Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet. Ich rufe Punkt 16 der Tagesordnung auf:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Fraktion der SPD
Vertrag zur Begrenzung der militärischen Nutzung des Weltraums
— Drucksachen 10/2040, 10/3356 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Dr. Todenhöfer, Dr. Scheer,
Schäfer
Meine Damen und Herren, nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die Aussprache 90 Minuten vorgesehen. Ich höre keinen Widerspruch. — Dann ist so beschlossen.
Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? — Das ist nicht der Fall.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Abgeordnete Frau Geiger.
Herr Präsident! Meine ;ehr verehrten Damen und Herren! Sicher mag sich nancher Bürger beim Auftauchen des neuen Schlagwortes SDI — Strategische Verteidigungsinitiative — gesagt haben: Nicht schon wieder neue Waffensysteme, nicht noch mehr Waffen; es gibt wirklich schon mehr als genug davon. Muß denn setzt auch noch der Weltraum militarisiert werden? Besonders auch nach der teilweise einseitigen Presseberichterstattung sind das verständliche Fragen, lie wir als Politiker beantworten müssen. Als Abgeordnete dürfen wir es uns aber nicht ganz so leichtmachen, wie es sich derzeit die Opposition macht. Wir sollten nicht opportunistisch auf einer Welle ion Skepsis und Abwehr mitschwimmen, vielmehr sollten wir versuchen, objektiv darüber zu urteilen, was SDI uns als Deutschen und als Europäern bringen kann. Nur nach diesen sachlichen Gesichtspunkten sollten wir entscheiden.Es ist verständlich, wenn Menschen vor etwas angst haben, das sie nicht kennen und von dem sie nicht wissen, wohin es führen wird. Deshalb ist gerade im Fall von SDI Aufklärung dringend notwendig. Lessing hat im „Nathan der Weise" einmal gesagt: „Der Blick des Forschers fand nicht selten mehr, als er zu finden wünschte." Ich glaube, auch das könnte — wie bei jedem großen Forschungsprojekt — eine Gefahr von SDI sein. Nur, keine Macht der Erde hat es bisher geschafft, die Menschen am Denken und am Forschen zu hindern. Auch wenn wir jetzt, wie die SPD es empfiehlt, auf eine SDI-Beteiligung verzichteten, könnten wir die Forschung nicht verhindern. Wir gäben nur jegliche Möglichkeit der Mitsprache ein für allemal auf.Der von mir hochgeschätzte und leider viel zu früh verstorbene Kollege Dr. Mertes hat in seiner Rede zur Nachrüstung im Deutschen Bundestag gesagt: „Politische Entscheidungen sind in ihrem Wesen das Ergebnis von Güterabwägungen. Ich möchte im Zeitalter der Massenvernichtungswaffen eher sagen: bisweilen von Übelabwägungen." — Auch in diesem Sinne müssen wir uns heute fragen: Was will SDI, und warum halten wir in unserer Fraktion die SDI-Forschung für gerechtfertigt?Unsere Politik in den letzten 40 Jahren war es, den Frieden in Freiheit zu erhalten. Dieses Ziel wurde durch eine glaubwürdige Abschreckung erreicht, die sich auf Nuklearwaffen stützte. Mit dem von Präsident Reagan angeregten SDI-Programm sollen nun Alternativen zu der jetzigen Strategie der atomaren Abschreckung erforscht werden. Man möchte herausfinden, ob ein Abwehrsystem geschaffen werden kann, das bereits abgefeuerte nukleare Raketen zerstört und den begonnenen atomaren Angriff unmöglich macht. Dieses System soll also Atomraketen vernichten, bevor ihre furchtbare Vernichtungskraft wirksam wird und Menschen und Landschaft zerstört werden.Wenn dieser Aufbau eines Raketenabwehrschirmes technisch machbar sein sollte — und einzig und allein das soll erforscht werden —, würde das atomare Rüstungspotential zumindest viel von seiner Bedrohung verlieren. In meiner Rede während der Debatte über den NATO-Doppelbeschluß habe ich auf die Heidelberger Thesen und die Äußerungen des Papstes vor der UNO hingewiesen. Darin wird gesagt, daß Friedenssicherung durch Abschreckung nicht das Ziel, sondern nur eine vorläufige und zeitlich begrenzte Strategie sein kann.
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12440 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 166. Sitzung. Bonn, Freitag, den 18. Oktober 1985
Frau GeigerAber, so heißt es dort, eine auf dem Gleichgewicht beruhende Abschreckung könne als ein Abschnitt auf dem Weg einer fortschreitenden Abrüstung noch für moralisch annehmbar gehalten werden.Die jetzige Strategie der Abschreckung können wir freilich erst dann zum alten Eisen legen, wenn eine neue Strategie uns mindestens gleichwertigen oder besseren Schutz bietet als die bisherige. Die SDI-Forschung scheint mir zum erstenmal die Aussicht zu bieten, die Bedeutung der atomaren Angriffswaffen zu vermindern.Tausende von Bürgern demonstrieren jährlich gegen den Rüstungswahnsinn, für den Abbau der nuklearen Rüstungspotentiale und gegen das Konzept der nuklearen Abschreckung. Das muß doch für uns geradezu die Aufforderung sein, nach Alternativen zur nuklearen Abschreckung zu suchen.Deshalb verstehe ich auch die SPD nicht, die sich weigert, einer solchen in unserem eigenen Sicherheitsinteresse liegenden Forschung die politische Unterstützung zu geben. Was ist das eigentlich für eine Haltung, die nein sagt zur Abschreckung, aber auch nein sagt zur Suche nach neuen Wegen der Friedenssicherung?
Man verweigert zwar die in unserem eigenen Sicherheitsinteresse liegenden Forschungen unserem Sicherheitspartner USA, aber man kann auch andererseits die Sowjets nicht an deren seit Jahren laufenden Forschungen für moderne Raketenabwehrsysteme hindern.Das Nein der SPD ist symptomatisch für die Inkonsequenz dieser Partei in Sicherheitsfragen. Da wird ständig nach Alternativen zur Abschreckung gerufen. Aber man ist nicht bereit, denkbare Alternativen auf ihre Realisierbarkeit und Effektivität hin zu prüfen. Statt dessen werden unrealistische, sicherheitspolitisch gefährliche und damit sehr fragwürdige Konzepte wie das sogenannte BülowPapier als Alternativen angeboten.
Das kann und darf aber für uns keine Alternative sein. Denn wenn man diese Schreibtischutopien in die Tat umsetzen würde, würde nur die Sicherheit des Westens gefährdet und damit das Ost-West-Verhältnis insgesamt schwer belastet.
Während die Vereinigten Staaten nach der Unterzeichnung des ABM-Vertrags 1972 ihre Arbeiten an Raketenabwehrsystemen weitgehend eingestellt haben, haben die Sowjets seit Jahren kontinuierlich an der Verbesserung der Raketenabwehrfähigkeit geforscht und erhebliche Fortschritte erzielt. Schutz- und Defensivmaßnahmen spielen in der sowjetischen Militärdoktrin eine maßgebliche Rolle und haben für die Sowjetunion eine bei weitem größere Bedeutung, als dies im Westen bisher der Fall ist. Das zeigen die starken Zivilschutzanstrengungen, aber auch der nach dem Zweiten Weltkrieg vorgenommene Aufbau eines Sicherheitsglacis vordem Territorium der USA. Das zeigen auch, wie gesagt, ihre seit über zwanzig Jahren laufenden Bemühungen um Raketenabwehrsysteme. Dieses starke sowjetische Interesse an Defensivmaßnahmen müssen wir in unsere Überlegungen einbeziehen. Nach westlichen Erkenntnissen ist es durch die Anstrengungen auf diesem Gebiet möglich, daß die Sowjetunion eines Tages in der Lage sein wird, nicht nur den amerikanischen Langstreckensystemen, sondern auch den in Europa zu unserem Schutz stationierten Systemen ihre Wirkung zu nehmen. Dadurch könnte die NATO-Strategie der abgestuften Reaktion unterlaufen werden. Durch die SDI-Forschung soll also einem möglichen sowjetischen Durchbruch in der modernen Raketenabwehrtechnologie bzw. einem sowjetischen Ausbrechen aus dem ABM-Vertrag entgegengewirkt werden.Vor diesem Hintergrund stimme ich der Beschlußempfehlung und dem Bericht des Auswärtigen Ausschusses zum Vertrag zur Begrenzung der militärischen Nutzung des Weltraums zu.Allerdings halte ich eine Ergänzung von SDI durch die Europäer und im Interesse der Europäer für notwendig.
Während es bei SDI in erster Linie darum geht, die Bedrohung durch sowjetische Interkontinental- und Mittelstreckenraketen auszuschalten, müßte es bei einer europäischen Verteidigungsinitiative darum gehen, -zu überprüfen, wie man die Kurzstreckenwaffen unschädlich macht, die Europa und besonders die Bundesrepublik bedrohen.
Zum Abschluß darf ich nochmals betonen: Es geht hier nicht um einen Krieg der Sterne oder um die Militarisierung des Weltalls.
Es geht ausschließlich um die Erforschung der technischen Möglichkeiten, nicht um die Herstellung oder gar um die Installierung eines solchen Systems.Meine Damen und Herren, im Gegensatz zur SPD halten wir wie auch die gesamte Bundesregierung die im Rahmen des ABM-Vetrages laufenden amerikanischen SDI-Forschungen für gerechtfertigt. Ich möchte der Bundesregierung an dieser Stelle danken, daß es durch ihre Mitwirkung hinsichtlich der Einhaltung des ABM-Vertrages wieder eine klare Haltung gibt.
Meine Damen und Herren von der SPD, Ihr Kollege Ehmke, der heute leider nicht da ist, hat im „General-Anzeiger" kürzlich festgestellt, daß die Sowjetunion an den Verhandlungstisch in Genf auch we-
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Frau Geigergen SDI zurückgekehrt ist und daß die prinzipielle Bereitschaft der UdSSR zu einer drastischen Verminderung der Offensivwaffen auch durch SDI mit bewirkt worden ist. Warum, so frage ich Sie, sind Sie dann nicht so konsequent und geben Ihre politische Unterstützung für die Forschungen, die etwas bewirkt haben,
was bis vor kurzem noch niemand zu hoffen gewagt hätte.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Scheer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die SPD-Bundestagsfraktion hat dem Bundestag im September 1984 einen Antrag vorgelegt, in dem die Bundesregierung aufgefordert wird, sich international für einen Vetrag zur Begrenzung der militärischen Nutzung des Weltraums einzusetzen. Konkret geht es dabei um den Versuch, die Erprobung und Einführung von Waffen zu verbieten, die vom Weltraum aus Ziele im Weltraum selber, in der Atmosphäre oder auf dem Erdboden zerstören können. Es geht also um die Verhinderung eines Rüstungswettlaufs bei weltraumgestützten Antiraketenwaffen.Es geht weiter darum, die Erprobung und Einführung von Waffen zu verbieten, die vom Weltraum oder der Atmosphäre aus Ziele im Weltraum selber zerstören können. Hierbei geht es um die Verhinderung eines Rüstungswettlaufs bei Antisatellitenwaffen. Dies sind die beiden Probleme, die man wenigstens teilweise unterscheiden muß,
wenn es um Rüstungskontrolle geht.Unserem Antrag liegt ein kompletter Vertragsentwurf zugrunde, der im Juli 1984 auf einem Kongreß, der in Göttingen stattfand, von mehr als 1000 engagierten, kompetenten und um die Gefahren des technologischen Rüstungswettlaufs tief besorgten Naturwissenschaftlern vorgestellt wurde.
Wir bedanken uns noch einmal für das sachbezogene Engagement dieser Naturwissenschaftler, die nicht nur vor den Rüstungsgefahren warnen, sondern auch versuchen, in vorbildlicher demokratischer Mitverantwortung Wege aus diesen Gefahren aufzuzeigen. Es sind ja nicht allein deutsche Wissenschaftler, sondern mit ihnen zusammen vor allem Tausende amerikanischer Wissenschaftler, darunter zahlreiche Nobelpreisträger der Physik und Chemie,
die ihre warnende Stimme erheben.
Es geht dabei nicht darum, jeden Einzelvorschlag politisch ungeprüft und auf Punkt und Komma zu übernehmen; das haben wir mit unserem Antrag auch nicht beabsichtigt. Wir stimmen aber mit der Grundtendenz der Naturwissenschaftler völlig überein, daß ein Vertrag, der diese Rüstung, bevor eine Seite über eines der genannten Waffensysteme verfügt, verbietet, ein dringendes weltpolitisches Gebot ist.
Deshalb sollte über die Vorschläge der Naturwissenschaftler nicht hinweggegangen werden. Sie müssen als wertvolle und unverzichtbare politische Anregung und Hilfestellung aufgenommen werden.Leider hat sich vor allem die CDU/CSU in den bisherigen Beratungen in arroganter Weise darüber hinweggesetzt.
Wir hatten in den Ausschußberatungen nicht den Eindruck, daß sich die Union auch nur darum bemüht hätte, sich mit diesem Vertragsentwurf ernsthaft zu beschäftigen.
Wenn deutsche Naturwissenschaftler einen Nobelpreis erhalten, dann sind Unionspolitiker schnell dabei, sich neben dem Preisträger ablichten und filmen zu lassen, damit der Glanz des Preises mit ihrer Person in Verbindung gebracht wird.
Aber sie sind immer die ersten, die sich über Warnungen auch von Nobelpreisträgern hinwegsetzen, wenn deren Problemwissen ihre politischen Kreise stört.
Die SPD-Bundestagsfraktion besteht trotz der ablehnenden Empfehlungen der Ausschußmehrheit auf der Annahme des vorliegenden Antrags.Ich möchte nun einige Feststellungen zum Gesamtproblem und zu den bevorstehenden Verhandlungen, die j a damit zusammenhängen, machen.Erstens. Weltraumgestützte Antiraketensysteme und Antisatellitenwaffen müssen spätestens vor einer Erprobung vertraglich verboten werden, wenn es noch eine Chance zur Verhinderung des Rüstungswettlaufs im Weltraum geben soll. Jedes Aufschieben solcher vertraglicher Bemühungen ist nicht zu verantworten.
Verfügt eine der beiden Weltmächte erst einmal über ein fertiges weltraumgestütztes Raketenkiller- oder Satellitenkillersystem, wird sich die jeweils andere Seite nicht mehr davon abhalten lassen, ihrerseits eine entsprechende Rüstung verfügbar zu haben. Ob solche Systeme fertig entwickelt werden können — besonders Raketenkillersysteme aus dem Weltraum —, weiß man noch nicht. Welche politischen Wirkungen solche fertigen Systeme aber
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12442 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 166. Sitzung. Bonn, Freitag, den 18. Oktober 1985
Dr. Scheerhätten, läßt sich schon jetzt — dazu braucht man keine Forschung und Entwicklung, Frau Geiger und Kolleginnen und Kollegen von der Union — absehen.Zweitens. Allein vor der Erprobung ist ein Vertrag überhaupt noch verifizierbar. Die vorhandenen Aufklärungsmittel beider Supermächte reichen dazu aus, jeden Test genau zu verfolgen. Ohne Test läßt sich nichts einführen.Ist die Erprobung aber erst einmal durchgeführt, dann läßt sich eine Vertragseinhaltung kaum noch, auf jeden Fall aber sehr viel schwerer kontrollieren. Gerade weil der Westen den größeren Wert auf Verifikation und Kontrolle von Verträgen legt und Rüstungsvorgänge der Sowjetunion nicht durch eine eigene demokratische Öffentlichkeit dort kontrolliert werden, muß der Westen ein erstrangiges Interesse an einem Verbotsvertrag vor dem Abschluß von Erprobungen haben.
Es ist deshalb unverständlich, warum ausgerechnet vom Westen diese Chance nicht offensiv ergriffen wird.Drittens. Falsch ist die Behauptung der Befürworter der Weltraumrüstung, die Kritiker hielten an der atomaren Abschreckungsstrategie der gesicherten gegenseitigen atomaren Verwundbarkeit — besser: Zerstörbarkeit — fest, die sie großenteils zuvor noch grundsätzlich bekämpft hätten. Die Überwindung der atomaren Abschreckung ist nicht durch technische Mittel möglich, sondern nur politisch durch wirkungsvolle atomare Abrüstungsschritte.
Dies ist billiger und gefahrloser. Es ist Ausdruck zynischer und extrem fehlgeleiteter Vernunft, die Welt in neue unübersehbare und nicht finanzierbare Rüstungsabenteuer zu stürzen, aber den Willen und den Mut zu tatsächlichen politischen atomaren Abrüstungsschritten nicht aufzubringen.
Viertens. Die unmittelbarste, kurzfristigste Gefahr für die weitere sicherheitspolitische Destabilisierung resultiert aus Antisatellitenwaffen, deren Erprobung und Einführung weniger kostspielig ist als weltraumgestützte Antiraketenwaffen und deren Erprobung bereits in ein oder zwei Jahren abgeschlossen sein kann. Die absolute zeitliche Priorität liegt also bei einem Verbotsvertrag für Antisatellitenwaffen, der, wenn sich die Verhandlungen über andere Systeme weiter hinziehen, in Form eines Zwischenabkommens abgeschlossen werden müßte.Eine deutliche Kritik gegenüber der amerikanischen wie der sowjetischen Regierung ist notwendig, und zwar weltweit, weil beide die Antisatellitenwaffen in Genf bisher allenfalls am Rande behandelt haben.
Fünftens. Wir begrüßen die Bemühungen der europäischen und kanadischen NATO-Partner auf der NATO-Außenministerkonferenz in Brüssel, gegenüber der amerikanischen Regierung auf eine strikte Einhaltung des ABM-Vertrags hinzuwirken.
Wir anerkennen und unterstützen dabei auch durchaus entsprechende Bemühungen des Bundesaußenministers. Wir hoffen, daß sich das amerikanische Außenministerium weiter gegen das amerikanische Verteidigungsministerium, das Pentagon, durchsetzen kann; denn letzterem ist der ABM-Vertrag schon lästig geworden, weil er die Erprobung der SDI-Waffenkomponenten verhindert.
Wir übersehen allerdings auch nicht, daß die Rolle, die das Pentagon in dieser Frage innerhalb der amerikanischen Führung einnimmt, bei uns allmählich vom Bundeskanzleramt eingenommen wird. Im übrigen hätte es der europäischen Glaubwürdigkeit der Bundesregierung gedient, wenn der Vorschlag für diese NATO-Außenministerkonferenz in Brüssel vor dem Gipfeltreffen nicht allein von Belgien und den Niederlanden, sondern ebenso von der Bundesregierung gekommen wäre.
Sechstens. Wir machen aber gleichzeitig darauf aufmerksam, daß es im Zusammenhang mit dem SDI-Programm nicht nur um die Einhaltung des ABM-Vertrages geht. Es geht ebenso darum, daß der begrenzte Teststoppvertrag von 1963 eingehalten wird, der atomare Waffenversuche über der Erde, in der Atmosphäre und im Weltraum verbietet.
Wir verlangen ein gleiches Engagement zu dessen Einhaltung wie beim ABM-Vertrag, und wir verlangen, daß keine Gelegenheit unversucht bleibt, einen vollständigen Atomteststopp unverzüglich zu erwirken.
Es dient nicht der westlichen Glaubwürdigkeit, wenn solche Vorschläge wie auch Vorschläge für ein Moratorium für alle Atomwaffenversuche immer nur von der sowjetischen Regierung kommen. Wir fragen: Wo bleibt das aktive Engagement der Bundesregierung über unverbindliche Rhetorik hinaus, die amerikanische Regierung endlich zu einer Beendigung der Atomversuche zu drängen? Dies muß auch öffentlich geschehen; denn leider hat es nur dann noch Wirkung.
Siebtens. Mit großer Sorge sehen wir darüber hinaus zunehmende Neigungen in der CDU/CSU-Fraktion, vor allem des Fraktionsvorsitzenden
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 166. Sitzung. Bonn, Freitag, den 18. Oktober 1985 12443
Dr. ScheerDregger und des bayerischen Ministerpräsidenten Strauß, gestern abend erst im Fernsehen, die auf ein europäisches Parallelprogramm zu SDI drängen, und zwar durch eine sogenannte europäische Verteidigungsinitiative.
Wer diese will, ist nicht nur Steigbügelhalter jeder Weltraumrüstung, sondern treibt Europa in einen uferlosen Rüstungssog und eine sicherheitspolitische Katastrophenstrategie.Jeder Versuch einer europäischen Verteidigungsinitiative, die auf Abwehrsysteme gegen Kurz- und Mittelstreckenraketen und gegen Marschflugkörper zielen müßte, wäre von der Anzahl der Systeme her umfangreicher, technologisch komplexer und damit noch wesentlich kostspieliger als ein SDI-Programm.
Dieses verbergen Sie der Öffentlichkeit, wenn Sie solche Vorschläge machen. Man brauchte z. B. auf Grund der geringeren Distanzen in Europa noch leistungsfähigere Rechner und Sensoren. Sie würden damit die deutsche Wissenschaft und Wirtschaft in einem Umfang militarisieren, wie das seit Hitler nicht mehr der Fall war, und Sie müßten dafür so viel finanzielle Mittel aufbringen, daß der Sozialstaat endgültig über Bord gehen würde und für die konventionellen Verteidigungsaufgaben praktisch kaum noch etwas übrigbliebe.
Wir sagen Ihnen klipp und klar: Einer solchen Entwicklung werden wir uns widersetzen. Das europäische Raketenproblem, insbesondere bei Kurzstreckenraketen, aber auch bei Mittelstreckenraketen läßt sich nicht durch Abwehrsysteme kruder Art, die überhaupt nicht finanzierbar, überhaupt nicht angemessen realisierbar sind, es läßt sich allein durch Verhandlungen zur Beseitigung dieser Waffen vom europäischen Territorium aus lösen. Einen anderen Weg gibt es nicht.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Schierholz?
Bitte schön.
Herr Scheer, könnten Sie bitte einmal kurz erklären, was der Vertragsentwurf der Göttinger genau zu dem Problem sagt?
Der Göttinger Vertragsentwurf konnte sich zu diesem Problem, soweit es sich bei solchen europäischen Systemen nicht um weltraumgestützte handelt, nicht äußern. In dem Göttinger Vertragsentwurf war man sich dieses Problems noch nicht bewußt; diese Forderung ist erst in den letzten Monaten aufgetaucht. Aber unabhängig davon ist es ja wohl notwendig, auf solche aktuellenGegebenheiten politischen Bezug zu nehmen, denn es gibt, wie Sie wissen, einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen beidem.
Ich komme zum achten Punkt. Wir begrüßen selbstverständlich das Gipfeltreffen zwischen Präsident Reagan und Generalsekretär Gorbatschow. Wir erwarten, daß sowjetische Vorschläge zu einer drastischen Reduzierung der atomaren Offensivwaffen nicht einfach zurückgewiesen werden, sondern durch ebenso weitgehende oder — um so besser wäre es — noch weitergehende eigene westliche Vorschläge beantwortet werden. Es wäre verhängnisvoll, wenn diese Chancen wegen des Festhaltens am SDI-Vorhaben oder am Vorhaben einer Europäischen Verteidigungsinitiative — mit all dem, was sich möglicherweise oder wahrscheinlich noch an wirtschaftlichen Interessen dahinter verbirgt — nicht ergriffen würden.
Neunter Punkt: So wichtig Annäherungen und Vereinbarungen zwischen den Supermächten sind, so wenig ersetzt dies eigene, auf Europa bezogene Initiativen der Bundesregierung. Der sowjetische Reduzierungsvorschlag bezieht sich auf solche Atomwaffen, die auf das Territorium der beiden Supermächte gerichtet sind. Die uns selbst zentral betreffenden Probleme bleiben bisher bei allen amerikanischen und sowjetischen Vorschlägen entweder außen vor — nämlich bei den Kurzstreckenraketen —, oder die Frage, wie sie thematisiert werden sollen, bleibt — jedenfalls beim jüngsten sowjetischen Vorschlag — offen, so in der Frage der Mittelstreckenraketen.Solange nicht geklärt ist, auf welche Weise die in die Sowjetunion reichenden britischen und französischen Atomwaffen berücksichtigt werden können und sollen, wird es eine Lösung bei den Mittelstrekkenraketenverhandlungen nicht geben.
— Herr Weng, es hat überhaupt keinen Sinn, darüber zu polemisieren. Dieses Problem beschäftigt uns seit Jahren in ganz Europa, und wir kommen wegen dieser Frage nicht weiter. Ich polemisiere in dieser Sache mit keinem Wort. Sie müssen zwischen Information und Polemik einmal unterscheiden lernen.
Die britischen und französischen Waffen erreichen noch Ende dieses Jahrzehnts einen Umfang, der ungefähr dem auf Westeuropa gerichteten sowjetischen Mittelstreckenraketenpotential entspricht. Wer erwartet, daß Ergebnisse von Verhandlungen mit der Sowjetunion ohne Berücksichtigung der britischen und französischen Potentiale erreicht werden, will entweder keine Ergebnisse oder ist naiv.
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12444 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 166. Sitzung. Bonn, Freitag, den 18. Oktober 1985
Dr. ScheerWo bleiben irgendwelche Initiativen der Bundesregierung, dieses Problem angemessen lösbar machen zu helfen? Allein kann sie es nicht. Dies ist nicht in erster Linie ein Problem, das wir mit der amerikanischen Regierung hätten, sondern eines des westeuropäischen Selbstverständnisses. Solange auch die Bundesregierung in dieser Frage eher einen lautlosen Eiertanz macht, wird sich nichts bewegen.
Es geht nicht nur darum, daß der Westen in der Frage der Berücksichtigung der britischen und französischen Waffen auf die Sowjetunion zugeht; es geht vor allem darum, an die britischen und französischen Freunde die Erwartung zu richten, daß sie auf ihre westeuropäischen Freunde und Verbündeten zugehen, in deren Ländern amerikanische Mittelstreckenraketen stationiert sind, die diese durch Verhandlungsresultate ebenso wegbekommen wollen wie die auf uns gerichteten sowjetischen Mittelstreckenraketen. Das ist der Punkt, um den es hier geht!
Gemeinsam mit den Niederlanden, mit Belgien und mit Italien sollte deshalb vor allem die Regierung der mit der Pershing II hauptbetroffenen Bundesrepublik Deutschland darauf hinwirken, daß die britische und die französische Regierung ihre bisherige Haltung überwinden. Es ist eine grobe Selbsttäuschung, wenn die Bundesregierung weiter so tut, als dürften uns deren Waffen nichts angehen.Meine Damen und Herren, als der Bundespräsident auf der deutsch-britischen Konferenz in Königswinter im Zusammenhang mit SDI davor warnte, wirtschaftliche und technologische Interessen zum Ratgeber sicherheitspolitischer Entscheidungen zu machen,
beschwerten sich Unionspolitiker öffentlich über diese „Einmischung" in aktuelle politische Auseinandersetzungen. Nunmehr ist für den Bundeskanzler — umgeben von selbsternannten nationalen Unsicherheitsberatern —
dabei nichts wichtiger als ein Rahmenabkommen, um im Tanz um das vermeintliche technologische Goldene Kalb dabei sein zu können. Die unverkennbare Ablehnung des Bundesaußenministers wird von der CDU/CSU laufend konterkariert.
Am liebsten würden Sie dies zur Nebenaußenpolitik stempeln. Es ist Ihnen Gott sei dank noch nicht ganz gelungen.Mühsam versucht der Außenminister, Dämme gegen eine Rüstungsentwicklung aufzubauen, die er mit uns offenbar für verhängnisvoll hält. Nunsind wir gespannt, wie der Bundeskanzler dies alles auf der Konferenz westlicher Regierungschefs vor dem Gipfel mit dem Hintern vielleicht wieder durchsitzt oder mit dem Kopf wieder wegnickt, falls sich die Ansätze als unbefriedigend erweisen sollten.
Da sind wir gespannt. Wir hoffen, daß das nicht eintritt. Es ist kein Problem, guten Ansätzen zuzustimmen, wenn sie ohnehin da sind. Wir hoffen, daß solche in den nächsten Tagen entwickelt werden können. Sollten sie aber unzureichend sein, so haben wir leider keine Hoffnung, daß der Kanzler irgend etwas für einen rüstungskontrollpolitischen Fortschritt tut.Auf einen Weg für einen solchen Fortschritt wollen wir mit unserem Antrag hinweisen. Natürlich werden Sie — die Union mit Inbrunst und die FDP aus Koalitionssalbaderei, um es einmal so auszudrücken — gegen unseren Antrag stimmen. Aber der Tag, an dem auch einmal wieder andere abstimmen, nämlich die Bürger selber, wird ja kommen.Vielen Dank.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Feldmann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist nicht das erste Mal und wohl auch nicht das letzte Mal, daß wir uns hier im Plenum über die Strategische Verteidigungsinitiative des amerikanischen Präsidenten unterhalten. Eine intensive Auseinandersetzung ist aber auch erforderlich, um der Bedeutung von SDI für die Strategie des Bündnisses und damit für unsere Sicherheit gerecht zu werden.Herr Kollege Scheer, auch wir haben Respekt vor den Vorschlägen der Göttinger Naturwissenschaftler bekundet. Ich darf dies hier betonen. Sie reichen aber nicht aus. Herr Kollege, für uns ist es selbstverständlich, daß wir vor dem Hintergrund deutscher, europäischer und atlantischer Interessen sorgfältig alle Konsequenzen prüfen und erst dann unsere Entscheidung treffen.
Ich zitiere aus der Regierungserklärung vom 18. April 1985:Jeder, ... der ernsthaft eine ... Verringerung der Nuklearwaffenpotentiale in der Welt will, und jeder, der Vorbehalte gegen die nukleare Abschreckungsstrategie hat, ... sollte über alle angebotenen alternativen Möglichkeiten der
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 166. Sitzung. Bonn, Freitag, den 18. Oktober 1985 12445
Dr. FeldmannFriedenssicherung und der Kriegsverhinderung aufs sorgfältigste nachdenken.
Diesen Worten des Bundeskanzlers stimmen wir voll zu.
— Hören Sie doch zu, Herr Kollege.Wir haben Verständnis dafür, daß unserem amerikanischen Bündnispartner ein politisches Signal vor Genf nicht ungelegen käme. Die Bundesregierung hat hierzu bereits am 18. April eindeutig erklärt:
Das amerikanische Forschungsprogramm ist ... gerechtfertigt ... und liegt im Sicherheitsinteresse des Westens ...
Mehr können und wollen wir auch heute nicht sagen.Die Bundesrepublik hat mehrfach gezeigt, daß sie auch in schwierigen Zeiten zu unpopulären Entscheidungen im Interesse der Allianz bereit ist. Unsere amerikanischen Verbündeten können sich darauf verlassen, daß wir den im Bündnis vereinbarten Kurs einhalten. Ich bin nicht der Meinung, daß wir Nachholbedarf an Bündnistreue haben.
Die Gestaltung unserer gemeinsamen Sicherheitspolitik und der Ost-West-Beziehungen ist nicht allein eine amerikanische Angelegenheit. Amerikanische und europäische Sicherheitsinteressen sind gleichermaßen zu berücksichtigen. Darin werden Sie mir wohl zustimmen. Ein Erfolg einer wirklich gemeinsamen europäischen Haltung, zu der vor allem Außenminister Genscher beigetragen hat, ist die Zielformel für die Genfer Verhandlungen, nämlich ein Wettrüsten im All zu verhindern und auf der Erde zu beenden.
Nur der enge Zusammenhang zwischen diesen beiden Verhandlungszielen bietet uns Europäern die Chance, von der Bedrohung durch sowjetische Kurz- und Mittelstreckenwaffen befreit zu werden. Hier stimme ich Ihnen voll zu, Frau Kollegin Geiger.Deshalb blicken wir Europäer mit konkreten Erwartungen nach Genf, wo unser amerikanischer Partner im Namen und im Auftrag des Bündnisses verhandelt. Dies gilt auch und gerade für SDI.Ich habe Verständnis dafür, daß die kooperationswilligen deutschen Firmen es gerne sehen, wenn die Bundesregierung ihnen politisch den Weg ebnen würde. Wir haben festgeschrieben, daß sich deutsche Firmen am amerikanischen SDI-Forschungsprogramm beteiligen können. Das kann und soll nicht verhindert werden, aber wir fordern weder Wirtschaft noch Forschung zu einer solchen Beteiligung auf.
Kooperation zwischen deutschen und amerikanischen Firmen, sei es im zivilen oder im militärischen Bereich, ist nichts Neues.
Die bestehenden Abkommen haben schon bisher jede Kooperation zwischen Firmen beider Länder ermöglicht, vorausgesetzt allerdings, auf beiden Seiten besteht ein ernsthafter Wille zur Kooperation.
Unsere beiden Staaten sind marktwirtschaftlich orientiert. Ich gehe deshalb davon aus, daß amerikanische Firmen, die am Know-how deutscher Firmen interessiert sind, attraktive und faire Angebote machen müssen und daß deutsche Unternehmen nur Verträge abschließen, wenn sie entsprechenden Nutzen erwarten. Es ist doch nicht so, daß wir um Kooperation betteln müßten. Deutsche und europäische Unternehmen brauchen sich nicht zu verstekken. Im übrigen haben die Japaner eindrucksvoll bewiesen, daß technologisches Weltniveau am besten durch Konzentration auf zivile Forschung erreicht werden kann.
Deshalb setzt die FDP auf Eureka.In jüngster Zeit ist eine neue, erweiterte Interpretation des ABM-Vertrages aufgetaucht, wonach nicht nur Forschung, sondern auch Erprobung und Entwicklung erlaubt seien.
— Beruhigen Sie sich! — Die FDP hält am ABM-Vertrag und seiner bisherigen Auslegung fest. Ich will das hier deutlich feststellen.
Zwischen Forschung und Entwicklung muß eine Brandmauer stehen.
— Eine neue Interpretation eines Agreed Statement kann eindeutige völkerrechtsverbindliche vertragliche Verbote nicht einseitig in Frage stellen. Wir begrüßen deshalb die Zusicherung des amerikanischen Präsidenten, daß sich die USA an die bisherige gemeinsame enge Auslegung halten werden. Dabei muß es auch bleiben, denn darauf beruhen alle bisherigen Festlegungen.
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12446 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 166. Sitzung. Bonn, Freitag, den 18. Oktober 1985
Dr. FeldmannZu Recht hat der Bundeskanzler davon gesprochen, daß sich die Bundesregierung in dieser Frage derzeitig in einem Klärungsprozeß befindet. Bei einer für die nationale Sicherheit so entscheidenden Frage — so der Bundeskanzler — ist es eine demokratische Pflicht, den Koalitionsfraktionen und -parteien — ich darf ergänzen: auch der Opposition — und anderen wichtigen gesellschaftlichen Gruppen die Möglichkeit zu einer abgewogenen Stellungnahme zu geben und ihr Urteil in die Meinungsbildung einzubeziehen.Wir werden hier auch die gemeinsame Anhörung des Auswärtigen und des Verteidigungsausschusses sowie die des Forschungsausschusses abzuwarten haben. Die FDP ist nicht bereit, sich bereits heute zu Entscheidungen drängen zu lassen, bevor die notwendigen Prüfungen abgeschlossen sind,
denn möglicherweise verbauen wir sonst der Bundesregierung Wege, deutsche Interessen vor allem im Bereich der Sicherheits- und Entspannungspolitik ebenso wirkungsvoll zu vertreten wie bisher.Friedenssicherung, meine Damen und Herren, ist nicht eine technologische Angelegenheit.
Entscheidend ist der politische Wille zum Interessenausgleich, zum friedlichen Mit- und Nebeneinander.
Die Bundestagsfraktion der FDP stimmt der vorliegenden Beschlußempfehlung mit den folgenden Feststellungen zu.Erstens. Die FDP läßt sich leiten von den Beschlüssen ihres Bundesvorstandes vom 23. März 1985 und ihres Bundeshauptausschusses vom 1. Juni 1985, denen der Beschluß des Bundessicherheitsrates vom 27. März 1985 entspricht. Diese drei Beschlüsse und die in ihnen genannte Gemeinsame Erklärung der Außenminister der USA und der Sowjetunion vom 8. Januar 1985 finden die ausdrückliche Unterstützung der FDP-Bundestagsfraktion.
Zweitens. Die FDP-Fraktion sieht in der vorliegenden Beschlußempfehlung einen Beitrag zur Erreichung des am 8. Januar 1985 von den USA und der Sowjetunion formulierten Zieles, einen Rüstungswettlauf im Weltraum zu verhindern und ihn auf Erden zu beenden.Drittens. Die FDP begrüßt, daß die Bundesregierung über die Frage, ob es staatliche Vereinbarungen für die Beteiligung deutscher Unternehmen und Forschungsinstitute am SDI-Forschungsprogramm geben wird, erst nach sorgfältiger Prüfung entscheiden will.
