Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.
Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundene Tagesordnung um die Punkte zu erweitern, die in der Ihnen vorliegenden Liste „Zusatzpunkte zur verbundenen Tagesordnung" aufgeführt sind:
7. Beratung des Antrags der Abgeordneten Senfft, Vogel
und der Fraktion DIE GRÜNEN Reduzierung der Bundesbahnfahrpreise
— Drucksache 10/4417 —
8. a) Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Siebten Gesetzes zur Änderung des Arbeitsförderungsgesetzes
— Drucksachen 10/3923, 10/4211, 10/4451, 10/4483, 10/4478 —
b) Zweite und Dritte Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Förderung der Eingliederung Arbeitsloser in das Arbeitsleben und zur Wiederherstellung eines ausreichenden Schutzes bei Arbeitslosigkeit
— Drucksachen 10/4016, 10/4451, 10/4483, 10/4475 —
c) Zweite und dritte Beratung des von dem Abgeordneten Dr. Jannsen und der Fraktion DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Arbeitsförderungsgesetzes
— Drucksachen 10/2776, 10/4451, 10/4483, 10/4476 —
d) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Vogelsang, Lutz, Kuhlwein, Dr. Vogel und der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Absicherung des Anspruchs auf Arbeitslosenhilfe für „einstufig" ausgebildete Lehrer und Juristen
— Drucksachen 10/3019, 10/4451, 10/4483, 10/4477 —
e) Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Gleichstellung der Absolventen der einstufigen Juristen- und einphasigen Lehrerausbildung im Arbeitsförderungsgesetz
— Drucksachen 10/4145, 10/4451, 10/4483, 10/4479 —
Ich gehe davon aus, daß das Haus damit einverstanden ist. — Widerspruch sehe ich nicht. Es ist so beschlossen.
Die Fraktion der CDU/CSU hat im Ältestenrat mitgeteilt, daß sie darum bittet, die heutige Sitzung um ca. 10.15 Uhr, nach Beendigung der Beratung des Tagesordnungspunktes 26 und nach den dazu angekündigten namentlichen Abstimmungen — ich mache auf den Plural aufmerksam; es sind zwei namentliche Abstimmungen; das ist wichtig; wir können das nicht anders machen —, für ungefähr 30 Minuten zu unterbrechen. — Auch darüber ist das Einverständnis offensichtlich hergestellt.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 26 auf:
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über den Ausbau der Bundesfernstraßen — 3. FStrAbÄndG —
— Drucksache 10/4389 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Verkehr
Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau Ausschuß für innerdeutsche Beziehungen Haushaltsausschuß, Innenausschuß
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
b) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr zu dem Antrag des Abgeordneten Drabiniok und der Fraktion DIE GRÜNEN
Fortschreibung des Bedarfsplans für Bundesfernstraßen
— Drucksachen 10/1756, 10/2747 —
Berichterstatter: Abgeordneter Kohn
c) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr zu dem Antrag der Abgeordneten Vogel (München), Senfft und der Fraktion DIE GRÜNEN
Aufnahme der Bundesbahnlinie Ingolstadt—Landshut in den Bundesverkehrswegeplan
— Drucksachen 10/3459, 10/4097 —
Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Jobst
13846 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 182. Sitzung. Bonn, Freitag, den 6. Dezember 1985
Vizepräsident Cronenberg
d) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr zu dem Antrag des Abgeordneten Drabiniok und der Fraktion DIE GRÜNEN
Stopp des Bundesfernstraßenbaus — Drucksachen 10/2384, 10/3941 —
Berichterstatter: Abgeordneter Kretkowski
Zu Tagesordnungspunkt 26 b liegt ein Änderungsantrag der Abgeordneten Schulte , Senfft und der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/4446 vor, zu dem getrennte namentliche Abstimmung verlangt wird.
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind eine gemeinsame Beratung der Tagesordnungspunkte 26a bis 26d und eine Aussprache von 60 Minuten vorgesehen. — Auch dagegen erhebt sich offensichtlich kein Widerspruch, so daß auch dies beschlossen ist.
Ich gehe davon aus, daß das Wort zur Berichterstattung nicht gewünscht wird.
Damit kann ich Herrn Bundesminister Dr. Dollinger das Wort in der allgemeinen Aussprache erteilen.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! In Diskussionen über Verkehrsinvestitionen wird oft behauptet: Die Verkehrswege in der Bundesrepublik Deutschland sind völlig ausreichend; wir brauchen nichts mehr zu bauen.
— Das kommt aufs Blickfeld an, verehrter Herr, aufs Blickfeld!
Zur Vorbereitung des neuen Bedarfsplans habe ich mit den Landesministern über den Ausbaubedarf an Bundesfernstraßen gesprochen. Dabei sind mir zahlreiche Wünsche vorgetragen worden, die so groß waren, daß sie in den nächsten Jahren bei weitem nicht finanzierbar sind.
Eine solide, glaubwürdige Verkehrspolitik setzt jedoch voraus, daß ein Investitionsprogramm nicht mehr als das beinhalten darf, was im vorgesehenen Zeitraum unter realistischen Annahmen verwirklicht werden kann.
Wer allerdings in das andere Extrem verfällt und glaubt, daß wir den Straßenbau völlig stoppen könnten, geht an der Wirklichkeit der Mobilitätsbedürfnisse von Bevölkerung und Wirtschaft völlig vorbei.
Worum es geht, ist eine Straßenbaupolitik mit Augenmaß.
Gestatten Sie, daß ich an dieser Stelle ein Faktum klar und deutlich herausstelle. Der allein zur verkehrssicheren Erhaltung der Bundesfernstraßen erforderliche jährliche Bedarf beträgt derzeit 2,2 Milliarden DM.
Dieser Bedarf wird bis Mitte der 90er Jahre auf rund 3 Milliarden DM steigen.
Die geltende Finanzplanung für den Straßenbau sieht bis 1989 gleichbleibende Haushaltsansätze vor. Damit wird der Handlungsspielraum für neue Investitionen in das Fernstraßennetz gemäß Bedarfsplan zunehmend eingeschränkt. Das heißt im Klartext: Nur etwa die Hälfte der Bruttoinvestitionen des Bundesfernstraßenbaus verbleibt für die im Bedarfsplan ausgewiesenen Neu- und Ausbaustrecken.
Zur Vorbereitung des neuen Bedarfsplans wurden alle größeren Aus- und Neubauprojekte einer einheitlichen Beurteilung nach gesamtwirtschaftlichen, regionalpolitischen, ökologischen
und zusätzlichen Kriterien unterzogen. Auf Grund einer besonderen ökologischen Risikoeinschätzung aller größeren Neubauprojekte sind dabei Vorhaben mit erkennbarer Problemhäufung zurückgestellt worden. Die Ergebnisse der Bewertung stellen Orientierungshilfen dar. Sie können und sollen die politische Entscheidung nicht ersetzen.
Im Entwurf für den neuen Bedarfsplan ist ein Maßnahmenvolumen von 38,7 Milliarden DM als vordringlicher Bedarf eingestuft. Darin sind als Überhang die laufenden Maßnahmen und Lückenschlüsse enthalten.
Herr Bundesminister, der Abgeordnete Schulte möchte gern eine Zwischenfrage stellen.
Herr Präsident, aus zeitlichen Gründen möchte ich die Zwischenfrage nicht zulassen.
In Ordnung, danke schön.
Meine Herren, ich bin jederzeit zu sachlichen Aussprachen bereit. Aber wir sind hier bei der Einbringung eines Gesetzentwurfs. Im Ausschuß können wir darüber sprechen. Hören Sie gut zu; dann wird Ihnen vielleicht manches klar werden.
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 182. Sitzung. Bonn, Freitag, den 6. Dezember 1985 13847
Bundesminister Dr. Dollinger
Die Stufe „Planungen" dieses Bedarfsplans enthält ein Volumen von 41 Milliarden DM. Damit umfaßt der Gesamtinhalt des Bedarfsplans Maßnahmen in Höhe von rund 80 Milliarden DM. Bei den Einzelprojekten zeigt sich, wie sehr sich der Straßenbau durch höhere Aufwendungen für Umweltschutz verteuert hat.
— Es scheint mir blöd zu sein, wenn man nicht glaubt, daß neue Investitionen Geld kosten.
Die künftige Länge des Autobahnnetzes beträgt im neuen Bedarfsplan nach unserem Entwurf 10 500 km. Dies entspricht dem Netzumfang des Bedarfsplans, der im Jahre 1980 mit den Stimmen aller damals im Deutschen Bundestag vertreten gewesenen Parteien beschlossen worden ist.
Ich möchte folgende Zahlen nennen. Von den 10 500 km sind Ende 1985 8 400 km unter Verkehr, Ende 1985 rund 1 000 km im Bau bzw. im Überhang, eingeplant rund 800 km als vordringlicher Bedarf, rund 300 km als Planungen.
Das Netz der Bundesautobahnen, wie es im vorliegenden Bedarfsplan vorgesehen ist, muß baldmöglichst einen vollen Verkehrswert erreichen. Nur dadurch werden der volle wirtschaftliche und Verkehrssicherheitsnutzen sowie die Anbindung der bisher nur ungenügend erschlossenen Randgebiete erreicht.
Im Bereich der Bundesstraßen bilden Ortsumgehungen weiterhin einen Schwerpunkt. Somit wird der Verkehr in den Ortsdurchfahrten geringer und damit sicherer. Wir wollen jährlich rund drei Viertel der Mittel für den Bundesstraßenbau, also 1 Milliarde DM, für den Bau von Ortumgehungen verwenden. Damit können dann jährlich etwa 25 Ortsumgehungen gebaut werden. Die Belästigung der Bewohner durch Lärm und Abgase nimmt dann ab.
Positive städtebauliche Entwicklungen werden ermöglicht.
Der Bau weiterer Radwege an Bundesstraßen wird den Verkehr entflechten und die Sicherheit erhöhen.
Für Lärmschutzmaßnahmen an vorhandenen und neuen Straßen geben wir jährlich rund 250 Milliarden DM aus.
Der Bundesverkehrswegeplan 1985 sieht eine wichtige Akzentverlagerung der Investitionen zugunsten der Deutschen Bundesbahn vor. Für das Jahrzehnt bis 1995 sind insgesamt 35 Milliarden DM Investitionszuschüsse an die Deutsche Bundesbahn geplant. Das sind 25 % mehr als im Vergleichszeitraum. Damit ist die finanzielle Grundlage für die Verwirklichung eines modernen und leistungsfähigen Kernnetzes gesichert. Die Bahn wird in die Lage versetzt, kostengünstig zu fahren und attraktive, kundengerechte Personen- und Güterverkehrsleistungen anzubieten.
Das Schnellverkehrsnetz wird ergänzt durch regionale Zubringerstrecken und U- und S-Bahnen für den gebündelten öffentlichen Personennahverkehr. Mit der Modernisierung des Streckennetzes wird der eingeschlagene Weg der Gesundung der Deutschen Bundesbahn konsequent fortgesetzt.
Meine Damen und Herren, mit der Unterstreichung des Investitionsschwerpunktes Schiene will ich verdeutlichen, daß es bei uns keine Einseitigkeit in der Investitionspolitik gibt. Die Verkehrsbedürfnisse unseres Landes sind vielfältig und differenziert und können nicht durch einen Verkehrsweg allein erfüllt werden.
Straße, Schiene, Wasserstraße, Luftfahrt sind daher notwendig.
Im Verhältnis Straße und Schiene wäre eine Fragestellung nach dem Motto „entweder oder" eine falsche Alternative.
Die heute vorgelegte Fernstraßenplanung ist das Ergebnis einer koordinierten Gesamtplanung für alle Verkehrswege.
Sie stellt einen ausgewogenen Kompromiß dar zwischen den Erfordernissen einer mobilen Gesellschaft und einer wachsenden Wirtschaft sowie den ebenso herausragenden Belangen von Umwelt, Natur und Landschaft. Gute Verkehrswege dienen Bürgern und Wirtschaft.
Der heute vorgelegte Plan ist ein Beitrag für eine gute Fahrt in eine gute Zukunft. Ich bitte um Ihre Zustimmung zu dem Gesetzentwurf.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Kretkowski.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit der Vorlage des Bundesfernstraßenbedarfsplans hat Sie, Herr Minister, der graue Alltag wieder eingeholt. Von Ihren Versprechungen, mehr für die bundesdeutschen Straßen zu tun, ist nichts, aber auch gar nichts übriggeblieben.
50,1 Milliarden DM für den Bundesfernstraßenbau für die Jahre 1986 bis 1995, Herr Minister, sind fast 2 Milliarden DM weniger als für den Vergleichszeitraum in der vorherigen Zeit. Ich sage das nicht — damit keine Mißverständnisse aufkommen —, um mehr Mittel für den Straßenbau zu fordern,
13848 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 182. Sitzung. Bonn, Freitag, den 6. Dezember 1985
Kretkowski
sondern ich sage das, lieber Kollege Milz, um Ihre falsche Propaganda hier heute wieder einmal zu entlarven,
die übrigens ebenso falsch ist wie Ihre immer wiederholte Behauptung, sie vollzögen Umschichtungen vom Straßenbau zum Schienenverkehrswegenetz; auch das ist nicht wahr.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Milz?
Ich weiß ja, was der Kollege Milz fragen wird. Wir haben ihm das schon so oft gesagt, wir sollten uns das ersparen.
Dann wird das dem Hause erspart.
Sehr gut.
Wir brauchen nicht mehr Straßen, meine Damen und Herren. Wir brauchen nicht noch schnellere Straßen. Wir brauchen auch keine Straßenbaupolitik mit Augenmaß, Herr Minister, was immer das sein mag. Wir brauchen Straßen, die den Menschen mehr Lebensqualität verschaffen, zu weniger Lärm und weniger Abgasen beitragen und den Belangen der Natur Rechnung tragen; das heißt: keine neuen Schneisen durch Natur- und Wohngebiete, sondern behutsamer Ausbau und Rückbau dort, wo Menschen und Natur durch Fernstraßen besonders belastet sind.
Deshalb unterstützen wir auch den Antrag des Bundesrats auf Änderung des § 4 und machen ihn uns zu eigen, um bei der Bedarfsplanung neben den Belangen der Raumordnung und des Umweltschutzes ausdrücklich auch die Belange des Städtebaus zu berücksichtigen. Damit können, meine Damen und Herren, auch solche Maßnahmen in Angriff genommen werden, die zur Verringerung der Umweltbelastung und zur Entschärfung verkehrsbedingter städtebaulicher Probleme beitragen.
Meine Damen und Herren, wenn in diesem Gesetzgebungsverfahren formal auch nur der Bedarf festgestellt wird, so, glaube ich, kann sich die Verkehrspolitik — in vielen Fällen jedenfalls — nicht um die Entscheidung in der Frage der Trassenführung, in der Frage des Lärmschutzes oder des Tunnelbaus oder anderer konkreter Probleme herumdrücken, zumal diese Kriterien auch bei der Bewertung durch die Bundesregierung zumindest im Rahmen der Nutzen-Kosten-Analyse zur Einstufung eine Rolle gespielt haben. Für uns gilt dabei, daß Baumaßnahmen an Bundesfernstraßen zumindest in Verdichtungs- und Ausgleichsräumen nur dann akzeptiert werden können, wenn sie neben verkehrlichen auch ökologischen Nutzen bringen.
Also — das sage ich an die Adresse der GRÜNEN —: kein genereller Stopp für den Bundesfernstraßenbau, sondern ökologischer Umbau, wo Natur und Mensch durch Verkehr gefährdet sind, allerdings bei gleichzeitiger Erhaltung der wenigen
Freiräume, die wir in der Bundesrepublik noch haben.
Eine solche Politik, lieber Kollege Senfft, verlangt sorgfältige Einzelprüfung und Einzelentscheidung.
Deswegen werden wir Ihren generellen Antrag zum Stopp des Fernstraßenbaus ablehnen.
Diese Politik, meine Damen und Herren, erfordert im übrigen auch ein Finanzvolumen, das den Aufwand für konventionelle Neubaumaßnahmen bei weitem übersteigt, übrigens auch mit nicht zu unterschätzenden beschäftigungspolitischen Auswirkungen.
Im übrigen haben Sie, Herr Minister, was den Finanzaufwand angeht, das Problem der Ersatzinvestitionen immer wieder heruntergespielt. Sie werden mit Ihren Mittelansätzen, die bis Mitte der 90er Jahre von 2,2 Milliarden DM auf 3 Milliarden DM steigen, hinten und vorne nicht zurechtkommen. Da unser Autobahnnetz jetzt in die Jahre kommt, werden wir nicht nur kleine Wehwehchen heilen müssen, sondern wir werden die Gesundheitsschäden auch durch Generalüberholungen beseitigen müssen. Herr Minister, allein die vorgenommene Festlegung der Achslast für Lkw in Europa auf 11 t wird zu einem wesentlich höheren und wesentlich rascheren Verschleiß unserer Autobahnen führen, der in Ihre Berechnungen überhaupt noch keinen Eingang gefunden hat.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, eine Reihe von Projekten war und ist umstritten, ist umstritten bei den Bürgern vor Ort, bei den Verwaltungen und den Gemeinderäten der Kommunen, aber auch zwischen den Ländern und dem Bund. Dies ist natürlich, weil hier offenbar unterschiedliche Interessenlagen bestehen. Ich halte es aber für falsch, Herr Minister, in solchen Fällen die Muskeln spielen zu lassen,
zumal, um in dem Bild zu bleiben, die Muskeln in diesem Fall mit Sicherheit unterentwickelt sind. Ich bin dafür, den Verstand zu benutzen, jedenfalls solange er vorhanden ist. Vokabeln wie „Bundestreue", meine Damen und Herren, und „Weisungen erteilen" helfen in solchen Fällen überhaupt nicht weiter.
Herr Minister, Sie bauen keine einzige Straße in der Bundesrepublik gegen die Länder, gegen die Gemeinden oder gegen die Mehrheit der Bürger. Das sind Erfahrungen, die wir in den letzten Jahren
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 182. Sitzung. Bonn, Freitag, den 6. Dezember 1985 13849
Kretkowski
gemacht haben. Die sollten wir bei unseren Erklärungen berücksichtigen.
Verlassen Sie sich, Herr Minister, bei Ihren Stellungnahmen im übrigen auch nicht immer auf Ihre Straßenbauer, sondern schauen Sie sich solche umstrittenen Projekte einmal selber vor Ort an. Wenn ich Sie richtig einschätze, werden auch Sie dann gelegentlich nachdenklicher werden.
Ich sage aber auch an die Adresse der GRÜNEN: Wir können uns nicht generell von den Ländern vorschreiben lassen, welche Straßen sie bauen wollen oder welche Straßen sie nicht bauen wollen.
Dies ist der Inhalt Ihres Antrags, zu dem Sie heute eine namentliche Abstimmung beantragt haben. Wir werden diesen Antrag ablehnen. Seine Annahme würde eine Entmannung des Parlaments bedeuten; wir können uns diese Entscheidung grundsätzlich nicht abnehmen lassen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ein Blick vor Ort ist auch deswegen hilfreich, weil das ganze Bewertungsverfahren, das von der Bundesregierung angewandt worden ist, außerordentlich fragwürdig ist. Denn Sie gehen bei Ihren Bewertungen von den oberen Prognosewerten des Verkehrsaufkommens aus, was ich für absolut absurd halte. Es wird Ihnen, Herr Minister, wie dem Hasen bei seinem Wettlauf mit dem Igel gehen. Wann immer Sie das Band zur Freigabe einer neuen Straße durchschneiden, das Auto wird schon da sein und Ihnen sagen: Ich bin schon da. Sie werden dieser Entwicklung nicht Einhalt gebieten können.
Im übrigen: Ihre ökologischen Bewertungskriterien haben nicht verhindert, daß ökologisch verfehlte Projekte im Bedarfsplan in die höchste Dringlichkeitsstufe aufgenommen worden sind. Ihre regionalpolitischen Kriterien haben schließlich dazu geführt, daß die Quote zwischen den Ländern verschoben wurde und Sie Autobahnen demnächst dort bauen, wo sich Fuchs und Hase gute Nacht sagen. Daß Sie dem Druck Ihres Parteivorsitzenden nachgegeben haben, um Straßen und Schienenschnellverkehrsverbindungen parallel bauen zu lassen — in Bayern natürlich —,
macht deutlich, wie wenig bedarfsgerecht, wie wenig ökologisch und verkehrlich und auch wirtschaftlich vernünftig Ihr Plan ist. Im übrigen ist das Weisungsrecht hier offenbar umgekehrt worden.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, nun ist das Parlament am Zuge. Was Verwaltungen, was viele fleißige Beamte in zwei Jahren hin- und herbewegt haben, werden wir nun in zwei Wochen über die Tische bewegen müssen. Ich hoffe, daß wir mit guten Ergebnissen aufwarten werden. Allerdings müssen wir bei einigem, was durcheinander ist, noch Ordnung hineinbringen. Dabei wünsche ich uns allen viel Erfolg.
Das Wort hat der Abgeordnete Lemmrich.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich eingangs kurz den Rahmen abstecken, in dem sich unsere Bemühungen bei der dritten Überprüfung des Bedarfs für die Bundesfernstraßen vollziehen.
Die hohe Effizienz unserer freiheitlichen Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung hat — im Vergleich zu anderen Ländern — zu einem bemerkenswerten Wohlstand der Deutschen und zu einem der besten sozialen Sicherungssysteme der Welt geführt.
— Das können Sie ja bei Gelegenheit alles sagen. Daß Sie von den GRÜNEN Ignoranten sind, haben wir inzwischen doch festgestellt. —
Das ermöglicht es aber auch, die hohen Mittel aufzubringen, die für die Sanierung und die dauerhafte Erhaltung unserer Umwelt notwendig sind.
Einen bemerkenswerten Anteil daran hat die hohe Mobilität unserer Bürger und unserer Wirtschaft. Hier hat die Verkehrspolitik ihren Anteil geleistet. Dazu brauchen wir alle Verkehrssysteme — wie der Bundesminister für Verkehr hier schon deutlich gemacht hat —, nämlich Eisenbahn, Straße, Wasserstraße, Seeverkehr und Luftfahrt.
— Ach, Herr Senfft, wie können Sie nur so dumm daherreden. Bisher habe ich Sie für intelligenter gehalten. —
Diese Mobilität hat auch dazu beigetragen, daß viele Menschen in ihrer angestammten Heimat bleiben konnten und nicht in die Ballungsräume abwandern mußten. Sie konnten also dort bleiben, wo sich, wie Herr Kretkowski gesagt hat, Fuchs und Hase gute Nacht sagen.
Dort sind sie zu Hause, dort fühlen sie sich wohl, und dort wollen sie auch bleiben,
um auch dort Arbeit und Brot zu finden.
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Lemmrich
Der Kraftwagen hat hierzu einen bedeutenden Beitrag geleistet.
Wenn im Jahre 1984 92,6 % der Verkehrsleistungen im Personenverkehr mit Pkw und Omnibussen auf der Straße abgewickelt worden sind, so ist das eine Entscheidung freier Bürger, die die Politiker zu respektieren haben.
Deswegen ist die Fertigstellung des geplanten Straßennetzes erforderlich.
Die seit 1959 bestehenden langfristigen Ausbaupläne haben sich bewährt. Sie ermöglichten vorausschauende Planungen und Verstetigung des Straßenbaus.
— Was „vorausschauend" ist, wissen Sie von den GRÜNEN ja gar nicht. Sie leben immer nur von der Hand in den Mund. —
Seit 1952 hat sich das Autobahnnetz von 2 130 auf 8 400 km Ende 1985 erweitert, und 1 000 km sind im Bau. Die Fertigstellung des Autobahnnetzes von 10 500 km ist damit in greifbare Nähe gerückt.
Allerdings haben sich im Laufe der Jahre die Auffassungen zum Straßenbau gewandelt. 1969 führte die SPD durch Minister Leber Wahlkampf mit dem Erfolg im Straßenbau. Leber erklärte, im Fernstraßenausbauplan 1985 seien 13 000 km Autobahn vorgesehen; im Endzustand würden es 20 000 km sein.
Es würden dann — so war es in einer sehr bemerkenswerten Broschüre abgedruckt — 85 % der Bevölkerung unseres Landes bis zur nächsten Autobahnauffahrt nur noch in 10 km Entfernung wohnen.
Das war 1969. Heute beklagt der sozialdemokratische Wirtschaftsminister von Hessen, Herr Dr. Steger, daß die Landschaft zubetoniert werde, obwohl die befestigten Bundesfernstraßen ganze 0,19 % der Fläche der Bundesrepublik in Anspruch nehmen. Alle öffentlichen Straßen zusammengenommen machen 1,16 % der Fläche der Bundesrepublik aus.
Derselbe Minister ist dann allerdings auch gegen den Bau der wichtigen neuen Bundesbahnstrecke Frankfurt-Köln.
Es ist festzustellen: Für die Planung und den Bau neuer Bundesfernstraßen haben sich die Randbedingungen in den letzten Jahren gewandelt. Es wird die Frage gestellt, ob Straßenbau überhaupt noch erforderlich ist. So wird behauptet, der Fernstraßenbau sei weitgehend abgeschlossen. Meine verehrten Kollegen, das muß differenziert gesehen werden.
In der Tat gibt es Bundesländer, in denen das Netz weitgehend fertiggestellt ist, wo das Autobahnnetz so dicht ist wie in Nordrhein-Westfalen, daß man sich verfahren kann, und es gibt andere Bundesländer, die noch weit hinterherhinken. So ist das gesetzlich beschlossene Autobahnnetz von 10 500 km in Hessen zu fast 90 % fertiggestellt, das im Saarland zu 88 %, während Niedersachsen mit 72 % und Bayern mit 71 % beträchtlich zurückliegen. Diesen Rückstand aufzuholen ist unter anderem Ziel dieses Bedarfsplanes und seiner veränderten Länderquoten.
Der uneingeschränkte Kfz-Verkehr wird von vielen inzwischen nicht mehr kritiklos hingenommen, sondern in engem Zusammenhang mit unserer Umwelt gesehen.
Deswegen werden die Kollegen im Verkehrsausschuß seit Monaten mit einer bisher nicht gekannten Flut von Briefen überschwemmt. Inzwischen melden sich aber nicht nur jene, die dagegen sind, sondern auch diejenigen, die für eine Maßnahme sind und die vom Straßenbau eine Besserung ihrer bedrängten Lebenslage erhoffen.
Beispielhaft hierfür ist die A 94 München-Mühldorf-Simbach.
Zuerst gingen Zuschriften dagegen ein. Bei mir waren es 340.
Dann kamen die Zuschriften derjenigen, die dafür waren. Es sind 1 673 mit teilweise herzbewegenden menschlichen Schicksalen.
— Ja, menschliche Schicksale haben Sie von den GRÜNEN noch nie besonders interessiert. Das wissen wir sehr wohl.
Ein Familienvater schrieb mir:
Mein Haus steht 2 m neben der B 12.
— Da merkt man, wie ernst Sie Bürgerstimmen
nehmen. All Ihre Reden sind ganz billige Sprüche
und sonst nichts, meine Herren von den GRÜNEN!
Das von Autos und LKWs aufgewirbelte Regen-und Schneewasser
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 182. Sitzung. Bonn, Freitag, den 6. Dezember 1985 13851
Lemmrich
— hören Sie ruhig einmal zu —
hat an unserem Haus große Schäden verursacht. In das Mauerwerk ist bereits die Feuchtigkeit eingedrungen.
Davon können sich die Gegner der A 94 selbst überzeugen. 1960 haben wir durch einen Verkehrsunfall vor unserem Haus unsere 9 Jahre alte Tochter verloren. Das zerrt noch heute an unseren Nerven.
Hier geht es auch um menschliche Schicksale, denen auch Sie sich, meine Herren, nicht verschließen sollten.
Natürlich geht es auch um Linienführungen. Doch über diese entscheiden nicht wir. Das geschieht in eigenen, in den §§ 16 bis 18 des Bundesfernstraßengesetzes festgelegten gesonderten Rechtsverfahren. Wenn die SPD hier vom Herumdrücken redet, das der Ausschuß praktiziert, Herr Kollege Kretkowski, möchte ich sagen: Das Personal des Ausschusses müßte dann verdreißigfacht werden — mit entsprechenden Einrichtungen —; denn wir müßten alle diese Meter von Akten, die auf Grund der Anhörungen von Naturschutzverbänden, der Landwirtschaft, der Wasserwirtschaft usw. entstanden sind, genau studieren, um das machen zu können. Deswegen steht das so im Gesetz. Das haben Sie damals auch noch mit beschlossen. Wir entscheiden nur über Bedarf und Dringlichkeit einer Maßnahme und nicht darüber, wie diese Maßnahme im Detail aussieht.
— Ach, hören Sie doch auf.
Entschuldigen Sie bitte.
Ich habe viel Verständnis für Zwischenrufe. Aber, Herr Abgeordneter Schulte, Sie sollten sich zumindest so zurückhalten, daß der Redner Ihre Zwischenrufe verstehen kann, und den Redner nicht allzusehr stören.
Der Kollege Schulte ist das Randalieren j a gewöhnt.
Herr Kollege Schulte , es handelte sich um den Kollegen Schulte (Menden). Selbstverständlich!
Die Diskussion pro und contra Straßenbau hat sich verstärkt. Über viele Straßenbauprojekte wird nicht mehr von Verkehrspolitikern oder den Verwaltungen, sondern zunehmend auch von Verwaltungsgerichten entschieden.
Deswegen sind die Zeitabläufe einer Baumaßnahme kaum noch richtig abzuschätzen.
Die finanziellen Randbedingungen haben sich von Jahr zu Jahr verschlechtert. Die Mittel fielen von 7,2 Milliarden DM 1978 auf 6 Milliarden DM im Jahr 1984. Sie sind erst seit 1985 wieder leicht steigend und für das nächste Jahr mit 6,2 Milliarden DM veranschlagt.
Der Bundesverkehrswegeplan 1985 enthält neue Akzente der Verkehrspolitik. So erhalten die Investitionen für den Ausbau des Schienennetzes der Deutschen Bundesbahn einen höheren Rang. Das Investitionsniveau wird gegenüber dem Zeitraum 1976 bis 1985 um 7 Milliarden DM auf 35 Milliarden DM angehoben. Das sind rund 25 % mehr an Bundeszuwendungen als in den letzten zehn Jahren. Dazu kommen j a noch die Eigenmittel der Bahn.
Dazu kommen im selben Zeitraum von zehn Jahren 4,3 Milliarden DM für den weiteren Ausbau der S- Bahn-Netze der Deutschen Bundesbahn. Bei diesen Zahlen kann niemand behaupten, die Deutsche Bundesbahn werde vernachlässigt.
Der Bundesfernstraßenbau wird dagegen mit seinem Gesamtvolumen um 3 Milliarden DM niedriger liegen als im Zeitraum 1976 bis 1985. Dabei gehen 24 Milliarden DM in den Unterhalt und die Erneuerung und 26 Milliarden DM in den Bedarfsplan
mit Neubau von Autobahnen und Bundesstraßen sowie Autobahnmodernisierung.
Herr Abgeordneter Lemmrich, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Schulte ?
Nein.
— Ich habe eine festgesetzte Zeit. Sie können sich j a im Ausschuß zu Wort melden, da können wir diskutieren. Allerdings hat die Qualität Ihrer Ausführungen oft ein so niedriges Niveau, daß man sich nur wundern kann.
Das vorliegende Bedarfsplangesetz ist kein Finanzgesetz, sondern weist nur den Bedarf und die Dringlichkeiten aus. Die finanzielle Leitlinie ist der Gesamtfinanzplan des Bundes. Letztlich steht nur zur Verfügung, was im Bundeshaushalt jährlich ausgewiesen ist.
Ein Problem besteht darin, daß der Erhaltungsbedarf stark zunehmen und Anfang der 90er Jahre 3 Milliarden DM erreichen wird. Dazu kommen noch 1,2 Milliarden DM für den normalen Unterhalt und Betrieb des Fernstraßennetzes.
13852 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 182. Sitzung. Bonn, Freitag, den 6. Dezember 1985
Lemmrich
Die Situation auf den Straßen wird durch die Entwicklung der Motorisierung bestimmt. 1984 überstieg die Zahl der Kraftfahrzeuge die 30-Millionen-Marke, und noch ist kein Ende abzusehen. Ursache dieser Entwicklung ist: Die junge Generation betrachtet die Anschaffung eines Kraftfahrzeuges als selbstverständlich; der Führerschein ist ein heißt ersehntes Ziel. Niemand möchte auf die gewohnte Mobilität verzichten, die das Kraftfahrzeug ermöglicht!
— Wir sind hier nicht auf einer Ihrer randalierenden Demonstrationen, sondern im Plenum des Bundestages; vielleicht gewöhnen Sie sich langsam daran.
Das alles sind Zeichen einer freiheitlichen, nicht kommandierten Gesellschaft. Die Folge ist bei freier Wahl der Verkehrsmittel — für die ja auch die Kollegen von der SPD eintreten — eine weitere Zunahme des Straßenverkehrs.
Allerdings sind in Anbetracht der Notwendigkeit der weiteren Gesundung der Bundesfinanzen einer Ausdehnung des Finanzvolumens, wie sie z. B. der Deutsche Industrie- und Handelstag fordert, trotz der prognostizierten hohen Zuwachsraten im Straßenverkehr Grenzen gesetzt. Deswegen sind im Bundesfernstraßenbau eine Konzentration auf das Wesentliche und eine langfristige Kontinuität notwendig.
Es ist bemerkenswert, daß auf den Bundesfernstraßen, die 8,4 % des gesamten Straßennetzes unseres Landes ausmachen, 50 % der Straßenverkehrsleistung abgewickelt werden. Es gibt Bürger, die fordern, den Güterverkehr von der Straße auf die Schienen zu verlegen. Wie ist diese Möglichkeit zu beurteilen? Wir sind ein Teil der Europäischen Gemeinschaft, und über die Verkehrspolitik wird zunehmend in Brüssel mitbestimmt. Wir können ausländische Lkw nicht zwingen, nicht auf unseren Straßen zu fahren. Immerhin erbrachten sie 1984 28,8 % der Leistungen im Straßengüterfernverkehr. Die Frage ist: Brächte eine Verlagerung auf die Bahn entscheidende Entlastungen? 1984 betrugen die Verkehrsleistungen der Deutschen Bundesbahn 60 Milliarden Tonnenkilomter, die des Straßengüterverkehrs 129 Milliarden Tonnenkilometer.
— Meine Herren von den GRÜNEN, Ignoranten kann man mit nichts überzeugen; das wissen wir ja inzwischen.
Davon entfielen 88 Milliarden Tonnenkilometer auf den Güterfernverkehr. Im Jahre 1970 kam die Deutsche Bundesbahn mit 72 Milliarden Tonnenkilometern an die Grenze ihrer Kapazität.
— Meine Herren, daß Sie nicht rechnen und nicht mit Zahlen umgehen können, wissen wir inzwischen auch!
Selbst wenn sie 80 Milliarden Tonnenkilometer leisten würde, blieben 68 Milliarden Tonnenkilometer auf der Straße. Das verdeutlicht, daß diese Forderung nicht zu verwirklichen ist.
Das wird uns nicht daran hindern, alles zu tun, um das Netz der deutschen Bundesbahn massiv auszubauen. Doch die Bahn braucht natürlich auch Straßen; allein ihr Omnibusnetz hat eine Länge von 93 000 km.
Von wachsender Bedeutung für die Entscheidungen über den Bau von Bundesfernstraßen sind Zielkonflikte zwischen Straßenbau und Umweltschutz. Hier werden in Deutschland seit Jahren neue Wege gegangen;
{Widerspruch bei den GRÜNEN)
denn jedes Straßenbauprojekt wird von umfassenden Fachplanungen zum Landschaftsschutz begleitet.
— Vielleicht setzen Sie sich einmal ins Bild, ehe Sie schreien!
Dabei muß aber auch der Behauptung widersprochen werden, der Verzicht auf Straßenbau allein stelle bereits eine umweltfreundliche, energiesparende Politik dar. Oft ist das Gegenteil der Fall. Die Belastungen in engen Ortsdurchfahrten oder auf Ausweichstrecken sind oft kaum zu ertragen. In den engen, hochbelasteten Ortsdurchfahrten wird unnötig viel Treibstoff verbraucht, was entsprechende Schadstoffe verursacht.
Bei Entscheidungen pro und contra Straßenbau sind die ökologischen Entlastungen und die Belastungen sorgfältig gegeneinander abzuwägen. Das wird auch hier, bei den großen Maßnahmen des Bedarfsplans, getan. Im Zweifel aber muß die Entscheidung für den Menschen fallen.
Haben die Gesichtspunkte des Schutzes empfindlicher Landschaften in diesem Bedarfsplan Niederschlag gefunden? Ich meine, ja. Die Queralpen-autobahn wurde bereits 1980 gestrichen. Die Aufdruckstrecken A 8 Pirmasens/Karlsruhe durch den Pfälzer Wald, die Autobahn A 86 von Freiburg über den Schwarzwald und die A 4 durch das Rothaargebirge
sind nicht mehr enthalten. Maßnahmen, die im letzten Bedarfsplan noch in höchster Dringlichkeit ausgewiesen waren, wurden gestrichen. Als bayerischer Abgeordneter darf ich beispielhaft zwei bayerische Projekte anführen: Die B 492 quer durch das oberbayerische Voralpenland, die am Staffelsee und am Forggensee vorbeiführte, wurde gestrichen, ebenso die B 318 (neu) am Tegernseee.
Wir von der CDU/CSU unterstützen diesen Bedarfsplan und seine Schwerpunkte, die sind: Schließung der Lücken im Autobahnnetz, Erschließung peripherer Gebiete, Bau von Ortsumgehungen und Beseitigung von Unfallschwerpunkten. Es ist ein
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 182. Sitzung. Bonn, Freitag, den 6. Dezember 1985 13853
Lemmrich
maßvolles Programm, das die Bundesregierung hier vorgelegt hat.
