Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.
Vor Eintritt in die Tagesordnung habe ich im Einvernehmen mit der amtierenden Präsidentin der gestrigen Sitzung, Frau Renger, zwei Kollegen Ordnungsrufe zu erteilen.
Der Abgeordnete Hornung hat den Abgeordneten Lange als einen „Handlanger Moskaus" bezeichnet. Ich muß ihn deswegen zur Ordnung rufen.
Außerdem hat der Kollege Reddemann den Ausdruck „Verleumder" in demselben Zusammenhang benutzt. Auch ihn muß ich zur Ordnung rufen.
Ich rufe Zusatzpunkt 2 der Tagesordnung auf:
Aktuelle Stunde
Aktuelle Lage auf dem Getreidemarkt
Meine Damen und Herren, die Fraktion der SPD hat gemäß Nr. 1 c der Anlage 5 unserer Geschäftsordnung eine Aktuelle Stunde zu dem Thema „Aktuelle Lage auf dem Getreidemarkt" verlangt. Ich eröffne die Aussprache.
Das Wort hat Herr Dr. Schmidt .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die von meiner Fraktion beantragte Aktuelle Stunde hat eine doppelte Zielsetzung. Zum einen soll sie endlich Klarheit bringen in die offenkundig besorgniserregende Lage auf dem Getreidemarkt. Die Erzeugerpreise in diesem Wirtschaftsjahr liegen erheblich, bei einigen Getreidearten sogar dramatisch unter dem Niveau des Vorjahres. Zum anderen wollen wir von der Regierung einen Ausweg aus dem Dilemma erfahren, der allen Marktbeteiligten eine hoffnungsvolle Perspektive für die Zukunft geben kann.Die Bundesregierung hat bisher jede Antwort auf die drängenden Fragen verweigert. Minister Kiechle hat auch auf der sogenannten Ernte-Pressekonferenz am 3. September hier in Bonn kein klärendes Wort gefunden. Bezeichnenderweise taucht in seiner Presseerklärung das Wort „Getreidepreise" gar nicht auf. Da hat offenbar ein psychologischer Verdrängungsprozeß stattgefunden. Zwar hat sich der Minister zu dem verschämten Bekenntnis durchgerungen, es sehe für die Bauern nicht rosig aus. Nur: Die betroffenen Landwirte müssen nach dieser Verharmlosung davon ausgehen, daß ihr Minister nicht weiß oder nicht wissen will, wie es draußen aussieht.
Dort ist die Empörung und Enttäuschung groß, ja, teilweise explosiv.Meine Damen und Herren, wir verlangen nicht Aufklärung, um schadenfroh festzustellen, daß unsere Vorhersagen über die katastrophalen Ergebnisse der Bonner Verhandlungsführung am Brüsseler Ratstisch von der Wirklichkeit noch weit übertroffen worden sind. Wir wollen Klarheit, weil nur die volle Wahrheit zerstörtes Vertrauen in die Politik wiederherstellen kann. Die Bauern sind schon viel zu lange mit schönen, aber leeren Sprüchen abgespeist worden.
Vertrauen bei allen Marktpartnern ist die Voraussetzung für tragfähige Lösungen. Es wurde aber in den letzten Monaten in unerträglicher Weise belastet. Den Landwirten wurde wider besseres Wissen versprochen, die von der EG-Kommission autonom vorgenommene Getreidepreissenkung bliebe praktisch ohne negative Auswirkungen auf die Preise. Als die Marktpreise dann drastisch sanken, stellte der Minister lapidar fest: Niemand ist gezwungen, unter Interventionspreis zu verkaufen. Dieser törichte und beschämende Hinweis offenbart nicht nur fehlende Kenntnis vom Getreidemarkt, sondern auch über den Ablauf der Ernte. Jeder Getreideerzeuger, der Getreide an der Rampe bei der Genossenschaft oder beim Handel abgeliefert hat, kann ihn da leicht eines Besseren belehren. Die Bauern müssen sich für dumm verkauft fühlen, wenn ihre Fähigkeiten als Unternehmer öffentlich in Frage gestellt werden.Meine Damen und Herren, dem Handel und den Verarbeitern wiederum hält der Minister vor, die Marktlage zu Lasten der Erzeuger auszunutzen. Ernst zu nehmende Warnungen — auch meinerseits — wurden mit dem Hinweis „abgebügelt", durch die Schwarzmalerei werde Unruhe in den Markt gebracht. Das ist ein allzu durchsichtiges Ablenkungsmanöver. Auf den durch das GetreideVeto verursachten Vertrauensverlust bei unseren
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11634 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 156. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. September 1985
Dr. Schmidt
EG-Partnern und der Kommission will ich nur der Vollständigkeit halber hinweisen.Fortdauernde Ausflüchte und das Abschieben der Verantwortung für das Getreidedebakel auf andere Schultern müssen die Krise verschärfen. Der Minister kann nicht länger den Kopf in den Sand stekken und darauf hoffen, daß das Gewitter vorbeizieht. Er muß sich der Wahrheit stellen,
auch wenn sie für ihn bitter ist.Auf Unterstützung durch die Bauernverbände kann er anscheinend nicht länger bauen. Deren anfänglicher Beifall für sein hartes Auftreten im Ministerrat ist deutlicher Kritik gewichen. Was noch vor wenigen Wochen als großer Verhandlungserfolg bejubelt wurde, ist heute von Übel.Ich habe den Eindruck: Der Minister steht mit seiner Politik nun allein. Auch innerhalb der Bundesregierung scheint zu dämmern, daß die explosive Getreidefrage sich zu einem Agrar-Waterloo ausweiten kann. Auch der Bundeskanzler müßte sich fragen, ob er gut beraten war, als er sich das von Kiechle mit so großem Nachdruck verlangte Veto zu seiner eigenen Sache machte.
Herr Bundesminister, ich appelliere an Sie, die Stunde der Wahrheit zu nutzen. Nur auf der Grundlage einer ehrlichen Bestandsaufnahme kann ein konsensfähiges Konzept zur Verbesserung der bedrückenden Lage vieler Landwirte gefunden werden.Ich danke Ihnen schön.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Susset.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! An der gegenwärtigen Situation am Getreidemarkt läßt sich nichts beschönigen. Die Landwirte haben Grund zur Klage.Aber die SPD hat keinen Grund, dies, wie sie es heute versucht, parteipolitisch auszuschlachten.
Lassen Sie mich, Herr Kollege Schmidt, gleich zum Veto folgendes feststellen: Die Preise wären ohne den harten und zähen Einsatz unseres Landwirtschaftsministers in Brüssel noch mehr zurückgegangen, als sie es ohnehin sind.
In Brüssel werden Interventionspreise beschlossen.Wenn die Interventionspreise nicht um 1,8, sondernum 3,6 % zurückgenommen worden wären, wärenauch die jetzigen Marktpreise entsprechend geringer. Wir hätten ohne dieses Veto Getreidepreise, die noch um 2 bis 3 % niedriger wären.
Was hat die SPD in der Vergangenheit eigentlich zu all diesen Problemen gesagt? Außer Absenken der Preise gab es seitens der SPD überhaupt kein Rezept. So steht es im Programm zur Europawahl.
So hat es der Fraktionsvorsitzende der SPD in Straßburg vor der sozialistischen Fraktion zum Ausdruck gebracht.
So hat es Herr Apel in seiner Erklärung der Fraktion zu dem Stuttgarter Gipfel zum Ausdruck gebracht: Auflösung der Interventionsmechanismen, stärkere Beteiligung der Erzeuger an der Überschußverwertung. Die SPD hat also keinen Grund, die Situation parteitaktisch zu nutzen.Aber wir sind der Auffassung, daß es für eine Umorientierung in der Agrarpolitik höchste Zeit ist. Denn die diesjährige Situation auf dem Getreidemarkt macht deutlich,
daß eine neue Konzeption gesucht werden muß. Wir wollen jedoch im Gegensatz zur SPD einen Weg einschlagen, der den Landwirten eine gesicherte Existenz bietet. Wenn wir wie Sie die Landwirte dem Wettbewerb auf dem unberechenbaren Weltmarkt aussetzen, werden wir von der Landwirtschaft, wie wir sie heute haben, Abschied nehmen müssen. Seit dem letzten Jahr sind die Weltmarktpreise bei Getreide um 18 % und bei Ölsaaten um 26 % zurückgegangen. Das Ergebnis ist, daß etwa ein Drittel der amerikanischen Farmer vor dem Bankrott stehen. Das ist eine Politik, die wir als CDU/CSU-Fraktion hier in der Bundesrepublik Deutschland und in der Europäischen Gemeinschaft nicht mitmachen.
Meine Damen und Herren, wir müssen zur Wiedererlangung des Handlungsspielraums bei den Überschüssen ansetzen. Wir haben das Problem der Vorruhestandsregelung schon öfter angesprochen, weil wir wissen, daß hier Flächen aus der Produktion freigesetzt werden könnten, ganz anders, als das früher bei der Landabgaberente der Fall war. Die Verwendung von eigenem Getreide in der Futtermischung muß weiter zunehmen. Freiwillige Flächenstillegungen könnten die Produktion in bestehenden Betrieben senken und gleichzeitig einen positiven Fruchtfolgeeffekt mit sich bringen.
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SussetBeim Getreide müssen wir weg von der reinen Massenproduktion. Es gilt, hier in Zukunft Anreize für eine stärkere qualitätsorientierte Erzeugung zu schaffen. Auch müssen wir uns, meine Damen und Herren — die Außenminister verhandeln ja zur Zeit über eine Reform der Römischen Verträge —, die Frage stellen, ob das, was in den 50er Jahren in Rom und Stresa im Europa der Sechs, in Zeiten der Unterversorgung als europäische Norm für die Agrarpolitik vereinbart worden ist, im Europa der Zwölf bei vollen Märkten noch weiter möglich ist. Hier sind Vorschläge gefragt, hier müssen wir insgesamt, und zwar alle Fraktionen, im Interesse der Landwirtschaft zusammenarbeiten.Danke schön.
Das Wort hat der Abgeordnete Bredehorn.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im Oldenburger Land, dort, wo ich meinen Wahlkreis habe, und im übrigen nördlichen Niedersachsen steht noch beängstigend viel Getreide auf den Feldern — und das zu einem Zeitpunkt, in dem in anderen Jahren die Herbstbestellung üblicherweise schon durchgeführt worden ist. Trotz der Nässe bei uns, der Ernteverzögerung, des Auswuchses und der Qualitätseinbußen sagen die Hochrechnungen des BML eine gute Bundesdurchschnittsernte voraus. Das ist eigentlich ein Grund für uns alle, uns zu freuen und dankbar zu sein. Nur, in diesem Jahr kann man nicht so recht froh darüber werden. Denn die Probleme auf dem Getreidemarkt bekommen dadurch um so schärfere Konturen. Das Getreide wird vom Markt nur zögernd aufgenommen, und die Erzeugerpreise sind dieselben wie 1958, d. h. also wie die vor fast 30 Jahren. Damals erzielte der Landwirt 42 DM pro Dezitonne Weizen, heute teils noch weniger.Auf dem Bauerntag in Ludwigshafen hat der Bundeslandwirtschaftsminister unseren Bauern versprochen, der Preisrückgang bei Getreide werde sich auf 1 % bis 2 % begrenzen lassen. Heute haben wir es aber mit einem Preisverfall von bis zu 10% zu tun, und die Enttäuschung der Landwirte ist groß.
Hier zeigt sich aber auch, daß wir als verantwortungsvolle Agrarpolitiker keine Hoffnungen auf eine rosarote Zukunft wecken dürfen. Denn die Sachzwänge sind oft stärker als das ehrliche Wollen und die Gefühle für die Sorgen der Bauern.17 Millionen Tonnen EG-Getreide aus der Vorjahresernte warten in den Lägern noch auf ihre Verwendung. Bisher haben die Erhöhungen der Exporterstattung leider nichts genützt. Die Drittlandsnachfrage ist gedämpft. Auch die Sowjetunion nutzt, so scheint es, die Überschußsituation auf dem Weltgetreidemarkt, um zu Billigstpreisen einzukaufen. Trotzdem brauchen wir dynamischere Exportstrategien in der EG. Marktanteile, die auf dem Weltmarkt einmal verlorengehen, sind nur schwerlich zurückzugewinnen.Die Brüsseler Preisentscheidung, die erst fiel, als die Landwirte ihre Mähdrescher schon rüsteten, kam viel zu spät, um eine korrekte Preisfindung auf den Regionalmärkten zu ermöglichen. Die FDP hat aus ihrer kritischen Haltung zu dem Veto nie ein Hehl gemacht. Das Veto hat unseren Bauern kaum geholfen.
Der Ministerrat hat sich das Gesetz des Handelns aus der Hand nehmen lassen, und die Kommission agiert nun mit Notverordnungen. Trotzdem erkennen wir Minister Kiechles harte Verhandlungsführung an. Leider ist es ihm aber nicht gelungen, den Mengendruck vom Markt, den drastischen Preisverfall und die negativen Einkommensperspektiven für die Bauern abzuwenden.Das Grünbuch der Kommission weist im Sinne der FDP einige überlegenswerte Lösungsansätze für den Getreidemarkt aus. Zu den Grünbuch-Vorschlägen gehören u. a. auch die Umwidmung von landwirtschaftlichen Flächen zu Naturschutzflächen sowie die Beteiligung der Erzeuger am Absatz ihrer Produkte. Das sind alte Forderungen der FDP. Im Agrarbereich müssen wieder mehr marktwirtschaftliche Elemente zum Tragen kommen. Allerdings lehnt die FDP eine Preissenkungspolitik ohne Ausgleichsmaßnahmen entschieden ab. Dadurch würden Tausende bäuerlicher Existenzen vernichtet.
Überdies könnte der Preisdruck zu einer noch stärkeren Mobilisierung letzter Produktionsreserven führen.Lassen Sie mich abschließend für die FDP feststellen: Nach den verheerenden Erfahrungen mit der Milchkontingentierung
kommt für uns Liberale ein ähnliches planwirtschaftliches Konzept zur Lösung der Probleme auf dem Getreidemarkt auf keinen Fall in Frage. Wir brauchen eine klare, zielbewußte Agrarpolitik, die Perspektiven aufzeigt.
Zum Abbau der Überschüsse und zur mittelfristigen Herstellung des Marktgleichgewichts bei Getreide befürwortet die FDP daher erstens eine nach der Betriebsgröße gestaffelte Mitverantwortungsabgabe; zweitens ein Flächenstillegungsprogramm mit Prämienregelung;
drittens eine vorsichtige Preispolitik,
da wir uns danach ausrichten müssen, was unser Finanzminister zur Verfügung stellt; viertens die Beibehaltung des bestehenden Interventionssystems.Ich danke Ihnen.
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Das Wort hat der Abgeordnete Schröder.
Es ist vielleicht ganz günstig, wenn sich einmal jemand zum Thema äußert, der normalerweise nicht bei diesen Debatten anwesend ist, der aber, weil er mit offenen Augen durchs Land geht, die Folgen Ihrer Politik sehr deutlich feststellen kann. Die Folgen stellen ja nicht nur wir fest, sondern die Folgen stellen inzwischen vor allen Dingen die Landwirte fest, jene Landwirte nämlich, die einmal Hoffnungen auf Herrn Kiechle gesetzt hatten, die guten Willens waren und die sich von ihm etwas für ihre eigene materielle und soziale Situation erhofft hatten
und die nun feststellen müssen — und nicht erst seit der Milchquotenregelung —, daß sie wegen der Tatsache, daß bei diesem Landwirtschaftsminister Reden und Handeln allzu deutlich auseinanderklaffen, in wachsende Schwierigkeiten gekommen sind.
Ihnen wird dann auch nicht dadurch geholfen, daß sich dann der Koalitionär Herr Bredehorn hier hinstellt und eine Oppositionsrede hält. Das ist auch nicht sonderlich redlich,
übrigens auch nicht sonderlich redlich der CDU/ CSU gegenüber. Aber das müssen Sie miteinander ausmachen.
Worüber wir heute zu reden haben, ist über die Verschärfung der sozialen Situation der Bauern im Lande dadurch, daß nach — wie Herr Bredehorn gesagt hat — den verheerenden Erfahrungen mit der Milchquotenregelung — eine Regelung, die von der Bundesregierung zu verantworten ist — die Situation auf dem Getreidemarkt nun mindestens ebenso verheerend ist oder jedenfalls zu werden droht. Ich finde, daß es dann ganz sinnvoll ist, sich zunächst einmal darüber zu verständigen, daß es keinem einzigen Landwirt nutzt, wenn man weiter beschönigt, wie man erfahren kann, wenn man die offiziellen Äußerungen auch des Landwirtschaftsministers sieht.
Was ist denn geschehen? Herr Kiechle hat zunächst gesagt, sein Veto bringe die Bauern sozusagen in Sicherheit, verhindere weiteren Abfall beim Getreidepreis und ermögliche daher eine verbesserte ökonomische und soziale Situation. Das haben wir monatelang gehört. Jetzt gibt es ja zwei Möglichkeiten: Entweder hat er nicht gewußt, daß die Kommission in der Lage ist, unabhängig vom Veto aus eigenem Notstandsrecht Preise festzusetzen — auch niedrigere Preise festzusetzen —, oder aber er hat es gewußt und er hat es den Landwirten nicht gesagt. Im ersten Fall wäre es eine bedauerliche Fehlleistung; denn ein Landwirtschaftsminister darf es sich eigentlich nicht leisten, das nicht zu
wissen. Im zweiten Fall wäre es — und diesen Fall vermute ich — eine Strategie, die die tatsächliche Situation durch Sprache verharmlosen soll. Eine solche Strategie machen wir nicht mit.
Denn die reale Situation der Landwirte ist, daß sie auf dem Getreidesektor Einbußen zwischen 10 und 15, ja bis zu 20% werden hinzunehmen haben.
Das mindeste, was man von der Bundesresgierung verlangen müßte, ist, daß sie die daraus folgende schlimme soziale Situation insbesondere der kleinen Landwirte nicht weiter beschönigt, sondern endlich die Wahrheit sagt. Denn nur wenn in der gesamten Gesellschaft — nicht allein bei den Landwirtschaftspolitikern — Einverständnis darüber besteht, daß, bezogen auf die Masse der bäuerlichen Familienbetriebe, von einer glänzenden Situation, die einige glauben machen wollen, keine Rede sein kann, wird man eine Landwirtschaftspolitik entwerfen können, die die Gesamtgesellschaft Geld kostet, welches diese dann auch zahlt, und die den Bauern und den Verbrauchern nützt und dafür sorgt, daß das, was die gesamte Gesellschaft für die Landwirtschaft zahlt und zahlen muß, nicht in den Kanälen zwischen den Verbrauchern einerseits und den Landwirten andererseits verschwindet.
Ehrlichkeit in der Debatte ist nach meiner Auffassung deshalb das Erste und Wichtigste, was gelten muß. Ehrlichkeit heißt: Entgegen den gemachten Versprechungen des Bundeslandwirtschaftsministers, entgegen den Versprechungen im Zusammenhang mit dem Veto haben die deutschen Landwirte — das trifft die kleinen und schwachen insbesondere — katastrophale Einbußen hinzunehmen. Die Verantwortung dafür sollten der Landwirtschaftsminister und Sie nicht wegdrängen, sondern endlich übernehmen.
Das Wort hat Herr Abgeordneter von Schorlemer.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In seinem Buch „Die subventionierte Unvernunft" schreibt Hermann Priebe auf Seite 79:Die 70er Jahre waren die Zeit einer weitgehenden geistigen Immobilität in der gemeinsamen Agrarpolitik, die bis zur Finanzkrise 1983/84 anhielt.
An der Spitze des Bonner Landwirtschaftsministeriums stand in diesen Jahren Josef Ertl, der, sekundiert vom Agrarsprecher der SPD im Bundestag, Martin Schmidt , bemüht war, die Agrarpolitik möglichst unverändert weiterzuführen und mit jährlichen Preisanhebungen nach Hause zu kommen. Dabei entwickelte man die große Meisterschaft in der Verdrängung der tatsächlichen Probleme. 1983
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Freiherr von Schorlemerübernahm die neue Regierung mit dem Überschußchaos ein schweres Erbe.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, das soll der Einstimmung dienen.
Dies habe ich nicht als Vorwurf vorgebracht, sondern einfach nur vorgelesen, um uns zum gemeinsamen Nachdenken anzuregen.
Ich glaube, wir sollten deshalb die Höhe des Getreidepreises in einen größeren Zusammenhang stellen. Die Überschüsse bei allen Agrarprodukten zwingen zu neuen Entscheidungen. Denn Überschußprobleme sind mit den Instrumentarien der letzten 20 Jahre nicht mehr zu lösen.Nun scheint die SPD inzwischen die Bauern entdeckt zu haben.
Noch 1980 meinte der damalige Verteidigungsminister Apel, die Bauern brauchten die Mistgabeln nur, um Geldscheine umzustapeln. Der Finanzminister Matthöfer forderte dazu auf, es müsse ein Sturm gegen die Landwirtschaft entfacht werden.Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich glaube, inzwischen werden auch die Landwirte erkennen, daß dies, meine sehr verehrten Kollegen von der SPD, schlichte Bauernfängerei ist.
Herr Kollege Schröder, selbst wenn Sie hier in grüner Alcantarajacke auftreten, selbst wenn Sie im Wattenmeer die Prieltaufe hinnehmen, selbst wenn Sie das Plaudern im Schweinestall vornehmen, selbst wenn Sie den prächtigen Edelschweineber mit dem Stöckchen durch den Pferch treiben, selbst wenn Sie die Melkversuche bei der Kuh Elsa machen — all dies ist, wie der „Spiegel" zu Recht schreibt, billiger Politzirkus.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich bedaure den Zeitpunkt dieser Debatte. Warum?
Wir werden in den nächsten Wochen im Ausschuß das Grünbuch der EG-Kommission beraten. Wir haben dazu namhafte Agrarwissenschaftler geladen. Ich meine, danach sind wir alle, Bundesregierung, die Fraktionen, der Berufsstand, gefordert, Stellung zu nehmen und — auch die, die mit dem Vorschlag nicht einverstanden sind — Alternativen zu entwickeln.Der Getreidepreis ist — dies sei gar nicht in Frage gestellt — miserabel. Aber er wäre um vieles miserabler, wenn nicht unser Landwirtschaftsminister in Brüssel so gehandelt hätte, wie er gehandelt hat.
— Entschuldigen Sie, Herr Kollege! Was haben Sie denn gefordert? Restriktive Preispolitik und Preissenkung ist doch Ihr Konzept gewesen. Und jetzt stellen Sie sich hier hin und kritisieren das. Sie haben doch überhaupt kein Konzept als nur restriktive Preispolitik; das war immer das Argument, das der Kollege Müller hier in die agrarpolitische Debatte eingeführt hat.Meine sehr verehrten Damen und Herren! Noch ein paar praktische Hinweise. Wir müssen auch in Zukunft bei der Getreidepreisregelung beachten: Qualität muß bewertet werden. Wir müssen uns überlegen, ob unser Frachtsystem beweglich und preisentlastend ist. Und wir müssen alle Lagerungsmöglichkeiten nutzen.Meine Damen und Herren, ich habe versucht, meinen Beitrag in einen etwas größeren Rahmen zu stellen. Ich weiß aber auch, daß wir alle danach beurteilt und auch bewertet werden, wie es uns gelingt, Verbesserungen zu erzielen.
Das Wort hat der Abgeordnete Werner .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben wirklich keine Veranlassung, die Agrarpolitik der SPD-FDP-Koalition von vor zwei Jahren zu loben. Aber genau den gleichen Vorwurf, der heute von seiten der Bundesregierung immer wiederholt wird, man habe damals in Sachen Milchmarkt nichts unternommen, machen wir der heutigen Regierung in bezug auf den Getreideberg.
Seit Jahren sagen alle Prognosen eine weitere Steigerung der Erträge voraus, aber die Regierung hat kein Konzept zum Abbau der Überschüsse vorzulegen. Oder besteht das Konzept darin, daß in den EG-Verhandlungen die Zahlungsziele von 120 Tagen auf 60 Tage verkürzt worden sind? Genausowenig ist es eine wirkliche Lösung, wenn Minister Kiechle sagt, sein konzeptioneller Ansatz gehe im Prinzip auf Qualität.Immer wieder hat uns auch der Minister gesagt, daß die Senkung der Getreidepreise kein geeignetes Mittel sei, um Überschüsse abzubauen. Heute spricht er davon, daß es auf Dauer unmöglich sei, Preispolitik gegen den Markt zu machen. Die heutige Situation ist doch die, daß die Bauern gegenüber dem vergangenen Jahr für sämtliches Getreide bei der Ablieferung 10 % weniger bekommen, und bei Raps ist es sogar noch weniger.Sollten die Vorstellungen im Grünbuch der EG verwirklicht werden, sind die Zukunftsaussichten für die kleinen und mittleren Bauern so, daß sich die Bauern, wenn sie nur könnten, lieber heute als morgen einen anderen Arbeitsplatz suchen müßten.
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Werner
Wir sind uns wohl einig, daß es dem Steuerzahler auf Dauer nicht zuzumuten ist, für Lagerung, Milchverpulverung und Exportsubvention hohe Summen zu bezahlen. Von diesen Milliarden kommen doch letztlich nur 10 % bei den Bauern an.Beim Export von Getreide zu Weltmarktpreisen werden wir in der Bundesrepublik, aber auch auf EG-Ebene, ohne Subventionen nicht mit anderen Getreideexportländern konkurrieren können, da dort andere Produktionsbedingungen vorliegen. Wir brauchen innerhalb der EG, damit aber auch national oder regional, eine Einschränkung der Getreideerzeugung. Das notwendige Herunterfahren der Intensität in allen Betrieben und auf allen Böden darf nicht erst dann und deshalb passieren, weil die Bauern pleite sind, sondern ertragsteigernde Mittel sind aus drei Gründen zu minimieren: erstens zum Schutze des Trinkwassers und der Böden, zweitens aus Gründen des Arten- und Naturschutzes und drittens um Überschüsse abzubauen. Dieser Verzicht auf den höchsten Einsatz ertragsteigernder Mittel kann jedoch bei der heutigen wirtschaftlichen Lage der meisten bäuerlichen Betriebe nicht durch moralische Appelle erwartet werden. Entweder müssen Anreize zur freiwilligen Zurücknahme der Höchsterträge gegeben werden, oder allgemeine Einschränkungen müssen finanziell ausgeglichen werden. Durch umweltverträglicheres Wirtschaften aller Bauern auf allen Standorten können Arbeitsplätze erhalten werden und neue entstehen, und es werden Überschüsse abgebaut.Mittel, um dieses zu erreichen, sind: Besteuerung mineralischer Stickstoffdüngemittel bei hohem Verbrauch, freiwilliger Verzicht auf ertragsteigernde Pestizidanwendung bei finanziellem Ausgleich der Einkommenseinbußen, stärkere Förderung des Leguminosenanbaus mit Erweiterung auf Körner- und Ganzpflanzensilage und Sicherung des Getreideeinsatzes in der Verfütterung.Es wird bei diesem Rückgang der Getreidepreise um mehr als 10 % — und nicht um 1,8% — nötig sein, differenzierte Hilfen an ohnehin einkommensschwache Bauern zu geben. Diese Hilfen dürfen nicht an Investitionen gebunden sein.Ich danke Ihnen.
Das Wort hat der Abgeordnete Brunner.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Dr. Schmidt, sosehr ich Sie auch sonst als Vorsitzenden unseres Ausschusses schätze, heute muß ich doch Kritik daran üben, daß Sie sich hier hinstellen, die Situation beklagen und so tun, als ob Sie den Stein der Weisen irgendwo hätten, ihn aber hier nicht preisgeben. Meine sehr verehrten Damen und Herren, das ist eine Geschichte, die sich die SPD eigentlich nachdenklich noch einmal vor Augen führen sollte; denn sie war es doch, die 1982 aus der Verantwortung geflüchtet ist,
weil sie die Wirtschafts-, Finanz- und Agrarpolitik zu Tode geritten hatte. Und heute stellt sie sich hin und klagt diese Bundesregierung, die mit diesen Schwierigkeiten fertig werden muß, an, an Stelle ihr und dem Herrn Minister Kiechle dafür zu danken,
daß er die großen Scharten, die entstanden sind, bisher auszuwetzen versucht hat.Meine sehr verehrten Damen und Herren, die letzten Getreidepreisverhandlungen haben das einmal mehr und deutlich bewiesen. Ihre Politik läuft bisher doch nur auf eine Preissenkungspolitik hinaus. Das ist das einzige — und das ist negativ —, was Sie zur Agrarpolitik — wie auch in anderen Politikbereichen — hier zum besten geben. Ihre Kollegen vom Europaparlament bis hin zum Bayerischen Landtag haben nur ein Rezept zur Gesundung der Agrarwirtschaft, nämlich Preissenkungen.Die GRÜNEN schließen sich dem an und sagen: dazu noch Betriebsmittelverteuerungen. — Meine Damen und Herren, so einen Unsinn habe ich in meinem Leben noch nicht gehört, zur Gesundung eines Wirtschaftszweiges derartige Rezepte anzubieten.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir stellen erfreut fest, daß sich die Wirtschaft allgemein aus der Talsohle herausbewegt. Wir haben leider Gottes noch im agrarpolitischen Teil zu kämpfen. Aber auch hier zeichnen sich Aspekte ab,
wenn die Politik der Bundesregierung konsequent weitergeführt wird, wie sie eingeleitet worden ist. Wir brauchen im Augenblick noch Ausgleichszahlungen, um die Einkommensverluste, die auf Grund der von Ihnen betriebenen Politik entstehen, mildern zu können.
Wir müssen aber auch neue Wege finden. Wir müssen wieder freie Märkte schaffen. Wir müssen an die Industrie appellieren, kooperationsbereit zu sein, wenn es darum geht, neue Verwertungslinien für Agrarrohstoffe zu finden — und damit freie Märkte zu schaffen und auch wieder eine aktive Preispolitik einzuleiten.Wir als Landwirte wollen nicht Dauerabhängige von Subventionen sein.
Das möchte ich hier ausdrücklich betonen. Allzu große Staatsabhängigkeit führt in die Unfreiheit. Und das wollen wir vermeiden.Ich möchte hier noch einmal meinen persönlichen Dank, aber auch den Dank unserer Landwirtschaft, an den Minister zum Ausdruck bringen, dem es gelungen ist,
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Brunnerzu verhindern, daß die Getreidepreise noch weiter abgesackt sind — auf Grund Ihrer Vorschläge.Herzlichen Dank.
Das Wort hat der Abgeordnete Müller .
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Bisher war ich der Meinung, daß der einzige, der mit dieser Agrarpolitik zufrieden ist, der Herr Minister selbst ist. Ich habe mich getäuscht. Er hat noch einige Kämpfer, die wir eben hier gehört haben, aber nur hier, denn draußen reden sie ja anders, vor allem vor Bauernversammlungen.
Herr Kollege von Schorlemer; Sie haben Herrn Professor Priebe zitiert.
Selbst wenn er recht hätte, Sie haben doch den Bauern die Wende versprochen, nicht wir. Sie haben ihnen doch das Blaue vom Himmel versprochen.
Und was ist dabei herausgekommen? — Jetzt beschweren Sie sich, daß die Situation so mies ist.Entscheidend ist, daß die Landwirte selbst mit Ihnen unzufrieden sind. Das ist nicht verwunderlich; denn Sie haben zuviel versprochen, zu große Sprüche geklopft und nach jeder Verhandlungsrunde, auch nach der letzten, falsche Erwartungen geweckt;
siehe die Anzeigenkampagne vom Juni dieses Jahres in allen Tageszeitungen.
Oder schauen Sie sich den Bericht des BML über die letzte EG-Ratssitzung am 15./16. Juli zum Getreidepreis an. Dort heißt es — und das haben Sie den Bauern gesagt —:Einkommenseinbußen für unsere deutschen Landwirte konnten vermieden werden.Am 15./16 Juli!
Dann.Keine Zustimmung zur Getreide- und Rapspreissenkung.Oder:Für die deutschen Landwirte ein Plus von 2 bis 3%.
Schauen Sie sich die Praxis an; sie sieht nämlichganz anders aus. Durch diese Sprüche, Herr Minister, haben Sie das letzte Vertrauen verloren; denken Sie an ihre Versammlung in Bergtheim bei Würzburg.Ein Beispiel: Über den unterfränkischen Präsidenten des Bayerischen Bauernverbandes, Ihren Parteifreund, Senator Karl Groenen, schreiben die „Süddeutsche Zeitung", die „Main-Post", das „Schweinfurter Tagblatt" und viele andere mehr — ich kann mir nicht vorstellen, daß sich die Journalisten diese Meldung aus den Fingern gesogen haben —:Der unterfränkische Präsident des Bayerischen Bauernverbandes, Senator Karl Groenen, wird am Kreisbauerntag in Würzburg als Protest gegen die Anwesenheit von Bundesernährungsminister Ignaz Kiechle nicht teilnehmen.
Groenen begründet seine Absage damit, daß Kiechle auf dem Bauerntag nur wieder aus seinem agrarpolitischen Märchenbuch vortragen und den Bauern seine Erfolge aufzeigen werde, die sich in den Einkommensbilanzen der Bauern nicht widerspiegeln. Groenens Auffassung zufolge streue Kiechle den Bauern nur Sand in die Augen.Parteifreund von Herrn Kiechle, Präsident des Verbandes!
— Den Präsidenten des unterfränkischen Bauernverbandes sollte man kennen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, eine Entschuldigung hat Herr Kiechle natürlich auch schon gefunden: die SPD. Wer sonst? „Die SPD ist uns in den Rücken gefallen", so sagten Sie, Herr Minister, auf dem Bauerntag in Gillamoos/Niederbayern.Sie produzieren einen Unsinn nach dem anderen,
von den Quoten über die Verschiebung des Milchwirtschaftsjahres bis hin zu Ihrem Veto, und weil wir diesen Unsinn nicht mitmachten, weil wir rechtzeitig kritisierten und auf die Folgen hinwiesen, sind wir Ihnen in den Rücken gefallen, wie Sie behaupten.
Kein Wunder, jetzt kommen Forderungen von den Landwirten. Deswegen fragen wir Sie:
Wie stehen Sie denn zu diesen Forderungen, diejetzt erhoben werden? Sind Sie bereit, die von Ih-
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Müller
nen hoch gepriesene Verlängerung der Zahlungsziele rückgängig zu machen, nachdem diese Maßnahme den anderen EG-Staaten zustatten kommt?
Oder wollen Sie die Interventionskäufe von EG-Getreide zumindest aus der kurzen 60-Tage-Frist ausschließen, um sie nicht mit deutschen Geldern finanzieren zu müssen? Wie stehen Sie zum Einfuhrstopp gegen die Partnerländer, wie ihn der wackere EG-Streiter, der Präsident des Bauernverbandes Schleswig-Holstein, unser Kollege Karl Eigen, verlangt?
Das ist eine tolle Forderung, im wahrsten Sinne des Wortes. Darüber hinaus werden Ausgleichszahlungen gefordert: vom Bayerischen Bauernverband 300 Millionen DM, vom Deutschen Bauernverband 400 Millionen DM. Der Herr Heeremann ist nicht hier, um das zu begründen.
Wie stehen Sie dazu, Herr Minister?
Die Landwirte brauchen ein offenes Wort. Sie haben ihnen die Hoffnung genommen, Herr Minister. Geben sie ihnen wieder eine realistische Zukunftsperspektive.
Wir Sozialdemokraten haben schon im sogenannten Apel-Papier aus dem Jahre 1980 einen Weg aufgezeigt.
Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit ist abgelaufen. Bitte kommen Sie zum Schluß.
Wir halten diesen Weg nach wie vor für richtig.
Danke schön.
Ich erteile dem Herrn Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Daß die SPD in den letzten Tagen nervös geworden ist, kann ich verstehen.
Daß die SPD von ihren internen Problemen abzulenken versucht, ist auch nicht neu.
Daß die SPD dazu allerdings die Agrarpreise herauspickt, ist in der Tat eine Überraschung.
Was ich hier an unsachlichen Behauptungen, anvorgeschützter Sorge um die Getreidebauern, anunseriöser Polemik und an aufgeregter Scheinheiligkeit seit Wochen gehört habe, spricht nicht für Sie, meine Damen und Herren von der Opposition.
Die Schwierigkeiten auf dem Getreidemarkt sind zu ernst, und die Probleme unserer bäuerlichen Getreideproduzenten sind zu groß, als daß man sie zum parteitaktischen Blitzableiter heranziehen dürfte. Ich ziehe die sachliche Darstellung vor.In Brüssel — falls Sie es nicht wissen, bitte ich Sie herzlich, zuzuhören — ist über die Interventionspreise verhandelt worden, nicht über Marktpreise. Diese Interventionspreise sind als unterstes Auffangnetz gedacht. Sie liegen niedriger als der politisch angestrebte Richtpreis. Wir haben in diesem Jahr die Preisverhandlungen, die extrem schwierig waren, zäh geführt. Die Bundesregierung hat sich nicht gescheut, trotz vorhandener Bedenken, gegen geplante und bereits 1981 — d. h. unter SPD-geführter Bundesregierung — programmierte Preissenkungen ein Veto einzulegen,
weil die Existenz vieler bäuerlicher Familienbetriebe auf dem Spiel stand und weiterhin steht.
Wir haben damit im übrigen auch ein Problembewußtsein geschaffen. Wir haben darüber hinaus mit dem Veto nicht diesen einen Punkt im Auge gehabt — und haben ihn auch jetzt nicht im Auge —, sondern wir haben ein klares Nein zu der grundsätzlichen Absicht einer Preissenkungspolitik und damit einer Politik der Verdrängung unter den Landwirten gesagt.Im Agrarministerrat ist kein Beschluß zustande gekommen. Die EG-Kommission verfährt auf Grund des Gemeinschaftsrechts nun so, als ob ihr letzter Vorschlag von minus 1,8 % bei den Interventionspreisen realisiert worden wäre. Natürlich wußten wir das. Immerhin haben wir damit den Spielraum der EG für ihr sogenanntes Notstandsrecht von geplanten 5 % über 3,6 % auf 1,8 % eingrenzen können.
Nun ereifert sich die SPD, es sei schlecht verhandelt worden. Ich setze dem allerdings die nüchternen Tatsachen entgegen. Zu diesen Tatsachen, meine Damen und Herren, zählt,
daß auf Grund unserer Hartnäckigkeit die Zahlungsziele von bisher 120 auf 60 Tage verkürzt wurden. Die Wirtschaft hat im vergangenen Jahr kalkuliert, daß sich eine Verlängerung um zwei Monate als ein Preisminus von 1,2 % auswirke.
Ich folgere daraus, daß in diesem Jahr ein entsprechendes Plus herauskommen muß.
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Bundesminister KiechleDazu zählt auch, daß der Feuchtigkeitsgehalt nicht gesenkt wurde, wie es die Kommission beabsichtigt hatte. Dazu zählt schließlich, daß die Brotweizenschlußintervention — wir hätten lieber eine Anfangsintervention gehabt, aber wir konnten uns damit in der Gemeinschaft nicht durchsetzen — mit dem 5%igen Preisvorsprung immerhin durchgesetzt werden konnte.Das sind konkrete Ergebnisse, die sich trotz allem — trotz allem, sage ich — in Mark und Pfennig niederschlagen. Doch die SPD sieht sie nicht; sie will sie wohl auch nicht sehen.
Haben Sie sich eigentlich einmal ganz realistisch gefragt, wieviel schlechter die Getreidepreise ausgefallen wären, wenn wir dies nicht erreicht hätten, wenn wir Ihren Preissenkungsforderungen nachgegeben hätten, den Forderungen, die Sie ja während der ganzen Preisverhandlungen immer an uns gerichtet haben?
Sie versuchen, die unerfreuliche Entwicklung des Getreidemarktes parteitaktisch auszuschlachten. Hat die SPD eigentlich auch einmal darüber nachgedacht, daß nicht Preise allein, sondern auch die Erntemengen entscheidend sind,
daß das Produkt aus Menge und Preis, also der Erlös, trendmäßig ansteigt und nur gegenüber dem Ausnahmejahr 1984 deutlich zurückfällt? Nein, ich habe das Gefühl, Sie führen diese Dinge gar nicht in die Diskussion ein, weil Sie Fakten nicht zur Kenntnis nehmen wollen.Meine Damen und Herren, unbestritten ist — das sage ich denen, die da immer meinen, ich würde nicht die Wahrheit sagen —, daß es sehr ungünstige Einflußfaktoren gibt. Da ist eine weltweite Rekordernte, die auch gegenüber dem Vorjahr noch einmal ein Plus von 3 % bringt. Da ist ein sehr niedriger Weltmarktpreis, an den sich die Kommission ja langsam angleichen will, was Sie auch noch unterstützen. Da sind schlechte Exportbedingungen; wir haben bisher statt 7,9 Millionen t aus der EG für den Weltmarkt Exportlizenzen für nur 2,8 Millionen t vergeben können, weil einfach keine Nachfrage da ist. Traditionelle Getreideimportländer wie Indien und China sind in diesem Jahr zu Exporteuren geworden, und auch der Einfuhrbedarf der Sowjetunion scheint zurückgegangen zu sein. Wir haben erhebliche EG-Getreideüberhänge aus dem Vorjahr — kein Mensch hat das je verschwiegen —, und wir haben fehlende Lagermöglichkeiten in einzelnen Mitgliedstaaten, etwa in Frankreich. Das sind die Rahmendaten für den Markt.Meine Damen und Herren, ganz klar haben wir hinsichtlich der Daten der Interventions- und damit der unteren Schutzgrenzpreise verhandelt. Wir führen hier wirklich eine ziemlich geisterhafte Diskussion: Während der letzten Preisrunde schlägt sich die SPD im Europaparlament geschlossen, hier imParlament und in der Partei größtenteils auf die Seite der Kommission und fordert damit Preissenkungen von 5 % und mehr, und jetzt beklagt sie lauthals den Preisverfall.
So etwas an Unseriosität, an Widersprüchlichkeit und an Opportunismus könnte man eigentlich einfach mit einem verständnislosen Kopfschütteln abtun, wenn durch diese verfälschende Kampagne nicht das Klima in den Dörfern vergiftet würde und wenn dies draußen nicht so stark zur Verunsicherung beitragen würde.
Ich sage Ihnen wirklich: Das Spektakel, das Sie z. B. hier heute veranstalten, hat — immer bezogen auf Ihr Verhalten in den letzten Monaten — mit Fair play oder mit Zuverlässigkeit und politischer Geradlinigkeit nichts, aber auch gar nichts mehr zu tun
Wir haben uns in Brüssel mit allen verfügbaren Mitteln — ich glaube, das kann man nun wirklich offen sagen — gegen Preissenkungen gewandt, denn wir wissen, daß man mit Preissenkungen zwar die Einkommen der Bauern senken kann, aber nicht die Mengen entscheidend verringern oder den Markt in Ordnung bringen kann.
Mit „Markt" ist hier nicht nur der Preis, sondern sind auch die Mengen gemeint.Wer allerdings über Pleiten oder über das Zwangsausscheiden der Bauern aus der Produktion und damit über Preisdruck die Mengen beeinflussen will, der hat mich — was immer irgendein Bauernpräsident dazu sagen mag — zum Gegner.
Wer in einer solchen Situation Zuschüsse zum Einkommensausgleich verspricht, obwohl die Finanzmittel dafür gar nicht vorhanden sind, weder in der EG — wo sie dann eigentlich sein müßten — noch im nationalen Haushalt, der handelt für meine Begriffe grob fahrlässig. Wenn das dieselbe Partei tut, aus deren Mitte der frühere SPD-Bundesminister Apel oder der stellvertretende Fraktionsvorsitzende Roth die Einkommensausgleichsmaßnahmen als „unverdienten Milliardencoup" und als „Nacht-undNebel-Aktion für die Bauern" darstellen, weiß jeder, wohin die Reise gehen soll.
Meine Damen und Herren, diese Debatte bringt nichts hinsichtlich eines Ausblicks auf die Zukunft. Was wir wollen, ist nicht Preissenkung, sondern dies: mehr Getreide in den Futtertrog, bessere
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Bundesminister KiechlePreisabsicherung für höhere Qualität, Verstärkung der Forschung und des Anbaus nachwachsender Rohstoffe, Ausnutzen der Möglichkeiten bei der Produktion von Eiweißfuttermitteln und Aufgreifen der Chancen im Anbau von industriell benötigten Gütern wie Naturfasern oder Stärke.Debatten wie die heutige, die sich nur darum drehen, mit Behauptungen aufzutreten, die dazu noch durch die Aussagen der letzten Monate total widerlegt werden, nützen nicht einmal den Parteien, die das veranstalten, den Bauern schon überhaupt nicht.
Das Wort hat der Abgeordnete Gallus.
Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Ich spreche heute in dieser Aktuellen Stunde für die FDP-Fraktion, und zwar vor allen Dingen deshalb, weil ich der Auffassung bin, daß es wirklich lächerlich ist, von seiten der SPD unseren Landwirtschaftsminister in eine Ecke zu stellen, in die er nicht gehört, nachdem er seit zwei Jahren in Brüssel sein möglichstes tut, um die Situation für die deutschen Bauern und für die europäischen Bauern insgesamt zu erleichtern.
Das muß man, meine Damen und Herren, einfach sagen. Ich halte von diesen Auseinandersetzungen ebensowenig wie von der Auseinandersetzung über die Erblast. Ich war in dieser Zeit jemand, der auf breiter Front angegriffen wurde, als ich von mehr Markt gesprochen habe. Tatsache ist, daß die Agrarpolitik, die in den 70er Jahren eingeleitet wurde, und zwar in ganz Europa, uns die heutigen Überschüsse beschert hat. Daran führt kein Weg vorbei. Das kann jeder mit Fug und Recht behaupten.
Das Problem, mit dem wir heute in Europa leben, ist darin zu sehen, daß es so schwer ist, diese Agrarpolitik in ein anderes Fahrwasser zu bringen, und zwar unter Aufrechterhaltung der Notwendigkeit, gleichzeitig die Einkommen unserer Bauern abzusichern. Da wären die deutschen Bauern bei Ihrer Partei, Herr Vogel, in ganz schlechten Händen.
Unser ehrenwerter Vorsitzender des Ernährungsausschusses, Herr Oostergetelo, Herr Müller — alle sind gute Agrarpolitiker der SPD. Aber ihr dürft heute doch nur deshalb so reden, weil ihr in der Opposition seid. Ich war für den Wechsel der Regierung, weil wir mit eurer Wirtschaftspolitik den Bauern das Geld nicht mehr geben könnten, das wir brauchen, um ihre Einkommen zu sichern. Das ist doch das Problem, meine Damen und Herren.
Meine Freunde, die Zeiten sind doch vorbei,
— das sieht der Dümmste in diesem Lande —, daß wir die Einkommen der Bauern allein über die Preise absichern können. Denken Sie einmal darüber nach, was diese Regierung den Bauern in den letzten zwölf Monaten finanziell hat zukommen lassen. Ich würde erwarten, daß ihr von der SPD da auch die Hände erhebt
und nicht die Bauern nur aufgeilt.
Die Bauern wissen: Mit Ihrer Politik hätten sie am Ende Steine statt Brot. Das ist Ihre Politik, meine Damen und Herren.
— Herr Vogel, mit Ihnen muß ich nach Ihren Ausführungen, die Sie in bezug auf meine Person früher gemacht haben, sowieso noch ein Hähnchen rupfen. Aber ich kann das sehr gut ertragen. Sie sagen das heute aus der Opposition heraus gegen mich genauso, wie Herr Geißler es in der Opposition einmal gesagt hat: Der Gallus versteht von der Agrarpolitik so wenig wie ein Ochse vom Schnapsbrennen.
— Herr Vogel, es kommt immer darauf an, in welcher Position man sich gerade befindet.
Ich möchte Ihnen nur Aufmerksamkeit verschaffen, Herr Kollege. Ich bitte, etwas zurückhaltender mit Zwischenrufen zu sein.
Mir, meine Damen und Herren, und der FDP geht es um die Regelung der Probleme, um den Bauern zu helfen. Dabei ist es für uns — das sage ich in aller Deutlichkeit — das Grünbuch eine realistische Diskussionsgrundlage, mehr nicht. Auf dieser Grundlage müssen wir einen gemeinsamen Weg zu neuen Ufern in der Agrarpolitik in Europa finden. Ich brauche nicht zu erwähnen, welche Schwierigkeiten wir mit den Überschüssen haben.Die deutschen Bauern — das möchte ich zum Schluß sagen — können an folgendem ablesen, daß diese Bundesregierung und dieser Bundeslandwirtschaftsminister in bezug auf die Getreidepreise weiter gehen als alle anderen. Wir haben in Deutschland die günstigen Bedingungen für den Auswuchs bei der Intervention, für die Feuchtigkeit, für die Handelsplätze, für die Mindestmenge, für das Zahlungsziel. Deshalb kommen doch die anderen alle zu uns. Wir tun das aber nicht wegen der anderen, sondern wir tun es wegen der deutschen Bauern,
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Gallusum hier das Bestmögliche im Bereich der Rahmendaten zu erreichen.
Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit ist abgelaufen. Bitte kommen Sie zum Schluß.
Meine Damen und Herren, ich erwarte, daß die SPD in der Zukunft mehr als bisher ihren Teil zu einer objektiven Diskussion und zur Lösung der Probleme beiträgt.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Bayha.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe nicht die Absicht, mich in das Gerangel um Schuldzuweisungen, das die SPD hier zu veranstalten versucht, einzulassen. Ich bin selbst Landwirt und habe einen Betrieb in einer Größenordnung, von der manche meinen, man könnte da viel Geld scheffeln. Das ist leider nicht der Fall. Ich habe in diesem wie auch im letzten Jahr eine sehr gute Ernte gehabt, und ich habe — vielleicht im Gegensatz zu vielen Norddeutschen — bereits die Abrechnung für mein Getreide in der Hand, und ich muß gestehen: Ich bin auch erschrocken. Ich kann also aus Erfahrung sprechen. Deshalb ist es für mich auch nicht interessant, hier zu erfahren, was war, sondern ich möchte wissen, wie es weitergeht; denn die Lage in der Landwirtschaft ist wahrhaftig sehr ernst.
Ich möchte in geraffter Form — anders ist es in einer solchen Debatte auch nicht möglich — vier Punkte anreißen, von denen ich meine, daß sie für eine Neuorientierung in der Agrarpolitik dringend notwendig sind.
Erstens. Unsere benachteiligten Gebiete — das sind mittlerweile ein Viertel der Agrarfläche in der Bundesrepublik — müssen in Zukunft wesentlich stärker flächenbezogen und weniger produktionsbezogen gefördert werden.
Im Klartext heißt dies: An unsere Landwirte in den Mittelgebirgen muß in Zukunft pro Hektar über die Fläche noch mehr bares Geld gegeben werden, als bisher schon gegeben wurde.
Zweitens. Die Getreideüberschüsse in der EG sind so enorm angewachsen — dies geschieht schon seit einigen Jahren, nicht erst seit den letzten beiden Jahren —, daß ein totaler Preisverfall droht. Hier werden die Marktordnungen einfach unterspült; sie halten überhaupt nicht mehr.
Deshalb meine ich, daß in Zukunft Ackerflächen EG-weit auf freiwilliger Basis stillgelegt werden sollten, weil mir dies immer noch billiger erscheint, als große Läger zu unterhalten. Diese Flächen müssen natürlich gepflegt und unterhalten werden, damit sie jederzeit wieder in Produktion genommen werden können. Die Bauern müssen dafür natürlich einen finanziellen Ausgleich erhalten.
Drittens. Agrarexporte und Welthungerhilfe müssen wesentlich verstärkt werden. Ich weiß, wie schwierig es ist, in Afrika Getreide an die entsprechenden Stellen zu bringen. Aber wir dürfen hier nicht in den Bemühungen nachlassen. Es ist doch ein Skandal, daß auf unserem Nachbarkontinent 30 Millionen Menschen hungern, während bei uns die Läger bersten. Es ist doch eine christlich-abendländische Verpflichtung für unseren Kontinent, diesen Menschen zu helfen.
Vierter Punkt. Die Agrarproduktion für industrielle Rohstoffe muß in Forschung und Praxis beschleunigt werden. Es hat keinen Sinn, ständig nur darüber zu reden. Hier muß endlich einmal etwas passieren. Ich meine, ähnlich wie bei der Kohleverflüssigung, die wir mit ungeheuren Mitteln subventionieren, sollten wir auch auch bei Bioäthanol verfahren: Hier sollten wir mehr investieren. Auch dies würde zur Entlastung des Marktes in der Landwirtschaft beitragen.
Meine Damen und Herren, das sind nur vier Punkte. Ich meine, es sind die wichtigsten Punkte, die wir jetzt mit aller Rasanz angehen sollten. Die Lage in der Landwirtschaft ist wirklich brisant.
Das Wort hat der Abgeordnete Pfuhl.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe nicht die Absicht, hier in der Tonlage zu antworten, die der Minister angeschlagen und die der Herr Staatssekretär Gallus hier fortgesetzt hat. Ich bin dem Kollegen Bayha dankbar, daß er versucht hat, hier zu den realen Problemen zurückzukommen.
Ich glaube, wir alle sind uns darüber klar, daß das bestehende System der Agrarpolitik, wie wir es in Europa haben, nicht mehr fortgeführt werden kann. Diese Einsicht muß dem einen oder anderen — auch wenn er sie bisher noch nicht gehabt hat — in diesem Jahr doch kommen. Die ständigen EG-Preiserhöhungen, die Mehrproduktion haben zu Überschüssen geführt, die wir nicht mehr absetzen können. Dennoch konnten die Einkommen — das ist das Interessante — in erster Linie der kleineren und mittleren Betriebe nicht gesichert werden. Die sogenannte aktive Preispolitik konnte also die wichtigsten Ziele der gemeinsamen Agrarpolitik nicht verwirklichen.Im übrigen muß ich darauf hinweisen, daß weder in Art. 39 des EWG-Vertrages noch in der Erklärung
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Pfuhlvon Stresa überhaupt die Preispolitik als Mittel zur Einkommenssicherung erwähnt wurde.
Es ist also ein Umdenken in der Agrarpolitik notwendig. Kollege Susset, wir haben uns gestern im Ausschuß darüber unterhalten, und ich sage es hier wieder: Wir müssen gemeinsam versuchen, Lösungen zu finden. Wir sind auch bereit dazu. Die Opposition hat aber die Aufgabe, auch darauf hinzuweisen, wo im Augenblick die Fehler von dieser Regierung, von diesem Minister gemacht werden.
Wir stehen dabei nicht allein. Meine Damen und Herren, wenn ich mir die Äußerungen des Präsidenten des Bayerischen Bauernverbandes, Sühler, vergegenwärtige, die im letzten Monat in der „Süddeutschen Zeitung" veröffentlicht wurden — er sagte: Kiechle hat sein Ziel nicht erreicht —, dann ist es für uns allerhöchste Zeit, daß wir uns gemeinsam bemühen, dem Minister zu helfen, damit er endlich über die Runden kommt, wenn er überhaupt die Absicht dazu hat. Denn dieser Prozeß des Umdenkens hat bei ihm noch nicht so eingesetzt; bei Herrn Susset schon. Selbst Herr Gallus hat im Hinblick auf die Vorstellungen der Kommission einen anderen Ton angeschlagen. Selbst der Herr Bundeskanzler soll hier schon Bedenken geäußert haben. Nur der verantwortliche Minister und der Präsident des Deutschen Bauernverbandes halten trotz der jüngsten Preisentwicklung unverändert starr an ihren Forderungen nach der sogenannten aktiven Preispolitik fest.Dabei hat sich mit aller Deutlichkeit gezeigt, daß eine Anhebung der administrativen Preise nichts nutzt, wenn sie am Markt nicht durchsetzbar sind.
Das Beispiel der Rindfleischmarkt-Ordnung, wo der Marktpreis zum Teil 25 % unter dem Orientierungspreis liegt, macht dies deutlich. Das Motiv für die Uneinsichtigkeit des Ministers ist mir unklar. Möglicherweise ist es ein tiefenpsychologisches Problem.
Aber, meine Damen und Herren, wie kann denn ein Konzept aussehen? Der Kollege Bayha hat hier dankenswerterweise einige gute Vorschläge gemacht. Lassen Sie mich darauf eingehen. Keine Lösung scheint mir zu sein, eine Quotenregelung bei Getreide einführen zu wollen, denn die Erfahrungen bei der Milch sprechen für sich. Sie würden bei Getreide noch übertroffen. Allerdings drängt sich mir der Verdacht auf, daß hinter der Unbeweglichkeit des Herrn Kiechle das Motiv steht, neue Mengenregelungen als Ergebnis der Macht des Faktischen durchzusetzen.Ich glaube auch nicht, daß eine aggressive Exportpolitik eine Lösung ist. Wer in Amerika war und die Gespräche dort in den Ministerien und bei dem Handelsbeauftragten geführt hat — Herr Kollege von Schorlemer wird das bestätigen —, der weiß, daß der Weltmarkt kaum noch aufnahmefähigist, und daß die USA alles daransetzen werden, hier einen größeren Anteil der EG zu unterbinden.Man muß auch einmal auf den sinkenden Dollarkurs hinweisen.
10 % Senkung des Dollarkurses bedeutet, daß die EG etwa eine Milliarde ECU mehr aufbringen muß, um ihre Exporterstattungen zu bezahlen.Keine Lösung ist auch die ständig einseitig geforderte Abschottung des gemeinsamen Marktes, wie es der Kollege Eigen immer hinsichtlich der Substitute verlangt. Hier würden wir Deutschen uns ins eigene Fleisch schneiden. Der unvermeidliche Handelskrieg — und der ist uns ja angedroht worden — würde uns am härtesten treffen.
Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit ist abgelaufen. Bitte kommen Sie zum Schluß.
Ein wirksames Konzept kann deswegen nur sein, daß wir die direkte Einkommensübertragung den Landwirten zugute kommen lassen — bei verminderter Produktion, die wir von ihnen fordern.
Das Wort hat der Abgeordnete Hornung.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Pfuhl hat versucht, etwas Sachlichkeit in die Diskussion zu bringen. Dennoch ist nicht zu leugnen, daß diese Aktuelle Stunde mehr der Schadenfreude über eine Politik dient und darüber, daß es der Landwirtschaft draußen schlechtgeht. Aber ich sage Ihnen: Das geht als Bumerang auf Ihre Politik zurück. Denn das ist das Ergebnis einer Unfähigkeit in Ihrer Regierungszeit. Mit offenen Augen und Volldampf haben Sie den Zug dieser Agrarpolitik
ins Aus laufen lassen. Hören Sie nur zu!
Die Zahlen beweisen das. Seit 1975 ist nämlich das Betriebseinkommen der deutschen Landwirte um 1,5% gestiegen, bei den Franzosen um 13%. Und wenn man sieht, daß das 25% unter dem französischen Einkommen ist, wundert es uns nicht, daß in der gegenwärtigen Situation so manches am Markt einfach nicht mehr stimmt.
Die Indexpreise, die Erzeugerpreise, sind in der Bundesrepublik in dieser Zeit um 14% gestiegen, in Frankreich um 106%, die Kosten aber bei uns um 43% — dreimal schneller als die Erzeugerpreise. Das sind reale Preissenkungen.
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Hornung
Dennoch reiten Sie von der SPD immer noch auf der alten Schimäre daher, die Preise müßten heruntergehen.
Der Anteil an der Ernährung des privaten Verbrauchers ist mittlerweile 18 %. Was fragt der Verbraucher, ob das Kilo Brot oder der Anteil der Landwirtschaft 33 oder 31 Pfennige ist! Ob bei einem Glas Bier der Gersteanteil 5% oder 4% beträgt, bedeutet 10 % Einkommensverlust für die Landwirtschaft.
Im übrigen: Wir leben auf Grund dieser Situation in einem Schlaraffenland. Denn die Ernährung ist in allen Bereich gesichert. Ein Traum der Menschheit von der gebratenen Taube ist wahr geworden. Dennoch fällt Ihnen da nichts anderes ein. Denn — und das gebe ich zu — wenn die Maus satt ist, dann ist das Mehl bitter. Und Sie — gerade Sie, Herr Roth und Herr Dr. Vogel —, treten der Landwirtschaft von diesem Pult immer wieder an die Beine, und Sie meinen, die Preise müssen noch einmal herunter, obwohl Sie die Landwirte in die Produktion hineingehetzt haben.
Der Schlüssel aber zur Agrarpolitik ist die Menge.
Und unser Minister Kiechle hat hier einiges dazu beigetragen. Er hat bei dem Produkt Milch Wesentliches erreicht. Die Situation wäre ganz schlimm, wenn hier dies nicht gewesen wäre. Und auch in Brüssel hat er gekämpft — nicht um die Masse, wie es andere wollten, sondern um die Qualität und um den Preis.
Wir wissen natürlich selber, daß die Leistung der Landwirtschaft nicht mehr allein das Produkt ist, sondern daß weitaus mehr geleistet wird und dies dann auch seinen Preis haben und honoriert werden muß. Dazu gehören Entschädigungen, das müssen Ausgleichszahlungen sein, und es gibt Alternativen im Non-Food-Bereich. Ich nenne nur Energie, Eiweiß und Stärke. Auch Flächenstillegungen werden ebenso wie soziale Maßnahmen, z. B. Vorruhestandsregelung, und steuerliche Maßnahmen diskutiert werden müssen. Bis diese Gleise aber gelegt sind und funktionieren, brauchen wir — das sage ich ganz offen — noch mehr finanzielle Mittel. Leider hat uns die SPD aber auch hier einen Scherbenhaufen hinterlassen.
In dieser schwierigen Zeit der Neuorientierung möchte ich auch die Berufskollegen vor denen warnen, die da jetzt in einer Drei-Mann- oder VierMann-Gruppe im Haus sitzen. Wie die bunten Schmetterlinge kommen sie angeflattert. Aber erst wenn sie sich verpuppt haben, sind sie die gefräßigen grünen Raupen,
die dann den Wirt, bei dem sie sich eingenistet
haben, vernichten. So ist die Wahrheit in der Agrarpolitik. Nur mit der CDU — der letzte Haushalt hat es gezeigt — können wir eine offensive und positive Agrarpolitik für unsere Bauern machen.
Recht herzlichen Dank.
Meine Damen und Herren, die Aktuelle Stunde ist beendet.
Meine Damen und Herren, vor wenigen Stunden erfuhren wir von dem schweren Eisenbahnunglück, das sich in Portugal ereignet hat. Nach den vorliegenden Meldungen haben wahrscheinlich mehrere hundert Menschen ihr Leben bei dem Unglück verloren. Unter ihnen waren viele, die sich auf der Reise zu ihren Arbeitsplätzen in anderen Ländern Europas befanden.
Ich spreche dem Präsidenten des portugiesischen Parlaments und dem portugiesischen Volk namens des Deutschen Bundestages unsere tiefempfunden Anteilnahme aus.
Sie haben sich zu Ehren der Toten von Ihren Plätzen erhoben. Ich danke Ihnen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 3 auf:
Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Ausbau und zur Sicherung der betrieblichen Mitbestimmung
— Drucksache 10/3666 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Innenausschuß
Rechtsausschuß
Ausschuß für Wirtschaft
Meine Damen und Herren, nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die Aussprache zwei Stunden vorgesehen. — Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Meine Damen und Herren, erlauben Sie mir, daß ich an die in der Ältestenratssitzung vom 23. Mai 1985 getroffene Vereinbarung erinnere, wonach gemäß der Empfehlung der Ad-hoc-Kommission Parlamentsreform die regelmäßige Redezeit für den einzelnen Beitrag zehn Minuten beträgt. Darüber hatte ich Ihnen bereits am 12. Juni 1985 eine amtliche Mitteilung zugehen lassen. Ich bitte auch die Mitglieder und Beauftragten von Bundesregierung und Bundesrat, sich an dieser Redezeitordnung zu orientieren.
Wird das Wort zur Begründung gewünscht? — Das ist nicht der Fall.
Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Dreßler.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Heute haben wir in erster Lesung über den Gesetzentwurf der SPD-Fraktion zur Verbesserung des Betriebsverfassungsgesetzes zu verhandeln. Zur gleichen Zeit befindet sich der Gesetzentwurf der Regierungskoalition zur Verschlechterung des Betriebsverfassungsgesetzes im Gesetzgebungsverfah-
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Dreßlerren. Christliche Demokraten plädieren für den Rückschritt, Sozialdemokraten wollen den Fortschritt.
Wir sind für den Ausbau und die Sicherung der Mitbestimmung, die Koalitionsfraktionen für das Gegenteil.
Wir machen uns für die Arbeitnehmerinteressen stark, Sie haben sich gegenteiligen Interessen verschrieben. Das genau, meine Damen und Herren, ist die Trennlinie zwischen uns und Ihnen.
Ihr Bild der Arbeitnehmer, der Bedingungen, unter denen die Menschen leben und arbeiten sollen, ist das Bild von gestern, wenn nicht von vorgestern. Für uns ist der arbeitende Mensch ein Bürger in einem demokratischen Staat, der ein Recht auf Mitverantwortung und Mitgestaltung hat — und das nicht nur nach Feierabend, sondern auch während seiner Arbeitszeit. Sie von der CDU/CSU und von der FDP sind ständig von der Furcht vor zuviel Demokratie erfüllt.
Für uns ist der Auftrag des Grundgesetzes erst dann erfüllt, wenn die Menschen ihr Recht auf Entfaltung ihrer Persönlichkeit auch im Arbeitsleben verwirklichen können.
Mit dem Gesetzentwurf zum Ausbau und der Sicherung der betrieblichen Mitbestimmung setzen wir unsere Politik für mehr Mitbestimmung der Arbeitnehmer fort, unterstreichen wir die notwendige Kontinuität eines der wichtigsten politischen Felder, dokumentieren wir unser Engagement zum Ausbau der Arbeitnehmerrechte. Wir haben dafür gesorgt, daß eine umfassende Reform der betrieblichen Mitbestimmung 1972 in Kraft trat. Das war und das ist ein wesentlicher Aktivposten der sozialliberalen Koalition. Mit der damaligen FDP, Herr Cronenberg, war dieser Schritt möglich. Mit der damaligen FDP!Jedes Gesetz hat eine Vorgeschichte. So auch das Gesetz von 1972. Bereits 1967 hatte der Deutsche Gewerkschaftsbund Vorschläge zur Weiterentwicklung des alten Gesetzes von 1952 vorgelegt. Alle Parteien haben damals mit eigenen Entwürfen reagiert, allerdings von sehr unterschiedlicher Qualität. Die CDU/CSU setzte sich in ihrer Vorlage für eine Übersteigerung der Grundsätze des Verhältniswahlrechts ein. Schon damals war es ihr Ziel, Splittergruppen den Weg in die Betriebsräte künstlich zu ebnen. Der Gesetzentwurf der SPD deckte sich weitgehend mit den Vorstellungen des DGB. Heute wie damals das gleiche Bild.In der 5. Wahlperiode kam es nicht mehr zu einer Regelung. Die Große Koalition blockierte sich selbst. Als die Sozialdemokraten 1969 die Hauptverantwortung in der Regierung übernahmen, wurde es auch beim Thema Mitbestimmung Ernst. Ende Januar 1971 gab es einen Regierungsentwurf; die oppositionelle Unions-Fraktion zog wenig später nach. Die Gewerkschaften sahen den Regierungsentwurf auf dem Weg in die richtige Richtung. Am CDU/CSU-Entwurf konnten Gewerkschaften kein Wohlgefallen finden.Das Ergebnis der SPD/FDP-Koalition konnte sich dann sehen lassen. Das Betriebsverfassungsgesetz 1972 war ein erheblicher Fortschritt. Die Verbesserungen betrafen die Beteiligungsrechte des Betriebsrats, insbesondere in sozialen Angelegenheiten, teilweise auch in personellen Einzelmaßnahmen. Wesentliche Fortschritte gab es bei den Arbeitsgrundlagen des Betriebsrats wie z. B. beim Kündigungsschutz für Betriebsratsmitglieder und bei den Möglichkeiten zur Freistellung von der beruflichen Tätigkeit sowie bei der Teilnahme an Schulungsveranstaltungen. Auch die umfassende Unterstützungsfunktion der Gewerkschaften im Rahmen der Betriebsverfassung sowie die Ausweitung der Rechte der Jugendvertreter müssen der historischen Wahrheit willen erwähnt werden.Ich erinnere daran, weil historische Exkursionen nicht nur einen Wert an sich haben, nämlich festzustellen, wie es einmal war. Das Besondere an dieser Geschichte ist, daß beinahe alle Einzelheiten auf die Gegenwart übertragbar sind. Die oppositionellen Christdemokraten haben damals gegen die Fortschritte in der betrieblichen Mitbestimmung gestimmt. Das Gesetz wurde mit 264 Ja-Stimmen angenommen; es gab 212 Nein-Stimmen und 4 Enthaltungen. Aus den Reihen der CDU/CSU stimmten 21 Abgeordnete mit Ja. Die kleine Arbeitnehmergruppe, Kollege Scharrenbroich, zeigte Flagge.
Wir werden uns darüber in den nächsten Wochen weiter unterhalten.Das Betriebsverfassungsgesetz 1972 hat sich grundsätzlich bewährt. Damit wurde aber kein Schlußpunkt für die betriebliche Mitbestimmung gesetzt. In den letzten Jahren sind bei der Praktizierung des Betriebsverfassungsgesetzes eine Reihe von Mängeln deutlich geworden. So reichen z. B. die vorhandenen Regelungen nicht aus, der zunehmenden Leistungsverdichtung wirksam entgegentreten zu können. Es hat sich gezeigt, daß der Gesetzgeber bei der letzten Novellierung Lücken noch nicht oder nicht genügend erkennen konnte. So ist die Mitbestimmung des Betriebsrats bei der Einführung und Anwendung neuer Technologien und bei der Personaldatenverarbeitung einschließlich der Ermittlung und Verwendung von Personaldaten gegenwärtig völlig unzureichend.Deshalb stellen wir Sozialdemokraten zusammen mit den Praktikern in den Betrieben und in den Gewerkschaften folgendes fest. Die betriebliche Mitbestimmung muß den heutigen Erfordernissen ensprechend fortentwickelt werden. Die Lösungen,
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Dreßlerdie unser Gesetzentwurf vorsieht, enthalten folgende unverzichtbare Punkte:Erstens. Die Betriebsräte erhalten ein Mitbestimmungsrecht bei der Einführung, der Anwendung, der Änderung oder der Erweiterung neuer technischer Einrichtungen und Verfahren.Zweitens. Die Gestaltung der Arbeitsplätze, der Arbeitsumgebung und der Arbeitsorganisation wird der Mitbestimmung unterworfen.Drittens. Die Mitbestimmungsrechte bei der Personalplanung werden präzisiert. Die betriebliche Vertretung hat mitzubestimmen bei der Festsetzung des Personalbedarfs einschließlich der Stellenpläne und der Anforderungsprofile bei der Personalbeschaffung, beim Personaleinsatz und bei Maßnahmen zum Ausbau oder Abbau des Personals.Viertens. Die Mitbestimmungsrechte bei Betriebsänderungen und Sozialplanregelungen werden ausgebaut. Die Arbeitnehmer werden bei Betriebsstillegungen und -einschränkungen verstärkt geschützt.Fünftens: Die Mitbestimmungs- und Kontrollrechte bei der Personaldatenverarbeitung einschließlich der Ermittlung und der Verwendung von Personaldaten werden ausgebaut.Sechstens. Die Betriebsräte erhalten das Recht, Maßnahmen zu beantragen, die der Gleichbehandlung von Mann und Frau dienen.Siebentens. Die Mitbestimmungsrechte bei Einstellungen und anderen personellen Einzelmaßnahmen werden erweitert. Das gilt auch für befristete Arbeitsverträge.Achtens. Es wird sichergestellt, daß bei einem Widerspruch des Betriebsrats gegen eine beabsichtigte Kündigung die Auflösung des Arbeitsverhältnisses nur durch arbeitsgerichtliche Entscheidung herbeigeführt werden kann.Neuntens. Notwendig ist eine Sicherung der Mitbestimmung der Betriebsräte durch Vorschriften, daß mitbestimmungspflichtige Maßnahmen nur mit Zustimmung der betrieblichen Vertretung vorgenommen werden dürfen.Zehntens. Durch eine Änderung der Wahlvorschriften wird der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Rechnung getragen.Meine Damen und Herren, die Entwicklung der Technik und noch viel mehr ihre Anwendung sind nicht naturwüchsig oder allein von den kreativen Fähigkeiten unserer Wissenschaftler und Ingenieure bestimmt. Sie sind abhängig von Interessen, die die Ziele bestimmen. Heute müssen wir feststellen, daß die neuen technischen Möglichkeiten, die Chancen, die in den neuen Techniken liegen, viel zu wenig genutzt werden.
Das will ich sogleich verdeutlichen, bevor von Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP wieder behauptet wird, mit den von uns geforderten Regelungen gefährdeten wir die technischen Entwicklungen, die Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft und wahrscheinlich auch noch die ganze westliche Welt.
Unser Anspruch an die Technik und ihre Entwicklung ist ein anderer als der Ihre; das ist zuzugeben. Für uns ist technische Entwicklung erst dann fortschrittlich, wenn sie auch zu sozialem Fortschritt führt. Sozialer Fortschritt ist mehr als das, was am Ende des Monats auf der Gehaltsabrechnung steht. Erwerbsarbeit, die Produktion von Gütern, die Entwicklung der Technik — das hat sich für Sie von der CDU/CSU bisher auf den Merksatz Ihres Kanzlers reduziert: Entscheidend ist, was hinten herauskommt — natürlich möglichst in klingender Münze. Zu dieser Geringschätzung eines großen Teiles der Existenz von Millionen von Arbeitnehmern werden wir nie fähig sein. Das ist der Unterschied zwischen uns.
Die Lage unserer Umwelt, die zunehmende Zahl von Menschen, die nicht mehr ohne gesundheitliche Beeinträchtigung das Arbeitsleben überstehen, sprechen eine deutliche Sprache. Es kommt nicht nur darauf an, was hinten herauskommt, sondern genauso darauf, unter welchen Bedingungen gearbeitet wird, mit welchen Zielen sich die Technik entwickelt und wie sie in den Unternehmen angewendet wird.
In welcher Situation befinden wir uns? Welche Ansprüche hat die Gesellschaft heute an die Technik? Und welche Ansprüche kann die Technik befriedigen? Die Produktivität der Arbeitnehmer in unserem Land hat ein Niveau erreicht, das bis vor 20 oder 30 Jahren noch unvorstellbar war. Wir sind in der Lage, Gütermengen zu produzieren, die eine Versorgung aller Bürger auf einem sehr hohen Niveau möglich machen. Wenn es gleichwohl Not und Armut gibt, dann ist das die Folge politischer Entscheidungen
oder gesellschaftlicher Kräfteverhältnisse
und nicht die Folge der Beschränktheit der Produktivitätsmöglichkeiten.
Im Gegenteil, bestimmte Dinge entstehen in einem Übermaß.Vor diesem Hintergrund und angesichts der neuen technischen Möglichkeiten muß die Steigerung der Qualität der Erwerbstätigkeit der Produktion und der Produkte und insgesamt der Lebensqualität der Menschen in das Zentrum unserer Bemühungen treten. Es ist die Aufgabe der Politik, dem Markt den richtigen Rahmen zu setzen, die
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Dreßlerqualitativen Ziele in die wirtschaftlichen Prozesse einzubauen.
Wenn wir heute über unseren Gesetzentwurf reden, dann geht es darum, die Interessen der Arbeitnehmer für die Entwicklung und Anwendung neuer Techniken wirksam zu machen. Das ist nicht nur das Recht der Arbeitnehmer; sie können es auch. Noch nie gab es so viele qualifizierte Arbeitnehmer. Noch nie waren die Voraussetzungen so gut, um Arbeitnehmer weiter zu qualifizieren.Wir haben eine Technik, meine Damen und Herren, deren entscheidendes Qualitätsmerkmal es ist, die Dezentralisierung im Arbeitsprozeß möglich zu machen. Wenn heute verschiedene Tätigkeitsmerkmale wie Steuern, Überwachen und Gestalten zusammengeführt werden können, dann muß das Folgen haben für die Arbeitsorganisation, für die Qualität der Erwerbsarbeit und für die Qualität der Produkte. Wenn heute immer noch am Ende fast aller sogenannten betrieblichen Modernisierungsprozesse die Fortführung der Arbeitszerteilung, die Zentralisierung von Handlungs- und Entscheidungsmöglichkeiten steht, dann ist das ein überholtes Konzept, das nicht zur neuen Technik paßt.
Es ist überholt, weil es gegen die Interessen der Arbeitnehmer gerichtet ist, und es ist überholt, weil es die wirklichen Chancen der neuen Technik verschenkt.Es ist doch kein Zufall, daß es eine Regale füllende Diskussion über Managementkonzepte gibt, die alle ein Ziel gemeinsam haben: Wie sind die brachliegenden Fähigkeiten der Arbeitnehmer zu nutzen, wie ist ihre Kompetenz und ihre Kreativität zu nutzen? Aber diese Konzepte werden nicht zum maximal Möglichen führen können, weil sie an ihrem eigenen Widerspruch scheitern. Der Widerspruch liegt zwischen Unternehmenskonzepten, die auf technikgestützte Herrschaft setzen, und in dem gleichzeitigen Versuch, den Arbeitnehmer als ganzen Menschen nutzen zu wollen. Ein Technikeinsatz, der den Arbeitnehmer an die elektronische Kette legen will, ist von vornherein zum Scheitern verurteilt. Es führt deshalb kein Weg daran vorbei: Nur der auch im Betrieb zur Mitsprache und Mitentscheidung berechtigte Mensch macht eine wirklich humane und fortschrittliche Industriegesellschaft möglich.
Da reichen bloße Informationsrechte eben nicht aus.Die Interessen der arbeitenden Menschen und damit der Gesellschaft müssen in die Entwicklungs- und Planungsprozesse einfließen, müssen ebenso wie heute die kurzfristigen Verwertungsinteressen der Unternehmen zu einem konstruktiven und produktiven Bestandteil der Modernisierung werden.Wir wollen eine Technikgestaltung, die an die Fähigkeiten und Bedürfnisse der Arbeitnehmer anknüpft. Das ist mehr als Mitsprache für die farbliche Gestaltung des Teppichbodens, auf dem der Computer steht.
Die Arbeitnehmer und ihre Betriebsräte müssen an den Planungs- und Entscheidungsprozessen beteiligt werden, damit die Technik für den Menschen paßt und nicht, wie bisher, die Menschen passend gemacht werden.
Es ist ein Unterschied, ein entscheidender Unterschied, auch für die Qualität der Produkte, ob der produzierende Arbeitnehmer zum Teileeinleger am zentral gesteuerten Roboter gemacht wird, oder ob er z. B. an werkstattprogrammierten, vor Ort gesteuerten Maschinen eingesetzt wird. Und es ist ein entscheidener Unterschied, ob die elektronische Vernetzung im Unternehmen dazu benutzt wird, daß wenige alles über viele wissen, oder ob viele mehr wissen, um mitgestalten zu können.
In den 80er Jahren werden die Weichen gestellt, welches Gesicht unser Arbeitsleben in den nächsten Jahrzehnten haben wird. Mitbestimmung und Mitgestaltung der Arbeitnehmer ist nur ein Element, aber es ist ein entscheidendes Element für das zukünftige Gesicht unserer Arbeitswelt.Unser Gesetzentwurf nennt die wichtigsten Punkte, setzt Prioritäten und ist — das ist wahr — nicht vollständig. Unser Gesetzentwurf zum Ausbau und zur Sicherung der betrieblichen Mitbestimmung ist ein notwendiger Zwischenschritt bis zu einer umfassenden Reform. Nicht enthalten, aber nicht vergessen, ist die notwendige Umfirmierung der Jugend- in Auszubildendenvertretungen. Auch in diesem Punkt ist das alte Gesetz überholt. Auch dazu werden wir im nächsten Jahr einen Vorschlag machen. Uns und den Gewerkschaften geht es darum, dem Austrocknen der Jugendvertretungen entgegenzuwirken.Unser Gesetzentwurf ist aus den Erfahrungen der Praxis heraus geschrieben. Wir haben das aufgelistet, was die Kolleginnen und Kollegen in den Betrieben dringend brauchen. Die Zustimmung der Koalitionsfraktionen — wenn ich die Zwischenrufe hier höre — dürfen wir wohl nicht erwarten. Aber die Sozialausschüsse, Herr Scharrenbroich und Herr Kollege Müller, werden Farbe bekennen müssen.
Wir wollen dafür sorgen, daß die Betriebsräte nicht überstimmt, nicht überfahren werden können. Das übrigens heißt Mitbestimmung. Nach wie vor gültig ist für uns, was Willy Brandt in seiner Regierungserklärung vom 18. Januar 1973 gesagt hat
— Ich zitiere —:
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 156. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. September 1985 11649
DreßlerDen Ausbau der Mitbestimmung sehen wir als eine unserer Hauptaufgaben. Mitbestimmung gehört zur Substanz des Demokratisierungsprozesses unserer Gesellschaft. In ihr erkennen wir die geschichtlichen Voraussetzungen für jene Reformen, die in ihrer Summe den freiheitlichen Sozialstaat möglich machen. Mibestimmung — als Ordnungselement im Arbeitsleben, aber nicht nur dort — heißt natürlich auch: Mitverantwortung tragen; beides gehört zusammen.
Es ist ja erstaunlich, wenn das, was in den Grundsatzbeschlüssen der Sozialausschüsse steht, wenn es von einem ehemaligen Bundeskanzler in diesem Hause anders interpretiert, aber in der gleichen Intention vorgetragen wird, ausgerechnet vom ehemaligen Hauptgeschäftsführer der Sozialausschüsse ausgelacht wird. Aber das ist Ihr System: draußen einzeln den Leuten nach dem Munde reden und hier in der Praxis das Gegenteil abstimmen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Scharrenbroich?
Aber mit Vergnügen.
Herr Kollege, können Sie mir erklären, wieso Sie dazu gekommen sind, bei dem Mitbestimmungsgesetz 1976, das von der stellvertretenden DGB-Vorsitzenden Maria Weber als ein „gelbes Gesetz" bezeichnet worden ist, alles das nicht zu verwirklichen, was Sie heute hier fordern?
Herr Kollege Scharrenbroich, das kann ich Ihnen genau erklären. Die Erfahrungen, die Sozialdemokraten — die im übrigen die einzige Partei und auch hier im Bundestag die einzige Fraktion sind, die Mitbestimmung wollen —
in einer Koalition gemacht haben, werden Sie, Herr Scharrenbroich, spätestens in den nächsten Wochen am eigenen Leibe erfahren.
Und es ist überhaupt keine Geheimnis, Herr Scharrenbroich, daß Sozialdemokraten nur so viel auf ihrem Weg zur Verwirklichung der Mitbestimmung realisieren konnten, wie es ein Koalitionspartner zuließ — nur mit dem Unterschied: Wir haben überall da, wo es uns möglich war,
als Partei auf diesem Sektor glasklare Beschlüsse gefaßt.
In der Partei, der Sie angehören, ist zur Zeit folgender Sachverhalt zu entnehmen, Herr Scharrenbroich: Sie beschließen auf Ihren Tagungen: „Im Himmel ist Jahrmarkt" und kommen dann zurück in Ihre Partei, wo Ihnen Herr George über den „Deutschlandfunk" sagt: April, April, mit uns nicht! — Und Herr George hat die Mehrheit und nicht Sie.
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage, Herr Abgeordneter Dreßler?
