jahrelang getan hat, indem sie den Absatz und die Agrarpreissteigerungen auf Pump finanziert hat. Beim Schuldenmachen haben Sie geradezu weltmeisterliche Fähigkeiten entwickelt.
Die Zinslast trägt jetzt der Steuerzahler.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 204. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. März 1986 15623
Bundesminister KiechleIch bin realistisch genug und habe das hier oft gesagt. Aber hier nützen Argumente nichts, um zu wissen, daß auf Grund falscher oder fehlender Weichenstellung in der Vergangenheit durch Sie die preispolitischen Möglichkeiten begrenzt sind. Deswegen muß es zusätzlich zur Preispolitik Stützungsmaßnahmen geben, aber nicht so, wie es die SPD will. Sie will den Bauern das Geld über Preissenkungen abnehmen und über direkte Zahlungen dann wieder zustecken. Zusätzliche Einkommenselemente sind das Gebot der Stunde, etwa über die Sozial- und Steuerschiene sowie für benachteiligte Gebiete.Wir müssen auch die ökologischen Leistungen der Bauern honorieren, und da finde ich es ganz schön, daß der Fraktionsvorsitzende, Herr Dr. Vogel, diesen Programmpunkt wenigstens mit übernommen hat. Aber ich hoffe, daß es dann, wenn es an das Helfen und Abstimmen geht, auch tatsächlich zu Taten kommt.Halten Sie doch bitte hier nicht nur Sonntagsreden, sondern handeln Sie auch im parlamentarischen Alltagsleben entsprechend!
Bis jetzt haben Sie jedenfalls noch nie gesagt, wie Sie Ihre Vorstellungen eigentlich finanzieren wollen. Sie haben noch nie gesagt, wer wieviel, wie lange bei Ihrem Konzept der direkten Einkommensübertragungen überhaupt Geld erhalten soll.
Sie haben noch nie gesagt, welches in Ihren Augen ein großer oder ein kleiner, welches ein förderungswürdiger oder nicht förderungswürdiger Betrieb in diesem Sinne ist.Stimmen Sie also im Bundestag lieber auch einmal zu, wenn es um berechtigte Hilfen für die Bauern geht! Allerdings fehlt mir da leider immer wieder der Glaube.
Denn erstens fordern Sie gleichzeitig einen radikalen Subventionsabbau, und zweitens stimmt mich die Tatsache ein bißchen nachdenklich, daß der große, altgediente agrarpolitische Sprecher der SPD, den ich trotz oftmals großer Meinungsunterschiede in der Sache stets respektiert und geschätzt habe, gegen seinen Willen aufs politische Altenteil abserviert wird.
Wir, meine Damen und Herren, wollen — etwa über Preisdruck — niemanden abservieren, mit Sicherheit am wenigsten die Bauern; denn was moralisch falsch ist, kann politisch nicht richtig sein. Das hat schon der britische Premier Gladstone im 19. Jahrhundert gewußt.Deshalb, meine sehr geehrten Damen und Herren von der Opposition, wird die Bundesregierung auch mit aller Härte in Brüssel auftreten, um dort die lebensnotwendigen Interessen der deutschenBauern zu vertreten, auch wenn Sie uns dabei in den Rücken fallen.Wir wollen keine direkten Preissenkungen bei Milch, Getreide oder Rindfleisch, wir wollen auch keine indirekten Preissenkungen. Wir wollen hingegen erstens langfristig eine neue Produktionslinie für die Landwirtschaft aufbauen, zweitens mittelfristig mit allen Mitteln von der Überschußproduktion herunterkommen, um die unter Ihrer Regierung verluderten Marktordnungen wieder funktionsfähig und die Agrarpreise wieder auskömmlich zu gestalten, und drittens kurzfristig zusätzliche, direkt einkommenswirksame Hilfen zur Überbrückung der schwierigen Einkommenslage im Bereich der Sozialpolitik, der Steuerpolitik und der benachteiligten Gebiete gewähren.
Der Bundesfinanzminister hat längst erkannt, daß es unabhängig von Wahlterminen und dem Kassandrageschrei der Opposition unverzichtbar ist, der deutschen Landwirtschaft in einer schwierigen Zeit beizustehen, und er hat auch längst so gehandelt.Wenn es notwendig ist, werden wir unsere Hilfe verstärken. Wie das geschieht, werden wir in Ruhe erörtern und nach reiflicher Überlegung entscheiden. Ich bin auf jeden Fall nicht gewillt, auf die Masche der SPD mit ihren offenen Preissenkungsforderungen und ihren illusionären Einkommenszuschußversprechungen hereinzufallen. Sie stiften lediglich Unruhe und machen den Bauern mit Ihrer permanenten Aufgeregtheit Angst.
Ich meine, unsere Bauern haben schon Sorgen genug. Ich sehe meine Aufgabe darin, den Bauern Mut zu machen und Vertrauen in die Zukunft zu schaffen, nicht mit wohlklingenden Worten, sondern mit entsprechenden Entscheidungen auf EG- und nationaler Ebene.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Apel.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es wäre zweckmäßiger gewesen, wenn der Bundeslandwirtschaftsminister am Beginn seiner Rede festgestellt hätte, daß sich die wirtschaftliche Lage unserer bäuerlichen Familienbetriebe in den letzten Jahren, in den Jahren seiner Amtszeit, dramatisch zugespitzt hat.
Hunderttausende Betriebe sind ohne Perspektive. Sie durchlaufen eine Verschuldungs- und Existenzkrise,
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15624 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 204. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. März 1986
Dr. Apeldie für sie lebensbedrohend ist.Es ist falsch — das will ich hier mit aller Klarheit sagen —, dafür ausschließlich die EG-Agrarpolitik verantwortlich zu machen.
Wenn Sie schon über die Sozialdemokraten reden, dann nehmen Sie bitte zur Kenntnis, daß wir bereits im Jahre 1980 eine Kurskorrektur der Brüsseler Agrarpolitik gefordert haben.
Sie haben damals unsere Vorschläge verteufelt,
aber wir stellen fest, daß heute nicht nur in Brüssel, sondern auch in der Wissenschaft, selbst in den Köpfen einzelner Unionspolitiker, selbst beim Bauernverband einzelne Überlegungen Eingang finden. Nur bei Herrn Kiechle findet das nicht statt. Er bleibt dabei, daß wir Agrarpolitik ohne Perspektive und ohne Mut betreiben sollen.Herr Minister, wenn Sie dann schon über das Jahr 1984 reden, der Sie ja in einer Nacht-undNebel-Aktion bis 1991 über 30 Milliarden DM nationale Mehrausgaben beschlossen haben,
dann erinnern Sie sich bitte daran, daß wir Sie damals vor den Ergebnissen dieses Weges gewarnt haben.
Heute wissen wir, daß wir recht hatten. Sie können doch nicht leugnen, Herr Minister, daß die massive Erhöhung der Vorsteuerpauschale vor allem den marktstarken Betrieben geholfen hat.
Sie können doch nicht leugnen, daß die Milchkontingente zu einer Drosselung, zu einer Strangulierung der Familienbetriebe geführt haben, die ihnen keinerlei Zukunft geben.
Ich habe Ihre Rede hier so verstanden, daß Sie sich weiter durchwursteln wollen.
Sie wollen Agrarpolitik mit Perspektive nicht betreiben, Sie wollen an die Stelle einer vernünftigen Agrarpolitik Wahlspeck hängen.
Sie werden erst munter, wenn Sie Wahlen verloren haben. Dabei übersehen Sie, daß der bäuerliche Familienbetrieb in seiner Lage Perspektive braucht. Er braucht Zukunft, er braucht unter anderem auch Notstandshandlungen, aber vor allen Dingenbraucht er eine sichere Basis der Kalkulation. Er muß wissen, wohin die Reise geht.
Mit leeren Versprechungen, Herr Minister, können Sie der deutschen Landwirtschaft nicht helfen.
Ich füge ein weiteres hinzu. Es ist doch bezeichnend, daß in dieser Debatte, bei der es um Milliarden geht, nicht ein einziger Vertreter des Bundesministers der Finanzen anwesend ist. Wir brauchen nicht nur eine solide Agrarpolitik, wir brauchen auch eine solide Finanzpolitik.
Ich akzeptiere nicht, daß Herr Stoltenberg in Brüssel über die Finanzkrise der Europäischen Gemeinschaft lamentiert und hier zu Hause Milliardensubventionen neu verspricht.
Wir sind der Meinung, daß wir flächenbezogene Einkommenssubventionen brauchen. Wir wollen der deutschen Landwirtschaft helfen, um im Umweltschutz aktiv zu werden. Aber von Ihnen wollen wir wissen, woher die Milliarden kommen sollen, die hier leichtfertig neu versprochen werden.
Herr Kiechle, wenn Sie sagen, Sie hätten keine Milliarden versprochen, sage ich Ihnen: Millionen haben es anders gesehen. Und Ihnen empfehle ich, daß Sie, bevor Sie ins Fernsehen gehen, erst einmal Ihre Gedanken in Ihrem Kopf sortieren, damit klar wird, was Sie wirklich denken.
Wir werden das Überleben der deutschen Landwirtschaft sichern. Wir sind für den bäuerlichen Familienbetrieb.
Aber, meine Damen und Herren, wir akzeptieren nicht Ihre verfehlte Gießkannenpolitik.
Wenn Sie bereit sind, mit uns zusammen im Interesse der Familienbetriebe eine Umkehr in der Agrarpolitik vorzunehmen, dann, Herr Kollege von Heereman, können Sie auch uns an Ihrer Seite finden, aber diese Debatte hat deutlich gemacht, daß Sie davon weit entfernt sind.
Ich warne Sie davor, eine Agrarpolitik gegen die EG machen zu wollen. Dies wird sich bitter rächen. Spätestens nach dem 15. Juni — so lange werden Sie ja wohl die Agrarpreisverhandlungen in Brüssel zerren, damit die Bauern nicht vor der Wahl in Niedersachsen die Wahrheit erfahren — werden SieDeutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 204. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. März 1986 15625Dr. ApelIhr Debakel erleben, und dann werden wir uns hier im Deutschen Bundestag wiedertreffen.Schönen Dank.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Stockhausen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Apel, Sie sollten tunlichst vermeiden, das Wort von der soliden Finanzpolitik in den Mund zu nehmen,
und vor allen Dingen sollten Sie das gegenüber einem Finanzminister vermeiden, dem Sie nicht das Wasser reichen können.
Meine Damen und Herren, die deutsche Landwirtschaft befindet sich in einer schwierigen Situation. Hierbei geht es um das Schicksal von Millionen unserer Mitbürger. Die Art und Weise, wie die SPD die Diskussion führt, entspricht in keiner Hinsicht den Sorgen und Nöten, die unsere Bauern bewegen.
Sie wollen aus der Existenzangst
unserer Landwirte politisch Kapital schlagen.Sicherlich hätte den sich abzeichnenden Schwierigkeiten der Agrarpolitik schon Ende der 70er Jahre unter der SPD-geführten Bundesregierung entgegengesteuert werden müssen.
Dies ist nicht geschehen.
Verwunderlich ist deshalb, daß die SPD-Fraktion, die in den letzten Jahren bei jeder Gelegenheit die finanziellen Aufwendungen, welche für die Landwirtschaft eingesetzt wurden, angeprangert hat, nun auf einmal ihr Herz für die Bauern entdeckt hat. Jahrelang waren es SPD-Politiker, die den Bauern zum Buhmann der Nation gestempelt haben.
Im Wahlkampf 1980 waren Sie es, Herr Apel, der meinte,
die Bauern brauchten die Mistgabel nur, um die Geldscheine umzustapeln.
Ihr Finanzminister Matthöfer forderte, es müsse ein Sturm gegen die Landwirtschaft entfacht werden.Nun gehen Sie über die Dörfer und erklären den Bauern, was Sie alles für sie tun wollen. Jetzt auf einmal gilt den kleinen Betrieben Ihre besondere Sorge.
Sagen Sie den Inhabern dieser Betriebe lieber, daß diese Situation unter Ihrer Verantwortung durch eine verfehlte Struktur- und Sozialpolitik insbesondere in den benachteiligten Regionen entstanden ist.
In der mittelfristigen Finanzplanung des letzten SPD-Haushalts waren in diesem Bereich weitere Kürzungen vorgesehen.Gerade auf diesem Gebiet hat die jetzige Bundesregierung in den vergangenen drei Jahren Erhebliches geleistet. Bei uns gehen auch die weiteren Überlegungen in Richtung zusätzlicher Entlastungen gerade der kleinen und der mittleren Betriebe. Durch das Förderschwellenprogramm haben Sie die Betriebe in förderungsunwürdige und förderungswürdige aufgeteilt.
Sie haben den Landwirten durch die Schwellenpolitik zum Teil gegen ihren Willen zu den 50 Kühen verholfen.
Als bei der Milch schon Marktsättigung eingetreten war, wurden weiter kräftig neue Kuhplätze geschaffen.
Das geschah EG-weit. Allein in der Bundesrepublik wurden im Zeitraum 1973 bis 1983 340 000 neue Kuhplätze geschaffen.
Minister Kiechle war es, meine Damen und Herren, der dieser staatlich geförderten Überproduktion ein Ende bereitet hat.
Als diesen Betrieben dann aus rechtsstaatlichen Gründen eine Härteregelung zugestanden werden mußte, benutzen Sie diese in den Dörfern zum Klassenkampf klein gegen groß.
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15626 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 204. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. März 1986
StockhausenMeine Damen und Herren, wir mußten die Wechsel einlösen, die Sie ausgestellt haben.
Meine Damen und Herren, unsere Aufgabe ist es, der bäuerlichen Landwirtschaft eine Perspektive für die Zukunft zu geben.
Der von der SPD vorgeschlagene Weg der Weltmarktpreise für Agrarprodukte sowie direkter Einkommensübertragungen für die Landwirtschaft macht den selbständigen Bauer zum Almosenempfänger.
Das kann nicht unsere Zustimmung finden.Die CDU/CSU wird ihren Minister Kiechle bei seinem Bemühen in den anstehenden Preisverhandlungen unterstützen. Die Preispolitik wird auch in Zukunft die Grundlage der landwirtschaftlichen Einkommen bilden, welche durch andere Maßnahmen ergänzt werden können.Meine Damen und Herren, meine Redezeit ist abgelaufen.
Ich darf folgendes zum Abschluß sagen. Wir werden alle Möglichkeiten ausschöpfen, um die Situation der bäuerlichen Landwirtschaft zu verbessern. Die deutschen Landwirte können sich auf die CDU/CSU und ihren Minister Kiechle verlassen.
Recht schönen Dank.
Das Wort hat der Abgeordnete Hornung.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist schade, daß diese Aktuelle Stunde nicht wie beantragt der Sorge der deutschen Landwirtschaft dient, sondern von der SPD hier in schamloser Art und Weise die Situation ausgenützt wird, in der wir uns heute befinden.
Wir wissen, daß die Ursachen der heutigen Problematik in dem Zuviel an Menge liegt. Wir wissen auch, daß in der Vergangenheit die Produktion angeheizt worden ist. Wir wissen zugleich, daß ein Großteil dieser zu großen Menge über Substitute eingekauft wird. Europa ist nach wie vor der größte Importeur von Ernährungsgütern. Es gilt in der Zukunft, die Substitute in die GATT-Verhandlungen einzubeziehen. Es wäre besser, wenn Substitute alsEigeneinnahmen durch die Abschöpfungen für die Gemeinschaft dienen würden, als daß es so wie heute geschieht.Die CDU hat den Vorschlägen der Kommission ein Konzept gegenübergestellt. Herr Minister Kiechle, ich bedanke mich, daß Sie wieder sagen: Preis oder Lohn, das ist der wichtigste Faktor des Einkommens. Hier muß man wissen, daß 1 % Preissenkung für die deutsche Landwirtschaft 600 Millionen DM Verlust bedeuten.
Hier muß man doch die Frage stellen: Wie will man diesen Ausgleich sonst überhaupt bezahlen?Die Ausgleichszahlung für Benachteiligte muß deshalb eine permanente Aufgabe in der Zukunft sein, meine sehr verehrten Damen und Herren. Sie muß transparent sein. Sie darf nicht nur in die Viehwirtschaft einbezogen sein, sondern alle Landwirte, die benachteiligt sind, müssen, gemessen an ihrer Leistungsmöglichkeit — LVZ —, einen Ausgleich erhalten.Es gibt sehr viele Möglichkeiten, die man hier ausschöpfen könnte. Zum Beispiel gibt es das soziale Marktentlastungsprogramm. Hier wird gesagt, das führe zu einer Vernichtung kleiner Betriebe. 25 %, ein Viertel, sind bereits heute nicht mehr in der Lage, die sozialen Leistungen zu bezahlen. 25 % haben bereits keinen Hofnachfolger. Das ist das Ergebnis einer Politik, nicht das, was wir heute an Politik vorlegen.Wenn wir die Konzepte sehen und dann von der Fläche sprechen, die draußen zurückgenommen werden muß, dann sagen unsere Berufskollegen, sie wollen das nicht, weil sie noch in der vergangenen Diskussion leben, in der immer mehr gearbeitet und mehr produziert wurde.Dabei brauchen wir aus ökologischer Sicht mehr Wald. Wir brauchen Flächen für die Umwelt, und wir brauchen auch Flächen für die Rohstoffe.
Etwas ganz Wichtiges: Europa und die Landwirtschaft sind unzertrennlich miteinander verknüpft. Das sollten alle wissen, die heute wissen, daß wir exportieren müssen und daß dies dann auch einen Preis für Europa bedeutet.Ich bringe hier einen Vergleich, damit die Horrorzahlen endlich einmal in eine Relation gesetzt werden. Das Europa der Landwirtschaft kostet 0,5 des Bruttosozialprodukts. Die jetzige Arbeitslosigkeit kostet schon 2,5 % des Bruttosozialprodukts. Oder eine andere Zahl:
In unserem schönen Land Baden-Württemberg zahlen wir 3,5 % für die jetzige Lohnerhöhung im öffentlichen Bereich. Jeder sagt, das sei kulant. Es sind 500 Millionen DM. Aus dieser Sicht kann das Ziel der sozialen Leistung, welche die CDU/CSU mit ihrem Koalitionspartner jetzt aufgestockt hat, nur in die richtige Richtung führen.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 204. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. März 1986 15627
HornungWir danken deswegen der Bundesregierung und dem Bundeskanzler, daß er konsequent, wenn auch nicht von heute auf morgen — das hat er nie versprochen —, diese Aufgaben lösen kann. Wir sind auf dem richtigen Weg.
Meine Damen und Herren, die Aktuelle Stunde ist beendet.
Bevor wir in der Tagesordnung fortfahren, darf ich Sie bitten, sich zu erheben.
Am 28. Februar 1986 ist der schwedische Ministerpräsident Olof Palme im Alter von 59 Jahren einem heimtückischen Attentat zum Opfer gefallen. Die Nachricht von diesem verbrecherischen und unfaßbaren Gewaltakt hat weltweit Trauer und Bestürzung hervorgerufen.
Olof Palme war von 1969 bis 1976 und erneut seit 1982 Ministerpräsident seines Landes. Sein politisches Wirken war durch das beharrliche Streben nach einem Ausgleich zwischen den Weltmächten und nach einem Abbau jeglicher Art von Diskriminierungen gekennzeichnet. Unablässig hat er sich für ein friedliches Miteinander aller Menschen in Freiheit und Selbstbestimmung eingesetzt. Olof Palme war eine herausragende Persönlichkeit, die als Symbolfigur des modernen Schweden anerkannt wurde.
Dem Präsidenten des Schwedischen Reichstages habe ich telegraphisch zum Tode von Olof Palme die tiefempfundene Anteilnahme des Deutschen Bundestages ausgesprochen.
Meine Damen und Herren, der Deutsche Bundestag gedenkt in Trauer auch seines ehemaligen Mitgliedes und des früheren Bundesministers für Familien- und Jugendfragen Franz-Josef Wuermeling, der am Abend des 7. März 1986 nach längerer Krankheit im Alter von 85 Jahren in Münster verstorben ist.
Franz-Josef Wuermeling, am 8. November 1900 in Berlin geboren, studierte Jura und Staatswissenschaften; 1921 wurde er zum Doktor rer. pol. promoviert.
Von den Nationalsozialisten im Jahre 1939 als Beamter zwangspensioniert, gehörte er nach dem Zusammenbruch zu den Mitbegründern der CDU. Er zählte zum Kreis derjenigen, die nach 1945 maßgebliche Impulse für den Wiederaufbau unseres Landes gegeben haben.
Nach seiner Wahl in die Beratende Landesversammlung und den ersten Landtag von RheinlandPfalz war er von 1947 bis 1949 Staatssekretär im rheinland-pfälzischen Innenministerium.
Als Mitglied des Deutschen Bundestages von 1949 bis 1969 war Franz-Josef Wuermeling unermüdlich in der Familien- und Sozialpolitik engagiert. Von 1953 bis 1962 war er der erste Bundesminister für Familien- und Jugendfragen unter Konrad Adenauer. In dieser Zeit hat er maßgeblich die Familienpolitik der Bundesrepublik Deutschland geprägt.
Seine Entscheidungen zugunsten kinderreicher Familien sind zum Teil heute noch wirksam.
Der Deutsche Bundestag bewahrt Franz-Josef Wuermeling ein dankbares und ehrendes Gedenken.
Sie haben sich zu Ehren der Verstorbenen erhoben. Ich danke Ihnen.
Meine Damen und Herren, am 4. März 1986 hat der Kollege Herr Abgeordneter Kißlinger seinen 60. Geburtstag gefeiert. Ich darf Ihnen im Namen des ganzen Hauses zu diesem besonderen Geburtstag unsere besten Glückwünsche aussprechen.
Meine Damen und Herren, wie bereits heute morgen mitgeteilt, ist von der Fraktion DIE GRÜNEN beantragt worden, den Punkt 2 von der heutigen Tagesordnung abzusetzen.
Wird hierzu das Wort zur Geschäftsordnung gewünscht? — Das Wort hat der Abgeordnete Vogel .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Namens meiner Fraktion beantrage ich gemäß § 20 Abs. 2 unserer Geschäftsordnung, den Punkt 2 von der Tagesordnung abzusetzen.
Zur Begründung: Der Abgeordnete Schily hat rechtzeitig am Freitag gemäß § 23 der Regeln der Interparlamentarischen Arbeitsgemeinschaft ein Sondervotum zum Untersuchungsbericht des 1. Untersuchungsausschusses vorgelegt.
Entgegen der Zusage, das Votum bis Montag zu verteilen, ist die Verteilung nicht erfolgt, nachdem Verwaltung und Bundestagspräsident — wie sie selber sagen — rechtliche Bauchschmerzen — nach meiner Meinung: politisches Bauchgrimmen — bekommen haben.
Auf Grund waghalsiger rechtlicher Analogieschlüsse wurde dem 1. Untersuchungsausschuß daraufhin das Sondervotum des Kollegen Schily zugeleitet, damit sich dieser als Zensurbehörde betätigen möge, um politisch unliebsame Inhalte zu eliminieren. Der 1. Untersuchungsausschuß ließ sich hierzu nicht mißbrauchen, sondern wies dieses Ansinnen zurück. Er stellte in seinem Bericht klar:
Nach eingehender Beratung sind die Mitglieder des Ausschusses einmütig der Auffassung, daß die abweichenden Berichte von Ausschußmitgliedern gemäß § 23 Satz 2 der IPA-Regeln nicht der Feststellung durch den Untersuchungsausschuß gemäß Satz 1 dieser Vorschrift unterliegen.
Nachdem unser Bundestagspräsident vom Ausschuß im Regen stehen gelassen worden war, mußte er die Verantwortung selber übernehmen und hat einen Teil des Berichts entfernt. Das führt nun zu der Situation, daß in dem Ihnen vorliegenden Sondervotum auf Seite 50 steht:
15628 Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 204. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. März 1986
Vogel
... und nachfolgendem Schreiben vom 14. Februar 1986 ...
Wenn Sie dann nachschlagen, werden Sie keine Anlage 1 finden. Die Anlage 1 wurde vom Präsidenten eliminiert.
Nach dieser Maßnahme des Präsidenten wurde der Bericht am Mittwochnachmittag verteilt. Es besteht für die Mitglieder des Hauses und es bestand auf Grund der Kürze der Zeit und auf Grund der Tatsache, daß der Bericht über 290 Seiten umfaßt, praktisch keine Möglichkeit, den Bericht ausführlich zur Kenntnis zu nehmen, wie es sich im parlamentarischen Ablauf eigentlich gehört.
Ich habe daraufhin namens meiner Fraktion eine Sitzung des Ältestenrates beantragt. Auf dieser Sitzung des Ältestenrats wurde mit dürren rechtlichen Begründungen, die sich im wesentlichen auf eine Stellungnahme des Ausschußsekretärs Kretschmer bezogen, rechtlich zu begründen versucht, warum diese politische Entscheidung getroffen wurde. Es wurde auf keinen einzigen bestehenden Geschäftsordnungsparagraphen Bezug genommen, sondern es wurde praktisch immer auf die Praxis in der Vergangenheit hingewiesen. Das ist witzlos, da es in diesem Hause noch nie vorgekommen ist, daß ein Sondervotum durch den Präsidenten korrigiert wurde. Wenn ich mir das hier vorliegende Papier ansehe, so wurde praktisch lediglich auf einen Entwurf des Geschäftsordnungsausschusses, der überhaupt keine parlamentarische Gültigkeit hat, und auf Thesen des Ausschußsekretärs Kretschmer Bezug genommen. Dies ist meines Erachtens absolut hanebüchen.
Das Schlimmste an der ganzen Sache und auch bezeichnend ist, daß die Opposition hier links im Hause, die Pseudoopposition, wie ich sagen möchte, sich zum Handlanger der Koalition gemacht und sich dem Votum des Präsidenten angeschlossen hat, und das, obwohl der Abgeordnete Struck vollmundig in Presseerklärungen bekanntgibt, seine Partei werde sich keinen Zensurmaßnahmen gegen das Sondervotum des Kollegen Schily anschließen. Aber im Ältestenrat, unter Ausschluß der Öffentlichkeit, wird genau anders gehandelt.
Es ist beschämend, daß sich die SPD hier zum Komplizen eines Verhaltens macht, von dem die „Stuttgarter Zeitung" unter der Überschrift „Schikane" schreibt: „Von Zufall kann man nicht mehr reden, allenfalls von einem Zufall mit Methode." Gemeint ist, daß die GRÜNEN praktisch ständig diskriminiert werden.
Ich möchte auch sagen: Herr Präsident, Sie haben dem Parlament mit Ihrem Verhalten keinen Gefallen getan. Es gibt auch andere Stimmen, die weit darüber hinausgehen und sogar zu dem Eindruck gelangen, Sie seien hier nicht als Präsident des gesamten Hauses, sondern als verlängerter Arm des Bundeskanzleramtes tätig geworden.
Ich beantrage daher die Absetzung dieses Punktes von der Tagesordnung, bis ein kompletter Bericht vorliegt. Es wird nicht möglich sein, diesen kompletten Bericht in einer Drucksache dieses Hauses bekanntzugeben. Deswegen muß man halt so lange warten, bis der Bericht komplett von einem freien Verlag herausgegeben wurde.
Vielen Dank.
Herr Abgeordneter Vogel, da Sie mich persönlich angesprochen haben, erlauben Sie, daß ich ein paar Worte dazu sage.
Ich muß zunächst den Vorwurf der Schikane und der Zensur und der Abhängigkeit vom Bundeskanzleramt entschieden zurückweisen.
Der Präsident des Deutschen Bundestages hat alle Vorlagen, die ihm zur Drucklegung eingereicht werden, zunächst auf ihre Zulässigkeit hin zu prüfen. Die Voten, die von den Ausschüssen kommen, und insbesondere auch der Bericht eines Untersuchungsausschusses müssen sich — das trifft genauso für Einzelvoten zu — in den Grenzen halten, die der Untersuchungsauftrag festgelegt hat.
Der Bericht eines Untersuchungsausschusses darf nicht Ausführungen über Angelegenheiten enthalten, die vom Untersuchungsauftrag nicht gedeckt sind. Er darf auch keine Mitteilungen über Tatsachen enthalten, die entweder aus rechtlichen Gründen oder auf Grund von Vereinbarungen vertraulich zu behandeln sind.
Sondervoten unterliegen ihrem Inhalt nach den gleichen Begrenzungen wie die Berichte der Untersuchungsausschüsse.
Aus diesem Grunde habe ich nicht nur den Sonderbericht des Abgeordneten Schily, sondern auch andere Sondervoten noch einmal dem 1. Untersuchungsausschuß zur Begutachtung zugeleitet.
Meine Damen und Herren, das Wort hat Herr Abgeordneter Bohl.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir lehnen den Geschäftsordnungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN ab und verwahren uns mit aller Entschiedenheit gegen die hier erhobenen Vorwürfe, insbesondere an die Adresse des Herrn Bundestagspräsidenten.
Es ist absolut korrekt verfahren worden. Nach § 23 der IPA-Regeln haben einzelne Mitglieder des Untersuchungsausschusses das Recht, ein Sondervotum an das Plenum des Bundestages zu richten. Dieses Recht ist absolut unbestritten.Aber auch dieses Sondervotum muß sich natürlich im Rahmen des Untersuchungsauftrages und der geltenden Gesetze bewegen.
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BohlDas, was Sie uns hier vorlegen — das möchte ich an dieser Stelle vorab anmerken —, gehört ja gar nicht zu dem vom Deutschen Bundestag erteilten Untersuchungsauftrag, sondern beschäftigt sich mit dem Thema, das Sie 1983 durch Ihren Antrag gern zum Untersuchungsgegenstand gemacht hätten, nämlich: allgemeine Parteispenden. Aber dieser Antrag und damit dieses Thema sind vom Deutschen Bundestag gerade abgelehnt worden. Deshalb liegt Ihr Sondervotum völlig neben der Sache und hat hier heute im Grunde genommen gar nichts zu suchen.
Im übrigen darf ich hier ganz klar sagen: Nach unserer Rechtsordnung muß sich dieses Sondervotum im Rahmen der Gesetze bewegen. Der Deutsche Bundestag hat peinlichst darauf zu achten, daßni Genüge getan wird.Nun ist es schlicht und einfach so, daß ein Untersuchungsausschuß eine politische Funktion hat, nämlich bestimmte Sachverhalte zu durchleuchten; er hat aber nicht das Recht, den Verdacht einer strafbaren Handlung in die Welt zu setzen. Das ist eine unbestrittene Rechtsauffassung, die Sie insbesondere in der Dissertation des ehemaligen SPD-Schatzmeisters Professor Halstenberg nachlesen können, die auch in Rechtskreisen unumstritten ist. Und wenn Sie, Herr Kollege Schily, Ihr Sondervotum unter die Überschrift — —
— Also. Herr Schily, es kommt bei dieser Debatte nicht auf den Kehlkopf an, sondern auf den Kopf, das möchte ich Ihnen einmal klar sagen.
Wenn jetzt hier in Ihrem Sondervotum die Überschrift „Rückkehr zum Recht" lautet, würde ich Ihnen empfehlen, Herr Schily, bei Ihrem Sondervotum zurückzukehren zum Recht und sich in diesem R ahmen zu halten.
Es gab für den Präsidenten des Deutschen Bundestages gar keine andere Entscheidung als die, die Anlage, die Sie zu Ihrem Sondervotum publiziert haben wollten, zurückzuweisen. Eine andere rechtliche Entscheidung des Deutschen Bundestages und des Bundestagspräsidenten wäre absolut unzulässig. Deshalb muß ich Ihnen sagen: Was Sie hier heute mit Ihrem Bericht vorlegen, ist wirklich nur einmal mehr darauf angelegt, in diesem Deutschen Bundestag und vor der Öffentlichkeit eine entsprechende Show zu erzeugen.
Ihnen geht es doch gar nicht um die Sache, wie ja auch der Text der Strafanzeige nur vorgeblich dem Recht dienen soll. Im Grunde genommen ist es doch nur ein Instrument im politischen Kampf gegen die Integrität des Bundeskanzlers.
Das ist doch Ihre Absicht, und das wollen wir nicht auf Kosten des Steuerzahlers finanziert wissen.
Das Sondervotum ist zeitgerecht verteilt worden. Gestern um 12.28 Uhr war es in allen Fächern. Es bestand Gelegenheit, dieses Sondervotum nachzulesen. Es bestand im übrigen mehr Zeit dafür als bei den Anträgen, die von der Fraktion DIE GRÜNEN zum Bundesverkehrswegeplan kamen; die sind uns noch laufend während der zweiten Lesung untergeschoben worden.
Insofern können Sie auch nicht behaupten, daß Sie für die Lektüre nicht genügend Zeit gehabt hätten.Ich kann abschließend feststellen: es ist eine Show der GRÜNEN mehr; die Sache ist abzulehnen.
Das Wort hat der Abgeordnete Porzner.
Herr Präsident! Meine verehrten Damen und Herren! Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion hat vor fast drei Jahren den Antrag auf Einsetzung des Untersuchungsausschusses gestellt. Der Bundestag hat daraufhin den Untersuchungsausschuß eingesetzt, über dessen Ergebnis wir heute berichten. Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion hat beim Bundesverfassungsgericht durchgesetzt, daß dem Untersuchungsausschuß Akten vorgelegt wurden, die er für seine Arbeit brauchte, und deren Vorlage ihm von der Verwaltung, von der Bundesregierung verweigert worden ist. Hätten wir nicht gehandelt, hätte der Bundestag und der Ausschuß diese Arbeit nicht leisten können, die notwendig und nützlich war. Der Vorwurf, Herr Vogel von den GRÜNEN, die SPD sei Handlanger oder Komplize der Koalition, ist so absurd, daß ich nicht mehr darauf einzugehen brauche.
Ich weise für meine Fraktion auch den Vorwurf gegenüber dem Präsidenten des Bundestages zurück, er sei der verlängerte Arm des Bundeskanzlers.
Der Untersuchungsausschuß hat lange und öffentlich getagt. Die Berichte liegen vor. Die Voraussetzungen für die Beratungen heute sind gegeben. Daß der Wortlaut der Strafanzeige des Herrn Otto Schily beim Bonner Landgericht gegen den Bundeskanzler nicht abgedruckt ist,
ist für uns kein Grund, die Debatte heute abzusetzen. Wir stimmen deswegen dem Geschäftsordnungsantrag der GRÜNEN nicht zu, sondern leh-
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Porznernen ihn ab. Wir möchten, daß die öffentliche Debatte heute geführt wird.
Das Wort hat der Abgeordnete Wolfgramm.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Der Vorwurf des Zeitmangels, den die GRÜNEN erhoben haben, fällt auf sie selbst voll zurück. Ich darf einmal festhalten: Der Mehrheitsbericht des Untersuchungsausschusses ist am 24. Januar an alle Mitglieder des Ausschusses verteilt worden. Am 31. Januar hat Herr Schily für die GRÜNEN ein Sondervotum angekündigt. Das sollte am 19. Februar vorgelegt werden. Am 21. ist es noch einmal angekündigt worden und sollte dann am 27. Februar vorgelegt werden. Am 6. März ist dann eine öffentliche Pressekonferenz erfolgt. Übrigens interessant auch, wie die GRÜNEN mit der Art und Weise umgehen, wie man im Hause verfährt: Erst am Nachmittag des nächsten Tages hat es der Bundestagspräsident zugesandt bekommen.
Meine Fraktion weist die ungerechtfertigten Vorwürfe gegen den Bundestagspräsidenten entschieden zurück.
Der Präsident hat hier richtig gehandelt. Herr Schily, Sie müssen sich sagen lassen, wenn Sie der Meinung sind, diese Anzeige im Anhang veröffentlichen zu müssen: Dies dient nicht der Rechtsfindung, von der Sie immer gesprochen haben. Es ist nicht von dem Untersuchungsauftrag gedeckt. Es dient ausschließlich Ihrer Publicitysucht.
Wir lehnen den Antrag ab.
Weitere Wortmeldungen zur Geschäftsordnung liegen nicht vor.
Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Absetzung des Tagesordnungspunktes 2. Wer der Absetzung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Antrag ist abgelehnt.
Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 2 auf:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des 1. Untersuchungsausschusses nach Artikel 44 des Grundgesetzes
zu dem Antrag der Fraktion der SPD
Einsetzung eines Untersuchungsausschusses
und den Ergänzungsanträgen der Fraktion der SPD sowie der Fraktionen der CDU/CSU und FDP
— Drucksachen 10/34, 10/520, 10/521, 10/5079 —
Berichterstatter: Abgeordnete Bohl Dr. Struck
Der Drucksache 10/5079 sind als Anlage 1 der abweichende Bericht des Abgeordneten Schily und als Anlage 2 der abweichende Bericht der Abgeordneten Austermann, Dr. Hüsch, Sauter und Baum beigefügt. Diese Anlagen sind gestern verteilt worden.
Außerdem liegt Ihnen ein Änderungsantrag sowie ein Entschließungsantrag des Abgeordneten Schily und der Fraktion DIE GRÜNEN auf den Drucksachen 10/5169 und 10/5175 vor.
Meine Damen und Herren, nach einer Vereinbarung des Ältestenrats sind für die Aussprache vier Stunden vorgesehen. — Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.
Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? — Das ist nicht der Fall.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Langner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren!
Herr Abgeordneter Langner, ich bitte um Verständnis. Ich bitte die Damen und Herren, entweder den Plenarsaal zu verlassen oder Platz zu nehmen. — Dies trifft für alle Abgeordneten zu.
Herr Abgeordneter, fahren Sie mit Ihrem Redebeitrag fort.
Flick-Affäre - was ist eigentlich der Kern der Sache? Ein Konzern, sein Inhaber, einige Geschäftsführer und Mitarbeiter haben sich da eine Menge herausgenommen, was mit gutem demokratischen Stil und Verhalten nicht vereinbar war. Wirtschaft und Politik sollten nicht so miteinander umgehen, wie es in manchem Vermerk des Herrn von Brauchitsch verzeichnet ist. Manchmal wäre auch etwas mehr Distanz des Staates, der neutral zu sein hat, angebracht gewesen.Umgekehrt muß der Bericht alle diejenigen enttäuschen, die an das Zerrbild geglaubt haben, das unseren Bürgern jetzt über Jahre vorgespiegelt wurde. Mit hintergründiger Absicht wurde das Bild einer gekauften Republik gemalt. Unter dem Deckmantel des Einstehens für Recht und Demokratie wurden als Beweis Dinge hervorgeholt, die aus den Akten der Staatsanwaltschaft stammten und die doch vor allen Dingen nur eines bewiesen: Wo ein Verdacht bestand, war die Staatsanwaltschaft bereits an der Arbeit. Der Rechtsstaat funktionierte, und er wird auch weiter funktionieren. Das sage ich durchaus auch aus aktuellem Anlaß.
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Dr. LangnerIch warne davor, die Staatsanwaltschaften zu politisch motivierten Anzeigen zu mißbrauchen.
Wer politisch motiviert anzeigt, will die Justiz zur Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln mißbrauchen.
Dieses Spiel wird nicht aufgehen.
Wir haben Vertrauen in den Rechtsstaat, und wir haben Vertrauen in das Fairneßgefühl unserer Bevölkerung. Deswegen wird Ihr Spiel nicht aufgehen.
Der Kern unseres Auftrags lautete: Hat es unzulässige Einflüsse des Flick-Konzerns im Zusammenhang mit den Steuerbescheinigungsanträgen gegeben, über die zwischen 1975 und 1981 von den zuständigen Ministern der Regierung Helmut Schmidt zu entscheiden war, und hat es Einflußnahme gegen diese Erteilung gegeben? Es ging also weder um die Geschichte des Hauses Flick — schon deshalb verfehlte Herr Schily das Thema —, noch ging es um psychoanalytische Untersuchungen einiger Akteure, sondern es ging um die Durchleuchtung eines Verwaltungsverfahrens und die Frage der Einflüsse auf dieses Verfahren.Das erforderte 33 Monate lang eine intensive Arbeit, die übrigens nur zum Teil der Öffentlichkeit sichtbar wurde: bei den Zeugenvernehmungen. Wir hatten über 100 000 Blatt Akten zu studieren. Ich danke allen meinen Kollegen im Ausschuß für ihre intensive Mitarbeit. Vor allem aber danke ich den Damen und Herren der Bundestagsverwaltung, den Mitarbeitern des Sekretariats und der Fraktionen. Ohne ihre engagierte Arbeit, ohne den enormen Zeitaufwand, den sie dieser Arbeit gewidmet haben, hätten wir die Arbeit nicht schaffen können. Herzlichen Dank dafür.
Der Ausschuß hat seinen Auftrag erfüllt. Das sage ich auch trotz der Behauptungen, er habe seine Arbeit abgebrochen und er sei nicht allem nachgegangen.
Solche Vorwürfe werden zu Unrecht erhoben. Ein Untersuchungsausschuß ist nicht dazu da, irgendwelchen Profilierungswünschen oder persönlichen Wünschen zu dienen. Mag die Materie, die zu untersuchen ist, auch noch so trocken sein, nur dem hatten wir nachzugehen, wozu uns der Deutsche Bundestag beauftragt hatte. Wir hatten das Verwaltungsverfahren zu durchleuchten und die Einflüsse darauf.Natürlich kommen ich auch auf Spenden zu sprechen. Nur, dies war kein allgemeiner Parteispendenausschuß. Natürlich haben wir erfahren, daß vom Flick-Konzern Spenden gegeben worden sind, haben erfahren, daß auch nicht alle Spenden veröffentlicht worden sind. Das war übrigens keine Erkenntnis des Untersuchungsausschusses. Wer das als neu verkauft hat, hat gar nicht gemerkt, daß 1983 mit dem neuen Parteienfinanzierungsgesetz bereits die Konsequenzen aus Fehlern der Vergangenheit gezogen worden sind.
Soweit Unklarheiten und Unordnung der Vergangenheit noch aufzuarbeiten sind,
sind der Bundesfinanzhof und das Bundesverfassungsgericht aufgerufen, intellektuell redliche, moralisch vertretbare und Rechtssicherheit schaffende Erkenntnisse zu finden.Es gibt hier viel zuviel Schaukampf: Haust du meine Friedrich-Ebert-Stiftung und Neue Heimat, haue ich deine Staatsbürgerliche! Scheinbar hat Herr Schily auf beide. Doch Schröders Schattenminister — und es wird beim Schatten bleiben, Herr Schily —
weiß seine kritischen Anmerkungen in Richtung SPD durchaus in homöopathischen Dosen auszuteilen.
Übrigens frage ich mich seit langem, warum ausgerechnet die GRÜNEN sich als Ankläger und Richter in Finanzfragen aufspielen dürfen.
Weil es Sie damals nicht gab, tragen Sie nicht an der Last der Fehler der Vergangenheit. Doch genügt eigentlich Unbeteiligtheit allein zum Richter? Muß man nicht auch selber eine weiße Weste h aben? Wer greift eigentlich auf die „Staatsknete" zu, wo immer es nur geht?
Wie sagt doch Dr. med. Martin Schata, Gründungsmitglied der GRÜNEN, in der „Quick" vom 6. März?
— Ja, hören Sie mal zu! Das gefällt Ihnen nicht. Es gehe heute vielen Funktionären nur noch darum, wie man an „Staatsknete" komme, heißt es da.
Und er führt weiter aus:Aus der Sitzung eines Kreisverbandes wird dann plötzlich eine „kulturelle ... Veranstaltung" —
und prompt fließt das Geld aus der Staatskasse ...Dieser Gründungs-GRÜNE nennt das pervers.
15632 Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 204. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. März 1986Dr. LangnerSage kein GRÜNER, der sei ja ausgetreten. Auch Jo Müller sagt — da sitzt er — im „Stern" von heute:Auch bei uns ist die Geldgier gut ausgebildet. Und ich schätze das als Realo.Ein wörtliches Zitat!
Im Grad der Staatsfinanzierung werden die GRÜNEN überhaupt nur noch von der DKP übertroffen; nur noch von der DKP,
die allerdings von einem anderen Staat ausgehalten wird.Der Untersuchungsausschuß hatte sich mit Spenden des Flick-Konzerns insoweit zu beschäftigen, als sie ein Mittel der Einflußnahme im Steuerbescheinigungsverfahren hätten sein können. Wer den Bericht gelesen hat, wird gemerkt haben, daß mit gutem Grund nicht die sogenannten Diehl-Listen in den Mittelpunkt gerückt werden. Im übrigen können nur Materialisten meinen, daß es allein das Geld ist, das die Welt regiert.Nach dem Ergebnis der Untersuchung steht allerdings auch fest, daß es einen Bezug zwischen FlickSpenden in Richtung SPD und dem Steuerbescheinigungsverfahren gegeben hat. Ich sage das, obwohl ich gleichzeitig sage: Die Minister Apel und Matthöfer haben sich davon nicht beeinflussen lassen. Der Schwerpunkt dieser Spenden deckt sich mit dem Zeitraum der Steuerbescheinigungsverfahren. Vorher gab es kontinuierlich nur die Zahlungen an den „Neuen-Vorwärts-Verlag" und den „Politisch-Parlamentarischen Pressedienst". Die Herren Nau, Mommsen, Grunwald hatten einerseits mit Geldempfang direkt oder indirekt zu tun. Andererseits vermittelten sie Gespräche — bzw. nahmen daran teil — zwischen Vertretern des Flick-Konzerns, dem Altkanzler Schmidt und den Ministern Apel und Matthöfer. Manche Gespräche zwischen den Vertretern des Flick-Konzerns und Vertretern der Bundesregierung fanden auch in den Räumen der Friedrich-Ebert-Stiftung statt, an die der Flick-Konzern zwischen 1975 und 1981 viele Millionen spendete. Alfred Nau bemühte sich, den Flick-Manager und Verbindungsmann des Konzerns zur Friedrich-Ebert-Stiftung, Paefgen, als Kuratoriumsmitglied zu gewinnen. Nach den Aussagen von Brauchitschs ist mit Nau ein Zusammenhang zwischen Flick-Spenden und Steuerbescheinigungsverfahren hergestellt worden. Die in diesem Zusammenhang von von Brauchitsch vertretene Notwehrthese ist zu mißbilligen.Ich wiederhole: Trotz dieser Zusammenhänge zwischen Flick-Spenden in Richtung SPD und Steuerbescheinigungsverfahren ist davon auszugehen, daß im Ergebnis die Bescheinigungen dadurch nicht beeinflußt worden sind und daß die Verfahren ordnungsgemäß nach Recht und Gesetz gelaufen sind, wenn auch Einzelheiten sehr zu beanstanden sind. Der Untersuchungsausschuß hat auch bezüglich der anderen Ministerien nichts Gegenteiliges festgestellt.Wenn man das Geschehen der Jahre 1975 bis 1981 richtig verstehen will, muß man sich zunächst einmal von dem Gedanken lösen, daß die sogenannte Pflege der Bonner Landschaft ausschließlich oder hauptsächlich eine Geldangelegenheit gewesen wäre. Viel wichtiger für Flick war - das hat sich gezeigt — die zielstrebige Erarbeitung vertrauensbildender Kontakte zur Regierung, zur Verwaltung, zum Parlament und zu den Parteien. Dazu gehörten Antrittsbesuche bei Länder-Regierungschefs und Ministern ebenso wie beim damaligen Bundeskanzler Schmidt, dem man den Flick-Konzern und dessen wirtschaftspolitische Ansichten vorstellte. Die Berufung auf solche Kontakte oder gar Hinweise auf manchmal an und für sich relativ harmlose Gesprächsinhalte wurden dann später anderen Gesprächsteilnehmern mitgeteilt. Es wurde ein Flickgünstiges Bild gemalt, und jeder Anlaß für die Herstellung solcher Kontakte wurde genutzt. Ob es Politiker-Geburtstage waren oder der Flick-Konzern einer Reihe von Politikern mitteilte, daß nun die Neffen aus dem Kreise der Eigner ausgeschieden seien, immer gab man sich bedeutsam. Diese Arbeitsmethode ist ein Indiz dafür, daß Eberhard von Brauchitsch die politische Dimension des Verkaufs des Daimler-Pakets und der Wiederanlage von 1,5 Milliarden DM schon sehr frühzeitig erkannte.Wie sah denn das politische Umfeld aus, das der Ausschuß festgestellt hat? Nun, eine allgemeine Stimmung gegen den Verkauf eines bedeutenden Aktienpakets an das Ausland einerseits, eine weitverbreitete Stimmung gegen Industriebesitz von Banken andererseits veranlaßte damals, 1975, die Deutsche Bank, sich die Rückendeckung bei der Bundesregierung einzuholen. Altkanzler Schmidt gewährte sie für meinen Geschmack etwas zu plakativ; denn später wurde das immer als eine Rükkendeckung für Flick umgedeutet. In gleicher Weise hat er im übrigen die Ermunterung zum Gerling-Erwerb durch Finanzminister Matthöfer ebenfalls immer wieder umgedeutet.Weiter: Das Steuerbescheinigungsverfahren wurde von einigen SPD-Bundestagsabgeordneten — Herr Kollege Spöri, ich darf Sie ansprechen — zum Gegenstand einer politischen Kampagne mit dem Ziel der Verhinderung der beantragten Bescheinigungen gemacht. Dies war keine Steuerrechtsdiskussion, dies war nicht einmal eine seriöse steuerpolitische Diskussion.
Dies war eine Politisierung von Verwaltungsverfahren, meine Damen und Herren, die bis hin zu der Überlegung getrieben wurde,
ob eines Einzelfalles wegen das Gesetz zu ändern ist - und das auch noch rückwirkend.
So war es, und das steht auch im Bericht. Mit der Warnung vor einer falschen Entwicklung oder mit der Kontrolle der Bundesregierung hatte diese Kampagne nichts zu tun. Daran ändert weder die
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Dr. LangnerRücknahme von zwei Bescheinigungen, die übrigens die Regierung Kohl zurückgenommen hat, Bescheinigungen, die in der Regierungszeit Schmidt erteilt worden sind, noch der erfolgte Verkauf des Flick-Pakets etwas.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Schily?
Ja, gern. Herr Schily, bitte schön.
Herr Kollege Dr. Langner, wollen Sie mit Ihren Ausführungen jetzt die Notwehrtheorie des Herrn von Brauchitsch begründen?
Herr Schily, wenn Sie zugehört hätten,
dann wüßten Sie, daß ich diese Notwehrtheorie gerade aufs schärfste mißbilligt habe.
Schließlich standen die Ministerien den Anträgen recht wohlwollend gegenüber. Sie haben neben den Sachüberlegungen dann natürlich auch taktische Überlegungen angestellt, wie sie angesichts dieses Klimas die Anträge positiv bescheiden könnten, ohne auf allzu heftigen Widerstand zu stoßen. Dabei sind dann auch Wertungen eingeflossen, die im Gesetz keine Stütze haben, z. B. oftmals der Gedanke, nur einen Teil anzulegen. Das aber mußte allein Sache des Antragstellers sein. Das läßt sich dann auch nicht nur damit begründen, daß man sagt, man sei eben ein Ministerium für Wirtschaft. Zu diesen sachfremden Überlegungen gehörte auch, was sowohl beim Bundeswirtschaftsministerium als auch beim Finanzministerium manchmal zur Sprache kam, nur, wie gesagt, einen Teil zu reinvestieren.
Schließlich führte die politische Kampagne zu einer solchen Politisierung der Verfahren, daß bei den Entscheidungen über die Anträge Wahltermine eine Rolle spielten. Auch das steht ja nicht in § 6b des Gesetzes, daß man auf Wahltermine Rücksicht zu nehmen habe. Das ging so weit, daß der damalige Bundeskanzler Helmut Schmidt verfügte, man möge den Versuch machen, anstehende Entscheidungen über die Bundestagswahl hinauszuziehen. Offensichtlich hatte er die Vermeidung des Ärgers in den eigenen Reihen dabei im Auge.
Meine Damen und Herren, so oft wie Flick, wie von Brauchitsch, wie Paefgen beim Kanzler, den Ministern, den Staatssekretären vorsprechen konnten, so oft hat noch nie ein § 6 b-Antragsteller die Leitungsebene bemüht.
Ich möchte an dieser Stelle darauf hinweisen, daß die Steuerbescheinigungsverfahren wie ein Mittel der Investitionslenkung wirken und deshalb für Einflußnahmeversuche anfällig sind. Da gab es Pro und Kontra. Die SPD im Hessischen Landtag, also Winterstein und Genossen, sprachen sich aus ideologischen Gründen gegen die Erteilung aus, die SPD im Nordrhein-Westfälischen Landtag sprach sich aus arbeitsmarktpolitischen Gründen für die Steuerbescheinigung aus. Ich möchte auch für die Zukunft davor warnen, in solchen Fällen Anlageberatung zu treiben. Von AEG bis zur Ölsuche hat man dem Flick-Konzern gar manches vorgeschlagen, wo er wieder anlegen sollte. Im nachhinein hat Herr von Brauchitsch dafür nur Spott übrig.
Das sollte uns für die Zukunft warnen.
Meine Damen und Herren, das von mir beschriebene politische Umfeld veranlaßte Herrn von Brauchitsch, mit Herrn Nau über Spenden zu sprechen, und er hat das als Notwehr bezeichnet. Dies müssen wir einmütig mißbilligen, selbst wenn kein Gesetzesverstoß darin zu sehen sein sollte.
Es gelang dem Flick-Konzern auch, aus den Ministerien Informationen zu erhalten, die allein für taktische Zwecke interessant waren und deswegen nicht hätten gegeben werden dürfen.
Besonders erschreckend finde ich auch, wie sich der Konzern mit Hilfe zweier Journalisten aus dem Bereich der SPD und der Gewerkschaften Informationen beschafft hat. Was hier der Journalist Günter Markscheffel gemacht hat, war ein Ausspionieren der SPD-Bundestagsfraktion und hatte mit der üblichen journalistischen Berichterstattung nichts zu tun, selbst wenn er seine Parteiführung, wen auch immer, darüber unterrichtet haben sollte. Ich verurteile nicht nur das, sondern auch seinen Auftraggeber. Ich bin aber nicht der Meinung, daß Herr Markscheffel hier nur der arme, ausgenutzte, brotlose Journalist war; vielmehr war er als ehemaliger Chefredakteur des Politisch-Parlamentarischen Pressedienstes ein erfahrener SPD-Politiker, der sich jederzeit bewußt gewesen sein mußte, was er da tat.
Nun noch einmal zu den Spenden. Wir dürfen uns nicht einreden lassen, in jeder von kapitalkräftiger Seite kommenden Parteispende sei ein Kauf von Parteien zu sehen.
Solche Behauptungen mögen modisch sein, richtig sind sie deswegen noch lange nicht.
Die Spenden an politische Parteien, von Verfassungs wegen eine der Säulen der Parteienfinanzierung, haben grundsätzlich nichts mit Käuflichkeit zu tun. Diejenigen, die so gern den gegenteiligen Eindruck verbreiten, haben bisher weder an diesem konkreten Fall noch an anderen Fällen darlegen können, worin die Käuflichkeit eigentlich bestanden haben soll. Welches sind denn die konkreten Gegenleistungen gewesen? Die Behauptung „Spende gleich Einflußnahme auf Entscheidungen" ist falsch. Oder will jemand behaupten: Weil sich
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Dr. Langner
die Partei der GRÜNEN ganz überwiegend, übrigens entgegen dem Recht, aus öffentlichen Mitteln finanzieren läßt,
sei diese Partei vom Staat gekauft? Will das jemand behaupten?
Untersuchungsausschüsse, meine sehr geehrten Damen und Herren, sind Kontrollinstrumente des Parlamentes. Es ist darauf hingewiesen worden, daß dieser Untersuchungsausschuß auf Betreiben der SPD gegen den Rat ihres Schatzmeisters Halstenberg
und im Wettlauf mit den GRÜNEN eingesetzt wurde. Sicherlich wollte man die FDP für den Koalitionswechsel bestrafen. War aber mehr dahinter, war z. B. ein Mißtrauen der SPD-Bundestagsfraktion gegenüber der von Helmut Schmidt geführten Regierung dahinter?
Wenn das der Fall war, dann muß ich mich natürlich fragen: Weshalb kam die SPD eigentlich erst zu der Erkenntnis, daß man hier etwas untersuchen müßte, als sie die Regierung verlassen hatte? 1981 waren die Bescheinigungsverfahren bereits alle abgeschlossen.
Je mehr nun der Gang der Untersuchungen die Rolle der SPD; der ehemals führenden Regierungspartei, aufdeckte, um so mehr machten SPD und GRÜNE den Versuch, vom Auftrag des Ausschusses wegzukommen. Plötzlich war die Untersuchung der Steuerbescheinigungsverfahren gar nicht mehr interessant, und man hatte ja auch Medienhilfe dabei. Im traurigen Einklang mit einigen Teilen der Medien wurde hier versucht weiszumachen: FlickSpende ist grundsätzlich etwas Schlimmes.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, dies war ein Zerrbild. So wird man weder dem Auftrag des Parlaments gerecht, noch erfüllt man den Anspruch der Öffentlichkeit auf Wahrheit und Klarheit. Ich bedaure das, wird doch auf diese Art das Instrument eines Untersuchungsausschusses auch entwertet, und vor allem fördert man die Staatsverdrossenheit, die Verdrossenheit gegenüber den politischen Parteien, ohne die nun einmal diese Demokratie nicht funktionieren kann.
Am Ende der jahrelangen Arbeit des Untersuchungsausschusses läßt sich folgendes feststellen:
Erstens. Die parlamentarische Kontrolle funktioniert.
Zweitens. Es ist gut, einen Sachverhalt zu klären, bevor man urteilt.
Drittens. Die Gleichung „Spende gleich Einflußnahme auf Entscheidungen" ist falsch. Wer einen
solchen Automatismus behauptet, will nicht die Republik retten, sondern er schadet der Demokratie.
Viertens. Das Thema Flick und Einflußnahme auf das Steuerbescheinigungsverfahren kann als aufgeklärt gelten. Nicht erledigt ist natürlich die sogenannte Parteispendenaffäre, denn die war nicht Gegenstand der Untersuchungen des Ausschusses. Hier müssen die höchsten Gerichte die Unklarheiten und Zweifelsfragen aus der Vergangenheit klären:
Fünftens. Die langandauernde Untersuchung ist mit Aufmerksamkeit registriert worden und dürfte bereits als solche zu einer Schärfung des Bewußtseins beitragen, des Bewußtseins in der Wirtschaft, daß die Wahrnehmung von Interessen nur in einer Form erfolgen kann und darf, die das Licht der Öffentlichkeit nicht zu scheuen braucht, des Bewußtseins bei Regierung und Verwaltung, daß zur Wahrnehmung öffentlicher Interessen auch die Vermeidung eines sachfremden Scheins gehört, und schließlich sollten auch wir Parlamentarier gelernt haben. Meine Damen und Herren, glauben Sie bitte nicht denen, die nur Sumpf und nichts als Sumpf sehen. Glauben Sie auch nicht den Gesundbetern. Man muß Zwischentöne hören können, wenn man aus Fehlern der Vergangenheit lernen will und diese Fehler in Zukunft vermeiden möchte.
Schönen Dank.
Meine Damen und Herren, nach § 30 der Geschäftsordnung hat der Abgeordnete Dr. Müller das Wort zu einer kurzen Erwiderung.
Meine Damen und Herren! Bezüglich des Zitates von mir im „Stern" möchte ich folgende persönliche Erklärung abgeben.Erstens. Ich nehme irritiert zur Kenntnis, daß hier von seiten der CDU Steuergelder als ,,Staatsknete" bezeichnet werden. Wir können das jetzt in Haushaltsdebatten und sonstwo generell als Wort und Begriff in die parlamentarische Debatte einführen.
— Es wurde mehrfach wiederholt.
Zweitens. Ich bin sehr wohl der Meinung, daß Geld in den Händen der GRÜNEN wesentlich besser aufbewahrt ist als in Ihren Händen angesichts dessen, was Sie damit machen.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 204. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. März 1986 15635
Dr. Müller
Ich wäre sehr froh, es gäbe nicht diesen Grauzonenbereich, den Sie hier unterstellt haben, mir unterstellt haben mit diesem Zitat,
und wir könnten dieses Geld an Arbeitsloseninitiativen, an ökologische Projekte weitergeben, wie wir es zur Zeit tun. Darauf hätten Sie hinweisen müssen. Ich finde es ehrenrührig — —
Herr Abgeordneter, verzeihen Sie bitte. Sie haben sich hier in einer kurzen Erwiderung nur mit Äußerungen zu Ihrer Person zu beschäftigen, nicht mit einer neuen Debatte zu diesem Punkt. Sie können das später machen. Nach § 30 haben Sie nur die Möglichkeit zu einer kurzen Erwiderung, um auf Ihre Person bezogene Äußerungen zurückzuweisen.
Ich bedanke mich für den Hinweis; Entschuldigung!
Zu meiner persönlichen Erklärung: Ich habe dieses Zitat in dem Zusammenhang, wie der „Stern" es gebracht hat, so nicht gesagt.
Das will ich ganz deutlich sagen. Ich habe mit diesem Zitat darauf hingewiesen — und das sollte Ihnen aufgefallen sein, wenn Sie den „Stern" gelesen haben —, daß angesichts der eklatanten Summen von Steuergeldern, die die Parteien kassieren,
die GRÜNEN diejenigen sind, die mit Abstand am wenigsten Geld haben und am wenigsten Geld vom Staat bekommen.
Schauen Sie sich die Dimensionen an! Insofern ist der Hinweis auf dieses Zitat wirklich in diffamierender Absicht erfolgt, und man will sich auf diese Weise von dem Vorwurf reinwaschen, daß Ihre Parteien, meine Damen und Herren, 1 Milliarde DM Steuergelder im Jahr kassieren. Das stand im „Stern"-Bericht, und das ist das Entscheidende!
Danke schön.
Meine Damen und Herren, ich habe Herrn Müller ermahnt, und er hat versucht, sich zurückzuhalten.
— Einverstanden, aber es lohnt sich doch nicht, daß wir uns darüber noch aufregen.
Wir fahren in der Diskussion fort. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Penner.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es hat irritiert, es hat betrübt, es hat geärgert, und es hat aufgewühlt, jedenfalls hat es aber auch offenbart: Nie zuvor ist die Berufung auf die Unschuldsvermutung des Strafrechts vor gerichtlicher Verurteilung eindringlicher zu hören gewesen als bei der Flick-Affäre,
nicht nur bei Lambsdorff, aber auch bei dem — und mit nachhaltiger publizistischer Unterstützung —, nicht nur bei Friderichs, aber auch bei dem — Brauchitsch inklusive —, von Matthöfer und Lahnstein nicht zu schweigen, für die ebenso die Unschuldsvermutung reklamiert wurde — mit Recht, weil ja die Staatsanwaltschaft das Verfahren gegen beide eingestellt hat. Die Ermittlungen haben insoweit nicht genügenden Anlaß zur Erhebung der öffentlichen Klage gegeben, wie es die Strafprozeßordnung in kühler Sprache formuliert.Hans Apel gehört nicht in diesen Zusammenhang. Er war nie Beschuldigter,
er war immer Zeuge. Mit anderen Worten, zureichende tatsächliche Anhaltspunkte für ein strafbares Verhalten seinerseits, Voraussetzung für die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens, hat es zu keinem Zeitpunkt gegeben und gibt es auch heute nicht. Oder, anders ausgedrückt, es hat nicht einmal zum sogenannten Anfangsverdacht gereicht, und um es vollständig zu machen: auch nicht bei Brandt, auch nicht bei Genscher, auch nicht bei Kohl, auch nicht bei Strauß und manchen anderen mehr, wohl aber bei Riemer und bei Nemitz, jenem Tausendsassa, der in den 70er Jahren beim nordrhein-westfälischen Wirtschaftsminister Riemer ein- und ausging und einen wirtschaftspolitischen Arbeitskreis der SPD organisierte.Es mag manche erleichtern, daß der Flick-Fall nicht mit der ganzen Wucht des Strafrechts faßbar war, sich möglicherweise gänzlich oder teilweise strafrechtlicher Würdigung entzieht. Aber können wir uns damit zufriedengeben, können wir es hinnehmen, daß der Vorwurf der politischen Korruption allein mit der Elle des Strafrechts gemessen wird? Greift das nicht zu kurz?Das Strafrecht hat nur fragmentarischen Charakter. Es muß sich auf die Bestrafung von Verletzungen elementarer ethischer Pflichten beschränken. Das ist auch sinnvoll, denn die Wirkung des Strafrechts wird durch Vielstraferei nicht erhöht. Ganz im Gegenteil, schon bei der Durchsetzung so elementarer und selbstverständlicher Pflichten wie „du sollst nicht töten", „du sollst nicht verletzen", „du sollst nicht stehlen", „du sollst nicht rauben und und nicht betrügen" usw. werden sehr bald die Grenzen des Strafrechts erreicht.Gerade weil, wie der Bonner Strafrechtslehrer Hans Welzel einmal formuliert hat, die Werthöhe dieser Pflichten sozialethisch so gering ist, kann man daraus nicht folgern, daß derjenige, der diese Pflichten beachtet oder jedenfalls im Sinne der Unschuldsvermutung des Strafrechts nicht vorwerfbar verletzt hat, allein dadurch und insoweit mit einem
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15636 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 204. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. März 1986
Dr. PennerEignungsblankett für Staatsämter ausgewiesen sei. Mit anderen Worten: Paul Noack hat recht, wenn er eine Reduktion der öffentlichen Moral auf die Grenzmoral des Strafrechts ablehnt. Es wäre ja auch noch schöner, wäre gespentisch für die Beschaffenheit von Staat und Gesellschaft., wenn straffreies oder vermutetes straffreies Verbalten eines Poltikers gewissermaßen zum ethischen Maximum erhoben würde.
Graf Lambsdorff scheint diese Auffassung zu vertreten. Seine Ungebärdigkeiten sind nicht nur Ausdruck ausgeprägter Streitlust und berechtigter Gegenwehr; seine ungezogenen, maßlosen, bisweilen unanständigen Rempeleien und Ausfälle im Verlauf des gegen ihn gerichteten Strafverfahrens dienen allein dem Ziel, über die Minimalqualifikation der teilweisen Straffreiheit das Reentree für ein Staatsamt vorzubereiten.
Wohlgemerkt: Es muß selbstverständlich bleiben, daß auch ein hochrangiger Politiker seine Rechte als Angeklagter voll ausschöpft. Aber ebenso selbstverständlich muß es bleiben, daß ein Sachverhalt, der strafrechtlich nicht erfaßbar sein mag, sehr wohl zu politischen Konsequenzen führt, wenn die betreffende Person nicht mehr die Gewähr dafür bietet, ein öffentliches Amt verantwortlich zu führen.
Es gibt in der Bundesrepublik nicht so etwas wie politische Justiz unseligen Angedenkens.
Graf Lambsdorff ist nicht das gejagte Opfer der Justiz, und der Bundeskanzler ist nicht das gejagte Opfer der Justiz. Der Rechtsstaat hat beide eingeholt.
