Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.
Meine Damen und Herren, ich weise darauf hin, daß im Rahmen der zweiten und dritten Beratung des Entwurfs des Agrarsozialen Ergänzungsgesetzes und der dazu vorliegenden Beschlußempfehlung der Antrag der Fraktion der SPD „Sozial gerechte Verteilung der Bundeszuschüsse in der Altershilfe für Landwirte" — Drucksache 10/2360 — mitberaten wird.
Im Ältestenrat ist vereinbart worden, die heutige Tagesordnung um die Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung „Vorschlag für eine Entscheidung des Rates über die Errichtung eines gemeinschaftlichen Informationssystems über Unfälle durch Konsumgüter" — Drucksache 10/4261 — zu erweitern. Eine Aussprache ist nicht vorgesehen.
Ich gehe davon aus, daß mit der Aufsetzung dieses Tagesordnungspunktes gleichzeitig von der Frist für den Beginn der Beratung abgewichen wird. Ist das Haus damit einverstanden? — Kein Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich rufe Zusatzpunkt 6 der Tagesordnung auf:
Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung
Aktivitäten des Bundesnachrichtendienstes
in der Terrorismusauslandsaufklärung
Hierzu liegen Entschließungsanträge der Fraktionen der CDU/CSU und FDP und der Fraktion der SPD auf den Drucksachen 10/4257 und 10/4262 vor.
Meine Damen und Herren, im Ältestenrat ist eine Aussprache von 60 Minuten vereinbart worden. Ist das Haus damit einverstanden? — Es ist so beschlossen.
Zur Abgabe der Regierungserklärung hat Herr Bundesminister Schäuble das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Aus einem beim Landgericht Bonn anhängigen Strafverfahren wurde vor einer Woche bekannt, daß vor einigen Jahren deutsche Wirtschaftsunternehmen Aktionen des Bundesnachrichtendienstes auf dem Gebiet der Terrorismusbekämpfung finanziell unterstützt haben.
Die Bundesregierung hat unmittelbar nach Bekanntwerden dieses ihr bis dahin unbekannten Vorganges begonnen, die Sachlage mit allem Nachdruck aufzuklären. Sie hat ihre Erkenntnisse den zuständigen Gremien des Deutschen Bundestages, d. h. der Parlamentarischen Kontrollkommission, in zwei Sitzungen am Montag und Mittwoch dieser Woche sowie dem für die Nachrichtendienste zuständigen Haushaltsgremium am Dienstag mitgeteilt.Die Vorgänge reichen sieben Jahre zurück. Sie spielten sich in der Regierungszeit des Bundeskanzlers Helmut Schmidt ab.
Man muß die Ereignisse, über die hier zu berichten ist, vor dem Hintergrund der damaligen Zeit sehen. 1977 hatte der Terrorismus mit den Morden an Generalbundesanwalt Siegfried Buback, an dem Vorstandssprecher der Dresdner Bank Jürgen Ponto und an dem Präsidenten des Bundesverbandes der Deutschen Industrie und des Bundesverbandes der Arbeitgeber Hanns Martin Schleyer einen dramatischen Höhepunkt erreicht.
— Richtig, Herr Kollege Vogel.
Öffentlichkeit, Parlament, Regierung und nicht zuletzt die den Ermordeten besonders nahestehenden Kreise der Wirtschaft waren gleichermaßen besorgt. Weitere Anschläge waren zu befürchten. Die Entführung der Lufthansamaschine „Landshut" nach Mogadischu stellte die internationale Verflechtung des Terrors unter Beweis. Das Bewußtsein weiterhin drohender Gefahr verstärkte sich, nachdem im November 1978 vier Terroristen, die in Jugoslawien zunächst festgenommen worden waren, nicht ausgeliefert wurden. Sie durften vielmehr in ein Land ihrer Wahl ausreisen. Es gab konkrete Hinweise, daß sie sich unbehelligt in einem Land
Metadaten/Kopzeile:
13138 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 175. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. November 1985
Bundesminister Dr. Schäubledes nahen Ostens aufhielten. Damit war zu befürchten, daß sie in die Bundesrepublik Deutschland zurückkehren und weitere Anschläge verüben würden. Insgesamt fahndete die Bundesanwaltschaft Ende 1979 nach 28 führenden Terroristen. 14 von ihnen wurden damals im Ausland vermutet.Die schlimme Bilanz des Terrorismus für die Jahre 1975 bis 1980 lautet: 42 Tote, 310 Verletzte sowie 411 Sprengstoff- und Brandanschläge.Zur Abwehr dieser Gefahren erschien es dringend geboten, mehr Erkenntnisse über Angehörige der RAF im Ausland und deren Pläne zu gewinnen. Es galt, die Instrumente für die Terrorismusaufklärung im Ausland zu verbessern. Dazu traten Anfang 1979 das Bundesministerium des Innern und das Bundeskriminalamt an den Präsidenten des Bundesnachrichtendienstes heran und machten ihn auf ein privates Ermittlungsbüro aufmerksam. Dieses Büro war seit vielen Jahren für die deutsche Wirtschaft, insbesondere die Versicherungswirtschaft, tätig. Daneben bearbeitete es seit Jahren auch Aufträge für das Bundeskriminalamt, für Landeskriminalämter und weitere Polizeidienststellen der Länder. Das Ermittlungsbüro konnte beachtliche Erfolge in der Aufklärung der allgemeinen Kriminalität und später auch in der Terrorismusfahndung aufweisen.Ebenso befürworteten mehrere Wirtschaftsunternehmen mit großem Nachdruck eine Zusammenarbeit des Bundesnachrichtendienstes mit diesem Ermittlungsbüro und erklärten ihre Bereitschaft, ein solches Vorhaben finanziell mitzutragen. Bei aller gebotenen Distanz gegenüber einer privaten finanziellen Beteiligung, über die hier zu reden ist, sollte eines nicht außer acht gelassen werden: In dieser Haltung der Wirtschaft kam neben dem Interesse an der eigenen Sicherheit auch ein Stück Gemeinsinn zum Ausdruck. Dies sollte anerkannt werden.
Die Beteiligten, meine Damen und Herren, haben sich die Entscheidung nicht leicht gemacht. Nach Wochen der Beratung des Für und Wider einer solchen Maßnahme
entschied sich der Präsident des Bundesnachrichtendienstes in Abstimmung mit dem damaligen Chef des Bundeskanzleramtes, die Zusammenarbeit mit dem Ermittlungsbüro zu vereinbaren. Am 31. August 1979 wurde ein Vertrag für die Dauer eines Jahres abgeschlossen. Als Entgelt waren 650 000 DM vereinbart, an denen sich einige Firmen mit insgesamt 400 000 DM beteiligten. Diese Zusammenarbeit wurde anschließend um drei Monate verlängert und mit weiteren 192 000 DM, diesmal ausschließlich aus Mitteln des Bundesnachrichtendienstes, finanziert. Zu dieser Verlängerung kam es, um einen erfolgversprechenden Fahndungsansatz zum Ziel zu führen. Die Zahlungen der Wirtschaft liefen über ein Sonderkonto des Bundesnachrichtendienstes und sind vollständig belegt. Anderslautende Meldungen sind unzutreffende Spekulationen.
Damit wurde der besonderen Sicherheitsgefährdung entsprochen, wie sie bei der Operation zweifelsfrei gegeben war. Sie wurde deshalb auch als sogenannte abgeschirmte Operation eingestuft.Dies, meine Damen und Herren, ist der Sachverhalt, soweit er sich für eine öffentliche Mitteilung eignet. Alle darüber hinausgehenden Informationen sind den zuständigen Gremien des Bundestages vorgetragen worden.
Ich halte an dieser Stelle noch einmal fest: Der damalige Präsident Dr. Kinkel hat den damaligen Chef des Bundeskanzleramtes, Staatssekretär Dr. Schüler, in mehreren Gesprächen über das Vorhaben unterrichtet. Der Chef des Bundeskanzleramts hat dazu seine Zustimmung gegeben.Ich komme zur Wertung dieses Vorgangs. Die Beschäftigung von Privatpersonen ist bei den Nachrichtendiensten durchaus üblich und notwendig. Aus der Beschäftigung des Ermittlungsbüros läßt sich daher grundsätzlich kein Vorwurf ableiten.Die Bundesregierung erwartet jedoch, daß die Nachrichtendienste bei der Auswahl gerade ihrer freien Mitarbeiter besondere Sorgfalt im Hinblick auf deren Eignung anwenden. Dies ist die Voraussetzung für das Vertrauen, daß die Dienste für ihre unentbehrliche Arbeit brauchen.
Die Annahme privater Zuwendungen für die Erledigung dienstlicher Aufgaben des Bundesnachrichtendienstes ist formell nicht zu beanstanden. Die für abgeschirmte Operationen des Bundesnachrichtendienstes geltenden, mit den Haushaltsgremien des Bundestages und dem Bundesrechnungshof abgestimmten Regelungen sind im vorliegenden Fall beachtet worden. Dies hat der zuständige Unterausschuß des Haushaltsausschusses dieses Hohen Hauses bestätigt. Die Parlamentarische Kontrollkommission
hat sich dieser Beurteilung angeschlossen.
Bei allem Verständnis für das in den Jahren 1978 bis 1980 aus der Terrorismusbedrohung entstandene allgemeine Bewußtsein der Gefährdung bleibt die damalige Entscheidung bedenklich. Gerade wenn es um die Sicherheit des Staates und seiner Bürger geht, müssen die hierfür erforderlichen Maßnahmen mit öffentlichen Mitteln finanziert werden. Allein auf diese Weise kann ausgeschlossen werden, daß auch nur der Anschein entsteht, als würden sich Sicherheitsorgane in wie immer geartete Abhängigkeiten von privaten Geldgebern begeben oder gar staatsfremden Interessen dienstbar
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 175. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. November 1985 13139
Bundesminister Dr. Schäublewerden. Öffentliche Sicherheit ist und bleibt ausschließlich eine Aufgabe des Staates.
Für die unerläßliche Arbeit des Bundesnachrichtendienstes sind aus guten Gründen parlamentarische Kontrollverfahren festgelegt. Im vorliegenden Fall hätte zumindest geprüft werden müssen, ob nicht eine Unterrichtung der zuständigen parlamentarischen Gremien geboten gewesen wäre. Gerade in diesem besonders sensiblen Bereich muß jede Bundesregierung einen breiten politischen Konsens anstreben.Ich begrüße es deshalb auch, daß die Parlamentarische Kontrollkommission den Vorgang, der uns heute beschäftigt,
in einer gemeinsam verabschiedeten Erklärung gewürdigt hat. Die Bundesregierung sieht sich dadurch in ihrem Bemühen unterstützt, die Arbeit der Sicherheitsdienste so weit wie irgend möglich aus parteipolitischen Auseinandersetzungen herauszuhalten. Keiner sollte versuchen, aus der Debatte über diesen Vorgang kleinliche taktische Vorteile zu ziehen.
Dies ist nicht der Versuch, gemeinsam Unangenehmes unter den Teppich zu kehren,
sondern dies ist der Versuch, durch breiten Konsens die notwendige Verbindung von vertrauenbildender Kontrolle auf der einen Seite und sachlich notwendiger Diskretion auf der anderen Seite zu erreichen.Diese Bundesregierung hat auch aus ihrer kritischen Beurteilung des vorliegenden Vorgangs heraus Vorkehrungen getroffen, daß eine Mitfinanzierung von Sicherheitsmaßnahmen aus privaten Mitteln ausgeschlossen ist.
Entsprechende Weisungen sind ergangen. Die zur Aufsicht und Kontrolle berufenen Institutionen werden für die Beachtung dieser Weisungen sorgen. Ich darf dies für die Exekutive feststellen. Ich weiß mich dabei aber auch in Übereinstimmung mit den parlamentarischen Gremien für die Kontrolle der Nachrichtendienste.
Lassen Sie mich in dieser Stunde zum Schluß folgendes sagen. Auch ein demokratischer Rechtsstaat kann auf Nachrichtendienste nicht verzichten.
Er braucht die Information, die sie beschaffen, zur Wahrung seiner inneren wie seiner äußeren Sicherheit und damit zur Wahrung der Freiheit und des Rechtsstaats.
Der Staat — und das, meine Damen und Herren, sind wir alle — muß seinen Diensten die Mittel geben, die für die Erfüllung ihrer Aufgaben notwendig sind.Das alllein reicht aber für das Funktionieren der Dienste noch nicht aus. Sie bedürfen auch des allgemeinen Vertrauens und der öffentlichen Anerkennung; das Vertrauen muß gegenseitig sein. Es wird getragen von der strengen Bindung der Dienste an Recht und Gesetz. Darüber haben die Institutionen zur Kontrolle der Dienste sowohl im Bereich der Exekutiven als auch der Legislativen zu wachen.Es ist, meine Damen und Herren, unser aller Aufgabe, dafür zu sorgen, daß wir den Wunsch nach der Effizienz der Dienste mit der erforderlichen Kontrolle in Einklang bringen. Die Bundesregierung wird sich dieser Aufgabe auch in Zukunft stellen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Emmerlich.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der demokratische Staat darf nicht käuflich sein. Es darf nicht einmal der leiseste Anschein der Käuflichkeit entstehen. Finanzkräftige Kapitalgeber dürfen insbesondere auf das Verhalten der Sicherheitsorgane keinen Einfluß erhalten. Die Polizei und die Nachrichtendienste müssen ihren Auftrag ohne Ansehen der Person ausführen. Es wäre unerträglich,
wenn sie durch Geldzuweisungen dazu gebracht werden könnten, finanzkräftige Geldgeber besser zu behandeln als andere Bürger.
Das Gebot der Gleichbehandlung aller Bürger muß gerade von den Sicherheitsorganen auf das peinlichste beachtet werden.Diese Grundsätze, meine sehr geehrten Damen und Herren, sind bedauerlicherweise nicht beachtet worden, als einem Detektivbüro 1979 vom damaligen Präsidenten des Bundesnachrichtendienstes ein Auftrag zur Informationsbeschaffung erteilt worden ist. Auf die Auftragserteilung hatte u. a. der Präsident eines Unternehmensverbandes gedrängt.
Vor der Erteilung des Auftrags war von diesem Unternehmensverband und von drei weiteren Großunternehmen zugesagt worden, im Falle der Auftragserteilung 400 000 DM an den Bundesnachrichtendienst zu überweisen und damit den größeren Teil des Gesamthonorars von 650 000 DM zur Verfügung zu stellen.
Metadaten/Kopzeile:
13140 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 175. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. November 1985
Dr. EmmerlichDie Inanspruchnahme der privaten Geldgeber erfolgte, obwohl ausreichende Haushaltsmittel zur Verfügung standen.
— Es gibt keine überzeugende Erklärung dafür, Herr Ströbele, warum Mittel von Privatunternehmen in Anspruch genommen worden sind.
Die Teilfinanzierung durch private Wirtschaftsunternehmen hat den Anschein hervorgerufen, der Bundesnachrichtendienst lasse sich von privaten Interessen finanzkräftiger Kreise leiten und gerate unter ihren Einfluß.
Dieser Anschein durfte unter keinen Umständen erweckt werden.Wir übersehen nicht die Lage, in der sich die Sicherheitsbehörden 1979 und 1980 befanden.
— Ich habe das alles sehr intensiv und unmittelbar miterlebt und miterduldet. — Wir würdigen das Gefühl der Bedrohung, das insbesondere führende Persönlichkeiten in der Wirtschaft erfaßt hatte. Wir haben auch zur Kenntnis genommen, daß der Präsident des Bundesnachrichtendienstes von anderen Sicherheitsbehörden und auch aus dem Innenministerium gedrängt worden ist, das Detektivbüro einzuschalten. Wir wissen, nicht zuletzt durch den von der SPD-Fraktion im niedersächsischen Landtag durchgesetzten und von der niedersächsischen CDU immer wieder behinderten Untersuchungsausschuß, daß es Aufträge des Bundeskriminalamtes und verschiedener Landeskriminalämter, u. a. des bayrischen Landeskriminalamtes, an das Detektivbüro gegeben hatte und daß es dabei, wie uns gesagt worden ist, gleiche, vergleichbare oder ähnliche Finanzierungsmodelle gegeben haben soll.
Das alles, meine sehr geehrten Damen und Herren, kann aber nicht zu einer anderen Bewertung als der führen, daß die Finanzierung dienstlicher Aufgaben des Bundesnachrichtendienstes mit Hilfe privater Geldgeber auch unter den besonderen Bedingungen der Jahre 1978 bis 1980 schlechthin nicht zu billigen ist.
Bedauerlicherweise ist das so.Die SPD-Bundestagsfraktion begrüßt, daß die Parlamentarische Kontrollkommission des Deutschen Bundestages einmütig — ich betone: einmütig —
zu einer gleichen Bewertung
und zu der für alle Sicherheitsbehörden geltenden generellen Feststellung gekommen ist, daß der Staat seine Aufgaben gerade im Sicherheitsbereich ausschließlich mit eigenen Mitteln erfüllen muß.Die SPD-Bundestagsfraktion unterstreicht die Aufforderung der Parlamentarischen Kontrollkommission sicherzustellen, daß private Zuwendungen zukünftig in jedem Fall unterbleiben.Wie die Parlamentarische Kontrollkommission ist die SPD-Bundestagsfraktion der Auffassung, daß über den hier in Rede stehenden Vorgang nach § 2 Abs. 1 des Gesetzes über die parlamentarische Kontrolle nachrichtendienstlicher Tätigkeit die Parlamentarische Kontrollkommission hätte unterrichtet werden müssen — nicht, Herr Bundesminister, daß nur geprüft werden mußte, ob eine Unterrichtung erforderlich sei.Wir fordern daher nachdrücklich, daß alle Bundesregierungen, die gegenwärtige und zukünftige Bundesregierungen
— von den vergangenen können wir das nicht mehr fordern; wir können nur bedauern, daß sie es nicht getan haben —,
die Kontrollrechte des Deutschen Bundestages, insbesondere die Informationsverpflichtung der Bundesregierung gegenüber der Parlamentarischen Kontrollkommission ohne jede Einschränkung und peinlich genau beachten.Die SPD-Bundestagsfraktion sieht in dem dem Deutschen Bundestag zugeleiteten Beschluß der Parlamentarischen Kontrollkommission ein deutliches Zeichen dafür, daß der Deutsche Bundestag insgesamt willens und in der Lage ist, seiner Kontrollaufgabe auch im Bereich der Nachrichtendienste autonom, unabhängig von der Exekutive, gerecht zu werden.Es trifft, meine sehr geehrten Damen und Herren, nicht zu, was heute in manchen Zeitungen zu lesen ist: daß hier etwas vernebelt, unter den Teppich gekehrt oder verharmlost werden soll.
Wir haben eine politische Bewertung des Vorgangs vorzunehmen. Diese politische Bewertung ist unzweideutig und in aller Klarheit erfolgt, und zwar sowohl für die Vergangenheit als auch für die Zukunft.
Es kann keine Rede davon sein, daß der Sachverhalt nicht vollständig genug aufgeklärt sei.Die Parlamentarische Kontrollkommission hatte den Auftrag zu bewerten, den der Präsident des
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 175. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. November 1985 13141
Dr. EmmerlichBundesnachrichtendienstes an die in Rede stehende Detektei erteilt hat.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Wenn ich diesen Satz zu Ende führen darf. — Die Sachverhaltsaufklärung, die erforderlich war, um eine solche Bewertung vornehmen zu können, hat stattgefunden.
Bitte sehr, Herr Abgeordneter Ströbele.
Herr Kollege Emmerlich, sind Sie bereit, dabei mitzuwirken festzustellen, was diese enormen Zahlungen der Privatwirtschaft
an den Geheimdienst mit den toten Gefangenen in Stuttgart-Stammheim 1977 zu tun haben?
Herr Ströbele, ich habe den Eindruck, daß Sie aus Gründen, die ich nicht erkennen kann,
fixiert sind auf gewisse Phantomvorstellungen, die sich in Ihrem Kopf festgesetzt haben,
die mit der Realität dieses Landes, mit der Realität unseres Staates, mit der Realität seiner Diener und mit der Realität der deutschen Bundestagsabgeordneten nicht das mindeste zu tun haben.
Der Beschluß der Parlamentarischen Kontrollkommission behindert eine weitere Sachverhaltsaufklärung in keiner Weise. Sie wird erfolgen, soweit sie nötig und möglich ist.
In diesem Zusammenhang weise ich darauf hin, daß die SPD-Bundestagsfraktion es für unerläßlich hält, die Zusammenarbeit des Detektivbüros mit Polizeibehörden weiter aufzuhellen, insbesondere aufzuklären,
ob und in welcher Weise private Interessen durch Aufträge und Hilfeleistungen von Polizeibehörden befördert worden sind und ob es Finanzierungsmodelle gegeben hat, die so zu beurteilen sind wie die Finanzierung beim Auftrag des Bundesnachrichtendienstes.
Die SPD-Bundestagsfraktion ist darüber hinaus der Auffassung, daß eine Verdichtung der Haushaltskontrolle der Nachrichtendienste im Bereich geheimer Operationen geprüft werden muß. Dazu wird mein Kollege Klaus-Dieter Kühbacher weitere Ausführungen machen.
Ein demokratischer Staat, der sich in den Geruch der Käuflichkeit begibt, gefährdet die Grundlagen seiner Existenz.
Ich wünschte, wir wären immer so einig wie heute, daß es notwendig ist, den Anfängen zu wehren.
Vielen Dank.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Miltner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die CDU/CSU begrüßt die Regierungserklärung, in der der Sachverhalt klar und die Bewertung überzeugend vorgetragen wurden.Wir beraten heute einen Vorgang, der sich in den Jahren 1979 und 1980 abgespielt hat und daher in der Verantwortung der früheren Bundesregierung, der SPD-geführten Bundesregierung liegt. Der entscheidende Punkt in diesem Sachverhalt ist die Tatsache, daß der Bundesnachrichtendienst als Sicherheitsorgan der Bundesrepublik Deutschland für die Erfüllung einer ihm obliegenden Aufgabe eine private Zuwendung angenommen hat. Wer allerdings die Vorgänge in den Jahren 1979 und 1980 sachgerecht beurteilen will, muß sich die damalige Situation vor Augen führen.Es gab eine Serie terroristischer Anschläge auf einzelne Persönlichkeiten und den Versuch, hierdurch den Staat in seiner Gesamtheit zu treffen. Als Beispiele nenne ich die Morde an Generalbundesanwalt Buback, an Arbeitgeberpräsident Schleyer, den ihn begleitenden Sicherheitsbeamten und dem Sprecher der Dresdner Bank Jürgen Ponto. Die intensive Fahndung nach mutmaßlichen terroristischen Gewalttätern in der Bundesrepublik Deutschland und im Ausland lief damals auf vollen Touren.Aber ein schwerer Rückschlag kam, als die jugoslawische Regierung die vier gefaßten Terroristen nicht auslieferte und statt dessen freiließ. Auf Grund dieser Freilassung mußte mit einer weiteren Verstärkung des terroristischen Potentials gerechnet werden. Im Jahre 1979 dauerte die Gefährdung durch den Terrorismus also unvermindert an.Es war und ist konsequent und sachgerecht, wenn sich der Bundesnachrichtendienst auch der Hilfe Dritter bedient, um seine Aufgaben wirksam erfüllen zu können. In der Beauftragung von privaten Mitarbeitern und auch in der speziellen Beauftragung einer Detektei sehen wir einen nicht zu beanstandenden und nicht unüblichen Vorgang. Auch das muß einmal klar gesagt werden. Dem Bundesnachrichtendienst ist deshalb kein Vorwurf daraus zu machen, daß er ein als erfolgreich angesehenes Detektivbüro zur Unterstützung der eigenen Arbeit einsetzte.
Metadaten/Kopzeile:
13142 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 175. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. November 1985
Dr. MiltnerSoweit es um die haushaltsmäßige und haushaltsrechtliche Behandlung des Vorgangs ging, hat der Bundesnachrichtendienst das vereinnahmte Geld nach den Vorschriften einer sogenannten abgeschirmten Aktion ordnungsgemäß verbucht, so daß eine spätere Überprüfung seiner Verwendung durch das Haushaltsgremium und den Bundesrechnungshof ermöglicht worden ist. Dies hat ausdrücklich das für die Nachrichtendienste zuständige Haushaltsgremium des Deutschen Bundestages festgestellt.Trotzdem, meine Damen und Herren, mußte und durfte nicht auf das Angebot privater Geldgeber in diesem Fall zurückgegriffen werden.
Die Bundesregierung hätte die Bereitstellung der nötigen Haushaltsmittel sicherstellen können und auch müssen.Die rechtliche Verantwortung lag besonders auch beim damaligen Chef des Bundeskanzleramtes, der die Fach- und Rechtsaufsicht über den Bundesnachrichtendienst führte. Als ihm der Vorgang vorgetragen wurde, hätten bei ihm die roten Ampeln aufleuchten müssen. Auch er hätte erkennen müssen, daß mit privaten Geldzuwendungen der Anschein erweckt werden konnte, als ob private Geldgeber einen Einfluß auf Sicherheitsmaßnahmen nehmen könnten und Sicherheitsorgane in die Abhängigkeit von privaten Geldgebern gebracht werden könnten.
Ich muß Ihnen sagen, Herr Ströbele: Das haben wir natürlich geprüft und festgestellt, daß eine solche Einflußnahme nicht geschehen ist.
Der damalige Chef des Bundeskanzleramtes hatte die Pflicht, beim Bundesnachrichtendienst darauf hinzuwirken, daß die vorgesehenen Aufklärungsmaßnahmen entweder aus vorhandenen oder zu beschaffenden Haushaltsmitteln des Bundes finanziert werden. Er hat als Aufsichtsorgan die prinzipielle Bedeutung dieser privaten Geldzuwendungen meines Erachtens unterschätzt und die damit verbundenen negativen Aspekte übersehen. Anstatt also die Zuwendung privater Mittel an den Bundesnachrichtendienst zu unterbinden, hat er den gesamten Vorgang gebilligt.Der Vorgang war aber auch so außergewöhnlich und erlangte dadurch eine Bedeutung, daß er der PKK hätte vorgetragen werden müssen. Die Mitglieder der PKK sind einhellig der Meinung, daß dies nach dem Gesetz über die PKK erforderlich gewesen wäre.Aus alledem ergibt sich, daß die damalige SPD- geführte Bundesregierung in zwei Punkten ihre Pflicht verletzt hat. Sie hat diese private Geldzuwendung an den BND zugelassen und gebilligt. Sie hat in diesem konkreten Fall nicht für eine normale Bereitstellung von Haushaltsmitteln Sorge getragen. Sie hat es außerdem unterlassen, die PKK von der beabsichtigten Geldannahme zu unterrichten.Nun, meine Damen und Herren, sagt man uns, von diesem Vorgang habe der damalige Bundeskanzler nichts gewußt.
Wenn das so sein sollte, ist das auch bemerkenswert; denn es handelte sich j a nicht etwa um eine Angelegenheit in einem anderen Ressort oder gar in einer nachgeordneten Behörde, sondern um eine Angelegenheit in unmittelbarer Nähe des Bundeskanzlers, in seinem Hause, unter seinen Augen, von seinem engsten, nächsten und vertrauten Mitarbeiter entschieden.
In dieser Weise muß auch die politische und parlamentarische Verantwortung des damaligen Bundeskanzlers Helmut Schmidt gesehen werden.
Deshalb lehnen wir insoweit den Antrag ab.
für die Funktionsfähigkeit auch des Bundesnachrichtendienstes zu sorgen, darüber zu wachen, daß er seine Aufgaben sachgerecht erfüllt.
Ich glaube, der Bundesnachrichtendienst kann seine Aufgabe auch nur erfüllen, wenn er vom Vertrauen der Bürger und dem Vertrauen der demokratischen Kräfte getragen wird.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 175. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. November 1985 13143
Dr. Miltner Vielen Dank.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schily.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren Kollegen! Für die Fraktion der GRÜNEN ist es nicht verwunderlich, daß sich die gegenwärtig amtierende Bundesregierung mit beschränkter Haftung und beweglicher Moral heute nach Kräften bemüht hat, die Diskussion um die privat finanzierte Fahndungsaktion hastig zu beenden und der deutschen Öffentlichkeit sozusagen als eine Aktion Gemeinsinn darzustellen, die Eintragung eines milden Tadels ins Klassenbuch — oder sollte ich sagen: ins Kassenbuch — inbegriffen.
Wir können aber nicht darüber hinwegsehen, daß auch die heutige Erklärung der Bundesregierung zu keiner ausreichenden Aufklärung geführt hat. Es bleiben einige Fragen offen. So bleibt zu fragen: Erstens. War der Grund der Zusammenarbeit zwischen dem Bundesnachrichtendienst und dem Detektivbüro in erster Linie Geldmangel, Herr Minister Schäuble? Das scheint mir nicht plausibel, denn nach alledem, was wir gehört haben, verfügte der Bundesnachrichtendienst über ausreichende Finanzmittel, um seinen Aufgaben nachzugehen. Damit auch hier keine Vernebelung entsteht: Es ist unbestritten, daß sich ein Bundesnachrichtendienst selbstvertändlich auch einer privaten Detektei zur Erfüllung seiner Aufgaben bedienen kann, und es ist auch unbestritten, daß sich selbstverständlich ein Privatmann, der sein Leben gefährdet sieht, eines privaten Detektivbüros bedienen kann. Aber die Vermischung dieser beiden Ebenen — es geht um die Verknüpfung — ist unzulässig.
Oder soll es zweitens — das habe ich eigentlich aus den Ausführungen heute von Herrn Schäuble entnommen — so gewesen sein, daß der Bundesnachrichtendienst erst im Jahre 1979 etwas davon erfahren hat, daß es ein Detiktivbüro gegeben hat, das über besondere Fähigkeiten bei Fahndungsaktionen verfügte? Dann frage ich allerdings: Wie ist es eigentlich mit den Informationsmöglichkeiten des Bundesnachrichtendienstes bestellt, wenn er das erst im Jahre 1979 erfährt? Zudem bleibt dann eine zweite Frage offen: Herr von Brauchitsch hat erklärt: 1978 ist Geld gesammelt worden, und 1978 hat man sich zusammengefunden. Es bleibt die Frage anzuschließen, die die „Süddeutsche Zeitung" gestellt hat, ob es nicht auch in anderen Fällen ähnliche privat finanzierte Kooperationen gegeben hat.
Die dritte Frage, die ich auf Grund von Zeitungsberichten auch für sehr wichtig halte — Herr Schäuble, dazu haben Sie heute leider nichts gesagt —: Auf Grund welcher authentischen Aktenkenntnis hat die Bundesregierung eigentlich heute ihre Erklärungen abgegeben?
Ich denke, wir müssen folgende Feststellungen hier als Grundkonsens gemeinsam zu treffen versuchen. Private Finanzierungen von Operationen des Bundesnachrichtendienstes sind weder mit dem
Haushalts- noch mit dem Verfassungsrecht vereinbar. Keiner Dienststelle des Bundes ist es gestattet, mehr Geld auszugeben, als ihr zuvor in dem vom Parlament verabschiedeten Haushalt bewilligt worden ist. Zu einer privaten Finanzierung bestimmter Vorhaben außerhalb der Haushaltsansätze ist sie nicht befugt. Im übrigen muß es in einer demokratischen Verfassung privaten Geldgebern verwehrt sein, durch finanzielle Zuwendungen auf Art und Umfang staatlicher Tätigkeit Einfluß zu nehmen.
Ich denke, es kann nicht angehen, daß Industriefirmen stille Teilhaber der geheimen Staatsmacht werden. Ebenso wenig kann es hingenommen werden, daß — ich zitiere den CDU-Verfassungsschützer Lochte aus Hamburg — Biertischstrategen sozusagen privat den Ausnahmezustand ausrufen und sich von der Achtung vor der Verfassung freizeichnen.
Bei allem Verständnis hinsichtlich der Bedrohungssituation ist das der falsche Weg. Ich meine, es muß demokratischer Konsens sein, daß abgeschirmte Operationen nicht die verfassungsrechtlichen Zuständigkeiten aushöhlen dürfen. Vor allem sollte sich die Bundesregierung klar dazu äußern, ob Zeitungsberichte zutrefffen, daß der Bundesnachrichtendienst sogar der Bundesregierung die Akteneinsicht in die damaligen Vorgänge verwehrt, weil es sich um abgeschirmte Operationen gehandelt hat. Wenn das einreißen sollte, wird aus der rechtsstaatlichen Demokratie schließlich eine abgeschirmte Demokratie, die zuletzt die Verfassung selbst zur Geheimsache erklärt.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Baum.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Meine Fraktion begrüßt ausdrücklich die Regierungserklärung, die Herr Kollege Schäuble heute abgegeben hat.
In den Feststellungen der Parlamentarischen Kontrollkommission heißt es am Schluß:
Bedeutsam erscheint auch, daß der Bundesnachrichtendienst von anderen Sicherheitsbehörden mehrfach aufgefordert worden ist, sich des in Rede stehenden Detektivbüros zu bedienen.Ich gehöre zu denen, die damals im Jahre 1979 Herrn Kinkel zur Beauftragung des Vermittlungsbüros in diesem Falle geraten haben. Vorausgegangen waren Beratungen in den Sicherheitsgremien des Bundesministeriums des Innern. Maßgebliche Sicherheitsbeamte hatten erklärt, daß dieses Büro einen Beitrag bei der Aufklärung des Aufenthaltes von mutmaßlichen Terroristen im Ausland leisten könnte. Es wäre unverantwortlich gewesen, diesen
Metadaten/Kopzeile:
13144 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 175. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. November 1985
BaumRat in der damaligen Situation in den Wind zu schlagen, zumal dieses Büro bei der Festnahme des deutschen Terroristen Pohle in Athen erfolgreich mitgewirkt hatte. Das Vermittlungsbüro — so wurde mir damals erklärt — hatte in den Jahren davor schon regelmäßig Aufträge für verschiedene Polizeibehörden der Länder und auch für das Bundeskriminalamt übernommen. Es war Ende der 60er Jahre auch schon einmal für den Bundesnachrichtendienst in anderer Sache tätig gewesen.Ich stehe also zu meiner politischen Verantwortung, daß ich zu denen gehört habe, die Herrn Kinkel empfohlen haben, dieses Büro zu beauftragen. Das ist ja auch erkennbar heute nicht kritisiert worden. Meine Position war sicherheitspolitisch motiviert. Es ging darum, den Bundesnachrichtendienst im Rahmen der Amtshilfe zur Fahndung nach Terroristen mit seinen Erfahrungen und Verbindungen im Ausland verstärkt einzuschalten.
Der Vertrag und die Finanzierungsmodalitäten waren mir nicht bekannt. Den Vertrag, den der Bundesnachrichtendienst geschlossen hatte, habe ich in dieser Woche zum erstenmal gesehen. Dies fiel ja auch nicht in meine Zuständigkeit, sondern in die Zuständigkeit des Bundeskanzleramtes.
Bei der Beurteilung des Sachverhalts und insbesondere bei der Beurteilung der Frage, ob irgendein Fehlverhalten der damals Beteiligten vorlag, muß die Gesamtsituation der Jahre 1978 bis 1980 gewürdigt werden. Sie war auf dem Gebiet der Terrorismusbekämpfung und der Terrorismusaufklärung von der noch andauernden Erregung über die voraufgegangenen Morde, dem Gefühl der besonderen Gefährdung bestimmter Personenkreise und einem starken Erfolgsdruck für die Behörden gekennzeichnet.Nach den jetzt vorliegenden Informationen kann gesagt werden: Erstens. Niemand hat Sicherheit gekauft. Zweitens. Die Annahme solcher Zuwendungen war nach den Feststellungen des Gremiums zur Genehmigung der Wirtschaftspläne der Nachrichtendienste formell nicht zu beanstanden. Die PKK hat dem zugestimmt. Drittens. Recht wurde nicht verletzt, und zwar weder privates noch öffentliches Recht.Auch meine Fraktion ist — damit hier kein Mißverständnis entsteht — der Meinung, daß die Entgegennahme privater Zuwendungen für die Erledigung dienstlicher Aufgaben des Bundesnachrichtendienstes nicht angängig ist.
Dies gilt um so mehr, als die notwendigen Haushaltsmittel im Haushalt des Bundesnachrichtendienstes zur Verfügung standen und ausreichten. Deshalb sind auch wir der Meinung, daß sichergestellt werden muß, daß private Zuwendungen im Sicherheitsbereich künftig unterbleiben. Es muß jeder Anschein vermieden werden, daß sich Sicherheitsorgane in Abhängigkeit von Dritten begeben könnten.
Wir stellen aber ausdrücklich fest, daß sich im konkreten Fall für solche Auswirkungen keinerlei Anhaltspunkte ergeben haben. Niemand konnte bisher überzeugend auch nur andeutungsweise einen derartigen Anschein der Abhängigkeit konstruieren.
Wir haben Verständnis dafür, daß in der damaligen Situation von den Verantwortlichen im Bundesnachrichtendienst und im Bundeskanzleramt eine solche Entscheidung getroffen wurde. Es gab bereits vertragliche Bindungen zwischen der Versicherungswirtschaft und dem Detektivbüro. Diejenigen, die damals entschieden haben, haben folgende Überlegungen angestellt: Es handelte sich um eine Weiterführung der Tätigkeit dieses Büros mit einer klaren vertraglichen Bindung an den Bundesnachrichtendienst. Dies gewährleistete eine Koordinierung der Tätigkeit des Büros mit der des Bundesnachrichtendienstes und war deshalb besser, als wenn Verträge zwischen verschiedenen Vertragspartnern nebeneinander bestanden hätten.
Es handelte sich um eine Tätigkeit im Ausland mit Berührungspunkten zur Tätigkeit des Bundesnachrichtendienstes.Meine Damen und Herren, auch denen, die Geld zur Verfügung gestellt haben, muß man mit Verständnis entgegentreten; ich vermag ihnen keine Vorwürfe zu machen.
Führende Repräsentanten der Wirtschaft — ich nenne nur Schleyer und Ponto — waren ermordet worden, andere waren nach unseren Erkenntnissen in hohem Maße gefährdet. Es sprach auch einiges dafür, die Erkenntnisse, die die Versicherungswirtschaft aus der bisherigen Arbeit des Büros gewonnen hatte, zu nutzen. Es muß auch daran erinnert werden, daß in dieser Situation führende Vertreter der Wirtschaft im Schleyer-Krisenstab mitgewirkt haben; sie haben sechs Wochen lang mit uns um das Leben von Schleyer gerungen.Ich sage dies alles, um die Situation, die vor sechs Jahren bestand, in unser Gedächtnis zurückzurufen. Es ist ja sehr einfach, aus der heutigen Situation heraus zu urteilen.All dies ändert nichts an der Feststellung, die auch wir treffen, daß künftig private Zuwendungen unterbleiben müssen.
Herr Abgeordneter Baum, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Conradi?
Ja.
Bitte sehr.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 175. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. November 1985 13145
Herr Kollege Baum, was eigentlich hat diese Unternehmen daran gehindert, den Auftrag dem Detektivunternehmen direkt zu erteilen? Warum mußte der Umweg über den BND gewählt werden?
Da müßten Sie die Vertreter des Kanzleramtes fragen, die damals zuständig waren. Sie gehören Ihrer Partei an, Herr Kollege Conradi.
— Herr Vogel, es ist ein Vertreter Ihrer Fraktion, der mich fragt, aber ich war nun wirklich nicht für diese Vorgänge im Kanzleramt zuständig.
Aber, Herr Conradi, es gab einen Vertrag zwischen der Versicherungswirtschaft und diesem Büro, und dieser Vertrag ist dann unter den Umständen, die Sie kennen, weitergeführt worden.
Das Bundeskanzleramt hat 1979/80 die Parlamentarische Kontrollkommission über den Vorgang, den wir hier debattieren, nicht unterrichtet. Die Parlamentarische Kontrollkommission hat festgestellt, daß dies hätte geschehen müssen. Wir schließen uns dieser Meinung an.
Die Parlamentarische Kontrollkommission hat festgestellt, daß der seinerzeitige Präsident des Bundesnachrichtendienstes, Herr Kinkel, auf Entscheidungen der Staatsanwaltschaft keinen Einfluß genommen hat. Ich möchte diese Feststellung ausdrücklich unterstreichen.
Herr Kollege Vogel, ich bedaure, daß es zu keiner gemeinsamen Entschließung kommt,
denn die Feststellungen der Parlamentarischen Kontrollkommission haben wir gemeinsam getroffen und beschlossen,
und wir vermögen überhaupt nicht einzusehen, daß Sie jetzt Teile davon herausnehmen und gesondert feststellen lassen wollen.
Ich möchte auch im Namen meiner Fraktion bekräftigen, daß es nicht Aufgabe der Parlamentarischen Kontrollkommission ist, die Zuwendungen, bei denen hinsichtlich eines Teilbetrages nicht völlig geklärt werden kann, ob sie von einem Unternehmen unmittelbar auf dem Weg über eine Vereinigung an den Bundesnachrichtendienst geflossen sind, steuerrechtlich zu würdigen.
Lassen Sie mich zum Schluß eine Bemerkung zu den Beamten machen, die damals unmittelbar Verantwortung getragen haben. Ich meine die Staatssekretäre Kinkel und Schüler. Beide sind in einer außerordentlich angespannten Sicherheitssituation unter großem persönlichem Einsatz für uns alle tätig gewesen. Sie haben ihre Pflicht getan wie viele andere Angehörige der Sicherheitsdienste in der Bundesrepublik Deutschland. Die Verantwortung — das möchte ich an dieser Stelle sagen — ging weit über den Bereich hinaus, über den wir hier heute diskutieren. Ein Rechts- und Gesetzesverstoß ist ihnen nicht vorwerfbar. Auch wenn es schwer ist, sich in die Sicherheitslage des Jahres 1979 zurückzuversetzen, meine Damen und Herren, auch wenn sich die Sicherheitslage entspannt hat, auch wenn wir gewünscht hätten, daß die Finanzierung in anderer Weise hätte erfolgen sollen, haben wir die Pflicht, zu diesen Beamten zu stehen. Auch künftig wird es schwierige Sicherheitslagen geben, und die Mitglieder der Sicherheitsbehörden dürfen nicht den Eindruck bekommen, meine Kolleginnen und Kollegen, als ob sich Politiker nur dann mit ihnen identifizieren, wenn sie Erfolge haben. Wir müssen bereit sein, auch schwierige Situationen verständnisvoll zu würdigen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Kühbacher.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Bundesminister Schäuble, ich mull Ihre Regierungserklärung jedenfalls in einem Punkt korrigieren. Es gibt keinen Unterausschuß des Haushaltsausschusses, der die Finanzen der Geheimdienste kontrolliert, sondern ein speziell zu diesem Zweck eingesetztes Gremium. Sie haben dieses Gremium hier als Unterausschuß bezeichnet; aber Sie im Kanzleramt haben sich doch diese besondere Rechtssituation ausgedacht, um die GRÜNEN von der Kontrolle auszusparen. Deshalb sollten Sie diese Worte hier nicht einführen.
Meine Damen und Herren, in unserem Gremium des Haushaltsausschusses haben wir neben der allgemeinen Rechtskontrolle z. B. nach Art. 104a des Grundgesetzes und folgende, die Bundeshaushaltsordnung, das Haushaltsgrundsätzegesetz und die Verwaltungsvereinbarungen über die Finanzierung öffentlicher Aufgaben zu beachten. Aber unsere Haushaltskontrolle bezieht sich ja nicht nur auf die buchstabengetreue Aufgabenerfüllung und Einhaltung der Rechtsbestimmungen, sondern wir haben uns vielmehr auch mit der Frage zu befassen, ob Dienststellen des Bundes ihre Aufgaben wirtschaftlich und sparsam erfüllen und ob diese Aufgabenerfüllung und die sich daraus ergebenden Ausgaben tatsächlich notwendig sind, ob die Beteiligung von Dritten an dieser Aufgabenerfüllung sinnvoll und angemessen ist und, was in diesem konkreten Fall hier besonders wichtig war — im nachhinein wissen wir das alle jetzt besser —, ob Verträge mit Dritten nicht zu einer Aushöhlung der politisch begrenzten und gewollten Aufgabenerfüllung führen.
