Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.
Meine Damen und Herren, heute feiert die Abgeordnete Frau Steinhauer ihren 60. Geburtstag. Ich darf Ihnen, verehrte Frau Kollegin, zu diesem runden Geburtstag die besten Wünsche des Hauses übermitteln.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 14 bis 16 auf:
14. Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Frau Dr. Däubler-Gmelin, Dr. Schmude, Bachmaier, Bernrath, Frau Blunck, Catenhusen, Frau Dr. Czempiel, Dr. Diederich, , Egert, Frau Fuchs (Köln), Frau Fuchs (Verl), Frau Dr. Hartenstein, Frau Huber, Immer (Altenkirchen), Dr. Kübler, Kuhlwein, Lutz, Frau Luuk, Frau Dr. Martiny-Glotz, Frau Matthäus-Maier, Müller (Düsseldorf), Frau Odendahl, Peter (Kassel), Frau Renger, Schäfer (Offenburg), Frau Schmidt (Nürnberg), Schröer (Mülheim), Frau Simonis, Dr. Soell, Frau Dr. Skarpelis-Sperk, Frau Steinhauer, Frau Terborg, Frau Dr. Timm, Frau Traupe, Wartenberg (Berlin), Frau Weyel, Frau Zutt und der Fraktion der SPD
Frauen im öffentlichen Dienst
— Drucksachen 10/1427, 10/2461, 10/2696 —
15. Beratung des Antrags der Fraktion der SPD
Verbesserung der Ausbildungssituation junger Frauen bei der Deutschen Bundespost
— Drucksache 10/1428 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für das Post- und Fernmeldewesen
Innenausschuß
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuß für Bildung und Wissenschaft
16. Erste Beratung des von der Fraktion DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Errichtung einer Stiftung zur Finanzierung von Frauenhäusern
— Drucksache 10/2527 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit Haushaltsausschuß gemäß § 96 GO
Zu Tagesordnungspunkt 14 liegt auf Drucksache 10/2842 ein Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP vor.
Meine Damen und Herren, nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind eine gemeinsame Beratung der Tagesordnungspunkte 14 bis 16 und eine Aussprache von zweieinhalb Stunden vorgesehen. — Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Wird das Wort zur Begründung gewünscht? — Das ist nicht der Fall.
Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Das Wort hat Frau Martiny-Glotz.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Minister für Jugend, Familie und Gesundheit, der über einen eigenen Frauenarbeitsstab verfügt, gab in seinem Hauptberuf als propagandistischer Herold der CDU vor drei Tagen eine Pressekonferenz „Für eine neue Partnerschaft zwischen Mann und Frau". Das war ziemlich ungeschickt von ihm; denn die dort erläuterten 14 Punkte kontrastieren heftig mit dem, was heute hier in dieser Debatte zur Sprache kommen wird.
Mit Recht muß sich die CDU nämlich sagen lassen, daß sie offensichtlich nach dem Wählervolk der Vertriebenen nun huldvoll auf das schwache, aber wählerstarke weibliche Geschlecht blickt. Es ist sehr zu fragen, ob sie mit den Frauen mehr Glück hat als mit den Schlesiern.
Es wird wohl Zeit, daß sich die Union den Frauen zuwendet, denn die Einschätzung von Frau Wex, die hier heute auch sitzt, vom 9. November 1984 ist
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8954 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 121. Sitzung. Bonn, Freitag, den 8. Februar 1985
Frau Dr. Martiny-Glotzzweifellos richtig. Sie hat in einem Papier dort formuliert — ich zitiere —:Zu den Schwachpunkten der CDU zählen die jüngeren Frauen. Ausgehend von der Bundestagswahl 1983 zeigen insbesondere die nachfolgenden Landtags- und Kommunalwahlen, daß die CDU zunehmend das Vertrauen junger Frauen verliert. Diese Entwicklung muß gestoppt werden, da sie langfristig dazu führen könnte, daß die CDU ihre Vormachtstellung im Parteigefüge der Bundesrepublik Deutschland einbüßt und auf eine 40-%-Partei abrutscht.So schätze auch ich das ein. Aber ich glaube, daß sich Herr Geißler täuscht, wenn er meint, die Trickkiste alten Musters — „Immer schön ankündigen, aber nichts tun" — verfinge nach wie vor.Als erste Rednerin meiner Fraktion begrüße ich von hier aus alle Frauen,
die kleinen Mädchen in den praktischen Latzhosen, die noch nicht wissen, welche Rollenzwänge ihnen auferlegt sind und welche Diskriminierung sie erwartet; denn es ist j a wohl ausgemachter Quatsch, wenn die CDU ankündigt, bis zum Ende dieses Jahrhunderts werde sie die Diskriminierung der Frauen beseitigen. Nichts rechtfertigt solche Hoffnungen.
Ich grüße die heranwachsenden Mädchen, die in diesen Wochen und Monaten nach Ausbildungsplätzen suchen, von denen sie sich eine chancenreiche Zukunft versprechen können, die aber keine finden.Ich grüße die jungen Frauen, die das Kinderkriegen und ihren Beruf so gern miteinander verbinden würden, aber dies unter den gegenwärtigen Bedingungen kaum schaffen können.Ich grüße die Frauen am Arbeitsplatz, sei er auch noch so schlecht bezahlt, sei die Arbeit noch so einförmig. Frauen müssen das aushalten; denn ihr Verdienst wird für die Erziehung der Kinder gebraucht. An allen Ecken und Enden hat die Union die Belastungen der Familie ja erhöht.
Ich grüße die Hausfrauen, die zwar in öffentlichen Reden manchen Orden bildlich umgehängt bekommen, in barer Münze aber bloß draufzahlen
und bestenfalls in der ersten Reihe stehen dürfen, wenn der Mann den Orden kriegt.
Ich grüße die Rentnerinnen, von denen viel zu viele schon lange resigniert haben. Unter schwersten Bedingungen haben sie meine Generation großgezogen, oft als Kriegerwitwen, haben die Bundesrepublik mit aufgebaut und müssen nun erleben, daß ihre Lebensleistung mißachtet wird.Zuletzt grüße ich die erfolgreichen Frauen.
Die, die es geschafft haben, sind wenig genug. Viel Unsicherheit, gesellschaftliche Anfeindung und Mißgunst haben sie als „Doppelverdiener" ertragen müssen, und bei mancher von ihnen spüren wir die geschlagenen Wunden. Trotzdem: Sie sind die Vorreiterinnen in einer Gesellschaft, in der Mädchen und Frauen zwar den größeren Teil ausmachen, die zwei Drittel aller Arbeitsstunden leisten, weltweit aber nur über ein Zehntel des Geldeinkommens und über höchstens 1 % des Weltvermögens verfügen.Meine Damen und Herren von der Union, sehr geschätzte Herren von der Regierung, die Sie so spärlich vertreten sind, wir Frauen wollen nun endlich Taten sehen.
Vom einschlägigen Artikel des Grundgesetzes bis zur ersten Frauen-Enquete, die von den Sozialdemokraten aus der Opposition heraus 1965 angeregt worden war, war schon ein verflixt langer Weg, ein Weg, auf dem sich der Großvater des heutigen Bundeskanzlers nicht gerade als Frauenfreund entpuppt hat.
Fortschritte kamen nur über das Verfassungsgericht.Die gesetzlichen Verbesserungen für die Situation der Frauen wurden ganz wesentlich durch die Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten in der sozialliberalen Ara vorangetrieben und erreicht.
Aber ich will gerecht sein: Der Zielhorizont wurde in dem Bericht der zweiten Frauen-Enquete beschrieben, die von der CDU angeregt und in der Schlußphase ihrer Arbeit von der CDU/CSU bestimmt worden ist.
Für den Zusammenhang, den wir heute behandeln, Frau Wex, gibt es dort eindeutige Empfehlungen. Ich zitiere:Die Kommission empfiehlt ..., für den öffentlichen Dienst die Entwicklung von Zielvorgaben, Frauenaktionsplänen mit Richtliniencharakter zu versehen. Die Kommission ist der Ansicht, daß dem öffentlichen Dienst in diesem Zusammenhang eine Vorbildfunktion abverlangt werden muß ... Sie empfiehlt außerdem, für den öffentlichen Dienst eine Berichtspflicht über die Einstellung und Beförderung von Frauen einzuführen, die eine Untersuchung und Kontrolle von Einstellungspraxis und Beförderungskriterien einschließt. Auch diese Maß-
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 121. Sitzung. Bonn, Freitag, den 8. Februar 1985 8955
Frau Dr. Martiny-Glotznahme ist als beispielhaftes Vorgehen gedacht.
— 1980, Frau Hellwig.
Angesichts dieser Empfehlung ist Ihr Entschließungsantrag — entschuldigen Sie — natürlich ein Galopp kilometerweit zurück.
So wurde 1980 formuliert, und die Länder Hamburg und Nordrhein-Westfalen haben aus dieser Empfehlung erste Konsequenzen gezogen. Auch die Vereinbarungen zwischen SPD und GRÜNEN in Hessen gehen in diese Richtung. Wieso eigentlich findet sich in der Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der SPD, die heute hier diskutiert wird, kein Hinweis auf diese Empfehlung?
— Nein, die CDU verfährt nach der Devise: „Was schert mich mein dummes Geschwätz von gestern", indem sie einen feinen Unterschied zwischen dem macht, was sie als Opposition empfiehlt, dem, was sie als Regierung tatsächlich macht, und dem, was sie als Partei verspricht.
Außerdem liegt uns seit einiger Zeit der Gesetzentwurf der Bundesregierung „Entwurf eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 18. Dezember 1979 zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau" vor. Hier wird empfohlen, die Diskriminierung der Frau im politischen, wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen, staatsbürgerlichen und in jedem sonstigen Bereich in Zukunft zu vereiteln und unverzüglich geeignete Maßnahmen zu ergreifen. Dieser Entwurf liegt seit fünf Jahren vor. Vor einem Jahr haben wir die Einbringung hier durch eine große Debatte gefeiert. Wo bleiben denn nun die unverzüglichen Maßnahmen?
Meine Damen und Herren, Große und Kleine Anfragen haben den Sinn, die vorfindbaren Realitäten abzufragen. Diese Realitäten sind für Frauen bitter genug.Die finanzielle Situation Alleinerziehender hat sich — entgegen dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts — weiter verschlechtert. Die Kürzungen finanzieller Leistungen oder deren Streichung — Schüler-BAföG, Studenten-BAföG, Kindergeld, Ausbildungsfreibeträge — schlagen insbesondere bei Familien der unteren Mittelschichten voll durch und beeinträchtigen nachhaltig die Ausbildungsmöglichkeiten für Kinder.Es fehlt an Lehrstellen, insbesondere für Mädchen. Der Stellenabbau im öffentlichen Dienst kommt ebenfalls voll zum Tragen. 3 500 Stellen im öffentlichen Dienst hat allein das Land Berlin seit 1981 gestrichen, durch die sogenannte „Fallbeilverordnung". Da rühmt man sich dann der hohen Zahl von AB-Maßnahmen — das sind befristete Arbeitsverträge, die noch dazu schlecht dotiert sind — und außerdem eines Ausbaus des sozialen Dienstes. Die Arbeitsstellen, die im Rahmen des sozialen Dienstes geschaffen worden sind, beruhen überwiegend auf dem 390-DM-Prinzip; das bedeutet, daß die Arbeitnehmerinnen sozialversicherungs- und rentenrechtlich nicht abgesichert sind. So sieht die „Flexibilisierung" dann praktisch aus.Geradezu zynisch wirkt angesichts dieser Maßnahmen Punkt 8 in dem Katalog von Herrn Geißler, dem Propagandaminister.
Dort wird gefordert, Frauenförderungspläne im öffentlichen Dienst und in den öffentlich-rechtlichen Medien vorzusehen. Außerdem ist eine regelmäßige Berichtspflicht vorgesehen. Genau diese Berichtspflicht hat die amtierende Regierung unter der Überschrift „Entbürokratisierung" im Jahre 1983 gestrichen. Was soll der Appell der CDU an die Landesregierungen in diesem Forderungskatalog? Drei von ihnen — das habe ich eben gesagt —, von Sozialdemokraten regiert, haben den Absichten erste Taten folgen lassen. Man kann Ihren Appell wohl bloß als Eigentor werten.Punkt 7 des Propagandakatalogs ist ebenfalls geradezu lächerlich. In ihm wird gefordert, Frauenarbeitslosigkeit verstärkt im Rahmen der regionalen Wirtschaftsförderung zu berücksichtigen. Genau hiernach hatte die SPD-Fraktion in einer Kleinen Anfrage gefragt; sie ist schnöde abgeblitzt, und zwar mit der Begründung, der Einsatz von Wirtschaftsförderungsmitteln lasse sich an so exotische Kriterien wie die Beschäftigung von Frauen nun wirklich nicht koppeln.
Besondes unglaubwürdig ist auch Punkt 12 des CDU-Papiers, wo nach einer Institution zur Förderung der Gleichberechtigung von Mann und Frau gerufen wird. Als ob es den Arbeitsstab Frauenpolitik nicht längst gäbe! Man müßte ihn stellenmäßig nur weiter ausbauen und ihm mehr Kompetenzen einräumen. — Herr Geißler — jetzt sind Sie wieder da —,
wenn die Waren schlecht sind, dann wird der Umsatz doch nicht besser, bloß weil man einen neuen Laden aufmacht. Oder sehen Sie das anders?
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Frau Dr. Martiny-GlotzEs stünde der Bundesregierung wirklich nicht schlecht an, sich die Erfahrungen der Gleichstellungsstellen in den Bundesländern anzusehen und insbesondere zu verfolgen, wie es sich künftig auswirkt, daß das Land Nordrhein-Westfalen die Gleichstellungsstellen nun sogar in die Gemeindeordnung aufgenommen hat. Die Zahlen weisen es eindeutig aus: Wo ernst gemacht wird mit Frauenförderungsplänen, mit einer gezielten Ausbildungs-, Weiterbildungs- und Wiedereingliederungshilfe für Frauen und wo dies durch regelmäßige Berichte transparent gemacht wird, ist die Situation für Frauen eindeutig besser, wie man an Hamburg und Nordrhein-Westfalen ablesen kann.
Hier liegen die konkreten Aufgaben des öffentlichen Dienstes.Sie schauen doch sonst so gerne in das Wunderland USA, meine Damen und Herren von der Union, und rühmen die konservative Politik, die dort gemacht wird. Warum schauen Sie sich nicht auch an, welche Erfolge mit der dortigen „affirmative action" erzielt worden sind? Der Staat hat sich durch seine kompensierende Rolle große Erfolge zuzuschreiben; denn es ist evident, daß die staatlichen Auflagen der Exekutive die Möglichkeit geben, wirklich etwas zu tun, was den Frauen hilft: Verbot der ungleichen Entlohnung; Quotenregelungen in Einzelbereichen; Verbote von Diskriminierung; Informationspflichten; Auflagen für Betriebe, die staatliches Geld nehmen; Frauenförderungspläne, nach denen sich die Personalplanung zu richten hat usw.Lassen Sie mich ein letztes Gebiet ansprechen: die Situation von Frauen an den Hochschulen. „Privilegiert und doch diskriminiert", so überschrieb der Arbeitskreis der Wissenschaftlerinnen von Nordrhein-Westfalen 1984 sein Memorandum II. Hier sind ganz konkrete Forderungen erhoben worden, von denen ich nur wünschen kann, daß sie allmählich realisiert werden.Vorgestern lag uns Bundestagsabgeordneten die Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage von CDU/CSU- und FDP-Frauen zur Unterrepräsentanz von Frauen im Hochschulbereich vor. Man wird ja wohl annehmen dürfen, liebe Kolleginnen, daß Sie damit Ihrer eigenen Regierung kein Bein stellen wollten. Aber die Regierung war offensichtlich dümmer, als Sie angenommen haben; denn die nichtssagenden Antworten und das fast hilflose Unvermögen, auf klare Fragen ebenso klare Antworten zu geben, lassen die Fragen im nachhinein so erscheinen, als hätten die Fragenden der Regierung wirklich Ärger machen wollen.Der Sachverhalt ist doch klar: Frauen stellen rund 40% der Studenten, in einzelnen Fachbereichen sogar mehr als die Hälfte. Aber wenn man sich die Zahl der weiblichen Assistenten und Professoren ansieht, zeigt sich, daß sich der Kegel weiblicher Mitwirkung extrem verjüngt. Professoren von weiblichem Geschlecht in der höchsten Besoldungsstufe sind Paradiesvögel. — Angesichts dieser Sachlage ist es wirklich ein bißchen dünn, wenn die Bundesregierung es als — ich zitiere — „dringliche Aufgabe" ansieht, „das Ihre dazu beizutragen, damit die Gleichberechtigung von Mann und Frau selbstverständlich wird und Benachteiligungen abgebaut werden".Ich komme zum Schluß. Das Vorhaben der Bundesregierung, den Frauen zu einer gerechten Beteiligung an den Bildungs- und Erwerbschancen in unserer Gesellschaft zu verhelfen, erweist sich als einzige riesige Mogelpackung.
Nochmals Helga Wex, die in ihrem Papier sagt:Die CDU ist immer dann stark, wenn sie die Frauen von ihrer Politik überzeugen kann. Bis 1969 waren die Frauen ihr sicherstes Wählerreservoir. Der Vorsprung, der in den 60er Jahren bis zu 10 % ausmachte, ist schmal geworden. Verliert die CDU die Mehrheit der Wählerinnen, so ist sie nicht mehr regierungsfähig.Wex stellt auf Grund der Wählerstatistik der Bundestagswahl 1983 „eine für die CDU unerfreuliche Entwicklung" fest. Es sind eben nicht mehr dieselben Frauen wie in den 60er Jahren, liebe Frau Wex, die heutzutage wählen. Allerdings ist es noch immer dieselbe CDU.
Deshalb, liebe Frauen: Laßt euch durch schöne Worte nicht einlullen, denkt nach, rechnet nach, überprüft, was sich an eurer Situation konkret verbessert hat, und wählt nach euren Interessen.Vielen Dank.
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Rönsch.
Herr Präsident! Meine Herren! Meine Damen! Ich erspare mir, die Herren heute morgen gesondert zu begrüßen, weil bei uns in der Fraktion die Männer partnerschaftlich integriert sind.
Frau Kollegin Martiny-Glotz, Sie haben von der Bundesregierung unverzügliche Maßnahmen gefordert, sind aber leider sehr wenig auf die Beantwortung Ihrer Großen Anfrage eingegangen. Hätten Sie sich diese Beantwortung intensiv vorgenommen, hätten Sie Maßnahmen, die die Bundesregierung unverzüglich ergriffen hat, vorgefunden. Ich werde später darauf zurückkommen.Für uns ist natürlich sehr erfreulich, daß unser Grundsatzpapier für den kommenden Bundesparteitag bei Ihnen so reges Interesse gefunden hat. Ich verstehe das. Auch für Sie sind darin sehr viele Anregungen.
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Frau RönschMeine Herren, meine Damen, Mädchen und Frauen haben sich in den vergangenen Jahren zunehmend darum bemüht, ihre beruflichen Qualifikationen noch weiter zu verbessern. Das Streben nach einem höheren Ausbildungsniveau hält bei den Frauen unvermindert an. Trotzdem haben die Frauen im Vergleich zu den Männern eine wesentlich geringere Auswahl an Ausbildungs- und Arbeitsplätzen. Die meist gleich gute, ja, sehr oft wesentlich bessere Ausbildung verhilft ihnen nicht zu einem Vorteil bei der Suche nach einem Arbeitsplatz. Hier weisen wir immer wieder darauf hin, daß die bisherige Berufsorientierung überwunden werden muß, damit Mädchen und Frauen gleiche Zugangschancen zum Arbeitsmarkt haben wie die Männer. In der Praxis werden Frauen allerdings noch immer mit Benachteiligungen konfrontiert. Obwohl in Art. 33 und Art. 3 des Grundgesetzes ausdrücklich das Gebot enthalten ist, daß niemand wegen seines Geschlechts benachteiligt oder bevorzugt werden darf, wird teilweise versucht, Frauen als Doppelverdiener unter Druck zu setzen und sie aus Arbeitsplätzen zu verdrängen. Trotz gleicher Qualifikation und Leistung kommt es vor, daß sie vor dem Hintergrund dieser Diskussion nicht befördert, j a, manchmal sogar gar nicht erst berücksichtigt werden. „Ein Mann als Standesbeamter ist wesentlich würdevoller in diesem Amt als eine Frau." Diese so ungeheuerliche Behauptung konnte ein kommunaler Dienstherr in Nordrhein-Westfalen im vergangenen Jahr vertreten. Da sind Frauenförderpläne dringend erforderlich.
Um die ausgeschriebene Stelle hatte sich eine Frau beworben. Sie brachte die gleichen Qualifikationen und Fachprüfungen mit. Sie wurde nicht berücksichtigt, weil sie eine Frau war. Ich glaube, da haben die Frauenbeauftragten in Nordrhein-Westfalen eine Menge zu tun.In einem anderen Fall sollte eine Angestellte von ihrem langjährigen Arbeitsplatz gegen ihren Willen versetzt werden, weil der Arbeitgeber eine Störung des Betriebsablaufs durch eine erneute Schwangerschaft und die Inanspruchnahme von Mutterschutzurlaub befürchtete.Man könnte die Reihe der unrühmlichen Beispiele noch fortsetzen, zugegebenermaßen vorwiegend aus der freien Wirtschaft, nicht im öffentlichen Dienst.
Sie kommen vor, und wir müssen wachsam sein.Auch im § 611 a des Bürgerlichen Gesetzbuches ist ein eindeutiges Verbot der Benachteiligung wegen des Geschlechts festgeschrieben. Wir müssen in der Öffentlichkeit immer wieder darauf hinweisen. Wachsamkeit ist geboten, damit solche Verstöße aufgegriffen werden, damit sie für die Zukunft ausgeschaltet sind. Auch sollten die arbeitsrechtlichen Regelungen des EG-Anpassungsgesetzes durch veränderte gesetzliche Vorschriften und Sanktionen erreichen, daß Stellenangebote für Männer undFrauen immer geschlechtsneutral ausgeschrieben werden.Die Bundesanstalt für Arbeit weist in ihrem neuesten Bericht für Januar 1985 aus, daß bei der Gesamtzahl der Arbeitslosen 39,7 % Frauen sind. Das ist eine sehr schlimme Zahl. Wir müssen sehr viel ändern.Viele Frauen wollen Beruf und Familie miteinander verbinden und suchen deshalb Teilzeitarbeitsplätze. Hier muß .gerade der öffentliche Dienst vorbildlich sein und sein Angebot an Zeitverträgen für Teilzeitarbeitsplätze noch erhöhen.Überprüft man jetzt einmal die Bundesministerien auf diesen Anspruch, so stellt man fest, sie können eine ausgesprochen positive Bilanz vorweisen. Frau Martiny-Glotz, hier hätte ich einmal in die Statistik geguckt.
Bei Neueinstellungen in der Zeit vom 1. Januar 1983 bis zum 30. Juni 1984 wurden bei einer Beschäftigungszeit von 20 Stunden und mehr zu 91,9%, meine Herren und meine Damen, Frauen eingestellt, in Teilzeitbeschäftigung.
Das entspricht dem Wunsch der Frauen, Familie und Beruf miteinander zu verbinden.
Ich meine, daß das eine Signalwirkung auf die freie Wirtschaft haben sollte, die sich teilweise mit der Aufteilung von Arbeit noch etwas schwertut.Diese Teilzeitarbeit, Jobsharing und andere Formen flexibler Arbeitszeit dürfen aber das berufliche Fortkommen und die soziale Sicherung nicht gefährden. Nachteile, die Teilzeitbeschäftigte bei tariflich vereinbarten Lohnzuschlägen und den gesetzlich festgelegten Sozialversicherungsbestimmungen eventuell haben können, sind langfristig abzubauen.Die vorhin genannten Zahlen weisen eindeutig aus, daß Frauen von der Arbeitslosigkeit in besonders starkem Maße betroffen sind.Die Bundesregierung hat in der Beantwortung ihrer Großen Anfrage zur Situation der Frauen im öffentlichen Dienst deutlich gemacht,
daß sie ihr Augenmerk besonders auf den Personenkreis richtet, der von der Arbeitslosigkeit besonders stark betroffen ist. Sie hat nicht nur selbst entsprechend gehandelt, wie ich gerade bei den Teilzeitbeschäftigten nachgewiesen habe und an anderer Stelle noch nachweisen kann, sie hat auch die Bundesbehörden angehalten, diesen Personenkreis besonders zu fördern, und hat noch einmal mit Beschluß vom 15. November 1983 dieses Anliegen in
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Frau Rönschdas Bewußtsein der verantwortlichen Personalstellen bei den Bundesbehörden gerufen.Bei Neueinstellungen ist die Bundesregierung bemüht, bereits bei den Stellenausschreibungen die besondere Aufmerksamkeit von Frauen auf die Möglichkeit einer Beschäftigung im öffentlichen Dienst zu lenken, damit die Zahl der Bewerbungen von Frauen erhöht wird.Ich habe daraufhin auch einmal die Einstellungspraxis bei der Bundestagsverwaltung überprüft. Man sagte mir: Hier wird selbstverständlich geschlechtsneutral ausgeschrieben. — Aber es gibt keinen Ausschußsekretär, sondern nur Ausschußsekretärinnen. Das kann wohl nicht am mangelnden Stenographievermögen liegen, denn die Herren Protokollführer vor mir beweisen, daß auch Herren durchaus dazu in der Lage sind.
— Herr Kollege Pfeffermann, dann wäre es natürlich sinnvoll, daß Sie die Personalstelle der Bundestagsverwaltung darauf hinweisen. Mir wurde gestern dieser Bericht gegeben. Es ist ja dann erfreulich, daß auch Männer am Arbeitsplatz nicht diskriminiert werden und Frauen auch dort arbeiten dürfen.
Eine reine Männertruppe sind die Saaldiener. Dort ist man also bisher nicht bereit gewesen, geschlechtsneutral auszuschreiben. Ich habe nach der Ursache gefragt.
— Wir wollen doch, so habe ich es bisher verstanden, in allen Bereichen auch die Frauen berücksichtigen. Warum wollen Sie nicht auch den Beruf des Saaldieners mit einer Frau besetzen? Dafür habe ich kein Verständnis.
Frau Abgeordnete Rönsch, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Nickels?