Ich komme zur Bewertung der Beweisaufnahme des 1. Untersuchungsausschusses des 10. Deutschen Bundestages. Dabei nötigt das anhängige Strafverfahren zur Zurückhaltung. Das engt den Bewertungsrahmen ein. Viel wichtiger jedoch als die mögliche Strafbarkeit bestimmter Verhaltensweisen, die zu beurteilen die Strafverfolgungsbehörden berufen sind, ist die Frage, wie Einflußlinien verlaufen sind und ob in politisch mißbilligenswerter Weise Verschiebungen vorgekommen sind.Im einzelnen ist folgendes festzustellen:Erstens. Der Flick-Konzern ist bei der Durchsetzung seiner Anträge nach § 6b und § 4 in einer Art und Weise vorgegangen, die mit einer berechtigten Wahrnehmung von Interessen nichts mehr zu tun hat.Zweitens. Begegnungen von Repräsentanten auch der Großindustrie und damit auch der Flick-Gruppe mit Amtsträgern, Beamten und auch Politikern zum Zwecke der Durchsetzung eigener Interessen sind zwar prinzipiell nicht zu beanstanden. Es fällt jedoch auf, daß bei den Flick-Anträgen Amtsträger und Spitzenbeamte ungewöhnlich häufig persönlich zur Verfügung gestanden haben. Es muß bezweifelt werden, ob andere Antragsteller, etwa mittelständische Unternehmer, von den zuständigen Verwaltungen in gleicher Weise behandelt worden wären. Nicht nur deshalb erscheint die Behandlung der Flick-Anträge zwielichtig.Drittens. Soweit Gespräche über Angelegenheiten nach § 6 b und § 4 mit Mitarbeitern der Verwaltungen, aber auch mit Amtsträgern außerhalb des üblichen Rahmens geführt worden sind, erscheint dies anstößig. Das gilt namentlich für die Karnevalsgespräche von Dr. Blaschke, aber auch die sogenannten Klimagespräche des Flick-Mitarbeiters Dr. Kreile mit Angehörigen der Ministerialbürokratie und deren Damen, Begegnungen von von Brauchitsch und hohen FDP-Politikern in dessen Haus in Metzkausen, aber auch für das Jagdhüttengespräch und die Treffen in der Zitelmannstraße, soweit Angelegenheiten nach § 6b und § 4 angesprochen worden wären.Nach der Interessenlage und dem gezeigten Gesamtverhalten des Flick-Konzerns dienten diese vom Verwaltungsverfahrensgesetz nicht gedeckten Nebenwege eindeutig dazu, den Entscheidungsspielraum der zuständigen Stellen über den bloßen Sachvortrag hinaus mit entscheidungsfernen Kriterien im gewünschten Sinne zu überlagern. Dabei ist es gleichgültig, ob den Kontaktpersonen — sei es Beamten, sei es Ministern — die Tragweite der Angelegenheit und Motive der Firma Flick bewußt waren oder nicht. Mit dem Gebot der Bürgerfreundlichkeit der Verwaltungen, von der Flick-Gruppe nachdrücklich ins Feld geführt, hat das Ganze ganz und gar nichts zu tun,
eher mit dem hartnäckigen Versuch, das Verwaltungshandeln zu balkanisieren.
Viertens. Das Verhalten von von Brauchitsch geht über zulässige Interessenswahrnehmung hinaus,
Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 204. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. März 1986 15637Dr. Pennerauch wenn man in seinen Notizen ein gehöriges Stück Renommiergehabe gegenüber Friedrich Karl Flick in Rechnung stellen muß.Besonders deutlich wird dies in der Form der Begegnung mit dem damaligen Leiter des Ministerbö- ros im Bundeswirtschaftsministerium, Wohlleben, die mehr in der Art von Komplizenschaft als in der durchaus berechtigten Form hartnäckiger Interessenswahrung betrieben wurde. Es sei nur an Wohlleben ais Kurier verschlossener Umschläge und verwaltungsinterner Vorgänge erinnert, im Pendelverkehr mit Flick respektive von Brauchitsch. Gewiß ist auch dieser Vorgang nicht ohne beklagenswerten Begleitschutz des seinerzeit verantwortlichen Ministers für Wirtschaft, Friderichs, erklärbar, der von Brauchitsch erst seine damalige Sonderrolle im Bundeswirtschaftsministerium ermöglichte.Über den konkreten Steuerfall hinaus hat sich von Brauchitsch als Sachwalter Flicks in politische Vorgänge massiv eingeschaltet. Aus meiner Sicht diente die Finanzierung des Scheinbeschäftigungsverhältnisses des früheren Oppositionsführers Dr. Barzel bei der Anwaltskanzlei Dr. Paul durch Flick dazu, den neuen CDU-Mann Dr. Kohl vor befürchteten Griesgrämigkeiten seines Amtsvorgängers zu schützen und ihm damit den politischen Start auf Bundesebene zu erleichtern.
Was den Steuervorgang nach § 6 b Abs. 4 angeht, sehe ich eine Beteiligung Dr. Barzels nicht.
Auch die in einer Gesprächsnotiz von von Brauchitsch über ein Gespräch mit Friderichs festgehaltene Äußerung aus dem Herbst 1976, er — von Brauchitsch — könne im Falle des Falles für eine Koalition CDU/CSU und FDP vermitteln, kennzeichnet die Interessenlage, die sich sicherlich nicht auf die Rolle des politischen Aktivbürgers von Brauchitsch reduzieren läßt.
Es ging konkret um finanzielle Interessen für Flick und allgemein um wirtschaftspolitische Rahmenbedingungen, die bei den konservativen Parteien eher den eigenen Vorstellungen entsprachen.
Von Brauchitsch hat bei seinem Vorgehen wohl der Form nach, nicht aber in der Sache als Vertreter ohne Vertretungsmacht gehandelt. Friedrich Karl Flick hat sehr wohl den Zusammenhang zwischen Mäzenatentum und eigenen steuerlichen Belangen akzeptiert.
Noch mehr: Er zweifelte am Sinn von politischen Spenden — in seiner Diktion: Freundlichkeiten gegenüber Bonn —, als es in seiner Steuerangelegenheit hakte. Dabei mögen für Flick operative Einzelheiten nicht von Belang gewesen sein. Im Kern entsprach das Vorgehen von von Brauchitsch auch den Einschätzungen und den Interessen Friedrich Karl Flicks.Fünftens. Die politischen Initiativen gegen die Gewährung der angestrebten Steuervergünstigungen — namentlich der Bundestagsabgeordneten Dr. Böhme und Dr. Spöri - sind nicht zu beanstanden. Es gibt keinen Anhaltspunkt dafür, daß sie sich für rechtsfremde Erwägungen im Rahmen des Verwaltungsverfahrens hätten engagieren wollen. Eine unerlaubte Einflußnahme auf die Verwaltung ist nicht erkennbar. Diese Aktivitäten sind insonderheit nicht mit der Art und Weise des Vorgehens von von Brauchitsch zu vergleichen.
Jeder Abgeordnete — ich wiederhole: jeder Abgeordnete — hat das Recht, auch und gerade bei Verwaltungsverfahren dieser Bedeutung seine Auffassung bei den zuständigen Stellen zu Gehör zu bringen. Anregung zu Gesetzesanträgen und Überprüfung gesetzgeberischen Handlungsbedarfs gehören ohnehin zu den selbstverständlichen Pflichten ei- nes Parlamentariers.
Ungehörige Eingriffe in ein laufendes Verfahren waren nicht beabsichtigt und sind von den Entscheidungsträgern auch nicht so wahrgenommen worden. Die durch von Brauchitsch für Flick beanspruchte notwehrähnliche Situation gegenüber politischen Einflüssen ist daher nicht durch Tatsachen belegbar.Dies gilt auch im Hinblick auf die zum Teil lange Bearbeitung der Anträge durch die Verwaltungen. Wie später offenkundig geworden ist, hatte diese lange Bearbeitungszeit ihren wesentlichen Grund in dem völlig unzulänglichen Sachvorbringen des Antragstellers Flick und nicht etwa in dem Handeln und Wirken dämonischer Kräfte politischen Ursprungs.
Der Einschätzung von Brauchitschs, daß die behauptete Kooperation mit Grace „nichts als heiße Luft" gewesen sei — das ist Zitat von Brauchitsch —, ist nichts hinzuzufügen. Daß die Verwaltung zu derselben Bewertung gekommen ist, beweist die von ihr selbst betriebene Rücknahme der Steuervergünstigung, die j a auf unzulänglichen Tatsachenvortrag gestützt worden ist.Sechstens. Die Geldspenden des Flick-Konzerns im Entscheidungszeitraum nach den §§ 6 b und 4 dienten dem Zweck, die gewünschte Entscheidung befördern zu helfen. Die Reklamierung staatsbürgerlicher Pflichten auch in diesem Zusammenhang ist allenfalls als Randmotiv akzeptabel. Zeitpunkt und Höhe der Spenden weisen eindeutig auf andere, abzulehnende Motive hin.Ob den Entscheidungsträgern — das sind durchweg auch Amtsträger — der Sachzusammenhang bekannt war, bleibt offen. Viel spricht dafür, daß
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15638 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 204. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. März 1986
Dr. Pennerinsbesondere die seinerzeitigen Schatzmeister Nau und Karry bei ihren Gesprächspartnern des FlickKonzerns Erwartungen über ihre Einflußmöglichkeiten oder über ihren Einflußwillen bei Ministern erweckten, die sie einfach nicht einhalten wollten oder konnten.Das dienstliche Verhalten der damals amtierenden Minister läßt gegenteilige Festlegungen nicht zu. Entsprechendes gilt für den jetzigen Bundeskanzler Kohl. Es ist nicht auszuschließen, daß Kohl gegenüber von Brauchitsch die Zusicherung abgegeben hat, mit Carstens und Stücklen über eine Beruhigung des linken Flügels der CDU/CSU-Bundestagsfraktion im Zusammenhang mit den Anträgen nach §§ 6 b und 4 zu reden.
Es läßt sich aber nicht feststellen, daß dies auch geschehen sei.
Soweit in diesem Zusammenhang der Wortlaut der Vermerke von Brauchitschs eine Rolle spielt, können persönliche Eigentümlichkeiten und Beweggründe des Verfassers bei der Auslegung nicht unberücksichtigt bleiben.
Siebtens. Die mit der Geldannahme verbundenen Peinlichkeiten werden auch nicht dadurch beseitigt, daß diese von einzelnen Zeugen als etwas Normales, ja, im Interesse der Demokratie Liegendes dargestellt werden. Wer — wie Strauß und Kohl — im Zeitalter des bargeldlosen Zahlungsverkehrs fünf-oder sogar sechsstellige Bargeldsummen entgegennimmt, muß es sich gefallen lassen, daß sich wegen der Wahl dieser Zahlungsweise Verdächte geradezu aufdrängen.
Auch der beliebte Hinweis auf gleichartiges Verhalten der politischen Konkurrenz
vermag die Beanstandungen weder der Sache noch der Form nach aufzuheben.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Nein. — Eine Kongruenz im Unrecht schafft kein Recht, ja nicht einmal Relativierungen für mildere Beurteilungen.
Diese Feststellung bleibt auch vor dem Hintergrund von Bemühungen um Rechtsänderungen gültig. Ganz abgesehen davon, daß gerade bei der Initiative zur Parteienfinanzierung besondere Genauigkeit und Sorgfalt geboten sind, bleibt die Achtung geltenden Rechts — auch wenn es für veränderungsbedürftig gehalten wird — selbstverständliche staatsbürgerliche Pflicht.
Achtens. Die Entscheidung über die Flick-Anträge ist durch schwere administrative Mängel belastet. Die Sachverhaltsfeststellungen des Bundeswirtschaftsministeriums waren unzulänglich. Die Prüfungsmethode der quasi Schlüssigkeitsprüfung oder Plausibilitätsprüfung entsprach, wenn überhaupt, spätestens dann nicht mehr dem Gesetz, als vor der Entscheidung über das zweite Grace-Engagement sich die Zweifel über die schon bei der ersten Grace-Entscheidung vorausgesetzte Kooperation verdichteten, zumindest aber nicht beseitigt waren.
Eine Ursache für diese Unzulänglichkeiten lag sicherlich in der wenig klaren Fassung des Gesetzes. Zum anderen hat bei den Unzulänglichkeiten des Administrierens mit Sicherheit der prägende und insoweit schädigende Einfluß des Staatssekretärs Schlecht und des früheren Ministerialdirektors Tietmeyer eine Rolle gespielt; ein Einfluß, der von grundsätzlicher Sympathie für Steuerfreiheit bei Aufdeckung stiller Reserven geprägt war.
Demgegenüber blieb das Verständnis für die manchmal wenig glanzvolle Arbeit gesetzmäßigen Administrierens merkwürdig blaß, wie insbesondere aus der Vernehmung des jetzigen Staatssekretärs Tietmeyer hervorgeht.
Auffällig ist auch, daß die sonst durchweg nur mit Grundsatzfragen befaßte Abteilung des Bundeswirtschaftsministeriums gerade für die 6 b-Fragen verwaltungsmäßig zuständig war.Insgesamt gesehen erscheinen durchaus respektable wirtschaftspolitische Überzeugungen und Einschätzungen eine sachgemäße verwaltungsmäßige Behandlung im Bundeswirtschaftsministerium wenn schon nicht unmöglich gemacht, so doch stark behindert zu haben.Neuntens. Das Auftreten auch hochrangiger Politiker vor dem Untersuchungsausschuß war gekennzeichnet von dem Bemühen, selbst mit heiler Haut davonzukommen. Das mag verständlich sein angesichts des weitverbreiteten fälschlichen Eindrucks, ein Untersuchungsausschuß habe Schuldfeststellungen zur Person zu treffen. Alle angesprochenen Zeugen wissen es besser. Die Konzentration auf die
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Dr. PennerWahrung privater Interessen dieser Auskunftspersonen hat die Chancen der politischen Aufarbeitung und Bewältigung der Glaubwürdigkeitskrise unseres Staates eher geschwächt als steigen lassen.
Diese Kläglichkeiten entsprechen in keiner Weise dem hochpolitischen Untersuchungsauftrag, den schließlich das gesamte Parlament erteilt hat.Zehntens. Die Erinnerungsschwäche mancher, darunter sehr prominenter Zeugen war auffällig.
Bei allem Verständnis für bekannte Begrenztheiten und Fragwürdigkeiten menschlichen Erinnerungsvermögens: Die durchgängige Behauptung von Nichtwissen oder Nichterinnern bei empfindlichen Fragen ist wenig überzeugend und eher als Sperre vor berechtigtem Aufklärungsinteresse erklärbar.
Elftens. In engem Zusammenhang damit sind ungewöhnliche Dreistigkeiten auch herausragender Auskunftspersonen zu sehen. Sie könnten das Parlament dazu zwingen, über Verfahrensregeln für Untersuchungsausschüsse nachzudenken, die diesen die notwendigen Instrumente zur Eindämmung solcher Verhaltensweisen an die Hand geben.
Das wäre aus meiner Sicht zu bedauern, weil sich die bisherige Praxis gerade wegen der damit verbundenen Flexibilität durchaus bewährt hat, weil es nicht wünschenswert wäre, wenn die Einführung noch präziserer Verfahrensregeln die Tätigkeit der Untersuchungsausschüsse noch gerichtsähnlicher erscheinen ließe. Es wäre außerordentlich bedauerlich, wenn die schon heute in Ansätzen vorhandenen Zwangsmittel gesetzlich präzisiert und ausgeschöpft werden müßten.Zwölftens. Die Flick-Affäre ist auch Teil der Parteispendenaffäre und daher auch über den Einzelfall hinaus bedeutsam. Sie ist erklärbar durch Anfälligkeiten von Parteien, die ihrerseits bedingt waren durch vermeintliche oder tatsächliche Finanznöte.Spenden auch an Parteien sind nicht zu beanstanden, soweit sie nicht Abhängigkeiten begründen oder fördern. Die Möglichkeit hierfür wird um so geringer, je breiter die Finanzierung der Parteien jenseits der Spenden angelegt ist und in um so geringerem Maße sie sich auf einen oder wenige Spender stützen müssen. Tatsächliche Abhängigkeit — nicht nur der Anschein davon — entsteht im umgekehrten Fall.Die Parteien müssen sich um ihrer politischen Glaubwürdigkeit willen finanziell bescheiden. IhrFinanzrahmen darf nicht von Wünschen auf der Ausgabenseite bestimmt sein.
Die FDP wird darauf zu achten haben, daß sie nicht ihren Status als Partei wegen ständiger Unterfinanzierung und einseitiger Abhängigkeit von Großspenden substantiell einbüßt.
Dabei braucht man gar nicht an von Brauchitsch zu erinnern, der im Zusammenhang mit der Zahlung von Subsidien an die FDP sehr freimütig bekannte, sie seien zur Stärkung des rechten Parteiflügels der FDP bestimmt gewesen.
Das kennzeichnet die Interessenlage eines Spenders, die nicht einmal so selten sein dürfte. Viel wichtiger sind die Auswirkungen auf das Verhalten des Empfängers. Wenn das finanzielle Überleben einer Partei vom Wohlwollen eines oder weniger Spender abhängt,
dann liegt es nahe, sich so zu verhalten, daß man sich das Wohlwollen erhält.
Und wer Wohlwollen nötig hat, wird willfährig.
So gesehen, ist es politisch auch völlig unerheblich, ob das Verhalten von Lambsdorff und Friderichs nach den strafrechtlichen Regeln als Bestechlichkeit zu werten ist. Das politisch Verheerende ist die Anpassung und Ausrichtung des politischen Profils einer Partei an einzelnen Interessen unter dem Druck ständiger finanzieller Engpässe.
Mit anderen Worten, mit Recht stellt sich die Frage, ob es eines Anstoßes von außen in Richtung FDP
bei feststehenden wirtschaftspolitischen Grundausrichtungen überhaupt bedurft hätte, um sie zu veranlassen, zugunsten Flicks tätig zu werden; denn das Handeln der FDP war von vornherein durch die finanziellen Verschweißungen und Verkettungen sowie gemeinsame wirtschaftspolitische Grundüberzeugungen mit dem Hause Flick determiniert. Ob damit diese Partei schon zur Filiale oder zum Brückenkopf der Großindustrie in der Politik geworden ist, mag dahinstehen. Kennzeichnend ist jedenfalls, daß eine hauptamtliche Mitarbeiterin des FDP-Bezirks Eifel-Hunsrück auf Flicks Gehaltslisten gestanden hat.
Die Parteien tun insgesamt gut daran, ihren Finanzbedarf nach den Einnahmen, nicht aber nach den Ausgaben zu bestimmen. Ihre politische Substanz darf nicht von der finanziellen Ausstattung15640 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 204. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 13. März 1986Dr. Pennerabhängen. Ich leugne nicht, daß mir die Eigenfinanzierung, ermöglicht durch viele gebende Hände, am meisten zusagt; aber auch die Wahlkampfkostenerstattung durch Steuergelder und Spenden als zusätzliche Finanzierungsquellen sind rechtsbedenkenfrei, sind auch politisch bedenkenfrei, wenn die Finanzierungsmöglichkeiten der Höhe nach einigermaßen austariert sind und die nötige Transparenz für die Öffentlichkeit gewahrt bleibt.Ich fasse zusammen. Parteispenden sind nicht anstößig, wenn sie nicht gegen das geltende Recht verstoßen
und nicht die auch ungeschriebenen Regeln politischer Zurückhaltung verletzen. Die Flick-Spenden waren durchweg bemakelt. Dies gilt nicht nur im Hinblick auf zeitlich parallellaufende Steuerbegünstigungsvorgänge der Firma Flick, die ja auch Aspekte allgemein strafrechtlicher Art aufweisen. Die Art und Weise von Spendenvorgängen Flick'scher Prägung ist von den Umständen her anrüchig, sei es deshalb, weil auch für größere Summen die Form der Barzuwendung geläufig war, sei es, weil die Mittel dafür auch schwarzen Kassen entnommen wurden, sei es, weil dabei Spendenwaschanlagen benutzt wurden, sei es, weil der Geldeinsatz massiver politischer Einflußnahme diente.Letzte Bemerkung in diesem Zusammenhang. Es ist Klage darüber geführt worden, daß Spenden an Parteien in Verruf geraten sind. Soweit diese Klagen von Parteien ausgehen, ist dies unverständlich. Sie selbst haben durch zum Teil gesetzwidriges, zum Teil undurchsichtiges Manöver solche Einschätzungen zumindest mit verursacht und begünstigt. Diese Manöver haben dazu geführt, daß der Eindruck der Käuflichkeit erst entstehen und sich verfestigen konnte.
Viel gravierender ist der Schaden für den demokratischen Rechtsstaat, wenn selbst Spitzenrepräsentanten der Parteien — zum Teil vorsätzlich — selbstgesetztes Recht brechen.
Ich meine das nicht nur im Hinblick auf die in der Verfassung verankerte Publizitätspflicht für Spenden, die alle Parteien mißachtet haben. Wer fünf-bis siebenstellige Barbeträge gleichsam über den Tisch entgegennimmt, muß im Zeitalter des bargeldlosen Zahlungsverkehrs damit rechnen, daß die Beträge selbst oder ihre Transfers nicht nur mit Verstößen gegen allgemeine Rechtsvorschriften, sondern auch mit strafbarem Verhalten bemakelt sind.
Daß unter solchen Umständen Komplizenschaft assoziiert wird, entspricht nicht krankhaftem Mißtrauen, sondern ergibt sich aus der Natur der Sache.Wenn ein ehemaliger Bundespräsident einen siebenstelligen Barbetrag quasi en passant
zur Sanierung der eigenen Partei aquiriert, ist das schon bezeichnend genug.
Wirkt dann derselbe Mann bei der verfassungsmäßig verbotenen Verdunkelung der Herkunft des Geldes mit, und das zu einer Zeit, in der das Parlament auch in diesem Punkt in langen, schwierigen Beratungen die Parteifinanzierung gerade gesetzlich neu geregelt hat, so sagt das auch etwas über die Qualität des Staates selbst aus.
Das Gebaren dieses Spendenaquisiteurs und seine Äußerungen zu diesem Vorfall sind in ihrer unbefangenen Unverfrorenheit ungewöhnlich befremdlich. Sie lassen sich mit dem zu Recht vom Volk erwarteten tadelsfreien Auftreten eines ehemaligen Bundespräsidenten nicht vereinbaren.
Das Seufzen und Stöhnen über Abstinenz, ja Widerwillen nicht nur bei der jüngeren Generation gegenüber der Politik wird so zur ebenso unfreiwilligen wie entlarvenden Selbstbezichtigung ohne Aussicht auf Besserung. Das Wohl und Wehe der Demokratie ist untrennbar mit dem Handeln, nicht nur den Worten der Demokraten verknüpft. Anders ausgedrückt: Die Demokratie verblaßt zu leblosen Schemen, wenn sich die Demokraten nur noch so nennen, sich aber nicht mehr so verhalten, wie es geboten ist und wie man es erwarten darf.
Frau Präsident, meine Damen und Herren! Mit dem heutigen Tag endet die Arbeit des Untersuchungsausschusses, indem wir auftragsgemäß einen Bericht vorlegen und darüber debattieren. Manche werden meinen, es sei zuviel des Guten geschehen. Für diese Meinung spricht die Dauer des Verfahrens ganz allgemein und der Umfang der Beweisaufnahme speziell, die sich in mehrmaligen, jeweils stundenlangen Anhörungen wichtiger Auskunftspersonen niederschlägt und durch tausende Seiten von Wortprotokollen dokumentiert wird.Anderen - vielleicht Schily — wird es zu wenig sein. Diese können für sich ins Feld führen, daß nach strafprozessualen Grundsätzen der eine oder andere Aspekt noch gründlicher, als es geschehen ist, hätte ausgeleuchtet werden können.
Ich denke, daß der Untersuchungsausschuß derleiKritik nicht zu scheuen braucht. Er ist eben keinStrafgericht und hat keine Schuldfeststellungen zu
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 204. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. März 1986 15641
Dr. Pennertreffen. Er hat den Auftrag erhalten, den er heute an das Parlament zurückgibt, einen Vorgang aufzuklären, der unter dem Kürzel Flick-Affäre weltweites Aufsehen erregt hat. Daran hat der Untersuchungsausschuß zweieinhalb Jahre gearbeitet, penibel und in aller Öffentlichkeit.Bei allem Wenn und Aber: die parlamentarische Untersuchung war wichtig. Sie hat bewiesen, was einige hartnäckig geleugnet haben und auch heute noch nicht wahrhaben wollen: Dieser Staat hat die Kraft, sich Fehlentwicklungen zu stellen und damit auseinanderzusetzen. Er muß dazu auch künftig willens und fähig sein, wenn er eine Zukunft haben will.
Ich hoffe, daß die vergangenen Jahre nicht vertan worden sind, daß sie generalpräventiv wirken, soweit das überhaupt möglich ist. Ich bin gewiß, daß wir auch künftig nicht gegen tatsächliche oder angebliche politische Skandale gänzlich gefeit sind. Solange wir sie nicht vertuschen. behalten wir der Schlüssel zur Demokratie in der Hand. So gesehen, schwingt auch ein Stück Genugtuung bei aller Skepsis und bei aller Vorsicht mit, weil die Tätigkeit des Untersuchungsausschusses auch als Dienst für die Demokratie verstanden werden kann.
Das Wort hat der Abgeordnete Baum.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Penner, Sie haben einige Feststellungen getroffen, denen ich zustimmen kann. Den letzteren kann ich beispielsweise zustimmen. Ich kann einer Reihe von Feststellungen nicht zustimmen.Ich möchte Ihnen eines gleich am Anfang meiner Rede sagen: Ich halte es für einen schlechten politischen Stil und wirklich für einen Ausdruck von Selbstgerechtigkeit,
wenn Sie den ehemaligen Bundespräsidenten Scheel angreifen, weil er in Übereinstimmung mit dem Recht — und auch nicht im Verstoß gegen ungeschriebene Regeln — für seine Partei eine Spende beschafft hat, die offen ausgewiesen ist. Ich frage Sie: Wenn Sie das schon sagen, warum sagen Sie dann nicht auch, daß Sie Ihre Spenden anonym hinter Herrn Nau verbergen, der dazu nichts mehr sagen kann?
— Das bestreitet niemand, aber das müssen Siesagen. Das ist das Fehlverhalten, nicht das Verhalten von Herrn Scheel. Da gibt es kein Fehlverhalten.
— Herr Scheel hat das Natürlichste von der Welt gemacht: Er hat für seine Partei eine Spende geworben. Sie ist öffentlich ausgewiesen worden. Dazu stehen wir.
Woher die 7 Millionen DM für Ihre Partei kommen, wissen wir bis heute nicht. Klären Sie das doch auf.
— Warum regen Sie sich denn so auf? Sie können ja gleich alles beantworten, was ich Sie frage.Herr Penner hat diesen Angriff hinter der Diktion einer großen Sachlichkeit versteckt. Er hat den Eindruck erweckt, als sei er ein ganz nüchterner, unbefangener Beurteiler der Szene. In diesem Punkte — auch in anderen Punkten — müssen wir ihm widersprechen.Drei Jahre nach seiner Konstituierung legt der Flick-Untersuchungsausschuß seinen Bericht vor. Es ist schon gesagt worden, welche schwierige Arbeit er geleistet hat. Das Verfahren, die Beweisaufnahme selber hatte bereits eine wichtige Funktion. Ich meine, der Ausschuß hat den Auftrag des Deutschen Bundestages erfüllt. Alle wesentlichen Fakten und Zusammenhänge sind aufgeklärt, so daß wir den Gesamtvorgang abschließend beurteilen können. Unsere Demokratie hat die Kraft, sich mit Vorwürfen, auch schwerwiegenden Vorwürfen, auseinanderzusetzen, Aufklärung zu leisten und Konsequenzen zu ziehen.Grundlage unserer Diskussion ist ein Bericht, der von den drei Fraktionen CDU/CSU, FDP und SPD gemeinsam erarbeitet und gemeinsam getragen wird, auch wenn die Wertungen auseinandergehen. Auch der Kollege Schily hat betont, daß er die Feststellungen des Mehrheitsberichts, insbesondere auch zu den Verfahrensabläufen in den Ministerien und zu dem Steuerbescheinigungsverfahren, zu weiten Teilen mitträgt.Das Sondervotum der GRÜNEN betrifft im wesentlichen Sachverhalte, die nach unserer Auffassung nicht zum Untersuchungsauftrag gehören. Umgekehrt bleibt mit den tatsächlichen Feststellungen, die nahezu zwei Drittel des Berichts ausmachen, eine gemeinsame Basis für alle Parteien in diesem Haus.Der Auftrag war, festzustellen, ob der Flick-Konzern es unternommen hat, auf Entscheidungen des Parlaments, der Regierung, der Verwaltung und anderer Stellen insbesondere im Zusammenhang mit dem Steuerbescheinigungsverfahren Einfluß zu nehmen. Bei Beginn des Untersuchungsverfahrens15642 Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 204. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. März 1986Baumist im Lande vielfach unterstellt worden, daß es bei dem Steuerverfahren nicht mit rechten Dingen zugegangen sei. Vielfach wurde in der öffentlichen Meinung die Frage gestellt, ob Politik käuflich sei. Bei allem, was zu kritisieren ist — und was auch ich zu kritisieren habe —, stelle ich fest: Das ist nicht der Fall.Unbestreitbar geht es um das Vertrauen der Bürger gegenüber den politischen Repräsentanten, auch um das Vertrauen der Bürger zu diesem Parlament. Auch diese Debatte muß zur Glaubwürdigkeit von Politik beitragen. Gefordert sind Kritik und Selbstkritik, wo sie notwendig sind, aber eben auch die Zurückweisung unberechtigter, insbesondere übertriebener und zerstörerischer, Vorwürfe dort, wo sie nur parteitaktischen, engen Zielen dienen.Eines ist sichtbar geworden: Alle Parteien mit Ausnahme der GRÜNEN sind letztlich Gegenstand des Untersuchungsverfahrens gewesen. Zunächst war vor allem von der SPD-Opposition der Eindruck erweckt worden, daß vor allem FDP-Politiker Anlaß für eine solche Untersuchung gegeben hätten. Auch heute noch weist die SPD — Herr Penner hat es gerade wieder getan — mit dem Finger auf das Strafverfahren vor dem Landgericht Bonn und auf die beiden dort mitangeklagten FDP-Politiker, als seien sie zu Recht angeklagt. Wegen der Unabhängigkeit der Justiz sehe ich von einer Würdigung der bisherigen Beweisaufnahme ab. Jeder mag sich selber ein Urteil bilden, insbesondere nach den letzten Zeugenaussagen. Herr Kollege Penner, Sie hätten besser zu diesem Thema heute in diesem Hause geschwiegen.
Die SPD hat im übrigen lediglich davon profitiert, daß die Staatsanwaltschaft Bonn gegen die betroffenen SPD-Amtsträger noch weniger an vermeintlichen Beweisindizien in ihren Händen glaubte als gegen die von ihr dann Angeschuldigten.Die eigentliche Überraschung des Untersuchungsverfahrens war es, daß die SPD auch und in besonderer Weise vom Untersuchungsauftrag betroffen war. Sie haben ja vorher so getan, als ginge Sie das gar nichts an.Die GRÜNEN waren nicht betroffen, Herr Schily; das stimmt. Aber sie sind eine Partei ohne Vergangenheit,
und deshalb fällt ihnen die Selbstgerechtigkeit verdammt leicht. Gibt es nicht Anzeichen, daß die GRÜNEN mit den Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts zur Parteienfinanzierung ihre Schwierigkeiten haben? Wie steht es denn mit dem Verhältnis zwischen Staatsanteil und Eigenanteil?
Ich will mir kein abschließendes Urteil erlauben.Aber was mich bei Ihnen stört, Herr Schily, ist diesemanchmal unglaublich ausgeprägte Attitüde derSelbstgerechtigkeit, die wir hier ja gleich noch mal erleben werden.
Wir stellen uns hier Fehlentwicklungen und üben auch Selbstkritik. Ich möchte zu Ihnen sagen, Herr Schily: Die Kritik der GRÜNEN am Verhalten der Koalitionsparteien im Ausschuß ist unberechtigt. Sie legen einen Bericht vor, als habe das Plenum Ihren Untersuchungsauftrag akzeptiert. Aber der Deutsche Bundestag hat Ihren Untersuchungsauftrag nicht akzeptiert. Sie setzen sich über diese Mehrheitsentscheidung hinweg.
Damit kommen Sie in eine Lage, die wirklich die Frage nach der Rechtsstaatlichkeit Ihres Verfahrens aufwirft. Aber eines können Sie nicht tun:
Wenn wir uns an den Untersuchungsauftrag halten, können Sie uns nicht deswegen der Obstruktion zeihen und kritisieren.
Nicht nur in diesem Zusammenhang ist zu kritisieren, daß insbesondere die GRÜNEN eigene politische Interessen vor schätzenswerte Rechte Dritter gestellt haben. Eingriffe in Rechte Betroffener und Dritter durch ein Untersuchungsverfahren eines Parlaments sind nach der Verfassungsrechtslage nur im Rahmen eines Untersuchungsauftrags gerechtfertigt. Die Veröffentlichung von Aktenteilen oder Tatsachen außerhalb des Untersuchungsauftrags ist — meine ich, Herr Schily — auch eine Verletzung der davon persönlich betroffenen Personen. Datenschutz gilt immer und überall, auch dann, wenn er einen in der politischen Aktion behindert.Die Antwort auf die Fragen des Untersuchungsauftrags wird manchen enttäuschen. Gewisse Vorgänge, die der Ausschuß festgestellt hat, sind zu kritisieren und müssen in Zukunft unterbleiben. Ich schließe mich z. B. nachdrücklich dem Votum des vormaligen Präsidenten des Bundesverbands der Deutschen Industrie Professor Rodenstock an, der die notwendigen Klarstellungen und Eingrenzungen zum Verhalten der Wirtschaftsseite gemacht hat.Insgesamt bleibt festzustellen, daß die Entscheidungen der Ministerien zugunsten des Flick-Konzerns nicht gekauft worden sind. Sie sind auf der Grundlage damaliger Kenntnis und Rechtspraxis nach Recht und Gesetz ergangen ich vermag auch die Kritik, Herr Kollege Penner, an den Beamten des Bundeswirtschaftsministeriums, die Sie heute hier geübt haben, nicht zu teilen, was die Qualität und die Art des Verfahrens angeht. Ich weise darauf hin, daß die Anwendung des § 6 b und dieses Verfahren in enger Übereinstimmung mit dem damaligen Finanzminister Matthöfer durchgeführt worden sind. Die Angriffe auf eine ordnungsgemäße Rechtsanwendung kamen ja aus Ihren Reihen. Von Ihren Reihen wurde ja der Versuch unter-
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 204. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. März 1986 15643
Baumnommen, dieses Recht, das der Bundestag in § 6 b gesetzt hatte, gar nicht so anzuwenden.Wenn man das Verhältnis zwischen Staat und Wirtschaft hier überprüft, darf man Selbstverständliches nicht aus dem Auge verlieren: Normal ist, daß von Antragstellern, auch dem Flick-Konzern, vor Stellung von Anträgen Vorgespräche geführt werden. Diese dienen der gegenseitigen Information. Es gibt keinen Rechtsgrundsatz des Inhalts, daß im Verwaltungsverfahren Antragsteller und Behörde nur schriftlich verfahren dürfen. Es fällt auch nicht aus dem Rahmen, wenn man sich, da ja das Steuergeheimnis gilt, über den Umfang der Veröffentlichung unterhält.Normal ist im übrigen auch, wenn sich Politik und Wirtschaft zu gegenseitigen Gesprächen zwecks Informationsaustausch, zur Unterrichtung über Gesetzgebungsvorhaben und deren Auswirkungen auf die Wirtschaft vielfach, dauernd treffen. Das tun wir alle, das tun die Vertreter der SPD mit den Repräsentanten der Gewerkschaften. Die Vertreter von Industrie und Wirtschaft stehen insoweit nicht anders da als die Vertreter anderer sozialer Gruppen. Dies alles als Korruptheit des politischen Systems der Bundesrepublik Deutschland aufzufassen, geht, meine ich, an dem Wesen einer offenen parlamentarischen Demokratie vorbei.Allerdings — das hebe ich jetzt auch hervor —: Der Flick-Fall hat einige Besonderheiten.
Im Bericht hat die Koalition festgestellt, daß Minister und Ministerialbeamte es in einigen Fällen an der notwendigen Distanz zum Flick-Konzern haben fehlen lassen. Unser Bericht hat das planvolle und kombinierte Vorgehen des Flick-Konzerns auf den verschiedenen Ebenen der Verwaltung, der Regierung, des Parlaments und der Parteien festgestellt. Der Flick-Konzern hat, insbesondere durch Herrn von Brauchitsch, nach den Prinzipien einer strategischen Konzeption gearbeitet, die erst durch das Untersuchungsverfahren bekanntgeworden ist.Andererseits hat eine Politisierung des Verfahrens stattgefunden, die nach meiner Erfahrung für Verwaltungsverfahren ohne Beispiel ist. Ich will gar nicht in Abrede stellen, daß das Thema der damaligen Bescheinigungsverfahren zu einer solchen Politisierung geradezu gereizt hat. Auch wenn Vorgänge in Ministerien, die eine bloße Rechtsanwendung zum Gegenstand haben, wie das hier der Fall war, der politischen Kommentierung und Beobachtung nicht entzogen werden können, sind eine solche Politisierung und Emotionalisierung, wie sie damals stattgefunden haben, schädlich. Und vergessen wir nicht: Der eine Antragsblock hat wegen dieser Politisierung eine Bearbeitungszeit von drei Jahren durchlaufen müssen.Es ist sowohl eine Sache unseres Rechts als die des richtigen Gefühls, wann die Grenzen einer legitimen Interessenverfolgung überschritten werden. Für die Behörden muß dabei im Vordergrund stehen, jedem Antragsteller jederzeit klarwerden zu lassen, daß sie, die Behörde, einen öffentlichen Auftrag hat. Umgekehrt dürfen die Gefahren eines engen Kontakts zu Politik und Verwaltung nicht übersehen werden. Sie liegen in der Ausnutzung des Systems, insbesondere auch in der Ausnutzung menschlicher Schwächen. Bei vielfachem, dauerndem persönlichen Umgang kann es zu offenen oder aber auch — was noch viel schwerwiegender wäre — zu unbewußten Abhängigkeiten kommen. Auch schon der Anschein der Abhängigkeit muß vermieden werden. Selbst wenn so nicht gehandelt worden sein mag, erschrecken mich Redewendungen von Brauchitsch' in einem Vermerk „Wir müssen Barzel enger an die Leine legen" zutiefst. Da drückt sich ein Verhältnis zu den Politikern, zu den gewählten Repräsentanten des Volkes aus, das ich überhaupt nicht verstehen und dessen Einschätzung ich nicht teilen kann.
Zur Wiedergewinnung des Vertrauens gehört, daß Versäumnisse eingeräumt, Rechtsverstöße eingestanden werden und die strikte Bindung an das Recht für die Zukunft erklärt wird. Die Parteien haben das Publikationsgebot nach § 25 des Parteiengesetzes für Großspenden von mehr als 20 000 DM nicht eingehalten.
— Ja. — Dabei spielt es keine Rolle, wie diese Spenden gegeben und wie sie geschleust worden sind. Für die Verletzung dieses Rechtsgebots spielt es keine Rolle, ob Spender überhaupt nicht oder falsch angegeben werden wie im Falle Nau. Wir wollen das nicht beschönigen. Insbesondere ist es keine Rechtfertigung, daß seinerzeit alle im Deutschen Bundestag vertretenen Parteien das Recht in gleicher Weise nicht eingehalten haben. Nach dem neuen Parteienfinanzierungsgesetz sind Verletzungen der Veröffentlichungspflicht sanktionsbewehrt, sowohl beim Spender als auch bei den Parteien. Das langjährige Zögern, die Parteienfinanzierung neu zu regeln, war sicher ein schweres Versäumnis.
Zu einem weiteren Aspekt, nämlich ob bei der früheren Praxis Steuerrechtsvorschriften in straffälliger Weise verletzt worden sind, will ich mich hier nicht äußern. Es bleibt bei den früheren Feststellungen, Entschließungen des Deutschen Bundestages, daß die Prüfung dieser Frage Sache der Justiz ist. Wir sollten uns hüten, in diesem Punkt Vorfreisprüche oder aber, wie die SPD es in ihrem Minderheitenvotum getan hat, Vorverurteilungen auszusprechen. Ich vertraue darauf, daß die Justiz ihre Entscheidung auch unter Berücksichtigung der Unsicherheiten und Unklarheiten trifft, die es gegeben hat. Hier wird eine wichtige Frage sein: Wie haben sich die Finanzbehörden damals verhalten, und was haben sie gewußt?Einem muß ganz nachdrücklich entgegengetreten werden: Es geht nicht an, Spenden zugunsten von politischen Parteien allgemein zu verteufeln. Das Bundesverfassungsgericht geht davon aus, daß sich Parteien eben auch aus Spenden finanzieren. Die Alternative wäre eine Staatsfinanzierung, wie
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15644 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 204. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. März 1986
BaumTheodor Eschenburg sie heute früh in einem Interview vorgeschlagen hat. Ich frage: Ist das wünschbar, ist das praktikabel, ist das kontrollierbar? Die SPD läßt es zumindest zu, daß Parteispenden aus der Wirtschaft mit einem Makel versehen werden. Ich kritisiere keine Spende an Helmut Schmidt für dessen Wahlkampffonds, komme sie aus dem Hause Henkel oder aus irgendeiner anderen Firma.
Wir können auch keinem Spender verwehren, ganz bestimmte Personen oder ganz bestimmte allgemeine politische Zielsetzungen innerhalb von Parteien zu unterstützen.Welches Realitätsverständnis hat die SPD, wenn sie glaubt, die Wende auf Zahlungen dieser Art zurückführen zu können? Mit Geld können Parteien nicht gelenkt werden.
Das wissen Sie, der Sie lange in einer Partei tätig sind. Die Meinungsbildung in den Parteien ist dazu viel zu diffizil. Parteien beruhen auf der politischen Überzeugung ihrer Mitglieder an der Basis, sie leben vor allem von dem unbezahlten Engagement ihrer Mitglieder, die ihre freie Zeit, ihre Energie und ihr Geld für die Partei aufbringen und die sich nach all unseren Erfahrungen auf Parteitagen eben nicht lenken lassen.
Parteiarbeit heißt für die vielen tausend Mitglieder persönliches Opfer und Ehrenamt.Ein besonderes Problem kann in der zeitlichen Parallelität von Verfolgung von Sachanliegen und Spenden liegen, und hier muß man fragen: Wann liegt eine unzulässige Verknüpfung vor? Das ist eine schwierige Problematik. Müssen Parteien aus dem Spendenwesen ausgeklammert werden, weil sie in den Parlamenten oder in bestimmten Ministerien Verantwortung tragen? Letztlich hilft nur ein starker, unbestechlicher Charakter sowohl beim Spender als auch beim Politiker: beim Politiker, der gegen den Spender entscheidet, wenn es die Sache erfordert, beim Spender, der keine andere Entscheidung als die nach Recht und Gesetz erwartet.Manche Spenden des Flick-Konzerns haben in dieser Zeit eine besondere Dimension. Die SPD ist nicht nur bereitwillig auf die angebotenen Beziehungen, Gespräche und Kontakte zu Repräsentanten des Flick-Konzerns eingegangen, sie hat auch die Spenden genommen. Was die FDP und die CDU/CSU anbetrifft, so ist es ein Wunschdenken, diese Parteien in starker finanzieller Abhängigkeit vom Flick-Konzern zu sehen. Die Beweisaufnahme hat ergeben, daß Flick die FDP seit jeher unterstützt hat. Wenn in anderen Bewertungen eine besonders hohe Gesamtsumme an Spenden 1975 und 1976 hervorgehoben wurde, so geht dies auf die Landtagswahlen zurück.Aber eines, Herr Kollege Penner, muß ich noch einmal klarstellen: Die Opposition wird nicht müde, die damalige Zusage auch des Flick-Konzerns zur Entschuldungs- und Umschuldungsaktion zugunster der FDP in Höhe von 3 Millionen DM, maßgeblich durchgeführt durch den ermordeten Bundesschatzmeister Heinz Herbert Karry, hier ins Feld zu führen und daraus eine Abhängigkeit der FDP zu konstruieren. Diese bestand zu keiner Zeit, und sie konnte schon deshalb nicht bestehen, weil der Anteil der Spenden des Flick-Konzerns an den anderen Spenden und Einnahmen der FDP
in diesem Zeitraum 2 % betragen hat. Wollen Sie angesichts dieses Umstands Ihre Behauptung aufrechterhalten, wir seien in eine einseitige Abhängigkeit zu einem Spender geraten? Das können Sie doch nicht im Ernst tun.
— Die Horten-Spende ist offen und klar ohne irgendeine Verbindung zu einer politischen Sache dargelegt worden. Ich wünschte mir, daß Spenden so offen und klar dargelegt werden, wie das in diesem Fall geschah.
Die FDP hat von vornherein die Parallelität zwischen dem Strafverfahren vor dem Landgericht Bonn und dem Untersuchungsverfahren als belastend empfunden. Es hat für die Betroffenen, die sich vor dem Landgericht zu verantworten haben, hier Schwierigkeiten gegeben. Dennoch sind sie gekommen und haben Rede und Antwort gegeben. Andererseits hat das Untersuchungsverfahren von den Beweiserhebungen der Staatsanwaltschaft gelebt. Ungut war das Klima der Vorverurteilung im Ausschuß, das zunächst nur das Strafverfahren begleitet hat, dann aber auf das Untersuchungsausschußverfahren übergegangen ist. Ich habe es bedauert, daß es schon eine politische Belastung für die Zeugen war, als Zeuge vor dem Untersuchungsausschuß aufzutreten. Dies war bereits mit einem Makel belastet. Hinzu kommt, daß zwischen einzelnen Mitgliedern des Ausschusses und einzelnen Zeugen ein Umgang gepflegt worden ist, der weder dem Selbstverständnis eines Untersuchungsausschusses als Institution zur Wahrheitsfindung noch dem eines parlamentarischen Gremiums als Forum des politischen Kampfes entsprach.
— Herr Kollege Schily, wir sind und waren eben kein Gericht, sondern ein Gremium, ein politisches Gremium, von diesem Parlament eingesetzt, und dem hätten wir Rechnung tragen müssen.
— Herr Kollege Schily, Sie haben manchmal beeindruckend gefragt, das will ich gerne zugeben, aber Ihre Art, den Zeugen Dinge vorzuhalten, die Sie längst wußten, Sie, der Fragende, um die Zeugen
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 204. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. März 1986 15645
Baumdamit in Verlegenheit zu bringen und sie öffentlich vorzuführen, habe ich nicht gebilligt.
Wir brauchen in absehbarer Zeit ein Untersuchungsausschußgesetz. Fragen des gegenseitigen Umgangs werden darin zwar nicht gelöst werden können, jedoch müssen Probleme der Parallelität zu Gerichtsverfahren, der Stellung von Zeugen und anderen Personen bei Untersuchungsausschüssen besser und zum Teil auch mit der Möglichkeit der gerichtlichen Überprüfung auch für die Minderheit geregelt werden. Minderheitenrechte müssen ihre Ausgestaltung in einer Weise finden, die ebenfalls ihre gerichtliche Geltendmachung vor dem Bundesverfassungsgericht ermöglicht.Das Untersuchungsrecht des Parlaments ist eines der wesentlichen Parlamentsrechte. Das Verfahren des Flick-Untersuchungsausschusses hat die Stellung des Parlaments gegenüber der Verwaltung gestärkt. Ich begrüße das. Der Ausschuß hat gerichtliche Entscheidungen im Bereich der Vorlage von Akten erwirkt, die die Stellung des Parlaments gegenüber der Regierung nachhaltig verbessert. Wir haben Vorschläge für die Verhaltensregeln für Abgeordnete vorgelegt. Auch hier verfolgen wir die Prinzipien der Offenlegung und der Kontrolle. Allerdings sollten dabei auch die Folgen für die Zusammensetzung des Parlaments bedacht werden. Das Idealbild ist für mich nicht der berufslose Abgeordnete, meine Kollegen.
Eine abschließende Wertung: Der Ausschuß hat eine nützliche Arbeit geleistet. Er hat aufgeklärt, er hat Mißstände offengelegt, er hat Maßnahmen zur Abhilfe in die Wege geleitet. Der Ausschuß hat die Verbindung zwischen Wirtschaft und Politik in einem Fall untersucht. Dies war letztlich notwendig. Der Ausschuß, so hoffe ich, hat die Nachdenklichkeit und Sensibilität geschärft, für die Gefahren, die in solchen Beziehungen liegen können, und deshalb hat er eine Warnfunktion für die Zukunft. Der Ausschuß hat aber auch vorschnelle öffentliche Urteile widerlegt, die Politik in unserem Lande sei beliebig korrumpierbar. Dieses Urteil ist nicht bestätigt worden. Wir haben die Kraft, uns in dieser freien Gesellschaft mit diesen Vorwürfen auseinanderzusetzen, für die Abhilfe zu sorgen, in diesem Parlament Mißstände offen zu diskutieren. Ich hoffe und ich wünsche mir, daß damit auch das Vertrauen für die politischen Parteien wieder wächst.Ich danke Ihnen.
Das Wort hat der Abgeordnete Schily.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich freue mich, daß während meiner letzten, vorläufig letzten Rede im Bundestag
ein reines Frauenpräsidium amtiert. Ich hoffe, daß das im nächsten Bundestag eine weitere Verbreiterung des Frauenanteils zur Folge haben wird.
Und daß Sie sich als Kavalier benehmen, Herr Kollege.
Ich glaube, das ist der Ruf, der mir vorausgeht, Frau Präsidentin.
Es war nicht zu erwarten, daß von denen, die es hauptsächlich angeht, heute ein ernsthaftes Wort der Selbstkritik und Einkehr zu hören sein würde.
— Herr Kollege Dr. Dregger, könnten Sie vielleicht Ihre Dobermänner und Austermänner ein bißchen zur Ruhe bringen!
Sie sind zu fest verpackt in Ihren Vorurteilen, Sie bangen zu sehr um Ihre Machtpositionen, und Sie sind zu tief eingesunken in den Spendensumpf,
als daß Sie aus eigener Kraft dort wieder hinausfinden könnten.
Appelle vor allem in Richtung der Regierungsparteien werden deshalb auch durch Wiederholung vermutlich nicht aussichtsreicher.
Aber vielleicht erinnern sich einige von Ihnen, wenn Ihnen Ihre ach so verdienstvolle politische Geschäftigkeit noch einen Augenblick der Besinnung läßt, an die Worte des Psalms 94, in dem es heißt:Denn Recht muß doch Recht bleiben, und dem werden alle frommen Herzen zufallen.
Immerhin sollten Sie in Ihrer Rechtsverleugnung und beim Schminken der Wirklichkeit nicht so weit gehen, daß Sie einerseits mit entrüstetem Tremolo in der Stimme behaupten, kein Politiker Ihrer Partei sei für Flick oder andere Großfürsten der Industrie käuflich gewesen, es andererseits aber dulden, daß ein Minister der Bundesregierung es wagt, eine integre, rechtsstaats- und demokratiebewußte Persönlichkeit aus Ihren eigenen Reihen, nämlich den früheren Bundesverfassungsgerichtspräsidenten Ernst Benda, der Käuflichkeit zu bezichtigen, weil er für die nordrhein-westfälische Landesregierung ein Gutachten zu § 116 des Arbeitsförderungsgesetzes erstattet hat,
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15646 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 204. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. März 1986
Schilydas Ihnen nicht in den Kram paßt.
— Das alles können Sie doch nachlesen, aber lesekundig sind bei Ihnen manche vielleicht auch nicht.Sie mögen sich im übrigen für Ihre Zwecke noch so viele Unschuldsmienen aus dem Kostümverleih besorgen; das Volk weiß sehr wohl zwischen Maske und wahrem Gesicht zu unterscheiden.
Nun sagen Sie auch, die Republik sei nicht käuflich. Gewiß wäre es eine Übertreibung, zu behaupten, es sei Ihnen gelungen, die gesamte Republik an die meistbietenden Milliardäre und Millionäre zu verhökern,
aber Sie machen einen Fehler: Sie versuchen, die Republik, Sie versuchen, den Staat Bundesrepublik mit sich selbst und Ihrer Partei gleichzusetzen. Das jedoch, genau das ist eine demokratiefremde und durch nichts begründete Anmaßung.
Die Erfahrung lehrt, daß es schwierig ist, Ihnen die Grundregeln der Demokratie beizubringen;
Sie sind bedauerlicherweise wenig lernfähig und meist auch lernunwillig. Es ist nicht möglich, in meinem Beitrag sämtliche Demokratiedefizite, die durch die Untersuchungen des Flick-Ausschusses zutage getreten sind, in allen Einzelheiten zu beschreiben. Deshalb will ich mich im Rahmen dieser Debatte auf die Darstellung von drei Gesichtspunkten beschränken, die für die Beurteilung der Flick-Affäre nach meiner Überzeugung von vorrangigem Interesse sind:Erstens. Seine finanziellen Fangarme zur Beeinflussung der Politik hat der Flick-Konzern nur auf dem Grundstock des Vermögens ausbreiten können, das Friedrich Flick während der Terrorherrschaft der Nazis zusammengerafft hat. Der Begründer des Flick-Konzerns, Friedrich Flick, war einer der finanziellen Förderer der Massenmörder Hitler und Himmler und ihrer Gefährten. Er gehörte dem sogenannten Freundeskreis des Reichsführers SS, Himmler, an, auf dessen Sonderkonto er jährlich 100 000 Reichsmark überwies. Wieviel Bargeld Friedrich Flick den Nazis ohne Quittung zugesteckt hat, ist nicht überliefert. Nach Schätzungen soll Friedrich Flick den Nazi-Verbrechern insgesamt rund 8 Millionen Reichsmark gespendet haben. Diese Spenden waren für ihn eine lohnende Investition. Er bereicherte sich an der sogenannten Arisierung jüdischen Vermögens, an der Versklavung und Ausbeutung von Kriegsgefangenen, KZ-Häftlingen und Fremdarbeitern. Supergewinne erzielte Friedrich Flick aus der Rüstungsproduktion, für die er bereits im Jahre 1934, ein Jahr nach der Machtergreifung, von den Nazi-Verbrechern die ersten Aufträge erhielt.Nach Niederwerfung des Nazi-Terrorregimes wurde Friedrich Flick vom Militärgerichtshof in Nürnberg zu einer Gefängnisstrafe von 7 Jahren verurteilt. Er begann bereits im Gefängnis mit dem Wiederaufbau seines Industrieimperiums, von dem wertvolle Teile erhalten geblieben waren. Als er 1950 vorzeitig aus der Haft entlassen wurde, verfügte er bereits wieder über ein Vermögen von mehreren hundert Millionen DM. Er kaufte mit seinen Millionen zu günstigen Preisen Aktienpakete ein und eignete sich mit diesen die Erträge der Arbeit von Hunderttausenden von Menschen an, die an Fließbändern und in den Büros der Daimler-Benz-Werke und anderen Betrieben arbeiteten. Besonders makaber wirkt in diesem Zusammenhang die Tatsache, daß es Flick auch gelungen ist, in der Rüstungsbranche der Bundesrepublik Fuß zu fassen.Angesichts der düsteren und kriminellen Vergangenheit der Finanzmacht des Flick-Konzerns ist der fehlende Bruch mit der Kontinuität der Flick-Herrschaft der schlimmste Tatbestand, den der Ausschuß feststellen konnte,
schlimmer noch als jeglicher spätere Rechtsbruch, an dem der Flick-Konzern beteiligt war. Es ist ein schweres Versäumnis, ich sage: es ist eine Schande für unser Volk, daß Friedrich Flick nach dem Zweiten Weltkrieg nicht enteignet worden ist. Ist es nicht eine Verirrung des Rechtsdenkens, ist es nicht eine schreiende, empörende Ungerechtigkeit, wenn Massenmördern und Massenmordgehilfen außer Diensten wie Friedrich Flick, wie Duvalier, wie Trujillo, wie Marcos die Millionen- und Milliardenvermögen belassen werden, die der Ertrag ihrer Verbrechen waren,
während ihre Opfer ein kärgliches Dasein fristen müssen?Für die Bundesrepublik wurde der Flick-Konzern zu einer schweren Belastung, die sich vergiftend auf die Demokratie ausgewirkt hat. Daß Friedrich Flick bereits 1949 aus der Haft heraus Spenden an die CSU vergeben hat, ist ein trauriger Beweis dafür, zu welch frühem Zeitpunkt Friedrich Flick bei dieser Partei wieder hoffähig wurde.Zweitens. Es war verhängnisvoll für die Demokratie und die politische Kultur in der Bundesrepublik, daß sich die betroffenen Parteien von dem Flick-Konzern aushalten ließen. Das Krebsgeschwür solcher Einflußnahme auf die Politik hat die bekanntgewordenen Dimensionen nur deshalb erreichen können, weil vor der Öffentlichkeit das weitverzweigte Spendensystem geheimhalten wurde. Demokratie lebt von der Transparenz, von der Durchschaubarkeit und Überschaubarkeit politi-
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 204. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. März 1986 15647
Schilyscher Entscheidungsprozesse für die einzelnen Bürger.
In einer demokratischen Republik muß Politik grundsätzlich öffentlich sein.
Deshalb verpflichtet Art. 21 des Grundgesetzes die Parteien, über die Herkunft ihrer Finanzmittel öffentlich Rechenschaft abzulegen. Gegen dieses zentrale Verfassungsgebot — eine Wortwahl des Bundesverfassungsgerichts — haben die Parteien von CDU, CSU, FDP und leider auch SPD systematisch verstoßen. Sie haben sich damit einer Mißachtung der Verfassung, des Bundesverfassungsgerichts, demokratischer Grundprinzipien und nicht zuletzt des Volkes schuldig gemacht, das über die Geldquellen der Parteien getäuscht und damit bei den Wahlentscheidungen in die Irre geführt wurde.
Wie demokratiefähig die betroffenen Parteien sind und sein wollen, können sie durch ihr Verhalten heute beweisen oder widerlegen. Sie sollten daran gemessen werden, ob sie wenigstens nachträglich bereit sind, bekanntzugeben, welche Summen sie in den zurückliegenden Jahren von welchen Finanziers erhalten haben. Von Interesse wäre vor allem das Jahr 1982, in dem industrielle Kreise ihre Bemühungen um einen Regierungswechsel in Bonn intensiviert haben.
Drittens. Statt wenigstens verspätet Aufklärung zu schaffen und die Bücher zu öffnen, verlegen sich viele der betroffenen Politiker auf Ausreden und Ausflüchte. Dazu gehört die unentwegt wiederholte Legende vom unklaren Rechtszustand. Es soll der Eindruck erweckt werden, den in die Spendenaffären verwickelten Politikern habe das Unrechtsbewußtsein gefehlt, weil angeblich Grenzen und Möglichkeiten von Zuwendungen an politische Parteien nicht deutlich gewesen seien. Aber spätestens nach dem Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 10. Juli 1958 bestand absolute, kristallene Klarheit, daß Spenden, die steuerbegünstigt an eine gemeinnützige Organisation gegeben werden — ich zitiere jetzt aus dem Urteil —,weder unmittelbar noch mittelbar einer politischen Partei zufließen dürfen.Das war ein einfacher und klarer Rechtssatz, der auch für solche Politiker, deren Auffassungsvermögen möglicherweise begrenzt ist, ohne Schwierigkeiten zu erfassen war.
Oder wollen sich Parteivorsitzende und Schatzmeister als Analphabeten des Rechts ausgeben? Warum hat man denn Schleichwege gesucht, wenn man sich der Illegalität seines Handelns nicht bewußt war? Warum gab es denn mehrere Anläufe zur Amnestierung, wenn alle so unendlich unschuldig waren? Warum war einem bekannten Unternehmermit weitreichenden Verbindungen, Professor Dr. Rolf Rodenstock, die Erkenntnis möglich — ich zitiere —,daß die Rechtslage der Möglichkeiten und Grenzen finanzieller Unterstützung von Parteien und Politikern eindeutig ist,während vermeintlich diese Erkenntnis hochrangigen Politikern unerreichbar war?Es fehlt Ihnen, meine Damen und Herren, in Wahrheit nicht am Unrechtsbewußtsein, es fehlt Ihnen an Rechtsbewußtsein, an Gerechtigkeitssinn.
Sie haben ein völlig deformiertes, degeneriertes, marodes Rechtsgefühl.
Für Sie begehen die Arbeiter, die gegen ihre Entrechtung, die von Ihnen vorbereitete Entrechtung, streiken, Nötigung. Das ist Ihr Rechtsverständnis. Die Enteignung von vielen kleineren und mittleren Bauernbetrieben nennen Sie Recht. Es ist aber Unrecht.
Sie nennen Recht, wenn Sie Massenvernichtungsmittel, Massenmordwaffen auf dem Boden der Bundesrepublik stationieren. Diejenigen nennen Sie Rechtsverletzer, die gegen diese Massenmordwaffen aufstehen.Sie nennen Recht, wenn den Rentnern aus der Rentenkasse die Gelder entwendet werden. Sie nennen Recht, wenn Zwangsarbeiter, die unter der Naziherrschaft leiden mußten,
heute in schlechteren Verhältnissen leben müssen als diejenigen, die den Naziverbrechern Beihilfe geleistet haben.
Das ist Ihre Rechtsposition. Das sind die Proportionen, die Sie Ihrem Rechtsverständnis zugrunde legen. Sie nennen Recht, wenn Sozialhilfeempfänger und Arbeitslose in ihren Rechten verkürzt werden und die Rechte von Vermögensinhabern ständig ausgeweitet werden. Das ist Ihr Rechtsgefühl. Das ist Ihr Rechtsverständnis.
Das hat aber mit Gerechtigkeit nicht das mindeste zu tun.
Die Flick-Affäre, meine Damen und Herren, ist keine Staatskrise.
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15648 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 204. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. März 1986
SchilyIm Gegenteil! Daß politische Korruption mit parlamentarischen und justiziellen Mitteln untersucht werden kann, beweist die Tauglichkeit und Funktionsfähigkeit der staatlichen Institutionen und die Offenheit unserer Gesellschaft. Daß wegen der bestehenden Mehrheitsverhältnisse die Aufklärungsmöglichkeiten im Flick-Untersuchungsausschuß begrenzt waren, ändert an dieser Feststellung nichts. Diese Mehrheitsverhältnisse wird das Volk, so hoffe ich, demnächst nachhaltig verändern, so daß sich auch dort eine bessere Situation ergibt,
sozusagen als Nachhilfeunterricht in Demokratie an die Adresse derer, die für den Flick-Skandal verantwortlich sind. Denn die Flick-Affäre ist sicherlich zugleich eine Krise für die Parteien und Politiker, die in sie verstrickt sind. Daß im Supermarkt der Politik am Tresen bisweilen auch Personen mit dem Schild standen: Hier bedient Sie die SPD, ist angesichts der antifaschistischen Tradition der Sozialdemokraten ein trauriges Kapitel, das belegt, daß die SPD bei der Ausübung von Regierungsmacht leicht auf Abwege gerät, wenn sie den falschen Partner hat.
Die Flick-Affäre ist exemplarisch für das ramponierte Rechtsbewußtsein der Regierungsparteien. Wenn sich Politiker zu Handlangern und Erfüllungsgehilfen mächtiger und übermächtiger Kapitalinteressen degradieren lassen, steht die Substanz der Demokratie auf dem Spiel. Die Geheimbündelei zwischen Politikern und Industriellen und das Fettgewebe der Republik, in dem sie sich gut ernährt haben, sind zum Teil bloßgelegt worden. Das Ausmaß an politischer Korruption war vor einiger Zeit noch unvorstellbar. Die Kette von Skandalen läßt manche vielleicht resignieren. Politik sei eben so, heißt es dann. Daran lasse sich wenig ändern.Diesen Pessimismus teile ich nicht. Verändert werden muß aber mehr als die Parlamentsmehrheit. Wir haben insofern eine hinkende Demokratie, als das Volk gegenwärtig noch von der unmittelbaren Erörterung und Beschlußfassung in Sachfragen weitgehend ausgeschlossen ist. Eine Weiterentwicklung der parlamentarischen Demokratie in Richtung einer plebiszitären Komponente erscheint daher dringend notwenig.
Neutralisierung der gesellschaftlichen Übermacht erscheint ebenfalls notwendig. Das heißt, wenigstens die elementaren Forderungen nach Steuergerechtigkeit zu erfüllen, beispielsweise — entsprechend der Mahnung des Bundesrechnungshofs — die überfällige Einführung einer Quellensteuer auf Kapitaleinkünfte. Neutralisierung der Kapitalmacht von Großunternehmen wird auf die Dauer jedoch nur gelingen, wenn wir uns auf eine grundsätzliche Neubestimmung des Eigentumsrechts imSinne einer funktionellen Ausdifferenzierung verständigen.
Wir sollten uns schließlich auch nicht scheuen, über grundlegende Veränderungen in unserer Gesellschaftsstruktur nachzudenken. Die Einsicht in die demokratiezerstörerischen Auswirkungen und die Monopolisierung und Zentralisierung gesellschaftlicher Entscheidungen in den staatlichen Korporationen und die bestehenden Abhängigkeiten könnten den Weg dafür ebnen, auch über Möglichkeiten einer Weiterentwicklung der Gesellschaft nachzudenken, die den herrschenden Konventionen und Denkgewohnheiten fremd und unrealistisch erscheinen. Wer sich diesem Nachdenken verschließt, wird vielleicht eines Tages unsanft erwachen und feststellen, daß die gegenwärtigen Gesellschaftsstrukturen äußerst brüchig sind.Die vor rund 70 Jahren von Rudolf Steiner vorgestellte Idee einer funktionalen Gliederung der Gesellschaft in die drei Bereiche der Kultur, des Staates und der Wirtschaft könnte ein Entwurf für die Gesellschaft der Zukunft sein, für die Menschen, die sich nicht auf ihren Denkbequemlichkeiten ausruhen wollen und sich der existentiellen Gefahren für die Menschheit bewußt sind.
Rudolf Steiner hat bereits in den 20er Jahren auf Grund vertiefter Naturerkenntnis die biologisch-dynamische Landwirtschaftsmethode entwickelt, deren Bedeutung erst nach mehr als einem halben Jahrhundert in den Umrissen erkannt wird. Intellektueller Hochmut, schulwissenschaftliche Verbohrtheit und Machtdünkel, aber auch sektiererisches Verhalten von Anthroposophen haben über Jahrzehnte eine produktive Aufnahme der Gedanken Rudolf Steiners in die Gesellschaft verhindert. Heute könnte unbefangener und vorurteilsfreier darüber gesprochen werden. Eine konstruktive Aufnahme seiner Ideen in den gesellschaftlichen Dialog bereits in den 20er Jahren hätte jedenfalls — diese Behauptung kann in der historischen Rückschau gewagt werden — die Katastrophe der Terrorherrschaft der Nazis und des Zweiten Weltkrieges vermeiden helfen.
Die schwere Schuld, die frühere Generationen mit ihrer Blindheit auf sich geladen haben, sollte uns mahnen, eine freie, ökologische, soziale, demokratische und friedliche Gesellschaft für unsere Kinder und mit unseren Kindern aufzubauen.
Meine Damen und Herren, das Wort hat der Abgeordnete Dr. Hüsch.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es gibt ja Kollegen, die sich bei den Ausführungen von Herrn Schily aufgeregt haben. Wir kennen das seit dreieinhalb Jahren: das Rollenverständnis des selbstgestrickten politischen Robbespierre in der Verkleidung von Manolito mit
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 204. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. März 1986 15649
Dr. HüschKrawatte. Herr Schily, das überzeugt uns alles nicht, was Sie sagen. Sie wollten gar nicht die Aufklärung, sondern die Desavouierung des politischen Gegners. Sie wollen die Agitation. Sie meinen nur vordergründig den Kanzler. Im Entscheidenden wollen Sie diese Republik treffen. Wir wissen, daß Sie diesen Staat nicht wollen.
Jetzt haben Sie sich zum Überdruß auch noch als neuer Partner der SPD empfohlen, um sozusagen diese traditionsreiche Partei künftig vor der Korrumpierung zu bewahren. Meine Damen und Herren, nicht einmal die SPD hat es verdient, ein solches Angebot zu bekommen.
Um was geht es eigentlich? Es geht um einen steuerrechtlichen Vorgang unter der ausschließlichen politischen und rechtlichen Verantwortung der früheren, SPD-geführten Bundesregierung zwischen 1975 und 1981.
Es geht um Steuerstundungen an den Flick-Konzern in Höhe von 850 Millionen DM unter dieser SPD-geführten Regierung.Damals war Helmut Schmidt Kanzler. Die SPD war Mehrheitspartei in der Koalition. In der Bundesregierung saßen die SPD-Finanzminister Matthöfer und Apel sowie Bundesjustizminister Vogel. Diese damalige Bundesregierung hat dem Flick-Konzern eine Steuerstundung, die praktisch einem Steuererlaß nahekam, in Höhe von 850 Millionen DM eingeräumt.Es war die Regierung Kohl, die neue Regierung, die einen Teil dieser Steuerermäßigungen widerrufen und damit dem Steuerzahler wieder zugeführt hat, was ihm gebührte.Die CDU/CSU war in der Opposition. Kein CDU-Mandatsträger, kein CDU-Funktionär war zwischen 1975 und 1981 innerhalb der damaligen Bundesregierung Amtsträger. Keiner von der CDU und der CSU hatte Einfluß auf die Steuerstundung und das Verfahren. Es handelt sich vielmehr um eine Erblast, die wir zu behandeln haben, um eine moralisch in der Tat schwerwiegende Erblast der damaligen Regierung, geführt von SPD-Kanzler Helmut Schmidt.