Wir hoffen auf kooperative Zusammenarbeit
und Beratung im Verkehrsausschuß, wo bei den letzten beiden Überprüfungen der Dringlichkeiten und des Bedarfs über alle unterschiedlichen Auffassungen hinweg gemeinsame Entscheidungen möglich waren. Wir wollen einen Weg der Mitte gehen, der ein Weg der Vernunft ist und dem Wohle der Bürger unseres Landes dient.
Ich danke Ihnen.
Meine Damen und Herren, ich habe schon einmal gesagt: Zwischenrufe sind das Salz in der Suppe der Debatte. Aber sie können eine Suppe auch gründlich versalzen. Zwischenrufe, die der Redner und das Plenum nicht mehr zur Kenntnis nehmen können, dienen bestenfalls der Selbstbefriedigung, aber nicht der Belebung der Debatte. Ich möchte daher den eindringlichen Appell an die Damen und Herren Abgeordneten richten, sich ein wenig zu mäßigen. Das dient der Debatte. Dies gilt auch für den anschließenden Beitrag des Abgeordneten Schulte, der sich leider eben nicht an diesen meinen Appell gehalten hat.
Herr Abgeordneter!
Herr Abgeordneter Schulte, Sie haben das Wort, nach meiner jetzigen Information für sechs Minuten. Das entspricht der Vereinbarung im Ältestenrat. Sollten wir hier falsch informiert worden sein, bitte ich um übereinstimmende Mitteilung der Geschäftsführer. — Sie müssen sich nun entscheiden, ob Sie von Ihrer Redezeit Gebrauch machen wollen oder nicht. Falls nein, gebe ich dem nächsten Redner das Wort.
Herr Präsident, selbtsverständlich werde ich auch die sechs Minuten nutzen, um dieser Straßenbaupolitik des Herrn Dollinger etwas entgegenzusetzen. Aber wir werden diesen Punkt, daß mir mehrmals Redezeit einfach geklaut wird, zur Sprache bringen.
Der vorliegende Entwurf des Fernstraßenbedarfsplans ist ein weiterer Höhepunkt der umweltfeindlichen Politik dieser Bundesregierung.
Zusätzliche 2 300 km Autobahn und 5 000 km Bundesstraßen sollen noch gebaut werden. Als hätten wir nicht genügend Straßen, nicht genügend Autos, Lärm, Abgase, Verkehrstote — die Straßenbaupolitik der vergangenen Jahre wird ungebrochen fortgesetzt. Fernstraßenbau ist längst zum Selbstzweck geworden. Die Straßenbaulobbyisten, vorneweg die Deutsche Straßenliga, Automobilverbände und Mineralölindustrie, geben sich im Verkehrsministerium in langer Tradition die Klinke in die Hand. Dieser Verkehrsminister schert sich einen Deut um die Umweltsorgen der Bundesbürger. Sie, Herr Dollinger, werden als Asphaltweltmeister in die Staßenbaugeschichte eingehen.
Der Umweltschutz wird überhaupt nicht berücksichtigt. Darüber kann auch Ihre Forderung, in § 4 des Fernstraßenausbaugesetzes bei der Bedarfsplanüberprüfung besonders Belange des Umweltschutzes einzubeziehen, nicht hinwegtäuschen. Daß die Versprechen der Bundesregierung, den Erhalt der Umwelt zu berücksichtigen, nicht einmal das Papier wert sind, auf dem sie stehen, zeigt sich auch an einem anderen Beispiel. Im Bodenschutzkonzept der Bundesregierung fordert Herr Zimmermann, strengere Maßstäbe des Umwelt- und Naturschutzes beim Straßenbau, insbesondere beim Ausbau der Bundesfernstraßen anzulegen. Und ausgerechnet für den Wahlkreis des Herrn Zimmermann wird, selbstverständlich mit der Zustimmung des Umweltministers, die größte, die überflüssigste und die am meisten natur- und bodenzerstörerische Autobahn, die B 15 N, geplant.
Meine Damen und Herren, der vorliegende Bedarfsplanentwurf ist auch ein Beweis für das heruntergekommene Demokratieverständnis dieser Regierung.
Diese Regierung setzt sich nicht nur über alle ablehnenden Stellungnahmen von betroffenen Städten großspurig hinweg, sondern sie ignoriert auch erstmalig Streichungsvorschläge von betroffenen Bundesländern.
Die Weigerung, z. B. die A 33 von Bielefeld nach Osnabrück nach dem Willen des Landes NRW aus dem Bedarfsplan zu streichen, ist nicht nur eine Mißachtung des föderalistischen Prinzips, sondern sie ist der wahre Gipfel von Arroganz und Starrköpfigkeit dieses Straßenbauministers Dollinger.
Herr Dollinger, indem Sie den Beschluß des Bundesrates, aus Umweltschutzgründen 30 hessische Fernstraßenbauprojekte aus der Stufe Planung zu streichen, einfach vom Tisch wischen, offenbaren Sie Ihre krankhafte Neigung zum Asphaltfetischismus.
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Schulte
Meine Damen und Herren, diese interessante Frage, ob beim Fernstraßenbau auch das Votum des Landes respektiert werden soll, ist ein sehr guter Prüfstein für das Demokratieverständnis eines jeden Abgeordneten.
Insofern ist die anschließende Abstimmung über unseren Entschließungsantrag sehr interessant.
Aber wir werden auch über den Straßenbaustoppantrag der GRÜNEN abstimmen. Wir GRÜNEN fordern darin im Einklang mit vielen Millionen Bundesbürgern, der Straßenbauorgie in der Bundesrepublik endlich ein Ende zu setzen.
Wir wollen keinen weiteren Autobahnbau, und Ortsumgehungen sollen nur noch dort gebaut werden, wo sie eine wirkliche Entlastung bewirken. Vorrangig sollte allerdings überprüft werden, ob diese Entlastung nicht besser durch den Ausbau der umweltfreundlichen öffentlichen Verkehrsmittel sowie Verlagerung des Güterverkehrs auf die Schiene und durch Verkehrsberuhigungskonzepte erreicht werden kann. Nur wenn dies nicht der Fall ist, kann überhaupt noch eine Ortsumgehung, selbstverständlich mit Umweltverträglichkeitsprüfung, gerechtfertigt werden.
Ziel muß es sein, den Bedarfsplan drastisch zu reduzieren. Damit würden endlich die Zig-Milliarden-Beträge freigesetzt, die wir so dringend brauchen, um ein umweltfreundliches, flächendeckendes öffentliches Verkehrssystem aufzubauen.
Herr Abgeordneter Schulte, lassen Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Grünbeck, die ich Ihnen nicht auf die Zeit anrechnen würde, zu?
Ja.
Herr Kollege Schulte, stehen Ihre jetzigen Ausführungen nicht im Widerspruch dazu, daß Kollegen Ihrer Fraktion sowohl über lange Strecken schnell fahren als auch dort, wo Geschwindigkeitsbegrenzungen vorgeschrieben sind, diese nicht beachten und sich so im Widerspruch zu ihren Aussagen verhalten? Müßten Ihre Kollegen nicht mit besserem Beispiel vorangehen?
Vielleicht könnten Sie diese Frage von jemand anderem beantworten lassen. Ich habe sie überhaupt nicht verstanden. Ich verstehe den Zusammenhang überhaupt nicht.
Herr Abgeordneter, ich darf Sie informieren, daß wir Ihre Redezeit um vier Minuten verlängert haben, so daß Sie Ihre Ausführungen in aller Ruhe beenden können.
Danke schön, Herr Präsident. Es ist natürlich für einen Redner schon sehr irritierend, wenn man die Redezeit während der Rede verlängert, ihm vorher aber Redezeit gestrichen hat. — Aber ich möchte diese Zeit nutzen,
um auf einige Ihrer Manipulationen, Unverschämtheiten und Betrügereien einzugehen, mit denen Sie den angeblichen Bedarf
für weitere 7 500 km Landschaftszerstörung ermittelt haben.
Es fängt an mit dem Prognoseschwindel.
Herr Abgeordneter Schulte , wenn ich das richtig verfolgt habe, haben Sie hier das Haus oder Mitglieder des Hauses der Betrügereien bezichtigt. Ich gebe Ihnen einen Ordnungsruf dafür.
Nein, ich habe das nicht auf Mitglieder des Hauses bezogen, sondern allgemein auf die Erstellung dieses Bedarfplanes.
Es fängt an mit der Prognoseentwicklung — —
Dieses verbessert die Situation keinesfalls. Nunmehr ist der Ordnungsruf endgültig.
Diesem Bedarfsplan liegt ein wirtschaftliches Wachstum von 3 % zugrunde. 3 % Wirtschaftswachstum jährlich bis zum Jahre 2000, das ist eine völlig utopische Wunschvorstellung.
Zweiter Punkt: Sie haben eine sogenannte Nutzen-Kosten-Analyse gemacht. Diese Nutzen-Kosten-Analyse hat bei mehreren Projekten zu einem Ergebnis geführt, das negativ für Fernstraßenbau war. Nun gehen Sie wie z. B. bei der A 60 einfach her
und machen eine neue Nutzen-Kosten-Analyse, die
zu dem Ergebnis führt, das Sie haben wollen. Dies
ist eine ganz klare Manipulation. Man kann dafür
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Schulte
auch ein anderes Wort benutzen, Herr Präsident. Ich will es nicht wiederholen.
Anstatt dem Umweltschutz wirklich Rechnung zu tragen und den Straßenbau zugunsten der umweltfreundlichen Verkehrsmittel zu kürzen,
wird einfach behauptet, die Fortschreibung würde den Umweltschutz berücksichtigen. Die ökologische Beurteilung, die hier eben erwähnt worden ist, ist völlig unzureichend und wurde nur bei Projekten über 15 km gemacht.
Jetzt hören sie genau zu: Es gibt kein einziges Projekt, bei dem auf Grund der ökologischen Beurteilung die Analyse dazu geführt hat, daß dieses Straßenbauprojekt aus dem Bedarfsplan gestrichen wird.
Somit ist diese ökologische Analyse nichts anderes als ein Feigenblatt, meine Damen und meine Herren.
Die GRÜNEN werden zum erstenmal bei der Beratung des Bedarfsplans eine ernsthafte Beratung erzwingen. Zum erstenmal werden bei der Beratung des Bedarfsplans im Verkehrsausschuß mit uns GRÜNEN auch Lobbyisten der Deutschen Bundesbahn am Tisch sitzen.
Wir werden verhindern, daß dieser Fernstraßenbedarfsplan sozusagen in einem Hauruckverfahren wie in den vergangenen Jahren ein weiteres Mal abgesegnet wird.
Meine Damen und meine Herren, ich lade alle Bürgerinitiativen und Bürger ein, mit uns zusammen am 9. Dezember bei einer Veranstaltung in der Beethovenhalle gegen den weiteren unsinnigen Fernstraßenbau zu protestieren.
Meine Damen und Herren, der Abgeordnete Schulte hat sich nicht zu Unrecht beschwert, daß ich bei den Rügen und bei der Kritik an den Verhaltensweisen des Abgeordneten Schulte (Menden) nicht ausdrücklich darauf hingewiesen habe, daß diese den Abgeordneten Schulte (Menden) betrafen. Ich möchte das hiermit korrigieren. Denn das Verhalten des Abgeordneten Schulte (Unna) hat nicht den geringsten Anlaß zur Kritik gegeben.
Nun möchte ich dem Abgeordneten Hoffie das Wort erteilen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dieser Bundesverkehrswegeplan ist die Antwort der Bundesregierung, ist die Antwort aller Bundesländer auf die Frage, unter welchen Bedingungen, unter welchen Infrastrukturen bis Ende dieses Jahrhunderts alle Bürger unseres Landes und unsere gesamte Wirtschaft ihre Mobilitäts- und Transportbedürfnisse am besten regeln. Damit fällt gleichzeitig die Entscheidung über verkehrsbedingte Umweltbelastungen, über das Wertverhältnis zwischen Mensch und Natur, nämlich auch darüber, welche Bedeutung für uns der Verbrauch von vielen weiteren Quadratmeter Grund und Boden im Verhältnis zu vielen Tausenden von Quadratmeter Wohnfläche entlang der Ortsdurchfahrten hat, dort, wo Abgas, Lärm und Verkehrsgefährdung das Leben nicht mehr lebenswert machen. Mit diesem Bundesverkehrswegeplan fällt auch die Entscheidung, ob die Transporte unserer Wirtschaft künftig schneller und billiger oder langsamer und teurer,
ob unsere Beförderungen sicherer oder gefährlicher werden.
— Es ist immer modern, ob Verkehr sicher oder unsicher ist, Herr Kollege. Das sollten Sie von den GRÜNEN einmal begreifen.
Genauso entscheidend bei diesem Bundesverkehrswegeplan ist auch — auch wenn Sie das kalt läßt —, ob es in strukturschwachen Räumen künftig bessere Arbeitsplatzanbindungen geben wird und wie sich die Wirtschaft dort entwickelt.
Meine Damen und Herren, natürlich entscheidet sich mit diesem Bundesverkehrswegeplan auch,
ob und in welchem Umfang wir Ferien- und Freizeiträume wirklich noch als Freiräume erhalten oder ob wir all das, was uns in den Erholungszeiten lieb ist, letztlich zubetonieren wollen.
Es fällt auch die Entscheidung für viele Hunderttausende von Arbeitsplätzen. Ich habe an anderer Stelle schon oft genug gesagt: Es ist schlimm, daß die GRÜNEN mit ihrem Ausbaustopp für den Bundesfernstraßenbau Hunderttausende von Bürgern in die Arbeitslosigkeit entlassen wollen.
Einfache Antworten auf all diese Fragen kann nur derjenige geben, dessen gesellschafts- und wirtschaftspolitisches Vorstellungsbild davon geprägt ist, daß alle Güter von der Straße auf die Bahn und
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die Menschen vom Auto in Busse, Bahnen und auf Fahrräder gehören.
Vizepräsident Cronenberg. Herr Abgeordneter Hoffie, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Suhr?
Wenn es mir nicht auf die Zeit angerechnet wird.
Herr Abgeordneter, ich werde es Ihnen nicht auf die Zeit anrechnen.
Ich bitte das Haus, die notwendige Ruhe herzustellen.
Herr Hoffie, ist Ihnen bekannt, daß im Bundesverkehrsministerium Berechnungen vorliegen, nach denen Investitionen im Schienenverkehr sehr viel arbeitsintensiver und beschäftigungsintensiver sind als der Bau von Autobahnen, die die geringste Quote an Beschäftigung aufweisen?
Herr Kollege, da beides arbeitsintensiv ist, haben wir in einer Umkehr der bisherigen Investitionspolitik zunächst einmal dafür gesorgt, daß künftig für reinen Neubau von Schienenwegen zum erstenmal in einem Bundesverkehrswegeplan mehr Geld zur Verfügung stehen wird als für den Neubau von Bundesfernstraßen. Ich glaube, mit dieser Antwort muß dann aber auch die Frage gestellt werden, warum die GRÜNEN, die den Stopp des Bundesfernstraßenbaus wollen, gleichzeitig den Stopp von wichtigen Schienenverbindungen, wie der aus dem Ruhrgebiet zum Frankfurter Rhein/ Main-Flughafen, wollen, in Übereinstimmung mit dem hessischen Wirtschaftsminister Steger. Das ist die grüne Schizophrenie.
Meine Damen und Herren, wer die freie Wahl der Verkehrsmittel anerkennt,
wer die freie Marktwirtschaft sichern will, der muß auch dem Unternehmer die Entscheidung belassen, mit welchen Transportmitteln er wann welche Güter wohin gebracht wissen will, und er kann nicht einfach den Stopp des Bundesfernstraßenbaus ausrufen, den innerdeutschen Luftverkehr abschaffen und aus Ford eine Fahrradfabrik machen wollen.
Herr Abgeordneter, lassen Sie eine weitere Zwischenfrage zu?
Wenn sie nicht auf die Zeit angerechnet wird.
Auch dieses Mal noch. Aber ich bitte, sich bei Frage und Antwort kurz und präzise zu fassen.
Herr Hoffie, können Sie bestätigen, daß wir heute auch über die Forderung der GRÜNEN abstimmen, eine zusätzliche Bundesbahnlinie von Landshut nach Ingolstadt einzurichten, und daß wir die einzigen waren, die dies fordern, und daß Sie es sind, die diese Forderung ablehnen?
Herr Kollege Senfft, klar ist, daß wir ein neues Kernnetz für die Bundesbahn brauchen. Das beginnt mit den Hauptstrecken, über die wir zu entscheiden haben. Das wird hoffentlich eines Tages auch kleinere Nebenstrecken umfassen, für die Sie sich heute hier schon stark machen.
Meine Damen und Herren, wer verantwortungsgerecht und auf der Grundlage möglichst vieler Erkenntnisse und Prognosedaten entscheidet, der muß mit entscheiden, wie die Infrastruktur bis zum Ende dieses Jahrhunderts für Straße, Schiene, Wasserwege und Luftverkehr aussehen soll, und der muß entscheiden, in welcher Rangfolge und mit wieviel Geld die gesamtwirtschaftlichen, die verkehrlichen, die regionalpolitischen und die ökologischen Ziele erreicht werden sollen.
Was die Bundesregierung hier als Entwurf vorgelegt hat, ist das Ergebnis eines langen Abstimmungsprozesses zwischen Bund und Ländern, d. h. im wesentlichen die Addition der Länderwünsche, reduziert auf ein realistisches Maß; denn die Bundesländer, auch Hessen und das Saarland, haben erheblich mehr Straßenbaumittel gewünscht und gefordert, als wir ihnen mit diesem Bundesverkehrswegeplan zugestehen können.
Diesem Entwurf, meine Damen und Herren, liegt einer der demokratischsten Entscheidungsprozesse zugrunde, die überhaupt denkbar sind. Da werden Länder, da werden Kreise und Gemeinden mit ihren Beschlüssen und Stellungnahmen ebenso beteiligt wie Verbände und Institutionen und wie die Bürger.
Schon die Zahl und Qualität der Beteiligten zeigen, daß ein solcher Abstimmungsvorgang nicht konfliktfrei ablaufen und ohne Kompromißfähigkeit auf vielen Seiten abgeschlossen werden kann. So gesehen, hat der abschließende einstimmige Beschluß des letzten Bedarfsplans der Bundesfernstraßen aus dem Jahr 1980 in diesem Haus einen besonderen Stellenwert.
Heute, fünf Jahre später, hat sich das Entscheidungsumfeld grundlegend gewandelt. Größer und sensibler ist nicht nur das Umweltbewußtsein, sondern auch die Begehrlichkeit der Städte, der Kreise, der Gemeinden und der Länder im Wettbewerb um die Verteilung von insgesamt 126 Milliarden DM an Investitionsmitteln, von denen für Straßenneubau und -ausbauten 26,2 Milliarden DM und für die Bundesbahn — ich sagte es schon: — zum erstenmal
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überhaupt sogar noch 9 Milliarden DM mehr zur Verfügung stehen.
Größer geworden ist auch die Zahl von Zuschriften betroffener oder interessierter und engagierter Bürgerverbände und Organisationen, die bis ins letzte Detail eine Entscheidung für oder gegen eine Maßnahme begründen. Da werden uns allein zu einem einzigen bayerischen Projekt 50 000 Unterschriften dafür und 2 500 dagegen vorgelegt. Am Beispiel desselben Projektes ließe sich hier schildern, wie mit abenteuerlichsten Falschmeldungen, wie mit einseitiger Parteinahme auch einiger Journalisten, wie sogar mit persönlicher Verunglimpfung des Andersdenkenden versucht wird, Druck auf Entscheidungen auszuüben. Das kommt sogar aus Reihen von Kollegen in diesem Hause. Der Herr Bamberg kann ein Lied davon singen.
Herr Abgeordneter, ich muß Sie unterbrechen.
Zunächst bitte ich den Abgeordneten Senfft und die übrigen Abgeordneten, die notwendige Ruhe herzustellen und den Platz freizumachen, damit wir fragen können, ob der Abgeordnete Hoffie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Schulte zuläßt.
Bitte sehr.
Dies ist offensichtlich der Fall. Herr Abgeordneter, Sie haben das Wort.
Herr Hoffie, Sie sprachen eben die zahlreichen Unterschriften an. Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß diese Pro-Unterschriften an Tankstellen und in Betrieben des Kraftfahrzeuggewerbes, beim Güterfernverkehr und in anderen Bereichen gesammelt worden sind, die direkt vom Straßenverkehr abhängen?
Ich habe ja nicht die Qualität der 50 000 Unterschriften gewertet, sondern habe die Zahl festgestellt. Und sie entstehen genauso wie GRÜNE an vielen Orten in gleicher Art ihre Unterschriften sammeln. Und das respektiere ich genauso.
Der Herr Abgeordnete Bamberg möchte ebenfalls eine Zwischenfrage stellen.
Bitte.
Bitte sehr, Herr Abgeordneter.
Herr Hoffie, würden Sie bitte zur Kenntnis nehmen, daß die persönlichen Verunglimpfungen, von denen Sie sprachen und die Sie betreffen, vor allem aus Ihren eigenen Parteireihen gekommen sind?
Herr Abgeordneter, würden Sie vielleicht in Ruhe die Antwort des Abgeordneten Hoffie abwarten? — Danke schön, Herr Abgeordneter.
Herr Kollege Bamberg, da wir beide die Zeitung lesen können, können wir auch die Überschrift lesen, die Sie fabriziert haben.
Ich will sie hier nicht wiederholen. Denn dann müßten wir ein paar weitere Fragen austauschen. Ich habe keine Lust, mich auf das Niveau zu begeben, das Sie dort in einem Pressekrieg im Zusammenhang mit Entscheidungen zur A 94 bzw. B 12 eingeleitet haben.
Hinter uns liegen viele Tage, oft auch lange Nächte von Abstimmungsgesprächen der Verkehrspolitiker hier im Bundestag untereinander. Da gab es viele Rückkopplungen hinunter in die einzelnen Parteigliederungen, zu Verbänden, zu Bürgerinitiativen, zu den verantwortlichen Planern und Entscheidungsträgern im Bund und in den Ländern.
Das Ergebnis, das wir im Januar als Gesetz hier im Deutschen Bundestag verabschieden werden, umfaßt in der Hauptsache — insofern gibt es wirklich eine Wende in der Verkehrspolitik — zunächst einmal 3 160 km neue Schienenstrecken, die bereits im Bau oder im vordringlichen Bedarf ausgewiesen sind und die durch 1 320 weitere km Schienenstrecke in der Planung ergänzt werden.
Damit verfügen wir bis zum Jahr 2000 über ein neues Kernnetz an Schnellfahrstrecken der Bundesbahn, auch wenn noch nicht die letzte von den GRÜNEN gewünschte Strecke von Ingolstadt nach Landshut berücksichtigt werden kann.
Jeder Kilometer Bundesbahn ist, auch wenn sich die Umweltschützer bereits über die Streckenführungen in den Haaren und in den Bärten liegen, ein Kilometer mehr Umweltschutz und mehr öffentliches Verkehrsangebot.
Aber auch jeder Kilometer Umgehungsstraße ist jeweils ein Kilometer mehr Lebensqualität für Tausende Menschen,
und das ist ein wichtiger Beitrag zu Energieeinsparung und Umweltschutz. Deshalb sind 80 % der 1 900 Bundesstraßenkilometer ortskernentlastende Umgehungsmaßnahmen.
Da relativiert sich vieles von falscher und grüner Polemik, wenn man weiß, daß in den nächsten Jahren tatsächlich nicht mehr als 600 km neue Autobahnen gebaut werden, also etwa 60 km pro Jahr.
Neue Prioritäten für die Schiene, Straßenbau nach Maß — meine Damen und Herren, das sind die Grundpfeiler, auf denen sich dieser Verkehrswegeplan aufbaut. Mit bisher rund 60 Änderungsanträgen, auf die sich die Unionsparteien und die FDP für die Ausschußberatungen schon jetzt geeinigt haben, gehen die Koalitionsfraktionen guten Mutes
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Hoffie
und mit gutem Gewissen in die weiteren Beratungen.
Herzlichen Dank.
Meine Damen und Herren, nunmehr hat der Abgeordnete Antretter das Wort. Ich wäre sehr dankbar, wenn Sie für den letzten Redner vor der Abstimmung die notwendige Ruhe herstellen würden.
Herr Abgeordneter, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich bedanke mich für den guten Besuch des Hauses, mit dem Sie Ihr Interesse an der Verkehrspolitik bekunden. Ich darf mich gleich als erstes an den Kollegen Hoffie wenden. Herr Kollege Hoffie, nicht der Kollege Bamberg hat den Pressekrieg verursacht, sondern der Pressekrieg ist dadurch entstanden, daß Sie im Isental waren und den Leuten etwas versprochen haben, was Sie nicht halten können.
Ich möchte das Haus darauf aufmerksam machen, daß wir inzwischen allerhand Zeit verloren haben, so daß mit den Zwischenfragen sehr sparsam umzugehen ist. Herr Abgeordneter Hoffie, bitte eine präzise und kurze Frage.
Herr Kollege, würden Sie bitte einräumen, daß ich im Isental versprochen habe „Es wird keine Bundesfernstraße durch das Isental geben" und daß sich die Koalitionsfraktionen inzwischen darauf verständigt haben und damit das Versprechen eingelöst wird?
Herr Kollege, ich würde gern einmal die Gelegenheit wahrnehmen, Ihnen etwas einräumen zu können. In diesem Fall kann ich es leider wieder nicht tun, denn Sie haben den Eindruck erweckt, als hätten Sie eine umweltschonende Trasse als Alternative gefunden. Dies war aber objektiv nicht der Fall.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich bin froh, daß ich Gelegenheit habe, nach den Vertretern der Union und dem Minister zu reden. Damit kann ich auf die Punkte eingehen, die von unserer Seite aus ganz eindeutig anders beurteilt werden müssen.
Der gesamte Bundesverkehrswegeplan zeigt, daß die Bundesregierung doch hilflos und unkoordiniert den geänderten Rahmenbedingungen gegenübersteht. So nehmen Sie, meine Damen und Herren, zum Beispiel Ihr eigenes Bodenschutzkonzept nicht ernst. In den Bundesverkehrswegeplan ist davon jedenfalls nichts eingeflossen; denn sonst müßten gezielte Investitionen getätigt werden, um Verkehr von der Straße auf die Schiene zu bringen.
Zwar behauptet der Verkehrsminister, die Schiene habe Priorität, sie sei neuer Investitionsschwerpunkt. Unser Kollege, der Staatssekretär Schulte, verspricht sogar, daß es künftig mehr Geld für die Schienenwege als für die Straße gebe.
Meine Damen und Herren, die Wirklichkeit sieht anders aus. Die vorgesehenen Investitionszuschüsse zum Schienennetz der Bundesbahn betragen 35 Milliarden DM. Dagegen sind für den Bundesfernstraßenbau 50,1 Milliarden DM vorgesehen.
Noch ungünstiger wird das Verhältnis, wenn man die Investitionshilfen des Bundes für die S-Bahnen und für die kommunalen Straßen hinzunimmt. Dann sieht man, daß die Bundesbahn bis zum Jahr 2000 39,5 Milliarden DM erhält, die Straße dagegen immerhin stolze 64 Milliarden DM, Herr Minister.
Wichtige Investitionsvorhaben bei der Bahn können deshalb nicht in Angriff genommen werden, so z. B. bei dem umwelt- und energiepolitisch so wichtigen kombinierten Verkehr.
Diese Hilflosigkeit, Herr Kollege Lemmrich, die auch in Ihrem Zwischenruf zum Ausdruck kommt, setzt sich im Bedarfsplan für die Bundesfernstraßen fort. Unter den geänderten Rahmenbedingungen müßte die heutige Straßenbaupolitik davon ausgehen, daß die Bundesrepublik Deutschland schon jetzt eines der am engmaschigsten durch Straßen erschlossenen Länder der Welt ist, daß die Gebiete zwischen den Straßen schon jetzt so klein sind, daß zusammenhängende ökologische Räume kaum noch bestehen, daß jede zusätzliche Straße den Lebensraum für Pflanzen, Tiere und Menschen bedrohlich einengt und daß sich weit mehr als die Hälfte der Bevölkerung durch Verkehrslärm oder Abgase schon jetzt belästigt fühlt.
Meine Damen und Herren, statt einem zukunftsbezogenen Straßenbau zum Durchbruch zu verhelfen, verharrt dieser Bedarfsplan in Betrachtungsweisen der Vergangenheit. Ökologisch besonders unverantwortliche Objekte und Neubauten sind nach wie vor in großer Zahl im vordringlichen Bedarf enthalten, z. B. die A 94. Herr Kollege Lemmrich, wir nehmen Anteil an dem Schicksal des Bürgers an der B 12, den Sie zitiert haben; aber die 36 Bauernhäuser, die abgerissen werden müssen, wenn die A 94 gebaut wird, sind auch ein Schicksal für diese 36 Familien.
Oder ich nenne z. B. die A 95, z. B. die A 98 und,
meine Damen und Herren, die B 14 im mittleren
Neckarraum, wo Sie zwischen Winnenden und
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Antretter
Backnang eine vierspurige Straße in die Landschaft treiben wollen, obgleich wir da vorher miteinander eine S-Bahn gemacht haben, die angenommen wird und Sie doch selbst sagen: Wir wollen mit der Straße nicht in Konkurrenz zur Schiene treten.
Meine Damen und Herren, ich möchte noch einmal eindringlich an Sie appellieren, die Gespräche einzustellen und sich hinzusetzen. Wer überhaupt nicht auf Gespräche verzichten kann, den bitte ich, in die Lobby zu gehen; andernfalls ist nicht mehr gewährleistet, daß die Sitzung ordnungsgemäß abgewickelt werden kann.
Sie haben das Wort, Herr Abgeordneter.
Meine Damen und Herren, die gesamtwirtschaftliche Bewertung setzt geringe Zeitersparnisse bei der einzelnen Autofahrt in Geld um, die dann bei ihrer Summierung über alle Fahrten hohe Nutzenbeträge erbringt, obgleich es sehr zweifelhaft ist, ob ein so geringer Zeitgewinn für den einzelnen wirklich in finanzielle Vorteile umsetzbar ist. Ich spreche dies deshalb an, weil ich meine, daß Ursache für die Aufnahme solcher heutzutage nicht mehr zu verantwortender Projekte das willkürliche und die wirklichen Probleme nicht berücksichtigende Bewertungsverfahren ist, das Sie angewendet haben.
Diese fragwürdige gesamtwirtschaftliche Bewertung wird ergänzt durch eine regionalpolitische Bewertung. Das heißt, Straßen in dünn besiedelten Gebieten, auf denen folglich auch kaum einer fahren wird, erhalten einen Bonus und werden gebaut, obwohl sie so überflüssig wie ein Kropf sind. Alle einschlägigen Untersuchungen ergeben, daß der positive Einfluß neuer Straßen auf die Wirtschaft eines Raumes stets maßlos überschätzt wird. Meine Damen und Herren, das Saarland mit der höchsten Straßendichte ist doch leider nicht das Gebiet mit der blühendsten Wirtschaft in unserem Lande. Das einzige, was diese regionalpolitisch aufgewerteten Straßen bewirken, ist, daß sie unberührte Landschaft verschandeln und dadurch die Urlauber veranlassen, auf diesen neuen Straßen durch ihre bisherigen Urlaubsgebiete durchzufahren, bis sie an noch nicht erschlossene Gebiete kommen.
Die sogenannte ökologische Bewertung, meine Damen und Herren, ist ein Feigenblatt, weil es kein ökologisches Ausschlußkriterium gibt. Das heißt, auch auf ökologisch unverantwortliche Projekte wird nicht verzichtet, sondern durch dubiose, sogenannte Ausgleichsmaßnahmen können diese Projekte weiter verfolgt werden.
Nun, meine Damen und Herren, nachdem mit dieser unsachgemäßen Bewertung die einzelnen Projekte eingestuft sind, ergibt der neue Bedarfsplan ein Volumen von 38,7 Milliarden Mark für den vordringlichen Bedarf und neue Quoten. Dieser Bedarfsplan wird dem Kabinett, dem Bundesrat und dem Bundestag vorgelegt; aber der Plan stimmt ja überhaupt nicht mehr. Der Verkehrsminister hat heimlich eine Milliarde draufgelegt. Bayern hat 300 Millionen DM bekommen, Hamburg 200 Millionen und Rheinland-Pfalz 130 Millionen DM. Der Stadt Frankfurt wurde schriftlich versichert, unabhängig vom Bedarfsplan werde der Alleentunnel verwirklicht.
Meine Damen und Herren, wir halten angesichts dieser Praktiken eine ausführliche Prüfung und Beratung für besonders notwendig. Ich habe die Hoffnung, daß bei unseren Beratungen eine Reihe sehr vernünftiger Vorschläge, die unsere Kollegen von der FDP gemacht haben — vor allem die FDP aus Baden-Württemberg, die 15 oder 16 sehr vernünftige Vorschläge unterbreitet hat —, in die Überlegung eingehen. Ich kann an meine Kollegen von der FDP im Verkehrsausschuß nur appellieren und an unsere gemeinsame Vergangenheit erinnern. Sie haben auch, als wir miteinander die Fernstraßenpläne gemacht haben, dann und wann gegen die Meinung des damaligen Koalitionspartners SPD gestimmt.
Bitte tun Sie das jetzt auch, wenn Sie der Überzeugung sind, es sei vernünftig; und Sie haben vernünftige Positionen unter Ihren Vorschlägen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir müssen dahin gelangen, daß Straßen dort gebaut werden, wo sie benötigt werden, nämlich dort, wo hohe Verkehrsbelastungen auftreten. Die vorgesehene Änderung des Fernstraßenausbaugesetzes muß deshalb zum Anlaß dafür genommen werden, einige Maßnahmen unverzüglich zu ergreifen. Ortsumgehungen dürfen nur unter der Voraussetzung gebaut werden, daß die durch die Umgehung entlastete Ortsdurchfahrt rückgebaut wird. Ortsdurchfahrten, die schwächer belastet sind und deshalb den Bau einer Ortsumgehung nicht rechtfertigen, müssen mit Bundesfernstraßenmitteln so weit rückgebaut werden können, daß der Verkehr zwar noch zügig abläuft, das Fahren mit überhöhter Geschwindigkeit aber erschwert wird. Die Bundesregierung muß die rechtlichen Voraussetzungen dafür schaffen, daß aus den Mitteln des Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetzes generell der Straßenrückbau finanziert werden kann. Außerdem, meine Damen und Herren, muß die Bundesregierung die rechtlichen Voraussetzungen dafür schaffen, daß bei Straßen in dichtbebauten Gebieten nachträglich der Bau von Eintunnelungen mit Bundesfernstraßenmitteln möglich wird, wenn diese Eintunnelungen aus Gründen des Umweltschutzes oder der Städteplanung erforderlich sind. Der Forderung nach geringstmöglichem Landschaftsverbrauch, meine Damen und Herren, ist nicht nur dadurch zu entsprechen, daß jeweils der kleinstmögliche Straßenquerschnitt und die geringstmöglichen Kurvenradien gewählt werden, sondern auch dadurch, daß möglichst weitgehend dreistreifige an Stelle vierstreifiger Straßen gebaut werden.
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Wir werden die Einzelberatung im Verkehrsausschuß im Sinne dieser Grundsätze führen für eine verkehrspolitisch vernünftige, ökologisch verantwortliche und finanziell vertretbare Straßenbaupolitik.
Meine Damen und Herren! Wir kommen nunmehr zur Abstimmung, und zwar zunächst nicht zu der namentlichen Abstimmung; die kommt etwas später. Zu dem Tagesordnungspunkt 26 a wird interfraktionell und gemäß Vereinbarung im Ältestenrat vorgeschlagen, den Gesetzentwurf auf Drucksache 10/4389 zur federführenden Beratung an den Ausschuß für Verkehr und zur Mitberatung an den Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau, den Ausschuß für innerdeutsche Beziehungen, den Haushaltsausschuß, den Innenausschuß und den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu überweisen. — Anderweitige Vorschläge liegen nicht vor. Es ist so beschlossen.
Wir kommen nunmehr zur Abstimmung über Tagesordnungspunkt 26 b. Wir stimmen zuerst ab über den Änderungsantrag der Abgeordneten Schulte , Senfft und der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/4446. Zu diesem Antrag ist namentliche Abstimmung beantragt worden.
Die Fraktion DIE GRÜNEN hat mir mitgeteilt, daß sie nur zum ersten Teil namentliche Abstimmung verlangt und daß der Text geringfügig geändert werden soll, so daß der Änderungsantrag nunmehr lautet:
Die Beschlußempfehlung — Drucksache 10/ 2747 — erhält folgende Fassung:
„Der Bundestag wolle beschließen, bei der Änderung des Fernstraßenausbaugesetzes alle Autobahn- oder Bundesstraßenprojekte aus dem Bedarfsplan zu streichen bzw. keine zusätzlichen Fernstraßenprojekte aufzunehmen, zu denen a) eine ablehnende Stellungnahme eines betroffenen Bundeslandes ... vorliegt."
Über diesen Teil wird namentlich abgestimmt. Wer also für diesen Änderungsantrag stimmen will, muß mit der blauen Karte mit Ja, wer dagegen ist, mit Nein stimmen. Zur sitzungsökonomischen Abwicklung habe ich vorgeschlagen, daß wir anschließend die Sitzung wegen der CDU/CSU-Fraktionssitzung unterbrechen und über den restlichen Antrag mündlich abstimmen, so daß wir die verlorene Zeit aufholen.
Ich bitte, nunmehr mit der Abstimmung zu beginnen.
Ist noch ein Mitglied im Haus, das seine Stimme noch nicht abgegeben hat? — Ich bitte die Geschäftsführer, mir mitzuteilen, wann ich die namentliche Abstimmung schließen kann. — Kein Widerspruch. Dann darf ich also die Abstimmung schließen und die Schriftführer bitten, mit der Auszählung zu beginnen.
Ich unterbreche die Sitzung bis um 11 Uhr.
Meine Damen und Herren, die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet.
Zunächst gebe ich Ihnen das von den Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/4446 Buchstabe a bekannt. Von den voll stimmberechtigten Mitgliedern des Hauses haben 392 ihre Stimme abgegeben. Ungültige Stimmen: keine. Mit Ja haben 21, mit Nein haben 362 Abgeordnete gestimmt, Enthaltungen: 9.