Die Zustimmung zur heutigen Entschließungnimmt deshalb die Haltung der FDP zur Frage derNotwendigkeit und Zweckmäßigkeit von staatlichen Vereinbarungen nicht vorweg. Für die FDP ist dabei eine europäische Abstimmung von besonderer Bedeutung. Sie verweist darauf, daß die Beteiligung von Unternehmen und Forschungsinstituten aus zahlreichen Ländern beabsichtigt ist, unabhängig davon, ob diese Länder über Notwendigkeit und Zweckmäßigkeit staatlicher Vereinbarungen noch nicht entschieden haben — wie die Bundesrepublik Deutschland — oder ob sie solche Vereinbarungen abgelehnt haben — wie unsere Bündnispartner Kanada, Norwegen, die Niederlande, Dänemark und Griechenland und unser Nachbar Frankreich.Viertens. Die FDP begrüßt das Ergebnis des NATO-Rates vom 15. Oktober 1985, der die Einhaltung des ABM-Vertrages bekräftigt und eine konstruktive Verhandlungsführung für Genf unterstützt.Ich darf mich für Ihre Aufmerksamkeit bedanken.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Schierholz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das war schon sehr interessant, Herr Feldmann. Denn aus meiner Sicht war das eine völlig neue Beschlußempfehlung, die Sie uns hier gerade mit den vier einschränkenden Bemerkungen vorgetragen haben. Deswegen müßten Sie konsequenterweise eigentlich Ihre eigene Beschlußempfehlung hier ablehnen, wie auch wir es tun werden. Denn es ist ein Armutszeugnis, wie Koalition und Regierung mit jenem Vertragsentwurf zur Begrenzung der militärischen Nutzung des Weltraums umgegangen sind, der im Juli 1984 von dem Göttinger Kongreß der „Naturwissenschaftler für den Frieden" verabschiedet worden ist.Die uns jetzt vorliegende Beschlußempfehlung geht mit keinem Wort auf das Anliegen der Naturwissenschaftler ein, geschweige denn, daß sie sich damit argumentativ auseinandersetzt. Nicht umsonst hat dieser Vertragsentwurf mittlerweile die Unterstützung von Tausenden von Mitbürgerinnen und Mitbürgern in unserem Land gefunden, darunter zahlreiche Hochschulprofessoren aus Forschungseinrichtungen wie der Max-Planck-Gesellschaft, aber auch der Deutschen Forschungs- und Versuchsanstalt für Luft- und Raumfahrt und zahlreiche Nobelpreisträger — Herr Scheer hat das richtig erwähnt —, nicht zuletzt der jetzige Friedensnobelpreisträger, die Internationale Vereinigung der Ärzte zur Verhinderung des Atomkriegs — von dieser Stelle noch herzlichen Glückwunsch.Wir GRÜNEN unterstützen das Engagement dieser Bevölkerungsgruppen. Wir wissen auch: Eine deutliche Mehrheit der Bevölkerung in der Bundesrepublik ist gegen die Anstrengungen für einen Krieg der Sterne. Der Vertragsentwurf ist nach unserer Auffassung ein wirksames Instrument, diesen zu verhindern. Er verbietet nicht nur die weltraumgestützten Raketenabwehrsysteme, sondern auch die anderen weltraumgestützten, äußerst friedens-
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 166. Sitzung. Bonn, Freitag, den 18. Oktober 1985 12447
Dr. Schierholzgefährdend wirkenden Technologien wie ASAT und — ich glaube, das haben Sie vergessen, Herr Scheer — NAVSTAR, an der sich die Bundesrepublik auch beteiligen will. Er ist ein international akzeptierbarer Hemmschuh gegen die weitere Militarisierung des Weltraums.Wir leugnen auf der anderen Seite nicht — das war der Gegenstand meiner Zwischenfrage —, daß der Vertragsentwurf aus unserer Sicht an einzelnen Stellen unzureichend ist, weil er technologische Schlupflöcher läßt. Er läßt die Lenkung und damit hochpräzise Steuerung von konventionellen Flugkörpern zu, und er löst letztlich auch das neue Problem, daß hier aufgetaucht ist, nämlich die Europäische Verteidigungsinitiative EVI, überhaupt nicht.Wir GRÜNEN haben auch an anderen Stellen Korrekturvorschläge unterbreitet, bis hin zu dem Vorschlag der SPD, was das Verfahren angeht. Wir hätten es gerne gesehen, daß dieser Vertragsentwurf sofort den Vereinten Nationen als Beratungsgrundlage unterbreitet wird.Dennoch: Der Vertragsentwurf wäre im Realisierungsfalle in der Lage, zwei wesentliche, höchst destabilisierende Entwicklungen zu verhindern, nämlich die Stationierung von Waffen im All — SDI, ASAT und anderes — und die Erhöhung von Zielgenauigkeiten strategischer ballistischer Raketen auf weit unter 100 m. Er ist nach unserer Auffassung ein Instrument der Gefahrenabwehr, nicht mehr, aber auch nicht weniger.Es kann doch wohl, meine Damen und Herren, nicht in unserem Interesse sein, einen Vertragsentwurf abzulehnen, der ein Verbot höchst destabilisierender Rüstungstechnologien bewirken könnte. Mit welchen Instrumenten denn sonst will die Bundesregierung jenen verhängnisvollen Marsch in die Militarisierung des Weltraums stoppen? Wo ist denn, Herr Genscher, ihre Brandmauer?
Wo ist sie denn? Es sei denn, sie ist ein Papiertiger!Die Friedensbewegung läßt sich nicht mehr mit Vertröstungen auf Genf, auf bevorstehende Gipfeltreffen, auf ein gescheitertes Rüstungskontrollkonzept vertrösten. Wir wollen abrüstungspolitische Taten sehen. Doch die Bundesregierung, meine Damen und Herren, hat offentsichtlich die Einstiegsdroge für SDI, für die Beteiligung an der sogenannten Strategischen Verteidigungsinitiative, längst geschluckt. Deshalb ist sie in Wahrheit gegen den Vertragsentwurf.Unsere Position ist klar: Wir sind gegen die militärische Besetzung des Alls, ebenso wie wir gegen die militärische Besetzung fremder Länder sind.
Wir halten jegliche Anstrengungen, den Weltraum militärisch zu mißbrauchen, sei es unter amerikanischer, sei es aber auch unter französischer oder sonstiger Ägide, ökonomisch und forschungspolitisch für eine gigantische Fehlinvestition, eine Gefahr für den Weltfrieden, finanziell nur von Größenwahnsinnigen zu leisten und technisch voraussichtlich ohnehin undurchführbar. Deshalb fordern wir ein klares Nein zu einer Beteiligung der Bundesrepublik an solchen Plänen. Reagans Himmelfahrtskommando zu einer totalen Destabilisierung in politischen Krisenzeiten ist von der Vereinigung der besorgten Wissenschaftler in den USA u. a. folgendermaßen kommentiert worden — ich zitiere —:Die Sowjets werden ein BMD-Programm der USA nicht unter dem Aspekt irgendeiner utopischen Zukunftsperspektive interpretieren, sondern im Zusammenhang mit der in Gang befindlichen nuklearen Aufrüstung der USA, insbesondere mit der Umwandlung praktisch aller strategischen Potentiale der USA zu ... , und mit der Doktrin (nuklearer) Kriegführung, die durch diese Aufrüstung realisiert werden soll .. .Das, meine Damen und Herren, sind Worte, die ein ehemaliger amerikanischer Verteidigungsminister, ein ehemaliger SALT-Unterhändler, mit unterschrieben hat.Und schließlich: Die Debatten über den ABM-Vertrag in den letzten Tagen haben gezeigt, daß dieses letzte Relikt der immer mehr verbleichenden Rüstungskontrollphilosophie kurz davor steht, gekippt zu werden.Ich möchte ausdrücklich positiv hervorheben, Herr Bundesaußenminister, daß Sie das Problem und den Ernst der Lage hier erkannt haben. Nur, was tun Sie eigentlich, außer Briefe zu schreiben, gegen die Bemühungen in den USA, die unverkennbar sind und die vollständige Aushöhlung dieses Vertrages vorantreiben?Da wäre es das Wirksamste gewesen, einen solchen Vertragsentwurf, wie ihn die Göttinger Naturwissenschaftler entwickelt haben, der fachlich und politisch außerordentlich ausgereift ist, zu unterstützen. Was vergäben Sie sich eigentlich, wenn Sie sich die Chance, die dieser Vertragsentwurf bietet, zu eigen machten?Kommen wir zum Kern: Die USA haben mittlerweile gegenüber der Bundesregierung 15 voraussichtliche Endprodukte des SDI-Forschungsprogramms beschrieben.
Ich verweise auf das „Handelsblatt" vom 10. September. Diese sollen bis zum Jahre 1990 in Großexperimenten erprobt werden. Zwei dieser 15 sind Laborversuche, alle anderen Feldversuche, Weltraumversuche oder Tests. Sie fallen damit eindeutig nach Geist und Buchstaben unter jenes Verbot, das der Art. 5 des ABM-Vertrages normiert. Das ist der Kern.Sie laufen also da, meine Damen und Herren von der FDP, auch wenn ich die Nuancen im Vortrag von Herrn Feldmann — wo ist er denn? — sehr genau gehört habe, sehenden Auges in die Arme jener, die eine Demontage jeglicher Ergebnisse von Entspannungspolitik das Wort reden. Glauben Sie doch bitte nicht, daß Ihnen dabei noch jemand Ihre
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12448 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 166. Sitzung. Bonn, Freitag, den 18. Oktober 1985
Dr. SchierholzBekundungen von einer neuen Phase der Entspannungspolitik abnimmt.Schließlich noch zum Verfahren: Die Krücke dieser Beschlußempfehlung, wie sie hier heute vorliegt, ist ein untaugliches Instrument, um eine Beteiligung der Bundesrepublik an SDI zu rechtfertigen, sei es mit oder ohne Rahmenabkommen.Wir danken den Naturwissenschaftlern für den Frieden für ihr Engagement und bedauern, daß ihr Anliegen hier heute so niveaulos untergepflügt wird — sagen sie uns, ihren Abgeordneten, doch dazu fachlich und politisch gehörig ihre Meinung. Die anstehenden Anhörungen in den Ausschüssen für Verteidigung, Auswärtiges und Forschung und Technologie werden Gelegenheit geben, noch einmal alle Fragen genauestens zu untersuchen und andere Antworten zu geben, als sie die Kaolition hier bisher gegeben hat.Ihre Beschlußempfehlung heute ist ein untaugliches Instrument. Wir werden sie entschieden ablehnen.
Ich erteile das Wort dem Herrn Bundesminister des Auswärtigen.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Beschlußempfehlung des Auswärtigen Ausschusses, die heute zur Beratung ansteht, stellt das Thema der Begrenzung der militärischen Nutzung des Weltraums zutreffend in den Zusammenhang der amerikanisch-sowjetischen Abrüstungsverhandlungen in Genf.
Man kann nicht über Raketenabwehrsysteme sprechen, ohne sich mit der fortdauernden Bedrohung durch atomare Waffen auseinanderzusetzen.
Dieser Zusammenhang besteht, meine Damen und Herren;
Sie können es nicht leugnen. Die neuerliche Bereitschaft der Sowjetunion zu drastischen Reduzierungen ihrer atomaren Potentiale beweist diesen Zusammenhang.
Deshalb muß man feststellen, daß der von Ihnen unterstützte Vertragsentwurf das Wechselverhältnis zwischen Defensiv- und Offensivwaffen, wie es von beiden Großmächten in der Erklärung vom 8. Januar anerkannt worden ist, nicht berücksichtigt. Dieses Wechselverhältnis wirkt in beide Richtungen. Es wäre deshalb einseitig, nur auf die Folgen hinzuweisen, die sich aus der Suche nach neuen Defensivsystemen ergeben könnten.
Mit der am 8. Januar 1985 vereinbarten amerikanisch-sowjetischen Verhandlung über die strategischen Waffen, die Mittelstreckenwaffen und die Weltraumsysteme werden wesentliche Bereiche des wechselseitigen Kräfteverhältnisses und künftiger
übergreifender Entwicklungen miteinander verbunden. Das alles betrifft uns Europäer unmittelbar.
Die Weltraumfragen, die Untersuchungen, ob neue technologische Entwicklungen defensiv genutzt werden können, bringen eine neue Dimension in das West-Ost-Verhältnis, die Sicherheitspolitik und die Abrüstungspolitik. Die Vereinbarung der USA und der Sowjetunion vom 8. Januar ist deshalb ein Dokument von herausragender politischer Bedeutung.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Scheer?
Ich würde gern fortfahren.Die Bundesregierung hat sich wiederholt ohne Einschränkung zu den dort beschriebenen Zielen der Verhandlungen bekannt, nämlich ein Wettrüsten im Weltraum zu verhindern und es auf Erden zu beenden. Zu den Zielen dieser Verhandlungen gehört auch, Kernwaffen zu begrenzen und zu verringern und die strategische Stabilität zu festigen.Der in dem Dokument enthaltenen Absprache, daß die Fragen der strategischen Mittelstrecken- und Weltraumwaffen in ihrem wechselseitigen Verhältnis in Erwägung gezogen und gelöst werden müssen, kommt eine wesentliche Bedeutung für die Möglichkeit zu, bei dem amerikanisch-sowjetischen Gipfel den Weg nach vorn zu öffnen. Ich sage noch einmal: Es geht um das Wechselverhältnis zwischen Strategischen Waffen, Mittelstreckenwaffen und militärischer Nutzung des Weltraums.Wir begrüßen ausdrücklich das Treffen des amerikanischen Präsidenten und des sowjetischen Generalsekretärs.
Wir hoffen, daß es zur Konkretisierung der vereinbarten Zielsetzung sowie zur Förderung der politischen Beziehungen zwischen den USA und der Sowjetunion sowie zwischen West und Ost insgesamt beitragen wird.
Ein positives Ergebnis dieses Gipfeltreffens liegt im Interesse Europas, insbesondere der Bundesrepublik Deutschland.
Meine Damen und Herren, wenn hier von den GRÜNEN auf meine Feststellung, daß ein positives Ergebnis dieses Gipfeltreffens zwischen den USA und der Sowjetunion unseren Interessen dient, gerufen wird: „Das glauben Sie doch selber nicht!", dann heißt das, daß die GRÜNEN nicht bereit sind, die Probleme durch Verhandlungen zu lösen.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 166. Sitzung. Bonn, Freitag, den 18. Oktober 1985 12449
Bundesminister GenscherIch sage Ihnen: Durch einseitiges Handeln ist noch nie Problemlösung, sondern nur Konfliktverschärfung geschaffen worden;
das gilt für beide Richtungen.
Herr Bundesminister, gestatten Sie jetzt eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Schierholz?
Nein, dankeschön. Ich möchte mit meinen Gedanken fortfahren. Ich habe es auch dem anderen Kollegen abgelehnt.
Das gilt also für Ihre ganze Rede, Herr Bundesminister?
Ich möchte Sie nicht privilegieren, Herr Kollege.
— Ach, wissen Sie, unsere Zeit ist heute limitiert. Ich möchte anderen die Zeit nicht wegnehmen.
Meine Damen und Herren, ein positives Ergebnis dieser Gipfelbegegnung — ich wiederhole es — liegt im Interesse Europas und der Bundesrepublik Deutschland.
Denn wir sind von der Entwicklung der West-OstBeziehungen unmittelbarer als alle betroffen. Und als eines der Stationierungsländer der amerikanischen Mittelstreckenwaffen sind wir auch in besonderer Weise am Ergebnis dieser Rüstungskontrollverhandlungen interessiert.
Es entspricht dem Gewicht der Bundesrepublik Deutschland und der Rolle der Europäer im Bündnis und im West-Ost-Verhältnis, daß sich die amerikanische Regierung im Rahmen ihrer Vorbereitung für die Gipfelbegegnung nachdrücklich um enge Konsultationen mit der Bundesregierung und den anderen europäischen Partnern bemüht.Meine Damen und Herren, kein vergleichbarer Gipfel wurde so intensiv im Bündnis vorbereitet. Wir sind von dem Willen des amerikanischen Präsidenten überzeugt,
in Genf Fortschritte zu erzielen. Wir erkennen auch das Interesse des sowjetischen Generalsekretärs an einem konstruktiven Verlauf dieses Treffens.
Die Vereinigten Staaten wissen: Die Verhandlungsposition von Präsident Reagan in Genf wird um so stärker sein, je mehr er sich auf die Zustimmung seiner Partner berufen kann. Es gibt kein besseres Mittel, die Geschlossenheit des Westens zu wahren als engste Abstimmung der USA mit ihren europäischen Bündnispartnern und die Berücksichtigung der spezifischen europäischen Belange.
Der amerikanische Außenminister hat bei dem Außenministertreffen am 15. Oktober in Brüssel bestätigt, daß sich das SDI-Forschungsprogramm gemäß der ausdrücklichen und neuerlich bestätigten Entscheidung des Präsidenten auch weiterhin im Rahmen einer restriktiven Auslegung des ABM-Vertrages halten wird,
so wie die amerikanische Regierung das bisher öffentlich erklärt und ihren Bündnispartnern zugesichert hat.
Für die Bundesregierung, meine Damen und Herren, ist das ein entscheidender Punkt.
Wir haben die Bedeutung der Einhaltung und der Bekräftigung des ABM-Vertrages wiederholt unterstrichen.
— Ich weiß gar nicht, Herr Gansel, warum Sie so nervös sind.
Möglicherweise stört es Sie, daß die Bundesregierung es war, die diese neuerliche Klarstellung bewirkt hat.
Sie sollten sich darüber zufrieden äußern, daß wir in einer für unsere Sicherheit
und für den Erfolg der Verhandlungen entscheidenden Frage hier eine solche neuerliche Bestätigung haben durchsetzen können. Ich halte das für einen großen Erfolg unserer Politik.
Meine Damen und Herren, wir haben die Bedeutung der Einhaltung und Bekräftigung des ABM-Vertrages wiederholt unterstrichen, insbesondere auch in dem Beschluß des Bundessicherheitsrates vom 27. März 1985 und in der Regierungserklärung des Bundeskanzlers vom 18. April 1985, wie das in der Bundessicherheitsratssitzung am 4. Oktober noch einmal bestätigt worden ist. Das unbedingte Festhalten am ABM-Vertrag ist unverzichtbar, so-
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12450 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 166. Sitzung. Bonn, Freitag, den 18. Oktober 1985
Bundesminister Genscherlange nicht kooperative Lösungen einen Rüstungswettlauf im Weltraum ein für allemal ausschließen.
Außenminister Shultz hat seine Erklärung in Brüssel mit der Zusicherung verbunden, daß es keine Änderung der amerikanischen Haltung in dieser Frage geben wird, ohne daß es zuvor Konsultationen mit den Bündnispartnern und Verhandlungen mit der Sowjetunion als dem Vertragspartner des ABM-Vertrages geben wird.Ich habe in Brüssel, unterstützt von allen europäischen Partnern, die Bedeutung dieser Aussagen und die Bedeutung der Kontinuität der westlichen Haltung in dieser für unsere Glaubwürdigkeit wichtigen Frage unterstrichen. Zu Recht hat die Nordatlantische Versammlung am 15. Oktober 1985 in San Franzisko festgestellt — ich zitiere —,daß Entscheidungen über die mögliche Entwicklung und Dislozierung von Defensivsystemen erst getroffen werden können, wenn Konsulationen mit den Bündnispartnern und Verhandlungen mit der Sowjetunion über kooperative Lösungen geführt worden sind, d. h.— so stellt die Nordatlantische Versammlung weiter fest —daß es keine automatische Abfolge von Forschung, Entwicklung und Dislozierung geben darf.
— Herr Kollege Gansel, ich würde meinen Gedankengang wirklich gern fortführen können. Ich bemühe mich um eine unpolemische Debatte.
Herr Abgeordneter Gansel, der Herr Bundesminister hat keine Zwischenfragen zugelassen. Nehmen Sie das zur Kenntnis.
Wir haben Ihre Beiträge in Ruhe angehört. Der Sachverhalt ist wichtig genug. Hören Sie das an, was die Bundesregierung zu sagen hat. Äußern Sie sich danach. Diese Sache verträgt keine Polemik.
Sie sollten sie auch nicht in der Reaktion verwenden.Gerade in der gegenwärtigen Phase, in der die Sowjetunion neue Vorschläge unterbreitet hat und sich beide Seiten auf das Gipfeltreffen vorbereiten, kommt es entscheidend darauf an, einen verläßlichen und berechenbaren Kurs zu steuern. Nur, Verläßlichkeit und Berechenbarkeit müssen auch für die deutsche Bündnispolitik gelten. Das gilt, meine Damen und Herren von der SPD, auch für die Durchführung des NATO-Doppelbeschlusses. Der Ausstieg aus dieser Bündnisverpflichtung müßte zu einer Vertrauenskrise im Bündnis und zu einerSchwächung der westlichen Verhandlungsposition führen.
Die sowjetischen Vorschläge für die Genfer Verhandlungen sind ein wichtiger und ein ernst zu nehmender Schritt der Sowjetunion. Deshalb hat die Bundesregierung ebenso wie die amerikanische Regierung diese sowjetische Initiative, die eine Antwort auf die in Genf auf dem Tisch liegenden westlichen Vorschläge darstellt, grundsätzlich begrüßt. Herr Kollege Scheer, Sie haben von notwendigen westlichen Vorschlägen gesprochen. Ich werde darauf eingehen. Nur, wir müssen die Dinge richtig sehen. Das, was die Sowjetunion jetzt vorgelegt hat, sind Gegenvorschläge, sind erstmalige Darlegungen der sowjetischen Zielvorstellungen für die Verhandlung in konkreten Punkten, nachdem der Westen seit langem in den Genfer Verhandlungen eigene Vorschläge zur Diskussion gestellt hat.
Wir haben diese Vorschläge begrüßt, nicht zuletzt deshalb, weil sie eine Antwort auf die schon auf dem Tisch liegenden westlichen Vorschläge darstellen. Eine abschließende inhaltliche Bewertung ist erst möglich, wenn eine Reihe von Punkten am Verhandlungstisch geklärt sind. Trotzdem will ich zu einigen Punkten Stellung nehmen.Die Außenminister des Bündnisses waren sich in Brüssel weitgehend einig, daß es trotz der offensichtlich nur einseitig an den Interessen der Sowjetunion ausgerichteten Ausgestaltung der sowjetischen Vorstellungen auch eine Reihe von konstruktiven Punkten gibt, die es festzuhalten gilt. Das gilt für die Bereitschaft zur 50 %igen Reduzierung von nuklearen Trägersystemen bei gleichzeitiger Bereitschaft zur Begrenzung von Nuklearladungen, d. h. Sprengköpfen und Bomben; auf gleicher Obergrenze von 6 000 für alle Trägersysteme. Das gilt ferner für die Bereitschaft, den Anteil der Gefechtsköpfe und Bomben bei landgestützten Interkontinentalraketen, bei seegestützten ballistischen Raketen und bei Flugzeugen auf höchstens 60 % der Gesamtzahl von 6 000 zu beschränken.
Das gilt auch für die Aufgabe des Versuchs, französische und britische Systeme zum Gegenstand von Verhandlungen mit den USA zu machen.Andererseits ist es ein sowjetisches Konzept ungleicher Sicherheit, das hinter dem Vorschlag einer Neudefinition von strategischen Systemen steht und das Westeuropa zu einer Zone zweitrangiger Sicherheit werden ließe. Mit dem Argument, alle Nuklearwaffen hätten strategischen Charakter, wenn sie das Territorium der anderen Großmacht erreichen können, werden amerikanische Mittelstreckensysteme einschließlich der nuklearfähigen Flugzeuge, nicht aber die entsprechenden sowjetischen Systeme in die strategische Gleichung einbezogen. Der Versuch, Zonen unterschiedlicher Sicherheit innerhalb des westlichen Bündnisses zu
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 166. Sitzung. Bonn, Freitag, den 18. Oktober 1985 12451
Bundesminister Genscherschaffen, wurde schon einmal durch die sowjetische SS-20-Rüstung unternommen und mußte mit dem NATO-Doppelbeschluß beantwortet werden. Wir können diesen Versuch auch am Verhandlungstisch nicht akzeptieren.
Es kommt hinzu, daß dieser Versuch gegen die amerikanisch-sowjetische Vereinbarung vom 8. Januar verstößt, die ausdrücklich zwischen strategischen Nuklearwaffen und solchen mittlerer Reichweite unterscheidet.Wir, die Bundesregierung, wollen die weltweite Abschaffung aller landgestützten sowjetischen und amerikanischen Mittelstreckensysteme.
Die Möglichkeiten zu Fortschritten müssen in allen drei in der Genfer Erklärung vom 8. Januar genannten Verhandlungsbereichen ausgeschöpft werden: bei den strategischen Waffen, bei den Mittelstrecken- und bei den Weltraumwaffen. Der Bundeskanzler hat wiederholt darauf hingewiesen, daß eine drastische Verringerung von nuklearen Offensivwaffen Notwendigkeit und Umfang erforderlicher Defensivsysteme im Weltraum beeinflussen könnte, und er hat dafür viel Verständnis gefunden.Für das Wechselverhältnis von Offensiv- und Defensivsystemen hat die Erklärung der USA und der Sowjetunion vom 8. Januar einen aus der Sache heraus begründeten Zusammenhang und Rahmen geschaffen, der nicht in Frage gestellt werden darf. Genauso bedeutsam und unverzichtbar ist das Ziel der amerikanisch-sowjetischen Erklärung, einen Rüstungswettlauf im Weltraum zu verhindern und auf Erden zu beenden.Es wird eine wichtige Aufgabe in Genf sein, kooperative Lösungen zu erreichen. Das muß auch für die Schaffung eines verläßlichen politischen Rahmens für noch ungewisse technische Entwicklungen gelten. Das könnte die mit den beiderseitigen Forschungen — den beiderseitigen! — über strategische Verteidigungsmöglichkeiten verbundenen technologischen Ungewißheiten politisch kalkulierbarer machen.Hierher gehört auch die Forderung der Nordatlantischen Versammlung nach einer Einigung zwischen der Sowjetunion und den Vereinigten Staaten über technische Definitionen der nach dem ABM-Vertrag zulässigen Arten der Forschung.
— Ja, sicher. Wir reden von Forschung, Herr Gansel.
— Diese Brandmauer ist gerade durch die Erklärung des amerikanischen Präsidenten, die uns Herr Shultz erläutert hat, neu bestätigt worden.
Worum es geht, ist jetzt, die von der Nordatlantischen Versammlung geforderte technische Definition der zulässigen Arten der Forschung zu finden. Daran haben doch Ihre eigenen Freunde bei dieser Veranstaltung mitgewirkt. Nun setzen Sie doch nicht das herab, was in einem Konsens erreicht worden ist!
— Ja, ich weiß ja auch, daß einer von Ihnen dagegen gestimmt hat. Aber die anderen haben sich, wie ich gehört habe, enthalten, eben weil sie in solchen Forderungen durchaus konstruktive Ansätze sehen.
Es ist politisch bedeutsam, daß die Bündnispartner in Brüssel einmütig eine konstruktive Antwort unterstützt haben,
nachdem die Sowjetunion zum ersten Mal eigene Gegenvorschläge vorgelegt hat, die Bereitschaft zu drastischen Reduzierungen signalisieren.Bedenken müssen ausgesprochen werden, und sie müssen durch weiterführende eigene Vorschläge, soweit das in unserer Hand liegt, überwunden werden. Es geht um einen konstruktiven Dialog mit der Sowjetunion. Die positiven Aspekte ihrer Vorschläge müssen in ein Angebot einbezogen werden, und damit muß den Genfer Verhandlungen eine neue Dynamik gegeben werden.
Die Bundesregierung hält es für wichtig, daß das gesamte Spektrum des militärischen Kräfteverhältnisses
zwischen West und Ost in den Rüstungskontrolldialog einbezogen wird.
Keine Waffenart darf von Verhandlungen ausgenommen sein. Das gilt auch für die Nuklearwaffen kurzer Reichweite, die uns hier ganz unmittelbar bedrohen.
Wir wünschen außerdem konkrete Fortschritte bei den Bemühungen um Stabilisierung der militärischen Lage in Europa im konventionellen Bereich.
Hier geht es vor allem um den Abbau der konventionellen Überlegenheit der Sowjetunion
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12452 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 166. Sitzung. Bonn, Freitag, den 18. Oktober 1985
Bundesminister Genscherund um den Ausbau vertrauensbildender Maßnahmen.Meine Damen und Herren, wenn wir uns heute mit den Fragen der nuklearen Bedrohung befassen, wenn wir uns mit neuen technischen Entwicklungen befassen, so dürfen wir den Ursprung und den Kern nicht vergessen, der die Bedrohungslage in Europa geschaffen hat. Er geht von der konventionellen Überlegenheit des Ostens aus. Das müssen Sie im Zusammenhang mit den atomaren Fragen betrachten und sehen.
Deshalb fordern wir, daß keine Waffen eingesetzt werden, weder die atomaren noch die konventionellen. Nur umfassender Gewaltverzicht kann den Frieden bewahren. Wir dürfen bei der Diskussion über die Frage der Raketenabwehrsysteme, wir dürfen bei der Diskussion über die atomaren Waffen — alles zentrale Probleme des Überlebens der Menschheit — niemals vergessen, daß auch ein konventioneller Krieg in Europa angesichts der technologischen Entwicklung heute tausendmal schrecklicher wäre, als der Zweite Weltkrieg es gewesen ist.
Es darf deshalb nichts, meine Damen und Herren,aber auch gar nichts geschehen, was einen Krieg —sei er atomar oder konventionell — führbar macht.
Gewaltverzicht bleibt das Kernstück unserer Politik.Gerade für den konventionellen Bereich kommt den Verhandlungen in Wien und in Stockholm große Bedeutung zu. Bei den MBFR-Verhandlungen werden wir neue Wege aufzeigen, vor allem im Zusammenhang mit Verifikation und Streitkräfteumfang. Bei der Abrüstungskonferenz in Stockholm zeigt die Einrichtung informeller Arbeitsstrukturen mit dem erklärten Ziel, den Übergang zur Reaktionsphase zu erleichtern, daß Einigung möglich ist. Das wollen wir ausbauen helfen, damit wir im nächsten Jahr in Wien ein substantielles Ergebnis vorliegen haben.Für besonders dringlich halten wir ein weltweites, umfassendes und verifizierbares Verbotsabkommen für chemische Waffen. Auch das muß in Genf mitbesprochen werden. Und da wissen wir: Regionale Beschränkungen würden die ohnehin schwierige Verifikationsfrage noch weiter erschweren.
Ein auf Europa beschränktes Verbotsabkommenwürde gerade die Völker der Dritten Welt, die heuteunter dem Einsatz von C-Waffen zu leiden haben, dieser Bedrohung weiter ausgesetzt lassen.
— Herr Kollege, es gibt Sicherheit und Frieden nur, wenn Sie alle Bedrohungsarten verhandeln.
Wer sich an einigen Punkten festhakt, wird erlauben, daß in anderen Bereichen neue Aufrüstungsentwicklungen in Gang kommen.
Das zu vermeiden ist das Ziel unserer Abrüstungspolitik. Es ist schon erstaunlich, mit welcher Nervosität Sie eine völlig sachliche Darlegung unserer Position anhören.
Sie sind deshalb nervös, meine Damen und Herren, weil Sie wissen: Je sachlicher die Erörterung von Abrüstungsfragen ist, desto geringer sind Ihre Chancen, diese Fragen emotional und einseitig zu behandeln.
Meine Damen und Herren, es geht bei den chemischen Waffen
um die Ächtung einer ganzen Waffenart, deren Einsatz ohnehin schon seit 1925 verboten ist.Die rüstungskontrollpolitischen Vorschläge des Westens müssen in die Gesamtheit der Vorschläge für eine breitangelegte, langfristige Regelung der Beziehungen zwischen den USA und der Sowjetunion und zwischen West und Ost insgesamt eingebettet werden. Die Genfer Verhandlungen können nicht losgelöst von den politischen Beziehungen gesehen werden. Zwischen politischer und militärischer Vertrauensbildung besteht eine Wechselwirkung. Am 19. und 20. November geht es darum, daß sich beide Seiten ihre mittel- und langfristigen Erwartungen und Optionen erläutern und damit ihr gegenseitiges Verhältnis zueinander bestimmen. Ein konstruktives West-Ost-Verhältnis setzt voraus, daß die KSZE-Schlußakte und das Schlußdokument von Madrid in allen Teilen verwirklicht werden, daß wir zur Zusammenarbeit kommen. Wir sind uns dabei der besonderen Verantwortung beider deutscher Staaten für die Lage in Europa und für das West-Ost-Verhältnis bewußt und handeln danach. Allein das Bewußtsein dieser Verantwortungsgemeinschaft wird unserer Geschichte, der Bedeutung der deutschen Nation und unserer Lage in der Mitte Europas gerecht.
Zur Vertrauensbildung in den internationalen Beziehungen gehören Mäßigung und Zurückhal-
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 166. Sitzung. Bonn, Freitag, den 18. Oktober 1985 12453
Bundesminister Genschertung sowie der Verzicht auf das Streben nach einseitigen Vorteilen in der Dritten Welt. Die Bereitschaft der Sowjetunion zu einer politischen Lösung in Afghanistan — auch das ist in Genf zu besprechen — könnte auch zur Wiederherstellung verlorenen Vertrauens beitragen, das unverzichtbar ist für die Entwicklung eines konstruktiven West-Ost-Verhältnisses.
Meine Damen und Herren, wir erwarten auch positive Signale für den Menschenrechtsbereich. Auch das könnte sich positiv auswirken.Die Bundesregierung wird auch im Sinne der Beschlüsse der Außenministerkonferenz in Lissabon alles tun, daß die Allianz eine langfristige Politik im Sinne des Harmel-Berichts betreibt, damit wir langfristig durch Zusammenarbeit der Sowjetunion ein realistisches Konzept der Kooperation in allen Bereichen bieten können. Der Westen muß der Sowjetunion als Alternative zu einem Rüstungswettlauf, den kein vernünftiger Mensch wollen kann, die Option breiter Zusammenarbeit und wirklicher Abrüstung anbieten. Wir treten dabei auf der Basis gleichen Rechts aller Betroffenen auf Sicherheit und gegenseitigen Nutzen für eine konstruktive Zusammenarbeit ein.Meine Damen und Herren, es ist notwendig, daß wir mit der sowjetischen Führung über Möglichkeiten sprechen, die West-Ost-Beziehungen langfristig auf eine stabilere Grundlage zu stellen. Moskau bereitet den nächsten Parteitag im Februar 1986 vor. Generalsekretär Gorbatschow läßt den Willen zur Modernisierung seines Landes erkennen. Nach ihrer Interessenlage — der sowjetische Generalseketär hat das in seinem „Time"-Interview selbst bestätigt — müßte die Sowjetunion daran interessiert sein, zusätzliche Rüstungsausgaben zu vermeiden und dem Land die erforderliche Ruhe für eine Modernisierung seiner Wirtschaft zu gewähren. Im Sinne des Harmel-Konzepts gilt es, der Sowjetunion die Chance kooperativen Verhaltens zu verdeutlichen.Meine Damen und Herren, die Erfahrung zeigt: Weder Streben nach Überlegenheit noch das Setzen auf technologische Abkoppelung wären geeignete Mittel, den Wettbewerb der Systeme zu gewinnen. Nur Verständigung auf der Grundlage der Gleichberechtigung und der gegenseitigen Berücksichtigung legitimer Interessen kann zu einem gesicherten dauerhaften Frieden führen.Es ist unsere Verantwortung und unsere Aufgabe, darauf hinzuwirken, daß mit einem neuen umfassenden Entwurf für die kooperative Gestaltung des West-Ost-Verhältnisses ein stabiler und ein dauerhafter Frieden geschaffen werden kann.Ich danke Ihnen.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Klejdzinski.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mein Kollege Scheerhat ausgeführt, daß wir Sozialdemokraten einen Vertrag zur Begrenzung der militärischen Nutzung des Weltraums vorgelegt haben. Er hat es nach meiner Einschätzung überzeugend begründet, insbesondere auch das Anliegen der Göttinger Naturwissenschaftler.Wir haben es als notwendig erachtet, diesen Antrag vorzulegen, weil wir fürchten, daß die intensive Forschung und Entwicklung von Weltraumwaffen, von Militärstützpunkten oder -plattformen im Weltraum eine erneute Runde des Wettrüstens der atomaren Supermächte einleitet und die Kosten für die Rüstung in ungeahnte Dimensionen steigen läßt und zugleich — dieses ist bedrohlich — die internationale Stabilität und das gegenwärtige sensible Gleichgewicht extrem beeinflußt.
Mit ungläubigem Erstaunen allerdings müssen wir zur Kenntnis nehmen, daß die Regierungskoalition unseren Antrag ablehnt. Die Ablehnung durch die CDU/CSU kommt nicht überraschend, jedoch muß angemerkt werden, daß sich die FDP in dieser Frage etwas seltsam verhält.
In der Öffentlichkeit treten Sie für eine Begrenzung der militärischen Nutzung ein, hier im Bundestag machen Sie heute einen Rückzieher, beziehen sich auf die Erklärung des Bundeskanzlers und sagen: Wir wollen uns an SDI beteiligen.
Der Außenminister hat leider durch seinen Redebeitrag nicht zur Klärung beigetragen. Der Außenminister hat heute hier, vom Thema abweichend, eine außenpolitische Erklärung abgegeben.
Warum er dies getan hat, man kann es nur erahnen. Möglicherweise ist das notwendig, um seine Standfestigkeit andernorts zu betonen.
Gleichzeitig hat er durch eine wohldurchdachte Mißinterpretation, bezogen auf San Francisco, hier etwas in den Raum gestellt, was leider jetzt hier nicht behandelt werden kann. Aber, Herr Außenminister, wenn Sie nur so argumentieren können, tun Sie mir an sich leid.
Insofern ist es grundsätzlich nicht verwunderlich, daß Sie hier durchaus die Nagelprobe machen könnten, was die FDP betrifft. Sie hätten Geschlossenheit zeigen können. Aber was ist feststellbar? Sie marschieren im Gleichschritt, weil Sie — ich weiß nicht, aus welchen Gründen — unbedingt in dieser Koalition bleiben müssen.
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12454 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 166. Sitzung. Bonn, Freitag, den 18. Oktober 1985
Dr. KlejdzinskiDie in der Beschlußempfehlung genannte Aufforderung an die Bundesregierung, dafür Sorge zu tragen, daß alles unternommen werden muß, um die Rüstungsentwicklung im Weltraum unter Kontrolle zu halten, spiegelt sich nicht im Handeln dieser Bundesregierung wider.
— Herr Wimmer, mit Ihrer rheinischen Frohnatur, herzlichen Glückwunsch!Die Beschlußempfehlung — das ist interessant — weigert sich, eine Initiative, die ein Verbot der Entwicklung, Erprobung oder Stationierung von Weltraumwaffen jeglicher Art betrifft, konkret zu unterstützen. Man muß fragen, warum diese Bundesregierung oder diese Koalition sich in dieser Frage so verhalten. Die Bundesregierung weigert sich, unsere europäischen Sicherheitsinteressen bewußt beim Namen zu nennen und ist eher bereit, sich bedingungslos den Forderungen unserer amerikanischen Bündnispartner auszuliefern, nämlich um SDI willen nein zu sagen.