Nach der Geschäftsordnung wird das j a nicht mehr angerechnet. Natürlich, mit Vergnügen.
Herr Kollege Dreßler, darf ich dem entnehmen, daß Sie der Auffassung sind, daß die neuen Technologien erst nach der Regierungsübernahme durch die CDU/CSU erfunden worden sind, daß also vorher nicht die Notwendigkeit bestand, dafür Mitbestimmungsregelungen vorzuschlagen?
Das dürfen Sie natürlich nicht daraus entnehmen, Kollege Scharrenbroich. Sie dürfen daraus entnehmen, daß das, was heute in den Betrieben Wirklichkeit ist, der Gesetzgeber 1972 noch nicht, übrigens auch noch nicht der Deutsche Gewerkschaftsbund, in seiner grenzenlosen Dimension erkannt hatte. Und heute stellen wir fest,
daß es die sozialdemokratische Bundestagsfraktion ist, die aus den Erfahrungen der letzten 13 Jahre auf diesem Sektor beabsichtigt, die gesetzgeberischen Konsequenzen zu ziehen. Und Sie sind aufgefordert, diesen Weg mitzugehen.
Lassen Sie mich abschließend sagen, meine Damen und Herren: Man kann nicht technologisch ins 21. Jahrhundert aufbrechen, aber die Arbeitsbedingungen und Sozialbedingungen auf dem Stand des zweiten bzw. dritten Drittels des 20. Jahrhunderts belassen oder sie sogar zurückdrehen wollen. Betriebsräte sind bereit, Verantwortung zu übernehmen, wenn sie an den Entscheidungsprozessen gleichberechtigt beteiligt sind. Daß die sozialdemokratische Bundestagsfraktion mit ihrem Gesetzentwurf auf dem richtigen Weg ist, ist offenkundig.
Die Praktiker in den Betriebsräten haben uns schon hundertfach bestätigt, daß sie das, was wir aufgeschrieben haben, dringend brauchen.
Ich danke Ihnen.
Meine Damen und Herren, in der Aktuellen Stunde hat der Abgeordnete Roth während der Rede des Abgeordneten Hornung den Zwischenruf „Verleumder" gemacht. Ich muß ihn wegen dieser Aussage zur Ordnung rufen.
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11650 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 156. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. September 1985
Präsident Dr. JenningerDas Wort hat der Abgeordnete Keller.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lieber Kollege Dreßler, bereits der Titel Ihres Gesetzentwurfs fordert den Widerspruch heraus. Ich frage Sie: Wollen Sie uns mit den Worten „Sicherung der betrieblichen Mitbestimmung" in der Öffentlichkeit unterstellen, daß die Koalitionsfraktionen die Mitbestimmung der Arbeitnehmer und der Betriebsräte und der Gewerkschaften abbauen wollen?
Lassen Sie mich bei dieser Gelegenheit schlicht und einfach darauf hinweisen, daß die grundlegenden Gesetze zur Mitbestimmung nach dem ersten Betriebsrätegesetz von 1920 — Reichsarbeitsminister war Heinrich Brauns, ein Zentrumspolitiker — von den Unionsregierungen durchgesetzt worden sind. Denken Sie an die Montan-Mitbestimmung 1951, an das Betriebsverfassungsgesetz 1952 und an das Bundespersonalvertretungsgesetz von 1955. Und da wagen Sie zu sagen, Herr Kollege Dreßler, die SPD sei — wenn ich das richtig mitgeschrieben habe — die einzige Partei, die Mitbestimmung wolle?!
Das ist nur schwer verständlich.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Urbaniak?
Nein, ich möchte meinen Redebeitrag ohne Antworten auf Zwischenfragen vortragen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Union sieht in der Mitbestimmung als einer echten Partnerschaft einen unverzichtbaren Teil der Sozialen Marktwirtschaft und unserer Gesellschaftsordnung im allgemeinen, und meine Fraktion schätzt und würdigt die Arbeit der Betriebsräte und Personalräte, die sich für eine vertrauensvolle Partnerschaft im Interesse ihrer Kolleginnen und Kollegen einsetzen.
Deshalb darf ich bei dieser Gelegenheit einmal allen Betriebsräten und Personalräten für ihre verantwortungsvolle Tätigkeit herzlichen Dank sagen.
Unser gesellschaftspolitisches Ziel, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist nicht die Spaltung der Arbeitnehmerschaft, wie uns bewußt unterstellt wird,
sondern die Stärkung der demokratischen Rechte des einzelnen Arbeitnehmers und der Vertreter
in Betriebs- und Personalräten und — auch wenn es für Sie hart klingen mag — der Schutz von gewerkschaftlichen Minderheiten.
Dieser politische Wille ist verfassungsrechtlich geboten und ordnungspolitisch richtig,
weil für uns Minderheitenschutz ein grundlegendes Element der sozialen Ordnungspolitik ist.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, das geltende System der Betriebsverfassung, das sich auch nach der Einschätzung der SPD grundsätzlich bewährt hat, läßt die unternehmerische Entscheidung im Grundsatz mitbestimmungsfrei. Auch nach unserer Auffassung besteht kein Zweifel daran, daß auf Grund von neuen Techniken die Frage der Erweiterung der Beteiligungsrechte des Betriebsrats bei der Einführung und Anwendung neuer Techniken überprüft werden muß. In der CDU/CSU-Bundestagsfraktion arbeitet seit Monaten eine dafür eingesetzte Kommission unter dem stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden Adolf Müller . Wir versuchen dabei, die nicht ganz leichte Aufgabe zu lösen, den schutzwürdigen und mitwirkungsnotwendigen Interessen der Arbeitnehmer Rechnung zu tragen und gleichzeitig dafür zu sorgen, daß sich die Ausweitung der Mitbestimmungsrechte später nicht als Hemmschuh des technischen Fortschritts erweist.Unsere Überlegungen orientieren sich dabei an der Philosophie der Sozialen Marktwirtschaft. Nicht die Behinderung neuer Techniken, sondern ihre Beherrschung und der soziale Ausgleich nachteiliger Folgen im Einzelfall bei ihrer Einführung und Anwendung mit dem Ziel einer Humanisierung des Arbeitslebens liegen im wohlverstandenen Interesse der Arbeitnehmer.
Der Entwurf der SPD sieht vor, daß viele wirtschaftliche Entscheidungen des Unternehmens, insbesondere zu neuen Techniken, an die vorherige Zustimmung des Betriebsrates, im Streitfalle an eine Einigungsstelle, zu binden sind. Ich will einmal sagen, was das konkret bedeutet. Im Streitfall würde über viele unternehmerische Fragen ein Außenstehender, z. B. ein Arbeitsrichter, als ausschlaggebender Vorsitzender entscheiden müssen. Das soll nach den Vorstellungen der SPD z. B. bei der „Einführung, Anwendung, Änderung oder Erweiterung technischer Einrichtungen und Verfahren, die geeignet sind, Daten oder Signale aufzunehmen, zu erfassen, zu speichern, zu verarbeiten, zu übertragen oder auszugeben" gelten. Das soll ferner bei der gesamten Personalplanung bis hin zu Einzelentscheidungen gelten. Die volle Mitbestimmung soll ferner auch in sonstigen sozialen Angelegenheiten und beim Interessenausgleich bei Betriebsänderungen gelten.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 156. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. September 1985 11651
KellerMeine sehr geehrten Damen und Herren besonders von der SPD, Sie nehmen die neuen Techniken zum Anlaß, eine weitgehende Änderung des Systems der Betriebsverfassung vorzuschlagen. Ich muß den Kollegen Dreßler fragen: Ab wann begann denn die dritte industrielle Revolution? Das ist ein Begriff, den der DGB-Vorsitzende Vetter in den 70er Jahren geprägt hat. Und wann reagieren Sie darauf? Heute.
Ich will es noch etwas deutlicher sagen. Eine erzwingbare Mitbestimmung über Investitionen und deren Umfang sowie über den Einsatz von Personal bedeutet letztlich eine Änderung der Wirtschaftsordnung.
Herr Abgeordneter Lutz, der Redner gestattet keine Zwischenfragen.
Denn hier wird eindeutig die unternehmerische Freiheit eingeschränkt. Das hat weitreichende Konsequenzen.Zum einen wäre eine Einschränkung der Entscheidungsbefugnis der Arbeitgeber bereits verfassungsrechtlich mehr als problematisch. Zum anderen könnte dieser systemverändernde Ausbau der Mitbestimmungsrechte eine verheerende Verunsicherung der Arbeitgeber mit negativen Folgen für das Einstellungsverhalten bedeuten. Was das angesichts einer immer noch angespannten Lage auf dem Arbeitsmarkt für Menschen ohne Beschäftigung bedeutet, brauche ich wohl nicht näher auszuführen.Ohne dem Beratungsergebnis vorgreifen zu wollen, erscheint mir der vorliegende Entwurf, was die Mitbestimmungsfrage im allgemeinen und die damit verbundenen Konsequenzen auf das Wirtschaftsleben anlangt, unausgewogen und für uns nicht akzeptabel. Das bedeutet natürlich nicht, daß nicht auch überlegenswerte Gedanken, die an die bisherigen Grundsätze des Betriebsverfassungsgesetzes anknüpfen, enthalten wären. Dazu zähle ich z. B. die Konkretisierung der Informationsansprüche und ihre Durchsetzbarkeit, z. B. bei Personalplanung und bei Planung von Anlagen. Dazu zähle ich die Mitwirkung bei der Gestaltung der Arbeitsplätze, die Mitwirkung zur Verbesserung des Schutzes der Daten der Arbeitnehmer und die Mitwirkung bei Bestellung und Abberufung des Datenschutzbeauftragten.Meine sehr geehrten Damen und Herren, der SPD-Entwurf erwähnt auch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und schlägt eine Herabsetzung des Unterschriftenquorums für Wahlvorschläge allgemein auf 5 % bei Beibehaltung der 100 Unterschriften vor.
Damit aber, Kollege Dreßler, hat es sich schon,
obwohl es in Ihrer Problemdarstellung heißt, daß „bei der Praktizierung des Betriebsverfassungsgesetzes eine Reihe von Mängeln deutlich geworden" seien.
— Ich habe nur Sie zitiert, Herr Kollege Dreßler! — Es gibt jedoch nicht den leisesten Hinweis auf die zahlreichen Schutzbedürfnisse von Minderheiten, wie sie seit Jahrzehnten bekannt sind und von der CDU/CSU und der FDP im wesentlichen aufgegriffen wurden.Bei der Einbringung unseres Gesetzentwurfes zur Verstärkung der Minderheitenrechte in Betrieben und Verwaltungen hat Ihr Kollege Schreiner überhaupt nicht in Abrede gestellt, daß es in einzelnen Fällen möglicherweise Mißbräuche gegeben hat und noch gibt.
Weiter sagte der Kollege Schreiner, wer das abstreiten würde, trüge nicht gerade zur Seriosität der Debatte bei.
Für uns ist der Schutz von Minderheiten als demokratisches Grundelement unteilbar.
Der Minderheitenschutz kann doch nicht nur für religiöse, politische, rassische oder andere Gruppen gelten, sondern muß sich ebenso auf gesellschaftliche Minderheiten erstrecken.
Die SPD muß sich schon fragen lassen, warum respektable Minderheiten im gewerkschaftlichen Bereich von ihr totgeschwiegen werden.
Ich erinnere Sie bloß an die Mitgliederzahlen: Beamtenbund 900 000, DAG 500 000, CGB 300 000 Mitglieder.
Als Praktiker aus dem betrieblichen Bereich und als Politiker frage ich mich schon, worauf sich die Erkenntnisse des DGB-Vorsitzenden Ernst Breit stützen, wenn er entgegenhält, der Minderheitenschutz richte sich gegen die betriebliche Interessenvertretung,
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11652 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 156. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. September 1985
Kellergleichzeitig seien Spaltungsgefahren zu sehen, und dieser Entwurf richte sich gegen die Einheitsgewerkschaft.
Wörtlich heißt es in dem Brief vom 4. Juni 1985, den Sie alle erhalten haben: „Wer einen solchen Gewerkschaftspluralismus herbeiführen will, bekämpft die Einheitsgewerkschaft".
Nun, meine sehr geehrten Damen und Herren, ein Wort zu dieser Einheitsgewerkschaft: Die Einheitsgewerkschaft mit ihren sozialistischen und christlich-sozialen Wurzeln hat nach 1945 unbestreitbare politische Verdienste;
das will niemand von uns wegdiskutieren. Trotzdem kann niemand darüber hinwegsehen, daß sich daneben — die Zahlen habe ich genannt — andere, kleinere Gewerkschaften entwickelt haben.DGB-Gewerkschaften und Sozialdemokraten berufen sich auch gerne auf die Texte der katholischen Soziallehre. In dem Beschluß der Synode der deutschen Bistümer in Würzburg vom 21. November 1975 „Kirche und Arbeiterschaft" heißt es wörtlich — und daran hat der beliebte und vielzitierte Pater Oswald von Nell-Breuning wesentlich mitgearbeitet —: „Es müßte selbstverständlich sein, daß der katholische Arbeiter sich gewerkschaftlich organisiert". Dem kann ich nur vollinhaltlich zustimmen. Das heißt aber nicht — und hören Sie bitte genau zu —, daß er sich allein in einer Einzelgewerkschaft des DGB organisieren und engagieren muß. Diese persönliche und gewerkschaftliche Freiheit, die auch verfassungsrechtlich garantiert ist, wollen wir schützen!
Meine sehr geehrten Damen und Herren, mit Interesse, aber mehr noch mit Bestürzung habe ich die Entschließung des Beirates der IG Metall vom 11. Dezember 1984 in der „Aktionsmappe zur Verteidigung des Betriebsverfassungsgesetzes" gelesen. Unter dem Vorwand des Minderheitenschutzes werde, so behauptet die IG Metall, den Splitterorganisationen und Spaltergruppen ebenso Tür und Tor geöffnet wie den chaotischen Sektierern.
Wörtlich heißt es:Darauf gibt es für die IG Metall und den DGB nur eine Antwort: die bedingungslose Verteidigung der Einheitsgewerkschaft gegen die Wiederbelebung gelber Gruppen,
der geschlossene Protest gegen die geplanten Anschläge
— freuen Sie sich nicht zu früh! —auf eine solidarische Interessenvertretung der Arbeitnehmer im Betrieb.Meine sehr geehrten Damen und Herren, als Politiker frage ich mich bei dieser Aussage nach dem Toleranz- und Freiheitsverständnis der IG Metall, und als Gewerkschafter, der nicht dem DGB angehört, frage ich nach der Geschichtsfälschung, die sich hier über der deutschen Gewerkschaftsbewegung niederschlägt.
Ein für uns unverdächtiger, aber anerkannter Historiker, nämlich Arthur Rosenberg — er war übrigens kommunistischer Reichstagsabgeordneter — schreibt in seinem Buch „Entstehung der Weimarer Republik"
— hören Sie bitte einmal zu —:In Deutschland ist eine selbständige Arbeiterbewegung parallel von zwei Seiten her geschaffen worden. Neben der marxistischen Bewegung steht die katholische. Es ist zweifelhaft, ob in den 70er Jahren— gemeint ist das letzte Jahrhundert —den herrschenden Klassen Deutschlands die sozialdemokratische Arbeiterbewegung in Berlin und Sachsen viel unangenehmer war als die katholische Arbeiterbewegung in Oberschlesien und am Rhein.So dieser Historiker. Dann behaupten Sie, das seien „gelbe Bewegungen" gewesen.Nach den Feiern zur 40jährigen Wiederkehr des 8. Mai 1945 ist es für mich mehr als bedauerlich, wenn man die christlichen Gewerkschafter und die Mitglieder der katholischen Arbeitervereine in die gelbe Ecke stellen will. Historisch gesehen ist das schlicht und einfach eine Geschichtsfälschung.
Vor der sachlichen Argumentation und Diskussion während und nach den Aktionswochen des DGB brauchen wir keine Angst zu haben. Gegen aggressive Polemik ist allerdings — wie immer — kein Kraut gewachsen.Meine sehr geehrten Damen und Herren, Kernstück unseres Gesetzentwurfs zur Verstärkung der Minderheitenrechte in den Betrieben und Verwaltungen ist die Besetzung der Ausschüsse und die Wahl der freizustellenden Betriebsratsmitglieder nach der Verhältniswahl. Ich will hier keine weiteren Einzelfälle aufführen, aber es gibt bei der Besetzung von Positionen im Betriebsrat und auch im Personalrat zahlreiche Beispiele, wonach sich die Mehrheit einer Einzelgewerkschaft des DGB eiskalt über starke gewerkschaftliche Minderheiten hinweggesetzt hat.
Ich sehe für den Vorschlag der Arbeitgeberseite, ein Fairneßabkommen anzustreben, heute keine
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 156. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. September 1985 11653
KellerChance mehr. Vor 20 Jahren wäre das vielleicht möglich gewesen.Bei dieser Gelegenheit muß einfach die Frage erlaubt sein, inwieweit es überhaupt rechtssystematisch vertretbar ist, bei der Wahl eines demokratischen Vertretungskörpers von der Verhältniswahl auf das reine Mehrheitswahlrecht umzuspringen, wie dies nach dem Betriebsverfassungsgesetz und dem Bundespersonalvertretungsgesetz rechtlich möglich ist. Mir ist keine Vertretungskörperschaft bekannt, wo dies so geschieht.Persönlich hoffe ich trotzdem, daß die gewerkschaftliche Solidarität, von der so viel geschrieben und auch geredet wird, ausreichend ist, nicht nur den Mitwirkungsbereich der Betriebsräte zu verdeutlichen und zu verbessern, sondern auch das gewerkschaftliche Miteinander in den Betrieben zu harmonisieren.Persönlich bedaure ich es, daß der DGB in dieser Härte seinen Anspruch als Einheitsgewerkschaft darzustellen und durchzusetzen versucht. Ich frage uns alle: Sollten uns nicht vielmehr die Sorge und die Bemühungen darum umtreiben, warum in so vielen kleineren, mittleren und auch größeren Betrieben noch kein Betriebsrat existiert? Der damalige Bundesarbeitsminister Arendt hat bei der Einbringung des Gesetzentwurfs über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer in Betrieben und Unternehmungen am 11. Februar 1971 ausdrücklich bedauert, daß von 400 000 betriebsratsfähigen Betrieben im Jahre 1968 nur 25 000 Betriebsräte gewählt haben.
Das heißt, für die Arbeitnehmer von 94 % aller Betriebe, die unter dieses Gesetz fallen, existiert dieses Gesetz eben nur auf dem Papier.In den „Gewerkschaftlichen Monatsheften", Ausgabe 12/1984, ist über die Ergebnisse der Betriebsratswahlen 1984 nachzulesen, daß die etwa 200 000 Betriebsratssitze in ca. 36 000 Betrieben zu vergeben waren. Leider gibt es für diesen Bereich keine exakte Statistik.Eines aber machen diese Zahlen deutlich, so genau und so ungenau sie auch sein mögen: In der Mehrheit der betriebsratsfähigen Betriebe gibt es auch heute noch keinen Betriebsrat. Das bedeutet mindere Rechte für die Arbeitnehmer.Meine sehr geehrten Damen und Herren, diese Zahlen sind es, die uns eigentlich wachrütteln und aufrütteln müßten, die uns umtreiben sollten. Es wäre einer gemeinsamen Aktion aller Gewerkschafter in den Fraktionen wert, darüber ernsthaft nachzudenken.
Lassen Sie mich auf eine Kleinigkeit — vielleicht ist es auch ein Versehen oder aber Absicht — hinweisen. Es geht mir um den Änderungsvorschlag zu § 23 bei der Verletzung gesetzlicher Pflichten nach dem Betriebsverfassungsgesetz. Bisher können, wie wir alle wissen, der Betriebsrat oder — jetzt kommt das entscheidende Wort — eine im Betrieb vertretene Gewerkschaft bei groben Verstößen des Arbeitgebers gegen seine Verpflichtungen aus dem Gesetz zum Arbeitsgericht gehen und gegebenenfalls auch Zwangsgeld beantragen.In der Neufassung läßt die SPD „eine im Betrieb vertretene Gewerkschaft" fallen, und dann heißt § 23 Abs. 4: „Absatz 3 gilt entsprechend für die im Betrieb vertretene Gewerkschaft." In der Begründung wird das als redaktionelle Änderung hingestellt. Da muß ich mich natürlich schon fragen, ob die Änderung dieses einzigen Wörtchens ein Fehler des Korrektors oder Absicht ist. Dies ist eine winzige Kleinigkeit, die allerdings für den Geist der Verfasser entscheidend ist.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir, die Unionsfraktionen, werden alle Vorschläge, auch Ihre, sorgsam prüfen und das Betriebsverfassungsgesetz im Sinne der Partnerschaft und des Miteinander im Betrieb weiterentwickeln. Wir werden aber nicht das System der Betriebsverfassung in Frage stellen oder total ändern. Die Betriebsräte und analog dazu die Personalräte können sich auf uns verlassen, daß wir die Mitbestimmung und Mitwirkung mit Herz und mit Verstand bejahen.
Meine Damen und Herren, auf der Ehrentribüne hat eine Delegation des isländischen Althing Platz genommen.
Ich habe die Ehre, Sie im Deutschen Bundestag zu begrüßen.
Der Besuch der isländischen Parlamentarier ist Ausdruck der seit vielen Jahren bestehenden guten und freundschaftlichen Beziehungen zwischen unseren Ländern. Ich wünsche der Delegation nützliche Gespräche und einen guten Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Tischer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber nicht anwesender Arbeitsminister! Wir debattieren heute den Entwurf eines Gesetzes zum Ausbau und zur Sicherung der betrieblichen Mitbestimmung, den die Fraktion der SPD eingebracht hat. Bevor ich auf das Werk im Detail eingehe, möchte ich noch in einer Zeit, die nicht gerade zu den Sternstunden der Lohnabhängigen zu zählen ist, auf die Rahmenbedingungen einer Zeit eingehen, in welcher dieses Gesetz vorgelegt wird.Diese sogenannte Regierungskoalition der Mitte, wie sie sich gern zu nennen pflegt, ist mit dem Anspruch angetreten, auch die Schwachen dieser Gesellschaft zu vertreten. Unzählige Wahlkampfaussagen vor der Bundestagswahl 1983 sprechen ja dafür. Was sich nach der Bundestagswahl für die abhängig Beschäftigten herausstellt, läßt dem Arbeitnehmer hinter seiner Fabrikbank die Haare zu Berge stehen. Nicht erst seit Flick und auch nicht
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11654 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 156. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. September 1985
Tischererst seit den entlarvenden Berichten über die Medien wegen der Versicherungskonzerne und deren wohltätigen Spenden an namhafte Politiker wird herauskristallisiert, von wessen Klientel diese Rechtskoalition getragen und gesteuert wird. Hier hat sich auch für mich wenigstens erklärbar gemacht, was und wen die CDU/CSU und die FDP mit dieser „fünften Kolonne" gemeint hat, die ich vor 1983, als ich noch Außenstehender dieses Hauses war,
über die Medien immer wieder vernommen habe. Hier und da zeigt sich auch, wo die fünfte Kolonne steht und von wem sie getragen wird;
denn spätestens seit diesen Skandalen ist für jeden Bürger und für jede Bürgerin in diesem Lande erkennbar, für wessen Interessen und für wen diese Rechtskoalition einsteht.
Der massive Eingriff in die Sozialleistungen, vom Sozialhilfeempfänger bis zum abhängig Beschäftigten, und die schlimmen Eingriffe in die Rechte der Arbeitnehmer dieses Landes zeigen auf, daß dieses Luftschloß, welches die Parteien dieser Rechtskoalition im Wahlkampf 1983 den Bürgern auf den Wahltisch stellten, auf Lug und Trug aufgebaut ist.
Das von den Rechten dieser Koalition heiß ersehnte Müller-Gutachten, das nunmehr bestehende Interesse dieser Koalitionäre, die tarifliche Kampffähigkeit der Gewerkschaften in die Luft zu jagen, sind nicht allein Beleg für die Absichten dieser Rechtskoalition.
— Ja, das regt Sie auf; das kann ich verstehen.Wie schlimm Sie die Rahmenbedingungen der Lohnabhängigen nun zu ihrem Nachteil wenden, zeigt auch das Urteil des Bundesarbeitsgerichts über den Einsatz von Beamten im Streik.
Wer da noch vor englischen Verhältnissen warnt — wenn ich die Rede von Herrn Rappe richtig im Kopf habe —, verkennt, daß diese Verhältnisse hier bei uns bereits in den Anfängen stehen. Es sieht in der Tat so aus, daß diese Rechtskoalition die Rechte der Arbeitnehmer wie einen Schweizer Käse durchlöchert mit dem Ziel, diese Rechte so genießbar zu machen wie den versauten Wein aus dem Burgenland, damit die Beschäftigen nachher dastehen wie die Nudelesser von Birkel. In einer solchen Zeit fällt der Gesetzentwurf der SPD auf, er ist zu begrüßen.Kommen wir nun jedoch zum Gesetzentwurf der SPD.
Der „Entwurf eines Gesetzes zum Ausbau und zur Sicherung der betrieblichen Mitbestimmung" der SPD beginnt mit folgendem Satz — ich möchte ihn gern zitieren —:Das Betriebsverfassungsgesetz 1972 hat sich grundsätzlich bewährt.
— Klatschen Sie mal; Sie müssen aufpassen, was nachher kommt.
Ich bitte die SPD, doch einmal aufzuzeigen, wo sich das Betriebsverfassungsgesetz Ihrer Meinung nach für die Lohnabhängigen und insbesondere für die von Schließungen Betroffenen bewährt hat, Herr Dreßler. Die SPD möchte doch bitte schön einmal aufzeigen, wo sich insbesondere die im Betriebsverfassungsgesetz verankerte „vertrauensvolle Zusammenarbeit" zwischen dem Betriebsrat und der Kapitalseite bewährt hat. Fragen Sie einmal bei den Betriebsräten nach, mit denen Sie j a angeblich so oft und gern zusammenkommen.
Hat sich denn nicht gerade bei Betriebsschließungen und bei Verhandlungen zum Zwecke des Interessenausgleichs herausgestellt, daß die Unternehmerseite solche Gesetzesteile dann auf einmal vergessen hat?
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dreßler?
Ich möchte das jetzt bitte im Zusammenhang vortragen. Seien Sie mir nicht böse, Herr Dreßler. Ich lasse sonst Zwischenfragen zu, aber das möchte ich gern en bloc vortragen.
Ich möchte es krasser betonen: Wenn es um den Profit der Arbeitgeber geht, dann scheißen die Unternehmer auf die „vertrauensvolle Zusammenarbeit", die im Betriebsverfassungsgesetz verankert ist.Uns geht es darum, daß die Interessen der Lohnabhängigen durchgesetzt werden, ohne eine Kluft zwischen Betriebsrat und Beschäftigten aufzutun, wie es der Gesetzentwurf der SPD jedoch indirekt beinhaltet. In nur wenigen Ländern sind die Beziehungen zwischen Arbeit und Kapital in so deutlicher Weise verrechtlicht wie in der Bundesrepublik Deutschland. Diese Verrechtlichung hat zwei Seiten: Durch die Verrechtlichung werden viele Kon-
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Tischerflikte im Vorfeld der Arbeitskampfmaßnahmen abgemildert.
Da möge dann der Beifall der SPD stehen. — Wenn aber — das ist die Kehrseite der Medaille — die politischen Verhältnisse so sind, wie sie jetzt sind, nämlich daß die Regierung nur das Interesse der Kapitalseite durchsetzt, dann wendet sich das Blatt. Rechtsprechung ist abhängig von den politischen Verhältnissen in dieser Gesellschaft.
Nach der Wende ist zunehmend eine Rechtsprechungspraxis zu erkennen, die zwar immer Konflikte löst, aber vorwiegend im Interesse der Arbeitgeber auf dem Rücken der Arbeitnehmer. Das verdeutlicht das BAG-Urteil, das Beamte per Dienstpflicht zu Streikbrechern macht.
Nach dem BAG-Urteil sollen abhängig Beschäftigte — Beamte — gegen andere Beschäftigte, die oftmals die gleiche Arbeit tun, ausgespielt werden. Da freut sich natürlich die Koalition aus Kapital und Kabinett, wenn es darum geht, die Arbeitnehmerschaft zu spalten und die Arbeitnehmer möglichst auch gegeneinander aufzuhetzen.
Was sind die Folgen einer solch üblen Strategie? Dies wurde am deutlichsten, als im Kampf um die 35-Stunden-Woche in einem Stuttgarter Druckereibetrieb ein Kurierfahrer seinen auf Streikposten stehenden Kollegen überfuhr und verletzte. Solche Fälle haben Sie, meine Herren von der Regierung — Damen sind j a nicht viele vertreten —, durch Ihr Verhalten im Streik um die 35-Stunden-Woche, durch Ihre Kampagne gegen die Gewerkschaften provoziert und zu verantworten.
Das, meine Damen und Herren von der SPD, ist die andere Seite der Verrechtlichung von Arbeitsbeziehungen in einer kapitalistischen Gesellschaft.Jetzt in drei Stichpunkten zu Ihrem Entwurf.Erstens. Zu § 79 schlagen Sie vor, die bisher bestehende Geheimhaltungspflicht einzuschränken, wenn dies die Interessen der Belegschaft erforderlich machen. Das finden wir gut. Das halten wir für richtig. Aber, meine Damen und Herren von der SPD, Sie wissen ganz genau, daß das Fehlen einer Bestimmung, was denn nun berechtigte Interessen sind, in der nächsten Zeit den erhöhten Einsatz von Arbeitsrichtern erforderlich machen würde. Wir wollen diese Auslegung nicht den Arbeitsrichtern überlassen. Nach unserer Meinung liegt klar auf der Hand: Die berechtigten Interessen werden die Betriebsräte nur in ihrer eigenen Praxis ausmachen können. Das heißt, das Recht zur Interessenbestimmung muß eindeutig bei den Betriebsräten liegen.Zweitens. Des weiteren schlagen Sie zu § 80 vor, daß dem Betriebsrat auf Verlangen alle erforderlichen Unterlagen zur Verfügung gestellt werden müssen. In der Praxis wird dies häufig genug durch Verzögerungen seitens der Unternehmensleitung unterlaufen. Das wissen wir. Deshalb fordern wir ein umfassendes und jederzeitiges Akteneinsichtsrecht. Dies sieht Ihr Gesetzentwurf jedoch nicht vor, meine Damen und Herren von der SPD. In diesem Punkt sind unsere Auffassungen nicht sehr weit auseinander. Man sollte sich nach meiner Meinung im Ausschuß über die konkrete Ausgestaltung dieses Teils unterhalten. Ich denke, daß wir in dieser Frage zu einem Konsens kommen könnten.
Drittens. Durch Ihren Novellierungsvorschlag zu § 87 wollen Sie die Mitbestimmungsrechte in sozialen Fragen deutlich erweitern. Das ist sehr lobenswert. Dann sprechen Sie 14 Einzelfälle an, in denen nach Ihrer Meinung der Tatbestand einer sozialen Frage erfüllt ist. Diese Einzelaufschlüsselung ergänzen Sie interessanterweise in Nr. 15 durch die Passage, daß, auch „sonstige soziale Angelegenheiten, die den Betrieb und die Arbeitnehmer betreffen", mitbestimmungspflichtig sein sollen. Meine Damen und Herren von der SPD, was soll denn das? Wenn Sie damit richtigerweise sagen wollen, daß grundsätzlich alle Fragen eines Betriebs, die mittelbar oder unmittelbar den Betriebsrat oder die Beschäftigten betreffen eine Mitbestimmung erforderlich machen, dann sagen Sie das doch so und stehlen Sie sich nicht darum herum. Wir sind der Meinung: Dem Betriebsrat muß eine sogenannte Kompetenzkompetenz zugestanden werden.Kommen wir zum Schluß. Der DGB hat Vorschläge in einem Gesetzentwurf entwickelt, der nach meiner Meinung aus Gründen der demokratischen Kultur im Parlament diskutiert werden muß. Deshalb werden DIE GRÜNEN diese Gesetzesinitiative so, wie sie ist, im Bundestag einbringen, um eine ausführliche Diskussion zu ermöglichen.
Da dieses Vorgehen leider nicht vorgesehen ist, halten wir es für richtig, .. .
Herr Abgeordneter, Sie wollten j a zum Schluß kommen.
— Ich komme zum Schluß —daß eine Initiative der wichtigsten Arbeitnehmerorganisation dieser Republik ausführlichst im Parlament diskutiert wird, obwohl DIE GRÜNEN Änderungsvorschläge zu diesem Gesetzentwurf vorzubringen haben. Dies werden wir in Form von Änderungsanträgen zum DGB-Entwurf in die parlamentarische Debatte einbringen.
Ich kann am Schluß an dieser Stelle nur alle Gewerkschaftsmitglieder .. .
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11656 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 156. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. September 1985
Herr Abgeordneter, Sie versprechen zum zweiten Mal, Schluß zu machen.
— Einen halben Satz noch! — ... in diesem Haus auffordern, in dieser Zeit, in der die Rechte der Arbeitnehmer immer mehr beschnitten werden, diese Initiative zu unterstützen.
Vielen Dank.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Adam-Schwaetzer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir sind uns alle einig: Mitbestimmung gehört zur Demokratie. Mitbestimmung bedeutet Partnerschaft. Und in einer Zeit mit einem so tiefgreifenden Strukturwandel, wie wir ihn derzeit erleben, ist Mitbestimmung notwendiger denn je.
Das Betriebsverfassungsgesetz von 1972 ist — darauf haben Sie zu Recht hingewiesen — von uns mitgestaltet, mitgetragen worden. Wir sagen auch heute noch ja dazu.
Denn es ist ein gutes Gesetz, das dazu beigetragen hat, den Frieden im Betrieb zu sichern.
— Allerdings, es geht um die Erhaltung des Betriebsfriedens, und zwar sowohl im Interesse der Arbeitnehmer als auch zur Sicherung der Arbeitsplätze. —
Es muß natürlich, wenn nötig, fortentwickelt werden.
Aber, Herr Dreßler, es offenbart Ihre abgrundtiefe Arroganz, wenn Sie hier sagen, daß die sozialdemokratische Fraktion die einzige Fraktion des Hauses sei, die Mitbestimmung überhaupt wolle.
Das glaubt Ihnen draußen im Betrieb nun wirklich niemand.
Und was Übertreibungen angeht, so kann ich Ihnen wirklich empfehlen, einmal den Kommentar, der heute in der „Frankfurter Allgemeinen" zur Sprache der Politiker geschrieben worden ist, zu lesen.
Dann allerdings müßten wir erkennen, daß es zwar wichtig ist, sich sachlich miteinander auseinanderzusetzen, daß es aber auch wichtig ist, nicht schwarzweiß zu malen, sondern zu versuchen, ein differenziertes Bild zu gestalten.
Frau Abgeordnete, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Aber bitte. Vizepräsident Stücklen: Bitte sehr.
Frau Kollegin Dr. Adam-Schwaetzer, sind Sie bereit, dem Deutschen Bundestag irgendeinen Parteitagsbeschluß der Freien Demokratischen Partei oder, falls es auch Ihrem Interesse oder Ihren Neigungen entspricht, einen Parteitagsbeschluß der CDU/CSU zu nennen, in dem Mitbestimmung für die Arbeitnehmer objektiv enthalten ist?
Herr Dreßler, Ihre Frage offenbart den grundsätzlichen Unterschied zwischen der SPD und den Freien Demokraten, was die Auffassung zur Mitbestimmung angeht. Ich kann ihnen Dutzende von Parteitagsbeschlüssen nennen, angefangen von den Freiburger Thesen 1971 und endend mit der Wahlaussage für die Bundestagswahl 1983.
Also, die Freien Demokraten haben sich auf vielen Parteitagen damit befaßt. Nur, der grundlegende Unterschied zwischen Ihrer und unserer Mitbestimmung ist, daß wir immer die Stärkung der Rechte des einzelnen Arbeitnehmers gefordert haben,
während Sie nur die Rechte der Organisationen stärken wollen; das ist der Unterschied.
Außerdem Herr Dreßler: Wir lesen Ihre Programme. Wenn Sie das gleiche mit unseren getan hätten, dann hätten Sie Ihre Zwischenfrage nicht gestellt.
Der grundlegende Unterschied — ich will es noch an zwei Beispielen deutlich machen — zeigt sich zum ersten in Ihrer Einstellung zur Montan-Mitbestimmung und in dem, was wir bei der Änderung des Montan-Mitbestimmungsgesetzes 1980 im Ansatz verwirklicht haben. Damit haben wir nämlich zum ersten Mal überhaupt Wahlverfahren, die eine wirkliche Wahl beinhalten, eingeführt, damit hier nicht nur ein Benennungssystem von Gewerkschaften besteht. Das ist unser Ansatz von Demokratie. Das zweite Beispiel, Herr Dreßler, ist Ihr vorliegender Gesetzentwurf: An keiner einzigen Stelle des vorliegenden Gesetzentwurfs werden Rechte des einzelnen Arbeitnehmers erwähnt, sondern es handelt sich nur um Rechte des Betriebsrates, d. h. um Organisationsrechte. Diese müssen zwar sein, aber der Ansatz ist eben doch verschieden.
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Frau Dr. Adam-SchwaetzerEs gibt in Ihrem Gesetzentwurf vier Bereiche, die meines Erachtens vom Ansatz her zu kritisieren sind:Erstens. Ihr Gesetzentwurf würde eine Investitionskontrolle schaffen, die zur Behinderung des Strukturwandels führen kann.
Zweitens. Ihr Gesetzentwurf würde ein Ungleichgewicht zwischen den Rechten und den Risiken, die in einem Unternehmen verteilt werden, bringen:
die Machtfülle für den Betriebsrat, die Risiken für die Unternehmensleitung.Drittens. Ihr Gesetzentwurf beschneidet bestehende Rechte des einzelnen Arbeitnehmers.Viertens. Ihr Gesetzentwurf birgt die Möglichkeit der Störung des Betriebsfriedens in sich.Ich will die einzelnen Punkte näher erläutern. Zunächst zum ersten Punkt, daß die Investitionskontrolle den Strukturwandel behindern könne: Es ist wichtig, meine Damen und Herren, daß die Arbeitnehmer akzeptieren, daß der Strukturwandel kommen muß. Deshalb ist es wichtig, einen Konsens herbeizuführen. Es klingt gut, Herr Dreßler, wenn Sie von sozialer Steuerung der technologischen Entwicklung sprechen, ohne gleichzeitig auf die Konsequenzen aufmerksam zu machen, die daraus auch für den Arbeitsplatz des einzelnen entstehen können, der den zukünftigen Notwendigkeiten des Strukturwandels eben nicht angepaßt werden kann. Es ist schon sehr verräterisch, wenn Sie in der Begründung Ihres Gesetzentwurfes sagen: „Die wirtschaftlichen und technologischen Prozesse sind gesellschaftlich nur zu verantworten, wenn auch die Betriebsräte" — nicht die Arbeitnehmer, sondern die Betriebsräte — „entsprechende Mitbestimmungsrechte haben."
Ihr Gesetzentwurf übersieht, daß der Vorteil und der Nachteil der Nutzung moderner Technologien nicht immer im gleichen Betrieb angesiedelt sind.
Die soziale Akzeptanz wird hier auf jeden Betrieb einzeln fixiert.
Damit kann es eine unzumutbare Behinderung des notwendigen technischen Wandels geben. Wissen Sie, wenn alle, auch in der Sozialdemokratie, zum technischen Wandel die gleiche Einstellung hätten,wie Hermann Rappe sie am letzten Freitag im Plenum deutlich gemacht hat, wäre es einfacher, Ihren Vorschlägen offener gegenüberzustehen.
Frau Abgeordnete, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Lutz?
Aber sicher doch.
Frau Kollegin, warum sind Sie eigentlich der Meinung, daß sich der Arbeitnehmer nicht durch den Betriebsrat vertreten fühlt? Sind Sie nicht auch der Meinung, daß der Aktionär durch den Vorstand vertreten wird und daß somit beide die soziale Akzeptanz technischer Prozesse erreichen sollten: die einen über den Vorstand, die anderen über den Betriebsrat?
Herr Lutz, selbstverständlich geht es darum, daß der Betriebsrat die Interessen der Arbeitnehmer vertritt. Aber es geht auch darum, daß der einzelne Arbeitnehmer auch j a dazu sagen muß, in welchen Fragen der Betriebsrat ihn vertritt. Das ist der grundsätzliche Unterschied:
Sie geben dem Betriebsrat Aufgaben, ohne daß der Arbeitnehmer im Einzelfall sein Einverständnis zu dieser Vertretung geben müßte. Ich werde das im übrigen gleich noch an einem weiteren Beispiel deutlich machen, das ganz besonders plastisch demonstriert, mit welcher Nonchalance Sie darüber hinweggehen, was der einzelne Arbeitnehmer selbst für sich muß entscheiden können.
Meine Damen und Herren, wenn schon ein Abgeordneter eine Zwischenfrage zuläßt, dann sollte das auch von allen Seiten durch größte Aufmerksamkeit honoriert werden.
Zu zweitens: Rechte und Risiken in einem Betrieb müssen gleichmäßig verteilt werden.
Das ist völlig unbestritten.
Deshalb kann es j a wohl nicht so sein, daß zwar der Betriebsrat die Investitionskontrolle, die Kontrolle über sämtliche personellen Maßnahmen ausübt, aber daß die Erfolgsgarantie dafür einseitig bei der Unternehmensleitung angesiedelt bleibt.
Ihr Entwurf sieht ja nun einmal folgendes vor. Erschreibt ein Vetorecht für den Betriebsrat fest, d. h.die Unternehmensleitung kann nichts machen,
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Frau Dr. Adam-Schwaetzernicht eine einzige Entscheidung treffen, ohne daß der Betriebsrat zugestimmt hat.
Sie legen ausdrücklich fest, daß eine Maßnahme, der der Betriebsrat nicht zugestimmt hat, unwirksam ist. Aber das bedeutet doch nichts anderes, als daß — nach Ihrer Vorstellung — Betriebsrat und Gewerkschaften, mit denen er zusammenarbeitet, eine bessere Entscheidung über Nutzen und Auswirkungen von Investitionen und von Personalplanungen treffen, als es die Unternehmensleitung selber kann. Nur, wenn ich mir die Erfolge ansehe, die die Gewerkschaften bisher im unternehmerischen Bereich gehabt haben, kommen mir sehr große Zweifel, ob sie dazu wirklich in der Lage sind.
Ich brauche nur die Beispiele co op und Neue Heimat zu nennen, um das ganz deutlich zu machen.An der Stelle frage ich mich: Wollen das eigentlich die Betriebsräte wirklich? Ich kenne einige, die das in dieser Form sicherlich nicht realisiert sehen möchten.
Dritter Punkt: Ihr Gesetzentwurf beeinträchtigt Rechte von Arbeitnehmern im Betrieb, die sie heute haben. Sie gehen von einem Bild des Arbeitnehmers aus, der für sich selber keine Entscheidungen mehr treffen kann. Sie bevormunden ihn. Das ist für einen Liberalen unerträglich.
Im geltenden Betriebsverfassungsgesetz ist es so, daß der Arbeitnehmer den Betriebsrat zuziehen kann, wenn er es wünscht, z. B. bei Gesprächen mit dem Vorgesetzten. Sie wollen nun festschreiben, daß unabhängig von der Zustimmung des einzelnen Arbeitnehmers der Betriebsrat immer dabeisein kann, sogar muß. Ich halte dies für unerträglich.
Sie wollen festschreiben, daß der Betriebsrat ohne Zustimmung des einzelnen Arbeitnehmers Einsicht in seine Personalakten, in seine Gehaltslisten, in alles nehmen kann, was mit seinen persönlichen Daten zusammenhängt. Ich halte das für unerträglich.
Ganz abgesehen davon möchte die SPD mit diesem Gesetz dem Betriebsrat ein Mitbestimmungsrecht über leitende Angestellte verschaffen, d. h. über diejenigen Arbeitnehmer im Betrieb, die nicht einmal das Recht haben, diesen Betriebsrat mitzuwählen. All dies offenbart ein sehr merkwürdiges Demokratieverständnis der Sozialdemokraten.Ich komme zu einem letzten, in meinen Augen unglaublich wichtigen Punkt. Der Gesetzentwurf kann dazu beitragen, den Betriebsfrieden zu stören, und zwar in zwei Bereichen.
Erstens schreibt das derzeitige Betriebsverfassungsgesetz fest, daß sich der Betriebsrat im Arbeitskampf neutral zu verhalten hat. Diese Neutralitätspflicht wollen die Sozialdemokraten aufheben. Das bedeutet, daß der Betriebsrat in einen Arbeitskampf eingreifen kann mit seiner Vorrangstellung, die ihm im Betrieb durch das Betriebsverfassungsgesetz zu Recht eingeräumt ist. Das heißt, es gibt keine Neutralität im Betrieb und damit auch keine Vertretung derjenigen Arbeitnehmer mehr, die sich an einem Arbeitskampf nicht beteiligen wollen.
Ein zweites Beispiel für eine mögliche Störung des Betriebsfriedens. Das derzeitige Betriebsverfassungsgesetz geht von einer vertrauensvollen Zusammenarbeit zwischen Unternehmensleitung und Betriebsrat aus.
Dies ist wirklich die Voraussetzung dafür, daß der notwendige Friede im Betrieb erhalten bleibt. Eine so einseitige Verschiebung der Gleichgewichte zwischen Betriebsrat und Unternehmensleitung schafft keine vertrauensvolle Zusammenarbeit, sondern das Gegenteil. Der einzelne Arbeitnehmer des Betriebs braucht den Betriebsrat. Das ist völlig unbestritten. Aber bei einer Diskussion des Betriebsverfassungsgesetzes geht es um Rechte des einzelnen Arbeitnehmers, der ein mündiger Bürger in unserem Staat und auch im Betrieb ist. Es kann nicht darum gehen, nur einseitig Organisationsrechte zu stärken, wie Sie von der SPD das vorschlagen.Vielen Dank.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Jung .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Adam-Schwaetzer, es ist sicher richtig, daß auch Ihre Partei Beschlüsse zur Mitbestimmung gefaßt hat, z. B. in den Freiburger Thesen. Aber die sind längst Makulatur. Von denen sind Sie doch längst abgerückt.
Ich möchte dazu sagen, daß sich unsere Vorstellungen über die Mitbestimmung in der Tat beträchtlich unterscheiden. Wir Sozialdemokraten legen großen Wert darauf, daß Mitbestimmung nur funktionieren kann, wenn sie solidarisch wahrgenommen, wenn sie kollektiv wahrgenommen wird.
Wenn Sie die Interessen des Individuums so in den Vordergrund stellen, dann kann ich Ihnen sagen: Einzelne Arbeitnehmer können gegen die Verfügungsgewalt von Unternehmern wenig ausrichten.
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Jung
Darum finden wir die solidarische Interessenvertretung so wichtig.
Meine Damen und Herren, wir befinden uns jetzt im dritten Jahr eines bescheidenen Konjunkturaufschwungs. Aber die Arbeitslosigkeit hat in den letzten drei Jahren noch erheblich zugenommen. Das liegt vor allem daran, daß das Wirtschaftswachstum weit hinter dem Produktivitätszuwachs zurückgeblieben ist. Das ist auf die rasante technologische Entwicklung zurückzuführen. Frau Adam-Schwaetzer, damit sind wir beim Thema. Mehr noch: Die Anwendung neuer Technologien steht erst an ihrem Anfang. Die Ausschöpfung ihres Anwendungspotentials wird die Rationalisierungswelle in der Produktion und vor allem auch im Dienstleistungsbereich noch weiter anschwellen lassen. Wir befürchten — das muß in dieser Debatte auch gesagt werden —, daß der nächste Konjunkturabschwung bei einem Niveau von über zwei Millionen registrierten Arbeitslosen einsetzen wird. Die Massenarbeitslosigkeit wird also weiter steigen, wenn die Bundesregierung nicht entschieden gegensteuert, und das tut sie nicht, nach meiner Einschätzung jedenfalls nicht wirksam oder mit den falschen Mitteln.
Ernst zu nehmende Prognosen rechnen sogar damit, wenn nicht gegengesteuert wird, daß die Arbeitslosigkeit am Ende dieses Jahrzehnts bei drei bis vier Millionen liegen könnte, die „stille Reserve" noch nicht einmal eingerechnet.Meine Damen und Herren! Immer mehr Arbeitnehmer machen die bittere Erfahrung, daß der technologische Wandel mehr Arbeitsplätze vernichtet als schafft, daß er ihre beruflichen Fähigkeiten und Qualifikationen entwertet und daß er ihre Gesundheit gefährdet. Und immer mehr Politiker auf der anderen Seite machen die Erfahrung, daß die Technikfeindlichkeit unter den Arbeitnehmern wächst; das können Sie doch nicht leugnen. Ich frage: Ist das zwangsläufig? Gibt es eine Gesetzmäßigkeit, daß sich der technische Wandel immer zu Lasten der betroffenen Arbeitnehmer auswirken muß? Ist denn dieser technische Fortschritt Selbstzweck? Wir meinen das nicht.Natürlich sehen auch wir: ohne einen sinnvollen, ohne einen politisch gesteuerten und sozial kontrollierten technologischen Wandel würden möglicherweise noch mehr Arbeitsplätze vernichtet werden.
Wir sehen daher in den technischen Möglichkeiten und in der wirtschaftlichen Erneuerung auch Chancen und — ich füge hinzu — auch die Herausforderung, die Lebensqualität der Menschen zu erhöhen und die Arbeit zu humanisieren. Wir dürfen aber diesen technologischen Wandel nicht wie ein Naturereignis über uns ergehen lassen, wir müssen ihn gestalten.Notwendig ist eine wirksame Forschungs- und Technologiepolitik, die mit einer vorausschauenden Struktur- und Bildungspolitik verbunden werden muß. Aber ebenso notwendig ist die Ausdehnung der Mitbestimmung auf den Einsatz neuer Technologien, und zwar aus zwei Gründen:Erstens. Wenn das Wissen, die Kompetenz und die Motivation der Arbeitnehmer zur Gestaltung ihrer eigenen Arbeitsbedingungen, ja zur Gestaltung der Technik insgesamt, nicht in den Produktionsprozeß einbezogen werden, dann werden nicht nur Humanität und Ergonomie, dann wird auch die ökonomische Rationalität auf der Strecke bleiben. Wenn die Rentabilität des eingesetzten Kapitals der einzige Maßstab für wirtschaftliche Entscheidungen bleiben soll
— das ist doch Ihr Dogma, Herr George! —,
dann wird der langfristige volkswirtschaftliche und auch gesellschaftliche Schaden nach meiner Einschätzung bald größer sein als der kurzfristige betriebswirtschaftliche Nutzen.
Zweitens. Wenn die Betriebsräte lediglich die Aufgabe behalten, die unsozialen Folgen wirtschaftlicher Entscheidungen zu bewältigen — und dies dann auch noch mit unzureichenden Mitteln —, ihnen aber auf diese Entscheidungen kein Einfluß eingeräumt wird, dann wird sich der wachsende Widerstand der Arbeitnehmer wahrscheinlich in anderen Formen Bahn brechen. Das kann man heute schon voraussehen. Ich meine, das könnte zu einer Legitimationskrise des gesamten Wirtschaftssystems führen.Meine Damen und Herren! Der Strukturwandel, der zu bewältigen ist, muß von den Arbeitnehmern mitgestaltet werden können.
Die Bereitschaft, dafür auch Mitverantwortung zu tragen, ist bei den Arbeitnehmern zweifellos vorhanden. Das werden Sie ihnen wohl nicht absprechen können. Und die Folgen dieses Strukturwandels müssen sozial beherrschbar gemacht werden. Ich kenne kein anderes Mittel als die Mitbestimmung.
Darum wollen wir die Mitbestimmung der Betriebsräte auf die Einführung, Anwendung, Änderung und Erweiterung neuer technischer Einrichtungen und Verfahren ausdehnen. Darum wollen wir die Gestaltung der Arbeitsplätze, der Arbeitsumgebung und der Arbeitsorganisation der Mitbestimmung unterwerfen. Darum wollen wir die Pflicht der Unternehmer, mit den Betriebsräten über geplante Betriebsänderungen zu beraten, die Nachteile für die Belegschaft, für Teile der Belegschaft oder für einzelne Arbeitnehmer haben können, auch auf Rationalisierungsmaßnahmen ausdehnen. Das ist die
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Jung
notwendige Voraussetzung für einen fairen Ausgleich zwischen den wirtschaftlichen Interessen der Unternehmer und den mit einer Betriebsänderung regelmäßig verbundenen Nachteilen der Arbeitnehmer. Wenn zwischen Unternehmer und Betriebsrat keine Einigung über den Interessenausgleich zustande kommt, muß die Einigungsstelle über Auflagen zur Gestaltung der personellen, arbeitsmäßigen und sozialen Auswirkungen entscheiden können.Meine Damen und Herren, es ist doch eigentlich selbstverständlich: Je umfassender der Interessenausgleich geregelt ist, je besser er funktioniert, desto weniger Sozialpläne müssen durchgesetzt werden.
Aber die Möglichkeit der Erzwingung von Sozialplänen muß nach unserer Auffassung erhalten bleiben. Wir wollen die Sozialplanansprüche der Arbeitnehmer auch in ihrem ursprünglichen Umfang wiederherstellen.
Und was wollen Sie auf der Regierungsseite? Sie wollen, wenn ich Sie bislang richtig verstanden habe, die Lasten des Strukturwandels einseitig auf den Rücken der Arbeitnehmer abwälzen,
damit die Angebotsbedingungen der Wirtschaft verbessert werden — so Ihre ständige Rede. Das ist das ganze Ausmaß Ihrer Philosophie, die Ihrer gesamten Wirtschafts-, Sozial- und Gesellschaftspolitik zugrunde liegt.
Sie lehnen einen Ausbau der Mitbestimmung ab, schlimmer noch: Sie legen mit Ihrem Gesetzentwurf zur sogenannten Verstärkung der Minderheitenrechte die Axt an die Wurzel einer einheitlichen und damit auch einer wirksamen Interessenvertretung der Arbeitnehmer. Das ist die Kritik, Herr Kelter, die wir an Ihren Vorstellungen haben.
Ich behaupte, Sie sind an einem fairen Interessenausgleich überhaupt nicht interessiert, mehr noch: Sie haben mit Ihrem sogenannten Beschäftigungsförderungsgesetz, das „Entlassungsförderungsgesetz" zu nennen wir nicht aufhören werden, und dann noch einmal mit Ihrem Gesetz über den Sozialplan in Konkurs und Vergleich die Sozialplanansprüche der Arbeitnehmer drastisch eingeschränkt. Das sind Ihre Vorstellungen, wie der Strukturwandel zu bewältigen ist.Wenn die Anpassungslasten von den Menschen nicht widerspruchslos getragen werden, muß ihnen noch mehr Einfluß genommen, müssen ihre Rechte abgebaut werden — das scheint mir der Kern Ihrer Philosophie zu sein. In unseren Augen ist es ein Widersinn, technischen Fortschritt mit gesellschaftlichem Rückschritt, mit einem Zurückstecken der Menschen erreichen zu wollen. Wir glauben, meine Damen und Herren, daß aus dem Verfassungsauftrag des Grundgesetzes „Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen" eine andere Politik abzuleiten ist. Für uns sind die Menschen der Maßstab aller Dinge, und ihnen muß sich der technische Fortschritt anpassen.Schönen Dank.
Das Wort hat der Abgeordnete Kolb.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Dreßler, wenn Sie hier erklären, Sie wollen für die Betriebsräte wirken, dann, glaube ich, sind Sie der falsche Interpret gewesen; denn wenn ich es richtig im Ohr habe, war es Ihre IG Druck, die beschlossen hat, die Urabstimmung in den Betrieben abzuschaffen und ohne Urabstimmung von außen zu bestimmen, was geschieht.
— Herr Dreßler, wir haben dann in der zweiten Runde Zeit dazu.
Sie müssen mir deswegen schon einmal sagen, wie Sie das in Zukunft gestalten wollen.
Herr Abgeordneter Dreßler, Sie wissen, daß es jedem Abgeordneten, der hier vorne spricht, frei steht, eine Zwischenfrage zuzulassen oder abzulehnen.
Er hat sie abgelehnt.
Lieber Herr Dreßler, ich hatte geglaubt, Sie kämen heute und sagten: Schauen Sie, wir haben in den Betrieben, in denen wir das gemacht haben, Erfolge aufzuweisen. — Ich kenne den Spruch, daß nichts erfolgreicher ist als der Erfolg.Nun, wie schaut das aus? Mittwoch, den 28. Juni 1972 — übrigens drei Jahre nachdem Sie die neue Mitbestimmung einführen, das moderne Deutschland schaffen wollten — 10 Uhr: Bei Verlagsleiter Kurt Schordan von der Grafischen Gesellschaft Grunewald, die die Berliner Zeitung „Telegraf" und ihr Tochterblatt „Nachtdepesche" verlegt, läutet das Telefon. Am anderen Ende der Leitung meldet sich die Geschäftsführung der sozialdemokratischen Presseholding Deutsche Druck- und Verlagsgesellschaft. Die Mitteilung an Schordan ist kurz: Die beiden defizitären Blätter müssen ihr Erscheinen einstellen, und zwar am Monatsende, also am übernächsten Tag.
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KolbWie ein Blitz aus heiterem Himmel traf diese Meldung Mitarbeiter in Redaktion und Verlag. Die im Außendienst tätigen Redakteure erfuhren die Nachricht aus dem Rundfunk, andere lasen die kurze Mitteilung der Deutschen Presse-Agentur an ihren Schreibtischen,schrieb die „Telegraf"-Redaktion am 29. Juni 1972 resigniert in einem Bericht auf der Titelseite.
230 Mitarbeiter, davon 40 Redakteure, wurden von einem Tag auf den anderen auf die Straße gesetzt, Herr Dreßler.
Ein Sozialplan lag nicht vor, mußte erst erstritten werden. Das Blatt empörte sich in seiner letzten Ausgabe:Der skandalöse Entschluß, diese Zeitung abrupt einzustellen, fiel mit Wissen des obersten Gremiums der SPD — dem Parteivorstand, dem wiederum der Bundeskanzler vorsitzt.Willy Brandt ließ damals erklären, daß er davon nichts gewußt habe.
Sie sehen, wie es ist, wenn man nicht informiert wird, liebe Frau Kollegin Fuchs.Der Kollege Fritz Sänger schrieb dann in der „Welt der Arbeit" am 14. Juli, dies sei j a kein einmaliger Vorgang,
sondern es gehöre bei der SPD zum System, ihre nahestehenden Blätter so zu lösen. Wenn ich die jetzige Diskussion um Ben Wisch und den „Vorwärts" mitbekommen habe, Herr Dreßler, so ist von Ihnen draußen keine Erklärung abgegeben worden, daß so und so vorzugehen sei, sondern es geht in die übliche Richtung. Wenn Sie einmal die Litanei nachlesen, wie der SPD nahestehende Zeitungen und SPD-Zeitungen eingegangen sind, dann sehen Sie, daß da Anspruch und Wirklichkeit schon sehr durcheinandergehen.
Herr Dreßler, wenn Sie heute gekommen wären und hier gesagt hätten: Meine Stimme des Herrn, nämlich der Herr Detlef Hensche, hat den Betrieb seines Vaters nun doch übernommen, und er wird im Betrieb seines Vaters all die Dinge verwirklichen, die er von anderen fordert, weil er weiß, daß das hervorragend ist, dann wäre das eine Erfolgsmeldung gewesen. Aber von anderen etwas zu fordern, was man selbst nicht tun kann, ist irgendwie unglaubwürdig.
— Herr Dreßler, ich weiß, Wahrheit tut weh.
— Ich spreche zum Thema, Frau Kollegin.Da gibt es den ehemaligen Ministerialdirektor Bodenbender, seit neuestem Hauptgeschäftsführer der AWO. Was erklärt er? — Schlamperei und Kumpanei hätten bei der AWO dazu geführt, daß unglaubliche Zustände eingetreten seien. Er müsse zwei weitere Einrichtungen schließen, und er könne heute schon sagen, daß es für diese beiden Schließungen kein Geld für einen Sozialplan gebe, denn das Geld sei verwirtschaftet worden.
: „AWO" heißt Arbeiterwohlfahrt!)
Nun frage ich einmal: Wie will man von anderen etwas fordern, was man selbst nicht tun kann?
— Frau Kollegin Fuchs, ich würde das mit Freude aufnehmen, aber der Präsident der AWO, der Kollege Buschfort — den ich heute hier nicht sehe — sagt draußen nichts darüber, weshalb seine Mitarbeiter keinen Sozialplan bekommen können. Er spricht draußen aber von der „Neuen Armut". Das eigene Haus zu säubern ist ihm zu schwierig.
— Entschuldigen Sie, es ist so.
Ich habe keine Erklärung vom Kollegen Buschfort gehört, daß der Sozialplan durchgeführt werden kann.Aber es geht in diesem Spiel weiter, Frau Kollegin Fuchs. Die „Süddeutsche Zeitung" vom 7. September schreibt unter der Überschrift „DGB Hessen: Forderungen im eigenen Haus erfüllen":Betriebsrat und Beschäftigte des hessischen DGB haben verlangt, daß der DGB-Bundesvorstand die Forderungen der Gewerkschaften nach Arbeitszeitverkürzungen und Neueinstellungen im eigenen Haus erfüllt.In einem Brief „an den Kollegen Ernst Breit" kritisieren sie „einen eklatanten Widerspruch zwischen den Forderungen nach außen und dem Verhalten gegenüber den eigenen Beschäftigten". Die Angestellten beim hessischen DGB sind darüber verärgert, daß der geschäftsführende Bundesvorstand dem Einstieg in die 35-Stunden-Woche nicht zustimmt, den der DGB-Betriebsrat fordert. Statt der vom DGB verlangten „attraktiven Vorruhestandsregelung" biete der Gewerkschaftsbund seinen Beschäftigten nur das „im allgemeinen" bekämpfte Blüm-Modell an. Die hessischen DGB-Beschäftigten befürchten überdies, daß die Führung der Düsseldorfer Gewerkschaftszentrale der Praxis nicht mehr folgen wird, Ge-
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Kolbhaltserhöhungen im Durchschnitt der Lohnsteigerungen bei den Einzelgewerkschaften zu vereinbaren.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, auch hier bewahrheitet sich wieder: Man fordert etwas von anderen, was man selbst nicht willens ist zu tun.Lassen Sie mich zum wahrscheinlich eklatantesten Fall all dieser nicht erfüllten Forderungen kommen. Da gibt es die Wohnungsbaugesellschaft „Neue Heimat".
Diese „Neue Heimat" ist der einzige mir bekannte Betrieb mit einer 100 %igen Mitbestimmung. Im sogenannten Arbeitgeberteil sitzen Leute wie Herr Frister und ehemalige Gewerkschaftsvorsitzende. Auf der Arbeitnehmerseite sitzen alle IG-Vorsitzenden.
— Ich will gerade fragen, wie dort die Mitbestimmung läuft. — In diesem Bereich passierte folgendes. Im letzten Jahr wurden von den Einzelgewerkschaften 2 Milliarden DM zugeschossen. Übrigens ist das das einzige Mal, wo ich die Folgen falscher Mitbestimmung und eine Mitverantwortung sehe.
Nur, lieber Herr Dreßler, die Einzelmitglieder der DGB-Gewerkschaften wurden nicht gefragt, ob sie bezahlen wollen.
Ich würde in der DGB-Aktionswoche, die Sie jetzt veranstalten wollen, einmal fragen, wieso das Einzelmitglied plötzlich die hohen Vorstandsgehälter von Herrn Frister und ähnlichen bezahlen soll.
Herr Abgeordneter, einen Augenblick. — Ich bitte, den Redner nicht dauernd zu unterbrechen. Ich bin hier, um dem Redner die Möglichkeit zu schaffen, seine Ausführungen ungestört machen zu können.
Ich bitte, sich entsprechend meiner Mahnung zu verhalten. Sonst werde ich aus Gründen der Fairneß seine Redezeit verlängern, damit er nachholen kann, was er nicht auf Grund der Unterbrechungen ausführen konnte, weil er gestört wurde.
Jetzt hätte der Herr Abgeordnete Lutz gerne eine Zwischenfrage gestellt, Herr Abgeordneter Kolb. — Der augenblickliche Redner kommt nochmals ans Rednerpult. Dann sind Sie, Herr Abgeordneter
Lutz, mit Ihrer Zwischenfrage dran. — Bitte, fahren Sie in Ihrer Rede fort.
Meine Damen und Herren, deswegen kann ich nur sagen: Teure Heimat, Schmiede für Millionäre aus dem Nichts. Wer mußte das bezahlen? Herr Dreßler, hier hätten Sie und Ihre Freunde die große Chance gehabt, zu sagen: Wir verwirklichen Mitbestimmung, die so erfolgreich ist, daß man mit den Widerständen der Wirtschaft draußen fertig wird. Wir werden praktizieren, wie dies hervorragend geht.
Das alles ist nicht geschehen. Deswegen, meine sehr verehrten Damen und Herren von der SPD, ist das, was Sie hier vorgetragen haben, in diesem Part nicht glaubwürdig. Ich bin gerne bereit, Ihnen das im zweiten Teil noch zu sagen.
Herzlichen Dank.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Reimann.
Herr Präsident! Meine Damen und meine Herren! Mit dem heutigen Gesetzentwurf zum Ausbau der betrieblichen Mitbestimmung macht die SPD deutlich, daß das Betriebsverfassungsgesetz von 1972 seine Bewährungsprobe zwar bestanden hat und anerkanntermaßen wesentlich zum sozialen Frieden beitrug — das ist übrigens der Grund, warum die Unternehmerverbände mit Vehemenz Ihre derzeitigen Änderungen zum Betriebsverfassungsgesetz ablehnen: weil das in Zukunft den sozialen Frieden zu gefährden scheint —,
aber daß es weiterentwickelt werden muß. Wir ergreifen die Initiative zum Ausbau der betrieblichen Mitbestimmung aus zwei wesentlichen Gründen.
Erstens konnte zum damaligen Zeitpunkt, 1972, der Gesetzgeber die Gesetzeslücken nach den heutigen Tatbeständen nicht erkennen, z. B. Mitbestimmung bei Technologien, z. B. Mitbestimmung bei der Personaldatenverarbeitung und dergleichen mehr. Zum zweiten erzwingen Massenarbeitslosigkeit, auch mitverursacht durch die neuen Technologien, und die nicht gerade günstigen Prognosen
der Arbeitsmarktsituation wie auch in Zukunft die Anpassung an den Markt, daß die Arbeitnehmer an den Entscheidungen, die sie betreffen, beteiligt werden; denn ansonsten gerät die Erhaltung des Betriebsfriedens in Gefahr, die politischen Verhältnisse könnten in Mitleidenschaft gezogen werden und dergleichen mehr.Es ist so, wie Kollege Dreßler sagt: Die Verpflichtung aus dem Grundgesetz ist nach dem Verständ-
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Reimannnis meiner Partei erst dann erfüllt, wenn die Persönlichkeitsentfaltung im Betrieb und im Unternehmen durch die Mitbestimmung, d. h. durch gleichwertige und gleichberechtigte Zusammenarbeit, garantiert ist. Die Demokratisierung von Wirtschaft und Gesellschaft ist ein unerläßlicher ständiger Prozeß. Der polare Gegensatz zwischen Arbeit und Kapital,
der sich aus unserem gesellschaftlichen System ergibt, wurde durch das Betriebsverfassungsgesetz von 1972 leider nicht aufgehoben
und wird auch nicht wesentlich in seinen sozialen und gesellschaftlichen Auswirkungen gemindert.Dabei möchte ich Ihre Aufmerksamkeit auf die Rechtsstruktur des Betriebsverfassungsgesetzes und auf die schwierige Rolle der Betriebsräte lenken, die sowohl in gesellschaftspolitischer als auch in sozialpsychologischer Hinsicht vielfach verkannt wird. Das ergibt sich daraus, daß das Betiebsverfassungsgesetz an dem Prinzip der betrieblichen Partnerschaft festhält. Damit wird den Betriebsräten die Möglichkeit genommen, die Interessen der Arbeitnehmer durch Mitbestimmung in die Entscheidungen der Unternehmen einzubringen.Wie sieht es denn in der betrieblichen Praxis aus? Die Unternehmensleitungen treffen ihre Entscheidungen nach Erwägungen des Marktes, der Technologie und vieler anderer Faktoren. Die Entscheidungen, die sie so treffen, werden — man möge mir diesen Ausdruck gestatten — entsprechend dem hierarchischen Befehlssystem von oben nach unten durchgegeben. Von allen Vorgesetzten wird verlangt, daß sie das realisieren. Aber die sozialen Auswirkungen, die damit verbunden sind, kommen nicht direkt als Rückspiegelung der getroffenen Maßnahmen auf die Unternehmensleitungen zurück, sondern zuerst auf die Betroffenen und dann auf die Betriebsratsmitglieder, und diese müssen den sozialen Wechsel der unternehmenspolitischen Entscheidungen einlösen.
Das ist das Problem,
vor dem die Betriebsratsmitglieder stehen, weil sie, konfrontiert mit den betroffenen Arbeitnehmern, die Maßnahmen, die von oben nach unten getroffen worden sind, zu erklären haben und gleichermaßen auch noch dazu beitragen sollen, die sozialen Wirkungen im Interesse der Arbeitnehmerschaft zu minimieren. Die sozialen Konfliktsituationen, die mit solchen Entscheidungen der Unternehmensleitung ausgelöst werden, werden also in erster Linie vom Betriebsrat getragen, ohne daß dieser die Entscheidungen verhindern könnte; denken wir an Umsetzungen, Versetzungen, Lohneinbußen, Geldeinbußen.Gesellschaftspolitisch bedeutet das: Betriebsräte beweisen Verantwortung für das Unternehmen, obwohl sie rechtlich keine Entscheidungsbefugnisse haben. Deshalb stellt sich die Frage nach den Möglichkeiten des Betriebsrates, auf die Entscheidungsprozesse einzuwirken, bzw. die Frage, wie seine Mittlerfunktion in betrieblich-sozialen Konfliktsituationen gestärkt werden kann.Wir meinen, die verantwortungsvolle Arbeit der Betriebsräte für Arbeitnehmer ist es wert, daß in der Praxis feststellbare Lücken des Betriebsverfassungsrechts geschlossen werden. Dazu gehört vor allem die Stärkung der betrieblichen Mitbestimmung.
Dazu gehört die konsequente Anwendung des Betriebsverfassungsrechts. Deshalb hat meine Fraktion in die Vorschläge hineingeschrieben, daß das Handlungspotential der Betriebsräte zu stärken ist und daß beispielsweise die Sanktionsmöglichkeiten gegen die Unternehmer verstärkt werden.
Deshalb haben wir auch in § 77 Abs. 1 die schon seit langem in der Fachliteratur und auch in der Rechtsprechung anerkannten Durchführungsansprüche der Betriebsräte nunmehr ausdrücklich in das Gesetz hineingeschrieben, Herr George, damit es im Unternehmen keinen Zweifel mehr gibt.
Natürlich braucht eine soziale Konfliktsituation rechtzeitige Aussteuerung. Es ist zu klären, ob Unrecht oder ungerechte Handlungen gegenüber den Arbeitnehmern begangen wurden, Handlungen, die sich in der Regel aus dem betrieblichen Direktionsrecht ergeben. Zur Vermeidung solcher Handlungen bedarf es vorrangig der Mitbestimmung im personellen und sozialen Bereich. Deshalb haben wir die §§ 99 bis 102 neu gefaßt
und den Betriebsräten im Rahmen ihrer Schutzfunktion, die sie für die Arbeitnehmer ausführen, Rechte zugeschrieben, die ihre Stellung und damit die Stellung der Arbeitnehmer im Betrieb stärken.
Ganz wesentlich ist hier auch die Umkehr der Beweislast hin zu den Unternehmern bei sozial ungerechtfertigten Kündigungen. Das bedeutet, daß der Unternehmer vor den Arbeitsgerichten eine entsprechende arbeitsgerichtliche Entscheidung herbeiführen und sich nicht der sozial Schwächere, nämlich der Arbeitnehmer, vor diesen Gerichten abplagen muß.
Das ist auch der Hauptgrund, warum Gewerkschaften und Sozialdemokraten nach unserem verfassungsrechtlichen Auftrag ständig, ob es Ihnen paßt oder nicht, zäh und beharrlich an der Ausgestaltung des Betriebsverfassungsrechts und der be-
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Reimanntrieblichen Mitbestimmung arbeiten. Dafür suchen wir Mehrheiten, vielleicht auch bei Ihnen; aber ich bin da nicht so optimistisch.Wer unsere gesellschaftlichen Werte nicht in Frage stellen will, wer eine echte demokratische Alternative zwischen Selbstbestimmung einerseits und Fremdbestimmung andererseits sucht, kommt in diesem gesellschaftlichen Prozeß an der Mitbestimmung nicht mehr vorbei.
Der Mensch gehört sich selbst, und die Achtung vor dem Menschen gebietet es, ihn soweit wie möglich in die Entscheidungsstruktur einzubringen; denn nur er selbst trägt auch die Entscheidungen im Positiven wie im Negativen.Herr Kollege Kolb, jetzt will ich Ihnen einmal folgendes ins Stammbuch schreiben: Die HerstattPleite hat stattgefunden ohne Mitbestimmung, die Gerling-Konzern-Skandale haben stattgefunden ohne Mitbestimmung, die 17 000 Konkurse des letzten Jahres, also unter Ihrer Regierung, haben stattgefunden ohne Mitbestimmung.Ich sage Ihnen: Die Arbeitnehmer tragen mehr Verantwortung für ihren Arbeitsplatz, als Sie glauben, weil mit der Vernichtung des Arbeitsplatzes ihre Existenz bedroht wird, während mancher Unternehmer, der in Konkurs geht, hinterher noch ein Leben in Saus und Braus führen kann.
— Ich weiß, daß diese Opferbereitschaft vorhanden ist. Sie sollten sie einmal anerkennen. In Ihrem Unternehmen sind die Arbeitnehmer genauso opferbereit. Herr Kolb, Sie sollten hier einmal sagen, welche Erfahrungen Sie mit Ihren Arbeitnehmern gesammelt haben, damit sie bezüglich ihrer Leistung ins rechte Licht gerückt werden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich meine, Mitbestimmung heißt, bestehende Rechte zu verändern, in diesem Fall zugunsten der Arbeitnehmer. Das ist bei den Unternehmen nicht populär, aber es ist eine dringende Notwendigkeit, insbesondere bei neuen Technologien, bei neuen Produktionsprozessen. Dabei sollten Sie mithelfen.
Alle sind an die Entscheidungen des Gesetzes gebunden. Ich meine, das wäre die wirksamste Hilfe, um unsere wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Probleme für die Zukunft im Sinne des inneren Friedens in dieser unserer Gesellschaft systematisch und vernünftig auszusteuern.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Kolb.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, vor allem von der SPD: Es tut mir leid, daß die Organisation anders lief, aber damit kann ich wenigstens auf das antworten, was Sie gesagt haben, Herr Kollege Reimann.
Wenn ich Ihren Parteitagsbeschluß von 1984 lese, stelle ich fest, daß Sie an der Notwendigkeit der Mitbestimmung bei neuen Technologien keinen Zweifel gelassen haben. Aber entscheidend ist: Wenn Sie über das Wie zu lange diskutieren, brauchen Sie anschließend nicht mehr über das Wann zu sprechen, weil dann der Markt verlaufen ist.
Wir leben nun einmal nicht in einer Welt der Glücklichen und Abgeschirmten, sondern wir leben in einer internationalen Konkurrenz, bei der wir feststellen müssen, daß woanders nicht einmal ein Minimum dessen, was wir heute bei uns an Zusammenarbeit zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern haben, vorhanden ist.
Aber — nun kommt das entscheidende Aber —: Jeder von uns ist, wenn er Kaufentscheidungen trifft, plötzlich ein hervorragender Marktwirtschaftler. Er entscheidet sich nämlich bei Gleichwertigkeit für das preiswertere Produkt. Er fragt nicht, wo und unter welchen Bedingungen dieses Produkt produziert wurde, sondern er trifft seine Entscheidung nach seinem eigenen Geldbeutel.
Herr Abgeordneter, Sie wissen, daß der Abgeordnete Lutz eine Frage stellen möchte.
Augenblick bitte noch; ich bin sofort hiermit fertig.
Nun kommt ein Zweites. Wir haben auf der einen Seite die Montan-Mitbestimmung, und wir haben auf der anderen Seite auch die Mitbestimmung in den großen Betrieben. Mein Kollege Friedmann reklamierte in der Haushaltsdebatte, daß die einen enorme Gewinne erzielen, sie auf Grund der Wettbewerbssituation nicht anlegen können. Hier lagen Sie übrigens richtig, Herr Dreßler, daß es Dinge gibt, die man einfach nicht mehr produzieren kann. Auf der anderen Seite erleben Sie, Herr Kollege Reimann, in der Montan-Mitbestimmung, daß die einzige unternehmerische Fähigkeit des Managements eigentlich darin besteht, hier in Bonn die Steuerkuh entsprechend zu melken. Ist dies eigentlich noch Unternehmerdasein? Ich glaube nicht. Dies ist für mich die Frage: Kommen Sie mit Ihrem Gesetz zu einer Blockade, d. h. verhindern Sie das Notwendige, oder kommen Sie nach vorn?
Herr Abgeordneter Lutz, bitte.
Herr Abgeordneter, ich bedanke mich bei Ihnen sehr, daß ich zu einer Frage kommen kann. Es ist eine Doppelfrage: Empfinden Sie nicht die Mitbestimmung als Chance für die Unternehmen, zu einer vernünftigen Form der Gestaltung des Betriebsgeschehens zu kommen, und warum fühle ich mich, wenn ich Sie höre, immer an Jesus Sirach erinnert, der da schrieb: „Auf daß ein jeglicher Tag seine Plage habe"?
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 156. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. September 1985 11665
Lieber Kollege Lutz, wenn Sie mit Zitaten kommen, dann kann ich Ihnen nur aus den Xenien Schillers erzählen: „Ach, was haben die Herrn für ein kurzes Gedärm".Nun zu Ihrer Frage, inwieweit wir die Mitbestimmung als richtig ansehen und ob das vernünftig ist. Ich sage Ihnen: Der Sprung ins dritte Jahrtausend wird ohne vernünftige Partnerschaft nicht funktionieren. Ich kann Ihnen nur aus meinem eigenen Betrieb sagen: Ich kaufe keine Maschine, die ich nicht vorher mit meinen Leuten abgestimmt und ausprobiert habe,
weil ich selbst erkannt habe, daß es völliger Unsinn ist, eine Maschine hinzustellen, die nicht funktioniert.
Herr Kollege Lutz, jetzt kommt der entscheidende Punkt: Es nutzt nichts, wenn die einen für ihre Arbeitsplätze die lebenslängliche Sicherung ohne Rücksicht auf das Betriebsergebnis haben wollen, wenn sich die Konkurrenz mit den neuen Techniken beschäftigt. Wir werden ändern können, was immer wir wollen, wir haben keine Chance, mit einem Gesetz gegen die Errichtung eines neuen Betriebs einzuschreiten. Sie werden dann erleben, daß die qualifizierten Arbeitnehmer aus dem einen Betrieb, wo nichts geschehen ist, zu dem anderen gehen. Ich kann nur für Partnerschaft plädieren, Partnerschaft im Miteinander, aber — jetzt ist der Herr Kollege Dreßler dabei abzumarschieren —
nicht in der Form des Syndikats, nicht in der Form der Zentrale, nicht von oben steuernd, nicht mit der Investitionslenkung.
Ich kann Ihnen nur sagen: Dort werden wir unsere Chance sehen.Deswegen, meine sehr verehrten Damen und Herren, gestatten Sie mir, auf ein ganz aktuelles Ereignis hinzuweisen. Kollege Dreßler, Sie sprachen es in der letzten Woche kurz an. Die Arbeitslosen- und die Arbeitsmarktstatistik ist in die Diskussion gekommen.
— Nun hören Sie doch bitte mal gut zu, und dann können Sie argumentieren.
Da gibt es eine Kaufhauskette mit 40 Betrieben. Jeder Betrieb hat ungefähr 4 000 bis 5 000 Besucher, 60 000 Artikel werden dort gehandelt, und die Betriebsbewegungen liegen zwischen 2 und 2,5 Millionen. Am nächsten Tag um 11 Uhr weiß die Geschäftsführung, was bewegt worden ist, was gegangen ist. Bei uns bei der Bundesanstalt für Arbeithaben wir zwischen 10 000 und 15 000 Bewegungen, aber um einmal genau zu analysieren, was geschehen ist, brauchen wir acht Monate, um nach acht Monaten einen Status der Vergangenheit zu haben und mit diesem Status der Vergangenheit nach vorne zu gehen. Dies habe ich kritisiert, und ich werde es weiter kritisieren, weil sich — das steht heute eindeutig fest — das Personalvertretungsgesetz hier bei der Einführung von moderner EDV-Technik als hinderlich erwiesen hat. — Kollege von der Wiesche, Sie schütteln den Kopf. — Wenn ich die Bezahlung eines Direktors einer Institution des öffentlichen Rechts nach den ihm unterstellten Personen vornehme, und wenn zehn Personen mehr einen Sprung in die nächste Gehaltsstufe bedeuten, dann wird niemand von denen daran interessiert sein, vernünftig und effizienter mit EDV zu arbeiten. Er wird vielmehr dafür belohnt, daß er ineffizient arbeitet. Dies war unsere Kritik. Diese Kritik wollte ich hier noch einmal zum Ausdruck bringen.Lassen Sie mich deswegen ein kleines Plädoyer für das kommende Jahrtausend halten. Die demographische Entwicklung ist den Mitgliedern des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung bestens bekannt. Wir wissen, daß die Finanzierung der Renten und all diese Dinge auch von denen abhängt, die im Arbeitsprozeß stehen. Ich warne deswegen davor, zu glauben, wir könnten uns deswegen gegen neue Techniken wehren, die wir stellenweise nicht selbst überschauen können. Ich habe als Maschinenbauingenieur nie versucht, Erkenntnisse der Mathematik noch einmal nachzuvollziehen, sondern ich habe sie als gegeben betrachtet. Ich muß auch sagen: Es gibt Dinge — wenn ich an die Weltraumtechnik denke —, die ich einfach zur Kenntnis nehmen muß, weil sie meine Fähigkeiten überfordern. Wollen wir aber, weil wir dies eventuell nicht können, eine Investition durch die Entscheidung eines Sozialrichters blockieren? Dies ist doch der Fehler Ihres Gesetzes.
— Ja, sicher.
— Es wäre gut, wenn Sie zuhören würden. Wir können doch diskutieren. — Dort, wo es zu keiner Einigung kommt, dort, wo es notwendig wäre, Personal abzubauen, weil die Personalkosten nicht weitergegeben werden können, sagen Sie: Dies darf nicht geschehen; wenn der Betriebsrat widerspricht, muß der Arbeitsrichter entscheiden.
— Ja, gut, aber ich kann nur sagen: Ich lese das aus dem Gesetz heraus.
