Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat soll die heutige Tagesordnung um die Zusatzpunkte „Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuordnung der Krankenhausfinanzierung" und „Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuordnung der Krankenhausfinanzierung", Drucksachen 10/2095, 10/2096, 10/2565, 10/2566, erweitert werden. Ist das Haus damit einverstanden? — Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Ich rufe den Zusatzpunkt 2 zur Tagesordnung auf:
Aktuelle Stunde
Verhalten der Bundesregierung zur Zeichnung des Seerechtsübereinkommens der Vereinten Nationen
Meine Damen und Herren, die Fraktion der SPD hat gemäß Nummer 1 c der Anlage 5 unserer Geschäftsordnung eine Aktuelle Stunde zu dem Thema „Verhalten der Bundesregierung zur Zeichnung des Seerechtsübereinkommens der Vereinten Nationen" verlangt.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Brandt.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Diese Aktuelle Stunde handelt von der Gefahr der Selbstisolierung und davon, daß wesentliche außenpolitische und wirtschaftliche Interessen Schaden leiden können. Bis heute haben 156 Staaten die Seerechtskonvention unterzeichnet. Anfang dieser Woche waren es 140. Das bedeutet, die überwältigende Mehrheit der Staatengemeinschaft ist für dieses wichtige internationale Vertragswerk. Fast alle unsere europäischen Partner sind dafür. Unsere Regierung ist dagegen, wie oder weil die der Vereinigten Staaten dagegen ist. Aber niemand dürfte doch übersehen, daß unsere Interessen auf diesen Gebieten nicht automatisch mit dem übereinstimmen, was dazu gegenwärtig in Washington vertreten wird. Das gilt übrigens auch für andere Gebiete.
Bei diesem während vieler Jahre ausgehandelten Übereinkommen zum Seerecht geht es um die Bestätigung alter und die Festlegung neuer Bestimmungen über Schiffahrt und Fischerei, Umwelt und Forschung. Hinzu kommen Regeln für den Tiefseebergbau, d. h. die im nächsten Jahrzehnt beginnende Förderung von Metallknollen — Kupfer, Nikkel, Kobalt, Mangan —, die auf dem Meeresboden lagern. Ich fürchte, die Bundesrepublik wird teuer zu stehen kommen, was die Regierung gegen den ihr zur Verfügung stehenden außenpolitischen Sachverstand entschieden hat.
Erstens. Eine Reihe von Staaten der Dritten Welt wird uns bei der meereswirtschaftlichen Zusammenarbeit nicht so zum Zuge kommen lassen, wie es sonst möglich wäre. Das ist schon wichtig.
Zweitens. Unsere Wirtschaft wird jetzt nicht mehr zum kleinen Kreis von Pionierinvestoren in dem von unserer Industrie angepeilten Meeresbodenabschnitt gehören.
Drittens. Man verschenkt, daß der Internationale Seegerichtshof nach Hamburg kommt.
Jetzt komme man nicht mit dem bewußt irreführenden Hinweis, wir würden durch die EG dabei sein. Wir werden es nicht sein; denn die EG wird nur begrenzt zuständig sein. Sie kann uns gerade beim Tiefseebergbau nicht vertreten. Warum begibt sich die Mehrheit der Koalition in eine Lage, in der als ihr Vorbild der kleine Seeräuber erscheint, dem es nicht nur an Offenheit, sondern auch an Mut fehlt?
Meine Damen und Herren, mit dem Schreckgespenst vom Dirigismus wird unsere Öffentlichkeit ein weiteres mal hinters Licht geführt. Oder will man damit ein Faustrechtdenken, das doch mit dem Kolonialismus überwunden sein sollte, oder eine gewisse Goldgräbermentalität außerhalb der heute gegebenen Realitäten verschleiern? Wem anders gehören die Schätze auf dem Meeresboden, wenn nicht der Menschheit?
8132 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 109. Sitzung. Bonn, Freitag, den 7. Dezember 1984
Brandt
Da das so ist, wird man zu begrüßen haben, daß ein Teil der Erträge den Entwicklungsländern zugute kommt.
Aber nichts ist für unsere Bundesrepublik schlechter als Isolierung innerhalb der Staatengemeinschaft. So war es beim Nichtverbreitungsvertrag, so war es beim Beitritt zu den Vereinten Nationen, so war es bei der Akte über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, so ist es auch hier.
Herr Präsident, da eine angemessene parlamentarische Erörterung nicht möglich war, appelliere ich hier an die Bundesregierung, ihre falsche Entscheidung zu revidieren.
Sonst wird eine neue Regierung dies zu tun haben und hoffentlich zu tun wissen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Kittelmann .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die CDU/CSU begrüßt die Entscheidung der Bundesregierung, die Seerechtskonvention nicht zu zeichnen,
und zwar nicht deshalb, Herr Kollege Brandt, weil wir damit den Interessen der USA dienen wollen, sondern weil unsere ureigensten nationalen Interessen davon berührt sind. Dies ist kein Nein zur Konvention, sondern eine Aufforderung zu ihrer Verbesserung.
Und, um dies von vornherein klarzustellen: Die Entscheidung der Bundesregierung ist
eine Entscheidung aus ureigenstem Recht; das Parlament ist zur Ratifizierung gefordert. Herr Brandt, wenn Sie diese Konvention hätten ratifizieren wollen, dann hätte es Ihnen bzw. Ihrer Fraktion gut angestanden, hier einen Antrag zur Ratifikation zu stellen. Dies haben Sie nicht gemacht. Daraus ist zu schließen, daß auch Sie nicht für eine Ratifikation der Konvention sind, und ausschließlich um diese Frage geht es im Endeffekt bei der Zuständigkeit im Parlament.
Meine Damen und Herren, die CDU/CSU ist vor allen Dingen im Hinblick auf die dirigistischen und protektionistischen Regelungen des Tiefseebergbaus, die weder unsere nationalen Mindestvoraussetzungen erfüllen noch den wohlverstandenen Interessen der Dritten Welt nutzen, gegen eine Zeichnung. Die Länder der Dritten Welt haben die Konferenz von Anfang an als einen wirksamen Hebel zur Änderung der Weltwirtschaftsordnung verstanden,
einer Weltwirtschaftsordnung mit neuen dirigistischen und protektionistischen Regelungen, die unseren nationalen Interessen nicht entsprechen.
Die vorliegende Seerechtskonvention entspricht darüber hinaus nicht dem Ziel einer vernünftigen Meerespolitik. Die CDU/CSU fordert die Bundesregierung auf, gemeinsam mit anderen Nichtzeichnerstaaten bei den zuständigen UN-Gremien Neuverhandlungen mit dem Ziel — vor allen Dingen — der Verbesserung des Teils XI, Abbau der Meeresbodenschätze, durchzusetzen.
Es muß darauf hingewiesen werden — auch dies ging in dem kurzen Beitrag von Herrn Brandt sehr durcheinander —, daß die Vorbereitungskommission kein Mandat zur qualitativen Änderung des Tiefseebergbaus hat. Ich habe mit Genugtuung zur Kenntnis genommen, Herr Brandt, daß Ihr wesentlicher Beitrag in den fünf Minuten das Behandeln des Teils XI, Tiefseebergbau, war. Daraus schließe ich, daß auch Sie dort Veränderungen wollen, damit sich die deutsche Industrie am Tiefseebergbau beteiligen kann. Wenn Sie einmal Zeit haben sollten, die dort gefundenen Regelungen durchzulesen und nicht nur allgemein darüber hinwegzugehen, werden Sie feststellen, daß weder die Industrieländer noch die Entwicklungsländer Tiefseebergbau unter den dort gefundenen Regelungen betreiben werden. Es nützt also weder uns noch der Dritten Welt, was dort gefunden worden ist.
Wir haben positiv zur Kenntnis genommen, daß alle relevanten politischen und gesellschaftlichen Gruppen gegen eine Ratifizierung der Konvention sind, wenn nicht wesentliche Verbesserungen durchgeführt werden.
Dann ist es aber auch ehrlicher und glaubwürdiger, dies durch eine Nichtzeichnung zu verdeutlichen.
Die Koalitionsparteien waren sich von vornherein in diesem Ziel einig, differenziert zum Teil in der Methode, wie dieses Ziel erreichbar ist. Die CDU/ CSU ist dafür dankbar, daß die Bundesregierung national nicht den auch diskutierten Weg der Zeichnung mit einem Ratifikationsvorbehalt gegangen ist. Dieser Vorbehalt wäre völkerrechtlich ohne Belang geblieben und für die Länder der Dritten Welt ein Signal in die falsche Richtung gewesen. Die CDU/CSU stellt nochmals fest, daß die Vorbereitungskommission den ausschließlichen Auftrag hat, die verabschiedete Konvention umzusetzen; ein Mandat zur Veränderung besteht nicht.
Abschließend darf ich in der ersten Runde sagen, wir gehen davon aus, meine Damen und Herren, daß sich schon in Kürze herausstellen wird, daß wir den erfolgreicheren Weg gehen werden, durch gezieltes Draußenbleiben einen Nachdenkensprozeß über die Konvention in Gang zu setzen, um sehr bald zu erreichen, daß durch Neuverhandlungen ein
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 109. Sitzung. Bonn, Freitag, den 7. Dezember 1984 8133
Kittelmann
besseres, für uns umsetzbares, qualitatives System des „gemeinsamen Erbes der Menschheit" gefunden wird, wie es die Dritte Welt nennt, oder aber es bleibt bei der Enterbung aller, wie es Ideologen vorhaben.
Schönen Dank.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schwenninger.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bei der letzten Bundestagsdebatte hatten wir die Unterzeichnung des Seerechtsabkommens noch abgelehnt, weil grundsätzliche Bedenken gegen die Aufteilung der Weltmeere in Einflußzonen bestanden hatten, was wir gerade beim 100. Jahrestag der Aufteilung Afrikas nochmals bekräftigen. Trotzdem fordern wir GRÜNEN jetzt eine Unterzeichnung dieses Abkommens durch die Bundesregierung, weil wir darin einen Fortschritt gegenüber einem vertragslosen Zustand sehen. Wir möchten den Ländern der Dritten Welt gegen die sonst drohende Übermacht der Konzerne aus den USA und auch aus der Bundesrepublik beim Meeresbergbau und gegen den kapitalistischen Wildwuchs des Status quo helfen. Daß der Bundesregierung offensichtlich Loyalitäten gegenüber der Reagan-Regierung und den bundesdeutschen Industrieinteressen wichtiger sind als eine Solidarität mit der Dritten Welt, mit denen z. B. die CDU in Baden-Württemberg immer hausieren geht, zeigt sich hier ganz deutlich.
— Danke, wichtiger Beifall!
Durch das Abkommen ist eine gewisse Besserstellung einer Reihe von Ländern der Dritten Welt, eine etwas größere Verteilungsgerechtigkeit der Meeresressourcen zu erhoffen. Ich bin sicher, daß Herr Warnke nicht mehr so über Tansania herziehen kann, wenn Tansania z. B. ermächtigt wird; womöglich stellt sich heraus, daß man jetzt off shore Erdöl herausholen kann. Dann wird nämlich die Entwicklung von Tansania im Hinblick auf eine Eigenständigkeit wesentlich besser bewerkstelligt. Dann brauchen Sie nicht mehr so über den Mwalimu Nyerere herzuziehen, er habe das Land nicht im Griff.
Mit Erdöl geht es dann wesentlich besser. Ebenso ist eine Entmilitarisierung des Meeresbodens und ein gewisser Schutz der Meeresökologie vorgesehen. Das alles muß in Zukunft gestützt und erweitert werden. Dafür wollen wir eintreten.
Wir sehen jedoch noch gravierende Mängel in dem Seerechtsabkommen. Gerade die ärmsten Länder der Dritten Welt sind oft Binnenstaaten, die durch die Aufteilung der Meere benachteiligt wurden. In der Seerechtsbehörde dominieren die Vertreter der Industriestaaten. Beim Meeresbodenbergbau sind nachteilige ökologische Auswirkungen zu befürchten.
Außerdem sehen wir uns mit einem allgemeinen Problem bei Verhandlungen im Rahmen einer neuen Weltwirtschaftsordnung konfrontiert: Von den Abkommen profitieren die Regierungen der Dritten Welt, und diese vertreten leider oft nicht die Interessen der Bevölkerung, insbesondere der ärmeren Menschen. Doch uns geht es hier darum, wenigstens die Möglichkeit offenzuhalten, daß sich die Menschen und Länder in der Dritten Welt aus der Abhängigkeit von den Industrieländern und von der Übermacht der Konzerne befreien können. Wir werden weiterhin alle fortschrittlichen Kräfte in den Ländern der Dritten Welt unterstützen, genauso wie wir eine Stärkung der Position der Länder der Dritten Welt gegenüber den Industrieländern wollen.
Wir wenden uns deshalb auch gegen die Argumentation mit dem nationalen Interesse der Bundesrepublik oder dem Interesse der Unternehmen der Bundesrepublik, wie sie sowohl von der Koalition als auch von der SPD vorgebracht wird. Das gemeinsame Erbe der Menschheit, wie im Vertragstext der Seerechtskonvention die Meeresressourcen bezeichnet werden, darf nicht den nationalen Interessen der US-Regierung, die die Unterzeichnung ablehnt, geopfert werden. Genausowenig darf das gemeinsame Erbe der Menschheit den nationalen Interessen der bundesdeutschen Wirtschaft untergeordnet werden.
Wir setzen uns also für die Unterzeichnung dieses UN-Seerechtsabkommens ein, um die moderne Seeräuberei kapitalistischer Interessen zum Wohle der Menschen in der Dritten Welt einzudämmen, damit nicht mehr die Devise bei der Bundesregierung gilt, die ich einmal in einem Lied gelernt habe: Hoch lebe die See und das brausende Meer, hoch lebe die Seeräuberei!
Danke schön.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schäfer .
Ich bekomme Zurufe von der CDU; das überrascht mich etwas.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, es muß hier noch einmal auf einige Fakten hingewiesen werden, die in dieser Debatte vielleicht doch etwas untergehen. Erstens. Keine der Bundestagsfraktionen, die hier versammelt sind, war jemals, Herr Kollege Brandt, voll mit den Ergebnissen der Seerechtskonvention einverstanden.
Es muß zweitens gesagt werden: Es gab von Anfang an in diesem Hause sehr starke Befürworter der Konvention in ihren wesentlichen Teilen und sehr starke Gegner, deren Meinungen sich im Ver-
8134 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 109. Sitzung. Bonn, Freitag, den 7. Dezember 1984
Schäfer
lauf der Debatte nicht geändert haben. Das können Sie in den Protokollen über mehrere Debatten, die wir hier geführt haben, nachlesen.
Die SPD erklärt in ihrem ersten Antrag vom 22. Juni 1983, daß es sich beim Tiefseebergbau um zweifellos dirigistische und protektionistische Regelungen handelt, die sie sehr kritisiert. Ich glaube, Sie sollten heute nicht so tun, als sei bei Ihnen von Anfang an die Bereitschaft zu einer Zeichnung so stark gewesen, daß Sie im vergangenen Jahr einen Druck auf die Bundesregierung ausgeübt hätten, der vielleicht zu einer anderen Entwicklung hätte führen können. Sehr spät kommen Sie jetzt mit der Vorstellung, nur eine Zeichnung sei richtig.
Herr Schwenninger, Sie haben dasselbe Lied zweimal zitiert. Sie haben bei Ihrer ersten Rede hervorragende Argumente gegen die Zeichnung der Seerechtskonvention vorgetragen. Ich habe das gestern abend noch einmal nachgelesen.
Jetzt sagen Sie allerdings, das sei ein Irrtum gewesen. Aber Sie sind lernfähig.
— Ich habe gerade gesagt: Sie sind lernfähig. Das spricht ja für Sie.
Ich darf nun zu meiner Fraktion kommen. Ich will uns in gar keiner Weise schonen. Ich habe mit Interesse in der deutschen Presse gelesen, wir seien in dieser Frage zerstritten, es gebe einen ungeheuren Streit und Kontroversen. Eigentlich hätte der Außenminister zurücktreten sollen.
Meine Damen und Herren, wenn es in einer Demokratie nicht möglich ist, daß man in einer so wichtigen Frage verschiedene Meinungen hat und diese Meinungen auch gut begründen kann — das war wohl bei dieser Konvention der Fall —, dann sind wir allerdings in einem außerordentlich schlimmen Stadium unserer Entwicklung.
Ich kann nur sagen: Ich bin dankbar, daß wir kontrovers diskutiert haben und — das sage ich ganz offen, liebe Frau Timm — am Ende dieser Diskussion die Mehrheit der Fraktion für eine Zeichnung war. Ich sage Ihnen: Ich persönlich bedauere, daß es nicht zu einer Zeichnung gekommen ist.
Das ändert aber nichts daran, daß wir zu respektieren haben, daß diese Entscheidung ja nicht im Parlament getroffen wird, sondern daß dies eine Angelegenheit der Bundesregierung ist, die ihre Entscheidung getroffen hat.
— Herr Bindig, entschuldigen Sie, auch bei Ihnen mußten wir manches zugestehen. Ich glaube, Sie sollten nicht so tun, als seien Sie ganz unhistorisch.
Umgekehrt kann ich nur sagen: Auch Sie mußten manches von uns schlucken — das wissen wir —, was Ihnen weh getan hat. Sie sollten nicht so tun, als wären wir heute in der Lage, alle Vorstellungen durchzusetzen.
Ich möchte aber zum Schluß sagen: Das, was am Ende dieser langen Debatte steht, ist ja nicht die Isolierung der Bundesrepublik Deutschland, Herr Kollege Brandt. Vielmehr hat die Bundesregierung im Rahmen der Europäischen Gemeinschaft — ich weiß: in verminderter Zuständigkeit der EG — immerhin noch den Fuß in der Tür. Ich kann nur sagen: Wir werden in den nächsten Jahren außenpolitisch dafür zu sorgen haben — das wird unser Bundesaußenminister tun müssen —, daß aus dieser Nichtzeichnung kein Schaden in der Dritten Welt erwächst. Wir werden allerdings auch um Verständnis in der Dritten Welt dafür werben müssen, daß wir nicht mit Vorstellungen zur Schaffung internationaler Überbürokratien einverstanden sein können. Ich bin der Auffassung, das wird auch in der Dritten Welt verstanden. Graf Lambsdorff war es, der in seinem Artikel im „Handelsblatt" darauf hingewiesen hat, daß wir weiterhin der Dritten Welt unsere Kooperation in Form von Joint-ventures anbieten.
Wir sollten deshalb diese Angelegenheit nicht hochstilisieren zu einer gewaltigen Affäre. Wir sollten vielmehr die Entscheidung zur Kenntnis nehmen und versuchen, das Beste daraus zu machen.
Vielen Dank.
Das Wort hat Herr Senator Lange, Präses der Behörde für Wirtschaft, Verkehr und Landwirtschaft der Freien und Hansestadt Hamburg.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ein Hamburger Vertreter wird oft genug in den Verdacht gestellt, hier nur für das Seerecht zu argumentieren, weil der Seegerichtshof nach Hamburg kommen sollte.
— Völlig richtig, Herr Kollege Rühe.
Ich will sehr deutlich machen, daß ich den Verlust des Seegerichtshofes für Hamburg für erheblich halte hinsichtlich des Ansehens und der Möglichkeit zur Werbung.
Aber insbesondere beklage ich, daß es nicht möglich sein wird, die erste UN-Institution auf bundesdeutschem Boden zu installieren. Das ist für mich wesentlich wichtiger, als daß Hamburg in den Genuß dieser Institution kommen könnte.
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 109. Sitzung. Bonn, Freitag, den 7. Dezember 1984 8135
Senator Lange
Ich fühle mich als Sprecher einer Region — und fühle mich darin unterstützt durch Ministerpräsident Barschel, der der Bundesregierung gestern im Norddeutschen Rundfunk wegen der Nichtzeichnung mit sehr viel Kritik entgegengetreten ist —, die seit Jahrhunderten traditionell von Handel, Schiffahrt und Schiffbau lebt und deshalb auf freie und vertrauensvolle Zusammenarbeit mit der ganzen Welt angewiesen ist. Dabei wissen wir, daß es Freiheit und Vertrauen heute ohne eine von allen anerkannte Rechtsgarantie nicht geben kann und aus unserer Sicht auch nicht geben wird.
Hamburg hat nie Zweifel daran gelassen — und insofern waren wir mit Sicherheit nicht blauäugig —, daß es durch die Zeichnung der Seerechtskonvention und dann auch durch die endgültige Ratifizierung Nachteile geben werde. Das haben wir nicht übersehen. Aber interessant ist doch, daß all diejenigen, die in den letzten Jahren die Nachteile herausgestellt und Negativeinstellungen signalisiert haben, um so energischer für die Zeichnung gekämpft haben, je näher wir an den Endzeichnungstermin gekommen sind. Ich erinnere an den Brief der Preussag vom Juli dieses Jahres an den Bundeswirtschaftsminister. Ich erinnere an andere Stellungnahmen, z. B. auch der norddeutschen Kammern, in denen die Bundesregierung letztendlich zum Zeichnen aufgefordert worden ist.
Die Nachteile sehend Herr Kittelmann, sind wir sehr wohl der Meinung, daß wir nur durch aktives Handeln von innen die Seerechtskonvention verbessern können in den Punkten, in denen wir Nachteile sehen.
Zweifelsohne können wir Verbesserungswünsche, die auch wir Sozialdemokraten haben — dazu haben wir ja unsere Argumentation in den 70er Jahren vorgetragen —, nur von innen einbringen. Der Beobachterstandort und der Beobachterstandpunkt haben sich bisher in der Vorbereitungskommission als nicht ausreichend erwiesen. Die Möglichkeiten zur Einflußnahme werden sich künftig noch wesentlich mehr einengen, wie die UN das auch mitgeteilt hat.
Herr Kittelmann, gestatten Sie mir eine Bemerkung zu Ihrer Formulierung, die Bundesregierung sei für ein gezieltes Draußenbleiben. Was ist denn das für eine Argumentation?
Sie erinnern mich an einen Fußballspieler, der noch nicht einmal auf der Ersatzbank Platz nimmt, aber meint, er könne von der Tribüne aus in das Spiel eingreifen. Das ist doch völlig unsinnig.
Nun weiß ja jeder, daß Hertha BSC inzwischen in der zweiten Bundesliga spielt. Insofern ist das wahrscheinlich als Kenntnis nicht mehr so vorhanden.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Bundesregierung hat aus unserer Sicht die politische Führungsrolle in Europa mit ihrer Entscheidung aufgegeben. Dadurch, daß kein Veto eingelegt wird, wird diese Entscheidung nicht plausibler. Denn — und Herr Brandt hat darauf hingewiesen — die EG kann eben nicht das ersetzen, was die Bundesregierung durch Nichtzeichnung ausgelöst hat und auslösen wird. Die EG hat keine Kompetenz zum Beispiel im Bereich des Meeresbergbaus. Die EG hat keine Kompetenz, kein Mandat, um die Interessen der deutschen Industrie in diesem Bereich durchzusetzen. Die Bundesregierung schädigt aus unserer Sicht mit ihrer Entscheidung das Ansehen gegenüber Drittländern. Die Bundesregierung beeinträchtigt mit ihrer Entscheidung aus unserer Sicht die Wettbewerbsfähigkeit gegenüber anderen EG- und Industriestaaten und schwächt damit insbesondere die norddeutsche Region.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Bundesregierung sollte in sich gehen und sollte sich ein Beispiel an einer Aufforderung nehmen, die am 30. November in einem Artikel der „Financial Times" stand: „Obgleich schwierig zu praktizieren, sollte die Seerechtskonvention lieber aufgebaut als zerstört oder ignoriert werden." Sie haben jetzt zu handeln.
Das Wort hat der Herr Minister für Wirtschaft und Verkehr des Landes Schleswig-Holstein, Dr. Westphal.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Entscheidung der Bundesregierung ist gefallen. Ich halte diese Entscheidung für richtig. Das möchte ich an den Anfang stellen.
Es ist eine lange Diskussion vorangegangen. Ich selber, meine Damen und Herren von der Opposition, habe mich, wie mancher weiß, seit über zehn Jahren an dieser Diskussion mit kritischen Beiträgen beteiligt. Wir alle wissen, daß es Argumente pro und kontra gegeben hat. Eine Regierung muß entscheiden, auch dann, wenn es starke Argumente für die andere Meinung gibt. Und sie hat sich hier entschieden. Ich halte das für richtig. Ich will die Gründe noch einmal ausdrücklich sagen, weil dies hier nicht genügend zum Ausdruck gekommen ist.
Das Kapitel XI — Meeresbergbau — ist nicht etwa nur ein zu kritisierendes Kapitel, sondern ein Instrument zur Verhinderung des Meeresbergbaus. Dies halten wir für einen Fehler. Der Herr Kollege Lange hat geglaubt, für die norddeutsche Region sprechen zu können, zu der ich mich mit Verlaub, Herr Kollege Lange, auch zähle. Schleswig-Holstein ist erstens ein Land und zweitens ein norddeutsches; das kann man ja nicht bestreiten. Da das so ist, möchte ich ausdrücklich sagen, auch in Norddeutschland sind die Meinungen hierüber durchaus geteilt, weil es eben in beiden Richtungen Argumente gibt. Ich möchte hinzufügen, gerade für die Küstenregion mit ihren starken außenwirtschaftlichen Bindungen ist ein Ja zu einem liberalen Welt-
8136 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 109. Sitzung. Bonn, Freitag, den 7. Dezember 1984
Minister Dr. Westphal
handel wichtig und entscheidend. Auch das sollten Sie als Meinung aus Norddeutschland hier deutlich hören, meine Damen und Herren.
Mit der Entscheidung der Nichtzeichnung ist die Diskussion nicht beendet. Ich warne davor, hier zu resignieren. Zum ersten gibt es — und wir sollten es intensiv mit den anderen wichtigen Ländern, auch Großbritannien gehört dazu, die nicht gezeichnet haben, nutzen — Möglichkeiten, insbesondere im Meeresbergbau die ordnungspolitischen Vorstellungen zu verbessern. Ob wir das innerhalb oder außerhalb der Vorbereitungskommission machen, wird eine Frage der politischen Möglichkeiten und der politischen Taktik sein.
Ich halte es auch für einen Fehler, hier die Auffassung zu vertreten, die Kandidatur Hamburgs für den Internationalen Seegerichtshof sei erledigt. Erstens einmal wird dieser Seegerichtshof, wie jeder, der die Unterlagen kennt, weiß, erst wirksam, wenn das Abkommen von 60 Staaten ratifiziert ist. Bisher sind es meines Wissens 15. Zum zweiten, meine Damen und Herren von der Opposition, darf ich vielleicht darauf hinweisen, daß es seit vielen Jahren in einem Land bedeutende UNO-Institutionen gibt, das selber nicht der UNO angehört. Warum resignieren Sie so? Ich sehe dafür keine Veranlassung. Wir norddeutschen Länder werden jedenfalls in voller Übereinstimmung mit Hamburg weiter für die Installierung des Seegerichtshofs in Hamburg eintreten.
Punkt 3. Die Bundesregierung, aber auch die deutsche Wirtschaft sollten sich intensiv darum bemühen, daß bilaterale Joint-venture-Beziehungen mit anderen Ländern, insbesondere mit Ländern der Dritten Welt, zur Nutzung der 200-SeemeilenWirtschaftszone aufgebaut werden. Hier sind wir allerdings im Wort, so meine ich.
Gerade unsere Entscheidung, nicht zu zeichnen, sollte Ausgangspunkt für eine aktive Politik sein, bilaterale Beziehungen mit diesen Ländern zu knüpfen.
Das ist ein Stück aktiver Entwicklungspolitik und besser als die großen Grundsätze vom gemeinsamen Erbe der Menschheit. Wer sich diese Konvention einmal angesehen hat, kann doch nicht mehr davon sprechen, daß das die Verwirklichung des gemeinsamen Erbes der Menschheit wäre. Das ist doch ein Widerspruch in sich.
Ich denke weiter, daß sich die Bundesregierung darum bemühen sollte — dies ist ein wichtiger europapolitischer Akzent —, die Verwirklichung des europäischen Meeres durchzusetzen und nicht nur zu warten, bis es zu Fällen kommt, in denen die Frage nach dem geltenden Recht aufgeworfen wird. Ich habe dies mehrfach angesprochen.
Ich denke, daß die Realisierung des EG-Meeres gerade im Zusammenhang mit der Erweiterung der
Europäischen Gemeinschaft ein wichtiges Thema ist, das auch ideell deutlich macht, daß Europa nicht nur eine terrestrische, sondern auch eine maritime Gemeinschaft ist.
Lassen Sie mich zusammenfassend sagen: Diese Debatten der letzten Monate sollten nicht das Ende, sondern der Anfang einer aktiven Meereswirtschaftspolitik sein, die alle Wirtschaftsbereiche, insbesondere auch unsere internationalen Beziehungen mit einbezieht. Nicht Resignation, sondern das Gegenteil, diese Situation zu einer aktiven Meereswirtschaftspolitik nutzen, ist das, was meines Erachtens jetzt vonnöten ist.
Ich danke Ihnen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Grunenberg.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die SPD stellt fest, daß der Wirtschaftsminister zu einem wichtigen Wirtschaftsthema vor dem Plenum des Deutschen Bundestages kneift.
Hauptsächlich auf Betreiben der USA kam es 1973 zur Einberufung der dritten UN-Seerechtskonferenz mit dem Ziel, alle die Ozeane betreffenden Nutzungen zu regeln und eine Behörde für die Regelung des Tiefseebergbaues einzusetzen.
Völker unterschiedlicher politischer, wirtschaftlicher, kultureller und rechtlicher Auffassungen brachten in diesem neunjährigen Rechtsschöpfungsakt eine Konvention zu Papier, die Rechte gibt, Pflichten auferlegt und Frieden sichert. 156 Staaten unterzeichneten bisher. 21 haben bis gestern ratifziert. Die Bundesrepublik und die USA sind zur Zeit die einzigen offiziellen Zeichnungsverweigerer.
Bis auf das Segment Tiefseebergbau ist die Konvention — Herrn Boenisch zufolge — lobenswert. Zwei Jahre Regierungsprüfzeit! In der FDP zwei Seelen in einer Brust: Wirtschafts- und Außenminister. Und der Stummelschwanz AMR, bestehend aus Preussag und Metallgesellschaft, wackelte fröhlich zwei Jahre mit dem Hund Bundesregierung.
Bemerkenswertes aus der Chronologie seit 1982. April 1982: Ende der Seerechtskonferenz; AMR lehnt nationales Abbaufeld ab. Juli 1984: AMR will nationales Abbaufeld. September 1984: Vorbereitungskommission eröffnet uns die Chance für ein nationales Abbaufeld. Bedingung: Zeichnung der Konvention und gleichbleibende Zahl der Pionierinvestoren. 4. Oktober 1984: Minister Bangemann befragt zwei Vorstandsmitglieder der AMR, ob sie am Tiefseebergbau unter deutscher Flagge teilnehmen wollen. AMR-Vertreter lehnen ab. Sie schlagen den deutschen Verhandlungserfolg in der Vorbereitungskommission in den Wind. Fast gleichzeitig: Graf Lambsdorff kommt vom US-Besuch zurück
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 109. Sitzung. Bonn, Freitag, den 7. Dezember 1984 8137
Grunenberg
und warnt AMR und Wirtschaftsminister dringend vor deutschem Unterzeichnungsalleingang. Gruß von United Steel? Oktober 1984: Präsident Reagan fordert Kanzler Kohl brieflich auf, die Zeichnung der Konvention zu unterlassen.
November 1984: Der CDU/CSU-Fraktionsvorstand beschließt darauf, die Seerechtskonvention nicht zu zeichen und die Unterschrift der EG zu verhindern.
SPD-Anträge, die die Regierung auffordern, die Konvention zu zeichnen, werden mit Geschäftsordnungsstricks oder Mehrheitsbeschluß im Wirtschafts- und Auswärtigen Ausschuß in der Beratung hinausgezögert. 27. November 1984: Das Kabinett beschließt gegen den Außen- und den Justizminister die Nichtzeichnung der Konvention. Der danach tagende Auswärtige Ausschuß nimmt den Kabinettsbeschluß zur Kenntnis und erklärt die SPDAnträge mehrheitlich für erledigt. Ein drohender Mehrheitsbeschluß des Bundestages wird verhindert. Ein erneuter SPD-Antrag auf Drucksache 10/2531 kommt durch Mehrheitsbeschluß im Ältestenrat nicht auf die Tagesordnung des Hauses.
Fazit: Auf dem Schlachtfeld Vorbereitungskommission gibt es kein deutsches Truppenkontingent, das gegen die befürchtete neue Weltwirtschaftsordnung zu Felde zieht.
Eine große Chance ist vertan. Tiefseebergbau unter deutscher Flagge findet nicht mehr statt. Die AMR begnügt sich als Trittbrettfahrer bei anderen Unternehmen. Unsere nicht patentierte Tiefseebergbautechnik — bisher die erfolgreichste in der Welt, mit 135 Millionen DM aus öffentlicher Hand gefördert — steht AMR-Konsortialpartnern — USA, Kanada, Japan — zur beliebigen Verfügung. Das bedeutet Technologietransfer zum Nulltarif an die größte Konkurrenz, nicht an die Entwicklungsländer.
In der Völkergemeinschaft gilt die Bundesrepublik nunmehr als bissiger Hund mit „außen" Zähnen und „abber" Zunge.
Denn AMR, Wirtschaftsminister und Bundeskanzler haben mit Kabinettsmehrheit bundesdeutsche Interessen den amerikanischen Interessen untergeordnet.
Freund, so du einen Riesen siehst, prüfe den Stand der Sonne, ob es nicht der Schatten eines Zwerges ist!
Die SPD wird nicht müde werden, dies zu korrigieren und nach dem 9. Dezember 1984 für den Beitritt der Bundesrepublik zur Seerechtskonvention, um den Seerechtsgerichtshof und für das Ansehen
der Bundesrepublik in der Völkergemeinschaft zu kämpfen.
Schönen Dank.
Das Wort hat der Herr Bundesminister des Auswärtigen.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist eine große Freude, die Fraktion der SPD um diese Zeit in so heiterer Stimmung anzutreffen.
Die Bundesregierung hatte am 27. November 1984 zwei Entscheidungen zu treffen. Das betrifft einmal die Frage der nationalen Zeichnung und zweitens unser Verhalten in der Europäischen Gemeinschaft. Wir haben uns einstimmig dafür entschieden, die Zeichnung durch die Europäische Gemeinschaft möglich zu machen, und uns mit Mehrheit gegen eine nationale Zeichnung ausgesprochen. Die Tatsache, daß der Außenminister für eine Zeichnung war, ist bekannt. Ich kann vielen Argumenten, Herr Kollege Brandt, die Sie vorgetragen haben, zustimmen. Es waren — das muß ich ergänzend sagen — nicht nur außenpolitische, sondern auch wirtschaftliche und technologische Gründe, die mich für eine Befürwortung eingenommen haben.
Die Bundesregierung hat sich diese Frage nicht leichtgemacht; übrigens nicht nur diese Bundesregierung, sondern auch frühere, worauf ich noch zu sprechen kommen werde.
Wir haben von Anfang an die tiefgreifenden Veränderungen der rechtlichen Verhältnisse auf See erkannt. Wir haben auch zeitig erkannt, daß für ein hochindustrialisiertes Land wie die Bundesrepublik Deutschland mit kurzen Küsten — hier besteht ein Interessenunterschied zu anderen westlichen Industriestaaten, die ausnahmslos Langküstenstaaten sind —, aber mit ausgedehnten Interessen zur See neue Probleme aus neuen Seerechtsentwicklungen erwachsen können. Wir haben aus diesem Grunde darauf geachtet, daß die meeresorientierten Interessengruppen und Vertreter des öffentlichen Lebens Zugang zu unserer Delegation erhielten und daß wir auch mit der Wissenschaft während der Verhandlungen engen Kontakt gehalten haben.