Ich möchte gerade diesen Passus noch abschließen; dann gerne.
Bei den Saaldienern wurde es damit begründet, daß es ein reiner Männerberuf sei, weil in den sitzungsfreien Wochen sehr schwere Arbeit zu tun sei, dazu seien Frauen nicht in der Lage. Ich muß sagen, ich könnte mir auch hier einen Umdenkungsprozeß vorstellen, denn die Frauen, die im Saaldienst tätig wären, könnten z. B. Besuchergruppen mit betreuen, könnten im Besucherdienst sein oder könnten vielleicht auch Pförtnerdienste mit übernehmen. Ich könnte mir vorstellen, daß man auch da flexibel sein kann.
Wie gesagt, allgemein sollte geschlechtsneutral ausgeschrieben werden; aber bei diesen zwei Berufssparten war es der Bundestagsverwaltung bisher nicht möglich.
Bitte schön.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Kollegin, könnten Sie sich eventuell vorstellen, daß bei der Begründung, warum Frauen keine Saaldiener sein können, die gleichen Argumente wie bei dem Argument von Nordrhein-Westfalen eine Rolle spielen, daß nämlich eine Standesbeamtin nicht so würdevoll wie ein Standesbeamter ist? Das vermute ich nämlich.
Ich persönlich kann es mir nicht vorstellen. Ich hatte nämlich vorhin deutlich zu machen versucht, daß ich mir einen Standesbeamten durchaus nicht unbedingt im Nadelstreifenanzug vorstellen muß. Ich kann mir auch ein gedecktes Kostüm einer Standesbeamtin gut vorstellen.
— Ja, für mich gehört bei entsprechenden Amtshandlungen auch die entsprechende Kleidung dazu. Das mag bei Ihnen anders sein.
— Ich sehe das auch im Bundestag so. Falls Sie sich da den GRÜNEN schon zu sehr angepaßt haben sollten, meine Damen von der SPD-Fraktion, wäre das Ihr Problem.
Jetzt wollen wir aber wieder zum eigentlichen Thema, den Frauen im öffentlichen Dienst, zurückkommen. Obwohl es in den vergangenen Jahren zu Stelleneinsparungen gekommen ist, betrug der Anteil der Frauen bei Neueinstellungen im Jahr 1982 bei Beamten und Angestellten durchschnittlich 54,6%, 1983 51,1% und im Jahre 1984 von Januar bis Juni 42,4 %. Meine Herren, meine Damen, ich meine, daß das Zahlen sind, die sich sehen lassen können.Gerade im mittleren und im gehobenen Dienst bei Beamten und Angestellten sind die Zahlen der Neueinstellungen erfreulich. Wir begrüßen ausdrücklich, daß die Bundesregierung hier ihrer Verpflichtung zur Vorbildfunktion nachgekommen ist und die Verbesserung der Chancengleichheit von Frauen im öffentlichen Dienst in die Tat umsetzt. Die Unterrepräsentation von Frauen im höheren und gehobenen Dienst wird schrittweise abgebaut. Auch hat das Bundespostministerium wegen der verstärkt noch anhaltenden Suche nach Ausbildungsplätzen für gewerblich-technische Berufe, für weibliche und männliche Fernmeldehandwerker, Elektromechaniker und Kraftfahrzeugmechaniker über den eigenen Bedarf hinaus Ausbildungsplätze zur Verfügung gestellt. Wir wollen damit Jungen
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 121. Sitzung. Bonn, Freitag, den 8. Februar 1985 8959
Frau Rönschund Mädchen die Chance geben, einen qualifizierten Ausbildungsabschluß zu erreichen.Aus haushaltstechnischen und betriebswirtschaftlichen Gründen ist es nicht immer möglich, nach Abschluß der Ausbildung über den tatsächlichen Bedarf hinaus den Ausgebildeten mit einem Abschluß einen Arbeitsplatz zu garantieren. Es werden allerdings alle Beschäftigungsmöglichkeiten genutzt, die sinnvoll und vertretbar sind, um diesen jungen Leuten eine Anstellungsmöglichkeit zu geben. Wir haben ihnen aber durch die Zurverfügungstellung eines Ausbildungsplatzes die Chance für einen späteren besseren Einstieg in das Berufsleben garantiert. Eine Übernahmegarantie bei der Bundespost kann jedoch nicht für jeden gewährleistet werden. Bei Anstellungen werden Mädchen und Jungen gleichberechtigt berücksichtigt.Insgesamt ist festzustellen, daß die Bundesbehörden auf Beschluß des Bundeskabinetts in den letzten beiden Jahren ihr Angebot an Ausbildungsplätzen erheblich gesteigert haben und eine große Anzahl von Ausbildungsplätzen zusätzlich zur Verfügung stellten, die Jungen und Mädchen gleichermaßen angeboten wurden.Mit dieser verstärkten Ausbildungsleistung hat die Bundesregierung ihre Vorbildfunktion wahrgenommen und den Verantwortlichen in der freien Wirtschaft sowie in den Ländern und Kommunen deutlich gemacht, daß sie dort die gleichen Anstrengungen erwartet, um der derzeitigen Arbeitsmarktsituation gerecht zu werden.Wir begrüßen die Bemühungen der Bundesregierung um eine Verbesserung der Chancengleichheit von Frauen im öffentlichen Dienst. Wir sehen in der positiven Entwicklung bei den Neueinstellungen erfreuliche Anzeichen für den Abbau der Unterrepräsentation von Frauen im höheren und im gehobenen Dienst. Auch wird das am 1. August 1984 in Kraft getretene Fünfte Gesetz zur Änderung dienstrechtlicher Vorschriften vom 25. Juni 1984 dazu beitragen, Frauen, die für die Zeit der Kindererziehung und der Betreuung von Angehörigen ihre berufliche Tätigkeit unterbrochen haben, den Einstieg in die berufliche Tätigkeit oder die Wiederaufnahme der beruflichen Tätigkeit zu erleichtern.Wir haben heute noch einmal einen entsprechenden Antrag vorgelegt, Frau Martiny-Glotz. Wir hatten es schon einmal getan, nur bei anderer Regierungsverantwortung. Wir hoffen, daß Sie heute für unseren Antrag mitstimmen. Wir fordern damit die Bundesregierung auf, dem Bundestag einen Bericht darüber vorzulegen, was getan werden kann, um die Situation der Frauen im öffentlichen Dienst weiter zu verbessern. Dabei bitten wir zu prüfen, ob Frauenförderungsrichtlinien geeignet sind, der beruflichen Förderung von Frauen im öffentlichen Dienst Rechnung zu tragen.
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Reetz.
Guten Morgen, Kollegen und Kolleginnen! Es gibt Bereiche im öffentlichenDienst, ebenso natürlich auch in der privaten Wirtschaft, in denen die Frauen zu 100 % vertreten sind, ohne daß die Männer verlangen, mit einem Bonus berücksichtigt zu werden. Das sind die Bereiche der tagtäglichen Hausarbeit an der Arbeitsstätte. Die Frauen sind überall da überrepräsentiert, wo es um untere und mittlere Dienstleistungen geht. Das ging auch aus Ihren Ausführungen, Frau Rönsch, zur Arbeit hier im Bundeshaus hervor. Es sind Tätigkeiten ohne qualifizierte Ausbildung, in Schnellkursen oder in kurzen mündlichen Anweisungen angelernt, wo dennoch von den Frauen Zuverlässigkeit und verantwortliches Handeln verlangt werden, andernfalls „man" schnell dabei ist, zu sagen: Mit der geht das nicht; die müssen wir entlassen. Dies ist auch ohne weiteres möglich, z. B. durch befristete Beschäftigungsverträge. Diese bieten eine gute Handhabe dafür. Diese Möglichkeit wird zur Zeit außerordentlich bei der Deutschen Bundespost, dem öffentlichen Dienst, z. B. in der Fernsprechauskunft, genutzt. Die Arbeitsstruktur dort läuft zunehmend nicht nur über Teilzeit-, sondern auch über befristete Beschäftigungsverträge. Das sind Verträge, bei denen der Arbeitgeber jeden Trick nutzt, um die Arbeitskraft der Frau auszubeuten. Z. B. läßt man die Beschäftigungsverträge bis zum 30. Januar anstatt bis zum 31. laufen, wodurch die Frauen um den vollen Anspruch auf Urlaub in diesem Monat gebracht werden.
Von den ohne Sozialversicherungspflicht Arbeitenden bei der Deutschen Bundespost sind 80,8 % Frauen, bei der Deutschen Bundesbahn sind es sogar 99,8 %. Sowohl von der Deutschen Postgewerkschaft wie auch von der Arbeitsgemeinschaft der Frauenverbände, z. B. dem Landesfrauenverband in Baden-Württemberg, wird immer wieder eine qualifizierte Berufsausbildung im technischen und nichttechnischen Dienst gefordert, verbunden mit Arbeitsverträgen, die eine soziale und rechtliche Absicherung haben.Wir wissen alle, was diesen Forderungen gegenübersteht: Gerade die Arbeitsplätze der Frauen in den Diensten der Deutschen Bundespost sind von Automatisierung bedroht. Es werden automatisiert: die Schalterdienste, die Postsparkassen, Postbankdienste, vor allem aber die Fernsprechauskunft, in der bis 1990 die Vollautomatisierung erreicht werden soll. Allein das System KONTES, die kundenorientierte Neugestaltung der Teilnehmerdienste mit EDV-System, würde nach bisherigen Einschätzungen mindestens 6 000 Arbeitsplätze vernichten.Es gibt eine entlarvende Darstellung der unternehmenspolitischen Absichten im Postwesen, in der es zum Personalwesen heißt: „Das System der Personalbemessung bedarf der Weiterentwicklung und erfordert vor allem größere Flexibilität. Die sozialen Belange des Personals können nur im Rahmen der allgemeinen gesamtwirtschaftlichen Entwicklung berücksichtigt werden. Vorreiterfunktionen kann das Postwesen nicht übernehmen." Nun, Vorreiterfunktionen drücken sich in derart zynischen Äußerungen hoher Postbeamter schon aus, nur eben nicht solche, die mit dem salbungsvollen Patriarchengeschwätz im Bundestag übereinstimmen —
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8960 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 121. Sitzung. Bonn, Freitag, den 8. Februar 1985
Frau Reetzauch nicht mit den Leitlinien von Herrn Geißler zur neuen Frauenpolitik.
Es kann also keine Rede davon sein, daß der öffentliche Dienst Vorbildfunktion gegenüber der freien Wirtschaft hat
— ich habe nur noch zwei Minuten —, wie es Frau Rönsch vorhin sagte, Vorbildfunktionen, wie es auch die Empfehlungen der Enquete-Kommission „Frau und Gesellschaft" an den Deutschen Bundestag gefordert haben.Für die Vergabe von Ausbildungsplätzen hielt eine Mehrheit der Kommission Quotierungsvorschriften für notwendig, um Benachteiligungen entgegenzuwirken. In der Praxis wurde 1983 im öffentlichen Dienst nur zu 25 % mit Frauen ein Ausbildungsvertrag abgeschlossen. Eine solche Ausbildungsquotierung ist aber die Voraussetzung dafür, daß auch bei der Einstellung und Beförderung Frauen bei gleicher Qualifikation berücksichtigt werden, damit ein angemessenes Gleichgewicht der Geschlechter erreicht wird. Im Durchschnitt wurden von 1980 bis 1984 nur 7,4 % Frauen in den höheren Dienst neu eingestellt. Diese Zahlen sind ein schlagender Beweis für die Diskriminierung der Frauen am Arbeitsplatz, die ihre Krönung in dem sogenannten Homeworking findet, den, wie es die FDP nennt, „neuen Freiräumen" durch Bildschirmarbeitsplätze, Arbeitsplätze, an denen neben dem ständigen Zurverfügungstehen der Arbeitskräfte auch noch die kostenlose Nutzung der Wohnräume gefordert wird.Ich möchte sagen: Wir sind hier immer, wenn auch nicht am Sonntag, so doch mit Sonntagsreden beschäftigt. Es würde mich nicht wundern,
wenn angesichts dieser Situation die Frauen einmal zu einem ganz anderen Schritt greifen würden, z. B. zu einem Streik der Frauen in der Arbeit. Dann wird es allen bewußt werden, wie notwendig die Frauen an allen Arbeitsplätzen sind!
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Seiler-Albring.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte ganz besonders die Kollegen auf der Regierungsbank anreden, denn sie haben das zu exekutieren, was wir hier fordern, und da sieht es leider — das muß ich sagen, und ich habe auch nicht die Absicht, das mit dem Mantel der Nächstenliebe zuzudecken — gar nicht so besonders gut aus.
— Ich komme gleich auch zu Ihnen, meine Damen und Herren von der SPD!Im April 1984 haben wir uns in einer langen Debatte mit dem Thema „Frauenarbeitslosigkeit und Diskriminierung von Frauen in allen Bereichen von Berufswelt und Gesellschaft" beschäftigt und sind gerade hinsichtlich der vielfältigen Diskriminierung zu einer wenig schmeichelhaften Bilanz gekommen, was die Realisierung des Art. 3 Abs. 2 des Grundgesetzes nach damals 35 Jahren anlangt. Quer durch alle Fraktionen haben wir festgestellt, daß es ein trübes Bild ist, das sich uns bezüglich der Situation der Frauen in Gesellschaft und Arbeitswelt zeigt. Man kann das alles nachlesen. Das ist wahrhaftig kein Kompliment für eine Gesellschaft, die den Anspruch erhebt, aufgeschlossen, emanzipiert und modern zu sein.Heute haben wir es nun zunächst mit der Großen Anfrage der SPD zu einem Teilbereich der Arbeitswelt zu tun, nämlich zur Situation der Frauen im öffentlichen Dienst. Obwohl durchaus, was ich auch gleich sagen will, Tendenzen zur Besserung zu registrieren sind, ist die Bestandsaufnahme auch heute noch ein Ärgernis. Hier sind alle traditionellen Fraktionen, auch die SPD, in der Verantwortung. Hier, wo unmittelbar die Chance bestanden hätte, Aussagen aus Wahlkampfprospekten in die Tat umzusetzen, nämlich durch den Druck auf den Staat als öffentlichen Arbeitgeber, ist die Einstellungs- und Beförderungspraxis im öffentlichen Dienst ein Spiegelbild der völlig unbefriedigenden Situation in der freien Wirtschaft: starke Repräsentanz in den unteren — wie wir wissen, sehr schlecht bezahlten — und den mittleren Laufbahnen und Vergütungsgruppen, während das Klima in den oberen Etagen für Frauen offenbar sehr unbekömmlich ist, denn nur besonders widerstandsfähige seltene Exemplare haben die Chance, durchzukommen. Das gleiche gilt übrigens auch für den Hochschulbereich, wo von sage und schreibe 20 898 Professoren im Jahre 1982 lediglich 5,1 % weiblichen Geschlechts waren und von über 58 000 wissenschaftlichen Mitarbeitern lediglich 13,6 %.Die Gründe für die unakzeptable Unterrepräsentation von Frauen auch und vor allem in Aufstiegspositionen sind vielfältig, sind zum Teil — das will ich gar nicht abstreiten — vielleicht Konsequenz mangelnden Selbstvertrauens und — sektoral und regional — eingeschränkter Mobilitätsbereitschaft, sind überwiegend aber sicher immer noch in der Verfassung unserer Gesellschaft zu sehen, die sich immer noch — Gott sei Dank mit abnehmender Tendenz — durch ein überkommenes und konventionelles Rollenverständnis und Rollenverhalten kennzeichnen läßt. Mangelhafte Qualifikation ist heute — das weisen die Schulabschlüsse und Hochschulabschlüsse sehr nachdrücklich aus — keine zureichende Begründung für die Unterrepräsentanz von Frauen in bestimmten Etagen des öffentlichen Dienstes.
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Frau Seiler-AlbringDie von der Bundesregierung in ihrer Antwort mitgeteilten Zahlen über die Neuanstellung von Frauen im öffentlichen Dienst zeigen einen gewissen positiven Trend auf; dies will ich nicht verhehlen.
Auch ist mit dem Fünften Gesetz zur Änderung dienstrechtlicher Vorschriften vom 25. Juli 1984 durchaus ein Fortschritt erreicht worden; in weit größerem Umfang als bisher können danach Frauen für die Zeit der Kindererziehung und der Betreuung von Angehörigen ihre berufliche Tätigkeit unterbrechen. Weit über die Chancen hinaus, die entsprechende Frauen in der freien Wirtschaft haben, ist also im Bereich des öffentlichen Dienstes die Möglichkeit gegeben, daß Frauen nur noch einer Teilzeitbeschäftigung nachgehen oder für eine Reihe von Jahren auf eine Berufstätigkeit verzichten. Dies erkenne ich gerne an.Dennoch, meine Damen und Herren, ist festzuhalten, daß viel und noch sehr viel mehr getan werden muß, um die Wettbewerbschancen der Frauen in allen Bereichen des öffentlichen Dienstes zu verbessern. Appelle wie der des Bundesministers des Innern an die Einstellungsbehörden, darauf zu achten, daß bei Einstellungen und Beförderungen bzw. Höhergruppierungen Frauen im Rahmen der Rechtsordnung in stärkerem Maße als bisher berücksichtigt werden, haben offenbar keine ausreichende Resonanz gefunden.Deshalb komme ich auf eine alte Forderung meiner Fraktion zurück, die auch im April letzten Jahres wieder erhoben wurde, auf eine Forderung meiner Fraktion, die im Jahre 1978 aus der unbefriedigenden Beschäftigungssituation die Konsequenz gezogen und ein Antidiskriminierungsgesetz verlangt hat. Gestern habe ich mit Freude festgestellt, daß, wie der Presse zu entnehmen war, nun auch die SPD-Frauen ein Gesetz zur Gleichstellung fordern.
Ich fürchte, daß nur auf diese Weise dem Amtsschimmel Beine gemacht werden können, damit er die Hürden, die vor einer Verbesserung der Situation der Frau im öffentlichen Dienst aufgebaut sind, nehmen kann.Von einer Quotenregelung — das will ich ganz deutlich sagen — halte ich wenig, weil diese nach meinem Gefühl gegen den Gleichheitsgrundsatz verstoßten wird und illiberal ist.
Wir sollten uns aber darüber unterhalten, ob wir nicht für einen vorübergehenden Zeitraum auch auf Bundesebene eine Frauenbeauftragte berufen, deren Kompetenzen dann allerdings so ausgelegt sein müssen, daß sie nicht als Alibifrau verschlissen wird. Mir ist durchaus klar, daß es hier bedenkenswerte Einwände gibt. Andererseits ist nach meinemDafürhalten viel zu lange gewartet worden. Es ist höchste Zeit, daß nun endlich etwas geschieht.
Der Staat als öffentlicher Arbeitgeber hat eine herausragende Verantwortung für beispielhaftes Verhalten bezüglich der Beschäftigungssituation der Frauen in allen Bereichen des öffentlichen Dienstes. Wir erwarten hier mehr Aufgeschlossenheit, Gerechtigkeit und vor allen Dingen mehr Tempo.Wir beraten in diesem Zusammenhang auch über die Frage, wie die Ausbildungssituation junger Frauen bei der Deutschen Bundespost verbessert werden kann. Die SPD hat hierzu den Antrag gestellt, für den mittleren nichttechnischen Dienst bei der Bundespost eine Ausbildung nach dem Berufsbildungsgesetz zur Verwaltungsfachangestellten einzuführen. Sosehr ich die Motivation der SPD hier teile und befürworte, nämlich die weiblichen Bediensteten des mittleren nichttechnischen Dienstes durch eine qualifizierte Ausbildung unabhängiger von der technischen und rapiden Entwicklung gerade in diesem Bereich werden zu lassen, muß ich feststellen, daß wir ihr auf dem vorgeschlagenen Weg nicht folgen können. Schon die früheren Bundesminister Gscheidle und Matthöfer hatten eine solche Ausbildung nach dem Berufsbildungsgesetz in Aussicht gestellt. Sie sind gescheitert; denn der Antrag der SPD verstößt, wie eine Rechtsprüfung schon im Jahre 1983 festgestellt hat, gegen die Verfassung. Da die betroffenen Personen nämlich im wesentlichen hoheitliche Aufgaben wahrzunehmen haben, greift hier der Funktionsvorbehalt des Art. 33 des Grundgesetzes. Auch für die Berufsausbildung ist danach eine beamtenrechtliche Lösung zwingend vorgeschrieben.Wir schlagen deshalb eine andere Lösungsmöglichkeit vor. Wir sollten uns verstärkt und gemeinsam darum bemühen, einen rechtlich einwandfreien Weg für dieses Ziel zu suchen. Der Postminister arbeitet zur Zeit in Abstimmung mit dem Innenminister an einer Regelung, die verfassungsrechtlich einwandfrei ist, gleichzeitig aber eine wesentliche Verbesserung der derzeitigen Situation bewirken kann. Danach ist eine beamtenrechtliche Laufbahn geplant, die sich aber inhaltlich möglichst weitgehend an die Ausbildung nach dem Berufsbildungsgesetz anpaßt. Sie soll deshalb wie diese drei Jahre dauern, ein schulisches Berufsgrundbildungsjahr eingerechnet, im zweiten Jahr Berufsschulunterricht in Fachklassen beinhalten, und schließlich soll das Zeugnis über die Laufbahnprüfung den Abschlüssen nach dem Berufsbildungsgesetz durch eine vom Innenminister zu erlassende Gleichstellungsverordnung gleichgestellt werden. Damit wäre ein Abschluß erreicht, der sowohl im öffentlichen Dienst als auch in der privaten Wirtschaft anerkannt werden kann.
Natürlich sind bei dem aufgezeigten Weg noch Probleme zu überwinden, besonders in Abstim-
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Frau Seiler-Albringmung zwischen Bund und Ländern. Ich will auch nicht übersehen, daß bei dieser Lösung die Bundespost überfordert wäre, wenn sie über den eigenen Bedarf hinaus sehr viel mehr ausbilden sollte.Die Zielsetzung aber, vor allen Dingen jungen Frauen im mittleren Dienst der Post eine bessere Ausbildung zu schaffen und ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt durch Mobilität zu erhöhen, kann auf diese Weise realisiert werden. Ich glaube, in diesem Ziel sind wir uns alle einig.Abschließend möchte ich doch noch darauf hinweisen, daß die Post bereits jetzt einen Anteil an der Gesamtausbildungsleistung des Bundes von ungefähr 50 % erreicht und in diesem Jahr sogar mehr als 54 % der Gesamtausbildungsplätze des Bundes zur Verfügung stellen wird. Sie leistet somit einen wesentlichen und anzuerkennenden Beitrag zur Verbesserung der Ausbildungssituation der Jugendlichen und der weiblichen Jugendlichen in der Bundesrepublik.Ich danke Ihnen.
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Odendahl.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bei der frauenpolitischen Debatte und der Aussprache zum 6. Jugendbericht im April des vergangenen Jahres erklärte der Bundeskanzler:Wir können nur weiterkommen mit einer sachbezogenen Politik, die Frauen ihre Chance öffnet. Was ich persönlich und diese Regierung tun können, das werden wir tun, um dabei hilfreich zu sein.
Eine Debatte über Saaldiener oder Saaldienerinnen oder Putzmänner oder Putzfrauen wird dem, liebe Frau Kollegin, sicher nicht gerecht.
Einigkeit bestand in dieser Debatte in der Bewertung, daß der Ausbildungssituation junger Frauen dabei besondere Bedeutung zukomme.Nachdem seit diesem Männerwort des Kanzlers fast ein Jahr vergangen ist, muß man fragen, was dem an Taten von seiten der Bundesregierung gegenübersteht. Im gesamten Bildungs- und Ausbildungsbereich hat sich die Situation der Frauen verschlechtert. Am 1. Oktober 1984 hatten rund 60 000 Bewerber keinen Ausbildungsplatz. Davon waren rund 40 000 Frauen; 36 000 waren in vorläufigen schulischen Einrichtungen, suchten aber weiterhin einen Ausbildungsplatz, davon wiederum 24 000 Frauen. Wenn man zugrunde legt, daß gerade bei den Frauen viele schon resigniert haben und in der Ausbildungsplatzstatistik nicht mehr geführt werden, bleibt die erschreckende Zahl von mindestens 100 000 Frauen, die im Ausbildungsjahr 1984 keinen Einstieg ins Berufsleben gefunden haben.
Hier reichen Ankündigungen und Appelle an die Wirtschaft nicht aus. Dem öffentlichen Dienst kommt Vorbildfunktion bei der Verbesserung der Ausbildungschancen von Frauen zu.Die SPD-Bundestagsfraktion findet unter diesem Aspekt die Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage zur Ausbildungssituation junger Frauen bei der Deutschen Bundespost mehr als enttäuschend. Hier hätte die Bundesregierung die Möglichkeit, durch eine qualifizierte Ausbildung zur Verwaltungsfachangestellten nach dem Berufsbildungsgesetz jungen Frauen eine anerkannte Ausbildung anzubieten, die ihnen eine größere Einsatzfähigkeit auf dem Arbeitsmarkt öffnet. Mein Kollege Bernrath wird auf Ihre vorher geäußerten Bedenken, liebe Frau Kollegin Seiler-Albring, gerne eingehen.
— Sie kommen dran, Herr Kollege Pfeffermann.Die vorher angesprochene Vorbildfunktion des öffentlichen Dienstes wird von seiten des Postministeriums besonders anschaulich unterlaufen. So wurden die Werbemaßnahmen für Frauen in gewerblich-technischen Berufen bei der Post im März 1983 eingestellt. Dabei zeigen die Erfahrungen mit den Modellversuchen, daß die ausdrückliche Aufforderung an Frauen, sich in untypischen Berufen ausbilden zu lassen, die wichtigste Voraussetzung für ihre Bewerbung ist. Trotz der erfolgreich verlaufenen Modellversuche „Erschließung gewerblich-technischer Ausbildungsberufe für Frauen" ist der Trend im Verantwortungsbereich des Bundes negativ. So wurden z. B. bei der Deutschen Bundesbahn im Jahr 1983 nur 121 weibliche Auszubildende bei insgesamt 3 588 Auszubildenden im gewerblichtechnischen Bereich eingestellt.