Metadaten/Kopzeile:
13146 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 175. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. November 1985
KühbacherIn der Öffentlichkeit ist genug über die Abwicklung dieser Operation berichtet worden. Im nachhinein muß ich jedenfalls den skeptischen Beigeschmack des Bundesnachrichtendienstes selbst bei der Vertragsgestaltung belächeln, wenn der in der „Frankfurter Rundschau" unter „Aufgespießt" berichtete Name „Katzenjammer" für diese Operation auch tatsächlich zutrifft.Nun zur Haushaltskontrolle. Formell sind die sich aus dem Vertrag und den sich hieraus ergebenden Dreiecksverabredungen entstandenen Ausgaben, korrekt verbucht worden. Nach § 14 des Haushaltsgrundsätzegesetzes sind aber Zuwendungen an Stellen — an Dritte; in diesem Fall an das Detekteibüro — außerhalb der Verwaltung des Bundes nur dann zu veranschlagen, wenn der Bund an der Erfüllung duch solche Stellen ein erhebliches Interesse hat, das ohne die Zuwendungen nicht oder nicht im notwendigen Umfang befriedigt werden kann. Meine Damen und Herren, ich bitte Sie, lesen Sie dazu Ziffer 5 der Feststellungen der PKK, insbesondere den letzten Satz. Daß diese Aufgabenerfüllung nun doch auch durch eine Zusatzfinanzierung in Form von Zuwendungen an die Bundeskasse beschleunigt und sogar erleichtert worden ist, hat die Parlamentarische Kontrollkommission in der Ziffer 2 ihrer Feststellungen kritisch gewürdigt.Legt man Art. 104 a des Grundgesetzes in Verbindung mit § 6 der Bundeshaushaltsordnung eng aus, dann ist es eindeutig, daß der Bund die Ausgaben zu tragen hat, die sich aus der Wahrnehmung seiner Aufgaben ergeben. Also nur der Bund darf seine eigenen Aufgaben finanzieren. Dies ist unstreitig auch aus der Verwaltungsvereinbarung über die Finanzierung der Aufgaben von Bund und Ländern abzulesen. Dort heißt es: Ausschließlich aus der Bundeskasse sind die Aufgaben zu finanzieren, die der Bund zur Wahrnehmung seiner Befugnisse und Verpflichtungen im bundesstaatlichen Gesamtverband ihrem Wesen nach eigentümlich durchführt. — Dazu gehören wohl unbestreitbar die Aufgaben des BND.Was eine öffentliche Aufgabe ist, kann zwar gelegentlich zu Zweifeln Anlaß geben; von einer öffentlichen Aufgabe wird jedoch durchweg dann gesprochen, wenn ihre Erfüllung im maßgeblichen Interesse der Öffentlichkeit liegt. Im eigentlichen Sinne liegt eine öffentliche Aufgabe dann vor, wenn sich ein Hoheitsträger ihrer Erfüllung im Rahmen der Rechtsordnung annimmt.Nun ist es, was die Rechtsordnung angeht, so, daß es ein Spezialgesetz für die Tätigkeiten des Bundesnachrichtendienstes nicht gibt. Er hat sich jedoch — wie die gesamte Bundesregierung — an die allgemeinen Rechtsgrundsätze zu halten.Meine Damen und Herren, nun muß ich eine hypothetische Annahme mit Blick auf die Vergangenheit wagen. Zwar haben der zuständige Mitarbeiter und der Präsident des Bundesnachrichtendienstes peinlichst genau die Verbuchung der Ausgaben und Einnahmen in diesem zur Rede stehenden Einzelfall vorgenommen. Auch sind die Belege, die diese Buchungsvorgänge ausgelöst haben, eindeutig nachprüfbar. Dennoch bin ich sicher: Wäre durch die handelnde Leitung beim BND oder im Kanzleramt seinerzeit die PKK insbesondere über die Art der Refinanzierung der Dreiecksverabredung —„Vertrag" ist wohl nicht die richtige Bezeichnung; es ist mehr eine Verabredung — informiert worden, wäre die Einnahmenseite sicher nicht akzeptiert worden.Es hat auch nach meinen Feststellungen — das ist in unseren Gremium ausdrücklich bestätigt worden — zu keiner Zeit eine Situation gegeben, in der der Dienst auf Grund der Nichtzurverfügungstellung von Haushaltsmitteln seine Aufgabe nicht umfassend und im einzelnen hätte erfüllen können.
Meine Damen und Herren, worauf es ankommt, ist dies. Daß in Zukunft keine Sicherheitsbehörde ihre Aufgaben von Privaten mit- oder anfinanzieren läßt, soll dadurch, daß der Bundestag unsere Entschließung bekräftigt, erreicht werden.
Damit hätte das Parlament eine grundsätzliche, in diesem Falle politische Bindung vorgenommen, die neu wäre. Das wäre ein Erfolg, den das Parlament gegenüber jeder Regierung hier heute durchgesetzt hätte.
Herr Abgeordneter Kühbacher, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Ströbele?
Bitte.
Bitte sehr, Herr Abgeordneter.
Herr Kollege, darf ich Sie als Haushälter einmal fragen, ob Sie es als glaubhaft ansehen, daß für einen Vertrag, bei dem kein Erfolg zu verzeichnen war, also für den bloßen Auftrag eine Summe von 850 000 DM gezahlt wurde? Meinen Sie nicht auch, daß das unglaubhaft ist, daß das auch bei solchen Verträgen mit Detektivbüros nicht üblich ist und daß das die Vermutung nahelegt, daß das Geld für ganz andere Zwecke gezahlt wurde?
Herr Kollege Ströbele, ich kann Ihnen über Erfolg und Mißerfolg dieser Aktion nichts berichten. Auf jeden Fall hätte der Präsident des Bundesnachrichtendienstes, wie er uns gegenüber selbst betonte, diesen einmaligen und erstmaligen Vorgang in der PKK besprechen sollen. Er wäre 1979 sicherlich besser beraten gewesen, dies zu tun.Meine Damen und Herren, wenn Sie alle der Feststellung der PKK zustimmen — das tun Sie ja heute hier —, daß Private öffentliche Aufgaben nicht anfinanzieren sollten, wird es uns gelingen, auch den Rechnungshof in die Lage zu versetzen,
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 175. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. November 1985 13147
Kühbachereinzelne abgeschirmte Maßnahmen auf gerade diesen Punkt hin zu untersuchen.Ich darf Sie also bitten, dem Entschließungsantrag der SPD-Fraktion zu den einzelnen Punkten zuzustimmen, damit sich dieser einmalige unzulässige Vorgang wenigstens nicht wiederholt. Ich füge hinzu: Ich denke, daß wir bei den Haushaltsberatungen den BND finanziell in die Lage versetzen, die Mittel, die er von der Wirtschaft erhalten hat, zurückzuzahlen. Ich gehe davon aus, daß die Beteiligten aus der Wirtschaft diese Beträge dann den Opfern von Gewalttaten zur Verfügung stellen.
Meine Damen und Herren, wir haben im Rahmen der Diskussion in dem Haushaltsgremium die Chefs aller Dienste befragt und die Auskunft bekommen, daß es zur Zeit — und dies gilt auch für die Vergangenheit — keine private Mitfinanzierung öffentlicher Aufgaben in den übrigen Sicherheitsbereichen gibt. Es ist also kein privates Geld an anderer Stelle — außer in diesem Einzelfall — in die Bundeskasse geflossen. So weit die temporäre Aussage des Chefs der Dienste. Der Rechnungshof wird auf unsere Veranlassung hin diese Aussage bei den einzelnen Sicherheitsfällen noch einmal überprüfen. Wichtig ist, daß sich der Innenausschuß des Falls der Verbindung zwischen dem Bundeskriminalamt und dem Detektivbüro annimmt, um an Hand von gesetzlichen Rahmenbestimmungen klarzulegen, was geht und was nicht geht.Meine Damen und Herren, lassen Sie mich nach den etwas aufregenden Wochen einen Komplex ansprechen, der die Geheimhaltung betrifft. Herr Bundesminister Schäuble, dem Bundeskanzleramt und den Regierungssprechern muß die Sicherheit von Einzelpersonen und auch von Vertragspartnern wichtiger sein als der Drang zur Geschwätzigkeit, der bei Ihren Regierungssprechern die Lippen gelegentlich weiter öffnet, als es vertretbar ist. Das wollte ich hier einmal zu Protokoll sagen.
Nun blicke ich dort hinüber. Ich möchte nach dem, was ich mitbekommen habe, den Grafen Lambsdorff fragen, ob es Eitelkeit oder Rücksichtslosigkeit war, daß er durch Äußerungen in unsere Verhandlungen hinein versucht hat, den Komplex Spendenwaschanlage in den Komplex Vertrag mit Dritten einzubeziehen, und ob es seine Absicht war, dem früheren Präsidenten des Bundesnachrichtendienstes, Kinkel, zu schaden, oder ob er nur seine eigene Verteidigung verbessern wollte.Über die Handlungsweise seines Vorgängers im Amt wußte der Graf Lambsdorff offensichtlich mehr als wir alle, auch über dessen Art, Zahlungsmodalitäten zu organisieren. — Herr Staatssekretär Kinkel, Sie haben mir schon schön aufrichtige Parteifreunde. — Und dem Grafen Lambsdorff sage ich, daß er alle meine Befürchtungen übertroffen hat.
Meine Damen und Herren, stärken Sie die Kontrollrechte des Parlaments. Nehmen Sie unsereEntschließung auch in den Ziffern 1 und 2, wo wir kritisieren, an, und verstehen Sie sich auch zur Zustimmung zu Ziffer II; denn ich denke, es gehört sich unter Ehrenmännern so.
— Wir zahlen das nicht aus der Parteikasse; denn der Staat hat hier Geld angenommen. Das halten wir alle für unzulässig, gnädige Frau.
Meine Damen und Herren, es liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Ich schließe die Debatte.Wir kommen nun zur Abstimmung, und zwar zunächst über den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/4257. Die Fraktion der SPD hat getrennte Abstimmung beantragt.Ich rufe daher zunächst die Ziffer I Satz 1 auf. Diese ist identisch mit dem Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und FDP auf Drucksache 10/4262. Wer für Ziffer I Satz 1 ist, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Dann stelle ich fest, daß Ziffer I Satz 1 bei einigen Gegenstimmen und einigen Enthaltungen mit großer Mehrheit angenommen worden ist.Damit entfällt eine Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktionen CDU/CSU und FDP auf Drucksache 10/4262.Ich lasse jetzt über die Ziffer 1 des Entschließungsantrags auf Drucksache 10/4257 abstimmen. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich der Stimme? — Ich stelle fest, daß damit die Ziffer 1 bei einer Reihe von Enthaltungen mit Mehrheit abgelehnt ist.
Wer Ziffer 2 des Entschließungsantrags der SPD auf Drucksache 10/4257 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Ich stelle fest: Die Ziffer 2 ist gegen eine Stimme bei einer Reihe von Enthaltungen mit Mehrheit abgelehnt.Wir kommen nunmehr zur Abstimmung über Ziffer II des Entschließungsantrags der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/4257. Wer der Ziffer II zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Ich stelle fest, daß die Ziffer II bei einer Enthaltung mit Mehrheit abgelehnt ist.Damit ist der Abschnitt I Satz 1 des Entschließungsantrags angenommen. Die Ziffern 1 und 2 sowie der Abschnitt II sind abgelehnt.
Metadaten/Kopzeile:
13148 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 175. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. November 1985
Vizepräsident WestphalIch habe hier eine Wortmeldung. Nach welchem Paragraphen unserer Geschäftsordnung wollen Sie sprechen?
— Nach § 31. Herr Ströbele, bitte schön.
Herr Präsident! Wir wollten heute hier auch einen Entschließungsantrag zur Abstimmung stellen. Wir wenden uns gegen den Konsens aller großen Parteien hier. Wir sind der Auffassung, wenn Sie die Wahrheit wirklich nicht fürchten, dann sollten Sie zu einigen wesentlichen Fragen in den bestehenden Untersuchungsausschüssen, in dem Flick-Untersuchungsausschuß und in dem Geheimdienst-Untersuchungsausschuß, den Auftrag erweitern und so eine wirkliche Aufklärung gewährleisten. Aber ich bin der Auffassung, Sie fürchten die Wahrheit, die hier herauskommen könnte.
Meine Damen und Herren, ich bitte Sie um einen Moment Gehör. Ich wäre dankbar für Aufmerksamkeit.
Meine Damen und Herren, auf der Ehrentribüne hat der kanadische Gesundheits- und Wohlfahrtsminister Jake Epp mit einer Delegation Platz genommen. Ich begrüße Sie herzlich im Deutschen Bundestag und wünsche Ihnen einen angenehmen Aufenthalt und nützliche Gespräche in unserem Land.
Meine Damen und Herren, gestern in den späten Nachmittagsstunden erfuhren wir, daß Kolumbien von einer entsetzlichen Naturkatastrophe heimgesucht wurde. Der Ausbruch eines Vulkans im Norden der Anden hat besonders die Einwohner der Stadt Armero und die umliegenden Ortschaften schwer getroffen. Mit Erschütterung haben wir die Nachricht aufgenommen, daß viele tausend Todesopfer zu beklagen sind. Bis jetzt wurden bereits viertausend Tote geborgen. Aber es ist zu befürchten, daß noch weit über zehntausend unter den Schlamm- und Gesteinsmassen begraben sind. Mindestens ebenso groß ist die Zahl der Verletzten. Ihnen gelten unsere Genesungswünsche. Den Angehörigen und Hinterbliebenen der Opfer gilt unser Mitgefühl. Dem kolumbianischen Volk, seinem Parlament und seiner Regierung spreche ich die tief empfundene Anteilnahme des Deutschen Bundestages aus.
Sie haben sich von Ihren Plätzen erhoben. Ich danke Ihnen.
Ich rufe die Zusatzpunkte 7 und 8 zur Tagesordnung auf:
Zusatzpunkt 7:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines
Dritten Gesetzes zur Verbesserung und Ergänzung sozialer Maßnahmen in der Landwirtschaft
— Drucksache 10/3483 —
a) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung
— Drucksache 10/4246 —
Berichterstatter: Abgeordneter Kirschner
b) Bericht des Haushaltsausschusses
gemäß § 96 der Geschäftsordnung
— Drucksache 10/4254 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Sieler Strube
Frau Seiler-Albring Dr. Müller
Antrag der Abgeordneten Müller , Wimmer (Neuötting), Frau Blunck, Dr. Enders, Immer (Altenkirchen), Kißlinger, Dr. Klejdzinski, Oostergetelo, Pfuhl, Sander, Dr. Schmidt (Gellersen), Frau Weyel, Wolfram (Recklinghausen) und der Fraktion der SPD
Sozial gerechte Verteilung der Bundeszuschüsse in der Altershilfe für Landwirte
— Drucksache 10/2360 — Zusatzpunkt 8:
Beratung des Antrags des Abgeordneten
Bueb und der Fraktion DIE GRÜNEN Grundrechte statt Altersarmut und sozialer Ungerechtigkeit in der Altershilfe für Landwirte
— Drucksache 10/4209 —
Überweisungsvorschlag:
Aussschuß für Arbeit und Sozialordnung Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit Haushaltsausschuß
Meine Damen und Herren, nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind eine gemeinsame Beratung der Zusatzpunkte 7 und 8 zur Tagesordnung und eine Aussprache von 60 Minuten vorgesehen. — Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Wird das Wort zur Berichterstattung oder zur Begründung gewünscht? — Das ist nicht der Fall.
Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Dazu hat zuerst der Abgeordnete Jagoda das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Dritte Agrarsoziale Ergänzungsgesetz bringt eine Reihe von Vorteilen für die Landwirtschaft, insbesondere für Klein- und Mittelbetriebe bzw. für einkommens-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 175. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. November 1985 13149
Jagodaschwache Landwirte. Kernpunkt des Gesetzes ist die finanzielle Entlastung von Klein- und Mittelbetrieben und damit die sozial gerechte Verteilung der Bundesmittel in der Altershilfe für Landwirte. Diese Verteilung wird dadurch erreicht, daß Klein- und Mittelbetriebe entsprechend ihrer Einkommenslage einen gestaffelten Zuschuß zum einheitlichen Beitrag in der Altershilfe für Landwirte erhalten.Der neu festgesetzte, in Zukunft monatlich zu zahlende Beitrag in Höhe von 152 DM wird für die obengenannten Betriebe um 25 oder 50 oder 75 DM reduziert. Alle zuschußberechtigten Betriebe zahlen im kommenden Jahr weniger Beitrag als 1984 und 1985.
Die Kleinbetriebe müssen sogar weniger als 1982 zahlen.
Ihr Beitrag wird um fast 50 % reduziert.Die Zuschußgewährung wurde durch eine erhebliche Anhebung der Bundesmittel ermöglicht. Die Bundesmittel betragen künftig 80,3 % der Aufwendungen für Alters-, Hinterbliebenen- und Waisengeld. Das bedeutet eine Erhöhung gegenüber 1985 um rund 250 Millionen DM, wobei 170 Millionen DM durch das Dritte Agrarsoziale Ergänzungsgesetz und der Restbetrag als Folge der Erhöhung des Altersgelds zu errechnen sind.Mit der Zuschußgewährung wird eine Kostenverlagerung innerhalb der Solidargemeinschaft „Altershilfe für Landwirte" erreicht. Große Betriebe zahlen den vollen Beitrag. Einkommenschwache Betriebe werden spürbar entlastet.Zusätzlich zu der im Regierungsentwurf vorgesehenen Staffelung des Beitragszuschusses erhalten auch die Betriebe mit einem Wirtschaftswert zwischen 30 000 und 40 000 DM bei Nachweis, daß ihr tatsächliches Einkommen schlecht ist, 1986 einen Beitragszuschuß. Hierfür wurden besonders im Gesetzentwurf nicht vorgesehene Mittel bereitgestellt.Der besonderen Situation flächenarmer Betriebe mit starker Viehhaltung pro Hektar ist bei der Bemessung der Einkommensgrenze für die Zuschußberechnung Rechnung getragen worden. Hierfür werden mehr. landwirtschaftliche Betriebe in die Zuschußregelung einbezogen. Damit wird ihre Belastung mit Altershilfebeiträgen verringert.Wir entsprechen auch einem Wunsch der Landfrauen. Wir haben in diesem Gesetz verankert, daß ein Teil des Altersgelds, und zwar ein Drittel, der sogenannte Ehegattenzuschlag, künftig der Landfrau direkt ausgezahlt wird.
Der Gesetzentwurf sieht weiter eine Versicherungspflicht jüngerer hauptberuflich mitarbeitender Familienangehöriger vor. Durch diese Maßnahmen soll erreicht werden, daß spätere Unternehmer in der Landwirtschaft schon in jüngeren Jahren Beiträge zur Altershilfe für Landwirte zahlen und damit zur Sicherung des Alters beitragen.Die vorgesehene Verschärfung der Befreiungsmöglichkeiten in der landwirtschaftlichen Alterssicherung haben wir zurückgenommen.
Für die landwirtschaftlichen Arbeitnehmer wurden ebenfalls Verbesserungen beschlossen. Ältere Arbeitnehmer in der Land- und Forstwirtschaft erhalten in der bundesgesetzlichen Zusatzversorgung künftig einen Ausgleichsbetrag von 90 statt bisher 70 DM.Eine weitere Härte wurde beseitigt: Der Stichtag für die Leistungsberechtigten wurde auf den 1. Juli 1979 verschoben. Das bedeutet, daß wir sieben Jahrgänge älterer Arbeitnehmer aus der Landwirtschaft mit einem zusätzlichen bundesmäßig gezahlten Ausgleichsbetrag von 90 DM versorgen.
Mit der Verabschiedung des Dritten Agrarsozialen Ergänzungsgesetzes kommen die Regierung und die Koalitionsfraktionen berechtigten Wünschen und Forderungen der deutschen Landwirte nach. Die verstärkte Berücksichtigung der Einkommenslage bei der Bemessung des Beitrags zur Altershilfe für Landwirte ist ein wichtiger Schritt zur Neuorientierung der Agrarpolitik. Die für die Landwirtschaft günstigeren Regelungen konnten nur durch eine erhebliche Anhebung der Bundesmittel erreicht werden.Dies ist ein weiterer Beweis dafür, daß wir im nationalen Bereich alle Anstrengungen unternehmen, um der schwierigen Situation in der Landwirtschaft Rechnung zu tragen.
Das Wort hat der Abgeordnete Heyenn.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir stimmen dem vorliegenden Gesetzentwurf der Bundesregierung in der Ausschußfassung zu.
Dies geschieht aber nicht aus Begeisterung, Herr Blüm,
geschieht nicht, weil wir der Bundesregierung besonders gute Leistungen attestieren wollen. Dies geschieht vielmehr deshalb, weil uns minimale Schritte in eine ansatzweise richtige Richtung besser zu sein scheinen als gar nichts. Wir müssen aber feststellen: Dieses Gesetz bleibt hinter den Möglichkeiten und hinter den Notwendigkeiten zurück.
Metadaten/Kopzeile:
13150 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 175. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. November 1985
HeyennBei der sozialen Staffelung der Beiträge zur Altershilfe der Landwirte handelt es sich um eine alte sozialdemokratische Idee.
Wenn der Bund — zusätzlich zu den Subventionen der Europäischen Gemeinschaft — Einkommenshilfen an die Landwirtschaft zahlt und dies nicht offen, sondern versteckt im Rahmen des sozialen Sicherungssystems geschieht — wir Sozialpolitiker sehen das im übrigen nicht sehr gern —, so dürfen diese Einkommenshilfen nach unserer Meinung nicht alle Landwirte — ohne Rücksicht auf ihr Einkommen — in gleicher Höhe gezahlt werden. Es kann nicht angehen, wie es heute noch ist, daß ein Landwirt mit einem Gewinn von 100 000 DM im Jahr genausoviel an Beiträgen zahlt wie ein Landwirt mit einem Gewinn von 10 000 DM im Jahr.
Wir haben zweimal Initiativen zur sozialen Staffelung der Beiträge auf den Weg gebracht. Wir sind leider zweimal an den Unionsparteien — einmal im Bundesrat, einmal hier — gescheitert. Deswegen begrüßen wir, daß die Bundesregierung unserem Anliegen nunmehr teilweise Rechnung trägt. Wir kritisieren aber, daß dies äußerst zaghaft, äußerst halbherzig geschieht. Der Grundgedanke einer Differenzierung ist von der CDU — offenbar beeinflußt von den Großbauern, die die Agrarlobby beherrschen — erheblich verwässert worden.
Im übrigen, meine Damen und Herren: Mit diesem Gesetz wird kein Beitrag zur Harmonisierung der Alterssicherungssysteme geleistet, die wir in den Sonntagsreden j a alle immer fordern. Es gehört zu den bemerkenswertesten Mißverhältnissen in unserem sozialen Leistungssystem, daß die landwirtschaftliche Altershilfe vom Steuerzahler in einem Umfang subventioniert wird, der nichts mehr mit den Altlasten zu tun hat.
Der Bundeszuschuß ist um ein Vielfaches höher, als es sich aus dem ungünstigen Verhältnis von Beitragszahlern zu Rentnern rechtfertigen läßt.Da Sie das in Zweifel ziehen, will ich Ihnen das erläutern. Mit dem heutigen Monatsbeitrag von 129 DM — die Dynamisierung einmal herausgenommen — erreicht der Landwirt nach 15 Jahren eine Monatsrente von 535 DM. Der Arbeiter dagegen, der 15 Jahre 129 DM zahlt, muß sich mit einem monatlichen Rentenbetrag von 110 DM zufriedengeben.Oder nehmen wir einmal das Verhältnis von Beitrag zu einer Mark späterer Rente: Der Arbeiter zahlt 15 Jahre lang jeden Monat 1,17 DM Beitrag, um später 1 DM Rente monatlich zu bekommen, und der Landwirt zahlt 15 Jahre lang jeden Monat 24 Pfennig und erhält dafür später 1 DM Rente im Monat.
An diesem Mißverhältnis, Herr Kollege, ändert sich auch mit dem vorliegenden Gesetzentwurf der Bundesregierung nichts. Im Gegenteil: Der Bundeszuschuß wird weiter erhöht,
und zwar von 75% auf 80,3%. In der Rentenversicherung der Arbeiter und Angestellten zahlt der Bund nicht 80 % Zuschuß, sondern 17 % Zuschuß.
Nach unserer Meinung erfordert und rechtfertigt die gerechtere Ausgestaltung der Altershilfe der Landwirte keinen zusätzlichen Einsatz von Steuermitteln. Es wäre richtiger gewesen, die begrüßenswerte und notwendige Beitragsentlastung der kleinen Landwirte durch eine solidarische Umverteilung innerhalb der Landwirtschaft vorzunehmen, d. h., die einkommensstärkeren Landwirte zu entsprechend höheren Beiträgen heranzuziehen.
Wir haben in unserem Antrag sowie auch mit unseren Anträgen im Ausschuß verlangt, den Bundeszuschuß gegenüber dem geltenden Recht nicht zu erhöhen. Dies hätte eine weitere Verschuldung des Bundes um rund 170 Millionen DM pro Jahr verhindert. Sie haben das abgelehnt; Sie mußten ja auch Wiedergutmachung an Bayern leisten.
— Darüber sind wir uns doch einig, Herr Jagoda.Im übrigen sollen lediglich 7,5% des Bundeszuschusses für die soziale Beitragsstaffelung abgezweigt werden. Damit ist nach unserer Meinung die soziale Komponente unterentwickelt. Das ist ein Tropfen auf den heißen Stein. Deshalb haben wir verlangt, daß der für den Beitragszuschuß verwendete Teil des Bundeszuschusses schrittweise bis auf 20 % erhöht wird. Wir stimmen hier in der Tendenz mit der Arbeitsgemeinschaft Bäuerliche Landwirtschaft überein,
die 25% fordert. Sie haben — im Interesse Ihrer großbäuerlichen Klientel — unsere Anträge zurückgewiesen.Schließlich müssen wir an diesem Gesetzentwurf noch kritisieren, daß das geplante Verfahren zur Prüfung der Zuschußberechtigung unzureichend ist
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 175. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. November 1985 13151
Heyennund die tatsächliche soziale Lage in den landwirtschaftlichen Betrieben nicht erfaßt wird. Wir sind der Auffassung, daß der sogenannte Wirtschaftswert kein geeignetes Kriterium für die Einschätzung der Höhe des landwirtschaftlichen Einkommens ist. Mit der Methode der Bundesregierung würden praktisch zwei Drittel dieser Beitragszuschüsse nach Bayern fließen, das restliche Drittel nach Baden-Württemberg und nach RheinlandPfalz, während die landwirtschaftlichen Betriebe in den anderen Bundesländern nahezu leer ausgingen.
— Aber es gibt auch in Schleswig-Holstein und in Niedersachsen Höfe mit sehr geringen Einkommen. Deswegen meinen wir, wir benötigen eine andere Bemessungsgrundlage.
Wir sind im übrigen der Auffassung, daß man für die Bemessung dieses Zuschusses das Gesamteinkommen zugrunde legen muß.Nun sind Sie auf Grund unseres Drängens mit der Ermächtigung an die Bundesregierung zu einer Rechtsverordnung, 20 Millionen DM so zu verteilen, daß auch, Herr Kollege Stutzer, Betriebe in Niedersachsen und in Schleswig-Holstein noch etwas davon haben, ein wenig in unsere Richtung gegangen; denn Sie hatten nicht nur an die Herren Strauß und Späth zu denken,
sondern doch sicherlich auch noch an die Herren Albrecht und Barschel.
Lassen Sie mich sagen: Wir stimmen zu.
Aber dies geschieht auch, weil der Gesetzentwurf noch einige kleinere Leistungsverbesserungen in der Altershilfe für Landwirte enthält, die für sich genommen
— ich stimme Ihnen hier doch zu — positiv zu bewerten sind.
— Aber, Herr Gallus! Das ist nicht gut, aber es ist ein kleines Schrittchen — zu mehr sind Sie doch gar nicht fähig — in die richtige Richtung.
— Meine Damen und Herren, daß ich Sie so getroffen habe, tut mir leid.
Wir finden, daß die Verbesserungen in der Zusatzversorgung der landwirtschaftlichen Arbeitnehmer, zu der wir Sie gedrängt haben, ein richtiger Schritt sind.Was das zentrale Anliegen des Gesetzentwurfes allerdings angeht, die soziale Staffelung der Beiträge zur Altershilfe für Landwirte, müssen wir sagen: Dies ist mehr als nichts, aber lange nicht genug. Es müssen in Zukunft weitere Schritte folgen.Nun, Herr Kollege Bueb, bin ich es Ihnen schuldig, wenigstens einige Sätze zu Ihrem Antrag zu sagen. Wir hätten uns gefreut, wenn auch Anträge von Ihnen im Ausschuß detailliert hätten beraten werden können, aber sie waren nicht da. Es war lediglich ein globaler Antrag da.
— Ach, seien Sie doch nicht so betroffen.Der Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN, Herr Kollege Bueb, ist liebenswert naiv. Er enthält keinerlei Angaben über die Kosten, die entstehen, wenn an alle früher mitarbeitenden Erwerbstätigen in der Landwirtschaft eine beitragfreie Grundrente von 1000 DM monatlich gezahlt wird.
Herr Abgeordneter, Sie haben noch 25 Sekunden. Wollen Sie eine Zwischenfrage zulassen?
Herr Bueb, lassen Sie mich dann zum Schluß kommen; ich habe noch zwei Sätze.
Die GRÜNEN sind schon nicht mehr liebenswert naiv, sondern nur noch naiv, wenn sie meinen, ein Grundrentenmodell zuerst in der Landwirtschaft einführen zu können und damit der mitarbeitenden Ehefrau eines Landwirtes an Rente mehr zu geben, als manche Verkäuferin und Serviererin heute monatlich netto erhält.
Wir lehnen im übrigen Ihr Grundrentenmodell genauso ab wie das Grundrentenmodell der Herren Bangemann und Biedenkopf. Deswegen lehnen wir auch Ihren Antrag ab. Aber dem Gesetz stimmen wir, Herr Gallus, leicht zähneknirschend zu.
Das Wort hat der Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ganz ohne Polemik geht es bei der SPD nicht.
Aber es war wenigstens freundliche Polemik, und da wollen wir einmal nicht so sein.
Metadaten/Kopzeile:
13152 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 175. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. November 1985
Bundesminister KiechleDer heute vorliegende Gesetzentwurf ist ein Meilenstein in der noch relativ jungen Geschichte der Agrarsozialpolitik. Die Altershilfe für Landwirte hat als Sondersystem unserer gegliederten Alterssicherung in den fast 30 Jahren seit ihrer Gründung bewiesen, daß sie ein notwendiges und ein sinnvolles Sicherungssystem darstellt. Beginnend 1957 mit einem Bargeldzuschuß von 60 DM monatlich hat sie sich zu einer respektablen Teilsicherung entwickelt. Ich sehe dabei nicht nur die sozialpolitische Funktion, sondern ich halte die agrar- und einkommenspolitischen Elemente der Altershilfe für mindestens ebenso bedeutsam.Gerade hier knüpft der Gesetzentwurf mit seiner zukunftsorientierten Weiterentwicklung an. Wir bewahren dabei, was sich bewährt hat, so das Prinzip: gleicher Beitrag, gleiche Leistung. Wir entwickeln weiter, wo Bedarf besteht, etwa bei jenen Betrieben, die bis zu 40% ihres Einkommens für ihre soziale Sicherung aufwenden müssen. Sie sollen einen zusätzlichen Anteil am Bundeszuschuß erhalten. Sie werden jetzt so entlastet, daß sie unter dem Strich weniger bezahlen müssen, weniger sogar noch als z. B. 1982.Was besonders erfreulich ist: Wir geben dem einen Landwirt nicht, indem wir es dem anderen nehmen, sondern wir stocken den Bundeszuschuß auf 80,3 % auf.
In den vergangenen Monaten hat es eine lebhafte Diskussion über die Frage gegeben, nach welchen Maßstäben der Zuschuß zum Beitrag gewährt werden soll. Wir wissen alle, daß es eine absolute Gerechtigkeit wohl nie gibt. Unser Ziel war aber zweierlei. Einmal sollten Haupt- und Nebenerwerbslandwirte gleichbehandelt werden, und zum anderen sollte sich der Verwaltungsaufwand in vertretbarem Rahmen halten. Der vorliegende Entwurf trägt beiden Zielen angemessen Rechnung.Eingangs sprach ich von dem Gesetzentwurf als einem Meilenstein. Diese Bewertung verdient er auch noch aus drei weiteren Gründen.Erstens. Seit Jahren war die soziale Sicherung der auf den Höfen tätigen Familienangehörigen unzureichend. Unter dem Gesichtspunkt einer Alterssicherung aus einer Hand werden bereits die Hofnachfolger vor der Betriebsübernahme in die Altershilfe einbezogen.Zweitens. Seit Einführung der Altershilfe für Landwirte wurde der Mitarbeit der Bäuerin dadurch Rechnung getragen, daß im Altersgeld für Verheiratete ein Ehegattenzuschlag enthalten ist. Diesen Weg wollen wir nunmehr konsequent weitergehen und die Leistung der Bäuerinnen für unsere Familienbetriebe dadurch anerkennen und aufwerten, daß dieser Zuschlag künftig direkt an die Bäuerinnen ausbezahlt wird.Drittens. Ich freue mich ganz besonders, daß es gelungen ist, auch die Zusatzversorgung für frühere Arbeitnehmer in der Landwirtschaft zu verbessern, insbesondere durch die Anhebung der Ausgleichsleistung aus Bundesmitteln um fast 30%.Ich ziehe folgenden Schluß. Dieses Agrarsoziale Ergänzungsgesetz bewirkt mehr, als es der Name verrät. Die agrarsoziale Sicherung wird zukunftsorientiert weiterentwickelt, indem die Elemente zur sozialen Ergänzung der Preispolitik insbesondere für kleine und mittlere Betriebe gestärkt werden.
Das Wort hat der Abgeordnete Bueb.
Mund halten. — Meine Damen und Herren! Sie alle wissen, daß das heutige System der Alterssicherung für Landwirte völlig unzureichend ist. Wir GRÜNEN sehen die Lage allerdings ernster als die Politiker der Bundesregierung und der SPD. Gemeinsam mit kritischen Vertretern in den Bauernverbänden, mit dem Landfrauenverband, den Bauernblättern und anderen halten wir es für politisch verantwortungslos, am System der Altershilfe für Landwirte nur mit Heftpflastern herumzudoktern, wo eigentlich eine Roßkur nötig wäre.
Die drei größten Probleme der Agrarsozialpolitik sind folgende.Da ist zum einen die Tatsache, daß heute die Altershilfe für Landwirte das „Bauernlegen" staatlich unterstützt. So wird der Altershilfeanspruch mit der Hofübergabe verknüpft. Kleinbetriebe, auch Nebenerwerbsbetriebe, sollen auch dadurch den hochindustrialisierten Großbetrieben Platz machen.
Zum zweiten ist die Praxis der Beitragszahlung sozial zutiefst ungerecht. Seit den Brüsseler Agrarbeschlüssen müssen kleinere und mittlere Betriebe weit über 10 % ihres Gewinns für die Alterssicherung aufbringen. Wie die Bundesregierung im Agrarbericht 1985 schreibt, verfügt das untere Viertel der Einkommenspyramide der landwirtschaftlichen Betriebe über weniger als 230 DM im Monat pro mitarbeitende Person. Was nützt diesen Betrieben der Vorschlag der Regierung oder der SPD? Ihre Beiträge belaufen sich dann nicht mehr auf 129 DM, sondern vielleicht auf 70 DM, aber für diese Haushalte, die weit unter der Armutsgrenze leben müssen, die in ständiger Existenzangst leben, die nicht wissen, ob und wie sie das nächste Jahr überstehen sollen,
sind auch diese 70 DM noch viel zuviel. Das „Bauernblatt" schreibt hierzu — ich zitiere —:Soziale Absicherung der Bauern ist selbstverständlich eine gute Sache. Nur: Wenn diese Sozialversicherung durch ihre geforderten Beiträge und gegebenen Leistungen das Ausscheiden von Bauern fördert, dann wird sie zum
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 175. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. November 1985 13153
BuebInstrument staatlicher Agrarpolitik zur Durchsetzung des gewünschten „Strukturwandels". Wenn landwirtschaftliche Betriebe mehr als die Hälfte ihres Einkommens aufbringen müssen, wenn es sogar so weit geht, daß dies aus dem Substanzverlust der Betriebe finanziert wird, dann ist die Sozialversicherung kein Segen mehr, dann wird sie zum Strang, an dem viele Bauernexistenzen hängen.
Ein Zahlenbeispiel möge das verdeutlichen. Ein 10-Hektar-Betrieb zahlt für Krankenkasse, Berufsunfallversicherung und Alterssicherung rund 4 000 DM im Jahr. Ein 100-Hektar-Betrieb zahlt an Gesamtversicherung rund 9 000 DM. Das bedeutet, daß der kleine Betrieb pro Hektar 401 DM aufzuwenden hat, der große Betrieb ganze 91 DM.Es ist sozial ungerecht und lächerlich zugleich, wenn ein Alterssicherungssystem, das selbst nach dem Regierungsvorschlag zu 80 % aus Bundesmitteln finanziert wird, von den ärmsten der erwerbstätigen Bäuerinnen und Bauern einen Beitrag abpreßt.Noch unwürdiger und ungerechter wird die Einkommensverteilung, wenn die landwirtschaftlichen Erwerbstätigen ins Rentenalter kommen. Im kommenden Jahr liegt die Altershilfe für ein Ehepaar in der Landwirtschaft zwischen 536 DM und 745 DM. Dieser lächerliche Betrag mag j a noch als Taschengeld angehen,
wenn die alten Leute in ihrer Familie wohnen, noch ein Vermögen haben, kurzum: aus ihren privaten Reserven zehren können.
— Sie können doch nicht sagen, daß 530 DM eine Alterssicherung sind.Aber Sie dürfen nicht vergessen: Diese Fälle werden immer seltener; sie sind nicht mehr die Normalität, auf der ein solides soziales Sicherungssystem aufbauen kann.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Für einen Nürnberger immer.
Ich danke Ihnen sehr, Herr Bueb. Im ganzen Alterssicherungssystem, die Beamtenversorgung einmal ausgenommen, besteht eine Relation zwischen Beitrag und Leistung. Warum wollen Sie das hier nicht haben?
Herr Lutz, Sie sollten wenigstens ein bißchen aufpassen. Wenn ich sage, daß das unterste Viertel der Landwirte pro erwerbstätige Person 230 DM Einkommen im Monat hat und Sie von denen dann 70 oder 100 DM Beiträge im Monat verlangen wollen, was bleibt denn dann für diese Leute noch übrig? Können Sie mir das mal erklären? Wir können ja mal im Ausschuß darüber diskutieren, wenn Sie da sind.
— Ich hätte gleich noch etwas anderes gesagt.
Jetzt geht es weiter: Wenn Oma und Opa ihren Hof aufgeben und nun von der Altershilfe leben müssen, dann werden sie unserer Meinung nach in die Armut hineingepreßt. Armut im Alter, Schande für Deutschland. Das ist die Parole der Grauen Panther. Wenn heute weit mehr als 100 000 alte Menschen auf dem Land sozialhilfeabhängig sind — genaue Daten liegen leider nicht vor — und wenn mindestens dieselbe Zahl sozialhilfeberechtigt wäre, aber die Sozialhilfe aus Scham oder vor allem, weil sie ihre Kinder oder Eltern nicht heranziehen wollen, nicht in Anspruch nehmen, ist Altersarmut ein Armutszeichen im Sozialstaat. Wir halten es für eine beschämende Veranstaltung, wenn hier im Plenum des Bundestages Beamte und Fastbeamte mit Pensionen, die über das Fünffache der Sozialhilfe hinausgehen, über alte Menschen in der Landwirtschaft zu Gericht sitzen und ihnen Beiträge zubilligen, die gerade die Hälfte des Sozialhilfesatzes und weniger ausmachen.
Das dritte ist die absolut katastrophale Alterssicherung für Frauen in der Landwirtschaft. Ich zitiere aus einer Stellungnahme des Deutschen Landfrauenverbandes, der feststellt: Laut Agrarbericht 1984 der Bundesregierung im Jahre 1982 sind rund zwei Drittel aller Familienarbeitskräfte in der Landwirtschaft Frauen.
Ich muß leider zum Schluß kommen. Wir haben mit unserem Grundrentenmodell auch für die Landwirte eine Alterssicherung aufgebaut, die diesen ein sicheres Leben im Alter gewährt, so daß sie nicht auf die Sozialhilfe angewiesen sind.
Danke.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Paintner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn wir heute den uns vorliegenden Entwurf eines Dritten Agrarsozialen Ergänzungsgesetzes verabschieden, geht für die FDP ein langgehegter Wunsch in Erfüllung. Das Gesetz bringt mehrere lobenswerte Neuerungen. Am wichtigsten erscheint mir jedoch, daß die Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen ihre agrarpolitische Handlungsfähigkeit in vielerlei Hinsicht demonstrieren.
In der gegenwärtigen Einkommenssituation, die sicherlich nicht zufriedenstellen kann, wird Sorge getragen, daß die Landwirte von den Kosten entlastet werden, die sie zu ihrer sozialen Sicherheit aufwen-13154 Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 175. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. November 1985Paintnerden müssen. Meine Fraktion begrüßt es deshalb besonders, daß es uns gelungen ist, für das kommende Haushaltsjahr zusätzliche 30 Millionen DM eigens zu dem Zweck zur Verfügung zu stellen, daß die Beiträge der Landwirte zu ihrer Alterskasse nicht übermäßig ansteigen.Der trotz dieser enormen Anstrengung der Bundesregierung noch zu erwartende monatliche Beitrag für die landwirtschaftlichen Alterskassen wird von vielen Betrieben auch so noch als sehr hoch empfunden werden. Wir wissen, daß in der Gruppe der einkommensschwächsten Betriebe 40 % und mehr der Einkommen für die soziale Sicherung ausgegeben werden müssen. Deshalb ist es besonders zu begrüßen, daß es nunmehr gelungen ist, eine sozial gerechte Verteilung der Bundesmittel gesetzlich zu verankern.
— Herr Bueb, Ihnen müßte ich was anderes sagen: Was Sie heute hier dargebracht haben, glaubt Ihnen niemand. — Erstmals werden Bundeszuschüsse zur Alterssicherung künftig nach betriebsindividuellen Einkommensverhältnissen verteilt. Das ist ein Novum in der Nachkriegsgeschichte der Agrarpolitik und verdient entsprechende Beachtung.Ich will aber auch nicht verkennen, wie schwierig es war, einen Konsens zwischen den vielen Gruppen herzustellen, nach welchen Kriterien die Bundeszuschüsse nun verteilt werden sollten.Bei den Beratungen dieses Gesetzes hat sich auch gezeigt, daß die Verteilung öffentlicher Mittel nach Individualkriterien offenbar noch schwieriger ist, als Steuern gerecht einzuziehen. Mit den Regelungen des Dritten Agrarsozialen Ergänzungsgesetzes haben wir einen Verteilungsmodus gefunden, der meiner Ansicht nach gerecht und praktikabel zugleich ist. Auch hier konnten wir wieder die Erfahrung machen, daß eine totale Gerechtigkeit nicht machbar ist, weil sie auf unüberwindliche administrative Hindernisse stößt. Auch wer die Schwächen des Wirtschaftswertes als Kriterium der Eingruppierung in die Zuschußklassen kennt, kann sich der Tatsache nicht verschließen, daß dieser das administrativ am besten handhabbare Instrument ist.Alle Regelungen helfen nichts, wenn die Alterskassen nicht in der Lage wären, sie auch durchzuführen. Die FDP begrüßt deshalb auch, daß es noch in den letzten Tagen gelungen ist, die starre Ausschlußgrenze von 30 000 DM Wirtschaftswert zu überwinden. Bundesregierung und Koalitionsparteien haben deshalb noch einmal 20 Millionen DM bewilligt. Sie sollen Betrieben bewilligt werden, die nach den Abgrenzungen des Gesetzes keinen Beitragszuschuß erhalten dürfen, weil der Wirtschaftswert 30 000 DM überschreitet. Sie werden aber in den Genuß eines Beitragszuschusses kommen, wenn auf Grund der gegebenen Einkommenverhältnisse ein vollkommener Ausschluß aus der Bezuschussung nicht angemessen wäre. Der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung ist hier aufgefordert, eine Rechtsverordnung vorzulegen, die auch hier eine gerechte und praktikable Verteilung zugleich ermöglicht. Ich begrüße die Flexibilität, die dadurch gewonnen wird. Somit sind auch Betriebe in die Bezuschussung einzubeziehen, die vorübergehend Einkommensnachteile aus Gründen hinnehmen müssen, die sie selbst nicht zu vertreten haben. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf ist es uns weiter gelungen, den Durchbruch zu erzielen.Die Bäuerin bekommt nunmehr einen Teil der Altersrente direkt ausgezahlt. Auf diese Weise wird die Rolle der Bäuerin im landwirtschaftlichen Betrieb gewürdigt. Jeder, der Einblick in die praktische Landwirtschaft hat, weiß, wie es in unseren Betrieben ausieht: Die Bäuerin trägt einen wesentlichen Teil der erheblichen Arbeitslast.
die trotz Technisierung heute noch auf den Betrieben lastet. Die direkte Auszahlung sichert der Bäuerin ein Stück Unabhängigkeit, Freiheit und Entfaltungsmöglichkeit. Ich meine, daß unsere Bäuerinnen dies nach einem oft langen und beschwerlichen Arbeitsleben mehr als verdient haben.