Von Anfang an waren für unsere seerechtliche Position wichtig: unsere geographische Lage, unsere starken Interessen vor allem auf den Gebieten der Sicherheitspolitik, der Schiffahrt und der Fischerei, unser Wunsch nach größtmöglicher Freiheit der Meeresforschung, unser Interesse an umfassendem Meeresumweltschutz und unser Interesse an einem möglichst unbehinderten Zugang zu den Rohstoffen des Meeresbodens.
In vier Entschließungen des Deutschen Bundestages finden sich übereinstimmende Positionen zu allen diesen Fragen. Schon daraus wird deutlich, daß es in den Substanzfragen jedenfalls in der Vergangenheit im Deutschen Bundestag Meinungsverschiedenheiten nicht gegeben hat. Für uns waren
8138 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 109. Sitzung. Bonn, Freitag, den 7. Dezember 1984
Bundesminister Genscher
diese Entschließungen bei den Verhandlungen eine wertvolle Orientierungshilfe.
Wir haben, meine Damen und Herren, auch die Bemühungen der neuen amerikanischen Regierung, der Regierung Reagan, zu einer Verbesserung in den Fragen des Meeresbodenregimes begrüßt — es war die damalige Bundesregierung —, weil wir erkannt hatten, daß sich diese Vorstellungen mit unseren Vorstellungen deckten.
Ich glaube, meine Kollegen von der SPD, daß Sie der Mehrheit der Bundesregierung und den Kollegen der Regierungskoalition, die diese Auffassung unterstützen, Unrecht tun, wenn Sie der Auffassung sind, daß gegen deutschen Interessen, sozusagen auf amerikanischen Auftrag, gehandelt würde.
Ich darf daran erinnern, was die Sozialdemokratische Partei selber am 6. April 1982 erklärt hat:
Der Deutsche Bundestag hat in einer von allen Fraktionen getragenen Entschließung eine positive Haltung zu den amerikanischen Änderungswünschen eingenommen, da diese weitgehend den über Jahre von der Bundesrepublik Deutschland vorgetragenen Vorstellungen entsprechen.
Das war damals richtig, und das ist natürlich auch heute richtig.
Wir hatten doch in Wahrheit in der Vergangenheit dagegen zu kämpfen, daß die Regierung Carter eher dirigistische Vorstellungen unterstützte. Damals befanden wir uns im Gegensatz zu den Amerikanern. Unsere Sachposition ist dann von der jetzigen Regierung der Vereinigten Staaten unterstützt worden.
Wir haben uns noch im Frühjahr 1982 bei der Verabschiedung des Seerechtsübereinkommens der Stimme enthalten, genauso wie Italien und Großbritannien, und wir haben damals unsere Haltung in der Frage der Zeichnung ausdrücklich offengehalten, weil wir uns bewußt waren, daß hier schwerwiegende Fragen abzuwägen sind.
Wenn ich mir einmal ansehe, was der Kollege Wischnewski gesagt hat, als er am 30. September 1982 für die SPD-Minderheitsregierung vor den Vereinten Nationen sprach, dann stelle ich fest, daß man die Probleme damals auch in der SPD sehr wohl erkannt hatte. Es heißt dort:
Befriedigenden Regelungen stehen Vereinbarungen zum künftigen Tiefseebergbau gegenüber, die uns eine positive Entscheidung zur Zeichnung der Konvention schwermachen.
Wir bedauern es sehr, daß die Konferenz nicht in der Lage war, insgesamt konsensfähige Ergebnisse vorzulegen. Die Bundesregierung wird ihre Entscheidung über die Zeichnung der Konventionen nach sorgfältiger Abwägung und
in enger Abstimmung mit anderen Konferenzteilnehmern treffen.
Das heißt, keine Regierung hat sich die Sache leichtgemacht.
Meine Damen und Herren, für uns war natürlich wichtig, daß die Europäische Gemeinschaft würde zeichnen können, einmal aus europapolitischen Gründen, weil diejenigen Länder in der europäischen Gemeinschaft, die sich national zur Zeichnung entschlossen hatten, nicht mehr über die volle Kompetenz für alle Sachgebiete des Seerechtsübereinkommens verfügten. Sie hätten gar nicht vollgültig national zeichnen können, wenn sich die Europäische Gemeinschaft verweigert hätte. Deshalb entsprach es durchaus europapolitischen Gesichtspunkten, aber auch der Erwägung, daß die Teile des Seerechtsübereinkommens, die in die Kompetenz der Europäischen Gemeinschaft fallen, nicht diejenigen sind, die zu Beanstandungen Anlaß geben, sondern im Gegenteil diejenigen, denen alle Teile des Hauses, glaube ich, ohne Einschränkung zustimmen können. Das war der Grund dafür, warum wir uns dafür eingesetzt haben. Wir werden die Möglichkeit haben, als Teil der Europäischen Gemeinschaft einen wesentlichen Beitrag dazu zu leisten, daß Verbesserungen möglich werden.
In Wahrheit hat sich am Ende die Meinungsverschiedenheit in der Bundesregierung und, wie ich finde, auch hier auf die Frage reduziert, ob man zu einer Verbesserung der gegenwärtigen Regelungen besser von außen oder von innen beitragen könne. Das können wir nicht als eine prinzipielle Frage ansehen, das ist eine Erwägung, in der man sich sehr wohl auch Mehrheitsentscheidungen anschließen kann.
Daß das Regime selber beanstandungswürdig ist, hat niemand so vollendet zum Ausdruck gebracht wie der Kollege Grunenberg am 11. Februar 1982, als er sagte:
Wir sollten aber alles tun, um zu verhindern ..., daß im Bereich des gemeinsamen Erbes der Menschheit der Dirigismus und die damit verbundene kostenträchtige Überbürokratisierung so gut wie nichts für die besonders benachteiligten Entwicklungsländer übriglassen. Das ist eigentlich meine größte Befürchtung. Hier bedarf es noch einiger Überzeugungsarbeit.
Meine Damen und Herren, es ist auch nicht richtig, so sehr ich mich für die Zeichnung eingesetzt habe, zu sagen, daß wir uns nun völliger Isolierung aussetzten.
Die frühere Bundesregierung hat sich im April 1982 mit dieser Frage auseinandergesetzt. Der damalige Bundeskanzler hat festgestellt, daß die weitreichende Bedeutung dieser Konvention zu sehen ist, und er hat auf die klare Interessenübereinstimmung mit den Vereinigten Staaten von Amerika beim Meeresbodenregime hingewiesen.
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 109. Sitzung. Bonn, Freitag, den 7. Dezember 1984 8139
Bundesminister Genscher
Er hat dann festgestelt, daß das Kabinett an dem Grundsatz der Verhandlungslinie vom Februar 1982 festhält, d. h. ein Widerspruch gegen die Zeichnung zusammen mit den USA kam nur dann in Frage, wenn auch ein weiterer großer EG-Staat die gleiche Haltung einnimmt.
Man hat sich also auch damals schon ernsthaft mit der Frage der Nichtzeichnung befaßt. Man wollte in der EG nicht allein sein, sondern machte es davon abhängig, ob auch ein anderer großer Staat nicht zeichnet, wie es jetzt das Vereinigte Königreich tut.
Das, meine Damen und Herren, ist die damalige Lage gewesen. Ich habe immer — auch damals — für eine Zeichnung plädiert, ich habe aber auch immer die Erfahrung machen müssen, daß starke Kräfte mit guten Argumenten für die andere Position eingetreten sind.
Lassen Sie mich ein letztes Wort sagen. Was uns die GRÜNEN in dieser Frage bieten, ist nach der offenbar nicht mehr beabsichtigten körperlichen Rotation die geistige Rotation.
Der Herr Kollege Schwenninger hat noch am 27. Oktober 1983 mit denselben Argumenten, die er heute für die Zeichnung vorgetragen hat, vehement dagegen Stellung genommen und gesagt, er lehne den Antrag der SPD ab. Zitat:
Das moderne Freibeutertum, das in der bisherigen Haltung der Industrieländer und der Konzerne zum Ausdruck kommt,
möchte ich mit dem Refrain eines Ihnen sicherlich bekannten Liedes wiedergeben: „Ja, hoch lebe die See und das brausende Meer, hoch lebe die Seeräuberei."
Meine Damen und Herren, wir sollten sagen: Hoch leben die Bemühungen, wenigstens über die Europäische Gemeinschaft eine Verbessserung des Seerechtsübereinkommens hinzuwirken!
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Höffkes.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist kein Geheimnis: Außenminister Genscher — er hat es soeben noch betont — ist für, Graf Lambsdorff und Wirtschaftsminister Bangemann sind gegen die Zeichnung. Die FDP-Fraktion als solche ist gespalten. Aber die CDU/CSU-Bundestagsfraktion ist einstimmig gegen eine Zeichnung. Das Kabinett hat entschieden: Die Bundesrepublik Deutschland zeichnet nicht, und eine eventuelle Zeichnung durch die EG wird toleriert.
Hier wäre festzuhalten: Für das Parlament besteht kein Handlungsbedarf, weil die Frage, ob gezeichnet werden soll oder nicht, in die Entscheidungskompetenz der Bundesregierung gehört. Nur bei Ratifizierung ist das Parlament zur Entscheidung aufgerufen.
Ich möchte hier betonen: Die Nichtzeichnung bedeutet noch keine Entscheidung über die Ratifizierung. Aber, meine Damen und Herren, man muß davon ausgehen, daß die CDU/CSU-Fraktion einer späteren Ratifizierung nur dann zustimmen kann, wenn Vereinbarungen erfolgen, die einer freien Weltwirtschaftsordnung entsprechen. Für den Vorschlag des Außenministers — Zeichnung mit Vorbehalten — kann sich die Fraktion nicht entschließen, weil ein wie immer formulierter Vorbehalt völkerrechtlich bedeutungslos ist.
Die Tiefseebergbauregelung ist für fast alle westlichen Industrieländer in der vorliegenden Form nicht akzeptabel. Das, was in neunjähriger Mammutkonferenz erarbeitet worden ist, würde die wirtschaftliche Gewinnung der Meeresbodenschätze verhindern und für andere internationale Streitfragen — z. B. Antarktis, Weltraum, UNCTAD — gefährliche Signale setzen und am Ende eine freiheitliche Weltwirtschaftsordnung als Ganzes in Frage stellen.
Auch den Eigeninteressen von Entwicklungsländern läuft die Regelung zuwider. Hiergegen spricht auch nicht, daß eine Reihe von Ländern die Regelung zeichneten. Denn sie sehen hier erstmals zentrale Elemente einer protektionistisch angelegten neuen Weltwirtschaftsordnung international als vereinbart an. Einstieg in die sogenannte neue Weltwirtschaftsordnung bedeutet letztlich weltweite Plan- und Zwangswirtschaft.
In aller Deutlichkeit: Mit den Regelungen über den Tiefseebergbau setzt die Konvention neues internationales Recht. Die Behörde soll das Recht erhalten, alle Tätigkeiten zu kontrollieren, Flächen zuzuteilen, Quoten festzusetzen, Preise zu bestimmen, über Beteiligung am Gewinn von drei Vierteln bis vier Fünfteln des Ertrags zu befinden, ferner über Auslieferung aller technischen Kenntnisse und Patente, das letzte bereits ab Zeichnung.
Meine Frage: Welcher Industriestaat kann wünschen, eine internationale Tief seebergbauunterdrückungsbehörde in der Hand der UN-Mehrheit zu finanzieren?
Die nichtzeichnenden Staaten: USA, England und die Bundesrepublik, hätten 40% der Kosten zu tragen. Bei Ausfall dieser Finanzierung ist man vielleicht doch bereit, neu über die Konstruktion des Meeresbodenrechts im Sinne einer freien Weltwirtschaftsordnung nachzudenken.
Dirigismus, Bürokratismus und Protektionismus sind die ärgsten Feinde des Wohlstands auch in der Dritten Welt. Die SPD bitte ich, zur gemeinsamen Entschließung des Bundestags von 1977 zurückzukehren, in der es heißt: Eine institutionelle Kontrolle des Meeresbodenbergbaus darf nicht zu diri-
8140 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 109. Sitzung. Bonn, Freitag, den 7. Dezember 1984
Höffkes
gistischer, bürokratischer oder im Ergebnis monopolistischer Ausrichtung des Meeresbodenregimes führen. — Das war die übereinstimmende Meinung aller damals in diesem Haus vertretenen Fraktionen. Ich bitte die SPD erneut, zu dieser Einstellung zurückzukommen.
Wir bitten, den vorliegenden Anträgen auf Erledigterklärung zuzustimmen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Holtz.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Schlußfolgerung Ihres Beitrags, Herr Bundesaußenminister, muß eigentlich lauten: Das Nein zum UN-Seerecht ist ein schwerer politischer Fehler.
Die Bundesregierung gegen den Rest der Welt? Diese Entscheidung verstößt gegen die wohlverstandenen außenpolitischen und wirtschaftlichen Interessen der Bundesrepublik Deutschland.
Sie ist auch entwicklungspolitisch besonders schädlich und versetzt dem Nord-Süd-Dialog einen schweren Schlag. Ihr nationales Nein und Ihre Toleranz gegenüber einem europäischen Ja: Das ist politische Schizophrenie, das ist potenzierte Unglaubwürdigkeit.
An Ihrem Nein läßt sich auch ablesen, was Sie von internationaler Solidarität wirklich halten. Letztlich setzt sich bei Ihnen immer nationaler Egoismus durch. Leider!
Wir Sozialdemokraten sind für eine Zeichnung, auch weil wir in der Konvention einen Beitrag zu einem fairen Nord-Süd-Ausgleich sehen. Revision, Neuverhandlung — wie hat Herr Genscher an die FDP-Mandatsträger dazu geschrieben ? : Durch Nichtzeichnung würden wir die Tür vorzeitig und endgültig zuschlagen. Leider wahr!
Die Union ist untertänigst dem US-Wunsch gefolgt. Aber Untertanen sind Verschwender. Sie verschwenden ihren Einfluß. Herr Bundesaußenminister, wo ist eigentlich Ihr Einfluß geblieben?
In der CDU/CSU wurde eine Vordergrunddiskussion geführt. Man meinte, das Seerecht ablehnen zu können, weil ja jeder in der Union etwas von der angeblich so freien Marktwirtschaft versteht.
Wir sind für eine vernünftige, internationale Kontrolle und dafür, daß aus dem, was man Gemeineigentum der Menschheit nennen könnte, ein stattlicher Anteil für Zwecke der wirtschaftlichen Ent-
wicklung abgezweigt wird. Wer aus der Kolonialgeschichte lernen will, weiß: Das Erbe der Menschheit kann man heute nicht mehr einer ungezügelten, monopolartigen Ausbeutung überlassen.
Die Zuspitzung der Diskussion auf fehlende marktwirtschaftliche Elemente reicht zur Beurteilung dieser Konvention doch allein gar nicht aus. Das gewaltige Werk der Konvention wird von vielen von Ihnen als Steinbruch behandelt, aus dem sich jeder die passenden Steine des Anstoßes heraussucht, oftmals ohne den Text richtig zu kennen. Nirgends in der Konvention wird beispielsweise ein kostenloser Technologietransfer im Meeresbergbau verlangt, wie immer falsch behauptet wurde und wird. Weil in den Nachfolgejahren die Konvention wesentlich verändert und verbessert worden ist, ist es Unsinn, zu sagen: Kehren wir zurück zur gemeinsamen Entschließung von 1977. Die Konvention spricht klar und deutlich von fairen, vernünftigen und wirtschaftlichen Bedingungen, zu denen das Bergbauunternehmen „Enterprise" und die Entwicklungsländer Technologiewissen erhalten sollen. Das Wort „wirtschaftlich" wurde auf Wunsch der deutschen Delegation hinzugefügt.
Die ordnungspolitischen Leithammel setzten sich in der Union an die Spitze der Verweigerungsherde. Sie leiten sich und andere in den Abgrund.
Legen Sie endlich Ihre ideologischen Scheuklappen ab,
verbreiten Sie nicht ordnungspolitische Halbwahrheiten, und ringen Sie sich 100 Jahre nach dem Diktat der Kongo-Konferenz in Berlin zu einem Ja zu einer im Dialog ausgehandelten Übereinkunft zwischen über 150 Ländern durch!
Danke.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Echternach.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ihr hohes Lied auf die Seerechtskonvention, meine Damen und Herren von der SPD, steht in völligem Gegensatz zu den vielen einstimmigen Beschlüssen des Bundestages, steht in eklatantem Widerspruch zu den massiven Bedenken, die noch die alte Bundesregierung im Juni 1982 gegen den schon damals feststehenden Text der
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 109. Sitzung. Bonn, Freitag, den 7. Dezember 1984 8141
Echternach
Konvention geäußert hat, kann also niemanden überzeugen.
Zum Seegerichtshof. Die Entscheidung für Hamburg ist von Anfang an als Lockspeise für die Bundesrepublik gedacht gewesen. Wir sind auch in Zukunft bereit, Gastgeber dieses Seegerichts der Dritten Welt zu sein und die sich daraus ergebenden finanziellen Lasten zu tragen. Nur: Wir lassen uns damit aber auch nicht erpressen.
Darüber waren sich noch vor zwei Jahren, bis zum Regierungswechsel alle Fraktionen dieses Hauses einig.
Als Hamburger Abgeordneter füge ich hinzu: Natürlich schmeichelt es dem Stolz der Hamburger auf ihre Stadt, wenn sie Sitz dieses Seegerichtshofs werden sollte. Die Hamburger waren aber nie Kirchturmpolitiker. Sie denken nicht so provinziell, daß sie sich den Blick dafür verstellen ließen, daß es bei der Seerechtskonvention um mehr als Prestigeüberlegungen geht, nämlich um Gefahren für die Zukunftsicherung dieser Stadt.
Hamburg verdankt seinen Aufstieg als Tor zur Welt dem Grundsatz der Freiheit der Meere, der durch diese Seerechtskonvention jetzt weitgehend außer Kraft gesetzt werden soll.
Was einmal mit dem hohen Ziel begann, das gemeinsame Erbe der Menschheit zu sichern und gemeinsam zu nutzen, endete doch auf einer gigantischen nationalen Verteilungskonferenz mit der größten Land- und Rohstoffnahme der Geschichte, und zwar zu unseren Lasten.
Gerade angesichts des vielzitierten Nord-Süd-Gefälles in der Bundesrepublik sind wir in Norddeutschland gezwungen, nicht nur über bestimmte geographische Gegebenheiten zu klagen, sondern die Chancen zu nutzen, die sich aus unserer Lage an der See ergeben. Deshalb dürfen wir für das Linsengericht des Seegerichtshofs, in dem wir nichts zu sagen haben, in dem von den 21 Richtern keiner aus der Bundesrepublik kommen wird, sondern in dem für uns nur die Posten der Kraftfahrer und der Sekretärinnen bleiben — darüber hinaus ein Seegerichtshof, dem die wichtigste Streitkompetenz entzogen ist, nämlich die in der Frage der künftigen Machtbefugnisse der Küstenstaaten in den neuen Wirtschaftszonen mit den reichen Fischbeständen und Bodenschätzen —, nicht die Möglichkeiten aufgeben, die sich für uns an der Küste durch die Nutzung der Meere im Tiefseebergbau, in der Meeresforschung, für unsere leistungsfähige Meereswirtschaft und für die Arbeitsplätze an der Küste ergeben.
Meine Damen und Herren, wie soll es nach der Entscheidung der Bundesregierung weitergehen? Sechs Punkte scheinen mir vordringlich zu sein.
Erstens. Unser Nein zur Zeichnung ist kein Nein zur internationalen Zusammenarbeit bei der Nutzung der Meere. Es ist ein Nein zum vorliegenden Text und mit der Bereitschaft gekoppelt, über eine Änderung der Konvention zu verhandeln, damit sie nicht nur für die Entwicklungsländer und den Ostblock akzeptabel ist, sondern auch für alle westlichen Industrieländer.
Zweitens. Die Bundesregierung sollte nicht warten, bis die Meeresbergbauregelung von allein austrocknet, was früher oder später geschehen wird, sondern sollte bald konkrete Änderungsvorschläge zu den Kernbestimmungen der Konvention vorlegen, zum Technologietransfer, zur Bergbaubehörde, zur Revisionskonferenz, zur Rohstoffpolitik und zur Abgabenlast für den Tiefseebergbau. Sie sollte sich dabei mit den USA und mit Großbritannien abstimmen. Denn die Erfolgschancen von Änderungsverhandlungen werden um so besser sein, wenn wir sie gemeinsam mit den drei größten potentiellen Beitragszahlern führen, die gleichzeitig über den höchsten Stand der Meerestechnologie verfügen.
Drittens. Solange wir keine akzeptable Konvention haben, brauchen wir eine noch engere Zusammenarbeit mit den USA und den sechs Industriestaaten, mit denen wir im Sommer dieses Jahres das Tiefseebergbauabkommen gezeichnet haben, das sich bisher im Kern nur auf die gegenseitige Respektierung der Lizenzen der Partner beschränkt. Wir sollten versuchen, gemeinsame materielle Standards zu vereinbaren, gemeinsame Rechtsnormen, aber auch gemeinsame Umweltschutzbestimmungen für den Tiefseebergbau.
Wir sollten — viertens — den Entwicklungsländern erklären, daß wir auch mit ihnen in allen Bereichen der Meereswirtschaft zusammenarbeiten wollen. Wir wollen sie von den Ergebnissen unserer Forschung und Technologie nicht ausschließen, im Gegenteil: Sie sollen davon profitieren, allerdings nicht unter Zwang, sondern auf der Basis freier Vereinbarungen.
Fünftens sollte die Bundesregierung in der EG sicherstellen, daß das Diskriminierungsverbot der EG nicht nur zu Lande, sondern auch auf dem Meer gilt,
also kein deutschen Unternehmen im EG-Meer diskriminiert werden darf.
Sechstens brauchen wir die Konzipierung einer ressortübergreifenden deutschen Meerespolitik, die nicht nur Wirtschafts- und Außenpolitik zusammenfaßt.
8142 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 109. Sitzung. Bonn, Freitag, den 7. Dezember 1984
Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit ist abgelaufen. Bitte beenden Sie Ihre Rede.
Die deutsche Meerespolitik muß auch Fragen der Fischerei, Schiffahrt und Forschung einschließen. Sie muß vor allem von einem verstärkten maritimen Bewußtsein der deutschen Politik getragen werden. Dazu hat die richtige Entscheidung der Bundesregierung die notwendigen Voraussetzungen geschaffen.
Ich bedanke mich.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Jens.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich finde, es ist reine Ideologie, wenn seitens der CDU/CSU vom Prinzip der Freiheit der Meere gesprochen wird. Es ist reine Ideologie, wenn aus dem Wirtschaftsministerium zu hören ist, durch diese Seerechtskonvention würde der Gang in eine neue, nicht gewollte Wirtschaftsordnung eröffnet. Ich gebe gerne zu, auch wir Sozialdemokraten haben bei einigen wenigen Bestimmungen Bedenken. Die haben wir immer noch.
Aber wir haben immer gesagt: Die Vorteile dieser Konvention überwiegen bei weitem die Nachteile.
Es ist bei einer derartigen Konvention, bei der mehr als 140 Staaten zeichnen sollen, doch selbstverständlich, daß es seitens der Länder Bedenken zu einzelnen Punkten gibt. Alle können niemals befriedigt werden. So ist es auch jetzt. Aber es muß dringend gezeichnet werden.
Es ist aus meiner Sicht einfach nicht rational entschieden worden. Im Wirtschaftsministerium ist auf Drängen von zwei Unternehmen eine Entscheidung getroffen worden; in der CDU wurde auf Drängen der US-amerikanischen Regierung entschieden — völlig falsch. Die zwei Unternehmen Preussag und Metallgesellschaft haben zur Zeit überhaupt kein Interesse am Meeresbodenbergbau, weil der Meeresbodenbergbau nicht wirtschaftlich ist, sondern frühestens im Jahre 2000 wirtschaftlich sein wird. Die Metalle Zink, Nickel und Kobalt gibt es in Hülle und Fülle. Auch deshalb haben diese Unternehmen kein Interesse.
Die US-Regierung verhält sich aus meiner Sicht in der Tat ziemlich heuchlerisch. Sie propagiert, daß durch diese Konvention marktwirtschaftliche Prinzipien in Gefahr seien. Aber sie selbst plädiert für die Beschränkung des Technologietransfers auch nach Europa. Sie selbst will ein Röhrenembargo
verhängen. Sie selbst spricht von Ladungslenkung auf amerikanischen Schiffen. Sie selbst geht voran, wenn es um Protektionismus beim Stahl geht. Alles dies hat mit marktwirtschaftlichen Prinzipien überhaupt nichts zu tun.
Da wird davon gesprochen, daß angeblich eine riesige Meeresbodenbergbaubehörde aufgebaut werden soll, mit viel Bürokratie. Die USA selbst haben die Schaffung dieser Meeresbodenbergbaubehörde vorgeschlagen. Wenn wir die Konvention zeichnen und in die Vorbereitungskommission hineingehen würden, hätten wir eine Möglichkeit, diese Meeresbodenbergbaubehörde nach unseren Vorstellungen mitzugestalten.
Diese Regierung hat mit der Nichtzeichnung, so meine ich wenigstens, die Interessen der Bundesrepublik Deutschland sträflich vernachlässigt.
Jetzt wird kein deutsches Unternehmen ein Pionierunternehmen. Die Schiffahrt selbst hat deutlich gemacht, daß diese Konvention gezeichnet werden muß. Und ich prophezeie: Der deutschen Wirtschaft werden durch das Verhalten dieser Regierung im internationalen Handel noch schwere Schäden entstehen.
Meine Damen und Herren, die Regierung und die CDU/CSU betreiben innen- und außenpolitisch erneut eine Politik der Konfrontation.
Damit lösen wir unsere Probleme aber nicht. Wir brauchen — das meinen wir Sozialdemokraten — eine Politik der Kooperation.
In der zweiten Oktober-Ausgabe der „Wirtschaftswoche" hat der Philosoph und Friedensforscher Carl Friedrich von Weizsäcker festgestellt, daß eine notwendige Weltinnenpolitik feste Strukturen des Konfliktsaustrags erfordert. Er fügte hinzu — ich zitiere —: „Diese weltweit entstehen zu lassen ist die heute ungelöste Aufgabe der Zukunft." Die CDU/CSU marschiert einmal mehr in die Vergangenheit.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Lattmann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Kollege Grunenberg hat hier eine eindrucksvolle Auflistung von Daten vorgetragen. Eines hat er vergessen: Februar 1987, SPD verliert Bundestagswahl.
Meine Damen und Herren, hinsichtlich der Meeresbodennutzung, die ja nicht irgendeinen Teil dieser Konvention darstellt
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 109. Sitzung. Bonn, Freitag, den 7. Dezember 1984 8143
Lattmann
— auf die GRÜNEN komme ich noch, Herr Kollege —,
den man bei der Gesamtwertung vernachlässigen kann, sondern die für ein rohstoffarmes Land wie die Bundesrepublik von zentraler Bedeutung ist, führt der vorliegende Text — Herr Kollege Jens, das hat nun nichts mit Ideologie,
sondern mit einer gemeinsamen Position zu tun, die in diesem Hause in vielen Debatten gefunden worden ist — zu folgenden Konsequenzen.
Erstens. Grundsätze des freien Welthandels werden über Bord geworfen.
Zweitens. Die Steuerung wichtiger Rohstoffmärkte soll einer Superbürokratie übertragen werden. Diese Superbürokratie bleibt schädlich, insbesondere für den Verbraucher, auch dann, wenn wir daran mitwirken könnten.
Drittens. Wirtschaftlichkeit ist nicht zu erreichen und wahrscheinlich auch gar nicht gewollt. Die nächste Subventionsrunde ist hier schon vorbereitet.
Viertens. Der technische Fortschritt, der den Industrieländern ja auch nicht in den Schoß fällt, soll sozialisiert und damit verhindert werden. Planwirtschaft also ist angesagt, und zwar nicht irgendwo, sondern in einem äußerst wichtigen Bereich, der leicht zum Präzedenzfall werden kann.
Diese Ergebnisse sind nun exakt das Gegenteil von dem, was der Deutsche Bundestag in mehreren Entschließungen als Verhandlungsziel einvernehmlich formuliert hat. Der Kollege Höffkes hat das vorhin zitiert; auch ich darf es noch einmal erwähnen. In dem Beschluß vom 22. Juni 1977 ist mit Zustimmung der SPD beschlossen worden,
daß die Vereinbarungen nicht zu dirigistischer, bürokratischer oder — im Ergebnis — monopolistischer Ausrichtung des Meeresbodenregimes führen dürfen. Es wird ja wohl nicht strittig sein, daß diese von uns gemeinsam aufgestellten Kriterien bis heute nicht erfüllt sind. Die SPD hat das in ihrem Antrag vom 22. Juni 1983 noch einmal ausdrücklich festgestellt. Insofern ist diese Beurteilung doch hoffentlich einvernehmlich.
Nun ist die Frage, was man gegen diesen Zustand tun, wie man ihn überwinden und die Mängel beseitigen kann. Sie von der SPD und auch verschiedene Mitglieder anderer Fraktionen sagen
— ja, z. B.; ich stelle das doch dar, seien Sie doch ganz ruhig —: Zeichnung und damit die Möglichkeit, die Dinge durch Mitwirkung in den Gremien zu verändern. Dies ist wenig schlüssig; denn es ist in neun Jahren genau nicht gelungen, eine Veränderung herbeizuführen. Sie müßten schon mal begründen, warum das ausgerechnet jetzt möglich sein soll. Auch die von Herrn Brandt angesprochene Frage einer möglichen Isolierung ist ein zumindest fragwürdiges Argument. Das heißt doch, es ist zwar im Ergebnis fragwürdig schlecht, aber weil es alle unterzeichnen, tun wir es auch. Das kann doch im Ernst kein Grundsatz einer vernünftigen politischen Ausrichtung sein. Deshalb sind wir der Meinung — bei hoffentlich gemeinsamer Beurteilung der negativen Punkte dieser Konvention —, daß der einzige uns verbleibende Weg der ist, durch Nichtzeichnung Neuverhandlung zu ermöglichen.
Nun mögen Sie bestreiten, daß das geht; aber es ist doch wohl auf Dauer kaum denkbar, daß eine Konvention Bestand hat, die von dem bedeutendsten Industrieland der Welt, den USA, und von der Bundesrepublik und Großbritannien nicht mit getragen wird. Deshalb gibt es gute Aussichten dafür, daß hier eine Änderung auf diesem Wege erreicht werden kann.
Die Haltung der CDU/CSU auf diesem Wege war von Anfang an klar. Wir haben uns deshalb nicht zu korrigieren. Bei der SPD ist das etwas anders, und die GRÜNEN haben natürlich einen ganz bedeutenden Beitrag geleistet.
— Ja, es ist eine Wende, völlig richtig. Ich darf noch einmal sagen, daß sie noch am 26. November, also vor wenigen Tagen, im Wirtschaftsausschuß des Deutschen Bundestages beantragt haben, diese Konvention nicht zu zeichnen. Wenige Tage später machen sie nun einen erneuten Schlenker. Man muß also wohl feststellen, daß es den GRÜNEN nicht um irgendwelche hehren Grundsätze geht,
sondern daß sie von dem Wunsch beseelt sind, möglichst jeden Tag eine neue Sau rauszulassen.
Ich komme zum Schluß. Ich finde das, was einige Redner der SPD gesagt haben — insbesondere der Herr Kollege Holtz — streckenweise gespenstig. Ich habe ja Verständnis dafür, daß Sie diese Gelegenheit benutzen wollen, die Regierung anzugreifen, aber Sie zielen auf die Nase der Regierung und — —
Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit ist abgelaufen. Bitte kommen Sie zum Schluß.
Ich bin am Ende, Herr Präsident.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Dr. Timm.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Debatte heute morgen macht mir mit einiger Enttäuschung und Verbitterung deutlich, daß Sie offensichtlich die Tragweite der
8144 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 109. Sitzung. Bonn, Freitag, den 7. Dezember 1984
Frau Dr. Timm
politischen Folgen überhaupt noch nicht abgeschätzt haben.
Die Bundesregierung hat mit ihrer Entscheidung der Nichtzeichnung dieser Konvention einen Bruch mit der bisherigen UN-Politik dieser Bundesregierung vollzogen.
In allen Regierungserklärungen hat der Bundeskanzler die Kontinuität gerade dieser Politik beschworen. Ich zitiere wörtlich:
Ich habe dem Generalsekretär Perez de Cuéllar versichert, daß die Bundesregierung im Rahmen ihrer Friedenspolitik ihre aktive und konstruktive Mitarbeit in den UN fortsetzen wird. Die Bundesregierung wird auch künftig nachdrücklich für eine Stärkung der Vereinten Nationen und ihres friedenerhaltenden Instrumentariums eintreten.
Heute morgen sagen hier die Vertreter von der CDU/CSU, Herr Kittelmann, Herr Höffkes: UN-Mehrheiten als Unterdrückungsinstrument; Herr Echternach:
Der Seegerichtshof ein „Linsengericht"! Meine Damen und Herren, das ist ja wohl dann auch gewollter Bruch.
Wir haben sehr gewarnt. Ich habe auch als Vorsitzende und namens der Deutschen Gesellschaft für die Vereinten Nationen eindringlich appelliert an den Herrn Bundeskanzler, an den Außenminister, an den Minister für wirtschaftliche Zusammenarbeit, bei ihrer Entscheidung doch bitte wichtige Gesichtspunkte zu berücksichtigen; denn dieses Abkommen enthält wichtige, umfassende Modifizierungen des Seerechts mit Streitschlichtungsmechanismen, die einen konstruktiven Beitrag zur Rechtssicherheit und Konfliktlösung bedeuten. Außerdem wird erstmals der Grundsatz der zwischenstaatlichen Solidarität dem Völkerrecht eingefügt. Das ist neu in der ganzen Menschheitsgeschichte.
Der Bundesaußenminister hat heute morgen noch einmal bestätigt, was er uns Mitte November geschrieben hat. Er sagte, er selbst sei immer der Auffassung gewesen, wir sollten unterzeichnen. Er begründete das damit, daß die Entwicklung j a noch nicht abgeschlossen sei und wir aktiv beteiligt bleiben müßten. Das Kabinett hat gegen den zuständigen Außenminister und Vizekanzler entschieden.
Ich meine, die Regierung hat damit die Zukunftsperspektiven, die Instrumente zur Friedenssicherung geringschätzig beiseite geschoben.
— Lassen Sie mich mal ausreden, Herr Klein. Das wäre sehr lieb.
Sie schaltet uns und damit auch Sie aus dem Prozeß der internationalen Zusammenarbeit zur Sicherung des gemeinsamen Erbes der Menschheit aus. Dieser Begriff „gemeinsames Erbe der Menschheit" ist heute mehrfach gebraucht worden. Sie sollten sich das wirklich zu Herzen nehmen.
Sie verspielt, Herr Kollege Klein — das wird für Herrn Genscher besonders schmerzlich sein —, den Einfluß und das hohe Ansehen, das die bisherige Interessenausgleichspolitik der Bundesrepublik innerhalb der Staatengemeinschaft gewonnen hat.
— Sie sind doch jetzt dran zu entscheiden. Übermorgen, am 9. Dezember, läuft die Zeichnungsfrist ab.
— Herr Präsident, bei dieser kurzen Zeit, die ich zur Verfügung habe — —
Herr Abgeordneter Klein, wenn Sie etwas zu bemerken haben, stellen Sie eine Zwischenfrage. Ich bitte Sie, sich etwas zurückzuhalten.
Es ist keine Zwischenfrage. Er stört mich j a, Herr Präsident; das will er j a auch.
Frau Abgeordnete Timm, Ihre Redezeit ist abgelaufen. Bitte kommen Sie zum Schluß. Ich gebe Ihnen noch Gelegenheit, einen abschließenden Satz zu sagen.