— Lieber Kollege Dreßler, wir sollten uns nicht darüber streiten, wer lesen kann und wer nicht. — Ich sage Ihnen nur eines — die Frau Kollegin Fuchs hat dies ja auch einige Male angedeutet—: Wenn es uns nicht gelingt, diesen Sprung in das dritte Jahrtausend zu machen, dann werden wir — schneller, als es uns lieb ist — zweitklassig oder gar drittklas-
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Kolbsig werden. Die Geschichte ist voller Beispiele, in denen Entscheidungen nicht rechtzeitig getroffen wurden. Wenn Sie einmal den Untergang des Römischen Reiches nachlesen — —
— Der Untergang des Römischen Reiches ist deswegen heranzuziehen, weil man glaubte, die anderen würden die Erträge bringen, die man selbst verfrühstücken wollte. Meine Damen und Herren, ein Betrieb — das habe ich Ihnen im ersten Teil meiner Rede nachgewiesen — ist nur so lange — —
— Ja, Herr Stobbe, ich weiß. Wenn Sie als Regierender Bürgermeister von Berlin aufgepaßt hätten, daß nicht solche Fehlinvestitionen vorgenommen worden sind, dann wäre es auch anders.
— Entschuldigung, das war eine Verwechslung.
Wenn Sie in Ihren eigenen Betrieben finanzielle Schwierigkeiten haben, dann sagen Sie — wie es Wischnewski in Ihrem Vorstand sagte —: Wir können es nicht mehr finanzieren, und anschließend sagen Sie: Der andere, der Unternehmer muß dies finanzieren. — Meine sehr verehrten Damen und Herren, gehen Sie deswegen weg von Ihrer Ideologie und fragen Sie sich einmal, wie Sie zur Partnerschaft kommen können. — Herr Dreßler, ich weiß: In Ihren Augen sind Unternehmer etwas ganz Übles. Am liebsten hätten Sie alle abgeschafft, aber ohne Unternehmer werden Sie auch keine Beschäftigung bekommen. Deswegen rate ich Ihnen nur: Nehmen Sie den Ball auf und kommen Sie zur Partnerschaft und nicht — wie immer — zur Diskriminierung.Schönen Dank.
Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Der Ältestenrat empfiehlt, den Gesetzentwurf auf Drucksache 10/3666 an den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung zur federführenden Beratung und an den Innenausschuß, an den Rechtsausschuß und an den Ausschuß für Wirtschaft — zur Mitberatung — zu überweisen. — Weitere Vorschläge werden nicht gemacht. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Wir kommen zum Punkt 4 der Tagesordnung:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung der steuerrechtlichen Förderung des selbstgenutzten Wohneigentums
— Drucksache 10/3633 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Finanzausschuß
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau
Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO
Das Wort hat der Herr Parlamentarische Staatssekretär Dr. Häfele.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Gesetzentwurf der Bundesregierung will die steuerliche Förderung des Wohnens auf Dauer verbessern. Der Kernpunkt ist, daß künftig die Besteuerung des selbstgenutzten Wohneigentums wegfallen soll. Dies ist eine wichtige Weichenstellung in Richtung weniger Staat, weniger Bürokratie. Die Eigentumsförderung steht hier im Vordergrund. Wir wollen als die vierte Säule der Lebens- und Altersvorsorge — neben der allgemeinen Alters- und Sozialrente, der Betriebsrente und dem Privatsparen und -versichern — das „erlebte Eigentum" des eigenen „Häusles" verstärken. Zugleich wollen wir die Familie stärken, indem die Förderungsmaßnahmen für die Familien besonders ausgeprägt werden.Im einzelnen sind folgende Regelungen vorgesehen.Erstens. Die Förderung nach § 7 b wird verstärkt und aufgestockt, freilich in einer anderen rechtlichen Form: in der Form des Sonderausgabenabzugs, beim Einfamilienhaus etwa durch Erhöhung des Höchstbetrags von 200 000 auf 300 000. Das ist auf das eigengenutzte Eigentum konzentriert. Es geht nicht bei vermieteten Gebäuden. Nur der, der in seinem Eigentum selber wohnt, soll künftig gefördert werden.
Es macht keinen Unterschied, ob er in einem Einfamilienhaus, in einer Eigentumswohnung oder in einem Zweifamilienhaus wohnt. Aber er muß selber darin wohnen.Zweitens. Der Steuerabzug für Kinder — die 600 Mark Bau-Kindergeld — wird schon ab dem ersten Kind gewährt. Auch das wirkt sich für die Familien günstig aus. Weiter wirkt sich für die Familien, vor allem für die jüngeren Familien, günstig aus, daß der Neubau und der Erwerb von alten Häusern gleichgestellt wird. Gerade jüngere Familien, die günstig ein altes „Häusle" kaufen können, werden dadurch gefördert.Drittens. Wir haben eine Vertrauensschutzregelung für zwölf Jahre eingeführt. Das ist vor allem bei Zweifamilienhäusern von Bedeutung. Wer noch nach altem Recht baut, kann sich noch zwölf Jahre auf die alte Regelung verlassen, braucht also keine Sorge zu haben, daß ihm plötzlich ein Schaden erwächst.Viertens. Der Wegfall der Nutzungswertbesteuerung vereinfacht die Verwaltung. Darunter fallen heute rund 10 Millionen Fälle. Das entspricht einer
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Parl. Staatssekretär Dr. HäfeleEigentumsquote von rund 42 % in der Bundesrepublik Deutschland. In diesen 42 % der Fälle mußte das Finanzamt mindestens möglicherweise den fiktiven Wert der Miete im eigenen Haus in Anrechnung bringen. Das hat vor allem ältere Mitbürger vielfach hart getroffen. Die Rente wird nur mit dem Ertragsanteil besteuert, in der Regel also nicht. Aber durch das Zusammentreffen mit dieser Besteuerung der eigengenutzten Wohnung ist beim Finanzamt oft eine Besteuerung herausgekommen, die dazu führte, daß gerade die tüchtigen Leute, die sich ein Leben lang krummgelegt hatten und entschuldet waren, plötzlich nur deswegen Steuern zahlen mußten, weil der fiktive Eigenmietwert durchgeschlagen ist. Das soll es künftig nicht mehr geben. Das ist verwaltungsvereinfachend und bürgerfreundlich. Es betrifft Alt- und Neufälle. Es braucht jemand also nicht zu warten, wenn er jetzt bauen will. Der Sinn ist, die Eigentumsquote, die, wie gesagt, bei 42 % liegt, mittelfristig auf etwa 50 % zu steigern.Fünftens. Wir haben bewußt wie bisher die Form des Abzugs von der Bemessungsgrundlage gewählt, weil die Erfahrung lehrt, daß es keine größere Anreizwirkung gibt, als etwas progressionsmildernd zu fördern. Gerade aufstrebende Familien, gerade die, die eine Familie gründen und parallel dazu beruflich vorankommen wollen, werden von dieser Anreizwirkung besonders angesprochen.Sechstens. Für eine Übergangszeit bis 1991 tragen wir auch Gesichtspunkten der Denkmalpflege und der Stadterneuerung Rechnung. Es bleibt also auch nach der neuen Regelung wenigstens bis 1991 die Möglichkeit, für 10 Jahre 10 % dieser Kosten abzusetzen. Einer Anregung des Bundesrats folgend, haben wir auch dem Umweltschutzgedanken Rechnung getragen. Wir empfehlen, das auch im Hohen Haus so zu verabschieden, daß der Einbau neuer Heizungs- und Warmwasseranlagen für eine Übergangszeit auch steuerlich bis 1991 gefördert wird, und zwar für alte Häuser, die bis zum 30. Juni 1985 fertiggestellt worden sind — man kann also jetzt schon beginnen — und die mindestens 10 Jahre alt sind, um energiesparende und umweltfreundliche Heizungsanlagen zu fördern.Alles in allem ist das, meine Damen und Herren, so glaube ich, eine Verbesserung für das „erlebte Eigentum", eine Verbesserung für die Familie. Ich appelliere jetzt an die Bürger — ich habe das von dieser Stelle aus schon wiederholt getan, so auch damals, als wir den Gesetzentwurf der SPD hier beraten haben; das Kabinett hat den vorliegenden Entwurf schon am 26. März beschlossen, aber er ging ja über den Bundesrat und kam dann erst zu uns zurück; deswegen entstand natürlich eine gewisse Zeitverzögerung, aber so ist es nun einmal bei einem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren —, keine Abwartehaltung an den Tag zu legen. Wer eine Bauabsicht hat, sollte sein „Häusle" jetzt planmäßig bauen und nicht meinen, er müsse noch auf den 1. Januar 1987 warten. Jetzt haben wir niedrige Baulandpreise,
wir haben niedrige Baupreise, wir haben niedrige Zinsen.
Der Hauptsinn dieser Neuregelung, die ja auf Dauer angelegt und nicht nur ein Anstoßprogramm ist, nämlich der Wegfall der Nutzungswertbesteuerung, kommt Altfällen wie Neufällen zugute. Also wenn jemand jetzt baut, braucht er nicht die Sorge zu haben, daß er nachher noch mit dem Nutzungswert unter die Steuer fällt und der andere nicht. Also, jetzt planmäßig beginnen! Denn dieses Anstoßprogramm, das immerhin noch bis Ende 1986 läuft und das wir zu Beginn dieser Periode beschlossen haben, ist — zusammen mit der allgemeinen Entwicklung der Baupreise und der Baulandpreise — in vielen Fällen hilfreich.Vielen Dank.
Das Wort hat der Abgeordnete Huonker.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Regierung und SPD-Fraktion sind sich im Zusammenhang mit dem Gesetzentwurf, über den wir heute reden, in vier Punkten einig.Erstens. Wir wollen beide eine Erhöhung der Wohneigentumsqoute. Lassen Sie mich im Hinblick auf die Diskussion über unseren Gesetzentwurf vor einigen Monaten hinzufügen: Wir Sozialdemokraten sind stolz darauf, daß noch niemals so viel Wohneigentum wie in den 70er Jahren unter sozialdemokratisch geführten Bundesregierungen gebaut worden ist. Ein Weiteres: § 7 b wurde während der sozialliberalen Koalition auf den Bestandserwerb ausgeweitet, meine Damen und Herren.Zweitens. Koalition und Sozialdemokraten wollen die Nutzungswertbesteuerung abschaffen. Wir wollen also gemeinsam die Privatgutlösung.Drittens. Beide streben eine deutliche Verbesserung der Förderung von Familien mit Kindern an.Viertens. Wir Sozialdemokraten stimmen Bauminister Schneider ausdrücklich zu, der in einem Grußwort in diesen Tagen geschrieben hat, Information und Beratung derjenigen müßten dringend verbessert werden, die Wohneigentum erwerben wollten; die Aktivitäten des Staates allein genügten nicht. Recht hat er; der Bauminister, meine Damen und Herren, und zwar vor allen Dingen dann, wenn er die Camouflage, die Schönfärberei im Auge hat, die er selbst und die gesamte Koalition mit dem hier zu debattierenden Gesetzentwurf treiben.
Wieso sagt die Bundesregierung denn eigentlich nicht, daß durch die vorgeschlagene Erhöhung der berücksichtigungsfähigen Herstellungs- und Erwerbskosten auf 300 000 DM derjenige keine müde Mark an Vorteilen hat, der überhaupt nicht mehr als 200 000 DM an reinen Baukosten aufwenden kann? Und das ist die große Mehrheit derer, meine Damen und Herren, die heute aus finanziellen Gründen noch nicht in den eigenen vier Wänden
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Huonkerwohnen. Statt dessen werden die Bürger mit der regierungsamtlichen Semantik irregeführt, heute könne man acht Jahre lang 10 000 DM auf sein Häusle abschreiben, in Zukunft seien es 15 000 DM. Kein Wort davon, daß man erst einmal die erhöhten Erwerbs- und Baukosten finanzieren können muß.Der Gesetzentwurf der Bundesregierung wird keinem der Ziele gerecht, die sich die Regierung auf diesem Felde selbst gesteckt hat, die Abschaffung der Nutzungswertbesteuerung ausgenommen. Der Gesetzentwurf wird die Wohneigentumsquote nicht oder jedenfalls nicht nennenswert erhöhen. Er bringt keine deutlich ins Gewicht fallende Verbesserung für Familien mit Kindern. Er verstößt auch gegen die vom Bundesfinanzminister in diesem Haus gestern beschworenen Grundsätze einer rationalen und sachgerechten Subventionspolitik. Und schließlich wäre das Gesetz — sollte es ohne grundlegende Änderungen in bezug auf seine Verteilungswirkung verabschiedet werden — nach dem Verfassungsprinzip des Willkürverbots bei staatlichem Handeln verfassungsrechtlich zumindest äußerst fragwürdig, wenn nicht gar verfassungswidrig.Dem Gesetzentwurf steht der Entwurf meiner Fraktion als die bessere Alternative gegenüber. Wir werden auf eine sorgfältige Behandlung beider Gesetzentwürfe in den Beratungen drängen. Eine öffentliche Anhörung, die wir beantragen werden, wird sicherlich wichtige Hinweise darauf geben, welcher der Gesetzentwürfe der bessere ist. Wir Sozialdemokraten sind auch in diesem Punkt ganz zuversichtlich.Nun zur Kritik des Regierungsentwurfs in einigen Schwerpunkten. Ich kann den Gesetzentwurf meiner Fraktion jetzt nicht im einzelnen darstellen. Das ist ja schon am 29. März 1985 hier geschehen.Erster Kritikpunkt: Statt des im Gesetzentwurf der SPD-Fraktion vorgesehenen einkommensunabhängigen Abzugsbetrags behält der Gesetzentwurf der Bundesregierung bekanntlich die heutige, mit steigendem Einkommen progressiv steigende Förderungsmethode bei, nach dem Motto also: Wer nur über ein geringes Einkommen verfügt und deshalb dringend auf staatliche Hilfe beim Erwerb von Wohneigentum angewiesen ist, bekommt wenig staatliche Förderung; wer viel verdient und entsprechend weniger oder überhaupt keine staatliche Förderung benötigt, bekommt viel. Diese Förderungsmethode mit ihrer unsinnigen Entlastungswirkung verstärkt der Regierungsentwurf noch dadurch, daß die berücksichtigungsfähigen Kosten auf 300 000 DM erhöht werden.In Zahlen bedeutet das: Heute erzielt ein Spitzenverdiener über § 7 b EStG eine maximale Steuerersparnis von 44 800 DM. Nach dem Gesetzentwurf der Bundesregierung soll er künftig 67 200 DM sparen, also 22400 DM mehr als bisher. Die breite Schicht der Bezieher durchschnittlicher Einkommen — bekanntlich sind 50% aller Steuerpflichtigen noch in der Proportionalzone mit dem Steuersatz von 22 % — hat von der beabsichtigten Erhöhung der berücksichtigungsfähigen Baukosten in der Mehrzahl der Fälle überhaupt nichts, zumal ja hier die reinen Herstellungs- und Erwerbskosten relevant sind ohne die Kosten für das Grundstück, ohne Architektenhonorar und ohne Gebühren.Beim Durchschnitt aller, die sich heute aus finanziellen Gründen Wohneigentum nicht leisten können, wird die Nichtausschöpfungsfähigkeit die Regel sein. Sollte ein Bezieher mit durchschnittlichem Einkommen doch in der Lage sein, die neuen Höchstgrenzen voll auszuschöpfen, so hätte er nach dem Gesetzentwurf der Bundesregierung eine Steuerersparnis von 26400 DM in dem Achtjahreszeitraum aus der Grundförderung gegenüber 17 600 DM nach dem heutigen Recht, also nach dem alten § 7 b. Ein Spitzenverdiener hätte also nach dem Gesetzentwurf der Bundesregierung einen um 40 800 DM höheren Steuervorteil als ein Arbeitnehmer in der Proportionalzone, also zweieinhalb mal mehr.Ich will hinzufügen, daß sich wichtige Institutionen für den Abzug von der Steuerschuld, wie von uns vorgeschlagen, aussprechen. Ich erwähne jetzt nur den Städtetag und die Landesbausparkassen.Die Erhöhung der berücksichtigungsfähigen Bau- und Anschaffungskosten führt im wesentlichen lediglich dazu — das ist mein zweiter Kritikpunkt —, daß der Mitnahmeeffekt der Förderung gegenüber dem geltenden Recht verstärkt wird. Die Wahrscheinlichkeit, daß Bezieher kleiner und mittlerer Einkomen den vorgesehenen neuen Höchstbetrag ganz oder teilweise ausschöpfen können, ist auch deshalb besonders gering, weil die Grundstückskosten, anders als in unserem Gesetzentwurf, nicht berücksichtigt werden. Wer die Privatgutlösung will, kann jedenfalls steuersystematische Gründe gegen die Hereinnahme der Grundstückskosten nicht geltend machen. Im übrigen verweise ich auf die höchst interessante Untersuchung des Verbands der deutschen Hypothekenbanken. Auf Grund dieser Untersuchung kommt dieser Verband zum Ergebnis — ebenso wie die SPD-Fraktion —, daß die Grundstückskosten in die Förderung einbezogen werden sollten.Drittens. Die Bundesregierung hat die Gleichbehandlung von Neubau und Erwerb vorgesehen. Mein Kollege Otto Reschke wird hierzu im einzelnen Ausführungen machen.Viertens. Von den „familienfreundlichen Lösungen", von der „Verbesserung der Förderung von Familien mit Kindern im besonderen Maße", wovon seitens der Regierung immer die Rede ist, ist mit Ausnahme der Ausdehnung des Baukindergelds auf das erste Kind nichts übriggeblieben. Was bedeutet das? Ein Spitzenverdiener mit einem Steuersatz von 56% ohne Kind bekommt eine zusätzliche Förderung von 22400 DM. Das ist fast fünfmal soviel wie die Verbesserung der Kinderkomponente.
Da soll irgend jemand der Bundesregierung abnehmen, daß sie für eine familienfreundliche Lösung ist!Fünftens. Wenn über die unsinnigen, im wesentlichen die Mitnehmereffekte bei Beziehern hoher Einkommen verstärkenden Auswirkungen des Ge-
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Huonkersetzentwurfs der Bundesregierung diskutiert wird, ziehen die Sprecher der Koalition immer die Karte „Direktförderung". Ich habe schon in der ersten Lesung unseres Gesetzentwurfs ausgeführt, daß dies seitens der Bundesregierung eine doppelte Irreführung ist. Ich will die Begründung dafür nicht wiederholen.
Sechstens. Wir sind uns über die Kriterien gerechtfertigter Steuersubventionen in diesem Haus im Prinzip einig. Wenn man an diesen Kriterien die Regelung der Bundesregierung mißt, kommt man zu einem vernichtenden Ergebnis. Die Versuche der Koalition, die mit steigendem Einkommen steigende Förderung durch den § 10 e mit dem im Steuerrecht geltenden Prinzip der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit zu begründen, Herr Daniels und Herr Schulhoff, sollen hiervon ablenken.Ich verweise auf ein Interview, das Professor Tipke in diesen Tagen in den „Stadtbau-Informationen" zur Bewertung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung gegeben hat. Er führt aus — und Sie nehmen ihn ja gern als Kronzeugen dafür, daß progressiv entlastende Kinderfreibeträge verfassungsrechtlich zulässig, nein, sogar verfassungsrechtlich geboten sind; deswegen wird es wehtun, wenn wir ihn nun für unsere Überzeugung in Anspruch nehmen —, daß es sich bei der vorgelegten Grundförderung der Bundesregierung um eine Perversion des Gerechtigkeitsgedankens handelt.
Im übrigen sagt Professor Tipke — er dürfte damit bei der Bundesregierung den Nagel auf den Kopf getroffen haben —:Dieses Wagnis wird nur eingegangen, weil man damit rechnet, daß der Bürger die Situation in Anbetracht der Einbettung der Subventionen in Steuergesetze nicht durchschauen werde.Er fährt fort:Verfassungsrechtlich muß sich der Gesetzgeber jedoch an dem festhalten lassen, was er in der Begründung erklärt.Diese Begründung, meine Damen und Herren, ist nicht, für die Bezieher hoher und höchster Einkommen die Steuern zu senken, sondern Ihre eigenen Ziele, die Sie in Ihrem Gesetzentwurf nachlesen können, sind natürlich wohneigentums- und vermögenspolitischer Art.Ich betone, daß Professor Tipke darauf hinweist, daß er es für verdienstvoll halten würde, wenn nach dem Inkrafttreten des Gesetzentwurfs der Bundesregierung, wie er jetzt vorliegt, ein Verfassungsgerichtsverfahren wegen der Art der geplanten Wohnungsbauförderung angestrebt würde. Dies, meine Damen und Herren von der Koalition, sollten Sie sich ins Stammbuch schreiben: Progressionsabhängige Förderung ist Willkür.
Hören Sie deshalb endlich damit auf, mit steuersystematischen und steuerpolitischen Argumentenfür ihre verfehlten Lösungen der Neuordnung dersteuerlichen Förderung von Wohneigentum zu werben. Ich erinnere an Ihre Ausführungen, Herr Daniels, auch an die Ausführungen von Herrn Kollegen Häfele vor wenigen Monaten, als wir den Gesetzentwurf der SPD-Fraktion diskutierten.Es wird so getan, Herr Dr. Häfele, als ob ein Spitzenverdiener hinsichtlich des Stichworts „Anreizwirkung", das Sie eingeführt haben, seine Entscheidung, ein Haus zur Eigennutzung zu erwerben, davon abhängig machen würde, ob dadurch seine Steuern sinken. Welch eine Verkennung der Lebenswirklichkeit! Umgekehrt wird ein Schuh daraus. Ein Bezieher eines kleinen Einkommens muß rechnen; bei dem kommt es auf jede Mark an. Seine Entscheidung wird wesentlich davon bestimmt, wie hoch die staatliche Förderung ist.Wie falsch die Politik der Bundesregierung auf diesem Gebiet ist und wie sehr die Wirklichkeit mit ihren Aussagen im Wiederspruch steht, wird deutlich, wenn man ihre Politik auf diesem Feld im Zusammenhang bewertet. Dabei kann die sogenannte Grunderwerbsteuerreform der konservativliberalen Koalition — von uns erbittert bekämpft —, nicht außen vorgelassen werden. Sie hat zu einer erheblichen Verteuerung beim Erwerb von kostengünstigem Wohneigentum geführt und die teuren Objekte begünstigt.
Bezüglich der Auswirkungen der Grunderwerbsteuerreform und der von Ihnen vorgesehenen Neuregelung — Herr Gattermann, werden Sie nicht nervös — nenne ich Ihnen zwei Beispiele, die Sie hoffentlich zum Nachdenken bringen.
Erstes Beispiel. Wenn jemand mit einem vergleichsweise niedrigen Einkommen einen Steuersatz von 25 % und ein Kind hat und ein Haus für eine Viertelmillion erwirbt, so zahlt er gegenüber dem bis 1982 gültig gewesenen Rechtszustand, Herr Kollege Gattermann, 5 000 DM mehr Grunderwerbsteuer. Früher mußte er überhaupt keine bezahlen.Durch die von der Bundesregierung vorgesehene Neuregelung der Grundförderung hat er keine müde Mark Vorteil. Durch die Ausdehnung des Baukindergeldes auf das erste Kind erhält er zusätzlich 4 800 DM in 8 Jahren. Er stellt sich also nach dem Gesetzentwurf der Bundesregierung einschließlich der sogenannten Grunderwerbsteuerreform — von Ihnen allein zu vertreten — in dem Achtjahreszeitraum um insgesamt 200 DM schlechter gegenüber 1982.
Ein Spitzenverdiener, Herr Gattermann, erwirbt eine Gebrauchtimmobilie zum Kaufpreis von 600 000 DM; er hat einen Steuersatz von 50 % und ebenfalls ein Kind. Er spart allein durch die Grunderwerbsteuerreform 12 500 DM Steuern. Da er den neuen Höchstbetrag ausschöpfen kann
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Huonker— jetzt werden Sie wieder nervös! —,
erhöhen sich seine Steuervorteile. Die Zahlen sind unanfechtbar; fragen Sie die Bundesregierung in der nächsten Fragestunde. Er hat einen zusätzlichen Steuervorteil nach § 10 e des Regierungsentwurfs gegenüber dem bisherigen § 7 b in Höhe von 20 000 DM und bekommt natürlich auch das zusätzliche Kindergeld für das erste Kind. Er hätte also durch die Neuregelung plus Reform der Grunderwerbsteuer insgesamt einen Steuervorteil von sage und schreibe 37 300 DM.Der von mir erwähnte Bezieher eines kleinen Einkommens, ebenfalls mit einem Kind, müßte ein insgesamt etwa um das Vierfache erhöhtes Baukindergeld haben, wenn seine Gesamtförderung so hoch sein sollte wie die des Spitzenverdieners.
Nicht viel anders sieht es aus, wenn man bei den Spitzenverdienern das Kind wegläßt.Zu dem Stichwort, daß Sie immer die Karte „Direktförderung" ziehen, wenn wir Ihnen die unglaubliche Ineffizienz und Verteilungsungerechtigkeit vorhalten, habe ich das Notwendige vorhin und auch in der Debatte am 29. März dieses Jahres gesagt.
— Durch Wiederholung hat die Wahrheit eine Chance, vielleicht im Laufe der Zeit auch in Ihre Köpfe zu kommen.
— Wir geben den Glauben an Ihre zumindest partielle Lernfähigkeit, mein lieber Herr Kollege, nicht auf.Die Koalition wendet sich gegen den Gesetzentwurf der SPD-Fraktion insbesondere mit dem Argument, er hätte Steuerausfälle, Herr Kollege Häfele, in Milliardenhöhe zur Folge. Hierüber werden wir in den Ausschußberatungen intensiv zu streiten haben. Natürlich weiß man, daß bei diesen komplizierten Berechnungen nur einige Grundannahmen scheinbar geringfügig verändert werden müssen, um zu dem jeweiligen, politisch gewollten Ergebnis zu kommen. Dies gilt, wenn man uns das vorhält — wir haben versucht, spitz zu rechnen —, natürlich auch für die Rechnung in bezug auf den Gesetzentwurf der Bundesregierung, und ich wiederhole noch einmal: Bei dieser Regelung hat sich der Bundesfinanzminister reich gerechnet
— das werden wir nachweisen —, und der Bundesbauminister ist unterlegen.Meine Damen und Herren! Ich will zum Thema Wohnungsbaugenossenschaft heute nichts sagen;wir haben dazu einen Vorschlag gemacht. Ich verweise nur auf die zu diesem Punkt sehr bedenkenswerten Ausführungen in dem kürzlich vorgelegten Gutachten über die Besteuerung gemeinnütziger Wohnungs- und Siedlungsunternehmen. Sie sind, was diese Frage angeht, außerordentlich interessant, auch wenn man im übrigen die in diesem Gutachten vorgeschlagenen Ergebnisse nicht teilt.Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluß. Die Baugenehmigungen für Eigenheime und für Eigentumswohnungen sind 1984 gegenüber 1983 erheblich zurückgegangen. Diese dramatische Entwicklung hält an.
— Der begrenzte Schuldzinsenabzug, mein sehr verehrter Herr Zwischenrufer, ist ein Strohfeuer geblieben.
Angesichts der dramatischen Lage der Bauwirtschaft — die tiefste Krise seit der Währungsreform— legt die Bundesregierung einen Gesetzentwurf vor, der wesentliche Verbesserungen für jene bringt, die wegen ihrer hohen Einkommen schon heute Wohneigentümer werden können, und zwar ohne zusätzliche Förderung, ja in vielen Fällen ohne jedwede staatliche Förderung. Dies ist ganz unabhängig von der Frage der Verteilungsgerechtigkeit ein wohnungs-, eigentums- und vermögenspolitischer Offenbarungseid der Bundesregierung. Die Verteilungsideologie zugunsten der Bezieher hoher Einkommen hat wieder einmal über die ökonomische Vernunft und über die wohnungspolitischen Notwendigkeiten gesiegt.
Wir Sozialdemokraten bieten an, auf der Grundlage unseres Gesetzentwurfs zusammen mit der Koalition nach Lösungen zu suchen, die wohneigentums- und vermögenspolitisch sinnvoll sind und damit auch der Bauwirtschaft helfen und die auch — Herr Kollege Häfele, sagen Sie das bitte Herrn Dr. Stoltenberg weiter — von einem einsichtigen Finanzminister mitgetragen werden können. Was die Zahlen in den Gesetzentwürfen angeht — Höchstbeträge, Abzugsbeträge —, so sind diese nicht vom Himmel gefallen; darüber muß zielorientiert miteinander geredet und gestritten werden.Zum Schluß will ich sagen: Wir Sozialdemokraten bedauern, daß schon wegen der Verzögerungen seitens der Bundesregierung — sie hat ja ewig gebraucht, bis sie mit ihrem Gesetzentwurf und dann mit der Gegenäußerung zur Stellungnahme des Bundesrates überkam — eine solche von mir skizzierte Lösung nicht schon zum 1. Janaur 1986 in Kraft treten kann, wie dies auch der Bundesrat, und zwar einstimmig, gefordert hat.Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
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Das Wort hat der Abgeordnete Schulhoff.
Das wird mir schon nicht schwerfallen, Herr Kollege.Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Gesetzentwurf, den wir heute in erster Lesung zu behandeln haben, ist in mehrerer Hinsicht bemerkenswert.
Mit ihm wird nach kaum mehr als der Hälfte der Legislaturperiode das letzte der steuerpolitischen Vorhaben verwirklicht, die Bundeskanzler Kohl in der Regierungserklärung vom 4. Mai 1983 angekündigt hat.
Die übrigen Vorhaben stehen schon im Bundesgesetzblatt. Wir handeln, wir tun das, was wir angekündigt haben. Ich nenne die Wiederingangsetzung der Wirtschaft, insbesondere durch steuerliche Maßnahmen. Ich nenne die Beseitigung der steuerlichen Diskriminierung der Familien mit Kindern durch Wiedereinführung der Kinderfreibeträge. Ich nenne den Einstieg in die Tarifreform. Ich nenne den nach langem Stillstand bewirkten neuen Schub bei der Vermögensbildung. Die Koalition der Mitte hat ihre Ankündigungen in die Tat umgesetzt. Wir werden Steuern senken — und dies, meine sehr verehrten Damen und Herren, bei fortschreitender Konsolidierung des Haushalts und dies, obwohl die Steuereinnahmen wegen unserer konsequenten Stabilitätspolitik nicht die Zuwachsraten aufweisen, wie sie in den Zeiten der Deficit-spending-Politik der SPD üblich waren.Der vorliegende Gesetzentwurf ist weiterhin bemerkenswert; denn er stellt nicht nur steuersystematisch eine wesentliche Verbesserung gegenüber der jetzigen steuerlichen Behandlung des selbstgenutzten Wohneigentums dar, sondern schafft darüber hinaus auch bessere Voraussetzungen dafür, daß mehr Bürger als bisher, insbesondere Familien mit Kindern, Wohneigentum erwerben können.
Die bisher allgemein auf das Wohneigentum ausgerichtete Förderung nach dem bekannten § 7 b des Einkommensteuergesetzes läuft unter Einräumung großzügiger Übergangsfristen aus. Im Zeichen einer zunehmenden Sättigung des Wohnungsmarktes wird die neue Förderung jetzt auf das selbstgenutzte Wohneigentum konzentriert. Anders als beim § 7 b geht es nicht mehr vorrangig darum, Wohneigentum allgemein, also auch vermietetes Wohneigentum, zu fördern. Der Wegfall des § 7 b für vermietete Wohnungen ermöglicht vielmehr, daß statt höchstens 10 000 DM für ein Einfamilienhaus bzw. 12 500 DM für ein Zweifamilienhaus künftigbis zu 15 000 DM für selbstgenutzes Wohneigentum abgezogen werden können.
— Auf den Abzug werde ich gleich noch zu sprechen kommen, Herr Huonker.Die neue Förderung ist aber auch ein weiterer Schritt zu einem familienfreundlicheren Steuerrecht. Das ist auch wieder bemerkenswert. Die im Sommer dieses Jahres von diesem Hohen Hause beschlossene deutliche Anhebung des Kinderfreibetrages wird für die „häuslebauende" Familie durch Einführung eines 600-DM-Abzuges bereits ab dem ersten Kind ergänzt. Hinzu kommt, daß die gleichrangige Förderung des Erwerbs von gebrauchtem Wohnraum vor allem jungen Familien helfen wird, die schon früh Eigentum erwerben wollen. Damit leistet die Regierung einen weiteren Beitrag zur Vermögensbildung. Gleichzeitig ist dies als ein weiterer Schritt zur privaten Altersvorsorge zu sehen; denn Bildung von Wohneigentum ist ein wichtiger Bestandteil der Alterssicherung, meine Damen und Herren.Bei der Beseitigung der Ungereimtheiten zwischen der Besteuerung der eigengenutzten Einfamilienhäuser und der teilweise eigengenutzten Zwei- und Mehrfamilienhäuser hat man in der Vergangenheit leider nur an den Symptomen kuriert. Diesen Schuh müssen Sie sich anziehen, Herr Huonker, denn Sie hatten 13 Jahre Zeit, das durchzusetzen, was Sie eben hier vorgeschlagen haben.
Der jetzige Entwurf schafft endlich Klarheit, indem man der Tatsache Rechnung trägt, daß Wohnen zur persönlichen Lebensgestaltung gehört und die selbstgenutzte Wohnung dementsprechend nicht mehr als Investitions-, sondern vielmehr als Privatgut betrachtet wird.Mit einer derartigen Betrachtungsweise muß zwangsläufig die bisher praktizierte und zu vielerlei Ärgernis führende Nutzungswertbesteuerung wegfallen. Diese Nutzungswertbesteuerung stellt zudem eine Ausnahme in unserem Steuerrecht dar und ist deshalb auch schwer begreiflich; denn unser Steuerrecht geht grundsätzlich davon aus — und das ist auch gut so, meine sehr verehrten Damen und Herren —, daß nur erzielte Einkünfte der Einkommensteuer unterliegen, also nur tatsächliche Einnahmen nach Abzug der Betriebsausgaben oder Werbungskosten. Diese steuerliche Privatisierung der eigenen Wohnung ist — das ist vielleicht einer der wichtigsten Bestandteile dieses Gesetzentwurfs — ein Schritt zu weniger Staat, ein nicht zu unterschätzender Beitrag zur Entbürokratisierung.
Zahlreiche Steuerzahler — Schätzungen gehen in die Hunderttausende; Herr Häfele hat dies eben erwähnt — werden heute nur deshalb beim Finanzamt verwaltet, weil sie einen Nutzungswert zu versteuern haben. Diese Steuerzahler werden künftig aus den Steuerlisten gestrichen werden können. Ich
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Schulhoffdenke da besonders an unsere älteren Mitbürger, die heute zum Teil nur deswegen zur Einkommensteuer veranlagt werden, weil sie neben ihrer Rente ein Wohneigentum haben, das entschuldet ist und für das der § 7 b ausgelaufen ist.
— Sie werden gleich Gelegenheit haben, Ihren Standpunkt hier deutlich zu machen.Eine weitere wichtige Wirkung des Wegfalls der Nutzungswertbesteuerung ist die Beseitigung der steuerlichen Ungleichbehandlung zwischen einem völlig selbstgenutzten Haus und einem teilvermieteten Haus. Bei dem einen wird der Nutzungswert heute pauschal in Anknüpfung an den Einheitswert des Hauses besteuert, bei dem anderen wird der Nutzungswert der selbstgenutzten Wohnung nach der Marktmiete bemessen. Bei solchen Regelungen ist der Streit beim Finanzamt vorprogrammiert. Solche Streitigkeiten können künftig entfallen. Auch unsere Finanzgerichte werden dadurch entlastet.Der Bundesrat hat eine weitere Vereinfachung bei verbilligter Wohnüberlassung an einen Dritten angeregt. Wir werden den Vorschlag im Finanzausschuß prüfen. Die CDU/CSU-Fraktion ist gewillt, auch andere Anregungen genau zu prüfen, die darauf abzielen, insbesondere die Fördertatbestände überschaubarer zu gestalten.Es ist richtig — das sollte fairerweise hier betont werden —, daß auch der Gesetzentwurf der SPD-Fraktion, den wir Ende März in erster Lesung behandelt haben und den wir in den Ausschüssen zusammen mit dem Regierungsentwurf noch beraten werden, Herr Huonker, den Wegfall der Nutzungswertbesteuerung vorsieht
— seien Sie doch froh, daß ich das einmal lobend hier erwähne — und damit insoweit die gleiche Vereinfachung wie der Regierungentwurf bringt. Leider aber ist der Entwurf der SPD-Fraktion ebenso wie der Entwurf Nordrhein-Westfalens, den es auch noch gibt und der nicht zuletzt aus diesem Grunde bereits im Bundesrat gescheitert wäre, wenn ihn das Land Nordrhein-Westfalen nicht zurückgezogen hätte, zu sehr ideologiebefrachtet.
Das haben, Herr Huonker, auch Ihre Ausführungen sehr deutlich gemacht. Sie begannen gut und gingen dann in blanke Ideologie über.
— Ich werde mich gleich mit Herrn Tipke beschäftigen.Wenn ich auf die Unterschiede zwischen den beiden Gesetzentwürfen zu sprechen komme, so ist zunächst die Art der Förderung zu nennen. Wir wissen, daß Ihnen der § 7 b, von dem seit den 50er Jahren Millionen Bürger Gebrauch gemacht haben und der Millionen von Bürgern und auch Millionen von Arbeitnehmern eine wertvolle Hilfe war, schon immer ein Dorn im Auge war. Eines begreife ich nicht. Eben haben Sie noch Ihre Tätigkeit in den 70er Jahren gelobt, und jetzt greifen Sie den § 7b an.
Dieser Paragraph war Ihnen einfach nicht gleichmacherisch genug.
Schon auf Ihrem ersten unseligen Steuerparteitag 1971 wollten Sie nicht wahrhaben, daß der progressionsabhängige Abzug das Gegenstück zur progressiven Besteuerung ist.
Damals wurden die Ideologen in der SPD noch von den Pragmatikern und den Steuerrechtlern gebremst. Heute scheint das anders zu sein.Unser Gesetzentwurf hingegen schließt an den bewährten § 7 b an, der in den vergangenen mehr als dreißig Jahren für zahllose Bauherren und später auch für die Erwerber eine ganz wertvolle Abschreibungserleichterung war
und der tief im Bewußtsein der Bevölkerung verankert ist. Der § 7 b ist wahrscheinlich derjenige Paragraph im Einkommensteuerrecht, der den größten Bekanntheitsgrad hat. Deshalb wollen wir auch bei der künftigen Förderung einen Abzug von der Steuerbemessungsgrundlage
— Herr Huonker, ich werde wahrscheinlich gleich zu Ihrem Punkt kommen. Warten Sie; hören Sie erst einmal meine Ausführungen an.
Deshalb wollen wir auch bei der künftigen Förderung einen Abzug von der Steuerbemessungsgrundlage und nicht von der Steuerschuld. Steuersystematisch bietet sich dazu ein Abzug als oder wie Sonderausgaben an. Ich kann das weder als ineffizient noch als widersinnig empfinden oder wie sonst die Vokabeln in der Begründung zu Ihrem Gesetzentwurf lauten mögen.
Herr Abgeordneter, signalisieren Sie mir, ob Sie eine Zwischenfrage zulassen? — Danke sehr, keine Zwischenfragen. Bedaure, Herr Abgeordneter Huonker.
Lassen Sie mich den Gedanken zu Ende bringen. Die SPD hat bisher noch nicht vorgeschlagen, daß Bausparbeiträge, Lebensversicherungsbeiträge oder die Kirchensteuer oder
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SchulhoffSpenden nicht mehr als Sonderausgaben abgezogen werden dürften. Wir wissen, daß Sie das ebenfalls gern in einen Abzug von der Steuerschuld umgestalten möchten. Diesen Gefallen werden wir Ihnen nicht tun.Daß sich Abzüge von der Steuerbemessungsgrundlage bei Höherverdienenden stärker auswirken als bei jenen in der Proportionalzone, ist nur ein Spiegelbild der Steuerprogression.
Bei dem, der fünfzig Pfennig oder mehr von jeder Mark an Steuern zahlt, sollen sich Abzüge auch entsprechend auswirken. Wir stellen die Teile des Einkommens, die für bestimmte, vom Staat geförderte Zwecke ausgegeben werden, im Rahmen bestimmter Höchstbeträge bzw. mit einem bestimmten Anteil von der Steuer frei. Das geht steuersystematisch gar nicht anders als durch einen Abzug von der Steuerbemessungsgrundlage.Im übrigen ist die progressive Entlastung spiegelbildlich zur progressiven Steuerbelastung ein wirksamer Anreiz für aufstrebende Berufstätige, die Wohnungseigentum schaffen wollen.
Herr Abgeordneter, Sie lassen keine Zwischenfragen zu? — Danke schön. Dann bitte ich das zu berücksichtigen.
Von dieser Seite kann sowieso nichts kommen.
Ich werde mich gleich mit den GRÜNEN beschäftigen.
Das ist wie die im Sommer beschlossene Tarifsenkung ein weiterer Schritt zu einem leistungsfreundlicheren Einkommensteuerrecht. Herr Huonker, ich kann Herrn Tipke so lange nicht folgen, solange wir nicht zu einem linear-progressiven, also langsam ansteigenden Steuertarif kommen. Wenn wir diesen Steuertarif haben — der unser Langziel sein muß,. ich hoffe, auch Ihres —, dann können wir auch noch einmal über das, was Herr Tipke gesagt hat, in diesem Hause nachdenken.
Ihre häufig in diesem Zusammenhang erhobene Behauptung, die Bezieher niedrigerer Einkommen würden benachteiligt, geht meiner Einsicht nach völlig ins Leere. Denn die direkte Förderung im Bereich des sozialen Wohnungsbaus wird beibehalten.
Das ist nach wie vor eine soziale Komponente. Das können Sie nicht unter den Tisch kehren.Es gibt noch eine Reihe weiterer Abweichungen zwischen den beiden Gesetzentwürfen, auf die ich im Rahmen der ersten Lesung jetzt aber nicht weiter eingehen will,
zumal sie bereits bei der Debatte im März deutlich geworden sind. Dazu gehört die Einbeziehung von Grund und Boden.
Meine persönliche Meinung ist: Darüber kann man nachdenken.
Dazu gehört die von Ihnen vorgeschlagene Differenzierung nach Bau- und Erwerbsfällen. Dazu gehört die Ausgestaltung der Kinderkomponente. Ich habe den Eindruck, daß die meisten dieser Punkte, anders als die Meinungsunterschiede über den Abzug von der Bemessungsgrundlage oder von der Steuerschuld — darüber haben wir eben gerade gesprochen —, auch aus Ihrer Sicht keine so gravierenden Streitfragen sind,
sondern Punkte, über die man in Ruhe und etwas unvoreingenommener noch einmal nachdenken sollte.
— Ja, j a, wenn Sie Ihre Ideologie vergessen, geht es auf diesem Wege natürlich viel schneller voran.Es scheint mir im übrigen ein weiterer bemerkenswerter Punkt dieses Gesetzesvorhabens zu sein, daß über die Parteigrenzen hinweg — die GRÜNEN will ich wie üblich ausnehmen; sie hatten j a bereits bei der ersten Lesung des SPD-Gesetzentwurfes eine grundsätzliche Abkehr von der Eigentumsförderung empfohlen; daß wir diesen Weg nicht mitgehen können, werden Sie, meine Herren von den GRÜNEN, doch wohl verstehen — Übereinstimmung darin besteht, daß jedenfalls das geltende Recht geändert werden muß, weil es zu unsystematisch, zu unübersichtlich und auch zu ungerecht geworden ist.
Um so größer ist deshalb unsere Erwartung, daß die SPD auch in den Ausschüssen bereit sein wird, mit uns gemeinsam über weitere Vereinfachungsmöglichkeiten, wenn es solche noch geben sollte, nachzudenken.
Wir sind jedenfalls dazu bereit. Nur, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, muß es sehr schnell gehen, damit der Bürger endlich Klarheit hat.
Lassen Sie uns deshalb einen neuen Anlauf nehmen, um schon in dieser Legislaturperiode in einem Teilbereich — einem zugegebenermaßen schmalen
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SchulhoffTeilbereich — des Steuerrechts zu einer möglichst weitgehenden Vereinfachung zu kommen.Ich danke Ihnen.
Das Wort hat der Abgeordnete Vogel .
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Man könnte den Eindruck gewinnen, hier werde eine soziale Großtat verhandelt, und es könne nun jeder zu seinem Häuschen kommen. Dieser Eindruck ist falsch. Es wird sich im Gegenteil unserer Meinung nach insbesondere der Entwurf der Bundesregierung für viele Menschen als Danaergeschenk erweisen, denn in einer Zeit immer noch vorhandener Massenarbeitslosigkeit, deren Ende noch nicht absehbar ist, werden viele Leute, die darauf vertrauen, daß diese 7 b-Förderung ihnen den Eigentumserwerb sichert, und die die Gelder aus dieser Steuererleichterung in ihre Berechnungen für den Hauserwerb einbeziehen, dann, wenn sie plötzlich arbeitslos werden und wenn diese Gelder entfallen, auf einmal ziemlich mies dastehen.
Wir halten eine Förderung über Steuerabzugsbeträge, wie sie von der Regierung vorgeschlagen wird, für verhängnisvoll.
Eigentum macht ja — das muß man sich auch einmal deutlich machen — nicht frei, sondern bringt den normalen Erwerber von Hauseigentum in eine 30jährige Abhängigkeit von den Banken.
Wenn man sich einmal vorstellt, daß in den engen Moseldörfern die Häuser, die der örtlichen Sparkasse oder Raiffeisenbank gehören, drei Meter vorrücken, wäre das Moseltal leergeräumt.
Wieso stürzen sich dann aber so viele Menschen auf das Wohneigentum und in dieses Abenteuer? Einmal ist es natürlich der rechtlich unsichere Status des Mieters. Wir haben es erlebt: immer weiter erleichterte Mieterhöhungsverfahren — ich nenne hier die Staffelmiete —, eine verschärfte Duldungspflicht bei Modernisierungen, unzureichender Schutz bei Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen. Dadurch verschärft sich die Situation der Mieter, und dann wächst natürlich auch der Wunsch, dem zu entkommen.
Das führt direkt zu einem Zwang zum Wohnungseigentum.Daß das Thema „Wohnungseigentum" überhaupt aktuell wird, liegt natürlich auch daran, daß es eine gewisse Alternativlosigkeit gibt. Wir haben praktisch bloß die Alternative: Mietwohnung auf der einen Seite, Wohnungseigentum auf der anderen Seite.
Deshalb wäre es eigentlich erforderlich, z. B. Ideen wie die von genossenschaftlichem Wohneigentum verstärkt in die Diskussion zu bringen.
Deswegen ist der erste Ansatzpunkt für uns eine verstärkte rechtliche Absicherung der Mieter, z. B. durch Dauerwohnrechte. Ich möchte auch in die Einigkeit der anderen Parteien einbrechen, daß die steuerliche Förderung von Wohnungseigentum sehr sinnvoll sei. Zunächst einmal halten wir sie für haushaltspolitisch verfehlt. Mit diesem Gesetz wird weiter festgeschrieben, daß horrende Summen für die Eigentumsförderung gebunden sind, wodurch die Mittel für andere Formen der Verbesserung der Wohnsituation der Bevölkerung fehlen. In diesem Jahr werden die Mindereinnahmen laut dem Zehnten Subventionsbericht, der gestern vorgelegt wurde, auf Grund des § 7 b 5,2 Milliarden DM betragen, auf Grund des Schuldzinsenabzugs 1,8 Milliarden DM und wegen des Baukindergeldes noch einmal 0,4 Milliarden DM.
Das ist zusammen ein Volumen von fast 7,5 Milliarden DM, dem noch die steuerlichen Mindereinnahmen wegen der Begünstigung des Bausparens hinzuzurechnen sind.
Dies sind alles Gelder, die von denen, die nicht Eigentümer sind, zu denen hin verteilt werden, die nun Eigentümer werden.
Wir halten deshalb dieses Gesetz auch für verteilungspolitisch verfehlt.
Die öffentliche Förderung von Wohneigentum bedeutet immer eine Umverteilung, und zwar zunächst einmal, wie gesagt, von den Nichteigentümern hin zu den Eigentümern. Das bedeutet bei den gegebenen Bedingungen eine Umverteilung zugunsten höherer Einkommen:
denn Erwerber von Wohneigentum verfügen über ein überdurchschnittliches Einkommen. Entsprechend ist auch der Anteil der Haushalte, die in Eigentum wohnen, in den einzelnen Einkommensgruppen sehr unterschiedlich. Von den einkommensmäßig untersten 20 % der Bevölkerung lebt nur jeder vierte Haushalt im eigenen Haus oder in der eigenen Wohnung. Bei den obersten 20 % dagegen ist es natürlich mehr als jeder zweite.
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Vogel
Dieser Unterschied in den Eigentumsquoten hat sich übrigens entgegen dem, was Sie sagen, nicht vermindert, sondern er hat sich in den letzten 20 Jahren immer weiter vergrößert.Auch regional variieren die Eigentumsquoten ganz beträchtlich. Am niedrigsten sind sie z. B. in Berlin, wo lediglich 8 % der Bevölkerung in der eigenen Wohnung wohnen. Dabei ist die Eigentumsförderung — das läßt die steuerliche Förderung sehr fraglich werden — in Berlin noch wesentlich höher als im Bundesgebiet. Hier wird also für eine noch kleinere Bevölkerungsgruppe eine noch höhere Förderung gewährt.
Welche sozialen Gruppen durch die Wohneigentumsförderung begünstigt werden, zeigt sich auch, wenn man sich die Eigentumsquoten gegliedert nach der sozialen Stellung ansieht. Nach der letzten Wohnungsstichprobe wohnte nur ein Drittel der Arbeiterfamilien im eigenen Haus oder in der eigenen Wohnung. Bei den Selbständigen dagegen waren es zwei Drittel.
Eine weitere Umverteilung erfolgt natürlich innerhalb der Gruppe der Eigentumserwerber. Hier werden nämlich besonders diejenigen bevorzugt, die es am wenigsten nötig haben.
Worauf die SPD schon zu Recht hingewiesen hat: Dies ist auch unseres Erachtens eine Verschwendung öffentlicher Mittel. Diese Leute würden ohnehin ihre Bau- und Kaufpläne realisieren. Da brauche ich nicht auch noch steuerlich tätig zu werden.Eigentumserwerber ist also nicht gleich Eigentumserwerber. Hier wird vielmehr derjenige gefördert, der mehr als die anderen hat. Er bekommt auch noch mehr.
Dies geschieht, wie erwähnt, durch die steuerrechtliche Ausgestaltung des § 7 b. Da nach § 7 b die absetzbaren Kosten vom steuerpflichtigen Einkommen abgezogen werden, hängt die Höhe des Steuerverzichts der öffentlichen Hand vom individuellen Einkommen des Wohnungseigentümers ab. Das heißt, daß der Staat das Häusle des einen, beispielsweise des Arbeitslosen, mit 0 DM fördert, das Häusle des anderen mit 67 200 DM. Ich kann das nur als ungerecht empfinden.
Hat der Häuslebauer Kinder, so kommen über einen Zeitraum von acht Jahren pro Kind noch 600 DM jährlich hinzu, also insgesamt 4 800 DM pro Kind. Das trifft aber auch nur dann zu, wenn die zu zahlende Steuer hoch genug ist, damit der Abzugsbetrag voll zur Geltung kommt.
Demjenigen, der gebaut hat und arbeitslos wird, hilft es wenig, daß er für seine Kinder Baukindergeld bekommt. Wenn er nämlich kein steuerpflichtiges Einkommen hat, ist natürlich auch Schluß mit dieser Förderung und oft genug auch Schluß mit dem Traum vom eigenen Haus.
Daß der Anteil des Wohnungseigentums bei den zugelassenen Neubauten ständig sinkt, wird doch nicht damit geändert, daß Sie einen § 7 b gegen einen § 10e eintauschen. Diese Entwicklung ist doch auch ein Ausdruck Ihrer verfehlten Wirtschaftspolitik, durch welche für die meisten Menschen in den letzten Jahren die Realeinkommen gesunken sind. Die Arbeitsplatzsorge ist viel zu groß, als daß man noch ans Bauen denkt!
Die besondere Förderung von Eigentumserwerbern mit hohem Einkommen läuft auch darüber, daß der Betrag der maximal absetzbaren Herstellungs- und Anschaffungskosten erhöht wurde. Bisher waren es 200 000 DM, in Zukunft sollen 300 000 DM der Förderung zugrunde gelegt werden. Wer sich also ein teureres Haus leisten kann, kriegt in Zukunft auch noch eine höhere Steuerprämie dafür. Eine solche Erhöhung ist unseres Erachtens keineswegs wegen der Baupreise erforderlich. Tatsächlich liegen nämlich die Herstellungskosten für die meisten Eigentumsneubauten unter 200 000 DM. Bodenpreissteigerungen spielen ohnehin keine Rolle, weil die Grundstückskosten nicht berücksichtigt werden.Wir halten diesen Gesetzentwurf aber auch grundsätzlich wohnungspolitisch für verfehlt, weil jedes Objekt gefördert wird, egal, wie es aussieht, egal, wo es steht. Ich komme aus Südostoberbayern. Dort werden immer mehr Wohngebiete mit Jodlerhäusern vollgeknallt. Dort stehen dann 200 Häuser in Reih und Glied, alle im alpenländischen Stil. Ein einziges mag ganz gut ausschauen, auch fünf kann man noch auf einem Haufen verkraften, aber wenn 200 solcher Häuser dastehen, ist das schon eine ästhetische Beleidigung. Uns ist es nicht egal, was gebaut wird. Die Devise von uns ist nicht: Jedem sein Eigentum
— nein —;
man muß natürlich auch darauf schauen, was gebaut wird. Deswegen sollte sich die Wohnungspolitik auch vermehrt auf den Altbaubestand konzentrieren.Die bisher mit der Eigentumsförderung unmittelbar verbundene Landschaftszersiedelung hat jedenfalls unserer Meinung nach jedes verträgliche Maß überschritten. Mit einer Luxusmodernisierung von Altbauten und ihrer Umwandlung in Eigen-
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Vogel
tumswohnungen wird aber auch nur wenigen gedient und vielen geschadet.
Eine Rückbesinnung auf den Altbaubestand muß daher mit einer Besinnung auf andere Eigentumsformen als allein der des ungebundenen Privateigentums einhergehen. Gerade im Wohnungsbereich sollte die genossenschaftliche Idee wieder mehr Aufmerksamkeit finden.
Wir sprechen uns jedenfalls nicht gegen die private Eigentumsbildung im Wohnungsbereich aus, aber wir sprechen uns gegen die öffentliche Förderung dieses Eigentums aus. Es soll natürlich weiterhin jeder sein Haus kaufen können, der Lust dazu hat.Unsere Leitlinien für die Wohnungspolitik sind ein sparsamer Umgang mit Ressourcen und mehr Gemeinwirtschaft. Deshalb sollten nur Neubauten und Wohnungserwerb in spekulationsgebundenen Eigentums-, und Trägerformen gefördert werden, und zwar durch direkte Finanzhilfen, wobei Einkommensgrenzen analog denen im sozialen Wohnungsbau gelten sollten. Wir fordern die Ausweitung des Mieterschutzes, u. a. durch Dauerwohnrechte, wir fordern das Verbot der Umwandlung von Mietwohnungen in private Eigentumswohnungen und die Streichung aller steuerlichen Förderungen von Wohnungseigentum.Danke schön.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Gattermann.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Offenbar hat das Thema der Neuordnung der Besteuerung des selbstgenutzten Wohneigentums in unseren Reihen keinen besonders hohen Stellenwert, wenn ich mich hier so umschaue und die Präsenz als Gradmesser des Interesses nehme.
Aber vielleicht, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, ist auch das ein Grund: Wenn wir hier lediglich immer wieder gebetsmühlenhaft alle möglichen Argumente hervorholen, die keine sind, irgendwelche Schlagworte austauschen, dann fehlt in der Tat der Impetus dafür, einer solchen Debatte mit Interesse zu folgen.Herr Kollege Huonker, ich freue mich immer über Ihre Sachkompetenz, aber warum Sie am Ende auch wieder bei der Ellenbogengesellschaft und bei der Umverteilung von unten nach oben landen,
ist mir allerdings schleiferhaft.Meine Damen und Herren, wir Freien Demokraten sind froh darüber, daß dieser Gesetzentwurf zur Neuregelung der steuerrechtlichen Förderung des selbstgenutzten Wohneigentums nach zugegebenermaßen relativ schwerer Geburt nunmehr in das Stadium der parlamentarischen Beratungen kommt. Sie wissen, im Fachausschuß wartet bereits der Alternativentwurf der Opposition auf die Beratung. Ich habe mir sagen lassen, daß es die eine oder andere Gruppe im Lande gibt, die noch auf Veränderungen oder Verbesserungen hofft.Für uns Freie Demokraten steht der Wegfall der Nutzungswertbesteuerung im Mittelpunkt der Überlegungen.
Immerhin verfolgen wir dieses Ziel in ungebrochener Konsequenz seit 1979. Der gesamte sich um diesen Kern herum rankende Bereich der staatlichen Förderung des Erwerbs von selbstgenutztem Wohneigentum, so wichtig er auch ist, ist daneben von untergeordneter Bedeutung für uns.
Wenn der Staat in Zukunft darauf verzichtet, den Nutzungswert einer selbstgenutzten Wohnung mit Ertragsteuern zu belegen, so ist für uns zunächst ein Stück Steuersystematik wiederhergestellt. Fiktive Einkünfte werden nicht besteuert. Das Zuflußprinzip ist wiederhergestellt. Schließlich besteuert der Staat auch nicht den Betrachtungswert eines Rubens-Gemäldes, nicht den Gebrauchswert eines Privat-Pkws und auch nicht die sicherlich erfreulichen Nutzungsmöglichkeiten einer Privat-Yacht.
Meine Damen und Herren, wenn der Staat in Zukunft darauf verzichtet, den Nutzungswert einer selbstgenutzten Wohnung zu besteuern, so dokumentiert sich für uns darin auch ein Stück Rückzug des Staates aus der Privatsphäre des Bürgers.
Es gibt keinen intimeren Lebensbereich als das Familienheim. My home is my castle, sagen die Engländer. In diesem privaten Lebensbereich — lassen Sie mich dies einmal überpointiert sagen — hat der Staat als Ertragsteuereintreiber nichts zu suchen, und zwar so lange nicht, so lange mit dieser Wohnung kein Geld verdient wird. Dabei ist es völlig gleichgültig, ob der Staat für die Heranziehung zur Ertragsteuer nun nach Tabellen vorgeht oder Vergleichsobjekte oder fiktive, erzielbare Mieten oder irgendwelche Promillesätze vom Einheitswert zugrunde legt. Für uns ist das tatsächlich ein Stück Gesellschaftsreform, die bei allem Gerede über mehr oder minder großzügige Förderung leicht aus dem Blickfeld verloren wird.Für uns Liberale ist die Schaffung selbstgenutzten Wohneigentums in der Tat ein Stück Vermögensbildung. Man kann es gut und gerne als dritte Säule der Alterssicherung bezeichnen.
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GattermannWelche Absurdität liegt darin, dieses Stück Alterssicherung nach der Phase der Entschuldung — das ist meistens im Rentenalter — mit Ertragsteuern zu belegen, was im schlimmsten Fall dazu führt, daß der Bürger aus seinen vier Wänden verschwinden muß.
Meine Damen und Herren, dennoch ist dieser Teil des vorliegenden Gesetzentwurfs über Jahre hin Gegenstand heftigster Auseinandersetzungen gewesen. Wenn ich es recht sehe, sind diese Auseinandersetzungen immer noch nicht vollständig, immer noch nicht zu hundert Prozent beendet. Die magische Gegenthese hieß und heißt Investitionsgut-Lösung. Es ist überhaupt nicht zu bestreiten, daß eine solche Investitionsgut-Lösung für den Bürger bei der Anschaffung von selbstgenutztem Wohneigentum und in den ersten Jahren nach der Anschaffung dadurch erhebliche Vorteile bringen würde, daß Verluste bei der Einkunftsart Vermietung und Verpachtung seine Steuerlast auf seine sonstigen Einkünfte mindert. Dennoch haben wir dieser Lösung — das werden wir jederzeit tun — eine klare Absage erteilt, denn dies ist eine sehr kurzfristige, allenfalls mittelfristige Betrachtungsweise zugunsten des Bürgers, der schwerwiegende Nachteile, die ich aufgezeigt habe, gegenüberstehen. Vor allen Dingen aber würde man mit einer solchen Lösung eine ganz unheilvolle Tendenz in unserem Steuerrecht fortschreiben, die darin besteht, daß man Verluste durch geschickte Gestaltung in Gewinne umdefiniert. Es ist entlarvend, wenn es immerhin einmal einen ausformulierten Vorschlag für eine Gesetzesdefinition aus dem Fachministerium gegeben hat, die da lautete: Verluste sind keine Gewinne. Ein solcher ökonomischer Unsinn kann sich nur in einem Steuersystem ausbreiten, das auf einem Belastungsniveau operiert, das nicht tolerierbar ist, weil es nicht zuläßt, daß sich ökonomisches Verhalten entwickelt.
Schließlich ist mit dieser Änderung auch ein Stück Steuergerechtigkeit wiederhergestellt worden. Warum sind denn die Bürger, die Wohneigentum geschaffen haben, seit Beginn der 70er Jahre aus den Segnungen staatlicher Subventionen herausgedrängt, um sich mit Zweifamilienhäusern und ähnlichen Konstruktionen in die Regelbesteuerung zu flüchten? Warum wurde hier mit zweierlei Maß gemessen?Nach der Neuregelung wird jedes selbstgenutzte Wohneigentum, in welcher Gebäudeform auch immer, gleich behandelt.
Lassen Sie mich anfügen: Damit hört auch auf, daß das Steuerrecht Einfluß auf die Architektur und die städtebauliche Gestaltung nimmt.
Sehen Sie: Eine Vielzahl unechter Zweifamilienhäuser in unserem Land entspricht der Schießschartenarchitektur zu Zeiten der Fenstersteuer.Aus steuerlichen Gründen städtebauliche und architektonische Gestaltungen zu wählen ist natürlich ein Indiz dafür, daß das Steuerrecht falsch ist. Wir machen es jetzt endlich richtig.
Last, not least wird ein Stück Steuervereinfachung realisiert. Wenn man den Entwurf liest, könnte man eher das Gegenteil vermuten. Aber bei genauerer Analyse stellt sich heraus, daß es so ist.
Es ist schon darauf hingewiesen worden: Eine Vielzahl Veranlagungsfälle — ich will mich nicht festlegen, ob es 600 000, 700 000 oder gar 1 Million sind — fällt ersatzlos weg. Und das ist eine Entlastung nicht nur für die Finanzverwaltung. Das ist auch für die betroffenen Bürger ein Stück Befreiung von bürokratischem Zugriff.
— Entschuldigung, Herr Conradi, ich habe so wenig Zeit. Ich möchte nicht nach der ersten Hälfte meines Redetextes aufhören. Aber gut.
Herr Kollege Gattermann, es wird nicht auf die Zeit angerechnet. Sie können dem Kollegen also die Gelegenheit geben.
Sehr gut. Dann gern, lieber Herr Conradi.
Herr Kollege Gattermann, würden Sie einräumen, daß es sich bei der Aufhebung der Besteuerung des selbstgenutzten Wohneigentums nicht nur um eine entbürokratisierende Maßnahme, sondern auch um eine verteilungspolitisch wichtige Maßnahme handelt, weil Leute, die damals, als sie ihr Haus bauten, nach 7 b oder wegen des Zweifamilienhauses enorme staatliche Entlastungen bekamen und jetzt von der Steuerzahlung, die eigentlich fällig wäre, freigestellt werden?
Mann kann natürlich in jeder Maßnahme verteilungspolitische Aspekte sehen. Wenn sie drin sind, sind es gute, Herr Kollege.
Herr Huonker, Sie haben Herrn Professor Tipke bemüht, und zwar bezogen auf die Ausdehnung dieser Gedanken auf den genossenschaftlichen Wohnungsbau. Ich teile diese Gedanken von Professor Tipke in seinem Gutachten, das er für den Bundesfinanzminister erstellt hat, für die zukünftige Behandlung von Genossenschaftswohnungen und Vereinswohnungen in jedem Punkt. Aber Sie müssen sich natürlich irgendwann entscheiden, ob Sie Herrn Tipke zum Papst erklären und ihm dann folgen.
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Gattermann— Nein, nein. Durchaus nicht. Wir tun das nicht. Aber schauen Sie mal, Sie haben z. B. heute in Ihrer Rede gesagt: Bei den Kinderfreibeträgen: Tipke nein; bei den Sonderausgabenabzugsbeträgen und beim selbstgenutzten Wohneigentum: Tipke ja;
bei der zukünftigen steuerlichen Behandlung des genossenschaftlichen Wohnungsbaus im übrigen: Tipke j a; bei der Behandlung des gemeinnützigen Wohnungsbaus: Tipke nein. Also irgendwann müssen Sie da irgendwie eine klare Regelung hineinbringen.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Huonker?
Bitte schön, Herr Huonker.
Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß ich die Meinung von Professor Tipke zu diesem Punkt deswegen für so wichtig halte, weil er in anderen Bereichen, wo wir ebenfalls über das Thema der progressiven Entlastung streiten, sozusagen die Speerspitze für progressive Entlastungen ist? Um so ernster sollten wir alle — Sie wie wir — hier seine Aussage nehmen: Es hat mit Steuer und Leistungsfähigkeit nichts zu tun; es ist im Grund, wie wenn man den Privat-Pkw irgendwie subventionieren sollte.
Selbstverständlich, Herr Huonker, werden wir die meist sehr klugen Überlegungen von Professor Tipke in der rechten Art und Weise im Rahmen unserer politischen Verantwortung werten.
Aber auf die Fragen, die im Zusammenhang mit dem Abzug von der Steuerschuld und dem Abzug von der Bemessungsgrundlage entstehen, werde ich, wenn Sie es erlauben, sogleich im Zusammenhang zurückkommen, bezogen auch auf Ihre Frage.
Ich will doch noch ein paar Worte über den Förderungsbereich verlieren, obwohl dies nicht der zentrale Punkt und nicht unser zentrales Anliegen ist. Der Sonderausgabenabzugsbetrag, gemessen an den Herstellungskosten von bis zu 15 000 DM jährlich auf die Dauer von acht Jahren als Abzug von der Bemessensgrundlage bedeutet eine wesentliche Verbesserung gegenüber dem Rechtszustand von 1982. Nur dieser Vergleich ist seriös, weil das aktuelle Nebeneinander von 7 b-Abschreibung und begrenztem und befristetem Schuldzinsenabzug eine aus einem Konjunkturprogramm resultierende atypische Situation ist. Wenn Sie — darauf bin ich gespannt, Herr Huonker — in der Tat vorrechnen und überzeugend belegen, daß der Finanzminister bei dieser Operation ein Geschäft gemacht hat,
dann bin ich auch bereit, mit Ihnen über die Einbeziehung von Grundstückskosten zu diskutieren.
Es darf im Ergebnis nur nicht mehr kosten.
Meine Damen und Herren, in diesem Zusammenhang fordern Sie natürlich wieder den Abzug von der Steuerschuld, und natürlich setzen wir dem wieder entgegen: Der progressiven Belastung entspricht die progressive Entlastung. Dies ist einer der Gebetsmühlenbereiche, in dem wir uns hier seit Jahren immer wieder austauschen. Ich will es deswegen ganz kurz machen und auf den Punkt bringen: In Ihrer Argumentation und in Ihren Reden kommen immer zwei Wendungen vor, die den Standpunkt deutlich machen, nämlich die Wendungen „Der Staat gibt" oder „Der Staat verteilt". Unsere Wendung ist „In bestimmten Lebenssituationen löst der Staat den Würgegriff und läßt dem Bürger mehr Entfaltungsmöglichkeiten für die Gestaltung seines Lebens". Aus diesem Unterschied, sprachlich, ergibt sich die ganze Diskrepanz, die wir in diesem Zusammenhang haben. Und da finden sich dann sicherlich Argumente hüben wie drüben; wir haben sie hundertmal ausgetauscht. Wir wollen hier darauf verzichten, das im einzelnen zu wiederholen. Und wenn Sie dann so mit Zahlen rechnen, dann stellt man fest, daß Sie ständig Äpfel mit Birnen vergleichen, das aber bringt nichts.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Ströbele?
Herr Präsident, gilt immer noch, daß die Zeit dafür nicht auf meine Redezeit angerechnet wird?
Das gilt immer noch. Gattermann : Bitte schön.
Herr Kollege, gehen wir einmal von folgendem aus: Jemand verdient 300 000 DM oder 500 000 DM im Jahr, ein anderer verdient 50 000 DM jährlich. Beide bauen sich ein Haus für 300 000 DM und nehmen dieses Gesetz in Anspruch. Geben Sie mir dann recht, daß der, der 300 000 DM im Jahr verdient, das Haus 64 000 DM billiger bekommt, während der, der 50 000 DM verdient, es nur 16 000 DM billiger bekommt?
Über die Jahre des Förderzeitraums hinaus ist es in der Tat so. Das ist die progressionsabhängige Wirkung von Sonderausgabenabzugsbeträgen, die der progressiven Belastung entspricht. Dafür hat derjenige, den Sie als ersten genannt haben — ich habe die Zahlen nicht mehr im Kopf —, gegenüber dem anderen im Zweifel auch eine ungefähr 20 % höhere Grenzsteuerbelastung für sein gesamtes Einkommen. Das eine ist ohne das andere nicht denkbar.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 156. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. September 1985 11679
Gattermann— Entschuldigung, Sie sind schon wieder beim Verteilen, beim Schenken. Unsere Grundposition in dieser Frage ist — ich wiederhole es —, daß wir nicht davon ausgehen, daß das Geld des Bürgers zunächst einmal dem Staat gehört und daß der es anschließend verteilt.
Unsere Grundposition ist vielmehr, daß der Bürger sein Geld zunächst einmal selber verdient hat. Das, worüber wir hier streiten, ist die Frage der Höhe dessen, was wir ihm wegnehmen. Und da nehmen wir dem, der viel hat, sehr viel mehr weg als dem, der wenig hat. Wenn wir bestimmte Lebenssituationen steuerlich akzeptieren, und zwar als die Leistungsfähigkeit mindernd, dann muß sich der progressiven Belastung die progressive Entlastung zwingend anschließen.
— Entschuldigung, ich mach' das gern, so eine Fragestunde. Bitte schön, Herr Huonker.
Also, das würde dann fast zu einer unzulässigen Verlängerung Ihrer Redezeit führen.
Ich würde darum bitten, daß dies dann die letzte Zwischenfrage ist, Herr Abgeordneter Huonker.
Dies sage ich gern zu. — Sind Sie, Herr Kollege Gattermann, wirklich davon überzeugt, daß Ihre Antwort auf die vorhin gestellte Frage zutrifft, wenn Sie wirklich bedenken, daß es sich hier um die Subventionierung eines Privatgutes handelt? Wenn z. B. der Staat der Ansicht wäre, man sollte einen privaten Pkw steuerlich begünstigen, sollte dann Ihrer Meinung nach der, der viel verdient und einen Mercedes kauft, mehr Subventionen bekommen als der, der nur einen VW kauft, weil er eben weniger Geld hat? Ihre Argumentation hinsichtlich der steuerlichen Leistungsfähigkeit geht doch an der Sache vorbei.
Lieber Herr Kollege Huonker, ich meine das in der Tat. Wir haben gesagt — das habe ich eingangs ausgeführt —, für uns ist das selbstgenutzte Wohnungseigentum die dritte Säule der Alterssicherung, so wie beispielsweise die Lebensversicherung neben der gesetzlichen Versicherung auch ein Bestandteil der Alterssicherung ist. In diesem ganzen Sonderausgabenbereich haben wir das Prinzip der progressiven Entlastung, die der progressiven Belastung entspricht. Ich sehe überhaupt keinen Grund — das entspricht meiner festen und vollen Überzeugung —, das nicht auch im Bereich des selbstgenutzten Wohneigentums zu tun.
Auch die Familienförderung ist besser geworden. Hier tolerieren wir übrigens den Abzug von der Steuerschuld in bezug auf Kinder und in bezug auf verteilungspolitische Diskussionen.Es bleiben auch für eine Übergangszeit einige Förderungstatbestände energiepolitischer Zielsetzung, denkmalpflegerischer Zielsetzung, in bezug auf Zivilschutzzielsetzung erhalten. Dem Steuersystematiker in mir und dem, der Subventionen nicht so gerne hat, ist das alles gar nicht so sehr recht. Aber der Pragmatiker sagt, es wird wohl nicht anders gehen.Lassen Sie mich noch einen Punkt ansprechen, der für uns Freie Demokraten im Zuge der Gesetzgebungsberatungen besonders wichtig ist. Ich meine die Behandlung der Wohnung unserer Landwirte. Auch der Bundesrat hat sich ja dazu geäußert. Die Bundesregierung will das prüfen. Wir sind der Meinung, daß der Landwirt das Wahlrecht haben muß, ob er mit seiner Wohnung im landwirtschaftlichen Betriebsvermögen mit allen steuerlichen Konsequenzen bleibt oder ob er die Wohnung steuerunschädlich aus dem landwirtschaftlichen Betriebsvermögen entnimmt und dann wie jeder andere selbstnutzende Wohneigentümer auch behandelt wird.Nun sagt der Bundesrat, der Landwirt sei wegen der Konsequenzen mit einem solchen Wahlrecht vielleicht überfordert. Ich meine, daß man die unterschiedliche Situation der Landwirtschaft im süddeutschen Raum und im norddeutschen Raum einfach berücksichtigen muß. Die Ausgangslage ist in den beiden Regionen eine völlig andere. Deshalb meine ich angesichts der Schwierigkeiten, der Strukturprobleme, in denen unsere Landwirtschaft insgesamt steckt, daß ein Wahlrecht nicht unbedingt Ewigkeitsbindungswirkungen haben müßte. Das ist unser Petitum zu dieser wichtigen Frage mit Blick auf die Gesetzesberatungen. Das gehört in den Kontext der gesamten Lösung der Probleme der Landwirtschaft.Meine Damen und Herren, zum Schluß: Es gibt Anzeichen dafür, daß unsere Diskussionen in den letzten Monaten einen gewissen Attentismus ausgelöst haben. Ich will dazu sagen: Wir streben zwar die eine oder andere Verbesserung des Gesetzentwurfes an, aber es wird keine nennenswerten, wirtschaftlich tragenden Verböserungen oder Verbesserungen des Gesetzentwurfes geben, so daß niemand irgendeine Veranlassung hat, Kaufabsichten oder Bauabsichten zurückzustellen. Er sollte jetzt bauen oder kaufen. Die Gelegenheit ist günstig. Die Baupreise sind gut. Die Kapitalmarktbedingungen sind gut. Selbst die Bodenpreise sind in vielen Regionen gesunken. Jetzt ist der Zeitpunkt. Ein Zuwarten auf den Staat als den großen Wohltäter lohnt sich über das hinaus, was heute bekannt ist, nicht.In der Situation, in der sich unsere Bauwirtschaft befindet, ist das ein ganz wichtiger Punkt, ein ganz wichtiger Hinweis. Ich freue mich allerdings, in diesem Zusammenhang zu hören, daß das, was die Kreditanstalt für Wiederaufbau und die Lastenausgleichsbank, bezogen auf die Aufstockung der ERP-Mittel, getan haben, und das, was auch wir wollen,
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11680 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 156. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. September 1985
Gattermannbezogen auf die Städtebauförderung, hervorragend in Anspruch genommen wird. Vor diesem Hintergrund wird nach allgemeiner Meinung für 100 000 bis 150 000 Baubeschäftigte Arbeit geschaffen werden. Entgegen allen Unkenrufen haben die Gemeinden offensichtlich die Komplementärmittel, die dafür notwendig sind. Dafür möchte ich den Gemeinden danken. Das wird für die Entwicklung der Bauwirtschaft zwar keine Lösung, aber ein kleiner Lichtblick sein.Herzlichen Dank.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Reschke.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU und der FDP, Sie sollten aufhören, uns zu unterstellen, wir seien eigentumsfeindlich. Hier geht es um die soziale Perspektive bei der Förderung von Wohneigentum. Nichts anderes haben wir im Blick.
Die steuerliche Förderung der Bildung von Wohneigentum stellt die größte Einzelsubvention dar, die es bundesweit gibt. Das sollte man einmal näher betrachten. Mehr als 12 Milliarden DM absetzbarer Kosten entfallen auf diese Eigentumsförderung. 1974 waren es übrigens nur 8,2 Milliarden DM. Wir haben in den vergangenen zehn Jahren in der Eigentumsförderung also kräftig zugelegt.Nimmt man den Wohnungsbau insgesamt, so ist festzustellen: Die Steuerverluste des Staates betrugen 1977 17 Milliarden DM, 1980 30 Milliarden DM. Nach einer Schätzung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung werden die Steuerverluste des Staates Ende dieses Jahres auf 40 Milliarden DM angewachsen sein. Von 10,5 Millionen steuerlich veranlagten Bundesbürgern mit 33 Milliarden DM Verlustzuweisung haben 94 % 31 Milliarden DM als Verluste aus Vermietung und Verpachtung angegeben. Ich meine, das ist ein unerträglicher Zustand. Wir sollten einmal stärker in diesen Subventionsbereich hineingehen.Hier ist die Frage nach der Mindeststeuer gestellt worden. Die ist übrigens keine sozialdemokratische, sondern eine Erfindung der CDA, der CDU-Sozialausschüsse und von Reagan, der sie praktiziert.Während 1977 noch 17 Milliarden DM aus Vermietung und Verpachtung steuerlich abgesetzt wurden, waren es wenige Jahre später schon 31 Milliarden DM.Zur Zeit haben wir gegenüber 1977 einem steuerlichen Gewinn von 1 DM einen steuerlichen Verlust von 2 DM entgegenzusetzen. Ich bin gern bereit, Ihnen die Zahlen zu geben. Wir sind nicht bereit, diese Verlustzuweisung fortzusetzen. Anstatt ihr Einhalt zu gebieten oder die Verluste sozialpolitisch zu kanalisieren oder wirksam werden zu lassen, treibt die Bundesregierung die sinnlose Progressionsförderung mit Umverteilungswirkungen weiter, die einer dritten Fruchtfolge beim Verkauf von Mietwohnungen gleichkommen. Mit Ihrer These, Progression sei die beste Förderung und ein besonders anreizwirksames Mittel, haben Sie recht, wenn Sie die Kapital- und Vermögensbildung ohne Wertorientierung betrachten. Durch Verlustzuweisung aus Vermietung und Verpachtung ist eine Einkommensschicht — das negiere ich nicht; das war steuerlich ganz legal — um mehr als 25 Milliarden DM in den letzten Jahren entlastet worden. Das ist ein Steuerentlastungspaket, das in diesem Jahrzehnt seinesgleichen sucht.Unsere Anträge zur Einschränkung ungerechtfertigter Steuervorteile und zur Abschaffung der Steuerfreiheit von Immobiliengewinnen haben Sie bisher abgelehnt. Die Ausdehnung des § 7 b des Einkommensteuergesetzes auf Altbauten und die Grunderwerbsteuerbefreiung bei Eigennutzung des erworbenen Objekts waren in den 70er Jahren eingeführt worden, um vorwiegend zwei Effekte zu erzielen: eine breitere Streuung des Eigentums an Gebäuden und Wohnungen zu erreichen und der Stadtflucht die Spitze zu nehmen. In städtebaulicher Hinsicht mögen diese Maßnahmen vielleicht positiv gewirkt haben. Kritisch dagegen ist die Beurteilung aus sozialpolitischer Sicht. Wir sollten den Mut haben, zu erkennen, daß das, was 1977 eingeführt worden ist, heute nicht mehr ganz zu vertreten ist. Die Ausweitung des § 7 b auf den Erwerb von Bestandswohnungen in Verbindung mit den Modernisierungsinvestitionen machte es insbesondere für kaufkräftige Schichten rentabler, ihren Wohnungsbedarf in leicht modernisierbaren Wohnungen des Altbestandes zu realisieren, statt neu zu bauen.Das Angebot an preisgünstigen Wohnungen für einkommensschwache Haushalte in städtischen Bereichen wurde dadurch verknappt. Darin ist eine wesentliche Ursache für die „neue Wohnungsnot" in den Großstädten zu sehen. Selbst Wohnungsbauminister Schneider hat gestern im Ausschuß zugegeben, daß wir erhebliche Wohnungsengpässe besonders bei preiswerten Wohnungen in vielen Bereichen haben.Alle sprechen vom Papst Tipke. Warum sollten wir nicht einmal Herrn Eckhoff nennen? Ihm ist doch zuzustimmen, wenn er schreibt:Da der Erwerb von Gebäuden aus dem vorhandenen Bestand begünstigt wird, ist kaum ein wohnungspolitischer Effekt damit verbunden.Er schreibt weiter:Die unsystematische Vermögensförderung nach § 7 b und die diskriminierende Förderung einzelner Modernisierungsmaßnahmen nach § 82 sollten gestrichen werden.Ich meine, wir sollten den Rat dieses Abteilungsleiters im Wohnungsbauministerium annehmen. Aber unser Wohnungsbauminister ist ja so unbestechlich, daß er noch nicht einmal einen guten Rat annimmt.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 156. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. September 1985 11681
ReschkeDie Wohnungseigentumsquote liegt bei rund 40 %, in den Ballungsgebieten bei 30%. In den 70er Jahren sind jährlich durchschnittlich für 28 000 Wohnungen Darlehen vorzeitig abgelöst worden. In den vergangenen zwei Jahren waren es allein jeweils 135 000 Sozialmietwohnungen, deren Darlehen vorzeitig abgelöst worden sind. Die Folgen der Ablösung und Bindungsfreigabe und die Ziele werden für uns bald zu spüren sein: Der Eigentums-Gebrauchtmarkt erhält ein Überangebot. Generell verschlechtert sich für Mieter das Verhältnis von Angebot und Nachfrage, ganz besonders bei preiswertem Wohnraum. Die Wohnungsreserve für einkommenschwache Haushalte verringert sich. Das Wohnkostenniveau steigt deutlich an. Die Kosten werden über Wohngeld und Sozialamt abgewälzt, das heute schon alle Mühe hat, Obdachlosigkeit in den Städten zu verhindern. Allein die Stadt Essen gibt schon über 10 Millionen DM zur Verhinderung von Obdachlosigkeit aus. Sie müssen sich einmal die Zahlen darüber ansehen, was in vielen Bereichen vor Ort geschieht. Mieter werden aus ihren angestammten Quartieren verdrängt. Die Sickerwirkung, die damals als Begründung gegeben worden ist, um den Plan zu verwirklichen, in den Bestand mit Eigentumsmaßnahmen reinzugehen, verlief entgegengesetzt. Wir haben im Grunde genommen massenweise Mieter vertrieben.Diese unliebsamen Folgen sind der Bundesregierung längst bekannt. Trotz der prekären Lage auf einzelnen Teilmärkten scheint für die Bundesregierung kein Grund zum Handeln gegeben zu sein. Im Gegenteil, mit staatlicher Hilfe, mit Hilfe der Bundesregierung und der Koalitionsparteien, soll jetzt der Markt weiter zugespitzt werden, indem Sie preiswerte Wohnungen weiterhin zum Kauf über die volle Förderung anbieten. Bis 1991, so schätzen Fachleute, ist die Hälfte der vier Millionen Sozialwohnungen durch Ablösung frei von jeder Bindung. Der preiswerte Bestand der Nachkriegsjahre wird dramatischen Preissteigerungen unterliegen, und wenn der Markt ergiebig ist, werden die Sozialwohnungen für Eigentumsmaßnahmen verhökert.