Bei der Deutschen Bundespost wurden nur 369 Frauen von 5 277 Auszubildenden übernommen. Die Bildungsministerin Frau Wilms sollte zuerst vor der eigenen Tür kehren, bevor sie über das nach ihren Worten noch immer sehr zurückhaltende Verhältnis von Frauen zur Technik und zu den naturwissenschaftlich-technischen Berufen und Bildungsgängen klagt.
Wenn sie auf dem Hearing der CDU am 29. Januar dieses Jahres feststellt, daß in Zukunft bis zu 70 % aller Arbeitsplätze von den neuen Techniken betroffen sind und Frauen nicht technische Analphabeten sein dürften, dann muß sie sich fragen lassen, warum sie angesichts dieser Entwicklung ausgerechnet die Modellversuche über die gewerblich-
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Frau Odendahltechnischen Ausbildungsberufe für Frauen auslaufen läßt, anstatt sie auf diesen Bereich der neuen Technologien auszudehnen.
Nur so können weitere Berufsbilder für Frauen in diesen zukunftsorientierten Sparten erschlossen werden.Die bisher erzielten erfolgreichen Anstöße sind ohne weitere staatliche Förderung nicht ausreichend, um Frauen mehr Chancen für eine bessere berufliche Zukunft zu bieten. Und mit Motivations-versuchen auf der einen Seite ist es nicht getan, wenn nicht einmal der eigene Verantwortungsbereich, d. h. der öffentliche Dienst mit gutem Beispiel vorangeht.
Besonders negativ auf die Ausbildungschancen der Frauen wirkt sich die Streichung des Schüler- BAföG und die Umstellung der Studentenförderung auf Volldarlehen aus. Dazu ein paar Zahlen. Trotz steigender Studentenzahlen ging der Anteil der Frauen an allen Studienanfängern stetig zurück.
1981 hatte er einen Höchststand von 42% und betrug dann 1983 nur noch 37,8 %. 1975 haben noch 75 % der Abiturientinnen angegeben, daß sie studieren wollen und haben das auch getan. Jetzt sind es nur noch knapp 50%. Das läßt sich nicht nur mit dem Rückgang der Studienanfängerinnen in den Lehramtsfächern erklären. Bei den Befragungen stellt sich vielmehr heraus, daß der Abschreckungseffekt durch den BAföG-Kahlschlag vor allem bei Frauen die entscheidende Rolle spielt.
Aber auch für Frauen, die sich nicht abschrecken lassen, gehen die negativen Auswirkungen weiter. So wurden z. B. zum 1. Januar 1983 nur 813 Frauen in den höheren und gehobenen Dienst des Bundes neu eingestellt. Wir sollten hier nicht über Saaldiener und Saaldienerinnen diskutieren. Ich meine, diese Tatsache ist viel gravierender.
Die Einstellungspraxis vieler Bundesländer steht dem in nichts nach. Dafür ein Beispiel aus BadenWürttemberg. Dort wurden von 1 760 Bewerbern für das Lehramt an Gymnasien, darunter 864 Frauen, 401 eingestellt, darunter nur 96 Frauen.Es ist ganz klar: Ohne zusätzliche staatliche Fördermaßnahmen ist eine Berufsfelderweiterung für Frauen nicht möglich. Zur notwendigen Verbesserung der Ausbildungssituation von Frauen gehört auch und unabdingbar die Rücknahme des BAföG- Kahlschlags.
Wenn der öffentliche Dienst seine Vorbildfunktion erfüllen will, müssen umfassende Frauenförderrichtlinien entwickelt werden, um eben Vorstellungen zu erarbeiten, inwieweit Frauen künftig inBerufsbereiche eingeführt werden können, in denen sie bisher unterrepräsentiert sind. Das gilt in besonderer Weise für den Ausbildungsbereich. Es gibt eine Menge von Vorbildern, von Hamburg über Nordrhein-Westfalen bis in die Vereinigten Staaten.Ich habe eingangs das starke Männerwort des Bundeskanzlers zitiert. Nach der bisherigen Bilanz muß leider befürchtet werden, daß auch dieses Kanzlerversprechen so ernst nicht gemeint war; denn hilfreich war seine Bundesregierung bei der Eröffnung von Chancen für Frauen bisher nicht.
Zwischen dem Männerwort des Kanzlers und den konkreten Taten der Regierung klaffen riesige Lükken. Die Leidtragenden bleiben die Frauen.
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Männle.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Gegensatz zu Ihnen, Frau Martiny-Glotz, die Sie im Deutschen Bundestag eine Wahlrede gehalten und einen frauenpolitischen Rundumschlag gemacht haben, möchte ich mich auf die Themen beschränken, die wir heute vormittag behandeln sollen. Ich meine, sachbezogene Politik ist notwendig. Der Bundeskanzler wurde schon mehrfach zitiert. Ich möchte mich auch daran halten.Ich gestehe, daß mir bei der heutigen Beratung eines Gesetzesentwurfes zur Errichtung einer Stiftung zur Finanzierung von Frauenhäusern äußerst unbehaglich ist. Ich erinnere mich noch recht gut an den Antrag der Fraktion der GRÜNEN während der Haushaltsberatungen auf Streichung der Mittel für die Bundesstiftung „Mutter und Kind — Schutz des ungeborenen Lebens" und ersatzweise den Einsatz des vorgesehenen Betrages von 50 Millionen DM für die Finanzierung von Frauenhäusern. Hier sollte ein Zusammenhang konstruiert werden, der so nicht bestehen darf. Hier wird den Anliegen der Frauenhäuser nicht Rechnung getragen, und es wird auch nicht der berechtigten Sorge um das ungeborene Leben Rechnung getragen.
Ich meine, wir sollten diese Fragen, um die es uns geht, aus polemischem Wortkampf der Parteien heraushalten. Es ist uns in diesen Fragen mit dem Austausch von Vorurteilen überhaupt nicht gedient.Dem ernsten Anliegen der Frauenhausbewegung, aber auch den Hilfen der Frauen in Konfliktsituationen ist nicht entsprochen, wenn wir so argumentieren. Hier darf es nicht ein Entweder-Oder geben. Es darf auch nicht das Prinzip gelten: Hast du deine Stiftung, will ich meine Stiftung; dies ist nicht der richtige Ansatz.Meine Damen und Herren, wir sind uns über die Notwendigkeit von Zufluchtsstätten für Frauen ei-
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Frau Männlenig; dies wird heute von keiner Partei bestritten. Frauenhäuser sind als Zufluchtsstätten für mißhandelte Frauen und ihre Kinder notwendig. Frauenhäuser leisten auch eine beispielhafte Arbeit. Dies wird besonders aus der Analyse von Modellprojekten deutlich. Frauenhäuser müssen in ihrem Bestand gesichert werden, und es besteht die Notwendigkeit, ein größeres Angebot auch im ländlichen Bereich bereitzustellen. Ich stelle also fest, über das Daß existieren keine Unstimmigkeiten, aber das Wie wird sehr kontrovers diskutiert.Das Thema Frauenhäuser fordert zu den gegensätzlichsten Stellungnahmen heraus, und diese Diskussion über die Frauenhäuser ist zudem äußerst emotional besetzt. Der eine sieht nur gesellschaftlich bedingte Ursachen, der andere sieht ein destruktives Zusammenspiel von Opfer und Gewaltausübendem, geradezu ein Abhängigkeitsverhältnis, manche sprechen sogar von der Sucht nach Gewalt. Wieder andere sehen in der Betonung des gesellschaftlichen Bezugs einen Beweis, daß hier ein neuer Bedarf durch neue Angebote gedeckt werden soll. Andere sehen in Zufluchtsstätten eine Spitze des Eisberges millionenfacher systemimmanenter Gewalt gegen Frauen, die nur mit einer frauenbezogenen Gegengesellschaft bewältigt werden kann,
und die anderen sehen in diesem Problem ein durch die Medien hochgespieltes Problem. Wir haben hier also ganz verschiedene Auslegungen von den Ursachen von Gewalt, unterschiedliche Bewertungen.Aber auch in der Frage, wer der Hilfe bedarf, haben wir unterschiedliche Auffassungen. Hier gehen die Konzeptionen auseinander. Die eine Konzeption lautet, einseitig die Frau muß aus ihrem gesellschaftlichen Umfeld herausgelöst und ihr muß geholfen werden, andere sehen vielmehr die Mitbetroffenheit der gesamten Familie, insbesondere der Kinder, die diesen extremen Situationen besonders wehrlos ausgesetzt sind, und sie sehen in der Hilfe ein gesamtes Konzept, das das gesamte soziale Umfeld mit einbezieht.
Mir geht es hier um die Versachlichung der Diskussion, um Bereitschaft der verschiedenen Seiten, der verschiedensten Gruppierungen, die sich dieser Frage annehmen, sowohl der autonomen Frauengruppen wie der herkömmlichen Wohlfahrtsorganisationen, und der kommunalen Spitzenverbände, all derjenigen, die daran beteiligt sind, daß wir sachliche Informationen erhalten, daß sachliche Informationen geliefert werden und daß demnach sachgerechte Entscheidungen getroffen werden können. Ich meine, extreme Konzepte helfen uns hier in dieser Diskussion wirklich wenig.Zur Lösung der Problematik gibt es nicht nur das eine richtige Konzept. In dem einen Fall kann eine Rückkehr der Frau die bessere Lösung sein. Bei der Therapie muß also die gesamte Familie einbezogen werden, muß der Mann mit einbezogen werden, muß das soziale Umfeld einbezogen werden
— ich sage das jetzt ja —, in einem anderen Fall ist der Neubeginn allein für die Frau vielleicht die angemessenere Lösung. Es gibt die eine und die andere Form, und wir müssen hier wirklich den Einzelfall sehen. Ich meine, wir sollten uns wirklich vor der absoluten Aussage hüten: Der Mann ist der Feind schlechthin, gegen den der Kampf angetreten werden muß. Dies ist nicht die sachgerechte Lösung.
Unterschiedliche Beurteilungen gibt es auch in den Finanzierungsfragen. Deswegen beraten wir heute ja auch diesen Gesetzentwurf der GRÜNEN. Dem Bundestag lag im vorletzten Jahr ein Bericht vor, in dem die Frage geprüft wurde, ob bundesgesetzliche Regelungen zur Finanzierung von Frauenhäusern notwendig sind. Das Ergebnis der damaligen Diskussion war: nein. Auch das Ergebnis der Umfragen aus den Bundesländern, aus den betroffenen Wohlfahrtsorganisationen und aus einem Teil der Frauenhäuser lautete: nein. Dieses Nein, meine Damen und Herren, gilt auch heute noch.Ich darf dazu kurz anmerken: Die Finanzierung von Frauenhäusern ist nach der grundgesetzlichen Aufgabenverteilung zwischen Bund und Ländern keine Bundesaufgabe. Der Bund kann zwar Modelle finanzieren — er hat dies ja auch getan —, er kann meinungsbildend tätig sein — er hat dies wiederum getan, z. B. mit einer Tagung, auf der das Problem „Gewalt gegen Frauen" diskutiert wurde; dies ist eine Aufgabe des Bundes —, aber die Frauenhäuser müssen hier wie andere soziale Einrichtungen gleichbehandelt werden. Es gibt also keine Bundeskompetenz für diese Frage.Nun ist es so — das gestehe ich zu —, daß es gewisse Finanzierungsschwierigkeiten gibt. Sie lagen in der Vergangenheit zu oft in einer sehr engen Auslegung des Bundessozialhilfegesetzes und auch in der mangelnden Kooperation der örtlichen Träger. Unbestritten ist, daß die hilfesuchende Frau nach dem BSHG einen individuellen Anspruch auf Hilfe hat. Dies war immer klar. Problematisch wurde es bei den Personal- und Betriebskosten.
Ich meine, es wäre tatsächlich unsinnig, wenn die Individualfinanzierung dazu führen würde, daß Frauenhäuser nur dann existieren können, wenn sie Stunde für Stunde, Tag und Nacht voll belegt sind. Dies wäre sicherlich der falsche Ansatz. Dies möchte ich deutlich sagen.
— Frau Potthast, Sie sagen: „Das ist der Fall." Ich meine, daß wir schon einen Schritt weiter sind. Ich habe gesagt, es gab eine enge Auslegung des BSHG in dieser Frage. Aber Sie wissen, daß im letzten Jahr eine gemeinsame Konferenz mit Vertretern der Länder, der kommunalen Spitzenverbände und
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Frau Männledes Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge stattgefunden hat.
— Nicht ohne Ergebnis, Frau Schmidt. Das, was Sie gerade gesagt haben, stimmt nicht. Es gibt Übereinstimmung in dieser Frage, daß nach § 22 des Bundessozialhilfegesetzes, nach § 93 des Bundessozialhilfegesetzes — ich brauche Ihnen dies alles nicht zu erläutern — eine breitere Ausschöpfung möglich ist. Damit ist die Arbeit der Frauenhäuser gewährleistet.Abweichend von den Regelsätzen können — je nach der Besonderheit des Einzelfalles — zusätzliche Hilfen gewährt werden. Kosten der Unterkunft einschließlich der Nebenkosten können übernommen werden. Darüber besteht Übereinstimmung, und es gilt natürlich jetzt, diese Übereinstimmung auch entsprechend konkret umzusetzen.
Dazu diskutieren wir ja, dazu sind wir hier meinungsbildend tätig. Sicherlich dauert es lange, bis sich derartige Übereinkünfte, bis sich Aussagen des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge, bis sich existierende Richtlinien beim letzten Mann unten durchgesetzt haben. Aber wir müssen dafür sorgen, daß dies öffentlich diskutiert wird, und dem damit zum Erfolg verhelfen.Zu den Mitteln, die nach all den Bestimmungen, die ich soeben nur beispielhaft genannt habe, gewährt werden können, gibt es ergänzende freiwillige Zuschüsse der Länder und Gemeinden. Ich weiß von meinem Land Bayern, daß zur Finanzierung von Frauenhäusern — nicht nur von Modellen, sondern auch zur Erhöhung des entsprechenden Angebotes von Frauenhäusern — ganz erhebliche Beträge eingesetzt werden. Ich meine, wir sollten dies noch weiter durchsetzen. Der richtige Weg ist eingeschlagen. Es gilt nun, den richtigen Weg auch zu begehen. Unsere Bewußtseinsbildung — ich wiederhole es — kann dazu beitragen, daß dieser Prozeß fortgesetzt, daß dieser Prozeß beschleunigt wird.
Frau Abgeordnete Männle, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Nickels?
Ja. Präsident Dr. Jenninger: Bitte sehr.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Männle, die ganzen Hilfsmöglichkeiten, die Sie jetzt hier genannt haben, hängen ja alle von dem Willen der zuständigen Stellen ab,
aber die objektive Not von geschlagenen Frauen besteht ja. Meine Frage: Wie ist es damit vereinbar, daß man diese wirksame Hilfe nur von dem guten Willen der beteiligten Stellen abhängig macht und
nicht feste Rahmenbedingungen schafft, damit diese Hilfe auch auf Dauer gesichert ist?
Es hängt nicht von dem guten Willen ab.
— Mit Sicherheit nicht; die Individualhilfe muß gegeben werden. Das ist ganz, ganz klar. Da Sie hier diese Frage stellen: Wissen Sie, ich kenne Situationen, in denen Träger der Sozialhilfe im Einzelfall ein Frauenhaus als nicht geeignet zur Gewährung von Sozialhilfe ansehen. Das gibt es. Ich denke, daß Sie auf- derartige Fälle anspielen. Frau Kollegin Nickels, ich möchte Ihnen jedoch eine Gegenfrage stellen — was hier zwar nicht zulässig ist, aber ich formuliere es einmal so; Sie können ja durch die Vertreterin Ihrer Fraktion, die nach mir sprechen wird, noch darauf eingehen —: Wie sind denn die Konzeptionen und die Aufgabenstellungen derartiger Frauenhäuser? Sind diese Frauenhäuser bereit, auch offenzulegen, nach welchem Konzept sie arbeiten? Sind sie bereit, auch offenzulegen, wie sie die Mittel verwenden? Daran hängt es doch. Ich meine — ich will es deutlich sagen —, wer öffentliche Mittel bezieht, muß Rechenschaft über die Verwendung geben.
Frau Kollegin Nickels, dies ist meine Antwort auf Ihre Frage.
Lassen Sie es mich noch einmal sagen: Es gibt Fälle, in denen Männer zum Teil lebensbedrohliche Gewalt gegen ihre Familie oder gegen den Partner ausüben. Das Problem der Gewalt in der Familie ist kein neues Problem. Geändert haben sich die gesellschaftlichen Normen, die es Frauen früher eher zugemutet haben, Gewalt klaglos zu ertragen. Daraus ergibt sich heute die Notwendigkeit einer Zufluchtsstätte, die jederzeit Beratung und gegebenenfalls eine vorübergehende und bedrohungssichere Unterkunft für Frauen mit ihren Kindern gewährleistet. Dazu stehen wir; das ist unsere Politik.
Ich meine, wir alle müssen sensibel auf das Unrecht reagieren, das vielen Frauen und Kindern geschieht. Ich möchte all denen, die das Thema öffentlich bewußt gemacht haben — ich möchte dabei alle einschließen —, die in hauptamtlicher Arbeit und in ehrenamtlicher Arbeit den betroffenen Frauen, den Kindern, den Familien geholfen haben, meinen ganz herzlichen Dank sagen für die Erfüllung dieser schweren Aufgabe, der sie sich widmen.
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Potthast.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Männle, Sie haben sicherlich recht, daß es immer mehrere Wege zur Lösung eines Problems gibt. Aber lassen Sie uns doch zumindest darüber eine Einigung erzielen, daß bei
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Frau Potthastdem Problem Gewalt gegen Frauen immer die betroffene Frau selbst ihren Weg bestimmen können muß.Was die Konzeption von autonomen Frauenhäusern angeht, kann ich nur sagen: Frauenhäuser haben Satzungen. Diese sind einsehbar; darüber können Sie sich informieren.
Wir debattieren zum zweiten Mal in dieser Legislaturperiode über die Finanzierung von Frauenhäusern — das ist traurig genug —, diesmal allerdings auf Grund eines von meiner Fraktion, von der Fraktion DIE GRÜNEN, eingebrachten Entwurfs zur Errichtung einer Stiftung, die die Finanzierung von Frauenhäusern kurzfristig so lange sichern soll, bis die Forderung der autonomen Frauenhausträgerinnen nach einer bundeseinheitlichen Regelung über die Mischfinanzierung erfüllt wird. Denn die Regelfinanzierung ist — trotz aller dazu abgegebenen Versprechen seitens unseres Bundesministers für Jugend, Familie und Gesundheit — keineswegs verbessert worden, sondern sie hat sich eher verschlechtert,
und das, obwohl damals — am 1. Dezember 1983 — von allen Seiten dieses Hauses die Zunahme von Gewaltakten gegen Frauen und Kinder unbestritten blieb und obwohl damals — ich zitiere Frau Karwatzki; Frau Männle, Sie haben es ja heute selbst wieder gesagt — „die vorbildliche gesellschaftliche Arbeit, die geprägt ist durch Selbsthilfe und ehrenamtliche Tätigkeiten", von allen Seiten gelobt wurde. Damals wurde — zumindest verbal — die Notwendigkeit von Frauenhäusern anerkannt. Das haben Sie auch heute wieder getan.Die Empfehlungen von Herrn Geißler zur Verbesserung der Finanzierung von Frauenhäusern über die volle Ausschöpfung des Bundessozialhilfegesetzes werden nicht nur — und das hat inzwischen die Praxis gezeigt — von den zuständigen Behörden unterlaufen, sondern es wird zudem weiterhin ein gesellschaftliches Problem auf einzelne Frauen abgewälzt.
Frau Männle, Sie wissen ganz genau, daß nur einzelne Frauen einen Rechtsanspruch auf Sozialhilfeleistungen haben.
Gewalt gegen Frauen — und das kann nicht häufig genug betont werden — ist aber kein individuelles Problem;
denn die Gewalttätigkeiten in dieser Gesellschaft werden nicht zuletzt hervorgerufen durch eine immer inhumaner werdende Produktionsweise, durch Verherrlichung von Gewalt gegen Menschen, insbesondere Frauen und Kinder, in Videofilmen und anderen Medien, durch die Verbreitung von pornographischen Schriften und Filmen und durcheine zunehmende Massenerwerbslosigkeit und um sich greifende Armutswelle.
Junge Menschen, die sich ineinander verlieben, gehen nicht das gegenseitige Versprechen auf eine gemeinsame Zukunft ein, wenn sie fest den Vorsatz hätten, einander zu quälen und zu mißhandeln, sondern aus dem rosaroten Himmel versprochener Zärtlichkeiten und Harmonie fallen sie häufig zu schnell in den düsteren Alltag bundesrepublikanischer Wirklichkeit. Schulden, Isolation, Alkoholprobleme und Gewaltanwendung sind dann häufig die Folge.Gewalt gegen Frauen und Kinder in allen gesellschaftlichen Schichten ist und bleibt Ausdruck eines gesellschaftspolitischen Skandals, der durch zunehmende Verarmung breiter Bevölkerungsschichten nur noch anwachsen kann. Die Gesellschaft ist deshalb gefordert, die Verantwortung für die Linderung der schlimmsten Auswüchse dieser Gewaltverhältnisse zu übernehmen.
Mit einer Finanzierung nach dem Bundessozialhilfegesetz wird die Problemlösung einzelnen Frauen übertragen, und die Existenz von Frauenhäusern ist davon abhängig, daß immer — und Sie, Frau Männle, haben es vorhin schon angedeutet — eine gleichbleibende Anzahl von Frauen von ihren Männern mißhandelt wird, um die laufenden Kosten der Frauenhausarbeit decken zu können. Zynischer geht es doch wohl kaum noch.
Darüber hinaus bedeuten die von Herrn Geißler herausgegebenen Empfehlungen — und das wissen Sie auch genau —, daß die Frauenhausprojekte und betroffenen Frauen auf Gedeih und Verderb der Willkür der Kostenträger und ihrer politischen Weisungsbeauftragten unterworfen sind. Was das heißt, Frau Männle, das veranschaulicht eine Stellungnahme des Landkreisverbandes Bayern. Darin bekräftigt dieser Landkreisverband Bayern seine Auffassung, wonach der ländliche Raum grundsätzlich die Einrichtung von Frauenhäusern nicht benötige. Das soziale Umfeld bedrohter Frauen bzw. die örtliche Gemeinschaft im ländlichen Raum böten genügend Hilfsmöglichkeiten; angeführt werden dann: Familie, Nachbarschaft, Gemeinden als Obdachlosenbehörden usw.
Frau Abgeordnete, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Frau Abgeordneter Männle?
Ich habe nicht genügend Zeit. Es tut mir leid.
Ich lasse Ihnen diese Zeit auf Ihre Rede nicht anrechnen.
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Ich kann Ihnen die Stellungnahme zukommen lassen.
Sie wissen doch nicht, was die Kollegin fragen will.
Es tut mir leid.
Sie lassen keine Zwischenfrage zu.
Die Tatsache, daß hier auf das soziale Umfeld verwiesen wird, das angeführt wird mit Familie, Nachbarschaft oder Gemeinden als Obdachlosenbehörden, bedeutet, daß es eine perfekte Garantie für gedemütigte Frauen gibt, daß ihre Situation im Dorf breitgetreten wird.
Weiterhin heißt es in der Stellungnahme:
Die Landkreise haben wir über diese Ergebnisse unterrichtet und empfohlen, keine Kostenvereinbarungen mit Frauenhäusern oder kreisfreien Städten abzuschließen, welche die gesetzlichen Kostenerstattungsmöglichkeiten erweitern.
Das heißt, Herr Geißler, Ihre eigenen Empfehlungen zur vollen Ausschöpfung des Bundessozialhilfegesetzes werden damit gezielt unterlaufen.
Fazit: Heute ist die Frauenhausfinanzierung ungesicherter denn je. Die institutionelle Förderung von Frauenhäusern wird sogar unter Hinweis auf Ihre Empfehlungen verhindert.
Unser Stiftungsgesetz bietet die Möglichkeit, kurzfristig die Finanzierungsmisere von Frauenhausprojekten zu überwinden, und zwar ohne daß Länder und Gemeinden finanziell belastet würden. Falls Sie jedoch an Ihren durch die Praxis widerlegten Vorstellungen festhalten und nicht den politischen Willen bekunden, eine kontinuierliche Arbeit von Frauenhauseinrichtungen durch eine bundeseinheitliche Regelung zu sichern, kann ich das nur so interpretieren, daß Sie, allen wohltönenden Aussagen zum Trotz, ganz bewußt die Arbeit von Frauenhäusern, insbesondere der autonomen, behindern wollen, und zwar weil Sie sie als Bedrohung erleben. Als Bedrohung für eine von Ihnen propagierte Familienidylle, die Sie nicht länger aufrechterhalten können. Allein die Existenz von Frauenhäusern ist nämlich eine Herausforderung an die verlogene bürgerliche Moral. Das wissen Sie ganz genau.
Es ist auch eine Herausforderung an Männer, und
zwar an alle, Ihre Sexualität und Gewaltphantasien
einmal in Frage zu stellen, ohne sich unter dem
Deckmäntelchen einer unerträglich gewordenen Familienideologie verstecken zu können.
Mit diesem Stiftungsentwurf haben Sie, Herr Geißler, die Gelegenheit, Ihren Anspruch — ich zitiere Sie —, den Frauen in Not müsse schnell geholfen werden, in die Tat umzusetzen. Wenn Sie schon auf 15 Milliarden DM Steuereinnahmen durch das Ehegattensplitting, das in der Hauptsache den reichen Ehemännern von sogenannten Nur-Hausfrauen zugute kommt, verzichten können, dann werden Sie wohl auch in der Lage sein, den im Vergleich dazu verhältnismäßig geringen Betrag von 50 Millionen DM aufzubringen, um die Notsituation mißhandelter Frauen lindern zu helfen. Sorgen Sie für einen ausreichenden Schutz des bereits geborenen Lebens, einen Schutz für Frauen und Kinder in einer von vielen Männern mit Gewalttätigkeiten verseuchten Gesellschaft. Damit würden Sie nämlich den größten Beitrag auch zum Schutz des ungeborenen Lebens leisten.
