Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die verbundene Tagesordnung um die Zusatzpunkte zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Vierten Gesetzes zur Änderung der Bundesärzteordnung — Drucksachen 10/1963, 10/2586 — sowie zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Jaunich, Frau Fuchs , Egert, Lutz, Glombig, Hauck, Kirschner, Dr. Vogel und der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Hausärzte-Weiterbildungsgesetzes — Drucksachen 10/1755, 10/2604 — erweitert werden. Beide Zusatzpunkte sollen nach Punkt 13 der Tagesordnung aufgerufen und in der Beratung verbunden werden. Ist das Haus damit einverstanden? — Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 1 der Tagesordnung auf: Fragestunde
— Drucksache 10/2587 —
Wir kommen zunächst zum Geschäftsbereich des Bundesministers der Justiz. Zur Beantwortung steht uns Herr Staatssekretär Dr. Kinkel zur Verfügung. Ich rufe die Frage 1 des Herrn Abgeordneten Dr. Olderog auf:
Trifft es zu, daß der Rechtsanwalt des Türken Cemal Altun, der sich am 30. August 1983 während der verwaltungsgerichtlichen Verhandlung über seinen Asylantrag in den Tod stürzte, seinem Mandanten zuvor auf Grund von Gesprächen mit der Bundesregierung mitgeteilt hatte, die Bundesregierung werde ihn, Altun, unter keinen Umständen an die Türkei ausliefern, und wenn ja, warum wird dieser Umstand erst jetzt bekannt, obgleich er dem damaligen Vorwurf gegen die Bundesregierung, sie trage eine moralische Mitschuld am tragischen Tod von Altun, weil dieser täglich mit seiner Auslieferung habe rechnen müssen, vollständig den Boden entzieht?
Bitte sehr.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, der Bundesregierung ist nicht bekannt, ob der Rechtsanwalt des türkischen Staatsangehörigen Cemal Altun seinem Mandanten nach Gesprächen im Bundesministerium der Justiz mitgeteilt hat, die Bundesregierung werde ihn unter keinen Umständen in die Türkei ausliefern. Bekannt ist der Bundesregierung, daß der Rechtsanwalt Herrn Altun über die vorausgegangenen Gespräche mit der Bundesregierung unterrichtet hat und daß Herr Altun demgemäß wußte, daß seine Auslieferung nicht bevorstand.
Eine entsprechende Vermutung der Bundesregierung wurde durch ein Schreiben des Anwalts an das Verwaltungsgericht Berlin vom 9. August 1983, durch ein weiteres Schreiben des Anwalts an die Europäische Menschenrechtskommission in Straßburg vom 1. Dezember 1983 sowie durch den Kommissionsbericht der Menschenrechtskommission vorn März 1984 bestätigt.
Über den Rechtsanwaltsbrief vom 9. August 1983 an das Verwaltungsgericht Berlin hat die Bundesregierung in der Sitzung des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestags vom 28. September 1983 ausführlich berichtet, auch über die hier interessierende Passage.
Da sich die öffentliche Diskussion über den Fall Altun im Dezember 1983 bereits beruhigt hatte, sah die Bundesregierung keine Veranlassung, die neueren, ihr erst später bekanntgewordenen Informationen nach draußen bekanntzugeben.
Keine weitere Zusatzfrage. Dann ist dieser Geschäftsbereich abgeschlossen.
Wir kommen zu der Frage aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für das Post- und Fernmeldewesen. Der Fragesteller der Frage 2, der Abgeordnete Lowack, hat um schriftliche Beantwortung gebeten. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt. Damit ist auch dieser Geschäftsbereich erledigt.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers für wirtschaftliche Zusammenarbeit. Zur Beantwortung steht uns Herr Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Köhler zur Verfügung. Ich rufe die Frage 3 des Herrn Abgeordneten Dr. Rose auf:
Beabsichtigt die Bundesregierung, in Zukunft wie im „Modell Simbabwe" vermehrt deutsche arbeitslose Lehrer auf Grund von zwischenstaatlichen Finanzierungsvereinbarungen im Ausland einzusetzen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Prä-
8206 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 110. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Dezember 1984
Parl. Staatssekretär Dr. Köhler
sident, ich beantworte die Frage des Kollegen Rose folgendermaßen. Die Bundesregierung hat am 15. Mai 1984 den Auftrag erteilt, die Beschäftigung von bis zu 100 deutschen Lehrern in simbabwischen Schulen zu fördern. Es handelt sich um eine Maßnahme zur Entwicklung des Sekundarschulwesens in Simbabwe. Die Lehrer schließen Arbeitsverträge auf die Dauer von drei Jahren mit der simbabwischen Unterrichtsverwaltung ab. Sie sind simbabwische Angestellte, die von der deutschen Arbeitsverwaltung vermittelt werden. Aus Bundesmitteln werden ihnen Zuschüsse zum simbabwischen Arbeitsentgelt gewährt, die ihnen ein monatliches Nettoeinkommen von 2 000 DM gewährleisten. Zusätzlich werden Nebenleistungen wie Zuschüsse zu Vorbereitungs-, Reise-, Transport- und Versicherungskosten erbracht; ferner wird nach Rückkehr eine Übergangshilfe gewährt. Dieses Programm erfordert Bundesmittel in Höhe von 10 Millionen DM.
Weitere Programme dieser Art sind zunächst nicht beabsichtigt, weil die Erfahrungen mit dem Simbabwe-Programm zunächst abgewartet werden sollen — deswegen habe ich eben dieses Programm etwas ins einzelne gehend geschildert; eine Evaluierung des Programms ist erst 1986 möglich — und zweitens deshalb, weil im Haushaltsjahr 1985 noch keine zusätzlichen Haushaltsmittel für diesen Zweck zur Verfügung stehen.
Zwischen der Bundesregierung und der Regierung von Simbabwe besteht keine zwischenstaatliche Finanzierungsvereinbarung. Auf der Basis eines Briefwechsels zwischen Bundesminister Dr. Warnke und dem simbabwischen Erziehungsminister Mutumbuka bestehen jedoch Vereinbarungen zwischen den durchführenden Organisationen auf deutscher Seite und dem Erziehungsministerium von Simbabwe.
Eine Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, da wir schon seit langem einen Lehreraustausch haben und das Auswärtige Amt das gemacht hat, möchte ich fragen, ob das auch alles mit dem Auswärtigen Amt abgestimmt ist und ob damit vielleicht das Programm für arbeitslose Lehrer, das auch im Bereich der auswärtigen Kulturpolitik gefordert worden ist, hier seinen ersten Ansatzpunkt gefunden hat.
Dr. Köhler, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, selbstverständlich sind diese Dinge zwischen dem Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und dem Auswärtigen Amt abgestimmt. Wir glauben aber nicht, daß wir mit diesem Programm einen signifikanten Beitrag zur Beseitigung der Lehrerarbeitslosigkeit leisten können. Das sind Erwägungen, die möglicherweise bei dem Programm des Auswärtigen Amtes eine Rolle spielen. Hier steht die spezielle entwicklungspolitische Motivation der Regierung von Simbabwe im Vordergrund.
Eine weitere Zusatzfrage, Frau Kollegin Hamm-Brücher.
Herr Staatssekretär, da wir beide wissen, daß es sich hier nicht um eine Vermittlung von Lehrern an deutsche Auslandsschulen handelt, sondern um einen entwicklungspolitischen Beitrag, das Modell aber sehr wichtig werden könnte für ähnliche Fälle, entwicklungspolitische Bildungshilfe zu leisten, möchte ich Sie fragen, ob für die entsandten Lehrer eine Garantie besteht, daß sie im Fall ihrer Rückkehr in den Genuß der Arbeitslosenversicherung kommen, wenn sie dann weiterhin arbeitslos sind.
Dr. Köhler, Parl. Staatssekretär: Die Lehrer werden ja — insofern ist auch eindeutig die Zuständigkeit des BMZ gegeben — in der Form integrierter Experten eingesetzt. Wir haben mit den Bundesländern intensive Gespräche über den Gesamtkomplex der Reintegration geführt. Dabei war es immer unser vornehmstes Ziel, dafür Sorge zu tragen, daß sie anschließend nicht von der Arbeitslosenversicherung leben, sondern Planstellen besetzen können. Vor dem Hintergrund dieser Zielrichtung ist zu sagen, daß eine Gewähr dafür aus haushaltsrechtlichen und auch aus dienstrechtlichen Gründen nicht gegeben werden kann. Aber eine Reihe von Bundesländern hat erklärt, daß sie die Tätigkeit in Simbabwe nach Rückkehr bei der Bewerbung für den Schuldienst wohlwollend berücksichtigen wollten. Wir versuchen, in dieser Richtung weiter zu drängen.
Da ich aber Ihre Frage nicht vollständig beantworten kann, möchte ich Ihnen gern zu dem weiteren Punkt eine schriftliche Antwort nachreichen.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Jannsen, bitte.
Herr Staatssekretär, wäre es bei diesem Projekt der Entwicklung der Schulen in Simbabwe nicht günstiger gewesen, Lehrer aus dem deutschen Schuldienst zu beurlauben und dafür hier Kollegen einzustellen als arbeitslose Lehrer, in der Regel Berufsanfänger, nach Simbabwe zu schicken?
Dr. Köhler, Parl. Staatssekretär: Man könnte durchaus an ein solches Modell denken. Da wir aber ohnehin schon Schwierigkeiten bei den Bewerbungen hatten, dürfte davon auszugehen sein, daß es wesentlich schwieriger wäre, dafür Lehrer abzuziehen, die bereits eine Position haben, zumal die Regierung von Simbabwe sehr wohl in Aussicht gestellt hat, daß aus diesem Einsatz ein Dauerarbeitsverhältnis im Lande werden könnte. Das stünde dem Gedanken einer Beurlaubung auch entgegen. Aber ich gebe bereitwillig zu, daß mit diesem Programm durchaus noch Erfahrungen gewonnen werden müssen.
Keine weiteren Zusatzfragen. Damit ist auch dieser Geschäftsbereich abgeschlossen.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers des Inneren auf. Zur Beantwortung steht uns der Parlamentarische Staatssekretär Spranger zur Verfügung.
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 110. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Dezember 1984 8207
Vizepräsident Stücklen
Die Frage 9 wird auf Grund von Nr. 2 Abs. 2 der Richtlinien für die Fragestunde schriftlich beantwortet.
Die Fragen 13, 14, 15, 16, 17 und 18 sollen auf Wunsch der Fragesteller schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe die Frage 4 der Frau Abgeordneten Dr. Hamm-Brücher auf:
Gedenkt die Bundesregierung, den dreiteiligen Fernsehfilm über den Majdanek-Prozeß über die Bundeszentrale für politische Bildung anzukaufen und dieses einmalige und wichtige Dokument zur Aufarbeitung unserer Vergangenheit damit auch offiziell für die politische Bildungsarbeit zugänglich zu machen?
Frau Kollegin Dr. Hamm-Brücher, die Bundesregierung beabsichtigt nicht, den Fernsehfilm über den Majdanek-Prozeß über die Bundeszentrale für politische Bildung anzukaufen und zu verbreiten, weil der dreiteilige Film nur als Gesamtwerk von 41/2 Stunden verstanden werden kann, ein solcher Einsatz aber den Erfordernissen schulischer und außerschulischer Bildungsarbeit widerspricht, den Filmetat der Bundeszentrale mit mindestens 250 000 DM unvertretbar hoch belasten würde und insbesondere die Bundeszentrale zu dem Themenbereich Nationalsozialismus und der in der Fernsehserie dargestellten Problematik bereits 27 Filme im Verleih hat.
Eine Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, stimmen Sie nicht mit mir darin überein, daß gerade wegen des auf Grund solcher Serien erfreulicherweise neu aufbrechenden Interesses vor allem bei jungen Menschen, sich mit den Geschehnissen, die sich hier in Deutschland und im deutschen Namen ereignet haben, auseinanderzusetzen, auch ein langer Film dieser Art durchaus geeignet ist, in der Oberstufe oder bei der außerschulischen Bildungsarbeit einen wesentlichen Beitrag zu leisten, dieses Interesse und dieses Engagement aktueller zu befriedigen, als das mit bisherigen Filmen der Fall war?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin Dr. Hamm-Brücher, ich stimme dem von Ihnen begrüßten Engagement zweifelsohne zu. Doch selbst wenn der erste Grund überwindbar wäre, stehen noch zwei andere Gründe gegen den Ankauf dieses Films.
Eine weitere Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, wären Sie bereit, uns diese Gründe zu nennen, und wären Sie bereit, das neuerlich zu überprüfen, indem nämlich ein Regierungsmitglied diese Serie unter dem Gesichtspunkt, den ich hier vorgetragen habe, noch einmal überprüft?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin Dr. Hamm-Brücher, ich darf daran erinnern, daß ich insgesamt drei Gründe aufgeführt habe, die im einzelnen, aber auch kumulierend einem Erwerb dieses Films entgegenstehen.
Eine weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Krizsan.
Herr Spranger, wären Sie nicht mit mir der Meinung, daß es gerade im Sinne der Aufarbeitung dieser unserer Geschichte durch deutsche Gerichte wichtig wäre, diesen Film anzukaufen, weil die von Ihnen genannten 27 Filme dieses Thema nun wohl gerade nicht behandeln?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Ich muß Sie berichtigen. Diese 27 Filme, die ich nannte, beschäftigen sich unter der Überschrift „Nationalsozialismus" unter anderem auch mit diesem Thema.
Eine weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Jannsen.
Herr Staatssekretär, Sie gehen davon aus, daß ein Film von 41/2 Stunden Länge zur politischen Bildung nicht geeignet sei. Ich frage Sie: Welche pädagogisch-politischen Kriterien sind Sie bereit dem Deutschen Bundestag gegenüber anzugeben, die diese Auffassung rechtfertigen?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Sie haben mir meine Antwort nicht in der Form abgenommen, wie ich sie gebracht habe. Ich habe davon gesprochen, daß einer der Gründe, der dem Erwerb des Filmes entgegensteht, die Tatsache ist, daß ein solcher Einsatz den Erfordernissen schulischer und außerschulischer Bildungsarbeit widerspricht. Also die Grundsätze dieser Bildungsarbeit — ergänzend zu den zwei anderen Gründen — waren für die Entscheidung der Bundesregierung maßgebend.
Eine weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Catenhusen.
Herr Staatssekretär, kann ich denn dieser Antwort entnehmen, daß die Bundesregierung damit auch die Auffassung vertritt, daß die Verwendung der Fernsehserie Holocaust im schulischen Unterricht den pädagogischen Erfordernissen des schulischen Unterrichts widersprochen hat, weil ja auch diese Fernsehserie bekanntermaßen deutlich länger als eine Unterrichtsstunde zur Vorführung benötigt hätte?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Catenhusen, ich habe mich zu einem bestimmten Projekt geäußert und habe damit keine Wertung zu anderen Filmprojekten abgegeben.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Penner. — Bitte schön.
8208 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 110. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Dezember 1984
Herr Staatssekretär, wären Sie denn bereit, einige Titel von den 27 Filmen zu benennen, die dem Majdanek-Prozeß-Film ähneln sollen?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Ich kann Ihnen einen Film nennen, der zu der KZ-Problematik gehört, beispielsweise den Film „KZ-Schergen", eine Darstellung des Prozesses gegen die beiden SSHauptscharführer Schubert und Sorge, der in 110 Kopien verteilt wurde.
Eine weitere Zusatzfrage, Abgeordneter Wolfram. — Bitte sehr.
Herr Staatssekretär, sind Sie nicht mit uns der Auffassung, daß jedes politisch-pädagogische Mittel eingesetzt werden muß, um Anfängen zu wehren, jungen Menschen, die keine unmittelbare Beziehung und Gott sei Dank kein Erlebnis mit dieser schrecklichen Vergangenheit hatten, zu zeigen, was Fakten und Tatsachen sind, und teilen Sie nicht meine Auffassung, daß eine solche Haltung nicht nur bei den Überlebenden, sondern weltweit eher auf Verständnis stößt als Ihre meines Erachtens unzureichend begründete Ablehnung?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich halte die Begründung der Ablehnung nicht für ungenügend. Ich stimme Ihnen im übrigen zu und sehe auch keinen Widerspruch zu dem von Ihnen dargelegten Ziel.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Schäfer .
Da in Ihren Antworten deutlich geworden ist, daß die viereinhalbstündige Spieldauer nicht der entscheidende Grund für die Ablehnung der Übernahme des Filmes ist, frage ich Sie konkret, welche Grundsätze der Verwendung dieses Films für die schulische und außerschulische Bildungsarbeit entgegenstehen.
Spranger, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Schäfer, ich habe nicht ausschließlich von einem Grund oder diesem Grund gesprochen, sondern es waren insgesamt drei Gründe. Ich nehme Bezug auf meine erste Antwort.
Weitere Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Skarpelis-Sperk.
Herr Kollege, sind Sie nicht der Meinung, daß die Ereignisse in Majdanek ein so singuläres Ereignis darstellen, daß dessen Aufarbeitung und Verarbeitung auch in der Weltöffentlichkeit getrennt und besonders bewertet werden?
Frau Kollegin, es ist üblich, daß der Fragesteller am Mikrophon bleibt. — Bitte sehr.
Spranger, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, ich glaube, das haben wir bei der historischen Betrachtung sicherlich alle zu bedauern. Es ist leider nicht das einzige Ereignis.
Zu einer weiteren Zusatzfrage der Herr Abgeordnete Kübler.
Herr Staatssekretär, sind Sie denn der Auffassung, daß der Film die Dinge historisch nicht richtig darstellt oder Dinge in unzulässiger Weise auf den Kopf stellt?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Ich habe keines dieser Bewertungsmerkmale, die Sie hier zitieren, genannt.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Becker .
Herr Staatssekretär, wären Sie nach der Frage von Frau Hamm-Brücher und dem, was wir hier diskutiert haben, bereit, die Entscheidung, die bisher in dieser Frage gefallen ist, angesichts ihrer Bedeutung auch noch einmal zu überprüfen?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Ich bin gerne bereit — auch aus Anlaß dieser Diskussion —, diese Entscheidung zu überprüfen.
Eine weitere Zusatzfrage, Frau Dr. Hickel, bitte.
Herr Staatssekretär, haben Sie persönlich den Film gesehen?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Nein.
Keine weiteren Zusatzfragen. Ich rufe Frage 5 des Abgeordneten Becker auf:
Ist der Bundesminister des Innern angesichts der Formulierungen in Kapitel V A 4 der zusammenfassenden Übersicht der „Internationalen Bewertung des Kernbrennstoffkreislaufes" — Drucksache 8/3968 — der Auffassung, daß die Produktion von Kernbrennstäben ohne Auflagen in bezug auf den Anreicherungsgrad des verwendeten Urans gerechtferigt ist, obwohl der hessische Wirtschaftsminister dagegen Bedenken hat?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Bekker, ich bitte Sie, damit einverstanden zu sein, daß ich die beiden Fragen wegen des Sachzusammenhangs zusammen beantworte.
Dann rufe ich auch Frage 6 des Abgeordneten Becker auf:
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 110. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Dezember 1984 8209
Vizepräsident Stücklen
Woraus zieht der Bundesminister des Innern den Schluß, daß INFCE mit seiner Empfehlung, den Anreicherungsgrad zu reduzieren, nur auf die Verbraucher und nicht auch auf die Brennstoffhersteller zielt?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Die vom hessischen Minister für Wirtschaft und Technik beabsichtigte Beschränkung des Anreicherungsgrades von Uran wäre ermessensfehlerhaft gewesen, und zwar insbesondere deshalb, weil sie geeignet gewesen wäre, Zweifel an der Nichtverbreitungspolitik der Bundesregierung zu wecken, und weil Hochtemperatur- und Forschungsreaktoren noch auf nicht absehbare Zeit Brennelemente mit höher angereichertem Uran benötigen. Die Beschränkung, die in dem jetzt vorliegenden Genehmigungsbescheid nicht mehr enthalten ist, hätte auch keineswegs dem Bericht der Expertenkommission „Internationale Bewertung des Kernbrennstoffkreislaufes" entsprochen. Dies zeigt sich gerade in der von Ihnen zitierten zusammenfassenden Ubersicht in Kapitel V A 4. Der Bericht spricht j a ausdrücklich von einer langfristigen Reduzierung der Anreicherung bei Forschungsreaktoren, also auf der Verbraucherseite, und gerade eben nicht bei Brennelementfabriken.
Der INFCE-Bericht verdeutlicht im übrigen, daß zuerst die Möglichkeiten einer Umstellung dieser Forschungsreaktoren in Forschungs- und Entwicklungsprogrammen abschließend geprüft werden müssen. Genau dies tut die Bundesregierung durch die Förderung des Programms „Anreicherungsreduzierung in Forschungsreaktoren". Der Umstellungsprozeß erfordert nach INFCE selber die Berücksichtigung zeitlicher und technischer Gegebenheiten. Ich darf insoweit aus der von Ihnen angegebenen Quelle zitieren:
Ein Übergang zu geringerer Anreicherung scheint für die weitaus größte Zahl dieser Reaktoren erreichbar zu sein; auf lange Sicht könnten die meisten mit weniger als 20% auskommen.
Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, können Sie sagen, in wie vielen Fällen seit Bestehen der Bundesrepublik der Bundesinnenminister in laufende atomrechtliche Genehmigungsverfahren bei den Bundesländern durch Anweisungen eingegriffen hat?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Das kann ich nicht sagen. Das ändert aber nichts an der Legalität und der Richtigkeit seines jetzigen Eingreifens.
Weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, kommen von NUKEM hergestellte Uranbrennstäbe in Reaktoren von solchen Staaten zum Einsatz, die den Atomwaffensperrvertrag nicht ratifiziert haben, ausgenommen Frankreich?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Ich habe keine Informationen für eine solche Verbindung. Im übrigen wäre das eine Frage, die nicht an den Bundesinnenminister zu richten wäre.
Weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, darf ich Sie angesichts der Antwort, die Sie eben gegeben haben, noch einmal fragen: Welche Maßnahmen hat die Bundesregierung bislang ergriffen, um, wenn schon der Anreicherungsgrad nicht verringert wurde, zumindest die Lagerbestände an hochangereichertem Uran zu verringern?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Ich darf auf das Schreiben des Bundesministers des Innern vom 20. November verweisen, in dem er ausführlich darstellt, wie die Bundesregierung ihrer Aufgabe, die Nichtverbreitung von Kernwaffen sicherzustellen, nachkommt. Das ist wesentlicher Teil ihrer Politik, schreibt er hier, und weist darauf hin, daß das geschieht durch: Erfüllung der Verpflichtungen auf dem Gebiet der Nichtverbreitung auf Grund des Nichtverbreitungsvertrages von 1968 und des entsprechenden Verifikationsabkommens, durch Teilnahme am Kontrollsystem von EURATOM und IAEO, Schutz und Überwachung spaltbaren Materials entsprechend IAEO-Dokumenten und Anwendung der Richtlinie der Hauptlieferländer für Nuklearexporte in Nichtkernwaffenstaaten, Londoner Richtlinie, und schließlich Anwendung des Atomgesetzes und des Außenwirtschaftsgesetzes bei Nuklearexporten.
Letzte Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, Sie haben auf meine zweite Frage geantwortet, daß die Bundesregierung nicht zuständig sei: Wer ist denn zuständig?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Ich habe zum Ausdruck gebracht, daß, wie es hier in dem Schreiben gesagt ist, die Zuständigkeit für Fragen der Nichtverbreitung von Kernwaffen allein bei der Bundesregierung liegt. Und in dieser Kompetenz hat die Bundesregierung auch gegenüber dem hessischen Wirtschaftsminister reagiert.
Weitere Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Skarpelis-Sperk.
Herr Staatssekretär, Sie haben in der Antwort auf die Frage des Kollegen Becker den Schluß gezogen, daß sich die INFCE-Konferenz wohl auf die Verbraucher, nicht aber auf die Brennstoffhersteller beziehe: Können Sie mir erläutern, was für einen Sinn die Empfehlung der INFCE-Konferenz haben sollte, den Gebrauch von hochangereichertem Uran in Forschungsreaktoren und anderen Reaktoren zurückzudrängen, wenn weiterhin von den Herstellern ohne ersichtlichen Forschungsgrund oder anderen Grund hochangereichertes Uran hergestellt wird?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Auch hier darf ich sagen, daß diese Empfehlung, die Sie zitieren und die in einem Bundestagsdokument wiedergegeben
8210 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 110. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Dezember 1984
Parl. Staatssekretär Spranger
wird, die Bundesregierung nicht verpflichtet hätte, anderes zu entscheiden, als sie entschieden hat. Das ist eine Expertenempfehlung, die, wie ich schon in meiner Antwort dargelegt habe, anders ist, als sie der hessische Minister interpretiert hat.
Weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Stahl.
Herr Staatssekretär, in der zusammenfassenden Übersicht der INFCE-Ergebnisse heißt es unter anderem — Sie haben vorhin darauf Bezug genommen —, auf lange Sicht könnten die meisten Forschungsreaktoren mit weniger als 20 % Urananreicherung auskommen. Ich frage Sie deshalb: Hat die Bundesregierung nach dem 1. Oktober 1982 Maßnahmen ergriffen, um eine derartige Verringerung des Anreicherungsgrades zu erreichen, wenn ja, welche, und welche Zeit hat sich die Bundesregierung dafür als Ziel vorgegeben?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Stahl, ich darf nochmals auf meine Herrn Kollegen Becker gegebene Antwort verweisen, wonach diese Empfehlung an die Adresse der Betreiber von Forschungsreaktoren gerichtet ist und nicht an die Verbraucherseite, daß diese Frage auf lange Sicht zu klären ist und daß die Bundesregierung dies durch die Förderung des Programms der Anreicherungsreduzierung in Forschungsreaktoren tut.
Weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Catenhusen.
Herr Staatssekretär, da Sie in Ihrer ersten Antwort auch das Problem der hochangereicherten Brennelemente von Hochtemperaturreaktoren angesprochen haben: Ist der Bundesregierung bekannt, daß der Hochtemperaturreaktor in Schmehausen innerhalb weniger Jahre auf Brennelemente mit niedrigangereichertem Uran umgestellt werden könnte, ohne daß es zu einer Betriebsunterbrechung kommen müßte, und welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus diesem Sachverhalt für ihre Zielsetzung, hochangereichertes Uran möglichst wenig einzusetzen?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Catenhusen, ich kann Ihnen die in der Frage enthaltenen Behauptungen nicht bestätigen, aber ich will sie gern überprüfen und werde Ihnen eine Stellungnahme zuleiten, wenn Sie einverstanden sind.
Noch eine Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, da Sie sich auf die langfristige Umstellung beziehen: Ist der Bundesregierung bekannt, daß der Geschäftsführer der NUKEM öffentlich einen konkreten Zeitraum — ich glaube, es sind vier Jahre — dafür genannt hat, daß Forschungs- und Materialtestreaktoren auf weniger hoch angereichertes Uran umgerüstet werden können, und welche Konsequenzen würde die Bundesregierung aus diesem Sachverhalt für ihre weiteren Überlegungen ziehen?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Catenhusen, mir ist eine solche Äußerung nicht bekannt. Ich bin jedoch gerne bereit, sie zu überprüfen und möglicherweise entsprechende Konsequenzen daraus zu ziehen.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Schäfer .
Herr Staatssekretär, darf ich Sie nach der bisherigen Fragerunde zunächst fragen, ob Sie meine Fragen beantworten werden oder auf das Schreiben vom 20. November verweisen?
Das ist keine Frage, Herr Abgeordneter Schäfer. Ihre erste Möglichkeit zu fragen ist bereits erschöpft. Stellen Sie bitte Ihre Zusatzfrage.
Vielen Dank, Herr Präsident! — Welche konkreten Maßnahmen hat die Bundesregierung bislang ergriffen, um — wenn schon der Grad der Anreicherung von Uran bislang nicht verringert wurde — zumindest die Lagerbestände an hochangereichertem Uran zu verringern?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Schäfer, ich wäre selbstverständlich bereit gewesen, auch Ihre erste Frage zu beantworten, ohne auf das Schreiben des Ministers zu verweisen. Ich darf auf meine erste Antwort bei der zweiten Frage verweisen, nämlich auf das Programm der Anreicherungsreduzierung in Forschungsreaktoren.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Reuter.
Herr Staatssekretär, in der Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der SPD zur Nichtverbreitung von Kernwaffen, Drucksache 10/2402, heißt es auf Seite 15:
Die Bundesregierung hält als weitere Maßnahmen der nuklearen Abrüstung ein umfassendes Verbot der auf die Herstellung nuklearer Sprengkörper gerichteten Produktion von Plutonium und von hochangereichertem Uran unter geeigneten Kontrollen für notwendig.
Wie verträgt sich diese Aussage mit der Anweisung des Bundesinnenministers an den hessischen Minister für Wirtschaft und Technik bezüglich der Genehmigung für NUKEM?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich sehe hier überhaupt keinen Widerspruch,
sondern es deckt sich mit dem Schreiben des Innenministers.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Stahl.
Herr Staatssekretär, Sie sprachen von laufenden Forschungsvorhaben. Können Sie einmal aufzählen, welche Forschungsvorhaben das sind, wann die Ergebnisse vorliegen und
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 110. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Dezember 1984 8211
Stahl
wann mit einer Entscheidung zu rechnen ist, tatsächlich etwas niedrigerprozentiges Uran in Forschungsreaktoren einzusetzen? Denn vorhin auf meine Zusatzfrage bezüglich des — —
Herr Abgeordneter Stahl, bitte beschränken Sie sich auf diese Frage.
Bitte sehr.
Spranger, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Stahl, ich bin deswegen nicht in der Lage, Ihnen hier zu antworten, weil dieses Forschungsprogramm in die Zuständigkeit des Bundesministers für Forschung und Technologie fällt. Aber er wird sicher auf Grund der Diskussion Ihrem Wunsche Rechnung tragen.
Weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Kübler.
Herr Staatssekretär, kann die Bundesregierung den Unterschied zwischen hochangereichertem Uran für die Herstellung von Kernwaffen und dem hochangereicherten Uran, das in Hanau gelagert werden soll, erklären?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Die Bundesregierung wird dazu sicher in der Lage sein. Sie werden es mir abnehmen und entschuldigen, daß ich jetzt an dieser Stelle dazu nicht in der Lage bin. Ich bin dafür auch nicht zuständig.
Eine weitere Zusatzfrage. Vielleicht können wir dann den Chemie- und Physikunterricht abschließen. — Herr Abgeordneter Kiehm.
Herr Staatssekretär, sagen Sie mir bitte, an welche Länder, an welche Reaktorbetreiber oder Zwischenhändler in Zukunft Brennelemente mit über 20 % angereichertem Uran geliefert werden sollen.
Spranger, Parl. Staatssekretär: Auch dazu kann ich Ihnen jetzt keine Auskunft geben. Da müssen Sie sich vielleicht einmal mit der Firma NUKEM in Verbindung setzen.
Eine weitere Zusatzfrage, bitte.
Sind die Lieferländer, Herr Staatssekretär, in die NUKEM Uran liefert, und die Länder, in denen es zum Einsatz in Reaktoren kommt, identisch?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Ich habe jedenfalls keinen Anlaß, anzunehmen, daß hier entgegen der Rechtsordnung verfahren wird.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Damit rufe ich die Frage 7 des Abgeordneten Catenhusen auf:
Welche Überlegungen hat die Bundesregierung bisher angestellt, um nach einer Endlagerung von Atommüll künftige Generationen über mehr als 10 000 Jahre hin vor den Gefahren solcher Hinterlassenschaften zu schützen, und wie bewertet die Bundesregierung dabei die Empfehlungen der Studie „Kommunikationsmaßnahmen zur Überbrückung von zehn Jahrtausenden" des Energieministeriums der Vereinigten Staaten von Amerika, soweit ihr diese Empfehlungen bekannt sind?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Die genannte amerikanische Studie ist der Bundesregierung bekannt. Sie hat hiervon unabhängig die Frage der langfristigen Kennzeichnung von Endlagern zusammen mit der Reaktorsicherheitskommission, den Bergbehörden und anderen maßgeblichen Institutionen sorgfältig geprüft. Das Ergebnis dieser Prüfungen ist in den vom Bundesminister des Innern veröffentlichten Sicherheitskriterien für die Endlagerung radioaktiver Abfälle in einem Bergwerk, Gemeinsames Ministerialblatt 1983, Nr. 13, enthalten. Danach ist eine übertägige Kennzeichnung des Endlagers nicht erforderlich. Es ist jedoch vorgesehen, die Kenntnis über die Lage des Standortes durch eine Dokumentation ausreichend zu sichern. Einzelheiten hierzu werden im Rahmen des atomrechtlichen Planfeststellungsverfahrens festgelegt. Hierbei werden selbstverständlich auch die Überlegungen in anderen Ländern berücksichtigt werden.
Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, halten Sie es nicht für sinnvoll, daß in diesen Fragen der langfristigen Kennzeichnung von Atommüllendlagern eine international einheitliche Kennzeichnung vorgenommen wird, und welche Bemühungen sind da im Gange?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Ich sehe hier keine Gründe für eine solche Möglichkeit, zumal die bei uns bestehenden Bestimmungen und Reglements zu einem Ergebnis führen, das irgendwelche Gefährdungen der von Ihnen vermuteten Art ausschließt.
Haben Sie noch eine Zusatzfrage? — Bitte.
Herr Staatssekretär, kann ich dieser letzten Antwort entnehmen, daß Sie die Notwendigkeit einer oberirdischen Kennzeichnung auf Grund des nach Ihrer Auffassung zu vernachlässigenden Sicherheitsproblems im Zusammenhang mit solchen Atommüllendlagern für vernachlässigenswert halten?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Ich möchte doch noch einmal auf den ersten Teil meiner Antwort verweisen, in der begründet ist, warum auch nach Auffassung der Reaktorsicherheitskommission eine übertägige Kennzeichnung des Endlagers nicht erforderlich ist.
Weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Schäfer .
8212 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 110. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Dezember 1984
Herr Staatssekretär, erwägt die Bundesregierung angesichts des riesigen Gefahrenpotentials, das über Jahrtausende sicher verschlossen werden muß, die Dokumentation gegebenenfalls in einem Weltraumsatelliten zu hinterlassen?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Das ist eine futuristische und spekulative Möglichkeit, Herr Kollege Schäfer, die jedenfalls bei den Erwägungen der Bundesregierung noch nicht aufgetaucht ist.
Weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Stahl.
Herr Staatssekretär, bezogen auf die Studie, die hier angesprochen worden ist: Wird die Bundesregierung aus den Erkenntnissen dieser Studie auch irgendwelche Rückschlüsse bezüglich der Endlagerung in der Bundesrepublik und ihrer technologischen Durchführung ziehen?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Stahl, es ging um die Frage der Bezeichnung und Kennzeichnung. Diese Frage ist abschließend geprüft und durch die Bundesregierung so entschieden, wie ich es vorgetragen habe.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Ich rufe die Frage des Abgeordneten Schäfer auf. Es ist die Frage 8:
Teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß die Störfallverordnung nach dem Bundes-Immissionsschutzgesetz, die teilweise gegen den erbitterten Widerstand der Industrie von der sozialliberalen Regierung durchgesetzt wurde, zu entscheidenden Verfahrensveränderungen und Sicherheitsverbesserungen insbesondere bei chemischen Anlagen geführt hat?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Schäfer, seit der Giftgaskatastrophe von Seveso im Jahre 1976 haben Fragen der Sicherheit industrieller Anlagen insbesondere im Chemiebereich eine besondere Bedeutung erhalten. In der Bundesrepublik Deutschland sowie in der EG wurden daraufhin strenge Vorschriften erlassen. Die Bundesregierung ist der Meinung, daß diese Regelungen maßgeblich zu einer Weiterentwicklung des Standes der Sicherheitstechnik beigetragen haben.
Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, können Sie mir die Frage beantworten, ob für alle Altanlagen — vor allem also chemische Anlagen — in der Zwischenzeit die notwendigen Sicherheitsberichte vorgelegt worden sind?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Es gibt keinen Anlaß, zu glauben, daß die frühere Bundesregierung und die sie tragenden Parteien oder die jetzige Bundesregierung und die sie tragenden Parteien nicht so verfahren wären, wie es der Rechtslage hierzu entspräche.
Weitere Zusatzfrage.
Ich muß noch einmal nachfragen, weil das, wie Sie selber wissen, keine Antwort war. Ich frage noch einmal: Sind alle Altanlagen, für die nach der Störfallverordnung nach einem Übergangszeitraum entsprechende Störfallanalysen vorliegen müssen, bislang erfaßt worden?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Es ist davon auszugehen, daß alle Vorlagen, die kraft Gesetzes erforderlich sind, auch erstellt werden.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Ich rufe die Frage 10 des Herrn Abgeordneten Dr. Czaja auf:
Bindet die Verpflichtung der Präambel des Grundgesetzes, die staatliche und nationale Einheit Deutschlands — bis zur freien Entscheidung des deutschen Volkes über seine Zukunft und bis zu frei vereinbarten friedensvertraglichen Regelungen (Artikel 7 des Deutschlandvertrags) — zu wahren, auch alle Beamten und Mitarbeiter im öffentlichen Dienst, nachdem auch das Bundesverfassungsgericht auf der Einhaltung des Wahrungsgebots und der Mitverantwortung aller Staatsorgane für ganz Deutschland in verbindlicher Auslegung des Grundgesetzes besteht?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Dr. Czaja, nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sind alle Verfassungsorgane verpflichtet, auf die Wiederherstellung der staatlichen Einheit Deutschlands hinzuwirken. Diese Rechtspflicht bindet alle Mitarbeiter der Behörden des Bundes, der Länder und der Gemeinden, soweit sie in dieser Eigenschaft tätig werden.
Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, meine Frage zielte nicht nur auf das Hinwirken, sondern auch auf das Gebot zur Wahrung der nationalen und staatlichen Einheit. Ich möchte fragen, ob das auch bei abweichender persönlicher Meinung eines Beamten für ihn auch außerdienstlich im Sinne des Gebots zur Zurückhaltung bei der Vertretung eigener Ansichten in Fragen, mit denen er amtlich befaßt ist, gilt.
Spranger, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Dr. Czaja, man muß hier sicherlich trennen zwischen dienstlichem und außerdienstlichem Verhalten. Insbesondere bei der Frage des außerdienstlichen Verhaltens kommt es sehr auf den Einzelfall an; es läßt sich eine pauschale Antwort nicht geben, welches Verhalten der generell bestehenden Verpflichtung, wie ich sie bei meiner Antwort darlegte, widerspricht oder entspricht.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, würde diese generell bestehende Verpflichtung wegen der gleichmäßigen Anwendung der Gesetze für alle Bundesbediensteten gelten, also z. B. auch für Bedienstete des Bundespresseamtes, des Auswärtigen Amtes oder sogar des Bundespräsidialamtes?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Sie gilt für alle Beamten, Arbeiter und Angestellten von — wie ich schon sagte — Bund, Ländern und Gemeinden.
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 110. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Dezember 1984 8213
Weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Schäfer .
Beabsichtigt die Bundesregierung etwa, die Einhaltung des in der Frage angesprochenen Gebotes bei Beamten zu überprüfen?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Schäfer, die Bundesregierung fühlt sich dem Spruch des Bundesverfassungsgerichts selbstverständlich verpflichtet.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Ich rufe die Frage 11 des Herrn Abgeordneten Dr. Laufs auf:
Sieht die Bundesregierung bei dem in jüngsten Pressemeldungen erwähnten Falsifikat eines Schreibens des amerikanischen Handelsministeriums, mit dem deutsche Firmen um Offenlegung ihres Technologieexports in Ostblockstaaten ersucht wurden, einen nachrichtendienstlichen Zusammenhang, und liegen der Bundesregierung darüber hinaus weitere Erkenntnisse über derartige nachrichtendienstliche Aktivitäten östlicher Dienste vor?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Dr. Laufs, der Urheber dieses einer Vielzahl von Firmen in der Bundesrepublik Deutschland zugegangenen Schreibens kann nicht mit letzter Sicherheit genannt werden. Auf Grund bisheriger Erfahrungen sieht die Bundesregierung einen nachrichtendienstlichen Zusammenhang. Die Nachrichtendienste der Warschauer-Pakt-Staaten sind schon seit Jahrzehnten darum bemüht, durch Verbreitung gefälschter oder verfälschter Informationen Einfluß auf die politischen Verhältnisse in der Bundesrepublik Deutschland zu nehmen. Die Bundesregierung hält es daher für durchaus möglich, daß dieses Falsifikat einen weiteren in größerem Zusammenhang stehenden Versuch der Staaten des Ostblocks darstellt, Unruhe und Mißtrauen gegen die Vereinigten Staaten in die deutsche Wirtschaft zu tragen.
Eine Zusatzfrage? — Bitte.
Herr Staatssekretär, handelt es sich nach den Erkenntnissen der Bundesregierung bei dem von mir angesprochenen Fall um einen einmaligen Vorgang, oder liegen weitere Beispiele dieser Art vor?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Es handelt sich hier nicht um einen einmaligen Vorgang, sondern dieser Vorfall fügt sich nahtlos in eine Reihe weiterer ähnlicher Vorfälle ein. Der jüngste Fall einer Verbreitung gefälschter Informationen ist eine Veröffentlichung in der Zeitschrift „Das 20. Jahrhundert und der Frieden" des sowjetischen Friedenskomitees. In dieser monatlich in englischer, französischer, spanischer und deutscher Sprache erscheinenden Publikation heißt es u. a.:
Hundert Meter vor der amerikanischen Botschaft in Bad Godesberg starben drei Menschen, die Amerikanerin Andrea Iwanowitsch, die Deutsche Johanna Jordan und der Franzose
Dadier Mongu. Sie sind aus Protest gegen das von den USA aufgezwungene Wettrüsten den Hungertod gestorben.