— Gehen Sie mal in die Städte rein und nicht nur in Niedersachsen auf das flache Land!Mit dieser aggressiven Eigentumsförderung im Bestand wird die Wohnraumversorgung des unteren Einkommensdrittels wirklich gefährdet.Wohnungsbauminister Schneider tönte selbst noch am 12. April 1984 — ich zitiere —:Wenn wir beim Erwerb von Wohnraum aus dem Altbestand und beim Neubau steuerlich unterscheiden, dann kommen wir auf mehr als 5 Milliarden DM, die wir zu besseren Förderung der kleinen Häuslebauer bereitstellen können.
Mit solcher Umschichtung ist er auf der Strecke geblieben. Im Kabinett ist er gegenüber dem Finanzminister gescheitert.Die SPD fordert die Rücknahme der Bestandsgefährdung über eine derart aggressive Eigentumsförderung und den Abbau der Bestandsgefährdung über Verlustzuweisungsgesellschaften wie Bauherrenmodelle und Erwerbermodelle. Die Vernichtung von preiswertem Wohnraum darf nicht mit Marktgesetzen begründet und mit staatlichen Anreizen weiter gefördert werden. Ein unsozialer Wohnungsmarkt steht uns bevor. Sie müssen die Augen öffnen, was in den Städten geschieht: Ein Drittel kann sich Eigentum leisten und kriegt die stärkste Förderung, ein Drittel legt sich fürs Eigentum krumm,
und das rechtliche Drittel der Bevölkerung wird über die Staatskasse mit Wohnhilfen in vielen Bereichen versorgt.Ich frage Sie allen Ernstes: Ist die Lage der Bauwirtschaft nicht dramatisch genug? Anstatt Bauleistungen da zu fördern, wo die Arbeitslosigkeit am größten, die Auftragslage der Bauwirtschaft am geringsten und die Auftragslage der kleinen Handwerker und Selbständigen am schlechtesten ist, fördern Sie Eigentum im Bestand in den Ballungsgebieten und Neubau in der Fläche.Raumordnungs- und regionale Ziele werden hier auf den Kopf gestellt. Schon heute liegt die Quote der Immobilien aus zweiter Hand, die über Steuern gefördert werden, bei rund 50 %. Das ist Steuerförderung, ohne daß in vielen Bereichen ein Stein am Bau bewegt wird. Allein die geltende 7 b-Förderung brachte im Steuerjahr 1983 eine steuerliche Belastung von 350 Millionen DM. In den folgenden Jahren kumuliert sich diese Belastung auf 2,8 Milliarden DM. Das ist mehr als die Städtebauförderungsleistungen in den letzten fünf Jahren. Und 50 % davon geben Sie Steuerförderung, ohne daß ein Stein in vielen Bereichen bewegt wird.
Auch unter Raumordnungsgesichtspunkten gehen Sie einen falschen Weg. Die von der Bundesregierung vorgeschlagene Neuordnung hat ihre größten negativen Auswirkungen auf die Raumordnung für die Ballungsgebiete, da ländliche Regionen und Ballungsrandzonen in der tatsächlichen Bauleistung gefördert werden, und in der Einkommensentwicklung und der Bevölkerungsentwicklung. Nur 30 bis 40 % der Steuervorteile erreichen die Ballungsgebiete wieder als Bauleistungen. Die Tendenz der Steuerverluste der Ballungsgebiete bei der Lohn- und Einkommensteuer wird durch Abwanderung verstärkt. Die Ballungsgebiete finanzieren also über Steuerausfälle größtenteils die Eigentumsförderung in ländlichen Regionen und in der Ballungsrandzone. Auch hier hat der Ressortminister versagt, der Wohnungsbauminister als Raumordnungsminister. Der Finanzminister betreibt hier die Raumordnung.
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11682 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 156. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. September 1985
ReschkeKein Vorschlag zur differenzierten Bemessungsgrundlage, die die Ballungsgebiete und Landregionen in vielen Bereichen gleichermaßen fördert.Eine sozialpolitisch gewollte Wirkung ist in Ihrem Gesetzentwurf nicht zu erkennen. Kein Vorschlag zu Finanzierungshilfe und Beratung der Eigentumserwerber. Die Versteigerungsquote sollte doch auch den Wohnungsbauminister mahnen, daß in dem Bereich etwas zu tun ist. Kein Vorschlag, das Vorsparen attraktiver zu machen. Die Eigenkapitalquote ist mittlerweile von 45 % auf 38 % gefallen. Bestandsschutz wird kleingeschrieben. Die Mieter werden allein gelassen: Heute Sozialwohnung, morgen Eigentumswohnung, übermorgen ohne Wohnung.Bei der Eigennutzung fehlt die deutliche Abstufung der Begünstigung zwischen Neubau und Alterwerb. Generell ist die spekulative Kapitalanlage im Mietwohnungsbau dadurch zu erschweren, daß die Anrechnung von Verlusten auf Einkommen aus anderen Einkommensarten beschränkt oder Veräußerungsgewinne steuerpflichtig werden. Auch hier haben Sie Anträge der SPD-Fraktion zu den letzten Haushaltsberatungen abgelehnt.Kollege Schulhoff, ich meine Sie ganz besonders: Die CDU ist ideologisch in die Fänge einer Desökonomie geraten. Ab 40 % Grenzsteuersatz hat jeder, der es will, ein Eigentum. Es braucht also niemand mit einem Einkommen dieser Größenordnung derart stark gefördert zu werden. Es ist unwirtschaftlich und unökonomisch, Menschen die höchste Förderung anzubieten, die sie nach ihrem sozialen Status gar nicht in Anspruch nehmen müssen.
Gefördert werden müssen Einkommensbezieher mit einem Grenzsteuersatz unter 40 %. Das würde der Bauwirtschaft helfen, das wäre volkswirtschaftlich sinnvoll. Dies haben übrigens auch die Sozialausschüsse der CDU erkannt.
Allerdings scheint bei den Arbeitnehmerdarstellern der CDU noch nicht durchgedrungen zu sein, was der Sozialausschußvorsitzende von Krefeld in vielen Bereichen genannt hat.Was wir brauchen, ist eine Konzentration der Mittel auf die, die sie brauchen. So ein politisches Konzept wäre in der Eigentumsförderung nicht nur sozial, sondern auch ökonomisch und ökologisch richtig und sinnvoll.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Solms?
Bitte schön.
Herr Kollege, ist Ihnen bekannt, daß heute bei Facharbeitern der Spitzensteuersatz
bei 40 % und darüber liegt, daß Sie also hier über die Facharbeiter sprechen?
Selbstverständlich sind mir solche Sätze im Bereich der Familieneinkommen bekannt; denn der Facharbeiter erreicht diesen Spitzensteuersatz nicht allein, sondern im Rahmen des Familieneinkommens. Sie sollten da mal präziser hinsehen.
Haben Sie noch eine Zusatzfrage? — Schönen Dank.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Daniels.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit dem Inkrafttreten des heute behandelten Gesetzes beginnt — und ich habe den Eindruck, Herr Kollege Reschke, daß Sie das noch gar nicht begriffen haben — eine ganz neuer Abschnitt in der Wohnungspolitik in der Bundesrepublik Deutschland.Nach dem Krieg kam es doch zunächst einmal darauf an, jedem ein Dach über dem Kopf zu verschaffen. Millionen von Bürgern hatten kein Haus und keine Wohnung mehr — wegen der Kriegszerstörungen. Weitere Millionen Vertriebene und Flüchtlinge kamen neu zu uns. Damals mußte also die Förderung des Neubaus von Wohnungen fast um jeden Preis das Ziel der Wohnungspolitik sein. Dennoch hat es die CDU/CSU, unter deren Führung diese gigantische Leistung des Baus zusätzlicher Wohnungen erreicht wurde, auch damals schon als Schwerpunkt angesehen, das Eigentum an Haus und Wohnung, insbesondere bei kinderreichen Familien, zu fördern. An diesen Punkten hat sich auch im neuen Gesetz nichts geändert.Heute, 35 Jahre später, haben wir jedoch generell keinen Mangel an Wohnungen mehr. Es ist uns in gemeinsamen Anstrengungen gelungen, in der Bundesrepublik Deutschland pro Kopf der Bevölkerung eines der größten Wohnflächenangebote in der ganzen Welt zu schaffen. Allein von 1970 bis 1980 hat sich die durchschnittliche Wohnfläche pro Kopf der Bevölkerung von 25 auf 34 m2 erhöht.
— Herr Kollege Schmidt, in diesem Punkte war die Wohnungspolitik zwischen den Parteien ja unumstritten, so daß sich jetzt niemand mehr darauf berufen kann, in wessen Regierungszeit dies gerade passiert ist.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 156. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. September 1985 11683
Dr. Daniels— Nur: die Akzente auf das Eigentum sind schon zu Zeiten, als Sie das noch heftig bekämpft haben, ganz klar von uns gesetzt worden. Wir freuen uns, daß Sie mit Ihren jetzigen Vorschlägen vom Saulus zum Paulus geworden sind.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Huonker?
Ja.
Sehr geehrter Herr Kollege, sind Sie bereit, den entsprechenden Beschluß des Steuerparteitags der SPD aus dem Jahre 1971 und den entsprechenden Beschluß des Bundesparteitages von Essen entgegenzunehmen, wenn ich Ihnen diese Unterlagen schicke, und dann ernsthaft zu prüfen, ob die Aussage, die Sie gerade gemacht haben, so wiederholt werden sollte?
Ich bin natürlich bereit, Herr Kollege Huonker, das entgegenzunehmen, was Sie uns schicken. Aber ich muß Ihnen sagen, daß etwa die Bonner SPD ein heute noch gültiges Grundsatzprogramm verabschiedet hat, in dem die Überführung sämtlichen Eigentums an Grund und Boden in Gemeineigentum vorgesehen ist.
Heute stehen sogar in Ballungsgebieten Wohnungen leer. Wir haben gerade vorgestern — im ZDF, glaube ich, war es — einen Bericht darüber sehen können, daß die verlangten Mieten einfach nicht mehr erzielt werden können und deshalb in dem einen oder anderen Bereich bereits auf breiter Front sinken. Das ist an sich auch nicht verwunderlich; denn seit dem Jahre 1949 ist mindestens in Bonn, wahrscheinlich aber auch insgesamt in der Bundesrepublik Deutschland mehr gebaut worden als in den ganzen 2000 Jahren der Geschichte vorher zusammengenommen.
Deswegen kann das Ziel staatlicher Wohnungspolitik, von Ausnahmen abgesehen, heute nicht mehr der Bau neuer Wohnungen sein, Herr Kollege Reschke. Es ist einfach unsinnig, heute noch Steuermittel in die Förderung des Baus neuer Wohnungen zu lenken, weil man dann etwas fördert, was letztlich nicht mehr gebraucht wird.
Und wenn Sie die Bauwirtschaft ankurbeln wollen, dann sollte die Landesregierung Nordrhein-Westfalen einmal die Städtebauförderungsmittel, die jetzt zusätzlich vom Bund gegeben worden sind, schnell umsetzen.
Deshalb soll nach dem Gesetzentwurf die bloße Kapitalanlage im Wohnungsbau nicht mehr gefördert werden. Damit wird auch Ihr ganzes Gerede von der Bevorzugung der Spitzenverdiener ad absurdum geführt. Bisher konnten die Spitzenverdiener mehrere Häuser, auch Miethäuser, über die staatliche Förderung gefördert bekommen.
Herr Abgeordneter, der Abgeordnete Müntefering möchte eine Zwischenfrage stellen.
Darf ich einmal wissen, ob nur die Fragen oder auch die Antworten nicht angerechnet werden?
Selbstverständlich auch die Antworten nicht, wenn Sie nicht aus Ihrem Redetext kommen, Herr Abgeordneter.
Vielen Dank, Herr Präsident. — Gern.
Herr Kollege, nach Ihrer Attacke auf das Land Nordrhein-Westfalen frage ich Sie: Wissen Sie nicht, daß das Land NordrheinWestfalen für den Bereich der Städtebauförderung in den vergangenen Jahren und auch jetzt mehr Geld ausgegeben hat und ausgibt als der Bund und alle anderen Bundesländer zusammen und daß von dem, was sich der Bund im Bereich der Städtebauförderung jetzt zugute hält, im nächsten Jahr nur 15 Millionen DM im Lande Nordrhein-Westfalen ankommen, daß das Land Nordrhein-Westfalen deshalb sehr viel mehr tut, als der Bund jetzt für sich in Anspruch nehmen will?
Herr Kollege Müntefering, gestern noch ist im Präsidium des Deutschen Städtetages vorgetragen worden — übrigens von einem Referenten, der Ihrer Partei angehört und deshalb unverdächtig ist —, daß die Mittel für das Programm in allen Bundesländern mit Ausnahme von Nordrhein-Westfalen abfließen.
Nun möchten die Abgeordneten Kansy und Möller eine Zwischenfrage stellen. Vielleicht können wir die Beantwortung zusammenfassen, da es sonst insgesamt ein wenig lange dauert.
Herr Kollege Dr. Daniels, halten Sie es nicht für einen ganz üblen Vertrauensbruch des nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten, wenn er seinen Minister aus der Staatskanzlei nach Bonn schickt und unter dem Gesichtspunkt der Förderung insbesondere auch der Bauwirtschaft hier zu Protokoll gibt, daß er die zusätzlichen Bundesmittel tatsächlich auf den Bau bringt und heute das Spielchen macht, Mittel, die er sowieso vorgesehen hat, zurückzuziehen, so daß in Nordrhein-Westfalen weniger Geld zusätzlich ausgegeben werden wird als in allen anderen Bundesländern?
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11684 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 156. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. September 1985
Wenn Sie darauf achten würden, daß die Frage kurz ist, wäre ich Ihnen sehr verbunden. Bitte sehr.
Herr Kollege, können Sie bestätigen, daß der Deutsche Städtetag vor einigen Tagen dieses Programm der Bundesregierung noch einmal ganz besonders begrüßt und auch die Städte von Nordrhein-Westfalen und das Land NordrheinWestfalen aufgerufen hat, diese Möglichkeiten voll auszuschöpfen und entsprechende Landesmittel hinzuzutun?
Ich kann beide Fragen nur mit Ja beantworten.
Meine Damen und Herren, entscheidend ist: Im Gegensatz zu bisher ist die Förderung in Zukunft kein wirtschaftspolitisches, sondern nur noch ein sozialpolitisches Ziel. Sie verfolgt, da sie sich auf das selbstgenutzte Wohnungseigentum konzentriert, gerade die Vermögensbildung für breite Schichten der Bevölkerung. Das ist auch in der Presse durchaus so gesehen worden. Ich zitiere aus dem Presseecho — seinerzeit auf den Beschluß der Bundesregierung: „Begünstigt bauen und kaufen sollen möglichst viele Leute und nicht Leute mit viel Geld".Ich meine auch, die Angriffe der GRÜNEN auf das Eigentum an der Wohnung gehen absolut fehl. Eigentum an der selbstgenutzten Wohnung stärkt die Unabhängigkeit. Es erhöht die Selbständigkeit, und es fördert auch die Selbstverantwortung, und zwar im unmittelbaren praktischen Leben.Es ist schon darauf hingewiesen worden, daß es auch ein Beitrag zur Altersvorsorge ist. Aber für mich ist gegenüber all den anderen Möglichkeiten der Altersvorsorge entscheidend: Wohneigentum ist Eigentum zum Anfassen. Es ist unmittelbar erlebbares und auch unmittelbar erlebtes Eigentum, zu dem man tägliche konkrete Beziehungen hat. Das führt dazu, daß sich Wohneigentümer z. B. sehr viel mehr um ihre Wohnung kümmern, als das Mieter tun. Sie geben im Durchschnitt einen sehr viel höheren Anteil ihres Einkommens für ihre Wohnung aus als Mieter. Sie stecken auch mehr eigene Leistung in die Wohnung hinein. Das bedeutet indirekt auch eine Förderung der Bauwirtschaft. Denn je mehr Mieter Eigentümer ihrer Wohnung werden — das ist ja das Ziel dieses Gesetzes —, um so mehr werden private Ersparnisse mobilisiert, die von den Bürgern freiwillig in den Bereich Bauen und Wohnen gelenkt werden. Das bedeutet eine Stärkung der Bauwirtschaft ohne Dirigismus.Weil die Förderung von Eigentum im Vordergrund steht, ist es nur absolut folgerichtig, den Neubau und den Erwerb vollständig gleichzustellen. Der sozialpolitische Zweck wird in genau der gleichen Weise erreicht, ob sich jemand eine Wohnung kauft oder ob er sie baut. Gerade durch die Förderung des Erwerbs wird breiten Schichten der Bevölkerung der Eigentumserwerb überhaupt erst ermöglicht. Das ergibt schon die Betrachtung der Vergangenheit. Ich glaube, Sie haben selbst gesagt, Herr Reschke, daß ein Großteil der Haushalte mitdurchschnittlichem oder unterdurchschnittlichem Einkommen in der Vergangenheit nur über den Erwerb Eigentum hat bekommen können. Wenn wir hier Unterschiede machen, dann, so scheint mir, wäre das gerade eine besonders unsoziale Maßnahme, so daß ich eigentlich nicht verstehen kann, wie so etwas von einer Partei vorgeschlagen wird, die das Wort „sozial" besonders groß im Munde führt.
Das gilt auch und gerade in den Ballungsgebieten. Herr Kollege Huonker, Sie haben den Städtetag zitiert; auch ich darf mich hier auf ihn berufen. Wir haben gerade diesen Punkt sehr sorgfältig beraten und sind einstimmig — mit allen Stimmen auch Ihrer Parteifreunde im Präsidium des Städtetages — zu der Auffassung gekommen, daß gerade um der breiten Bevölkerungsschichten in den Ballungsgebieten willen die Förderung des Erwerbs der Neubauförderung gleichgestellt werden muß.
Ich gebe Ihnen gerne zu, daß hier über die Einbeziehung der Grunderwerbskosten noch sehr intensiv nachgedacht werden muß, weil wir damit natürlich diese Wirkung noch verstärken. Ich persönlich gehe sogar so weit, zu sagen: Wenn sich herausstellen sollte, daß diese Einbeziehung der Grunderwerbskosten den Finanzrahmen insgesamt übersteigt, wird man darüber nachdenken müssen, ob man nicht an anderer Stelle, etwa bei der Höhe der Förderungsbeträge, einen Ausgleich schaffen kann.
Das ist eine Sache, die in den Beratungen noch sorgfältig zu überlegen sein wird. Ich kann hier nur als meine persönliche Meinung sagen, daß darüber nachzudenken sein wird, ohne daß ich mir selbst hierzu schon eine abschließende Meinung gebildet hätte.
Meine Damen und Herren, über den zweiten Schwerpunkt des Gesetzes ist schon so viel gesagt worden, daß ich ihn hier nicht mehr im einzelnen darstellen will, über den Schwerpunkt nämlich, daß in Zukunft niemand mehr für das Bewohnen seiner eigenen Wohnung Steuern zahlen soll. Es werden immerhin 7 bis 8 Millionen Haus- und Wohnungseigentümer für ihr Haus oder ihre Wohnung in Zukunft keine Steuererklärung mehr abgeben müssen, und wahrscheinlich rund 1 Million von ihnen wird deshalb überhaupt keine Steuererklärung mehr abgeben müssen. Die Betreffenden haben in Zukunft mit dem Finanzamt überhaupt nichts mehr zu tun.Zusammenfassend meine ich: Abbau von Staat und Bürokratie auf der einen, Förderung von Eigentum, Selbständigkeit und Selbstverantwortung auf der anderen Seite, gezielte Hilfe, wo sie nötig ist,
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 156. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. September 1985 11685
Dr. Danielsdas sind die Grundprinzipien dieses Gesetzes, und das sind auch die Grundvoraussetzungen einer sozialen Wohnungsmarktwirtschaft.
Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Jahn.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die heutige Debatte, insbesondere der Diskussionsbeitrag der Redner der Opposition, gibt Veranlassung, ein wenig Licht in das Kapitel „Dichtung und Wahrheit" zu bringen.
Punkt 1: Die Bundesregierung hat bereits am 3. Juli 1984 Leitlinien zur Neuregelung der steuerlichen Förderung des selbstgenutzten Wohneigentums beschlossen. Dies war für die Opposition Anlaß, einen eigenen Gesetzentwurf auf den Weg zu bringen.
Der war früher da als der der Regierung, aber Sie, Herr Huonker, sind auf den fahrenden Zug gesprungen!
Zweitens. Kollege Daniels hat soeben gesagt,
daß dieses Gesetz in seiner Bedeutung gar nicht hoch genug angesiedelt werden kann, denn die Idee des Wegfalls der Nutzungswertbesteuerung haben Sie von der Regierung und den Koalitionsfraktionen übernommen.
Herr Staatssekretär, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Reschke?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ja, die erste und letzte, Herr Präsident, denn ich weiß, daß wir um 13 Uhr in die Mittagspause eintreten wollen.
Ich bin Ihnen für die Rücksicht auf das Plenum dankbar. — Bitte sehr, Herr Kollege.
Ich bin Ihnen auch sehr dankbar und will es kurz machen: Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß, bevor die Regierung im Sommer 1984 ihre Leitlinien, an denen sie natürlich vorher gearbeitet hatte, veröffentlicht hat, die SPD-Bundestagsfraktion schon im April 1984 ihre Leitlinien, an denen sie auch einige Monate vorher gearbeitet hat, veröffentlicht hat?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Reschke, natürlich hatten auch Sie Papiere, aber eine Lösung des Problems der Nutzungswertbesteuerung habe ich bei Ihnen in dieser Ausformulierung nicht gelesen.
— Danke, Herr Huonker, ich nehme es auch gern entgegen!Meine sehr verehrten Damen und Herren, der dritte Punkt: Die Grundstückskosten werden — Herr Kollege Huonker, der Sie ja immer für Verteilungsgerechtigkeit sind — im Regierungsentwurf— abweichend vom SPD-Vorschlag — nicht in die Förderung einbezogen. Sie wollen eine stärkere Förderung von besseren Wohnanlagen, von wirtschaftsstärkeren Standorten. Ich frage Sie: Wie ist das mit Ihrer Gesamtpolitik vereinbar?Viertens. Sie haben verteilungspolitische Kritik geäußert und gesagt, daß die höheren Einkommen bessergestellt würden. Ich möchte Ihnen einmal vorführen, wie das nach dem SPD-Entwurf in concreto aussieht. Ich bringe ein Beispiel. Eine Familie mit zwei Kindern und einem Einkommen von jährlich 70 000 DM — Facharbeiter — erwirbt ein Reihenhaus zu einem Gesamtpreis von 400 000 DM. Davon sind 80 000 DM Grundstückskosten. Nach dem Gesetzentwurf der Bundesregierung beträgt die Steuerentlastung rund 45 000 DM, nach Ihren Vorstellungen nahezu 87 000 DM.Ich könnte hier ein weiteres Beispiel anführen.
Deshalb, Herr Kollege Huonker, dürfen Sie nicht von einer „Perversion der Gerechtigkeit" sprechen, auch heute morgen in den Medien nicht. Sie dürfen auch nicht von Mitnahmeeffekten sprechen, da Ihr eigener Gesetzentwurf denselben Effekt in überreichem Maße hervorruft.
Fünftens. Herr Kollege Huonker, lassen Sie mich noch einmal zu der progressionsunabhängigen Grundförderung kommen. Das ist die Hauptkritik, die Sie vorbringen. Geht es Ihnen um die Steuerbelastung, so können Sie die Unterschiede in der Besteuerung für die SPD gar nicht groß genug ansetzen. Geht es Ihnen um Steuerentlastungen — genauer gesagt: Geht es Ihnen darum, aus bestimmten politischen Gründen einen begrenzten Teil des Einkommens gar nicht erst zu besteuern —, dann fordern Sie Gleichheit nach Mark und Pfennig.
— Herr Kollege Huonker, die Steuersystematik haben Sie angegriffen. Sie haben § 7 b angegriffen. Nun müssen Sie sich vorhalten lassen, was Sie als Parlamentarischer Staatssekretär zu einer Zeit, als Sie die Regierung stellten, 1979 in dem Bericht der damaligen Bundesregierung über Möglichkeiten
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11686 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 156. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. September 1985
Parl. Staatssekretär Dr. Jahnzur Umstellung des § 7 b auf ein anderes Fördersystem ausgeführt haben.Zunächst einmal: Die alte Regierung bekam vom Deutschen Bundestag im Jahre 1977 den Auftrag, bis Ende 1978 einen Bericht zu erstellen. Dieser Bericht sollte die Umstellung der Sonderabschreibungen nach § 7 b auf ein System der Direktförderung und des Abzugs von der Steuerschuld jeweils unter Berücksichtigung familienfreundlicher Komponenten zum Gegenstand haben.
Wenn, Herr Kollege Huonker, § 7 b für Sie eine „Perversion der Gerechtigkeit" ist, wenn, wie Sie eben gesagt haben, die progressionsabhängige Förderung „Willkür" ist, dann frage ich Sie, warum damals der Fahrplan zunächst einmal nicht eingehalten worden ist.
Ein Zweites, Herr Kollege Huonker. Die damalige Regierung, in der Sie Parlamentarischer Staatssekretär waren — wenn ich mich nicht irre, sogar im Finanzministerium —, hat den Bericht verspätet vorgelegt. Ich zitiere aus dem Bericht, was die damalige Bundesregierung zu § 7 b ausgeführt hat:§ 7 b hat sich bisher
— Herr Kollege Huonker, ich darf bitten —
als wirksames Instrument zur Förderung des Eigenheimbaus und damit zur Bildung von Wohneigentum in privater Hand bewährt.
Der zweite Satz lautet:
Diese Feststellungen bestätigen, daß die Steuerbegünstigung des § 7 b in breiten Bevölkerungskreisen eine Anreizfunktion hat.Dem, meine Damen und Herren, ist nichts hinzuzufügen. Herr Kollege Huonker, Sie haben heute hier offensichtlich eine Wende vollzogen. Es ist eine Frage der Glaubwürdigkeit einer Partei, ob sie aus der Regierungsverantwortung heraus dasselbe sagt wie aus der Oppositionsrolle heraus.
— Herr Kollege Huonker, diese Drucksache ist eine Drucksache der Regierung, und die Regierung wurde gestellt von zwei Fraktionen. Sie können sich hier heute nicht wegdividieren. Sie haben das als SPD mit zu verantworten.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, der SPD-Vorschlag, der heute vorliegt, ist nicht finanzierbar und steht im Widerspruch zu den notwendigen Konsolidierungsbemühungen.Zweitens. Die Kumulierung der Direktförderung mit der steuerlichen Förderung führt in Einzelfällen zu Übersubventionierungen.Drittens. Die degressive Gestaltung der Förderung enthält einen Lockvogeleffekt und wird dem Belastungsverlauf beim Eigenheimerwerber nicht gerecht. Wir dürfen die jungen Eheleute nicht ins Eigenheim locken und dann durch eine degressive Gestaltung der Förderung in die Zwangsversteigerung treiben.
Herr Kollege Reschke, Sie haben den unsozialen Wohnungsmarkt angesprochen. Ich will das Kapitel „Erbschaft" nur anreißen. Sie haben damals in Ihrer Regierungsverantwortung Wohnberechtigungsscheine ausgegeben, aber nicht in erster Linie Wohnungen gebaut. Wir haben 40% Fehlbeleger übernommen,
und Sozialmieter müssen heute höhere Mieten als manche Mieter am freien Markt zahlen. Sie rufen nach Nachsubventionierung, obwohl die Bundesregierung für die Nachsubventionierung nicht zuständig ist.Dann haben Sie das Bauherrenmodell angesprochen, das seine Wirkung in Zeiten der Inflation hatte. In welchen Zeiten haben wir die Inflation eigentlich gehabt?
Sie haben es in Ihrer Regierungsverantwortung hingenommen, daß das Geschäft mit dem Bauherrenmodell nicht die gemacht haben, die es erworben haben, sondern die, die es vermittelt haben.
— Eine Regierung müßte an sich immer eine Mehrheit haben, oder eine Fraktion müßte aus der Regierung ausscheiden, wenn sie die Regierungsmeinung nicht mittragen will.
Herr Kollege Müntefering, Sie haben soeben — ich hätte es von mir aus nicht getan — die Städtebauförderung angesprochen, und Sie haben Minister Zöpel zitiert.
Herr Minister Zöpel hat gestern laut „General-Anzeiger" gesagt, daß die Verdreifachung der Städtebauförderungsmittel fachlich richtig ist. Wir freuen uns, daß er das endlich so sieht; wir haben auch andere Stimmen gehört. Ich will die Fragestunde von heute nachmittag nicht vorwegnehmen, aber die Kritik richtet sich dagegen, daß es damals eine Vereinbarung gegeben hat, daß die Mittel zusätzlich bereitgestellt werden sollen. Es hieß damals in der
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 156. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. September 1985 11687
Parl. Staatssekretär Dr. JahnFormulierung, die man gemeinsam gefunden hatte, daß mit den erhöhten Mitteln Einzelvorhaben gefördert werden sollen, deren Durchführung bisher für die Jahre 1986 und 1987 nicht vorgesehen ist. Wenn wir die Dinge heute richtig werten, ist das Land Nordrhein-Westfalen das einzige Land, das die Mittel voll umschichtet und damit nicht den Zusatzeffekt, der vereinbart ist, einhält. Das hat etwas mit der Frage zu tun, ob wir die Bauwirtschaft wieder kräftig mit Bauarbeiten versehen, ob 100 000 Arbeitsplätze zusätzlich, wie wir das wollten, geschaffen werden können oder nicht, und diese Frage bleibt an den zuständigen Minister gerichtet.
— Herr Kollege Müntefering, wenn Sie das Programm weiter diskutieren, ist folgendes interessant. Ich habe hier einen Brief des Vorsitzenden der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, der auf der Ortsebene seinem zuständigen Gemeindedirektor folgenden Brief geschrieben hat:Ich übersende Ihnen die Broschüre des Bundesbauministeriums.Das ist diese, die Sie kennen. Dann heißt es weiter:Herr Gemeindedirektor, ich empfehle Ihnen nachdrücklich, diese Broschüre intensiv zu studieren. Sie ist auch für unsere Gemeinde eine wahre Fundgrube an Ideen.Dem habe ich nichts hinzuzufügen, und wir bedanken uns, daß uns auch die Opposition zu diesem Weg öffentlich beglückwünscht.
— Wir haben einen guten Pressesprecher; das bestätige ich Ihnen ausdrücklich.Meine sehr verehrten Damen und Herren, hinsichtlich der Frage des privaten Eigentums hatten wir heute eine größere Koalition, als sie sonst besteht. Ich möchte dazu einladen, wenigstens immer wieder die Frage stellen zu dürfen: Aus welchen Motiven ist eine Partei für privates Eigentum? Wir hatten mal Zeiten — da ging es nicht um das eigengenutzte Eigentum —, als der jetzige Oppositionsführer im Deutschen Bundestag die Kommunalisierung von Grund und Boden, die Überführung von Grundstücken in Verfügungs- und Nutzungseigentum wollte. Das hat er in großen wissenschaftlichen Abhandlungen dargelegt. Ich weiß nicht, ob der Oppositionsführer auf diese Vorlage zurückkäme, wenn die Sozialdemokratische Partei Deutschlands im Deutschen Bundestag die absolute Mehrheit hätte;
denn zwischen Sozialismus und privatem Eigentum ist ein Verhältnis von Feuer und Wasser. Das muß man sagen dürfen.Wenn die Neue Heimat privatisiert und den Mietern privates Eigentum gibt, dann tut sie das nicht, damit die Mieter Eigentümer werden, sondern damit sie sich saniert, damit sie von den roten wieder in die schwarzen Zahlen kommt.Ich lade die deutsche Öffentlichkeit dazu ein, wenn es um den Wettbewerb geht, für privates Eigentum einzutreten, auch die Frage zu stellen, aus welchen Motiven die jeweilige Partei diese politische Forderung stellt.
— Herr Kollege Müntefering, ich schließe mit der Feststellung, daß wir, die CSU und die CDU und die Bundesregierung insgesamt, immer aus ordnungspolitischen Gründen für das private Eigentum eingetreten sind, denn das private Eigentum schafft Unabhängigkeit; das private Eigentum ist ein Wert, den man am Lebensabend an die Kinder weitervermitteln kann; das Eigentum schafft Unabhängigkeit, und letztlich ist das private Eigentum ein Garant für die Freiheit, in der wir alle leben.
Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Der Ältestenrat schlägt Ihnen vor, den Gesetzentwurf auf Drucksache 10/3633 an den Finanzausschuß zur federführenden Beratung, an den Ausschuß für Wirtschaft, den Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit, den Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau zur Mitberatung sowie an den Haushaltsausschuß zur Mitberatung und gemäß § 96 unserer Geschäftsordnung zu überweisen. Werden weitere Vorschläge gemacht? — Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Wir treten in die Mittagspause ein. Die Sitzung wird um 14 Uhr mit der Fragestunde fortgesetzt.
Soweit Sie zu essen beabsichtigen, wünsche ich Ihnen guten Appetit.
Die Sitzung ist unterbrochen.
Die unterbrochene Sitzung wird fortgesetzt.Ich rufe Punkt 2 der Tagesordnung auf: Fragestunde— Drucksache 10/3795 —Ich rufe die Frage 5 aus dem Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramts auf, gestellt von der Abgeordneten Frau Blunck:Ist die Bundesregierung in der Einschätzung der Qualität und Effektivität der Nachrichtendienste der Bundesrepublik Deutschland der gleichen Meinung wie der bayerische Ministerpräsident Strauß, der anläßlich seines Besuchs in der
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Vizepräsident StücklenDDR im „heute journal" des ZDF vom 2. September 1985 erklärt hat, daß er „90 Prozent dessen, was die Dienste ermitteln, ohnehin für Unsinn" halte?Zur Beantwortung steht uns Herr Staatsminister Vogel zur Verfügung. Bitte sehr.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Verehrte Frau Kollegin! Ihre Frage beantworte ich wie folgt. Trotz der Vorkommnisse in jüngster Zeit hält die Bundesregierung an ihrer Einschätzung der Qualität und Effektivität der Nachrichtendienste der Bundesrepublik Deutschland fest. Sie hat diesen Standpunkt in öffentlichen Äußerungen von Bundesminister Schäuble und Staatssekretär Schreckenberger bekräftigt. Die in den Nachrichtendiensten tätigen Fachleute haben für unsere Sicherheit gute Arbeit geleistet, sich auch in schwierigen Situationen bewährt und immer wieder gute Erfolge aufzuweisen. Ihre Leistungen sind für die Erhaltung unserer freiheitlichen rechtsstaatlichen Ordnung unverzichtbar. Die Bundesregierung ist zuversichtlich, daß die Nachrichtendienste auch die Rückschläge der jüngsten Zeit überwinden werden. Es besteht kein Grund, an der Einsatzbereitschaft der Mitarbeiter unserer Nachrichtendienste zu zweifeln.
Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatsminister, hat die Bundesregierung diese ihre positive Einschätzung der Dienste dem bayerischen Ministerpräsidenten mitgeteilt; wann und bei welchem Anlaß hat sie das gemacht — ich nehme nicht an, daß es bei der Gratulation war —; oder wann gedenkt sie es zu tun?
Vogel, Staatsminister: Verehrte Frau Kollegin, Sie haben ja nach der Einschätzung der Bundesregierung gefragt. Die Einschätzung der Bundesregierung habe ich Ihnen dargelegt. Diese Einschätzung wird die Bundesregierung jedem, den es angeht, mitteilen, auf welchem Weg auch immer.
Noch eine Zusatzfrage, bitte sehr.
Teilen Sie mit mir die Meinung, Herr Staatsminister, daß es, wenn ein Ministerpräsident der Qualität von Herrn Strauß in der Deutschen Demokratischen Republik eine solche Einschätzung des Dienstes absondert, nicht unbedingt motivierend für die Leute in den Diensten ist, und was gedenken Sie dagegen zu unternehmen?
Vogel, Staatsminister: Frau Kollegin, wenn Sie die Interpretation, die Wertung der Äußerung des Regierungschefs eines Bundeslandes wissen möchten, ist die geeignetste Adresse, sich zu erkundigen, ja dieser Regierungschef des betreffenden Bundeslandes selber. Ich würde Ihnen also sehr empfehlen, die Fragen, die Sie hier angesprochen haben, mit dem Herrn bayerischen Ministerpräsidenten persönlich zu erörtern. Dies wäre j a eine Möglichkeit für Sie.
— Nein. Das Informationsbedürfnis, Frau Kollegin, besteht ja offenbar auf Ihrer Seite.
— Die Meinung der Bundesregierung habe ich Ihnen ja mitgeteilt. Und daran habe ich nichts zu ändern.
Eine weitere Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Hamm-Brücher.
Herr Staatsminister, können Sie sich vorstellen, wie die Bundesregierung reagiert hätte, wenn ein Mitglied der Opposition so etwas in der DDR geäußert hätte?
Vogel, Staatsminister: Die Bundesregierung hätte, Frau Kollegin, die gleiche Meinung zu der Arbeit unserer Nachrichtendienste geäußert, die ich vorhin hier geäußert habe.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Klein .
Herr Staatsminister, würden Sie, auf Ehre und Gewissen gefragt, wirklich so antworten, wenn beispielsweise Holger Börner — SPD — sich in Leipzig ähnlich geäußert hätte?
Vogel, Staatsminister: Dann hätte die Bundesregierung, was die Arbeit der Nachrichtendienste angeht, die gleiche Position bezogen, die ich hier bezogen habe. Und wenn es zusätzliche Bedürfnisse nach Interpretation von Erklärungen von Herrn Börner gegeben hätte, hätte ich die gleiche Antwort gegeben, die ich hier gegeben habe.
Weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Immer.
Nachdem in der Diskussion hier im Hohen Haus vom zuständigen Minister, dem Innenminister, angekündigt worden ist, daß eine Kommission zur Prüfung der Effizienz mindestens des Dienstes, der für die innere Sicherheit zuständig ist, eingesetzt wird, möchte ich Sie fragen, ob es nicht notwendig wäre, eine Effizienzprüfung für alle drei Dienste, die zum Teil in Konkurrenz miteinander liegen, einzuleiten, und wenn j a, wann das geschieht.Vogel, Staatsminister: Herr Kollege Immer, ich muß vorausschicken, daß ich keinen inneren Zusammenhang zwischen der Frage, die Sie jetzt aufwerfen, und der von Ihrer Frau Kollegin eingebrachten Frage erkennen kann. Ich möchte aber trotzdem darauf aufmerksam machen, daß hier Fragen angesprochen worden sind — das wissen Sie genau —, die sich für eine vertiefende öffentliche Erörterung nicht eignen. Sie wissen, daß wir dafür die Parlamentarische Kontrollkommission haben. In der Parlamentarischen Kontrollkommission wird die Bundesregierung selbstverständlich bereit
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 156. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. September 1985 11689
Staatsminister Vogelsein, alle Fragen — auch die Fragen, die die Effizienz der Dienste angehen — zu beantworten.
Weitere Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Steinhauer.
Herr Staatsminister, da Sie die fachlichen Qualitäten des Ministerpräsidenten Strauß sicherlich nicht in Frage stellen, da eine Sachverständigenkommission eingesetzt ist, und Sie soeben gesagt haben, daß dort auch eine Effizienzprüfung ansteht: Sind Sie der Auffassung, daß der Minsterpräsident Strauß als Sachverständiger vor dieser Kommission auftreten und gehört werden sollte?
Vogel, Staatsminister: Zunächst einmal bin ich Ihnen sehr dankbar, daß Sie die umfassenden fachlichen Kompetenzen des bayerischen Ministerpräsidenten hier ausdrücklich bestätigt haben.
Ich habe vorhin ausdrücklich gesagt, daß dann, wenn Fragen nach der Effizienz der Dienste bestehen, die Parlamentarische Kontrollkommission das geeignete Gremium ist, diese Fragen zu erörtern.
Weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Ströbele.
Sieht die Bundesregierung einen Zusammenhang — oder gar eine Übereinstimmung — zwischen der Auffassung, die Herr Ministerpräsident Strauß geäußert hat, die hier in der Frage wiedergegeben ist, und meiner Forderung hier vor dem Deutschen Bundestag, das Bundesamt für Verfassungsschutz zu schließen?
Vogel, Staatsminister: Nein, überhaupt nicht, Herr Kollege Ströbele.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr auf. Zur Beantwortung der Fragen steht uns Herr Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Schulte zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 52 der Frau Abgeordneten Odendahl auf:
Ist die Bundesregierung gemäß einer früheren Erklärung angesichts einer nunmehr vorliegenden gesamtwirtschaftlichen Untersuchung und einer von der Deutschen Bundesbahn erstellten Wirtschaftlichkeitsberechnung mit jeweils positivem Ergebnis bereit, die Voraussetzungen dafür zu schaffen, daß schnellstmöglich — bestenfalls am Tag der Eröffnung der S-Bahnlinie von Stuttgart/Schwabstraße nach Böblingen — der Ausbauvertrag mit dem Land Baden-Württemberg über die Weiterführung der S-Bahn von Böblingen nach Herrenberg unterzeichnet werden kann?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Kollegin, die Planungsunterlagen und die Wirtschaftlichkeitsuntersuchung
zur S-Bahn Herrenberg-Böblingen liegen dem Bundesminister für Verkehr erst kurze Zeit vor. Im Benehmen mit dem Bundesminister der Finanzen wird die Wirtschaftlichkeitsuntersuchung zur Zeit dahin überprüft, inwieweit sich durch Inbetriebnahme der oben genannten S-Bahn-Strecke für die Deutsche Bundesbahn oder den Bund neue Folgekosten und finanzielle Risiken ergeben. In die Prüfung ist auch das Hauptprüfungsamt für die Deutsche Bundesbahn eingeschaltet.
Das Ergebnis dieser Prüfung dürfte voraussichtlich Ende dieses Monats vorliegen, so daß die Deutsche Bundesbahn im Oktober in Verhandlungen über den Finanzierungsvertrag mit dem Land Baden-Württemberg eintreten könnte.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Dann rufe ich die Frage 53 der Frau Abgeordneten Odendahl auf:
Welchen zeitlichen Rahmen hält die Bundesregierung hinsichtlich der Fertigstellung dieses Abschnittes für realistisch?
Bitte sehr.
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, die Deutsche Bundesbahn hat ihrer Planung eine Bauzeit von etwa drei Jahren zugrunde gelegt.
Keine weiteren Zusatzfragen.Ich rufe die Frage 54 der Frau Abgeordneten Steinhauer auf:Trifft es zu, daß in der Bundesrepublik Deutschland ansässige Firmen komplette Lastzüge einschließlich Fahrer anmieten, um sie sozusagen im Lohnauftrag im hiesigen Bereich im Gütertransport einzusetzen, und welche Auffassung vertritt die Bundesregierung angesichts der bekanntgewordenen Vermutungen, daß die „Speditionsleistungen" zu Dumpingpreisen angeboten werden, und welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung daraus?Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, der Bundesregierung ist nicht bekannt, daß in der Bundesrepublik Deutschland ansässige Firmen komplette Lastzüge einschließlich Fahrer für den gewerblichen Güterfernverkehr anmieten. Dies ist auch mit der gegebenen Rechtslage unvereinbar. Nach dem Güterkraftverkehrsgesetz ist u. a. das Anmieten von Fahrzeugen lediglich im Nahverkehr sowie in den vom Güterkraftverkehrsgesetz freigestellten Verkehren von geringer Bedeutung erlaubt.Die für die Überwachung des Güterkraftverkehrsgesetzes und seiner Tarifvorschriften zuständige Bundesanstalt für den Güterfernverkehr würde unzulässige Anmietungen und damit verbundene Umgehungsversuche der Tarifvorschriften im gewerblichen Güterfernverkehr ahnden.Über Dumpingpreise für Speditionsleistungen liegen der Bundesregierung keine Informationen vor. Nach dem Güterkraftverkehrsgesetz gelten die Tarife hinsichtlich der Beförderungsleistungen auch für den Speditionsvertrag.
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11690 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 156. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. September 1985
Eine Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Steinhauer.
Herr Staatssekretär, ich nehme an, daß Sie diese Frage nicht nur in bezug auf Lastzüge gegeben haben, die im Bereich der Bundesrepublik Deutschland zugelassen sind. Ist Ihnen nicht bekannt, daß hier u. a. komplette DDR-Lastzüge angemietet werden und hier zu Dumpingpreisen Speditionsleistungen erbringen?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie mir dazu einen konkreten Hinweis geben könnten.
Eine weitere Zusatzfrage, bitte.
Ich habe auch noch eine Frage in bezug auf Ihre Antwort vorhin: Gilt für — ich sage jetzt — DDR- und andere ausländische
Speditionsleistungen, wenn sie im Inlandverkehr erfolgen, auch die Vorschrift, daß die besonderen Konzessionsbedingungen sowohl für die Fracht- als auch für die sozialen Bereiche eingehalten werden?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Wir haben eine geregelte Marktordnung. Wir haben in der EG auch gemeinsame Sozialvorschriften. Es ist allerdings sehr oft eine Frage, ob diese Sozialvorschriften in jedem Staat gleichermaßen angewendet werden.
Eine weitere Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Blunck.
Herr Staatssekretär, Sie haben eben auf die Frage meiner Kollegin geantwortet, Ihnen lägen keine Informationen vor. Darf ich Sie fragen, ob Sie sich denn Mühe gegeben haben, Informationen einzuholen, wo, wann und wie Sie das gemacht haben?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, wir haben für diese Fragen der Marktordnung im Güterkraftverkehr eine Abteilung und mehrere Referate, die sehr eng mit der Bundesanstalt für den Güterfernverkehr zusammenarbeiten. Es gibt dort keine Meldung, die Frau Kollegin Steinhauer gemeint haben könnte.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für das Post- und Fernmeldewesen auf. Die Fragen 55 und 56 des Abgeordneten Paterna sowie 57 und 58 des Abgeordneten Dr. Klejdzinski sollen auf Wunsch der Fragesteller schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau auf. Zur Beantwortung der Fragen steht uns Herr Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Jahn zur Verfügung.
Die Fragen 59 und 60 des Abgeordneten Reschke sowie 61 und 62 des Abgeordneten Huonker sollen auf Wunsch der Fragesteller schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Die Frage 67 ist vom Fragesteller, dem Abgeordneten Dr. Möller, zurückgezogen worden.
Ich rufe die Frage 63 des Herrn Abgeordneten Braun auf. — Der Abgeordnete Braun ist nicht im Saal. Es wird wie in der Geschäftsordnung vorgesehen verfahren. Das gilt auch für die Frage 64 des Abgeordneten Braun*).
Ich rufe die Frage 65 des Herrn Abgeordneten Schemken auf. — Auch er ist nicht im Saal. Es wird wie in der Geschäftsordnung vorgesehen verfahren. Das gilt auch für die Frage 66 des Abgeordneten Schemken*). Damit ist dieser Geschäftsbereich abgeschlossen.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers des Auswärtigen auf. Zur Beantwortung der Fragen steht uns Herr Staatsminister Möllemann zur Verfügung.
Die Fragen 69 des Abgeordneten Immer und 71 des Abgeordneten Oostergetelo werden entsprechend der Nr. 2 Abs. 2 der Richtlinien für die Fragestunde schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe die Frage 68 des Herrn Abgeordneten Immer auf:
Hat die Bundesregierung die Verhaftung des amtierenden Präsidenten der Weltvereinigung der Reformierten Kirchen, Allan Boesak, zum Anlaß genommen, sich für seine Freilassung einzusetzen, und welche Schritte hat sie bejahendenfalls diesbezüglich unternommen?
Bitte, Herr Staatsminister.
Herr Kollege Immer, die Bundesregierung hat sofort nach Bekanntwerden der Verhaftung die Regierung in Pretoria aufgefordert, den Pfarrer Dr. Boesak unverzüglich freizulassen.
Eine Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatsminister, ist ein Echo darauf erfolgt, oder können Sie sagen, ob das Aussicht auf Erfolg hat, ob es zu einer Verhandlung kommt oder ob Herr Boesak sogar entlassen wird?
Möllemann, Staatsminister: Bis jetzt gibt es noch kein positives Echo darauf.
Eine weitere Zusatzfrage.
Wird die Bundesregierung an diesem Fall dranbleiben? Das zu wissen ist für uns ja wichtig; denn wir müssen bekanntgewordenen Menschenrechtsverletzungen in allen Fällen entgegentreten, ganz gleich, in welchem Staat sie geschehen.*) Die Fragen wurden doch noch mündlich beantwortet; siehe Seiten 11703 A, 11705 B.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 156. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. September 1985 11691
Möllemann, Staatsminister: Ja, natürlich. Dabei möchte ich unterstreichen, daß dieser Fall auf Grund der Person des Betroffenen zwar besonders auffallend ist, wir ihn aber nicht von der gesamten Entwicklung in der Republik Südafrika isoliert sehen können. Das hat in den vergangenen Tagen seinen Niederschlag in den Beratungen der Regierungen der Europäischen Gemeinschaft gefunden, über die der Bundesaußenminister gestern zunächst den Auswärtigen Ausschuß unterrichtet hat und über die im Deutschen Bundestag ja auch morgen in einer Aktuellen Stunde zu sprechen sein wird. Ich glaube, ich greife der Debatte nicht vor, wenn ich sage, daß es erfreulich ist, daß in der Bewertung des Vorgehens der Gemeinschaft zwischen den Fraktionen des Hauses gestern im Auswärtigen Ausschuß eine große Einmütigkeit bestand.Es ist vielleicht angemessen, zu sagen, Herr Kollege Immer, daß wegen dieses Falles, wegen anderer Fälle und wegen der Politik, die dieses Land im Augenblick bezüglich der Menschenrechte betreibt, in den vergangenen Tagen in Luxemburg ein Maßnahmenbündel beschlossen worden ist, das unter der Kategorie der restriktiven Maßnahmen ein Embargo für Waffenexporte und -importe beinhaltet, weiter die Rückberufung der Militärattachés, die in Südafrika akkreditiert sind, und die Verweigerung der Akkreditierung von Militärattachés aus Südafrika, ein grundsätzliches Abraten von Kultur- und Wissenschaftsabkommen, soweit sie nicht eindeutig der nichtweißen Bevölkerung zugute kommen, die Beendigung der Ölexporte nach Südafrika und den Verzicht auf eine neue Zusammenarbeit im Nuklearbereich.Hinzu kommen sogenannte positive Maßnahmen wie die Fortschreibung und Weiterentwicklung des EG-Verhaltenskodex, ein Programm zur Fortbildung der nichtweißen Bevölkerung einschließlich Universitätsstipendien in den Ländern der Europäischen Gemeinschaft und die Verstärkung der Kontakte mit den Nichtweißen auf den Gebieten der Politik, des Gewerkschaftswesens sowie im Geschäftsbereich und auf dem Gebiet von Kultur, Wissenschaft und Sport.Unabhängig davon erneuern wir die Forderung nach Freilassung der politischen Gefangenen. Als solche sind sowohl Nelson Mandela als auch Pfarrer Boesak zu bezeichnen.
Zu einer weiteren Zusatzfrage Herr Abgeordneter Oostergetelo.
Herr Staatsminister, gehe ich richtig in der Annahme, daß die Bundesregierung das Bemühen der Kirchen unterstützt, die Freilassung des Präsidenten der Weltvereinigung der Reformierten Kirchen, Allan Boesak, zu erreichen? Wie sieht das konkret aus? Und hat sie sich mit den Kirchen abgestimmt?
Möllemann, Staatsminister: Herr Kollege Oostergetelo, konkret sieht das so aus, daß wir über unsere Vertretung in der Republik Südafrika die Regierung darauf aufmerksam gemacht haben, daß wir die Freilassung des Inhaftierten verlangen. Wir wissen uns dabei im Einklang mit allen Kirchen.
Überhaupt ist es eindrucksvoll, wie die Forderung nach Überwindung der Apartheid, die die Bundesregierung erhebt, naturgemäß — so könnte man sagen — von allen christlichen und sonstigen Glaubensgemeinschaften in den letzten Wochen massiv unterstützt worden ist.
Zu einer weiteren Zusatzfrage Frau Dr. Hamm-Brücher.
Herr Staatsminister, so anerkennenswert es ist, daß prominenten Verhafteten in Südafrika durch Interventionen geholfen wird, so frage ich Sie doch: Gibt es eigentlich eine Möglichkeit, auch die unzähligen anderen Pfarrer, Christen und Gewerkschaftler, die verhaftet sind, namentlich zu kennen und auch diesen weniger bekannten Opfern der Apartheidpolitik und des Rassismus Hilfe zu leisten?
Möllemann, Staatsminister: Frau Dr. Hamm-Brücher, der von Ihnen angesprochene Sachverhalt war es, der mich eben bewogen hat, so zu antworten.
Einerseits ist klar, daß man bei international bekannten Persönlichkeiten, wenn sie so behandelt werden, in der Weltöffentlichkeit besonders empfindlich reagiert. Wir richten damit das Interesse der Weltöffentlichkeit j a auch auf den zugrunde liegenden Mißstand. Das gilt nicht nur für diesen Fall, sondern denken wir auch an vergleichbare Fälle wie den von Herrn Sacharow in der Sowjetunion. Für die zahllosen anderen, die ein gleiches Schicksal erleiden, wäre es vermutlich unbefriedigend, wenn man sich etwa nur um die wenigen bekannten Personen kümmerte. Das ist aber nicht so.
Die Forderung der Bundesregierung und — das wird hier im Haus morgen deutlich werden — des ganzen Hauses nach Überwindung der Apartheid und der Menschenrechtsverletzungen in Südafrika soll eben auch das Schicksal der zahllosen anderen erleichtern, die bisher genauso betroffen sind.
Was im übrigen Namenslisten angeht, so bekommen wir von den Kirchen, von Menschenrechtsorganisationen, von amnesty international, immer wieder Namen, die nicht so bekannt sind, und auch für diese verwenden wir uns.
Keine weiteren Zusatzfragen.Ich rufe die Frage 70 des Herrn Abgeordneten Oostergetelo auf:Liegen der Bundesregierung Informationen darüber vor, aus welchen Gründen der amtierende Präsident der Weltvereinigung der Reformierten Kirchen, Allan Boesak, von Sicherheitskräften der Republik Südafrika am 27. August 1985 verhaftet worden ist, und wie beurteilt die Bundesregierung diesen Vorfall?Möllemann, Staatsminister: Herr Kollege Oostergetelo, Dr. Boesak wurde am 27. August von Sicherheitskräften der Republik Südafrika verhaftet, als er für die Freilassung des inhaftierten Nelson Mandela demonstrierte. Dieser Vorfall zeigt nach Auffassung der Bundesregierung, daß die Regierung der Republik Südafrika noch nicht bereit ist, end-
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11692 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 156. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. September 1985
Staatsminister Möllemannlich mit den authentischen Führern der nichtweißen Bevölkerung zu verhandeln, um so eine politische und gesellschaftliche Ordnung zu schaffen, die von allen Südafrikanern, unabhängig von der Hautfarbe, akzeptiert werden kann. Die Bundesregierung hat, wie ich bereits erwähnte, unverzüglich nach Bekanntwerden der Verhaftung die südafrikanische Regierung mit Nachdruck aufgefordert, Pastor Boesak sofort freizulassen.
Eine Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatsminister, haben die drei europäischen Außenminister der Niederlande, Italiens und Luxemburgs versucht, mit Herrn Boesak in Verbindung zu treten?
Möllemann, Staatsminister: Sie haben versucht, mit mehreren inhaftierten Sprechern oder vermutlichen Sprechern — es ist j a immer etwas schwierig, bei Leuten, die inhaftiert sind, das authentisch festzulegen — der schwarzen oder nichtweißen Mehrheit des Landes zu sprechen. Sie wissen, daß ihnen das nicht in allen Fällen gelungen, in mehreren Fällen verwehrt worden ist; so auch hier. Aber sie haben durch ihre Begegnung beispielsweise mit Vertretern des ANC dokumentiert, daß sie willens waren und sind, den Grundgedanken auch in die Tat umzusetzen, daß Gespräche mit allen wichtigen Gruppen erfolgen müssen, um eine friedliche Regelung des Konflikts zu ermöglichen.
Im übrigen wird die Bundesregierung — wenn ich das hier hinzufügen darf — diesem Gedanken folgend ihrerseits bei geeigneter Gelegenheit ebenfalls mit solchen Repräsentanten der nichtweißen Oppositionsgruppen Gespräche führen und entsprechende Begegnungen durchführen.
Eine weitere Zusatzfrage, bitte.
Hat die Bundesregierung durch ihre Botschaft in Südafrika die Regierung des Landes eindeutig wissen lassen, daß die Verhaftungswelle aus unserer Sicht eher das Gegenteil dessen bewirkt, was man erreichen möchte?
Möllemann, Staatsminister: Ja, sicher; wobei eigentlich jeder, der den Gang der Geschichte nur in den letzten 30 Jahren beobachtete, wissen müßte, daß das Verhalten der südafrikanischen Regierung kontraproduktiv ist. Aber alle Appelle haben diese Einsicht bis jetzt noch nicht hervorgerufen. Es scheint allerdings, daß sich in wichtigen weißen Bevölkerungskreisen der Republik Südafrika diese Erkenntnis immer stärker durchsetzt, und vielleicht geht von deren Einwirkungen auf die eigene Regierung mehr Einfluß aus, als das bisher der Fall war.
Eine weitere Zusatzfrage, Frau Dr. Hamm-Brücher.
Herr Staatsminister, aus Ihrer vorigen Antwort, die ich dankbar aufgenommen habe, entnehme ich, daß Sie sich auch der unbekannten verhafteten Gegner der Apartheidspolitik und des Rassismus in Südafrika annehmen. Könnten Sie möglicherweise diese Bemühungen in irgendeiner Form doch noch verstärken und vielleicht auch individualisieren und uns dann darüber informieren, was für die unbekannten Opfer dieser schrecklichen Rassenpolitik geschehen kann?
Möllemann, Staatsminister: Ich denke, Frau Dr. Hamm-Brücher, daß ein laufender Bericht der Bundesregierung über ihre Bemühungen zur Überwindung der Apartheid im zuständigen Gremium, aber auch hier im Parlament, angezeigt ist. Das geschieht in diesen Tagen sehr intensiv. Darüber hinaus bin ich gern bereit, Ihnen darzustellen, wie wir auf Grund von Eingaben, etwa von amnesty international, im einzelnen vorgegangen sind. Es gibt aber eine Reihe von Fällen — ich denke, da werden Sie mir gerade aus Ihrer Erfahrung zustimmen —, in denen eine öffentliche Abhandlung solcher Fälle nicht angezeigt ist, wenn man in künftigen Fällen erfolgreich sein will. Aber im Rahmen des Möglichen möchte ich Ihnen gern einen solchen Bericht zuleiten.
Weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Immer.
Herr Staatsminister, auf Grund dieser Antwort noch eine Nachfrage: Kann man nicht doch feststellen, daß die südafrikanische Regierung auch darin eine Strategie verfolgt, daß sie führende Leute hinter Schloß und Riegel bringt oder ächtet oder „bannt", wie es dort heißt, ihnen also keine Möglichkeit läßt, sich zu betätigen, um einfach die Führungsschicht von diesen Protestaktionen auszuschalten?
Möllemann, Staatsminister: Kann sein, daß das die Strategie ist. Wenn sie es wäre, empfände ich sie als ausgesprochen töricht, weil man Verhandlungspartner brauchen wird. Möglicherweise wird die südafrikanische Regierung in kurzer Zeit dem Tag nachweinen, wo sie die Chance gehabt hätte, noch Verhandlungen zu führen. Vielleicht ist es im Moment noch nicht zu spät; denn wenn sich die große Mehrheit der Bevölkerung dort in eine tatsächlich revolutionäre Bewegung begäbe, könnte es sehr schwierig sein, eine dann wirklich explosive Situation zu vermeiden. Und dann brauchte man Gesprächspartner.
Weil wir meinen, daß Blutvergießen großen Ausmaßes vermieden werden soll, appellieren wir an die südafrikanische Regierung, jetzt die Gespräche aufzunehmen.
Weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Reddemann.
Herr Staatsminister, nachdem Sie dankenswerterweise angekündigt haben, das Haus und damit auch die Öffentlichkeit über die Menschenrechtsverletzungen in Südafrika zu informieren, möchte ich Sie fragen, ob ich Sie ermuntern kann, nicht nur über Südafrika, sondern auch über die Menschenrechtsverletzungen in an-
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 156. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. September 1985 11693
Reddemannderen Staaten der Welt einen jährlichen Bericht der Bundesregierung vorzulegen.Möllemann, Staatsminister: Sie wissen, daß über diese Frage im Augenblick zwischen den Fraktionen gesprochen wird, auch über die Frage eines Berichts zur Lage der Menschenrechte. Ich glaube nicht, daß Ihr Petitum unbegründet ist, dazu zu berichten. Aber ich meine, daß es andererseits auch nicht unvernünftig ist, sich aus gegebenem Anlaß um die Situation in einem spezifischen Bereich zu kümmern, so, wie wir uns mit allem Nachdruck auch in anderen Fällen — ich habe vorhin bereits einen erwähnt — um Einzelfälle und einzelne Staaten gekümmert haben.
Weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Fiebig.
Herr Staatsminister, können Sie sich in diesem Zusammenhang vorstellen, daß die Sanktionen der Reagan-Administration hilfreich sein könnten, die südafrikanische Regierung zu veranlassen, diesen erwähnten Gefangenen und anderen Unbekannten die Freiheit zu geben, und gedenkt die Bundesregierung vielleicht einen ähnlichen Weg zu gehen, um stärkeren Druck auf die südafrikanische Regierung auszuüben?
Möllemann, Staatsminister: Die Maßnahmen, die wir für angezeigt halten, haben ihren Niederschlag in dem Katalog gefunden, den ich gerade vorgetragen habe, der in Luxemburg festgelegt worden ist. Sie wissen, daß die Bundesregierung prinzipiell das Instrument des wirtschaftlichen Embargos, der Wirtschaftssanktionen, ablehnt und dies im Unterschied zur Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika. Die Vereinigten Staaten von Amerika haben in den vergangenen Jahren des öfteren Maßnahmen wie Wirtschaftssanktionen ergriffen, um politische Zielvorstellungen durchzusetzen, etwa gegenüber der Sowjetunion, Polen und Nicaragua. Wir sind dem nicht gefolgt, und wir werden das auch künftig nicht tun, aus prinzipiellen Erwägungen heraus.
Ich fürchte, Herr Kollege Fiebig, wenn wir uns auf diesen Weg bei irgendeinem Land einmal begäben, würden wir eine wahre Flut von Forderungen nach ökonomischen Sanktionen bekommen. Wenn ich mir allein die Entwicklung auf dem afrikanischen Kontinent vor Augen halte und vielleicht fast beliebig gegriffene Länder auf dem asiatischen Kontinent hinzunehme, gäbe die Situation der Menschenrechte in diesen Ländern ebensoviel Grund für Wirtschaftssanktionen her wie im Falle Südafrikas. Da die Bundesregierung das nicht will, wird sie auch in diesem konkreten Fall Wirtschaftssanktionen nicht beschließen.
Keine weitere Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 72 des Herrn Abgeordneten Ströbele auf:
Hält die Bundesregierung angesichts der Proteste der Bevölkerung in Guatemala Anfang September 1985 und der Unterdrückung dieser Proteste durch das Militärregime, als
dessen Folge schon vier Menschen getötet, mehrere Dutzend verletzt und über 500 Personen verhaftet wurden, die vom IWF geforderten Sparmaßnahmen wie Lohnstopp und Fahrpreiserhöhungen für gerechtfertigt?
Möllemann, Staatsminister: Herr Kollege Ströbele, zwischen dem Internationalen Währungsfonds und Guatemala besteht keine Kreditvereinbarung und damit auch keine Vereinbarung über wirtschaftspolitische Maßnahmen. Der Bundesregierung ist auch nicht bekannt, daß die in Ihrer Frage angesprochenen Maßnahmen in anderer Weise auf den Internationalen Währungsfonds zurückgeführt werden könnten.
Keine Zusatzfrage?
Ich rufe die Frage 73 des Herrn Abgeordneten Ströbele auf:
Ist die Bundesregierung angesichts der von amnesty international und anderen Menschenrechtsorganisationen gemeldeten 578 ermordeten Zivilpersonen vom November 1984 und April 1985 der Auffassung, daß die für den 3. November 1985 angekündigten Wahlen Ausdruck eines fortschreitenden Demokratisierungsprozesses sind, der die Wiederaufnahme der Entwicklungshilfe der Bundesregierung für Guatemala zur Folge haben wird?
Möllemann, Staatsminister: Die Bundesregierung mißt der sich abzeichnenden demokratischen Entwicklung in Guatemala größte Bedeutung bei. Sie setzt große Hoffnungen auf die für Anfang November vorgesehenen Wahlen in Guatemala. Sie können den Weg für eine demokratische und rechtsstaatliche Entwicklung Guatemalas öffnen, dessen Bevölkerung nach wie vor unter den Folgen der internen Auseinandersetzungen und dem Klima der Gewalt erheblich zu leiden hat. Eine demokratisch gewählte Regierung in Guatemala verdient deshalb grundsätzlich unsere Unterstützung bei ihren Bemühungen um eine Verbesserung der wirtschaftlichen und sozialen Lage im Lande, die letzten Endes die wichtigste Ursache für die dort existierende gravierende Menschenrechtslage darstellt. Art und Umfang der Zusammenarbeit werden dabei auch von den Fortschritten auf dem Wege zur Demokratie und zur Verbesserung der Menschenrechte abhängen.
Eine Zusatzfrage bitte.
Herr Staatsminister, stimmen Sie mit mir darin überein, daß die in meiner Frage genannten 578 seit November 1984 ermordeten Zivilisten von Todesschwadronen ermordet worden sind, deren Angehörige überwiegend im Militär und in der Polizei zu suchen sind?Möllemann, Staatsminister: Herr Kollege Ströbele, wir haben versucht — das ist eine Vorbemerkung zu Ihrer Frage — für die von Ihnen genannte Zahl z. B. von amnesty international eine Bestätigung zu bekommen. Die Organisation hat uns mitgeteilt, daß sie diese Zahl nicht bestätigen könne. Aber ich glaube, es ist letztlich für den Kern Ihrer Frage auch nicht erheblich, ob es 578 oder fünfhundertsoundsoviel sind. Unbestreitbar ist, daß eine beach-
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Staatsminister Möllemanntenswerte Zahl von Menschen in diesem Zeitraum bei Gewaltaktionen zu Tode gekommen sind. Aber unbestreitbar ist nach allen Analysen, die uns vorliegen, auch nach solchen, die im Auftrag der Vereinten Nationen angestellt wurden, auch, daß es sich bei einem Teil der Toten um solche handelt, die von sogenannten rechten Todesschwadronen ermordet wurden, und bei einem anderen Teil der Toten um solche, die von sogenannten revolutionären Bewegungen umgebracht wurden. Ich bin außerstande, Ihnen zu sagen, wie hoch der Anteil hier und wie hoch er dort ist. Für die Betroffenen ist es gleichermaßen unerträglich.Ich war im Januar dieses Jahres in diesem Lande und konnte in zahlreichen Gesprächen mit Kirchen, mit Parteien, mit der Regierung, aber auch mit Menschenrechtsorganisationen feststellen, daß es gewisse Verbesserungen gibt und vor allen Dingen Hoffnungen auf Verbesserungen nach den Wahlen, daß aber die Angst vor Gewaltaktionen von rechten und linken Extremisten nach wie vor vorhanden ist. Ich habe ein besonders schreckliches Erlebnis berichtet bekommen, das die Sinnlosigkeit des Konflikts sehr augenscheinlich deutlich macht. Man hat dort an einem der Tage vor meinem Besuch 18 junge Männer, die aus bürgerlichen Familien kamen und die bei einem Fest zusammen waren, auf dem Nachhauseweg überfallen, sie kastriert und einen Teil von ihnen getötet von seiten einer linken Guerillabewegung. Ähnliches passiert von seiten der Todesschwadron. Man kann nur hoffen, daß die neugewählte Regierung diesem schrecklichen Treiben Einhalt gebieten kann.
Eine Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatsminister, wie können Sie von demokratischer Entwicklung und demokratischen Wahlen reden, auf die Sie große Hoffnung setzen, wenn die politische Betätigung in Guatemala mit solchen Folgen verbunden ist, wie Sie selber sie gerade geschildert haben, wenn politische Betätigung, die nicht im Sinne des Militärregimes ist, dort Tod und Folter zur Folge haben?
Möllemann, Staatsminister: Ich glaube nicht, Herr Ströbele, daß Sie der Entwicklung im Lande gerecht werden — das war übrigens auch die Äußerung der verschiedenen Parteien, auch der sozialistischen Oppositionspartei, die auf Geheiß von General Mejia zugelassen wurde, die aus dem Exil zurückgeholt wurde —, wenn Sie hier erklären, die Todesschwadronen vollzögen ihre Tätigkeit auf Geheiß oder gar im Auftrag oder mit Billigung der Armee. Das trifft nicht zu. Ich glaube, daß ganz anders handfeste Interessen von Gruppierungen dahinterstecken, die politische Macht nicht gern geteilt sehen wollen in einer Demokratie und die mit solchen Gewaltmitteln versuchen, sich und ihren Einfluß zu halten. Mein Eindruck ist, daß der amtierende Staatschef, General Mejia, bemüht ist, sicherzustellen, daß es zu den angekündigten Wahlen kommt. Die Tatsache der Rückholung der sozialistischen Partei aus dem Exil, die ich gerade erwähnte, spricht dafür.
Ich stimme Ihnen zu, daß es unbefriedigend ist — wie übrigens bei anderen Wahlen in dieser Region auch —, wenn Wahlen nicht unter fairen Bedingungen stattfinden können. Die Regierung Guatemalas hat die Bundesregierung eingeladen, Wahlbeobachter zu entsenden. Ich möchte hier an dieser Stelle gerne alle Fraktionen des Bundestages ermuntern, auch von ihrer Seite dieser Einladung zu folgen und sich ein eigenes Bild vom Wahlvorgang dort zu machen.
Keine weiteren Zusatzfragen.
— Sie haben zwei Zusatzfragen gehabt.Ich rufe die Frage 74 des Herrn Abgeordneten Dr. Hupka auf:Warum dürfen zwar Polen im Familienverband zu Besuchsreisen in die Bundesrepublik Deutschland die Volksrepublik Polen verlassen, aber Deutsche nur als Einzelpersonen unter Zurücklassung der Familien ausreisen?Möllemann, Staatsminister: Herr Dr. Hupka, die Bundesregierung verfügt nicht über gesicherte Angaben zur Zahl von Paßanträgen und -ablehnungen von polnischen Staatsangehörigen, die nach unserer Rechtslage deutsche Staatsangehörige oder unbestreitbar deutscher Volkszugehörigkeit sind. Der Bundesregierung sind Fälle bekannt, in denen polnische Staatsangehörige, die nach unserer Rechtslage deutsche Staatsangehörige oder unbestreitbar deutscher Volkszugehörigkeit sind, eine Ausreiseerlaubnis im Familienverband zu Besuchszwecken erhalten. Der Bundesregierung sind auch Fälle bekannt, in denen polnische Staatsangehörige, die nicht die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen und die nicht unbestreitbar deutscher Staatszugehörigkeit sind, bei Auslandsreisen zumindest einen Familienangehörigen zurücklassen müssen. Das ist also sozusagen eine Umkehrung der Situation, die in Ihrer Frage zugrunde gelegt ist; beide Richtungen gibt es also.Festzuhalten ist in diesem Zusammenhang, daß in den letzten Jahren die Zahl der Reisenden aus der Volksrepublik Polen, die von einer Besuchsreise nicht in ihr Land zurückgekehrt sind, ständig zugenommen hat. Es handelt sich um 99 466 Personen vom Inkrafttreten des Ausreiseprotokolls am 23. März 1976 an bis zum 31. Juli 1985. In vielen Fällen dieser Art sind Familien getrennt worden, da nicht alle Familienangehörige einen Reisepaß erhalten haben. Die Zunahme dieser Fälle ist nach Auffassung der Bundesregierung darauf zurückzuführen, daß die Zahl der genehmigten Aussiedlungen in den vergangenen Jahren drastisch zurückgegangen ist und deshalb viele Familien den Weg eines Besuches in der Bundesrepublik Deutschland wählen, um für ständig die Volksrepublik Polen zu verlassen.Die Bundesregierung bemüht sich bei allen politischen Kontakten intensiv, bei der Regierung der Volksrepublik Polen entsprechend den in Kraft befindlichen Abmachungen auf eine Erhöhung der Zahl der Aussiedlungsgenehmigungen hinzuwir-
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Staatsminister Möllemannken. Eine solche Erhöhung würde wahrscheinlich die Zahl der Personen sinken lassen, die eine Besuchserlaubnis nutzen, um in der Bundesrepublik Deutschland zu bleiben. Wir glauben, daß ein Ergebnis dieser Bemühungen, das wirklich eine spürbare Verbesserung bringt, allerdings von einer positiven Entwicklung des Klimas zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Volksrepublik Polen beeinflußt wird.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich möchte darauf hinweisen, daß die Richtlinien der Fragestunde lauten:
Die Fragen müssen kurz gefaßt sein und eine kurze Beantwortung ermöglichen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Hupka, bitte.
Herr Staatsminister, Sie haben Polen, die im Familienverband hierherkommen können, und Deutsche auf die gleiche Ebene gerückt. Aber ist es nicht die Regel — deswegen meine Frage —, daß es gerade die Deutschen sind, die nur als Einzelpersonen ein Besuchsvisum bekommen, so daß sie nachher — ich mache mir Ihre Zahlen zu eigen — in der Situation sind, daß ihre zurückgebliebenen Familienmitglieder zurückgehaltene Familienmitglieder sind, die erst nach drei bis fünf Jahren, wenn überhaupt, zum erstenmal die Möglichkeit erhalten nachzureisen?
Möllemann, Staatsminister: Es gibt Fälle dieser Art in beiden Bereichen, wie ich Ihnen das vorgetragen habe. Die vom Herrn Präsidenten wie immer selbstverständlich auch jetzt zu Recht erfolgte Erinnerung an die notwendige Kürze bei Antworten galt der etwas umfänglichen Beschreibung des Sachverhalts, der doch deutlich macht, daß Sie mit Ihrer Frage nicht unrecht haben.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, widerspricht es nicht der KSZE-Schlußakte — wonach Familien zusammengeführt werden sollen —, wenn sich die polnische Regierung so verhält, wie Sie es eben geschildert haben, jetzt unabhängig von dem Klima, das Sie zusätzlich beschworen haben?
Möllemann, Staatsminister: Die Formulierung, die Bundesregierung bemühe sich, bei der Regierung der Volksrepublik Polen entsprechend den in Kraft befindlichen Abmachungen eine Erhöhung der Zahl der Aussiedlungsgenehmigungen zu bewirken, bezieht sich u. a. auf die bilateralen, aber auch auf solche multilateralen Abkommen wie die Schlußakte.
Eine weitere Zusatzfrage, Frau Dr. Hamm-Brücher.
Herr Staatsminister, in der Kürze liegt die Würze: Können Sie uns einmal sagen, wie viele Deutsche und Deutschstämmige aus Polen ausreisen konnten, seitdem das Abkommen, die deutsch-polnischen Verträge, im wesentlichen erfüllt worden ist?
Möllemann, Staatsminister: Sie haben recht damit, daß die Kürze gelegentlich auch Würze bringt.
Ich versuche gerade, die Zahlen zu finden.
Es ist natürlich auch erlaubt, solche Fragen schriftlich zu beantworten.
Möllemann, Staatsminister: Ja, Frau Kollegin Hamm-Brücher, ich wäre dankbar, wenn ich Ihnen das auf Grund des Materials schriftlich zuleiten könnte.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Oostergetelo.
Herr Staatsminister, teilen Sie meine Meinung, daß jede Einreisebeschränkung polnischer Bürger in unserem Lande im Gegensatz zur Schlußakte von Helsiniki stehen würde?
Möllemann, Staatsminister: Ich weiß jetzt nicht, was Sie mit dem Wort „Einreisebeschränkung" meinen. Wenn Sie staatliche Regelungen meinen, wie sie bei uns für die Einreise üblich sind, sei es für Bürger aus EG-Staaten, sei es für Bürger aus NichtEG-Staaten, so finde ich, daß sie im allgemeinen mit der Schlußakte im Einklang stehen. Wenn Sie Willkürregelungen, die es bei uns ja nicht gibt, meinten, hätten Sie recht.
Keine weiteren Zusatzfragen.Ich rufe die Frage 75 des Herrn Abgeordneten Dr. Hupka auf:Welches sind die Gründe dafür, daß nur die Bundesrepublik Deutschland von den polnischen Besuchsreisenden kein Einladungsschreiben und keine Garantien für den Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland verlangt, so daß im Gegensatz zur Praxis der anderen westlichen Botschaften in Warschau jeder Pole automatisch ein Visum erhält und sich dadurch die hohe Zahl der einreisenden polnischen Besucher erklärt?Möllemann, Staatsminister: Herr Kollege Dr. Hupka, von einer automatischen Sichtvermerkserteilung an polnische Staatsangehörige kann keine Rede sein. Jeder Sichtvermerksantrag eines polnischen Besuchsreisenden wird — unabhängig von der beantragten Besuchsdauer — vom Bundesverwaltungsamt überprüft. Liegen dort Erkenntnisse gegen den Antragsteller vor, die einer Einreise entgegenstehen, erhält der Antragsteller keinen Sichtvermerk. Derartige Erkenntnisse könnten z. B. solche sein, die sich auf bestimmte Ereignisse der letzten Wochen beziehen.Beantragt der Sichtvermerksbewerber ein Besuchervisum für einen drei Monate übersteigenden Zeitraum, muß zusätzlich die Zustimmung der zuständigen Ausländerbehörde eingeholt werden. Besteht bei Sichtvermerksanträgen der Verdacht, daß ein touristischer Aufenthalt zur Arbeitsaufnahme
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Staatsminister Möllemanngenutzt werden soll, werden die Sichtvermerksbewerber befragt; ihr Antrag wird danach entweder abgelehnt oder der zuständigen Ausländerbehörde vorgelegt. Das gleiche gilt, wenn der Verdacht besteht, der Antragsteller wolle im Bundesgebiet verbleiben.Der größte Teil polnischer Besuchsreisender reist auf Grund einer in der Bundesrepublik Deutschland ausgestellten und von der polnischen Botschaft abgestempelten Einladung in die Bundesrepublik Deutschland. In der Einladung verpflichtet sich der Einladende zur Übernahme aller Kosten, die im Zusammenhang mit dem Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland entstehen.Darüber hinaus reist eine größere Zahl von Besuchsreisenden nach Vorlage einer von deutschen Ausländerbehörden ausgestellten Unbedenklichkeitsbescheinigung, einer sogenannten ausländerbehördlichen Bescheinigung, die zum sofortigen Erhalt des Sichtvermerks berechtigt, ein.
Eine Zusatzfrage? — Bitte.
Herr Staatsminister, unterscheidet sich nicht gerade durch diese Unbedenklichkeitsbescheinigung, die offenbar automatisch erteilt wird, unsere Praxis von der Praxis der anderen Staaten, wobei ich mich auf einen Aufsatz in der „International Herald Tribune" vom 23. Juli beziehe?
Möllemann, Staatsminister: Herr Kollege Dr. Hupka, die Bescheinigungen werden nicht automatisch erteilt, sondern nach der entsprechenden Prüfung, die ich hier erwähnt habe.
Eine weitere Zusatzfrage.
Wie erklärt sich dann die Bundesregierung, daß — ich beziehe mich noch einmal auf diesen Bericht — sich die längste Schlange von Visumantragstellern vor der deutschen Botschaft in Warschau befindet und daß ungefähr 3000 Anträge pro Tag bearbeitet werden müssen?
Möllemann, Staatsminister: Aus der Attraktivität der Bundesrepublik Deutschland.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Neumann.
Herr Staatsminister, sehen Sie nicht in der großen Zahl der Besucher aus Polen in der Bundesrepublik auch ein Zeichen der beginnenden deutsch-polnischen Aussöhnung?
Möllemann, Staatsminister: Wenn es das ist, um so schöner! Jedenfalls wollen wir alles tun, damit diese deutsch-polnische Aussöhnung möglichst viele Menschen überzeugt und Wirklichkeit wird und damit sie dort, wo sie es schon ist, Wirklichkeit bleibt.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Ich rufe die Frage 76 des Herrn Abgeordneten Dr. Kübler auf:
Wird die Bundesregierung das Ereignis 25 Jahre Regionalbüro DAAD in New Delhi zum Anlaß nehmen, eine Bewertung der bisherigen DAAD-Arbeit in Indien sowie einen gewissen Neuansatz in bestimmten stark kulturell orientierten Bereichen vorzunehmen anstelle der bisherigen ausschließlich praktischen, technischen, naturwissenschaftlichen Orientierung?
Möllemann, Staatsminister: Herr Dr. Kübler, die Arbeit des Deutschen Akademischen Austauschdienstes in Indien im Stipendienbereich verfolgt vorrangig das Ziel, den indischen Hochschullehrernachwuchs fortzubilden. Die Abwicklung des Stipendienprogramms geschieht in enger Abstimmung mit den zuständigen indischen Institutionen.
Ein Schwergewicht auf natur- und ingenieurwissenschaftlichem Gebiet hat sich durch den Auftrag des Deutschen Akademischen Austauschdienstes ergeben, sich am Aufbau des IIT Madras, einer technischen Hochschule, zu beteiligen. Die Geisteswissenschaften sind daneben jedoch nicht vernachlässigt worden und werden verstärkt gefördert. So werden über den DAAD Stipendien für Germanisten sowie seit zwei Jahren ein Stipendienprogramm „Deutsche Kultur und verwandte Gebiete" angeboten.
Im Einvernehmen mit dem indischen Erziehungsministerium ist die Stipendienausschreibung für die beiden folgenden Jahre 1986 und 1987 auf die Bereiche Geistes- und Sozialwissenschaften ausgedehnt worden. Insoweit kann man tatsächlich von einem gewissen Neuansatz sprechen. Im Schwerpunktbereich deutsche Sprache und Literatur unterhält der DAAD derzeit neun Lektoren in Indien. Hinzu kommt eine breite Palette von Kurzzeitdozenturen, beispielsweise auch im Bereich der Rechtswissenschaften.
Im übrigen ist das Goethe-Institut mit sieben Filialen im Bereich der Spracharbeit in Indien tätig.
Die Arbeit des Deutschen Akademischen Austauschdienstes wird in ihren Grundzügen mit der Bundesregierung abgestimmt. An eine gesonderte Bewertung seiner Tätigkeit in Indien aus Anlaß des 25jährigen Bestehens des Regionalbüros Neu Delhi ist allerdings nicht gedacht.
Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatsminister, ich bin nicht undankbar für den Inhalt der Antwort. Gleichwohl möchte ich meine Frage so formulieren: Wäre die Bundesregierung auf Grund neuerer Überlegungen bereit, diesen Zeitpunkt zum Anlaß zu nehmen, eine Bewertung der letzten 25 Jahre — insbesondere auch was die soziale Herkunft und den Erfolg dieses Programms angeht — vorzunehmen?Möllemann, Staatsminister: Herr Kollege Kübler, ich möchte Sie einladen, ein Gespräch mit uns zu führen, auch mit den zuständigen Mitarbeitern aus der Fachabteilung, aus dem dann möglicherweise eine solche Bewertung hervorgehen kann. Ich fühle mich nicht in der Lage, Ihre Anregungen jetzt pauschal mit Ja zu beantworten.
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Keine weiteren Zusatzfragen.
