Protokoll:
10064

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 10

  • date_rangeSitzungsnummer: 64

  • date_rangeDatum: 5. April 1984

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 09:00 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 19:54 Uhr

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 64. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 5. April 1984 Inhalt: Nachruf auf den Abg. Brosi 4467 A Erweiterung der Tagesordnung 4467 B Begrüßung einer Delegation des norwegischen Storting 4483 D Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Straßmeir, Dr. Jobst, Milz, Bohlsen, Bühler (Bruchsal), Fischer (Hamburg), Hanz (Dahlen), Haungs, Pfeffermann, Schemken, Tillmann, Hinsken, Lemmrich, Hoffie, Kohn, Dr. Weng und Genossen und der Fraktionen der CDU/CSU und FDP Deutsche Bundesbahn — Drucksachen 10/112, 10/672 — in Verbindung mit Erste Beratung des von der Fraktion DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Abbau der Wettbewerbsverzerrungen und zur Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit der Deutschen Bundesbahn (Bundesbahnsanierungsgesetz) — Drucksache 10/808 — in Verbindung mit Beratung des Antrags des Abgeordneten Drabiniok und der Fraktion DIE GRÜNEN Fahrpreiserhöhungen der Deutschen Bundesbahn — Drucksache 10/612 — in Verbindung mit Beratung des Antrags des Abgeordneten Drabiniok und der Fraktion DIE GRÜNEN Bundesbahnpolitik im Zonenrandgebiet — Drucksache 10/1222 — Dr. Jobst CDU/CSU 4468 A Daubertshäuser SPD 4471 A Hoffie FDP 4475 B Drabiniok GRÜNE 4479 B Dr. Dollinger, Bundesminister BMV . . 4484 A, 4500 A Haar SPD 4489 B Straßmeir CDU/CSU 4494 A Dr. Jochimsen, Minister des Landes Nordrhein-Westfalen 4497 B Kohn FDP 4500 B Kretkowski SPD 4502 D Schemken CDU/CSU 4505 A Bamberg SPD 4507 A Lemmrich CDU/CSU 4509 B Bohlsen CDU/CSU 4512 B Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung des Wahlrechts für die Sozialversicherungswahlen — Drucksache 10/1162 — Vogt, Parl. Staatssekretär BMA 4532 B Egert SPD 4533 B Keller CDU/CSU 4535 A II Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 64. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. April 1984 Frau Potthast GRÜNE 4536 B Cronenberg (Arnsberg) FDP 4538 A Beratung der Beschlußempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zum Antrag der Fraktion der SPD Lage in Chile — Drucksachen 10/360, 10/1049 — Brück SPD 4540 A Klein (München) CDU/CSU 4542 B Frau Gottwald GRÜNE 4544 C Schäfer (Mainz) FDP 4546 D Waltemathe SPD 4548 C Möllemann, Staatsminister AA 4550 B Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für innerdeutsche Beziehungen zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht des Bundesministers für Verkehr 1982 über den Fortgang der Verkehrserschließung des Zonenrandgebietes — Drucksachen 10/2254, 10/1002 — Dr. Hennig, Parl. Staatssekretär BMB . 4553 D Stiegler SPD 4555 A Dr. Kunz (Weiden) CDU/CSU 4556 D Drabiniok GRÜNE 4558 D Ronneburger FDP 4560 D Handlos fraktionslos 4562 B Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr zu der Unterrichtung durch das Europäische Parlament Entschließung zur Rolle der Häfen in der gemeinsamen Verkehrspolitik — Drucksachen 9/2435, 10/1151 — Fischer (Hamburg) CDU/CSU 4563 B Hettling SPD 4564 D Kohn SPD 4566 A Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu dem Antrag der Abgeordneten Frau Dr. Vollmer und der Fraktion DIE GRÜNEN Verbot des Herbizidwirkstoffs Paraquat — Drucksachen 10/202, 10/1148 — Bayha CDU/CSU 4567 A Frau Weyel SPD 4568 C Frau Dr. Vollmer GRÜNE 4570 B Paintner FDP 4572 B Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 22. Juli 1983 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik der Philippinen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen — Drucksache 10/1163 — 4574A Beratung des Antrags des Bundesministers der Finanzen Entlastung der Bundesregierung wegen der Haushaltsrechnung und Vermögensrechnung des Bundes für das Haushaltsjahr 1982 (Jahresrechnung 1982) — Drucksache 10/1143 — 4574 A Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht über die Förderung des Einsatzes von Elektrofahrzeugen — Drucksachen 9/1816, 10/358 Nr. 85, 10/1152 — 4574 B Beratung der Sammelübersicht 29 des Petitionsausschusses über Anträge zu Petitionen — Drucksache 10/1200 — 4574 C Fragestunde — Drucksache 10/1215 vom 30. März 1984 — Tätigkeit von Pfarrern in Kriegsdienstverweigerungsausschüssen MdlAnfr 24 30.03.84 Drs 10/1215 Sielaff SPD Antw StSekr Chory BMJFG 4513C, D, 4514A, B ZusFr Sielaff SPD 4513D, 4514 A ZusFr Fiebig SPD 4514 B Warnung vor steigenden Leistungsanforderungen angesichts des Mißbrauchs von Psychopharmaka durch Kinder und Jugendliche MdlAnfr 25, 26 30.03.84 Drs 10/1215 Kuhlwein SPD Antw StSekr Chory BMJFG 4514C, D, 4515A, B, C, D, 4516A, B, C, D, 4517 A ZusFr Kuhlwein SPD . 4514D, 4515A, 4516A, B ZusFr Egert SPD 4515A, 4516 C ZusFr Fiebig SPD 4515 B ZusFr Dr. Hirsch FDP 4515C ZusFr Reimann SPD 4515 D ZusFr Sielaff SPD 4516 C ZusFr Schwenninger GRÜNE 4516 D ZusFr Carstensen (Nordstrand) CDU/CSU 4516 D ZusFr Frau Weyel SPD 4517 A Belastung der B 54 im Abschnitt Schiesheim-Diez durch Verlegung des Personenverkehrs von der Schiene auf die Straße MdlAnfr 33, 34 30.03.84 Drs 10/1215 Frau Weyel, SPD Antw PStSekr Dr. Schulte BMV . . . 4517C, D, 4518A, B, C, D ZusFr Frau Weyel SPD . . 4517C, D, 4518B, C ZusFr Immer (Altenkirchen) SPD . . . 4518 C ZusFr Krizsan GRÜNE 4518 D Auflage und Kosten des im Rahmen der Werbeaktion „rosaroter Elefant" der Bundesbahn erschienenen Sonderdrucks der Bild-Zeitung MdlAnfr 35, 36 30.03.84 Drs 10/1215 Dr. Hauchler SPD Antw PStSekr Dr. Schulte BMV . 4519A, B, C, D ZusFr Dr. Hauchler SPD 4519A, B, C, D ZusFr Dr. Jannsen GRÜNE 4519 B Trassenführung der B 211 neu durch das Feuchtgebiet „Bornhorster Wiesen" bei Oldenburg; Berücksichtigung des Natur- und Landschaftsschutzes MdlAnfr 37, 38 30.03.84 Drs 10/1215 Dr. Jannsen GRÜNE Antw PStSekr Dr. Schulte BMV 4519D, 4520A, B, C ZusFr Dr. Jannsen GRÜNE 4520A, C Vorschriften des Bundespostministers für den Einbau von Sicherheitsglas in Fernsprechzellen MdlAnfr 39, 40 30.03.84 Drs 10/1215 Fiebig SPD Antw PStSekr Rawe BMP . . . . 4520D, 4521A ZusFr Fiebig SPD 4521A Vorlage des Wohnrechtsvereinfachungsgesetzes 1984 MdlAnfr 44 30.03.84 Drs 10/1215 Waltemathe SPD Antw PStSekr Dr. Jahn BMBau . . 4521 B, C, D, 4522A, B, C, D ZusFr Waltemathe SPD 4521 C, D ZusFr Dr. Möller CDU/CSU 4521 D ZusFr Müntefering SPD 4522 A ZusFr Sauermilch GRÜNE 4522 B ZusFr Schmitt (Wiesbaden) SPD . . . 4522 B ZusFr Menzel SPD 4522 C ZusFr Meininghaus SPD 4522 C Einführung einer „vereinbarten Miete" im sozialen Wohnungsbau und Abschaffung der langfristigen Mietpreis- und Belegungsbindung MdlAnfr 45 30.03.84 Drs 10/1215 Waltemathe SPD Antw PStSekr Dr. Jahn BMBau . . . . 4522 D, 4523B, C, D, 4524A, B, C ZusFr Waltemathe SPD 4523A, B ZusFr Dr. Daniels CDU/CSU 4523 C ZusFr Sauermilch GRÜNE 4523 D ZusFr Dr.-Ing. Kansy CDU/CSU . . . 4523 D ZusFr Schmitt (Wiesbaden) SPD . . . 4524A ZusFr Müntefering SPD 4524 B ZusFr Link (Frankfurt) CDU/CSU . . 4524 C Einführung einer „vereinbarten Miete" mit jährlichem Anpassungsmechanismus im sozialen Wohnungsbau MdlAnfr 46, 47 30.03.84 Drs 10/1215 Müntefering SPD Antw PStSekr Dr. Jahn BMBau . . . 4524D, 4525A, B, C, D, 4526A, B, C, D ZusFr Müntefering SPD 4524D, 4525A, 4526C, D ZusFr Frau Hürland CDU/CSU 4525 A ZusFr Schmitt (Wiesbaden) SPD . . . 4525 B ZusFr Dr.-Ing Kansy CDU/CSU 4525 C ZusFr Waltemathe SPD 4525 D ZusFr Dr. Daniels CDU/CSU 4525 D ZusFr Sauermilch GRÜNE 4526 A ZusFr Menzel SPD 4526B, D ZusFr Link (Frankfurt) CDU/CSU . . 4526 B Einführung der Staffelmiete im sozialen Wohnungsbau und Erfahrungen mit dieser Miete im freien Wohnungsbau MdlAnfr 48, 49 30.03.84 Drs 10/1215 Schmitt (Wiesbaden) SPD Antw PStSekr Dr. Jahn BMBau 4527A, B, C, D, 4528A, B, C, D, 4529A, B, C ZusFr Schmitt (Wiesbaden) SPD . 4527B, 4529A ZusFr Dr.-Ing. Kansy CDU/CSU . 4527C, 4529 B ZusFr Müntefering SPD 4527 D ZusFr Waltemathe SPD 4528A, 4529 B ZusFr Dr. Möller CDU/CSU 4528 A ZusFr Dr. Daniels CDU/CSU 4528 B ZusFr Sauermilch GRÜNE 4528 C Regelung der Mieterhöhungen, insbesondere beim Wegfall von Zins-, Annuitätsund anderen Aufwendungshilfen, im Wohnungsrechtsvereinfachungsgesetz MdlAnfr 50, 51 30.03.84 Drs 10/1215 Meininghaus SPD IV Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 64. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. April 1984 Antw PStSekr Dr. Jahn BMBau . . . 4529C, D, 4530A, B ZusFr Meininghaus SPD 4529 D ZusFr Dr.-Ing. Kansy CDU/CSU . . . 4529 D ZusFr Müntefering SPD 4530 A Verhältnis von Aufwand und Nutzen bei Einführung einer Unternehmensmiete; Kontrolle der Mietpreisbildung durch die Mieter MdlAnfr 52, 53 30.03.84 Drs 10/1215 Lohmann (Witten) SPD Antw PStSekr Dr. Jahn BMBau . . 4530B, C, D, 4531A, B, C, D ZusFr Lohmann (Witten) SPD . . . . 4530C, D, 4531 C ZusFr Dr. Möller CDU/CSU 4530 D ZusFr Dr.-Ing. Kansy CDU/CSU . . . 4531 C ZusFr Waltemathe SPD 4531 D Nächste Sitzung 4574 D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten 4575* A Anlage 2 Amtliche Mitteilungen 4575* C Anlage 3 Erklärung des Abgeordneten Kuhlwein (SPD) nach § 31 GO zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für innerdeutsche Beziehungen zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung betr. Bericht des Bundesministers für Verkehr 1982 über den Fortgang der Verkehrserschließung des Zonenrandgebietes — Drucksachen 9/2254, 10/1002 — . . . . 4576*A Anlage 4 Vereinbarkeit der Stellenstreichungen beim Deutschen Patentamt und der Schließung von Patentauslegestellen mit der Innovations- und Technologietransferpolitik der Bundesregierung MdlAnfr 1 30.03.84 Drs 10/1215 Dr. Steger SPD SchrAntw PStSekr Erhard BMJ . . . . 4576* B Anlage 5 Schußversuche an lebenden Tieren MdlAnfr 2 30.03.84 Drs 10/1215 Würtz SPD SchrAntw PStSekr Würzbach BMVg . . 4577*A Anlage 6 Militärische Ausbildung britischer Soldaten in der Bundesrepublik Deutschland für den Einsatz in Nordirland MdlAnfr 7 30.03.84 Drs 10/1215 Neumann (Bramsche) SPD SchrAntw StMin Möllemann AA . . . . 4577*B Anlage 7 Beteiligung der Bundesmarine an der Suche nach Giftfässern in der Nordsee MdlAnfr 8 30.03.84 Drs 10/1215 Frau Blunck SPD SchrAntw PStSekr Würzbach BMVg . . 4577*B Anlage 8 Verweigerung einer thematischen Behandlung der NATO im Schulunterricht durch einige Bundesländer MdlAnfr 17 30.03.84 Drs 10/1215 Dr. Hupka CDU/CSU SchrAntw PStSekr Würzbach BMVg . . 4577* C Anlage 9 Schutz vor schädlichen Auswirkungen von Dioxin-Rückständen in Muttermilch; Nachweis von Rückständen in tierischer Milch MdlAnfr 18, 19 30.03.84 Drs 10/1215 Poß SPD SchrAntw StSekr Chory BMJFG . . . . 4577* D Anlage 10 Erkenntnisse der amerikanischen Umweltschutzbehörde EPA über die krebserregende Wirkung von Methylbromid MdlAnfr 20 30.03.84 Drs 10/1215 Müller (Schweinfurt) SPD SchrAntw StSekr Chory BMJFG . . . . 4578* C Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 64. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. April 1984 V Anlage 11 Einsparungen durch die Änderung des Bundeskindergeldgesetzes im Vergleich zum Verwaltungsaufwand 1983 und in den nächsten fünf Jahren MdlAnfr 21, 22 30.03.84 Drs 10/1215 Müller (Wesseling) CDU/CSU SchrAntw StSekr Chory BMJFG . . . . 