Es mag richtig sein, daß die SPD den Untersuchungsantrag gestellt hat. Das tat sie erst nach dem Verlust der Regierungsmacht. Sie kannte vorher längst den gesamten Sachverhalt. Aber mit diesem ihrem Untersuchungsantrag hat sie selbst ihr tiefgreifendes Mißtrauen gegen die eigene damalige Regierung bekundet, an deren Stuhlbeinen ihre Abgeordneten längst fleißig gesägt hatten.Glaubwürdig ist dieser Vorgang deswegen nicht geworden, weil er offenkundig macht, daß Sie in Wirklichkeit Ihren früheren Koalitionspartner, die FDP, treffen wollten. Wenn es der SPD im Zusammenhang mit den Untersuchungen wirklich um Aufklärung gegangen wäre, wenn es ihr um Selbstreinigung gegangen wäre, dann hätte sie vor dem Regierungswechsel, 1980, 1981 und 1982, drei Jahre Zeit gehabt, die ihr bekannten Tatsachen zur Untersuchung zu stellen. Das hat sie nicht getan. Es ging ihr also nicht um die Aufklärung dieser belastenden Affäre. Wenn es Ihnen von der SPD wirklich darum gegangen wäre, hätten Sie Auskunft darüber geben müssen, was Sie mit den Flick-Spenden an die Friedrich-Ebert-Stiftung getan haben. Dazu haben Sie bis heute geschwiegen.
Sie hätten sagen müssen, ob es richtig ist, was der Spendensammler Klasen unwidersprochen öffentlich erklärt hat: es sei j a stadtbekannt, daß die Friedrich-Ebert-Stiftung Spendensammelstelle für die SPD war. Jenes Gerede von SPD-Leuten ist unerträglich, die hinter vorgehaltener Hand sagen, sie hätten genauso wie die anderen Parteien Spenden bekommen, nur hätten sie es viel klüger angestellt, sich dem Staatsanwalt zu entziehen. Das ist durch und durch unerträglich.Sie hätten darüber aufklären müssen, wie die riesigen Fonds zur Wiederwahl von Helmut Schmidt 1976 und 1980 zustande gekommen und wohin die beträchtlichen Summen — mehr als 20 Millionen DM — ohne jede Kontrolle geflossen sind. Das sind Millionenbeträge, die sich unter dem schamhaften Titel „Kanzlerfonds" versteckt haben. Diese Millionenbeträge, bis heute trotz Untersuchung von Ihnen nicht zur Aufklärung gebracht, sind die eigentlichen Skandalteile der Spendenaffäre, so es eine solche gibt. Ich folge hier den Aufzeichnungen Ihres eigenen Schatzmeisters Halstenberg. Wenn Sie diese sehen, fragen Sie sich: Woher kommt das Geld denn? Aus gewerkschaftlichen Kreisen, von Gewerkschaften, von unter Staatskontrolle stehenden Banken und Einrichtungen, von der Neuen Heimat. Woher haben Sie das beschafft, und warum geben Sie jetzt dieser Neuen Heimat die Zusage oder wenigstens die Hoffnung, sie könne sich nun auch noch aus Staatsmitteln sanieren, wie es in Nordrhein-Westfalen läuft?
Diese Ihre Geldtöpfe sind nicht aufgeklärt. Solange die SPD zu ihren Geldtöpfen schweigt, fehlt ihr jedes moralische Recht, über Spenden und Spendenverhalten anderer Parteien zu sprechen.
Und dann wollen Sie der Öffentlichkeit klarmachen, in den vielen Gesprächen zwischen SPD-Funktionären und Flick-Beauftragtem unter merkwürdigen Umständen sei es nicht um Spenden und Steuerstundung gegangen. Dies ist eine Zumutung an die Öffentlichkeit, als wollten Sie von uns verlangen, von einem konsequenten Bordellbesucher anzunehmen, er sei noch jungfräulich.
Das können Sie uns und der Öffentlichkeit einfach nicht zumuten.Und Sie, Herr Vogel, hatten als Bundesjustizminister in der Regierung, in der Sie waren, hinreichend15650 Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 204. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. März 1986Dr. HüschGelegenheit, die Rechtskontrolle auszuüben. Die Sachverhalte waren Ihnen bekannt; sie waren öffentlich erörtert worden.
Wenn Sie das mir nicht glauben, dann fragen Sie den Kollegen Böhme, dann fragen Sie Ihren Kollegen Spöri; die haben das ja öffentlich dargelegt. Der Bundesjustizminister Vogel hat damals geschwiegen, während er heute glaubt, er könne das moralische Recht über andere ausüben.
Meine Damen und Herren, das ist keine glaubwürdige Verhaltensweise.Ich will überhaupt nicht behaupten, daß ein Amtsträger der SPD bestochen worden wäre oder gar hätte bestochen werden können. Wir stellen uns da schützend vor die Kollegen.
Die Erweckung des Anscheins, als sei die Republik während der Regierungsverantwortung der SPD käuflich gewesen, ist das nicht auszuräumende und in den Untersuchungen bestätigte Versagen der sozialdemokratischen Partei.Meine Damen und Herren, es ist nicht zu beanstanden, wenn sich Politiker, die in der Regierungsverantwortung stehen oder in der Opposition sind, mit Vertretern der gesellschaftlichen Gruppen treffen, mit Gewerkschaften oder Leuten aus der Industrie und dergleichen. Natürlich muß ein Kanzler Gedankenaustausch pflegen, auch ein Finanzminister muß es tun, auch wenn es um Steuersachen geht. Aber der große Schaden ist dadurch entstanden, daß die Art und Weise, in der solche Gespräche unter der von der SPD geführten Regierung stattgefunden haben, einen generellen Makel über ganz unverfängliche Treffen gelegt hat, und dieser generelle Makel wird auf lange Zeit nicht ausgeräumt werden können.Um es noch einmal klarzustellen: Die der SPD nahestehende Friedrich-Ebert-Stiftung hat im Jahre 1976, im Jahre des ersten Steuerstundungsantrages, einen Monat nach dem ersten Gespräch mit Kanzler Schmidt, einen Monat vor dem nächsten Gespräch mit dem zuständigen Finanzminister Apel 1 Million DM als höchste Einzelspende überhaupt erhalten. Im Jahre 1980, im Wahljahr, waren es 750 000 DM. Dazwischen liegen weitere erhebliche Spenden in sechsstelliger Höhe. Die Ironie der Zusammenhänge ist doch wohl, daß die Schießpulverfabrik Dynamit Nobel zur Feier der 100jährigen Wiederkehr der Sozialistengesetze ausgerechnet den Sozialisten eine Spende überwies, um dies tun zu können! Die Spendenquittung stammt von dem Geschäftsführer der Friedrich-Ebert-Stiftung Grunewald. Man hat sich nicht geschämt, auf der einen Seite die Rüstung politisch zu desavouieren und auf der anderen Seite von dem beschimpften Erzkapitalisten Flick Geld zur Feier der Sozialistengesetzgebung zu nehmen. Das ist in meinen Augen mehr als abenteuerlich.Aus den Untersuchungen steht dies fest: Es hat ein ständiges Bemühen des Flick-Konzerns um dieSPD und um SPD-nahe Kreise gegeben. Es war auch Tatsache, daß die SPD-Kreise auf der einen Seite die Nähe des Kapitals suchten und sich auf der anderen Seite im konkreten Fall gegen die Anwendung geltenden Rechtes gewandt haben. Die SPD-Führung war offensichtlich nicht fähig, die Dimensionen solcher Vorgänge zu erkennen und den Schaden von der Republik abzuwenden.Ich darf noch einmal daran erinnern, wem denn eigentlich das Wächteramt als Justizminister oblegen hatte, wer zum Vorstand der Friedrich-EbertStiftung gehörte, die willig, und durch ihre Repräsentanten in den Steuergesprächen vertreten, Geld genommen hatte, und ob es nicht so ist, daß der Kanzlerkandidat der SPD, Rau, der stellvertretende Vorsitzende eben dieser Stiftung war.Daß es möglich wurde, sozusagen einen Agenten in die Sitzungen der SPD gegen Geld einzuschleusen, ist eine weitere Bestätigung der Lässigkeit, mit der die SPD-Führung gehandelt hat.Der so selbst gesetzte Schein eines Zusammenhanges zwischen Regierungshandeln und Spendenempfang, dieser von der SPD selbst gesetzte Schein hat die Flick-Affäre zu einer SPD-Affäre gemacht.
Das Ganze wird noch durch das Verhalten des Justizministeriums des SPD-geführten Landes Nordrhein-Westfalen verschärft. Es war und ist unverkennbar und ist aktenmäßig, urkundenmäßig belegt, daß die Verschärfung der Anklage gegen den politischen Gegner Graf Lambsdorff von dort aus beeinflußt worden war.
Das Übermaß an Berichterstattungen an das politisch geführte Ministerium, das den Staatsanwälten abverlangt wurde, hat keinerlei Parallele in der deutschen Rechtsgeschichte. Es ist schon geschmacklos, die ermittelnden Staatsanwälte zu zwingen, gerade über diejenigen Ermittlungen zu berichten, die im politischen Einflußbereich der SPD lagen oder liegen sollten. Ich denke etwa an die vorauseilende Berichterstattung über bevorstehende Zeugenvernehmungen und die Durchsuchungen bei der Friedrich-Ebert-Stiftung. Es ist erschütternd, daß die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen bis heute keine erkennbare Veranlassung gefunden hat, diese nach meiner Auffassung rechtswidrige Berichtspraxis aufzugeben. Sie hat sich nicht in solchen Fällen jeglicher Einflußnahme auf ein Ermittlungsverfahren ferngehalten. Sie hat dies nicht getan, obwohl Mitglieder der Landesregierung als Organe eines möglichen Beschuldigten in Betracht kommen können.
Zum Rechtsstaat gehört auch — ich vermisse, daß der Kollege Schily das aufgeführt hat —, sich nicht an Dingen zu beteiligen, die einen selbst betreffen, und auch nicht die Machtmittel einer Regierung direkt oder indirekt zu mißbrauchen, um das Schicksal politischer Gegner zu beeinflussen. WeilDeutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 204. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. März 1986 15651Dr. Hüschdas erwiesenermaßen geschehen ist und weil es aktenkundig ist, kommen die Vermutungen und Informationen zu einer großen Überzeugungskraft, die jetzt über die Hintergründe der Einleitung von Ermittlungen gegen den Bundeskanzler bekannt geworden sind.
— Nein, nicht hinter jedem Busch ein Sozi. Der Sozi sollte sich aber einmal zurückhalten und davon Abstand nehmen, die nordrhein-westfälische Justiz dafür zu mißbrauchen, daß der politische Gegner verfolgt wird.
Der Sprecher der GRÜNEN hat nun geglaubt, er könne einen weiten Bogen zwischen der nationalsozialistischen Zeit einerseits und Zuwendungen an die jetzigen Parteien andererseits ziehen. FDP, CDU, CSU können das mit Gelassenheit sehen. Sie scheiden für jede Spendenannahme vor 1945 aus.
Sie sind bekanntlich erst nach 1945 gegründet worden. Die SPD kann sich dagegen auf eine mehr als 100jährige Tradition berufen. Sie wird sich sicherlich gegen den Vorwurf der GRÜNEN wehren.Ein solcher gedanklicher Zusammenfluß zwischen politischem Mißbrauch sowie Verbrechen derjenigen, die damals mit Spenden bedacht worden waren, und den heutigen Parteien, dem demokratischen Staat und allen Kräften, die diesen Staat tragen, ist nicht nur historisch falsch, sondern stellt eine grenzenlose, unglaubliche Verunglimpfung dieses Staates dar.
Es sei den GRÜNEN ins Stammbuch geschrieben: Alle Parteien haben nach dem Krieg — in oftmals scharfer Kontroverse stehend — einen Rechtsstaat aufgebaut, in dessen Schutz die GRÜNEN und der Abgeordnete Schily heute ihre unverantwortlichen und aufgebauschten Angriffe und Beschuldigungen vortragen können. Das ist aber Mißbrauch demokratischer Freiheiten und nicht die Ausübung des demokratischen Rechtes.
Schily wird sich darauf berufen wollen, er decke nur Verschwiegenes auf. Das ist vordergründig. Korruption darf in keinem Staat geduldet werden. Wenn sie vorhanden wäre, müßte sie mit allem Nachdruck bekämpft werden. Es besteht aber nach den umfassenden Untersuchungen keine Veranlassung zu der Behauptung, daß der demokratische und soziale Rechtsstaat, in dem wir leben und der 40 Jahre Bestand hat, in seinen Grundfesten nur deshalb erschüttert wäre, weil beanstandungswerte Vorgänge unter der politischen und rechtlichen Verantwortung der SPD-geführten früheren Bundesregierung geschehen sind.Allerdings bleiben als Lehre und Ergebnis der Untersuchungen: Der Schaden, der durch das Verhalten von SPD-Funktionären, von SPD-Spendensammlern und SPD-nahen Einrichtungen im Zusammenhang mit einem rechtlichen Vorgang der Gewährung von Steuerstundungen angerichtet worden ist, ist eine außerordentlich schwere moralische Erblast. Wir haben alle darunter zu leiden. Es wird sehr lange dauern und großer Anstrengungen bedürfen, diese Erblast abzubauen und wieder neues Vertrauen aufzubauen. Dieses Vertrauen allerdings braucht dieser Staat, und dieses Vertrauen hat dieser Staat auch verdient.Ich danke Ihnen.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Struck.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Hüsch, Sie sind sich treu geblieben. Ihr Wirken in unserem Ausschuß ist ja im wesentlichen mit der Armleuchteraffäre verbunden. Nun ist es Ihnen auch noch heute gelungen, das Thema Bordell in diesen Untersuchungsausschuß einzubringen. Bevor Sie das Wort „Bordell" in die Debatte einführten, hätten Sie vorher besser über Berlin und die CDU dort nachdenken sollen.
Die Flick-Affäre und der Flick-Untersuchungsausschuß waren für uns Politiker schmerzhaft. Betroffen sind wir nämlich alle, die Abgeordneten des Deutschen Bundestages ebenso wie die Parteien CDU, CSU, FDP und SPD. Versuche, die Flick-Affäre an einer Partei festzumachen, sind lächerlich. Wer das tut — wie die Kollegen von CDU/CSU und FDP, wie der Kollege Hüsch eben wieder —,
bestätigt das Vorurteil vieler Menschen, die Politiker für unfähig zur Selbstkritik halten.
Daß immer nur der politische Gegner der Schuldige sein soll, glaubt niemand. Auf dem Prüfstand waren wir alle, manche mehr und manche weniger. Ich beteilige mich jedenfalls nicht an dem Stil, aus dem Glashaus Steine auf andere zu werfen. Nur so können wir ein Stück Glaubwürdigkeit zurückgewinnen, das durch die Flick-Affäre und die Parteispendenaffäre bei vielen verlorengegangen ist.
Die Bundesrepublik Deutschland ist gewiß keine Bananenrepublik.
Aber die politische Kultur hat Schaden erlitten, und unsere Weste ist nicht mehr blütenweiß. Unsere Weste hat Flecken und muß gereinigt werden, und zwar von uns selbst.
15652 Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 204. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. März 1986Dr. StruckDaß wir keine Bananenrepublik sind, verdanken wir nur in zweiter Linie eigener politischer Leistung. Zuallererst ist Steuerfahndern, Staatsanwältern und der Presse das Verdienst zuzurechnen, ohne Ansehen von Personen die Wahrheit aufgedeckt zu haben.
Wir Sozialdemokraten haben deshalb auch volles Vertrauen zu denen, die noch ermitteln, und Richtern, die noch zu urteilen haben. Wir mischen uns nicht ein, weder so noch so. Niemand wird von uns vorverurteilt, aber niemand wird von uns auch vorfreigesprochen, bevor ein Gericht entschieden hat.
Eine Bananenrepublik sind wir auch deshalb nicht, weil politische Entscheidungen getroffen wurden, die in einem solchen Staat nicht möglich wären. Das Verdienst dafür nehme ich allerdings für uns Sozialdemokraten in Anspruch.
Die SPD-Bundestagsfraktion hat Ende 1981 den ersten Versuch einer Amnestie für Parteispendentäter verhindert.
Es waren SPD-Bundestagsabgeordnete, die Flick-Anträge kritisch in der Öffentlichkeit begleitet haben. Es war die SPD-Bundestagsfraktion, die diesen Untersuchungsausschuß durchgesetzt hat. Er war die SPD-Bundestagsfraktion, die über eine Klage vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe die Regierung verpflichtete, dem Parlament ungekürzt und ungeschwärzte Akten herauszugeben. Es war die SPD-Bundestagsfraktion, die bis zuletzt auf die Herausgabe von Akten geklagt hat. Und es war auch die SPD-Bundestagsfraktion, die, zusammen mit anderen, den Versuch der CDU/CSU-FDP-Koalition zu einer Amnestie für Parteispenden 1984 scheitern ließ — worauf wir stolz sind —.
Das böse Wort von der „gekauften Republik" im Zusammenhang mit der Flick-Affäre war zu hören. Bestechung und Bestechlichkeit sind Straftatbestände, die hier einschlägig sind. Wir bewerten diese Vorwürfe nicht, weil dies das Landgericht Bonn zu tun hat. Aber einen Freispruch erster Klasse für alle auszusprechen, fällt mir schwer.Die Schäden für politische Kultur und politische Moral nämlich sind unübersehbar. Kommentare zur Flick-Affäre sprachen von einem „Sittengemälde deutscher Politik", Heinrich Böll sprach gar von einem „Bargeld-Porno".Geld hat in der Tat eine große Rolle gespielt. Die Spenden des Flick-Konzerns in Höhe von insgesamt 26 Millionen DM, davon 21,5 Millionen an CDU/CSU und FDP, sind nur die Spitze des Eisbergs. Nach und nach wird durch die Akten über sogenannte Geldwaschanlagen und in den Parteispendenprozessen mehr und mehr deutlich, in welchem Umfang in den vergangenen Jahrzehnten Geld an Parteien gespendet wurde.Die Liste der Geldwaschanlagen ist lang, wie man in einem Buch lesen kann. Viele dieser gemeinnützigen Vereine oder auch Berufsverbände finden sich als Empfänger von Flick-Spenden. Der Buchhalter notierte aber immer folgerichtig den tatsächlichen Empfänger: bei der Staatsbürgerlichen Vereinigung Köln/Koblenz e. V. beispielsweise CDU, „wg. Leisler Kiep", bei der Gesellschaft für europäische Wirtschaftspolitik FDP, „wg. Graf Lambsdorff".
Wir Sozialdemokraten haben es daher als zwingend notwendig angesehen, über die größte Geldwaschanlage, die Staatsbürgerliche Vereinigung, ein eigenes Kapitel zu schreiben.
Diese Vereinigung hat, seit ihrer Gründung im Jahre 1954 durch Verantwortliche des Bundesverbandes der Deutschen Industrie Hunderte von Millionen DM vor allem an die CDU gespendet, und zwar nicht auf legalem Wege, sondern am Finanzamt vorbei, über Tarnadressen in Liechtenstein oder das Institut für Staatslehre und Politik in Würzburg. Allein in den Jahren 1969 bis 1980 sind 214 Millionen DM über die Kassen dieser Vereinigung an CDU und FDP gezahlt worden. Bei Summen dieser Größenordnung schlägt Quantität in Qualität um, wird das Geld für diese Parteien wichtiger, als sie behaupten.Aber nicht nur der Flick-Konzern hat gezahlt. Wir wissen aus den Akten, daß eine Reihe von Unternehmen und Konzernen sich an der Umwegfinanzierung von CDU, CSU und FDP beteiligt hat. Dem Henkel-Konzern kommt eine unrühmliche Schlüsselrolle dabei zu.Ebenso unrühmlich ist die deutlich gewordene starke finanzielle Abhängigkeit der FDP von Großspenden. Die Rettungsaktion der Industrie 1975/76, an der sich der Flick-Konzern mit 3 Millionen DM beteiligte — wieviel die anderen Beteiligten gaben, wissen wir leider nicht —, macht klar: Ohne Geld aus der Industrie gäbe es diese Partei nicht mehr und gäbe es keine Bundestagsfraktion der FDP.
Ich bin davon überzeugt, daß mit dieser Aktion das erste Kapitel zum Thema „Spende und Wende" geschrieben wurde.
Den damals beteiligten Mitgliedern des FDP-Präsidiums, den Herren Genscher, Friderichs und Karry,
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 204. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. März 1986 15653
Dr. Struckmußte klar sein, welche Gegenleistung für die Millionen von der Industrie erwartet würde:
das Abwenden von der SPD und die Wende zur CDU. Der Preis wurde bezahlt: im Jahre 1982.
Entlarvend sind in diesem Zusammenhang die Vermerke, die wir gefunden haben. Ich zitiere auszugsweise nur einen.
Von Brauchitsch schreibt:Die Vertreter der Wirtschaft beschlossen, eine gezielte Unterstützung des rechten Flügels der FDP,
um die Verfechter der marktwirtschaftlichen Idee zu stärken und ihnen einen größeren Einfluß bei der politischen Willensbildung zu ermöglichen.Angesichts dieser unverhohlenen Einflußnahme auf Personalpolitik der FDP, aber auch der CDU — dazu komme ich noch — zögere ich doch, die Frage, ob die Republik gekauft worden ist, uneingeschränkt zu verneinen.
Die Geldzahlungen an Parteien sollen harmlos gewesen sein, sagt die Mehrheit, sagen auch die Spender, zuletzt Eberhard von Brauchitsch in einem Interview des ZDF vom 28. Februar 1986, das mir zitierenswert erscheint:Wenn ich eine Parteiendemokratie habe, — sagte von Brauchitsch —muß ich die Parteien mit Geld ausstatten.Und auf die Nachfrage, ob er mit Spenden nicht auch Dankbarkeit erzeugt habe und inwieweit Dankbarkeit auch Abhängigkeit sei, antwortete er:Nun, wenn ein Nehmer einer Freigebigkeit aus dieser Dankbarkeit bei sich selbst Abhängigkeiten fühlt, entschuldigen Sie bitte, dann ist das sein Charakterproblem, aber nicht das Problem desjenigen, der gespendet hat.So einfach stellt sich für Herrn von Brauchitsch die von ihm so genannte „Pflege der politischen Landschaft" dar. Mit dem Wort „Charakterproblem" hat er allerdings recht: Es geht in der Tat um den Charakter der Politiker und der Spender.Joachim Wagner hat recht, wenn er in seinem Buch schreibt, daß sich die Spender nicht nur von „hehren Motiven leiten ließen", sondern auch von anderen Zielen — und ich zitiere —:Sie versuchten, ihre ökonomische Macht durchSpenden in politischen Einfluß umzumünzen; ..., sie trachteten danach, günstige Verwaltungsentscheidungen zu veranlassen, die Gesetzesarbeit des Bundestages zu beeinflussen, marktwirtschaftlich orientierte Kandidaten bei Land- und Bundestagswahlen zu fördern, in der Personalpolitik der Parteien ein Wort mitzureden oder nicht genehmes Verhalten bei Koalitionsvereinbarungen durch Spendenentzug zu bestrafen.Damit ist das wahre Motiv vieler Spender zutreffend gekennzeichnet. Wenn es auch häufig nicht um eine konkrete Situation nach dem Motto „do ut des — ich gebe, damit du gibst" ging, wurde aber die grundsätzliche politische Richtung vorgegeben: in der Wirtschaftspolitik, in der Finanzpolitik gegen die SPD und für CDU/CSU und FDP.
Zum Thema „Spende und Wende" werden mit jedem Parteispendenprozeß weitere Kapitel geschrieben werden können, und jeder Bürger kann sich dann ein Bild davon machen, wer wirklich Einfluß auf wen mit welchen Summen zu nehmen versucht hat.
— Ihre Zwischenrufe zeigen — bei Hüsch wundert mich das nicht, bei Langner wundert es mich aber schon —, daß Sie gar nicht verstanden haben, um was es geht.
Sie sind immer noch dabei aufzurechnen. Es geht um ganz andere, grundsätzliche Fragen, und das kapieren Sie überhaupt nicht. —
Wir haben, meine Damen und Herren, allerdings keinen Grund, anklagend nur auf die Spender zu zeigen. Ebenso zu verurteilen ist das Verhalten vieler Politiker, die Spender geradezu ermuntert haben, krumme Wege zu gehen, sie mit immer maßloseren Forderungen nach Geldspenden bedrängten, die unersättlich waren.
In der „Hannoverschen Allgemeinen" vom 22. Februar 1986 ist dazu geschrieben worden:Im Rückblick ist kaum zu verstehen, mit welchem Leichtsinn oder welcher Unverfrorenheit besonders in den 70er Jahren die damaligen Parteien nicht nur der Umgehung geltender Steuergesetze zugeschaut, sondern dazu kräftig ermuntert haben. Denn selbstverständlich waren die Parteien seinerzeit nicht so naiv, wie sie heute tun. Manchem Spender, der damals ratsuchend zu ihnen kam, haben sie selbst den gesetzwidrigen Weg gewiesen.Die Wahrheit ist, daß die Parteien damals ohne Ausnahme auf dem Standpunkt gestanden haben: Was für die Parteien gut ist, kann für den Staat nicht schlecht sein.
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15654 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 204. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. März 1986
Dr. Struck— Die Flick-Affäre ist eine Parteienaffäre, keine SPD-Affäre, wie die Mehrheit hier glauben machen will. Sie kapieren das nicht, aber mit Ihnen hat das auch keinen Zweck mehr, Herr Hüsch.
Sie ist aber keine Demokratie-Affäre; denn die Parteien sind nicht der Staat.
Wenn wir nicht die Kraft aufbringen, das zuzugeben, wenn wir im Gegenteil versuchen sollten, zu verniedlichen, zu verharmlosen oder einseitige Schuldzuweisungen vorzunehmen, werden wir unserem Auftrag nicht gerecht.
Deshalb haben wir Sozialdemokraten die Schäden, die durch das Verhalten der Politiker entstanden sind, aufgezeigt und dabei auch die SPD nicht geschont.
Nun komme ich endlich zu dem, was Sie immer dazwischenquaken: Wir sind überzeugt davon, daß mit den Spenden des Flick-Konzerns an die Friedrich-Ebert-Stiftung der Spender ein für sich günstiges Klima erreichen wollte. Daß dieser falsche Eindruck von Repräsentanten der Stiftung erweckt wurde, mißbilligen wir
ebenso wie die Teilnahme an Gesprächen zwischen Flick-Verantwortlichen und sozialdemokratischen Politikern.Ich habe, meine Damen und Herren, großen Respekt vor der Lebensleistung Alfred Naus, der in der Zeit der Verfolgung von Sozialdemokraten durch Nationalsozialisten und beim Aufbau der SPD und unserer Demokratie mehr geleistet hat, als ich jemals dafür leisten könnte;
aber dieser Respekt gebietet es auch, dort auf Fehlverhalten hinzuweisen, wo es geboten ist. Das Motiv Alfred Naus, wenigstens einen kleinen Teil aus dem riesigen Topf zu erhalten, der für die anderen Parteien bereitstand, verstehe ich,
aber ich kann die Nichtveröffentlichung im Rechenschaftsbericht der SPD selbst dann nicht billigen, wenn die Spender nur unter dieser Bedingung gegeben haben.
Auch wenn sich die Schatzmeister von CDU, CSU und FDP genauso verhalten haben, es ist und bleibt ein Verstoß gegen das Gesetz.
Die Friedrich-Ebert-Stiftung hat die Spenden, wie die Staatsanwaltschaft festgestellt hat, satzungsgemäß eingesetzt. Sie war keine Spendenwaschanlage wie die Staatsbürgerliche Vereinigung, aber daß dieser Eindruck entstehen konnte, ist ihr anzulasten.Schäden für die politische Kultur haben nicht nur die Schatzmeister von CDU, CSU, FDP und SPD angerichtet, viel schlimmer sind nach unserer Überzeugung jene Politiker zu bewerten, die sich in besondere Nähe zum Flick-Konzern, aber auch zu anderen Unternehmen begeben haben — ich freue mich, daß einer von denen, die ich jetzt ansprechen will, hier als Zuhörer im Saal sitzt, nicht auf der Regierungsbank —: die Parteivorsitzenden von CDU und CSU, Dr. Kohl und Franz Josef Strauß,
mit ihren Bargeldbriefumschlägen ebenso wie die Bundestagsabgeordneten Dr. Barzel und Dr. Kreile.
Wer die Entgegennahme von 50 000 DM oder 250 000 DM im Briefumschlag für normal hält,
wer sich dessen geradezu rühmt — wie der Zeuge Dr. Kohl im Untersuchungsausschuß —,
hat jeden Blick für die verheerenden Auswirkungen solchen Verhaltens auf die Beurteilung der Politiker durch die Bürger verloren.
Daß Parteivorsitzende auch nur den Anschein einer Kumpanei zwischen Geldgeber und Geldempfänger vermeiden müssen, scheint diesen Politikern nicht aufgegangen zu sein.
Das Wort Heinrich Bölls vom Bargeld-Porno kommt hier der Wirklichkeit gefährlich nahe.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 204. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. März 1986 15655
Dr. StruckDer Rücktritt Dr. Barzels vom Amt des Bundestagspräsidenten war notwendig. Es ist anzuerkennen, daß er diesen Schritt getan hat. Wir haben unsere Bewertung dazu vorgelegt, der nichts hinzuzufügen ist.Wir verurteilen die Aktivitäten des CSU-Bundestagskollegen Dr. Kreile, die nicht, wie von der Mehrheit geschehen, als rechtsanwaltliche Tätigkeiten beschrieben werden können. Für uns ist Dr. Kreile ein Abgeordneter, den ein Konzern mit Zustimmung des CSU-Parteivorsitzenden in den Bundestag entsandt hat, um dort seine Interessen wahrzunehmen.
Mir kommt es jetzt darauf an, zu den Konsequenzen zu sprechen:Erstens. Jeder Abgeordnete, ob in Bund, Land, Kreistag oder Gemeinde, sollte strikt die Annahme von Spenden verweigern. Spenden sollten nur direkt an Parteiorganisationen gegeben werden.Zweitens. Die Vorschläge zur Änderung des Abgeordnetengesetzes sollten schnellstmöglich hier im Plenum beraten und verabschiedet werden. Dabei ist es meine persönliche Meinung, daß wir tatsächlich den Abgeordneten mit den gläsernen Taschen haben müssen.
Jeder Wähler soll sehen können, wieviel sein Abgeordneter verdient und wer ihn gegebenenfalls noch honoriert.
Drittens. Die Parteien dürfen sich nicht für den Staat halten.
Sie sollen wie viele andere dem Staat dienen. Die Grundsätze politischer Kultur und politischer Moral müssen Maßstäbe allen politischen Handelns sein. Wenn wir dies erreichen, dann hat die Arbeit des Flick-Untersuchungsausschusses etwas bewirkt, das über den Tag hinaus gilt, nämlich eine Veränderung unseres eigenen Bewußtseins.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Bohl.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Struck, ich muß schon sagen, Ihre Rede ist ein Beispiel mehr
für die ausgesprochen pharisäerhafte Behandlung dieses Themas durch die SPD.
Wenn Sie hier den bargeldlosen Verkehr, wie Sie sich auszudrücken belieben, anzusprechen sich anheischig machen, dann möchte ich Ihnen nicht das Zitat von Friedrich Halstenberg im „Report" am 25. Februar dieses Jahres vorenthalten,
als er auf die Frage: „Um welchen Betrag hat es sich gehandelt, und wie haben Sie ihn entgegengenommen?" wie folgt antwortete:Beträge sind im Verlauf der Jahre immer ungefähr gleich hoch gewesen. Während Herr Nau für den Wahlkampf 1976 rund 10 Millionen DM sammelte, war das Ergebnis zu meiner Zeit rund 8 Millionen. Er übergab sie mir in Bonn in bar eben mit der Begründung, daß im Überweisungsverkehr beförderte Mittel ja den Ursprung der Spender offenbart hätten.
So Herr Halstenberg. Warum sagen Sie dazu eigentlich nichts, insbesondere zu seiner Feststellung auf die Frage: „Was haben Sie mit dem Geld gemacht, als Sie es bekommen haben?" Antwort: „Es stante pede auf die Bank einzahlen lassen."
Frage: „Hatten Sie keine Angst, überfallen zu werden?" Antwort: „Ich habe natürlich bei einem so großen Betrag die Polizei unterrichtet."
Sagen Sie mal etwas zu Herrn Halstenberg und seinen Methoden! Das wäre doch interessant.
Ich muß auch noch folgendes sagen. Wir unterhalten uns über eine Frage, die zur Zeit der Regierung der SPD und hier insbesondere unter dem Bundeskanzler Helmut Schmidt abgelaufen ist.
Das ist doch der entscheidende Punkt. Weichen Sie doch nicht vom Thema ab.In diesem Zusammenhang erlaube ich mir im übrigen die Frage: Wo ist eigentlich Helmut Schmidt?
Wo ist eigentlich Willy Brandt?
Wo sind die eigentlich? Wo ist Hans Apel, wo ist Hans Matthöfer, die diese Suppe doch eingebrockt haben?
Die sollten doch mal kommen. Wahrscheinlich hat aber schon Helmut Schmidt Ihr Wort von dem gläsernen Abgeordneten gehört und dabei an seine Honorare, die er derzeit in der Welt kassiert, gedacht und ist deshalb vorsorglich zu Hause geblieben. So wird es gewesen sein.
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15656 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 204. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. März 1986
Bohl— Herr Kollege Struck, ich muß Ihnen sagen, wir müssen uns hier mit einer Erblast aus Ihrer Regierungszeit auseinandersetzen, aber Ihre früheren Regierungsvertreter sind nicht anwesend. Das ist der Tatbestand.
Der Bundeskanzler, der dafür gesorgt hat, daß der Bewilligungsbescheid aufgehoben wurde, daß zurückgezahlt werden muß, sitzt hier, aber die, die es eingebrockt haben, fehlen! Das ist — das muß ich doch einmal sagen — eine üble Sache!
Meine Damen und Herren, ich will auch ganz freimütig sagen, was mich an dieser Sache außerordentlich — —(Abg. Dr. Struck [SPD] meldet sich zu einerZwischenfrage)— Ich möchte jetzt wegen der begrenzten Redezeit keine Fragen beantworten!
Wollen Sie die Frage später zulassen?
Herr Präsident, ich bitte um Verständnis; ich habe nur begrenzte Redezeit.
Meine Damen und Herren, ich möchte hier folgendes klarstellen: Es geht nicht allgemein um Parteispenden; die zu untersuchen war nicht der Auftrag dieses Untersuchungsausschusses. Ich möchte Sie jetzt wirklich einmal in aller Ruhe fragen: Was werfen Sie uns denn eigentlich vor?
Werfen Sie uns vor, daß wir Geld von Flick bekommen haben? Werfen Sie uns das vor, Herr Kollege Dr. Struck? Das ist doch offensichtlich der einzige Vorwurf, der in der Welt bleibt. Ist das vorwerfbar? Was ist daran unmoralisch? Was ist daran zu kritisieren, wo doch dieser Bundestag — auch mit Ihren Stimmen — und das Bundesverfassungsgericht festgestellt haben, Spendenzahlungen seien auch staatspolitisch eine notwendige und moralisch keinesfalls zu kritisierende Angelegenheit?
Wenn Sie uns also vorwerfen sollten, allein die Entgegennahme der Gelder von Flick sei unmoralisch, wenn das sozusagen das Kaliber ist, mit dem Sie hier auffahren, muß ich Sie auffordern, erst einmal die Gelder, die Sie selbst von Flick bekommen haben, zurückzuzahlen. Erst dann hätten Sie die Berechtigung, hier den Mund aufzumachen.
Herr Abgeordneter Bohl, lassen Sie jetzt die Zwischenfrage zu?
Nein. Das gilt grundsätzlich.
Herr Abgeordneter Struck, er hat erklärt: Grundsätzlich nicht. Nach der Geschäftsordnung ist das allein in das Ermessen des Redners gestellt. Ich bitte Sie, das zu beachten.
Wir wollen doch noch einmal auf folgenden Sachverhalt, der hier anscheinend untergeht, hinweisen: Als die SPD in der Opposition war, hat sie von Flick so gut wie kein Geld bekommen. Als die Große Koalition begann, nahm das etwas zu. Als Willy Brandt mehr Demokratie wagen wollte, stieg es steil an, und zu einem ganz überraschenden Höhepunkt kam es in den Zahlungen von Flick an die SPD, als 1975 die Steuerstundungsanträge einzugehen begannen.
Nun sagen Sie mir doch einmal, wie das zu erklären ist. Was für eine Erklärung haben Sie vor der deutschen Öffentlichkeit dafür, daß just in dem Moment, als die Steuerstundungsanträge zu laufen begannen, die Zahlungen von Flick an die SPD diese astronomische Höhe annahmen? Diese Frage beantworten Sie nicht!
Weil Sie sie nicht beantworten, weil Sie sie nicht beantworten können, Herr Kollege Vogel, weil Sie in der Ecke stehen, weil Sie auf der Anklagebank sitzen, deshalb wollen Sie vernebeln, deshalb starten Sie Angriffe, die mit der Sache nichts zu tun haben. Das ist der Punkt!
Wissen Sie, es ist doch grotesk: Der Herr Apel spricht davon, Flick sei schlimmer als drei Jahre Juso, und der Herr Matthöfer sagt, er würde von Flick noch nicht einmal ein Käsebrot nehmen, aber Halstenberg und Nau machen die Taschen auf und lassen das Geld immer verschwinden.
Das ist doch in höchstem Maße unglaubwürdig!Wir wollen doch das folgende Szenario nicht vergessen:
Im Februar 1976 beginnt der sogenannte erste Geleitzug. Die ersten Steuerstundungsanträge laufen. Herr Flick, der schon seit einiger Zeit immer ein reges Interesse daran bekundet hatte, auch einmal vom Bundeskanzler Helmut Schmidt empfangen zu werden, wird interessanterweise im April — zwei Monate, nachdem die Anträge anliefen — in Privataudienz vom Bundeskanzler empfangen.
— Herr Poß, hören Sie doch einmal zu; es wird Sie vielleicht noch interessieren.Nun könnte man ja annehmen, bei diesem Gespräch zieht der Bundeskanzler Helmut Schmidt den Wirtschaftsminister oder den Finanzminister oder sonst irgendwelche betroffenen Fachleute zuDeutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 204. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. März 1986 15657BohlRate. Aber nein, das ist nicht der Fall! Der „6-b-Spezialist" Alfred Nau ist komischerweise bei diesem Gespräch im April 1976 anwesend.
Warum eigentlich? Was hat er da zu suchen? Welche guten Ratschläge zu § 6 b und Flick hat er gegeben?
Ein Monat später, der Mai 1976,
bringt den warmen Frühlingsregen, Frau Kollegin Blunck: auf einmal 1 Million DM des Hauses Flick an die Friedrich-Ebert-Stiftung, 1 Million DM, zum erstenmal diese astronomisch hohe Summe.
Damit ist die Sache nicht zu Ende. Nachdem diese 1 Million DM geflossen sind, vereinbart man zwischen dem Herrn Flick und dem Herrn Apel, der damals Finanzminister war, ein sogenanntes Versöhnungsgespräch in der Jagdhütte des Herrn Flick.
— Hören Sie doch bitte einmal zu. Sie wollen doch schon wieder ablenken. Das ist doch Ihr typisch schlechtes Gewissen. Sie wollen die Wahrheit noch nicht einmal zur Kenntnis nehmen.
Jetzt verabredet man ein solches Gespräch. Damit sich der Herr Apel darauf auch richtig vorbereiten kann, läßt er — wir können das alles nachweisen — schnell noch eine Vorlage seines Hauses zu dem Problem des § 6 b fertigen. Dann reist er zu dem wunderschönen Jagdhaus ab. Dort hatte er natürlich auch noch Zeit, diesen Vermerk zu lesen. Denn — man höre und staune — eine Stunde lang ließ Herr Flick, der später eintraf, den Herrn Bundesfinanzminister warten, der in dieser Zeit im Wald spazieren ging und den Vermerk wahrscheinlich auswendig lernte. Das ist die Wirklichkeit.Nun frage ich Sie noch einmal: Warum sprechen Sie von diesem Sumpf, von diesem Schein der Käuflichkeit, von dieser wirklich unerträglichen Angelegenheit in Ihrem Bericht nicht ein einziges Mal?
Das ist doch die Frage, die an Sie gestellt werden muß.
— Soll ich noch mehr erzählen? Es bereitet Ihnen ja Lustgewinn, so etwas zu hören. Damit kann ich natürlich dienen.
Nun läuft mir dabei meine Redezeit weg.Aber vielleicht sollten wir den Herrn Markscheffel noch erwähnen. Auch das ist ein typischer Fall. Da hatten Sie einen Herrn Markscheffel,
der in den Diensten Ihrer Fraktion stand.
— Hören Sie erst einmal zu! Ich mache das der Reihenfolge nach.
Der stand also in den Diensten der SPD-Fraktion und hatte in dieser Eigenschaft die Möglichkeit, an den Fraktionssitzungen der SPD teilzunehmen. Dieser Herr Markscheffel, der im übrigen mit Ihrem Parteivorsitzenden Willy Brandt befreundet war, vielleicht noch ist oder nicht mehr ist — ich weiß es nicht —, hatte gleichzeitig einen Vertrag beim Hause Flick und bekam dafür monatlich 3 000 DM. Was hat er dafür gemacht?
— Später 4 000. — Er hat jeweils aus der Fraktionssitzung der SPD an das Haus Flick Vermerke, Unterrichtungen, Informationen weitergegeben,
so daß das Haus Flick genau über das informiert war, was in der SPD vorging. Wenn das keine bedrückende und beklemmende Nähe der SPD zum Hause Flick war, dann weiß ich nicht, welcher Begriff überhaupt noch auf diesen Sachverhalt anwendbar sein soll. Reden wir doch darüber einmal.
Nun hat Ihr Fraktionsvorsitzender, der sich eben ein bißchen echauffierte, neulich zum besten gegeben, daß jetzt jeder Sozialdemokrat den Spendern des Hauses Flick die Tür weisen würde, wenn sie überhaupt nur das Ansinnen aussprechen würden, der SPD eine Spende zur Verfügung zu stellen. Das waren ganz markige Worte. Ich frage Sie einmal: Warum ist diese Tür nicht früher gewiesen worden? Das hätte viel früher geschehen können. Der Herr Nau hat sogar quittiert, daß er damals, im Jahre 1975, vom Herrn Kaletsch 100 000 DM entgegengenommen hat. Warum reden Sie davon nicht?
Warum haben Sie damals nicht die Tür gewiesen, auch als Sie schon Justizminister waren?Was sagen Sie eigentlich zu dem ehemaligen SPD-Schatzmeister Halstenberg, der vor dem Untersuchungsausschuß bekannte, er hätte selbstverständlich auch eine Spende des Hauses Flick akzeptiert? Warum sagen Sie nichts zu Herrn Klasen, der ja doch in großem Maße Spenden für die SPD akquiriert hat? Warum sagen Sie eigentlich nichts zu Herrn Hesselbach und seiner rühmlich-unrühm-
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15658 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 204. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. März 1986
Bohllich-berüchtigten — wie man will — Rolle, die er bei Ihren Transaktionen gespielt hat?
Warum sagen Sie, Herr Kollege Vogel — Sie sind ja auch noch stellvertretender Parteivorsitzender der SPD —, nicht endlich einmal etwas über den Verbleib der Summen?
Sie haben bis heute nicht aufgeklärt, wieviel FlickGelder bei den 6,7 Millionen des Herrn Nau sind. Sie haben bis heute nicht geklärt, wieviel Millionen bei der Friedrich-Ebert-Stiftung gelandet sind. Sie haben bis heute nicht geklärt, wieviel Millionen davon zur Naftali-Stiftung nach Israel gelaufen sind. Alles wird von Ihnen nicht erklärt. Sie unternehmen nicht die geringste Anstrengung, diesen Sachverhalt aufzuklären.
Im Gegenteil, Sie vertuschen.
Mich würde es wirklich einmal interessieren: Was sagen Sie eigentlich dazu, daß selbst der Vorsitzende Richter Bartels im Spendenprozeß in Hamburg erklärt hat, vieles spreche dafür, daß die Friedrich-Ebert-Stiftung als Waschanstalt mißbraucht worden sei?
Warum sagen Sie denn dazu nicht einmal etwas? Das wäre doch interessant.Es wäre auch einmal interessant, zu folgendem Näheres zu erfahren: Herr Brandt und auch Herr Schmidt haben ja erklärt, sie hätten von alledem nichts gewußt.
Völlig ahnungslos! Herr Halstenberg erklärt im gleichen Moment, daß es zwischen Nau, Brandt und Schmidt geschäftsübliche Grundabreden über den Spendenkomplex gegeben hat. Das ist doch auch sehr interessant. Bis heute hat weder Herr Brandt noch Herr Schmidt zu diesem Sachverhalt etwas gesagt, also über die geschäftsüblichen Grundabreden.Das hätte ich mir von Ihnen heute in dieser Debatte erwartet, statt daß Sie Krokodilstränen verweinen. Das ist doch im Grunde genommen die Frage, welche die Öffentlichkeit interessiert und auf die Sie keine Antwort geben.
Ich muß sagen, Sie sitzen politisch auf der Anklagebank. Das, was wir zu beklagen haben, haben Sie zu verantworten.
Die Beschädigung der politischen Kultur in unserem Land ist durch die SPD, durch ihr unglaubliches Verhalten in den Jahren 1974 bis 1981 eingetreten. Das ist da der Fall.
Ja, es ist so. Es ist wirklich unglaublich.
Ich kann dazu nur an den Ausspruch Friedrichs des Großen über Maria Theresia anläßlich der polnischen Teilung erinnern — das könnte man in der Tat auch auf die SPD anwenden —: „Sie weint, aber sie nimmt." Genauso ist es bei Ihnen.
Sie wollen mit Ihrem Minderheitenvotum, Sie wollen mit Ihren Einlassungen zur Flick-Sache die Öffentlichkeit nur täuschen. Sie wollen ablenken. Ihr SPD-Kandidat Rau, der sonst den Anstand vorwärts und rückwärts dekliniert, läßt sich hier nicht sehen. Er spricht dazu nicht.
Sie haben jede moralische Berechtigung, in dieser Flick-Affäre mit dem Finger auf uns zu zeigen, verwirkt.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Spöri.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn man den Verlauf der heutigen Debatte bzw. den letzten Debattenbeitrag des Kollegen Bohl betrachtet,
dann können einem wirklich Zweifel am Sinn dieser parlamentarischen Auseinandersetzung kommen.
Es war schon nach der Lektüre der Mehrheits- und Minderheitsberichte im Ausschuß zu erwarten, daß die heutige Auseinandersetzung mit harten Bandagen und auch verbissen geführt wird.Meine Damen und Herren, jeder will in dieser Debatte Punkte machen — das ist ganz klar; das ist in Ordnung —, soweit es die Fakten zulassen. Dieser Kampf um den tagespolitischen Positionsvorteil hat den Flick-Untersuchungsausschuß immer begleitet. Nur Weltfremde konnten heute viel Besseres erwarten.Meine Damen und Herren, liebe Kollegen von der Union, in diesem parlamentarischen Schlagabtausch ist heute streckenweise sicher auch von uns zugelangt worden, aber was die Kollegen von der
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 204. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. März 1986 15659
Dr. SpöriUnion — ich meine den Herrn Hüsch und den Herrn Bohl — hier geboten haben,
hat überhaupt nichts mehr mit einer harten parlamentarischen Auseinandersetzung zu tun. Dies war mieser Schlammkampf der übelsten Sorte, der allein auf Sie zurückfallen wird.
Meine Damen und Herren, die fiesen Anmerkungen, die der Herr Kollege Bohl soeben über Helmut Schmidt gemacht hat, überschreiten die Grenze der Verleumdung bei weitem.
Herr Bohl, wie nervös hat Sie in den letzten Wochen der ,,Blackout"-Effekt des Bundeskanzlers eigentlich gemacht, daß Sie — ebenso wie Herr Hüsch — mit so viel Schaum vor dem Mund heute in diesem Parlament um sich schlagen müssen?
Leider, Herr Kollege Bohl und Herr Kollege Hüsch, demontieren Sie sich mit diesem schmuddligen Stil der Auseinandersetzung nicht nur selbst, sondern Sie gefährden damit auch das Ansehen dieses Parlaments insgesamt.
Dieser Deutsche Bundestag hat heute mit Ihrem Beitrag, Herr Hüsch und Herr Bohl, einen parlamentarischen, aber auch einen moralischen Tiefpunkt erlebt.
Die Bürger, die diese Debatte und die Flick-Affäre in den letzten Jahren verfolgt haben, erwarten von uns nicht diese Schlammschlacht; sie erwarten von uns, daß wir gemeinsam politische Konsequenzen aus bedenklichen Fehlentwicklungen im Verhältnis zwischen politischer und ökonomischer Macht ziehen.Meine Damen und Herren, wir alle in diesem Hause haben Anlaß dazu. Keine der in diesem Haus in der Vergangenheit vertretenen Parteien kann ihre Mitverantwortung für diese oder jene Fehlentwicklung im Zusammenhang mit der Flick-Affäre einfach von sich streifen. Herr Bohl, wer diese Debatte nur kurzatmig dazu nutzen will, mit dem Zeigefinger triumphierend auf den anderen, auf den innenpolitischen Gegner zu zeigen, der springt zu kurz,
der hat nichts von der politischen Dimension dieser Affäre, nichts von dem notwendigen Anspruch begriffen, den diese Debatte auch in stilistischer Hinsicht an uns in diesem Haus stellt.Im Ausschuß war vor allen Dingen die Frage der Einflußnahme des Flick-Konzerns auf die von ihm gestellten Subventionsanträge zu untersuchen. Das war der Kern der Untersuchung. Meine Damen und Herren, dabei wurde allen klar, daß schon die einschlägigen Subventionsbestimmungen eine entscheidende Schwachstelle unseres Steuerrechts sind, die diese Affäre und vor allen Dingen dubiose Konzernpraktiken erst möglich gemacht haben.Ohne Zweifel war es das sogenannte Bescheinigungsverfahren, d. h. der besondere Entscheidungsprozeß in den Ministerien, der die Einflußnahme des Flick-Konzerns geradezu angelockt hat, wie ein Honigtopf eben die Wespen anlockt. Die beteiligten Ministerien mußten ihre Entscheidung auf der Grundlage nebulöser Bestimmungen treffen. Ob Flick seine Hunderte von Millionen Steuervorteile bekommt, war also nicht nach präzisen Vorschriften und nicht nach präzisen Gesetzeskriterien zu entscheiden, sondern nach unbestimmten Rechtsbegriffen wie z. B. der berühmten Floskel, ob denn eine Kapitalanlage eine volkswirtschaftlich besonders förderungswürdige Investition sei. Das heißt auf gut deutsch: Entscheidungen nach Gummiparagraphen, meine Damen und Herren.Dieser breite Spielraum bei der Auslegung dieser Gummiparagraphen in den Ministerien war der zentrale Ansatzpunkt der Einflußnahme des FlickKonzerns. Dabei ging der Konzern nicht nur den direkten Weg, sondern auch mit viel trickreichen Finten verschlungene Umwege über das politische System, Umwege über die sogenannte Bonner Parteienlandschaft — Umwege, die die Glaubwürdigkeit unserer Parteiendemokratie querbeet schwer beschädigt haben.Die SPD-Mitglieder im Flick-Untersuchungsausschuß haben daher Vorschläge in der Sache gemacht, die diese gefährliche Schwachstelle unseres Subventionsrechts beseitigen sollen. Meine Damen und Herren, wir können nicht das gesamte Spektrum der politischen Gefahr, die von ökonomischer Machtballung ausgeht, mit unseren Vorschlägen außer Kraft setzen. Ziel unserer Vorschläge ist es aber, die einschlägigen Bestimmungen so zu verändern, daß eine Flick-Affäre in der erkannten Weise in Zukunft unmöglich gemacht wird.
Wir hoffen dabei nach allen Aufgeregtheiten heute morgen auf die Zusammenarbeit mit den übrigen Fraktionen. Es wäre bei allem Streit um Wertungen ein ermutigendes Ergebnis unserer Ausschußarbeit, wenn alle Fraktionen zumindest in diesem Punkt mitziehen könnten.
Es geht hier darum, der im Flick-Fall sichtbar gewordenen Vernetzung ökonomischer und politischer Macht zumindest im deutschen Steuerrecht
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15660 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 204. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. März 1986
Dr. Spörivon vornherein einen gesetzlichen Riegel vorzuschieben.
Die drei wichtigsten Punkte unseres Konzepts sind folgende. Erstens. Der berühmte Subventionsparagraph 6 b wird so gefaßt, daß kein Ermessens- und Beurteilungsspielraum mehr bleibt. Das Bescheinigungsverfahren der Ministerien als Ansatzpunkt der politischen Einflußnahme fällt damit weg.Zweitens. Kapitalanlagen aus stillen Reserven sollten künftig nur noch dann steuerlich begünstigt werden, wenn sie tatsächlich in die Erneuerung und strukturelle Verbesserung unserer Volkswirtschaft investiert werden, d. h. in Sachanlagen für Arbeitsplätze fließen.Drittens. Der Kapitalabfluß ins Ausland soll künftig nach unseren Vorstellungen überhaupt nicht mehr steuerlich begünstigt werden. Angesichts des hohen einheimischen Investitionsbedarfs zur Sicherung und Erweiterung unseres eigenen Bestandes an Arbeitsplätzen wäre die weitere steuerliche Förderung des ohnehin abfließenden Kapitals wirtschaftspolitisch unsinnig.Meine Damen und Herren, nun ein Punkt, der für unser Selbstverständnis in diesem Parlament in diesem Zusammenhang entscheidend ist. Zur parlamentarischen Kontrolle dieser vorgeschlagenen Neuregelung sollte dem Deutschen Bundestag nach unseren Vorstellungen periodisch ein Bericht vorgelegt werden. Die Bundesregierung soll in diesem Zusammenhang auch Angaben zu einzelnen wichtigen Subventionsentscheidungen wie bei Flick machen können und muß insoweit von der Wahrung des Steuergeheimnisses entbunden werden. Die bisherige Handhabung des Steuergeheimnisses hat eine wirksame Kontrolle von Steuersubventionen mit enormer Größenordnung durch dieses Parlament völlig unmöglich gemacht.
Diese überzogene Handhabung des Steuergeheimnisses hat die Informations- und Kontrollmöglichkeiten des Deutschen Bundestages bisher unzumutbar beschnitten. Ich sage ganz bewußt: Eine Einschränkung des Steuergeheimnisses ist jenen Steuerpflichtigen, die enorme Subventionsmöglichkeiten zu Lasten des Staatshaushalts in Anspruch nehmen, zuzumuten.
Meine Damen und Herren, dies hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 17. Juli 1984 bestätigt.Ich meine, wer als Subventionsempfänger vom Staat Millionen will, muß darüber Rechenschaft gegenüber diesem Parlament ertragen.
Ein Parlament, das sich selbst ernst nimmt, kannauf jeden Fall die bisherige Informationspraxis imZusammenhang mit der Subventionspolitik nicht mehr hinnehmen.
Nun ein Wort zum neuesten Stand in Sachen Flick, der die Dringlichkeit unserer Reformvorschläge unterstreicht. Wer kann heute eigentlich noch im nachhinein ernsthaft bestreiten, daß dieser Konzern zumindest in den wichtigsten Subventionsfällen unser Steuerrecht in höchster Vollendung mißbraucht hat? Tatsache ist doch, meine Damen und Herren, der Aussteiger des Jahres Friedrich Karl Flick wußte doch genau, was geschehen würde, wenn er sein Firmenimperium über die Deutsche Bank über die Börse verscherbelt. Es war klar, daß die von ihm zugekauften Grace-Konzernbeteiligungen und die Gerling-Beteiligung wieder vom Konzernverbund abgesprengt würden. Erinnern wir uns: dabei war doch genau die Verbreiterung des Konzerns durch diese zusätzlichen, gekauften Beteiligungen ein zentrales unternehmenspolitisches Argument bei der Begründung der Subventionsforderungen des Herrn Flick. Meine Damen und Herren, es ist absurd, An- und Ausgliederung der Gerling-Beteiligung und der Grace-Beteiligung erweisen sich heute betriebswirtschaftlich als reines Nullsummenspiel. Für die Bundesrepublik war es aber ein sehr teures Nullsummenspiel. Flick hat damit den Staat um zirka 600 Millionen DM Steuern geleimt durch einen bloßen Ringtausch von Aktien. Wir wissen, daß Friedrich Karl Flick jetzt in diesen Fällen nachversteuern muß; eines ist aber klar, der Konzern, d. h. Flick, hat auf Grund der enormen Zinsvorteile trotz Nachversteuerung allein in diesen Fällen einen Riesenschnitt gemacht, der mindestens bei einer halben Milliarde DM liegt. Dies taucht die jahrelange schofle Knikkerigkeit des reichsten Kapitalrentners dieser Bundesrepublik, wenn es um die Entschädigung von Zwangsarbeitern ging, in ein besonders beschämendes Licht.
Denn, meine Damen und Herren, ein Großteil des Milliardenreichtums, auf dem sich jetzt der Herr Flick nach aufreibenden Jahren Jet-Set ausruht, ist auf den Knochen, auch auf dem Elend dieser Zwangsarbeiter im Zweiten Weltkrieg aufgebaut worden.Meine Damen und Herren, die Anfänge dieser Flick-Affäre reichen bis in die Mitte der 70er Jahre zurück. Ich habe mich selber an dieser Auseinandersetzung seit 1977 mit meinem Freund Rolf Böhme beteiligt. Die Koalitionsfraktionen — Herr Langner und Herr Baum heute morgen — haben nun versucht, unsere damalige steuerrechtliche Kritik als unzulässige Politisierung des Verwaltungsverfahrens, als Teil einer inner- und außerparlamentarischen öffentlichen Kampagne, ja als Aufforderung — ich zitiere wörtlich — zum Rechtsbruch zu denunzieren. Es kann einen vor diesem Hintergrund dann auch nicht mehr wundern, daß sich die Koalitionsvertreter in ihrem Mehrheitsbe-
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 204. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. März 1986 15661
Dr. Spöriricht auch voll hinter die atemberaubende Notwehrthese von Herrn von Brauchitsch stellen.
Entgegen Ihren Ausführungen heute morgen, Herr Langner — —
— Ich zitiere Sie, ich zitiere Ihren Mehrheitsbericht wörtlich:Er— nämlich von Brauchitsch —kann zu Recht darauf verweisen, daß parlamentarische und parteipolitische Angriffe auf die Verfahren seine politische Gegenwehr verursachten.Herr Langner, dies ist genau die Rechtfertigung dieser Notwehrthese.
Es ist unglaublich: Welche servile Parteinahme für diesen Konzern, meine Damen und Herren,
welch triefendes Verständnis für unmögliche, unvertretbare Praktiken!
Nach all dem, was geschehen ist, nimmt Ihnen diesen Unsinn in diesem Mehrheitsbericht niemand ab. Für wie dumm halten Sie eigentlich den Deutschen Bundestag und die deutsche Öffentlichkeit?
Meine Damen und Herren, diejenigen, denen Sieheute Aufforderung zum Rechtsbruch — und dassteht in Ihrem Mehrheitsbericht unkollegialerweise— unterstellen wollen, haben hinsichtlich der beiden größten Subventionsbrocken, nämlich bei den Grace-Anlagen, mit ihrer Kritik völlig richtig gelegen. Das wissen Sie auch ganz genau, Herr Langner, und das macht den Vorgang so schlimm. Im nachhinein hat in diesen Fällen das Bundeswirtschaftsministerium die Steuerbegünstigung im Umfange von 5 000 Millionen DM sogar aufgehoben, weil sie der Flick-Konzern mit unhaltbaren Angaben ertrickst und erschlichen hat.
Sind Sie mit einer Zwischenfrage einverstanden?
Ich lasse keine Zwischenfragen zu. Die Kollegen der CDU haben das vorhin auch nicht zugelassen.
Auch zum dritten der umstrittenen Anträge, d. h. zur Gerling-Anlage, gab es j a selbst bis in die Ministerien hinein massive steuerrechtliche Bedenken. Verstehe, wer will, wie man vor diesem Hintergrund parlamentarische Kritik zu einer unzulässigen Politisierung verfälschen kann. Das ist nicht mehr Verdrehung, das ist blanker Schwachsinn!
Selbst wenn nicht jeder Punkt in unserer damaligen Argumentation gestimmt hätte, Herr Langner, nahmen wir nur unser selbstverständliches Recht, ja unsere Pflicht als Parlamentarier wahr, zumal als Steuerpolitiker die Exekutive, die Regierung, in wichtigen steuerpolitischen Subventionsfällen auch kritisch zu kontrollieren. Wir haben aus dieser Subventionspraxis bei Flick die Schlußfolgerung gezogen, daß das Steuerrecht in wichtigen Punkten geändert werden muß, was übrigens heute auch die Koalition akzeptiert.Die Koalitionsmehrheit im Ausschuß will mit ihrem grotesken Berichtskapitel über die öffentliche Politisierung des Verwaltungsverfahrens parlamentarische Kritik in die Nähe von Rechtsbruch rükken. Man könnte darüber eigentlich nur lachen, wenn dahinter nicht eine ganz bedenkliche politische Philosophie stünde,
nämlich ein politisches Rollenverständnis des Parlamentariers, der seine Aufgaben, seine Rechte und Pflichten so sieht, daß ihn das zum reinen Kopfnikker, zur reinen Marionette der jeweiligen Regierung macht. Daraus erklärt sich dann auch, daß der Herr von Brauchitsch in einer seiner berühmten Notizen einen Fall erwartet hat, der dann überhaupt nicht eingetreten ist: von Brauchitsch hatte nämlich erwartet, daß die damalige Oppositionsfraktion, die Union, Kritik üben könnte an den Steuerbegünstigungsvorgängen im Zusammenhang mit Flick. Dies ist nicht geschehen. Nichts ist damals gekommen, kein Piepser, keine Frage, keinerlei Kritik an diesen Vorgängen. Die parlamentarische Opposition, die Union, hatte sich aus diesem brisanten Diskussions- und Konfliktthema Flick und 6 b selber öffentlich ausgeklinkt.
Ich will Ihnen zum Abschluß auch sagen, wo die Gründe hierfür liegen. Die Gründe liegen darin, weil Sie in der Union nicht im Traum daran denken, Ihre parlamentarischen Kontrollrechte und -pflichten dann wahrzunehmen, wenn es sich um die Interessen von Konzernen handelt, deren Inhaber und führende Manager verläßliche CDU- und CSU-Freunde sind.
Das ist der wahre Sachverhalt der Flick-Affäre und nicht das traurige Märchen vom armen Herrn Flick, dem böse Parlamentarier das Recht verweigern wollen. Dieses Märchen ist eine skandalöse Verbeugung vor der Notwehrthese des Herrn von Brauchitsch. Wer so etwas als Bericht fabriziert, ist nicht nur ein Verleumder kritischer Kollegen; er diffa-
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15662 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 204. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. März 1986
Dr. Spörimiert auch unsere gemeinsame erste Aufgabe in diesem Hause, die Kontrolle der Regierung -durch dieses Parlament.Herzlichen Dank.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Solms.
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich werde Sie enttäuschen, aber ich will nicht darin fortfahren, dem politischen Gegner seine Fehler vorzuhalten, wie wir das heute den ganzen Vormittag gehört haben, und über die eigenen Fehler hinweggehen; denn ich bin der Meinung, daß wir uns damit gegenseitig und uns selbst nicht helfen, sondern uns selbst, nämlich den Parteien, dem Staat und den Gewalten nur Schaden zufügen, wenn wir nicht damit aufhören, immer nur den anderen zu beschuldigen und uns selbst reinwaschen zu wollen.
— Ich will keine Namen nennen.
Es wäre besser gewesen, wir wären in diese Debatte mit der Absicht gegangen, daß jede Partei über ihr eigenes Verhalten Rechenschaft vor dem Deutschen Bundestag und vor der deutschen Öffentlichkeit abgibt.
Aber das ist natürlich schwierig: Wer den ersten Stein geworfen hat, weiß, daß die anderen Steine folgen. So setzt sich das Unglück natürlich laufend fort.
Im Endeffekt — darauf möchte ich doch hinweisen — geht es darum, daß wir das Mißtrauen, das gegenüber den politischen Parteien in der Öffentlichkeit, zum Teil berechtigt, entstanden ist, wieder umwandeln in eine Basis des Vertrauens. Das geht nur, indem wir selbst Rechenschaft über unser Verhalten geben und indem wir nachweisen, daß wir unser Verhalten in der Gegenwart geändert haben bzw. in der Zukunft ändern wollen.
Das ist seit der Verabschiedung und dem Inkrafttreten des neuen Parteienfinanzierungsgesetzes zum 1. Januar 1984 geschehen. Seitdem verhalten sich die Parteien klar entsprechend dem neu gesetzten Recht. Es gibt keinen, der in der Gegenwart oder Zukunft Anlaß hätte, hier weitere Vorwürfe zu erheben.
Aber eigentlich wollte ich mich mit den steuerpolitischen Konsequenzen des Untersuchungsausschusses befassen. Ich will noch einmal kurz darauf hinweisen, worum es ging. Grundsätzlich unterliegen ja Gewinne aus der Veräußerung von Wirtschaftsgütern des Anlagevermögens oder Beteiligungen der Besteuerung nach den allgemeinen einkommensteuerrechtlichen Bestimmungen. Die bei Veräußerung aufgedeckten stillen Reserven sind sofort nach dem allgemeinen Tarif zu versteuern. Bei einer Wiederanlage der Veräußerungsgewinne wird jedoch unter bestimmten Voraussetzungen, nämlich unter der Voraussetzung des § 6 b, von einer sofortigen steuerlichen Erfassung der Veräußerungsgewinne abgesehen.
Der Untersuchungsausschuß hatte zu prüfen, ob die steuerliche Begünstigung der Wiederanlage des Verkaufserlöses des Flick-Konzerns nach Recht und Gesetz vor sich gegangen ist. Die Ermittlungen des Untersuchungsausschusses haben zweierlei deutlich gemacht. Zum einen besteht zwischen den Parteien — selbstverständlich mit Ausnahme der GRÜNEN — Einigkeit darüber, daß eine generelle steuerliche Erfassung von Veräußerungsgewinnen zu Substanzverlusten der Unternehmen führen würde. Nicht nur betriebswirtschaftliche, sondern vor allem auch volkswirtschaftliche Gründe sprechen dafür, den Austausch oder Wechsel von Kapitalanteilen steuerlich nicht zu belasten.
Noch eine andere Erkenntnis muß aus den Ergebnissen des Untersuchungsausschusses gezogen werden. Das Bescheinigungsverfahren stellt kein geeignetes Mittel der Beurteilung dar. Staatssekretär Schlecht hat vor dem Untersuchungsausschuß überzeugend ausgesagt, mit welcher Sorgfalt und Gleichmäßigkeit die 6-b-Anträge im Wirtschaftsministerium bearbeitet wurden. Ich zitiere:
Wir haben von Anfang an besonderen Wert gelegt auf ein ordnungsgemäßes, fachlich begründetes Prüfungs- und Entscheidungsverfahren, und ich möchte betonen, daß wir intern und extern im Bewußtsein der Größenordnung und der politischen Brisanz deutlich gemacht haben, daß für die Anträge der Firma Flick die gleichen Prüfungsverfahren und die gleichen volkswirtschaftlichen Beurteilungskriterien maßgebend sein müssen und auch waren, die auch bei allen anderen Verfahren zugrunde gelegen haben. Es gab deshalb auch keine Vorgabe und keine Intervention der früheren Minister zur volkswirtschaftlichen Beurteilung der Flick-Anträge. Es war von vornherein klar, daß die Flick-Anträge nach Gesetz und ständiger Verwaltungspraxis behandelt wurden.