Ich rufe die Frage 77 des Herrn Abgeordneten Neumann auf:
Welche Einflußnahme übt die Bundesregierung auf die USA aus, dem Internationalen Pakt für bürgerliche und politische Rechte beizutreten, und tut die Bundesregierung dies besonders anläßlich der drohenden Todesstrafe für Verurteilte, die ihre Tat als Minderjährige begangen haben?
Möllemann, Staatsminister: Herr Kollege Neumann, die Bundesrepublik Deutschland setzt sich für den Beitritt aller Staaten der Völkergemeinschaft zum Internationalen Pakt für bürgerliche und politische Rechte ein. Dementsprechend stimmte sie grundsätzlich allen Resolutionen der Vereinten Nationen zu, die eine Aufforderung zum Beitritt enthalten. In bilateralen Gesprächen hat die Bundesregierung die USA immer wieder aufgefordert, Mitglied des Paktes zu werden, unabhängig von politischen oder strafrechtspolitischen Anlässen.
Die Intervention zugunsten von zum Tode Verurteilten entspricht einer grundlegenden Politik der Bundesregierung; übrigens aller Bundesregierungen bisher. Der Bundesminister des Auswärtigen hat sich daher in zahlreichen Fällen, in denen die Vollstreckung eines Todesurteils in einem amerikanischen Bundesstaat bevorstand, in persönlichen Schreiben an den Gouverneur dieses Bundesstaats bzw. an ein entsprechend zuständiges Gremium für die Aussetzung der Vollstreckung eingesetzt. An dieser Praxis wird der Bundesminister auch in Zukunft festhalten, wobei die von Ihnen angesprochenen Fälle, also von minderjährigen Tätern, gewiß besondere Aufmerksamkeit verdienen. Der Bundesaußenminister hat gerade noch in den vergangenen Wochen in mehreren Fällen entsprechende Interventionen vorgenommen.
Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatsminister, welche konkreten Antworten bekommt der Bundesaußenminister, wenn er sich für die Aussetzung der Vollstreckung der Todesstrafe einsetzt, insbesondere in dem konkreten Fall des gestern hingerichteten Charles Rumbaugh, der mit 17 Jahren eine Straftat begangen hat?
Möllemann, Staatsminister: In dem konkreten Fall, den Sie erwähnen, eine negative Antwort. Auch sonst wird sehr häufig auf solche Interventionen mit Nein reagiert.
Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, lautet die Antwort in solchen Schreiben nur „nein", oder gibt es eine konkrete Begründung? Ist es möglich, uns diese Begründung zukommen zu lassen, wenn nicht heute, so doch schriftlich?
Möllemann, Staatsminister: Ich nehme an, Ihre Frage zielt auf die Begründung in dem konkreten Fall des gestern Hingerichteten. Sobald eine entsprechende schriftliche Reaktion vorliegt, werde ich sie Ihnen gern zugänglich machen.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Ich rufe die Frage 87 des Herrn Abgeordneten Neumann auf:
Wie weit sind die Bemühungen der Bundesregierung gediehen, im Rahmen der Vereinten Nationen die Verabschiedung eines zweiten Fakultativ-Protokolls zum Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte voranzutreiben, dessen Ziel die Abschaffung der Todesstrafe ist, und in welcher Weise gedenkt die Bundesregierung ihre Bemühungen fortzusetzen?
Möllemann, Staatsminister: Herr Kollege, die Bundesregierung setzt ihre 1980 begonnenen Bemühungen konsequent fort, im Rahmen der Vereinten Nationen die Verabschiedung eines zweiten Fakultativprotokolls zum Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte zu erreichen.
Die Generalversammlung der Vereinten Nationen hat am 14. Dezember 1984 den Generalsekretär beauftragt, der 42. Generalversammlung, also 1987, einen Bericht zum Stand der Vorarbeiten vorzulegen. Am 30. Mai 1985 setzte der Wirtschafts- und Sozialrat der Vereinten Nationen den Belgier Bossuyt, der unserer Initiative zur Abschaffung der Todesstrafe mit großer Aufgeschlossenheit gegenübersteht, zum Sonderberichterstatter ein. Die Bundesregierung erwartet, daß Professor Bossuyt bereits 1986 einen Textentwurf für ein Fakultativprotokoll vorlegen wird. Nach der Behandlung des Themas durch die Menschenrechtskommission und deren Unterkommission für Diskriminierungsverhütung und Minderheitenschutz wird sich die 42. Generalversammlung der Vereinten Nationen im Jahre 1987 erneut mit der deutschen Initiative befassen. Die Ständige Vertretung der Bundesregierung bei den Vereinten Nationen in Genf steht im engen Kontakt zu Professor Bossuyt, um ihn bei seinen Arbeiten zu unterstützen und die Vorstellungen der Bundesregierung einzubringen.
Als ich diesen Textentwurf für meine Antwort, den meine Mitarbeiter ausgearbeitet haben, gelesen habe, hatte ich das gleiche Empfinden, das Sie vermutlich im Augenblick haben, nämlich daß es ein außerordentlich langwieriges und offenbar sehr bürokratisches Verfahren ist; aber anders ist die Sache bei den Vereinten Nationen nach Lage der Dinge nicht voranzubringen.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, das ist mir klar, und wenn es zum Erfolg führt, kommt es nicht auf ein Jahr an.Ich habe noch eine Zusatzfrage in diesem Zusammenhang: Können Sie mir sagen, wie viele Staaten in der Welt inzwischen die Todesstrafe abgeschafft haben und ob die Tendenz positiv ist?Möllemann, Staatsminister: 131 Länder wenden die Todesstrafe an selbst bei gemeinrechtlichen Straftaten, 17 nur unter besonderen Umständen, z. B. im Kriegszustand, und zwei Länder, darunter die USA, verfügen auf Grund ihrer bundesstaatlichen Struktur über unterschiedliche Regelungen. Seit 1978 ist allerdings pro Jahr nur ein Land bereit
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Staatsminister Möllemanngewesen, die Todesstrafe abzuschaffen, darunter 1981 Frankreich.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Oostergetelo, bitte.
Herr Staatsminister, gibt es seitens der Bundesregierung Aktivitäten mit der Regierung der Vereinigten Staaten im Hinblick auf die Abschaffung der Todesstrafe, und ist Ihnen bekannt, daß es auch Einflußnahmen seitens der Zentralregierung der Vereinigten Staaten auf die einzelnen Länderregierungen gibt?
Möllemann, Staatsminister: Es gibt diese Bemühungen von seiten der Bundesregierung, wie ich Ihnen das bereits beschrieben habe, nämlich das Bemühen, auch die Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika zum Beitritt zum Pakt über bürgerliche und politische Rechte zu gewinnen und damit auch dafür zu gewinnen, die Todesstrafe abzuschaffen. Bisher ist das erfolglos gewesen. Ich sehe es auch als außerordentlich schwierig an, die 131 Länder, die derzeit noch die Todesstrafe anwenden, für unseren Standpunkt zu gewinnen, obwohl ich finde, daß die Berichte über jede einzelne dieser Hinrichtungen Grund genug wären, die Todesstrafe möglichst schnell abzuschaffen.
Ich rufe die Frage 78 des Herrn Abgeordneten Reuter auf:
Welche Überlegungen der Bundesregierung haben dazu geführt, das deutsche Konsulat in Linz/Österreich zu schließen, wie aus der Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage zur Reform des Auswärtigen Dienstes zu ersehen ist?
Möllemann, Staatsminister: Herr Kollege Reuter, bei der am 1. April 1973 getroffenen Maßnahme handelt es sich nicht um eine Schließung, sondern lediglich um eine Umwandlung des damaligen Berufskonsulats Linz in ein Wahlgeneralkonsulat. Die Kommission für die Reform des Auswärtigen Dienstes hatte 1971 derartige Umwandlungen zur Straffung und Rationalisierung des Konsularnetzes empfohlen. Der Inspekteur des Auswärtigen Amtes hatte die Maßnahme nach einer Prüfung an Ort und Stelle vorgeschlagen.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, warum steht in der Beantwortung der Bundesregierung auf eine Große Anfrage der CDU/CSU-Fraktion auf Seite 14, daß dieses Konsulat geschlossen sei?
Möllemann, Staatsminister: Wenn das da steht, ist das ein Fehler, und dann liegt das daran, daß wir gelegentlich auch Fehler machen.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, können Sie es mit einer seriösen Beantwortung auf Anfragen dieses Parlaments in Einklang bringen, daß Sie diese Fragen so beantworten, daß sich diese Fehler einschleichen? Bei einem so großen Ministerium müßte es möglich sein, daß hier sachgerechte, richtige Antworten im Parlament gegeben werden.
Möllemann, Staatsminister: Ich stimme Ihnen zu, daß es bei einem Ministerium wie unserem möglich sein sollte, sachgerechte Antworten zu geben. Darum habe ich mich seit etwa 50 Minuten in diesem Hause bemüht. Ich kann nur sagen: Auch unsere Mitarbeiter sind nur Menschen. — Im übrigen haben wir entgegen der Meldung einer großen Tageszeitung vom heutigen Tage nicht 70 000, sondern etwas weniger als 6 000 Mitarbeiter, und zwar nicht in der Zentrale, sondern in der ganzen Welt. — Es tut mir leid, wenn da ein Fehler passiert ist. Wir wollen versuchen, das beim nächstenmal zu vermeiden.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern auf.
Die Fragen 79 des Herrn Abgeordneten Dr. Weng , 80 des Herrn Abgeordneten Reddemann, 81 des Herrn Abgeordneten Dr. Olderog sowie 82 und 83 des Herrn Abgeordneten Brück sollen auf Wunsch der Fragesteller schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers der Justiz auf. Zur Beantwortung der Fragen steht uns Herr Parlamentarischer Staatssekretär Erhard zur Verfügung.
Die Fragen 85 und 86 des Herrn Abgeordneten Eylmann sollen auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe die Frage 84 des Herrn Abgeordneten Lambinus auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung die Feststellung des Internationalen Gerichtshofes im Urteil vom 30. September 1946, daß „alle Teile der SS wegen des massenhaften Begehens verbrecherischer Handlungen insgesamt als verbrecherische Organisation im Sinne des Statuts des Internationalen Gerichtshofes zu bewerten sind "?
Bitte.
Die von Ihnen, Herr Kollege Lambinus, gestellte Frage ist schwierig zu beantworten. Dies ist einmal auf die Komplexität des Sachverhalts zurückzuführen; zum anderen liegt es daran, daß sich das von Ihnen in der Frage aufgeführte Zitat in dieser Form an der genannten Stelle nicht findet.Richtig ist: Der Internationale Gerichtshof in Nürnberg hat die SS insgesamt als verbrecherische Organisation bezeichnet. Der Gerichtshof hat aber unterschieden zwischen der Organisation als solcher und den einzelnen Mitgliedern. Er hat von dieser Bewertung ausdrücklich ausgeschlossen diejenigen Personen — ich zitiere wörtlich —, „die vom Staate auf solche Art in ihre Reihen eingestellt wurden, daß ihnen keine andere Wahl blieb, und die keine solchen Verbrechen begingen". Da das Urteil
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Parl. Staatssekretär Erhardsich mit Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Zusammenhang mit dem Kriege befaßt, wurden alle Personen von dieser Bewertung ausgeschlossen, „welche vor dem 1. September 1939 einer der im vorangehenden Absatz aufgezählten Organisationen nicht mehr angehörten".Im übrigen ist es nicht Sache der Bundesregierung, die Aussagen des Urteils des Internationalen Gerichtshofs zu bewerten.
Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, ich bin Ihnen für diese Antwort sehr dankbar, darf Sie aber trotzdem fragen: Haben Sie Ihre Antwort mit dem Parlamentarischen Staatssekretär beim Bundesminister des Innern, Herrn Spranger abgestimmt, der mir vor etwa einem halben Jahr eine zumindest inhaltlich, materiell völlig andere Antwort gegeben hat?
Erhard, Parl. Staatssekretär: Diese Antwort ist meines Wissens auf dem üblichen Wege, also auf dem Beamtenwege, innerhalb der Bundesregierung abgeklärt worden. Aber ich bin im Moment überfordert, wenn ich mich daran erinnern sollte, daß der Herr Kollege Spranger eine inhaltlich andere Antwort auf die gleiche Frage gegeben haben sollte. Ich glaube das noch nicht.
Keine zweite Zusatzfrage?
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Broll, bitte.
Herr Staatssekretär, sollte die Frage, ob eine Organisation im Dritten Reich verbrecherisch gewesen ist, heute nicht vorwiegend der historischen Wissenschaft überlassen bleiben und nicht etwa einem Urteil eines Gerichts von vor immerhin über 35 Jahren?
Erhard, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich nehme das Wort, das ich hier offiziell benutzt habe, nicht gern zum zweiten Mal in den Mund. Ich spreche sonst in diesem Zusammenhang nie von einem Gericht.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen auf. Zur Beantwortung steht uns Herr Parlamentarischer Staatssekretär Häfele zur Verfügung.
Die Fragen 88 und 89 des Herrn Abgeordneten von Schmude sind vom Fragesteller zurückgezogen worden.
Die Fragen 91 des Herrn Abgeordneten Tatge sowie 92 und 93 des Herrn Abgeordneten Stiegler sollen auf Wunsch der Fragesteller schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe die Frage 90 des Herrn Abgeordneten Lambinus auf:
Wie viele „Kameradschaftsverbände" der ehemaligen SS bzw. Waffen-SS sind nach Erkenntnissen der Bundesregierung derzeit von Finanzämtern als „gemeinnützig" anerkannt?
Herr Staatssekretär, bitte.
Herr Kollege Lambinus, die Antwort lautet: keine.
Haben Sie eine Zusatzfrage? — Bitte.
Herr Staatssekretär, darf ich Ihre Antwort so verstehen, daß kein einziger Kameradschaftsverband einer ehemaligen WaffenSS-Einheit den Charakter der Gemeinnützigkeit zuerkannt erhalten hat, oder ist es so, daß die Bundesregierung nur keine Kenntnis davon hat?
Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Die Bundesregierung kann immer nur das bekanntgeben, was sie kennt. Wir kennen keine.
Herr Lambinus zu einer Zusatzfrage.
Ist die Bundesregierung bereit, so schnell wie möglich über die Landesfinanzministerien eine Erhebung durchführen zu lassen, die eine konkrete Beantwortung meiner Frage durch die Bundesregierung ermöglicht?
Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Natürlich haben wir uns auch bei Landesbehörden vergewissert. Wir kommen zum gleichen Ergebnis.
Weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Klejdzinski.
Herr Staatssekretär, ist es möglich, daß Sie als Abgeordneter wissen, daß solche Verbände anerkannt sind?
Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Nein. Mir ist keiner bekannt.
Eine weitere Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Schmidt .
Herr Staatssekretär, würden Sie es auf Grund der Kenntnisse, die Sie aus der Beantwortung der vorhergehenden Frage des Kollegen Lambinus gezogen haben, nach den Kriterien der Gemeinnützigkeit für berechtigt halten, daß so ein Verband sie überhaupt zugesprochen erhält?
Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Meines Erachtens können sie nicht anerkannt werden.
Weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Vogel .
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11700 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 156. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. September 1985
Herr Staatssekretär, mir ist bekannt, daß früher, vielleicht vor einem, zwei Jahren, öfter Spendenquittungen aufgetaucht sind. Insbesondere SPD-Abgeordnete haben probeweise an Traditionsverbände gespendet und haben Spendenquittungen gekriegt. Ist es so, daß daraufhin die Regierung tätig geworden ist und den Gemeinnützigkeitsstatus dieser Organisationen hat aufheben lassen?
Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Gesetzlich mußte nichts geändert werden und wurde nichts geändert. Das mag ein Verwaltungsakt einer Landesfinanzbehörde sein. Daß sie ihn aufrechterhalten hat, bezweifele ich.
Keine weitere Zusatzfrage.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft auf. Zur Beantwortung steht uns Herr Parlamentarischer Staatssekretär Grüner zur Verfügung.
Die Fragen 94 und 95 des Abgeordneten Stutzer sollen auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt.
Ich rufe Frage 96 des Abgeordneten Dr. Jens auf.
Welche Länder und wie viele Unternehmen der jeweiligen Länder beteiligen sich an der Defence-Ausstellung am Ende dieses Monats in Kuala Lumpur?
Herr Kollege Dr. Jens, der Bundesregierung ist nicht bekannt, welche Länder und wie viele Unternehmen der jeweiligen Länder sich an der Defence-Ausstellung am Ende dieses Monats in Kuala Lumpur beteiligen. Die Bundesregierung beteiligt sich nicht an dieser Ausstellung. Inwieweit deutsche Firmen in eigener Initiative vertreten sein werden, ist der Bundesregierung nicht bekannt.
Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, können Sie mir denn bestätigen, daß sich in der deutschen Rüstungsindustrie vielleicht schon so etwas wie eine Absatzkrise bemerkbar macht?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Wir haben in der deutschen Industrie, die im Bereich der Rüstung tätig ist, immer ein Auf und Ab gehabt. Ich würde nicht von einer Krise sprechen. Aber es ist richtig, daß Auslastungsprobleme auf Grund auslaufender Aufträge der Bundeswehr in absehbarer Zeit in Aussicht stehen.
Weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung dann möglicherweise für die Ausweitung der Rüstungsproduktion und für die Ausweitung des Rüstungsexports?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, die Bundesregierung hält an den Grundsätzen fest, die
in den Ihnen bekannten Richtlinien 1982 von der Bundesregierung verabschiedet worden sind.
Weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Gansel.
Herr Staatssekretär, hat sich die Bundesregierung zur Beantwortung dieser Frage bei der Deutschen Botschaft in Kuala Lumpur informiert, und wissen Sie, ob an der Deutschen Botschaft einheimische Zeitungen gelesen werden, in denen darüber berichtet wird, daß sich Firmen aus der Bundesrepublik an dieser Verkaufsausstellung für Kriegswaffen beteiligen?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich kann Ihnen nicht sagen, aus welchen Quellen die Antwort, die ich Ihnen hier vortrage, im einzelnen gespeist sind. Ich kann nur wiederholen, daß uns nicht bekannt ist, welche Firmen an dieser Ausstellung teilnehmen werden.
Keine weitere Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 97 des Abgeordneten Dr. Jens auf.
Welche materielle oder immaterielle Unterstützung gewährt die Bundesregierung den deutschen Unternehmen bei der Ausstellung ihrer Kriegswaffen?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Die Bundesregierung hat bisher keinerlei materielle oder immaterielle Unterstützung von Veranstaltungen gewährt, deren Ausstellungsinhalte nur dem militärischen Bereich zuzuordnen sind.
Es ist nicht beabsichtigt, diese Vorgehensweise künftig zu ändern.
Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, würden Sie es denn nicht als Unterstützung bezeichnen, wenn sich Angehörige der deutschen Botschaft um diese Ausstellung in Kuala Lumpur intensiv bemühen?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Ich habe darüber keine Information, Herr Kollege. Aber Ihre Frage richtete sich auf die Förderung von Ausstellungen. Es ist selbstverständlich, daß es Aufgabe der Deutschen Botschaften auch ist, sich im Rahmen ihrer gegebenen Möglichkeiten und der dafür vorliegenden Richtlinien um die Unterstützung von Firmen zu bemühen, die sich um Absatz im Ausland bemühen.
Die zweite Zusatzfrage.
Ich habe Sie aber so verstanden, daß Sie nicht dafür sind, etwa den Rüstungsexport auszuweiten. Sind Sie deshalb bereit, sich einmal darum zu kümmern und sich zu erkundigen, welche konkrete Unterstützung seitens der Botschaft den deutschen Unternehmen in Kuala Lumpur gewährt wird?Grüner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, wenn wir von restriktivem Rüstungsexport sprechen,
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 156. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. September 1985 11701
Parl. Staatssekretär Grünerdann haben wir die gesetzlichen Beschränkungen, die bei uns Gültigkeit haben, und die Selbstbindung im Auge, die sich die Bundesregierung im Rahmen dieser gesetzlichen Regelungen auferlegt hat. Wir haben nicht Exporte im Auge, die beispielsweise nicht unter das Kriegswaffenkontrollgesetz fallen und die ja doch eine erhebliche Rolle spielen.
Weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Gansel.
Herr Staatssekretär, hätten Sie Verständnis dafür, wenn sich der Ältestenrat mit dem Verhalten von Regierungsmitgliedern beschäftigen würde, die den Abgeordneten in Fragestunden Antworten geben, die auf Uninformiertheit schließen lassen, und denen dann auf Nachfrage noch bedeutet wird, man kenne die Quelle nicht, aus der man seine eigene Unwissenheit schöpfe? Können Sie verstehen, daß man eine Fragestunde damit ad absurdum führen kann?
Herr Abgeordneter Gansel, diese Frage kann ich nicht zulassen. Ich möchte auch darauf hinweisen, daß der Ältestenrat die Fragen behandelt, die er behandeln möchte, unabhängig davon, ob ein Staatssekretär das gerne sieht oder nicht gerne sieht, ob er das anregt oder nicht anregt.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Klejdzinski.
Herr Staatssekretär, ist es zuviel verlangt, daß sich das Bundeswirtschaftsministerium die Mühe macht, sich über die deutsche Botschaft in Kuala Lumpur den Ausstellungskatalog zu besorgen, um uns an Hand dieses Ausstellungskataloges davon Kenntnis zu geben, welche Firmen dort ausstellen und was sie dort ausstellen?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, das ist, wenn ein solcher Wunsch besteht, sicher nicht zuviel verlangt. Aber ich bitte doch um Verständnis: Weder in der Frage noch in irgendeiner anderen Initiative ist ein solches Ansinnen gestellt worden. Vielmehr ist schlicht und einfach gefragt worden: Wieviel Unternehmen stellen dort aus? Die Antwort auf diese Frage habe ich gegeben. Wenn Sie etwas wissen möchten, was darüber hinausgeht, dann müssen die Fragen anders formuliert werden. Sie haben ja jede Möglichkeit, bei jeder Gelegenheit, einschließlich der Ausschußberatungen, Zusatzfragen dieser Art zu stellen. Dann werden wir uns selbstverständlich auch darum bemühen, die notwendigen Auskünfte zu geben.
Weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Roth.
Wir sind uns also, wenn ich die Frage einmal so formulieren darf, einig, daß Sie uns bzw. dem Hauptfragesteller, Herrn Jens, nachdem Sie den Kern der Frage aus den Nachfragen erkannt haben, unmittelbar mitteilen, ob und in welcher Weise dort deutsche Firmen beteiligt waren?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Es ist gar kein Problem, Ihnen über die Botschaft — einmal unterstellt, daß diese Botschaft einen Ausstellungskatalog hat oder sich ihn besorgen kann — eine Ablichtung dieses Katalogs zukommen zu lassen, damit Sie ihm diese Information entnehmen können. Das werde ich sehr gerne veranlassen.
Herr Kollege Gansel, ich würde die nicht zugelassene Frage jetzt nicht noch einmal stellen. Bemühen Sie sich also, eine Zusatzfrage zu stellen, die ich zulassen kann.
Also, die nicht zugelassene Frage stelle ich nicht noch einmal, Herr Präsident. Aber vielleicht wird diese zugelassen.
Bitte.
Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung, wenn sie über die Geldmittel verfügt, um sich den Ausstellungskatalog zu besorgen, bereit, ihn einer des Lesens kundigen Person der Bundesregierung zu übergeben und uns hier über das Ergebnis zu informieren?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Auch dazu ist die Bundesregierung bereit.
Keine weiteren Zusatzfragen.Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten auf.Die Frage 98 des Abgeordneten Pfuhl wird auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.Die Fragen 99 und 100 des Abgeordneten Kißlinger sowie die Fragen 101 und 102 der Abgeordneten Frau Weyel werden gemäß Nr. 2 Abs. 2 der Richtlinien für die Fragestunde schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt.Da wir noch die Möglichkeit haben, Fragen aufzurufen — die Fragen sind zwar schon aufgerufen worden und haben eigentlich dadurch ihre entsprechende, in der Geschäftsordnung vorgesehene Behandlung erfahren —, rufe ich noch einmal den Geschäftsbereich — das ist ein Ausnahmefall, der sich nicht wiederholen wird — des Bundesministers für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau auf. Zur Beantwortung der Fragen steht uns der noch anwesende Parlamentarische Staatssekretär Dr. Jahn zur Verfügung.Ich rufe zunächst die Frage 63 des Abgeordneten Braun auf:Was ist inzwischen geschehen, um die von der Bundesregierung am 1. Juli 1985 beschlossene Erhöhung der Städtebauförderungsmittel auf jetzt 1 Milliarde DM für die Jahre 1986 und 1987 schnell bauwirksam werden zu lassen, und gibt es besondere Schwierigkeiten in einzelnen Ländern, insbesondere in Nordrhein-Westfalen?Bevor Sie, Herr Staatssekretär, antworten, darf ich noch sagen, daß in dieser Frage Übereinstimmung zwischen der Geschäftsführung der CDU/ CSU und der SPD besteht. Ein Vertreter der Ge-
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11702 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 156. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. September 1985
Vizepräsident Stücklenschäftsführung der GRÜNEN war noch nicht anwesend.Bitte sehr.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Braun, der Bundesbauminister hat die Länder bereits mit Schnellbrief vom 3. Juli 1985 über den Beschluß der Bundesregierung zur Erhöhung der Städtebauförderungsmittel auf jeweils 1 Milliarde DM für die Programmjahre 1986 und 1987 unterrichtet und um rasche bauwirksame Umsetzung gebeten. Gleichzeitig hat er alle Abgeordneten des Deutschen Bundestages, die kommunalen Spitzenverbände, die Verbände der Wohnungs- und Bauwirtschaft sowie die Öffentlichkeit in Form einer Broschüre umfassend informiert.
Alle Länder haben erfreulich schnell und unbürokratisch reagiert. Die Erhöhung der Städtebauförderungsmittel ist auf eine breite Zustimmung im kommunalen und bauwirtschaftlichen Bereich gestoßen.
Inzwischen läuft das Antragsverfahren für das Programmjahr 1986 mit Hochdruck. Alle Länder berichten von einer außergewöhnlich hohen Nachfrage. Es ist bereits jetzt abzusehen, daß der Bedarf das Doppelte der zur Verfügung stehenden Mittel noch übersteigen wird.
Die Bundesregierung geht von einer schnellen Investitionswirkung aus. Die Länder wählen die Anträge entsprechend aus und machen von der Möglichkeit Gebrauch, auch Zustimmungen zum vorzeitigen Baubeginn bereits vor Bewilligung der Förderungsmittel zu erteilen. Auf diese Weise sind bereits Anfang August die ersten Maßnahmen in verschiedenen Ländern begonnen worden.
Es ist zu erwarten, daß das Instrument des vorzeitigen Baubeginns nach Aufstellung der Programme ab 1. November 1985 noch stärker genutzt wird.
Eine Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, könnte die Bundesregierung sicherstellen, daß an diesen erhöhten Städtebauförderungsmitteln auch die ländlichen Gebiete entsprechend beteiligt sind?
Dr. Jahn, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Braun, der Bundesbauminister hat in seinem Schnellbrief an die Länder ausdrücklich darum gebeten, einen erheblichen Teil der Städtebauförderungsmittel innerhalb der Landesprogramme auch für die städtebauliche Dorferneuerung zur Verfügung zu stellen.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Kansy, bitte sehr.
Herr Staatssekretär, ist Ihrer Kenntnis nach gewährleistet, daß diese in Verwaltungsvereinbarungen mit den Ländern vorbereiteten Maßnahmen tatsächlich überall in den Bundesländern in derselben Intensität durchgeführt werden?
Dr. Jahn, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Kansy, der Bundesbauminister hat an alle Länder in gleicher Weise appelliert. Er hofft, daß alle Länder — Sie sprechen vermutlich das Land NordrheinWestfalen an — uns zum 1. November 1985 die Programme konkret nennen.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter de With.
Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung bereit, die zur Verfügung gestellten Mittel aufzustocken, nachdem sich, wie Sie selbst sagen, der Bedarf so erhöht hat, daß die Mittel verdoppelt werden könnten?
Dr. Jahn, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege de With, die Bundesregierung hat ihre Mittel verdreifacht. Die Bundesregierung hat zugelassen, daß Länder und Gemeinden von dem herkömmlichen Schlüssel — 1 DM Bund, 1 DM Land, 1 DM die Gemeinden — abweichen konnten, weil sie zusammen diese zwei Drittel nicht aufbringen können. Es geht jetzt nicht darum, daß die Bundesregierung die Mittel erhöht, sondern darum, daß die Länder, insbesondere das Land Nordrhein-Westfalen, diese Mittel zusätzlich zur Verfügung stellen. Nach unserem jetzigen Erkenntnisstand ist das Land Nordrhein-Westfalen dazu nicht bereit. Es wird zwar die Mittel zur Verfügung stellen, es wird aber im vollen Umfange umschichten. Das ist im Vergleich zu anderen Ländern ein Ausnahmefall.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Dr. Jens.
Herr Staatssekretär, wenn Sie gegenüber dem Land Nordrhein-Westfalen zusätzliche Mittelanforderungen aufstellen, können Sie mir dann vielleicht auch konkret sagen, woher die Mittel genommen werden sollen?
Dr. Jahn, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Jens, es gibt Absprachen des Chefs des Bundeskanzleramts mit den Chefs der Staats- und Senatskanzleien vom 26. Juni 1985. In dieser Besprechung ist man übereingekommen, daß mit den erhöhten Mitteln Einzelvorhaben gefördert werden sollen, deren Durchführung bisher für die Jahre 1986 und 1987 nicht vorgesehen ist. Die Bundesregierung appelliert deshalb an das Land Nordrhein-Westfalen, auch diese Vereinbarung einzuhalten.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Ewen.
Herr Staatssekretär, können Sie möglicherweise zugeben, daß die wiederholten Appelle der Bundesregierung auch an die Länder, die Haushalte zu konsolidieren, in Nordrhein-Westfalen ernstgenommen werden?
Dr. Jahn, Parl. Staatssekretär: Diese Frage, die Sie stellen, ist richtig. Aber sie ändert nichts an der Vereinbarung, die wir gemeinsam mit den Ländern geschlossen haben. Die Bundesregierung geht davon aus, daß beides in gleicher Weise möglich ist.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 156. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. September 1985 11703
Eine weitere Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Steinhauer.
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, ist Ihnen denn bekannt, daß das Land Nordrhein-Westfalen durch Bundesgesetze, z. B. auch durch die Abschreibungsgesetze, erhebliche Steuerausfälle und dadurch finanzielle Probleme hat, das, was Sie eben dargetan haben, überhaupt zu leisten?
Dr. Jahn, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, die wirtschaftliche Situation des Landes NordrheinWestfalen hat das Land Nordrhein-Westfalen zu vertreten, nicht die Bundesregierung.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Ich rufe die Frage 64 des Abgeordneten Braun auf:
Ist es richtig, daß das Land Nordrhein-Westfalen nicht bereit ist, die komplementären Landesmittel zur Bauförderung 1986 zusätzlich aufzubringen, und widerspricht das den politischen Absprachen?
Dr. Jahn, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Braun, es trifft leider zu, daß das Land NordrheinWestfalen nach den bisherigen Aussagen im Landeshaushalt 1986 — ich zitiere — von einer ähnlichen Größenordnung für die Städtebauförderung wie im Haushaltsjahr 1985 ausgehen will. Diese Erklärung, die bereits auf heftige Kritik gestoßen ist, läßt vermuten, daß das Land die eigenen Mittel zur Komplementierung der erhöhten Bundesfinanzhilfe allein durch Umschichtung aus dem bisherigen landeseigenen Programm aufbringen wird. Der Zusatzeffekt wäre dann nur in Höhe der zusätzlichen Bundesmittel zu erwarten.
Bundesbauminister Dr. Schneider hat deshalb Minister Dr. Zöpel schriftlich aufgefordert, sich für eine deutliche Anhebung auch der Landesmittel einzusetzen. Nach der politischen Absprache, die ich hier eben dargelegt habe, bestand Übereinstimmung darin, daß Ziel und Zweck der Mittelaufstokkung nur mit zusätzlichen, nicht mit schon eingeplanten Mitteln erreicht werden können. Die Haltung des Landes Nordrhein-Westfalen entspricht nicht der politischen Absprache.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Kansy.
Herr Staatssekretär, sowohl die Fraktion der CDU/CSU mit dem Städtebauförderungsprogramm als auch die Sozialdemokraten mit ihrem Antrag „Arbeit und Umwelt" als auch ein Antrag zur Förderung der Bautätigkeit waren doch ausdrücklich davon ausgegangen, daß angesichts der Lage auf dem Baumarkt zusätzliche staatliche Investitionen gefördert werden sollten und daß dabei Bund und Länder gemeinsam handeln. Vor dieser Voraussetzung weiß ich nicht, ob die Grundlage solcher Anträge, über die wir demnächst hier im Plenum beraten werden, überhaupt noch gegeben ist.
Dr. Jahn, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Dr. Kansy, die Geschäftsgrundlage war, daß durch diese Mittelaufstockung ein zusätzlicher investiver Effekt erzielt werden sollte. Hiermit sollten 100 000 Arbeitsplätze für Bauarbeiter gesichert bzw. es sollten neue Bauarbeiter in Arbeit gebracht werden. Diese Geschäftsgrundlage hat nach dem Stand von heute die Landesregierung bislang nicht eingehalten.
Zu einer weiteren Zusatzfrage Herr Abgeordneter Klejdzinski.
Herr Staatssekretär, halten Sie es für richtig, daß Sie hier, ohne es im einzelnen erklären bzw. nur andeuten zu können, behaupten, daß sich das Land Nordrhein-Westfalen an eine politische Absprache nicht gehalten hat, wobei Sie offenkundig nicht davon ausgehen, daß möglicherweise besondere Bedingungen dies unmöglich gemacht haben, die aber letztlich in Ihrem Tun, in Ihrem Walten zu suchen sind?
Dr. Jahn, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Klejdzinski, die politische Vereinbarung war, daß die Mittel zusätzlich bereitgestellt werden sollen. Nach unserem Erkenntnisstand ist das Land NordrheinWestfalen nicht bereit, diese Geschäftsgrundlage einzuhalten. Nach dem jetzigen Informationsstand — wir haben uns erkundigt — ist die Landesregierung willens, diese Mittel voll umzuschichten.
Zu einer weiteren Zusatzfrage Herr Abgeordneter Dr. Becker .
Herr Staatssekretär, sind der Bundesregierung andere Länder bekannt, die sich genauso verhalten wie das Land Nordrhein-Westfalen?
Dr. Jahn, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Bekker, diese Frage muß ich verneinen.
Zu einer weiteren Zusatzfrage Herr Abgeordneter Jens.
Herr Staatssekretär, können Sie mir bestätigen, daß es sich bei dieser Erhöhung der Mittel für das Städtebauförderungsgesetz um eine klassische konjunkturpolitische Maßnahme zur Belebung der Nachfrage in der Bauwirtschaft handelt? Und sehe ich es richtig, daß sich diese Bundesregierung bisher immer gegen derartige nachfragebelebende Maßnahmen ausgesprochen hat?Dr. Jahn, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Jens, die Bundesregierung greift hier auf ein bewährtes Instrumentarium zurück. Dieses Instrumentarium der Städtebauförderung hat die positive Wirkung, daß, wenn der Staat 3 DM zur Verfügung stellt, die Privatinitiative das Zwei- bis Dreifache dazutut. Das ist notwendig, um konjunkturell Arbeitsplätze zu sichern.Wenn Sie mich schon darauf ansprechen, möchte ich zum Beleg dafür, wie gut wir damit fahren, zitieren, was ein Vorsitzender der Sozialdemokrati-
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11704 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 156. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. September 1985
Parl. Staatssekretär Dr. Jahnschen Partei Deutschlands auf Ortsebene seinem Gemeindedirektor mitgeteilt hat. Er schreibt in einem Brief — „hier ist die Broschüre zur Städtebauförderung, Herr Gemeindedirektor" — wörtlich den folgenden Satz: „Ich empfehle Ihnen nachdrücklich, diese Broschüre intensiv zu studieren. Sie ist auch für unsere Gemeinde eine wahre Fundgrube an Ideen." Die Bundesregierung freut sich, daß auch die SPD diese Maßnahmen anerkennt.
Keine weiteren Zusatzfragen. — Ich rufe auf die Frage 65 des Herrn Abgeordneten Schemken:
Teilt die Bundesregierung die Ansicht des zuständigen Landesministers von Nordrhein-Westfalen, daß die Anwendung des Städtebauförderungsgesetzes ein Verfahrenshemmnis bei der Förderung städtebaulicher Maßnahmen darstellt?
Dr. Jahn, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Schemken, die Bundesregierung teilt die Ansicht des zuständigen Landesministers von NordrheinWestfalen nicht. Alle übrigen Länder sehen in dem Instrumentarium des Städtebauförderungsgesetzes kein Verfahrenshemmnis. Im Gegenteil, das Städtebauförderungsgesetz wurde gerade mit Wirkung vom ersten Januar dieses Jahres um das sogenannte vereinfachte Sanierungsverfahren in seiner Flexibilität noch erweitert. In einer vom Bundesbauministerium in Auftrag gegebenen Umfrage bei allen Städten und Gemeinden des Bundesprogramms wurde — auch aus Nordrhein-Westfalen — das gesetzliche Instrumentarium als ausreichend flexibel und praktikabel bezeichnet. Die politische und fachliche Diskussion über die Steigerung des Bundesengagements im Bereich der öffentlichen Investitionen bezog sich von Anfang an auf die Städtebauförderung. Sie ist am Bedarf orientiert, nutzt bewährte Verfahrenswege, bietet breite Anwendungsmöglichkeiten und ist in besonderer Weise beschäftigungs- und bauwirksam.
Im Bereich der Städtebauförderung war in der Vergangenheit von Ländern und Gemeinden ein außerordentlich hoher Bundesmittelbedarf gemeldet worden, der im letzten Jahr mit über 1 Milliarde DM beziffert wurde. Auf diese Bedarfsmeldungen hat die Bundesregierung mit der Verdreifachung der Städtebauförderungsmittel geantwortet. Die ablehnende Haltung des zuständigen Landesministers von Nordrhein-Westfalen ist nur dadurch zu erklären, daß die Landespolitik in der Städtebauförderung in den letzten Jahren von der Anwendung des Städtebauförderungsgesetzes abgerückt ist.
Eine Zusatzfrage der Frau Abgeordneten Steinhauer.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß das Land Nordrhein-Westfalen in den letzten Jahren, z. B. im Jahre 1984, neunmal soviel Mittel für Städtebauförderung ausgegeben hat, als es vom Bund erhalten hat?
Dr. Jahn, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, es geht hier in der Fragestunde um das Programm der Bundesregierung zur Städtebauförderung, um die mit den Ländern getroffenen Absprachen und um deren Einhaltung.
Der Fragesteller will noch einmal eine Zusatzfrage stellen. Bitte sehr!
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, teilen Sie die Auffassung, daß durch diese Hemmnisse der Effekt, der dem Handwerk kurzfristig zugute kommen sollte, im Land Nordrhein-Westfalen nicht eintritt und damit weitere Arbeitsplätze in der Bauwirtschaft gefährdet werden?
Dr. Jahn, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Schemken, ich will nicht sagen, daß er nicht eintritt, aber in anderen Ländern sind auf Grund dieser Mittelaufstockung bereits konkrete Aufträge vergeben worden.
Noch eine Zusatzfrage bitte.
Teilen Sie weiter die Auffassung, daß gerade im Lande Nordrhein-Westfalen die Arbeitslosigkeit in der Bauwirtschaft besonders hoch ausfällt im Gegensatz zu anderen Bundesländern?
Dr. Jahn, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Schemken, dies ist bekannt. Deshalb appelliert die Bundesregierung an die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen, sich auch am Beispiel der anderen Länder zu orientieren.
Eine weitere Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Kansy.
Herr Staatssekretär, falls die Kritik aus Nordrhein-Westfalen tatsächlich so geäußert werden sollte, daß das Städtebauförderungsgesetz immer noch zu kompliziert ist: Ist Ihnen erinnerlich, welche Haltung die SPD-Bundestagsfraktion bei der Novellierung des Städtebauförderungsgesetzes eingenommen hat, die ja insbesondere das vereinfachte Verfahren erst geschaffen hat?
Dr. Jahn, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Kansy, ich weise noch einmal darauf hin, und Sie geben mir den Anlaß dazu, daß wir durch die Novelle zum Städtebauförderungsgesetz die Voraussetzungen dafür geschaffen haben, daß auch die Mittel für die Städtebauförderung ohne große Bürokratie vergeben werden können, und das sollte auch das Land Nordrhein-Westfalen tun.
Eine weitere Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Jens.
Herr Staatssekretär, ist es möglicherweise auch Ihre' Meinung, daß von diesen Mitteln für die Städtebauförderung insbesondere große, finanzstarke Städte profitieren und kleine Gemeinden und Städte leider nicht in der Lage sind, so kurzfristig, wie es vorgesehen ist, entsprechende Anträge zu stellen?Dr. Jahn, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Jens, Sie wissen, daß wir nur die Finanzhilfe zur Verfügung stellen. Die einzelnen Länder haben es in der
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 156. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. September 1985 11705
Parl. Staatssekretär Dr. JahnHand, die Prioritäten zu setzen. Wir haben an die einzelnen Länder appelliert, auch Vorhaben im ländlichen Raume zu berücksichtigen. Wir gehen nach dem jetzigen Informationsstand davon aus, daß das in vielen Ländern auch erreicht werden kann. Aber wie gesagt: Das Setzen von Prioritäten ist Sache des jeweiligen Landes. Es gibt genügend kleinere Gemeinden, die auch die Voraussetzungen dafür geschaffen haben, daß sie von diesen Mitteln profitieren können.
Weitere Zusatzfragen werden nicht gestellt.
Damit sind wir am Ende der Fragestunde. Statt der zu erwartenden Einsparung an Zeit — — — Welche ist es denn noch?
Geben Sie doch mal rüber. — Ist doch sinngemäß beantwortet.
— Nicht? — Da bin ich aber neugierig.
Dann rufe ich die Frage 66 des Herrn Abgeordneten Schemken auf:
Trifft es zu, daß das Land Nordrhein-Westfalen die Förderungsmöglichkeiten nach dem Städtebauförderungsgesetz inhaltlich eingegrenzt hat?
Bitte sehr.
Dr. Jahn, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Schemken, es ist richtig, daß die gesetzlichen Förderungsmöglichkeiten in der Förderungspraxis des Landes Nordrhein-Westfalen in der Vergangenheit stark eingeschränkt waren. Mit Schnellbrief vom 17. Juli 1985 hat der zuständige Landesminister die Förderung im Hinblick auf die Erhöhung der Bundesmittel zwar wieder ausgeweitet, dabei bleiben aber nach wie vor wichtige Aufgaben und Möglichkeiten der Stadterneuerung ausgeschlossen wie z. B. die Förderung von Betriebsverlagerungen, Ersatzwohnungsbaumaßnahmen, Neubauten, Vor- und Zwischenfinanzierung.
Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, teilen Sie die Auffassung, daß dabei insbesondere Mittelstädte betroffen sind, die eben nicht durch zusätzliche Programme, wie sie das Land NordrheinWestfalen in der Vergangenheit — ich denke hier an den Schwerpunkt Revier — gefördert hat, bedacht werden können?
Dr. Jahn, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Schemken, wir haben die Länder und damit auch das Land Nordrhein-Westfalen gebeten, uns bis zum 1. November dieses Jahres die Einzelobjekte mitzuteilen. Eine genaue Übersicht können wir deshalb am heutigen Tage noch nicht haben. Aber wir haben im Schnellbrief, den ich eingangs erwähnte, an alle Länder appelliert, diese Mittel in bezug auf
den ländlichen Raum und Ballungsgebiete angemessen zu verteilen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Jens.
Herr Staatssekretär, wird Ihr Haus dafür sorgen, daß diese Mittel nicht nur für 1986 und 1987 und damit nur kurzfristig zur Verfügung gestellt werden, sondern daß sie auch für 1988 und 1989 bereitgestellt werden, um einen langfristigen Effekt zu entwickeln?
Dr. Jahn, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Jens, die Ministerpräsidenten aller Länder, auch die Ministerpräsidenten der sozialdemokratisch regierten Länder, sind übereingekommen, haben die politische Absichtserklärung abgegeben, daß sie dafür eintreten, ab 1. Januar 1988 die Städtebauförderung in Landeskompetenz zu übernehmen. Es wäre deshalb gut, wenn Sie diese Frage zunächst einmal, weil Ihre eigene Fraktion hiervon abweicht, innerparteilich diskutierten, damit Sie dann mit einem geschlossenen Gesamtkonzept an die Öffentlichkeit treten könnten.
Keine weiteren Zusatzfragen. — Damit ist die Fragestunde nun endgültig abgeschlossen.Wir hätten noch zwei Minuten und 39 Sekunden bis zum Aufruf des Punktes 5 der Tagesordnung. Aber die Fraktionen sind einverstanden, daß wir sofort in der Tagesordnung fortfahren. —Ich rufe die Punkte 5 a) bis 5 c) der Tagesordnung auf:a) Beratung des Antrags des Abgeordneten Drabiniok und der Fraktion DIE GRÜNEN Einstellung der Vorarbeiten zur Einrichtung eines Tieffluggebietes östlich von Hamburg— Drucksache 10/2803 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Verteidigungsausschuß
InnenausschußAusschuß für Jugend, Familie und Gesundheit Ausschuß für innerdeutsche Beziehungen Ausschuß für Verkehrb) Beratung des Antrags der Abgeordneten Auhagen, Frau Borgmann, Bueb, Frau Dann, Frau Eid, Frau Hönes, Horacek, Lange, Mann, Dr. Schierholz, Schily, Schmidt , Schulte (Menden), Ströbele, Suhr, Tischer, Vogel (München), Vogt (Kaiserslautern), Volmer, Werner (Westerland), Werner (Dierstorf), Frau Zeitler und der Fraktion DIE GRÜNENAbschaffung von Tiefflügen— Drucksache 10/3353 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Verteidigungsausschuß
InnenausschußAusschuß für Jugend, Familie und Gesundheit Ausschuß für VerkehrHaushaltsausschuß
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11706 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 156. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. September 1985
Vizepräsident Stücklenc) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Verteidigungsausschusses zu dem Antrag der Fraktion DIE GRÜNENEinstellung der Tiefflugübungen der Bundesluftwaffe in Ntessinan
— Drucksachen 10/905, 10/3087 —Berichterstatter: Abgeordneter WilzIm Ältestenrat sind eine gemeinsame Beratung der Punkte 5 a) bis 5 c) der Tagesordnung und ein Beitrag von bis zu zehn Minuten für jede Fraktion vereinbart worden. Ist das Haus damit einverstanden? — Kein Widerspruch.Das Wort zur Berichterstattung wird nicht gewünscht.Wir treten gleich in die Debatte ein. Die Aussprache ist damit eröffnet. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Senfft.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Seit der letzten Debatte zum Tieffliegerproblem im Mai hat sich die schlimme Situation leider nicht verbessert. Im Gegenteil, die Belastung und Gefährdung der Bevölkerung sowie der Umwelt durch den Tiefflugterror — anders kann man das nicht ausdrücken — hält unvermindert an. So wurde erst kürzlich bei Paderborn ein Segelflugzeug von einem Militärflugzeug förmlich aufgespießt, und in Nonnweiler im Saarland brach einmal wieder ein Haus durch die Druckwellen eines Tieffliegers zusammen, obwohl laut Staatssekretär Würzbach zweifelsfrei erwiesen ist, daß dies unmöglich ist. Sonderbar dabei ist nur, daß die alten Häuser und Kirchen immer dann zusammenstürzen, wenn es zu einem Überflug- oder Überschallknall kommt. Aber wir sind es ja von dieser Regierung gewohnt, daß nach dem Motto, daß nicht sein kann, was nicht sein darf, nicht nur der Tiefflugterror verharmlost wird. Auch bei der Arbeitslosenstatistik oder bei der Waldschadenserhebung erleben wir die Versuche, die Wirklichkeit zu verschleiern und zu verdrehen, so daß sie in die Regierungsoptik paßt.
Tatsache ist jedoch nach wie vor: Die Bundesrepublik ist das Land mit der höchsten militärischen Flugverkehrsdichte. Die NATO-Luftwaffenverbände schicken ihre Piloten extra zu uns in die Bundesrepublik, damit sie hier kriegsnahes Fliegen ohne Rücksicht auf die Bevölkerung und unter Mißachtung deutscher Bestimmungen üben können.
Die Bundesrepublik ist geradezu zum Tummelplatz für Tiefflieger geworden. Dies hat nicht nur zu einer andauernden unglaublichen Belastung und Gefährdung durch Abgase und Unfälle geführt, sondern insbesondere zu einer unerträglichen Lärmbelästigung für die Bevölkerung.
Die medizinischen Schadfolgen dieses Fluglärms insbesondere auf Kleinkinder, auf Kranke und andere Risikogruppen sind umfassend belegt. Die Grenze der Belastbarkeit für Natur und Bevölkerung im Zusammenhang mit Überschall- und Tiefflügen ist schon sehr lange weit überschritten. Die auch Ihnen bekannte permanente Flut von Beschwerden und Petitionen macht dies überdeutlich.
Obwohl dies allen Mitgliedern des Bundestages bekannt sein dürfte, ist eine Verbesserung der Situation nicht in Sicht.
Bis heute ist es so, daß den Bürgern, die sich über Fluglärm beschweren, von dem betreffenden Amt oftmals in herablassendem Ton gesagt wird: Wenn ihr uns das Kennzeichen der Maschine mitteilt, dann können wir der Sache nachgehen.
Das ist — ich möchte es ganz deutlich sagen, obwohl das ein unparlamentarischer Ausdruck ist, aber anders geht es nicht — geradezu eine Verarschung der Bürger, nichts weiter.
Herr Abgeordneter, Sie haben natürlich recht, daß das unparlamentarisch ist. Wenn Sie schon das Gespür dafür haben, würde ich sagen: Die deutsche Sprache gibt viele Möglichkeiten, ähnliches auch parlamentarisch zum Ausdruck zu bringen.
Dies scheint die anderen Fraktionen jedoch kaum zu stören. Kein Wunder; denn die bisherigen Vorschläge von SPD- und CDU-Seite helfen kein Stück weiter. Die oftmals geforderte vermehrte Anschaffung von Überwachungsgeräten vom Typ Skyguard bleibt wirkungslos,
weil die Piloten vorher gewarnt werden. Die ebenso vorgeschlagene Entzerrung — so heißt das — der Tieffluggebiete nach einem rollierenden System — das Sie hoffentlich nicht den Grünen abgeschaut haben — ist Schlichtweg untauglich und menschenverachtend, weil dadurch eine noch größere Zahl von Bürgern dem Lärmterror ausgesetzt würde. Ebenso schwachsinnig und menschenverachtend ist die von CDU/CSU und SPD am 24. Mai hier erhobene Forderung nach Anwendung einer SanktFlorians-Politik, indem der Fluglärm ganz einfach ins Ausland exportiert werden soll, wie sich damals Frau Krone-Appuhn ausdrückte. Das bedeutet nichts anderes als die Verlagerung der Gefährdung und Belastung auf andere Menschen, z. B. auf die Indianer in Labrador. Weil wir eine solche SanktFlorians-Politik ablehnen, haben wir uns — leider
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 156. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. September 1985 11707
Senfftals einzige Fraktion — für die Abstellung der Tiefflugübungen auch in Labrador eingesetzt.
Meine Damen und Herren, an der Abschaffung der Tiefflüge geht kein Weg vorbei, wenn man die Sorgen der betroffenen Bürger ernst nimmt.
Deshalb ist der von uns eingebrachte Antrag „Abschaffung von Tiefflügen" mehr denn je notwendig. In diesem Antrag haben wir eine Fülle von Einzelmaßnahmen vorgeschlagen, die ich allein aus Zeitgründen hier nicht aufführen kann.Zum einen handelt es sich um wichtige Sofortmaßnahmen zur Verminderung von Belastungen durch Flugzeuge, um weiteren Schaden abzuwenden, z. B. die sofortige Anhebung der Tieffluggrenze auf 300 m. Zum anderen handelt es sich um die Änderung unserer selbstmörderischen Verteidigungskonzeption.
Angeblich ist die Tieffliegerei notwendig, um die Verteidigungsbereitschaft aufrechtzuerhalten. Diese stereotype Begründung ist ein uralter Trick der Militärs. Der damalige französische Verteidigungsminister Pierre Messmer sagte bereits in den 60er Jahren dazu: „Um bei Parlamentariern etwas durchzusetzen, braucht man nur zu erklären, es sei für die Landesverteidigung notwendig. Dann gibt es keinen Widerspruch." So ist es, meine Damen und Herren.
So ist es leider auch heute noch, gerade auch bei der Tieffliegerei.
Es ist schon pervers und menschenverachtend, daß in Tieffluggebieten Privathäuser und sogar Krankenhäuser und psychiatrischen Kliniken als Angriffsziele für Tiefflieger benutzt werden. Das heißt, die Maschinen fliegen mit Angriffsgeschwindigkeit direkt auf das Haus zu, machen ein Zielfoto — zum Glück geht der Wahnsinn noch nicht so weit, daß Übungsmunition verschossen wird —, dann geht es mit vollem Schub mit Fluchtgeschwindigkeit aus dem fiktiven Abwehrfeuer heraus.
— Das ist unglaublich. Spitzenlärmwerte von über 130 dB(A) werden dabei erreicht.
Diese Problematik ist Ihnen allen hinreichend bekannt.
Herr Wörner, Herr Bundeskanzler und Sie alle, dieSie die Tieffliegerei zur Aufrechterhaltung der Verteidigungsbereitschaft für notwendig halten, ich mache Ihnen den Vorschlag: Bitte stellen Sie Ihr Haus für solche Übungen zur Verfügung.
Meine Damen und Herren, wenn wir heute die Abschaffung von Tiefflügen fordern, so bedeutet das nicht, daß sich irgend etwas an unserer grundsätzlichen Ablehnung der Militärmaschinen geändert hat. Unabhängig davon, ob ein bombenbestückter Militärjet 75 m oder 300 m hoch fliegt: Es ist und bleibt eine sinnlose Vergeudung von Rohstoffen, die überflüssigste Verschmutzung der Umwelt, ein Verbrechen an den Hungernden in der Dritten Welt und aus unserer Sicht eine Gefährdung des Friedens.
Wenn wir trotzdem diesen Antrag auf Abschaffung von Tiefflügen in den Bundestag einbringen, dann allein deshalb, weil die Belästigung, der Druck bei den Betroffenen so ungeheuer groß ist, daß schnellstes Handeln erforderlich ist.
In diesem Sinne fordern wir Sie unsererseits auf: Bitte prüfen Sie die von uns vorgeschlagenen Maßnahmen sorgfältig, und lehnen Sie diese nicht mit solch platten Argumenten ab, bei Verwirklichung drohe der Einmarsch der Roten Armee. Nehmen Sie den Proteststurm der betroffenen Bürger endlich ernst und sorgen Sie mit uns für die Abschaffung der Tiefflüge, damit die betroffenen Bürger endlich wieder frei atmen können.Danke.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Francke .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren. Wie so vieles ist auch das, was Sie eben gesagt haben, Unsinn, Herr Schmidt.Die zwei Anträge der Fraktion der GRÜNEN zur Abschaffung von Tiefflügen in der Bundesrepublik bzw. in Labrador sowie der Antrag auf Drucksache 10/2803 gründen sich tatsächlich auf falsche Behauptungen und zielen politisch darauf ab, die Erfüllung des Auftrages der Bundeswehr unmöglich zu machen.
Die Bundesregierung kann mit Recht darauf verweisen, daß sie — im Gegensatz zu ihrer Vorgängerregierung — mehr Positives erledigt hat als diejenigen, die in diesem Hause das Wort „Umweltschutz" stets nur im Munde führen. Einen besonders hohen Anteil haben zu dieser Erfolgsbilanz Dr. Wörner und die Bundeswehr beigetragen.
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11708 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 156. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. September 1985
Francke
Ich sage dies, weil ich nachdrücklich unterstreichen möchte: Probleme des Umweltschutzes und damit das Problem der Tiefflugübungen der Bundeswehr und der Alliierten in der Bundesrepublik wurden und werden von dieser Bundesregierung ernst genommen. Wir haben durch eine Fülle von Einzelmaßnahmen eine spürbare Entlastung der Bevölkerung bereits erreicht;
Weitere Maßnahmen sind in der Diskussion bzw. befinden sich in der Erledigung.
Diese Bundesregierung hat ein feines Gespür für die Sorgen und Fragen der Bevölkerung, und sie liefert auch angemessene Lösungen.
Meine Damen und Herren, grundsätzlich stehen wir doch vor folgenden Problemen.Erstens. Das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland verlangt die Aufstellung einsatzbereiter und einsatzfähiger Streitkräfte.
Zweitens. Die Bundeswehr ist integraler Bestandteil der NATO. Unsere Verbündeten, voran die Amerikaner, schützen gemeinsam mit der Bundeswehr Frieden und Freiheit. Das als Gesetz erlassene Zusatzabkommen zum NATO-Truppenstatut erlaubt es den hier stationierten Truppen, im selben Umfang, wie es für die Bundeswehr notwendig ist, zu üben. Es bindet die Alliierten an die vom BMVg erlassenen Flugbetriebsbestimmungen.Drittens. Übungen haben nur dann einen Sinn, wenn sie auch dort durchgeführt werden, wo möglicherweise im Verteidigungsfall der tatsächliche Einsatz erfolgen muß. Dies ist aber nun einmal die dichtbesiedelte Bundesrepublik.Es wird in der Öffentlichkeit immer wieder die Frage gestellt: Warum überhaupt Tiefflüge?
Deswegen ein weiteres Mal die Antwort: Tiefflug ist derzeit die einzige Möglichkeit, einer gegnerischen Radarerfassung weitgehend zu entgehen, und bereits die Verantwortung für unsere eigenen Soldaten verlangt nach einer solchen Einsatzart,
weil diese derzeit am ehesten die erfolgreiche Durchführung des Auftrages und eine Rückkehr von einem Einsatz im Verteidigungsfall erwarten läßt.
Zur Erhaltung der erforderlichen Einsatzbereitschaft muß Tiefflug ständig geübt werden, weil dieBefähigung dazu bei Nichtüben schnell verlorengeht. Mit Simulatoren ist die tatsächliche Übung nicht zu ersetzen.Meine Damen und Herren, ein, wie ich finde, wichtiger zusätzlicher Hinweis: Wir reden hier vom Tiefflug, denn der notwendige Tiefstflug wird in der Bundesrepublik überhaupt nicht geübt.
Was haben wir nun zur Verminderung der Belastung getan bzw. was werden wir noch weiter tun? Unter Beachtung der zwingend notwendigen Tiefflugübungen werden derzeit von 74 000 Stunden bereits 17 000 Stunden gleich 23 % im Ausland durchgeführt,
und hieran wird sich in Zukunft auch nichts ändern. Im Gegenteil, wir verhandeln derzeit mit unseren ausländischen Partnern, um eventuell eine weitere beachtliche Zahl von Flugstunden zusätzlich ins Ausland verlagern zu können.
Soweit Übungen im Ausland, hier in Labrador, durch den Antrag auf Drucksache 10/905 angesprochen werden, sind die von den GRÜNEN aufgestellten Behauptungen und Befürchtungen falsch.
Die der Luftwaffe zugewiesenen Tieffluggebiete weisen keinerlei Besiedlung auf.
Die Flugrouten berühren nicht die bekannten Wanderungsrouten der Karibus. Eine von der kanadischen Regierung veranlaßte Umweltstudie hat keine negativen Auswirkungen auf die Ökologie, die Ozonologie und die Lebensbedingungen der Indianer und der Eskimos festgestellt.
Meine Damen und Herren, sollte also die kanadische Regierung zu weitergehenden Regelungen bereit sein, würde meine Fraktion entsprechende Vereinbarungen begrüßen. Das gleiche trifft für Regelungen mit Portugal und mit Italien zu.Jede vertretbare Verlagerung ins Ausland sollte ermöglicht werden, um die Belastungen der deutschen Bevölkerung noch weiter zu mildern. Dabei sollten wir allerdings nicht außer Betracht lassen, daß diese Verlagerung auch die Belastungen unserer Piloten und ihrer Familien berücksichtigen muß.
Es ist die Frage zu stellen: Was haben wir im Inland getan bzw. was werden wir hier tun? Zunächst einmal ein Hinweis: Das BMVg hat an die deutschen Piloten und die Piloten der Verbündeten strikte Anweisung zur Einhaltung der Lärmschutzvorschriften erteilt, und diese Vorschriften werden strictissime eingehalten.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 156. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. September 1985 11709
Francke
Zur Überwachung wurde u. a. das Skyguard-Gerät beschafft bzw. es werden weitere beschafft werden. Verstöße wurden und werden unnachsichtig geahndet, bis zur Degradierung. Die Alliierten — davon konnten wir uns überzeugen — gehen auch bei sich unnachgiebig gegen Verstöße vor.
Meine Damen und Herren, die Belastungen der deutschen Bevölkerung sind — das soll gar nicht verschwiegen werden; das ergibt sich einfach aus der geographischen Situation der Bundesrepublik — beachtlich. Wir müssen deswegen in diesen Gebieten die Bevölkerung um besonderes Verständnis bitten.Zunächst hat die Bundesregierung folgende Maßnahmen bereits durchgeführt. Lassen Sie mich ein paar Beispiele vortragen, um es zu verdeutlichen.Durch Reduzierung oder Aufhebung von Luftraumbeschränkungen wurde der nutzbare Luftraum um ca. 10 % mit dem Ziel der gleichmäßigen Verteilung der Tiefflüge erweitert,
Der Tagtiefflug wurde von Montag bis Freitag — ohne Feiertage — auf die Zeit von 7 bis 17 Uhr begrenzt. Im Nahbereich des eigenen Fliegerhorstes muß höher als 500 Fuß geflogen werden. Der Tieffluganteil bei jedem Flug wurde generell auf maximal 50 Minuten begrenzt. Das führt zu einer weiteren 30 %igen Verminderung des Fluglärms. Es wurde darüber hinaus ein generelles Wochenend- und Feiertagsflugverbot erlassen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Ströbele?
Nein, Herr Präsident, das tue ich nicht.
Was sollte nach unserer Auffassung noch zusätzlich getan werden? Neben der bereits erwähnten weiteren Verlagerung ins Ausland hielten wir es für angebracht, Untersuchungen darüber anzustellen, ob mit Zustimmung der Länder nicht ein rollierendes System eingeführt werden kann, d. h. daß einzelne Gebiete für die Dauer einiger Tage oder Wochen ganz gesperrt werden, was allerdings — das muß man offen sagen — für andere eine zeitweise Verstärkung bedeuten würde.
Denkbar wäre auch, die bisherigen sieben Gebiete aufzuheben, um gleichzeitig eine größere Anzahl von Gebieten festzulegen, von denen dann jeweils ein Teil tatsächlich im rollierenden System benutzt werden muß.
Meine Damen und Herren, die Diskussion der Länderinnenminister darf nicht nach dem Prinzip geführt werden: Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht naß!
Dem in diesem Zusammenhang gemachten Vorschlag, zusätzlich die Mittagszeit von 12 bis 14 Uhr
auszusparen, steht meine Fraktion kritisch gegenüber.
Lassen Sie mich zusammenfassen. Die Anträge der GRÜNEN zielen nicht auf die Lösung zweifelsfrei vorhandener Probleme ab
— dies wird auch unterstrichen durch die nachweisbare Abwesenheit des Vertreters der GRÜNEN bei der in diesem Jahr erfolgten Beratung des Themas im Verteidigungsausschuß —,
sondern sie verfolgen das Ziel, die grundgesetzlich geforderte Einsatzbereitschaft und Einsatzfähigkeit der Bundeswehr zu unterminieren. Die Rede des Kollegen der GRÜNEN ist j a nur eine Bestätigung dessen. Es geht Ihnen gar nicht um ein zweifelsfrei vorhandenes Problem und seine sachgerechte Lösung, sondern es geht um das Vortragen unwahrer, mit polemischen Sätzen angereicherter Bemerkungen.
Dieser Zielsetzung der GRÜNEN werden wir uns mit Nachdruck widersetzen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Nein.
Wir halten die bisher von der Bundesregierung getroffenen Maßnahmen für ausreichend. Wir halten sie für richtig.
Wir sind im übrigen im Hinblick auf die fortlaufende Diskussion im Ausschuß sowie zwischen dem Ausschuß, der Bundesregierung und den Fraktionen zuversichtlich, daß die Bundesregierung auch in Zukunft dem Problem des Umweltschutzes und der Verminderung des Fluglärms ihre besondere Aufmerksamkeit widmen wird.
Vielen Dank.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Klejdzinski.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Problematik des Tiefflugs in der Bundesrepublik wird in drei Anträgen der Fraktion DIE GRÜNEN behandelt. Zu dem ersten Antrag „Einstellung der Vorarbeiten zur Einrichtung eines Tieffluggebietes östlich von Hamburg" will ich nicht mehr Stellung nehmen, weil er bereits erledigt ist. Eine Nachfrage dazu wäre durchaus möglich gewesen, wenn man sich darum bemüht hätte.Den zweiten Antrag „Abschaffung von Tiefflügen" will ich grundsätzlicher behandeln, weil er in einen unmittelbaren Zusammenhang mit dem dritten Antrag bezüglich der Einstellung der Tiefflugübungen der Bundesluftwaffe in Labrador zu bringen ist.
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11710 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 156. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. September 1985
Dr. KlejdzinskiIch befasse mich schon jahrelang mit diesem Problem. Ich befasse mich deswegen schon jahrelang mit diesem Problem, weil ich in einem Tieffluggebiet wohne, und zwar seit 30 Jahren. Wir im westlichen Münsterland werden seit dieser Zeit von tieffliegenden Flugzeugen bedrängt. Dieses ist ein entscheidendes Problem geworden, und überall, wo ich mit Bürgern spreche, beklagt man sich darüber, unabhängig davon, daß ich einmal Mitglied des Kreistages Coesfeld war und dort bereits mich mit der Problematik befaßte. Dieses Problem kann nicht wegdiskutiert werden. Herr Francke, Sie haben gesagt, daß das, was die Bundesregierung bisher unternommen hat, ausreichend ist und gleichzeitig auch von Ihrer Fraktion so eingeschätzt wird. Ich möchte Sie bitten, darüber sehr ernsthaft in einen Dialog mit sich selbst einzutreten. Ich kann Ihnen nur sagen: Es ist unsere Auffassung, daß das nicht so ist. Nach meiner Einschätzung ist die Grenze der Belastbarkeit für unsere Bevölkerung in vielen Gebieten erreicht
und in anderen Gebieten weit überschritten.
— Herzlichen Dank, Herr Schierholz, für das, was nicht in meinem Manuskript steht, aber inhaltlich von mir auch so gesagt werden sollte.
Insbesondere besteht dieses Problem in den Tieffluggebieten und — das ist zu betonen — auf den Tiefflugverbindungsstrecken. Wenn Sie im Bereich einer Tiefflugverbindungsstrecke wohnen, werden Sie feststellen, daß Sie an bestimmten Tagen die Uhr danach stellen können, daß in bestimmten Abschnitten jeweils wechselseitig tieffliegende Flugzeuge über Ihr Haus oder über Ihren Ort brausen. Dieses würde ich nicht als Tiefflugterror bezeichnen, sondern ich meine: Es ist ein Ereignis, das in erheblichem Maße Lärm verursacht. Wir können uns als Politiker in dieser Frage nicht aus der Verantwortung stehlen; ich finde, wir sind hier gefordert. Ich teile auch nicht die Auffassung, die ich aus Teilen der Regierungsfraktionen gehört habe, die inhaltlich etwa so lautet: Fluglärm ist der Preis der Freiheit. Nein, für uns kann Fluglärm nicht der Preis der Freiheit sein.
Wer dagegen die Einstellung oder die Abschaffung jeglichen Tiefflugs fordert, wer dies nach meiner Einschätzung wirklich ernsthaft will und darauf verweist, wie sehr die Bundesrepublik belastet sei, der darf natürlich nicht gleichzeitig sagen, daß Maßnahmen, die wir vorgeschlagen oder auch gemeinsam mit Teilen der CDU/CSU oder der Regierungsfraktionen im Ausschuß beschlossen haben, nicht akzeptabel sind. Wenn also versucht wird, Tiefflugübungen in andere Länder zu verlagern, sollte man nicht mit dem nächsten Antrag, der vorgelegt wird, das Ziel verfolgen, diese gänzlich abzuschaffen. Die vollständige Abschaffung dieser Übungen könnte hier mit der Begründung sinnvoll sein, daß die Bevölkerung das nicht ertragen könne.Dieses Argument nehme ich sehr wichtig, und ich weiß auch, daß kleine Kinder, insbesondere wenn sie draußen spielen, oft durch tieffliegende Flugzeuge so erschreckt werden, daß gesundheitliche Störungen feststellbar sind. Ich will das wirklich nicht verniedlichen und insbesondere betonen, daß das mit eine Kernfrage ist. Aber wenn jemand dies gleichzeitig auch für Labrador in Anspruch nimmt, so muß ich für meine Person feststellen, daß er nicht inhaltlich in der Sache weiterkommen will, sondern daß er hier nur Positionen aufzeigt, die anderen Argumenten als dem dienen sollen, was nach meiner Meinung ein ernsthaftes Anliegen aller hier vertretenen Fraktionen im Deutschen Bundestag sein muß, nämlich Tiefflug zu begrenzen.
Wenn beispielsweise einer inhaltlich vorschlägt, den Tiefflug auf 300 Meter über Grund zu begrenzen, dann sollte man ihn doch besser gleich auf 1 000 Meter über Grund begrenzen, weil dann die Lärmbelästigung, die bei 300 Meter über Grund noch vorhanden ist, nicht mehr da ist; in beiden Fällen aber würde der Zweck, Tiefflug zu üben, nicht erfüllt.
— Sie wollen das ja ganz abschaffen.Ich möchte mich noch mit ein paar Bemerkungen zu unseren Vorschlägen äußern. Wir haben als Sozialdemokraten gesagt: Reduzierung des Tieffluges auf das Notwendige für den Einsatzbereich bei Anlegung eines strengen Maßstabes. Wir sagen weiterhin: Entzerrung des Tiefflugbetriebs. Ich habe ein Interesse daran, daß die Bevölkerung in meinem Wahlkreis endlich von den Belastungen entlastet wird. Dann fordern wir die weitere Entzerrung des Tiefflugbetriebs in den Verdichtungsräumen. Ich möchte die Regierung diesbezüglich nach dem Sachstand fragen. Weiterhin schlagen wir vor, in größeren Höhen in die Tieffluggebiete einzufliegen, damit die stark belasteten Tiefflugverbindungen nicht noch mehr belastet werden.Wir sind auch dafür, weitere Skyguard-Anlagen zu beschaffen. Ich habe es mit Freude aufgenommen, daß Sie von der CDU unsere Meinung teilen. Wir sagen aber mit aller Deutlichkeit: Wir möchten drei Anlagen haben; eine Skyguard-Anlage sollte in Reserve gehalten werden. Gleichzeitig sollte der Luftwaffe das nötige Personal zur Verfügung gestellt werden. Insofern ist hier auch der Bundesminister der Finanzen gefragt. Wir fordern ihn auf, dieses Problem gemeinsam mit uns anzugehen.
Hier ist vorhin gesagt worden, der Einsatz von Skyguard-Anlagen werde keinen Erfolg haben. Dazu kann ich nur sagen: Die Skyguard-Methode läßt es zumindest zu, ein Abweichen des Flugzeugführers vom Flugauftrag bildlich, zeitlich und unter genauer Angabe der Höhe zu dokumentieren.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 156. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. September 1985 11711
Dr. KlejdzinskiWir fordern darüber hinaus den Bundesminister der Verteidigung mit Nachdruck auf, die NATO-Partner auf die Einhaltung der deutschen Bestimmungen hinzuweisen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Senfft?
Entschuldigung, die Zeit läßt es nicht mehr zu, es sei denn, ich bekäme es nicht auf meine Redezeit angerechnet. — Ja, bitte.
Bitte sehr, Herr Abgeordneter.
Nach unseren Informationen aus Schreiben, die wir von Betroffenen bekommen haben, hat Skyguard überhaupt nichts gebracht. Es sind nur dort Erfolge erzielt worden, wo der Standort von Skyguard bekannt war. Oftmals ist es doch sogar so, daß die Aufstellung in der Zeitung angekündigt wird. Meine Frage ist: Halten Sie es nicht für besser, wenn statt dessen Flugschreiber entwikkelt werden, die ganz einfach sowohl die Geschwindigkeit als auch die geflogene Höhe über Grund aufzeichnen, so daß alle Flüge auf einen Schlag kontrollierbar wären? Das müßte technisch ja machbar sein.
Das ist meiner Ansicht nach technisch nicht so ohne weiteres machbar. Auf der anderen Seite weiß ich, daß beispielsweise die Skyguard-Geräte eingesetzt werden, ohne daß die einzelnen Luftwaffengeschwader informiert werden. Insbesondere unsere Freunde in der NATO sind auch nicht im einzelnen informiert. Nach den mir vorliegenden Ergebnissen muß ich Ihnen sagen, daß sie wirklich Erfolge gezeitigt haben. Das Problem war: Eine Anlage war nicht einsatzfähig, weil sie auf Grund eines Verkehrsunfalls nicht einsatzbereit war.
Lassen Sie mich mit Nachdruck feststellen: Es darf beispielsweise nicht so sein, daß unsere NATO-Partner — etwa die Holländer — es ablehnen, daß Tieffluggebiete bei ihnen eingerichtet werden, sie aber umgekehrt eine Tiefflugstrecke in das westliche Münsterland hinein und wieder heraus benutzen.
Dies geht nicht. Wenn wir schon unseren Beitrag zur NATO leisten, dann können wir von unseren Freunden auch erwarten, daß sie sich diesbezüglich beteiligen.
Wir gehen also weiterhin davon aus, daß eine weitere Verlagerung von Übungstiefflügen in befreundete Länder möglich sein muß. Ich weiß, daß das eine Belastung für die Soldaten ist. Ich weiß, daß das Belastungen verursacht, aber ich weiß auch, daß unsere Bevölkerung eine Entlastung braucht. Insofern bestehen wir wirklich darauf, daß dem entsprochen wird.
Wir haben weiterhin gesagt: Wir müssen prüfen, ob die Mittagspause nicht ausgespart werden kann. Es wird nicht immer gehen, aber es muß sein.
Wir bestehen auf einer erneuten Überprüfung von älteren Flugzeugen in bezug auf die von diesen verursachte starke Luftverschmutzung. Dies ist wirklich ein Problem. Wir müssen Überlegungen im Hinblick auf die Ausrüstung mit rauchgasarmen Triebwerken anstellen.
Unabhängig davon werden wir ein Hearing im Verteidigungsausschuß fordern. Dieses Hearing halten wir für wichtig. Dabei können sich alle Betroffenen zu diesem Thema äußern. Dann besteht die Möglichkeit, noch einmal alle Beteiligten zu hören, auch diejenigen, die den Fluglärm zu ertragen haben.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch eine Bemerkung zu Labrador machen, damit die Öffentlichkeit auch einmal weiß, worum es sich handelt. Die Provinz Newfoundland ist eineinhalbmal so groß wie die Bundesrepublik. In dem gesamten Gebiet leben nach kanadischen Angaben 36 000 Menschen in 31 Gemeinden. Darunter befinden sich ungefähr 2 300 Menschen, die Sie ansprechen. Wenn Sie dort den Tiefflugbetrieb verbieten wollen, dann vergegenwärtigen Sie sich einmal die Größe dieser Fläche. Sie begründen Ihre Forderung damit, daß sich die Karibu-Herden nicht in dem notwendigen Umfang vermehrt hätten. Ich kann Ihnen an Hand von Zahlen belegen, daß die Zahl der Tiere in dieser Region in der Zeit seit 1954 von 5 000 auf 300 000 angewachsen ist. Machen Sie der Bevölkerung in Form eines Antrages doch bitte nicht weis, Sie wollten die Tiefflüge dort abschaffen, weil die Herden gefährdet seien, wodurch die Ernährung der dort lebenden Menschen in Frage gestellt sei.
Diese Argumentation halte ich nicht für gut. Ich bin der Meinung, wir müssen gemeinsame Anstrengungen in diesem Deutschen Bundestag unternehmen, damit wir die wirkliche Belastung, was Tiefflug betrifft, von unserer Bevölkerung entfernen — bitte nicht durch Polemik, sondern durch eine vernünftige gemeinsame Sacharbeit.
Herzlichen Dank.
Das Wort hat der Abgeordnete Ronneburger.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bemerkung des Kollegen Dr. Klejdzinski, Fluglärm sei nicht der Preis für unsere Freiheit, ist, verehrter Herr Kollege, eine unzulässige, eine große Simplifizierung eines Tatbestandes, der wohl etwas deutlicher ausgeführt werden muß.
Selbstverständlich ist nicht Fluglärm allein der Preis für unsere Freiheit. Aber es besteht doch wohl in diesem Hohen Hause, jedenfalls in den drei verfassungtragenden Fraktionen, kein Zweifel an, daß die Einsatzfähigkeit und die Verteidigungsbe-
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11712 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 156. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. September 1985
Ronneburgerreitschaft der Bundeswehr von ihren Übungsmöglichkeiten und von ihrer ständigen Vorbereitung auf einen Einsatz abhängt, den sie nach unserer Hoffnung und nach den Zielen unserer Politik nie wird in der Praxis vollziehen müssen.
Deswegen gehört Tiefflug zu diesen Übungsmöglichkeiten. Die notwendige Überlegung kann immer nur sein: Wie können wir die Belastung der Bevölkerung so gering wie möglich halten?Denn, Herr Kollege Senfft, das eine werden Sie sich auf Ihre Ausführungen hin auch sagen lassen müssen: Die Aufrechterhaltung einer freiheitlichen Staats- und Gesellschaftsordnung
und damit die Möglichkeit für Sie und Ihre Kollegen in der Fraktion DIE GRÜNEN, die verfassungsmäßigen Rechte als Abgeordnete des Bundestages in freier Rede und Meinungsäußerung wahrzunehmen,
sind auch davon abhängig, daß die Bundeswehr bereit ist, ihren Dienst zu leisten und unsere Freiheit durch diesen ihren Dienst zu sichern.
Herr Kollege Senfft, ich will Ihnen ein ganz aktuelles Beispiel geben.
— Ich habe Sie nicht unterbrochen. Unterbrechen Sie mich bitte nicht, wenn ich versuche, die Gedanken darzulegen, von denen ich hoffe, daß sie auch bei Ihnen einmal Eingang finden werden.
Der Kollege Ströbele wird sich daran erinnern, daß wir vor kurzem in einem ganz anderen Kreis ein Gespräch über Einreisemöglichkeiten der AL in die DDR und nach Ost-Berlin geführt haben. Ich nenne Ihnen nur dieses eine Beispiel, das gestern auch in der Fragestunde eine Rolle gespielt hat. Sie erheben Anspruch auf Freiheitsrechte.
Aber Sie geben der Bundeswehr mit Ihren Anträgen, wenn sie durchgesetzt würden, nicht die Möglichkeit, diese Freiheitsrechte tatsächlich zu sichern.
Das sollten Sie sich einmal mit allen Konsequenzen überlegen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Senfft?
Ich gestatte eine Zwischenfrage.
Bitte.
Habe ich Ihre Ausführungen richtig verstanden, daß Sie der Auffassung sind, daß ohne die Tiefflugübungen in dem Sinn, wie ich es ausführte, die Freiheit in der Weise gefährdet ist, daß möglicherweise die Rote Armee einmarschiert?
Sie haben mich insofern völlig falsch verstanden, als ich ausdrücklich gesagt habe: Tiefflugübungen sind nur ein Teil der Vorbereitung auf einen Ernstfall, von dem wir nicht wollen, daß er je eintritt. Und wenn 30 Jahre Frieden in Mitteleuropa geherrscht haben, Herr Kollege Senfft, dann auch deswegen, weil diese Bereitschaft zur Verteidigung der freien westlichen Welt vorhanden war, die hoffentlich auch in Zukunft vorhanden sein wird.
Zu den einzelnen von Ihrer Fraktion, Herr Kollege, beantragten Maßnahmen: Einstellung der Tiefflugübungen der Bundesluftwaffe über Labrador und Einstellung der Vorbereitung zu Errichtung eines Tieffluggebietes östlich von Hamburg, ist von den Vorrednern im Grunde genommen bereits das Notwendige gesagt worden.
— Östlich von Hamburg, habe ich gesagt.
— Dann haben Sie leider dem Kollegen Francke nicht zugehört. Ich ergänze noch einmal, damit es in Ihr Gedächtnis eingetragen wird: Zu dem Zeitpunkt, wo Sie Ihren Antrag zu diesem neu einzurichtenden Tieffluggebiet gestellt haben, waren andere Abgeordnete, z. B. der Regierungsfraktionen, bereits tätig geworden; das Problem, das Sie angesprochen haben, war zu dem Zeitpunkt bereits erledigt.Zusätzlich sage ich Ihnen: Zu Goose Bay sind Sie nach wie vor den Nachweis dessen schuldig, was Sie in der Begründung Ihres Antrags gesagt haben, Ich stimme hier mit dem Kollegen Klejdzinski und dem Kollegen Francke völlig überein, daß es entscheidend darauf ankommt, die Belastung der Bevölkerung durch notwendige Übungsflüge so gering wie möglich zu halten.Sie haben vorhin den Herrn Bundesverteidigungsminister aufgefordert, sein Haus für solche Übungen zur Verfügung zu stellen. Herr Klejdzinski, mir geht es genauso wie Ihnen. Ich wohne ebenfalls in einem solchen Tieffluggebiet, sogar noch länger als 30 Jahre. Ich weiß, wovon ich rede. Ich
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 156. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. September 1985 11713
Ronneburgerweiß auch, wovon ich rede, Herr Kollege Senfft, wenn ich hier noch einmal daran erinnere, daß dieses rollierende System nach einer schlichten mathematischen Rechnung — aber zumindest die Grundrechenarten müßte man beherrschen —, nach einem schlichten mathematischen Vergleich für die Menschen weniger Belastung bringt, weil es die Belastung gerechter verteilt.
Dafür, daß man auch bei einem rollierenden System Ballungszentren, Fremdenverkehrsgebiete und besonders gefährdete Naturgebiete ausnehmen kann, gibt es bereits heute Beispiele. Ich könnte Ihnen solche Beispiele aus meiner unmittelbaren Nachbarschaft nennen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Abgeordneten Ströbele? — Bitte schön.
Dabei gehe ich weiter davon aus, Herr Präsident, daß die Zeit dafür nicht auf meine Redezeit angerechnet wird.
Ja, wir werden weiter so verfahren. — Herr Ströbele, Sie haben das Wort.
Herr Kollege, ist Ihnen bekannt, daß in letzter Zeit beispielsweise über Bad Berleburg im Rothaargebirge Tiefflugübungen mit Flugziel einer psychosomatischen Klinik durchgeführt wurden, daß sich die Patienten und die Ärzte wegen der ganz erheblichen Gesundheitsgefährdungen, die davon ausgehen, beim Bundesverteidigungsministerium beschwert haben und daß ihnen da die Antwort erteilt worden ist: Dann müssen Sie sich die Nummern der Flugzeuge merken, sonst können wir nichts machen? Es ist also an die Patienten praktisch die Aufforderung gerichtet worden, aus der Klinik zu rennen und sich die Nummern zu merken. Würden Sie auch sagen, daß die das wegen unser aller Freiheit hinnehmen müssen?