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Dr. Segall.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn wir hier heute auf Antrag der Fraktion der GRÜNEN über neue Möglichkeiten der Finanzierung von Frauenhäusern diskutieren, so will ich keineswegs von den Problemen in diesen Häusern ablenken, wenn ich jetzt unmittelbar auf die Fragen der Finanzierung eines solchen Projekts eingehe. Es liegt hierin keineswegs eine Mißachtung der zugrunde liegenden Probleme. Diese sind jedoch bereits von den anderen Debattenrednern von allen Seiten beleuchtet worden.Zu der Frage der Finanzierung möchte ich hier klarstellen, daß wir uns erst vor gut einem Jahr mit den Fragen der Finanzierung von Frauenhäusern durch die Bundesregierung hier in diesem Hause befaßt haben. Damals wurde festgestellt, daß sich fast sämtliche Länder sowie die kommunalen Spitzenverbände und die Fachverbände der Sozialhilfe gegen eine bundesgesetzliche Regelung ausgesprochen haben. Da fragt man sich doch unwillkürlich: Wozu nun dieser erneute Versuch, eine Finanzierung aus Bundesmitteln durch eine Stiftung zu erreichen?Dazu ist es sicherlich interessant, sich einmal die Vorstellungen der GRÜNEN genau anzusehen. Die Verteilung der Mittel auf die Frauenhäuser soll nach den Kosten der Anmietung, nach den Kosten der Unterhaltung und nach den Belegungskapazitäten erfolgen. Besonders zu dem letzten Punkt ließen sich etliche Bedenken ins Feld führen. Interessant ist auch ein Blick in die Stiftungsordnung. Das muß man sich wirklich einmal auf der Zunge zergehen lassen. Es zeigt sich nämlich, daß weder im Stiftungsrat noch im Stiftungsvorstand die Geldgeber oder die Sozialämter auch nur die Chance einer paritätischen Mitbestimmung bekommen sollen.Nach Meinung der FDP kann der Weg jedoch nur heißen: Hilfe in Fällen der sozialen Not ist Aufgabe
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8968 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 121. Sitzung. Bonn, Freitag, den 8. Februar 1985
Frau Dr. Segallder kommunalen Selbstverwaltung. Folglich sind die Kommunen nach dem Bundessozialhilfegesetz in diesen Fällen zur Hilfe verpflichtet. Das bedeutet in diesem Fall, daß außer den Kosten zum Unterhalt auch Kosten für Unterkunft sowie Mietnebenkosten und Personalkosten als Kosten der psychosozialen Betreuung von den Sozialhilfeträgern zu übernehmen sind. Wieweit die Kommunen derartige Kosten übernehmen, ist auf dem Wege der Verhandlung zu ermitteln. Daher sollten sich nach Meinung der FDP mehr als bisher Träger der freien Wohlfahrtspflege und vor allem auch die kirchlichen Institutionen dieser Aufgabe annehmen. Sie haben sicherlich eine bessere Verhandlungsposition gegenüber den Sozialhilfeträgern. Ein stärkeres Engagement dieser Institutionen wäre sicher zu begrüßen.An dieser Stelle möchte ich jedoch die Gelegenheit wahrnehmen und ein altes Projekt der FDP in Erinnerung bringen. Die FDP tritt entschieden dafür ein, daß in diesen Fällen das Sozialamt auch den Ehemann bei den Kosten heranzieht. Dabei muß selbstverständlich sichergestellt sein, daß auf diesem Wege der Aufenthaltsort der Frau nicht an den Ehemann weitergegeben wird. Das ist für uns eine unabdingbare Forderung.Außerdem möchte die FDP noch einmal nachfragen, ob nicht das Unterhaltsvorschußgesetz so geändert werden könnte, daß es auch in diesem Fall Anwendung fände.Bedingung wäre allerdings, daß erstens die Fristen geändert werden und zweitens der Titelvorbehalt wegfällt.
In diesem Gesetz war vorgesehen worden, daß die Unterhaltsansprüche von Frauen an die Kassen abgetreten werden und die Frauen einen Vorschuß auf den zu leistenden Unterhalt bekommen. Ein solches Verfahren wäre sicherlich auch sinnvoll, wenn Frauen in Frauenhäusern Zuflucht suchen. Wir finden diese Regelung grundsätzlich besser als die Zahlung von Sozialhilfe, weil sie es der Frau ermöglicht, anders als bei der Sozialhilfe, sich durch eigene Tätigkeit einen eigenen Verdienst zu schaffen, der ihr in diesem Fall voll erhalten bleibt. Eine solche eigene Leistung lohnt sich nicht, wenn alles über die Sozialhilfe geht und verrechnet werden muß. Das bedeutet für die Frauen oft, daß für sie der Anfang eines Weges in die Zukunft von vornherein wieder verschüttet wird. Gerade darauf sollte geachtet werden: daß die Zuflucht in ein Frauenhaus für diese Frauen die Chance für einen Neubeginn enthält.Ich halte noch einmal fest: Wenn sich die kommunalen Gebietskörperschaften bei den institutionellen Kosten mit den Trägern der Frauenhäuser über eine Beteiligung an den Kosten einigen könnten und die Frauen über die Unterhaltsvorschußkassen zu ihrem Recht kämen, würden sich die Finanzierungsprobleme der Frauenhäuser sicherlich wesentlich reduzieren lassen.Ich danke Ihnen.
Ich erteile dem Herrn Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich kann zunächst gut verstehen, daß Frau Martiny-Glotz gar nichts zum eigentlichen Thema der heutigen Debatte gesagt hat, sondern von den Leitsätzen der Christlich-Demokratischen Union und vom Bundesparteitag der CDU gesprochen hat.
Ich erspare es mir, nun noch einmal darzustellen, was hier an Falschem gesagt worden ist. Ich halte es für eine gute Sache, wenn die größte Volkspartei in der Bundesrepublik Deutschland sich auf ihrem Bundesparteitag einen vollen Tag den frauenpolitischen Themen und Problemen widmet, dazu über 500 Frauen aus allen Bereichen des gesellschaftlichen und politischen Lebens einlädt und mit ihnen zusammen diese Leitsätze diskutiert.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich weiß aus den Reaktionen aus Ihren eigenen Reihen, daß Sie selber, die Frauen innerhalb der SPD, wissen, daß Sie sich mit einer solchen Parteitagskonzeption in Ihrer eigenen Partei nie hätten durchsetzen können.
Dies wissen wir aus den Reaktionen.Die CDU beschäftigt sich ja nicht erst in diesem Jahr mit den frauenpolitischen Problemen, sondern — ich will Ihnen diese Information gerne geben — bereits im Jahre 1975 hat die Christlich-Demokratische Union ganz konkrete Vorschläge gemacht, um z. B. die soziale Stellung der Frau im beruflichen Leben zu verbessern.
Damals wurde zum erstenmal die politische Forderung aufgestellt, ein Unrecht zu beseitigen und für die Frauen, die sich für die Aufgabe in der Familie und für die Erziehung der Kinder entschieden haben, Zeiten in der Rentenversicherung anzuerkennen.
Damals ist zum erstenmal das Erziehungsgeld gefordert worden. Die CDU hat nun seit etwas über zwei Jahren als stärkste Regierungspartei zusammen mit dem Bundeskanzler die Führung in der neuen Koalition übernommen, und diese Regierung hat beide Forderungen, die von der SPD in der Zeit ihrer Regierungsverantwortung nicht erfüllt werden konnten, innerhalb der ersten zwei Jahre in die Tat umgesetzt.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 121. Sitzung. Bonn, Freitag, den 8. Februar 1985 8969
Bundesminister Dr. GeißlerMeine sehr verehrten Damen und Herren, natürlich sind wir uns darüber einig, daß die rechtliche Gleichstellung der Frauen, die in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten Stück für Stück erreicht worden ist, noch nichts darüber aussagt, wie die Gleichberechtigung der Frau im Lebensalltag aussieht,
und auch nichts darüber aussagt, wie die Gleichberechtigung der Frau z. B. in den politischen Parteien oder im öffentlichen Dienst im Bund, in den Ländern und in den Gemeinden aussieht.
Ich sage hier klar: Hier sind nach wie vor erhebliche Defizite vorhanden. Aber tun Sie doch nicht so, als ob dies auch nur um ein Haar in den Ländern und Kommunen anders wäre, in denen die Sozialdemokraten die Regierungsverantwortung haben.
— Ganz im Gegenteil. Dieses Problem ist natürlich ein ganz allgemeines. Ich will nachher auf diese Punkte zurückkommen.Was die Realisierung der Gleichberechtigung der Frau angeht: Meine Vorgängerin im Amt, Frau Huber, ist hier unter uns; sie kann mir dies vielleicht bestätigen.
— Sie wissen doch gar nicht, was ich sage. Ich wollte Sie nachher ausnahmsweise einmal loben.
Wenn sie das jetzt schon im vorhinein, mit der parteipolitischen Brille versehen, zurückweisen, ist das Ihre Sache.
Wir haben ja hier ein spezielles Thema zu erörtern, nämlich die Finanzierung der Frauenhäuser.
Frau Potthast, das Bild einer nahezu muslimischen Landschaft der Bundesrepublik Deutschland, das Sie gezeichnet haben,
finde ich nun etwas übertrieben.
Ich weiß auch nicht, ob die Mehrzahl der modernen jungen Frauen dies so sieht. Ich würde Sie aber auf jeden Fall bitten, daß Sie, wenn Sie hier aus Beschlüssen des bayerischen Landkreistags zitieren, gleichzeitig das Datum angeben. Das, was der Landkreistag hier von sich gegeben hat und was Sie hiervorgelesen haben, ist allerdings richtig. Aber dies ist vom bayerischen Landkreistag gesagt worden, bevor unter meinem Vorsitz mit den kommunalen Spitzenverbänden und den Ländern eine Regelung über die Finanzierung der Frauenhäuser gefunden worden ist.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Potthast?
Es wird ja Gott sei Dank nicht von der Zeit abgezogen, wie ich gehört habe, Herr Präsident. Bitte schön.
Herr Geißler, sind Sie bereit zur Kenntnis zu nehmen, daß diese Stellungnahme nach Ihrem Spitzengespräch, also nach Ihren Empfehlungen, abgegeben wurde, und zwar am 30. Juli 1984?
Verehrte Frau Potthast, ich nehme das gern zur Kenntnis. Dann gibt es offensichtlich zwei Erklärungen des bayerischen Landkreistags.
Mir geht es darum:
Wenn der bayerische Landkreistag nach unserer Vereinbarung eine solche Erklärung abgegeben hat, die ich nicht kenne — ich nehme dies gern zur Kenntnis —,
dann können Sie sich fest darauf verlassen, daß ich den bayerischen Landkreistag an das erinnern werde, was wir damals vereinbart haben. Insofern hat die Debatte hinsichtlich dieser Information durchaus einen Sinn gehabt. Warum soll in einer Parlamentsdebatte nicht einmal ein solcher Informationsaustausch mit dem entsprechenden Ergebnis zustande kommen, wie ich es gerade angekündigt habe?
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Professor Jannsen?
Unter den genannten Bedingungen, Herr Präsident, sehr gern. Bitte schön.
Herr Minister, habe ich Sie richtig verstanden und würden Sie mir bitte erläutern, was Sie meinten, als Sie eben von „muslimischen" Zuständen sprachen?
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8970 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 121. Sitzung. Bonn, Freitag, den 8. Februar 1985
Ja, das kann ich Ihnen gern erläutern. Frau Potthast hat hier eine Darstellung der psychologischen Situation junger Frauen gegeben, was die Gewaltfrage anlangt. Ich leugne die Probleme überhaupt nicht. Ganz im Gegenteil, ich habe als erster Bundesminister eine internationale Fachtagung über das Thema „Gewalt gegen Frauen" organisiert
und habe auf diese Probleme bundesweit aufmerksam gemacht.
Dieses Thema ist außerordentlich ernst. Frau Potthast, wenn Sie sagen — was ich durchaus für richtig halte —, daß ein entscheidender Punkt darin besteht, daß z. B. junge Leute nicht zu Gewalthandlungen gerade gegenüber Schwächeren — und Frauen gehören nun einmal in der Regel physisch durchaus zu den Schwächeren in unserer Gesellschaft — verleitet werden sollen, dann stimme ich Ihnen ja zu. Aber wenn Sie hier so etwas sagen, dann gebietet es die Fairneß eigentlich auch, zu erwähnen, daß wir — nicht die Sozialdemokraten; damit haben Sie überhaupt nichts zu tun — zum erstenmal in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland die Herstellung, die Verbreitung und die Einfuhr von Video-Filmen verboten haben, die grausame, bestialische Inhalte haben.
Dieses Gesetz ist gestern im Bundesrat verabschiedet worden. Wir haben ja — was den Jugendschutz anbelangt — eine Situation vorgefunden, die darin bestand, daß diese Probleme ungelöst waren. Ungelöst war vor zwei Jahren ja auch das Problem der Finanzierung der Frauenhäuser.
Die körperliche und seelische Mißhandlung von Frauen ist über lange Jahre hindurch bagatellisiert und auch verschwiegen worden.
Wenn wir mit diesem Problem besser fertigwerden wollen, brauchen wir z. B. gezielte Fortbildungsmaßnahmen für die Justiz, für die Verwaltung, für die Polizei und die Ärzteschaft. Das sind ganz entscheidende Fragen.
Das sind alles Probleme, die man nicht ausschließlich und allein gesetzlich regeln kann, sondern bei denen es darauf ankommt — dazu will ich nachher noch etwas sagen —, daß sich das Bewußtsein der Leute ändert, die mit diesen schwerwiegenden Problemen z. B. in der Justiz und der Verwaltung zu tun haben. Sie können Bewußtseinsänderung vor allem auch durch Information erreichen.
Wir haben die Ergebnisse dieser Fachtagung an alle Länder, an alle Justizverwaltungen, an alle polizeilichen Dienststellen, an alle Kommunen verschickt. Diese Tagung ist ja auch von führenden Vertretern der Polizei und der Justiz besucht worden.
Ich trete dafür ein, daß wir z. B. bei Strafprozessen, bei denen es um die strafrechtliche Behandlung der Vergewaltigung und anderer Sexualdelikte geht, einen verbesserten Schutz zugunsten der Frauen bekommen und daß wir die Möglichkeiten des geltenden Rechts, z. B. die Öffentlichkeit auszuschließen, im Interesse der Betroffenen großzügiger anwenden. Ausschluß der Öffentlichkeit sollte kein absoluter Revisionsgrund mehr sein. Ich bin auch der Meinung, daß die betroffenen Frauen die Möglichkeit nutzen können sollten, als Nebenklägerinnen aufzutreten.
Ich begrüße es, daß der Bundesjustizminister zur Zeit dabei ist, entsprechende Referentenentwürfe vorzubereiten. Ich halte das für eine gute Sache.
Auch dies ist ja bis zu unserem Regierungsantritt nicht geregelt gewesen.
Jetzt komme ich zu den Frauenhäusern.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Dr. Däubler-Gmelin?
Nein, jetzt darf ich vielleicht meine Rede zu Ende führen,
weil ich sehe, daß ich sonst mit meinen Ausführungen nicht mehr zu Ende komme.Ich habe das Problem der Finanzierung der Frauenhäuser vorgefunden, aber im Zustande einer Null-Lösung. Es war nichts da.
Eine der ersten Entscheidungen, die ich getroffen habe, war, daß ich eine Vereinbarung mit den Ländern und den kommunalen Spitzenverbänden angestrebt habe, selbstverständlich unter Beachtung der verfassungsrechtlichen Vorschriften, was Mischverwaltung und Mischfinanzierung anbelangt, Vorschriften, die ja eingehalten werden müssen und die der Entwurf der GRÜNEN souverän mißachtet.Wir haben in diesen Vereinbarungen erreicht — ich darf das dem Hohen Hause noch einmal zur Kenntnis geben —, daß nach § 22 Abs. 1 Satz 2 Bundessozialhilfegesetz laufende Leistungen zum Lebensunterhalt abweichend von den Regelsätzen zu bemessen sind, soweit dies nach der Besonderheit des Einzelfalles geboten ist. Die Aufnahme einer hilfesuchenden Frau in ein Frauenhaus ist ein sol-
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Bundesminister Dr. Geißlercher Einzelfall. Das ist übereinstimmend so vereinbart worden. Die Regelsätze können so gestaltet werden, daß mit Hilfe einer extensiven Auslegung — so wie wir das vereinbart haben — auch die laufenden Kosten der Frauenhäuser finanziert werden können.Darüber hinaus müssen auch die Kosten der Unterkunft einschließlich der üblichen Nebenkosten übernommen werden. Das gleiche gilt für die Kosten der Betreuung der Frauen und ihrer Kinder, die als Kosten persönlicher Hilfe in angemessenem Umfang ebenfalls anzuerkennen sind.Wir haben dann noch eine andere Möglichkeit der Finanzierung gefunden, nämlich den Abschluß einer Vereinbarung zwischen dem Träger des Frauenhauses und dem Sozialhilfeträger, denn Frauenhäuser sind auch Einrichtungen im Sinne des § 93 Abs. 2 Bundessozialhilfegesetz.
Dies ist ein umfassendes und gutes Konzept für die Finanzierung der Frauenhäuser, die in der Regel auch funktioniert. Damit wir eine Kontrolle haben, haben wir bei allen Frauenhäusern eine Umfrage gestartet. Der Rücklauf ist im Gange. Es ist ganz klar: Wenn sich herausstellen sollte, daß sich in der einen oder anderen Region die betreffenden kommunalen Verbände — oder wer sonst davon betroffen ist — an diese Vereinbarung, der alle zugestimmt haben, nicht halten, dann werden wir selbstverständlich von seiten der Bundesregierung nachstoßen und dafür sorgen, daß diese Vereinbarung eingehalten wird. Frau Segall, es ist auch festgelegt und ausdrücklich gesagt worden, daß selbstverständlich die Sozialbehörde nicht beim Ehemann Rückgriff nehmen sollte, zumindest nicht in den ersten vier Wochen, weil dies zu ganz unerträglichen Entwicklungen auch im Verhältnis der hilfesuchenden Frau zu dem Ehemann, der dann möglicherweise der Frau nachforscht usw., führen würde.Dies alles haben wir also geregelt, meine sehr verehrten Damen und Herren, und deswegen stößt der Gesetzesantrag der GRÜNEN ins Leere. Ich will dies hier in aller Klarheit sagen. Er ist überflüssig, weil das Problem der Finanzierung der Frauenhäuser durch die von mir dargestellte Regelung befriedigend gelöst ist.
Frau Kollegin, der Redner hat gesagt, daß er keine Zwischenfragen mehr zuläßt.
Ja, keine Zwischenfragen mehr!Nun will ich noch einmal auf das zurückkommen, was Frau Martiny-Glotz gesagt hat. Frau Martiny-Glotz hat sich am Anfang an alle Frauen gewendet, von den jungen bis zu den älteren.
— Das darf sie durchaus tun,
und ich halte das auch für absolut richtig. Aber ich wende mich in dieser Debatte über die Frauenpolitik zunächst einmal an die Männer;
denn es kann j a wohl nicht so sein, daß die Verwirklichung von Partnerschaft und Chancengleichheit etwa allein eine Sache der Frauen wäre,
als wären sie es, die Defizite aufholen müssen.
Die Frauen müssen doch keine Defizite aufholen!
Solche Defizite aufholen müssen die Männer. Es geht in Wirklichkeit um die Männer, denn viele von ihnen haben noch nicht erkannt, daß sie nicht nur ihr Bewußtsein, sondern auch ihr Verhalten ändern müssen.
Ich sage Ihnen das eine: Schauen Sie doch bitte nicht immer auf andere Parteien. Das, was ich hier gesagt habe, gilt für meine Partei, gilt für alle, die betroffen sind, gilt aber genauso für die Sozialdemokraten und gilt für alle, die politische Verantwortung tragen.
Es ist ganz klar — deswegen sage ich dies an die Adresse der Männer —, daß es von einer Gesellschaft Abschied zu nehmen gilt, in der die Männer dominieren. Ich sage ausdrücklich, daß es überholtem Denken entspricht, Frauen oder Männer auf bestimmte Rollen festlegen zu wollen.
Es ist auch Ausdruck überholten Denkens, die Aufgaben der Frauen auf die der Mutter und Hausfrau und die des Mannes auf die der Berufstätigkeit beschränken zu wollen. Dies alles ist überholtes Denken, und genau so wird es von der überwiegenden Mehrzahl der Frauen gesehen.
Nur ist es der Fehler der Sozialisten und der Sozialdemokraten, daß sie den Wert der Frau einseitig von der Berufstätigkeit abhängig machen wollen.
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8972 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 121. Sitzung. Bonn, Freitag, den 8. Februar 1985
Bundesminister Dr. GeißlerDie meisten modernen jungen Frauen haben diese Ideologie, aber auch — das möchte ich hinzufügen — die Stufe eines aggressiven Feminismus längst überwunden. Die modernen jungen Frauen wissen, was sie wollen, nämlich nach Möglichkeit beides — Beruf und Familie — miteinander verbinden.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, das ist das, was heute im Interesse der jungen Frauen und überhaupt aller Frauen liegt. Sie, meine Damen und Herren, hinken hinterher, wie auch viele Männer hinter dem herhinken,
was die Frauen wollen. Die Frauen und die moderne Frauenbewegung brauchen nun wirklich keine selbsternannten feministischen Artikulationsprofis,
die den Leuten vorschreiben, was sie zu wollen haben.Das Leitbild für immer mehr junge Menschen, Jungen und Mädchen, ist eben nicht der Mann als Pascha, der sich als Supermann gebärdet, aber auch nicht der Softi, der die Frau als Vormund braucht, das auch nicht!
Leitbild ist aber für die Frauen auch nicht die Emanze, die den Mann als Fehlkonstruktion der Natur ansieht
— mit Sicherheit nicht —, aber auch nicht das Heimchen, das Angst vor der eigenen Selbständigkeit hat.Gegen solche überholten Vorstellungen setzen wir etwas anderes, nämlich die Idee der Partnerschaft, einer neuen Partnerschaft, nach der sich Mann und Frau gegenseitig in ihrem Eigenwert anerkennen, füreinander verantwortlich sind und ihre Aufgaben innerhalb und außerhalb der Familie gleichberechtigt vereinbaren.Dies alles wäre nicht möglich gewesen ohne die Frauenbewegung in den letzten 100 Jahren, die die rechtliche und soziale Gleichstellung der Frau — zumindest im rechtlichen Bereich — durchgesetzt hat.
Frauen haben neue Themen und Konzepte in die politische Diskussion eingeführt und auf Fehlentwicklungen unserer Gesellschaft aufmerksam gemacht.
Frauenverbände und auch feministische Gruppen haben das Bewußtsein für die Selbstbestimmung der Frau und ihre Leistungen in der Gesellschaft hervorgehoben und wichtige Anstöße für Politik und Wissenschaft gegeben. Deswegen finden alle die Frauen, die nicht zurückschauen, sondern dafür eintreten, daß im Lebensalltag das realisiert wird, was rechtlich bereits beschlossen ist, unsere Unterstützung. Sie können sich darauf verlassen, daß wir uns dort, wo Defizite im Bewußtsein vorhanden sind — auch bei den Männern, die zu uns gehören —, dafür einsetzen, daß diese Defizite abgebaut werden.Meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist natürlich klar, daß die Gleichberechtigung von Mann und Frau, diese neue Partnerschaft, von der Politik mit realisiert werden muß. Sie wird nur gelingen, wenn sie von den Menschen selber und den gesellschaftlichen Gruppen getragen und gefördert wird. Aber das, was die Politik macht, ist von entscheidender Bedeutung. Die Verwirklichung der Gleichberechtigung ist ein verfassungspolitischer Auftrag.Ich möchte etwas zu dem sagen, was die Bundesregierung in den vergangenen zwei Jahren getan hat.
Ich sage es ganz kurz, weil hier einfach die Unwahrheit gesagt wurde. Wir können in zwei Jahren nicht all das machen, was Sie in 13 Jahren für die Frau nicht getan haben.
Diese Bilanz machen wir einmal miteinander auf, was in den 13 Jahren unter Ihrer Federführung und unter Ihrer politischen Verantwortung für die Frauen erreicht wurde. Ich kann mir darüber ein Urteil erlauben.
Die Bundesregierung hat folgendes getan. Erstens. In den allgemeinbildenden und weiterführenden Schulen sind die Mädchen nicht mehr benachteiligt, aber in der beruflichen Bildung. Die Bundesregierung hat neben den Maßnahmen des Handwerks, des Handels und der Industrie die Zahl der Ausbildungsplätze im eigenen Bereich erhöht — der Kollege Waffenschmidt wird darauf noch kommen — und sowohl 1983 als auch 1984 in den Ausbildungsprogrammen Mädchen besonders gefördert. Diese Programme sind zu mehr als zwei Dritteln Mädchen zugute gekommen.Zweitens. Die Modellprogramme der Bundesregierung zur Erschließung gewerblich-technischer Berufe haben inzwischen eine erfreuliche Signalwirkung.
Ich will nebenbei sagen, daß wir alle auffordern, in den Schulen, und zwar in möglichst allen Schulformen, Betriebspraktika in den Unterricht zu integrieren.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 121. Sitzung. Bonn, Freitag, den 8. Februar 1985 8973
Bundesminister Dr. GeißlerDrittens. Im Entwurf des Beschäftigungsförderungsgesetzes hat die Bundesregierung vorgesehen, daß für kleine und mittlere Betriebe auch die Kosten des Mutterschutzes über die Ausgleichskasse finanziert werden können.Viertens. Die Bundesregierung wird auch das Benachteiligungsverbot des § 611 a BGB zugunsten der Frauen verschärfen. Dies nützt den Frauen viel mehr als ein allgemeines Antidiskriminierungsgesetz, das mit allgemeinen Formulierungen auf dem Papier steht. Wir wollen, daß § 611 a BGB mit dem Ziel verändert wird, daß einer diskriminierten Bewerberin ein höherer Schadenersatz zuerkannt wird, als dies bisher der Fall ist. Davon haben die Frauen etwas, nicht von allgemeinen Formulierungen.
Fünftens. Ab dem nächsten Januar wird das bisherige Zweiklassenrecht für Frauen beseitigt und ein Erziehungsgeld in Höhe von 600 DM monatlich zunächst für zehn Monate und ab 1988 für ein volles Jahr eingeführt.