Schwierig war auch von Anfang an die Integration der Nebenerwerbslandwirte in dieses System. Ich meine, daß auch dies gut gelungen ist. Besonders freut es mich, daß hinsichtlich der Befreiungsmöglichkeit der Nebenerwerbslandwirte in der landwirtschaftlichen Alterskasse die Vorstellungen der Freien Demokraten verwirklicht werden konnten. Voraussetzung ist nach wie vor, daß der Nebenerwerbslandwirt 60 Monate in der allgemeinen Rentenversicherung versichert war. Wir Freien Demokraten haben es bewußt abgelehnt, hier auf 180 Monate heraufzugehen, wie ein früherer Entwurf dieses vorsah. Wir hätten es nicht für vernünftig gehalten, Menschen gegen ihren Willen zu einer Zugehörigkeit zu zwei Systemen der sozialen Sicherung zu zwingen, wenn dies nicht aus sozialen oder anderen Gründen dringend geboten ist. Ich bin davon überzeugt, daß uns viele Nebenerwerbslandwirte für unsere Standhaftigkeit in dieser Frage dankbar sein werden.Als einen Erfolg werte ich auch die Aufstockung der Mittel für die Zusatzaltersversorgung für frühere landwirtschaftliche Arbeitnehmer. Ich halte dies für ein Beispiel dafür, wie mit vergleichsweise geringem Aufwand viel erreicht werden kann. Außerdem machen diese Änderungen deutlich, welch hohen Stellenwert die Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen diesem Sicherungssystem beimessen. Vor allem die Verschiebung des Stichtages zeigt, daß die Bundesregierung zur Übernahme weiterer Altlasten bereit ist, um die Tarifvertragsparteien zu entlasten.Zum Schluß möchte ich noch einmal meiner Befriedigung darüber Ausdruck geben, daß es hiermit gelungen ist, einen Teil der Versprechungen einzulösen, die diese Bundesregierung und die sie tragenden Parteien den Landwirten gemacht haben, hier das Versprechen, gezielt und wirksam die Einkommen der Landwirtschaft zu verbessern, wenn dies
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 175. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. November 1985 13155
Paintnernötig sein sollte. Wir alle wissen, daß es ausreichend Anlaß für diese Hilfe gibt.Die FDP stimmt diesem Gesetzentwurf gerne zu.
Das Wort hat der Abgeordnete Wimmer .
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Agrarsozialpolitik der letzten Jahrzehnte trägt unvermindert die Handschrift der Sozialdemokraten. Das gilt auch für dieses Gesetz.
Wenn der Herr Minister Kiechle von einem Meilenstein in der Agrarsozialpolitik spricht, wenn er dieses Gesetz als einen Meilenstein betrachtet, bin ich nicht mehr verwundert, wenn er seine Agrarpolitik insgesamt ebenfalls als erfolgreich bezeichnet.
Wenn der Herr Kollege Paintner heute mit diesem Gesetz zufrieden ist und es außerordentlich begrüßt, so sage ich: Mein lieber Kollege Paintner, Sie haben zu einer anderen Zeit schon einem wesentlich besseren Gesetz zugestimmt.
Das Gesetz, über das wir heute beraten und über das wir heute abstimmen, ist längst überfällig; trotzdem ist es nichts Besonderes geworden. Es wird den sozialpolitischen Anforderungen in keiner Weise gerecht.
Ich will meine Kritik auf einige wichtige Punkte konzentrieren: erstens die ungebührliche Verzögerung bei der Vorlage des Gesetzentwurfes und zweitens die mangelhafte Verteilungsgerechtigkeit.Fast zweieinhalb Jahre hat die Bundesregierung gebraucht, um ihr soziales Gewissen zu entdecken,
denn bereits am 16. Dezember 1982 hatte der Bundestag in einer einstimmig verabschiedeten Entschließung die Bundesregierung gebeten, für eine sozial gerechtere Verteilung der Bundesmittel in der Altershilfe der Landwirte zu sorgen, wobei die Einkommenssituation der Betriebe berücksichtigt werden sollte. Aber nichts geschah nach diesem 16. Dezember 1982!Ein knappes Jahr später forderte der Bundestag die Bundesregierung erneut auf. Nichts geschah! Der Bundesrat hat 1984 die gleiche Bitte an die Bundesregierung gerichtet. Nichts geschah! Im November 1984 legten die Sozialdemokraten im Bundestag ihren Antrag zur sozial gerechteren Verteilung der Bundeszuschüsse vor, aber erst im Juni 1985 reagierte die Bundesregierung mit ihrem Entwurf zum Dritten Agrarsozialen Ergänzungsgesetz.Hier wurden zwei Jahre mit Verzögerungstaktik vertan,
und insbesondere den hilfebedürftigen landwirtschaftlichen Betrieben wurde Schaden zugefügt.
Wenn die Bundesregierung gewollt hätte, wäre es ein leichtes gewesen, bereits 1983 einen Entwurf vorzulegen; die Vorarbeiten waren von der früheren Bundesregierung bereits geleistet worden.
— Wenn das Bestreben vorhanden gewesen wäre, wäre es machbar gewesen, so vorzugehen, und wäre man so vorgegangen, wäre die Entlastung bereits im darauffolgenden Jahr eingetreten. Jetzt, nachdem diese Neuregelung zwei Jahre später gekommen ist, hat man die einkommenschwachen Betriebe in diesen zwei Jahren um rund 2 000 Mark geprellt.Hinter dieser Passivität steckt aber Methode. Sie wissen doch selbst, welch harte und lange Diskussion in den einzelnen Verbänden geführt wurde, bevor man überhaupt bereit gewesen ist, einen solchen Schritt zu tun. Ich erinnere mich auch noch daran, daß Vertreter der CDU/CSU von diesem Pult aus sagten, es wäre ein sozialistisches Teufelswerk, wenn man die Beiträge stufen würde. Mit dieser Passivität hat man die kleinen und mittleren Betriebe in der Landwirtschaft geschädigt.Heute wird ein solches Gesetz sicherlich auch nicht aus tiefer innerer Überzeugung vorgelegt. Ich bin vielmehr der festen Überzeugung: Nur auf Grund der Tatsache, daß sich viele Landwirte von der jetzigen Politik der CDU/CSU im Agrarbereich enttäuscht fühlen, hat man sich genötigt gesehen, das jetzt auf den Tisch zu bringen und voranzutreiben.
Meine Damen und Herren, unter sozialer Verteilung verstehen wir Sozialdemokraten etwas ganz anderes als das, was Sie vorgeschlagen haben.
Das ist doch keine soziale Gerechtigkeit, denn Sie haben nur die Mittel aufgestockt, ohne die Bereitschaft zur Solidarität im eigenen Bereich zu wekken.
Die gerechte Verteilung der Bundesmittel auf die kleinen und mittleren Betriebe ist in keiner Weise erfolgt. Wenn man das wirklich wollte, dann müßte man die Beträge, die hierzu verwendet werden, nicht bei 7,5 %, sondern bei 20 % der Bundesmittel ansiedeln.
Metadaten/Kopzeile:
13156 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 175. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. November 1985
Wimmer
Im Endergebnis müssen die Zuschüsse so gestaffelt sein, daß zwischen dem höchsten und dem niedrigsten Nettobetrag ein Verhältnis von 3:1 bewirkt wird. Das ist bei dem jetzigen Schlüssel nicht zu erreichen.Nach unseren Vorstellungen käme bei den einkommensstarken Betrieben eine monatliche Belastung von ca. 200 DM heraus, bei den einkommensschwachen ein Beitrag von etwa 70 DM. Das wäre unserer Auffassung nach ein sozialer Beitrag im Bereich der agrarsozialen Sicherung.Es ist auch völlig unverständlich, warum der Kollege Susset in einer Presseerklärung am 3. Oktober das Gesetz in der Weise beurteilt, es sei ein großer Schritt zur Neuorientierung in der Agrarsozialpolitik. Aus meiner Sicht war es der kleinstmögliche Schritt, der hier getan worden ist.Die Koalition bestätigt diese Einschätzung mit der halbherzigen Entschließung, nach 1988 über weitere Verbesserungen nachdenken zu wollen. Wir Sozialdemokraten dagegen fordern keine weiteren Prüfungen oder weiteres Nachdenken; wir sind vielmehr der Auffassung, daß sofort geholfen werden muß.
Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang noch einige Bemerkungen zum sozialen Gewissen der Koalition machen. Angesichts der überaus schwierigen Situation vor allem kleiner und mittlerer Betriebe hat sich die sozialdemokratische Bundestagsfraktion für die sofortige Einführung eines vorgezogenen Altersruhegeldes für Betriebsinhaber ab dem 55. Lebensjahr eingesetzt. Angesichts der Überalterung der Betriebsleiter könnte hier ein wirksamer Weg zur Neuorientierung gefunden werden. Die Koalitionsparteien haben sich im Ausschuß auch diesem Antrag nicht anschließen können. Sie haben lediglich einen halbherzigen Prüfungsauftrag an die Bundesregierung vergeben. Wer den Weg dieses Gesetzes kennt, der weiß, was es bedeutet, wenn man der Bundesregierung einen Prüfungsauftrag erteilt.
Man findet im Agrarpapier der FDP, in dem sogenannten Gallus-Papier, die Forderung, eine solche Maßnahme solle noch in dieser Legislaturperiode durchgesetzt werden. Man darf Herrn Gallus sicherlich die Frage stellen, wie ernst dieser Vorschlag gemeint ist. Wenn man sich die Praxis bei den Sozialgesetzen vor Augen führt, dann ist doch nicht ernsthaft daran zu glauben, daß das, was Sie so groß versprechen, noch kommt.
Das sind die Kernpunkte der Kritik. Natürlich hat dieses Gesetz auch einige gute Seiten aufzuweisen.
Herr Abgeordneter, bevor Sie zu den guten Seiten kommen: Sind Sie bereit, eine Zwischenfrage des Abgeordneten Gallus zuzulassen?
Ja, gerne. Vizepräsident Westphal: Bitte schön.
Herr Kollege, Sie sind doch mit mir — erstens — der Auffassung, daß diese Koalition noch ein Jahr Zeit hat, um Gesetze vorzulegen und zu verabschieden,
und sind Sie — zweitens — mit mir der Auffassung, daß das Gesetz, das heute vorgelegt und verabschiedet wird, ein großer sozialer Fortschritt ist, wenn man bedenkt, daß die sozialliberale Koalition am Ende ihrer Regierungszeit Reduzierungen im Sozialbereich — insbesondere in bezug auf die Berufsgenossenschaft — vornehmen mußte, und zwar dergestalt, daß der Zuschuß des Bundes zu der Berufsgenossenschaft im Jahre 1987 gleich Null gewesen wäre?
Herr Gallus, hinsichtlich Ihrer ersten Feststellung gebe ich Ihnen Recht, aber nur insofern: Diese Koalition hat nur noch ein Jahr Zeit. Da haben Sie recht.
Zum zweiten wissen Sie genausogut wie ich, daß wir uns im Zusammenhang mit der Unfallversicherung immer dazu bekannt haben, daß wir bereit sind, die Kosten der Altlasten zu tragen, und daß es lange Zeit gedauert hat, bis das Gutachten vorgelegt worden ist.
Zum dritten waren Sie selbst Mitwirkender, als wir in der letzten Koalition ein vernünftiges Agrarsoziales Ergänzungsgesetz beschlossen haben, das dann nur am Bundesrat gescheitert ist.
Zu begrüßen ist natürlich die Verbesserung in der Zusatzversorgung für landwirtschaftliche Arbeitnehmer von 70 auf 90 DM. Außerordentlich zu begrüßen ist die Veränderung des Stichtages. Ich begrüße auch außerordentlich die Drittelung. Das heißt, daß auch die Frauen — im wesentlichen wird es sie betreffen — ein Drittel des Anspruchs ausgezahlt bekommen. Ich setze natürlich voraus, daß dort, wo es umgekehrt ist, auch der Mann ein Drittel bekommt.Diese durchaus positiven Auswirkungen können jedoch aus unserer Sicht die grundlegenden Mängel des Gesetzes nicht verdecken, geschweige denn aufwiegen. Die hier gefundene Lösung stellt eher ein sozialpolitisches Feigenblatt als einen echten Fortschritt dar. Wir Sozialdemokraten werden dem Gesetz dennoch zustimmen. Die Entscheidung ist uns nicht leichtgefallen, denn damit könnte nach außen
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 175. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. November 1985 13157
Wimmer
hin der Eindruck erweckt werden, wir stimmten mit der Grundausrichtung des Gesetzes überein. Das ist nicht der Fall. Wir wollen mit unserer Zustimmung jedoch deutlich machen, daß wir in einer äußerst schwierigen Lage der Landwirtschaft und insbesondere den kleinen und mittleren Betrieben in keinem Fall unsere Unterstützung verweigern wollen. Ich versichere Ihnen, ein Viertes Agrarsoziales Ergänzungsgesetz kommt in Kürze. Dann werden Sie wieder eine Reihe unserer Vorstellungen übernehmen. Davon bin ich fest überzeugt.Zu dem Antrag der GRÜNEN brauche ich mich sachlich nicht zu äußern, denn er entbehrt jeder sachlichen Grundlage.
Das Wort hat der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Deutsche Bundestag beschließt mit dem Agrarsozialen Ergänzungsgesetz eine wichtige sozialpolitische Hilfe für die Landwirtschaft, besonders für die kleineren und mittleren Betriebe, für die Arbeitnehmer in der Landwirtschaft, für die Landfrauen, für die mitarbeitenden Familienangehörigen. Das ist ein Stück konkreter Sozialpolitik und bedeutet einen Ausbau der sozialen Sicherung gerade in einem Bereich, der durch großen Strukturwandel gekennzeichnet ist. Es entspricht unserer Sozialpolitik, daß man keine Arbeitsteilung dieser Art akzeptieren kann: Die positiven Folgen des Strukturwandels genießen alle, die negativen Folgen tragen aber nur die Betroffenen. Wie wir den Strukturwandel in der Knappschaft sozial absichern, so machen wir das auch in der Landwirtschaft.
Ich will allerdings auch hinzufügen, daß ich darin auch eine Anerkennung der Arbeit der Landwirte sehe. Ich sage das ganz bewußt als einer, der aus der Arbeitnehmerschaft hervorgegangen ist und von dort den Zugang zur Sozialpolitik gefunden hat. In dem, was die Landwirte leisten, ist ja nicht nur die Sicherstellung unserer Lebensmittelversorgung, ist nicht nur der Produktionsfaktor Landwirtschaft enthalten. Wichtiger als je ist auch die Aufgabe, daß die Landwirte unsere natürlichen Lebensbedingungen, Natur und Umwelt, für die Gemeinschaft hegen und pflegen. Darin sehe ich ein neues „Lebensmittel", auf das wir alle angewiesen sind.
Herr Kollege Wimmer, Sie haben gesagt, dieses Agrarsoziale Ergänzungsgesetz trage die Handschrift der Sozialdemokraten. Dazu kann ich nur sagen: Das scheint eine Geheimschrift zu sein.
Ich verstehe nicht, wie Sie das sagen können. Der Kollege Gallus hat mit seiner Frage schon darauf hingewiesen: Sie wollten die Bundesmittel für die landwirtschaftliche Unfallversicherung bis zumJahre 1987 auf Null bringen. Wir erhöhen sie auf 400 Millionen DM. Wo ist denn da Ihre Handschrift? Sie wollten ein Haus abreißen. Wir bauen es auf. Sie können dann nicht sagen, Sie hätten es gern noch ein bißchen höher gebaut. Sie wollten es doch abreißen!
Sie wollten den Zuschuß auf Null bringen.
Herr Kollege Heyenn, Sie sagten: Unsere Ideen sind gut. — Fragen Sie einmal einen Bauern, was er von der Idee einer guten Ernte hält. Er hat gern die Ernte selber. Mit euren Ideen könnt ihr uns in Ruhe lassen. Wir tun etwas für die Landwirte.
Der Kernpunkt dessen, was wir heute vorlegen, ist die Verringerung der Sozialabgabenlast, ganz besonders für die kleinen und mittleren Betriebe. Dieses Ziel wird erreicht, indem die begünstigten Betriebe einen Zuschuß zum Einheitsbeitrag erhalten. Das wird dazu führen, daß alle zuschußberechtigten Betriebe 1986 weniger Beitrag als 1984/85 zahlen werden. Kleinbetriebe werden sogar weniger als 1982 zahlen. Gegenüber dem Einheitsbeitrag ist das eine Entlastung von fast 50%.Die Bundesmittel für die Altershilfe für Landwirte werden von 75 auf 80% der laufenden Geldleistungen erhöht. Wir verbinden mit dieser Erhöhung, auch mit dem finanziellen Mehraufwand, eine strukturelle Verbesserung. Das ist keine einfallslose Sozialpolitik, einfach mit der Gießkanne. Der Beitragszuschuß wird für fast jeden zweiten Beitragspflichtigen in der Altershilfe für Landwirte zu einer finanziellen Entlastung führen. Er ist an der Einkommenssituation des Landwirts und seines Ehepartners ausgerichtet. Das außerlandwirtschaftliche Einkommen wird dem landwirtschaftlichen gleichgestellt. Das sind nicht nur finanzielle, sondern auch strukturelle, mit Perspektiven ausgestattete Maßnahmen. Außerdem sichert die Berechnungsweise des Zuschusses die Gleichbehandlung der Voll-, Zu- und Nebenerwerbslandwirte.Das Gesetz sieht drei Zuschußbeträge vor. In den ersten beiden Jahren sollen, je nach Einkommenssituation, 25, 50 oder 75 DM gezahlt werden. Was Sie verlangt haben, zu differenzieren, unterschiedlichen Lagen gerecht zu werden, ist in der Struktur dieses Zuschusses berücksichtigt. Nicht einfallslos mit der Gießkanne, sondern differenziert Hilfen zu geben, entspricht unserer sozialpolitischen Einstellung.
Ein weiterer Schwerpunkt ist der Ausbau der sozialen Sicherung der hauptberuflich mitarbeitenden Familienangehörigen. Sie sind bisher unzureichend gesichert. Bei dieser Gruppe handelt es sich, wenn man von den in der gesetzlichen Rentenversicherung Pflichtversicherten absieht, um rund 15 000 bis 20 000 Personen. Meine Damen und Herren, ich meine, wir dürfen Sozialpolitik nicht erst machen, wenn eine Million oder zwei Millionen Bürger betroffen sind. Für den, der in Not ist, ist es relativ
Metadaten/Kopzeile:
13158 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 175. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. November 1985
Bundesminister Dr. Blümbelanglos, mit wie vielen er sein Schicksal teilt. Das hier ist eine Hilfe für die hauptberuflich mitarbeitenden Familienangehörigen. Ihre soziale Situation wird verbessert.Ich begrüße ganz besonders, daß auch den Arbeitnehmern in der Landwirtschaft geholfen wird, daß die Ausgleichsleistung von 70 DM auf 90 DM erhöht wird, daß die Härte der Stichtagsregelung gemindert wird. Ich glaube, wir sind auch diesen Arbeitnehmern große Anerkennung schuldig, Arbeitnehmern, die ein Leben lang treu ihre Pflicht erfüllt, aber in der Regel eine Altersversorgung weit unter dem Durchschnittssatz der übrigen Rentner haben, nicht zuletzt dadurch, daß sie, einer alten Tradition entsprechend, Lohn nicht nur in Form von Geld, sondern manchmal auch in Form von Naturalleistungen erhalten haben. Aber von Kartoffeln wird eben kein Beitrag gezahlt. Das machen wir wett, weil wir auch hier eine lebensnahe Sozialpolitik betreiben.
Ich möchte übrigens die Gelegenheit nutzen, auch der Gewerkschaft Gartenbau, Land- und Forstwirtschaft Dank zu sagen. Sie hat ein Muster dafür geliefert, wie man Gewerkschaftspolitik macht: hartnäckig, konkret, ausdauernd. Die erreichen jedenfalls mehr für die Arbeitnehmer als alle ideologischen Schaumschläger.
Insofern müssen sich die Arbeitnehmer immer dafür interessieren, wer für sie am meisten zustande bringt. Und das sind nicht die Ideologen, sondern die sozialpolitischen Handwerker.Verbesserungen für die Frauen in der Landwirtschaft sind eine alte Forderung des Deutschen Landfrauenverbandes.
Ein Teil des Altersgeldes, das der ehemalige Landwirt erhält, soll unmittelbar an den Ehepartner ausgezahlt werden. — Herr Bueb, warum schreien Sie denn? Das ist doch ein Stück Emanzipation. Dafür sind sie doch sonst den ganzen Tag auf dem Marktplatz.
Ich sehe darin auch ein Stück Selbständigkeit, ein Stück Anerkennung der großen Leistungen der Frauen in der Landwirtschaft.Wie Sie sehen, handelt es sich hier um ein Gesetz, das nicht drei, vier Probleme spektakulär löst, sondern das den Menschen hilft. Und darauf kommt es uns an.
Deshalb bedanke ich mich bei allen, die mitgewirkt haben. Ich sehe darin in der Tat einen Brückenbau unserer Sozialpolitik, die keine Klassenpolitik ist. Hier arbeiten Arbeitnehmer, Arbeitgeber und Landwirte in einem Sinne, um den Schwächeren zu helfen, nicht mit einer Politik der großen Worte, nichtmit einer Politik der großen Ideen, sondern der handfesten Taten.
Das Wort hat der Abgeordnete Schartz.
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen! Meine Herren! Über den sachlichen Inhalt dieses Gesetzes haben verschiedene Redner hier vorgetragen. Ich möchte einige Überlegungen zur Agrarpolitik insgesamt machen.Die Diskussion über die Landwirtschaft, meine Damen und Herren, steht zur Zeit unter dem Vorzeichen von Butterbergen und Milchseen, von der hohen Finanzbelastung der öffentlichen Hände. Viele verlangen eine Veränderung der Argrarpolitik. Nun habe ich den Eindruck, daß wenige wissen, wie das eigentlich vor sich gehen soll. Ich habe den Eindruck, daß viele — das ist nicht zuletzt durch Ihren Beitrag, Herr Kollege Heyenn, deutlich geworden — mit einer ideologischen Verklemmung an eine Sachfrage herangehen, die zu keinem guten Ergebnis führen kann.
Meine Damen und Herren, die Situation der Landwirtschaft ist durch ein zu geringes Einkommen gekennzeichnet. Der Einkommensabstand zu anderen Bevölkerungsgruppen beträgt 37 %. Die Schulden sind höher als je und die Arbeitsbelastung höher als bei allen anderen Berufsgruppen: 63,7 Stunden in der Woche. Es ist dazu eine exorbitante Belastung mit öffentlichen Abgaben festzustellen.Wir müssen eine neue, eine moderne Argrarpolitik betreiben. Wir müssen, glaube ich, neue Wege gehen. Ich sage ganz deutlich: Sie sollte nach meiner Auffassung darin bestehen, daß das Einkommen der Bauern nicht allein an die Produktionsmenge oder die Produktionshöhe angebunden ist. Vielmehr hat der Staat die Verpflichtung, das Einkommen ergänzend aufzustocken oder Belastungen zu mildern.
Hier ist eben von Ihnen, Herr Kollege Wimmer, so sehr mit dem sozialen Gewissen hantiert worden. Das ist eine gute Sache. Nur: Soziales Gewissen kann sich ja wohl nicht darin ausdrücken, daß man den Bauern Geld nimmt und daß man die Belastungen der Bauern erhöht, wie Sie das wollen.
Ihr Gesetzentwurf, Herr Kollege Müller, sieht vor, daß alle Bauern, die mehr als 22 000 DM Einkommen im Jahr haben, eine Beitragssteigerung von 129 DM im Monat auf 200 DM im Monat auf sich nehmen müssen. Bei 22 000 DM tritt bei Ihnen wohl schon der Reichtum ein.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 175. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. November 1985 13159
Schartz
Meine sehr geehrten Damen und meine Herren, es ist der Unterschied zwischen Ihnen und uns, daß Sie soziale Gleichstellung nach Ihren Vorstellungen mit dem Wegnehmen bei den einen und mit dem Geben bei den anderen gleichsetzen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Einen Moment, Herr Präsident. Ich will das dann gerne tun.
Wir geben den Bauern zusätzliches Geld, um damit eine soziale Sicherung und eine Besserstellung im Sinne der Gerechtigkeit herbeizuführen.
Sie haben den Bauern 400 Millionen DM in der Berufsgenossenschaft genommen. Sie wollen den Bauern gegenüber dem Regierungsvorschlag 110 Millionen DM, die diese Regierung den Bauern gibt, nehmen. Ich meine, dann ist wohl eine Diskussion darüber möglich, was denn soziales Gewissen bei Ihnen ist und wie sich soziales Gewissen bei uns ausnimmt.
Sie gestatten eine Zwischenfrage des Abgeordneten Müller ? — Bitte schön.
Herr Kollege Schartz, halten Sie es denn für richtig — das habe ich Ihrer Ausführung jetzt entnommen —, daß ein Landwirt mit einem Gewinn von beispielsweise 100 000 DM einen Zuschuß aus Steuergeldern in der gleichen Höhe erhält wie ein Landwirt mit einem Gewinn von 10 000 DM? Oder meinen Sie nicht, daß es gerechter wäre, hier aus Steuergeldern dem einen, der einen hohen Gewinn hat, weniger zu geben, aber dem anderen aus Steuergeldern einen höheren Zuschuß zu geben?
Genau das, Herr Kollege Müller, machen wir mit diesem Gesetzentwurf. Wir entlasten die kleineren Bauern aus Steuergeldern und entlasten die größeren Bauern nicht aus Steuergeldern. Der einzige Unterscheid besteht darin, daß Sie auch Kleinbauern, die ein geringes Einkommen haben, öffentliche Gelder abnehmen wollen. Wir entlasten die kleinen Bauern. Sie wollten auch die kleinen Bauern zusätzlich schröpfen.
Aber lassen Sie mich in meinem Vortrag fortfahren. Ich will nur festhalten: Nach Ihren Vorstellungen würde, wenn der Bundestag Ihnen folgte, der Beitrag für die landwirtschaftliche Altershilfe von 129 DM auf 200 DM im Monat steigen. Bei uns ist dies nicht der Fall.
Herr Kollege Müller, gerade weil Sie aus Bayern kommen: Für mich war es eine hochinteressante Feststellung, daß in der Begründung ihres Antrags lapidar geschrieben steht: Die Vorstellung der Regierung muß geändert werden, weil zu viele Gelder nach Bayern und Baden-Württemberg fließen.
Ich sage das in die Richtung des bayerischen Abgeordneten Müller.
Dieses Gesetz, das wir heute beschließen, ist ein guter Schritt in eine richtige Richtung. Es entlastet die kleineren und die mittleren Betriebe. Es gibt den Bäuerinnen einen eigenen Auszahlungsanspruch. Es nimmt die mithelfenden Familienangehörigen in die Versicherungspflicht auf. Es gibt den landwirtschaftlichen Arbeitnehmern monatlich mehr Geld durch eine Erhöhung des Bundeszuschusses.
Aber wir sind der Meinung, daß dies nur ein erster Schritt auf einem richtigen Weg sein kann. Ich stimme all denen zu, die heute hier vorgetragen haben: Ein zweiter Schritt muß die gezielte Entlastung der Vater-Sohn-Betriebe von sozialen Abgaben sein. Ein zweiter Schritt muß weiter sein, daß wir all den Bauern, die keine Betriebsnachfolger haben und die ihre Betriebe aufgeben wollen, die Möglichkeit der finanziellen Absicherung durch eine frühzeitige Aufgabe der Betriebe geben. Das Land, das dabei freigesetzt wird, soll ökologischen Zwecken zugeführt werden,
aber auch der Verbesserung der Gesamtstruktur innerhalb der Landwirtschaft dienen.
Die CDU/CSU-Fraktion dieses Hauses sieht dieses Gesetz als ein gutes an. Wir werden ihm zustimmen.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.Wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung über den Tagesordnungszusatzpunkt 7, und zwar den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf auf Drucksache 10/3483.Ich rufe Artikel 1 bis 10, Einleitung und Oberschrift in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich der Stimme? — Die aufgerufenen Vorschriften sind mit großer Mehrheit angenommen.Wir treten in diedritte Beratungein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. —
Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich der Stimme? — Keine Enthaltungen. Der Gesetzentwurf ist mit großer Mehrheit angenommen.
Metadaten/Kopzeile:
13160 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 175. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. November 1985
Vizepräsident WestphalWir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Abgeordneten Müller , Wimmer (Neuötting), Frau Blunck, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/2360.Der Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung empfiehlt auf Drucksache 10/4246 unter Nr. 1, den vorgenannten Antrag abzulehnen.Wer dieser Beschlußempfehlung des Ausschusses zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich der Stimme? — Die Beschlußempfehlung des Ausschusses ist mit Mehrheit angenommen.Wir kommen zum Tagesordnungszusatzpunkt 8.Entgegen der Ankündigung der Tagesordnung ist für den Antrag des Abgeordneten Bueb und der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/4209 nicht Ausschußüberweisung, sondern Abstimmung verlangt worden. Korrekt?Wer dem Antrag auf Drucksache 10/4209 zuzustimmen — —
— Mein Verfahren ist so: Ich bin, wenn Übereinstimmung besteht, gern bereit, das zu eröffnen. Aber ich habe am Anfang der Debatte zu den beiden hier eingefügten Zusatzpunkten nach dem Wunsch nach Begründung und Berichterstattung gefragt.
— Ich weiß, hier vorne liegt ein Wunsch nach Begründung. Aber als ich aufgerufen habe, haben Sie nicht gewollt.
— Augenblick. Hier wollen wir doch keine Verhärtung machen. Wir geben ihm fünf Minuten für die Begründung seines Antrags. Eigentlich müßte er es in vier Minuten auch schaffen.
— Mein Vorlesen war durchaus korrekt.Also, machen wir es nicht so spannend, sondern geben wir Ihnen fünf Minuten zur Begründung. Danach wird abgestimmt.
Wir sind der Meinung, daß wir mit unserem Antrag eine klare Alternative zum Herumwursteln der SPD und der Bundesregierung vorgelegt haben. Wir fordern in unserem Antrag
die sukzessive Einführung einer steuerfinanzierten Grundrente in die landwirtschaftliche Altershilfe. Im Jahre 1985 müßte diese mindestens 1 000 DM pro Person betragen. Oberhalb der Grundrente soll eine beitragsfinanzierte Zusatzrente einsetzen, die für Landwirte angesetzt wird, die bilanzpflichtig sind. Wir fordern damit eine Beendigung des Beitragstheaters in der Altershilfe, des Hin- und Herschiebens von Beiträgen und Beitragszuschüssen, die den Bauern vorgaukeln sollen, sie selbst finanzierten ihre Beiträge zur Altershilfe.
Im Grunde ist ihre Altersrente bereits bundesfinanziert, und das ist ja auch völlig richtig so. Die GRÜNEN fordern eine konsequente sozialpolitische Antwort:
die Grundrente rein steuerfinanziert zu halten und die obligatorische Zusatzrente nur über Beiträge zu finanzieren.Wir haben diesen Vorschlag hier bereits mehrmals diskutiert. Wir haben nachrechnen lassen, daß eine solche Rentenreform finanzierbar ist, und zwar problemlos. Ich habe von Ihnen noch nie gehört, daß das nicht gehe. Sie haben es — ohne Sachbegründung — immer bloß abgelehnt,
wenn wir an die Privilegien der Beamten und all derjenigen herangehen, die sich heute aus der Sozial-/Solidarversicherung herausdrücken.Wir fordern in unserem Antrag darüber hinaus ein ganzes Bündel von kurz- und mittelfristigen Maßnahmen, u. a.: erstens die Einführung von Kindererziehungszeiten in Höhe von mindestens drei Jahren in die Altershilfe für Landwirte, bewertet mit dem Durchschnitt der Erwerbseinkommen — an die Adresse der CDU/CSU sei gesagt: Sie haben das früher auch einmal gefordert —; zweitens eine eigenständige Alterssicherung für Frauen ab sofort insofern, als das Altersruhegeld — entsprechend den Forderungen der Landfrauen — prinzipiell an beide Ehepartner im Verhältnis von 50 : 50 ausgezahlt wird; damit bekommen wir eine eigenständige Alterssicherung der Landwirtinnen
— wenn der Landfrauenverband das andauernd fordert, da wissen Sie, daß die das nicht wollen —; drittens eine sofortige Anhebung der Gesamtnettoeinkommen von Bezieherinnen und Beziehern der Altershilfe auf mindestens 1 000 DM im Monat pro Person durch die Landwirtschaftliche Alterskasse; die Anhebung muß auf Antrag erfolgen. Maßgeblich sind nur Einkommensverhältnisse des alten Menschen und seines Ehegatten. Kinder oder Eltern werden nicht mehr, wie in der Sozialhilfe heute üblich, herangezogen. Auch das entwürdigende Anstehen auf dem Sozialamt entfällt. Ich habe vorhin schon in meiner Rede gesagt, daß heute mehr als 100 000 Landwirte sozialhilfeabhängig sind.Finanziert werden sollen diese Maßnahmen über eine deutliche Anhebung und eine strukturelle Veränderung des Bundeszuschusses. Er soll künftig nur noch für die Zahlung der Grundrentensicherung verwendet werden.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 175. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. November 1985 13161
BuebDanke schön.
Wir kommen zur Abstimmung. Wer dem Antrag auf Drucksache 10/4209 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Der Antrag ist mit großer Mehrheit abgelehnt.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 23 auf:
Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Schäfer , Dr. Schmude, Tietjen, Dr. Wernitz, Dr. Emmerlich, Bernrath, Duve, Frau Dr. Hartenstein, Jansen, Kiehm, Dr. Nöbel, Dr. Penner, Reuter, Schröer (Mühlheim), Wartenberg (Berlin), Ibrügger und der Fraktion der SPD
Datenverarbeitung im Sicherheitsbereich — Drucksachen 10/2560, 10/3035 —
Meine Damen und Herren, nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die Aussprache 90 Minuten vorgesehen. — Ich sehe dazu keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Schäfer .
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen! Meine Herren! Am 15. Dezember 1983 hat das Bundesverfassungsgericht das Volkszählungsurteil erlassen. Heute, fast zwei Jahre nach Erlaß dieses Urteils, das in die Rechtsgeschichte eingehen wird,
stehen Regierung und Koalition, was die Konsequenzen aus diesem Urteil angeht, praktisch mit leeren Händen da.
Statt einer Einschränkung der Datenverarbeitung im Sicherheitsbereich und einer kritischen Bestandsaufnahme, die als Folge dieses Urteils zwingend geboten wäre, ist die Entwicklung weitergegangen. Im Siebenten Tätigkeitsbericht des Bundesbeauftragten für den Datenschutz ist auf Seite 67 detailliert nachzulesen, welche neuen Verfahren und Systeme gerade in jüngster Zeit z. B. beim Bundeskriminalamt eingeführt worden sind. Dabei fordert das Urteil nachdrücklich auf, die Datenverarbeitung im Sicherheitsbereich auf das Notwendige zu beschränken und nicht alles zu verwirklichen, was wünschbar und was machbar ist.
Die Vorgaben des Verfassungsgerichts sind klar. Es gilt das Recht auf informationelle Selbstbestimmung des Bürgers. Es kann, ich füge hinzu: es muß eingeschränkt werden, wenn diese Einschränkung in überwiegendem Allgemeininteresse dringend geboten ist — aber nur dann und nur bei dieser Voraussetzung. Dabei gelten die strengen Maßstäbe der Erforderlichkeit, der Normenklarheit, derZweckbindung, der informationellen Gewaltenteilung und der Verhältnismäßigkeit. Diese Maßstäbe des Verfassungsgerichtes sind auch die Maßstäbe der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion. Sie binden uns nicht nur rechtlich, sondern entsprechen auch unserem politischen Verständnis. Die Polizei darf nur die Informationen erheben, verarbeiten, verwerten, austauschen, also Daten verarbeiten, die diesen Anforderungen entsprechen.Diese rechtsstaatlich gebotene Klarheit liegt im Interesse des Bürgers wie der Polizei. Die Polizei erhält Klarheit. Sie weiß genau, was sie tun darf und was nicht. Der Bürger erhält die Gewißheit, daß sein Recht auf informationelle Selbstbestimmung gewahrt ist. Eine solche Regelung schafft Vertrauen zwischen Polizei und Bürgern. Eine solche Regelung hilft, vorhandenes Mißtrauen abzubauen. Solche Regelungen sind also eine wichtige, eine unerläßliche Voraussetzung für den Erfolg polizeilicher Tätigkeit.
Die Bundesregierung hat es unterlassen, die notwendigen Konsequenzen aus dem Urteil zu ziehen.
Sie verfügt auch nicht annähernd über ein Konzept, das als Grundlage für eine verfassungsgemäße Ausgestaltung der informationellen Beziehungen im Sicherheitsbereich dienen könnte.
Auf die entsprechende Antwort auf Frage 2 der SPD-Bundestagsfraktion hat sich die Bundesregierung fleißig, emsig bemüht, Themen für die von ihr beabsichtigten Gesetzgebungen zusammenzutragen, aber kein inhaltliches Konzept vorgelegt. Wahrscheinlich haben Sie keines,
jedenfalls kein vorzeigbares. Devise dieser Bundesregierung scheint es nämlich zu sein, die Datenverarbeitung im Sicherheitsbereich mit einem hohen Schutzzaun zu umgeben, egal, ob dies mit den tragenden Grundsätzen des Volkszählungsurteils übereinstimmt oder nicht.Der Antwort der Bundesregierung auf unsere Große Anfrage ist nicht eine einzige konkrete Maßnahme zu entnehmen, die etwa auf Grund des Volkszählungsurteils ergriffen worden ist — außer der, alles was ist, nunmehr gesetzlich abzusichern.
Gerade das widerspricht aber den Leitsätzen und dem Geist des Volkszählungsurteils.
Dabei haben die Datenschutzbeauftragten gerade in den letzten Jahren immer wieder Beispiele für einen erschreckenden Umgang mit Bürgerdaten bei einzelnen Sicherheitsbehörden geliefert.Die Bundesregierung kündigt in ihrer Antwort auf Frage 4 an, die von ihr beabsichtigte Gesetzge-
Metadaten/Kopzeile:
13162 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 175. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. November 1985
Schäfer
bung sei so zu gestalten, daß der Informationsaustausch zwischen den Sicherheitsbehörden für den Bürger transparenter, erkennbarer, klarer und durchsichtiger wird. Zuerst einmal, meine Damen und Herren von den Koalitionsfraktionen, wäre mehr Transparenz gegenüber dem Parlament geboten.
Was ist von solchen vollmundigen Ankündigungen zu halten, wenn die Gesetzgebung in diesen Bereichen in einer Weise vorbereitet wird, als ginge es um geheimste Angelegenheiten des Staates?
Bei allem Verständnis, Herr Kollege Hirsch, Herr Fellner, für die notwendige Vertraulichkeit von koalitionsinternen Verhandlungen: Es ist ein unerträglicher Zustand, wenn Gesetze derartiger Bedeutung in einer Art Geheimdiplomatie vorbereitet werden und sogleich angekündigt wird, sie würden danach in kurzer Zeit verabschiedet werden.
Diesen Gesetzen haftet von Anfang an der Geburtsfehler an, daß sie das angestrebte Vertrauen des Bürgers in die Arbeit der Sicherheitsbehörden nicht schaffen können.
Wer Gesetze mit diesem Anspruch heimlich vorbereitet und dann im Eilverfahren, lieber Herr Kollege Hirsch, durchsetzen will,
der hat etwas zu verbergen. Ich weiß, daß Ihnen das unangenehm ist. Aber die Wahrheit ist nicht immer angenehm.
Was wir statt dessen brauchen, lieber Kollege Rumpf, ist eine breite, ist eine offene Diskussion dieser Gesetze, übrigens auch unter frühzeitiger Einbeziehung der Länder. Wer das nicht will, wer den Bundesrat nicht von Anfang an in die Gesetzgebung einbeziehen will, der kündigt, Herr Bundesinnenminister, mutwillig den Konsens zwischen Bund und Ländern in wesentlichen Grundsätzen der Sicherheitspolitik auf. Nicht umsonst haben die Innenminister aller Länder — aller Länder, gleichgültig ob sie CDU/CSU oder sozialdemokratisch geführt sind — den Bundesinnenminister auf der letzten Innenministerkonferenz aufgefordert sicherzustellen, daß der Bundesrat von Anfang an die Möglichkeit der Beteiligung an der Gesetzgebung erhält.Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, irren übrigens, wenn Sie meinen, Sie könnten sich mit einem solchen Verfahren elegant an der öffentlichen Kritik vorbeimogeln.
Wir Sozialdemokraten werden jedenfalls dafür sorgen, daß das Für und Wider dieser Gesetze in öffentlichen Anhörungen des Bundestages sehr genau abgewogen wird. Für uns wird dabei die Meinung der Bürger, der Datenschutzbeauftragten und der Polizei — beispielhaft der Gewerkschaft der Polizei — eine gewichtige Stimme sein.Bislang sind wir, was das endgültige Aussehen dieser Entwürfe angeht — Sie wollen sich ja dem Vernehmen nach heute nach zweijährigem Bemühen auf Grundsätze einigen, meine Damen und Herren von der Koalition —, auf vereinzelte Presseveröffentlichungen sowie auf den Stand der Entwürfe, lieber Kollege Hirsch, von Ende August, Anfang September angewiesen. Diese Entwürfe lassen freilich Schlimmes befürchten.
Während die Bundesregierung in ihrer Antwort auf unsere achte Frage dem Zweckbindungsprinzip hohe Bedeutung beimißt, scheint sie durch das von ihr beabsichtigte Zusammenarbeitsgesetz, durch das der Datenaustausch zwischen den Sicherheitsbehörden „geregelt" werden solle — in Wirklichkeit in komfortabler Weise erlaubt werden soll —, dieses Prinzip geradezu ad absurdum führen zu wollen.
Hier wird — um noch einmal ein Wortspiel der letzten Tage aufzugreifen — keine bequeme Hose geschneidert, hier wird ein Kleidungsstück gemacht, das so groß ist, daß mehrere zugleich darin Platz haben oder daß es wechselweise benutzt werden kann.
Leider ist das alles viel weniger lustig, als es klingt; denn hier wird die Forderung des Bundesverfassungsgerichts, zwangsweise erhobene Daten müßten einem „amtshilfefesten" Schutz unterstellt werden, voll unterlaufen.
Im Bereich des Bundesamts für Verfassungsschutz haben wir im Verlauf der Diskussion über die Tätigkeit zu Prüfberichten des Bundesbeauftragten für Datenschutz im Innenausschuß von schlimmen Praktiken erfahren müssen.
Gerade hinsichtlich dieses Bereichs, Herr Kollege Laufs, in dem freie Grundrechtsausübungen und legitime staatliche Beobachtung von Extremisten zu einem vernünftigen Ausgleich gebracht werden müssen, scheint die Koalition wild entschlossen zu sein, alle bisherigen unhaltbaren Praktiken gesetzlich abzusichern. Nach allem, was an Informationen erhältlich ist — übrigens auch nach der Art und Weise, wie Sie sich im Innenausschuß an der Diskussion über die Datenschutzberichte beteiligen:
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 175. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. November 1985 13163
Schäfer
durch glänzendes Desinteresse, ohne aktive Mitarbeit —,
wird durch die von der Koalition beabsichtigten Gesetzesformulierungen nichts an bedenklichen Praktiken verboten, die der Datenschutzbeauftragte festgestellt und von denen er berichtet hat. Statt dessen soll mit schwammigen Formulierungen alles abgesichert werden, was derzeit praktiziert wird, und darüber hinaus bequemer Spielraum für die Zukunft geschaffen werden. Der Bürger wird, sollte das Gesetz in dieser Form verabschiedet werden, kein bißchen mehr wissen, wer was wann bei welcher Gelegenheit über ihn speichert.Dabei — und dies ist das Pikante — werden diese Gesetze von einem Minister vorbereitet, der uns in einem anderen Fall gern in dem Glauben lassen möchte, Rücksichten aus rechtsstaatlichen Gründen hätten dazu geführt, daß das ihm unterstellte Bundesamt für Verfassungsschutz zwei wichtige Spione nicht überführen und entlarven konnte.
Soll dies wirklich glaubwürdig sein, Herr Bundesinnenminister Zimmermann: erbarmungslose Härte gegen vermeintliche Extremisten bis hin zur Mißachtung wichtiger Grundsätze des höchsten Gerichts einerseits, vornehme rechtsstaatliche Zurückhaltung gegen Spionageverdächtige andererseits?Wir Sozialdemokraten wünschen rechtsstaatliches Handeln, auch und gerade im sensiblen Bereich der Geheimdienste. Aber der Rechtsstaat, meine Damen und Herren, ist nicht teilbar. Wundern Sie sich also nicht, Herr Bundesinnenminister und meine Herren von der Koalition, wenn wir bei dem neuen Verfassungsschutzgesetz dieselben rechtsstaatlichen Grundsätze anlegen, die Ihr Handeln, Herr Minister, angeblich in jenem Spionageskandal bestimmt haben.