Ich kenne einen großen Teil von Anfragen und Beschwerden, und ich kenne auch einen großen Teil von Antworten, die erteilt worden sind. Aber ich muß Ihnen ehrlich sagen: Die Antwort, die Sie mir soeben genannt haben, habe ich in der ganzen Zeit, in der ich mich mit dieser Problematik beschäftige, noch nicht ein einziges Mal gehört. Ich kann in diesem Zusammenhang das Bundesverteidigungsministerium nur fragen, ob eine solche Antwort tatsächlich erteilt worden ist. Wenn es so sein sollte, stimme ich Ihnen zu, daß diese Antwort dem Tatbestand nicht gerecht wird.Ich will zu Labrador und Goose Bay im Moment nichts mehr sagen, aber noch einmal darauf hinweisen, daß es für uns darauf ankommt, gemeinsam mit der Luftwaffe, gemeinsam mit dem Bundesverteidigungsminister nach Wegen zu suchen, eine nach unserer Überzeugung im Grundsatz unvermeidbare Belastung so gering wie möglich zu halten und so wenig Menschen wie möglich davon betroffen sein zu lassen. Innerhalb des Bündnisses sind unvermeidbare Lasten zu tragen. Nach den Entscheidungen, die das Hohe Haus, Herr Kollege Senfft, gemeinsam und mit überzeugenden Mehrheiten getroffen hat, sind diese Lasten grundsätzlich gerecht zu verteilen. Das Prinzip dieser Gerechtigkeit wird aber dort auf den Kopf gestellt, wo Leid unnötigerweise verteilt wird, ohne geteilt werden zu können. Es geht nicht ohne Übungsflüge auch in geringer Höhe.
Damit die Luftwaffe im Ernstfall voll funktionsfähig ist, muß sie vorher üben, um den Stand der Verteidigungsfähigkeit, von dem ich vorhin gesprochen habe, aufrechtzuerhalten.Lassen Sie mich darum zum Abschluß noch einmal sagen, daß es Ihrer Fraktion, der Fraktion DIE GRÜNEN, meiner Meinung nach um eine Sache geht, die in der Einleitung des Antrags vom 15. Mai dieses Jahres steht. Ich zitiere die beiden einschlägigen Absätze:Die GRÜNEN unterstützen den Protest der betroffenen Bevölkerung,
der sich insbesondere gegen die Untätigkeit der Bundesregierung richtet.
— Vielen Dank. Sie können sich darauf vorbereiten, gleich noch einmal zu klatschen. Ich werde Sie gleich noch einmal zitieren.
Ich kann nur auf den Kollegen Francke verweisen und auf seine Aufzählung von bereits getroffenen und geplanten Maßnahmen. Ich habe überhaupt nichts dagegen, daß eine Fraktion dieses Hauses eine Gruppe von Bürgern unterstützt.
Aber
jetzt kommt nämlich der Kern der Dinge:
Sie sehen in der hohen Belastung durch militärische Tiefflüge ein weiteres Zeichen für die Fehlorientierung einer Militärpolitik, die zu unvertretbaren Einschränkungen der Freiheits- und Grundrechte führt.
— Beifall bei den GRÜNEN bitte ich zu notieren. Es heißt dann weiter:Ein erster Ansatz für eine deutliche Verringerung der Tiefflugaktivitäten wäre die Beseitigung der Fähigkeit der Luftwaffe zur Invasion.
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11714 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 156. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. September 1985
RonneburgerDies würde den Weg zu einer neuen Sicherheitspolitik ebnen, die dem Friedensauftrag des Grundgesetzes entspricht.— Sie hätten übrigens noch einmal klatschen müssen. Das haben Sie nur vergessen.Ich will das nicht wiederholen. Aber wenn diese Äußerungen, meine Kollegen von den GRÜNEN, auf irgendeinem Treffen der Basis von einem mangelhaft informierten oder einschlägig vorbelasteten Nur-Mitglied der GRÜNEN vorgebracht würden, müßte das nicht beunruhigen. Wenn das jedoch in einem Antrag einer Bundestagsfraktion geschieht, wenn dort wider besseres Wissen Übungsflüge in niedriger Höhe als Zeichen der Fehlorientierung einer Militärpolitik und als Erlernen oder Üben der Fähigkeit der Luftwaffe zur Invasion denunziert und damit eine haltlose Hetze unterstützt wird, die da behauptet, unsere Sicherheitspolitik entspreche nicht dem Friedensauftrag des Grundgesetzes,
dann ist Widerstand gefordert auch im Sinne der betroffenen Menschen, für die Sie sich angeblich einsetzen wollen.Ich danke Ihnen.
Das Wort hat der Bundesminister der Verteidigung.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren Kollegen! Es gibt überhaupt keinen Zweifel: Die Fluglärmbelästigung, die Fluglärmbelastung gehört zu den schwierigsten Problemen meines Amtsbereichs. Nicht nur ich, sondern auch meine Mitarbeiter, auch und gerade die Luftwaffe und ihr Inspekteur, verstehen sehr gut, wie Bürgern zumute ist, die in den dicht beflogenen Gebieten wohnen und den Fluglärm ertragen müssen. Beiläufig gesagt: Auch ich wohne in einem Gebiet, in dem tief geflogen wird.
Wir, die wir mit diesem Problem von zwei Seiten befaßt sind, geben uns alle Mühe,
den Fluglärm zu mindern, wo immer es geht und soweit es überhaupt noch mit dem Einsatzauftrag der Luftwaffe vereinbar ist. Allerdings stoßen wir dabei auf Grenzen. Ein Bundesminister der Verteidigung kann sich nicht wie DIE GRÜNEN, die von dieser Freiheit profitieren, aber nicht bereit sind, die Lasten zu tragen, hinstellen und sagen, es geht mich nichts an.
Vielmehr ist ein Bundesminister der Verteidigung eben auch der Bevölkerung für die Sicherheit und die Freiheit verantwortlich. Er muß daher nach dem Grundgesetz, nach dem Amtseid, den er geschworen hat, dafür sorgen, daß Frieden und Freiheit indiesem Land aufrechterhalten bleiben und daß daher auch auf der anderen Seite das Nötige getan wird.Deswegen — ich sage es noch einmal — stoße ich auf gewisse Grenzen: einerseits im Grundgesetz und andererseits im alliierten Truppenstatut, in dem die Bundesrepublik Deutschland den hier stationierten Truppen ausreichend Übungsmöglichkeiten zur Erhaltung ihrer Einsatzbereitschaft einräumt und einräumen muß. Auch nicht, weil es denen Spaß macht, sondern weil auch die einen Einsatzauftrag haben, nämlich die Bundesrepublik Deutschland und die ganze freie Welt mit uns zu schützen. Daher bin ich dafür verantwortlich, daß die Streitkräfte einsätzfähig sind. Das heißt, daß sie für die Bedingungen des Ernstfalls ausgebildet sind, nicht etwa, weil wir glaubten, dieser Ernstfall käme, sondern weil wir ihn verhindern wollen; und wir haben ihn bis jetzt verhindert,
auch und gerade die Flugzeugführer der Luftwaffe und der Alliierten. Die Luftwaffenpiloten und die Piloten unserer Alliierten hätten im Ernstfall nur dann eine Chance, ihren Auftrag zu erfüllen und zu überleben, wenn sie schon im Frieden Tiefflug üben; denn im Einsatzfall müßten sie tief fliegen, viel tiefer, als es im Frieden geübt werden darf.
— Wenn Sie mich schon zum x-ten Mal fragen und so tun, als ob Sie das nicht wüßten: Nehmen Sie bitte zur Kenntnis, daß im Unterschied zum Warschauer Pakt, zu den Streitkräften der Sowjetunion und der mit ihr verbündeten Staaten, die Bundesrepublik Deutschland, die Bundesregierung und die mit uns verbündeten Staaten ein für allemal auf den Ersteinsatz von Waffen verzichtet haben, so daß die Luftwaffe der Bundeswehr im Ernstfall nur fliegen würde, wenn dieses Land angegriffen würde.
Ich sage — das ist der Kern des Problems —: Es geht für mich, der ich diese Aufgabe habe, darum, einen Ausgleich zu finden zwischen dem Ausbildungsinteresse der Luftwaffe und ihrer Piloten einerseits und dem berechtigten Anspruch unserer Bürger auf Rücksichtnahme und Ruhe andererseits.Ich sage nochmal: Dabei sind den Piloten im Laufe der Zeit immer weitere Einschränkungen auferlegt worden, weit mehr, als in der Öffentlichkeit bekannt ist. Es gibt einen riesigen Katalog von Maßnahmen. Schon meine Vorgänger — das ist ja kein parteipolitisches Problem — haben eine Fülle von Maßnahmen ergriffen, von denen ich nur einige herausgreifen will. So wurde bereits in der Vergangenheit die generelle Mindestflughöhe auf 150 m festgelegt.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 156. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. September 1985 11715
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Ströbele?
Herr Präsident, ich würde dann mit der Zeit nicht zu Rande kommen. Sonst würde ich die Frage gern zulassen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Fragezeit wird nicht angerechnet. Aber Sie sind in Ihrer Entscheidung frei.
Der Tagtiefflug wurde für Montag bis Freitag auf die Zeit von 7 bis 17 Uhr begrenzt. Wir haben ein generelles Wochenden- und Feiertagsflugverbot erlassen. Wir haben einen Teil unserer Flüge ins Ausland verlagert. Insgesamt exportiert die Luftwaffe bereits 30% ihres Fluglärms ins Ausland.
Ich werde nachher darstellen, daß wir das noch weiter ausdehnen wollen.Wirkliche Tiefstflüge ab 100 Fuß werden in der Bundesrepublik Deutschland überhaupt nicht gestattet. Diese haben wir ins Ausland, nach Goose Bay, verlegt.
Sofort nach meiner Amtsübernahme habe ich einige zusätzliche Maßnahmen eingeleitet. Auch hier will ich nur einige davon herausgreifen.Zunächst einmal hatte mein Amtsvorgänger eine Studie in Auftrag gegeben, um festzustellen, wo besonders dicht geflogen wird. Eines der Probleme liegt darin, daß in der Bundesrepublik Deutschland nur etwa zwei Drittel des Luftraums befliegbar sind. Ein Drittel ist nicht befliegbar; es sind entweder Sperrgebiete oder Gebiete nahe der Grenze, wo also Gründe vorliegen, über die sich ein Minister nicht hinwegsetzen kann. Den Studienauftrag hatte mein Vorgänger übrigens an eine private Firma gegeben. Er hat die Frage nicht etwa durch den Staat selber untersuchen lassen: Wo wird besonders dicht geflogen? Dabei haben sich bestimmte Ballungsgebiete herausgestellt.Die ganz konsequente Schlußfolgerung, die wir daraus gezogen haben, ist diese: Die einzige Chance, den Bürgern in den besonders betroffenen Regionen zu helfen — es geht eben nicht um das SanktFlorians-Prinzip, wie Sie das gesagt haben —, besteht darin, mehr Gebiete zu erschließen und dafür zu sorgen, daß sich der Fluglärm breiter ausdehnt.
Dadurch sind zwar zusätzliche Bürger vom Fluglärm betroffen, aber andererseits werden diejenigen, die besonders belastet sind, dadurch etwas entlastet.
Das ist, abgesehen von der Möglichkeit, ins Ausland auszuweichen, die einzige Möglichkeit, die dieser Bundesminister der Verteidigung hat, um durchgreifend noch etwas zu machen. Und wir haben das gemacht.Ich habe bereits jetzt durch Reduzierung oder Aufhebung von Luftraumbeschränkungen den nutzbaren Luftraum um zirka 10 % mit dem Ziel der gleichmäßigeren Verteilung der Tiefflüge erweitert. Im übrigen kann ich Ihnen sagen: Diejenigen, bei denen die Erleichterung eingetreten ist, danken einem das nicht, aber diejenigen, bei denen jetzt geflogen wird, wehren sich. Dafür habe ich auf der einen Seite Verständnis, nur wie soll ich es denn machen?Wir haben den Gebrauch des Nachbrenners, der besonders lärmträchtig ist, in niedrigen Höhen auf seltene, zwingend erforderliche Fälle begrenzt. Wir haben die Flüge im Ausland verstärkt. Wir haben eine Regelung herausgegeben, wonach im Nahbereich des eigenen Fliegerhorstes grundsätzlich nicht mehr in 500 Fuß, also 150 Meter, geflogen werden darf, sondern höher, weil wir davon ausgehen, daß es sich dort um vertrautes Terrain handelt.Und jetzt nenne ich Ihnen eine besondere Maßnahme, bei der ich davon ausgehe, daß sie ihre Wirksamkeit jetzt langsam voll entfaltet. Der Inspekteur der Luftwaffe ist dazu übergegangen, den Tieffluganteil bei jedem Flug generell auf maximal 50 Minuten zu beschränken. Früher betrug der Tieffluganteil eines Einsatzes durchschnittlich eine Stunde und elf Minuten, jetzt sind wir bei 50 Minuten. Das heißt, wir reduzieren die Fluglärmbelastung um ziemlich genau 30 %.
Ich wiederhole: 30 % Entlastung im Tiefflug.Damit gebe ich mich noch nicht zufrieden. Ich beabsichtige die Einführung eines Verfahrens, das in den vorerwähnten sieben Gebieten, in denen tief geflogen werden darf — also 75 Meter hoch, d. h. unterhalb der sonst zulässigen Höhe — die besonders belastete Bevölkerung stärker entlastet. Ich kann zwar diese Gebiete nicht ersatzlos aufgeben aus den Gründen, die ich dargestellt habe. Aber wir beabsichtigen, wie das der Kollege Francke dargestellt hat, wenigstens den Versuch zu machen, den befliegbaren Luftraum in der Bundesrepublik Deutschland an Stelle dieser sieben Gebiete, wo dauernd geflogen wird und wo die Bevölkerung wirklich nun seit vielen Jahren diese Tiefflüge immer ertragen muß,
in 49 Gebiete aufzuteilen — wir sind im Augenblick in der Planung — und dann in einem rotierenden System zu befliegen, so daß immer ein Gebiet, d. h. nur ein Gebiet, in einer besonderen, bestimmten begrenzten Zeit beflogen wird und die anderen dann von Fluglärm frei sind. Das ist die einzige Möglichkeit. Eine andere Möglichkeit gibt es nicht.
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11716 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 156. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. September 1985
Bundesminister Dr. WörnerWir sind im Augenblick in der Besprechung in Fachgremien. Wir werden am 3. Oktober dieses Jahres mit den Bundesländern verhandeln. Ich hoffe, daß die Bundesländer mitmachen.Außerdem prüfe ich eine weitere Verlagerung ins Ausland. Das gilt sowohl der Untersuchung, ob die bestehenden Einrichtungen stärker frequentiert werden können, als auch Überlegungen zum Neubau eines Flugplatzes im Ausland.
Im übrigen sage ich Ihnen — auch wenn Sie von den GRÜNEN immer wieder dauernd das Gegenteil behaupten —, daß die Zahl der Tiefflüge nicht zugenommen, sondern abgenommen hat. Allerdings ist gleichzeitig die Sensibilität unserer Bevölkerung gestiegen.
Ich habe das nicht zu kritisieren — ich habe viel Verständnis dafür —, ich stelle lediglich als eine Tatsache fest, daß nicht mehr Tiefflüge geflogen werden, sondern weniger.Natürlich spielt das Wetter eine große Rolle. Im Schnitt kann bei uns nur an 140 Tagen im Jahr geflogen werden. Wenn es nun, wie in diesem Jahr, im Sommer sehr viele Schlechtwetterperioden gibt, dann drängt sich natürlich der Tiefflug auf die wenigen Tage mit schönem Wetter zusammen, und dann wird die Belastung doppelt stark empfunden.Selbstverständlich wirken wir auf unsere Alliierten ein; das war eine Frage des Kollegen Klejdzinski. Der Inspekteur der Luftwaffe hat eigene Teams zusammengestellt, die auf jeden einzelnen Flugplatz der Luftwaffe unserer Alliierten gegangen sind, die Piloten eingewiesen haben, sie auf die Situation aufmerksam gemacht haben, ihnen noch einmal die Begrenzung erklärt haben. Das wiederholen wir; das ist ein ständiges Gespräch mit meinen Kollegen, auch für den Inspekteur der Luftwaffe. Herr Klejdzinski, wir sind in einem Punkt einig: Wir können es auf die Dauer nicht hinnehmen, daß die Niederländer im eigenen Land hoch und in der Bundesrepublik Deutschland tief fliegen.
— Nein, es sind keine anderen.Nun noch kurz zur Frage der Mittagspause. Es wird ja immer wieder vorgeschlagen: Macht doch eine Mittagspause zwischen 12 und 14 Uhr. Wir haben das untersucht, sehr ernsthaft untersucht. Zunächst einmal: Wenn ich die Mittagspause von 12 bis 14 Uhr mache, muß ich den Flugbetrieb ab 11 Uhr einstellen; denn die Flugzeit dauert im Schnitt eine Stunde und zehn Minuten. Vorausgesetzt wir täten das, dann müßte ich die Zeit, weil ich auf dieselben Flugstunden kommen muß, in den Abendstunden anhängen. Ich garantiere Ihnen: Die Zahl der Proteste würde noch mehr zunehmen, wenn dann statt bis fünf Uhr nachmittags bis sieben oder gar acht Uhr geflogen werden müßte, also während die Leute nach Feierabend zu Hause wären.Im übrigen gibt es dann noch ein Flugsicherungsproblem. In den Abendstunden ist der private Flugverkehr, der Sportflugverkehr sehr viel stärker, ob nun Motorflugzeuge, ob Segelflugzeuge. Damit würde die Zusammenstoßgefahr wachsen.Das ist der Grund, warum wir uns nicht entschließen können, die Mittagspause wie vorgeschlagen einzuführen.Nun eine letzte Bemerkung zu unseren Piloten: Hier fallen sehr oft Ausdrücke — Gott sei Dank nicht in dieser Debatte, da haben sich zwar die GRÜNEN bis zum Terrorismus verstiegen, aber Terrorismus — —
— Mag sein, daß Sie davon etwas mehr verstehen.Ich sage jedenfalls: Diese Piloten sind keine Rowdies. Die Piloten der Luftwaffe und die Piloten unserer Alliierten riskieren bei ihrem täglichen Flugbetrieb schon im Frieden häufig genug Gesundheit und manchmal ihr Leben.
Die fliegerische Disziplin ist hoch. Das hat sich durch die Erkenntnisse aus dem Einsatz dieser Skyguard-Geräte eindeutig bestätigt.Zunächst einmal: Eine der zahllosen Unwahrheiten, die Sie heute wieder verbreitet haben, ist die, daß wir den Einsatz der Skyguard-Geräte vorher anzeigen würden. Das Gegenteil ist der Fall. Das geschieht schon gar nicht in den Zeitungen. Im übrigen zeigt die Tatsache, daß wir einige Übertretungen feststellen, daß das gar nicht der Fall sein kann. Seit Kauf — nehmen Sie wenigstens die Zahlen zur Kenntnis, vielleicht sind Sie doch für einige Fakten zugänglich — dieser Radarsysteme, den wir genau deshalb vorgenommen haben — das haben wir mit Zustimmung des Haushaltsausschusses, des Verteidigungsausschusses gemacht —, weil wir solche Schreiben nicht mehr herausgeben wollen, wo es heißt: „Ihr müßt uns bedauerlicherweise sagen, wie das Flugzeug ausgesehen hat und was für ein Kennzeichen es hat, damit wir überhaupt feststellen können, wer das gewesen sein kann", können wir eindeutig festhalten: was war das für eine Maschine, welche Höhe, welche Geschwindigkeit usw.
— Ich kann nicht ausschließen, daß solche Schreiben auch einmal rausgegangen sind. Jedenfalls soweit ich sie unterschreibe, soweit sie inzwischen von der Fluginformationszentrale herausgegeben werden, wird so etwas nicht mehr geschrieben, weil es in der Tat überhaupt nicht realisierbar wäre, eine Zumutung für die Betroffenen wäre. Es gibt überhaupt keinen Fall. Sie werden kein Schreiben finden können, das meine Unterschrift trägt, in dem so etwas gesagt wird, sondern wir gehen mit sehr viel Verständnis auf das ein, was uns die Bürger schreiben.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 156. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. September 1985 11717
Bundesminister Dr. WörnerSeit April 1985 sind die im Einsatz. Wir haben inzwischen 2 285 Flüge des Routinetiefflugbetriebs erfaßt. Und nun haben wir rund 1 % an definitiven Unterschreitungen der Mindestflughöhe festgestellt; nur, sage ich, 1 %, obwohl mir diese 1 % immer noch zu hoch sind.Gleichwohl, in Anbetracht der Vielzahl an fliegenden Besatzungen unterschiedlicher Herkunft, unterschiedlichen Ausbildungsstands ist das ein geringer Prozentsatz. Ich kann Ihnen sagen: Wenn Sie einmal da dringesessen haben, sieht das aus der Sicht des Piloten so einfach, wie das nach außen erscheint, in jedem Fall die Mindestflughöhe sauber einzuhalten, im allgemeinen nicht aus.Wir sind in der deutschen Luftwaffe sehr scharf vorgegangen. Der Inspekteur der Luftwaffe hat unnachsichtig geahndet. Das ging bis zu Degradierungen. Wir wissen inzwischen auch von unseren Alliierten — ich weiß von einem Fall in jüngster Zeit —, daß Flugzeugführer nicht nur hart bestraft, sondern sofort in ihr Heimatland zurückversetzt werden. Das heißt, Sie können davon ausgehen, daß das, was wir an Überwachungsmaßnahmen durchführen, mit der Zeit seine Wirkung zeitigen wird.Ein abschließendes Wort zu Ihren drei Anträgen. Die Ostumgehung Hamburg — das haben Kollege Francke, Kollege Ronneburger und Kollege Klejdzinski schon gesagt — ist längst erledigt. Da hätten Sie gar nicht auf die Barrikaden zu gehen brauchen.
— Nicht wegen Ihres Antrags; damit das klar ist. Bevor Sie aufgewacht sind, waren schon andere Kollegen tätig.
Was Labrador und Goose Bay angeht, kann ich nur sagen: Damit zeigen Sie, daß es Ihnen überhaupt nicht um den Fluglärm geht.
Ich selbst habe dort schon geflogen. Wenn in einem Gebiet, das eineinhalbmal so groß ist wie die Bundesrepublik Deutschland, in dem 36 000 Menschen leben — —
— Natürlich ist das etwas. Bloß vielleicht leuchtet es sogar Ihnen ein, daß ich, wenn ich fünf besiedelte Orte in einem Gebiet, das eineinhalbmal so groß wie die Bundesrepublik Deutschland ist, habe, diese Orte leicht aussparen kann. Wenn wir die gleichen Verhältnisse in der Bundesrepublik Deutschland hätten, gäbe es das Problem des Fluglärms nicht. Um die fünf Ansiedlungen wird herumgeflogen. Nehmen Sie das doch endlich zur Kenntnis!
Wenn Sie nicht so stur wären, würden Sie irgendwann einmal nach Goose Bay gehen. Ich lade Sie ein, sich einmal in eines der Flugzeuge zu hocken. Dann werden Sie wie ich den ganzen Flug entlangnicht einen einzigen Menschen unten sehen. Ich wollte, wir hätten diesen Zustand anderswo. Deswegen werden wir diese Chance Goose Bay auch weiterhin nützen, meine Damen und Herren.
Ihnen geht es schlichtweg um die Diskreditierung unserer Verteidigung.
— Sie sagen es: Die ganze Richtung paßt Ihnen nicht. Im Unterschied zu Ihnen paßt uns aber die Verteidigung unserer Freiheit. Und deswegen sind wir auch bereit, dafür das Opfer zu bringen, das erforderlich ist.
Ich sage hier: Ich selbst als der Bundesminister der Verteidigung, meine Mitarbeiter und alle Kollegen bleiben aufgefordert, ständig darüber nachzudenken. Wir werden noch mehr helfen, wenn irgendeine Möglichkeit besteht. Sie dürfen sich da ganz sicher wissen: Sie haben auch die Piloten der Luftwaffe und die Luftwaffe und meine Mitarbeiter auf Ihrer Seite. Wir nehmen die Sorgen der Bevölkerung ernst. Aber wir wissen, daß ohne Verteidigung auf die Dauer weder Sicherheit noch Freiheit zu haben sind.
Die Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages sagt, wenn ein Mitglied der Bundesregierung länger als 20 Minuten gesprochen hat — Herr Minister —, hat eine Fraktion, die die Absicht hat, eine unterschiedliche Meinung dazu auszuführen, das Recht, sich zu melden und eine gleichlange Redezeit zu beanspruchen. Ich frage, ob ein Abgeordneter die Absicht hat, diese Debatte noch durch einen weiteren Beitrag zu verlängern. — Bitte schön, Herr Senfft, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Minister, der Unterschied zwischen Ihrer Argumentation und unserer in der ganzen Diskussion liegt einfach darin — darüber gibt es auch keine Diskussionsmöglichkeit —, daß Sie behaupten, die Tiefflüge seien für unsere Sicherheit nun einmal unabdingbar notwendig. Solange Sie in dieser Argumentation, in dieser Logik verfangen sind, gibt es für Sie natürlich überhaupt keine Möglichkeit, im Interesse der Bürger an der Tiefflugproblematik etwas zu ändern. Gerade hier sagen wir: Wir sind völlig anderer Meinung. Wir sind der Meinung, Tiefstflüge und Tiefflüge sind überhaupt nicht, noch nicht einmal nach Ihrer militärischen Logik, notwendig und können deshalb abgeschafft werden.
Ich möchte abschließend nur einmal die Frage stellen, die unbeantwortet geblieben ist: Wozu müssen Sie Radar unterfliegen? Steht denn das gegne-
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11718 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 156. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. September 1985
Senfftrische, das sowjetische Radar in der Bundesrepublik? — So weit sind wir doch wohl noch nicht! Wozu also brauchen wir diese Tiefstflüge? Sie sind völlig überflüssig, wenn es nach Ihrer Logik nur um die Verteidigung der Bundesrepublik geht.
Deshalb drängt sich immer wieder die Vermutung auf,
daß gerade das geübt wird, was wir hier mehrfach behauptet haben — eine schlüssige Gegenbegründung habe ich auch heute nicht gehört; die bleibt aus —: das Eindringen, das Unterfliegen des gegnerischen Radars und sozusagen der Angriff in das Gegenland. Das ist hier doch nun einmal der Fall.
Hier sind wir der Meinung: Das ist zutiefst überflüssig. Weil das zutiefst überflüssig ist, sind auch die Tiefflüge überflüssig, egal, ob es unter 75 m oder unter 150 m ist.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Ronneburger?
Ja.
Bitte schön, Herr Ronneburger.
Herr Kollege Senfft, ist es für Sie keine Widerlegung Ihrer Behauptungen von den vermeintlichen Absichten der Bundeswehr, der NATO und der Bundesrepublik Deutschland, wenn diese NATO ausdrücklich erklärt hat,
keine ihrer Waffen wird je eingesetzt werden, es sei denn zur Abwehr eines Angriffs?
Wenn wir uns gegenseitig nicht mehr glauben wollen, Herr Kollege, warum reden wir dann eigentlich noch miteinander?
Herr Ronneburger, was in der Öffentlichkeit quasi per Presseerklärung, Kommuniqué oder sonstwie der Bevölkerung erklärt wird, das interessiert uns weniger. Was uns mehr interessiert, sind die Dokumente wie etwa Air/Land Battle, wo genau das drinsteht, was wir immer behaupten.
Ich kann an dieser Stelle nicht auf die einzelnen Argumente des Verteidigungsministers eingehen, weil das grundsätzlich nicht unsere Logik ist. Es ist einfach nicht unsere Logik, wenn man davon ausgeht, daß die Tiefstflüge notwendig sind, wie es die Bundesregierung tut. Wenn sie davon ausgeht, daß das notwendig ist, dann kommt sie aus ihrer inneren Logik nicht heraus. Das ist die Grundstreitfrage, die zwischen Ihnen und uns besteht. Wir sind nun einmal der Meinung — wir würden uns wirklich freuen, wenn darauf einmal eine Antwort käme —, die Tiefstflüge sind überflüssig. Ich habe es in meinem Beitrag sarkastisch ausgedrückt: Wir sind nicht der Auffassung, daß, wenn die Tiefstflüge eingestellt werden, uns dann der Angriff der Roten Armee droht. Das ist der eigentliche Kernpunkt der Frage, um die es geht.
Ich möchte nicht die Redezeit voll ausschöpfen, sondern zum Schluß kommen.
Wir sind der Meinung: Die Tiefstflüge sind überflüssig. Sie sind noch nicht einmal in der Logik Ihres militärischen Denkens notwendig.
Sie dienen insofern noch nicht einmal aus Ihrer Logik heraus der Verteidigungsbereitschaft.
Deshalb ist es besonders schlimm, daß nach wie vor — so haben wir es heute gehört — die Bundesregierung daran festhält und daß die Bürger nach wie vor — ich weiche von diesem Ausdruck nicht ab — unter diesem Flugterror zu leiden haben werden, vollkommen überflüssigerweise.
Ich möchte gern eine abschließende Bemerkung machen, meine Damen und Herren. Unser Versuch, kürzere Redezeiten für uns zu vereinbaren, soll in dieser Woche praktiziert werden. Die Kollegen haben sich daran gehalten. An die Regierung können wir nur Bitten richten; denn die Geschäftsordnung gibt der Regierung natürlich die Möglichkeit, frei und länger zu sprechen. Aber 100% zu überziehen, Herr Minister, erlaubt mir, Ihnen zu sagen: Wir würden uns freuen, wenn sich auch die Mitglieder der Regierung an unserem Versuch, kürzere Redezeiten durchzuhalten, beteiligen würden.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen zu dieser Debatte nicht vor. Ich schließe die Aussprache. Zu den Punkten 5 a und 5 b der Tagesordnung schlägt der Ältestenrat die Überweisung der Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vor. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? — Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 156. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. September 1985 11719
Vizepräsident WestphalWir kommen zur Abstimmung über den Punkt 5c der Tagesordnung, und zwar über die Beschlußempfehlung des Verteidigungsausschusses zu dem Antrag der Fraktion der GRÜNEN auf Drucksache 10/ 3087. Der Ausschuß empfiehlt die Ablehnung des Antrags. Wer dieser ablehnenden Beschlußempfehlung auf Drucksache 10/3087 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Dann ist die Beschlußempfehlung des Ausschusses mit großer Mehrheit angenommen.Ich rufe Punkt 6 der Tagesordnung auf:a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 12. Juni 1985 und dem Beschluß vom 11. Juni 1985 über den Beitritt des Königreichs Spanien und der Portugiesischen Republik zur Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, zur Europäischen Atomgemeinschaft und zur Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl— Drucksache 10/3790 —Überweisungsvorschlag:Auswärtiger Ausschuß
Ausschuß für WirtschaftAusschuß für Arbeit und SozialordnungAusschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GOb) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Beschluß des Rates der Europäischen Gemeinschaften vom 7. Mai 1985 über das System der eigenen Mittel der Gemeinschaften— Drucksache 10/3791 —Überweisungsvorschlag:Haushaltsausschuß FinanzausschußMeine Damen und Herren, im Ältestenrat sind eine gemeinsame Beratung der unter a) und b) aufgeführten Vorlagen und ein Beitrag bis zu zehn Minuten für jede Fraktion vereinbart worden. — Ich sehe und höre keinen Widerspruch; dann ist das so beschlossen.Wird das Wort zur Begründung gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Schwörer.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Nach langen Verhandlungen ist am 12. Juni 1985 der Beitritt von Portugal und Spanien zu den Europäischen Gemeinschaften unterzeichnet worden, und damit ist die Süderweiterung der Gemeinschaft zustande gekommen. Politisch, wirtschaftlich und kulturell sind Portugal und Spanien bereits heute mit den Ländern der Gemeinschaft verbunden; der volle Beitritt ist deshalb eine nötige Konsequenz.Die Mitgliedschaft Portugals und Spaniens bedeutet nicht nur eine Vergrößerung der Bevölkerungszahl um 50 Millionen auf nunmehr 320 Millionen Menschen, auch nicht nur eine Verbesserung der wirtschaftlichen Perspektiven in einem großen Produktions-, Investitions- und Absatzmarkt; diese Erweiterung hat vor allem eine politische Dimension, nämlich die Fortführung der politischen Einigung der Demokratien Europas.Vor allem aus diesem Grunde hat die Bundesregierung, besonders Bundeskanzler Helmut Kohl, den Beitrittsprozeß von Anfang an unterstützt. Besonders seinen Bemühungen bei Frankreichs Staatspräsident Mitterrand gebührt höchstes Lob. Der Kanzler handelte, denn Portugal und Spanien gehören zu Europa, weil sie einen wesentlichen Teil der europäischen Kultur verkörpern. Sie gehören zu Europa, weil das atlantische Bündnis einen starken europäischen Eckpfeiler braucht, wenn Europas Gewicht in Fragen des Friedens, der Sicherheit und der Abrüstung zunehmen soll. Sie gehören zu Europa, weil das Europa der Zwölf in der Welt ein stärkeres Gewicht haben wird als das der Zehn, vor allem dadurch, daß Portugal und Spanien für Europa ein wichtiges Verbindungsglied zum südamerikanischen Kontinent sein werden. Das Dreieck Europa/USA/Lateinamerika wird ein wesentlicher Faktor der Stabilität und des Friedens in der Welt sein können. Sie gehören schließlich zu Europa, weil ein vereinigtes Europa auch eine Voraussetzung für die Lösung der Deutschlandfrage im Rahmen einer gesamteuropäischen Friedensordnung darstellt.Hier und da hörte man von dem „Schock des Beitritts". Zweifellos bringt der EG-Beitritt Portugals und Spaniens für die Gemeinschaft Probleme, aber er bringt auch neue Chancen. Spanien und im besonderen Portugal haben einen großen wirtschaftlichen und sozialpolitischen Nachholbedarf. Das ProKopf-Einkommen der Beitrittsländer liegt bei Portugal bei einem Viertel und bei Spanien bei der Hälfte des EG-Durchschnitts. Die Inflationsraten belasten beide Volkswirtschaften, Portugal z. B. mit fast 30 %, Spanien mit über 11 % gegenüber einem EG-Durchschnitt von 5,1 %. Eine hohe Arbeitslosenquote mit wachsender Tendenz lastet auf beiden Ländern: 28,9 % in Portugal und 19,6 % in Spanien gegenüber 11 % im Gemeinschaftsdurchschnitt. Die Beitrittsländer haben noch einen hohen Anteil der Beschäftigten in der Landwirtschaft; in Portugal sind es noch fast 30 %, in Spanien 18 %.Angesichts dieser Voraussetzungen ist Euphorie zweifellos nicht angebracht. Anpassungsprobleme werden nicht ausbleiben. Aber durch lange Übergangsfristen wird der Anpassungsdruck gemildert. Die Übergangsregelungen von etwa sieben Jahren im gewerblichen Bereich und von zehn Jahren im Agrarbereich werden diese Anpassung erleichtern. Vor allem bei sensiblen Agrarprodukten wie Obst, Gemüse, Wein und Olivenöl ist eine zehnjährige Übergangszeit geeignet, die Anreize zur Produktionssteigerung in beiden Ländern zu begrenzen und den Erzeugern in der Alt-EG eine Atempause zu geben. Den Vorteilen, die die Länder auf der iberischen Halbinsel im Agrarbereich erwarten, stehen Schwierigkeiten im industriellen und gewerblichen
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11720 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 156. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. September 1985
Dr. SchwörerBereich gegenüber. Ein nennenswerter Anstieg der iberischen Exporte in die EG ist für Produkte wie Textilien, Schuhe, Kraftfahrzeuge oder Stahl nicht zu erwarten, und zwar deshalb, weil die Gemeinschaft die Eintrittsbarrieren bereits schon früher sehr weitgehend abgesenkt hatte.Auf der anderen Seite steht vor allem den Spaniern ein rascher Abbau ihrer relativ hohen Außenzölle bevor, die bis 1989 schon mehr als halbiert sein müssen. Das wird der spanischen Wirtschaft große Schwierigkeiten machen, aber wir sind sicher, daß diese Veränderungen auch die Chance zur nötigen Umstrukturierung und Modernisierung der Volkswirtschaften bieten werden. Dazu sind die Aussichten gar nicht ungünstig. Vor allem in Spanien sind sie besonders günstig, und ich bin überzeugt, daß die Europäische Gemeinschaft diesen Ländern bei der Umstrukturierung nach Kräften helfen wird.Für die deutsche Wirtschaft entstehen durch den Beitritt Spaniens neue Möglichkeiten. Hier werden die Zölle, die bis jetzt noch bis zu 30 % betragen, rasch abgebaut, und deshalb werden neue Möglichkeiten des Absatzes besonders von Investitionsgütern in diesen Ländern für die deutsche Wirtschaft geschaffen. Das werden wir in den nächsten Jahren — vor allem unsere exportorientierte Wirtschaft — gut gebrauchen können.Nun muß ich aber noch etwas sagen zu dem finanziellen Aspekt dieses Beitritts. Wir werden in der zweiten Drucksache, die heute vorliegt, mit der Erhöhung der Eigenmittel, die von 1 % auf 1,4 % steigen, konfrontiert, um die Kosten der Erweiterung zu bestreiten. Ich bin der Meinung, daß sichergestellt sein muß, daß die Mittel der Gemeinschaft wohlüberlegt und in einem vernünftigen Rahmen eingesetzt werden. Der Bundesfinanzminister hat in seiner Haushaltsrede am 4. September 1985 ausgeführt — ich zitiere —:Die EG-Kommission hat jetzt den Vorentwurf für den EG-Haushalt 1986 mit einer Steigerungsrate von 23% vorgelegt. Dieser hohe Anstieg hat natürlich auch etwas mit dem Beitritt Spaniens und Portugals zu tun. Aber 23 % Zuwachs können wohl nicht das Ergebnis ... sein. 2 % auf der nationalen Ebene und 23% in der EG, das paßt nicht zusammen, lassen Sie mich das in aller Deutlichkeit ... sagen.Dem stimme ich voll und ganz zu. Die Eindämmung der Expansion des EG-Haushalts ist mit Rücksicht auf die Bundesfinanzen erforderlich, weil die Abführungen der Mehrwertsteuereigenmittel voll zu Lasten des Anteils des Bundes an der Mehrwertsteuer gehen.Diese kritischen Bemerkungen stellen selbstverständlich keine Kritik an dem Beitritt dar. Wir wissen, daß die Erweiterung nicht zum Nulltarif zu haben ist. Die Frage muß aber erlaubt sein, ob dafür zweistellige Zuwachsraten des EG-Haushalts gerechtfertigt sind.Wir begrüßen die Erweiterung der EG. Wir haben aber auch großes Interesse an der Stärkung und dem inneren Ausbau der Gemeinschaft. Deshalb erscheint uns der Zeitpunkt besonders günstig, Fortschritte der EG auch in ihrer inneren Struktur anzumahnen.Erstens. Wir unterstützen die intensiven Bemühungen der Bundesregierung zur Vollendung des Binnenmarktes. Der Wirtschaftsraum von 320 Millionen Menschen kann nur voll genutzt werden, wenn alle Schranken für Personen, Waren und Kapital beseitigt werden.Zweitens. Die Schaffung einer europäischen Technologiegemeinschaft — dazu gehört auch Eureka — muß vorangetrieben werden.Drittens. Die institutionelle Reform der Gemeinschaft mit einer größeren Beteiligung des Europäischen Parlaments muß greifbare Fortschritte bringen.
Viertens. Die Daueraufgabe bleibt bestehen, daß eine verstärkte und stetige Koordinierung der Wirtschaftspolitik zustande kommt und weitergeführt wird, und zwar zur Herstellung von Preisstabilität, Wachstum und Vollbeschäftigung.Meine Damen und Herren, die Entwicklung der Gemeinschaft im zurückliegenden Jahr hat bewiesen, daß es für Europessimismus keinen Grund gibt. Trotz vieler Schwierigkeiten hat sich die EG als funktionsfähig und für Zukunftsaufgaben aufgeschlossen gezeigt. Die Gemeinschaft hat mit der Süderweiterung eine neue Dimension erhalten. Die Union wird alles daransetzen, daß der äußeren Erweiterung die innere Reform und der Ausbau des Binnenmarktes folgen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Brück.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Dezember 1983 sprach eine Delegation des Deutschen Bundestages in Lissabon mit Ministerpräsident Mario Soares. Die Verhandlungen über den Beitritt Spaniens und Portugals zur Europäischen Gemeinschaft kamen zu diesem Zeitpunkt nicht so recht voran. Mario Soares drängte zu Recht auf einen raschen Abschluß der Verhandlungen. Das veranlaßte einen Kollegen, den portugiesischen Ministerpräsidenten zu fragen: Warum will Portugal partout der Europäischen Gemeinschaft beitreten? Die Antwort des portugiesischen Ministerpräsidenten war einfach: Wir sind Europäer.Keine andere Formulierung könnte besser ausdrücken, warum Spanien und Portugal am 1. Januar des kommenden Jahres Mitglieder der Europäischen Gemeinschaft sein werden. Die EG wird wieder ein Stück europäischer werden. Aus den sechs Gründerstaaten von einst sind jetzt doppelt so viele geworden. Natürlich stehen noch viele Staaten Europas außerhalb der Europäischen Gemeinschaft. Für sie muß die Gemeinschaft immer offen bleiben.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 156. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. September 1985 11721
BrückDas muß auch an dem Tag deutlich gemacht werden, da der Deutsche Bundestag in erster Lesung das Ratifikationsgesetz — ich nenne jetzt einmal die Formulierung dieses Gesetzentwurfes — zu dem Vertrag über den Beitritt des Königreichs Spanien und der Portugiesischen Republik zur Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, zur Europäischen Atomgemeinschaft und zur Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl zum erstenmal diskutiert. Lange hatten sich diese beiden Länder jenseits der Pyrenäen auf der iberischen Halbinsel von Europa abgewandt. Der Blick der beiden Länder richtete sich vor allem nach Übersee, wovon wir heute — dank der Tatsache, daß in vielen Ländern dieser Welt spanisch und portugiesisch gesprochen wird — durchaus profitieren können. Jetzt aber finden diese beiden Länder wieder Anschluß an jenes Europa, zu dem sie kulturell gehören und das sie in Kunst und Kultur weitgehend mitgeprägt haben.Wir Sozialdemokraten sind stolz darauf, daß die Verträge auf spanischer und portugiesischer Seite die Unterschriften unserer Freunde Felipe Gonzales und Mario Soares tragen.
Beide europäische Sozialisten fühlen sich mit Deutschland und mit der deutschen Sozialdemokratie eng verbunden. Wir Sozialdemokraten sind auch stolz darauf, daß es die demokratischen Sozialisten in den beiden Ländern waren, die den faschistischen Diktaturen den härtesten Widerstand entgegengesetzt haben.An dieser Stelle möchte ich allen spanischen Demokraten und allen portugiesischen Demokraten für den Widerstand gegen die Diktatur in ihren beiden Ländern über viele Jahrzehnte hinweg danken.
Nicht zuletzt dieser Dank ist es auch, der uns alle verpflichtet, den jungen Demokratien auf der iberischen Halbinsel den Weg in die Europäische Gemeinschaft zu ebnen. Das war kein leichter Weg und — Herr Kollege Schwörer, ich stimme Ihnen zu — es wird kein leichter Weg sein.Die Verhandlungen zwischen der EG und den beiden künftigen Mitgliedstaaten waren schwierig. Dabei waren es nicht nur die anderen Mittelmeeranrainer, also Frankreich, Italien und Griechenland, die Probleme im Beitritt der beiden Länder sahen. Auch die Bundesregierung hat sich während dieser Verhandlungen — das muß man heute auch sagen — nicht gerade immer mit Ruhm bekleckert.Wenn ich sage, daß der Weg auch in Zukunft nicht leicht sein wird, dann denke ich auch an das Wohlstandsgefälle in Europa. Es wird schwierige Anpassungsprozesse geben. Wir in Mittel- und Nordeuropa müssen darüber nachdenken, wie wir den Schwächeren im Süden unseres Kontinents besser helfen können.Die jetzige Umverteilung von Geld in der Europäischen Gemeinschaft über die Agarpolitik führt beispielsweise dazu, daß das doch reiche Dänemarkpro Kopf mehr aus der Gemeinschaftskasse erhält als beispielsweise Italien, und zwar einfach deshalb, weil in Europa die Umverteilung durch die Mägen der Kühe geht. Hast du viele Kühe, kriegst du mehr Geld aus Europas Kassen. Fachleute behaupten sogar, die Gefahr drohe, daß Portugal Nettozahler in der Gemeinschaft werden könnte.Dies darf nicht sein, auch wenn das innenpolitisch durchaus in das Schema der Bundesregierung paßt: Nimm den Armen, und gib den Reichen.
Das darf in Europa nicht so sein.Weil ich damit beim Geld angelangt bin, will ich auch noch einige wenige Worte zu dem Tagesordnungspunkt b) sagen, in dem es um die Anhebung des Mehrwertsteueranteils der Gemeinschaft von 1 % auf 1,4 % geht. Wir Sozialdemokraten haben immer wieder gesagt, daß wir einer Erhöhung dieser Mittel nur im Zusammenhang mit dem Beitritt Spaniens und Portugals zur Gemeinschaft zustimmen werden. Das gilt auch heute noch.Nur: Wir wissen inzwischen, daß die Gemeinschaft mit der Erhöhung nicht auskommen wird. Schon jetzt sind die zusätzlichen Mittel praktisch verausgabt. Die Haushaltslücken der Jahre 1984 und 1985 in der EG sind nur auf nicht vertragsgemäße Weise gedeckt worden, man könnte auch sagen: Sie sind illegal gedeckt worden.Dabei kann die Bundesregierung die Schuld für die ständig steigenden Ausgaben der Gemeinschaft nicht immer nur auf andere schieben. Ich nenne als Beispiel für unsere Schuld, die Schuld der Bundesrepublik und dieser Bundesregierung, die Agrarpreise und das deutsche Veto.Betrachtet man sich die mittelfristige Finanzplanung der Bundesregierung, dann denkt sie wohl an eine Erhöhung des Anteils von 1,4 % auf 1,6 %. Ich frage mich in diesem Zusammenhang, ob das, was wir bisher an Finanzierung der Gemeinschaft haben, ein gutes System ist. Wäre es nicht besser — darüber werden wir im Zusammenhang mit dem Entwurf eines Vertrages zur Gründung der Europäischen Union sprechen —, wenn die Gemeinschaft eine Verbrauchsteuer als ihre eigene Steuer hätte statt eines Anteils an einer nationalen Steuer? Sie müßte dann auch allein die Verantwortung übernehmen.Zur eventuellen Anhebung des Mehrwertsteueranteils kann ich schon jetzt für die sozialdemokratische Bundestagsfraktion sagen, daß wir eine Erhöhung der Eigenmittel der Gemeinschaft für nicht möglich halten, wenn nicht vorher erstens die notwendige Agrarreform durchgeführt wird, zweitens der Binnenmarkt — wie vorgesehen — vollendet wird, drittens der Ausbau des Europäischen Währungssystems vollendet wird und viertens die Fortentwicklung der Europäischen Gemeinschaft hin zu einer Europäischen Union mit vorzeigbaren Ergebnissen abgeschlossen ist.Die Erweiterung der Gemeinschaft auf jetzt zwölf Mitgliedstaaten mit 320 Millionen Menschen macht
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Brücksie zu einem Faktor in unserer Welt. Eine solche Gemeinschaft darf nicht handlungsunfähig sein.Deshalb stellt sich — jetzt, da wir zwölf Mitgliedstaaten haben — heute mehr als noch zuvor die Frage nach einer Verbesserung der Entscheidungsmechanismen in der Gemeinschaft und nach einer Demokratisierung dieser Entscheidungsmechanismen. Darauf werden wir alle zusammen in den kommenden Jahren achten müssen.Wir Sozialdemokraten werden beiden Gesetzentwürfen zustimmen.Schönen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat der Abgeordnete Schäfer .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Haltung der FDP-Bundestagsfraktion zu dieser Frage ist seit langem bekannt. Wir haben uns schon sehr lange für den Eintritt Portugals und Spaniens in die Europäische Gemeinschaft eingesetzt. Außenminister Genscher hat schon sehr früh — auch in der vergangenen Koalition — sehr harte Kämpfe — auch in der EG — mit Nachbarstaaten auszustehen gehabt, die am Anfang nicht so an diesem Beitritt interessiert gewesen sind, wie das die Bundesrepublik Deutschland von jeher war.Wir freuen uns auch, daß Einigkeit im Hause besteht, daß es zu dieser zentralen Frage eine gemeinsame Haltung der großen Fraktionen gibt. Ich glaube auch, daß man in Spanien und Portugal weiß, daß sich die Bundesrepublik Deutschland sehr lange eingesetzt hat und sich ihrer langen historischen Bindungen zu beiden Staaten bewußt gewesen ist.Der Beitritt Spaniens und Portugals — das haben die Kollegen Schwörer und Brück schon ausgeführt — wird einen wesentlichen Fortschritt für die EG als Ganzes bedeuten. Er wird die südeuropäische Komponente stärken. Aber ich glaube, neben all den Problemen, die sich in den beiden Reden, die wir gerade gehört haben, angedeutet haben, muß man immer wieder sehen, daß sich für die Portugiesen und Spanier mit Europa große Hoffnungen und Erwartungen — das hat Herr Brück ausgeführt — verbinden. Das Gefühl, von Europa ausgeschlossen gewesen zu sein, das natürlich in der langen Diktatur seine Ursachen hat, wird weichen, ebenso das Gefühl einer gewissen Isolation, wie sie historisch auf der iberischen Halbinsel immer bestanden hat.Wir dürfen nicht außer acht lassen, daß dieser Beitritt natürlich auch eine Reihe von Konsequenzen hat, auf die gerade schon hingewiesen wurde, und zwar sowohl für die Gemeinschaft wie auch für die beiden beitretenden Länder. Eine Folge ist die Erhöhung der Eigenmittel, über die wir j a heute schon gesprochen haben, wobei ich mir darüber im klaren bin, daß diese Erhöhung, Herr Kollege Brück, nicht das letzte Wort sein wird. Hierüber muß zu gegebener Zeit erneut gesprochen werden.Wir dürfen natürlich bei allem Verständnis für unsere Sparpolitik in Europa nicht allmählich in den Geruch geraten, daß wir es, die Deutschen, sind, die die Europäische Gemeinschaft sozusagen mit der Elle der Finanzpolitik allein messen. Hier müssen wir sehr vorsichtig sein. Eine solche Tendenz können Sie in der Presse bestimmter europäischer Länder verfolgen. Gerade der Anlaß dieses Beitritts sollte uns bewußt machen, daß es sich, wie unlängst in einem Zeitungskommentar zu lesen war, nicht nur um ein Mehr an Wein, Obst und Olivenöl oder um ein Mehr an Markt handelt, sondern auch um ein Mehr an Menschen, an Menschen mit Hoffnungen und Erwartungen.Gerade deshalb, weil wir den Beitritt mit großer Sympathie für diese Länder verfolgen, sollte unser Augenmerk heute aber auch auf der künftigen Entwicklung in diesen Ländern liegen. Portugal und Spanien werden sich an die Gemeinschaft anpassen müssen. Aber was heißt das konkret für die Verwaltung dieser Länder, für die Industrie der Länder, für die Menschen in diesen Ländern? Sie werden sich daran gewöhnen müssen, mit Tausenden von Verordnungen und Richtlinien der Gemeinschaft konfrontiert zu werden, sie werden mit einer eingespielten europäischen Maschinerie konfrontiert, die für viele nicht durchschaubar ist. Portugal und Spanien werden sich anpassen müssen.Aber vielleicht ist es mehr als ein Anpassungsprozeß, vielleicht ist es ein ziemlich abrupter Anpassungszwang; denn der Beitritt wird sich auf die Lebenshaltungskosten, auf die Preise, auf die wirtschaftliche Situation, auf die sozialen und auch auf die wirtschaftlichen Strukturen beider Länder auswirken. Portugal wird seine Nahrungsmittel nicht mehr vom Weltmarkt, sondern aus der EG importieren. Spanien wird ein neues Steuersystem einführen, eben das in der EG übliche Mehrwertsteuersystem. Es muß innerhalb von sieben Jahren die Zölle abbauen, und das heißt etwas in einem Land, das seine Wirtschaft bisher durch hohe Außenzölle geschützt hat. Es muß seine Stahlproduktion zurückfahren, und es muß seine Fischereiflotte verkleinern, wie Sie wissen, ein großes Problem während der Beitrittsverhandlungen.Bereits jetzt sprechen seriöse Beobachter durchaus vom Verlust von Arbeitsplätzen in Spanien, die auf Grund der bisherigen Anpassungsstrategie in den Bereichen Stahl und Werften zu verzeichnen sind. Allein die Einführung des Mehrwertsteuersystems wird in Spanien eine Inflationssteigerung von zwei bis drei Prozent nach sich ziehen. Die EG-Kommission geht von einem Rückgang des Bruttoinlandproduktes von 3% aus. Dies alles kann jedoch kein Anlaß zu Pessimismus sein — sollte aber auch an diesem Tag erwähnt und bedacht werden —; denn der europäische Alltag wird schnell einkehren, sowohl in der Gemeinschaft als auch in Portugal und Spanien.Der Beitritt zur Gemeinschaft enthält also Chancen und Risiken für beide Länder. Er macht uns in einem Gründerland der Europäischen Gemeinschaft bewußt, welche Ausstrahlung, welche Attrak-
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Schäfer
tivität dieses ehrgeizige Projekt einer wirtschaftlichen und politischen Einigung nach außen hat.Meine Damen und Herren, es ist von Herrn Brück und von Herrn Kollegen Schwörer angedeutet worden — das darf ich als Außenpolitiker noch vermerken —, daß der Beitritt beider Länder auch für unsere künftige Außenpolitik eine wichtige Rolle spielen wird; denn das Gewicht Europas wird stärker. Das Gewicht Europas wird stärker insbesondere in dem Versuch, in Lateinamerika zu Lösungen zu finden, wo es eine lange Tradition — nicht nur eine gute Tradition — Spaniens gibt,
aber auch, was das südliche Afrika betrifft, wo Portugal durchaus heute in der Lage ist, manches an Einblick und an Kenntnissen zu vermitteln, was aus einer sicher nicht sehr glücklichen Kolonialgeschichte kommt, aber heute doch eine große Rolle spielt, wenn man weiß, daß portugiesische Politiker in Ländern wie Angola und Mozambique heute wieder freundlichst empfangen werden und man auch auf ihre Mitwirkung bei der Lösung der schwierigen Probleme dort rechnet.Ich bin sehr froh, daß sich das Gewicht Europas außenpolitisch verstärkt, auch in Richtung — das muß ich hier ganz offen sagen — auf die Vereinigten Staaten, denn hier gibt es manchmal gewisse Interessenkonflikte, speziell, wenn ich an Lateinamerika denke.All das wird uns außenpolitisch stärken. Es wird uns noch manche wirtschaftlichen Nüsse zu knakken geben. Aber ich gehe davon aus, daß wir heute gemeinsam sehr froh sein können, daß es geschafft ist, daß beide Länder am 1. Januar nächsten Jahres Mitglieder der Europäischen Gemeinschaft sein werden.Wir freuen uns auf eine sehr enge und, wie ich hoffe, zukunftsträchtige Zusammenarbeit mit Spanien und Portugal, hoffen auf eine zügige Beratung beider Vorlagen, damit der Fahrplan für den Beitritt eingehalten werden kann.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Werner .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft im Jahre 1957 im Rahmen unseres Wirtschaftswunders entstand aus der Idee des gegenseitigen Nutzens. Die Bundesrepublik Deutschland als exportabhängiger Industriestaat war am Absatz der Industrieprodukte und entsprechendem Abbau aller Handelshemmnisse interessiert, während Frankreich Absatzmärkte für seine landwirtschaftliche Überschußproduktion suchte.Heute, zu einem Zeitpunkt, wo die Absatzmärkte der bisherigen EG-Mitglieder weitgehend erschöpft sind, geht die Suche nach Exportmöglichkeiten wortwörtlich weiter. Dazu aus der Drucksache 10/3790:Die Gemeinschaft wird mittel- und längerfristig aus dem Beitritt der beiden iberischen Staaten zunehmend wirtschaftlichen Nutzen ziehen. Die Ausdehnung des Gemeinschaftsmarktes auf eine erheblich höhere Zahl von Verbrauchern eröffnet den exportorientierten Industrien der derzeitigen EG-Länder neue Absatzmärkte .. .Aus der gleichen Drucksache:Die ... Agrarproduktion der Beitrittsländer läßt befürchten, daß die Überschußproduktion bei Wein, Olivenöl sowie Obst und Gemüse verschärft wird.Ich als Landwirt kenne diese Situation etwas, daß Industrieexporte gefördert werden und das auf dem Rücken der Landwirtschaft geschieht.Hauptinteresse der EG sind die nahezu weltweit uneingeschränkten Handelsmöglichkeiten der Industrie, der Aufbau eines wirtschaftlichen und politischen Machtfaktors, neuerdings auch über Agrarexporte. Der Beitritt von Spanien und Portugal mag geleitet worden sein von der Hoffnung auf wirtschaftliche und politische Stabilität und einen Anschluß an industrielle Entwicklungen.Die Schwierigkeiten und Probleme, die sich durch den EG-Beitritt ergeben, möchte ich am Beispiel der Landwirtschaft verdeutlichen, da sie das Hauptgebiet und damit auch die Hauptleidtragende der EG-Agrarpolitik ist und die größten Probleme bei den Beitrittsverhandlungen im Fischerei-, Agrar- und Sozialbereich aufgetreten sind.Die direkten existentiellen Probleme der deutschen Landwirtschaft konnten bisher noch sozial verträglich gemacht werden: früher durch die Möglichkeit, andere Arbeit zu finden, durch die Landabgabenrente und auch durch soziale Sicherungsmaßnahmen. Für die Landwirtschaft Spaniens und Portugals ist die Ausgangssituation für den Start in die EG jedoch weitaus schwieriger, als sie für die Deutschen war. Die wirtschaftliche Gesamtlage dieser beiden Länder ist von Arbeitslosigkeit und Inflation geprägt. Entsprechend ist die Möglichkeit, Bauern, die ihre Existenz verlieren, wirtschaftlich aufzufangen und Ersatzarbeitsplätze zu schaffen, auch bei Unterstützung durch Maßnahmen der EG sehr gering.Durch den Beitritt von Portugal und Spanien werden die landwirtschaftliche Nutzfläche, die Zahl der landwirtschaftlichen Erwerbsbevölkerung und die Zahl der Betriebe in der Gemeinschaft um rund 40 % steigen. Demgegenüber steigt die landwirtschaftliche Produktion nur um 15 %.Die Struktur der spanischen Landwirtschaft ist durch extreme Unterschiede auf regionaler und betrieblicher Ebene gekennzeichnet. Im Norden überwiegt der kleinbäuerliche Familienbetrieb mit niedrigem Produktivitätsniveau und hohem Anteil der Beschäftigung in der Landwirtschaft. Im Zentrum und im Süden herrscht der Großgrundbesitz mit zunehmend durchrationalisierten Monokulturen
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und entsprechend hoher Arbeitslosigkeit unter den Landarbeitern vor.Die extremen Unterschiede machen folgende Zahlen deutlich: 860 000 landwirtschaftliche Betriebe verfügen über weniger als ein Hektar — das ist ungefähr ein Drittel aller spanischen Betriebe mit nur 2,5 % der landwirtschaftlichen Fläche. Von den Betrieben, deren Grundbesitz größer ist als ein Hektar, liegen mehr als die Hälfte — 57 % — zwischen einem und fünf Hektar; das macht 8 % der landwirtschaftlichen Nutzfläche aus. Betriebe mit über 50 Hektar Land — das sind 4 % aller Betriebe, die über mehr als einen Hektar verfügen — besitzen dagegen 35 % der gesamten landwirtschaftlichen Nutzfläche.Die Jahresmilchleistung beträgt in Spanien 2 500 Liter; EG-Durchschnitt: 4 300 Liter.Was wird nun aus dieser Landwirtschaft nach dem Eintritt Spaniens in die EG? Dann müßten nach rein rechnerischen Vorstellungen von konkurrenzfähigen Strukturen der Betriebe doch alle Betriebe unter fünf Hektar, wenn es sich nicht gerade um Sonderkulturen handelt, aufgeben. Das sind dann aber mehr als eine Million Menschen, die keine Arbeit finden würden.Nun wird versucht, das relativ niedrige Ertragspotential durch ertragreiche Sorten, durch intensive Düngung usw. zu steigern. So werden die EG-Überschüsse weiter steigen. Gleichzeitig würden damit ökologische Probleme auch in die Gebiete kommen, die heute durch ein niedriges Ertragsniveau und kleine Betriebsflächen noch ökologisch intakt sind.Es wird sich für Spanien und Portugal verstärkt wie hier bei uns immer wieder die Frage stellen: Ist Strukturwandel, das Aufgeben von Betrieben zugunsten wachsender Betriebe eine Lösung der anstehenden Probleme, oder ist sie genau das Gegenteil, der falsche Weg?
Wir behaupten: Es ist der falsche Weg! Zwar könnte es unter bestimmten Bedingungen zweckmäßig sein, daß sich Betriebe zusammentun, aber nicht unter Aufgabe von Arbeitsplätzen. Gesamtgesellschaftlich darf Landwirtschaft nicht nur nach Maßstäben der Rentabilität und der Rationalisierung gesehen werden.
Das führt sonst zu Betrieben von zwei Millionen Legehennen in Käfighaltung, das führt zu Trinkwasser- und Gülleproblemen und führt zu Zerstörung von Natur und Artenvielfalt.
Wahrscheinlich ernte ich jetzt ein mitleidiges Lächeln bei vielen von Ihnen; aber ich glaube, daß die kleinen, arbeitsintensiven bäuerlichen Betriebe noch einmal gebraucht werden, um denjenigen Menschen zu helfen, die ohne Arbeit sind und auch keine wieder bekommen, weil Arbeit auch Befriedigung und Erfüllung sein kann — und das wohl besonders in der Landwirtschaft.
Allenthalben spricht man davon, daß eine Änderung in der europäischen Agrarpolitik kommen muß. Das Grünbuch der EG macht erste Vorschläge, um Überschüsse abzubauen. Die Bauern aber sehen darin wenig Gutes für sich. Sie vermissen weiterhin Perspektiven und sind verunsichert.Ich wünsche den portugiesischen und spanischen Bauern, daß ihnen ein Schrumpfungsprozeß durch die EG, wie ihn die Bauern in der Bundesrepublik hinter und vor sich haben, erspart bleiben möge.
Das Wort hat der Herr Staatsminister im Auswärtigen Amt, Herr Dr. Stavenhagen. Herr Dr. Stavenhagen, da das die erste Rede ist, die Sie in Ihrer neuen Eigenschaft hier halten, darf ich Ihnen die guten Wünsche des Hauses mit auf den Weg geben.
Vielen Dank.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bedanke mich bei den Kollegen für die positiven Äußerungen zum Beitritt von Spanien und Portugal und auch zu den damit verbundenen notwendigen finanziellen Maßnahmen. Herr Kollege Brück, der Dank würde noch intensiver ausfallen, wenn Sie nicht die Gelegenheit genutzt hätten, einige Seitenhiebe, und zwar unzutreffende Seitenhiebe, gegen die Bundesregierung auszuteilen nach dem Motto: Nimm den Armen, gib den Reichen.
Lieber Herr Brück, ich würde mit Ihnen gern sehr ausführlich darüber diskutieren, was mehr Verteilungsungerechtigkeit schafft: eine sparsame Haushaltsführung oder ausufernde Schuldenpolitik; darüber läßt sich reden.
Die Haltung der Bundesregierung zu den Agrarpreisen ist nun alles andere als die Ursache der Defizite in Brüssel. Damit sind auch nicht die Steigerungsraten im ersten Vorentwurf des EG-Haushalts 1986 zu erklären. Vielmehr ist es gerade durch die Maßnahmen der Bundesregierung in Verbindung mit anderen gelungen, hier überhaupt einen ersten Schritt zur Begrenzung von Defiziten zustande zu bringen. Deswegen gehen Ihre Vorwürfe hier in die Irre.
Der bevorstehende Beitritt von Spanien und Portugal zur Europäischen Gemeinschaft leitet ein neues Kapitel in der Geschichte der EG ein.
Herr Staatsminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Brück?
Herr Staatsminister, ist es nicht so, daß die Agrarpreise in der Tat über viele Jahre immer auf Wunsch der anderen Mitgliedstaaten erhöht worden sind und die Bundesregierung nur aus europäischer Gesinnung nachgegeben hat, daß dann aber endlich der Forderung von uns Deut-
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Brückschen, die Agrarpreise nicht mehr zu erhöhen, von den anderen Mitgliedstaaten und der Kommission nachgegeben worden ist und ausgerechnet die Bundesregierung ihr Veto eingelegt hat?
Herr Kollege, richtig ist, daß man natürlich nicht gleichzeitig das Ausufern der Mengen kontrollieren und bremsen und dabei noch bei den Preisen herunterfahren kann. Beides würde die deutsche Landwirtschaft in der Tat zu hart treffen. Deswegen hat man sich darauf geeinigt, die Mengen zu begrenzen und in diesem Fall bei den Preisen vorsichtig zu sein. Dies war die Position der Bundesregierung; das ist zutreffend, Herr Kollege.
Mit der Aufnahme der beiden iberischen Staaten wird, wenn sie Rechtskraft erlangt, die Süderweiterung abgeschlossen. Die Bundesregierung hat sich von Anfang an konsequent für diese Erweiterung der EG nach Süden eingesetzt und sie zu einem wichtigen Anliegen ihrer Europapolitik gemacht.Die Gründungsverträge von Rom und Paris geben den Mitgliedstaaten den Auftrag, die Gemeinschaft für alle demokratischen Staaten Europas offenzuhalten. Als daher in den 70er Jahren die Diktaturen in Spanien und Portugal überwunden wurden, war es uns Aufgabe und Verpflichtung, diesen Ländern auf ihrem Weg in die Gemeinschaft entgegenzukommen und ihnen in dieser Gemeinschaft einen freiheitlich-demokratischen Bezugspunkt für die Gestaltung ihrer politischen Zukunft zu eröffnen.Die Gemeinschaft erhält durch den Beitritt Spaniens und Portugals neue Impulse für ihre innere Entwicklung und die Gestaltung ihrer Außenbeziehungen. Die Entscheidung der beiden Beitrittsländer für Europa ist ein Zeichen für die ungebrochene Anziehungskraft der Gemeinschaft und der Idee eines immer engeren Zusammenschlusses der europäischen Völker.Die Zwölfergemeinschaft wird, wie schon erwähnt wurde, die größte Handelsmacht der Erde mit 320 Millionen Menschen. Sie bietet damit einen einzigartigen Freiraum für wirtschaftliche Entwicklung und Fortschritt. Hierin vor allem ist die wirtschaftliche Bedeutung der zweiten Süderweiterung zu sehen: Den bisherigen Mitgliedstaaten bietet sie neue Möglichkeiten wirtschaftlicher Ausdehnung, den Beitrittsländern gibt sie Zugang zum Gemeinschaftsmarkt und seinen Förderungsinstrumenten und damit neue Impulse zur Bewältigung wirtschaftlicher und sozialer Ungleichgewichte.Mit der jetzt beschlossenen Süderweiterung wird der Mittelmeerraum in das Zentrum des Interesses rücken. Neue Möglichkeiten kommen auf die Gemeinschaft zu, aber auch neue Verantwortung.Wir müssen uns natürlich darüber im klaren sein — auch dies ist angesprochen worden —, daß die volle Integration Spaniens und Portugals in die Gemeinschaft Zeit, Verständnis, Geduld und besondere Anstrengungen erfordert. Das bisher Erreichte darf durch die Erweiterung von zehn auf zwölf Mitglieder nicht gefährdet und in Frage gestellt werden. Im Gegenteil, die Gemeinschaft darf nicht nur numerisch erweitert werden, sie muß auch inhaltlich vertieft und stabilisiert werden. Die Beschlüsse des Europäischen Rates von Mailand zur Einsetzung einer Regierungskonferenz zur Herbeiführung konkreter Fortschritte auf dem Weg in die Europäische Union, die von der Bundesregierung maßgeblich mitinitiiert worden sind und über deren Umsetzung in konkrete Vorschläge in diesen Tagen beraten wird, weisen in die richtige Richtung. Die spanische und die portugiesische Regierung nehmen an dieser Konferenz teil.Die Erweiterung der Gemeinschaft um zwei weitere Mitglieder gibt es natürlich nicht umsonst. Die wirtschaftliche und soziale Stabilität, zu der die Gemeinschaft nun auch im Südwesten Europas beitragen wird, führt zu finanziellen Mehrbelastungen — auch darauf ist schon hingewiesen worden —, z. B. in der Agrarpolitik und bei den Maßnahmen zur Verbesserung der Wirtschafts- und Sozialstruktur. Die Höhe der Mehrbelastungen, die sich aus der Erweiterung im Rahmen der Regelung über die eigenen Einnahmen der Gemeinschaft ergeben, läßt sich nicht exakt abschätzen. Die Bundesregierung hat aber in den Beitrittsverhandlungen darauf gedrängt, die möglichen Kosten des Beitritts in vertretbaren Grenzen zu halten. So wurde beispielsweise für Wein die Preisstützung bei Überschüssen verringert; bei Olivenöl sollen Garantieschwellen angewendet werden, sobald Überschüsse drohen.Die Süderweiterung der Gemeinschaft ist aus unserer Sicht einer der Hauptgründe für den Beschluß des Rates vom 7. Mai dieses Jahres über das System der eigenen Mittel der Gemeinschaft, der dem Hohen Haus heute ebenfalls vorliegt. Im übrigen bewirkt die Fortentwicklung der Gemeinschaftspolitiken in Teilbereichen ebenfalls höhere finanzielle Belastungen. Mit diesem — ratifizierungsbedürftigen — Beschluß wird die Obergrenze für die an die Gemeinschaft abzuführenden Mehrwertsteuereigenmittel von 1 % auf 1,4 % der einheitlichen Bemessungsgrundlage erhöht. Ohne diese Erhöhung ließe sich die Erweiterung im Rahmen des Systems der eigenen Einnahmen der Gemeinschaft nicht finanzieren. Die Bundesregierung hat in den Verhandlungen in Brüssel andererseits aber durchgesetzt, daß es ohne Ratifizierung des Beitrittsvertrages durch alle Mitgliedstaaten keine Erhöhung der Obergrenze gibt.Der Ratsbeschluß vom 7. Mai regelt weiter die lange umstrittene Haushaltsentlastung für das Vereinigte Königreich um die um ein Drittel ermäßigte deutsche Beteiligung an den Kosten dieser Entlastung. Ich erinnere in diesem Zusammenhang an die Schlußfolgerungen des Europäischen Rates von Fontainebleau im Juni des vergangenen Jahres. Dort ist „beschlossen worden, daß jeder Mitgliedstaat, der gemessen an seinem relativen Wohlstand eine zu große Haushaltslast trägt, zu gegebener Zeit in den Genuß einer Korrekturmaßnahme gelangen kann".Der Beitritt Spaniens und Portugals zur Europäischen Gemeinschaft ist eine Herausforderung nicht
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Staatsminister Dr. Stavenhagennur in finanzieller Hinsicht. Es wird an der Gemeinschaft, ihren Institutionen und vor allem an dem politischen Willen der tragenden Kräfte in sämtlichen Mitgliedstaaten — den alten und den neuen — liegen, ob die Gemeinschaft ihre Süderweiterung nach innen und außen gestärkt meistern und zum Vorteil aller wird nutzen können. Die Bundesrepublik Deutschland ist in ihrem wohlverstandenen Eigeninteresse aufgerufen, ihren vollen Beitrag hierzu zu leisten.
In diesem Sinne bitte ich alle Fraktionen dieses Hauses, den Beitritt Spaniens und Portugals zur Europäischen Gemeinschaft und den Beschluß über das System der eigenen Mittel der Gemeinschaft zu befürworten und die Beratungen in den Ausschüssen so zügig wie möglich durchzuführen.Ich wäre dankbar, wenn das parlamentarische Zustimmungsverfahren in beiden Fällen bis zum Jahresende abgeschlossen werden könnte, damit Eigenmittelbeschluß und Beitrittsvertrag zum 1. Januar 1986 wie vorgesehen in Kraft treten können.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe deshalb die Aussprache.
Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Gesetzentwürfe auf den Drucksachen 10/3790 und 10/3791 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. — Gibt es dazu anderweitige Vorschläge, Herr Haehser? —
— Das ist offensichtlich nicht der Fall; denn das war kein anderer Vorschlag. — Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe Punkt 7 der Tagesordnung auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Frau Hönes, Dr. Müller , Schmidt (Hamburg-Neustadt) und der Fraktion DIE GRÜNEN
Einsetzung eines Untersuchungsausschusses
— Drucksache 10/3732 —
Im Ältestenrat ist für die Aussprache ein Beitrag von bis zu zehn Minuten für jede Fraktion vereinbart worden. — Kein Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Wird das Wort zur Begründung gewünscht? — Der Abgeordnete Mann wünscht das Wort zur Begründung. Bitte schön, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Bürgerinnen und Bürger! Ich möchte ganz kurz den Ihnen vorliegenden Antrag auf Drucksache 10/3732 auf Einsetzung eines Untersuchungsausschusses noch einmal begründen.
Wie Sie sich vielleicht erinnern werden, lag dem Hohen Hause im April 1983 ein Antrag unserer Fraktion zur Einsetzung eines Untersuchungsausschusses vor. Dieser Untersuchungsausschuß ist auch eingesetzt worden. Es handelt sich dabei um den 1. Untersuchungsausschuß, den sogenannten Flick-Untersuchungsausschuß. Leider wurde hinsichtlich des Untersuchungsthemas unserem damaligen Antrag nicht stattgegeben. Dieser Antrag entspricht im wesentlichen dem Ihnen heute vorliegenden Antrag. Wir bitten um Ihre Zustimmung, und zwar brauchen wir nach dem Grundgesetz die Zustimmung eines Viertels der Mitglieder des Bundestages zur Einsetzung eines Untersuchungsausschusses. Wir bitten Sie alle um Zustimmung zur Untersuchung insbesondere folgender Fragen — gestatten Sie, daß ich uns allen noch einmal in Erinnerung rufe, worum es geht —: Der Ausschuß soll klären, erstens ob und in welcher Weise und welchem Ausmaß Parteien Spenden in Form von Geldbeträgen oder geldwerte Leistungen über steuerlich privilegierte Organisationen erhalten haben, zweitens ob und in welcher Weise und welchem Ausmaß zur Verdeckung solcher Finanzierungen Geldbeträge auch in das Ausland transferiert und von dort der jeweils begünstigten Partei zur Verfügung gestellt worden sind, und wenn j a, welche Personen und Institutionen hieran beteiligt waren, und schließlich — ein sehr wesentlicher Punkt, auch in der Arbeit des 1. Untersuchungsausschusses — ob und in welcher Weise und welchem Ausmaß Spenden der genannten Art in die veröffentlichten Rechenschaftsberichte der Parteien aufgenommen worden sind und in welcher Form.
Mein Kollege Schily hat verschiedentlich den Versuch unternommen, diese sehr wesentlichen Fragen im Rahmen des 1. Untersuchungsausschusses zu klären. Leider haben die Vertreter aller anderen Fraktionen unserem Anliegen, außer dem Komplex Flick diese wichtigen Fragen der Parteienfinanzierung zu klären, nicht stattgegeben.
Wir stellen diesen Antrag, auch ausgelöst durch eine öffentliche Diskussion im Sommerloch, die bei einigen von uns jetzt vielleicht schon wieder in Vergessenheit geraten ist. Ich möchte — ich sehe die Frau Kollegin Adam-Schwaetzer im Augenblick nicht — daran erinnern, daß die Frau Kollegin Adam-Schwaetzer zunächst im Zusammenhang mit Veröffentlichungen im „Spiegel" über die Finanzierungspraxis bei der Friedrich-Ebert-Stiftung als FDP-Vertreterin die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses gefordert hat. Ich erinnere auch daran, daß von dieser Seite des Hauses im Sommerloch Äußerungen so interpretiert werden konnten, als gäbe es hier heute eine Mehrheit für unseren Antrag.
Ich bin darauf gespannt, wie nach dieser Debatte in namentlicher Abstimmung über unseren Antrag abgestimmt werden wird, und danke für Ihre Geduld.
Gehen Sie bitte nicht zu weit weg; denn Sie haben sich als erster zu Wort gemeldet.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 156. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. September 1985 11727
Vizepräsident WestphalIch eröffne die Aussprache. Sie haben das Wort, Herr Mann.
Vielen Dank, Herr Präsident.Nachdem ich Sie, verehrte Kolleginnen und Kollegen, mit der Begründung des Antrages in die konkrete Problematik einzuführen versucht habe,
möchte ich unseren Antrag in einen allgemeinpolitischen Zusammenhang stellen. Ich glaube, das ist ein sehr ernster Zusammenhang. Ich denke, man kann das Thema der heutigen Diskussion nennen „Geld und Politik"
oder auch „Korruption — die andere Seite der Macht".Ich möchte Sie bitten, mir vielleicht einmal zuzuhören. Ich erlaube mir, sozusagen zur Einführung aus der „Süddeutschen Zeitung" vom 10. September
aus der Rezension des jüngst erschienenen Buches des Münchener Politikwissenschaftlers Paul Noack „Korruption — die andere Seite der Macht" zu zitieren. Diese Rezension beginnt wie folgt:Korruption sei ein „Schimpfwort für die Herbstzeiten eines Volkes". Mit diesem Nietzsche-Zitat beginnt der Münchener Ordinarius für Politikwissenschaft Paul Noack seine durchaus aktuell gemeinten Untersuchungen zum Phänomen der politischen Korruption.Dann zitiert der Rezensent Oswald Spengler — ich zitiere —:Durch das Geld vernichtet die Demokratie sich selbst, nachdem das Geld den Geist vernichtet hat.Ich möchte — vor allen Dingen für diese Seite des Hauses — den Rezensenten weiter zitieren, und ich würde mich sehr freuen, wenn Sie mir zuhören würden, auch wenn Sie diesen Artikel nachlesen können.
Wenn Sie reden wollen, können Sie ja den Saal so lange verlassen.
Die harsche Kritik, die Noack hier an den etablierten Parteien und vor allem auch an amtierenden Politikern übt, gewinnt ihre Tiefendimension dadurch, daß der Autor sich keineswegs auf eine Detailanalyse der Flick-Affäre konzentriert. Er schildert diese vielmehr als konsequenten Schlußpunkt einer Geschichteder politischen Korruption in der Bundesrepublik, die mit verhältnismäßig harmlosen Beamtenbestechungen in der zweiten Hälfte der 50er Jahre begonnen habe ,— vielleicht erinnern sich die Älteren unter Ihnen —sich dann auf einzelne Parlamentarier konzentrierte und im dritten Stadium die großen gemeinnützigen Verbände erfaßt habe (Fall Vietor/Neue Heimat) und schließlich im großen Netzwerk der Flick-Affäre mit der Erfassung der politischen Parteien insgesamt kulminierte.So weit der Rezensent zu Noack, einem, wie ich finde, sehr ernst zu nehmenden Politikwissenschaftler.Ich will einmal meine Bewertung an den Anfang stellen. Ich halte die Situation unter bestimmten Voraussetzungen, über die wir heute gemeinsam diskutieren sollten, nicht für so ernst, wie Professor Noack das vielleicht tut. Ich meine sehr wohl, daß es Möglichkeiten zur Selbstreinigung, von denen so sehr oft die Rede war — ich glaube, Herr Geißler erwähnte das im November vorigen Jahres so schön —, gibt. Das setzt allerdings voraus, meine Damen und Herren, daß wir ein wenig aus unseren Fraktions- und Parteiperspektiven heraus auf unsere gemeinsame Verantwortung — Sie reden so oft von den staatstragenden Parteien — für unser Gemeinwesen schauen.
Wir sollten diese Ankündigung, wir seien bereit zur Selbstreinigung, nicht nur immer wieder erneuern, sondern wir sollten damit auch Ernst machen. Wenn wir das tatsächlich ernst meinen — Sie nikken so schön —, dann sage ich an dieser Stelle auch einmal etwas, was Sie uns vorwerfen: Wir Grünen haben es sozusagen als jüngste Partei in diesen Affären, die die Parteienfinanzierung angehen, natürlich sehr einfach. Sie erheben immer wieder den Vorwurf, wir würden aus Staatsmitteln finanziert. Bitte schön, diese Parteienfinanzierung ist nicht von uns beschlossen worden, und sie ist im Herbst 1983 auch nicht mit einer Mehrheit von uns geändert worden, sondern sie ist nach Kamingesprächen und anderen Absprachen von einer großen Koalition in diesem Hause beschlossen worden.
Wir haben hier etwas vorgefunden. Ich möchte in keiner Weise pharisäerhaft argumentieren. Sie können sicher sein: Je länger unsere Geschichte dauert, um so mehr werden Sie uns auch Fehler vorhalten können — um das einmal an dieser Stelle zu sagen.
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MannIch darf nach dieser an unsere eigene Adresse gerichteten Anmerkung in meinen Ausführungen fortfahren und um Ihr Gehör bitten.Es gibt — so sehe ich das im wesentlichen — zwei Wege, den Flick-Skandal und auch den Parteienfinanzierungsskandal zu bewältigen. Die eine Ebene ist die klassische Skandalebene. Ich habe die große Angst, daß es die Bevölkerung allmählich satt hat, mit immer wieder neuen Blicken von den Abgründen, in die Sümpfe dessen, was hier in Bonn passiert, Kenntnis zu nehmen. Ich fürchte sehr stark, daß hier eine Verdrossenheit über Parteien und Politiker entsteht, die mit den Realitäten der Mehrheit auch der Abgeordneten in diesem Hause nichts zu tun hat.Die zweite Ebene — das ist die Ebene, wo wir alle gefordert sind —, ist die strukturelle Ebene. Sind wir bereit, aus der Flick-Affäre, dieser deutschen Watergate-Affäre — wie ich sie spontan nennen möchte —, wirklich zu lernen? Sind Sie dazu bereit, Herr Bohl?
Das hätte konkrete Auswirkungen, z. B. bei der Regelung der Verhaltensrichtlinien. Das hätte konkrete Auswirkungen z. B. bei der Frage der Parteienfinanzierung. Ich nehme an, der Kollege Struck wird dazu noch Stellung nehmen. Durch die Klagen der GRÜNEN beim Bundesverfassungsgericht sowohl zu den Parteistiftungen als auch zur Parteienfinanzierung besteht für uns auch die politische Chance, dieses Problem noch einmal aufzugreifen. Ich halte — das ist meine Überzeugung — die jetzt beschlossene Parteienfinanzierung für nicht demokratisch. Ich halte es für verfassungsrechtlich verfehlt, die Parteien zu quasi gemeinnützigen Organisationen zu machen.
Ich halte es auch für verfehlt, darauf zu setzen, daß die bisherige Spendenpraxis wiederkommt, und die Parteien davon abhängig zu machen, daß die Spenden wieder fließen. Ich bin der Meinung, demokratische Parteien sollten von ihren Mitgliedern abhängig sein. Diese Mitglieder müssen die Chance der Mitbestimmung haben. Diese Mitglieder müssen durch ihre Mitgliedsbeiträge die Chance haben, auf das Parteileben Einfluß zu nehmen.Ich will Ihnen an dieser Stelle noch etwas zu den GRÜNEN sagen. Unser Rotationsprinzip z. B. hat den Hintergrund, daß wir Angst davor haben, daß grüne Politiker mit wirtschaftlichen Interessen derartig verflochten sind wie die meisten Spitzenpolitiker, die in diesem Hause sitzen. Die wenigsten sitzen heute hier, vor allem nicht die von der Regierungsbank.