15 Berliner Abgeordnete haben ihre Stimme abgegeben. Ungültige Stimmen: keine. Mit Ja hat 1 Abgeordneter, mit Nein haben 14 Abgeordnete gestimmt.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen 391 und 15 Berliner Abgeordnete; davon
ja: 21 und 1 Berliner Abgeordneter
nein: 361 und 14 Berliner Abgeordnete
enthalten: 9
Ja Dr. Blank
Dr. Blens
SPD Dr. Blüm
Dr. Bötsch
Frau Fuchs Bohl
Bohlsen
Borchert
Braun
DIE GRÜNEN Breuer
Auhagen Broll
Frau Borgmann Brunner
Bueb Bühler
Frau Hönes Carstens
Kleinert Carstensen (Nordstrand)
Lange Clemens
Mann Dr. Daniels
Dr. Müller Frau Dempwolf
Rusche Deres
Schily Dörflinger
Schulte Dr. Dregger
Senfft Ehrbar
Suhr Eigen
Tatge Erhard
Tischer
Vogel Eylmann
Volmer Dr. Faltlhauser
Frau Wagner Fellner
Werner Frau Fischer
Fischer
Francke
Berliner Abgeordneter Dr. Friedmann
Funk
Ströbele Ganz
Frau Geiger
Dr. von Geldern
Gerlach
Nein Gerstein
Gerster
CDU/CSU Glos
Dr. Göhner
Dr. Abelein Götzer
Frau Augustin Dr. Häfele
Austermann von Hammerstein
Dr. Barzel Hanz
Bayha Haungs
Dr. Becker Hauser (Esslingen)
Biehle Hauser
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 182. Sitzung. Bonn, Freitag, den 6. Dezember 1985 13861
Vizepräsident Cronenberg
Hedrich
Frau Dr. Hellwig Helmrich
Dr. Hennig
Herkenrath
Hinrichs Hinsken Höffkes, Höpfinger
Dr. Hoffacker
Frau Hoffmann Dr. Hornhues
Hornung
Frau Hürland
Dr. Hüsch
Dr. Hupka
Jäger
Jagoda
Dr. Jahn
Dr. Jenninger
Dr. Jobst
Jung
Dr.-Ing. Kansy
Frau Karwatzki
Keller
Klein
Dr. Köhler
Dr. Köhler Kolb
Kraus
Dr. Kreile
Krey
Kroll-Schlüter
Frau Krone-Appuhn
Dr. Kronenberg
Dr. Kunz Lamers
Dr. Lammert
Landré Lattmann
Dr. Laufs
Link
Link
Lintner
Dr. Lippold
Löher
Lohmann Louven
Lowack Maaß
Frau Männle
Magin
Marschewski
Metz
Dr. Meyer zu Bentrup Michels
Milz
Dr. Möller
Müller Müller (Wadern)
Müller
Nelle
Niegel
Dr.-Ing. Oldenstädt
Dr. Olderog
Pesch
Petersen Pfeffermann
Dr. Pinger
Pöppl
Pohlmann
Dr. Pohlmeier
Dr. Probst
Reddemann
Dr. Riedl Rode (Wietzen)
Frau Rönsch
Frau Roitzsch
Dr. Rose Rossmanith
Roth
Rühe
Ruf
Sauer
Sauer
Saurin
Sauter Sauter (Ichenhausen) Dr. Schäuble
Schartz Schemken Scheu
Schlottmann Schmidbauer
Schmitz Schneider
Freiherr von Schorlemer Schreiber
Dr. Schroeder Schulhoff
Dr. Schulte
Schultz (Wörrstadt) Schwarz
Dr. Schwörer
Seehofer Seesing
Seiters
Dr. Freiherr
Spies von Büllesheim Spilker
Dr. Stark Dr. Stavenhagen
Dr. Stercken
Stockhausen
Stommel Strube
Stücklen Stutzer
Susset
Tillmann
Frau Verhülsdonk
Vogel
Dr. Voss
Dr. Waffenschmidt
Dr. Waigel
Graf von Waldburg-Zeil Dr. Warnke
Dr. Warrikoff
Dr. von Wartenberg Weirich
Weiß
Werner
Frau Will-Feld
Wilz
Windelen
Frau Dr. Wisniewski
Dr. Wittmann
Wittmann Würzbach
Dr. Wulff Zink
Berliner Abgeordnete
Frau Berger Boroffka
Buschbom
Dolata
Feilcke
Kalisch
Dr. Pfennig
Straßmeir
SPD,
Amling
Dr. Apel Bachmaier Bamberg
Becker Bernrath
Berschkeit
Bindig
Frau Blunck
Brück
Buckpesch
Büchler
Buschfort Collet
Curdt
Frau Dr. Däubler-Gmelin Daubertshäuser
Delorme Dreßler Dr. Ehmke
Dr. Ehrenberg
Dr. Emmerlich
Esters
Ewen
Fiebig
Fischer
Frau Fuchs Gansel
Gerstl
Gilges
Glombig Dr. Haack Haar
Haehser
Hansen Hauck
Dr. Hauff Heistermann
Herterich Hettling Hiller
Frau Huber
Huonker Ibrügger Jahn
Jaunich Dr. Jens
Jung Jungmann
Kirschner
Klein
Dr. Klejdzinski
Kolbow Kretkowski
Dr. Kübler
Kühbacher
Kuhlwein Lambinus Leonhart Liedtke Lohmann
Lutz
Frau Dr. Martiny-Glotz Matthöfer
Meininghaus
Menzel
Dr. Mertens Müller (Schweinfurt)
Dr. Müller-Emmert Müntefering
Nehm
Neumann Dr. Nöbel
Frau Odendahl Oostergetelo
Paterna Pauli
Dr. Penner
Pfuhl
Porzner Poß
Purps
Ranker Reimann Reschke Reuter
Rohde
Roth
Sander
Schäfer
Schanz Schlaga Schluckebier
Frau Schmedt
Frau Schmidt Schmitt (Wiesbaden)
Dr. Schmude
Dr. Schöfberger
Schröer
Schulte
Sielaff Sieler
Frau Dr. Skarpelis-Sperk
Dr. Soell Dr. Sperling
Dr. Spöri
Stahl
Steiner
Frau Steinhauer
Stiegler Stockleben
Frau Terborg
Tietjen Toetemeyer
Frau Traupe
Urbaniak
Vogelsang
Vosen Waltemathe
Walther Weinhofer
Weisskirchen
Dr. Wernitz
Frau Weyel
Dr. Wieczorek
Wiefel
von der Wiesche
Wimmer Wischnewski
Witek
Dr. de With
Wolfram
Würtz Zander Zeitler
Berliner Abgeordnete
Dr. Diederich Egert
Dr. Mitzscherling
Stobbe
Wartenberg
FDP
Frau Dr. AdamSchwaetzer
Baum
Beckmann Bredehorn
Cronenberg Eimer (Fürth)
Engelhard Ertl
Dr. Feldmann
Gallus
Gattermann Genscher Grünbeck
Frau Dr. Hamm-Brücher
Dr. Haussmann
Dr. Hirsch Hoffie
Kleinert
Kohn
Mischnick Möllemann
13862 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 182. Sitzung. Bonn, Freitag, den 6. Dezember 1985
Vizepräsident Cronenberg
Neuhausen Enthalten
Paintner
Ronneburger
Dr. Rumpf SPD
Schäfer Conradi
Frau Dr. Segall Duve
Frau Seiler-Albring Dr. Hauchler
Dr. Solms Jansen
Dr. Weng Wolfgramm (Göttingen) Müller (Düsseldorf)
Schreiner
Berliner Abgeordneter Frau Simonis
Vahlberg
Hoppe Frau Zutt
Damit ist der Antrag abgelehnt.
Meine Damen und Herren, ich stelle nunmehr den Änderungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/4446 im übrigen zur Abstimmung. Wir haben ja nur über den Buchstaben a abgestimmt. Wer also für den ganzen Antrag der GRÜNEN ist, den bitte ich jetzt um das Handzeichen. Wer stimmt dagegen? — Damit ist der Antrag auch insgesamt abgelehnt.
Meine Damen und Herren, wir stimmen nunmehr über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Verkehr auf Drucksache 10/2747 ab, den Antrag des Abgeordneten Drabiniok und der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/1756 abzulehnen. Wer dieser Beschlußempfehlung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Damit ist die Beschlußempfehlung des Ausschusses angenommen.
Wir kommen nunmehr zur Abstimmung über den Tagesordnungspunkt 26 c. Wer der Beschlußempfehlung des Ausschusses für Verkehr auf Drucksache 10/4097 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Damit ist die Beschlußempfehlung des Ausschusses angenommen.
Wir stimmen nunmehr über den Tagesordnungspunkt 26d ab. Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 10/3941, den Antrag des Abgeordneten Drabiniok und der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/2384 abzulehnen. Wer dieser Beschlußempfehlung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer dagegen stimmt, den bitte ich ebenfalls um das Handzeichen. Damit ist die Beschlußempfehlung des Ausschusses angenommen.
Meine Damen und Herren, ich rufe den Tagesordnungspunkt 27 und den Zusatztagesordnungspunkt 7 auf:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr zu dem Antrag des Abgeordneten Drabiniok und der Fraktion DIE GRÜNEN
Fahrpreiserhöhungen der Deutschen Bundesbahn
— Drucksachen 10/612, 10/3441 —
Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Jobst
Beratung des Antrags der Abgeordneten Senfft, Vogel und der Fraktion DIE GRÜNEN
Reduzierung der Bundesbahnfahrpreise — Drucksache 10/4417 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Verkehr Finanzausschuß
Haushaltsausschuß
Zu Tagesordnungspunkt 27 liegt ein Änderungsantrag des Abgeordneten Senfft und der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/4445 vor.
Meine Damen und Herren, interfraktionell sind eine gemeinsame Beratung des Tagesordnungspunktes 27 und des Zusatztagesordnungspunktes 7 und eine Aussprache von bis zu zehn Minuten für jede Fraktion vereinbart worden. — Ich sehe keinen Widerspruch; dann ist so beschlossen.
Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? — Das ist nicht der Fall.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Jobst.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die GRÜNEN haben beantragt, die geringfügig erfolgten Fahrpreiserhöhungen bei der Bahn in den letzten Jahren rückgängig zu machen und eine 20%ige Fahrpreissenkung im Jahre 1986 bei der Bahn herbeizuführen. Nun, Steuern, Tarife und Preise sind ein beliebtes Thema in der Demokratie, insbesondere für die Opposition. Tariferhöhungen machen niemandem Freude, außer denjenigen, die davon profitieren. Wir alle wünschen möglichst niedrige Fahrpreise bei der Bahn, insbesondere für die sozial schwächeren Bevölkerungsgruppen.
Die Anträge der GRÜNEN sind sachlich nicht begründet. Sie sind politisch und moralisch nicht gerechtfertigt. Sie sind Schaufensteranträge nach bekannter Manier. Die GRÜNEN haben jahrelang die Neu- und Ausbaustrecken der Deutschen Bundesbahn verhindert, obwohl bekannt ist, daß die Bahn moderne Strecken braucht, um schnell, zuverlässig und damit leistungsfähig und wettbewerbsfähig zu sein.
Ich darf nur an das Verhalten des Parlamentarischen Geschäftsführers der GRÜNEN erinnern, der einen Pkw des Bundestages 600 km nach Kulmbach hat fahren lassen, um dann von Kulmbach nach Forchheim zu einem Konzert zu fahren. Ich habe mir die Fahrpläne der Bahn auf diesen beiden Hauptstrecken genau angesehen. Es gehen auch an den Sonn- und Feiertagen ausreichend Züge, um die Bahn benutzen zu können. Sie sehen also: Schein und Wirklichkeit gehen bei den Antragstellern weit auseinander.
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 182. Sitzung. Bonn, Freitag, den 6. Dezember 1985 13863
Dr. Jobst
Ich sehe hier ein heuchlerisches Verhalten, mit dem Dummenfang versucht wird. Ich kann die Anträge der GRÜNEN nicht ernst nehmen.
Die Preiserhöhungen der Deutschen Bundesbahn seit 1983 sind maßvoll. Es gab auch andere Zeiten, in den 70er Jahren und vor allem 1980, 1981 und 1982, in denen saftige Preiserhöhungen vorgenommen worden sind.
Der Bund gewährt der Deutschen Bundesbahn zum Ausgleich des Defizits im Schienenpersonennahverkehr jährlich 3,3 Milliarden DM. Den Berufsverkehr bei der Bahn läßt sich der Bund jährlich etwa 800 Millionen DM kosten. Und für den Schülerverkehr werden jährliche Zuschüsse von 900 Millionen DM gegeben. Die Deutsche Bundesbahn wird auf diese Weise in den Stand gesetzt, im Berufs- und Schülerverkehr Preise anzubieten, die deutlich unter den lediglich die Benzinkosten einbeziehenden Fahrpreisen bei der Benutzung des Pkw liegen.
Der öffentliche Personennahverkehr auf der Schiene, meine sehr verehrten Damen und Herren, muß finanzierbar bleiben. Der Kostendeckungsgrad im Berufsverkehr beträgt heute 18,5 %, im Schülerverkehr nur 14%. Die Belastung des Steuerzahlers je km Beförderungsleistung der Bahn beträgt somit im Berufsverkehr 24,4 Pfennig, im Schülerverkehr 29,3 Pfennig. Schon heute bringt jeder Steuerzahler jährlich indirekt über 500 DM für die Bahn auf, auch wenn er persönlich nie mit der Bahn fährt.
Die Preis- und Angebotspolitik ist nach den im Bundesbahngesetz vorgesehenen Aufgabenzuweisungen Sache der Bahn. Die Bahn bildet ihre Preise selbständig und eigenverantwortlich. Der Bundesverkehrsminister kann in die Tarifbildung nur eingreifen, wenn dies aus Gründen des allgemeinen Wohls erforderlich ist. Und er ist dann auch zu einem finanziellen Ausgleich verpflichtet.
Die Tarifanhebungen der Deutschen Bundesbahn haben sich seit 1983 auf der Linie des allgemeinen geringen Preisanstieges gehalten.
Die Preissteigerungsrate ist dank der Politik der Bundesregierung von rund 6% 1982 auf jetzt 1,8% gedrückt worden. Hier ist eine Kaufkraftmehrung für die Arbeitnehmerhaushalte von jährlich 15 Milliarden DM, für die Rentnerhaushalte von jährlich 6 Milliarden DM herbeigeführt worden. Diese sozialpolitische Tat von erheblichem Gewicht dient nicht nur dem einzelnen, sie ist auch die beste Hilfe für die Bahn, ihre Fahrpreise stabil zu halten.
Die GRÜNEN haben jetzt einen Antrag vorgelegt, die Fahrpreise bei der Bahn 1986 um 20% zu senken. Ich darf nur daran erinnern, daß ein Modellversuch bei der Bahn schon 1964 gelaufen ist. Damals sind die Tarife im Güterverkehr um 20% gesenkt worden. Die Bahn hat nicht mehr Frachten bekommen, sie hat aber erhebliche Einnahmeverluste in Kauf nehmen müssen.
Die Schwedischen Staatsbahnen haben 1979 einen Modellversuch im Personenverkehr gemacht und ihre Fahrpreise bis zu 30 %, für die Familien bis zu 40 % gesenkt. Nach drei Jahren hatte sich herausgestellt, daß dieser Versuch ein Fehlschlag war.
1980/81 haben die Schwedischen Staatsbahnen ihren Normaltarif dreimal um insgesamt 34 % und in der 1. Klasse sogar um 43 % wieder angehoben und damit das frühere hohe Tarifniveau weitgehend wiederhergestellt. Aus diesen Erkenntnissen folgert die Bundesbahn, daß das schwedische Modell nicht geeignet ist, ihre wirtschaftliche Situation zu verbessern. Eine Nachahmung würde bei der Bahn zu erheblichen Einnahmeausfällen und auch zu einer erheblichen zusätzlichen Belastung des Bundeshaushalts führen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die GRÜNEN propagieren das Radfahren. Sie propagieren das Eisenbahnfahren. Sie selber halten sich aber nicht daran.
Das öffentliche Verkehrsmittel ist ein unverzichtbarer Mobilitätsfaktor.
Dabei hat auch die Bahn eine ganz wichtige Funktion.
Aber auch das Auto ist ein unverzichtbarer Bestandteil unseres Lebens geworden. Es hat den wirtschaftlichen und sozialen Strukturen ein neues Gepräge gegeben. Die unbestrittenen Vorteile des Autos, nämlich Flexibilität, Routenwahl, Komfort, Unabhängigkeit von den Fahrplänen und der Witterung können durch noch so niedrige Fahrpreise bei den öffentlichen Verkehrsmitteln nicht ausgeglichen werden. Das ist eine Tatsache.
Die Deutsche Bundesbahn hat einen erheblichen Nachholbedarf bei ihren Zukunftsinvestitionen. Die Bahn ist erforderlich und unerläßlich für ein funktionierendes Verkehrswesen. Die Deutsche Bundesbahn ist jetzt durch die neue Verkehrspolitik auf dem besten Wege, ihre Wettbewerbsfähigkeit zurückzuholen. Sie kann endlich die schon längst erforderlich gewesenen Zukunftsinvestitionen durchführen. Im Bundesverkehrswegeplan für die Jahre 1986 bis 1995 ist ein deutlicher Schwerpunkt zugunsten der Bahn gesetzt worden, indem die Investitionen für die Bahn um 25% gegenüber den letzten zehn Jahren angehoben wurden. Es stehen 35 Milliarden DM für neue Investitionen zur Verfügung. Die Bahn, die heuer ihr 150jähriges Jubiläum feiert, hat nicht nur eine Vergangenheit, sie hat jetzt wieder eine Zukunft.
Meine Damen und Herren, die Bahn hat nach dem Bundesbahngesetz den Auftrag, so zu wirt-
13864 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 182. Sitzung. Bonn, Freitag, den 6. Dezember 1985
Dr. Jobst
schaften, daß die Erträge die Aufwendungen dekken. Dieses Ziel erreicht die Bahn gegenwärtig insgesamt kaum zu mehr als der Hälfte, im Schienenpersonennahverkehr zu weniger als einem Drittel. Ihr Bedarf an Zuschüssen durch den Bund und letzten Endes die Belastung des Steuerzahlers liegt derzeit bei jährlich 13,5 Milliarden DM. Bei steigenden Selbstkosten kann die Bahn nicht darauf verzichten, von Zeit zu Zeit die Fahrpreise anzupassen. Tarife, die ohne Beachtung der Selbstkosten niedrig gehalten werden, würden zu steigenden Defiziten führen, den Steuerzahler pauschal belasten,
ohne Rücksicht darauf, wer die Leistungen der Deutschen Bundesbahn in Anspruch nimmt, und auf Dauer die Leistungsfähigkeit der Bahn spürbar schwächen.
Die Deutsche Bundesbahn hat sich aus eigenem unternehmerischem Interesse während der letzten Jahre eine Reihe von Preisvergünstigungen z. B. für die Familien, für Jugendliche, für ältere Leute oder für Gruppen, einfallen lassen, um wieder zu einer echten Alternative zum Pkw zu werden. Darüber freuen wir uns. Wir freuen uns auch, daß sie Anfang 1986 für gemeinsam Reisende während verkehrsschwacher Stunden erstmals auch für den Nahverkehr in ländlichen Gebieten eine besondere Preisvergünstigung anbieten wird.
Wir hoffen, daß die Deutsche Bundesbahn kundenfreundliche Maßnahmen dieser Art auch mit ihrer neuen Tarifstruktur, die sie für 1986 angekündigt hat, fortführen wird.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir lehnen die Anträge der GRÜNEN ab.
Das Wort zu einer di- rekten Erwiderung nach § 30 unserer Geschäftsordnung hat der Abgeordnete Bueb.
Meine Damen und Herren, der Abgeordnete Jobst hat hier behauptet, daß ich mit der Fahrbereitschaft zu einem Rockkonzert gefahren sei und er sich die Fahrpläne der Bundesbahn angesehen und festgestellt habe, daß ich gut mit der Bundesbahn hätte hinfahren können.
Er stützt sich dabei auf eine Meldung der „Bild"-Zeitung.
Diese Meldung ist falsch.
Ich bin nicht zu einem Rockkonzert gefahren, sondern zu einer Live-Sendung des Bayerischen Rundfunks zum Internationalen Jahr der Jugend.
Ich hatte dort ein Statement abzugeben und habe dann an der Diskussion teilgenommen. Diese Sendung ging von 14 bis 18 Uhr an einem Samstag. Ich hatte dann noch einen Termin zur Grundabsicherung und zur Rente in Bonn wahrzunehmen und wäre, wenn ich mit dem Zug gefahren wäre, von Forchheim nur noch bis nach Frankfurt gekommen, hätte also mit dem Zug Bonn am selben Tag überhaupt nicht mehr erreichen können. Auch das ist also falsch, was der Herr Abgeordnete Jobst hier sagt.
Ich bitte, endlich einmal zur Kenntnis zu nehmen, daß ich nicht privat mit der Fahrbereitschaft gefahren bin, sondern zwei politische Termine wahrzunehmen hatte, genau wie Sie das auch machen.
Wir fahren in der Debatte fort. Das Wort hat nun der Abgeordnete Pauli.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die SPD-Bundestagsfraktion sieht sich nicht in der Lage, dem Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN zuzustimmen,
wonach die Fahrpreiserhöhungen im Personenverkehr zum 1. Januar 1984 bei der Deutschen Bundesbahn nicht genehmigt werden sollen. Dieser Antrag ist seit zwei Jahren überholt. Die SPD hat sich jedoch bereits bei einer ersten Debatte über diesen Antrag am 5. April 1984 sehr kritisch zu den Fahrpreiserhöhungen geäußert,
die ganz besonders im Berufsverkehr und im Schülerverkehr sehr deutlich ausgefallen sind.
Die SPD-Bundestagsfraktion steht jedoch auch zu ihrer Grundauffassung, wonach der Vorstand der Deutschen Bundesbahn die unternehmerische Verantwortung für die Aufgabenerfüllung der Deutschen Bundesbahn zu tragen hat. Dies gilt auch für die Festsetzung und Fortentwicklung der Tarife.
Zum 1. Januar 1986 — Sie haben dazu einen weiteren Antrag eingebracht — treten erneut Tarifänderungen bei der Deutschen Bundesbahn in Kraft, wozu auch Fahrpreiserhöhungen gehören. Die entsprechenden Beschlüsse des Vorstands der Deutschen Bundesbahn rufen gleichermaßen lachende wie weinende Augen hervor. Die SPD-Bundestagsfraktion erkennt große Fortschritte, wenn wir auch die Fahrpreiserhöhungen nicht gutheißen können.
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 182. Sitzung. Bonn, Freitag, den 6. Dezember 1985 13865
Pauli
Nach eigenen Schätzungen der Deutschen Bundesbahn sollen die Fahrpreiserhöhungen allein in den ersten vier Monaten des Jahres 1986 zusätzliche Einnahmen von 30 Millionen DM erbringen.
Dieser gewaltige Batzen muß hauptsächlich von denjenigen — ich sage das sehr betont — zusammengetragen werden, die ganz auf die Deutsche Bundesbahn angewiesen sind. Schüler, Rentner und andere Inhaber niedriger Einkommen, die ohnehin schon genug unter der unsozialen Sparpolitik dieser Regierung zu leiden haben, werden durch diese Fahrpreiserhöhungen erneut gebeutelt.
Wir haben allerdings ein gewisses Verständnis für die Handlungsweise der Deutschen Bundesbahn, die im Grunde genommen nicht anders kann, als sich so zu verhalten. Wir kritisieren vielmehr die Verhältnisse, die die Deutsche Bundesbahn zu ständigen Fahrpreiserhöhungen zwingt. Bahnfahren wurde in der Zeit von 1980 bis 1984 um 30 bis 40 % teurer. Nun wird noch einmal etwas draufgesattelt, was schwer zu vertreten ist.
Meine Damen und Herren, wir wissen alle, daß uns eine Entwicklung droht, wonach auch in Zukunft der Anteil des Individualverkehrs am Gesamtverkehrsaufkommen zunehmen und der Anteil des öffentlichen Verkehrs abnehmen wird.
Herr Abgeordneter Pauli, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Nein, ich möchte meine Gedanken zu Ende führen.
Diese Entwicklung ist nicht gut, und dieser Entwicklung wollen wir auch nicht tatenlos zusehen.
Die SPD-Bundestagsfraktion hat nicht zuletzt deshalb den Gesetzentwurf eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Bundesbahngesetzes eingebracht. In diesem Entwurf heißt es ausdrücklich:
Sofern der Bund die Deutsche Bundesbahn zu Leistungen verpflichtet, die von ihr nicht kostendeckend erbracht werden können, oder die Änderungen von Verkehrstarifen aus Gründen des allgemeinen Wohls verlangt, so übernimmt der Bund den vollen Ausgleich für die damit verbundenen Mindererträge, Mehraufwendungen und Investitionsausgaben.
Wir müssen erreichen, daß für jeden Bürger durch die Fahrpreisgestaltung bei der Deutschen Bundesbahn ein finanzieller Anreiz geschaffen wird, seinen Pkw zu Hause stehen zu lassen und dafür mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu fahren.
Dies geht jedoch nur, wenn der öffentliche Verkehr billiger als der Individualverkehr ist. Und hierbei müssen wir bei der Vergleichsrechnung berücksichtigen, daß unsere Gesellschaft mittlerweile schon so weit motorisiert ist, daß die fixen Kosten beim Pkw-Besitz im Denken der Verkehrsteilnehmer nicht mehr ausschlaggebend sind. Die Fahrpreise der öffentlichen Verkehrsträger wie der Deutschen Bundesbahn müssen daher langfristig mit den variablen Kosten des Individualverkehrs konkurrieren können. Insoweit gehen die Beschlüsse der Deutschen Bundesbahn zu unserem Bedauern in die falsche Richtung, und wir befürchten, daß die neuerlichen Fahrpreiserhöhungen zum 1. Januar 1986 für die Steigerung des Fahrgastaufkommens, insbesondere im Personennahverkehr, schädlich sind.
Wir wollen eine bessere Konkurrenzsituation des öffentlichen Personenverkehrs im Vergleich zum Individualverkehr aus gesamtvolkswirtschaftlichen Gründen. Hierbei stehen umweltpolitische und verkehrssicherheitssuchende Überlegungen im Vordergrund.
Die SPD-Bundestagsfraktion begrüßt den Beschluß, wonach das rosarote Angebot bis zum 30. April 1986 verlängert wird. Unseres Erachtens muß jedoch die Deutsche Bundesbahn nun vor allem im Bereich des Nahverkehrs in stärkerem Ausmaß initiativ werden.
Herr Abgeordneter, darf ich Sie noch mal unterbrechen?
Nein, ich möchte das zu Ende führen.
Gut. Dann gilt das generell für Ihre Rede.
Die Einführung verbilligter Zeiten in Verbindung mit Gruppentarifen im Nahverkehr sind ein erster Schritt hierzu. So sehr es zu begrüßen ist, daß an Samstagen, Sonntagen sowie an Feiertagen und weiterhin montags bis freitags in der Zeit von 9.00 bis 15.30 Uhr ein sehr günstiges Angebot für Familienfahrten besteht, die zu den gegebenen Zeiten angetreten werden, so sehr ist auch darauf hinzuweisen, daß in vielen Orten der Bundesrepublik eben zu diesen Zeiten nicht viele Reisen angetreten werden können, weil kein entsprechendes Verkehrsangebot der öffentlichen Verkehrsträger wie der Deutschen Bundesbahn vorhanden ist. Der öffentliche Personennahverkehr in der Fläche bedarf also noch vieler Anstrengungen, damit die Bürgerinnen und Bürger der Bundesrepublik Deutschland in allen Regionen ein angemessenes Verkehrsangebot erhalten.
13866 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 182. Sitzung. Bonn, Freitag, den 6. Dezember 1985
Pauli
Wir unterstützen die Deutsche Bundesbahn bei der beabsichtigten grundlegenden Überarbeitung des Tarifsystems für den Personenverkehr. Hier sind nach wie vor viele Ungereimtheiten vorhanden, die dringend beseitigt werden müssen. Der Einsatz elektronischer Datensysteme bei der Fahrpreisberechnung wird größere Flexibilität ermöglichen. Die Ankündigungen der Deutschen Bundesbahn zur Tarifpolitik zeigen in die richtige Richtung. Die Vereinfachung des Entfernungswerkes und die Abkehr von dem Tarif nach gefahrenen Kilometern, die Schaffung von Gruppentarifen, die Ausnützung der verkehrsschwachen Tageszeiten und der verkehrsschwachen Wochentage für verbilligte Fahrpreise sind deutliche Fortschritte.
Die SPD-Bundestagsfraktion begrüßt die Absichten des Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Bundesbahn, eine Treueprämie für Dauerkunden einzuführen. Wir heißen es gut, wenn Bundesbahnkunden, beispielsweise Berufspendler, bei Abnahme von zehn Monatskarten innerhalb eines Jahres eine weitere Monatskarte unentgeltlich erhalten können. Es sollte jedoch auch geprüft werden, ob dieser Gratifikationsgedanke nicht auch auf andere Bereiche im Nahverkehr ausgeweitet werden kann. Die sogenannte Zehnerkarte kann nach meiner Vorstellung auch im Personennahverkehr der Deutschen Bundesbahn zum Einsatz kommen.
Meine Damen und Herren, die SPD-Bundestagsfraktion bewertet die aktuellen Beschlüsse des Vorstands der Deutschen Bundesbahn zur Tarifpolitik als eine erneute Hinwendung zu einer Unternehmensführung mit größerer Selbständigkeit, Eigenverantwortung und einer Marketingorganisation, die sich verstärkt um den Kunden bemüht.
Wir wünschen allerdings auch, daß die Bundesregierung die Bundesbahn in den wirtschaftlichen Zustand versetzt, der der Bundesbahn größere Handlungsfähigkeit im Bemühen um den Kunden zukommen läßt.
Wir erwarten von der Deutschen Bundesbahn, daß nun nach den Erfolgen im Personenfernverkehr auch der Erfolg im Personennahverkehr gesucht wird.
Vielen Dank.
Herr Abgeordneter Dr. Jobst, wir bemühen uns hier darum, den Begriff „heuchlerisch" endlich aus unseren Debatten herauszubekommen. Ich möchte sagen: Dies ist ein unparlamentarischer Ausdruck.
Herr Kollege Senfft, das Wort „verlogen" wollen wir hier nun gar nicht gebrauchen. Ich wäre dankbar, wenn Sie dies in Zukunft unterließen. Dies ist unparlamentarisch.
Nun hat Herr Hoffie das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wer mehr Schienenverkehr will, wer will, daß es der Deutschen Bundesbahn bessergeht,
der muß erst einmal das Bewußtsein der Menschen ändern. Der muß nicht zuerst die Tarife ändern.
— Wenn Sie etwas zu sagen haben, dann kommen Sie hierher. Ihr Redner kommt ja anschließend.
Tatsache ist, daß selbst die Menschen, die in unseren Großstädten leben, in den Städten, die direkt an das Intercity-Netz angeschlossen sind, im Durchschnitt nur zu 8 % die Bundesbahn über jährlich maximal 35 km benutzen.
— Ich habe eine kurze Redezeit, deshalb beantworte ich jetzt keine Zwischenfragen.
Das sind die 8 %, die das Aufkommen der Bundesbahn bringen. Meine Damen und Herren, die Mehrheit unserer Bürger würde die Bundesbahn bereits praktisch sanieren, wenn sie alle ein einziges Mal im Jahr nur eine einzige Langstrecke mit der Bundesbahn fahren würden und einmal im Jahr ihr Auto stehenließen.
Jetzt kommt die Crux, Herr Senfft: Selbst die Bürger, die unmittelbar vor ihrer Haustür den Intercity-Bahnhof haben, für die es überhaupt kein Problem ist, auf die Hauptstrecken der Bahn zu kommen, sind zu diesem Beitrag, zu mehr Schienenverkehr, zu — wie Sie mit Recht sagen — mehr Umweltschutz nicht bereit.
Das zeigt, daß es zunächst nicht um die Frage einer Tarifänderung geht — denn das Autofahren ist nach wie vor mindestens doppelt so teuer wie das Bahnfahren —, sondern daß es zuallererst um einen Bewußtseinswandel gehen muß.
Es ist nach wie vor so, daß im Schienenpersonennahverkehr und im Fernverkehr die Tarife pro Kilometer in der 2. Klasse 18 Pfennig ausmachen.
Für das Auto müssen Sie heute durchschnittlich 40 bis 45 Pfennig pro Kilometer ausgeben. Das sind die Berechnungen, die der ADAC und andere aufstellen.
— Dann wird es ja noch ungünstiger; dann wäre es ja noch günstiger, mit der Bahn zu fahren. Das würde noch eher dafür sprechen, daß, wenn die Bahntarife im Vergleich zur Nutzung des eigenen Autos so günstig sind, der Bürger, der halbwegs rechnet, wenigstens einmal im Jahr eine Strecke mit der Bahn fahren sollte.
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 182. Sitzung. Bonn, Freitag, den 6. Dezember 1985 13867
Hoffie
Ich sage noch einmal: Wenn das jeder Bürger täte, nicht nur die 8 %, die im Jahr maximal 35 km mit der Bundesbahn fahren, müßten wir uns hier nicht über Defizite bei der Bahn unterhalten. Dann könnten wir andere und attraktivere Angebote eröffnen.
Es ist nicht die Frage des Umwelttickets, es ist nicht die Frage des Nulltarifs oder der billigen Preise, wie wir aus vielen Versuchen im In- und Auslands wissen, die eine große Möglichkeit bieten, die Menschen vom Auto zur Bahn zu bekommen, sondern es ist die Grundsatzeinstellung zur Frage der Mobilität, des oft falsch verstandenen Freiheitsbedürfnisses des Menschen.
Das können Sie nicht durch Ihre Erzählungen und Ihre Proklamationen ändern, sondern das können Sie nur in einem langwierigen Prozeß ändern, der etwas mit dem Bewußtsein der Menschen zu tun hat. Herr Senfft von den GRÜNEN, Sie sollten sich einmal überlegen, wie es zu den heute 80 °A° Individualverkehr gekommen ist
im Verhältnis zu den 20 % öffentlichen Verkehrs. Noch 1960, Anfang der 60er Jahre war es genau umgekehrt. Wie ist die Entwicklung gegangen? Vom Fahrrad auf das Fahrrad mit Hilfsmotor, auf das Mofa, auf das Moped, auf den Messerschmitt-Kabinenroller, auf den Lloyd Leukoplastbomber, auf den Mittelklassewagen, heute auf den gehobenen Mittelklassewagen. Das war die Entscheidung.
— Was wollen Sie? Kommen Sie doch ans Mikrophon und erzählen Sie mal, was Sie sagen wollen, statt ständig dazwischenzuquatschen.
— Schleimen Sie sich einmal richtig aus, damit man — —
Einen Augenblick! Das geht j a nun nicht. Wortmeldungen sind bei mir abzugeben, und ich erteile das Wort. Dabei bleibt es auch.
Weil Ihnen das nicht gefällt, daß es eine solche Entwicklung gegeben hat! Die hat etwas damit zu tun, daß — —
— Wenn es auf die Zeit nicht angerechnet wird, Herr Präsident.
Herr Kollege Hoffie, genau da habe ich meine Probleme. Sie wissen, wir sind alle sehr spät dran.
Dann muß ich es ablehnen.
Ich möchte also heute um Verständnis bitten, daß wir bei zehn Minuten Redezeit Zwischenfragen auf diese Zeit anrechnen müssen.
Sagen Sie das dem nachfolgenden Redner, er ist ja jetzt gleich dran, oder reden Sie doch selbst. Wenn Sie Sachverständiger als Ihr Kollege sind, dann kommen Sie hierher, dann können Sie anschließend Ihre Probleme loswerden. Sie brauchen sich doch nicht zu echauffieren über Tatsachen.
Tatsache ist, daß das Bewußtsein der Menschen, die Verfügbarkeit über die eigene Fahrzeit zu jeder Gelegenheit, über den selbstgewählten Verkehrsweg an jeden Ort dazu geführt hat, daß der Mensch von der Schiene und dem Bus zur individuellen Beförderung gelangt ist. Wenn Sie das zurückdrehen wollen, dann sage ich Ihnen, Sie können Nulltarife einführen, Sie können den Literpreis für Benzin auf 5 bis 6 Mark bringen, das würde noch nicht dazu führen, daß die Leute von heute auf morgen wieder vom Auto auf Schiene und Bus umsteigen, sondern dieselbe Entwicklung würde langsam, aber sicher zurückgehen: Die Leute würden von der gehobenen Mittelklasse wieder zurückgehen auf die kleine Mittelklasse, dann wieder herunter auf den damaligen Kleinstwagen, dann auf das Motorrad, dann auf das Moped, bevor sie sich in Schienenfahrzeuge und in Busse bequemen würden. Das ist unser Problem. Das ist ein psychologisches Problem, kein Problem der Tarife, wie Sie den Leuten immer weismachen wollen.
Ihre eigene Verhaltenweise zeigt doch, daß auch Sie lieber mobil sein wollen. Ich weiß, daß Ihre verkehrspolitischen Sprecher angeblich keine Autos haben; aber Sie lassen sich ständig — —
— Na, Sie haben weder ein Auto noch einen Führerschein, weil Sie ihn nicht mehr haben, habe ich mir sagen lassen.
Dann könnte ich auch nicht Auto fahren, wenn ich es wollte. Aber ich höre, daß auch Ihr Kollege Schulte nicht Auto fährt; nur, im Wahlkreis erzählt er, er leihe sich dann ein Auto, weil er dort mit dem öffentlichen Personennahverkehr nicht herumkommt. Da frage ich mich: Warum fahren Sie in Ihrem Wahlkreis nicht wenigstens mit dem Fahrrad — so groß ist der doch gar nicht — oder mit dem Zweirad?