4579*A Anlage 12 Widerstände gegen den von der Wasser- und Schiffahrtsdirektion Südwest geplanten Bau eines Leitwerks im Bereich der Nahemündung MdlAnfr 27, 28 30.03.84 Drs 10/1215 Delorme SPD SchrAntw PStSekr Dr. Schulte BMV . . 4579* B Anlage 13 Kompetenz zur Erweiterung einer Fahrerlaubnis der Klasse 4 (alt) auf eine Fahrerlaubnis der Klasse 3 MdlAnfr 31 30.03.84 Drs 10/1215 Hedrich CDU/CSU SchrAntw PStSekr Dr. Schulte BMV . . 4579* D Anlage 14 Verhinderung schwerer Verletzungen der Milz bei Fahrradstürzen von Kindern MdlAnfr 32 30.03.84 Drs 10/1215 Dr. Klejdzinski SPD SchrAntw PStSekr Dr. Schulte BMV . . 4580*A Anlage 15 Angebot nicht lieferbarer Telefonmodelle durch die Bundespost MdlAnfr 41 30.03.84 Drs 10/1215 Daweke CDU/CSU SchrAntw PStSekr Rawe BMP 4580* C Anlage 16 Ergebnisse der Bergbau-Forschung zur Kohleentschwefelung durch ThiobacillenBakterien MdlAnfr 56 30.03.84 Drs 10/1215 Dr. Klejdzinski SPD SchrAntw PStSekr Dr. Probst BMFT . . 4580* D Anlage 17 Aufwendungen für die Kernfusionsforschung MdlAnfr 57 30.03.84 Drs 10/1215 Steger SPD SchrAntw PStSekr Dr. Probst BMFT . . 4581*A Anlage 18 Fortschreibung des Programms Biotechnologie MdlAnfr 58 30.03.84 Drs 10/1215 Catenhusen SPD SchrAntw PStSekr Dr. Probst BMFT . . 4581* B Anlage 19 Anteilige Reduzierung der Personalkostenerstattung durch die Bundesanstalt für Arbeit beim Ausscheiden von Teilnehmern aus einer laufenden Maßnahme des Benachteiligtenprogramms MdlAnfr 59, 60 30.03.84 Drs 10/1215 Kastning SPD SchrAntw PStSekr Pfeifer BMBW . . . 4581* C Anlage 20 Vorlage des Berichts der Bundesregierung über die Sicherung der Zukunftschancen der Jugend in Ausbildung und Beruf MdlAnfr 61 30.03.84 Drs 10/1215 Daweke CDU/CSU SchrAntw PStSekr Pfeifer BMBW . . . 4581* D Anlage 21 Besuch des Bundesaußenministers in Argentinien in Begleitung von 13 Sicherheitsbeamten; Reservierung von Einzelzimmern MdlAnfr 62 30.03.84 Drs 10/1215 Krizsan GRÜNE SchrAntw PStSekr Spranger BMI . . . 4582* A Anlage 22 Militärische Ausbildung britischer Soldaten in der Bundesrepublik Deutschland für den Einsatz im eigenen Land angesichts des NATO-Truppenstatuts oder anderer vertraglicher Vereinbarungen VI Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 64. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. April 1984 MdlAnfr 63 30.03.84 Drs 10/1215 Neumann (Bramsche) SPD SchrAntw StMin Möllemann AA . . . . 4582* B Anlage 23 Vorbehalt von Bundeskanzler Adenauer vom 13. 9. 1955 gegenüber dem sowjetischen Ministerpräsidenten Bulganin betr. die Nichtanerkennung von territorialen Besitzständen durch den Moskauer Vertrag; Selbstbestimmung der Staatsangehörigkeit nach den Regeln des Völkerrechts MdlAnfr 64, 65 30.03.84 Drs 10/1215 Dr. Czaja CDU/CSU SchrAntw StMin Möllemann AA . . . . 4582* C Anlage 24 Einsatz chemischer Kampfstoffe im iranisch-irakischen Krieg durch den Irak; Vorschläge der Bundesregierung zur Empfehlung der Beratenden Versammlung des Europarates über die Lage der deutschen Minderheit in der Sowjetunion MdlAnfr 67, 68 30.03.84 Drs 10/1215 Jäger (Wangen) CDU/CSU SchrAntw StMin Möllemann AA . . . . 4583* A Anlage 25 Reduzierung der Fechtunfälle durch Einsatz der neuen Kunststoffklinge MdlAnfr 69 30.03.84 Drs 10/1215 Eimer (Fürth) SPD SchrAntw PStSekr Spranger BMI . . . 4583* C Anlage 26 Absichtliche Grenzüberflüge von DDR-Hubschraubern MdlAnfr 70 30.03.84 Drs 10/1215 Böhm (Melsungen) CDU/CSU SchrAntw PStSekr Spranger BMI . . . 4583* C Anlage 27 Zivilverteidigung als Schulunterrichtsfach in Staaten des Warschauer Paktes MdlAnfr 73 30.03.84 Drs 10/1215 Dr. Hupka CDU/CSU SchrAntw PStSekr Spranger BMI . . . 4583* D Anlage 28 Verkauf bundeseigener Wohnungen in Niederbayern und der Oberpfalz; Vorkaufsrecht für die Mieter; Konsequenzen für die Beschäftigung bei den Außenstellen der Bundesvermögensämter MdlAnfr 74, 75 30.03.84 Drs 10/1215 Stiegler SPD SchrAntw PStSekr Dr. Voss BMF . . . . 4584*A Anlage 29 Verkauf von bundeseigenen Wohnungen in Bayern, insbesondere in Ingolstadt, bis Juli 1984 MdlAnfr 76, 77 30.03.84 Drs 10/1215 Weinhofer SPD SchrAntw PStSekr Dr. Voss BMF . . . . 4584* C Anlage 30 Zinsverluste und Kreditaufnahme des Bundes durch ratenweise Auszahlung des Bundesbankgewinns MdlAnfr 78, 79 30.03.84 Drs 10/1215 Austermann CDU/CSU SchrAntw PStSekr Dr. Voss BMF . . . . 4585* A Anlage 31 Kampfanlage zur Ausbildung britischer Soldaten für den Einsatz in Irland auf dem Truppenübungsplatz Sennelager; Vereinbarkeit einer Kampfanlage für die Ausbildung britischer Soldaten in der Bundesrepublik Deutschland für den Einsatz in Irland mit dem NATO-Truppenstatut MdlAnfr 80, 81 30.03.84 Drs 10/1215 Heistermann SPD SchrAntw StMin Möllemann AA . . . . 4585* C Anlage 32 Waffenlieferungen bzw. Lieferungsvorhaben an mit Israel im Kriegszustand befindliche Länder MdlAnfr 82, 83 30.03.84 Drs 10/1215 Dr. Hirsch FDP SchrAntw PStSekr Dr. Sprung BMWi . . 4586* A Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 64. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. April 1984 VII Anlage 33 Anträge auf Waffenexport nach Saudi-Arabien MdlAnfr 84 30.03.84 Drs 10/1215 Frau Dr. Hamm-Brücher FDP SchrAntw PStSekr Dr. Sprung BMWi . . 4586* B Anlage 34 Granitimporte aus Portugal MdlAnfr 85 30.03.84 Drs 10/1215 Dr. Rose CDU/CSU SchrAntw PStSekr Dr. Sprung BMWi . . 4586* C Anlage 35 Zuwendungsleitstellen für die öffentlich geförderte Betriebsberatung MdlAnfr 86, 87 30.03.84 Drs 10/1215 Rapp (Göppingen) SPD SchrAntw PStSekr Dr. Sprung BMWi . . 4586* D Anlage 36 Abhängigkeit der Bundesrepublik Deutschland von Mineralöl-Fertigprodukt-Importen MdlAnfr 88, 89 30.03.84 Drs 10/1215 Wolfram (Recklinghausen) SPD SchrAntw PStSekr Dr. Sprung BMWi . . 4587* B Anlage 37 Aufkauf von auf den innerdeutschen Handel spezialisierte Firmen in der Bundesrepublik Deutschland durch DDR-Außenhandelsorganisationen MdlAnfr 90 30.03.84 Drs 10/1215 Böhm (Melsungen) CDU/CSU SchrAntw PStSekr Dr. Sprung BMWi . . 4588*A Anlage 38 Vegetationsschäden an Ackerböden, entsprechend dem Waldsterben MdlAnfr 91 30.03.84 Drs 10/1215 Würtz SPD SchrAntw PStSekr Dr. von Geldern BML 4588*A Anlage 39 Umfang der Verwendung von Methylbromid zur Bodendesinfektion MdlAnfr 92 30.03.84 Drs 10/1215 Müller (Schweinfurt) SPD SchrAntw PStSekr Dr. von Geldern BML 4588* B Anlage 40 Aufkommen aus der Mitverantwortungsabgabe für Milch in den EG-Ländern; Verwendung der Mittel MdlAnfr 93, 94 30.03.84 Drs 10/1215 Sauter (Epfendorf) CDU/CSU SchrAntw PStSekr Dr. von Geldern BML 4588* C Anlage 41 EG-Haushaltsmittel für eine Umstrukturierung der Fischwirtschaft; Förderung der Aquakulturen MdlAnfr 95, 96 30.03.84 Drs 10/1215 Carstensen (Nordstrand) CDU/CSU SchrAntw PStSekr Dr. von Geldern BML 4589* A Anlage 42 Erhalt bedrohter Nutztierrassen, insbesondere durch Einrichtung von Parks, entsprechend der Empfehlung der Europäischen Vereinigung für Tierproduktion (EAAP) MdlAnfr 97 30.03.84 Drs 10/1215 Catenhusen SPD SchrAntw PStSekr Dr. von Geldern BML 4589* C Anlage 43 Entschädigung oder Rentenanrechnung für im Zweiten Weltkrieg einberufene Bauernsöhne MdlAnfr 98 30.03.84 Drs 10/1215 Dr. Rose CDU/CSU SchrAntw PStSekr Vogt BMA 4590* A Anlage 44 Auffassung des Bundesbauministeriums über die Höhe der Rente von Erwerbstätigen ohne Kinder MdlAnfr 99 30.03.84 Drs 10/1215 Egert SPD SchrAntw PStSekr Vogt BMA 4590* C VIII Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 64. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. April 1984 Anlage 45 Nichterfüllung der Verpflichtung zur Beschäftigung Schwerbehinderter; Zahl der verhängten Geldbußen MdlAnfr 100, 101 30.03.84 Drs 10/1215 Buschfort SPD SchrAntw PStSekr Vogt BMA 4590* D Anlage 46 Ratenweise Zahlung der Eigenbeteiligung Schwerbehinderter beim Erwerb der Berechtigung zur Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel; vorzugsweise Nutzung der Kraftfahrzeugsteuer-Ermäßigung durch Schwerbehinderte MdlAnfr 102, 103 30.03.84 Drs 10/1215 Gilges SPD SchrAntw PStSekr Vogt BMA 4591*A Anlage 47 Beseitigung der Nachteile bei der Neuregelung der Freifahrtberechtigung und der Kraftfahrzeugsteuer-Ermäßigung für Schwerbehinderte; rechtzeitige Aushändigung der Freifahrtberechtigungen; Zahl der ausgegebenen Wertmarken und Kraftfahrzeugsteuer-Begünstigungsbe scheide MdlAnfr 104, 105 30.03.84 Drs 10/1215 Reschke SPD SchrAntw PStSekr Vogt BMA 4591* C Anlage 48 Finanzielle Unterstützung von aus deutschen Auslandsschulen zurückgekehrten arbeitslosen Junglehrern MdlAnfr 106 30.03.84 Drs 10/1215 Frau Dr. Hamm-Brücher FDP SchrAntw PStSekr Vogt BMA 4592* B Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 64. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. April 1984 4467 64. Sitzung Bonn, den 5. April 1984 Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Abelein ** 6. 4. Dr. Ahrens * 6. 4. Bastian 6. 4. Büchner (Speyer) * 6. 4. Conradi 6. 4. Curdt 6. 4. Duve 6. 4. Dr. Ehmke (Bonn) 6. 4. Dr. Enders * 6. 4. Fellner 6. 4. Frau Fischer *** 6. 4. Franke 6. 4. Gansel 6. 4. Frau Geiger *** 6. 4. Gerstl (Passau) * 6. 4. Gobrecht *** 6. 4. Heimann 6. 4. Dr. Holtz *** 6. 4. Kittelmann * 6. 4. Dr. Kreile 6. 4. Frau Krone-Appuhn 6. 4. Dr. Mertes (Gerolstein) 6. 4. Dr. Müller * 6. 4. Offergeld 6. 4. Polkehn 6. 4. Porzner 6. 4. Dr. Riesenhuber 6. 4. Rohde (Hannover) 5. 4. Frau Roitzsch (Quickborn) 6. 4. Roth 6. 4. Dr. Rumpf * 6. 4. Dr. Scheer *** 6. 4. Schmidt (Hamburg) 6. 4. Schmidt (Wattenscheid) 6. 4. Schröder (Hannover) 6. 4. Schröer (Mülheim) 5. 4. Dr. Solms 5. 4. Dr. Freiherr Spies von Büllesheim *** 6. 4. Dr. Stark (Nürtingen) 6. 4. Dr. Stercken *** 6. 4. Stobbe 6. 4. Voigt (Frankfurt) 6. 4. Weiskirch (Olpe) 6. 4. Frau Dr. Wex 5. 4. Wissmann 6. 4. * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates ** für die Teilnahme an Sitzungen der Nordatlantischen Versammlung *** für die Teilnahme an der 71. Jahreskonferenz der Interparlamentarischen Union Anlagen zum Stenographischen Bericht Anlage 2 Amtliche Mitteilungen Der Präsident hat gemäß § 80 Abs. 3 der Geschäftsordnung die nachstehenden Vorlagen überwiesen: Bericht der Bundesregierung zur Entwicklung in der Türkei - Drucksache 10/998 - zuständig: Auswärtiger Ausschuß (federführend) Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit Haushaltsausschuß Unterrichtung durch das Europäische Parlament Entschließung zur Einführung eines Programms gemeinschaftlicher Maßnahmen zur Förderung der Straßenverkehrssicherheit - Drucksache 10/1179 - zuständig: Ausschuß für Verkehr Unterrichtung durch das Europäische Parlament Entschließung zum Abschluß der Konsultation des Europäischen Parlaments zu dem Vorschlag der Kommission der Europäischen Gemeinschaften an den Rat für eine Verordnung über die Gewährung einer finanziellen Unterstützung der Gemeinschaft zugunsten der Industrien, die feste Brennstoffe erzeugen, und zu den Vorschlägen der Kommission der Europäischen Gemeinschaften an den Rat über eine ausgewogene Politik im Bereich der festen Brennstoffe - Drucksache 10/1213 - zuständig: Ausschuß für Wirtschaft (federführend) Haushaltsausschuß Der Vorsitzende des Innenausschusses hat mit Schreiben vom 27. März 1984 mitgeteilt, daß der Ausschuß von einer Beratung der nachstehenden EG-Vorlagen abgesehen hat: Vorschlag für eine Richtlinie des Rates betreffend Grenzwerte und Qualitätsziele für Quecksilberableitungen aus anderen Sektoren als dem der Alkalichloridelektrolyse - Drucksache 10/358 Nr. 24 - Vorschlag für einen Beschluß des Rates über den Abschluß des Protokolls über die besonderen Schutzgebiete des Mittelmeeres - Drucksache 10/546 Nr. 17 - Vorschlag einer Richtlinie des Rates zur Änderung der Richtlinie 70/220/EWG des Rates über die Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Maßnahmen gegen Verunreinigung der Luft durch Abgase von Kraftfahrzeugmototen mit Fremdzündung - Drucksache 10/358 Nr. 19- Der Vorsitzende des Ausschusses für Forschung und Technologie hat mit Schreiben vom 16. März 1984 mitgeteilt, daß der Ausschuß von einer Beratung der nachstehenden EG-Vorlagen abgesehen hat: Entwurf eines Vorschlags für einen Beschluß des Rates zur Änderung des sektorellen Forschungs- und Entwicklungsprogramms auf dem Gebiet der Umwelt (Umweltschutz und Klimatologie) - Indirekte und konzertierte Aktion - 1981 bis 1985 - Drucksache 10/546 Nr. 22 - Vorschlag für einen Beschluß des Rates zur Änderung des Beschlusses 79/783/EWG hinsichtlich der allgemeinen Aktionen auf dem Gebiet der Datenverarbeitung - Drucksache 10/873 Nr. 26 - Der Vorsitzende des Ausschusses für Jugend, Familie und Gesundheit hat mit Schreiben vom 30. März 1984 mitgeteilt, daß der Ausschuß von einer Beratung der nachstehenden EG-Vorlage abgesehen hat: Vorschlag für eine Verordnung (EWG) des Rates zur sechsten Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 351/79 über den Zusatz von Alkohol zu Erzeugnissen des Weinsektors - Drucksache 10/595 Nr. 11 - 4576* Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 64. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. April 1984 Anlage 3 Erklärung des Abgeordneten Kuhlwein (SPD) nach § 31 GO zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für innerdeutsche Beziehungen zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung betr. Bericht des Bundesministers für Verkehr 1982 über den Fortgang der Verkehrserschließung des Zonenrandgebietes — Drucksachen 9/2254, 10/1002 — Die Beschlußempfehlung fordert die Bundesregierung u. a. auf, die in dem zugehörigen Bericht des Ausschusses für innerdeutsche Beziehungen vorgeschlagenen „Verbesserungen der Verkehrserschließung des Zonenrandgebietes zu prüfen". Damit wird ein Bezug zwischen Beschlußempfehlung und Bericht hergestellt, der mißinterpretiert werden kann. Ich kann die im Bericht dargelegten Vorschläge zur „Verbesserung" der Verkehrserschließung nicht in allen Punkten mittragen. Meine Kritik richtet sich vor allem gegen — den in IV Ziff. 2 enthaltenen Hinweis, bei den Bundesfernstraßen sollten alle bisher in Dringlichkeitsstufe I aufgeführten Baumaßnahmen im Zonenrandgebiet in die Baustufe I a aufgenommen werden, weil ich diese Forderung in bezug auf die B 404 nicht unterstützen kann, — und gegen die Bekräftigung der Stellungnahme des Ausschusses für die Fertigstellung des Main-Donau-Kanals. Ich werde mich deshalb der Stimme enthalten. Anlage 4 Antwort des Parl. Staatssekretärs Erhard auf die Frage des Abgeordneten Dr. Steger (SPD) (Drucksache 10/ 1215 Frage 1): Wie vereinbart es die Bundesregierung mit ihrer Innovations- und Technologietransferpolitik, daß beim Deutschen Patentamt laufend Stellen gestrichen werden, so daß der Zeitraum bis zur Patenterteilung auf 3,2 Jahre gestiegen ist und Patentauslegestellen in den Ländern als bestehende Technologietransferstellen geschlossen werden müssen? Die Bundesregierung mißt dem Patentwesen im Rahmen ihrer auf Förderung von Innovation und Technologietransfer ausgerichteten Politik einen hohen Stellenwert bei. Eine sachgerechte Würdigung der Situation des Patentwesens und seiner institutionellen Strukturen hat als entscheidendes Datum zu berücksichtigen, daß im Jahre 1978 das Europäische Patentamt mit Sitz in München eröffnet worden ist. Seither ist erwartungsgemäß ein wesentlicher Teil der Patentanmeldungen vom Deutschen Patentamt und den übrigen nationalen Patentämtern der Mitgliedstaaten der Europäischen Patentorganisation auf das Europäische Patentamt übergegangen, bei dem mit einer einzigen Patentanmeldung Patentschutz gleichzeitig für mehrere oder alle Staaten der Europäischen Patentorganisation erreicht werden kann. Vor diesem Hintergrund ist zur Personalsituation des Deutschen Patentamts folgendes festzustellen: Das Personal des Deutschen Patentamts insgesamt wurde seit 1973 um 13,3 % verringert. Zugleich ging die Anzahl der Patentprüfer von 662 im Jahre 1973 über 649 im Jahre 1976 und 608 im Jahre 1982 auf 591 im Jahre 1984 und damit um 10,8% zurück. Im gleichen Zeitraum ging die Anzahl der Patentanmeldungen beim Deutschen Patentamt von 66 223 im Jahre 1973 über 47 826 im Jahre 1982 auf 47 103 im Jahre 1983 und damit um insgesamt 28,8% zurück. Diese Entwicklung entspricht einem weltweit zu beobachtenden Trend und ist darüber hinaus auf die Eröffnung des Europäischen Patentamts im Jahre 1978 zurückzuführen, bei dem seither ein wachsender Anteil der zuvor an das Deutsche Patentamt gerichteten Patentanmeldungen eingereicht wird. Die verhältnismäßig hohe durchschnittliche Erledigungsdauer von jetzt 3,3 Jahren (1979: 2,8 Jahre; 1982: 4,1 Jahre) ist wesentlich darauf zurückzuführen, daß das Deutsche Patentamt bisher 171 voll ausgebildete, leistungsfähige Prüfer an das Europäische Patentamt abgegeben und damit einen wesentlichen Beitrag zum Aufbau dieses Amtes geleistet hat. Außerdem sind viele Prüfer vorzeitig in den Ruhestand getreten. Seit 1978 hat das Deutsche Patentamt bei einem Gesamtbestand von jetzt 591 Prüfern nicht weniger als 329 Prüfer neu eingestellt, ausgebildet und eingearbeitet, und zwar 1978: 32 1979: 49 1980: 84 1981: 50 1982: 55 1983: 53 Im Jahre 1984 sollen 46 Prüfer eingestellt werden, von denen einige schon einberufen sind. Ein Prüfer erreicht in der Regel erst nach ungefähr fünf Jahren seine volle Leistungsfähigkeit. Die Erledigungszeiten werden nach Einschätzung des Deutschen Patentamts mit der zunehmenden Leistung der neuen Prüfer etwa 1987/88 bei 2'/2 Jahren liegen und damit auch im internationalen Vergleich bestehen können. Die jetzt noch 12 Patentauslegestellen werden von unterschiedlichen Trägern in den Bundesländern unterhalten. Sie werden vom Deutschen Patentamt jedoch durch Lieferung von Schriften im Werte von ca. 2,5 Mio. DM unterstützt. Der Bestand der Patentauslegestellen steht in keinem Zusammenhang mit der Stellensituation im Deutschen Patentamt. Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 64. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. April 1984 4577* Anlage 5 Antwort des Parl. Staatssekretärs Würzbach auf die Frage des Abgeordneten Würtz (SPD) (Drucksache 10/1215 Frage 2): Muß ich die Antwort des Parlamentarischen Staatssekretärs beim Bundesminister der Verteidigung, Dr. Rühl, vom 16. Februar 1984 so verstehen, daß in der Bundesrepublik Deutschland Schußversuche an lebenden Tieren vorgenommen werden? Zur Entwicklung und Untersuchung therapeutischer Möglichkeiten nach Schußfrakturen wurden aufgrund eines im April 1982 abgeschlossenen Forschungsvertrages entsprechende Versuche an sechs lebenden Schweinen durchgeführt. — Die Tiere befanden sich in jeder Phase des Versuchs in tiefer Allgemeinnarkose. Eine sorgfältige postoperative Versorgung und Pflege der Versuchstiere einschließlich der Schmerzbekämpfung nach medizinischen Gesichtspunkten war sichergestellt. — Ein alternativer Weg zur Erlangung der notwendigen Kenntnisse und Fertigkeiten bzw. Entwicklung der zwingend erforderlichen Verfahren, z. B. Beschuß toter Gewebe als Vorversuch, konnte die notwendigen Ergebnisse allein nicht erbringen. Die Versuche wurden auf das unumgängliche Mindestmaß beschränkt und sind abgeschlossen. Anlage 6 Antwort des Staatsministers Möllemann auf die Frage des Abgeordneten Neumann (Bramsche) (SPD) (Drucksache 10/1215 Frage 7): Kann die Bundesregierung die im Bericht vom 27. März 1984 der Sendung „Monitor" behauptete Tatsache bestätigen, wonach britische Soldaten in der Bundesrepublik Deutschland speziell für den Einsatz in Nordirland ausgebildet werden? Die britische Rheinarmee betreibt den unter ihrem Kommando stehenden Truppenübungsplatz Senne. Dort bildet sie im Rahmen des NATO-Truppenstatuts in eigener Verantwortlichkeit britische Soldaten aus. Zu dieser Ausbildung gehört auch Nah- und Häuserkampf, wie er zur Erfüllung der Einsatzaufgaben im Rahmen der Vorneverteidigung erforderlich ist. Hierbei ausgebildete britische Soldaten können auch außerhalb des Einsatzgebietes in der Bundesrepublik Deutschland eingesetzt werden. Anlage 7 Antwort des Parl. Staatssekretärs Würzbach auf die Frage der Abgeordneten Frau Blunck (SPD) (Drucksache 10/1215 Frage 8): Ist die Bundesregierung bereit, sich mit Hilfe von entsprechend geeigneten Schiffen der Bundesmarine in der Nordsee an der Suche nach 80 Fässern hochgiftiger Chemikalien zu beteiligen, die bei einem schweren Sturm Anfang Januar dieses Jahres von einem dänischen Frachter über Bord gegangen sind? Nach dem Bonner Übereinkommen zur Zusammenarbeit bei der Bekämpfung der Verschmutzung der Nordsee durch Öl und andere Schadstoffe liegt die Suche nach den Fässern im Zuständigkeitsbereich Dänemarks. Die Bundesregierung ist natürlich bereit, Dänemark dabei zu helfen, da die Situation in der Nordsee alle Anliegerstaaten betrifft. Es war beabsichtigt, daß unsere Marine sich mit modernem Gerät an der Suche und Lokalisierung der giftigen Stoffe beteiligt, um die Gefahr einer Umweltschädigung so gering wie möglich zu halten. Dies war bereits dem BMV, der in dieser Angelegenheit federführend ist, als Angebot mitgeteilt worden. Nach den letzten Erkenntnissen wurde die Suche aber bereits mit Erfolg abgeschlossen und ein dänisches Schiff soll mit der Bergung der restlichen Fässer beginnen. Anlage 8 Antwort des Parl. Staatssekretärs Würzbach auf die Frage des Abgeordneten Dr. Hupka (CDU/CSU) (Drucksache 10/1215 Frage 17): Ist der Bundesregierung bekannt, daß in einigen Bundesländern die Kultusministerien oder Schulverwaltungen sich weigern, die NATO als Verteidigungsbündnis im Unterricht zu behandeln, und kann die Bundesregierung mitteilen, um welche Bundesländer es sich handelt? Aus den offiziellen Verlautbarungen der Länder ist zu entnehmen, daß die NATO im Unterricht behandelt werden soll. Aus vielfältigen Zuschriften, vor allem von Eltern und Elternvertretungen, ist aber zu erkennen, daß die Wirklichkeit an manchen Schulen mit der politischen Absicht nicht immer übereinstimmt. Offensichtlich wirken sich die unterschiedlichen persönlichen Vorstellungen einzelner Lehrer bei der Unterrichtsgestaltung sehr stark aus und leider wird häufig mitgeteilt, daß sich verschiedene Kultusbehörden und Schulräte nicht genügend einsetzen, um in sachlicher, vorurteilsfreier und objektiver Form über die Notwendigkeit unserer NATO und die Bedeutung für die Sicherheitspolitik zu berichten. Es ist der Bundesregierung unverständlich, daß in dieser für uns alle wichtigen Frage bisher über die Parteigrenzen hinweg keine übereinstimmende Empfehlung für die Schule durch die Kultusminister der Länder erzielt werden konnte. Anlage 9 Antwort des Parl. Staatssekretärs Chory auf die Fragen des Abgeordneten Poß (SPD) (Drucksache 10/1215 Fragen 18 und 19): 4578* Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 64. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. April 1984 Plant die Bundesregierung, im Bereich der Verursachung von Dioxin-Rückständen in der Muttermilch Maßnahmen zu ergreifen, die geeignet sind, Gesundheitsschädigungen von Kindern und Müttern vorzubeugen, und welcher Art sind gegebenenfalls diese Maßnahmen? Hat die Bundesregierung darüber hinaus Erkenntnisse über mögliche Dioxin-Rückstände in tierischer Milch vorliegen? Zu Frage 18: Die Bundesregierung wird auch in Zukunft Anstrengungen unternehmen, die Belastung der Muttermilch durch Dioxine, genauer: Polychlordibenzodioxine (PCDD) und Polychlordibenzofurane (PCDF) zu minimieren. Zunächst muß das Wissen, auf welchem Wege die Dibenzodioxine und Dibenzofurane den menschlichen Körper überwiegend erreichen, vermehrt werden. Die dazu notwendigen Arbeiten im Bereich der Dioxinanalytik werden Hochsicherheitslabore des Bundesgesundheitsamtes demnächst aufnehmen. Dibenzodioxine und Dibenzofurane können als — Nebenprodukte bei chemischen Synthesen und — bei Verbrennungsvorgängen auftreten. Bei der Synthese der Herbizide 2,4,5-T und 2,4-D sowie des Holzschutzmittels PCP (Pentachlorphenol) werden Dioxine als Verunreinigung gebildet. Der Eintrag von Dioxinen in die Umwelt als Begleitstoffe der obengenannten Chemikalien wird sich verringern; entweder, weil die Produktion stark reduziert (PCP) oder in der Bundesrepublik Deutschland ganz eingestellt wurde (2,4,5-T) oder weil inzwischen Herstellungsverfahren existieren, bei denen keine Dioxine als Nebenprodukte anfallen (2,4-D). PCP-haltige Holzschutzmittel sind auf Betreiben des Bundesministers für Jugend, Familie und Gesundheit mit Warnhinweisen versehen worden, wonach sie in Innenräumen nicht mehr verwendet werden sollen. Tatsächlich ist der Verbrauch von PCP als Holzschutzmittel in den letzten Jahren nach Aussage des Bundesgesundheitsamtes auf 1/20 zurückgegangen. Soweit die in einzelnen Untersuchungsbefunden ausgewiesenen Dioxin-Emissionen aus Müllverbrennungsanlagen zur Gesamtbelastung beitragen, lassen Bund und Länder gemeinsame Untersuchungen nach einem vom Umweltbundesamt aufgestellten Programm durchführen. Hierbei wird insbesondere das Ziel verfolgt, Ansätze für wirksame feuerungstechnische Maßnahmen zur Minimierung der Emissionen zu finden. Zu Frage 19: Der Bundesregierung liegen keine Erkenntnisse über Dioxin-Rückstände in von Tieren stammender Milch vor. Bisher war kein akuter Anlaß für eine Fahndung nach dem analytisch schwer faßbaren Stoff gegeben. Ich gehe jedoch davon aus, daß künftig dem möglichen Vorkommen von Dioxin in von Tieren stammender Milch auch im Rahmen der amtlichen Lebensmittelüberwachung, die von den Ländern in eigener Zuständigkeit durchgeführt wird, besondere Aufmerksamkeit gewidmet werden wird. Voraussetzung hierfür ist, daß die außerordentlich aufwendigen Nachweisverfahren durchgeführt werden können. In diesem Zusammenhang weise ich darauf hin, daß im Rahmen des Arbeitsprogramms des Bundesgesundheitsamtes die Entwicklung in der Praxis einsetzbarer Nachweisverfahren zur TCDD-Analytik in Muttermilch, Kuhmilch, anderen Lebensmitteln und Humansubstanz einen Schwerpunkt bildet. Anlage 10 Antwort des Staatssekretärs Chory auf die Frage des Abgeordneten Müller (Schweinfurt) (SPD) (Drucksache 10/1215 Frage 20): Sind der Bundesregierung Untersuchungen der amerikanischen Umweltschutzbehörde EPA bekannt, wonach Methylbromid krebserregend wirken soll, und welche Konsequenzen gedenkt sie daraus zu ziehen? Der Bundesregierung liegen Untersuchungen der US-amerikanischen Umweltschutzbehörde EPA zur Karzinogenität von Methylbromid nicht vor. Der Bundesregierung ist jedoch bekannt, daß der Stoff Methylbromid im Verdacht steht, krebserzeugende und erbgutverändernde Wirkungen aufzuweisen. Die Senatskommission zur Prüfung gesundheitsschädlicher Arbeitsstoffe der Deutschen Forschungsgemeinschaft hat daher Methylbromid als Stoff mit begründetem Verdacht auf krebserzeugendes Potential in Klasse III B eingestuft. In den Giftverordnungen der Länder sind die Voraussetzungen im Hinblick auf den Handel und die Anwendung von Methylbromid als Begasungsmittel geregelt. Diese Regelungen erstrecken sich insbesondere auf Vorsichtsmaßnahmen für das damit umgehende Personal, die Anforderungen an die Sachkenntnis der Anwender sowie die listenmäßige Einstufung von Methylbromid als hochgiftiger Stoff. Die Zulassung von methylbromidhaltigen Mitteln zur Bodenentseuchung nach dem Pflanzenschutzgesetz ist aufgrund der gesundheitlichen Beurteilung durch das Bundesgesundheitsamt von der Biologischen Bundesanstalt widerrufen worden, da nicht auszuschließen ist, daß Rückstände an unzersetztem Methylbromid durch Versickerung im Trinkwasser auftreten können. Diese Rückstände können aus toxikologischen Gründen nicht geduldet werden. Die Hersteller haben gegen diesen Widerruf Rechtsmittel eingelegt. Die Bundesregierung hat in den Entwurf einer Ersten Verordnung zur Änderung der Pflanzenschutzmittel-Höchstmengenverordnung eine Höchstmenge für Methylbromid von 0,1 mg/kg für alle pflanzlichen Lebensmittel aufgenommen. Dies ist der niedrigste Wert, der zum Schutze des Verbrauchers unter Berücksichtigung der analytischen Bestimmbarkeit des Stoffes festgesetzt werden kann. Der Bundesrat hat dieser Regelung am 16. März 1984 zugestimmt. Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 64. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. April 1984 4579* Anlage 11 Antwort des Parl. Staatssekretärs Chory auf die Fragen des Abgeordneten Müller (Wesseling) (CDU/CSU) (Drucksache 10/1215 Fragen 21 und 22): Wie hoch sind die in 1983 durch die Änderung des Bundeskindergeldgesetzes erzielten Einsparungen, und wie hoch ist demgegenüber der zusätzlich notwendig gewordene Verwaltungsaufwand zu beziffern? In welcher Höhe erwartet die Bundesregierung durch die Neuregelung des Kindergeldgesetzes in den nächsten fünf Jahren Einsparungen und Ausgaben für erhöhten Verwaltungsaufwand? Zu Frage 21: Die einkommensabhängige Minderung des Kindergeldes hat 1983 eine Kindergeld-Einsparung von gut 700 Millionen DM gebracht. Der zusätzliche Verwaltungsaufwand, der durch die Kindergeldminderung im Jahr 1983 bei der Bundesanstalt für Arbeit entstanden ist, läßt sich nicht beziffern, weil die Abrechnung der Bundesanstalt über ihre Verwaltungskosten 1983 keine entsprechende Aufschlüsselung enthält. Für die Verwaltungskosten der Kindergeldstellen des öffentlichen Dienstes liegen uns keine Zahlen vor, weil diese Verwaltungskosten den Ländern und Gemeinden nicht erstattet werden. Der Verwaltungsaufwand der Bundesanstalt für Arbeit war im Haushalt 1983 mit 100 Millionen DM veranschlagt worden. Es gibt keine Anhaltspunkte für die Annahme, daß dieser Betrag nicht ausgereicht hätte. Er dürfte eher unterschritten worden sein. Denn die gesamten Verwaltungskosten 1983 der Bundesanstalt für das Kindergeld liegen nach deren Abrechnung mit knapp 345 Millionen DM um 15 Millionen DM unter dem Haushaltsansatz. Zu Frage 22: Die Kindergeldeinsparungen dürften langsam wachsen, die zusätzlichen Verwaltungskosten durch den zwischen der Bundesanstalt für Arbeit und den Landesfinanzbehörden zu vereinbarenden Datenabgleich ab 1985 erheblich sinken. Ich rechne damit, daß die zusätzlichen Kindergeldeinsparungen in den Jahren 1984 und 1985 je etwa 25 bis 30 Mio. DM betragen werden. Für die Folgezeit sind realistische Schätzungen zur Zeit noch nicht möglich. Dasselbe gilt für die Schätzungen des Betrages, um den sich die Verwaltungskosten durch den Datenabgleich mindern werden. Anlage 12 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Schulte auf die Fragen des Abgeordneten Delorme (SPD) (Drucksache 10/1215 Fragen 27 und 28): Ist der Bundesregierung bekannt, daß der von der Wasser- und Schiffahrtsdirektion Südwest geplante Bau eines Leitwerks im Bereich der Nahemündung von Stadtrat und Verwaltung der Stadt Bingen sowie von der Binger Bevölkerung nahezu einhellig abgelehnt wird, und daß die Stadt angekündigt hat, gegen den in Kürze zu erwartenden Planfeststellungsbeschluß verwaltungsrechtliche Schritte einzuleiten? Wie beurteilt die Bundesregierung die Meinung der Stadt Bingen, daß der wirtschaftliche Nutzen der beabsichtigten Baumaßnahme wesentlich geringer sei als der zu befürchtende Schaden, zumal das Leitwerk nicht nur die Landschaft an einer der romantischsten Stellen des Rheins verschandele, sondern durch den Staueffekt auch die Hochwassergefahr erhöhe? Der Sachverhalt, wie er in der ersten Frage geschildert wird, ist der Bundesregierung bekannt. Nach dem Bundeswasserstraßengesetz obliegt die Abwägung aller öffentlichen und privaten Belange im Planfeststellungsverfahren der Wasser- und Schiffahrtsdirektion Südwest in Mainz als Planfeststellungsbehörde. Hierbei werden die fachlich zuständigen Behörden der Länder Hessen und Rheinland-Pfalz beteiligt. Es ist nicht Aufgabe des Bundesministers für Verkehr, diese vom Gesetz geforderte und der Wasser- und Schiffahrtsdirektion zugewiesenen Planrechtfertigung außerhalb des Planfeststellungsverfahrens vorzunehmen. Im Rahmen dieses Verfahrens ist sichergestellt, daß alle geltend gemachten Einwendungen eingehend und ohne Zeitdruck geprüft und in die im Rahmen des Planfeststellungsverfahrens zu treffende Entscheidung unter sorgfältiger Abwägung aller Interessen einbezogen werden. Eine weitergehende Stellungnahme ist daher der Bundesregierung z. Zt. nicht möglich. Es kann dem Planfeststellungsverfahren nicht vorgegriffen werden. Anlage 13 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Schulte auf die Frage des Abgeordneten Hedrich (CDU/CSU) (Drucksache 10/1215 Frage 31): Wie beabsichtigt die Bundesregierung, nach dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts Lüneburg vom 2. Januar 1984 über die Nichtzuständigkeit der Landesbehörden betreffend die Gewährung von Ausnahmegenehmigungen zur Erweiterung einer Fahrerlaubnis der Klasse 4 (alt) auf eine Fahrerlaubnis der Klasse 3 diese Frage zu regeln? Die Auslegung des § 70 Absatz 1 Nummer 2 Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung, mit der das Oberverwaltungsgericht Lüneburg die Landeskompetenz zur Genehmigung von Ausnahmen für Inhaber der Fahrerlaubnisse der Klasse 4 (alt) verneint hat, begegnet Bedenken. Eine Verlagerung der Landeskompetenz auf den Bundesminister für Verkehr ist erst dann gegeben, wenn zwei Voraussetzungen erfüllt sind. Einerseits dürfen sich die Auswirkungen der Ausnahmegenehmigung nicht auf das Gebiet des Landes beschränken. Andererseits muß aber hinzukommen, daß „eine einheitliche Entscheidung erforderlich ist". Die zweite Voraussetzung liegt nicht vor, weil die Bundesländer eine ein- 4580* Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 64. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. April 1984 heitliche Verfahrensweise für die in Rede stehenden Ausnahmefälle abgesprochen haben. Aus diesen Erwägungen, die die Bundesregierung teilt, hat sich der Bund-Länder-Fachausschuß „Fahrerlaubniswesen" dem Beschluß des Oberverwaltungsgerichts Lüneburg nicht anschließen können und sich dafür ausgesprochen, die bisherige Genehmigungspraxis beizubehalten. Dies trifft auch auf das Land Niedersachsen zu. Ungeachtet der Ausnahmepraxis wird der Bundesminister für Verkehr bei der beabsichtigten Neueinteilung der Fahrerlaubnisklassen eine am Prinzip des Besitzstandsschutzes orientierte Überleitung der Klasse 4 (alt) vorsehen. Anlage 14 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Schulte auf die Frage des Abgeordneten Dr. Kleijdzinski (SPD) (Drucksache 10/1215 Frage 32): Ist der Bundesregierung bekannt, daß eine der häufigsten Verletzungsursachen für Kinder bei Fahrradstürzen die ungeschützten Enden der Fahrradlenkstangen sind, die zu Milzrissen führen und oft die Entfernung dieses Organs nach solch einer Verletzung erforderlich machen, und wenn ja, welche Möglichkeit sieht die Bundesregierung z. B. durch eine Auflage, die Fahrradhersteller zur Herstellung eines kugelförmigen und mit einer Knautschzone versehenen Sicherheitsgriffs am Fahrradlenker zu verpflichten? Die Zahl der verunglückten Kinder wird im Unfallverhütungsbericht Straßenverkehr 1983 des Bundesministers für Verkehr über Maßnahmen auf dem Gebiet der Unfallverhütung im Straßenverkehr nach Alter, Art der Verkehrsbeteiligung und Ortslage der Unfallstelle aufgeschlüsselt. Bestimmte Organverletzungen von Kindern, die mit dem Fahrrad stürzen, werden dort jedoch nicht ausgewiesen. „Kinderfahrräder" fallen nach den Verwaltungsvorschriften zu § 24 Abs. 1 Straßenverkehrs-Ordnung (StVO) zum Teil unter den Begriff „Besondere Fortbewegungsmittel". Diese unterliegen nicht den Bestimmungen der Straßenverkehrs-Ordnung oder Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung (StVZO). Andere Fahrräder, die von Kindern und Jugendlichen auf öffentlichen Straßen und Wegen benutzt werden, müssen entsprechend den Bestimmungen der StVZO ausgerüstet sein. Dies betrifft vor allem licht- und bremstechnische Einrichtungen. Ein großer Teil der heute angebotenen Fahrräder erfüllt überdies die DIN-Norm 79 100 (z. B. Festigkeits- und Gestaltungsanforderungen an einzelne Bauteile). Anforderungen an Handgriffe am Fahrradlenker sind z. Z. nicht definiert. Wegen der mitunter robusten Behandlung und Benutzung von Kinderfahrrädern ist eine häufige Überprüfung auf technisch einwandfreien Zustand seitens der Eltern unumgänglich. Ein „Sicherheitsgriff" am Fahrradlenker würde nur unter dieser Voraussetzung seine besondere Funktion erfüllen können. Gleichwohl wird die Bundesregierung bei den zuständigen Verbänden und dem Deutschen Institut für Normung nachfragen, ob und ggf. welche Erkenntnisse für mögliche Lösungen zur Verbesserung von Handgriffen an Fahrradlenkern vorliegen. Ich werde Sie von dem Ergebnis schriftlich unterrichten. Anlage 15 Antwort des Parl. Staatssekretärs Rawe auf die Frage des Abgeordneten Daweke (CDU/CSU) (Drucksache 10/1215 Frage 41): Warum bietet die Deutsche Bundespost ihren Kunden Telefonmodelle, wie beispielsweise das Modell „KIEL" an, wenn die Fernmeldeämter nicht in der Lage sind, das Gerät zu beschaffen und bei den Kunden anzuschließen? Beim Telefonmodell „Kiel" handelt es sich um ein Kompakttelefon mit Wähleinrichtung im Hörer, das sich bei den Kunden großer Beliebtheit erfreut. Die Deutsche Bundespost hatte deshalb mit einer großen Nachfrage gerechnet und entsprechende Stückzahlen geordert. Die zwei Herstellerfirmen dieses Geräts halten jedoch ihre Lieferverpflichtungen seit Monaten nicht ein. Da die bisherigen Bemühungen um eine Verbesserung der Lieferfähigkeit ergebnislos blieben, wurde am 21. März 1984 eine vorübergehende Vertriebseinstellung für den Telefonapparat „Kiel" angeordnet, bis die Lagervorräte eine verzögerungsfreie Bedarfsdeckung gewährleisten. Zum Zeitpunkt des Erstauftrags für das Telefonmodell „Kiel" stand kein weiteres Kompakttelefon mit vergleichbar ausgereifter Technik zur Verfügung. Inzwischen wurde von der Fernmeldeindustrie ein weiteres Kompakttelefon mit der Bezeichnung „Dallas" entwickelt und bei der Deutschen Bundespost eingeführt. Die Deutsche Bundespost weist ihre Kunden deshalb seit Dezember 1983 ausdrücklich darauf hin, daß sie nun auch das Modell „Dallas" erhalten können. Viele Kunden haben daraufhin das Alternativmodell gewählt. Aber auch eine Vielzahl weiterer Modelle aus dem umfangreichen Angebot der Deutschen Bundespost werden dem Kunden als Alternative angeboten. Anlage 16 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Probst auf die Frage des Abgeordneten Dr. Klejdzinski (SPD) (Drucksache 10/1215 Frage 56): Welche Ergebnisse bzw. Zwischenberichte liegen bisher aus dem vom Bundesminister für Forschung und Technologie geförderten Projekt der Arbeitsgruppe der Bergbau-Forschung über die Kohleentschwefelung durch ThiobacillenBakterien vor? Aus den Zwischenberichten über das Projekt vom 31. Dezember 1982, 30. Juni 1983 und 31. Dezember Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 64. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. April 1984 4581* 1983 geht hervor, daß das Vorhaben zufriedenstellend im vorgegebenen Zeit- und Kostenrahmen verläuft. Als bisheriges Ergebnis kann festgestellt werden, daß durch Selektion entsprechender Bakterienstämme und Optimierung des Verfahrens 80-90% des Pyritschwefels bei vierwöchiger Fermentation entfernt werden können. Inzwischen konnte die Fermentationsdauer vermindert und die Menge des entfernten anorganischen Schwefels weiter gesteigert werden. Anlage 17 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Probst auf die Frage des Abgeordneten Dr. Steger (SPD) (Drucksache 10/1215 Frage 57): Wie hoch waren 1983 die Gesamtaufwendungen für Fusions-Forschung, aufgegliedert nach den Bereichen Universitäten, außer-universitären Forschungsaufwendungen in der Bundesrepublik Deutschland, EG-Zahlungen und internationale Beiträgen? Vor allem die Großforschungseinrichtungen IPP, KFA, KfK betreiben Kernfusionsforschung. Die Gesamtaufwendungen für 1983 in diesen Einrichtungen waren ca. 204 Millionen DM, davon 44,9 Millionen DM EG-Zahlungen und 13,7 Millionen DM für JET-Beiträge. Mit einem Aufwand von ca. 1 Million DM jährlich untersucht noch HMI spezielle Fragen zur Kernfusion, z. B. Sicherheitsbetrachtungen und Materialfragen. Die DFG hat außerdem 1983 an den deutschen Universitäten Forschungsarbeiten im Foschungsschwerpunkt „Fusionsorientierte Plasmaphysik" mit einem Aufwand von ca. 2 Millionen DM gefördert. Anlage 18 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Probst auf die Frage des Abgeordneten Catenhusen (SPD) (Drucksache 10/1215 Frage 58): Kann die Bundesregierung die Zusicherung des Parlamentarischen Staatssekretärs Dr. Probst einhalten, daß ein neues Programm Biotechnologie „etwa im Frühjahr 1984" vorgelegt werde, angesichts der Tatsache, daß laut Beratungsübersicht 1983/1984 des Bundesministers für Forschung und Technologie der Sachverständigenkreis, der über ein langfristiges Gesamtkonzept bei der Fortschreibung des Programms Biotechnologie beraten soll, noch nicht gebildet worden ist? Meine Aussage vom 26. Oktober 1983 beruhte auf der damaligen Einschätzung, daß es zweckmäßig sei, im Frühjahr 1984 ein auf die Biotechnologie zugeschnittenes Förderungsprogramm zu veröffentlichen. Die Bundesregierung hält an ihrer Absicht fest, ihr Förderkonzept für die angewandte Biologie und Biotechnologie öffentlich bekannt zu geben, möchte aber zuvor die Ergebnisse von kürzlich erschienenen wichtigen Sachstandsdarstellungen und Programmanalysen, der Arbeit von Wissenschaftlergremien internationaler Organisationen sowie von Anhörungen, die in den letzten Wochen zu diesem Thema in der Bundesrepublik stattgefunden haben, eingehend auswerten. Anlage 19 Antwort des Parl. Staatssekretärs Pfeifer auf die Fragen des Abgeordneten Kastning (SPD) (Drucksache 10/1215 Fragen 59 und 60): Trifft es zu, daß bei Ausscheiden von Teilnehmern aus einer laufenden Maßnahme des sogenannten Benachteiligtenprogramms für den folgenden Bewilligungszeitraum (Bewilligungszeitraum jeweils ein Jahr) die entsprechende Personalkostenerstattung durch die Bundesanstalt für Arbeit anteilig reduziert wird? Wäre die Bundesregierung bereit, diesen finanziell wie auch in der pädagogischen Auswirkung unzumutbaren Zustand angesichts des in Zukunft bei vielen Maßnahmeträgern nicht mehr möglichen Ausgleichs durch eine neu beginnende Ausbildungsmaßnahme mit einer höheren Teilnehmerzahl als mindestens zwölf zu beheben? Zu Frage 59: Es trifft zu, daß bei laufenden Maßnahmen nach dem Programm für die Förderung der Berufsausbildung von benachteiligten Jugendlichen zu Beginn eines neuen Bewilligungszeitraumes nur dann die vollen Personalkosten aus dem Programm bezuschußt werden, wenn die Teilnehmerzahl der betreffenden Maßnahme wieder aufgefüllt wird. Dies kann dazu führen, daß ein Ausbilder Jugendliche aus unterschiedlichen Ausbildungsjahren auszubilden hat. Sicher stellt dies höhere Anforderungen an den Ausbilder, diese Situation kommt aber auch in Ausbildungsbetrieben vor und wird von den Trägern des Programms gut bewältigt. Zu Frage 60: Ich bitte um Verständnis dafür, daß angesichts der angespannten Finanzlage an der dargestellten Praxis festgehalten werden muß. Jede andere Lösung würde die Zahl der Jugendlichen reduzieren, denen durch das Programm eine Ausbildung ermöglicht wird. Wegen der großen Nachfrage nach Ausbildungsmaßnahmen des Programms in überbetrieblichen Einrichtungen wäre dies nicht zu verantworten. Anlage 20 Antwort des Parl. Staatssekretärs Pfeifer auf die Frage des Abgeordneten Daweke (CDU/CSU) (Drucksache 10/1215 Frage 61): Wann wird die Bundesregierung den in der Regierungserklärung vom 4. Mai 1983 angekündigten Bericht über ihre Politik zur Sicherung der Zukunftschancen der Jugend in Ausbildung und Beruf vorlegen? 4582* Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 64. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. April 1984 Die Bundesregierung beabsichtigt, den in der Regierungserklärung vom 4. Mai 1983 angekündigten Bericht der Bundesregierung zur Sicherung der Zukunftschancen der Jugend in Ausbildung und Beruf noch vor der Sommerpause dem Deutschen Bundestag vorzulegen. Anlage 21 Antwort des Parl. Staatssekretärs Spranger auf die Frage des Abgeordneten Krizsan (GRÜNE) (Drucksache 10/1215 Frage 62): Auf Grund welcher besonderen Situation soll der Bundesminister des Auswärtigen bei seinem Besuch in Argentinien von 13 (in Worten: dreizehn) Sicherheitsbeamten begleitet werden, und welche Sparmaßnahmen liegen dem Beschluß zugrunde, jedem dieser Sicherheitsbeamten ein Einzelzimmer zu reservieren? Dem Bundeskriminalamt obliegt u. a. der erforderliche unmittelbare persönliche Schutz der Mitglieder der Verfassungsorgane des Bundes und der innere Schutz der Dienst- und Wohnsitze sowie der jeweiligen Aufenthaltsräume von Mitgliedern der Bundesregierung. Nach ausgiebiger Lagebeurteilung durch die zuständigen Sicherheitsbehörden ist das Erfordernis des ständigen Personenschutzes für den Bundesminister des Auswärtigen festgestellt worden. Der Umfang der Schutzmaßnahmen wird vom Bundeskriminalamt — Sicherungsgruppe lageangepaßt durchgeführt. Für den Besuch des Bundesministers des Auswärtigen in Argentinien in der Zeit vom 14. April bis 18. April 1984 ist zu berücksichtigen, daß die Beamten des Bundeskriminalamtes neben dem unmittelbaren Personenschutz sowohl die Innensicherung des Hotels als auch die Sicherung des abgestellten Luftfahrzeugs rund um die Uhr vorzunehmen haben. Unter Berücksichtigung sparsamer Haushaltsführung wird es den Sicherheitsbeamten selbstverständlich zugemutet, Doppelzimmer zu benutzen. Anlage 22 Antwort des Staatsministers Möllemann auf die Frage des Abgeordneten Neumann (Bramsche) (SPD) (Drucksache 10/1215 Frage 63): Lassen das NATO-Truppenstatut oder andere vertragliche Vereinbarungen zwischen den NATO-Staaten zu, daß in einem Gastland Truppen für den konkreten Einsatz im eigenen Land ausgebildet werden, wie es von einem Teil der britischen Truppen, die in der Bundesrepublik Deutschland stationiert sind, behauptet wird? Auf den Liegenschaften, die den verbündeten Streitkräften im Bundesgebiet überlassen sind, können diese Streitkräfte nach den stationierungsrechtlichen Vereinbarungen die zur befriedigenden Erfüllung ihrer Verteidigungspflichten erforderlichen Maßnahmen treffen. Die britischen Streitkräfte müssen ebenso wie andere NATO-Streitkräfte für alle Eventualitäten einer wirksamen Verteidigung, also auch den Kampf in dicht besiedeltem Gebiet, ausgebildet werden. Die stationierungsrechtlichen Vereinbarungen, insbesondere das NATO-Truppenstatut und das Zusatzabkommen, stehen daher grundsätzlich einer Ausbildung auch für den Einsatz in einem anderen als dem Ausbildungsgebiet nicht entgegen. Anlage 23 Antwort des Staatsministers Möllemann auf die Fragen des Abgeordneten Czaja (CDU/CSU) (Drucksache 10/1215 Fragen 64 und 65): Gilt nach allen Ostverträgen und der Aufnahme der diplomatischen Beziehungen mit den Ostblockstaaten die Erklärung des Bundeskanzlers Adenauer zur Deutschlandfrage vom 13. September 1955 gegenüber dem Vertreter der Siegermacht Sowjetunion, Ministerpräsident Bulganin, auf die in Artikel 4 und in der Präambel des Moskauer Vertrages Bezug genommen wird (Drucksache VI/3156, II A 8), weiterhin, wonach „keine Anerkennung der derzeitigen territorialen Besitzstände" erfolgt ist? Trifft es zu, daß ein Staat im Rahmen des allgemeinen Völkerrechts über seine Staatsangehörigkeit grundsätzlich selbst zu bestimmen hat (vgl. Brief des Auswärtigen Amts vom 3. Februar 1984, 214-300.16), aber auch dabei die allgemeinen Regeln des Völkerrechts insoweit beachten muß, „daß zwischen dem Staat und seinen Angehörigen eine nähere tatsächliche Beziehung (genuin connection) besteht" (so, neben anderen, auch Verdross-Simma, Universelles Völkerrecht, 1976, S. 577), und ist demgemäß der territoriale Bezug in Artikel 116 GG völkerrechtlich von größter Bedeutung? Zu Frage 64: Die von Ihnen genannte Feststellung des Bundeskanzlers Dr. Adenauer ist Bestandteil der deutschsowjetischen Vereinbarung vom 13. September 1955. Art. 4 des Moskauer Vertrages schließt diese Vereinbarung ein. Die Feststellung des Bundeskanzlers Dr. Adenauer gilt also im Verhältnis zur Sowjetunion; Wirkungen gegenüber dritten Staaten entfaltet sie nicht. Soweit Sie auf „alle Ostverträge" abstellen, gilt jeder einzelne dieser Verträge in dem bekannten, jeweils vereinbarten Maß. Für den Warschauer Vertrag insbesondere gilt die Feststellung seines Artikels I zur westlichen Staatsgrenze der Volksrepublik Polen in Verbindung mit der Unberührtheitsklausel seines Artikels IV. Zu Frage 65: Ich beantworte Ihre Frage mit Ja. Der territoriale Bezug in Art. 116 des Grundgesetzes ist für die Eigenschaft eines Deutschen im Sinne des Grundgesetzes von Bedeutung, wie ganz allgemein ein territorialer Bezug für die völkerrechtliche Beurteilung einer Staatsangehörigkeit von Bedeutung ist. Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 64. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. April 1984 4583* Anlage 24 Antwort des Staatsministers Möllemann auf die Fragen des Abgeordneten Jäger (Wangen) (CDU/CSU) (Drucksache 10/1215 Fragen 67 und 68): Treffen nach den Erkenntnissen der Bundesregierung Meldungen in der Presse zu, nach denen die irakischen Streitkräfte im Krieg mit dem Iran chemische Kampfstoffe einsetzen, die aus der UdSSR stammen, und daß diese Waffen bereits zu schweren Verletzungen und zum Tod von Menschen geführt haben, und um welche chemischen Kampfstoffe handelt es sich dabei? Hat das Ministerkomitee des Europarats die Empfehlung 972 (1983) der Parlamentarischen Versammlung des Europarats betreffend die Lage der deutschen Minderheit in der Sowjetunion vom 29. September 1983 bereits beraten, und welche Beschlüsse sind dazu auf Grund welcher Vorschläge der Bundesregierung bereits gefaßt worden? Zu Frage 67: Der Bundesregierung liegen keine Erkenntnisse darüber vor, daß die irakischen Streitkräfte im Krieg mit dem Iran chemische Kampfstoffe eingesetzt haben, die aus der UdSSR stammen. Über den Einsatz chemischer Kampfstoffe im Golfkrieg liegt inzwischen ein Bericht von vier Experten vor, die auf Veranlassung des Generalsekretärs der VN im Iran Untersuchungen durchgeführt haben. Sie sind einstimmig zu dem Schluß gekommen, daß der Hauptkampfstoff „S-Lost" (Senfgas) und der Nervenkampfstoff „Tabun" verwandt wurden. Ein Einsatz von Mykotoxinen wurde von den Experten nicht festgestellt. Ihrem Mandat entsprechend haben sich die Experten nicht zur Herkunft der festgestellten chemischen Kampfstoffe geäußert. Zu Frage 68: Das Komitee der Ministerbeauftragten hat sich erstmalig auf seiner 364. Sitzung (8. — 10. November 1983) mit der Empfehlung über die Lage der deutschen ethnischen Minderheit in der Sowjetunion befaßt. Es wird seine Beratungen in einer der bevorstehenden Sitzungen fortsetzen. Auf deutschen Vorschlag wurde die Empfehlung zwischenzeitlich den Regierungen der Mitgliedstaaten durch einen entsprechenden Beschluß des Komitees der Ministerbeauftragten zur Kenntnis gebracht. Des weiteren hat das Komitee der Ministerbeauftragten beschlossen, die Empfehlung den KSZE-Experten zu ihrem nächsten Meinungsaustausch vorzulegen. Im übrigen hält die Bundesregierung ihre Partner auf dem Laufenden über die Entwicklung der Lage der Deutschen in der UdSSR auf der Grundlage ihrer Kontakte zur sowjetischen Regierung und wird für die weiteren Beratungen der Ministerbeauftragten alle zweckdienlichen Informationen zur Verfügung stellen. Anlage 25 Antwort des Parl. Staatssekretärs Spranger auf die Frage des Abgeordneten Eimer (Fürth) (FDP) (Drucksache 10/1215 Frage 69): Wie beurteilt die Bundesregierung angesichts der sich in der letzten Vergangenheit häufenden Fechtunfälle die Möglichkeit der Unfallreduzierung durch den Einsatz der neuentwickelten Kunststoffklinge? Die Untersuchungen im Projekt „Sicherheit und Fechtsport" um eine Verbesserung der Fechtklingen und der Schutzkleidung dauern an. Die Vertreter des Deutschen Fechter-Bundes haben aufgrund der Ergebnise der bisher durchgeführten Untersuchungen in einer Sitzung des Sportausschusses des Deutschen Bundestages am 22. Februar 1984 dargelegt, daß die bisherigen Neuentwicklungen im Klingenbereich — jedenfalls nach ihrem derzeitigen Entwicklungsstand — noch keine brauchbaren Lösungen für den Fechtsport darstellen. Der Sportausschuß des Deutschen Bundestages wird über den Fortgang laufend informiert. Anlage 26 Antwort des Pari. Staatssekretärs Spranger auf die Frage des Abgeordneten Böhm (Melsungen) (CDU/CSU) (Drucksache 10/1215 Frage 70): Welche Erkenntnisse liegen der Bundesregierung über absichtliche Grenzüberflüge von Hubschraubern aus dem Bereich der DDR über das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland in den letzten Monaten vor? In den Monaten Januar bis März dieses Jahres überflogen nach Erkenntnissen des Bundesgrenzschutzes Hubschrauber aus dem Bereich der DDR fünfmal das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland. Die Überflugstrecken betrugen zwischen 200 m und 2 000 m. Gesicherte Erkenntnisse über die tatsächlichen Ursachen der Grenzüberflüge liegen nicht vor. Anlage 27 Antwort des Parl. Staatssekretärs Spranger auf die Frage des Abgeordneten Dr. Hupka (CDU/CSU) (Drucksache 10/1215 Frage 73): Welche Konsequenzen für eigene Erwägungen gedenkt die Bundesregierung daraus zu ziehen, daß in den Staaten des Warschauer Paktes die Zivilverteidigung Gegenstand des Unterrichts an den Schulen ist? In den Staaten des Warschauer Paktes wird an den Schulen unter dem Deckmantel der zivilen Verteidigung eine paramilitärische Ausbildung betrieben. Die Bundesregierung lehnt eine derartige Aus- 4584* Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 64. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. April 1984 bildung und die damit verbundene politische Indoktrinierung junger Menschen ab. Die deutsche Sicherheitspolitik ist auf die Wahrung des Friedens in Freiheit gerichtet. Nach Auffassung der Bundesregierung muß die Erziehung zur Freiheit und zur Bereitschaft, diese zu verteidigen, wesentlicher Bestandteil der Friedenserziehung in den Schulen sein. Zu einer glaubwürdigen Verteidigungsbereitschaft gehören auch Maßnahmen der zivilen Verteidigung, insbesondere Maßnahmen zum Schutze der Zivilbevölkerung. Die Bemühungen der Kultusministerkonferenz, gemeinsame Empfehlungen zum Thema ,,Friedenssicherung, Verteidigung und Bundeswehr im Unterricht" unter Hinweis auf die Notwendigkeit des Zivilschutzes zu erarbeiten, sind leider nicht erfolgreich gewesen, so daß es den einzelnen Ländern überlassen bleiben muß, diese Themen im Unterricht behandeln zu lassen. Über Selbstschutz als den Teil des Zivilschutzes, der Eigenhilfe und Vorsorge der einzelnen Bürger betrifft, finden an vielen Schulen Lehrgänge statt. Diese Lehrgänge führt der Bundesverband für den Selbstschutz ausschließlich auf Anforderung der Schulen durch. Anlage 28 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Voss auf die Fragen des Abgeordneten Stiegler (SPD) (Drucksache 10/1215 Fragen 74 und 75): An welchen Orten Niederbayerns und der Oberpfalz bietet die Bundesregierung derzeit und demnächst Wohnungen aus dem Wohnungsbestand des Bundes in großem Umfange zum Verkauf an, und wird sie dabei immer den Mietern und/bzw. deren Kindern, hilfsweise den gemeinnützigen oder städtischen Wohnungsbaugesellschaften ein Vorkaufsrecht einräumen? Welche Konsequenzen wird die Veräußerung des Wohnungsbestandes des Bundes im großen Maßstab für die Beschäftigung bei den Außenstellen der Bundesvermögensämter in Niederbayern und in der Oberpfalz haben, und berät die Bundesregierung bereits mit den Personalvertretungen über die möglicherweise auch zu erwartenden personellen Konsequenzen dieser Verkaufsaktion? Zu Frage 74: In Niederbayern werden demnächst Wohnungen in Landshut, Passau, Deggendorf und Straubing, in" der Oberpfalz in Regensburg und Amberg zum Kauf angeboten werden. Der Bund räumt zwar den Mietern bzw. deren Kindern oder bestimmten Wohnungsbaugesellschaften kein Vorkaufsrecht im Sinne des Bürgerlichen Gesetzbuches ein, strebt aber in erster Linie