Ich wiederhole: Es war klar, daß auch die Flick-Anträge, die ja in der Öffentlichkeit politisch umstritten waren, im Ministerium, von unten bis oben in die Spitze, nach Gesetz und ständiger Verwaltungspraxis geprüft und bearbeitet worden sind. Gleichwohl muß man im nachhinein feststellen — nämlich aus Erkenntnissen des Untersuchungsverfahrens —, daß die Geschehnisse im Zusammenhang mit den Flick-Anträgen politisch großen Schaden angerichtet haben, und zwar durch die Art und Weise, wie der Flick-Konzern versucht hat, Einfluß auf die Verfahren in den Häusern, aber auch bei den Politikern zu nehmen, mit Spenden, mit Zusagen, mit Gesprächen. Hier ist bewußt versucht worden, die politische, rechtliche und verwaltungspraktische Bearbeitung durch unlautere Mittel zu beeinflussen. Das ist aber erst im nachhinein bekanntgeworden, weil die einzelnen Personen voneinander nicht wußten. Sie wußten nicht, daß der Flick-Kon-
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Dr. Solms
zern quasi in einer Umzingelungstaktik versucht hat, den gesamten politischen Raum über alle Parteien hinweg zu beeinflussen. Ich habe aus Erkenntnis dieses Sachverhalts im Verfahren des Untersuchungsausschusses bereits im letzten Frühjahr im „Stern" gesagt:
Die Arbeit im Untersuchungsausschuß zeigt eindeutig, daß die Art und Weise, wie der FlickKonzern Spenden an politische Parteien gegeben hat, nicht über alle Zweifel erhaben ist, sondern zu größten Bedenken Anlaß gibt.
Deshalb habe ich schon damals geraten, von weiteren Spenden durch den Flick-Konzern oder Herrn Flick persönlich Abstand zu nehmen.
Der Untersuchungsausschuß kommt insgesamt zu vernünftigen Ergebnissen, was die Reform des § 6b angeht. Er erkennt den volkswirtschaftlichen Nutzen des § 6 b voll an und fordert, die steuerliche Behandlung der Wiederanlage von Veräußerungsgewinnen auf eine klare gesetzliche Basis zu stellen. Er empfiehlt, das Bescheinigungsverfahren abzuschaffen. Das Bescheinigungsverfahren kann wie ein Mittel der Investitionslenkung wirken, bei zu langer Verfahrensdauer sich sogar als Investitionsbremse auswirken. Das Argument, das Bescheinigungsverfahren solle unerwünschte Konzentrationsprozesse verhindern — was ja eines der Argumente zur Einführung des Bescheinigungsverfahrens war —, entbehrt inzwischen jeder Grundlage, da wir ja mittlerweile über das Instrument der vorbeugenden Fusionskontrolle verfügen.
Die sachgerechte Beurteilung der volkswirtschaftlichen Förderungswürdigkeit einer Reinvestition erfordert eine realistische Prognose der zukünftigen wirtschaftlichen Entwicklung. Das setzt wiederum eine allwissende Verwaltung voraus. Die Beamten, die bescheinigen sollen, daß es sich um eine volkswirtschaftlich förderungswürdige Investition handelt, müssen j a wissen, ob das zu volkswirtschaftlich förderungswürdigen Konsequenzen führt. Wenn es Beamten gäbe, die solche Prognosen fundiert erstellen können, dann sollten sie schleunigst Unternehmer werden. Für den Unternehmer ist eine Investitionsentscheidung nämlich immer ein großes Risiko, und er weiß, daß er das von vornherein nicht voll wissen kann.
Bei der Verwaltung vermutet der Gesetzgeber aber zu Recht die Sicherheit von Prognose und Urteil. Deshalb erwartet das auch der Steuerbürger. Darum ist die Bürokratie mit einer Prüfung, wie sie das Bescheinigungsverfahren vorsieht, überfordert, weil sie diese Sicherheit der Prognose ja in Wirklichkeit nicht liefern kann. Die Abschaffung des Bescheinigungsverfahrens brächte eine Vereinfachung und Entbürokratisierung des Steuerrechts. Selektive Eingriffe der Verwaltung in den Marktprozeß würden verhindert, der Gestaltungsspielraum der Unternehmen würde erweitert.
Die FDP schlägt vor, daß darüber hinaus — zu diesen Ergebnissen kommt auch der Untersuchungsausschuß — bewährte und vernünftige Begrenzungen der Steuerbegünstigung beibehalten werden, nämlich die Aktivitätsklausel, der Ausschluß von reinen Finanzanlagen von der Begünstigung und eine Mindestquote von 10% zur Vermeidung von Streubesitz. Darüber hinaus schlägt die FDP vor, daß die Begrenzung der Wiederanlagebegünstigung auf 80 % des Veräußerungsgewinns aufgehoben werden sollte. Sie stellt eine willkürliche Regelung dar und hemmt den Strukturwandel. Zu überlegen wäre außerdem, ob die Wiederanlage in ausländischen Beteiligungswerten zumindest im EG-Raum ebenfalls in die Regelung des § 6 b einbezogen werden sollte. Das ist zumindest meine persönliche Meinung. Ich glaube nicht, daß wir uns im Rahmen des Zusammenwachsens der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft auf den nationalen Raum beschränken können.
Herr Kollege Spöri hat ja gerade die Überlegungen der Sozialdemokratischen Partei und Fraktion vorgetragen. In Teilen, z. B. bei der Abschaffung des Bescheinigungsverfahrens, stimmen wir überein. Er fordert darüber hinaus einiges, was zu diskutieren wäre. Wir wenden uns jedenfalls dagegen, daß ein großes Berichtswesen entsteht. Das Berichtswesen wird zu nichts führen, das Steuergeheimnis beeinträchtigen, einen großen bürokratischen Aufwand verursachen und im Endeffekt keine positiven Konsequenzen für die volkswirtschaftliche Entwicklung bringen. Ich glaube, wir sollten diese Vorschläge und die Konsequenzen für die Gestaltung des § 6 b des Einkommensteuergesetzes in Ruhe diskutieren, Sachverständige anhören und dann zu einem Gesetzgebungsverfahren kommen, das all die Überlegungen beinhaltet, die uns aus dem Untersuchungsverfahren, aber darüber hinaus auch von Sachverständigen vorgetragen werden.
Ich möchte zum Abschluß meine persönliche Meinung zu § 6 b sagen. Persönlich ist es mir lieber, daß ein Unternehmen den gesamten Veräußerungserlös wieder investieren kann und damit Arbeitsplätze schafft und sichert, als daß der Unternehmer 70 % des Gewinnes beim Finanzamt abliefert und mit den restlichen 30% tun und lassen kann, was er will,
sie dann eben nicht mehr zu investiven Zwecken einsetzt. Es geht darum, daß § 6 b erhalten und ausgeweitet wird, damit die Mobilität in der Wirtschaft erhöht wird, damit die Anlagen für Investitionen in der Bundesrepublik begünstigt werden und damit wir über Kapitalflucht nicht weiterhin so stark zu klagen haben wie in den vergangenen Jahren.
Ich bedanke mich.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schroeder.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Spöri, Sie haben hier zu dem Zeitpunkt begonnen, das Mäntelchen des Staatsmannes anzuziehen und
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15664 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 204. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. März 1986
Dr. Schroeder
an Gemeinsamkeiten zu appellieren, als die Wahrheiten für die SPD immer unbequemer und bitterer wurden.
Es wäre vielleicht besser gewesen, wenn sich schon Ihre Vorredner von der SPD hier eines etwas maßvolleren Tones befleißigt hätten.Zum Untersuchungsauftrag gehört auch, worauf Sie, Herr Kollege Spöri und Herr Kollege Solms, hingewiesen haben, welche Schlußfolgerungen in steuerrechtlicher Hinsicht für den Gesetzgeber aus den Ergebnissen des Untersuchungsausschusses zu ziehen sind. Durch die Transaktionen des Flick-Konzerns unter der SPD-geführten Bundesregierung ist die Vorschrift des § 6b teilweise insgesamt in ein schillerndes Licht, in eine Schieflage geraten. Deswegen muß hier vorweg auch noch einmal dem Eindruck entgegengetreten werden, als wenn die 1965 eingeführte Vorschrift des § 6 b den Schein des Zwielichts oder des Unseriösen in sich bergen würde. Eine Vorschrift wie § 6 b ist für eine moderne, hochtechnisierte Volkswirtschaft schlechterdings unverzichtbar. Mit Hilfe dieser Vorschrift haben bisher Zehntausende von gewerblichen, landwirtschaftlichen und freiberuflichen Betrieben jeder Art und Größe Strukturveränderungen unbürokratisch und reibungslos bewältigt. Der Liquiditätsvorteil für den Unternehmer im Fall der Reinvestition besteht auch lediglich in einer mehr oder weniger längerfristigen Stundung der auf den Veräußerungsgewinn entfallenden Steuern. Es geht hier also nicht darum, wie man so oft lesen kann, daß vom Unternehmer „Kasse gemacht" wird und ein endgültiger Steuerausfall eintritt.
Der Grundsatz des § 6 b ist auch heute und in Zukunft ein unentbehrlicher Bestandteil der steuerlichen Rahmenbedingungen für die notwendige Modernisierung und für eine Anpassung an regionale, technische, volks- und weltwirtschaftliche Strukturveränderungen. Er trägt zur Sicherung von Wachstum, Wettbewerbsfähigkeit und Beschäftigung bei. An dem Grundgedanken des § 6 b muß deshalb festgehalten werden.
Auf ihn darf kein Schatten fallen; das ist die erste Schlußfolgerung. Ich begrüße, daß auch von seiten der SPD insoweit klare Äußerungen kamen.Zweite Schlußfolgerung: Diese positive Einstufung des § 6 b gilt grundsätzlich auch für den Austausch von Kapitalanteilen. Ein Ausschluß von Anteilen an Kapitalgesellschaften aus dem Kreis der Reinvestitionen wäre ein Akt wirtschaftlicher Unvernunft, ein volkswirtschaftlicher Rückschritt und ist auch nach den Erkenntnissen des Untersuchungsausschusses nicht geboten. Es sollte auch für Anteilstransaktionen weiterhin eine Reinvestitionsbegünstigung gewährt werden.Im Mittelpunkt der Überlegungen des Untersuchungsausschusses hinsichtlich einer Reform des § 6 b stand das bisherige Bescheinigungsverfahren. Die Frage, ob bei Anteilstransaktionen die Gewinnübertragung von einer behördlichen Bescheinigung über die besondere volkswirtschaftliche Förderungswürdigkeit abhängig gemacht werden soll, war bereits bei der parlamentarischen Beratung anläßlich der Einführung des § 6 b diskutiert worden. Schon damals wurde die ordnungspolitische Problematik von behördlichen Bescheinigungsverfahren gesehen. Mit dem Bescheinigungsverfahren sollten seinerzeit insbesondere unerwünschte Konzentrationseffekte in der Wirtschaft verhindert werden. Außerdem machten die Ausschußberatungen seinerzeit deutlich, daß mit dem in § 6 b festgelegten Kriterium „der Eignung, die Unternehmensstruktur eines Wirtschaftszweiges zu verbessern", auch reine Finanzanlagen als begünstigte Reinvestitionen ausgeschlossen werden sollten. Von Bedeutung war seinerzeit auch die Fusionskontrolle.Der § 6 b hat seinerzeit auch eine Quasiersatzfunktion für die später eingeführte Fusionskontrolle übernehmen sollen. Gewichtige ordnungspolitische Gründe sprechen zumindest heute, auch nach den Erkenntnissen des Ausschusses, gegen die Beibehaltung eines — neben dem Kartellrecht — bestehenden behördlichen Bescheinigungsverfahrens auch im Rahmen des Steuerrechts. Mit einer Abschaffung des Bescheinigungsverfahrens würde das Steuerrecht vereinfacht und entbürokratisiert, der Gestaltungsspielraum des Unternehmers würde erweitert. Wir setzen auf eine sachgerechte und vernünftige Unternehmensentscheidung ohne behördliche Prüfungsverfahren. Der unabhängige Unternehmer weiß regelmäßig besser, was seinem Unternehmen nützt, als die Ministerialbürokratie. Der Unternehmer trägt letzten Endes auch selbst das Risiko für sein unternehmerisches Handeln, und nicht das Wirtschafts- und das Finanzministerium, bei aller anerkannten Qualität der Beamten in diesen Häusern.
Nicht der § 6 b, sondern das Bescheinigungsverfahren hat durch die Flick-Vorgänge einen Knacks erhalten. Im Untersuchungsausschuß wurde eine unsachgemäße Einflußnahme auf das behördliche Bescheinigungsverfahren festgestellt, und zwar sowohl in unterstützenden als auch in negativen Aktionen, z. B. nach der Art des damaligen SPD-Abgeordneten und späteren Staatssekretärs Böhme.
Herr Kollege Spöri, Sie waren in dieser Funktion ein würdiger Nachfolger, und der Untersuchungsausschußbericht spricht auch hier von einer unsachgemäßen parlamentarischen Einflußnahme auf das Bescheinigungsverfahren.
Ich habe das daraus zitiert, Herr Kollege Struck. Allein schon aus diesen Gründen sind wir für eine Abschaffung. Aber das ist für uns nur ein Grund. Für uns stellt dies nur ein Glied in einer Kette von Argumenten dar.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 204. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. März 1986 15665
Dr. Schroeder
Für meine Fraktion steht die Beseitigung eines Tatbestandes im Vordergrund, wie es Kollege Solms gesagt hat, der sich als Investitionshemmnis und Bremse für unsere Wirtschaft darstellt, insbesondere bei einer überlangen Verfahrensdauer.Die dritte und wichtigste Schlußfolgerung aus diesem Untersuchungsausschuß in steuerrechtlicher Hinsicht ist für uns daher die Abschaffung des Bescheinigungsverfahrens.Ich kann angesichts der mir zur Verfügung stehenden Zeit, Herr Kollege Spöri, nicht mehr auf den ganzen Katalog eingehen. Was die Einschränkung des Steuergeheimnisses angeht, werden Sie bei uns keine Fürsprecher finden. Wir halten das Steuergeheimnis hier hoch.
Im übrigen wird der Katalog, den der Kollege Solms genannt hat, bei einer Novellierung des § 6b mit in die Beratungen einzubeziehen sein. Meine Fraktion hofft zuversichtlich, daß als ein positives Ergebnis des Flick-Untersuchungsausschusses bald ein lästiges und längst überholtes Investitionshindernis für die Wirtschaft fällt.
Eine solche Entscheidung ist auch ein Beitrag zur Sicherung der Arbeitsplätze und zur Schaffung neuer Arbeitsplätze. Unsere Politik ist nämlich nicht von Gegensätzen, von Neid und Klassenkampf, sondern von einem Miteinander von Wirtschaft und Arbeitnehmern geprägt, und mit dieser Politik sind wir bisher gut gefahren, und damit werden wir auch in Zukunft gut fahren.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Poß.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Ausführungen der Herren Langner, Bohl und Hüsch müssen doch noch einmal ein wenig gewürdigt werden, denn entweder haben sie nicht verstanden, worum es hier und heute gehen soll, oder sie wollen es nicht verstehen.
— Beides ist nicht vertretbar, aber beides macht deutlich, daß Sie nicht die moralische Substanz haben, um verantwortlich das deutsche Volk zu regieren.
Der Beifall, den Sie auf der rechten Seite zur Holzerei von Hüsch und Bohl geäußert haben, erleichtert Sie zwar in der konkreten Situation, befreien kann er Sie nicht. Sie sollten nicht der Illusion erliegen, daß er Sie auf Dauer befreit.
Ich meine, daß Herr Schily recht hatte. Es gibt aufder politischen Rechten keine Lernfähigkeit, obwohl es doch kultivierte Konservative gibt. Heutewar jedenfalls von kultivierten Konservativen nichts zu sehen. Wir Sozialdemokraten dagegen sind selbstkritisch, wir kaschieren nicht. Ich glaube, daß die Reden der Kollegen Penner, Struck und Spöri Maßstäbe gesetzt haben, was Selbstkritik und Einsichtsfähigkeit angeht.
Diesen Maßstäben wurde zu meinem Bedauern z. B. der Vorsitzende, Herr Langner, nicht gerecht, ohne daß ich hier Zensuren erteilen will; er war doch sehr parteiisch. Herr Spöri hat im Vorfeld dieses politischen Prozesses bewiesen, was ein engagierter Parlamentarier leisten kann. Ich meine, das sollte einmal positiv herausgestellt werden. Aber er hat ja selbst einige Passagen dazu gebracht.Herr Langner sprach in verharmlosender Weise vom Vertrauen in den Rechtsstaat. Meine Damen und Herren, manches war und ist geeignet, dieses Vertrauen zu zerstören. Wir verschweigen ja den einen Amnestieversuch nicht, der unter unserer Verantwortung gemacht wurde, aber der anschließende Amnestieversuch nach dem vorherigen Fehlschlag war noch sehr viel schlimmer.
Im übrigen kann man sagen, was den Amnestieversuch angeht, hat der Herr Kohl heute in seiner Selbsteinschätzung gegenüber der „Bild-Zeitung" recht; da war er in der Tat entscheidungsfreudig. Herr Kohl hat heute nämlich in der „Bild-Zeitung" gesagt: „Wer Probleme aussitzt, ist ein Trottel. Ich bin entscheidungsfreudig." Ich kann nur sagen, bei der Amnestie war der Herr Kohl entscheidungsfreudig.Ich will dieses abgenutzte Wort vom Blackout nicht aufgreifen, aber es war in der Tat nicht der erste Blackout von Herrn Kohl. Ich erinnere mich an die 60er Jahre, da hatten Sie einen Mitbestimmungsparteitag, da hat der Herr Kohl falsch abgestimmt. Anschließend sprach er davon, daß er einen Blackout hatte. Daran muß sich wohl der Herr Geißler erinnert haben. Das ist in der Parlamentsgeschichte wohl ein wenig untergegangen.Nein, die Herren Langner und auch Baum haben verharmlost. Wir waren in der Bundesrepublik auf einem fatalen Weg der Parteiendemokratie, dem Gott sei Dank Einhalt geboten worden ist
durch Staatsanwälte und andere, wofür wir zu Dank verpflichtet sind.
Wir haben in der Bundesrepublik Demokratiedefizite, und Sie leugnen das. Das wird uns nicht weiterführen.Hans Heigert hatte recht, als er in einem Kommentar kürzlich ausführte:Die Vertrauenskrise, in die sich die etablierten Parteien selbst hineinmanövriert haben, ist nicht überwunden.
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15666 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 204. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. März 1986
PoßDas alles könnte ein gesittetes Gemeinwesen ertragen, viel schlimmer dagegen ist die Pose derer, die in diesem Filz tätig waren — gut 25 Jahre lang. Sie enthält drei besonders empörende Ingredienzien in dieser Reihenfolge: die unfaßliche Selbstgerechtigkeit vieler Akteure — das haben wir heute wieder erlebt —,
das krasse Fehlen eines Unrechtbewußtseins in der politischen Klasse,
der vollständige Mangel an guten Manieren auch bei solchen Leuten, die sonst großen Wert auf Etikette legen.
Ich glaube, daß man Herrn Heigert von der „Süddeutschen Zeitung" so zustimmen kann.Ein Letztes, und das nicht in selbstgerechter Pose: Für Beschädigungen der politischen Kultur ist die SPD mitverantwortlich. Wenn man allerdings in die Geschichte schaut, dann waren es immer die Rechten, die politische Rechte in Deutschland, die für die Beschädigung der politischen Kultur gesorgt hat. Die letzten drei Jahre der „moralisch-geistigen Erneuerung" sind ein beredtes Beispiel, und da könnten wir Kießling und Wörner und alle anderen aufzählen, wozu ich leider nicht die Zeit habe.
Bei vielen Konservativen kommt das Wort „politische Kultur" nur in Sonntagsreden vor. Der Machterhalt geht über alles.
Das fing in den 50er Jahren mit Konrad Adenauer an, dem großen Großvater, da hatten wir die Affäre Schroth/Scharley, wir hatten zahllose Strauß-Affären, und insofern ist der jetzige Bundeskanzler vielleicht in einer guten Tradition.
— Ich will darauf nicht eingehen!
Herr Abgeordneter Poß, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Nein, ich habe nur noch eine Minute.
Die Verhaltensweisen des Flick-Konzerns nach dem Zweiten Weltkrieg entwickelten sich unter dem Schirm und dem Dach der Staatsparteien CDU und CSU, und wer so wenig selbstkritisch ist wie Sie mit Ihrem Bericht, hat das Recht verwirkt und verloren, mit dem Finger auf andere zu zeigen.
Deswegen bringen wir hier und heute einen eigenen Antrag ein.
Meine Damen und Herren, wir haben einen Stromausfall. Ich unterbreche die Sitzung, bis der Strom wieder voll zur Verfügung steht. Wann die Sitzung fortgesetzt wird, wird über Lautsprecher bekanntgegeben.
Ich eröffne die über längere Zeit unterbrochene Sitzung erneut. Wir fahren fort mit der Beratung des Punktes 2 der Tagesordnung.
Mir liegt die Wortmeldung des Abgeordneten Bastian vor.
— Ich glaube, es ist auch von der Reihenfolge her sinnvoller, jetzt Herrn Bastian das Wort zu geben.
Wir können das dann wie üblich im Wechsel machen.
— Ich bleibe bei meiner Entscheidung.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Untersuchungsausschuß, über dessen Abschlußbericht hier heute debattiert wird, hat ein beschämendes Stück bundesdeutscher Wirklichkeit, ein trauriges Kapitel von der Macht des Geldes und der Korrumpierbarkeit der Politik und einzelner Politiker durchleuchten sollen. Doch er hat diese wichtige Aufgabe nur halbherzig erfüllt. Denn noch ungleich beschämender als alles, was im Ausschuß an Unaufrichtigkeit, Schamlosigkeit und skrupelloser Mißachtung eindeutiger Gesetzesvorschriften auch von Politikern in zum Teil hohen und höchsten Regierungsämtern zutage gefördert worden ist, bleibt die unglaubliche Tatsache, daß die Mehrheit der Ausschußmitglieder von CDU/CSU, FDP und SPD die volle Aufklärung des Sachverhalts offenbar gar nicht gewollt, sondern bewußt verhindert hat. Anders läßt sich jedenfalls kaum erklären, daß der Antrag des Vertreters der GRÜNEN, alles vorhandene Material in die Beweiserhebung einzubeziehen, von dieser Ausschußmehrheit ohne überzeugende Begründung abgelehnt worden ist.
Das, meine Damen und Herren, ist ein fast noch größerer Skandal, und das hat das Vertrauen der
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 204. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. März 1986 15667
BastianÖffentlichkeit in die Arbeit des Ausschusses wahrlich nicht gestärkt.
Denn was ist das für ein Ausschuß, der mehrheitlich das Wegsehen beschließt, anstatt alles zu tun, um den gesetzlichen Auftrag unter Ausschöpfung aller sich bietenden Möglichkeiten gewissenhaft nachzukommen? Was ist das für ein deformierter Parlamentarismus, der sich offenbar mehr darum bemüht, den Mantel der Nächstenliebe — oder, besser gesagt, des allgemeinen Desinteresses an einer ernsthaften Sachaufklärung — über den nicht mehr zu verbergenden Sumpf zu breiten, als darum, alles in diesem Sumpf Verborgene auch wirklich ans Licht zu bringen?Doch kein Geschehen bleibt ohne die Möglichkeit zur Steigerung ins noch Widerwärtigere. Das gilt auch für dieses Thema.
— Es ist genug berichtet worden, lieber Herr Kollege, um sich ein Bild von der Arbeit des Ausschusses zu machen und von der — leider — Nichtfortsetzung der Arbeit an einem Punkt, wo sie wichtig gewesen wäre, durch den Willen der Ausschußmehrheit. Das brauchen Sie mir hier gar nicht vorzuhalten.
— Ist ja recht. Ich glaube schon, daß Sie sich ärgern, weil Sie in dieser ganzen Sitzung hier heute kein gutes Bild gemacht haben.
Ich verstehe das sehr wohl. Trotzdem möchte ich jetzt meine Ausführungen zu Ende bringen.
Denn was das Faß voll Unrat vollends zum Überlaufen gebracht hat,
war die bodenlose Unverschämtheit, mit der das einzige Ausschußmitglied attackiert und diffamiert wurde und auch heute noch wird, das seinen Verfassungsauftrag ernstgenommen, auf weitere Beweiserhebung gedrungen und die ihm während der Tätigkeit des Ausschusses bekanntgewordenen Verdachtsmomente den zuständigen Staatsanwaltschaften zur rechtlichen Prüfung zugeleitet hat. Was ist diesem Mann, was ist Otto Schily, der als einziger demokratisches Verantwortungsbewußtsein und Zivilcourage bewiesen hat, daraufhin alles vorgeworfen worden!
— Ja, ja.
— Es ist leider so. Sie können das gar nicht abstreiten. Sie brauchen nur zu lesen, was allein die Presse alles über diese Angriffe, an Negativem über die Angreifer berichtet hat.
— Nicht nur die „taz", auch die „Süddeutsche Zeitung", auch die „Frankfurter Rundschau", auch die „Zeit". Es sind eine ganze Reihe von Zeitungen, die hier wahrlich nicht zurückhaltend gewesen sind.Ich glaube aber gerne, daß Sie das nicht zur Kenntnis nehmen wollen, weil es einfach nicht in Ihr Bild von Selbstgerechtigkeit paßt, das Sie hier gern erzeugen und aufrechterhalten wollen. Der Regierungssprecher hat sich z. B. nicht entblödet, dieses auf kompromißlose Sachaufklärung zielende Handeln Otto Schilys als Mißbrauch der Justiz zu parteipolitischen Zwecken zu qualifizieren. Oder ein anderes Beispiel: Herr Geißler, der inzwischen bewiesen hat, daß er dem Kohlekraftwerk Buschhaus den Anspruch, „größte Dreckschleuder der Nation" zu sein, mühelos streitig machen kann, hat Otto Schily unter bewußter Verwendung eines Begriffs, mit dem sich sofort bei jedem die Erinnerung an vielfache heimtückische Niedertracht im Dritten Reich Hitlers verbindet, einen Denunzianten genannt, bevor er dem Bundeskanzler seinen ja nun schon sprichwörtlichen Black-out bescheinigte. Was für Kübel von Schmutz sind von anderen, kleineren Nachkläffern und Wadenbeißern über Otto Schily wegen seiner Anzeigen gegen Bundeskanzler Kohl ausgegossen worden!
Und das, meine Damen und Herren, ist der allergrößte und allerbeschämendste Skandal, daß die Verteidigung des Rechtsstaates, die auch vor einem Bundeskanzler nicht haltmachen darf, daß ein für jeden Rechtsstaat unerläßliches Vertrauen in die Unbestechlichkeit der Justiz, wie Otto Schily es bewiesen hat, von so vielen als politisches Denunziantentum diffamiert und in seiner wahren Bedeutung für unsere demokratische Rechtsordnung gar nicht begriffen worden ist.
Dem Ansehen des Rechtsstaates in der Bevölkerung und dem Vertrauen unserer Bürgerinnen und Bürger in die Entschlossenheit des Parlaments, diesen Rechtsstaat gegen jedermann — und sei es der eigene Bundeskanzler — zu verteidigen, ist damit ein schlechter Dienst erwiesen worden.So kann man nur sagen: Ein mieses Kapitel bundesdeutscher Parlamentsgeschichte ist leider nicht bereinigt, sondern schlicht beerdigt worden. Klima, Stil und — über große Strecken — leider auch Langeweile dieser Debatte heute sowie das unabsehbar geringe Interesse — —
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15668 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 204. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. März 1986
Bastian— Ja, geschenkt! Geschenkt, Herr Bohl, geschenkt! Ich meine, Ihre Polemik heute war ja direkt noch lebhaft gegen das, was sonst geboten worden war. Insofern war das ja erfrischend. Ich nehme Sie ausdrücklich aus, obwohl Sie nicht sehr sachlich gesprochen haben. Das muß natürlich auch hinzugefügt werden.
Aber, wie gesagt, Klima und Stil dieser Debatte sowie das unübersehrbar geringe Interesse des Hauses an dem, was heute diskutiert wird, entsprachen ja auch offensichtlich mehr der Bewertung
„schlichtes Begräbnis" als einem engagierten Eintreten für Klarheit, Sauberkeit und Unbestechlichkeit, wie es zu erwarten gewesen wäre, um dem gängigen Begriff, dem gängigen Wort, der von vielen Bürgerinnen und Bürgern gebrauchten Formel von der „geflickten Demokratie" den Boden zu entziehen. Ich kann das wirklich nur bedauern.
— Geschenkt!
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Austermann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist wohl unnötig, zu den im schnarrenden Kasernenton vorgetragenen Worten des Ex-Generals und Ex-GRÜNEN hier etwas zu sagen. Ich möchte zum Thema zurückkommen.
Ich bin vor drei Jahren in den Untersuchungsausschuß Flick gegangen, weil ich mithelfen wollte, einen Sachverhalt aufzuklären, der sich nicht 1933 oder nach 1982, sondern von 1974 bis 1981 zugetragen hat:
die Einflußnahme des Flick-Konzerns auf die damalige — inzwischen zu Recht abgewählte — Regierung Schmidt.
Worum ging es bei dem untersuchten Sachverhalt eigentlich? Ein Unternehmen wollte für bestimmte Investitionen Steuerstundungen gemäß § 6 b erreichen. Das wurde beantragt. Die Anträge mußten von der SPD-geführten Bundesregierung bearbeitet werden. Das geschah auch, und zwar bis hinein ins erste und zweite Kabinett Schmidt.
Wie man durch Zuwendungen an die Opposition — damals die CDU/CSU — einen bei der Regierung gestellten Antrag durchboxen kann, was hier heute behauptet wurde, konnte natürlich nicht bewiesen werden. Das ist so, als würde man behaupten, die Neue Heimat könne heute mit Spenden an Hans-Jochen Vogel, den trübsinnigen, die Regierung Kohl beeinflussen.
Wenn überhaupt Fragen der Kultur durch diesen Ausschuß tangiert wurden, dann manifestieren sie sich in der Leugnung des Spendenempfangs durch Vertreter der SPD und in der Bezugnahme auf die Person Nau. Kollege Brandt, der ehemalige Kanzler Schmidt, sie alle haben von nichts gewußt, obwohl Helmut Schmidt zugeben mußte, daß er vom Kanzleramt aus in das Verfahren hineinregiert hat. Auch der ehemalige Finanzminister Apel hat von nichts gewußt, obwohl er auf der Jagdhütte Scharfenberg mit Flick und dem Schatzmeister zusammen war, und vorher und nachher flossen Millionen.
Die Ausschußarbeit hat uns einen lebensvollen Blick hinter die Kulissen sozialdemokratischer Regierungsarbeit werfen lassen. Die SPD hat durch ihr Verhalten den Bestechungsverdacht überhaupt erst nahegelegt. Der Kollege Spöri und der ehemalige Staatssekretär Böhme stehen für eine fortwährende Politisierung des 6-b-Antragsverfahrens der Firma Flick von 1975 bis 1981. Sie hatten gefordert, die Anträge nur deshalb abzulehnen, weil sie eine erhebliche Größenordnung überschritten hatten. Sie haben damit die Bestätigung dafür geliefert, daß Sozialismus die Umsetzung von Neid in die Politik ist.
Meine Damen und Herren, es wurde weiterhin deutlich, daß die Firma Flick offensichtlich jederzeit gut informiert war, Herr von Brauchitsch teilweise besser als die betroffenen Minister.
Dennoch ergaben sich engste Beziehungen zwischen SPD und Flick-Konzern.
Auffällig ist teilweise auch die lange Verfahrensdauer von über fünf Jahren. Das heißt: Der Spruch von Helmut Schmidt als dem „Macher" ist offensichtlich so nicht zutreffend gewesen.
Die SPD hat von Anfang an versucht, den Untersuchungsausschuß als Mittel zu nutzen, durch das Aufdecken vermeintlicher Affären bei der Union vom eigentlichen Auftrag abzulenken. Die Informationsmöglichkeiten des Ausschusses wurden genutzt, um einzelne CDU-Politiker anzugreifen.
Obwohl diese Taktik eigentlich durchsichtig ist, wurde sie durch den Einfluß der Medien zum Selbstgänger. Ich meine bestimmte Medien, die Minus-Journalismus betreiben — um einmal ein Bild eines Magazins aufzugreifen —, um gegen den Plus-Kanzler aufzuhetzen.
Die SPD gibt sich als übertölpelte Partei des guten Willens. Herr Struck, von diesem Roß sollten Sie nach dem Untersuchungsverfahren wirklich heruntersteigen.
Es gibt einen zweiten Tatbestand zu resümieren. Es hat sich gezeigt, daß parallel verlaufende Untersuchungs- und Strafverfahren zu nichts Gutem führen. Nachdem die Staatsanwaltschaft ganze Firmenzentralen und auch Privatbüros leergeräumt
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Austermann
hatte, begann sie ihre Arbeit mit der Diskretion einer öffentlichen Anschlagwand. Nach und nach geriet alles und jedes an die Öffentlichkeit. Staatsanwälte profilierten sich auf Weisung von Frau Donnepp auf Pressekonferenzen in möglichst noch größeren Räumen, wo es doch angezeigt wäre, eine gründliche Ermittlungsarbeit zu leisten.
Beachtlich war auch, daß die Eröffnung des Verfahrens gegen Graf Lambsdorff zur Zeit der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen gestartet wurde.
Wir haben durchaus eine gleichartige Beweislage im Fall Matthöfer. Auch er findet sich in der DiehlListe, auch er war unmittelbar mit Anträgen befaßt: Parallelität bis auf die Anklageerhebung.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Nein.
— Sie haben das vorhin auch abgelehnt, Herr Kollege Struck.Früher dachte ich: Der Staatsanwalt hat gegen Graf Lambsdorff noch einen Trumpf im Ärmel. Inzwischen wissen wir, daß das nicht der Fall ist. Das ganze Verfahren stützt sich auf die fragwürdige Diehl-Liste und auf schlampige Recherchen.Schily, der sich nach dem Absingen seines Beitrages entfernt hat, führt uns nun exemplarisch vor, wohin das alles führt. Mit seiner Anzeige gegen den Bundeskanzler macht er sich in seiner Partei politisch unentbehrlich. Er hatte übrigens vorher — allerdings auch ohne Erfolg — Franz Josef Strauß angezeigt, und zwar — wie es heißt — wegen aller in Betracht kommenden Straftatbestände.Warum macht der Schily so was? Warum erhebt er diese haltlosen Vorwürfe? Seine heutigen Ausführungen haben wieder deutlich bewiesen, welch ein Verständnis vom Rechtsstaat er hat. Sein Verständnis vom Rechtsstaat haben wir für die Zeit unserer Untersuchungen im Flick-Ausschuß am Rande bestimmter Prozesse des öfteren deutlich kennengelernt: 1973 war er Vertrauensanwalt der Terroristin Ensslin, weil ihn „der Geist der radikalen Lösung ergriffen" hatte.
Das Verfahren wegen Unterstützung einer kriminellen Vereinigung überstand er knapp.
Terroranschläge rechtfertigte er als „Nothilfe". Politikern empfahl er, sie „müßten endlich lernen, daß Verbrechen auch in einem politischen Zusammenhang stehen".
Ulrike Meinhof hat er einen „hohen moralischen Anspruch" zugestanden. RAF-Mörder hätten das Grundmotiv der Rebellion gegen die NS-Generation gerechtfertigt.
In der „Welt" war am 27. April 1977 zu lesen, was Herr Schily auf einer Pressekonferenz im Stuttgarter „Park-Hotel" von sich gegeben hat: „Das Strafverfahren gegen die RAF-Leute ist ein Instrument eines großangelegten Feldzugs, in dem die Gerichtsverfahren nur ein Gefechtsbefehl sind." Damals behauptete er, mit der RAF politisch-militärische Aktionisten und nicht Kriminelle zu verteidigen.Offensichtlich denkt sich der schlaue Kollege Schily, er könne seinerseits die Justiz zum Kampf gegen diejenigen benutzen, denen schon damals sein Kampf galt.
Unterstützt wird dieses Vorgehen außerhalb des Parlaments durch die zunehmend für Publicity sensibilisierten Staatsanwälte. Wenn Herr Schily heute den Zusammenhang zwischen den angeblichen Rechtsparteien 1933 und der „Rechtskoalition" herzustellen versucht hat, muß erlaubt sein, darauf hinzuweisen, welche geistige Grundlage das bei ihm wohl hat.
Kollege Schily weiß ganz genau, daß seine Beschuldigungen gegen den Kanzler juristisch unhaltbar sind. Die Anzeige ist unschlüssig und schlampig zusammengebastelt. Eigentlich könnte man sagen: Was kümmert es eine schwarze Eiche, wenn sich eine rot-grüne Wutz daran schuppert?
Staatsanwalt Irsfeld, der bei der Vernehmung von Helmut Kohl vor 17 Monaten anwesend war, sah keinen Anlaß, tätig zu werden. Da bedurfte es schon einer politischen Weisung von oben. Wie heißt doch gleich der oberste Anstandswahrer in Nordrhein-Westfalen?
Ist es so leicht, heute jemanden mit einem Strafverfahren zu überziehen, gewissermaßen auf Knopfdruck?Man hat mich gewarnt, die Staatsanwaltschaft anzugreifen, nach dem Motto: „Dann ziehen die das Verfahren in die Länge", das Verfahren gegen unseren Bundeskanzler.
Ist das so? Ist das möglich? Geht das heute schon wieder? Ich glaube, daß man einmal überlegen sollte, worauf sich manche Leute hier eingelassen haben.Exkollege Schily trägt einen Angriff gegen die parlamentarische und pluralistische Demokratie als solche vor. Er setzt dabei auf anhaltende Öffent-
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15670 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 204. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. März 1986
Austermannlichkeitswirkung der durch seine Anzeige ausgelösten Berichterstattung.
Die Verehrungsjournalisten zweier Magazine und im öffentlich-rechtlichen Fernsehen stehen stramm. Ein paar von ihnen haben ja die Nazi-Geschichte neu schreiben wollen. Von der gleichen Qualität sind offensichtlich auch heute die Berichte über die Affäre, die uns angedichtet werden soll. Das ist Minus-Journalismus, der je nach Betroffenheit unterscheidet.
Ich möchte hier noch einmal die Frage stellen: Woher und auf welchem Wege hat eigentlich der „Spiegel", hat eigentlich der „Stern" die vertraulichen Unterlagen aus der Justizbehörde erhalten? Ich möchte noch einmal die Frage stellen, ob es zutrifft, daß 1983 der „Spiegel" versucht hat, Schmiergelder, zur Erlangung dieser Akten gezahlt, von der Steuer abzusetzen, wie das ja zulässig ist. Ich möchte diese Frage noch einmal stellen. Daß ich die Frage schon einmal gestellt habe, erklärt wohl auch die polemischen, fast proletenhaften Angriffe in diesem Organ in der letzten Woche gegen mich.Das Motto dieser Schlammschlacht bestimmter linker Kräfte lautet: Irgend etwas wird schon hängenbleiben. Dabei haben die GRÜNEN bewiesen — Herr Bastian ist gerade wieder einmal draußen —, daß ihr Verhältnis zum Rechtsstaat gestört ist. Manch einer auf seinem Weg vom Knast ins Parlament hat dies hier deutlich bewiesen, wenn man sich allein die Rechtsbrüche vor Augen hält, die begangen worden sind.
Das Ziel des Kollegen Schily war, kurz gesagt, nicht, unlautere Machenschaften aufzudecken; sein Ziel ist es, dem Staat einen Schlag zu versetzen. Er trägt einen vergifteten Dolch im Gewande und sitzt im Hintergrund mit der schon geschichtsbekannten „klammheimlichen Freude".Meine Damen und Herren, die Ermittlungsbehörden würden dem Ansehen der Justiz einen Dienst erweisen, wenn sie weniger willfärig auf solche Impulse aus dem politischen Raum eingingen.
Ich möchte zum Abschluß sagen: Der Untersuchungsausschuß hat für die Regierungszeit von Kanzler Schmidt das enge Verhältnis zwischen Flick und der SPD erhärtet, auch wenn bestimmte Parteien und bestimmte Medien das Gegenteil belegen wollen. Mit dem Abschlußbericht wird heute ein Schlußstrich unter eine Affäre der alten Regierung Schmidt gezogen. Die Luft wirde heute sauberer in der Republik; das Plenum auch, wenn ein „Saubermann" heute seiner Wege geht.Ich gehe davon aus, daß die Wahrheit heute siegt, nachdem sich für die Opposition in den letzten Wochen die Lüge politisch bezahlt gemacht hat.Herzlichen Dank.
Das Wort hat der Abgeordnete Eylmann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Am Ende der Debatte mag die Frage naheliegen: Was wird von der Arbeit des 1. Untersuchungsausschusses bleiben, wenn sich der Pulverdampf der tagespolitischen Auseinandersetzung verzogen hat? Hat er die Republik verändert?Zunächst: Nach einem Arbeits- und Zeitaufwand sondergleichen hat der Ausschuß nicht festgestellt, daß steuerliche Entscheidungen zugunsten des Flick-Konzerns durch finanzielle Zuwendungen herbeigeführt worden sind. Alles Gerede über politische Korruption kann über diese Tatsache nicht hinwegtäuschen. Die Institutionen der Republik haben im Ergebnis dem Versuch korrumpierender Einflußnahme standgehalten. Wir haben keine gekaufte, wir haben allenfalls eine denunzierte Republik.
Nun wäre es allerdings ein Fehler, anzunehmen, damit sei alles in Ordnung. Es bleibt einiges, was für diejenigen, die im wirtschaftlichen und politischen Bereich Verantwortung tragen, nicht in Vergessenheit geraten darf und auch nicht in Vergessenheit geraten wird.
Das Beispiel Flick zeigt nämlich, wie eine staatspolitisch wünschenswerte Tugend, nämlich die Unterstützung der Parteien durch Spenden, in die Gefahr geraten kann, zum Instrument der Durchsetzung unternehmerischer Strategien zu denaturieren. Der Name Flick wird mit diesem Vorgehen verbunden bleiben und abschreckend wirken.Man sollte allerdings auch nicht den Fehler begehen, die Flicksche Spendenpraxis in der zweiten Hälfte der 70er Jahre zu verallgemeinern. Die zuweilen schwer erträgliche Mischung von Wichtigtuerei und buchhalterischer Kleinkariertheit, der wir im Ausschuß begegnet sind, ist nicht typisch für die deutschen Unternehmer und kennzeichnet eher eine Dynastie, die am Ende ihrer Geschichte angelangt ist.Die Affäre Flick hat im weiteren jene Frage wieder in den Blickpunkt der Öffentlichkeit gerückt, die von entscheidender Bedeutung für die Qualität einer Regierung und den Rang eines Parlaments ist, nämlich die Frage nach der inneren und äußeren Unabhängigkeit ihrer Mitglieder. Wenn diese Frage heute in der Bundesrepublik kritisch und skeptisch diskutiert wird, so hängt das sicherlich — und das läßt sich gar nicht leugnen — damit zusammen, daß unzweifelhaft Spenden an die SPD zu einem Zeitpunkt, zu dem Flick von der SPD-Regie-
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 204. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. März 1986 15671
Eylmannrung etwas wollte, sprunghaft anstiegen und die SPD-Politiker, denen dieser Zusammenhang ja nicht verborgen bleiben konnte, sich dies gerne gefallen ließen. Hinzu kommt — und auch das ist gar nicht zu leugnen —, daß in diesen Jahren alle Parteien ihre gesetzlichen Verpflichtungen zur Offenlegung von Großspenden nicht erfüllten und daß es das Parlament zur Zeit der Regierung Schmidt zudem versäumte,
die Parteifinanzierung durch Spenden auf eine klare und eindeutige Rechtsgrundlage zu stellen. Auch diese zuletzt genannte Unterlassung fällt ja in erster Linie in den Verantwortungsbereich derjenigen, die damals die Regierungsverantwortung trugen. Das ist eine Tatsache. Es ist j a schon merkwürdig, wenn wir hier heute morgen hören mußten, daß die Aufzählung von Tatsachen ein Tiefpunkt parlamentarischer Kultur sein soll. Wir arbeiten hier Vorgänge der Ära Schmidt, nicht der Regierung Kohl auf.
Aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, wir würden uns selbst täuschen, wenn wir meinen sollten, wir — die damalige Opposition — wären schon dann überhaupt nicht betroffen, wenn wir mit dem Finger nur auf andere zeigen; denn der Vertrauens- und Ansehensverlust trifft mehr oder weniger alle Parteien und das Parlament schlechthin. Nun berührt mich weniger die Entrüstung jener selbsternannten parlamentarischen Tugendwächter, die in ihrem eigenen Bereich einen sehr ungenierten Umgang mit der Staatsknete — so bezeichnen sie ja das Geld der Steuerzahler — pflegen und in manchen Bereichen in den letzten Jahren ihr gestörtes Verhältnis zu Recht und Gesetz offenbart haben.Ich nehme aber die besorgten und kritischen Fragen vieler Bürgerinnen und Bürger, insbesondere der jungen Menschen in unserer Republik, ernst, die Tag für Tag ihre staatsbürgerlichen Pflichten gewissenhaft als Steuerzahler, als Wehrdienstleistende, als ehrenamtliche Mitarbeiter in karitativen Organisationen erfüllen und uns nach unserer Glaubwürdigkeit, nach der Glaubwürdigkeit der Repräsentanten dieser Republik fragen. Diese Bürger haben ein offenes und klärendes Wort verdient, und ich sagen ihnen: der 1. Untersuchungsausschuß hat in einem mühevollen und langwierigen Verfahren ohne Ansehen der Person versucht, einen Sachverhalt, der über fünf Jahre zurückliegt, aufzuklären. Die jetzige Koalition hat bereits vor zwei Jahren die Parteifinanzierung auf eine neue, klare Grundlage gestellt und damit die Rechtsunsicherheit beseitigt. Wir werden die Verhaltensregeln der Abgeordneten präzisieren und in das Abgeordnetengesetz übernehmen. Das alles macht deutlich: Dieses Parlament ist fähig, aufgetretene Fehlentwicklungen zu korrigieren. Glauben Sie denen nicht, die sagen, daß sich dieser Staat in Händen von Parteien befindet, die sich mit dem Staat gleichsetzen, oder in Händen von Leuten, die unbelehrbar oder antidemokratisch eingestellt sind, so wie man es uns heute morgen weismachen wollte.
Im übrigen erscheint es mir abwegig, uns Abgeordnete auf Wesen zu reduzieren, die allein auf Kapital ansprechen. Es gibt eine Fülle anderer Versuchungen, Einflußnahmen und Pressionen, denen wir täglich ausgesetzt sind.
Ich denke an die unverhüllten Drohungen und Einschüchterungen, wenn man einer bestimmten Interessengruppe nicht zu willen sein will, ein Thema, das von Zeit zu Zeit aktuell ist und gerade in den letzten Wochen aktuell war. Oder kann man nicht auch durch die Aussicht korrumpiert werden, sich auf der Titelseite des „Stern" als Heilige Johanna des Rechtsstaates dargestellt zu sehen? Jeder möge sich dieser inneren und äußeren Bedrohung seiner Unabhängigkeit bewußt sein.Wenn diese Debatte die Stunde der Pharisäer wäre, hätten wir ihren Sinn verfehlt.
Wir haben heute sehr viele pharisäerhafte Äußerungen im Laufe dieser Debatte gehört. Wir haben auch eine Fülle von Unwahrheiten gehört,
wenn ich z. B. nur an die Behauptung des Kollegen Spöri denke, wir hätten etwa die Notwehrargumentation des Herrn von Brauchitsch unterstützt. Im Gegenteil: In unserem Bericht steht, daß diese angebliche Notwehr nicht das, was das Unternehmen Flick getan hat, rechtfertigen kann. Das steht wörtlich auf Seite 276. Das sollte man zur Kenntnis nehmen.
Wir setzen gegen Polemik und vollmundige Selbstgerechtigkeit
die nüchterne Entschlossenheit, über die bereits vollzogene Neuordnung der Parteienfinanzierung hinaus ohne Hektik und wohlüberlegt das Notwendige zu tun, um die Unabhängigkeit der Abgeordneten dieses Parlaments zu stärken und die Glaubwürdigkeit des Parlaments zu sichern.Ich danke Ihnen.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Jenninger.
Herr Präsident! Meine Kolleginnen und Kollegen! Sie werden vielleicht erstaunt sein, daß ich in dieser Debatte noch kurz das
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Dr. Jenninger
Wort ergreife. Aber die Arbeit des 10. Deutschen Bundestages wird nicht zuletzt daran gemessen werden, wie wir den Auftrag des 1. Untersuchungsausschusses bewältigt haben.
Denn es ging ja nicht nur darum, Vorwürfe zu klären, die gegen einzelne Kollegen erhoben worden sind, sondern es ging — und es geht — auch um unsere Glaubwürdigkeit als Politiker und gewählte Abgeordnete und damit um das Ansehen dieses Hauses insgesamt.
Mein Amtsvorgänger, der Kollege Dr. Barzel, hat, nachdem auch ihm gegenüber Vorwürfe im Zusammenhang mit dem Gegenstand der Untersuchung erhoben worden waren, aus eben diesen Gründen der Glaubwürdigkeit und des Ansehens dieses Hauses sein Amt — wie Sie wissen — zur Verfügung gestellt. Er hat dies am 25. Oktober 1984 mit den Worten getan:
Der Deutsche Bundestag muß dringend zur sachlichen Arbeit zurückfinden. Meiner Verantwortung bewußt will ich dazu beitragen und bitte Sie, einen anderen Bundestagspräsidenten zu wählen.
Ich habe in meiner Antrittsrede am 5. November unter Zustimmung des Hauses festgestellt:
Ich möchte deshalb meinem Amtsvorgänger, unserem Kollegen Dr. Barzel, an dieser Stelle ausdrücklich meine Hochachtung und meinen Respekt vor seiner Entscheidung bekunden.
Mit seinem Schritt hat er ein Zeichen für die Glaubwürdigkeit unserer Ordnung und für die Fähigkeit des demokratischen Systems gesetzt, sich selbst zu korrigieren.
Meine Damen und Herren, es hat sich bei uns leider weithin eingebürgert, daß Vorwürfe gegen Repräsentanten des öffentlichen Lebens, auch gegen Kolleginnen und Kollegen des Deutschen Bundestages, die größte denkbare Resonanz finden; daß aber, wenn sich einzelne Vorwürfe als nicht berechtigt erweisen, davon in der Öffentlichkeit vergleichsweise kaum Notiz genommen wird.
Ich habe darüber nicht zu richten. Aber ich darf nach dem Ergebnis der Überprüfungen, jedenfalls was einzelne Vorwürfe gegenüber dem Kollegen Dr. Barzel anbetrifft, zweierlei feststellen:
Erstens. Der Kollege Dr. Barzel hat nicht gegen die Verhaltensregeln für Mitglieder des Deutschen Bundestages verstoßen. Er ist seiner Mitteilungspflicht gegenüber dem Präsidenten des Deutschen Bundestages nachgekommen.
Zweitens. Der Kollege Dr. Barzel hat zu keinem Zeitpunkt auf Entscheidungen über Anträge des Flick-Konzerns nach § 6 b des Einkommensteuergesetzes und § 4 des Auslandsinvestitionsgesetzes eingewirkt oder einzuwirken versucht. Das wird auch im Minderheitenvotum der SPD zum Ausdruck gebracht.
Meine Damen und Herren, das vor der deutschen Öffentlichkeit im Rahmen dieser Debatte festzustellen, halte ich einem verdienten Kollegen und meinem geschätzten Amtsvorgänger gegenüber für meine Pflicht.
Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des 1. Untersuchungsausschusses auf Drucksache 10/5079. Ich weise darauf hin, daß sich diese Beschlußempfehlung nur auf den Bericht selbst, nicht jedoch auf die als Anlagen beigefügten Sondervoten bezieht. Wer der Beschlußempfehlung des Untersuchungsausschusses zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich? —
Das bedeutet, daß die Beschlußempfehlung des Ausschusses auf Kenntnisnahme des Ausschußberichts mit Mehrheit angenommen worden ist.Inzwischen liegt Ihnen — vielleicht kann das die Aufregung ein bißchen mildern; es liegen ja auch noch andere Anträge vor, die man lesen kann — ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/5180 vor. Wir kommen zur Abstimmung über diesen Änderungsantrag, soweit er nicht durch die vorangegangene Entscheidung über die Beschlußempfehlung erledigt ist. Es wird darüber hinaus beantragt, das eigene Votum der Abgeordneten der SPD im 1. Untersuchungsausschuß, Dr. Penner, Poß, Dr. Spöri und Dr. Struck — Ziffer B, Teilziffern 460 bis 503 — zustimmend zur Kenntnis zu nehmen. Wer diesem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Dann ist dieser Änderungsantrag mit Mehrheit abgelehnt.Wir kommen nunmehr zur Abstimmung über den Änderungsantrag des Abgeordneten Schily und der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/5169, soweit er nicht durch die vorangegangene Entscheidung über die Beschlußempfehlung erledigt ist. Es wird darüber hinaus beantragt, den abweichenden Bericht des Abgeordneten Schily in der Anlage 1 zu Drucksache 10/5079 zustimmend zur Kenntnis zu nehmen. Wer diesem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Dann ist dieser Änderungsantrag mit großer Mehrheit abgelehnt.Wir stimmen jetzt über den Entschließungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/5175 ab. Wer diesem Entschließungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich? — Dann ist dieser Entschließungsantrag mit großer Mehrheit abgelehnt.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 204. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. März 1986 15673
Vizepräsident WestphalMeine Damen und Herren, wir werden bekanntgeben, wann wir zu den Tagesordnungspunkten 3 bis 5 kommen. Zunächst haben wir jetzt eineinhalb Stunden Fragestunde.Wir kommen nun zu Punkt 1 der Tagesordnung: Fragestunde— Drucksache 10/5156 —Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Forschung und Technologie auf. Zur Beantwortung der Fragen steht der Herr Parlamentarische Staatssekretär Dr. Probst zur Verfügung. Wir haben gestern schon einen Teil der Fragen zu diesem Geschäftsbereich aufgerufen.Die Fragen 33 und 34 des Abgeordneten Vosen sollen auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt.Wir kommen jetzt zur Frage 35 des Abgeordneten Stahl . Ist der Abgeordnete im Saal? — Der Abgeordnete ist nicht im Saal. Dann werden seine Frage 35 und seine Frage 36 entsprechend der Geschäftsordnung behandelt.Ich rufe die Frage 37 des Abgeordneten Hansen auf:Liegen der Bundesregierung Untersuchungen über die Auswirkungen von Staubemissionen aus den letzten 50 Jahren und Gutachten über die Entwicklung in den nächsten 50 Jahren vor, und wenn ja, welche?Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Herr Kollege Hansen, Ihre Frage beantworte ich wie folgt: Es gibt eine Reihe von Untersuchungen über die Auswirkungen von Staubemissionen auf das Klima. Ich denke dabei z. B. an die Arbeiten von Schönwiese, Jaenicke, Ludwig, Morgan, Mullen, Coakley, Potter und Cess.
Ich werde Ihnen gern ein Literaturverzeichnis zu diesen Arbeiten überreichen, wenn Sie es haben möchten. Hier sind dann detaillierte Ausführungen zu finden.
Zusatzfrage des Abgeordneten Hansen. Bitte schön.
Herr Staatssekretär, wir haben auch nach den Auswirkungen von Staubemissionen aus den letzten 50 Jahren gefragt. Ich habe Ihrer Antwort nicht entnehmen können — das mag aber an mir liegen —, daß Sie darauf geantwortet haben.
Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Es gibt eine Menge teilweise sich widersprechender Äußerungen oder relativierender Aussagen zu diesen Einflüssen. Es ist eine Fülle von Material dazu vorhanden. Globale Auswirkungen auch über längere Zeit sind bisher nicht eindeutig nachgewiesen.
Sie haben eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Hansen?
Keine weitere Zusatzfrage.
Dann kommen wir zu einer Zusatzfrage des Abgeordneten Boroffka.
Herr Staatssekretär, trifft es zu, daß die Hauptmenge der Staubemissionen aus natürlichen Quellen, insbesondere aus Vulkanausbrüchen, resultiert?
Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Das trifft in der Gesamtsumme — insbesondere bei massiertem Auftreten im Einzelfall — zu.
Ich rufe die Frage 38 des Abgeordneten Hansen auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung die Zunahme des Kohlendioxidgehaltes der Luft von 270 ppm auf den heutigen Wert von 346 ppm und einen hochgerechneten Wert von ca. 450 ppm in 50 Jahren?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Hansen, das Erreichen solcher Werte, wie sie in Ihrer Frage angegeben sind, wäre sicher eine bedenkliche Menge.
Zusatzfrage des Abgeordneten Hansen.
Ja, Herr Staatssekretär, sind Ihnen neuere Gutachten und Aussagen von Wissenschaftlern zu diesem Thema bekannt, und wie beurteilt die Bundesregierung die wissenschaftlichen Aussagen, die es in der letzten Zeit zu diesem Thema gegeben hat? In Anbetracht Ihrer kurzen Antwort interessiert mich doch, ob Sie etwas mehr darüber wissen.
Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Hansen, die hier aufgeführten Werte sind zunächst einmal von bestimmten Wissenschaftlern festgestellte Werte. Es handelt sich ja zunächst um Zukunftsvisionen, um Modelle, wie so eine Entwicklung geht. Da die Frage, wie die Zunahme des Kohlendioxids in der Welt sich global auswirken wird, keineswegs eindeutig behandelt ist, geht es zunächst einmal um vermutete Entwicklungen, deren Eindeutigkeit natürlich bezweifelt wird. Hier handelt es sich ja um ein ganz kompliziertes Problem, nämlich die Absonderung von Kohlendioxid und die Wiederaufnahme durch Wasser, Erde, Pflanzen. Diese Wechselwirkungen sind ja keineswegs unbestritten. Man weiß nicht, wie das weitergehen wird. Die Messungen, die zur Verfügung stehen — und es gibt eine sehr anerkannte Messung durch die Vereinigten Staaten von Amerika auf Hawaii —,weisen eindeutig darauf hin, daß derzeit eine Kohlendioxidzunahme in der Atmosphäre in erheblichem Umfang erfolgt und daß diese Zunahme mit dem Verbrauch fossiler Brennstoffe einhergeht.
Sie haben eine weitere Zusatzfrage, Herr Hansen.
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Ich habe noch eine Frage, Herr Staatssekretär, eine Feststellung, die ich in eine Frage kleide. Ihnen ist sicher aufgefallen, daß hinsichtlich der in dieser Frage genannten Jahreszahl ein Druckfehler unterlaufen ist und daß es 1860 heißen muß?
Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Ja.
Zusatzfrage des Abgeordneten Boroffka.
Herr Staatssekretär, angesichts der Tatsache, daß der Ausschuß für Forschung und Technologie seinerzeit ein eigenes Gutachten zu diesem Problem bestellt hat, das auch vorliegt angesichts der Tatsache, daß ich den Bundesforschungsminister von der Rednertribüne dieses Saales gebeten habe, eine Fortschreibung des Klimaforschungsprogrammes dem Hause noch vor der Sommerpause vorzulegen, was er in Gegenwart einiger Kollegen der SPD zugesagt hat, und angesichts der Tatsache, daß sich Klimaveränderungen auf Grund des CO2-Problems im Jahre 1986 kaum ergeben werden, habe ich die Frage an Sie: Meinen Sie wirklich, daß man ein so diffiziles Problem hier in der Fragestunde erschöpfend behandeln kann?
Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Mit Sicherheit wird man ein solches Thema in der Fragestunde nicht erschöpfend behandeln können. Gleichwohl ist eine Fragestunde natürlich dazu da, Anregungen zu geben, weiteren Fragen nachzuspüren. Es ist ein legitimes Anliegen des Hauses, in einer Fragestunde auch dieses Thema zu behandeln. Endgültig werden wir das Thema wohl auch nicht im Ausschuß und nicht im Plenum behandeln können. Denn das ist ein unerhört kompliziertes Problem.
Zusatzfrage des Abgeordneten Klejdzinski.
Herr Staatssekretär, da der Kollege Boroffka gesagt hat, daß dieses Thema hier nicht erschöpfend behandelt werden könne, frage ich Sie laienhaft: Kann ich denn von der Vermutung ausgehen, daß gegenwärtig ein sogenannter Kohlendioxidaustausch von der nördlichen zur südlichen Erdhalbkugel hin stattfindet, und kann man daraus indirekt folgern, daß der starke Verbrauch fossiler Brennstoffe im Grunde genommen ein Raubbau gegenüber den Entwicklungsländern ist?
Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Der Verbrauch fossiler Brennstoffe in wenigen Generationen, also von Naturgütern, die sich über Jahrmillionen angesammelt haben, ist ein Raubbau, gleichgültig, wie er sich in der Welt auswirkt.
Zusatzfrage des Abgeordneten Fischer .
Herr Staatssekretär, die Deutsche Physikalische Gesellschaft ist ja wohl nicht für Sensationslust bekannt. Teilen Sie die Ansicht des Professors Heinloth von der Deutschen Physikalischen Gesellschaft, der gesagt hat — ich zitiere —: „Eine CO2-Klimakatastrophe ist — abgesehen vom nuklearen Holocaust — vermutlich die schlimmste Katastrophe."?
Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Wenn man das Wort „vermutlich" betont, ja.
Zusatzfrage des Abgeordneten Carstensen.
Herr Staatssekretär, wenn die Werte so bedrohlich sind, wie sie zu sein scheinen und wie sie vermutlich auch sein werden: Wie beurteilt die Bundesregierung die Versorgung mit Energie aus Kraftwerken, die weder Staubemissionen noch Kohlendioxidemissionen haben?
Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Sehr positiv. Ihre Politik ist darauf ausgerichtet, die Energie so umweltschonend wie nur möglich zu erzeugen und zu verbrauchen.
Zusatzfrage des Abgeordneten Wolfram.
Herr Staatssekretär, was tut die Bundesregierung, um international nicht nur Erfahrungen zu sammeln und objektive Ergebnisse zu ermitteln, sondern diese Gefahren auch vor allem in internationaler Zusammenarbeit gemeinsam zu bekämpfen?
Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Was die internationale Zusammenarbeit angeht, so ist die Zusammenarbeit im Bereich der Wissensverfestigung derzeit der Hauptbereich. Erst in dem Augenblick, in dem die Grundlagen erarbeitet worden sind, auf denen man dann gemeinsame Verbesserungsvorschläge unterbreiten kann, ist die Arbeit erfolgreich. Die Bundesregierung arbeitet in den einschlägigen internationalen Gremien und Kommissionen mit und bringt ihre Erfahrungen dort ein. Das Problem ist ja nicht die Erkenntnis, daß CO2 in die Luft abgesetzt wird — das ist eine Binsenwahrheit, und die Quellen sind auch vergleichsweise einfach auszumachen —, das Problem ist, was mit diesem CO2 geschieht, und hier gehen die Theorien auseinander. Man meint, die Erde, insbesondere die Meere und der Boden, seien bereit, das CO2, das schwerer als Luft ist, wieder unschädlich zu binden. Diese Fragen sind keineswegs eindeutig geklärt, so daß darauf aufbauende Maßnahmen in der Welt nicht unumstritten sind.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Tatge.
Herr Staatssekretär, auf Grund der Frage des Kollegen Carstensen hat sich bei mir folgende Anschlußfrage ergeben: Ist der Bundesregierung der Ausschußbericht zur WAA Sellafield bekannt, weiß die Bundesregierung, daß die WAA Sellafield in diesem Ausschußbericht als der Welt größte Quelle für Radioaktivität bezeichnet worden ist und daß englische Abgeordnete sowie die irische
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Tatge
Regierung eine Stillegung dieser Anlage wegen Gefährdung der Menschen und der Umwelt fordern?
Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, die Bundesregierung weiß eine ganze Menge auch über dieses angesprochene Problem.
Nur hat das mit der Fragestellung, die hier zur Debatte steht, nichts zu tun.
Ich glaube, ich muß dem Staatssekretär zustimmen. Ich habe hier oben die Fremdworte akustisch nicht verstanden; insofern war ich mir nicht ganz im klaren.
— Nein, Herr Kollege Fischer, Sie haben schon Ihre Zusatzfrage gehabt.
Die Fragen 39 und 40 des Abgeordneten Grunenberg sollen auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Nun rufe ich die Frage 41 des Herrn Kollegen Fischer auf:
Welche Aussagen ergeben sich aus den bekannten Klimamodellberechnungen in Hinsicht auf Temperaturveränderungen, Verschiebungen von Klimazonen, Veränderungen der Umwelt, Wärmetransport in Gewässern und Veränderungen der Wolkenbildung?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Fischer, Wissenschaftler nehmen auf Grund von Modellrechnungen bei dem derzeitigen Trend der Zunahme der atmosphärischen Spurengase insgesamt eine mittlere Erhöhung der globalen Temperatur innerhalb der nächsten 100 Jahre von etwa 2 bis 4 Grad an; mit einer Verschiebung der Klimazonen wäre zu rechnen, aber die Modellsimulationen sind in diesem Punkt noch sehr unsicher. Mit einer Veränderung der Klimazonen wäre z. B. eine Veränderung der Niederschlags- und Verdunstungsverhältnisse, der Bodenfeuchte und dadurch der Vegetation verbunden. Der Wärmetransport in Gewässern hat kaum Bedeutung für die Veränderung des globalen Klimas. Allenfalls können lokale Effekte auftreten. Hinsichtlich der Veränderungen in der globalen Wolkenbedeckung gibt es unter den Wissenschaftlern noch keine gemeinsamen Schlußfolgerungen.
Eine Zusatzfrage, Herr Fischer.
Herr Staatssekretär, stimmt es, daß die Deutsche Physikalische Gesellschaft festgestellt hat — und teilt die Bundesregierung diese festgestellte Meinung —, daß sich in ein bis zwei Jahrzehnten eine deutliche Verschiebung der Trockenzonen nach Norden feststellen läßt?
Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Die Bundesregierung kann sich auf diese Aussage allein nicht verlassen. Die Berechnungen sind ungenau, und es gibt auch andere Schätzungen und Quellen, die dem widersprechen.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Fischer, bitte.
Teilt die Bundesregierung die in diesem Gutachten geäußerte Meinung, daß sich der Meeresspiegel innerhalb der nächsten ca. 100 Jahre um fünf bis zehn Meter erhöhen wird?
Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Unter der Annahme, unter der diese Aussage gemacht wird, ja. Aber diese Annahme ist außerordentlich unwahrscheinlich; denn sie würde bedeuten, daß der ganze antarktische Eiskegel mit einem Rutsch ins Wasser fällt, und das wäre natürlich weit übertrieben.
Es gibt Schätzungen, die ernster zu nehmen sind, die davon ausgehen, daß man beim Abschmelzen der Polkappen mit einer Erhöhung des Meeresspiegel zwischen 30 cm und 100 cm rechnen müßte.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Klejdzinski.
Herr Staatssekretär, nachdem Sie in Ihren Darlegungen behauptet haben, das sei alles so ungenau, noch nicht geprüft, man wisse nicht, wie es sich entwickelt usw., frage ich: Wieviel Geld hat die Bundesregierung bisher für Klimaforschung generell ausgegeben, oder — anders formuliert — sieht die Bundesregierung überhaupt die Problematik, und hält sie es für notwendig, dafür Geld auszugeben?
Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Die Bundesregierung gibt hierfür eine Menge Geld aus. Es ist so gewesen, daß im Jahre 1982 für die Klimaforschung 20 Millionen DM ausgegeben wurden. Im Jahre 1984 erfolgte erstmals eine Steigerung auf, wenn ich es recht im Kopf habe, 24 Millionen DM. Wir sind nach 36 Millionen DM im Jahre 1985 in diesem Jahr bei voraussichtlich 43 Millionen DM.
Die Bundesregierung mißt dieser Frage deshalb eine große Bedeutung bei, weil gewisse Annahmen dafür sprechen, daß eine starke Anreicherung von CO2 und anderen Spurengasen eine Veränderung — möglicherweise eine irreversible Veränderung — global bewirken könnte. Deshalb ist es notwendig, diesen Zusammenhängen ernsthaft nachzugehen, auch in einer internationalen Zusammenarbeit.
Zusatzfrage des Abgeordneten Grunenberg.
Herr Staatssekretär, ausgehend davon, daß US-Wissenschaftler heute schon festgestellt haben, daß der Meeresspiegel dermaßen steigt, daß Long Island pro Jahr 30 cm verliert und daß das Mississippi-Delta pro Jahr zweieinhalb Quadratkilometer einbüßt, wird die Bundesregierung an Hand dieser Tatsachen — vielleicht im Rahmen des Programms EUROMAR — innerhalb
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GrunenbergEuropas Meßprogramme durchsetzen, damit wir rechtzeitig vorgewarnt werden? Ich komme von der Küste und habe es nicht gerne, wenn man die Schuhe an hat und trotzdem nasse Füße bekommt.Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, Sie wissen, daß im Hinblick auf Gefahren, die man zwar nicht ausschließen kann, bei denen aber die Abhängigkeit der einzelnen Elemente und Faktoren voneinander wissenschaftlich nicht erforscht und außerordentlich schwierig zu definieren ist, sich natürlich auch Phantasievorstellungen bilden und daß sich dann auch Katastrophenmeldungen nicht immer ausschließen lassen. Der National Research Council der Vereinigten Staaten von Amerika beurteilt die Situation wesentlich anders, nämlich außerordentlich zurückhaltend, und das ist doch die angesehene Einrichtung in den Vereinigten Staaten von Amerika.