Ich bedaure ganz besonders einen Aspekt, meine Damen und Herren, nämlich daß wir innerhalb der EG als Mitgliedstaat aus der Zeichnungsgemeinschaft ausscheren; denn gerade die politische Zusammenarbeit der europäischen Mitgliedstaaten in den Vereinten Nationen war ein Ansatz zur europäischen politischen Gemeinschaft. Diese zarte Pflanze lassen wir jetzt auch noch verkommen.
Ich wünschte von Herzen — ich glaube, viele mit mir —, daß die Bundesregierung und Sie alle mit
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 109. Sitzung. Bonn, Freitag, den 7. Dezember 1984 8145
Frau Dr. Timm
ihr einen Weg finden, den Schaden wiedergutzumachen, den Sie angerichtet haben.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Hornhues.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Frau Kollegin Timm, was der Herr Kollege Klein von Ihnen so gern wissen wollte, war schlicht die Antwort auf die Frage:
Wenn das, was Sie als so entsetzlich dargestellt haben, wirklich so entsetzlich wichtig ist, warum haben Sie dann nicht zu Ihrer Zeit für eine Zeichnung gesorgt? Das war die ganz einfache Frage.
Lassen Sie mich zum zweiten folgendes feststellen. Sie haben gesagt: Die Bundesregierung bleibt nicht in der Kontinuität. Ich darf Sie an folgendes erinnern; man vergißt es ja so leicht. Es gab auch einmal eine Beschlußfassung über einen integrierten Rohstoffonds, Frau Kollegin Timm und Herr Kollege Holtz. Damals ging es um ähnliche und verwandte Probleme. Damals hat sich die Bundesregierung unter Führung des Bundeskanzlers Schmidt, unterstützt von einem SPD-Finanzminister, dagegen gestellt.
Ich finde es richtig und gut, daß die Bundesregierung den Beschluß gefaßt hat, wie sie ihn gefaßt hat.
Die Opposition hat heute morgen, wenn ich das alles richtig verstanden habe, im wesentlichen zwei Argumente vorgetragen. Das erste Argument war: Wenn alle j a sagen, dann müssen wir doch eigentlich auch j a sagen. Ich halte dies für kein Argument, sondern schlicht für eine Verlegenheitslösung. Ich habe es noch nie als Argument ansehen können, daß wir etwas tun müssen, wenn alle es tun.
Zum zweiten wurde auf die Folgen für die Entwicklungsländer verwiesen. Dazu ist schon einiges gesagt worden. Ich bin der Überzeugung, daß wir, wenn wir den Entwicklungsländern gegenüber unsere Entscheidung mit der notwendigen Dringlichkeit deutlich machen, wenn wir ihnen gegenüber deutlich machen, wo unsere Interessen liegen, viel mehr Verständnis bei den Entwicklungsländern finden werden als mit Sonntagssprüchen, die sie gern hören, aber in der Regel nicht immer glauben.
— Ich will Ihnen sagen, Herr Holtz, ich habe in den
letzten zwölf Monaten mit einer großen Anzahl von
Politikern aus Entwicklungsländern gesprochen. Es
waren immerhin — ich habe nachgezählt — 6 Regierungschefs und 25 Minister. Keiner von ihnen hat dieses Thema uns gegenüber angesprochen. Wenn das, was Sie sagen, stimmt, müßten doch inzwischen die ersten Botschaften hier geschlossen oder die Schließung müßte wenigstens angedroht werden.
Wenn wir den Entwicklungsländern gegenüber mit der notwendigen Deutlichkeit sagen, daß auch wir einen Anspruch darauf haben, hinsichtlich unserer Interessen fair behandelt zu werden, wird das — davon bin ich überzeugt — mehr Verständnis finden, als Sie vielleicht annehmen. Sie haben den Versuch vermutlich noch nie gemacht, das mit der notwendigen Deutlichkeit zu sagen.
Lassen Sie mich abschließend feststellen: Wir begrüßen die Beschlußfassung der Bundesregierung, weil wir glauben, daß die Nichtzeichnung uns die einzige Chance bietet, die wir an sich noch haben, nämlich Neuverhandlungen anzustreben. Wir begrüßen die Beschlußfassung der Bundesregierung, weil sie uns auch die Chance läßt, im Rahmen der Vorbereitungskommission für unser Land das Bestmögliche zu erreichen.
Herzlichen Dank.
Meine Damen und Herren, die Aktuelle Stunde ist beendet.
Ich rufe die Punkte 31 bis 33 auf:
31. Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung
Bericht über die Gespräche des Bundeskanzlers und des Bundesministers des Auswärtigen in Washington und Ergebnis des Europäischen Rates in Dublin
32. Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 13. März 1984 zur Änderung der Verträge zur Gründung der Europäischen Gemeinschaften bezüglich Grönlands
— Drucksache 10/2120 —
a) Beschlußempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses
— Drucksache 10/2397 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Dr. Wulff Frau Renger
b) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung
— Drucksache 10/2568 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Dr. Rose Hoppe
Esters
8146 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 109. Sitzung. Bonn, Freitag, den 7. Dezember 1984
Präsident Dr. Jenninger
33. Beratung des Vierten Berichts und der Empfehlung der Europa-Kommission zur Frage des Beitritts von Spanien und Portugal zur Europäischen Gemeinschaft
— Drucksache 10/2075 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Auswärtiger Ausschuß
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Haushaltsausschuß
Im Ältestenrat ist vereinbart worden, die Tagesordnungspunkte 31 bis 33 in verbundener Beratung zu behandeln und für die Beratung zweieinhalb Stunden vorzusehen. Sind Sie damit einverstanden? — Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich erteile das Wort dem Herrn Bundeskanzler.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Auf Einladung des amerikanischen Präsidenten bin ich gemeinsam mit Bundesminister Hans-Dietrich Genscher am 30. November 1984 zu einem offiziellen Arbeitsbesuch nach Washington gereist. Die Gespräche mit dem amerikanischen Präsidenten, dem Vizepräsidenten Bush, dem Außenminister Shultz und dem Verteidigungsminister Weinberger sowie den Mitgliedern der amerikanischen Administration verliefen wie immer — das will ich deutlich betonen — in einer besonders vertrauensvollen Atmosphäre.
Der Zeitpunkt dieses Besuches war besonders günstig. Der Besuch fand unmittelbar nach dem großen Wahlsieg des amerikanischen Präsidenten statt. Dementsprechend trafen wir einen Gesprächspartner an, der nach diesem großen persönlichen Erfolg mit besonderem Ernst und einem besonderen persönlichen Engagement an die Aufgabe herangeht, eine Verständigung mit der Sowjetunion auf allen Ebenen zu erreichen und damit auch seinen sehr persönlichen Beitrag zum Frieden zu leisten.
Die Gespräche fanden unmittelbar vor den NATO-Herbstkonferenzen der Verteidigungs- und Außenminister statt. Es lag in unserer Absicht, diesen Konferenzen auch politische Impulse zu vermitteln.
Ich konnte als der erste europäische Regierungschef nach den amerikanischen Wahlen die Gelegenheit wahrnehmen, die deutschen und — in Abstimmung mit den europäischen Kollegen — auch europäische Interessen in die amerikanischen Überlegungen einzubringen. Ich habe zuvor die Gelegenheit der Konsultationen genutzt, um mich mit Ministerpräsident Craxi, Präsident Mitterrand und Frau Premierminister Thatcher abzustimmen.
Folgende Ziele hatte ich für meine Gespräche mit dem amerikanischen Präsidenten und seiner Administration gesetzt:
erstens die deutschen und europäischen Interessen für die Politik des Dialogs und der Rüstungskontrolle mit der Sowjetunion zu vermitteln,
zweitens kontinuierliche und umfassende Konsultationen zu vereinbaren und Verfahren zu finden und vorzuschlagen, die es erlauben, den Fortgang der amerikanisch-sowjetischen Verhandlungen zu begleiten und, soweit dies nötig, auch unsere Mitwirkung zu ermöglichen,
drittens die Grundlinien der amerikanischen Pläne und Absichten für die bevorstehenden Gespräche zwischen Außenminister Shultz und Gromyko Anfang Januar in Genf zu erkunden,
viertens uns über die Notwendigkeit zu verständigen, in der Allianz gemeinsame Anstrengungen einzuleiten, um die konventionelle Verteidigung zu verstärken, die Nuklearschwelle anzuheben und damit die Glaubwürdigkeit der NATO-Strategie zu sichern,
und fünftens durch die Intensivierung unserer Beziehungen zu den Vereinigten Staaten und innerhalb des Atlantischen Bündnisses auch unsere Position gegenüber der Sowjetunion und den Staaten des Warschauer Paktes weiter zu festigen.
Ich glaube, der Besuch war in dreifacher Hinsicht ein Erfolg. Er hat — und darin bin ich mir mit dem amerikanischen Präsidenten einig — eine neue Phase einer noch engeren Zusammenarbeit im deutsch-amerikanischen Verhältnis und in der Nordatlantischen Allianz eingeleitet. Wir haben Markierungen für die künftige Gestaltung des West-Ost-Verhältnisses gesetzt. Wir haben Weichenstellungen für die künftigen Konsultationen im Bereich der Rüstungskontrollverhandlungen vorgenommen. Mein Ziel war es, meine Damen und Herren, die Bundesrepublik Deutschland und die europäischen Verbündeten in den in Gang gekommenen Prozeß zwischen den Vereinigten Staaten und der Sowjetunion einzubinden, damit der erneut begonnene Dialog mittel- und langfristig auf eine breitere Grundlage gestellt wird. Die vom Präsidenten und von mir gemeinsam verabschiedete Erklärung verdient also zu Recht die Bezeichnung „Dem Frieden verpflichtet".
In dieser Erklärung ist es gelungen, den Zusammenhang zwischen der Verbesserung des West-OstVerhältnisses, konkreten Schritten zur Rüstungskontrolle und Abrüstung und der Gewährleistung unserer Sicherheit durch eine ausreichende Verteidigung deutlich zu machen. Der amerikanische Präsident und ich unterstreichen in dieser Erklärung das Konzept, das dem Nordatlantischen Bündnis zugrunde liegt, und wir bekräftigen erneut, daß Abschreckung und Verteidigung zusammen mit Rüstungskontrolle und Abrüstung integrale Bestandteile unserer gemeinsamen Sicherheitspolitik und der Politik des Bündnisses sind. Wir verdeutlichen, daß dies die notwendigen Elemente einer kohärenten Strategie zur Sicherung eines stabilen Friedens in der Welt sind.
Auf folgende Einzelheiten, meine Damen und Herren, darf ich besonders hinweisen. Unsere Rolle, die Rolle der Bundesrepublik Deutschland, bei der Mitgestaltung der Ost-West-Beziehungen wird ersichtlich aus der Tatsache, daß die gemeinsame Er-
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 109. Sitzung. Bonn, Freitag, den 7. Dezember 1984 8147
Bundeskanzler Dr. Kohl
klärung wesentliche Festlegungen zum West-OstVerhältnis und damit auch zu ihrem Kernstück, dem amerikanisch-sowjetischen Verhältnis, enthält. Erstens werden die gegenseitigen legitimen Sicherheitsinteressen anerkannt. Zweitens wird die Notwendigkeit unterstrichen, den Dialog auf der Grundlage der Gleichberechtigung aller Beteiligten zu führen. Drittens wird der Verzicht auf militärische Potentiale erklärt, die über die legitimen Verteidigungserfordernisse hinausgehen. Und viertens wird das in der Charta der Vereinten Nationen verankerte Verbot der Androhung und Anwendung von Gewalt erneut bekräftigt.
Alle diese Aussagen sind äußerst bedeutsam. Sie sind in dieser Form zum ersten Mal in einer bilateralen deutsch-amerikanischen Erklärung verankert. Ich bin überzeugt, daß in der Bereitschaft des amerikanischen Präsidenten, diese wichtigen Elemente unserer gemeinsamen Politik erneut zu bekräftigen und sie als Angebot und Aufforderung an die östliche Seite zu richten, eine große Chance, eine Hoffnung für das West-Ost-Verhältnis liegt.
Das Kommuniqué der Tagung der Außenminister des Warschauer Paktes in Ost-Berlin vom 4. Dezember dieses Jahres gibt auch zu einer solchen Hoffnung Anlaß. Trotz der üblichen Schuldzuweisungen an die Adresse des Westens und trotz des erneuten, wie jeder hier weiß, unsinnigen Revanchismusvorwurfes gegenüber der Bundesrepublik Deutschland läßt dieses Kommuniqué erkennen, daß sich die Staaten des Warschauer Paktes auf eine neue Phase in den West-Ost-Beziehungen einstellen und eine Wende zum Besseren durchaus für möglich halten.
Wir haben mit großem Interesse den positiven Grundton des Kommuniqués und die Ausführungen registriert, die ein Bekenntnis zum KSZE-Prozeß und zu einer Politik des Dialogs und der Verhandlungen beinhalten. Diesen Worten müssen aber jetzt Taten folgen. Vor allem muß der Dialog über die Weltmächte hinaus für alle Bündnismitglieder möglich sein.
In unserer gemeinsamen Erklärung von Washington hat der Präsident noch einmal seine Bereitschaft zu regelmäßigen Gesprächen und Zusammenkünften mit der Sowjetunion auf hoher Ebene unterstrichen. Er hat gleichzeitig und ausdrücklich die anhaltenden Bemühungen der Bundesregierung um den Dialog und die Zusammenarbeit mit der Sowjetunion und mit allen Staaten Mittel- und Osteuropas bekräftigt.
Der Präsident der Vereinigten Staaten ist mit mir einer Meinung, daß die gegenwärtige Teilung Europas, die als tragische und menschlich leidvolle Barriere den Kontinent und insbesondere das deutsche Volk trennt, in dieser Form nicht als dauerhaft hingenommen werden kann.
In diesem Zusammenhang haben wir ausdrücklich auf den KSZE-Prozeß und den Inhalt der Schlußakte von Helsinki als wichtige Instrumente zur Errichtung einer dauerhaften Friedensordnung wie auf andere einschlägige multilaterale und bilaterale Dokumente Bezug genommen. Dazu gehören auch die mit unseren östlichen Nachbarn abgeschlossenen Verträge. Dazu gehört der mit dem Moskauer Vertrag und dem Grundlagenvertrag verbundene Brief zur deutschen Einheit.
Präsident Reagan und ich haben ausführlich und ausgiebig über aktuelle Fragen der Abrüstung und Rüstungskontrolle gesprochen. Ich habe dem Präsidenten unsere volle Unterstützung für die Bereitschaft und das Vorhaben der Vereinigten Staaten zugesichert, mit der Sowjetunion über das ganze umfassende Spektrum der Rüstungskontrollfragen zu verhandeln.
Ich teile mit ihm die Einschätzung, daß der neue Ansatz, der zu der Aufnahme der Gespräche zwischen den Außenministern Shultz und Gromyko im Januar in Genf führen wird, ein wirksamer und durchaus erfolgversprechender Weg sein kann.
Gegenüber dem amerikanischen Präsidenten habe ich das europäische und deutsche Interesse an einer rüstungskontrollpolitischen Lösung des Problems der Mittelstreckenraketen ganz besonders hervorgehoben. Wir stimmen darin überein, daß es sowohl im Hinblick auf einen künftigen Erfolg bei den Rüstungskontrollverhandlungen, als auch im Hinblick auf die Sicherheit des Bündnisses unerläßlich ist, das die Allianz die Stationierung entsprechend dem Bündnisbeschluß von 1979 fortsetzt, solange konkrete Verhandlungsergebnisse ausbleiben.
Wir haben jedoch gleichzeitig und erneut bekräftigt, daß die NATO unverändert bereit ist, im Rahmen und auf der Grundlage eines ausgewogenen und nachprüfbaren Abkommens die Stationierung zu beenden, abzuändern oder rückgängig zu machen.
Das gilt einschließlich des Abzugs und der Verschrottung bereits in Europa stationierter Mittelstreckensysteme.
Ich habe darüber hinaus unser Interesse und das unserer europäischen Verbündeten an Fortschritten bei den Stockholmer Verhandlungen, bei den Wiener MBFR-Verhandlungen und unser besonderes Interesse an einem weltweiten, umfassenden und nachprüfbaren Verbot chemischer Waffen zum Ausdruck gebracht. Ich habe in dieser Frage die volle Zustimmung von Präsident Reagan erreicht.
Wir sind der Auffassung, daß es notwendig ist, die jetzt beginnenden Verhandlungen realistisch und ohne große Euphorie zu führen. Wir stimmen darin überein, daß bei der Rüstungskontrolle, die ja zu den schwierigsten Aufgaben unserer Zeit gehört, Ausdauer, Geduld und Zähigkeit erforderlich sind und mit schnellen Ergebnissen nicht gerechnet werden kann.
Herr Präsident, meine Damen und Herren, ganz besonders begrüße ich die Zusicherung des amerikanischen Präsidenten, daß die engen und vertrauensvollen Konsultationen und Koordinierungen bi-
8148 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 109. Sitzung. Bonn, Freitag, den 7. Dezember 1984
Bundeskanzler Dr. Kohl
lateral und auch im Bündnis fortgeführt und, wenn
notwendig und möglich, intensiviert werden sollen.
Damit sollen alle Möglichkeiten wahrgenommen werden, damit die Verbündeten und nicht zuletzt die Bundesrepublik Deutschland die amerikanischsowjetischen Verhandlungen beratend begleiten und, wo notwendig und möglich, direkt mitwirken können.
Diese Zusicherung, meine Damen und Herren, davon bin ich überzeugt, gilt. Sie wird wie bereits in der Vergangenheit beweisen, daß die deutsch-amerikanischen Beziehungen gerade in diesem Feld der Politik ganz besonders wirksam sind. Ich werte diese noch einmal ausdrücklich gegebene Zusicherung als ein besonders bedeutsames Ergebnis unseres Besuches.
Hier wird am konkreten Beispiel die Vitalität, die Solidarität und die Effektivität des transatlantischen Bündnisses und vor allem auch der besonderen deutsch-amerikanischen Beziehungen unter Beweis gestellt.
Bei meinen Gesprächen in Washington ging es auch um die Notwendigkeit, die Verteidigungsstrategie des Bündnisses als Voraussetzung unserer Sicherheit wirksam und glaubwürdig zu erhalten. Der amerikanische Präsident und ich halten es für unerläßlich, das sich ständig im konventionellen Bereich zugunsten des Warschauer Pakts vergrößernde Kräfteungleichgewicht zu verringern. Wir haben uns gemeinsam für kohärente Bündnislösungen ausgesprochen, um die konventionelle Verteidigungsfähigkeit der Allianz zu verbessern.
In diesem Zusammenhang haben wir uns bereit erklärt, uns an Bündnisanstrengungen zu beteiligen, um die hierfür erforderlichen Ressourcen verfügbar zu machen. Wir sind überzeugt, daß eine verbesserte konventionelle Verteidigungsfähigkeit dazu beitragen wird, die politische Handlungsfähigkeit des Bündnisses zu erhalten, die Abschreckung zu stärken und die nukleare Schwelle — ein wichtiges Ziel unserer Politik — anzuheben. Wir haben damit in der gemeinsamen Erklärung von Washington ein deutliches Zeichen unserer Bereitschaft gegeben, einen angemessenen Beitrag zur Stärkung der konventionellen Verteidigungsfähigkeit zu leisten.
Meine Damen und Herren, wer heute fordert, die Abhängigkeit vom frühzeitigen Einsatz von Nuklearwaffen im Verteidigungsfall zu beseitigen, der darf es dann nicht bei bloßen Forderungen und verbalen Übungen belassen. Er muß dann auch ganz konkret bereit sein, mehr für die konventionelle Verteidigung zu tun.
Die Bundesregierung hat bereits damit begonnen. Die vom Kabinett verabschiedete Bundeswehrplanung schafft die entscheidenden personellen und materiellen Voraussetzungen zur Verbesserung der konventionellen Verteidigungsfähigkeit. Die Verlängerung der Wehrpflicht von 15 auf 18 Monate ist auch ein wesentlicher Bestandteil dieser Politik.
Die Aufstockung des Beitrags der Bundesrepublik Deutschland zum NATO-Infrastrukturprogramm 1985 bis 1990 auf drei Milliarden Verrechnungseinheiten ist ein weiterer wichtiger Beitrag.
Um auch in Zukunft die Kosten einer tragfähigen konventionellen Verteidigung im Bündnis aufzubringen, ist es auch notwendig, die Wirtschaftsbeziehungen einschließlich des Rüstungssektors zwischen den Partnerstaaten zu vertiefen und die Zusammenarbeit zwischen Europa und den Vereinigten Staaten, vor allem auch auf technologischem Gebiet, zu verbessern. Auf diese Weise sollte es gelingen, die strategische Einheit des Bündnisses zu festigen und auch zu einer gerechten, vielleicht kann man auch sagen: gerechteren Lastenverteilung beizutragen.
Meine Damen und Herren, das Maß unserer Verantwortung wird auf unsere Möglichkeit der Mitgestaltung im West-Ost-Verhältnis und im Bündnis entscheidenden Einfluß haben. Die deutsch-amerikanischen Gesprächsergebnisse von Washington werden nach meiner und des Präsidenten Absicht weiterverfolgt werden.
Die Allianz hat diese Anregung aus Washington bereits während der Tagung der Verteidigungsminister des Bündnisses in diesen Tagen, am 5. Dezember, aufgenommen. Im Kommuniqué der Verteidigungsminister wurden der Generalsekretär und die ständigen Vertreter der Mitgliedstaaten beauftragt, Vorschläge für kohärente Bündnisanstrengungen zur Verbesserung der Verteidigungsfähigkeit im Bereich der konventionellen Streitkräfte zu erarbeiten und vorzulegen.
Diese Vorschläge sehen vor:
Erstens. Die bereits auf dem Tisch liegenden nationalen und Bündnisinitiativen zur Stärkung der konventionellen Verteidigung sollen unter einem einheitlichen Rahmenkonzept und mit klaren Prioritäten zusammengefaßt und harmonisiert werden.
Zweitens. Die Zusammenarbeit in der Rüstung soll sowohl zwischen den europäischen Partnern als auch zwischen Europa und den Vereinigten Staaten intensiviert werden.
Drittens. Im Bündnis sollen koordinierte Anstrengungen erfolgen, die erforderlichen Mittel bereitzustellen und optimal einzusetzen.
Es geht also insgesamt um die Anpassung und bessere Durchführung der gültigen NATO-Strategie der Vorneverteidigung und der flexiblen Antwort an die veränderten Bedingungen in Europa, insbesondere auch an die gewachsene Bedrohung. Hierzu gehört längerfristig eine Anpassung der Struktur des Nuklearwaffenpotentials mit dem Ziel, eine weitere Verringerung bei den Nuklearwaffen kurzer Reichweite zu ermöglichen.
Im Kommuniqué der Außenminister des Bündnisses anläßlich ihres Treffens am 13. und 14. Dezember sollen die in der gemeinsamen Erklärung von Washington behandelten Fragen im Hinblick auf die Gestaltung der Konsultationen im West-Ost-
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 109. Sitzung. Bonn, Freitag, den 7. Dezember 1984 8149
Bundeskanzler Dr. Kohl
Verhältnis und in der Rüstungskontrolle ihren Niederschlag finden.
Die positiven und erfreulichen Übereinstimmungen, die sich in Washington in unserer gemeinsamen Erklärung niedergeschlagen haben, kommen nicht von ungefähr. Sie sind das Ergebnis besonders vertrauensvoller und in ihrer Dichte bisher unerreichter Kontakte und Zusammenarbeit beider Regierungen, die lange vor den amerikanischen Wahlen begonnen haben.
Wesentliche Grundsteine dieser Entwicklung wurden auch und insbesondere durch die Besuche und Begegnungen der Außenminister und der Verteidigungsminister unserer beiden Länder gelegt. Der Weg zu diesem Ergebnis, meine Damen und Herren, ist gekennzeichnet durch Erklärungen von amerikanischer Seite, die auch auf eine bessere Mitwirkung im Rahmen der intensiven Konsultationen zurückzuführen sind. Ich will nur wenige Beispiele nennen: so eine Rede des amerikanischen Präsidenten in Dublin, wo er gegenüber der Sowjetunion die Bereitschaft angekündigt hatte, das Prinzip des Gewaltverbots durch Vereinbarung konkreter, militärisch signifikanter und nachprüfbarer vertrauensbildender Maßnahmen zu bekräftigen. Ich erinnere an die bedeutende Rede des Präsidenten vor der Vollversammlung der Vereinten Nationen, in der er im Zusammenhang mit seinen weitreichenden Angeboten an die Adresse der Sowjetunion die Bemühungen der Bundesrepublik Deutschland im Ausgleich und in der Zusammenarbeit mit dem anderen deutschen Staat ganz besonders hervorgehoben hat.
Natürlicherweise, meine Damen und Herren, war es notwendig, bei diesem Besuch in Washington auch auf die Problematik und die Auseinandersetzungen im Bereich der Stahllieferungen aus der Europäischen Gemeinschaft in die Vereinigten Staaten hinzuweisen. Wir haben darüber ein sehr offenes und, wenn Sie so wollen, sehr direktes Gespräch geführt. Der Präsident wie auch ich waren, bei allem Gegensatz noch in der Sache, der Auffassung, daß es für die Partner in Europa und in den Vereinigten Staaten ganz und gar unerträglich wäre, wenn es in diesem Zusammenhang zu einer Art von Handelskrieg zwischen der EG und den Vereinigten Staaten käme.
Wir haben vereinbart, daß ich am vergangenen Montag, also wenige Tage nach meinem Besuch in Washington, anläßlich der Gipfelkonferenz der EG in Dublin darauf hinwirken sollte — und dies habe ich getan —, daß angesichts der eingetretenen Lage zwischen der EG und den Vereinigten Staaten noch vor Weihnachten neue Verhandlungen begonnen würden. Der Präsident hat mitgeteilt, daß der amerikanische Handelsbeauftragte zur Verfügung stehen werde. Und wir haben in Dublin vereinbart, daß auch die EG-Kommission noch vor Weihnachten diese Verhandlungen aufnehmen solle.
Ich kann nur hoffen, daß es hier gelingt, auf dem Wege vernünftiger Diskussionen miteinander eine gemeinsam erträgliche Lösung zu finden, nicht zuletzt auch im Interesse der deutschen Stahlwirtschaft, der Sicherung der Arbeitsplätze. Wir haben — wie jeder weiß — in diesem Bereich schon jetzt Probleme genug.
Meine Damen und Herren, erlauben Sie mir, in diesem Bericht auch einige Ausführungen zur Tagung des Europäischen Rates in Dublin am 3. und 4. Dezember zu machen. Es ist ein Bericht über eine Sitzung, die von vornherein mit großen Schwierigkeiten belastet war.
Am Anfang unserer Beratung stand die wirtschaftliche und soziale Lage der Gemeinschaft. Grundlage der Diskussion war ein vorzüglicher Bericht der Kommission. Sie hat darin ausgeführt, daß sie für das kommende Jahr mit einer weiteren Verstärkung des wirtschaftlichen Wachstums und mit-einem erneuten Rückgang der Inflationsrate rechne. Ich füge hinzu, daß in beiden Fällen die Schätzungen der Kommission für die Entwicklung in der Bundesrepublik Deutschland besser ausfallen als für den Durchschnitt der Gemeinschaft. Dabei ist die jüngste Prognose des Sachverständigenrates in der Bundesrepublik noch nicht einmal berücksichtigt worden.
Im Mittelpunkt unserer Diskussion stand das Hauptproblem auch in der EG, die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit. Insbesondere der spürbare Anstieg der Jugendarbeitslosigkeit in der Gemeinschaft muß uns allen Anlaß zu großer Besorgnis geben.
Ich konnte meine Kollegen darüber informieren, daß unsere Anstrengungen in der Bundesrepublik Deutschland — insbesondere auch in der Lehrstellenfrage — erste Erfolge gezeigt haben. Während die Zahl der arbeitslosen Jugendlichen unter 25 Jahren in der EG in den letzten 12 Monaten weiter angestiegen ist, ist sie in der Bundesrepublik Deutschland erstmals wieder rückläufig gewesen.
Natürlich, meine Damen und Herren, weiß ich auch, daß dies nicht der von uns allen gewünschte Durchbruch in dieser Frage ist, aber ich denke, wir sind auf dem richtigen Weg.
Zur Wirtschaftspolitik konnten meine Kollegen und ich feststellen, daß in der grundsätzlichen Ausrichtung unserer Anstrengungen heute weit mehr Übereinstimmung herrscht als noch vor etwa eineinhalb Jahren auf der Stuttgarter Besprechung. Es gibt keine Alternative zu dem mühsamen Weg, sowohl die Staatsfinanzen Schritt für Schritt in Ordnung zu bringen als auch die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für Investoren und Verbraucher konsequent zu verbessern.
Natürlich weiß jeder, daß auch diese Politik Massenarbeitslosigkeit, die über viele Jahre entstanden ist und die oft genug auch regionale Verwerfungen aufweist, nicht kurzfristig beseitigen kann. Aber sie
8150 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 109. Sitzung. Bonn, Freitag, den 7. Dezember 1984
Bundeskanzler Dr. Kohl
ist die entscheidende Chance, Arbeitslosigkeit wirksam zu bekämpfen. Ich füge noch hinzu, daß diese Politik auch auf dem Arbeitsmarkt Wirkung zeigt. Das belegen ja unsere jüngsten deutschen Erfahrungen. Ich meine damit nicht nur den drastischen Rückgang der Kurzarbeit und die Zunahme an offenen Stellen. Wenn Sie die gestern veröffentlichten Zahlen zur Wirtschaftsentwicklung im dritten Quartal dieses Jahres studieren, dann stellen wir gemeinsam fest, daß die Zahl der Beschäftigten zum ersten Mal seit Ende 1980, d. h. seit vier Jahren, saisonbereinigt nicht mehr gesunken ist.
Meine Damen und Herren, im Mittelpunkt des Europäischen Rates stand die Erweiterung der Gemeinschaft um Spanien und Portugal. Ich will hier noch einmal feststellen, daß wir hier im Deutschen Bundestag — auch in der letzten Legislaturperiode — immer wieder in völliger Einmütigkeit erklärt haben, daß es unser Wunsch ist, daß das von den Demokraten Europas gegebene Versprechen an die demokratischen Parteien und Kräfte in Spanien und Portugal, ihnen nach der Rückkehr aus einem autoritären oder von Diktatur beherrschten Regime in die freie Welt möglichst rasch die Möglichkeit zu erschließen, in die Gemeinschaft einzutreten, eingelöst wird. Wir waren uns alle bei diesem oft genug sehr hochherzig gegebenen Versprechen darüber im klaren, daß der Weg zum Beitritt von Spanien und Portugal mit großen Schwierigkeiten versehen sein würde. Trotz dieser Schwierigkeiten möchte ich hier noch einmal namens der Bundesregierung erklären, daß es unser erklärtes Ziel und unser erklärter Wunsch ist, daß das vorgegebene Datum des 1. Januars 1986 erreicht werden muß, erreicht werden kann.
Wie nicht anders zu erwarten, stehen natürlich in einem solchen Zusammenhang dann wirtschaftliche Interessen bei der Aushandlung der Vertragsunterlagen im Mittelpunkt der Diskussion. Ich möchte noch einmal gegenüber der deutschen Öffentlichkeit hier zum Ausdruck bringen: Ich glaube, es sind durchaus wohlverstandene Interessen, die die einzelnen Länder in diesem Zusammenhang vorbringen. Wer die Bedeutung beispielsweise des Fischfangs für unsere französischen und spanischen Nachbarn kennt, der weiß, daß es nur zu natürlich ist, daß es bei der Auseinandersetzung über die künftige Entwicklung auf diesem wichtigen Sektor europäischer Wirtschaft zu Schwierigkeiten kommen muß.
Der entscheidende Punkt ist, ob man um des großen wichtigen Zieles willen den guten Willen und die Bereitschaft aufbringt, Kompromisse zu schließen.
Wir selbst haben auf diesem europäischen Gipfel in Dublin eine ernsthafte, machmal etwas stürmische Diskussion über die Frage der Weinüberschüsse in der EG nach dem Beitritt von Spanien und Portugal gehabt. Auch dies ist eine Frage, die selbstverständlich für einen wichtigen Teil unserer Mitbürger von großem Interesse ist. Ich habe gelegentlich in diesen Tagen gehört: Die streiten sich
nur über Wein. Da möchte ich doch darauf hinweisen, daß die Existenz von vielen tausend Winzerfamilien zutiefst von dieser Entwicklung beeinflußt ist,
und daß es ganz selbstverständlich zur Aufgabe einer Regierung gehört, in Wahrung der berechtigten Eigeninteressen, aber auch eingebunden in die Verpflichtung, dem gemeinsamen Ziel zu dienen, Kompromisse herbeizuführen.
Unser Ziel muß nach manchen bitteren Erfahrungen der europäischen Agrarpolitik sein, rechtzeitig konkrete Beschränkungen der kostspieligen Weinüberschüsse zu erreichen, bevor mit Spanien ein weiterer großer Weinproduzent der Gemeinschaft beitritt.
Auch hierzu eine Bemerkung: Ich halte es für ganz richtig und wichtig, was Präsident Mitterrand in diesem Zusammenhang mehrmals betonte: daß es nur auch intellektuell redlich ist, wenn wir die bestehenden Schwierigkeiten vor dem Beitritt diskutieren und ausräumen.
Wir wissen aus konkreten Erfahrungen der Vergangenheit, daß nach dem Beitritt ein Übereinkommen in solchen Fragen sehr viel schwieriger zu finden ist.
Im März hat die Gemeinschaft, wie Sie wissen, die Einschränkung der Garantie für Milch beschlossen. In Dublin ist es nun gelungen, einen Kompromiß für die Regelung beim Wein durchzusetzen. Ich hoffe, daß es trotz des griechischen Einspruchs möglich sein wird, den Weg jetzt für den Beitritt von Spanien und Portugal freizumachen. Das heißt, daß die Kommission ad referendum die Möglichkeit hat, in den nächsten Wochen auch über alle noch offenen Fragen, nicht zuletzt über den Handel mit landwirtschaftlichen Produkten und über Fragen der Fischerei, mit Spanien und Portugal zu verhandeln.
Ich weiß, daß diese Verhandlungen nicht leicht sein werden. Aber es ist ein großer Fortschritt, daß sich jetzt die Gemeinschaft darin einig ist, was sie erreichen will und was sie geben kann. Es wird jetzt auch — und auch dies muß man sagen — auf die Kompromißbereitschaft und -fähigkeit der spanischen und der portugiesischen Regierung ankommen, um die Verhandlungen rasch abschließen zu können.
Trotz der sehr schwierigen Gespräche in Dublin gehe ich davon aus, daß der Beitritt, wie zugesagt, am 1. Januar 1986 erfolgen wird. Er läßt sich schaffen, wenn alle Beteiligten den notwendigen guten Willen zur Einigung aufbringen. Wir, die Bundesregierung —, und ich denke, Sie werden uns dabei unterstützen — werden das Menschenmögliche tun,
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 109. Sitzung. Bonn, Freitag, den 7. Dezember 1984 8151
Bundeskanzler Dr. Kohl
um unseren Beitrag zu leisten, damit dieser versprochene Termin eingehalten wird.
Die griechische Regierung hat ihre Zustimmung zu diesen Zwischenergebnissen von dem Vorbehalt abhängig gemacht, daß über die Höhe der Mittel und über die Durchführung von integrierten Mittelmeerprogrammen Einvernehmen erzielt wird. Erlauben Sie mir auch zu diesem Thema eine offene Bemerkung. Man liest ja manches Wort der Kritik in diesen letzten Tagen. Ich möchte zugunsten der griechischen Kollegen hier doch auch zum Ausdruck bringen, daß die Gemeinschaft der griechischen Regierung seit 1979 — das sind jetzt immerhin auch schon fünf Jahre — immer wieder Zusagen gegeben hat, damit das integrierte Mittelmeerprogramm endlich beginnen kann. Wer jetzt also das Verhalten der griechischen Regierung wertet, muß bitte auch zur Kenntnis nehmen, daß es hier seit Jahren bisher nicht eingehaltene Zusagen gibt.