Wir alle in diesem Hause wissen, daß diese Nachricht falsch ist. Keine dieser Personen hat den Hungerstreik bis zur Lebensbedrohung durchgeführt.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Ich rufe die Frage 12 des Herrn Abgeordneten Dr. Laufs auf:
Liegen der Bundesregierung Erkenntnisse vor, daß östliche Nachrichtendienste in die Auseinandersetzungen um die Nutzung der Kernenergie in der Bundesrepublik Deutschland einzugreifen versuchen?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Dr. Laufs, bei der Durchführung sogenannter aktiver Maßnahmen bedienen sich die Nachrichtendienste des Ostblocks vielfältiger und vor allem subtiler Techniken, die von der schlichten Verbreitung falscher oder entstellter Nachrichten über koordinierte Pressemanipulationen bis hin zum Einsatz von Einflußagenten reichen.
Der Bundesregierung liegen Erkenntnisse darüber vor, daß das Ministerium für Staatssicherheit der DDR Überlegungen angestellt hatte, kleinste, unschädliche Mengen radioaktiver Stoffe in der Umgebung von Kernkraftwerken oder Atommülldeponien auszulegen. Aus Opportunitätsgründen ist diese Maßnahme zurückgestellt worden. Nach Aussagen von Überläufern habe sich das Ministerium für Staatssicherheit einen größeren Erfolg davon versprochen, wenn kerntechnische Projekte kurz vor der Fertigstellung durch eine desinformatorische Aktion hätten zu Fall gebracht werden können.
Der Bundesregierung liegen Erkenntnisse darüber vor, daß allein dem sowjetischen Nachrichtendienst KGB mehrere Hundert Millionen DM im Jahr zur Durchführung sogenannter aktiver Maßnahmen zur Verfügung stehen.
Eine Zusatzfrage? — Bitte.
Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung, da diese sogenannten aktiven Maßnahmen doch einen erheblichen Umfang angenommen haben, bereit, eine umfassende Darstellung dieser sogenannten aktiven Maßnahmen östlicher Nachrichtendienste vorzulegen?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Dr. Laufs, ich bin gern bereit, Ihre Anregung aufzugreifen und nach Möglichkeit zu verwirklichen.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Schäfer .
Herr Staatssekretär, gibt es nach Auffassung der Bundesregierung in der Art, in der Methodik und in der Vorgehensweise
8214 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 110. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Dezember 1984
Schäfer
grundsätzliche Unterschiede zwischen östlichen und westlichen Nachrichtendiensten?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Ich habe keinen Anlaß, von der Thematik der Frage, auf die Kollege Dr. Laufs eine Antwort verlangt hat, abzuweichen, von der Thematik also, die aktiven Maßnahmen der Nachrichtendienste des Ostblocks zu beschreiben.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Ich rufe die Frage 19 des Herrn Abgeordneten Fellner auf:
Trifft es zu, daß Linksextremisten und Linksterroristen aller Schattierungen die Amerikafeindlichkeit in unserem Lande schüren, und kann die Haltung dieser Gruppierungen zur US-Politik näher belegt werden?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Fellner, die Antwort ist: ja. Linksextremisten unterschiedlicher Richtungen kämpfen — im übrigen übereinstimmend mit einem großen Teil der Rechtsextremisten — gegen den „US-Imperialismus" als den „Hauptkriegstreiber". Die Moskauorientierte Deutsche Kommunistische Partei und Gruppen der nicht Moskau-orientierten „Neuen Linken" werfen den USA einen expansiven, aggressiven und abenteuerlichen Imperialismus vor.
Militanter Antiamerikanismus — insbesondere aus der undogmatischen linksextremistischen Szene und dem linksterroristischen Umfeld — entlud sich mehrfach in Straßenkrawallen beim Besuch höchster amerikanischer Repräsentanten in der Bundesrepublik Deutschland einschließlich Berlin. Die linksterroristischen Revolutionären Zellen drückten ihren Antiamerikanismus u. a. durch einen Sprengstoffanschlag am 4. Juli 1982 auf die amerikanische Gedenkbibliothek in Berlin aus. Während orthodoxe Kommunisten die Parole „Ami go home" verbreiten, formulieren militante „Autonome" und „Antiimperialisten" der „Neuen Linken": „Yankees verjagen, NATO zerschlagen".
Keine weiteren Zusatzfragen.
Ich rufe die Frage 20 des Herrn Abgeordneten Fellner auf:
Welche Erkenntnisse liegen der Bundesregierung über die Beteiligung von Kommunisten an dem Wahlbündnis „Die Friedensliste" vor, das bei der Europawahl 1984 1,3 v. H. Stimmenanteil erreichte und demgemäß mit einer Wahlkampfkostenerstattung von ca. 2,8 Millionen DM rechnen kann?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Treibende Kräfte bei der Entwicklung der „Friedensliste" waren die DKP, die DKP-beeinflußte Deutsche Friedensunion — DFU — sowie die Demokratischen Sozialisten. Im Januar 1984 erschien ein erster „Aufruf zur Diskussion über ein Personenbündnis zur Wahl des Parlaments zur Europäischen Gemeinschaft". Zur Vorbereitung der konstituierenden Sitzung der „Friedensliste" bildete sich Anfang 1984 ein Ausschuß aus acht Personen, darunter ein DKP-Vorstandsmitglied sowie vier Funktionäre DKP-beeinflußter Organisationen. In den Bundesvorstand „Friedensliste" wurden 32 Personen gewählt, davon knapp die Hälfte kommunistische Funktionäre oder Funktionäre DKP-beeinflußter Organisationen. Von den 89 gewählten Kandidaten zur Europawahl üben knapp die Hälfte Funktionen in der DKP oder deren Vorfeldorganisationen aus.
Keine weiteren Zusatzfragen. — Damit ist dieser Geschäftsbereich abgeschlossen.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen auf. Zur Beantwortung steht uns Herr Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Voss zur Verfügung.
Die Fragen 21 und 22 des Abgeordneten Lambinus sowie die Fragen 25 und 26 des Abgeordneten Werner werden auf Wunsch der Fragesteller schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe die Frage 23 des Herrn Abgeordneten Austermann auf:
Ist das Bundesamt für Finanzen an Betriebsprüfungen bei „stern" und „Der Spiegel" in der Zeit von 1981 bis 1984 beteiligt gewesen, und wenn ja, wie oft?
Bitte.
Herr Kollege Austermann, das Bundesamt für Finanzen hat an Betriebsprüfungen für die Jahre 1981 bis 1984 bei den genannten Firmen nicht mitgewirkt.
Im übrigen bitte ich um Ihr Verständnis, daß ich Einzelheiten über die steuerlichen Verhältnisse der von Ihnen angesprochenen Verlage wegen des Steuergeheimnisses nicht mitzuteilen vermag.
Eine Zusatzfrage, bitte.
Ich hätte die Frage: Gibt es gewisse Grenzen, z. B. Höhe des Umsatzes, bei denen das Bundesamt für Finanzen gezwungen wäre, automatisch an Betriebsprüfungen teilzunehmen?
Dr. Voss, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Austermann, derartige Grenzen gibt es nicht. Es kommt vielmehr darauf an, ob Bundesinteressen tangiert sind. In diesen Fällen schaltet sich das Bundesamt für Finanzen in Betriebsprüfungen, die die Länder durchführen, ein.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, sind Sie bereit, im Ausschuß oder bei einer Erweiterung des Auftrags des Untersuchungsausschusses — gegebenenfalls vertraulich — Auskunft über die von mir gestellte Frage zu geben?
Dr. Voss, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, soweit das Steuergeheimnis nicht entgegensteht, ist das eine Sache, die die Bundesregierung zu prüfen hätte.
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 110. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Dezember 1984 8215
Keine weiteren Zusatzfragen.
Dann rufe ich die Frage 24 des Herrn Abgeordneten Austermann auf:
Kann gegebenenfalls durch Sonderbetriebsprüfungen unter Beteiligung des Bundesamtes für Finanzen geklärt werden, wie hoch der Betrag ist, der für Bestechungs- oder Schmiergelder in den Betriebsausgaben von „stern" und „Der Spiegel" von 1981 bis heute in Ansatz gebracht worden ist, und inwieweit solche Beträge als steuerlich absetzbar bei Betriebsprüfungen anerkannt worden sind?
Dr. Voss, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Austermann, „Sonderbetriebsprüfungen" sind wie alle Außenprüfungen gemäß § 194 Abs. 1 der Abgabenordnung nur zulässig, soweit sie der Ermittlung der steuerlichen Verhältnisse des Steuerpflichtigen dienen. Sie könnten sich auch auf bestimmte Sachverhalte, wie z. B. die steuerliche Behandlung von Bestechungs- und Schmiergeldern, beschränken, wenn Gründe dafür vorliegen, z. B. Anhaltspunkte für eine falsche steuerrechtliche Behandlung. Solche „Sonderprüfungen" wären jedoch nach der bisherigen Praxis der Betriebsprüfungsstellen ein außergewöhnlicher Vorgang.
Das Bundesamt für Finanzen kann sich bei allen Außenprüfungen der Länder beteiligen. Angaben über das Ergebnis der Außenprüfungen können im Einzelfall allerdings wegen des Steuergeheimnisses nicht mitgeteilt werden.
Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, hält die Bundesregierung eine Sonderbetriebsprüfung in den angesprochenen Fällen auch dann nicht für sinnvoll und zwingend notwendig, wenn ein begründeter Verdacht besteht, daß einzelne Magazine zur Erlangung der Informationen, die den Untersuchungsausschuß Flick beschäftigen, mehr Geld ausgegeben haben, als das Unternehmen in der Zeit von 1969 bis 1980 überhaupt an politische Parteien gezahlt haben soll?
Dr. Voss, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Austermann, wie ich soeben ausgeführt habe, ist das Bundesamt für Finanzen nicht in der Lage — weil es keine Rechtsgrundlage gibt —, von sich aus eine „Sonderbetriebsprüfung" durchzuführen. Es kann sich also nur, wenn die Länderfinanzverwaltungen es auf Grund der von Ihnen soeben dargelegten Sachverhalte für notwendig halten, eine Prüfung durchzuführen, dieser Prüfung dann anschließen.
Eine weitere Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, hält die Bundesregierung das Steuergeheimnis auch dann für vorrangig schützenswert, wenn mit Schmiergeldern angestrebt wird, dem Staat oder einzelnen staatlichen Zielen zu schaden?
Dr. Voss, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Austermann, ich bitte um Ihr Verständnis, daß sich die Bundesregierung in allen Fällen an die geltenden Gesetze zu halten hat.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Krizsan.
Herr Staatssekretär, gibt es eigentlich auch Sonderbetriebsprüfungen für staatsbürgerliche Vereinigungen?
Dr. Voss, Parl. Staatssekretär: Unter den soeben von mir angegebenen Voraussetzungen, Herr Kollege Krizsan, kann es derartige Betriebsprüfungen in allen Bereichen geben.
Keine weitere Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 27 des Herrn Abgeordneten Dr. Kübler auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung die Schwarz- oder Schattentouristik, also die Eigenorganisation von Pauschalreisen durch Privatpersonen, Kirchen, politische Parteien, Vereine unter reisevertragsrechtlichen und steuerrechtlichen Gesichtspunkten?
Dr. Voss, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Dr. Kübler, im Einvernehmen mit dem Bundesminister der Justiz und dem Bundesminister für Wirtschaft beanworte ich Ihre Frage wie folgt.
Das Bürgerliche Gesetzbuch enthält Vorschriften über den Reisevertrag, die ohne Rücksicht auf eine gewerbliche Tätigkeit für jeden Reiseveranstalter gelten. Mithin kann auch eine Privatperson, ein Verein, eine politische Partei oder eine andere Organsiation, die nicht zum Tourismusgewerbe zu zählen ist, Reiseveranstalter sein.
Unternehmen mehrere miteinander verbundene Personen, z. B. die Mitglieder eines Kegelklubs, gemeinsam eine Reise, so besteht auch die Möglichkeit, daß ein Teilnehmer beauftragt wird, namens und für Rechnung der anderen Teilnehmer z. B. Flüge zu buchen und Hotelzimmer zu reservieren. In einem solchen Fall wird der nach außen handelnde Teilnehmer vielfach nicht als Reiseveranstalter, sondern nur als beauftragter Vertreter der anderen Teilnehmer anzusehen sein. Ob der „Organisator" gegenüber den anderen Teilnehmern eine eigene Pflicht zur Erbringung der Reiseleistungen übernimmt, ist in solchen Fällen nach den Umständen des Einzelfalles zu beurteilen.
Wenn Privatpersonen, Kirchen, politische Parteien oder Vereine im eigenen Namen nachhaltig für andere Reisen veranstalten, gelten die allgemeinen steuerlichen Regeln. Umsatzsteuerpflicht tritt für alle genannten Veranstalter ein, wenn die Freigrenzen überschritten sind. Etwaige Gewinne aus einer solchen gewerblichen Tätigkeit unterliegen bei Überschreiten der Freibeträge der Gewerbesteuer. Bei natürlichen Personen kommt außerdem Einkommensteuer, bei Kirchen, politischen Parteien und Vereinen bei Überschreiten der gesetzlichen Freibeträge Körperschaftsteuer in Betracht.
Organisieren Mitglieder der genannten Einrichtungen eine Reise selbst, so handelt es sich um eine Gelegenheitsgesellschaft. Da es in diesen Fällen in der Regel an der Nachhaltigkeit fehlt, scheidet eine Steuerpflicht aus.
Zusatzfrage, bitte.
8216 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 110. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Dezember 1984
Herr Staatssekretär, wie würden Sie in diesen Fällen in Ergänzung Ihrer Antwort die versicherungsrechtliche Seite sehen?
Dr. Voss, Parl. Staatssekretär: Die versicherungsrechtliche Seite ist davon völlig unabhängig, Herr Kollege.
Noch eine Zusatzfrage?
Herr Staatssekretär, würden Sie in derartigen Betätigungen nicht Gefahren für den mittelständischen Bereich sehen, und sieht die Bundesregierung keinen Anlaß, dem entgegenzuwirken?
Dr. Voss, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Kübler, immer dann, wenn Nachhaltigkeit gegeben ist
— und das muß ja wohl der Fall sein, wenn Konkurrenzgesichtspunkte eine Rolle spielen —, sind die genannten Veranstalter ebenso wie alle mittelständischen Unternehmen verpflichtet, die steuerlichen und sonstigen Verpflichtungen zu erfüllen.
Eine Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Hürland.
Herr Staatssekretär, ist der Umfang dieser Schattentouristik überhaupt zu beziffern, und wie hoch wäre demnach der in Frage kommende Steuerausfall?
Dr. Voss, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, die Finanzämter, bei denen die geannten Institutionen geführt und auch überprüft werden, stellen fest, ob steuerpflichtige Sachverhalte vorliegen. Bis jetzt bestehen keine Anhaltspunkte dafür, daß hier Steuerausfälle über das normale Maß hinaus zu beklagen wären.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Dann rufe ich den Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft auf.
Die Fragen 28, 29, 31 und 32 werden von den Fragestellern, den Abgeordneten Urbaniak, Roth, Dr. Jens und Dr. Wieczorek, zurückgezogen.
Die Fragen 30, 33 und 34 sollen auf Wunsch der Fragesteller, der Abgeordneten Wolfram und Dr. Abelein, schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Die Frage 35 der Abgeordneten Frau Dr. Hartenstein wird gemäß Nr. 2 Abs. 2 der Richtlinien für die Fragestunde ebenfalls schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Dann wollen wir einmal sehen, was da noch übrigbleibt.
— Moment, ich bin noch nicht so weit. —
Die Fragen 36 und 37 des Herrn Abgeordneten Gansel sind, soweit ich das feststellen kann, deshalb hinfällig, weil sich der Abgeordnete bei Aufruf seiner Fragen nicht im Saal befindet. Es wird also so verfahren, wie es in den Richtlinien für die Fragestunde vorgesehen ist.
— Das Übernehmen geht nicht mehr. — Es ist manches schade.
Damit ist dieser Geschäftsbereich abgeschlossen.
Ich rufe nunmehr den Geschäftsbereich des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten auf. Zur Beantwortung der Fragen steht uns Herr Parlamentarischer Staatssekretär Gallus zur Verfügung, den ich im Augenblick auch noch nicht ausmachen kann. Das liegt aber sicherlich daran, daß die Fragen des Geschäftsbereichs des Bundesministers für Wirtschaft nicht behandelt werden konnten, wie soeben deutlich geworden ist.
Damit entfällt dieser Geschäftsbereich. Nur würde ich das Haus vorweg um Genehmigung bitten, daß dann, wenn Herr Staatssekretär Gallus kommt, die Fragen seines Geschäftsbereichs noch aufgerufen werden können, sofern dazu noch Zeit besteht.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für innerdeutsche Beziehungen auf. Zur Beantwortung — so ist mir gemeldet worden — steht uns Herr Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Hennig zur Verfügung, den ich ebenfalls nicht ausmachen kann.
Dann rufe ich den Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung auf. Zur Beantwortung der Fragen ist mir der Herr Parlamentarische Staatssekretär Höpfinger gemeldet. —
Meine Damen und Herren der Bundesregierung, ich bitte, mir zumindest mitzuteilen, wo man Sie findet, wenn hier etwas schneller abgewickelt wird.
Meine Damen und Herren, sind Sie damit einverstanden, daß wir zum Geschäftsbereich des Bundesministers für innerdeutsche Beziehungen zurückkehren?
— Das tut mir furchtbar leid. Was glauben Sie, wie viele Abgeordnete noch später kommen! —
Ich rufe die Frage 47 des Herrn Abgeordneten Dr. Hupka auf:
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 110. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Dezember 1984 8217
Vizepräsident Stücklen
Warum werden von der Bundesregierung auf Anfrage von Staatsbürgern nach Publikationen zur Vertreibung der Deutschen aus ihrer Heimat nur Publikationen, die vor nahezu 20 Jahren erstellt worden sind, angeboten?
Herr Kollege Dr. Hupka, Sie geben nicht an, welcher konkrete Fall Sie zu dieser Frage veranlaßt. Was meinen Geschäftsbereich betrifft, so werden sowohl durch das Ministerium als auch durch die nachgeordnete Behörde, das Gesamtdeutsche Institut, die Bundesanstalt für gesamtdeutsche Aufgaben, die sogenannte BfGA, Publikationen angeboten bzw. abgegeben, die als aktuelle und qualifizierte Äußerungen zur Vertreibung der Deutschen aus ihrer Heimat verfügbar sind.
Ich bin gern bereit, Ihnen eine Übersicht über das Sortiment oder die Publikationen selbst zum Thema zuzuleiten, sofern Sie das wünschen.
Zusatzfrage? — Bitte.
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, um zunächst einmal Ihre Frage zu beantworten: Das war eine Antwort, die jemand als Student, der Literatur haben wollte, bekommen hat. Da wurde ihm nur Literatur mit dem Erscheinungsdatum 1964/65 genannt und zur Verfügung gestellt. Könnten Sie vielleicht einige neuere Editionen zu dem Problem der Vertreibung nennen?
Dr. Hennig, Parl. Staatssekretär: Gern, Herr Kollege Hupka. Ich wäre Ihnen zunächst dankbar, wenn Sie mir diesen Einzelfall vielleicht einmal zuleiten würden. Ich will dann gern dafür sorgen, daß der Betreffende vernünftiges Material bekommt.
Wenn ich eine einzige Darstellung herausgreifen darf, so ist das die des Kollegen Herbert Hupka „Letzte Tage in Schlesien", München, 1982.
Sind in dem Angebot auch die Publikationen von Herrn de Zayas und von Herrn Nawratil und andere Publikationen enthalten, die inzwischen erschienen sind, wie „Letzte Tage in Ostpreußen", „Letzte Tage in Pommern"?
Dr. Hennig, Parl. Staatssekretär: Ich leite Ihnen die Gesamtliste sehr gern zu, Herr Kollege Hupka. Es sind u. a. zwei Veröffentlichungen von Herrn de Zayas dabei.
Herr Abgeordneter Kübler, bitte.
Herr Staatssekretär, stehen Sie auf dem Standpunkt, daß die Publikationen des Jahres 1964, die also vor rund 20 Jahren erschienen sind, heute nicht mehr aktuell sein können?
Dr. Hennig, Parl. Staatssekretär: Nein, Herr Kollege Kübler, das will ich so pauschal nicht sagen. Der Tatestand ist ja, wie Sie wissen, doppelt so alt, so daß auch eine Veröffentlichung aus dieser Zeit durchaus heute noch angemessen den Gesamtinhalt darstellen kann. Wir verfügen aber über neuere Publikationen, in denen diese jeweils verarbeitet sind.
Keine weiteren Zusatzfragen. Ich rufe die Frage 48 des Herrn Abgeordneten Grünbeck auf:
Welchen materiellen Schaden hat das Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen in der vergangenen Woche durch eine Besuchergruppe der Fraktion DIE GRÜNEN erlitten, und wer wird auf Schadenersatz in Anspruch genommen?