13868 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 182. Sitzung. Bonn, Freitag, den 6. Dezember 1985
Hoffie
Meine Damen und Herren, noch einmal: Das Bewußtsein der Menschen, nicht die Tarife müssen sich ändern,
und dazu können Sie einen Beitrag leisten; aber Sie müssen dann vernünftige Beiträge leisten, und die bestehen eben nicht darin, daß Sie diese verkehrspolitische Welt mit Ihren Aufforderungen total auf den Kopf stellen wollen: Innerdeutscher Luftverkehr darf nicht mehr stattfinden; oder noch einmal: Automobilfabriken müssen, wie es in Ihrem Wahlprogramm steht, in Fahrradfabriken umgerüstet werden,
und noch einmal: Der Lkw-Verkehr muß abgeschafft werden; man muß ihn mit so hohen Gebühren belegen, daß solche Lkw-Fahrten nicht mehr stattfinden können. So wollen Sie die Güter auf die Bahn zwingen.
Heute sind 8 % des Personenverkehrs und 30 % des Güterverkehrs auf der Bahn. Wenn Sie dieses Verhältnis verbessern wollen, dann müssen Sie der Bundesbahn zunächst die Möglichkeiten geben und ihr bei ihren Marketing-Überlegungen, die in vollem Gange sind, freie Hand lassen; dann müssen Sie die Tarifdebatte nicht in den Bundestag ziehen,
sondern ihn dort lassen, wo Sachverständige dies besser können als Sie mit Ihrer Vorstellung, und das ist der Vorstand der Deutschen Bundesbahn; der hat dazu die entscheidenden Schritte mit den Tarifänderungen, die jetzt bevorstehen und mehr Flexibilität bringen, nach vorne getan.
— Jawohl, auch Fahrpreiserhöhungen. — Dort, wo der Markt es hergibt, muß die Bundesbahn dies in Anspruch nehmen, wenn sie wie ein Unternehmen der Wirtschaft geführt werden soll, und das wollen wir alle.
Meine Damen und Herren, die Entscheidung für mehr Bundesbahn und weniger Individualverkehr fällt nach unserer festen Überzeugung also nicht mit Ihren Anträgen auf Veränderung der Tarife, sondern mit vernünftigen und gezielten Beiträgen, das Verhältnis zwischen öffentlichem und Individualverkehr wieder auf eine bessere Ebene zu bringen, und dazu leistet die Verkehrspolitik der Bundesregierung einen entscheidenden Beitrag.
Herzlichen Dank.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Senfft.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich nehme den Begriff Verlogenheit zurück, möchte aber dann gleich sagen: Wie ernst
Herr Hoffie es mit der Wahrheit nimmt, das wird allein daran deutlich, daß ich hier meinen Führerschein habe.
— Ja, und ich bin froh darüber, daß ich ihn so gut wie überhaupt nicht gebrauche, sondern mit den öffentlichen Personennahverkehrsmitteln und mit der Bahn fahre,
soweit es geht, soweit Sie das Angebt im ländlichen Raum noch nicht abgebaut und kaputtgemacht haben.
Meine Damen und Herren, morgen vor 150 Jahren ist zum erstenmal der Adler von Nürnberg nach Fürth gefahren. Das heißt, die Bahn feiert auf den Tag genau morgen ihr 150jähriges Bestehen. Das wäre eigentlich Anlaß genug, hier sowohl der Bahn und vor allem den Beschäftigten bei der Deutschen Bundesbahn, den Eisenbahnerinnen und Eisenbahnern, zu gratulieren, daß die Bahn überhaupt noch bis heute überdauert hat, daß sie bei dieser miesen Politik der Bundesregierung überhaupt noch existiert.
Wir sollten uns auch Gedanken darüber machen, daß es insbesondere die Beschäftigten der Bahn sind, die die Beschwerden entgegennehmen müssen, weil die Tarife bei der Bundesbahn zum 1. Januar schon wieder in die Höhe getrieben werden.
Herr Pauli von der SPD, es war die sozialliberale Bundesregierung, die 1979 den Auftrag erteilt hat, die Fahrpreise im Berufsverkehr überproportional anzuheben. Das war ein Leistungsauftrag Ihrer damaligen Regierung. Vergießen Sie hier also keine Krokodilstränen. Sie haben die Preise selbst so in die Höhe getrieben.
Einige Zahlen dazu: Die Fahrpreise sind seit 1975 um 68 % gestiegen,
im Nahverkehr innerhalb von zehn Jahren um 112 %,
haben sich also mehr als verdoppelt.
Die Lebenshaltungskosten sind nur um 43 % gestiegen, und die Kosten des Pkw-Verkehrs sind auch nur um 48 % gestiegen. Das heißt, die Preise bei der Deutschen Bundesbahn sind im gleichen Zeitraum um 50 % mehr gestiegen als bei dem Konkurrenten Pkw-Verkehr. Herr Hoffie, dann brauchen Sie sich nicht zu wundern, wenn die Leute von der Schiene auf den Pkw umsteigen. Das hat nicht mit mangeldem gutem Willen zu tun; die Leute können sich das Bahnfahren einfach nicht mehr leisten. Im Nahverkehr — das können Sie nachrechnen — und im Fernverkehr ist es heute mittlerweile so, daß die DB mit ihrem Angebot nicht mehr konkurrenzfähig ist, selbst wenn Sie nur die Betriebskosten des
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 182. Sitzung. Bonn, Freitag, den 6. Dezember 1985 13869
Senfft
Pkws nehmen, wenn der Pkw mit zwei Personen besetzt ist;
denn die Betriebskosten eines Pkw betragen heute ungefähr 20 Pfennig pro Kilometer, und der Normaltarif der Bundesbahn beträgt heute schon 19,9 Pfennig, also rund 20 Pfennig pro Kilometer. Die Fahrpreise sind weit überhöht.
Meine Damen und Herren, was fordern wir? Sie haben bisher die ganze Zeit eine Politik betrieben, mit der Sie, angeblich aus Umweltschutzgründen, Anreize dafür schaffen wollten, daß die Bürger auf das sogenannte schadstoffarme Gefährt, den schadstoffarmen Pkw, umsteigen. Sie haben das Hohelied des umweltfreundlichen Autos gepredigt. Aber was haben Sie, meine Damen und Herren, denn gemacht, um den Bürgern Anreize zu schaffen, auf Busse und Bahnen umzusteigen? Überhaupt nichts! Oder soll die erneute Fahrpreiserhöhung, die zum 1. Januar erfolgt, etwa ein Anreiz sein, auf die Bahn umzusteigen? Das kann doch wohl nicht wahr sein. Die Bahn ist das umweltfreundlichste, sicherste und energiesparsamste Verkehrsmittel. Es müssen Anreize geschaffen werden, insbesondere auch über die Fahrpreise, damit die Bürger vom Pkw auf die Bahn umsteigen.
Die Senkung der Fahrpreise ist sozial, volkswirtschaftlich und ökologisch sehr sinnvoll. Ich möchte Ihnen, weil Sie immer sagen es gehe nicht, nur wenige positive Beispiele nennen, wo das funktioniert hat. Das erste ist das Umweltschutzticket in Freiburg, Herr Hoffie.
— Das will ich Ihnen sagen, was es gebracht hat. Wie erklären Sie es sich, daß dort die Zahl der Fahrgäste um 26 % gestiegen ist, nachdem die Fahrpreise um 30 % gesenkt worden sind?
Herr Hoffie, das Ganze hat sich sogar wirtschaftlich noch getragen.
Denn unter dem Strich ist da nicht, wie Sie mit Ihrer Panikmache immer behaupten, weniger Geld hereingekommen, sondern die Stadtwerke haben mit diesem Sonderangebot sogar noch mehr Geld eingenommen.
Es hat mehr Menschen vom Auto weg- und zur Bahn und zu den Bussen hingebracht. 4 000 Menschen
haben das Auto am Tag stehengelassen und sind umgestiegen, und die Stadtwerke haben, wie gesagt, unterm Strich sogar noch ein Plus gemacht.
Aber das wollen Sie nicht zur Kenntnis nehmen.
Das zweite positive Beispiel ist der Modellversuch mit der Citybahn-Karte in Köln. Hier gilt in den Schwachlastzeiten sowie samstags und sonntags durchgehend der Halbpreis-Tarif: halber Preis für alle. Heute haben Sie sonntags um 8.20 Uhr, 9.20 Uhr, 10.20 Uhr, 11.20 Uhr eine Besetzung der Züge von zum Teil 120 %, eine komplette Überbelegung, während die Züge vorher halb leer durch die Gegend gefahren sind. Das bestätigt, meine Damen und Herren, wenn der Wille da ist, einmal mehr unser Motto: besser volle Züge zu halben Preisen als leere Züge zu vollen Preisen, was Ihre Politik ist.
Da brauchen Sie sich nicht zu wundern, wenn die Deutsche Bundesbahn in die roten Zahlen kommt.
Deshalb fordern wir — wir haben das beantragt und wollen eine gründliche Beratung in den Ausschüssen darüber — die durchschnittliche Senkung der Fahrpreise um 20%; ein überproportional hoher Prozentsatz davon soll auf den Nahverkehr entfallen. Denn dort sind die Fahrpreise so ungemein gestiegen, daß man sich wirklich bei jedem einzelnen, bei jedem einzelnen Berufspendler bedanken muß, daß er es bei diesem miserablen Angebot noch auf sich nimmt, sich jeden Tag in den Zug zu setzen.
Es gibt auch eine ungeheuer große Ungleichbehandlung zwischen den Verbundräumen, in denen das ja auch funktioniert, Herr Hoffie. Sie haben z. B. bei der S-Bahn in München eine Steigerung von 120 000 Reisenden auf 600 000 Reisende. Die Zahl der Reisenden hat sich also durch die Angebote verfünffacht.
Das hat auch etwas mit den günstigen Verbundtarifen zu tun. Diese müssen auch außerhalb der Ballungsräume eingeführt werden. Daß das mit den Verbundtarifen, wenn der Wille da ist, funktioniert hat, ist doch wohl klar. Auch die Angebote beim rosaroten Jahr haben bewiesen, daß günstige Angebote dann, wenn sie vorhanden sind, auch genutzt werden. Und es ist nicht so, Herr Hoffie, daß die Bürger nicht bereit sind, umzusteigen. Eine große Zahl verantwortungsbewußter Bürger ist durchaus bereit, umzusteigen, wenn vor allen Dingen günstige Angebote vorhanden sind und wenn man es sich leisten kann.
13870 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 182. Sitzung. Bonn, Freitag, den 6. Dezember 1985
Senfft
Meine Damen und Herren von der SPD, wenn Sie hier herumjammern und sagen, auch wir bedauern die Fahrpreiserhöhung 1986, dann möchte ich Sie einmal fragen: Wie erklären Sie es dann, daß Sie diesen Antrag, die Fahrpreise nicht zu erhöhen, hier ablehnen wollen? Warum stimmen Sie dem Antrag, die Fahrpreise zu senken, nicht zu? Warum stemmen Sie sich dagegen, daß die Fahrpreise zum 1. Januar 1986 nicht erhöht werden?
Das Jubiläum bei der Deutschen Bundesbahn in diesem Jahr hat eine traurige Bilanz: Es ist im Januar dieses Jahres mit einer Fahrpreiserhöhung traurig angefangen, und es hört mit der Ankündigung der nächsten Fahrpreiserhöhung traurig auf, meine Damen und Herren. Das, was Sie in Sachen Umweltschutz, den Sie gar nicht ernst nehmen, so schwätzen, sind bloß Lippenbekenntnisse; das wird hier wieder einmal deutlich. Deshalb fordern wir, auf den Antrag, zum 1. Januar 1986 eine Fahrpreiserhöhung vorzunehmen, zu verzichten. Wir fordern eine namentliche Abstimmung, damit Sie gegenüber den Wählern erklären und vertreten müssen, warum Sie auf der einen Seite für höhere Fahrpreise bei der Bundesbahn sind, auf der anderen Seite aber den Pkw-Verkehr durch Steuererleichterungen weiter subventionieren. Das sollen Sie Ihren Wählern erklären, meine Damen und Herren.
Es wurde gesagt, das alles gehe ja gar nicht, da die Tarifpolitik allein Sache der Deutschen Bundesbahn sei. Ich zitiere jetzt einmal aus § 16 Abs. 4 des Bundesbahngesetzes. Dort heißt es wörtlich:
Der Bundesminister für Verkehr kann Änderungen von Verkehrstarifen der Deutschen Bundesbahn verlangen, wenn dies aus Gründen des allgemeinen Wohls erforderlich ist.
Es ist doch Wohl im Sinne des „allgemeinen Wohls", daß die Bürger einen Anreiz bekommen, auf die Deutsche Bundesbahn umzusteigen, meine Damen und Herren. Oder ist das etwa strittig?
Die Fahrpreise bei der Deutschen Bundesbahn sind überhöht, sie sind unökologisch, sie sind mittlerweile unsozial. Wir brauchen eine Senkung. Auf der anderen Seite brauchen wir eine Erhöhung der Mineralölsteuer, damit hier ein Ausgleich geschaffen wird.
Ich möchte Ihnen jetzt einmal vorrechnen, wie das zu finanzieren ist, meine Damen und Herren.
Wenn die Fahrpreise um durchschnittlich 20 % gesenkt würden, dann würde das bedeuten, daß der Bundesbahn, wenn kein Reisender — was unrealistisch ist — zusätzlich durch dieses Angebot zu gewinnen wäre, 1,2 Milliarden DM verlorengehen. Meine Damen und Herren, durch eine Mineralölsteuererhöhung um nur 2 Pfennige pro Liter könnten Sie zwischen 600 Millionen DM und 800 Millionen DM einnehmen. Das heißt: Wenn Sie die Mineralölsteuer um 2 Pfennig pro Liter erhöhen würden, dann könnten Sie eine Senkung der Fahrpreise bei der Deutschen Bundesbahn um 20 % finanzieren. Allein, es mangelt an Ihrer Bereitschaft.
Ich möchte hier aber trotzdem an alle eindringlich appellieren: Lassen Sie die Fahrgäste der Deutschen Bundesbahn aus sozialen und ökologischen Gründen nicht im Stich, und stimmen Sie unserem Antrag zu, damit endlich, nämlich ab 1. Januar 1986, Schluß ist mit der ewigen Politik der Fahrpreiserhöhungen bei der Deutschen Bundesbahn!
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Damit das klar ist: Mir liegt bisher kein Antrag auf namentliche Abstimmung vor, und es würde mich auch wundern, eine Minute vor Schluß einer Debatte davon zu erfahren.
Wir kommen zur Abstimmung über Tagesordnungspunkt 27, und zwar zuerst über den Änderungsantrag des Abgeordneten Senfft und der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/4445. Wer dem Änderungsantrag auf Drucksache 10/4445 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Der Änderungsantrag ist mit Mehrheit abgelehnt.
Wir stimmen jetzt über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Verkehr ab. Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 10/3441, den Antrag des Abgeordneten Drabiniok und der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/612 abzulehnen. Wer dieser Beschlußempfehlung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Die Beschlußempfehlung des Ausschusses ist mit Mehrheit angenommen.
Zum Zusatztagesordnungspunkt 7 wird interfraktionell vorgeschlagen, den Antrag auf Drucksache 10/4417 an den Ausschuß für Verkehr — zur federführenden Beratung —, an den Finanzausschuß, den Haushaltsausschuß sowie den Innenausschuß — zur Mitberatung — zu überweisen. Gibt es anderweitige Vorschläge? — Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe die Zusatzpunkte 8 a bis 8 e der Tagesordnung auf:
a) Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Siebten Gesetzes zur Änderung des Arbeitsförderungsgesetzes
— Drucksachen 10/3923, 10/4211 —
aa) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung
— Drucksachen 10/4451, 10/4483 —
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 182. Sitzung. Bonn, Freitag, den 6. Dezember 1985 13871
Vizepräsident Westphal
Berichterstatter:
Abgeordnete Seehofer
Lutz
Frau Dr. Adam-Schwaetzer Tischer
bb) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung
— Drucksache 10/4478 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Sieler Roth
Frau Seiler-Albring Dr. Müller
b) Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Förderung der Eingliederung Arbeitsloser in das Arbeitsleben und zur Wiederherstellung eines ausreichenden Schutzes bei Arbeitslosigkeit
— Drucksache 10/4016 —
aa) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung
— Drucksachen 10/4451, 10/4483 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Seehofer
Lutz
Frau Dr. Adam-Schwaetzer Tischer
bb) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung
— Drucksache 10/4475 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Roth Frau Seiler-Albring
Dr. Müller
Sieler
c) Zweite und dritte Beratung des von dem Abgeordneten Dr. Jannsen und der Fraktion DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Arbeitsförderungsgesetzes
— Drucksache 10/2776 —
aa) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung
— Drucksachen 10/4451, 10/4483 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Seehofer
Lutz
Frau Dr. Adam-Schwaetzer Tischer
bb) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung
— Drucksache 10/4476 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Sieler Roth
Frau Seiler-Albring Dr. Müller
d) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Vogelsang, Lutz, Kuhlwein, Dr. Vogel und der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Absicherung des Anspruchs auf Arbeitslosenhilfe für „einstufig" ausgebildete Lehrer und Juristen
— Drucksache 10/3019 —
aa) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung
— Drucksachen 10/4451, 10/4483 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Seehofer
Lutz
Frau Dr. Adam-Schwaetzer Tischer
bb) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung
— Drucksache 10/4477 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Roth Frau Seiler-Albring
Dr. Müller
Sieler
e) Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Gleichstellung der Absolventen der einstufen Juristen- und einphasigen Lehrerausbildung im Arbeitsförderungsgesetz
— Drucksache 10/4145 —
aa) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung
— Drucksachen 10/4451, 10/4483 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Seehofer
Lutz
Frau Dr. Adam-Schwaetzer Tischer
13872 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 182. Sitzung. Bonn, Freitag, den 6. Dezember 1985
Vizepräsident Westphal
bb) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung
— Drucksache 10/4479 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Sieler Roth
Frau Seiler-Albring Dr. Müller
Zu Zusatztagesordnungspunkt 8 a liegen auf den Drucksachen 10/4452 bis 10/4461 Änderungsanträge der Fraktion der SPD vor.
Meine Damen und Herren, nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind eine gemeinsame Beratung der Zusatztagesordnungspunkte 8 a bis 8 e und eine Aussprache von 90 Minuten vorgesehen.
— Ich sehe dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht?
— Das ist nicht der Fall. Dann eröffne ich die allgemeine Aussprache.
Das Wort hat der Abgeordnete Seehofer.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die SPD hat sich 1982 mit einem gigantischen Defizit aus der Regierung verabschiedet. Damals klaffte im Haushalt der Bundesanstalt für Arbeit ein Loch von 14 Milliarden DM. Zwischenzeitlich hat sich auch hier das Blatt grundsätzlich gewendet.
Wir verfügen heute über Überschüsse in Höhe von 2,8 Milliarden DM, die zur Verteilung anstehen.
— Herr Kollege, es ist ein Erfolg dieser Regierung, daß wir die Arbeitslosenversicherung in relativ kurzer Zeit wieder von den roten in die schwarzen Zahlen geführt haben.
Dieses Beispiel macht auch die fundamentalen Unterschiede zwischen der Koalition und der Opposition deutlich.
Unsere Stabilitätspolitik führt dazu, daß wir wieder finanzielle Handlungsspielräume haben. Diese finanziellen Handlungsspielräume können wir zugunsten der sozial Schwachen einsetzen.
Ihre Inflationspolitik hat dazu geführt, daß die Staatsfinanzen zerrüttet waren. Damit haben Sie gerade den kleinen Leuten geschadet.
Natürlich mußten wir, Frau Kollegin Fuchs, zunächst einen harten Weg der Sparpolitik gehen.
Aber zu dieser Sparpolitik haben Sie uns durch die Sünden in den 70er Jahren gezwungen. Deshalb haben Sie heute nicht das Recht, sich als Anwalt der Arbeitslosen aufzuspielen.
Heute sind wir in der glücklichen Lage, die Früchte unserer Sparpolitik zu ernten. Dieser Stabilitätserfolg kommt jetzt denen zugute, die in der Vergangenheit solidarisch ihren Beitrag zur Sanierung der öffentlichen Finanzen geleistet haben.
Wir setzen die Überschüsse der Bundesanstalt für Arbeit ausschließlich zugunsten der Arbeitslosen ein.
Wir verbessern ihre soziale Lage dadurch, daß wir die Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes verlängern. Wir erhöhen die Chancen der Arbeitslosen auf einen solchen Arbeitsplatz dadurch, daß wir eine Qualifizierungsoffensive starten. Verlängerung der Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes und Qualifizierungsoffensive sind nicht sozialer Abbau — wie das draußen so gerne behauptet wird —, sondern das ist sozialer Fortschritt.
An erster Stelle unserer Maßnahmen steht die Verlängerung der Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes. Hier muß man auch einmal darauf hinweisen, daß diese Regierung zum zweiten Mal innerhalb eines Jahres die Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes verlängert. Das macht auch deutlich, daß diese Koalition ihre soziale Verantwortung gegenüber den Arbeitslosen wirklich ernst nimmt. Vom 1. Januar 1986 an wird sich die Höchstdauer der Zahlung des Arbeitslosengeldes für Arbeitslose ab 45 Jahre von jetzt 12 auf 16 Monate verlängern, für Arbeitslose ab 50 Jahren auf 20 Monate und für Arbeitslose über 55 Jahre auf 24 Monate. Das heißt, die Höchstdauer der Zahlung des Arbeitslosengeldes von heute einem Jahr wird für ältere Arbeitnehmer auf zwei Jahre verdoppelt. Auch das ist sozialer Fortschritt.
Ich halte diese Verlängerung der Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes einmal für notwendig, weil wir aus der Erfahrung wissen, daß mit zunehmendem Lebensalter auch die durchschnittliche Dauer der Arbeitslosigkeit steigt. Die Dauer der Arbeitslosigkeit bei über 50jährigen hat im Herbst 1984 etwa 15 Monate betragen. Wenn Sie das mit der durchschnittlichen Dauer der Arbeitslosigkeit der unter 20jährigen vergleichen, stellen Sie fest, daß das um das Dreifache höher liegt. Bei den unter 20jährigen beträgt die durchschnittliche Dauer der Arbeitslosigkeit etwa 5 Monate. Deshalb ist es sozialpolitisch
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 182. Sitzung. Bonn, Freitag, den 6. Dezember 1985 13873
Seehofer
notwendig, daß wir gezielt für die älteren Arbeitnehmer die Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes verlängern.
Ich meine, diese Maßnahme ist sozialpolitisch auch gerecht; denn nach meiner Überzeugung ist es durchaus gerechtfertigt, daß derjenige, der länger in eine Solidargemeinschaft eingezahlt hat, im Versicherungsfall auch länger Leistungen erhalten kann. Das ist der dritte Punkt, bei dem ich feststellen möchte: Das ist echter sozialpolitischer Fortschritt.
Ein zweiter Schwerpunkt, Herr Kollege Reimann, betrifft die Verbesserungen der Arbeitslosenhilfe. Ich spreche Sie an, weil Sie während Ihrer Regierungszeit sehr lange Zeit hatten, die Freibeträge im Zusammenhang mit der Arbeitslosenhilfe zu erhöhen. Wir haben heute die Situation, daß sich ein Arbeitsloser bei der Arbeitslosenhilfe, die unter bestimmten Voraussetzungen nach der Zahlung des Arbeitslosengeldes einsetzt, das Einkommen seines Ehegatten anrechnen lassen muß, wenn dieses Einkommen einen bestimmten Freibetrag überschreitet. Diese Freibeträge bei der Arbeitslosenhilfe wurden seit 1969 nicht erhöht.
Sie wurden nicht verändert, und das, Herr Kollege Lutz, ist der Sozialabbau auf leisen Sohlen, der Sozialabbau in der Zeit der SPD-geführten Bundesregierungen, den Sie zu verantworten haben.
Es ist Sozialabbau gewesen, 13 Jahre lang die Freibeträge in der Arbeitslosenhilfe, bei den wirklich sozial Schwachen, nicht zu verändern. Wir machen damit Schluß und erhöhen die Freibeträge ab Januar 1986.
Eine dritte Säule dieses Gesetzes ist — und das, Frau Kollegin Steinhauer, ist echte Beschäftigungspolitik — die bessere Qualifizierung unserer Arbeitslosen. Wir leben mit dem Problem, daß jeder zweite Arbeitslose keine abgeschlossene Berufsausbildung hat, und wir wissen aus der Erfahrung, daß eine bessere berufliche Bildung die Chancen, einen Arbeitsplatz zu bekommen, erhöht. Wir wissen auch, daß dieses Problem auf Grund des technischen Fortschritts immer drängender wird.
Eine einmal genossene Ausbildung wird in der Zukunft nicht mehr für das ganze Leben reichen. Berufliche Ausbildung wird zunehmend ein lebenslanger Prozeß. Deshalb setzen wir aus den Überschüssen der Bundesanstalt für Arbeit zusätzlich 900 Millionen DM für eine bessere berufliche Bildung der
Arbeitslosen ein. Damit haben wir seit 1982 die Mittel für Maßnahmen der beruflichen Bildung, Fortbildung und Umschulung um sage und schreibe 40 % auf 10 Milliarden DM erhöht. Ich möchte hier feststellen: Niemals zuvor wurde eine aktivere Arbeitsmarktpolitik betrieben als unter dieser Regierung.
Aus der Vielzahl dieser Einzelmaßnahmen der beruflichen Bildung möchte ich nur einen Punkt herausgreifen, der mir besonders bemerkenswert zu sein scheint. Es ist ein Punkt, den wir im Ausschuß nachträglich eingeführt haben: die Erleichterung des Zugangs zur beruflichen Bildung für diejenigen, die sich jahrelang der Kindererziehung gewidmet haben und aus bestimmten Gründen, z. B. durch den Tod des Ehegatten, gezwungen sind, ihren Lebensunterhalt wieder durch Berufstätigkeit zu sichern.
Wir verbessern mit dieser Maßnahme ganz entscheidend die Möglichkeiten für den Wiedereintritt von Frauen ins Berufsleben. Das ist ein vierter wesentlicher Punkt, bei dem man mit Fug und Recht davon sprechen kann: Auch dies ist sozialer Fortschritt, insbesondere für die Frauen.
Besonders in die Diskussion geraten ist die Senkung des Beitragssatzes der Arbeitslosenversicherung um 0,1 %.
Ich verhehle nicht, daß wir von der CSU gern eine stärkere Beitragssenkung gehabt hätten,
weil wir glauben, daß auch die Senkung eines Sozialversicherungsbeitrages ein wesentlicher Beitrag zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit ist. Eine solche Senkung hilft den Arbeitslosen, weil sie die Lohnnebenkosten senkt und damit die Spielräume für arbeitsplatzschaffende Investitionen erweitert.
Man darf nicht immer nur diese 0,1 % isoliert für sich sehen,
und man kann auch nicht sagen, dies sei nur eine Entlastung der Wirtschaft. Schließlich wird der Beitrag zur Arbeitslosenversicherung zur Hälfte von den Arbeitnehmern aufgebracht. Mein Kollege Kolb wird auf dieses Thema noch näher eingehen.
Wenn Sie im Blick auf dieses Beispiel rügen wollen, das Gesetz sei sozial nicht ausgewogen, darf ich Sie darauf hinweisen, daß von den insgesamt 2,8 Milliarden DM, die wir durch dieses Gesetz jetzt jährlich verteilen, 90% ausschließlich den Arbeit-
13874 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 182. Sitzung. Bonn, Freitag, den 6. Dezember 1985
Seehofer
nehmern zukommen. Deshalb bewirkt dieses Gesetz keine Umverteilung von unten nach oben, sondern ist eine echte Hilfe für die sozial Schwachen in unserem Lande; denen kommen 90 % der Mittel zugute.
Das ist — dies rundet das Bild ab — zum fünftenmal ein sozialer Fortschritt unter dieser Regierung.
Meine Damen und Herren von der Sozialdemokratie, wir kennen ja das Spiel: Immer dann, wenn es um das Geld anderer geht, sind Sie in der Verteilung recht großzügig.
Sie folgen zwar in wesentlichen Punkten unserem Gesetzentwurf aber fordern zusätzlich die Rücknahme aller Sparmaßnahmen, jedenfalls der wesentlichsten Sparmaßnahmen in der Arbeitslosenversicherung. Dies heißt im Klartext: Rücknahme der Sparmaßnahmen und zusätzlich noch weitere Leistungsverbesserungen.
Nun habe ich durchaus Verständnis dafür, daß eine Opposition mehr fordert als eine Regierung. Aber dieser Vorschlag, diese Alternative ist so abenteuerlich, ist so weit weg von der Realität, daß man sie wirklich nicht mehr ernst nehmen kann. Ich würde Ihnen empfehlen, daß Sie sich mal mit Ihrem Kanzlerkandidaten rückkoppeln. Mir liegt da eine Pressemitteilung aus der „Abendzeitung" vom 4. Dezember 1985 mit der Überschrift vor: „Was tut Johannes uns nur an! Als Kanzlerkandidat der SPD läßt Rau kaum ein Fettnäpfchen aus." Unter der Unterüberschrift „Sündenfall Nr. eins" wird angeführt: „Raus forsche Ankündigung, bei einem SPD-Wahlsieg alle Kürzungen in der Sozialpolitik zurückzunehmen. Da hatte er den Mund zu vollgenommen ... Das ist unbezahlbar." Deshalb hat er einen Rückzieher gemacht. Und diese Aussage „Das ist unbezahlbar" stammt aus Ihren Reihen.
Sie wollen jetzt nicht nur die Rücknahme der Sparmaßnahmen. Sie satteln noch drauf und wollen auch noch weitere Leistungsverbesserungen. Da dürfen Sie uns wirklich nicht böse sein, wenn wir hier sagen, das ist das bewährte SPD-Strickmuster: vor der Wahl wird alles versprochen, und nach der Wahl wird nichts getan.
Herr Abgeordneter, ich muß Sie darauf aufmerksam machen, daß Ihre Redezeit abgelaufen ist.
Ich komme zum Schluß, Herr Präsident.
Sie können uns durch diese Schaufensteraktion, durch diese Scheinalternative, mit der Sie nur sicherstellen wollen, daß Sie unserem Gesetzentwurf nicht zustimmen müssen, nicht von unserem klaren
Kurs abbringen. Wir denken mit der Verlängerung des Arbeitslosengeldes und mit der Qualifizierungsoffensive an jene, die vor der Tür stehen und keine Arbeit haben. Wir setzen damit ein weiteres deutliches Signal der Solidarität mit den Arbeitslosen und führen unsere Politik konsequent fort, die nicht nur irgendwo theoretisch, nebulös ist, sondern den Menschen draußen praktisch hilft.
Das Wort hat der Abgeordnete Lutz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich denke, wir wollen über das Arbeitsförderungsgesetz und die 7. Novelle sprechen und nicht über hier nicht anwesende Personen kalauern. Aber es kann wohl mit Ihrem Gesetzeswerk so gewaltig nicht bestückt sein, wenn Sie solche Nebenkriegsschauplätze suchen, die übrigens Ihrem Niveau nicht angemessen sind.
Das Arbeitsförderungsgesetz, eines der wichtigsten Gesetze der Großen Koalition, wird heute zum siebten Mal novelliert. Es dürfte reizvoll sein, an Hand der verschiedenen Änderungsschritte die wechselhafte Geschichte des AFG nachzuzeichnen. Aber dazu reicht an diesem Freitag die Zeit einfach nicht.
Eine Ahnung beschleicht mich jedoch. Nachdem Sie in edler Selbstbescheidenheit sich selbst als die erfolgreichste Regierung Europas bezeichnen, nachdem Sie Ihre Steuerreform als Jahrhundertwerk rühmen, werden Sie j a wohl auch bei der Präsentation Ihrer Novelle zum Arbeitsförderungsgesetz die Posaunen des eitlen Selbstlobes anstimmen. Der Herr Seehofer hat j a schon begonnen, der Herr Arbeitsminister wird dann den kräftigen Tusch reinhauen lassen.
Natürlich ist auch in dieser Vorlage manches gut. Wer streitet denn das ab? — Herr Kolb, Sie müssen nicht immer Ihren Worten nachhören und dann denken, sondern erst nachdenken und dann reden.
In einer Reihe von Fragen hätten wir uns einen beherzteren Schritt nach vorn gewünscht. Aber immerhin, ich stehe nicht an, zuzugeben, in einer Reihe von Fragen stimmt die Richtung.
Die Einführung eines Teilunterhaltsgeldes bei Besuch einer Teilbildungsmaßnahme ist in Ordnung, die wenn auch geringe Verbesserung beim Unterhaltsgeld und die Übernahme der Kosten für Fahrten, Lernmittel und Arbeitskleidung ebenso. Die Verbesserung des Übergangsgeldes für Rehabilitanden und die Verbesserung der Zugangsvoraussetzungen kann man ebensowenig kritisieren wie die Tatsache, daß künftig auch über 50jährige in Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen für ältere Arbeitnehmer beschäftigt werden können. Wir begrüßen die Tatsache, daß die Eingliederungsbeihilfe für schwer vermittelbare Arbeitnehmer auf zwei Jahre gewährt werden kann. Und wir werden dem längeren Bezug von Arbeitslosengeld für Langversicher-
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 182. Sitzung. Bonn, Freitag, den 6. Dezember 1985 13875
Lutz
te, die über 44 Jahre alt sind, unsere Zustimmung letztendlich auch nicht versagen.
— Herr Kolb!
Und schließlich wäre für sich allein gesehen auch der Schritt, über 55jährigen überflüssige Wege zum Arbeitsamt zu ersparen, so wenig zu tadeln wie die Erhöhung der Freibeträge bei der Anrechnung von Ehegatteneinkommen auf die Arbeitslosenhilfe. Da hätte man noch einen Schritt weitergehen können, aber immerhin, es ist ein Schritt oder ein richtiger Teilschritt. Und wir erkennen das an.
Wir haben uns allen diesen Vorschlägen, die nicht selten wortgleich den Vorschlägen in unserem eigenen Gesetzentwurf entsprachen, nicht verweigert. Wir haben auch da noch zugestimmt, wo unsere eigenen Vorstellungen weitreichender und schlüssiger waren. Und wir haben uns dabei von dem Gedanken leiten lassen, daß eine minimale Verbesserung für die Betroffenen immer noch besser ist, als gar nichts zu tun.
Ich will auch nicht dagegen polemisieren, wenn Sie jetzt wieder Ihr Gefieder spreizen und sich Ihrer angeblichen Wohltaten berühmen. Nur, Sie haben keine einzige Wohltat über das Heer der Arbeitslosen ausgeschüttet. Keine einzige Steuermark geben Sie für die Arbeitsmarktpolitik mehr aus, ganz im Gegenteil.
Gut über eine halbe Milliarde DM mehr wird der Bund künftig einsparen, wegen der Verlängerung beim Bezug von Arbeitslosengeld.
Ich bin ganz sicher, daß die weit über 500 Millionen DM von Ihnen in kein einziges arbeitsmarktpolitisches Projekt investiert werden. Der Dogmatismus Ihres Koalitionspartners und die Interessenlage des Finanzministers werden schon dafür sorgen, daß die Sozialpolitiker unter Ihnen keine einzige müde Mark davon zu sehen bekommen werden.
Viele Bundesbürger werden sich erstaunt fragen: Mit was werden denn eigentlich die heute zu beschließenden Leistungsverbesserungen finanziert? Sie übersehen in der Eile, daß Sie die Arbeitslosenversicherung — das war ein ganz wichtiger Schritt — um 5 Milliarden DM Rentenversicherungsbeiträge entlastet und damit die Rentenversicherung ins Schleudern gebracht haben.
Die Antwort auf die erste Frage lautet: Sie haben ins Leistungsrecht hineingeschnitten und jetzt mittlerweile bei der Bundesanstalt 5 Milliarden DM angesammelt.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Seehofer?
Aber bitte, Herr Seehofer.
Die Zeit wird heute nicht abgezogen.
Herr Kollege Lutz, wären Sie so liebenswürdig, die Frage zu beantworten, wie Sie die Arbeitslosenversicherung angesichts eines Defizits von 14 Milliarden DM nach 1982 weiter finanziert hätten?
Ich kann Ihnen das ganz offen sagen — wir haben das auch offen gesagt —: Das Risiko Arbeitslosigkeit muß da abgedeckt werden, wo es anfällt: bei der Arbeitslosenversicherung. Das Risiko Alter muß da abgedeckt werden, wo es anfällt: in der Rentenversicherung. Das Risiko Krankheit muß da abgedeckt werden, wo es anfällt: bei der gesetzlichen Krankenversicherung. Sie haben doch diese unmögliche Politik der Verschiebebahnhöfe gemacht.
Und Schiller — das ist zwar kein bayerischer Dichter, Herr Seehofer — hat gesagt:
Das eben ist der Fluch der bösen Tat, daß sie, fortzeugend, immer Böses muß gebären.
Eine zweite Frage schließt sich zwangsläufig an: Wieso konnten eigentlich seit Bestehen der Massenarbeitslosigkeit in der Bundesrepublik sogenannte Überschüsse bei der Bundesanstalt für Arbeit erwirtschaftet werden? Die Antwort ist einfach und beschämend zugleich. Diese Regierung hat brutal in das Leistungsrecht der Bundesanstalt hineingeschnitten, hat das Arbeitslosengeld, hat die Arbeitslosenhilfe, hat das Unterhaltsgeld unter die Sätze von 1982 gesenkt —
und das bei steigenden Preisen —, und sie hat viele Arbeitslose aus dem Leistungsbezug ausgeschlossen und diese Personengruppe der Sozialhilfe ausgeliefert. Man hat, meine Damen und Herren, genau genommen des Schlechten zuviel getan. Und es wäre eigentlich nur recht und billig, das den Arbeitslosen abgeknöpfte Geld auch an diese wieder zurückzugeben.
Dies allerdings, meine Damen und Herren, geschieht nur halbherzig. Sie gehen mit den Überschüssen auf eine sehr merkwürdige Weise um. Aber davon wird noch zu reden sein.
Sie verweigern Ihre Zustimmung unserem Vorschlag, zuallererst die Höhe des Arbeitslosengeldes und der Arbeitslosenhilfe wieder auf den Stand zu bringen, wie er zu unserer Regierungszeit selbstverständlich war, und das bei heutigen Durchschnittssätzen beim Arbeitslosengeld von 940 DM
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Lutz
im Monat und bei der Arbeitslosenhilfe von 788 DM.