Ich bin zuversichtlich, daß die Chance besteht, daß wir in den nächsten Monaten zu einer Einigung kommen. Griechenland wird sicher einsehen, daß anderen europäischen Staaten, die wie Griechenland zur Demokratie zurückgefunden haben, keine Hindernisse in den Weg gelegt werden sollten, der Gemeinschaft beizutreten. Dies wäre ganz gewiß nicht die richtige Methode, eigene Forderungen durchzusetzen.
Die gefundene Weinregelung sieht langfristig eine Anpassung der Produktion an den Bedarf vor. Um die Produktion zu vermindern, werden Rodungsprämien zum verstärkten Abbau von Weinbergen gewährt. Gleichzeitig ist eine zwangsweise Destillation von Tafelwein zu niedrigen Preisen für die Erzeuger beschlossen worden, um die zur Zeit bestehenden Überschüsse zu beherrschen. Durch die niedrigen Preise soll die Überschußerzeugung deutlich gebremst werden. Unser Anteil, der Anteil der Bundesrepublik Deutschland an der Überschußproduktion ist gering, da bei uns bis zu 90 % Qualitätsweine erzeugt werden. Wir konnten erreichen, daß die bisherigen Herstellungsverfahren durch unsere Winzer weiter angewendet werden können. Die für die deutschen Winzer besonders wichtigen Anreicherungen werden in der bisherigen Form beibehalten.
Meine Damen und Herren, die EG-Kommission ist beauftragt, bis 1990 einen Bericht zu diesem Thema vorzulegen. Der Rat wird dann entscheiden. Ich rate uns allen, der Bundesregierung, d. h. der amtlichen Politik, aber auch den Weinbauverbänden und den in der Landwirtschaft besonders betroffenen Berufskreisen, daß wir nicht erst dieses Datum — 1990 — abwarten sollten, sondern daß man sich sehr frühzeitig um eine einvernehmliche Lösung für die unmittelbar Betroffenen bemühen sollte.
Meine Damen und Herren, wir können mit gutem Gewissen sagen, daß eine Lösung gefunden wurde,
die auch den Interessen des deutschen Weinbaus, der deutschen Winzer Rechnung trägt.
Nach unendlich mühsamen und ebenfalls sehr schwierigen Verhandlungen hat der Europäische Rat in Dublin auch Einvernehmen über die Grundsätze zur Haushaltsdisziplin in der Gemeinschaft erzielt. Die Regeln über eine strengere Haushaltsdisziplin waren ein ganz wesentlicher Bestandteil des sogenannten Stuttgarter Pakets, das auf dem Stuttgarter Gipfel beschlossen wurde. Meine Damen und Herren, allein die Tatsache, daß zur endlich erreichten Durchsetzung dieser Regeln drei Ratstagungen und noch wesentlich mehr Tagungen der Außen- und Finanzminister erforderlich waren, zeigt eben, wie schwierig es ist, in der Gemeinschaft das, was national heute zwingend ist, nämlich Sparsamkeit bei öffentlichen Ausgaben, durchzusetzen. Ich glaube, daß diese Beschlüsse ein wirksames Instrument sind, um eine vernünftige Ausgabenkontrolle im Verfahren und in der Sache zu erzielen.
Es ist nicht die Absicht des Rates, die Haushaltsrechte des Europäischen Parlaments zu schmälern. Ich darf das hier ausdrücklich betonen.
Ich betone dies, weil wir gelegentlich hier im Hohen Hause, aber vor allem natürlich im Europäischen Parlament eine solche Befürchtung zu hören bekommen. Um diese Bedenken zu zerstreuen, hat der Rat vorgesehen, daß vor Festsetzung des jährlichen Bezugsrahmens eine Diskussion mit dem Europäischen Parlament geführt wird.
Ein weiteres Thema waren die Umweltprobleme, auf die ich meine Kollegen noch einmal eindringlich hingewiesen habe. Die Europäische Gemeinschaft ist in einem ganz besonderen Maße zu konkreten Schritten bei der Verbesserung der Umweltbedingungen in Europa aufgerufen. Dieses Thema hat auf meine Initiative hin den Europäischen Rat schon im Juni 1983 in Stuttgart beschäftigt. Ich habe — lassen Sie mich das offen aussprechen — gerade jetzt in Dublin den Eindruck gewonnen, daß das Verständnis für unsere besonderen Schwierigkeiten — das sind nicht nur Schwierigkeiten in der Bundesrepublik Deutschland, sondern das sind vor allem Schwierigkeiten in Mitteleuropa — bei unseren Kollegen in der EG deutlich gewachsen ist. Wir haben den Rat der Umweltminister ersucht, das Mögliche zu tun, um zu einer Einigung über die Leitlinien für eine Gemeinschaftspolitik zur Verringerung des Bleigehaltes im Benzin sowie der Schadstoffemission der Kraftfahrzeuge zu gelangen. Wir sind übereingekommen, daß wir auf unserem nächsten Treffen im März nächsten Jahres, d. h. in einem Vierteljahr, diesen Punkt auf die Tagesordnung der Sitzung setzen werden. Wir werden dann auf der Grundlage gerade auch der in Deutschland erarbeiteten Vorschläge unsere Interpretation geben.
Schließlich, meine Damen und Herren, hat sich der Europäische Rat mit den Zwischenberichten der beiden Ad-hoc-Ausschüsse befaßt, die wir in Fontainebleau eingesetzt haben.
8152 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 109. Sitzung. Bonn, Freitag, den 7. Dezember 1984
Bundeskanzler Dr. Kohl
Ich begrüße es, daß der Ausschuß für institutionelle Fragen bereits nach kurzer Beratungszeit einen Zwischenbericht vorlegen konnte. Es handelt sich um ein sehr substantielles Dokument mit einer politischen Perspektive, obwohl — das muß man gleich hinzufügen — dies nur ein Vorschlag des Ausschusses ist und die einzelnen Vorschläge noch keineswegs die Zustimmung aller Partner gefunden haben.
Der Europäische Rat hat in Dublin den Zwischenbericht einer ersten Erörterung unterzogen und beschlossen, ihn zu veröffentlichen. Wir haben den Ausschuß aufgefordert, seine Arbeit bis zur Märzsitzung fortzusetzen und zu versuchen, auf ein Höchstmaß an Übereinstimmung hinzuwirken, und dann dem Europäischen Rat seinen Schlußbericht vorzulegen. Dieser Schlußbericht soll auf meinen Antrag hin in einer ganztägigen Sitzung, die mit der Sitzung des Europäischen Rates im Juni in Rom zusammenfällt, diskutiert werden. Ich hoffe, daß wir dabei zu weitreichenden Entscheidungen kommen.
Ich will es noch deutlicher ausdrücken, meine Damen und Herren. Ich bin der Auffassung, daß sich die einzelnen Regierungen, die einzelnen nationalen Parlamente und die einzelnen Partnerländer in der Gemeinschaft bis zu diesem Zeitpunkt darüber klarwerden müssen, was sie mit der Gemeinschaft für die Zukunft wollen. Ich habe in Dublin gesagt: Wir können es wenden, wie immer wir wollen; im Laufe des Jahres 1985 kommt für uns alle die Stunde der Wahrheit: Wollen wir bei der politischen Integration, ich sage etwas pathetisch: beim Bau der Vereinigten Staaten von Europa voranschreiten, oder wollen wir hinnehmen, daß die EG in einer irgendwie gearteten gehobenen Freihandelszone verharrt? Das ist die Grundsatzentscheidung. Ich bin dafür, daß wir diese Diskussion mit allen unseren Partnern fair führen.
Ich trete auch dafür ein, daß wir nicht von vornherein Andersdenkende in der Gemeinschaft ausgrenzen, sondern daß wir den Versuch machen, möglichst zu übereinstimmenden Positionen zu kommen. Aber es ist ein Gebot der Ehrlichkeit und der Redlichkeit, auch heute schon zu sagen, daß die Aussichten auf eine völlige Übereinstimmung aller Partner in dieser Frage nicht sonderlich groß sind, sondern daß wir damit rechnen müssen, daß sich hier unterschiedliche Entwicklungen zeigen werden, daß auch einiges auseinanderlaufen wird, daß wir nicht zu einer völligen Übereinstimmung kommen.
Für uns ist vor allem das institutionelle Kapitel des Berichtes wichtig. Der Ausschuß wird daran weiterarbeiten. Wir wünschen, daß er seine Arbeit über Maßnahmen und Institutionen einer gemeinsamen Außenpolitik, zur Verteidigungs- und Sicherheitspolitik und zum Binnenmarkt weiterführt. Diese Bereiche gehören für uns zu einer Europäischen Union. Sie erfüllen den oft zu Unrecht als
abstrakt gescholtenen Begriff der Europäischen Union mit politischem Leben.
Auch der ebenfalls auf dem Europäischen Rat in Fontainebleau eingesetzte Ad-hoc-Ausschuß für ein Europa der Bürger hat einen ersten Zwischenbericht erstattet. Er gibt einen Überblick über die Tätigkeitsbereiche, die geeignet sind, konkrete Maßnahmen zu erarbeiten, die den Bürgern den Sinn der Gemeinschaft näherbringen können. Auch dieser Ausschuß wird im März dem Europäischen Rat seinen abschließenden Bericht unterbreiten.
Meine Damen und Herren, im Rahmen der Europäischen Politischen Zusammenarbeit hat der Europäische Rat auch eine Reihe wichtiger außenpolitischer Fragen beraten. Das Ergebnis zu den Themen Naher und Mittlerer Osten, West-Ost-Beziehungen, Mittelamerika und Bekämpfung des Terrorismus ist in den ja veröffentlichten Schlußfolgerungen festgehalten.
Ich darf zusammenfassend feststellen: Der Europäische Rat in Dublin hat in einer ungewöhnlich schwierigen Lage dennoch wichtige Sachentscheidungen getroffen. Er hat seinen Blick in die Zukunft gerichtet, auf eine Gemeinschaft, die die Erweiterung will und ihren Beitrag dazu leisten konnte, eine Gemeinschaft, von der wir hoffen, meine Damen und Herren, daß möglichst alle Mitglieder ihren Beitrag zur politischen Einigung Europas leisten wollen.
Wir, die Bundesregierung, sind bereit, auf diesem Wege — wie ich hoffe: mit einer breiten Unterstützung im Deutschen Bundestag — gemeinsam mit unseren europäischen Partnern voranzugehen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Herr Abgeordneter Wischnewski.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zu beurteilen sind die gemeinsame Erklärung von Präsident Reagan und von Bundeskanzler Kohl vom 30. November 1984, die Ergebnisse des Europäischen Rats von Dublin und die Regierungserklärung, die der Bundeskanzler heute abgegeben hat. Alle ökonomischen Fragen in diesem Zusammenhang wird mein Kollege Dr. Mitzscherling behandeln.
Ich will hier auf jegliche Polemik verzichten. Ich gehe deshalb sehr bewußt auch nicht auf die völlig veränderte Presselage ein, Herr Bundeskanzler, die Sie in den Vereinigten Staaten vorgefunden haben.
Herr Abgeordneter Wischnewski, erlauben Sie, daß ich kurz unterbreche. — Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen in der Mitte des Hauses, entweder Platz zu nehmen oder den Saal zu verlassen. —
Fahren Sie bitte fort.
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 109. Sitzung. Bonn, Freitag, den 7. Dezember 1984 8153
Ich will mich bemühen, einen Beitrag zu leisten, der dem Ernst der Lage entspricht. Denn es geht bei den bevorstehenden Verhandlungen zwischen den Vereinigten Staaten und der Sowjetunion darum, ob wenigstens der Weltraum von menschenvernichtenden Waffen frei bleiben wird.
Es geht darum, ob es in der Welt, in Europa, insbesondere aber bei uns weniger atomare Waffen geben wird. Und es geht darum, ob sich die konventionellen Waffen in dem Rahmen bewegen, der von den Völkern noch bezahlt werden kann,
ohne die eigene Zukunft zu verspielen und den Hungernden in der Welt nicht helfen zu können.
Herr Bundeskanzler, Sie haben in Ihrer Regierungserklärung sehr viel von der Steigerung der konventionellen Rüstung, aber leider weniger von der Minderung der nuklearen Rüstung gesprochen.
Umgekehrt wäre es mir lieber gewesen.
Es geht auch um ein neues Verhältnis zwischen den beiden Weltmächten. Uns ist in dieser Lage nicht gestattet, die Situation vom Logenplatz aus zu betrachten.
Wir müssen in der nächsten Zeit eine ganz aktive Rolle spielen.
Wir begrüßen die für den 7. und 8. Januar vorgesehenen Gespräche zwischen den Außenministern der Vereinigten Staaten und der Sowjetunion. Wir begrüßen es, wenn nach einem verlorenen Jahr für Rüstungskontrolle, Rüstungsbegrenzung und Abrüstung der Dialog — nach einem verlorenen Jahr — wieder aufgenommen wird. 1984 war ein Jahr ohne Verhandlungen, ein Jahr mit mehr atomaren Waffen auf beiden Seiten, und diese Bundesregierung hat durch ihre Entscheidungen auch dazu beigetragen.
Die Verhandlungen werden schwierig sein; denn es gibt heute noch mehr atomare Waffen und deshalb auch mehr zu verhandeln als zu dem Zeitpunkt, als die beiden Weltmächte in Genf auseinandergegangen sind. Wir begrüßen es ausdrücklich, daß Außenminister Shultz von Paul Nitze, dem Mann des Waldspaziergangs, begleitet wird.
Ihre Reise nach Washington, Herr Bundeskanzler, werden wir heute noch nicht beurteilen. Wir haben Verständnis dafür, daß die gemeinsame Erklärung, die Sie mit dem Präsidenten der Vereinigten Staaten abgegeben haben, noch nicht die Position der USA für die bevorstehenden Verhandlungen enthalten kann. Daß Sie sich mit dem Präsidenten der Vereinigten Staaten gut verstehen, das glauben wir.
Ihre Reise werden wir beurteilen, wenn wir die Vorschläge der Vereinigten Staaten für die bevorstehenden Verhandlungen genau kennen. Erst dann ist erkennbar, ob Sie neben dem guten Verstehen auch den notwendigen Einfluß haben, Einfluß für die berechtigten Interessen Europas und für die berechtigten Interessen der Menschen in unserem Lande, wenn es um Abrüstung und Rüstungskontrolle geht.
Aus unserer Sicht sind der Bundesregierung jetzt folgende Aufgaben gestellt:
Erstens. Wir brauchen ein Höchstmaß an europäischem Einfluß auf unseren Partner, die Vereinigten Staaten, für die bevorstehenden Verhandlungen. Informationen reichen bei weitem nicht aus. Europa kann auf echte Mitbestimmung in diesen Fragen, die seine Lebensinteressen, ja, seine Überlebenschancen direkt oder indirekt betreffen, nicht verzichten. Die bisherigen Konsultationseinrichtungen scheinen mir nicht auszureichen. Die Vereinigten Staaten und die Sowjetunion beginnen in Genf auf sehr hoher politischer Ebene. Ich möchte das ausdrücklich begrüßen. Auch unsere dann regelmäßig notwendig werdenden Konsultationen müssen auf hoher politischer Ebene stattfinden.
Zweitens. Die Bundesregierung muß aus grundsätzlichen Erwägungen, jetzt aber auch zur Förderung des neuen Dialogs zwischen den Vereinigten Staaten und der Sowjetunion, ihre eigene Ostpolitik klären und intensivieren, um Verlorenes wieder zurückzugewinnen.
Denn, meine sehr verehrten Damen und Herren, das Jahr 1984 war nicht nur ein Jahr ohne Abrüstungsverhandlungen, es war für die Ostpolitik der Bundesregierung auch ein Jahr der Absage: die Absage des ersten Mannes der DDR, die Absage des ersten Mannes Bulgariens, die Absage der so bitter notwendigen Reise nach Polen. Nichts als Absagen 1984!
Herr Bundeskanzler, Sie haben in Ihrer Amtszeit von gut zwei Jahren die Vereinigten Staaten fünfmal besucht. Wir begrüßen das, weil wir sehr genau wissen, daß die Vereinigten Staaten der wichtigste Partner in unserem Bündnis sind, obwohl wir nicht in allen Fragen mit der Administration Reagan übereinstimmen können. Sie haben in dieser Zeit die Sowjetunion nur zweimal besucht, davon einmal zur Beisetzung von Generalsekretär Andropow; also nur ein Arbeitsbesuch in dieser Zeit. Dieses entspricht nicht der geographischen Lage unseres Landes und den Interessen unseres Landes.
8154 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 109. Sitzung. Bonn, Freitag, den 7. Dezember 1984
Wischnewski
Wir empfehlen Ihnen deshalb sehr dringend, Herr Bundeskanzler, den persönlichen Dialog auch mit dem ersten Mann der Sowjetunion, mit Generalsekretär Tschernenko, so bald wie möglich aufzunehmen. Führen Sie diesen Dialog bitte so, daß das Gerede vom Revanchismus aufhört! Schaffen Sie aber zuerst die Voraussetzungen dafür! Sorgen Sie endlich dafür, daß bei einigen Ihrer Freunde eine unverantwortliche, gefährliche und höchst überflüssige Diskussion über die polnische Westgrenze aufhört, meine sehr verehrten Damen und Herren!
Wer die polnische Westgrenze in Zweifel ziehen will, versündigt sich gegenüber dem polnischen Volk. Er dient nicht dem Frieden und der Abrüstung. Er stellt sich gegen unsere eigenen Interessen. Sagen Sie für Ihre Regierung, Ihre Koalition und Ihre Partei ein, klares Wort, und lassen Sie nicht auch in dieser Frage Ihren Außenminister allein, wie das z. B. in dieser Frage auch heute geschehen ist!
Drittens. Die Bundesregierung muß klare eigene Vorstellungen zum Thema Rüstungskontrolle, Rüstungsbegrenzung und Abrüstung für die bevorstehenden Verhandlungen haben. Lassen Sie mich unsere Position, die Position der SPD, skizzieren; zu mehr reicht die Zeit nicht aus.
Wir begrüßen den vorgesehenen Dialog zwischen den Vereinigten Staaten und der Sowjetunion. Aber die Gespräche zwischen Shultz und Gromyko am 7. und 8. Januar müssen so schnell wir möglich in konkrete Abrüstungsverhandlungen überführt werden, und zwar für alle Waffen.
Die beiden Weltmächte müssen sich ihrer besonderen Verantwortung bewußt sein; denn die Menschen bei uns, in Europa, in der Welt sind mißtrauisch geworden. Viele glauben nicht mehr daran, daß Verhandlungen zu weniger Waffen führen; denn sie erleben, daß es trotz aller Verhandlungen immer mehr Waffen gibt: im Osten, im Westen und leider auch in wachsendem Maße in der Dritten Welt.
Verlorenes Vertrauen kann nur zurückgewonnen werden, wenn Gespräche zu Verhandlungen und Verhandlungen zu echter Abrüstung in Ost und West führen. Ergebnisse können nur erzielt werden, wenn beide Seiten auf Überlegenheit verzichten.
Jedes Streben nach Überlegenheit einer Seite führt zu weiterem Wettrüsten, und jeder Versuch, die andere Seite totzurüsten, führt letztendlich zum Tod.
Wir Sozialdemokraten halten es mit dem Senator Kennedy, der erklärt hat: „Das Jagen nach dem Phantom der Überlegenheit ist ein Rezept für eine Eskalation, die nur zu der immer größer werdenden Gefahr des letzten Krieges der Menschheit führt." Wir können diese Aussage von Kennedy in vollem Umfang unterstützen.
Sicherheit kann es nur geben, meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn es gleiche Sicherheit gibt. Ergebnisse können nur erzielt werden, wenn beide Weltmächte nicht in ihren bisherigen Positionen verharren. Beide müssen ihre Positionen ändern, beide müssen sich bewegen. Verhandlungen ohne Kompromisse sind keine echten Verhandlungen
Wir hätten es sehr begrüßt, wenn wir auch in dieser Richtung etwas in der gemeinsamen Erklärung gefunden hätten. Das hätte das Klima für die Verhandlungen zwischen den beiden Weltmächten entscheidend verbessert.
Lassen Sie mich nun bitte zu einigen entscheidenden Problemen kommen. Wir wünschen eine verbindliche vertragliche Vereinbarung zwischen den USA und der Sowjetunion darüber, daß es im Weltraum keine Waffen, gleich welcher Art, geben wird.
Das ist der Widerspruch unserer Zeit — oder eigentlich möchte ich sagen: der Wahnsinn unserer Zeit —, daß Milliarden ausgegeben werden und noch viel mehr ausgegeben werden sollen, um auch den Weltraum mit Waffen vollzuhängen, und daß zur gleichen Zeit Millionen Menschen auf dieser Erde, auf der wir gemeinsam leben, verhungern. Wenn das Geld, das für Weltraumwaffen schon schon ausgegeben wird und das noch ausgegeben werden soll, und zwar von den Vereinigten Staaten und der Sowjetunion, für die Bekämpfung des Hungers verwandt wird und wenn die übrigen Industriestaaten Vergleichbares dazutun, dann sind wir innerhalb kürzester Zeit in der Lage, dieses Problem auf der Welt zu lösen.
Auch deshalb wollen wir einen vertraglich vereinbarten Verzicht auf alle Waffen im Weltraum.
Die gemeinsame Erklärung des Präsidenten der USA und des Bundeskanzlers vom 30. November 1984 enthält viele Punkte, die wir unterschreiben können. Es gibt darin auch viele Gemeinplätze. Aber in einem wesentlichen Punkt gibt es Differenzen, und deshalb muß ich jetzt ein Wort dazu sagen. Wir wünschen, daß von Außenminister Shultz, dem Repräsentanten unseres Bündnisses, dem Repräsentanten des anderen Bündnisses, Herrn Gromyko, am 7. und 8. Januar 1985 in Genf vorgeschlagen wird, daß in der Frage der Stationierung von weiteren Mittelstreckenraketen sofort eine Pause vereinbart wird, und zwar natürlich beiderseitig.
Sagen Sie bitte nicht, daß wir mit dieser Forderung alleine stehen! Sie haben das in dieser Woche selbst erlebt mit Dänemark, mit Spanien, mit Griechenland. Sie wissen, was sich zur Zeit in Belgien abspielt und welche Haltung Ihre eigenen politischen Freunde in Belgien zu dieser Frage einnehmen.
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 109. Sitzung. Bonn, Freitag, den 7. Dezember 1984 8155
Wischnewski
Der frühere General Graf von Baudissin, der sich um die Bundeswehr so große Verdienste erworben hat, schlägt eine Pause von zwei Jahren als Geste des guten Willens vor. Auch der Kollege Feldmann von der FDP nennt einen Stationierungsstopp einen bedenkenswerten Vorschlag. Damit könne, wie er sagt, unser Friedenswille gegenüber der eigenen Bevölkerung demonstriert werden. Wir teilen diese Auffassung.
Eine solche Pause ist notwendig, um das Klima zwischen den beiden Weltmächten für die bevorstehenden Verhandlungen zu verbessern und um die Chance wahrzunehmen, zu einem Klima beiderseitigen Vertrauens zu kommen. Eine solche Pause haben vor wenigen Tagen in Chicago in der unabhängigen Kommission für Abrüstung und Sicherheit auf der einen Seite der frühere, uns allen gut bekannte Außenminister der Vereinigten Staaten Vance und auf der anderen Seite der USA-Experte der Sowjetunion Professor Arbatow gemeinsam gefordert. Eine solche von uns vorgeschlagene gemeinsame Pause wird unser Bündnis nicht schwächen, sondern wird unser Bündnis stärken. In unserer Welt, im Westen hängt die Stärke unseres Bündnisses auch von dem Vertrauen unserer Bürgerinnen und Bürger in dieses Bündnis ab. Ein Vorschlag für eine gemeinsame Pause der Stationierung von nuklearen Mittelstreckenwaffen wird zu mehr Vertrauen führen und sich positiv auf unser Bündnis auswirken, meine sehr verehrten Damen und Herren.
Wir begrüßen, daß die Vereinigten Staaten von einem „umbrella", von einem Schirm sprechen, unter dem sich die Verhandlungen abspielen sollen. Unter diesem Schirm können die Verhandlungen über die Bremsung und den Abbau, ja, die Verschrottung von atomaren interkontinentalen Raketen, von atomaren Mittelstreckenraketen, von taktischen atomaren Waffen stattfinden. Hier kann auch die Verhinderung von Weltraumwaffen verhandelt werden. Unverzichtbar ist auch ein Verbot der chemischen Waffen.
Aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, auch für die beiderseitige Begrenzung der konventionellen Waffen brauchen wir einen neuen politischen Impuls. Wien und Stockholm müssen zu Ergebnissen geführt werden, und jetzt besteht die Chance, daß die beabsichtigten Verhandlungen auch hier einen Impuls geben können.
Wir wünschen, daß der vorgesehene Dialog zwischen den beiden Weltmächten zu echten Verhandlungen führt, Verhandlungen nicht um der Verhandlungen willen, Verhandlungen, die zu einer nachweisbaren Verringerung menschenvernichtender Waffen führen. Wir wünschen diesen Verhandlungen Erfolg. Wir werden sie kritisch begleiten, und wir werden die Menschen in unserem Lande um Unterstützung bitten, wenn wir den Eindruck gewinnen sollten, es gehe nur um die Beruhigung der Welt und nicht um echte Reduzierung. Es geht
diesmal auch um die Frage, ob Menschen in der Frage des Erhaltens der Menschheit noch zu entscheiden haben oder ob nur noch das nachvollzogen werden kann, was die technische Entwicklung in der Welt vorgibt.
In dem Kommuniqué der Außenminister der Staaten des Warschauer Vertrages sehen wir positive Ansätze für die bevorstehenden Verhandlungen. Auch für uns ist die Einstellung des Wettrüstens die „Grundfrage unserer Zeit", wie es dort heißt. Nun müssen Ost und West gemeinsam an die Arbeit gehen.
Lassen Sie mich einige Bemerkungen — den größten Teil wird mein Kollege Mitzscherling behandeln — zu Dublin machen.
Der Europäische Rat hat gerade noch erreicht, daß die Beitrittsverhandlungen mit Spanien und Portugal weitergehen können. Ich möchte das hier ausdrücklich wie Sie, Herr Bundeskanzler, begrüßen. Wir erwarten, daß die Bundesregierung in dieser Frage wie bisher alle Anstrengungen unternimmt, damit Portugal und Spanien zum vorgesehenen Termin, dem 1. Januar 1986, Mitglied der Europäischen Gemeinschaft sein können.
Auf die Menschen in Spanien und Portugal machen allerdings — das muß jeder hier wissen — die Verhandlungen einen verheerenden Eindruck. Sie haben, Herr Bundeskanzler, mit Recht darauf hingewiesen, daß wir damals den Spaniern und den Portugiesen gesagt haben: Kehrt zurück zur Demokratie, dann könnt ihr Mitglied der Europäischen Gemeinschaft werden! — Von Demokratie ist bei den Verhandlungen heute nicht mehr viel die Rede. Heute haben die Spanier und die Portugiesen den Eindruck, es ginge in erster Linie um Wein, um Tomaten und Oliven. Sie haben auch den Eindruck, daß viele in der Zwischenzeit die Worte von der Demokratie vergessen haben.
Wir haben uns immer dafür ausgesprochen, Portugal und Spanien in die Europäische Gemeinschaft aufzunehmen. Wir stehen zu dieser Aussage. Beide Länder haben zur Demokratie gefunden. Beiden Ländern ist es gelungen, den Demokratisierungsprozeß zu festigen. Wir werden uns in diesem Falle selbstverständlich daran beteiligen, auch die notwendigen Lasten zu tragen. Denn wir wissen, daß das mit Lasten verbunden ist.
Wir hoffen nur, daß nicht — wie häufig in der Vergangenheit auf Gipfeltreffen — vollmundige Erklärungen abgegeben werden, die dann in der Folgezeit Stück für Stück zurückgenommen werden. Gerade aus der letzten Zeit gibt es eine Reihe von praktischen Erfahrungen in dieser Hinsicht.
Der Europäische Rat hat auch Stellung genommen zum Nahen Osten. Er hat nichts Neues gesagt, sondern sich auf eine Erklärung berufen, die Jahre zurückliegt, obwohl sich die Situation wesentlich verändert hat. Wer wie die Europäische Gemeinschaft will, daß es direkte Verhandlungen geben soll, der muß dann allerdings schon einen Beitrag leisten, um solche Gespräche möglich zu machen.
8156 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 109. Sitzung. Bonn, Freitag, den 7. Dezember 1984
Wischnewski
Wir kommen nicht daran vorbei festzustellen, daß sich die Europäische Gemeinschaft in einer Krise befindet. Die europäischen Räte der letzten Jahre haben uns nicht weiter gebracht. Was ist von der feierlichen Erklärung von Stuttgart übriggeblieben?
Nicht das Geringste. Ich bedauere das sehr.
Die Öffentlichkeit jedenfalls hat den Eindruck, daß es viele feierliche Erklärungen gibt. Am Verhandlungstisch aber entsteht für die Öffentlichkeit der Eindruck, daß oft kleinkarierte Krämer einmal über Wein, das andere Mal miteinander über Milch streiten. Dieser Eindruck schadet den europäischen Interessen, so sehr ich Verständnis dafür habe, daß jedes Land seine Interessen wahrnimmt. Dies ist nicht das Europa, das die Bürgerinnen und Bürger in Europa wollen. Da darf es dann niemanden wundern, wenn das Interesse an Europa leider nachläßt.
Wir wollen eine institutionelle Fortentwicklung der Europäischen Gemeinschaft. Wir wollen aber nicht, daß so geredet wird, als stünde die Europäische Union schon jeden Tag vor der Tür. Wir sind bereit, unseren Beitrag zu leisten, um in der europäischen Entwicklung auch in einer schwierigen Zeit einen guten Schritt nach vorne zu machen.
Vielen Dank.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Rühe.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Wischnewski, das Jahr 1984, das Sie versucht haben aus der Sicht der SPD zu charakterisieren, ist natürlich vor allem auch ein Jahr der völligen Fehleinschätzung der Entwicklung zwischen Ost und West durch die deutsche Sozialdemokratie,
denn all die Gespräche, die es jetzt gibt, finden ja völlig entgegen den Voraussagungen statt, die Sie gemacht haben. Ich muß Ihnen sagen: Nur aus außenpolitischer Rücksichtnahme — denn es wäre nicht klug, allzuviel Triumph über die Tatsache zu äußern, daß diese Gespräche stattfinden — erspare ich Ihnen eine wirklich vernichtende Analyse der Voraussagen, die Sie gemacht haben. Selten hat sich eine Partei so gründlich und so schnell geirrt wie Sie.
Nun zu dem Einfluß, den deutsche Politik ausüben kann und ausüben muß — auch und gerade in Washington, einverstanden. Aber wie macht man das, Herr Wischnewski? Nicht durch starke Reden hier in Deutschland, sondern die Leistung, die wir im Bündnis einbringen, entscheidet über den Stellenwert und über den Einfluß, den wir im Bündnis haben.
Da kann ich nur sagen: Eine Sozialdemokratische Partei, die in der jetzigen Situation des Bündnisses im Vordergrund das Problem der strukturellen Angriffsfähigkeit der Bundeswehr sieht, ist international und national völlig isoliert. Ich meine, dieses Wort von Ihrem Parteitag, sie müßten nun, nachdem es sozialdemokratische Verteidigungsminister wie Schmidt, Leber und Apel gegeben hat, die strukturelle Angriffsfähigkeit der Bundeswehr beseitigen und die Nichtangriffsfähigkeit herbeiführen, gehört vom Tisch. Solange Sie einen solchen Unsinn behaupten, statt sich aktiv an einer Hebung der Atomschwelle zu beteiligen, haben Sie überhaupt keinen Einfluß.
Für mich ist das Jahr 1984 eben auch ein Jahr, in dem die SPD international Vertrauen und Partner durch ihren phänomenalen Meinungsumschwung in Sachen Nachrüstung verloren hat.
Wo sind eigentlich Ihre Partner? Sie haben Diskussionspartner, das ist richtig. Aber wo sind Partner für Ihre Politik? In der letzten Woche hat es eine wichtige deutsch-französische Konferenz gegeben. Ein wichtiger Sprecher hat gesagt, eine Regierung der SPD in der Bundesrepublik wäre der Nagel für den Sarg der deutsch-französischen Zusammenarbeit.
Wie Ihr Stellenwert in Washington ist, das ist eh bekannt. Wie sieht es mit Moskau aus? Ja, die Sowjetunion hat in der Tat in den letzten zwei Jahren die Illusion gehabt, sie könnte mit der Straße und mit der Opposition Politik in Deutschland machen. Inzwischen spricht sie wieder mit den Regierungen, und das ist gut so. Auch dieser Partner steht nicht mehr zur Verfügung.
Sie haben Vertrauen und Partner verloren. Sie haben eben einen entscheidenden Fehler gemacht. Sie sind aus der Regierungsverantwortung ausgeschieden — das ist in Ordnung. Aber wer aus der Regierungsverantwortung ausscheidet, muß in die Oppositionsverantwortung einsteigen und darf nicht in die außen- und sicherheitspolitische Verantwortungslosigkeit absinken.
Lieber Herr Kollege Wischnewski, wenn Sie nun anfangen, die deutsche West- und Ostpolitik daran zu messen, wie häufig der Bundeskanzler in Washington und wie häufig er in Moskau gewesen ist, dann ist das schon bestürzend, wenn nicht lächerlich. Sie wissen, daß selbst Willy Brandt und natürlich auch Helmut Schmidt verständlicherweise häufiger in Washington als in Moskau gewesen sind. Aber das ist doch eine völlig falsche Meßlatte für das in der Tat sehr wichtige Problem, wie wir West- und Ostpolitik in eine richtige Beziehung bringen.
Da habe ich vor einigen Tagen ein interessantes Buch gelesen — das ich Ihnen nur empfehlen kann —, verfaßt vom Privatarchivar von Helmut Schmidt, Professor Lehmann, „Öffnung nach
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 109. Sitzung. Bonn, Freitag, den 7. Dezember 1984 8157
Rühe
Osten". Er hat darauf hingewiesen, wie die Situation, in der die Nachrüstung überhaupt notwendig wurde, entstanden ist, indem nämlich, so Professor Lehmann, das Primat der Entspannungspolitik vor der Abschreckung und der Sicherheit auf sozialdemokratischer Seite dazu beigetragen hat, daß die Sowjetunion zunächst vorrüsten und die NATO später nachrüsten mußte. Wenn Schmidt, so sagt der sozialdemokratische Professor Lehmann, einer der Väter des NATO-Doppelbeschlusses war, dann gehörten Brandt und Bahr ungewollt zu seinen Stammvätern.
Das ist genau der Punkt, daß wir in Durchführung des Harmel-Berichts eben gleichgewichtig für Sicherheit und Dialog sorgen müssen. Sie haben uns vor einem Jahr gesagt: Ihr könnt entweder für die Sicherheit sorgen oder das Gespräch mit dem Osten führen. Diese Prognose hat sich als falsch erwiesen.
Sie haben ein ehernes Gesetz der deutschen Außenpolitik verletzt, daß nämlich alleine die feste Verankerung im Westen überhaupt erst die Voraussetzungen und den notwendigen Handlungsspielraum für eine aktive Ostpolitik schafft. Erst die Prinzipienfestigkeit unserer Außenpolitik ermöglicht dann auch die Flexibilität in der praktischen Politik. Und ich sage Ihnen: Leute wie Lafontaine gefährden heute die Westpolitik, aber damit für morgen auch die Grundlagen einer erfolgreichen Ostpolitik.
Ich stelle fest: Sie haben mit dem Gerede, wie Sie sagen, über die polnische Westgrenze hier heute wieder begonnen. Ich habe vor einigen Tagen gesagt und an alle appelliert, auch an die Opposition in diesem Hause: Laßt uns Schluß machen mit dem unfruchtbaren Gerede über die Grenzfragen.