Sie sieht an sich tatenlos zu, wie Art. 5 und 9 des ABM-Vertrages durch Interpretationen vorwegnehmend unterlaufen werden. Man muß feststellen: Sie ist förmlich hypnotisiert; es gibt keine eigenständige Regung mehr. Wenn jemand so hypnotisiert in eine Richtung starrt,
dann verengt sich sehr schnell sein Blickwinkel. Dies müssen wir gegenwärtig feststellen.Von europäischen Interessen ist in diesen Tagen und Monaten in der Regierungskoalition kaum die Rede. Der Bundeskanzler, um mal auf den zurückzukommen, der heute nicht da ist — vielleicht kann er nicht da sein —,
schweigt. Zuweilen sagt er allerdings: Die Strategische Verteidigungsinitiative von Präsident Reagan wird das beherrschende sicherheitspolitische Problem der vor uns liegende Jahre sein und maßgeblich das Ost-West-Verhältnis wie auch das Verhältnis zwischen USA und Europa beeinflussen.Wenn das wirklich so ist, meine Herren in der Regierung — der Außenminister hat keine Zeit zuzuhören —,
dann muß man wirklich mal fragen, ob es an der Zeit ist, hier nicht nur eine außenpolitische Erklärung abzugeben, sondern wirklich konkret zu sagen, was diese Bundesregierung in dieser Frage denkt.In der Beschlußempfehlung des Ausschusses wird man zum ersten Male konkret. Ich meine, hier muß nachgefragt werden. Was ist denn damit gemeint: Es ist sicherzustellen, daß durch eine mögliche Realisierung eines strategischen Defensivsystems nicht die politische und strategische Einheit des Bündnisgebietes zerstört wird und nicht andere für die Verteidigung des Bündnisses notwendige Vorhaben beeinträchtigt werden? Wenn man solch eine Feststellung trifft, dann frage ich, warum man unseren Antrag dann ablehnt. Ich persönlich kann hier nur eine eindeutige Bejahung von SDI, der Strategischen Verteidigungsinitiative, herauslesen.Weiterhin heißt es in dieser Beschlußfassung:Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf, zu prüfen, wie eine grundsätzlich wünschenswerte deutsche Forschungsbeteiligung an einem strategischen Defensivsystem ggf. im Zusammenwirken mit anderen Mitgliedstaaten der Allianz ... sichergestellt werden kann.
Was heißt hier „angemessene Entscheidung"? Die kann doch nur so verstanden werden: Ja zu SDI.
Das heißt: Bitte, seid so nett, laßt uns ein bißchen an dem Forschungskuchen mitwirken! Vielleicht fällt etwas ab, und wir werden uns mit ein paar Krümeln begnügen. Nach dem Grundsatz, der dahintersteht, inwieweit das zur Destabilisierung der Sicherheitslage in Europa beiträgt, wird nicht gefragt.
Wir Sozialdemokraten sagen: Im Interesse des Friedens darf nicht eine neue Rüstungsdimension im Weltraum entstehen. Ein Wettrüsten mit Weltraumwaffen und anderen destabilisierenden Weltraumobjekten muß verhindert werden. Diese neue Rüstungsdimension bringt Instabilität statt Stabilität, Unsicherheit statt Sicherheit, Aufrüstung statt Abrüstung und möglicherweise eine Vermehrung der offensiven Nuklearwaffen.Wir Sozialdemokraten warnen davor, durch technische Gigantomanie den Frieden sichern zu wollen. Wir sollten uns auf Rüstungskontroll- und Abrüstungsbemühungen konzentrieren. Hier ist die Bundesregierung aufgefordert zu handeln. Wir sollten unsere Energie darauf verwenden, die Bewaffnung des Weltraums zu verhindern und die friedliche Nutzung des Weltraums in Zusammenarbeit mit allen Nationen voranzutreiben.Es ist nicht zu leugnen: Der fundamentale politische Gegensatz zwischen Ost und West beherrscht das Strategische Feld. Unabhängig davon sollte Rüstungskontrolle zu stabilitätsfördernden Reduzierungen der Waffenpotentiale führen. Grundsätzlich bedarf es bei dieser Betrachtungsweise sicherlich eines strategischen Gesamtansatzes als Rahmen für jegliche Abrüstungsverhandlungen. Dies ist unbestritten, und soweit der Außenminister in dieser
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 166. Sitzung. Bonn, Freitag, den 18. Oktober 1985 12455
Dr. KlejdzinskiFrage handelt, unterstützen wir das auch. Doch sollte Außenminister Genscher, der ja hier zu dieser Frage gesprochen hat, bei seinem vielgelobten guten Verhältnis zu Caspar Weinberger gelegentlich vielleicht auch einmal sagen, welche Interessen wir haben; er sollte gelegentlich auch einmal sagen, daß wir europäische Sicherheitsinteressen haben, und sollte dabei unsere deutschen Sicherheitsinteressen einbringen.Für uns Sozialdemokraten ist Kriegsverhütung das oberste Gebot. Rüstungskontrolle und Abrüstung sind dabei unverzichtbare Instrumente, um im Ringen um diese Kriegsverhütung mehr Stabilität zu erreichen. Eine Chance für ein geregeltes Miteinander besteht darin, der Sowjetunion zu vermitteln, daß die Kräfte des Westens nicht die Absicht haben, militärische Überlegenheit über die Sowjetunion zu gewinnen. Dafür gilt es Zeichen zu setzen, dafür müssen wir auch bewußt etwas tun.Zu dem von uns vertretenen westeuropäischen Ansatz gehört, daß Westeuropa auf jede aktive militärische Nutzung des Weltraums verzichtet und alle politischen Einflüsse für einen internationalen Vertrag zum Verbot der aktiven militärischen Nutzung des Weltraums geltend macht. Der europäische Verzicht auf die aktive Weltraumrüstung muß dann gelten, wenn die Weltmächte diese Rüstung weiterentwickeln, und zwar mindestens aus folgenden Gründen: Die wechselseitige Fähigkeit zur Ausschaltung von Satelliten mit ASAT-Systemen ist für Europa noch gefährlicher als für die Weltmächte, weil es für Europa keine nennenswerten Vorwarnzeiten gibt. Die Errichtung von ABM-Systemen im Weltraum muß zwangsläufig zur Verstärkung der wechselseitigen Offensivfähigkeiten führen, womit jeder Ansatz einer europäischen Friedenspolitik zerstört würde.Abschließend ein paar Bemerkungen zu SDI: Erstens. SDI hat eine grundentscheidende Einwirkung auf die bestehenden Bündnissysteme, und damit hat diese Strategische Verteidigungsinitiative erstens erhebliche Auswirkungen auf die Strategie der NATO, unabhängig davon, ob wir das ausformulieren oder nur zur Kenntnis nehmen wollen.Zweitens. SDI stellt grundsätzlich den ABM-Vertrag in Frage und ist eine Aufforderung zu einer neuen Rüstungswettlaufdimension in ungeahnten Größen.
Drittens. SDI wird den Schutz von Europa nicht verbessern, sondern eher weiter in Frage stellen.
Viertens. Die Konzentration der Forschungsmittel auf SDI wird Forschungsmittel für eine stärkere Ausrichtung der konventionellen Verteidigung insbesondere im Blick auf eine mögliche Defensivstruktur abziehen.Fünftens. SDI wird weitere Rüstungskontrollverhandlungen erschweren.
Sechstens. Bereits heute ist die Militarisierung von Wissenschaft und Forschung durch rüstungsorientierte Industriekomplexe evident, weil die Technologierunde der 80er Jahre weitgehend auf militärischer Forschung beruht. Dies wird durch SDI noch weiter verstärkt.Westeuropa muß die technologische Herausforderung durch die strategische Verteidigungsinitiative der Amerikaner erkennen und eine eigene Antwort formulieren. Ein umfassendes Abkommen zur Begrenzung oder zum Verbot von Weltraumwaffen kann einen Rüstungswettlauf wenn schon nicht vermeiden, so doch sehr beschränken. Dies muß unsere Zielsetzung sein.Lassen Sie mich abschließend folgendes bemerken. Unsere Intention ist — und daran halten wir fest —: Der Weltraum muß frei von Waffen bleiben. Die Militarisierung des Weltraums dient nicht dem Frieden und damit auch nicht dem Wohl der ganzen Menschheit.Herzlichen Dank.
Das Wort hat der Abgeordnete Lamers.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Herr Bundesaußenminister hat zu dem entscheidenden Zusammenhang zwischen SDI und Abrüstung eingehend Stellung genommen. Ich unterstütze insbesondere seine Feststellung zu den sowjetischen Vorschlägen hinsichtlich der Mittelstreckenraketen, die in der Form für die Bundesrepublik Deutschland nicht annehmbar sind.
Weil er dies so ausführlich getan hat, kann und muß ich mich auf einige Anmerkungen zu dem Thema SDI und auf die — ich hätte fast gesagt — sogenannte deutsche Beteiligung beschränken. Das will ich hier auch deswegen tun, weil das hier wieder zum Gegenstand falscher Behauptungen gemacht worden ist.
Erstens. Der hier geführte Streit steht in überhaupt keinem objektiven Verhältnis zum Gegenstand. Eine Beteiligung der Bundesrepublik Deutschland als Völkerrechtssubjekt an dem SDI-Forschungsvorhaben hat zu keiner Minute zur Debatte gestanden.
Die USA haben dies auch nie angeboten. In Wirklichkeit geht es um die mögliche Beteiligung deutscher Firmen und um deren rechtliche Absicherung. Dies ist übrigens genau dieselbe Lage, vor der auch Italien, Großbritannien und Frankreich stehen.Welche Form diese Absicherung haben sollte, wird nach sorgfältiger Prüfung der Ergebnisse der
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LamersTeltschik-Mission und nach Konsultation der europäischen Partner zu ermitteln sein. Eine — wie im einzelnen auch immer geartete — Vereinbarung der beiden Regierungen wird es geben müssen. Sie wäre jedoch nicht zu verwechseln mit einer politischen Stellungnahme zur SDI-Forschung. Diese, meine Damen und Herren, ist längst erfolgt, indem die Bundesregierung erklärt hat, sie halte dieses Programm für gerechtfertigt und notwendig. Angesichts dieser Lage braucht niemand ein Regierungsabkommen besonders nachdrücklich zu fordern, und es braucht hier auch niemand besonders sorgenvolle Bedenken vorzutragen.Zweitens. Der wirtschaftlich-technologische Nutzen einer Beteiligung deutscher Firmen an den SDI-Forschungen ist möglicherweise bedeutend. Wichtiger aber könnte der politische Nutzen sein, wenn diese Beteiligung und ein daraus resultierender Informationsfluß der Bundesregierung Erkenntnisse über SDI verschaffte, die ihre Urteilsfindung nach Abschluß der Forschungen erleichterte.Drittens. Dieses Urteil zu diesem Zeitpunkt, der nicht vor Beginn der 90er Jahre liegen wird, wird die eigentliche Entscheidung für oder gegen SDI, für oder gegen eine Realisierung der Forschungsergebnisse, für oder gegen eine Änderung auch der NATO-Strategie sein. Sie kann heute natürlich unmöglich getroffen werden.Die positive Stellungnahme zu den SDI-Forschungen kann deswegen auch nicht gleichbedeutend mit einer positiven Entscheidung für Entwicklung und Stationierung ballistischer Abwehrsysteme sein. Aber um diese später anstehende Entscheidung so gut wie irgend möglich und entsprechend ihrer außerordentlichen Bedeutung treffen zu können, ist die Beteiligung an dem SDI-Forschungsprogramm durch deutsche Firmen wünschenswert.Ich betone: Entscheidend ist nicht der technologisch-wissenschaftliche und wirtschaftliche Nutzen, entscheidend für die Haltung meiner Fraktion ist der politische impact dieser Angelegenheit. Und wir werden uns durch die billige Polemik, die von Ihrer Seite dazu betrieben wird, nicht davon abhalten lassen, das Thema so zu behandeln, wie es behandelt werden muß, nämlich mit allem Ernst und unter Berücksichtigung der deutschen Interessen.Vielen Dank.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Zu einer Erklärung zur Aussprache nach § 30 der Geschäftsordnung erteile ich dem Herrn Abgeordneten Gansel das Wort.
Herr Präsident! Der Herr Bundesaußenminister hat Zwischenrufe und Versuche, mit Zwischenfragen Klärung zu schaffen, damit beantwortet, daß er uns vorgeworfen hat, wir seien „polemisch", „nervös", wir würden uns „keine Sorgen" machen, und er hat auf das Abstimmungsverhalten der Sozialdemokraten in der Nordatlantischen Versammlung hingewiesen. Ich fühle mich als Mitglied der deutschen Delegation und Sprecher der SPD-Mitglieder in der Versammlung angesprochen.Herr Bundesaußenminister, ich möchte Ihnen noch einmal klarmachen, worum es ging. Sie haben Ihrer Freude darüber Ausdruck gegeben, daß der amerikanische Außenminister jetzt noch einmal eine restriktive Interpretation des ABM-Vertrages bekräftigt hat.
Sie hätten gut daran getan, auch Ihrer Sorge darüber Ausdruck zu geben, daß dieser Vertrag von Teilen der amerikanischen Administration in einer Weise in Frage gestellt worden ist, daß es auf der Nordatlantischen Versammlung nicht nur kritische Fragen, heftige Diskussionen, sondern zum Schluß auch zum Teil einvernehmliche Beschlüsse zwischen Konservativen auf der einen Seite, Sozialdemokraten und Sozialisten auf der anderen Seite gegeben hat, um das Fundament des ABM-Vertrages zu erhalten.
Sie dürfen hier nicht herunterspielen, daß in der Auseinandersetzung über diese Fragen der amerikanische Außenminister mit seinem Rücktritt drohen mußte, um sich gegenüber jenen Teilen der amerikanischen Administration durchzusetzen.
Herr Außenminister, wir Sozialdemokraten haben deshalb in der Nordatlantischen Versammlung dem zugestimmt,
was Sie in Ihrer Erklärung als Brandmauer zwischen Forschung und Entwicklung bezeichnet haben. Sie wissen, wir sind gegen SDI, Sie wissen, wir sind gegen eine deutsche Beteiligung an der Forschung. Wir halten es für falsch, daß Sie den Weg der deutschen Beteiligung über die Forschung gehen. Aber wir werden bereit sein, Ihnen wenigstens zu helfen, die Brandmauer zwischen Forschung und Entwicklung zu erhalten, um zu verhindern, daß wider Willen oder wider bessere Möglichkeit der Voraussicht die deutsche Wissenschaft und die deutsche Industrie in die Entwicklung von Raketenwaffen automatisch hineingezogen werden. Dagegen haben wir uns auch hier im Deutschen Bundestag ausgesprochen.Ich bitte Sie deshalb, Sorgen und Befürchtungen nicht herunterzuspiegeln, sondern sie ernst zu nehmen. Sie befinden sich auf einer abschüssigen
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GanselBahn. Teile Ihres Bundessicherheitsratsbeschlusses sind schon in Frage gestellt.
Ich erwarte, daß Sie es respektieren, wenn wir auf internationalen Konferenzen Ihnen helfen, Mindestforderungen deutscher und europäischer Sicherheit auch gegenüber unseren amerikanischen Verbündeten zur Geltung zu bringen.Danke sehr, Herr Präsident.
Meine Damen und Herren, wir kommen zur Abstimmung.
Der Ausschuß empfiehlt auf der Drucksache 10/3356 unter Nr. 1, den Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/2040 abzulehnen. Wer dieser Beschlußempfehlung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Die Beschlußempfehlung des Ausschusses ist angenommen.
Der Ausschuß empfiehlt weiter auf Drucksache 10/3356 unter Nr. 2 die Annahme einer Entschließung. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Die Entschließung ist angenommen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 17 auf:
Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Braun, Kroll-Schlüter, Frau Augustin, Breuer, Dolata, Dr. Hoffacker, Link , Frau Männle, Sauer (Stuttgart), Schlottmann, Werner, Frau Dr. AdamSchwaetzer, Cronenberg (Arnsberg), Eimer (Fürth), Frau Dempwolf, Frau Verhülsdonk, Dr. Olderog, von Schmude, Müller (Wesseling), Biehle, Eylmann, Lenzer, Krey, Dr. Kunz (Weiden), Schulze (Berlin), Dr. Jobst, Schemken, Sauer (Salzgitter), Weiß, Dr. Möller, Kittelmann, Schmitz (Baesweiler), Lowack, Jung (Lörrach), Frau Roitzsch (Quickborn), Dr. Hüsch, Dr. Riedl (München), Dr. Rose, Schreiber, Dr.-Ing. Kansy, Dr. Schroeder (Freiburg), Dr. Pohlmeier, Dr. Czaja, Link (Frankfurt), Frau Geiger, Pohlmann, Zierer, Dr. Miltner, Spilker und der Fraktionen der CDU/CSU und FDP
Lebenssituation und Zukunftsperspektiven älterer Menschen
— Drucksachen 10/1660, 10/2784, 10/3151 —
Hierzu liegen Entschließungsanträge der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP auf der Drucksache 10/4020 sowie der Fraktion der SPD auf der Drucksache 10/4034 vor.
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die Aussprache zweieinhalb Stunden vorgesehen. — Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Herr Abgeordneter Braun.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Alljährlich haben wir uns im Deutschen Bundestag mit der Anpassung der Renten zu befassen. So wichtig die materielle Sicherung für die älteren Menschen ist, es gibt auch andere Fragen und Probleme, mit denen wir uns zu befassen haben. So haben wir uns im Jahre 1979 im Deutschen Bundestag im Rahmen einer eingehenden Debatte mit der Lebenssituation der älteren Menschen in der Bundesrepublik Deutschland befaßt.Die Große Anfrage und die Antwort dazu, über die wir heute diskutieren, hat bewußt als Thema nicht nur die Lebenssituation, sondern auch die Zukunftsfragen der älteren Generation einbezogen. Ein Widerspruch, Alter und Zukunft? Nein, eine Konsequenz aus der veränderten Situation der Älteren in unserer Gesellschaft. Das Renteneintrittsalter beträgt heute im Durchschnitt 58 Jahre. Im Hinblick auf die gestiegene und noch weiter steigende Lebenserwartung hat der heutige Rentner und Pensionär, den wir fälschlicherweise immer noch als Ruheständler bezeichnen — vielleicht fällt uns da einmal eine andere Bezeichnung ein —, noch eine Zukunft vor sich.Die CDU/CSU-Fraktion begrüßt die Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage zu Lebenssituation und Zukunftsperspektiven älterer Menschen, die uns Gelegenheit gibt, uns mit den Problemen, die unsere älteren Mitbürger betreffen, nicht nur auseinanderzusetzen, sondern gleichzeitig den Versuch zu unternehmen, Ansätze für die zukünftige Entwicklung dieser gesellschaftspolitischen Fragen zu finden. Von großem politischen Gewicht sind Anzeichen eines tiefgreifenden gesellschaftlichen und politischen Wandels, die sich erst in Umrissen abzeichnen.Die Politik wird es mit zu verantworten haben, ob die ältere Generation in Zukunft zu einer Problemgruppe abgestempelt wird, die heute ein Viertel, schon bald ein Drittel der Bevölkerung ausmacht, oder ob es gelingt, die ältere Generation in die Dynamik unserer modernen Industriegesellschaft zum Nutzen aller zu integrieren. Denn — ich zitiere Herrn Sommer, der in der Wochenzeitung „Die Zeit" schrieb:Eine Gesellschaft, die sich der Lebenserfahrung der Älteren, ihrer Sozialerfahrung und ihrer Kulturerfahrung beraubt, amputiert sich selber. Das gilt vor allem für eine innovationsbesessene Gesellschaft wie unsere. Gerade sie braucht das Gegengewicht dessen, was die Philosophen Einsicht nennen oder Weisheit.Der Eintritt in den Ruhestand darf nicht zum Austritt aus der Gesellschaft werden. Unsere Gesellschaft und unser öffentliches Leben zeichnen sich bis in die Massenmedien hinein durch eine einseitige Jugendorientierung aus.Nachdem ich gerade ein kritisches Wort zu den Massenmedien gesagt habe, möchte ich danken, daß diese Debatte sowohl vom Fernsehen als auch
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Braunvon einigen Rundfunkanstalten übertragen wird. Meine Damen und Herren, ich finde das prima. Denn allzuoft herrscht der Eindruck vor, daß die Verantwortlichen bei Rundfunk und Fernsehen gar nicht wissen, wer ihre treuesten Hörer und Seher sind: Das sind die älteren Mitbürger.
Meine Damen und Herren, breiter öffentlicher Zustimmung sicher ist jede Maßnahme zur Verbesserung der Zukunftschancen der jungen Generation. Es mangelt jedoch an einer entsprechenden Aufmerksamkeit für die Probleme des Alters und des Alterns in unserer Bevölkerung. Hier ist die Politik gefordert, im Rahmen einer sozialen Ordnungspolitik das Verständnis zu wecken und das Bewußtsein für die Probleme des Alterns zu schärfen, sich für den sozial-struktuellen Wandel offen zu erweisen, wo nötig, Bilder zu korrigieren und Vorurteilen zu begegnen, veränderten Ansprüchen und Bedürfnissen differenziert zu begegnen, Vorsorge hinsichtlich sich bereits abzeichnender Entwicklungen zu treffen, Maßstäbe für politische Maßnahmen zu überprüfen, wenn z. B. wissenschaftliche Erkenntnisse das erfordern.Meine Damen und Herren, die Sonderkonferenz der Vereinten Nationen, die 1982 in Wien stattfand, hat in dem von ihr verabschiedeten Internationalen Aktionsplan festgestellt:Die Verantwortlichen in Wissenschaft und Politik sowie die Massenmedien und die Öffentlichkeit werden sich um eine völlig andere Betrachtungsweise bemühen müssen, um zu verstehen, daß es beim Problem des Alterns heute nicht nur um Schutz und Versorgung geht, sondern vielmehr um die Frage, wie man die älteren und alternden Menschen miteinbeziehen und mitwirken lassen kann.
Der Internationale Aktionsplan unterstreicht weiter, daß durch „die Tendenz zum schrittweisen Altern der nationalen und internationalen Planung in den letzten Jahrzehnten unseres Jahrhunderts bis weit in das 21. Jahrhundert hinein unweigerlich eine der schwierigsten Aufgaben gestellt" ist.Bei der Beschäftigung mit diesen Entwicklungen kommt der Politik entgegen, daß die Demographie eines der wenigen Gebiete ist, das halbwegs verläßliche Daten über die zukünftige Entwicklung zur Verfügung stellt. So leben die im Jahre 2030 über 60 Jahre alten Menschen heute schon. Da müßte sich eigentlich die heutige junge Generation ganz besonders und in erster Linie Gedanken über die langfristige Sicherung der Renten, ihrer Renten, machen.Es sind aber nicht so sehr die Zahlen, die eine Beschäftigung mit diesen Entwicklungen verlangen, es ist das Befinden unserer Gesellschaft, es sind die bereits erkennbaren Ansätze eines im einzelnen noch nicht absehbaren kulturellen und sozialen Wandels, die die Politik sowohl hinsichtlich des praktischen Handelns wie auch hinsichtlich ihrer Normvorstellungen zur Auseinandersetzung herausfordern. Noch stehen bei den meisten politischen Maßnahmen und Überlegungen die materiellen, sprich: finanziellen Konsequenzen des Alterns der Bevölkerung im Vordergrund. So unbestritten wichtig diese Dimension auch ist, so sehr wird es in Zukunft für die Politik zunehmend darauf ankommen, auf veränderte Strukturen und Ansprüche einzugehen, Vorurteile zu überprüfen und sich abzeichnende Zielkonflikte ins Auge zu fassen.In einer auf Idealisierung der Jugendlichkeit und auf Leistungsfähigkeit bezogenen Gesellschaft ist das Alter keine attraktive Lebensphase. Der rasche technische und wissenschaftliche Fortschritt entwertet zudem Erfahrung und Wissen des Alters. Starre Altersgrenzen, aus überkommenen Wohlfahrtssystemen resultierend, verstärken eine undifferenzierte Sicht des Alters in Gestalt hartnäckigen Überlebens von negativen Normvorstellungen über alternde Menschen. Hierzu gehört die Vorstellung von der angeblichen Bedürfnislosigkeit alter Menschen ebenso wie die Tatsache, daß die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung „Alter" immer noch mit „Abbau", „Abhängigkeit" und „Hilflosigkeit" gleichsetzt.Alter setzt in der gängigen Vorstellung mit dem Ausscheiden aus dem Erwerbsleben ein. Eine starre Altersgrenze setzt die Regel; die Chance zur lebenslangen beruflichen Tätigkeit ist dagegen die Ausnahme. Diese willkürliche Ruhestandsgrenze ist die entscheidende Ursache für das verhängnisvolle Altersbild vom gebrechlichen und im Grunde unselbständigen Menschen, das nur für einen geringen Teil der alten Menschen tatsächlich zutrifft,
aber auf alle Alten ausstrahlt.
Frau Professor Lehr und Herr Professor Thomae z. B. haben nachgewiesen, wie sehr der Zustand „Alter" von biologischen, biographischen und situativen Faktoren abhängig ist, daß aber Alter heute primär ein soziales Schicksal ist. Um so wichtiger ist es, zu betonen, daß es nicht den alten Menschen gibt, daß eine Pauschalierung in Reden und Handeln nicht nur den sozialen und individuellen Gegebenheiten überhaupt nicht gerecht wird, sondern auch der Sache der Politik für alte Menschen erheblich schadet.Die durchschnittlich höhere Lebenserwartung geht mit einer Verkürzung der Lebensarbeitszeit, mit einer Verjüngung der Alten einher. Die gesetzliche Altersgrenze steht eigentlich nur noch auf dem Papier, denn das durchschnittliche Ende der Berufstätigkeit liegt heute bei 58 Jahren. Die Vorziehung der Altersgrenze wurde durch die Arbeitsmarktprobleme der vergangenen Jahre noch beschleunigt.Eine Angelegenheit, die mir besonders am Herzen liegt, ist die bislang noch nicht zufriedenstellend gelöste Vertretung älterer Mitbürger in Politik und Gesellschaft. Nach einer Studie der KonradAdenauer-Stiftung gibt es unter den älteren Mitbürgern einen erheblichen Anteil, nämlich 67 %, der sich für eine aktive und passive Mitgliedschaft in den Altenorganisationen der Parteien ausspricht.
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BraunDiese Tendenz bestätigt auch die Bundesregierung in ihrer Antwort auf die Große Anfrage, wenn sie feststellt, daß sich „erfreulicherweise auch die Zahl der alten Menschen wesentlich vermehrt hat, die sich darum bemühen, ihre Belange in der Öffentlichkeit selbst zu vertreten".In bezug auf die Beteiligung der älteren Menschen am öffentlichen Leben und der Stärkung ihrer Interessenvertretung berichtet die Bundesregierung hinsichtlich ausländischer Erfahrungen — ich zitiere aus der Antwort —:Hervorzuheben sind etwa die Installierung eines beratenden Gremiums älterer Menschen auf den verschiedenen Ebenen politischer Willensbildung in Norwegen. Auch in Frankreich ist die organisierte Interessenvertretung über Gremien im politischen Bereich inzwischen gut ausgebaut. In Schweden wird die Tendenz der Trennung zwischen verschiedenen Altersgruppen durch ehrenamtliche Aktivität älterer Menschen in weiten Bereichen des öffentlichen Lebens — und keineswegs nur im Sozialbereich — bekämpft.Soweit aus der Antwort der Bundesregierung.In diesem Bereich sind also — die Bundesregierung hat daran keinen Zweifel gelassen — bei uns Verbesserungen möglich und auch nötig. Die Betroffenen werden, wie die Bundesregierung zu Recht unterstrichen hat — „um so eher bereit sein, sich am öffentlichen Leben zu beteiligen, wenn das gesellschaftliche Klima den alten Menschen gegenüber aufgeschlossen und freundlich ist". Dazu kann und muß auch die Politik einen Beitrag leisten.
— Entschuldigen Sie, Herr Kollege, ich möchte meine Gedanken im Zusammenhang vortragen. Das gilt für die gesamte Rede, Herr Präsident.Es geht jedoch nicht um eine Interessenvertretung im althergebrachten Stil. Es muß doch möglich sein, Belange der älteren Generation einerseits besser zu koordinieren und auf der anderen Seite das größte Kapital, das diese Generation besitzt, die Lebenserfahrung, für die Allgemeinheit nutzbar zu machen.
In weit über hundert Städten, Gemeinden und Kreisen wirken heute Altenbeiräte.
Sie dürfen ihre Tätigkeit nicht auf ein eventuelles Mitspracherecht im Sozialausschuß beschränken. Fragen der Stadtplanung und des Städtebaus sind Fragen, an denen die Älteren brennend interessiert sind, z. B. ob ein Einkaufszentrum auf der grünen Wiese genehmigt werden soll, welches für Ältere und Behinderte dann unerreichbar ist, oder ob genügend altengerechte Wohnungen, insbesondere für die große Zahl der älteren, alleinstehendenFrauen, zur Verfügung stehen. Verkehrsprobleme der Stadt, z. B. Anbindung der Außenbezirke, interessieren die Älteren ebenfalls,
ebenso das Bildungsangebot im Rahmen der Erwachsenenbildung. Auch der ältere Mensch hat ein Recht auf Weiterbildung,
und das zu Tageszeiten, zu denen er das Angebot wahrnehmen kann.Wenn Altenpolitik zu 90% auf der kommunalen Ebene stattfindet, so muß auch der Bund die Interessen, Belange und Anliegen der Älteren, die heute von mehreren Bundestagsausschüssen wahrgenommen werden, koordinieren und ein entsprechendes Beratungs- und Mitsprachegremium schaffen. In welcher Weise und Form das geschehen kann, muß erörtert werden. In diesem Zusammenhang muß geklärt werden, wie in einem solchen Gremium die Erfahrungen und Anregungen der kommunalen Altenbeiräte und auch der Landesseniorenbeiräte zur Sprache gebracht werden können.Wir sollten neben aktiven Abgeordneten auch nicht darauf verzichten, uns die allgemeine und insbesondere politische Lebenserfahrung ehemaliger Minister und Kollegen dieses Hauses nutzbar zu machen.
Lassen Sie mich nur als Beispiel für viele einige Namen nennen, beispielsweise den früheren Außenminister Dr. Gerhard Schröder, den früheren Arbeitsminister Walter Arendt, den früheren Familienminister Dr. Bruno Heck oder den früheren Verteidigungsminister Dr. Georg Leber.In den letzten Monaten, meine Damen und Herren, ist viel von „Alterslast" gesprochen worden. Streichen wir dieses beleidigende Wort aus unserem Sprachgebrauch und reden statt dessen von „Alterskapital". Wir sollten von diesem Kapital nicht nur reden, sondern es auch nutzen.Mit der heutigen Debatte ist das Thema „Lebenssituation und Zukunftsperspektiven älterer Menschen" weder gelöst noch vom Tisch. Wir werden in den Ausschüssen des Deutschen Bundestages über die in der Entschließung angesprochenen Fragen und die von mir in dieser Debatte gemachten Vorschläge sprechen.
Es wird den Besuchergruppen, die dieses Haus besuchen, jeweils dargestellt, daß über besonders wichtige Anliegen hier in namentlicher Abstimmung abgestimmt wird. Für uns ist unsere Entschließung und die Vorschläge, die wir dort gemacht haben, ein solches wichtiges Anliegen, daß
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12460 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 166. Sitzung. Bonn, Freitag, den 18. Oktober 1985
Braunich beantrage, über diese Entschließung namentlich nach Abschluß der Debatte abzustimmen.Meine Damen und Herren, wir werden uns weiter mit dem Problem der Kostenregelung bei Heimunterbringung befassen. Die Bundesregierung hat mit der Vorlage des Pflegekostenberichts einen ersten Schritt getan. In Kürze wird der Familienbericht der Bundesregierung vorliegen. Zentrales Thema dieses Berichts ist der ältere Mensch in der Familie. Wir werden uns dann erneut mit den Problemen insbesondere der Hochbetagten befassen können.Ich habe vorhin schon darauf hingewiesen, daß es die ältere Generation nicht gibt. Es gibt zwei Altersgruppen in dieser Generation: einmal die Jüngeren, die noch fit sind und Aufgaben übernehmen können und möchten, und zum anderen die Hochbetagten, die oft unserer Hilfe — und in diesem Falle ist das Wort Betreuung angebracht — bedürfen. Wir haben erkannt, daß die ältere Generation einem ständigen Wandel unterliegt. Die heutige ältere Generation ist anders als die Generation vor 30 Jahren, und die ältere Generation in 20 Jahren wird wieder anders sein als die ältere Generation heute. Aber eines ist die ältere Generation nicht — und ich verurteile, daß ihr das unverantwortliche Zeitgenossen einreden wollen —: eine Randgruppe. Wir können auf unsere ältere Generation stolz sein. Sie hat nach dem Zusammenbruch durch ihrer Hände Arbeit die Grundlage für unseren heutigen Wohlstand geschaffen.
In dem vorgelegten Entschließungsantrag fordern wir daher die Bundesregierung auf, sich über den Tag hinaus dafür einzusetzen, daß die Anerkennung der Leistungen und Erfahrungen des alten Menschen in unserer Gesellschaft vorrangiges Ziel der Politik bleibt. Nicht für den Augenblick, nicht für den Tag, sondern auch für die Zukunft muß gelten: Unsere älteren Mitbürger sind die tragenden Eckpfeiler unserer Gesellschaft.
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Schmedt .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Was mich immer wieder erschüttert, ist, daß die Bundesregierung glaubt, mit so schönen Sprüchen die Bürger an der Nase herumführen zu können.
Da werden zu Beginn einer Legislaturperiode all denen, die sich nicht wehren können — und dazu gehören j a wohl auch gerade die Älteren in unserer Gesellschaft —, Opfer abverlangt,
und ein Jahr vor der nächsten Bundestagswahl wird ihnen dann eine Kleinigkeit von dem Genommenen wieder zurückgegeben. Das Ganze wird dann als die große politische Tat angepriesen, allerdings mit dem Hintergedanken, daß der Mensch vergeßlich ist und sich dankbar an den Strohhalm klammert, der ihm vor dem nächsten Wahltermin zugeworfen wird.
Frau Abgeordnete, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Breuer?
Nein, ich lasse keine Zwischenfragen zu.
Das gilt für Ihre ganze Rede?
Für die ganze Rede, j a.
Bei dieser Taktik, meine Damen und Herren von der Union, verkennen Sie aber, daß sich Politik nicht darauf beschränken darf, Tageserfolge zu sammeln, sondern darauf ausgerichtet sein muß, den Menschen eine stetige und verläßliche Partnerschaft zu bieten. Die Kontinuität der sozialen Sicherung ist gerade für ältere Bürger unverzichtbar. Gerade die Älteren befinden sich in einer Situation, in der sie nicht sagen können: Gut, lassen wir den Staat erst einmal für die Unternehmer sorgen mit Vermögensteuersenkung, Investitionshilfen und Rücknahme der Sonderabgabe für Besserverdienende. Die älteren Bürger sind nicht in der Lage, geduldig zu warten, bis das Füllhorn wirtschaftlichen Wohlstandes so übervoll ist, daß niemand mehr umhinkann, auch ihnen ein wenig abzugeben.
Den älteren Bürgern ist heute nicht mit einer Politik gedient, die unter fadenscheinigen Vorwänden einmal so, einmal so ausfällt.
Sie brauchen auch auf gar keinen Fall eine Meldung wie die aus den Nachrichten von heute morgen: daß die Finanzreserven der gesetzlichen Rentenversicherung den tiefsten Stand erreicht haben, den sie je hatten.
Es muß den älteren Menschen doch wie Hohn vorkommen, wenn die Bundesregierung in ihrer Antwort auf die Große Anfrage behauptet
— seien Sie doch nicht so laut —, daß es ein Schwerpunkt ihrer Politik sei
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 166. Sitzung. Bonn, Freitag, den 18. Oktober 1985 12461
Frau Schmedt
— hören Sie doch zu, dann begreifen Sie es auch —, die Lebensverhältnisse der älteren Bürger zu verbessern, und daß gerade die Sicherung der materiellen Existenzgrundlagen für sie von großer Bedeutung sei. Die von der Union beschlossenen Gesetzesänderungen wie die Abschaffung der Invaliditätsrente für Hausfrauen, die Abschaffung von Kinderzuschlägen für Frührentner und die faktischen Rentenkürzungen sprechen doch wahrhaftig eine andere Sprache.
Hier muß ich Sie ganz einfach fragen, meine Damen und Herren von der Union: Pflegen Sie eigentlich nur Kontakte mit finanziell gut ausgestatteten Bürgern?
Bekommen Sie keine Briefe von Menschen, die selbst durch die einschneidenden Kürzungsmaßnahmen dieser Bundesregierung betroffen worden sind?
Entschuldigen Sie bitte, Frau Abgeordnete.
Ich würde die Zwischenrufe sehr begrüßen, wenn sie die Rednerin nicht in diesem Umfang stören würden. Ich wäre sehr dankbar, wenn Sie sich daher ein wenig mäßigen würden.
Bitte schön, Sie können fortfahren.
Meine Damen und Herren, wir erhalten solche Briefe. Da heißt es beispielsweise — ich zitiere —:Ich bin 1920 geboren, habe elf Kinder erzogen. Alle sind heute gute Steuerzahler. Berufstätig bin ich nie gewesen. Das ging nicht. Jetzt habe ich erfahren, daß ich zu alt bin, um das Babyjahr zu bekommen.
Heute muß ich von 520 DM leben. Mich wirft man zum alten Eisen. Für uns ist eben nie Geld da.Das ist ein Brief, den ich zitiert habe.