an, die Mieter bzw. deren Kinder als Käufer zu gewinnen. Gelingt dies nicht, wird der Bund die Kommunen ansprechen, ob sie selbst oder eine von ihnen getragene Wohnungsbaugesellschaft an einem Erwerb interessiert ist. Scheitern auch diese Bemühungen, so wird versucht, sonstige geeignete Wohnungsbaugesellschaften — insbesondere gemeinnützige — als Käufer zu finden. Zu Frage 75: Personelle Konsequenzen für die Bediensteten der Bundesvermögensämter in Niederbayern und in der Oberpfalz wird die Verkaufsaktion zumindest vorerst nicht haben. Es ist zu berücksichtigen, daß zunächst umfangreiche Mehrbelastungen anfallen. Bei dieser Sachlage stehen Einsparungen im Personalbereich derzeit nicht zur Diskussion, zumal in anderen Bereichen zusätzliche Aufgaben anfallen. Selbst langfristig wird eine verstärkte Veräußerung von Bundesmietwohnungen keine wesentlichen Veränderungen des Personalbestandes nach sich ziehen. In diesem Sinne ist der Hauptpersonalrat beim Bundesministerium der Finanzen bereits 1983 unterrichtet worden. Anlage 29 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Voss auf die Fragen des Abgeordneten Weinhofer (SPD) (Drucksache 10/1215 Fragen 76 und 77): In welchen Orten Bayerns werden bis zum 1. August 1984 wie viele bundeseigene Wohnungen zum Verkauf angeboten? Wie wertet die Bundesregierung die Tatsache, daß bei einem Verkauf der bundeseigenen Wohnsiedlungen in Ingolstadt mit 310 Wohnungen sich die dortige Wohnungsmarktsituation durch die zu erwartenden Maßnahmen der neuen Eigentümer zu Lasten der einkommens- und sozialschwachen Mieter verschlechtert? Zu Frage 76: Der Verkauf der bundeseigenen Wohnungen erfordert umfangreiche Ermittlungen. So muß bei größeren Wohnanlagen geprüft werden, ob Wohnungseigentum gebildet werden kann und die Mieter zum Erwerb bereit sind. Außerdem muß der Verkehrswert ermittelt werden. Wegen dieser Vorarbeiten werden bis zum 1. August 1984 voraussichtlich nur 52 Wohnungen in Hof, 1 Wohnung in Feucht, 372 Wohnungen in Neu-Ulm und 284 Wohnungen in Kempten zum Verkauf angeboten werden. Zu Frage 77: Die Bundesregierung strebt — wie ich bereits in der Antwort auf die Frage des Kollegen Stiegler ausgeführt habe — auch bei den 308 Wohnungen in Ingolstadt in erster Linie an, die Mieter bzw. deren Kinder oder zumindest die Kommunen oder eine von Ihnen getragene Wohnungsbaugesellschaft als Käufer zu gewinnen. Soweit diese an einem Erwerb der Wohnungen nicht interessiert sind, wird bei einem Verkauf der Wohnungen an andere Erwerber durch vertragliche Vereinbarungen sichergestellt, daß die Mieter über das soziale Mietrecht hinaus während einer Schutzfrist von regelmäßig 6 Jahren weder aufwendige Modernisierungen noch Kündigungen zu befürchten haben; bei besonders schwacher Mieterstruktur kann die Schutzfrist auch länger bemessen werden. Dadurch werden die berechtigten Belange der Mieter gewahrt. Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 64. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. April 1984 4585* Anlage 30 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Voss auf die Fragen des Abgeordneten Austermann (CDU/CSU) (Drucksache 10/1215 Fragen 78 und 79): Hat das Bundesministerium der Finanzen mit der Deutschen Bundesbank bei der (laut Pressemeldungen erfolgten) Abrede über eine fristgemäße (§ 27 des Gesetzes über die Deutsche Bundesbank) vollständige Abführung des Bundesbankgewinns an den Bund eine Zinserstattung vereinbart oder wie hoch ist, falls dies nicht erfolgte, der Zinsverlust des Bundes durch eine ratenweise Auszahlung des sechs bis sieben Milliarden DM hohen Teiles des Bundesbankgewinns? Mit welchen konkreten Schäden am gesamtwirtschaftlichen Gleichgewicht rechnet das Bundesministerium der Finanzen, wenn der Bund durch erforderliche Kreditaufnahmen den Kapitalmarkt belastet, statt seinen konkreten Kapitalbedarf aus dem Bundesbankgewinn zu befriedigen? Zu Frage 78: Im Zusammenhang mit der Übereinkunft zwischen der Deutschen Bundesbank und dem Bundesminister der Finanzen über eine ratenweise Abführung des Bundesbankgewinns sind Zinszahlungen von der Bank an den Bund aus folgenden Gründen nicht vereinbart worden: Der von der Bundesbank zunächst noch nicht abgeführte Gewinnanteil steht zwar der Bank länger als nach der bisherigen Regelung zur Verfügung. Die Bundesbank erwirtschaftet jedoch mit diesen Mitteln bis zum vereinbarten Auszahlungszeitpunkt ihrerseits keine Zinseinnahmen. Würde die Bundesbank die noch nicht ausgeschütteten Gewinne am Markt zinsbringend anlegen, so entstünde durch diese Anlagen der gleiche Liquiditätseffekt, der durch die Streckung der Gewinnausschüttung vermieden werden sollte. Ein Verlangen des Bundes nach Verzinsung würde daher insoweit ökonomisch nicht vertretbare Verluste bei der Bundesbank und damit auch eine Verminderung der Gewinnabführung im Folgejahr bewirken. — Aus dem gleichen Grunde werden auch die aus vorübergehenden Kassenüberschüssen entstehenden Einlagen der öffentlichen Hände auf Girokonten bei der Bundesbank unverzinslich gehalten. Die Vereinbarung mit der Bundesbank hat für die Zinszahlungen des Bundes mittelbar eine entlastende Wirkung. Durch die ratenweise Abführung werden Schwierigkeiten für die Geldpolitik und damit mögliche Zinssteigerungen vermieden, die die gesamte Bruttokreditaufnahme betreffen würden. Eine unmittelbare Zinsbelastung des Bundes ergibt sich daraus, daß entsprechend dem Betrag und der zeitlichen Verzögerung der Gewinnausschüttung die Kreditaufnahme des Bundes 1984 bei unverändertem Gesamtvolumen zeitlich vorgezogen wird. Nimmt man eine um durchschnittlich 2 Monate vorgezogene Kreditaufnahme in Höhe von rund 6 Milliarden DM bei einem Durchschnittszinssatz von 7,8 % an, so ergibt sich die Zinsbelastung von knapp 80 Millionen DM. Der Nettoeffekt aus Zinsentlastung wegen besserer Wirksamkeit der Geldpolitik und Zinsbelastung aus vorgezogener Kreditaufnahme ist nicht rechenbar. Zu Frage 79: Aus der Neuregelung über die zeitliche Staffelung der Ablieferung des Bundesbankgewinns sind keine Schäden für das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht zu erwarten; die ratenweise Auszahlung verhindert vielmehr eine mögliche Beeinträchtigung der Geldpolitik der Bundesbank. Da die Kreditaufnahme des Bundes lediglich vorgezogen, in ihrer Höhe jedoch nicht berührt wird, tritt auch eine Veränderung der Gesamtbelastung des Kapitalmarktes durch den Bund nicht ein. Die Streckung der Gewinnausschüttung erlaubt nämlich im Vergleich zu dem bisherigen Verfahren eine gleichmäßigere zeitliche Verteilung der Kapitalmarktinanspruchnahme und wirkt somit auf Zins-und Erwartungsbildungen stabilisierend. Die getroffene Vereinbarung sichert deshalb auch von der Kapitalmarktseite her das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht. Anlage 31 Antwort des Parl. Staatssekretärs Möllemann auf die Fragen des Abgeordneten Heistermann (SPD) (Drucksache 10/1215 Fragen 80 und 81): Kann die Bundesregierung bestätigen, daß auf dem Truppenübungsplatz Sennelager, so der Bericht des Fernsehmagazins Monitor (Sendung vom 27. März 1984) und der Lippischen Landeszeitung (Bericht vom 28. März 1984), eine Kampfanlage zur Ausbildung (offizieller Name: „NITAT", Northern Ireland Tactical Training) britischer Soldaten für den Einsatz in Irland betrieben wird? Ist diese Kampfanlage durch deutsche Dienststellen genehmigt worden, und ist sie mit dem NATO-Truppenstatut vereinbar? Wie ich schon auf die Frage des Kollegen Neumann ausgeführt habe, betreibt die britische Rheinarmee den unter ihrem Kommando stehenden Truppenübungsplatz Senne, wo sie im Rahmen des NATO-Truppenstatus in eigener Verantwortlichkeit britische Soldaten ausbildet. Dort ausgebildete Soldaten können auch außerhalb des Einsatzgebietes in der Bundesrepublik Deutschland eingesetzt werden. Die britischen Streitkräfte müssen ebenso wie andere NATO-Streitkräfte für alle Eventualitäten einer wirksamen Verteidigung, also auch den Kampf in dicht besiedeltem Gebiet, ausgebildet werden. Die stationierungsrechtlichen Vereinbarungen, insbesondere das NATO-Truppenstatut, stehen daher grundsätzlich der Einrichtung einer Ausbildungsanlage für den Nah- und Häuserkampf nicht entgegen. Baumaßnahmen auf Liegenschaften, die den Stationierungsstreitkräften überlassen sind, werden grundsätzlich im Benehmen mit deutschen Stellen vorgenommen. 4586* Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 64. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. April 1984 Anlage 32 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Sprung auf die Fragen des Abgeordneten Dr. Hirsch (FDP) (Drucksache 10/1215 Fragen 82 und 83): Welche Kriegswaffen im Sinne des Kriegswaffenkontrollgesetzes werden zur Zeit aus der Bundesrepublik Deutschland direkt oder im Rahmen von Kooperationsverträgen unter Beteiligung deutscher Firmen an Länder geliefert, die sich mit Israel im Kriegszustand befinden? Welche Anträge liegen der Bundesregierung zur Zeit von deutschen Unternehmen vor, die Lieferungen oder Kooperationen dieser Art zum Gegenstand haben? Die Frage, mit welchen Ländern sich Israel im Kriegszustand befindet, ist völkerrechtlich schwierig zu beurteilen. Zwischen Israel und den meisten arabischen Ländern sind Waffenstillstandsabkommen geschlossen, mit anderen arabischen Ländern besteht seit Jahren ein faktischer Waffenstillstand. Für die Lieferung von Kriegswaffen in Länder des Nahen Ostens hat die Bundesregierung in der Vergangenheit — abgesehen von folgenden Ausnahmen — keine Genehmigungen erteilt: Lieferung von Schiffen in Golfstaaten und von rd. 200 Handfeuerwaffen an die Nationalgarde von Saudi-Arabien sowie eines Mannschaftstransportfahrzeugs zur Vorführung. Im Rahmen von Kooperationen liefert das jeweilige Exportland in eigener souveräner Entscheidung. Aus der Bundesrepublik Deutschland werden keine Kriegswaffen als Kooperationsprodukte direkt exportiert; es liegen auch keine entsprechenden Anträge vor. Über direkte Lieferungen von Kriegswaffen in den Nahostraum liegen der Bundesregierung zur Zeit drei Anträge deutscher Unternehmen vor. Der eine Antrag betrifft ein Schiffsvorhaben für einen Golfstaat, die beiden anderen betreffen Saudi-Arabien; hier geht es um die Vorführung eines Hubschraubers und die Ausfuhr von 25 Schuß Munition. Anlage 33 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Sprung auf die Frage der Abgeordneten Frau Dr. Hamm-Brücher (FDP) (Drucksache 10/1215 Frage 84): Liegen bereits Anträge auf Waffenexport nach Saudi-Arabien vor, und wenn ja, für welche Waffen? Ich gehe davon aus, daß Sie sich auf Anträge beziehen, die im Anschluß an den Ende des vergangenen Jahres erfolgten Besuch einer saudi-arabischen Delegation in der Bundesrepublik Deutschland gestellt sein könnten. Im März dieses Jahres wies die Bundesregierung bei der Beantwortung einer Kleinen Anfrage des Abgeordneten Schwenninger und der Fraktion DIE GRÜNEN (BT-Drucksache 10/1089) darauf hin, daß Saudi-Arabien noch keine konkreten Bezugswünsche geäußert habe. Dies ist auch heute noch der Sachstand. Abgesehen von diesem Komplex liegen der Bundesregierung zwei Anträge über Waffenlieferungen nach Saudi-Arabien vor: der eine Antrag betrifft die