Der Versicherungsschutz muß erhalten bleiben, genauso, wie wir uns für die Arbeitsplatzgarantiewährend der vollen Zeit des Erziehungsgelds
Sechstens. Die soziale Sicherung für Frauen ist entscheidend verbessert worden. Die Wartezeit in der Rentenversicherung wurde auf fünf Jahre reduziert. Das bedeutet, daß Millionen von jungen Frauen heute mit einem eigenen Rentenanspruch in die Ehe und in die Familie gehen können,
auf dem sie später, wenn sie wieder in das Erwerbsleben zurückgehen, aufbauen können.
— Meine sehr verehrten Damen und Herren, dies sind die Fakten. Ich teile hier Fakten mit und nicht pauschale, allgemeine Anschuldigungen, bei denen kein realer Hintergrund vorhanden ist.
Siebtens. Zum erstenmal in der Rentengeschichte wird ab 1. Januar 1986 die Anerkennung von Erziehungszeiten in der Rentenversicherung eingeführt werden. Dies ist ein ganz großer, entscheidender und qualitativ neuer Schritt für die Gleichberechtigung der Frauen.
Wenn Sie sagen, die älteren Frauen würden davon nicht betroffen, dann stimmt dies. Wir sind ehrlich genug, zu sagen, daß wir es nicht finanzieren können. Wenn Sie sagen, daß Sie es finanzieren können, dann muß ich leider sagen, dann sind Sie eine Partei der Täuschung und der falschen Versprechungen, die Sie nicht einhalten können.
Damit es einmal klar ist: Der Gesetzentwurf der SPD aus dem Jahre 1972 über das Babygeld hat das Babygeld auch nur für die sogenannten Zugangsrenten vorgesehen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, das ist eine unehrliche Argumentation, die Sie hier vortragen.
— Das ist nichts Neues, das wiederholt sich ständig.Achtens. Durch das Familienpaket der Bundesregierung werden die Familien ab 1. Januar 1986 10 Milliarden DM mehr erhalten. Dies ist eine entscheidende Verbesserung des Familienlastenausgleichs, eine Verbesserung, die vor allem unseren Frauen zugute kommt,
darunter die Erhöhung der Kinderfreibeträge, Anhebung des Grundfreibetrages, das Baukindergeld, eine Erhöhung des Kindergeldes um 46 DM pro Kind für einkommensschwache Familien: bisher einmalig in der Geschichte der Familienpolitik. Bereits seit Januar dieses Jahres gibt es wieder Kindergeld für arbeitslose Jugendliche, etwas, was Sie abgeschafft hatten.
Ich bin immer noch bei dem Thema: „Was hat die Bundesregierung für die Frauen getan?" Die Frage ist gestellt worden. Ich mache noch eine Weile weiter.Neuntens. Die Lage der Alleinerziehenden wurde verbessert. Sie können Betreuungskosten bis zur Höhe von 4 000 DM für das erste Kind und 2 000 DM für das zweite und jedes weitere Kind als außergewöhnliche Belastung bei der Lohn- und Einkommensteuer geltend machen. Alleinstehende sind überwiegend Frauen. Ohne Nachweis können pauschal 480 Mark je Kind abgezogen werden. Die Regelung der Kinderbetreuungskosten wird ab 1. Januar 1986 auch auf Ehegatten mit Kindern ausgedehnt, wenn mindestens einer von ihnen an einer Behinderung oder länger andauernden Krankheit leidet.
Ich werde mich im übrigen dafür einsetzen, um dies hier auch klar zu sagen — dies entspricht dem, was der Bundesvorstand der CDU am Montag beschlossen hat —, daß der Zeitraum für das Erziehungsgeld in der Zukunft stufenweise verlängert wird.
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8974 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 121. Sitzung. Bonn, Freitag, den 8. Februar 1985
Bundesminister Dr. GeißlerIch fordere alle Bundesländer auf, ebenso wie Baden-Württemberg, Niedersachsen und Berlin ein Familien- oder Babygeld einzuführen. Warum sollen in Nordrhein-Westfalen, in Hamburg, in Hessen solche Entscheidungen nicht getroffen werden, wenn man nicht Sprüche klopfen, sondern etwas für junge Familien tun will!
Dann soll man auch auf der Länderebene ein Babygeld und Familiengeld einführen und es zweitens wie Baden-Württemberg machen, nämlich ab 1. Januar 1986, nachdem das Bundeserziehungsgeld für das erste Jahr vorhanden ist, das Landesfamiliengeld für das zweite Lebensjahr des Kindes einsetzen — eine großartige Regelung.Zehntens. Die Bundesregierung hat im Gesetzentwurf zur Förderung der Beschäftigung die Teilzeitarbeit aufgewertet und zu einer sozial anerkannten und rechtlich gesicherten Arbeitsform gemacht. Die Sozialdemokraten lehnen das ab, Teile der Gewerkschaften lehnen so etwas ab. Sie sagen, Teilzeitarbeit sei etwas Minderwertiges. Das schreiben Sie offenbar den Leuten vor. 50% der erwerbstätigen Mütter wollen keinen Vollzeitarbeitsplatz, sondern einen Teilzeitarbeitsplatz. Ich bin der Meinung, die Politik hat sich nach den Interessen der Menschen zu richten und hat nicht die Aufgabe, den Leuten vorzuschreiben, was sie zu wollen haben.
Deswegen sind wir auch der Meinung, daß Arbeitszeiten und Arbeitsabläufe so flexibel zu gestalten sind — das ist ebenfalls eine Möglichkeit, die sich durch die moderne Entwicklung eröffnet —, daß Väter und Mütter die Arbeit in Beruf und Familie besser vereinbaren können. Der öffentliche Dienst muß hier eine Vorbildfunktion ausüben.
Ich gebe zu, daß dies eine wichtige Aufgabe ist, die noch nicht überall erfüllt ist. Das ist gar keine Frage, aber wir sehen dieses Problem, auch was Teilzeitarbeit und die Zeitverträge anbelangt. Nur, wer Arbeitsplatzteilung, mehr Teilzeitarbeitsplätze, Zeitverträge in einer modernen industriellen Entwicklung ablehnt, wie das die Sozialdemokraten und die GRÜNEN tun, also Entwicklungen, die den Wünschen der Menschen im wesentlichen entsprechen, der will eben Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in den Käfig erstarrter Kollektivregelungen einsperren. Die SPD steht hier wie auch anderswo wie ein Dinosaurier in der Landschaft einer sich verändernden modernen Arbeitswelt.Elftens. Ich halte Frauenförderungspläne im öffentlichen Dienst ebenso wie in den öffentlichrechtlichen Medien und in der Wirtschaft für notwendig. Frauenförderungspläne sollen in Zusammenarbeit von Geschäftsleitung und Betriebsrat erarbeitet werden und verbindliche Ziele und Maßnahmen für die Frauenförderung festlegen. Ich bin auch der Auffassung, daß damit eine Berichtspflicht verbunden werden sollte. Auch hier haben wir noch viel zu tun.
Aber ich darf darauf aufmerksam machen — das ist das, was ich als Lob aussprechen wollte —: In meinem Ministerium verfahren wir nach diesen Leitlinien. 25 % der Plätze im gehobenen und höheren Dienst sind in meinem Ministerium bereits mit Frauen besetzt.
Das ist nicht das Ergebnis der letzten zwei Jahre,
das ist auch das Ergebnis des Einsatzes meiner Vorgängerinnen, z. B. von Frau Huber. Das war das, was ich als Lob zu Frau Huber sagen wollte. Ich glaube, daß sie das Lob akzeptiert.
Ich will Sie noch darüber informieren — wir reden j a über konkrete Dinge —: Am kommenden Dienstag wird in meinem Ministerium ein Workshop mit Vertretern von 25 Großbetrieben stattfinden, die wir eingeladen haben, die mit uns gemeinsam Frauenförderungsmaßnahmen entwickelt haben. Die praktischen Schritte werden in einem Leitfaden zusammengefaßt. Ich begrüße es ausdrücklich, daß z. B. Rheinland-Pfalz solche Leitlinien bereits verabschiedet und auch für den Bereich des öffentlichen Dienstes verbindlich gemacht hat.Es wäre außerordentlich gut, wenn wir heute noch über die Frage der Technologie miteinander sprechen könnten. Ich will darauf verzichten, weil darüber in den letzten Tagen ausreichend geredet worden ist, auch in dem Hearing, das die Christlich Demokratische Union über Technologien und Frauenarbeitsplätze durchgeführt hat. Ich bin auf jeden Fall der Auffassung — das wollte ich den GRÜNEN sagen —, daß man diese Arbeitsplätze nicht einfach abwerten und mit den Heimarbeitsplätzen früherer Zeiten vergleichen darf. Es kommt vielmehr entscheidend darauf an, wie diese Arbeitsplätze ausgestaltet sind und wie der rechtliche Status der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer geregelt ist. Die Techniken geben jedenfalls die Möglichkeit, solche Arbeitsplätze jeweils für mehrere Arbeitnehmer vorzusehen, so daß die befürchtete Isolierung vermieden wird. Eine Untersuchung des Landes Baden-Württemberg zeigt, wie die Arbeitsverhältnisse der externen Arbeitnehmer rechtlich befriedigend geregelt werden. Die Tarifpartner können das ja auf breiter Basis auch so realisieren.Das waren elf konkrete Punkte, konkrete Beschlüsse,
die die Bundesregierung gefaßt hat, die zum Teil schon durch die Mehrheit von CDU/CSU und FDP in die Wirklichkeit umgesetzt worden sind. Daß in den vergangenen zwei Jahren für die Frauen entscheidende Verbesserungen erreicht worden sind,
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 121. Sitzung. Bonn, Freitag, den 8. Februar 1985 8975
Bundesminister Dr. Geißlerergibt sich aus diesen Fakten. Deswegen — davon bin ich überzeugt — wird es auch in Zukunft so sein, wie es in den letzten Jahren war: Die Frauen werden in ihrer überwiegenden Mehrheit — so ist es bei der Bundestagswahl 1983 gewesen — den Parteien ihre Stimme geben, die in der Praxis auch etwas für sie tun.
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Schmidt .
Liebe Kollegen! Liebe Kolleginnen! Meine sehr geehrten Herren und Damen! Ich muß sagen: Ach, Herr Geißler, es tut mir wirklich weh. Kommen wir doch einmal zu den Fakten.
Sie haben heute wieder einmal eine wunderhübsche Propagandarede als Generalsekretär gehalten und sind eben nicht auf die Fakten eingegangen. Es scheint ja wohl irgend etwas nicht ganz zu stimmen, wenn die Frau Kollegin Wex sagt, die Frauen würden Ihnen wegrennen und ihr deutlicher Vorsprung sei zusammengeschmolzen.
Wenn man sieht, was Sie uns als Fakten verkaufen, muß man sagen: Die großen Neuerungen sind noch nicht Wirklichkeit. Das gilt für das Erziehungsgeld, für das Sie noch keine Arbeitsplatzgarantie haben, für ein Babyjahr, das für uns so niemals akzeptabel gewesen wäre, weil wir nicht bereit sind, eine Generation vollkommen auszuschließen,
für die Kürzung der Erwerbsunfähigkeitsrente, des Mutterschaftsurlaubsgeldes und den BAföG-Kahlschlag, und als jüngste Unverschämtheit, Herr Geißler, der Versuch, der gestern im Bundesrat — —
— Ach, Herr Pfeffermann, jetzt seien Sie doch mal ruhig.
Ich sage Ihnen: Die klugen Frauen haben Millionen geborener Feinde, das sind die dummen Männer. Sie können sich den Schuh gerne anziehen.
Die jüngste Unverschämtheit, Herr Geißler, ist der gestern im Bundesrat gescheiterte Versuch, gegen den erklärten Willen aller Fraktionen dieses Hauses die Grenze für den BAföG-Bezug auf 27 Jahre herunterzusetzen. Die Leidtragenden wären wieder die Frauen gewesen.
Deshalb rennen Ihnen die Frauen weg, weil sie die Männerpolitik, die Sie verkörpern, Herr Geißler, endlich und auf alle Zeiten satt haben, eine Politik, die als wichtigsten Körperteil den Ellenbogen und den Mund hat,
kaum den Kopf braucht, nie die Ohren und überhaupt niemals das Herz.
Meine sehr geehrten Herren und Damen, ich möchte noch einmal zu dem Thema Frauenhaus kommen. Es wäre sicherlich falsch, dieses Thema nur unter Finanzierungsaspekten zu diskutieren. Aber über die Zeit der Konzeptdiskussionen, Frau Männle, sind wir hinaus; es besteht Handlungsbedarf. Es besteht Handlungsbedarf für die Wohnungssuche von Frauen und Kindern, die Alleinstehende und Sozialhilfeempfängerinnen sind. Es gibt Handlungsbedarf für Frauen, die selbst oder deren Kinder mißhandelt wurden und die das Recht haben müssen, Ehemann oder Freund nicht wieder in der Wohnung aufzunehmen.
Gewalt gegen Frauen und Kinder hat Ursachen, die bekämpft werden müssen und können, die u. a. in der hohen Arbeitslosigkeit, im Abdrängen von Langzeitarbeitslosen in die Sozialhilfe — das haben Sie zu verantworten —, in unzureichenden Sozialhilfeleistungen, in der Verharmlosung der Droge Alkohol und der unbeschränkten Werbung dafür liegen, aber auch in der falschen Erziehung von Männern zu Herren und Frauen zu Dulderinnen.
Es sind Ursachen, die zu einem Gefühl der Ausweglosigkeit bei Frauen und Männern und zu einer nicht mehr gesteuerten Aggressivität gegenüber Frau und Kindern führen, die zum Objekt werden.
Sosehr ich es begrüße, Herr Geißler, daß sie Gewalt gegen Frauen mehrfach verurteilt haben, so sehr habe ich auch den Eindruck, daß diese Gewalt von Ihnen als individuelles Problem und nicht als Problem unserer Gesellschaft mit Ursachen gesehen wird, die auf politischem Weg zumindest teilweise beseitigt werden könnten.
Frau Abgeordnete, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Dr. Wex?
Wenn sie mir nicht auf die Zeit angerechnet wird, j a.
Frau Kollegin, würden Sie hier auch einmal feststellen, daß es den Frauen überhaupt nicht dient, daß Sie es hier von Anfang an diffamieren, daß es hier einen Mann gibt, der sich für die Frauenbelange so einsetzt?
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8976 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 121. Sitzung. Bonn, Freitag, den 8. Februar 1985
Wenn ich auch nur ein einziges Mal den Eindruck gehabt hätte, daß sich dieser Minister für Frauen einsetzt, dann wäre dieses von mir hier nicht so emotional gekommen. Diesen Eindruck habe ich nicht.
— Ich bin stolz auf meine rote Brille. Sie haben eine schwarze, und dadurch sieht man noch weniger.
Liebe Kollegen, zwischen der sehr negativen Bemerkung des Kollegen Rose von der CSU aus der Haushaltsdebatte 1981, wo er die Frauen in Frauenhäusern als Belegschaft, die sich nach dem Angebot richtet, bezeichnet hat, und der Beurteilung, die heute hier in diesem Haus von Frauenhäusern besteht, ist zwar ein kurzer zeitlicher, aber ein langer politischer Weg für die Koalitionsfraktionen. Wir Sozialdemokraten nehmen zur Kenntnis, daß das gesamte Haus den Standpunkt, den wir zu Frauenhäusern schon immer vertreten haben, teilt.Wir hoffen aber nun, daß die Bundesregierung nicht einen ebenso langen politischen Weg von Bekundungen über publikumswirksame, aber ergebnislose Propagandatagungen bis zu konkretem politischen Handeln zurücklegen muß. So ist heute nicht mehr die Zeit, über Konzepte und darüber zu reden, ob Männer jetzt also ausgeschlossen oder einbezogen werden sollen, sondern es ist über konkrete Maßnahmen zu reden.Wir begrüßen deshalb die Petition der Arbeitsgruppe Frauenrechte, die solche konkreten Maßnahmen fordert. Wir halten aber den Weg über die Finanzierung, wie sie uns heute hier von den GRÜNEN vorgeschlagen wird, über eine „Bundesstiftung Frauenhaus" für falsch. Wir halten diesen Weg für ebenso falsch wie den, den die Bundesregierung mit der Stiftung „Mutter und Kind" gegangen ist. Was die Träger der Frauenhäuser wünschen, die rechtlich abgesicherte institutionelle Förderung, wird so nicht erreicht.
Erreicht werden nur eine höhere Unsicherheit, das Abschieben von Verantwortung auf eine solche Stiftung, mehr nutzlose Bürokratie. Die bisherigen Erfahrungen mit der Stiftung „Mutter und Kind" bestätigen dies. Rechtsansprüche über Stiftungen zu sichern ist nicht möglich; wir lehnen dies deshalb also ab, weil wir den Frauen und den Frauenhäusern helfen wollen.
Meine Damen und Herren, wir fragen aber die Bundesregierung, was sie getan hat und was sie angesichts der Tatsache zu tun beabsichtigt, daß Frauenhäuser schließen müssen, daß Frauenhäuser überfüllt sind, Mitarbeiterinnen und Frauengruppen als Trägerinnen von Frauenhäusern am Rand ihrer psychischen, physischen und materiellen Existenz arbeiten, für Ausländerinnen ein ungesicherter Rechtszustand besteht, der Finanzausgleich zwischen Kommunen mit und ohne Frauenhaus nicht geregelt ist und zu Lasten der mißhandelten Frauen zu Kompetenzgerangel und Bürokratie führt. Und es stimmt eben nicht, Herr Geißler, daß es hier verbindliche Absprachen gibt. Sonst wären die Frauenhäuser nicht nach wie vor in dieser schwierigen Situation.
Wir fragen die Bundesregierung deshalb: Was tut sie denn nun eigentlich? Es gibt selbstverständlich Handlungsbedarf, zumal es unter allen Fachleuten unumstritten ist — darum wundert mich das, was Sie hier heute gesagt haben —, daß das Bundessozialhilfegesetz ein Gesetz für individuelle Ansprüche — ich betone das Wort : Ansprüche — ist und keinen Raum für die Förderung von Einrichtungen bietet.
Wenn die Bundesregierung meint, eine bundesgesetzliche Regelung falle nicht in ihre Kompetenz — darüber kann man sich sicherlich gern und lange trefflich streiten; während wir uns da streiten, müssen dann wieder ein paar Frauenhäuser schließen —, dann wäre es zumindest ihre Pflicht gewesen, eine entsprechende Ländergesetzgebung anzuregen, die die institutionelle Förderung von Frauenhäusern sicherstellt und einen Mindestbedarf von Richtlinien für die Anerkennung von Frauenhäusern als soziale Einrichtung festlegt.Wir fordern die Bundesregierung auf, dies zu tun und bei einem eventuellen Scheitern ihrer Bemühungen ein Rahmengesetz für die Förderung von Frauenhäusern vorzulegen. Wir fordern sie weiter auf, die notwendigen Änderungen des Sozialhilfegesetzes vorzulegen. Ich fordere sie ebenso auf, alles in ihren Kräften Stehende zu tun, um das Schließen weiterer Frauenhäuser zu verhindern
und gegebenenfalls über die Finanzierung bisheriger Modellvorhaben hinaus Mittel für bedrohte Frauenhäuser zur Verfügung zu stellen.
An dieser Stelle kann den Kommunen — z. B. meiner Heimatstadt Nürnberg, aber auch vielen, vielen anderen — nicht genug gedankt werden, die die langfristige finanzielle Ausstattung von Frauenhäusern sicherstellen, in Frauenhauskonzepte nicht hineinregieren und — das ist unheimlich wichtig — die Kontrolle der Verwendung der Steuermittel auf das unerläßliche Maß beschränken, unbürokratische Regelungen mit dem Trägerverein und den anderen Kommunen des Einzugsbereichs finden und so für die Frauen einer ganzen Region zur Zufluchtsstätte werden.Es kann von der Bundesregierung ein weiteres getan werden: Weit mehr als die Hälfte der Frauen, die in Frauenhäusern Zuflucht finden, wurden von ihren Ehemännern mißhandelt. Wir fordern den Familienminister deshalb auf, Signale zu setzen und unserem Entwurf, den wir vorgelegt haben, zuzu-
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 121. Sitzung. Bonn, Freitag, den 8. Februar 1985 8977
Frau Schmidt
stimmen, der Vergewaltigung in der Ehe unter Strafe stellt, der Frauen aus der Rolle eines Objekts befreit, ihnen Mut macht, sich zu wehren, und Männern das Gefühl nimmt, ein Kavaliersdelikt zu begehen. Auch hier können Sie sich durch verbale Akte und die Vorlage eines Papiers, in dem sie die Gewalt gegen Frauen beklagen, nicht aus der Verantwortung stehlen.Mir scheint, es gibt für die Bundesregierung viel zu tun. Packen Sie es an! Das Eigenlob, für Frauen viel getan zu haben, hätte dann wenigstens eine schmale Grundlage.
Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister des Innern.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte mich einigen Schwerpunktaufgaben im Hinblick auf die Situation der Frau im öffentlichen Dienst zuwenden. Bevor ich dies tue, möchte ich hier aber doch einmal gern ein ganz herzliches Wort des Dankes für die bedeutsamen Leistungen aussprechen, die die Frauen in unserer Gesellschaft erbringen: im öffentlichen Dienst, außerhalb des öffentlichen Dienstes, dort, wo sie im beruflichen Leben stehen,
aber auch dort, wo sie in der Koordination von Arbeit im beruflichen Leben und zu Hause wirken. Aber auch all denen — auch das will ich hier gern einmal sagen —, die sich dafür entschieden haben, den Schwerpunkt ihres Beitrags für unser Zusammenleben als Hausfrauen und Mütter zu Hause zu setzen, ein herzliches Wort des Dankes in dieser Stunde!
Ich finde, das steht uns gut an. Ich weiß aus der Erfahrung im öffentlichen Dienst, daß da viele dabei sind, die sich aus guten Gründen darum bemühen, das miteinander zu koordinieren; ich finde das gut. Sie werden ihre Arbeit im öffentlichen Dienst und zu Hause machen.
Frau Kollegin Schmidt, Ihnen möchte ich gern sagen: Es war ein schlechter Beitrag, daß Sie nicht in der Lage waren, auf das Schwerpunktprogramm von Herrn Minister Geißler hier auch nur mit einem sachlichen Wort zu antworten.
Die Rede von Minister Geißler war eine eindrucksvolle Bilanz dessen, was bisher für die Familien und die Frauen geschehen ist.
— Daß Sie so nervös auf das reagieren, was Herr
Geißler gesagt hat und was ich zu sagen versuche,
zeigt doch nicht die Stärke Ihrer Position. Nervös reagiert derjenige, der sich getroffen fühlt. Im übrigen: Wenn Sie über die Attraktivität der SPD im Hinblick auf die Frauen sprechen und diese tatsächlich so vorhanden wäre, dann müßten Sie ja tolle Wahlergebnisse haben. Aber die haben Sie in Wirklichkeit j a gar nicht. Die Realität widerlegt Sie doch.
Nun zu den Aufgaben, die im öffentlichen Dienst anstehen. Meine Damen und Herren, ich will zunächst die Zahlen sprechen lassen. Sie haben eine Anfrage eingebracht. Sie haben eine Antwort über die Zahl der Neueinstellungen bekommen. Ich finde, es lohnt sich, daß man hier noch einmal sagt, daß die klare Bilanz — insbesondere auch im Blick auf das Jahr 1983 und bis in die ersten sechs Monate des Jahres 1984 — zeigt, daß rund die Hälfte der Neueinstellungen auf die Frauen entfiel. Ich finde, das ist eine gute Bilanz.
Ich will aber auch gleich sagen, wo wir noch besser werden müssen. Wir müssen dort noch besser werden, wo es darum geht, daß die Frauen im öffentlichen Dienst die Möglichkeit haben, auch verstärkt in die leitenden Funktionen hineinzukommen. Aber Sie wissen auch, das ist eine Aufgabenstellung, die man nur schrittweise erfüllen kann. Jetzt kommen allmählich die Jahrgänge von Frauen zur Entscheidung, die — ähnlich wie ihre männlichen Kollegen — in den vergangenen Jahren eingestellt worden sind. Leider ist in den Jahren davor jeweils nicht ein so großer Anteil von Frauen eingestellt worden, daß wir hinsichtlich der Besetzung von Leitungsfunktionen das erreicht hätten, was erreicht werden sollte.
Ich finde es ist ganz wichtig, daß wir durch die Schaffung eines verbesserten Lehrstellenangebots und durch den Kabinettsbeschluß, der insbesondere denjenigen Gruppen Hilfe zuteil werden läßt, die von Arbeitslosigkeit besonders betroffen sind — ältere Arbeitnehmer, jungen Menschen und auch Frauen —, viele haben motivieren können. Ich möchte die Länder, die Gemeinden, darüber hinaus aber auch die Arbeitgeber bitten, dieser vorbildlichen Funktion, die der öffentliche Dienst bewußt wahrzunehmen versucht hat und die er auch erfolgreich wahrgenommen hat, zu folgen.
Herr Staatssekretär, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Däubler-Gmelin?
Bitte schön.
Herr Waffenschmidt, können Sie uns als Sprecher des Innenministeriums erklären, wie die von Ihnen in Ihrer Rede getroffenen positiven Feststellungen mit den Zahlen, die Sie uns mitgeteilt haben — der Anteil von Frauen bei Neueinstellungen ist in den Jahren von 1982 bis 1984 von 54,6% auf 42,2% gesunken —, vereinbar sind?
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8978 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 121. Sitzung. Bonn, Freitag, den 8. Februar 1985
Frau Kollegin DäublerGmelin, die Antwort auf Ihre Frage 4 enthält eine genaue tabellarische Aufstellung, aus der Sie die Zahlen der einzelnen Ressorts entnehmen können. Der Anteil der Frauen bei den Neueinstellungen vom 1. Januar 1983 bis zum 30. Juni 1984 betrug bei Vollzeitarbeit 44,9%, bei Teilzeitarbeit sogar 91,9 %. Es ist also eine Menge im Hinblick auf das geschehen, was, denke ich, alle Verantwortlichen erreichen wollen.Da Sie absolute Zahlen ansprechen, möchte ich gern einmal sagen: Wir hätten in den zwei Jahren unserer Regierungszeit in vielen Bereichen des öffentlichen Dienstes gern noch mehr gemacht, aber wir mußten gleichzeitig an dem Abbau der Erblast arbeiten, die Sie uns — insbesondere im Hinblick auf die Haushaltssituation — hinterlassen haben.