— Davon müssen Sie nach drei Jahren nicht mehr reden. Das ist schon blaß geworden.
— Warum stören Sie denn immer? Darf das, was ich sage, niemand hören?In einem weiteren Brief heißt es:Herr Stoltenberg rühmt sich seiner Konsolidierung als einer der großen Erfolge.
Herr Blüm schaut triumphierend in die Runde und behauptet, daß es den Rentnern gutgehe. Die kleinen Rentner existieren offenbar für ihn nicht.
In der Tat, niemand bestreitet, daß es in der Bundesrepublik Rentner gibt, denen es gutgeht. Dazu haben wir Sozialdemokraten sehr viel beigetragen.
Aber hier und heute muß unsere Sorge denen gelten, denen wir noch nicht helfen konnten. Für sie führen wir hier heute in erster Linie diese Plenardebatte.
Ihre schwierige Situation der Öffentlichkeit bekanntzumachen muß doch unser aller Anliegen sein.
Auch für diese älteren Bürger eine menschenwürdige Lösung zu finden muß doch bei allen sozialpolitischen Bemühungen oberstes Gebot sein.
Wie sieht es bei den kleinen Rentnern konkret aus? Wie sieht es denn bei den alleinstehenden älteren Frauen, bei den Witwen aus?
Die Durchschnittsrente eines Angestellten liegt doch bei ca. 1 626 DM, die einer weiblichen Angestellten dagegen durchschnittlich nur bei 768 DM. Die Witwe eines Angestellten erhält etwa 872 DM, die Witwe eines Arbeiters 657 DM. Schließlich liegt die Durchschnittsrente — das weiß j a auch wohl jeder in diesem Haus — eines Arbeiters bei 1 172 DM, und die Rente einer Arbeiterin — hören Sie jetzt bitte ganz genau hin — beträgt im Durchschnitt ganze 424 DM.
Diese Zahlen sprechen doch für sich.Hier ist die Gruppe zu finden, die unter den Kürzungen dieser Regierung besonders leiden muß.
Ich nenne stellvertretend für alle die alleinstehenden älteren Frauen. Gerade sie haben in der Regeldoch eine so kleine Rente, daß ihnen auch nach
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Frau Schmedt
einem langen arbeitsreichen Leben der Weg zum Sozialamt nicht erspart bleibt.
Viel demütigender ist es aber, wenn ältere Menschen den Weg zum Roten Kreuz oder anderen Hilfsorganisationen gehen müssen, um eine ordentliche warme Mahlzeit oder gebrauchte Kleidung zu bekommen.Daß dies keine Einzelfälle mehr sind, sondern daß es sich zunehmend um eine Massenerscheinung handelt,
darauf hat ja schon der Präsident des Deutschen Roten Kreuzes hingewiesen.Vor diesem Hintergrund kann doch wohl niemand in diesem Haus mehr leugnen, daß es sich hier um eine neue Armut handelt,
die neue Armut, die Heiner Geißler schon 1976 prophezeit hat.
Deswegen legen wir Ihnen, die Sie in der Regierungsverantwortung stehen, unseren heutigen Entschließungsantrag vor mit der Forderung, innerhalb des Systems der beitragsbezogenen Rente gezielt die Renten für Rentner mit geringem Einkommen zu verbessern und den Bezug ergänzender Sozialhilfeleistungen überflüssig zu machen. Der weitere Ausbau der von uns eingeführten Rente nach Mindesteinkommen wäre dazu der richtige Weg.Wir bieten Ihnen damit einen konkreten Ansatz an, um der jetzigen Rentnergeneration zu helfen.
Aber wie sieht es mit den Zukunftsperspektiven der jungen Menschen aus, die auch einmal zu den älteren gehören werden? Hier sind doch die Weichen bereits gestellt — oder sollte man sagen: verstellt?
Mit der Lehrstellenkatastrophe fängt doch alles an. Denken Sie an die jungen Menschen, die keine Arbeit finden und auf der Strecke bleiben!
Die jungen Frauen, die heute wieder aus dem Arbeitsprozeß herausgedrängt werden, wie sollen sie im Alter leben? Ihnen wird wieder eingeredet, daß sie im Schoß ihrer Familie besser als an einem Arbeitsplatz aufgehoben seien. Das sind Fakten. Damit ist die künftige Altersarmut vorprogrammiert. Die Erfahrungen der älteren Generation werden von dieser Bundesregierung einfach nicht zur Kenntnis genommen.
Es ist auch gar keine Frage mehr von Hellseherei, zu wissen, daß bis zum Jahr 2030 die Zahl der über 60jährigen stark zunehmen wird. Das mindeste, was man von einer Bundesregierung verlangen kann, ist, sich ausreichend auf diese Tatsache vorzubereiten.Unser Appell ist deshalb: Sorgen Sie jetzt für diejenigen Rentnerinnen und Rentner, deren Rente für ein menschenwürdiges Dasein nicht ausreicht. Tragen Sie mit einer vernünftigen Beschäftigungspolitik das Ihre dazu bei, daß auch die jüngere Generation eine Chance erhält, später im Alter ein menschenwürdiges Dasein zu führen.
Das Wort hat der Abgeordnete Eimer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit der Großen Anfrage brachten die Koalitionsfraktionen einen umfangreichen Fragenkatalog über die Lebenssituation und die Zukunftsperspektiven älterer Menschen ein. Die Antwort der Bundesregierung ist eine Bestandsaufnahme und, so glaube ich, eine gute Grundlage für die weitere Arbeit hier im Parlament und in den Ausschüssen. Aber diese Antwort ist auch ein Bericht über das, was bisher geschehen ist. Im übrigen glaube ich, daß die Antwort der Bundesregierung für eine politische Auseinandersetzung hier in diesem Hause ungeeignet ist. Ich bedaure es, daß meine Kollegin Frau Schmedt dieser Versuchung nicht widerstanden hat.
Ich meine, Sie haben die Probleme sehr auf die materielle Seite verengt. Die Schwarzmalerei der Roten wird in der Öffentlichkeit wohl niemand glauben.
Jeder weiß, wie die Situation unserer älteren Mitbürger ist.
Die Antwort der Bundesregierung war ferner auch eine Würdigung der bisher geleisteten Arbeit,
die Würdigung einer Arbeit, die weit über eine Wahlperiode hinausreicht. Sie umfaßt mehr als die Arbeit einer Regierung, umfaßt mehr als die Arbeit einer Koalition. Auch aus diesem Grunde ist es, so
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Eimer
meine ich, völlig unangebracht, darüber hier einen politischen Streit vom Zaun zu brechen.
Ich will keine parteipolitische Polemik bringen und lasse mich auch durch solche unqualifizierten Zwischenrufe nicht aus meiner Fassung bringen. Ich will keine Antwort auf die Schwarzmalerei meiner Kollegin geben. Ich will auch keine Würdigung der Arbeit im Detail vornehmen. Denn ich meine, daß mein Kollege Braun dies bereits sehr gekonnt getan hat.Ich will einige grundsätzliche Anregungen geben, aber auch einige grundsätzliche Kritik an dem vornehmen, was bisher getan worden ist. Sicher, es wurde sehr viel getan: Wir haben sehr viele Angebote, sehr, viele Modelle ausprobiert. Es gibt Pflegeheime, Altenheime, Altenwohnungen, Wohngemeinschaften, ambulante Betreuung älterer Menschen, die völlig selbständig leben, aber auch solcher, die in der Familie leben. Ich glaube, hier sollte mehr getan werden; ich werde später noch darauf eingehen.Gerade zu Zeiten der sozialliberalen Koalition ist viel getan worden: im Bund, in den Ländern und in den Gemeinden. Meine Kollegen von der Opposition, ich stehe dazu. Ich meine, die Bilanz war auch damals nicht schlecht. Auch das wäre ein Grund gewesen, dieses Thema etwas sachlicher anzugehen.Aber wir müssen auch negative Entwicklungen feststellen. Die Anfänge dieser negativen Entwicklung reichen weit zurück, bis zum Kriegsende. Ich will auch hier keine Vorwürfe in irgendeine Richtung machen, weil vieles aus der Not und der Situation der Anfangsjahre erklärbar ist.Wenn wir die Augen offenhalten, meine Kollegen, dann müssen wir sehen, daß es eine gefährliche Entwicklung gibt. Ich meine die Gefahr der Separierung der Gesellschaft.
Wir haben die Klassengesellschaft durch Sozialgesetze, durch Wohlstand für breite Kreise einigermaßen überwunden. Aber es werden neue Klassen aufgebaut, diesmal nicht nach Einkommen, nach Vermögen, nach Herkunft oder Beziehungen, sondern diesmal nach dem Alter; die neuen Klassen sind Altersklassen. Wir lassen es zu, daß die Gesellschaft separiert wird. Ich meine, wir sollten nicht so sehr in separierten Gruppen, sondern an die Gesellschaft im ganzen denken.
Ich will einige Beispiele bringen: Für Kinder haben wir Krippen, Kindertagesstätten, Horte, für Jugendliche schaffen wir Jugendeinrichtungen, den Twens gehört das Leben, die Erwachsenen sorgen für die Brötchen, und die Alten schaffen wir in Alteneinrichtungen. Warum müssen wir schon wieder in neuen Klassen denken, warum ist das Klassendenken in diesem Bereich nicht überwunden? Es ist doch überhaupt kein Wunder, daß diese neuenGruppen, diese neuen Klassen ein einheitliches Bewußtsein entwickeln und Gegenpositionen zu anderen Gruppen in der Gesellschaft einnehmen.
Jeder beginnt, die Interessen seiner Gruppe gegen andere Altersklassen zu entwickeln und zu vertreten. Es entsteht ein völlig neues Klassenbewußtsein. Da gibt es die Stadtindianer, die angeblich die Interessen der Kinder vertreten. Der Jugendprotest zeigt Forderungen der Jugend. Obwohl diese Ziele und diese Auseinandersetzungen gar nicht jugendspezifisch waren, wurden sie doch der Jugend zugeordnet. Die Grauen Panther, der Seniorenschutzbund, vertreten wieder andere Interessen.Ich halte diese Entwicklung für nicht gut, speziell nicht für die älteren Menschen. Wir laufen ja alle durch die verschiedenen Entwicklungsstufen. Wir werden alle einmal, so hoffe ich, alle diese neuen Klassen durchlaufen haben. Aber auch hier gilt was bei den klassischen Klassen galt: Eine Gesellschaft kann nicht gegeneinander leben, sondern nur miteinander. Es ist die gesamte Gesellschaft, die wir sehen müssen. Auch hier ist, meine ich, ein Umdenken notwendig, eine Wende im Denken, ein Erkennen des neuen Klassendenkens und eine Abkehr davon.Damit kein Irrtum entsteht, meine Kollegen: Ich denke nicht an irgendwelche fragwürdigen Harmonien. Ich will auch niemanden zum Zusammenleben zwingen. Jeder muß so leben können, wie er es wünscht. Ich will keine Vorschriften machen. Ich will eine völlige Wahlfreiheit.Aber wir müssen das gemeinsame Wissen haben, daß wir aufeinander angewiesen sind. Ich will das an einigen Beispielen verdeutlichen, und zwar zunächst am Beispiel der Renten. Unser Rentensystem ist ein sogenannter Generationenvertrag: Kinder erarbeiten die Renten für ihre Eltern. Die Alternative ist das Kapitalsammelsystem: Man sammelt Kapital für das Alter.Aber ich muß fragen: Ist das denn eigentlich notwendig? Wir können uns nichts oder fast nichts für unser Alter aufheben. Strom, Wasser, Lebensmittel, Kleider, Dienstleistungen — alles muß von der künftigen Generation erarbeitet werden. Wir sind aufeinander angewiesen.Das Kapitalsammelsystem heißt: Ich muß im Alter das angesammelte Kapital in Konsum umwandeln. Das Kapital der Rentner muß durch die nachkommende Generation ersetzt werden. Diese schafft es nur durch Konsumverzicht. Es ist also genau dasselbe wie das, was wir beim jetzigen Generationenvertrag tun.Nein, es gibt keine andere Möglichkeit; wir sind alle aufeinander angewiesen. Aber ich meine, diese Verknüpfung darf man nicht nur im Materiellen sehen. Ich sehe neue soziale Probleme auf uns zukommen, deren Umfang ich im Moment noch nicht abschätzen kann. Ich will ein Beispiel anführen. Es gibt bei uns sehr viele Einzelkinder. Viele dieser Einzelkinder sind kinderlos. Wenn diese nun alt werden, so frage ich mich, was wird dann gesche-
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hen? Sie werden sehr einsam sein, und sie werden diejenigen beneiden, die Kinder haben, die noch Zugang zum übrigen Leben haben und die wenigstens im Alter noch Erbonkel oder Erbtante spielen können.
Ich weiß, daß diese Entwicklung jetzt schon nahe ist. Ich meine, deswegen wäre es notwendig, daß wir uns schon jetzt Gedanken darüber machen, was auf uns zukommt, welchen Aufwand wir treiben müssen, um diese Probleme zu lösen.
Ich frage mich manchmal, jedenfalls jetzt auf Grund der Zurufe von den GRÜNEN, ob die GRÜNEN wohl blind gegenüber dieser Entwicklung sind.
Wer aber wird dann die alten Menschen pflegen? Heute sind die meisten Alten selbständig. Wenige sind in Heimen. Viele werden von der nachfolgenden Generation gepflegt, von der Tochter oder Schwiegertochter. Viele werden später diese Pflegepersonen nicht mehr haben. Hier liegen aber auch Benachteiligungen derjenigen, die ihre Eltern pflegen, gegenüber denjenigen vor, deren Eltern in Heimen sind.Wir müssen, so meine ich, die Familienpflege unterstützen, damit die freie Wahl unter allen Lebensformen im Alter möglich ist, und zwar für Junge und für Alte.
Auch der Familienlastenausgleich in diesem Teil der Gesellschaft muß verbessert werden. Ich weiß, daß das sehr viel Geld kostet. Aber ich weiß auch, daß wir es nicht so belassen können, wie es jetzt ist, daß nur diejenigen zahlen, die Kinder erziehen. Deren Kinder werden sie später pflegen, und die gleichen Kinder werden später für die Kosten für diejenigen aufkommen, die heute keine Kinder haben.Meine Damen und Herren, das Zusammenleben der Generationen ist problematisch. Es geht dann gut, wenn bestimmte Bedingungen erfüllt sind. Eine Bedingung ist z. B. die Eigenständigkeit auch im Familienverband. Der Zuschnitt der meisten Wohnungen läßt dies im Moment nicht zu.
In den Gesetzen zur Förderung des Wohnungseigentums wurden Großeltern lange Zeit — ich zitiere wörtlich — als „jede weitere Person" tituliert. Sie wurden bei den Freibeträgen wie Kinder behandelt.
— Ich habe vorhin schon gesagt, Herr Kollege, daßwir hier mit Schuldzuweisungen überhaupt nichtweiterkommen. Ich darf Ihnen sagen, daß ich schonin der vorletzten Legislaturperiode versucht habe, dies mit einzubringen. Es ist damals im Bundesrat gescheitert.
Diese Regierung hat Gott sei Dank eine fortschrittliche Lösung gebracht.
Diese Regierung hat dafür gesorgt, daß Großeltern in den Familienverband der Jüngeren einbezogen werden können. Gott sei Dank hat hier eine Änderung stattgefunden.
— Ich verstehe Ihre Aufregung überhaupt nicht, da ich Ihnen in meiner ganzen Rede ein Angebot zur Zusammenarbeit mache,
da ich die ganze Zeit versuche, keine politische Polemik auszuteilen, da ich die ganze Zeit versuche, zu einer Gemeinsamkeit zu kommen.
Mein Kollege Braun hat das gleiche versucht. Wenn man Ihnen einmal eine Hand reicht, sind Sie nicht in der Lage, diese auch zu ergreifen und zu versuchen zusammenzuarbeiten.
Sie wollen hier nur Polemik, Sie wollen hier offensichtlich den Wahlkampf mit dem Thema der alten Menschen bestreiten.
Dieses Thema eignet sich nicht dafür, meine Damen und Herren von der Opposition.
Liebe Kollegen, die Betreuung der älteren Menschen muß sich auch für diejenigen lohnen, die dies in der Familie machen. Wir wissen dies alle, und ich glaube, hier haben wir noch eine Aufgabe vor uns.
Dieses Zusammenleben von Generationen kann sich für alle lohnen. Es kann sich für die Frau in der Familie lohnen — wenn ein Babysitter zu Hause ist, hat sie mehr Freiraum —, es ist humaner für die alten Menschen, es ist besser für die Kinder, wenn sie nicht nur von einer Generation erzogen werden, und es ist billiger für die Gesellschaft. Ich meine, all diese Vorteile können sich sehen lassen.Ich kann das Zusammenleben in der Familie nicht als Idealform für alle empfehlen; aber es sichert uns doch vor dieser Separierung der Gesellschaft, von der ich vorhin gesprochen habe, und es
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erschwert das Aufkommen dieses neuen Klassendenkens.Wir müssen uns aber noch mehr einfallen lassen, was diese Altersklassengrenzen verwischt. In dem Altenprogramm der FDP aus der Mitte der 70er Jahre haben wir dazu einiges beigetragen.
Herr Abgeordneter Eimer, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Ströbele?
Selbstverständlich.
Herr Kollege, mir ist aufgefallen, daß sowohl in der Antwort der Bundesregierung, die Sie mehrfach zitiert haben, als auch in den heute vorliegenden Entschließungsanträgen als auch in Ihrer Rede und den vorangegangenen Reden immer von älteren Menschen die Rede ist. Den Begriff „Alte" kennen Sie offenbar nicht. Sind Sie der Meinung, daß die Bezeichnung „Alte" eine diskriminierende Bezeichnung ist, oder warum benutzen Sie sie nicht?
Herr Kollege, wenn Sie etwas gewartet hätten, hätten Sie gehört, daß ich auch dazu noch etwas gesagt hätte. Ich glaube wirklich, daß Sie recht haben, daß hier eine Angst davor herrscht, das Wort „alt" zu verwenden.
— Ich bilde mir ein, daß ich das Wort „alt" bewußt öfter verwendet habe, und ich werde das Protokoll deswegen noch einmal bewußt nachlesen. Ich kann das nicht prüfen, weil meine Rede nicht vorformuliert, sondern frei ist.
Meine Damen und Herren, wenn die Grenze zwischen Erwerbsleben und Rentenalter fließend wird, tun wir etwas für die Humanisierung der Gesellschaft. Wir haben dies in unserem Altenprogramm versucht. Wir wollen einen flexiblen Übergang der Altersgrenzen; jeder soll seinen Eintritt ins Rentenalter selbst frei wählen können. Darüber hinaus wollen wir die Möglichkeit einer Teilzeitrente, kombiniert mit Teilzeitarbeit, anbieten. Für viele ist ein voller Arbeitstag im Alter zuviel, aber viele wollen sich auch noch nicht ganz auf das Altenteil zurückziehen. Es wird ein Teil der künftigen Aufgabe sein, hier mehr Flexibilität, mehr Wahlfreiheit zu schaffen.
Nun komme ich auf das, was gerade gefragt worden ist. Ich habe in meiner Rede nie das Wort „Senioren" verwendet, und ich schließe mich in diesem Fall der Sprachregelung an, wie sie unsere alten Mitglieder, die Mitglieder meiner Partei, von uns fordern. „Wir wollen zu unserem Alter stehen", so sagen sie mir, „und bekennen, daß wir alt sind; wir wollen unseren Zustand nicht durch die Sprache verschleiern."
Ich finde dieses Selbstbewußtsein unserer Alten großartig.
Meine Damen und Herren, ich muß zum Ende kommen. Die Antwort der Bundesregierung zeigt,
daß die Familie wieder mehr in den Vordergrund gestellt worden ist.
Der Ansatzpunkt ist richtig, aber der Trend zur Separierung der Gesellschaft kann nur dann umgekehrt werden, wenn wir deutlich diese neue Richtung angeben. Ich wiederhole, was ich am Anfang gesagt habe: Wir wollen keine Bevormundung, wollen kein Verhalten der persönlichen Gestaltung vorschreiben. Die Freiheit der Entscheidung darf nicht eingeengt werden. Ob nun die Wahl auf Heim, auf selbständiges Wohnen oder auf Familie fällt, wir wollen keine Vorschriften machen. Aber wir wollen dazu beitragen, daß sich die Gesellschaft wieder als Ganzes versteht und daß eine Separierung der Gesellschaft in neue Klassen nicht vorgenommen wird.
Vielen Dank.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Bueb.
Meine Damen und Herren! Welcher Stellenwert der Altenpolitik von Ihnen beigemessen wird, wird schon daran deutlich, daß zum erstenmal in dieser Legislaturperiode über Altenpolitik im Bundestag diskutiert wird. Immerhin haben wir jetzt Ihre Anfrage und die Antwort vorliegen. Packen wir Sie bei Ihren Ansprüchen! Zitat:Die Politik der Bundesregierung für ältere Menschen orientiert sich an den Wünschen und Erwartungen der älteren Menschen. Dies sind insbesondere: — das starke Streben nach selbständiger und selbstbestimmter Lebensführung,
solange dies eben möglich ist;
— der Wunsch, am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben und nicht abseits zu stehen;
— das Verlangen nach materieller und sozialer Sicherheit und nach Hilfe und Betreuung im Falle der Pflegebedürftigkeit.
Das sind hehre Worte.
In Wirklichkeit stellt die Bundesrepublik, verglichen mit einigen Nachbarländern, im Bereich der Altenpolitik ein Entwicklungsland dar.
Während die Bundesregierung in ihrer Antwort so tut, als ob alles in Ordnung wäre, als ob im Grunde kein sonderlicher Handlungsbedarf bestünde, ist nach Meinung der GRÜNEN die alterspolitische
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BuebLandschaft durch skandalöse Zustände gekennzeichnet:
erstens durch den Skandal der Altersarmut, zweitens durch den Skandal des Pflegenotstands und drittens durch den Skandal der Ausgrenzung derjenigen, die den heutigen Wohlstand durch lebenslange Arbeit gesichert haben.Alte Menschen wollen nicht abseits stehen, und doch erfahren sie ständig, wie sie abgeschoben und ausgegrenzt werden, erstens aus dem Erwerbs- und Arbeitsleben, zweitens aus dem sozialen Leben überhaupt.
Bereits die 50- bis 58jährigen werden aus dem Erwerbsleben verdrängt, weil sie verschlissen und verbraucht sind und weil jüngere, unverbrauchtere Kräfte bereitstehen, die eine effizientere Verwertung für das Kapital garantieren.
Instrumente hierfür — die Sie geschaffen haben — sind die Vorruhestandsregelung und die nun geplanten AFG-Regelungen, denen zufolge 58jährige Arbeitslose als quasi nicht mehr vermittelbar gelten sollen.
Hier zeigt sich, daß die industrielle Hochleistungsgesellschaft nicht müde wird, sich immer wirkungsvollere Auslesemechanismen zu schaffen.
Der Umgang mit alten Menschen im Erwerbsleben ist symptomatisch für den Umgang mit alten Menschen überhaupt in unserer Gesellschaft. Alte Menschen werden nicht in ihrem Anderssein akzeptiert, sondern gelten bei uns als Defizitwesen; sie werden höchstens noch als Konsumenten akzeptiert und für voll genommen. Sie sind eben nicht mehr so leistungsfähig, nicht mehr so gesund, nicht mehr so schnell, nicht mehr so schön.
Möglichst unauffällige Ausgrenzung ist deshalb angezeigt.Die jetzige Altenpolitik der Regierung baut auf dem Schutzargument der Wachstumsgesellschaft auf, Alte seien am liebsten unter sich und wollten im Grunde in speziellen Einrichtungen bestens versorgt werden.
Das ganze Problem der Ausgrenzung aus dem Erwerbs- und Sozialleben wird aber noch durch das Problem der Altersarmut verschärft. Ohne ausreichende materielle Absicherung ist ein selbstbestimmtes Leben im Alter eben nicht möglich. DieBundesregierung hält dagegen die materielle Situation der älteren Generation insgesamt für zufriedenstellend.
Nehmen Sie aber doch einmal Stellung zu der halben Million Personen in Rentnerhaushalten, die weniger als 600 DM im Monat zur Verfügung haben, und zu den insgesamt 5,7 Millionen Personen in Rentnerhaushalten, die weniger als 1 000 DM pro Person im Monat zur Verfügung haben.
Herr Blüm, Sie sagen immer wieder, Altersarmut sei kein Massenphänomen. In der Antwort auf Ihre Große Anfrage sind aber die Zahlen enthalten: Über 500 000 Frauen und rund 140 000 Männer im Alter von über 60 Jahren erhalten Sozialhilfe, weil sie keine oder nur geringfügige Renten erhalten. Sie geben zu, daß die von uns hier bereits des öfteren zitierte Dunkelziffer der Armut erheblich sei. 1979 waren es bereits 150 000 Haushalte von älteren Menschen über 60 Jahren, die sozialhilfeberechtigt gewesen wären, ohne sie in Anspruch zu nehmen. Sie geben in Ihrer Antwort auf die Große Anfrage zu, daß mehr als 50 % der sozialhilfeberechtigten alten Menschen keine Sozialhilfe in Anspruch nehmen, weil sie Angst vor dem Gang zum Sozialamt haben und weil sie befürchten müssen, daß ihre Kinder zur Unterhaltsleistung herangezogen werden.Aber Sie geben — obwohl Sie es zugeben — keine Antwort, wie dieser für alte Menschen entwürdigende Zustand behoben werden kann. Materielle Not im Alter ist die Fortsetzung der Benachteiligung im vorausgegangenen Erwerbsleben. Besonders benachteiligt sind diejenigen, die nur zeitweise Zugang zum Erwerbsleben gefunden haben bzw. auf Grund familiärer Verpflichtungen davon ausgeschlossen blieben. Die Frauen, die Kindererziehungsarbeit und Pflegeleistungen erbracht haben, sind die Leidtragenden. Wenn sie Pfegeleistungen erbracht haben, landen sie meistens im Altersheim und im Pflegeheim. 80 % der Heimbewohner sind nämlich Frauen, was allerdings natürlich auch mit der höheren Lebenserwartung von Frauen zusammenhängt. Das hängt aber auch mit ihrer materiellen Benachteiligung zusammen.Die materielle Situation und die Qualität des Arbeitsplatzes während des Arbeitslebens haben auch Auswirkungen auf die gesundheitliche Verfassung der alten Menschen. Verschleißerscheinungen durch Arbeitsstreß und lebenslange Benachteiligungen machen sich nämlich im Alter besonders bemerkbar. Wer sein Leben lang in der niedrigsten Lohngruppe eingruppiert war, hat keine Aussicht auf eine gesicherte Position im Alter. So ist es in unserer Gesellschaft. Im Falle von Pflegebedürftigkeit bleibt diesen alten Menschen so gut wie keine Möglichkeit einer selbstbestimmten Lebensführung. Entweder geraten sie in Abhängigkeit von Familienangehörigen oder sie kommen ins Heim.Heutige Altenhilfepolitik ebenso wie heutige Gesundheitspolitik haben unserer Meinung nach lediglich kompensatorische Funktion. Sie wollen Be-
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Buebnachteiligungen wohl erträglicher gestalten, sie setzen aber nicht an den Wurzeln der Ungleichheit an.
Alte Menschen, die materiell schlechtergestellt sind, sind in erster Linie auf die Einrichtungen der Altenhilfe und insbesondere auf die Betreuungen in Heimen angewiesen.
Sie können sich eben nicht in die mit allem Komfort und entsprechendem Service ausgestatteten Stifte für Gutsituierte einmieten; ihnen bleiben die Pflegeheime der zweiten und dritten Kategorie.
Ursache für diesen Tatbestand ist die mangelnde finanzielle Absicherung im Falle von Pflegebedürftigkeit, ein sozialpolitischer Mißstand, auf den schon viele hingewiesen haben. Die Bundesregierung verweist in ihrer Antwort auf ihren so viel gerühmten Pflegebericht. Im wesentlichen sollen hiernach die Krankenversicherungen verstärkt zu Pflegeleistungen herangezogen werden. Mit dem Hinweis auf haushaltspolitische Schwierigkeiten entzieht sich aber die Bundesregierung ihrer Verantwortung, eine Neuregelung der Pflegefinanzierung einzuführen.Die Fraktion DIE GRÜNEN hat einen Gesetzentwurf zur Finanzierung einer besseren Pflege vorgelegt, ein Leistungsgesetz, das einkommensunabhängige Pflegeleistungen vorsieht, wobei die Geldmittel dem einzelnen Betroffenen und Hilfeabhängigen zufließen sollen, damit er oder sie selbst über die Art und Weise seiner oder ihrer Pflegebetreuung bestimmen kann.
Wir haben errechnen lassen, daß die tatsächliche Mehrbelastung durch die öffentlichen Hände bei zirka 3 Milliarden DM liegt. Eine derartige Regelung hätte außerdem den Vorteil, daß 200 000 Vollbeschäftigungsarbeitsplätze in der Altenpflege geschaffen werden könnten. Wir haben im Entwurf des Bundespflegegesetzes vorgeschlagen, die finanziellen Mittel aus dem bisherigen Pflegeheimbereich in die ambulante Pflege und in die dezentralen und kommunalen privaten Wohngruppen umzulenken.
Aber zurück zur jetzigen Pflegesituation, die allenthalben als Pflegenotstand bezeichnet wird. Der größte Teil der pflegebedürftigen alten Menschen wird von Familienangehörigen versorgt. Daß diese schwere Aufgabe in der Regel von Frauen übernommen wird, ist der Bundesregierung inzwischen auch zu Ohren gekommen, und daß die Familien, sprich: Frauen dadurch völlig überlastet sind, ist der Bundesregierung auch bekannt. Auch, daß sichdie Situation in Anbetracht der demographischen Entwicklung in den nächsten Jahren und Jahrzehnten weiter zuspitzen wird, wird von der Bundesregierung zugegeben. Spannend wird es allerdings, wenn die Bundesregierung das Problem zu lösen gedenkt. Dazu haben Sie auch nichts gesagt. Natürlich plädiert sie für den Ausbau der ambulanten Dienste. Die Zuständigkeit hierfür sieht sie jedoch bei den Ländern und Kommunen, und im übrigen kann sie auf einige Modellversuche verweisen, für die sie 10 Millionen DM bereitgestellt hat, wobei sie in 16 ausgewählten Sozialstationen das Personal jeweils um zwei Fachkräfte und zehn Zivildienstleistende aufgestockt hat, ein Modellvorhaben, das nachgewiesenermaßen reine Alibifunktion erfüllt, da die Notwendigkeit eines massiven Ausbaus der ambulanten sozialpflegerischen Dienste allenthalben offenkundig ist.So fordert immerhin ein so renommiertes Altersforschungsinstitut wie das KDA eine Verdoppelung, wenn nicht gar eine Verdreifachung der Dienste. Das Institut fordert außerdem eine bessere Ausstattung mit qualifiziertem Personal und eine Orientierung der Dienste in einem ganzheitlichen Konzept der Pflege. Nicht zuletzt müßte ein Anfang gemacht werden, Dienste rund um die Uhr bereitzustellen.Die sozialpolitische Phantasie der Bundesregierung geht allerdings in eine ganz andere Richtung. Sie denkt an den verstärkten Einsatz von Zivildienstleistenden und die Einrichtung von AB-Maßnahmen, aber vor allem appelliert sie für ehrenamtliche Mitarbeit.
Daß sich dieser Appell wiederum in erster Linie an die nichterwerbstätigen Frauen richtet, ist offenkundig. Doch die Bundesregierung zeigt sich hier etwas gelehrig.
Da sie die Grenzen der Belastbarkeit dieser Frauen erkannt hat, wünscht sie sich nun, daß auch die Männer verstärkt in diese Aufgabe einbezogen werden. Die Bundesregierung weiß aber ganz genau, daß angesichts der Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt auch künftig vor allem Frauen die unbezahlte Pflegearbeit zu leisten haben.Vor diesem Hintergrund klingen solche Appelle, die Männer müßten sich mehr an der Pflegearbeit beteiligen, wenig glaubwürdig.Die allzeit beklagte Unterversorgung im ambulanten Bereich hat u. a. zur Folge, daß alleinstehende ältere Menschen ihre Selbständigkeit aufgeben müssen, daß in Familien betreute pflegebedürftige alte Menschen infolge der Überlastung der Angehörigen ins Heim abgeschoben werden, daß pflegende Angehörige, vor allem ältere Frauen, infolge der Überlastung selbst gesundheitliche Schäden davontragen und daß es — auch wenn dies in der Öffentlichkeit weitgehend verschwiegen, weil tabuisiert wird — zu psychischen und physischen Miß-
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Buebhandlungen abhängiger älterer Menschen in den Familien kommt.Auf die konkreten Bedingungen dauerhafter stationärer Unterbringung geht die Bundesregierung in ihrer Antwort auf die Anfrage überhaupt nicht ein.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Eimer?
Wenn es mir nicht auf die Zeit angerechnet wird, bitte.
Das tue ich nicht.
Herr Kollege, ich blicke jetzt nicht ganz durch und hätte gerne von Ihnen eine Antwort. Ist es nun richtig, daß ältere Menschen in Heime abgeschoben werden und dort verkümmern, oder sollen sie zu Hause in der Familie leben und dann die Familienangehörigen, vor allem die Frau, ausnützen, oder was soll passieren, wenn sie nicht mehr selbständig leben?
Lieber Freund Eimer, anstatt dich mit deinen Kollegen zu unterhalten, hättest du hier einmal zuhören sollen.
Ich habe gesagt: Die finanzielle Ausstattung alter Menschen ist erbarmungswürdig, weil Millionen Leute unter Sozialhilfeniveau Rente kriegen. Wenn sie pflegebedürftig werden, sind sie Sozialhilfeempfänger. Deswegen haben wir hier im Bundestag ein Pflegegesetz vorgestellt, das diesen Leuten selbst eine ausreichende materielle Sicherheit zukommen lassen soll. Wenn die alten Leute diese ausreichende materielle Sicherheit haben und nicht zum Sozialhilfeempfänger werden, dann sind sie in der Lage, selbst zu bestimmen, wo und von wem sie gepflegt werden sollen.
Deswegen haben wir für einen Ausbau der ambulanten sozialen Dienste und für dezentrale und private Pflegewohngruppen und gegen große Pflegeeinrichtungen plädiert, die die Ausgrenzung der Alten und der Pflegebedürftigen nämlich noch betreiben. — Das hättest du dir anhören sollen, anstatt hier eine solche Frage zu stellen.
Wir kommen in zeitliche Verdrückung. Es bleibt nur noch eine Redezeit von knapp einer Minute. Ich bitte darum, von einer Zwischenfrage Abstand zu nehmen.
Dann muß ich leider zum Schluß kommen. Es tut mir leid.
Die Bundesregierung rühmt sich, eines der besten Altersversorgungssysteme im europäischen Umfeld zu haben. Das Gegenteil jedoch, Herr Kollege, ist wahr. Verglichen mit Ländern wie Dänemark, Schweden, Niederlande und Schweiz stellt sie auf diesem Gebiet eher ein Entwicklungsland dar. Vor allem was den Personaleinsatz betrifft, übertreffen diese Länder die Bundesrepublik um ein Vielfaches in der Altenbetreuung. Auch verfügt die Bundesrepublik im Vergleich zu Schweiz, Dänemark und den Niederlanden nur über einen Bruchteil der ambulanten und teilstationären Pflege- und Betreuungsdienste. Trotz gegenteiliger verbaler Bekundungen zeichnet sich die derzeitige Altenpolitik durch fortschreitenden Sozialabbau wie auch in den übrigen Bereichen und wachsende Geringschätzung der sozialen Probleme und insbesondere der Bedürfnisse alter Menschen aus.
Das Wort hat der Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit, Frau Professor Süssmuth.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich frage mich wirklich, über welche Altenwirklichkeit wir hier miteinander reden und ob sich die alten Menschen in unserer Debatte eigentlich wiederfinden.
Ich denke, daß das Altenbild, wie hier eben gefordert, sehr viel differenzierter gesehen werden muß und daß wir nicht alles in einen Topf werfen können.
Ich behaupte nicht, daß die Bundesregierung in ihrer Antwort zu Lebenssituation und Zukunftsperspektiven älterer Menschen politischen Handlungsbedarf geleugnet hat, im Gegenteil. Sie hält ihn in vielen Bereichen für notwendig. Aber ich sage zugleich auch: Sie hat gehandelt. Ich denke, wir haben uns alle gemeinsam bewußt zu machen, daß wir in der Frage des Umgangs mit den älteren und alten Menschen wie auch in der Altenpolitik alle miteinander Nachholbedarf haben.Fragen wir uns erstens: Seit wann haben wir Altersforschung? Fragen wir uns zweitens: Wie haben wir auf die demographische Entwicklung reagiert? Ich meine, das Problem der Kleinstrenten ist nicht 1982 oder 1983 vom Himmel gefallen, sondern das war schon vorher da.
Wir haben immer eine beitragsbezogene Rente und eine Sozialhilfe gehabt.
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Bundesminister Frau Dr. Süssmuth
— Zum Babyjahr weiß ich aus Diskussionen mit der SPD, daß sie gesagt hat: Mit uns gibt es keine Anerkennung der Erziehung im Rentenrecht, entweder für alle oder für niemanden.
— Sie hatten in der Zwischenzeit Zeit genug, das Babyjahr einzuführen. Ich denke auch nicht, daß das Babyjahr ausreicht, um eine angemessene Anerkennung von Erziehungszeiten zu praktizieren.
Ich möchte darauf hinweisen, daß wir so tun, als würden wir die Hauptträger der Veränderung in der Altensituation sein. Das haben maßgeblich die alten Menschen selbst bewirkt, indem sie uns deutlich gemacht haben, daß sie anders leben wollen, daß eine staatliche Sozialpolitik ein ganz wichtiger Teil der Altenpolitik ist, aber ein völlig unzureichender, der mit dem, was Bildungsfragen, was Gesundheitsfragen, was Wohnungsfragen, Formen des Generationenzusammenlebens betrifft, viel zuwenig zu tun hat und zu einseitig ist.