Dr. Hennig, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Grünbeck, der entstandene Schaden an Ausstattungsgegenständen des Bundesministeriums für innerdeutsche Beziehungen, der durch eine Besuchergruppe auf Einladung eines Abgeordneten der GRÜNEN verursacht worden ist, wurde mit rund 2 000 DM errechnet. Es handelt sich um Schäden an Sesseln, Teppichboden und Bildern. Für die Beseitigung der Schäden werden zunächst Haushaltsmittel des Bundes in Anspruch genommen, wobei die Möglichkeiten eines Schadenersatzanspruchs noch geprüft werden.
Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, teilen Sie meine Meinung, daß da die GRÜNEN das Verursacherprinzip bejahen, in diesem Fall der Abgeordnete, der die Besuchergruppe eingeladen hat, notfalls für den Schaden aufkommen sollte, weil er der Verursacher war?
Dr. Hennig, Parl. Staatssekretär: Da es sich um den zweiten Fall handelt, daß sich die Gruppe einer bestimmten Fraktion in dieser Weise vorbeibenommen hat, würde ich diesem Verursacherprinzip durchaus aufgeschlossen gegenüberstehen.
Zusatzfrage des Abgeordneten Krizsan.
Herr Staatssekretär, ich möchte gern wissen: Ist die von Ihnen angegebene Schadenshöhe mit dem betreffenden Abgeordneten Reents abgesprochen, der sich die Schäden selbst angesehen hat, wie er hier im Hohen Hause erklärt hat?
Dr. Hennig, Parl. Staatssekretär: Nein, Herr Kollege, das ist mit dem Kollegen Reents nicht abgesprochen, der auch bei dieser Besichtigung — fast hätte ich gesagt: wie er es gelernt hat — zum Gegenangriff übergegangen ist, indem er gegen den Referenten dort Angriffe vorgetragen hat, die ich ganz unglaublich finde. Der Referent hat das mit Sicherheit nicht gesagt.
Die Schadenshöhe ergibt sich aus den Aufstellungen des Leiters des Inneren Dienstes, der zur Beurteilung dieser Dinge berufen ist.
Weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Gansel.
Herr Staatssekretär, zeugt die Frage nicht von einer Überbetonung einer materialistischen Gesinnung, da gar nicht danach gefragt wird, wie hoch der immaterielle Schaden ist? Denn es ist immerhin das Bild eines Verfassungsorgans beschädigt worden.
8218 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 110. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Dezember 1984
Dr. Hennig, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, es ist sogar noch schlimmer: Das Bild des Verfassungsorgans ist entwendet worden. Es ist nicht wieder aufzufinden.
Weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Kittelmann.
Herr Staatssekretär, haben Sie aus den Gesprächen oder aus den Forderungen des Abgeordneten, dessen Besuchergruppe den Schaden hat eintreten lassen, den Eindruck gewonnen, daß er das Ganze bedauert, oder hatten Sie mehr den Eindruck, daß das Gefühl heimlicher Genugtuung über den angerichteten Schaden vorhanden ist?
Herr Abgeordneter Kittelmann, hier ist nach dem materiellen Schaden gefragt. Wir können hier nicht Gefühle untersuchen.
Da keine weiteren Zusatzfragen mehr sind, rufe ich die Frage 49 des Herrn Abgeordneten Jäger auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung angesichts der völkerrechtlichen Verpflichtungen, welche die DDR mit den UN-Menschenrechtspakten und angesichts der politischen Verpflichtungen, die sie mit der KSZE-Schlußakte von Helsinki und mit dem abschließenden Dokument von Madrid übernommen hat, die Verurteilung des in der DDR lebenden Physikers Schälike zu sieben Jahren Haft für die kritische Begründung seines Ausreiseantrags aus der DDR?
Dr. Hennig, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Jäger, der Bundesregierung ist bekannt, daß Rolf Schälike wegen Verstoßes gegen § 106 des Strafgesetzbuches der DDR — das ist „staatsfeindliche Hetze" — zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt worden ist. Die Verteidigung hat Berufung eingelegt. Die Verhandlung gegen Herrn Schälike fand, wie in Fällen dieser Art in der DDR üblich, unter Ausschluß der Öffentlichkeit statt. Demzfolge kann die Bundesregierung bisher noch keine Stellung zu den Urteilsgründen nehmen. Die Höhe des Strafmaßes steht jedoch mit Sicherheit nicht in Übereinstimmung mit den aus dem Internationalen Pakt der Vereinten Nationen über bürgerliche und politische Rechte sich auch für die DDR ergebenden völkerrechtlichen Verpflichtungen.
Weitere Zusatzfrage.
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, wird die Bundesregierung gerade angesichts dessen, was Sie zum Schluß Ihrer Antwort gesagt haben, diesen Fall zum Anlaß nehmen, die Strafrechts- und Bestrafungspraxis der Gerichte der DDR zum Gegenstand der Erörterungen bei der im Mai kommenden Jahres in Ottawa stattfindenden Menschenrechtsexpertenkonferenz zu machen und dort darauf hinzuweisen, daß sich die Rechtsprechung der DDR hier außerhalb der Normen des Völkerrechts bewegt?
Dr. Hennig, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Jäger, wir werden zunächst abzuwarten haben, ob dieses Urteil Rechtskraft erlangt oder welches Ergebnis die Berufung hat. Je nachdem, wie das ausgeht, werden wir in diesem speziellen Fall alle uns offenstehenden Möglichkeiten der Hilfe ergreifen. Dazu kann in einem so spezifischen Fall zu gegebener Zeit durchaus auch gehören, daß man die Dinge international zur Sprache bringt.
Eine weitere Zusatzfrage, bitte.
Herr Kollege Dr. Hennig, halten Sie es nach Ihren Erfahrungen für denkbar, daß mit derart drakonischen Strafen — die ja selbst in der DDR für Fälle dieser Art außergewöhnlich sind, wenn ich das richtig sehe — die Bundesregierung auf Dauer gesehen dazu animiert werden soll, eine Strafpraxis hinzunehmen oder mehr oder minder zu dulden, die mit unseren Rechtsauffassungen nicht in Einklang steht, und diese Strafhöhe dadurch praktisch zu einer Gewohnheit wird, über die sich niemand mehr aufregt?
Dr. Hennig, Parl. Staatssekretär: Ich glaube, daß auf unserer Seite eher das Gegenteil der Fall ist, Herr Kollege Jäger.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Ich rufe die Frage 50 des Herrn Abgeordneten Hiller auf:
Sind die Bezeichnungen „SBZ" und „besetzte Ostgebiete", wie sie im Bundesvertriebenengesetz in der Fassung vom 3. September 1971 gewählt wurden, für kommunale Ämter (z. B. Ämter für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte) zwingend vorgeschrieben, und wenn ja, beabsichtigt die Bundesregierung, diese Bezeichnungen dem Sprachgebrauch, der sich aus dem Grundlagenvertrag mit der DDR und dem Warschauer Vertrag ergeben, anzugleichen?
Dr. Hennig, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Hiller, die Bundesregierung schreibt den kommunalen Ämtern die Verwendung der im Gesetz gewählten Bezeichnungen nicht zwingend vor. Entsprechendes gilt auch auf seiten der Länder, die das Gesetz als eigene Angelegenheit zu vollziehen haben, d. h. es ist nicht bekannt, daß die Länder Entsprechendes vorschreiben.
In Antragsvordrucken — nicht im Ausweis — kommt die Bezeichnung „SBZ" zur Kennzeichnung früherer Sachverhalte gelegentlich vor. Diese Bezeichnungen werden im Zuge einer Überarbeitung der Formulare derzeit überprüft.
Im übrigen sei darauf verwiesen, daß die Erläuterungen zum BVFG durchgängig von Zuwanderern aus der DDR und aus Berlin sprechen. Der Ausdruck „besetzte Ostgebiete", wie Sie ihn in Ihrer Fragestellung verwenden, kommt im Bundesvertriebenengesetz nicht vor. Insofern ist die Fragestellung gegenstandslos.
Eine Zusatzfrage, bitte.
Ist die Bundesregierung bereit, weitere Gesetze nach diesen Bezeichnungen zu durchforsten und diese dann gegebenenfalls zu ändern?
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 110. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Dezember 1984 8219
Dr. Hennig, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Hiller, wir tun das ständig. Ich möchte aber darauf verweisen, daß insbesondere in dem zweiten Fall die angesprochene Gesetzesterminologie mit der bestehenden Rechtslage übereinstimmt und insofern keiner Angleichung bedarf.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Jäger .
Herr Kollege Hennig, teilen Sie meine Auffassung, daß die Bundesregierung um so weniger Anlaß zu besonderem Rigorismus in dem vom Kollegen Hiller gewünschten Sinne hat, als die DDR ihrerseits nicht den geringsten Wert darauf legt, unsere Bezeichnungen korrekt in unserem Sinne zu verwenden, wenn es um innerdeutsche Fragen geht?
Dr. Hennig, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Jäger , die Gegenseitigkeit ist ein wichtiges innerdeutsches Prinzip.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Wir kommen jetzt zurück zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Ernährung Landwirtschaft und Forsten. Zur Beantwortung steht uns Herr Parlamentarischer Staatssekretär Gallus zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 41 der Abgeordneten Frau Blunck auf. Nach Nr. 2 Abs. 2 unserer Richtlinien für die Fragestunde soll die Frage schriftlich beantwortet werden. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Auch die Frage 46 der Abgeordneten Frau Weyel wird auf Wunsch der Fragestellerin schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Damit kommen wir zur Frage 38 des Herrn Abgeordneten Jagoda:
Wie kann und will die Bundesregierung den betroffenen Waldbesitzern helfen, die durch die orkanartigen Stürme vom 24. November 1984 Schäden in katastrophalem Ausmaß erlitten haben?
Bitte sehr.
Herr Kollege, bereits in der Fragestunde am 5. und 6. Dezember 1984 hatten eine Frage des Herrn Abgeordneten Stiegler und die Antwort der Bundesregierung darauf die Sturmschäden im Wald vom November 1984 zum Gegenstand. Nach den letzten vorläufigen Schätzungen der Länder betragen die Sturmschäden nunmehr über 9 Millionen Kubikmeter. Die Behebung der Folgen der Sturmschäden fällt in erster Linie in die Zuständigkeit der Länder. Durch folgende Maßnahmen hilft die Bundesregierung den betroffenen Waldbesitzern:
Erstens. Der Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten hat die Anwendung des Forstschädenausgleichsgesetzes in die Wege geleitet, insbesondere mit dem Ziel, den ordentlichen Holzeinschlag vornehmlich bei der Holzartengruppe Fichte durch eine Verordnung zu beschränken.
Zweitens. Im Rahmen der Förderungsgrundsätze für die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes" können insbesondere folgende Maßnahmen für die Beseitigung der Folgen der Sturmschäden im Wald angewendet werden:
Investitionen der Forstbetriebe, um den Absatz von Holz insbesondere bei Zwangseinschlägen zu rationalisieren und damit die Forstbetriebe zu stabilisieren. Damit können zum Beispiel auch Maßnahmen zur Anlage von Lagerplätzen gefördert werden. Die Maßnahme, die derzeit nur für forstliche Zusammenschlüsse gilt, wird 1985 auch für den einzelnen Waldbesitzer zugänglich gemacht werden.
Im Rahmen von forstlichen Zusammenschlüssen sind ferner eine ganze Reihe einschlägiger Investitionen förderbar, wie die Beschaffung von Geräten, Maschinen und Fahrzeugen u. a. für Kulturarbeiten, Einschlagarbeiten, Forstschutzmaßnahmen.
Gegebenenfalls können, sofern Sturmschäden etwa in ertragsschwachen oder jüngeren Beständen aufgetreten sind, auch Maßnahmen gefördert werden, die zwar nicht primär auf die Behebung von Sturmschäden gerichtet sind, wohl aber der Strukturverbesserung allgemein zugute kommen:
Umwandlung sowie Umbau von ertragsschwacher Bestockung in standortgemäßem Hochwald und entsprechende Vorarbeiten sowie waldbauliche Maßnahmen zur Verbesserung von Jungbeständen.
Daneben kommen folgende Maßnahmen in Betracht, die die Bundesregierung prüft bzw. bei den zuständigen Stellen angeregt hat: 1. Anwendung des „Katalogs über mögliche steuerliche Maßnahmen zur Berücksichtigung der durch Naturkatastrophen verursachten Schäden",
2. Einräumung von Ausnahmetarifen durch Bundesbahn, Güterstraßenverkehr, Schiffahrt,
3. Sondermaßnahmen zur Absatzförderung durch den Absatzförderungsfonds über die CMA,
4. Sicherstellung, daß keine zusätzlichen Einfuhren und Bezüge von Holz aus den Ostblockländern und der DDR erfolgen.
Eine Zusatzfrage bitte.
Herr Staatssekretär, können Sie vielleicht die letzte Maßnahme etwas erläutern und sagen, wie Sie die Importe drosseln wollen oder wie Sie sicherstellen wollen, daß der Holzmarkt nicht mit diesen Importen belastet wird?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Wir stehen angesichts solcher schwierigen Situationen, in denen wir jetzt sind, in direkten Verhandlungen mit den Ostblockstaaten, um sie zu veranlassen, daß entsprechend weniger in die Bundesrepublik Deutschland eingeführt wird. Bei früheren Verhandlungen haben sich diese Länder an die Abmachungen gehalten.
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Eine weitere Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, wird die Bundesregierung sich dafür einsetzen, daß bei den Aufräumungsarbeiten in den Wäldern, die durch Sturmschäden hart betroffen sind, auch Mittel aus ABM zur Verfügung gestellt werden können.
Gallus, Parl. Staatssekretär: Ich will diese Frage gern prüfen lassen. Ich bin sicher, daß das auch eine Möglichkeit darstellen kann.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Ich rufe die Frage 39 des Herrn Abgeordneten Freiherr von Schorlemer auf:
Welche Kosten entstehen der EG bei der Trocknung von Magermilch bzw. Lagerung von Magermilchpulver sowie der Verfütterung von Magermilch an Kälber oder Schweine im landwirtschaftlichen Betrieb?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege von Schorlemer, durch eine Trocknung von Magermilchpulver entstehen der Gemeinschaft zunächst keine Kosten. Die Gemeinschaft zahlt für Magermilchpulver den von ihr festgesetzten Interventionspreis. Die Lagerkosten des für die öffentliche Lagerhaltung übernommenen Magermilchpulvers erfassen alle Kostenelemente, wie z. B. die Obernahme, die Qualitätsuntersuchungen, die Finanzierungs- und Lagerkosten. Sie werden im wesentlichen durch die Dauer der Lagerung bestimmt. Die Lagerungskosten für 100 kg Magermilchpulver für ein Jahr betragen 16,64 ECU/100 kg = 42,31 DM. Das sind umgerechnet auf 100 kg Magermilch 3,85 DM.
Im Rahmen der Beihilferegelungen für den Absatz von Magermilch und Magermilchpulver zu Futterzwecken entstehen der Gemeinschaft folgende Kosten, jeweils umgerechnet auf 100 kg Magermilch: a) Magermilch zur Kälberfütterung 17,67 DM/100 kg, b) Magermilchpulver zur Kälberfütterung 16,87 DM/100 kg, c) Magermilch zur Schweinemast 24,16 DM/100 kg, d) Magermilchpulver aus Interventionsbeständen zur Schweinemast 33,25 DM/ 100 kg.
Diese Zahlen verdeutlichen, daß die Flüssigrückgabe unter finanziellen Aspekten beim Absatz im Bereich der Schweinemast günstiger ist. Daher wird seitens der Bundesregierung eine Verbesserung der Beihilferegelungen zur Verbesserung des Direktabsatzes der Magermilch befürwortet. Zur Zeit muß jedoch die Verbilligung des Magermilchpulvers zum Abbau der hohen Interventionsbestände beibehalten werden.
Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, halten Sie es nicht für einen wirtschaftlichen Unfug, daß Magermilch selbst dort, wo der Bedarf dafür besteht, nicht mehr direkt in die Futtertröge, sondern erst über die Trocknung in die Intervention gelangt und dann anschließend über Sonderangebote als Magermilchpulver wieder zur Verfütterung angeboten wird mit der Folge, daß dann dieses angebotene Futter natürlich auch wieder entsprechend mit Wasser angereichert werden muß?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich habe in meiner Antwort erklärt, daß ich im Grundsatz Ihrer Auffassung bin, aber es müssen zunächst einmal die Voraussetzungen dafür geschaffen werden, daß die Ströme anders geleitet werden.
Eine weitere Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, stimmen Berechnungen, die man in der Zeitung „TOP-Agrar" lesen konnte, daß jede Tonne Magermilchpulver, die nicht über diesen Weg gelaufen ist, die Kasse in Brüssel mit netto 700 DM pro Tonne entlasten würde?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Ich kann das im einzelnen nicht bestätigen, aber an Hand der Zahlen, die ich Ihnen genannt habe, habe ich dargelegt, daß die Trocknung und die anschließende Verwendung als Schweinefutter wesentlich teurer ist. Deshalb wollen wir auch alles tun, um diesen Weg zu ändern.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Eigen.
Herr Staatssekretär, unterstellt, die Ausführungen, die Sie in Beantwortung der Frage des Kollegen Freiherr von Schorlemer gemacht haben, sind richtig: Was tut die Bundesregierung, um zu ändern, daß die Kommission die Verfütterung von Flüssigmagermilchpulver an Schweine um 2 Pf je Liter benachteiligt hat?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Die Kommission ergreift sporadisch Maßnahmen in gewissen Bereichen, wo sie glaubt, Geld sparen oder Geld hereinbekommen zu können. Aber im Endeffekt wird das Gegenteil erreicht. Wir sind jedoch dabei, die Kornmission davon zu überzeugen, daß der andere Weg beschritten werden muß.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Ich rufe die Frage 40 des Herrn Abgeordneten Freiherr von Schorlemer auf:
Welche Maßnahmen beabsichtigt die Bundesregierung, die einer weiteren Trocknung von Magermilch, bzw. der zunehmenden Verknappung von Magermilchrücklieferungen zu Futterzwecken an landwirtschaftliche Betriebe entgegenwirken?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, Maßnahmen zur Eindämmung der Trocknung und zur Verbesserung der Magermilchrückgabe an landwirtschaftliche Veredelungsbetriebe können nicht von der Bundesregierung, sondern nur durch die Kommission der EG im Verwaltungsausschußverfahren eingeleitet werden. Allerdings ist in diesem Zusammenhang anzumerken, daß sich, solange die Mastbetriebe an einer kontinuierlichen Belieferung
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Parl. Staatssekretär Gallus
interessiert sind, die mengenmäßige Bereitstellung der Magermilch an dem saisonalen Anlieferungstief der jeweiligen Molkerei orientieren muß. Vorrangig ist die Verarbeitung zu Milcherzeugnissen für den menschlichen Verzehr und zu anderen Lebensmitteln. Für Futterzwecke steht daher nur die Differenz zwischen der niedrigsten Anlieferung und der nicht zur Verarbeitung zu Marktprodukten benötigten Milchmengen zur Verfügung.
Im übrigen scheint das derzeitige Anlieferungstief bundesweit erreicht zu sein, da seit dem 25. Oktober 1984 kein Magermilchpulver aus deutscher Produktion in die Intervention übernommen wurde.
Solange das derzeitige Interventionssystem zur Sicherung der landwirtschaftlichen Einkommen beibehalten wird, wird die während der anlieferungsstarken Monate überschüssige Magermilch weiterhin getrocknet werden.
Allerdings kann mit diesem Magermilchpulver der durch das Produktionstief bedingte Mangel an Magermilch ausgeglichen werden. Die Kommission hat deshalb eine Beihilfe eingeführt, die die Verwendung von Magermilchpulver zur Flüssigrückgabe ermöglichen soll. Diese Beihilfe ist jedoch zu niedrig angesetzt, so daß diese Maßnahme derzeit nicht in Anspruch genommen wird.
Die Bundesregierung ist daher seit längerem auf Brüsseler Ebene bemüht, diese Beihilfe dem Niveau der Sätze für die Magermilchrückgabe anzupassen.
Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, wäre es in diesem Zusammenhang für die EG nicht billiger, anzuregen, einige Trockentürme stillzulegen, selbst wenn sie zur Stillegung dieser Trockentürme noch Prämien zahlen müßte?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, es zeichnen sich nun erste Erfolge der Entscheidungen in bezug auf die Marktregulierung bei Milch ab. Ich bin sicher, daß im Gefolge dieser weiteren Entwicklung weitere Entscheidungen auch im Bearbeitungsbereich notwendig werden.
Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, habe ich Sie richtig verstanden, daß die Bundesregierung bereit ist, auf Brüssel einzuwirken, daß durch Beihilfeerhöhungen für flüssige Magermilch für alle Molkereien ein Anreiz entsteht, möglichst viel Magermilch in die Futtertröge zu leiten?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Beides: sowohl, daß Magermilchpulver in flüssiger Form zurückgehen kann, als auch, daß auf der anderen Seite ein stärkerer Fluß von Flüssigmagermilch erfolgen kann.
Weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Eigen.
Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung mit mir einer Meinung, daß man, wenn man Flüssigmagermilch in die Schweinefütterung lenken will, dies kontinuierlich rentabel gestalten muß, weil es der ganzen Maßnahme ungeheuer schadet, wenn die Rentabilität kurzfristig verlassen werden muß?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Das ist richtig. Es ist aber so, daß wir zu gewissen Zeiten eines Jahres stärkere Milchanlieferungen haben und zu anderen Zeiten schwächere, so daß man durchaus zu der Überlegung kommen könnte, daß bei überhöhtem Milchangebot getrocknet werden solle und später Prämien zur Verflüssigung gezahlt werden sollten. Dadurch wäre die Kontinuität gewahrt. Das ist unser Ziel.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Ich rufe die Frage 42 der Frau Abgeordneten Dr. Hickel auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß die Republik Österreich nach Genehmigung der zweiten Instanz des Niederösterreichischen Landtages und nach Beendigung der Wasser- und forstrechtlichen Verfahren durch das dortige Bundesministerium für Landwirtschaft und Forsten im Begriff ist, durch die Genehmigung zum Bau des Donau-Kraftwerks Hainburg, das seit dem 16. April 1983 für die Auwälder östlich von Wien gültige Ramsar-Abkommen zum Schutz von Feuchtgebieten zu brechen?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin Dr. Hickel, der Bundesregierung ist bekannt, daß Planungen für das Donaukraftwerk Hainburg in Osterreich Eingriffe in die dortigen Auwälder vorsehen. Der nähere Verfahrensstand ist der Bundesregierung nicht bekannt.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung als Mitunterzeichner des Ramsar-Abkommens bereit, die wenig einleuchtenden Pro-Kraftwerk-Argumente der Republik Osterreich, denen auch von international bekannten Fachwissenschaftlern widersprochen wird — ich hoffe, das wissen Sie —, mit den übrigen Staaten des Ramsar-Abkommens durch eine internationale Expertenkommission prüfen zu lassen, eventuell auch seitens der UNO unter Hinzuziehung der WHO?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, wenn man über das Ramsar-Übereinkommen spricht, muß man wissen, daß diese Probleme, von denen Sie sprechen, in Art. 4 Abs. 1 und 2 und Art. 2 Abs. 5 und 6 abgehandelt werden. Die für die Kündigung des Übereinkommens relevanten Bestimmungen sind in Art. 11 enthalten. Sie sind jedoch hier nicht von Belang.
Nun muß man aber sehen, daß das Ramsar-Abkommen juristisch ein sehr weiches Abkommen ist, das den Vertragsparteien keine bindenden Verpflichtungen insbesondere zum Schutz bestimmter
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Parl. Staatssekretär Gallus
Feuchtgebiete auferlegt, sondern sie mehr zu einem allgemeinen Wohlverhalten animiert.
Ich rufe die Frage 43 der Frau Abgeordneten Dr. Hickel auf:
Ist die Bundesregierung als Mitunterzeichnerin des Ramsar-Abkommens bereit, gegenüber der Republik Österreich auf der durch die Ratifizierung eingegangenen Verpflichtung zum Schutz dieser in Mitteleuropa einzigartigen Auwälder zu bestehen, und wird sie notfalls die Einhaltung der durch das Vertragswerk vorgeschriebenen Kündigungsfrist für dieses Gebiet verlangen?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, das „Übereinkommen über Feuchtgebiete, insbesondere als Lebensraum für Wasser- und Watvögel, von internationaler Bedeutung" , verpflichtet die Vertragsparteien lediglich in allgemeiner Form, die Erhaltung von Feuchtgebieten dadurch zu fördern, daß Feuchtgebiete zu Schutzgebieten erklärt werden und in angemessenem Umfang für ihre Aufsicht gesorgt wird (vgl. Art. 4). Das Übereinkommen läßt es aber ausdrücklich zu, daß sogar ein für die „Liste international bedeutsamer Feuchtgebiete" benanntes Gebiet von einer Vertragspartei wegen dringender nationaler Interessen aufgehoben wird (Art. 2 Abs. 5 des Abkommens).
Die Vertreter der Republik Östereich sind sowohl auf der 4. Umweltministerkonferenz des Europarates in Athen im April 1984 als auch auf der zweiten Vertragsstaatenkonferenz des Ramsar-Abkommens in Groningen im Mai 1984 auf die mit dem geplanten Bau des Donaukraftwerkes verbundenen Probleme hingewiesen worden. Die Fragen sind von unserer Seite insgesamt bei dieser Tagung mit Österreich erörtert worden.
Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, in Riedl bei Passau soll jetzt ein Pumpspeicherwerk gebaut werden, für das der Strom aus Österreich bezogen werden soll, wo er unter anderem im Donaukraftwerk Hainburg erzeugt werden soll. Hier wie dort werden Landschaftszerstörungen mit unberechenbaren Auswirkungen eintreten, obwohl beide Länder heute bereits genügend Strom erzeugen. Muß sich die Bundesregierung nicht auch Ihrer Ansicht nach sowohl gegen Hainburg als auch das Pumpspeicherwerk in Riedl wenden?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, was die Situation in Österreich betrifft, habe ich Ihnen gesagt, in welcher Position wir sind. Es bleibt der österreichischen Regierung überlassen, zu entscheiden, auf welche Art und Weise dort Energie erzeugt werden soll. Andernfalls müßten sie Atomkraftwerke oder andere bauen. In irgendeiner Form werden sie das machen müssen.
Was das Pumpspeicherwerk auf deutscher Seite anbetrifft, so liegt das im Bereich des Landes Bayern. Und hier gilt das Bundesnaturschutzgesetz, das die Länder zu vollziehen haben.
Weitere Zusatzfrage, Herr Dr. Jannsen.
Herr Staatssekretär, können Sie mir erläutern, welcher Art die dringenden nationalen Interessen sein müssen, die dem Abkommen entgegenstehen können?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, das Abkommen ist ein Vertrag an sich, der nach seinen Artikeln ausgelegt wird. Die Länder, die es unterzeichnet haben, haben sich daran zu halten. Konkrete, harte Paragraphen, die Sie vermuten, sind in diesem Übereinkommen nicht enthalten. Es kommt vielmehr darauf an, wie das einzelne Land dieses Abkommen vollzieht.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Ich rufe die Frage 44 des Herrn Abgeordneten Eigen auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß schon jetzt Getreidekontrakte für August 1985 mit sehr niedrigen Preisen getätigt werden, und was gedenkt die Bundesregierung zu tun, um die Getreidemarktordnung der Europäischen Gemeinschaft funktionsfähig zu erhalten?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Eigen, es trifft zu, daß Getreide aus anderen Mitgliedstaaten zur Lieferung in den ersten Monaten des kommenden Wirtschaftsjahres zu Preisen angeboten worden ist, die unter denen des laufenden Wirtschaftsjahres liegen. Es sollen auch einige Mengen gekauft worden sein. Für die tatsächliche Preisbildung im kommenden Wirtschaftsjahr wird die Festsetzung der Marktordnungspreise durch den Ministerrat ausschlaggebend sein.
Bei den Überschüssen an Getreide in der Gemeinschaft kann die Getreidemarktordnung in erster Linie nur dadurch funktionsfähig gehalten werden, daß die Überschüsse in Drittländer ausgeführt werden. Soweit ein sofortiger Absatz am Weltmarkt nicht möglich ist, muß das Getreide gelagert werden. Für die zeitweilige Lagerung ist unter anderem die Intervention vorgesehen. Die Bundesregierung setzt sich dafür ein, daß die Instrumente der Ausfuhrerstattung und der Intervention beibehalten werden.
Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, stimmen Gerüchte, wonach vom Europäischen Gerichtshof in Luxemburg eine einstweilige Verfügung erlassen worden ist, daß die Beschlüsse der Kommission vom 17. September ungültig sind, d. h. daß die Bundesregierung mit ihrer Klage Erfolg hat, daß damit die Getreidemarktordnung abgesichert ist und von der Kommission in Zukunft nicht willkürlich verändert werden kann?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, wenn es so wäre, würde es mich freuen. Aber ich kann Ihnen konkret weder j a noch nein sagen. Vielleicht
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Parl. Staatssekretär Gallus
haben Sie eine Vorabmeldung. Ich kann sie jedenfalls noch nicht bestätigen.
Weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, wie kann es angehen, daß, wenn die Getreidemarktordnung richtig gefahren wird, in Ländern der EG, die keinen Abbau des positiven Währungsausgleichs gehabt haben, die Preise für Getreide, sowohl Weizen wie auch Gerste, mehr gesunken sind als in der Bundesrepublik Deutschland? Wo liegen die Ursachen, daß nicht zum richtigen Preis interveniert worden ist?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Das kann ich im einzelnen nicht sagen. Es ist niemand gezwungen, sein Getreide für die Intervention anzumelden oder in die Intervention zu geben. Wenn es z. B. die Franzosen für richtig halten, im Rahmen der EG, des Gemeinsamen Marktes, im freien Handel Getreide auch unter dem Interventionspreis anzubieten, so ist das ihre Angelegenheit. Dagegen kann niemand etwas unternehmen. Es gibt keinen Zwang, zum Interventionspreis zu verkaufen.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Jannsen.
Herr Staatssekretär, kann die Bundesregierung ausschließen, daß uns im Bereich des Getreidemarktes etwas Ähnliches blühen wird wie auf dem vorhin behandelten Milchmarkt?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich kann bei der Entwicklung der EG überhaupt nichts ausschließen. Tatsache ist, daß wir erst am Beginn der Bereinigung der Märkte in Richtung Angebot und Nachfrage stehen. Wir wissen, daß neben dem Milchproblem das Getreideproblem das nächstgroße Problem in Europa darstellt.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Ich rufe die Frage 45 des Herrn Abgeordneten Eigen auf:
Sieht die Bundesregierung eine Möglichkeit, die für die Weihnachtsbutteraktion vorgesehene Menge zu erhöhen, da die Butter offensichtlich vom Verbraucher sehr gerne gekauft wird?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, die Bundesregierung sieht zur Zeit wegen fehlender EG-Haushaltsmittel keine Möglichkeit für eine Ausweitung der laufenden Weihnachtsbutteraktion. Im übrigen ist die Bundesregierung stets dafür eingetreten, in einem begrenzten Zeitraum eine angemessene Menge Butter den Verbrauchern in der EG verbilligt zur Verfügung zu stellen. Eine Erhöhung der EG-weit verbilligt angebotenen Menge von 200 000 Tonnen Butter aus Interventionsbeständen, davon 50 000 Tonnen für die Verbraucher in der Bundesrepublik Deutschland, hält die Bundesregierung auch nicht für sinnvoll, da dies zu einer stärkeren Verdrängung von frischer Markenbutter führen würde. Bei Verbilligung einer noch größeren Menge über einen längeren Zeitraum würden sich die Kosten für den Mehrabsatz daher überproportional erhöhen.
Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, wäre es nicht doch möglich, nachdem die Weihnachtsbutteraktion so gut angelaufen ist, wie wir alle wissen — daß die Bundesregierung dies in Brüssel durchgesetzt hat, wird j a von der ganzen Bevölkerung als eine hervorragende politische Leistung gewertet —, daß man möglicherweise einen Teil der Butter, die über eine französische kommunistische Exportgesellschaft nach Rußland verkauft wird, zusätzlich dem europäischen Verbraucher verbilligt zur Verfügung stellt?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, möglich ist alles, wenn jemand bereit ist, diese Möglichkeit zu finanzieren. Tatsache ist, daß ein Kilogramm, so verbilligt wie die Weihnachtsbutter, wesentlich teurer wird, als wenn Butter in Drittländer exportiert wird, gleichgültig wohin.
Weitere Zusatzfrage.
Wäre es nicht doch, Herr Staatssekretär, ein guter Effekt, wenn der Verbraucher durch eine weitere Buttermenge zu spüren bekommt, daß auch er einmal den Nutzen hat, nachdem er über Steuergelder die Läger der Europäischen Gemeinschaft finanziert hat?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, dies alles ist eine Frage der finanziellen Relationen. Wir wissen, wie schwer sich die EG tut, die Restfinanzierung dieses Jahres überhaupt zu vollziehen. Wir haben alle Möglichkeiten untersucht, ob hier weiterer Spielraum drin ist. Er ist leider nicht gegeben. Sonst würden wir das alles liebend gerne tun.
Weitere Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Weyel.
Herr Staatssekretär, sind Sie inzwischen in der Lage, genaue Angaben über die Kosten der jetzigen Maßnahme zu machen, die von Herrn Eigen angesprochene Maßnahme zu quantifizieren, und sehen Sie nicht einen besonderen Effekt darin, wenn man alle Überschüsse der EG kostenlos an die Verbraucher abgeben würde?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, hier gilt das gleiche, was ich bereits gesagt habe: Der Effekt ist ausgezeichnet. Die Bundesrepublik Deutschland war im Konzert der EG-Staaten derjenige, der darauf gedrängt hat, daß überhaupt Weihnachtsbutter in diesem Jahr ausgeliefert wird. Im letzten Jahr haben wir ja überhaupt keinen Erfolg gehabt. Da waren alle gegen uns. Dieses Jahr haben wir nun die 200 000 Tonnen EG-weit erreicht. Es wäre schön, wenn noch mehr zu erreichen wäre. Ich kann im Augenblick nicht sagen, welchen Effekt wir damit haben, d. h. einen Effekt dahin gehend, wieviel an zusätzlichem Butterverbrauch wir durch diese Billigbutter überhaupt haben oder ob umgekehrt auf der anderen Seite unsere Läger dadurch
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Parl. Staatssekretär Gallus
praktisch nicht gleich groß geblieben sind und damit die Verbilligung eben nicht den Effekt hätte, den wir ihr wünschen, denn der Effekt ist nur gegeben, wenn wir einen entsprechenden Mehrverbrauch haben.
Keine weiteren Zusatzfragen. Wir sind am Ende der Fragestunde.
Ich rufe den Zusatzpunkt 1 der Tagesordnung auf:
Aktuelle Stunde
Exporterfolge der deutschen Wirtschaft
Meine Damen und Herren, die Fraktion der CDU/ CSU hat gemäß Nr. 1 c der Anlage 5 unserer Geschäftsordnung eine Aktuelle Stunde zu dem Thema „Exporterfolge der deutschen Wirtschaft" verlangt.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Wissmann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat diese Aktuelle Stunde beantragt,
weil die Entwicklung des Exports ein Thema ist, das Millionen Menschen, vor allem auch Millionen Arbeitnehmer, betrifft. Denn über ein Drittel der Arbeitsplätze in der Bundesrepublik Deutschland ist von der Entwicklung des Außenhandels abhängig.
Der Exportüberschuß der deutschen Wirtschaft betrug im November dieses Jahres 8,8 Milliarden DM. Dies ist das Rekordergebnis in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland überhaupt. Für das ganze Jahr 1984 können wir mit einem Handelsbilanzüberschuß von mehr als 42 Milliarden DM rechnen, wie das Hamburger Institut für Weltwirtschaft schätzt.
Damit wird das Vorjahresergebnis deutlich übertroffen.
Um Ihnen nur eine Vergleichszahl zu sagen: Im ganzen Jahr 1980 waren es nicht einmal 9 Milliarden DM Überschuß, den die deutsche Volkswirtschaft erwirtschaftete. Im ganzen Jahr 1980 also genauso viel wie jetzt allein im November. Ich meine, wir müssen auch auf diese positiven Erfolge, die mit auf die Wirtschafts- und Finanzpolitik dieser Regierung und die hervorragende Leistung der Unternehmen und der in ihnen tätigen Arbeitnehmer zurückzuführen sind, hinweisen, damit deutlich wird, welche Perspektiven wir haben.
— Lieber Herr Kollege Stratmann, Ihr Zwischenruf
erinnert mich an einen Artikel, der in der letzten oder vorletzten Woche in der britischen Zeitung „The Economist" erschienen ist unter der Überschrift: „Warum sind eigentlich die Deutschen so mürrisch und so pessimistisch?", und mit der Aussage, für diese Miesmacherei — so die britische Zeitung — gebe es überhaupt keine realen Gründe. Deswegen meine ich, wir sollten auch darauf einmal hinweisen.
Meine Damen und Herren, wir sind heute weltweit der zweitgrößte Handelspartner nach den USA, und wir sind der weltgrößte Exporteur industrieller Produkte. Das sichert ganz konkret den Wohlstand von Millionen Menschen und hilft,
die Hoffnungen für die wirtschaftliche Entwicklung auch des kommenden Jahres zu verstärken, wie vor wenigen Wochen das Sachverständigengutachten ausgewiesen hat.
Dieser Erfolg der deutschen Wirtschaft ist nicht zufällig, er ist zuallererst die Folge der Exportbemühungen der deutschen Unternehmen, des hohen Qualitätsstandards, der Lieferpünktlichkeit und des ausgezeichneten Service. Er ist natürlich auch
ein Ergebnis der Tatsache, daß es uns gelungen ist, bei vielen Problemen die Grundlagen des freien Welthandels zu erhalten. Er ist ein Hinweis darauf, daß gerade wir als ein so vom Export abhängiges Land alle Anstrengungen unternehmen müssen — ich sage das auch im Blick auf die Diskussion über Röhren und Röhrenembargo —, die Bedingungen des freien Welthandels nach allen Seiten hin zu erhalten und auszubauen und auch
den europäischen Binnenmarkt zu vervollständigen, weil wir doch wissen müssen, daß wir wie kein anderes Land vom Export abhängig sind.
— Herr Kollege Roth, ich kann nur sagen:
Wenn die SPD die Bedingungen für den Erfolg des Exports begreift — d. h. freier Welthandel, internationale soziale Marktwirtschaft —, haben wir alle aus dieser Diskussion einen gemeinsamen Nutzen gehabt.
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Wissmann
Es gilt, diesen Erfolg zu sichern. Es gilt deswegen, dafür zu sorgen, daß wir die solide Finanzpolitik fortsetzen,
die diese Regierung betreibt — einer der Gründe für die niedrigen Zinsen, einer der Gründe für den größten Zinsabstand zu den USA, den wir seit langem haben.
Es gilt, daß wir weiterfahren bei der Senkung der Staatsquote und damit der Erreichung flexiblerer Strukturen in unserer Wirtschaft und damit der Stärkung der Angebotsbedingungen der deutschen Volkswirtschaft. Es gilt, alles zu tun für die technische Erneuerung unserer Volkswirtschaft, weil ein hoher technologischer Standard die Bedingung unseres Erfolgs als ein Hochlohnland auf dem Weltmarkt ist. Es gilt, alles dafür zu tun, daß wir den freien Welthandel erhalten und den europäischen Binnenmarkt vervollständigen.
Meine Damen und Herren, wir haben Grund, diese positive Entwicklung zu würdigen und den Kurs, den wir eingeschlagen haben, fortzusetzen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Roth.
Ich bitte bei den Aktuellen Stunden, wo jeder Redner nur fünf Minuten Zeit hat, den Redner möglichst ungestört, ohne allzu kräftige Zwischenrufe, reden zu lassen.
Herr Präsident, Sie haben natürlich wie immer recht.
Allerdings muß ich eines sagen: Ich habe überhaupt nicht begriffen, warum das eine Aktuelle Stunde ist.
Da steigt der Jungstaatsmann Wissmann hier hoch und erzählt uns, daß die Exporte im letzten Jahr gestiegen sind. Was ist daran aktuell, meine Damen und Herren?
Meine Damen und Herren, Sie wollten von der Tatsache ablenken, daß am Ende des Jahres 1984 genauso viele Menschen in diesem Lande arbeitslos sind wie am Anfang des Jahres 1984.
Sie wollten davon ablenken, daß im Jahre 1984 die Masseneinkommen nicht gestiegen sind. Der Arbeitnehmer hat am Ende des Jahres 1984, in dem Sie sich selbst beweihräuchern, nicht mehr und
nicht weniger als am Anfang des Jahres. Das ist doch die Wahrheit!
Meine Damen und Herren, der Exporterfolg ist einerseits Ergebnis der amerikanischen Wachstumspolitik, mit der eine horrende Staatsverschuldung einhergeht, und ist andererseits Ergebnis der Abwertung der D-Mark. Das ist die Wahrheit!
Darüber haben Sie kein Wort gesagt. Ich kann mich nicht daran erinnern, daß sich ein Vertreter einer Regierungskoalition gerühmt hätte, weil die Währung seines Landes verfallen ist oder abgewertet wurde. Daran kann ich mich nicht erinnern!
Im November 1980 hat der Herr Bundeskanzler Kohl, damals noch in seiner Funktion als Oppositionsführer, in einer Aussprache zur Regierungserklärung von Helmut Schmidt folgendes gesagt — ich zitiere wörtlich —:
Die fallende Notierung der D-Mark an den internationalen Devisenbörsen signalisiert kein Vertrauen zu unserer Wirtschaftspolitik.
Damals war die D-Mark gegenüber ihrem absoluten Höchststand von 1,70 im Verhältnis zum Dollar auf 1,85 zurückgefallen. Dazu Kohl: kein Vertrauen zur Wirtschaftspolitik. Seit Amtsantritt von Herrn Kohl ist die D-Mark gegenüber dem Dollar sage und schreibe um 24 % zurückgefallen, und dessen rühmt sich Herr Wissmann an diesem Rednerpult. Das ist eine eigenartige Einstellung zur eigenen Währung.