Ich komme zum Schluß.
Ich möchte, bezogen auf einen sehr lesenswertenArtikel von Claus Offe in der „Zeit" vom 7. Dezember 1984 „Parteienstaat in der Krise? — Von der Suchtbildung der Parteien" den letzten Satz zitieren und darum bitten, ihn wirklich ernst zu nehmen:So könnte eine nicht bloß trügerische Katharsis der Flick- und Parteiaffäre darin bestehen, einer neuen rigorosen und konstruktiven Wertung politischer Regeln und Institutionen den Weg zu ebnen.Ich glaube, das ist der Punkt. Wir werden auch nicht durch neue Gesetze — ich habe das bereits im Juni hier gesagt — das Problem lösen, sondern es geht auch um den Stil, es geht um unsere Selbstachtung. Es geht darum, was wir ankündigen und was wir in die Tat umsetzen. Hier sind wir alle gefordert. Ich appelliere hier heute von dieser Stelle aus an Sie alle, unserem Antrag zuzustimmen.
Ein solcher Untersuchungsausschuß könnte Licht in immer noch viel Dunkel der Parteienfinanzierung bringen. Wir sollten uns auch nicht darauf hinausreden, Herr Baum, daß von unabhängigen Gerichten, von Staatsanwaltschaften Untersuchungen stattfinden. Das ist sehr gut so. Ich betone an dieser Stelle: Ohne eine unabhängige Justiz und ohne eine unabhängige Presse findet diese Selbstreinigung nicht statt. Aber wir als Parteien einschließlich der GRÜNEN sind aufgefordert, an den strukturellen Ursachen anzusetzen und nicht darauf zu setzen, daß ein Teppich ausgebreitet wird wie über so manchen Bonner Skandal in der Vergangenheit und vermutlich auch noch in der Zukunft.Vielen Dank.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Bohl.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Bereits im April 1983 hatte die Fraktion DIE GRÜNEN einen Antrag auf Einsetzung eines Untersuchungsausschusses gestellt, der in seiner Ziffer 7 fast wortgleich mit dem heutigen Antrag ist. Schon damals hatte der Deutsche Bundestag diesen Antrag abgelehnt, und auch diesmal werden wir uns mit guten Gründen diesem grünen Propaganda- und Schaubegehren entgegenstellen.
Meine Damen und Herren, an unserer Auffassung, daß wir keiner parlamentarischen Untersuchung des Parteispendenbereiches auf Bundesebene bedürfen, hat sich nichts geändert. Im Gegenteil, der Bericht der vom Bundespräsidenten eingesetzten Kommission über die Parteienfinanzierung ist hier im Bundestag und auch öffentlich diskutiert worden.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Ströbele?
Im Moment nicht.
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BohlWir haben das seit dem 1. Januar 1984 in Kraft befindliche Parteienfinanzierungsgesetz verabschiedet, das endlich die Parteienfinanzierung auf eine rechtlich unzweifelhafte und saubere Grundlage gestellt hat
und das die Finanzen der Parteien in angemessener Weise transparent macht. Es besteht also absolut kein Untersuchungsbedarf.Das sehen wohl letztlich auch die GRÜNEN so, die ja in den letzten zwei Jahren keinen Antrag auf Einsetzung eines Untersuchungsausschusses in Sachen Parteispenden gestellt haben.
— Ich will Ihnen einmal etwas sagen, Herr Ströbele: Es kommt hier im Bundestag nicht auf den Kehlkopf an.
Anlaß für den jetzigen Antrag ist vielmehr die neueste „Spiegel"-Veröffentlichung über die SPD-nahe Friedrich-Ebert-Stiftung.
Herr Abgeordneter, ich muß Sie noch einmal unterbrechen. Es besteht beim Abgeordneten Schily der Wunsch, eine Zwischenfrage zu stellen. Wollen Sie Zwischenfragen für die ganze Zeit ausschließen?
Nein, Herr Präsident. Ich möchte diesen Gedanken noch zwei, drei Minuten weiter ausführen und stehe dann für Zwischenfragen gern zur Verfügung.
Herr Schily, Sie können sich also nachher wieder melden.
Bekanntlich sollen der Friedrich-Ebert-Stiftung Mittel aus Industrie und Wirtschaft zugeflossen sein, die auf eigentümlichen Wegen dann der SPD-Parteikasse zugute kamen.
Wir meinen, daß dieser neue Verdacht gegen die SPD schon sehr schwerwiegend ist und auch der Aufklärung bedarf. Dennoch halten wir einen Untersuchungsausschuß zum jetzigen Zeitpunkt für nicht geboten.
Hier ist in erster Linie die SPD selbst gefordert. Wir, die CDU/CSU, gehen jedenfalls davon aus und erwarten, daß die Sozialdemokraten selbst die aufgeworfenen Fragen beantworten.
Erst in jüngster Zeit hat ja die SPD einmal mehr festgestellt, daß sie von Anfang an für eine rückhaltlose Aufklärung aller im Zusammenhang mit der Parteienfinanzierung erhobenen Vorwürfe eintritt. Gut so! Dann fangen Sie, meine Damen und Herren von der SPD, doch jetzt damit an!
Die gegen die Friedrich-Ebert-Stiftung erhobenen
Vorwürfe können von Ihnen selbst aufgeklärt werden; Sie können nicht auf Staatsanwaltschaft, Finanzämter, Bundesrechnungshof und andere verweisen, sondern müssen sich schon selbst um Aufklärung bemühen. Sie können auch nicht allein auf den toten Alfred Nau verweisen, der sein Wissen mit sich genommen habe. Ihre ehemaligen Schatzmeister Halstenberg und Wischnewski werden schon gewußt haben, warum sie immer gegen solche Untersuchungsausschüsse waren.
— Das ist ganz eindeutig! Ich kann Ihnen sogar die Unterlagen zeigen, nach denen sich der Herr Halstenberg ganz entschieden gegen einen solchen Untersuchungsausschuß ausgesprochen hat.
Ich hatte Herrn Schily eine Zwischenfrage versprochen. Bitte sehr.
Der Abgeordnete Schily hat also das Recht zu einer Zwischenfrage.
Herr Kollege Bohl, Sie werden ja mit mir zusammen das schöne deutsche Sprichwort „Hannemann, geh du voran" kennen. Würden Sie für die Fraktion der CDU/CSU erklären wollen, daß Sie, wenn Sie schon einen Untersuchungsausschuß ablehnen, endlich wenigstens bereit sind, die Anonymität bestimmter Spendenzahlungen an die CDU und die CSU zu lüften und uns insbesondere mitzuteilen, in welcher Millionenhöhe Sie Spenden aus Kreisen der deutschen Banken und der deutschen Versicherungswirtschaft erhalten haben? Meinen Sie nicht, zu einer Korrektur Ihrer Äußerungen Anlaß zu haben, wenn Sie auch an die „Spiegel"-Veröffentlichungen über die Zuwendungen aus Kreisen der deutschen Versicherungswirtschaft an Parlamentarier mit offensichtlich deutlichen Aufträgen denken?
Herr Kollege Schily, mit den Finanzen der GRÜNEN werde ich mich anschließend noch befassen. Ihre Unterstellung, die einmal mehr durch Ihre Frage hier zu Tage tritt, ist schlicht und einfach falsch. Wir, die CDU/CSU, haben die notwendigen Erklärungen öffentlich abgegeben. Der Bundeskanzler, der Parteivorsitzende der CSU und andere haben im parlamentarischen Untersuchungsausschuß die notwendigen Erklärungen abgegeben. Ich kann keine Veranlassung sehen, hier im Bundestag noch weitere Erklärungen dazu abzugeben.
Würden Sie noch eine weitere Zwischenfrage des Abgeordneten Schily gestatten?
Ja, bitte.
Herr Kollege Bohl, ist Ihnen bekannt, daß mehrere Spendenberichte der CDU Spenden in Größenordnungen von einigen 100 000 DM — wenn nicht in Millionenhöhe — . mit dem schlichten Vermerk „anonym" ausweisen, und in
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Schilywelchen Erklärungen des Herrn Bundeskanzlers bzw. des Vorsitzenden der CDU ist die Anonymität dieser Spenden aufgehoben worden? Ich wäre für einen Hinweis dankbar. Ich kenne diese Erklärungen nicht.
Herr Kollege Schily, die Erklärung des Bundeskanzlers als des Vorsitzenden der CDU, daß alle Parteien gegen die Publizierungspflicht zum Teil verstoßen haben, steht, und daran ist auch nicht zu rütteln. Das haben wir immer zugegeben, und das ist auch nicht zu leugnen.
Viel mehr würde mich mal interessieren, ob Sie tatsächlich den Strafantrag gegen Franz Josef Strauß gestellt haben und welchen Erfolg Sie hierbei gehabt haben. Das würde mich viel mehr interessieren.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich möchte zur SPD zurückkommen. Besonders interessant ist ja das Rücktrittsschreiben von Hans-Jürgen Wischnewski, der festgestellt hat, daß die Spendeneingänge bei der SPD dramatisch zurückgegangen seien.
Wir halten in diesem Zusammenhang fest, daß die SPD immer den Eindruck erweckt hat, sie habe in Sachen Spenden absolut korrekt gehandelt. Wenn das in früheren Jahren der Fall war, so ist es doch eigentlich überraschend, wenn die Spendeneinnahmen so drastisch zurückgegangen sind. Wenn früher alles so korrekt war, warum kommen dann eigentlich keine Spenden mehr?
Ich muß schon sagen: Ich finde es unerträglich, meine Damen und Herren von der SPD, wie Sie auf der einen Seite allen Versuchen der GRÜNEN und einem Großteil der Medien Vorschub leisten, jede Art von Parteispenden zu diskriminieren und zu diskreditieren. Sie versuchen sich als Saubermänner zu gerieren. Auf der anderen Seite unternehmen Sie aber keinen ernsthaften Versuch, vor der eigenen Tür zu kehren.
Kommen Sie in Sachen Parteispenden ins Schußfeld, dann lautet für Sie die Devise: Unwissenheit mimen, nur das absolut Unbestreitbare zugeben, abwiegeln, ansonsten bagatellisieren und schließlich den politischen Gegner konsequent diffamieren. Ich muß Ihnen sagen: Ich finde das beachtenswert, meine Damen und Herren von der SPD.
Ich erinnere Sie an Alfred Nau und an seine ominöse 7,6-Millionen-Spende. Ich erinnere Sie an die 2,8-Millionen-Flick-Gelder für die Friedrich-EbertStiftung. Ich erinnere Sie an die millionenschweren Spendenaktionen in der Industrie und in der Wirtschaft für die Wahlkämpfe von Helmut Schmidt. Ich erinnere Sie an das August-Bebel-Institut in Berlin. Das sind nur einige wenige Stichworte für Ihre erbärmliche Haltung, die Sie an den Tag legen.
— Herr Kollege Vogel, ich wäre Ihnen ausgesprochen dankbar, wenn Sie dazu beitragen könnten,
daß z. B. Ihr Bundesgeschäftsführer, Herr Glotz, endlich meine Briefe beantwortet, die ich ihm geschrieben habe, damit wir Aufklärung darüber bekommen, welche Rolle Ihr Bundesgeschäftsführer, Herr Glotz, im Zusammenhang mit dem AugustBebel-Institut gespielt hat.
Das wäre ausgesprochen interessant. Geben Sie mir bitte darauf einmal eine Antwort. Das ist Ihre typische Manier.
— Sie wissen, daß das August-Bebel-Institut nicht mehr gemeinnützig ist. Wollen Sie bestreiten, daß Herr Glotz Ihrem Parteikassierer in Berlin auf dessen Bitte um eine Spende für das August-BebelInstitut geantwortet hat: Jawohl, ich bin grundsätzlich bereit, diese Spende an die Partei zu zahlen?
Wollen Sie bestreiten, daß er gesagt hat: Ich bin der Überzeugung, daß die Partei solcher finanzieller Unterstützungen bedarf? Es muß Herr Glotz noch aufklären, ob die Zahlungen an das August-BebelInstitut nach seinem eigenen Selbstverständnis Zahlungen an die SPD sein können. Geben Sie darauf mal eine Antwort!
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage zuerst vom Abgeordneten Ströbele und dann vom Abgeordneten Lambinus?
Nein, ich habe nur noch eine Minute Redezeit, Herr Präsident; aber ich wende mich ohnehin den GRÜNEN zu.Ich muß Ihnen, meine Damen und Herren von den GRÜNEN, auch sagen: Sie haben gar keine Veranlassung, uns hier irgendwelche Vorwürfe zu machen.
70 % Ihres Etats bestreiten Sie heute noch mit staatlichen Zuwendungen, und Sie genieren sich auch nicht, in Ihren mit offensichtlich aus staatlichen Zuwendungen finanzierten regionalen Geschäftsstellen die Benutzung von Büroeinrichtungen, Telefonen und Kopiergeräten durch Sympathisanten der Rote-Armee-Fraktion zu dulden.
Wir haben keinen Anlaß, von Ihnen Belehrungen in Sachen Parteispenden entgegenzunehmen.
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BohlSie wollen ja letztlich nur die demokratischen Parteien in unserem Lande in Mißkredit bringen.
Diese Parteien haben einen beispielhaften Beitrag zum demokratischen Wiederaufbau unseres Landes geleistet.
Diese Ihre durchsichtige Absicht werden wir durchkreuzen.
Das Wort hat der Abgeordnete Struck.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Bohl, Ihr Beitrag, den Sie soeben geleistet haben, war kein Beitrag, der zur Verständigung über diese wichtige Frage, wie sich die Fraktionen dieses Hauses zur Einsetzung eines Untersuchungsausschusses verhalten sollen, geeignet gewesen wäre.
Ich sage Ihnen ganz deutlich, Herr Kollege Bohl: Es ist unredlich und heuchlerisch, wenn Sie hier vom August-Bebel-Institut sprechen, obwohl Sie genau wissen, daß die Staatsanwaltschaft nach einjähriger Ermittlung das Verfahren eingestellt hat, weil kein Verdacht auf eine strafbare Handlung vorhanden war.
Herr Kollege Bohl, in diesem Zusammenhang sage ich Ihnen noch etwas: Es ist außerordentlich unredlich, über den ehemaligen Schatzmeister der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands Alfred Nau hier Äußerungen abzugeben und Wertungen vorzunehmen, die dem Untersuchungsausschuß, dem Sie und ich angehören, vorbehalten bleiben müssen. Wir sind mit unserem Bericht noch nicht am Ende — das wissen Sie genauso gut wie ich —, und Sie nehmen hier ein Urteil vorweg, über das wir uns erst noch einmal verständigen sollten, Herr Kollege Bohl. Ich finde es unglaublich, daß Sie sich in diesem Zusammenhang immer auf Zeugen berufen, von denen Sie genau wissen, daß diese Zeugen nicht Ihre Zeugen sein können.
Die SPD-Bundestagsfraktion, für die ich hier spreche, wird den Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Einsetzung eines Untersuchungsausschusses ablehnen.
— Das sage ich jetzt. — Wir sind von Anfang an für die rückhaltlose Aufklärung aller im Zusammenhang mit der Parteienfinanzierung erhobenen Vorwürfe eingetreten, wir haben den Flick-Untersuchungsausschuß beantragt
und seine Arbeit nach Kräften gefördert. Wir haben auf dem Weg der Klage vor dem Bundesverfassungsgericht die Herausgabe der von der Bundesregierung zurückgehaltenen Steuerakten an den Untersuchungsausschuß zusammen mit Ihrer Fraktion durchgesetzt,
und wir haben, meine Damen und Herren, durch Anrufung der Strafgerichte die Herausgabe einschlägiger Strafakten an den Untersuchungsausschuß erreicht. In diesem Zusammenhang erlaube ich mit den Hinweis, daß morgen das Oberlandesgericht Köln über die Beschwerde der SPD-Fraktion entscheiden wird. Wir gehen davon aus, daß das OLG Köln unserer Beschwerde stattgeben wird und wir noch weitere Akten einsehen werden.
Das Wichtigste in diesem Zusammenhang ist: Die SPD-Bundestagsfraktion hat die Pläne des Bundeskanzlers und die Pläne der Koalitionsfraktionen, durch eine unzulässige Amnestie Straffreiheit für bestimmte Beteiligte zu erreichen, vereitelt.
Herr Kollege Mann, die Gründe, die meine Fraktion schon damals zur Ablehnung Ihres Antrages betreffend die Parteienfinanzierung geführt haben, gelten auch heute noch. Die SPD-Bundestagsfraktion hat überhaupt keine Veranlassung, an der Objektivität von Staatsanwaltschaften und Betriebsprüfern zu zweifeln,
und wir haben auch gar keine Veranlassung, daran zu zweifeln, daß dieses Vertrauen in Staatsanwälte und Betriebsprüfer gerechtfertigt ist; denn die Prozesse, die jetzt stattfinden und die noch stattfinden werden, zeigen, daß die Versuche, die von bestimmten Kreisen teilweise mit Hilfe des Präsidenten des Bundesfinanzhofes durchgeführt werden, hier zu blockieren, keinen Erfolg haben werden.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Schily?
Bitte sehr.
Bitte schön, Herr Schily.
Herr Kollege Struck, würden Sie mir zustimmen, daß die Prüfung, die Staatsanwälte und Prüfer des Bundesrechnungshofes vornehmen, unter ganz anderen Vorzeichen erfolgen als die Prüfung unter politischen Kriterien durch einen Untersuchungsausschuß des Deutschen Bundestages, und stimmt nicht mit dieser Auffassung überein, daß wir hier auch im Flick-Untersuchungsausschuß unter politischen Vorzeichen Fragen nachgegangen sind, die nicht unmittelbar mit den Spendenvorwürfen und den Bestechlichkeitsvorwürfen, die in Strafverfahren geklärt werden, zu tun haben, sondern daß da eine Prüfung der politischen Sauberkeit der Demokratie stattfinden muß und daß es
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Schilyzu den vornehmsten Aufgaben des Parlaments gehört, solchen Vorwürfen auch nachzugehen?
Herr Kollege Schily, ich stimme mit Ihnen darin überein — —
Herr Abgeordneter, ich muß Sie einen Moment unterbrechen. — Ich darf die Kollegen, die die Absicht haben, dieser Debatte nicht aufmerksam zu folgen, bitten, dieses draußen zu tun.
Herr Kollege Schily, ich stimme mit Ihnen darin überein, nur ziehe ich daraus nicht die Schlußfolgerung, die Sie gezogen haben. Ich bin vielmehr der Auffassung, daß es hier entscheidend darauf ankommt, zu überprüfen, was seit der Diskussion über die Einsetzung des ersten Untersuchungsausschusses an neuen Erkenntnissen hinzugekommen ist. Meine Damen und Herren, wenn Sie erlauben, möchte ich auf einen Punkt hinweisen, der uns von der SPD-Fraktion mit großer Sorge erfüllt.
Es gibt in der Fachwissenschaft, aber leider auch in juristischen Kreisen, die sich mit den Fragen der Parteienfinanzierung zu beschäftigen haben, offenbar eine gewisse Tendenz — das ist wohl auch an einem anderen Ort heute hier in Bonn, nämlich an einem gerichtlichen Ort, diskutiert worden —, eine Amnestie durch die Hintertür zu erreichen, und zwar mit Hilfe des Präsidenten des Bundesfinanzhofes. Wir verurteilen diese Versuche. Sie werden auf unseren Widerstand stoßen.
Der Bundesrechnungshof prüft auf Grund einer Klage der GRÜNEN zum Thema Finanzierung der Stiftungen das Finanzgebaren der Stiftungen, und wir haben gar keinen Anlaß, an der Objektivität des Bundesrechnungshofes zu zweifeln.
Meine Damen und Herren, es war die SPD, die dafür gesorgt hat, daß der Präsident des Bundesrechnungshofes von diesem Parlament gewählt wird, und wir wollen diesen Bundesrechnungshof auch so stark sehen, weil er objektiv prüft.
Zu Ihrem Antrag. Es ist außerordentlich bedauerlich — vielleicht hätten sachkundige Mitglieder der Fraktion DIE GRÜNEN an diesem Antrag mitwirken sollen, Herr Kollege Schily —, daß dieser Antrag Staatsbürgerliche Vereinigungen und Berufsverbände in einem Atemzug mit Stiftungen nennt. Das ist sehr bedauerlich.
Meine Damen und Herren, ich kann Ihnen — nun komme ich zurück auf den unsachlichen Beitrag des Kollegen Bohl — eine Reihe von sogenannten Geldwaschanlagen für die Union und für die FDP nennen, von denen wir in den nächsten Wochen und Monaten sicherlich auch vor Gericht noch hören werden. Ich nenne an der Spitze die Staatsbürgerliche Vereinigung Köln/Koblenz. Wenn hier von Vertretern der Union vom August-Bebel-Institut geredet wird, dann ist das geradezu lächerlich; denn der Redner, der vor mir gesprochen hat, müßte wissen — er weiß das auch, im übrigen aus der gleichen Quelle wie ich —, daß die Staatsbürgerliche Vereinigung von 1954 e. V., Köln/Koblenz, in allein elf Jahren — von 1969 bis 1980 — 214 Millionen DM an CDU und FDP verteilt hat. Das ist der Skandal, über den wir reden müssen.
Zu diesen sogenannten Geldwaschanlagen gehört aber auch eine Reihe anderer Vereine, Herr Kollege Bohl, die auch Ihrem Parteischatzmeister geläufig sein müßten: das Seminar für sozial- und staatspolitische Bildung und Arbeit der Christlichen Arbeiterschaft in Nordrhein-Westfalen, die Gesellschaft zur Förderung der freien Marktwirtschaft in Europa e. V., der Internationale Wirtschaftsclub e. V., die Gesellschaft zur Förderung der Wirtschaftspolitik e. V., Neuwied, und und und.
Besonders hebe ich den Verein zur Förderung der pfälzischen Wirtschaft mit Sitz in Mainz hervor. Jeder, der weiß, wer aus diesem Haus mal Ministerpräsident in Rheinland-Pfalz war, weiß auch, was ich damit meine. Ich hatte das Vergnügen, dem Bundeskanzler als Zeugen im Untersuchungsausschuß des Landtags Rheinland-Pfalz zuzuhören. Was Sie hier zur Ehrenrettung des Herrn Bundeskanzlers zu sagen versucht haben, Herr Kollege Bohl, widerspricht dem, was in der gesamten bundesdeutschen Öffentlichkeit über das Verhalten dieses Kanzlers im Zusammenhang mit Parteispenden zu sagen ist.
Herr Abgeordneter, ich muß Sie noch mal unterbrechen.
Ich bitte die Kollegen, nun Ihre Plätze einzunehmen und zuzuhören oder meinem vorhin gegebenen Rat zu folgen, draußen Ihre Gespräche weiterzuführen.
Ich warte noch einen Moment, Herr Kollege Struck, bis ich Ihnen wieder das Wort gebe.
Ich habe gebeten, Platz zu nehmen. Der Wunsch gilt nach allen Seiten. Er gilt auch für den hinteren Teil des Saales. Wir haben noch einen Redner in dieser Debatte. Ich bitte, aufmerksam zuzuhören. Um so eher kommen wir zum Abschluß dieser Debatte.
Bitte schön, Herr Abgeordneter Struck, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich nehme an, daß ich diesmal auch für die Fraktion der FDP und auch für die Fraktion der CDU/CSU reden kann, wenn ich folgenden Satz formuliere: Die Stiftungen, die den politischen Parteien der Bundesrepublik Deutschland nahestehen,
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Dr. Struckleisten eine wertvolle Arbeit im Inland und im Ausland.
Die Stipendiaten nicht nur der Friedrich-Ebert-Stiftung könnten sehr ausführlich darüber berichten. Gerade wir Sozialdemokraten wissen, daß die Arbeit dieser Stiftung hohes Ansehen genießt, und wir danken den Mitarbeitern der Friedrich-Ebert-Stiftung
vor allem im Ausland, die dort im vordiplomatischen Bereich viel für das Ansehen der Bundesrepublik Deutschland und der westlichen Demokratien tun.
Ich bin sicher, daß dies in gleicher Weise für die Stiftungen der anderen Parteien gilt.Eine Gleichsetzung dieser Stiftungen mit z. B. der Staatsbürgerlichen Vereinigung in einem Untersuchungsausschuß würde dem wichtigen Auftrag dieser Stiftungen nicht gerecht. Es wird darauf ankommen, daß wir das Urteil des Bundesverfassungsgerichts und das Gutachten des Bundesrechnungshofs zu den hier interessierenden Fragen sehr ausführlich diskutieren.Ich sage für meine Fraktion im Deutschen Bundestag: Wir werden den Antrag der GRÜNEN in namentlicher Abstimmung ablehnen.Ich danke Ihnen.
Herr Abgeordneter Struck, Sie haben im Verlauf Ihrer Rede den Begriff „heuchlerisch" verwendet. Dies ist unparlamentarisch. Ich schlage Ihnen vor, ihn nicht wieder zu verwenden.
Wir kommen zu der Rede des Abgeordneten Beckmann. Bitte schön, Herr Beckmann.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Lassen Sie mich zunächst einige Anmerkungen zu den rechtlichen Voraussetzungen für die Einrichtung von Untersuchungsausschüssen machen. Nach allgemeiner Auffassung resultieren derartige Ausschüsse aus dem sogenannten Enquete-Recht des Parlaments, also dem Recht auf Untersuchung von Tatsachen und — dies ist die erste wichtige Erkenntnis — dem Recht, Kommissionen einzusetzen, die einen klar definierten Untersuchungsauftrag haben und — dies ist die zweite wichtige Erkenntnis — der Information des Parlaments und der Öffentlichkeit sowie der Vorbereitung einer Beschlußfassung des Parlaments dienen sollen.
Ausschlaggebend ist drittens, daß der Untersuchungsausschuß letztlich deswegen eingesetzt wird,
um die politische Verantwortung für die untersuchten Tatbestände und beteiligten Personen festzustellen.
Das Untersuchungsrecht ist hingegen kein Instrument für die Opposition, im Wege einer Art Parlamentsjustiz über die Verwaltung oder die Regierung zu Gericht zu sitzen.
Dies, meine Damen und Herren, wäre eine völlige Verkennung des parlamentarischen Minderheitenrechts. Leider hat gerade die jüngste Vergangenheit gezeigt, daß das Mittel Untersuchungsausschuß dazu mißbraucht wurde, sachfremde Zwecke zu verfolgen.
Gerade die GRÜNEN haben es verstanden, den sogenannten Flick-Ausschuß als Plattform für eine Selbstdarstellung zu nutzen, die die Grenzen des Erträglichen oft überschritten hat.
Die GRÜNEN haben, indem sie mit geradezu abenteuerlichen Begründungen versucht haben, das Beweisthema auf völlig neben der Sache liegende Sachverhalte auszudehnen, deutlich gemacht, daß es ihnen eigentlich nicht um den untersuchten Tatbestand ging, sondern darum, größtmögliches politisches Kapital aus der Sache zu schlagen,
Meine Damen und Herren, angesichts der Entwicklung, die ich hier aufgezeigt habe, glaube ich, daß der hier vorliegende Antrag der GRÜNEN nicht aus einem ernstzunehmenden und ernstgemeinten Aufklärungsinteresse gestellt wird, sondern lediglich dem Zweck dient, ein öffentliches Tribunal zu installieren, das die Politik der staatstragenden Parteien dieses Hauses durch den Dreck ziehen soll.
Es steht zu befürchten, daß dieser hier betriebene Mißbrauch dazu führen wird, das Enquete-Recht — und damit eines der wichtigsten Minderheitenrechte des Parlaments — zu entwerten.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Mann?
Nein, ich bedaure sehr. —Aber auch andere Gesichtspunkte lassen erhebliche Zweifel an der Zulässigkeit des hier gestellten Antrags aufkommen. Es fehlt ein klar definierter Untersuchungsgegenstand. Tatsachen, die untersucht werden könnten, werden durch Gerüchte und Vermutungen ersetzt, die sich zum Teil auf Zeitungsberichte stützen und die durch parallel ge-
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Beckmannführte Untersuchungen staatlicher Organe und Stellen nicht bestätigt werden konnten.Darüber hinaus vermag ich auch nicht zu erkennen, wo der eigentliche Bedarf für die Einrichtung eines derartigen Untersuchungsausschusses liegen soll.
Dank der ausführlichen Berichterstattung der Medien sind z. B. das Parlament und die Öffentlichkeit über den in Rede stehenden Vorgang gut infomiert. Ich glaube auch nicht, daß die Einrichtung eines weiteren Untersuchungsausschusses wesentlich dazu beitragen kann, den Kenntnisstand in Sachen Parteispenden gerade in der Öffentlichkeit zu erhöhen, zumal das beantragte Untersuchungsthema bereits mehrfach Gegenstand der Beratungen im Zusammenhang mit der Flickspenden-Sache gewesen ist. Ich darf zudem daran erinnern, daß wir noch kurz vor der Sommerpause hier im Hause in einer Aktuellen Stunde den sogenannten PharmaSkandal, der dann doch keiner war,
debattiert haben und daß wir demnächst die Debatte über den Ausschußbericht des Flick-Ausschusses hier zu führen haben. Da gibt es hinlänglich Gelegenheit, die hier angesprochenen Themen zu diskutieren.Außerdem, meine sehr verehrten Damen und Herren, haben die Beratungen im Flickausschuß gezeigt, welche enormen Probleme es mit sich bringt, wenn die Ermittlungen im Untersuchungsausschuß zu denen der Staatsanwaltschaft und der Gerichte parallel verlaufen. Dies führt zu unnötigen Reibungsverlusten und Kollisionen, aber auch zu Überschneidungen der Legislative mit der Exekutive,
die unter dem verfassungsrechtlichen Gesichtspunkt der Gewaltenteilung nicht immer als unbedenklich gelten können.
Ich habe bei der Einsetzung des 1. Untersuchungsausschusses 1983 auf diesen, wie ich meine, schwerwiegenden verfassungsrechtlichen Gesichtspunkt hingewiesen. Hier muß nachdrücklich auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts verwiesen werden, das hierzu festgestellt hat — ich zitiere —:Die in der Verfassung vorgenommene Verteilung der Gewichte zwischen den drei Gewalten muß aufrechterhalten bleiben. Keine Gewalt darf ein von der Verfassung nicht vorgesehenes Übergewicht über die andere Gewalt erhalten, und keine Gewalt darf der für die Erfüllung ihrer verfassungsmäßigen Aufgaben erforderlichen Zuständigkeiten beraubt werden.Herr Kollege Struck, ein Wort an Sie: Ich halte es für völlig unangemessen, von dieser Stelle aus Erwartungen an das Urteil des Oberlandesgerichts Köln zu richten.
Sie als Jurist müssen doch wissen, daß man das nicht tut. Hände weg von der dritten Gewalt.
In diesem Zusammenhang ist insbesondere zu berücksichtigen, daß der beantragte Untersuchungsgegenstand bereits Gegenstand der Ermittlungen der Staatsanwaltschaft, der Finanzämter und des Bundesrechnungshofs ist. Zudem ist darauf zu verweisen, daß sich das Bundesverfassungsgericht in einem noch laufenden Verfahren ausführlich mit der Frage des Finanzgebarens der Stiftungen beschäftigt. Würde nun auch noch der Bundestag mit der Einsetzung eines Untersuchungsausschusses eingreifen, wäre die Konfusion perfekt. Der Kompetenzwirrwarr wäre wohl kaum noch zu entflechten, und der Erfolg wäre nicht die Wahrheitsfindung, sondern vielmehr eine Diskreditierung eines wichtigen parlamentarischen Kontrollinstruments. Das wird meine Fraktion jedenfalls nicht zulassen.
Wir werden auch nicht mit ansehen, wie die Fraktion der GRÜNEN ihr nach der Rotation entstandenes Defizit an profilierten und ernst zu nehmenden Mitgliedern dadurch zu überspielen sucht,
daß man parlamentarische Kontrollrechte zu Spielbällen parteipolitischen Taktierens macht.
Das ist ein völlig mißlungener Versuch, wieder ein wenig in das beliebte, aber in der letzten Zeit für Sie recht kümmerlich strahlende Rampenlicht der Öffentlichkeit zu gelangen.
Wir Liberalen werden aber auch nicht zulassen — und das verstehen wir unter verantwortlichem Gebrauch von Kontrollrechten —, daß irgendwelche Tatbestände dem Zugriff der staatlichen Verfolgungsorgane entzogen werden. Wir haben immer deutlich gemacht, daß wir für eine rückhaltlose Aufklärung von Vorgängen eintreten, die einen gesetzwidrigen Hintergrund haben. Dem Einsetzen eines Untersuchungsausschusses können wir aber nur dann zustimmen, wenn ein klar definierter Untersuchungsauftrag gegeben ist, die Untersuchung der Information des Parlaments und der Öffentlichkeit dient und der Ausschuß die Vorbereitung einer Beschlußfassung des Plenums zum Ziele hat. Irgendwelche sachfremde andere Erwägungen, die in diesem Falle vorliegen, werden wir deshalb nicht unterstützen.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 156. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. September 1985 11735
Beckmann Vielen Dank.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung. Die Fraktion DIE GRÜNEN verlangt gemäß § 52 unserer Geschäftsordnung namentliche Abstimmung. Wer dem Antrag auf Drucksache 10/3732 zuzustimmen wünscht, den bitte ich, die Abstimmungskarte mit Ja, wer dagegen stimmen oder sich der Stimme enthalten will, den bitte ich, die entsprechende Abstimmungskarte in die aufgestellten Urnen zu legen.
Ich eröffne die Abstimmung.
Ich frage, ob alle Stimmkarten abgegeben worden sind. — Das scheint der Fall zu sein. Ich schließe die Abstimmung und bitte um Auszählung *).
Meine Damen und Herren! Wenn die anwesenden Abgeordneten Platz nehmen würden, könnten wir in den Beratungen fortfahren, ohne auf die Auszählung zu warten.
— Meine Damen und Herren, ich bitte Sie, Platz zu nehmen, damit wir in den Beratungen fortfahren können.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 8 a) und b) auf:
a) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Abgabenordnung
-- Drucksache 10/3295 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Finanzausschuß
Ausschuß für Forschung und Technologie
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Apel, Amling, Bachmaier, Bernrath, Buckpesch, Büchner , Dr. Corterier, Dreßler, Hansen (Hamburg), Frau Dr. Hartenstein, Huonker, Ibrügger, Kastning, Kirschner, Klein (Dieburg), Dr. Klejdzinski, Dr. Kübler, Lambinus, Lennartz, Lohmann (Witten), Meininghaus, Dr. Mertens (Bottrop), Dr. Müller-Emmert, Dr. Nöbel, Frau Odendahl, Pauli, Dr. Penner, Purps, Frau Renger, Reschke, Schäfer (Offenburg), Schlatter, Schmitt (Wiesbaden), Dr. Schmude, Dr. Schöfberger, Schröer (Mülheim), Dr. Soell, Dr. Spöri, Frau Steinhauer, Toetemeyer, Weisskirchen (Wiesloch), Dr. Wernitz, Zander und der Fraktion der SPD
Steuerliche Erleichterungen für die gemeinnützigen Sportvereine und andere gemeinnützige Vereine
— Drucksache 10/3094 — *) Ergebnis Seite 11737 D
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Finanzausschuß
Sportausschuß
Ausschuß für Wirtschaft
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind eine gemeinsame Beratung der Tagesordnungspunkte 8 a) und b) und eine Aussprache von 60 Minuten vorgesehen. Erhebt sich dagegen Widerspruch? — Das ist nicht der Fall. Das Wort zur Begründung wird nicht erbeten. Dann eröffne ich die Aussprache.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Klein .
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Sportfreunde! Bei dem vorliegenden Antrag der SPD-Fraktion geht es nicht um die Interessen der Berufssportler oder der Spitzensportler. Es geht vielmehr um die vielfältigen Interessen der Zehntausende von Sportvereinen und ihrer Mitglieder, die Tag für Tag ihre Arbeit leisten,
ohne daß ihre Namen in den Schlagzeilen der Presse zu finden sind. Diese Vereine haben vieles geleistet. Aber diesen Vereinen ist in den letzten Jahren ständig das Leben schwerer gemacht worden. Uns geht es um die Möglichkeit der Entfaltung dieser Sportvereine, die ohne großes Aufsehen ihre Arbeit leisten, Breitensport betreiben, ohne die Spitzensport nicht möglich wäre.Wir als Sozialdemokraten glauben, daß dieser Teil des Sports vom Fiskus schlechter behandelt wird als die anderen Spitzensportler, die oftmals — was das Steuerliche angeht — den Umweg, den Ausweg finden, den Belastungen des Finanzamts zu entgehen, sei es über Monaco oder über andere Orte in Europa.
Meine Damen und Herren! Im Interesse dieser Leute und dieser scheinbar namenlosen Sportler und Vereine ist unser Antrag gestellt, die ohne klangvolle Namen antreten, die aber für den deutschen Sport wertvolle Leistungen erbringen.Es geht um folgendes: Einmal wollen wir haben, daß die Übungsleiterpauschale von derzeit 2 400 DM auf künftig 3 600 DM angehoben wird. Ich darf Sie daran erinnern, daß wir 1980 die letzte Änderung hatten. Zuvor ist 1977 zum ersten Mal eine solche Regelung zugunsten der Übungsleiter eingeführt worden. Uns geht es darum, die Überschußgrenze zu ändern, die Freibeträge und Freigrenzen zu verändern. Das alles können Sie ganz präzise in unserem Antrag nachlesen. Es geht auch um weitere Punkte, die in unserem Antrag aufgeführt und die der Regierung zu bedenken aufgegeben worden sind.Meine Damen und Herren, liebe Sportfreunde! Uns kommt es darauf an, daß Sportvereine Sport
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treiben können und sich nicht etwa mit dem Finanzamt herumschlagen müssen.
Jochen Kühl vom Deutschen Sportbund hat im Sommer dieses Jahres in einem sehr lesenswerten Beitrag geschrieben:Viele Mitarbeiter der Vorstände der Sportvereine stöhnen über die Vielfalt der steuerlichen Vorschriften; sie stöhnen über die Kommerzialisierung des deutschen Sports, die viel Unordnung in den Sportbetrieb hineingebracht hat.Meine Damen und Herren, uns als Sozialdemokraten geht es darum, wieder Ordnung in den deutschen Sportbetrieb hineinzubringen und vor allem sicherzustellen, daß die vielen komplizierten steuerlichen Belastungen, die sich in den letzten Jahren neu ergeben haben, geändert werden und daß wir den Sportvereinen wirklich die Möglichkeit schaffen, sich auch entfalten zu können — was in den letzten Jahren zunehmend schwieriger geworden ist.Die Regierung der Wende ist jetzt drei Jahre im Amt; aber weder die Regierung noch die sie tragenden Parteien haben in der Steuer- oder Finanzpolitik etwas im Interesse der vielen kleinen Vereine getan. Wortreiche Bekundungen hat es von Ihrer Seite, von der CDU, genug gegeben. Und Zeichen des Wohlwollens gab es von der CDU und der FDP verbal auch genug. Aber man kann das ganze Alphabet durchbuchstabieren: Von Schäuble bis Schwarz, von Tillmann bis Zimmermann haben Sie alle bei Grußadressen unentwegtes Wohlwollen der CDU/CSU gegenbüber dem deutschen Sport zum Ausdruck gebracht, ohne konkret etwas zu tun. Das einzige, was passierte, ist, daß Sie nun die sogenannten Ausbildungskosten — die eigentlich nur ein Kosename für Spielerkauf oder Spielerverkauf sind — geändert haben. Bei der konkreten Hilfe für den deutschen Sport, haben Sie nichts getan, obwohl Sie jetzt drei Jahre im Amt sind. Meine Damen und Herren von der CDU, das muß ganz hart gesagt werden!
Die Äußerung des CDU-Finanzministers von Rheinland-Pfalz, Dr. Wagner, aus dem Sommer dieses Jahres muß ja für Sie, wenn Sie es gehört haben, wie eine Ohrfeige geklungen haben, als er an Herrn Stoltenberg schrieb:Für vordringlich halte ich gesetzliche Regelungen, die die Probleme des bezahlten Sports befriedigend regeln. Hier haben sich erhebliche Unsicherheiten breitgemacht. Viele Schatzmeister und Kassierer von Sportvereinen sind beunruhigt, weil der Entzug der Steuervergünstigungen ihren Vereinen droht.Meine Damen und Herren, das ist eine klare und deutliche Aussage.
Ich meine: Wenn schon vom eigenen Lager her, nämlich von der Union, Mutmaßungen und Qualitätskritik an der Leistung dieser Regierung geäußert werden, dann muß j a einiges daran sein. Wenn Sie solches von der SPD oder von anderen hören, dann glauben Sie es nicht. Herr Wagner hat ja letztlich gesagt, daß die Regierung über lange Zeitspannen hinweg untätig gewesen ist und daß endlich im steuerlichen Bereich gegenüber den Sportvereinen einiges geschehen muß. Wenn Vereine die Möglichkeit hätten zu klagen, dann müßten sie eigentlich nach drei Jahren eine Untätigkeitsklage gegen diese Regierung anstrengen, weil sie im Hinblick auf wichtige Interessen des deutschen Sports untätig gewesen ist.
Meine Damen und Herren, man kann nachgerade sagen: Der deutsche Sport ist von dieser Regierung enttäuscht, und er ist von der CDU/CSU und von der FDP leider auch wiederholt getäuscht worden. Die Bundesregierung hat es bisher abgelehnt, auch nur einen Bruchteil ihrer Versprechungen einzulösen, die zu Oppositionszeiten gegeben worden sind. Im Klartext: Die SPD hat in den letzten Jahren zwei kleine Anfragen gestellt. Sie sind von der Regierung inhaltlich überhaupt nicht beantwortet worden, und in den Begleitantworten waren diese Aussagen in einer Art und Weise dümmlich, wie es sich eigentlich für eine Regierung nicht geziemt, sich gegenüber dem Parlament zu äußern.
Ich finde, es ist schlimm, daß diese Reaktionen der Regierung letztlich auch ein sehr rücksichtsloser Affront gegenüber den Sportvereinen und ihren Mitarbeitern gewesen sind. Statt dessen haben sich Teile der Regierung wiederholt dort getummelt, wo es um steuerliche Interessen der Wohlhabenden geht. Sie haben gefordert, daß die Gewerbesteuer generell abgeschafft werden soll. Teile der FDP haben eine drastische Senkung des Spitzensteuersatzes bei der Einkommensteuer verlangt, oder man hat verlangt, daß die Vermögensteuer erneut gesenkt werden soll. Daran ersieht man, daß diese Regierung unentwegt bemüht ist, die Interessen der Wohlhabenden zu wahren. An die Interessen der kleinen Sportvereine hat sie letztlich nicht gedacht.
Ich hoffe sehr, daß wir nach dem Ende dieser Debatte heute etwas zugunsten der selbstlosen Arbeit der vielen Verbandsfunktionäre aussagen können. Herr Kollege Tillmann, es gibt immerhin 60 000 Sportvereine mit 19 Millionen Mitgliedschaften. Sie sollten das also nicht unterschätzen.
In einer Veröffentlichung des Deutschen Sportbundes aus diesem Sommer — das wird Ihnen gar nicht gefallen, was ich jetzt vorlesen werde — ist zu lesen, daß die damalige Opposition der CDU/CSU bereits 1979 in einem Antrag an den Deutschen Bundestag vieles verlangt hat und daß die Realisierung der damaligen Zielsetzungen damals viel ge-
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holfen hätte. Seit dem Wechsel in Bonn stehe der Verwirklichung dieses Antrags nichts mehr im Wege. „Wie dringend der Handlungsbedarf des Gesetzgebers ist", so der Deutsche Sportbund, „zeigt die Initiative des Landes Baden-Württemberg und auch der Brief von Rheinland-Pfalz zur Vereinfachung der Vereinsbesteuerung." Meine Damen und Herren von der CDU/CSU, weshalb tun Sie eigentlich nichts? Weshalb verhalten Sie sich passiv? Weshalb sind Sie nicht in der Lage, hier etwas im gemeinsamen Interesse in Bewegung zu setzen?
Wenn Sie schon unsere Kritik von der SPD nicht beeindruckt, dann sollten Sie sich wenigstens den Brief von Dr. Wagner aus Rheinland-Pfalz und die Initiative von Baden-Württemberg hinter die Ohren schreiben, und Sie sollten versuchen, daß sich in der nächsten Zeit im Interesse des deutschen Sports, den Sie bitter enttäuscht haben, meine Damen und Herren von der CDU/CSU, etwas bewegt.
Ich bin dankbar dafür, daß Herr Staatsminister Schäuble jetzt unter uns ist, der 1979 im Parlament hier an dieser Stelle einen Antrag der CDU/CSU begründet hat, von dem er heute nichts mehr wissen will. Wir stehen mit unserem Antrag, der j a die Diskussion nur ein bißchen in Bewegung gebracht hat, dafür, daß die Interessen, die Sie damals formuliert haben, Herr Schäuble, heute nach, wie ich glaube, sechs Jahren, drei Monaten und 26 Tagen von dem Antragsteller CDU/CSU auch einmal verwirklicht werden. Damals wurden große Dinge formuliert. Sie wurden aber nicht in die Wirklichkeit umgesetzt.Meine Damen und Herren, es geht mir und uns darum, den Vereinen zu helfen. Wir sollten nicht unterschätzen, was sich im deutschen Sport vollzieht, wenn er über Jahre hinweg enttäuscht oder gar getäuscht wird. Wir müssen feststellen, daß viele andere Bereiche in unserer Gesellschaft — die Parteien, die Gewerkschaften, die Kirchen — über Mitgliederschwund klagen. Der deutsche Sport kann das Gegenteil behaupten; er hat jetzt 19 Millionen Mitgliedschaften. Das Lebensgefühl vieler Leute erfüllt sich offenbar im Sport viel stärker als in anderen Bereichen unserer Gesellschaft. Darauf muß die Politik eine Antwort geben. Dieser Entwicklung muß Rechnung getragen werden.Ich habe vor einiger Zeit in der FAZ etwas Kluges gelesen, das ich Ihnen nicht vorenthalten will.
Da stand:Die Parteien tun gut daran, auf die Vereinsmeier nicht vom hohen Staatsroß herabzublikken. Mancher Verein, mancher Verband, manche Initiative einzelner hilft mehr, die Welt zusammenzuhalten, als mancher Politiker in Bonn dies glauben mag.Meine Damen und Herren, daran ist sehr viel Wahres.Ich hoffe sehr, daß wir mit unserem Antrag, den wir heute hier einbringen
und der die Diskussion in den Ausschüssen braucht, helfen, daß vieles in unserem Lande verändert wird. — Herr Kollege Clemens, wenn Sie sich hier schon äußern, dann muß ich Ihnen sagen, daß viele im Lande draußen verstanden haben, daß Ihre Ankündigungen, daß Ihre Aussagen in einem krassen Widerspruch zu dem stehen, was Sie hier tun.
Die Leute draußen haben das kapiert. Die Wahlergebnisse von Nordrhein-Westfalen, im Saarland und von Hessen wären nicht erklärbar, wenn die Bürger draußen und auch die Sportler nicht empfunden hätten, daß zwischen Ihren Aussagen und Ihrem Handeln ein eklatanter Widerspruch besteht.
Meine Damen und Herren, ich gebe zunächst das von den Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über die Drucksache 10/3732 bekannt. Abgegebene Stimmen: 411; keine ungültigen Stimmen. Mit Ja haben 18 Mitglieder des Hauses gestimmt, mit Nein 393.Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen 410; davonja: 18nein: 392JaDIE GRÜNENAuhagenFrau DannHoracekLange MannDr. Schierholz Schily
Schulte SenfftStröbeleSuhrTischerVogel Frau Wagner Werner (Dierstorf) Werner (Westerland)fraktionslos HandlosNeinCDU/CSUDr. AbeleinFrau Augustin AustermannBayhaDr. Becker BergerFrau Berger
BiehleDr. BlankDr. BlümBöhm
Dr. BötschBohlBohlsenBoroffkaBraun Breuer BrollBrunnerBühler
Carstens Carstensen (Nordstrand) ClemensDr. CzajaDr. DanielsDawekeFrau DempwolfDörflingerDolataDr. DollingerDossEhrbar EngelsbergerErhard
Feilcke Fellner Frau FischerFischer
Francke
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11738 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 156. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. September 1985
Vizepräsident Frau RengerDr. FriedmannGanz
Frau GeigerDr. GeißlerDr. von GeldernGerlach GersteinGlosDr. GöhnerDr. Götz Günther Dr. HackelDr. Häfelevon HammersteinHanz
HaungsHauser
Hauser
HedrichFrau Dr. HellwigDr. HennigHerkenrathHinrichs Hinsken Höffkes HöpfingerFrau Hoffmann Dr. HornhuesHornungFrau HürlandDr. Hüsch Dr. HupkaGraf HuynJäger
JagodaDr. Jahn
Dr. JenningerDr. JobstJung
Kalisch Dr.-Ing. KansyFrau KarwatzkiKellerKlein
Dr. Köhler
Dr. Köhler KolbKrausKreyDr. KronenbergDr. Kunz LamersDr. LammertLandréDr. LangnerLattmannDr. LaufsLink
Link LinsmeierLintnerDr. LippoldLöherDr. h. c. LorenzLouven Lowack MaaßFrau MännleMaginMarschewskiMetzDr. Meyer zu Bentrup MichelsDr. MikatDr. MiltnerMilzDr. MöllerMüller Müller (Wadern)Müller
NelleFrau Dr. NeumeisterNiegelDr.-Ing. OldenstädtDr. OlderogPeschPfeffermann PfeiferDr. PingerPöpplPohlmannDr. Pohlmeier Dr. ProbstRaweRegenspurger RepnikDr. Riedl
Dr. Riesenhuber Rode Frau Rönsch Frau Roitzsch
Dr. Rose
Rossmanith RüheRufSauer
Sauer SaurinSauter Sauter (Ichenhausen) Dr. Schäuble Scharrenbroich Schartz (Trier) SchemkenScheuSchlottmann SchmidbauerSchmitz Schneider
Freiherr von Schorlemer Schreiber
Dr. Schroeder SchulhoffDr. Schulte
Schultz (Wörrstadt) Schulze (Berlin)
Dr. Schwarz-Schilling Dr. Schwörer SeehoferSeesingSeitersSpilkerSprangerDr. SprungDr. Stark Dr. StavenhagenDr. Stercken StommelStraßmeirStrubeStücklenStutzerSussetTillmannDr. Todenhöfer UldallFrau VerhülsdonkVogel
Vogt
Dr. Voigt
Dr. VossDr. WaffenschmidtDr. WaigelGraf von Waldburg-Zeil Dr. WarnkeDr. WarrikoffDr. von Wartenberg WeirichWeißWerner
Frau Dr. WexFrau Will-FeldFrau Dr. WilmsWimmer WindelenFrau Dr. Wisniewski WissmannDr. WittmannWittmann WürzbachDr. WulffDr. ZimmermannZinkSPDAmlingDr. Apel Bachmaier BahrBamberg Bernrath BindigFrau BlunckBrandtBrückBuckpesch Büchler
Dr. von BülowBuschfort CatenhusenColletDr. CorterierCurdtFrau Dr. Däubler-Gmelin DaubertshäuserDelormeDr. Diederich DreßlerDr. Ehmke
Dr. Ehrenberg EickmeyerDr. EmmerlichEstersEwenFischer Fischer (Osthofen) Franke (Hannover)Frau Fuchs
Frau Fuchs GanselGilgesGlombig Dr. Glotz GrunenbergDr. Haack HaarHaehserHansen Frau Dr. Hartenstein Dr. HauchlerHauckHeimann HeistermannHerterich Hettling Heyenn Hiller
HornFrau HuberHuonkerImmer Jahn (Marburg)JansenJaunich Junghans JungmannKiehmKirschner Kisslinger Klein
Dr. KlejdzinskiKolbowDr. Kübler Kuhlwein Lambinus Lennartz Leonhart Frau Dr. LepsiusLiedtkeLöfflerLohmann
LutzFrau Matthäus-Maier MatthöferMeininghausMenzelDr. MitzscherlingMüller
Dr. Müller-Emmert MünteferingNagelNehmNeumann
Dr. NöbelFrau Odendahl OostergeteloPaternaDr. Penner Peter
PfuhlPorznerPurpsRankerRapp
Rappe ReimannFrau RengerReuterRohde
RothSanderSchäfer SchlagaSchlatter SchluckebierDr. Schmidt Schmidt (München)Frau Schmidt Schmitt (Wiesbaden)Dr. SchmudeSchreinerSchröder
Dr. Schwenk SielerFrau SimonisFrau Dr. Skarpelis-Sperk Dr. SoellStahl
SteinerFrau SteinhauerStobbeStockleben Dr. Struck Frau TerborgTietjenFrau Dr. Timm Toetemeyer Frau TraupeUrbaniak Vahlberg Verheugen Dr. Vogel Vogelsang VosenWaltherWartenberg WeinhoferWeisskirchen Dr. WernitzWestphal Frau Weyel Dr. WieczorekWiefel
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 156. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. September 1985 11739
Vizepräsident Frau Rengervon der Wiesche Wimmer Dr. de WithWolfram Frau ZuttFDPBaumBeckmannBredehornCronenberg Eimer (Fürth) EngelhardDr. Feldmann GallusGattermann Genscher GrünerFrau Dr. Hamm-Brücher Dr. HaussmannDr. Hirsch HoppeKleinert
Dr. Graf Lambsdorff MischnickMöllemann Neuhausen PaintnerRonneburger Schäfer
Frau Dr. SegallDr. SolmsDr. Weng Wolfgramm (Göttingen)Damit ist der Antrag abgelehnt.Wir fahren in den Beratungen fort. Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Spilker.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Wir debattieren hier heute in erster Lesung den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der Abgabenordnung — es ist ein Entwurf des Bundesrats — und den Antrag der Fraktion der SPD, über den wir hier eben so einiges gehört haben. Beide Vorlagen, die sachlich eigentlich wenig miteinander zu tun haben, sind deshalb miteinander verbunden, weil sie das Gemeinnützigkeitsrecht berühren.
Zunächst zur Änderung der Abgabenordnung. Sie betrifft zwar auch die Vereine, allerdings in einem anderen Zusammenhang als der SPD-Antrag. Sie geht nämlich in ihrer Wirkung weit über den Bereich der Vereine hinaus, wobei insbesondere auch die Stiftungen betroffen sind.
Der Entwurf greift aus dem Katalog der Maßnahmen, den die Bundesregierung in ihrer Antwort auf die Große Anfrage der Koalitionsfraktionen zur Kulturförderungspolitik aufgelistet hat — Drucksache 10/2237 —, eine Maßnahme heraus, die außerdem im Entschließungsantrag der Koalitionsfraktionen — Drucksache 10/2262 — enthalten ist, der den Ausschüssen seit November 1984 vorliegt. Wir begrüßen den Vorschlag des Bundesrates, den gemeinnützigen Körperschaften die Bildung von Rücklagen zuzugestehen, damit sie Mittel für größere Projekte nach und nach ansammeln können. Wir sind allerdings der Auffassung, daß das nicht die einzige Maßnahme zur Verbesserung der steuerlichen Rahmenbedingungen für Kunst und Kultur bleiben kann und darf.
Wir sehen die vorgeschlagene Änderung der Abgabenordnung vielmehr in einem größeren Zusammenhang, wie dies in unserem erwähnten Entschließungsantrag zum Ausdruck kommt. Deshalb wird die CDU/CSU-Fraktion in den Ausschüssen darauf drängen, daß der vom Bundesrat eingebrachte Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der Abgabenordnung zusammen mit dem erwähnten Entschließungsantrag der Koalitionsfraktionen zur
verstärkten Förderung von Kunst und Kultur beraten wird.
Nun, meine Damen und Herren, zum Antrag der SPD. Nach den Ausführungen, die Sie, Herr Klein, hier zur Begründung machten, muß ich Ihnen sagen:
Wir haben den Sportorganisationen frühzeitig zur Kenntnis gebracht, daß wir bemüht sind, unseren alten Antrag zu realisieren, wenn die wirtschaftlichen und finanziellen Bedingungen dies erlauben.
Sie werden mir Recht geben, daß das zumindest im Augenblick noch nicht der Fall ist. Abgesehen davon, meine Damen und Herren, daß nicht Vereine Sport betreiben, sondern dies immer noch die Mitglieder tun, innerhalb der Vereine, aber auch außerhalb, haben wir immer wieder betont, daß wir den gemeinnützigen Vereinen helfen, wenn es notwendig und möglich ist. Das ist Politik.
Darüber darf es keinen Zweifel geben. Wenn Sie Herrn Minister Schäuble mit dem Antrag aus dem Jahre 1979 erwähnen, muß ich Ihnen in aller Nüchternheit erwidern: Hätten Sie die Kassen nicht geplündert,
wäre unser Problem heute einfacher zu lösen.
Wenn Sie mir — der Kollege Schäuble steht ja nicht hier — die Frage stellen,
warum wir unseren Antrag aus dem Jahre 1979 nicht wieder eingebracht haben, möchte ich zunächst einmal Sie fragen, warum Sie 1979 diesen Antrag nicht Gesetz werden ließen. — Sie hatten doch die Möglichkeit dazu.
Das hatten Sie in der Hand, nicht wir!
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Klein?
Bitte, Herr Klein.
Herr Kollege Spilker, ist Ihnen möglicherweise entgangen, daß wir nach diesem Antrag von 1979 im Sinne Ihrer Intention die Übungsleiterpauschale von früher 1 200 auf 2 400 DM angehoben haben und daß auch für den Schach- und den Motorflugsport einige positive Ver-
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11740 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 156. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. September 1985
Klein
änderungen herbeigeführt worden sind? Ist Ihnen das wirklich entgangen?
Herr Klein, das mit dem Schach war — wenn ich das vorwegnehmen darf — mit Sicherheit keine Meisterleistung.
Im übrigen sage ich Ihnen eines: Allein die Anhebung einer Pauschale löst nicht das Grundproblem im Bereich des gemeinnützigen Amateursports im Verhältnis zum bezahlten Teil des Sports. Darauf komme ich noch zurück.
Meine Damen und Herren, Sie machen es sich hier schon sehr leicht und auch sehr einfach. Sie stellen heute in bestimmten Bereichen Anträge, die Sie aus ideologischen, gesellschaftspolitischen Gründen, aber auch fiskalischen Gründen ablehnten, als Sie die Möglichkeit hatten, das zu verwirklichen,
was Sie heute fordern.
So ist es natürlich auch mit Ihrem vorliegenden Antrag. Ich habe es eben erwähnt und wiederhole es, damit Sie es ja nicht vergessen: Hätten Sie, als wir derartige Anträge gestellt haben — und jetzt komme ich auf Herrn Bundesminister Schäuble zurück —, diesen zugestimmt, bräuchten wir doch heute diese ganze Debatte nicht zu führen.
Wenn Sie mich heute fragen, warum wir das nicht getan haben, so sollen Sie meine Antwort haben. Ob Sie jetzt ununterbrochen dazwischenreden oder sogar -rufen, wird mich nicht mehr berühren; ich komme darauf jedenfalls nicht mehr zurück.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Brück?
Nein, Frau Präsident.
Sie haben das vollkommen in der Hand.
Ich möchte jetzt zunächst einmal meinen Gedanken zu Ende bringen
und Ihr ständiges Vorhaben, hier einen Kollegenvon seiner Linie abzubringen, nicht mehr unterstützen. Wir sind zwar in einem Parlament, aber wir wollen hier doch einmal ein bißchen mehr Ordnung einführen.
Meine Damen und Herren, wir wissen sehr wohl — und das weiß auch der Sport —, wie die Tätigkeit der Bundesregierung zu bewerten ist. Herr Klein, Sie haben nicht das Recht und sind nicht legitimiert, hier für den Sport zu sagen, er sei von dieser Regierung enttäuscht.
Ich bin Präsident eines großen Sportverbands, und ich stelle fest, daß die Mehrheit dieses Verbandes mit der Politik der Bundesregierung durchaus zufrieden ist.
Wenn ich meine ehrenamtliche Tätigkeit für den Sport erwähne, geben Sie mir wenigstens die Legitimation, dies festzustellen.Wir wissen sehr wohl, was wir seinerzeit beantragt haben, und stehen auch dazu. Wir haben — daran darf ich Sie erinnern — frühzeitig den DSB-Sportorganisationen mitgeteilt, daß wir uns um die Verwirklichung der einen oder der anderen Maßnahme bemühen werden, wenn die Mittel dafür zur Verfügung stehen und wenn das mit anderen Notwendigkeiten zu vereinbaren ist, sei es im Bereich des gewerblichen Mittelstandes, sei es im Bereich des Steuerrechts oder in anderen Bereichen.
Sie wissen doch selbst, was Sie uns hinterlassen haben und was von uns nunmehr geordnet werden muß. Im Rahmen unserer erfolgreichen Konsolidierungspolitik, über die wir in der letzten Woche ausreichend und ausgiebig debattiert haben, sollte man sich nach unserer Auffassung bei Steuersonderprogrammen äußerst zurückhalten. Das muß ich Ihnen, meine Damen und Herren, schon empfehlen.Sie können doch nicht auf der einen Seite — denken Sie an die letzte Woche — ununterbrochen Subventionskürzungen anmahnen, um Subventionen im selben Augenblick — ich will nicht sagen: im selben Atemzug — immer wieder zu fordern. Mit dieser Politik haben Sie unserem Lande bereits großen Schaden zugefügt, und diesen wollen wir zunächst beheben.Heute schreiben wir das Jahr 1985. Sechs Jahre sind seit der Einbringung unseres Antrags — er wird gar nicht geleugnet — vergangen. Die politische Entwicklung seit dieser Zeit kennen wir alle, die wir hier sind, ob wir auf der einen Seite oder auf der anderen Seite sitzen.Von dieser Entwicklung ist der Sport nicht ausgenommen. Dabei meine ich zunächst den Amateursport, der in seinem Spitzenbereich immerhin auch einen bezahlten Teil hat und haben muß.
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SpilkerDie seit 1979 verstärkte Kommerzialisierung weiter Bereiche des Sports ist in der Begründung Ihres Antrags mit Recht angesprochen worden. Ich möchte aber auch den sogenannten gewerblichen Sport erwähnen, mit dem ich nicht den Profisport, nicht die Bundesliga, nicht Teile des Tennis, nicht Teile vom Golf, sondern den Sport im Rahmen eines Gewerbebetriebs meine. Das wird meist übersehen.Die Entwicklung des Amateursports mit seinem bezahlten Teil bringt im Hinblick auf das Gemeinnützigkeitsrecht nun Fragen und Probleme mit sich, die mit Einzelregelungen nicht zu beantworten und nicht zu lösen sind.Jeder weiß, daß es im großen Bereich des Amateursports auch Vergütungen und steuerliche Hilfen gibt. Wir sollten aber nicht verkennen, daß sich durch viele Einzelregelungen Ungleichheiten entwickelt haben, die wir auf keinen Fall vermehren dürfen.Dies gilt auch für das Gemeinnützigkeitsrecht generell. So scheint es uns notwendig zu sein, das Recht der Gemeinnützigkeit in seiner Gesamtheit grundlegend zu überprüfen, um es gegebenenfalls danach gesetzlich neu zu ordnen.Meine Fraktion schlägt der Bundesregierung daher vor, eine hochrangige unabhängige Sachverständigenkommission zu berufen, die diese notwendigen Arbeiten möglichst bald in Angriff nimmt und hoffentlich auch bald zum Abschluß bringt.
Meine Damen und Herren, dies soll keine Vertröstung sein. Deshalb werden wir in den Ausschüssen prüfen, ob man nicht den einen oder anderen Punkt des Antrags verwirklichen kann, ohne das Ergebnis der Sachverständigenkommission vorwegzunehmen.Anhebungen von bestehenden Freigrenzen — ob nun Freibeträge oder Unkostenpauschalen im Einkommen-, Körperschaft- und Gewerbesteuerrecht — sind bei der geschilderten Situation wenig geeignet, einen sachlichen Beitrag zur aufgabengerechten Beurteilung des Sports und der in ihm tätigen vielen ehrenamtlichen Mitglieder zu leisten.Wir wollen — das werden wir auch tun — demjenigen helfen, meine Damen und Herren, der dem Sport dient. Wer aber am Sport verdient, der soll und muß seiner steuerlichen Pflicht wie jeder andere Bürger nachkommen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Mann?
Gewiß ist es populär, den Freibetrag für Übungsleiter anzuheben, weitere steuerliche Vergünstigungen für wirtschaftliche Zweckbetriebe des Sports zu fordern oder steuerliche Voraussetzungen dafür zu beantragen, daß gemeinnützige Sportvereine oder Verbände Sportartikel für die Ausrüstung ihrer Sportler und Mannschaften als Zuwendungen von Firmen steuerfrei in Empfang nehmen können, oder gar die Spendenbescheinigungskompetenz für die Vereine zu fordern. Nur: All diese Forderungen bzw. ihre Realisierung ändern an der grundlegenden Problematik nichts. Denken Sie einmal an den Grundsatz der Gleichbehandlung im Steuerrecht für den gesamten gemeinnützigen Bereich. Denken Sie auch an den Wettbewerb.
Herr Kollege, darf ich Sie unterbrechen; ich komme sonst nicht in Ihre Rede hinein. Haben Sie ja oder nein zu der Zwischenfrage gesagt?
Ich habe vielleicht nicht ganz deutlich, aber sehr bestimmt nein gesagt.
Vizepräsident Frau Renger: Vielen Dank.
Denken Sie doch auch an den Wettbewerb und damit an den Mittelstand, wenn Sie weitere steuerliche Sonderrechte für die wirtschaftlichen Zweckbetriebe fordern. Wenn Sie das tun und daran denken, werden Sie mir zustimmen, wenn ich vorschlage, diese Fragen in aller Sorgfalt in den zuständigen Ausschüssen zu beraten.
Die SPD-Fraktion spricht in ihrem Katalog Fragen an — ich erwähnte dies schon —, deren steuerliche Bedeutung erst in den letzten Jahren deutlich wurde. Es bringt nicht viel, wenn heute jeder auf seinem Standpunkt beharrt. Man muß das Steuerrecht an die veränderte Wirklichkeit anpassen und nicht umgekehrt. Wir wollen und werden dem gemeinnützigen Sport helfen, und hier sehe ich in der Tat einen Silberstreif nicht nur am Horizont, sondern viel näher. Bekanntlich wird durch eine Unterkommission der Körperschaftsteuerreferenten von Bund und Ländern unter Hinzuziehung des Deutschen Sportbundes mit Nachdruck die Frage erörtert, wie die Gemeinnützigkeit des Sports sichergestellt werden kann, wenn der Verein dem aktiven Sportler den Verdienstausfall erstattet, seinen Trainingsausfall finanziell abstützt oder im Zusammenwirken mit der Industrie versucht, die Kosten für die materielle Sportausrüstung zu senken.
Herr Abgeordneter, einen Moment bitte. Sie haben jetzt 15 Minuten von der Zeit verbraucht, die der Regierungskoalition und der Regierung von dieser Stunde zur Verfügung stehen. Ich wollte Sie nur darauf aufmerksam machen. Ob Sie weiterreden können, müssen Ihre Kollegen sagen. Dann würden Sie weitere Zeit verbrauchen.
Frau Präsident, ich werde mich bemühen, in Kürze aufzuhören.Ich sprach von dieser Unterkommission und über die Frage, wie die Gemeinnützigkeit des Sports sichergestellt werden kann, wenn der Verein dem ak-
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Spilkertiven Sportler einige Kosten ersetzt. Ich habe sie soeben im einzelnen aufgezählt.
Um es deutlich zu sagen: Wir halten das Anliegen des Deutschen Sportbundes in dieser Frage für berechtigt. Wir würden es begrüßen, wenn wir als Ergebnis dieser Beratungen sehr bald eine Möglichkeit fänden, den bezahlten Sport innerhalb des gemeinnützigen Vereins nicht nur zu dulden, sondern zu ermöglichen.Meine Damen und Herren, ich muß leider zum Ende kommen. Ich habe noch einiges für Sie vorbereitet, insbesondere für Herrn Klein.
Ich möchte noch einen Gedanken erwähnen, der hier immer wieder untergeht, wenn es darum geht, über Zweckbetriebe und über steuerliche Erleichterungen für sie zu sprechen. Ich erwähnte vorhin schon einmal die Gefahr der Wettbewerbsverzerrung, wenn sich gemeinnützige Vereine wirtschaftlich betätigen. Wir nehmen diese Gefahr in der Tat sehr ernst,
denn wir dürfen nicht nur an den Sport, sondern müssen auch an die gewerbliche Wirtschaft und den Einzelhandel denken. Ich glaube in der Tat, daß die bisherige Förderung der Zweckbetriebe ausreichend ist, und im übrigen werden wir im Steuerbereinigungsgesetz da oder dort noch auf dieses Thema in positivem Sinne zurückkommen. Es sollte möglich sein — das ist ein dringendes Anliegen von uns —, den Vereinen in diesem Bereich durch steuerliche Vereinfachungen zu helfen und sie zu unterstützen. Die Notwendigkeit der Zweckbetriebe wird von niemandem bestritten. Das Gegenteil ist der Fall. Manchmal ist die Praxis anders. Ich möchte das an einem Beispiel — damit bin ich am Ende —erläutern.Sport und Geselligkeit gehören zusammen. Wer nicht will, daß sportliche Jugendpflegearbeit wieder in die Hinterzimmer von Wirtschaften gedrängt wird, muß dem Verein erlauben, diese mit den sich daraus ergebenden Folgerungen in eigenen oder angemieteten Räumen zu leisten. Wenn diese Jugendgruppe dann einen Beitrag zum Umweltschutz leistet, indem sie einen Wald von Unrat säubert und das Altmaterial veräußert, dann darf es nicht geschehen, daß der Fiskus die Hand aufhält und damit jede Eigeninitiative für die Zukunft verhindert, eine Initiative, die wir nicht nur beim Sport, sondern auf dem gesamten Gebiet der Gemeinnützigkeit brauchen. Die natürlichen Wechselbeziehungen zwischen Verein und Gastronomie sind, glaube ich, für jeden erkennbar. Wir wollen sie auch nicht unnötig mit Diskussionen rein theoretischer Art strapazieren, denn in der Praxis, vor Ort, sieht das im allgemeinen besser aus. Es geht hier um ein Miteinander, nicht um ein Gegeneinander. Ich denke dabei an die Menschen, die durch den Sport mehrFreude am Leben gewinnen, die einen persönlichen Beitrag zur Kostendämpfung im Gesundheitswesen leisten oder die sich freiwillig in den Dienst der Gemeinnützigkeit stellen. Vergessen wir, meine Damen und Herren, bei allem, was wir hier tun, nicht, daß eine freie Gesellschaft nur so lange frei sein kann, wie Bürger bereit sind, ehrenamtliche Aufgaben in dieser Gemeinschaft zu übernehmen. Denen wollen wir helfen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Vogel .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Was diese beiden Anträge von den Sportfreunden von der SPD und von den Stiftungsunterstützern des Bundesrates miteinander verbindet, ist der Begriff der Gemeinnützigkeit. Herr Spilker hat schon darauf hingewiesen, daß hier doch wohl einiges im argen liegt und daß das gesamte Gemeinnützigkeitsrecht grundsätzlich einmal geprüft werden sollte, denn nicht alles, was sich als gemeinnützig tituliert, ist gemeinnützig. Wir haben ja gerade in den letzten Jahren das Thema der Geldwaschanlagen für die politischen Parteien verfolgt, die auch als gemeinnützig anerkannt wurden, wohl allein schon deshalb, weil ihr Zweck die Förderung der Marktwirtschaft war.Gleichzeitig haben sich Verbände, die sich um die Erhaltung der Natur und der menschlichen Gesundheit sorgen, sehr viel schwerer getan. So wurde z. B. dem Bundesverband gegen Giftgas e. V., dessen Zweck es ist, die Bevölkerung über die Gefahren der Lagerung chemischer Kampfstoffe aufzuklären, die Gemeinnützigkeit deshalb abgesprochen, weil die Oberfinanzdirektion Koblenz die Meinung vertritt, die Lagerung von Giftgasen müsse „ ... im Interesse der Verteidigungsbereitschaft des Westens" von der Bevölkerung in Kauf genommen werden. Vor dem Bundesfinanzhof wurde im letzten Sommer ein Streit zwischen einem Umweltverband und dem Finanzamt ausgetragen. Das Finanzamt hatte dem Umweltverband die Gemeinnützigkeit bestritten, weil der Zweck, den Bau von Atomkraftwerken überhaupt zu verhindern, nicht als Forderung der Allgemeinheit zu verstehen sei. Gleichzeitig aber sind nach den Einkommensteuerrichtlinien „Aktivitäten zur Verringerung der Strahlenbelastung durch kerntechnische Anlagen" gemeinnützig. Daß die Verringerung gemeinnützig ist, die Verhinderung dagegen nicht, ist eine Logik, die vielen politischen Maßnahmen in diesem Hause zugrunde liegt.Es gibt aber noch weitere Peinlichkeiten in der Gemeinnützigkeitsregelung: Sie können sich vielleicht alle noch daran erinnern, wie vor ein, zwei Jahren die Spendenquittungen von Traditionsverbänden der Waffen-SS herumgegeistert sind. Heute hat Staatssekretär Häfele in Beantwortung der Frage 90 gesagt, das sei heute nicht mehr so. Als diesen Verbänden der Waffen-SS die Gemeinnützigkeit aberkannt wurde, wurde in Baden-Württemberg dem Verband der Verfolgten des Nazi-Regimes gleichzeitig auch die Gemeinnützigkeit aberkannt.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 156. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. September 1985 11743
Vogel
Hier liegt doch vieles im argen. Meines Erachtens ist hier nicht erst eine hochrangige Kommission erforderlich, die das prüfen soll, sondern hier sollte einmal ein Bericht darüber vorgelegt werden, welche Institutionen als gemeinnützig anerkannt werden.Aber zunächst einmal zu dem Entwurf des Bundesrates. Hier geht es ja um etwas ganz anderes, nämlich um die Förderung der Kapitalbildung von gemeinnützigen und wohl auch nicht so gemeinnützigen Körperschaften. Nach dem Entwurf sollen die gemeinnützigen Organisationen in Zukunft freie Rücklagen bilden können. Argumentiert wird damit, daß es ermöglicht werden soll, daß für größere Investitionen Kapital gebildet werden kann. Das war allerdings bisher auch schon möglich, allerdings nur für solche Vorhaben, die eng mit dem gemeinnützigen Zweck verbunden sind, und zwar in einer kontrollierten und nachprüfbaren Form.Strittig war hier z. B. die Rücklagenbildung in Form von Wertpapieren. Dies hatte insbesondere einigen Stiftungen nicht gefallen. Der Gesetzesvorschlag geht in dem Eifer, alles für vermehrte Kapitalbildung zu tun, sogar so weit, daß es künftig möglich sein soll, daß Gemeinnützige ihre Mittel dafür einsetzen, Anteile von Kapitalgesellschaften zu erwerben, um ihren prozentualen Anteil an deren Kapital aufrechtzuerhalten. Ich zitiere aus der Drucksache; in der Begründung heißt es:Steuerbegünstigte Körperschaften haben ihr Vermögen nicht selten in der Form von Beteiligungen an Kapitalgesellschaften angelegt.Was sind das nur für seltsame „steuerbegünstigte Körperschaften"? Es sind im allgemeinen Stiftungen, die im wesentlichen aus erbschaftsteuerlichen Gründen gebildet wurden. Familienstiftung plus Kapitalgesellschaft ist eine Form der Aufteilung des Gesamtvermögens, die auch hierzulande gar nicht mehr so selten ist. Wenn die Kapitalgesellschaften ihr Eigenkapital erhöhen wollen, kann dies mit Hilfe des Kapitals der Stiftung vollzogen werden. Um hier keinen bösen Verdacht aufkommen zu lassen, sollte die Regierung den Gesetzentwurf dahin erweitern, daß die betreffende gemeinnützige Körperschaft und die Kapitalgesellschaft, in die die Mittel investiert werden, nicht verwandt oder verschwägert sein dürfen.Der SPD ist es heute ein besonderes Anliegen, sich als Sportfreund darzustellen. Das ist wohl der Grund, daß in dem Antrag verwirrenderweise nur die gemeinnützigen Sportvereine als zu fördern stehen, aber im weiteren Verlauf praktisch auf alle gemeinnützigen Organisationen abgehoben wird. Wahrscheinlich haben Sie die irreführende Formulierung gewählt, damit die Sportvereine — der zahlenmäßig größere Teil der gemeinnützigen Vereine — direkt erkennen können, was die SPD alles für sie tut.Dabei muß man die Vorschläge allerdings kritischer anschauen.
Zum Beispiel schlagen Sie vor, die Übungsleiterpauschale anzuheben. Das ist das Einkommen, das steuerfrei aus einer nebenberuflichen Tätigkeit als Übungsleiter oder Vortragender bei gemeinnützigen Vereinen verdient werden kann. Wie hoch der Arbeitseinsatz ist, spielt dabei keine Rolle.Man müßte da zumindest den Gesichtspunkt der Ungleichbehandlung von Einkommen im Auge behalten. Der eine kann 800 DM steuerfrei dazuverdienen, der andere soll nach Ihren Vorstellungen bis 3 600 DM dazuverdienen können.Einer Abwägung bedarf auch der Vorschlag, daß die Grenze von 12 000 DM für den Gewinn entfallen soll. Sie reden im Finanzausschuß immer davon, daß das Steuerrecht nicht ständig durchlöchert werden soll. Gleichzeitig bringen Sie immer wieder solche Vorschläge. Nach unserer Meinung müßte viel eher dafür gesorgt werden, daß die Sportvereine mit direkten Zuwendungen gefördert werden, daß dazu auch die Gemeindefinanzen besser ausgestattet werden
und daß damit der Breitensport am Ort ganz gezielt gefördert wird. Es kann j a wohl nicht angehen, daß der Golfverein, der 1 200 DM Jahresbeitrag hat, genauso gefördert wird, wie Leichtathletikvereine, wo sich die Leute auf der Aschenbahn betätigen.Wir werden jedenfalls bei Ihrem Gesetzesvorschlag kritisch prüfen, ob diese Änderungen genau den Vereinen zugute kommen, die es nötig haben, oder ob es nicht gerade die bekommen, die es nicht nötig haben.Vielen Dank.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Solms.
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich erlaube mir doch eine Bemerkung zum Ergebnis der namentlichen Abstimmung. Ich finde es doch interessant, daß die Abgeordneten der GRÜNEN, die diesen Antrag gestellt haben, ganze 18 Stimmen zuwege bringen. Ein Drittel der Abgeordneten der Fraktion DIE GRÜNEN war nicht anwesend.
So nehmen Sie Ihre Pflichten als frei gewählte Abgeordnete dieses Parlaments wahr. Statt hier zu sein und Ihren Dienst zu tun — das hat man ja am Abstimmungsverhalten gesehen —, machen Sie Publikums- und fernsehwirksame Gags im Ausland. Und uns werfen Sie dann immer diese Dinge vor.
Ich muß mich kurzfassen,
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11744 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 156. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. September 1985
Dr. So1msweil die Redezeit gekürzt worden ist. Ich bin der Meinung, daß wir uns in der Frage der Steuerbegünstigung von Sportvereinen und anderen gemeinnützigen Vereinen hier gegenseitig gar nicht überbieten können. Denn alle wollen das Beste für die Vereine.
Es wird hier keiner Seite gelingen, durch noch so schöne Erklärungen einen Vorsprung zu erzielen. Ich glaube, wir sollten gerade in der Steuerpolitik damit aufhören, punktuelle begünstigende Vorschläge einzubringen, die heute diesen, morgen jenen begünstigen. Zum Schluß haben wir dann ein Steuerrecht, das keiner mehr überblickt und das in der Gesamtheit unverständlich für den Bürger und damit ungerecht geworden ist.
Ich komme gerade von einer Diskussion der Deutschen Steuergewerkschaft über diese Frage. Ich kann Ihnen sagen, daß der Unwillen derer, die das zu bearbeiten haben, ein Maß erreicht hat, daß die Bereitschaft zur Mitarbeit kaum noch vorhanden ist.
— Aber, Herr Kollege, Sie wissen doch: Da waren wir alle Sünder in den letzten 20, 30 Jahren. Uns allen ist es nicht gelungen, das Steuerrecht zu vereinfachen. Wir hatten die besten Absichten, haben es aber wieder und wieder verschlechtert.
— Ihre Vorschläge dazu, meine Herren von den GRÜNEN, haben keinen Fortschritt gezeigt.
Ich weise darauf hin, daß der Gesetzgeber zur Zeit mit einer Serie mit Vorlagen befaßt ist, die die Gemeinnützigkeit berühren. In folgenden Gesetzentwürfen und Anträgen sind Gemeinnützigkeitsfragen angesprochen: im Steuerbereinigungsgesetz, im Gesetz zur Verbesserung des Gemeinnützigkeitsrechts, im Gesetz zur Änderung des Einkommensteuergesetzes, des Körperschaftsteuergesetzes und des Bewertungssteuergesetzes, im Gesetz zur Änderung der Abgabenordnung in den beiden hier vorliegenden Anträgen. Darüber hinaus sind Gutachten erarbeitet worden, beispielsweise das bemerkenswerte Gutachten zur Gemeinnützigkeit von Wohnungsunternehmen. Ich glaube, es geht nicht mehr an, daß wir alle diese Dinge einzeln beraten, ohne den Gesamtzusammenhang herzustellen. Deshalb fordert die FDP-Fraktion, daß eine unabhängige Sachverständigenkommission einberufen wird, die sich des Gemeinnützigkeitsrechts allumfassend annimmt. Wir können nicht mehr so weiterfahren, für jeden Verein, für jeden Tatbestand neue steuerliche Voraussetzungen zu schaffen.Wir brauchen Klarheit über den Begriff der Gemeinnützigkeit.
Wir brauchen Klarheit darüber, wo die Grenzen zwischen privaten Freizeitbetätigungen und selbstloser Tätigkeit im Interesse der Allgemeinheit liegen. Denn nur letztere verdient steuerliche Förderung. Wir benötigen eine neutrale Antwort auf die immer lauter werdenden Klagen, schon das geltende Vereinssteuerrecht sei unter wettbewerbspolitischen Gesichtspunkten fragwürdig. Trifft es denn zu, wie das Hotel- und Gaststättengewerbe behauptet, daß die gegenwärtige steuerliche Behandlung der gemeinnützigen Vereine mittelständische Existenzen, insbesondere im Gaststättenbereich, aber auch im Handel, beispielsweise im Handel mit Sportartikeln, gefährdet?All diese Fragen müssen im Zusammenhang geprüft werden.
Man kann hier nicht einzelne Dinge hervorheben. Das heißt, es muß sich eine unabhängige Sachverständigenkommission dieser Fragen annehmen, um die Voraussetzungen dafür zu schaffen. Denn das ist im politischen Alltagsgeschäft nicht in der notwendigen Abgewogenheit möglich.Ich darf zum Schluß noch darauf hinweisen, daß die FDP deutlich erklärt, daß ihre Sympathie insbesondere den Vorlagen gilt, die sich darauf richten, das Stiftungsrecht insbesondere im kulturellen Bereich, bei Wissenschaft und Forschung zu verbessern.