Meine Damen und Herren, man muß sich mit seinem eigenen Einkommen schon sehr weit von der finanziellen Ebene eines Arbeitslosenhaushalts entfernt haben, wenn man die Notwendigkeit nicht sieht, hier Korrekturen vorzunehmen.
Schlimmer noch, meine Damen und Herren: Sie verwenden einen Teil der Überschüsse, die Sie sich aus den Taschen der Arbeitslosen geholt haben, um die Beiträge der Beschäftigten und ihrer Arbeitgeber jeweils um 0,05 Prozentpunkte zu senken.
Das ist unsinnig, das ist unsolidarisch, und das läßt sich eigentlich nur durch die ideologische Borniertheit des kleineren Partners in der Koalition erklären.
1986 wird auf diese Weise ein Durchschnittsarbeitnehmer eine Ersparnis von monatlich 1,68 DM bejubeln können. Im gleichen Jahr aber werden seine Beiträge zur Krankenversicherung steigen,
und zwar um das Vierfache, um 6,72 DM im Monat. Was soll da das Spektakel?
Das müßte eigentlich auch dieser Regierung unwürdig sein. Wie kann sie es vor sich selber verantworten, daß sie — um mit Herrn Blüm zu reden — die Arbeitslosen zur Kasse bittet und den Arbeitbesitzenden das eingenommene Geld in die Tasche steckt?
Wir werden Ihnen eine letzte Chance geben, diesen Irrweg zu korrigieren. Ursprünglich wollten wir das in namentlicher Abstimmung machen. Aber aus zeitökonomischen Gründen wird diese eine namentliche Abstimmung zurückgezogen. Wir passen schon auf, wie Sie abstimmen. Freuen Sie sich nicht zu früh.
— Das können Sie sehen.
Ein anderes Beispiel. Wir haben uns vehement gegen den Vorschlag gewandt, das Geld der Arbeitslosen dazu zu verwenden, die Existenzgründung kleiner Unternehmen von Arbeitslosen zu erleichtern. Nichts gegen eine Förderung von Existenzgründungen — aber das gehört nicht in den Haushalt der Bundesanstalt, das ist eine originäre Aufgabe des Wirtschaftsministers.
Dann muß sie auch von der Gesamtheit aller Steuerzahler getragen werden. Es kann nicht angehen, daß man deutschen Großkonzernen Milliardengeschenke in den Rachen wirft
und die Existenzförderung von Kleinunternehmen zur Aufgabe der Arbeitslosen erklärt.
Warum handeln Sie immer nach dem kurzsichtigen Motto: Hier liegt eine Milliarde; laßt sie uns flugs verteilen.
Es schert Sie einen Deiwel, wie sie entstanden ist und für welche Zwecke sie angehäuft wurde.
Noch eine verdeckte Unternehmersubvention finanzieren Sie aus dem Geldbeutel der Arbeitslosen. Die Bundesanstalt für Arbeit soll künftig den Unternehmen auch bei befristeten Arbeitsverträgen Eingliederungsbeihilfen bei schwer vermittelbaren Arbeitslosen zahlen. Es wäre einfacher und weniger verwaltungsaufwendig, wenn Sie dieses Geld den Unternehmen direkt auf die Konten überweisen würden. Denn Sie schaffen damit keinen einzigen zusätzlichen Arbeitsplatz. Das ist nur eine verdeckte Subvention.
Ich fürchte, leichtsinniger ist man mit dem Geld der Arbeitslosen bisher noch kaum umgegangen.
Auch an anderer Stelle erweckt Ihr Gesetzentwurf Unbehagen. Beim Unterhaltsgeld, beim Übergangsgeld, beim Kurzarbeitergeld und bei der Arbeitslosenhilfe bauen Sie sogenannte Kinderkomponenten ein.
Das heißt, Sie differenzieren die Leistungen zwischen Beziehern, die Kinder haben, und solchen, die keine aufweisen können.
Sie übersehen dabei in der Eile, daß die Bundesanstalt für Arbeit vor den Risiken des Arbeitsmarktes schützen soll. Wenn Sie den kinderreichen Familien, auch den kinderreichen Arbeitslosenfamilien, helfen wollen, dann tun Sie das bitte über den Familienlastenausgleich. Da gehört das hin.
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Bei all solchen Finanztricks, immer wieder durch Leistungskürzungen bei den Arbeitslosen finanziert — man kann das nicht oft genug sagen —, fällt einem gar nicht so auf, daß Sie auch eine handfeste statistische Schwindelei in Ihrem Gesetzentwurf verborgen haben. Es geht darum, daß Sie dem über 58jährigen Leistungsbezieher nicht nur erlauben wollen, daß er sich nicht mehr beim Arbeitsamt melden muß — dagegen wäre bei der gegenwärtigen Arbeitsmarktlage nichts einzuwenden; auch nichts gegen Ihren Vorschlag, diesen Personenkreis aus der Pflicht zu entlassen, jede zumutbare Arbeit annehmen zu müssen; noch nicht einmal ein Grundeinwand, daß die über 58jährigen mit sanftem Druck veranlaßt werden sollen, in den Vorruhestand zu treten. Wir haben aber alles gegen den durchsichtigen Versuch, mit diesem Schritt die Arbeitslosenstatistik zu verschönern.
Wir haben Ihnen dies vorgeworfen, und Sie haben drei heilige Meineide geschworen, daß Sie nicht im Traume an statistische Manipulationen dächten.
— Fragen Sie einmal den Herrn Zimmermann, der kann Ihnen das sagen!
Daraufhin wollten wir durch die Einführung einer Nr. 01 in Art. 1 letzte Zweifel ausräumen. Sie haben abgelehnt. Dann haben wir den Vorschlag unterbreitet, diese Personengruppe statistisch gesondert auszuweisen, und wieder haben Sie abgelehnt. Wir geben Ihnen erneut die Chance, Ehrlichkeit zurückzugewinnen. In diesem Fall hatte ich einen kleinen Fehler gemacht. Über den Antrag auf Drucksache 10/4461 wollen wir nicht namentlich abstimmen lassen. Beim anderen Antrag über die Leistungskürzungen beantragen wir dagegen namentliche Abstimmung.
Es war, meine Damen und Herren, während der Beratungen übrigens ein deprimierendes Ergebnis, wie Sie immer wieder trotzig in der Wagenburg Ihrer Vorurteile verharrten. Wir sind Dutzende und aber Dutzende Male auf Sie zugegangen. Sie haben sich kein einziges Mal bewegt.
Wir haben Ihnen die völlige Rücknahme der Leistungskürzungen beim Arbeitslosengeld, bei der Arbeitslosenhilfe, beim Kurzarbeiter- und beim Schlechtwettergeld vorgeschlagen — abgelehnt! Wir wollten die Wiederherstellung der Anspruchsdauer beim Arbeitslosengeld im Verhältnis 2 : 1 erreichen — abgelehnt! Wir wollten die Berücksichtigung der Einmalzahlungen, für die ja Beiträge bezahlt werden, bei der Leistungsbemessung — abgelehnt! Wir plädierten für die Nichtberücksichtigung von Verwandteneinkommen bei der Arbeitslosenhilfe — abgelehnt! Wir wollten einen Anspruch auf Arbeitslosenhilfe auch für einphasig ausgebildete Sozialarbeiter und Sozialpädagogen und für Jugendliche, die eine schulische Berufsausbildung absolviert haben — abgelehnt! Wir wollten arbeitsbeschaffende Maßnahmen auch den Nichtleistungsempfängern öffnen — abgelehnt! Wir wollten die Einstellung Arbeitsloser in neugegründeten kleinen Unternehmen und in Beschäftigungsinitiativen nachhaltig fördern — abgelehnt! Wir wollten die Verdoppelung und Dynamisierung der Freibeträge bei der Arbeitslosenhilfe erreichen — abgelehnt! Wir wollten den absoluten Ausschluß der Abstufung bei der Arbeitslosenhilfe durchsetzen — abgelehnt! Wir haben Sie ernsthaft beschworen, auf die beabsichtigte, lächerliche Beitragssenkung zu verzichten, und wieder ernteten wir ein schroffes Nein.
Ihre Arroganz, Ihre Selbstüberschätzung und Ihre Kumpanei mit Ihrem kleinen Koalitionspartner macht Sie blind für die Notwendigkeiten einer vernünftigen, einer behutsamen Politik des Augenmaßes, einer solidarischen Politik. Das läßt Sie die Probleme nicht mehr spüren und vergrößert so das Übel enorm, unter dem die Menschen leiden, die das bittere Los der Beschäftigungslosigkeit zu tragen haben. Sie sind kalt, Sie sind unbarmherzig, und Sie nennen sich da auch noch christlich.
— Das zeigt Ihren ganzen Zynismus.
— Aber das richtet Sie selbst. Ich hoffe, es wird von den Stenographen mitgeschrieben.
So begrüßenswert manche Verbesserung ist, die heute zur Beschlußfassung ansteht: Wir dürfen nie vergessen, daß wir mit arbeitsmarktpolitischen Mitteln und Leistungen allein das große Weltübel Arbeitslosigkeit nicht werden beherrschen können.
Das arbeitsmarktpolitische Instrumentarium kann nur die Position des einzelnen stärken, kann individuelle Hilfen und Leistungen anbieten; Arbeitsplätze im nennenswerten Umfang wird es nicht schaffen können.
An die Seite der Arbeitsmarktpolitik muß eine aktive Beschäftigungspolitik treten.
Dazu sind alle aufgefordert: der Staat, die Unternehmen und die Gewerkschaften. Untersuchen, was ist, prüfen, wie man einen Markt in Bewegung bringen kann, der von Jahr zu Jahr mehr erstarrt, das ist das Gebot der Stunde.
Das Heer der Beschäftigungslosen hat einen Anspruch nicht nur auf unser kreatives Mitgefühl, es hat einen Anspruch auf Würde und einen Anspruch
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Lutz
auf Hoffnung. Wir, die wir auf der Sonnenseite des Lebens stehen, haben die verdammte Pflicht und Schuldigkeit, diese Ansprüche einzulösen.
Wer hier helfen will, darf nicht mit ideologischen Scheuklappen durch die Gegend rennen, der muß endlich einmal zur Kenntnis nehmen, daß es unendlich vieler Einzelschritte bedarf, um von dem Riesensockel an Arbeitslosigkeit herunterzukommen.
Vergessen wir nie, Herr Kolb: Das Beharren auf Ihrem Vorurteil schafft nicht nur keinen Arbeitsplatz, es ist dazu noch ein haarsträubender finanzieller Luxus. Die passive Finanzierung von Arbeitslosigkeit kostet uns in diesem Jahr 54 000 Millionen DM, und das wird im nächsten Jahr nicht weniger sein. Die Zahl wird eher noch steigen, und Sie werden verdammte Mühe haben, im Haushalt, bei Sozialleistungen oder wo auch immer Sie es für nötig halten, dieses Geld zusammenzukratzen.
Lassen Sie mich zum Schluß ein paar Bemerkungen zur Arbeitslage im Ausschuß machen. Ich tue das ganz persönlich. Niemand, der bei den Beratungen zugegen war, wird behaupten können, es sei tatsächlich zu einer exakten parlamentarischen Prüfung des Gesetzentwurfs gekommen. Im Gegenteil: Auch diese Novelle ist im Schweinsgalopp über die Parlamentshürden gejagt worden.
Das ist, allen Beteuerungen des Arbeitsministers zum Trotz, seit der Wende unser politischer Alltag. Von Jahr zu Jahr zieht sich das Koalitionsgerangel quälender hin. Und wenn man dann schon mal zu Potte gekommen ist, dann hat der Ausschuß mit hängender Zunge hinter der Terminvorgabe der Regierung herzujagen. Das ist ein unwürdiges Schmierentheater. Es bekommt dem Parlament nicht gut, es bekommt den mit heißer Nadel genähten Gesetzen nicht gut, und es bekommt auch den gehetzten Politikern nicht gut.
Zwei Ausschußmitglieder — ich meine das sehr ernst, Herr Seehofer — sind schon jäh aus unserer Mitte gerissen worden. Wer will ausschließen, daß es bei den zwei bleibt, wenn wir so weitermachen?
Kaspern Sie nicht so viel in der Koalition herum! Bemühen Sie sich um eine solide Gangart! Liefern Sie rechtzeitig präzise Texte, und lassen Sie dem Parlament die Zeit, seinem verfassungsmäßigen Auftrag nachzukommen!
Wer einen solchen Ratschlag ausschlägt, der hält das absolute Chaos für ein Stilmittel der Politik. Aber was kann man bei diesem Minister anderes erwarten?
Ich danke Ihnen.
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Adam-Schwaetzer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber Egon Lutz, ich meine, du solltest dir die Bemerkung in bezug auf die beiden leider verstorbenen Kollegen des Ausschusses noch einmal durchlesen und vielleicht eine Richtigstellung machen. Ich fand sie sehr zynisch.
Im übrigen muß ich sagen: Es wird mir immer unverständlich bleiben, wie man innerhalb von 15 Minuten so viel Gift und Galle ausspritzen kann,
und dann auch noch über ein Gesetz, dem man im Endeffekt weitgehend zustimmt.
Ich muß auch sagen: An manchen Stellen war das in seiner maßlosen Übertreibung wirklich schon kabarettreif, vor allem wenn sich Egon Lutz als Sozialdemokrat hinstellt und anderen vorwirft, sie verteilten Milliardenüberschüsse, was bei ihnen selber nie vorgekommen sei.
Kabarettreif war auch, was er an selektivem Erinnerungsvermögen in bezug auf Verschiebebahnhöfe dargelegt hat. Wenn ich es richtig in Erinnerung habe, dann hat es die ersten sogenannten Verschiebebahnhöfe während der sozialliberalen Koalition gegeben.
Ich weiß, während der sozialliberalen Koalition waren die Verschiebebahnhöfe alle gut, und die während der jetzigen Koalition vorhandenen sind alle schlecht.
Nur, das ist eine Einteilung der Welt, die nicht vernünftig ist. Sie sollten sich einmal daran erinnern, was wir damals gemeinsam gemacht haben.
Ich erinnere auch an das, was der Kollege Cronenberg immer sagt: Ein Verschiebebahnhof muß nicht unbedingt etwas Schlechtes sein;
er kann nämlich durchaus Sachen auf das richtige Gleis schieben; dann ist er vernünftig.
Der vorliegende Gesetzentwurf, die 7. Novelle des Arbeitsförderungsgesetzes, ist ein wichtiger Schritt zur Bewältigung der Arbeitslosigkeit,
und mit seinen Maßnahmen sorgt er auch für die Aufrechterhaltung des sozialen Friedens.
Das trifft auf alle drei Teile dieses Gesetzes zu:
sowohl auf die Qualifizierungsoffensive als auch
auf die Verbesserung der wirtschaftlichen Situation
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Frau Dr. Adam-Schwaetzer
Arbeitsloser als auch auf die Senkung der Lohnnebenkosten.
Viele der vorgeschlagenen Maßnahmen sind unstrittig. Bei einigen Punkten hat es Kritik gegeben, z. B. daran, daß wir es für richtig und wichtig gehalten haben, zu einer Senkung von Lohnnebenkosten zu kommen, selbst wenn der Betrag insgesamt für den einzelnen nicht sehr erheblich ist. Aber 750 Millionen DM Beitragssenkung insgesamt bedeuten eben als Summe einen wichtigen Posten auch in der Rechnung eines jeden einzelnen Arbeitnehmers und in der Rechnung eines jeden einzelnen Unternehmens, das für dieses Geld im Sinne von Arbeitslosen wieder tätig werden kann.
Im übrigen möchte ich einfach der Ordnung halber darauf hinweisen, daß das Geld, das jetzt für diese Maßnahmen eingesetzt wird, dadurch aufgekommen ist, daß Beitragszahler, also sowohl Arbeitnehmer als auch Unternehmen, in den vergangenen Jahren mehr Beitrag gezahlt haben, als die Bundesanstalt für Arbeit direkt brauchte. Dieses Geld nun den Arbeitslosen und denen, die es aufgebracht haben, zugute kommen zu lassen, halten wir in der Tat für die richtigen Schritte.
Ein wichtiger Punkt ist jener, der sich mit der Verlängerung der Zahlung von Arbeitslosengeld an ältere Arbeitslose beschäftigt. Ich möchte nur noch einmal darauf hinweisen, daß unser Fraktionsvorsitzender, der Kollege Wolfgang Mischnick, schon vor vielen Jahren gefordert hat, eine stärkere Differenzierung der Zahlung von Arbeitslosengeld vorzunehmen. Es ist eigentlich kaum einsichtigt, daß derjenige, der 30 Jahre lang treu und brav seine Beiträge in die Arbeitslosenversicherung eingezahlt hat, genau die gleichen Ansprüche hat wie derjenige, der nur während eines sehr kurzen Zeitraumes, meinetwegen drei oder vier Jahre, eingezahlt hat.
Das ließ sich auch in diesem Gesetz nur nach einer groben Faustformel verwirklichen. Wir wünschen uns, daß in der Zukunft bei der Bundesanstalt für Arbeit die Voraussetzungen dafür geschaffen werden, daß tatsächlich eine auf den individuellen Beitragsverlauf bezogene stärkere Differenzierung der Zahlung von Arbeitslosengeld möglich wird.
Ein besonders wichtiger Punkt, meine Damen und Herren, waren für uns die Maßnahmen, die wir unter dem Begriff Qualifizierungsoffensive zusammengefaßt haben. Die Bundesrepublik Deutschland ist ein rohstoffarmes Land. Das heißt, wir sind besonders darauf angewiesen, die geistigen Fähigkeiten der Menschen in unserem Land einzusetzen. Die Frage der Qualifizierung ist auch ein besonders wichtiger Problempunkt, wenn man sich einmal die Struktur der Arbeitslosen ansieht. Mehr als 50% der registrierten Arbeitslosen weisen keine oder eine zu geringe Qualifikation auf. Die Vermittlungschancen steigen, wenn eine höhere Qualifizierung angestrebt und auch erreicht wird.
Das heißt, mit all den Maßnahmen, die wir jetzt einleiten und die dazu führen werden, mehr Arbeitslosen eine bessere Chance auf eine höhere Qualifikation zu geben, verbessern wir auch ihre Chancen, wieder eine Arbeitsstelle zu finden. Damit verbessern wir ihre Chancen auf eine befriedigende Zukunft.
Dies ist wirklich eine Politik im Interesse der Arbeitnehmer und im Interesse der Arbeitslosen.
Ich sage allerdings auch klar und deutlich, daß Qualifizierung eine Aufgabe nicht nur für die Bundesanstalt für Arbeit und für jeden einzelnen Arbeitnehmer ist. Qualifizierung ist eine Aufgabe auch für die Arbeitgeber.
— Herr Kollege Glombig, nicht vor allem. Ich sehe die Aufgaben gleichgewichtig verteilt. Da kann man keinen ausnehmen. Man kann nicht sagen: Du hast eine höhere, du hast eine geringere Verantwortung dafür.
Die Arbeitgeber, die sich heute beklagen, daß bestimmte Qualifikationen auf dem Arbeitsmarkt nicht zu finden sind, müssen sich natürlich auch fragen lassen, ob sie in der Vergangenheit genügend dazu beigetragen haben, die Arbeitnehmer auf die erwartete Entwicklung der Zukunft hin auszubilden.
Wir werden sie auch in der Zukunft aus dieser Verantwortung nicht entlassen.
Wir wollen mit den Maßnahmen, die jetzt neu in das Arbeitsförderungsgesetz eingeführt werden, auch mit den bestehenden Maßnahmen, die verbessert werden, wichtige Schritte dazu einleiten, zeitgerechte und zukunftsorientierte Qualifikationen zu ermöglichen. Dazu ist eine verbesserte Zusammenarbeit der Wirtschaft mit der Verwaltung, also der Bundesanstalt für Arbeit und den örtlichen Arbeitsämtern notwendig, nämlich zur Auswahl der Berufe, in denen weiterqualifiziert wird.
Für uns war es darüber hinaus ein wichtiger Punkt, die Möglichkeiten von Frauen zu verbessern, nach einer Zeit der familienbedingten Berufsunterbrechung wieder eine Arbeitsaufnahme anzustreben. Wir haben mit dem Beschäftigungsförderungsgesetz die Voraussetzungen dafür, qualifizierende Maßnahmen von der Bundesanstalt für Arbeit finanziert zu bekommen, bereits verbessert. Die ersten Rückmeldungen aus den Arbeitsämtern waren zwar insoweit ermutigend, haben aber auch gezeigt, daß es eine große Anzahl von Frauen gibt, die nach wie vor keinen Anspruch auf Unterhaltsgeld oder andere Förderungsmöglichkeiten der Bundesanstalt für sich in Anspruch nehmen können, weil die Zeiten der Arbeitsunterbrechung einfach zu lang gewesen sind.
Hier ist es uns gelungen, während der Ausschußberatungen noch eine entscheidende Verbesserung
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Frau Dr. Adam-Schwaetzer
durchzusetzen, nämlich die Voraussetzungen des § 46 des Arbeitsförderungsgesetzes so zu gestalten, daß hier auch Unterhaltsgeld bezogen werden kann, wenn die bisher gültigen Bedingungen nicht erreicht werden. Dies ist besonders für diejenigen Frauen wichtig, die, aus welchen Gründen auch immer, gezwungen sind, nach einer langen Zeit der Arbeitsunterbrechung, sei es, daß sie verwitwet werden, sei es, daß sie geschieden sind, eine Arbeit wieder aufzunehmen.
Meine Damen und Herren, mit dieser 7. Novelle zum Arbeitsförderungsgesetz machen wir wichtige Schritte in einer Politik zugunsten von Arbeitnehmern und zugunsten von Arbeitslosen. Diese Politik ergänzt die Wirtschaftspolitik der Koalition, die darauf gerichtet ist, neue Chancen beruflichen Einstiegs auf neuen Arbeitsplätzen zu schaffen. Es ist eine Politik, die nahtlos zusammenpaßt, und es ist eine wirklich soziale Politik.
Vielen Dank.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Tischer.
So sehe ich doch nicht aus, ich habe doch keinen Bart.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Hauptsächlicher Anlaß zu der jetzt vorliegenden Änderung des Arbeitsförderungsgesetzes sind die enormen „Überschüsse", die bei der Bundesanstalt für Arbeit in Nürnberg festzustellen sind.
— Ich komme noch dazu. — Diese Überschüsse sind die Folge von Leistungskürzungen bei Arbeitslosen, welche die frühere sozialliberale Koalition eingeleitet und die jetzige CDU/CSU-FDP-Koalition verschärft fortgesetzt hat. So stellt der Deutsche Gewerkschaftsbund in seinen Ausführungen zur Anhörung über dieses Gesetz fest, daß seit dem Amtsantritt der Regierung Kohl der Anteil der Arbeitslosengeldbezieher um 12 Prozentpunkte auf nur noch 33,7 % der gemeldeten Arbeitslosen gesunken ist. Hinter diesen Zahlen stehen Menschen, die bei Leistungskürzungen aus dem Empfängerkreis des Arbeitslosengeldes herausgetrickst und zum Sozialamt geschickt wurden.
Trotz steigender Arbeitslosigkeit wurden vergangenes Jahr knapp 3 Milliarden DM weniger an Arbeitslosengeld ausgegeben als 1983. Dafür stieg der Personenkreis der wegen Arbeitslosigkeit auf Sozialhilfe Angewiesenen 1984 bis 34 % im Vergleich mit dem Vorjahr.
Die Regierung legt nun mit dem 7. Gesetz zur Änderung des Arbeitsförderungsgesetzes einen Verteilerschlüssel vor, den es an folgenden Punkten besonders zu kritisieren gilt. In § 49 des Gesetzentwurfes erweitert die Regierungskoalition die Zuschüsse der Bundesanstalt an Arbeitgeber auch für befristete Arbeitsverhältnisse. Norbert Blüm pflegt an dieser Stelle des öfteren zu sagen: Lieber befristet beschäftigt als unbefristet arbeitslos.
Das ist eine Phrase, die oberflächlich draußen in der Öffentlichkeit zwar gut ankommt, aber einen bestimmten Hintergrund erkennen läßt.
An diesem Satz ist erkennbar, daß diese Regierung nicht dazu in der Lage ist, sichere und unbefristete Arbeitsplätze zu schaffen.
Unter diesem Satz verstecken Sie, Herr Blüm, auch Ihre Ratlosigkeit im Bereich der Langzeitarbeitsplätze. Zu diesem Punkt habe ich bis jetzt noch keine Äußerung von Ihnen gehört, wenn Sie Ihre Shows im Fernsehen oder vor der Presse abgeben
wo Sie dann eben diese berühmt-berüchtigten Sprüche loslassen. Da lassen Sie jede Äußerung fehlen, was die Langzeitarbeitsplätze anbelangt.
— Sie sind doch nicht im Arbeits- und Sozialausschuß. Was reden Sie dann so dummes Zeug daher!
Die Fraktion der GRÜNEN verabscheut den von der Bundesregierung schon mit dem Beschäftigungsförderungsgesetz eingeschlagenen und nun auch subventionierten Weg befristeter Arbeitsverhältnisse, da er frauen- und familienfeindlich ist und die betroffenen Menschen in die wirtschaftliche Sackgasse führt. Befristete Arbeitsverhältnisse dienen statistischen Tricks zugunsten der Manipulation von Arbeitsmarktdaten und degradieren den Menschen zur billigen Manövriermasse der Wirtschaft. Da die GRÜNEN jedoch nicht das Interesse haben, die menschliche Arbeitskraft auf einem Billigbazar zu verhökern, verlangen die GRÜNEN statt dessen sichere, sinnvolle und humane Langzeitarbeitsplätze, die dem Menschen eine gesunde Zukunft bieten.
In einem neugeschaffenen § 55 a versucht die Bundesregierung, Arbeitslose durch die Gewährung von Übergangsgeldern anzuregen, ein eigenes Unternehmen zu gründen. Man müßte über diesen Gedanken eigentlich lachen. Dieser Gesetzesteil ist wohl der makaberste von allen, denn erstens ist es doch wohl ein Unding, daß neuerdings mit den Mit-
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Tischer
teln der Bundesanstalt für Arbeit Wirtschaftsförderung betrieben werden soll,
und zweitens führt die Bundesregierung damit Arbeitslose aufs Glatteis. Die Bundesregierung sagt dem Arbeitslosen: „Wenn du schon keinen Job findest, dann werde halt dein eigener Boss" und gibt ihm ein paar billige Groschen mit, die erstens nicht ausreichen und zweitens in den Etat des Bundeswirtschaftsministers gehören, da er und allgemeine Steuermittel für diese Zwecke verantwortlich zeichnen.
Die GRÜNEN halten Betriebsgründungen für umweltfreundliche, sinnvolle Produkte bei humanen Arbeitsbedingungen für sinnvoll. Wir warnen jedoch jeden Arbeitslosen, auf den Lockruf der Bundesregierung, der in diesem Gesetz formuliert ist, hereinzufallen. Es wäre fatal, wenn Arbeitslose in ihrer Not ihr letztes Eingemachtes in eine Existenzgründung steckten und nach wenigen Monaten per Pleite in ein noch viel schlimmeres finanzielles Chaos hineinschlitterten.
Von Herrn Bangemann und Herrn Stoltenberg verlangen die GRÜNEN ausreichende Mittel, um sie alternativen Betrieben zur Verfügung zu stellen und reale Gründungsmöglichkeiten einzuräumen.
Existenzgründungen müssen auch in Zukunft die Hausaufgabe des Bundeswirtschaftsministers und des Bundesfinanzministers bleiben und dürfen nicht mit Versicherungsgeldern finanziert werden.
Diese Gesetzesvorlage wird von der Fraktion der GRÜNEN abgelehnt, weil sie im wesentlichen nicht auf die Nöte der Arbeitssuchenden eingeht und vorgenannte Fehlansätze zum Inhalt hat. Die Erweiterung des Bezugsberechtigtenkreises, insbesondere der Frauen, beim Arbeitslosengeld, die Verlängerung der Anspruchszeit beim Arbeitslosengeld für alle und der erkennbare Einstieg in ein Mindestarbeitslosengeld sind Wege, die wir mitzugehen bereit sind. Ein solcher Weg wurde nicht eingeschlagen.
Der 6. Dezember, der Nikolaustag, der ja heute ist,
an dem dieses Gesetz verabschiedet werden soll,
verdient auch seine entsprechende Würdigung. Da
die negativen Elemente dieses Gesetzes die positiven weit überwiegen, ist die Rute, die ich Ihnen, lieber Herr Kollege Blüm, geben will,
größer als die Päckchen, die daran hängen.
Diese Rute soll drohend über Ihnen stehen, wenn Sie nächsten Dienstag über das Streikrecht verhandeln. Möge sie zum Versohlen eines bestimmten Körperteils von Ihnen sein, wenn Sie diese unsoziale Politik, wie sie auch in diesem Gesetz verankert ist, fortsetzen.
Ein Präsident kann Show-Effekte nicht einfach ignorieren, aber ich habe in Erinnerung, daß Kurt Tucholsky zu diesem Thema etwas Gutes gesagt hat: Nicht einmal ignorieren müßte man so etwas.
Herr Kolb ist der nächste Redner.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Kollege Lutz sagte hier — Schiller zitierend —: „Das eben ist der Fluch der bösen Tat, daß sie fortzeugend immer Böses muß gebären." Lieber Herr Kollege Lutz, ich habe da so in Erinnerung: Da gab es einen Kanzler, der sagte, 5 % Inflation seien besser als 5 % Arbeitslosigkeit; dann hatten wir beides. Dann sagte er Ihnen vor der Fraktion — ich hoffe, daß Sie das nachlesen —: Wenn ihr mehr für den Arbeitsmarkt tun wollt, dann müßt ihr tiefer, noch viel tiefer in die soziale Gesetzgebung einschneiden. Dazu seid ihr nicht bereit. Er hat gesagt, daß er das mit Ihnen nicht machen könne, und das war im Endeffekt sein Abschied.
Wieso Sie heute hier herkommen und sagen: „Freunde, wir würden das alles viel besser machen", ist mir nicht verständlich. Der Kollege Seehofer hat Ihnen zu Recht gesagt, wie Sie sich verabschiedet haben.
Wir sind hier, meine sehr verehrten Damen und Herren, mit der 7. Novelle zum AFG wirklich an einer Wende, nämlich der, für mehr Qualifikation zu sorgen und uns endlich auf die Zukunft einzustellen.
Hier wurde gesagt, 0,1 % seien nicht viel. Natürlich ist das nicht viel. Nur, meine sehr verehrten Damen und Herren, Sie hätten noch draufgesattelt und gesagt: Macht nichts, die Hauptsache ist, wir können öffentliches Geld ausgeben.
Lassen Sie mich etwas zu § 49 sagen: Wenn jemand, der die Leistungsfähigkeit nicht hat, in einem befristeten Arbeitsverhältnis eventuell zur Leistungsfähigkeit kommt, dann ist das für mich doch wesentlich angenehmer, als wenn er völlig draußen ist. Was soll die Ideologie, die hier gebracht wird?
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Kolb
Im übrigen, Herr Kollege Lutz: Sie haben wieder so tolle Durchschnittsrechnungen gebracht. Ich darf Ihnen sagen: Mit Durchschnittsrechnungen kannst du alles beweisen. Nur, Sie sollten differenzieren und detaillierte Aussagen machen. Bei Ihnen ist jeder Unternehmer von vornherein einer, der Geld verdienen will. Auf der anderen Seite beklagen Sie, wie viele in Konkurs gehen. Nur — so muß ich jetzt fragen —: Wenn das, was wir in § 55 vorhaben, befristet — —
— Herr Kollege Reimann, ich weiß, daß Sie die Großindustrie, vor allem die mit einer guten Geschäftslage, hervorragend kennen, aber kleine und mittlere Unternehmen kennen Sie nicht. Und wenn jetzt einer den Sprung ins kalte Wasser wagt, dann sagen Sie: Auch das darf er nicht wagen; wir müssen dafür sorgen, daß er das nicht tun kann.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Lutz? — Bitte schön.
Herr Kollege Kolb, darf ich Ihren Worten entnehmen, daß Sie die Höhe des Arbeitslosengeldes und der Arbeitslosenhilfe für ausreichend halten?
Entschuldigen Sie, Herr Kollege Lutz, der Begriff „ausreichend" ist relativ; darüber kann man streiten. Nur, es läßt sich nicht anders finanzieren.
— Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich weiß, für Sie ist jeder, der selbständig ist, der Unternehmer ist, ein Greuel. Nur, ich frage mich, woher Sie die Ochsen kriegen, die den Karren ziehen, auf den Sie sich hinten immer draufsetzen.
Meine Damen und Herren, zum § 105 — Herr Kollege Lutz, Sie haben deutlich darauf hingewiesen —: Ihnen ist eine Arbeitslosenstatistik wichtiger als das, was geschieht. Weshalb sollen 58jährige, wenn sie sich nicht mehr vermitteln lassen wollen, in der Statistik erscheinen? Sind Ihnen Horrorzahlen wichtiger als das, was Sie gegenüber der anderen Seite beklagen: Raubbau nach 58 Jahren? Ich meine, es sollte doch ein vernünftiger Übergang in den Ruhestand geschehen.
— Entschuldigung, warum soll es ausgewiesen werden? Ich möchte Ihnen einen Hinweis geben, Herr Kollege Lutz: Sie sollten die Serie von Horst Stein in der „Welt" zur Änderung der demographischen Entwicklung sehr aufmerksam lesen und zur Kenntnis nehmen. —
Ich glaube, die Zeiten sind vorbei, in denen wir den gewünschten Beruf am gewünschten Arbeitsplatz am gewünschten Ort und dann noch die entsprechenden Bezüge erhielten. Wir leben in einer sich ständig wandelnden Welt und brauchen mehr Qualifikation; das ist schon angedeutet worden. Deswegen, meine sehr verehrten Damen und Herren, wird es in Zukunft unsere Aufgabe sein, viel mehr Menschen die Möglichkeit zu geben, sich zu qualifizieren, als das in der Vergangenheit geschehen ist. Auf der einen Seite 1,5 Millionen arbeitslose Akademiker, vielleicht 1995, auf der anderen Seite 1,5 Millionen fehlende Fachkräfte — können Sie mir einmal sagen, wie Sie das zusammenkriegen wollen? Ich glaube, hier liegen große Schwierigkeiten vor uns. Wir sollten den Blick nach vorn und nicht in die Vergangenheit richten und die entsprechenden Änderungen vornehmen. Unsere Aufgabe muß es sein, Unqualifizierte zu qualifizieren, falsch Qualifizierten neue Wege zu zeigen und Qualifizierte höher zu qualifizieren. Hierin liegt eine gewaltige Aufgabe, die — darin stimmen wir vollkommen überein — sowohl Arbeitnehmer und Arbeitgeber als auch die Bundesanstalt für Arbeit leisten müssen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, über § 105c AFG ist viel diskutiert worden. Wir müssen uns vielleicht auch überlegen, ob ein bestimmtes Datum für die Beendigung eines Lebensabschnitts eigentlich bindend sein soll; ich meine den abrupten Übergang in die Rente. Wir sollten überlegen, ob wir für die Zukunft keinen gleitenden Übergang mit immer weniger Arbeitszeit festlegen sollten. Die uns vorliegenden Zahlen, die in das nächste Jahrtausend weisen, sind nicht gerade so begeisternd, daß wir uns an der Vergangenheit festklammern könnten.
Daher, meine Damen und Herren, meine ich, daß zuerst wir und erst dann die Solidargemeinschaft gefragt ist. Wir sollten wegkommen von der Tendenz, Herr Kollege Lutz, alles nur von der Solidargemeinschaft zu fordern und die Eigenverantwortung abzulehnen. Wenn uns dies gelingt, dann sind wir auf dem richtigen Weg. Die siebte Novelle zum Arbeitsförderungsgesetz hat dazu beigetragen. Ich hoffe, daß dies zur Kenntnis genommen wird.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat der Abgeordnete Glombig.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Während wir hier über vermeintliche und ganz gewiß auch tatsächliche Leistungsverbesserungen nach dem Arbeitsförderungsgesetz beraten, flattert mir eine Agenturmeldung auf den Tisch, von der ich glaube, daß sie einen dramatischen Inhalt hat. Sie bezieht sich auf das Arbeitsförderungsgesetz, über das wir ja hier reden. Es heißt dort:
Die mit einer Neuformulierung der gesetzlichen Grundlage für die Neutralität des Staates in Arbeitskämpfen beschäftigte Bonner Ministerrunde hat sich nach Angaben von Bundeswirtschaftsminister Martin Bangemann am Freitag
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Glombig
— also heute —
auf einen Gesetzentwurf geeinigt.
Danach soll Arbeitslosen- oder Kurzarbeitergeld an mittelbar von einem Streik betroffene Arbeitnehmer derselben Branche außerhalb des eigentlichen Kampfgebiets nicht gezahlt werden, wenn für sie „annähernd gleiche Hauptforderungen" gestellt werden.
Ich zitiere weiter:
An dem Ministergespräch am Freitagmorgen nahmen außer Bangemann Bundesarbeitsminister Norbert Blüm und Kanzleramtsminister Wolfgang Schäuble , Bundesinnenminister Friedrich Zimmermann (CSU) und Justizminister Hans Engelhard (FDP) teil.
Der Entwurf soll den Gewerkschaften und Arbeitgebern vor dem Spitzengespräch bei Bundeskanzler Helmut Kohl am kommenden Dienstag zugeleitet werden.
Es heißt weiter:
Am Mittwoch könne der Entwurf, der Eingang in den Gesetzestext des Paragraphen 116 des Arbeitsförderungsgesetzes ... finden müsse, im Bundeskabinett beraten werden, sagte Bangemann.
Meine Damen und Herren, ich finde, das Bemerkenswerte an diesem Vorgang ist erst einmal, daß nicht der für diesen Sachverhalt zuständige Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung vor die Presse geht und dieser sowie der staunenden Öffentlichkeit den ja sehr erstaunlichen Vorgang mitteilt,
nachdem wir alle auf Grund der Mitteilung des Herrn Bundesarbeitsministers doch bis gestern Abend der Meinung sein konnten, daß das Gesetz vom Tisch ist und daß es hier eine Einigung zwischen den Sozialpartnern außerhalb einer gesetzlichen Regelung geben würde.