Wenn nämlich der Wechselkurs ein Vertrauensbarometer ist, sollten Sie diese Debatte sofort abschließen und den Plenarsaal verlassen. Das entspräche Ihrer eigenen Argumentation von 1980.
Sie wissen ganz genau, daß der Wert der D-Mark seit Amtsantritt Ihrer Regierung verfallen ist, und das war die Ursache des Exportbooms.
Meine Damen und Herren, zur Sache selbst, nämlich zu diesem Exportboom, ist doch folgendes zu sagen: Das ist eine ganz gefährliche Droge. Dieser Exportboom ist aus einer Abwertung der D-Mark und aus der Überschuldung der amerikanischen Volkswirtschaft — sowohl nach innen, was den
8226 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 110. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Dezember 1984
Roth
Staatshaushalt betrifft, wie auch nach außen — genährt.
Im dritten Quartal 1984 ist die amerikanische Konjunktur schon zurückgegangen. Ein aktuelles Thema wäre jetzt die Frage: Was machen wir, wenn der amerikanische Expansionsprozeß beendet wird, und was machten wir, wenn die D-Mark zum Dollar wieder ein reales Verhältnis hätte, beispielsweise 2,40?
Das wäre eine aktuelle Frage, und eine Antwort wäre Zukunftsvorsorge für das Jahr 1985. Aber dazu kein Wort,
statt dessen Selbstbeweihräucherung ohne Zukunftsperspektive, das machen diese Regierung und ihre Koalition.
Es ist traurig, daß ein junger Mann wie Herr Wissmann, gerade mal eben aus dem Junge-UnionsAlter herausgewachsen,
eine derartige Propagandarede hält, statt sich mit den Außenwirtschaftsproblemen, z. B. mit dem Röhrenembargo, wirklich auseinanderzusetzen. Das ist traurig, Herr Wissmann, und es tut mir um Sie wirklich leid.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Graf Lambsdorff.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Verehrter Herr Kollege Roth, so lange her ist es ja mit Ihrer JusoVergangenheit auch noch nicht, daß Sie sich mit Herrn Wissmann auf diese Weise unterhalten könnten.
Zum anderen fragen Sie: Warum eine Aktuelle Stunde zu diesem Thema? Die Antwort: Weil Sie gerade eben verhindert haben, daß hier eine Aktuelle Stunde zum Thema „Röhrenimport" durchgeführt wurde, und zwar verhindert, indem Ihre Kollegen alle Fragen zu diesem Thema, daß die Arbeitnehmer in Nordrhein-Westfalen und anderswo bewegt, aus unerklärlichen Gründen zurückgezogen haben.
Ich kann nur sagen: Das, was Herr Wissmann hier vorgetragen hat, kann von meiner Fraktion von hinten bis vorne bestätigt und unterstrichen werden, allerdings, Herr Kollege Wissmann, mit einer bescheidenen Anmerkung: Ich denke, daß der Handelsbilanzüberschuß am Ende dieses Jahres näher bei 50 Milliarden als bei Ihren 42 Milliarden liegen wird, aber das macht die Sache eher noch besser.
Herr Roth, obwohl ich zugebe, daß die Veränderung der Wechselkurse uns natürlich geholfen hat, muß ich Ihnen doch sagen, daß es eine Fehldarstellung ist, hier von einer Abwertung der Deutschen Mark zu sprechen.
Es handelt sich um eine massive Aufwertung des Dollars gegenüber der Deutschen Mark
und kaum feststellbaren Veränderungen in den Austauschverhältnissen der Deutschen Mark zu allen anderen Währungen unserer westlichen Konkurrentenländer. Das ist der entscheidende Punkt.
Ich bin dafür, daß wir uns nicht dauerhaft auf solche Wechselkurse verlassen. Wir haben schon einmal strukturelle Probleme erzeugt und haben strukturelle Probleme in den 60er Jahren bekommen, weil sich die Wirtschaft darauf verlassen hat.
Ein paar nachdenkliche Fragen vor dieser guten Export-Bilanz darf man ja stellen. Zunächst einmal die Frage: Ist die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft noch gegeben? Die Zahlen weisen das aus. Wir sind technologisch auf der ganzen Breite unserer Produkte wettbewerbsfähig, wir sind auch im Hochtechnologiebereich wettbewerbsfähig, „Made in Germany" gilt nach wie vor.
Die zweite Frage lautet: Sind die Finanzierungsbedingungen wettbewerbsfähig? Sie sind deutlich wettbewerbsfähiger, als das noch vor zwei, drei Jahren der Fall gewesen ist, und zwar als Ergebnis einer Stabilitätspolitik, die unsere Preissteigerungsrate auf 2 % heruntergebracht und die uns den Zinsabstand zu den Vereinigten Staaten schadlos erlaubt hat.
Wir haben, meine Damen und Herren, gerade im Export für 1985 gute Aussichten. Wir dürfen allerdings nicht übersehen, daß eine gute konjunkturelle Entwicklung dazu führen kann, daß wir die strukturellen Verwerfungen links liegenlassen und uns nicht mehr um sie kümmern.
Dies wäre fehlerhaft, dafür zahlen wir später deutlich.
Wir brauchen offene Märkte. Die Vorgänge in den Vereinigten Staaten sind höchst unerfreulich. Wir fordern die Bundesregierung auf, mit allem Nachdruck dafür einzutreten, daß im GATT und mit den Mitteln des GATT diese Probleme der Stahlröhrenimportbeschränkung geheilt werden. Wir meinen auch, daß Kompensation notwendig ist. Das
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 110. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Dezember 1984 8227
Dr. Graf Lambsdorff
dürfte nicht die Fettsteuer sein, die wird man nämlich niemals wieder los,
sondern das kann eine mengenmäßige Beschränkung in einzelnen Bereichen sein.
Meine Damen und Herren, noch ein Wort. Daß die GRÜNEN Export für ungrün halten, ist bekannt, und daß er sie deswegen nicht interessiert, ist auch bekannt. Wie wir nach Ihrer Philosophie dann den Import bezahlen sollen, möchte ich gerne wissen.
Es geht jedenfalls nicht nach dem Motto — offensichtlich richten Sie sich da nach Tucholsky —: Deutsche kauft deutsche Zitronen!
Zum Schluß ein Wort des Dankes in der letzten Sitzung vor Weihnachten an alle Auslandsmonteure, Auslandsingenieure, Montagestellenarbeiter, die draußen in der Wüste, im Dschungel in Brasilien und anderswo sitzen und diese Exporterfolge sicherstellen. Das sollten wir hier auch einmal sagen.
Aber ich füge hinzu: Diejenigen, denen Sie jetzt Beifall gezollt haben, gehören zu den sogenannten Bessserverdienenden, denen Sie morgen schon wieder ans Leder wollen.
Vielen Dank.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Burgmann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Was mir von dem Beitrag des Kollegen Wissmann am eindringlichsten in Erinnerung ist, war der Ausdruck „Wir sind wieder die Größten!".
Das ist wohl das Herausragendste einer Debatte, in der es an sich um ein sehr ernstes Thema geht. Dabei muß man sich allerdings fragen, ob es die Regierungsparteien wirklich so nötig haben, diese Aktuelle Stunde nun zu gebrauchen oder zu mißbrauchen,
um ihre angeblichen Erfolge auf diesem Gebiet hochzujubeln. In der Werbung sagt man im allgemeinen: Wenn eine Firma so massiv die Werbetrommel rührt, dann hat sie das auch nötig.
Ich befürchte, daß das hier zutrifft. Vielleicht liegt die Aktualität dieser Stunde im Augenblick auch darin und wurde deshalb von der Regierungspartei beantragt, daß sie Angst hat, daß diese extremen Exporterfolge unter Umständen sehr schnell abknicken könnten und das dann tatsächlich kein aktuelles Thema mehr ist.
Nun, wenn es um die Erfolge der Regierungspolitik geht, dann ist auf jeden Fall zu sagen, daß der Exporterfolg, der erzielt worden ist, auf keinen Fall ein Erfolg der Regierungspolitik ist, sondern, wie ja unumstritten ist, in erster Linie auf den Dollarkurs zurückzuführen ist.
Es ist hier schon dargestellt worden, welche Probleme damit verbunden sind, wenn sich die USA wohl gezwungenermaßen an die Haushaltskonsolidierung machen und sie darüber hinaus die wirtschaftliche Entwicklung in den USA auch nicht auf dieser Höhe halten können.
Da steht aktuell tatsächlich die Frage an: Was geschieht dann mit dem deutschen Export? Welche Konsequenzen ergeben sich dann gerade auch für die Arbeitsplätze, die davon abhängig sind?
Wichtiger aber ist mir noch eine andere Frage, nämlich daß diese Exportpolitik und diese Exportoffensive, die von der Regierung gefahren wird, in ganz erheblichem Maße wohl auch auf Kosten der Entwicklungshilfe geht, die zunehmend als Exportförderung mißbraucht wird
mit der Konsequenz, daß immer mehr Großprojekte durchgeführt werden, statt Hilfe zur Selbsthilfe zu leisten, deren Notwendigkeit auch die Regierung in ihren Worten immer wieder betont. Ich kann da ein paar Beispiele anführen; wir haben dazu eine ganze Dokumentation verfaßt. In Indonesien wurde beispielsweise ein Wasserversorgungs- und Kleinbauernprojekt auf Sumatra aufgegeben, um dafür Telex- und Hochspannungsstraßen auf Java einzurichten. In Pakistan wurde ein Aufforstungsvorhaben aufgegeben zugunsten der Lieferung von Lokomotiven und Gasturbinen. Und in einer solchen Zusammenstellung darf auch der Rüstungsexport nicht fehlen, der dazu mißbraucht wird, gerade der Rüstungsexport in die Dritte Welt, hohe Exportergebnisse zu erzielen.
Was in diesem Zusammenhang aber auch zu erwähnen ist, ist die Tatsache, daß diese Exportpolitik, diese Exportoffensive erkauft wird auf Kosten der sozialen Strukturen in diesem Lande. Da haben mich gerade die Äußerungen von Herrn Wissmann wieder fürchten lassen, daß die Exporterfolge wohl Anlaß sein sollen, für weiteren Sozialabbau in diesem Lande zu plädieren und den Lohndruck auch in der Bundesrepublik zu verstärken.
Der Export wird also teilweise durch die sogenannte neue Armut erkauft.
8228 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 110. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Dezember 1984
Burgmann
Ein wichtiger Punkt bei dieser Exportoffensive ist, daß sie teilweise auf Kosten der Umwelt erkauft wird. Wir haben das ganz konkret in der Diskussion über das Tempolimit gehört: Es durfte nicht eingeführt werden, um den Export deutscher Autos nicht zu gefährden. Wir haben das gehört in der Diskussion über den Abgaskatalysator, der nicht kommen kann, weil sonst unser Export gefährdet wird. Der Exporterfolg wird also zum ganz erheblichen Teil erkauft auf Kosten der Lebensgrundlagen in diesem Lande, was sich konkret im Waldsterben niederschlägt.
Die Exportoffensive, die wir zur Zeit erleben, ist also letzten Endes ein Ausfluß der Wachstumszwänge in diesem Lande bei stagnierendem Inlandsmarkt. Bei stagnierendem Inlandsmarkt — und das ist das entscheidende — muß man versuchen, einen Ausgleich im Export zu schaffen. Es ist zu erwähnen, daß das gleiche Jahr, in dem dieser Exporterfolg zu verzeichnen ist, ein Rekordjahr der Konkurse ist. Dieser Export ist also mehr oder weniger notwendig, weil die Binnenstrukturen immer mehr zurückgehen.
Der Exporterfolg verstärkt auf der anderen Seite die Abhängigkeit von internationalen Entwicklungen. Herr Warnke sprach heute von einem Hochseilakt, den wir derzeit vollführen. Das schränkt unseren innenpolitischen Handlungsspielraum ganz erheblich ein.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Kittelmann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Burgmann, Ihre wirtschaftlichen Vorstellungen befinden sich bereits heute auf den Mülldeponien der Geschichte. Und wenn Sie es jetzt wirklich wagen, hier herzugehen nach einem so chaotischen Parteitag wie dem in Hamburg, ohne sich erst mal bei uns für das zu entschuldigen, was Sie dort der Öffentlichkeit angetan haben, so zeigt das, daß Sie im Prinzip so weitermachen wie bisher. Wir nehmen das in Kauf, ohne es im großen und ganzen zur Kenntnis zu nehmen.
Herr Roth, ich gebe zu, für eine Opposition ist es schwer zu verstehen, aber auch positive Ereignisse sind Anlaß zur Freude. Und Freude kann man auch durch eine Aktuelle Stunde vermitteln, und das wollen wir heute tun.
Nach dem, was Herr Roth gesagt hat, hoffe ich, Herr Mitzscherling, daß Sie die Gelegenheit nutzen, mal in einer Privatstunde — Ihre fünf Minuten hinterher werden nicht ausreichen, weil Sie da Pflichtübungen machen müssen — Herrn Roth zu erklären, wie das Verhältnis des amerikanischen Dollars zum Exportboom ist. Und ich bitte auch endlich mal zur Kenntnis zu nehmen, daß unser Export nur zu etwa 10 % in die USA geht und zu über 70 % in die europäischen Länder. Selbst wenn es so sein sollte, daß der Exportboom in die USA abflacht, so bleibt ein breites Spektrum, und davon hat Herr Roth überhaupt nicht gesprochen.
Ich hoffe, er weiß es. Im übrigen hat er hier seine Minuten verschenkt, um persönliche Angriffe starten zu können. Er hätte seine Zeit lieber der Sache widmen sollen.
Meine Damen und Herren, vier wirtschaftspolitische Ziele hatten wir angepeilt: Preisniveaustabilität, Wirtschaftswachstum, Vollbeschäftigung,
außenwirtschaftliches Gleichgewicht. Wer noch vor zwei Jahren gewagt hätte, zu sagen, daß wir drei dieser Ziele heute im wesentlichen erreicht haben bzw. auf dem besten Wege dazu sind,
wäre ausgelacht worden. Ihre Aufgabe als Opposition kann es doch nicht sein, nur schwarzzumalen,
sondern Sie müssen, wenn Sie ernstgenommen werden wollen, Ihren Wählern doch auch klarmachen, daß hier Erfolge erzielt worden sind. Wir — die Bundesregierung, die CDU/CSU-Fraktion und die FDP-Fraktion — bemühen uns gemeinsam, Wirtschaftspolitik durch flankierende Maßnahmen zu verwirklichen. Derjenige, der die Erfolge verwirklicht hat, ist unsere Wirtschaft, die wieder Mut und Vertrauen gefaßt hat, die wieder beginnt, zu investieren. Nur so ist auch der Exportboom zu erklären. Wer auf das dünne Eis geht, daß unsere Erfolge ausschließlich auf die Schwäche des amerikanischen Dollar zurückzuführen sind, kennt weder Statistik noch reale Zahlen. Er zeigt, daß er sich bewußt dumm hält,
um weiter schimpfen zu können.
Meine Damen und Herren, die Bundesregierung kann zu Recht davon ausgehen — die CDU/CSU weiß, daß sie in dieser Frage richtig liegt —, daß sich die Auslandsnachfrage auch 1985 fortsetzen wird. Eine Konjunkturumfrage in 50 Ländern hat bewiesen, daß man überall dabei ist, konjunkturell
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Kittelmann
Fuß zu fassen. Auch in den Entwicklungsländern ist man optimistischer.
Wir befinden uns also auf dem richtigen Wege. Die SPD muß endlich aufhören, ihre Rolle nur darin zu sehen, positive Ereignisse falsch zu erklären und negative heraufzubeschwören.
Meine Damen und Herren von den Sozialdemokraten, nehmen Sie endlich zur Kenntnis — das, was im vorweihnachtlichen Geschäftsleben geschieht, muß Sie davon überzeugen können —: Kassandra ist in dieser Republik nicht mehr gefragt! Sie aber leben davon.
Abschließend möchte ich die Bundesregierung dringend auffordern, ihre Politik der Forderung nach einer neuen GATT-Runde forciert fortzuführen. Gerade die Zeit eines konjunkturellen Aufschwungs ist die beste Gelegenheit, Protektionismus und Dirigismus zu bekämpfen. Wir begrüßen auch die Reaktion der Bundesregierung auf den GATT-Verstoß der USA, die Reaktion, daß man nicht dramatisiert, sondern den Verstoß durch Verhandlungen verbessern will. Das ist viel besser als antiamerikanische Töne von seiten der Opposition, wie sie in letzter Zeit zu hören waren.
Wir sind sicher, meine Damen und Herren, daß der Weg einer neuen GATT-Runde — mit all den Problemen, die damit verbunden sind — sowohl den Entwicklungsländern, also der Dritten Welt, zugute kommen wird als auch die Beziehungen der EG zu den USA und zu Japan verbessern wird. Wir ermuntern die Bundesregierung, auf diesem Wege fortzugehen.
Wir hoffen, daß diese Aktuelle Stunde für uns Anlaß ist — über die Freude hinaus, die wir über das Wiederfußfassen unserer Wirtschaft im Export empfinden —, uns dessen bewußt zu sein, daß wir diese Erfolge immer wieder neu erkämpfen müssen. Wir werden dabei zwar keine Schonzeit haben, aber wir haben den Optimismus, der die psychologische Voraussetzung ist, um diese Erfolge auch in der Zukunft zu erzielen.
Schönen Dank.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Mitzscherling.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Um es klar zu sagen: Die Steigerung der Exporte ist zu begrüßen:
Sie gleichen fehlende Binnennachfrage aus, bringen Wirtschaftswachstum und sichern die Beschäftigung.
Aber es wäre falsch, es wäre einseitig, kurzsichtig und gefährlich, wenn man, wie offenbar Herr Kittelmann, glaubt, daß Ihre Wirtschaftspolitik diesen Erfolg bewirkt hätte
und uns in eine sichere Zukunft führen würde.
Erstens. Warum falsch? Die günstige Entwicklung der Außenwirtschaft ist nicht Ihr Erfolg. Sie ist eine Gemeinschaftsleistung von Unternehmen und Arbeitnehmern.
Ihre immer vorgebrachte Behauptung, die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie leide unter zu hohen Löhnen, ist unzutreffend. Die Lohnstückkosten sind 1984 gegenüber dem Vorjahr um 0,5% gesunken. Danken Sie also dem deutschen Arbeitnehmer!
Warum einseitig? Die Marktstellung im internationalen Handel wird weit stärker als von den Lohnstückkosten von Wechselkursveränderungen beeinflußt. Mit dem rapiden Verfall des Wertes der D-Mark gegenüber dem Dollar um mehr als ein Viertel in zwei Jahren konnten sich Konsumenten und Produzenten im Dollarraum mit immer billiger werdenden Produkten eindecken. Mehr als die Hälfte unseres Exportzuwachses, Herr Kittelmann, ist auf eine schwache D-Mark zurückzuführen.
Drittens: Warum kurzsichtig? Die Exporterfolge in den Dollarraum wären nicht möglich gewesen ohne den starken Wirtschaftsaufschwung in den Vereinigten Staaten, durch den aber — das ist schon gesagt worden — ein gewaltiges Haushaltsdefizit in Gang gesetzt wurde. Die damit zusammenhängende Explosion der Zinsen und die dadurch induzierte Stärkung des Dollars haben es dank der Stellung der Vereinigten Staaten auf den internationalen Kapitalmärkten den Amerikanern ermöglicht, ihr Haushaltsdefizit mit Kapitalimporten zu finanzieren. Dies hat zu einer weiteren Stärkung des Dollars geführt.
Dies alles muß. man nüchtern sehen. Das geht zu Lasten der schwach entwickelten Länder. Es erschwert die Lösung der internationalen Schuldenkrise und dämpft den konjunkturellen Erholungsprozeß in den Industrieländern.
Ohne die überhöhten Zinsen in den Vereinigten Staaten gäbe es auch niedrigere Zinsen bei uns. Es würde wieder mehr in Sachkapital investiert, und auch unsere wirtschaftliche Erholung wäre stärker. Ihre Politik, die es nicht vermocht hat, die Zinsen in den Vereinigten Staaten zu senken, führen Sie heute als einen Erfolg vor, der Exportsteigerungen ermöglicht hat. Dies ist grotesk.
Warum ist es gefährlich? Der überbewertete Dollar führt zwar zu starken Exportsteigerungen der
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Dr. Mitzscherling
US-Handelspartner, aber auch zu Reaktionen. Unter dem Einfluß der gestiegenen Importe steigt in den USA der Protektionismus und erfaßt zunehmend auch andere Länder. Außenwirtschaftliche Erfolge aber, die zunehmend dank einer Überbewertung erreicht werden, sind auch aus anderen Gründen gefährlich; denn wer heute unter dem Eindruck verzerrt Austauschverhältnisse die notwendigen Strukturanpassungen versäumt, wird von einer Dollarabwertung um so stärker betroffen, je schneller und je deutlicher diese Dollarabwertung ausfällt. Viele der heute noch Exporterfolge verbuchenden Grenzbetriebe werden dann nicht mehr wettbewerbsfähig sein. Machen Sie sich das klar!