Dies ist ein neues Anliegen, das wir gerade erst in einer Großen Anfrage der Koalitionsfraktionen zur Kulturförderungspolitik gemeinsam formuliert haben. Wir hoffen, daß es in diesem Bereich Verbesserungen geben wird. Genauso bin ich persönlich der Meinung, daß eine Erhöhung der Lehrgangsleiterpauschale von 2 400 DM auf 3 600 DM durchaus diskutabel ist. Aber ich glaube, singuläre Maßnahmen helfen uns nicht weiter. Vielmehr müssen wir diese Fragen im Gesamtzusammenhang diskutieren und dann gemeinsame Lösungen erarbeiten.Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat der Herr Parlamentarische Staatssekretär Dr. Häfele.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Die beiden Anträge, die wir heute abend hier miteinander bereden, wollen die Tätigkeit, die ehrenamtliche Tätigkeit der Vereine stärken. Damit anerkennen wir alle vor allem die Arbeit der vielen ehrenamtlichen Helfer, die in den Vereinen Großartiges leisten.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 156. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. September 1985 11745
Parl. Staatssekretär Dr. HäfeleDaß die Bundesregierung dies besonders anerkennt, haben wir auch schon mit Taten bewiesen. Einer meiner ersten Amtshandlungen — das kann ich hier einmal öffentlich sagen —, als ich als Parlamentarischer Staatssekretär ins Finanzministerium eingezogen bin, war, eine entsprechende Verfügung des vorherigen Finanzministers aufzuheben und damit wenigstens die Erstattung von Ausbildungskosten bis zu 5 000 DM bei den Vereinen anzuerkennen. Das hatte die Regierung vorher ständig abgelehnt. Wir dagegen haben es gleich in den ersten Wochen — mit einem Federstrich — anerkannt.
Wir haben auch gleich zu Beginn eine Unterkommission eingesetzt, um mit den Landesfinanzbehörden das den Vereinen, den Amateurvereinen sehr am Herzen liegende Problem, das der Kollege Spilker angesprochen hat, der ja in der Sportbewegung eine verantwortliche Position hat, zu lösen, nämlich die Amateurvereine aus der Zwielichtigkeit zu befreien, in die sie oft unfreiwillig hineinkommen, indem wir den Amateurbereich vom bezahlten Bereich getrennt haben. Wir sind — ich kann das heute abend einmal sagen — dran
— ob es dieses Jahr noch klappt, bin ich nicht ganz sicher, aber zu Beginn des nächsten Jahres wird das Ergebnis, und zwar, wie es ausschaut, ein positives Ergebnis, vorliegen —, hier eine teilweise Gemeinnützigkeit auf die Beine zu bringen.
Das bewegt die Vereine, die Amateurvereine draußen am meisten — darüber wird viel zu wenig gesprochen —: daß wir sie aus dieser Grauzone befreien. Ich fordere die Finanzämter auf, in der Zwischenzeit nicht da und dort den Überscharfen zu spielen, bis wir diese vernünftige Lösung gefunden haben.
Schließlich haben wir auch die Anregung des Kollegen Solms aufgegriffen. Der Bundesfinanzminister wird demnächst eine unabhängige Sachverständigenkommission ins Leben rufen, um die gesamten Probleme der Gemeinnützigkeit — das ist ja nicht mehr stimmig — zu lösen, d. h. in das Ganze eine klare Linie zu bringen. Die Vereine wollen Klarheit, eine klare Linie. Wir wollen künftig sauber miteinander verfahren.Soviel wollte ich sagen. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Der Herr Abgeordnete Struck hat das Wort.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Sportfreunde!
— Ich sage das als einer der Leistungsträger der Abgeordnetenfußballmannschaft, wie mir die Sportkollegen bestätigen werden.
Davon verstehen Sie nichts.
Ich will zunächst etwas zu dem Gesetzentwurf des Bundesrates zur Änderung der Abgabenordnung als Steuer- und Finanzpolitiker sagen. Dieser Gesetzentwurf wird von uns grundsätzlich begrüßt. Vor allem der eigentlichen Zielsetzung, die Leistungsfähigkeit der forschungsfördernden Stiftungen langfristig zu sichern, stimmen wir zu. Allerdings muß ganz klar gesehen werden, daß die vorgesehene Möglichkeit der Rücklagenbildung dazu führt, daß in den ersten Jahren weitaus weniger Mittel von den Körperschaften für ihre eigentlichen satzungsmäßigen Zwecke verwendet werden müssen als bisher.
Wir müssen uns über einige Fragen dieses Gesetzentwurfes noch im Ausschuß unterhalten. Es sollte z. B. daran gedacht werden, die für eine Kapitalerhöhung einsetzbaren Mittel beispielsweise auf 25 % der Erträge aus der Tochtergesellschaft zu begrenzen. Weitere Einzelheiten werden wir in den Ausschußberatungen sicherlich noch erörtern.
Die Vernunft der Bundesregierung wächst um so mehr, je näher der Wahltag kommt.
— Nein. Wir waren von Anfang an vernünftig, vom Beginn unserer Arbeit an. Wir sind nicht nur mit Blick auf den Wahltag vernünftiger geworden.Herr Kollege Häfele und meine Damen und Herren von den Koalitionsfraktionen, der Bundeskanzler rühmt sich, ein Enkel Konrad Adenauers zu sein. In einem Punkte ist er das wirklich und auch sein Kanzleramtsminister, Herr Schäuble, nämlich insoweit, als man Adenauer den Spruch zuschreibt: „Was schert mich mein Geschwätz von gestern?" Da sind sowohl Herr Kohl als auch der Minister im Kanzleramt absolut konsequent: Auch sie schert das Geschwätz von gestern nicht. Ich nehme den Antrag der Fraktion der CDU/CSU, Herr Kollege Spilker — Drucksache 8/2668 — zur Hand
— ja, Sie haben ihn erwähnt — oder die Rede des Kollegen Schäuble, die er am 17. Mai 1979 hier gehalten hat — 8. Wahlperiode, 154. Sitzung, Seite 12363 —. Damals hat er allen genau das gesagt, was wir in unserem Antrag jetzt fordern.Zu Ihnen, Herr Kollege Spilker — wir machen das j a sozusagen unter uns Fachleuten ohne Polemik —: Wir haben einen Gesetzentwurf deshalb nicht eingebracht, weil wir schon der Auffassung
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Dr. Strucksind, daß ein Entschließungsantrag besser geeignet ist, im zuständigen Fachausschuß einen Konsens zu erreichen. Das gilt auch vor dem Hintergrund dessen, was Sie früher für richtig gehalten haben, Herr Kollege Spilker.Herr Kollege Tillmann, vielleicht kann man doch ohne große Polemik auch darüber reden, was denn eigentlich in der Bundesrepublik Deutschland im Interesse der Sportvereine noch machbar ist. Wir sind alle Sportler und alle Mitglieder von Sportvereinen. Wir sollten das nicht vordergründig nutzen, um politisches Kapital aus einer Sache zu schlagen, bei der wir uns hinsichtlich der Zielsetzung eigentlich einig sein sollten.Herr Kollege Spilker, Sie haben gesagt, der Deutsche Sportbund sei mit der Bundesregierung nach der Wende sehr zufrieden.
— Na gut, dann habe ich Sie mißverstanden. Er kann auch gar nicht mit der Bundesregierung zufrieden sein. Ich erinnere Sie an ein Schreiben, das der Vorsitzende der Deutschen Sportkonferenz Willy Weyer an den Bundeskanzler Dr. Kohl mit Datum vom 29. August 1985 gerichtet hat. Thema: Sport und Steuern. Dieses Schreiben ist auch den Vorsitzenden der im Bundestag vertretenen Fraktionen zugegangen. Aus diesem Schreiben kann man wirklich nicht entnehmen, daß der deutsche Sport mit dem zufrieden ist, was nach der Bundestagswahl im Bereich Sport und Steuern bisher passiert ist. Die Pressemitteilung des Deutschen Sportbundes zu diesem Thema steht unter der Überschrift: „Weyer erinnert den Bundeskanzler und mahnt zur Eile". Genau das haben auch wir getan. Wir mahnen Sie zur Eile, meine Damen und Herren von den Regierungsfraktionen. Halten Sie sich an das, was Sie vor einigen Jahren gefordert haben, was Sie damals für richtig gehalten haben und wir heute für richtig halten.
Herr Abgeordneter Struck, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Spilker?
Immer, Herr Kollege Spilker.
Herr Kollege, würden Sie freundlicherweise zur Kenntnis nehmen, daß Sie eben von falschen Voraussetzungen ausgegangen sind? Ich habe Herrn Kollegen Klein gesagt, er sei nicht legitimiert, für den Deutschen Sportbund zu sprechen. Das habe ich gesagt, nicht mehr und nicht weniger.
Herr Kollege Spilker, ich weiß nicht, ob Sie Interesse an einer Antwort haben; denn Sie gehen schon wieder weg. Aber ich will Ihnen die Frage gern beantworten.
Legitimiert, für den deutschen Sport zu sprechen, sind die Gremien des deutschen Sports, z. B. die Deutsche Sportkonferenz — den Vorsitzenden habe ich eben zitiert — oder der Deutsche Sportbund.
Der Kollege Heiner Klein hat Vertreter des deutschen Sports zitiert. Niemand von uns wird sich anmaßen wollen — Sie nicht und wir nicht —, für den deutschen Sport in seiner Gesamtheit zu reden. Das zur Klarstellung.
— Herr Spilker, wenn Sie noch eine Zusatzfrage haben, bitte!
Dann muß ich Sie fragen, ob Sie sich beim Zuhören nicht doch getäuscht haben; denn Kollege Klein hat nicht zitiert, sondern festgestellt, daß der Sport — ob in seiner Gesamtheit oder nicht, weiß ich nicht — mit der Politik nicht einverstanden ist. Das ist kein Zitat.
Aber, Herr Kollege Spilker, der Kollege Heiner Klein hat nichts anderes als das getan, was auch ich jetzt getan habe. Es geht um das, was die Deutsche Sportkonferenz — ich stelle Ihnen das hinterher gern zur Verfügung — zu dem Thema Sport und Steuern kürzlich gesagt hat, nämlich in der Pressemitteilung vom 9. September, also in dieser Woche; der Brief an den Kanzler stammt vom 29. August. Lassen Sie uns das jetzt nicht vertiefen! Wir sind uns vom Prinzip her einig, daß wir das Thema Sport und Steuern mit den Gremien des Sports beraten sollten.
Ich sage noch einmal: Die SPD-Fraktion will aus diesem Thema kein Kapital in dem Sinne schneiden, daß wir Sie vorführen wollen, nur damit wir irgendeinen vordergründigen Vorteil hätten. Vielmehr wollen wir gemeinsam mit Ihnen, die Sie die Mehrheit in diesem Hause haben, etwas im Interesse der deutschen Sportvereine zu erreichen versuchen. Da bitten wir um Ihre Hilfe.
Vielen Dank.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Tillmann.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Nach Ihrem durchaus sachlichen Beitrag, Herr Kollege Struck, tue ich mich leichter, zu sagen, daß ich Ihren Antrag für begrüßenswert und wertvoll halte, nicht nur weil er offenlegt und aktenkundig macht, was Sie in 13 Jahren alles hätten tun können, wenn Sie es nur hätten tun wollen
— aber es ist ja leider wenig geschehen —, sondern weil er auch zu entsprechenden Initiativen aus SPD-regierten Bundesländern führen müßte, die ich allerdings vermisse. Diese Bundesländer hätten doch die Möglichkeit, über den Bundesrat entsprechende Initiativen einzuleiten. Aber hier muß ich sagen: Fehlanzeige! Bisher gibt es Initiativen nur aus CDU-regierten Bundesländern, die in den Bun-
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Tillmanndesrat und damit in das Gesetzgebungsverfahren gekommen sind.
— Herr Kollege Büchner, ich meine es tatsächlich so. Der Antrag hat auch in der Sache etwas für sich.Herr Kollege Struck, Sie haben deutlich gemacht, daß wir alle in diesem Bereich das Beste für den Sport tun wollen. Es hat keinen Sinn, sich hier gegenseitig Sünden der Vergangenheit vorzuwerfen. Wir sollten bei den Beratungen in den Ausschüssen jetzt versuchen, das Beste für den Sport zu erreichen. Er hat einen Anspruch darauf, von uns vernünftig behandelt zu werden. Er hat einen Anspruch darauf, vernünftige Rahmenbedingungen für seine wertvolle Arbeit zu bekommen.Daher begrüße ich es — auch Herr Kollege Spilker hat es schon angesprochen —, Herr Staatssekretär, daß wir zu dieser unabhängigen Expertenkommission kommen, die eine vernünftige Grundlage für das neue Gemeinnützigkeitsrecht, das wir alle brauchen, auf den Tisch legen soll.Was ich hier heute mit besonderer Freude gehört habe, Herr Staatssekretär, ist etwas, was ich eigentlich schon gar nicht mehr erwartet habe, daß nämlich die Unterkommission der Körperschaftsteuerreferenten noch Anfang nächsten Jahres zu den Ergebnissen ihrer Arbeit kommen soll. Ich halte diese Beschleunigung auch für dringend erforderlich.
Der deutsche Sport wartet hier auf Ergebnisse.Ich will aber auch noch einmal herausstellen, meine sehr verehrten Damen und Herren von der SPD, daß es nicht so ist, daß wir als Regierung und als Koalition hier mit leeren Händen dastehen.
— Ich dachte, ich würde ein freundliches Gesicht machen, aber wenn das nicht so sein sollte: ich bin wirklich hervorragend sportlich fair und gut aufgelegt. Ich will also noch einmal sagen — Herr Staatssekretär Häfele hat das auch schon betont —, die Herstellung gemeinnützigkeitsgerechter Verhältnisse bei der Zahlung von Ausbildungskosten ist vom Deutschen Sportbund gefordert, ist von der Regierung so durchgesetzt worden und ist ein Erfolg für den deutschen Sport.Ich darf ferner noch einmal darauf hinweisen — Herr Kollege Spilker hat das schon angesprochen —, daß uns die Beratung des Steuerbereinigungsgesetzes noch Gelegenheit gibt, Entscheidendes zu tun für die Verbesserung der Bedingungen der Vereine.
Es ist ja bekanntlich eine Initiative des Bundesrates, die Freigrenze von 12 000 DM im Bereich des § 68 Nr. 7 der Abgabenordnung abzuschaffen. Dieser Gesetzesinitiative des Bundesrates hat die Bundesregierung bereits zugestimmt, Herr Staatssekretär, und ich hoffe, daß sich daran im Gesetzgebungsverfahren nichts ändern wird. Ich kenne die Bedenken der Wirtschaft, z. B. des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbandes, ich möchte aber darauf aufmerksam machen, daß es sich bei dieser Freigrenze um den Bereich der Zweckbetriebe handelt, daß hier die Freigrenze nur für Einnahmen aus Zweckbetrieben wegfällt, Herr Kollege Struck, und nicht für Einnahmen aus wirtschaftlichen Geschäftsbetrieben. Wenn es hier zu Turbulenzen gekommen sein sollte, die den Dehoga verunsichern, dann muß ich hier die Behörden in den Ländern und Gemeinden bitten, beim Vollzug der Gesetze und Vorschriften darauf zu achten, daß nicht kulturelle, sportliche und gesellige Veranstaltungen dazu benutzt werden, wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb zu kaschieren. Es ist hier aber nicht die Frage an den Gesetzgeber, Entsprechendes zu tun, sondern hier muß der Vollzug sein Defizit beseitigen. Dazu kann ich nur auffordern.Insgesamt gesehen wiederhole ich: Wir begrüßen es, daß wir uns auf Grund des Antrages der Kollegen der SPD und der Fraktion mit diesen Themen jetzt in den Ausschüssen intensiv beschäftigen können. Ich darf Ihnen mitteilen, daß heute mittag die Vorsitzenden der Sportausschüsse der Länderparlamente und der Vorsitzende des Sportausschusses des Deutschen Bundestages zum ersten Mal zusammengekommen sind, um auch über die Frage Sport und Steuern zu sprechen.
Die Kollegen aus den Ländern werden — das haben wir vereinbart — diese Themen auch in den jeweiligen Landesparlamenten zur Debatte stellen. Sie werden die zuständigen Minister und die Sportausschüsse bitten — darauf müssen wir Wert legen, Herr Staatssekretär Häfele —, daß nicht nur der Bund hier bereitwillig mitzieht, sondern daß auch die Bundesländer in diesen Steuerfragen ihren Beitrag leisten, um zu erreichen, daß auch bei ihnen eine ebenso sportfreundliche Gesinnung im Rahmen von Gemeinnützigkeitsverordnungen und Steuerfragen vorhanden ist beziehungsweise — sollte sie nicht vorhanden sein — noch entsteht, so wie es beim Bund — was sich heute hier gezeigt hat — offensichtlich der Fall ist.Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat der Kollege Büchner.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Fraktion der SPD begrüßt es, daß unser Antrag zumindest jetzt dazu geführt hat, daß Sie sich in den letzten beiden Reden von Ihrer Seite dazu bereit erklärt haben, jetzt in eine ernsthafte Diskussion über diese wichtige Frage einzutreten, nachdem Sie drei Jahre lang zwar begleitende Gespräche geführt haben und wir immer wieder vorgehalten bekamen, was Sie versprochen haben, aber nicht zu einem Vorschlag gekommen sind und nichts umgesetzt haben. Wir- begrüßen, daß Sie diesen Antrag heute zum Anlaß
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Büchner
nehmen, jetzt mit uns offensichtlich gemeinsam tätig zu werden.
Wir haben das Problem — darauf will ich noch einmal hinweisen — der steuerlichen Trennung der gemeinnützigen Amateursportvereine von Gemeinschaften und Organisationen, die den Sport überwiegend oder ganz mit Gewinnabsicht betreiben, nicht erst seit einigen Wochen. Das wird immer dringender, das ist wohl wahr, und es ist höchste Zeit — das müssen wir gemeinsam von der Bundesregierung fordern —, daß sie in enger Absprache mit dem deutschen Sport Regelungen beschließt, die gewissen Erscheinungen nicht ganz den Boden wegziehen. Das sind alles keine Millionen- oder Milliardenunternehmen, sondern das sind Unternehmen, die auch in den Breitensport hineinwirken. Hier muß gehandelt werden, bevor hier Wichtiges verlorengeht.
Wir wollen gerne auch aufnehmen, daß Sie, Herr Kollege Solms — er ist jetzt nicht mehr da —, dies in einen größeren Zusammenhang stellen wollen. Wir sind nicht dagegen, nur darf das nicht dazu führen, daß noch einmal drei Jahre ins Land gehen und die Sportvereine und Verbände mit Versprechungen hingehalten werden, ohne daß konkrete Maßnahmen durchgeführt werden.
Wir bieten Ihnen auf der Grundlage unseres Antrages eine zügige und sachliche Beratung an. Bitte wählen Sie nicht den Weg über Kommissionen und über grundsätzliche Untersuchungen, sondern sorgen Sie dafür — die Nähe der Wahl wird Sie auch dazu drängen, wie ich Ihren etwas einsichtigeren Einlassungen der letzten paar Minuten entnehme —, daß wir baldmöglichst zu einer Regelung kommen, die die wirklich für die Gemeinschaft tätigen Vereine und Verbände auch mit dem ausstattet, was sie zur Erfüllung ihrer Aufgaben heute brauchen. Was wir 1977 begonnen haben, muß jetzt, nach acht Jahren Gültigkeitsdauer, fortgeschrieben werden. Dies ist eine dringende, eine gemeinsame Aufgabe.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Der Ältestenrat schlägt Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 10/3295 und 10/3094 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vor. Zusätzlich wird interfraktionell die Überweisung der Vorlagen zur Mitberatung an den Ausschuß für Bildung und Wissenschaft und den Rechtsausschuß vorgeschlagen. Gibt es dazu Einwendungen? — Das ist nicht der Fall. Dann ist das so beschlossen.
Ich rufe die Punkte 9 a und 9 b der Tagesordnung auf:
a) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung zu dem Antrag der Abgeordneten Dreßler, Conradi, Frau Dr. Däubler-Gmelin, Egert, Dr. Ehmke (Bonn), Gilges, Frau Luuk, Peter (Kassel), Poß, Sander, Schröer (Mülheim), Sieler, Frau Steinhauer, Vogelsang, Wartenberg (Berlin), von der Wiesche, Zeitler und der Fraktion der SPD
Änderung der Arbeitserlaubnisverordnung
— Drucksachen 10/2627, 10/3581 —
Berichterstatter: Abgeordneter Tischer
b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über eine Wiedereingliederungshilfe im Wohnungsbau für rückkehrende Ausländer
— Drucksache 10/3760 —
Überweisungsvorschlag des Ältesten rates:
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Innenausschuß
Finanzausschuß
Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO
Im Ältestenrat sind eine gemeinsame Beratung der beiden Punkte der Tagesordnung und ein Beitrag von bis zu zehn Minuten für jede Fraktion vereinbart worden. Gibt es dagegen Widerspruch? — Das ist nicht der Fall. Dann ist das so beschlossen.
Das Wort hat der Herr Parlamentarische Staatssekretär Vogt.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Unsere Ausländerpolitik hat zwei wichtige Grundsätze. Erstens geben wir denen Hilfe, die bei uns bleiben wollen, wir unterstützen sie bei der Eingliederung. Zweitens helfen wir denen, die in ihre Heimat zurückkehren wollen. Diese Gruppe unterstützen wir bei der Wiedereingliederung in ihre Herkunftsländer.Aber die Entscheidung liegt bei den Betroffenen. Wir drängen nicht. Wir schieben nicht ab. Wir bieten Hilfe an.Das Rückkehrförderungsgesetz hat gezeigt, daß viele ausländische Arbeitnehmer nicht auf Dauer bei uns bleiben wollen. Die Inanspruchnahme war bekanntlich dreimal so hoch wie erwartet. Aber auch unabhängig von den Hilfen des Rückkehrförderungsgesetzes sind Jahr für Jahr Hunderttausende in ihre Heimatländer zurückgekehrt. Seit 1974 waren es 3' 72 Millionen allein aus den Anwerbestaaten. Und in keinem Jahr waren es weniger als 227 000.Die Rückkehr, meine Damen und Herren, ist für viele ein schwieriger Schritt. Die Arbeitnehmer haben manchmal Jahre, Jahrzehnte in einer anderen Kultur verbracht. Viele Kinder wurden hier geboren. Das bringt Reintegrationsprobleme mit sich.
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Parl. Staatssekretär VogtUnser Gesetzentwurf ist ein Baustein eines umfassenden Reintegrationskonzeptes.Der Gesetzentwurf setzt bei einem Hauptanliegen der meisten Heimkehrer an: bei der eigenen Wohnung, bei dem eigenen Haus. Dieses Ziel steht auch bei den ausländischen Arbeitnehmern ganz oben auf der Wunschliste. Der Gesetzentwurf ermöglicht es vor allem türkischen Arbeitnehmern, mit deutschen Bauspardarlehen in der Türkei zu bauen. Dieses Gesetz ist übrigens auch ein Dokument einer guten Zusammenarbeit mit der Türkei, denn es geht auf einen türkischen Wunsch zurück. Wir haben es in engem Kontakt mit dem türkischen Partner erarbeitet. Die Türkei hat diesen Gesetzentwurf ausdrücklich begrüßt.Lassen Sie mich die Einzelheiten kurz skizzieren:Erstens. Anspruchsberechtigt sind grundsätzlich die zur Rückkehr in ihre Heimat entschlossenen Ausländer aus den ehemaligen Anwerbestaaten außerhalb der Europäischen Gemeinschaft; das sind Jugoslawen, Koreaner, Marokkaner, Türken und Tunesier.Zweitens. Der Bausparer kann die Bausparsumme zum Wohnungsbau im Heimatland verwenden, und zwar steuer- und prämienunschädlich.Drittens. Die Bausparsumme für den Wohnungsbau im Heimatland wird auf 60 000 DM begrenzt. Das entspricht den durchschnittlichen Baukosten in den Herkunftsländern.Viertens. Das Gesetz gilt für Bausparverträge, mit deren Auszahlung bis Ende 1993 begonnen sein wird. Begünstigt sind also nicht nur diejenigen, die schon einen Bausparvertrag haben, es wird vielmehr auch noch der Abschluß von Neuverträgen ermöglicht. Deshalb können auch Arbeitnehmer, die bisher keine Bausparer waren, in den Genuß der Anwendung des Gesetzes gelangen.Fünftens. Das Bauspardarlehen wird nur an diejenigen Ausländer ausgezahlt, die spätestens innerhalb von vier Jahren nach Beginn der Auszahlung in das Heimatland zurückkehren. Denn das Ziel des Gesetzes ist eine Wiedereingliederungshilfe. Kehrt der Ausländer nicht zurück, hat er das Bauspardarlehen, die Zinsvorteile und die Sparförderung zurückzuzahlen; denn erstens ist dann das Ziel der Wiedereingliederungshilfe nicht erreicht und zweitens würde er sonst anders behandelt als die deutschen Bausparer, die bekanntlich ihre Verträge auch nicht im Ausland verwenden dürfen.Wir rechnen damit, daß vor allem türkische Arbeitnehmer von dem Angebot Gebrauch machen werden; denn zur Zeit haben rund 150 000 Ausländer einen Bausparvertrag, davon 130 000 Türken. Im übrigen hat sich die türkische Regierung bereit erklärt, das Rückzahlungsrisiko, das Währungsrisiko und das Transferrisiko für die Darlehen an die türkischen Bausparer zu übernehmen. Das ist eine notwendige Voraussetzung für die Inanspruchnahme dieses Gesetzes. Ich hoffe, daß das türkische Beispiel auch bei den anderen Ländern Schulemacht, damit der gesamte Adressatenkreis dieses Gesetzes erreicht werden kann.Ich sagte, meine Damen und Herren, das Gesetz ist ein Mosaikstein unseres Wiedereingliederungskonzeptes. Weitere Maßnahmen werden in Zusammenarbeit mit den Herkunftsländern geplant; einige sind schon eingeleitet. Dazu gehört z. B. die vom Auswärtigen Amt und einigen Bundesländern angebotene Entsendung deutscher Lehrer an türkische Schulen. Das hilft den Rückkehrerkindern bei der Eingliederung in das türkische Bildungssystem.Hervorheben will ich auch die Bemühungen um bessere berufliche Ausbildung von rückkehrenden ausländischen Arbeitnehmern. Hierbei ist an eine Qualifizierung bei uns wie auch im Heimatland gedacht.Daneben prüft die Bundesregierung, ob und wie sie bei der Gründung selbständiger Existenzen in den Herkunftsländern helfen kann.Rückkehrhilfen und Anstrengungen zur Integration von Ausländern in unsere Gesellschaft ergänzen sich. Wir bevormunden niemanden. Wir geben unseren ausländischen Mitbürgern mit dem Gesetz ein Stück zusätzlicher Entscheidungsfreiheit. Ich bitte den Deutschen Bundestag um eine zügige Beratung dieses Gesetzes.
Ich eröffne die Aussprache über die Tagesordnungspunkte 9 a und b.
Das Wort hat die Frau Abgeordnete Steinhauer.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Herren und Damen! Der Vertreter der Bundesregierung, Herr Staatssekretär Vogt, hat die zwei Punkte der Ausländerpolitik der Bundesregierung herausgestellt: Integration hier im Lande und Rückkehrförderung. Leider hat er aber nur zur Rückkehrförderung gesprochen. Ich hoffe, das ist nicht symptomatisch für die Reihenfolge der Politik dieser Regierung.
Die verbundene Debatte enthält unter Punkt a) die Ihnen vorliegende Beschlußempfehlung und den Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung über den Antrag meiner Fraktion, die Arbeitserlaubnisverordnung in einem wichtigen Punkt zu ändern. Diese Änderung wird nicht die Welt bewegen, aber sie wird vielen Menschen in unserem Lande helfen; helfen, um mehr Sicherheit für ihren Arbeitsplatz, ihren Aufenthalt in der Bundesrepublik und damit für ihre Lebensplanung zu bringen.
Arbeitnehmer, die innerhalb der Bundesrepublik nicht die Freizügigkeit genießen, wie sie für deutsche Staatsbürger und inzwischen auch für Bürger der übrigen Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft selbstverständlich ist, bedürfen einer Arbeitserlaubnis. Betroffen von dieser Auflage sind
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11750 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 156. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. September 1985
Frau Steinhaueralso alle Arbeitnehmer aus den sogenannten Drittstaaten.Das Fehlen oder der Verlust einer solchen Arbeitserlaubnis ist für viele ausländische Arbeitnehmer in unserem Lande im wahrsten Sinne des Wortes existenzbedrohend und -vernichtend. Das Leben unserer ausländischen Mitbürger wird nur noch komplizierter dadurch, daß besagte Arbeitserlaubnisverordnung fein zwischen einer allgemeinen Arbeitserlaubnis und einer besonderen Arbeitserlaubnis unterscheidet.Die sogenannte besondere Arbeitserlaubnis ist für den betreffenden Arbeitnehmer von besonderem Wert, auch wenn sie ihren Namen nicht aus diesem Grund hat, weil sie ihm eine bedeutend festere Rechtsposition vermittelt. Nun gehörte bisher zur Antragsvoraussetzung unter anderem, daß der Antragsteller in den vorausgegangenen letzten fünf Jahren eine ununterbrochene rechtmäßige Erwerbstätigkeit nachweisen kann.So weit, so gut. Aber wir wissen alle, daß das Leben oft nicht so glatt verläuft und ein bestimmter Verlauf auch kaum zu verordnen ist. Die Folge ist, daß manchem ausländischen Arbeitnehmer ohne eigenes Verschulden Unterbrechungen der Arbeitsverhältnisse widerfuhren, die den Arbeitsämtern, die diese erwünschte besondere Arbeitserlaubnis erteilen müssen, diese Erteilung aber unmöglich machten. Diesen beklagenswerten Zustand sollte die Annahme unseres Antrags beenden. Wir wollten, daß der Nachweis der erforderlichen fünf Jahre ohne jede einengende Frist möglich sein sollte.Die jetzt vorliegende Beschlußempfehlung sieht für die fünf Jahre Tätigkeit eine Rahmenfrist von insgesamt acht Jahren vor. Einer solchen Regelung stimmt die SPD-Bundestagsfraktion zu, weil dieser Kompromiß ausreicht, um die von uns gewollte Hilfe zu erreichen. Wir begrüßen es dankbar, daß der Beschluß im federführenden Ausschuß einstimmig erfolgte.
Wir hoffen, daß der Bundesarbeitsminister alsbald die entsprechende Arbeitserlaubnisverordnung ändern wird, auch wenn er heute hier dazu nichts sagen wird.Wir stellen mit Genugtuung fest, daß die Kollegen und Kolleginnen der Regierungskoalition im Ausschuß unserem Verbesserungsvorschlag zugestimmt haben. Auf diese Weise siegten nicht Mehrheitsverhältnisse, sondern Einsicht und Hilfsbereitschaft.
Eine solche Konstellation findet sich in diesem Hause nicht häufig. Deshalb sei mir die so formulierte ausdrückliche Würdigung gestattet.
Außer der Beschlußfassung zur Arbeitserlaubnisverordnung steht noch die erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über eine Wiedereingliederungshilfe im Wohnungsbau für rückkehrende Ausländer an.Darüber hat der Herr Staatssekretär soeben ausführlich berichtet.Mit diesem Gesetzentwurf will die Bundesregierung heimkehrenden ausländischen Arbeitnehmern aus Ländern ebenfalls außerhalb der Europäischen Gemeinschaft Bauspardarlehen für Bauten in ihren Heimatländern gewähren, wenn diese Arbeitnehmer auf eine Rückkehr in die Bundesrepublik verzichten.Die erste Beratung eines Gesetzentwurfs ist weder Ort noch Anlaß, um über die Tauglichkeit eines solchen Vorhabens abschließend zu urteilen. Nur soviel soll angemerkt werden: schon die erste Sichtung der vorgesehenen Regelungen wirft kritische Fragen auf.Innerhalb von vier Jahren nach Auszahlung des Bauspardarlehens muß der Antragsteller die Bundesrepublik verlassen haben. Kann einem ausländischen Arbeitnehmer zugemutet werden, solche existenziellen Fragen seiner Lebensplanung auf vier Jahre im voraus zu treffen? Und wenn die guten Absichten mißlingen: übersieht er die finanziellen Folgen der dann fälligen Zahlung des Unterschiedsbetrages zwischen dem günstigen Bauspardarlehenszins und dem Durchschnittszins für Hypothekardarlehen auf sein Wohnungsgrundstück? Sind solche Forderungen überhaupt rechtlich zu Ende gedacht?Dazu gehört aber auch die Frage nach etwaigen Auswirkungen auf die Bausparer ganz allgemein, also nicht nur auf die ausländischen Arbeitnehmer.Diesen und weiteren Fragen wird die SPD-Fraktion in den Ausschußberatungen gründlich nachgehen. Sie wird, wie schon beim sogenannten Rückkehrförderungsgesetz mit seinen Abschiebeprämien, jeden Versuch ablehnen, daß mit Geld zum Weggang aus der Bundesrepublik Deutschland in eine neue Armut verführt wird — und dies im wohlverstandenen Interesse unserer ausländischen Mitbürger und Kolleginnen und Kollegen.Dem Überweisungsvorschlag stimmt die SPD-Fraktion zu.
Das Wort hat der Abgeordnete Jagoda.
Frau Präsidentin, meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Frau Kollegin Steinhauer, ich bin Ihnen sehr dankbar, daß Sie hier ein Beispiel dafür gegeben haben, wie im Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung doch manchmal miteinander gerungen worden ist, aber auch vernünftige Vorschläge der Opposition angenommen worden sind.
— Ich habe diesem Ausschuß auch als Oppositionsabgeordneter angehört, Herr Kollege, kann mich
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Jagodaaber an ein solches Beispiel zu meinen Oppositionszeiten nicht erinnern.
Ich möchte zu diesem Problem etwas sagen. Wir haben j a zugestimmt; aber ich möchte nicht, daß der Eindruck erweckt wird, als seien das katastrophale Zustände gewesen. Nachdem die Bundesregierung den Anwerbestopp am 23. November 1973 verfügt hat, hat der Präsident der Bundesanstalt für Arbeit eine Dienstanweisung herausgegeben. Aus dieser Dienstanweisung können Sie sehen, daß eine Arbeitserlaubnis für ausländische Arbeitnehmer, die nach dem Anwerbestopp in das Bundesgebiet eingereist sind, unter Berücksichtigung der Verhältnisse des Einzelfalls zu erteilen war und daß die Zahlen darüber Auskunft geben, daß es zahlenmäßig nur geringe Fälle sind, die uns hier zur Regelung vorliegen.Lassen Sie mich aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung kommen. Die Grundwertbildung unserer Politik verpflichtet uns zur sozialen Integration der ausländischen Arbeitnehmer und ihrer Familien in unsere Gesellschaft sowie zur Erhaltung der kulturellen Eigenständigkeit und der Förderung ihrer Kontakte zum Heimatland. Es ist dafür zu sorgen, daß die ausländischen Arbeitnehmer und ihre Familien während ihres Aufenthalts in Deutschland unter menschenwürdigen Bedingungen leben, ihre personale und berufliche Zukunft selbst wählen, ihre kulturelle Eigenständigkeit bewahren und dadurch die Möglichkeit der Rückkehr und Wiedereingliederung in ihre Heimat offenhalten können. Das ist Gedankengut der Union; danach handeln wir auch in der Ausländerpolitik.
Wir sind für Integration und Rückkehrmöglichkeit. Der ausländische Arbeitnehmer soll frei entscheiden können. Entscheidet er sich für die Rückkehr in sein Heimatland, dann empfinden wir es als unsere Pflicht, ihm bei seiner Wiedereingliederung zu helfen.Den Kritikern, die in dieser Politik eine Art Abschiebung sehen, möchte ich sagen, daß die Wirklichkeit unsere Politik bestätigt. Umfragen haben ergeben, daß mehr als drei Viertel der in Deutschland tätigen ausländischen Arbeitnehmer einen Rückkehrwunsch äußern,
daß 42 % der ausländischen Bevölkerung weniger als zehn Jahre in der Bundesrepublik bleiben und daß jährlich zirka eine halbe Million Ausländer unser Land wieder verlassen. Hier wird deutlich, daß es der Wunsch der Betroffenen ist, in ihre Heimat zurückzukehren.Deshalb begrüße ich für meine Fraktion, daß die Bundesregierung in dieser Legislaturperiode schon zum zweiten Mal den Rückkehrwilligen eine spürbare Hilfe zur Wiedereingliederung in ihre Heimat anbietet.
Allen Unkenrufen zum Trotz — ich möchte die Diskussion um das erste Gesetz hier nicht wieder aufleben lassen — war das Gesetz zur Förderung der Rückkehrbereitschaft von Ausländern ein voller Erfolg.
Ich bin sicher, daß auch dieses Gesetz den Betroffenen helfen und unserem Ansehen in diesen Ländern nutzen wird.Ziel dieses Gesetzes ist es, ausländischen Bausparern zu gestatten, mit ihren bei uns angesparten, von uns geförderten und auszahlungsreifen Bausparverträgen Wohnungseigentum in ihrer Heimat zu schaffen. Dies ist eine Abweichung von dem bisherigen Grundsatz, daß mit Bausparverträgen Wohnungseigentum nur bei uns in der Bundesrepublik geschaffen werden kann.Dieses Gesetz schafft nur Ansprüche für Ausländer aus Anwerbeländern außerhalb der EG. Diese Einschränkung, meine Damen und Herren, ist vertretbar, weil die Bürger von ehemaligen Anwerbestaaten, die jetzt der EG angehören, den deutschen Arbeitnehmern gleichgestellt sind; soweit es sich um neue Mitglieder handelt, werden sie dies in absehbarer Zeit sein. Sie können daher bausparrechtlich nicht anders behandelt werden als unsere deutschen Bausparer.Das Gesetz bindet diesen Vorteil an die Voraussetzung, daß der Betroffene innerhalb des Zeitraums von vier Jahren das Bundesgebiet auf Dauer verläßt. Diese Gesetzesforderung zur dauerhaften Rückkehr in das Heimatland ist zu akzeptieren. Würde eine solche Verknüpfung mit der Rückkehr nicht vorgenommen, ergäbe sich eine ungerechtfertigte Benachteiligung deutscher Bausparer gegenüber den Ausländern.
: Genauso ist es!)
Der Deutsche Gewerkschaftsbund hat in seiner Presseerklärung vom 24. Mai 1985 gesagt, daß dieser Gesetzentwurf nach seiner Auffassung einen Fortschritt in der Ausländerpolitik darstelle. Ich begrüße diese Stellungnahme.Nach Auffassung des DGB-Vorstandsmitglieds Siegfried Bleicher soll in unzulässiger Weise eine Koppelung zwischen Bausparförderung und Rückkehr vorgenommen worden sein. Diese Kritik teile ich nicht. Nähmen wir diese Koppelung nicht vor, würde in der Praxis der deutsche Bausparer benachteiligt, weil er in der Regel mit seinem Bausparvertrag nur bei uns Wohnungseigentum schaffen kann.Es ist auch nicht unbillig, daß der ausländische Bausparer, der das Bundesgebiet nicht rechtzeitig verläßt, zur sofortigen Rückzahlung des Bauspardarlehens einschließlich der Zinsvorteile und der Bausparförderung verpflichtet wird. Diese Rückzahlungsverpflichtung ergibt sich vielmehr objektiv daraus, daß der Zweck dieses Gesetzes, nämlich die Gewährung einer Wiedereingliederungshilfe im Heimatland, bei einem Verbleiben in der Bundesrepublik nicht erreicht würde.
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11752 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 156. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. September 1985
JagodaDer Gesetzentwurf trägt auch Fällen einer möglichen unverschuldeten Verzögerung der Rückreise Rechnung. Für Härtefälle sieht der Entwurf vor, daß die Rückzahlungsverpflichtung dann nicht ausgelöst wird, wenn die Rückkehr in die Heimat innerhalb von drei Monaten nach Ablauf der Vierjahresfrist erfolgt.Die von der Bundesregierung vorgeschlagene Begrenzung der Bausparsumme von 60 000 DM wird von meiner Fraktion begrüßt. Sie ist nicht nur durch die durchschnittlichen Baukosten in den Heimatländern der begünstigten Arbeitnehmer gerechtfertigt, sondern sie wird auch verhindern helfen, daß sich der rückkehrende Arbeitnehmer mit zu hohen Rückzahlungsverpflichtugen belastet.Ich begrüße für meine Fraktion ausdrücklich, daß die Bundesregierung vorgeschlagen hat, daß dieses Angebot an die ausländischen Bausparzahler zeitlich begrenzt werden soll. Das Gesetz räumt nur denjenigen ausländischen Bausparern den Vorteil zur Schaffung von Wohnungseigentum im Heimatland ein, wenn der Bausparvertrag bis zum 31. Dezember 1993 zur Auszahlung kommt. Wir wären überfordert und wir würden scheitern, wenn wir versuchen würden, allein die Wiedereingliederung von Rückkehrern in ihren Heimatländern zu betreiben. Eine erfolgreiche Wiedereingliederung kann nur in vertrauensvoller Zusammenarbeit mit den Herkunftsländern geleistet werden.Die türkischen Arbeitnehmer werden schon allein wegen ihrer großen Zahl von diesem Gesetz wahrscheinlich am meisten Gebrauch machen. Deshalb freue ich mich, daß die deutsch-türkischen Verhandlungen positive Fortschritte gemacht haben und daß wir mit diesem Gesetz einen schon seit langem von der türkischen Seite immer wieder vorgetragenen Wunsch, nämlich die in Deutschland abgeschlossenen Bausparverträge in der Türkei zu nutzen, erfüllen können.Ich möchte die Bundesregierung bestärken, so fortzufahren und ihre Bemühungen auf die anderen, nicht der EG angehörenden Anwerbeländer wie Jugoslawien, Marokko und Tunesien auszudehnen.Es ist erfreulich, daß die Frage der in § 5 der Vorlage geforderten Sicherung des Darlehens für die türkischen Bausparer bereits durch Verhandlungen zwischen dem Bundesarbeitsminister und der türkischen Regierung problemlos und unbürokratisch gelöst worden ist. Dies könnte ein Vorbild für andere Verhandlungen mit anderen Ländern sein.Erfreulich ist auch, daß neben der in diesem Gesetz vorgesehen Wiedereingliederungshilfe im Wohnungsbau auch in den anderen Bereichen, wie Schule, berufliche Bildung und Existenzgründung, geplant und gehandelt wird. Ich wünsche den Gesprächen darüber mit den Regierungen der Herkunftsländer unserer ausländischen Arbeitnehmer viel Erfolg.Die Wiedereingliederung von Rückkehrern ist in erster Linie eine Angelegenheit der Herkunftsländer. Wenn die Bundesregierung dem Parlament aber vorschlägt, dieses Gesetz zu verabschieden,dann ist dies eine bemerkenswerte Geste. Wir folgen der Regierung auf diesem Weg, weil wir die Auffassung vertreten, daß wir eine soziale Verpflichtung gegenüber den ehemals angeworbenen ausländischen Arbeitnehmern haben. Daraus leiten wir die Rechtfertigung ab, eine solche Hilfe, die dann immerhin über 100 Millionen DM ausmachen wird, zu leisten, zumal viele Herkunftsländer mit größeren und großen wirtschaftlichen Problemen zu kämpfen haben, die auch die Wiedereingliederung von Rückkehrern erschweren.Namens meiner Fraktion bitte ich die anderen Fraktionen um eine zügige Beratung und eine baldige Verabschiedung dieses Gesetzes.Ich danke Ihnen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Cronenberg.
Frau Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Der Grad unserer Zustimmung sowohl für die Beschlußempfehlung wie auch für den eingebrachten Gesetzentwurf wird nicht durch die Länge meiner Rede zum Ausdruck gebracht. Die beiden Vorredner haben im Grunde genommen inhaltlich die Positionen beschrieben, die wir für richtig halten, und deswegen kann ich für die Beschlußempfehlung sozusagen ungeteilte Zustimmung und für den Gesetzentwurf positive Bewertung für die Beratungen signalisieren.Unsere Ziele, die Integration der seit langem bei uns lebenden ausländischen Arbeitnehmer und ihrer Familien zu fördern, die Begrenzung des weiteren Zuzugs und die Förderung der Rückkehrbereitschaft, alles drei Forderungen aus der Regierungserklärung — sie könnten aus einem FDP-Wahlprogramm stammen —, werden durch diese Vorlage zum Ausdruck gebracht.
Ich habe lediglich zwei Bitten an die Regierung.Erstens. Der Kollege Neuhausen hat schon mal zum Ausdruck gebracht, daß im Zusammenhang mit dem Benachteiligtenprogramm für Jugendliche auch zahlreiche jugendliche Ausländer der zweiten Generation besonders gefördert werden sollen. Ich hoffe, daß diese Bitte zur Förderung der soeben genannten Ziele erfüllt werden kann.Zweitens möchte ich ausgesprochene Zustimmung signalisieren, wenn die Regierung andeutet, daß sie den rückkehrwilligen Ausländern bei dem Bemühen, sich selbständig zu machen, Unterstützung gewähren will. Das ist im Interesse der Rückkehrer wie auch potentieller Lieferanten sinnvoll, denn solche Gründungen im Ausland können ja möglicherweise mit deutschen Maschinen durchgeführt werden.In diesem Sinne Zustimmung signalisierend, bedanke ich mich für Ihre Aufmerksamkeit.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 156. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. September 1985 11753
Der Herr Abgeordnete Tischer hat das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In einem Punkt kann ich jetzt mit Ihnen allen, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, nicht überstimmen, und das ist die seltsame Harmonie, die zu dem berühmt-berüchtigten Thema der Ausländerpolitik hier auf das Pult gelegt wird. Mich hat das in der Tat plattgewälzt.
Es gibt wohl kaum einen weiteren politischen Bereich in der jüngeren oder älteren deutschen Geschichte, der so belastet ist wie die Beziehungen der jeweiligen Regierenden gegenüber den ausländischen Mitmenschen, sprich: den Umgang mit ausländischen Mitmenschen in dieser Republik. Es gibt wohl kaum einen weiteren politischen Bereich, in dem so viele böswillige bis braune Zitate zu finden sind wie im Verhalten gegenüber ausländischen Mitmenschen. Es ist eine schlimme Tradition deutscher Ausländerpolitik, für die man sich schämen muß. Dieser Tradition muß ein klares Ende gesetzt werden.
Denn alle unsere ausländischen Mitmenschen in dieser Republik warten sehnsüchtig auf den Tag, an welchem sie wirklich in innerem Frieden und ohne Angst glücklich und ohne die Abschiebedrohung bei uns und mit uns leben können, sei es die schwangere Türkin in Berlin, die nun wenige Tage vor der Entbindung per Polizeigewalt in die Türkei abgeschoben werden soll, oder sei es ein früherer Arbeitskollege von mir aus Ulm, der mitsamt seiner Frau und fünf Kindern voraussichtlich bis nächsten Mittwoch per Polizeigewalt laut amtlichem Beschluß vom Landratsamt Ulm oder Alb-DonauKreis in die Türkei zu verschwinden hat.
Wenn wir uns heute mit der Arbeitserlaubnisverordnung und der Wiedereingliederungshilfe im Wohnungsbau für rückkehrende Ausländer beschäftigen, dann bietet sich beim Lesen dieser beiden Papiere Vorsicht an, und zwar deshalb, weil diese Rechtskoalition mit dem Anwerbestopp und polizeistaatlicher Willkür keinen Fingerbreit von der schlimmen Tradition deutscher Ausländerpolitik gewichen ist.
Im Gegenteil, noch nie wurde in der Geschichte der BRD per Abschiebeaktion so radikal und für nationalistisches Gedankengut beinahe werbewirksam umgegangen wie heute.
Hierzu braucht man nur die heutigen Zeitungen aufzuschlagen und einmal die Nachrichten aus Berlin nachzulesen.
Vorsicht beim Durchlesen der vorliegenden Bundestags-Drucksachen ist auch deshalb geboten, weil diese Regierung aus Protesten gegen die von ihr betriebene Ausländerpolitik gelernt hat und zunehmend raffinierter, ja, beinahe heimtückischer vorgeht als je zuvor.
Ich möchte diesen Vorwurf und die integrierte Tücke der Gesetzesvorlagen konkretisieren. Der Gesetzentwurf über eine Wiedereingliederungshilfe im Wohnungsbau für rückkehrende Ausländer ermöglicht ausländischen Mitmenschen, über prämienbegünstigtes Sparen in Zukunft auch außerhalb der Bundesrepublik ein Häusle mit diesen Geldern zu bauen. Dies begrüßen wir, da es eine wirtschaftliche und menschliche Erleichterung für die Betroffenen ist. Da besteht auch Konsens. Dann kommt jedoch der hinterlistige Teil im Gesetzentwurf der Bundesregierung. Die Bundesregierung verbindet diese Möglichkeit in § 3 dieser Gesetzesvorlage mit der unmenschlichen Verpflichtung, daß diese ausländischen Mitmenschen innerhalb von vier Jahren nach Beginn der Auszahlung der Bausparsumme die BRD zu verlassen haben. Diese Klausel ist schlichtweg eine Unverschämtheit, bei der sich diese Bundesregierung fragen lassen muß, wo da nur der hochgerühmte Familiensinn bleibt, den insbesondere Wanderprediger Heiner Geißler in seinen unfamiliär scharfzüngigen Reden hervorgehoben hat.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Nein, ich möchte das gern im Zusammenhang vortragen und ich lasse mich dabei nicht stören.
— Aber es ist richtig. Das Schöne ist j a, daß Sie das ärgert.Tatsache ist doch, daß es gerade ausländische Familien sein werden, die mit diesem trickreichen Angebot angelockt werden sollen, konkret: die Türken. Das hat der Herr Staatssekretär selber vorhin auch angesprochen. Sie sind es in der Regel, die sich mit hart erspartem Geld ein Häuschen bauen. Diese Familien werden jedoch mit diesem Gesetz zum Hausbau in der Türkei verführt und anschließend — nach vier Jahren ab Benutzung der Bauspargelder — aus der Bundesrepublik herausgeschmissen. Anschließend sitzen sie in der Türkei mit einem Berg von Schulden vor dem Nichts, denn einen Arbeitsplatz wird dieser durch seinen Hausbau verschuldete türkische Mitmensch in der Türkei nicht be-
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11754 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 156. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. September 1985
Tischerkommen. Dazu ist die Arbeitsmarktsituation in der Türkei viel zu fatal. Das wissen Sie ganz genau.Da die Bausparhöchstumme laut Gesetzentwurf auf 60 000 DM begrenzt ist, muß der türkische Häusle-Bauer in der Türkei, der arbeitslos ist, einen enormen Schuldenberg abtragen, da auch in der Türkei mit 60 000 DM kein Haus zu bauen ist.
Diese Fakten beweisen, daß für diese Bundesregierung der Schutz der Familie nur ein nationales Privileg ist.Mit diesem Gesetz trickst diese Bundesregierung ausländische Mitmenschen durch die Hintertür aus der Bundesrepublik heraus und führt die Betroffenen zusätzlich noch in ein wirtschaftliches Chaos.
Vor der Inanspruchnahme dieses Gesetzes der Bundesregierung seien alle ausländischen Mitmenschen gewarnt, da dieses Gesetz ähnlich Kleingedrucktes enthält wie jene unseriösen Haustürgeschäfte, vor denen die Kriminalpolizei immer zu warnen pflegt.
Daß diese Bundesregierung mit solcherlei Abschiebepraktiken diese Mitmenschen auch sehr gut auszubeuten versteht, zeigen folgende Zahlen, mit denen diese und die vorherige SPD/FDP-Bundesregierung noch üble Gewinne zu Buche brachten. Durch Rückkehrgesetze wurden im Rentenbereich 4 Milliarden DM, an Arbeitgeberanteilen 2 Milliarden DM, bei der Arbeitslosenversicherung 18 Millionen DM und beim Kindergeld 240 Millionen DM in den letzten Jahren eingespart.
Interessant ist auch die Entstehungsgeschichte des Vorantrags zur Änderung der Arbeitserlaubnisverordnung. Hatte doch die SPD-Fraktion den vernünftigen Vorschlag eingebracht, eine besondere Arbeitserlaubnis dann zu erteilen, wenn fünf Jahre Beschäftigung, gleich, in welchem Zeitraum, nachgewiesen werden können. Da die Muskeln der SPD jedoch immer größer sind als der Wille zur Durchsetzung,
ließ sie sich in dieser wichtigen Angelegenheit zu schnell auf den Kompromiß mit der Regierungskoalition ein,
diese fünf Beschäftigungsjahre in einen achtjährigen Rahmen zu pressen. Dies ist zwar immer noch besser als die jetzige Arbeitserlaubnisverordnung, und deshalb werden DIE GRÜNEN mit großen Bauchschmerzen zustimmen. Jedoch benachteiligt diese Acht-Jahres-Eingrenzung jene ausländischen Frauen, die in den ersten Jahren ihrer Anwesenheithier Erziehungsarbeit leisten. Es ist traurig und eine Halbherzigkeit der SPD, daß in dieser Sache nicht mehr Druck erfolgte, um diesen betroffenen Frauen zu helfen.
Besonders die Diskriminierung der ausländischen Frauen durch Nichtanerkennung der Haus- und Erziehungsarbeit wird hier trotz Gesetzesverbesserung fortgeschrieben.
Ich komme zum Schluß. Um der schlimmen Tradition deutscher Ausländerpolitik ein Ende zu bereiten, werden sich DIE GRÜNEN mit aller Kraft dafür einsetzen,
daß ausländische Mitmenschen unbefristet und gleichwertig mit uns und bei uns leben können, ohne Abschiebeängste haben zu müssen. Wir haben jedoch gemeinsam mit unseren ausländischen Freudinnen und Freunden Angst vor einer Bundesregierung, die immer brutaler und mit polizeistaatlicher Gewalt gegen diese unsere Mitmenschen vorgeht,
einer juristischen Gewalt, die dunklen Zeiten ebenso ähnlich wird wie deren Sprache, was folgende zwei Zitate belegen.Zitat 1:Das Problem ist, daß wir offen aussprechen müssen, daß wir mit der Zahl der türkischen Gastarbeiter bei uns, wie wir sie jetzt haben, die Zukunft nicht erreichen können. Die Zahl kann so nicht bleiben. Sie muß verringert werden.Zitat 2:Wir fordern, daß sich der Staat verpflichtet, in erster Linie für die Erwerbs- und Lebensmöglichkeiten der Staatsbürger zu sorgen. Wenn es nicht möglich ist, die Gesamtbevölkerung des Staates zu ernähren, so sind die Angehörigen fremder Nationen aus dem Reiche zu weisen.Das zweite Zitat ist aus dem Parteiprogramm der NSDAP; das erste Zitat war von unserem lieben Herrn Bundeskanzler.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.Wir kommen zur Abstimmung über den Tagesordnungspunkt 9 a. Wer der Beschlußempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung auf Drucksache 10/3581 zuzustimmen wünscht, den
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 156. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. September 1985 11755
Vizepräsident Westphalbitte ich um ein Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? —
— Augenblick!
— Augenblick! Ich habe gehört, daß ist schon allen mal hier passiert. Ich wiederhole die Frage: Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich der Stimme?— Ich kann also davon ausgehen, daß die Beschlußempfehlung einstimmig angenommen worden ist.
Zu dem Tagesordnungspunkt 9 b schlägt der Ältestenrat vor, den Gesetzentwurf auf Drucksache 10/ 3760 zur federführenden Beratung an den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung und zur Mitberatung an den Innenausschuß, den Finanzausschuß, den Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau sowie zur Mitberatung und zur Beratung gemäß § 96 unserer Geschäftsordnung an den Haushaltsausschuß zu überweisen. Gibt es dazu andere Vorschläge? — Das ist nicht der Fall. Die Überweisung ist so beschlossen.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 10 auf:Beratung der Übersicht 11 des Rechtsausschusses über die dem Deutschen Bundestag zugeleiteten Streitsachen vor dem Bundesverfassungsgericht— Drucksache 10/3351 —Zu der Beschlußempfehlung des Rechtsausschusses liegt auf Drucksache 10/3822 ein Änderungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN vor.Im Ältestenrat ist für die Aussprache ein Beitrag bis zu fünf Minuten je Fraktion vereinbart worden.— Ich sehe dazu keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache. — Als erster hat der Abgeordnete Mann das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Angesichts der Um- und Neugestaltung der gesamten Medienlandschaft, die wir unter der Amtszeit unseres selbsternannten Kabelministers Schwarz-Schilling
in diesem unserem Lande augenblicklich erleben, und der Leitfunktion, die das niedersächsische Landesrundfunkgesetz für die Gestaltung der Medienlandschaft in der Bundesrepublik Deutschland spielt, sollte es sich der Deutsche Bundestag nicht nehmen lassen, seine Auffassung zu dieser Frage vor dem Bundesverfassungsgericht darzulegen. Soweit ich von den Kollegen gehört habe, ist es wohl das erste Mal, daß wir uns zu einer solchen Sammelübersicht äußern. Nun ja, das wird der Bedeutung der Sache aus unserer Sicht gerecht.Die Rundfunkfreiheit, eine Säule der Meinungsvielfalt, deren ständige Gewährleistung für eine lebendige demokratische Auseinandersetzung unabdingbar ist, wird durch das niedersächsische Landesrundfunkgesetz auf das schwerste in Gefahr gebracht. Dieses Gesetz verstößt gegen Art. 5 Abs. 1 GG, da es nicht die Kriterien erfüllt, die nach den Rundfunkurteilen des Bundesverfassungsgerichtes für die Rundfunkfreiheit, sei sie nun binnen- oder außenplural konzipiert, konstitutiv sind. In diesem Gesetz wird nicht sichergestellt, wie das Bundesverfassungsgericht es in seinem 3. Rundfunkurteil verlangt, daß die gesellschaftlich relevanten Gruppen wie auch Minderheiten im Medium Rundfunk angemessen zu Wort kommen. Im Gegenteil, das Medium Rundfunk wird den wirtschaftlich mächtigen Verlegern ausgeliefert. Presseunternehmen werden, wie auch das bisherige Zulassungsverfahren in Niedersachsen zeigt, ausdrücklich privilegiert. Nicht Pressevielfalt, sondern Pressekonzentration wird erreicht.In eklatanter Weise verstößt das niedersächsische Landesrundfunkgesetz gegen das Gebot der „Staatsferne". Die Zulassungskompetenz liegt bei der Landesregierung. Weite Ermessensspielräume im Genehmigungsverfahren ermöglichen der Landesregierung durchaus eine inhaltliche Bestimmung des Meinungsspektrums, das im Äther vertreten sein darf. Über die Begründung der Antragsteller des Normenkontrollverfahrens hinaus erweckt auch die Zusammensetzung des Landesrundfunkausschusses — von 26 Mitgliedern werden mindestens zehn durch das Parlament oder die Parlamentsfraktionen bestimmt — Bedenken in bezug auf die „Staatsferne". Zu einer Sicherung der Vielfalt ist der Landesrundfunkausschuß nicht in der Lage, da ihm das dazu notwendige Sanktionsinstrumentarium fehlt.Mit Werbung, Spenden und Sponsoren sollen die Programme uneingeschränkt finanziert werden können. Die Beschränkung der Werbung auf 20% des wöchentlichen Sendeumfangs ist keine Beschränkung. In der Werbewirtschaft geht man davon aus, daß ein Programm mit mehr als 15% Werbeanteil vom Zuschauer nicht mehr akzeptiert wird. Keine private amerikanische Fernsehanstalt kommt auf einen Werbeanteil von 20 %. Lediglich in Japan gibt es ein privates Fernsehprogramm, das einen 18 %igen Werbeanteil aufweisen kann. Der Einfluß der Financiers auf das ausgestrahlte Programm ist nicht wirksam zu unterbinden.Mit diesem Landesrundfunkgesetz, meine Damen und Herren, wird einer kommerziellen Medienberieselung, die den Menschen in die Passivität und Vereinzelung drängt, die Bahn bereitet.
Die vom Grundgesetz intendierte und vom Bundesverfassungsgericht in seiner Rechtsprechung geforderte Informationsvielfalt bleibt dabei auf der Strecke, ganz abgesehen von den sozialen und kulturellen Folgen.
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11756 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 156. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. September 1985
MannUnsere Fraktion, Herr Beckmann, unterstützt deshalb den Antrag von 200 Mitgliedern der SPD-Fraktion auf Feststellung der Verfassungswidrigkeit des niedersächsischen Landesrundfunkgesetzes. Allerdings, meine Kollegen von der SPD-Fraktion, muß ich Sie fragen: Wie ernst nehmen Sie Ihre eigene Klage noch, Herr Dr. Emmerlich? Herr Schröder hat die Lizenzvergabe an die FFN — Funk und Fernsehen Norddeutschland —, einen Zusammenschluß von norddeutschen Verlegern, in Niedersachsen massiv unterstützt. Mit der Unterstützung dieser Lizenzvergabe unterlaufen Sie Ihren eigenen Klageantrag. Entsprechend ist das Verhalten der SPD-regierten Bundesländer Bremen und Hamburg hinsichtlich der Vorschaltgesetze und auch hinsichtlich des Entwurfs für ein Hamburgisches Landesmediengesetz unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten zu bewerten. Das heißt, meine Kollegen von der SPD: Ihr realpolitisches Handeln — das ist unsere Befürchtung — steht nicht im Einklang mit Ihrer Klage vor dem Bundesverfassungsgericht. Insofern setzen Sie Ihre medienpolitische Glaubwürdigkeit aufs Spiel.
Wir GRÜNEN treten — das möchte ich ganz zum Schluß sagen — für eine Veränderung der Rundfunklandschaft zur Erreichung von mehr tatsächlicher Meinungsvielfalt ein, z. B. durch Zulassung freier, nichtkommerzieller Radios oder die Einrichtung von lokalem Hörfunk und Fernsehen. Einem bloßen Mehr — ich komme zum Ende — an Unterhaltungsprogrammen bei gleichzeitiger Verödung des Programm- und Meinungsspektrums stellen wir uns in den Weg. Angesichts der Gefahren, die die neuen Medientechnologien für unsere kulturelle und soziale Lebensweise beinhalten, müssen wir strikt auf den Auftrag des Grundgesetzes achten, die Rundfunkfreiheit so auszugestalten, daß ein Höchstmaß an Meinungsvielfalt ermöglicht wird.Deswegen, meine Kolleginnen und Kollegen, bitte ich Sie auch herzlich, unserem Änderungsantrag zuzustimmen, daß der Bundestag gegenüber dem Bundesverfassungsgericht von der Möglichkeit zur Stellungnahme Gebrauch machen möge.Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat der Abgeordnete Saurin.
Herr Kollege Mann, die CDU/ CSU-Bundestagsfraktion wird Ihren Antrag, eine Stellungnahme abzugeben oder aber auch von seiten des Deutschen Bundestages dem Verfahren im Zusammenhang mit der Normenkontrollklage der SPD-Abgeordneten beizutreten, ablehnen. Ein Beitritt zu diesem Verfahren oder auch eine Stellungnahme des Deutschen Bundestages stößt einerseits in materiell-rechtlicher Hinsicht auf ganz erhebliche Bedenken und würde zum zweiten, da ganz entscheidend Länderkompetenzen berührt sind, den Bundestag, glaube ich, überfordern.
Wenn von Ihnen viele Punkte gegen das niedersächsische Landesrundfunkgesetz vorgebracht werden, muß man, glaube ich, doch einmal eines deutlich feststellen. Sowohl der SPD wie auch den GRÜNEN geht es doch letztlich darum, eine reaktionäre Zementierung der öffentlich-rechtlichen Medienlandschaft in Funk und Fernsehen vorzunehmen.
Die Klage der SPD, Ihre Aussagen hier sind Ausdruck einer medienpolitischen Konzeptionslosigkeit. Wenn nicht unionsregierte Länder die Führung im Medienbereich ergriffen hätten, hätten wir die Medienzukunft in der Bundesrepublik Deutschland verschlafen. Diejenigen in der Bundesrepublik Deutschland, die sonst immer den mündigen Bürgern predigen, haben Angst, daß der Bürger Medienvielfalt, Programmvielfalt selbständig und mündig benutzen kann, u. a. dadurch, daß er z. B. auch einen Knopf gebrauchen kann, wenn es ihm nicht gefällt.Wenn Sie konkrete Kritikpunkte am niedersächsischen Landesrundfunkgesetz angesprochen haben, so ist festzustellen, daß die Angebotsvielfalt durch den Landesrundfunkausschuß gewährleistet wird, der sogar binnenpluralistisch zusammengesetzt ist. Als zweites hat dieser Landesrundfunkausschuß Sanktionsmöglichkeiten gegen den Mißbrauch der Programmaufträge, die im Landesrundfunkgesetz formuliert sind.In § 15 Satz 2 des Landesrundfunkgesetzes gibt es Ausgewogenheitsvorschriften. Feststellungen, Anweisungen und Widerrufe des Landesrundfunkausschusses sind Verwaltungsakte und damit kontrollierbar.Wir haben eine gegenständliche Vielfalt formuliert, die über das hinausgeht, was die Verfassungsrechtsprechung überhaupt nur sehr geringfügig vorschreibt. Wir haben in Niedersachsen ein Professionalitätserfordernis — nicht um viele zu verhindern, sondern um privatem Rundfunk überhaupt einen Anfang zu sichern und ihm eine Chance zu geben.Die Staatsferne ist in Niedersachsen dadurch gesichert, daß der Landesrundfunkausschuß selbständig alle wichtigen wertenden Entscheidungen unabhängig von der Landesregierung trifft. Und es ist dort ein ausreichender Persönlichkeitsschutz vorgesehen.Ich glaube, daß wir am heutigen Tage nicht einfach nur Regelungen kritisieren können. Vielmehr müssen wir neue Regelungen eine Chance geben. Da sich die Medienlandschaft in Zukunft verändern wird, kann ein Gesetz heute nicht alles in weiser Voraussicht bereits regeln, was die Programmvielfalt der Zukunft überhaupt erst als Auftrag an den Gesetzgeber herantragen wird.
Deshalb sollte das niedersächsische Landesrundfunkgesetz eine Chance haben.Wenn wir Ihren Weg und den Weg der SPD beschreiten, wäre sichergestellt, daß wir uns in der
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 156. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. September 1985 11757
SaurinBundesrepublik Deutschland auch in den nächsten zehn, 15 oder 20 Jahren aus der medienpolitischen Zukunft verabschieden und letztlich ausländische Programme die Medienvielfalt in der Bundesrepublik Deutschland sicherstellen und zusätzliche Sendungen für die Bürger anbieten.Ihre Position reicht von einer totalen Blockadepolitik in Hessen, wo überhaupt nichts passiert,
über widersprüchlichste Gesetzgebungen in Niedersachsen, die ein reines Taktieren vor Wahlen darstellen, bis hin zu gewissen anpassenden Momenten anderer Bundesländer, um gewisse Gemeinsamkeiten auf Grund einer Verbundheit — z. B. beim NDR mit Schleswig-Holstein und Niedersachsen — sicherzustellen.Die CDU/CSU wird diesem Verfahren nicht beitreten und hält es nicht für nötig, hier eine Stellungnahme abzugeben. Wir sind der Meinung, daß wir in mehreren Bundesländern Bahnbrechendes mit unserer neuen Mediengesetzgebung erreicht haben, erreichen werden und damit letztendlich sicherstellen werden, daß der Bürger in Zukunft wählen kann, was er im Fernsehen sehen will, und nicht Sie oder die Genossen ihm vorschreiben, was er sehen darf.Herzlichen Dank.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Emmerlich.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wegen der Vielzahl der beim Bundesverfassungsgericht anhängig werdenden Streitigkeiten hat der Bundestag bisher nur dann Stellung genommen, wenn seine Rechte und die der Abgeordneten tangiert waren, oder in besonderen Ausnahmefällen. Beide Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall nicht gegeben. Schon deshalb schlagen wir nicht vor, eine Stellungnahme des Bundestages abzugeben.
Hinzu, verehrter Herr Mann, kommt aber eine weitere Erwägung aus unserer Sicht. Sie haben es soeben gehört: Wir gehen zu Recht davon aus, daß die derzeitige Mehrheit des Bundestages aus CDU/ CSU und FDP in einer Stellungnahme der niedersächsischen Landesregierung Hilfe zuteil werden lassen würde.
Wenn Sie derartiges erreichen wollen, muß ich Ihnen sagen: Ich halte eine derartige Unterstützung für Herrn Albrecht durch den Deutschen Bundestag nicht für hilfreich. Sie scheinen da offenbar anderer Meinung zu sein.
Die Kritik an der Medienpolitik der SPD, die hier von Herrn Saurin vorgetragen worden ist, gehtebenso fehl wie die Kritik, die Sie, Herr Mann, vorgetragen haben.
Wir Sozialdemokraten wollen verhindern, daß Rundfunk und Fernsehen in die Hände mächtiger privater Finanzgruppen fallen und von CDU-Landesregierungen gegängelt werden können, wie es jetzt in Niedersachsen durch die Regierung Albrecht versucht wird.
Wir kämpfen darüber hinaus gegen ein Fernsehen und gegen einen Rundfunk, die vom Kommerz beherrscht sind und in denen die Programmgestaltung nahezu ausschließlich von der Höhe der Einschaltquote bestimmt wird. Wir wollen nicht, daß durch Rundfunk und Fernsehen den Menschen die Fähigkeit, miteinander zu reden, ihre Freizeit selbst zu gestalten und ein erfülltes Familienleben zu führen, sehr geehrter Herr Seesing, mehr und mehr genommen wird. Wir verfolgen diese Ziele beharrlich und im Rahmen des Möglichen. Eine medienpolitische Zukunft, die diesen Grundsätzen widerspricht, ist keine Zukunft, sondern ein beklagenswerter Zustand. Diesen beklagenswerten Zustand will die CDU/CSU herbeiführen.
Weil die GRÜNEN nirgendwo Verantwortung tragen und auch nicht bereit sind, Verantwortung zu übernehmen,
glauben sie, es sich erlauben zu können, die technologische Entwicklung und die Machtpositionen, die die CDU und die CSU im Bund und in den Ländern einnehmen, mit ihren schönen Reden zu ignorieren.
Die GRÜNEN sind nicht bereit und nicht in der Lage, nüchtern zu prüfen, welche realen Möglichkeiten es gibt, der Medienpolitik von CDU und CSU entgegenzutreten. Weil sie fehlenden Realitätssinn haben, haben sie heute hier den Antrag gestellt, die Mehrheit des Bundestages möge eine Stellungnahme beim Bundesverfassungsgericht abgeben. Dieser fehlende Realitätssinn ist es, was sie daran hindern wird, das Vertrauen der Bürger, das sie einmal fälschlicherweise errungen hatten, zu erhalten, geschweige denn zu mehren.Vielen Dank.
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11758 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 156. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. September 1985
Das Wort hat Herr Abgeordneter Kleinert .
Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Das Ding sieht sich so formal, so theoretisch an, und doch steckt eigentlich mehr dahinter, als man aus den Worten der Vorredner zu dieser Stunde heraushören konnte. Ich bin schon der Meinung, daß wir uns sehr intensiv mit der Frage befassen sollten, wie und in welcher Weise die Dinge gestaltet werden, die man durchaus abstellen kann, wenn jedermann die Kraft dazu hat, und ich rate dringend zum Abstellen. Darin waren sich wohl alle einig. Insbesondere die letzten pessimistischen Prognosen von Ihnen, Herr Emmerlich, teile ich durchaus. Alles, was da von Familie und Freizeit und von vernünftigem Miteinanderumgehen von Ihnen gekommen ist, akzeptiere ich.
Aber nun haben Sie sich ein ganz drolliges Thema ausgesucht, und dann haben Sie auch noch gesagt: Als Fraktion machen wir das sowieso nicht; das machen wir als Abgeordnete. Dabei ist mir in der Akte aufgefallen, daß Sie noch einmal fünf, die wohl gerade verreist waren, mit einer besonderen Vollmacht nachgeschoben haben, um sich näher an die Fraktionszahl heranzukrabbeln. Andere Gründe kann das eigentlich gar nicht gehabt haben. Ich verstehe das nicht. Sie können doch ganz locker mal hergegangen sein, und die gerade da sind, stimmen zu. Es waren immerhin 196 Mann; bei Ihnen geht das ja alles recht zackig zu. Da hätten Sie es doch mit den 196 Mann gut sein lassen können. Aber nein, es mußten noch einmal fünfe mit Extravollmacht nachgeschoben werden.
Ich will mich auf folgendes beschränken: Wissen Sie, das Bundesverfassungsgericht sollte wohl eine möglichst breite Palette von tatsächlichen Vorkommnissen — so möchte ich es mal nennen — auf dem Gebiet der Landesgesetzgebung zur Verfügung haben, wenn es dann zu befinden hat, was es mit dieser Landesgesetzgebung auf sich hat. Wir möchten Ihnen das nicht gern allein überlassen, aber darüber reden wir noch. Bloß, warum Sie sich ausgerechnet ein so sehr harmloses Gesetz wie das niedersächsische mit seiner wenigstens mal einigermaßen privat ausgerichteten Grundlinie vorgenommen haben, statt sich mal am WDR zu orientieren, das verstehen wir einfach nicht so recht.
— Herr Emmerlich, wir kennen uns viel zu lange, als daß Sie das ernst meinen können, was Sie eben gesagt haben.
Die kleinen Leute sind die einzigen, die zu bezahlen hätten, wenn Sie regierten. Und die kleinen Leute sind die einzigen, die in ganz großem Stile die Nutznießer sind, wenn die Wirtschaft dieses Landes floriert, und diesen Sachverhalt werden wir immer wieder betonen.
Das möchten wir uns auch nicht von irgendwelchen grämlichen Rundfunkbeamten zerreden lassen.
Diese grämlichen Rundfunkbeamten hätten Sie sich mal einfallen lassen müssen, wenn Sie sich schon so hilfreiche Gedanken über die Medienlandschaft machen.
In einigen Punkten — unsere Landtagsfraktion hat das im Niedersächsischen Landtag ausgeführt — ist uns die Staatsferne nicht klar genug.
Da gibt es einige Punkte, über die man reden kann. Wir sind dabei. Bloß, ich lasse mir doch nicht von jemandem, der auf beiden Augen blind ist, sagen, daß ich schiele.
Das geht doch nicht.
Herr Abgeordneter, bevor Sie zu weiteren Organen des Körpers kommen, die auch irgendwie beteiligt sein könnten: Da möchte jemand eine Zwischenfrage stellen.
Bitte schön, Herr Mann!
Vielen Dank, Herr Kollege Kleinert.
Sie haben von den kleinen Leuten gesprochen. Stimmen Sie mir darin zu, daß auch die kleinen Leute über die Rundfunk- und Fernsehgebühren heute schon und in Zukunft erst recht die Kosten dieses kommerziellen Fernsehens tragen sollen und daß die kleinen Leute fürwahr das Geld für andere Dinge benötigen, als mit weiteren Programmen überschwemmt zu werden
— ja, es ist so üblich, daß die Fragen hier so gestellt werden; das haben wir inzwischen auch schon gelernt —, und daß sie danach überhaupt kein Bedürfnis haben? Und geben Sie mir weiter zu, daß die kleinen Leute heute schon mit 20 Pfennig an den Pilotprojekten beteiligt sind, bei denen 99% aller Haushalte für 1 % der Haushalte im Projektgebiet zahlen müssen? Stimmen Sie mir darin zu, daß das die kleinen Leute sind?
Mit Freude, Herr Mann, erkenne ich, daß Sie anfangen, mich zu verstehen,
weil Sie soeben zutreffend zum Ausdruck gebracht haben, daß dieses Land nicht aus ein paar Großkopfeten besteht, über die Illustrierte berichten, sondern aus unheimlich vielen kleinen Leuten. Dieses Land besteht überhaupt aus kleinen Leuten. Und deshalb interessieren wir uns dafür, wie man es am
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 156. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. September 1985 11759
Kleinert
besten einrichtet, daß die bei den anstehenden Problemen möglichst gut wegkommen. Dazu brauchen wir gar keine neuen Parteierfindungen. Darüber haben wir schon vor Ihnen nachgedacht.
Und in der ganzen medienpolitischen Frage, Herr Emmerlich, sage ich nur eines: Dat ick en Dösbüddel bin, dat argert mi nich. Dat 'n Dösbüddel mi dat secht, dat argert mi.
Wie ick den Laden hier kenne, war det jetzt Niedersächsisch.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.Wir kommen zur Abstimmung, und zwar zuerst über den Änderungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/3822. Wer dem Änderungsantrag der GRÜNEN-Fraktion zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Damit ist der Änderungsantrag mit Mehrheit abgelehnt.Wir stimmen nunmehr über die Beschlußempfehlung des Rechtsausschusses auf Drucksache 10/3351 ab. Wer dieser Beschlußempfehlung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Dann ist diese Beschlußempfehlung des Ausschusses mit Mehrheit angenommen.Ich rufe den Punkt 11 der Tagesordnung auf:Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 10. September 1984 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Burundi über die Förderung und den gegenseitigen Schutz von Kapitalanlagen— Drucksache 10/3286 —Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft
— Drucksache 10/3524 —Berichterstatter: Abgeordneter Auhagen
Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? — Das ist nicht der Fall.Das Wort zur Aussprache wird nicht gewünscht.Wir kommen zur Schlußabstimmung. Ich rufe das Gesetz mit seinen Art. 1 bis 3, Einleitung und Oberschrift auf. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Wer stimmt dagegen? — Stimmenthaltungen? — Dann ist das Gesetz mit Mehrheit angenommen.Ich rufe den Punkt 12 der Tagesordnung auf:Zweite Beratung und Schlußabstimmung desvon der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 1. Oktober 1984 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Dominicanischen Bund über die Förderung und den gegenseitigen Schutz von Kapitalanlagen— Drucksache 10/3287 —Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft
— Drucksache 10/3525 —Berichterstatter:Abgeordneter Dr. Mitzscherling
Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? — Das ist nicht der Fall.Das Wort zur Aussprache wird nicht gewünscht.Wir kommen zur Schlußabstimmung. Ich rufe das Gesetz mit seinen Art. 1 bis 3, Einleitung und Überschrift auf. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Die Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das Gesetz ist mit Mehrheit angenommen.Ich rufe den Punkt 13 der Tagesordnung auf:Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Lohnstatistik— Drucksache 10/1916 —a) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung
— Drucksache 10/3577 —Berichterstatter:Abgeordneter Müller
b) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung— Drucksache 10/3578 —Berichterstatter: Abgeordnete Sieler Dr. FriedmannFrau Seiler-Albring Dr. Müller
Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? — Das ist nicht der Fall.Das Wort zur Aussprache wird nicht gewünscht.Ich rufe die Art. 1 bis 3, Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Dann sind die aufgerufenen Vorschriften angenommen.Wir treten in diedritte Beratungein und kommen zur Schlußabstimmung.
Metadaten/Kopzeile:
11760 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 156. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. September 1985
Vizepräsident WestphalWer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich der Stimme? — Das Gesetz ist mit Mehrheit bei einigen Enthaltungen angenommen.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 14 auf:Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Lastenausgleichsbank— Drucksache 10/2873 —Beschlußempfehlung und Bericht des Innenausschusses
— Drucksache 10/3597 —Berichterstatter:Abgeordnete Dr. Nöbel Krey
Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? — Das ist nicht der Fall.Das Wort zur Aussprache wird nicht gewünscht.Wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung.Ich rufe die Art. 1 bis 6, die Einleitung und die Überschrift mit den vom Ausschuß empfohlenen Änderungen auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Damit sind die aufgerufenen Vorschriften mit Mehrheit angenommen.Wir treten in diedritte Beratungein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Das Gesetz ist mit großer Mehrheit bei drei Gegenstimmen und einer Enthaltung angenommen.Ich rufe die Tagesordnungspunkte 15 bis 22 auf:15. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen im Verkehr mit ausländischen Staaten
— Drucksache 10/3662 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Rechtsausschuß
Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO16. Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines ... Strafrechtsänderungsgesetzes — § 168 StGB— Drucksache 10/3758 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Rechtsausschuß
Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit17. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zurÄnderung des Bundesentschädigungs- unddes Rechtsträger-Abwicklungsgesetzes— Drucksache 10/3651 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Finanzausschuß
InnenausschußAusschuß für innerdeutsche Beziehungen Haushaltsausschuß gemäß § 96 GO18. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur vordringlichen Regelung von Fragen der Besteuerung von Personengesellschaften— Drucksache 10/3663 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Finanzausschuß
Ausschuß für Wirtschaft19. Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Einkommensteuergesetzes, des Körperschaftsteuergesetzes und des Bewertungsgesetzes— Drucksache 10/3426 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Finanzausschuß
InnenausschußAusschuß für Bildung und Wissenschaft Haushaltsausschuß gemäß § 96 GO20. Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung tarifrechtlicher Bestimmungen im Seehafenhinterlandverkehr— Drucksache 10/3532 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Verkehr Ausschuß für Wirtschaft21. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Protokoll vom 2. März 1983 zur Änderung des Übereinkommens zur Verhütung der Meeresverschmutzung durch das Einbringen durch Schiffe und Luftfahrzeuge— Drucksache 10/3647 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:Ausschuß für Verkehr InnenausschußVerteidigungsausschuß22. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Aufgaben des Bundes auf dem Gebiet der Binnenschiffahrt— Drucksache 10/3661 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:Ausschuß für Verkehr InnenausschußSportausschußDas Wort wird dazu nicht gewünscht.Der Ältestenrat schlägt die Überweisung der Gesetzentwürfe auf den Drucksachen 10/3662, 10/3758, 10/3651, 10/3663, 10/3426, 10/3532, 10/3647 und
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 156. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. September 1985 11761
Vizepräsident Westphal10/3661 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vor. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? — Das ist nicht der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.Meine Damen und Herren, nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll der Tagesordnungspunkt 23 abgesetzt werden. — Ich stelle fest, daß Sie damit einverstanden sind.Dann kommt der Tagesordnungspunkt 24, den ich jetzt aufrufe:Beratung des Antrags des Bundesministers der Finanzen Veräußerung des bundeseigenen Geländes in München, Ingolstädter Straße 172— Drucksache 10/3619 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: HaushaltsausschußDas Wort dazu wird nicht gewünscht.Der Ältestenrat schlägt vor, den Antrag an den Haushaltsausschuß zu überweisen. Gibt es anderweitige Vorschläge? — Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 25 auf:Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses zu der Unterrichtung durch die BundesregierungVorschlag für eine Richtlinie des Rates über die Niederlassungsfreiheit und den freien Dienstleistungsverkehr auf dem Gebiet des Hypothekarkredits— Drucksachen 10/2952 Nr. 15, 10/3776 —Berichterstatter: Abgeordneter Dr. KreileDas Wort wird nicht gewünscht.Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Finanzausschusses auf Drucksache 10/3776. Wer dieser Beschlußempfehlung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Die Beschlußempfehlung des Ausschusses ist bei einigen Enthaltungen angenommen.Ich rufe die Tagesordnungspunkte 26 a) und b) auf:a) Beratung der Sammelübersicht 92 des Petitionsausschusses über Anträge zu Petitionen— Drucksache 10/3785 —b) Beratung der Sammelübersicht 94 des Petitionsausschusses über Anträge zu Petitionen— Drucksache 10/3786 —Das Wort wird nicht gewünscht.Wir kommen zur Abstimmung. Wer den Beschlußempfehlungen des Petitionsausschusses zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Die Beschlußempfehlungen des Petitionsausschusses sind mit großer Mehrheit bei drei Enthaltungen angenommen worden.Meine Damen und Herren, wir sind damit am Schluß unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen Freitag, den 13. September 1985, 8 Uhr ein.Die Sitzung ist geschlossen.