Da muß man sich wirklich an der Nase herumgeführt fühlen, wenn man all diesen Unsinn in der Presse liest:
was nun angeblich an stolzen Ergebnissen bei solchen Verhandlungen der Regierung mit den Sozialpartnern herausgekommen ist.
Ich hatte gehofft, daß der Bundesarbeitsminister vor mir reden würde. Dann hätte ich noch einmal auf ihn eingehen können. Das hat er geflissentlich vermieden. Aber das gibt mir jetzt die Chance, ihm die Frage zu stellen
— hoffentlich hört er zu; aber wenn er nicht zuhört, werden wir ihn nachher, wenn er das Wort nimmt, daran erinnern, daß ich ihm diese Frage gestellt habe —, ob diese Agenturmeldungen eigentlich stimmen und was das für die nächste Woche hinsichtlich unserer politischen Handlungen bedeutet, die man von seiten des Deutschen Bundestags erwartet.
— Wir sind doch beim AFG, Herr Seehofer. Ich kann mir vorstellen, daß Ihnen das nicht paßt. Ich habe mir auf Grund Ihrer Rede in mein Konzept geschrieben — weil Sie mich jetzt ansprechen —: Seehofer neigt neuerdings offensichtlich zum Scherzen. Das ist eine ganz neue Art von Ihnen.
Im Ausschuß habe ich das noch nicht bemerkt. Aber ich freue mich darüber; denn ich schätze Leute außerordentlich, die scherzen können.
— Wenigstens das.
Es ist jetzt eineinhalb Jahre her — eineinhalb Jahre! —, daß die Sozialdemokraten auf die Überschüsse der Bundesanstalt für Arbeit aufmerksam gemacht haben. Diese Überschüsse sind weder ein arbeitsmarktpolitischer Erfolg dieser Bundesregierung — Herr Seehofer, Sie haben versucht, uns das weiszumachen — noch das Ergebnis wirtschaftlichen Aufschwungs, sondern ausschließlich Ausdruck der nachhaltigen Demontage der Leistungen nach dem Arbeitsförderungsgesetz. Nichts anderes.
Nun fangen Sie an, diese geschichtliche Wahrheit zu verkleistern. Das ist der Grund für den sogenannten Überschuß.
Immer mehr Arbeitslose wurden von dem Leistungsbezug völlig ausgeschlossen — nicht nur teilweise, sondern völlig —, immer mehr wurden zur Sozialhilfe abgeschoben. Die Bundesregierung und die Regierungskoalition — nicht die Opposition — haben es also zu verantworten, daß die finanziellen und sozialen Folgen der Massenarbeitslosigkeit in unverantwortlicher Weise auf die Arbeitslosen, ihre Familien und auch auf die Sozialhilfeträger abgewälzt wurden.
Bereits Mitte Oktober 1984 haben wir unseren Antrag „Förderung der Beschäftigung" im Deutschen Bundestag eingebracht. Die Bundesregierung hat damals — und tut es auch heute —, soweit es sich um diesen Komplex des Problems handelt, nur gelangweilt zugeschaut, die Probleme ignoriert. Jetzt endlich soll wenigstens ein Teil der unsozialen Leistungskürzungen der letzten Jahre zurückgenommen werden. Aber wir wissen ja seit langem:
13884 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 182. Sitzung. Bonn, Freitag, den 6. Dezember 1985
Glombig
Abwarten und aussitzen ist die Parole der Bundesregierung.
Wenn auf Grund öffentlichen Drucks doch etwas geschieht — wie in diesem Falle —, kann man sich aber wirklich darauf verlassen, daß das in letzter Minute geschieht.
Der Kollege Lutz hat bereits darauf hingewiesen, aber ich will es als Ausschußvorsitzender auch noch einmal tun: Die Arbeit des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung des Deutschen Bundestages leidet darunter besonders, und zwar in letzter Zeit ständig. Das trotz gegenteiliger Beteuerungen des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung. Als Ausschußvorsitzender kann ich mich deswegen mit dem Arbeitsminister auch gar nicht mehr zusammensetzen; denn dabei kommt sowieso nichts heraus.
Er nickt mir freundlich zu und sagt: Sie haben ja völlig recht. Dann bleibt es eben dabei. Ich finde, es ist eine unerträgliche Situation, daß die Fachausschüsse des Deutschen Bundestags keine Möglichkeit mehr haben, solche Gesetze von diesem Ausmaß in qualifizierter Weise zu beraten. Ich finde, das ist ein Skandal.
— Herr Kolb, nun erzählen Sie doch nicht, wir hätten lange genug Zeit gehabt. Sie haben doch daneben noch drei andere Gesetze in den Ausschuß hineingeschoben, die nach Ihrer Meinung genauso wichtig waren und auch zum 1. Januar in Kraft treten mußten. Erzählen Sie da doch nichts!
— Ich bin als Ausschußvorsitzender ein Blockierer?
— Ich verbitte mir solche Unverschämtheiten von Ihnen! Woher kommen Sie denn eigentlich? Wer sind Sie denn eigentlich, daß Sie es wagen, hier eine solche Behauptung aufzustellen? Ich finde das unverschämt!
— Reden Sie nicht so einen Blödsinn!
Ich will Ihnen einmal folgendes sagen: Ich habe immer wieder versucht, zu einer Einigung und Klärung zu kommen.
— Was ist das?
Meine Damen und Herren, unser Gesetzentwurf ist Teil einer umfassenden Gesamtstrategie zur Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit. Massenarbeitslosigkeit ist kein unabwendbares Schicksal. Wir haben in unserer eigenen Regierungszeit bewiesen, daß Arbeitslosigkeit abgebaut und verhindert werden kann.
— Ja, da sind Sie ganz erstaunt. Das haben Sie gar nicht gemerkt.
— Herr Kollege Kolb, in der zweiten Hälfte der 70er Jahre sind eine Million Arbeitsplätze geschaffen und gesichert worden. Dies ist doch allgemein anerkannt, auch von seiten der Wissenschaft. Kommen Sie nun doch nicht damit, das zu bezweifeln. Das war eine gewaltige Leistung, die sich auch heute noch sehen lassen kann und die Sie auch anerkennen sollten.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Kolb?
Das hat doch bei Herrn Kolb gar keinen Sinn. Nein, keine Zwischenfragen.
In der letzten Woche hatten wir im Rahmen der Haushaltsberatungen eine Diskussion über dieses Problem, und da habe ich versucht, dem Herrn Bundesarbeitsminister Fragen zu stellen.
— Lieber Herr Kolb, er hat die Fragen nicht zugelassen. Warum sollte ich dann jetzt auf Ihre Fragen eingehen?
Ich denke überhaupt nicht daran!
— Was bin ich?
— Ich bin hier kein neutraler Ausschußvorsitzender! Hier bin ich Mitglied der SPD-Fraktion, und ich bleibe es — damit das ganz klar ist — auch im Ausschuß.
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 182. Sitzung. Bonn, Freitag, den 6. Dezember 1985 13885
Glombig
Ich übe meine Funktion als Ausschußvorsitzender natürlich neutral aus.
Hier aber sage ich meine Meinung, und daran werden Sie mich nicht hindern.
Zur Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit bedarf es der Phantasie und des Gespürs für das politisch Notwendige; notwendig ist aber auch der Einsatz finanzieller Mittel. Allein die Finanzierung der Massenarbeitslosigkeit durch Bund, Länder und Gemeinden, durch die Sozialversicherungsträger und natürlich auch durch die Familien ist über die Maßen teuer. Was die betroffenen Familien zu tragen haben, geht aus keiner Bilanz hervor. Was die öffentlichen und die halböffentlichen Kassen angeht, so wissen wir, daß da schon rund 55 Milliarden DM pro Jahr zusammenkommen.
— Ach Gott, Herr Kolb, wenn Sie die Feuerwehr sind, dann ist nicht viel Verlaß darauf, daß irgendein Feuer dazu gebracht werden könnte, auszugehen.
Meine Damen und Herren, wenn all das, was zur Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit notwendig und möglich ist, endlich zum Einsatz käme, wäre es bis zum Ende dieses Jahrzehnts zu schaffen, die Zahl der gemeldeten Arbeitslosen deutlich unter die Grenze von einer Million zu bringen. Dafür sind allerdings bestimmte Voraussetzungen nötig.
— Herr Kollege Jagoda, davon haben Sie wohl noch nichts gehört: Notwendig sind eine Innovationsstrategie für den industriellen Sektor, die Förderung und Durchsetzung von Umweltinvestitionen,
die Ausweitung und Verstetigung von Infrastrukturinvestitionen, die Ausweitung des staatlichen und des privaten Dienstleistungsangebots und eine Beschleunigung des Tempos der Arbeitszeitverkürzung
einschließlich des Abbaus von Überstunden.
Die Arbeitsmarktpolitik hat innerhalb dieser Gesamtstrategie eine stützende, aber auch eine eigenständige Funktion. Unser Gesetzentwurf sieht deshalb eine wesentliche Stärkung des operativen
Teils der Arbeitsförderung vor, den Sie bei den Ausschußberatungen ausdrücklich abgelehnt haben.
Wir können nach dem, was ich eben gesagt habe, Ihrem Gesetzentwurf leider nicht zustimmen und werden uns der Stimme enthalten.
Das Wort hat Herr Bundesminister Blüm.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will gleich zu Beginn auf das eingehen, was Kollege Glombig im Zusammenhang mit den Gesprächen mit den Sozialpartnern über die Neutralität der Bundesanstalt für Arbeit hier vorgetragen hat. Es haben zwei sehr sachliche Gespräche mit den beiden Sozialpartnern stattgefunden. Ich möchte mich hier vor dem Deutschen Bundestag bei beiden Partnern bedanken für die Gesprächsbereitschaft und für die konstruktive Art der sachlichen Beratung einer Frage, an der alle interessiert sein müssen. Neutralität der Bundesanstalt liegt nicht nur im Interesse der Arbeitgeber, sie liegt auch im Interesse der Arbeitnehmer.
Die Klarstellung dieser Neutralität, die in Auslegungszweifel geraten ist, kann nur dem sozialen Frieden dienen. Es kann nicht dem sozialen Frieden dienen, wenn Leistungen nur unter Vorbehalt ausgezahlt werden, wenn Arbeitnehmer mehrere Jahre auf die letzte Instanz der Gerichtsentscheidung warten müssen. Deshalb, glaube ich, ist es im Sinne des sozialen Friedens, daß jetzt klargestellt wird, was der ursprüngliche Sinn dieser Formulierung ist. Es handelt sich um nicht mehr und um nicht weniger als um Klarstellung dessen, was der Gesetzgeber immer wollte und immer wollen muß: Die Kampfparität darf durch den Staat nicht verändert werden, der Staat darf den Arbeitskampf nicht beeinflussen.
— Ich möchte die Position im Zusammenhang darstellen und möchte Sie deshalb bitten, auf Ihre Fragen zu verzichten. Ich werde sie jedenfalls nicht beantworten.
Ich komme zum zweiten Teil. Nicht nur zwei Gespräche haben stattgefunden, sondern ein drittes mit dem Herrn Bundeskanzler wird stattfinden. Sie können in diesem dritten Gespräch den Willen aller Beteiligten erkennen, zu einer Lösung zu kommen.
13886 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 182. Sitzung. Bonn, Freitag, den 6. Dezember 1985
Bundesminister Dr. Blüm
In der Tat wird ein drittes Gespräch stattfinden. — Vielleicht hören Sie mich an. Seien Sie nicht Wahrsager dessen, was ich jetzt gleich sagen werde.
Die Sozialpartner haben von uns Formulierungen gewünscht.
Wie kann man denn Regelungen besprechen, wenn keine Formulierungen vorliegen? Wenn es schon um Solidität von Gesprächen geht, dann können sie weiterführend nur auf der Grundlage einer Diskussionsunterlage, einer Gesprächsunterlage geführt werden. Gott sei Dank sind wir so weit, daß wir diese Gesprächsunterlage liefern können und zur Diskussion stellen können. Ich weiß nicht, was hier ein Grund zur Aufregung sein soll.
Ein weiteres. Dieses Gespräch am kommenden Dienstag soll in aller Offenheit geführt werden, ein Gespräch, das dem Argumentationsaustausch dient. Deshalb müssen alle Beteiligten offen sein. Deshalb vermag ich am Freitagnachmittag nicht zu sagen, was das Ende und das Ergebnis des Gesprächs am Dienstag ist.
Meine Damen und Herren, ich will mich jetzt dem Gesetz zuwenden, das heute Gott sei Dank verabschiedet wird. Es ist ein Gesetz für die Arbeitslosen, ein Gesetz, das den Arbeitslosen helfen soll, wieder Arbeit zu finden — die wichtigste Maßnahme —, ein Gesetz, das den Dauerarbeitslosen länger Unterstützung gewährt.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dreßler?
Nein. Ich trage gerade hier in der dritten Lesung die Begründung vor, die die Bundesregierung für dieses Gesetz vorlegt. Ich habe eine beschränkte Zeit. Das Gesetz enthält so viele Maßnahmen, daß 14 Minuten sehr beschränkt sind. Wenn ich alle Maßnahmen darstellen soll, müssen Sie mir zwei Stunden gewähren. Dann würde ich auch Zwischenfragen zulassen.
— Meine Damen und Herren, wir debattieren im Moment in der dritten Lesung über das Arbeitsförderungsgesetz. Gott sei Dank bestimmen Sie noch nicht die Tagesordnung dieses Parlaments.
Ich bedanke mich auch für die Beratung im Ausschuß,
an der sich alle beteiligt haben. Ich bedanke mich, daß viele unserer Maßnahmen auch bei der Opposition Zustimmung gefunden haben. Deshalb sollten Sie diese Zustimmung heute nicht geheimhalten. Sie zerstört auch das Sozialmärchen von der guten Fee SPD und der bösen Hexe Regierung. Vielen Maßnahmen haben Sie zustimmen müssen. Ihre Schwarz-Weiß-Manier der öffentlichen Darstellung wird durch dieses Gesetz Lügen gestraft.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch einmal über Kürzungen sprechen: Natürlich, wir haben kürzen müssen. Das bestreitet doch gar keiner. Wie wollen Sie eigentlich ein Defizit von 14 Milliarden, das ins Haus stand, abbauen, wenn Sie nicht sparen wollen?
Ich will Ihnen heute in Erinnerung bringen, daß die Verlängerung der Zahlung des Arbeitslosengeldes — eine der Maßnahmen, die mehr Geld kosten, nicht die einzige — insgesamt 2,2 Milliarden DM kostet, erste Verlängerung und zweite Verlängerung, daß die Kürzung des Arbeitslosengeldes für Arbeitslose ohne Kinder 800 Millionen DM betragen hat. Wir haben 800 Millionen DM beim Arbeitslosengeld gespart und 2,2 Milliarden DM für die Verlängerungen ausgegeben. Auch das gehört zur Wahrheit der Buchführung, einer Buchführung, die zeigt, daß wir eine Sozialpolitik nicht mit der Hekkenschere machen, sondern eine Sozialpolitik, die denen hilft, die der Hilfe am meisten bedürfen. Das sind die Dauerarbeitslosen. Das sind ganz besonders unsere älteren Kollegen.
Ich betrachte dieses Gesetz als Ausdruck einer soliden Sozialpolitik: Erst sparen und dann verteilen, nicht: Erst verteilen und dann sparen.
Ich betrachte dieses Gesetz zweitens als Ausdruck einer Sozialpolitik der Solidität; denn in der Tat, hier werden Beitragsgelder derjenigen, die Arbeit haben, für diejenigen verwendet, die keine Arbeit haben. Solidarität der Arbeitsplatzbesitzer mit den Arbeitslosen ist für uns kein leeres Wort, sondern Verpflichtung.
Drittens. Dies ist auch ein Ergebnis der sozialen Partnerschaft. Dieses Gesetz ist auch dem Dialog mit Gewerkschaften und Arbeitgebern entsprungen. Es ist auch die Frucht jener Gespräche, die wir im Herbst dieses Jahres geführt haben. Sie sehen: Miteinander reden — Gewerkschaften, Arbeitgeber und Bundesregierung — führt immer weiter, als nur auf Kundgebungen Meinungen auszutauschen.
Ein Weiteres: Dieses Gesetz ist Ausdruck einer differenzierten Politik vieler, vieler Einzelmaßnahmen, vieler Hilfen, die nicht immer Hunderttausende betreffen. Aber ich glaube, wenn man lebensnah helfen will, muß man auch zu kleinen Schritten bereit sein.
Aus der Summe vieler kleiner Schritte ergibt sich
die Lösung. Wer Patentrezepte beansprucht, begibt
sich auf den Weg einer politischen Hochstapelei.
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 182. Sitzung. Bonn, Freitag, den 6. Dezember 1985 13887
Bundesminister Dr. Blüm
Arbeitslosigkeit kann nur auf vielen Wegen, mit vielen, vielen Mitteln bekämpft werden. Dazu müssen die Arbeitgeber, dazu müssen die Gewerkschaften und die Bundesregierung ihre Beiträge leisten.
Lassen Sie mich einige darstellen. Im Vordergrund steht die Qualifizierung der Arbeitslosen. Laßt uns, wenn wir von Modernisierung der Wirtschaft sprechen, nicht nur davon reden, die maschinelle Ausstattung zu verbessern. Viel wichtiger, viel kostbarer als jede Maschine sind die Menschen. Deshalb geht es nicht nur um eine Erneuerung der Maschinen; es geht auch um die Qualifizierung der Arbeitnehmer.
Die Arbeitslosenquote unter den Ungelernten ist dreimal so hoch wie unter den Gelernten. Die Hälfte der Arbeitslosen hat keine Berufsausbildung. — Insofern auch hier nicht Hilfe mit Worten, sondern Brückenbau durch Qualifizierung — Brükken zurück ins Erwerbsleben.
Meine Damen und Herren, wir gehen auch ganz unkonventionelle Wege. Wir wollen Teilzeitbeschäftigung mit Bildung verbinden. Ich denke, das hilft auch gerade jenen Jugendlichen, die nach Ende der Lehrzeit nicht auf einen Vollerwerbsplatz übernommen werden können. Ich appelliere an Betriebsräte, an Unternehmer: Wenn ihr nicht alle auf einen Vollerwerbsplatz übernehmen könnt, dann übernehmt sie doch auf Teilzeitarbeitsplätze.
Es ist immer noch besser, eine Teilzeitarbeit zu haben, als ganz arbeitslos zu sein. Wir beschränken das nicht auf Teilzeitarbeit, sondern wir verbinden diese Maßnahme, indem wir aus der Not eine Tugend machen, mit Qualifizierung, so daß Teilzeitarbeit durch Qualifizierung verbessert werden kann.
Meine Damen und Herren, daß wir den befristeten Arbeitsvertrag mit Qualifizierungshilfen, mit Eingliederungsbeihilfen verbinden, erhöht die Chance des befristet Eingestellten, in ein unbefristetes Beschäftigungsverhältnis zu kommen. Ich habe den befristeten Arbeitsvertrag nie für den Normalfall im Arbeitsleben gehalten. Ich habe ihn immer als eine Brücke bezeichnet. Wenn sich ein so Eingestellter durch Eingliederungsbeihilfen auf diesem Arbeitsplatz qualifizieren kann, erhöhen wir die Chance, daß aus dem befristeten Arbeitsvertrag ein unbefristeter wird.
Meine Damen und Herren, ich sehe es als eine große Verbesserung an, daß wir den Bezug von Arbeitslosengeld für ältere Arbeitnehmer verlängern. Sie sind die Arbeitnehmer, die im Durchschnitt am längsten arbeitslos sind. Wir reden viel über Jugendarbeitslosigkeit, ich auch. Aber laßt uns die älteren Kolleginnen und Kollegen nicht vergessen. Deshalb: Wer viele, viele Jahre Beitrag gezahlt hat, der soll auch länger Arbeitslosengeld erhalten als der Jüngere, der schon aus natürlichen Gründen noch nicht so lange Beitrag gezahlt haben kann wie der Ältere.
Auch das ist wieder eine Sozialpolitik ohne jede Ideologie, eine Sozialpolitik, gespeist aus den Erfahrungen des Lebens.
Wir machen das, was Ihr Kanzlerkandidat Johannes Rau in seiner berühmten „Regierungserklärung" im „Expreß" am 16. Oktober angekündigt hat, nämlich: Wer lange arbeitet, soll länger als bisher Arbeitslosenunterstützung erhalten. Er hat das in dieser „Regierungserklärung" für den Herbst 1986 angekündigt. Wir machen im Dezember 1985, was der Kanzlerkandidat der Opposition für Herbst 1986 angekündigt hat. Guten Morgen, Herr Rau, kann ich da nur sagen.
Meine Damen und Herren, wir gehen auch neue Wege. Warum soll sich der ältere Arbeitslose noch der Arbeitslosenvermittlung zur Verfügung stellen, wenn seine Chancen auf Vermittlung relativ gering sind? Wollen Sie ihn denn um eines gesetzgeberischen Perfektionismus, einer statistischen Liebhaberei willen zu einem Vermittlungsgespräch mit relativ geringen Aussichten zwingen? Deshalb kann er, wenn er will, auf Vermittlung verzichten. Freilich verschwindet er dann auch aus der Statistik. Aber soll nur deshalb, damit Sie mit einer schlimmen Statistik polemisieren können, der ältere Arbeitslose auf eine Verbesserung verzichten? Wie weltfern, wie dogmatisch, wie parteiegoistisch behandeln Sie die älteren Arbeitslosen!
Ich freue mich deshalb, daß der Deutsche Gewerkschaftsbund — vielleicht wollen Sie mitschreiben — diese Maßnahme ausdrücklich begrüßt hat. Ich zitiere ganz langsam:
Wir begrüßen, daß die 58jährigen Arbeitslosen aus Vermittlungszwängen entlassen werden.
Genau das machen wir. Das ist eine Sozialpolitik nicht der großen Worte, sondern der handfesten Taten. Dazu stehen wir.
Meine Damen und Herren, soll man einen Arbeitslosen, der sich selbständig macht, bei dem ersten Schritt in die Selbständigkeit mit der Angst ausstatten, daß er, wenn er nicht zum Ziele kommt, sofort aus der sozialen Sicherheit herausfällt? Was ist das für eine Sozialpolitik? Wer den Mut hat, sich in die Selbständigkeit zu begeben, den wollen Sie sozusagen bestrafen, indem Sie ihm schon beim ersten Schritt jede soziale Sicherheit entziehen. Das kann doch nicht im Sinne einer vernünftigen Sozialpolitik sein.
Ich behaupte doch gar nicht, daß zwei Millionen Arbeitslose jetzt alle Selbständige werden könnten. Aber jeder, der auf diese Weise wieder in Arbeit kommt — ob in unselbständige oder in selbständige Arbeit; Hauptsache wieder in Arbeit —, ist herzlich willkommen. Wenn das Hauptportal der Erwerbsarbeit für Arbeitnehmer keinen Zutritt ermöglicht, dann benutzt auch den Seitenausgang in die Selb-
13888 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 182. Sitzung. Bonn, Freitag, den 6. Dezember 1985
Bundesminister Dr. Blüm
ständigkeit! Sie können doch nicht darüber traurig sein, wenn Arbeitnehmer und Arbeitslose selbständig werden. Auch das ist ein Fortschritt. Auch das ist ein Stück Emanzipation. Sie reden doch immer von Emanzipation.
Ich bleibe dabei: Dieses Gesetz ist ein Gesetz für die Arbeitslosen, ein Gesetz, das Brücken zurück in die Erwerbsarbeit baut, ein Beitrag des Staates. Wir können Vollbeschäftigung nicht allein schaffen. Jeder muß seine Pflicht erfüllen. Ich appelliere in dieser Stunde: Arbeitgeber stellt ein, je früher, um so besser! Wenn Arbeitgeber, Gewerkschaften und Bundesregierung dasselbe Ziel verfolgen, werden wir im Kampf gegen Arbeitslosigkeit und im Bemühen um Beschäftigung für alle vorwärtskommen.
Das Wort zur Geschäftsordnung nach § 35 der Geschäftsordnung hat der Abgeordnete Porzner.
Herr Präsident! Meine verehrten Damen und Herren! Aus Agenturmeldungen ist zu entnehmen, daß die Bundesregierung offensichtlich eine Änderung des § 116 des Arbeitsförderungsgesetzes vorhat; daraufhin sollen sich die Bundesminister verständigt haben. Das soll demnächst im Kabinett behandelt werden.
— Da ich die Tagesordnung des Kabinetts nicht festzulegen habe, habe ich mich so allgemein geäußert.
Wir beraten im Augenblick das Arbeitsförderungsgesetz, und zugleich erfahren wir in die Debatte hinein, daß eine ganz gravierende Änderung eines Teils, der die Gesellschaft hier in der Bundesrepublik verändern kann, durch die Bundesregierung vorbereitet wird.
Ich beantrage deswegen, damit man darüber kurz reden kann, die Verlängerung der Debatte zu diesem Tagesordnungspunkt um eine halbe Stunde.
Ebenfalls nach § 35 der Geschäftsordnung Herr Abgeordneter Seiters.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir beraten heute eine bestimmte Novelle des Arbeitsförderungsgesetzes
in der zweiten und dritten Lesung. Wir haben im Parlament mehrfach darüber gesprochen. Diese Novelle steht jetzt zur Entscheidung an. Wir beraten nicht über den § 116 des Arbeitsförderungsgesetzes
Wie der Bundesarbeitsminister vorhin bereits erklärt hat, hat die Bundesregierung genau das getan, was die Tarifpartner von ihr gefordert haben, nämlich einen Vorschlag für die weitere Gesprächsrunde zu unterbreiten.
Weil das so ist und weil wir in der kommenden Woche in die dritte Gesprächsrunde mit den Gewerkschaften und den Arbeitgeberverbänden gehen und dann in der Koalition entscheiden wollen, wie wir weiter verfahren, wollen wir nicht heute im Parlament darüber sprechen und entscheiden, sondern dann, wenn die Zeit gekommen ist.
Daher lehnen wir Ihren Antrag, der aus vordergründigen, taktischen, die Gesprächsführung weiterhin störenden Absichten gestellt ist, ab.
Zum gleichen Thema, zur Geschäftsordnung der Abgeordnete Mann.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir schließen uns dem Antrag der SPD-Fraktion an, Herr Kollege Seiters. Wir sind der Auffassung, da wir uns noch in einer Debatte zur Änderung des Arbeitsförderungsgesetzes befinden, daß es guter Brauch in diesem Hause sein sollte, daß der Präsident nach § 35 unserer Geschäftsordnung die Debatte verlängert. Ich darf den entsprechenden Satz zu Ihrer Erinnerung vorlesen. In § 35 heißt es am Ende des ersten Absatzes:
Der Präsident kann diese Redezeiten verlängern, wenn der Verhandlungsgegenstand oder der Verlauf der Aussprache dies nahelegt.
Nachdem der Herr Bundesarbeitsminister am Anfang seines Debattenbeitrags auf diese Kabinettsvorentscheidung durch die kalte Küche zu § 116 des Arbeitsförderungsgesetzes entgegen dem, was in der Öffentlichkeit angekündigt worden ist, Bezug genommen hat, halte ich es für eine demokratische Selbstverständlichkeit, daß dieser Bundestag, wenn er sich ernst nimmt, hier eine halbe Stunde debattieren kann,
und zwar ohne die Zustimmung der Mehrheit von dieser Seite des Hauses, Herr Seiters.
Da Sie aber jetzt versuchen werden, in Ihrer bekannten Art mit Ihrer Mehrheit Dinge durchzuboxen, melde ich hiermit im Namen unserer Fraktion den Kollegen Kleinert ausdrücklich noch einmal an. Die Aussprache war noch nicht geschlossen. Wir halten uns nicht mehr an die Absprache im Ältestenrat gebunden, Herr Seiters.
Vielen Dank.
Herr Abgeordneter Cronenberg hat das Wort zum selben Paragraphen der Geschäftsordnung.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Erstens
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 182. Sitzung. Bonn, Freitag, den 6. Dezember 1985 13889
Cronenberg
möchte ich darauf aufmerksam machen, daß über diesen Gesamtsachverhalt in dieser Woche eine Aktuelle Stunde stattgefunden hat, in der ausführlich diskutiert worden ist.
Zweitens möchte ich feststellen, daß es richtig ist, daß wir heute über das AFG ausführlich beraten haben
und daß der § 116 auch im AFG steht, aber daß der Beratungsgegenstand heute in überhaupt keinem sachlichen Zusammenhang mit § 116 steht.
Drittens stelle ich fest, daß es für den Fall, daß es zu einer Gesetzesvorlage kommt, ganz selbstverständlich ist, diese hier im Haus ausführlich zu diskutieren.
Aber dazu müssen erst Voraussetzungen geschaffen werden, nämlich eine konkrete Vorlage. Daß das Ergebnis eines Ministergesprächs, das zum Konsens zwischen den Ministern geführt hat, Grundlage für weitere Verhandlungen ist, kann doch nicht mit dem hier abzustimmenden AFG in irgendeinem Zusammenhang stehen. Deswegen ist es im Interesse einer sachlichen Beratung des § 116, der eventuell geändert wird, nicht sinnvoll, das hier und jetzt in einer Verlängerung zu beraten.
Deswegen bitte ich die Kollegen allen Ernstes entweder den Antrag zurückzuziehen oder dagegenzustimmen.
Herr Kollege Mann, es ist nicht so wie Sie annehmen, daß über die Redezeit eine Vereinbarung nur im Ältestenrat getroffen worden ist, sondern darüber haben wir heute bei Beginn der Beratung abgestimmt. Das ist ein Beschluß des Plenums. Wenn man dort etwas ändern will, kann man das also nur durch Beschluß machen.
Mir liegt ein Antrag der SPD-Fraktion vor, der von einer anderen Fraktion unterstützt wird, die Redezeit um eine halbe Stunde zu verlängern. Von den Geschäftsführern der Koalitionsfraktionen ist dagegen gesprochen worden.
Ich stelle das zur Abstimmung. Der Antrag der SPD-Fraktion geht dahin, die Redezeit um eine halbe Stunde zu verlängern. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Die Mehrheit hat diesen Antrag abgelehnt.
Wir sind damit am Ende der Aussprache, zu der weitere Wortmeldungen nach diesem Geschäftsordnungsbeschluß nicht möglich sind und die ich jetzt schließe.
— Ich bitte um Ihre Aufmerksamkeit. Es wird ein bißchen schwierig. Wir haben eine Reihe von Abstimmungen zu machen.
Wir kommen zuerst zur Einzelberatung und Abstimmung über Zusatztagesordnungspunkt 8 b, und zwar über den von der Fraktion der SPD eingebrachten Gesetzentwurf auf Drucksache 10/4016. Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 10/4451 unter Nr. 1, den Gesetzentwurf abzulehnen.
Ich rufe Art. 1 bis 8, Einleitung und Überschrift auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Das Gesetz ist in zweiter Beratung mit Mehrheit abgelehnt. Damit unterbleibt nach § 83 Abs. 3 unserer Geschäftsordnung jede weitere Beratung.
Wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung über Zusatztagesordnungspunkt 8 c, und zwar über den Gesetzentwurf des Abgeordneten Jannsen und der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/2776. Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 10/4451 unter Nr. 2, diesen Gesetzentwurf abzulehnen.
Ich rufe Art. 1 bis 4, Einleitung und Überschrift auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Das Gesetz ist in zweiter Beratung mit großer Mehrheit abgelehnt. Damit unterbleibt nach § 83 Abs. 3 unserer Geschäftsordnung jede weitere Beratung.
Wir stimmen nunmehr über den Zusatztagesordnungspunkt 8 d, nämlich über den von der Fraktion der SPD eingebrachten Gesetzentwurf auf Drucksache 10/3019, ab. Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 10/4451 unter Nr. 3, diesen Gesetzentwurf abzulehnen.
Ich rufe Art. 1 bis 4, Einleitung und Überschrift auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Das Gesetz ist in zweiter Beratung mit Mehrheit abgelehnt. Damit unterbleibt nach § 83 Abs. 3 unserer Geschäftsordnung jede weitere Beratung.
Wir kommen zum Zusatztagesordnungspunkt 8e.
Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 10/4451 unter Nr. 4, den Gesetzentwurf des Bundesrates auf Drucksache 10/4145 abzulehnen.
Ich rufe Art. I bis IV, Einleitung und Überschrift auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Das Gesetz ist in zweiter Beratung mit Mehrheit bei Stimmenthaltung einer Fraktion abgelehnt. Damit unterbleibt nach § 83 Abs. 3 unserer Geschäftsordnung jede weitere Beratung.
13890 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 182. Sitzung. Bonn, Freitag, den 6. Dezember 1985
Vizepräsident Westphal
Wir kommen jetzt zur Einzelberatung und Abstimmung über Zusatztagesordnungspunkt 8 a, nämlich über die von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP sowie der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwürfe auf den Drucksachen 10/3923 und 10/4211.
Ich rufe Art. 1 in der Ausschußfassung auf. Hierzu liegt eine Reihe von Änderungsanträgen der Fraktion der SPD vor, über die ich jetzt abstimmen lasse.
Wer dem Änderungsantrag auf Drucksache 10/4452 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Dann ist dieser Änderungsantrag bei Stimmenthaltungen mit Mehrheit abgelehnt.
Wer dem Änderungsantrag auf Drucksache 10/4453 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Dann ist dieser Änderungsantrag mit Mehrheit abgelehnt.
Wer dem Änderungsantrag auf Drucksache 10/4454 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Der Änderungsantrag ist mit der gleichen Mehrheit abgelehnt.
Wer dem Änderungsantrag auf Drucksache 10/4455 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Auch dieser Änderungsantrag ist mit der gleichen Mehrheit abgelehnt.
Wer dem Änderungsantrag auf Drucksache 10/4456 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Wer ist dagegen? — Enthaltungen? — Auch dieser Änderungsantrag ist mit der gleichen Mehrheit abgelehnt.
Wer dem Änderungsantrag auf Drucksache 10/4457 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Auch dieser Änderungsantrag ist mit der gleichen Mehrheit abgelehnt.
Wer dem Änderungsantrag auf Drucksache 10/4458 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Der Änderungsantrag ist mit Mehrheit abgelehnt.
Wer dem Änderungsantrag auf Drucksache 10/4459 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Auch dieser Änderungsantrag ist mit Mehrheit abgelehnt.
Wer dem Änderungsantrag auf Drucksache 10/4460 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Auch dieser Änderungsantrag ist mit Mehrheit abgelehnt.
Meine Damen und Herren, die Fraktion der SPD verlangt in ihrem Änderungsantrag auf Drucksache 10/4461 gemäß § 52 unserer Geschäftsordnung namentliche Abstimmung. Wer dem Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/4461 zuzustimmen wünscht, den bitte ich, die Abstimmungskarte mit „Ja", wer dagegenstimmen oder sich der Stimme enthalten will, den bitte ich, die entsprechende Abstimmungskarte in die hier vorne aufgestellten Urnen zu legen. Ich eröffne die Abstimmung.
Ich darf die Kollegen darauf aufmerksam machen, daß es noch weitere wichtige Abstimmungen gibt.
Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme nicht abgegeben hat? — Das ist nicht der Fall; dann schließe ich die Abstimmung und bitte die Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen, und bitte die Kollegen, Platz zu nehmen, weil wir während der Auszählung in der Einzelberatung fortfahren können.
— Ich mache das aber nur, wenn die Kollegen so nett sind und sich hinsetzen.
— Ich bitte noch einmal, sich hinzusetzen, dann geht das schneller mit der Abstimmung, auch hier vorne.
Die Fraktion der SPD verlangt zu den einzelnen Bestimmungen getrennte Abstimmung.
Ich rufe Art. 1 Nr. 1 bis 5 in der Ausschußfassung auf. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Dann sind diese aufgerufenen Vorschriften einstimmig angenommen.
Ich rufe Art. 1 Nr. 6 Buchstabe a in der Ausschußfassung auf. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Diese aufgerufene Vorschrift ist mit Mehrheit angenommen.
Ich rufe Art. 1 Nr. 6 Buchstabe b bis g sowie Nr. 7 in der Ausschußfassung auf. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenstimmen? — Enthaltungen? — Dann sind diese aufgerufenen Vorschriften bei Enthaltungen mit großer Mehrheit angenommen.
Ich rufe Art. 1 Nr. 8 und 9 in der Ausschußfassung auf. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte um ein Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Diese aufgerufenen Vorschriften sind mit Mehrheit angenommen.
Ich rufe Art. 1 Nr. 10 in der Ausschußfassung auf. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Die aufgerufene Vorschrift ist mit großer Mehrheit bei einigen Enthaltungen angenommen.
Ich rufe Art. 1 Nr. 11 in der Ausschußfassung auf. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Dann ist diese Vorschrift mit Mehrheit angenommen.
Ich rufe Art. 1 Nr. 11 a in der Ausschußfassung auf. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Dann ist diese Vorschrift mit großer Mehrheit gegen eine Stimme bei einigen Enthaltungen angenommen.
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 182. Sitzung. Bonn, Freitag, den 6. Dezember 1985 13891
Vizepräsident Westphal
Ich rufe Art. 1 Nr. 12 Buchstabe a in der Ausschußfassung auf. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Dann sind diese Vorschriften mit großer Mehrheit bei Enthaltungen angenommen.
Ich rufe Art. 1 Nr. 12 Buchstabe b in der Ausschußfassung auf. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Die Vorschrift ist mit Mehrheit angenommen.
Ich rufe Art. 1 Nr. 12 Buchstabe c in der Ausschußfassung auf. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Dann ist diese Vorschrift mit großer Mehrheit bei Enthaltungen angenommen.
Ich rufe Art. 1 Nr. 13 in der Ausschußfassung auf. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen? — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Die Vorschrift ist mit Mehrheit angenommen.
Ich rufe Art. 1 Nr. 14 bis 15 in der Ausschußfassung auf. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Wer stimmt dagegen?
— Enthaltungen? — Bei Enthaltungen sind die Vorschriften mit großer Mehrheit angenommen.