— Ja, dann machen Sie immer Zwischenrufe. Ich kann Ihnen nur sagen: Es gehört zur politischen Realität und zur Ehrlichkeit, daß wir Sie bei den Mühen, die wir haben, um Schwierigkeiten zu überwinden, nicht aus der Verantwortung entlassen für all das, was Sie uns an schwerer Erblast hinterlassen haben. Aus dieser Verantwortung werden wir Sie nicht so leicht entlassen, meine Damen und Herren.
Ich komme nun zu einigen praktischen Bereichen. Ich will die Teilzeitarbeit ansprechen. Ich meine, hier bestehen — gerade für die Frauen — im öffentlichen Dienst wichtige Angebote. Ich verweise hier auf die Initiativen, die wir während unserer Regierungszeit unternommen haben, um mehr Teilzeitarbeit im öffentlichen Dienst zu ermöglichen. Ich verweise weiterhin auf die Möglichkeiten, die sich für eine längere Beurlaubung ergeben.Meine Damen und Herren, das sind ja sehr praktische Möglichkeiten. Ich weiß aus Diskussionen draußen im Lande, daß gerade die Frauen, die auf Grund ihrer Arbeit und ihrer beruflichen Ausbildung den Bezug zum Beruf behalten sollen, Familie und berufliche Arbeit im öffentlichen Dienst miteinander verbinden wollen. Sie nehmen gerne die Möglichkeiten der Teilzeitarbeit in Anspruch. Ich finde, es war eine richtige Entscheidung dieser Koalition, daß sie die Möglichkeiten für Teilzeitarbeit und für eine längere Beurlaubung geschaffen hat, daß sie sie ausgebaut hat. Das hilft, Beschäftigungslosigkeit zu überwinden; das hilft, Menschen neue Möglichkeiten im öffentlichen Dienst zu geben, und das hilft vor allen Dingen auch den Frauen, über diese neuen rechtlichen Möglichkeiten noch mehr als bisher einen Zugang zum öffentlichen Dienst zu bekommen. Ich finde, das sollten wir herausstellen.Ich appelliere an dieser Stelle auch an die Dienststellenleiter und die Behördenleiter, das voll mit auszuschöpfen, was sich jetzt an Teilzeitbeschäftigungsmöglichkeiten ergibt. Wir wissen, daß gerade Frauen im Lehrberuf, bei den Gerichten oder in anderen Bereichen sagen: Ich bin ja bereit, auf einen Teil meiner Arbeit zu verzichten, nur die Hälfte der Stelle wahrzunehmen und es dadurch möglich zu machen, daß eine andere Frau, ein anderer Mann Arbeit finden können. Wir sind der Auffassung, daß damit zusätzliche gute Angebote ermöglicht werden.Ich will hier ausdrücklich das ansprechen, was die Koalition in ihrem Entschließungsantrag fordert, nämlich daß wir regelmäßig berichten sollen. Wir als Innenministerium haben das immer wieder getan. Wir wollen das gerne weiter tun. Und wir wollen dann auch über die Möglichkeiten von Frauenförderungsplänen, Frauenförderungsrichtlinien berichten. Wir werden uns auch mit der Frage befassen, was damit eventuell noch mehr erreicht werden kann.Aber, meine Damen und Herren, wir wollen hier auch ganz offen sagen: Es kommt gar nicht darauf an, daß man viele Pläne macht, sondern darauf, daß man in der Praxis hilft, auch bei der Fortbildung, bei der Ausgestaltung der Teilzeitarbeit und bei den Angeboten, die wir für Frauen und Mädchen machen.Lassen Sie mich einen letzten Punkt ansprechen, den Postbereich. Er wurde hier mehrfach mit Blick auf den öffentlichen Dienst genannt. Ich will nur sagen: Die Probleme, die hier zu bewältigen sind, stehen — man muß sich einmal die Forderungen der Deutschen Postgewerkschaft ansehen — schon seit zehn Jahren an. Ich muß deshalb deutlich fragen: Warum hat hier nicht schon die frühere Bundesregierung Möglichkeiten geschaffen? Dies hat sie leider versäumt. Minister Schwarz-Schilling ist zu danken, daß er die Initiativen ergriffen hat. Mittlerweile sind auf Staatssekretärsebene die ersten Vereinbarungen vorhanden, um zu einer Möglichkeit der Berufsausbildung zu kommen, die den jungen Leuten, insbesondere den jungen Mädchen, hilft, auch außerhalb der Post mit ihrer beruflichen Ausbildung etwas anzufangen. Ich denke, daß wir im Jahre 1986 auf diesem Wege in die Ausbildung werden gehen können. Ich möchte an dieser Stelle Minister Schwarz-Schilling noch einmal ausdrücklich danken, daß er sich nach Jahren, wo in diesem Bereich nichts erreicht worden ist, dieser Sache mit Erfolg zugewandt hat und wir nun Möglichkeiten gefunden haben. Das stünde auch Ihnen sehr gut an.
Ein letzter Gedanke. Ich will hier deutlich aussprechen, meine Damen und Herren, daß wir in den zwei Jahren, in denen wir die Verantwortung getragen haben, ausweislich der Zahlen eine Menge haben erreichen können. Das ist uns längst noch nicht genug. Wir werden in vielen praktischen Schritten daran arbeiten, die Chancen für die jungen Frauen, für die Frauen überhaupt im öffentlichen Dienst noch weiter zu verbessern, damit die Vorbildfunktion, wie sie der öffentliche Dienst hat, auch hier erfüllt werden kann.Herzlichen Dank.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 121. Sitzung. Bonn, Freitag, den 8. Februar 1985 8979
Das Wort hat der Abgeordnete Bernrath.
Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Herr Minister Geißler hat eben gesagt, man solle sich einmal konkret klarmachen, was nun an Leistungen von dieser Bundesregierung erbracht worden sei. Wenn ich mir die Antwort auf die Große Anfrage „Frauen im öffentlichen Dienst" ansehe, bleibt konkret zunächst nur festzustellen: erstens, daß die Zahl der Einstellungen von Frauen in zwei Jahren um 12,4 % zurückgegangen ist — das ist die Antwort, Herr Staatssekretär, auf die Frage, die Ihnen eben Frau Däubler-Gmelin gestellt hat —,
zweitens, daß die Zahl der Anstellungen zur Ausbildung in demselben Zeitraum um 2,7 % rückläufig war,
und drittens, daß sich insbesondere bei der Verteilung der verschiedenen Beschäftigungsverhältnisse nach wie vor ein Bild zuungunsten der Frauen ergibt. Die Anteile der Beschäftigung in Teilzeitarbeitsplätzen, mit befristeten Arbeitsverträgen, in ungesicherten Beschäftigungsverhältnissen — also unter 20 Stunden — sind nicht nur stagnierend, sondern haben zum Nachteil der Frauen zugenommen, so daß wir von Erfolgsbilanz in diesem Zusammenhang überhaupt nicht sprechen können. Es ist von der Bundesregierung auch nichts unternommen worden — auch nicht etwa in ihren großen Dienstleistungsbetrieben —, um die Chancen der dort beschäftigten Frauen in ihrem Berufsleben durch entsprechende Aufklärung, Ausbildung und Fortbildung zu verbessern.Insbesondere wenn wir uns ansehen, was sich aus den neuen Technologien an zusätzlichen Problemen für die Frauenbeschäftigung ergibt, wird uns deutlich, welche Arbeit hier noch von uns allen, insbesondere aber auch von der Bundesregierung, zu bewältigen ist. Wir, die SPD, haben vor anderthalb Jahren auf einem Kongreß dargestellt, welche Folgen die technologische Entwicklung für die Frauenbeschäftigung in unseren Betrieben, auch in den Betrieben und Verwaltungen des öffentlichen Dienstes, haben wird. Sie ziehen jetzt nach anderthalb Jahren nach, aber zu einem Zeitpunkt, wo die Bundesregierung erklärt, daß sie Maßnahmen in diesem Zusammenhang, auch vorbeugende Maßnahmen, nicht für erforderlich hält. Sie geht auch mit keinem Wort darauf ein, welche Funktion der öffentliche Dienst in diesem Zusammenhang wahrzunehmen hat, wie er aufzeigen kann, wie diese Probleme in Verantwortung der Politik bewältigt werden können, und damit Funktionen aufzeigen kann, die im gewerblichen Bereich nachvollzogen werden können.Die Arbeitslosigkeit hat sich unter Ihrer Verantwortung nahezu verdoppelt. Wie ernst das ist, was uns jetzt an Aufgabe im Zusammenhang mit der Beschäftigung von Frauen aufgegeben ist, ergibt sich nicht zuletzt aus den letzten Daten: 2,6 Millionen Arbeitslose bei 2,5% Wachstum und bei einem deutlichen Rückgang des Anteils beschäftigter Frauen.Insofern ergeben sich konkret — ich will das nur in wenigen Stichworten andeuten — folgende Forderungen an diejenigen, die unmittelbare Verantwortung tragen. Einmal müssen Rationalisierungsmaßnahmen in den Betrieben und Verwaltungen des öffentlichen Dienstes so gesteuert und terminiert werden, daß die Beschäftigten dabei allgemein sozialverträglich umgesetzt und in ihrer Leistungsfähigkeit angepaßt werden können, insbesondere aber die Frauen, für die eine Weiterbeschäftigung wesentlich schwieriger wird als in der Vergangenheit. Es sind gezielte Maßnahmen — keine davon findet sich in der Antwort auf unsere Anfrage — zur Weiterbildung, zur Umschulung, zur Nachqualifizierung von Frauen erforderlich, Nachschulung insbesondere mit Bezug auf die technologiebedingten Veränderungen in der Aufgabenstellung und in den Arbeitsabläufen der Verwaltungen und Betriebe des öffentlichen Dienstes.
Auch im Zusammenhang mit der Post gibt es keinen Hinweis darauf, wie — auch wieder im Zusammenhang mit der technologischen Entwicklung — neue Dienste angeboten, qualifizierte Arbeitsplätze geschaffen werden sollen, auf denen dann auch Frauen nach entsprechender Ausbildung, nach entsprechender auch gewerblich-technischer Qualifizierung untergebracht werden sollen. Etwas möchte ich deutlich sagen: Es gibt insbesondere keine frühzeitige Beratung der Mitarbeiterinnen in den Verwaltungen und in den Betrieben, weil sie bis zur Stunde überwiegend mit manuellen Tätigkeiten beschäftigt sind und von daher eine frühzeitige Qualifizierung dringend notwendig ist, wenn man ihre Weiterbeschäftigung, ob nun im Verwaltungs- oder im betrieblichen Bereich, sichern will.Dann möchte ich ein Wort zu Frau Seiler-Albring sagen. Mir ist völlig unbegreiflich, daß sie hier noch die Absicht des Postministeriums lobt, die Ausbildung junger Frauen bei der Post, vor allen Dingen im Bereich des mittleren Dienstes, nach den Maßstäben des öffentlichen Dienstrechtes umzugestalten. Natürlich stehen — da stimme ich Herrn Staatssekretär Waffenschmidt zu — diese Probleme seit zehn Jahren an. Aber auch Sie sind nicht in der Lage, sie zu lösen, weil die FDP, die seit dieser Zeit auch das Innenministerium fest in der Hand hat, Sie daran hindert. Das Personal müssen Sie sich einmal genauer ansehen, dann werden Sie feststellen, wo die Hindernisse liegen. Wenn Frau SeilerAlbring erklärt, daß die Ausbildung zu Verwaltungsfachangestellten nicht nach den Maßstäben des Berufsbildungsgesetzes, sondern nur nach den öffentlich-rechtlichen Maßstäben möglich ist, ist das mit Hinweis auf die Verfassung schlicht falsch. Das hat mit den Tätigkeiten, die dort wahrgenommen werden, überhaupt nichts zu tun. Sie bilden heute auch Handwerker nach Maßstäben des Berufsbildungsgesetzes aus und setzen sie auf hoheitliche Funktionen, d. h. Sie stellen sie auf Arbeits-
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Bernrathplätze, in denen sie hoheitliche Funktionen wahrnehmen.Es geht ausschließlich darum, ob Sie sich zugunsten der verbesserten Ausbildung, zugunsten der erhöhten Mobilität der jungen Frauen bei der Post die besseren Möglichkeiten des Berufsbildungsgesetzes dadurch zunutze machen, daß Sie eine Ausnahmegenehmigung der Bundeslaufbahnverordnung in Anspruch nehmen, die für bestimmte Aufgaben ausdrücklich die Ausbildung nach Maßstäben des Berufsbildungsgesetzes anerkennt und zuläßt, daß so ausgebildete Mitarbeiter später in das Beamtenverhältnis übernommen werden.
Alles andere ist Ideologie und steht in engem Zusammenhang mit der Erklärung von Minister Zimmermann, daß Sie alle freiwerdenden Arbeitsplätze künftig nicht mehr mit Arbeitern und Angestellten besetzen wollen, sondern mit Beamten, weil Sie offensichtlich dem Hirngespinst unterliegen, Sie könnten Ihren Mitarbeitern nicht trauen, Sie müßten Beamte durch den Status daran hindern, in einem öffentlichen Dienst zu streiken, in dem die Gewerkschaften wie auch die Mitarbeiter wie wohl in keinem Nachbarland nur in ganz wenigen Ausnahmefällen von diesem Recht überhaupt Gebrauch gemacht haben.Es ist also dringend erforderlich, besser auszubilden, es ist dringend erforderlich, umzuschulen, um Frauen ihre Arbeitsplätze in den Betrieben des öffentlichen Dienstes zu erhalten. Sie sollten sich dieser Mühe unterziehen und dabei nicht außer acht lassen, daß die erhöhte Mobilität nur dann gegeben sein wird, wenn sie für ihre eigenen Aufgaben im öffentlichen Dienst ausgebildet, aber damit auch befähigt werden, ihre Existenz außerhalb des öffentlichen Dienstes zu sichern.Ich danke Ihnen.
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Dr. Däubler-Gmelin.Frau Dr. Däubler-Gmelin [SPD]: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, am Schluß dieser zweiten Frauendebatte, die wir Sozialdemokraten beantragt haben, sollten wir versuchen, kurz Bilanz zu ziehen.Worin sind wir uns eigentlich einig? Wenn man die Reden hört, wenn man sie nachliest und heute auch zur Kenntnis genommen hat, was einzelne Herren, vor allen Dingen aber die Frauen der Regierungskoalition gesagt haben, dann ist, glaube ich, der Streit in den Zielen und Grundsätzen den Worten nach nicht mehr vorhanden, dann scheint es so zu sein, daß sich seit einem Jahr tatsächlich etwas bewegt hat. Im April '84 hatten wir noch eine kleine Auseinandersetzung mit dem Herrn Bundeskanzler, der meinte, die Wahlfreiheit zwischen Familie und Beruf sei etwas für die Frauen. Mittlerweile kann ich zu meiner großen Befriedigung feststellen, daß man in den offiziellen, den gültigen politischen Reden auch von seiten der CDU der Meinung ist, es gehe um die Vereinbarkeit zwischen Beruf und Familie für Männer und Frauen. Also — das ist mein Vorschlag — lassen Sie uns zumindest hier im Parlament die Erörterung der Grundsätze nicht ins Unendliche treiben, ebensowenig sollten wir uns über die kleineren Probleme, die wir selber lösen können, ständig in neuen Reden unterhalten. Auch wir haben dazu ein Paar Anregungen. Auch wir sind z. B. der Meinung, daß der Bundestag Ausstellungen über den Bundestag, die er im ganzen Lande laufen hat, nicht unbedingt allein unter der Überschrift „Ihr Abgeordneter in Bonn" laufen lassen muß.
Nur, der Herr Bundestagspräsident — das sage ich jetzt an die Adresse der neuen Kollegin Rönsch — hat auf einen einfachen Brief hin erklärt, er werde dies abstellen. Ich bin ganz sicher, daß er das bei anderen Dingen, die wir ihm sagen, auch tun wird.Jetzt aber zu der zweiten Frage. Wie sieht es eigentlich mit der Einigkeit bei der Umsetzung von Grundsätzen in politisches Handeln aus? Hier, meine Kolleginnen und Kollegen, muß doch der Schwerpunkt der Arbeit liegen, die dieses Parlament leistet, wenn es wirklich den Anspruch erhebt, etwas für Frauen zu tun. Ich habe den Eindruck, die Einigkeit in diesem Punkt ist schon etwas zweifelhafter. Ich sage Ihnen sehr deutlich: Wir haben im letzten Jahr damit angefangen, wir werden in diesem Jahr damit weitermachen, die Umsetzung von übereinstimmend behaupteten Zielen und öffentlich verlautbarten frauenfreundlichen Grundsätzen in die Praxis Punkt für Punkt nachzuprüfen.
Die Große Anfrage zum öffentlichen Dienst, die wir gestellt haben, war der erste Einstieg dazu. Dank der Arbeit der vielen Beamtinnen und Beamten können wir uns jetzt auch auf Zahlen Ihrer Regierung berufen. Herr Waffenschmidt vier Feststellungen — ich darf das nur noch mal sagen; ich habe versucht, Sie durch eine Zwischenfrage zu einer Antwort zu bewegen — vier Feststellungen sind es, die gegen die Frauen zu Buch schlagen und zwar wegen der Politik der letzten beiden Jahre. Dies ist ein Faktum. Das müssen wir festhalten, Frau Wex. Sonst können nämlich weder Sie noch wir gemeinschaftlich etwas ändern.Erstens. Der Anteil der Frauen bei den Neueinstellungen ist von 54,6 auf 42,2 % gesunken. Diese Feststellung finden Sie in der Antwort und in den Tabellen zu Frage 2.Zweitens. Der Anteil der Frauen an den zu Ausbildungszwecken Eingestellten ist von 1982 auf 1983 um 2,7 % zurückgegangen. Auch dies finden Sie in den Zahlen der Antwort.Drittens. Sie werden feststellen, daß Sie zwar die Teilzeitstellen ausgeweitet haben, daß aber hier — Herr Waffenschmidt, das ist doch unsere Sorge — die ungleiche Verteilung zwischen Männern und Frauen das traditionell konservative Einstellungsbild immer stärker widerspiegelt, von dem noch viel
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Frau Dr. Däubler-Gmelinzu viele in diesem Bundestag ausgehen. Das ist der Punkt.
Und wenn Sie sich mal anschauen, wie Sie es mit den Zeitverträgen und wie Sie es mit der wachsenden Zahl von Beschäftigungsverhältnissen halten, die ohne Arbeitslosenversicherung, ohne Rentenversicherung und ohne Krankenversicherung angeboten werden, dann werden Sie feststellen: Mißbrauch und Unwesen nehmen zu, und zwar hauptsächlich bei den Frauen.Viertens. Das ist ein Punkt, Herr Waffenschmidt, zu dem Sie, wie ich finde, einfach mehr sagen und ein bißchen mehr tun müßten. Ihre Partei hat — zwar zwei Jahre nach uns; aber auf diesem Gebiet kann man j a nicht genug tun — einen Kongreß über Frauenarbeitsplätze und Technologie durchgeführt. Frau Wilms hat erklärt — da hat sie meine volle Zustimmung —, die Frauen müßten den Anschluß an die Berufswelt von morgen bekommen. Aber bitte: warum tun Sie denn im öffentlichen Dienst nichts dafür? Am Tag Ihrer Tagung wurde veröffentlicht, daß allein bei der Post 40 000 Arbeitsplätze wegfallen werden, die überwiegende Zahl davon Frauenarbeitsplätze. Und dennoch enthält die Antwort der Bundesregierung auf unsere Große Anfrage nach der Notwendigkeit einer planvollen Nachqualifikation und systematischen Weiterbildung von Frauen auf Arbeitsplätzen, die durch die Technologie wegfallen, nur: Es habe sich kein Bedarf gezeigt, und es sei weiter nichts geplant. Das paßt doch nicht zusammen, sagen wir.
Wir werden nicht aufhören, Sie in diesem Hause beim Wort zu nehmen, weil uns nämlich — und jetzt wende ich mich zum Schluß an Herrn Geißler — eines, Herr Geißler, nicht gefällt: Ihre Doppelstrategie. Sie haben mit ihrer Doppelstrategie einmal Erfolg gehabt. Vor etwa zehn Jahren haben Sie das Wort von der „Neuen sozialen Frage" geprägt — mit einiger Berechtigung. Dann sind Sie hergegangen, nachdem Sie dieses Mäntelchen der sozialen Besorgtheit für sich und für die CDU reklamiert hatten, und haben die Propagandawalze der CDU, die ständige Betonung des „Mißbrauchs" von Sozialleistungen laufen lassen. Und diese „Mißbrauchs"-Diskussion hat in der Streichungsorgie geendet, die Sie in den Jahren 1982 bis 1984 im sozialen Bereich und bei den Frauen gefeiert haben; worauf jetzt der VDK, die Wohlfahrtsverbände und die Kirchen hinweisen. Und ich sage Ihnen: Wenn Sie es mit den Frauen wieder so machen wollen, daß Sie von Ihren Vorgängerinnen — über die Sie sich vor der Presse mit nonchalanter Herablassung äußern, die viel über Ihren Charakter aussagt — einige gute Vorschläge übernehmen, dann erklären, das sei nun die Frauenpolitik der CDU — wir wünschen der CDU und ihren Frauen viel Erfolg dabei —, und im übrigen die Propagandawalze der CDU voll gegen alles laufen lassen, was sich Ihren Worten nicht jubelnd anschließt, dann werden wir, und nicht nur wir, sondern Gott sei Dank auch die mündigen Frauen selber, dieser Doppelstrategie diesmal ein Ende setzen. Und zwar werden wir diesauf dreifache Weise tun. Wir werden Sie nicht in Ruhe lassen mit der Forderung, uns jedesmal, wenn Sie neue Verkündigungen und Versprechungen ankündigen, noch einmal vorrechnen, wieviele Milliarden Sie in den Jahren 1982 bis 1984 bei den Frauen, gerade bei denen, die Beruf und Familie miteinander vereinbaren wollen, gestrichen haben. Sie werden noch viel an Erziehungsgeld für viele weitere Frauen zahlen müssen, bis Sie allein diesen finanziellen Schaden wiedergutgemacht haben.
Wir werden Sie zweitens nicht aus der Verantwortung entlassen, wenn Sie uns erklären, Sie könnten wegen Geldmangels für die Rentnerinnengeneration nichts tun. Ich sage Ihnen: Wer für Gutverdienende, für Großagrarier, für Agrarfabriken und für Vermögensteuersenkungen viele Milliarden Geld übrig hat, der hat Geld auch für die Frauen zu haben, die ihre Kinder in schwieriger Zeit erzogen und nebenher die Bundesrepublik aufgebaut haben.
Sonst stimmen alle öffentlichen Beteuerungen nicht.Jetzt noch ein Wort zu Ihrem Antrag, Frau Wex.Erstens. Sie können mit unserer Unterstützung zu diesem Antrag im Inhalt — ich habe Ihnen das schon gesagt — nicht rechnen, einfach deshalb nicht, weil wir der Meinung sind, die Lage der Frauen im öffentlichen Bundesdienst hat sich nicht positiv, sondern negativ entwickelt.Zweitens. Sie können mit unserer Unterstützung dem Inhalt nach — ich komme gleich noch zum Formalen — nicht rechnen, weil wir der Meinung sind: Dieser Regierung eine Prüfungsbitte aufzuerlegen, hat keinen Sinn. Der Bundestag hat die Bundesregierung vor einem Jahr einstimmig darum gebeten, weil er die Benachteiligung von Frauen im Zusammenhang mit dem Arbeitsplatzschutzgesetz erkannt hatte, Änderungsvorschläge zu prüfen und vorzutragen. Wir haben in unserer Großen Anfrage danach gefragt und nur die lässige Antwort erhalten, man prüfe immer noch. Ich will nicht, daß es mit den Frauenförderungsrichtlinien auch so geht.Deswegen sage ich Ihnen am Ende dieser Debatte: Wir werden natürlich der Überweisung dieses Antrags zustimmen, aber wir werden darauf bestehen, daß nach dem Vorbild der Länder Hamburg, Nordrhein-Westfalen und Bremen Frauenförderungspläne nicht „geprüft", sondern eingebracht werden.
Nur ein kleiner Hinweis: Es gibt schon einen ausführlichen Schriftwechsel über die Verfassungsmäßigkeit solcher Richtlinien zwischen dem Bundesinnenminister und saarländischen Stellen mit einer positiven Würdigung. Was fehlt, Frau Wex, ist nicht die Prüfung. Was fehlt, ist der politische Wille zur Umsetzung hier im Bund. Wenn wir den politischen Willen gemeinsam haben, dann kommen wir ein Stück weiter. Nur: Es wird auch sehr viel an Ihnen liegen. Unsere Unterstützung haben Sie dabei
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8982 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 121. Sitzung. Bonn, Freitag, den 8. Februar 1985
Frau Dr. Däubler-Gmelinebenso wie bei Ihrer Forderung, Herrn Geißler durch eine Frau abzulösen.Herzlichen Dank.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Nur für das Protokoll und selbstverständlich dem Präsidenten gemäß ohne Bewertung will ich Ihnen mitteilen, daß der Anteil der weiblichen Mitarbeiter der Bundestagsverwaltung knapp 38% beträgt. Im höheren Dienst liegt er bei 14 %, im gehobenen Dienst bei 43,5%.
Uns liegt ein Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP auf Drucksache 10/2842 vor. Es gibt eine interfraktionelle Vereinbarung, diesen Entschließungsantrag zu überweisen an den Innenausschuß — federführend — und zur Mitberatung an den Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? — Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Für die Vorlagen zu den Tagesordnungspunkten 15 und 16 schlägt der Ältestenrat Überweisung an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vor. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? — Das ist nicht der Fall. Dann ist auch hier die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 17 auf:
Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Hochschulrahmengesetzes
— Drucksache 10/1863 —
Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Bildung und Wissenschaft
— Drucksache 10/2734 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Frau Dr. Wisniewski Kastning
Meine Damen und Herren, im Ältestenrat ist für die Aussprache ein Beitrag von bis zu zehn Minuten für jede Fraktion vereinbart worden. — Ich sehe keinen Widerspruch dazu. Dann ist das so beschlossen.
Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? — Das ist nicht der Fall.