Andere Exportbetriebe wiederum, die mit einer baldigen Korrektur des Dollarkurses rechnen, investieren trotz ihrer hohen Gewinne nur mäßig, und dann vor allem in Rationalisierung; denn sie wissen nicht, was der Dollar morgen macht, wie die Exportkapazitäten dann genutzt werden und wie sich das alles weiterentwickeln soll.
Dies ist die Kehrseite der von Ihnen heute bejubelten Exporterfolge.
Bisher ist die Initialzündung für die Binnenwirtschaft ausgeblieben. Im September/Oktober sind die Inlandsbestellungen leicht rückläufig. Was tun Sie, um diese außenwirtschaftliche Flanke abzusichern? Sie feiern sich und verzichten auf Wachstums- und beschäftigungsfördernde Impulse. Sie hoffen, daß das irgendwie gutgehen wird.
Das ist fatal, meine Damen und Herren; das ist schon fast fatalistisch.
— Denken auch Sie daran, Herr Kittelmann: Weihnachten steht vor der Tür. Sie haben sich gefreut. Einem freudigen „Hosianna!" ist schon oftmals ein sehr bitteres Ende gefolgt.
Ich bedanke mich.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. von Wartenberg.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Diese Stunde ist aktuell, weil in der deutschen Volkswirtschaft jeder dritte Arbeitsplatz vom Export abhängt. Diese Stunde ist auch deshalb aktuell, weil ein Abbau der Arbeitslosigkeit nur über langanhaltende Exportüberschüsse zu erreichen ist.
Diese Stunde ist aber auch deshalb aktuell, weil Exportüberschüsse nicht nur binnenwirtschaftliche Ziele erfüllen, sondern uns bei der arbeitsteiligen Weltwirtschaft, die wir haben, die finanziellen Ressourcen gibt, um diese international zur Verfügung zu stellen.
Unsere Entwicklungshilfe, die Mittel für die Europäische Gemeinschaft, die unbeschränkten Auslandsreisen, die wir gestatten, die Überweisungen von Gastarbeitereinkommen, die Direktinvestitionen in den Entwicklungsländern — all dies wäre nicht möglich ohne die Finanzquelle der Exportüberschüsse.
Insoweit sind, um denn dieses außenwirtschaftliche Gleichgewicht zu erreichen, nach Schätzungen der Deutschen Bundesbank allein 45 Milliarden DM Exportüberschuß notwendig.
Herr Mitzscherling, die Kritik, die Exporte seien nur eine Scheinblüte infolge der überbewerteten Dollar-Notierung, muß als ein wenig isoliert und eng bezeichnet werden.
Der Kurs des Dollars muß im Verhältnis zu dem gewogenen Außenwert der D-Mark gesehen werden. Die D-Mark-Bewertung können wir nur herauskriegen, wenn wir die 23 wichtigsten Währungseinheiten, die die Handelspartner benutzen — einschließlich der der USA —, heranziehen. Wenn wir das tun, ist seit 1982 eine Aufwertung um rund 2 % zu verzeichnen.
Nur ein verhältnismäßig kleiner Teil des deutschen Exports wird in Dollar faktoriert, nämlich nur 10 %. 80 % werden in D-Mark und 2 % in englischen Pfund abgewickelt. Insoweit bricht diese gesamte Kritik wegen mangelnder Seriosität in sich zusammen.
Genau umgekehrt: Die Exporterfolge begründen und rechtfertigen im Zusammenhang mit der relativen Preisstabilität, die wir haben, die langfristig vorhandene Aufwertungserwartung der D-Mark und die dadurch tendenziell möglichen relativ niedrigen Zinsen. Ich sage bewußt relativ, weil im Vergleich zu den USA die 5% Differenz noch niemals dagewesen sind. Im übrigen unterstützen sie die Exportleistung als solche.
Natürlich, die deutschen Exporterfolge sind im internationalen Vergleich großartig. In ihnen schlägt sich die erfreuliche Entwicklung des Welthandels nieder. 1983 ein realer Anstieg um 2 %, 1984 ein realer Anstieg um rund 9 %.
— Darin schlägt sich auch, Herr Mitzscherling, die relativ günstige Kostenentlastung nieder. Dadurch wurden wir wettbewerbsfähig. Daraus darf man nicht den Rückschluß ziehen, daß es nun wieder gelte, in die Kostenexplosion zu gehen. Dann würden wir diesen Erfolg ja gerade gefährden.
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 110. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Dezember 1984 8231
Dr. von Wartenberg
Dieses Wachstum kommt auch den Entwicklungsländern zugute, d. h. die Wachstumserwartung des Welthandels insgesamt.
Die Entwicklungsländer benötigen die Exportüberschüsse, um den starken Schuldendienst einigermaßen geregelt zu erbringen.
In diesem Zusammenhang kommt man auch zu einem genau umgekehrten Ergebnis: Der Importsog, der von den USA infolge des Leistungsbilanzdefizits ausgeht und sicherlich auch zur wirtschaftlichen Erholung bei uns beigetragen hat, hat ebenfalls einen positiven Effekt, den man als solchen nicht vergessen darf.
Im übrigen: Hauptfinanzierungsquelle des US-Defizits ist nicht unser Geld, sondern die Auflösung von US-Guthaben von US-Banken auf den Euromärkten, d. h. es sind nicht die Anlagen der sogenannten kleinen deutschen Anlieger.
Es geht also darum, daß Engagement der Auslandsmärkte langfristig zu sichern. Es ist nicht unsere Aufgabe, eine Politik der schnellen Mark zu unterstützen, des schnellen Verdienstes. Vielmehr ist nun eine dauerhafte Pflege der Auslandsmärkte Mittelpunkt unserer Aufmerksamkeit.
In den Exportanstrengungen der deutschen Wirtschaft kommt also auch das Vertrauen in eine gesunde, langfristig auf stabile politische Verhältnisse zielende Entwicklung zum Ausdruck. Das dient letzten Endes unseren Arbeitnehmern und den ausländischen Arbeitnehmern.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Jens.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Graf Lambsdorff ist schon weg.
Ich hätte von ihm jetzt eigentlich eine sprühende Philippika gegen das Röhrenembargo der Vereinigten Staaten erwartet. Aber uns war völlig klar: Diese Bundesregierung hätte zu diesem Thema heute überhaupt nichts Neues sagen können. Deshalb mußten wir die Aktuelle Stunde der CDU/CSU zu einem alten Ladenhüter akzeptieren.
Ich stelle folgende Thesen auf: Erstens. Die CDU/ CSU, die dieses Thema auf die Tagesordnung brachte, mißachtet den ökonomischen Gesamtzusammenhang.
Zweitens. Wenn sie den Eindruck erweckt, die Exportsteigerung im Jahr 1984 sei mit ein Erfolg der Regierung, so schmückt sie sich mit fremden Federn.
Drittens. Die CDU/CSU vernebelt in eklatanter Weise die Gefahren und will von den eigentlichen Problemen unserer Wirtschaft nur ablenken.
Zur ersten These: Die Preisstabilität ist heute nicht schlecht; das geben wir zu. Aber das Wirtschaftswachstum ist entsprechend dem Stabilitäts- und Wachstumsgesetz weder stetig noch angemessen. Das Ziel eines hohen Beschäftigungsstands, dessen Verwirklichung von dieser Regierung gefordert ist — sofern sie sich noch an die Gesetze hält, die sie einmal selbst mit verabschiedet hat —, ist völlig verfehlt. Wir haben die höchste Arbeitslosenquote seit 30 Jahren.
Das außenwirtschaftliche Gleichgewicht ist ebenfalls nicht gegeben, das nach dem Stabilitäts- und Wachstumsgesetz eigentlich notwendig ist.
Das Wachstum unseres Bruttosozialprodukts von 2 /2% ist fast ausschließlich durch den Export bedingt. Das führt zu Fehlentwicklungen. Das kann niemals positiv bewertet werden. Durch diese Debatte selbst beweist die CDU, daß das Ziel: außenwirtschaftliches Gleichgewicht, eine ausgeglichene Leistungsbilanz nicht erreicht ist.
Zweitens. Die Koalitionsfraktionen versuchen mit dieser Debatte zumindest den Eindruck zu erwecken, daß die Exportsteigerung in 1984 dieser Regierung gutzuschreiben ist.
Das ist absurd. In 1984 sind 10 Milliarden DM mehr in die Vereinigten Staaten exportiert worden. Dagegen haben wir weniger Exporte in die OPEC-Länder, weniger Exporte in die Entwicklungsländer und weniger Exporte in die Staatshandelsländer. Das sind die Fakten. Ursachen für diese Exportsteigerung in die Vereinigten Staaten sind erstens die rasante Abwertung der Deutschen Mark, zweitens das enorme Haushaltsdefizit der Vereinigten Staaten. Da muß ich hinzufügen: die Aufwertung des Dollars ist auf ihre Art und Weise von dieser Bundesbank — der Sie ja sonst immer gutgesonnen sind — kritisiert worden.
Das Haushaltsdefizit der USA ist selbst von Mitgliedern dieser Regierung kritisiert worden. Mir scheint, hier dokumentiert die Regierung einmal mehr den nicht vorhandenen ökonomischen Sachverstand. Es ist wenig logisch, wenn hier die Exporterfolge gelobt werden und vorher die Ursachen dieses Exports kritisiert werden.
8232 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 110. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Dezember 1984
Dr. Jens
Verantwortlich für diese Entwicklung sind in erster Linie die Gewerkschaften und die deutschen Arbeitnehmer. Die Bruttostundenverdienste haben sich wie folgt entwickelt: In Frankreich seit 1980 bis heute plus 54 %, in USA plus 25 %, in Japan plus 19 %, in der Bundesrepublik Deutschland plus 15 %. Ich möchte deshalb einmal die Gelegenheit nutzen, den Gewerkschaften, den Arbeitnehmern und natürlich auch den Unternehmern zu danken, die durch Exporterfolge mit dazu beigetragen haben, daß die wirtschaftliche Lage sich in diesem Land nicht noch verschlimmert hat.
Meine Damen und Herren, wir brauchen aus sozialdemokratischer Sicht kein Strohfeuer bei den Exporten in die Vereinigten Staaten. Wir brauchen vielmehr dringend erstens eine zukunftsorientierte, marktwirtschaftliche Industriepolitik, damit wir nicht gegenüber den Japanern und den Vereinigten Staaten weiter ins Hintertreffen geraten. Wir brauchen zweitens eine kräftigere Zunahme der binnenwirtschaftlichen Nachfragekomponenten, wie zum Beispiel der privaten Investitionen, des Konsums und der Staatsaufträge. Nur so können wir die Arbeitslosenzahlen auch kurzfristig verringern. Aber die Wirtschaftspolitik dieser Regierung wird ja von Juristen bestimmt.
Sie ist von keinem ökonomischen Sachverstand getrübt.
Sie mißachtet den wirtschaftlichen Gesamtzusammenhang; sie bauscht partielle Entwicklungen auf, zu denen Sie nichts, aber gar nichts beigetragen haben.
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Wirtschaft.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! An Zahlen sollte man nicht vorbeigehen. Wenn es irgend etwas Objektives gibt, dann sind es Zahlen. Und solche Zahlen zur Kenntnis zu nehmen oder auch nicht zur Kenntnis zu nehmen, ist nach meinem Dafürhalten die Basis jeder Debatte. Ich frage mich, für welchen Grad der gewollten Unkenntnis von Zahlen an man eigentlich in der Geschäftsordnung einen Ordnungsruf einführen sollte. Das müßte man sich mal fragen.
Ich fange mal mit dem Ausbund an wirtschaftspolitischer Sachkompetenz bei der SPD-Fraktion mit dem Herrn Roth an. Er hat hier behauptet, alles das, was wir an unbestreitbaren Erfolgen im Export haben, sei nur darauf zurückzuführen, daß der Außenwert der D-Mark gefallen sei, daß wir also eine schwache Währung hätten; deswegen sei das alles so wunderschön optimistisch gut gelaufen.
— Bestimmt wird. Mir ist die Formulierung gleichgültig, weil ich nämlich die Zahlen dabei habe; das ist immer gut. Wenn Sie schon auf Juristen abheben, bei Juristen gibt es einen wunderbaren Satz, der im Grunde genommen am Ende der juristischen Ausbildung für jeden übrigbleibt. Der heißt: Blick in den Gesetzestext vertieft die Rechtskenntnis. Man sollte jedem wirtschaftspolitischen Sprecher der SPD anraten: wenn er über Außenwerte der D-Mark und ähnliche Dinge spricht, sollte er die Statistiken der Bundesbank zur Hand nehmen. Dann wüßte man nämlich auch etwas mehr.
Die Bundesbank nimmt das Jahr 1972 als Ausgangspunkt. In diesem Jahr feierte die sozialliberale Koalition ihre wirtschaftspolitischen Großerfolge, damals übrigens auch schon unter einem Juristen im Wirtschaftsministerium.
Nehmen wir einmal gemeinsam dieses Ausgangsjahr, um festzustellen, wie sich der Außenwert der D-Mark entwickelt hat. Und dann nehme ich gleich einmal den US-Dollar. Das ist nämlich die Entwicklung, die Sie noch am ehesten heranziehen könnten. Wir haben 1972
100 gehabt. Im Jahre 1983 hatten wir 126,5. Wir hatten bis Oktober 1984 105. Das ist selbst bei der Währung, die gegenüber der D-Mark am stärksten abgeschnitten hat, immer noch eine positive Bilanz. Ich nenne jetzt einmal die Zahlen bei allen übrigen Währungen — jetzt nehme ich immer die OktoberZahlen, weil das die letzten Zahlen sind —: Französischer Franc 193,2; Holländischer Gulden 112; Italienische Lira 342,9; Belgischer und Luxemburgischer Franc 145,4 usw. überall — mit Ausnahme des Japanischen Jen und des Schweizerischen Franken — positive Werte! Das macht im gewogenen Schnitt gegenüber den am europäischen Währungssystem beteiligten Ländern — das sind alle außer Großbritannien — 176,8; gegenüber den EG-Mitgliedsländern insgesamt 183,2; gegenüber den 17 Ländern mit amtlicher Notiz in Frankfurt 153,5;
insgesamt gegenüber den 23 wichtigen Handelspartnern der Bundesrepublik 164,1.
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 110. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Dezember 1984 8233
Bundesminister Dr. Bangemann
Das heißt, meine Damen und Herren — jetzt komme ich zu den Exporterfolgen —: Obwohl sich unsere D-Mark insgesamt
im Außenwert anderthalb Mal verbessert hat, haben wir dennoch einen Exporterfolg, den Sie überhaupt nicht bestreiten können und der übrigens, Herr Kollege Jens, auch dazu geführt hat, daß wir in der Leistungsbilanz positive Zahlen haben.
Es tut mir leid, Herr Präsident, daß ich Sie noch einmal um Genehmigung bitten muß, zitieren zu dürfen, aber es ist notwendig, daß das — —
Der Herr Minister war nicht da, als ich die Erläuterung gegeben habe. — Bitte.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Es ist das, was zur Grundlage jeder Debatte gehört. Der Kollege Jens, den ich sehr schätze — —
— Ich schätze ihn sehr, weil ich den Eindruck habe, daß er denselben marktwirtschaftlichen Ansatz hat wie wir.
Vielleicht ist er deswegen noch nicht wirtschaftspolitischer Sprecher seiner Fraktion geworden; aber was nicht ist, kann j a noch werden.
Er hat eine Behauptung aufgestellt, die einfach nicht stimmt. Er hat gesagt, die Leistungsbilanz sei negativ im Verlaufe dieses Jahres. Sie haben gesagt, wir hätten kein außenwirtschaftliches Gleichgewicht erreicht.
— Nicht ausgeglichen, na gut. Sie wollten sagen, sie sei positiv?
— Na ja, wenn Sie das kritisieren, wenn Sie der Regierung vorwerfen, daß sie einen Überschuß erwirtschaftet hat, dann muß ich sagen: dann bin ich wortlos, waffenlos. Da kann ich überhaupt nichts mehr sagen.
Meine Damen und Herren, das rechtfertigt eine Aktuelle Stunde. Wenn die Opposition der Regierung
vorwirft, sie habe zu große Erfolge erzielt, dann ist
das eine Aktuelle Stunde wert, meine Damen und Herren!
Aber ich gebe Ihnen trotzdem die Zahlen. Wir haben im Jahre 1983 — von Januar bis Oktober; das ist der Vergleichszeitraum — bei der Handelsbilanz plus 34,6 Milliarden DM mehr gehabt; in diesem Jahr — ebenfalls von Januar bis Oktober — sind es plus 40,9 Milliarden DM. Wir haben bei der Leistungsbilanz d. h. also, wenn man alles abzieht, was bei uns traditionell negativ ist, also beispielsweise in der Übertragungsbilanz auf Grund der hohen Zahlen ausländischer Arbeitnehmer bei uns; wir haben da immer negative Zahlen — von Januar bis Oktober vergangenen Jahres plus 4,3 Milliarden DM gehabt; in dem entsprechenden Zeitraum dieses Jahres waren es plus 6 Milliarden DM. Das heißt: Wir haben auch beim außenwirtschaftlichen Gleichgewicht einen ungewöhnlichen Erfolg erzielt. Wir sind, wie der Kollege Wissmann vollkommen zu Recht festgestellt hat, in der Lage, Ihnen hier zu sagen: Diese Regierung — und das ist ein Erfolg ihrer Wirtschaftspolitik — hat in diesem Jahr noch mehr geleistet als im vergangenen Jahr. Und das vergangene Jahr war schon gut. In diesem Jahr wird es sehr gut werden.
Nun lassen Sie mich einige Worte zu der Frage sagen, wie wir das weiter garantieren können. Natürlich sind dafür zwei Dinge maßgebend. Einmal ist das die Kostensituation bei uns. Es ist unbestreitbar — ich sage das hier für die Regierung und, wie ich glaube, auch mit Unterstützung der Regierungsfraktionen —: Ohne eine vernünftige Kostenentwicklung in diesem Jahr und im vergangenen Jahr wäre dieser Erfolg nicht möglich gewesen. Wenn Sie das hier so betonen, müßten Sie daraus — und ich sage das auch gegenüber den Arbeitnehmern, die in derselben Weise zu diesem Erfolg beigetragen haben wie die Unternehmer, da sehen wir überhaupt keinen Gegensatz — den Schluß ziehen, meine Damen und Herren von der SPD-Fraktion, sich in den Tarifverhandlungen des nächsten Jahres dafür einzusetzen, daß uns diese vernünftige Kostenrelation erhalten bleibt. Das ist dann der politische Punkt.
Wir werden diesen Erfolg nur weiter stabilisieren können, wenn wir weiter in einem freien Handelssystem leben können. Das ist vollkommen richtig. Da gibt es Gefahren. Ich habe anläßlich der Haushaltsdebatte darauf hingewiesen. Herr Kollege Jens, wenn Sie beklagen, daß darüber keine Aktuelle Stunde stattfinde, muß ich Ihnen sagen: Sie haben selber die Fragen zurückgezogen, die es, wenn ihre Beantwortung Ihren Beifall nicht gefunden hätte, erlaubt hätten, eine Aktuelle Stunde zu veranstalten.
8234 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 110. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Dezember 1984
Bundesminister Dr. Bangemann
Ich habe das nicht zu verantworten. Ich bitte Sie sehr um Entschuldigung, Herr Jens, aber Sie dürfen nicht hierher kommen und beklagen, daß keine Aktuelle Stunde zu den Beschränkungen im Röhrenexport stattfinde, wenn Sie Ihre eigenen mündlichen Fragen zurückziehen. Das ist doch der Tatbestand.
Aber ich kann Sie auch in dieser Hinsicht beruhigen. Sie haben die Fragen mit Recht zurückgezogen. Sie können völlig beruhigt in Ihren verdienten Weihnachtsurlaub gehen. Sie haben, wie Sie selber festgestellt haben, eine so gute Regierung, daß diese auch den Röhrendisput mit den Amerikanern zu einem guten Ende bringen wird.
Im Grunde genommen, Herr Jens, haben Sie hier bestätigt, was wir immer schon wußten: Die Regierung ist so gut, daß sie sich sogar diese Opposition leisten kann.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Grünbeck.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, durch alle Fraktionen ist bestätigt worden, daß der Export für den Arbeitsmarkt eine große Bedeutung hat. Ich will hinzufügen, daß er gerade für die mittelständische Wirtschaft von ganz besonderer Bedeutung ist.
Der Herr Kollege Roth hat auf die hohe Arbeitslosenzahl hingewiesen. Ich sage Ihnen nur eines: Es gab noch nie so viele Beschäftigte, wie wir im Augenblick haben. Dies ist zu einem großen Teil der mittelständischen Wirtschaft zu verdanken. Zum Teil haben auch Produktivitätssteigerungen zur Verbesserung der Lage auf dem Arbeitsmarkt beigetragen. Gestern abend hat Ihr Kollege Dr. Schmude beim Treffen des deutschen Handwerks bestätigt, daß es noch nie so viele Ausbildungsplätze gegeben hat wie im letzten Jahr. Ich darf hier nur daran erinnern, was Sie alles an Verteufelungskunst angewendet haben, was Gott sei Dank nicht zur Verunsicherung der Wirtschaft und auch nicht zur Verunsicherung unserer Jugend beigetragen hat. Vielmehr ist es zu einer Verbesserung unserer Ausbildungssituation gekommen.