— Sie haben das doch wieder begonnen. Laßt uns aber auch dafür sorgen, daß Schluß gemacht wird mit diesen unsinnigen Revanchismuskampagnen, wie sie von anderer Seite kommen.
Herr Vogel, ich muß Sie an Ihre Verantwortung erinnern, nun nicht aus einem falsch verstandenen parteipolitischen Interesse, wenn es wieder ruhiger geworden ist, ihrerseits die Diskussion über diese Fragen erneut anzustacheln. Die Rechtslage Deutschlands ist so, wie sie ist, da kann niemand etwas wegnehmen oder hinzufügen. Wir alle sollten uns unserer Verantwortung bewußt sein, hier keine unfruchtbaren Diskussionen zu führen.
— Sie fragen: Wer hat die denn angefangen? Dann leisten Sie doch einen Beitrag dazu, daß sie aufhört! Es ist doch wirklich sehr kleinkariert, wie Sie sich jetzt hier verhalten.
— Herr Wischnewski, Sie sollten sehr darüber nachdenken, ob es im Interesse der deutsch-polnischen Beziehungen ist, wenn Sie hier glauben, aus innenpolitischen Gründen diese Diskussion verlängern zu müssen.
Mich können Sie jedenfalls beim Wort nehmen. Wir werden den ernsthaften Versuch machen, die Diskussion zwischen Deutschen und Polen auf die Zukunft zu orientieren, so wie das auch Jaruzelski in der letzten Woche auf einer wichtigen Pressekonferenz gesagt hat. Leisten Sie dazu einen Beitrag.
Nun würde ich gern noch ein bißchen zur Bewertung der Washingtoner Gespräche aus der Sicht der Fraktion sagen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte.
Bitte sehr, Herr Abgeordneter Brück.
Herr Kollege Rühe, sind Sie denn auch bereit, hier jetzt zu sagen, daß Sie die polnische Westgrenze für unabänderlich halten?
Aber Herr Kollege, wir haben doch die Diskussionen geführt. Ich habe Ihnen gesagt: Die Rechtslage ist so, wie sie ist. Da kann niemand etwas hinzufügen oder wegnehmen, kein Parteipolitiker irgendwelcher Seite. Lassen Sie uns doch im deutsch-polnischen Verhältnis über die Zukunft reden und uns konstruktiven Themen zuwenden. Das gilt auch für die Beantwortung Ihrer Frage.
So, jetzt möchte ich aber etwas zu den Washingtoner Gesprächen sagen.
Lassen Sie eine weitere Zwischenfrage des Abgeordneten Brück zu?
Nein, im Augenblick nicht, ich habe leider nur begrenzte Zeit.
Es sind Erfolge durch diese wichtige gemeinsame Erklärung erreicht worden. Unser Beitrag für eine gemeinsame Verteidigung ist ebenso gewürdigt worden wie unsere Bemühungen um Dialog und Zusammenarbeit mit der Sowjetunion und allen Staaten Mittel- und Osteuropas.
Herr Vogel, hier muß man auch einmal sagen: Die Sozialdemokraten gehören zu denen, die sich noch
8158 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 109. Sitzung. Bonn, Freitag, den 7. Dezember 1984
Rühe
bis vor drei Wochen bitter darüber beklagt haben, daß die Weltmächte nicht miteinander redeten. Und kaum daß sie miteinander reden, wird sich darüber beklagt, daß die Gefahr bestehe, daß sie über unsere Köpfe hinweg redeten und wir unseren Einfluß verlören.
Sie müssen sich nun wirklich einmal entscheiden, wo Sie in dieser Frage stehen. Und ich sage Ihnen: Die kleinen und mittleren Staaten können auch in dieser jetzigen Situation, die wir gewollt haben, in der das Gespräch zwischen den Weltmächten wieder begonnen hat, einen wichtigen Beitrag leisten. Das haben doch auch meine Gespräche in Budapest in der letzten Woche gezeigt.
Ich darf das als Hamburger mit einem Bild sagen: Wenn die großen Schiffe die Elbe nach Hamburg hinauffahren, dürfen sie das nicht mit eigener Kraft machen, denn sie würden die Ufer zerstören. Sie brauchen einen Lotsen, und sie brauchen Schlepper. — Dieses Bild gilt übertragen auch für die internationale Politik.
Deswegen sollten wir nicht darüber lamentieren, daß wir jetzt, wenn die Großen miteinander sprächen, weniger Einfluß hätten. Wir sollten uns darüber freuen: Die Rahmenbedingungen werden besser. Sie können sich darauf verlassen: Diese Bundesregierung wird weiter eine aktive Rolle spielen — zusammen mit den anderen Staaten in West- und Osteuropa.
Gespräche in Genf sind zunächst Sondierungsgespräche, die — nach unserem Wunsch — dann in substantielle Rüstungskontrollverhandlungen übergehen werden. Wichtig ist, daß das vertrauliche Verfahren der Diplomatie wieder eingeschlagen worden ist und daß über den Abrüstungsbereich hinaus eine Verbesserung des gesamten Ost-West-Verhältnisses und damit auch positive Anstöße für das innerdeutsche Verhältnis angestrebt werden sollten.
Es wird zu Recht immer wieder gesagt, daß man sich vor überzogenen Erwartungen hüten sollte. Das wichtigste Ziel im Augenblick, da nur kleine Schritte möglich scheinen, ist, daß die Verhandlungspartner am Verhandlungstisch bleiben und daß dort zunächst einmal ein Klima geschaffen wird, das bestehende Mißtrauen abzubauen, und daß konkrete Weichenstellungen für die vorgesehenen Abrüstungsverhandlungen entscheidend erleichtert werden.
Ich weise darauf hin — das ist sehr wichtig —: Die Prinzipien, die in dem gemeinsamen deutschamerikanischen Papier festgelegt worden sind, widersprechen manchen Verleumdungen, die es auch von Ihrer Seite gegenüber der amerikanischen Politik gegeben hat. In diesem Papier werden gegenseitige legitime Sicherheitsinteressen beider Seiten, Verhandlungen auf der Grundlage der Gleichberechtigung, Verzicht auf Überlegenheit, auf militärische Potentiale, die über die legitimen Verteidigungserfordernisse hinausgehen, anerkannt.
Es wird jetzt darauf ankommen, Fehleinschätzungen, Mißverständnisse wie in der Vergangenheit zu vermeiden und statt dessen Realitätssinn und Berechenbarkeit zur Grundlage der Ost-West-Beziehungen zu machen. Deshalb erwarten wir, daß beide Seiten Strukturen für regelmäßige Konsultationen verabreden werden, in denen nicht nur über Waffen, sondern über den ganzen Bereich der gegenseitigen Beziehungen gesprochen wird, wie es Präsident Reagan in seiner UNO-Rede vorgeschlagen hat.
Für uns Europäer wird es wichtig sein, daß wir unseren Einfluß ausüben. Das ist in Washington vereinbart worden. Wir müssen im übrigen darauf achten, daß die mehrseitigen Verhandlungen in Stockholm, in Wien, aber auch die CD-Verhandlungen in Genf, bei denen wir ja direkt am Verhandlungstisch sitzen, nicht in den Schlagschatten der Gespräche der beiden Großen hineingeraten, sondern von uns auch weiter aktiv gefördert werden. Für uns Europäer ist selbstverständlich das Gespräch über die Atomwaffen mittlerer Reichweite besonders wichtig. Ich kann hier für die Fraktion nur die Erklärung unterstützen, die die Bundesregierung abgegeben hat.
Lassen Sie mich etwas zu den Weltraumwaffen sagen. Das hat bei den Gesprächen auf der Seite des Warschauer Pakts in den letzten Tagen, aber auch in der Rede des Kollegen Wischnewski eine wichtige Rolle gespielt. Ich möchte hier für die Fraktion hinsichtlich der Frage von Raketenabwehrsystemen folgendes sagen. Wir haben unsere Erwartungen deutlich umrissen:
Erstens. Es müssen eine lückenlose Information der europäischen Verbündeten durch unseren amerikanischen Bündnispartner und eine ständige gegenseitige Konsultation in dieser Frage gewährleistet sein. Dies ist erreicht worden.
Zweitens haben wir uns für eine möglichst frühzeitige Aufnahme von Verhandlungen über diese Waffen ausgesprochen, um so einen Rüstungswettlauf in diesem Bereich zu vermeiden. Diese Verhandlungen sind heute absehbar.
Drittens sollten diese Verhandlungen das gesamtstrategische Verhältnis berücksichtigen, d. h. es sollten entscheidende Reduktionen bei den nuklearen Arsenalen bei gleichzeitiger Vermeidung eines Rüstungswettlaufs bei den Raketenabwehrsystemen erreicht werden.
Diesem Verhandlungsansatz kann die neue Form des beabsichtigten amerikanisch-sowjetischen Rüstungskontrolldialogs gerecht werden. Ein solcher Ansatz wird allerdings unter der Schwierigkeit stehen, daß im Bereich der nuklearen Arsenale über vorhandene Systeme verhandelt werden kann, während sich die neue mögliche Generation von Raketenabwehrsystemen noch im Forschungsstadium befindet. Dennoch bestehen nach meiner Einschätzung schon heute auch für diesen Bereich Verständigungsmöglichkeiten. So könnten beide Seiten
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 109. Sitzung. Bonn, Freitag, den 7. Dezember 1984 8159
Rühe
etwa prinzipiell vereinbaren, daß die strategische Stabilität langfristig durch eine Kombination von Begrenzungen bei Raketen wie bei Abwehrsystemen gestärkt werden soll.
Weiterhin könnten die für diesen Bereich zutreffenden und bereits bestehenden Verträge in ihrer Gültigkeit prinzipiell bestätigt werden. Ich denke dabei an den ABM-Vertrag und den Weltraumvertrag. Zusätzlich könnten beide Seiten einen Informationsaustausch über ihren jeweiligen Forschungsstand vereinbaren. Ich glaube, daß dies der richtige Ansatz ist. Niemand wird und kann Forschungen auf der einen oder anderen Seite behindern, aber wichtig ist, daß geforscht und verhandelt wird und daß es keine einseitigen Entwicklungen gibt, die zu Destabilisierungen führen.
— Sie können so viel nein sagen, wie Sie wollen. Dadurch wird die Forschung nicht aufgehalten und ist auch die Forschung in der Sowjetunion in den vergangenen Jahren nicht aufgehalten worden, gnädige Frau. Es ist wichtig, zu forschen und zu verhandeln, um Destabilisierung zu vermeiden.
Nun lassen Sie mich aus der Sicht der Fraktion noch etwas zu dem Ergebnis des Dubliner Gipfels sagen, der in der Tat den weiteren Weg für die Verhandlungen mit Spanien und Portugal geebnet hat. Ich unterstreiche noch einmal: Sie haben sich damals ein bißchen über eine Wertung des Stuttgarter Gipfels auch durch mich gewundert. Aber schauen Sie einmal historisch zurück. Da zeigt sich doch, welche außerordentliche Leistung auf diesem Stuttgarter Gipfel vollbracht worden ist. Es hat sich als richtig erwiesen, die Dinge in ein Paket zu bringen. Heute können wir feststellen, daß die Agrarmarktordnung zum Teil einschneidend reformiert wurde. In Dublin wurde jetzt das Versprechen eingelöst,
eben nicht nur bei der Produktion der sogenannten Nordprodukte, die besonders uns betrifft, sondern auch bei den Südprodukten Grenzen zu setzen. Schließlich ist man auf dem Weg der Haushaltsdisziplin ein gutes Stück vorangekommen. Es hat sich als entscheidend richtig gezeigt, daß es für eine termingerechte Süderweiterung unumgänglich und eine sehr weitsichtige Entscheidung war, ein Junktim zwischen dem Beitritt Spaniens und Portugals und der Mehrwertsteuererhöhung zu vereinbaren. Also die Weichen sind hier in Stuttgart aus der historischen Betrachtung der letzten eineinhalb Jahre völlig richtig gestellt worden.
— Ich würde mir wünschen, Sie würden mit mir
zusammen auf die erfolgreiche Europapolitik der
Bundesregierung mit Wasser anstoßen, Herr Fischer.
Ich kann nur sagen, Herr Fischer: Wenn es ein Ideal für die junge Generation in diesem Land gibt, dann ist es Europa. Das große Defizit, das Sie dort mit manchen linken nationalen Anfechtungen im Bereich der GRÜNEN haben, ist schrecklich veraltetes 19. Jahrhundert im Vergleich zur modernen Europa-Konzeption der CDU.
— Darauf trinke ich noch einen Schluck.
Hier ist zu Recht etwas beklagt worden. Auch die Beteiligten einschließlich des Herrn Bundeskanzlers haben sich beklagt, wie sie sich mit technischen Detailfragen herumschlagen mußten, etwa mit der Weinordnung. Aber ich sage noch einmal: Das sind eben nur scheinbar Nebensächlichkeiten, wenn man hier so bequem im Bundestag sitzt.
Aber da sind natürlich Tausende von Existenzen in Italien und in Spanien betroffen. Ich sage das kritisch in alle Richtungen. Wir haben es doch selbst gespürt. Sehen Sie mal die Diskussion über die Milch. Auch da kann man sagen: Das sind technische Detailfragen. Sie gucken da gelangweilt in die Runde.
Aber davon sind Zehntausende von Existenzen betroffen.
Deswegen würde eine Europapolitik ihr Ziel verfehlen und ihrer Verantwortung nicht gerecht werden, die großzügig darüber hinweggeht
und ständig nur auf den Horizont des Jahres 2000 schaut. Auch diese Aufgabe muß geleistet werden. Und sie ist in Dublin erfolgreich geleistet worden.
Allerdings — und dafür hat der deutsche Bundeskanzler immer wieder gesorgt — darf der Blick auf die Zukunft der Europäischen Gemeinschaft nicht verstellt werden. Wir müssen vermeiden — und daran sollten alle mitwirken —, daß in unserer Bevölkerung wegen dieser schwierigen Fragen der Wert und die Bedeutung dieser Gemeinschaft über-
8160 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 109. Sitzung. Bonn, Freitag, den 7. Dezember 1984
Rühe
sehen werden, um die uns viele außerhalb der EG beneiden.
Es ist richtig: Man muß erst nach Peking und anderswo hinfahren, um zu wissen, welche bedeutende Rolle diese Gemeinschaft in der Welt spielt.
Dieser freiwillige Zusammenschluß freier Demokratien ist nicht nur aus Gründen der wirtschaftlichen Konkurrenzfähigkeit notwendig,
Je geschlossener die Europäer sind, desto stärker ist unsere Position auch im Bündnis und in der Welt.
Schließlich dürfen — da hören Sie mal gut zu! — die entwicklungspolitischen Leistungen der Europäischen Gemeinschaft nicht übersehen werden. Sie leistet in der Welt bei weitem die stärkste Entwicklungshilfe.
2,3 Milliarden DM gehen von ihr als bi- und multilaterale Hilfe allein in die sogenannten AKP-Staaten.
Dies ist nicht nur eine wichtige humanitäre Leistung, die ohne die Wirtschafts-, Technologie- und Finanzpolitik der Europäischen Gemeinschaft gar nicht denkbar wäre — das muß ich einmal in Ihre Richtung sagen —,
sondern auch ein gutes und wichtiges Stück der Weltaußenpolitik, das wir nur gemeinsam in der Europäischen Gemeinschaft verwirklichen können. Dies sollten wir unserer Bevölkerung und gerade der jungen Generation immer wieder vor Augen führen, die sich ja für Fragen dieser Entwicklungshilfe interessiert.
Es besteht kein Zweifel darüber, daß wir uns verstärkt mit den Fragen befassen müssen, was die EG will, wohin sie will. Aber wir können doch nicht das Haus aufbauen, wenn wir nicht das entsprechende Fundament dafür gelegt haben, so mühselig und so wenig spektakulär der Bau des Fundamentes im einzelnen dann auch sein mag.
Ein wichtiger Schritt dafür ist der Zwischenbericht des Ad-hoc-Ausschusses für institutionelle Fragen. Die CDU/CSU-Fraktion begrüßt es, daß es trotz unterschiedlicher Auffassungen der einzelnen Mitgliedstaaten zur Abgabe eines gemeinsamen Berichts gekommen ist. Wir erwarten jetzt, daß alle Anstrengungen unternommen werden, damit der Ausschuß auch in den bisher abweichenden Standpunkten bis zur Vorlage seines Abschlußberichts
für die Beratungen des Europäischen Rates im Juni in Rom zu einem einstimmigen Votum kommt.
— Ich würde mir wünschen, daß nicht nur die Vorsitzende der Europakommission dieses Hauses dies unterstützt. Das schaffen wir nur, wenn alle mitwirken
und niemand sagt: Laßt das die Europäer machen; wir kümmern uns um unseren Wahlkreis und nur um die — angeblich — nationalen Interessen. Es ist ein zutiefst nationales deutsches Interesse, daß wir in diesen europäischen Fragen vorankommen.
Deswegen zum Schluß noch einmal ein Wort des Dankes an die Bundesregierung, den Bundeskanzler, den Bundesaußenminister, aber auch alle diejenigen, die — dies sage ich mit Blick auf die Washingtoner Erklärung — über viele Monate hinweg in für sie nicht sichtbarer Arbeit den Grundstein für einen zu diesem Zeitpunkt nicht selbstverständlichen Besuch des Bundeskanzlers in Washington gelegt haben, der aber überall in der Welt — ich habe es letzte Woche auch in Budapest gespürt — verstanden worden ist,
und zwar im Hinblick auf das besondere Gewicht, aber auch die besondere Verantwortung, die die deutsche Außenpolitik heute überall in Ost und West zu tragen hat.
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Kelly.
In diesen Tagen kann es einem angst und bange werden. Die Geschmacklosigkeit der etablierten Politik nimmt ständig zu. Die Tagung in Dublin — vielleicht sollten Sie zuhören — der EG-Staats- und Regierungschefs fand im Dubliner Castle statt, von dem aus die Briten jahrhundertelang Irland wie eine Kolonie beherrscht und die Iren auch wie Untermenschen behandelt hatten. In Dublin, der Hauptstadt eines neutralen Landes, das trotzdem EG-Mitglied ist — Neutralität ist also in der EG doch möglich —, sah es aus wie in einem bürgerkriegsbedrohten Land. Die Straßen der Innenstadt waren weiträumig abgesperrt — in diesem Europa der Bürger —, die Anwohner, die Sonderausweise hatten, wurden kontrolliert, auf den Dächern Dublins waren Scharfschützen und auf dem Flughafen Dublins — in einem neutralen Land — Boden-Luft-Raketen. Und „Die Welt" berichtete am 5. Dezember über das martialische Feldgeschrei aus nationalen Lagern am Vorabend des Gipfeltreffens.
Doch was ist eigentlich auf dem Dubliner Gipfel geschehen? Die Schlacht um die Seele Europas wurde in Dublin nicht ausgetragen, sondern auf die spätere Zukunft — in Rom — verschoben. In Rom im nächsten Juni — so Helmut Kohl — müsse für
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 109. Sitzung. Bonn, Freitag, den 7. Dezember 1984 8161
Frau Kelly
die Zukunft Europas unabdingbar die Stunde der Wahrheit schlagen. Aber warum rücken Sie mit der Wahrheit nicht heute heraus?
Sie haben über die wirtschaftliche und soziale Lage in den EG-Staaten gesprochen. Sie haben schon wieder über ein energisches Vorgehen gegen Inflation und Jugendarbeitslosigkeit gepredigt. Sie haben auch — wenngleich nur kurz — das Thema Umweltschutz gestreift. Immerhin haben Sie in Dublin festgestellt, daß es ein gewachsenes Umweltbewußtsein gibt. Vielleicht haben aber gerade diejenigen in Europa dazu beigetragen — DIE GRÜNEN —, die seit einigen Wochen und Monaten von Ihrer Seite, von seiten der CDU/CSU, wie gerade vorhin in die Nähe von Faschisten und Nationalsozialisten gerückt und als Grünhemden diffamiert und beleidigt werden.
Zum Ausbau der europäischen Institutionen hat man in Dublin einen Fahrplan festgelegt, der — wenn möglich — in Beschlüsse münden soll. Es waren gerade die Vertreter dieser Bundesregierung, die diesen Prozeß mit der Frage nach dem Verteidigungsbeitrag der EG-Partner verknüpft haben. Es gehe j a wohl nicht an — das haben Sie gesagt, Herr Kohl —, daß die einen nur Handel betreiben und sich ihre Sicherheit von anderen organisieren lassen.
So möchte ich Sie hier und heute ausdrücklich fragen: Wie ist es um die Neutralität des EG-Staates Irland bestellt? Wollen Sie auch hier NATO-erpresserische Politik betreiben, um auch dieses kleine Land in die NATO zu bringen?
Mit Ach und Krach ist es den Regierungschefs in Dublin wohl gelungen, für die Aufnahme Spaniens und Portugals in die Gemeinschaft die sogenannten letzten Hürden aus dem Weg zu räumen. Sie sollten hier aber auch ehrlich darstellen, wie der EG-Beitritt Spaniens und Portugals mit der NATO und der Westeuropäischen Union zusammenhängt.
Am Beispiel Spaniens zeigt sich, in welch starkem Maße die EG bereits zur NATO-Säule geworden ist. Ist es nicht so, daß das Verbleiben Spaniens innerhalb der NATO als heimliche Voraussetzung für die von Spanien angestrebte Aufnahme in die Europäische Gemeinschaft gelten muß? Felipe González, der sich einst klar und deutlich gegen die NATO ausgesprochen hat, ist heute zu einem wichtigen Verfechter der NATO geworden. Ein Referendum über die Fortsetzung dieser Mitgliedschaft soll noch stattfinden. Aber wir, die GRÜNEN, befürchten, daß nicht die NATO-Mitgliedschaft selbst zur Debatte stehen wird, sondern nur der Grad der Integration Spaniens. González hat selber schon begonnen, die Verknüpfung der EG mit der NATO und der WEU zu akzeptieren und sie gegenüber Brüssel zu einem Druckmittel zu gebrauchen. Ich glaube, hier hat die SPD tüchtig mitgeholfen.
So hat die Regierung González unter dem erpresserischen Druck der Bundesregierung die Philosophie der Blockfreiheit und Neutralität aufgegeben und läßt sich nun von der Politik der Sachzwänge erdrücken. Das wichtigste Argument für die NATO bleibt für Herrn González der Vorteil, den sich die
Spanier aus einer Mitgliedschaft in der EG erhoffen. So wurde am Beitrittsdatum 1. Januar 1986 festgehalten.
Dieser Verlauf in Dublin macht deutlich und offenkundig, wie sehr in Europa und in dieser Gemeinschaft alles nur noch vordergründige Taktik ist, es den Delegationen lediglich darum geht, wieviel man für sich herausschlagen kann. Genau das spiegelt die Krankheit der EG wider, die sich in der Finanzierung des Agrarmarktes erschöpft und nicht in der Lage ist, eine Reform des Agrarmarktes vorzunehmen.
Es ist für mich unerklärlich, wie man es europäische Politik nennen kann — aber davon heute kein Wort —, wenn das Europa der 10 heute jährlich rund 160 Millionen Hektoliter Wein produziert, wovon 120 Millionen verkauft werden. Nirgens wird in der Tat Europas Elend mit dem Überfluß so augenfällig wie bei der Vernichtung von Obst und Gemüse. Dazu gab es heute morgen kein Wort in Ihrer Erklärung, Herr Kohl.
Die anderen Agrarüberschüsse der EG — etwa 42 Millionen Tonnen Getreide in diesem Jahr, 1,2 Millionen Tonnen Butter, 1 Million Tonnen Magermilchpulver und 470 000 Tonnen Rindfleisch — verschwinden in Silos und Kühlhäusern — Hauptsache, das Zeug ist weg. Mit der Verordnung Nr. 9254/ 84 haben die Bürokraten der Brüsseler EG-Kommission den Hausfrauen und Hausmännern rechtzeitig zum Weihnachtsfest noch ein scheinbar nobles Geschenk gemacht. Sie werfen 200 000 Tonnen Lagerbutter zu stark reduzierten Preisen auf den Markt, davon allein bei uns 50 000 Tonnen. Diese Aktion ist ein zweifelhaftes Geschenk. Als Steuerzahler muß der Verbraucher die Verbilligung der Butter selbst finanzieren. Schlimmer noch: Durch das Unternehmen Weihnachtsbutter lassen sich weder die 1,25 Millionen Tonnen des Butterberges abtragen noch die Milliardenkosten für Lagerung und Verwaltung nennenswert senken. Auch hierzu kein einziges Wort!
Wann werden es diese Minister endlich schaffen, auf den Zusammenhang zwischen dem Überflußkonsum, der agrarischen Überflußproduktion in der EG und dem Hunger in der Dritten Welt hinzuweisen? Die Dritte-Welt-Bewegung in der Bundesrepublik und die evangelische Kirche haben dies wenigstens deutlich gemacht, besonders, daß der Genuß von Fleisch in Europa mit dazu führt, daß wichtige Anbauflächen für pflanzliche Nahrungsmittel in Entwicklungsländern verlorengehen, weil es für die Großgrundbesitzer dort profitabler ist, Exportfuttermittel zu produzieren. Wir sollten, Herr Kohl — leider ist er nicht da —, nicht die internationalen militärischen Eingreiftruppen der Amerikaner und der Franzosen begrüßen. Wir sollten eher daran denken, eine europäische Eingreiftruppe für Nahrungsmittelhilfe wie im Falle Äthiopien zu schaffen.
Dies wäre das elementare Gebot der Nächstenliebe und auch unserer Selbstachtung.
8162 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 109. Sitzung. Bonn, Freitag, den 7. Dezember 1984
Frau Kelly
Die EG-Kommission scheint aber sehr müde zu sein und macht nur bescheidene Reformanläufe. Gaston Thorn warnt vor einem Zerfall der Gemeinschaft und sagt, daß der EG-Geist zum Handelsobjekt degeneriert ist. Dieser Gemeinschaftsgeist degeneriert gerade dort, wo es um konkrete Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen der europäischen Bürger geht. Aber er degeneriert nicht an der Stelle, wo es um Kapitalverflechtung und freien Warenverkehr, um den eigenen wirtschaftlichen Nutzen geht. Die EG hat zwar nur 6 % der Weltbevölkerung, jedoch 22 % der Weltwirtschaftsleistung, 36 % des Welthandels und 37 % der Weltwährungsreserven. Das Motiv, Portugal und Spanien in die EG aufzunehmen, hat mit eigenem wirtschaftlichen Nutzen für die Bundesrepublik und für die EG zu tun. Es geht — wie es in diesem Bericht heißt —„um die Öffnung des spanischen und portugiesischen Marktes und seiner Entwicklungspotentiale". Es geht darum, daß über Spanien und Portugal ein leichterer Zugang zu den lateinamerikanischen Märkten erwartet wird. — Auch hierzu kein offenes Wort!
Es geht auch darum, die Regionen Afrikas, Nordafrikas und den Fernen Osten zu erschließen. Der Bericht sagt ganz deutlich, daß die Beziehungen der Bewerberländer dazu beitragen würden, das Gewicht der Gemeinschaft in der Weltpolitik zu erhöhen. So bleibt die EG eine Gemeinschaft der Reichen und der Starken, nicht nur im Innern, sondern auch in den Beziehungen zueinander und zur Dritten Welt.
Wenn neue Staaten in die Gemeinschaft, in die EG eintreten, dann profitieren in erster Linie die bisherigen EG-Staaten. Eines hat dieses Europa, das wir in dieser Form ablehnen, klargemacht: Das Kapital arbeitet gern im dunkeln, demokratische Kontrolle dagegen ist störend. So treffen der Europäische Rat und die Ministerräte Entscheidungen hinter verschlossenen Türen, die für alle Bürger der EG bindende Gesetzeskraft haben. Es ist hier vorhin zwar von demokratischen europäischen Staaten gesprochen worden, doch sind die Entscheidungen in Brüssel parlamentarisch nicht kontrolliert. Wo bleiben denn die Einschränkungen des nationalen Vetorechts, die Rückkehr zu Mehrheitsentscheidungen und eine echte Mitwirkung des Europäischen Parlaments?
In dem Kampf um Europas Seele geht es um etwas ganz anderes — auch das an die Adresse der SPD —: Es geht um die Militarisierung dieser Gemeinschaft! Europa ist dabei, seine Eigenständigkeit zu errüsten. Ist das die moderne Europakonzeption? Diese lehnen wir ab. Wer die WEU-Berichte zur Militarisierung im Weltall zur Kenntnis nimmt, weiß, wohin die Reise geht. Einfluß haben wollen soll nicht heißen, selber Supermacht werden zu wollen.
Dies auch an die Adresse der SPD.
Ich komme zum Schluß: Jeder weiß, wie eng die Süderweiterung der EG und die NATO-Mitgliedschaft miteinander verknüpft sind. Wir wissen, wie die Bundesregierung es verstanden hat, diese Koppelung zu erzwingen. Das, was jetzt noch hinzukommt und von dieser Regierung bestimmt begrüßt wird, ist der Beitritt Spaniens und Portugals zur WEU. Wir lehnen auch diesen Beitrag ab. Denn die WEU ist ein Bündnis, das im Konfliktfall automatisch eine militärische Beistandspflicht vorsieht.
Ich möchte zu allerletzt darauf hinweisen, daß hier von der Regierungsseite auch kein Wort dazu gesagt worden ist, daß das Pentagon und das State Department die Spanier aufgefordert haben, die Lagerung von Neutronenwaffen zu veranlassen.
Frau Abgeordnete, ich muß Sie unterbrechen. Ihre Redezeit ist zu Ende.
Das Wort hat der Abgeordnete Ronneburger.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Natürlich gehört es zu den Aufgaben und auch zum Selbstverständnis der Opposition, Regierungspolitik kritisch zu begleiten und ihr auch zu opponieren. Das ist das gute Recht, j a, es ist die Pflicht der Opposition. Aber das alles hat ja wohl eine ganz bestimmte Voraussetzung, nämlich daß sich diese Kritik am Regierungshandeln auf eine alternative, von diesem Regierungshandeln abweichende Vorstellung gründet. Wenn ich mir das in die Erinnerung rufe, was Herr Kollege Wischnewski heute, aber auch Frau Kelly hier soeben ausgesprochen hat, dann bedaure ich zwei Dinge.
Erstens. Diese Alternative zum Regierungshandeln, Herr Kollege Wischnewski, ist im Grunde genommen nicht zum Ausdruck gekommen,
dies schon deswegen nicht, weil diese Bundesregierung Ziele verfolgt, hinsichtlich derer wir früher gemeinsam der Meinung waren, daß sie im Inter, esse unseres Staates, der Bundesrepublik Deutschland, und ihrer Bürger liegen.
Das zweite ist eben, daß diese Erfolge genau auf dem Gebiet zu verzeichnen sind, das ja dieser Bundestag, das Parlament der Bundesrepublik Deutschland, in den vergangenen Jahren — und nicht erst seit etwa zwei Jahren — gemeinsam festgelegt hat. Es ist völlig unbestreitbar, daß die Bundesregierung auf allen drei Gebieten, die hier jetzt in einer verbundenen Debatte behandelt werden, Erfolge vorweisen kann. Die Opposition, meine Damen und Herren, würde glaubwürdiger, wenn sie gelegentlich auch einmal die Punkte zumindest anerkennen — wenn auch nicht übernehmen — würde, hinsichtlich derer diese Erfolge nachweisbar vorhanden sind. Es kann nicht ausreichen, daß die Opposition Wasser auf die Mühlen derer gießt, die im Grunde genommen nur eine Bestätigung ihrer bereits vorhandenen Vorurteile suchen, mögen diese Vorurteile auch noch so unhaltbar sein, wie ich es der Frau Kollegin Kelly nun heute auch einmal sehr deutlich sagen muß.
Haben wir eigentlich gestern eine Aktuelle Stunde über Äthiopien und über andere afrikanische Länder und über die Situation dort gehabt?
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 109. Sitzung. Bonn, Freitag, den 7. Dezember 1984 8163
Ronneburger
Haben wir uns mit den Problemen dieser Länder beschäftigt? Haben wir darauf hingewiesen, in welcher Weise gerade eine Institution, eine Einrichtung, der Frau Kelly ja nun zweifellos sehr kritisch gegenübersteht, nämlich die Bundeswehr, hier eingesetzt ist, um unmittelbare Not mit allem, was wir dazu tun können, zu lindern?
Herr Kollege Wischnewski, soll hier von Ihrer Seite her der Erfolg von Dublin im Grunde genommen als Geschäftigkeit der europäischen Krämerseele minimiert werden? Sie haben diesen Ausdruck heute morgen wörtlich gebraucht. Ich glaube, dann verkennt Ihre Aussage die Bedeutung der Einigung über das Weinproblem. Sie haben davon gesprochen, es geht offenbar um Tomaten, um Oliven, um Wein. Die Bedeutung dessen, was in Dublin geschehen ist, geht tatsächlich weit über diese wirtschaftlichen Einzelfragen hinaus und muß natürlich darüber hinausgehen. Das, was hier von „Krämerseele" gesprochen worden ist, kann ja im übrigen in der Bevölkerung auch unseres Landes wohl keine positive Stimmung für Europa erzeugen, sondern eher das Gegenteil. Ich frage die Opposition dieses Hauses wirklich, ob es das ist, was sie will. Europa und seine Zukunft sollte eigentlich zu schade sein für solche innenpolitischen Profilierungsversuche.
Tatsache, meine Damen und Herren, ist folgendes. Nachdem die EG-Außenminister schon in Luxemburg einen wichtigen Engpaß des Weges zum Beitritt von Portugal und Spanien freigeschaufelt hatten, ist es jetzt in Dublin gelungen, über die getroffene Regelung die Handlungsfähigkeit der EG erneut unter Beweis zu stellen. Wenn Sie heute, Herr Kollege Wischnewski, von einer Krise sprechen, dann muß doch wohl einmal hier vor diesem Hohen Hause gesagt werden: auch in der Vergangenheit ist der Weg der Europäischen Gemeinschaft nicht etwa wie auf einer Treppe Stufe um Stufe nach oben gegangen, sondern auch in den Jahren zwischen 1969 und 1982 hat es Rückschläge und Situationen gegeben, die von der damaligen Opposition als Krisen bezeichnet worden sind. Aber für Dublin — täuschen wir uns doch bitte nicht — war das mögliche Innehalten des vorgesehenen Eintrittsdatums von Spanien und Portugal wichtiger für die Glaubwürdigkeit, für die Handlungsfähigkeit, für die Zukunft der Europäischen Gemeinschaft, als es zu diesem Zeitpunkt und an diesem Ort Probleme der europäischen politischen Zusammenarbeit sein konnten. Denn das, was hier geschehen ist — vermeintlich das Handeln von Krämerseelen —, schafft eine der ganz entscheidenden Voraussetzungen dafür, daß bei dem zukünftigen Weg der Europäischen Gemeinschaft diese auf eine Europäische Union und auf eine europäische politische Zusammenarbeit überhaupt hinauslaufen kann.
Ich würde der Frau Kollegin Kelly, die nach ihrem Beitrag den Saal leider verlassen hat,
an dieser Stelle gern noch einmal folgendes sagen. Man mag der Europäischen Gemeinschaft in bezug auf den Beitritt der beiden — —
— Also, ich will Ihnen das eine sagen, Herr Kollege Fischer. Sie werden mich nicht dabei erwischt haben, daß ich in einer Debatte gesprochen und diese Debatte nicht bis zum Ende mit angehört habe. Machen Sie Vorwürfe, wem Sie wollen, aber nicht mir.