Ich rufe Art. 1 Nr. 16 bis 17 in der Ausschußfassung auf. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Wer stimmt dagegen?
— Enthaltungen? — Die Vorschriften sind mit Mehrheit angenommen.
Ich rufe Art. 1 Nr. 18 und 19 in der Ausschußfassung auf. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenstimmen? — Enthaltungen? — Diese Vorschriften sind gegen zwei Stimmen bei einer Reihe von Enthaltungen mit großer Mehrheit angenommen.
Ich rufe Art. 1 Nr. 20 in der Ausschußfassung auf. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich der Stimme? — Die Vorschrift ist mit Mehrheit angenommen.
Ich rufe Art. 1 Nr. 21 bis 23 in der Ausschußfassung auf. Wer stimmt dafür? — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Die Vorschriften sind bei einer Gegenstimme und einer Reihe von Enthaltungen mit großer Mehrheit angenommen.
Ich rufe Art. 1 Nr. 24 in der Ausschußfassung auf. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Die Vorschrift ist mit Mehrheit angenommen.
Ich rufe Art. 1 Nr. 25 in der Ausschußfassung auf. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Diese Vorschrift ist bei einer Reihe von Enthaltungen mit großer Mehrheit angenommen.
Ich rufe Art. 1 Nr. 26 in der Ausschußfassung auf. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Auch diese Vorschrift ist bei einer Reihe von Enthaltungen mit großer Mehrheit angenommen.
Ich rufe Art. 1 Nr. 26 a bis 28 in der Ausschußfassung auf. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Bei einer Reihe von Enthaltungen mit großer Mehrheit angenommen.
Ich rufe Art. 1 Nr. 29 Buchstabe a in der Ausschußfassung auf. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Die Vorschrift ist mit Mehrheit angenommen.
Ich rufe Art. 1 Nr. 29 Buchstabe b in der Ausschußfassung auf. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Bei einer Reihe von Enthaltungen mit großer Mehrheit angenommen.
Ich rufe Art. 1 Nr. 29 Buchstabe c und Buchstabe d in der Ausschußfassung auf. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Die Vorschriften sind bei einer Reihe von Enthaltungen mit großer Mehrheit angenommen.
Ich rufe Art. 1 Nr. 30 Buchstabe a in der Ausschußfassung auf. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Die Vorschrift ist mit Mehrheit angenommen.
Ich rufe Art. 1 Nr. 30 Buchstabe b bis Buchstabe d in der Ausschußfassung auf. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Bei einer Reihe von Enthaltungen mit großer Mehrheit angenommen.
Ich rufe Art. 1 Nr. 31 bis 34 in der Ausschußfassung auf. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Bei einer Reihe von Enthaltungen mit großer Mehrheit angenommen.
Ich rufe Art. 1 Nr. 35 in der Ausschußfassung auf. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Bei einer Gegenstimme und einer Reihe von Enthaltungen ist die Vorschrift mit großer Mehrheit angenommen.
Ich rufe Art. 1 Nr. 36 in der Ausschußfassung auf. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Wer dagegen stimmt, den bitte ich um ein Handzeichen. — Enthaltungen? — Bei einer Reihe von Enthaltungen mit großer Mehrheit angenommen.
Ich rufe Art. 1 Nr. 37 bis 40 in der Ausschußfassung auf. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Die Vorschriften sind mit Mehrheit angenommen.
Ich rufe Art. 1 Nr. 41 und 42 in der Ausschußfassung auf. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Wer stimmt dagegen?
13892 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 182. Sitzung. Bonn, Freitag, den 6. Dezember 1985
Vizepräsident Westphal
— Enthaltungen? — Die Vorschriften sind bei einer Reihe von Enthaltungen mit großer Mehrheit angenommen.
Ich rufe Art. 1 Nr. 42 a und 43 in der Ausschußfassung auf. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Wer stimmt dagegen?
— Enthaltungen? — Die Vorschriften sind mit Mehrheit angenommen.
Ich rufe Art. 1 Nr. 44 in der Ausschußfassung auf. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Bei einer Reihe von Enthaltungen mit großer Mehrheit angenommen.
Ich rufe Art. 1 Nr. 45 in der Ausschußfassung auf. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Die Vorschrift ist mit Mehrheit angenommen.
Ich rufe Art. 1 Nr. 46 und 47 in der Ausschußfassung auf. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Wer stimmt dagegen?
— Enthaltungen? — Die Vorschriften sind bei einer Reihe von Enthaltungen mit großer Mehrheit angenommen.
Bevor ich über Art. 1 in der Ausschußfassung abstimmen lasse, gebe ich das von den Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/4461 bekannt: Von den voll stimmberechtigten Mitgliedern des Hauses haben 345 ihre Stimme abgegeben; ungültige Stimmen waren nicht dabei. Mit Ja haben 140, mit Nein haben 205 Abgeordnete gestimmt; es hat keine Enthaltungen gegeben.
15 Berliner Abgeordnete haben ihre Stimme abgegeben; davon war keine ungültig. Mit Ja haben sechs, mit Nein haben neun Abgeordnete gestimmt; es hat keine Enthaltungen gegeben.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen 343 und 15 Berliner Abgeordnete; davon
ja: 139 und 6 Berliner Abgeordnete
nein: 204 und 9 Berliner Abgeordnete
Ja
CDU/CSU
Glos
SPD
Bachmaier
Becker Bernrath
Bindig
Frau Blunck Brück
Buckpesch Büchler Buschfort Catenhusen
Collet Conradi
Frau Dr. Däubler-Gmelin Delorme
Dreßler Duve
Dr. Ehmke Esters
Ewen Fiebig
Fischer Franke (Hannover)
Frau Fuchs
Frau Fuchs Gansel
Gerstl
Gilges Glombig
Haar
Haehser
Hansen
Dr. Hauchler Herterich
Hettling
Frau Huber Huonker
Ibrügger
Jahn Jung (Düsseldorf) Kirschner
Klein Dr. Klejdzinski Kolbow
Kretkowski Kuhlwein
Lambinus
Leonhart
Liedtke
Lohmann
Lutz
Frau Dr. Martiny-Glotz Frau Matthäus-Maier Matthöfer
Meininghaus Menzel
Müller Müller (Schweinfurt) Müntefering
Nehm
Neumann Frau Odendahl Oostergetelo
Paterna
Pauli
Dr. Penner
Pfuhl
Porzner
Poß
Purps
Ranker
Reimann
Frau Renger Reuter
Rohde
Roth
Sander
Schäfer Schanz
Schlaga
Schluckebier
Dr. Schmidt Frau Schmidt (Nürnberg) Schmitt (Wiesbaden)
Dr. Schmude Dr. Schöfberger
Schröer Schulte (Unna) Sielaff
Sieler
Dr. Soell
Dr. Sperling Dr. Spöri
Stahl Steiner
Frau Steinhauer
Stiegler
Stockleben Frau Terborg Tietjen
Toetemeyer Frau Traupe Urbaniak
Vahlberg
Vogelsang
Vosen
Waltemathe Walther
Weinhofer
Weisskirchen Dr. Wernitz
Westphal
Frau Weyel
Dr. Wieczorek
Wiefel
von der Wiesche Wischnewski
Witek Würtz Zander Zeitler
Berliner Abgeordnete
Dr. Diederich Löffler
Dr. Mitzscherling Stobbe
Wartenberg
DIE GRÜNEN
Auhagen
Frau Hönes
Kleinert Lange
Mann
Dr. Müller Rusche
Schily
Schmidt
Schulte Senfft
Suhr
Tatge Tischer
Vogel Volmer
Frau Wagner
Werner
Berliner Abgeordnete Ströbele
Nein
CDU/CSU
Dr. Abelein
Frau Augustin Austermann
Dr. Barzel
Bayha
Dr. Becker Biehle
Dr. Blens
Dr. Blüm
Dr. Bötsch
Bohl
Bohlsen
Borchert
Braun Breuer Broll
Brunner
Bühler
Dr. Bugl
Carstensen Clemens
Dr. Czaja
Dr. Daniels
Frau Dempwolf
Deres Dörflinger
Doss
Dr. Dregger
Ehrbar Eigen Erhard
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 182. Sitzung. Bonn, Freitag, den 6. Dezember 1985 13893
Vizepräsident Westphal
Eylmann Fellner
Frau Fischer
Fischer Francke (Hamburg)
Dr. Friedmann
Funk
Ganz
Frau Geiger
Dr. von Geldern
Gerlach Gerstein
Gerster
Dr. Göhner
Dr. Häfele
Hanz
Haungs
Hauser Hauser (Krefeld) Hedrich
Helmrich Dr. Hennig
Herkenrath
Hinrichs Hinsken Höffkes Höpfinger
Dr. Hoffacker
Frau Hoffmann Dr. Hornhues
Hornung
Frau Hürland
Dr. Hüsch
Dr. Hupka
Jäger
Jagoda
Dr. Jahn
Dr. Jenninger
Dr. Jobst
Jung
Dr.-Ing. Kansy
Frau Karwatzki
Klein
Dr. Köhler Dr. Köhler (Wolfsburg) Kolb
Kraus
Krey
Kroll-Schlüter
Frau Krone-Appuhn
Dr. Kronenberg
Dr. Kunz Lamers
Dr. Lammert
Landré Lattmann
Dr. Laufs
Link
Link Lintner
Dr. Lippold
Löher
Lohmann Louven
Maaß
Frau Männle
Magin
Marschewski
Metz
Michels Milz
Dr. Möller
Müller Müller (Wadern)
Müller
Nelle
Frau Dr. Neumeister Dr.-Ing. Oldenstädt
Dr. Olderog
Pesch
Petersen Dr. Pinger
Pöppl
Pohlmann
Dr. Pohlmeier
Dr. Probst Reddemann Rode
Frau Rönsch Rossmanith Roth
Rühe
Ruf
Sauer
Sauer
Saurin
Sauter
Dr. Schäuble
Schemken Schlottmann Schmidbauer
Schmitz Schneider
Freiherr von Schorlemer Schreiber
Dr. Schroeder Schulhoff
Dr. Schulte
Schultz (Wörrstadt) Schwarz
Seehofer Seesing
Seiters
Dr. Freiherr
Spies von Büllesheim Spilker
Dr. Stark Dr. Stercken Stockhausen
Dr. Stoltenberg Stommel Strube
Stutzer
Susset
Tillmann
Frau Verhülsdonk
Vogel
Vogt
Dr. Voigt
Dr. Voss
Dr. Waffenschmidt
Dr. Waigel
Graf von Waldburg-Zeil Dr. Warrikoff
Dr. von Wartenberg Weirich
Weiß
Werner
Frau Will-Feld
Frau Dr. Wilms
Wilz
Windelen
Frau Dr. Wisniewski
Dr. Wittmann
Würzbach Dr. Wulff Zink
Berliner Abgeordnete
Frau Berger Boroffka
Buschbom Dolata
Feilcke
Kalisch
Dr. Pfennig Straßmeir
FDP
Frau Dr. AdamSchwaetzer
Baum
Beckmann Bredehorn
Cronenberg Eimer (Fürth)
Engelhard Ertl
Gattermann Genscher
Frau Dr. Hamm-Brücher Dr. Haussmann
Dr. Hirsch Hoffie
Kleinert Kohn
Mischnick Möllemann Neuhausen Paintner
Ronneburger Dr. Rumpf Schäfer
Frau Dr. Segall
Dr. Solms
Dr. Weng Wolfgramm (Göttingen)
Berliner Abgeordneter Hoppe
Damit ist der Änderungsantrag abgelehnt.
Ich kann also jetzt den gesamten Art. 1 in der Ausschußfassung aufrufen. Wer diesem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich? — Diese Vorschrift ist bei einer größeren Anzahl von Enthaltungen und bei Gegenstimmen mit Mehrheit angenommen.
Ich rufe Art. 2 in der Ausschußfassung auf. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Bei einer Reihe von Enthaltungen ist Art. 2 mit großer Mehrheit angenommen.
Ich rufe Art. 3 bis 6 in der Ausschußfassung auf. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich der Stimme? — Gegen zwei Stimmen bei einer größeren Anzahl von Enthaltungen sind die Vorschriften mit Mehrheit angenommen.
Ich rufe Art. 6 a bis 6 c in der Ausschußfassung auf. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Bei einer Reihe von Enthaltungen sind die Vorschriften mit großer Mehrheit angenommen.
Ich rufe Art. 7 in der Ausschußfassung auf. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich der Stimme? — Bei einer Gegenstimme und einer größeren Anzahl von Enthaltungen ist die Vorschrift mit Mehrheit angenommen.
Ich rufe Art. 8 in der Ausschußfassung auf. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Bei einer größeren Anzahl von Enthaltungen und drei Gegenstimmen ist die Vorschrift mit Mehrheit angenommen.
Ich rufe Art. 9 in der Ausschußfassung auf. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen?
13894 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 182. Sitzung. Bonn, Freitag, den 6. Dezember 1985
Vizepräsident Westphal
Bei einer Gegenstimme und einigen Enthaltungen ist die Vorschrift mit großer Mehrheit angenommen.
Ich rufe Art. 10 in der Ausschußfassung auf. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Bei einer Reihe von Gegenstimmen ist die Vorschrift mit großer Mehrheit angenommen.
Es bleibt noch, über Einleitung und Überschrift abzustimmen. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Bei einer Reihe von Enthaltungen sind Einleitung und Überschrift mit großer Mehrheit angenommen.
Damit ist die zweite Beratung abgeschlossen. Wir treten in die
dritte Beratung
ein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich der Stimme? — Meine Damen und Herren, der Gesetzentwurf ist gegen die Stimmen der Fraktion DIE GRÜNEN und bei Enthaltung der Stimmen in der Fraktion der SPD mit Mehrheit angenommen.
Meine Damen und Herren, damit sind wir am Ende dieses Teils der Tagesordnung.
Ich habe hier nun noch den Wunsch der Abgeordneten Frau Fuchs nach Abgabe einer Erklärung zur Abstimmung vorliegen, die wir nach unserem gegenwärtigen Verfahren nach der Abstimmung ermöglichen.
Frau Fuchs hat das Wort.
— Ich bitte um Aufmerksamkeit.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich gebe eine Erklärung nach § 32 unserer Geschäftsordnung ab, weil ich Ihnen sagen will, daß ich mich in dieser Woche vom Bundesarbeitsminister in der Auseinandersetzung um das Arbeitsförderungsgesetz in einem unerträglichen Maße getäuscht fühle.
Wir sitzen hier zusammen, führen eine Aktuelle Stunde durch und fragen den Herrn Bundesarbeitsminister, wie er denn die Neutralitätspflicht der Bundesanstalt für Arbeit bei Streik und Aussperrung so zu gestalten gedenkt, daß die Arbeitnehmerschaft keinen Schaden erleidet, und er gibt uns keine Antwort, meine Damen und Herren. Er eiert,
wie es so seine Art ist, um jede Information zu verhindern, und zwar mit der Begründung, dies werde die Gespräche mit den Gewerkschaften erschweren.
Und während wir hier sitzen, meine Damen und Herren, und über die siebte Novelle des Arbeitsförderungsgesetzes reden, geht Herr Blüm mit Herrn Bangemann und mit anderen Ministern hin und gibt bekannt,
wie sich die Bundesregierung eine Änderung des § 116 des Arbeitsförderungsgesetzes vorstellt.
Frau Abgeordnete, ich muß Sie unterbrechen.
Ich halte dies für eine Täuschung des Parlaments.
Sie haben Ihre Informationspflicht mißachtet, Herr Bundesarbeitsminister!
Sie haben uns eine Antwort mit dem Hinweis darauf verweigert, daß Sie eine Konsensfindung wollen.
Frau Fuchs, es tut mir leid. Ich muß Sie darauf aufmerksam machen, daß dies über den Rahmen des § 32 hinausgeht.
Ich kann Ihnen dies nicht zugestehen.
Wir müssen uns schon an die Geschäftsordnung
halten. Sie haben das Wort zu einer Erklärung — —
Ich habe das Wort zu einer Erklärung nach § 32 der Geschäftsordnung, Herr Präsident.
Ich gebe eine Erklärung nach § 32 unserer Geschäftsordnung ab. Ich habe sie schriftlich eingereicht, damit — —
Ich möchte jetzt eben klären, wozu ich Ihnen das Wort gegeben habe. Sie haben gesagt, zu § 32. Ich muß gleich einmal fest-
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 182. Sitzung. Bonn, Freitag, den 6. Dezember 1985 13895
Vizepräsident Westphal
stellen, was das Protokoll aussagt. Es tut mir furchtbar leid, aber so etwas kann vorkommen.
Ich bin davon ausgegangen, daß es eine Erklärung zur Abstimmung im Anschluß an die Abstimmung sein sollte. Irre ich mich dabei?
Ja, es soll eine Erklärung nach § 32 der Geschäftsordnung nach Abschluß der Abstimmung sein,
ganz generell außerhalb der Tagesordnung — —
Einen kleinen Moment, bitte! — Ich zitiere § 32 der Geschäftsordnung:
Erklärung außerhalb der Tagesordnung
Zu einer tatsächlichen oder persönlichen Erklärung außerhalb der Tagesordnung kann der Präsident das Wort vor Eintritt in die Tagesordnung, nach Schluß, Unterbrechung oder Vertagung einer Aussprache erteilen. Die Erklärung ist ihm vorher schriftlich mitzuteilen;
— sie ist hierher gegeben worden; daran erinnere ich mich —
sie darf nicht länger als fünf Minuten dauern.
Das ist der Wortlaut des § 32. Das heißt: Das hat mit dem, was vorher war, nichts zu tun. Es ist ein neuer, anderer Vorgang außerhalb der Tagesordnung. Dies müssen wir zulassen.
Sie haben aber schon einen Teil der Redezeit verbraucht, Frau Fuchs.
Ich habe leider schon einen Teil der Redezeit verbraucht, weil ich durch die heftigen Debatten der Koalition auch wieder lauter wurde, als ich wollte. Deswegen sage ich noch einmal: Ich habe nach § 32 der Geschäftsordnung schriftlich eine Erklärung beantragt.
Herr Bundesarbeitsminister, Sie waren nicht bereit, uns die Absichten einer Regelung vorzutragen, weil Sie gesagt haben, das würde die Konsensfindung erschweren. Während wir hier sitzen und debattieren, geben Sie der Presse bekannt — —
— Wollen Sie das bestreiten? Es ist j a noch schlimmer, wenn nicht einmal der zuständige Minister, sondern der Herr Bangemann an die Presse geht und sagt: Hier, meine Damen und Herren von der Presse, ist die Absicht der Bundesregierung zu § 116 Arbeitsförderungsgesetz.
Der Bundesarbeitsminister kann in dieser Debatte wiederum nicht sagen, wie er zu dieser Sache steht. Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dies ist eine unerträgliche Hinters-Licht-Führung des Parlaments und eine Beeinträchtigung seiner Informationsrechte.
Herr Bundesarbeitsminister, Sie sollten sich einmal über Ihre Situation klarwerden, bevor Sie sich von anderen wieder so massiv unterbuttern lassen.
Ich glaube, Sie haben dies absichtlich gewollt. Dies ist mein stärkster Vorwurf.
Meine Damen und Herren, mir liegt hier noch eine weitere Wortmeldung vor. Ich muß darauf hinweisen, daß sie das gleiche Thema hat. Es liegt im Ermessen des Präsidenten, dies auch unter dem Gesichtspunkt der gesamten Entwicklung zu betrachten. Ich glaube, es ist richtiger, zu sagen, daß wir hier nicht noch eine weitere Erklärung zu dem gleichen Thema haben sollten. Ich bitte um Verständnis, es ist manchmal nicht so ganz einfach, hier oben zu präsidieren.
— Sie kann zu Protokoll genommen werden.*)
Mir liegen keine weiteren Wünsche zu Erklärungen vor.
Ich rufe Punkt 1 der Tagesordnung auf: Fragestunde
— Drucksachen 10/4406, 10/4414 —
Der Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern braucht nicht abgehandelt zu werden, weil auf Wunsch der Fragesteller die Fragen 30 und 31 des Abgeordneten Baum und die Frage 33 des Abgeordneten Austermann sowie die Frage 49 des Abgeordneten Dr. Diederich schriftlich beantwortet werden sollen. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt. Die Frage 32 des Abgeordneten Dr. Emmerlich ist zurückgezogen.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen auf. Zur Beantwortung steht uns der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Voss zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 34 des Abgeordneten Weiß auf:
Trifft es zu, daß Beamten auch bei gleich hohen Vorsorgeaufwendungen im Kalenderjahr 1985 bis 10,11 v. H. mehr Lohn- und Kirchensteuer einbehalten wird als nichtbeamteten Steuerbürgern?
Herr Parlamentarischer Staatssekretär.
Herr Kollege Weiß, gestatten Sie,
*) Anlage 3.
13896 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 182. Sitzung. Bonn, Freitag, den 6. Dezember 1985
Parl. Staatssekretär Dr. Voss
daß ich Ihre beiden Fragen im Zusammenhang beantworte?
Der Fragesteller ist einverstanden. Dann rufe ich auch die Frage 35 des Abgeordneten Weiß auf:
Trifft es zu, daß den Beamten durch die weitere Verweigerung der Wiedereinführung des Lohnsteuerermäßigungsverfahrens für Vorsorgeaufwendungen verwehrt wird, das Einbehalten von nicht geschuldeter Lohn- und Kirchensteuer über das Kalenderjahr 1985 hinaus zu verhindern?
Dr. Voss, Parl. Staatssekretär: Es trifft zu, daß Beamten in bestimmten Gehaltsbereichen auch bei gleich hohen Vorsorgeaufwendungen im Kalenderjahr 1985 rund 10 v. H. mehr Lohnsteuer und Kirchensteuer einbehalten wird als sozialversicherungspflichtigen Arbeitnehmern. Grund hierfür ist die für Beamte ab 1983 geltende gekürzte Vorsorgepauschale. Durch diese Kürzung sollte ein bisher ungerechtfertigter Steuervorteil eingeschränkt werden.
Die bis zu diesem Zeitpunkt allen Arbeitnehmern gewährte und ungekürzte Vorsorgepauschale wurde so bemessen, daß sie im Regelfall die zu leistenden Arbeitnehmeranteile der gesetzlichen Sozialversicherung voll erfaßt. Diese ungekürzte Vorsorgepauschale führte zu einer Freibetragswirkung bei solchen nicht sozialversicherungspflichtigen Arbeitnehmern, die tatsächlich keine Vorsorgeaufwendungen in entsprechender Höhe leisten.
Diese Freibetragswirkung ist durch die Begrenzung der Vorsorgepauschale eingeschränkt worden. Gleichwohl haben Arbeitnehmer, die nur die gekürzte Vorsorgepauschale erhalten, die Möglichkeit, im Lohnsteuerjahresausgleich oder bei einer Veranlagung zur Einkommensteuer ihre tatsächlichen Vorsorgeaufwendungen wie bisher im Rahmen der allgemeinen Höchstbeträge geltend zu machen.
Bei der Entscheidung, für nicht rentenversicherungspflichtige Arbeitnehmer eine gekürzte Vorsorgepauschale einzuführen, ist sorgfältig geprüft worden, ob den von der Kürzung der Vorsorgepauschale betroffenen Arbeitnehmern die Möglichkeit eröffnet werden soll, über die gekürzte Vorsorgepauschale hinausgehende Vorsorgeaufwendungen im Lohnsteuerermäßigungsverfahren geltend zu machen. Hiervon wurde jedoch abgesehen, weil angenommen werden kann, daß die begrenzte Vorsorgepauschale die üblichen Vorsorgeaufwendungen abdeckt, die auch bei sozialversicherungspflichtigen Arbeitnehmern mit der Vorsorgepauschale abgegolten werden.
Da auch andere Vorsorgeaufwendungen, z. B. Beiträge zu Lebens- und Haftpflichtversicherungen oder Bausparbeträge, bei sozialversicherungspflichtigen Arbeitnehmern regelmäßig nicht mehr von der Vorsorgepauschale erfaßt werden, erschien es im Interesse der steuerlichen Gleichbehandlung nicht gerechtfertigt, für die Arbeitnehmer, die nur die gekürzte Vorsorgepauschale erhalten, einen besonderen Ermäßigungstatbestand zu schaffen. Außerdem hätte das die Vereinfachungswirkung der Vorsorgepauschale aufgehoben.
Keine Zusatzfragen.
Dann rufe ich die Frage 36 des Abgeordneten Pfuhl auf:
Treffen Berichte zu, daß die „Schieflage" der Bayerischen Raiffeisen-Zentral-Bank längere Zeit durch verschönende, wahrheitswidrige Prüfungsberichte der raiffeiseneigenen Tochtergesellschaft Treueverbund verschleiert und damit mitverschuldet wurde, und ist die Bundesregierung bereit, die Unabhängigkeit von Wirtschaftsprüfern dadurch sicherzustellen, indem Prüfungen nicht mehr durch Tochter- oder Beteiligungsunternehmen des oder der zu Prüfenden erfolgen dürfen?
Herr Staatssekretär.
Dr. Voss, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Pfuhl, das Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen hat bei der Bayerischen Raiffeisen-Zentral-Bank AG München eine Prüfung nach § 44 Abs. 1 Satz 1 des Kreditwesengesetzes angeordnet, die näheren Aufschluß über die wirtschaftliche Lage der Bayerischen Raiffeisen-Zentral-Bank geben soll. Solange der Bericht hierüber nicht vorliegt, kann nicht beurteilt werden, ob der Treueverbund GmbH Wirtschaftsprüfungsgesellschaft im Falle der BRZ München eine „verschönende" und „wahrheitswidrige" Berichterstattung in den Prüfungsberichten anzulasten ist.
Zum zweiten Teil Ihrer Frage, Herr Kollege: Die Bayerische Raiffeisen-Zentral-Bank besitzt nach den Erkenntnissen der Bundesregierung keine Anteile an der Wirtschaftsprüfungs-Treuhand GmbH. Diese Wirtschaftsprüfungsgesellschaft ist deshalb weder eine Tochter noch ein Beteiligungsunternehmen der Bayerischen Raiffeisen-Zentral-Bank.
Der Rechtsausschuß des Deutschen Bundestages hat in seine Beschlußempfehlung zum Entwurf des Bilanzrichtlinie-Gesetzes eine Regelung aufgenommen, nach der § 28 der Wirtschaftsprüferordnung dahin gehend geändert werden soll, daß sich an Wirtschaftsprüfungsgesellschaften künftig nur noch Berufsangehörige beteiligen können. Die Bundesregierung wurde aufgefordert, bis 1987 einen Bericht vorzulegen, wie Altgesellschaften an das neue Recht angepaßt werden können, und einen geeigneten Lösungsvorschlag zu unterbreiten.
Herr Abgeordneter Pfuhl, eine Zusatzfrage? — Bitte schön.
Herr Staatssekretär, stimmen Sie mit der Meinung eines Vorstandsmitgliedes der Warenkreditzentrale, Herrn Unckell aus München, überein, der in der „Wirtschaftswoche", Nr. 46, u. a. erklärt hat, daß die Maßstäbe moderner Wirtschaftsprüfung, die bisher etwas lasch gehandhabt worden seien, angelegt werden müßten?
Dr. Voss, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, es ist nicht meine Aufgabe, mich hier zu Presseveröffentlichungen und zu sonstigen Meinungen zu äußern, aber ich stimme grundsätzlich mit Ihnen überein, wenn ich feststelle, daß die Grundlagen einer geordneten Wirtschaftsprüfung für jedes Unternehmen nur von Vorteil sein können.
Es steht Ihnen eine weitere Zusatzfrage zu. Bitte schön.
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 182. Sitzung. Bonn, Freitag, den 6. Dezember 1985 13897
Herr Staatssekretär, besteht nicht trotzdem in vielen Fällen die Gefahr, daß sich in weiten Bereichen etwa des Bundes oder der Länder oder auch des Städtetages — um hier gar nicht von den Genossenschaften zu reden — Tochterunternehmen in einem Abhängigkeitsverhältnis befinden und daß, dadurch bedingt, auch die Bediensteten in einem gewissen Abhängigkeitsverhältnis zu denjenigen stehen, die ihnen als Aufsichtsratsmitglieder übergeordnet sind?
Dr. Voss, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, wenn hier Abhängigkeitsverhältnisse festzustellen sind, besteht — wie bei allen Abhängigkeitsverhältnissen — immer die Gefahr, daß die Objektivität eingeschränkt sein kann.
Weitere Wortmeldungen liegen mir zu dieser Frage nicht vor.
Frage 37 wird auf Wunsch des Abgeordneten Dr. Lammert schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Frage 38 des Abgeordneten Dr. Lammert ist zurückgezogen worden.
Ich rufe Frage 39 des Abgeordneten Vogel auf:
Wann liegt nach der Definition der Bundesregierung eine „unwesentliche" Beteiligung eines Elternteils am Unterhalt eines Kindes vor, so daß entsprechend § 32 Abs. 6 EStG der andere Elternteil die Gewährung des vollen Kinderfreibetrages beantragen kann?
Herr Staatssekretär.
Dr. Voss, Parl. Staatssekretär: Ob der unterhaltszahlungspflichtige Elternteil seiner Unterhaltsverpflichtung gegenüber dem Kind im Sinne des § 32 Abs. 6 Satz 4 des Einkommensteuergesetzes „nur zu einem unwesentlichen Teil" nachkommt, läßt sich nicht allgemein sagen, sondern kann nur nach den Verhältnissen des Einzelfalles beurteilt werden. Dabei sind u. a. der Anteil, zu dem die Zahlungspflicht erfüllt worden ist, und die absolute Höhe der Zahlungen von Bedeutung. Näheres wird noch in Verwaltungsanweisungen bestimmt, die im Laufe des nächsten Jahres im Benehmen mit den für die Verwaltung der Einkommensteuer zuständigen Ländern herausgegeben werden.
Eine Zusatzfrage? — Bitte schön.
Herr Staatssekretär, wie sieht die Bundesregierung in diesem Zusammenhang das Problem, daß durch die Kopplung des Kinderfreibetrages mit dem Besucherfreibetrag der Unterhaltszahlende, der wegen „unwesentlicher Beteiligung" auf seinen Anteil am Kinderfreibetrag verzichtet, gleichzeitig den Besucherfreibetrag verliert? Wollen Sie da etwas ändern, oder soll das so bleiben?
Dr. Voss, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, im Moment sind hier, soweit ich informiert bin, Änderungen nicht beabsichtigt.
Eine weitere Zusatzfrage?
— Keine Zusatzfrage mehr. Dann rufe ich Frage 40 des Abgeordneten Vogel auf:
Mit welchen Argumenten rechtfertigt die Bundesregierung, bzw. was wird sie dagegen unternehmen, daß entsprechend dem Steuersenkungsgesetz ab 1. Januar 1986 für unterhaltszahlende Elternteile die kindbedingten Freibeträge um 1 242 DM auf 1 842 DM erhöht werden, während für die Elternteile, in deren Haushalt das Kind lebt, die kindbedingten Freibeträge — wegen des Wegfalls der zusätzlichen Sonderausgabenhöchstbeträge — um 90 DM verringert werden?
Dr. Voss, Parl. Staatssekretär: Der von Ihnen, Herr Kollege, angestellte Vergleich ist unzutreffend. Bei zahlungspflichtigen Elternteilen erhöht sich der Kinderfreibetrag unter Einbeziehung des zusätzlichen Sonderausgabenhöchstbetrages für Vorsorgeaufwendungen von bis zu 450 DM je Kind von 216 DM auf 1 242 DM. Die Verbesserung des Abzugs beträgt somit je nach Ausschöpfung des bezeichneten Sonderausgabenhöchstbetrages zwischen 576 DM und 1 026 DM. Der wegen Aufwendungen zur Pflege des Eltern-Kind-Verhältnisses eingeräumte Freibetrag von 600 DM je Kind bleibt unverändert bestehen.
Demgegenüber tritt bei dem anderen Elternteil der Kinderfreibetrag von 1 242 DM an die Stelle des bisherigen Kinderfreibetrages von 432 DM zuzüglich eines kindbedingten Sonderausgabenhöchstbetrages von bis zu 900 DM. Außerdem wurde der diesen Elternteilen zustehende Haushaltsfreibetrag auf 4 536 DM erhöht. Im Ergebnis erhöht sich damit in diesen Fällen der einkommensmindernde Abzug um einen Betrag zwischen 234 DM und 1 134 DM.
Eine Zusatzfrage? — Bitte schön.
Wie beurteilt die Bundesregierung die Tatsache, daß bei der Person, bei der das Kind lebt, Vorsorgeaufwendungen für das Kind nicht mehr steuerlich berücksichtigt werden, obwohl sie weiterhin anfallen, während dem Unterhaltszahlenden diese Kosten natürlich nicht entstehen?
Dr. Voss, Parl. Staatssekretär: In diesem Fall, Herr Kollege, geht die Bundesregierung davon aus, daß diese Aufwendungen in dem nun sehr drastisch erhöhten Kinderfreibetrag enthalten sind.
Sie haben noch eine weitere Zusatzfrage.
Ist die Bundesregierung sich bewußt, daß der Unterhaltsverpflichtete mehr öffentliche Leistungen für das Kind erhält als die erziehende Person, weil das Kindergeld zur Hälfte auf die Unterhaltsverpflichtung angerechnet wird? Und was gedenkt sie dagegen zu tun? Z. B. die Unterhaltsverpflichtung beträgt pro Monat 500 DM, es werden jedoch nur 475 DM gezahlt, da dann pro Monat 25 DM des Kindergeldes für das erste Kind abgezogen werden.
13898 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 182. Sitzung. Bonn, Freitag, den 6. Dezember 1985
Dr. Voss, Parl. Staatssekretär: Die Bundesregierung ist bemüht gewesen, die Disparitäten, die hier bestanden, Herr Kollege, auf ein erträgliches Maß zu reduzieren. Ich bin der Meinung, daß dies mit der jetzt geltenden Regelung gelungen ist.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Mann.
Herr Kollege, nachdem ich soeben bei der Beantwortung der Frage Ihren Ausführungen aufmerksam zugehört habe, frage ich, sind Sie der Auffassung, daß ein normaler Steuerzahler diese komplizierten Auswirkungen, die sich durch das neue Gesetz noch erheblich verstärkt haben, nachvollziehen kann? Muß nicht der normale Bürger eigentlich hier einen Steuerberater in Anspruch nehmen, um seine Kinderfreibeträge geltend zu machen?
Ich zweifle die Berechtigung der Frage nicht an. Aber den sachlichen Zusammenhang könnte ich anzweifeln. Aber, bitte schön, Herr Staatssekretär.
Dr. Voss, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, die Bundesregierung ist sich darüber im klaren, daß viele steuerliche Sachverhalte und die dafür getroffenen gesetzlichen Regelungen sehr schwierig und für manchen Steuerpflichtigen wenig durchsichtig sind. Deshalb hat sich die Bundesregierung ja auch das Ziel gesetzt, mehr Transparenz in die Steuergesetzgebung zu bringen, die Steuergesetzgebung zu vereinfachen und hier zu Möglichkeiten zu kommen, die genau dem entsprechen, was Sie eben gefordert haben. Nur bitte ich Sie auch, mit in Ihre Überlegungen einzubeziehen, daß zuweilen durch höchstrichterliche Entscheidungen Lösungen gefordert werden, die diesem Gebot und der Möglichkeit der Vereinfachung, der Transparenz und des weniger Bürokratischen nicht gerade entgegenkommen, sondern im Gegenteil dieses Ziel, das die Bundesregierung sich mit Recht gesetzt hat, erschweren.
Weitere Zusatzfragen sind nicht erwünscht.
Ich rufe die Frage 41 des Abgeordneten Schily auf:
Welche Möglichkeiten sieht Bundeskanzler Dr. Kohl auf Grund seiner Kenntnisse, die rheinland-pfälzische Landesregierung bei der Aufarbeitung der finanziellen Misere der Rheinland-Pfälzischen Landesbank zu unterstützen?
Herr Staatssekretär.
Dr. Voss, Parlamentarischer Staatssekretär: Bei den im Zusammenhang mit der Deutschen Anlagen-Leasing GmbH von der rheinland-pfälzischen Landesregierung zu treffenden Entscheidungen besteht keine Veranlassung für eine Unterstützung durch den Bundeskanzler.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Schily.
Herr Staatssekretär, ich glaube, Sie haben mit dieser Antwort meine Frage nicht beantwortet. Denn ich habe nach Möglichkeiten gefragt, die dem Bundeskanzler zur Verfügung stehen, auf Grund seiner Kenntnisse die rheinlandpfälzische Landesregierung bei der immerhin in große Dimensionen ausufernden finanziellen Misere der Rheinland-Pfälzischen Landesbank zu unterstützen. Teilen Sie nicht meine Auffassung, daß es, wenn der Bundeskanzler über solche Kenntnisse verfügt, angetan wäre, diese Unterstützung zu gewähren?
Dr. Voss, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Schily, Möglichkeiten richten sich auch nach den Notwendigkeiten. Ich habe eben vorgetragen, daß nach dem Sachverhalt, der hier vorliegt, und nach den Kenntnissen, die die entsprechende Landesregierung hat, keine Veranlassung und keine Notwendigkeit für vielleicht de facto bestehende Möglichkeiten gegeben ist.
, Eine weitere Zusatzfrage zu dieser Frage?
Ja. Herr Staatssekretär, beruht die Antwort, die Sie mir jetzt auf die Frage geben, auf einer Kontaktaufnahme mit dem Bundeskanzler persönlich?
Dr. Voss, Parl. Staatssekretär: Ich sehe mich nicht In der Lage, diese Frage in diesem Zusammenhang zu beantworten.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Mann.
Herr Staatssekretär, könnten Sie uns vielleicht sagen, warum Sie sich dazu nicht in der Lage sehen.
Dr. Voss, Parl. Staatssekretär: Ich sehe da keinen Sachzusammenhang, Herr Kollege.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Stahl.
Herr Staatssekretär, können Sie dem Hause vielleicht sagen, ob die Antwort, die Sie hier gegeben haben, mit dem Bundeskanzleramt und dem zuständigen, dafür verantwortlichen Abteilungsleiter abgestimmt ist?