Wem von uns wäre nicht die Kießling-WörnerAffäre in unguter Erinnerung! Neben einem politischen Versagen von Minister Wörner sind im Laufe der Affäre vor allem Methoden der Datenerhebung und Datenverarbeitung im MAD zutage getreten, die den Gesetzgeber zum Handeln zwingen.Fast zur gleichen Zeit wurden Speicherpraktiken bekannt. Ich erwähne nur die Basisdatei „Zersetzung", die eine einschränkende Regelung der Datenverarbeitung beim MAD dringend geboten erscheinen läßt.Allem Anschein nach plant die Bundesregierung eher das Gegenteil. Wenn ich Ihren Gesetzentwurf — Stand: Ende August — nehme, Herr Kollege Hirsch, stelle ich fest, daß dem MAD Rechte der Verfassungsschutzbehörden gegeben werden sollen. Sogar gemeinsame Datenbestände soll es geben. Ich wäre froh, Herr Hirsch, wenn Sie sagen würden: Das machen wir nicht mit, das kommt nicht.Militärischer Abschirmdienst und Verfassungsschutz sollen sogar gemeinsame Datenbestände haben können.
Wie soll der vom Bundesverfassungsgericht festgeschriebene Grundsatz der Zweckbindung eingehalten werden, wenn Daten in gemeinsamen Dateien geführt werden?
Wie lange der angebliche Widerstand der FDP gegen diese Pläne hält, kann niemand sagen. Wir wünschen uns, Herr Kollege Hirsch, im Interesse der Bürgerrechte, daß Ihre Fraktion unnachgiebig bleibt. Freilich, meine Damen und Herren: Ein Umfall der FDP auch in dieser Frage wäre jedenfalls für die diese Partei nichts Neues.
Fassen wir zusammen, meine Damen und Herren: Die Antwort der Bundesregierung auf die detaillierten Fragen der SPD-Fraktion ist dürftig. Sie läßt kein Konzept erkennen, wie das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung im Sicherheitsbereich verwirklicht werden soll. Die jetzt in Bruchstücken bekanntgewordenen Pläne der Koalition — Herr Kollege Hirsch, wir können uns über die strittigen Punkte gern unterhalten — für neue Gesetze im Sicherheitsbereich machen deutlich, daß hier nicht nur eine parlamentarische Anfrage schlecht und nicht überzeugend beantwortet worden ist. Im Gegenteil: Die Regierung hat gar kein Konzept, wie das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung verwirklicht werden soll. Sie hat nur ein Konzept, wenn man das so nennen will, nämlich: Sicherheit geht in jedem Fall und um fast jeden Preis vor Datenschutz.
Diese ideologisch gefärbte Grundhaltung versperrt dem Bundesinnenminister den Blick auf eine ruhige, auf eine sachliche Diskussion, in der entsprechend der Forderung des Bundesverfassungsgerichts ein vernünftiger Ausgleich zwischen dem Grundrecht auf Datenschutz und der Sicherheit gefunden werden muß.
Sie schaden damit auch den Interessen der Sicherheitsbehörden selbst, weil Sie diese dadurch mutwillig ständigem Mißtrauen der Bürgerschaft aussetzen.Wir Sozialdemokraten sind bereit, an dem Ausgleich zwischen Sicherheitsbedürfnissen und Datenschutz mitzuwirken und alles zu tun, um den Anforderungen des Volkszählungsurteils gerecht zu werden. Die CDU/CSU war dazu von Anfang an nicht bereit. Die FDP ist es, wie schon so oft und aus welchem Grund auch immer, offenbar nicht me hr.
Metadaten/Kopzeile:
13164 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 175. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. November 1985
Schäfer
Ich bedanke mich bei Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat der Abgeordnete Laufs.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sollten Sie Ihre Große Anfrage, meine Damen und Herren von der SPD, mit der Erwartung eingebracht haben, über ausbleibende Gesetzesvorlagen der Bundesregierung klagen und sich an einem heftigen Meinungsstreit zwischen den Koalitionspartnern weiden zu können, so haben Sie sich gründlich getäuscht.
Die Koalition der Mitte, der Sie so gut wie keine innen- und rechtspolitischen Gemeinsamkeiten zutrauen, zeigt sich gerade bei der Verwirklichung der Grundsätze des Volkszählungsurteils des Bundesverfassungsgerichts ausgesprochen handlungsfähig.Wir haben in diesem Jahr die neuen Gesetze für den Mikrozensus und die Volkszählung gemacht. Die Arbeit an fünf Gesetzesnovellen und zwei neuen Gesetzen zur außerordentlich komplizierten Rechtsmaterie des Datenschutzes im Sicherheitsbereich ist nahezu abgeschlossen. Noch in dieser Legislaturperiode soll dieses ganze Bündel von Gesetzentwürfen verabschiedet werden.Vermißt habe ich in Ihrer Anfrage, meine Damen und Herren von der SPD, und auch in Ihrem Redebeitrag, Herr Kollege Schäfer, die Frage nach der Sicherheitslage in unserem Land. Es ist doch leider nicht so, als könnten unsere Bürger, das fröhliche Lied von der informationellen Selbstbestimmung auf den Lippen, unbehelligt von Kriminalität, Terrorismus, Politchaoten, Links- und Rechtsextremisten und Agenten des Ostblocks, in einem sicherheitspolitischen Paradies leben. Tatsache ist doch, daß sich die Zahl der Straftaten seit 1963 auf 4,1 Millionen im vergangenen Jahr weit mehr als verdoppelt hat und die Aufklärungsquote auf unter 47 % gesunken ist. Rauschgiftkriminalität und organisierte Kriminalität haben in bedrohlicher Weise auf das Bundesgebiet übergegriffen.
Die Verfassungsschutzberichte der letzten Jahre belegen Punkt für Punkt, wie bitter ernst wir die Verpflichtung unseres Grundgesetzes zur wehrhaften Demokratie nehmen müssen.Meine Damen und Herren von der Opposition, Sie sollten langsam zur Kenntnis nehmen und, wenn nötig, Nachhilfeunterricht bei Ihren SPD-Innenministern nehmen,
daß die Zahl der Brand- und Sprengstoffanschlägein den letzten Monaten wieder eine beängstigendeGrößenordnung erreicht hat, daß das Potential der Extremisten links und rechts ansteigt,
die Ausspähungsangriffe des Ostens gegenüber öffentlichen und privaten Einrichtungen mit unverminderter Intensität weitergehen, der Terrorismus international und leider auch im Bundesgebiet eine seit langem nicht mehr erreichte Gefährlichkeit aufweist.
— Daß Sie das verharmlosen und die Augen davor verschließen, wissen wir, Herr Kollege Ströbele.Unsere Sicherheitsbehörden, angefangen von den Polizeien der Länder, über das Bundeskriminalamt, den Bundesgrenzschutz bis hin zu den drei nachrichtendienstlich tätigen Behörden, haben sich in der Vergangenheit rechtsstaatlich verhalten. Wenn jetzt von bestimmter Seite behauptet wird, die Existenz und Tätigkeit dieser Behörden sei eine Gefahr für unsere Demokratie und unsere Bürger,
handelt es sich schlicht um eine böswillige Verdrehung der Tatsachen.
Meine Fraktionskollegen und ich empfinden es geradezu als eine Zumutung an den Gesetzgeber, im Sicherheitsbereich unter der Überschrift „Datenschutz" Regelungen treffen zu sollen, die vom Mißtrauen gegenüber der rechtsstaatlichen Gesinnung der Beamtenschaft getragen wären.
Lassen Sie mich kurz die wesentlichen Grundsätze der Unionsparteien darstellen, die Gesetzgeber und Exekutive in dem von der Großen Anfrage beschriebenen Bereich zu beachten haben.Erstens. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion ist entschieden der Auffassung, daß der Polizei und den anderen Sicherheitsbehörden alle diejenigen Möglichkeiten der modernen Informationstechnik und Datenverarbeitung zur Verfügung stehen müssen, die sie brauchen, um die Bürger und unsere freiheitlich-demokratische Ordnung möglichst gut zu schützen.
Die Angreifer auf die Rechtsgüter der einzelnen und die demokratische Ordnung sind mit ihren Mitteln und Methoden nicht im 19. Jahrhundert stehengeblieben. Sie sind über Orts- und Ländergrenzen hinweg mobil, arbeiten konspirativ und bedienen sich modernster Technik.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 175. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. November 1985 13165
Dr. LaufsDie Mitarbeiter von Polizei- und Nachrichtendiensten dürfen nicht zu modernen Don Quichotes degradiert werden.Zweitens. Für die Unionsparteien gibt es keinen wirklichen Gegensatz zwischen der Notwendigkeit etwa von Polizei und Verfassungsschutz und dem Datenschutz. Die Bediensteten der Sicherheitsbehörden sammeln die Daten von Rechtsbrechern, von Terroristen, Spionen und Extremisten
nicht zur Befriedigung ihrer Neugier oder um eine Wahnidee der perfekten inneren Sicherheit zu verwirklichen.
Bei allem geht es doch um die Erhaltung einer funktionsfähigen Demokratie sowie der Rechte und Freiheiten aller Bewohner unseres Landes.Weil wir in der inneren Sicherheit keinen Selbstzweck, sondern die unverzichtbare Vorbedingung für Freiheit und Entfaltung jedes einzelnen sehen und weil wir für eine rechtsstaatlich eingebundene Polizei und ebenso dem Rechtsstaat verpflichtete Nachrichtendienste eintreten, haben die CDU und die CSU mit datenschutzrechtlichen Regelungen im Sicherheitsbereich keine Probleme,
ebensowenig im übrigen wie die betroffenen Sicherheitsbehörden, wie man den Tätigkeitsberichten des Bundesbeauftragten für den Datenschutz entnehmen kann, der von einer durchaus kooperativen Zusammenarbeit berichtet und dessen Beanstandungen, wenn sie notwendig wurden, aufgegriffen wurden und zu Verbesserungen geführt haben. Das wissen Sie doch so gut wie wir.
Was sollen denn diese maßlosen Anwürfe?
Das beraten wir doch im Innenausschuß nun wirklich in allen Einzelheiten.
Die Unionsparteien erteilen aber denen eine Absage, die Datenschutz sagen und in Wirklichkeit die Einschränkung der polizeilichen Befugnisse und Abschaffung des Verfassungsschutzes meinen. Sowohl das Persönlichkeitsrecht der Bürger und das daraus abgeleitete Recht auf informationelle Selbstbestimmung als auch die Sicherheit des Staates und seiner Bevölkerung sowie der Bestand unserer freiheitlichen Demokratie sind Werte unseres Grundgesetzes. Ich verweise hier nur auf Art. 21 Abs. 2, Art. 73 Nr. 10 und Art. 87 Abs. 1 unseresGrundgesetzes. Bundeskriminalamt und Bundesamt für Verfassungsschutz haben, was von manchen nur zu gerne verdrängt wird, Verfassungsrang erhalten.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Mann?
Bitte schön.
Bitte schön, Herr Mann.
Herr Kollege Laufs, meinen Sie, daß das Vertrauen der Bürger in den Datenschutz, den Sie gerade beschworen haben, dadurch steigt, daß wir im Innenausschuß in dieser Woche vom Bundesinnenministerium erfahren konnten, daß Tausende Namen von Demonstranten, die im Zusammenhang mit Friedensblockaden in Erscheinung getreten sind, gespeichert sind? Das hat das Innenministerium auf meine Feststellungen hin nicht in Abrede gestellt.
Herr Kollege Mann, Sie wissen doch als Richter ganz genau,
daß Blockaden in dieser Form Nötigung — und damit Gewalt —
und offene Rechtsbrüche sind. Was müßten das für Sicherheitsbehörden sein, die sich dafür nicht interessierten.
Drittens. Bei der anstehenden Gesetzgebungsarbeit im Sicherheitsbereich wird das Persönlichkeitsrecht der Bürger umfassend und in einer in der deutschen Rechtstradition unbekannten Ausführlichkeit geschützt. Wir werden die Datenverarbeitung einer strengen Zweckbindung unterwerfen, erweiterte Auskunfts- und Widerspruchsrechte einführen, Kontrollbefugnisse und Schadensersatzansprüche stärken und eine Fülle neuer Regelungen im Interesse des Persönlichkeitsrechts des Bürgers treffen.Das Persönlichkeitsrecht wird allerdings, soweit es die Sicherheit der Bevölkerung und die Sicherheit unseres Staatswesens erfordern, unter Beachtung des Gebots der Verhältnismäßigkeit eingeschränkt. Es sollte in diesem Hause nun wirklich keine Meinungsverschiedenheiten darüber geben, daß gegenüber der Aufklärung einer Straftat, der Abwehr einer polizeilichen Gefahr oder verfassungsfeindlicher Aktivitäten das Selbstbestimmungsrecht des Rechtsbrechers, Störers oder Extremisten zurücktreten muß.
Metadaten/Kopzeile:
13166 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 175. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. November 1985
Dr. LaufsIn diesem Sinne werden wir in dem Gesetz zur Novellierung des Bundesverfassungsschutzgesetzes, in dem neuen MAD-Gesetz, in dem Gesetz über die Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden in Angelegenheiten des Staatsschutzes
und bei der Nutzung der Datenbestände des Kraftfahrtbundesamtes einen verfassungskonformen Ausgleich der verschiedenen Verfassungswerte vornehmen.Viertens. Die Unionsparteien werden an der — ich betone: organisatorischen — Trennung von Polizei und Nachrichtendiensten, wie wir sie in der Bundesrepublik Deutschland nach den unheilvollen Erfahrungen mit dem Nationalsozialismus eingeführt haben, festhalten.
Es darf aber keine Informationsabschottung zwischen beiden Bereichen geben. Ein derartiges inhaltliches Trennungsgebot läßt sich weder aus der Verfassung noch aus anderen Prinzipien ableiten. Mit dem novellierten Verfassungsschutzgesetz und dem Zusammenarbeitsgesetz werden den Nachrichtendiensten in keiner Weise polizeiliche Zwangsbefugnisse gegeben oder auch nur vermittelt.Davon klar zu trennen und für die Wahrung der inneren Sicherheit unverzichtbar ist aber die Gewährleistung einer reibungslosen informationellen Zusammenarbeit zwischen beiden Bereichen. Polizei und Nachrichtendienste müssen, wo dies für ihre Aufgabenerfüllung notwendig ist, die jeweils bei ihnen vorhandenen Daten austauschen, übermitteln und weiterleiten. So war und ist es eine Selbstverständlichkeit, daß etwa das Bundesamt für Verfassungsschutz — um ein Beispiel zu bringen — die ihm zugänglich gewordene Mitgliederliste der neonazistischen Vereinigung „Aktionsfront Nationaler Sozialisten/Nationaler Aktivisten" nach dem Vereinsverbot von 1983 den Strafverfolgungsbehörden übergeben hat.Umgekehrt muß es weiterhin möglich sein, daß — wie es unlängst geschehen ist — die Polizei das bei einer Hausdurchsuchung vorgefundene berüchtigte Würfelspiel „Jude, ärgere dich nicht" an den Verfassungsschutz zur weiteren Beobachtung von Extremisten weiterleitet.Der politische Mord an dem Exillibyer Denali am Ostersamstag dieses Jahres in Bonn ist ein tragischer Beweis für die Notwendigkeit der engen und ständigen Zusammenarbeit zwischen örtlicher Polizei, Ausländerbehörden, Grenzpolizei, Bundeskriminalamt und Bundesamt für Verfassungsschutz.Die Innenministerkonferenz hat — bemerkenswerterweise einstimmig —
Vor wenigen Wochen eine ganze Reihe von Regelungen zur Verbesserung dieser Informationszusammenarbeit verabschiedet.Wenn die örtliche Polizei — so das BrokdorfUrteil des Bundesverfassungsgerichts — vor versammlungsrechtlichen Maßnahmen zunächst eine sorgfältige Gefährdungsprognose anstellen soll, braucht sie für ihr Lagebild unbedingt die Erkenntnisse des Verfassungsschutzes über extremistische Gewalttäter. Umgekehrt muß die Polizei imstande sein, nach einer Demonstration die aufgetretenen Politstörer dem Verfassungsschutz zu benennen, damit dieser die Gewaltbereitschaft der extremistischen Gruppierungen registrieren und beurteilen kann.Ich komme auf die eingangs erwähnten von den Koalitionsfraktionen vorbereiteten Gesetzentwürfe zur Informationszusammenarbeit im Sicherheitsbereich zurück.
Obwohl es sich hierbei um äußerst komplexe und schwierige Fragen handelt,
bei denen wir — auch international gesehen — gesetzgeberisches Neuland betreten, können wir feststellen, daß die Koalition das Gesetzesbündel in erstaunlich kurzer Zeit erarbeitet und nahezu fertiggestellt hat.
Wer in diesem Zusammenhang, Herr Kollege Schäfer, von „Geheimgesetzentwürfen" spricht, verbreitet die Unwahrheit.
Es ist doch etwas gerade im parlamentarischen Bereich Selbstverständliches, daß Fraktionen intern mit ihren Fachleuten und Beratern und mit Unterstützung
der betroffenen Ministerien Entwürfe erarbeiten, die der Öffentlichkeit erst dann vorgestellt werden, wenn sie reif für die Einbringung im Bundestag sind.
— Meine Damen und Herren von der Opposition, dort werden Sie im Plenum und in den Ausschüssen ausreichend Gelegenheit haben, an der Verabschiedung dieser wichtigen Gesetzesvorhaben mitzuwirken.
Dann werden Sie beweisen können, ob es Ihnen mit den Bürgerrechten und der inneren Sicherheit dieses Staates wirklich ernst ist oder ob dies alles Ihnen nur als Vehikel für parteipolitische Polemik dient. Ihre Einlassungen vermitteln uns leider den Eindruck, daß es Ihnen vor allem um diese Polemik geht, und das bedauern wir sehr.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 175. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. November 1985 13167
Dr. LaufsIch bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat der Abgeordnete Ströbele.
Die Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der SPD zu dem Thema „Datenverarbeitung im Sicherheitsbereich" ist eines der Beispiele aus der Serie von Versprechungen der letzten Jahre, nun endlich auch in der Öffentlichkeit Farbe zu bekennen und der Öffentlichkeit die Gesetzentwürfe vorzulegen und zur Diskussion zu stellen. Seit mehr als einem Jahr mauscheln Sie hinter verschlossenen Türen, lassen hin und wieder etwas heraussickern und geben dem einen oder anderen Pressevertreter hin und wieder etwas; Sie werfen ihnen das wie einen Knochen vor, damit sie etwas darüber schreiben und Ihre Gesetze in der Öffentlichkeit vorbereiten. Bis heute enthalten Sie dem Parlament, wo die Diskussion eigentlich geführt werden sollte, die Gesetzentwürfe vor, so daß die Opposition — hier: die GRÜNEN — Veranlassung hatte, diese Gesetze — wenn auch in der Fassung vom letzten Sommer — der Öffentlichkeit zu übergeben und die Diskussion über diese Gesetze endlich auch in den Bundestag, hier in das Plenum hineintragen zu können.
Wir brauchen ja nicht lange herumzureden; wir brauchen uns auch nicht lange mit dieser Antwort der Bundesregierung zu beschäftigen. Wie wir inzwischen aus zahlreichen Presseveröffentlichungen, aber nicht nur von daher wissen, werden Tausende von Bürgern in den verschiedenen Datenspeichern des Bundesamts für Verfassungsschutz sogar mit ihren Intimdaten gespeichert. Es ist bezeichnend, daß die Bundesregierung in ihrer Antwort zur gleichen Zeit behauptet, Persönlichkeitsprofile würden nicht gespeichert. Wir wissen, daß das eine Lüge gewesen ist.Aber wir wollen nicht lange herumreden, sondern wir wollen uns konkret mit dem auseinandersetzen, was wir aus den Gesetzentwürfen, die wir der Öffentlichkeit vorgelegt haben, und aus Ihren Bemerkungen auf Veranstaltungen und auch hier im Plenum dazu gehört haben. Wir sind der Auffassung, daß mit diesen Gesetzen ein informationeller Super-Geheimdienst geschaffen wird: Polizei, Bundesgrenzschutz und die drei Geheimdienste werden informationell zusammengefaßt. Die Fassade bleibt die alte, die Dienste, die Polizei und der Bundesgrenzschutz bleiben organisatorisch getrennt. Der eine residiert in Köln, der andere weiterhin in Pullach. Aber das Wissen über die Bürger, die Daten, sind faktisch im gemeinsamen Pool der Geheimdienste für alle Geheimdienstler verfügbar. Was die Polizei weiß, soll in Zukunft auch der Geheimdienst wissen. Was der Bundesgrenzschutz über die einzelnen Bürger an der Grenze erfährt, notiert und speichert, weiß in Zukunft auch der Geheimdienst.Noch vor ein paar Jahren hat sich der damalige Bundesinnenminister, Herr Baum, auch öffentlich energisch dagegen gewandt, daß Datensammlungen von Stellen des Bundesgrenzschutzes direkt an den Bundesnachrichtendienst weitergegeben werden, daß der Bundesgrenzschutz praktisch im Auftrage des Bundesnachrichtendienstes arbeite.Derselbe Minister, der sich in der Öffentlichkeit dagegen gewandt hat, will jetzt im Koalitionsinteresse, im Interesse der Erhaltung der Macht
alle diese Gesetze schlucken und die Praxis, gegen die er früher noch protestiert hat, gesetzlich festschreiben und legitimieren.
Sie verkehren den Sinn des Urteils des Bundesverfassungsgerichts in Sachen Volkszählung in das Gegenteil. Sie mißbrauchen den Auftrag des Bundesverfassungsgerichts, den Auftrag, endlich Gesetze zu machen, die das Recht der Bürger auf Sicherung der Grundrechte und auf informationelle Selbstbestimmung garantieren sollen, dazu, die bestehende Praxis des Datenverbundes der Dienste, der Amtshilfe durch Polizei und Bundesgrenzschutz für die Geheimdienste auf eine gesetzliche Grundlage zu stellen und — weit schlimmer noch — diese Praxis zu perfektionieren.
Sie beugen damit die Verfassung,
und Sie verletzen die alliierten Vorbehalte, die dem Grundgesetz zugrunde liegen und die Herr Spranger, wie er im Innenausschuß ja bekannt hat, gar nicht einmal mehr kennen will. Die Trennung der Dienste sowie die Trennung dieser Dienste von der Polizei werden aufgehoben. Die noch bestehenden Schranken zwischen den Datensammlungen werden eingeebnet. Der Polizei werden nachrichtendienstliche Mittel zur Verfügung gestellt, die sie seit der Gestapo in Deutschland aus gutem Grunde nicht gehabt hat.
Die Polizei wird zum Hilfsorgan der Geheimdienste. Den Diensten werden damit entgegen der Verfassung polizeiliche Befugnisse übergeben.
— Hören Sie einmal genau zu. — Wer zwangsweise Daten erhebt — ob an der Grenze, bei Durchsuchungen oder bei Straßenkontrollen —, bekommt über Exekutivbefugnisse Informationen von den Bürgern, und diese werden direkt an die Geheimdienste weitergeleitet, die allein entscheiden, ob sie diese Daten für ihre Aufgaben verwenden wollen oder nicht. Damit werden die gesammelten Geheim-
Metadaten/Kopzeile:
13168 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 175. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. November 1985
Ströbeledienste zur informationellen Supermacht in der Bundesrepublik.
Spätestens seit 007 und James Bond weiß jedes Kind,
daß nicht entscheidend ist, wer zu welchem Dienst gehört, sondern wo das Superhirn sitzt.
Das Superhirn in der Bundesrepublik Deutschland
ist der Supergeheimdienst im informationellen Bereich.Die von dem ehemaligen Chef des Bundeskriminalamtes erträumte informationelle Kontrolle der Bevölkerung zur vorbeugenden Verbrechensbekämpfung rückt näher. Eine Gesellschaft, in der gesellschaftliche Konflikte von den Diensten vorbeugend rechtzeitig erkannt und gelöst werden sollen, wird wahrscheinlicher.Nun fragen wir uns: Warum machen Sie das alles? Sind Sie alle Polizeifanatiker? Oder wie kommen Sie darauf? Ihnen sitzt offenbar — genauso wie den Diensten und der Polizei — der millionenfache Protest auf der Straße gegen AKWs, gegen Aufrüstung in der Bundesrepublik und gegen Wohnungsspekulation noch als Horror in den Knochen.
Gegen diesen millionenfachen Protest hatten die Dienste kein Rezept. Dazu fiel ihnen nichts ein als Bespitzelung, Verkabelung, Verkartung mit Merkmalen wie Sexualverhalten, Eß- und Trinkgewohnheiten und ähnliches.
Ihre Polizei, Ihre Dienste und Sie selbst haben Angst, daß solche unkontrollierten Bewegungen jederzeit wieder losbrechen können. Anlässe dafür gibt es genug. Solchem massenhaften demokratischen Protest fühlen Sie sich nicht gewachsen. Den Forderungen nach mehr Demokratie können Sie nichts entgegensetzen als Ihre allwissenden Dienste.Wir Alternativen und GRÜNEN werden uns wehren. Wir wollen wirklich mehr Demokratie auch im Bereich des Datenschutzes,
mehr demokratische Kontrolle, über die heute morgen ja auch diskutiert worden ist. Wir wollen Abrüstung der Polizei. Wir wollen die Aufrechterhaltung der strengen Trennung der Dienste von der Polizei und der Dienste untereinander, wie es vom Grundgesetz vorgesehen ist, und wir wollen letztlich die Abschaffung dieser Dienste.
Jeder neue Skandal beweist uns, wie richtig diese unsere Forderung ist.
Danke sehr.
Herr Kollege Ströbele, man kann über dieses Thema außerordentlich unterschiedlicher Meinung sein und hier voll und offen darüber diskutieren, wie wir es getan haben. Der Vergleich mit der Gestapo ist aber in jeder Hinsicht unangemessen.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Hirsch.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das war eine sehr ärgerliche Rede. Ich glaube, Sie haben zu viele Kriminalromane gelesen, Herr Kollege Ströbele.
Sie sprechen nicht von irgendeinem totalitären Staat, Sie sprechen auch nicht von Deutschland , sondern von der Bundesrepublik Deutschland.
Sie sprechen von einem Verfassungsstaat, wie er noch nie in dieser Form auf deutschem Boden bestanden hat.
— Und so soll er bleiben. Wir werden dafür sorgen, daß er so bleibt. Darauf können Sie sich verlassen.
Lieber Herr Schäfer, in welcher Gesellschaft befinden Sie sich?
Es tut mir etwas leid. Ich muß ein paar Ihrer Fragen einfach auf das normale Maß zurückführen, auch ein paar der Bemerkungen, die Sie gemacht haben. Es ist in der Tat leichter, Fragen zu stellen, als sie zu beantworten. Ich stimme Ihnen zu, es wäre uns allen recht, wenn wir auch in der Gesetzgebung in diesem schwierigen Gebiet etwas weiter wären. Aber wenn Sie sagen „schrecklicher Umgang mit Daten" und als Beleg die Bundeswehrdatei „Zersetzung", meinetwegen, wie ich hinzufügen könnte, auch die Datei „P 2", anführen, muß ich darauf hinweisen: Diese Dateien, auch die Bundes-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 175. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. November 1985 13169
Dr. Hirschwehrdatei „Zersetzung", sind ja nicht in dieser Legislaturperiode entstanden.
— Nein, nur Sie haben es nicht gesagt. — Sie ist sehr viel älter.
— Nein, das war nicht Innenminister Baum, sondern das waren die Verteidigungsminister, die zu einem großen Teil, wenn ich das richtig im Kopf habe, der Sozialdemokratischen Partei angehörten.
Sie wissen, verehrter Herr Kollege, daß die Bundeswehrdatei „Zersetzung" gelöscht ist. Das ist eben eine der Konsequenzen der Kontrolle, die wir in diesem Bereich ausüben. Das wollen wir auch so fortsetzen.
— Eine Sekunde.Sie beklagen sich, es würden Geheimverhandlungen geführt. Dies ist doch nicht die erste Koalition, die es im Deutschen Bundestag gibt. Ich erinnere mich an eine ganze Reihe von Gesetzen, die ganz vernünftig waren, die wir ausgehandelt haben. Das haben wir auch nicht auf dem offenen Markt getan,
sondern wir haben, um die Einigungsmöglichkeiten zu vergrößern, sie zunächst einmal unter uns ausgehandelt, bevor wir sie der Öffentlichkeit vorgestellt haben. Wenn Herr Ströbele das als Mauscheln bezeichnet,
dann zeigt er mir, daß er von der Demokratie und von den Regeln der Demokratie überhaupt keine Ahnung hat oder sie verachtet;
denn Demokratie lebt davon, daß nicht einer alleine entscheiden kann, wie er es denn gerne hätte, sondern daß man sich zusammenfindet, um gemeinsam eine vernünftige, vertretbare und rationale Politik zu machen.
Und das ist nicht Mauscheln, das ist die Praxis der Demokratie. Und wenn Sie sie verhöhnen, frage ich mich, was Sie in diesem Raum suchen.
Herr Abgeordneter Hirsch, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Schäfer?
Aber ja, natürlich. Vizepräsident Stücklen: Bitte sehr.
— Ich habe dem Herrn Abgeordneten Schäfer das Wort zu einer Zwischenfrage erteilt, und ich bitte Sie, nicht permanent dazwischenzurufen. Es gibt die Möglichkeit zu Zwischenfragen. Allerdings sind einzelne Zwischenrufe selbstverständlich in Ordnung.
Bitte sehr.
Herr Kollege Hirsch, Sie haben zu Recht darauf hingewiesen, daß ein Teil der Praktiken, die wir, was die Datenspeicherung angeht, bei Sicherheitsorganen und -behörden des Bundes kritisieren, in die Zeit der sozialliberalen Koalition zurückreichen.
Ja, natürlich.
Würden Sie zustimmen, daß, bislang jedenfalls, SPD und FDP im zuständigen Innenausschuß ohne Rücksicht auf die jeweilige Regierung penibel, sorgsam danach getrachtet, darauf hingearbeitet haben, daß die Mißstände abgestellt werden und daß der qualitative Unterschied im Gegensatz zur früheren Regierung bei diesem Minister darin liegt, daß die geltenden zu beanstandenden Praktiken nunmehr legalisiert werden sollen?
Nein, das ist überhaupt nicht der Fall. Wir beraten nach wie vor im Innenausschuß. Dort haben wir gemeinsam den sechsten und siebenten Tätigkeitsbericht vorliegen, und wir gehen das akribisch durch
— wir gemeinsam im Innnenausschuß, die Berichterstatter —, wie wir das auch in der Vergangenheit getan haben. Sie wissen, daß diese beiden hochinteressanten Datenschutzberichte ebenso wie übrigens die meisten Datenschutzberichte der Länder nicht etwa zeigten, daß von der Verwaltung mit großer Bösartigkeit — man hat ja, wenn man Herrn Ströbele hört, den Eindruck, das seien alles lauter geheimnisvolle Orwells, die herumrennen und nichts anderes im Sinn haben würden, als Leute zu beschnüffeln, neurotisch, diese Vorstellung — vorgegangen würde, sondern es ist so, daß es in der Tat auch im Bereich der Datenverarbeitung Dinge gibt, die uns gemeinsam nicht gefallen, wo wir sagen: Das muß geändert werden, das muß in Ordnung gebracht werden. — Und das geschieht auch. Aber Sie wissen auch, daß in keinem dieser Berichte etwa gesagt worden wäre: Hier wird bewußt und vorsätzlich in bösartiger Weise gegen die Grundregeln des Datenschutzes oder der Verfassung verfahren. Vielmehr ist Datenschutz ein Prozeß. Seitdem wir in diesem Hause über Datenschutz sprechen — das ist seit 1972/73 —, haben sich Verhaltensweisen, auch Einstellungen, auch Bewertungen, nicht nur in der Öffentlichkeit, sondern auch in der Verwaltung, allmählich verändert. Als wir angefangen haben, über Datenschutz zu reden, haben die Leute gesagt: Das sind alles nervenschwache Men-
Metadaten/Kopzeile:
13170 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 175. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. November 1985
Dr. Hirschschen. Datum hat irgend etwas mit Kalender zu tun. Irgendwann hat man auch in der Öffentlichkeit begriffen, daß es sich um den Schutz der Privatsphäre handelt. Das ist ein Prozeß, den wir gemeinsam durchmachen, in der Verwaltung ebenso wie in der Öffentlichkeit.Ich muß sagen: Bei allem Ärger, den man bei einzelnen Vorgängen spürt, kann ich nicht sagen, daß im Bund oder in einem Land bewußt mit den Grundregeln Kleinholz gespielt würde. Es ist ein unterschiedlich schneller Vorgang, eingefahrene Regeln so zu verändern, wie die Verfassung es verlangt, um der Privatsphäre auch unter den Methoden der modernen Technik den Rang und den Schutz einzuräumen, den sie braucht.
— Sie wollen eine Frage stellen? — Bitte schön.
Das ist zwar meine Aufgabe, aber bitte schön, das ist der sogenannte kleine Dienstweg.
Herr Kollege Dr. Hirsch, wir haben nicht mehr sehr viel Zeit für eine sachgerechte Beratung.
Finden Sie es von daher nicht das selbstverständliche Recht der Opposition, also unserer Fraktion in diesem Falle, einzufordern, daß diese wichtigen Diskussionen aus der Geheimsphäre notwendiger Koalitionsverhandlungen in die dafür geschaffenen parlamentarischen Gremien wie den Innenausschuß und auch diesen Bundestag mit der ersten Lesung endlich einmal kommen?
Sie sagen: „Wir haben nicht mehr viel Zeit." Ich weiß nicht, wen Sie meinen. Wir rechnen auf etwas längere Zeiträume. Wir wollen noch länger zusammenarbeiten und werden nach meiner Überzeugung auch länger hier im Parlament sein. — Nein, ich will aber nicht polemisch antworten. Wir werden, wie Herr Laufs das angekündigt hat,
in dieser Legislaturperiode die wesentlichen Gesetze in diesem Bereich, die wesentlichen Neuformulierungen vorlegen und, wie ich hoffe, auch verabschieden. Aber ich komme im Laufe dessen, was ich sagen will, noch etwas näher darauf zurück.Herr Schäfer, Sie haben das Wortspiel von dem Schneidern der Hosen aufgegriffen.
Es ging darum, daß wir zum Polizeirecht der Länder gesagt haben, diese Hosen werden so weit geschnitten, daß sie auch in zehn Jahren noch nicht kneifen. Herr Stümper hat gesagt, sie dürfen nicht so eng sein, daß sie beim zweiten Schritt reißen. Meine Antwort ist: Wir dürfen nicht allein die Hosen vermessen, wir müssen auch den Hintern vermessen, der drinsteckt. Das heißt, wir müssen in der Tat, wie das Volkszählungsurteil es verlangt, nicht den gegebenen Zustand legitimieren, sondern wir müssen in der Tat fragen: Können wir denn die bisherige Praxis einfach schlicht übernehmen, ihr eine Rechtsgrundlage unterziehen?
— Nein, das tun wir eben nicht. Das haben Sie leider noch nicht verstanden, Herr Ströbele. Sie kommen noch dahinter.
Wir müssen sehen: Was ist wirklich notwendig, und was entspricht den Grundsätzen unserer Verfassung? Das, in der Tat, müssen wir formulieren.Ich habe hier schon mehrfach von dieser Stelle aus gesagt: Das Volkszählungsurteil, das manche für ärgerlich halten,
ist ein wesentlicher Schritt der deutschen Rechtsentwicklung.
Das informationelle Selbstbestimmungsrecht ist notwendig. Es ist auch für unsere Begriffe eine Eintrittskarte für den notwendigen Gebrauch moderner Technik. Denn man kann moderne Technik nur dann akzeptieren — sie wird nur dann akzeptiert —, wenn der Bürger nicht das Gefühl bekommt, er wird zum Objekt der Verwaltung, er wird gläsern, er sieht sich einem allmächtigen Apparat gegenüber.
Die moderne Technik wird nur dann akzeptiert, wenn sie menschlich bleibt.
Es ist gegenüber den klassischen Habeas-corpusRechten der Freiheit, der Unverletzlichkeit der Wohnung usw. das Entscheidende an dieser Technologie, daß die unmerkliche Verletzung der Privatsphäre in einer Weise ermöglicht wie nie vorher.
Und daß in der Tat der Staat die Möglichkeit hat, weit mehr Informationen über den einzelnen zu sammeln, zusammenzuführen, aufzubewahren, verfügbar zu haben als in irgendeiner vorherigen Zeit.Deswegen ist dieses informationelle Selbstbestimmungsrecht nicht irgendeine theoretische und an sich merkwürdige Erfindung. Das Wort ist nicht sehr glücklich gewählt. Die Sache ist notwendig.Das Verfassungsgericht sagt nun aber — und das muß man dann auch sagen —: Es ist nicht ein absolutes Recht etwa in dem Sinn, daß alle anderen Wertvorstellungen der Verfassung bedingungslos diesem informationellen Selbstbestimmungsrecht unterzuordnen seien. Es sagt: Wir brauchen eine gesetzliche Regelung da, wo dieses Selbstbestimmungsrecht eingeschränkt sein soll; diese gesetzli-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 175. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. November 1985 13171
Dr. Hirschche Regelung muß der Verhältnismäßigkeit der Probleme entsprechen, und sie muß klar und einsichtig sein.Das ist eine ganz schwierige Aufgabe, weil wir zu einem großen Teil gesetzgeberisches Neuland betreten und weil die schlichte Unschuld, in der man mit Amtshilferegelungen umgegangen ist, in dieser Form nicht mehr geht. Da kann man wirklich sagen: Hier steckt nicht der Teufel im Detail, sondern hier steckt eine ganze Hölle im Detail. Es ist eine ganze Fülle von Problemen, die man sehr sorgfältig lösen muß, weil wir nicht wie eine Horde von Robinsonen nebeneinander leben, sondern weil diese Gesellschaft nur funktioniert, wenn wir auch die andere Seite der Medaille sehen, daß nämlich ein Informationsverbund von Wissen über gesellschaftliche Zusammenhänge notwendig ist, wenn dieser Staat funktionieren soll.Das führt mich zu dem Problem der schwierigen Verzahnung der Rechtsverhältnisse des Bundes und der Länder. Das ist gerade im Polizeirecht von ausschlaggebender Bedeutung. Wir haben das bei der Anhörung zum Personalausweis doch in allen Einzelheiten gehört, wie schwierig es etwa ist, polizeirechtliche Überlegungen in das Bundesgesetz über einen Personalausweis hineinzubringen. Da sagten uns die Sachverständigen: Verehrte Abgeordnete, das ist eine Sache der Länder. Dem muß man j a Rechnung tragen.
— Von Geheimverhandlungen, lieber Herr Schäfer, kann doch gar keine Rede sein. Volkszählung und Mikrozensus haben gezeigt, wie schwierig das ist. Das ist erledigt. Das haben wir gemeinsam gemacht. Ich bedanke mich für Ihre Hilfe.Dann haben wir das Personalausweisgesetz und das Paßgesetz eingebracht. Wir haben lange darüber verhandelt, wie das aussehen soll — auch intern, verehrter Herr Ströbele, wenn Sie so wollen; im geheimen. Wir haben das also eingebracht. Dann haben wir das vor der Sommerpause einer Anhörung unterworfen. Jede Fraktion des Deutschen Bundestages konnte auf der Grundlage der Anhörung ihre Vorstellungen hier vortragen und einbringen. Von Ihnen ist j a nichts gekommen. Nun können Sie sagen: Das ist Sache der Regierung. Nein! Wir haben gesagt:
Es ist unsere Sache. Wir haben wochenlang intensiv darüber verhandelt.
Wir werden Ihnen unsere Vorschläge dazu in relativ kurzer Zeit vorlegen. Es wird Ihnen möglicherweise zu schnell gehen. Aber wir werden unsere Vorstellungen vorlegen.Genauso beim Bundesdatenschutzgesetz.
— Lassen Sie doch! — Sie haben einen Gesetzentwurf zum Bundesdatenschutzgesetz eingebracht. Wir haben dazu vor der Sommerpause eine Anhörung gehabt. Die war hochinteressant. Jede Fraktion war frei, auf der Grundlage der Anhörung zu sagen: Das machen wir; das ändern wir. Wir haben uns zusammengesetzt. Wir haben Monate darüber beraten.
— Es ist ausformuliert. Es ist fertig. Wir haben nicht nur Grundsätze; es ist ausformuliert.
— Sie kriegen es. Nur Geduld! Ich sage Ihnen: Es wird Ihnen noch zu schnell gehen. Wir werden Ihnen das vorlegen. Es kann keine Rede davon sein, daß irgendetwas ausgespart bleibt. Natürlich wird die Zweckbestimmung beachtet. Natürlich werden sich aus dem Bundesdatenschutzgesetz Folgerungen für den Sicherheitsbereich ergeben: Regelungen über On-line-Anschlüsse, über Datenstatute, über das Erfordernis der Zustimmung des parlamentarisch Verantwortlichen für bestimmte Datenverbünde, Auskunftsrechte, Verbesserung der Kontrollrechte. All das werden wir einbringen. Ich bin eigentlich sehr neugierig darauf, wie Sie und die Öffentlichkeit sich dann zu dem stellen, was wir Ihnen vorlegen werden.Herr Laufs hat versucht, ein paar Grundsätze seiner Fraktion darzustellen.
Ich habe mir, während Sie sprachen, überlegt: Was bewegt uns dabei? Es ist ganz sicherlich richtig, daß nicht nur die Verwaltung, sondern auch der Sicherheitsbereich — Polizei, Verfassungsschutz — ohne moderne Technik, ohne moderne Datenverarbeitung nicht auskommt. Wer das abschaffen wollte, würde ein Chaos anrichten und weite Teile auch der schlichten, normalen Kriminalitätsbekämpfung lahmlegen; daran kann gar kein Zweifel sein.
Also, wenn wir über Datenschutz reden, ist das Ziel nicht etwa, den Staat lahmzulegen oder, wie Herr Ströbele es am liebsten möchte, den ganzen Verfassungsschutz abzuschaffen; das wollen wir nicht. Da wir — im Gegensatz zu Ihnen, Herr Ströbele — sicher sind, daß ein schwacher Staat den starken Mann nicht nur provoziert, sondern den starken Mann auch produziert — das ist das Problem —,
halten wir es für notwendig, darauf zu achten, daß wir die Grenzen staatlichen Handelns in ruhigen Zeiten exakt ziehen — kaltblütig
— ja, ganz ruhig, abgewogen und überlegt — und wissen, daß diese Regeln auch dann gelten müssen, wenn es ernst wird. Ich möchte nicht wieder in eine
Metadaten/Kopzeile:
13172 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 175. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. November 1985
Dr. HirschLage kommen, in der sich eine Verwaltung in den Notstand gedrängt fühlt
oder in der irgendwelche Politiker die Contenance verlieren und sagen: Dieses ganze Regelwerk an juristischen Dingen muß weg, jetzt muß gehandelt werden. Dieses ganze Regelwerk an juristischen Dingen ist der Rechtsstaat, und den wollen wir wahren. Wir müssen dafür sorgen, daß der Staat in den Regeln des Rechts — nicht unter Berufung auf den Notstand — das Recht bewahrt. Das ist der Sinn von Datenschutz.
Der Staat muß handeln, und zwar unlösbar von den Regeln des Rechts, und zu diesen Regeln des Rechts gehört auch das informationelle Selbstbestimmungsrecht. Wir wollen die Datenverarbeitung mit einem Maximum an Transparenz versehen, soweit das irgend möglich ist, ohne staatliche Aufgaben zu gefährden. Wir wollen — mehr als bisher — die notwendige Kontrolle sicherstellen. Auch der Bürger muß wissen, daß die Transparenz und die notwendige Kontrolle gesichert sind. Sonst würde er sich als Objekt und nicht als Subjekt des Staates fühlen. Wir wollen in der Tat, daß der Staat nicht göttlich, daß er nicht allwissend und der Bürger ihm gegenüber nicht gläsern wird.Ich denke, das werden wir erreichen. Wir werden die Gesetze — ich denke, in aller Kürze — der Öffentlichkeit vorstellen und einbringen.
Ich wäre dankbar, wenn auch die Länder in diesem Bereich dann tun, was notwendig ist. Ich bin besorgt darüber, daß das Polizeirecht der Länder — —
— Bitte, Sie wollen eine Frage stellen.
Ich mache nur darauf aufmerksam, daß ich die Zeit für Zwischenfragen auf Ihre Redezeit nicht angerechnet habe, Sie aber jetzt dennoch am Ende Ihrer Redezeit sind. — Bitte sehr.