Zusatzfrage des Abgeordneten Wolfram.
Herr Staatssekretär, teilen Sie meine Auffassung, daß unabhängig von der Notwendigkeit, die Forschung weiter zu entwickeln, zu verbessern und zu vertiefen, international ein dringender Handlungsbedarf vor allem mit Rücksicht darauf besteht, daß international weiter gesündigt wird? Ich nenne als Beispiel nur das unverantwortliche Abholzen tropischer Urwälder.
Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Es ist keine Frage, daß es diesen Handlungsbedarf gibt. Es gibt Schätzungen, daß die fossilen Brennstoffe zu ungefähr zwei Dritteln dazu beitragen und daß alle anderen Einflüsse — einschließlich der Abholzungen der Reserven, die in den Bäumen des tropischen Urwaldes festgelegt sind — ein Drittel ausmachen. Das heißt, wir könnten dieses Problem natürlich entschärfen, wenn wir im Bereich der fossilen Brennstoffe, aber auch der natürlichen Brennstoffe etwas bremsten. Das ist in Europa der Fall, denn hier hat man nicht nur auf fossile Brennstoffe gesetzt, sondern ist dort, wo sie ersetzbar sind, bereit, andere Energien, z. B. die Kernenergie, einzusetzen.
Zusatzfrage des Abgeordneten Hansen.
Herr Staatssekretär, können Sie uns nach all Ihren bisherigen Ausführungen einmal sagen, was die Bundesregierung zur Zeit konkret auf dem Gebiet der Klimaforschung und der Erforschung von Klimaveränderungen tut, d. h. welche Maßnahmen im Gange sind, welche Projekte es gibt?
Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Es gibt eine Reihe von Verbundprojekten insbesondere zur Erforschung einzelner Klimafaktoren und ihres Zusammenwirkens. Dabei geht es um luftchemische Probleme und Probleme, die mit der Arktisforschung zusammenhängen, ferner um die globale
Kodierung dieser ganzen Dinge, die Chemie der Atmosphäre und die Ausbreitung.
Ein ganz wichtiges Gebiet ist auch die historische Erforschung von Klimaentwicklungen, weil sie uns hinsichtlich der Frage, wie temporäre Klimaeinflüsse bedingt sein können, wie sie verursacht sind und sich verändern, einen Einblick geben kann.
Ich rufe Frage 42 des Abgeordneten Fischer auf:
Welche Schlußfolgerungen zieht die Bundesregierung aus den Klimamodellen zur Verminderung von Schadstoffen in der Luft, dem Abwärmeproblem und dem Rückhalten radioaktiver Substanzen?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Die Bundesregierung beabsichtigt, Emissionsszenarien mit verschiedenen Alternativen des Energieverbrauchs erstellen und daraus bestimmte Folgerungen ziehen zu lassen.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Fischer.
Herr Staatssekretär, wenn man dieses Gutachten der Deutschen Physikalischen Gesellschaft intensiv gelesen hat, weiß man, daß eine Reduktion in vier Bereichen vorgeschlagen worden ist. Der erste Bereich ist der der Verbrennung von Kohle, Öl und Gas, der zweite der der Emission von Kohlenwasserstoffen, der dritte die Überdüngung von Naturböden und der vierte die Rodung von tropischen Regenwäldern. Es ist vorgeschlagen worden, diese Vorgänge zu reduzieren bzw. zu verhindern, und es ist auch gesagt worden, daß eine Reduktion der Gesamtemissionen um ein Drittel erreicht werden muß, jährlich mindestens um 2 %. Welche Maßnahmen ergreifen Sie in den vier genannten Bereichen, um die vorgeschlagene Reduktion der Emissionen durchzusetzen?
Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Die Bundesrepublik hat nur 6 % der Emissionen an CO2. Das heißt, das ist zwar weltweit ein nicht zu vernachlässigender Anteil, aber dennoch ein nicht so entscheidender Anteil, daß man hier einen Durchbruch erzielen könnte. Das Entscheidende wird sein, daß in internationaler Zusammenarbeit nach Erkenntnis der Wirkungen gemeinsame Lösungen erarbeitet werden. Die Bundesregierung kann heute von sich aus eigentlich nur in der Veränderung der Energieszenarien Nachhaltiges tun.
Sie unterstellen natürlich auch, daß alle Behauptungen, die in dem Papier der Physikalischen Gesellschaft aufgestellt sind, bis ins Detail unbestritten sind. Diese Ansicht kann ich nicht teilen.
Herr Fischer, Sie haben eine weitere Zusatzfrage. Bitte.
Herr Staatssekretär, welche Maßnahmen ergreift denn die Bundesregierung zur verstärkten finanziellen Unterstützung des Fernwärmeausbaus? Denn die Fernwärme ist ja wohl die umweltfreundlichste Energie.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 204. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. März 1986 15677
Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Auch Fernwärme müssen Sie erzeugen. Es nützt nichts, wenn sie fossil erzeugt wird und wenn dabei wieder CO2 emittiert wird. Die Fernwärme wird also das Problem nicht lösen. Das Problem ist nur durch den Abbau von Verbrennungsprozessen aller Art, die CO2 erzeugen, zu lösen.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Klejdzinski.
Herr Staatssekretär, Sie haben vorhin von Luftchemie gesprochen. Das verstehe ich nicht. Auch haben Sie von natürlichen und von unnatürlichen Brennstoffen gesprochen. Ich würde das von Ihnen gern einmal erklärt haben, und das ist auch meine Frage.
Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Mir ist nicht bewußt, daß ich von unnatürlichen Brennstoffen gesprochen hätte.
Es gibt fossil gelagerte, aus der Natur entstandene Brennstoffe, und es gibt mineralisch entstandene Energiestoffe.
— Ja, daran wird es keinen Zweifel geben. Nur ist die Tatsache, daß sie genutzt werden, in der Menschheitsgeschichte ein sehr großer kultureller Fortschritt.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Immer.
Herr Staatssekretär, nachdem Sie in Beantwortung einer vorhergehenden Frage den Ersatz der Verbrennung fossiler Brennstoffe durch die Kernenergie angesprochen haben, frage ich Sie: Wie beurteilen Sie dann die heute morgen in der Aktuellen Stunde vorgetragene Version, daß nachwachsende Rohstoffe benutzt werden sollen, etwa Bioäthanol, die als natürliche Brennstoffe wiederum CO2 in die Luft jagen?
Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, wir müßten uns jetzt lange über den CO2-Kreislauf unterhalten. Nachwachsende Rohstoffe hätten, was das CO2 anlangt, den ganz großen Vorteil, daß das CO2, das in die Luft geleitet wird, durch den Aufbau organischer Substanzen in gleicher Menge wieder gebunden wird,
daß hier also keine Vermehrung, sondern ein Kreislauf stattfindet.
Mein Versuch, die Klimaforschung heute zu Ende zu bringen, setzt sich dadurch fort, daß ich Ihnen mitteile, daß die Fragen 43 und 44 des Abgeordneten Nagel schriftlich beantwortet werden sollen. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
— Ich wäre ganz dankbar, wenn Sie mir trotz der Zwischenrufe zuhörten.
Ich rufe nun die Frage 45 des Abgeordneten Stockleben auf:
Welche Absichten hat die Bundesregierung im Hinblick auf eine Verbesserung der finanziellen Ausstattung des Klimaforschungsprogramms für die künftigen Jahre?
Bitte schön.
Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Stockleben, das Programm soll erhebliche Zuwachsraten haben. In den alljährlichen Finanzplanungsverhandlungen wird angestrebt, dem Bedarf gerecht zu werden: 1987 + 24 %, danach jährlich +7%.
Zusatzfrage, Herr Stockleben.
Herr Staatssekretär, ist in Ihrem Hause schon heute geplant, die von Wissenschaftlern beantragten Forschungsvorhaben im Bereich der Klimaforschung jährlich finanziell zu befriedigen, und würde der Zuwachs in dem Maße, wie Sie ihn aufgezeigt haben, für die vorliegenden Anträge ausreichen?
Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Das ist der Fall, Herr Kollege. Hier handelt es sich wie bei vielen anderen Forschungsvorhaben in erster Linie auch um eine Frage des Vorhandenseins der wissenschaftlichen Kapazität, um sich mit diesen Themen zu befassen. Die Beträge sind nicht so gewaltig, daß sie nicht aufgebracht werden könnten, wenn es gute Projekte gibt.
Sie haben eine weitere Zusatzfrage, Herr Stockleben. Bitte!
Herr Staatssekretär, was tut die Bundesregierung, um die Wissenschaftskapazität, die, wie Sie selber sagen, noch nicht ausreichend vorhanden ist, entsprechend auszubauen und zu unterstützen?
Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Mit Hilfe des Klimaforschungsprogramms wird eine Menge zusätzlich angeregt. Der Ausbau und der Aufbau der entsprechenden Wissenschaftlerkapazität ist natürlich in erster Linie eine Angelegenheit einschlägiger Hochschulinstitute. Aber da diese Institute wiederum von den Bundesaufträgen profitieren, sind damit ein lebhafter Austausch und auch eine Steigerung der Kapazität verbunden. Das kann nur nicht von heute auf morgen geschehen.
Zusatzfrage des Abgeordneten Fischer.
Herr Staatssekretär, Sie haben vorhin erwähnt, daß einige Studien in Auftrag gegeben worden sind. Zum Teil liegen schon Ergebnisse vor. Auch die Deutsche Physikalische Gesellschaft hat ein Ergebnis vorgelegt. Beabsichtigt die Bundesregierung eine Auswertung und eine Bewertung dieser vorhandenen Studien vorzu-
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Fischer
nehmen und uns dann die Ergebnisse dieser Auswertung und Bewertung mitzuteilen?Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, die Bundesregierung ist dabei, einen Zwischenbericht ihres Klimaforschungsprogramms zu erstellen, der in absehbarer Zeit auch dem Parlament vorgelegt werden soll. Selbstverständlich sind darin die Gesichtspunkte, die von Bedeutung sind, d. h. eine Auswertung auf Grund der Tatsachen, die als geklärt gelten können, enthalten. Der Bericht wird Ihnen in absehbarer Zeit zugehen.
Dann rufe ich die Frage 46 des Herrn Abgeordneten Stockleben auf:
Welche finanziellen Mittel werden zur Zeit weltweit für die Klimaforschung aufgebracht?
Bitte schön.
Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Stockleben, Sie fragen, wieviel Mittel weltweit aufgewandt werden. Ich kann Ihnen diese Frage heute nicht beantworten. Von Interesse sind aber beispielsweise die Aufwendungen im Bundeshaushalt der Vereinigten Staaten von Amerika, der uns zugänglich ist. Dort belaufen sich die Aufwendungen 1984, 1985 und 1986 jeweils auf etwa 140 Millionen Dollar. Sicher ist aber der Aufwand auch in den Vereinigten Staaten von Amerika noch höher. Denn in diesen Zahlen sind die universitären Projekte, soweit sie nicht durch den Bundeshaushalt finanziert sind, nicht enthalten. Auch sind die Mittel, die die einzelnen Staaten der Vereinigten Staaten von Amerika aufwenden, nicht darin enthalten. Man darf also davon ausgehen, daß sich heute eine beträchtliche Forschungskapazität weltweit mit dieser Frage befaßt.
Zusatzfrage, Herr Stockleben.
Herr Staatssekretär, sind Sie mit mir der Meinung, daß höhere Aufwendungen und ein koordiniertes Vorgehen international nicht nur das Klima, sondern auch das politische Klima weitgehend verbessern könnten?
Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Internationale Gemeinsamkeiten verbessern das internationale Klima. Die Klimaforschung wird nicht so hoffnungsfroh sein, anzunehmen, daß schon durch eine kurze Zusammenarbeit gravierende Erkenntnisse und umwälzende Änderungen passieren, die j a doch über lange Zeiträume ablaufen.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Klejdzinski.
In diesem Zusammenhang gefragt: Herr Staatssekretär, welchen Beitrag leistet die Antarktis-Station für die Klimaforschung, insbesondere für die Ergebnisse, die uns interessieren?
Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Sie stellt Klimadaten sowohl hinsichtlich Luftzusammensetzung
als auch Luftbewegung und Entwicklung der Temperatur zusammen.
Herr Abgeordneter Fischer zu einer Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ist im Rahmen des Eureka-Programms vorgesehen, die europäischen Aktivitäten in diesem Bereich zu bündeln? Wenn ja: Welche Größenordnung haben die finanziellen Aufwendungen?
Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Diese Frage ist selbstverständlich auch in die Konzeption von Eureka mit eingeplant. Wir haben nur einige Schwierigkeiten, da die Eureka-Partner diese — sozusagen — Vorsorgeprogramme nicht als besonders vordringlich bezeichnen.
Trotzdem gibt es eine gute internationale Zusammenarbeit auch in Europa zu diesen Fragen. Ich darf nur daran erinnern, daß im Rahmen der Spacelab-Mission, die ja auch eine europäische Aktivität war, ein entsprechendes Meßprogramm mit Bezug auf die Zusammensetzung verschiedener Schichten der Erdatmosphäre zur Behandlung dieses Themas gemeinsam durchgeführt wurde.
Herr Grunenberg.
Herr Staatssekretär, ist das vorgesehene Programm der Meereswissenschaftler EUROMAR ein Teil von Eureka, oder wird es ein gesondertes Programm sein?
Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, das ist eine sehr schöne Frage. Nur hat sie mit dem derzeitigen Zusammenhang nichts zu tun. Ich werde Ihnen diese Frage gerne schriftlich beantworten.
Nun schlage ich Ihnen vor, ein paar hunderttausend Mark für die Verbesserung des Klimas hier bei uns abzuzweigen. Nach der Debatte über den Tagesordnungspunkt 2 heute haben wir das eigentlich alle ein bißchen nötig.Vielen Dank, Herr Staatssekretär, für die Beantwortung der Fragen zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Forschung und Technologie.Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes.Zur Beantwortung der Fragen steht der Parlamentarische Staatssekretär Lorenz zur Verfügung.Ich rufe die Frage 47 des Herrn Abgeordneten Dr. Emmerlich auf:Ist der Bundesregierung bekannt, daß der Deutsche Presserat in seiner Sitzung am 19. Februar 1986 festgestellt hat, daß Herr Boenisch gegen die Ziffern 7 und 15 („Die Annahme und Gewährung von Vorteilen jeder Art, die geeignet sein könnten, die Entscheidungsfreiheit von Verlag und Redaktion zu beeinträchtigen, sind mit dem Ansehen, der Unabhängigkeit und der Aufgabe der Presse unvereinbar") des Pressekodexes verstoßen habe, und welche Folgerungen ergeben sich daraus für die Bundesregierung?Bitte schön, Herr Staatssekretär.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 204. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. März 1986 15679
Wegen des Zusammenhangs bitte ich, die Fragen 47 und 48 gemeinsam beantworten zu dürfen.
Sind Sie einverstanden?
Herr Staatssekretär, ich bin nicht einverstanden.
Dann müssen Sie die Fragen getrennt beantworten.
Lorenz, Parl. Staatssekretär: Die Frage 47 bezieht sich auf einen Zeitraum vor der Ernennung von Herrn Peter Boenisch zum Bundesbeamten am 18. Mai 1983. Auf eigenen Antrag ist Herr Boenisch am 21. Juni 1985 aus dem Beamtenverhältnis entlassen worden.
Es ist nicht Aufgabe der Bundesregierung, einen dem Deutschen Presserat vorgetragenen Sachverhalt aus dieser Zeit zu recherchieren oder Äußerungen des Deutschen Presserates dazu zu kommentieren. Die Bundesregierung hat dazu auch in dem in Ihren Anfragen angesprochenen Fall keine Veranlassung.
Ich darf insoweit auch auf die schriftliche Antwort hinweisen, die Herr Staatssekretär Ost Herrn Abgeordneten Dr. Penner am 17. Dezember 1985 gegeben hat, wonach Herr Boenisch keine versorgungsrechtlichen Ansprüche hat und daß keine sonstigen beamtenrechtlichen Beziehungen irgendwelcher Art zu ihm fortbestehen.
Zusatzfrage, Herr Dr. Emmerlich.
Herr Staatssekretär, ist der Bundesregierung bekannt bzw. hat sie sich um Kenntnis in dieser Richtung bemüht, ob Staatssekretär Boenisch auch während seiner Tätigkeit als Staatssekretär einen derartigen Werbevertrag gehabt hat und ob er aus diesem Werbevertrag auch in dieser Zeit Einnahmen bezogen hat?
Lorenz, Parl. Staatssekretär: Die Bundesregierung hat alle Veranlassung, davon auszugehen, daß das nicht der Fall war.
Zusatzfrage, Herr Dr. Emmerlich.
Herr Staatssekretär, muß ich Ihre unpräzise Antwort so verstehen, daß sich die Bundesregierung keine Gewißheit über diesen Sachverhalt verschafft hat und daß sie es nicht als ihre Aufgabe ansieht, sich und der Öffentlichkeit darüber Rechenschaft abzulegen?
Lorenz, Parl. Staatssekretär: Herr Dr. Emmerlich, Herr Boenisch erklärt, daß dieser Vertrag etwa zwei Jahre vor seinem Amtsantritt als Staatssekretär ausgelaufen ist. Es gibt keinerlei Anzeichen dafür, daß diese Auskunft falsch ist.
Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Sperling.
Herr Staatssekretär, würde denn die Bundesregierung angesichts all der Informationen, die jetzt über Herrn Boenisch zur Verfügung stehen, ihn wieder als Regierungssprecher einstellen, wenn sie eine Chance dazu bekäme?
Lorenz, Parl. Staatssekretär: Das ist eine hypothetische Frage, und auf hypothetische Fragen — dafür bitte ich um Verständnis — antworte ich nicht.
Zusatzfrage des Abgeordneten Klein .
Herr Staatssekretär, während seiner aktiven Zeit als Staatssekretär hat Herr Boenisch bildlich für Mercedes-Produkte geworben; dafür gibt es Dokumente. Können Sie sich vorstellen, daß diese Form der Werbung von Herrn Boenisch selbstlos betrieben wurde, oder hat er dafür ein Honorar bekommen, und — wenn ja — hat er dafür auch eine Nebentätigkeitsgenehmigung gehabt?
Lorenz, Parl. Staatssekretär: Bezüglich der Frage der Nebentätigkeiten und aller damit zusammenhängenden Angelegenheiten ist schon sehr ausführlich in der Fragestunde im November geantwortet worden. Ich verweise weiter auf die Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der SPD-Fraktion sowie auf die Beantwortung durch Staatssekretär Ost im Dezember. Ich kann auf diese Antworten Bezug nehmen.
Die Bundesregierung geht nicht davon aus, daß Herr Staatssekretär Boenisch während seiner Amtstätigkeit eine solche Nebentätigkeit ausgeübt hat.
Zusatzfrage des Abgeordneten Broll.
Herr Staatssekretär, kann man aus dem Verkaufserfolg der Firma Mercedes, sofern der Staatssekretär Beonisch daran beteiligt gewesen sein sollte, schließen, daß dieser Mann zumindest ein erfolgreicher Werbemann gewesen sein muß?
Lorenz, Parl. Staatssekretär: Der frühere Staatssekretär Boenisch hat viele Talente. Ich glaube, es ist jetzt nicht die Zeit, daß die Bundesregierung diese Talente noch besonders bewertet.
Ich rufe Frage 48 des Abgeordneten Dr. Emmerlich auf:Teilt die Bundesregierung die Auffassung des Deutschen Presserats, daß Herr Boenisch den Ziffern 7 und 15 des Pressekodexes zuwidergehandelt hat, weil er als Chefredakteur eines großen deutschen Massenblattes gleichzeitig als Werbeberater einer Automobilfirma tätig war und dafür Vergütungen in beträchtlicher Höhe erhalten hat, und welche Folgerungen ergeben sich daraus für die Bundesregierung?Lorenz, Parl. Staatssekretär: Herr Dr. Emmerlich, ich habe in Beantwortung der Frage 47 auch schon
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15680 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 204. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. März 1986
I zu Frage 48 Stellung genommen. Ich weise noch einmal darauf hin, daß sich aus den Tatbeständen, die sich aus der Äußerung des Deutschen Presserates ergeben, der von einem ihm vorgetragenen Sachverhalt ausgeht, für die Bundesregierung keine Konsequenzen ergeben.
Zusatzfrage, Herr Dr. Emmerlich.
Herr Staatssekretär, hat Herr Boenisch die Bundesregierung vor seiner Einstellung, während seiner Tätigkeit oder danach über seine vertraglichen Beziehungen zu der Automobilfirma unterrichtet, und hat die Bundesregierung Veranlassung gesehen, sich von Herrn Boenisch darüber unterrichten zu lassen?
Lorenz, Parl. Staatssekretär: Den für die Ernennung Verantwortlichen war eine solche Tätigkeit nicht bekannt. Infolgedessen hatten alle Beteiligten auch keine Veranlassung,
sich über Sachverhalte, die sie nicht kennen, unterrichten zu lassen.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Dr. Emmerlich.
Herr Staatssekretär, darf ich davon ausgehen, daß sich die Bundesregierung bei der Bestellung von Staatssekretären in Zukunft sorgfältiger als im Fall Boenisch bemühen wird, auf die persönlichen Eignungsvoraussetzungen Wert zu legen, sich darüber zu unterrichten und sicherzustellen, daß Persönlichkeiten, die diese persönlichen Eignungsvoraussetzungen nicht erfüllen, nicht eingestellt werden?
Lorenz, Parl. Staatssekretär: Die Bundesregierung läßt immer die größtmögliche Sorgfalt walten.
Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Dr. Hamm-Brücher.
Herr Staatssekretär, wenn ich das vorhin richtig verstanden habe, haben Sie auf die Frage des Herrn Kollegen, ob Staatssekretär Boenisch während seiner Tätigkeit als Staatssekretär auch Werbearbeit geleistet habe und ob er dafür ein Honorar bezogen habe, mit Nein geantwortet. Ich möchte Sie fragen: Ist Herr Boenisch ausdrücklich dazu befragt worden, oder woher beziehen Sie Ihre Erkenntnisse?
Lorenz, Parl. Staatssekretär: Die Bundesregierung kann davon ausgehen, daß Herr Boenisch zu diesem Zeitpunkt einer solchen Tätigkeit nicht nachgegangen ist.
— Ich sage Ihnen: Die Bundesregierung kann davon ausgehen. Frau Kollegin, mehr möchte ich dazu nicht äußern.
Zusatzfrage des Abgeordneten Klein .
Herr Staatssekretär, bekanntlich ist Herr Boenisch ja im Juni letzten Jahres vom Amtsgericht Berlin-Tiergarten zu einer Strafe von 1 080 000 DM wegen Steuerhinterziehung verurteilt worden. Dieses Strafmaß bemißt sich auf der Grundlage eines Netto-Tagessatzes von 3 000 DM, obwohl Herr Boenisch als Staatssekretär zu diesem Zeitpunkt nur 400 DM pro Tag haben konnte. Können Sie mir erklären, woher der Differenzbetrag kommt? Stammt er nicht möglicherweise aus Werbeeinnahmen?
Lorenz, Parl. Staatssekretär: Das kann Ihnen nicht die Bundesregierung erklären; das könnte Ihnen nur das Amtsgericht Tiergarten erklären.
Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Sperling.
Herr Staatssekretär, da Sie hypothetische Fragen nicht beantworten, frage ich Sie anders: Hält die Bundesregierung die Einstellung von Herrn Boenisch als Regierungssprecher zum damaligen Zeitpunkt für einen guten Griff, und glaubt sie noch immer, sein Rücktritt lasse sich mit dem Begriff „noble Haltung" bezeichnen?
Lorenz, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, wenn die Bundesregierung bei der Einstellung des Herrn Boenisch nicht von einem guten Griff ausgegangen wäre, hätte sie ihn nicht eingestellt.
Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Eid.
Ich habe es vorhin so verstanden, daß bildlich dokumentiert ist, daß Herr Boenisch Werbung für Mercedes-Benz gemacht hat. Heißt das, daß die Bundesregierung diese Bilder nicht kennt oder sie nicht als Dokumentation für seine Tätigkeit anerkennt?
Lorenz, Parl. Staatssekretär: Ich weiß jetzt nicht, worauf Sie konkret Bezug nehmen. Sie müssen mir schon ein bißchen näher sagen, welchen Vorgang Sie meinen, Frau Kollegin.
Zusatzfrage des Abgeordneten Immer.
Herr Staatssekretär, ich möchte Sie fragen: Wie hält es die Bundesregierung — insbesondere das Bundeskanzleramt —, wenn sie Angestellte oder auch Staatssekretäre einstellt? Unterzieht die Behörde die Staatssekretäre einer anderen Art von Einstellungsgespräch, als es einer kleinen Sekretärin zugemutet wird, die in einem Riesenfragebogen alles ausfüllen muß: wo sie gewesen ist, was sie getan und nicht getan hat, was sie verdient hat, wo sie geworben oder nicht geworben hat? Wird ein Staatssekretär leger, weil er so ein prima Kerl ist und bei der „Bild-Zeitung" beschäftigt war, so nolens volens eingestellt, weil
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Immer
I man glaubt, damit habe man einen guten Griff getan?Glaubt die Bundesregierung, daß in dieser Unterschiedlichkeit bei kleinen Stenotypistinnen, Beamtenanwärtern und einem Staatssekretär verfahren werden kann?Lorenz, Parl. Staatssekretär: Herr Präsident, ich bin sehr im Zweifel, ob diese Frage noch in einem direkten Zusammenhang mit der Hauptfrage steht.
Ich lasse sie zu, Herr Staatssekretär.
Lorenz, Parl. Staatssekretär: Ich möchte dann dazu folgendes sagen. Es werden natürlich alle gesetzlichen Vorschriften und sonstigen Erfordernisse gewahrt, wenn Personaleinstellungen erfolgen, gleichgültig, ob es sich um eine, wie Sie sagen, kleine Stenotypistin oder um einen Staatssekretär handelt.
Ich möchte dabei noch darauf hinweisen, daß an einem solchen Vorgang nicht nur eine Stelle beteiligt ist, sondern mehrere Stellen beteiligt sind; im vorliegenden Fall beispielsweise der Bundeskanzler, durch Beschlußfassung die Bundesregierung, durch besondere Prüfung das Bundesministerium der Finanzen und das Bundesministerium des Innern und auch der Bundespersonalausschuß. Insofern liegt schon die Notwendigkeit vor, entsprechende Unterlagen zu beschaffen, die von den einzelnen dafür Verantwortlichen geprüft werden.
Zusatzfrage des Abgeordneten Erhard.
Herr Kollege, können Sie uns sagen, ob bei der Einstellung von Herrn Staatssekretär Boenisch anders verfahren wurde als bei der Einstellung von Herrn Guillaume im Kanzleramt?
Lorenz, Parl. Staatssekretär: Ich darf zunächst einmal Herrn Dr. Emmerlich darauf hinweisen, daß ich von der Tatsache, daß ich von Herrn Kollegen Erhard gefragt werde, keine Ahnung hatte, vom Inhalt der Frage auch nicht. Ich sage Ihnen das, damit Sie keinen falschen Eindruck haben.
— Ich habe gehört, was Sie gesagt haben. Ich habe deshalb darauf Bezug genommen.
Zu der Frage möchte ich nicht Stellung nehmen, weil ich nicht weiß, wie man bei der Einstellung des Herrn Guillaume im Bundeskanzleramt seitens der damaligen Bundesregierung vorgegangen ist. Deshalb kann ich die Frage nicht beantworten.
Zusatzfrage des Abgeordneten Mann.
Herr Kollege Lorenz, war denn eigentlich das vom Amtsgericht in Berlin zugrunde gelegte Einkommen, das doch erheblich über dem eines normalen Staatssekretärs liegt, nicht Anlaß für die Bundesregierung, in Nachforschungen einzutreten, ob Herr Boenisch als Beamter vollständige Angaben über seine Nebeneinkünfte gemacht hat?
Lorenz, Parl. Staatssekretär: Ich darf dazu noch einmal sagen, daß uns über die Motive des Amtsgerichts Tiergarten zur Festsetzung der Strafe natürlich nichts bekannt ist.
Dann darf ich vor allem noch einmal auf folgendes hinweisen. Herr Boenisch ist aus dem Beamtenverhältnis ausgeschieden, und zwar ohne jeden Rechtsanspruch an die Bundesregierung, so daß überhaupt kein Rechtsverhältnis mehr zwischen Herrn Boenisch und der Bundesregierung besteht und für die Bundesregierung keine Veranlassung war, noch irgend etwas nachzuprüfen, was aus einer Zeit herrührt, die weit vor der Tätigkeit des Herrn Boenisch bei der Bundesregierung liegt.
Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Hürland.
Herr Staatssekretär, würden Sie bitte einmal deutlich machen, daß es Einkünfte aus selbständiger und nichtselbständiger Arbeit und aus Vermögen gibt und daß es ungerecht wäre, wenn das Amtsgericht Tiergarten das Vermögen des Herrn Boenisch, das nichts mit seinen Einkünften als Staatssekretär zu tun hat, berücksichtigt?
Lorenz, Parl. Staatssekretär: Ich gehe davon aus, Frau Kollegin, daß es allgemein und vor allem natürlich auch dem Kollegen Dr. Emmerlich als Juristen bekannt ist, daß solche Einkünfte bei jedem einzelnen vorliegen können.
Ich rufe nun die Frage 49 der Abgeordneten Frau Eid auf:Trifft die Meldung des „SPIEGEL" vom 3. März 1986 zu, wonach in einem Schreiben an Bundeskanzler Kohl der CSU-Vorsitzende Strauß verlangt haben soll, daß die Bundes-
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Vizepräsident Westphalregierung sich aus der Namibia-Kontaktgruppe zurückziehen und die von Südafrika abhängige „Übergangsregierung" anerkennen solle?Bitte schön, Herr Staatssekretär.Lorenz, Parl. Staatssekretär: Ich beantworte die Frage wie folgt: Die Frage betrifft den internen politischen Prozeß der Meinungs- und Entscheidungsbildung innerhalb der Koalitionsparteien. Die Bundesregierung sieht deshalb_ keine Veranlassung, dazu Stellung zu nehmen.
Zusatzfrage, Frau Eid.
Ich möchte trotzdem fragen, ob das Auswärtige Amt nicht von dem Vorstoß des bayerischen Ministerpräsidenten in der Namibia-Politik unterrichtet wurde.
Lorenz, Parl. Staatssekretär: Sie gehen hier von einem Sachverhalt aus, zu dem ich nicht Stellung genommen habe und den ich infolgedessen auch
nicht bestätigt habe. Deshalb kann ich Ihnen diese Frage natürlich auch nicht beantworten.
Sie haben eine weitere Zusatzfrage, Frau Eid.
Ich möchte weiterhin fragen: Über welche Kompetenz und Zuständigkeit in der bundesdeutschen Namibia-Politik verfügt Franz Josef Strauß nach Meinung der Bundesregierung?
Lorenz, Parl. Staatssekretär: Die Außenpolitik ist eine Angelegenheit der Bundesregierung, wie sich aus dem Grundgesetz ergibt.
Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Dr. Hamm-Brücher.
Herr Staatssekretär, es ist selbstverständlich zu respektieren, daß Sie keine Antwort auf Fragen bezüglich interner Schreiben geben. Aber können wir grundsätzlich davon ausgehen, daß die Namibia-Kontaktgruppe weiterhin von der Bundesregierung besetzt bleibt?
Lorenz, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, die Namibia-Politik der Bundesregierung ist hinlänglich bekannt; sie hat aus heutiger Sicht auch keine Veranlassung zu einer Änderung dieser Politik.
Ich rufe die Frage 50 der Abgeordneten Frau Eid auf:
Welche Position vertritt Bundeskanzler Kohl hinsichtlich dieser vom bayerischen Ministerpräsidenten erhobenen Forderungen?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Lorenz, Parl. Staatssekretär: Es ist klar, daß ich diese Frage nicht beantworten kann. Da ich mich nicht dazu äußern kann, ob der CSU-Vorsitzende die genannten Forderungen in einem Schreiben erhoben hat, erübrigt es sich auch, auf eine solche theoretische Frage die Position des Bundeskanzlers darzustellen.
Frau Eid möchte eine Zusatzfrage stellen.
Ich darf davon ausgehen, daß Sie eben auf die Frage von Frau Hamm-Brücher gesagt haben, daß die Bundesregierung weiterhin in der Kontaktgruppe bleibt; das heißt doch, daß sie weiterhin auf der Basis der Resolution 435 steht. In welcher Weise wird dann der Bundeskanzler öffentlich den Forderungen von Herrn Strauß entgegentreten?
Lorenz, Parl. Staatssekretär: Zunächst einmal: Sie gehen immer wieder von Forderungen aus, zu denen ich nicht Stellung nehmen kann, weil die Frage, ob sie erhoben worden sind, nicht beantwortet ist. Im übrigen darf ich darauf hinweisen, daß Sie meine Antwort eben nicht richtig wiedergegeben haben; dies nur zur Klarstellung. Aber ich möchte immerhin, Frau Kollegin, auf folgendes verweisen. Der Bundeskanzler hat zuletzt in einer Grußbotschaft an die Bevölkerung Namibias zum Jahreswechsel 1985/1986 in bezug auf einen friedlichen Übergang Namibias in die Unabhängigkeit folgendes erklärt:
Der von den westlichen Staaten ausgearbeitete und von allen Beteiligten akzeptierte Lösungsplan der Vereinten Nationen bietet dafür nach wie vor die unverzichtbare Grundlage.
Sie haben eine weitere Zusatzfrage, Frau Eid.
Wenn Sie sagen, ich hätte Ihre Antwort auf die Frage von Frau Dr. Hamm-Brücher mißverstanden — —
Dr. Lorenz, Parl. Staatssekretär: Nein, das habe ich nicht gesagt. Ich habe nur gesagt: Sie haben sie nicht richtig wiedergegeben. Entschuldigen Sie bitte, daß ich Sie unterbrochen habe.
Darf ich Sie dann bitten, die Antwort auf folgende Frage zu präzisieren. Steht die Bundesregierung noch auf der Grundlage von Resolution 435, ja oder nein?
Dr. Lorenz, Parl. Staatssekretär: Ich habe erklärt, daß die Bundesregierung, deren Politik bekannt ist, aus heutiger Sicht keine Veranlassung zu einer Änderung dieser Politik hat. Im übrigen habe ich doch nun eben ganz deutlich vorgelesen, was der Herr Bundeskanzler in seiner Grußbotschaft mitgeteilt hat.
Zusatzfrage der Frau Abgeordneten Dr. Hamm-Brücher.
Herr Staatssekretär, habe ich recht, wenn ich davon ausgehe, daß die Bundesregierung nicht gedenkt, die Übergangsregierung in Namibia anzuerkennen?
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— Sie haben sie so genannt; manche Leute nennen sie Interimsregierung; darüber brauchen wir uns aber nicht zu streiten — erwartet nach Kenntnis der Bundesregierung keine diplomatische Anerkennung. Niemand hat die Bundesregierung bisher zu einer solchen Anerkennung aufgefordert. Daher stellt sich diese Frage für die Bundesregierung gar nicht.
Wir sind damit am Ende des Geschäftsbereichs des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes. Ich danke dem Staatssekretär für die Beantwortung der Fragen.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers des Auswärtigen auf. Zur Beantwortung der Fragen steht der Staatsminister Dr. Stavenhagen zur Verfügung.
Die Fragen 51 und 52 des Abgeordneten Verheugen sind vom Fragesteller zurückgezogen worden.
Die Fragen 53 und 54 des Abgeordneten Graf von Waldburg-Zeil sollen auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe die Frage 55 des Abgeordneten Dr. Soell auf:
Welches sind die Gründe, die die Bundesregierung dazu veranlaßt haben, den 1980 durch einen Militärputsch an die Macht gelangten Staatspräsidenten Südkoreas einzuladen?
Bitte schön, Herr Staatsminister.
Herr Kollege, die Einladung an den koreanischen Präsidenten, im Rahmen einer Europareise auch Bonn zu besuchen,
stammt aus dem Sommer 1982
und wurde seinerzeit von Bundespräsident und Bundeskanzler ausgesprochen.
Nachdem Präsident Chun Doo-Hwan nun seinerseits im Sommer 1985 den Wunsch geäußert hatte, im Frühjahr 1986 Großbritannien, Frankreich und Belgien sowie auch die Bundesrepublik Deutschland zu besuchen, wurde die damalige Einladung zu einem Arbeitsbesuch bestätigt.
Wir haben ein erhebliches politisches und wirtschaftliches Interesse an der Pflege der Beziehungen zur Republik Korea. Sie ist wichtiger Partner des Westens in Asien und eines der wirtschaftlich erfolgreichsten Schwellenländer Asiens.
Zur Förderung der Beziehungen gehören auch Besuche auf höchster Ebene. Der bevorstehende Arbeitsbesuch soll dazu beitragen, die Beziehungen zu Europa und zur Bundesrepublik Deutschland auszubauen.
Zusatzfrage, Herr Dr. Soell.
Herr Staatsminister, teilt die Bundesregierung die Meinung des Kollegen Möllemann vom September 1980, daß es sich hier um eine durch einen Militärputsch an die Macht gekommene Militärjunta handelt?
Dr. Stavenhagen, Staatsminister: Herr Kollege, es ist in der damaligen Erklärung deutlich geworden, auf welche Weise der Präsident an die Macht gekommen ist. Herr Kollege, wenn wir bei den Besuchen, die wir in der Bundesrepublik Deutschland empfangen, ausschließlich von den bei uns üblichen Spielregeln ausgingen, wäre der Besucherandrang bei uns außerordentlich gering.
Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Soell.
Teilt die Bundesregierung die Auffassung des Kollegen Möllemann vom September 1980, daß sich diese Regierung menschenrechtswidrig und sogar menschenrechtsverachtend bei der Bekämpfung ihrer innenpolitischen Gegner und der demokratischen Opposition verhält?
Dr. Stavenhagen, Staatsminister: Herr Kollege, die Bundesregierung beobachet mit Interesse und begrüßt es, daß versucht wird, bei einem Demokratisierungsprozeß voranzuschreiten, und erkennt Erfolge auf diesem Weg voll an.
Zusatzfrage des Abgeordneten Immer.
Nachdem in Seoul vor 14 Tagen — und erneut gestern oder vorgestern — offenbar Beweise für Ihre These deutlich geworden sind, daß der „Demokratisierungsprozeß" insofern weiter fortschreitet, als man Hunderte von Oppositionellen — auch Mitglieder des Parlaments — unter Hausarrest gestellt hat und an der Willensbildung nicht mehr beteiligt, möchte ich Sie fragen, inwieweit die Bundesregierung, wenn der Präsident denn schon als Gast hier begrüßt wird, einem über die USA mit uns verbundenen Partner unmißverständlich deutlich machen wird, daß diese Art von Demokratisierung nicht diejenige ist, die wir unterstützen.
Dr. Stavenhagen, Staatsminister: Herr Kollege, Sie können davon ausgehen, daß die Bundesregierung bei dem stattfindenden Gespräch alle Themen ansprechen wird, selbstverständlich auch Themen der Art, wie Sie sie beschrieben haben.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Lambinus.
Herr Staatsminister, wollen Sie Ihre Behauptung, daß Südkorea auf dem Weg zur Demokratisierung sei, tatsächlich unter dem Gesichtspunkt aufrechterhalten, daß der anerkannte Oppositionsführer in Südkorea, Kim Dae Jung, erst vor zwei oder drei Tagen nur deshalb erneut unter
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LambinusHausarrest gestellt wurde, weil er Unterschriften für eine Änderung der südkoreanischen Verfassung im demokratischen Sinn sammeln wollte?Dr. Stavenhagen, Staatsminister: Herr Kollege, es geht um eine Unterschriftensammlung mit dem Ziel, die Präsidentenwahl in direkter Volkswahl statt im bisher üblichen Verfahren durchzuführen. Auch dieser Tatbestand wird selbstverständlich bei dem Gespräch zu erörtern sein. Dennoch bleibe ich bei meiner Aussage, daß Korea im Demokratisierungsprozeß Fortschritte gemacht hat.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Jäger .
Herr Staatsminister, darf ich Ihrer Antwort entnehmen, daß die Bundesregierung bei der Beurteilung des Besuchs des Staatspräsidenten von Korea keine härteren Maßstäbe anlegen wird als z. B. beim Besuch des Präsidenten von Rumänien, von dem ja allseits bekannt ist, daß er einer der härtesten Diktaturen in Europa vorsteht?
Dr. Stavenhagen, Staatsminister: Herr Kollege, ich habe vorhin schon darauf hingewiesen, daß wir bei Besuchern der Bundesrepublik Deutschland, die wir als Gäste der Bundesregierung empfangen, nicht ausschließlich von den Maßstäben ausgehen können, wie sie bei uns selbstverständlich sind.
Ich rufe die Frage 56 des Abgeordneten Dr. Soell auf:
Ist die Bundesregierung bereit, Kim Dae Jung, für den sich der Deutsche Bundestag besonders eingesetzt hat, bei einem Besuch in der Bundesrepublik Deutschland zu empfangen?
Bitte schön, Herr Staatsminister.
Dr. Stavenhagen, Staatsminister: Herr Kollege, Bundesregierung, Deutscher Bundestag und viele Einzelpersonen haben sich für Kim Dae Jung immer wieder und mit Erfolg eingesetzt. Die Frage, ob und wie er in der Bundesrepublik zu empfangen wäre, stellt sich erst, wenn Kim Dae Jung die Absicht zu einem solchen Besuch geäußert hat. Das ist nach unserer Kenntnis bisher nicht der Fall.
Eine Zusatzfrage, Herr Dr. Soell.
Herr Staatsminister, wird die Bundesregierung, falls ein solcher Wunsch geäußert wird, dann auch in Gesprächen mit dem südkoreanischen Staatspräsidenten nachhaltig deutlich machen, daß dieser Besuch ohne Hindernisse erfolgen möge, d. h. daß auch die Wiedereinreise von Kim Dae Jung nach Südkorea gewährleistet ist?
Dr. Stavenhagen, Staatsminister: Herr Kollege, wenn wir mit einem solchen Wunsch konfrontiert würden, würden wir uns darum kümmern, daß diesem Wunsch auch in vernünftiger Weise nachgekommen werden könnte und daß auch in geeigneter Weise Gesprächspartner zur Verfügung stünden.
Eine weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Soell.
Da Sie nur einen Teil meiner Frage beantwortet haben, möchte ich noch einmal den zweiten Teil formulieren: Würden Sie auch dafür eintreten, daß Kim Dae Jung nicht nur aus Korea ausreisen, sondern auch wieder einreisen kann?
Dr. Stavenhagen, Staatsminister: Herr Kollege, wenn eine solche Frage bis zu den Gesprächen, die ich vorhin angesprochen habe, auf dem Tisch läge, würde darüber sicher im Rahmen dieser Gespräche zu reden sein.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Immer.
Würde es die Bundesregierung nicht doch begrüßen, wenn auf die Dauer in Südkorea dieselben Verhältnisse einträten — die wir zwar noch nicht abschätzen können — wie auf den Philippinen?
Dr. Stavenhagen, Staatsminister: Herr Kollege, ich habe vorhin gesagt, daß wir den Demokratisierungsprozeß begrüßen und uns einen weiteren Demokratisierungsprozeß wünschen. Das wird mit Sicherheit auch bei den Gesprächen — neben anderen Fragen — zum Ausdruck kommen.
Zusatzfrage, Frau Eid.
Sie sagten vorhin auf die Frage des Kollegen, daß Sie bereit sind, mit dem Staatspräsidenten Südkoreas die Frage zu erörtern, ob eine Aus- und Rückreise von Kim Dae Jung möglich sein wird. Sind Sie mit mir der Meinung, daß es in einem solchen Fall zu lasch, zu weich ist, diese Frage zu erörtern oder zu besprechen; und sind Sie nicht bereit, den Staatspräsidenten Südkoreas ganz konkret sozusagen darauf festzunageln, das Kim Dae Jung ohne Behelligung ein- und ausreisen darf?
Dr. Stavenhagen, Staatsminister: Frau Kollegin, ich habe die Frage nicht so beantwortet, wie Sie sie wiedergeben, sondern ich habe gesagt: Wenn diese Frage sich bis dahin stellen würde, würde sie mit Sicherheit angesprochen werden. Dem habe ich nichts hinzuzufügen.
Ich rufe die Frage 57 des Abgeordneten Büchner auf:Wie beurteilt die Bundesregierung die Tatsache, daß durch die Kürzung der Förderungsmittel — gegen Appelle des Deutschen Sportbundes und entsprechende Anträge der SPD in den Ausschußberatungen — für Sportbegegnungen mit den osteuropäischen Ländern um rund 50 v. H. im Haushalt 1986 eine Vielzahl von Sportbegegnungen dieser Art nicht stattfinden können?Dr. Stavenhagen, Staatsminster: Herr Kollege, das Auswärtige Amt mißt der Förderung von Sportbeziehungen im Rahmen seiner auswärtigen Kulturpolitik große Bedeutung bei. Es hat sich daher auch bei den Verhandlungen über den Haushalt 1986 wie schon in den Vorjahren um eine Erhöhung der für
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Staatsminster Dr. Stavenhagendiesen Zweck im Titel 686 17 bereitgestellten Mittel bemüht. Trotz der dankenswerten Unterstützung durch den Sportausschuß des Deutschen Bundestages hatten diese Bemühungen für 1986 keinen Erfolg. Der Gesamtbetrag im Buchungsabschnitt 3 des genannten Titels „Förderung von Sportbeziehungen" blieb vielmehr mit 7 235 000 DM gegenüber dem Vorjahr unverändert. Die auch von den Sportverbänden lebhaft befürwortete bescheidene Verstärkung von Sportbeziehungen zu Ländern der Dritten Welt, nämlich von 5 600 000 DM auf 6 000 000 DM, mußte daher zu Lasten der Mittel für Sportbeziehungen zu osteuropäischen Staaten und Sachspenden erfolgen.Es gab eine Reihe von Gesprächen, insbesondere des Deutschen Sportbundes, so daß wir im Haushaltsvollzug eine Umschichtung in Höhe von 200 000 DM vorgenommen haben. Damit ist eine haushaltsrechtlich mögliche Verlagerung innerhalb des Kulturhaushalts zugunsten der Sportprojekte mit den Staaten des Warschauer Pakts erfolgt, so daß wie bisher die geförderten Vorhaben auch im laufenden Jahr gefördert werden können. Diese Vorhaben werden also wie bisher stattfinden können.
Zusatzfrage, Herr Büchner.
Herr Staatsminister, wenn Sie von der besonderen Bedeutung dieser Sportkontakte zu osteuropäischen Ländern sprechen: Was war denn eigentlich der gravierende politische Grund, daß die Bundesregierung den Ansatz gerade dieser Mittel um die Hälfte zusammengestrichen hat?
Dr. Stavenhagen, Staatsminister: Herr Kollege, es gab keinen politischen Grund, sondern es gab das Problem, bei Nichterhöhung des Gesamtansatzes und gleichzeitigem Wunsch, die Mittel für die Förderung der Sportbeziehungen mit den Ländern der Dritten Welt zu fördern, einen haushaltstechnischen Ausgleich zu schaffen. Aber dieser haushaltstechnische Ausgleich ist, wie ich Ihnen sagte, korrigiert worden.
Sie haben eine weitere Frage, Herr Büchner.
Herr Staatsminister, sollte die Bundesregierung wirklich so unbedarft sein, daß sie, wenn sie die Mittel gerade für Sportkontakte mit ost-südosteuropäischen Ländern um die Hälfte zusammenstreicht, die Folge nicht abschätzen kann, daß eine erhebliche Störung der sehr wichtigen Kontakte der Sportvereine und -verbände mit diesen Staaten eintreten wird?
Dr. Stavenhagen, Staatsminister: Herr Kollege, die Bundesregierung ist nicht unbedarft. Sie hat im Verlauf des Haushaltsvollzugs durch Umschichtung innerhalb des Einzelplans dafür gesorgt, daß gegenüber der Förderung der Vorjahre nichts verändert und nichts reduziert wird. Wir hätten uns insgesamt, weil wir, glaube ich, auch darin übereinstimmen, daß im Bereich der Förderung der Sportbeziehungen mit der Dritten Welt mehr getan werden sollte, eine Aufstockung des Titels gewünscht. Aber dem ist der Deutsche Bundestag nicht gefolgt. Wir konnten deswegen die Erhöhung der Mittel zur Förderung der Sportbeziehungen mit der Dritten Welt nicht in dem Umfang vornehmen. Wir haben aber im Haushaltsvollzug den alten Zustand hergestellt, so daß keine Maßnahme in bezug auf den Ostblock ausfallen muß.
Ich rufe die Frage 58 des Abgeordneten Büchner auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung die Tatsache, daß das Bundesverwaltungsamt in Köln antragstellenden Sportvereinen mitteilt, daß wegen fehlender Mittel Begegnungen im Leistungssport mit osteuropäischen Ländern nicht mehr gefördert werden können, und welche Empfehlung gibt die Bundesregierung den Sportvereinen und Verbänden, Sportbegegnungen mit osteuropäischen Ländern in Zukunft zu finanzieren?
Bitte schön, Herr Staatsminister.
Dr. Stavenhagen, Staatsminister: Herr Kollege, das Bundesverwaltungsamt hat bereits abgewiesene Antragsteller inzwischen unterrichtet, daß im laufenden Haushaltsjahr 1986 wie im Vorjahr verfahren werden kann. Für die Zukunft sind wir jedoch auf das Ergebnis der Haushaltsberatungen für den Haushalt 1987 ff. angewiesen.
Zusatzfrage, Herr Büchner.
Herr Staatsminister, darf ich Ihre Antwort also so verstehen, daß durch die Korrektur der bisherigen Anordnung des Bundesverwaltungsamtes in diesem Jahr auch nicht ein geplanter Kontakt zu osteuropäischen Ländern ausfallen muß oder mit geminderten Finanzen versehen wird?
Dr. Stavenhagen, Staatsminister: Herr Kollege, nach meinen Unterlagen können Sie davon ausgehen. Ich werde aber der Frage, ob irgendwo eine Kürzung vorgenommen worden ist, noch einmal gesondert nachgehen und Ihnen darüber eine schriftliche Antwort zukommen lassen.
Weitere Zusatzfrage, Herr Büchner.
Herr Staatsminister, was wird die Bundesregierung in Planung des nächsten Haushaltes unternehmen, um die auch von Ihnen als sehr wichtig herausgestellten Kontakte zu osteuropäischen Ländern auch in Zukunft nicht von Umschiebemaßnahmen in Haushalten abhängig zu machen?Dr. Stavenhagen, Staatsminister: Herr Kollege, ohne Zweifel sind die Gespräche auch mit dem Deutschen Sportbund nicht ohne Eindruck geblieben, so daß Sie davon ausgehen können, daß wir uns beim Haushalt 1987 darum bemühen werden, einen ausreichenden Titelansatz sowohl für diesen Bereich der Sportförderung als auch für den Be-
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Staatsminister Dr. Stavenhagenreich der Sportförderung in der Dritten Welt zu bekommen.
Die Fragen 59, 60 und 61 dieses Geschäftsbereichs sollen auf Wunsch der Fragesteller, des Abgeordneten Hedrich sowie der Abgeordneten Frau Borgmann, schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Wir sind damit am Ende dieses Geschäftsbereichs. Ich danke dem Staatsminister für die Beantwortung der Fragen.
Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern. Zur Beantwortung der Fragen steht der Parlamentarische Staatssekretär, Herr Spranger, zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 62 des Abgeordneten Urbaniak auf:
Wie viele chemische Altstoffe mit Verdacht auf Langzeitwirkung sind derzeit auf dem Markt, und wieviel Prozent davon sind durch die nationale Meldestelle für gefährliche Stoffe bei der Bundesanstalt für Arbeitsschutz in Dortmund auf ihre Gefährlichkeit hin untersucht worden?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
In den Europäischen Gemeinschaften wurden etwa 100 000 Chemikalien als sogenannte alte Stoffe gemeldet. Es ist aber davon auszugehen, daß sich heute nur noch ein Teil dieser Stoffe auf dem Markt befindet. Über den Anteil darunter befindlicher Stoffe mit Verdacht auf Langzeitwirkung liegen keine Informationen vor.
Die Anmeldestelle nach dem Chemikaliengesetz bei der Bundesanstalt für Arbeitsschutz in Dortmund ist für die Untersuchung gefährlicher alter Stoffe nicht zuständig.
Unter dem Gesichtspunkt des allgemeinen Gesundheitsschutzes hat das Bundesgesundheitsamt 49 weitverbreitete Stoffe ausgewählt und auf eine Regelungsfähigkeit nach § 4 Abs. 6 des Chemikaliengesetzes überprüft.
Im Bereich des Arbeitsschutzes werden von der Berufsgenossenschaft der Chemischen Industrie unter besonderer Mitwirkung der Bundesanstalt für Arbeitsschutz derzeit mehr als 100 alte Stoffe bearbeitet; zu 30 Stoffen wurden bereits Prüfungen durchgeführt.
Im Bereich des Umweltschutzes hat das Beratergremium für umweltrelevante Altstoffe unter Beteiligung des Umweltbundesamtes eine Prioritätsliste von 60 vordringlich zu bearbeitenden alten Stoffen vorgelegt. Vier Stoffberichte sind bereits erstellt.
In allen drei genannten Schutzbereichen liegen Konzepte zur Auswahl und Prüfung alter Stoffe vor oder stehen kurz vor ihrer Fertigstellung.
Zusatzfrage, Herr Urbaniak.
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, hat die Bundesregierung eine Vorstellung davon, mit wieviel Stellen die nationale Meldestelle für gefährliche Stoffe ausgestattet sein müßte, um dem Auftrag des Chemikaliengesetzes gerecht zu werden, und welcher Zeitraum wird nach Schätzung der Bundesregierung erforderlich sein, um mit der Problematik der Altstoffe überhaupt fertigzuwerden?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Ich sagte schon, diese Anmeldestelle ist für die Untersuchung nicht zuständig. Sie nimmt Anmeldungen entgegen und teilt sie dann beispielsweise den anderen drei genannten Organisationen zu. Mir ist nicht bekannt, daß es hier personelle Probleme gegeben hat. Die Aufarbeitung der verschiedenen Stoffe und Untersuchungen nimmt nach den bisherigen Erfahrungen beträchtliche Zeit in Anspruch. Es sind außerordentlich schwierige Untersuchungen.
Weitere Zusatzfrage, Herr Urbaniak.
Herr Staatssekretär, der Bundesrechnungshof hat ja dem Haushaltsausschuß und somit auch der Bundesregierung zur Erfüllung des Chemikaliengesetzes einen Vorschlag unterbreitet, der, wie ich meine, stellenplanmäßig ein Minimum enthält. Wird sich die Bundesregierung im Haushalt 87 auf diesen Vorschlag des Bundesrechnungshofes beziehen und das Personal weiter ausbauen, um mit der Problematik der hier angeführten Stoffe schneller fertig zu werden?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Urbaniak, ich sehe wenig Zusammenhang zwischen dieser Personalfrage und der von Ihnen gestellten Frage nach chemischen Altstoffen mit Verdacht auf Langzeitwirkungen. Ich kann Ihnen hier zu Personalfragen keine Auskunft erteilen.
Ich rufe die Frage 63 des Abgeordneten Urbaniak auf:
Wie sehen die getroffenen freiwilligen Vereinbarungen zwischen der Bundesregierung und der chemischen Industrie aus, um den Auftrag des Chemikaliengesetzes zu erfüllen?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Spranger, Parl. Staatssekretär: § 4 Abs. 6 des Chemikaliengesetzes enthält Regelungsmöglichkeiten für die Prüfung alter Stoffe. Die Höhe der Eingriffsschwelle für solche Regelungsmöglichkeiten legt es jedoch nahe, freiwilligen Vereinbarungen mit der Industrie den Vorzug zu geben. In den Fällen, in denen sich aus den in der Antwort vorhin genannten Aktivitäten zusätzlicher Prüfungsbedarf für bestimmte alte Stoffe ergibt, hat die Industrie zugesagt, diese Prüfungen auf eigene Kosten durchzuführen.
Ich weise in diesem Zusammenhang auch auf den Bericht der Bundesregierung über die Anwendungen und die Auswirkungen des Chemikaliengesetzes hin, in dem die Arbeiten zur Überprüfung alter Stoffe ausführlich dargestellt werden.
Eine Zusatzfrage, Herr Urbaniak.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 204. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. März 1986 15687
Kann ich davon ausgehen, daß die Bundesregierung mit der chemischen Industrie auch darüber gesprochen hat, welch ein Potential eingesetzt wird, sowohl bei den freiwilligen Vereinbarungen als auch bei der Bundesregierung selbst, um einen erkenntlichen Zeithorizont abzuschätzen, überhaupt mit der Vielzahl dieser Stoffe fertigzuwerden? Das Gefahrenpotential muß ja mehr und mehr eingegrenzt werden. Wie sieht es also mit dem Zeithorizont aus?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Ich gehe davon aus, daß natürlich auch die personellen und organisatorischen Voraussetzungen diskutiert wurden, unter denen diese Prüfungen dann durchzuführen sind.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Urbaniak.
Denkt die Bundesregierung daran, Herr Parlamentarischer Staatssekretär, das Chemikaliengesetz in der Weise zu ändern, daß wir schneller mit den Problemen, die hier heute in der Fragestunde angesprochen worden sind, fertigwerden, und hat die Bundesregierung die Absicht, dies schon bald dem Parlament vorzulegen?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Urbaniak, ich glaube, es gibt hier keine Defizite beim Gesetz selbst, sondern die Frage der Umsetzung und des Vollzugs dessen, was angestrebt wird, wirft eine Reihe objektiver faktischer Probleme auf, deren Lösung durch eine gesetzliche Änderung nicht beschleunigt werden könnte. Gesetzlicher Handlungsbedarf besteht nach meiner Auffassung zur Zeit also nicht.
Ich rufe die Frage 64 des Abgeordneten Dr. Jobst auf:
Werden beim Betrieb von Müllkraftwerken umweltbelastende Schadstoffe in nicht zumutbarer Konzentration freigesetzt?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Spranger, Parl. Staatssekretär: Müllkraftwerke bedürfen einer Planfeststellung nach § 7 Abs. 1 Abfallbeseitigungsgesetz und der Genehmigung nach § 4 Bundesimmissionsschutzgesetz. In dem durchzuführenden Planfeststellungsverfahren ist von der zuständigen Behörde zu prüfen, ob von der Anlage schädliche Umwelteinwirkungen für die Allgemeinheit oder die Nachbarschaft hervorgerufen werden können und ausreichend Vorsorge gegen schädliche Umwelteinwirkungen getroffen ist. Die bei der Prüfung von der Behörde mit heranzuziehende Technische Anleitung zur Reinhaltung der Luft enthält Anforderungen, die sicherstellen, daß beim Betrieb von Müllkraftwerken keine unzumutbaren Konzentrationen freigesetzt werden.
Herr Dr. Jobst, eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, hat die Bundesregierung Erkenntnisse, daß bei der Müllverbrennung, vor allem beim Betrieb moderner Anlagen, Schadstoffe wie chlorierter Wasserstoff,
Quecksilber, Dioxin in einer nicht mehr zumutbaren Weise auftreten können?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Dr. Jobst, in der TA Luft gibt es Emissionsbegrenzungen für chlorierte Kohlenwasserstoffe und für Quecksilber. Es gibt in bezug auf Dioxin ein Minimierungsgebot, daß die Stoffe soweit wie möglich zu begrenzen sind. Wenn diese Vorschriften eingehalten werden, gibt es keine unzumutbaren Beeinträchtigungen. Im übrigen verweise ich auf einen Bericht des Umweltbundesamts, der darlegt, daß ordnungsgemäß betriebene Müllverbrennungsanlagen keine unvertretbaren Dioxinemissionen aufweisen.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Dr. Jobst.
Wenn Flugasche und Verbrennungsrückstände im Boden gelagert werden, ohne daß die Deponie abgedichtet ist, besteht dann die Gefahr, daß Schadstoffe den Boden verseuchen und gesundheitsgefährende Verhältnisse auslösen können?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Man kann davon ausgehen, daß bei einer ordnungsgemäßen Deponierung keine Gesundheitsbeeinträchtigungen eintreten. Was ordnungsgemäß ist, ergibt sich u. a. aus einem Beschluß der Umweltministerkonferenz vom November 1984, demzufolge solche Rückstände auf besonders gesicherten Deponien zu lagern sind. Empfehlungen, wie diese zu sichern sind, gibt es vom entsprechenden Länderausschuß Abfall.
Zusatzfrage des Abgeordneten Tatge.
Herr Staatssekretär, halten Sie es allen Ernstes für politisch vertretbar, hier von einem Minimierungsgebot für Dioxine zu sprechen auf dem Hintergrund, daß Dioxine eindeutig als krebserregende Stoffe gekennzeichnet sind und in Müllverbrennungsanlagen immer in der Flugasche oder in der Schlacke vorkommen und dies auch in vielen Anzeigen gegen Müllverbrennungsanlagen in der BRD schon erwiesen worden ist?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Ich verweise auf den Bericht des Bundesumweltamtes, der klarstellt, daß es hier, wenn die Regelungen eingehalten werden, zu keinen Gefährdungen durch Dioxine kommt.
Ich rufe Frage 65 des Abgeordneten Dr. Jobst auf:Sieht die Bundesregierung die Notwendigkeit, beim Betrieb von Müllkraftwerken entstehende Emissionen durch umweltgefährdende Stoffe einzuschränken oder solche Schadstoffe aus dem Verbrennungsprozeß fernzuhalten?Bitte schön, Herr Staatssekretär.Spranger, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Dr. Jobst, die Bundesregierung sieht hier keinen Regelungsbedarf. Die in der TA Luft festgelegten Anforderungen betreffen sowohl höchstzulässige Emis-
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Parl. Staatssekretär Sprangersionskonzentrationen von Staub, Schwermetallen, Chlor- und Fluorverbindungen, Kohlenmonoxid und anderen Stoffen sowie bauliche und betriebliche Anforderungen. So soll z. B. im Nachverbrennungsraum eine Mindesttemperatur von 800 Grad Celsius eingehalten werden. Werden Abfälle verbrannt, deren Gehalte an polychlorierten aromatischen Kohlenwasserstoffen wie PCB über den bei Hausmüll üblichen Spurengehalten dieser Stoffe liegen, soll die Mindesttemperatur regelmäßig 1200 Grad betragen.Es ist die Pflicht des Betreibers, seine Anlage so zu errichten, daß diese Betriebsbedingungen auch bei ungünstigeren Einsatzstoffen eingehalten werden.
Zusatzfrage, Dr. Jobst.
Teilen Sie die Auffassung, Herr Staatssekretär, daß Plastik aus der Müllverbrennung ferngehalten werden soll, und sieht die Bundesregierung hier einen Handlungsbedarf?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Plastik kann an sich nur dann Probleme aufwerfen, wenn es sich um chlorierte Stoffe handelt, und hier sind die Grenzen in der TA Luft festgelegt.
Weitere Zusatzfrage, Herr Dr. Jobst.
Hält es die Bundesregierung für geboten, und sieht sie einen Handlungsbedarf, darauf hinzuwirken, daß die Verwendung von Plastik zu Verpackungszwecken eingeschränkt wird?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Das hat der Bundesinnenminister in den vergangenen Jahren wiederholt unter dem Gesichtspunkt der Neuordnung des Abfallbeseitigungsrechtes zum Ausdruck gebracht. Er hat die Diskussion um Einweg- und Mehrwegpackungen in der Richtung geführt, daß die Mehrwegverpackung als die umweltfreundlichere Verpackung gegenüber der Einwegverpakkung — das ist die Plastikverpackung — zu bevorzugen ist.
Der Zusammenhang mit der Frage ist schon ein bißchen weit hergeholt.
Herr Tatge zu einer Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, teilt die Bundesregierung die Auffassung der Fraktion DIE GRÜNEN und auch meine Auffassung, daß es auf Grund der Probleme, die bei Müllverbrennungsanlagen auf Grund des Verbrennungsprozesses entstehen können, zumindest heute nicht mehr Tagespolitik sein kann, den Bau weiterer Müllverbrennungsanlagen zu fordern und damit eine unnütze energetische Verwendung zu fördern bzw. nicht auf eine Beseitigung der Abfallprobleme hinzuwirken?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Die Bundesregierung teilt diese Auffassung nicht.
Die Fragen 66 und 67 des Abgeordneten Sauter sollen auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Wir kommen zur Frage 68 des Abgeordneten Baum:
Ist die deutsche Sektion der „Internationalen Ärztevereinigung zur Verhinderung eines Atomkrieges" eine von der Deutschen Kommunistischen Partei beeinflußte Organisation, oder hat sie sich gegen die Einflußversuche der DKP erfolgreich zur Wehr gesetzt?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Spranger, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Baum, bereits in der Fragestunde am 4. Dezember 1985 habe ich auf eine Frage des Abgeordneten Horn zur „Internationalen Ärztevereinigung zur Verhinderung eines Atomkrieges" — IPPNW — ausgeführt, daß es bisher keine Erkenntnisse darüber gibt, daß Einflußnahmebemühungen orthodoxer Kommunisten gegenüber der deutschen Sektion der IPPNW erfolgreich waren. An diesem Erkenntnisstand und damit auch an der Bewertung der deutschen Sektion der IPPNW hat sich bis heute nichts geändert. Die Bundesregierung hat zu keinem Zeitpunkt behauptet, die deutsche Sektion der IPPNW sei kommunistisch beeinflußt. Anders-lautende Behauptungen sind falsch.
Zusatzfrage, Herr Baum.
Herr Kollege Spranger, war es nicht so, daß die deutsche Sektion nicht nur nicht beeinflußt war, sondern sich auch gegen solche Einflußversuche energisch zur Wehr gesetzt hat, und gibt es dazu nicht auch einen Bericht des Bundesamtes für Verfassungsschutz aus dem Oktober des letzten Jahres?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Das ist zutreffend. Nur befaßten sich die Frage und die anschließende Diskussion im Innenausschuß ausschließlich mit dem Bericht, der in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" abgedruckt war und der sich mit der internationalen Organisation beschäftigte.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Baum.
Wäre es nicht besser gewesen, Herr Kollege, Sie hätten dem Parlament damals schon gesagt, daß sich die deutsche Sektion gegen solche Versuche zur Wehr gesetzt hat, und zwar erfolgreich, daß sie also aktiv tätig gewesen ist? Sie erinnern sich an die damalige Diskussion, als auch die deutsche Sektion ins Gerede gekommen ist.
Spranger, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Baum, ich darf betonen, daß sich die Frage ausschließlich auf die internationale Organisation richtete und daß die Bundesregierung sogar, obwohl sie dazu gar nicht gehalten gewesen wäre, über die Fragestellung hinaus klargestellt hat, daß hier Unterschiede zur deutschen Sektion zu machen sind.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Jobst.
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Herr Staatssekretär, was sagen Sie zu den Vorwürfen des hessischen Staatssekretärs von Schoeler, Sie hätten gegenüber dem Deutschen Bundestag wider besseres Wissen behauptet, die Ärztevereinigung, um die es hier geht, arbeite im Vorfeld kommunistischer Frontorganisationen, und hätten dabei andere Erkenntnisse des Bundesamtes für Verfassungsschutz bewußt zurückgehalten?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Dr. Jobst, ich muß das als einen durchsichtigen Versuch bezeichnen, die Tatsachen zu verdrehen. Ich sagte es schon in der Antwort auf die Zusatzfrage des Abgeordneten Baum: Gegenstand der Anfrage des Abgeordneten Horn, die ich in der Fragestunde am 4. Dezember zu beantworten hatte und mit der sich der Innenausschuß am 11. Dezember beschäftigt hat, war die internationale Ärztevereinigung, nicht aber, wie behauptet wird, deren deutsche Sektion, und zu dieser internationalen Ärztevereinigung hat die Bundesregierung Stellung bezogen.