Dr. Voss, Parl. Staatssekretär: Ich vermag Ihnen zu sagen, daß auf Wunsch des Bundeskanzleramtes ihm die Antwortentwürfe zugeleitet worden sind.
Die Abgeordnete Frau Hürland hat um eine Zusatzfrage gebeten.
Herr Staatssekretär, können Sie mir zustimmen, daß diese Fragen an die Bundesregierung gestellt werden, daß Sie im Namen der Bundesregierung antworten und daß es nicht üblich und meines Erachtens auch nicht statthaft ist, danach zu fragen, ob einzelne Mitglieder der Bundesregierung und in welcher Art an dieser Antwort mitgewirkt haben?
Dr. Voss, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, ich kann Ihnen leicht und frohen Herzens zustimmen.
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 182. Sitzung. Bonn, Freitag, den 6. Dezember 1985 13899
Der Abgeordnete Vogelsang hat um das Wort zu einer Zusatzfrage gebeten. Bitte sehr.
Herr Staatssekretär, warum sehen Sie eigentlich keinen sachlichen Zusammenhang, wenn doch in der Frage der Bundeskanzler namentlich erwähnt worden ist?
Dr. Voss, Parl. Staatssekretär: Ich habe auf eine Frage eine sachliche Antwort gegeben. Beziehungen, Gespräche oder Kontakte, die in diesem Zusammenhang vorher gepflegt worden sind, gehören nicht in die Antwort, die ich gegeben habe, Herr Kollege.
In der Tat, das ist die Auffassung des Herrn Staatssekretärs, die Sie zu respektieren haben.
Nun werden wir uns die Beantwortung der Frage 42 des Herrn Abgeordneten Schily anhören:
Welche Informationen kann der Bundeskanzler, insbesondere der rheinland-pfälzischen Landesregierung, über das Geschäftsgebahren der Deutschen Anlagen-Leasing GmbH zur Verfügung stellen?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Dr. Voss, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Schily, über das Geschäftsgebaren der Deutschen Anlagen-Leasing GmbH dürfte die rheinland-pfälzische Landesregierung so umfassend unterrichtet sein, daß der für eine Unterrichtung durch den Bundeskanzler notwendige Bedarf hier nicht gegeben ist.
Zusatzfrage des Abgeordneten Schily.
Kann ich aus Ihrer Antwort entnehmen, daß der Bundeskanzler in der Tat in der Lage wäre, noch zusätzliche Informationen zu liefern, vielleicht auch auf Grund seiner Tätigkeit im Verwaltungsrat der Rheinland-Pfälzischen Landesbank, um noch stärkere Aufklärung über das Geschäftsgebaren der Deutschen Anlagen-Leasing zu geben?
Dr. Voss, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Schily, wenn jemand bereits umfassend unterrichtet ist — und das habe ich eben auf Ihre Frage geantwortet —, sehe ich keinerlei Bedürfnis, diese umfassende Unterrichtung noch zu verstärken. Wer umfassend unterrichtet ist, ist in der Lage, die Probleme so zu behandeln und so zu entscheiden, wie es sachgerecht ist.
Herr Abgeordneter, Sie haben das Recht, eine weitere Zusatzfrage zu stellen. Bitte sehr, Herr Abgeordneter Schily.
Herr Staatssekretär, wie können Sie denn beurteilen, ob die rheinland-pfälzische Landesregierung umfassend unterrichtet ist, wenn sie gar nicht weiß, welche Informationen der Bundeskanzler noch beisteuern könnte?
Dr. Voss, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich bin jetzt fast geneigt, mit einer Gegenfrage zu antworten.
Aber das gehört nicht zu den Möglichkeiten, die die Geschäftsordnung bietet.
Ich antworte Ihnen daher in dem Sinne, daß sicher ist, daß eine umfassende Kenntnis der Landesregierung besteht und von daher die Notwendigkeit, auf eine Mitwirkung des Bundeskanzlers zurückzugreifen, nicht gegeben ist.
Frau Abgeordnete Hürland.
Herr Staatssekretär, können Sie mir sagen, ob der jeweilige Bundeskanzler in in etwa vergleichbaren Fällen wie dem der Hessischen Landesbank oder dem der West-LB, die sich besonders bei einem großen Baukonzern engagiert hatte und dadurch in Schwierigkeiten gekommen war, eingeschaltet war?
Dr. Voss, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin Hürland, mir ist nicht bekannt, daß andere Bundeskanzler in derartige Fälle eingeschaltet gewesen wären. Ich gehe davon aus, daß das nicht der Fall war.
Ich habe erhebliche Zweifel, ob hier der Sachzusammenhang gegeben war.
Herr Abgeordneter Mann.
Herr Staatssekretär, wäre es nach der Antwort auf die zweite schriftlich vorliegende Frage des Kollegen Schily nicht vielleicht doch sinnvoll, mit dem Bundeskanzler einmal persönlich über die Beantwortung der Fragen des Kollegen Schily Rücksprache zu nehmen?
Dr. Voss, Parl. Staatssekretär: Ich habe den letzten Teil Ihrer Frage akustisch nicht verstanden.
Herr Abgeordneter Mann.
Wäre es nicht vielleicht doch sinnvoll, mit dem Bundeskanzler persönlich Rücksprache zu nehmen, nachdem Sie nur so ausweichend auf die Fragen des Kollegen Schily geantwortet haben?
Dr. Voss, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich halte es an sich immer für sinnvoll, mit dem Bundeskanzler Rücksprache zu nehmen. Nur muß es sich um einen Fall handeln, in dem es notwendig ist.
Der Abgeordnete Stahl hat zu einer weiteren Zusatzfrage das Wort erbeten, das ich ihm gern gewähre.
Herr Staatssekretär, nachdem Sie mir vorhin geantwortet haben, daß die Abstimmung zwischen dem Bundeskanzleramt und dem Finanzministerium bezüglich dieser Fragen
13900 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 182. Sitzung. Bonn, Freitag, den 6. Dezember 1985
Stahl
nur so stattgefunden hat, daß Sie als Finanzministerium Ihre Antwort dem Bundeskanzleramt zur Verfügung gestellt haben, darf ich Sie fragen, ob es der übliche Stil innerhalb der Bundesregierung ist, auf Fragen, die z. B. das Bundeskanzleramt oder den Bundeskanzler selbst betreffen, vom Finanzminister bzw. von untergeordneten Beamten des Finanzministeriums die Antwort für das Kanzleramt bzw. den Bundeskanzler geben zu lassen?
Dr. Voss, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, gestellte Fragen werden vom zuständigen Ressort beantwortet, d. h. die Antworten werden entworfen. Diese Entwürfe gehen den dafür zuständigen weiteren Personen und Stellen zu. Sie können davon ausgehen, daß, wenn dem Bundeskanzleramt auf seine Anforderung hin die Entwürfe übersandt werden und das Bundeskanzleramt gegen diesen Antwortentwurf Vorbehalte gehabt hätte, es sich dazu gemeldet hätte. Da das nicht der Fall ist, gehe ich davon aus, daß das Bundeskanzleramt mit diesem Antwortentwurf einverstanden ist.
Das war zumindest kein unzulässiger Schluß.
Bitte schön, Herr Abgeordneter Vogel.
Herr Staatssekretär, gibt es eigentlich einen Informationsaustausch über das Geschäftsgebaren der DAL zwischen der rheinland-pfälzischen Landesregierung und der Bundesregierung, und wenn ja, in welchem Umfange bitte?
Dr. Voss, Parl. Staatssekretär: Ich gehe davon aus, Herr Kollege, daß hier Kontakte und Austausch von Informationen vorgelegen haben.
Herr Abgeordneter Schily, Sie haben Ihre Möglichkeit, Zusatzfragen zu stellen, verbraucht.
Nunmehr hat der Abgeordnete Schmitt die Möglichkeit, eine Zusatzfrage zu stellen.
Herr Staatssekretär, geht Ihre Feststellung, daß der rheinland-pfälzischen Landesregierung sämtliche Informationen über das Geschäftsgebaren der DAL vorliegen, darauf zurück, daß diese Informationen auch auf Auskünfte des Bundeskanzlers aus seiner Zeit als Verwaltungsratsmitglied der rheinland-pfälzischen Landesbank zurückzuführen sind?
Dr. Voss, Parl. Staatssekretär: Ich habe in diesem Moment nicht die Möglichkeit, davon auszugehen, Herr Kollege.
Weitere Zusatzfragen werden nicht gestellt. Ich bedanke mich beim Parlamentarischen Staatssekretär Voss.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung auf. Hier steht uns der Parlamentarische Staatssekretär Vogt für die Beantwortung zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 53 des Abgeordneten Dr. Freiherr von Spies auf:
Ist es zutreffend, daß Bewohner des vom 1. Januar 1948 bis 31. Juli 1963 unter niederländischer Auftragsverwaltung stehenden Selfkant-Gebietes, wenn sie vorgezogenes Altersgeld beantragen, schwere Nachteile erleiden, weil sie bis zur Erfüllung der Voraussetzungen für eine Rente aus der niederländischen Sozialversicherung ihren Lebensunterhalt allein von der Rente bestreiten müssen, die sich aus ihrer Beschäftigung in der Bundesrepublik Deutschland vor und nach dieser Auftragszeit errechnet?
Herr Staatssekretär, bitte schön.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident, mit Zustimmung des Kollegen Dr. Spies von Büllesheim möchte ich die Fragen 53 und 54 gemeinsam beantworten.
Einverstanden? — Dann rufe ich die Frage 54 des Herrn Abgeordneten Dr. Freiherr Spies von Büllesheim auf:
Welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, diese nur vorübergehend wirksame, von den Betroffenen unverschuldete späte negative Folgewirkung der damaligen Trennung von der Bundesrepublik Deutschland auszugleichen, und wie wird die Bundesregierung diese Möglichkeit nutzen?
Vogt, Parl. Staatssekretär: Bewohner des Selfkant-Gebietes unterlagen in der Zeit vom Januar 1948 bis zum 31. Juli 1963 dem niederländischen Recht über die soziale Sicherheit. Nach der EWGVerordnung 1408/71 zählen für die Berechnung der Wartezeiten auch die niederländischen Versicherungszeiten mit. Damit können die Versicherten aus dem Selfkant-Gebiet auch mit ihren niederländischen Zeiten die besonderen Wartezeiten für flexible und vorgezogene Altersruhegelder in der Bundesrepublik Deutschland erfüllen.
Allerdings gibt es in den Niederlanden eine Altersrente erst ab Vollendung des 65. Lebensjahres. Es existiert dort keine dem flexiblen oder vorgezogenen Altersruhegeld vergleichbare Leistung. Das hat zur Folge, daß die niederländische Teilrente erst ab Vollendung des 65. Lebensjahres des Versicherten gezahlt wird. In der Zeit bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres besteht daher ein Anspruch nur auf die deutsche Rente.
Die Bundesregierung sieht keine Möglichkeit, die oben geschilderte Rechtslage zu ändern. Diese ist Folge des historischen Umstandes, daß in der bezeichneten Zeit im Selfkant-Gebiet das niederländische Recht gegolten hat. Die Bundesregierung hält es auch nicht für aussichtsreich, in dem von Ihnen, Herr Kollege, gewünschten Sinn auf die Niederlande einzuwirken, eine Sonderregelung für die Bewohner des Selfkant-Gebietes vorzusehen. Eine solche Sonderregelung wäre aus niederländischer Sicht eine nicht zu rechtfertigende Bevorzugung
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 182. Sitzung. Bonn, Freitag, den 6. Dezember 1985 13901
Parl. Staatssekretär Vogt
dieses Personenkreises gegenüber allen anderen niederländischen Versicherten. Die Anrechnung der Selfkant-Zeiten nach deutschem Recht, und sei es auch nur bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres des Versicherten, wäre nur vertretbar, wenn für diese Zeiten den deutschen Rentenversicherungsträgern Beiträge zuflössen.
Zusatzfrage, bitte schön, Herr Spies von Büllesheim.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Staatssekretär, Sie stimmen mir, wie ich aus Ihrer Antwort entnehme, in der Feststellung zu, daß dieses historische Ereignis, das Sie nennen, Nachteile bringt. Meine Frage: Können die Bundesregierung oder die Rentenversicherungsanstalten eben diesen Nachteil nicht ausgleichen, den auszugleichen die niederländische Regierung keinerlei Anlaß hat?
Vogt, Parl. Staatssekretär: Nach geltendem Recht im Bereich der gesetzlichen Rentenversicherung läßt sich dieser Nachteil nicht ausgleichen, Herr Kollege.
Weitere Zusatzfrage. Bitte schön, Herr Abgeordneter.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Sollte, Herr Staatssekretär, dieser Nachteil aus dem historischen, einmaligen Ereignis der neunjährigen Abtrennung von der Bundesrepublik Deutschland für die deutsche Rentenversicherung oder für die Bundesregierung nicht Anlaß sein, hier eine Sonderregelung Platz greifen zu lassen, so daß Leute aus dem Selfkant-Gebiet, die von der Regelung des vorgezogenen Ruhestandes Gebrauch machen wollen, mit solchen gleichgestellt werden, die immer in der Bundesrepublik wohnen und arbeiten konnten?
Vogt, Parl. Staatssekretär: Die gesetzliche Rentenversicherung kann natürlich nur Beitragszeiten in Rechnung stellen, in denen der Versicherte an die gesetzliche Rentenversicherung nach deutschem Recht gezahlt hat. Eine andere Frage wäre ein Ausgleich aus allgemeinen Steuermitteln. Das kann ich aber nicht in Aussicht stellen.
Es stehen Ihnen noch weitere Zusatzfragen zu. Wenn Sie davon Gebrauch machen wollen? — Bitte sehr.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Staatssekretär, würden Sie die Möglichkeit haben, einmal festzustellen, wieviel Personen aus dem betroffenen Bereich von den Nachteilen der gegenwärtigen Regelung in etwa erfaßt werden, damit die Größenordnung einmal übersehen werden kann?
Vogt, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, mir liegen diese Zahlen jetzt nicht vor. Ich werde mich erkundigen und Ihnen die Zahlen schriftlich mitteilen, sofern ich wirklich zu verläßlichen Zahlen komme. Aber Sie erhalten auf jeden Fall Bescheid.
Danke schön.
Ich rufe die Frage 55 des Abgeordneten Vogelsang auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung die weit verbreitete Praxis, daß Anforderungen von Arbeitskräften, die öffentliche oder private Arbeitgeber der Arbeitsverwaltung zuleiten, häufig den Hinweis enthalten, der einzustellende Arbeitnehmer müsse den Wehr- bzw. Zivildienst abgeleistet haben?
Herr Staatssekretär, bitte sehr.
Vogt, Parl. Staatssekretär: Herr Präsident, auch hier möchte ich mit Zustimmung des Kollegen Vogelsang die Fragen 55 und 56 gemeinsam beantworten.
Einverstanden. Dann rufe ich auch Frage 56 des Abgeordneten Vogelsang auf:
Was will die Bundesregierung tun, um die Arbeitgeber darauf hinzuweisen, daß diese Haltung ihnen zwar gewisse Unannehmlichkeiten erspart, im Ergebnis aber die Last der Verteidigung einseitig den Wehr- und Zivildienstpflichtigen auferlegt?
Vogt, Parl. Staatssekretär: Die Arbeitgeber sind bei der Auswahl von Stellenbewerbern grundsätzlich frei. Die Bundesregierung hat rechtlich keine Möglichkeit, die Arbeitgeber zu zwingen, von Entscheidungen zum Nachteil der Wehrdienstpflichtigen abzusehen. Die Dienststellen der Bundesanstalt für Arbeit richten jedoch insbesondere in ihren regelmäßigen Arbeitsmarktgesprächen und -konferenzen immer wieder entsprechende Appelle an die Unternehmer.
Soweit Sie den öffentlichen Dienst, Herr Kollege, ansprechen, kann ich ein solches Verhalten für den eigenen Bereich nach meinen Kenntnissen ausschließen. Wie in anderen Bereichen des öffentlichen Dienstes verfahren wird, entzieht sich allerdings meiner Kenntnis.
Die Bundesregierung hat mit dem Beschäftigungsförderungsgesetz einen Beitrag geleistet, das Problem zu entschärfen. Es können jetzt befristete Arbeitsverträge bis zur Dauer von 18 Monaten abgeschlossen werden. Von dieser Möglichkeit wird auch für den genannten Personenkreis Gebrauch gemacht, um Zeiten zwischen dem Ende der Ausbildung und der Einberufung zum Wehrdienst zu überbrücken.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Vogelsang, bitte schön.
Herr Staatssekretär, ich hatte auch danach gefragt, wie die Bundesregierung diesen Tatbestand an sich beurteilt. Aus Ihrer Antwort ist das bisher nicht deutlich geworden. Wie beurteilen Sie das Verhalten der privaten Arbeitgeber?
Vogt, Parl. Staatssekretär: Ich habe dargestellt, daß gegen dieses Verhalten rechtlich keine Bedenken erhoben werden können. Ich habe darauf hingewiesen, daß die Bundesanstalt für Arbeit an die Unternehmer Appelle richtet, die Wehrdienstleistenden zu übernehmen, sie nicht zu benachteiligen. Der Bundesminister der Verteidigung bemüht sich, mit einer flexiblen Einberufungspraxis auf die unterschiedlichen Bedürfnisse der Wehrpflichtigen
13902 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 182. Sitzung. Bonn, Freitag, den 6. Dezember 1985
Parl. Staatssekretär Vogt
im Einzelfall einzugehen. Damit wird auch Interessenlagen der Arbeitgeber Rechnung getragen.
Begeisterte Zustimmung der Bundesregierung ist beim besten Willen nicht zu erkennen.
Vogt, Parl. Staatssekretär: Dazu besteht auch kein Anlaß, Herr Präsident.
Herr Abgeordneter Vogelsang, bitte sehr.
Herr Staatssekretär, der Bundeskanzler hat am 14. November 1985 in einer Regierungserklärung unter anderem gesagt:
Unsere Soldaten können auf die Solidarität der Demokraten in unserer Republik zählen.
Sind Sie der Auffassung, daß Ihre Antwort auf meine Frage diesem Tatbestand gerecht wird?
Vogt, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich muß noch einmal darauf hinweisen, daß die Bundesregierung — hier der Bundesminister der Verteidigung — sich bemüht, mit einer flexiblen Einberufungspraxis auf die unterschiedlichen Bedürfnisse der Wehrpflichtigen im Einzelfall einzugehen. So hat er seine nachgeordneten Dienststellen generell angewiesen, arbeitslose Wehrpflichtige auf Wunsch vorrangig einzuberufen. Seit Oktober 1983 sind rund 30% der einberufenen Wehrpflichtigen Arbeitslose. Außerdem kann die Einberufung zurückgestellt werden, wenn dies nach der Ausbildung zur Sicherung des Arbeitsplatzes oder zur Gewährleistung einer Einarbeitungsphase notwendig ist. Die Dienststellen der Bundesanstalt bemühen sich seit Jahren in intensiver und erfolgreicher Zusammenarbeit mit dem Berufsförderungsdienst der Bundeswehr um die berufliche Eingliederung entlassener Wehrdienstleistender und Soldaten. Ich weise auf diese Anstrengungen hin. Sie belegen, daß die Aussage des Bundeskanzlers durch konkrete Schritte untermauert ist.
Vizepräsident Cronenberg. Weitere Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Vogelsang.
Herr Staatssekretär, sind Sie nicht der Auffassung, daß der gelegentlich von der Arbeitgeberseite beklagte Mangel an Fachkräften eigentlich nicht ganz ernst zu nehmen ist, wenn hier den jungen Leuten, besonders jungen ausgebildeten Leuten, die Möglichkeit zur Arbeit nicht gegeben wird, weil sie demnächst Soldat werden müssen?
Vogt, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, der Jugendliche, der seine Ausbildung abgeschlossen hat, ist nicht in jedem Fall schon die Fachkraft, die der Arbeitgeber auf dem Arbeitsmarkt sucht. In der Regel sind nach Abschluß der beruflichen Ausbildung weitere Qualifikationen und berufliche Praxis erforderlich, um solch eine Fachkraft zu werden. Hier hilft die Bundesregierung durch andere Maßnahmen, etwa den Einarbeitungszuschuß, solche zusätzliche berufliche Qualifikationen erwerben zu können.
Wollen Sie auch noch von der Möglichkeit einer letzten Zusatzfrage Gebrauch machen?
Ja, natürlich.
Bitte schön, Herr Abgeordneter.
Herr Staatssekretär, was für Vorstellungen hat denn die Bundesregierung, zu solchen entsprechenden Fachkräften zu kommen, wenn sie sich nicht darum bemüht, daß diese Fachkräfte nach der Ausbildung das erfüllen können, was angeblich oder tatsächlich, wie Sie es darstellen, von ihnen erwartet wird?
Vogt, Parl. Staatssekretär: Die deutsche ausbildende Wirtschaft unternimmt große Anstrengungen.
um den Jugendlichen eine qualifizierte Ausbildung zu ermöglichen. Wir werden gerade durch die Entscheidung, die das Hohe Haus heute mittag getroffen hat, das Instrumentarium der Bundesanstalt für Arbeit weiter ausbauen, damit Jugendliche über die berufliche Grundbildung und Ausbildung hinaus zusätzliche Qualifikationen erwerben können, um als Fachkräfte eine größere Chance auf dem Arbeitsmarkt zu haben.
Vizepräsident Cronenberg. Der Abgeordnete Würzbach, hat gebeten, nun eine Zusatzfrage stellen zu dürfen. Bitte schön.
Können Sie bestätigen, daß noch keine Bundesregierung vorher im Interesse der zum Wehrdienst einzuberufenden jungen Männer diesen gegenüber so entgegenkommend und beweglich gewesen ist, was den Zeitpunkt der Einberufung, die vorzeitige Entlassung und ähnliches angeht, um ihnen einen nahtlosen Übergang in das Berufsleben zu ermöglichen?
Vogt, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Würzbach, ich kann Ihnen dies bestätigen. Ich habe auf die entsprechenden Fragen des Kollegen Vogelsang auf die einzelnen Maßnahmen hingewiesen, durch die untermauert wird, daß die Aussage des Bundeskanzlers wirklich Substanz hat.
Vizepräsident Cronenberg. Der Abgeordnete Stahl hat nun noch eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, da allen — nicht nur der Bundesregierung, sondern auch dem Parlament — bekannt ist, daß es ein Ärgernis ist, daß junge Leute, die ihre Lehre beendet haben, nicht eingestellt werden, wenn sie nicht den Wehrdienst abgeleistet haben, stelle ich an Sie die Frage: Wäre es denn nicht notwendig, daß der Herr Bundeskanzler dieses Thema mal besonders
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 182. Sitzung. Bonn, Freitag, den 6. Dezember 1985 13903
Stahl
aufgreift, etwa in der Form, wie er es damals bei der Arbeitszeitverkürzung den Gewerkschaften gegenüber öffentlich dargestellt hat: daß dies alles Unsinn ist?
Vizepräsident Cronenberg. Herr Staatssekretär, ich bitte, das kurz zu beantworten, weil ich nicht sicher bin, ob der sachliche Zusammenhang noch gegeben ist. Bitte sehr.
Vogt, Parl. Staatssekretär: Ich wollte, Herr Präsident, nur darauf hinweisen, daß der Kollege Stahl mit seiner Frage offene Türen einrennt.
Die Fragen 57 und 58 des Abgeordneten Kirschner werden auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 59 des Abgeordneten Eylmann auf:
Kann die Bundesregierung angeben, wie viele der zu Wehrübungen herangezogenen Wehrpflichtigen Arbeitslosengeld oder Arbeitslosenhilfe beziehen, und sind ihr Erfahrungen darüber bekannt, ob und gegebenenfalls in welchem Ausmaß die Notwendigkeit, nach Beendigung einer, wenn auch nur kurzen Wehrübung, erneut Arbeitslosengeld oder Arbeitslosenhilfe beantragen zu müssen, die Bereitschaft arbeitsloser Wehrpflichtiger zur Teilnahme an Wehrübungen negativ beeinflußt?
Vogt, Parl. Staatssekretär: Herr Präsident, ich möchte mit Zustimmung des Kollegen Eylmann die Fragen 59 und 60 gemeinsam beantworten.
Ich rufe daher auch die Frage 60 des Abgeordneten Eylmann auf:
Ist es nach Auffassung der Bundesregierung den Wehrpflichtigen zumutbar und auch unter dem Gesichtspunkt der Verwaltungsvereinfachung sinnvoll, daß selbst bei kurzen Wehrübungen der Anspruch auf Arbeitslosengeld oder Arbeitslosenhilfe erlischt, nach Beendigung der Wehrübung ein neuer Antrag gestellt werden muß und dabei nicht unerhebliche Verzögerungen durch die erneute Bearbeitung eintreten können, und gibt es bereits Überlegungen, diesen Zustand zu ändern, etwa durch eine der Leistungsfortzahlung im Krankheitsfalle ähnliche Regelung?
Vogt, Parl. Staatssekretär: Wie viele Bezieher von Arbeitslosengeld oder Arbeitslosenhilfe zu einer Wehrübung einberufen werden, ist der Bundesregierung nicht bekannt. Sie hat auch keinen Anlaß, anzunehmen, daß die Notwendigkeit, die Sozialleistungen nach Beendigung der Wehrübung neu zu beantragen, die Bereitschaft arbeitsloser Wehrpflichtiger, an einer Wehrübung teilzunehmen, negativ beeinflußt.
Arbeitslose, die zu einer Wehrübung — auch für die Dauer von nicht mehr als drei Tagen — einberufen sind, können nicht wegen eines bevorstehenden Vermittlungsversuchs den Beginn der Übung beeinflussen. Sie können auch eine begonnene Übung nicht abbrechen, um eine angebotene Arbeit anzutreten. Sie stehen während der Wehrübung der Arbeitsvermittlung nicht zur Verfügung und haben daher für die Dauer der Übung keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld oder Arbeitslosenhilfe. Ihnen steht vielmehr eine Verdienstausfallentschädigung nach den Vorschriften des Unterhaltssicherungsgesetzes zu.
Arbeitslosengeld oder Arbeitslosenhilfe während einer kurzen Wehrübung weiterzuzahlen, würde dazu führen, daß die Leistung bei Arbeitslosigkeit zur Verdienstausfallentschädigung hinzuträte. Zu einer solchen Regelung besteht kein Anlaß. Eine Doppelversorgung könnte zwar durch eine Änderung des Unterhaltssicherungsgesetzes vermieden werden, nach der die in Rede stehenden Wehrübenden keinen Anspruch mehr auf Verdienstausfallentschädigung haben. Dies würde jedoch bedeuten, daß die Betroffenen auf die regelmäßig niedrigere der beiden Leistungen verwiesen würden. Dagegen bestehen sozialpolitisch Bedenken.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Eylmann.
Können Sie sich vorstellen, Herr Staatssekretär, daß trotz Ihrer Aussage und trotz dieser Rechtslage Wehrpflichtige, die zu kurzfristigen Wehrübungen herangezogen werden, ihr erhebliches Unverständnis darüber äußern, daß sie sich nach Beendigung dieser kurzen Wehrübung wiederum der Prozedur einer erneuten Antragstellung mit den entsprechenden Wartezeiten, die immer noch damit verbunden sind, unterwerfen müssen?
Vogt, Parl. Staatssekretär: Ich habe für die Betroffenen Verständnis, muß aber darauf hinweisen, daß für den Leistungsempfänger aus dem Bereich der Arbeitslosenversicherung Voraussetzung ist, daß er dem Arbeitsmarkt zur Verfügung steht, daß er vermittelt werden kann. Während der Wehrübung steht er dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung.
Ich habe Verständnis für die Betroffenen, richte aber andererseits auch an die Betroffenen den Appell, Verständnis für diese Rechtsposition zu haben, weil wir sonst eine Voraussetzung für den Leistungsbezug von der Bundesanstalt für Arbeit aufweichen würden, wobei die Weiterungen nicht zu übersehen sind.
Weitere Zusatzfrage, bitte schön.
Wäre es nicht möglich, in einem solchen Fall einer kurzfristigen Wehrübung — in der Regel ist dem Wehrpflichtigen ja bekannt, daß er nur für eine kurze Zeit zur Wehrübung eingezogen wird — dem Wehrpflichtigen schon im voraus im Wege der Verwaltungsvereinfachung die Möglichkeit zu geben, von einem bestimmten Zeitpunkt an wieder einen Antrag zu stellen, oder wären nicht allein im Wege der reinen Verwaltungsvereinfachung andere Möglichkeiten denkbar, ihm die Prozedur des erneuten Weges zum Arbeitsamt,
13904 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 182. Sitzung. Bonn, Freitag, den 6. Dezember 1985
Eylmann
der Antragstellung und der Wartefristen zu ersparen?
Vogt, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Eylmann, dies wäre wünschenswert. Ich werde dieser Anregung nachgehen und die Bundesanstalt bitten, diese Anregung zu prüfen.
Weitere Zusatzfragen werden nicht gestellt. Die restlichen Fragen aus diesem Geschäftsbereich — das sind die Fragen 62 bis 75 — werden auf Wunsch der Fragesteller schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Wir kommen zur Frage 76 der Abgeordneten Frau Schmidt . — Die Frau Abgeordnete ist nicht im Saal. Wir verfahren entsprechend der Geschäftsordnung.
Damit sind die Fragen aus dem Bereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung erledigt. Herr Staatssekretär, ich bedanke mich.
Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung. Zur Beantwortung steht uns Herr Parlamentarischer Staatssekretär Würzbach zur Verfügung. Ich rufe die Frage 77 des Abgeordneten Stahl auf:
Wird sich die Bundesregierung und gegebenenfalls wann dafür verwenden, daß auch am Militärflughafen Brüggen/ Elmpt, wie an Zivilflughäfen nach dem Gesetz zum Schutz gegen Fluglärm vom 30. März 1971 üblich, Lärmschutzkommissionen mit Vertretern von vom Fluglärm betroffenen Städten und Gemeinden eingerichtet werden, damit von den Fluglärmbetroffenen Anregungen und Vorschläge eingebracht werden können?
Herr Staatssekretär, bitte.
Herr Kollege Stahl, zur Zeit wird geprüft, ob auch an militärischen Flugplätzen die Lärmschutzkommissionen eingerichtet werden sollen. Diese Überprüfung ist noch nicht abgeschlossen, so daß hier eine abschließende Stellungnahme nicht abgegeben werden kann. In diesem Zusammenhang ist erwähnenswert, daß aber seit langen Jahren, seit mehreren Jahrzehnten — und das ist intensiviert worden — natürlich Kontakte in dem von Ihnen gefragten Sinne zwischen den Commodores der Plätze auf der einen und den betroffenen Bürgern zur Weitergabe von Anregungen und Vorschlägen auf der anderen Seite überall lebendig praktiziert werden.
Ich nehme an, daß Sie eine Zusatzfrage wünschen, Herr Abgeordneter Stahl. Bitte schön.
Herr Staatssekretär, ich stimme Ihnen zu, bezogen auf die Lebendigkeit des Lärms insgesamt, der dort bei den Flughäfen veranstaltet wird, aber nicht auf die Lebendigkeit des Dialogs. Deshalb darf ich Sie fragen: Wann wird diese Prüfung der Möglichkeit, derartige Kommissionen auch an Militärflughäfen einzurichten, beendet sein?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Sowie die Überprüfung gründlich durchgeführt ist, Herr Kollege. An Ihrer Frage wird deutlich — Sie haben selber mal auf dieser Bank hier gesessen —, daß das Gesetz, auf das Sie rekurrieren, immerhin vom März 1971 stammt, Herr Kollege, und da schlossen sich noch mehr als zehn Jahre unter Ihrer Verantwortung an. Wir werden dies jetzt gründlich prüfen und dann dem Parlament mitteilen, was sich daraus ergibt.
Trotzdem noch eine Zusatzfrage? — Bitte schön.
Herr Staatssekretär, nun haben j a im Bundesrat auch einige Länder Anträge gestellt gehabt, und dies ist alles dort in einem Ausschuß beraten worden, und es sind auch Empfehlungen an den Bundesverteidigungsminister gegeben worden. Darf ich nun fragen, mit welchem Ziel Sie die Prüfung insgesamt angelegt haben. Um dem Anliegen Rechnung zu tragen, daß auch an Militärflughäfen derartige Lärmschutzkommissionen eingerichtet werden? Oder ist dieser Prüfauftrag sozusagen schon vorab mit weiteren Negativen versehen worden?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich weiß nicht, wie Sie früher in Ihrer Verantwortung an solche Prüfungen herangegangen sind. Wir prüfen das Gutachten unvoreingenommen und leiten dann daraus unsere Empfehlungen ab.
Vizepräsident Cronenberg: Danke schön.
Dann rufe ich die Frage 78 des Herrn Abgeordneten Schmitt auf:
Sind der Bundesregierung die Ergebnisse der Fluglärmmessung durch die Hessische Landesanstalt für Umwelt zum Erbenheimer Flughafen bekannt, und welche Folgerungen zieht die Bundesregierung aus der Feststellung, daß die Fluglärmbelästigung von Erbenheim der des Rhein-Main-Flughafens Frankfurt entspricht?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Schmitt, das Gutachten der Hessischen Landesanstalt für Umwelt über Fluglärmmessungen im Bereich des von Ihnen erfragten Flugplatzes liegt der Regierung erst seit dem 28. 11. dieses Jahres, also seit wenigen Tagen, vor. Es ist umfangreich. Auch hier muß eine gründliche Prüfung erfolgen.
Eine Zusatzfrage.
Schmitt [SPD]: Herr Staatssekretär, wann können Sie ein Ergebnis dieser Prüfung erwarten, und werden Sie da auch eine Erklärung der amerikanischen Streitkräfte einbeziehen, daß im Jahre 1986 mit insgesamt 38 000 Flugbewegungen gegenüber 25 000 Flugbewegungen im Jahre 1985 zu rechnen ist?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Die Zahlen, die Sie eben genannt haben, kann ich von mir aus nicht bestätigen; sie finden auch nicht im entferntesten irgendwo eine Ableitung in der eingangs gestellten Frage.
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 182. Sitzung. Bonn, Freitag, den 6. Dezember 1985 13905
Parl. Staatssekretär Würzbach
Was Ihre Frage nach der Zeit angeht, so stimmen Sie sicher mit mir überein, daß wir hier nicht die Fachleute, die das jetzt zu prüfen haben, unter zeitlichen Druck setzen müssen, sondern daß die eine ordentliche Arbeit, eine gute Auswertung vorlegen sollen.
Weitere Zusatzfrage, bitte schön.
Herr Staatssekretär, müssen Sie nicht einräumen, daß der Fluglärm und die Fluglärmmessungen auch abhängig sind von der Zahl der Flugbewegungen, und können Sie hier nicht mitteilen, ob analog der Verlegung von Tiefflügen im Strahltriebwerkbetrieb auch künftig Hubschrauberflüge im Übungs- und Ausbildungsbereich ins Ausland verlegt werden können?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Wir haben über den Fluglärm hier in der Fragestunde und woanders viele Male informiert und uns in der Regel nur über Strahlflugzeuge unterhalten. Richtig ist, daß auch ein — besonders zu ungünstigen Zeiten — über Ortschaften, über Häuser niedrig hinwegfliegender Hubschrauber Beeinträchtigungen und auch Belästigungen verursacht, wenn auch in einer anderen, nämlich niedrigeren Intensität. Auch hier sind wir bemüht — das kennen Sie und akzeptieren Sie, wie ich weiß —, den einen oder anderen kleinen, aber doch spürbaren Fortschritt, den wir bereits erreicht haben, fortzuführen. Auch wir wissen um dieses Problem und nehmen uns, wie dieses zeigt, dieser Dinge im Interesse der Bevölkerung an.
Ich rufe nunmehr die Frage 79 des Herrn Abgeordneten Schmitt auf:
Wird die Bundesregierung diese Ergebnisse in ihre Verhandlungen mit den US-Streitkräften über die Hubschrauberstationierung in Erbenheim einführen, und wann liegt ein Ergebnis dieser Verhandlungen vor?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Die Bundesregierung wird natürlich die Ergebnisse des Gutachtens in ihre Verhandlungen mit den Amerikanern einbringen. Wann diese Ergebnisse vorliegen, habe ich zuvor beantwortet.
Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, treffen Erklärungen der amerikanischen Streitkräfte zu, wonach Stationierungen außerhalb Erbenheims an Alternativstandorten daran scheitern, daß sich die Bundesregierung nicht in der Lage sieht, die Finanzierung der zusätzlichen Kosten für die US-Streitkräfte zu garantieren?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, Sie wissen aus der Beantwortung entsprechender Fragen — solcher, die nicht Sie eingereicht haben —, daß die beteiligten Ressorts in diesem Zusammenhang mit den Bundesländern einerseits und den Amerikanern andererseits noch im Gespräch sind.
Nun haben Sie noch eine Zusatzfrage, bitte.
Letzte Frage. Herr Staatssekretär, haben Sie mit den US-Streitkräften auch schon Gespräche über die Errichtung eines Flugsimulators aufgenommen, und erfolgt eine Unterstützung dieses Vorhabens durch die Bundesregierung?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Insgesamt bemühen sich alle Alliierten und auch wir, so viel wie möglich der Ausbildung in der Anfangsphase und den schwierigen weiteren Ausbildungsphasen in Simulatoren durchzuführen. Nur darf hier nicht der falsche Eindruck entstehen — den sollte keiner von uns gegenüber der Bevölkerung nähren —, als könnten gewichtigste Teile der Flugausbildung, die draußen, in der Praxis, mit all den Einflüssen der Umwelt durchgeführt werden müssen, in Simulatoren verlegt werden.
Herr Staatssekretär, ich bedanke mich für Ihre Bemühungen.
Alle übrigen Fragen werden, soweit sie nicht zurückgezogen worden sind, auf Wunsch der Fragesteller schriftlich beantwortet*). Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Es bleibt mir nur übrig, den wenigen im Hause Verbliebenen ein angenehmes Wochenende zu wünschen,
Die nächste Sitzung ist am Mittwoch, dem 11. Dezember, um 13 Uhr.
Die Sitzung ist geschlossen.