Herr Kollege Hirsch, eine ganz konkrete Frage zu dem, was ich auch vorhin angesprochen habe: Ist es so, daß Sie in Zukunft einführen wollen, daß die Polizei die Daten, die sie bei den verschiedensten Gelegenheiten sammelt, alle den Geheimdiensten zur Verfügung stellt und diese dann entscheiden, welche sie davon für ihre Aufgabenerfüllung brauchen oder nicht, ist das so oder nicht?
Jetzt leuchtet das gelbe Licht auf, aber ich würde es Ihnen trotzdem gern noch im
Detail beantworten. Ehe Sie darüber eine Wertung abgeben, würde ich Ihnen empfehlen,
sich die geltenden gesetzlichen Regelungen über den Verfassungsschutz anzusehen. Sie können sich darauf verlassen, daß wir auch über die Frage des Umfangs des Wissensverbundes zwischen Polizei, Verfassungsschutz und anderen Behörden hier in epischer Breite reden werden.
Ich möchte noch eine Bemerkung an die Länder richten. Ich sehe mit großer Sorge, daß das Polizeirecht der Länder auseinanderzudriften beginnt. Das wäre für die Zusammenarbeit der Polizeien verheerend, das wäre ein großer, ein schwerer Nachteil. Ebenso wie wir uns hier in diesem Hause bemühen, das nach dem Urteil der verschiedenen Fraktionen Notwendige und Wünschenswerte miteinander zu verbinden, so sollten auch die Länder nach unserer Überzeugung das Äußerste tun — niemand sollte unbelehrbar auf seinem Standpunkt verharren — urn im Interesse unseres Staates die größtmögliche Einheitlichkeit des Polizeirechts zu bewahren.
Vielen Dank.
Ich erteile das Wort dem Herrn Bundesminister des Innern.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zu der Großen Anfrage der SPD über die Datenverarbeitung im Sicherheitsbereich hat die Bundesregierung in ihrer Antwort vom März dieses Jahres ausführlich Stellung genommen. Sie hat dabei die Lösungskonzepte aufgezeigt, die notwendig sind, um die im Volkszählungsurteil des Bundesverfassungsgerichtes aufgestellten Anforderungen an den Schutz des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung bei der Datenverarbeitung durch die Sicherheitsbehörden zu erfüllen. Daß die Antwort auf die umfangreiche und sehr detaillierte Fragestellung zu bekanntermaßen — —
— Sie können sich ruhig wieder hinsetzen!
Sie wünschen also, keine Zwischenfragen zuzulassen?
So ist es, Herr Präsident.
— — schwierigen Problempunkten in diesem Bereich verhältnismäßig rasch erteilt werden konnte,unterstreicht die Entschlußkraft und Handlungsfä-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 175. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. November 1985 13173
Bundesminister Dr. Zimmermannhigkeit der Regierung. — Wenn jemand schon fragen will, bevor der Redner überhaupt den ersten Satz ausgesprochen hat,
kann man sich vorstellen, was da an Frage zu erwarten ist: nichts als Polemik. Deswegen Nein. So ist es.
Die mit Nachdruck, zum Teil auch unter Beteiligung der Länder betriebenen Arbeiten an den aus dem Volkszählungsurteil zu ziehenden gesetzgeberischen Konsequenzen sind weit fortgeschritten.Die Bundesregierung beabsichtigt, ebenso wie die Koalitionsfraktionen, im Zusammenhang mit der Verabschiedung der Gesetze über den neuen, fälschungssicheren Personalausweis und einen ebenso neuen Paß eine Reihe von Gesetzentwürfen vorzulegen, die von der Koalition unter Mitarbeit von Experten des Innen- und Justizministeriums beraten und formuliert worden sind. Dabei wird angestrebt, das Personalausweisgesetz und das Paßgesetz noch in diesem Jahr und die übrigen Vorhaben bis zur Sommerpause nächsten Jahres zu verabschieden.
Ziel dieser Arbeiten ist es, insbesondere für die informationelle Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden, die bislang ohne bereichsspezifische Regelung im Wege des allgemeinen Amtshilferechts erfolgt, eingehende gesetzliche Bestimmungen zu schaffen, um den Anforderungen an den Schutz des Persönlichkeitsrechts bei der Informationsgewinnung und -verarbeitung durch staatliche Stellen gerecht zu werden. Den Sicherheitsbehörden sollen für den Umgang mit personenbezogenen Daten sichere gesetzliche Grundlagen gegeben, und dabei sollen die Sicherheitsinteressen der Allgemeinheit und des Persönlichkeitsschutzes des einzelnen zu einem vernünftigen Ausgleich gebracht werden.Im einzelnen wurde Einvernehmen erzielt über eine umfassende Novellierung des Bundesdatenschutzgesetzes, welche den Anforderungen aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts Rechnung trägt, eine Änderung des dem Bundestag vorliegenden Entwurfs eines Gesetzes über den neuen Personalausweis sowie eine Novelle des Paßgesetzes in einigen wenigen Punkten und eine gesetzliche Regelung der Nutzung der Datenbestände des Kraftfahrtbundesamtes.Außerdem werden noch beraten eine Novelle zum Verfassungsschutzgesetz, welche insbesondere die Informationsbeziehungen zwischen Bundesamt, Landesämtern und der übrigen öffentlichen Verwaltung regelt,
ein eigenständiges Gesetz über den MAD, das in Anlehnung an das Bundesverfassungsschutzgesetz die Aufgaben des Militärischen Abschirmdienstes beschreibt und seine Befugnisse sowie die informationelle Zusammenarbeit mit anderen Behörden regelt, und drittens ein Gesetz, mit dem erstmals die Informationszusammenarbeit von Bund und Ländern -- und dort insbesondere der Nachrichtendienste mit der Polizei und den Staatsanwaltschaften in Angelegenheiten des Staats- und Verfassungsschutzes —, geregelt wird.
In dieses Gesetz sollen auch besondere Regelungen über die Amtshilfe der Grenzpolizeibehörden für die Nachrichtendienste aufgenommen werden.
Der Vorteil vor allem dieses Gesetzgebungsvorhabens liegt darin, daß die Voraussetzungen und Modalitäten des Informationsaustausches der Sicherheits- und Strafverfolgungsbehörden auf dem Gebiet des Staats- und Verfassungsschutzes in einem Gesetz zusammenfassend geregelt werden.Die Novelle des Bundesverfassungsschutzgesetzes, des Entwurfs eines MAD-Gesetzes sowie eines Zusammenarbeitsgesetzes befinden sich in einem weit fortgeschrittenen Beratungsstadium.
Ich bin zuversichtlich, daß die noch diskutierten Fragen in dem von der Koalition festgelegten Zeitplan abschließend geklärt werden
und damit die notwendigen gesetzgeberischen Folgerungen aus dem Volkszählungsurteil in wichtigen Bereichen der inneren Sicherheit vom Parlament diskutiert und verabschiedet werden können.Was den Zeitplan der Koalition anbetrifft, so müssen Sie sich nicht an die Regierung, sondern an die Koalition wenden, die für die Beantwortung dieser Frage zuständig ist. Vielleicht wird der Herr Kollege Fellner nachher noch etwas dazu sagen.
In der Antwort der Bundesregierung ist außerdem dargelegt, daß auch für die Gesetzgebung im Polizeibereich Konsequenzen aus dem Volkszählungsurteil zu ziehen sind. Für den Bund geht es um die Normierung spezieller Regelungen im BKA- Gesetz und im BGS-Gesetz in bezug auf die polizeiliche Informationsverarbeitung. Ebenso muß für den Strafverfolgungsbereich die Strafprozeßordnung ergänzt werden.
Neben den zahlreichen anderen Vorhaben auf dem Gebiet der Innen- und Rechtspolitik, über die die Koalition jetzt Konsens erzielt hat, können beim besten Willen die soeben genannten Vorhaben nicht mehr in dieser Legislaturperiode verabschiedet werden. An ihnen wird jedoch weiter gearbeitet. Dabei ist zu berücksichtigen, daß mannigfacher Abstimmungsbedarf besteht, nämlich insbesondere zu
Metadaten/Kopzeile:
13174 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 175. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. November 1985
Bundesminister Dr. Zimmermanndem Musterentwurf eines einheitlichen Polizeigesetzes,
der nach dem Innenministerkonferenz-Beschluß vom 17. Oktober 1985 im Hinblick auf zwischenzeitliche Stellungnahmen noch einmal überprüft werden soll, und zur Strafprozeßordnung. Hierzu liegt bisher ein Problempapier des Justizministers mit einzelnen Formulierungsvorschlägen vor:Die Harmonisierungsphase zwischen der Ergänzung des Musterentwurfs eines einheitlichen Polizeigesetzes und den StPO-Regelungen steht noch am Anfang. Der Bund hat der Bitte der Innenministerkonferenz Rechnung getragen, die Novellierung der vorgenannten bereichsspezifischen Vorhaben einzuleiten. Entsprechende Entwürfe werden im Zuge der fortgeschrittenen Abstimmung der oben genannten Vorhaben vorgelegt.Insgesamt läßt sich zu den Gesetzesinitiativen der Koalition folgendes feststellen. Die Entwürfe werden wirksamen Datenschutz bei Wahrung der inneren Sicherheit gewährleisten. Sie werden dem einzelnen Bürger den größtmöglichen Schutz seiner persönlichen Daten garantieren, andererseits aber sicherstellen, daß die mit dem Schutz unserer Rechtsordnung betrauten Behörden den technischen Fortschritt auf dem Gebiet der Daten- und Informationstechnik nutzen können. Die Sicherheitsbehörden werden diejenigen Informationen erhalten, die notwendig sind, um die ihnen gesetzlich übertragenen Aufgaben zu erfüllen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Tietjen.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Abgeordnete Ströbele ist nicht im Saal. Aber vielleicht können Sie ihm eine persönliche Botschaft von mir übermitteln: Es war eine unverschämte Frechheit —
ich empfinde es als persönliche Beleidigung, weil ich selber Polizist bin —, die Kolleginnen und Kollegen der Polizei der Länder und des Bundes mit der Gestapo zu vergleichen. Das ist eine ungeheure Beleidigung.
— Es ist in dieser Woche das zweite Mal gewesen, daß ich das hören mußte. Ich habe diese Worte im Ausschuß ertragen müssen und hier noch einmal heute morgen. Es ist das zweite Mal in dieser Woche. Wenn ich zu einem Staatsorgan, wie es die Polizei ist, eine solche Einstellung hätte, wollte ich nicht im Deutschen Bundestag sitzen.
Anlaß für die Große Anfrage der SPD-Fraktion, die wir am 5. Dezember 1984 in den Deutschen Bundestag eingebracht haben, war das Urteil — das ist schon gesagt worden — des Bundesverfassungsgerichtes vom 15. Dezember 1983. Ich sage Ihnen gleich zu Anfang ganz deutlich, meine Damen und Herren der Rechtskoalition — im Gegensatz zu Herrn Laufs bin ich der Auffassung, daß es eine Rechtskoalition ist —,
daß die Antwort der Bundesregierung auf der Drucksache 10/3035 vom 14. März 1985 in gar keiner Weise — in gar keiner Weise! — unseren Erwartungen gerecht wird. Ich werde darauf im einzelnen noch eingehen.
Vorweg lassen Sie mich aber feststellen, daß auch in diesem Falle der Herr Ankündigungsminister Dr. Zimmermann wieder einmal seinen eigenen Ankündigungserklärungen nicht gerecht geworden ist.
Deshalb lassen Sie mich feststellen: Außer Reden auch in diesem Fall, Herr Minister Zimmermann, nichts gewesen.Das von mir schon genannte Urteil zum Volkszählungsgesetz verlangt vom Gesetzgeber die Schaffung präziser bereichsspezifischer Rechtsgrundlagen für die Datenerhebung und Datenverarbeitung. Dabei ist das vom Bundesverfassungsgericht festgestellte Recht auf informationelle Selbstbestimmung in den Polizeigesetzen zu verankern.Ich will vorweg für die SPD-Fraktion ganz deutlich sagen, daß sich unserer Auffassung nach polizeiliche Tätigkeit und Datenschutz gegenseitig überhaupt nicht beißen oder behindern.
Polizeiliche Arbeit und Schutz von Daten unserer Bürgerinnen und Bürger sind durchaus miteinander zu vereinbaren. Deshalb trifft der aus dem rechtskonservativen Lager dieses Hauses vielfach kommende Vorwurf, wir Sozialdemokraten wollten durch einen übertriebenen Schutz von Daten unserer Bürgerinnen und Bürger der Polizei Handschellen anlegen, überhaupt nicht.Im Gegenteil, meine sehr verehrten Damen und Herren: Innere Sicherheit und Datenschutz sind gleichermaßen wichtig. Wir lassen uns in dieser Frage von Ihnen oder sonst jemandem überhaupt nicht auseinanderdividieren.Der Einsatz der elektronischen Datenverarbeitung für die effektive Tätigkeit der Polizei des Bundes und der Länder ist unverzichtbar und dient der Wahrung unserer inneren Sicherheit.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 175. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. November 1985 13175
TietjenBei der Schaffung präziser gesetzlicher Regelungen kann es jedoch nicht darum gehen, die derzeitige Praxis durch eine Ausweitung der Datenverarbeitung festzuschreiben. Sie muß vielmehr im Sinne des Urteils des Bundesverfassungsgerichts überprüft werden. Der Umfang der zulässigen Informationsverarbeitung muß durch spezielle Befugnisnormen konkret bestimmt und begrenzt werden.Ich stelle für die sozialdemokratische Bundestagsfraktion fest, daß diese Bundesregierung bisher für den Militärischen Abschirmdienst, für den Bundesnachrichtendienst und die Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden dem Parlament keine geeigneten Gesetzentwürfe vorgelegt hat. Die Bundesregierung hat es bisher versäumt, die notwendigen gesetzgeberischen Konsequenzen aus dem Volkszählungsurteil des Bundesverfassungsgerichts zu ziehen.Dadurch wird, wie ich sagen muß, die Arbeit der Länder bei der Anpassung ihrer Verfassungsschutzgesetze erschwert. Ich fordere deshalb die Bundesregierung förmlich auf, gemeinsam mit den Ländern die Polizeigesetze des Bundes und der Länder, die Strafprozeßordnung sowie die Verfassungsschutzgesetze des Bundes und der Länder umgehend den Grundsätzen des Volkszählungsurteils anzupassen.
— Sie werden es irgendwann tun und es dann ebenso wie das Demonstrationsrecht durchpeitschen.
Wegen der engen Beziehung zwischen polizeirechtlicher und strafprozeßrechtlicher Aufgabenerfüllung im täglichen Polizeidienst sind dabei für beide Rechtsgebiete in Regelungsdichte und Regelungstiefe aufeinander abgestimmte Vorschriften für mich und meine Fraktion unverzichtbar. Die Befugnisse der Polizei zur Erhebung, Verarbeitung, Aufbewahrung und Weitergabe persönlicher Daten im Rahmen der Strafverfolgung sind nach Auffassung der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion nun endgültig gesetzlich zu regeln. Dabei kann man nicht allein mit leeren Worthülsen umgehen, Herr Bundesinnenminister.Die Bundesregierung wird also aufgefordert, unverzüglich in enger inhaltlicher Abstimmung mit den Ländern — das ist wichtig — die Novellierung der Strafprozeßordnung, des BKA-Gesetzes, des BGS-Gesetzes und des Verfassungsschutzgesetzes einzuleiten.Lassen Sie mich einige wenige konkrete Auffassungen meiner Fraktion zu den zu erwartenden Gesetzentwürfen der Bundesregierung hier und heute sagen.Ich komme zunächst zum Gesetz für den Militärischen Abschirmdienst. Der Militärische Abschirmdienst darf nach unserer Auffassung nicht zu einer weiteren Verfassungsschutzbehörde des Bundes werden. Der Zuständigkeitsbereich desMilitärischen Abschirmdienstes ist auf den engeren Bereich der Bundeswehr sowie die damit verbundene Sicherheitsüberprüfung zu begrenzen. Es gilt — das sage ich für die Bundestagsfraktion der SPD —, zu verhindern, daß der MAD originäre Aufgaben von Verfassungsschutzbehörden übernimmt und sich künftig in die Dateninformationssysteme der Sicherheitsbehörden des Bundes und der Länder einschaltet.Das zweite ist, daß ein Gesetz über die Zusammenarbeit der Polizei mit den übrigen Sicherheitsbehörden den Grundsätzen des Bundesverfassungsgerichts im schon genannten Volkszählungsurteil gerecht werden muß. Dabei ist zu beachten, daß es wegen der Rückwirkung auf die entsprechenden Landesgesetze insbesondere auch einer eingehenden Prüfung bedarf, inwieweit Daten zwischen den Verfassungsschutzbehörden und den Landespolizeibehörden unter Berücksichtigung des Trennungsgebotes übermittelt werden dürfen.Lassen Sie mich drittens das Bundesverfassungsschutzgesetz nennen. Hier wird die Bundesregierung ebenfalls von der SPD-Bundestagsfraktion aufgefordert, einen neuen Entwurf zum Bundesverfassungsschutzgesetz vorzulegen, der auch den neueren Stand der Diskussion um die Stellungnahme des Bundesdatenschutzbeauftragten berücksichtigt. Dieses ist übrigens von der Bundesregierung selber schon sehr häufig angekündigt worden.Viertens lassen Sie mich sagen, daß der Bund auch für den Bundesnachrichtendienst bis zum heutigen Tage die Konsequenzen aus dem Volkszählungsurteil immer noch nicht gezogen hat. Ohne die erforderliche gesetzliche Grundlage — ich fordere die Bundesregierung zum wiederholten Male auf, diese zu schaffen — ist die Zusammenarbeit der Verfassungsschutzämter und der Bundesländer mit dem Bundesnachrichtendienst wirklich problematisch.Daß fünftens und damit für diesen Teil abschließend nun endlich diese Bundesregierung — hier wiederum der Herr Bundesinnenminister Dr. Zimmermann — eine Novellierung des Bundesdatenschutzgesetzes eben in Sicht auf die von mir vorhin genannten Punkte vorzulegen hat, bedarf keiner weiteren Erörterung; denn bei der Betrachtung der Tätigkeitsberichte des Bundesbeauftragten für den Datenschutz kann diesem jeder entnehmen, welche Neuerungen in der Datenverarbeitung der Sicherheitsbehörden in den nächsten Jahren auf uns zukommen.Die Koalition hat offenbar nicht die Kraft oder nicht den Willen oder sie will uns nicht die Zeit dazu lassen, die Gesetzesnovellierungen ordentlich ins Parlament einzubringen.
Daß nun aber ausgerechnet die nach dem Karlsruher Volkszählungsurteil notwendigen neuen Gesetze für Polizei, Verfassungsschutz und die anderen Bereiche der inneren Sicherheit dem Wähler die Handlungsunfähigkeit der Koalition vorführen, ist ein riskantes Abenteuer dieser Rechtskoalition
Metadaten/Kopzeile:
13176 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 175. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. November 1985
Tietjenund besonders der Führung des Hauses, des Ankündigungsministers Dr. Zimmermann.
Es handelt sich schließlich nicht um eine Lappalie, sondern um eine sehr wichtige Güterabwägung zwischen den notwendigen Interessen der Sicherheitsorgane und den Rechten der Bürgerinnen und Bürger in diesem unserem Lande.Durch diese Problemfelder — das sage ich Ihnen, meine Damen und Herren — kann man nicht ungestraft mit dem parteitaktischen Schnellzug fahren und in kurzer Zeit die wichtigen Gesetzentwürfe von diesem, dem 10. Deutschen Bundestag, soweit er es überhaupt noch machen kann, verabschieden lassen.Finden Sie sich in Ihrer Koalition nun wirklich bald zurecht — ich glaube nicht daran, daß das schon alles gelaufen ist —, und legen Sie endlich Ihre Gesetzentwürfe dem Deutschen Bundestag vor! Dabei ist es ohne Frage unabdingbar, wegen der Rückwirkung der Gesetze auf die Länder eine sorgfältige, rechtzeitige Abstimmung mit den Bundesländern vorzunehmen. Wir unterstützen daher als sozialdemokratische Bundestagsfraktion die SPD-regierten Bundesländer in der von ihnen gegenüber Bundesinnenminister Zimmermann erhobenen Forderung nachhaltig, daß die Bundesregierung die genannten und angekündigten Entwürfe als Regierungsentwürfe in die parlamentarische Beratung einbringt und damit in der sonst üblichen Weise mit den Bundesländern vorabstimmt. Das ist dann ein langer Weg.Wenn die Gesetzentwürfe, wie Teile der Koalition offenbar beabsichtigen, als Fraktionsentwürfe eingebracht werden, ist eine rechtzeitige Beteiligung der Länder im Bundesrat nach unserer Auffassung nicht gewährleistet.Ich danke für die Aufmerksamkeit.
Nach § 30 unserer Geschäftsordnung hat das Wort der Herr Abgeordnete Ströbele.
Hier ist behauptet worden, ich hätte die bundesrepublikanische Polizei von heute mit der Gestapo gleichgesetzt.
Das ist natürlich Quatsch. So einen Quatsch würde ich nie behaupten.
— Ich lese Ihnen den Satz gleich noch einmal vor.
Aber unser — ich betone: unser — aller Vergangenheit im polizeilichen Bereich, unsere deutsche
Vergangenheit, ist nun einmal die Gestapo. Gerade die Gesetze, mit denen wir es hier zu tun haben;
werden aus diesen Erfahrungen heraus geprägt. Wir müssen sie an diesen Erfahrungen messen.
In dem Polizeibrief, den die Allierten 1949 als Grundlage für das Genehmigungsschreiben des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland herausgegeben und an den Parlamentarischen Rat geschickt haben, wird ausdrücklich festgelegt, daß aus den Erfahrungen mit der Gestapo bis 1945 heraus Regelungen getroffen werden. Das sind insbesondere die Regelungen, daß die Polizei keine nachrichtendienstlichen Aufgaben übernehmen darf, keine derartigen Befugnisse haben darf und daß auf der anderen Seite die Geheimdienste keine polizeilichen Befugnisse haben. Diese strikte Trennung ist ausdrücklich aus den Erfahrungen mit der Gestapo begründet worden.
Das können Sie in jedem Grundgesetzkommentar nachlesen.
Der Satz, den ich Ihnen jetzt wiederhole — Sie hätten ihn sonst im Protokoll nachlesen können, aber jetzt hören Sie ihn hier noch einmal —, lautet: „Der Polizei", so habe ich vorhin gesagt, „werden nachrichtendienstliche Mittel zur Verfügung gestellt, die sie seit der Gestapo in Deutschland aus gutem Grunde nicht gehabt hat."
Danke sehr.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Fellner.
Herr Präsident! Herr Kollege Ströbele, Sie haben es ja mit Ihrer weiteren Wortmeldung eben nicht gerade besser gemacht, sondern in einer ganz bösartigen Art und Weise noch einmal das unter das Volk gebracht, was Sie eigentlich sagen wollten.
Die Vergangenheit unserer Polizei ist eben nicht die Gestapo. Unsere Polizei, wie sie jetzt steht und wie wir ihre Arbeit in unseren Gesetzentwürfen weiter gestalten wollen, hat eine Tradition in einem demokratischen Rechtsstaat und ist aufgebaut, unsere Verfassung und unsere Bürger zu schützen. Sie sollten die Grenze, die zu anderen Organisationen zu ziehen ist, hier ziehen und beachten und nicht solche Reden halten.Bei aller Unbedarftheit, die ich Ihnen, Herr Kollege Ströbele, zubillige, finde ich Ihre Anwürfe gegen unseren Staat schon ungeheuerlich. Wie ungerecht diese Vorwürfe sind, müssen Sie allein daran sehen, daß es dieser Staat, den Sie in Form seiner
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 175. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. November 1985 13177
FellnerPolizei verleumden, zuläßt, daß Sie von diesem Pult aus solche Reden halten.
Herr Kollege Tietjen, ich begrüße es, daß Sie sich so darüber entsetzt haben. Aber beherzigen Sie es bitte, wenn sie mit den Herren irgendwo zu turteln anfangen. Da sollten gerade solche Reden Sie auf Dauer davor abschrecken, auch nur irgendwo eine Gemeinsamkeit zu suchen.
Ich will jetzt über die Zeitpläne, wie wir unsere Gesetze fertigmachen und wie wir sie einbringen und beraten, nichts sagen, auch wenn mir der Innenminister das zutraut. Wir müssen jetzt offenbar mit dem Vorwurf leben, daß wir etwas geheimhalten. Dann halten wir gerne auch noch die Zeitpläne geheim. Herr Kollege Schäfer, Sie dürfen sich aber ruhig darauf einrichten, daß Ihnen die Arbeit rechtzeitig auf dem Gabentisch liegen wird.
Ich bin gespannt, ob Sie die Begeisterung, die Sie jetzt zum Ausdruck bringen, auch dann noch aufbringen, wenn Sie die Arbeit, die wir uns über ein oder zwei Jahre gemacht haben — wirklich sorgfältige Arbeit —, nachvollziehen dürfen, um Ihren eigenen hohen Ansprüchen, die Sie gestellt haben, überhaupt gerecht werden zu können.
Es ist ja heute schon betont worden, daß das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes sicherlich beachtliche Aussagen zur Bedeutung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung gemacht hat und eine Bedeutung in allen Bereichen der Verwaltung und insbesondere dort hat, wo zwangsweise Daten erhoben werden. Ich möchte aber darauf hinweisen, daß entgegen einer weitverbreiteten und meines Erachtens völlig überhöhten Interpretation des Urteils diese Aussage des Gerichts eben nicht bedeutet, daß die Verfügungsmöglichkeit über seine personenbezogenen Daten allein dem einzelnen zustünde und daß er allein zu einer Entscheidung darüber befugt wäre.Es ist bei Entscheidungen der Verwaltung — und vorrangig auch des Gesetzgebers — auch das Allgemeininteresse, beispielsweise das Sicherheitsinteresse des Staates als solchen und das Sicherheitsinteresse seiner Bevölkerung, zu berücksichtigen. Die Bundesregierung hat in ihrer Antwort auf Ihre Anfrage — und das sollten Sie dann auch nachlesen — das Urteil in folgender Passage zitiert — ich wiederhole das hier —:Dieses Recht auf „informationelle Selbstbestimmung" ist nicht schrankenlos gewährleistet. Der einzelne hat nicht ein Recht im Sinne einer absoluten, uneinschränkbaren Herrschaft über „seine" Daten;
er ist vielmehr eine sich innerhalb der sozialen Gemeinschaft entfaltende, auf Kommunikation angewiesene Persönlichkeit. Information, auch soweit sie personenbezogen ist, stellt ein Abbild sozialer Realität dar, das nicht ausschließlich dem Betroffenen allein zugeordnet werden kann ... Grundsätzlich muß daher der einzelne Einschränkungen seines Rechts auf informationelle Selbstbestimmung im überwiegenden Allgemeininteresse hinnehmen ...Das heißt natürlich auch, meine Kollegen von den GRÜNEN, daß es eine Polizei und daß es einen Verfassungsschutz und daß es selbstverständlich auch weiterhin einen MAD und einen BND geben darf und muß
und daß dort im Rahmen der Aufgabenerfüllung dieser Behörden und nach möglichst präzisen gesetzlichen Vorgaben personenbezogene Daten erhoben und verarbeitet werden dürfen.
Wir haben uns bemüht und bemühen uns noch, diese gesetzlichen Vorgaben zu formulieren. Die Art, auf die wir in der Koalition unsere Arbeit machen, ist weder Anlaß für Ungeduld, die man aus den Reihen der SPD zu vernehmen meint, noch Anlaß für bösartige Verdächtigungen, die in den letzten Tagen und auch heute hier wieder vorgebracht worden sind. Ich muß sagen, wenn die SPD diese Debatte nicht verlangt hätte — wobei es natürlich ihr Recht ist, sie zu verlangen —, wären wir mit all diesen Gesetzen zu dieser Stunde vielleicht schon zu Ende gekommen. Es ist Ihnen also wieder einmal gelungen, dieses Parlament in einer sorgfältigen Arbeit zu behindern.
Ich denke, daß auch DIE GRÜNEN diese Gesetze noch rechtzeitig offiziell zu Gesicht bekommen werden. Herr Kollege Ströbele, Sie brauchen aus diesem Grunde nicht in Papierkörben zu wühlen. Ich muß Ihnen einmal sagen: Wer von Datenschutz spricht, aber von Indiskretionen lebt, sollte einmal in den Spiegel schauen — nicht in das Pamphlet,
sondern in den Spiegel —, und es würde ihm dabei wahrscheinlich schlecht werden.Herr Kollege Ströbele, wir haben beileibe nicht die Absicht, diese Gesetze ohne das Parlament zu verabschieden; das darf ich Ihnen als Trost fürs Wochenende mitgeben.
Wir wollen allerdings diese Gesetzentwürfe im Interesse einer zügigen Bearbeitung möglichst gut innerhalb der Koalition abstimmen. Dieses Recht werden Sie uns zubilligen. Wenn Sie im Ausschuß
Metadaten/Kopzeile:
13178 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 175. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. November 1985
Fellnermitarbeiten wollen, was leider oftmals sehr zweifelhaft ist,
werden Sie noch reichlich Gelegenheit haben, an der Bearbeitung dieser Gesetze mitzuwirken.Lassen Sie mich zu einem Thema dieser Sicherheitsgesetze etwas sagen. Es wird immer kritisiert, es würden zu weite Ermächtigungen geschaffen. Ich meine, daß man auch im Sicherheitsbereich nicht auf angemessene Generalklauseln verzichten kann. Man kann als Gesetzgeber nicht alle Lebenssachverhalte definieren.
— Herr Kollege Duve, Sie plärren nur herum! Hören Sie doch einmal zu! Wenn Sie von den Dingen schon nichts verstehen, nutzen Sie doch, wenn Sie zufällig hier im Parlament sind, wenigstens die Gelegenheit, einmal zuzuhören.
— Herr Kollege Duve, man kann als Gesetzgeber nicht alle Lebenssachverhalte definieren; man kann nicht jedes Handeln der Verwaltung im einzelnen vorgeben. Deshalb braucht man Generalklauseln. Ich sage aber auch, daß wir bemüht sind, möglichst detaillierte bereichsspezifische gesetzliche Bestimmungen festzuschreiben.
Durch diese Befugnisse sollen die Sicherheitsbehörden ihre im Bürgerinteresse liegenden Aufgaben wirksam erfüllen können.Lassen Sie mich noch ein paar Sätze zu dem Bereich innerhalb der Sicherheitsbehörden sagen, der von vielen leider geringgeschätzt und von anderen aus verständlichen Gründen verachtet wird, nämlich zum Verfassungsschutz. Wohin es führen kann, wenn eine freiheitlich-demokratische Gesellschaft ihren Feinden das Feld überläßt, hat die Weimarer Republik gezeigt. Wir haben aus diesen Fehlern gelernt.
Der Kampf gegen die Verfassungsfeinde und gegen Gewaltanwendung beginnt im Vorfeld der Gefahr und im Vorfeld der Gewaltanwendung. Der Verfassungsschutz muß rechtlich und tatsächlich in die Lage versetzt werden, diese Aufgaben zu erfüllen. Er muß die notwendigen Erkenntnisse gewinnen und vorhandene Informationsquellen nutzen können. Dies setzt die Zusammenarbeit der Verfassungsschutzbehörden von Bund und Ländern, die Zusammenarbeit der Nachrichtendienste untereinander und des Verfassungsschutzes mit der Polizei voraus.Ich sage in diesem Zusammenhang aber auch, daß Datenschutz auch im Bereich der inneren Sicherheit zu gewährleisten ist. Datenschutz ist eine Aufgabe von hoher Bedeutung. Das Bundesverfassungsgericht hat dem Datenschutz ja eindeutig Verfassungsrang zugebilligt. Wenn Sie sich das bayerische Datenschutzgesetz anschauen, das jetzt allerdings schon etwas älter ist, dann können Sie mit Fug und Recht sagen, daß sich gerade die CSU als eine Partei, die für Freiheit und die Rechte der Bürger eintritt,
zum Datenschutz bekennt.
Wogegen wir uns allerdings wehren müssen, ist der Versuch, einen unauflösbaren Gegensatz zwischen Datenschutz und innerer Sicherheit zu konstruieren. Die von den Verfechtern dieser These gezogene Konsequenz, Datenschutz müsse Vorrang vor der inneren Sicherheit haben, ist ohne Zweifel falsch. Was nützt dem Bürger der schönste Datenschutz, wenn er nicht mehr sicher vor den Gegnern unserer Demokratie ist? Ich meine, der Verfassungsschutz braucht das Vertrauen unserer Bürger. Deshalb muß im Bewußtsein der Öffentlichkeit die Notwendigkeit der Institution Verfassungsschutz fest verankert sein.Mit den Gesetzen, die wir Ihnen in kürzester Zeit vorlegen werden, gewährleisten wir einerseits das Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Wir werden andererseits allerdings auch den Anforderungen des Datenschutzes und den Anforderungen der inneren Sicherheit gerecht. Ich bin auf Ihre Reaktion zu den Gesetzentwürfen gespannt, die wir Ihnen vorlegen. Ich möchte Sie nur bitten, daß Sie, um darüber hinaus überhaupt noch etwas fordern zu können, im Rahmen der Beratungen nichts Unsinniges fordern. Ansonsten freue ich mich auf die Beratung dieser Entwürfe im Innenausschuß.Danke schön.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Damit ist die Aussprache abgeschlossen.Ich rufe den Zusatzpunkt 9 der Tagesordnung auf:Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung zu der Unterrichtung durch die BundesregierungVorschlag für eine Entscheidung des Rates über die Errichtung eines gemeinschaftlichen Informationssystems über Unfälle durch Konsumgüter— Drucksache 10/2952 Nr. 21, 10/4261Berichterstatter:Abgeordnete Frau SteinhauerDas Wort dazu wird nicht gewünscht.Wir kommen zur Abstimmung. Wer der Beschlußempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung auf Drucksache 10/4261 zuzustimmen
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 175. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. November 1985 13179
Vizepräsident Stücklenwünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Diese Beschlußempfehlung ist bei einigen Enthaltungen angenommen.Ich rufe nunmehr Punkt 1 der Tagesordnung auf:Fragestunde— Drucksache 10/4197, 10/4222, 10/4224 —Ich rufe zunächst die Dringlichkeitsfrage der Abgeordneten Frau Borgmann auf:Was hat die Bundesregierung auf Grund des Appells des Ratspräsidenten der Evangelischen Kirche in Deutschland unternommen, sich für den von den südafrikanischen Behörden inhaftierten und mittlerweile im Hungerstreik befindlichen Berliner Pastor Gottfried Kraatz einzusetzen und mit welchem Ergebnis?Zur Beantwortung der Frage steht uns Herr Staatsminister Möllemann zur Verfügung. — Bitte sehr.
Frau Kollegin Borgmann, von der Verhaftung von Pastor Kraatz hat die Bundesregierung durch die Berliner Mission erfahren. Gleichzeitig mit dieser Information übermittelte uns die Berliner Mission den Hinweis von Pastor Kraatz, er wünsche keine auf ihn selbst beschränkte Intervention bei den südafrikanischen Stellen. Vielmehr solle die Bundesregierung gleichzeitig die Freilassung aller mit ihm verhafteten Südafrikaner verlangen.
Daraufhin wurde das Generalkonsulat Kapstadt aufgefordert, mit Frau Kraatz Kontakt aufzunehmen und Pastor Kraatz gleichwohl konsularische Betreuung anzubieten. Frau Kraatz bat bei dieser Gelegenheit das Generalkonsulat, es möge zunächst keinen Besuch in der Haftanstalt durchführen, um die eigenen Besuchsmöglichkeiten von Frau Kraatz nicht zu gefährden.
Auf Weisung des Auswärtigen Amts nahm das Generalkonsulat erneut Kontakt mit Frau Kraatz auf, um ihre Bedenken auszuräumen und für die politischen Demarchen und die konsularische Betreuung grünes Licht zu erhalten. Dem hat Frau Kraatz inzwischen zugestimmt.
Botschaft und Generalkonsulat sind daher angewiesen worden, für die Freilassung von Pastor Kraatz und seiner Mithäftlinge zu demarchieren und gleichzeitig die konsularische Betreuung fortzusetzen.
Dieser Ablauf zeigt, daß die Bundesregierung einer besonderen Aufforderung zu politischer oder konsularischer Hilfestellung nicht bedurfte. Sie hatte bereits vor dem Appell des Ratspräsidenten der Evangelischen Kirche in Deutschland die notwendigen Schritte eingeleitet. Es ist für uns eine politische, moralische und rechtliche Selbstverständlichkeit, für in Südafrika und anderswo inhaftierte Deutsche einzutreten. Außerdem hat sich die Bundesregierung wiederholt auf verschiedenen Ebenen bilateral und multilateral bei der südafrikanischen Regierung für die Freilassung aller politischen Gefangenen eingesetzt. Sie wird dies auch in Zukunft tun.
Eine Zusatzfrage, bitte.
Sieht die Bundesregierung durch die willkürliche Verhaftung aller dieser Menschen ihre Ansicht bestätigt, daß die BothaRegierung dabei sei, das Regime in Südafrika zu liberalisieren, oder beweist all dies nicht vielmehr eine Verschärfung im Kurs des Apartheidregimes?
Möllemann, Staatsminister: Die Bundesregierung sieht sich durch Vorgänge wie diese in ihrer Auffassung bekräftigt, daß es in Südafrika dringend der Überwindung der Apartheid bedarf, und ermutigt alle Schritte in dieser Richtung. Wie halten es im übrigen für einen besonders schwerwiegenden Fehler der südafrikanischen Regierung, die Leute, mit denen man den Dialog führen könnte, einzusperren, statt mit ihnen über eine bessere Zukunft dieses Landes zu reden.
Eine weitere Zusatzfrage, bitte.
Ist die Bundesregierung bereit, sich dafür einzusetzen, daß Pastor Kraatz nach seiner Haftentlassung weiter als Gemeindepfarrer in seiner Gemeinde tätig sein kann, also aus Südafrika nicht ausgewiesen wird?
Möllemann, Staatsminister: Wenn dies notwendig sein sollte, wird geprüft, ob das hilfreich ist, sprich: ob es zu dem genannten Zweck beitragen kann. Wir werden uns dann ganz sicher mit dem Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland ins Benehmen setzen, weil dies ja eine Maßnahme ist, die zunächst die Kirche berührt. Wenn uns die Kirche um unsere Unterstützung ersuchen sollte, werden wir sie ganz sicher geben.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Mann.
Herr Kollege Möllemann, kann die Bundesregierung die Meldung der „Frankfurter Rundschau" vom 12. November bestätigen, wonach allein in der Provinz Kapstadt 450 Personen nach Kriegsrecht inhaftiert sind, und ist der Bundesregierung die Zahl aller in Südafrika nach Kriegsrecht Inhaftierten bekannt?
Möllemann, Staatsminister: Nein, die Zahl, die hier angesprochen worden ist, kann die Bundesregierung aus eigener Kenntnis nicht bestätigen. Es gibt auch keine Möglichkeit für uns, die Zahl der in Südafrika Inhaftierten en détail und gar noch nach Regionen und Provinzen zu überprüfen. Es ist nach unserem Kenntnisstand aber unstreitbar, daß es eine relativ große Zahl von Inhaftierten gibt. Ich erwähnte bereits — ich wiederhole es —, daß wir uns für die Freilassung derjenigen einsetzen, die als politische Gefangene inhaftiert sind.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Ströbele.
Herr Staatsminister, hat sich die Bundesregierung bemüht, für den inhaftierten politischen Gefangenen Pastor Kraatz in Südafrika
Metadaten/Kopzeile:
13180 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 175. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. November 1985
Ströbeleanwaltliche Hilfe zu besorgen, und ist sie bereit, eine solche anwaltliche Hilfe auch finanziell zu fördern und zu unterstützen?Möllemann, Staatsminister: Ich sagte bereits, daß sich die Bundesregierung von Anfang an um Pastor Kraatz — wie um jeden anderen im Ausland inhaftierten Deutschen — konsularisch bemüht hat. Ich habe beschrieben, welche Schwierigkeiten auf Grund der persönlichen Bitten dem zunächst entgegengestanden haben. Das, was notwendig ist, geschieht in diesem Zusammenhang, und zwar, wie ich bereits sagte, in Abstimmung mit dem Dienstherrn. Fragen nach Einzelheiten, etwa mit Bezug auf Finanzierungsfragen, kann ich Ihnen hier nicht beantworten.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Duve.
Herr Staatsminister, kann die Bundesregierung Angaben darüber machen, inwieweit eine Zusammenarbeit zwischen den europäischen Botschaften und vielleicht auch der Botschaft Kanadas und der Vereinigten Staaten in Einzelfällen derartiger Verhaftungen von Personen — auch anderer Nationalität —, die wie Pfarrer Kraatz fest im kulturellen Leben Südafrikas verwurzelt sind, stattfindet, wie also der Druck koordiniert verstärkt werden kann?
Möllemann, Staatsminister: Ja, Herr Kollege, das kann man machen, indem man beispielsweise darauf hinweist, daß wir im Rahmen der Gemeinschaft, also im Rahmen der Botschafter der Gemeinschaft, die dort präsent sind, oder ihrer ständigen Vertreter, uns regelmäßig über das Vorgehen abstimmen und daß in besonders herausragenden Fällen — und hier handelt es sich um einen solchen — auch schon mal ein einzelner Botschafter im Auftrag der Gemeinschaft demarchiert, um deutlich zu machen, daß es hier ein über den nationalen Rahmen hinausgehendes Interesse gibt. Das geschieht auch in diesem Fall.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Wir kommen zu weiteren Dringlichen Fragen, und zwar aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr. Zur Beantwortung dieser Dringlichen Fragen steht uns Herr Parlamentarischer Staatssekretär Schulte zur Verfügung.
Ich rufe die Dringliche Frage 1 des Herrn Abgeordneten Schäfer auf:
Ist es richtig, daß die Bundesregierung über ein Tempolimit auf Bundesautobahnen und Außerortsstraßen bereits am 19. oder 21. November 1985, also zu einem Zeitpunkt beschließen will, zu dem sie noch keine Kenntnis über den detaillierten Endbericht zum Großversuch, dessen Vorlage erst zum Jahresende 1985 geplant ist, haben wird?
Bitte sehr.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Schäfer, die Bundesregierung rechnet damit, daß bereits nächste
Woche ausreichende Entscheidungsgrundlagen vorhanden sein werden.
Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, ab welchem Minderungspotential an Stickoxidemissionen bei Pkw würde die Bundesregierung ein Tempolimit von 100 km/h aus umweltpolitischen Gesichtspunkten als geboten ansehen?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Sie wissen, daß eine Entscheidung darüber noch nicht gefallen ist. Sie wird auch in der Fragestunde heute nicht fallen.
Noch eine Zusatzfrage.
Heißt dies, daß sich die Bundesregierung bislang mit dieser Frage noch nicht befaßt hat?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Die Bundesregierung hat wie im übrigen auch die Koalitionsfraktionen mehrfach beraten. Es gab mehrere Sitzungen des Deutschen Bundestages mit diesem Thema. Aber eine Entscheidung ist noch nicht gefallen.
Eine weitere Frage, bitte schön, Herr Abgeordneter Vogel .
Herr Staatssekretär, ist es richtig, daß der TÜV Rheinland zur Zeit in Tag- und Nachtarbeit an der Auswertung des Großversuches Tempolimit sitzt und daß auf Grund des großen Zeitdruckes durch die Bundesregierung mit einem seriösen Ergebnis bis Mitte nächster Woche gar nicht zu rechnen ist?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Ich gehe davon aus, daß das Ergebnis seriös sein wird.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Schulte.
Nachdem sich die Bundesregierung jetzt mit Hilfe dieses Großversuches über ein Jahr lang Zeit gelassen hat: Was ist der eigentliche Grund, diese Entscheidung jetzt in einer so kurzen Zeitspanne nach Abgabe der Ergebnisse zu treffen?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Gehen Sie bitte davon aus, daß die Bundesregierung eine Entscheidung nur treffen wird, wenn die Entscheidungsgrundlagen ausreichend sind und wenn sie genügend Zeit zur Beratung hatte.
Weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Hoffie.
Herr Staatssekretär, ist für die Bundesregierung klar, daß unabhängig vom Ausgang des Großversuchs die Resultate der technischen Möglichkeiten, die z. B. durch Katalysator oder für die Nachrüstung geeignete Aggregate gegeben sind, einer Schadstoffreduzierung auf Grund eines Tempolimits in jedem Fall deutlich überlegen sind?
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 175. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. November 1985 13181
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: So ist es, Herr Kollege.
Meine Damen und Herren, so steht es in der Geschäftsordnung: kurze Fragen, kurze Antworten. Das Präziseste ist, wenn man ja oder nein sagen kann.