Ich denke, daß sie uns am schärfsten klargemacht haben, daß sie mündige Bürger sind, auch wenn sie pflegebedürftig sind, und ein Anrecht darauf haben, nicht als zu Betreuende angesehen zu werden oder zu gelten. Betreuung ist eine Pflegeaufgabe. Sie schränkt die Mündigkeit des einzelnen zur Entscheidung nur in den Fällen ein, wo entsprechende Erkrankungen vorliegen. Ich denke, das festzuhalten ist wichtig.
Ich möchte auch noch ein Zweites sagen. Es ist sicherlich richtig, daß es in unserer Gesellschaft den Fetisch der Jugendlichkeit gibt. Aber ich denke, wir tun der Jugend zu kurz, wenn wir nicht in gleichem Atemzug darauf hinweisen, daß es gerade Jugendliche sind, die sich neben den Frauen um ältere und alte Menschen kümmern — nicht nur Zivildienstleistende.
Da möchte ich auch noch einmal fragen, wie schnell wir das in der mittlerén Generation begriffen haben und ob die Jugendlichen nicht sehr viel sensibler auf die veränderte Situation der alten Menschen reagiert haben. Sie sind seit beträchtlicher Zeit sehr an den Erfahrungen, an der Kritik, aber auch an den Ideen alter Menschen interessiert. Wir finden sie in vielen sozialen Bewegungen miteinander und nicht gegeneinander.
Ich denke, daß in bezug auf die älteren Menschen sehr wohl zu sehen ist, daß die Belastungen, die viele von ihnen, Männer wie Frauen, in einem, zum Teil zwei Weltkriegen durchgestanden haben, nicht im Verhältnis zu der Anerkennung stehen, die wir ihnen heute entgegenbringen. Das betrifft auch die materiellen Leistungen. Ich denke, es darf auch nicht verschwiegen werden, daß gerade die ältesten Frauen zu den besonders Benachteiligten in unserer Gesellschaft gehören und wir jüngeren sehr viel mehr Vorteile durch Berufsausbildung und, teilweise, berufliche Integration bis hin zu neueren Leistungen in der Anerkennung von Erziehungszeiten haben.
Frau Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Bueb?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Bueb.
Frau Ministerin, könnten Sie mal etwas ausführen, was Sie für die eigenständige Alterssicherung der Frau bisher getan haben?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das ist eine gute Frage an mich, nachdem ich drei Wochen im Dienst bin.
Aber ich denke, daß diese Frage — das hat die jetzige Reform der Hinterbliebenenversorgung bereits gezeigt — eine ist, die auf der Tagesordnung bleiben muß.
— Ich habe das beantwortet, Herrr Bueb. Mehr habe ich dazu im Augenblick nicht zu sagen.
Frau Minister, auch der Abgeordnete Schily möchte gerne eine Zwischenfrage stellen. Sie gestatten das?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das wäre dann die letzte.
Ist in Ordnung. — Bitte sehr, Herr Abgeordneter.
Frau Ministerin, wir haben ja hier im Bundestag sehr häufig über Erblast reden müssen. Vielleicht sind Sie mit dem Problem jetzt auch in anderer Weise konfrontiert, da Sie die Erblast Ihrer Regierung mitzutragen haben.
Deshalb möchte ich die Frage anders stellen: Washat die gegenwärtig amtierende Bundesregierung
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12470 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 166. Sitzung. Bonn, Freitag, den 18. Oktober 1985
Schilygetan, um eine eigenständige Alterssicherung der Frauen herbeizuführen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich kenne mich durchaus in der Alterssicherung und der Hinterbliebenenversorgung aus. Sie wissen besser als ich — sage ich jetzt einmal —, welche Schwierigkeiten gegenwärtig bei der Finanzierung einer eigenständigen Alterssicherung der Frau bestehen.
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— Entschuldigen Sie, die Frühpensionierung wird in unserem System von fast allen befürwortet. Ich befürworte sie nicht. Und auch aus dem Bundesministerium für Arbeit wird immer wieder gesagt, daß das nur für eine Übergangszeit ist.
Wir müssen wieder weg von der starren Altersgrenze.
Ich halte es für vollkommen verfehlt, wenn in der politischen Diskussion die einen so tun, als hätten sie die Lösung, obwohl sie sie längst hätten realisieren können, aber nicht realisiert haben.
Ich möchte damit noch einmal unterstreichen, daß in den nächsten Jahren sicherlich ein zusätzlicher Handlungsbedarf in bezug auf geschiedene Frauen, ledige Frauen und die Arbeiterwitwen besteht, daß keiner von uns verschweigt, wie hoch ihr Anteil unter den Sozialhilfeempfängern ist und daß hier den ersten Schritten in die richtige Richtung, der Anerkennung von Erziehungszeiten, weiteres folgen muß, sobald es zu finanzieren ist.
Ich möchte in meinem weiteren Teil aber darauf verweisen, daß in bezug auf die Altenpolitik ganz wichtig ist, die Politik nicht für die Alten, sondern mit den Alten zu machen.
Ob dazu die angeregten Mitbestimmungsgremien reichen, versehe ich mit einem Fragezeichen. Das ist ein erster Schritt. Ich denke, das gilt sowohl in der Frage der Heimunterbringung wie in der Frage der ambulanten Hilfen. Ich möchte auch dem Irrtum entgegentreten, als könnten wir alle älteren Menschen über ambulante Hilfen angemessen versorgen. Ich sage noch einmal: Die Bundesrepublik kann sich durchaus mit dem Anteil sehen lassen, den sie in Heimen untergebracht hat. Mit 10 % der pflegebedürftigen Menschen ist das ein geringer Anteil im europäischen Vergleich. Die gegenwärtigen Bemühungen — 82% der älteren Menschen wohnen selbständig, nur 3 oder 4% in Drei- oder Viergenerationenhaushalten — zeigen, daß diese alten Menschen ihre Mündigkeit aufrechterhalten möchten und dies auch von der Politik in Verbindung mit einem Leistungssystem erwarten, das zum einen auf die ambulanten Hilfen abstellt und zum anderen ihre soziale Sicherung auch in der stationären Unterbringung und den dazwischenliegenden Bereichen auffängt.
Ich halte es für eine Unmöglichkeit, wenn ich an die Träger der Altenhilfe denke, daß wir so tun, als sei in allen Heimen der Notstand in bezug auf die alten Menschen ausgebrochen. Es gibt — zweifellos zugestanden — eine Unterversorgung mit Personal. Aber ich denke, damit kommt der Einsatz der in der Altenhilfe Tätigen völlig zu kurz, der weit über die tarifliche Arbeitszeit hinausgeht. Diese Menschen, die sich in dieser Weise einsetzen, werden wir auch in Zukunft brauchen.
Ich möchte dann noch einmal betonen, daß die Bundesregierung in einer Reihe von Bereichen über Modellversuche tätig geworden ist, die nicht nur auf dem Feld der ambulanten medizinischen und sozialen Dienste liegen, sondern auch in der Aktivierung des alten Menschen, sei es im Bewegungs- und Sportbereich, sei es — dies ist auszubauen — auch für die Menschen, die besonders betroffen sind: Behinderte, ausländische Familien, denn Frauen aus der Unterschicht haben weit mehr Schwierigkeiten, sich in Altenklubs, in Initiativen und Selbsthilfegruppen zu bewegen.
Ich denke, daß wir in dieser Legislaturperiode noch das realisieren werden — das ist eine verbindliche Aussage —, was im Pflegebericht festgehalten ist: Es betrifft die Verstärkung der medizinischen Rehabilitation, die Verstärkung der häuslichen Pflege und die Verstärkung der Hilfen bei Erkrankung der Pflegeperson.
Die Bundesregierung weiß, daß gerade im Bereich der Pflegebedürftigkeit weiter Handlungsbedarf vorliegt. Wir wissen auch, daß dies so schnell wie möglich realisiert werden muß, wenn die finanziellen Mittel beschafft sind, denn dieses Problem verträgt keinen Aufschub.
Aber ich möchte abschließend sagen: In der Frage der Altenpolitik sollten wir sehen, daß es sich um eine Querschnittspolitik handelt, die bei den Jüngeren beginnt, und zwar auch in der Art und Weise, wie wir über die Älteren sprechen.
Ich schließe mit einem Wort der Autorin Mead, die gesagt hat: „Ich möchte jedem alten Menschen wünschen, daß ihm nicht das Zusammenleben, die Erfahrung mit Jüngeren verwehrt ist."
Das Wort hat der Abgeordnete Glombig.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Bundesminister Süssmuth, ich
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Glombigmöchte Ihnen in besonderer Weise zu Ihrer Jungfernrede gratulieren.
Ich meine, das ist eine nette Ministerin.
Ich finde, so schlecht war das, was sie gesagt hat, gar nicht. Ich bin überzeugt: Wenn sie in der Zukunft die Politik für die älteren Mitbürger bestimmt, werden — im Gegensatz zu ihrem Vorgänger — —
— Das darf ich doch mal sagen. Wir können Frau Süssmuth doch nicht verantwortlich machen für die Fehler ihres Vorgängers. Das ist doch wohl nicht möglich. Dies wäre dann unfair.
— Dafür hätte ich eigentlich auch Ihre Zustimmung, meine Damen und Herren von der Koalition, verdient. Und nun seien Sie mal auch lieb zu dieser Ministerin!
Ich bin überzeugt: Wenn dies alles so stimmt — und ich zweifle gar nicht daran —, was Frau Minister Süssmuth hier vorgetragen hat, könnte es eigentlich eine ganz konstruktive Zusammenarbeit zwischen der Regierung und der Opposition auf diesem Felde geben.Ich kenne Frau Süssmuth schon von anderen Gelegenheiten, aus anderen Zusammenkünften. Ich habe immer den Eindruck gehabt, — —
— Ja, gut. Aber, Frau Kollegin, das ist nun einmal so. Es ist doch ein Unterschied, ob ich als Vertreterin des Familienbundes der deutschen Katholiken auch mal mit der SPD rede — wir haben uns immer darüber gefreut — oder ob ich hier als Vertreterin der Bundesregierung stehe. — Nein, nicht ich!
Wenn Frau Süssmuth als Vertreter der Bundesregierung auftritt, ist das natürlich viel schwerer. Da hat Frau Minister Süssmuth — das hat schon ein Kollege hier gesagt — wirklich eine Erblast zu tragen. Ich weiß nicht, welcher Kollege es war; ich war nicht so aufmerksam, aber das habe ich noch so gehört. Das ist richtig.Nun unterstellt uns allerdings Frau Minister Süssmuth, wir hätten früher beim Baby-Jahr immer alles oder nichts gefordert.
— Ach, wissen Sie, wir wollten sehr wohl etwas machen,
und zwar zur Schließung der Lücken in der Versicherungsbiographie.
Aber dies ist uns im Jahr 1972, als wir es machen wollten, von Ihnen abgelehnt worden. So war es doch.
Und dann haben Sie bei den anderen Dingen noch einmal ordentlich eins draufgesetzt.
Sie haben es doch fertiggebracht, in einem Jahr zwei Rentenanpassungen durchzubringen.
— Ach, hören Sie doch auf! Sie sind so jung im Bundestag, daß Sie das gar nicht wissen. Ihre historische Erinnerung geht so weit nicht zurück, sonst wüßten Sie, daß wir im August 1972 durch den Übertritt eines namhaften Genossen von der SPD zur CDU
vorübergehend in der Minderheit waren, d. h. die Opposition vorübergehend in der Mehrheit war, mit einer Stimme, auch im Ausschuß. Dies soll, hoffe ich, nach 1987 nicht wieder vorkommen.
Dadurch ist das zustande gekommen. Damals haben Sie das abgelehnt. Statt dessen haben Sie zwei Rentenanpassungen in einem Jahr beschlossen. Darunter haben wir jetzt noch zu leiden.
Herr Abgeordneter Glombig, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Stark?
Ich kann mir nicht vorstellen, daß das etwas Vernünftiges wird.
Entschuldigen Sie, das ist keine Diskriminierung. Aber ich möchte mich jetzt wirklich auf das konzentrieren, was ich mir vorgenommen habe. Es ist j a immer dasselbe: Sie versuchen, mich von den Dingen abzubringen, die ich gerne vortragen will.Das erste Stichwort ist die eigenständige soziale Sicherung der Frau. Die hätten wir haben können. Die haben sie in der letzten Sitzungswoche vor der Sommerpause abgelehnt. Die haben wir nämlich in unserem Gesetzentwurf vorgesehen, den wir damals eingebracht hatten. Ich sage es noch einmal — ich bitte, mir das nicht falsch auszulegen; ich habe es bereits damals gesagt —: Ich gehe davon aus, daß
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12472 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 166. Sitzung. Bonn, Freitag, den 18. Oktober 1985
GlombigSie den Gesetzentwurf nie gelesen haben; denn sonst hätten Sie ihm zustimmen müssen.
— Damals war die FDP dagegen.
Auf eine solche Zwischenfrage habe ich natürlich gewartet.Nun zum Pflegebericht.
— Der jetzige Präsident und ich — aber der Präsident immer vorweg — haben j a nun nächtelang über solche Dinge miteinander gesprochen. Vielleicht kann er nachher von seinem Pult heruntersteigen und uns sagen, wie das eigentlich gewesen ist. Ich bin durchaus bereit, darüber dann auch mehr zu sagen.
Ich will zum Pflegebericht nur sagen: Wir sind sehr gespannt darauf und hoffen, ihn nun recht bald zu bekommen. Ich finde, es ist höchste Zeit, zur Pflegefallproblematik auch von seiten der Bundesregierung eine Antwort zu geben und das nicht allein den Verbänden und den unmittelbar Betroffenen zu überlassen. Hier ist die Bundesregierung in der Tat gefordert, das erste Wort, auch hinsichtlich der öffentlichen Diskussion, zur Lösung dieses Problems zu sagen.
Ich sehe das rote Licht noch nicht. Aber es kommt sicherlich gleich. Daher möchte ich jetzt noch schnell auf einen Teilaspekt eingehen, von dem Lebenssituation und Lebensperspektiven älterer Menschen zwar nicht ausschließlich, aber doch in außerordentlich hohem Maße abhängen, nämlich auf die Einkommensicherung. In diesem Bereich gibt es vor allem drei große Probleme: Die langfristig ungesicherte Finanzierung der Alterssicherung, die noch immer weitverbreitete Unterversorgung vieler älterer Menschen und die zahllosen Ungleichheiten und Ungerechtigkeiten des heutigen zersplitterten Alterssicherungssystems.Leider ist die Antwort der Bundesregierung hierzu außerordentlich dürftig. Alle Probleme werden unter den Teppich gekehrt. Es fehlt die geringste Andeutung, welche Lösung die Bundesregierung anzubieten hat. Das Problem der Rentensicherheit z. B. findet in der Antwort der Bundesregierung überhaupt nicht statt. Sein Totschweigen ändert aber nichts daran, daß trotz der jüngsten Beitragssatzerhöhung die Rentenmisere andauert. Jahr für Jahr nimmt die CDU/CSU-FDP-Regierung auf dem indirekten Weg über die Halbierung der Rentenversicherungsbeiträge der Bundesanstalt für Arbeitfür Arbeitslose rund 5 Milliarden DM aus den Rentenkassen. Das ist die Wurzel der Rentenmisere und der schmerzhaften Opfer, die den Rentnern zugemutet worden sind.
— Das sind Tatsachen. Sie haben davon doch wirklich keine Ahnung. Reden Sie doch nicht so etwas.Solange dieses Übel nicht beseitigt ist, Herr Kollege — nun bitte ich, genau zuzuhören; nehmen Sie endlich einmal zur Kenntnis, was Sie tun müssen, um dieser Misere zu begegnen —,
wird es keine wirklich sicheren Renten geben. Das ist die Tatsache.
Nicht weniger als viermal hat Bundesarbeitsminister Blüm — dem ich übrigens gute Gesundheit wünsche; ich habe gehört, es geht ihm nicht gut — an den Renten herummanipuliert, die Beiträge erhöht
und die von ihm selbst aufgerissenen Löcher mühsam gestopft.
— Nun lassen Sie einmal! Wir können uns nachher darüber unterhalten. Dann beruhige ich Sie.
Auch in diesem Jahr ist die Rentenversicherung nicht in der Lage, ihre Zahlungsfähigkeit aus eigener Kraft sicherzustellen. Die Rücklagen sind derart rücksichtslos abgebaut worden, daß der Bund nunmehr durch einen außerplanmäßigen Zuschuß und durch Kassenkredite stützend eingreifen muß.Rente auf Pump findet auch in diesem Jahr statt, wenngleich dies vom Bundesarbeitsminister immer wieder bestritten wird.
— Natürlich! Ich werde Ihnen auch sagen, warum: weil die Rentenversicherungsträger im Spätherbst ohne vorübergehende Kredite zahlungsunfähig wären.
— Nun gut, wenn Sie meinen, das sei unwahr, dann sage ich Ihnen, daß der Geschäftsführer des Verbandes Deutscher Rentenversicherungsträger, Herr Kolb, laut den Rundfunknachrichten von heute morgen gesagt hat, daß die Liquiditätsreserve
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Glombigder gesetzlichen Rentenversicherung in diesem Herbst 1985 auf einem historischen Tiefstand sei. Wollen Sie etwa auch den der Lüge bezichtigen? Wollen Sie behaupten, daß dies nicht stimmt?
— Dies können Sie in allen Statistiken lesen.Nun will ich Ihnen sagen, wie das aussieht, Herr Braun. Nun hören Sie doch mal zu, damit endlich auch Sie das mal verinnerlichen! Die Schwankungsreserven, also die Rücklagen, betrugen am 31. Dezember 1982 20,5 Milliarden DM. Das waren 2,1 Monatsausgaben. Am 31. Dezember 1984 — ich bitte, darauf genau zu achten — betrugen diese Schwankungsreserven, diese Rücklagen, 9,75 Milliarden DM, also 0,9 Monatsausgaben.
Der Vermögensabbau von 1982 bis 1984 in der gesetzlichen Rentenversicherung betrug also 10,75 Milliarden DM.
— Also, ich bitte Sie: Sie haben uns doch vorgeworfen, daß wir die Finanzen der Rentenversicherung zerrüttet hätten, bester Herr Kollege.
Und nun frage ich Sie: Ist denn auch dies unsere Erblast? Wie ist das mit der Erblast von über 20 Milliarden gegenüber einer Erblast von 10 Milliarden bei den Rücklagen in der gesetzlichen Rentenversicherung?
Sie sollten sich schämen, eine solche Behauptung dauernd in der Öffentlichkeit zu verbreiten.
Dies ist Ihre Erblast, nicht unsere!
Wir haben Einnahmeausfälle für die Rentenversicherung durch die Halbierung der Rentenversicherungsbeiträge für die Arbeitslosen von 1983 bis 1984 von 10,3 Milliarden DM. Das entspricht gerade dem Betrag, der bei den Rücklagen gegenüber dem Zeitpunkt der Übergabe der Sozialkassen an Sie, nämlich am 1. Oktober 1982, fehlt. Das ist die Wahrheit.
— Ja, das war schlimm genug.
Also: Langfristig klaffen riesenhafte Löcher in den Rentenkassen. In der 15-Jahres-Rechnung bis zum Jahr 1999, die bis zum Ende dieses Monats von der Bundesregierung vorgelegt werden muß, müssen Fehlbeträge von über 200 Milliarden DM ausgeglichen werden. 200 Milliarden DM! Die Bundesregierung läßt Rentner und Beitragszahler darüberim unklaren, was sie von der bevorstehenden sogenannten Strukturreform zu erwarten oder zu befürchten haben. Darüber hört man nichts. Sie läßt zu, daß Schlagworte wie Heraufsetzung der Altersgrenze — dies haben wir auch schon heute morgen wieder gehört — oder Besteuerung der Renten kursieren und die Leute verunsichern.Ich will nicht sagen, daß das, was DIE GRÜNEN da vorgelegt haben, Schwachsinn ist. Aber dies ist wirklich so undifferenziert, daß ich mich schämen würde, einen solchen Plan in die Öffentlichkeit zu bringen. Das muß ich hier mit aller Deutlichkeit sagen.
Im übrigen scheint es sich ja in Sachen Grundrente um eine große Koalition von CDU/CSU — Herrn Biedenkopf —,
FDP — Herrn Bangemann —
— sieh mal! — und den GRÜNEN zu handeln. Wenn man genau hinguckt, kommt man zu folgendem Ergebnis: Alle wollen sie gemeinsam, daß den Leuten, die heute eine hohe Rente bekommen, diese Rente weggenommen wird.
Das heißt, daß sie entschädigungslos enteignet werden.
Ich finde, das ist schon sehr spaßig.
— Aber, hören Sie mal! Sind auch Sie für die Pläne von Biedenkopf? Dann gehen Sie doch mal an dieses Pult und sagen Sie es den Menschen draußen, damit sie endlich Bescheid wissen,
was Ihre Konzeption bei der Rentenversicherung wirklich ist.
Also, ich kann nur sagen: Die Rentenscharlatane haben Konjunktur,
und das angesichts der Unfähigkeit und Untätigkeit der Bundesregierung, die die völlige Zertrümmerung unserer Rentenversicherung und ihre Ersetzung durch eine Einheitsrente
auf Armutsniveau als Allheilmittel zwar nicht will,aber es nicht verhindern kann, daß ein solches Re-
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Glombigzept von denjenigen angepriesen wird, die uns diesen Quatsch hier aufreden wollen; so ist es.
Die SPD als Oppositionsfraktion hat die versäumten Schularbeiten für die Bundesregierung gemacht, nämlich als bisher einzige politische Kraft, meine Damen und Herren, ein Konzept für eine langfristige Rentenstabilisierung entwickelt
— hören Sie mal — und in Gestalt eines fertig ausformulierten und mit genauen Finanzberechnungen versehenen Gesetzentwurfs — ich hoffe, Sie haben es gelesen, aber Sie sehen so aus, als hätten Sie es nicht gelesen —
im Deutschen Bundestag eingebracht. Wir haben vorgeschlagen — ich erinnere Sie daran —, die künftigen Belastungen auf Rentner, Beitragszahler und den Staat im Sinne sozialer Ausgewogenheit gleichmäßig zu verteilen. Insbesondere haben wir vorgeschlagen: die Wiederherstellung voller Rentenversicherungsbeiträge der Bundesanstalt für Arbeit, eine neue Rentenformel, die Beteiligung des Bundes am demographischen Risiko, am Risiko der Bevölkerungsentwicklung, und einen automatischen Regelmechanismus, der auch bei Änderung der ökonomischen Rahmenbedingungen ständige Eingriffe des Gesetzgebers für die Zukunft überflüssig macht.Das Konzept der SPD ist geeignet, meine Damen und Herren, die langfristigen Strukturprobleme der Alterssicherung zu überwinden und Verläßlichkeit wiederherzustellen, und insbesondere darauf kommt es den Rentnern an. Um so bedauerlicher ist es, daß die Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen unseren Entwurf — Sie werden sich, so hoffe ich, daran erinnern — arrogant vom Tisch gewischt haben, obwohl sie selbst keinerlei Konzept besitzen, wie die Versorgung der älteren Mitbürger in 20 oder 50 Jahren gesichert werden soll.
— Für die Gegenwart sind Sie doch verantwortlich.
Ab 1987 sind Sie gefordert, den Wählern zu sagen, wie Sie aus der Rentenmisere herauskommen wollen. Wir haben dies schon in diesem Jahr, nämlich vor der Sommerpause, gemacht; nun sind Sie am Zuge.
Daß Sie kein Konzept besitzen — insbesondere Sie nicht; denn von Ihnen höre ich ja nur Zwischenrufe, und zwar unqualifizierte, sonst aber gar nichts —,
zeigt uns die vorliegende Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP, aber auch der inhaltslose Entschließungsantrag der Koalitionsfraktionen. Dieser Entschließungsantrag — man muß sich das einmal durchlesen — ist ja skandalös. So viel Nichtssagendes habe ich in einem Entschließungsantrag selten gesehen.
Sie verbreiten doch nur Qualm
und tun so, als seien Sie den Alten gegenüber nun besonders fortschrittlich; das sind Sie nicht.
Sie vernebeln mit diesem Entschließungsantrag die Tatsachen.Genausowenig wie die kritische Finanzlage der Rentenversicherung kommt in der Antwort der Bundesregierung das Problem der Unterversorgung der älteren Menschen vor. Das kommt da überhaupt nicht vor. Die Bundesregierung versucht, sich hinter den relativ zufriedenstellend erscheinenden Zahlen über das theoretische Rentenniveau zu verstecken, ohne auf die Problematik einzugehen, nämlich auf die Problematik, daß nur eine Minderzahl der Rentner — bei den Männern 52 %, bei den Frauen jedoch nur 8 % — überhaupt 40 oder mehr Versicherungsjahre erreicht und in den Genuß dieses Rentenniveaus kommt. Zwar geht es einem erheblichen Teil der älteren Generation erfreulicherweise sehr gut — das begrüßen wir —, aber dies verdanken diese Mitbürger in keinem Fall allein der Rentenversicherung, sondern entweder ihrer Zugehörigkeit zu besonders gut versorgten Bevölkerungsgruppen, z. B. den Beamten, oder aber der Kumulation mehrerer Sozialleistungen. Die Kehrseite ist, daß es erhebliche Versorgungslücken bei denjenigen gibt, die allein auf die Leistung der gesetzlichen Rentenversicherung angewiesen sind.Daß dies keine vernachlässigenswerte Minderheit ist, zeigen Zahlen des Infratest-Instituts, die erst kürzlich vom Bundesarbeitsminister selbst veröffentlicht worden sind. Von den männlichen über 60 Jahre alten Rentnern haben ungewähr 30 % nur eine einzige Einkommensquelle; 26 % der Arbeiterrentnerehepaare leben nur von der Versichertenrente des Mannes aus der gesetzlichen Rentenversicherung; 16 % der Arbeiterrentnerehepaare haben ein Gesamtnettoeinkommen von unter 1 250 DM monatlich.35% der über 60 Jahre alten Witwen haben keinerlei eigene Renten- oder Versorgungsanwartschaften; 31% der älteren Witwen leben nur von der
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GlombigWitwenrente aus der Rentenversicherung — diese ist gerade schmal und gering genug —; 19% der Witwen, 32 % der geschiedenen Frauen und 34 % der ledigen Frauen, die über 60 Jahre alt sind, leben von einem Nettogesamteinkommen von unter 800 DM monatlich.Das heißt, Unterversorgung und Armut im Alter sind ein drängendes und ernst zu nehmendes sozialpolitisches Problem. Es ist sträflich und zynisch, wenn die Bundesregierung in ihrer Darstellung der Lebenssituation darüber einfach stillschweigend hinweggeht und nichts daran findet, daß beinahe 300 000 ältere Menschen Sozialhilfeleistungen für den laufenden Lebensunterhalt in Anspruch nehmen müssen, von den sogenannten verschämten Armen, die sich schämen, Sozialhilfeleistungen in Anspruch zu nehmen, obwohl sie darauf einen Anspruch hätten, ganz zu schweigen.
— Wenn Sie denen das Geld wegnehmen, indem Sie die Leistungen der Arbeitslosenversicherung zu Lasten der Sozialhilfeleistungen kürzen, können Sie doch nicht erwarten, daß die Sozialhilfeleistungen auf der kommunalen Ebene noch mehr erhöht werden, als es im Augenblick der Fall ist.
Sie vernichten doch die Finanzgrundlage der Kommunen durch Ihre Sozialpolitik.
Meine Redezeit ist gleich zu Ende. Ich will Sie von dem, was ich zu sagen habe, befreien, obwohl ich das außerordentlich bedauerlich finde, weil ich jetzt das wirklich sehr Interessante sagen wollte.Ich möchte noch zwei Sätze sagen. Es genügt nicht, eine Sachverständigenkommission mit dem Ziel einzusetzen, die Harmonisierung der Alterssicherungssysteme zu prüfen und einen Bericht vorzulegen — das ist im Jahre 1983 geschehen, und zwar bei dieser Regierung —, wenn bis heute die Bundesregierung nicht ein einziges Mal öffentlich dazu Stellung genommen hat. Ich finde, die Vorschläge sind gut, die Vorschläge sollten verwirklicht werden.
Wir meinen: weil der Antrag der Koalition wirklich so nichtssagend, so völlig inhaltslos ist, genügt es nicht, ihn hier abzulehnen in einer namentlichen Abstimmung, sondern die Alternative muß deutlich gemacht werden.
— Sie haben leider keinen Antrag vorgelegt, bester Herr Kollege.
Wir werden diesen Antrag ablehnen. Wir wollen unseren Antrag zur namentlichen Abstimmungstellen, in der Hoffnung, daß Sie dem zustimmen werden.Schönen Dank.
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Professor Männle.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Rede von Frau Schmidt, aber auch die Rede von Herrn Glombig in ihrem zweiten Teil haben mich doch sehr betroffen gemacht.
Durch ständiges Wiederholen von Halbwahrheiten werden die Behauptungen wirklich nicht wahrer.
Meine Damen und Herren, Angst machen über die Sicherheit der Renten ist kein Dienst am alten Menschen.
Was hat Herr Glombig verschwiegen? Was hat er nicht gesagt? Er hat nicht gesagt, daß Herr Kolb heute früh sagte: Wir haben in der Rentenversicherung in diesem Monat eine halbe Monatsreserve, aber es wird keine Situation wie im letzten Jahr geben, weil die zugesagten Bundeszuschüsse, die gesetzlichen Bundeszuschüsse, rechtzeitig gezahlt werden.
Herr Glombig, Sie haben auch nicht gesagt, was Sie in den Jahren 1978 bis 1981 gemacht haben.
Sie haben willkürlich die Rentenformel manipuliert.
1978 hätten wir nach der Formel eine Anpassung von 8,3% haben müssen, und was war tatsächlich? Es war 0%.
1979 hätten es nach der Formel 7 % sein müssen, und es waren 4,5%, 1980 6,3% und 4 %, 1981 5,8 % und 4 %. Sie haben den Rentner um 60 Milliarden DM betrogen, meine Damen und Herren.
Frau Abgeordnete, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Reimann?
Nein.
Sie lassen grundsätzlich keine Zwischenfrage zu?
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Nein, sonst komme ich mit meiner Zeit nicht aus.
Das wird Ihnen nicht auf die Zeit angerechnet. Das, Frau Abgeordnete, ist nicht das Problem. — Trotzdem nein. Danke schön.
Ich möchte meine Kritik geschlossen anbringen.Ich möchte noch auf Frau Schmidt eingehen. Frau Schmidt hat gesagt, daß wir nichts für die ältere Frau mit Kindern getan hätten, und sie hat auch wiederum verschwiegen, daß in Ihrer Regierungszeit nichts entsprechendes geschehen ist. Ich stelle auf die Regierungszeit ab; denn in der Oppositionszeit ist es einfach, Vorschläge zu machen, weil man sie nicht umsetzen muß. In Ihrer Regierungszeit haben Sie einen Vorschlag hinsichtlich des Babygeldes gemacht, das für Frauen, die ein Kind bekommen und berufstätig sind, ab dem Stichtag des Inkrafttretens des Gesetzes bezahlt worden wäre. Das wären also keineswegs all die Frauen gewesen, die heute Kinder haben oder gar all die Rentnerinnen, die Kinder hatten. Den Brief, den Sie uns gerade von dieser Frau mit den elf Kindern vorgelesen haben, kennen wir, und Sie wissen, daß dieser Frau mit Ihren Vorschlägen aus Ihrer damaligen Regierungszeit auch nicht geholfen wäre. Schreiben Sie das doch bitte dieser Frau!
— Natürlich stimmt es. Schreiben Sie es dieser Frau!Wir diskutieren heute über die Situation der älteren Menschen. Es ist ganz interessant: Wenn heute abend der Bericht aus Bonn gesendet wird, könnte man oberflächlich betrachtet sagen, daß wir einen abrupten Szenenwechsel haben
— ich würde mich freuen, wenn ich dran wäre, keine Bange —: Am Mittwoch füllten Jugendliche die Parlamentsreihen, und am Freitag beherrscht das Thema „Alter" die Diskussion im Plenum. Ist diese Präsenz der beiden Pole des Lebensverlaufes der Mehrzahl von Menschen symbolischer Ausdruck für vielzitierte Schwierigkeiten, vielleicht auch für die Krise des Generationenvertrages, des Miteinander-Umgehens, oder verbergen sich hinter dieser Trennung tiefer liegende Berührungsprobleme, die über die Frage der materiellen Versorgung hinausreichen? Ist diese Aufteilung vielleicht Ausdruck der Segmentierung der verschiedenen Lebensstufen, auch Ausdruck einer gegenseitigen Abgrenzung oder auch Trennung?Wir kennen die vorherrschende Erwartungshaltung an die Menschen in einer industriellen Leistungsgesellschaft. Sie ist im wesentlichen auf die erwerbstätige Arbeit reduziert, und sie führt dazu, daß der einzelne ausschließlich über Aktivität, über Dynamik, über Leistungsfähigkeit und auch über Attraktivität definiert wird. Diese Merkmale, häufig auch mit Jugendlichkeit gleichgesetzt, werden zum Kennzeichen eines vollwertigen Gesellschaftsmitgliedes, und sie sind synonym für die Chance des gesellschaftlichen Anerkanntwerdens. Wir wissen — dies ist heute auch schon in der Diskussion zum Ausdruck gekommen —, daß in diese Erwartungen das Alter, der alte Mensch nicht mehr sehr passen. Es ist auch schon gefragt worden: Gibt es eigentlich das Alter? Genauso wenig wie es die Jugend gibt, gibt es das Alter global und nicht so, wie Herr Bueb es deutlich machte, als ob es ganz klare Begriffe, ganz klare Definitionen von Alter gibt. Es gibt eine Fülle von Erscheinungen; sie umfassen mehr als 40 Lebensjahre; das reicht von kraftstrotzender Aktivität und gesellschaftlichem Anerkanntsein bis hin zur völligen Hilfslosigkeit, zur Abhängigkeit, zur Isolation.Wenn wir von dem Alter und von dem älteren Menschen sprechen, dann formulieren wir dies — so ist es auch heute häufig geschehen — geschlechtsneutral. Wir wissen doch aber, daß Alter vornehmlich weiblich geprägt ist. In den älteren Bevölkerungsgruppen ist der Anteil der Frauen überdurchschnittlich hoch. Im Jahre 1982 gab es in der Bundesrepublik insgesamt 7,8 Millionen Frauen im Alter von 60 und mehr Jahren; damit ist fast jede vierte Frau 60 und mehr Jahre alt. Während der Anteil der Frauen aller Altersgruppen an der Gesamtbevölkerung im Jahre 1982 52,2 % ausmachte, beträgt der Anteil der Frauen an der Altersgruppe der 60- bis 70jährigen annähernd 62 %, bei den übrigen 75jährigen sogar 68%. Damit sind Probleme des Alterns vornehmlich Fragen, die Frauen betreffen. 80% der über 60 Jahre alten Männer sind verheiratet. Die Mehrzahl der Frauen über 60 ist alleinstehend; davon 51 % sind verwitwet. 67% der älteren Bevölkerung sind alleinstehend; das sind, in Zahlen ausgedrückt, 5 Millionen Frauen. Und noch eine letzte Zahl: Rund drei Viertel der Altenheimbewohner sind Frauen.Aus diesen Zahlen läßt sich die unterschiedliche Lebenssituation der Frauen herauslesen; an ihren Schicksalen wird die Problemvielfalt deutlich. Die Verschiedenartigkeit der Lebensabläufe von Männern und Frauen verstärkt sich im Alter. Ursula Lehr — sie ist heute schon einmal zitiert worden — formuliert es so: Frau sein und alt sein bedeutet eine Kumulation sozialer Benachteiligung, Frau sein und alt sein ist als biologisches, soziales, ökologisches, aber auch epochales und biographisches Schicksal zu sehen, mit dem man sich auf verschiedenen Ebenen aktiv beschäftigen muß.
Darf ich ganz kurz auf drei Bereiche, auf drei Probleme aus der Fülle von Lebenssituationen von Frauen, eingehen und deutlich machen, inwiefern die Situation von Frauen so viel anders ist als die
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Frau Männlevon Männern. Vielleicht fange ich mit der älteren Frau in der Pflege an. Abgesehen von den finanziellen Problemen, über die heute schon so viel gesprochen wurde, spüren Frauen 'die Abhängigkeit, die Hilflosigkeit viel stärker als Männer. Frauen sind es, die gelernt haben, für andere dazusein, anderen Geborgenheit zu vermitteln, anderen Sicherheit zu geben, und sie, die bisher versorgt haben, sind nun die, die versorgt werden. Sie werden nun betreut, und das ist für die Frauen eine — auch psychisch — schwierige Situation, die wir sehen müssen. Wir können dies nicht aufheben, aber wir können es mildern, wir können es durch die Art und Weise entschärfen, auf die wir Hilfen geben, anbieten und organisieren.Nehmen wir einen zweiten Bereich: Frauen und Organisation, Frauen und Aktivitäten. Wir fordern heute so leicht: Organisiert euch, seid aktiv, tut etwas, setzt etwas um, bringt das raus, was in euch verschüttet ist, was brachliegt. Und wir sehen: Viele setzen das um. Viele tun das. Es gibt sehr viele aktive Frauen. Aber sind wir nicht manchmal vorschnell mit unseren Anforderungen an die älteren Frauen? Wir fordern Frauen auf, sich zu organisieren, Frauen, die in früherer Zeit, in ihrer eigentlich aktiven Zeit, selbst nie Mitglieder in Vereinen und Verbänden oder in Parteien sein konnten, denen man das nahezu verwehrt hat, und nun erwarten wir plötzlich, daß sie praktisch ein neues eigenes Ich entwickeln. Dies ist sicherlich gar nicht so einfach, und das sollten wir berücksichtigen.Lassen Sie mich noch einen dritten Bereich kurz ansprechen: das Verständnis von der Rolle der Frau. Ignorieren wir gerade als jüngere Frauen nicht häufig den bisherigen Lebensweg? Wir verlangen von den älteren Frauen, daß sie so leben, wie wir leben, daß sie sich von unseren Idealvorstellungen leiten lassen. Wir dürfen aber den älteren Frauen nicht das Gefühl vermitteln, daß sie falsch leben oder falsch gelebt haben. Wir müssen gerade der älteren Frau ihren Lebensweg als den in ihrer Zeit einzig möglichen und für sie richtigen belassen. Wir als jüngere mit anderen Lebensläufen müssen die Entscheidungen der Älteren akzeptieren und ihnen die Möglichkeit geben, ihr Selbstwertgefühl neu aufzubauen.