Frau Kollegin Kelly, man mag der Europäischen Gemeinschaft in bezug auf die Zielsetzung der Erweiterung der Gemeinschaft unterstellen, was man will, man mag von der Öffnung des Weges nach Nordafrika, man mag von NATO-Interessen sprechen, was auch immer man will — Tatsache bleibt, daß die Entscheidung für den Beitritt — sei es zur NATO oder sei es zur Europäischen Gemeinschaft — eine Entscheidung dieser Völker und dieser Staaten selbst ist. Wir zwingen niemanden. Wir sind höchstens in der Lage, den demokratischen Staaten in Europa den Weg in diese Gemeinschaften hinein zu öffnen. Sie haben selbst von dem zu erwartenden Referendum in Spanien gesprochen. Der Weg für diese Entscheidung kann geöffnet werden. Die Entscheidung ist eine Sache dieser Staaten und ihrer Bürger selbst.
Ich glaube, daß es eine wichtige Überlegung ist, daß im Grunde genommen, wie es auch die Europakommission dieses Hohen Hauses gesagt hat, mit dieser Süderweiterung Probleme für die Europäische Gemeinschaft verbunden sind und daß man dennoch aus bestimmten politischen Gründen diese Schwierigkeiten in Kauf nimmt um dieser nun demokratischen Länder willen.
Die Europakommission — vielleicht sollte das hier auch einmal zitiert werden — hat in ihrer Entschließung gesagt:
Sie betont die politische und wirtschaftliche Bedeutung der Erweiterung der Gemeinschaft um Spanien und Portugal als einen historischen Schritt für die Zukunft Europas.
An einem anderen Punkt sagt sie:
Sie hält es daher für wesentlich, daß der Rat die Beitrittsverhandlungen so bald wie möglich zum Abschluß bringt, damit nach Durchführung der nationalen Ratifizierungsverfahren Spanien und Portugal zum 1. Januar 1986 der Gemeinschaft beitreten können.
8164 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 109. Sitzung. Bonn, Freitag, den 7. Dezember 1984
Ronneburger
Das ist es, was uns bewegt, wenn wir an diese Süderweiterung denken und wenn wir an so vermeintlich banale Schwierigkeiten denken wie Oliven, Tomaten oder Wein. — Herr Kollege Fischer, selbst wenn ich Sie langweile; ich nehme das in Kauf.
— Also: Das Gähnen war kein Argument. Gut.
Die deutsche Weinproduktion mag mit einem Marktanteil von 1 % kein entscheidendes Argument in dieser Auseinandersetzung gewesen sein. Aber die Tatsache, daß wir mit dem Bundeskanzler einen weinpolitischen Spezialisten in Dublin am Tisch sitzen hatten,
hat zumindest, Herr Bundeskanzler, dazu geführt, daß die Interessen der deutschen Winzer auch in einer so schwierigen Verhandlung wahrgenommen wurden.
Es ist in diesen Verhandlungen gleichzeitig gelungen, eine wichtige, schwierige und hohe Hemmschwelle für die Süderweiterung der Europäischen Gemeinschaft aus dem Weg zu räumen.
Dieser 1. Januar 1986 ist ein entscheidendes Datum bei der Fragestellung: Ist diese Europäische Gemeinschaft handlungsfähig? Ist sie glaubwürdig? Hat sie eine Zukunft? Ich bin dankbar dafür, daß es gelungen ist, dies in so überzeugender Weise in Dublin darzustellen.
Lassen Sie mich, da es eine verbundene Debatte ist, etwas abweichend von der bisherigen Reihenfolge einige Worte zu dem Besuch in den USA sagen. Herr Wischnewski, ich war etwas erstaunt darüber, daß Sie nachgezählt haben: fünf Besuche in den USA, ein offizieller Arbeitsbesuch in Moskau. Vielleicht haben Sie überhört, daß der Bundeskanzler gesagt hat, daß er gemeinsam mit dem Außenminister auf Einladung des amerikanischen Präsidenten in den USA war.
Sie sollten doch ein gewisses Verständnis dafür haben, daß Bündnispartner öfter miteinander reden
als unter Umständen einzelne Mitglieder des Bündnisses mit der Führungsmacht des anderen Bündnisses.
— Nein, das ist überhaupt keine protokollarische Frage, sondern das ist eine inhaltliche Frage.
Ich weiß nicht, was daran Protokoll ist, wenn die Staaten, die in einem Bündnis zusammengeschlossen sind, ihre Interessen und sie betreffende Fragen aufeinander abstimmen.
Es sollte selbstverständlich sein, daß sie das unter Umständen häufiger tun müssen, als über den Graben zwischen den beiden Bündnissen hinweg in die Hauptstadt des Warschauer Paktes, nach Moskau, zu reisen, um dort Verhandlungen zu führen.
Herr Wischnewski, ich glaube, ich brauche Ihnen sicherlich nicht zu sagen, daß der Erfolg einer solchen Reise und solcher Gespräche weitgehend davon abhängt, wie die Vorbereitung gelaufen ist: vorbereitetes Kommuniqué usw., Sie kennen das alles. Aber ich füge hinzu: Es gibt eine zweite, außerordentlich wichtige Voraussetzung für den Erfolg solcher Gespräche und Verhandlungen, wie sie an diesem einen Tag in Washington — ich sage noch einmal — auf Einladung des amerikanischen Präsidenten stattgefunden haben. Das ist das Klima, das zwischen den Gesprächspartnern herrscht.
Insoweit muß ich Ihnen einfach sagen: Es gehört zu meinen überraschend positiven Erfahrungen dieser Reise, in welcher Weise dieses Klima dazu beigetragen hat, daß deutsche Interessen, europäische Interessen in aller Offenheit mit den amerikanischen Gesprächspartnern besprochen werden konnten,
daß es nicht etwa nötig war, bestimmte Positionen aus diesen Verhandlungen auszuklammern. Vielmehr war es ohne Verstimmung auf der einen oder anderen Seite möglich, auch schwierige Fragen anzusprechen.
Dazu gehört dann auch eine solche Frage wie z. B. das Stahlröhrenproblem. Dabei befinden wir uns durchaus in einer relativ günstigen Position; denn wir können sagen, daß die Bundesrepublik Deutschland doch wohl zu den Staaten gehört, die im Verhältnis EG zu den USA protektionistische Maßnahmen verhindert haben, die von anderen EG-Partnern eher gewünscht und vorangetrieben wurden. Das kann man in aller Offenheit miteinander besprechen.
Natürlich gibt es, Herr Kollege Wischnewski, keine automatische Übereinstimmung zwischen den USA und den europäischen Partnern des Bündnisses. Aber ich habe an diesem Tisch in Washington erlebt, daß es einen Weg gibt, um zu Übereinstimmungen zu kommen und diese Übereinstimmung zur Grundlage gemeinsamen Handelns zu machen. Das ist für mich eine außerordentlich positive Erfahrung gewesen. Ich bin Ihnen, Herr Bundeskanzler, persönlich dafür dankbar, daß es Ihnen gelungen ist, auch außerordentlich schwierige, diffizile Fragen, die gar nicht alle Gegenstand des Kommuniqués geworden sind, dort tatsächlich anzuspre-
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 109. Sitzung. Bonn, Freitag, den 7. Dezember 1984 8165
Ronneburger
chen und über all diese Dinge mit unseren amerikanischen Partnern zu sprechen.
Sie haben vorhin, Herr Bundeskanzler, in Ihrer Regierungserklärung einige dieser Punkte genannt. Es könnte daher überflüssig erscheinen, das eine oder andere zu wiederholen. Aber nach dem, was in der Diskussion gesagt worden ist, muß ich das im Blick auf einige Punkte doch etwas anders machen.
Es ist gefordert worden, keine Überlegenheit anzustreben. Herr Kollege Wischnewski, Sie haben Ihr Bedauern darüber zum Ausdruck gebracht, daß über diese Forderung in dem Kommuniqué nichts stehe; eine Forderung, die wir ja in diesem Hause gemeinsam vertreten, daß nämlich keine Seite über die andere im Ost-West-Konflikt Überlegenheit anstreben darf, wenn das Wettrüsten nicht immer weitergehen soll. Ich darf Ihnen einfach in die Erinnerung zurückrufen — vielleicht haben Sie es überlesen —, daß in der gemeinsamen Schlußerklärung einmal die Rede ist von der „Anerkennung gegenseitiger" — gegenseitiger! — „legitimer Sicherheitsinteressen" zwischen Ost und West und daß darüber hinaus — der Bundeskanzler hat es vorhin angesprochen — gefordert wird:
Stabile Beziehungen müssen gekennzeichnet sein durch den Verzicht auf militärische Potentiale, die über die legitimen Verteidigungserfordernisse hinausgehen, ...
Wenn diese beiden Äußerungen zusammengenommen nicht einen Verzicht auf ein etwaiges Streben nach Überlegenheit darstellen, dann vermag ich allerdings diese Zeilen offenbar nicht richtig zu lesen oder zu deuten.
Das, was uns als Deutsche in diesem Gespräch besonders bewegt hat, waren auch die Fragen, in denen es um die Teilung Europas und die Teilung Deutschlands geht mit der Formulierung von der „tragischen Barriere in Europa und in Deutschland". Ich halte es für außerordentlich wichtig, daß in diesen Fragen der amerikanische Präsident nicht nur zugelassen oder gebilligt hat, daß die Bundesrepublik Deutschland ihre Kontakte zum anderen deutschen Staat und zu ihren östlichen Nachbarn mit aller Intensität weiterbetreiben wird, sondern er persönlich im Gespräch dieses Bemühen ausdrücklich begrüßt und unterstützt hat. Hier ist unsere Position bei unserem Bündnispartner USA offenbar in guten Händen.
Meine Damen und Herren, es ließen sich noch eine ganze Reihe von Punkten mehr aus diesen Erwägungen anführen. Ich möchte das schon, um Wiederholungen zu vermeiden, nicht tun und möchte nur noch eine Bemerkung zu dem Punkt machen, der als letzter in dieser verbundenen Debatte auf der Tagesordnung steht. Ich sage ausdrücklich, niemand bedauert die Entscheidung der Bevölkerung von Grönland mehr als wir in der Bundesrepublik Deutschland. Aber es ist eine demokratische Entscheidung, wir haben sie zu re-
spektieren. Daß aber dennoch den Interessen der deutschen Hochseefischerei in dem tatsächlich erreichten Umfang nachgekommen werden konnte und daß Grönland die Gemeinschaft nicht vollständig verlassen hat, dies können wir in meiner Fraktion nur ausdrücklich begrüßen.
Deswegen ist es eine Frage, ob es eigentlich richtig ist, daß Teile unserer Fischereiwirtschaft die Entscheidungen, die dort getroffen worden sind, kritisieren, daß sie unzufrieden sind. Dafür wird man als jemand, der von der Küste kommt, ein gewisses Verständnis haben müssen. Aber wenn die Opposition sich draußen in ähnlicher Weise äußert, dann muß doch mal hinterfragt werden, wie die Alternative tatsächlich aussah.
Die Alternative, meine Damen und Herren, hätte nur darin bestehen können, daß Grönland zwar entgegen den Römischen Verträgen aus der EG ausgeschieden wäre — ich bin sofort am Ende, Herr Präsident —, wie es andere Nordmeeranrainer getan haben, seine Anrechtszone vor der Küste auf 200 Seemeilen ausgedehnt und verkauft hätte. Wir haben hier das Machbare auch erreicht, und dies war nicht zuletzt ein Erfolg der Bundesregierung. So ist das, was heute hier zur Verhandlung steht, der Ausdruck einer erfolgreichen, einer kontinuierlichen, einer konsequenten Politik.
Das Wort hat der Abgeordnete Mitzscherling.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Unlängst haben wir uns hier über die Gefahren unterhalten, die sich aus wachsendem Protektionismus für unsere exportabhängige Wirtschaft ergeben. Die Bundesregierung hat damals erklärt, wenn wir nur mit gutem Beispiel vorangingen, dann würde sich alles regeln und der Aufschwung wäre gesichert. Das war übrigens in der gleichen Woche, in der die Forschungsinstitute ihr Gemeinschaftsgutachten vorgelegt und als Fazit für 1985 verkündet haben: Wachstumsabschwächung in unserer Volkswirtschaft, auch verursacht durch einen langsameren Zuwachs des Welthandels. Dies, meine Damen und Herren, war Ende Oktober.
Diese unangenehmen Nachrichten sind dann schnell verblaßt unter dem Eindruck des drei Wochen später abgegebenen Gutachtens des Sachverständigenrates, der alles viel freundlicher sah. In der Haushaltsdebatte haben Sie dann Ihre scheinbar so erfolgreiche Wirtschaftspolitik gefeiert. Die Nachricht von dem Stahlröhrenimportstopp der Vereinigten Staaten hat diese rosige Stimmung, meine Damen und Herren, etwas getrübt. Der Herr Bundeswirtschaftsminister ließ durch den EG-Ministerrat das Angebot zur freiwilligen Lieferbeschränkung für Stahl, das er gemacht hatte, aufkündigen und drohte den amerikanischen Freunden Gegenmaßnahmen an. Das war vorige Woche. Es drohte der Beginn eines Handelskrieges.
8166 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 109. Sitzung. Bonn, Freitag, den 7. Dezember 1984
Dr. Mitzscherling
Inzwischen war der Herr Bundeskanzler, der nicht mehr da ist, in Washington.
Wir wissen nicht, ob sein Gespräch mit Präsident Reagan den Erwartungen entsprochen hat, die der wirtschaftspolitische Sprecher der FDP-Fraktion äußerte. Graf Lambsdorff hatte nämlich das amerikanische Einfuhrverbot als einen Musterfall unzulässiger wirtschaftlicher Machtausübung bezeichnet, das den Welthandel gefährde.
Wir kannten die Gesprächsergebnisse über die wirtschaftlichen Problembereiche bisher nicht. Denn in der gemeinsamen Erklärung des Herrn Bundeskanzlers und des Präsidenten Reagan findet sich hierzu kein Wort. Bekannt war nur die Erklärung des Herrn Bundeskanzlers, die er am letzten Sonntag nach Rückkehr in der ZDF-Sendung „Bonner Perspektiven" abgab: „Zunächst einmal habe ich unseren amerikanischen Freunden gesagt, daß diese Art des Umgangs miteinander zu Freunden nicht paßt."
Heute nun hat uns der Herr Bundeskanzler gesagt, er habe mit dem Herrn Präsidenten Reagan vereinbart, in der EG darauf hinzuwirken, daß sie ein neues Gesprächsangebot mache. Andererseits wolle Präsident Reagan seinen Handelsbeauftragten ermuntern, dieses Gespräch zu führen. Ich verstehe dies nicht; denn wenige Tage zuvor haben derartige Gespräche stattgefunden. Am Ende dieser Gespräche hat Präsident Reagan diesen Einfuhrstopp verfügt.
Nehmen Sie es mir bitte ab, daß wir uns über diese Entwicklung Sorge machen. Die wirtschafts- und handelspolitischen Beziehungen der USA sind zur Zeit äußerst belastet. Ich möchte an dieser Stelle ausdrücklich sagen: Wenn wir dieser Sorge Ausdruck geben, dann ist das nicht ein Zeichen von Antiamerikanismus — dagegen möchte ich mich wehren —, sondern es ist ein Zeichen der Sorge um die Entwicklung unserer Beziehungen zu einem wirtschaftlichen Block, zu dem wir traditionell gute Beziehungen gehabt haben, die wir uns selbstverständlich erhalten wollen.
Wer eigentlich, so frage ich Sie, wenn nicht die Opposition sollte denn warnen, wenn zu befürchten steht, daß Fehleinschätzungen der Regierung zu unangebrachtem Optimismus führen und deshalb angemessene politische Antworten nicht zu erwarten sind?
Wir fürchten — dafür haben wir nach wie vor Belege —, daß die amerikanische Handelspolitik eine härtere Gangart einschlägt. Der schon zitierte William Brock, der Beauftragte der Vereinigten Staaten für handelspolitische Fragen, hat erst kürzlich darauf hingewiesen, daß die Geduld der Amerikaner mit ihren Handelspartnern allmählich schwindet. Der Finanzstaatssekretär Tim McNamara hat erklärt, daß die USA einen Subventionskrieg mit der EG um Exportmärkte gewinnen würden.
In Genf, während der soeben zu Ende gegangenen GATT-Runde, haben die Amerikaner so massiven Druck in einer Weise auf die Entwicklungsländer ausgeübt, daß sich sogar die Partner aus den EG-Staaten über diese amerikanische Verhaltensweise äußerst kritisch äußern mußten. Es ist doch nicht Miesmacherei, das ist doch kein Antiamerikanismus, wenn man das einmal feststellt.
Dies, Herr Bundeskanzler und meine Damen und Herren von den Koalitionsfraktionen, ist das Bild nach den Präsidentschaftswahlen. Es hat sich nicht viel geändert. Die US-Regierung wird vom Kongreß der Vereinigten Staaten sogar ausdrücklich ermuntert, durch protektionistische Maßnahmen die Industrie der Vereinigten Staaten zu unterstützen. Wir haben auf diese zu befürchtende Entwicklung schon seit langem hingewiesen. Sie ist Folge explodierender Exporte in den Dollarraum. Sie ist auch Folge — das muß man sagen — des im Verhältnis zum Dollar gesunkenen Wertes der D-Mark. Denn bei einem Dollarkurs von über 3 DM sind natürlich die Vereinigten Staaten in weiten Feldern nicht mehr konkurrenzfähig. Das Riesendefizit in der US-Handelsbilanz dämpft zunehmend das amerikanische Wirtschaftswachstum. Wenn dazu noch eine allgemeine Wirtschaftsabschwächung kommt, wie sie zur Zeit droht, dann wird die Reaktion der Vereinigten Staaten noch mehr Protektionismus in vielen Bereichen und auf vielerlei Weise sein.
Was macht der Herr Bundeskanzler denn dann?
Wird er dann wieder die Kräfte des Marktes beschwören und die deutsch-amerikanische Freundschaft loben? Sie müssen doch die zunehmenden Klagen unserer Unternehmen kennen!
In immer weiteren Bereichen versuchen die Vereinigten Staaten den Transfer von Technologie nicht nur nach dem Osten zu unterbinden, sondern machen auch bei der Weitergabe von Technologien an europäische Unternehmen Schwierigkeiten. Auch das ist eine Form des Protektionismus, die zum Ziel hat, die Position von US-Unternehmen in Hochtechnologiebereichen zu stärken.
Wir haben hier schon wiederholt gesagt, meine Damen und Herren von den Koalitionsfraktionen, daß die Vereinigten Staaten in der Gegenwart eine Wirtschaftspolitik verfolgen, die sich vorrangig an ihren nationalen Interessen orientiert und die Auswirkungen auf den Rest der Welt völlig vernachlässigt.
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 109. Sitzung. Bonn, Freitag, den 7. Dezember 1984 8167
Dr. Mitzscherling
Dies ist deutlich ablesbar an der internationalen Zinsentwicklung, dies ist deutlich ablesbar an der Bewertung des Dollars, und das wird jetzt auch im handelspolitischen Bereich ablesbar werden.
Nehmen Sie dies, Herr Bundeskanzler, oder Sie, Herr Staatsminister Mertes, bitte zur Kenntnis, und überlegen Sie gemeinsam mit uns, wie wir uns in einer Welt verhalten, in der nicht Kooperationsbereitschaft oder der Wille, sich internationalen Spielregeln zu unterwerfen, die Lage kennzeichnet, sondern der Wettlauf um nationale Vorteile unter Einsatz aller Mittel.
Daraus muß die Bundesregierung politische Konsequenzen ziehen. Die können nicht allein darin liegen, sich in Reden als Europäer zu bekennen. Es muß das Fundament verbessert werden; dieses Fundament heißt — auch für uns Sozialdemokraten —: die Wirtschaft. Denn bei einer Entwicklung der Weltwirtschaft in Richtung Konkurrenz zwischen den Staaten, zwischen den Ländern statt einer internationalen Konkurrenz zwischen den Unternehmen heißt unsere Chance tatsächlich Europa, europäischer Binnenmarkt, europäische Währungszusammenarbeit. Nur die Stärkung der Wirtschaftskraft Europas kann den schwindenden Einfluß Europas und den der Europäer aufhalten.
Dies, meine Damen und Herren, sollte der Herr Bundeskanzler
durch seine Politik den Bürgern unseres Landes auch klarmachen. Den Gipfel-Kommuniqués, die wir immer wieder hören, müssen praktische Schritte folgen. Das Europa muß für den Menschen, der in unserem Lande lebt, endlich erfahrbar werden. Was nützt es denn, wenn die Herren in Fontainebleau ein Kommuniqué beschließen, wenn sie ein Europa der Bürger verkünden, aber kein Bürger etwas davon merkt?
Wo ist denn der Europapaß geblieben, der zum 1. Januar 1985 eingeführt werden soll? Wo ist denn das geplante Einheitsdokument, um den Warenverkehr zu erleichtern? Wie steht es denn um die Prägung einer europäischen Münze?
Offensichtlich kann die Bundesregierung diese Fragen nicht beantworten. Denn der vom Herrn Bundeskanzler erwähnte Ausschuß, den man in Fontainebleau eingesetzt hat, hat zwar bisher dreimal getagt, sich aber mit Sachproblemen bis heute überhaupt nicht beschäftigt; diese Auskunft ist uns gerade im Wirtschaftsausschuß erteilt worden. Wie soll er denn bis zum März Ergebnisse vorweisen?
Meine Damen und Herren, wie wollen Sie den Bürgern unseres Landes eigentlich verdeutlichen, warum wir viele Milliarden D-Mark brauchen, um die Gemeinschaftskasse zu füllen, damit dort Agrarüberschüsse produziert werden, die gelagert werden müssen, die man letztlich zugrunde gehen läßt,
während draußen Menschen verhungern? Das ist nicht mehr verständlich zu machen.
Auch wenn hier so lobende Worte über den EG-Gipfel in Dublin gefallen sind, meine Damen und Herren von den Koalitionsfraktionen: Der äußere Eindruck war verheerend. Der Eindruck war der eines zweitägigen Gerangels der Regierungschefs nach endlosen Monaten der Diskussion der Ministerräte um Weinzuckerung, um Anbaukontrollen, um Destillation von Weinüberschüssen. Ich weiß nicht, ob das das Ansehen Europas bei den Bürgern erhöht hat. Ich habe meine Zweifel. Diese Euphorie, die über den schon zitierten Krämergeist — zitiert nach dem „Handelsblatt", Herr Ronneburger — wohl kaum herrschen dürfte, weicht allmählich der Ernüchterung, die sich ausbreitet. Denn, man muß es nüchtern sagen, zuviel schwarzer Riesling verursacht eben Katerstimmung.
Zwar, meine Damen und Herren, scheint der Weg zu weiteren Verhandlungen über den Beitritt Spaniens und Portugals zur EG nun geebnet — und ich möchte wiederholen: wir Sozialdemokraten begrüßen ausdrücklich, daß dies erreicht worden ist, und wir unterstützen die Bemühungen der Bundesregierung bei dem Fortschreiten auf diesem Weg. Aber noch droht das griechische Veto, noch drohen die Hilfsprogramme, die integrierten Mittelmeerprogramme, von denen der Herr Bundeskanzler sprach, die die EG und die Räte angeboten haben, bei denen sich die Bundesregierung bisher aber äußerst zurückgehalten hat. Diese Hilfsprogramme für die Mittelmeerländer, die nach ihrem Beitritt natürlich auch Spanien und Portugal einzuschließen haben werden, stehen noch vor der Tür. Der Beitritt dieser beiden Länder selber, den wir für 1986 erwarten, setzt nun einmal den Abschluß von Verhandlungen über Fischereifragen, über Obst und Gemüse und die Regelung der Übergangsfristen voraus. Das ist bekannt. Aber das muß gelöst werden.
Es sind Termine da, Herr Mertes, und es gibt Äußerungen, daß der Herr Präsident Mitterrand und der Herr Bundeskanzler der Meinung seien, man solle vor dem Beitritt alle diese Fragen regeln. Nun, dann haben Sie noch zwei Monate Zeit. Was Sie in vielen Monaten in der Vergangenheit offenbar nicht schaffen konnten, müssen Sie jetzt unter Zeitdruck schaffen. Hoffentlich werden Sie Erfolg haben. Wir wünschen Ihnen das.
Meine Damen und Herren, wenn dieser Beitritt vollzogen sein sollte, wenn die Süderweiterung der EG tatsächlich erreicht sein sollte — sie wird dann zwölf Mitglieder umfassen —, wird dies nicht nur Auswirkungen auf die Mitgliedsländer, sondern auch auf die anderen Mittelmeerländer haben.
8168 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 109. Sitzung. Bonn, Freitag, den 7. Dezember 1984
Dr. Mitzscherling
Dies alles zusammen verlangt, glaube ich, eine Neubesinnung, eine Neuorientierung der Europäischen Gemeinschaft im Innenverhältnis.
Wir stimmen dem Herrn Bundeskanzler zu:
Die ökonomisch unterschiedlichen Wettbewerbspositionen, die unterschiedlichen politischen und sozialen Traditionen machen es sicherlich schwer, ein gemeinsames Konzept gegen nationale Interessen politisch zu organisieren. Aber wenn die politische Kraft der Mitgliedsländer nicht ausreicht, durch eine anstehende, überfällige umfassende Reform des Agrarmarktes und der EG-Finanzierung einen Strukturwandel innerhalb der Gemeinschaft zu ermöglichen, wird diese Gemeinschaft zerbrechen.
Dann wird es auch fraglich, ob Sie, Herr Bundeskanzler, der Sie nicht da sind,
eine gehobene Freihandelszone erhalten können oder ob wir dann nicht in Zeiten zurückfallen, die wir uns keineswegs herbeisehnen.
Deshalb, meine Damen und Herren, meine anwesenden Herren Mitglieder der Bundesregierung, bleiben uns nur die Besinnung, der Blick nach vorn und der Blick auf die Gegenwart. Dieser Blick auf die Gegenwart zeigt, daß nationale Subventionen und Beihilfen dieser notwendigen Entwicklung entgegenstehen. Das gilt auch für die Milliardenbeträge, Herr Schwörer, die der Herr Bundeskanzler gegen den Widerstand der übrigen EG-Partner vor einem halben Jahr in Fontainebleau durchgepaukt hat.
Derartige Fehlentscheidungen im Bereich der Landwirtschaft erschweren die unaufschiebbare Reform des Agrarpreissystems. Diese Reform ist unerläßlich, wenn ein wirklich gemeinsamer und von Protektionismus freier Markt,
der die Lösung der Strukturprobleme erleichtert und nicht zementiert, zustande kommen soll.
Um diese Wiederbelebung zu erreichen, genügt es nicht, einfach die Verhandlungspraktiken zu verbessern. Natürlich ist das eine ganz entscheidende Voraussetzung. Es kann nicht Aufgabe von Gipfeln sein, derartige Detailentscheidungen, für die der Sachverstand — mit Ausnahme des Herrn Bundeskanzlers, der sich, wie wir wissen, im Weinbau sehr gut auskennt —
gefordert ist, zu regeln. Aber hierzu bedarf es eines politischen Willens, und es bedarf der Übereinstimmung von Reden und Handeln.
Ich muß an den Herrn Bundeskanzler die Frage stellen: Was wollen Sie denn eigentlich konkret?
Die französische Regierung hat in ihrem Memorandum eine neue Stufe Europas, einen gemeinsamen Raum für Industrie und Forschung gefordert sowie Vorschläge zur Schaffung eines europäischen Marktes und für eine Forschungskooperation in Europa vorgelegt. Aber Ihre Fraktion hat unseren Antrag, diese Vorschläge zu unterstützen, im Wirtschaftsausschuß ebenso abgelehnt wie die FDP.
Ich konstatiere hier einen Widerspruch zwischen den Worten und den Taten für Europa.
Meine Damen und Herren, ich habe hier für meine Fraktion mehrfach für den Ausbau des europäischen Währungssystems plädiert. Dazu gehört auch, daß die Deutsche Bundesbank eine stärkere private Verwendung der europäischen Währungseinheit und auch die Einrichtung von ECU-Konten zuläßt.
Sie lehnen das ab bzw. Sie veranlassen die Bundesbank nicht zu einer Korrektur ihrer Haltung. Auch hier konstatiere ich einen Widerspruch zwischen dem, was Sie sagen, und dem, was Sie tun.
Ich frage den Herrn Bundeskanzler — der nicht anwesend ist —:
Soll es einen einheitlichen Wirtschaftsraum in der Gemeinschaft geben, oder soll es diesen Wirtschaftsraum nicht geben?
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Seiters?
Es tut mir leid, ich habe nur noch drei Minuten.
Herr Abgeordneter, fahren Sie bitte fort.
Ich nehme das zur Kenntnis, Herr Kollege. Ich bin darüber nicht informiert.
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 109. Sitzung. Bonn, Freitag, den 7. Dezember 1984 8169
Dr. Mitzscherling
Wir sagen j a zu diesem europäischen Wirtschaftsraum, weil dann die Hälfte der Exporte — sie gehen nun einmal in die Länder der Gemeinschaft — künftig als Binnenhandel verbucht werden kann, der also nicht mehr protektionistischen Gefahren ausgesetzt ist. Wir sagen auch ja dazu, weil die europäischen Unternehmen dann einen Markt zur Verfügung haben, der noch größer ist als der Markt in den Vereinigten Staaten. Dies erlaubt eine kostengünstigere Produktion, dies erlaubt eine größere innereuropäische Arbeitsteilung, ist also letztlich von Vorteil für alle Beteiligten.
Wir fragen: Soll das europäische Währungssystem weiterentwickelt werden, und soll die europäische Währungseinheit zu einer internationalen Reservewährung ausgebaut werden, damit Europa von der Wirtschaftspolitik der Vereinigten Staaten unabhängiger werden kann?
Wir wollen das, aber was wollen Sie? Wo sind Ihre konkreten Vorschläge?
Sie bringen Europa doch nicht vorwärts, wenn Sie schöne Reden halten, Sie bringen Europa doch nicht vorwärts,
wenn Sie sich auf die anderen verlassen. Sie bringen Europa doch nur vorwärts, wenn Sie selbst klare und konkrete Pläne für die europäische Zukunft auf den Tisch legen!
Meine Damen und Herren, man muß wissen, wohin man will. In dem Maße, wie die Überzeugung wächst, daß der vorgeschlagene Weg auch sinnvoll ist, kann auch der Wille wachsen, in diese Richtung zu gehen und andere auf diesem Wege dorthin zu unterstützen. Dieser Wille muß stärker und sichtbarer werden. Er muß auch unseren Mitbürgern und den Europäern sichtbarer werden; denn die Bundesrepublik Deutschland ist als größte Wirtschaftsmacht in Europa den Europäern eine konkrete Vision für die Zukunft Europas schuldig. Entwickeln Sie — diese Aufforderung geht an den Bundeskanzler — diese konkreten Vorstellungen. Wir werden Sie kritisch begleiten. Wir werden unseren konstruktiven Beitrag auf diesem Weg leisten. Denn auch wir wollen ein einiges, ein starkes Europa. Denn nur ein starkes Europa, Frau Kollegin Kelly, kann seine Aufgabe in dieser Welt erfüllen und kann zu mehr sozialer Gerechtigkeit auch in anderen Ländern beitragen.
Ich bedanke mich.
Hier oben auf dem Präsidiumstisch ist vorhin ein Mißverständnis geschehen. Die eingeteilte Zeit für die Rednerin Frau
Kelly war zu kurz bemessen. Ich gebe ihr noch einmal das Wort für einen kurzen Redebeitrag.
Auch Herr Kohl hat sein Papier vorne — wenn ich diesen Kommentar geben darf.
Herr Ronneburger, Sie haben vorhin gesagt, diese EG-Entscheidungen und auch die NATO-Entscheidungen seien frei. Die EG-Entscheidung Spaniens ist nicht so frei. Sie hat sehr viel mit dem Verbleib in der NATO und mit dem Druck zu tun, den die Bundesregierung ausgeübt hat, damit Spanien in der NATO bleibt. Umgekehrt: Auch das Referendum über die NATO ist nicht so frei. Es hat damit zu tun, daß Spanien dafür in die EG kommen darf.
Ich möchte noch ganz kurz von den annähernd eine Million Menschen erzählen, die in der vorigen Woche in über 20 Städten in Spanien gegen die weitere Präsenz Spaniens in der NATO, für den Abbau der US-Basen und für eine aktive Neutralitätspolitik demonstriert haben. Ich glaube, die spanischen Bürger wissen sehr klar, was ihnen als Preis für die bittere NATO-Pille angeboten wird: Integration in die EG, Fortschritte in Gibraltar sowie eine Reduzierung der US-Basen. Aber sie sind, meine ich, nicht bereit, diese NATO-Pille zu schlucken. Jetzt schon steigen die spanischen Militärausgaben jährlich um 15 %, und die spanische Waffenindustrie ist dabei, sich in einen der entscheidenden Motoren der Konjunkturbelebung zu verwandeln.
In Portugal gibt es das Geschäft: Luftwaffenübungsplatz Beja für die deutsche Bundeswehr oder drei Fregatten von der Bundesrepublik für die portugiesische Marine. Schon denkt man über ein Finanzierungsmodell für die insgesamt rund 2 Milliarden DM teuren Fregatten nach.
Die „Wirtschaftswoche" — eine Zeitung, die Sie alle bestimmt lesen — hatte im April klar zum Ausdruck gebracht: Die NATO-Mitgliedschaft Spaniens zwingt die Streitkräfte zur Anschaffung modernster Waffensysteme. — Hierzu hätte ich gern ein Wort von der SPD gehört, wie sie diese Entwicklung eigentlich sieht.
Diese erpresserische Politik, die bis jetzt von der Bundesregierung, aber auch von seiten der SPD in der Vergangenheit betrieben worden ist, können wir nicht hinnehmen. Wir verlangen, daß die Bundesregierung ihren politischen Druck in bezug auf den Verbleib Spaniens in der NATO, um EG-Mitglied zu werden, heute einstellt.
Wir begrüßen — anders als Herr Ronneburger — den Entschluß Grönlands, die Gemeinschaft zu verlassen. Dieser Wunsch, aus der EG auszutreten, ist ein Beispiel für die Folgen der von oben betriebenen Regionalförderung ohne Mitsprache der Betroffenen und auch ein Anzeichen, daß die Grönländer anfangen, sich gegen die ökologische Zerstörung und die Militarisierung zu wehren. Die amerikanischen Stützpunkte und Radarstationen auf Grönland sind zu einem zentralen Glied der neuen
8170 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 109. Sitzung. Bonn, Freitag, den 7. Dezember 1984
Frau Kelly
offensiven amerikanischen Atomwaffenstrategie geworden. Darum begrüßen wir es, daß das Regionalparlament Grönlands vor einigen Wochen die größte Insel der Welt zur atomwaffenfreien Zone erklärt hat.
Zum Abschluß möchte ich zu dem Treffen zwischen Bundeskanzler Kohl und Präsident Reagan ganz kurz etwas sagen. Es wird sich ja im April und im Mai allerhand tun: der Weltwirtschaftsgipfel, der Besuch Reagans in der Bundesrepublik, die Rede Helmut Kohls in einem früheren Konzentrationslager und, wie man hört, ein deutsch-amerikanisches Friedensfest. Doch mit diesem Pomp und Presserummel und diesen Gipfeltreffen werden Herr Kohl und seine Regierung in keiner Weise die Umweltzerstörung, die Ausbeutung sowohl von Menschen als auch von Rohstoffen, die Unterdrückung, den Sozialabbau und vor allem den atomaren, chemischen und konventionellen Rüstungswettlauf verringern.
Ich erinnere daran, wie es die in Brüssel tagenden Verteidigungsminister begrüßt hatten, zuallererst einen Plan aufzustellen, und wie sie es fertiggebracht hatten, diesen Plan niemandem bewußtzumachen. Ich spreche von der jüngsten Militärformel FOFA, hinter der sich der Plan verbirgt, durch Einsätze aus der Luft einen möglichen Gegner in dessen Hinterland, speziell die weiter rückwärts aufmarschierenden Truppen der zweiten Staffel, zu bekämpfen. Somit wird die Gefahr einer raschen Eskalation zum Atomkrieg größer und das sogenannte Sicherheitskonzept der NATO völlig unglaubwürdig.