Eine weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Kübler.
Herr Staatssekretär, Sie sprachen davon, daß das nächste Woche eine seriöse Entscheidung werden würde: Auf welche seriösen Kriterien werden Sie diese Entscheidung gründen?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Auf eine seriöse Vorlage des TÜV und auf die übrigen Diskussionspunkte, die Ihnen bekannt sind und die im Protokoll des Deutschen Bundestages mehrfach nachgelesen werden können.
Weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Müller .
Ab welcher Schadstoffminderung ist die Bundesregierung für ein Tempolimit?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Das hat ein anderer Kollege vorher schon einmal gefragt.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Senfft.
Herr Staatssekretär, aus welchen Gründen hat die Bundesregierung, wenn sie der Auffassung ist, daß nächste Woche ausreichende Fakten zur Verfügung stehen werden, um eine Entscheidung zu treffen, die Große Anfrage unserer Fraktion vom April dieses Jahres zu dem Themenkomplex Geschwindigkeitsbegrenzungen auf Autobahnen und Landstraßen bis heute noch nicht beantwortet?
Herr Abgeordneter, diese Frage steht nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit der Frage, die der Herr Abgeordnete Schäfer gestellt hat.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Ströbele.
Angesichts des großen Interesses, das die Frage des Tempolimits in der Industrie, aber auch in der Bevölkerung hat: Hält es die Bundesregierung dann nicht für richtig, vor einer Entscheidung das Parlament als das verfassungsgemäß gegebene Organ mit der Diskussion über diese
Frage und mit den Ergebnissen des Versuchs erst noch zu befassen?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, das Parlament kann allemal zu dieser Frage Stellung nehmen. Aber Sie als Jurist wissen, daß es durchaus üblich ist, daß z. B. bei einem Gesetzentwurf erst einmal das Kabinett entscheidet.
Weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Mann.
Herr Kollege Schulte, Herr Staatssekretär Schulte, wie sieht zur Zeit die Abstimmung zwischen der Bundesregierung und der Europäischen Kommission hinsichtlich des Tempolimits aus? Gibt es da konkrete Gespräche?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Es arbeiten alle EG-Staaten an der Vorlage einer Richtlinie, die möglicherweise noch in diesem Jahr endgültig beraten wird.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Ich rufe die Dringliche Frage 2 des Abgeordneten Schäfer auf:
Aus welchem Grund hält es die Bundesregierung für vertretbar, bei ihrer Entscheidungsfindung zum Tempolimit den Endbericht des 14 Mio. DM teuren Großversuchs mit seinen Details, Einzelbewertungen und Einzelergebnissen außer acht zu lassen, obwohl es doch gerade Zweck des Großversuchs war, über die schon 1983 bekannten Berechnungen zur Schadstoffminderung durch Tempolimit hinaus neues und detailliertes Informationsmaterial zu erhalten?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Schäfer, ich kann bei Ihrer zweiten Frage nur auf meine Antwort zu Ihrer ersten Frage verweisen.
Zusatzfrage, bitte.
Da Sie die erste Frage ebensowenig wie die zweite beantwortet haben, frage ich nach, ob es nicht angemessen gewesen wäre, den gesamten Bericht über den Großversuch mit allen Ergebnissen zumindest vorliegen zu haben, bevor die Bundesregierung in der Sache entscheiden will.
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Schäfer, wir erwarten in der nächsten Woche die Vorlage eines Berichts mit den entscheidenen Daten.
Weitere Zusatzfrage, Herr Schäfer.
Würden Sie bitte bestätigen, daß im Auftrag der Bundesregierung an den TÜV Rheinland als Abgabetermin für den Bericht über den Großversuch mit allen notwendigen Details Ende 1985 genannt worden ist?
Metadaten/Kopzeile:
13182 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 175. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. November 1985
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Das gilt für sämtliche Anlagen und Statistiken, Herr Kollege.
Weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Kübler.
Herr Staatssekretär, Ihre Antworten sind sehr, sehr unbefriedigend. Teilen Sie unseren Standpunkt, daß diese Antworten sowohl gegenüber dem Parlament wie auch gegenüber der hier anwesenden Öffentlichkeit einer Desavouierung des Parlaments gleichkommt?
Herr Abgeordneter Kübler, es gibt von der Geschäftsordnung her keine Möglichkeit, die Antworten zu erzwingen, die Sie erwarten. Es muß im Ermessen der Bundesregierung und der Vertreter der Bundesregierung sein.
Ich bitte also, Fragen zu der aufgerufenen Frage zu stellen.
Weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Stahl.
Herr Staatssekretär, wenn nächste Woche dieser Bericht über den Großversuch der Bundesregierung vorliegt, muß doch gefragt werden, warum das Kabinett dann schon in der gleichen Woche einen Beschluß darüber faßt, obwohl die Minister, die Staatssekretäre und die zuständigen Beamten, die derartige Kabinettsbeschlüsse vorbereiten, über den Inhalt des Berichts wahrscheinlich überhaupt noch gar nicht informiert sein können. Finden Sie das richtig?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Ich gehe davon aus, daß seriös beraten werden kann. Die Bundesregierung will allerdings schnell entscheiden, um dem Vorwurf der Opposition zu entgehen, sie tue dies etwa nicht oder sie verzögere unzulässig.
Weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Schulte. — Wir haben eine Fragestunde hier, keine Zwischenrufstunde.
Sie sagten eben, daß die Bundesregierung eine seriöse Entscheidung treffen will, und gaben gleichzeitig von sich, daß erst Ende des Jahres alle Unterlagen vorliegen. Wie paßt das zusammen?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Es geht um zusätzliche Informationen, die bis Ende des Jahres kommen sollen. Die entscheidenden Daten sollen in der nächsten Woche vorliegen.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Duve.
Herr Staatssekretär, die Bundesregierung steht vor einer wichtigen Entscheidung. Es ist meines Wissens das erste Mal, jedenfalls solange ich im Parlament bin, daß sie die Kriterien dieser Entscheidung zu einer geheimen Staatssache erklärt und nicht bereit ist, die Kriterien für die Entscheidungsfindung hier wenigstens andeutungsweise zur Kenntnis zu geben, was das Ausmaß der Stickoxid-Einsparung betrifft, nach denen sie bereit wäre, die Entscheidung so oder so zu treffen.
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Duve, es wird viele Komponenten bei der Vorlage dieses Berichts geben. Sie müssen in der Gesamtheit bewertet werden.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Vogel .
Herr Staatssekretär, treffen Informationen zu, daß Beratungsgrundlage nicht die Ergebnisse bestimmter bayerischer Autobahnen, z. B. der Teststrecke 100 zwischen München und Garmisch, sein werden, und, wenn ja, aus welchen Gründen?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Mir ist das, was Sie gerade sagen, nicht bekannt. Aber ich gehe davon aus, daß die Ergebnisse aller Teststrecken in den Bericht einfließen.
Weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Mann.
Herr Kollege Schulte, stimmen Sie mir darin zu, daß der eigentliche Grund für die Art der Entscheidungsfindung der Bundesregierung darin liegt, daß die deutsche Automobilindustrie an dem Entscheidungsprozeß besser beteiligt wird als der Deutsche Bundestag?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Nein.
— Herr Präsident, ich habe bereits „Nein" gesagt, wie Sie es vorher vorgeschlagen haben.
Das ging so schnell, daß ich es nicht mitgekriegt habe.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Müller .
Herr Staatssekretär, ist es richtig, daß dieser Bericht oder diese Vorlage an die Bundesregierung bestenfalls drei Seiten betragen soll, obwohl doch in der Zwischenzeit schon erhebliche Kritik an der Art der Durchführung des Großversuchs geäußert wurde?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Nein.
Weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Schmidbauer.
Herr Staatssekretär, stimmen Sie mir zu, daß die SPD, die hier heute eine weitere Hektik zeigt, 13 Jahre lang Zeit gehabt
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 175. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. November 1985 13183
Schmidbauerhätte, eine solche Entscheidung äußerst gründlich für uns vorzubereiten?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Ich habe, Herr Kollege Schmidbauer, den Eindruck, daß es der SPD darum geht, kurz vor der Entscheidung noch einmal etwas Wind zu machen.
Weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Antretter.
— Meine Damen und Herren, wir haben doch hier kein Zwischengespräch. Es sind so viele Fragen gestellt worden, die noch behandelt werden sollen. Ich möchte ganz gern, daß die, die am Freitag zu dieser Stunde noch da sind, zu ihren Fragen kommen.
Herr Abgeordneter Antretter, stellen Sie bitte Ihre Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, treffen Informationen zu, der Herr Bundesverkehrsminister habe dem Herrn Bundeskanzler einen Brief geschrieben, in dem er zum Ausdruck bringt, er könne sich für eine Geschwindigkeitsbegrenzung nicht aussprechen, da dies dem Wunsch der deutschen Automobilindustrie widerspräche?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Nein.
Weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Hoffie.
Herr Staatssekretär, kann man davon ausgehen, daß das Ergebnis des Großversuchs weder die Bundesregierung noch die Parteien dieses Hauses, noch die Öffentlichkeit besonders überraschen wird, da zahlreiche vorausgegangene Untersuchungen bereits bewiesen haben, daß eine Schadstoffentlastung durch Tempolimit nur zu ganz wenigen Prozenten möglich sein wird?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Hoffie, wir kennen das Ergebnis des Großversuchs nicht, aber wir haben j a mehrmals die Spanne diskutiert, innerhalb derer sich das Ergebnis bewegen könnte.
Weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Bachmaier.
Herr Staatssekretär, Sie haben vorhin davon gesprochen, daß bei der Prüfung der Frage, ob ein Tempolimit für die Bundesregierung in Frage kommt, eine Vielzahl von Komponenten ausschlaggebend sei. Könnten Sie diese für die Bundesregierung entscheidungserheblichen Komponenten hier bitte nennen?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Es geht z. B. um den Befolgungsgrad, Herr Kollege, um ein wichiges Beispiel zu nennen.
Weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Ströbele.
Herr Staatssekretär, in welcher Weise wird die Bundesregierung bei ihrer Entscheidung über das Tempolimit die Erfahrungen berücksichtigen, die in den Vereinigten Staaten mit einem Tempolimit seit vielen Jahren gemacht worden sind?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Wir werden alle Erfahrungen aus dem Ausland in unsere Beratungen einfließen lassen.
Eine weitere Frage hat der Abgeordnete Tischer.
Herr Staatssekretär, warum hat man ähnliche Untersuchungen zur Geschwindigkeitsbegrenzung, wie sie jetzt auf der Autobahn angestellt worden sind, nicht auch auf der Landstraße durchgeführt?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Dies wäre ein äußerst aufwendiger, ein sehr teurer Versuch geworden. Im übrigen kann man von dem Ergebnis auf den Autobahnen auf das Ergebnis auf den Landstraßen schließen.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Senfft. — Waren Sie nicht schon dran?
— Bitte sehr.
Herr Staatssekretär, wird die Bundesregierung bei der Entscheidung über ein Tempolimit auch die in unserer Großen Anfrage angesprochenen Bereiche Verkehrssicherheit, Lärmminderung, Energieverbrauch usw. berücksichtigen, und, wenn j a, in welcher Weise?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, das Anforderungsprofil ist Ihnen genau bekannt; es wurde Ihnen schriftlich mitgeteilt. Ich verweise auf diese Drucksache des Verkehrsausschusses.
Weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Hauff.
Herr Staatssekretär, wie beurteilt die Bundesregierung eine vorliegende Studie aus den Vereinigten Staaten von Amerika, in der eine zehnjährige Erfahrung mit einem flächendeckenden Tempolimit von ungefähr 90 Stundenkilometern sehr systematisch ausgewertet worden ist?Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich habe vorhin bereits gesagt, daß ich der Entscheidung des Kabinetts in dieser Fragestunde nicht vor-
Metadaten/Kopzeile:
13184 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 175. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. November 1985
Parl. Staatssekretär Dr. Schultegreifen kann, und das, was Sie hier angesprochen haben, ist ein Teil der Beratungen des Kabinetts.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Pfeffermann.
Herr Staatssekretär, standen Ihnen denn bei Amtsantritt sachlich aufbereitete Unterlagen aus der Amtszeit des Verkehrsminister Hauff zur Verfügung, die es Ihnen ermöglicht hätten, auf der Basis vorangegangener zehnjähriger Tätigkeit und der notwendigen Einlassungen und Vorbereitungen des Verkehrsministers Hauff entsprechende Entscheidungen vorzubereiten?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Ich habe da nichts gefunden. Ich habe mich gerade auch bei den Beamten aus dem Verkehrsministerium, die dafür verantwortlich gewesen wären, vergewissert, daß solches nicht vorliegt.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Ich rufe die Dringliche Frage 3 des Herrn Abgeordneten Müller auf:
Wird die Bundesregierung bei ihrer Entscheidungsfindung zum Tempolimit am 19. oder 21. November 1985 wenigstens die unter umweltpolitischen, verkehrssicherheitspolitischen und energiepolitischen Gesichtspunkten positive Bewertung von Tempo 100 km/h auf Bundesautobahnen und 80 km/h auf Landstraßen durch das Arbeitspapier der EG-Kommission vom 15. Oktober 1985 einbeziehen?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich muß jetzt zum Teil wiederholen: Die Bundesregierung wird alle einschlägigen Überlegungen in ihre Beratungen einbeziehen. Hierbei muß aber darauf hingewiesen werden, daß die von Ihnen zitierte Arbeitsunterlage der EG-Kommission nicht zu einer positiven Bewertung kommt, wie Sie es unterstellen. Die Bewertung ist durchaus differenziert und abwägend.
Im übrigen haben die Sachverständigen aller EG- Mitgliedstaaten am 4. November dieses Jahres eine Geschwindigkeitsbegrenzung von 100 Stundenkilometern auf Autobahnen nicht befürwortet.
Zusatzfrage? — Bitte.
Wie bewertet die Bundesregierung die Prognose in diesem Arbeitspapier vom 15. Oktober 1985, daß die Einführung eines Tempolimits 100 120 Menschenleben retten könnte?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich gebe heute keine solchen Bewertungen ab.
Weitere Zusatzfrage, bitte.
Teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß die dort gemachte Rechnung sehr zynisch ist, daß nämlich der Zeitverlust durch ein Tempolimit volkswirtschaftlich sehr viel problematischer zu bewerten sei als der Positivsaldo der Rettung von 120 Menschenleben?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, das ist die Auffassung der EG. Die Bundesregierung wird zu diesen Fragen Stellung nehmen, wenn in der nächsten Woche die Entscheidung fallen kann.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Duve.
Herr Staatssekretär, da hier öfter auf die 70er Jahre abgehoben worden ist: Ist Ihnen bekannt, daß die Einwirkung von Stickoxid auf den Wald und die dadurch verursachten Waldschäden etwa seit dem Jahre 1981/82 und nicht vorher in der Diskussion waren und diese polemischen Zwischenfragen, die hier von CDU-Kollegen gestellt worden sind, insofern ins Leere gehen?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Duve, mir ist bekannt, daß Ende der 70er, Anfang der 80er Jahre zunächst der Begriff des Baumsterbens, dann der Begriff des Waldsterbens kam. Von daher kann man sicherlich nicht alle 13 Jahre zusammenrechnen.
Weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Schäfer.
Herr Staatssekretär, könnten Sie den oder die sachlichen Gründe nennen, die die Bundesregierung dazu führen, nachdem sie fast ein Jahr untätig und entscheidungsunfähig hat verstreichen lassen, jetzt in einer Nacht- und Nebel-Aktion über das Tempolimit zu entscheiden?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, erstens war die Bundesregierung nicht untätig. Aber wenn die Ergebnisse vorliegen, dann will sie zügig entscheiden. Würde die Bundesregierung dies nicht tun, dann würden Sie dies ganz gewiß kritisieren.
Weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Pfeffermann.
Herr Staatssekretär, um auf die beginnenden 80er Jahre Bezug zu nehmen, von denen eben der Kollege Duve sprach: Sind Ihnen Entscheidungshilfen aus der Amtszeit des Verkehrsministers Hauff zugegangen, der in dieser Zeit, den von den Kollegen angesprochenen Jahren 1980, 1981 und 1982, noch Minister war, die bei ihrer anstehenden Entscheidung dienlich sein könnten?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Nein.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 175. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. November 1985 13185
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Stahl.
Herr Staatssekretär, Sie sagten, die Bundesregierung wolle in diesem Fall schnell entscheiden. Aber wenn ich Sie richtig verstanden habe, haben Sie vorhin vor dem Deutschen Bundestag ausgeführt, daß der Bericht über den Großversuch letztendlich noch nicht da ist. Deshalb frage ich Sie: Wie soll denn dieser Entscheidungsprozeß binnen drei, vier Tagen innerhalb der Bundesregierung vonstatten gehen, zumal man weiß, daß es in der Bundesregierung Minister und Staatssekretäre gibt, die zum Thema Tempo 100 durchaus eine positive Einstellung haben, und können Sie vielleicht zusätzlich einige Sätze dazu sagen, warum denn die europäischen Länder ein derartiges Tempo eingeführt haben, was in dem angesprochenen Bericht der EG-Kommission doch wohl ein gewichtiger Punkt ist, der dafür spricht, — —
Herr Abgeordneter Stahl, bitte!
— — Waldschäden zu vermeiden.
Herr Abgeordneter Stahl, Ihre Frage lautet also, die Bundesregierung solle sagen, warum sie am 21. November dieses Jahres entscheiden will.
Das ist die Frage, und darauf werden Zusatzfragen aufgebaut. — Also, bitte schön, Herr Staatssekretär.
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, die Bundesregierung wird nur entscheiden, wenn die Entscheidungsgrundlagen ausreichen. Ich habe das vorhin bereits mehrfach gesagt.
Weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Antretter.
Herr Staatssekretär, Sie haben vorhin bei den nicht allzu vielen inhaltlichen Auskünften, die Sie uns gegeben haben, gesagt, daß bei der Beurteilung die Befolgung eine Rolle spiele. Ich möchte Sie vor dem Hintergrund dieser Antwort fragen, ob die Bundesregierung der Auffassung ist, daß die Übertretung von Gesetzen oder Verordnungen im Straßenverkehr kein Hindernis sein kann, auf der Einhaltung von Rechtsvorschriften im Straßenverkehr zu bestehen.
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, es wird darauf ankommen, wie eine Maßnahme der Bundesregierung auf den Wald wirkt.
Weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Schulte.
Herr Staatssekretär, da Sie eben gesagt haben, man könne von den Ergebnissen, die auf Autobahnen ermittelt werden, auch auf die Landstraßen schließen, frage ich Sie: Wird die Bundesregierung bei ihrer Entscheidung in der nächsten Woche diese Ergebnisse berücksichtigen, wird sie also Tempo 80 und Tempo 100 beurteilen?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Die Bundesregierung wird überlegen, was angemessen ist in bezug auf die Rettung unseres Waldes. Sie wird die Ergebnisse von den Autobahnen ganz gewiß auf die Außerortsstraßen zu übertragen versuchen.
Frau Abgeordnete Hartenstein.
Herr Staatssekretär, in welcher Weise wird die Bundesregierung die Ergebnisse nicht des Großversuchs, sondern längst vorliegender Untersuchungen berücksichtigen, wonach auf den Autobahnen der Bundesrepublik zwar nur 27 % des Verkehrs abgewickelt werden, dort aber 45 % der gesamten Stickoxidemissionen des Kraftfahrzeugverkehrs anfallen, und zwar wegen der höheren Geschwindigkeit, demzufolge gerade auf den Autobahnen eine drastische Beschränkung der Geschwindigkeit nötig wäre, wenn Sie den Wald retten wollen, wie Sie uns dies sagen?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, bei aller Sympathie: Ich kann dem Ergebnis der Beratungen des Kabinetts in dieser heutigen Fragestunde nicht vorgreifen. Danach haben Sie wiederum gefragt, wenn auch in anderer Form.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Hauff.
Herr Staatssekretär Schulte, angesichts Ihrer Aussage, sie hätten hinsichtlich der Zeit, in der ich als Bundesminister tätig war, keinerlei Entscheidungsgrundlagen vorgefunden, möchte ich Sie bitten, im Deutschen Bundestag Auskunft zu geben, ob sich in der Zeit, in der ich der Bundesregierung als Bundesminister angehört habe, das Kabinett mit dieser Frage beschäftigt hat und ob sich in dieser Zeit die Bundesanstalt für das Straßenwesen mit diesem Thema auseinandergesetzt und Entscheidungsgrundlagen erarbeitet hat. Sind Sie, wenn sich dabei herausstellen sollte, daß Sie sich geirrt haben, bereit, die Aussage öffentlich zurückzunehmen?Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Hauff, wir werden das alles prüfen.
— Ich nehme doch an, daß Sie mich etwas gefragt haben. — Wir werden das auf Grund Ihrer neuerlichen Frage alles prüfen. Ich habe aber vorher, in meiner ersten Antwort, ausdrücklich gesagt, daß ich mich bei dem zuständigen Beamten des Verkehrsministeriums vergewissert habe.
Metadaten/Kopzeile:
13186 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 175. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. November 1985
Eine letzte Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Mann.
Herr Kollege Schulte, macht es der Zustand unserer — nicht nur in der Bundesrepublik, sondern in ganz Europa — sterbenden Wälder nicht notwendig, unter Berücksichtigung der Ergebnisse des Großversuches, der in der Fachwelt bekannten Auswirkungen eines Tempolimits gemeinsam mit diesem Parlament auf europäischer Ebene, auf der Umweltministerkonferenz am 26. November 1985 neue Anstrengungen zu unternehmen, um tatsächlich zu einem europaweiten Tempolimit einschließlich des Schlußlichtes Bundesrepublik Deutschland zu kommen?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Wir wollen
schnell entscheiden, damit uns kein Vorwurf gemacht werden kann, wir würden zögerlich oder gar nicht handeln. Im übrigen werden diese Fragen im Gesamtkomplex auf europäischer Ebene noch in diesem Jahr weiter behandelt.
Ich rufe die Dringliche Frage 4 des Herrn Abgeordneten Müller auf:
Wird die Bundesregierung bei ihrer Entscheidungsfindung zum Tempolimit am 19. oder 21. November 1985 auch das Schadstoffminderungspotential einbeziehen, das durch Tempo 80 km/h auf Außerortsstraßen zu erzielen ist und das nach Schätzungen des Umweltbundesamtes oder der Bundesanstalt für Straßenwesen rund 80 000 t jährlich beträgt?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, der Großversuch bezieht sich auf Autobahnen. Voraussichtlich werden Abschätzungen hinsichtlich der anderen Außerortsstraßen möglich sein. Ich habe das vorher auf eine andere Frage bereits gesagt.
Eine Zusatzfrage, bitte.
Wie bewertet denn die Bundesregierung die Tatsache, daß selbst der Verband der Automobilindustrie und der ADAC eine Minimierung der Stickoxidemissionen um mehr als 50 000 t jährlich angeben?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich habe vorher mehrfach gesagt, daß ich heute keine Bewertungen abgeben kann.
Eine weitere Zusatzfrage, bitte.
Die Bundesregierung hat im Zusammenhang mit der TA Luft eine Marge, eine Größenordnung angegeben und das als großen umweltpolitischen Erfolg verkündet. Wird sie eine ähnliche Marge bei einem Tempolimit auf Autobahnen und außerorts zur Grundlage machen?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, die Marge wird sicherlich einen Teil der Entscheidungsgründe darstellen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Boroffka.
Herr Staatssekretär, trifft es zu, daß, wenn man die UBA-Studie aus dem vorigen Jahr zugrunde legt, eine Verminderung der Stickoxidemission von 80 000 t einer Verminderung der Gesamtstickoxidemission der Bundesrepublik Deutschland von weniger als 3% entspricht, wie jeder, der über Prozentrechnungskenntnisse verfügt, selber leicht ausrechnen kann, und würden Sie mir zustimmen,
daß es schon außerordentlich komisch ist, wenn die gleichen, die einmal sagen, weniger als 3% sei unerträglich wenig, nun bezüglich eines anderen Gebietes sagen, weniger als 3% sei entscheidend?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Ich kann Ihre Daten bestätigen. Ich kann aber auch Ihnen gegenüber eine Bewertung nicht abgeben.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Duve.
Herr Staatssekretär, nachdem wir hier nun alle Zeugen der Reduktion Ihrer Eloquenz auf Jasager und Neinsager im Brechtschen Sinne geworden sind, stelle ich nur die Frage: Ist die Frage des deutschen Tempolimits zu dieser Stunde an diesem Freitag noch offen, oder ist sie bereits entschieden?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Die Entscheidung ist noch nicht gefallen.
Weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Antretter.
Herr Staatssekretär, erinnern Sie sich mit mir, daß der Verkehrsausschuß des Deutschen Bundestages bereits in der Zeit, in der Sie der verkehrspolitische Sprecher der Unionsfraktion waren, über eine Initiative des damaligen Verkehrsministers Hauff zur Geschwindigkeitsbegrenzung gesprochen hat, diese aber von den Vertretern der Christlichen Demokraten und auch von Teilen der FDP heftig kritisiert wurde?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Ich meine mich erinnern zu können, daß dies aus anderen Gründen ins Gespräch gekommen ist.
Weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Schäfer.
Herr Staatssekretär, was hält die Bundesregierung von einem gespaltenen Tempolimit, wie es beispielsweise Herr Ministerpräsident Späth aus Baden-Württemberg befürwortet?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Schäfer, Sie bekommen heute keine Antwort darauf. Sie wissen das.
Weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Stahl.
Herr Staatssekretär, nun hat sicherlich jeder Verständnis dafür, daß Sie heute nichts zum Endbericht sagen, wenn dieser noch nicht vorliegt. Es ist aber normalerweise so, daß der Auftragnehmer einer derart großen Studie im zuständigen Ministerium einen Vorbericht abgibt. Können Sie sagen, was im Vorbericht zu dieser Studie zum Punkt Tempobeschränkung, Verringerung von Stickoxiden, um dem Wald zu helfen, steht?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Es gibt bisher keinen Vorbericht.
Weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Hoffie.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen aus der Zeit der Verantwortung des Verkehrsministers Dr. Hauff ein Schriftwechsel von Anfang der 80er Jahre z. B. mit dem BUND bekannt, der ausdrücklich erklärt, warum aus der Sicht der damaligen Bundesregierung ein generelles Tempolimit auf Autobahnen nicht möglich und durchsetzbar sei?
Herr Abgeordneter Duve, so geht es nicht in einer Fragestunde. Es geht auch sonst in Plenarsitzungen nur sehr schwer.
Herr Staatssekretär Dr. Schulte, Sie haben das Wort.
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Hoffie, ich werde dieser Frage nachgehen und die Antwort auch Herrn Hauff übermitteln.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Schulte.
Nachdem sich die Bundesregierung in der Vergangenheit sehr oft dem Vorwurf ausgesetzt sah, sie sitze entscheidende Fragen aus, befürchtet die Bundesregierung in dieser Frage nicht den anderen Vorwurf, daß sie diesmal völlig unbegründet überstürzt handeln wird?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Nein.
Ich muß sehen, wie viele Fragen ich heute überhaupt noch unterbringen kann; denn ein bißchen sollte man schon auf die anderen Kollegen Rücksicht nehmen.
Jetzt hat Herr Hauff eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, bei allem Verständnis für die Offenheit der Entscheidung: Können Sie ausschließen, daß bei dem Modell eines gesplitteten Tempolimits nicht nur die Katalysatorfahrzeuge keinem Tempolimit unterlägen, sondern gleichzeitig auch diejenigen Fahrzeuge, die Sie als schadstoffarm bzw. bedingt schadstoffarm bezeichnen? Ist dieses Modell möglich, oder kann man es heute bereits ausscheiden?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, eine Entscheidung ist noch nicht gefallen, wie ich mehrfach gesagt habe. Sie müssen bitte Verständnis dafür haben, daß ich alles vermeide, was irgendeinen Verdacht nahelegen könnte, in Wirklichkeit habe die Bundesregierung bereits beschlossen.
Wir haben noch zwei Zusatzfragen. Die erste kommt von Herrn Abgeordneten Kübler.
Herr Staatssekretär, Sie hatten auf die Frage des Kollegen Stahl geantwortet, daß es in diesem Fall den Vorbericht nicht gegeben hat. Würden Sie es für normal halten, daß bei einer so großen Studie nicht das übliche Verfahren des Vorberichts und auch der Vorabstimmung zwischen den zuständigen Fachabteilungen gehandhabt wird?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Die Bundesregierung wollte ganz bewußt und gezielt den Verdacht ausschließen, als würde sie möglicherweise diesen Großversuch beeinflussen.
Die letzte Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Senfft.
Herr Staatssekretär, da Sie heute nicht in der Lage waren, auf die Fragen hier konkrete Antworten zu geben, darf ich Sie fragen: Welche Fragen können denn hier von den Parlamentariern gestellt werden, wo Sie in der Lage sind, heute eine Antwort zu geben?
Herr Abgeordneter, das ist keine Zusatzfrage, bezogen auf die Frage.
Metadaten/Kopzeile:
13188 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 175. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. November 1985
Vizepräsident Stücklen-- Herr Abgeordneter Mann, der amtierende Präsident entscheidet, wie lange Zusatzfragen zugelassen werden. Ich habe erklärt, daß ausreichend Möglichkeit bestand, zu diesem Fragenkomplex Zusatzfragen zu stellen, und ich habe diese Zusatzfragen abgeschlossen. Ich bitte Sie sich auch daran zu halten. Das geht doch nicht so.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Auswärtigen auf. Zur Beantwortung steht uns Herr Staatsminister Möllemann zur Verfügung.Die Fragen 25 und 26 des Abgeordneten Kolbow, 27 des Abgeordneten Gansel, 28 und 29 des Abgeordneten Horn, 30 und 31 des Abgeordneten Jungmann, 32 und 33 der Abgeordneten Frau Fuchs , 34 und 35 des Abgeordneten Klose, 36 des Abgeordneten Dr. Müller (Bremen), 37 und 38 des Abgeordneten Heistermann, 39 und 40 des Abgeordneten Leonhart und 41 und 42 des Abgeordneten Klejdzinski sollen auf Wunsch der Fragesteller schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.Ich rufe die Frage 43 des Herrn Abgeordneten Dr. Hupka auf:Kann die Bundesregierung die jüngsten Nachrichten aus Rumänien bestätigen, denen zufolge in den deutschsprachigen Klassenzügen deutsche Lehrkräfte nicht mehr Unterricht erteilen dürfen?
Herr Dr. Hupka, Meldungen, denen zufolge in den deutschsprachigen Klassenzügen in Rumänien deutsche Lehrkräfte nicht mehr Unterricht erteilen dürfen, können von der Bundesregierung nicht bestätigt werden. Jüngste Erkenntnisse, die aus einigen der betroffenen Gymnasien vorliegen, ergeben keine Anhaltspunkte für grundsätzliche Änderungen der bekannten Situation. Angesichts der beschleunigten Abwanderung von Volksdeutschen gibt es immer weniger deutschstämmige Lehrkräfte. Diejenigen, die die Ausreiseerlaubnis beantragen, werden aus dem Lehramt entlassen.
Anlaß der Meldungen könnten folgende Eigentümlichkeiten des zentralen Verfahrens der Lehrerversetzung sein. Da offene Stellen nicht immer die erforderliche Spezifizierung erhalten haben, wurde gelegentlich ein nicht deutschsprachiger Fachlehrer an einen deutschsprachigen Zug versetzt, obwohl ein deutscher Lehrer verfügbar war. Zwischen den Schulen wird zur Korrektur dieser Fehlbesetzungen jedoch ein Stellenaustausch nach Abschluß des amtlichen Zuweisungsverfahrens praktiziert. Gelegentlich machen die Aufsichtsbehörden den Stellenaustausch wieder rückgängig, sofern die betreffenden Lehrer noch nicht unersetzbar sind.
Eine Zusatzfrage, bitte.
Dr. Hupka CDU/CSU: Herr Staatsminister kann, aus der von Ihnen getroffenen Feststellung, daß Lehrer, die sich um eine Ausreise bemühen, aus dem Lehramt entlassen werden, gefolgert werden, daß weniger deutschsprachige Lehrer für die deutschen Klassenzüge zur Verfügung stehen?
Möllemann, Staatsminister: Ja, das ist die logische Folgerung aus dieser unerfreulichen Verhaltensweise.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, besteht denn eine Möglichkeit, die rumänische Regierung darauf zu verweisen, daß es dem Korb 3 der KSZE-Schlußakte und auch den Absprachen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Rumänien widerspricht, daß Lehrer Pressionen ausgesetzt sind, wie die Entlassung eine ist, sobald sie sich zur Aussiedlung gemeldet haben?
Möllemann, Staatsminister: Ganz generell empfinden wir eine Behandlung von Menschen, die die Ausreise beantragen, die auf diese Art und Weise erfolgt, als diskriminierend, als ungerechtfertigt, weil sie im Widerspruch zum Geist der KSZE- Schlußakte steht.
Keine weitere Zusatzfrage.Ich rufe die Frage 44 des Herrn Abgeordneten Dr. Hupka auf:In welcher Weise hat die Bundesregierung darauf geantwortet, als auf der Sitzung des UN-RassendiskriminierungsAusschusses die Volksrepublik Polen erklärte, daß es keine deutsche Volksgruppe mehr gebe, denn alle Deutschen hätten Polen „nach eigenem freien Willen" verlassen?Möllemann, Staatsminister: Herr Kollege Hupka, der nach Art. 8 des Internationalen Übereinkommens zur Beseitigung von Rassendiskriminierung eingesetzte CERD-Ausschuß setzt sich aus 18 unabhängigen Experten zusammen. Regierungsvertreter können zwar an den Sitzungen als Beobachter teilnehmen, sie können sich jedoch nur bei der Behandlung des eigenen Staatenberichts zu Wort melden. Aus diesem Grunde konnte die Bundesregierung nicht auf die Erklärungen des polnischen Vertreters in dieser Sitzung eingehen. Die Prüfung der Staatenberichte vor diesem Ausschuß läuft nach folgendem Verfahren ab: Zunächst erfolgt die Präsentation des Staatenberichts durch einen Vertreter des Vertragsstaats, dann kommen die Fragen der Ausschußmitglieder. Es erfolgt dann eine zusammenfassende Beantwortung durch den Regierungsvertreter und das Schlußwort des Ausschußvorsitzenden.Eine Reaktion der Ausschußmitglieder auf die Antworten des Regierungsvertreters oder eine Bewertung des Berichts durch den Ausschuß ist wegen dieses Verfahrens nicht üblich.Auf der 32. Tagung des Ausschusses vom 5. bis 23. August 1985 in Genf erklärte der polnische Vertreter auf eine entsprechende Frage des deutschen Mitglieds Professor Karl Josef Partsch, es gebe in Polen keine deutsche Minderheit, da alle polnischen Bürger, die sich als deutschstämmig betrachteten, Polen in Übereinstimmung mit der Schlußakte von Helsinki auf eigenen Wunsch verlassen hätten. Aus diesem Grunde sei die in einem früheren Staatenbericht aufgeführte deutsche Vereinigung nicht erwähnt worden, obwohl sie formell nicht aufgelöst worden sei.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 175. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. November 1985 13189
Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatsminister, es hat aber dazu eine Presseverlautbarung vom 12. August seitens der Vereinten Nationen gegeben, in der das, was Sie eben noch einmal dargestellt haben, wiedergegeben ist, daß es nämlich keine deutsche Volksgruppe oder Minderheit in der heutigen Volksrepublik Polen gebe und daß alle die Muttersprache gebrauchen könnten, wenn sie es wollten. Wäre es dann nicht angebracht gewesen, nach dieser Presseverlautbarung unsererseits Protest zu erheben?
Möllemann, Staatsminister: Herr Kollege Dr. Hupka, wir haben über den Sachverhalt, um den es hierbei geht, ja in einer größeren Zahl von Fällen auch im Deutschen Bundestag bereits gesprochen. Wir haben bei Gelegenheiten, die sich dafür eigneten, immer wieder deutlich gemacht, daß diese Feststellungen, die Anlaß Ihrer Frage sind, unzutreffend sind. Zwar liegen uns keine statistisch gesicherten Angaben zur Zahl der in Polen lebenden Personen deutscher Volkszugehörigkeit vor, aber allein die Tatsache, daß uns nach wie vor ca. 140 000 Ausreisewünsche namentlich bekannt sind, spricht dafür, daß diese Feststellung unzutreffend ist. Ich will das in aller Deutlichkeit unterstreichen.
Zusatzfrage, bitte.
Indem ich mich, Herr Staatsminister, für diese Auskunft bedanke, noch einmal die Frage: Wäre es nicht angebracht gewesen, unmittelbar nach Bekanntwerden der falschen Angaben durch die Volksrepublik Polen seitens der Bundesrepublik Deutschland Widerspruch in der Öffentlichkeit mitzuteilen?
Möllemann, Staatsminister: Wie ich bereits sagte, ist über den Sachverhalt von seiten der Bundesregierung in zahlreichen Fällen bilateral wie auch multilateral und auch im Parlament berichtet worden. Ich glaube nicht, daß es tatsächlich eine Unkenntnis an irgendeiner Stelle über den Sachverhalt gibt.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Ich rufe die Frage 47 der Frau Abgeordneten Eid auf. — Die Frau Abgeordnete ist nicht im Saal. Die Frage wird, wie in der Geschäftsordnung vorgesehen, behandelt.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern auf. Zur Beantwortung steht uns der Parlamentarische Staatssekretär Spranger zur Verfügung.
Die Fragen 48 und 49 der Abgeordneten Frau Dr. Lepsius , die Fragen 50 und 51 des Abgeordneten Jaunich (SPD), die Fragen 52 und 53 der Frau Abgeordneten Odendahl (SPD), die Fragen 56 und 57 des Abgeordneten Lutz (SPD), die Fragen 58 und 59 des Abgeordneten Duve (SPD), die Fragen 60 und 61 des Abgeordneten Bachmaier (SPD) und die Fragen 62 und 63 des Abgeordneten Schäfer (Offenburg) (SPD) sollen auf Wunsch der Fragesteller schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe die Frage 64 des Herrn Abgeordneten Reimann auf:
Gefährdet die im Bundesrat am 18. Oktober 1985 angenommene TA Luft, nach der auch Ammoniakwerte gesenkt werden müssen, die Produktion der Düngemittelindustrie und damit Arbeitsplätze?
Herr Kollege Reimann, eine Gefährdung der Produktion der Düngemittelindustrie und damit der Arbeitsplätze wird nicht erwartet. Bei Anwendung der neuen TA Luft haben die Länder gerade bei Altanlagen den neugeschaffenen § 17 Abs. 2 des Bundesimmissionsschutzgesetzes zu beachten. Danach dürfen im Einzelfall keine unverhältnismäßigen Anforderungen gestellt werden.
Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, dann frage ich mich: Wie kommt denn die Diskussion in der Industrie zustande, was die Gefährdung der Arbeitsplätze anbelangt? Haben die Bundesregierung bzw. die zuständigen Stellen vorher den Sachverstand vorrangig der chemischen Industrie zu dieser Verordnung eingeholt?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Reimann, ich kann Ihnen nicht sagen, wie eine Diskussion dieser Form, wie Sie sie vortragen, zustande kommt. Daß die TA Luft umfassend mit Experten vorberaten war, ist allerdings auch bekannt.
Eine zweite Frage, Herr Staatssekretär, weil ich durch Hessen — auch und insbesondere durch die chemische Industrie — aufgeschreckt bin: Befürchten Sie also auch nicht, daß sich auf Grund dieser Maßnahmen irgendwelche Investitionen gezielt ins Ausland verlagern?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Reimann, ich habe meiner Antwort nichts hinzuzufügen. Ich weiß nicht, welche Kreise eine derartige Diskussion begonnen haben.
Noch eine Zusatzfrage?
— Sie haben hierzu keine Zusatzfragen mehr!
— Es tut mir leid, zur ersten Frage hatten Sie bereits zwei Zusatzfragen, und Frau Weyel will hierzu noch eine Zusatzfrage stellen. Bitte schön!
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, wieweit Probleme des Wettbewerbs bei Überlegungen der Industrie, in der Produktion eventuell Einschränkungen vorzunehmen, eine Rolle spielen?Spranger, Parl. Staatssekretär: Mir ist ganz allgemein bekannt, daß Überlegungen und Fragen des Wettbewerbs in der Industrie eine Rolle spielen,
Metadaten/Kopzeile:
13190 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 175. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. November 1985
Parl. Staatssekretär Sprangeraber ich sagte vorhin bereits, daß Gefährdungen der vom Kollegen Reimann angesprochenen Art an uns während der Diskussion in dieser Form noch nicht herangetragen worden sind.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Ich rufe Frage 65 des Herrn Abgeordneten Reimann auf:
Welche Kosten verursachen die technischen Einrichtungen, um die Ammoniakwerte auf 30 Milligramm/m3 zu senken, wenn derzeit zwischen 150 Milligramm/m3 und 500 Milligramm/m3 in der Düngemittelproduktion ausgestoßen werden sollen?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Die durch den Beschluß des Bundesrates entstehenden Kosten sind der Bundesregierung nicht bekannt. Auch Anhaltspunkte liegen nicht vor, da in diesem Industriezweig die Abgase im Hinblick auf Ammoniak bisher nicht gereinigt worden sind.
Eine Zusatzfrage? — Bitte.
Herr Staatssekretär, heißt das, daß die Bundesregierung im Hinblick auf die Gesetzgebung Maßnahmen trifft, deren Auswirkungen - in diesem Falle finanzieller Art — und, dadurch bedingt, deren Durchführung unüberschaubar sind?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege. Reimann, ich muß doch darauf hinweisen, daß die Bundesregierung Vorschriften mit einer Begrenzung, wie die Bundesländer Hessen und Saarland sie vorgeschlagen haben und wie sie bei Ihnen entsprechende Befürchtungen und auch diese Fragen ausgelöst hat, nicht vorgesehen hat. Sie sollten daher diese Fragen und Befürchtungen besser an die Länder Hessen und Saarland richten, die für diesen im Bundesrat gemachten Vorschlag die Verantwortung tragen.
Eine weitere Zusatzfrage? — Bitte.
Herr Staatssekretär, da Sie Hessen und das Saarland nennen: Bin ich richtig informiert, daß diese Drucksache eine einstimmige Vorlage des Bundesrates und damit aller Länder der Bundesrepublik Deutschland ist?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Ich kann nicht sagen ob das eine einstimmige Entscheidung war. Es sind insgesamt etwa 180 Änderungsvorschläge gekommen. Ein Teil davon wurde angenommen. Mit welchen Mehrheitsverhältnissen dieser Vorschlag konkret angenommen worden ist, kann ich Ihnen nicht sagen. Ich bin aber gerne bereit, Ihnen das nachzuliefern.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Ich rufe Frage 66 der Abgeordneten Frau Weyel auf:
Kann die Bundesregierung bestätigen, daß eine Verfügung der Grenzschutzdirektion Koblenz besteht, nach der im Grenzschutzeinzeldienst nur noch Teilzeitarbeitskräfte eingestellt werden sollen, und wie weit hält die Bundesregierung eine solche Verfügung im Hinblick auf die soziale Sicherheit der Betroffenen für vertretbar?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin Weyel, die Bundesregierung kann nicht bestätigen, daß eine Verfügung der Grenzschutzdirektion Koblenz besteht, nach der im Grenzschutzeinzeldienst nur noch Teilzeitarbeitskräfte eingestellt werden sollen.
Mit Verfügung vom 19. Dezember 1984 hatte die Grenzschutzdirektion ihre nachgeordneten Dienststellen darauf hingewiesen, daß bei der Einstellung von Aushilfskräften in der Hauptreisezeit oder von Ersatzkräften für Angestellte, die sich in der Mutterschutzfrist und anschließend im Mutterschaftsurlaub befinden, aus kosten- und arbeitsmarktpolitischen Gründen nicht auf bereits vorhandenes teilzeitbeschäftigtes Personal, dessen Arbeitszeit kurzfristig auf 40 Stunden wöchentlich erhöht werden könnte, zurückgegriffen werden sollte. Um einen Beitrag zum Abbau der Arbeitslosigkeit zu leisten, sollten vermehrt auch Teilzeitarbeitsplätze zur Verfügung gestellt werden. So konnten im Jahre 1985 27 teilzeitbeschäftigte Aushilfskräfte und 6 vollzeitbeschäftigte Aushilfskräfte eingestellt werden.
Eine Zusatzfrage? — Bitte.
Herr Staatssekretär, können Sie mir dann erklären, wie es kommt, daß ein Grenzschutzamt eine Bewerberin für eine Vollzeitstelle unter Hinweis auf diese Verfügung ablehnt bzw. ihr anbietet, einen Teilzeitarbeitsplatz zu übernehmen, und wie beurteilen Sie die Tatsache, daß qualifizierte Kräfte, die von ihrer Arbeit leben müssen, solche Stellen dann nicht mehr annehmen können, weil sie eben ihren Lebensunterhalt mit einer Teilzeitarbeit nicht sichern können?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin Weyel, ich bitte um Nachsicht, wenn ich den konkreten Fall, den Sie hier vortragen, nicht zu beurteilen vermag. Ich bin gern bereit, dem nachzugehen. Ich kann nur sagen: Die Verfügung, die ich dargestellt habe, hat nicht die Folgen, die Sie in Ihrer Frage vermuten.