Sonst werden ältere Frauen nachträglich um ihr eigenes Leben und um ihr Glück betrogen. Dies dürfen wir nicht zulassen.
Es sind heute schon sehr viele Vorschläge gemacht worden, auf die ich verweisen darf. Ich verweise auch auf den Bericht der Bundesregierung.Meine Damen und Herren, meine Redezeit ist leider abgelaufen. Deshalb nur noch dies: Eines ist wichtig: Kommen wir vom Reden über das Alter hin zum Gestalten mit dem Alter! Dies gilt für Männer wie für Frauen.
Das Wort hat der Abgeordnete Delorme.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In Ihrer Antwort auf die Große Anfrage der Koalitionsfraktionen findet die Bundesregierung viele schöne Worte für unsere älteren Mitbürger. Da wird gesagt, daß unsere Gesellschaft auf die Leistungen und Dienste älterer Menschen, ihre Urteilsfähigkeit und Verständnisbereitschaft nicht verzichten könne. Da wird auch das Miteinander zwischen den Generationen, das harmonische Zusammenleben von Jüngeren und Älteren beschworen.Insgesamt aber ist die Antwort der Bundesregierung enttäuschend. Es reicht eben nicht, unseren alten Menschen „Streicheleinheiten" zu geben, sich aber um die Lösungen ihrer Probleme herumzudrücken.
Es ist auch nicht redlich, die materielle Situation der Senioren als „insgesamt zufriedenstellend" zu bezeichnen, ohne darauf hinzuweisen, daß dies für viele Rentner, Behinderte und vor allem für viele betagte Frauen leider nicht zutrifft. Ich habe es begrüßt, daß wenigstens die Frau Ministerin in Ergänzung der schriftlichen Antwort hier einige kritische Töne einfließen ließ.
Von den zahlreichen Problemen, die ältere Menschen betreffen und auch bedrücken, will ich nur einen Punkt herausgreifen: die Frage der Pflegebedürftigkeit. Durch die Verbesserung der allgemeinen Lebensverhältnisse und besonders der medizinischen Versorgung ist die durchschnittliche Lebenserwartung in unserem Lande seit der Jahrhundertwende erheblich angestiegen. Waren um das Jahr 1900 nur etwa 4 % der Gesamtbevölkerung 65 Jahre und älter, so sind es heute 15 %. Dabei hat die Zahl der Hochbetagten besonders stark zugenommen.Diese erfreuliche Entwicklung hat aber zur Folge, daß bei diesen Hochbetagten die Zahl der Pflegebedürftigen, der Langzeitkranken und der durch Altersgebrechen Behinderten ebenfalls extrem angewachsen ist. Bereits 1978 schätzte man die Zahl der pflegebedürftigen älteren Menschen auf 2,5 Millionen. Sie ist seitdem eher gewachsen. Obwohl viele dieser pflegebedürftigen Menschen auf intensive Pflege und Betreuung angewiesen sind, leben die weitaus meisten von ihnen, nämlich mehr als 80 %, noch im eigenen Haushalt und werden zumeist von Familienangehörigen versorgt. Das landläufige Vorurteil, das auch heute früh teilweise genährt wurde, daß nämlich ältere Menschen allzuoft von ihren Kindern in Altersheime abgeschoben werden, stimmt nicht.
Hier wird vielmehr eine beachtliche Solidarität innerhalb vieler Familien deutlich. Ich glaube, es istauch angebracht, diesen pflegenden und betreuen-
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Delormeden Familienangehörigen hier ein herzliches Wort des Dankes zu sagen.
Auch wir vertreten den Grundsatz, daß die ambulante Versorgung Vorrang vor der stationären Versorgung haben soll und daß alles getan werden muß, um die pflegebedürftigen älteren Menschen so lange wie möglich in ihrer vertrauten Umgebung zu behalten.
Wir fordern deshalb die Unterstützung der häuslichen Pflege durch die gesetzliche Krankenversicherung, ebenso die Prüfung, ob zur Entlastung der Pflegepersonen weitere steuerliche Maßnahmen erforderlich sind. Weiter fordern wir Maßnahmen im Wohnungswesen, so z. B. den verstärkten Bau von alten- und behindertengerechten Wohnungen, außerdem eine Verbesserung der personellen Situation und den weiteren Ausbau von ambulanten Diensten.
Dies will auch die Bundesregierung, wie sie bereits im Pflegebericht im September 1984 angekündigt hat. Leider ist bis heute von einer Realisierung dieser Maßnahmen nichts zu sehen. Frau Professor Süssmuth hat j a gesagt, wenn die Finanzmittel beschafft seien, werde man auf diesem Gebiet etwas zu realisieren versuchen.
Das ist auch notwendig, denn wir erwarten hier Taten statt schöner Worte.
Doch so wichtig, meine Damen und Herren, die Maßnahmen zur Verbesserung der ambulanten Versorgung auch sind, so darf doch das Problem der stationären Versorgung nicht vergessen werden. Immerhin leben etwa 260 000 Pflegebedürftige im Seniorenalter im Pflege- oder Altersheim, weil eine häusliche Versorgung nicht oder nicht mehr möglich ist.Ich wende mich in diesem Zusammenhang auch dagegen, daß man die Menschen in Altersheimen sozusagen abstempelt als Menschen, die der Willkür fremder Personen ausgeliefert sind.
Das haben unsere Pflegekräfte und unsere Mitarbeiter in den Heimen nicht verdient, die sich wirklich mit einem großen persönlichen Einsatz um die ihnen anvertrauten Personen kümmern.
Aber durch den hohen Personal-. und Kostenaufwand entstanden gerade bei der Heimpflege Finanzprobleme, die dringend einer Regelung bedürfen. Die Pflegesätze in den Heimen sind explosionsartig in die Höhe gegangen, so daß zwei Drittel der schwer Pflegebedürftigen die Heimkosten nicht zahlen können und auf Sozialhilfe angewiesen sind. Heimpflegekosten von monatlich 3 000 DM undmehr sind leider keine Ausnahmen. Dies führt nicht nur zu einer erheblichen Belastung der zuständigen Sozialhilfeträger, sondern hat auch zur Folge, daß Menschen, die ihr ganzes Leben lang hart gearbeitet haben und eine gute Rente oder Pension beziehen, auf ihre alten Tage zu Sozialhilfeempfängern werden. Wie bitter dies von vielen empfunden wird, kann man ihnen nachempfinden. Besonders bedrückend ist dabei das Gefühl, daß Kinder und Enkel vom Sozialamt zu Kostenbeiträgen herangezogen werden, was in vielen Fällen zu unerquicklichen Auseinandersetzungen führt.Die Erkenntnis, daß dieses finanzielle Risiko abgesichert werden muß, ist nicht neu. Das Thema wird seit Jahren in allen Fachgremien diskutiert und ist längst reif zur Entscheidung. Einige Länder haben inzwischen Lösungsvorschläge unterbreitet. Die Bundesregierung aber hält sich in dieser Frage bedeckt und schweigt sich vornehm aus.In unserem Entschließungsantrag fordern wir deshalb die Regierung auf, in Zusammenarbeit mit den Ländern einen Gesetzentwurf für eine bessere soziale Absicherung Pflegebedürftiger und ihrer Familien unter Berücksichtigung der bereits in einigen Ländern erarbeiteten Gesetzesvorschläge vorzulegen.Meine Damen und Herren, die heutige Generation der älteren Menschen — dies betrifft besonders die Frauen — hat viel Schweres erlebt. Vielfach noch im Kaiserreich geboren, hatten sie meist nur geringe Chancen, eine gute Ausbildung und gute Arbeitsbedingungen zu erhalten. In der Nazizeit einem bis zur Perversion verzerrten Frauenbild unterworfen, zur Passivität und politischen Abstinenz erzogen, haben sie während der Notzeiten, im Krieg und in der Nachkriegszeit Übermenschliches geleistet. Ohne diese Generation wäre die Bundesrepublik mit ihren wirtschaftlichen und sozialen Möglichkeiten ebensowenig denkbar wie die erheblich verbesserten Ausbildungs-, Arbeits- und Lebensbedingungen der nachgewachsenen Generation. Wir sind es den Leistungen gerade dieser Generation schuldig, ihnen ein Alter in materieller Absicherung und menschlicher Würde zu garantieren.Dabei kann sich die Bundesregierung nicht damit herausreden, daß die Politik für ältere Menschen nur zu einem geringen Teil in ihren Aufgabenbereich falle und Angelegenheit der Länder sei. Es darf auch nicht sein, daß man die Verantwortungsbereitschaft der Familien füreinander und die neu entstehenden Selbsthilfebewegungen dazu benutzt, den Rückzug des Staates aus seiner sozialpolitischen Verantwortung einzuleiten.
Diesem falschen Verständnis von Subsidiarität möchte ich das entgegensetzen, was der Nestor der katholischen Soziallehre, Oswald von Nell-Breuning, hierzu gesagt hat:Bevor der Mensch anfangen kann, seine eigenen Kräfte zu regen, muß die Gesellschaft bereits eine Menge Vorkehrungen getroffen haben.
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DelormeNun, es sind schon Vorkehrungen getroffen worden. Ich darf hier sagen, daß vor allen Dingen die Kommunen und die freien Wohlfahrtsverbände auf dem Gebiet der Altenhilfe zum Teil Vorbildliches geleistet haben. Auch ihnen muß unser Dank gelten. Aber es bleibt noch viel zu tun. Denn die Situation unserer älteren Mitbürger wird schon rein numerisch so prekär, daß es gesellschaftlich und politisch eine ganze Menge zu tun gibt.Wir Sozialdemokraten wissen: Erst der Rechtsanspruch auf Sozialleistungen schafft die für die Freiheit des einzelnen erforderlichen Unabhängigkeit
von staatlichem Verwaltungsermessen.
In unserer Industriegesellschaft können ohne staatliche Vorleistungen weder die Selbstverwaltung noch solidarische Selbsthilfe sinnvolle Arbeit leisten. Deshalb erwarten wir von der Bundesregierung, daß sie ihre Politik für ältere Mitbürger nicht als lästiges Randgruppenproblem, sondern als einen zentralen Bereich aktiver Gesellschafts- und Sozialpolitik begreift.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Becker.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im allgemeinen bin ich nicht ein Anhänger von Polemik oder von Halbwahrheiten und Versuche auch, die nie irgendwie heranzubringen.
Aber heute morgen sind doch eine ganze Reihe von Horrorgemälden hier aufgemacht worden — vor allem von Frau Schmedt —, so daß ich hier einiges geradestellen muß.
Sie sprach von der Lehrstellenkatastrophe. In den letzten drei Jahren haben wir Lehrstellenrekorde.
Sie sprach davon, daß das Babyjahr nicht für alle Frauen gemacht wird. Sie hat von Frau Männle schon die Schwierigkeiten gehört, die Sie selbst mit dem Babyjahr hatten. Das, was Sie einmal vorhatten,
wäre nur für die Frauen gültig geworden, die ab Inkrafttreten des Gesetzes ein Kind geboren hätten.
— Sie hatten nachher noch zehn Jahre Zeit, das zu ändern, und haben es nicht geändert.
Wir bedauern es sehr, daß wir nicht das Geld haben, mit dem Erziehungsjahr allen Frauen, auch den vor 1921 geborenen, ein Erziehungsjahr anrechnen zu können. Aber, meine Damen und Herren, ein Wort noch: Wir bezahlen in den Jahren 1983, 1984 und 1985 nur für die Schulden, die Sie in Ihrer Regierungszeit aufgenommen haben, 68 Milliarden DM. Was hätte man hiermit an besonderen Wohltaten tun können!
Ein Weiteres noch. Sie wissen genauso wie ich, daß das Rentenniveau 1984 für die 45 Jahre Beitragzahlenden auf der Rekordhöhe von 73,4 % der Nettoeinkommen lag und für die 40 Jahre Berufstätigen bei 65,3 %.
Herr Abgeordneter Becker, Sie gestatten eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Kirschner? — Bitte schön, Herr Abgeordneter.
Herr Kollege Dr. Becker, können Sie beziffern, wie hoch die Zinsaufwendungen — die in den Bundeshaushalt einzustellen sind — der Haushalte 1983 bis einschließlich des kommenden Haushalts 1986 sind?
Ich kann Ihnen sagen, daß in dem Zinshaushalt für 1983 bis 1985 für die Schulden, die wir gemacht haben, 6,8 Milliarden DM stehen. Ich kann Ihnen sagen, daß in dem nächsten Haushalt noch mal für die Schulden von Ihnen 20 Milliarden DM anstehen und für unsere 10 Milliarden DM, damit Sie Bescheid wissen. Wir haben damit nach wie vor die Erblast abzutragen.
Herr Kollege Glombig — Sie wissen, daß wir immer einen sehr guten Kontakt hatten —, Sie haben darüber gesprochen, daß die Liquiditätsreserve in diesem Jahr schwach sei. Aber Sie vergaßen zu sagen, daß während Ihrer Regierungszeit die Liquiditätsreserve von über 45 Milliarden DM abgeschmolzen wurde, eben weil Ihre Politik nichts anderes zuließ. Sie vergaßen zu sagen, daß Schwierigkeiten in diesem Jahr auch deshalb auftraten, weil einmal die Rückzahlungen an Rückwanderer zu finanzieren und Einnahmenausfälle durch den Streik, die immerhin 200 Millionen DM ausgemacht haben, zu verkraften waren. Ein weiterer Grund ist die vermehrte Freizeit durch die 38-Stunden-Woche; für Freizeit werden keine Beiträge gezahlt. Meine Damen und Herren, die Regierung hat sofort gehandelt. Sie hat Beitragserhöhungen beschließen müssen. Sie hat auch einen Bundeszuschuß für den Fall in Aussicht gestellt, daß es nicht langt.
Es war übrigens das erstemal, Frau Kollegin Fuchs,daß eine Regierung einen Bundeszuschuß erhöht
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Dr. Becker
hat. Sie haben den Bundeszuschuß für ganz andere Dinge benutzt.
Herr Abgeordneter Becker, es gibt zwei Meldungen zu Zwischenfragen, vom Abgeordneten Glombig und vom Abgeordneten Kirschner. Ich würde Ihnen die Zeit nicht anrechnen. Wenn Sie wollen, können Sie die Fragen zulassen. Es obliegt allein Ihrer Entscheidung. — Herr Abgeordneter Glombig.
Herr Kollege Becker, haben Sie schon einmal etwas von dem norddeutschen Spruch gehört: Wer keine Ausrede weiß, der wird erschossen? — Dies wollen wir mit Ihnen nicht tun, weil wir humane Menschen sind. Aber ich wollte eine Frage stellen.
Das ist aber auch nötig, Herr Abgeordneter Glombig.
Die Frage lautet: Ist Ihnen eigentlich bekannt, daß zur Sanierung des Bundeshaushalts allein aus dem Bereich der gesetzlichen Rentenversicherung 13 Milliarden DM durch diese Bundesregierung verwandt worden sind? Und haben Sie nicht zur Kenntnis genommen, daß Herr Kolb gesagt hat, wir hätten in diesem Monat den größten Tiefstand bei der Liquiditätsreserve in der Geschichte der gesetzlichen Rentenversicherung? Das gilt auch für die Schwankungsreserve, für die Rücklagen. Nun tun Sie doch nicht so, als wäre es umgekehrt, als wäre es in der Zeit der sozialliberalen Koalition so gewesen.
Herr Abgeordneter, die Fragen sollten kurz und präzise sein. Darum bitte ich den Abgeordneten Kirschner, der seine Frage jetzt stellen sollte, damit der Redner dann im Zusammenhang antworten kann und wir einigermaßen in der Zeit bleiben können.
Herr Kollege Dr. Becker, ist Ihnen bekannt, daß die Rücklagen der gesetzlichen Rentenversicherung 1969, also zu dem Zeitpunkt, als zum erstenmal ein Sozialdemokrat das Ministerium für Arbeit und Sozialordnung übernahm, knapp 22 Milliarden DM betrugen, daß 1982 die Rücklagen knapp 24 Milliarden DM ausmachten und 1984 auf unter 10 Milliarden DM zurückgegangen sind?
Bitte schön, Herr Abgeordneter.
Zunächst zu Ihnen, Herr Glombig: Die Entnahmen liegen doch nur darin begründet, daß wir ordnungspolitisch versuchen, Beiträge dort anfallen zu lassen, wo sie zu tragen sind. Es sind eben von der Arbeitslosenversicherung und von der Krankenversicherung Beiträge zu fordern. Aus dem Grunde ist dies halt so.Zu Ihnen, Herr Kirschner, ist folgendes zu sagen. Mir sind die Zahlen bekannt. Aber letzten Endes ist das eine Folgewirkung der Politik früher.
Meine Damen und Herren, aber nun zu meinem eigentlichen Thema: Immer mehr Menschen in unserem Land erreichen ein hohes Alter, wohl dank der Verbesserung der allgemeinen Lebens-, aber auch Gesundheitsbedingungen. Meine Vorredner haben auf viele gesellschaftliche und soziale Fragen und Antworten hingewiesen. Mein Beitrag soll den Gesundheitsaspekt in den Vordergrund rücken.Gesundheit im Alter hängt im wesentlichen von vier Faktoren ab: erstens von den erblichen Anlagen, zweitens von Einflüssen durch Lebenslauf und Beruf, drittens von der Ernährung und viertens von regelmäßigem Training.Es kommt nicht nur darauf an, dem Leben Jahre zu geben, sondern auch, den Jahren Leben. Es kommt nicht darauf an, wie alt man wird, sondern wie man alt wird. Alt werden und sich dabei wohlfühlen kommt nicht von allein, nicht ohne eigenes Zutun.Gesundheitsvorsorge, Hygiene und medizinische Betreuung sind gewiß sehr wichtig. Jedoch zeigen die gerontologischen Forschungsergebnisse, daß darüber hinaus ein breit gefächertes Zusammenwirken vieler Faktoren von erheblicher Bedeutung ist.Vorbereitungen auf ein gesundes und erfülltes Alter beginnen schon früh; denn die Hypothek vieler falsch verbrachter Lebensjahre lastet später auf dem Alter. Zunächst kommt es darauf an, eine optimale Entwicklung des einzelnen zu fördern. Schon in der Kindheit und in der Jugend muß der Mensch zu gesundheitsorientiertem Verhalten angeleitet und zu körperlicher, geistig-seelischer und sozialer Aktivität angeregt werden. Gesundheits-, Familien-, Schul- und Bildungs- wie auch Arbeitspolitik, sind hier angesprochen und müssen dies in Zukunft noch mehr berücksichtigen.So ist Altwerden eine Aufgabe, die bereits in jungen Jahren angegangen werden muß. Sie gewinnt mit zunehmendem Alter immer mehr an Bedeutung. Eine verbesserte, frühzeitig einsetzende und effektivere Gesundheitserziehung wie auch eine individuelle Gesundheitsführung, die die persönlichen Verhältnisse, die sozialen, Familien- und Berufsfelder und die gesundheitliche Entwicklung einbeziehen, werden hier immer wichtiger und werden weiterhelfen.Aus der Altersforschung wissen wir, daß ein mit den Lebensjahren einhergehender Abbau von Fähigkeiten und Fertigkeiten nicht sein muß. Biologisches und kalendarisches Alter sind keineswegs identisch. Der Mensch selbst hat es in der Hand, die biologische Lebensuhr langsamer gehen zu lassen. So ist ein Altersabbau der intellektuellen Fähigkeiten weitgehend vermeidbar, besonders dann, wenn diese Fähigkeiten schon in Kindheit und Jugend entwickelt und gefördert werden. Den Verfall körperlicher Kräfte durch Inaktivität kennen wir schon lange. Heute ist auch bestätigt, daß Nichtge-
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Dr. Becker
brauch seelisch-geistige Kräfte verkümmern läßt. Jedermann kennt das Sprichwort: Wer rastet, der rostet.Altern ist weitgehend ein biographisches Schicksal, aber nicht eine Fügung, der der einzelne passiv ausgeliefert ist, sondern ein Schicksal, mit dem er sich auseinandersetzen muß, das er meistern muß.Die vielfältigen Prozesse des Alterns sind auf verschiedenen Ebenen beeinflußbar. Medizinische Maßnahmen sind wichtig. Aber allein reichen sie nicht aus.Wichtig ist inbesondere die Aktivität, da sie von entscheidender Bedeutung für die Langlebigkeit ist. Der aktive ältere Mensch unternimmt mehr. Er sammelt Erfolge und erfährt damit Selbstbestätigung und wird selbstsicherer. Dies macht ihn auf geschlossen gegenüber anderen Menschen und bereit auch zur Übernahme von Aufgaben. Gerade das Gefühl, gebraucht zu werden, geht nachgewiesenermaßen mit einem psychophysichen Wohlbefinden im Alter einher.So wird ein Handeln nach dem Grundsatz ganz besonders wichtig, dem alternden Menschen so zu helfen, daß er sich selber helfen kann. Selbsthilfegruppen haben hier eine besondere Bedeutung. Sie sollten mehr als bisher unterstützt werden. Wir müssen die Bestrebungen, Gesundheit stärker zu fördern, ernster nehmen und die darauf gerichteten Projekte weiter ausbauen. Wir müssen das Bewußtsein unserer Mitbürger — der älteren wie auch der jüngeren — positiv beeinflussen, um damit Erkenntnis in Verhalten umzusetzen — ein sehr, sehr schwieriges Problem.Die Gesundheitsfachberufe sollten in die Ausbildung, die Fort- und Weiterbildung stärker als bisher die Ergebnisse der Altersforschung einbeziehen. Auch die gerontologische und die geriatrische Forschung haben noch längst nicht alles herausgefunden und müssen in Anbetracht der demographischen Entwicklung und der zunehmenden Überalterung unserer Bevölkerung weiter unterstützt werden.Die Vorbereitung auf das Alter, meine Damen und Herren, hat zwei Ansätze.Erstens die Förderung aller Maßnahmen und Entwicklungen, die dem Alter positive Vorzeichen geben, d. h. die Förderung der Gesundheit, soziale Anerkennung, sinnvolles Tätigsein und vor allem auch Gemeinsamkeit mit jungen Menschen, und zweitens die Ausräumung all der Bedingungen, die dem Alter negative Vorzeichen geben können; dies sind Krankheit, Leiden, Depression, Einsamkeit, Rollenverlust und nicht zuletzt soziale Diskriminierung.Meine Damen und Herren, die Politik kann dies alles nicht lösen. Sie muß aber den sozialökonomischen Rahmen für das Leben im Alter geben. Daran sollten wir alle gemeinsam in diesem Hause mitarbeiten.Schönen Dank.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Weyel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Verehrte ältere Mitbürgerinnen und Mitbürger und liebe Kollegen, die Sie selbst schon zu diesem Kreis gehören! Die Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage wird den tatsächlich drängenden Problemen älterer Menschen in unserer Gesellschaft nicht gerecht. Weder zur Lösung der finanziellen Probleme der Rentenversicherung noch zur Bewältigung zunehmender Belastungen durch Pflegebedürftigkeit sind befriedigende Vorschläge gemacht worden. Die Auffassung der Bundesregierung, die materielle Situation älterer Menschen sei insgesamt zufriedenstellend, ist nicht zutreffend.
Anerkennende Worte für die ältere Generation — und derer sind heute viele gefallen — allein sind nicht geeignet, der heute weit um sich greifenden Verarmung älterer Mitbürger wirksam zu begegnen.Ich möchte mich insbesondere noch einmal mit der Lage der älteren Frauen auseinandersetzen. Ich freue mich, daß schon Frau Minister Süssmuth darauf hingewiesen hat, daß man die Probleme älterer Menschen differenziert sehen muß. In keinem Alter spielen die Unterschiede in der materiellen Versorgung eine so große Rolle wie bei den älteren Menschen, und hier ist es tatsächlich so, daß die Lage der Frauen besonders schwierig ist. Herr Glombig hat vorhin j a die Zahlen genannt. Aber man muß dabei auch eines berücksichtigen: Die Versorgung der Frauen aus eigener Arbeit ist schlechter als die Versorgung der Witwen, deren Männer in einer entsprechenden sozialen Situation standen.Wenn wir uns die Statistik anschauen, dann können wir feststellen, daß bei den über 65jährigen das Verhältnis von Männern zu Frauen etwa 1 : 2 ist. Schauen wir uns aber an, wieviel Menschen in Einpersonenhaushalten leben und damit sowohl wirtschaftlich, mehr aber noch sozial in bezug auf die Vereinsammung in einer schwierigen Lage sind, dann stellen wir fest: Es gibt sechsmal mehr Frauen als Männer in dieser Lage, und für 1990 haben wir sogar ein Verhältnis der allein lebenden älteren Menschen von 9 : 1 zuungunsten der Frauen. Wir wissen, woran es liegt. Es sind zu einem großen Teil die Kriegsfolgen, die dabei eine Rolle spielen, und wir wissen, daß die Lage der Frauen, die betroffen sind, sehr unterschiedlich ist. Es ist eben immer noch ein Unterschied, ob eine Frau im Alter mit anderen zusammenlebt oder ob sie das nicht kann, weil sie sehr jung verwitwet oder weil sie infolge der Kriegsereignisse ledig geblieben ist. Wir haben bei der Kriegsopferversorgung eine Anerkennung für den ideellen Verlust der Kriegerwitwen. Diese Anerkennung des ideellen Verlustes fehlt bei den Frauen, die infolge der Kriegsereignisse ledig geblieben sind. Ich nenne sie immer die „unverheirateten Kriegerwitwen". Über die redet kein Mensch.
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Frau WeyelWir kennen die Ursachen für die schlechte Versorgung der Frauen im Alter, und da möchte ich einen Hinweis geben. Zur Zeit wächst eine Frauengeneration heran, die wegen der derzeitigen Verhältnisse wieder daran gehindert ist, in jungen Jahren die Grundlage für eine vernünftige Altersversorgung zu legen. Viele junge Frauen, die heute Kinder haben, kommen nämlich nicht in den Genuß der Segnungen, die uns durch die neuen Gesetze gegeben sind,
weil sie vorher nicht in den Arbeitsprozeß gekommen sind, und deshalb haben sie auch nichts von der Arbeitsplatzgarantie, die betrifft sie nämlich nicht mehr.
Aber es kommt die Anerkennung im gesellschaftlichen Bereich hinzu. Ein Mann mit Falten wird ernstgenommen und gilt als seriös. Eine Frau mit Falten ist abgetan. Wir haben immer wieder diese ungleiche Beurteilung des Älteren. Bei den Jüngeren fängt es ja schon an. Da wird das knakkige Mädchen angesprochen. Auf ihren Geist, auf das, was sie tut, nimmt keiner Rücksicht. Bei dem jungen Mann wird von dem klugen, intelligenten, tüchtigen — oder was weiß ich — Mann gesprochen. Und das geht dann weiter. Wenn die Frau eben nicht mehr knackig ist, hat sie ihren Wert in der Gesellschaft offensichtlich verloren. Es ist eine ganz schlimme Sache, wie das heute gehandhabt wird.
— Sicher, dafür kann die Regierung nichts. Das sage ich j a auch gar nicht.Verstärkt wird das durch die Vorbilder in der Werbung, durch die allgemeinen gesellschaftlichen Formen. Verstärkt wird das auch im Bereich der Wohnungsversorgung. Darüber ist schon vieles gesagt worden, auch über das am Rande, was besonders die Frauen trifft. Etwa die Frage des fehlenden öffentlichen Nahverkehrs auf dem Lande: Wie kommt denn eine ältere Frau auf dem Dorf — wenn überhaupt -- irgendwohin? Das betrifft auch die Frage der Einkaufsmöglichkeiten. Sie haben ja vieles davon angesprochen.
Entschuldigen Sie, daß ich Sie unterbreche, Frau Abgeordnete. Aber ich möchte das Haus bitten, die notwendige Ruhe herzustellen. Die Unruhe ist nicht nur eine Unhöflichkeit gegenüber dem Redner, sondern auch gegenüber dem Hause selber. Ich bitte wirklich, die notwendige Ruhe herzustellen.
Bitte schön, Frau Abgeordnete.
Was können denn eigentlich die Politiker dagegen tun, was ist Sache der Politik in diesem Bereich? Da möchte ich zunächst noch eine Frage ansprechen, die von der Selbsthilfeorganisation der Grauen Panther angesprochen wurde. Es ist eine Schande, was im Bereich der Entmündigungen und der Pflegschaften älterer Mitbürger heute passiert.
In diesem Zusammenhang ist eine sehr deutliche Forderung an die Politik zu stellen: Wenn Altenpflegschaften vergeben werden, sollten sie nicht in Massen vergeben werden. Vielmehr sollte darauf geachtet werden, daß sich ein eingesetzter Pfleger wirklich um die ihm anvertrauten älteren Menschen kümmern kann. Das können wir natürlich auch durch Gesetz regeln.
Sie haben in Ihrem Entschließungsantrag einige Aspekte angesprochen. Ich muß sagen, einen Punkt finde ich in diesem Antrag sehr schlimm, nämlich Ihre Anregung, zu prüfen, ob ein beratendes Gremium für ältere Menschen geschaffen werden soll. Wo steht eigentlich, daß der ältere Mensch nicht selbständig in allen Gremien unserer Gesellschaft vertreten sein kann?
Ich halte eine solche Forderung, wie Sie sie aufstellen — sie steht im Gegensatz zu allem, was heute gesagt wurde —, für eine Diffamierung des älteren Menschen.
Ich möchte noch einmal den Versuch unternehmen, der Rednerin Ruhe zu verschaffen. Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, sich zu setzen und der Rednerin zu folgen oder aber in die Lobby zu gehen.
Alteneinrichtungen dürfen nicht Maßnahmen zur Abschiebung sein. Alles, was wir für ältere Menschen tun, muß in Maßnahmen zur Integration bestehen.
Sie haben in Ihrer Antwort auf die Große Anfrage auch auf die Möglichkeiten der Bildung für ältere Menschen hingewiesen, die vor allen Dingen der Rentner, der Pensionär wahrnehmen soll. Sie verwenden den Begriff der Altenbildung. Ich finde das verheerend.
Herr Dr. Becker hat ja eben darauf hingewiesen, daß auch der ältere Mensch intellektuell durchaus noch in der Lage ist mitzuhalten. Warum soll er dann besondere Maßnahmen der Altenbildung wahrnehmen? Er geht dahin, wo andere Menschen auch gebildet werden — mit Ausnahme der Schulen.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 166. Sitzung. Bonn, Freitag, den 18. Oktober 1985 12483
Frau Weyel— Sie werden auch angenommen, wenn die Bildungseinrichtungen entsprechend ausgestattet sind. Aber sehen Sie, auch da besteht dasselbe Problem: Wenn ich Abendveranstaltungen anbiete und der ältere Mitbürger hat überhaupt keine Möglichkeit hinzukommen, dann ist dieses Angebot Unsinn.
— Ja, aber dann muß ich nicht das Angebot ändern, sondern dafür sorgen, daß der ältere Mensch die Möglichkeit hat, dorthin zu kommen. Das ist der Punkt.
Wir haben Ihnen einen Entschließungsantrag vorgelegt, in dem sehr deutlich aufgezeigt ist, welche Forderungen wir an die Regierung stellen. Im Moment haben Sie ja die Verantwortung. Wir geben Ihnen da wertvolle Hinweise, die Sie sorgfältig beachten sollten.Deshalb beantragen wir auch für unseren Antrag namentliche Abstimmung.
Darf ich, bevor ich dem nächsten Redner das Wort gebe, Sie alle noch einmal dringend bitten, dem Redner Aufmerksamkeit zu schenken. Das gilt besonders für die Kollegen, die im Raum stehen und diskutieren. Ich bitte um Aufmerksamkeit auch der Kollegen, die intensiv in anderen Diskussionen sind.
Jetzt hat das Wort der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung, Herr Höpfinger.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Heute morgen sind so viele Vorwürfe über die Rentenversicherung und deren Situation erhoben worden, daß das so nicht stehen bleiben kann. Ich danke meinen Kolleginnen und Kollegen, die darauf bereits einen Teil der Antwort gegeben haben.Meine erste Aussage: Rente auf Pump wird es nicht geben.
Das war schon voriges Jahr ein völlig überzogener Begriff, eine Angstmacherei und trifft für das Jahr 1985 in keiner Weise zu.
Wie kann man nur vergessen, daß wir im Laufe dieses Jahres ein Rentenversicherungsfinanzierungsgesetz beschlossen haben, das einen zusätzlichen Bundeszuschuß von 1,5 Milliarden DM in Ausicht stellt, wenn er überhaupt gebraucht wird! Wie kann man von Rente auf Pump reden, wenn die Regierung erstmals wieder den Bundeszuschuß erhöht,statt ihn niedriger festzusetzen oder zu kürzen, wie Sie es getan haben!
Dabei kann man erfreulicherweise feststellen, daß 1985 gute Beitragseinnahmen zu verzeichnen sind. Nun kann man fragen: Wie kommt es dann heute zu diesen Meldungen? Nun, die Beitragseingänge in einem Jahr sind unterschiedlich; sie sind nicht in jedem Monat gleich. Aber auf das ganze Jahr gesehen, haben wir 1985 eine sehr positive Entwicklung: dank der Wirtschaftsentwicklung, dank der Abnahme der Kurzarbeit, dank der 200 000 neuen Arbeitsstellen. Und wenn Sie das uns nicht glauben, wenn Sie den Fachleuten im Bereich der Bundesregierung keinen Glauben schenken wollen, dann glauben Sie wenigstens den Fachleuten aus dem Rentenversicherungsbereich. Ich zitiere Herrn Walter Quartier, den stellvertretenden Vorsitzenden der BfA. Er sagte am 4. September 1985:Die Beiträge fließen besser als erwartet.
— Ja, lesen können Sie. Aber Sie tun es nicht. Und sagen tun Sie's schon gleich gar nicht. Deshalb ist es notwendig, daß wir das der Bevölkerung sagen.
Ich zitiere weiter:
Wir haben keine Schwierigkeiten, die Renten aus eigenen Mitteln zu zahlen. Wenn es keinen wirtschaftlichen Einbruch gibt, brauchen wir bis 1990 auch keine Beitragserhöhung.Ein anderer Partner aus dem Verband der Rentenversicherungsträger, Herr Professor Ruland, hat noch in der gleichen Woche ein weiteres Argument hinzugefügt. Er sagt, in den Rentenkassen sei mehr Geld, als noch zu Jahresbeginn erwartet. Würden der Rentenversicherung keine zusätzlichen Aufgaben oder Kosten aufgebürdet, sei sie sogar bis Ende 1989 finanziell gesichert.Hier darf ich einmal aussprechen, daß die Maßnahmen dieser Bundesregierung im Bereich der Rentenversicherung von 1983 bis einschließlich 1987 eine Verbesserung um 60 Milliarden DM erreicht hat. Sie sollten nicht vergessen — ich sage das ganz einfach, weil es die Wahrheit ist —, daß 1972 noch 9,4 Monatsrücklagen in der Rentenkasse waren und daß es 1982, als Sie abtreten mußten, nur noch 2,1 Monatsrücklagen waren. Wer so gewirtschaftet hat, soll doch nicht andere angreifen, die in wenigen Jahren eminent viel in der Rentenversicherung geschafft haben.
Es wäre jetzt notwendig, auf die von Herrn Kollegen Glombig angesprochene Strukturreform der Rentenversicherung einzugehen. Aber wir werden sicher Gelegenheit haben, darüber in diesem Hause noch öfter zu sprechen. Hier wäre zunächst auf das hinzuweisen, was bisher schon geschehen ist. Allein 15 Maßnahmen wären hier aufzuzählen, was ich leider nicht kann, weil es den zeitlichen Rahmen
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Parl. Staatssekretär Höpfingersprengen würde. Es wäre weiter darauf hinzuweisen, wie wir uns die Rentenversicherung, die Strukturreform der Rentenversicherung für die Zukunft vorstellen. Eines darf ich Ihnen, meine sehr verehrten Damen und Herren, und damit auch all denen sagen, die es hören und die es lesen: Wir halten an dem Grundsatz fest: Ein erfülltes Arbeitsleben muß sich in der Rente widerspiegeln, weil wir die lebenslange Arbeitsleistung des Menschen anerkennen.