Welche Waffen sind eigentlich vorgesehen? Darüber haben Herr Kohl und Herr Reagan nichts gesagt. Sind es Marschflugkörper? Sind es Pershings mit atomaren oder konventionellen Sprengköpfen? Gibt es so etwas wie grenzüberschreitende Vorwärtsverteidigung? Genau zu diesem Punkt hat Herr Kohl keine Antwort gegeben.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Schlußabstimmung zu Tagesordnungspunkt 32: Entwurf eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 13. März 1984 zur Änderung der Verträge zur Gründung der Europäischen Gemeinschaften bezüglich Grönlands. Ich rufe den Gesetzentwurf mit seinen Art. 1 bis 3 sowie Einleitung und Überschrift auf. Wer dem Gesetzentwurf als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Wer stimmt dagegen? — Stimmenthaltungen? — Der Gesetzentwurf ist einstimmig angenommen worden.
Zu Tagesordnungspunkt 33 schlägt der Ältestenrat vor, den Vierten Bericht und die Empfehlung der Europa-Kommission auf Drucksache 10/2075 zur federführenden Beratung an den Auswärtigen Ausschuß und zur Mitberatung an den Ausschuß für Wirtschaft, den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung und den Haushaltsausschuß zu überweisen. Gibt es dazu andere Vorschläge? — Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe nun die Zusatzpunkte 4 a und 4 b der Tagesordnung auf:
a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuordnung der Krankenhausfinanzierung
— Drucksache 10/2095 —
aa) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung
— Drucksache 10/2565 —
Berichterstatter:
Abgeordneter Dr. Becker
bb) Bericht des Haushaltsausschusses
gemäß § 96 der Geschäftsordnung
— Drucksache 10/2566 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Sieler Dr. Friedmann
Frau Seiler-Albring
b) Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuordnung der Krankenhausfinanzierung
— Drucksache 10/2096 —
aa) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung
— Drucksache 10/2565 —
Berichterstatter:
Abgeordneter Dr. Becker
bb) Bericht des Haushaltsausschusses
gemäß § 96 der Geschäftsordnung
— Drucksache 10/2566 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Sieler Dr. Friedmann
Frau Seiler-Albring
Zu Zusatzpunkt 4 a liegt ein Änderungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU, der SPD, der FDP und der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/2581 vor.
Der Ältestenrat hat für die Aussprache eine Runde vereinbart. — Ich sehe und höre dazu keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.
Ich darf hierzu eine Bemerkung machen: Die Fraktion DIE GRÜNEN hat mit dem Hinweis dar-
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 109. Sitzung. Bonn, Freitag, den 7. Dezember 1984 8171
Vizepräsident Westphal
auf, daß ein Parteitag stattfindet, mitgeteilt, sie habe nicht vor, an dieser Debatte teilzunehmen. Dies ist gestern im Ältestenrat zur Kenntnis genommen worden. Wir nehmen immer Rücksicht auf die Parteitage von Parteien, die hier im Hause vertreten sind.
Zur Berichterstattung wünscht der Herr Abgeordnete Dr. Becker das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Zu Beginn meiner kurzen ergänzenden Ausführungen zu dem Bericht betreffend das Krankenhausneuordnungsgesetz will ich meinen besonderen Dank an den Vorsitzenden und alle Mitglieder des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung aussprechen, die trotz einer recht kurzen Beratungszeit die schwierigen Beratungen über die umfangreichen und sehr speziellen Probleme rechtzeitig zum Abschluß brachten. Der Dank gilt auch den mitberatenden Ausschüssen.
Die Zielsetzungen dieses Gesetzes sind vor allem die kostenneutrale Auflösung der Mischfinanzierung, eine vermehrte Gesetzgebungsgestaltungsfreiheit der Länder sowie die Einführung von Möglichkeiten zu der notwendigen Kostendämpfung im Krankenhausbereich. Außerdem wird eine Stärkung der Selbstverwaltung in diesem großen Bereich angestrebt.
Besonders wurde auch auf die Trägervielfalt eingegangen. Durch die in § 1 Abs. 2 Satz 2 eingefügte Verpflichtung des Landes, insbesondere die wirtschaftliche Sicherung der freigemeinnützigen und privaten Krankenhäuser zu gewährleisten, soll kein Widerspruch zum Grundsatz der Trägervielfalt hergestellt werden. Die besondere Betonung der freigemeinnützigen und privaten Krankenhäuser soll lediglich auf bestehende Wettbewerbsnachteile der Krankenhausträger hinweisen, auf die bei der Durchführung des Gesetzes Rücksicht zu nehmen ist. Eine Benachteiligung öffentlicher Krankenhäuser ist damit nicht beabsichtigt.
Wir haben in dem bisherigen dualen System auch eine Veränderung dahin gehend vorgenommen, daß — dies ist in § 18 b geregelt — Investitionsverträge eingeführt werden, deren Kosten auf die Pflegesätze umgelegt werden können. Das bedeutet aber, daß die neu geschaffene Regelung über die Finanzierung von Rationalisierungsinvestitionen nicht die Verpflichtung des Krankenhausträgers berührt, seine Beschäftigten nach den einschlägigen Vorschriften des Betriebsverfassungsgesetzes und des Personalvertretungsgesetzes bei diesen Maßnahmen zu beteiligen. Rücksichtnahme auf die religiösen Bedürfnisse sind ebenfalls eingeführt. Das soll aber nicht zu übertriebenen Forderungen führen, die dann gestellt werden könnten, wenn ein Krankenhaus in sehr großer Entfernung aufgesucht wird.
Meine Damen und Herren, wir haben bei den Folgeänderungen, die bei diesem Gesetz anstehen, ein Problem anzugehen. Es liegt Ihnen als Antrag aller
Fraktionen mit der Drucksache 10/2581 vor. Hier muß ein Art. 3 a eingeführt werden,
da in dem Gesetz über die Krankenversicherung der Landwirte eine entsprechende Änderung dazukommt.
Ich danke besonders den Parlamentarischen Geschäftsführern aller Fraktionen, daß sie zugestimmt haben, daß dies noch heute eingebracht werden kann.
Zum Schluß möchte ich noch darauf hinweisen, daß in dem Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung im „Besonderen Teil" zu Art. 1 Nr. 22 § 19 KHG zu Buchstabe b im letzten Satz die sinnentstellenden Worte „also insoweit" durch das Wort „anstatt" zu ersetzen sind.
Schönen Dank.
Also insoweit nehme ich das zur Kenntnis anstatt einer anderen Erklärung.
Meine Damen und Herren, ich eröffne die allgemeine Aussprache. Das Wort hat zunächst der Abgeordnete Egert.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als der Berichterstatter das Wort genommen hat, habe ich mich in der zugegeben trügerischen Hoffnung gewähnt, daß er einen Part — den ich jetzt nachholen muß — für mich gemacht hätte, und zwar im Interesse des gesamten Parlaments: auf die Unerträglichkeit des Beratungsverfahrens bei dem Krankenhausfinanzierungsgesetz hinzuweisen.
Im Bericht des Ausschusses steht: „Die Fraktion der SPD bringt zum Ausdruck, daß die Ausschußberatungen unter einem erheblichem Zeitdruck stattgefunden haben."
Ich habe noch keine vornehmere Umschreibung eines organisatorischen Beratungschaos gefunden wie diesen vornehmen Satz, der in diesem Bericht steht.
Was ist passiert? Die Bundesregierung, an der Spitze der Bundesarbeitsminister, verantwortet dieses Chaos, das darin besteht, daß wir am 26. November in den Zeitungen lesen konnten, was das Parlament beschäftigen soll. Das ist ein sehr ungewöhnlicher Vorgang und hat mit gutem Benehmen von Regierung in Richtung Oppositionsfraktion überhaupt nichts mehr zu tun.
Wir mußten am 26. November in der Presse lesen, daß ein Gesetzentwurf völlig neu vorgelegt wird. Am 30. November haben die Abgeordneten die Änderungsanträge in ihren Fächern gefunden. Den
8172 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 109. Sitzung. Bonn, Freitag, den 7. Dezember 1984
Egert
letzten Änderungsantrag haben sie am 4. Dezember in ihren Fächern gehabt.
Den allerletzten Änderungsantrag legen wir jetzt mitten in der Beratung vor.
Am 5. Dezember, Mittwoch, 12 Uhr begann endlich die Beratung über einen völlig neuen Gesetzentwurf. Wir hatten im Ausschuß dreieinhalb Stunden Zeit, darüber zu befinden, uns erläutern zu lassen, was gewollt ist, darüber zu reden, wie wir das in der Sache sehen. Wir haben abschließend über das Ganze abgestimmt. Um 18.05 Uhr war die Beratung zu Ende. Zwischen 19 und 20 Uhr werden die Berichterstatter der verschiedenen Fraktionen zusammengerufen. Sie sitzen zwischen Tür und Angel im Vorzimmer des Ausschusses und versuchen den Bericht zu stricken. Meine Damen und Herren, dies ist des gesamten Parlaments unwürdig.
Ganz besonders unwürdig ist die Behandlung der Oppositionsfraktion dieses Hauses.
Hinzu kommt: Das Parlament hat gearbeitet, hat am 7. November Sachverständige angehört. Wir veralbern doch die Sachverständigen. Dieses Protokoll über die Sachverständigenanhörung am 7. November ist Makulatur. Wir konnten mit den Sachverständigen überhaupt nicht mehr darüber reden, was denn deren Haltung zu den neuen Vorschlägen der Regierung sei.
Die Opposition im Parlament, Herr Minister, haben Sie beschnitten. Sie haben kein gutes Benehmen in Sachen frühzeitiger Unterrichtung der Oppositionsparteien gezeigt.
Aber ich will hier ausdrücklich sagen: Dies ist keine Kritik an den Mitarbeitern des Ausschusses, der Fraktionen und der Regierungsvertreter, die unter diesen unmöglichen Bedingungen leiden und arbeiten mußten, Bedingungen, die der Arbeitsminister geschaffen hat, weil er sich mit dem Bundesrat nicht frühzeitig verständigen konnte.
Herr Bundesarbeitsminister, es gibt in der Verfassung ein Instrument, mit dem unterschiedliche Interessen der Länder und des Bundes ausgeglichen werden können. Sie haben von diesem Instrument, den Vermittlungsausschuß einzuschalten, was ein geordnetes Verfahren erlaubt hätte, aus parteitaktischem Interesse keinen Gebrauch gemacht, weil Sie die Interessendivergenz nicht deutlich werden lassen wollen.
Nun haben wir im Ausschuß — deswegen verstehe ich die Ungeduld auf dieser Seite nicht — hinter verschlossenen Türen gesagt: Wir, alle Fraktionen, finden dies unmöglich. Wir haben den Vorsitzenden beauftragt, beim Bundesarbeitsminister vorstellig zu werden und die Unmöglichkeit dieses Verfahrens deutlich zu machen. Dafür, daß wir das
hinter verschlossenen Türen einstimmig erreichen konnten, bedanke ich mich. Es wäre gut, wenn das Parlament die Kraft hätte, dies hier auch im Plenum zu tun.
Wenn dies alles so eilig und gewichtig ist — ich sage: es hat ein Berg gekreißt und ein Mäuslein geboren; wenn es denn mehr als ein Mäuslein ist, dann dadurch, daß man die Lupe nimmt und es so vergrößert —, dann muß auch die Beschlußfähigkeit dieses Parlaments gegeben sein, dann müssen die Regierungsfraktionen die Ernsthaftigkeit dieses Hopplahopp-Verfahrens deutlich machen.
Herr Bundesarbeitsminister, dies machen Sie mit uns ein einziges Mal und nie wieder! Dies hat mit sachgerechter Beratung nichts zu tun.
Wir von der SPD-Fraktion werden uns dies im Interesse des Parlaments und der Oppositionsfraktion nicht länger bieten lassen.
Das Wort hat der Abgeordnete Faltlhauser.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Diese Debatte hat etwas mit Gesundheit zu tun. Herr Kollege Egert, Aufregung, künstliche Aufregung
schadet der Gesundheit.
Wir haben im Ausschuß doch in aller Ruhe festgestellt, daß wir uns etwas mehr Beratungszeit gewünscht hätten. Allerdings darf ich auch sagen: Wir haben gerade in diesem Ausschuß in Ihrer Regierungszeit die leidvolle Erfahrung machen müssen, daß wir Beratungszwängen, einem Beratungsdruck unterworfen waren und daher auch nicht alle Sachthemen angemessen erörtern konnten. Wir haben uns gemeinsam darauf geeinigt, daß das in Zukunft nicht mehr vorkommen sollte.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Heyenn?
Nein, meine Zeit ist zu kurz.
Eines ist mit Sicherheit geschehen: Das, was die Sachverständigen gesagt haben,
ist in eine Reihe von Änderungsanträgen — es sind
27 Änderungsanträge der CDU/CSU-Fraktion —
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 109. Sitzung. Bonn, Freitag, den 7. Dezember 1984 8173
Dr. Faltlhauser
eingeflossen. Wir haben durchaus sachkundig das aufgenommen, was die Experten zu sagen hatten.
Wir haben heute in der zweiten und dritten Lesung natürlich einen schweren Weg mit diesem Gesetz zur Neuordnung der Krankenhausfinanzierung hinter uns, einen Weg, auf dem aber zwei höchst unterschiedliche Ausgangspositionen zu vereinbaren waren: einerseits die der Länder, andererseits die des Bundes. Die Länder wollten nur — ausschließlich — den Abbau der Mischfinanzierung im Krankenhausbereich, um ihre Zuständigkeiten zu erweitern. Der Bund hatte — verständlicherweise — vorrangig die Kostendämpfung im Gesundheitswesen im Auge, um die Arbeitnehmer mit Beitragssteigerungen in der Krankenversicherung zu verschonen.
Diesem Haus liegt heute ein Entwurf vor, der durch die 27 Änderungsanträge der CDU/CSU und der FDP nunmehr so gestaltet ist, daß auch die Länder ihn akzeptieren können. Damit liegt diesem Haus, so meine ich, heute ein ausgewogener Entwurf vor. Ich habe gezählt: Wenn die Länder im Bundesrat zugestimmt haben werden, werden sie von ihren ursprünglichen inhaltlichen Positionen in 18 Punkten abgegangen sein.
Auch der Entwurf der Bundesregierung ist in 18 wesentlichen Punkten geändert worden. 18 : 18, das ist ein Unentschieden; das ist, so meine ich, ein echter Kompromiß.
Ich füge hinzu — und werde das begründen, bevor Sie Ihrer Gesundheit hier noch mehr antun, Herr Kollege Egert —: Das ist ein guter Kompromiß, den ich in drei Bereichen darlegen will.
Erster Fortschrittsbereich, den dieses Gesetz bringt: Dieses Gesetz stärkt die Länderzuständigkeiten, gibt den Länderparlamenten wieder ein Stück dringend notwendiger Entscheidungssubstanz zurück. Wir beobachten ja seit 15 Jahren ein zunehmendes Aushöhlen der Länderzuständigkeit und der Länderparlamente. Dies wird in allen deutschen Landtagen von allen Fraktionen beklagt. Geschehen ist aber bisher lediglich eine Entmischung beim Graduiertenförderungsgesetz.
Mit diesem Krankenhausneuordnungsgesetz bekommen die Länder jedoch ein wesentliches Stück zusätzlicher Verantwortung zurück. Diese Koalition und diese Regierung nehmen ihre Bekenntnisse zum Föderalismus, liebe Kollegen von der SPD, ernst.
Die SPD-Fraktion beklagt in der Debatte über dieses Gesetz den Rückzug des Bundes aus der Krankenhausfinanzierung. Meine Damen und Herren, wir sollten draußen in den Länderparlamenten denjenigen SPD-Landtagsabgeordneten, die nach mehr Zuständigkeit rufen, sagen: Wir, die Unionskoalition, wir machen das, aber eure Kollegen von der SPD-Fraktion in Bonn wollen das nicht.
Der ehemalige Bundeskanzler Helmut Schmidt hat vor dem Bundesrat am 19. Dezember 1980 noch gefordert — ich zitiere ihn —: „Man muß sich um Bereinigung der ... politischen und finanziellen Verantwortlichkeit bemühen. Man muß prüfen, auf welcher Ebene des Gemeinwesens am ehesten die sachgerechteste Lösung erwartet werden kann, und man muß Blockaden zwischen den Entscheidungsebenen, wenn möglich, aufheben."
Ein gutes Wort!
Getan wurde auch unter der Regierung Schmidt in diesem Bereich nichts. Es blieb beim staatsmännischen Philosophieren vor dem Bundesrat. Diese Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen haben aber die Kraft, Kompetenzen abzugeben. Dazu gehört besonders viel Entscheidungskraft.
Ich glaube, das ist ein Gradmesser für die Souveränität und für das staatspolitische Verantwortungsbewußtsein dieser Koalition.
Zweiter Bereich des Fortschrittes, den dieses Gesetz bringt: Dieses Gesetz gibt einen wesentlich größeren Gestaltungsspielraum für die wirtschaftliche Betriebsführung im Krankenhaus. Damit wird ein wichtiger Beitrag zur Kostendämpfung geliefert.
Ich nenne die wichtigsten neuen Rahmenbedingungen für ein wirtschaftlich arbeitendes Krankenhaus.
Erste Rahmenbedingung: mit der Hängematten-situation der nachträglichen Abdeckung bereits verursachter Kosten wird Schluß gemacht. Nur noch diejenigen Kosten werden erstattet, die im voraus geplant und plausibel gemacht wurden.
Zweite Rahmenbedingung: Die Vorausplanung wurde auch für die Krankenhäuser durch die Möglichkeit interessant gemacht, Gewinne zu machen, die nicht mehr abzuliefern sind. Aber auch zu vertretende Verluste bleiben bei den Krankenhäusern. Das ist ein dringend nötiges Stück zusätzlicher Marktwirtschaft im Krankenhaus.
Dritte positive zusätzliche Rahmenbedingung für die wirtschaftliche Betriebsführung im Krankenhaus: mehr Beweglichkeit, Preiswahrheit und wirtschaftliches Denken werden durch neue Entgeltformen geschaffen. Dieses Gesetz macht Schluß mit der leistungsverschleiernden Mischkalkulation des sogenannten tagesgleichen, vollpauschalierten Pflegesatzes. Vergütungen von Einzelleistungen, Leistungsgruppen, pauschalierte Entgelt- und Fallpauschalen, all dies muß und wird es zukünftig im Krankenhaus geben.
Allerdings muß vor naiver Blauäugigkeit gewarnt werden. Wer jemals geglaubt hat, eine Novelle zum Krankenhausfinanzierungsgesetz, gleichgültig, wie
8174 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 109. Sitzung. Bonn, Freitag, den 7. Dezember 1984
Dr. Faltlhauser
sie im Detail aussieht, würde im Handumdrehen einen großen Kostendämpfungseffekt erreichen, der verschließt die Augen vor den Tatsachen, vor der Realität im Krankenhaus. Fast drei Viertel der Kosten im Krankenhaus sind Personalfixkosten, verschlingen Ärzte und Pflegepersonal. Das restliche Viertel ist auch weitgehend durch Fixkosten — etwa Energiekosten — nicht von den Krankenhäusern beeinflußt. Wer auf ein wirtschaftliches Krankenhaus setzt, muß sich auf längere Zeiträume einstellen, in denen Umstrukturierungen möglich sind. Kostendämpfungswunder von einem Tag zum anderen gibt es im Krankenhaus nicht. Deshalb ist diese Krankenhausfinanzierungsnovelle für keine Gruppe der Leistungserbringer im Gesundheitswesen geeignet, als Alibi für eigene Versäumnisse zu dienen.
Mit dem Krankenhausneuordnungsgesetz hat die Politik die notwendige Vorleistung für mittelfristige Kostendämpfungspolitik erbracht. Jetzt sind die verschiedenen Gruppen der Selbstverwaltung gefordert, das ihre zur Stabilität der Beiträge beizutragen.
Ich kann nur diejenigen warnen, die jetzt schon mit langen Fingern auf den Bundesarbeitsminister zeigen und sagen: Ziehe die Kostendämpfungsvollbremse! Eine derartige Vollbremsung kann nicht mehr Freiheit für die verschiedenen Gruppen der Leistungserbringer im Gesundheitswesen bringen. Der schnelle staatliche Eingriff wird weniger Handlungsspielraum und weniger Markt bringen. Um so mehr sind vom heutigen Tage an die Verantwortlichen in der Selbstverwaltung gefordert.
Der dritte Bereich des Fortschritts, den dieses Gesetz bringt, ist folgender. Die Kassen sind wesentlich stärker in die Verantwortung einbezogen worden als bisher. Trotzdem kommt die härteste Kritik an diesem Gesetz gegenwärtig von den Kassen. Ich finde diese Kritik höchst befremdlich angesichts des großen Gestaltungsspielraums, den die Kassen nunmehr zusätzlich haben.
— Hören Sie mir gut zu!
Erstens haben die Kassen eine entscheidend erweiterte Einflußmöglichkeit auf die Pflegesätze durch Vorauskalkulationen. Planzahlen sind noch gestaltbar; die Addition von bereits gezahlten Rechnungen gibt dafür keinen Spielraum mehr her.
Zweitens sind die Kassen in der neugeschaffenen Schiedsstelle paritätisch vertreten, die im Streitfall die Pflegesätze festsetzt. Es gab einen Streit darüber, ob das ein Beamter sein kann. Die Realität wird das widerlegen. Es wird mit Sicherheit so kommen, daß die Selbstverwaltung klug genug ist, es nicht soweit kommen zu lassen. Sie werden mit Sicherheit keinen Beamten zum Vorsitzenden machen lassen.
Drittens haben die Kassen bei der Investitionsplanung weit mehr Einfluß als bisher. Sie bestimmen nicht nur bei den Krankenhausplänen mit, sondern auch bei den Investitionsprogrammen.
Das allein ist schon ein großer Sprung nach vorn für die Kassen.
Darüber hinaus muß der Staat beim Krankenhausplan und bei den Investitionsprogrammen mit den Kassen nicht nur eng zusammenarbeiten, sondern Einvernehmen anstreben.
Ich meine, dies ist ein sehr weitgehender Kooperationszwang.
Viertens können die Kassen in Zukunft mit den Krankenhäusern Investitionsverträge über Rationalisierungsinvestitionen abschließen.
Fünftens haben die Kassen in Zukunft indirekt Einfluß auf die Preisgestaltung über die konzertierte Aktion, die in den §§ 17 und 19 sachgerecht verankert ist.
Ich meine: Es sind fünf solide Werkzeuge für den Gestaltungswillen der Kassen.
Es steht den Kassen frei, mit diesen Werkzeugen Meisterwerke zu schaffen.
Herr Präsident, das rote Licht vor mir irritiert mich. Ich habe bis jetzt keine zehn Minuten gesprochen.
Sie haben zehn Minuten.
Die SPD-Kollegen haben im Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung gefordert, daß bei der Planung mit den Kassen ein Einvernehmen nicht nur angestrebt werden soll, sondern herzustellen ist.
Nach dieser Vorstellung zahlen also die Länder den Sprit, und die Kassen haben das Steuer in der Hand und den Fuß auf der Bremse. Stellen Sie sich vor, der Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen hat einer Gemeinde jahrelang ein Krankenhaus versprochen. Wenn er dort hinkommt, werden ihm Vorhaltungen gemacht: Warum wird das nicht realisiert? Auf drängende Fragen antwortet er: Ich halte zwar dieses Krankenhaus gemeinsam mit meiner Mehrheitsfraktion für notwendig, aber leider wollen die Geschäftsführer der Krankenkassen nicht. Bitte schreibt doch mal an diese und legt ein gutes Wort dafür ein, daß unsere eigene Krankenhausplanung durchgesetzt wird.
Eine derartige Verwischung der politischen Zuständigkeit ist in der Praxis völlig undenkbar. Jeder Politiker, der noch ein bißchen Basisbezug hat, wird eine solche Situation für völlig untragbar halten.
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 109. Sitzung. Bonn, Freitag, den 7. Dezember 1984 8175
Dr. Faltlhauser
Ich halte sie aber auch für verfassungspolitisch bedenklich. Wir sollten uns grundsätzlich Gedanken darüber machen, wieweit sich der Gesetzgeber noch mehr aus der Gemeinwohlverantwortung zurückziehen kann, wieweit er Aufgaben noch mehr an gesellschaftliche Gruppierungen mit diffuser Legitimation und eingeengter Gruppenrationalität delegieren soll.
Ist es nicht so, daß dieser Bundestag und auch die Landtage ohnehin schon sehr begrenzt sind durch ein Dickicht von Verwaltungsvorschriften, durch supranationale Vorgaben, durch die Rechtsprechung von Arbeits-, Sozial- und Verwaltungsrichtern? Ist es in einer derartigen Situation angebracht, daß wir das Steuerrad der Verantwortung von der Politik immer mehr an gesellschaftliche Gruppen abgeben?
Ich meine, wir sollten vor dem Hintergrund zunehmender Atomisierung der Verantwortung in dieser Gesellschaft manche schnell dahingesagte Subsidiaritätsformel etwas genauer überprüfen.
Die Kassenfürsten stellen sich breitbeinig hin und sagen: Wer zahlt, schafft an. Aber wer zahlt denn? — Nicht die Kassen, sondern die Beitragszahler. Sind die Krankenkassen tatsächlich alleine die legitimierten Vertreter der Beitragszahler? Ich meine, daß die originäre Vertretung der Interessen der Beitragszahler vorrangig bei der Politik liegt und nicht bei den Selbstverwaltungen.
Der Zwang für die Länder, Einvernehmen mit den Kassen bei den Planungen herzustellen, Herr Kollege Egert, wäre meiner Auffassung nach auch verfassungsrechtlich bedenklich.
Die Kassen hätten damit ein Vetorecht bei der Planung. Die Planungskompetenz liegt doch — das ist verfassungsrechtlich unbestreitbar — bei den Ländern. Der Bund kann doch nicht, Herr Kollege Egert, einen Teil der Kompetenz, die ihm nicht zusteht, auf einen Dritten, nämlich die Krankenkassen übertragen.
Eine Übertragung von Planungsbefugnissen nach den Vorstellungen der SPD auf die Krankenkassen verstieße auch gegen Art. 28 des Grundgesetzes.
— Ich versuche, Ihnen das zu erklären. — Die Versorgung der Bevölkerung mit leistungsfähigen und wirtschaftlichen Krankenhäusern ist unstreitig eine öffentliche Aufgabe. Wesentlicher Bestandteil dieser Verantwortung ist die Planungshoheit. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts vom 3. Dezember 1957 dürfen wesentliche Kompetenzen der Regierung nicht auf Stellen übertragen werden, die von Regierung und Parlament unabhängig sind. Nein, den Kassen ein Vetorecht für die Vergabe von Steuergeldern zu geben ist politisch und verfassungsrechtlich verfehlt!
Dieses Gesetz hat diesen Irrweg nicht beschritten, ist ihm nicht gefolgt. Den Kassenfürsten in ihren Glaspalästen kann ich nur zurufen: Bleibt mit
eurem Machtanspruch auf dem Teppich; arbeitet mit diesem Gesetz, es gibt euch genug Instrumente in die Hand, um für die Kostendämpfung im Krankenhaus etwas zu bewirken.
Viele besonders Weitsichtige haben dem Bundesarbeitsminister mit unverhohlener Freude prophezeit, daß es nicht zur Verabschiedung einer KHG-Novelle kommen werde.
Diese Propheten — Kassandra Anke war dabei — haben sich getäuscht; denn dieser Arbeitsminister heißt eben nicht Ehrenberg, sondern Blüm. Der Name Blüm bürgt nicht nur für Qualität, sondern auch für Beharrlichkeit und Durchsetzungsvermögen.
Dieser Bundesarbeitsminister hat auch diese neue Hürde genommen, eine Hürde, die die Vorgänger schon beim Anlauf abschlaffen ließ.
Der Bundestag, die Beitragszahler, die Krankenhausträger und die Krankenkassen haben, meine ich, Anlaß, Norbert Blüm für die Durchsetzung dieses Reformwerkes zu danken.
Das Wort hat Frau Dr. Adam-Schwaetzer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich hätte es ganz gut gefunden, wenn vor mir noch ein Sprecher der GRÜNEN zu dem Gesetzentwurf Stellung genommen hätte. Aber da die Fraktion der GRÜNEN inzwischen offensichtlich quantitativ zu ihrem Parteitag abgereist ist — was auch eine Neuheit in diesem Parlament darstellt —,
werde ich jetzt also meine Ausführungen machen. — Meine Damen und Herren von der Opposition, wir haben, auch wenn ein Parteitag anstand, bisher immer dafür gesorgt, daß zumindest ein Redner an Sitzungen teilnahm, die noch stattfanden. Aber da sich DIE GRÜNEN auch an der Beratung dieses Gesetzes im Ausschuß kaum beteiligt haben, überrascht einen das weiter nicht.
Den Beginn meiner Rede, so wie ich ihn mir vorgestellt habe, konnte ich leicht aus der Rede unseres früheren Kollegen Spitzmüller, auch FDP-Fraktion, am 1. März 1972 abschreiben, die er damals bei der Verabschiedung des jetzt noch gültigen Krankenhausfinanzierungsgesetzes gehalten hat. Ich möchte ihn deshalb zitieren, weil man damit deut-
8176 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 109. Sitzung. Bonn, Freitag, den 7. Dezember 1984
Frau Dr. Adam-Schwaetzer
lich machen kann, daß sich die Probleme seit 1972 kaum geändert haben. Zweitens möchte ich damit deutlich machen, zwischen welchen Zwängen und Schwierigkeiten wir uns befanden. Spitzmüller sagte damals:
Das nunmehr zur Verabschiedung anstehende Gesetz erfüllt naturgemäß viele Wünsche nicht, die bis zur Stunde an uns herangetragen worden sind ... es ging ja nicht nur um die Krankenhäuser, sondern um kommunale, freigemeinnützige, kirchliche und nichtkirchliche, private Krankenhäuser, die die Gemeinnützigkeitsordnung erfüllen, Krankenhäuser des Bundes, Krankenhäuser der Träger der gesetzlichen Rentenversicherung der Arbeiter und Angestellten und der gesetzlichen Unfallversicherung sowie weitere Formen. Es ging j a nicht nur um die Interessen der Ärzteschaft, sondern um die Interessen der frei praktizierenden Ärzte, der Chefärzte, der leitenden Krankenhausärzte, der Oberärzte, Assistenzärzte und Belegärzte. Es waren nicht nur die Interessen der Patienten und einer Versichertengemeinschaft, sondern deren Vielzahl zu sehen. Es galt, gerade im Hinblick auf die Finanzierung auch die begrenzten Möglichkeiten des Bundes und der Länder nicht aus den Augen zu verlieren.
Meine Damen und Herren, dieses sind in der Tat die Zwänge, zwischen denen man sich hindurchbewegen muß, wenn man versucht, in dieser schwierigen Materie zu einer Einigung zu kommen. Ich habe viel Verständnis dafür, meine Herren von der SPD, daß Sie im Ausschuß dann immer wieder auch mal einen Passus aus dem ursprünglichen Regierungsentwurf zum Antrag erhoben haben. Aber die Interessenvielfalt gebietet es nun einmal, zu einem Kompromiß zu kommen. Dieser Kompromiß, obwohl er viele Wünsche auf unserer Seite offenläßt, erscheint uns doch als ein richtiger Schritt in die richtige Richtung. Dieses ist so vorsichtig formuliert, daß man sagen kann, es dürfen eben in der Zukunft, wenn sich das als notwendig erweist, noch etliche Schritte folgen.
Die entscheidenden Neuerungen dieses Gesetzes betreffen die Krankenkassen. Wir messen dem partnerschaftlichen Gedanken der Zusammenarbeit zwischen Krankenkassen und Krankenhäusern ganz besondere Bedeutung bei. Die gestiegene Bedeutung der Krankenkassen zeigt sich auch in einer ganzen Reihe von Vorschriften, in denen ihre Mitsprache verbessert werden konnte.
Dies betrifft einmal die Regelungen über die Bundespflegesatzverordnung. Dabei werden die Vertragspartner die Möglichkeit erhalten, vom tagesgleichen vollpauschalierten Pflegesatz abzuweichen. Dies war in der Vergangenheit ja immer wieder ein Punkt des Streites, warum der Patient am siebten Tag seines Krankenhausaufenthalts noch den gleichen Pflegesatz bezahlen sollte wie am ersten Tag, als er in der Regel eine sehr viel höhere Pflege in Anspruch nahm.
Zweitens. Zukünftig werden Pflegesatzverhandlungen von Krankenkassen und Krankenhäusern geführt werden können, ohne daß der Gang zum Regierungspräsidenten gleich zum Knüppel aus dem Sack wird. Zweifellos wird dies den Einigungswillen und die Kompromißbereitschaft beider Seiten erheblich erhöhen.
Drittens. Die Schiedsstelle bei Pflegesatzstreitigkeiten wird paritätisch, d. h. von beiden Interessenseiten gleichmäßig besetzt sein und einen neutralen, weisungsungebundenen Vorsitzenden haben. Dies war für uns eine ganz wesentliche Forderung. Denn, meine Damen und Herren, eigentlich muß es doch als ein Witz empfunden werden, wenn ein Beamter der gleichen Behörde, die die Investitionspläne genehmigt, — —
— Ihre Zwischenbemerkungen waren auch schon mal besser.
Eigentlich muß es unverständlich sein, daß ein Beamter der gleichen Behörde, die die Investitionspläne festsetzt, auch dafür zuständig sein soll, die Pflegesätze zu genehmigen. Denn der wird sich natürlich die Pflegesätze genehmigen, die in seinen Investitionsplan hineinpassen, und wird die Ansprüche der Kostendämpfung in den Hintergrund verweisen.
Viertens. Beim Abschluß von Verträgen zu Rationalisierungsinvestitionen können die Vertragspartner nun vor Ort beweisen, inwieweit sie den neuen Gestaltungsspielraum zur Kosteneinsparung und zum Bettenabbau nutzen. Hier kommt den Ländern eine besonders hohe Verantwortung zu, damit sie nicht den Entscheidungsspielraum der Vertragsparteien durch einschränkende gesetzliche Regelungen auf Länderebene unzumutbar behindern. Wir fordern die Länder auch auf, die Krankenhäuser, die wegen einer Umwidmung oder wegen eines Bettenabbaus nicht mehr im Bedarfsplan stehen, trotzdem noch, damit sie die vorgesehenen Zwecke erfüllen und sich dafür umrüsten können, nicht ganz aus der Förderung herauszunehmen.
Diese wenigen Punkte zeigen, daß das Gesetz den an der Versorgung primär Beteiligten neue Handlungsspielräume eröffnet, die es zu nutzen gilt. Für uns war es aber auch wichtig, mit diesem Gesetz den Krankenhäusern erheblichen zusätzlichen betriebswirtschaftlichen Spielraum zu geben. Das betrifft einmal die Vorschriften über die Rationalisierungsinvestitionen, zum anderen aber auch den Bereich, in dem in der Zukunft die Selbstkosten im voraus kalkuliert, festgesetzt und akzeptiert werden müssen. Es darf und wird nicht mehr so sein, daß alle Kosten, die gemacht worden sind, im nachhinein auch erstattet werden müssen.
Das bedeutet, daß in der Zukunft Gewinne und Verluste möglich sind. Dies ist die Voraussetzung für betriebswirtschaftlich vernünftige Entscheidungen. Hier wird es darauf ankommen, daß die Krankenkassen ihrer Verantwortung gegenüber leistungsfähigen, sparsam wirtschaftenden Krankenhäusern gerecht werden und die erwirtschafteten
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 109. Sitzung. Bonn, Freitag, den 7. Dezember 1984 8177
Frau Dr. Adam-Schwaetzer
Gewinne im nächsten Jahr nicht voll zurückverlangen.