Noch eine Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, gehen Sie davon aus, daß vor allem weibliche Bewerberinnen neben ihrer Erwerbsarbeit noch eine weitere Einkommensquelle haben, und wie beurteilen Sie die soziale Absicherung von Arbeitskräften, die eine so geringe Arbeitszeit haben, daß ihnen der sozialversicherungsrechtliche Schutz entgeht?Spranger, Parl. Staatssekretär: Ich möchte hier Schwierigkeiten und Notwendigkeiten zu weiteren Tätigkeiten nicht allein auf weibliche Arbeitskräfte beschränken. Bloß, auch hier kommt es auf den jeweiligen Einzelfall an, ob den sozialen Bedürfnissen entsprochen werden kann. Die Verfügung soll, jedenfalls so wie sie erlassen worden ist, dazu füh-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 175. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. November 1985 13191
Parl. Staatssekretär Sprangerren, Leute, die keine Arbeit haben, zumindest in Teilzeitarbeit zu bringen. Ich glaube, das ist ein sinnvolles Bemühen.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Ich rufe die Frage 54 des Herrn Abgeordneten Schulte auf:
Wie steht die Bundesregierung zu einer Meldung der Badischen Zeitung vom 15. Oktober 1985, Kreisseite Lörrach, daß der Bundesminister des Innern, Dr. Zimmermann, Zustimmung zur Flußkühlung beim Atomkraftwerk Kaiseraugst bei einem Gespräch am 9. Oktober 1985 signalisiert habe?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Am 9. Oktober 1985 hat in Bonn ein Gespräch zwischen Bundesinnenminister Zimmermann, Bundesrat Egli und Minister Weiser, dem Minister für Ernährung, Landwirtschaft, Umwelt und Forsten des Landes Baden-Württemberg, stattgefunden.
Bei der Besprechung hat die deutsche Seite der Forderung der Schweiz, daß das Kernkraftwerk Kaiseraugst ohne Kühlturm gebaut werden soll, nicht zugestimmt. Es wurde darauf hingewiesen, daß eine endgültige Entscheidung in dieser Frage erst getroffen werden könne, wenn bei den Verhandlungen zum Wärmeübereinkommen Rhein, die zur Zeit bei der Internationalen Kommission zum Schutz des Rheins gegen Verunreinigung geführt werden, für die internationalen Kontrollpunkte Grenzwerte für eine ökologisch vertretbare Wärmebelastung des Rheins festgelegt worden seien. Außerdem ist es für die Beurteilung dieser Frage von entscheidender Bedeutung, wie die Kühlkapazität des Hochrheins im Rahmen der Durchführung des künftigen Übereinkommens zwischen der Schweiz und der Bundesrepublik Deutschland aufgeteilt wird.
Zusatzfrage, bitte.
Können Sie mir sagen, wann diese Untersuchungen in etwa vorliegen und damit eine Entscheidung getroffen werden kann?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Ich darf Ihnen keinen exakten Zeitpunkt nennen, aber wir drängen darauf, daß die Untersuchungen so schnell wie möglich abgeschlossen werden.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Ich rufe die Frage 55 des Herrn Abgeordneten Schulte auf:
Um wieviel Grad soll durch die Kühlung das Rheinwasser erwärmt werden?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Bei Flußwasserkühlung des Kernkraftwerkes Kaiseraugst würde höchstens eine thermische Leistung von 1 900 Megawatt an das Flußwasser abgegeben. Die dadurch bedingte Aufwärmung hängt vom jeweiligen Abfluß des Hochrheins ab. Nimmt man z. B. den mittleren Abfluß, so würde durch den Betrieb des Kernkraftwerkes Kaiseraugst das Rheinwasser an der Einleitungsstelle um 0,4 Grad aufgewärmt. Dabei ist allerdings noch zu berücksichtigen, daß diese Temperaturerhöhung im weiteren Rheinverlauf infolge der Abkühlung kontinuierlich wieder zurückgeht.
Zusatzfrage, bitte.
Gibt es ökologische Gutachten, oder sind Sie bereit, solche zu erstellen, die genau die Erwärmung, die Sie gerade bekanntgegeben haben, in bezug auf ihre Wirkung auf Natur und Umwelt untersuchen?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Bei diesen Wärmegraden ist die Auswirkung erkennbar minimal, so daß mir zusätzliche Gutachten zu dieser Frage nicht erforderlich erscheinen.
Noch eine Zusatzfrage.
Können Sie auf jeden Fall Auswirkungen auf die Brauchwasserentnahme der chemischen Industrie im weiteren Verlauf des Rheins ausschließen?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Ich bin kein Wissenschaftler, aber ich bin gern bereit, Wissenschaftler hierzu zu befragen, die es beurteilen können.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Tatge.
Herr Staatssekretär, wie können Sie es sich vor dem Hintergrund dessen, was Sie heute gesagt haben, erklären, daß Sie im August dieses Jahres auf unsere mündlichen Anfragen jegliche Antwort, was das Kernkraftwerk Kaiseraugst angeht, verweigert haben?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Wenn ich davon ausgehe, daß wir im August eine Sitzungspause hatten, dann gelange ich zu dem Schluß, daß ich Ihnen hier gar keine mündlichen Antworten geben konnte.
Diese Frage brauchen Sie gar nicht zu beantworten. Das steht hier nicht in Frage.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Damit ist dieser Geschäftsbereich abgeschlossen.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen auf.
Alle Fragen — es sind dies die Frage 67 des Abgeordneten Peter sowie die Fragen 68 und 69 des Abgeordneten Stahl (Kempen) sollen schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten auf. Die Fragen 72 und 73 des Abgeordneten Eigen sollen schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Die Frage 74 des Abgeordneten Werner ist zurückgezogen.
Damit ist dieser Geschäftsbereich erledigt.
13192 Deutscher Bundestag 10. Wahlperiode — 175. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. November 1985
Vizepräsident Stücklen
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung.
Die Fragen 75 und 76 des Abgeordneten Vogelsang sind zurückgezogen worden.
Die Fragen 77 und 78 des Abgeordneten Immer werden auf Grund von Ziffer 2 Abs. 2 der Richtlinien für die Fragestunde schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Die Fragen 79 und 80 des Abgeordneten Ewen und die Fragen 81 und 82 des Abgeordneten Kirschner sollen schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Der Geschäftsbereich ist damit abgeschlossen.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung auf.
Die Fragen 83 und 84 des Abgeordneten Dr. Scheer und die Frage 85 des Abgeordneten Gansel sollen auf Wunsch der Fragesteller schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Wir kommen zur Frage 86 des Abgeordneten Lange. — Der Abgeordnete ist nicht im Saal. Dann wird bei Frage 86 und ebenso bei der von dem Abgeordneten Lange eingebrachten Frage 87 so verfahren, wie in der Geschäftsordnung vorgesehen.
Das gleiche gilt für die Fragen 88 und 89 des Abgeordneten Schily.
Die Frage 90 des Abgeordneten Stiegler, die Fragen 91 und 92 des Abgeordneten Gerstl und die Fragen 93 und 94 des Abgeordneten Dr. Hirsch sollen schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Der Geschäftsbereich ist damit abgeschlossen.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Jugend, Familie und Gesundheit auf. Zur Beantwortung der Fragen steht uns Frau Parlamentarischer Staatssekretär Karwatzki zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 95 des Herrn Abgeordneten Tatge auf:
Welche Erkenntnisse liegen der Bundesregierung über die Vergiftung von in der Bundesrepublik Deutschland produziertem bzw. importiertem Wein mit Natriumazid vor?
Bitte sehr.
Herr Kollege, der Bundesregierung liegen keine Hinweise darauf vor, daß in der Bundesrepublik Deutschland Weinen entgegen den bestehenden Vorschriften der Stoff Natriumazid zugesetzt wird oder daß derartige nicht verkehrsfähige Weine in die Bundesrepublik Deutschland verbracht werden.
Keine Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 96 des Abgeordneten Tatge auf:
Welche Vorkehrungen hat die Bundesregierung getroffen, um sicherzustellen, daß in den Weinen, die in der Bundesrepublik Deutschland hergestellt werden bzw. importiert werden, die kriminelle Einbringung von Natriumazid entweder chemisch-analytisch ermittelt oder gänzlich ausgeschlossen werden kann?
Frau Karwatzki, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, das Bundesgesundheitsamt hat am 3. September 1985 den Sachverständigen der Arbeitsgruppe Wein und Spirituosen der Arbeitsgemeinschaft lebensmittelchemischer Sachverständiger sowie den Mitgliedern der Wein- und Fruchtsaftanalysenkommission des Bundesgesundheitsamtes vorsorglich die vom Internationalen Weinamt herausgegebenen Blätter über Analysenmethoden zur Feststellung von Aziden übersandt.
Das Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit hat am 29. und 30. Oktober die für die Weinüberwachung zuständigen Behörden der deutschen Bundesländer darüber unterrichtet, daß nach einer Pressemeldung vom 29. und einer Mitteilung der österreichischen Behörden vom 30. Oktober 1985 in Österreich in mehreren österreichischen Weinen der Stoff Natriumazid tatsächlich festgestellt worden ist. Darüber hinaus wurden die Zollbehörden angewiesen, alle österreichischen Weine einer Einfuhruntersuchung auf Natriumazid zuzuführen.
Die für den Vollzug des Weinrechts zuständigen obersten Landesbehörden stellen sicher, daß verdächtige Erzeugnisse auf Natriumazid geprüft und bei positivem Befund unverzüglich aus dem Verkehr genommen werden. Diese Kontrollen können weitgehend, aber nicht völlig ausschließen, daß nicht rechtmäßig hergestellte Weine in den Verkehr gebracht werden. Bisher liegt dem Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit keine Mitteilung einer Landesbehörde vor, daß mit Natriumazid verfälschten Wein festgestellt worden sei.
Eine Zusatzfrage, bitte.
Frau Staatssekretärin, hat die Bundesregierung eine Übersicht über die technischen Möglichkeiten der einzelnen Untersuchungsämter in den Bundesländern Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg, Hessen und Nordrhein-Westfalen, um zu wissen, ob sichergestellt ist, daß diese Untersuchungsämter Wein auf Natriumazid untersuchen können?
Frau Karwatzki, Parl. Staatssekretär: Ich gehe davon aus, daß die Untersuchungsämter die Voraussetzungen dafür geschaffen haben.
Noch eine Zusatzfrage.
Frau Staatssekretärin, meine Frage bezog sich ganz konkret auf diesen Stoff, weil ja in dem vorangegangenen Skandal bei Diethylenglykol das Problem aufgetreten ist, daß einige Untersuchungsämter nicht die technische Ausstattung für Untersuchungen hatten.Frau Karwatzki, Parl. Staatssekretär: Diese Frage kann ich Ihnen nicht beantworten. Ich lasse das
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 175. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. November 1985 13193
Parl. Staatssekretär Frau Karwatzkiprüfen, und Sie erhalten die Antwort schriftlich von mir.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Reimann.
Frau Staatssekretärin, da ich aus einer Gegend komme, wo sehr viel Wein angebaut wird, frage ich Sie, nachdem eine große Verunsicherung der Winzer durch Glykol ausgelöst wurde und die Folgen insbesondere die Kleinen treffen, obwohl die Großen gesündigt haben: Trifft die Bundesregierung denn Vorsorge, daß es in diesem Fall nicht geschieht, daß die Kleinen wieder besonders gravierend in diese Auseinandersetzung einbezogen werden?
Frau Karwatzki, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Reimann, wir haben nichts dazu beigetragen, daß die Kleinen hereingezogen worden sind, sondern dies haben Unternehmen getan. Was wir dazu beitragen können, gerade den kleinen Winzern ein optimales Feld zu bereiten, das tun wir.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Die Fragen 97 und 98 des Herrn Abgeordneten Büchner und die Fragen 99 und 100 des Herrn Abgeordneten Jäger (Wangen) sollen schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe die Frage 101 des Herrn Abgeordneten Ströbele auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung besonders nach der Debatte vom 7. November 1985 im Deutschen Bundestag z. B. den Versuch, eine Wiese, die das Schulzentrum Köln-Ostheim eingrenzt, weiträumig neu einzuzäunen und so die Benutzung der Wiese durch Roma- und Sinti-Familien zu verhindern?
Frau Karwatzki, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, nach Auskunft der Stadt Köln hat es mit dem in Frage stehenden Gelände folgendes Bewenden: Das Wiesengelände gehört zum Schulzentrum KölnOstheim und wird zur Zeit als Außensportgelände in Verbindung mit dem angrenzenden Sportplatz genutzt. Es soll in absehbarer Zukunft mit einem Erweiterungsgebäude zu dem jetzigen Schulgebäude bebaut werden, um das Schulzentrum um eine Realschule zu erweitern. Nach Abschluß dieser Baumaßnahme ist vorgesehen, das gesamte Gelände des Schulzentrums weiträumig mit einem Zaun zu umfassen. Dies ist eine übliche Maßnahme, um der Aufsichtspflicht im Bereich des Schulgeländes nachkommen zu können.
Der Bundesregierung ist bekannt, daß die Stadt Köln schon seit Jahrzehnten große Anstrengungen unternimmt, um Sinti und Roma zu unterstützen. So hat die Stadt Köln unter Beteiligung von Sinti und Roma Siedlungen in Köln-Roggendorf-Thenhoven und Köln-Longerich für etwa 250 Sinti und Roma mit jeweils einem Sozialzentrum, Kindergarten und anderen Sozialangeboten errichtet.
Die Problematik des Fehlens eines geeigneten Durchfahrerplatzes ist der Stadt Köln bekannt.
Zusatzfrage, bitte.
Ist der Bundesregierung bekannt, daß der Stadtrat Dr. Kuhlmann in Köln eine Einzäunung des Geländes vor der Schule mit der Begründung betrieben hat, durch die Einzäunung sollten angebliche Belästigungen durch dort kampierende Roma- und Sintifamilien verhindert werden, denen sich die Schüler, Lehrer und Anwohner des Schulzentrums ausgesetzt fühlten?
Frau Karwatzki, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, das ist mir nicht bekannt. Ich habe dargelegt, aus welchen Gründen die Stadt Köln vorhat, eine Einzäunung vorzunehmen.
Zusatzfrage.
Ist der Bundesregierung bekannt, daß sich Lehrerinnen und Lehrer des Gymnasiums im Schulzentrum Köln-Ostheim in einem Flugblatt vom 29. September 1985 öffentlich für die Vertreibung der Roma- und Sintifamilien von dem Gelände vor der Schule eingesetzt haben, während die Lehrer der ebenfalls zum Schulzentrum gehörenden Hauptschule für den weiteren Verbleib der Roma- und Sintifamilien eingetreten sind und sich sogar ausdrücklich dafür eingesetzt haben, Wasseranschlüsse, Toilettenwagen und Müllcontainer für die durchreisenden Roma und Sinti dort aufzustellen?
Frau Karwatzki, Parl. Staatssekretär: Nein, Herr Kollege, das ist mir nicht bekannt.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Ich rufe die Frage 102 des Herrn Abgeordneten Ströbele auf:
Ist die Bundesregierung bereit, ihre Ankündigung eines neuen Verhältnisses zu den deutschen Roma und Sinti dadurch unter Beweis zu stellen, daß sie auf Kölner Behörden einwirkt, die Einzäunung der Wiese, die seit langem von durchreisenden Roma- und Sinti-Familien benutzt wird, zu unterlassen und im Gegenteil die Schule zu veranlassen, den Roma- und Sinti-Familien gutnachbarliche Unterstützung zu gewähren, z. B. durch die Benutzung der sanitären Anlagen der Schule für die Roma und Sinti?
Frau Karwatzki, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Ströbele, zu einer Einwirkung auf die Stadt Köln in der gewünschten Art sieht die Bundesregierung im Hinblick auf den soeben von mir mitgeteilten Sachverhalt keine Veranlassung. Die Bundesregierung hat wegen der grundsätzlichen Problematik von Durchfahrerplätzen schon früher Kontakt mit den kommunalen Spitzenverbänden aufgenommen und diese auf die Probleme hingewiesen. Die kommunalen Spitzenverbände haben ihre Mitglieder entsprechend unterrichtet und um Berücksichtigung der Belange durchreisender Sinti und Roma bei der Planung durch Bereithaltung von Stellplätzen gebeten.
Zusatzfrage, bitte.
Wird die Bundesregierung in Anbetracht dessen, was ich Ihnen gerade in meinen beiden ersten Zusatzfragen mitgeteilt habe, Gele-
Metadaten/Kopzeile:
13194 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 175. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. November 1985
Ströbelegenheit nehmen, sich weiter um die Sache zu kümmern und gegebenenfalls zu versuchen, im Sinne der Erklärung des Herrn Bundeskanzlers in der Debatte des Deutschen Bundestages dort einzuwirken'?Frau Karwatzki, Parl. Staatssekretär: Also, wir werden grundsätzlich immer, wenn wir auf solche Sachverhalte hingewiesen werden, mit den zuständigen Behörden sprechen. Aber wir haben keine Möglichkeiten, Einfluß zu nehmen. Sie wissen, daß nach unserer Gesetzgebung für solche ausführenden Bestimmungen der Stadtrat zuständig ist.
Eine Zusatzfrage.
Geben Sie mir recht, daß sich beispielsweise der Herr Bundeskanzler auch in anderen Angelegenheiten, die örtliche und regionale Probleme betreffen, durchaus mündlich oder auch schriftlich, durch Briefe, für eine bestimmte Regelung in einem bestimmten Sinne verwandt hat?
Frau Karwatzki, Parl. Staatssekretär: Das tut der Herr Bundeskanzler grundsätzlich, wenn er auf einen Mißstand hingewiesen wird.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Ich rufe die Frage 103 des Herrn Abgeordneten Werner auf:
Wie hoch ist nach den Erkenntnissen der Bundesregierung der Anteil von agrarindustriellen Massentierhaltungsbetrieben und von Lohnmästereien bei den Betrieben, die das verbotene Mittel eingesetzt haben , und kann die Bundesregierung den Schutz der Verbraucher vor Fleisch, das mit gesundheitsgefährlichen Zusatzstoffen vergiftet ist, sichern angesichts der Tatsache, daß die Konzentration in der Tiermast solche Praktiken begünstigt und daß ein solcher Skandal staatlicherseits hätte verhindert werden müssen, da schon mindestens seit Juni 1985 bekannt war, daß verbotene Hormone innerhalb der EG verwendet und illegal in die Bundesrepublik Deutschland eingeführt worden sind, und, da 51 Kälbermastbetriebe und Schlachtereien mit dem Importeur in Verbindung standen, damit zu rechnen war, daß auch in der Bundesrepublik Deutschland diese Wirkstoffe in großem Maßstab eingesetzt werden würden?
Frau Karwatzki, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Werner, in dem von Ihnen angesprochenen Fall der illegalen Anwendung verbotener Hormonpräparate handelt es sich um Verstöße gegen Bundesrecht, das nach Art. 83 des Grundgesetzes von den Ländern als eigene Angelegenheit ausgeführt wird. Die Bundesregierung verfügt deswegen nicht unmittelbar über eigene Erkenntnisse hierzu. Wir mir jedoch auf meine Anfrage von den zuständigen obersten Landesbehörden mitgeteilt worden ist, sind von dem Verdacht verschiedene Betriebe wie folgt betroffen.
Erstens. Niedersachsen. Von 64 betroffenen Betrieben sind 63 Lohnmäster mit insgesamt 14 247 Kälbern, wobei die größten Betriebe 880 bzw. 690 Mastkälber umfaßten. Daneben ist ein sonstiger Betrieb mit 180 Kälbern berührt.
Zweitens. Nordrhein-Westfalen. Von 7 betroffenen Betrieben sind 5 Lohnmäster mit zusammen ca. 2 500 Kälbern. Als sonstige Betriebe sind ein Betrieb mit 1 500 Kälbern und ein Betrieb mit 60 Kälbern berührt.
Weitergehende Detailangaben liegen mir bisher nicht vor.
Gerade angesichts der Aufdeckung der Verstöße vertritt die Bundesregierung die Auffassung, daß der Schutz des Verbrauchers vor gesundheitsbedenklichem Fleisch auf der Grundlage der hierfür geltenden Vorschriften gesichert ist. Dies beweist das zügige und einschneidende Durchgreifen der örtlich zuständigen Behörden.
Die Bundesregierung ist sich aber der Tatsache bewußt, daß im Hinblick auf die wirtschaftlichen Vorteile gewisser illegaler Praktiken in der tierischen Erzeugung eine ständige konsequente Überwachung notwendig ist. Um diese Überwachung über die eigenen Grenzen hinaus weiter zu verbessern und illegalen Praktiken vorzubeugen, tritt die Bundesregierung nachdrücklich für gemeinschaftsrechtliche Regelungen ein. Zu diesem Zweck wird insbesondere ein generelles Verbot von Hormonen zu Mastzwecken gefordert. Die Bundesregierung begrüßt, daß sich inzwischen auch das Europäische Parlament in einer mit wesentlicher deutscher Unterstützung zustande gekommenen Stellungnahme vom 11. Oktober dieses Jahres gegen den Einsatz von Hormonen zu Mastzwecken ausgesprochen hat und daß nach letztem Stand jetzt auch die EG-Kommission von ihrem Vorschlag, natürliche Hormone zu Mastzwecken zuzulassen, abgerückt ist und nunmehr ein generelles Verbot der Hormone zu Mastzwecken vorschlägt. Mit einer EG-Richtlinie vom 16. Juli 1985 sind bereits Grundlagen für gemeinschaftliche Kontrollmaßnahmen beschlossen worden. Auch am Zustandekommen dieser Richtlinie hat die Bundesregierung wesentlichen Anteil.
Zusatzfrage, bitte.
Wie hoch schätzt die Bundesregierung die Anzahl der Tiere, die mit Hormonen gespritzt worden sind und dann — etwa in den letzten sechs Monaten — auf den Markt gekommen und an den Verbraucher abgegeben worden sind?
Frau Karwatzki, Parl. Staatssekretär: Die Bundesregierung schätzt gar nicht, sondern sie handelt immer und orientiert sich an Daten und Fakten. Diese habe ich gerade dargelegt.
Zusatzfrage.
Welche Gefahr sieht die Bundesregierung für den Verbraucher, besonders für Schwangere, wenn bei den hormonbehandelten Kälbern auch das sogenannte Killerhormon, das in der Humanmedizin für medikamentösen Schwangerschaftsabbruch verwendet wird, gespritzt worden ist?
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 175. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. November 1985 13195
Frau Karwatzki, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, das weiß ich nicht.
Weitere Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Zeitler.
Frau Staatssekretärin, in Nudeln wurde jetzt das Tierarzneimittel Chloramphenicol gefunden, und zwar wurde die zulässige Höchstmenge um das 28fache überschritten. Glauben Sie, daß mit diesem Mittel nur die Hühner behandelt wurden, deren Eier in eine Nudelfabrik gehen, oder besteht nicht vielmehr der dringende Verdacht, daß auch in vielen anderen angebotenen Eiern dieses Medikament in überhöhten Dosen vorhanden war und ist?
Frau Abgeordnete, wir haben es eben mit den Kälbern zu tun und nicht mit den Eiern und Hühnern.
Aber es geht um die medikamentöse Verseuchung von Tieren. Ob das nun Hühner oder Kälber sind, ist unwichtig.
Frau Karwatzki, Parl. Staatssekretär: Herr Präsident, ich bin außerordentlich dankbar. Dies hat nichts miteinander zu tun.
Keine weiteren Fragen zu diesem Geschäftsbereich. Ich danke Ihnen, Frau Parlamentarische Staatssekretärin.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr auf.
Die Frage 106 des Abgeordneten Stiegler, die Frage 107 des Abgeordneten Peter und die Fragen 108 und 109 des Abgeordneten Amling sollen auf Wunsch der Fragesteller schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe die Frage 104 des Abgeordneten Senfft auf:
Welche Gründe waren maßgebend für die Entscheidung der Bundesregierung, den Bau der A 33 zwischen Landesgrenze Nordrhein-Westfalen/Niedersachsen und Bielefeld gegen den ausdrücklichen Willen der betroffenen Kommunen Borgholzhausen, Halle und Steinhagen sowie des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe und insbesondere der Landesregierung Nordrhein-Westfalen in den Entwurf des Bedarfsplans für Bundesfernstraßen aufzunehmen?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Senfft, die A 33 Osnabrück-Bielefeld-Paderborn-Haaren wurde auf Grund der seit Jahren verfolgten landesplanerischen Zielvorstellungen der Länder Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen geplant. Größere Abschnitte sind bereits fertiggestellt bzw. in Bau. Während Niedersachsen nach wie vor den Bau der A 33 für zwingend erforderlich hält, hat Nordrhein-Westfalen seine bis zum Juni dieses Jahres eingenommene positive Einstellung zur A 33 aufgegeben.
Die Bundesregierung betrachtet den Lückenschluß der A 33 zwischen Landesgrenze NordrheinWestfalen/Niedersachsen und Bielefeld aus Gründen des Netzzusammenhanges und aus überregionaler Sicht als unverzichtbar, um den vollen Verkehrswert dieser Verbindung zu erreichen. Gegenvorstellungen einzelner Gemeinden sind bei überregionalen Planungen nicht auszuschließen.
Im übrigen wurde bei den Beratungen zum Bundesverkehrswegeplan im Bundesrat der Antrag des Landes Nordrhein-Westfalen, die A 33 Landesgrenze Nordrhein-Westfalen/Niedersachsen-Bielefeld aus dem Bedarfsplan zu streichen, mit großer Mehrheit zurückgewiesen.
Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, können Sie bestätigen, daß in jenem Abschnitt zwischen Bielefeld und Osnabrück nahezu überhaupt noch keine Baumaßnahmen begonnen haben, und wie bewerten Sie in diesem Zusammenhang die von allen Bielefelder Parteien gestartete Initiative, nun auch das Teilstück nordwestlich der A 2 in Frage zu stellen?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, was die Frage zur A 2 angeht, muß ich Ihnen eine schriftliche Nachricht zukommen zu lassen. Im übrigen muß ich darauf verweisen, daß es bei diesem Lückenschluß darum geht, eine weiträumige Verbindung zwischen der Nordsee und, wenn Sie so wollen, dem östlichen Bodensee herzustellen. Es gibt nur noch zwei Lücken. Die eine wurde von Ihnen erwähnt. Die andere ist in dem Bereich zwischen Würzburg und Ulm im Zuge der A 7.
Ihre zweite Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, wenn Sie von einer Lücke sprechen, können Sie dann dem Parlament hier bestätigen, daß es den deutschen Autofahrern zur Zeit unmöglich ist, von der Nordsee zu den Alpen und umgekehrt zu kommen?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Es geht darum, den vollen Verkehrswert dieser Verbindung herzustellen.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Schulte, bitte.
Herr Staatssekretär, da sich das Land Nordrhein-Westfalen nach den letzten Mitteilungen weiter gegen dieses Teilstück der A 33 ausspricht, frage ich Sie: Mit welchen Mit-
Metadaten/Kopzeile:
13196 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 175. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. November 1985
Schulte
teln will die Bundesregierung veranlassen, daß sich die Planer des Landschaftsverbandes WestfalenLippe in der nächsten Zeit mit dieser Planung befassen?Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Zunächst muß der Bedarfsplan vom Deutschen Bundestag behandelt werden. Wir werden in diesem Haus ein Gesetz beschließen. Ich gehe je nach Ergebnis davon aus, daß sich das Land Nordrhein-Westfalen bundestreu verhalten wird.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Ich rufe die Frage 105 des Herrn Abgeordneten Senfft auf:
Wie vereinbart die Bundesregierung ihre Entscheidung, den Bau der A 33 zwischen Landesgrenze Nordrhein-Westfalen/Niedersachsen und Bielefeld gegen den ausdrücklichen Willen des Bundeslandes Nordrhein-Westfalen in den Entwurf des Bedarfsplans für Bundesfernstraßen aufzunehmen, mit ihrer Aussage vom 11. April 1985 in Drucksache 10/3169, daß gegen den ausdrücklichen Willen eines Bundeslandes kein Fernstraßenprojekt geplant bzw. gebaut wird?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Die Aussage der Bundesregierung in Drucksache 10/3169, daß gegen den ausdrücklichen Willen eines Bundeslandes kein Fernstraßenprojekt geplant bzw. gebaut wird, gilt nicht für Teilabschnitte von großräumigen Verbindungen.
Im übrigen darf ich auf die vorherige Antwort verweisen.
Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, wie schätzt die Bundesregierung den Wert unserer föderalistischen Demokratie im Zusammenhang mit dieser Maßnahme ein, die der Landschaftsverband und das Land Nordrhein-Westfalen gegen den ausdrücklichen Willen von drei Kommunen in den Entwurf aufgenommen haben?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Zunächst einmal gibt es zu dieser Straße ja eine lange Historie. Auch Gemeinden haben sich — ebenso wie das Land Nordrhein-Westfalen früher schon — für diese Verbindung ausgesprochen. Geänderte Mehrheiten haben dann solche Beschlüsse zum Teil revidiert. Aber man muß dazu wissen, daß es auch Bürgerbegehren nach Vollendung dieser Straße gibt.
Herr Senfft, Sie haben noch eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, können Sie denn hier bestätigen, daß es bei der Fortschreibung 1980 nicht ein einziges Projekt gegeben hat, auch nicht hinsichtlich eines Teilstücks, das gegen den ausdrücklichen Willen eines Bundeslandes in den Entwurf aufgenommen worden ist?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Da müßte ich nachforschen. Ich reiche das schriftlich nach.
Weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Schulte.
Herr Staatssekretär, Ihre soeben gegebene Antwort unterstellt, daß sich sowohl das Land als auch die Planungsämter an die Vorgabe des Bundes halten: Was wird die Bundesregierung unternehmen, wenn dies nicht der Fall sein wird?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Dafür gäbe es ein Verfahren, das sich aus den Vorschriften des Grundgesetzes ableitet. Ich gehe allerdings davon aus, daß sich das Land Nordrhein-Westfalen an Gesetze halten wird. Ich nehme nicht an, daß Sie Gründe haben, das Gegenteil anzunehmen.
Keine weiteren Zusatzfragen. Damit sind wir am Ende der Fragestunde angelangt.
Das Wort zur Geschäftsordnung hat Frau Abgeordnete Dr. Timm.
Herr Präsident, ich beantrage im Namen der SPD-Fraktion gemäß Ziffer I 1 b der „Richtlinien für Aussprachen zu Themen von allgemeinem aktuellen Interesse" — Anlage 5 unserer Geschäftsordnung — eine Aktuelle Stunde im Zusammenhang mit den vier Dringlichkeitsfragen der Kollegen Schäfer und Müller zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr.
Meine Damen und Herren, die Fraktion der SPD hat zu der Antwort der Bundesregierung auf Dringlichkeitsfragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr eine Aktuelle Stunde verlangt. Das entspricht Nr. lb der Richtlinien über die Aktuelle Stunde. Die Aussprache muß nach Nr. 2 a der Richtlinien unmittelbar nach Schluß der Fragestunde, also jetzt, erfolgen.
Ich rufe auf: Aktuelle Stunde
Berücksichtigung der Ergebnisse des Großversuchs bei der Entscheidung über die Einführung eines Tempolimits
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Hauff. — Bitte schön.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es gibt Ja-Sager, es gibt Nein-Sager, und es gibt Nichts-Sager.
Herr Kollege Schulte, Sie waren heute ein Weltmeister im Nichts-Sagen und insofern repräsentativ für diese Bundesregierung. Sie haben hier eine jämmerliche Figur abgegeben. Damit meine ich nicht nur, daß Sie die Unwahrheit über meine Rolle in der Zeit als Bundesminister gesagt haben. Wenn Sie ein bißchen sorgfältig recherchiert hätten, dann hätten Sie zur Kenntnis genommen, daß im Jahre 1978 das Kabinett auf meinen Vorschlag — der
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 175. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. November 1985 13197
Dr. Hauffwurde damals abgelehnt, nicht zuletzt auf Drängen der FDP — beschlossen hat, an die Autofahrer zu appellieren, sie sollten durch Selbstdisziplin zur Bekämpfung der Luftverunreinigung beitragen. Bis zum Jahre 1981 ist dies auch gegangen.
Ich heiße doch nicht Seebohm und sage sonntags etwas anderes als das, was das Kabinett von Montag bis Freitag beschließt. Sie haben — ich wiederhole es — eine jämmerliche Figur abgegeben: Es liegt eine Studie aus den Vereinigten Staaten über ein zehnjähriges flächendeckendes Tempolimit in den Vereinigten Staaten vor. In dieser Studie ist sorgfältig analysiert, was die einzelnen Konsequenzen sind. Und da stellen Sie sich heute in der Fragestunde hin und sagen — das ist eine Zumutung für uns —, Sie seien nicht in der Lage, diese Studie zu beurteilen.
Wenn das die Entscheidungsfindung der Bundesregierung ist, dann ist sie meilenweit davon entfernt, wirklich eine rationale Entscheidung zu treffen. Der einzige Großversuch, der diesen Namen verdienen würde, wäre die zehnjährige Erfahrung in den Vereinigten Staaten von Amerika — und nichts anderes.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Solange ich Bundeskanzler bin, gibt's kein Tempolimit, und dann geht es hin und her. Und dann sagt der Herr Kollege Hoffie heute zu Ihnen, es gäbe aus dem Großversuch, so wie er durchgeführt worden sei, vermutlich überhaupt keine neuen Erkenntnisse abzuleiten. Das bestätigt dann sogar noch der Staatssekretär, indem er sagt: Ja, natürlich wissen wir, in welchen Maschen sich das vermutlich abspielt. Ja, warum um alles in der Welt führen Sie dann eigentlich einen Großversuch durch und verschleudern 14 Millionen DM Steuergelder, wenn Sie vorher schon wissen, was dabei herauskommt?
14 Millionen verschleudert zu dem einzigen Zweck, das Gesicht zu wahren. Denn in Wahrheit sind Sie gar nicht daran interessiert, das Thema ernsthaft zu erörtern. Vielmehr wollen Sie eine für Sie unliebsame Diskussion in Ihren eigenen Reihen beenden.
Das ist der eigentliche Punkt. Bei Ihnen haben nämlich immer noch diejenigen, vielleicht nicht mehr die Mehrheit, aber doch das Sagen, die meinen, das Thema müsse man unter der Überschrift „Freie Fahrt dem freien Bürger" behandeln.
Wer diesem Freiheitsbegriff nicht mit Entschiedenheit entgegentritt, der wird im Umweltschutz niemals Fortschritte erreichen können, sondern er wird immer nur, so wie Sie es jetzt tun, taktisch vor sich hinwerkeln.
Ich sage Ihnen, es bleibt dabei, was der Präsident der Naturschutzverbände der Alpenländer vor wenigen Tagen gesagt hat:
Unser Freiheitsverständnis muß die Natur mit einbeziehen. Die freie Selbstbestimmung des Menschen kann nur so weit existieren, als sie den Fortbestand der Natur respektiert, die ihrerseits Lebensgrundlage des Menschen darstellt. Ohne den Fortbestand kann die Freiheit des Menschen nicht bestehen.
Wenn Sie jetzt sagen und wenn Demarchen stimmen, daß es auf jeden Fall 100 000 Tonnen sind — das war auch bei den Fragen der Abgeordneten zu spüren —, und gleichzeitig als Bundesregierung die TA Luft als einen Riesenfortschritt öffentlich bezeichnen, mit der 90 000 Tonnen erreicht werden sollen, dann frage ich: Was soll diese gespaltene Moral eigentlich bedeuten? 90 000 Tonnen bei der TA Luft sind ein Riesenerfolg, und über 100 000 Tonnen beim Tempolimit sind nichts.
Nein, Ihre Argumente sind unglaubwürdig. Sie sind nicht in der Lage und nicht bereit, in Ruhe Ihre Entscheidungsgrundlagen offenzulegen, sondern Sie wollen eine unliebsame Diskussion in Ihren eigenen Reihen abwürgen.
Das Wort hat der Abgeordnete Straßmeir.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Dr. Hauff, das schlechte Gewissen war Ihnen ins Gesicht geschrieben und an der Lautstärke anzumerken.
Ich kann mich nicht entsinnen, unter Ihrer Regierung im Verkehrsausschuß einen Antrag über Tempolimit oder ähnliches behandelt zu haben.
Deswegen ist diese Aktuelle Stunde überflüssig wie ein Kropf.
Die Bundesregierung hat mit überaus großer Geduld eigenartige Fragen mit großer Präzision beantwortet.
Sie werden uns auch gar nicht provozieren oder es gar verhindern können: Wir bleiben bei unserer Entscheidung, daß der Großversuch und sein Abschluß die Entscheidungsgrundlage neben anderem mit sein werden. Umweltfragen, Beschäftigungsfragen, wirtschaftspolitische Fragen und europäische Fragen werden da zusammengehören.
Metadaten/Kopzeile:
13198 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 175. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. November 1985
StraßmeirAber Sie von der SPD haben sich doch längst festgelegt. Sie wollen doch gar keinen Großversuch und sein Ergebnis.
Ihre politischen Anträge sind doch schon längst da.
Ihre Einlassungen machten doch auch deutlich, daß Sie das Tempolimit wollen.
Ja, Sie pflegen hier heute Ihr ideologisches Trauma. Fünf, sechs Abgeordnete von der SPD sind im Saal, und Ihre Kollegen donnern mittlerweile mit vollem Rohr über die deutschen Autobahnen heimwärts in ihre Wahlkreise. Das ist die Realität auch bei Ihnen.
Deswegen ist das Interesse wirklich sehr gering.
Ich frage mich auch: Wo war Ihr Interesse von 1972 bis 1982? Nichts ist geschehen. Überhaupt nichts.
Nur ein paar Ideologen haben das immer gekonnt; jedes Mal mit anderen Begründungen. Erst war es die Energie, dann war es die Verkehrssicherheit, jetzt ist es die Umwelt.
Niemand von Ihnen hat das ernsthaft betrieben, solange Sie die politische Verantwortung gehabt haben.Im übrigen, reden Sie dem deutschen Volk nicht ein, es gebe in Deutschland kein Tempolimit! Von den 488 000 Kilometern Straße sind lediglich 7 000 Kilometer ohne Tempolimit. Genau über die reden Sie. Das ist die exakte Zahl. Auch in den Vereinigten Staaten, auch in Japan sind die Tempolimits nicht wegen der Umweltbelastung eingeführt worden, das wissen Sie so gut wie ich.
Bei Ihnen geht es lediglich um einen ideologischen Kampf, und Ihre manische Abneigung gegen das Auto schlägt hier durch.Ich sage Ihnen: wir werden alle entscheidungsrelevanten Unterlagen heranziehen. Aber wir werden uns die Entscheidung nicht leichtmachen. Sie wissen so gut wie ich, daß 80 % der Bevölkerung gegen ein Tempolimit sind. Eine demokratisch legitimierte Regierung muß schon sehr zwingende Gründe haben, wenn sie gegen den erklärten Willen des Volkes eine Entscheidung treffen will.
— Daß Sie der Wille des Volkes nicht interessiert, ist mir vollkommen klar.Weil wir gerade beim Demokratieverständnis sind: Mir hat bisher auch noch niemand plausibel machen können, wo der Sinn eines gespaltenen Tempolimits liegen könnte.
Dann reden wir, da wir gerade bei diesem Thema sind, auch einmal davon, daß wir es mit Europa zu tun haben. Sicher werden auch europäische Grundlagen die Entscheidung mit beeinflussen. Aber eines ist auch sicher: Viele, die in Europa vom Wald und von der Umwelt reden, meinen auch die deutsche Spitzentechnik, die ihnen gar nicht behagt.
Unsere grundlegende Entscheidungsrichtung wird sein: abwarten der Unterlagen. Allerdings ist unsere Zielrichtung eher moderne Technik für eine gute Umwelt und nicht der umgekehrte Weg.Lassen Sie mich als Berliner noch eine persönliche Bemerkung anschließen: Es muß schon sehr viel Wasser fließen,
ehe ich mich dazu entscheide, das Recht der DDR bezüglich Tempo 100 mit einer brutalen polizeilichen Überwachung den Bürgern der Bundesrepublik Deutschland zuzumuten.
Verehrte Kollegen, ich weiß, daß die Zwischenrufe die Würze der Debatte sind. Aber wenn die Summe aller Zwischenrufe mehr ausmacht als die Rede selber, ist das nicht mehr so ganz gut.
Nun hat der Abgeordnete Schulte das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, ich brauche die Rede von Herrn Straßmeir nicht zu kommentieren. Es sei ihm nur ins Stammbuch geschrieben, daß nach der letzten „Emnid"-Umfrage 65 % der Bundesbürger ein Tempolimit befürworten.In dieser Frage steht die Bundesregierung seit einem Jahr mit dem Rücken an der Wand.
Sie hat damals versucht, mit diesem Großversuch einen Ausweg zu finden, der allerdings scheitern mußte. Nun will sie quasi über Nacht völlig irrational, überhastet eine Entscheidung treffen, wobei ich davon ausgehe, daß diese Entscheidung schon längst getroffen worden ist,
und zwar nicht unbedingt im Kabinett, sondern letzlich in den Chefetagen der Automobilindustrie.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 175. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. November 1985 13199
Schulte
Es muß einmal ganz deutlich gesagt werden, daß dieser Großversuch ein Riesenbetrug am Steuerzahler ist.
Wenn Vertreter der Regierung schon vor dem Großversuch, aber auch während des Großversuches mehrfach gesagt haben, ein Tempolimit werde es mit dieser Regierung nicht geben, wenn die Ergebnisse in ihrer Gänze überhaupt nicht abgewartet werden — das hat der Parlamentarische Staatssekretär ja heute auch zugegeben —, wenn Tempo 80 gar nicht berücksichtigt werden soll und wenn von vornherein klar ist, daß es keine Bestrafung für zu schnelles Fahren auf den Teststrecken gibt, wenn also die Autofahrer quasi auf den Teststrecken zum Rasen eingeladen werden, dann kann man nur sagen: Dieser Großversuch war von vornherein eine Farce.Eins ist ja besonders interessant: Man kann in den Zeitungen — —
— Fragen Sie mich als leidenschaftlichen Bahnfahrer so etwas nicht. Ich kann das nicht nachvollziehen, da ich nicht dabei war.Ich möchte aber auf eine ganz besonders pikante Tatsache hinweisen. Der Hauptgrund, weshalb man das Tempolimit ablehnen wird, wird das Argument sein, daß sich der Autofahrer so oder so nicht an die Geschwindigkeitsbegrenzung hält. Dazu gibt es heute einen sehr schönen Kommentar in der „Tageszeitung" unter dem Titel: „Kohl will Anarchie." Ich möchte aus diesem Kommentar einiges zum besten geben.Die Argumentation der Bundesregierung ist sensationell. Sie enthält die lang versprochene Wende hin zur Anarchie, Kohl hat's kapiert: Verbote nützen nichts, weil sich niemand dran hält. Weil sich j a auch niemand an das Betäubungsmittelgesetz hält, weil ständig gekifft wird, weil es Bankräuber nicht lassen können, die Diebe, die Mörder, die Blutsauger, Spekulanten, Fälscher, Vergewaltiger, weil sich niemand an nichts hält und nichts mehr heilig ist — schaffen wir doch gleich den ganzen Gesetzesrümpel ab.
Und endlich können wir jetzt auch in unseren Städten ungehemmt die Sau rauslassen, kleine Kinder auf die Kühler nehmen, Omis über die Zebrastreifen jagen und den Radfahrern Benehmen beibringen.Ich will nicht behaupten, daß die Bundesregierung so weit geht, die Straßenverkehrsordnung abzuschaffen. Aber sie muß sich doch wirklich der Glaubwürdigkeit halber die Frage gefallen lassen, warum sie nicht den gleichen Weg beim Tempolimit beschreitet, den sie bei der Gurtanlegepflicht beschritten hat. Auch da hat sich herausgestellt, daß freiwillig viele Bundesbürger diese Maßnahme nicht befolgen, aber dann, wenn man Vorschriften macht, wenn man Geldstrafen einführt, die Befolgungsquote sehr hoch wird.Lassen Sie mich abschließend festhalten und der Bundesregierung sagen: Sie brauchen sich überhaupt nicht einzubilden, daß mit der Entscheidung in der nächsten Woche die Diskussion zum Tempolimit beendet ist.