Eine Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Dr. Hamm-Brücher.
Herr Staatssekretär, wie beurteilen Sie denn nun die Tätigkeit dieser deutschen Sektion des internationalen Ärztekomitees, und sind Sie der Meinung, daß die deutsche Sektion auf die weltweite Organisation auch Einfluß in dem Sinne ausübt, daß dort kommunistischer Einfluß nicht geduldet wird?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Ich habe hier nicht die Tätigkeit der deutschen Sektion zu bewerten, sondern habe jetzt die Frage zu prüfen gehabt, ob irgendwelche Einflußnahmen vorliegen, und diese Frage ist bereits in der Fragestunde im Dezember vergangenen Jahres beantwortet worden.
Wir sind damit am Ende dieses Geschäftsbereichs. Ich danke dem Staatssekretär für die Beantwortung der Fragen.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers der Justiz. Zur Beantwortung der Fragen steht Staatssekretär Dr. Kinkel zur Verfügung.
Ich rufe Frage 70 des Abgeordneten Lambinus auf:
Hat der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister der Justiz, Erhard, bei der Staatsanwaltschaft Koblenz vorab Erkundigungen über den Sachstand der Ermittlungen gegen den Bundeskanzler, insbesondere über den Inhalt des Abschlußvermerkes, eingeholt, und, wenn ja, welche Auskünfte sind ihm erteilt worden?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident, ich möchte die Frage 70 wie folgt beantworten: Nein.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Lambinus.
Herr Staatssekretär, wie erklären Sie es sich dann, daß diese Presseerklärung, veröffentlicht in der ,,Bild"-Zeitung, zustande kam?
Dr. Kinkel, Staatssekretär: Herr Abgeordneter, der Parlamentarische Staatssekretär Erhard hat mit seiner Äußerung in der „Bild"-Zeitung seine persönliche Meinung zu diesem Vorgang geäußert. Er hat, wie ich eben durch das „Nein" erklärt habe, vorher keine Erkundigungen eingezogen, zumindest nicht bei amtlichen Stellen.
Eine Zusatzfrage, Herr Lambinus.
Herr Staatssekretär, halten Sie es erstens für legitim, daß sich der Staatssekretär im Justizministerium bei diesem Verfahrensstand überhaupt äußert, und können Sie zweitens ausschließen, daß sich der Parlamentarische Staatssekretär bei irgendeiner Stelle erkundigt hat?
Dr. Kinkel, Staatssekretär: Die Antwort auf die Frage 1 lautet: Ja, ich halte das für legitim.
Die Antwort auf die Frage 2 lautet: Nach den Erkundigungen, die ich vor der Beantwortung der hier gestellten Fragen eingezogen habe, kann ich sagen, daß er keine Erkundigungen bei offiziellen Stellen eingezogen hat.
Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Emmerlich.
Herr Staatssekretär, halten Sie es für angängig, daß ein Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesministerium der Justiz Prognosen über ein Ermittlungsverfahren, das in einem Bundesland läuft, stellt, insbesondere dann, wenn nach Ihrer Auffassung für ihn keinerlei Grundlagen für derartige Prognosen gegeben gewesen sind?
Dr. Kinkel, Staatssekretär: Herr Abgeordneter, ich erkläre für die Bundesregierung, daß auch der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesministerium der Justiz politische Vorgänge politisch bewerten kann und darf. Es handelte sich eindeutig um eine persönliche Bewertung, die sich ausschließlich auf die Kenntnis der Strafanzeige und des Protokolls des Untersuchungsausschusses — öffentlich zugängliche Unterlagen — gestützt hat.
Zusatzfrage des Abgeordneten de With.
Der Staatssekretär, halten Sie es — ganz abgesehen davon, daß ich dies für eine unzulässige Einmischung halte — für seriös, daß eine Auskunft erteilt wird, ohne daß man vorher tatsächlich Rückfrage gehalten hat — und noch dazu von einem Justizstaatssekretär?
Dr. Kinkel, Staatssekretär: Herr Parlamentarische Staatssekretär Erhard im Bundesjustizministerium hat keine Auskünfte gegeben, sondern in der von
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Staatssekretär Dr. Kinkel
Ihnen zitierten Äußerung in der Bild-Zeitung — ich wiederhole es — seine persönliche Bewertung eines politischen Vorgangs gegeben. Bei dieser Antwort möchte ich es belassen.
Bevor ich die nächste Frage aufrufe, möchte ich sagen, daß die Frage 69 beim vorhergehenden Geschäftsbereich der Abgeordneten Frau Borgmann auf Grund der Bitte der Fragestellerin schriftlich beantwortet wird. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich kehre jetzt zu diesem Geschäftsbereich zurück. Herr Lambinus hat die Frage 71 gestellt.
Wenn nein, auf welche Tatsachen stützt der Parlamentarische Staatssekretär seine in der Bild-Zeitung vom 3. März 1986 aufgestellte Behauptung: „Ich gehe davon aus, daß die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen gegen Kohl in Kürze einstellt. Der GRÜNE Schily wollte den Kanzler mit einer Anzeige ins Zwielicht bringen — erwiesenermaßen hat Kohl aber nichts Unwahres gesagt"?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Dr. Kinkel, Staatssekretär: Herr Abgeordneter, bei den von der Bild-Zeitung zitierten Äußerungen des Parlamentarischen Staatssekretärs Erhard handelt es sich um eine rein persönliche Bewertung, die sich, wie ich eben schon sagte, ausschließlich auf die Kenntnis der Strafanzeige und des Protokolls des Untersuchungsausschusses gründet.
Zusatzfrage Herr Lambinus.
Herr Staatssekretär, halten Sie es erstens für zulässig — ich frage Sie noch einmal —, daß sich der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister der Justiz im derzeitigen Stand des Verfahrens so dezidiert äußert, vor allen Dingen mit Ihrer Begründung, er habe in Kenntnis der Anklage und der Ausschußprotokolle die Auffassung, daß die Ermittlungen eingestellt würden? Teilen Sie zweitens meine Auffassung, daß dies, wenn dies so ist, eine unzulässige Einflußnahme auf die Staatsanwaltschaft ist?
Dr. Kinkel, Staatssekretär: Die Antwort auf die letzte Frage lautet: Die Bundesregierung ist der Meinung, daß dies keine unzulässige Einmischung ist.
Die Antwort zu Ihrer ersten Frage lautet: Der Parlamentarische Staatssekretär Erhard — ich kann es nur wiederholen — hat seine persönliche Meinung wiedergegeben. Dies durfte und konnte er.
Weitere Zusatzfrage Herr Lambinus.
Herr Staatssekretär, ist ein Parlamentarischer Staatssekretär eigentlich eine Person, die schizophren handeln und schizophren denken kann:
zum einen als Abgeordneter und zum anderen als Parlamentarischer Staatssekretär?
Dr. Kinkel, Staatssekretär: Herr Abgeordneter, ich möchte den Ausdruck „schizophren" in diesem Zusammenhang für die Bundesregierung zurückweisen
und erklären, daß es sich nicht — mindestens so, wie dies hier vorgenommen worden ist — um eine unzulässige Bewertung eines Vorgangs handelt, sondern darum — und dabei bleibe ich —, daß ein Parlamentarischer Staatssekretär auch bei Materien, die den Geschäftsbereich betreffen, in dem er tätig ist, durchaus seine persönliche Auffassung und Meinung zu politischen Vorgängen äußern kann und darf.
Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Hauff.
Herr Staatssekretär, was hat der Bundesminister der Justiz unternommen, um ähnliche Vorkommnisse wie dieses in Zukunft zu verhindern, oder ist die Bundesregierung der Meinung, daß das dem üblichen Verfahren entspricht?
Dr. Kinkel, Staatssekretär: Herr Abgeordneter, der Bundesminister der Justiz und die Bundesregierung hatten und haben in diesem Zusammenhang nichts zu unternehmen, was für die Zukunft eine solche persönliche Äußerung verhindern könnte oder müßte.
Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Emmerlich.
Herr Staatssekretär, halten Sie ein Ermittlungsverfahren bei einer Staatsanwaltschaft und die Abschlußverfügung der Staatsanwaltschaft für einen politischen Vorgang, oder sind Sie mit mir der Auffassung, daß die Äußerung des Parlamentarischen Staatssekretärs Erhard in. der Bild-Zeitung ein massiver Beeinflussungsversuch eines laufenden staatsanwaltschaftlichen Verfahrens ist?Dr. Kinkel, Staatssekretär: Was das letztere anbelangt, habe ich schon mehrfach gesagt, daß die Bundesregierung das nicht so sieht. Der Vorgang, den Sie ansprechen, hat zumindest sehr stark auch eine politische Komponente, zu der sich ganz offensichtlich der Parlamentarische Staatssekretär Erhard äußern wollte und nach Auffassung der Bundesregierung auch äußern konnte.Selbstverständlich liegt dem Vorgang auch eine rechtliche Komponente zugrunde. Herr Erhard wollte — daran kann es keinen Zweifel geben — auf das staatsanwaltschaftliche Ermittlungsverfahren jedenfalls keinerlei Einfluß nehmen. Er konnte es in diesem Zusammenhang durch die Äußerungen, die er getan hat, auch gar nicht tun. Ich kann mir jedenfalls nicht vorstellen, daß sich die zuständigen
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Staatssekretär Dr. KinkelStaatsanwaltschaften durch die Äußerungen von Herrn Erhard in irgendeiner Form in ihrer Aufgabe beeinträchtigt fühlen könnten.
Meine Damen und Herren, wir sind über die Zeit hinaus. Ich kann nur noch die vorher angemeldete Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Mann zulassen; ich nehme an, Sie müssen die Frage noch einmal aufgreifen, weil sich hierzu noch viele Abgeordnete melden. Das paßt aber nicht in unseren Zeitplan.
Herr Abgeordneter Mann zur letzten Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ich stelle trotzdem noch einmal die Frage: Sollte sich nicht ein Parlamentarischer Staatssekretär der Bundesregierung in einer solchen brisanten Angelegenheit im Hinblick auf ihre Delikatesse mit persönlichen Äußerungen ganz besonders zurückhalten, und sollte nicht das, was hier heute diskutiert worden ist, Anlaß dazu geben, daß sich Herr Parlamentarischer Staatssekretär Erhard in Zukunft anders verhält, als jetzt geschehen?
Dr. Kinkel, Staatssekretär: Herr Abgeordneter, ich möchte darauf wie folgt antworten: Die Äußerung befaßt sich eindeutig nicht mit konkreten Beweismitteln und nicht mit der Frage, wie diese im konkreten Verfahren eventuell gewürdigt werden könnten oder müßten. Ich kann immer nur wiederholen: Es handelt sich hierbei erkennbar um die persönliche Auffassung des Herrn Parlamentarischen Staatssekretärs Erhard.
Es ist nicht ersichtlich, inwiefern die Arbeit der Staatsanwaltschaften dadurch in irgendeiner Form behindert oder beeinflußt werden könnte.
Meine Damen und Herren, die Fragen 72 und 73 sind wegen des Zeitablaufs zurückgezogen worden. Die Fragen 74 und 75 des Abgeordneten Bachmaier werden auf Bitte des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt. Wir sind damit am Ende des Geschäftsbereichs des Bundesministers der Justiz.
Ich kann Ihnen insgesamt sagen, daß der Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen nicht aufgerufen zu werden brauchte, weil entweder auf Grund Nr. 2 Abs. 2 der Richtlinien eine schriftliche Antwort erfolgt oder Fragesteller um schriftliche Beantwortung gebeten haben. Das letztere gilt für die Fragen 80 und 81 des Abgeordneten Hettling sowie für die Frage 83 des Abgeordneten Stiegler. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Damit sind wir am Ende der Fragestunde. Ich danke dem Herrn Staatssekretär für die Beantwortung der Fragen und übergebe den Vorsitz.
Ich rufe auf die Tagesordnungspunkte 3 bis 5:3. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines ... Gesetzes zur Änderung des Bundesbesoldungsgesetzes— Drucksache 10/5077 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Innenausschuß
Ausschuß für Bildung und Wissenschaft Haushaltsausschuß4. Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Fünften Gesetzes zur Änderung des Bundessozialhilfegesetzes— Drucksache 10/4662 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Aussschuß für Jugend, Familie und Gesundheit
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Haushaltsausschuß gemäß § 96 GO5. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 19. November 1984 zur Errichtung der Interamerikanischen Investitionsgesellschaft— Drucksache 10/4629 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit
FinanzausschußAusschuß für WirtschaftHaushaltsausschuß gemäß § 96 GOEs handelt sich um die Erste Beratung von Gesetzentwürfen, die von der Bunderegierung und vom Bundesrat vorgelegt worden sind. Eine Aussprache ist nicht vorgesehen.Der Ältestenrat schlägt die Überweisung der Gesetzentwürfe auf den Drucksachen 10/5077, 10/4662 und 10/4629 an die in der gedruckten Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vor. Ist das Haus damit einverstanden? — Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 6 auf:Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses zu der Unterrichtung durch das Europäische ParlamentEntschließung zur Stärkung des Rechts der Bürger, beim Europäischen Parlament Petitionen einzureichen— Drucksachen 10/3601, 10/4559 —Berichterstatter:Abgeordnete Frau Hoffmann BrückEine Aussprache ist nicht vorgesehen.Wer der Beschlußempfehlung des Ausschusses auf Drucksache 10/4559 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Keine Gegenstimme. Enthaltungen? — Mit Mehrheit angenommen.
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Vizepräsident StücklenIch rufe den Tagesordnungspunkt 7 auf:Beratung des Neunten Berichts und Empfehlung der Europa-Kommission zu dem Haushaltsrechtsstreit zwischen dem Rat / einzelnen Mitgliedstaaten und dem Europäischen Parlament— Drucksache 10/5021 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Auswärtiger Ausschuß HaushaltsausschußEine Aussprache ist auch da nicht vorgesehen.Der Ältestenrat schlägt vor, die Vorlage an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Gibt es weitere Vorschläge? — Das ist nicht der Fall. Sie sind damit einverstanden. Es ist so beschlossen.Ich rufe Tagesordnungspunkt 8 auf:a) Beratung der Sammelübersicht 137 des Petitionsausschusses über Anträge zu Petitionen— Drucksache 10/5107 —b) Beratung der Sammelübersicht 138 des Petitionsausschusses über Anträge zu Petitionen— Drucksache 10/5108 — Hier ist ebenfalls keine Aussprache vorgesehen.Wir kommen zur Abstimmung. Wer den Beschlußempfehlungen des Petitionsausschusses zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Keine Gegenstimmen. — Enthaltungen? — Bei vier Enthaltungen ist diese Beschlußempfehlung angenommen.Ich rufe den Zusatzpunkt 3 auf:Beratung des Antrags der Fraktion DIE GRÜNENMoratorium für Tierversuche— Drucksache 10/3783 —Überweisungsvorschlag:Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit Ausschuß für Forschung und Technologie HaushaltsausschußEine Aussprache ist nicht vorgesehen.Es wird vorgeschlagen, den Antrag auf Drucksache 10/3783 an die in der gedruckten Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Gibt es weitere Vorschläge? — Das ist nicht der Fall. Damit ist dieser Vorschlag angenommen.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 9 auf:Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Frau Dr. Hartenstein, Dr. Hauchler, Bachmaier, Frau Blunck, Duve, Dr. Hauff, Kiehm, Lennartz, Müller Müntefering, Reuter, Schäfer (Offenburg), Stahl (Kempen), Frau Weyel, Kißlinger, Jansen, Dr. Vogel und der Fraktion der SPDVolkswirtschaftliche Verluste durch Luftverschmutzung— Drucksache 10/3432 —Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/5165 vor.Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die Aussprache 60 Minuten vorgesehen. — Ich sehe und höre auch da keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.Wünscht einer der Anfragenden das Wort zu einer zusätzlichen Begründung gemäß § 102 der Geschäftsordnung? — Das ist nicht der Fall.Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Hauff.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vor wenigen Tagen fand in der Evangelischen Akademie in Tutzing eine Tagung zum Thema „Umwelt und Gesundheit" statt. Die „Süddeutsche Zeitung" schreibt über diese Tagung dann wörtlich:
Die mageren Ergebnisse der Umweltpolitik im vergangenen Jahr haben die Bürger nicht gerade beruhigt. Die neue TA Luft, sagte eine der betroffenen Mütter, gehört auf die Sondermülldeponie der Rechtsgeschichte.
Diese Stimme aus dem Volk steht in einem denkwürdigen Gegensatz zu den Aussagen der Bundesregierung, die sagt — so der Umweltminister —: „Umweltschutz ist für mich neben der Sicherung des Friedens die wichtigste Aufgabe für die Gegenwart und die Zukunft."
Zu dieser wichtigsten Aufgabe für die Gegenwart haben wir Sozialdemokraten am 31. Mai 1985 eine Große Anfrage mit 16 einfachen Fragen eingebracht. Bis heute, also über ein Dreivierteljahr später, haben wir keine Antworten auf einem Gebiet, von dem die Bundesregierung sagt, es sei die wichtigste Aufgabe der Gegenwart.
Deswegen erzwingen wir heute diese Debatte nach der Geschäftsordnung, weil wir auch den Eindruck haben, Sie wollen gar nicht antworten, weil es Ihrer Umweltpolitik an einer soliden ökonomischen Begründung fehlt. Sie hantieren mit schlappen Grenzwerten, mit unangenehmen Fristen, statt zu sagen, was ökonomisch wirklich notwendig wäre.
Ökologische Belastungen durch Luftverschmutzung schädigen die Volkswirtschaft als Ganzes. Alarmierend ist das sprunghafte Ansteigen der Allergien und der Erkrankung der Atemwege. Jährlich leiden rund 400 000 Kinder an Hauterkrankungen, und 600 000 Kinder haben Asthma.
In den ersten 70 Jahren dieses Jahrhunderts sind an Kulturdenkmälern aus Stein so viele Schäden entstanden wie in den 400 Jahren davor.
Der Wald stirbt nach wie vor, auch mit noch unübersehbaren ökonomischen Folgen.
Mit anderen Worten: Die ökologischen Belastungen durch Luftverschmutzung werden auch zu Grenzen der wirtschaftlichen Entwicklung.
Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 204. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. März 1986 15693
Dr. Hauff
Heute wissen wir: Umweltverschmutzung kostet Geld. Es gibt keine Umweltverschmutzung zum Nulltarif. Eine ganze Reihe von Studien, die in den letzten Jahren entstanden sind, belegen das mit eindrücklichen Zahlen.
Deswegen fragen wir heute: Welche konkreten politischen Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus der Abschätzung der OECD, daß sich die jährlichen Gesamtkosten der Luftverschmutzung auf 3 bis 5% des Bruttosozialprodukts belaufen? Das wären für die Bundesrepublik Schäden in einer Größenordnung zwischen 52 und 85 Milliarden DM pro Jahr.
Wir fragen: Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus der Ewers-Studie, die zu Gesamtschäden durch die Luftverschmutzung von 4,2 bis 18 Milliarden DM jährlich kommt — durch Schäden im Wald, beim Fremdenverkehr, an Gebäuden und bei der Gesundheit von Menschen —?
Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus der Wirksamkeitsanalyse emissionsmindernder Maßnahmen des IFEU, die zu dem Ergebnis kommt, daß durch Schwefeldioxid und Stickoxide eine Schadenssumme von 15 bis 26 Milliarden DM pro Jahr erreicht wird? Für mich persönlich sind die Gesundheitsschäden alarmierend, die in der Studie auf 6,8 bis 11 Milliarden DM beziffert werden.
Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus den Angaben der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Waldbesitzerverbände, daß die finanziellen Verluste der deutschen Forstwirtschaft bei jährlich 1,6 Milliarden DM liegen?
Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus der absehbaren Zerstörung der Schutzfunktion des Waldes in den Alpen? In Bayern gibt es in den Alpen 25 000 ha Wald, der gegen Lawinen und Muren schützt. 70% dieses Waldes sind zur Zeit in ihrer Existenz gefährdet. Der Ersatz eines einzigen Hektars Schutzwald durch technische Maßnahmen kostet 1 Million DM, die Verschandelung der Landschaft gar nicht mit berücksichtigt. Würden also die 25 000 ha Schutzwald in den Alpen sterben, müßten sie ersetzt werden; damit entstünden volkswirtschaftliche Kosten in einer Größenordnung von 25 Milliarden DM.
Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus verschiedenen Studien des Umweltbundesamts, beispielsweise zu den Korrosionsschäden durch Umweltverschmutzung?
Die Luftreinhaltepolitik der Bundesregierung ist — ich habe es schon gesagt — gekennzeichnet durch Halbherzigkeiten, die man als Fortschritte auszugeben versucht. Das macht den Wald nicht gesünder, das rettet die Kulturdenkmäler nicht, und es führt auch nicht dazu, daß die umweltbedingten Krankheiten der Menschen zurückgehen.
Der Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Waldbesitzerverbände, Philipp Freiherr von Boeselager, hat vor einigen Tagen — wörtlich — die Empörung und die Verbitterung der Waldbesitzer über die — ebenfalls wörtlich — Halbherzigkeit der Luftreinhaltepolitik dieser Bundesregierung zum Ausdruck gebracht.
Ich meine, der Mann hat recht.
Sie weigern sich, auch durch die Nichtbeantwortung der Anfrage, Herr Zimmermann, Ihre Politik einer rationellen Prüfung auch auf dem ökonomischen Prüfstand zu unterziehen. Offensichtlich fürchten Sie auch öffentlichen Druck, der entsteht, wenn den Menschen das Ausmaß der Schäden mit Zahlen verdeutlicht und klar wird, daß Ihre bisherigen Maßnahmen zur Luftreinhaltepolitik auch aus wirtschaftlichen Gründen keinen Bestand haben können.
Es ist auch klar, warum Sie diese Diskussion meiden: Sie müßten sich dann aus gesamtwirtschaftlichem Interesse gegen mächtige Konzerne durchsetzen. Und da verläßt Sie der Mut. In keinem Fall Ihrer Umweltpolitik haben Sie die politische Kraft besessen, sich gegen mächtige Einzelinteressen wirklich durchzusetzen. Ein Beispiel dafür ist die TA Luft, wo Sie vor der Industrie in die Knie gegangen sind.
Diese Kraftlosigkeit hat dann dazu geführt, daß in fast allen Bereichen der Luftreinhaltung umwelttechnologisches Mittelmaß statt Umweltspitzentechnologien angewendet wird.
Wir erleben zur Zeit beispielsweise beim abgasarmen Auto den größten Etikettenschwindel in der Umweltpolitik seit 15 Jahren. 40 % der Neuwagen werden steuerlich als schadstoffarm gefördert. Tatsächlich aber besitzen nur 2 % der Pkw den Katalysator, der das Prädikat schadstoffarm wirklich verdient. Mit anderen Worten, die Umweltpolitik dieser Bundesregierung führt dazu, daß wir industriepolitisch auf eine veraltete Technologie setzen. Ein Irrweg für unsere Volkswirtschaft!
Statt dessen brauchen wir eine ökologische Modernisierung, die die Chancen moderner Technik wirklich nützt, die auf die ökonomischen Herausforderungen der Umweltzerstörung eine auch ökonomisch angemessene Antwort findet, eine ökologische Modernisierung, die einen wirklichen Aufbruch zur Erneuerung der Industriegesellschaft einleitet und die unserer Verantwortung vor kommenden Generationen gerecht wird. Die Politik der Bundesregierung ist davon meilenweit entfernt.
Das Wort hat der Abgeordnete Schmidbauer.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Kollege Hauff, jeweils die gleiche Leier, jeweils die gleiche Lamentiererei, nicht einmal konstruktiv Stellung bezogen zu den Vorhaben der
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15694 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 204. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. März 1986
SchmidbauerBundesregierung, sondern immer nur daran herumgemäkelt, die Grenzwerte seien nicht richtig und es gehe in Europa auch nicht schnell genug. Nur: 13 Jahre lang komplett versagt auf diesem Sektor!
Deutlicher als mit dieser Großen Anfrage konnten Sie die schweren umweltpolitischen Versäumnisse —
— Jetzt werden Sie gleich nervös, natürlich. Wenn Sie die Wahrheit hören, werden Sie nervös. — Herr Kollege, deutlicher als mit dieser Anfrage hätten Sie die Versäumnisse Ihrer Politik im letzten Jahrzent nicht zum Ausdruck bringen können. Hätte die SPD, Herr Kollege Hauff, in den 13 Jahren ihrer Regierungsverantwortung die Grundlage für eine zuverlässige Analyse der eingetretenen Umweltschäden, von denen Sie heute reden, getroffen und damit den Grund für eine fortschreitende Entwicklung gelegt, wären wir heute in der Lage, auf derartige Große Anfragen mit umfassendem und präzisem Zahlenmaterial zu reagieren.Selbstgefällig weisen Sie auf die angebliche OECD-Studie der 70er Jahre hin, Herr Kollege Hauff. Sie fragen die Bundesregierung und legen Zahlen aus den 70er Jahren zugrunde.
Wann sind Ihnen denn die Zahlen eigentlich begegnet? Mit diesen Zahlen vermögen Sie sich nicht zu entlasten. Selbst Ihnen, Herr Kollege Hauff, kann nicht entgangen sein, daß sich die längst veralteten Aussagen nicht mit den spezifischen Verhältnissen in der Bundesrepublik Deutschland befassen und wegen ihrer globalen Betrachtungsweise für die jetzt geforderte Therapie wenig hilfreiche Erkenntnisse vermitteln. Im übrigen handelt es sich nicht um eine Studie, Herr Kollege, sondern um eine Presseverlautbarung der OECD. Sie reden hier von einer Studie. Lesen Sie mal nach, was noch übrigbleibt. Ich sage Ihnen die Quelle. Es war eine Presseverlautbarung vom 8. Mai 1979, die Sie hier zur Studie hochstilisieren.
Es sind nicht nur falsche Zahlen, sondern auch 1979 bekannte Zahlen, Herr Kollege,
sehr schwach formuliert. Jetzt erwarten Sie von uns, daß wir Ihnen heute die Zahlen liefern. Die sind so alt, daß es älter nicht mehr geht.Die Bundesregierung unter Bundeskanzler Helmut Kohl hat es mit der 1982 in die Wege geleiteten forschungspolitischen Initiative unter der Federführung von Innenminister Dr. Zimmermann unternommen, in diesem entscheidenden Punkt Abhilfe zu schaffen. Die vom Bundesminister Zimmermann in Auftrag gegebene Pilotstudie und die Einrichtung eines Schwerpunktforschungsbereichs „Kosten der Umweltverschmutzung" werden uns erstmals exaktes Datenmaterial vermitteln. Meine Frage: Wo sind eigentlich Ihre Zahlen aus Ihrer Verantwortung?Die durch Versäumnisse der Vergangenheit noch weiter verschärfte Umweltsituation — das haben Sie j a hier beklagt — und die Notwendigkeit einer umfassenden Aufarbeitung stellen dabei die Wissenschaft sicher nicht vor eine leichte Aufgabe. Mit begrenzten Operationen können wir uns nicht begnügen, um der Inaktivität der 70er Jahre und ihren Folgen zu begegnen. Die von uns gestarteten Initiativen können aber nicht vor 1988 ein umfassendes und fundiertes Datengerüst bringen.Die Bundesregierung setzt damit nicht nur in den umweltpolitischen Zielsetzungen, sondern auch in der Umweltforschung und ihren Methoden völlig neue, richtige Maßstäbe. Diese Bemühungen haben auch auf internationaler Ebene sichtbare Wirkungen gezeigt. In ganz Europa, Herr Kollege Hauff, ist man sich der Zukunftsdimension des Umweltschutzes bewußt geworden. Dies ist auch ein ganz persönliches Verdienst unseres Innenministers. Wäre er nicht gewesen, gäbe es diese Fortschritte in Europa nicht.
Was haben Sie denn erreicht? — Null, Fehlanzeige! Aber wir haben diese Fortschritte.
— Ich habe es Ihnen schon einmal gesagt: Wenn Sie die Wahrheit hören — das ist bekannt —, werden Sie noch nervöser als normal.
Die vom Bundesinnenminister vorgelegte Konzeption zur Luftreinhaltung macht deutlich, daß hinter den verbalen Kraftmeiereien der Oppositionspartei zwar Betriebsamkeit, aber noch mehr Kurzatmigkeit steckt. Das muß Ihnen jedesmal erneut gesagt werden.Die Maßnahmen im Bereich der Luftreinhaltepolitik können sich, so meine ich, weltweit jedem Vergleich stellen. So werden sich durch die Großfeuerungsanlagen-Verordnung bis 1988 die Schwefeldioxidemissionen nahezu halbieren. Gleiches gilt in etwa für die Stickoxidemissionen und Kohlenwasserstoffemissionen. Ein solcher Durchbruch wäre von Ihnen mit einem Sonderparteitag gefeiert worden und wäre noch vor wenigen Jahren nicht denkbar gewesen. Heute dient die Großfeuerungsanlagen-Verordnung anderen Ländern als erfolgreiches Vorbild und ist übrigens Grundlage einer EG-Richtlinie, die europaweit gelten wird.Besonders mit der Novellierung der Technischen Anleitung Luft hat die Bundesregierung internationale Maßstäbe gesetzt. Herr Kollege Hauff, die Dame, die Sie genannt haben, bringen Sie uns einmal, die in der Kürze der Zeit ein paar hundert Seiten Technische Anleitung Luft durchgearbeitet hat, um zu einem solchen Ergebnis zu kommen. Sie glauben doch selber nicht an den Popanz mit der Dame, die Sie in Tutzingen getroffen haben. Die
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Schmidbauerwenigsten, die hier sitzen, haben die Technische Anleitung Luft gelesen; und Sie machen uns da ein Märchen vor und sagen: Da hat jemand gesagt, daß gehöre auf den Sondermüll. Diese Technische Anleitung Luft ist internationaler Maßstab und gehört überall durchgesetzt. Helfen Sie lieber mit, daß wir dies erreichen, und erzählen Sie nicht solche Märchen irgendwelcher Herkunft.
— Der Ministerpräsident des Landes Baden-Württemberg, den ich nun wohl ein bißchen besser und genauer kenne, war einer von denen, die im Bundesrat darauf hingewiesen haben, welch fortschrittliches Element in die Politik eingeführt wurde und wie wichtig die Technische Anleitung Luft ist.
— Bei der ersten hat er, wenn Sie zugehört haben, überhaupt nicht gesprochen. Dann kann er ja nur auf der zweiten Sitzung etwas gesagt haben. Wir haben j a versucht, das mit einigen Bundesländern zu klären. Ich habe versucht, das mit Ihrem Kollegen Einert auszubügeln; aber es ging leider nicht, denn die Länderinteressen waren ja relativ unterschiedlich. Ich will nicht sagen, daß genau Ihre Länder im Unterschied zu den Ländern, die von uns geführt werden, manche schärferen Maßnahmen nicht gewollt haben.
Die Bundesregierung hat mit ihrem Luftreinhalteprogramm ein völlig neues, durchgreifendes Umweltschutzsystem aufgebaut. Besondere Bedeutung kommt auch dem schadstoffarmen Kraftfahrzeug zu. Herr Kollege, vor ein paar Monaten haben Sie erklärt, das bleifreie Benzin werde nicht umgesetzt. Kein Mensch redet mehr darüber, kein Mensch nimmt mehr an, was Sie von diesem Pult aus gesagt haben. Wir haben ein flächendeckendes Netz bleifreien Benzins in Super- und Normalqualität, ein größeres, dichteres Tankstellennetz als für Dieselkraftstoffe. Das haben Sie alles vor wenigen Monaten noch bestritten. Man hört inzwischen von Ihnen auf diesem Sektor so wenig. Das spricht in deutlicher Weise für unseren Erfolg.
Das gebrochene Verhältnis — Herr Kollege Hauff, Sie haben eben versucht, das richtigzustellen — zu volkswirtschaftlichen Anliegen hat gerade im Umweltschutzbereich schwerste Folgen gezeigt, mit denen wir noch auf Jahre hinaus kämpfen müssen. Ihnen ist weitgehend das Bewußtsein dafür abgegangen, daß es im Umweltschutz auf der Kostenseite nicht nur um Aufwendungen für Therapiemaßnahmen geht. Diesen Aufwendungen steht die exorbitante Belastung gegenüber, die die bereits eingetretenen Umweltschäden für unsere Volkswirtschaft mit sich bringen. Von irreparablen Schäden und ihrer Quantifizierung möchte ich nicht einmal reden. Nicht nur unter arbeitsmarktpolitischen Gesichtspunkten hat sich der vermeintliche Gegensatz zwischen Ökonomie und Ökologie als ein Scheinkonflikt erwiesen, auch wenn er in den Köpfen der Oppositionsparteien natürlich weiter fortlebt. Hierüber kann auch nicht Ihr Programm „Arbeit und Umwelt" hinwegtäuschen.Ich darf Ihnen, meine Damen und Herren von der SPD, noch einmal ins Gedächtnis rufen, daß allein die Maßnahmen zur Luftreinhaltung Investitionen in Höhe von vielen Milliarden D-Mark nach sich ziehen werden. Das ist ein wichtiger ökonomischer Impuls. Das ist tätige Arbeitsplatzsicherung.Der Umweltschutz ist in unserem Gemeinwesen zu einer wichtigen Aufgabe geworden. Er ist zu wichtig, als daß wir ihn ideologisierenden Systemveränderern überlassen dürften, die durch Appelle an die Emotionen der Bürger nur ihren Dilettantismus zu bemänteln versuchen.
Wir sind sicher, daß sich der Bürger in seinem Verhältnis zum Umweltschutz nicht von solchen Appellen leiten läßt, sondern einer von sorgfältiger Analyse und langfristigen Perspektiven bestimmten Umweltpolitik vertraut.Herzlichen Dank.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Tatge.
Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Luftverschmutzung ist ein Ergebnis der lebenszerstörenden Art und Weise, in der wir produzieren und konsumieren. Ursache sind Art und Umfang unserer Energiestruktur, des Verkehrs und der Industrieanlagen. Die verursachten Schäden sind umfassend und vielfältig. 33 Milliarden DM Bauschäden wurden schon festgestellt. Milliardenschäden, insbesondere bei Brücken, werden in den nächsten Jahren erwartet.
Die Ertragsausfälle und die Vernichtung von fruchtbarem Boden in der Landwirtschaft sind ein weiteres, von der Bundesregierung verschlossen gehaltenes Kapitel. 3 Millionen Tonnen Schwefeldioxid, 3,1 Millionen Tonnen Stickoxid, 8,2 Millionen Tonnen Kohlenmonoxid, 700 000 Tonnen Staub, 1,6 Millionen Tonnen organische Verbindungen wurden im Jahre 1982 in der Bundesrepublik emittiert. Gleichzeitig hatten wir eine durchschnittliche Schädigung der Waldfläche von über 50 %. Erst stirbt der Wald, dann stirbt der Mensch — so eine oft gebrauchte Überschrift. Aber das ist falsch. In der Natur existiert diese Abfolge nicht. Was den Wald zerstört, zerstört auch den Menschen bzw. den menschlichen Organismus.
Das Kind sitzt eben noch im Bett, zwar schwer atmend, aber wach und voll aufmerksam.
Auf einmal, ohne das geringste Vorzeichen, haben in Bruchteilen von Sekunden Herz und Atmung ausgesetzt. Das Kind fällt zurück und ist tot. Jedes Jahr erkranken in der Bundesrepublik 16 000 Kin-
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Tatge
der an Pseudokrupp; etwa 4 000 sterben daran. Ursache: Erstickung. Verbreitung: vor allem in industriellen Ballungszentren.
Die Gesamtausgaben für die Gesundheitsfürsorge sind seit 1965 von 31 Milliarden DM auf 170 Milliarden DM gestiegen. Das liegt nicht daran, daß wir ein so tolles Gesundheitssystem haben, sondern daran, daß unsere Industriegesellschaft krank ist.
Luftverschmutzungen sind ein ökologisches, aber auch ein ökonomisches Problem. Durch die Luftverschmutzung wie durch alle anderen Arten von Umweltzerstörung wird ebenso volkswirtschaftliches Kapital verschleudert. Weder die Bundesregierung noch die offiziell von ihr gehaltene Wissenschaft ist bereit, die volkswirtschaftlichen Schäden umfassend zu erheben und als Maßstab für den Wohlstand einer Gesellschaft heranzuziehen. Es gibt jedoch nichts Irrationaleres als ein System, in dem die Produktionskosten unvollständig berechnet sind. Die neoklassische Ökonomie täuscht durch Vernachlässigung der Sozialkosten eine gesellschaftliche Effizienz der Ressourcenverteilung in einer freien Unternehmerwirtschaft vor.
In der der Bundesregierung eigenen Unvernunft und Ignoranz argumentiert sie immer noch mit veralteten Indikatoren wie dem aus der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung ermittelten Bruttosozialprodukt. Das Bruttosozialprodukt ist nach wie vor die zentrale Zielkategorie der keynesianischen wie der neoklassischen Wirtschaftspolitik. Es ist so definiert, daß es mit wachsender Freizeit, mit mehr Eigenarbeit und Nachbarschaftshilfe, ja sogar bei sparsamerem Energieverbrauch sinkt. Und umgekehrt: Mit zusätzlichen Wegekosten, wachsenden Werbeausgaben, häufigeren Verkehrsunfällen, steigendem Rohstoffverbrauch und steigenden Kosten für Umweltsanierungsmaßnahmen steigt das Bruttosozialprodukt. Dabei hätte eine kreative Wirtschaftspolitik, die nicht dogmatisch an alten Glaubenssätzen hängt, genug Möglichkeiten, präzise Indikatoren zu finden, die eine Alternative zum Bruttosozialprodukt darstellen. Binswanger, Leipert, Nordhaus, Tobin und weitere Wirtschaftswissenschaftler haben Alternativen aufgezeigt. Die Sozialkosten müßten endlich qualifiziert und berechnet werden. Wir müssen wissen, welche Kosten und damit welche volkswirtschaftlichen Schäden uns einerseits durch Luftverschmutzung, Wasserverschmutzung, Bodenvergiftung, Ressourcennutzung entstehen bzw. andererseits durch Arbeitslosigkeit, technologischen Wandel, Überkapazitäten, ruinösen Wettbewerb und Überkonzentration bedingt werden.
Was dagegen spricht, ist eigentlich nur, daß die gesamte Ideologie dieser Bundesregierung, ihr Wachstums- und Leistungsfetischismus, zusammenbrechen würde.
Deswegen erwarten wir auch heute von dieser Bundesregierung keinen konstruktiven Beitrag zu den hier angesprochenen Problemen. Noch unverändert gilt, was ein wütender und enttäuschter Erhard Eppler nach seinem Ausscheiden aus dem Kabinett Schmidt zu Papier gebracht hat. Unvermindert gilt es für die wirtschaftspolitischen Konzeptionen der Bundesregierung und der Sozialdemokratie:
Unsere Antworten auf die Herausforderung unserer Zeit werden immer unangemessener, verzagter oder auch unredlicher. Der Abstand zwischen dem Zeithorizont politischer Entscheidungen und dem Zeithorizont unserer Aufgaben wird immer unerträglicher.
Ich danke an dieser Stelle meinem Kollegen Stefan Schulte, daß ich als Wirtschaftspolitiker meiner Fraktion zu diesem Punkt die Rede halten durfte.
Danke schön.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Hirsch.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Unsere Zuhörer wären baß erstaunt, wenn man ihnen sagen würde, worüber wir hier eigentlich debattieren. Denn wir debattieren hier nicht generell über Umweltschutzpolitik, sondern über eine Große Anfrage, und die hat das Thema: „Volkswirtschaftliche Verluste durch Luftverschmutzung". Ich war also völlig verblüfft, Herr Kollege Hauff, als Sie einen Generalangriff auf die Umweltschutzpolitik überhaupt starteten. Es gibt ja viele Dinge, über die man viel lieber als über diese Große Anfrage diskutieren würde. Ich würde z. B. außerordentlich gern darüber reden, daß es eine Kulturschande ist, diesen Plenarsaal abzureißen, daß man ein „Haus der deutschen Geschichte" machen und gleichzeitig das Gebäude abreißen will, in dem sich deutsche Geschichte abgespielt hat. Ich finde das ein Bubenstück. Ich möchte das hier mal ausdrücklich sagen. Gut.
Aber ich will mich tatsächlich an diese Anfrage halten und deswegen zu dem eigentlichen Thema kommen. Was ich bedauere, ist die Tatsache — —
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Schulte ?
Bitte, Herr Kollege. Vizepräsident Stücklen: Bitte sehr.
Herr Kollege Hirsch, halten Sie Ihren soeben gegebenen Beitrag für qualifiziert in bezug auf das Thema der Großen Anfrage, und sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß der Kollege Hauff sich sehr wohl mit der desolaten Umweltpolitik, die sich ja auf die Luftreinhaltepolitik der Bundesregierung konzentriert, auseinandergesetzt hat?
Wenn Sie mir das Vergnügen bereiten würden, meinen weiteren Ausführungen zu lauschen, dann sollten wir gemeinsam das Urteil, ob die Ausführungen qualifiziert sind, unseren Zuhörern überlassen, Herr Kollege.
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Dr. HirschDie Anfrage ist ja wirklich nicht taufrisch. Sie stammt vom 31. Mai 1985.
Unsere Kollegen von der SPD hätten, wie ich finde, noch die wenigen Tage warten können, bis die Antwort der Bundesregierung vorliegt. Sie wissen ja, daß der Entwurf der Antwort am 2. April vom Kabinett gebilligt werden sollte.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Hauff?
Wenn mir die Redezeit angehalten wird: Sehr gern, Herr Kollege.
Bitte schön, Herr Hauff.
Herr Kollege Hirsch, ist Ihnen bekannt, daß die Beantwortung der Anfrage für Ende vergangenen Jahres angekündigt war?
Das ist mir sehr wohl bekannt. Und es Ihnen sehr gut bekannt, Herr Kollege, daß die Bundesregierung nicht nur ein Schwerpunktprogramm aufgelegt hat, um den Umfang der Schäden zu qualifizieren. Sie wissen auch, daß im September 1985 ein umfangreiches Symposium veranstaltet worden ist, um die Fragen, die Sie stellen, zu qualifizieren. Ich möchte Ihnen mal in aller Wertschätzung sagen: Wenn ich Ihre Anfrage lese, komme ich nicht von dem alten Sprichwort runter, daß ein Narr mehr fragen kann, als zehn Weise beantworten können.
Wenn ich Mitglied der Verwaltung wäre — was ich Gott sei Dank nicht bin — und mir überlegen sollte, wie ich diese Fragen beantworten soll, würde ich zunächst einmal feststellen, daß ich eine ganze Reihe dieser Fragen, z. B. die nach der Wirkung der Umweltschäden auf Fremdenverkehr und Tourismus, eigentlich nur beantworten könnte, wenn ich eine umfangreiche Statistik auflege. Und da kann ich an der Tatsache nicht vorbei, daß es gerade z. B. die Fraktion DIE GRÜNEN ist, die heute noch alles tut, um solche Erhebungen zu verhindern.
Nun können Sie doch nicht zweierlei gleichzeitig machen — Herr Mann, Sie können den Kopf schütteln, so viel Sie wollen, es ist einfach die Wahrheit —: Sie können doch nicht beklagen, daß es schwierig ist, diese Fragen zu beantworten, wenn Sie gleichzeitig die Mittel verweigern, die dazu dienen können, um Ihnen wenigstens einigermaßen entgegenzukommen. Das ist doch die nackte Wahrheit.Um also ernst zu werden, Herr Kollege Hauff: Der Gedanke, daß es nicht nur etwas kostet, wenn man Mittel aufwendet, um Umweltschutz zu betreiben, sondern daß die Kosten auch dann außerordentlich hoch sind, wenn man nichts tut, wenn die Umweltbelastung unverändert bleibt, ist schlicht und leicht nachzuvollziehen, und er ist überhaupt nicht neu. In der Tat muß man der Öffentlichkeit in das Bewußtsein rufen, daß diejenigen, die betriebswirtschaftliche Ausgaben sparen, indem sie Umweltschutzinvestitionen vermeiden, zu Lasten anderer Leute sparen, deren Eigentum, Vermögen, Gesundheit und was immer darunter leidet, daß eine Umweltbelastung bleibt. Diesen volkswirtschaftlichen Mechanismus, der eben nicht nur betriebswirtschaftlicher Art ist, aufzudecken ist sehr verdienstvoll. Aber das ist nicht neu. Es ist nur sehr schwierig, aus dieser Tatsache heraus zu quantifizieren.Wir haben hier vor nicht langer Zeit eine Anfrage behandelt, wie sich die Luftverschmutzung z. B. auf Bauten auswirkt. Es ist dargestellt worden, daß der Kausalzusammenhang außerordentlich schwer belegt werden kann, also die Frage: Was ist die Folge von normalem Verschleiß, von übermäßigem Verkehr, von Tausalz? Was ist die Folge von mangelnder Bauausführung und Planung, von veränderten Standards, wenn Sie also z. B. an die ersten Bauten nach dem Zweiten Weltkrieg denken, die j a anderen Standards folgten als denen, nach denen heutzutage gebaut wird? Welche Umweltschäden sind tatsächlich auf Belastung von Luft und Wasser zurückzuführen? Es ist außerordentlich schwierig, das zu quantifizieren.Nun habe ich mir die Unterlagen zu dem Symposion vom September 1985 durchgelesen. Ich wünschte wirklich, daß die umfangreichen Gutachten, die dazu erstattet worden sind, veröffentlicht werden,
weil man dann in der Tat erkennen kann, welche volkswirtschaftlichen Probleme entstehen und wie außerordentlich schwierig es ist, sowohl die Kausalität zu prüfen als auch die Folgen zu quantifizieren.Aber nun lassen Sie mich noch ein paar Bemerkungen zu dem ständigen Vorhalt machen, es sei im Bereich des Umweltschutzes nichts getan worden. Im Grunde genommen müßten Sie mit uns den Kollegen der GRÜNEN sagen, daß der Umweltschutz j a nicht erst erfunden worden ist, seitdem die GRÜNEN im Bundestag sind.
Noch vor wenigen Jahren, etwa Ende der 60er, Anfang der 70er Jahre, galt es als ein Synonym für Stärke, Reichtum und Wohlstand, wenn der Schornstein raucht. Heute ist man davon weit entfernt. Wenn man mit offenen Augen durch die Industrielandschaften unseres Landes fährt, auch durch Nordrhein-Westfalen, dann merkt man, wie unglaublich viel
in den letzten Jahren — sowohl in der früheren Koalition als auch in der jetzigen Koalition — gemacht worden ist, um unter Wahrung der wirtschaftlichen und volkswirtschaftlichen Notwendigkeiten im Umweltschutz Schritt für Schritt voran-
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Dr. Hirschzukommen. Denn das haben nun inzwischen alle — außer den Kollegen der GRÜNEN — gemerkt, und zwar einfach durch Reisen in andere Länder, daß Umweltschutz und Ökonomie kein Gegensatz sind, sondern daß allein eine starke Wirtschaft leistungsfähig ist, um auch Umweltschutzaufgaben zu lösen. Da braucht man nur in die Staaten des Ostblocks zu fahren, um das zu sehen.
Und es ist ja viel gemacht worden. Wir haben damals zusammen das Immissionsschutzgesetz gemacht; das war wirksam. Wir haben im Bereich der Wasserreinhaltung gegen heftige Widerstände das Abwasserabgabengesetz gemacht, haben volkswirtschaftliche Instrumente in die Umweltschutzpolitik eingeführt. Es gibt eine neue TA Luft, es gibt eine Großfeuerungsanlagen-Verordnung, es gibt ein Altanlagensanierungsprogramm
— Sie können ja gleich noch reden, wenn Sie Lust haben —, es gibt intensive Bemühungen zur Einführung und zur Propagierung des schadstoffarmen Autos, es gibt ein zweites Gesetz zur Änderung des Immissionsschutzgesetzes.Wir glauben, daß in der Tat nicht nur in der Vergangenheit Enormes geleistet worden ist, um die Umweltbelastung zu verringern, sondern daß wir uns unverändert auf dem selben Wege befinden, diese Entwicklung fortzutreiben, soweit und so schnell das irgend möglich und für uns alle vertretbar ist.Ich denke, daß wir uns gemeinsam dem weiteren Problem widmen müssen, daß wir auch in den internationalen Beziehungen mehr als bisher darauf dringen müssen, zu gemeinsamen Umweltstandards zu kommen. Ich begrüße außerordentlich, daß wir Anstrengungen unternehmen, Umweltschutzstandards in die internationalen Wirtschaftskonferenzen einzuführen, und daß wir auch mit den Staaten des Ostblocks, der DDR, der Tschechoslowakei, Polen, intensive Bestrebungen aufgenommen haben, um in diesem Bereich zu gemeinsamen Lösungen zu kommen. Wir werden alles tun, um auf diesem Wege fortzufahren. Ob wir das auf Mark und Pfennig quantifiziert haben oder nicht, ist nicht so entscheidend wie die Tatsache, daß wir gemeinsam etwas tun müssen, um diese wirkliche Jahrhundertaufgabe vernünftig zu lösen.
Meine Damen und Herren, ich unterbreche unsere Beratungen.
Soeben hat uns die Nachricht erreicht, daß heute nachmittag der langjährige Präsident des Deutschen Bundestages, Dr. Eugen Gerstenmaier, nach längerer Krankheit in seinem Heim in Oberwinter verstorben ist. Er stand im achtzigsten Lebensjahr.Mit Eugen Gerstenmaier ist eine der letzten noch lebenden großen und prägenden Gestalten aus der Gründergeneration unseres Staates von uns gegangen, ein Wegbereiter für die geistige und demokratische Erneuerung, der am Aufbau unserer parlamentarischen Demokratie mitgewirkt und in den Nachkriegs- und Aufbaujahren entscheidend dazu beigetragen hat, Deutschland zu neuem Ansehen und zur Aufnahme in die Völkergemeinschaft zu verhelfen.Eugen Gerstenmaier stammte aus einer kinderreichen Familie in Kirchheim/Teck. Seiner württembergischen Heimat blieb er stets verbunden. Nach dem Studium der evangelischen Theologie strebte er eine akademische Laufbahn an; dies wurde von den national-sozialistischen Machthabern verhindert. Als entschiedener Verfechter der Freiheit der Verkündigung schloß er sich der Bekennenden Kirche an. Er trat in den Dienst der evangelischen Kirche, für die er in der kirchlichen Auslandsarbeit tätig wurde.Seine Gegnerschaft zum Nationalsozialismus aus christlicher Verantwortung führte ihn aus Sorge um Deutschland in den Widerstand. Er schloß sich dem Kreisauer Kreis an, der entschlossen war, Deutschland vom Nationalsozialismus zu befreien. Nach dem mißglückten Attentat vom 20. Juli 1944 wurde er vom Volksgerichtshof zu sieben Jahren Zuchthaus verurteilt. Amerikanische Truppen befreiten ihn im April 1945 aus der Haft. Nach dem Kriege widmete er sich dem Aufbau des Hilfswerks der evangelischen Kirche in Deutschland und übernahm dessen Leitung. 1949 wurde Eugen Gerstenmaier für die CDU im Wahlkreis Backnang-Schwäbisch Hall in den 1. Deutschen Bundestag gewählt, dem er bis 1969 angehörte.Auch seine parlamentarische Arbeit galt zunächst den vom Krieg besonders schwer betroffenen Menschen, den vielen Hunderttausenden, die sich noch in Flüchtlingslagern oder in Kriegsgefangenschaft befanden und für die er sich im In- und Ausland unermüdlich einsetzte.Mit besonderem Interesse widmete er sich der Außenpolitik. Er wurde Mitglied des Auswärtigen Ausschusses und zu Beginn der 2. Wahlperiode dessen Vorsitzender. Auch als Bundestagspräsident galt seine Leidenschaft der Außenpolitik und der Pflege der auswärtigen Beziehungen. Er gehörte zu denjenigen, die sich mit Nachdruck für die Wiedergutmachung, den Frieden mit Israel und die Versöhnung zwischen Deutschen und Juden einsetzten.Seine bleibenden politischen Verdienste, die seinen Namen für immer untrennbar mit der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland verbinden, erwarb sich Eugen Gerstenmaier in der Nachfolge von Hermann Ehlers als dritter Präsident des Deutschen Bundestages. Er hat dieses Amt mehr als 14 Jahre lang, von 1954 bis 1969, innegehabt.Sein Amt übte er mit Würde und Entschiedenheit aus, im Bemühen, die lebhafte Debatte zu fördern und die Rechte des Parlaments ggenüber der Regierung zu wahren und zu stärken. Auf ihn geht die Einführung der Aktuellen Stunde zurück.Der Bau des Abgeordneten-Hochhauses war ein erster Schritt zur Verbesserung der Arbeitsbedin-
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Präsident Dr. Jenningergungen des Parlaments und auch ein erster Schritt zum Ausbau Bonns als Bundeshauptstadt. Doch lag ihm die alte Reichshauptstadt Berlin ebenso am Herzen. Seiner Initiative ist der Wiederaufbau des in Trümmern liegenden Reichstagsgebäudes zu verdanken. Er erkannte frühzeitig die symbolische Bedeutung einer Wiederherstellung dieses Gebäudes für die Erneuerung der parlamentarischen Demokratie in Deutschland.Als Eugen Gerstenmaier 1969 wegen gegen ihn erhobener Vorwürfe sein Amt als Bundestagspräsident zur Verfügung stellte, war dies für ihn eine nicht ganz leicht zu bewältigende Zäsur in seinem politischen Leben. Innere Unabhängigkeit und Demut, aber auch unerschütterliches Gottvertrauen halfen ihm seinen Lebensweg in Gelassenheit zu vollenden.Eugen Gerstenmaier war eine starke Persönlichkeit. Er hatte die Gabe, „ja" aber auch „nein" zu sagen — und beides überzeugend zu begründen. Sein prägender Einfluß, seine persönliche Ausstrahlung und seine Überzeugungskraft, die sich in seinen großen Reden genauso zeigten wie in seiner täglichen Amtsführung als Präsident des Deutschen Bundestages, werden unvergessen bleiben.Der Deutsche Bundestag wird Eugen Gerstenmaier stets ein dankbares und ehrendes Gedenken bewahren.Sie haben sich zu Ehren des Verstorbenen von Ihren Plätzen erhoben. Ich danke Ihnen. —Meine Damen und Herren, wir fahren mit der Debatte fort. Das Wort hat Herr Abgeordneter Engelsberger.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die heutige Debatte hat wieder einmal gezeigt, daß sich alle Parteien des Deutschen Bundestages über die Bedeutung des Umweltschutzes einig sind. Ich möchte jedoch einschränkend hinzufügen: wohl nur theoretisch einig sind; denn in der praktischen Umweltschutzpolitik erleben- wir immer wieder, daß sich die Opposition im Theoretisieren und Anklagen erschöpft, während die Regierung handelt, oder, wie es so treffend umschrieben wurde: Die GRÜNEN schwafeln, während die Schwarzen entschwefeln.
Während die Roten die Kosten des Umweltschutzes am liebsten noch einmal sozialisieren würden, sind die Schwarzen für das Verursacherprinzip: Wer den Schaden anrichtet, der soll ihn nach Möglichkeit auch bezahlen; denn das ist wesentlich gerechter und zur konkreten Beseitigung der Umweltschäden auch wesentlich wirkungsvoller als jedes noch so aufgebauschte Programm „Arbeit und Umwelt". Dadurch würden den Bürgern zunächst einmal jene Milliardensummen aus der Tasche gezogen, die dann hinterher nach dem Gutdünken der Bürokraten und der Funktionäre wieder unter das Volk gebracht werden sollen.Nein, meine Damen und Herren, Umweltschutz ist zwar das Gebot der Stunde, aber diese Aufgabe ist viel zu wichtig, als daß sie zur Spielwiese sozialistischer Experimente gemacht werden dürfte.
Die Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der SPD nach den volkswirtschaftlichen Verlusten durch Umweltverschmutzung hat gezeigt, daß abschließende Antworten noch nicht gegeben werden können und daß wir in vielen Bereichen noch auf grobe Schätzungen angewiesen sind. Auch hier lassen sich jahrzehntelange Versäumnisse nicht in wenigen Jahren aufholen, Herr Hauff.Die unionsgeführte Bundesregierung hat jedoch seit 1982 umfangreiche Forschungsprogramme in Gang gesetzt, um die Ursachen der Schäden aufzuklären. Immerhin sind bis heute ca. 150 Forschungsarbeiten mit einem Gesamtfördervolumen von 80 Millionen DM auf den Weg gebracht worden.
Hierdurch ist es in wichtigen Bereichen wie etwa der Waldschadensforschung oder der Gesundheitsforschung bereits in wenigen Jahren möglich geworden, erste Aussagen sowohl über das Ausmaß als auch über die Ursachen der Umweltschäden zu machen.Als Folge dieser Erkenntnisse hat die Bundesregierung bereits wichtige Schritte eingeleitet, die uns den erklärten umweltpolitischen Zielen — saubere Luft, klares Wasser, guter Boden — ein gutes Stück näherbringen werden. So sind allein aus der letzten Novelle der Technischen Anleitung zur Reinhaltung der Luft, aus der Großfeuerungsanlagen-Verordnung und aus der Einführung des schadstoffarmen Kraftfahrzeugs Umweltschutzinvestitionen von rund 50 Milliarden DM zu erwarten.Als positives Ergebnis dieser Regelungen wird allein bei der Schwefeldioxidbelastung im Bereich der Kraftwerke bis 1988 eine Reduzierung um 73 % zu erreichen sein, womit wir die Schwefeldioxidbelastung in wenigen Jahren auf Werte zurückgeführt haben werden, wie wir sie in Deutschland am Anfang des Jahrhunderts einmal hatten.Die Bundesregierung geht zu Recht davon aus, daß wichtige Aufgaben des Umweltschutzes nur in engem Zusammenwirken mit der Forschung und der Technik zu erfüllen sind. Beides ist unabdingbar. Die Forschung muß die Ursachen und die Wirkungszusammenhänge der Umweltbelastung aufzeigen, und die Technik muß die technischen Möglichkeiten schaffen, den Konflikt zwischen industrieller Produktion und Umwelterhaltung zu lösen.Fortentwicklung der Technik und Schutz der Umwelt sind für uns gleichwertige Ziele. Ohne angemessenen Umweltschutz wird die technische Entwicklung in eine Sackgasse laufen, aber ohne die Mittel der Technik wird es nicht möglich sein, die Umwelt in ausreichendem Maße zu schützen.
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EngelsbergerDie Umweltpolitik der Bundesregierung hat maßgebend dazu beigetragen, daß die deutsche Industrie — etwa bei umweltschonenden Kraftwerkstechnologien — inzwischen eine internationale Spitzenstellung erreicht hat, und auch bei der Entwicklung des Katalysatorautos sind wir inzwischen so weit fortgeschritten, daß wir im europäischen Markt eine Spitzenstellung einnehmen.Die Bundesregierung ist deshalb auch mit Nachdruck und nicht ohne Erfolg bemüht, die Partnerstaaten in der EG und andere Staaten zu eigenen Umweltschutzmaßnahmen zu bewegen; denn wir wissen, daß ein wesentlicher Teil der auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland sich niederschlagenden Schadstoffe außerhalb unserer Grenzen verursacht wird. Ich möchte die Bundesregierung deshalb dringend auffordern, in diesem Bemühen nicht nachzulassen und nicht zuletzt bei den Gesprächen mit der DDR dafür zu sorgen, daß der Umweltschutz als gesamtdeutsches Anliegen nicht auf der Strecke bleibt.Als Abgeordneter eines Wahlkreises aus dem deutschen Alpenraum sage ich: Mich braucht niemand über die Bedeutung des Umweltschutzes aufzuklären.
Angesichts des besorgniserregenden Ausmaßes der dort inzwischen eingetretenen Waldschäden sind wir für jede umweltschutzpolitische Maßnahme dankbar, die uns hilft, den Schaden in Zukunft zu verringern.
Ich weiß aus eigener Anschauung, wie alarmierend der Zustand des Gebirgswaldes ist; aber ich weiß auch, daß wir diesen Zustand nicht durch ständiges Lamentieren oder Demonstrieren, sondern nur durch wirkungsvolle umweltpolitische Taten verbessern werden.
Hier möchte ich mit Blick auf die GRÜNEN und die SPD einmal ganz dezidiert darauf hinweisen, daß dem deutschen Bergwald mit einer Politik der hohen Schornsteine genauso wenig gedient war wie mit einer Anti-Kernkraft-Politik. Für mich ist jedenfalls schon lange nicht mehr nachvollziehbar, auf Grund welcher Erkenntnisse heute dieselben Leute gegen das Waldsterben demonstrieren und agitieren, die gestern wie heute gegen die Kernkraft zu Felde ziehen.
Denn da die Kohlekraftwerke mit ihren Schadstoffemissionen nach allen uns vorliegenden Erkenntnissen maßgeblich zum Waldsterben beigetragen haben, die Kernenergie aber ebenso nachweislichzu den umweltfreundlichen Energiequellen zählt, hätten sich die Kernkraftgegner längst schuldbewußt an die eigene Brust klopfen müssen. Aber Selbstkritik ist offenbar die einzige Kritik, zu der die Grün-Alternativen unfähig sind.Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluß. Unsere Umweltprobleme lösen wir weder mit verstaubten Ideologien noch durch ständige Angst- und Panikmache. Was uns beim Umweltschutz allein weiterhilft, sind nüchterne Analysen, klare Zielvorstellungen und entschlossenes politisches Handeln.
Ich danke Ihnen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Hauchler.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mein Kollege Hauff hat in dieser Debatte vor allem zwei Dinge zum Ausdruck gebracht. Die Luftverschmutzung birgt nicht nur riesige ökologische Gefahren, sondern ist auch wider jegliche ökonomische Vernunft. Und: Die Bundesregierung läßt die Dinge in sträflicher Weise treiben. Ihre Weigerung, ein Tempolimit einzuführen, ihre Unfähigkeit, das abgasarme Auto so schnell wie tatsächlich möglich durchzusetzen, ihr Kniefall bei der TA Luft — dies alles führt dazu, daß die Luftverschmutzung nicht sinken, sondern bis in die 90er Jahre hinein steigen wird.
Das sind die Tatsachen. Der Kanzler sitzt die Umweltprobleme aus. Sein Umweltminister sitzt die Zeit ab, die uns allen davonläuft.
Mit unserer Großen Anfrage wollten wir die Bundesregierung nicht nur veranlassen, die verheerenden ökologischen Folgen der Luftverschmutzung auch auf den ökonomischen Nenner zu bringen. Wir greifen damit gleichzeitig ein grundsätzliches Defizit bisheriger Wirtschaftspolitik auf, über das in den Debatten dieses Hohen Hauses kaum einmal geredet worden ist. Ich meine die Unfähigkeit der herkömmlichen Wirtschaftspolitik, einzelwirtschaftliche und gesamtwirtschaftliche Rationalität, langfristige und kurzfristige Problemlösungen, Ökonomie und Ökologie zur Deckung zu bringen.
Dieses Defizit wird so lange weiterbestehen, wie das Bruttosozialprodukt die zentrale Größe der volkswirtschaftlichen Buchführung bleibt und damit Angelpunkt wirtschafts-, beschäftigungs- und sozialpolitischer Entscheidungen ist. Das Sozialprodukt gilt nach wie vor als Indikator der Entwicklung von Wohlstand und Beschäftigung. Sein Wachstum ist bis heute die Basis politischer Legitimation. Mit ihm lassen sich nämlich noch Wohl-
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Dr. Hauchlerstands- und Beschäftigungsillusionen aufrechterhalten, auch wenn die Wälder sterben, die Böden versauern und sich Krankheiten ausbreiten.Wenn es richtig ist, was die OECD ausgerechnet hat: daß in unserem Land die Luftverschmutzung jährlich 50 bis 80 Milliarden DM kostet,
bedeutet dies, daß unsere Wirtschaft im letzten und in diesem Jahr nicht wie offiziell verkündet um 2,5% bzw. 3 % wächst, sondern schrumpft oder bestenfalls stagniert. Wenn wir die anderen Faktoren der Umweltzerstörung dazurechnen, so ist offenkundig, daß das Bruttosozialprodukt mehr und mehr zu einem falschen Leitsignal, zu einem Irrlicht wirtschaftlicher Aktivität geworden ist.
Darauf wird seit Anfang der 70er Jahre in zahlreichen Veröffentlichungen hingewiesen. Wissenschaftler, internationale Institutionen wie die OECD, aber auch Regierungen wie die japanische haben Vorschläge gemacht, die Sozialproduktrechnung zu korrigieren. Ich fasse die wichtigsten Argumente dafür hier kurz zusammen.Erstens. Das Sozialprodukt mißt lediglich den Zuwachs an Gütern und Dienstleistungen. Jede Steigerung dieses Wertes wird als Erfolg bewertet, ohne Rücksicht darauf, ob natürliche Ressourcen oder sonstiges gesellschaftliches Vermögen gleichzeitig vernichtet worden sind. In der betriebswirtschaftlichen Erfolgsrechnung werden Bestandsänderungen sehr wohl in der Bilanz berücksichtigt, in der Sozialproduktsrechnung dagegen nicht. Der Verlust an Böden, Arten, Biotopen und Wäldern, Kulturdenkmalen und Gebäuden wird wider besseres Wissen unterschlagen. Die erste Folgerung ist deshalb: Die Sozialproduktrechnung muß durch eine volkswirtschaftliche Vermögensrechnung ergänzt werden.Zweitens. Das Sozialprodukt ist ein aggregierter monetärer Wert, der nichts über die Zusammensetzung, Qualität und den Nutzen der Produktion aussagt.
Er liefert lediglich eine Summe abstrakter Tauschwerte. Alle Leistungen und Kosten, die in den einzelwirtschaftlichen Buchführungen nicht registriert werden, weil sie nicht über den Markt vermittelt werden, bleiben unberücksichtigt. Eine wachsende Zahl von Kraftfahrzeugen führt zu einem Anstieg des Sozialproduktes. Die dadurch bewirkten Schäden für Mensch und Natur werden aber nicht abgezogen, im Gegenteil, dazu addiert, sofern sie zu Reparaturleistungen führen. Ein Irrsinn!
Die zweite Folgerung daraus ist also für uns: Die Sozialproduktrechnung muß entsprechend korrigiert und durch eine zusätzliche Einschätzung bisher nicht erfaßter sozialer und ökologischer Kosten ergänzt werden. Die monetär nicht erfaßbaren Schäden könnten durch soziale und ökologische Indikatoren ausgewiesen werden.Drittens. Das Sozialprodukt bucht Leistungen als Wertzuwachs, die lediglich zur Erhaltung der Natur und des gesellschaftlichen Vermögens führen, nicht aber zu zusätzlichem Konsum oder Produktionspotential. Darauf kommt es aber doch wohl an, wenn wir Wohlstand messen. Tatsächlich müssen solche Leistungen neutralisiert oder abgezogen werden, weil dabei Ressourcen verbraucht werden, die keinerlei Wohlstandseffekt haben. Wenn in neue Kraftwerke Filter eingebaut werden, um die Schadstoffemission zu senken, steigt das Sozialprodukt, obwohl dadurch kein zusätzlicher Nutzen geschaffen wird, sondern nur ein bestehendes Gut, nämlich die Qualität der Luft, erhalten wird.Darum heißt die dritte Folgerung: Solche für den Umweltschutz erbrachten Investitionen können zwar zu mehr Arbeitsplätzen und größeren Umsätzen führen — das wohl. Sie dürfen jedoch nicht als Mehrung des gesellschaftlichen Wohlstandes verbucht werden.
Faßt man nun diese drei Punkte zusammen, so ergibt sich eine erdrückende Argumentation gegen jene, die immer noch das Bruttosozialprodukt als den zentralen Maßstab wirtschaftspolitischer Steuerung verteidigen und dem Bürger Wachstumsraten vorrechnen, wo unser Wohlstand bereits schrumpft und unseren Kindern mit der Zerstörung der Natur der Boden unter den Füßen weggezogen wird.
— Dieser Gesichtspunkt steht in unserer Großen Anfrage.Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Bundesregierung entzieht sich bis heute unserer Aufforderung, die Kosten der Luftverschmutzung zu beziffern, wenigstens einzuschätzen, und drückt sich um eine Diskussion über eine wirklichkeitsnähere volkswirtschaftliche Gesamtrechnung. Sie hat die Große Anfrage der SPD, die darauf abzielt, seit zehn Monaten nicht beantwortet. Herr Minister Zimmermann, warum tun Sie das eigentlich nicht?