Für uns war außerdem wichtig, daß auf der Seite der Krankenkassen die privaten Krankenversicherungen bei der Pflegesatzgestaltung mit drin sind. Denn sie tragen in sehr erheblichem Maße zur Finanzierung der Krankenhäuser bei.
Im Vorfeld dieser Gesetzesverabschiedung hat es eine ganze Menge Stellungnahmen öffentlicher Art gegeben,
die den Eindruck erweckten, daß es hier eher darum ginge, Macht und Einfluß der Länder zu vergrößern als darum, ein leistungsfähiges Angebot an preiswerten Krankenhausbetten zu schaffen.
Ich verhehle nicht, daß vieles von dem schwer erträglich gewesen ist. Es hat zu dem bekannten Poker geführt. Herr Egert, ich teile zwar nicht die Aufregung, die Sie heute morgen vorgeführt haben,
wir haben aber wohl Verständnis dafür, daß Sie das Verfahren angemahnt haben.
Die Länder können sich über diesen Kompromiß genausowenig wie wir beklagen, denn der Letztentscheid ist bei ihnen verblieben. Wir haben aber durch eine ganze Reihe von Regelungen einen Zwang zur Einigung eingebaut. Nun gilt es in der Tat, die Regelungen zu nutzen.
Allen Unkenrufen zum Trotz wird das Gesetz heute verabschiedet. Es liegt jetzt an den Beteiligten, es mit Leben zu erfüllen. Mit Heulen ist niemandem geholfen. Wir wollen, daß in der Zukunft jeder — Krankenhäuser, Krankenkassen und Länder — an die Interessen der anderen denkt und zu einem vernünftigen Interessenausgleich kommt. Dieses Gesetz bietet einen Ansatzpunkt dafür.
Vielen Dank.
Das Wort hat der Abgeordnete Kirschner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Faltlhauser, ich möchte nur daran erinnern: Bei der letzten Änderungsvorlage der sozialliberalen Koalition haben sieben Sitzungen und nicht nur zwei stattgefunden wie dieses Mal. Wenn Sie dem Kollegen Egert vorhalten, Aufregung schade seiner Gesundheit, so möchte ich einmal feststellen:
— Ja, sicher. Aber auch der Leistungsstreß, in dem
man ein solches Gesetz durch den Ausschuß paukt,
schadet der Gesundheit der Abgeordneten und nicht zuletzt der Mitarbeiter dieses Ausschusses.
Ich glaube, auch dies muß man dazu sagen.
Die heute zur abschließenden Beratung anstehenden Gesetzentwürfe zur Neuordnung der Krankenhausfinanzierung bedeuten ohne Zweifel einen tiefen Einschnitt in die Krankenhauspolitik. Für die Fraktion der SPD steht fest, daß der Gesetzentwurf der Bundesregierung in der vom federführenden Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung zur Annahme empfohlenen Fassung einen Schritt zurück vor die 1972 durchgeführte Krankenhausreform bedeutet.
Das Ergebnis dieses Vorhabens wird — selbstverständlich, Herr Kollege Dr. Becker — sein: Die Ausgaben der Krankenkassen für die Krankenhausversorgung werden weiter steigen, ohne daß damit eine qualitativ bessere Versorgung der Krankenhauspatienten erreicht wird. Gleichzeitig werden die Defizite der Krankenhäuser weiter zunehmen. Die ohnehin nicht ausreichende Investitionstätigkeit im Krankenhausbereich wird noch unbefriedigender.
Mißt man dieses Ergebnis an den vollmundigen Erklärungen des Bundesarbeitsministers, Herr Kollege Dr. Blüm, so ist die Bezeichnung dieser Gesetzesoperation mit dem Begriff Pleite schon beinahe Euphemismus.
Herr Bundesarbeitsminister, Sie haben mit dem heute zur Verabschiedung anstehenden Gesetz genau jene Bauchlandung erlebt, die Ihnen alle Kundigen der Gesundheitspolitik angesichts Ihrer mangelnden taktischen und inhaltlichen Vorbereitung des Gesetzgebungsverfahrens prophezeit haben.
Anläßlich der ersten Lesung der Novelle zum Krankenhausfinanzierungsgesetz haben Sie Kompromißbereitschaft gegenüber den Ländern signalisiert. Meine Fraktion hat damals festgestellt, daß Sie angesichts Ihrer dilettantischen Vorbereitung des Gesetzesvorhabens überhaupt nicht mehr in der Lage sein werden, Kompromißangebote zu machen.
Die Gespräche zwischen Ihnen und dem bayerischen Ministerpräsidenten Strauß, bei denen sich der Bundeskanzler ganz offensichtlich auf die Seite seines bayerischen Männerfreundes geschlagen hat, sind ein schlagender Beweis für unsere damaligen Feststellungen. Wer den von Ihnen selbst vorgelegten Regierungsentwurf als Maßstab nimmt und ihn an den jetzt vorliegenden Gesetzentwurf anlegt, der wird feststellen, daß die unionsgeführten Bundesländer Sie, Herr Bundesarbeitsminister, vorgeführt haben. Der uns jetzt vorgelegte Kompromiß trägt zu 5 % den Namen Blüm und zu 95 % die Namen der Ministerpräsidenten Strauß und Späth.
8178 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 109. Sitzung. Bonn, Freitag, den 7. Dezember 1984
Kirschner
Herr Bundesarbeitsminister, dies ist nicht nur für Sie eine schwerwiegende politische Niederlage, sondern, was weitaus gravierender ist, das ist eine Niederlage für die Beitragszahler, die die Zeche Ihres politischen Unvermögens in Form von weiteren Beitragssatzerhöhungen zu zahlen haben werden.
Sie, Herr Blüm, haben zu Recht darauf hingewiesen, daß im weiteren Bemühen um Kostendämpfung im Gesundheitswesen die Novellierung des Krankenhausfinanzierungsgesetzes eine wichtige Rolle spielt. Sie haben sich sogar zu der Behauptung verstiegen — ich möchte jetzt einmal aus Ihrer Rede vom 18. Oktober zitieren —:
Aber wer will die Ärzte, die Pharmaindustrie und die Versicherten zur Sparsamkeit ermahnen, wenn wir im ureigensten Bereich gegenüber dem Hauptkostenverursacher, dem Krankenhaus, versagen?
Ich will auch klarstellen:
— das sind immer noch Ihre Worte —
Es kann keine weiteren notwendigen Strukturreformen im Gesundheitswesen geben . . . , wenn der Gesetzgeber die Mutprobe Krankenhaus nicht besteht.
Ich meine, diese Mutprobe — das muß ja wohl an die Koalitionsfraktionen gehen — ist sowohl bei Ihnen, Herr Bundesarbeitsminister, als auch bei den Koalitionsfraktionen schwer danebengegangen. Das ist bei Ihnen wohl deutlich in die Hose gegangen.
— Herr Waigel, ich bitte Sie. —
Sie haben weiter gesagt, Herr Bundesarbeitsminister, wenn es mit der Novellierung des Krankenhausfinanzierungsgesetzes nicht recht vorangehe, wäre auch den Ärzten und Zahnärzten, der Pharmaindustrie und den Gesundheitshandwerkern ein Beitrag zur Kostendämpfung nicht abzuverlangen. Die Wichtigkeit von Kostendämpfung im Krankenhausbereich ist in diesem Haus unbestritten. Der Schluß allerdings, den Sie daraus ziehen, nämlich daß Kostendämpfungsbeiträge bei den anderen Erbringern von Gesundheitsleistungen dann nicht mehr zu erwarten seien, mag zwar stimmungsmäßig verständlich sein, ist aber inhaltlich verheerend, vor allen Dingen auf Grund des Ergebnisses dieses Gesetzentwurfes, den Sie ja wohl heute verabschieden wollen.
Noch etwas, Herr Bundesarbeitsminister. Ihr Kernproblem und Ihr Kardinalfehler war Ihr Versprechen an die Bundesländer, der Aufhebung der Mischfinanzierung zuzustimmen, ja sie den Ländern sogar von vornherein anzubieten. Mein Kollege Egert hat Ihnen das in der ersten Lesung vorgehalten. Damit haben Sie den einzigen Trumpf, den Sie zur Durchsetzung einer inhaltlichen Reform der Krankenhausfinanzierung überhaupt in der Hand hatten, freiwillig abgegeben.
Wir haben Ihnen anläßlich der ersten Lesung prophezeit, Sie würden bei den abschließenden Beratungen mit nichts anderem dastehen als der Aufhebung der Mischfinanzierung. Wer sich nun das Ergebnis des Gesetzgebungsverfahrens ansieht, der wird erkennen: Wir haben — leider, muß ich dazusagen — recht behalten. Das, was an inhaltlichen Veränderungen der Krankenhausfinanzierung in dem jetzt zur Abstimmung stehenden Gesetzentwurf enthalten ist, sind salvatorische Klauseln: viele Worte, politisch weiße Salben.
Herr Bundesarbeitsminister, haben Sie sich denn nicht überlegt, was wird, wenn die Mischfinanzierung aufgehoben wird? Ist Ihnen die Enge in den Finanzhaushalten der einzelnen Bundesländer — die ja sehr unterschiedliche Ausmaße hat — eigentlich entgangen? Ist Ihnen entgangen, daß die Aufgabe, die die Länder jetzt allein zu bewältigen haben, von ihnen überhaupt nicht mehr bewältigt werden kann? Ist Ihnen als Bundesarbeitsminister denn die politische Verantwortung für die Stabilität der Beitragssätze in der Krankenversicherung abhanden gekommen? Wie wollen Sie dieser Verantwortung nachkommen, wenn Sie die Mischfinanzierung mir nichts, dir nichts aufgeben?
Ich gebe zu, Herr Bundesarbeitsminister, Sie haben es in Ihrem eigenen Bundeskabinett nicht ganz leicht gehabt, vor allen Dingen nicht mit dem Bundesfinanzminister, der auch hier ist; denn es ist zugestanden: Der Fiskalist Stoltenberg macht mit der Aufhebung der Mischfinanzierung ein blendendes finanzielles Geschäft für seinen Bundeshaushalt.
Nun noch zu einigen inhaltlichen Fragen der Reform der Krankenhausfinanzierung, die Sie in Ihrem ursprünglichen Gesetzentwurf aufgegriffen hatten. Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion — dies ist unbestritten, Herr Bundesarbeitsminister — hat ihre eigene Leidensgeschichte in Sachen Krankenhausfinanzierung. Aber gerade weil wir diese haben, fühlen wir uns besonders berechtigt, zu den wichtigen Fragen Stellung zu nehmen.
Wir haben im Frühjahr dieses Jahres hier in diesem Hause eine Fragestunde zu dieser Thematik gehabt, in der Ihr parlamentarischer Staatssekretär Höpfinger die Position Ihres Ministeriums zu den inhaltlichen Fragen eindeutig klargestellt hat.
Und wir haben das damals begrüßt und erklärt, wenn Sie in dieser Weise und mit diesen Antworten auf die Probleme einen Gesetzentwurf zur Krankenhausfinanzierung vorlegten, würden wir Sie darin unterstützen.
Und diese Erklärung haben wir ernst gemeint.
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 109. Sitzung. Bonn, Freitag, den 7. Dezember 1984 8179
Kirschner
Als Sie nun Ihren Regierungsentwurf vorgelegt haben und dieser Regierungsentwurf mit Ausnahme der Mischfinanzierung den damals von Ihnen selber gesetzten Erwartungen entsprach, haben wir wiederum erklärt, wir unterstützten diesen Teil des Gesetzentwurfes.
Nun sind wir heute in der eigenartigen Situation, daß wir als Opposition die einzigen in diesem Hause sind, die diesen Teil Ihres Gesetzentwurfes tragen.
Sie selbst haben sich aber in der Zwischenzeit von Ihren eigenen Vorschlägen verabschiedet.
Allein dies, Herr Bundesarbeitsminister, sollte Ihnen ja wohl zu denken geben: Die Opposition trägt Ihren Gesetzentwurf, die Koalition verabschiedet sich von ihm. Dies ist — das kann man wohl sagen — eine groteske Situation. Sie sagt natürlich auch einiges über Ihre politischen, taktischen und diplomatischen Fähigkeiten bzw. die Fehler, die Sie in diesem Gesetzgebungsverfahren gemacht haben.
Herr Bundesarbeitsminister, wir wollen Sie einmal an Ihren eigenen Versprechungen messen. Sie haben versprochen — und ich habe dies eben auch mit Erstaunen von der Frau Kollegin Adam-Schwaetzer gehört —, den Krankenkassen die notwendigen Mitbestimmungsrechte bei der Krankenhausbedarfsplanung und bei der Pflegesatzgestaltung zu gewähren. Ich möchte Sie aus dem Protokoll vom 18. Oktober zitieren. Da haben Sie gesagt:
Das System des Krankenhauses leidet an mehreren Konstruktionsfehlern. Der erste ist: Die Krankenkassen, welche die Hauptlast der Krankenhausfinanzierung tragen, haben aus meiner Sicht zu wenig zu sagen.
Ja, Herr Bundesarbeitsminister, was ist jetzt eigentlich von Ihren vollmundigen Versprechungen übriggeblieben? Wo bleibt denn die Mitbestimmung der Krankenkassen? Dies ist doch nur noch auf weiße Salbe reduziert worden. Sie haben doch überhaupt nichts erreicht.
Lassen Sie mich noch eine weitere Bemerkung machen: Was sehr wichtig ist — —
Herr Abgeordneter, dies dürfen Sie nur noch in einem Satz tun. Dann ist leider die Redezeit vorbei.
Herr Präsident, es tut mir leid, daß wir so wenig Zeit dafür haben — wenn man sich vorstellt, was wir mit diesem Gesetz bewegen.
Ich will nur noch eines sagen, Herr Bundesarbeitsminister — das andere kann ich leider nicht mehr ausführen, obwohl es für uns alle wichtig gewesen wäre —: Wir werden diesem Gesetzentwurf nicht zustimmen. Wir hätten ihm in den Teilen zustimmen können, die Sie ursprünglich — ohne die Herausnahme der Mischfinanzierung — vorgelegt
hatten. Die Bürger des Landes werden letzten Endes die Zeche für diesen verkorksten Gesetzentwurf zu zahlen haben.
Herzlichen Dank.
Das Wort hat der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte mich bei den beteiligten Ausschüssen ausdrücklich für die Beratung bedanken, die unter großem Zeitdruck stand. Ich habe Verständnis für die Klagen, die geäußert worden sind. Dieser Zeitdruck wäre nicht entstanden, wenn ich nicht, da mein Vorgänger Ehrenberg zweimal gescheitert ist, einen dritten Versuch hätte machen müssen. Dann hätten wir überhaupt nicht unter Zeitdruck gestanden; dann hätten wir ein Krankenhausfinanzierungsgesetz gehabt.
Einer, der zweimal Bruchlandung gemacht hat, der soll dem anderen keine Bauchlandung vorwerfen, Herr Kirschner.
Wenn Sie nie härter landen als bei diesem Gesetz, dann kann ich Sie jetzt schon beglückwünschen. Diese ganzen Wortspiele mit dem Blumen-Strauß! Blumen-Strauß ist mir immer noch lieber als Vogel Strauß.
Wir verabschieden heute ein neues Krankenhausfinanzierungsgesetz. Das ist ein Schritt nach vorne. Ich sage nicht, daß wir am Ziel all unserer Wünsche wären, aber wir haben einen großen Schritt nach vorne gemacht. Der Fortschritt ist eben kein Überschallflugzeug, er kommt zu Fuß daher.
Bei der Finanzierung des Krankenhauses kommen mehr wirtschaftliche Gesichtspunkte zum Zug. Meine Damen und Herren, das halte ich für einen Fortschritt, denn Sparsamkeit und Gesundheit sind keine Gegensätze. Unsere Gesundheit ist nicht in dem Maße gestiegen, in dem wir mehr Geld für Gesundheit ausgegeben haben. Das Krankenhaus ist auch nicht in jedem Falle besser geworden, je mehr Geld in das Krankenhaus investiert wurde.
Die Kosten sind jedenfalls in zehn Jahren — von 1973 bis 1983 — von 11 Milliarden DM auf 30 Milliarden DM gestiegen. In der Tat, wenn wir nicht die Bremse anziehen, werden wir von den Kosten überrollt. Die Bremse anziehen heißt nicht nur, auf den Gesetzgeber zu vertrauen. Bremse anziehen heißt, daß alle Beteiligten Einsicht zeigen und daß die Selbstverwaltung alle Mittel in Dienst nimmt, die der Kostendämpfung dienen. Gesundung und Sparsamkeit können auch deshalb keine Gegensätze sein, denn Patient und Beitragszahler sind doch keine Feinde. Das sind dieselben Menschen in höchst unterschiedlichen Situationen.
8180 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 109. Sitzung. Bonn, Freitag, den 7. Dezember 1984
Bundesminister Dr. Blüm
Wo liegen die Verbesserungen, worin liegt der Schritt nach vorne?
Erstens. Das Selbstkostendeckungsprinzip, das ein Erstattungsprinzip war, haben wir verändert; wir haben es umgekehrt. Ein Erstattungsprinzip, ein Selbstkostendeckungsprinzip als Erstattung entstandener Kosten, das ist der Ohrensessel der Krankenhäuser. Diesen Ohrensessel haben wir beseitigt. Es wird jetzt über vorauskalkulierte Selbstkosten verhandelt. Damit sind Selbstkosten gestaltbar. Sie fallen nicht vom Himmel; sie sind Verhandlungsgegenstand: Wieviel Maschinen sollen in die Selbstkosten eingehen? Wie kann die Verweildauer verkürzt werden? Damit gestalten wir Selbstkosten und nehmen sie nicht wie ein Schicksal hin. Kein Krankenhaus, das wirtschaftlich arbeitet, braucht diese Umstellung zu fürchten.
Ich sehe den zweiten großen Fortschritt im Niegesatzrecht. Darauf ist ja schon hingewiesen worden. Wir haben die Weichen gestellt weg vom tagesgleichen vollpauschalierten Pflegesatz hin zur Leistungsentgeltung, hin zu einem Entgelt für die Leistung, die das Krankenhaus erbringt. Die Leistung bei einer Blinddarmoperation ist eben etwas anderes als die Leistung bei einer Herzoperation. Wenn hier Leistungsgesichtspunkte zum Zuge kommen, dann, glaube ich, hat die Sparsamkeit größere Chancen.
Druck auf Verweildauer. In der Tat, die Versuchung ist groß, den Patienten länger im Krankenhausbett liegen zu lassen, als es für seine Gesundung notwendig ist, wenn — darauf ist ja schon aufmerksam gemacht worden — für den ersten wie für den zwanzigsten Tag das gleiche Geld bezahlt wird.
Das Krankenhaus kann Gewinn und Verlust machen. Hier zeigt sich, daß das Gewinnprinzip — anders, als manche, die ihre Kinderbücher aus Karl Marx' Zeiten lesen, glauben — keineswegs nur das große Profitprinzip ist, sondern daß darin der Ansporn liegt, zu sparen; denn wenn man Gewinn machen kann, den Gewinn für sich verwenden kann, zurücklegen kann, dann besteht ein Antrieb zu Sparen. Sparen für andere: Der Fremdsparer müßte noch erfunden werden!
Meine Damen und Herren, ich sehe auch in der Stärkung der Verhandlungsposition der Krankenkassen neue Möglichkeiten der Kostendämpfung. Die Preisfestsetzungsbehörde — wie immer sie ausgesehen hat, welchen Titel auch immer sie trug — ist tot. Jetzt ist eine Schiedsstelle mit gleich starken Partnern vorgesehen. Nur wenn sich die beiden nicht einigen können, wird ein Dritter zu Hilfe gerufen. Wenn sie sich nicht auf den Dritten einigen können, dann wird das Land den Vorschlag machen. Aber der Dritte muß in jedem Falle neutral sein; er darf nicht weisungsgebunden sein.
Meine Damen und Herren, was hätten Sie doch vor Jahren darum gegeben, wenn Sie eine solche Schiedsstelle in Ihr Gesetz gebracht hätten! Sie hätten das doch als einen der größten Erfolge in der Krankenhausgeschichte gefeiert.
Allerdings — ich füge es hinzu — ist meine Position in der Tat die, den Rücken der Krankenkassen zu stärken. Aber diese müssen auch ihre Chancen ergreifen. Der Gesetzgeber kann nur Angebote machen. Sie müssen ihre Chancen verantwortungsvoll ergreifen.
Zur Krankenhausplanung — das ist der zweite Gesichtspunkt: Ihr Vorwurf war auch da, ich sei nicht weit genug gesprungen. Also wissen Sie: Wenn man zweimal auf der Anlaufbahn war und Muskelkrampf hatte, dann soll man mir nicht vorwerfen, ich sei nicht so weit gesprungen. Sie sind doch noch nicht mal bis zum Absprungbalken in Sachen Krankenhausplanung gekommen. Wir sind doch einen Schritt nach vorn gekommen.
Das wird doch niemand bestreiten.
Krankenkassen haben Mitspracherecht bei Krankenhausplanung und Investitionsprogrammen, und zwar über die Zusammenarbeit hinaus, die das Gesetz bisher nur für die Krankenhausplanung vorschrieb. Es ist Einvernehmen anzustreben, und zwar über Entscheidungsgrundlagen, Planungsziele, Schwerpunkte und Prioritäten. Ich sehe in dieser Einladung zur Kooperation nicht einfach ein Verfahren, wo die Krankenkassen befragt werden „Sagst du ja, sagst du nein?", sondern wo partnerschaftlich um die beste Krankenhausplanung gerungen wird.
In der Tat muß gefragt werden, wie es auch unter Krankenhäusern eine bessere Arbeitsteilung geben kann, ob etwa jedes Großgerät in jedem Krankenhaus stehen kann. Sinn unserer Krankenhausgesetzgebung kann nicht sein, daß die einen über die Investitionen bestimmen und für die anderen lediglich die Folgekosten übrigbleiben. Wir wollen die Kooperation. Es hängt sehr davon ab, was die Partner daraus machen.
Ich sage das auch deshalb, weil wir gemeinsam an der Senkung der Lohnnebenkosten interessiert sein müssen. Wenn die Lohnnebenkosten davonlaufen oder explodieren, vernichtet die Sozialversicherung ihre eigene Einnahmequelle. Das wäre sozusagen ein Selbstmord der Sozialversicherung. Das kann niemand wollen.
Ich sehe auch in der Konzertierten Aktion weiterhin jenen runden Tisch, an dem alle Beteiligten sitzen, um gemeinsam nach Möglichkeiten der Weiterentwicklung unseres Gesundheitssystems Ausschau zu halten. Diese Konzertierte Aktion ist für mich nicht das große Palaver, sondern der Versuch, gemeinsame Orientierungsmaßstäbe zu finden, an die sich alle halten. Es geht nicht, einerseits mehr Selbstverwaltung zu verlangen und andererseits nichts zu machen. Es geht auch nicht, mehr Selbstverwaltung zu verlangen und anschließend nach dem Staat zu rufen.
Um diese Grundsatzposition noch mal deutlich zu machen: Für mich ist der Staat immer nur Ersatzspieler. Er sitzt immer nur auf der Reservebank. Wenn die Stammspieler versagen, bin ich bereit, mich warmzulaufen und möglicherweise aufs Spielfeld zu gehen.
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 109. Sitzung. Bonn, Freitag, den 7. Dezember 1984 8181
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Glombig?
Bitte schön.
Bitte.
Herr Bundesarbeitsminister, würden Sie bei dieser Gelegenheit nun endlich zugeben, daß Sie eine große politische Niederlage hinsichtlich der Entmischung in der Krankenhausfinanzierung erlitten haben und daß Sie vorhaben, als Ausgleich dafür die Selbstbeteiligungselemente der gesetzlichen Krankenversicherung zu Lasten der Versicherten weiter auszubauen, und daß die personelle Entscheidung, Herrn Vielhaber von der FDP zum Leiter der Unterabteilung Krankenversicherung Ihres Hauses zu machen, deutlich darauf hinweist, daß dieser Weg von Ihnen gegangen werden soll?
Herr Abgeordneter, darf ich vielleicht Ihre Fragen sortieren: Welche Fragen waren zur Krankenhausfinanzierung und welche zur Personalpolitik?
Es paßt beides. Es gehört beides zusammen.
Also ich bleibe, wenn Sie es gestatten, bei der Krankenhausfinanzierung und stelle fest: Entmischung war das einvernehmliche Ziel sowohl des Entwurfs der Länder wie der Bundesregierung. Ich kann da nicht verlieren, wenn es im eigenen Gesetzentwurf steht.
Ich will Ihnen das auch begründen. Mischsysteme, wo immer sie sind, enthalten die Gefahr der Verantwortungsverwischung. Jeder versteckt sich hinter dem anderen. Wenn er kein Geld geben will, sagt er: Mir fehlt der Partner. Ich bin da für Verantwortungsklarheit. Die Adressen müssen klar sein.
Und wo soll denn das Geschäft des Bundes sein? Wir haben doch das Geld an die Länder weitergegeben. Wir haben damit doch kein Spargesetz verbunden. Freilich ist es richtig, daß die Länder dies auch für die Krankenhausinvestitionen reservieren sollen. Aber die Adresse dieser Forderung sind die Länder. Ich unterstütze die Forderung, weil es Investitionsstau nicht im Sinn des Baus neuer Betten gibt — wir haben viel zu viele Betten. Aber es gibt einen Investitionsstau in Sachen Modernisierung. Wenn Investitionen, die notwendig sind, nicht getätigt werden, treibt das die Kosten hoch. Deshalb: Unterlassene Investitionen sind weder arbeitsmarktpolitisch erwünscht noch gesundheitspolitisch von Nutzen.
Herr Minister, Sie gestatten eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Reimann? — Bitte schön.
Herr Arbeitsminister, Sie sprechen immer in einer sehr bildreichen Sprache. Jetzt haben Sie sich schon mehrfach als Ersatzspieler bezeichnet. Ich frage Sie: Glauben Sie nicht, es wäre besser, Sie würden als Tormann aufs Spielfeld gehen, um die Elfmeter von Herrn Strauß und Herrn Späth zu halten?
Möglicherweise bin ich im Fußball nicht so bekannt wie Sie. Ich bleibe dabei: Der Staat sollte Bescheidenheit üben. Der Staat sollte sich zurückhalten. Wenn es die Stammspieler der Selbstverwaltung selber können, sollen sie als Tormann, als Stürmer, als Verteidiger spielen.
Ihnen, Herr Kollege, würde ich die Rolle des Schiedsrichters gönnen, weil Sie eine besondere Nähe zu den roten Karten haben.
Meine Damen und Herren, ich will noch ein paar Bemerkungen zu den freigemeinnützigen Krankenhäusern machen. Mir liegt sehr daran, hier aus Anlaß der Verabschiedung dieses Gesetzes darauf hinzuweisen, daß die freigemeinnützigen Krankenhäuser für uns ein unverzichtbarer Bestandteil unserer Krankenhauslandschaft sind.
Wir wünschen nicht den staatlichen Einheitstyp. Das Problem vieler dieser Krankenhäuser besteht darin, daß sie keinen finanzkräftigen Rückhalt in einer Kommune, in einem Träger haben. Deshalb gebietet es die Chancengleichheit, daß der Staat die nötigen Investitionsmittel gerade in diesem Bereich reserviert. Wir wollen das Angebot der freigemeinnützigen Krankenhäuser. Sie brauchen ihre Leistungen auch gar nicht zu verstecken. Bei ihnen ist der Pflegesatz pro Tag im Durchschnitt um 20 DM niedriger als bei den großen staatlichen Gesundheitsfabriken. Rechnen wir einmal: Jeder der 107 Millionen Pflegetage wäre um 20 DM billiger, so wie das in den freigemeinnützigen Krankenhäusern der Fall ist. Wir hätten dann über Nacht über 2 Milliarden DM gespart.
Ich will diese Debatte mit ein paar Grundsatzbemerkungen zur Gesundheitspolitik beschließen. Ich glaube nämlich in der Tat, daß der Gesetzgeber und die Paragraphenproduzenten nicht alles kennen und nicht alles können. Das Gesundheitssystem könnte geradezu zum Lehrmittel für eine außengesteuerte Welt werden, für eine Welt, in der alle Probleme von Spezialisten gelöst werden, in der für alle Probleme eine Therapie vorhanden ist, eine Welt, in der sich niemand mehr mit sich selber und seinen Problemen auseinandersetzt. Die Sucht nach den Medikamenten als geradezu pseudoreligiöse Tröstung ist auch ein Abschied von Selbständigkeit und Selbstverantwortung. Das Medikament für alles und für jeden — selbst Kinder werden stillgelegt; vielleicht würde Erziehung mehr nützen als manches Medikament —,
8182 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 109. Sitzung. Bonn, Freitag, den 7. Dezember 1984
Bundesminister Dr. Blüm
die Flucht und der Versuch, die Lösung immer von außen her zu finden, könnten in eine Gesellschaft führen, in der wir alle von der Wiege bis zur Bahre an die Hand genommen werden. Es geht darum, die Mechanisierung des Gesundheitssystems zurückzudrängen. Wir müssen in manchen Großkrankenhäusern ja geradezu eine Suchmeldung nach dem Menschen aufgeben. Der Blinddarm auf Zimmer 1218 ist vielleicht doch nicht der ganze Mensch. Man spricht von einem Patientenfluß. Das Wort ist dem Begriff „Aktenfluß" nachgebildet und zeigt die ganze Gesinnung dieser Gesundheitsfabrikanten.
Ich glaube, wir müssen geradezu wieder neu für eine humane Medizin eintreten, indem wir auch an Selbstverantwortung appellieren. Der Tod, abgeschoben ins Krankenhaus und damit verdrängt! Ein fast heilloser Wettbewerb zwischen Diagnose und Therapie, ein Wettbewerb, den die Therapie nie gewinnen kann, weil am Ende des Lebens immer das Sterben steht. Vielleicht ist diese Verdrängung des Todes auch ein Grund für die Kostenträchtigkeit und die Züge von Unmenschlichkeit, die unser Gesundheitssystem bedrohen. Deshalb ist eine Gesundheitspolitik, die wieder mehr an Selbst- und Mitverantwortung appelliert, auch ein Beitrag zu einer Gesellschaft der Freiheit, zu einer Gesellschaft, in der die Menschen nicht immer nach anderen suchen, wenn sie selber Probleme haben.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Das Wort zu einer persönlichen Erklärung nach § 31 unserer Geschäftsordnung hat der Abgeordnete von der Wiesche.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zur Abstimmung über die Novellierung des Krankenhausfinanzierungsgesetzes gebe ich folgende persönliche Erklärung ab.
Die gesetzlichen Regelungen hinsichtlich unseres Krankenhauswesens gehören zu den politisch schwierigsten Beratungen und Materien dieses Hauses.
Daraus ergibt sich für mich, daß die Mitglieder des zuständigen Fachausschusses für Arbeit und Sozialordnung ausreichend Gelegenheit haben müssen, die Gesetzesmaterie zu prüfen und sachverständige Beratung einzuholen. Bei der Beratung der Gesetzentwürfe zum Krankenhausfinanzierungsgesetz ist dies zum wiederholten Male im erforderlichen Umfang nicht möglich gewesen.
Wir haben hier vor wenigen Wochen eine Debatte zum Selbstverständnis des Deutschen Bundestages
geführt und sind zu gemeinsamen Einsichten gelangt.
Dieser Bundestag, meine Damen und Herren, muß endlich beginnen, seine Rechte ernster zu nehmen, die ja zugleich Verpflichtungen gegenüber den Bürgern und den Bürgerinnen sind. Dies ist nicht nur Aufgabe der parlamentarischen Opposition. Dies ist vor allen Dingen Aufgabe der Koalitionsparteien.
Solange sich die Koalitionsparteien als in das Parlament hinein verlängerter Arm der Regierung begreifen und sich ihre Mitglieder nicht bewußt sind, daß sie als Parlamentarier ihre Eigeninteressen und ihr Eigengewicht haben,
wie es unser Grundgesetz vorsieht, so lange wird dieses Parlament immer wieder von der Bürokratenmaschinerie der Regierung unter unannehmbare Terminzwänge gesetzt.
Mit meiner Ablehnung dieses Gesetzentwurfes will ich dokumentieren,
daß es mir aus terminlichen Gründen nicht möglich war, das Gesetz, das wir heute verabschieden sollen, so zu prüfen, wie es meine mir vom Grundgesetz auferlegte Pflicht verlangt. Mein Nein zu diesem Gesetz ist Protest gegen das unwürdige und unannehmbare Beratungsverfahren.
Meine Damen und Herren, im Zusammenhang mit dem Verfahren der Beratung über dieses Gesetz hat es in dieser Debatte mehrfach Äußerungen gegeben. Es ist dabei in besonderer Weise den Mitarbeitern gedankt worden, die im Ausschuß ihre Hilfstätigkeit ausgeübt haben, auch den Mitarbeitern des zuständigen Ministeriums. Wer hier nicht erwähnt worden ist — darum möchte ich das jetzt tun —, sind die Mitarbeiter des Sekretariats des Ältestenrats und der Druckerei. Die haben nach der Ausschußberatung noch bis nachts um zwei Uhr gearbeitet.
Ich darf noch hinzufügen: Den Mitarbeitern der Botenmeisterei haben wir in den letzten Wochen mehrfach zugemutet, um Mitternacht aus dem Haus zu gehen und morgens um halb sieben wieder hier zu sein.
Wir haben den Nachweis der Effektivität der Verwaltung des Hauses geführt. Aber ob wir unserer
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 109. Sitzung. Bonn, Freitag, den 7. Dezember 1984 8183
Vizepräsident Westphal
Fürsorgepflicht gut nachgekommen sind, versehe zumindest ich mit einem Fragezeichen.
Wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung über den Zusatzpunkt 4 a, den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Neuordnung der Krankenhausfinanzierung, Drucksache 10/2095.
Ich rufe die Art. 1 bis 3 in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Die aufgerufenen Vorschriften sind mit großer Mehrheit angenommen.
Ich rufe den Änderungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP und der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/2581 auf. Es wird beantragt, nach Art. 3 einen neuen Art. 3 a einzufügen. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? —
— Meine Damen und Herren, dieser Änderungsantrag, einen neuen Art. 3 a einzufügen, ist von allen vier Fraktionen eingebracht worden. Ich darf noch einmal fragen, wer gegen die Einfügung dieses neuen Art. 3 a stimmt. — Gibt es Stimmenthaltungen? — Dann stelle ich fest, daß dieser Änderungsantrag aller vier Fraktionen einstimmig angenommen worden ist.
Ich rufe die Art. 4 bis 6, Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Stimmenthaltungen? — Die aufgerufenen Vorschriften sind mit großer Mehrheit angenommen.
Damit ist die zweite Beratung abgeschlossen.
Da in der zweiten Beratung ein interfraktioneller Änderungsantrag angenommen worden ist, müssen wir gemäß § 84 unserer Geschäftsordnung mit der Mehrheit von zwei Dritteln der anwesenden Mitglieder des Bundestags beschließen, daß die dritte Beratung jetzt unmittelbar erfolgen kann. Ich bitte diejenigen, die damit einverstanden sind, das Handzeichen zu geben. — Gegenstimmen? — Keine. Enthaltungen? — Keine. Ich stelle Einstimmigkeit fest; die erforderliche Mehrheit ist also vorhanden.
Wir treten in die
dritte Beratung
ein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Das Gesetz ist mit Mehrheit angenommen.
Wir kommen nunmehr zum Gesetzentwurf des Bundesrates zur Neuordnung der Krankenhausfinanzierung auf Drucksache 10/2096. Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 10/2565 unter Ziffer 2, den Gesetzentwurf des Bundesrates auf Drucksache 10/2096 für erledigt zu erklären. Wer der Beschlußempfehlung des Ausschusses zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Dies ist einstimmig gewesen. Die Beschlußempfehlung ist angenommen.
Meine Damen und Herren, wir sind damit am Schluß unserer Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 12. Dezember 1984, 13 Uhr ein.
Ich wünsche ein angenehmes Wochenende. Die Sitzung ist geschlossen.