Dann eröffne ich die allgemeine Aussprache. Das Wort hat die Abgeordnete Frau Dr. Wisniewski.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der vorliegende Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Hochschulrahmengesetzes, vorgelegt vom Bundesrat, hat zum Ziel, das Zulassungsverfahren zu besonders oft nachgefragten Studienplätzen neu zu ordnen. Zur Abiturnote und zum Testergebnis sollen als weitere Auswahlkriterien die qualifizierte Wartezeit und das Auswahlgespräch der Hochschulen hinzutreten.Beide Erweiterungen sich hochschulpolitisch hoch bedeutsam. Das Hochschulrahmengesetz von 1976 sieht für Fächer mit großem Bewerberüberhang ein besonderes Auswahlverfahren vor, in dem die Studienplätze nach der Abiturnote und dem Ergebnis eines Feststellungsverfahrens vergeben werden sollen. Erst 1980 gelang es aber, einen Test zu entwickeln, der als Teil eines solchen Verfahrens brauchbar war. Er bedurfte aber noch der Erprobung. Deswegen gibt es einen Staatsvertrag der Länder, der vorsieht, daß für eine Zeit von längstens sechs Jahren dieser Test für einen Teil der Studienplätze im Rahmen eines Übergangsverfahrens erprobt werden kann. Da der Test seit 1980 erprobt wird, endet die Übergangsphase 1986.Deswegen ist eine gesetzliche Regelung für das Feststellungsverfahren unabdingbar, wenn nicht das Testverfahren nach Ende der Übergangsphase wieder aus dem Zulassungsverfahren verschwinden soll. Das wäre keineswegs wünschenswert, sondern im Gegenteil verhängnisvoll, denn es hat sich in den medizinischen Fächern, bei denen der Andrang ja besonders groß ist, ergeben, daß der Zulassungstest bewirkt hat, daß besonders viele qualifizierte Studenten, die ohne Test — allein auf Grund der Abiturnote — nicht zugelassen worden wären, den Weg ins Medizinstudium beginnen konnten.Ich zitiere mit Genehmigung des Herrn Präsidenten aus dem Bericht eines Evaluationsgremiums. Dort heißt es:Würde heute allgemein nach einer ungefähr gleichgewichtigen Kombination aus Abiturdurchschnittsnote und Testergebnis ausgewählt werden, dann wären die Studienleistungen im Studiengang Humanmedizin besser, als wenn nur die Note, und deutlich besser, als wenn nur das Los über die Zulassung entscheiden würde.Damit wird sichtbar, welche Verantwortung die für die Zulassungsverfahren Zuständigen — das sind in diesem Falle wir — tragen, denn ohne das Ergebnis des — keineswegs unumstrittenen — Testverfahrens wären einer großen Zahl von Begabungen nicht adäquate Studienmöglichkeiten eröffnet worden.Die Ungerechtigkeiten des bisher praktizierten zentralen Zulassungsverfahrens, das allein auf Grund der Abiturnote Plätze vergibt, sind ja allgemein bekannt, denn wenn bundesweit die Abiturnoten aller Schulen weitgehend ungewichtet in einen Topf geworfen werden, muß bei der heute üblichen Differenziertheit des Abiturs z. B. der Gesichtspunkt, daß es Schulen mit hohen Anforderungen und solche mit weniger hohen Anforderungen gibt, außer acht bleiben. Was für Folgen dies für die Heranbildung qualifizierter Nachwuchskräfte hat, braucht nicht eigens betont zu werden. Wer will schon seinem Kind zumuten, daß es etwa ein altsprachliches Gymnasium mit traditionell hohen An-
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Frau Dr. Wisniewskisprüchen an das Leistungsvermögen und mit strenger Notengebung besucht und am Ende eine ehrliche „Note 3" im Abitur erhält, wenn in der Nähe eine als leichter bekannte Oberschule weniger Leistung fordert und das Gebotene guten Gewissens mit der Note „Sehr gut" honorieren kann?Das Gesagte gilt nicht nur für die angehenden Mediziner. Ich glaube, die bessere Gestaltung des Zulassungsverfahrens ist insgesamt eine Notwendigkeit, der sich der Gesetzgeber nicht länger verschließen sollte.
Es ist daher unbedingt zu begrüßen, wenn im vorliegenden Gesetzentwurf dieser Weg zur Verbesserung des Zulassungsverfahrens nun wenigstens im Bereich des Medizinstudiums gegangen wird. Bedenkt man dabei, daß Testergebnis und Abiturnote — auch das erwies sich in dem schon genannten Begutachtungsverfahren — in engem Zusammenhang stehen, so erscheint die weitere Verfeinerung des Zulassungsverfahrens unerläßlich. Das gebietet nicht nur die Gerechtigkeit gegenüber dem einzelnen Bewerber; das gebieten auch die staatsbürgerliche Verantwortung gegenüber unserem Begabungspotential und die Verantwortung für die medizinische Versorgung der Bevölkerung.Erreicht werden soll dies alles durch die Einführung einer qualifizierten Wartezeit und durch ein Auswahlgespräch, zu dem ein Teil der Bewerber zugelassen werden soll.Die qualifizierte Wartezeit soll ermöglichen, daß der Bewerber durch eine Berufstätigkeit oder -ausbildung seine besondere Eignung und Motivation für den Beruf des Arztes erweist. Es liegt auf der Hand, daß der spätere Arzt neben fachlichem Können Menschlichkeit ausstrahlen und Einsatzbereitschaft für andere Menschen zeigen muß. Dies unter Beweis zu stellen, ist natürlich durch eine entsprechende berufliche Tätigkeit besonders gut möglich.Wie die qualifizierte Wartezeit soll dies auch das Auswahlgespräch, vorgenommen von Hochschullehrern, erweisen. Auch hier sind Motivation und Eignung als Zulassungskriterien ins Spiel zu bringen. Was im Ausland selbstverständlich ist und was auch bei uns bis in die 60er Jahre hinein praktiziert wurde, soll also wieder eingeführt werden: Die Hochschulen sollen sich einen kleinen Teil ihrer Studierenden selbst aussuchen dürfen, in diesem Fall zunächst nur die Mediziner.In den parlamentarischen Beratungen hat sich gezeigt, daß dieser Gedanke nicht unumstritten ist. Gegenüber ideologisch begründeten Vorurteilen muß aber festgehalten werden: Was jedem Meister und jedem Betrieb und den künstlerischen Hochschulen zugebilligt wird, darf den wissenschaftlichen Hochschulen nicht vorenthalten werden.
Ihre Professoren sind ebenso fähig, die oft unmerklichen Anzeichen wahrzunehmen, an denen man speziell erforderliche Begabungen für einen Beruf wie für eine Ausbildung erkennen kann. Voraussetzung dafür ist, daß jemand, der in diesem Beruf tätig und spezialisiert ist, die Beurteilung vornimmt.Es soll nicht übersehen werden, daß für die Hochschulen daraus erhebliche Mehrbelastungen entstehen können. Aber gerade wegen des dringend notwendigen Umdenkungsprozesses, den die Einführung des Auswahlgesprächs markiert, muß geradezu beschwörend an die Hochschulen appelliert werden, sich dieser Aufgabe und dieser Verantwortung nicht zu entziehen. Im Gegenteil: Möglichst viele junge Menschen sollten in dieser Weise geprüft werden.Der vorgelegte Gesetzentwurf ist daher vor allem in seiner grundsätzlichen Bedeutung für das Hochschulwesen zu sehen und zu begrüßen. Der Bundestagsausschuß für Bildung und Wissenschaft hat sich die von der Bundesregierung vorgeschlagenen Änderungen gegenüber dem Entwurf des Bundesrats zu eigen gemacht. Von Bedeutung ist vor allem der Verzicht auf die Festsetzung, daß die Wartezeitquote gegenüber der Auswahlgesprächsquote überwiegen muß. Damit soll den Ländern freie Hand gegeben werden, um das neue Zulassungsinstrument „Auswahlgespräch" ihren Vorstellungen gemäß einzusetzen.Ich bitte um Zustimmung für das Gesetz in der Ausschußfassung.
Das Wort hat der Abgeordnete Kastning.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In dieser Aussprache möchte ich noch einmal darauf hinweisen, daß ein wesentliches Merkmal unseres Hochschulsystems schon seit Jahren die Überlast ist. Hinter diesem kalten technischen Begriff verbirgt sich die Diskrepanz zwischen knapp 800 000 Studienplätzen auf der einen Seite und rund 1,2 Millionen Studenten auf der anderen Seite. Es verbirgt sich hinter diesem technischen Begriff aber auch die ungeheure Leistung derjenigen, die unter schweren Bedingungen lehren und lernen. Es verbirgt sich dahinter leider auch die Enttäuschung vieler junger Leute, die wegen dieser Oberlast nicht oder nicht ihr gewünschtes Fach studieren.Ich meine, vor diesem Hintergrund darf es nicht wundern, wenn viele dieser jungen Leute, insbesondere angehende Studenten im Medizinbereich, Kritik an den Zulassungsverfahren üben und schließlich als letzten Ausweg nur noch den Gang vor das Gericht gesehen haben.Die Neuregelung der Zulassung in den sogenannten harten NC-Fächern war also notwendig, aber ich möchte auch unmißverständlich feststellen, das, was heute hier beschlossen wird und was die Bundesländer anschließend per Staatsvertrag weiter ergänzend vereinbaren, ist lediglich eine neue Variation in der Verwaltung des Mangels und nicht etwa ein Beitrag zur Lösung des wahren Problems.
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KastningNach langen und zum Teil kontroversen Beratungen hat der Bundesrat einen Kompromiß zur Neuregelung der Zulassung unterbreitet. Dieser bringt zwar Verbesserungen, ist aber dennoch nicht unproblematisch. Grundsätzlich positiv ist sicher, daß künftig nicht mehr nur Abiturdurchschnittsnoten bzw. -noten und Tests über die Studienmöglichkeiten entscheiden. Es durfte wohl bislang zu Recht gefragt werden, ob eine Durchschnittsnote des Abiturs hinreichend darüber Aufschluß gibt, ob jemand zum Medizinstudium geeignet ist und ob er ein guter Arzt werden wird. Auch irgendwelche Kombinationen waren wohl nicht das Wahre. Gut ist sicher ebenso, daß künftig auch Studienbewerber mit mittleren oder schlechteren Abiturdurchschnittsnoten eine Chance bekommen sollen, wenn sie sich in der Wartezeit etwa durch eine nützliche Tätigkeit wie Krankenpflegearbeit qualifiziert auf das Medizinstudium vorbereitet haben. Ich darf auch sagen, jemand, der beharrlich an seinem Studienwunsch festhält, ist auch in der Regel für diesen Beruf, den er anstrebt, motiviert.In den Gesetzentwurf des Bundesrates ist aber auf Betreiben der CDU/CSU-regierten Länder ein völlig neues Element eingeflossen, nämlich die Absicht, etwa 15 % der Studienbewerber über das Auswahlgespräch in der Verantwortung der Hochschulen zuzulassen. Ich möchte dazu sagen, auch wenn mit dem Auswahlgespräch einige bislang chancenlose Bewerber in die Endauswahlrunde vorrücken oder gar einen Studienplatz bekommen können, bleiben gegen dieses Auswahlgespräch doch, verehrte Kollegin Wisniewski, erhebliche Bedenken bestehen. Niemand vermag hinreichend zu erklären, wie Motivation und Eignung zum Medizinstudium, also am Beginn einer Ausbildungsperiode und nicht am Ende, wo Leistung gefragt ist, mittels Auswahlgesprächen festgestellt werden können. Offen ist doch wohl auch, welche Aussagekraft Interviews mit Professoren in bezug auf künftige Studienleistungen besitzen, wenn die Bewerber z. B. aus sozial schwachen Bereichen dort sitzen und sich in bestimmter Situation über Sprachbarrieren hinweg nicht hinreichend artikulieren können. Ich möchte im Anschluß an die Frauendebatte von heute vormittag auch noch etwas anderes aufgreifen: Fraglich ist auch, ob nicht auf Grund bestimmter gesellschaftlicher Denk- und Verhaltensmuster von bestimmten Kommissionsmitgliedern die Zulassungschancen von Frauen in diesem Auswahlgespräch eher sinken als steigen.
Das hat sogar der Akademikerinnenbund vorgetragen, und auch Frau Wisniewski hat da nicht laut protestiert, sondern bei der Anhörung bedenklich mit dem Kopf gewackelt. Daran kann ich mich noch erinnern.
— Ihren Kopf bewegt. Entschuldigung, ich nehme das mit dem Wackeln zurück.
Sie gestatten eine Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Dr. Wisniewski?
Ja, bitte, wenn es fix geht.
Herr Kastning, ist Ihnen bewußt, daß wir in den Bericht aufgenommen haben, daß bei der Zusammensetzung der Kommissionen Frauen beteiligt werden sollen, um diesem vielleicht tatsächlich vorhandenen — ich glaube es persönlich nicht, die Erfahrungen sind andere — Negativum Rechnung zu tragen?
Mir ist das bekannt, aber es steht nicht im Gesetz, und konkrete Vereinbarungen haben Sie abgelehnt wie bei anderen Dingen auch. Wir befürchten, daß mit dem Auswahlgespräch soviel Subjektivität in die ganze Sache hineinkommt, daß es weiterhin Studienbewerber geben wird, die vor die Gerichte gehen. Wir haben die Sorge, daß das Ganze verfassungsrechtlich nicht fest ist und vor den Verwaltungsgerichten wieder Gegenstand von Auseinandersetzungen sein wird, weil nämlich bisher in der Rechtsprechung ein Mindestmaß an Objektivierbarkeit gefordert worden ist und dieses Auswahlgespräch dem nicht Rechnung trägt.Ich glaube, Sie waren auch schlecht beraten, als Sie die Bemühungen der SPD abgelehnt haben, die rechtliche Seite unter Hinzuziehung des Rechtsausschusses des Hauses noch etwas besser auszuleuchten, um die Sache hieb- und stichfest zu machen.
Angesichts der Tatsache, daß Sie den festen Willen hatten, das Auswahlgespräch einzuführen, haben wir uns redlich um solche Regelungen bemüht. Das haben Sie vom Tisch gewischt. Ich glaube, hier wird Sie Ihre eigene Verhaltensweise im Ausschuß früher einholen, als Sie das heute zu glauben vermögen.Statt unseren Bedenken Rechnung zu tragen, haben Sie in der Frage des Auswahlgespräches sogar noch — ich sage — rücksichtslos draufgesattelt. Sie haben es jetzt praktisch möglich gemacht, den Anteil der Studienbewerber, der über das fragwürdige Auswahlgespräch — zwar mit dem Anteil von 15 %, wie er zwischen den Ländern vereinbart worden war — zugelassen werden soll, noch zu erhöhen. Meine Damen und Herren von der Koalition, mit der Erfüllung dieses Wunsches der Bundesregierung haben Sie meines Erachtens deutlich zum Ausdruck gebracht, daß es Ihnen mit der Neuregelung der Zulassung zum Hochschulstudium in den harten NC-Fächern auch darum geht, diese als ein Teilstück der hochschulpolitischen Wende aus Ihrer ideologischen Sicht zu handhaben.Sie haben zweitens einen substantiellen Bestandteil des Länderkompromisses tangiert. Ich bin gespannt darauf, wie der Bundesrat in dieser Frage reagieren wird. Ich kann mir nicht vorstellen, daß hier nicht ein Wort der Kritik an der Bundesregierung über die Art und Weise geübt wird, wie sie mit einem solch schwierigen Problem zwischen den Ländern umgegangen ist.
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KastningDas Ganze scheint mir dann eben doch der Versuch zu sein, selbst mit einem solch kleinen Schritt, wo Studienbewerber unmittelbar hart betroffen sind, auch noch die Thesen der Frau Wilms zur Hochschulpolitik der nächsten Jahre zu erfüllen. Das kann unsere Zustimmung nicht finden.Ich möchte abschließend darüber hinaus noch einmal daran erinnern: Insgesamt muß es ja wohl das hochschulpolitische Ziel bleiben, die Zahl der Numerus-clausus-Fächer nicht zu erhöhen, die Hochschulen für die geburtenstarken Jahrgänge offenzuhalten und möglichst bald den NC ganz abzuschaffen. Diese Ziele werden nicht ohne unkonventionelle Schritte — das sage ich auch nach draußen gerichtet — möglich sein. Sie werden auch nicht ohne zusätzliche Finanz- und Personalmittel zu erreichen sein.
Das Wort hat der Abgeordnete Neuhausen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte zum Teil an das anknüpfen, was Herr Kastning eben gesagt hat; denn wenn wir den vorliegenden Gesetzentwurf recht betrachten, dann ist ja überhaupt die Frage, ob die Hochschulzulassung in den Numerus-clausus-Fächern eigentlich neu geregelt wird oder ob es sich nicht eigentlich darum handelt, Rahmenvorschriften zu ändern, was es dann den Ländern ermöglicht, durch eine Änderung des Staatsvertrages und der Vergabeordnung das Verfahren zu verbessern.Vielleicht wäre es doch gut, an das anzuknüpfen, Herr Kastning, was gesagt worden ist — das begrüße ich —, nämlich an die Grundsatzfrage, die ja aufgeworfen wird, wenn man sich mit dem Thema beschäftigt. Es geht hier im Grunde um die Verwaltung eines Mangels. Daran muß man eigentlich immer denken, wenn man sich mit dem Thema beschäftigt. Man sollte daher nicht so sehr in den Streit über die einzelnen Paragraphen, so wichtig sie sind, verfallen. Wir beteiligen uns daran, Regelungen zu treffen, wie aus der großen Zahl junger Menschen mit grundsätzlich gleicher Hochschulzugangsberechtigung die kleine Gruppe derer ausgesucht wird, die in die medizinischen Studienfächer aufgenommen werden können. Spiegelbildlich heißt das natürlich immer — ich sage das nicht anklagend; dann müßte man sich selber anklagen —, daß wir damit auch die Erfüllung der Berufswünsche vieler junger Menschen beschneiden.Selbstverständlich ist das durch die Realitäten, die geschildert worden sind, und die daraus entstehenden Notwendigkeiten geboten. Aber vielleicht ist das ein Anlaß, so grundsätzlich zu sprechen, weil gerade heute vor acht Jahren, am 8. Februar 1977, das Bundesverfassungsgericht eben das bedeutsame Urteil zum Numerus clausus verkündet hat. Es gab damals kritische Stimmen, etwa vom Kultusminister Dr. Vogel, der sagte, das Bundesverfassungsgericht dürfe nicht zu einem Bundeskultusministerium werden. Demgegenüber hat mein Kollege Karl-Hans Laermann darauf hingewiesen, daß gerade dadurch an die Solidarität zwischen den Generationen appelliert werde.Die Bedeutung des damaligen Urteils wurde auch darin sichtbar, daß es im Herbst des gleichen Jahres, nämlich am 4. November 1977, gelang — es wurde gesagt —, alle Regierungschefs von Bund und Ländern zu einem Programm zum Abbau des Numerus clausus zu bewegen. Damals wurde die Zahl der Numerus-clausus-Fächer von rund 55 auf etwa ein Dutzend reduziert, und damals wurde auch der Konsens zwischen den Parteien begründet, daß die Offenhaltung des Bildungssystems wichtigste Priorität sei und habe. Diese Priorität ist auch im Bericht der Bundesregierung vom Juni vergangenen Jahres über die Zukunftschancen der Jugend in Ausbildung und Beruf erneut festgeschrieben worden.Meine Damen und Herren, man kann über diesen Gesetzentwurf nicht so ganz euphorisch sprechen, etwas mischt sich immer Unbehagen hinein — ich erwähnte das schon kurz —, weil man sich ja über die parlamentarische Verantwortung klarsein muß, die, extrem gesagt, eigentlich gar nicht besteht. Wir beschließen über den Rahmen, das übrige machen die Länder, und die Länder sind leider nicht die Landesparlamente, sondern das sind die Kultusverwaltungen, die sich im Staatsvertrag und in der Vergabeverordnung durch Selbstkoordination, wie es so schön heißt, geeinigt haben oder einigen werden. Wenn die Ratifikation durch die Landesparlamente ansteht, gibt es praktisch keine Einflußmöglichkeit mehr.
— Vielen Dank, Klaus Daweke, für diese freundliche Unterstützung.Wir von der FDP haben schon damals immer die Bundeskompetenz auch für die Zulassung gefordert, weil wir das für eine Beschreibung der Verantwortlichkeiten und damit für die Transparenz und auch für die Möglichkeit für besser gehalten hätten, Unstimmigkeiten und Härten, die bei solchen Verfahren immer auftreten müssen, schneller als in diesem langwierigen und schwierigen Verfahren ändern zu können.
Schließlich ist das größte Unbehagen doch darin zu finden, daß wir uns hier daran beteiligen, bestimmte rechtliche Regelungen und Verfahrensvorschriften zu entwickeln, die etwas messen wollen, was meines Erachtens trotz aller Fortschritte der Wissenschaft nicht wirklich meßbar ist. Wir sind hier in einem Konflikt zwischen unserem Menschenbild und den Notwendigkeiten, die sich aus den mangelnden Kapazitäten an den Hochschulen ergeben. Wir müssen Auswahlregelungen treffen, die möglichst der Gerechtigkeit nahekommen, aber auch für die betroffenen jungen Menschen, wie das Bundesverfassungsgericht 1977 festgestellt hat, noch zumutbar sind. Der Mensch ist Gott sei Dank nicht meßbar. Obwohl wir bei der Mängelverwaltung gern ein Verfahren hätten, das eine gerechte Auswahl nach Eignung, Neigung und Leistung —
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Neuhausendazu gehört natürlich auch die Motivation für ein bestimmtes Studium oder einen Beruf — treffen könnte, entsteht hier dieser erwähnte Konflikt zwischen dem, was wir eigentlich möchten, und dem, was wir tun müssen, und aus diesem Konflikt können wir uns nicht davonstehlen.Die zunehmende Verteilung von Bildungs- und Berufschancen bei vielen Auszubildenden, nicht nur in diesem Bereich, nach computergerechten mathematisch objektivierten Leistungskennzahlen einer auf Dezimale berechneten Durchschnittsnote oder nach dem Punkteergebnis einer Prüfung läßt eben wesentliche Aspekte menschlicher Leistung und Eignung unberücksichtigt und muß deswegen auch aus grundsätzlichen Erwägungen menschlicher Würde und Freiheit eine Grenze haben; denn gerade Leistung — wenn wir diesen Begriff betonen — hat eine Dimension, die sich in Feststellung und Prognose so nicht leicht messen läßt. Das ist nicht nur bei der Zulassung von Studenten der Fall, sondern wir sollten uns eigentlich in allen Bereichen der Problematik derartiger technokratischer Verfahren wenigstens von Zeit zu Zeit bewußt werden.Meine Damen und Herren, das hier artikulierte Unbehagen enthebt uns nicht der Notwendigkeit, uns zu entscheiden. Deswegen begrüßen wir, daß der Gesetzentwurf zusätzliche Chancen für diejenigen einräumt, die zunächst keine Chance hatten. Es ist sicher richtig, daß die Bereitschaft junger Menschen, lange auf einen Studienplatz zu warten, ein Stück Aufschluß über ihre Motivation für den Beruf gibt und daß deshalb die Wartezeitquote eine wichtige zusätzliche Chance bietet, obwohl auch hier, wie immer, ein Problem verbleibt; denn nicht alle jungen Menschen können, schon allein aus finanziellen Gründen, jahrelang auf den von ihnen gewünschten Studienplatz warten.Deswegen messen wir der zusätzlichen Chance, dem Auswahlgespräch, auch große Bedeutung bei. Wir bestreiten nicht, daß man über den subjektiven Faktor, der hier eingeführt wird, verschiedener Meinung sein kann. Aber angesichts der Gesamtproblematik wäre es meines Erachtens nicht richtig, ihn gegenüber den anderen — ebenso zu bezweifelnden — Methoden im negativen Sinne so überzubewerten. Das zeigen doch auch die Erfahrungen anderer Länder. Ich meine, das Auswahlgespräch kann ein gesundes Gegengewicht zu den extrem objektivierten und mathematisierten Prüfungs- und Testverfahren im übrigen Hochschulrecht darstellen.
Im übrigen: Auch diese übrigen Verfahren, um das am Rande anzumerken, beruhen im Prinzip natürlich ebenfalls auf subjektiven Voraussetzungen, so objektiv sie sich nachher im Ergebnis geben. Meine Damen und Herren, die Länder werden durch ihre Vorschriften das Entstehen befürchteter Mißbräuche zu verhindern haben. Im Ausschuß sind bereits einige Anregungen dazu gegeben worden; Frau Professor Wisniewski hat darauf hingewiesen.Zusammenfassend möchte ich sagen: Meine Damen und Herren, wir begrüßen das Gesetz. Es erzeugt zwar Unbehagen, aber wir sehen die Notwendigkeit, wir stimmen ihm zu. Zur Begeisterung ist ja nie jeder immer verpflichtet.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Jannsen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es fällt mir persönlich nicht ganz leicht, in der heutigen Sitzung zur Normalität des parlamentarischen Alltags überzugehen, nachdem ich in der Sitzung des Deutschen Bundestages gestern abend drei Reden gehört habe — die Reden von Herrn Saurin, Herrn Kleinert und Herrn Engelhard —, zu denen ich nur sagen kann: Von den dort erhobenen Vorwürfen
muß ich mich entschieden distanzieren. Ich akzeptiere einen derartigen Umgang mit einer politisch anderen Meinung nicht.