Warum sind Sie so fix, wenn es um Volksbeobachtung durch Schleppnetzfahndung geht, und so lasch, wenn Sie sich den wirklichen Herausforderungen unserer Zeit stellen müssen?
Ich will Ihnen die Gründe nennen. Entweder weiß die Bundesregierung tatsächlich nichts oder zu wenig über die Kosten der Luftverschmutzung. Dies wäre ein weiterer Beweis ihrer umweltpolitischen
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15702 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 204. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. März 1986
Dr. HauchlerInkompetenz. Oder die Bundesregierung will dazu nichts wissen. Dies entspräche ihrer Neigung, die Augen vor den wirklichen Problemen zu verschließen und nach der Art „business as usual" weiterzumachen. Ober die Bundesregierung weiß davon, will dem Bürger aber nicht die Wahrheit sagen. Dies würde bestätigen, daß sie dem Bürger, wie so oft, auch hier Sand in die Augen streuen will.Meine Damen und Herren, es sind nicht so sehr die empirischen und theoretischen Probleme, die es verhindern, die Schäden der Umweltzerstörung zu erfassen und die wirkliche Entwicklung von Wohlstand und Lebensqualität zu messen. Die Korrektur des Bruttosozialprodukts und seiner Ergänzung durch eine soziale und ökologische Bilanz wird vielmehr, so scheint mir, bewußt verhindert. Das unheilvolle Interessenkartell konservativer Politik, Wissenschaft und Wirtschaft will die einzige politische Legitimation, die es einem Teil der Bürger noch vortäuschen kann, nicht in Frage stellen lassen: nämlich den Schein von Wohlstand, den wachsende Raten des Sozialproduktes erzeugen. Eine wirklich zutreffende Messung volkswirtschaftlicher Leistung würde die angemaßte Autorität des konservativen Marktkartells nämlich erschüttern. Das wissen Sie. Deshalb drücken Sie sich vor dieser Diskussion.Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluß. Wenn wir den Wohlstand richtig messen würden, wüßte der Bürger, daß die beste aller Welten nicht konservativ ist, sondern von ihm erst noch erstritten werden muß. Die SPD wird dazu ihren Beitrag leisten.
— Das dürfen Sie gern.
Ich erteile das Wort dem Herrn Bundesminister des Innern.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der sorgsame Umgang mit unseren natürlichen Schätzen, der Schutz von Luft, Boden und Gewässern sowie ein sparsamer Energieeinsatz ist für ein dicht besiedeltes, rohstoffarmes und hochindustrialisiertes Land, wie wir es sind, von größter Bedeutung. Dieser Verantwortung war sich die Bundesregierung sehr wohl bewußt.
Sie war sich dessen bewußt, was Vielfalt und Schönheit in diesem Land bedeuten. Wir wollen eine gesunde Umwelt und eine lebenswerte Heimat für die Menschen.Wir wissen, daß Umweltschutz auch eine Existenzfrage im gesellschaftlichen Sinn ist und daß die Welt, in der wir leben, lebenswert bleiben muß. Das geht nur bei sorgsamem Umgang mit dieser Welt.Wir würden auch keine demokratische und freiheitliche Zukunft haben, wenn wir dieser Aufgabe nicht gerecht würden. Man kann der Bundesregierung manches vorwerfen, man kann diesen oder jenen Weg für richtig oder falsch halten, nur eines kann niemand bestreiten: daß diese Bundesregierung auf allen Feldern des Umweltschutzes seit 1982 aktiv und offensiv vorangegangen ist.
Viel zu oft sind in der Vergangenheit — allerdings nur einseitig — die Kosten diskutiert worden. Mindestens genauso wichtig ist die Frage nach dem Nutzen des Umweltschutzes. Wir wissen heute, daß unterlassener oder verspäteter Umweltschutz teuer ist. Unterlassener Umweltschutz ist eine teure Hypothek auf die Zukunft.
Vor der Umweltministerkonferenz in Brüssel hat mich der zuständige Kommissar für Umweltfragen, Mr. Clinton Davis, besucht. Bei allen Tagesordnungspunkten, die wir vor uns hatten, war klar, daß die Bundesrepublik Deutschland überall die schärfsten Grenzwerte verlangt und überall eine Pilotfunktion wahrnimmt.
Der zuständige Umweltkommissar hat mich gebeten, so wie beim Auto die anderen Staaten in der EG — sein eigenes Land, Großbritannien, eingeschlossen — weiter zu drängen, zu schärferen, schnelleren Maßnahmen zu gelangen.
— Ihre Ladenhüter werden nicht dadurch besser, daß sie in der Art einer tibetanischen Gebetsmühle ständig wiederholt werden.
Ökologisch und ökonomisch wirkungsvoller Umweltschutz ist nur in der marktwirtschaftlichen Ordnung möglich. Bereits in den wenigen Jahren seit der Regierungsübernahme hat die Wirtschaft mehr sonderabschreibungsfähige Umweltschutzinvestitionen durchgeführt als in den gesamten vorhergehenden sieben Jahren seit Einführung der Sonderabschreibungen für Umweltschutzanlagen im Jahre 1975.In der Luftreinhaltung haben die Umweltschutzinvestitionen alle bisher gekannten Dimensionen gesprengt. Sie haben sich 1984 gegenüber 1983 fast verdoppelt; im Vergleich zum Jahre 1975 sind sie 17 mal so hoch.1985 haben die Umweltschutzinvestitionen, für die der Bund zinsgünstige Kredite gewährt hat, einen Auftragswert von mehr als 9,5 Milliarden DM repräsentiert. Wir haben Studien in Auftrag gegeben und das Schwerpunktforschungsprogramm „Kosten der Umweltverschmutzung" eingerichtet.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 204. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. März 1986 15703
Bundesminister Dr. ZimmermannWir haben ein wissenschaftliches Symposium im Herbst 1985 durchgeführt. Auch forschungspolitisch sind unsere Anstrengungen international ohne Beispiel.Es ist bezeichnend, daß die sogenannten OECD-Schätzungen als Studie und als Gutachten ausgegeben werden. Kollege Schmidhuber hat darauf hingewiesen.
— Kollege Schmidbauer. Es gibt eine gewisse Assoziation zum bayerischen Staatsminister für Bundesangelegenheiten. Ich bitte um Nachsicht.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Schulte ?
Nein.
Die Ermittlung und Bewertung der volkswirtschaftlichen Kosten ist immer noch außerordentlich schwierig.
Aber wir sind dabei, sie zu erforschen. Diese komplexen Untersuchungen werden erst 1988 abgeschlossen werden können. Aber das hindert nicht daran, daß wir an allen Fronten, wo Umweltschutz
1 notwendig ist, mobilmachen und das weiter tun werden.
Meine Damen und Herren, auf Grund unserer Großfeuerungsanlagen-Verordnung, zu der uns ebenfalls der zuständige Umweltkommissar gebeten hat, auf Großbritannien und die anderen Länder Druck auszuüben, damit unsere Maßnahmen europaweit übernommen werden, auf Grund dieser Verordnung werden in den nächsten drei Jahren die großen Kraftwerke umgerüstet oder stillgelegt.
Wir waren führend in der Einführung des umweltfreundlichen Autos, in der Einführung eines flächendeckenden Netzes von Tankstellen mit bleifreiem Benzin. Zu Anfang dieses Jahres liegen die Bestellungen für umweltfreundliche Autos deutlich über 50 Prozent, und die Tendenz ist weiter steigend.
Vor wenigen Tagen ist die neue TA Luft in Kraft getreten. Die Feuerungsanlagen der gesamten Industrie — das sind mehr als 50 000 — werden nach dem neuesten Stand der Luftreinhaltetechnik umgerüstet.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Hauff?
Es tut mir leid. Ich habe nur noch drei Minuten. Es ist unmöglich. Ich habe darauf verzichtet, zuerst zu sprechen, und muß mich jetzt nach der Redezeit richten, weil sonst eine weitere Debattenrunde fällig würde.
Das sind einschneidende Maßnahmen. Sie lösen Umweltschutzinvestitionen in Höhe von rund 50 Milliarden DM aus. Sie führen dazu, daß die neuesten Techniken für den Umweltschutz nutzbar gemacht werden.
Das von mir gegen zähe Widerstände durchgesetzte Luftreinhalteprogramm wird allein die Schwefeldioxid-Emissionen in wenigen Jahren um rund 65 Prozent und die Stickoxid-Emissionen um rund 40 Prozent herabdrücken.
Wenn Sie den Stand des Umweltschutzes von heute mit der Situation von vor drei Jahren vergleichen, kann ich nur sagen: Es liegen Welten dazwischen.
Am besten ist der große Sprung in eine umweltfreundliche Zukunft auf der Düsseldorfer Umweltmesse „Envitec '86" zu sehen gewesen, wenn man den Umweltfortschritt gegenüber der Messe von 1983 sieht. Umwelttechnologie — das hat sich hier gezeigt — ist Zukunftstechnologie, bedeutet Arbeitsplätze, Wirtschaftswachstum und Umweltschutz.
Aber das Allerwichtigste ist für die Bundesregierung: -Die Menschen können wieder Hoffnung haben. Wir und unsere Kinder werden weder an schlechter Luft noch am Müll ersticken.
Wasser und Boden werden als Lebensspender erhalten bleiben. Wir sind auf dem Weg vom reinen Industriezeitalter in eine umweltverträgliche Wirtschaftsordnung. Wir werden Technik und Natur miteinander versöhnen; denn die Menschen brauchen beides zum Leben.
Ich fordere alle Kräfte der Gesellschaft auf, sich dieser Aufgabe zu stellen, nicht zu lamentieren, nicht zu jammern, nicht in Panik zu machen.
Ich fordere alle auf, auf diesem richtigen Wege mitzugehen.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.Wir kommen zu dem Entschließungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/5165. Es ist beantragt, diesen Entschließungsantrag zur fe-
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15704 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 204. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. März 1986
Vizepräsident Stücklenderführenden Beratung an den Innenausschuß und zur Mitberatung an den Ausschuß für Verkehr zu überweisen.Werden weitere Vorschläge gemacht? — Das ist nicht der Fall. Damit ist diese Regelung beschlossen.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 10 auf:a) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Innenausschusses zu der Unterrichtung durch die BundesregierungVorschlag für eine Richtlinie des Rates betreffend die Begrenzung der Schadstoffemissionen von Großfeuerungsanlagen in die Luft— Drucksachen 10/929 Nr. 11, 10/4244 —Berichterstatter:Abgeordnete Schäfer Dr. Laufsb) Erste Beratung des von der Fraktion DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Erhebung einer Abgabe auf Schadstoffemissionen
— Drucksache 10/4586 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:Innenausschuß
FinanzausschußAusschuß für WirtschaftAusschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit Haushaltsausschußc) Beratung des Antrags des Abgeordneten Schulte und der Fraktion DIE GRÜNENKein Betrieb des Kraftwerks Ibbenbüren vordem Einbau einer Entstickungsanlage— Drucksache 10/4443 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Innenausschuß
Ausschuß für WirtschaftMeine Damen und Herren, im Ältestenrat sind eine gemeinsame Beratung der Tagesordnungspunkte 10a bis 10c und ein Beitrag bis zu zehn Minuten für jede Fraktion vereinbart worden. Ist das Haus damit einverstanden? — Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.Wird das Wort zur Berichterstattung und Begründung gewünscht? — Das ist nicht der Fall.Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schmidbauer. — Bitte sehr.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Wir hätten sehr wohl die letzte Debatte mit dieser verknüpfen können. Ich will nur noch einmal herausstellen, daß der Umweltschutz in den letzten Jahren vor allem in den Industrieländern in der Tat immer mehr in den Mittelpunkt unseres politischen Handelns gerückt ist. Die Erhaltung einer gesunden Umwelt gilt mittlerweile als eine der wichtigstenAufgaben unserer Zeit. Die Bundesregierung hat in allen Bereichen des Umweltschutzes nationale und internationale Maßnahmen ergriffen und zügig umgesetzt. Dabei wurde der Luftreinhaltepolitik eine hohe Priorität eingeräumt.Auf europäischer Ebene sind beispielhaft zu nennen erstens die Initiative zur EG-weiten Einführung des schadstoffarmen Kraftfahrzeugs und bleifreien Benzins, zweitens die EG-LuftreinhalteRichtlinie und drittens die EG-Richtlinie vom Dezember 1982 über den Grenzwert des Bleigehaltes in der Luft. Ein weiterer Punkt ist die multilaterale Umweltkonferenz auf Ministerebene vom 24. bis 27. Juni 1984 in München. Letztendlich nenne ich — das ist einer der Tagesordnungspunkte — eine EG-Richtlinie über die Emissionsbegrenzung bei Großfeuerungsanlagen.Eine gezielte Vorsorgepolitik sowie ein umfassender nationaler Maßnahmenkatalog beginnen Wirkung zu zeigen und setzen inzwischen auch internationale Maßstäbe. Der Minister hat soeben auf diese Punkte sehr deutlich hingewiesen.Die wichtigsten umweltpolitischen Instrumente zur Luftreinhaltung auf nationaler Ebene ist die Großfeuerungsanlagen-Verordnung vom 1. Juli 1983. Diese wurde zunächst viel beschrien, doch auch SPD-Ministerpräsidenten loben sich inzwischen mit dieser Verordnung, wenn sie Wahlkämpfe durchführen.
— Joschka Fischer versteht nichts davon, sonst hätte er es vielleicht schon gemacht. Wir haben ihn hier im Innenausschuß erlebt. Was will er von der Großfeuerungsanlagen-Verordnung verstehen?Diese Großfeuerungsanlagen-Verordnung schreibt für alle Anlagen ab 50 Megawatt scharfe Emissionsbegrenzungen vor. Bis 1988 wird der Ausstoß an Schwefeldioxid um zirka eine Million Tonnen — daran kann man wohl nicht vorbeigehen — und bis 1993 um zirka 1,6 Millionen Jahrestonnen verringert, d. h. auf ein Drittel der bisherigen 502-Emissionen.Der zweite wichtige Punkt betrifft die Technische Anleitung Luft. Auch sie sieht vor, die Emissionswerte dem jeweils neuesten Stand der Luftreinhaltetechnik anzupassen. Dabei müssen die Anforderungen zur Vorsorge um so schärfer sein, je größer das Risikopotential des jeweiligen Schadstoffs ist. Dieser Grundgedanke bedeutet für die AltanlagenSanierung, daß die Nachrüstfristen um so kürzer werden, je höher die Emission und je gefährlicher der betreffende Stoff ist.Die Altanlagen-Sanierung steht ebenfalls im Mittelpunkt einer weiteren Maßnahme, nämlich des geänderten Bundesimmissionsschutzgesetzes vom 4. Oktober 1985. Mit der Möglichkeit einer Kompensationslösung wurde ein marktwirtschaftliches Instrument als zusätzliches Mittel eingesetzt, um die notwendige Altanlagen-Sanierung zu beschleunigen und über den ordnungsrechtlich gesetzten Rahmen hinaus zu intensivieren. Die damit möglichen
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 204. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. März 1986 15705
SchmidbauerAusgleichsmaßnahmen sind sowohl ökologisch anspruchsvoll als auch wirtschaftlich attraktiv.In der Erhebung einer Abgabe auf die Freisetzung von Schadstoffen — dies ist der zweite Punkt der Tagesordnung — sehen wir dagegen weder einen ökonomischen Anreiz noch eine ökologische Wirkungsmöglichkeit. Das Mittel einer Schadstoffabgabe ist abzulehnen, weil die große Regelungsdichte, das hohe Anspruchsniveau, die Kostenvollzugsfristen und die den Vollzugsbehörden verbleibenden geringfügigen Beurteilungs- und Ermessensspielräume, praktisch keine Lenkungsspielräume mehr offenlassen. Dies ist eine Grundkonzeption unserer Umweltschutzpolitik, und hier hat die Lenkungsabgabe eben keinen Platz aus den genannten Gründen.Darüber hinaus würde die Einführung eines Schadstoffabgabengesetzes die Investoren verunsichern und unbedingt erforderliche Umweltschutzmaßnahmen hinauszögern.
Dies würde weder der Umwelt dienen, noch unserer Wirtschaft. — Herr Schulte, wenn Sie keine attraktiven Angebote machen können bei der Lenkungsabgabe, bei den geringfügigen Spielräumen, wer wird sich dann aus wirtschaftlichen Gründen hier noch entsprechend betätigen? Er wird sagen, es lohnt sich, und wird lieber bezahlen, als im Umweltschutz tätig zu werden. Das kennen wir ja von Japan bei ähnlichen Systemen, wo mit einer solchen Abgabe die Umwelt auch nicht beschleunigt verbessert wurde. Dies geht nur mit dem Regelungswerk, mit diesen Maßnahmen, die wir auf den Weg gebracht haben.Gemeinsames Ziel unseres ökologischen Maßnahmebündels ist es, alle Anlagen innerhalb bestimmter Fristen dem Stand der Technik anzupassen. Dies ist oberster Leitgedanke dieser Maßnahmen.Die Umsetzung des Bundesimmissionsschutzgesetzes, der Großfeuerungsanlagen-Verordnung und der neuen Technischen Anleitung Luft wird bewirken: Die Schwefeldioxidemissionen von ca. 3,2 Millionen Jahrestonnen im Jahr 1980 — das ist die Ausgangsbasis auch für die EG-Richtlinien — gehen bis Anfang der 90er Jahre um 60 % auf 1,1 Millionen Jahrestonnen zurück; die Stickoxidemissionen von ca. 3,1 Millionen Jahrestonnen gehen bis spätestens Mitte der 90er Jahre um 50% auf unter 1,6 Millionen Jahrestonnen zurück. Dies zeigt, unser nationales Instrumentarium ist ein wirksames Mittel zur Verminderung der Luftbelastung und richtungweisend für Europa.
— Herr Schulte, Sie können zwar heute noch behaupten, daß das nicht erreicht wird. Aber wenn Sie mal die Statistik anschauen und sehen, wieviel Entstickungsanlagen und Entschwefelungsanlagen eingebaut werden, dann können auch Sie unschwer errechnen, daß wir genau auf diesem Weg sind undeher kürzer diese Ziele erreichen als in den von mir angegebenen Fristen.Eine erfoglreiche, d. h. umfassende Luftreinhaltepolitik stellt ein grenzüberschreitendes Problem dar und kann deshalb nicht allein mit nationalen Maßnahmen erreicht werden.
Leider ist auch klar, daß aufgrund unterschiedlicher Interessen der EG-Partner nur mittel- und langfristig und durch Kompromisse Lösungen erreicht werden.
— Wenn Sie noch ein bißchen warten, höre ich mal zu, was Sie da an sicher sehr wichtigen Zwischenrufen mir vor den Kopf werfen wollen.Es ist das Verdienst der Bundesregierung, trotz vieler Schwierigkeiten die europäischen Partnerländer mittlerweile für diese Aufgaben sensibilisiert zu haben. Es ist ein Verdienst der Bundesregierung, daß unter anderem die Großfeuerungsanlagen-Verordnung auf dem Weg ist, jetzt europaweit umgesetzt zu werden. Die CDU/CSU-Fraktion unterstützt das Ziel der Bundesregierung, unsere nationalen Maßnahmen in der EG voll durchzusetzen und eine Harmonisierung der unterschiedlichen nationalen Regelungen auf unserem Niveau zu erreichen. Die europäischen Regelungen dürfen nicht hinter unseren nationalen Regelungen zurückbleiben. Gleichzeitig müssen wir aber auch bereit sein, im nationalen Bereich dann nachzubessern, wenn von seiten der EG strengere Werte vorgegeben werden. Grundgedanke muß sein: Der Stand der Technik muß europaweit gelten. Auf dieser Basis werden nun auch innerhalb der Europäischen Gemeinschaft Emissionsbegrenzungen bei Großfeuerungsanlagen festgelegt werden. Die vorgegebenen Zielwerte, nämlich eine 50 %ige Reduzierung der Schwefeldioxid- und der Stickoxidemissionen, auf der Basis 1980 gerechnet, werden allerdings in der Bundesrepublik bereits bis 1993, also zwei Jahre früher erreicht sein.Wenn wir in unserer Schrittmacherrolle für Europa wirklich ernst genommen werden wollen, dann darf es nicht sein, daß Anlagen wie Ibbenbüren in dieser Form ans Netz gehen.
— Auf das habe ich gerade gewartet! Sie haben bis heute nicht verstanden, wo der Unterschied von Buschhaus und Ibbenbüren liegt.
Ich frage Sie, wie können wir verkürzte Fristen in der EG fordern, wie können wir eine drastische Verringerung von Emissionswerten verlangen, wenn wir im nationalen Bereich Anlagen mit derart hohen Stickoxidemissionen in Betrieb nehmen?
Wie kann sich die Bundesregierung glaubwürdigfür eine einheitliche EG-Regelung bei der Großfeuerungsanlagen-Verordnung einsetzen, wenn im ei-15706 Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 204. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. März 1986Schmidbauergenen Land eine Anlage nur mit einer Teilentschwefelung ausgerüstet in Betrieb geht?
Solch eine Doppelbödigkeit darf nicht Richtlinie unseres umweltpolitischen Handelns sein. Am Beispiel Ibbenbüren zeigt sich auch die verworrene Umweltschutzstrategie der Opposition: einerseits, wie wir heute schon gehört haben, medienwirksam nach Tempo 100 rufen, sich als Schutzpatron des deutschen Waldes aufspielen und andererseits Ibbenbüren akzeptieren. Gehen Sie mal hierher und sagen Sie mal was dazu! Das verursacht sogar auf dem Flickenteppich Ihrer Umweltschutzpolitik ganz erhebliche Irritation. Wir haben es ja erlebt. Wenn wir uns die Ausführungen Ihres Vorstands alle noch einmal durch den Kopf gehen lassen, muß man sagen, daß die eine deutliche Sprache sprechen. Dadurch sprechen Sie sich das Recht ab, national oder international weitgehende Umweltschutzmaßnahmen zu verlangen.Ibbenbüren hat negative Signalwirkung.
Wenn sich Herr Rau im Fernsehen hinstellt und meint, er wolle der Umweltschützer Nummer eins in Europa sein, steht das diametral diesen Ankündigungen entgegen.
Es dient allen EG-Staaten, die — aus welchen Gründen auch immer — eine zügige Umsetzung umweltpolitischer Maßnahmen zu verhindern wünschen, als passende Argumentationshilfe.Ich darf zusammenfassen. Die Bundesregierung ist mit ihrer Schrittmacherrolle in Europa auf dem richtigen Weg. Sie hat die notwendigen nationalen Maßnahmen eingeleitet und in drei Jahren meßbare Erfolge erzielt.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Lennartz.
Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Saubere Luft zum Atmen, Luft, die uns nicht krank macht, hat für die Bundesrepublik Deutschland auch eine europäische Dimension. Wer sich die Graphiken über den Austausch der Schmutzfrachten über die Grenzen hinweg ansieht, der weiß: Luft macht ebensowenig wie die Schadstoffe, die in ihr enthalten sind, vor unseren Schlagbäumen halt.Der Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Eingrenzung der Schadstoffemissionen von Großfeuerungsanlagen in die Luft, den wir heute gutheißen, trägt dem Rechnung. Er ist aber auch Zeugnis dafür, daß alleinige, nationale Anstrengungen angesichts des gewaltigen zollfreien Austausches von verschmutzter Luft zum Scheitern verurteilt sind.Auf europäischer Ebene ist noch sehr viel Überzeugungsarbeit zu leisten. Längst nicht in jedem europäischen Land und leider auch nicht in jedem EG-Land ist das Bewußtsein für die Notwendigkeit, unsere Luft sauberer zu machen, so hoch wie bei uns in der Bundesrepublik Deutschland.
Ein Blick auf die Rechtsvorschriften, mit denen unsere Nachbarn Emissionen verhindern, belegt das sehr eindrucksvoll. Es gibt eben Länder, Herr Schmidbauer, die noch nicht einmal Emissionsgrenzwerte für Schwefeldioxide haben. Das ist leider eine europäische Realität. Ich füge das gern für das Protokoll hinzu.Es ist daher an der Zeit, daß sich unsere Nachbarn auch aus wettbewerbspolitischen Gründen auf Emissionsgrenzwerte festlegen; denn Wettbewerbsnachteile auf Grund hoher Umweltschutzauflagen sollten aus dem europäischen Alltag verschwinden. Wir fordern deshalb die Bundesregierung auf, in Brüssel sehr aufmerksam darauf zu achten, daß Wettbewerbsverzerrungen z. B. bei Stromgestehungskosten aufgehoben werden. Es darf nicht dazu kommen, daß die Entschwefelungs- und die Entstickungsanlagen, die zur Zeit in unsere Kraftwerke eingebaut werden, die Stromabnehmer aus der Chemie- oder Metallproduktion nach Holland oder nach England treiben — da haben Sie Ihre Antwort —, weil die Kosten dieser Anlagen dort nicht anfallen und die Strompreise dort entsprechend niedriger sind.Der Innenausschuß hat den Richtlinienentwurf einmütig begrüßt, die vorgegebenen Maßnahmen aber weder vom Umfang noch von den zeitlichen Vorgaben her für ausreichend erklärt, um nachhaltige und auch rasche Verbesserungen der Luft zu erreichen. Aber, Herr Schmidtbauer, das ist für uns kein Anlaß, als Lehrmeister aufzutreten; denn auf der anderen Seite, Herr Schmidbauer, sind wir immer noch das einzige EG-Land, das sich weigert, mit einem Tempolimit zur Luftreinhaltung beizutragen. Das ist auch eine nationale Realität.
Die SPD-Bundestagsfraktion hat sich in den Jahren 1983 und 1984 sehr intensiv mit dem Entwurf eines Schadstoffabgabengesetzes beschäftigt. Wir haben ein solches Gesetz, wie von den GRÜNEN heute eingebracht, vorerst zu den Akten gelegt. Wir sind nämlich zu der Auffassung gelangt, daß verbindliche Grenzwerte, wenn sie technisch und wirtschaftlich modern sind, ausreichen, um zu den politisch gewollten Luftschadstofffrachten zu kommen.
— Das ist sehr wichtig.
Freiwillige Vereinbarungen, Herr Schmidbauer, wie sie das Land Nordrhein-Westfalen mit den Kraftwerksbetreibern getroffen hat, zeigen, daß im Bedarfsfall auch mehr getan werden kann, wenn gesetzliche Regelwerke nicht ganz auf der Höhe sind. Das ist ja leider nicht nur bei der Großfeuerungsanlagen-Verordnung, sondern auch bei der TA Luft der Fall.Herr Schmidbauer, in meinem Wahlkreis steht eine Kohlevergasungsanlage, eine Demonstrationsanlage, die in den letzten Wochen fertig gewordenDeutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 204. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. März 1986 15707Lennartzist. Diese Anlage erfüllt alle Normen, die im schärferen Entwurf der Technischen Anleitung Luft stehen. Für die Ingenieure war das keine einfache, aber auch keine unüberwindliche Aufgabe. Das Unternehmen hatte sich halt darauf verlassen, daß die Bundesregierung das fordert, was technisch und wirtschaftlich machbar ist.Das Unternehmen hat leider lernen müssen, daß auf die Bundesregierung — auch in dieser Frage — kein Verlaß ist. Solche Betriebe, Herr Schmidbauer, werden sich in Zukunft dreimal überlegen, ob sie in Erwartung neuer Grenzwerte freiwillig mehr tun, um nicht von vornherein umwelttechnisch veraltete Anlagen zu planen. Die Folgen für die umweltpolitische Kultur in der Bundesrepublik sind fatal: nämlich weniger industrielles Vordenken im Umweltschutz, weil man sich bei dieser Bundesregierung offensichtlich auf eines verlassen kann: daß Grenzwerte wie bei der TA Luft wie auf dem Pferdemarkt ausgehandelt werden.Wir nehmen zur Kenntnis, daß die Fraktion DIE GRÜNEN heute beantragt,
den nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten Johannes Rau aufzufordern, Ibbenbüren sofort stillzulegen und erst dann wieder anzufahren, wenn nicht mehr als 200 mg/m3 Stickoxide den Schornstein verlassen und die Beschäftigung der mehr als 4000 Arbeitnehmer aus Bergwerk und Kraftwerksicherzustellen, während das Kraftwerk stillsteht.
Nun, Herr Kollege Schulte, Sie haben sicher gelesen, daß Johannes Rau ein guter Zauberer ist, und haben sich gedacht: Warum soll der Mann nicht 4000 Arbeitsplätze herzaubern; es ist ja nur für begrenzte Zeit. Nur, Herr Kollege Schulte: Faulen Zauber mit Arbeitsplätzen macht der Ministerpräsident des Landes Nordrhein-Westfalen nicht.
Und daran sollten auch Sie sich im Interesse der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer halten. Sie nehmen die Politik halt auf die leichte Schulter, ob es um Arbeitsplätze oder um die Grenzwerte für Stickoxide geht. Zum Beispiel steht in Ihrem Entwurf eines Schadstoffabgabengesetzes:Als unvermeidbar ... gelten folgende Emissionsgrenzwerte:... Stickstoffoxide ... 300 Milligramm/m3 Abgas für Feuerungsanlagen mit Staubfeuerungen und flüssigem Ascheabzug,Hat man Ihnen denn tatsächlich bisher nicht erzählt, daß Ibbenbüren eine derartige Anlage ist? So wollen Sie Politik machen?Bei dem Tagesordnungspunkt 10b sagen Sie: 300 mg/m3 Stickoxide für Kraftwerke wie Ibbenbüren sind unvermeidbar. Unter Tagesordnungspunkt 10 c verlangen Sie, Ibbenbüren stillzulegen, bis 200 mg/m3 erreicht sind. Es ist beschämend, daßSie sich für einen derartigen Blödsinn nicht zu schade sind.
Lesen Sie mal Ihren eigenen Gesetzesvorschlag. Es tut mir leid, sagen zu müssen: Das ist keine Politik mehr.Tatsache ist, daß der Stickoxidausstoß des Kraftwerks Ibbenbüren erheblich geringer ist, als vorausgesagt wurde. Hier muß ich Herrn Schmidbauer ebenfalls ansprechen. Sehen Sie sich einmal die Zahlen an. Bis zum 11. März 1986 waren die tatsächlichen Schadstoffwerte bei Ibbenbüren weit geringer, als jemals hier prognostiziert worden war.Der Deutsche Bundestag, Herr Kollege, hat auch mit Ihrer Stimme am 27. Juni 1985 einstimmig die Bundesregierung aufgefordert, sich dafür einzusetzen, daß die Stickoxidemission des Kraftwerks Buschhaus spätestens ab 1988 verringert wird, wohlgemerkt mit dem Ziel, auf höchstens 200 mg/m3 zu kommen.Ich frage Sie jetzt allen Ernstes: Warum darf für Ibbenbüren nicht gelten, was für Buschhaus gilt? Warum zeigen Sie mit dem Finger auf Ibbenbüren — der Herr Geißler läßt sogar Flugblätter verteilen mit der Überschrift „DER STINKER" —, wenn Sie genau wissen, daß die Entstickung niederflüchtiger Kohle noch nicht einmal im Labormaßstab erprobt ist? Warum nehmen Sie nicht zur Kenntnis, daß die Entstickung für Ibbenbüren erst dann Stand der Technik werden kann, wenn sie großtechnisch, also im laufenden Kraftwerksbetrieb, erprobt wird? Sie wird erprobt, und sie geht 1988 in Betrieb. Dafür steht auch das Wort von Johannes Rau. Dann werden wir, meine Damen und Herren, das modernste Schmelzkammerkraftwerk in der Welt haben, einen Exportschlager auch für morgen.
Das alles wissen Sie, meine Damen und Herren, und trotzdem veranstalten Sie immer wieder diese Tribunale. Das ist schäbig, meine Damen und Herren, das ist unseriös.
Die Regierung von Johannes Rau hat Vorbildliches geleistet,
um die Luft an Rhein und Ruhr sauber zu machen.
Wenn Sie sich hier hinstellen und Grenzwerte bekanntgeben, wie das bei den Schwefeldioxidemissionen und bei den Stickoxidemissionen bis zum Jahre 1988 heruntergeht, dann haben Sie, verflucht noch mal, doch den Mut und die Ehrlichkeit, zu sagen, daß dies dem Land Nordrhein-Westfalen zu verdanken ist, das diese Maßnahmen auf Grund
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15708 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 204. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. März 1986
Lennartzfreiwilliger Vereinbarungen getroffen hat. Das ist doch der Punkt.
Nirgendwo in der Bundesrepublik, meine Damen und Herren, sind die Investitionen für den Umweltschutz höher als in Nordrhein-Westfalen.
Das Land Nordrhein-Westfalen ist in der Umweltschutztechnologie Nummer eins in Europa.
Das paßt Ihnen zwar nicht, aber es ist so. Das ist die Wahrheit.Schönen Dank.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Wolfgramm.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Die Situation mit der Großfeuerungsanlagen-Verordnung ist ja gar nicht so schön, wie wir uns das alle wünschen würden. 50 % der Schadstoffeinleitung in unseren Luftbereich kommen aus dem Ausland. Nun geben wir unsererseits auch 50 % wieder ab. Insofern können Sie sagen, daß es fast ein Austausch ist. Aber es spielt sich auf anderen gesetzlichen Grundlagen ab. Unsere Grundlagen sind sehr viel besser als die der anderen. Wir können hier wirklich nur zu einer Verbesserung der Situation insgesamt kommen, wenn es uns gelingt, die anderen davon zu überzeugen, daß es auch in ihrem Interesse liegt, diese Reduzierung gesetzlich vorzunehmen.Die anderen, das sind j a nicht nur die EG-Partner, sondern das sind auch Länder wie die Tschechoslowakei, die Ankündigungen gemacht hat, daß es besser werden soll. Wir hatten vor kurzem eine Delegation der Demokratischen Partei der Tschechei hier. Sie hat sich sehr dringlich dafür eingesetzt, daß die Luftverschmutzung auf ihrer Seite verbessert werden soll. Wir haben Gespräche mit der DDR, mit Umweltminister Reichelt gehabt, der zugesagt hat, daß sie Anstrengungen unternehmen, Filter im Braunkohlenbereich einzubauen. Aber alles das wird wohl erst nach längerer Zeit wirksam werden. Wir jedenfalls werden in unseren Anstrengungen nicht nachlassen dürfen, auf unsere Nachbarn — im Osten wie im Westen — noch mehr Einfluß zu nehmen und zu versuchen, sie hier zu überzeugen.Es stimmt mich nicht sehr fröhlich, daß bei der letzten Konferenz in der Europäischen Gemeinschaft über die Richtlinie elf Staaten — Sie können ja errechnen, daß es dann, bis auf uns, alle gewesen sind — diese Richtlinie nur zur Kenntnis genommen haben. Von Zustimmung oder Akzeptanz ist da noch lange keine Rede. Also, wir werden noch vielArbeit vor uns haben. Ich glaube, es ist des Schweißes der Edlen wert, daß wir versuchen, das auch gemeinsam zu tun. Insofern meine ich, daß der größte Teil der Kritik der Opposition hier ins Leere läuft, weil der Versuch, die anderen auf diesen Pfad zu führen, nur gemeinsam gelingen kann.Im übrigen, mit der kristallklaren Position, lieber Kollege, ist das j a so eine Sache. Ich habe hier eine Anmerkung des Ministerpräsidenten von Nordrhein-Westfalen Rau, der zur Frage der Reduzierung gesagt hat: „Wir glauben, daß schon mit diesen beiden Maßnahmen eine Reduzierung der Schwefeldioxidemissionen aus Altanlagen sicherzustellen ist. Wir sind deshalb in diesem Punkt" — man höre und staune — „im Gegensatz zu Baden-Württemberg der Meinung, daß wir auf weitere Verschärfungen, etwa durch Verkürzung der Restnutzungsdauer, verzichten können." Das ist ein bißchen so, wie Heine das schon in netter Form gesagt hat: „Blamier' mich nicht, mein schönes Kind, und grüß' mich nicht unter den Linden. Wenn wir nachher zusammen sind, dann wird sich schon alles finden."
Aber hin oder her: Wir haben eine von der Kommission vorgelegte technische Studie.
— Hören Sie doch einmal zu; das ist sehr nützlich für Sie. Dann können Sie Ihr Wissen wirklich vermehren.
Sie gehen hier immer vor mit „Alles oder Nichts". „Alles oder Nichts" auf diesem Gebiet gibt es nun in der EG ganz augenscheinlich überhaupt nicht, sondern das ist eine sehr mühsame Arbeit, und Sie könnten sich einige Lorbeeren erwerben, wenn Sie sich auch einer solch mühsamen Arbeit unterziehen würden.Diese Studie hat die Emissionen der verschiedenen Mitgliedstaaten verglichen: Vorausschätzungen der nationalen Energieverbrauchsstruktur, Analyse der Auswirkungen des Kommissionsvorschlages, also hier die Richtlinie, wahrscheinliche Kosten der vorgeschlagenen Maßnahmen, Auswirkungen von Veränderungen verschiedener Faktoren des Kommissionsvorschlages. Aber auch die eindrucksvollen Ergebnisse dieser Studie, die eigentlich hätten dazu führen müssen, daß man sich in dem einen oder anderen Staat etwas mehr Überlegungen gemacht hätte, haben im Augenblick keine Weiterungen gebracht.Wir sind übrigens nicht der Meinung, daß wir hier zusätzliche Abgaben auf Schadstoffemissionen einführen sollen. Die Sache ist von Ihnen nicht wie beim Abwasserabgabengesetz geplant, sondern es sollen sozusagen auch diejenigen bestraft werden, die die vorgeschriebenen Anforderungen erfüllen. Das ist natürlich überhaupt kein Anreiz, sich zu engagieren.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 204. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. März 1986 15709
Wolfgramm
Das ist vorhin schon sehr deutlich ausgeführt worden. Die Bundesregierung hat dazu schon im Juli 1983 einen Prüfungsauftrag erteilt
— wenn Sie einen Augenblick warten, wird sich Ihre Frage wahrscheinlich erübrigen —, zu prüfen, ob und inwieweit bestehende Regelungen zur Luftreinhaltung durch zusätzliche marktwirtschaftlich orientierte Instrumente ergänzt werden können. Das Ergebnis war, daß wegen der ohnehin kurzen Vollzugsfristen Restverschmutzungsabgaben bis zu dem Zeitpunkt, an dem die Unternehmen ihre ordnungsrechtlichen Verpflichtungen erfüllt haben, nicht zu besseren Umweltbedingungen oder zu einem schnelleren Vollzug dieser Dinge führen können. Das Gegenteil ist der Fall.Aber stellen Sie jetzt Ihre Frage. Dann kann ich anschließend gleich darauf antworten.
Herr Abgeordneter Wolfgramm, das ist eine meiner Aufgaben, die ich hier wahrzunehmen habe.
Herr Präsident, es lag mir wirklich nichts ferner, als Ihre Rechte zu verkürzen. Im Gegenteil, ich trete immer dafür ein, sie auszudehnen.
Bitte, Herr Abgeordneter Schulte .
Ich bedanke mich also beim Präsidenten und beim Abgeordneten Wolfgramm, daß ich die Frage stellen kann, die sich auf unseren Gesetzentwurf zur Schadstoffabgabe bezieht. Herr Wolfgramm, es ist nach unserem Gesetzentwurf nicht so, daß diejenigen noch weiterhin bestraft werden sollen, die die Grenzwerte einhalten; denn wir haben unter § 4 einen Vorabzug vorgesehen, d. h. die Anlagen, die unter den Grenzwerten bleiben, die hier festgelegt sind, brauchen dann auch keine Abgabe zu entrichten.
Es geht um die Restverschmutzung der Luft, und dabei führt es einfach nur zu einer Vermehrung und zu einer Ausweitung der Bürokratie eines zusätzlichen Verwaltungsapparates, und es bringt, wie ich soeben ausgeführt habe, keine Verbesserung in der Sache.
Bei der Frage des Kraftwerkes Ibbenbüren habe ich soeben die Anmerkung von Heine zitiert. Er ist ja, wenn man so will, ein Bürger Nordrhein-Westfalens gewesen; denn er hat lange in Düsseldorf gelebt, und er hat das Richtige dazu gesagt.
Herr Abgeordneter Schulte , bitte.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Ältestenrat waren zehn Minuten Redezeit vereinbart, und hier werden jetzt nur noch neun Minuten angezeigt.Ich möchte zu meinen Vorrednern nur eines sagen: Herr Lennartz, Sie haben soeben so getan, als hätte sich Nordrhein-Westfalen zum Vorreiter in der Umweltschutzbewegung aufgerafft.
Ich denke, Nordrhein-Westfalen hat in der Umweltpolitik einen riesengroßen Nachholbedarf, und die Tatsache, daß Nordrhein-Westfalen 1983 im Bundesrat dagegen war, die GroßfeuerungsanlagenVerordnung zu verschärfen, zeigt, daß hier Anspruch und Wirklichkeit sehr weit auseinanderklaffen.
Wer in den heutigen Tagen mit offenen Augen durch unsere Wälder spaziert, dem wird der sich zuspitzende Krankheitszustand sofort auffallen. Der Zustand unserer Wälder verschlechtert sich von Tag zu Tag. Noch kürzlich haben alle forstwirtschaftlichen Organisationen auf den Ernst der Lage hingewiesen. Ich darf aus einer Stellungnahme der forstwirtschaftlichen Organisation zu Waldschäden zitieren, die im Februar erstellt wurde. Da heißt es:Die aktuelle Schadenssituation in den Wäldern gibt keine Veranlassung zu der Annahme, daß die bisher getroffenen Maßnahmen zur Luftreinhaltung dem Wald bereits geholfen hätten.Herr Spranger, damit ist wohl widerlegt, was Sie ständig behaupten, daß die Maßnahmen der Bundesregierung für den Wald schon eine Hilfe waren. Die Forstwirtschaft rechnet für 1986 mit einem weiteren Anstieg, mit einer weiteren Ausbreitung der Schäden. Sie fährt in der Stellungnahme fort:Aussicht für die Rettung wesentlicher Teile unserer Wälder besteht nur dann, wenn bis spätestens 1993 mindestens die Hälfte der jährlichen Schadstoffbelastung des Standes von 1983 abgebaut ist. Dabei darf nicht vergessen werden, daß die eingetretene Schädigung der Waldböden selbst dann nicht behoben sein wird, wenn die Luft sauberer ist.Ich denke, diese Stellungnahme zeigt, wie ernst die Situation ist.Ich kann nur feststellen, daß die Bundesregierung mit ihren bisher getroffenen halbherzigen Maßnahmen kläglich versagt hat und nichts dazu getan hat, daß diese vorausgesagte schlimme Entwicklung in unseren Wäldern nicht eintreten wird. Die Bundesregierung hat versäumt, nur eine einzige Sofortmaßnahme gegen die Luftverschmutzung zu treffen. Obwohl Ihnen alle Wissenschaftler ganz klar sagen, daß wir Sofortmaßnahmen brauchen, um jetzt etwas zur Entlastung der Situation zu tun, haben Sie sich auch geweigert, das Tempolimit einzuführen. Statt dessen wurden in Abstimmung mit den Industriebossen Gesetzesänderungen vorgenommen, die viel zu spät greifen und eine spürbare Entlastung erst nach der Jahrtausendwende erwarten lassen. Die gesamte Schadstoff-
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Schulte
menge, bezogen auf Stickoxide und Schwefeldioxid, die jährlich auf uns und unsere Umwelt niedergeht, wird sich bis zum Jahre 2000 höchstens um, 25 % verringern. Damit erreichen Sie nicht annähernd die Forderung der Waldbesitzer. Wenn diese Politik fortgesetzt würde, müßten wir damit rechnen, daß wir unseren Enkeln eine baumlose Zukunft hinterlassen.Damit es so weit nicht kommt, reden die GRÜNEN nicht nur, wie uns vorgeworfen wird, sondern wir handeln auch und bringen heute wiederum zwei Anträge ein, die dazu beitragen sollen, daß die Schadstoffemissionen drastisch reduziert werden.
— Ja, wir machen Wind, aber unser Wind ist schadstofffrei und nicht so wie der Wind, der uns herüberweht — ich komme aus Nordrhein-Westfalen — aus Ibbenbüren. Damit bin ich bei dem Antrag, den wir zu dem größten Stickoxidstinker in NRW gestellt haben. Dieser Stickoxidstinker in Ibbenbüren entlarvt die Umweltpolitik der SPD. Er zeigt, daß Ihre Umweltpolitik nichts anderes ist als Verbalakrobatik, genauso wie die der CDU in bezug auf Buschhaus.
Zu dieser Entlarvung gehört auch, daß die Vereinbarungen der Umweltministerkonferenz überhaupt nicht eingehalten werden. Herr Lennartz, die Umweltministerkonferenz hatte sich dafür ausgesprochen, eine Grenze für Stickoxide von 200 mg/m3 festzulegen. Das Kohlekraftwerk in Ibbenbüren überschreitet diesen Grenzwert um das Zehnfache.
Herr Abgeordneter Schulte, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Lennartz.
Ja.
Herr Kollege, können Sie mir bitte sagen, was die Umweltministerkonferenz bei Kraftwerksblöcken bis zu 300 MW und bei Kraftwerksblöcken über 300 MW beschlossen hat?
Ich habe Ihnen gerade den Wert genannt:
für Kraftwerke über 300 MW 200 mg/m3. Sie haben nicht einmal gesagt, welchen Schadstoff Sie meinen. Insofern ist Ihre Frage so unqualifiziert, daß man da genauer, als ich es getan habe, überhaupt nicht darauf eingehen kann.
Zu unserem Entwurf eines Schadstoffabgabengesetzes, den wir heute vorlegen, möchte ich noch folgendes ausführen: Wir sind der Auffassung, daß durch eine Abgabe für Luftschadstoffe, die unterhalb der Grenzwerte, die viel zu halbherzig festgelegt wurden, ansetzt, die Kraftwerkbetreiber gezwungen werden, wesentlich schneller und wirksamer Umrüstmaßnahmen durchzuführen; denn wenn Betreiber eines Kraftwerks künftig für jede Tonne emittiertes Schwefeldioxid 3 000 DM oder pro Tonne Stickoxid 1 500 DM oder pro Tonne Staub 1 000 DM zu zahlen hätten, würden sie sich allein aus betriebswirtschaftlichen Gründen schnellstens dazu entschließen, Filteranlagen einzubauen.
Nach diesem ökonomischen Prinzip würden künftig all diejenigen bestraft, die weiterhin die Luft verpesten, und diejenigen begünstigt, die umgehend Schadstoffilter nachrüsten. Das ist ein sehr marktwirtschaftliches Prinzip, und ich verstehe nicht, weshalb Sie von der FDP und der CDU dem nicht zustimmen. Das heißt, letztlich verstehe ich es schon, denn dadurch würde die umweltverschmutzende Industrie, die j a Ihre Lobby ist, zur Kasse gebeten. Das ist der wahre Grund, weshalb Sie dagegen sind.
Die restliche Zeit möchte ich dazu nutzen, darauf hinzuweisen, daß all die technischen Maßnahmen, die hier diskutiert werden und die wir zum Teil — nur in verstärkter Form — ja auch fordern, die Umweltkrise letztlich nicht abwenden können; denn es zeigt sich, daß alle Schadstoffe, die wir mit Filtern aus den Abgasen der Kraftwerke, der Industrie und der Müllverbrennungsanlagen herausholen, zwar die Atemluft sauberer machen, aber deshalb noch längst nicht aus der Welt geschafft sind. In der Regel erhöhen die Filterrückstände das Abfallvolumen, und dabei handelt es sich meist um höchst giftigen Sondermüll.
Doch schon heute wissen wir nicht, wohin mit unseren Müllbergen, mit dem ganzen Zivilisationsmüll. Die Deponiekapazitäten sind vielfach erschöpft, und so exportieren wir unseren Giftmüll u. a. nach Schönberg in der DDR. Wir müssen feststellen: Dort sickern die gesundheitsschädlichen Stoffe in den Boden, gelangen ins Grundwasser und anschließend ins Trinkwasser der Lübecker Bevölkerung. Das heißt, statt die Gifte über den Luftweg einzunehmen, werden die Menschen die Schadstoffe in Zukunft verstärkt in flüssiger Form zu sich nehmen müssen.
Dies ist das grausame Resultat der kurzsichtigen, rein technischen Umweltfilterpolitik. Eine Politik, die glaubt, die Umweltkrise könne allein mit rein technischen Maßnahmen beseitigt werden, eine solche zur Zeit von den Altparteien, also auch von der SPD, betriebene Politik hat nach meiner Auffassung die Grundlagen der ökologischen Zusammenhänge nicht einmal im Ansatz erkannt.
Nach Meinung der GRÜNEN ist eine Umweltpolitik notwendig, die nicht nur die Schadstoffe von dem einen Medium, nämlich der Luft, in das andere, nämlich den Abfall, und damit in den Boden und das Wasser verlagert; vielmehr brauchen wir eine
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Umweltpolitik, die grundsätzlich die Entstehung von Giften nicht mehr zuläßt.
Dazu ist allerdings eine ganz andere Produktions-und Lebensweise notwendig. Mit dem ökologischen Umbauprogramm, das wir vor kurzem vorgelegt haben, zeigen wir hierzu ganz konkrete Schritte auf.
Ich möchte zum Schluß kommen und diesen Umbau nur noch an zwei Punkten deutlich machen: Im Energiesektor wäre es viel besser, die Milliarden, die in die Atomenergie und auch in den Ausbau von Großkraftwerken fließen, umzuleiten und für die Entwicklung regenerativer Energiequellen zu verwenden; denn dort entstehen überhaupt keine Schadstoffe.
Auf dem Verkehrssektor könnte durch eine Umschichtung der Investitionen weg vom Straßenbau hin zu umweltfreundlichen Verkehrsmitteln
nicht nur eine Schadstoffreduzierung erreicht werden, sondern auch zu einer insgesamt ökologischeren und sozialeren Zukunft beigetragen werden.
Danke schön.
Ich erteile dem Herrn Parlamentarischen Staatssekretär Spranger das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung hat nicht nur immer wieder den hohen politischen Stellenwert einer Begrenzung der Schadstoffemissionen aus Großfeuerungsanlagen betont; sie hat auch im nationalen Bereich seit 1983 ein umfassendes Luftreinhaltekonzept umgesetzt, und dieses Konzept bewirkt beispielsweise, daß in wenigen Jahren die Emissionen an Schwefeldioxid um 70 % und an Stickstoffoxid um 60 % vermindert werden. Hier der Bundesregierung Tatenlosigkeit vorzuwerfen, ist Schlichtweg absurd. Auch die Schauergemälde, die Sie hier entwickelt haben, werden in keiner Weise der Wirklichkeit entsprechen.
Was wir allerdings feststellen müssen, ist, daß den nationalen Vorleistungen der Bundesregierung nicht entsprechende Maßnahmen im internationalen Bereich, im europäischen Raum gefolgt sind. Hier hat die ECE festgestellt: 50% der Schwefelemissionen in der Bundesrepublik Deutschland kommen aus dem Ausland. Deswegen hat es keinen Sinn, unsere nationalen Maßnahmen immer weiter auszudehnen, wenn es international an ergänzenden Maßnahmen fehlt. Deswegen haben wir auch innerhalb der EG auf eine massive Verminderung gedrängt und auf eine Gemeinschaftsregelung hingearbeitet.
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Vielen Dank, ich möchte keine Zwischenfrage zulassen.
Nun liegt ein Richtlinienvorschlag der Kommission vor. Er entspricht nicht in vollem Umfang unseren Vorstellungen, aber er ist ein wichtiger Schritt nach vorne. Wir müssen allerdings feststellen, daß nicht alle EG-Mitgliedsländer eine gleich positive Einstellung zu dieser Richtlinie haben.
Diese Richtlinie ist in der vergangenen Woche bei der Umweltministertagung in Brüssel nicht nur diskutiert worden, man hat sie nicht nur zur Kenntnis genommen; man hat sich nach langen und überaus intensiven Verhandlungen auch auf eine Verhandlungslinie geeinigt. Es ist also schon etwas vorangekommen, auch wenn die britische Delegation — ich nenne sie hier ganz offen beim Namen — dem nicht zustimmen konnte. Alle anderen elf Delegationen haben eine Einigung über folgende Elemente erzielt. Angestrebt werden eine Regelung der Emissionen aller neuen Anlagen auf der Grundlage des Standes der Technik unter vertretbaren Kosten, eine Verringerung der Gesamtemissionen für Schwefeldioxid und Stickstoffoxide in zwei Stufen, die Festlegung einer gemeinschaftlichen Zielvorgabe für die erste Stufe, die weiter geht als die 1985 in Helsinki von einem Teil der Mitgliedstaaten mit anderen Staaten im Rahmen der ECE vereinbarte Reduzierung von SO2 um 30% bis 1993, und die Aufstellung von Emissionsreduzierungsprogrammen durch die Mitgliedstaaten unter Berücksichtigung länderspezifischer Sonderfaktoren.
Die Verhandlungen sind außerordentlich mühsam. Wer dieses Verhandlungsergebnis tadelt, der muß sich vorhalten lassen, daß er von den Schwierigkeiten, die zwölf Länder hier haben, zu einem Konsens zu kommen, wenig Ahnung hat.
Zum Thema Ibbenbüren hätte ich nichts weiter ausgeführt, da dieses Thema schon ausführlich behandelt worden ist. Aber Herr Lennartz hat hier Ausführungen gemacht, die nicht unwidersprochen bleiben können. Ich muß einfach die Frage stellen, Herr Kollege Lennartz, ob die nordrhein-westfälische Landesregierung wirklich das Mögliche getan hat, damit das Kraftwerk Ibbenbüren, das uns bei unseren Bemühungen im Ausland um mehr Umweltschutz schadet — es ist außerordentlich schwierig, wenn wir Forderungen erheben und man uns anschließend Ibbenbüren vorhält —, mit möglichst geringen Emissionen ans Netz gehen kann.
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Parl. Staatssekretär Spranger
Die Emissionen an Schwefeldioxid und Stickstoffoxiden steigen zunächst erheblich an.
Das ist doch unbestritten. Die Gründe liegen schlichtweg darin, daß in einem ersten Schritt nur ein Drittel der Entschwefelungskapazität installiert wird, danach ein zweites Drittel und erst 1988 das letzte Drittel. Bereits in der TA Luft 1974 — also nicht in der in diesem Jahr verabschiedeten Fassung — steht, daß Kraftwerke mit einer Entschwefelungsanlage auszurüsten sind und mit einem Wirkungsgrad von mindestens 80 % betrieben werden müssen. Die nordrhein-westfälische Landesregierung hat diese auch für sie verbindliche Vorschrift schlichtweg ignoriert.
Auch die Emissionen an Stickoxiden steigen an. Das ist unbestreitbar. Insofern ist die Frage zu stellen, ob seitens der Landesregierung alle Möglichkeiten genutzt wurden, die zusätzlichen Emissionen durch das neue Kraftwerk durch Betreiben im Teillastbereich
sowie durch Stillegung alter Kraftwerke in dieser Region insgesamt unter das bisherige Niveau zu senken.
Im vergleichbaren Fall Buschhaus,
über den man sich damals bei der SPD so erregt hat, ist das erfolgt, in Ibbenbüren keine Spur davon.
Das ist ein Widerspruch zwischen Reden und Handeln. Man muß immer wieder darauf hinweisen.
Eine kurze Bemerkung noch zur Einführung einer Schadstoffabgabe, wie sie die GRÜNEN vorschlagen. Die Bundesregierung hat das umfassend geprüft. Die Prüfungen haben zu dem klaren Ergebnis geführt, daß von der Erhebung einer solchen Abgabe keine nennenswerte Verbesserung für die Luftreinhaltung zu erwarten ist. Dies hängt damit zusammen, daß die große Regelungsdichte, das hohe Anspruchsniveau, die kurzen Vollzugsfristen in den Vorschriften zur Luftreinhaltung — TA Luft, Großfeuerungsanlagen-Verordnung, Bundes-Immissionsschutzgesetz — keinen Spielraum für eine Abgabe lassen. Das wurde in einem Kabinettsbericht niedergelegt. Das Bundeskabinett hat das im Dezember 1985 zustimmend zur Kenntnis genommen.
Wir halten eine solche Abgabe jetzt auch deshalb nicht für erforderlich, weil die neu geschaffene flexible Kompensationsregelung den Unternehmen die notwendigen Spielräume zur kostengünstigen und zugleich umfassenden Altanlagensanierung verschafft. Diese Regelung ist Bestandteil der TA
Luft und des novellierten Bundes-Immissionsschutzgestzes. Diese Kompensationsregelung eröffnet den Unternehmen die erforderlichen Spielräume zur kostengünstigen und zugleich umfassenden Altanlagensanierung.
Ich bin der Überzeugung, daß wir diesen Weg einer marktwirtschaftlich ausgerichteten Umweltpolitik auch in Zukunft fortsetzen müssen. Nur auf diesem Wege können wir das überlegene Leistungsvermögen des Marktes auch zum Nutzen für unsere natürliche Umwelt ausnutzen.
Die Schadstoffabgabe, wie sie vorgeschlagen wird, bewirkt weder zusätzliche Umweltschutzinvestitionen noch eine weitere Umweltentlastung. Vielmehr würden die bereits getroffenen Investitionsentscheidungen der Anlagenbetreiber in Frage gestellt. Letztlich würden damit die Umweltschutzinvestitionen vezögert. Es gäbe eine spürbare Kostenerhöhung, eine entsprechende Anhebung der Stromtarife mit dem Schaden für die Stromverbraucher, vor allem für die stromintensiv produzierenden mittelständischen Unternehmen, die keinen Einfluß darauf nehmen können, ob, wann und wie die Stromproduzenten Umweltschutzmaßnahmen durchführen. Wir hätten also — das haben wir auch im Bundesrat bei den entsprechenden Programmen immer wieder vorgetragen — folgende Situation: Es entstünde ein Verteilungskreislauf von der linken in die rechte Tasche der Verursacher zu Lasten der Allgemeinheit nach dem Motto „Außer Spesen nichts gewesen". Eine solche Abgabe hat in unserer marktwirtschaftlichen Umweltpolitik deswegen keinen Platz.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.Wir kommen zuerst zur Abstimmung zu Tagesordnungspunkt 10 a. Wer der Beschlußempfehlung des Innenausschusses auf Drucksache 10/4244 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig so beschlossen.Wir kommen jetzt zu den Tagesordnungspunkten 10b und 10c. Der Ältestenrat schlägt die Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 10/4586 und des Antrags auf Drucksache 10/4443 vor. Gibt es andere Vorschläge oder andere Auffassungen? — Die Überweisung ist so beschlossen.Ich rufe Tagesordnungspunkt 11 auf:Beratung der Sammelübersicht 135 des Petitionsausschusses über Anträge zu Petitionen— Drucksache 10/4756 —Hier liegt auf Drucksache 10/5039 ein Änderungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN vor.Im Ältestenrat ist für die Aussprache ein Beitrag bis zu fünf Minuten für jede Fraktion vereinbart
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Vizepräsident Frau Rengerworden. — Kein Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Mann.
Frau Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ich habe das Vergnügen, eine Petition zu begründen, welche die Abschaffung der altehrwürdigen Ministerialzulage vorschlägt.
Sie gibt es seit 1920. Im Zuge der Reichsbesoldungsreform wurde damals ein Vorrecht der Beamten der Zentralbehörden aufgehoben. Da jedoch — so die amtliche Begründung zum Reichsbesoldungsgesetz von 1920 — die Tätigkeit in einem Ministerium verantwortungsvoller und anstrengender sei als die Tätigkeit in den nachgeordneten Behörden, die Lebensbedingungen in Berlin weniger angenehm seien, hielt man es für notwendig, den Beamten einen Ausgleich anzubieten. Dieser Ausgleich, gleichzeitig auch als finanzieller Anreiz für die Aufnahme einer Tätigkeit bei den Reichsbehörden gedacht, wurde den Begünstigten für die Dauer ihrer Beschäftigung bei den Zentralbehörden als widerrufliche Zulage oder Ministerialzulage gewährt.
Ich zitiere aus einer Broschüre des Bundes der Steuerzahler Ausführungen unter der Überschrift „Aufschaukelungsmechanismus" und möchte einige Gedanken zur Ministerialzulage vortragen.
Sie gibt in ihrem entstehungsgeschichtlichen Verlauf
— heißt es hier —
ein klassisches Beispiel für die Aufschaukelung von Privilegien bei Staatsdienern.
Am Anfang stand ein strukturelles Problem des Besoldungsrechts, ausgelöst durch die Vereinheitlichung der Besoldung in Reichs- und Provinzialbehörden.
Durch die Gewährung der Ministerialzulage an die zwischen den Provinzial- und Zentralbehörden austauschbaren Beamten war der Einstieg in eine neue Form der Besoldung geschaffen. Schon bald gelang den Ministerialbeamten die Ausweitung des Berechtigtenkreises. Nachdem sämtliche Beamten der obersten Reichsbehörden Zugang zu dieser Zulage hatten und damit der eigentliche Sinn und Zweck der Zulage verfälscht war, folgte als letzter Schritt die Ausweitung auf alle Bediensteten der obersten Behörden. Was sich bei der Ministerialzulage vollzogen hat, ist im öffentlichen Dienst schon vielfach geschehen. Man kann hier vom Grundmuster einer Aufschaukelung sprechen. Eine spezielle, zunächst begrenzte Gruppe von Bediensteten erreicht auf Grund vermeintlicher Benachteiligung eine besoldungsrechtliche Verbesserung. Andere Gruppen drängen nun ihrerseits darauf, diesen finanziellen Vorteil ebenfalls zu erlangen mit dem Hinweis, daß sie ebenso berechtigt seien und daß es ungerecht
sei, wenn sie schlechtergestellt werden. Es dauert dann in der Regel nicht lange, bis Gruppe für Gruppe ihre jeweilige Forderung durchsetzen kann. Am Ende dieses Prozesses sind alle Gruppen wieder gleichgestellt, allerdings auf einem höheren Niveau. Damit hat die vermeintlich benachteiligte Gruppe den Weg für eine allgemeine besoldungsrechtliche Verbesserung geebnet.
Wir sind der Auffassung, daß nur eine ersatzlose Abschaffung der Ministerialzulage der heutigen Zeit angemessen wäre.
Es handelt sich hier um ein heute nicht mehr zu rechtfertigendes Privileg der Beamten, Angestellten und Arbeiter bei obersten Bundes- und Landesbehörden gegenüber allen übrigen Behörden. Meine Damen und Herren Kollegen, ich bin gespannt, was wir in diesem Beamtenparlament heute von den Fraktionen hören werden, wie sie mit dieser Petition umzugehen gedenken. Herr Hedrich, wir jedenfalls stehen hier ohne Wenn und Aber hinter der Petition, in der die Abschaffung dieses nicht mehr gerechtfertigten Privilegs vorgeschlagen wird.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit
Das Wort hat der Abgeordnete Hedrich.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die vorliegende Petition ist weder der Art noch der Form nach geeignet, in diesem Hause berücksichtigt zu werden.
Dabei ist sorgfältig zwischen dem eigentlichen Anliegen auf Abschaffung der Ministerialzulage und der Lösung dieser Frage, ohne die Auswirkungen in anderen Bereichen zu beachten, zu unterscheiden.Sicherlich muß die Ministerialzulage von ihrer ursprünglichen Begründung her als veraltet und den Bedürfnissen einer modernen Administration nicht mehr angemessen bezeichnet werden.
Mich überzeugt auch das Argument nicht, man brauche die Zulage, um qualifizierte Bewerber für die obersten Landes- und Bundesbehörden zu gewinnen. Dies kann ein diskriminierendes Element gegenüber einem Mitarbeiter sein, der in einem Nachbarhaus, einer Mittelbehörde am gleichen Ort, mit gleichem Einsatz seinen Dienst tut.
Dennoch warne ich auch in diesem Zusammenhang vor der Schürung sozialer Mißgunst innerhalb des öffentlichen Dienstes.
Neid ist noch nie ein angemessener und sachgerechter Maßstab für die Lösung von Problemen ge-
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Hedrichwesen. Im übrigen scheint mir die begründende Vorlage unseres Ausschußbüros sachgerecht, in der darauf verwiesen wird, daß der Eingriff in die Ministerialzulage folgerichtig auch entsprechende verschlechternde Neubewertungen in anderen Bereichen nach sich ziehen wird. Ich nenne hier die Bundesbank- und Sparkassenzulage, die Sicherheitszulage, die Hauptstellenzulage, zahlreiche sonstige Zulagen für herausgehobene Funktionen und vergleichbare Zulagen im Tarifbereich. Eine Inangriffnahme dieser Punkte ist jedoch derzeit nicht in der politischen Diskussion. Es würde mich auch wundern, wenn die GRÜNEN den Mut aufbrächten, dieses Gesamtpaket anzupacken. Das kann ich mir bei der Zusammensetzung Ihrer Wählerklientel gar nicht vorstellen.
Wir zumindest halten gegenwärtig andere Fragen für wichtiger. Deshalb darf ich Sie bitten, dem Antrag des Petitionsausschusses, die Petition als erledigt zu betrachten, zu folgen.Ich bedanke mich.
Das Wort hat der Abgeordnete Hansen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Vielleicht sollten wir die GRÜNEN zunächst einmal daran erinnern, weil sie hier so dicke Backen machen, daß sie in den Haushaltsberatungen einen entsprechenden Antrag zurückgezogen haben.
Da hat sie also der Mut verlassen. Die GRÜNEN haben diese Debatte für erforderlich gehalten und sind der Auffassung, daß der Bundestag beschließen sollte, die Ministerialzulage abzuschaffen. Sie haben das mit dem Argument der Aufschaukelungspolitik des öffentlichen Dienstes begründet.
Sie sind sonst eigentlich nicht so schnell bei der Hand, Argumente von Gegnern der Arbeitnehmerschaft aufzunehmen. Da muß ich mich doch wundern.
Wir Sozialdemokraten können uns Ihrer Auffassung nicht anschließen. Persönlich glaube ich auch, Herr Kollege Mann, daß es sich bei Ihrem Antrag nur darum dreht, einer scheinbar populären Forderung Nachdruck zu verleihen und damit beim geneigten Publikum Eindruck zu schinden.
Eine so oberflächliche Behandlung ihrer Probleme haben die vielen Beschäftigten im öffentlichen Dienst einfach nicht verdient.
Ein allein auf diese Zulage bezogener Beschluß ließe nämlich die vielfältigen Probleme, die es im öffentlichen Dienst gibt, außer acht.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Mann?
Ja.
Herr Kollege, ist es richtig, daß die bekanntlich von der SPD geführte saarländische Landesregierung inzwischen als erste Landesregierung die Ministerialzulage abgeschafft hat?
Das hat die saarländische Regierung unter Umständen zu verantworten. Es ist ebenso richtig, daß in Hamburg nie eine solche Zulage gezahlt wurde.
Lassen Sie mich in meinen Ausführungen fortfahren. Ein allein auf diese Zulage bezogener Beschluß würde zusätzliche Ungerechtigkeiten schaffen. Er würde darüber hinaus auch in das Tarifrecht eingreifen; denn Sie wissen, daß auch Arbeiter und Angestellte die entsprechende Zulage erhalten, was tarifvertraglich geregelt ist. Sonst sind Sie eigentlich nicht dafür, in Tarifvertragsrecht einzugreifen.Schon diese Begründungen machen nach unserer Auffassung deutlich, daß ein Schnellschuß in dieser Sache als publikumswirksame Effekthascherei und nach dem Motto „Steter Tropfen höhlt den Stein" nicht angebracht ist, Kollege Mann.Die Politik der Nadelstiche, die Sie und die GRÜNEN hier wieder einmal verfolgen, zeigt meines Erachtens aber auch ganz deutlich, daß Sie keine Ahnung von den wirklichen Problemen der Arbeitnehmer im öffentlichen Dienst haben.
Sie übernehmen Vorurteile ungeprüft und denken, das sei populär, und die Beschäftigten im öffentlichen Dienst würden es Ihnen danken.
Den Problemen der Arbeitnehmer im öffentlichen Dienst wird nur derjenige gerecht, der bereit ist, einmal das Gesamtproblem der Arbeitnehmer im öffentlichen Dienst zu diskutieren, wer bereit ist, sich für ein einheitliches Personalrecht einzusetzen, wer bereit ist, mit uns für mehr Tarifrecht und weniger Beamtenrecht zu streiten.