Wir garantieren Ihnen, daß diese Diskussion bis zur nächsten Wahl, bis diese Bundesregierung abgelöst wird, weitergeführt wird. Wir werden bei der Meinung bleiben, und wir glauben auch, daß der unbeschönigte Großversuch dieses bestätigen wird, daß das Tempolimit die einzige sofort wirksame Maßnahme zur Rettung des Waldes sein wird.
Die wilde Raserei des „Waldkillers" Auto muß auch in der Bundesrepublik ein Ende haben.Danke schön.
Das Wort hat der Abgeordnete Hoffie.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das ist schon paradox.
— Danke schön. — Da sitzen SPD und GRÜNE, die seit einem Jahr erklären: Für uns ist alles klar;
wir brauchen überhaupt keine weiteren Studien, keine weiteren Untersuchungen, keine weiteren Ergebnisse. Wir wollen auf Grund der vorhandenen Erkenntnisse Tempo 100 auf Autobahnen und Tempo 80 auf Landstraßen — und das jetzt und sofort.
— Danke. — Jetzt plötzlich wird das umgedreht. Jetzt sagen Sie: Da ist aber noch eine Studie, da werden die Ergebnisse in den nächsten Tagen bekannt, und die müssen wir ganz sorgfältig und lange analysieren, sonst kann man eine verantwortungsgerechte Entscheidung nicht treffen.
Nun habe ich ja Verständnis dafür, daß insbesondere der Kollege Hauff dringend auf die Ergebnisse einer solchen Studie wartet, weil, wie ich ihm schon zweimal vorgehalten habe und zum drittenmal heute hier sagen muß, gerade er derjenige ist, der in Korrespondenz, die auch z. B. in der Süddeutschen Zeitung abgedruckt war, in seiner Ministerverantwortung ausdrücklich — z. B. dem BUND — erklärt hat, warum er damals, 1980, ein Tempolimit für nicht durchsetzbar und möglich hielt. Und hier stellt sich der Mann hin, der früher immer für Kalkar, und, nachdem er aus der Verantwortung her-
Metadaten/Kopzeile:
13200 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 175. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. November 1985
Hoffieaus war, gegen Kalkar war — das war ein zweites Beispiel —, und sagt: April, April, ist alles nicht wahr!
Also: Ausgerechnet SPD und GRÜNE, die jede weitere Ergebnisauswertung für überflüssig halten, wollen jetzt die gründliche Auswertung.
Nun kann ich sagen: Ich möchte Sie auch — nämlich für einen einzigen denkbaren Fall, den ich allerdings nicht für wahrscheinlich halte — sehr gründlich: Sollte das Ergebnis des Großversuchs eine völlige Überraschung sein, nämlich von den Ergebnissen erheblich abweichen, die wir alle mutmaßen und aus bisherigen Untersuchungen und Studien kennen, daß nämlich eine Schadstoffentlastung zwischen — ich sage mal — 2 und 5 bis 7 % liegen würde — das kennen wir aus bisherigen Studien —, dann ist allerdings doch wohl klar, daß auch die Bundesregierung nicht über Nacht und im Hauruck-Verfahren und nicht ohne auch den gründlichen Rat der FDP-Fraktion einzuholen,
entscheiden könnte. Sie wird natürlich auch Ihre Ratschläge einholen. Aber für den Fall, daß das Ergebnis nun wirklich in der Bandbreite der bisherigen Erwartungen liegt, ist doch für Sie alles klar: Dann wollen Sie Tempo 100. Dann ist für die CDU/ CSU alles klar, dann möchte sie am liebsten überhaupt keine Veränderung. Dann gibt es auch eine klare FDP-Position.
Meine verehrten Herren, etwas mehr Ruhe!
Dann gibt es eine ganz klare Position, die besagt: Ein allgemeines Tempolimit wird, wie immer dieses Ergebnis aussieht, mit der FDP nicht stattfinden, weil es umweltfeindlich ist. Das wissen Sie auch.
Es ist deshalb umweltfeindlich, weil es in der Bandbreite dieser 3 bis vielleicht 5 oder 6% nur einen ganz kleinen Umwelterfolg bringt,
im Gegensatz zu dem, was allein die deutsche Automobilindustrie der Bundesregierung schon jetzt verbindlich erklärt hat, daß nämlich 1986 bereits jedes zweite Fahrzeug und 1987 bereits zwei Drittel aller Fahrzeuge, die neu auf den Markt kommen, mit Katalysatoren ausgestattet sein werden,
mit dem Ergebnis, daß dann bereits 1987 insgesamt eine Schadstoffentlastung von 30 % besteht, was mindestens das Doppelte von dem ist, was ein allgemeines Tempolimit bringen könnte.
Deshalb nochmals: Mit der FDP wird es jede Möglichkeit geben,
jeweils die bessere, nicht aber die schwächere, die umweltfeindliche Lösung durchzusetzen, nämlich das allgemeine Tempolimit.
Sie sollten wirklich, meine Damen und Herren — gerade Herr Hauff —, nicht die Zeit für die Auswertung einer Studie anmahnen, die Sie ständig und überall für überflüssig gehalten haben. Nicht die Bundesregierung hat heute ihre Entscheidung schon fertig, sondern Sie haben sie seit über einem Jahr fertig und wollen hier nochmal einen nachträglichen Zauber veranstalten, weil sich das Thema dazu eignet.
Herzlichen Dank.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Duve.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Hoffie, Ihre Partei ist deshalb eine so unmögliche Partei, weil bei Ihnen, wie Sie selber sagen, alle Möglichkeiten möglich sind.
Dieser Großversuch zur Verhinderung des Tempolimits ist strategisch angelegt, wird mit allen technischen, strategischen und taktischen Mitteln gefahren, und man versucht jetzt, nach zwei Jahren Organisation der Verhinderung des Tempolimits, zu einem Ergebnis zu kommen, um es ein für allemal loszuwerden. Herr Hoffie, Sie haben sich daran beteiligt.Sie greifen uns wegen der Vorgänge zu Beginn der 80er Jahre an. Ich erinnere mich noch sehr gut, daß wir beide Berichterstatter für einen Bericht, ich glaube, 1981 im Verkehrsausschuß waren, wo ich, auch aus den beiden sinnvollen und ernsthaften anderen Gründen, die erwähnt wurden, für ein Tempolimit war, während Sie versucht haben, jede Diskussion über ein Tempolimit im Grundsatz abzuwürgen. Die FDP war schließlich mal der Koalitionspartner. Ich finde es in Ordnung, daß der damalige Verkehrsminister Hauff in der Öffentlichkeit das gesagt hat, was die Gesamtregierung zu vertreten hatte.Wir haben hier schreckliche Sachen mit dem Tempolimit erlebt. Bei der Frage der Verkehrstoten wurde dann „freie Fahrt für freie Bürger" gesagt, bei der Frage der Energieeinsparung, die nun wirklich ein dramatischer Gesichtspunkt wurde, wurde
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 175. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. November 1985 13201
Duveebenso argumentiert. Wir haben es jetzt mit der Erkenntnis zu tun, daß Stickoxide einen großen Anteil haben und daß ihr Ausstoß bei hoher Geschwindigkeit sehr steigt. Diese Erkenntnis ist relativ jung. Trotzdem hatten wir seit 2 1/2 Jahren gesicherte Erkenntnisse, mit denen wir wenigstens das, was Sie als Marge hier beschrieben haben, verwirklichen konnten, nämlich das von Kraftfahrzeugen erzeugte Stickoxid um bis zu 7% zu reduzieren.Wir haben eine gute Anhörung gehabt, wir haben die Wissenschaftler gehört. Wir haben alles gesammelt, was wir an Erkenntnissen hatten, und dann haben wir gesagt: Wir brauchen keinen Großversuch.
Wir haben gesagt: Das Tempolimit ist für den Wald nötig, es ist sofort möglich, und wir vertrauen darauf, daß die Bürger, die Fahrerinnen und Fahrer auf den Autobahnen, das auch akzeptieren; denn für den Wald — das sagen Sie auch immer, und auch die Herren, deren Stühle jetzt nicht besetzt sind, haben es immer wieder gesagt — müssen wir alles tun, was wir können. Das hätten wir tun können. Sie wollten es verhindern, und deshalb nun dieser Großbetrug an den Erwartungen der Bürger, auch der Leute, die sich um den Wald kümmern, auch der Waldbesitzer. Es geht um Zeitgewinn und den Versuch, ein bißchen Zeit hinauszuschieben.
— Ja, das ist ein Großbetrug.
— Das ist ein sehr schmeichelhafter Zwischenruf, weil Sie ihn ja literarisch verstehen und das Maul ja auch eine gewisse literarische Bedeutung hat, Herr Kollege Wolfgramm. Da werden wir uns nicht streiten, sondern wir beide werden wieder zu Abend essen und in dieses eben von Ihnen so zitierte Maul wunderbare Sachen hineinstopfen.
— Das ist richtig.Aber eine Sache möchte ich hier doch loswerden: Ich glaube, die Regierungsparteien werden aus der Legitimationsfrage nicht entlassen werden. Sie haben etwas inszeniert, sie haben Wissenschaftler engagiert, sie haben Wissenschaftler auch mißbraucht. Das Ergebnis steht fest. Es war ganz deutlich zu sehen, daß unser Jein-Sager von eben aus der Fragestunde bereits alles ganz genau weiß, was er dann in der nächsten Woche entscheiden wird. Die Entscheidung steht fest. Sie tun der Öffentlichkeit gegenüber so, als sei diese Frage noch offen. Ich habe Sie danach gefragt, Herr Schulte. Aus diesem Umgang mit der Öffentlichkeit und dem Parlament werden wir Sie nicht entlassen.Ich danke für die Aufmerksamkeit.
Das Wort hat der Abgeordnete Schmidbauer.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist in der Tat eine Situation, Freitagnachmittag eine Aktuelle Stunde über Dinge zu beantragen, die wir über ein Jahr intensiv beraten.
— Herr Mann, Sie waren nicht dabei.
Sie handeln nach dem Motto: „Wissen ist Macht; nichts wissen macht nichts." Das ist Ihre Devise. Aber damit kommen wir ja hier nicht weiter.
Wir sollten uns in der Tat darauf besinnen, was wir — Fraktionen und Bundesregierung — 1984 in diesem Parlament gesagt haben, Herr Duve.
— Herr Hauff, Ihre Zwischenrufe können mich nicht erregen. Aber Ihre Polemik vorhin gegen die Bundesregierung ist doch überhaupt nicht berechtigt. Es gibt tätige Minister und untätige Minister.
Sie waren — das können wir bescheinigen — der untätigste Minister in diesem Bereich in Ihrem Amte.
Sie haben zu keinem Zeitpunkt Anstrengungen unternommen,
obwohl Sie heute ständig darauf hinweisen — —
— Auch wenn Sie mich am Sprechen hindern wollen, können Sie das nicht.
Ich werde es Ihnen noch einmal sagen: 1972 sind die Amerikaner darangegangen, Katalysatoren auf den Markt zu bringen, ebenso die Japaner. Sie waren nicht imstande, auch nur zu kopieren. Und hier geben Sie gute Ratschläge! Sie sind, wenn es im Innenausschuß um Anhörungen und Beratungen geht, nicht dabei. Aber hier im Plenum, wenn verbaler Umweltschutz betrieben werden kann, dann tun Sie das. Das kann Ihnen niemand abnehmen, und auch wir nehmen Ihnen das nicht ab.Um was geht es? Ich habe bereits 1984 darauf hingewiesen, wie groß der Streitwert ist. Ich habe darauf hingewiesen, daß keine der bisherigen Untersuchungen auf den Verkehrsverlauf Rücksicht nimmt, keine der Untersuchungen Längsprofile mißt. Wir haben damals gesagt: Dies ist keine Grundlage für
Metadaten/Kopzeile:
13202 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 175. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. November 1985
Schmidbauereine Entscheidung. Diese Grundlagen werden jetzt vorliegen.
— Jetzt sind mir Ihre Zwischenrufe völlig unverständlich. Was haben Sie plötzlich dagegen, daß diese Bundesregierung handelt, wie sie in diesem Bereich seit drei Jahren handelt?Ich will Ihnen Ergebnisse sagen, die Sie nicht hören wollen. Der Kollege Hauff hat vorhin auf die TA Luft hingewiesen. Herr Kollege, diese 90 000 t bei der Technischen Anleitung Luft kann nur der so interpretieren, der sich in der Tat mit diesen Dingen nicht beschäftigt.
Bei der TA Luft geht es grundsätzlich nicht nur um Stickoxidreduzierung. Nur, der Kollege Hauff weiß es nicht, denn sonst könnte er keine solchen Scheinargumente vorbringen.
Ich will Ihnen sagen, wo unser grundsätzlicher Unterschied ist: Sie wollen mehr Dirigismus über Tempolimit, wir wollen mehr Technologie.
Wir vertrauen darauf, daß mit mehr Technologie mehr Schadstoffemissionsminderung erreicht werden kann. In einem können Sie sicher sein: daß diese Bundesregierung so handelt, wie es richtig ist. Meine Fraktion wird diese Bundesregierung in dieser Entscheidung unterstützen, und dann können Sie, Herr Schulte, die Diskussion bis 1990 treiben, dann wohl wahrscheinlich außerhalb dieses Parlaments.Herzlichen Dank.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Antretter. — Ist er im Saal?
— Dann gebe ich dem Abgeordneten Müller das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir wollen diese heutige Debatte nicht deshalb, weil wir hier scheinideologische Gefechte ausstragen wollten, sondern wir haben dafür einen schlichten, einfachen Grund: Wir wollen möglichst schnell den Ausstoß von Gift in die Luft reduzieren. Das ist der einfache Grund, und da geht es nicht um Scheinideologien!
Wir sagen dabei auch nicht, es gehe nur ums Auto. Es geht um eine Vielzahl von Maßnahmen, aber auch das Auto muß dazu seinen Beitrag leisten. Nach dem Trauerspiel der letzten Jahre, insbesondere der letzten Monate im Zusammenhang mit der EG, bleibt da kein anderes wirksames, kurzfristig sehr effizientes Mittel als die Tempobegrenzung. Das ist der entscheidende Punkt, um den es geht!
Meine Damen und Herren von der Bundesregierung, Sie können doch nicht beispielsweise als Bundesregierung in der Beantwortung der Großen Anfrage zu dem Thema „Kranke Umwelt, kranke Luft" bedauern, daß insbesondere der Ausstoß von Schadstoffen aus Kraftfahrzeugen weiterhin dramatisch ansteigt, daraus bei einer anderen Debatte dann aber keine Schlußfolgerungen ziehen.
Wir müssen Sie doch in einer solchen Diskussion ernst nehmen, bzw. wir wollen, daß die Politik in einer solchen Diskussion ernst genommen wird, und deshalb werden wir in dieser Frage auch nicht nachlassen.In der vor kurzem gegebenen Antwort auf die Große Anfrage steht, das Entscheidende bei der Luftverunreinigung sei nach wie vor der starke Anstieg der Stickoxide. Das kann man nachweisen, und deswegen ist dies keine ideologische Debatte. Auf der Basis der dramatischen Entwicklung beim Waldsterben, im Hinblick auf den Menschen und angesichts des Versagens der Bundesregierung bezüglich sinnvoller Regelungen auf europäischer Ebene bleibt uns eben nichts anderes, als hier klar zu sagen: Wir wollen kurzfristig ein Tempolimit, und zwar nicht nur auf Bundesautobahnen, sondern gleichzeitig auch als Tempo 80 auf Landstraßen.Der zweite wichtige Punkt: Wir haben nie verkannt, daß der Großversuch eigentlich nicht nötig war. Diese Auffassung haben wir immer vertreten.
— Das haben wir nie verkannt, weil die Daten, die vorliegen, unseres Erachtens für ein politisch verantwortliches Handeln ausgereicht haben.
Es gibt — —
— Wissen Sie, selbst wenn man die untere Grenze der in den heute vorliegenden Studien enthaltenen Daten zugrunde legt, selbst wenn man die Aussagen des ADAC oder die Aussagen des Bundesverbandes der Automobilindustrie zugrunde legt,
wird man durch ein Tempolimit noch zu Ergebnissen kommen, die Sie in anderem Zusammenhang als großen umweltpolitischen Erfolg bezeichnen würden.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 175. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. November 1985 13203
Müller
Nehmen Sie sich in dieser Frage doch selbst einmal ernst!
Gerade weil wir das ernst nehmen, wollen wir nicht, daß es in dieser Frage zu einer Nacht- und Nebel-Aktion kommt. Wir wollen, daß diese Ergebnisse sehr sorgfältig beraten werden und daß es sich eben nicht um eine Alibiveranstaltung mit Kosten in einer Größenordnung von 14 Millionen handelt. Es soll dies eben nicht ein Großtäuschungsversuch sein, sondern wir wollen klar erörtern, daß es sich dabei nicht um eine Verschleierung handelt. Wir wollen eindeutig herausfinden, daß wir mit dem Tempolimit die Möglichkeit haben, zu einer Reduzierung der Umweltkrankheiten, speziell der Luftkrankheiten, zu kommen.Ich halte es beispielsweise für einen ganz wichtigen Punkt, zu sehen, was im Augenblick über gezielte Presseveröffentlichungen an Verschleierungstaktik läuft. Da wird auf einmal davon geredet, auf Abschnitten, auf denen klar Erfolge zu verzeichnen sind, liege das daran, daß wegen des großartigen Alpenpanoramas die Leute heute langsamer fahren. Das ist doch eine abenteuerliche Argumentation! Wie ernst soll man denn solche Argumente noch nehmen? Das geht nicht!
Zuletzt will ich nur mit einem Satz auf einen Punkt eingehen, auf die Frage des Polizeistaats; das ist ja beim letztenmal in der Argumentation hochgekommen. Abgesehen davon, daß ich diesen Vergleich für verfehlt halte, bitte ich Sie, doch einmal über eines nachzudenken: Was passiert, wenn die Entwicklung im Bereich der Umwelt immer dramatischer wird? Welche autoritären staatlichen Mittel müssen wir dann einsetzen, um eine Katatrophe abzuwenden! Seien Sie in diesem Zusammenhang bitte sehr vorsichtig mit dem Argument des Polizeistaates. Denken Sie an die Verantwortung, die Sie in dieser Frage haben.
Das Wort hat der Abgeordnete Haungs.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die beiden Standpunkte, die bisher vorgetragen worden sind, unterscheiden sich nur darin, daß der der GRÜNEN logisch, allerdings falsch ist. Sie brauchen kein Tempolimit; Sie wissen alles besser; nur: Sie wissen — leider — alles besser falsch.
Bei der SPD ist es etwas differenzierter. Sie wollen über den Großversuch diskutieren, obwohl dieMehrzahl der Redner der Meinung ist, er sei gar nicht notwendig.
Dies ist allerdings unlogisch. Mit welcher Geschwindigkeit wir auf unseren Straßen fahren können oder sollten, ist von vielen Faktoren abhängig.
Angesichts der Umweltbelastung durch den Straßenverkehr wird deshalb heute mit großem Eifer darüber gestritten, ob ein Tempolimit auf Autobahnen sinnvoll oder notwendig ist.Diese Diskussion wurde heute nicht begonnen und wird — da haben Sie recht — heute sicherlich auch nicht beendet. Sie ist auch nicht originell. Sie ist nicht neu. Aus Gründen der Verkehrssicherheit wurde darüber diskutiert. Die Entwicklung bei den Unfällen ist rückläufig. Aus Gründen der Energieeinsparung wurde darüber diskutiert. Die Verbrauchswerte sind rückläufig. Heute sind der Verkehr und das Auto und die daraus resultierenden Belastungen durch Abgase Mittelpunkt der Diskussion. Von uns wird eine Lösung erwartet, die ökologischen, wirtschaftlichen und verkehrspolitischen Erfordernissen Rechnung trägt.Vorhin wurde der sehr einfältige Zwischenruf gemacht, die Einführung eines Tempolimits sei sogar kostenlos.
Das ist natürlich großer Unsinn. Es liegt nicht im Interesse der Bundesrepublik Deutschland. Diejenigen, die sich bei anderen Diskussionen so intensiv über Arbeitsplätze unterhalten, setzen hier in einer ganz kurzfristig angelegten Logik Arbeitsplätze aufs Spiel.
Wir empfehlen gerade der Partei, die vorgibt Arbeitnehmerinteressen zu vertreten, intensive Diskussionen mit ihren Betriebsräten.
Wir alle wissen: Die deutschen Autos sind teuer. Sie sind auch besser. Durch das Zusammenwirken vieler Faktoren sind sie auch exportfähig.
— Wir brauchen keine Reklame.
Metadaten/Kopzeile:
13204 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 175. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. November 1985
Haungs— Ich muß Sie mit meinen Worten ja ganz schön aufregen. Das verstehe ich nicht.
— Geben Sie ein bißchen Ruhe!
Herr Abgeordneter Duve, ich wäre Ihnen doch sehr dankbar, wenn Sie dem Redner die Chance ließen, seine Rede ordentlich zu Ende zu bringen.
Denken Sie an das berühmte Maul, Herr Kollge Duve. — Hören Sie jetzt neben dem wirtschaftlichen vor allem auch die verkehrspolitischen Argumente. Es ist nicht sinnvoll, auf Autobahnen ein starres Tempolimit einzuführen und von der bewährten Regel „Richtgeschwindigkeit 130" abzugehen. Sie wissen, wir haben eine günstige Entwicklung der Unfallzahlen auf den Autobahnen zu verzeichnen. Die Rate der Unfälle und der dabei Getöteten hat stärker als auf allen anderen Straßen abgenommen. Dies ist sicherlich kein Grund, hier etwas zu ändern.
Wir sagen ja zu einer gezielten Begrenzung bei Gefahrenpunkten. Wir sagen auch ja zu einer besseren Überwachung und Bestrafung von notorischen Rasern.
Der Großversuch wird uns, wenn seine Ergebnisse vorliegen, zeigen — deshalb ist er nicht überflüssig —, welche Einspareffekte an Schadstoffen es gibt. Dann können wir hier eine fundierte Entscheidung treffen.
Ich bin — dies wurde auch schon angesprochen —, was die Befolgungsrate angeht, äußerst skeptisch, denn der Großversuch hat gezeigt, daß sich rund zwei Drittel der Autofahrer nicht an die Geschwindigkeitsbegrenzung gehalten haben.
— Ja, natürlich.
— Lesen Sie doch die Zeitung. Es steht in der „Wirtschaftswoche"; es steht auch in allen anderen Zeitungen.
— Was kann ich dafür, wenn Sie sie nicht lesen.
Weil sehr oft das Beispiel unserer europäischen Nachbarn angezogen wird, möchte ich einmal auf das europäische Umfeld schauen. Ich sehe für die EG-Kommission überhaupt keinen Harmonisierungsbedarf in Sachen Tempolimit. Ich bezweifle sehr, ob unsere europäischen Mitbürger gerade in diesem Bereich einen gravierenden Mißstand sehen. Vermutlich werden sie die deutsche Regelung mit der Richtgeschwindigkeit als die bessere Lösung ansehen. Ich empfehle der EG-Kommission, sich auf den Abbau anderer Harmonisierungsdefizite zu konzentrieren, z. B. darauf, ob nicht europaweit der Rechtsverkehr eingeführt werden könnte oder ob sie nicht ein Konzept zur freien Benutzung der Verkehrswege und zur Abschaffung der Autobahngebühr durchsetzen könnte.
Dies sind wesentlich entscheidendere Probleme, die im Rahmen der europäischen Harmonisierung zu lösen sind.
Herr Abgeordneter, ich habe in der Aktuellen Stunde auf strikte Einhaltung der Redezeiten zu achten und bitte, daß Sie jetzt zum Schluß kommen.
Dann lassen Sie mich abschließen. Die Gefahr bei der Einführung eines Tempolimits besteht darin, daß es keinen Anreiz für den Anstieg der Zahl der Zulassungen von schadstoffarmen Autos gibt, weil die Motivation fehlt. Wir sollten sauberer in die Zukunft fahren und alles tun, um die Einführung dieser Autos zu gewährleisten. Auch das gespaltene Tempolimit — dies zum Schluß — wäre keine sachgerechte Lösung.
Das Wort hat der Abgeordnete Fellner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sie kritisieren hier den Umgang mit dem Parlament. Man merkt Ihnen richtig an, daß Sie es nicht ertragen konnten, heute Debatten nicht zu führen, die Sie ohnehin in 14 Tagen führen werden
und nach Ihrer eigenen Erklärung auch im nächsten Jahr noch führen wollen. Ich würde sagen: Haben Sie etwas mehr Geduld, und warten Sie ab, bis die Entscheidungen derer, die jetzt daran sind, sich zu äußern, gefallen sind. Dann werden wir uns in diesem Hause auch dazu äußern.Herr Kollege Hauff, es gehört schon ein hohes Mall an Unverfrorenheit dazu, daß Sie sich hier herstellen und solche Reden halten, wenn man Ihnen — auch unter Freunden — attestieren muß, daß Sie als umweltpolitisch blinder Verkehrsminister agiert haben. Wenn es darauf angekommen wäre, daß man in der Umweltpolitik einen Durchblick hat, hätten Sie wahrscheinlich nicht einmal den Führerschein bekommen dürfen. Das muß man Ihnen leider attestieren, weil Sie diese Bundesregierung hier in einer groben und verletzenden Art und Weise rügen, selber aber in der Zeit Ihrer Verantwortung wirklich erbärmlich versagt haben.Ich glaube, daß der Hauptgrund für Ihre Aufregung ist, daß Sie meinen, die Bundesregierung würde sich nach Vorlage der Ergebnisse des Großversuchs zu kurzfristig entscheiden. Man könnte umgekehrt natürlich auch Sie kritisieren und sa-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 175. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. November 1985 13205
Fellnergen, daß Sie die Entscheidung schon getroffen haben, bevor es überhaupt einen Großversuch gibt. Sie wußten es schon immer besser. Sie wollten diesen Versuch nicht.Ich meine, daß es ausreicht, in einer kurzen Zeit nach Vorlage der Ergebnisse des Großversuchs zu entscheiden, denn das Argumentationsraster bzw. das Raster von Abwägungskriterien ist j a bekannt, Herr Kollege Schäfer. Ein Kriterium in diesem Raster ist selbstverständlich das Ergebnis des Großversuchs. Dieses Ergebnis wird in das Abwägungsraster eingesetzt werden. Deshalb kann man relativ einfach und schnell darüber entscheiden, was nach Vorlage der Ergebnisse des Großversuches zu tun ist.Ich meine, Sie sollten sich auch hüten, den Großversuch zu verteufeln. Was sagen Sie denn, wenn dieser jetzt zu Ihrer Freude und zu unserer Überraschung tatsächlich gravierende, beachtenswerte Ergebnisse bringt? War es dann auch ein untauglicher Großversuch? War es dann auch eine Unverschämtheit, wie Sie es darstellen? Oder ist der Großversuch dann vielleicht Grundlage für Ihre künftige Argumentation? Ich meine also, Sie sollten sich vor einer Verteufelung hüten.Ich habe gesagt: Die Abwägungskriterien stehen unabhängig vom Ergebnis dieses Großversuches in vielen Punkten fest. Was meines Erachtens auch gewürdigt werden muß, ist die Reaktion des Bürgers. Man muß berücksichtigen, was passieren kann, wenn mit dem Signal, langsam zu fahren, weil es ein Tempolimit gibt, sozusagen Entwarnung gegeben wird. Es kann immerhin sein, daß dann die Bereitschaft, in moderne Abgasreinigungstechniken einzusteigen und auf das Katalysatorauto umzusteigen, plötzlich nicht mehr vorhanden ist. Zu berücksichtigen ist auch die Frage der Auswirkungen auf den Stand der Technik. Ferner sind die Fragen der Sicherheit, der Konkurrenzfähigkeit und der Verlagerung des Verkehrs auf Landstraßen zu beachten.
Das kann man unabhängig von diesem Großversuch überlegen. Das hat die Bundesregierung selbstverständlich getan.Ich glaube, daß ähnliche Fragen auch bei dem gespaltenen Tempolimit zu stellen sind, bis hin zur Frage der Entwertung des Altwagenbestandes. Von Bedeutung sind auch die Fragen der Überwachung und des eventuellen Entstehens eines inhomogenen Verkehrs. Alles das sind neben den Ergebnissen des Großversuchs Entscheidungskriterien, die man würdigen muß. Ich meine, daß die Bundesregierung gut daran täte, diese Kriterien dann in Relation zum Ergebnis des Großversuchs zu setzen, das in wenigen Tagen vorliegen wird.Ihr Verdacht, daß man Zwischenergebnisse haben könnte, ist wirklich nicht gerechtfertigt. Herr Kollege Schäfer, Sie müssen mal versuchen, einen Computer nur mit der Hälfte der erforderlichen Datenmenge zu füttern, um nur ein Zwischenergebnis zu erzielen. Da wird sich Ihre Technikfeindlichkeit rächen; denn der Computer wird Ihnen diesen Gefallen nicht tun. Deshalb gibt es zum jetzigen Datum auch keine Zwischenergebnisse dieses Großversuchs. Nehmen Sie das getrost hin.
Das Wort hat der Abgeordnete Antretter.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn hier einer etwas nicht verkraftet, dann sind Sie es, Herr Fellner. Sie verkraften das Ergebnis dieses Großversuchs offenbar nicht. Und Sie haben es von Anfang an nicht leicht gemacht, daß der Großversuch zu einem Erfolg führt. Sie haben vielmehr alles getan, damit er eher ein Mißerfolg würde.
Nun haben wir Zahlen auf dem Tisch, die heute schon von einigen Ihrer Kollegen bestätigt wurden — wahrscheinlich waren das aus Ihrer Sicht Indiskretionen —, wonach dieser Großversuch ein voller Erfolg gewesen ist. Meine Damen und Herren, dieser Erfolg, den Sie heute schon kennen und den wir zumindest ahnen, hat eine Größenordnung — Sie spielen das herunter —, die eindrucksvoller als das ist, was Sie mit der TA Luft erreicht haben. Und die TA Luft feiern Sie doch als einen großen Erfolg. Wir geben Ihnen dabei sogar recht, sagen aber: Lassen Sie uns beides zusammen werten.Wenn eine derartige Maßnahme — und ich habe den Eindruck, sie brächte mehr als die TA Luft — zu einem solchen Erfolg führte, wäre sie doch weiß Gott etwas, was so schnell wie möglich zu befürworten wir Anlaß hätten.Nun sagen Sie, das Tempolimit sei nicht zu überwachen, und es würde nicht eingehalten werden. Bei einer der Fragen an den Herrn Staatssekretär ist das heute früh schon zum Ausdruck gekommen. Ich muß Ihnen sagen, meine Damen und Herren, wenn das Tempolimit im Großversuch nicht oder nicht ausreichend eingehalten wurde, dürfen Sie sich gar nicht wundern; denn Sie haben mit Ihren den gesamten Großversuch begleitenden und jedes Tempolimit diffamierenden Kommentaren die Bürger zum Schnellfahren geradezu aufgefordert, während Sie einen Großversuch gemacht haben. Was mußte sich eigentlich ein Verkehrsteilnehmer denken, wenn Sie auf der einen Seite einen Großversuch veranstaltet haben, der einige Millionen DM kostete, und andererseits Ihren Staatssekretär im Innenministerium schon am Beginn des Versuchs haben sagen lassen: Es wird auf keinen Fall ein Tempolimit geben, ganz gleich, was bei diesem Großversuch herauskommt?
Meine Damen und Herren, zuerst gibt man also augenzwinkernd zu verstehen, man könne ruhig weiterhin schnell fahren, es werde schon nichts passieren, und man brauche sich durch diesen
Metadaten/Kopzeile:
13206 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 175. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. November 1985
AntretterGroßversuch nicht beeindrucken zu lassen, und dann kommt man noch mit der scheinheiligen Begründung, daß die Begrenzung nicht befolgt werde und Überwachung nicht möglich sei. Meine Damen und Herren, haben Sie sich das eigentlich auch gefragt, als Sie das Demonstrationsstrafrecht beschlossen haben? Auch da sind alle Polizeibeamten mit uns der Meinung, daß das noch ein bißchen schwerer zu überwachen ist als das vorherige Recht, von der Verhältnismäßigkeit der Mittel in diesem Zusammenhang einmal gar nicht zu reden. Ist Ihnen eigentlich klar, was Sie mit der angeblichen Begründung, die Einhaltung eines derartigen Gesetzes könne nicht garantiert werden, für eine Unsicherheit in die Bürger tragen? Sie geben doch damit das ganze Verkehrsrecht zum Abschuß frei.
Warum lassen Sie denn dann noch Tempo 50 in den Ortschaften fahren?Oder eine noch ulkigere Geschichte, meine Damen und Herren: Sie haben sich doch so gegen die bußgeldbewehrte Anschnallpflicht gewehrt, die der Verkehrsminister Hauff haben wollte.
Dieses Weniger an zweieinhalbtausend toten Menschen hätten wir schon ein Jahr früher haben können,
wenn Sie seinen Gesetzentwurf nicht in die Schublade gelegt hätten. Ist das denn Nichtstun? Das war doch eine Verkehrspolitik, die für die Menschen war. Die haben Sie zunächst in die Schublade gelegt.
Wir wissen, worum es Ihnen geht, meine Damen und Herren. Nach Ihrer anfänglichen Verzögerungstaktik verfallen Sie nun plötzlich in Hektik. Das hängt damit zusammen, daß Sie schon heute ganz genau wissen, daß eine detaillierte Diskussion über die Ergebnisse des Großversuchs Ihr Einvernehmen mit der Automobilindustrie in Schwierigkeiten bringen würde.
Ist es denn nicht so, daß der Herr Bundesverkehrsminister gerade jetzt in einem Brief an den Herrn Bundeskanzler mitgeteilt hat, er sei gegen ein Tempolimit, weil auch die deutsche Automobilindustrie dagegen sei? Haben Sie sich eigentlich einmal überlegt, ob die Argumente dieser Herren auch so seriös sind wie die Produkte, die ihre Ingenieure und Facharbeiter herstellen?
Ihre Anzeigenwerbung jedenfalls, in der nach wie vor zum Rasen aufgefordert wird,
ist exakt das Gegenteil von verantwortlichem Verhalten,
das von einer so großen Unternehmensgruppe erwartet werden kann.Von 1953 bis 1981 sind im Straßenverkehr in der Bundesrepublik 431 061 Menschen gestorben. Also wurde mehr als die Einwohnerschaft solcher Großstädte wie Wuppertal oder Bochum ausgelöscht.
Die Zahl der schwer verletzten Personen, die also häufig an den Folgen ihrer Verletzung für das ganze Leben tragen müssen, betrug allein in den letzten zehn Jahren mehr als 1,6 Millionen.
Meine Damen und Herren, das entspricht etwa der Einwohnerzahl von Hamburg.
Herr Abgeordneter, ich muß auch bei Ihnen auf die strikte Einhaltung der Redezeit achten.
Meine Damen und Herren, Herr Präsident, mein letztes Wort: Wir brauchen das Tempolimit dringender denn je. Ihr Großversuch wird es belegen. Er hat es schon belegt. Sie wollen es heute nur noch nicht zugeben, weil Sie sich noch überlegen wollen, wie Sie noch einmal um dieses Tempolimit herumkommen.
Vielen Dank.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Hoffie.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nochmal zu dem, was hier an Argumenten vorgebracht wurde.Das erste ist die Sicherheit. Herr Kollege Antretter, wenn es um Fragen der Verkehrssicherheit geht, müßten alle deutschen Autofahrer dringend aufgefordert werden, möglichst noch mehr die Autobahnen zu benutzen, als sie es ohnehin schon tun; denn das sind die sichersten Verkehrswege.
Dann müßten Sie jedem Verkehrsteilnehmer raten: Fahr bitte nicht innerorts, wenn du irgendwie kannst. Fahr bitte nicht auf Landstraßen, sondern fahr soviel wie möglich
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 175. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. November 1985 13207
Hoffieund nicht nur ein Viertel deiner Fahrzeit auf Autobahnen. — Das zur Sicherheit.
Deswegen ist nur ein ganz geringer Teil derjenigen, die tatsächlich auf Autobahnen tödlich verunglükken, auf den geschwindigkeitsbegrenzungsfreien Teilen der Autobahnen verunglückt, während die sehr große Zahl der auf der Autobahn Verunglückten immer dort verunglückten, wo ohnehin Tempobegrenzungen auf Autobahnen sind. — Das zur Sicherheit.Zweitens. Energie. Es gab 1971/72 die Entscheidung: entweder Tempobegrenzung, um Energie zu sparen, oder Erklärung und Verpflichtung der Automobilindustrie, innerhalb eines vorgegebenen Zeitrahmens eine bestimmte Energieminderung durch die Entwicklung von Sparmotoren zu erreichen.
— Beides wäre nicht gegangen.
Niemand kauft sich einen Sparmotor, der teurer ist, nur damit er anschließend auf der Autobahn dann mit Tempo 100 ausgestattet wird.
Die deutsche Automobilindustrie hat in kürzerer Zeit als angegeben bewiesen, daß die industriepolitische Anstrengung ein Mehrfaches des Energieeinsparungserfolges gebracht hat, als eine Tempobegrenzung je gebracht hätte.
Jetzt zum Industriepolitischen. Was Sie uns hier vorwerfen: Die Entscheidung der Industrie würde die Entscheidung der Bundesregierung beeinflussen.
[SPD]: Nein! — Zuruf
von den GRÜNEN: Hat sie schon!)Nicht die Unternehmensführer, nicht der VDA allein
— Herr Duve das sollten Sie sich hinter die Ohren schreiben —, sondern die Betriebsräte aller deutschen Automobilhersteller, die Millionen von Arbeitnehmern vertreten, haben an die Bundesregierung, an die politischen Parteien appelliert, um Gottes willen kein Tempo 100 und, auf Landstraßen, 80 zuzulassen. Da frage ich Sie, ob alle diese Menschen, die Millionen, die in Herstellerbetrieben arbeiten und von Gewerkschaften vertreten werden, Idioten sind, die weniger über die Zusammenhänge von Tempobegrenzung und Produktionserfolg wissen als Sie, Herr Duve, oder Sie, Herr Schäfer, oder andere
die sich hier in dieser Frage hervortun.
Es sind die Betriebsräte, die uns auffordern. Das ist ja auch richtig.
Die Betriebsräte wissen besser als Sie, daß ein Tempolimit 100 nur einige wenige Prozent Schadstoffreduzierung bringt. Die, die Katalysatoren, Nachrüstsysteme entwickelt haben,
wissen, daß diese Systeme das Zehnfache dessen bewirken, was Sie dem deutschen Autofahrer aufoktroyieren wollen.Und nun frage ich Sie mal im Ernst:
Wenn für jeden normalen Menschen klar feststeht, daß ein mit Katalysator ausgerüstetes Auto 90 % der Schadstoffe beseitigt,
aber durch Tempo 100 nicht noch weitere Schadstoffe als die 90% reduzieren kann, warum soll dann jemand, der ein solches Katalysatorauto, zudem mit Mehraufwendungen, gekauft hat, nun Tempo 100 fahren, obwohl es umweltpolitisch nicht mehr bringen kann?
Und ich frage Sie: Warum muß denn jemand, der auf eine Schadstoffreduzierung von 30 oder 50 oder 60 % nachgerüstet hat und der mit diesem schadstoffreduzierten Auto auch durch Tempo 100 nicht mehr an Schadstoffentlastung bringen kann, auf Autobahnen Tempo 100 fahren,
obwohl es zum Umweltschutz nichts beiträgt?
Warum fordern wir nicht DIE GRÜNEN und alle, die ihnen nachlaufen, auf,
zur Kenntnis zu nehmen, daß wir bei der Schadstoffentlastung nicht eine Lösung von 3 oder 4 oder 5 oder 6 % wollen, sondern eine Lösung von 50 oder 60 oder 90%? Wer die bessere, weil umweltfreundlichere, Lösung nicht vertritt,
Metadaten/Kopzeile:
13208 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 175. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. November 1985
Hoffieder kann doch nicht hier antreten und sagen: Ich handle sofort und ganz energisch im Interesse des Umweltschutzes. Mit ihrem allgemeinen Tempolimit, das Sie mit und ohne Großversuch durchsetzen wollen, handeln Sie nicht für, sondern entschieden gegen die wirklichen Interessen des Umweltschutzes,
die Sie mit der besseren Technik — die Sie fördern müssen — und nicht mit dem Dirigismus bei Tempo 100 erreichen können.
Herr Abgeordneter, auch bei Ihnen muß ich auf strikte Einhaltung der Redezeit bestehen.
Herzlichen Dank, Herr Präsident. — Der letzte Satz an die SPD: Sie sind gegen den bisherigen Großversuch und wollen in Wahrheit — das ist Ihre Forderung — vier Jahre lang Tempo 100 als neuen Großversuch erforschen.
Auch diese Schizophrenie in der politischen Debatte sollten Sie gelegentlich dem Parlament erklären.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schemken.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Tempolimit und andere Themen werden von Zeit und Zeit gerade von der jetzigen Opposition freitagmittags nach oben gezogen. Worum handelt es sich hier?
Um einen hochinteressanten Vorgang, wo zwei Dinge, die der Deutsche liebt, zur Diskussion stehen. Das ist zum einen der deutsche Wald. Niemand zweifelt daran, daß wir alle ihn lieben. Und dann gibt es das Auto.
— Der Wald ist für mich ein Stück Heimat und auch ein Stück Vaterland — wenn Sie es so hören wollen —.
Auch das Auto wird vom Deutschen geliebt.
Beide Dinge prallen aufeinander. Wer hindert Sie eigentlich, als aufgeklärte Demokraten Tempo 100 zu fahren?
Wer hindert eigentlich den Bürger draußen, dies zu tun?Zur Sache: Weisen Sie doch bitte einmal nach, daß dort, wo ein 100-km-Limit eingerichtet ist — ich denke an die USA, Schweden, die Schweiz —, der Wald nicht beeinträchtigt ist!
— Der ist dort nicht beeinträchtigt?
— Ich habe da andere Erkenntnisse. — Sie können daran erkennen: Mit Tempolimit allein packen Sie es nicht!
Der Umfang des Ausstoßes ist eine Frage der Technik. Ich wundere mich, daß Sie applaudieren, wenn ich von Technik rede; denn sonst stehen Sie der Technik doch — das sage ich einmal ganz deutlich — sehr reserviert gegenüber.
— Das habe ich vor Ort schon des öfteren tun müssen; da erlebt man ja noch mehr. Allerdings gibt es da vor Ort auch noch ein paar Normale,
weil sie da unmittelbar mit dem Bürger zu tun haben. — Die Behandlung der Kraftfahrzeugabgase, meine Damen und Herren, ist doch eine internationale Frage. Das können Sie doch aus ideologischen Gründen nicht allein in Deutschland regeln. Sie wissen sehr wohl, daß Sie, was die Frage der Technik angeht, in dieser Sache 15 Jahre lang nichts getan haben.
Wenn wir den Anteil des Schadstoffausstoßes mindern wollen, dann müssen wir hier andere Anreize geben, meine Damen und Herren, steuerliche Anreize.
— Es muß hier doch festgestellt werden, daß der Anreiz zum Kauf eines schadstoffarmen Autos nicht dadurch konterkariert werden darf, indem man für alle Fahrzeuge als Höchstgeschwindigkeit 100 km/h einführt. Im übrigen meine Damen und Herren, was erreichen Sie damit? Nur 5% des Gesamtwegenetzes sind Autobahnen. Das, was Sie in den Gutachten auch nachvollziehen können, ist doch dies: daß auf den Autobahnen schon weit weniger als 120 km/h gefahren wird; der Schnitt liegt bei 112 km/h.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 175. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. November 1985 13209
SchemkenJetzt frage ich Sie wirklich, was Sie damit erreichen wollen, daß Sie Ihre Ideologie durchsetzen. Es kann doch nur Ideologie sein, wenn Sie sich schon Jahre vorher, bevor überhaupt fundierte Grundlagen in der Sache selbst gegeben sind, bevor überhaupt Ergebnisse über das vorliegen, was wir jetzt von den Versuchen erwarten, auf diese Weise festlegen. Dies ist doch die Frage, meine Damen und Herren.Wir stehen hier zur Prüfung bereit, Sie allerdings wollen schon im Vorgriff handeln. Dies lehnen wir ab.
Das Langsamfahren bestimmt das Tempo auf der Autobahn. Sie wissen sehr wohl, was bei uns angesichts der schon überfüllten Straßen in einem Transitland daraus wird. Der Vorteil der freien, verantwortlichen Fahrt wäre nicht gegeben.Wir fordern die schnelle Einführung des schadstoffarmen Autos. Wir prüfen und sind nicht bereit, uns — wie Sie — ideologisch festzulegen.
Damit sind wir am Ende der Aktuellen Stunde und am Ende der Tagesordnung.
Ich hoffe, daß zumindest die Befürworter des Tempolimits nicht zu schnell nach Hause fahren.
Ich wünsche Ihnen ein angenehmes Wochenende.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Dienstag, den 26. November 1985, 9 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.