Von diesem Grundsatz aus werden wir auch die Strukturreform der Rentenversicherung mitgestalten.Meine sehr verehrten Damen und Herren, weil diese Bundesregierung der Lebensleistung der älteren Menschen Anerkennung und Wertschätzung entgegenbringt, wird sie alles tun, um die Renten zu sichern, weit über das Jahr 2000 hinaus. Ich bitte Sie um Ihre Mithilfe und Mitarbeit.Danke schön.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.Wir stimmen zuerst über den Entschließungsantrag des Abgeordneten Bueb und der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/4047 ab. Dazu darf ich bitten, daß Sie zunächst alle Platz nehmen. — Das gilt für die Kollegen auf allen Seiten; wir sind in der Abstimmung.Wer diesem Entschließungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/4047 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? Dann ist dieser Entschließungsantrag abgelehnt.Wir kommen nunmehr zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/ CSU und FDP auf Drucksache 10/4020.Meine Damen und Herren, die Fraktionen der CDU/CSU und FDP verlangen gemäß § 52 unserer Geschäftsordnung eine namentliche Abstimmung. Wer dem Entschließungsantrag auf Drucksache 10/ 4020 zuzustimmen wünscht, den bitte ich, die Abstimmungskarte mit Ja, wer dagegen zu stimmen wünscht oder sich der Stimme enthalten will, den bitte ich, die entsprechende Abstimmungskarte in die hier vorne aufgestellten Urnen zu legen.Ich eröffne die Abstimmung und mache darauf aufmerksam, daß anschließend eine weitere namentliche Abstimmung stattfindet. — Falls ich mißverstanden sein sollte: Ich habe die Abstimmung eröffnet. — Es wird noch ein der CDU/CSU angehörender Schriftführer für die Urne hier drüben gesucht.Meine Damen und Herren, darf ich fragen, ob noch ein Abgeordneter im Saal ist, der an der Abstimmung teilzunehmen wünscht.Meine Damen und Herren, ich schließe die Abstimmung. Ich bitte die Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Ich wäre dankbar, wenn dieKollegen Platz nähmen, damit ich sofort die weitere Abstimmung eröffnen kann.Ich darf die Schriftführer bitten, sofort an die Urnen zu gehen, damit ich die zweite Abstimmung aufrufen kann.Ich darf noch einmal bitten, daß die Schriftführer sofort an die Urnen gehen, damit wir die zweite Abstimmung eröffnen können.Meine Damen und Herren, wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/4034. Die Fraktion der SPD verlangt gemäß § 52 unserer Geschäftsordnung ebenfalls eine namentliche Abstimmung. Wer dem Entschließungsantrag auf Drucksache 10/4034 zuzustimmen wünscht, den bitte ich, die Abstimmungskarte mit ja, wer dagegen stimmen oder sich der Stimme enthalten will, den bitte ich, die entsprechende Abstimmungskarte in die hier vorn aufgestellten Urnen zu legen.Ich eröffne die Abstimmung.Ich erbitte nun die Aufmerksamkeit der Kollegen für die Bekanntgabe des Ergebnisses der ersten der beiden namentlichen Abstimmungen. Es handelt sich um das von den Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktionen von CDU/ CSU und FDP auf Drucksache 10/4020 zu der Lebenssituation und den Zukunftsperspektiven älterer Menschen. Es wurden 365 Stimmen abgegeben, davon war keine ungültig. Mit Ja haben 193 Abgeordnete, mit Nein haben 171 Abgeordnete gestimmt. Eine Stimme war eine Enthaltung.Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 364 Abgeordnete; davonj a: 193 Abgeordnetenein: 170 Abgeordneteenthalten: 1 AbgeordneterJaCDU/CSUDr. Abelein Frau Augustin Austermann Dr. BarzelDr. Becker BergerFrau Berger Dr. BlankDr. BlensBöhm Dr. BötschBohlBorchert Boroffka BraunBreuerBrunnerBühler
Dr. BuglBuschbom Carstens
Carstensen
Dr. CzajaDr. DanielsDawekeFrau Dempwolf DeresDörflingerDossDr. DreggerEchternachEhrbarEigenEngelsbergerDr. Faltlhauser FellnerFrau FischerFischer Dr. Friedmann Ganz (St. Wendel) Dr. von Geldern Gerlach (Obernau) Gerster (Mainz) GlosGötzerGünther
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 166. Sitzung. Bonn, Freitag, den 18. Oktober 1985 12485
Vizepräsident Westphalvon HammersteinHanz Hauser (Esslingen) HedrichHelmrichDr. HennigHerkenrath HinrichsHinskenHöffkesHöpfingerDr. HoffackerFrau Hoffmann Dr. HornhuesHornungFrau Hürland Dr. HüschJäger JagodaDr. Jahn
Dr. Jenninger Dr. JobstJung KellerKiechleDr. Köhler KrausDr. Kronenberg Dr. Lammert Dr. Langner LattmannDr. LaufsLenzerLink LinsmeierLintnerDr. Lippold LöherLohmann LouvenLowackMaaßFrau Männle MaginMarschewski MetzMichelsDr. Miltner MilzDr. MöllerMüller
NelleFrau Dr. Neumeister NiegelDr. Olderog Frau PackPeschPetersenPfeffermann PfeiferPöpplDr. ProbstRaweRegenspurger RepnikDr. RiesenhuberRode Frau Rönsch Roth (Gießen) RufSauer
SaurinSauter Sauter (Ichenhausen) Dr. Schäuble Scharrenbroich Schartz (Trier) SchemkenScheuSchlottmann Schmidbauer von SchmudeSchneider
Freiherr von Schorlemer Schreiber
Dr. Schroeder SchulhoffDr. Schulte
Schultz (Wörrstadt) Schulze (Berlin) Schwarz
SeehoferSeesingSeitersSpranger Dr. SprungDr. Stark StockhausenStommel Straßmeir StrubeStutzerSussetTillmann UldallDr. UnlandFrau VerhülsdonkVogel
Dr. Voigt
Dr. VossDr. Warnke Dr. WarrikoffWeirichWernerFrau Will-FeldFrau Dr. WilmsWilzWimmer WindelenFrau Dr. Wisniewski WissmannDr. WittmannWürzbach ZinkFDPFrau Dr. AdamSchwaetzerBaumBeckmann BredehornCronenberg Eimer (Fürth) EngelhardDr. FeldmannGallusGattermann GenscherFrau Dr. Hamm-Brücher Dr. HirschHoppeMischnick Möllemann Neuhausen PaintnerDr. RumpfFrau Seiler-AlbringDr. SolmsDr. Weng Wolfgramm (Göttingen)NeinSPDAmlingDr. ApelBachmaier BahrBambergBecker BernrathBerschkeit BrandtBrückBuckpeschDr. von Bülow Catenhusen ColletConradiFrau Dr. Däubler-Gmelin DaubertshäuserDelormeDr. Diederich DreßlerDr. Ehmke EickmeyerDr. EmmerlichDr. Enders EstersEwenFiebigFischer Fischer (Osthofen)Frau Fuchs
Frau Fuchs
GanselGilgesGlombigGrunenberg Dr. Haack Hansen
Frau Dr. HartensteinDr. Hauchler HauckDr. Hauff Heimann Heistermann Herterich HettlingHeyennDr. HoltzHornHuonkerImmer Jahn (Marburg)JansenJaunichDr. JensJung Junghans JungmannKiehmKirschner Kisslinger Dr. KlejdzinskiKolbowKretkowski Kuhlwein Leonhart LiedtkeLöfflerLohmann
LutzFrau LuukFrau Matthäus-Maier MeininghausMenzelDr. Mertens Dr. MitzscherlingMüller Müller (Schweinfurt)Dr. Müller-Emmert MünteferingNagelNehmDr. NöbelFrau OdendahlPaternaPauliDr. Penner PfuhlPorzner PoßPurps RankerRapp
Rappe ReimannFrau RengerReuterRohde Schäfer (Offenburg) SchanzDr. ScheerSchlaga SchlatterSchluckebierFrau Schmedt
Dr: Schmidt Schmidt (München)Frau Schmidt Schmitt (Wiesbaden)Dr. SchmudeDr. SchöfbergerDr. Schwenk SielaffSielerFrau SimonisFrau Dr. Skarpelis-Sperk Dr. SperlingDr. SpöriStahl
SteinerFrau SteinhauerStiegler Stobbe StocklebenDr. StruckFrau TerborgTietjenFrau Dr. Timm ToetemeyerFrau TraupeUrbaniakVahlbergVogelsangVosen WaltematheWeinhoferWeisskirchen WestphalFrau WeyelDr. WieczorekWiefelvon der Wiesche Wimmer WischnewskiWitekDr. de WithWürtz Zander Zeitler Frau ZuttDIE GRÜNENAuhagenFrau BorgmannBuebFrau HönesFrau KellyLange MannDr. Müller RuscheDr. SchierholzSchilySchmidt
Schulte
Senfft
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12486 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 166. Sitzung. Bonn, Freitag, den 18. Oktober 1985
Vizepräsident WestphalStröbeleSuhrTatgeTischerVogel Frau WagnerWerner
EnthaltenCDU/CSUGraf von Waldburg-ZeilDer Antrag ist angenommen.Ich warte nun das Ergebnis der zweiten Abstimmung ab, bevor ich in der Tagesordnung fortfahre.Meine Damen und Herren, darf ich fragen, ob es einen Abgeordneten gibt, der noch an der Abstimmung teilzunehmen wünscht? — Ich stelle fest, daß ich die Abstimmung schließen kann. Sie ist hiermit geschlossen, und ich bitte die Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen.Meine Damen und Herren, ich darf Sie um Aufmerksamkeit für die Fortsetzung der Tagesordnung bitten. Ich brauche Ihrer aller Aufmerksamkeit!Meine Damen und Herren, ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie sich mit mir von den Plätzen erheben würden.
Mit großer Anteilnahme haben wir die Nachricht hören müssen, daß in den heutigen frühen Morgenstunden Benjamin Moloise in Pretoria hingerichtet worden ist. Ich glaube, ich darf im Namen aller Kollegen sagen: Wir sind bestürzt über diesen Tod und darüber, daß die Appelle, die gestern hier im Deutschen Bundestag von den Fraktionen und von der Bundesregierung nachhaltig in Richtung südafrikanische Regierung ergangen sind, nicht helfen konnten.Es ist unser aller Hoffnung, daß Gewalt und Diskriminierung überwunden werden und innerer Frieden auch in Südafrika einkehrt.Ich danke Ihnen dafür, daß Sie sich von den Plätzen erhoben haben.Frau Abgeordnete Borgmann hat gebeten, eine Erklärung nach § 32 unserer Geschäftsordnung abzugeben. Ich bitte Sie, jetzt das Wort dazu zu nehmen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich begrüße die Erklärung, die Herr Präsident Westphal soeben abgegeben hat. Ich möchte folgendes hinzufügen: Wir, DIE GRÜNEN im Bundestag, trauern um Benjamin Moloise, der heute in den Morgenstunden trotz weltweiter Proteste vom Apartheid-Regime hingerichtet worden ist. Benjamin Moloise steht in Zukunft für die vielen Schwarzen, die gegen das in der Welt einzigartige Unrechtssystem Apartheid eintreten.
Dabei sollte man nicht vergessen, daß jährlich über 100 Todesurteile in südafrikanischen Gefängnissen vollstreckt werden, daß über 50 Gefangene in Untersuchungsgefängnissen umgebracht worden sind und daß bei den Unruhen in Südafrika in letzter Zeit über 700 Schwarze durch Polizei- und Soldatenkugeln ums Leben gekommen sind. Apartheid
steht für Gewalt, Unterdrückung und Gnadenlosigkeit.
Bei der gestern im Bundestag eingebrachten Dringlichkeitsfrage der GRÜNEN zur Hinrichtung von Benjamin Moloise, ob die Bundesregierung nun ihre Haltung zu Wirtschaftssanktionen gegen Südafrika überprüfen wolle, erklärte Staatsminister Möllemann leider, daß dies nicht der Fall sei.
Wir fragen die Bundesregierung nochmals: Wie viele Menschen müssen in Südafrika noch ihr Leben lassen, bis von seiten der Bundesregierung wirksamer Druck in Gestalt von Boykottmaßnahmen und nicht nur Gnadenappellen auf die Regierung Botha ausgeübt wird?
Ich möchte die Liste von Waffen und Rüstungsgütern, die nach Südafrika geliefert werden — sie ist kürzlich hier zur Sprache gekommen —, nicht noch einmal aufzählen. Aber nennen möchte ich doch die fünf Hubschrauber von Messerschmidt-Bölkow aus München, die an die südafrikanische Polizei offiziell geliefert worden sind.
Und wie die Polizei gegen die eigene Bevölkerung vorgeht, konnten wir vorgestern im Fernsehen sehen: Ein ziviler Lastwagen mit einer großen Kiste darauf fuhr in ein Township, wo Unruhen ausgebrochen waren; vor allem Jugendliche und Kinder bewarfen ihn mit Steinen. Plötzlich kamen hinter den Wänden der Kiste auf dem zivilen Fahrzeug Polizisten mit ihren Gewehren hervor und eröffneten sofort das Feuer. Ergebnis: drei Tote und viele Verletzte.
Nicht nur mit Terror und Repression, auch mit List und Tücke gehen die Uniformierten in Südafrika gegen die schwarze Bevölkerung vor, die dort für Selbstverständlichkeiten wie z. B. das allgemeine Wahlrecht eintritt.
Ich kann nur hoffen, daß sich immer mehr Menschen hier in unserem Land mit den Schwarzen in Südafrika solidarisieren. Nur wenn sich immer mehr Menschen bei uns aus Solidarität zum schwarzen Südafrika auf die Straße begeben und sich — wie die Evangelischen Frauen — gegen Krügerrand-Käufe aussprechen und wenn Gewerkschafter Forderungen nach einem Wirtschaftsboykott erheben, können wir die Apartheid langfristig aus dem Sattel heben. Nicht zu vergessen sind natürlich die Befreiungsbewegungen, mit deren Führer der Bundeskanzler endlich einmal offiziell reden sollte.
Ich danke Ihnen herzlich.
Meine Damen und Herren, um das noch einmal deutlich zu machen: Es ging um eine Erklärung nach § 32 unserer Geschäftsordnung, also um eine Erklärung außerhalb der Tagesordnung.Wir fahren in unserer Tagesordnung fort. Ich kann Ihnen zunächst das von den Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 166. Sitzung. Bonn, Freitag, den 18. Oktober 1985 12487
Vizepräsident Westphalüber den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/4034 zu dem Thema „Lebenssituation und Zukunftsperspektiven älterer Menschen" bekanntgeben. Es wurden 358 Stimmen abgegeben; davon war keine ungültig. Mit Ja haben gestimmt 148, mit Nein haben gestimmt 203. Es haben sich sieben Abgeordnete der Stimme enthalten.Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 355 Abgeordnete; davonj a: 148 Abgeordnetenein: 200 Abgeordneteenthalten: 6 Abgeordnete ungültig: 1JaSPDAmlingDr. ApelBachmaier BahrBecker BernrathBerschkeit BrandtBrückBuckpeschDr. von Bülow Catenhusen ColletConradiFrau Dr. Däubler-Gmelin DaubertshäuserDelormeDr. Diederich DreßlerDr. Ehmke EickmeyerDr. EmmerlichDr. Enders EstersEwenFiebigFischer Fischer (Osthofen)Frau Fuchs
Frau Fuchs GanselGilgesGlombigGrunenberg Dr. Haack Hansen
Frau Dr. Hartenstein Dr. HauchlerHauckDr. Hauff Heimann Heistermann Herterich HettlingHeyennDr. HoltzHornHuonkerImmer Jahn (Marburg)JansenJaunichDr. JensJung Junghans JungmannKiehmKirschnerKisslingerDr. KlejdzinskiKolbow KretkowskiKuhlwein Leonhart Liedtke LöfflerLohmann
LutzFrau LuukFrau Matthäus-Maier MeininghausMenzelDr. Mertens
Dr. MitzscherlingMüller Müller (Schweinfurt)Dr. Müller-Emmert MünteferingNagelNehmDr. NöbelFrau OdendahlPaterna PauliDr. PennerPfuhlPorzner PoßPurpsRankerRapp
Rappe ReimannFrau RengerReuterRohde Schäfer (Offenburg) SchanzDr. ScheerSchlaga Schlatter SchluckebierFrau Schmedt
Dr. Schmidt Frau Schmidt (Nürnberg) Schmitt (Wiesbaden)Dr. SchmudeDr. SchöfbergerDr. Schwenk SielaffSielerFrau SimonisFrau Dr. Skarpelis-Sperk Dr. SperlingDr. SpöriStahl
SteinerFrau SteinhauerStiegler StobbeStockleben Dr. Struck Frau TerborgTietjenFrau Dr. Timm ToetemeyerFrau TraupeUrbaniak Vahlberg Vogelsang VosenWaltematheWeinhoferWeisskirchen WestphalFrau Weyel Dr. WieczorekWiefelvon der Wiesche Wimmer WischnewskiWitekDr. de WithWürtzZanderZeitlerFrau ZuttDIE GRÜNEN Frau BorgmannNeinCDU/CSUDr. AbeleinFrau AugustinDr. BarzelDr. Becker BergerFrau Berger
Dr. Blank Dr. Blens Böhm
Dr. Bötsch BohlBorchert Boroffka BraunBreuerBrunnerBühler
Dr. Bugl Buschbom Carstens
Carstensen Dr. CzajaDr. DanielsDawekeFrau DempwolfDeresDörflinger Dr. DreggerEhrbarEigenEngelsberger Dr. Faltlhauser FellnerFrau Fischer Fischer
Dr. Friedmann Ganz
Dr. von Geldern Gerlach
Gerster GlosGötzerGünthervon HammersteinHanz Hauser (Esslingen)HedrichHelmrichDr. HennigHerkenrath HinrichsHinskenHöffkesHöpfingerDr. HoffackerFrau Hoffmann
Dr. Hornhues HornungFrau Hürland Dr. HüschJäger JagodaDr. Jahn
Dr. Jenninger Dr. JobstJung KellerKiechleDr. Köhler
KrausDr. Kronenberg Dr. Lammert Dr. Langner LattmannDr. LaufsLink
LinsmeierLintnerDr. Lippold LöherLohmann LouvenLowackMaaßFrau Männle MaginMarschewski MetzMichelsDr. Miltner MilzDr. MöllerMüller NelleFrau Dr. NeumeisterNiegelDr. Olderog Frau PackPeschPetersenPfeffermann PfeiferPöpplDr. ProbstRaweRegenspurger RepnikRode Frau Rönsch Roth (Gießen) RufSauer
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12488 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 166. Sitzung. Bonn, Freitag, den 18. Oktober 1985
Vizepräsident WestphalSaurinSauter Sauter (Ichenhausen) Dr. Schäuble ScharrenbroichSchartz Schemken ScheuSchlottmann SchmidbauerSchneider
Freiherr von Schorlemer Schreiber
Dr. Schroeder SchulhoffDr. Schulte
Schultz (Wörrstadt) Schulze (Berlin) Schwarz
Seehofer Seesing SeitersSpranger Dr. SprungDr. Stark StockhausenStommel Straßmeir StrubeStutzerSussetTillmann UldallDr. UnlandFrau VerhülsdonkVogel
Dr. Voigt
Dr. VossGraf von Waldburg-Zeil Dr. WarnkeDr. WarrikoffWeirichWernerFrau Will-FeldFrau Dr. WilmsWilzWimmer WindelenFrau Dr. Wisniewski WissmannDr. WittmannWürzbach ZinkFDPFrau Dr. AdamSchwaetzerBaumBeckmannCronenberg
Eimer EngelhardDr. FeldmannGallusGattermann Genscher Grünbeck Dr. Hirsch HoffieHoppeMischnick Möllemann Neuhausen PaintnerDr. RumpfFrau Seiler-AlbringDr. Solms Dr. Weng Wolfgramm
DIE GRÜNENAuhagenBuebFrau Hönes LangeSchmidt
SenfftStröbeleSuhrTatgeVogel
Frau Wagner Werner
EnthaltenDIE GRÜNENMannRuscheDr. SchierholzSchilySchulte TischerUngültigDIE GRÜNENDr. Müller
Damit ist der Entschließungsantrag abgelehnt.Ich rufe nunmehr Punkt 1 der Tagesordnung auf:Fragestunde— Drucksache 10/4004 —Wir kommen zuerst zum Gechäftsbereich des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaftund Forsten. Zur Beantwortung der Fragen steht der Parlamentarische Staatssekretär Dr. von Geldern zur Verfügung.Ich rufe Frage 43 des Abgeordneten Kirschner auf:Sind der Bundesregierung Pläne der EG-Kommission bekannt, Teile der Butterüberschüsse an Kälber zu verfüttern, und hält sie gegebenenfalls eine solche Maßnahme angesichts der zunehmenden Armut sozialpolitisch für vertretbar?Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Herr Kollege Kirschner, die Kommission hat am 26. September 1985 dem Agrarausschuß des Europäischen Parlaments die Grundzüge ihrer Strategie für den Absatz der Überschüsse im Bereich der tierischen Erzeugnisse vorgetragen. Eine Kurzfassung davon ist der Presse übergeben worden.
Danach sollen angesichts der hohen Altvorräte an Butter und der schwierigen Lage auf dem Weltmarkt folgende Absatzmaßnahmen, die allein im Kompetenzbereich der Kommission liegen, erweitert bzw. neu eingeführt werden: verstärkter Einsatz von verbilligter Butter für Backwaren, verstärkte Verbilligung von Butterfett zum Braten, Kochen und Backen für die Endverbraucher während des ganzen Jahres, Ersatz von Fremdfetten in Kälberfutter durch Butterfett, Ausfuhr von Lagerbutter in bestimmte Drittländer.
Eine Weihnachtsbutteraktion ist von der Kommission unter Hinweis auf die vergleichsweise hohen Kosten abgelehnt worden. Bisher hat die Kommission lediglich einen Vorschlag für die verstärkte Verbilligung von Butterfett zum Braten, Kochen und Backen vorgelegt und ihre Absicht bekundet, diese Maßnahme bis Anfang November dieses Jahres in Kraft zu setzen. Damit würde den Haushalten in der EG rechtzeitig zur Weihnachtsbäckerei preiswertes Butterfett zur Verfügung stehen.
Die Bundesregierung wird sich dafür einsetzen, daß der Umfang der Verbilligung und die verbilligte Menge so bemessen sind, daß alle Haushalte unabhängig von ihren Einkommen von diesem Angebot Gebrauch machen können.
Auf Grund der bisherigen Erfahrungen muß jedoch davon ausgegangen werden, daß weder durch die Verbilligung von Butterfett in dem vorgesehenen Umfang noch durch eine Wiederholung einer Weihnachtsbutteraktion die vorhandenen Bestände in absehbarer Zeit und mit vertretbaren Kosten nachhaltig abgebaut und damit weitere Kosten für die Lagerhaltung vermieden werden können. Daher müssen weitere Maßnahmen ins Auge gefaßt werden.
Den Ersatz von Fremdfetten in Kälberfutter durch Butterfett lehnt die Bundesregierung ab.
Zusatzfrage des Abgeordneten Kirschner.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 166. Sitzung. Bonn, Freitag, den 18. Oktober 1985 12489
Herr Staatssekretär, heißt dies, daß nach Auffassung der EG-Kommission bzw. des Kommissars die Butter nur deshalb an Kälber verfüttert werden soll, weil j a die bisherigen Aktionen — ob Weihnachtsbutteraktion oder was auch immer — im Endeffekt doch nur dazu geführt haben, daß der Butterberg zwar kurzfristig abgebaut wurde, dadurch aber keine langfristige Lösung möglich ist, und bedeutet dies im Endeffekt — das ist meine Frage —, daß diese ganzen Aktionen an den Marktbedürfnissen vorbeigehen, weil der Verbraucher eben nicht mehr essen kann, als er ißt?
Dr. von Geldern, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Kirschner, eines ist an Ihrer Fragestellung aus meiner Sicht richtig, nämlich daß wir eine Lösung der Butterüberschußprobleme in wirtschaftlich sinnvoller Weise letzten Endes nur erreichen können, wenn wir den eingeschlagenen Weg der Produktionsbegrenzung, der Mengenreduzierung, also der Garantiemengenregelung Milch, weiter beschreiten.
Zusatzfrage, Herr Kirschner.
Herr Staatssekretär, können Sie einmal beziffern, wie hoch der derzeitige Butterberg ist und was dies jährlich kostet?
Dr. von Geldern, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Kirschner, ich kann Ihnen sagen, welche Auswirkungen diese bisherigen Maßnahmen gehabt haben. Aber vielleicht bietet es sich an, weil es eine längere Tabelle ist, daß ich ihnen das im Anschluß überreiche.
Fest steht, daß wir auch noch zur Zeit einen durch die über den Verbrauch in der Europäischen Gemeinschaft hinausgehende Produktion entstandenen Überschuß an Butter und auch an Magermilchpulver haben, der nur unter erheblichen Kosten abzusetzen ist, und daß es richtig ist, wenn wir den eingeschlagenen Weg der Produktionsbegrenzung auch in Zukunft weitergehen, damit solche Überschüsse gar nicht erst entstehen können.
Zusatzfrage des Abgeordneten Werner .
Herr Staatssekretär, sind Sie nicht auch der Meinung, daß, wenn überhaupt Überlegungen vorhanden sind, Butter wieder an Kälber zurückzufüttern, es nicht sinnvoller wäre, Vollmilch direkt an Kälber zu verfüttern, wie es die ökologischen Betriebe größtenteils durchführen, und daß dadurch ein großer Prozentsatz der angelieferten Milch, durch den die Überschüsse entstehen, zurückgefahren werden könnte?
Dr. von Geldern, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich hatte vorhin auf die ursprüngliche Frage hin ausgeführt, daß die Bundesregierung den Ersatz von Fremdfetten in Kälberfutter durch Butterfett ablehnt. Das ist eine der vorgeschlagenen Maßnahmen der Kommission. Ich bin schon der Meinung, daß sinnvoller als alle diese Maßnahmen, die ich hier aufgeführt habe, es ist, in Zukunft nicht mehr
so viel zu produzieren, damit solche Vorräte überhaupt nicht entstehen können.
Da Sie die Frage Vollmilch angeschnitten haben, muß ich darauf hinweisen, daß das, was die Kommission in den erwähnten verschiedenen Maßnahmen hier ins Auge gefaßt hat, alles Maßnahmen sind, die bereits vorhandenen Butterüberschüsse abzubauen. Da nützt uns keine Vollmilchverfütterung. Das sind vielmehr vorhandene Butterüberschüsse, die in der Vergangenheit entstanden sind und die abgebaut werden müssen.
Zusatzfrage des Abgeordneten Eigen.
Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung mit mir einer Meinung, daß diese älteren Bestände an Butter gerade die Probleme sind und daß die Landwirtschaft unter großen Opfern die Milchquote hinnehmen mußte, damit solche unangenehmen Überschüsse, die so teuer sind, nicht wieder entstehen, weil sie auch zu Maßnahmen führen müßten, die von der Bevölkerung jeweils nicht oder nur mit Schmerzen anerkannt werden?
Dr. von Geldern, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Eigen, ich stimme Ihnen zu. Hier wird sehr viel Geld ausgegeben, um Überschüsse unter wirtschaftlichen Verlusten — in welcher Form auch immer — abzusetzen. Es ist sicher sinnvoller, wenn hier eine Produktionsmengenbegrenzung stattfindet und die Mittel der Gemeinschaft über den Preis den eigentlichen Adressaten, nämlich den Landwirten, zugute kommen, als daß sie in solche Aktionen zum Absatz von Überschußprodukten gehen.
Zusatzfrage des Abgeordneten Carstensen.
Herr Staatssekretär, können Sie mir sagen, wann die Überschüsse, die im Moment lagern, abzusehen waren, und können Sie bestätigen, daß es wesentlich einfacher gewesen wäre, schon vor einigen Jahren solche entscheidenden Maßnahmen, wie im letzten Jahr beschlossen, durchzuführen, um dafür zu sorgen, daß Überschüsse nicht so stark entstehen?
Dr. von Geldern, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Carstensen, ich kann Ihnen das bestätigen. Es wäre richtig gewesen, schon früher an eine Garantiemengenregelung Milch heranzugehen, wie dies 1984 endlich geschehen ist, und zu verhindern, daß überhaupt erst solche Überschüsse entstehen können, wie sie durch die Überproduktion bis in das Jahr 1984 hinein entstanden sind.
Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Zutt.
Herr Staatssekretär, können Sie bestätigen, daß Versuche der früheren Bundesregierung, zu solchen Begrenzungen zu kommen, damals immer von der Opposition als zum Schaden der Bauern abgelehnt worden sind?
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12490 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 166. Sitzung. Bonn, Freitag, den 18. Oktober 1985
Dr. von Geldern, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin Zutt, ich kann bei der Betrachtung der Maßnahmen früherer Bundesregierungen keinen ernsthaften Versuch feststellen, zu einer Mengenbegrenzung zu kommen, wie das 1984 durch die Garantiemengenregelung Milch endlich geschehen ist, die verhindert hätte, daß solche Überschüsse überhaupt erst entstehen.
Zusatzfrage des Abgeordneten Stockhausen.
Herr Staatssekretär, können Sie bestätigen, daß in dem Zeitraum von zehn Jahren Förderschwellenpolitik mit öffentlichen Mitteln allein in der Bundesrepublik 340 000 neue Kuhplätze geschaffen worden sind und daß Minister Kiechle als erste Handlung diese Förderschwellenpolitik — sprich: öffentliche Förderung — von neuen Kuhplätzen abgeschafft hat?
Dr. von Geldern, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Stockhausen, ich kann bestätigen, daß Bundesminister Kiechle der erste gewesen ist, der in der Europäischen Gemeinschaft den weiteren Aufbau von Kapazitäten bei der Milch mit Hilfe öffentlicher Förderung beendet hat.
Ich rufe die Frage 44 des Herrn Abgeordneten Stockhausen auf:
Welchen Stellenwert räumt die Bundesregierung der in Pressemitteilungen aufgezeigten Möglichkeit — „Überschußbutter" mit pflanzlichen Ölen und Fetten zu mischen und dieses „EG-Mischfett" auf dem Weltmarkt abzusetzen — bei der Lösung der Probleme auf dem Milchmarkt ein ?
Herr Staatssekretär, bitte schön.
Dr. von Geldern, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Stockhausen, ich bitte darum, daß ich Ihre beiden Fragen, 44 und 45, wegen ihres engen Zusammenhangs gemeinsam beantworten kann.
Der Abgeordnete ist einverstanden.
Ich rufe die Frage 45 des Herrn Abgeordneten Stockhausen auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung die verwaltungsrechtlichen und auch ernährungsphysiologischen Möglichkeiten, dieses Produkt in Länder wie Bangladesch und Nepal zu exportieren?
Bitte schön.
Dr. von Geldern, Parl. Staatssekretär: Zuständig für Maßnahmen zum Absatz von Butter aus Interventionsbeständen ist die EG-Kommission. Die EG-Kommission hat am 26. September 1985 dem Agrarausschuß des Europäischen Parlaments ihr Konzept für den Absatz der Überschüsse im Bereich der tierischen Erzeugnisse vorgetragen. Zu den dort genannten Maßnahmen gehört neben Absatzmaßnahmen auf dem EG-Binnenmarkt auch die Ausfuhr von Lagerbutter in bestimmte Drittländer, darunter Bangladesch und Nepal.
Die Bundesregierung begrüßt grundsätzlich jede Möglichkeit, um die Butterbestände zu vertretbaren Bedingungen abzubauen, und unterstützt die Kommission in ihren Bemühungen, ein Gleichgewicht zwischen Absatzmaßnahmen auf dem EG-Binnenmarkt und dem Weltmarkt zu finden. Was die Ausfuhren von Lagerbutter angeht, so werden die Geschäfte von privaten Firmen angebahnt, abgeschlossen und auch durchgeführt. Es steht deshalb jedem frei, in den betreffenden Ländern Käufer zu suchen. Dabei besteht die Möglichkeit, nicht nur Verträge über die Lieferung von Butter abzuschließen, sondern auch im Auftrag des Käufers weitere Leistungen zu erbringen. Allerdings wären hierfür, gegebenenfalls, durch die Kommission die notwendigen beihilfe- bzw. erstattungsrechtlichen Vorschriften noch zu erlassen.
Ob die in den Pressemitteilungen aufgezeigte Möglichkeit, Mischfette in den genannten Ländern in erheblichem Umfang abzusetzen, tatsächlich in absehbarer Zeit besteht, kann von hier aus nicht sicher beurteilt werden. Allerdings sind derartige Nahrungsfette auf den Märkten der genannten Länder anzutreffen. Sie dürften daher nach den gesetzlichen Vorschriften dieser Länder zulässig sein und auch den ernährungsphysiologischen Gegebenheiten entsprechen.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Stockhausen.
Herr Staatssekretär, dann bestehen wahrscheinlich auch noch keine Vorstellungen über eine Größenordnung der Absatzmenge und damit auch des entlastenden Effekts für den Buttermarkt.
Dr. von Geldern, Parl. Staatssekretär: genaue Vorstellungen, Herr Kollege Stockhausen, sicher nicht. — Aber ich kann Ihnen sagen, daß der Weltfettmarkt insgesamt ein Handelsvolumen von etwa 22 Millionen t Fett hat und daß der Verbrauch an Nahrungsfetten in der gesamten Welt etwa 60 Millionen t beträgt. Nun hören wir, daß die Wirtschaftskreise davon ausgehen, daß bei dieser Maßnahme eine Entlastung bis zu einer Größenordnung von 150 000 t Butterfett möglich wäre. Aber es kommt eben entscheidend darauf an, ob man dafür die geeigneten Abnehmer findet.
Weitere Zusatzfrage.
Wie sind die finanziellen Auswirkungen auf den EG-Haushalt im Vergleich zu anderen Absatzmaßnahmen für Überschußprodukte im Bereich Milch zu beurteilen?
Dr. von Geldern, Parl. Staatssekretär: Der in dem von ihnen angesprochenen Vorschlag zum Ausdruck kommende Entlastungseffekt wird dadurch beeinträchtigt, daß Pflanzenfette Bestandteile von Mischfetten sind. Das geht doch zu Lasten des Butterabsatzes. Deshalb muß man wohl grundsätzlich sagen, daß ein Export von Mischfett weniger effizient ist als der Export von Butter, z. B. auch in die Sowjetunion. Im Vergleich zur WeihnachtsbutterAktion wiederum ist der Export von Mischfett günstiger, weil der Nettoabsatzeffekt für Milchfett beim Export ohne Reimport 100 % beträgt, während er
Parl. Staatssekretär Dr. von Geldern
bei der Weihnachtsbutter-Aktion nur 30 % ausmacht. Das ist doch die bekannte Erfahrung mit Weihnachtsbutter-Aktionen, die uns auch immer wieder dann von der Kommission entgegengehalten wird, wenn wir eine fordern.
Sie haben weitere Zusatzfragemöglichkeiten. Aber Sie müssen sie nicht nutzen.
Dann kommt der Abgeordnete Werner mit einer Zusatzfrage an die Reihe.
Herr Staatssekretär, für wie lange rechnen Sie noch trotz der Quotenregelung, die eingeführt worden ist, mit Überschüssen in der Milchwirtschaft, die Subventionen für den Export oder überhaupt für die Verminderung der Vorräte erforderten?
Dr. von Geldern, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Werner, Sie wissen, daß wir in der Europäischen Gemeinschaft den Selbstversorgungsgrad von 130% bisher nur auf 115% haben absenken können. Das war das, was unter den gegebenen Umständen, bei dieser verspäteten Maßnahme, für die Landwirtschaft zumutbar gewesen ist. Ich halte es für richtig, um den Effekt, den Sie angesprochen haben, für die Zukunft wirklich wirksam zu vermeiden, durch weitere Maßnahmen, etwa eine EG-weite Milchrenten-Aktion, die Produktion weiter abzusenken.
Zusatzfrage des Abgeordneten Eigen.
Herr Staatssekretär, wie beurteilt die Bundesregierung die Gefahr, die durch diese Vermischung von Butter und Pflanzenfett, wenn auch nur für den Export, in bezug auf das Reinheitsgebot für unsere Milchprodukte, festgelegt in Artikel 36, entsteht? — Das war die erste Frage. Ich möchte gern zwei Fragen stellen, Herr Präsident.
Dr. von Geldern, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, dieses Verbot gilt, wie Sie selbst gesagt haben, für unseren Binnenmarkt. Und hier geht es ausschließlich um Export in Drittländer. Ich glaube nicht, daß man davon eine Gefahr ausgehen sehen muß. Ich habe auch in der Antwort auf die Frage des Kollegen Stockhausen darauf hingewiesen, daß ein solcher Export ohnehin nur dorthin möglich ist, wo die gesetzlichen Voraussetzungen für solche Mischfette gegeben sind.
Zu einer weiteren Zusatzfrage Herr Abgeordneter Eigen.
Mir ist bekannt, daß die Initiatoren dieser Maßnahme mit einer Exporterstattung rechnen, die praktisch einer Nullverwertung der Butter gleichkommt. Wäre es da nicht doch besser, wenn die Bundesregierung, wenn für den Abbau des Butterberges schon so hohe Mittel eingesetzt werden müssen, den anderen Maßnahmen — Butterreinfett zum Backen, Weihnachtsbutter, Sozialbutter — den Vorzug geben würde, damit jedenfalls
unsere Bevölkerung in der EG etwas von dem Abbau des Butterberges hat?
Dr. von Geldern, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Eigen, ich habe diese Möglichkeit, Mischfette in bestimmten Drittländern abzusetzen, aus der Sicht der Bundesregierung bisher gar nicht bewertet. Ich habe darauf hingewiesen, daß es diese Möglichkeit geben kann. Aber ich nehme Ihre Frage gern zum Anlaß, zu sagen, daß ich insoweit Ihrer Meinung bin, als erstes eine genaue Kostenprüfung bei all diesen Maßnahmen natürlich stattfinden muß — das Ergebnis einer Kostenprüfung gerade bei dieser geplanten Mischfettaktion ist, gelinde gesagt, nicht besonders günstig — und daß zweitens auch der politische Aspekt berechtigt ist, den Sie angesprochen haben, daß, wenn Maßnahmen getroffen werden, um den Absatz der Überschüsse zu ermöglichen, nach Möglichkeit der europäische Verbraucher Nutznießer sein sollte.
Ich rufe die Frage 46 des Abgeordneten Carstensen auf:
Besteht die Gefahr, daß die Rückstände aus einer verstärkten Alkoholproduktion — Cornglutenfeed — den Import dieser Getreidesubstitute in die Europäische Gemeinschaft noch verstärken wird?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Dr. von Geldern, Parl. Staatssekretär: Herr Kollge Carstensen, Maiskleberfutter — oder Cornglutenfeed — wird vor allem aus den Vereinigten Staaten in die Europäische Gemeinschaft eingeführt. 1984 waren es 3,56 Millionen t von insgesamt 3,73 Millionen t.