Wir müssen uns einmal fragen: Warum gibt es im öffentlichen Dienst eigentlich diese vielen Zulagen? Warum werden sie den Beamten gewährt? Warum müssen sie bei anderen durch Tarifverträge nachgeschoben werden? Liegt das nicht daran, daß seit Jahren die Besoldungs- und Bezahlungsstruktur im öffentlichen Dienst völlig durcheinandergeraten ist, daß ein Ausgleich der offenkundigen Ungerechtigkeiten nur durch Zulagen möglich ist, die der Arbeitgeber gewährt, die sich die Beamten ja nicht selber gewähren?
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Hansen
Es sind im übrigen Zulagen, die an den allgemeinen Gehaltssteigerungen nicht teilnehmen. Das ist ihr Nachteil.Es muß auch gesagt werden, daß die Zulagen für die Arbeitnehmer und die Gewerkschaften im öffentlichen Dienst immer nur die zweitbeste Lösung gegenüber einer an sich notwendigen und strukturell angemessenen Bezahlung sind.Es liegt also an den Strukturen. Wenn wir gemeinsam darangingen, diese Strukturen zu verändern, wenn wir gemeinsam darangingen, das Dienstrecht zu verändern, dann könnte man auch über die Streichung der einen oder anderen Zulage nachdenken. Aber die Streichung nur einer Zulage, wie Sie das in diesem Falle beantragen, ist noch keine Reform. Einen solchen Schritt, Herr Kollege Mann, würde ich als aktiver Gewerkschafter ebenso bewerten wie viele der Maßnahmen, die die Kolleginnen und Kollegen des öffentlichen Dienstes durch diese Regierung erdulden mußten. Lohnraub habe ich dies als Personalratsvorsitzender dann immer genannt. Eine unsachliche, undurchdachte, nur auf Publikumseffekte zielende Effekthascherei und Behandlung wichtiger Arbeitnehmerfragen des öffentlichen Dienstes ist mit uns Sozialdemokraten nicht zu machen. Wir sind es gewohnt, diese Probleme mit mehr Ernsthaftigkeit und mit mehr Sachverstand zu diskutieren, als Sie das in diesem Falle tun wollen. Deswegen lehnen wir Ihren Antrag ab. Wir haben keine Einwendungen gegen den Vorschlag gehabt, diese Petition der Regierung zur Kenntnis zu überweisen.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Dr. Segall.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist schon interessant zu sehen, wie durch die Eingabe einer Petition hochbrisante Themen, deren parlamentarische Beratung immer wieder vertagt wird, ins Rampenlicht gerückt werden können. So steht heute die Ministerialzulage zur Diskussion an. Diese Zulage wird mit den besonderen Leistungsanforderungen an die in diesem Bereich Tätigen begründet. Bedenkt man jedoch, daß eine Streichung der Ministerialzulage ganz besonders die mittleren und unteren Angestellten und Beamten treffen würde, so erkennt man deutlich, daß über eine Reform der Bezüge im öffentlichen Dienst grundsätzlich entschieden werden müßte. Eine solche Reform könnte dann einerseits die Bewertungsmaßstäbe neu regeln und andererseits die sozialen Belange der Bezieher niedriger Einkommen berücksichtigen — ohne das heutige System der Zulagen.
Bedenkt man ferner, daß dem Bundesminister des Innern seit langem ein Zulagenbericht vorliegt, zu dem bis heute keine Stellungnahme erfolgt ist und aus dem erst recht keine Konsequenzen gezogen worden sind, so kann ich es als FDP-Abgeordnete nur begrüßen, daß die vorliegende Petition dem Bundesinnenminister zur Kenntnis überwiesen wird, in der Hoffnung, daß damit erneut ein Anstoß gegeben wird, über Fragen der Besoldung von Bediensteten im öffentlichen Dienst nachzudenken.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.Wir kommen zur Abstimmung, und zwar zuerst über den Änderungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/5039. Wer diesem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Dieser Antrag ist abgelehnt.
Wer der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses auf Drucksache 10/4756 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? —
Die Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses ist angenommen.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 12 auf:Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Innenausschusses
zu der Unterrichtung durch die BundesregierungVorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Erleichterung der für die Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten geltenden Kontrollen und Förmlichkeiten an den innergemeinschaftlichen Grenzenzu der Unterrichtung durch das Europäische ParlamentEntschließung zum Abschluß des Verfahrens der Konsultation des Europäischen Parlaments zu dem Vorschlag der Kommission der Europäischen Gemeinschaften an den Rat für eine Richtlinie zur Erleichterung der für die Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten geltenden Kontrollen und Förmlichkeiten anden innergemeinschaftlichen Grenzen— Drucksachen 10/2952 Nr. 11, 10/3314, 10/4555 —Berichterstatter:Abgeordnete Clemens TietjenDr. HirschMeine Damen und Herren, nach einer Vereinbarung im Ältestenrat soll keine Aussprache stattfinden. — Das Haus widerspricht dem nicht.Wir kommen zur Abstimmung. Wer der Beschlußempfehlung des Innenausschusses auf Drucksache 10/4555 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei einigen Enthaltungen ist die Beschlußempfehlung des Ausschusses angenommen.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 13 auf:a) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr
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Vizepräsident Frau Renger
zu der Unterrichtung durch
das Europäische ParlamentEntschließung zum Urteil des Gerichtshofs zu der gemeinsamen Verkehrspolitik und den Leitlinien dieser Politik— Drucksachen 10/3966, 10/4693 —Berichterstatter: Abgeordneter Haungsb) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr
zu der Unterrichtung durch die BundesregierungZivilluftfahrt-Memorandum Nr. 2 Fortschritte auf dem Weg zu einer gemeinschaftlichen Luftverkehrspolitikzu der Unterrichtung durch das Europäische ParlamentEntschließung zum Memorandum Nr. 2 der Kommission zur Zivilluftfahrt und insbesondere zum Abschluß des Verfahrens der Konsultation des Europäischen Parlaments zu den Vorschlägen der Kommission der Europäischen Gemeinschaften an den Rat für— eine Entscheidung über bilaterale Abkommen, Vereinbarungen und Abmachungen zwischen Mitgliedstaaten über den Luftverkehr— einen Vorschlag für eine Verordnung zur Anwendung von Artikel 85 Abs. 3 des Vertrags auf bestimmte Gruppen von Vereinbarungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen im Luftverkehr— Drucksachen 10/1404 Nr. 34, 10/3963, 10/4694 —Berichterstatter: Abgeordneter Ibrüggerc) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr zu der Unterrichtung durch die BundesregierungVorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Änderung der Richtlinie 75/130/EWG über die Festlegung gemeinsamer Regeln für bestimmte Beförderungen im kombinierten Güterverkehr zwischen Mitgliedstaaten— Drucksachen 10/3592 Nr. 13, 10/4695 —Berichterstatter: Abgeordneter BerschkeitNach einer Vereinbarung im Ältestenrat soll auch hier keine Aussprache stattfinden. — Das Haus ist damit einverstanden. Dann ist das so beschlossen.Mir ist vom Ausschuß mitgeteilt worden, daß das Wort zu einer redaktionellen Berichtigung gewünscht wird. Das Wort wollte Herr Kollege Bohlsen nehmen.
Verehrte Frau Präsidentin! Ich wollte lediglich eine Änderung erbitten, und
zwar insofern, als es in der Drucksache, die uns vorliegt, heißt: „Der Bundestag wolle beschließen, ...". Ich würde Sie bitten, wie folgt zu ändern: „Der Bundestag wolle beschließen, der Bundesverkehrsminister wird ersucht, ... ". Ich erbitte diese Änderung, Frau Präsidentin, im Namen des Berichterstatters, Herrn Berschkeit, der erkrankt ist und mich gebeten hat, diese redaktionelle Änderung einzubringen. Wären Sie damit einverstanden?
Ist das Haus damit einverstanden, daß wir diese Änderung vornehmen? — Dann ist das so beschlossen. Herzlichen Dank.
Wir stimmen dann erst einmal über den Tagesordnungspunkt 13c ab, weil hier die redaktionelle Änderung erfolgt ist. Wer der Beschlußempfehlung des Ausschusses für Verkehr auf Drucksache 10/ 4695 mit der vorgetragenen Änderung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Die Gegenprobe! — Enthaltungen? — Die Beschlußempfehlung ist bei einer Enthaltung angenommen.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Tagesordnungspunkt 13 a. Wer der Beschlußempfehlung des Ausschusses für Verkehr auf Drucksache 10/4693 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei einigen Enthaltungen angenommen.
Wir kommen zur Abstimmung zu Tagesordnungspunkt 13b. Wer der Beschlußempfehlung des Ausschusses für Verkehr auf Drucksache 10/4694 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei einigen Gegenstimmen ist die Beschlußempfehlung angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 14 auf:
Beratung des Berichts des Innenausschusses gemäß § 62 Abs. 2 der Geschäftsordnung zu dem von der Fraktion DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Altölgesetzes
— Drucksachen 10/1435, 10/5166 —
Im Ältestenrat ist für die Aussprache ein Beitrag bis zu fünf Minuten für jede Fraktion vereinbart worden. Ist das Haus damit einverstanden? — Das ist, wie ich sehe, der Fall. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Schmidbauer.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Der Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Änderung des Abfallbeseitigungsgesetzes gibt den fachlichen und umweltpolitischen Beratungsgegenstand vom Herbst 1984 wieder. Er sah vor, daß synthetische Öle und schadstoffhaltige Altöle nicht mehr nach dem Altölgesetz, sondern nach den schärferen Anforderungen des Abfallbeseitigungsgesetzes beseitigt werden.Eine völlige Aufhebung des bisherigen Altölgesetzes stand damals nicht zur Diskussion. Dieser Sachstand gilt auch für den Gesetzentwurf der Fraktion DIE GRÜNEN.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 204. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. März 1986 15717
SchmidbauerInzwischen sind wesentliche Änderungen in der Altölentsorgung eingetreten, die es notwendig machen, die Altölentsorgung voll in das Abfallbeseitigungsgesetz zu integrieren. Die „Frankfurter Allgemeine Zeitung" von heute hat unter der Überschrift „Ärger mit dem Altöl" genau auf diese wichtigen Punkte hingewiesen. Dabei kann jedoch das Hauptziel des Entwurfs der Bundesregierung, nämlich Unterstützung der Verwertung von Altölen durch Zweitraffination, beibehalten werden. Durch eine umfassende Einbeziehung aller Altöle in das Abfallrecht wird eine bessere und wirksamere Kontrolle gewährleistet. Ich glaube, daß wir uns über die Fraktionen hinweg in dieser Zielsetzung einig sein werden.Nach § 5 a des neuen Abfallbeseitigungsgesetzes, das wir gestern leider nicht mit den Stimmen der GRÜNEN und der Kollegen der SPD beraten konnten
— damit konnten wir ebenfalls nicht über Ihren eigenen Tagesordnungspunkt, über den wir uns jetzt unterhalten, diskutieren —,
finden auf Altöle die Vorschriften des Abfallbeseitigungsgesetzes unabhängig davon Anwendung, ob sie im konkreten Fall Abfall oder Wirtschaftsgut sind.Wir wissen — und dies ist für diese Regelung der entscheidende Punkt —, daß beim Umgang mit Altölen erhebliche Gefahren für unsere Umwelt vorhanden sind. Dies gilt insbesondere bei unsachgemäßer Sammlung und Behandlung.Soweit eine energetische Verwertung von Altölen in hierfür vorgesehenen genehmigten Anlagen im Sinne von § 4 des Bundes-Immissionsschutzgesetzes erfolgt, finden nur spezielle Paragraphen des neuen Abfallbeseitigungsgesetzes Anwendung. Es sind die §§ 11, 12, 13 und 14.Damit ist eine abfallrechtliche Überwachung bis zur Übergabe der Altöle, unabhängig — ich betone das — von ihrer Eigenschaft als Abfall oder Wirtschaftsgut, an eine immissionsschutzrechtlich für diese Verwertung zugelassene Anlage gewährleistet. Mit der Beschränkung auf wenige Vorschriften des neuen Abfallgesetzes soll ein Anreiz für die Einführung beziehungsweise den Ausbau vorhandener Verwertungsverfahren gegeben werden. Während für die energetische Nutzung von Altölen das Bundes-Immissionsschutzgesetz, die dazu erlassenen Rechtsverordnungen und die technische Anleitung Luft abschließende Regelungen enthalten, sehen wir im neuen Abfallgesetz Rechtsverordnungen der Bundesregierung vor, in denen die Eingangsbedingungen für Altöle festgelegt werden, die für eine Aufarbeitung bestimmt sind.Festzulegen sind hierbei sowohl Altölarten nach Ausgangsprodukt und Anfallstelle als auch Grenzwert für einzelne Stoffe oder Stoffgruppen, beispielsweise Gesamtchlor und bestimmte halogenierte organische Verbindungen.Wir nehmen damit im neuen Entwurf die Absicht der Bundesregierung auf, der Zweitraffination wirklich nur hierfür geeignete Altölarten zuzuführen, um bereits auf diesem Wege eine Belastung neuer Produkte mit PCB und ähnlichen Stoffen zu minimieren und dieses Problem damit auf Dauer zu lösen.
Die Festlegungen in der Verordnung weisen für eine Aufarbeitung ungeeignete Altölarten der energetischen Nutzung im immissionsschutzrechtlichen oder der Beseitigung in dafür abfallrechtlich zugelassenen Anlagen zu. Die getrennte Erfassung und Entsorgung von PCB und PCT, insbesondere entsprechende Kühlmittel und Elektroisolationsflüssigkeiten, Hydrauliköle einschließlich im untertägigen Bergbau eingesetzter Folgeprodukte, ist von der Bundesregierung — so sehen wir das in der Rechtsverordnung vor — nach § 14 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 zu regeln, den wir ja inzwischen in unserer Vorlage in die Probleme Schadstoffe und Mengen geteilt haben.Gleichzeitig regeln wir in § 5 b des neuen Gesetzes das Verfahren der Rücknahme von Altölen, das zum Beispiel durch Selbstwechsler anfällt. Sie haben nunmehr ab 1. Juli 1987 ebenfalls Annahmestellen für gebrauchte Verbrennungsmotoren- und Getriebeöle auch in Handelsketten, Kaufhäusern und ähnlichem einzurichten — am Verkaufsort oder in dessen Nähe — beziehungsweise diese Annahmestellen nachzuweisen.Das Altölgesetz tritt mit Inkrafttreten des Vierten Änderungsgesetzes zum Abfallbeseitigungsgesetz außer Kraft, ausgenommen seine Regelungen über die Zuschußgewährung, die später, am 31. Dezember 1989, auslaufen. Bis zum 31. Dezember 1987 gelten die mit dem Bundesamt für gewerbliche Wirtschaft abgeschlossenen Verträge über die Abholung von Altölen als Genehmigung nach § 12 des neuen Abfallgesetzes. Ich glaube, daß wir damit in der Sache- mit dem, was in Ihrem Gesetzentwurf ebenfalls vorliegt, und in der Diskussion bei der Beratung am nächsten Mittwoch, zumindest was die Ziele und die Methoden anbelangt, einmütig sein werden. Ich hoffe, daß wir das einvernehmlich über alle Fraktionen hinweg regeln können.Herzlichen Dank.
Das Wort hat der Abgeordnete Wolfram.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Der Gesetzentwurf der GRÜNEN vom 11. Mai 1984 ist nicht mehr aktuell. Er wird der Gesamtproblematik nicht gerecht. Die im Entwurf enthaltenen Vorschläge sind völlig unzureichend. Sie sind durch den Stand der Beratungen überholt. Deshalb muß man den Entwurf ablehnen.
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15718 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 204. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. März 1986
Wolfram
Das Problem, vor dem wir heute stehen, ist die Tatsache, daß viel zu lange die Entscheidung über das Vierte Gesetz zur Änderung des Abfallbeseitigungsgesetzes und die Frage, in welcher Form das Altölgesetz noch gilt, verzögert worden ist.Wir haben es im Wirtschaftsausschuß zutiefst bedauert, daß sich Bundeswirtschaftsminister und Bundesinnenminister nicht einig waren, wer für diese Fragen die Federführung hat. Wir beklagen, daß die Koalitionsfraktionen angekündigt haben, sie würden konkrete Änderungsvorschläge vorlegen, auf die sich die Bundesregierung angeblich verlassen hat. Uns im Wirtschaftsausschuß — mir persönlich — sind diese Vorschläge bis zur Stunde nicht bekannt. Ich nehme an, Herr Kollege Schmidbauer, das, was Sie eben gesagt haben, ist ein Zitat aus solchen Überlegungen, die uns noch nicht vorliegen und die wir deshalb nicht beurteilen können. Das muß ich leider Gottes sagen.
— Im Innenausschuß ja, aber weder im Plenum noch uns im Wirtschaftsausschuß, der ja mitberatend ist und früher sogar die Federführung hatte. Zwischenzeitlich drohen wir in der Tat in einem Altölsee zu ersticken, weil auf Grund einer totalen Verunsicherung nicht entsorgt wird und weil sich an den Sammelstellen die Altöle häufen. Die Existenz der Zweitraffinerien ist bedroht, darüber besteht Unsicherheit.Halten Sie nach wie vor zu dem Grundsatz „Recycling vor Verbrennung", oder wie soll das geregelt werden? Soweit verbrannt werden muß, wissen Sie ganz genau, daß es nicht genügend Verbrennungskapazitäten gibt.Dazu ein Wort an die GRÜNEN: Dort, wo man verbrennen will und kann, wird vor Ort mit dem Argument Obstruktion betrieben, PCB-haltige Schadstoffe würden emittiert. Das ist ein klarer Widerspruch.
— Wir werden das sachlich noch zu prüfen haben. Aber diese Doppelstrategie kann man einfach nicht akzeptieren und nicht hinnehmen. Sie müsen vor Ort genauso reden wie hier.Ich bedaure es zutiefst, daß mir der Bundeswirtschaftsminister noch am 17. Februar auf eine Anfrage erklärt hat, daß die Überlegungen der Koalitionsfraktionen noch nicht abgeschlossen seien. Ich möchte an dieser Stelle darauf hinweisen, daß der Mineralöl-Wirtschaftsverband zum Ausdruck bringt, daß zur Zeit noch nicht recht erkennbar sei, wie das neue Altölrecht aussehen solle.Was wir einfordern, ist Klarheit. Es muß schnellstens gehandelt werden. Die Entsorger, die Wiederaufbereiter brauchen endgültig Klarheit. Diese kann die Bundesregierung sehr schnell schaffen, wenn sie zum Beispiel erklärt, ob sie bereit sei, die Grenzwerte nach DIN-Norm 515020 vorzuschreiben, die seit Anfang des Jahres im Entwurf vorliegen. Sie kann sehr schnell die PCB-Eingangsrichtwerte für Altöl festlegen. Würde sie sie auf 10 oder 20 ppm festlegen, dann wüßten die Zweitraffinerien, was für Werte vorgegeben sind, dann könnten sie sich danach richten.Alles das ist bis zur Stunde ungeklärt. Deshalb würde ich für die sozialdemokratische Fraktion fordern, daß uns — vor allem auch im mitberatenden Wirtschaftsausschuß — sehr schnell Einzelheiten vorgelegt werden, damit wir sachlich und konstruktiv die fälligen Entscheidungen treffen können.
Das Wort hat der Abgeordnete Baum.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Wolfram, das wird geschehen, und das ist geschehen. Wir haben die Vorschläge vorgelegt; sie werden in der nächsten Woche im Innenausschuß beraten werden. Ich bin sicher, daß auch der Wirtschaftsausschuß noch eine Gelegenheit zur Beratung findet.Der Antrag der GRÜNEN ist überholt. Sollen wir Anträge behandeln, die sichtbar so überholt sind wie dieser?
Es bedeutet auch ein Stück der Parlamentsreform, nicht immer wieder dieselben Fragen zweifach, dreifach und vierfach zu behandeln.Wir müßten uns in den Ausschüssen jetzt eigentlich auf das Abfallgesetz konzentrieren und es anschließend hier in zweiter und dritter Lesung behandeln. — Gut, es ist aber Ihr gutes Recht, das so zu machen. Nur müssen Sie zur Kenntniss nehmen, daß Ihr Vorschlag auch umweltpolitisch überholt ist. Mit dem Ausschluß synthetischer Öle aus der Altöl-Verwertung treffen Sie nur einen Teilaspekt. Unsere Vorschläge gehen darüber hinaus. Wir haben nicht nur PCB-, Hydraulik- und Elektro-Isolieröle aufgenommen, sondern auch weitere problematische Altölgruppen erfaßt.Herr Kollege Schmidbauer hat schon dargestellt, wie wir uns die Novellierung vorstellen: Integration des Altöls in das Abfallgesetz mit einigen Sondervorschriften, die ich jetzt nicht weiter erläutern möchte, da ich der Meinung bin, der Innenausschuß und der Wirtschaftausschuß sollten sich jetzt schnell mit der Problematik befassen.Sie haben recht, Herr Kollege Schmidbauer: Die Lage ist ernst, und es hat wirklich keinen Sinn, Obstruktion gegen eine sinnvolle Entsorgung zu betreiben. Dazu gehört auch die Verbrennung. Wenn wir die Verbrennung nicht zulassen, versickern viele tausend Liter 01 unerkannt irgendwo
und werden nicht ordnungsgemäß entsorgt. Das ist einfach Lebenswirklichkeit. Die Leute werden sich des Öls irgendwie entledigen, ohne daß wir das zunächst bemerken. Also auch wir streben eine rasche Behandlung dieser Novelle zum Abfallgesetz an; sie
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 204. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. März 1986 15719
Baumwird vor der Sommerpause verabschiedet werden können.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Hönes.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Es ist richtig, daß unser Gesetzentwurf inzwischen überholt ist. Ich möchte Sie aber daran erinnern, daß wir die ersten waren, die auf die Krise aufmerksam gemacht und wirksame Maßnahmen vorgeschlagen haben. Sie haben sich Zeit gelassen. Nun waren wir in der Lage, nach § 62 erzwingen zu müssen, daß dieses wichtige Thema hier endlich diskutiert wird; denn seit Monaten spitzt sich die Krise bei der Altölverwertung in der Bundesrepublik zu. Ausgelöst durch die Funde nahezu sämtlicher Giftrückstände aus der Chlorchemie im Altöl, steckt das bisherige System der Altölverwertung und -beseitigung, das Sie hier kritisieren, in einem noch nie gekannten Altölschlamassel.
Nachdem es jahrelang gelungen war, der breiten Öffentlichkeit zu verheimlichen, daß Altöle in teilweise größtem Ausmaß mit PCBs und anderen Schadstoffen vergiftet wurden, weil gesetzliche Regelungen fehlten, Herr Schmidbauer, und eine behördliche Kontrolle der Altölwirtschaft weithin nicht existent war, droht nun nach den Veröffentlichungen der Stiftung Warentest und der GRÜNEN der Zusammenbruch der Altölwiederaufbereitung;
denn wer möchte durch den Kauf PCB-haltiger Motoröle sein Auto in einen Dioxinreaktor verwandeln, meine Damen und Herren?
Da die Wiederverwertung vergifteter Altöle verständlicherweise beinahe zum Erliegen gekommen ist, die Bundesregierung sich aber seit Monaten weigert, einen neuen Rahmen für die Neuordnung der Altölverwertung und -beseitigung zu schaffen, vergrößert sich das von vergifteten Altölen ausgehende Umwelt- und Gesundheitsproblem immer weiter.
Weil belastete Altöle nicht wie bisher nach dem Motto „aus Gift mach' Geld" verwertet werden können, werden PCB- und dioxinbelastete Altöle in wachsendem Maße in Anlagen der Eisen- und Stahlindustrie, der Zementindustrie und Kraftwerken unter Freisetzung von Dioxinen und ähnlichen Ultragiften verfeuert. Viele nennen das „energetische Nutzung". Wir sagen klipp und klar, was dabei passiert, nämlich eine Freisetzung von Dioxinen, und so etwas können wir nicht dulden.
Oder es passiert folgendes: Diese Altöle werden als „Wirtschaftsgut" deklariert ins Ausland abgeschoben. Empfängerländer bundesdeutscher Giftöle sind die DDR, Israel, Frankreich und Belgien, wo PCB-Öle zum Beispiel in Gärtnereien als Feuerungsmittel eingesetzt werden. Das sich dabei bildende Dioxin kommt mit dem Gemüse und den Blu-
men aus Belgien dann wieder zurück in die Bundesrepublik.
Erhebliche Mengen an bundesdeutschen Giftölen werden zudem auf Schiffen verbrannt. Auch hier bestehen erhebliche Umweltbeeinträchtigungen z. B. für die Nordsee. Die Beschwichtigungsversuche dieser Regierung zur Altölproblematik müssen endlich ein Ende haben.
Seit Wochen liegen Meßergebnisse über den Gehalt an PCBs in Altölen dem Umweltbundesamt vor. Danach ist praktisch der größte Teil des vorhandenen Altöls als PCB-haltiger Giftmüll anzusehen. Trotzdem hält diese Bundesregierung weiterhin an der unsinnigen Grenzwertfestsetzung für einige wenige Schadstoffe im Altöl fest, statt Altöl generell den Bestimmungen des Abfallbeseitigungsgesetzes zu unterstellen, um so schärfere Kontrollen und Anforderungen an die Altölbeseitigung zu gewährleisten.
Notwendig ist eine vollständige Neuorganisation der Altölverwertung und -beseitigung. Hier ist zu fragen, ob die Beseitigung teilweise hochgiftiger Stoffe auch weiterhin durch teilweise skrupellose private Geschäftemacher erfolgen soll, die von staatlichen Behörden nur unvollkommen überwacht werden können.
Schließlich ist das derzeitige Altölproblem auch ein deutliches Indiz dafür, daß wir bei der chemischen Produktion nicht so fortfahren können, wie wir das in den letzten 30, 40 Jahren getan haben. Für Stoffe wie PCBs oder den PCB-Ersatzstoff im Untertagebergbau gibt es keine umweltverträgliche Form der Beseitigung. Daher müssen solche Gifte endlich verboten werden, zumal es bereits Alternativen gibt.
Auch in diesem Bereich tut die Bundesregierung nichts. Wir fordern deshalb die Regierung und den Bundestag auf, sich endlich dem schwerwiegenden Umwelt- und Gesundheitsproblem der Altölbeseitigung anzunehmen.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache. Damit ist die Beratung des Berichts des Innenausschusses gemäß § 62 Abs. 2 erledigt.Meine Damen und Herren, ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 15 und den Zusatzpunkt 4 auf:a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Jaunich, Frau Fuchs , Egert, Hauck, Frau Schmidt (Nürnberg), Delorme, Dreßler, Fiebig, Gilges, Müller (Düsseldorf), Frau Dr. Lepsius, Sielaff, Waltemathe, Witek, Dr. Vogel und der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Ande-
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15720 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 204. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. März 1986
Vizepräsident Frau Rengerrung des Arzneimittelgesetzes
— Drucksache 10/4144 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit
Ausschuß für WirtschaftAusschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Ausschuß für Arbeit und Sozialordnungb) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Arzneimittelgesetzes— Drucksache 10/5112 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit
Ausschuß für WirtschaftAusschuß für Arbeit und Sozialordnung Haushaltsausschuß gemäß § 96 GOErste Beratung des von der Abgeordneten Frau Wagner und der Fraktion DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Arzneimittelgesetzes
— Drucksache 10/5168 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit
Ausschuß für WirtschaftAusschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Ausschuß für Arbeit und SozialordnungInterfraktionelle Vereinbarung sind eine gemeinsame Beratung der Tagesordnungspunkte 15 a und 15b sowie des Zusatztagesordnungspunktes 4 und ein Beitrag von bis zu zehn Minuten für jede Fraktion vereinbart worden. Es erhebt sich kein Widerspruch. — Dann ist das so beschlossen.Die Berichterstatter wünschen nicht das Wort. Ich eröffne die Aussprache.Das Wort hat Frau Bundesminister Professor Süssmuth.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich freue mich, daß im wesentlichen für die Verbesserung der Arzneimittelsicherheit in wichtigen Punkten zwischen dem Regierungsentwurf und den Vorstellungen des Entwurfs der SPD-Fraktion Übereinstimmung besteht. Lassen Sie mich aber kurz auf drei Unterschiede eingehen.Die in Ihrem Entwurf, Herr Jaunich, vorgeschlagene Verschärfung der Anforderungen an den Wirksamkeitsnachweis wäre meines Erachtens nicht sachgerecht. Sie würde stark wirksame Arzneimittel einseitig in den Vordergund rücken und damit die Pluralität der Therapieeinrichtungen und die Besonderheiten der Naturheilmittel in Frage stellen. Ich meine, die geltenden Vorschriften ermöglichen in Übereinstimmung mit dem EG-Recht eine sinnvolle Zulassungspraxis der Behörden. Beiden Anforderungen für fixe Arzneimittelkombinationen liegen die Entwürfe aber nahe beieinander.Der zweite Punkt: Eine Genehmigungspflicht klinischer Prüfung ist bereits der Diskussion des Neuordnungsgesetzes geprüft worden. Sie war auch Gegenstand des Erfahrungsberichts. Die damalige Bundesregierung hat keine Notwendigkeit gesehen, eine Genehmigungspflicht einzuführen. Auch der jetzigen Bundesregierung sind in den vergangenen Jahren keine Tatsachen bekanntgeworden, die zu einer abweichenden Beurteilung führen. Durch eine Genehmigung von klinischen Prüfungen würde den Entscheidungsträgern im privaten Bereich Verantwortung abgenommen, und diese würde auf den Staat verschoben. Probleme, wie mangelhafte Aufklärung oder Einbeziehung berufsmäßiger Probanden, könnten damit, selbst unter Einsatz von vielen zusätzlichen Beamten, nicht bewältigt werden. Eine Bedürfnisprüfung lehne ich ab, und eine Beurteilung der Erfolgsaussichten würde jede Behörde überfordern. Wir wollen keine Behördenentscheidungen über Forschung und Innovation, keine Forschungslenkung unter dem Mantel der Arzneimittelsicherheit.Arzneimittelmuster — damit komme ich zum dritten Punkt — sollen nach dem Entwurf der Opposition nur noch für neue Arzneimittel auf drei Jahre versandt werden dürfen. Eine Abgabe durch Pharmaberater soll verboten werden. Das halte ich nicht für überzeugend. Wenn ein berechtigter Bedarf an Mustern besteht, dann besteht er nicht nur unmittelbar nach der Zulassung, sondern auch später, wenn ein neu niedergelassener Arzt das Arzneimittel kennenlernen will oder ein erfahrener Arzt eine therapeutische Alternative sucht. Mir sind die hypothetischen Berechnungen bekannt, die eine wahre Musterflut durch den Regelungsvorschlag der Bundesregierung ausgelöst sehen. Mir hat aber noch niemand erklären können, wieso sechs Muster im Jahr zu einer größeren Menge führen als eine unbegrenzte Musterabgabe in Portionen zu jeweils vier Mustern. Wir sind uns, so denke ich, doch insoweit alle einig: Dem Mißbrauch der Arzneimittelmuster muß entgegengetreten werden.
Eine maßvolle Abgabe zur Erprobung ist demgegenüber aber notwendig und vertretbar.
Ich möchte die beiden Regelungsbereiche kurz erwähnen, die der Regierungsentwurf neu in das Arzneimittelgesetz einführt: die Transparenzkommission und die Zweitanmelderproblematik. Beide Bereiche bedürfen dringend einer gesetzlichen Regelung. Die Transparenzlisten werden einige zweckmäßige und kostenbewußte Therapieentscheidungen erleichtern. Die Transparenzkommission leistet einen wichtigen Beitrag zur Weiterentwicklung der Arzneimitteltherapie in Zusammenarbeit von medizinscher Wissenschaft und praktizierender Ärzteschaft, der Krankenversicherungen und der pharmazeutischen Industrie.Bei der Zweitanmelder- oder Zweitanstragstellerproblematik sieht der Regierungsentwurf schließ-
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 204. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. März 1986 15721
Bundesminister Frau Dr. Süssmuthlich einen angemessenen Interessenausgleich zwischen dem ersten und dem zweiten Antragsteller vor.
— Das werden Sie dann in den weiteren Beratungen tun.Von allen Seiten ist immer wieder ausgeführt worden, daß sich Fragen der Arzneimittelsicherheit nicht zur parteipolitischen Profilierung eignen. Das ist auch meine Auffassung. Ich bin daher sicher, daß diese Erkenntnis zu einer sachlichen und fairen Beratung des Entwurfs beitragen wird.
Das Wort hat der Abgeordnete Jaunich.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zunächst zu Ihnen, Frau Minister Süssmuth: Ich finde, Sie haben eine große Chance verpaßt.
— Nun lassen Sie mich doch erst einmal drei Sätze reden, bevor Sie dazwischenblabbern, Herr Kollege!Sie haben die Chance verpaßt, hier gesundheitspolitische Kompetenz darzustellen. Sie befinden sich dabei in Übereinstimmung mit Herrn Minister Geißler, denn auch unter seiner Amtsführung war Gesundheitspolitik in diesem Haus immer sehr klein geschrieben.
Das ist nicht darauf zurückzuführen, daß Sie nicht fachlich versierte Beamte hätten. Deren Arbeit will ich überhaupt nicht kritisieren. Hier fehlt es an der politischen Führung.
Es drängt sich der Verdacht auf, daß Ihr Entwurf zur Novellierung des Arzneimittelgesetzes primär an den Interessen der Pharmaindustrie ausgerichtet ist. Das wird sehr deutlich, wenn man Ihren Entwurf mit dem unsrigen vergleicht. Ich stehe dazu, Frau Minister Süssmuth, daß wir hier zumindest den Versuch unternehmen sollten, in Einmütigkeit so schwierige gesundheitspolitische Fragen zu erörtern und auch zu entsprechenden Ergebnissen zu kommen. Dies ist aber kein Wert an sich, sondern muß sich aus der Sache ergeben.
Die Novellierung des 1976 vom Deutschen Bundestag einstimmig verabschiedeten Arzneimittelgesetzes ist im Grunde eine wesentliche Aufgabe auf dem Feld der Gesundheitspolitik dieser Legislaturperiode. Es geht darum Konsequenzen aus dem zu ziehen, was wir an Erfahrung kennen, was uns an Erfahrungen aus dem Arzneimittelgesetz 1976 überliefert ist. Da geht es um eine Reihe von Problemkreisen. Dieses Gesetz hat sich in seiner Grundstruktur bewährt. Da gibt es überhaupt kein Vertun, aber es gibt veränderte Einstellungen, z. B. zum Thema Freiverkäuflichkeit bzw. Selbstbedienung, einer besonderen Vertriebsform, die sich in den letzten Jahren sehr stark entwickelt hat, wo es gilt, als Gesetzgeber etwas dagegenzusetzen. Es hat sich in diesem Zehnjahreszeitraum natürlich auch gezeigt, daß manches vor zehn Jahren nicht so bedacht werden konnte, wie wir das heute können.Wir als Sozialdemokraten haben daraus die Konsequenz gezogen und haben im November 1985 dem Hause unseren Entwurf vorgelegt. Die Bundesregierung hat trotz weitaus größeren Apparates, apparativen Sachverstandes vier Monate länger gebraucht, um uns einen Entwurf zu präsentieren.Wir haben bereits bei der Diskussion über den Arzneimittelbericht entsprechende Erklärungen abgegeben, die damals schon die Unterschiede zwischen Ihnen und uns deutlich machten. Ich halte es nicht für zufällig, daß die Verbände der pharmazeutischen Industrie dem Entwurf der Bundesregierung positiv gegenüberstehen, unseren Entwurf dagegen ablehnen, während die Vertretungen der Versicherten und Patienten, etwa die Krankenkassenverbände, unserem Entwurf positiv gegenüberstehen. Dies ist symptomatisch für die Politik dieser Regierung, so meine ich. So wünschenswert Einigkeit in so schwierigen gesundheitspolitischen Fragen ist — ich erkläre noch einmal: das ist kein Wert an sich —: Wir müssen zur Einigkeit finden durch sachgerechte Lösungen. Sachgerechte Lösungen heißt für uns, daß wir Patienteninteressen, Versicherteninteressen dabei primär im Vordergrund sehen und nicht Absatzinteressen der pharmazeutischen Industrie. Ich will das an einigen wenigen Punkten deutlich machen; mehr kann man ja in dieser beschränkten Redezeit nicht tun.
— Nun, ob Sie Ahnung von dem Thema haben, ist sehr zu bezweifeln, aber lassen wir das.Wir alle miteinander beklagen uns darüber, daß der Arzneimittelmarkt in der Bundesrepublik groß und unübersichtlich ist und durch eine Flut von Einzelpräparaten aufgebläht wird. Die Konsequenz daraus ziehen allein wir in unserem Entwurf. Wir wollen für die Zukunft sicherstellen, daß nur noch solche Arzneimittel zugelassen werden, die in ihrem Nutzen-Risiko-Verhältnis mit den am Markt befindlichen Präparaten gleichwertig sind. Die Bundesregierung macht zu diesem Themenkomplex keinerlei Aussagen.Die pharmazeutische Industrie wirft uns auf Grund unserer Vorstellungen Innovationsfeindlichkeit vor. Ich kann diesen Vorwurf nur als lächerlich bezeichnen.
Wieso ist es innovationsfeindlich, vorzuschreiben, daß nur noch solche Produkte neu an den Markt kommen dürfen, die gleichwertig oder besser als bereits vorhandene Produkte sind? Im Gegenteil, ich halte dies sogar für ausgesprochen innovationsfördernd, denn wenn nur bessere neue Präparate eine Zulassungschance haben, muß dies doch die
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15722 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 204. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. März 1986
JaunichInnovationsfreudigkeit der Industrie beflügeln, nicht hemmen. Dieses Argument ist also
ein umsatzbezogenes Argument, sonst gar nichts.In einem zweiten Fragenkomplex unterscheiden wir uns von dem Regierungsentwurf ebenfalls deutlich. Ich meine die Kombinationspräparate; Sie sind darauf am Rande eingegangen. Wir wissen, daß es eine Vielzahl von völlig unsinnigen Wirkstoffkombinationen gibt. Diese unsinnigen Wirkstoffkombinationen verzerren den Arzneimittelmarkt, und sie dienen in keinem Falle der Arzneimittelsicherheit. Welchen Sinn soll es haben, Schmerzmittel mit Vitaminen anzureichern, welchen anderen Sinn als den, ein neues Produkt mit erhöhtem Preis auf den Markt zu bringen? Für die gesundheitliche Relevanz ist dies bedeutungslos.Wir wollen also für die Zukunft den Sinn und den Nutzen der Arzneimittelkombination dadurch sicherstellen, daß jeder einzelne Kombinationspartner eines solchen Arzneimittels seine Wirksamkeit gesondert nachweist.
Ein weiterer wichtiger Punkt, in dem sich der Regierungsentwurf und unser Entwurf voneinander unterscheiden, ist die Frage der Selbstbedienung bei Arzneimitteln. Wir wollen, daß es in Zukunft auch außerhalb von Apotheken bei frei verkäuflichen Arzneimitteln keine Selbstbedienung gibt.
In den Apotheken gibt es ja keine Selbstbedienung. Dies setzt allerdings voraus — und das ist eine Aufforderung an die Apothekerschaft —, daß die Apotheker durch ihr Einkaufsverhalten und durch das Darbieten der entsprechenden Produkte Naturheilmittel nicht ausgrenzen. Hinsichtlich der Arzneimittel aber sind wir alle uns in dem Bewußtsein einig, daß solche Mittel keine Konsumwaren gewöhnlicher Art sein dürfen. Arzneimittel sind vielmehr empfindliche Güter, sind Waren besonderer Art. Wenn wir da Selbstbedienung zulassen, müssen wir in Kauf nehmen, daß Arzneimittel eben konsumiert werden wie andere Dinge des täglichen Lebens, und dies wäre eine falsche Weichenstellung.
dies muß umgelenkt werden,
und deswegen fordern wir das grundsätzliche Verbot von Selbstbedienung.Natürlich muß man bei unserem weitgespannten Arzneimittelbegriff Ausnahmen zulassen.
Denn niemand kann daran interessiert sein, daß Heftpflaster oder Kamillentee nicht in Selbstbedienung abgegeben werden dürfen. Deswegen sagt unser Entwurf: grundsätzliches Verbot der Selbstbedienung, Ausnahmen zulässig durch Rechtsverordnung.
— Herr Kollege Schlottmann, da können Sie auch noch ein paar andere Dinge nennen. Beschäftigen Sie sich mit den Dingen einmal etwas näher; dann können wir auch sachgerecht darüber diskutieren.Frau Ministerin, darüber sollten Sie — das hat im übrigen Ihr Vorgänger bei einer Diskussion außerhalb dieses Hauses einmal zugegeben — noch einmal kräftig nachdenken. Es ist j a nicht so, daß die besondere Distributionsform der Selbstbedienung Verfassungsrang hätte, wie man aus Ihrem Hause zwischenzeitlich hören kann.
Nein, wir müssen die Patienten zu einem verantwortungsbewußten Umgang mit der besonderen Ware Arzneimittel bringen, und dies schaffen wir nicht, wenn wir Selbstbedienung zulassen.
Einen weiteren Punkt will ich noch ansprechen. Es ist der der sogenannten Feldversuche; Sie, Frau Minister, haben ihn eben angesprochen. Es kann ja durchaus seinen Sinn haben, daß Arzneimittel, die bereits seit längerer Zeit am Markt sind, in besonderen Studien an ausgewählten Patienten mit ausgewählten Ärzten noch einmal einer intensiven Prüfung unterzogen werden. Dies liegt durchaus im Interesse von mehr Arzneimittelsicherheit. Aber es führt zum Gegenteil von Arzneimittelsicherheit, wenn dieses Instrument der Feldversuche zu einem Instrument des Marketings wird. Genau dazu ist es verkommen. Deswegen macht es Sinn, daß diese Versuche angemeldet werden müssen und auf diese Weise das Bundesgesundheitsamt einen Überblick hat und Kontrolle ausüben kann.
Letzter Punkt, weil ich nur noch eine Minute habe. Sie haben in Ihren Entwurf die sogenannte Zweitanmelderproblematik aufgenommen, obwohl es hier auf europäischer Ebene Lösungsansätze gibt. Mit Zweitanmelder bezeichnet man denjenigen Produzenten von Arzneimitteln, der nach Ablauf des Patentschutzes eines Präparats ein gleiches Präparat auf den Markt bringen, es zur Zulassung anmelden und dabei auf Unterlagen des Erstherstellers zurückgreifen will. Sie sehen in Ihrem Entwurf nach unserer Auffassung zu restriktive Regelungen vor. Denn es ist so, daß der Arzneimittelmarkt im Grunde kein Markt ist. Er ist anbieterdominiert. Von daher nehmen die Nachahmerprodukte ein wenig eine Marktkontrollfunktion ein. Deswegen kann man dies nicht strangulieren, wie es mit Ihren Vorschriften mit Sicherheit der Fall sein würde.Wir müssen, auch wenn wir hier über das Arzneimittelgesetz beraten, sicherlich die sozialpolitische Komponente dabei sehen. Auch wir wollen eine innovationsfähige und -willige Arzneimittelindustrie. Daran kann uns nur gelegen sein. Aber wir wollen nicht, daß die bescheidenen Konkurrenzansätze, die
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 204. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. März 1986 15723
Jauniches durch Nachahmer auf dem Pharmamarkt gibt, durch so restriktive Maßnahmen wie die Ihren stranguliert werden. Dies kann und darf im Grunde nicht Ihr letztes Wort zu diesem Thema sein.Ich danke Ihnen.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Augustin.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die CDU/CSU-Fraktion des Deutschen Bundestages begrüßt den von der Bundesregierung vorgelegten Entwurf eines zweiten Gesetzes zur Änderung des Arzneimittelgesetzes.
Der vorgelegte Entwurf ist die logische Folge aus einer Veränderung der Gegebenheiten und aus der Einbringung neuer, moderner Gesichtspunkte in das 1976 verabschiedete Arzneimittelgesetz. Ich sehe darin einen weiteren wichtigen Schritt zu noch mehr Arzneimittelsicherheit. Er bedeutet aber auch ein klares Bekenntnis zur Pluralität unseres Arzneimittelmarktes und ein klares Bekenntnis zur Innovationsfähigkeit unserer forschenden pharmazeutischen Industrie.
Die erstmalige Verankerung der Transparenzkommission im Gesetzestext führt zu einer dringend notwendig gewordenen besseren Überschaubarkeit des reichhaltigen Arzneimittelangebots in bezug auf deren pharmakologisch-therapeutische Wirksamkeit und auch in bezug auf das Zustandekommen der vom Hersteller festgesetzten Preise.Die Frage des Verbots der Selbstbedienung mit freiverkäuflichen Arzneimitteln außerhalb von Apotheken, die uns bei der Verabschiedung unseres Entschließungsantrags im Dezember 1984 noch sehr bewegt hat, ist inzwischen einer zufriedenstellenden Lösung zugeführt worden. Arzneimittel, bei denen eine gesundheitliche Gefährdung zu befürchten ist, werden in die Apothekenpflicht überführt und somit — durch die Apothekenbetriebsordnung— der Selbstbedienung entzogen.Die Neuregelung über die Einschränkung der Abgabe von Arzneimittelmustern wird uns im Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit mit Sicherheit noch beschäftigen. Das gemeinsame erklärte Ziel, zu einer drastischen Reduzierung der Abgabe von Arzneimittelmustern zu kommen, scheint mir mit dem Vorschlag, der hier gemacht ist— sechs kleinste Packungen pro Arzt pro Präparat pro Jahr abzuheben —, nicht erreichbar zu sein. Wir werden weiter nach Lösungen suchen müssen, die auf der einen Seite dem Ziel dienen, zu einer drastischen Reduzierung zu kommen,
und auf der anderen Seite praktikabel sein müssen, lieber Kollege Jaunich.In diese Überlegung einzubeziehen — jetzt kommt das, worauf Sie schon lange warten — ist jedenfalls auch die Entscheidung des Bundesrats
für ein vollkommenes Verbot der Abgabe von Arzneimittelmustern. Die Zweitanmelderfrage wird ebenfalls noch Gegenstand eingehender Erörterungen sein müssen.
Hier gilt es, vor allem für Rechtssicherheit zu sorgen. Es eröffnet sich aber auch die Chance, den berechtigten Interessen des Tierschutzes weiterhin entgegenzukommen.Erhebliche Bedenken, Herr Kollege Jaunich, habe ich allerdings gegenüber dem Gesetzentwurf, den die SPD-Fraktion in diesem Hause eingebracht hat.
Es ist bedauerlich, daß nun sogar auf dem Gesundheitssektor der bisher gemeinsame Weg verlassen wird und Tendenzen sichtbar werden, die wir sonst nur aus dem anderen Teil Deutschlands und aus den Ostblockstaaten kennen.
— Das mache ich jetzt auf der Stelle. Das werde ich Ihnen jetzt belegen. Die vorgesehene Verschärfung für die Zulassungsbestimmungen für Kombinationspräparate und die Erweiterung der Versagungsgründe für die Zulassung von Arzneimitteln, deren Hersteller es nicht gelingt, nachzuweisen, daß das neue Arzneimittel hinsichtlich seiner Unbedenklichkeit im Verhältnis zu seiner Wirksamkeit einem anderen Arzneimittel, welches bereits auf dem Markt ist, entweder gleichwertig oder überlegen ist, ist eine glatte Zumutung.
Diese Neuregelung paßt besser in das System sozialistischer Planwirtschaft als in den Rahmen unserer freien und sozialen Marktwirtschaft.
— Lieber Herr Jaunich, es muß Ihnen und doch auch Ihren Kollegen einleuchten, daß es, ganz gleichgültig, ob nun das zur Zulassung anstehende Arzneimittel wirklich gleichwertig oder gar überlegen ist, sehr schwierig sein wird, den wissenschaftlich geführten Nachweis hierfür zu erbringen. Das ist nicht nur schwer, sondern nahezu unmöglich oder nur unter einem unendlichen Kostenaufwand möglich.
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15724 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 204. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. März 1986
Frau AugustinEine Entmutigung, ja, eine Lähmung der innovationsfreudigen Arzneimittelhersteller wäre die verheerende Folge.
Noch etwas anderes erscheint mir sehr bedenklich. Mit der Einführung des Begriffs „Gesundheitspflegemittel" und der damit einhergehenden Herausnahme von Arzneimitteln aus dem Arzneimittelbegriff verläßt die SPD weiteren Boden bisheriger Gemeinsamkeit.
Es ist überhaupt nicht einzusehen, ja, sogar unverantwortlich, — —
— Jetzt kommt was. Bitte schön.
Sie gestatten eine Zwischenfrage. Herr Abgeordneter Jaunich, bitte.
Frau Kollegin, würden Sie mir aus unserem Entwurf die Stelle zitieren, wo das steht, was Sie gerade in die Debatte einführen?
Oder sollte Ihnen vielleicht der Bundesratsentwurf dazwischengeraten sein?
Lieber Kollege Jaunich, Sie werden mir nicht verübeln, daß ich Ihren Gesetzentwurf nicht mit auf das Podium nehme.
Ich habe jetzt doch sicher das Wort, Frau Präsidentin.
Sicher ist doch, daß Sie einen Teil der Arzneimittel, bei denen eine klinische Prüfung keine Voraussetzung für die Zulassung ist, sondern bei denen man auf anderes wissenschaftliches Erkenntnismaterial zurückgreift, unter dem Begriff „Gesundheitspflegemittel" subsumieren wollen.
Es ist überhaupt nicht einzusehen, ja, unverantwortlich, Arzneimittel, die sich in der Vergangenheit bewährt haben, nun zu Zwittern zwischen Arzneimitteln und Lebensmitteln herabzustufen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Gesetzentwurf der Bundesregierung bietet eine sehr gute Grundlage für eine sinnvolle Novellierung des Arzneimittelgesetzes.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Wagner.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Vor uns liegen drei Entwürfe zur Novellierung des Arzneimittelgesetzes. Eine Novellierung scheint also allen Parteien notwendig.Die Frage, die sich stellt, ist dann natürlich die: Was soll verändert werden und in welche Richtung? Die Ziele, die mit einer Novellierung erreicht werden sollen, sind also das Interessante. Schauen wir uns also diese Ziele einmal an und zwar vor dem Hintergrund des geltenden Rechts.Die erste Kritik am geltenden Arzneimittelgesetz in einem Pharmamarkt: Die Medikamente sind zu teuer. In der Bundesrepublik sind die Arzneimittelpreise um mehr als 25% höher als im Durchschnitt anderer europäischer Länder.
Was schlägt die Bundesregierung nun vor? Will sie hier Eingriffe vornehmen? Ich habe mir den Gesetzentwurf gut durchgelesen, konnte aber nicht viel dazu finden. Offensichtlich spielen die Preise für die Bundesregierung keine Rolle. Der einzige Hinweis, den man findet, ist die Errichtung einer Transparenzkommission, der man bei gutem Willen Lösungen in Richtung Preisgestaltung zuweisen könnte. Doch dieser Vorschlag entspricht dem typischen Verhalten von Politikern, die nichts verändern wollen oder denen nichts mehr einfällt. Dann wird eben eine Kommission eingesetzt. Ich vermute, daß das erste der Fall ist.An den Strukturen des Gesundheitssystems soll nicht gerüttelt werden. Der Aufschwung bei der Pharmaindustrie ist der Bundesregierung anscheinend wichtiger als das Kostendämpfungsgerede von Herrn Blüm, wobei sich beides aber nicht einmal ausschließen läßt. Die Kollision der Geschäftsinteressen der Anbieterseite im Gesundheitswesen mit dem Interesse der Wirtschaft an möglichst niedrigen Lohnnebenkosten durch möglichst stabile Beitragssätze zur gesetzlichen Krankenversicherung ist hier offensichtlich erst einmal zugunsten der Gesundheitsindustrie entschieden worden. Der Ausweg wird also wohl zu Lasten der Beitragszahler, also der Versicherten und Kranken, gehen.Selbstbeteiligung heißt das Zauberwort. Als ob es schon heute nicht die Patienten selber wären, die durch ihre Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung die Kosten für ihre Gesundung zahlen müßten! Aber hier soll weiter umverteilt werden. Die Preise der Pharmaindustrie werden nicht angegangen. Die Patienten sollen mehr zahlen, wenn sie Medikamente brauchen.
Dies kann man nicht als Selbstbeteiligung bezeichnen; es handelt sich vielmehr um eine Strafgebühr. Kostendämpfung durch eine Strafgebühr hat sehr viel mit Verteilungspolitik zu tun; mit Gesundheitspolitik jedoch hat sie nichts zu tun.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 204. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. März 1986 15725
Frau WagnerWas schlägt nun die SPD vor? In der Novellierung zum Arzneimittelgesetz findet sich bezüglich der Preise auch nicht allzuviel. Nun hat die SPD aber 1984 einen Gesetzentwurf vorgelegt, in dem Regelungen auf dem Gebiet der Preise vorgeschlagen werden. Zu diesem Vorschlag habe ich hier schon Stellung genommen.Ich will meine Kritik an einem angeblich unabhängigen Arzneimittelinstitut aber noch einmal kurz zusammenfassen. Abgesehen davon, daß ich an der Unabhängigkeit eines solchen Instituts zweifle, ist dies ein sehr zentralistischer Ansatz, ein in meinen Augen überflüssiger obendrein. Warum wollen Sie neben dem Bundesgesundheitsamt ein zweites Institut installieren? Das ist doch Beschäftigungspolitik und hat mit der Behebung eines Mißstandes nichts zu tun.Weder technokratische und bürokratische Regelungen noch die Selbstheilungskräfte des Marktes sind meines Erachtens geeignet, hier Abhilfe zu schaffen. Wir fordern eine bewußte Entscheidung über Art und Menge der angebotenen Mittel durch den Gesetzgeber. Grundsätzlich gilt jedoch — dies will ich noch einmal betonen —: Eine Verbesserung der allgemeinen Gesundheit ist nur durch eine grundsätzliche Umstellung der Lebens- und Arbeitsbedingungen möglich. Was die Arzneimittel angeht, so kommt es vor allem darauf an, unter den derzeit im Handel befindlichen besser auszuwählen und sie sinnvoller anzuwenden.
Ich hoffe, daß wir dem Bundesgesundheitsamt über eine Novellierung des Arzneimittelgesetzes die Mittel in die Hand geben, andere Entscheidungen als bisher treffen zu können.Damit bin ich auch schon bei den Vorstellungen der GRÜNEN zur Novellierung des Arzneimittelgesetzes. Wir wollen dem Bundesgesundheitsamt bzw. der Zulassungskommission die Mittel in die Hand geben, die Preise zu senken. Dies geschieht bei der Entscheidung über die Zulassung. Neben der Wirksamkeit und der Unbedenklichkeit soll das Kriterium der therapeutischen Überlegenheit als dritte Voraussetzung für die Zulassung eines Medikaments gelten. Dabei soll die Preiswürdigkeit eines Medikaments bei der Beurteilung der therapeutischen Überlegenheit einbezogen werden.
Damit kann und muß ein neues Medikament der gleichen Wirkstoffgruppe und therapeutischen Qualität zugelassen werden, wenn es preiswerter als ein anderes auf dem Markt befindliches ist.Kommen wir zu einem zweiten Kritikpunkt: Zur Ungleichbehandlung der vier Therapierichtungen, also der naturwissenschaftlich begründeten Medizin, auch Schulmedizin genannt, der Naturheilkunde, der anthroposophischen Medizin und der Homöopathie. Die Nichtzulassung der Arzneimittel der drei anderen Therapierichtungen — also außer der naturwissenschaftlich begründeten Medizin — ist eine Ungleichbehandlung, die auch die Patienten als solche empfinden. Gerade die Medikamente, die mit großer Wahrscheinlichkeit keine iatrogenen Erkrankungen hervorrufen, werden vom Markt ferngehalten. Wir wollen eine Gleichbehandlung aller Therapierichtungen, auch der Schulmedizin.
— Sie sollten sich einmal bessere Zwischenfragen einfallen lassen.Dies entspräche dem Grundsatz des Wissenschaftspluralismus und würde die Marktchancen für die sonstigen Arzneimittel erhöhen.Hierzu sind die Autonomie und die ausgedehnte Kompetenz der Zulassungskommission in ihrer jeweiligen Therapierichtung notwendig. Damit hat dann jeder die Möglichkeit, die Arzneimittel der sonstigen Therapierichtungen zu erhalten, die im Gegensatz zu den Arzneimitteln der naturwissenschaftlich begründeten Medizin geringere negative Nebenwirkungen aufweisen. Dies ist im Interesse der Gesundheitsversorgung der Bevölkerung.Dies wird aber auch zu einem Aufschrei der Schulmediziner führen. Den ersten habe ich schon bei unserer Fraktionsanhörung zu unserem Gesetzentwurf gehört. Doch mir ist die Gesundheitsversorgung der Bevölkerung wichtiger als die Profite der Pharmaindustrie und der Schulmediziner.Gespannt bin ich allerdings auch auf das Verhalten der Politiker und Politikerinnen hier im Bundestag, die sich ständig verbal für die sonstigen Therapierichtungen aussprechen. Hier hätten sie die Möglichkeit, die Interessen der Bevölkerung wirksam zu vertreten und den Worten Taten folgen zu lassen.Leider habe ich nicht die Möglichkeit, in zehn Minuten alle Kritikpunkte am bestehenden Arzneimittelgesetz aufzugreifen und ausführlich zu behandeln.
So will ich einen wichtigen Punkt, nämlich den der Arzneimittelsicherheit, hier heute weglassen und noch zu ein paar kleinen Punkten Stellung nehmen.Ein Punkt, der derzeitig in der Öffentlichkeit viel diskutiert wird, ist das Thema der Arzneimittelmuster. Der Bundesrat hat sich für ein generelles Verbot ausgesprochen. Diesen Beschluß möchte ich an dieser Stelle begrüßen und unterstützen. Wir haben dies in unserem Entwurf aufgenommen. Im Regierungsentwurf wird die Musterabgabe völlig unzureichend geregelt. Die Krankenkassen befürchten sogar eine Ausweitung durch die Abgabe von sechs Mustern pro Jahr und Medikament bei der vorgesehenen Regelung der Bundesregierung.Man sollte sich darüber im klaren sein, daß die Arzneimittelmuster lediglich der Werbung dienen. Mit Erprobung hat das überhaupt nichts zu tun. Diese müßte bei der Zulassung auch schon lange abgeschlossen sein. Die Ärzte erstellen kein Protokoll, geben keine Rückmeldung. Der Effekt ist also gleich null.
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15726 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 204. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. März 1986
Frau WagnerDie Ärzte benutzen die Muster allerdings gern, um ihre Verschreibungsbilanz zu schönen. Doch die Kosten werden von der Industrie auf die Arzneimittelpreise aufgeschlagen.Im SPD-Entwurf sind leider auch noch Muster vorgesehen; ich denke aber, daß Sie sich dem Votum des Bundesrats anschließen werden.Ich möchte noch einen Punkt erwähnen, der im Regierungsentwurf angesprochen wird. Die Bundesregierung plant die Einführung von Verfalldaten für alle Arzneimittel. Dies hört sich zwar erst e in-mal ganz vernünftig an, wird aber lediglich der Pharmaindustrie die Möglichkeit verschaffen, ihre Umsätze noch mehr in die Höhe zu schrauben. Es gibt nämlich sehr viele Medikamente, die sehr haltbar sind und nicht schon nach fünf Jahren aussortiert werden müssen. Dazu werden die Apotheken dann aber gezwungen sein. Völlig intakte Arzneimittel landen somit auf dem Müll. Dies ist keine vernünftige Lösung.
Es gibt noch vieles, was ich zu den Novellierungsvorschlägen sagen möchte, doch reichen zehn Minuten dafür nicht aus. Ich möchte abschließend dazu Stellung nehmen.
Der Regierungsentwurf ist das Papier nicht wert, auf dem er gedruckt ist. Die Initiative der SPD zur Novellierung des Arzneimittelrechts begrüßen wir, auch wenn die GRÜNEN teilweise sehr viel weitergehende Änderungen anstreben. Wir unterstützen dennoch die Richtung, in die die Änderungsanträge gehen.Die GRÜNEN fordern die Feststellung des therapeutischen Nutzens eines Arzneimittels, und zwar nicht nur für Kassenpräparate; sorgfältig kontrollierte und genehmigte klinische Prüfungen an Stelle von Tierversuchen, deren Nutzen ohnehin umstritten ist, und eine größere Sorgfalt bei der Verschreibung und Abgabe von Medikamenten.Des weiteren fordern wir, wie eben schon aufgeführt, die Anerkennung und Gleichbehandlung der verschiedenen Therapierichtungen, die Aufnahme der therapeutischen Überlegenheit als Kriterium für die Zulassung, das Verbot der Musterabgabe und das Verbot der Selbstbedienung.Ich danke Ihnen.
Das Wort hat der Abgeordnete Eimer.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das Arzneimittelgesetz von 1976 hat sich grundsätzlich bewährt. Ich glaube, darüber besteht in diesem Hause Einvernehmen. Die Anforderungen an Wirksamkeit, Qualität und Unbedenklichkeit stehen auf einem international anerkannten hohen Niveau. Die Arzneimittelsicherheiten in der Bundesrepublik hat einen erfreulich hohenStand erreicht. Hierfür sorgt nicht zuletzt das Bundesgesundheitsamt.Aber in den letzten zehn Jahren hat sich einiges verändert. Darauf hat mein Kollege Jaunich hingewiesen. So müssen vor allem eine Reihe von EG-Richtlinien in deutsches Recht umgesetzt werden. Der Deutsche Bundestag hat in einer Entschließung ebenfalls für eine Reihe von Änderungen plädiert. Wir fühlen uns deshalb aufgerufen, bei aller Sorgfalt, die bei dieser Materie notwendig ist, das Gesetz zügig zu beraten und zu verabschieden.So begrüße ich grundsätzlich die von der Bundesregierung vorgeschlagene Regelung, mit der die Transparenzkommission nunmehr auf eine gesetzliche Grundlage gestellt werden soll. Diese Kommission hat in der Vergangenheit gut gearbeitet. Einige wenige Punkte wie die Besetzung der Kommission wird man sicherlich noch überprüfen müssen. Der vorgeschlagene Weg scheint mir jedoch sehr richtig zu sein. Wie in der Begründung in der Drucksache 10/5112 ausgeführt ist, besteht die gesetzliche Grundlage für die Arbeit der Transparenz-kommission bisher nicht. Nach einem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts ist sie aber notwendig.In der schon erwähnten Entschließung des Bundestages wurde gefordert, eine besondere Fachinformation für Ärzte, Zahnärzte und Apotheker vorzunehmen und vor allem ein offenes Verfalldatum bei Fertigarzneimitteln einzuführen. Dabei sind wir allerdings der Meinung, daß es unbedingt notwendig ist, dafür zu sorgen, daß die Überprüfung der Verfalldaten nicht zu einem unangemessenen Mehraufwand in den Apotheken führt.
— Auch das ist richtig, Herr Kollege. — Es ist sicher nicht die Aufgabe des Gesetzgebers, hier pragmatische Regelungen vorzuschreiben, sondern Aufgabe des Verordnungsgebers und vor allem der Industrie, sich einiges einfallen zu lassen. Aber ich meine, es ist nötig, daß wir hier unsere Wünsche deutlich zur Sprache bringen, um durch den Gesetzestext einfache Lösungen nicht zu verhindern.Ebenfalls zur Verbesserung der Arzneimittelsicherheit sollte die Ausdehnung der Verpflichtung zur Anzeige von Nebenwirkungen dienen. Auch dieser Punkt wird in den Beratungen des Ausschusses unsere besondere Aufmerksamkeit finden.Mit diesem Gesetz soll endlich auch die Zweitanmelderproblematik im Arzneimittelbereich einer befriedigenden Regelung zugeführt werden. Selbstverständlich werden wir dabei die Regelungen beim Chemikaliengesetz und beim Pflanzenschutzgesetz beachten. Die FDP-Bundestagsfraktion hat sich in dieser Frage noch nicht festgelegt.
Ordnungspolitisch problematisch kann das eine wie das andere sein. So ist in dem Gesetzentwurf die vorgeschlagene Lösung der fünfjährigen Verwertungssperre und ein finanzieller Ausgleich während weiterer fünf Jahre zwar identisch mit der gerade erwähnten Regelung beim Pflanzenschutzgesetz;
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 204. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. März 1986 15727
Eimer
aber die Situation beim Arzneimittelgesetz ist sicher etwas anders.Nun können Sie meine Stellung dazu hören; Sie wollten sie ja wohl haben. Ich persönlich teile die Stellungnahme des Bundesrats in Punkt 11, daß nämlich die Arzneimittelzulassung einen erheblich größeren Prüfungsaufwand durch die vorgeschriebenen klinischen Prüfungen erfordert. Darüber hinaus befürchte ich, daß es zu einer Reihe von Prozessen kommen muß, wenn sich die Firmen über die finanziellen Ausgleichszahlungen nicht einigen können. Eine Strangulierung, wie Sie, Herr Kollege Jaunich, es, glaube ich, genannt haben, sehe ich hier nicht. Ich meine aber, wir sollten Voraussetzungen dafür schaffen, daß eine Forschung bei uns auch weiterhin rentabel ist.Wie gesagt, die Fraktion hat sich da noch nicht endgültig festgelegt. Wir werden alle Argumente sehr sorgfältig prüfen.In der Öffentlichkeit am heftigsten diskutiert ist die Frage der Arzneimittelmuster. Wir sind uns hier darin einig, daß die jetzige Praxis und Rechtslage unbefriedigend ist. Sie muß daher geändert werden. Ohne Probleme der Abgrenzung und der Kontrolle wird es aber nur die zwei Extremlösungen geben, nämlich entweder überhaupt keine Arzneimittelmuster oder keine Begrenzung der Arzneimittelmuster.
— Jawohl, Herr Kollege. Beide von mir jetzt gerade genannten Extremlösungen kommen für uns nicht in Frage. Wir sind für eine massive Einengung der Arzneimittelmuster. Uns geht die vorgesehene Einengung im Gesetzentwurf der Bundesregierung noch nicht weit genug.
Aber der Forderung des Bundesrats auf eine gänzliche Abschaffung der Arzneimittelmuster können wir uns nicht anschließen. Gegen ein generelles Musterverbot sprechen vor allem ordnungspolitische Überlegungen. Ein solches Musterverbot würde zweifellos zu erheblichen Wettbewerbsverzerrungen innerhalb der pharmazeutischen Industrie führen müssen. Kleine und mittlere Unternehmen können nun einmal nicht mit den großen mithalten,
vor allem im Bereich der Information und der Bekanntmachung und dann der Erprobung der Arzneimittel in der Arztpraxis.Eine Vielzahl von Vorstellungen über die Begrenzung der Arzneimittelmuster wurde bisher erarbeitet. Aber wenn man ehrlich ist, muß man zugeben, daß alle mehr oder weniger ihre Nachteile haben. Ich möchte mich an dieser Stelle nicht an den Prophezeihungen über endgültige Ausgestaltungen und über die endgültige Zahl der Arzneimittelmuster beteiligen. Fest steht für uns jedoch, daß die Zahl der Arzneimittelmuster reduziert werden muß.Die Änderungen des Arzneimittelgesetzes bringen eine Vielzahl von Detailregelungen, die sich für parteipolitische Auseinandersetzungen kaum eignen. Ich kann nur hoffen, daß es trotz der Nähe des Wahlkampfes, in die die Beratungen zu diesem Gesetz kommen werden, dabei bleibt, daß es gemeinsames oberstes Ziel unserer Arbeit im Ausschuß ist, die Arzneimittelsicherheit weiter zu verbessern, die bisherigen Erfahrungen mit dem Arzneimittelgesetz an die neuen Entwicklungen anzupassen und die EG-Richtlinien in deutsches Recht umzusetzen.Wir wollen dazu unseren Beitrag leisten und uns auch nicht von einigen Äußerungen irritieren lassen, die bei dieser Debatte fielen.Vielen Dank.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.
Ich schließe die Aussprache. Es wird vorgeschlagen, die Gesetzentwürfe auf den Drucksachen 10/4144, 10/5112 und 10/5168 an die in der gedruckten Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. — Es erhebt sich kein Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 16 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung von Kostengesetzen
— Drucksache 10/5113 —
Interfraktionell ist vereinbart worden, den Gesetzentwurf ohne Aussprache zu überweisen. Erhebt sich dagegen Widerspruch? — Das ist nicht der Fall. Dann ist das so beschlossen.
Wir sind am Schluß unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 14. März, 8 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.