Ich stimme mit Ihnen überein, daß wir Wettbewerbsbedingungen brauchen, insbesondere die mittelständische Wirtschaft. Ich darf dem, was Graf Lambsdorff heute erwähnt hat, hinzufügen, daß unsere Hauptkonkurrenten auf dem Weltmarkt, die USA und England, im Moment über die Senkung von Steuern reden, Einkommensteuer und Körperschaftsteuer. Die amerikanische Regierung hat angekündigt, daß die Einkommensteuersätze von 20 auf 15, von 35 auf 25 und von 50 auf 35% zurückgenommen werden sollen. In England ist es bereits beschlossene Sache — Herr Kollege Mitzscherling, das wissen Sie —, daß die Körperschaftsteuer in vier Jahresraten von 50 auf 35% abgesenkt wird.
Angesichts eines Kapitalexports von 20 Milliarden DM in den letzten anderthalb Jahren in die USA befürchte ich, daß wegen der Steuersenkungen für unsere Wettbewerber auf dem Weltmarkt dem Kapitalexport der Arbeitsplatzexport folgen wird. Dem muß die Regierung gegensteuern. Das tut sie ganz bewußt und richtig.
Was wir noch brauchen, meine Damen und Herren, ist eine starke Entbürokratisierung, insbesondere in der Europäischen Gemeinschaft, weil die mittelständische Exportwirtschaft mit den bürokratischen Auflagen auf die Dauer nur schwer oder gar nicht oder nur mit vielen Kosten fertig wird. Aber wir sagen j a zur Europäischen Gemeinschaft, weil sie in unserer Exportwirtschaft gerade für die mittelständische Struktur eine große Rolle spielt.
Es ist hier schon erwähnt worden, daß in die europäischen Länder bis zu 70 % unserer Exporte gehen, 50 % in die Europäische Gemeinschaft. Ich glaube, wir müßten unserer Bevölkerung vermitteln, daß wir nicht der Zahlmeister der Europäischen Gemeinschaft sind, sondern daß wir durch den Export in Länder der Europäischen Gemeinschaft profitieren. Wir müßten ihr aber auch vermitteln, daß die Europäische Gemeinschaft im Welthandel eine gemeinsame Sprache finden muß.
Wenn man die Probleme der mittelständischen Betriebe betrachtet, darf man eines nicht vergessen, nämlich daß im Vertrauen zu dieser Bundesregierung die Entwicklung im Erfindungs- und Patentwesen sehr positiv verlaufen ist. Nach der Bilanz 1983 hatten wir 49 000 Anmeldungen, 33 000 Prüfungen, fast 21 000 erteilte Patente; im Augenblick verfügen wir über 137 000 Patente. Zwei Drittel der Patente stammen aus der mittelständischen Wirtschaft. Das heißt, die mittelständische Wirtschaft, insbesondere im Produktivbereich, hat Vertrauen zu dieser Regierung.
Sie hat exportfähige Produkte geschaffen, die unserer Exportbilanz insgesamt gute Impulse verleihen.
Ich darf als mittelständischer Unternehmer einmal ganz offen sagen: Wir danken der Bundesregierung für den Stabilitätskurs, den sie gefahren hat. Wir danken auch dafür,
daß die Regierungsfraktionen jeder Versuchung widerstanden haben, neue Aufgaben und neue Steuern zu erfinden. Wir brauchen eine kalkulierbare Landschaft.
Wer die Exportmärkte kennt, meine Damen und Herren, der weiß, daß man einen langen Atem braucht, wenn man dort Fuß fassen will. Dazu hat
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 110. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Dezember 1984 8235
Grünbeck
die Bundesregierung eine Menge Instrumente geschaffen.
— Nein.
— Das will ich gerade belegen. Wir wollen einige Instrumente strukturell noch verbessern. Wir müssen die Informationen straffen. Wir brauchen vielleicht einen eigenen Plafond aus dem Hermes-Paket für die mittelständische Wirtschaft. Ich glaube, wir werden das Problem der Arbeitsmarktlage durch die Verstärkung der Exporttätigkeit der mittelständischen Wirtschaft lösen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Collet.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Minister Bangemann, ich darf mich zunächst an Sie wenden.
— Das werden Sie gleich feststellen, Herr Kollege. — Sie haben sich auf Zahlen gestützt. Wenn Zahlen und Juristen zusammenkommen, wird das besonders gründlich, meinten Sie.
— Das kommt darauf an, Herr Kollege Wissmann.
— Ich darf feststellen, daß Sie zunächst einmal mit einer Halbwahrheit begonnen haben, indem Sie meinem Kollegen Roth vorgehalten haben, er habe gesagt, nur der DM-Verfall sei die Ursache. Er hat hier ausdrücklich vorgetragen — das können Sie im Protokoll nachlesen —, daß außerdem die Leistungen der deutschen Arbeitnehmer dazu beigetragen haben,
diese Exporterfolge zu erzielen.
Sie haben dem Herrn Kollegen Jens — ich hätte jetzt beinahe gesagt: das Wort im Mund herumgedreht —
Dinge vorgeworfen, die er überhaupt nicht gesagt hat. Er hat bei seiner Darstellung darauf abgehoben, daß wir schon lange — lange vor Ihrer Zeit — das Stabilitäts- und Wachstumsgesetz verabschiedet hatten und darin ein Gleichgewicht gefordert haben.
Dieses nicht vorhandene Gleichgewicht war der Ansatzpunkt seiner Kritik. Ich darf also herzlich darum bitten, darauf zu verzichten, mit Darstellungen zu beginnen, die besonders sachlich klingen sollen, wenn sie es nicht sind.
Sie sollten dann auch nicht Vergleiche an einem Punkt anstellen, der gar nicht Gegenstand der Argumente war, indem Sie 1972 und 1984 vergleichen.
Hätten Sie diesen Vergleich einmal zwischen dem ersten Halbjahr 1982 und dem ersten Halbjahr 1984 angestellt, wäre das Ergebnis, mit dem Sie sich so groß darstellen wollten, nicht so positiv gewesen.
Sie haben auch nicht erwähnt, daß unser Export in die Sowjetunion um 4,6 % gefallen ist,
nach Asien um 5,3 %, in die OPEC-Länder um 12,7 %
und ganz allgemein in die Entwicklungsländer.
Geht diese Uhr nicht, Herr Präsident? Ich habe hier 0,2. Damit kann ich nichts anfangen.
Verlassen Sie sich auf die Blinkleuchten. Solange nicht Rot kommt, reden Sie weiter!
Dann darf ich feststellen,
daß ich fünf oder sechs Koalitionsrednern zugehört habe, ohne herauszufinden, wo eigentlich die Aktualität liegt.
Wir haben doch folgendes gehabt: Für Ihr Eigenlob haben Sie vor wenigen Wochen eine ganze Woche lang Haushaltsberatungen und damit Darstellungsmöglichkeiten gehabt.
Als ich diese Woche hörte: die CDU/CSU beantragt eine Aktuelle Stunde, habe ich mich gefragt: Ist da etwas passiert? Steht da etwa für kommenden Januar der Dollar-Verfall an,
8236 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 110. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Dezember 1984
Collet
oder haben Sie irgendwo sonst eine Information her, oder kamen Sie zur Erkenntnis, daß Sie jetzt vorbeugen wollen,
nämlich vorbeugen, daß nicht, wenn dieser Tag kommt und der Dollarkurs heruntergeht und die Zinssätze sinken, die Arbeitslosenzahl noch mehr wächst,
oder vielleicht war es nur der Versuch abzulenken?
Sie haben j a auch einigen Grund dazu.
Übrigens, Herr Kollege von Wartenberg, man sollte doch einmal darüber konferieren, was das Wort „aktuell" bedeutet. Sie haben ausdrücklich dargestellt, was nach Ihrer Meinung aktuell ist. Da muß ja irgend etwas passiert sein.
Ich gestehe Ihnen ja zu: Sie haben es nötig, nachdem Sie in der ersten Hälfte Ihrer Amtszeit bis jetzt eine Menge Personenskandale hatten und zweimal vom Verfassungsgericht belehrt wurden, daß Sie falsche Politik gemacht haben.
Da Sie sich nun, nachdem Sie den kleinen Leuten das Hemd ausgezogen haben, auch nicht darüber einigen können, den großen wenigstens noch etwas wegzunehmen,
brauchen Sie ein Thema, um von Ihrer schwierigen Situation abzulenken. Dafür habe ich Verständnis.
Jetzt ist aber die rote Leuchte da.
Ich bitte aber, in Zukunft dafür zu sorgen, daß diese Uhr geht. Sonst verläßt sich der Redner darauf. Darf ich noch einen Satz sagen, Herr Präsident?
Den letzten Satz, bitte.
Ich habe mich gefragt — ich sehe den Kollegen Dr. Lammert —, ob nicht er oder der Kollege Dr. Bötsch oder der neue Kanzleramtsminister Dr. Schäuble gesagt haben: Freunde, wir waren dabei, als wir die Geschäftsordnung gemacht haben.
Wir haben uns dabei unter einer Aktuellen Stunde etwas Bestimmtes vorgestellt.
Freunde, laßt das! Damit bringen wir vieles durcheinander. Wir können nicht eine neue Fraktion kritisieren, daß sie sich nicht an Spielregeln hält, wenn wir uns selber nicht daran halten.
Danke.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Kraus.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Als erstes kann man heute feststellen: Wir haben ziemlich gut getroffen.
Die Getroffenen heulen förmlich auf.
Wenn ich sehe, wie Herr Roth gesprochen hat, muß ich sagen: es war doch offensichtlich dringend erforderlich, dieses Thema einmal zu bringen. Es gibt offensichtlich einige Kollegen, die förmlich danach gieren, irgendwelche schlechten Nachrichten vorgesetzt zu bekommen und dann darauf herumreiten zu können. Sie bedürfen zu ihrem persönlichen Wohlbefinden offensichtlich schlechter Nachrichten.
Die Sache selber ist, so glaube ich, hier von den Kollegen so weit abgehandelt worden, daß nur auf ein einziges Thema einzugehen ist, nämlich auf die Frage, wie diese Exporterfolge auch in Zukunft gesichert werden können.
Zweifelsohne wäre ohne diese großen Exporterfolge das Heer der Arbeitslosen in der Bundesrepublik noch sehr viel größer, als es jetzt ist.
Tatsache ist wohl, daß auch von der jetzigen Opposition vor einigen Jahren — vor zwei Jahren und mehr — eine Arbeitslosenzahl für 1984 vorausgesagt worden ist, die sehr weit über dem liegt, was wir tatsächlich an Arbeitslosen haben. Daß diese Zahl noch immer zu hoch ist, wird von niemandem bestritten. Daß es aber so ist, wie es jetzt ist — unerwartet gut, möchte ich sagen —, ist eben auch ein Ergebnis dieser erfolgreichen Exportpolitik.
Ich glaube, es muß alles getan werden, um diese Erfolge auch in Zukunft zu stabilisieren und festzuhalten. Dazu gehört vor allem, daß die kleinen und mittelständischen Unternehmen weiterhin so gefördert werden, wie das bisher der Fall war.
Gerade die mittelständischen Unternehmer haben ja einen ganz erheblichen Anteil an diesen Exporterfolgen. Darüber gibt es ja wohl keinen Zweifel.
Ein ganz wesentlicher Punkt unserer Politik war, diese Betriebe zu fördern, damit sie in der Lage sind, auf dem Weltmarkt zu bestehen, damit sie in der Lage sind, Nischen auf dem Weltmarkt aufzu-
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Kraus
spüren und auszufüllen. Wir wissen alle, daß bei Massenprodukten heute die Situation eines Landes wie der Bundesrepublik Deutschland mit den relativ hohen Lohnkosten schwierig ist, daß es also darauf ankommt, Spezialprodukte schnell, billig, auf rationelle Weise hergestellt, an den Mann zu bringen. Diese Dinge zu fördern, ist unsere Hauptaufgabe.
Dazu gehört natürlich auch, daß wir die Rahmenbedingungen insgesamt so gestalten, daß Export möglich ist. Das ist zum großen Teil gelungen. Es wird auch in Zukunft notwendig sein, hier etwas zu tun.
Daß nicht alles so läuft, wie es eigentlich laufen sollte, wissen auch wir. Es gibt natürlich Bereiche, in denen die Exporte nicht so laufen, wie es von uns gewünscht wird. Ich denke hier an bestimmte Ländergruppen wie die OPEC. Aber da muß man natürlich auch die Gründe sehen. Es liegt nicht an der Bundesrepublik Deutschland, daß diese Länder nicht mehr so in Geld schwimmen, wie noch vor wenigen Jahren. Natürlich liegt es nicht an uns, daß diese Entwicklung eingetreten ist. Der Nachfragerückgang, der dort festzustellen ist, ist ein Phänomen, mit dem wir fertig werden und mit dem wir in der Vergangenheit gut fertig geworden sind, weil es ja unsere Wirtschaft auszeichnet, flexibel reagieren zu können. Dies ist in der Vergangenheit bewiesen worden. Ich bin sicher, daß es auch in der Zukunft so sein wird, wenn es weiterhin gelingt, insbesondere die mittelständischen Betriebe so wie bisher zu fördern. Darum sollten wir in Zukunft alle zusammen bemüht sein.
Ich bedanke mich.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Urbaniak.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zur Aktualität und zur Aktuellen Stunde gehören natürlich auch die Tatsachen. Tatsache ist, daß „Creditreform" festgestellt hat: „Wir werden 1984 die höchste Pleitewelle haben, die diese Republik jemals erlebt hat." Über 17 000!
Das ist Tatsache, meine Damen und Herren.
Sie werden die Tatsache nicht verwischen können, daß davon 200 000 Arbeitnehmer in der Bundesrepublik negativ betroffen sein werden. Tatsache ist, daß die IHK Bonn — da sitzen doch Ihre Truppen —
einen Anstieg der Insolvenzzahlen von über 80 % feststellt.
Tatsache ist, daß das Bauhauptgewerbe die alarmierende Aussage gemacht hat: Wir werden 1985
möglicherweise bis zu 200 000 Bauarbeiter freisetzen müssen.
Darum können Sie mit dem Thema Ihrer Aktuellen Stunde nicht überdecken, was tatsächlich in den Betrieben und in der Binnenwirtschaft dieser Republik los ist.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, Tatsache ist auch, daß das Bauhauptgewerbe durch seinen Geschäftsführer verlangt hat, das Programm der SPD „Arbeit und Umwelt" aufzugreifen und ernsthaft zu diskutieren, und Tatsache ist, daß der Wirtschaftsminister Bangemann hier zum Röhrenembargo nicht deutlich gemacht hat, was an konkreten Maßnahmen zur Stabilisierung der Arbeitsplätze in der Stahlindustrie geschehen soll; er hat sich hier verschlossen gezeigt.
Meine Damen und Herren, Tatsache ist: Die Arbeitslosenzahlen steigen.
Tatsache ist,
daß die Investitionen im wesentlichen Rationalisierungsinvestitionen sind —
mit ungehörigen Freisetzungen von Arbeitnehmern. Darüber jubeln wir nicht, sondern es ist schlimm genug, daß wir eine so hohe Zahl von Arbeitslosen haben!
Wenn wir sie herabsetzen könnten,
herabsetzen mit allen Möglichkeiten, die auch das Parlament in Solidarität mit den Arbeitnehmern haben könnte, sollten wir hier eine Feierstunde machen, nicht aber wegen der aktuellen Fragestellung, die der Kollege Wissmann hier eingebracht hat.
Eines will ich Ihnen aber sagen: Alle Ihre Maßnahmen führen — leider, sage ich — nicht dazu, daß wir Aussicht auf mehr Beschäftigung für unsere arbeitslosen Frauen und Männer haben.
Vielmehr wird es mehr Arbeitslosigkeit geben; die Dauerarbeitslosigkeit weitet sich aus. Ich frage Sie, wenn Sie sich hier im Bundestag heute selbst bejubeln wollen, wann Sie eigentlich Entscheidendes gegen die Arbeitslosigkeit und für die Stabilisierung des Binnenmarktes tun.
Das Wort hat jetzt der Herr Abgeordnete Dr. Schwörer.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Herren! Damen sind nicht mehr da.
— Doch, eine Dame!
Herr Kollege Urbaniak, Sie haben von den Pleiten und von den Arbeitslosen gesprochen. Ich möchte Ihnen nur ganz kurz sagen: Beides ist eine Folge Ihrer verfehlten Politik in den 13 Jahren Ihrer Regierungszeit.
Das gilt auch noch für die Pleiten von heute. Eine Pleite kommt nicht von heute auf morgen, sondern bahnt sich über Jahre hinweg an.
Die schlechte Kapitalausstattung, die die Firmen heute haben, basiert eindeutig auf Ihrer Regierungszeit.
Meine Damen und Herren, ich möchte noch eines zur Frage des Dollar sagen, die hier hochgespielt worden ist. Dazu ist von unserer Seite ja schon einiges gesagt worden, aber ich füge hinzu: Das meiste von dem Exportzuwachs, den wir Gott sei Dank haben und der, Herr Kollege Urbaniak, hoffentlich auch weiterhin eine Stütze für den Arbeitsmarkt sein wird, kommt zur Zeit durch den Dollar — das stimmt —, aber auch die EG hat dazu sehr viel beigetragen. Aber ich muß auch sagen: Ich bin genau wie Sie der Meinung, daß es unsere fleißigen Arbeitnehmer und unsere Unternehmer waren, die mit ihren Anstrengungen diesen Erfolg auf diesem schwierigen Markt zustande gebracht haben.
Das ist ganz klar, und wir danken unseren Arbeitnehmern und unseren Unternehmern dafür, daß sie dies so gut zustande gebracht haben. Ich bin sehr dafür, daß wir dafür ein Dankeschön sagen.
Aber wir dürfen ein Dankeschön auch der Bundesregierung sagen, die mit der Verbesserung der Rahmenbedingungen erreicht hat, daß manches im Export wieder besser geworden ist,
die erreicht hat, daß wir wieder konkurrenzfähiger geworden sind, daß die Zinsen niedriger sind, daß die Inflationsraten kleiner sind.
Man hat wieder investiert und hat damit wieder Konkurrenzfähigkeit gewonnen.
Investiert hat man in neue Entwicklungen, in neue Maschinen, und auch das hat sich in der Steigerung der Exporte ausgewirkt.
Liebe Kollegen, wir ermuntern die Bundesregierung, auf diesem Wege fortzufahren und weiterhin für die Verbesserung der Investitionsmöglichkeiten einzutreten.
Weil aber immer vom Dollarraum die Rede ist, möchte ich noch etwas anderes sagen: Wir haben uns in der EG bemüht — Herr Kollege Mitzscherling, Sie wissen das —, den Stillstand, der dort eingetreten war, zu beseitigen. Der Bundeskanzler persönlich hat sich besonders eingesetzt, damit wir über diesen Stillstand hinwegkommen. Dadurch haben wir jetzt wieder die Aussicht, daß in der EG die Dinge weitergehen. 270 Millionen Menschen in der EG sind doch der sicherste Markt, der uns einen stabilen und soliden Absatz unserer Industrieerzeugnisse ermöglicht. Wir sind uns doch hoffentlich einig, daß wir hier in den Bemühungen fortfahren, den Binnenmarkt zu stärken, die Zollgrenzen abzubauen, die Formalitäten zu vermindern, europäische Normen einzuführen; alles Dinge, die den Warenaustausch in Europa erleichtern.
Wir sind auch dafür, daß es in der EG jetzt einen Binnenmarktrat gibt, der sich gerade diese Ziele setzt.
Ich danke Ihnen, lieber Herr Mitzscherling, daß Sie mir hier zunicken. Dieser Binnenmarktrat ist ja eine der Voraussetzungen für eine weitere gute Entwicklung unseres Exports in die EG.
Deshalb möchte ich abschließend sagen: Auch wenn die Integrationserfolge noch klein sind, müssen wir diesen Weg weiter verfolgen, besonders weil wir die Exportmöglichkeiten auch in Zukunft gerade auch für die Arbeitsplätze brauchen. Eine gute Wirtschafts- und Finanzpolitik in der Bundesrepublik, aber auch eine aktive Europapolitik, um damit den Binnenmarkt stabil und solide zu machen und die Grenzen, die intern noch bestehen, niederzureißen werden uns helfen, auch einen guten Schritt hin zu einer hoffentlich bald zu erreichenden Vollbeschäftigung aller Arbeitnehmer in der Europäischen Gemeinschaft zu kommen.
Ich danke Ihnen.
Meine Damen und Herren, wir sind am Ende der Aktuellen Stunde und damit auch am Ende unserer heutigen Sitzung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 13. Dezember 1984, 8.00 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.