Maiskleberfutter fällt bei der Alkoholgewinnung, aber auch bei der Herstellung von Stärke an, die zu einer Vielzahl von Erzeugnissen, insbesondere zu Isoglykosedextrose, weiterverarbeitet wird. Von 1975 bis 1984 ist die Erzeugung von Maiskleberfutter in den Vereinigten Staaten im Durchschnitt jährlich um 13% gestiegen. Sie hat sich bis 1984 verdoppelt. Mit der zu erwartenden weiteren Ausweitung der Erzeugung von Alkohol aus Mais in den USA wird auch der Anfall von Maiskleberfutter zunehmen. Bei der Erzeugung von Stärke kann dagegen mit einer Stabilisierung gerechnet werden.
Maiskleberfutter wurde in der Vergangenheit vor allem in die Gemeinschaft exportiert. Der Verbrauch in den USA selbst war sehr niedrig. In den letzten zwei Jahren hat der Verbrauch in den Vereinigten Staaten aber zugenommen: 30% der Erzeugung. Es ist deshalb offen, wieweit die zu erwartende Mehrproduktion an Maiskleberfutter in die Gemeinschaft exportiert werden wird. Dies wird auch von der Entwicklung des Wechselkurses des Dollars abhängen.
Zu einer Zusatzfrage Herr Carstensen.
Herr Staatssekretär, können Sie sich vorstellen, daß bei uns neben allen anderen positiven Effekten ein sol-
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12492 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 166. Sitzung. Bonn, Freitag, den 18. Oktober 1985
Carstensen
cher auch beim Trachten nach Unabhängigkeit von Eiweißfuttermitteln entstehen könnte, wenn bei uns verstärkt Bioalkohol hergestellt wird?Dr. von Geldern, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Carstensen, hier muß ich zurückfragen. Sie haben die Frage sehr verkürzt. Können Sie sie etwas verständlicher stellen?
Ich will das gern tun, Herr Staatssekretär. Ich könnte mir vorstellen, daß bei einer verstärkten Bioalkoholproduktion bei uns in der EG natürlich auch hochwertige Eiweißfuttermittel anfallen. Sie wissen, daß wir einen Bedarf an Eiweißfuttermitteln haben und oftmals bedauern, daß so viel Eiweißfuttermittel eingeführt werden müssen. Können Sie sich vorstellen, daß durch eine Bioalkoholherstellung eine Entlastung dieses Bedarfs entstehen könnte?
Dr. von Geldern, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Carstensen, ich kann mir das vorstellen. Allerdings hängst es von einer Reihe von Faktoren ab, ob der Effekt, den Sie angesprochen haben, eintritt. Ich kann mir das inbesondere für den Fall vorstellen, daß Getreide zu Bioalkohol verarbeitet wird.
Zu einer weiteren Zusatzfrage Herr Carstensen.
Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung bereit, auch einmal abzuschätzen, inwieweit die Versorgung mit Eiweiß bei uns verstärkt durch diese Entstehung von hochwertigem Eiweißfutter aus der Bioalkoholproduktion abgesichert werden kann?
Dr. von Geldern, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Carstensen, ich bin gern bereit, diesem Hinweis nachzugehen. Ich bin im Moment nicht in der Lage, zu sagen, ob das nicht schon geschieht. Wir haben, wie Sie wissen, gerade auf diesem Feld eine Reihe von Forschungsaktivitäten. Aber ich werde eine entsprechende Auskunft zu dieser Frage einholen, die ich Ihnen dann zuleiten werde.
Zusatzfrage des Abgeordneten Stutzer.
Herr Staatssekretär, im Mittelpunkt der Zusatzfragen stand die Herstellung von Bioalkohol in der Bundesrepublik. Können Sie das, was das Wirtschaftsministerium vor einigen Wochen gesagt hat, bestätigen: daß in der Bundesrepublik nicht daran gedacht ist, einen Zwang einzuführen, Bioalkohol dem Fahrbenzin beizumischen?
Dr. von Geldern, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Stutzer, einen Beimischungszwang wird die Bundesregierung auf diesem wie auf anderen Feldern zunächst einmal rechtlich sehr genau zu prüfen haben. Ich habe erhebliche Bedenken, daß so etwas möglich sein könnte und daß das der richtige Weg wäre. Aber man kann j a auch auf anderem Wege dazu kommen — das wird bei der Beantwortung der nächsten Frage vielleicht deutlicher werden —, Anreize dafür zu schaffen, aus landwirtschaftlichen Erzeugnissen hergestellte Energieträger verstärkt einzusetzen.
Zusatzfrage, Herr Eigen.
Herr Staatssekretär, bei der verstärkten Produktion, die jetzt von großen Konzernen in den USA zusätzlich eingeleitet wird, wird ja auch, wie die Frage des Abgeordneten Carstensen gezeigt hat, verstärkt der Export von Cornglutenfeed in die Europäische Gemeinschaft gewünscht werden. Wird die Bundesregierung anläßlich dieser Geschäfte, die in den USA gerade getätigt werden, sicherstellen, daß bei den GATT-Verhandlungen in Genf diese Problematik eine besondere Rolle spielen wird, weil sonst unsere ganzen Maßnahmen zur Beschränkung der Getreideproduktion ein Schlag ins Wasser wären?
Dr. von Geldern, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Eigen, das Cornglutenfeed oder Maiskleberfutter, das bei der Maisproduktion anfällt, ist ein wichtiger Bestandteil der Preis- und Einkommensbildung der amerikanischen Landwirte, die dies produzieren. Wir gehen davon aus, daß es auch in der Zukunft sehr attraktiv bleiben wird, dies in die Gemeinschaft zu exportieren. Darüber verhandelt die Kommission der Europäischen Gemeinschaft bereits seit geraumer Zeit mit den Vereinigten Staaten mit dem Ziel, hier zu Beschränkungen und Begrenzungen zu kommen — nicht auf protektionistischem Wege, aber durch Vereinbarungen. Ich kann Ihnen bestätigen, daß das eine wichtige Zielsetzung der Bundesregierung ist.
Sie können gleich stehenbleiben, Herr Eigen. Ich rufe Ihre Frage 47 auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß in den Vereinigten Staaten von Amerika eine Agraralkoholraffinerie in Privatinitiative mit Hilfe öffentlicher Bürgschaften erstellt wird?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Dr. von Geldern, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Eigen, darf ich auch Ihre beiden im Zusammenhang stehenden Fragen gemeinsam beantworten?
Der Fragesteller ist einverstanden. Ich rufe daher auch noch die Frage 48 des Herrn Abgeordneten Eigen auf:Wird die Bundesregierung eine Entwicklung in den Vereinigten Staaten von Amerika sorgfältig prüfen, ob die Steuervergünstigung, die den Verkaufspreis um 28 v. H. bis 43 v. H. senkt, in den Vereinigten Staaten von Amerika für Bio-Äthanol ein vernünftiger Weg ist, diese neue Energieressource in der richtigen Weise einzuführen?Dr. von Geldern, Parl. Staatssekretär: Der Bundesregierung ist bekannt, daß die Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika die Erzeugung von Bioalkohol für den Kraftstoffsektor mit folgenden Maßnahmen fördert.Erstens. Die von der US-Regierung erhobene Kraftstoff-Mineralölsteuer von 6 cents je Gallone wird für einen 10% Ethanol enthaltenden Kraftstoff
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 166. Sitzung. Bonn, Freitag, den 18. Oktober 1985 12493
Parl. Staatssekretär Dr. von Geldernum 6 cents je Gallone vermindert; mit anderen Worten: sie fällt weg. Die Förderungsmaßnahme läuft am 31. Dezember 1992 aus.Zweitens. Die Möglichkeit einer Steuergutschrift von 10 % für Energieinvestitionen, u. a. auch für die Errichtung von Ethanolerzeugungsanlagen, gibt es bereits. Sie läuft am 31. Dezember 1985 aus. Darüber hinaus wird die weiterbestehende allgemeine, für Maschinen- und Einrichtungsinvestitionen geltende 10 %ige Steuergutschrift gewährt.Drittens. Die US-Regierung gewährt Darlehensgarantien für die Finanzierung und den Bau von Kraftstoff-Ethanol-Erzeugungsanlagen.Viertens. 29 Staaten der Vereinigten Staaten gewähren zusätzliche Verkaufs- und Verbrauchsteuerbegünstigungen in unterschiedlicher Höhe. Die Schwankungsbreite liegt zwischen 1 und 16 cents je Gallone. Es kann davon ausgegangen werden, daß in den Vereinigten Staaten von Privatfirmen errichtete und betriebene Bioalkoholanlagen die vorgenannten Förderungsmaßnahmen nutzen.Die Bundesregierung verfolgt sorgfältig die Verwendung von Ethanol im US-Kraftstoffmarkt. Nach hier vorliegenden Berichten soll der Anteil des 10% Ethanol enthaltenden Kraftstoffs — das ist das Gasohol — am Gesamt-Ottokraftstoffmarkt der USA zur Zeit ca. 5 % betragen, dieser Anteil nunmehr einen langsam' ansteigenden Trend aufweisen, durch die vorgenannten Verkaufs- und Verbrauchssteuervergünstigungen — wenn sie dem 10 %igen Äthanolanteil zugerechnet werden — größenordnungsmäßig der Rohstoffkostenanteil abgedeckt werden und schließlich ohne die öffentliche Förderung die Äthanolindustrie im US-Kraftstoffmarkt nicht wettbewerbsfähig sein.Auf dem amerikanischen Markt könnten sich für das verbilligte Äthanol neue Chancen aus der zum 1. Januar 1986 durch Gesetz in Kraft tretenden Absenkung des Bleigehalts im US-Kraftstoff von 0,29 Gramm pro Liter auf 0,03 Gramm pro Liter ergeben. Man erwartet in den USA, daß Äthanol in den gegenüber Europa niedrigeroktanigen US-Kraftstoffen eine gewisse Rolle zum Ausgleich des herabgesetzten Bleigehalts spielen kann. Die Bundesregierung wird das genau verfolgen und beobachten, wie sich die Marktchancen entwickeln und ob aus dieser Entwicklung Vergleiche und Schlußfolgerungen für den europäischen Markt gezogen werden können.
Herr Staatssekretär, ich muß einen Moment unterbrechen, bevor Zusatzfragen gestellt werden.
Was ich Ihnen in Ihrem Ministerium zusätzlich wünsche, ist ein dicker Rotstift. Die hervorragende Arbeit Ihrer Mitarbeiter, die die Antworten vorbereiten, muß durch einen Staatssekretär auf eine Länge gekürzt werden, die es uns erlaubt, die Antworten auch noch aufzunehmen.
Ich wäre Ihnen dafür sehr dankbar.
Herr Eigen, Sie haben das Wort zu einer Zusatzfrage.
Man diskutiert nicht mit dem Präsidenten. Andernfalls würde ich sagen, daß in der Fragestunde gestern viel längere Antworten gegeben und Kettenfragen gestellt worden sind. Deshalb sind wir jetzt immer noch bei dem Thema.
Herr Staatssekretär, wenn wir die Aktivitäten in der Welt betrachten — USA, Brasilien, aber auch in Europa, z. B. in Schweden —, wenn wir uns auch die Aktivitäten großer italienischer Konzerne und anderer internationaler Konzerne in den USA ansehen, frage ich Sie: Besteht vor diesem Hintergrund nicht die Gefahr, daß die deutsche Industrie in bezug auf diese neue Technologie rückständig werden könnte, d. h. daß diejenigen, die aus anderen Ländern importieren, dann in den USA, in Brasilien und in Schweden nachfragen, aber nicht in der Bundesrepublik Deutschland?
Dr. von Geldern, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Eigen, die Gefahr bestünde dann, wenn wir nicht ebenfalls im Forschungsbereich durch entsprechende Maßnahmen mit Energie diese Möglichkeit des Einsatzes von aus Agrarerzeugnissen entsprechend hergestelltem Bioalkohol fördern würden. Das geschieht aber in der Bundesrepublik Deutschland.
Wenn ich aus Ihrer Fragestellung entnehmen darf, daß Sie das für erforderlich halten, kann ich Sie darin nur bestätigen.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Eigen.
Herr Staatssekretär, angesichts der Tatsache, daß die Bioäthanolproduktion und auch die Produktion anderer Stoffe für technisch-industrielle Zwecke — wie z. B. Stärke — neben Mengenbegrenzungen die einzige Chance ist, die die Landwirtschaft überhaupt hat, um mit dem Überschußproblem fertig zu werden, und angesichts der großen Bedeutung, die diese neue Technologie damit für uns haben muß, frage ich Sie: Könnten Sie sich vorstellen, daß Mittel für Verbilligungsmaßnahmen, die heute von der Europäischen Gemeinschaft für den Export von Getreide als Exporterstattung gewährt werden, in den Kanal dieser Produktion für technische Zwecke — damit käme man auch meinem Freund Stutzer entgegen und würde ihn zufriedenstellen — umgeleitet werden könnten?
Dr. von Geldern, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Eigen, ich glaube, es gibt zur Bewältigung der Überschußproblematik mehrere Wege, u. a. die der Produktionsdämpfung, der Absatzförderung.
Sie haben mit dem Thema der nachwachsenden Rohstoffe einen wichtigen Weg angesprochen. Ich bin mit Ihnen der Meinung, daß man bei der Beurteilung der Kosten des Einsatzes solcher nachwachsenden Rohstoffe auch vergleichen und fragen muß, was andere bisherige und traditionelle Verwendungsmöglichkeiten — z. B. die Exporterstattungen — an Kosten verursachen. Ich glaube, daß das ein
Parl. Staatssekretär Dr. von Geldern
wichtiger Maßstab bei der Beurteilung des wirtschaftlichen Sinns solcher möglichen Förderungsmaßnahmen von Bioalkohol sein wird.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Eigen.
Herr Staatssekretär, können Sie das, was Sie mit Blick auf die USA ausgeführt haben — dort ist man der Meinung, daß Bioäthanol schon eine positive Verbesserung des Kraftstoffes ist, wenn er bleifrei sein soll —, auf Grund der Forschungsunterlagen, die bisher vorliegen, auch für die Bundesrepublik und die Bundesregierung bestätigen?
Dr. von Geldern, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Eigen, ich glaube, daß die Erfahrung, die zu der Aussage bezüglich der Herabsetzung des Bleigehalts im US-Kraftstoff und der Möglichkeit, die Oktanzahl durch die Teilsubstitution durch Bioalkohol entsprechend zu beeinflussen, geführt hat, auch bei uns durchaus berücksichtigt und bedacht werden muß. Man muß aber sehen, daß die Rahmenbedingungen bei uns zum Teil andere sind, weil in den Vereinigten Staaten eine niedrigere Oktanzahl vorgesehen ist und weil dort Geschwindigkeitsbegrenzungen und andere Voraussetzungen bestehen, die wir auf dem deutschen und dem europäischen Markt nicht in der gleichen Weise haben. Aber ich bin mit Ihnen der Meinung, daß dies einbezogen werden muß.
Ihre letzte Zusatzfrage, Herr Eigen.
Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung bereit, alle Möglichkeiten der Forschung und auch der Gestaltung in Form von Pilotprojekten zu forcieren und zu nutzen, damit wir hier in absehbarer Zeit tatsächlich zu einer verstärkten Verwendung von Bioäthanol im Kraftstoff — ob mit oder ohne Mindestbeimischung — kommen?
Dr. von Geldern, Parl. Staatssekretär: Herr Präsident, Herr Eigen, hier möchte ich um der Kürze willen antworten: ja.
Das wird honoriert. Aber Herr Stutzer hat noch eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ich habe volles Verständnis für die Forderung meines Freundes Karl Eigen. Ich frage Sie aber: Wenn wir hier in verstärktem Maße Bioalkohol produzieren, besteht dann nicht die Gefahr, daß die Rohstoffe über die Grenzen kommen, weil andere Länder billiger herstellen können, und unseren Bauern somit nicht geholfen wäre?
Dr. von Geldern, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Stutzer, die zur Zeit laufenden Versuchsanlagen — ich nenne hier nur die Anlage in Ahausen/ Eversen — sind ja so konzipiert, daß sie in Gemeinschaft mit Landwirten betrieben und aus der einheimischen Produktion der Umgebung getragen werden sollen. Ich glaube, daß dies im Sinn Ihrer Fragestellung ein wichtiger Gesichtspunkt für alle künftigen Förderungsmaßnahmen auf diesem Sektor sein muß.
Herr Carstensen zu einer Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, hat nicht auch früher die Gefahr bestanden, daß bei uns Nahrungsmittel aus Ländern, wo sie billiger produziert werden können, eingeführt werden, dann aber doch unsere Nahrungsmittel bei uns in der EG verwertet wurden, und ist es bezüglich der Frage, die gerade beantwortet wurde, nicht möglich, genauso zu verfahren'?
Dr. von Geldern, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Carstensen, ich glaube, daß es notwendig im Sinn des Kollegen Stutzer, aber auch möglich in Ihrem Sinn sein wird, darauf zu achten, daß bei einer Politik, die den Einsatz von Bioalkohol, Bioäthanol fördert, nicht ein Effekt eintritt, der so aussieht, wie ihn Herr Kollege Stutzer beschrieben hat, nämlich daß aus Importen entsprechende Kraftstoffkomponenten hergestellt werden.
Wir sind damit am Ende der Fragen zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten. Ich danke dem Parlamentarischen Staatssekretär Dr. von Geldern für die Beantwortung der Fragen.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung auf. Zur Beantwortung der Fragen steht der Herr Parlamentarische Staatssekretär Höpfinger zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 50 der Abgeordneten Frau Steinhauer auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß für die versicherten Arbeitnehmer auf Grund der Arbeitsmarktlage die Gefahr besteht, ihre versicherungsrechtliche Situation im Rentenrecht zu verschlechtern, wenn sie den Arbeitsplatz z. B. als Facharbeiter verlieren und auf Grund eines nicht vorhandenen entsprechenden Arbeitsplatzes eine ungelernte Tätigkeit aufnehmen mit der Folge, daß sie ihren Berufsschutz verlieren, d. h., spätere gesundheitliche Beeinträchtigungen können kaum noch zur Berufsunfähigkeit führen, weil eine Verweisung auf den allgemeinen Arbeitsmarkt erfolgt, und was gedenkt die Bundesregierung zu tun, um dieser Problematik entgegenzuwirken?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Frau Kollegin Steinhauer, die in der Frage zum Ausdruck kommende Auffassung trifft in dieser Allgemeinheit nicht zu.Richtig ist, daß sich bei einem Versicherten, der zunächst eine qualifizierte Tätigkeit, z. B. als Facharbeiter, ausgeübt hat, sich dann aber von dieser Tätigkeit freiwillig und auf Dauer gelöst hat, die Beurteilung der Berufsunfähigkeit nach der zuletzt ausgeübten Tätigkeit richtet. Erfolgt die Abkehr von der qualifizierten Tätigkeit, insbesondere von dem erlernten Beruf, unfreiwillig, z. B. aus Gesundheitsgründen oder aus betrieblichen Gründen we-
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Parl. Staatssekretär Höpfingergen mangelnder anderweitiger Beschäftigungsmöglichkeit und damit zur Vermeidung einer Entlassung, so liegt keine freiwillige Abkehr von der bisher ausgeübten qualifizierten Tätigkeit vor.Dem zuletzt angenommenen Fall einer Umsetzung im Betrieb zur Vermeidung von Arbeitslosigkeit ist der mit der Frage angesprochene Fall gleichzusetzen, in dem ein arbeitsloser Facharbeiter zur Beendigung der Arbeitslosigkeit eine weniger qualifizierte Tätigkeit aufnimmt. Allein hierdurch wird die Stellung dieses Versicherten in bezug auf eine Rente wegen Berufsunfähigkeit nicht beeinträchtigt, solange deutlich bleibt, daß der Versicherte sich nicht mit der neuen Beschäftigung abfindet, und er dadurch dokumentiert, daß er sich von der bisherigen Tätigkeit nicht auf Dauer gelöst hat.Sollte Ihrer Frage, Frau Kollegin, ein konkreter Fall zugrunde liegen, so wäre ich gerne bereit, dem Fall nachzugehen, wenn er mir konkret benannt würde.
Eine Zusatzfrage, Frau Steinhauer.
Herr Staatssekretär, ich danke Ihnen zunächst, daß Sie hier die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts in ihrem Urteilstenor vorgelesen haben. Sie war mir bekannt. Aber es mehren sich jetzt Fälle, daß Facharbeiter arbeitslos werden und eine unqualifizierte Arbeit aufnehmen. Es gibt bei den Sozialversicherungsträgern unterschiedliche Auffassungen, wie der Betreffende seine Bereitschaft, jederzeit in den alten Beruf zurückzukehren, nachweisen soll. Können Sie mir einmal sagen, wie er ständig bereit sein soll, den alten Beruf wieder aufzunehmen, wenn er eine Beschäftigung gefunden hat?
Höpfinger, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, ich kann meine Bitte von vorhin nur wiederholen. Ich würde Sie darum bitten, uns einen konkreten Fall zu sagen. Dann würden wir an Hand dieses Falles der Angelegenheit nachgehen.
Eine weitere Zusatzfrage, Frau Steinhauer.
Ich werde dies tun, Herr Staatssekretär, bitte Sie aber, auch bereit zu sein, die Probleme einmal mit den Rentenversicherungsträgern zu bereden. Nach meinen Rücksprachen gibt es unterschiedliche Auffassungen. Die einen sagen: Jawohl, eine Loslösung findet nicht statt; die anderen sagen: Durch Arbeitsaufnahme kommt es zu einer Loslösung von der bisherigen beruflichen Tätigkeit.
Frau Steinhauer, da fehlte das Fragezeichen.
Ich habe gefragt, ob er bereit ist, mit den Rentenversicherungsträgern zu sprechen.
Höpfinger, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, auf Grund Ihrer Anfrage wird dies geschehen.
Meine Damen und Herren, ich habe zu dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung mitzuteilen, daß eine ganze Reihe von Fragen deshalb wegfallen, weil sie auf Grund von Nr. 2 Abs. 2 der Richtlinien schriftlich beantwortet werden. Das gilt für die Fragen 51 und 52 des Abgeordneten Stahl , 57 und 58 des Abgeordneten Glombig und 59 und 60 des Abgeordneten Amling. Die Fragesteller der Fragen 53 und 54, Abgeordneter Stockleben, und 55 und 56, Abgeordnete Frau Fuchs (Köln), haben um schriftliche Beantwortung gebeten. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt.
Wir sind am Ende des Geschäftsbereichs des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung. Ich danke Ihnen für die Beantwortung der Fragen.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung auf. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Würzbach zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 61 des Abgeordneten Steiner auf. — Herr Steiner ist nicht anwesend. Dann wird entsprechend der Geschäftsordnung verfahren.
Ich rufe die Frage 62 des Abgeordneten Leonhart auf:
Ist die Bundesregierung mit den Feststellungen der „National Academy of Science" der USA unter dem Titel „Disposal of Chemical Munition and Agents" vom November 1984 vertraut?
Herr Präsident, Herr Kollege Leonhart, nicht nur, weil Freitag mittag ist, ist meine Antwort auf Ihre Frage kurz: j a.
Keine Zusatzfrage, Herr Leonhart?
Nein, keine Zusatzfrage.
Dann rufe ich Ihre Frage 63 auf:
Kann die Bundesregierung ausschließen, daß die dort festgestellten schweren Mängel an den in den USA stationierten chemischen Waffen auch für die in der Bundesrepublik Deutschland gelagerten Mittel zutreffen?
Wir werden sehen, ob die Antwort darauf auch so kurz ist.
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Auch hier ist die Antwort j a.
Sind Sie auch damit einverstanden?
Einverstanden! Das war auf eine präzise gestellte Frage eine präzise Antwort.
Die Fragen 64, 65, 66 und 67 sollen auf Grund der Bitte der Fragesteller schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt.Jetzt kommt die Frage 68 der Abgeordneten Frau Fuchs . — Sie ist nicht im Saal. Dann werden
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Vizepräsident Westphaldie beiden von ihr eingebrachten Fragen, die Fragen 68 und 69, entsprechend der Geschäftsordnung behandelt.Ich rufe die Frage 70 des Herrn Abgeordneten Vahlberg auf:Wieso ist nach Auffassung der Bundesregierung die Einführung des Flugabwehrsystems PATRIOT durch die NATO eine einseitige Abrüstungsmaßnahme der NATO?Bitte schön, Herr Staatssekretär.Würzbach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, das nukleare Verteidigungssystem Nike wird durch das nichtnukleare konventionelle Verteidigungssystem Patriot ersetzt. Dies stellt nun logischerweise im Ergebnis eine weitere einseitige Vorleistung der NATO auf diesem Gebiet nuklearer Abrüstung dar.
Eine Zusatzfrage, Herr Vahlberg.
Stimmen Sie mir zu, Herr Staatssekretär, wenn ich sage, daß man angesichts der Verpflichtungen von Montebello — bei grundsätzlicher Anerkennung der Tatsache, daß darin eine Denuklearisierung steckt — nicht davon sprechen kann, daß hier eine einseitige Vorleistung gegenüber dem Warschauer Pakt erfolgt? Das vollzieht sich ja doch vor dem Hintergrund einer erheblichen Modernisierung von Waffensystemen, z. B. der Rohrartillerie 155 und 203, die in ihrer Reichweite, in ihrer Treffgenauigkeit und, durch ihre Miniaturisierung bedingt, auch in ihrer Beweglichkeit sehr viel moderner ausgestattet sind. Wieso sprechen Sie von einer einseitigen Vorleistung?
Sie haben ja auch in einem Papier „Informationen zur geplanten Verlängerung des Grundwehrdienstes" auf einer Seite geschrieben: Es ist eine einseitige Vorleistung. Zehn Seiten später sprechen Sie von einer Modernisierung.
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Sie haben mich gefragt, ob ich Ihnen zustimme. Ich sage: nein.
Herr Kollege Vahlberg, Sie haben eine weitere Zusatzfrage.
Ich hätte gern eine Begründung für dieses Nein.
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Die habe ich Ihnen in der ersten Antwort deutlich gegeben. Wenn ich nukleare Gefechtsköpfe abziehe und die anderen dies nicht tun, ist dies eine Abrüstungsmaßnahme, und zwar, weil die anderen es nicht tun, eine einseitige Abrüstungsmaßnahme. Mit Montebello hat dieser Vorgang nun wirklich nichts zu tun.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Reuter.
Herr Staatssekretär, besteht die technische Möglichkeit, das Patriot-System auch mit Atomsprengköpfen auszurüsten?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Dafür ist es nicht vorgesehen, Herr Kollege.
Ich rufe die Frage 71 des Abgeordneten Reuter auf:
Wie ist die Haltung der Bundesregierung zum Wunsch der Amerikaner, ein ca. 300 Hektar großes Gelände in der Nähe von Fulda für einen Standort-Übungsplatz zu beschaffen?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Reuter, es gibt keine Forderung auf Beschaffung von Gelände für einen Übungsplatz in der Nähe von Fulda.
Eine Zusatzfrage, Herr Reuter.
Der Fuldaer Oberbürgermeister hat in der Vergangenheit, Herr Staatssekretär, mehrfach öffentlich erklärt, die US-Streitkräfte hätten auch aus militärischen Gründen einen Außenlandeplatz gefordert und mittlerweile eine Liegenschaftsanforderung gestellt, mit der sie ihren Bedarf an einem zusätzlichen Standort begründet hätten.
Trifft dies zu? Sind die zuständigen US-Stellen inzwischen mit einer entsprechenden Liegenschaftsanforderung an den Bund herangetreten?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Nein.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Reuter.
Ist die Bundesregierung mit mir der Meinung, daß einer Liegenschaftsanforderung der US-Streitkräfte zur Errichtung eines Außenlandeplatzes für den US-Hubschrauberflugplatz Fulda-Sickels auch grundsätzlich nicht entsprochen werden kann?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, wir reden hier über hypothetische Überlegungen bzw. Sie wollen, daß ich darüber rede. Ich tue dies nicht. Es liegen keine Anforderungen vor.
Ich rufe die Frage 72 des Abgeordneten Reuter auf:
Teilt die Bundesregierung die Auffassung vieler Bürger, daß der osthessische Raum schon jetzt über das vertretbare Maß hinaus mit militärischen Einrichtungen belastet ist?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Nein, Herr Kollege. Die Fakten lassen auch eine solche Auffassung nicht zu. Der Anteil militärischer Einrichtungen an der Gesamtfläche des Landes Hessen liegt erheblich unter dem Anteil anderer Bundesländer.
Eine Zusatzfrage, Herr Reuter.
Wenn nun, wie schon seit geraumer Zeit absehbar, kein Ausweichflugplatz für FuldaSickels eingerichtet wird, wie wird dann der Bund reagieren, wenn die Stadt Fulda, wie von der Stadtverordnetenversammlung beschlossen, den Gestattungsvertrag zwischen Fulda und dem Bund kündigt?
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Würzbach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich kann wirklich bei aller Auslegung überhaupt keinen Zusammenhang zu der Ausgangsfrage herstellen, die Sie gestellt haben.
Ich rufe die Frage 73 des Abgeordneten Rapp auf:
Welches ist nach Verfahren und Inhalt der Stand der Beratungen zwischen dem Bundesministerium der Verteidigung und den zuständigen Stellen der US-Streitkräfte zur geplanten Verlegung der in Mutlangen stationierten Kampfhubschrauber nach Göppingen?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Rapp, der Oberbefehlshaber des amerikanischen Heeres in Europa, General Otis, hat unseren Verteidigungsminister über die Notwendigkeit der Verlegung der zur Zeit in Mutlangen stationierten Transporthubschrauber unterrichtet. Unser Verteidigungsminister hat hierzu General Otis am 4. Oktober 1985 um ergänzende Angaben gebeten. Eine Antwort auf dieses Schreiben liegt noch nicht vor.
Eine Zusatzfrage, Herr Rapp.
Herr Staatssekretär, wie bewertet die Bundesregierung die Argumente, mit denen der Kreistag des Kreises Göppingen, die Städte Göppingen und Eislingen und verschiedene Kreisgemeinden in Entschließungen ihren Protest und ihrem Widerstand gegen die Verlegung der Hubschrauber nach Göppingen Ausdruck verliehen haben? Nimmt die Bundesregierung im Sinne dieser Entschließungen Einfluß auf die Verhandlungen mit den Amerikanern?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, Sie sehen aus der Verbindung, die unser Minister zu dem Oberbefehlshaber hat, daß wir natürlich Interessenbelange der Bürger in jedem in Frage kommenden Standort — es ist ja noch nicht entschieden, wohin die Verlegung erfolgt — ganz ernst nehmen und uns bemühen, Regelungen zu finden, die soweit wie möglich verträglich für die Bürger sind.
Keine weitere Zusatzfrage.
Dann rufe ich die Frage 74 des Abgeordneten Rapp auf:
Trifft es zu, daß der Bundesminister der Verteidigung im Juli dieses Jahres vor Kommunalpolitikern aus Schwäbisch Gmünd erklärt hat, derzeit würden Gespräche mit dem Ziel geführt, „daß die US-Hubschrauber jedenfalls nicht in Mutlangen bleiben", und war mit dieser Äußerung die Verlegung nach Göppingen gemeint?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, damit war nicht die Verlegung an einen bestimmten Standort gemeint. Im Gegenteil, es wurde ausdrücklich die Untersuchung mehrerer Standorte angeordnet.
Eine Zusatzfrage, Herr Rapp.
Herr Staatssekretär, wie nimmt die Bundesregierung zu Vermutungen oder auch zu Hinweisen Stellung, daß inzwischen mehrere Maschinen einer Hubschrauberstaffel aus Mutlangen auf den Flugplatz Göppingen verlegt worden sind? Bezieht es sich darauf, wenn der Bundesverteidigungsminister von einer „delikaten Situation" spricht? Oder können Sie den Verdacht entkräften, daß bereits vollendete Tatsachen geschaffen wurden?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Es sind keine vollendeten Tatsachen geschaffen worden, und zu Vermutungen sollte eine Regierung nicht Stellung nehmen, sondern sie sollte seriös, wie es ihr Auftrag ist, den Vorgang prüfen, die Entscheidung vernünftig abwägen und diese in Rückkoppelung und Information den Bürgern und Repräsentanten mitteilen.
Die Fragen 75 der Abgeordneten Frau Seiler-Albring und 76 des Abgeordneten Dr. Weng sollen schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 77 des Abgeordneten Dr. Enders auf:
Wie werden nach Ansicht der Bundesregierung die Rechte der Wehrpflichtigen gewahrt, die vor dem Ablauf der Widerspruchs- oder Klagefrist gegen den Einberufungsbescheid zur Bundeswehr eingezogen werden?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Dr. Enders, Widerspruch und Klage gegen Einberufungsbescheid haben nach der Gesetzeslage keine aufschiebende Wirkung. Der Wehrpflichtige muß unabhängig von laufenden Rechtsbehelfen den Dienst zu dem im Einberufungsbescheid bestimmten Termin antreten. In der Regel wird in solchen Fällen jedoch vor Dienstantritt entschieden, erforderlichenfalls in einem Eilverfahren. Der Wehrpflichtige kann natürlich vorläufigen Rechtsschutz beantragen. Die zuständige Wehrbereichsverwaltung kann nach Einlegung eines solchen Widerspruchs die Vollziehung des Bescheides aussetzen, oder das zuständige Verwaltungsgericht kann die aufschiebende Wirkung der Klage anordnen.
Eine Zusatzfrage, Herr Enders.
Herr Staatssekretär, liegen Ihnen Zahlen über Wehrpflichtige vor, die nach der Einberufung ein erfolgreiches Klageverfahren durchgeführt haben und dann von der Bundeswehr entlassen werden mußten, und lohnt sich in solchen Fällen der Aufwand?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Zahlen liegen mir nicht vor, Herr Kollege. Auch wenn das eine niedrige oder hohe Zahl wäre, müßten wir an diesem Vorgehen festhalten; denn sonst würden Sie hier Unwägbarkeiten für jedermann eröffnen.
Noch eine Zusatzfrage, Herr Enders.
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12498 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 166. Sitzung. Bonn, Freitag, den 18. Oktober 1985
Herr Staatssekretär, selbst vorausgesetzt, diese Haltung des Ministeriums ist rechtlich in Ordnung, so kann man sich doch vorstellen, daß gewichtige Argumente bei Wehrpflichtigen vorliegen, die den Widerspruchsweg oder den Klageweg rechtfertigen, und daß die entsprechenden Wehrbehörden nicht genügend auf die Argumente eingehen.
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Der Meinung schließe ich mich nicht an, Herr Kollege. Ich bin sicher, daß Sie in der Praxis auch keine Beispiele haben werden, um diese Vermutung möglicherweise zu belegen. Ich bin sicher, daß, wenn Widersprüche eingelegt werden und wenn im Eilverfahren vor dem Dienstantritt diese den zuständigen von mir soeben genannten Institutionen zugeleitet werden, gründlich geprüft und im Interesse des Petenten, den Verordnungen und dem Gesetz gehorchend, entschieden wird.
— Gerne.
Die Frage 78 des Abgeordneten Pauli soll schriftlich beantwortet werden. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär, für die Beantwortung der Fragen.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Jugend, Familie und Gesundheit.
Die Fragen 79 und 80 des Abgeordneten Götzer und die Fragen 81 und 82 des Abgeordneten KrollSchlüter sollen auf Wunsch der Fragesteller schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr.
Die Fragen 83 des Abgeordneten Cronenberg , 84 des Abgeordneten Braun, 85 und 86 des Abgeordneten Brunner, 87 und 88 des Abgeordneten Dr. Rose, 89 und 90 des Abgeordneten Zierer, 91 und 92 des Abgeordneten Wittmann (Tännesberg), 93 und 94 des Abgeordneten Hinsken, 95 und 96 des Abgeordneten Fellner, 97 und 98 des Abgeordneten Dr. Müller, 99 und 100 des Abgeordneten Dr. Kunz (Weiden und 101 und 102 des Abgeordneten Senfft sollen auf Wunsch der Fragesteller schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt.
Wir kommen zum Gechäftsbereich des Bundesministers für das Post- und Fernmeldewesen.
Die Fragen 103 und 104 des Abgeordneten Dr. Hirsch sind vom Fragesteller zurückgezogen worden.
Die Frage 105 des Abgeordneten Pfeffermann braucht aus Gründen von Nr. 2 Abs. 2 der Richtlinien nicht mündlich beantwortet zu werden. Sie wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Auch die Fragen 106 und 107 des Abgeordneten Paterna und 108 und 109 des Abgeordneten Liedtke sind von den Fragestellern zurückgezogen worden.
Damit ist auch dieser Geschäftsbereich abgehandelt.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft.
Die Fragen 115 des Abgeordneten Clemens und 116 und 117 des Abgeordneten Müller sollen auf Wunsch der Fragesteller schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt.
Wir kommen zum Bereich des Bundesministers des Innern.
Die Fragen 118 und 119 des Abgeordneten Lowack, 120 des Abgeordneten Pauli und 49 des Abgeordneten Stiegler sollen auf Wunsch der Fragesteller schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen.
Die Fragen 121 und 122 des Abgeordneten Schlatter sollen auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt.
Wir kommen zur Frage 123 des Abgeordneten Kirschner, der auch nicht zu unseren wenigen Anwesenden gehört, so daß entsprechend der Geschäftsordnung verfahren wird.
Die Frage 124 des Abgeordneten Dr. Schroeder wird auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Die Fragen 125 und 126 des Abgeordneten Dr. Sperling werden aus Gründen von Nr. 2 Abs. 2 der Richtlinien schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt.
Damit sind wir am Schluß unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 23. Oktober 1985, 13 Uhr ein.
Ich wünsche den restlichen Anwesenden ein angenehmes Wochenende.
Die Sitzung ist geschlossen.