Ich bin allerdings auch nicht bereit, in ähnlicher Form zu antworten.Bei dem hier in Rede stehenden Gesetz zur Zulassung zum Studium an deutschen Hochschulen handelt es sich eigentlich nur — aktuell — an einer Stelle um eine Regelung, die besondere Kritik verdient. Wollte man die Abiturnote, das Testverfahren oder die Wartezeit als Zulassungskriterium kritisieren, so müßte man in die Zeit der 60er Jahre zurückkehren, als die Anzahl der Studenten zunahm und die Hochschulen nicht mehr in der Lage waren, diese Studenten in allen Fächern aufzunehmen. Mitte der 70er Jahre hörte dann der damals als notwendig erkannte Ausbau von Hochschulen weitgehend auf. Damit war klar, daß Mitte der 80er Jahre — bis in die 90er Jahre hinein — Regelungen zum Fernhalten junger Menschen von Hochschulen notwendig sein würden.Diese Regelungen werden jetzt ergänzt, ergänzt um den Faktor Subjektivität. Dieser Faktor Subjektivität, der selbstverständlich auch in allen anderen Regelungen ist, weil ja jeder Mensch, der sich diesen Verfahren stellt, als Subjekt genommen werden will, wird jetzt um den Faktor Subjektivität des Nehmenden erweitert. Das ist der entscheidende Punkt, das ist die neue Qualität, die durch das Auswahlgespräch eingeführt wird. Dieses Auswahlgespräch hat, wie auch die Anhörung im Bildungs-ausschuß ergeben hat, einige sehr kritische Punkte.Erster kritischer Punkt sind die Durchführbarkeit und die Überprüfbarkeit. Dies — so hat Frau Wisniewski es hier auch ausgeführt — ist ein Verfahren zur Prüfung, ist eine Hochschuleingangsprüfung. Ein Prüfungsverfahren muß aber überprüfbar sein, damit nicht nur die eine Seite innerhalb eines solchen Verfahrens geprüft wird, sondern auch die
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Dr. Jannsenandere prüfbar ist. Die auswählende Seite muß nach Kriterien auswählen. Dies wird allerdings von den Verfechtern des Auswahlgesprächs als geradezu überflüssig bezeichnet. Es sollen gerade keine allgemeinverbindlichen Kriterien, die dieses Auswahlgespräch begleiten, entwickelt werden, sondern es soll der Subjektivität Rechnung getragen werden, d. h. der Subjektivität derjenigen, die auswählen. Ich halte das für sehr problematisch. Daß es rechtlich zudem nicht überprüfbar sein wird, ist ein weiteres Problem. Darauf ist in der Anhörung hingewiesen worden. Die Mehrheitsfraktionen haben in der Ausschußberatung keine Konsequenzen daraus gezogen.Zweites Problem. Dieses Auswahlgespräch wird zu einer zusätzlichen Belastung der Hochschullehrer gerade in den Fächern führen, in denen die Belastungen schon jetzt besonders hoch sind, weil j a ein harter Numerus clausus existiert. Das heißt: Die Lehrkapazität der Hochschullehrer in diesen Fächern wird notwendigerweise reduziert werden, denn wenn man am Anfang des Semesters oder sonst zu irgendeiner Zeit tagelang derartige Auswahlgespräche führen muß, kann man sich während dieser Zeit weder auf die Lehre vorbereiten noch sie durchführen, geschweige denn Forschung betreiben. Das bedeutet, daß die Belastung der Hochschulen zunehmen wird, und zwar gerade in den Fächern mit einem harten Numerus clausus. Kostenneutralität ist in jedem dieser Fälle durch die Beschlüsse der Ministerpräsidenten ja gesichert.Der Charakter dieses Gesprächs wird auch nicht dem entsprechen, was sich viele Leute idealerweise vorstellen: Es wird kein Gespräch unter Gleichen sein. Es ist selbstverständlich, daß die Bewerber und Bewerberinnen bei einem solchen Gespräch einem ungeheuren Anpassungsdruck unterliegen, wenn sie überhaupt eine Chance haben wollen, Erfolg zu haben, durchzukommen, d. h. das Studium aufnehmen zu dürfen.
— Herr Daweke, darauf habe ich gewartet. Sie kennen den Unterschied zwischen einer Prüfung über den Verlauf eines Studiums, über das Ergebnis einer teilweise auch gemeinsamen Tätigkeit, und einem Auswahlgespräch, bei dem sich der Prüfer und der Bewerber nicht kennen, überhaupt nicht.
Sie kennen offensichtlich auch nicht die Grundlagen von Prüfungen, denen zufolge allgemeinverbindliche Kriterien festgelegt sein müssen, nach denen zu prüfen ist. Das ist auch juristisch überprüfbar. All das wollen Sie bei dem Auswahlgespräch vermeiden. Darauf muß hingewiesen werden. Der Umstand, daß das Auswahlgespräch ein ungleiches Verhältnis zwischen dem, der geprüft wird, und dem, der prüft, in nicht überprüfbarer Weise festschreibt, wird — wie gesagt — die Bewerber und Bewerberinnen zur Anpassung verleiten.Des weiteres ist zu befürchten — das ist in der Anhörung von einem Sachverständigen auch gesagt worden —, daß Institute eröffnet werden, die junge Menschen gegen Geld auf ihre Eingangsprüfung zum Studium vorbereiten. Die Konsequenzen können Sie sich ausrechnen: Dies wird nicht dazu führen, daß Gleichheit vor dem Studium entsteht, sondern eine extreme soziale Ungleichheit. Daß es eine unterschiedliche Eignung, unterschiedliche Begabung, unterschiedliche Fähigkeiten gibt, darüber brauchen wir uns nicht zu streiten, aber wir sollten darüber streiten, ob es notwendig ist — meines Erachtens ist es nicht notwendig —, daß der Zugang zum Studium von der sozialen Situation abhängig ist.Ein letztes Argument für die Einführung eines Auswahlgesprächs, auf das ich eingehen möchte, ist das Argument der Hochschulautonomie. Was ist das in Gottes Namen für eine Hochschulautonomie, die Professoren die Möglichkeit gibt, ihre Entscheidungsfähigkeit im einzelnen auf dem Rücken von Studienbewerbern auszutragen? Meiner Ansicht nach sollte sich die WRK eher darum bemühen, die Autonomie der Hochschulen dort zu entwickeln, wo sie unter Abhängigkeiten leidet, nämlich bei der Finanzierung der Forschung und dort, wo die Einrichtung Hochschule staatlich reguliert und reglementiert wird. Dazu gäbe es noch viel zu sagen, aber ich will es hiermit bewenden lassen.Meine Fraktion lehnt dieses Gesetz ab.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.Wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung. Ich rufe die Art. 1 bis 3, Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Die aufgerufenen Vorschriften sind damit mit Mehrheit angenommen.Wir treten in die dritte Beratungein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Der Gesetzentwurf ist mit Mehrheit angenommen.Meine Damen und Herren, es ist noch über eine Beschlußempfehlung des Ausschusses abzustimmen. Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 10/2734 unter Nr. 2 die Annahme einer Entschließung. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenstimmen! — Enthaltungen? —
Ich stelle fest: Die Entschließung ist angenommen worden. Die Größenordnung der Mehrheit konnte ich nicht genau feststellen. Aber sie war groß.
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Vizepräsident WestphalIch rufe Punkt 18 der Tagesordnung auf:Erste Beratung des von den Abgeordneten Daweke, Graf von Waldburg-Zeil, Nelle, Frau Rönsch, Schemken, Strube, Frau Dr. Wisniewski, Frau Männle, Rossmanith, Dr. Rose und der Fraktion der CDU/CSU sowie den Abgeordneten Neuhausen, Dr.-Ing. Laermann, Frau Seiler-Albring, Frau Dr. Hamm-Brücher, Kohn, Baum und der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Neunten Gesetzes zur Änderung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes
— Drucksache 10/2735 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:Ausschuß für Bildung und Wissenschaft Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GOIm Ältestenrat ist für die Aussprache ein Beitrag von bis zu fünf Minuten für jede Fraktion vereinbart worden. — Kein Widerspruch. Dann ist so beschlossen.Wird das Wort zur Begründung gewünscht? — Das ist nicht der Fall.Dann eröffne ich die allgemeine Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Schemken.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit der vorgesehenen Novellierung werden einige Härten und Ungereimtheiten, die sich beim Vollzug des BAföG ergeben haben, beseitigt. Zum Beispiel hat die Förderungspause im August zu Härten für die betroffenen Schüler und Studenten geführt. Außerdem haben viele Betroffene ersatzweise Leistungen nach dem Bundessozialhilfegesetz beantragt, wodurch zusätzlicher, vermeidbarer Verwaltungsaufwand entstanden ist. Mit dieser Durststrecke machen wir nun Schluß.Im Interesse der Förderungsgerechtigkeit sind begrenzte Verbesserungen für Auszubildende notwendig geworden. Unberührt davon bleiben die zahlreichen Ausnahmeregelungen, die sich bewährt haben. Sie tragen vor allem der besonderen Situation der Mädchen und Frauen Rechnung.Im übrigen sind großzügigere Übergangsregelungen eingebaut worden. Diese Übergangsregelungen sichern, daß niemand kurz vor Beginn eines Ausbildungsabschnitts überrascht wird. Für diejenigen, die bei Inkrafttreten des Gesetzes 26 Jahre alt sind, gilt die bisherige Altersgrenze von 30 Jahren.Der Koalitionsentwurf geht wesentlich über die SPD-Änderungsvorschläge hinaus. Insbesondere werden ungerechtfertigte Benachteiligungen einzelner Schülergruppen vermieden.Die Bundestagsfraktionen der CDU/CSU und FDP wollen mit der Einbringung den Beratungsgang verkürzen, damit die Schüler möglichst bald Sicherheit über die künftigen Förderungsmodalitäten haben.Das Bundeskindergeldgesetz, das Einkommensteuergesetz und auch die Richtlinien im Rentenrecht kennen z. B. folgende Ausnahmen, was dieAltersgrenze angeht, nicht. Einmal gilt dies — und das wollen wir mit der Initiative verändern — für Auszubildende, die aus persönlichen oder familiären Gründen, insbesondere wegen der Erziehung von Kindern bis zu zehn Jahren, gehindert waren, den Ausbildungsabschnitt rechtzeitig zu beginnen. Weiter gilt das für Auszubildende, die von einer einschneidenden Veränderung der persönlichen Verhältnisse betroffen sind und noch keine nach dem Gesetz zu fördernde Ausbildung abgeschlossen hatten. Und es gilt auch für Auszubildende, welche die Zugangsvoraussetzungen in Fachoberschulklassen, an Abendhauptschulen, Berufsaufbauschulen, Abendrealschulen, Abendgymnasien oder Kollegien erworben haben.Im übrigen wirkt sich der seit 1983 zu beobachtende Rückgang der Gefördertenzahl aus, der von der früheren Bundesregierung 1981 beschlossen wurde. Dieser Eingriff hat sich im Herbst 1983 bemerkbar gemacht. Dies wirkt sich natürlich auch nachfolgend aus.Festzuhalten ist ferner, daß die 1983 vorgenommene Umstellung der Hochschulförderung auf Volldarlehen nicht zu erkennbaren Benachteiligungen für Studentinnen geführt hat. Ich darf das nochmals ausdrücklich sagen im Hinblick auf die Debatte von heute morgen. Denn der Anteil der Studentinnen an der Gesamtzahl der Studierenden liegt nach wie vor bei 38,5%, und der Anteil derjenigen, die ihren Studiengang nach BAföG gefördert bekommen, liegt bei 38%. Sie sehen hieran, daß Frauen und Mädchen nicht beeinträchtigt sind. Ausnahmeregelungen sind in diesem Fall gerade für Frauen und Mädchen in besonderer Weise auch nach dem Gesetz vorgesehen. Wir wollen das vor dem Hintergrund der heute morgen geführten Debatte noch weiter ausbauen.Für das Auslandsstudium wollen wir die finanziellen Rahmenbedingungen verbessern. Es sollen hier die Mehrkosten als nicht rückzahlbare Zuschüsse gewährt werden. Damit wird die Chance zur Erweiterung von Berufs- und Lebenserfahrung stärker bewertet.Auch für die Wehrdienstleistenden, die sich auf zwei Jahre verpflichtet haben, wird hier eine Übergangsregelung geschaffen.Weiter ist es uns ein ganz besonderes Anliegen, meine sehr verehrten Damen und Herren, die Ausnahme auf Aussiedler, Übersiedler und Flüchtlinge aus der DDR und aus den osteuropäischen Gebieten auszudehnen. Gerade diese Menschen haben besondere Integrationsprobleme. Wer das vor Ort kennt, weiß, daß wir uns dieser Menschen in besonderer Weise annehmen sollten. Mit Nachdruck drängen wir auf diese Regelung noch in diesem Jahr.Das Gesetz soll noch für das gesamte Jahr wirksam werden. Wir werden dafür Sorge tragen, daß unsere bildungspolitischen Zielsetzungen bei der Gesamtproblematik nicht zu kurz kommen.Ich danke Ihnen.
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Das Wort hat der Abgeordnete Vogelsang.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die SPD-Fraktion begrüßt diesen Gesetzentwurf. Was wir dabei enttäuschend finden, ist, daß wir Sie überschätzt hatten, wie schnell Sie festgestellt haben, daß Härten für Betroffene und zusätzlicher vermeidbarer Verwaltungsaufwand überhaupt bestehen. Denn wir hatten Ihnen bekanntermaßen schon am 13. April vorigen Jahres die Möglichkeit eingeräumt, all dem, was Sie in den vier Spiegelstrichen Ihres Gesetzentwurfes aufgeführt haben, in einer namentlichen Abstimmung zuzustimmen.
Es scheint also ein sehr langwieriger bildungspolitischer Prozeß zu sein, bis Sie zu diesem Ergebnis kommen. Ich räume ja ein, daß sich jeder darüber freut, daß die Entscheidungen, durch die er klüger wird, in möglichst kurzen Zeiträumen erfolgen. Ich wünsche Ihnen das heute auch. Aber gestatten Sie mir, daß ich auf die Länge dieses Zeitraums in diesem Falle eingehe. Das Interessante an diesem Punkt ist etwas Besonderes, was wir heute auch ansprechen müssen, nämlich die Kosten. Sie ändern einen Paragraphen — damit beginnt es nämlich — und setzen das Lebensalter von 30 auf 27 Jahre herab. Hier erhebt sich die Frage: Welche Einsparungen vermuten Sie dabei? Im Augenblick habe ich die Befürchtung, daß Sie dabei sind, Härten zu beseitigen, mit der Maßgabe, an einer anderen Stelle für einen anderen Personenkreis neue Härten zu schaffen.
Wenn es richtig ist, was das Deutsche Studentenwerk als Meinung äußert — ich will mich vorsichtig ausdrücken —, daß die Einsparungen durch die Herabsetzung des Alters in diesem Bereich 30 Millionen DM im Jahr ausmachen, dann ist die Härte, die Sie da errichten, finanziell für die Betroffenen höher als das, was Sie mit der Beseitigung der Härten durch die anderen vier Punkte herbeiführen.
Das wird ein Punkt sein, über den wir uns im Ausschuß sehr nachdrücklich auseinanderzusetzen haben.
— Die Härten werden gerechter und gezielter verteilt. Davon bin ich allerdings heute mittag noch nicht überzeugt. Aber ich bin sehr dafür, daß wir uns dieser Frage in aller Breite annehmen.
Ich denke auch, daß wir noch auf etwas anderes hinweisen müssen, nämlich daß alle Fraktionen des Deutschen Bundestages einen Entschließungsantrag angenommen haben, in dem wir die Bundesregierung aufgefordert haben, keine zusätzlichen Härten für Frauen bei der Aufnahme von Ausbildung und Beruf eintreten zu lassen.
Am Schluß einer solchen Debatte heute, die mit einer — wenn ich das so pauschal sagen darf — Frauendebatte begonnen hat. müssen wir wohl darauf achten, daß wir mit der Herabsetzung dieser Altersgrenze nicht genau das Gegenteil von dem tun, worüber wir uns heute vormittag angeblich völlig einig waren.
Das sind die Punkte, denke ich, die es bei diesem Gesetzentwurf noch zu beachten gilt.
Das Wort hat der Abgeordnete Neuhausen.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist schwierig, wenn man ständig Unbehagen äußern muß. Es ist auch schwierig, das ständig so hintereinander zu machen; das ist ein Problem.Verehrter Herr Kollege Vogelsang, was Sie über die Verfahrensdauer gesagt haben, möchte ich kurz aufgreifen. Es ist ja richtig, und Kritik ist auch gut. Es hat lange gedauert. Aber Hektik ist nicht immer sehr sinnvoll, besonders wenn man auch noch Zeit hat. Denn was den Hauptpunkt angeht, Ernst Kastning, so soll es im August in Kraft treten. Vor allen Dingen müssen wir natürlich daran denken, daß früher bei ähnlichen bildungspolitischen Dingen auch nicht so furchtbar viel zügiger verfahren werden konnte. Da waren dann die Kollegen von der CDU/CSU-Opposition schneller, zügiger und manchmal auch großzügiger. So ist das Leben.
Aber vielleicht läßt ja die Lust an der Opposition vergessen, daß das Webersche Wort von dem beharrlichen Durchbohren dicker Bretter j a gerade für Bildungspolitiker in Regierungsfraktionen gilt, und das dann besonders auch in finanzschwachen Zeiten. Das will ich doch noch einmal dazu sagen.
— Wir haben dieses Gefühl immer, wir verbergen es nur.
Meine Damen und Herren, mit dem vorliegenden Gesetzentwurf ist nämlich im Sinne dieses Bildes ein ganz schönes Loch in ein bestimmtes Brett gebohrt worden.
Dieses Loch wollen wir pflegen und hegen, damit es sich vielleicht noch erweitern kann.Wir haben mit diesem Gesetzentwurf natürlich nicht die Grundproblematik der Ausbildungsförderung angreifen können. Es handelt sich — wie es im Vorblatt heißt — „vorrangig" darum, „einige Härten und Ungereimtheiten", die sich eben gezeigt haben, zu beseitigen. Wir von der FDP haben immer und wiederholt darauf hingewiesen, daß trotz aller fi-
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Neuhausennanzwirtschaftlichen Probleme dafür zu sorgen ist, daß auch in Zukunft die Bildungschancen nach Eignung und Leistung der jungen Menschen und nicht nach der finanziellen Situation ihrer Eltern verteilt werden. Dieser Gesetzentwurf ist ein kleiner Schritt wieder auf dem Wege zu diesem Ziel.Ich will die Einzelheiten, die hier erwähnt worden sind, nicht wiederholen. Es gibt im Grunde vier wichtige Punkte. Der wichtigste in meinen Augen ist die Wiederherstellung der Augustförderung für die jungen Leute.Ich muß nun sagen und will das nicht verhehlen, daß es im Gesetzentwurf einen von dem Herrn Vorsitzenden angeschnittenen Punkt gibt, den ich kritisch sehe. Die Altersgrenze in § 10 Abs. 3 Bundesausbildungsförderungsgesetzes ist auch jetzt schon durch mehrere Ausnahmetatbestände — zweiter Bildungsweg, junge Frauen; es wurde genannt — aufgelockert. Aber trotz des Katalogs, der gerade von Herrn Schemken genannt wurde, können — ich hätte fast gesagt: werden — weitere Problemfälle auftreten. Es ist wirklich nicht der Sinn einer Regelung, die Härten beseitigen soll, mit neuen Ungereimtheiten belastet zu werden.Aber, meine Damen und Herren, insgesamt gesehen wird mit diesem Gesetzentwurf das wichtigste Ziel erreicht. Es zeigt sich darin, daß die Fraktionen von CDU/CSU und FDP in der Lage sind, Korrekturen da anzubringen, wo sie notwendig sind. Und — um auf die anfangs erwähnten Bretter zurückzukommen —
es zeigt sich darin: Bohren lohnt sich. — Wir werden weiter bohren.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Jannsen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Schemken wies darauf hin, daß Härten und Ungereimtheiten eines Gesetzes, das von der CDU 1982 eingebracht und von der Regierungskoalition beschlossen worden ist, jetzt beseitigt werden müssen. Das ist zwei Jahre danach. In der Zwischenzeit ist aber bereits mehrfach auf diese Härten hingewiesen worden. Man hätte bereits im Sommer 1983 sehr schnell dazu kommen können, diese Härten wegzunehmen. Nur, damals wurden diese Härten von Ihnen auf der rechten Seite des Hauses bestritten.
Insbesondere wurde bestritten, daß die Streichung der Förderung im Monat August besonders für die Schüler an Abendschulen und Kollegs eine besondere Härte bedeute. Dies — das hat sich herausgestellt — ist falsch gewesen. Diese jungen Leute haben unter besonderen Bedingungen leiden müssen. Es ist bekanntgeworden, daß sie in einzelnen Teilen der Bundesrepublik in der Lage waren, durchzusetzen, während dieses Monats Sozialhilfe zu beziehen. In anderen Teilen der Bundesrepublik ist ihnen dies nicht gelungen. Nach den mir vorliegenden Informationen ist kaum jemand vom zweiten Bildungsweg in der Lage gewesen, den Monat August als Arbeitsmonat zu gestalten, weil es halt für Tätigkeiten von einem Monat so gut wie keine Möglichkeiten mehr gibt.
Der zweite Punkt, den hier zu diskutieren ich für notwendig halte, ist die Herabsetzung der Altersgrenze. Dazu zwei Mitteilungen. Eine Mitteilung, die ich heute vom Deutschen Studentenwerk erhielt, äußert den Verdacht, daß diese Herabsetzung der Altersgrenze in der Einsparung von 20 bis 22 Millionen DM entspricht, die man braucht, um dieses Gesetz finanzieren zu können. Der gleiche Verdacht wird von Schülern des zweiten Bildungswegs ausgesprochen. Es wird darüber hinaus allerdings von ihnen berichtet, daß dann, wenn — ich nenne gleich zwei Beispiele — diese Regelung am 1. Oktober 1984 in Kraft gewesen wäre, in der Volkshochschule Charlottenburg in Berlin 40 % der sich Anmeldenden die Ausbildung nicht hätten aufnehmen können, wei sie nicht gefördert worden wären, und in Köln 25%. Das sind zwei Beispiele. Dieser Kurs und dieser Teil der Volkshochschule Charlottenburg hätten damit geschlossen werden müssen, und es wären weitere 180 jüngere und ältere Menschen davon betroffen gewesen.
Als letztes ist an diesem Gesetz die Angabe zu kritisieren, daß es sich um eine jugendpolitische Maßnahme handele. Ich denke, daß Ausbildungsförderung nicht nur eine jugendpolitische Maßnahme ist; denn die Menschen, die 22, 23, 24 bis 30 Jahre alt sind und etwa noch eine Hochschulausbildung oder eine weitere Ausbildung zur Erlangung der Hochschulreife anstreben, sind nicht mehr als Jugendliche zu bezeichnen. Dies ist vielmehr ein bildungspolitisches Instrument, und es sollte auch so behandelt werden. Deswegen denke ich, daß man gut daran täte, sich einer Herabsetzung dieser Altersgrenze zu widersetzen, wenn es schon nicht gelingt, sie ganz zu streichen. Sie war ja einmal bei 35 Jahren angesetzt. Meines Wissens hat der Bundesrat gestern eine ähnliche Tendenz beschlossen. Der Bundestag sollte sich diesem Vorhaben anschließen.
Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister für Bildung und Wissenschaft.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung begrüßt diesen Gesetzentwurf, vor allem die mit diesem Gesetzentwurf verbundenen Verbesserungen. Herr Kollege Schemken hat auf sie hingewiesen. Ich unterstreiche noch einmal ausdrücklich die Verbesserungen in bezug auf die Förderung des Auslandsstudiums neben den Regelungen, die wir schon bei anderer Gelegenheit hier erörtert haben.
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Parl. Staatssekretär PfeiferDie Bundesregierung begrüßt den Gesetzentwurf auch deshalb, weil er die vorgesehenen Leistungsverbesserungen im vorgesehenen Kostenrahmen ermöglicht und damit auch den finanzpolitischen Vorgaben Rechnung trägt.Ich habe mich hier zu Wort gemeldet, weil ich zu dem Vorschlag der Herabsetzung der Altersgrenze nochmals einen Punkt klarstellen möchte. Meine Damen und Herren, mit der Herabsetzung dieser Altersgrenze wird im BAföG etwas vollzogen, was wir in anderen Leistungsgesetzen haben. Das gilt beispielsweise für das Kindergeld, das gilt für Steuerentlastungen, das gilt für Waisenrente. Was dort bisher möglich gewesen ist, ohne daß man von unzumutbaren Härten gesprochen hat, muß ja wohl auch hier gehen.Mit allem Nachdruck und gerade auch im Hinblick auf die Debatte, die heute morgen hier stattgefunden hat, möchte ich aber auf folgendes hinweisen, Herr Vogelsang: Die Belange der Frauen oder der Auszubildenden des zweiten Bildungsweges werden durch die Herabsetzung der Altersgrenze nicht beeinträchtigt; denn, meine Damen und Herren, die in der Praxis bewährten Ausnahmeregelungen, die ja bereits jetzt im BAföG enthalten sind — insbesondere zugunsten der Frauen und der Auszubildenden des zweiten Bildungsweges —, bleiben in vollem Umfang erhalten.Das heißt erstens: Wer seine Hochschulzugangsberechtigung in einer Bildungseinrichtung des zweiten Bildungsweges erworben hat, erhält auf jeden Fall Förderung für eine unverzüglich danach aufgenommene weiterführende Ausbildung.Das heißt zweitens: Bei Verzögerung der Ausbildung durch Kindererziehung, Erkrankung, Behinderung usw. gilt diese Altersgrenze nicht.Das heißt drittens: Frauen, die beispielsweise wegen der Ehe auf eine Berufsausbildung verzichtet haben und dann nach dem Tod des Ehemannes oder der Scheidung dieses BAföG brauchen, erhalten die Förderung über die im Gesetzentwurf und im jetzigen Gesetz vorgesehene Altersgrenze hinaus, wenn sie noch keine nach dem BAföG förderungsfähige Ausbildung berufsqualifizierend abgeschlossen haben.Meine Damen und Herren, das alles ist geltendes Recht, übrigens viel früher beschlossen. Daran ändert sich nichts, so daß ich hier nicht erkennen kann, daß unzumutbare Härten für Frauen oder für Auszubildende des zweiten Bildungsweges entstehen können.Wir werden ja in den Ausschußberatungen noch Gelegenheit haben, die Fälle, die Herr Kollege Schemken und andere angesprochen haben und in denen Sie, Herr Kollege Schemken oder Herr Kollege Neuhausen, Härten befürchten, nochmals eingehend zu erörtern.Ich bin sicher, daß wir einen Weg finden werden, um diese Altersgrenze beschließen zu können, ohne daß neue unvertretbare Härten entstehen.Vielen Dank.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Der Ältestenrat schlägt vor, den Gesetzentwurf auf Drucksache 10/2735 zu überweisen zur federführenden Beratung an den Ausschuß für Bildung und Wissenschaft, zur Mitberatung an den Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit sowie zur Mitberatung und zur Beratung gemäß § 96 unserer Geschäftsordnung an den Haushaltsausschuß. Gibt es anderweitige Vorschläge? — Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Meine Damen und Herren, wir sind damit am Schluß unserer Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 27. Februar 1985, 14 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.