vorübergehende Ausfuhr eines Hubschraubers zum Zwecke der Vorführung, der andere die Ausfuhr von 25 Schuß Munition 40 mm. Anlage 34 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Sprung auf die Frage des Abgeordneten Dr. Rose (CDU/CSU) (Drucksache 10/1215 Frage 85): Hat der Bundeswirtschaftsminister die im Interesse der deutschen Granitindustrie erforderlichen Gespräche mit der portugiesischen Regierung zum Thema „Granitimporte" bereits geführt, und falls ja, mit welchem Ergebnis? Der Bundeswirtschaftsminister hat noch keine Gespräche mit der portugiesischen Regierung über die portugiesischen Ausfuhren von Granitsteinen in die Bundesrepublik Deutschland geführt. Voraussetzung solcher Gespräche sollten gemäß Ergebnis der Besprechung mit Ihnen und der bayerischen Granitindustrie im Juni 1983 Unterlagen über Preisunterbietungen der portugiesischen Lieferungen sein. Erst im Dezember 1983 haben wir Angaben über Preisangebote eines einzelnen portugiesischen Lieferanten erhalten. Wir haben zu diesen Angaben eine Stellungnahme der Deutsch-Portugiesischen Industrie- und Handelskammer eingeholt. Die Kammer hat diese Angaben als nicht für einen Preisvergleich geeignet bezeichnet. Leider hat es sich nicht als möglich erwiesen, über die Kammer geeignete Preisangebote zu erhalten. Wir prüfen im Augenblick das weitere Vorgehen. Anlage 35 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Sprung auf die Fragen des Abgeordneten Rapp (Göppingen) (SPD) (Drucksache 10/1215 Fragen 86 und 87): Wie viele Zuwendungsleitstellen für die öffentlich geförderte Betriebsberatung gibt es, und nach welchen Kriterien werden Zuwendungsleitstellen ausgewählt? Welche Erfahrungen hat die Bundesregierung mit der Arbeit der Zuwendungsleitstellen gemacht, und beabsichtigt sie Änderungen, z. B. einen Ausbau des Systems im Verbändebereich? Zu Frage 86: In das Förderungsverfahren für Unternehmensberatungen sind derzeit zehn Leitstellen eingeschaltet, die jeweils für bestimmte Wirtschaftsbereiche zuständig sind. Bei diesen Leitstellen handelt es sich um Verbände oder sonstige Selbsthilfeorganisationen der Wirtschaft. Sie sind überwiegend bereits seit Beginn der Beratungsförderung tätig. Ihre Auswahl Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 64. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. April 1984 4587* erfolgte unter dem Gesichtspunkt, für jeden Wirtschaftsbereich eine im Beratungswesen erfahrene Institution zu bestimmen, über die die Förderung abgewickelt werden konnte. In den letzten 10 Jahren sind lediglich noch zwei branchenübergreifende Leitstellen hinzugekommen. Damit sollte insbesondere auch dem Anliegen der freien Berater Rechnung getragen werden, die sich angesichts der Verbindung einzelner Leitstellen mit verbandseigenen Beratungsdiensten für einen alternativen Antragsweg eingesetzt hatten. Zu Frage 87: Die Leitstellen haben die Aufgabe, anhand der Förderanträge sowie der dazu eingereichten Unterlagen zu prüfen, ob die Beratung den Anforderungen der Förderrichtlinien entspricht. Das Ergebnis der Prüfung wird an das Bundesamt für gewerbliche Wirtschaft weitergeleitet, das dann die Entscheidung über die Bewilligung des Zuschusses trifft. Bei der Tätigkeit der Leitstellen handelt es sich also um eine gutachterliche Funktion für das Bundesamt für gewerbliche Wirtschaft. Auf diese Weise kann der auf langjährigen Erfahrungen und Kenntnissen im Beratungswesen beruhende Sachverstand dieser Organisation im Vorfeld der Förderentscheidung sinnvoll genutzt werden. Die bestehenden Leitstellen decken alle Bereiche der gewerblichen Wirtschaft ab. Die Einrichtung zusätzlicher Leitstellen ist deshalb nicht beabsichtigt. Vielmehr sollen im Interesse einer Verwaltungsvereinfachung auf längere Sicht Möglichkeiten zur Verringerung der Zahl der Leitstellen geprüft werden; dies entspricht im übrigen auch einer Anregung des Bundesrechnungshofs. Anlage 36 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Sprung auf die Fragen des Abgeordneten Wolfram (Recklinghausen) (SPD) (Drucksache 10/1215 Fragen 88 und 89): Teilt die Bundesregierung die Auffassung, in dem „Handelsblatt"-Artikel, vom 26. März 1984, daß die „Bundesrepublik zu sehr von Mineralöl-Fertigprodukt-Importen abhängig wird", und was gedenkt sie gegen eine solch gefährliche Tendenz zu tun? Sieht die Bundesregierung das Risiko, daß die „voll integrierten Multis am besten gerüstet sind" und die deutschen Firmen, Händler und Verbraucher eines Tages die Zeche auch für eine verfehlte Mineralölpolitik zahlen müssen und der Schaden für unsere Volkswirtschaft irreparabel wäre? Zu Frage 88: Die Bundesregierung hält aus Gründen der Versorgungssicherheit daran fest, daß die Verarbeitung von Rohöl in deutschen Raffinerien das Rückgrat unserer Versorgung bilden sollte. Zwar besteht in Zeiten reichlichen Angebots kein prinzipieller Unterschied zwischen dem Bezug von Rohöl oder von Produkten. Bei knapper werdendem Angebot dürfte es jedoch leichter sein, Rohöl zu beschaffen als die einzelnen Mineralölprodukte. Die Bundesregierung ist weder bereit noch in der Lage, den Anteil der Produkte an unseren Öleinfuhren quantitativ zu fixieren. Sie unterstützt die inländische Mineralölverarbeitung vor allem dadurch, daß sie in Brüssel auf eine Harmonisierung der Umweltvorschriften für alle europäischen Raffinerien drängt. Außerdem tritt sie bei der Europäischen Gemeinschaft und der Internationalen Energieagentur dafür ein, daß sich alle Verbraucherländer in angemessenem Umfang an den steigenden Produkteinfuhren aus Drittländern, insbesondere aus den neuen OPEC-Raffinerien beteiligen. Bei Einhaltung dieser Voraussetzungen ist die Bundesregierung zuversichtlich, daß die Rohölverarbeitung im Inland auch in Zukunft ihre Position gegenüber importierten Produkten behaupten kann. Zu Frage 89: Der Ölverbrauch in der Bundesrepublik Deutschland ist vor allem seit 1979 scharf zurückgegangen. Der Anteil des Öls an unserem Energiebedarf ist auf rd. 43 % gesunken. Energiepolitisch ist diese Entwicklung — darüber besteht national wie international Einvernehmen — positiv zu bewerten. Die deutsche Mineralölwirtschaft hat große Anstrengungen unternommen, um sich diesem Strukturwandel anzupassen. Der Anpassungsprozeß hat bei den internationalen und den nationalen Raffineriegesellschaften zu erheblichen Verlusten bei Verarbeitung und Vertrieb geführt. Auch in Zukunft sind weitere Anpassungsschritte notwendig. Ein Weg dabei ist die Integration aller Ölaktivitäten von der Produktion bis zum Endverbraucher in einem Unternehmen. Auch die deutschen Raffineriegesellschaften versuchen seit Jahren nicht ohne Erfolg, diesem Ziel durch eigene Förderung im In- und Ausland sowie über Kooperationen mit ausländischen Produzenten näherzukommen. Für den mittelständischen Handel haben sich durch den Rückgang im Ölverbrauch gleichfalls große Anpassungsprobleme ergeben. Trotzdem hat der Mittelstand seine Position in den letzten Jahren gehalten, beim Tankstellenabsatz und bei den Einfuhren 1983 sogar leicht verbessert. Nutznießer dieser Entwicklung bei Industrie und Handel war der Verbraucher. Ihm hat der scharfe Wettbewerb bei Benzin und leichtem Heizöl vergleichsweise günstige Preise gesichert. Insgesamt ist es gelungen, trotz des Rückgangs im Ölverbrauch eine vielfältig strukturierte Mineralölwirtschaft mit einer leistungsfähigen Raffineriewirtschaft und einer Vielzahl mittelständischer Handelsunternehmen zu erhalten. Auf dieses Ziel wird die Mineralölpolitik der Bundesregierung auch in Zukunft ausgerichtet sein. 4588* Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 64. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. April 1984 Anlage 37 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Sprung auf die Frage des Abgeordneten Böhm (Melsungen) (CDU/CSU) (Drucksache 10/1215 Frage 90): Gibt es Informationen darüber, daß DDR-Außenhandelsorganisationen über Schweizer Gesellschaften, bei denen sie anteilmäßig beteiligt sind, versuchen, auf den innerdeutschen Handel spezialisierte Firmen in der Bundesrepublik Deutschland aufzukaufen? Hierüber liegen der Bundesregierung keine Informationen vor. Allerdings gibt es Hinweise, daß sich die DDR an ausländischen Firmen beteiligt. Soweit die DDR in der Bundesrepublik Deutschland Beteiligungen an Firmen oder Firmen selbst direkt oder indirekt erwirbt, besteht nach den geltenden Devisenbewirtschaftungsgesetzen eine Genehmigungspflicht. Zuständig für die Erteilung der Genehmigung ist die Deutsche Bundesbank. Anlage 38 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. von Geldern auf die Frage des Abgeordneten Würtz (SPD) (Drucksache 10/1215 Frage 91): Sind dem Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ernsthafte Untersuchungen über Vegetationsschäden in der Bundesrepublik Deutschland an Ackerböden — entsprechend dem großräumigen Waldsterben — bekannt, und wenn nein, gibt es überhaupt Anzeichen auf Vegetationsschäden am Ackerboden? Dem BML sind großflächige, vom Ackerboden ausgehende Vegetationsschäden in der Bundesrepublik nicht bekannt. Einen Überblick und eine Bewertung der Problematik saurer Depositionen im Boden gibt die Arbeit von Professor Sauerbeck (Braunschweig) über „Auswirkungen des ,sauren Regens' auf landwirtschaftlich genutzte Böden" (Landbauforschung Völkenrode, Band 33, 1983, Heft 4, S. 201-207). Lokal können Vegetationsschäden auf Ackerböden auftreten, z. B. in unmittelbarer Nähe von Schadstoffemittenten (z. B. durch Fluorimmissionen) oder durch Bodenverdichtungen in Extremfällen (z. B. Manöverschäden, Zuckerrübenabfuhr im Spätherbst unter feuchten Bedingungen) oder über Bodenerosion auf leicht erodierenden Standorten. Anlage 39 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. von Geldern auf die Frage des Abgeordneten Müller (Schweinfurt) (SPD) (Drucksache 10/1215 Frage 92): Kann die Bundesregierung Angaben darüber machen, in welchem Umfang Methylbromid in der Bundesrepublik Deutschland zur Bodendesinfektion verwendet wird, und inwieweit dadurch mit einer Bromanreicherung des Bodens zu rechnen ist? Nach den der Bundesregierung vorliegenden Informationen sind im Jahr 1983 zur Bodenbehandlung im Zierpflanzenbau, in Baumschulen, in Rebschulen und bei der Erzeugung von Pflanzkartoffeln in Zuchtgärten weniger als 100 t Methylbromid in der Bundesrepublik Deutschland verwendet worden. Bei der Anwendung zersetzt sich Methylbromid zu anorganischem Bromid. Bei wiederholter Anwendung ist mit einer Anreicherung im Boden zu rechnen. Die Methylbromidanwendung ist aber von der zuständigen Behörde in den Ländern zu genehmigen. Die Biologische Bundesanstalt für Land- und Forstwirtschaft hat im Herbst vorigen Jahres für das Anwendungsgebiet „Bodenbehandlung" die Zulassung von Methylbromid wegen der Gefahr der Grundwassergefährdung widerrufen. Die betroffenen Firmen haben dagegen Widerspruch eingelegt und in einem Falle bereits Klage erhoben, so daß der Widerruf noch nicht rechtskräftig ist. Anlage 40 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. von Geldern auf die Fragen des Abgeordneten Sauter (Epfendorf) (CDU/CSU) (Drucksache 10/1215 Fragen 93 und 94): Wie hoch ist das bisherige Aufkommen aus der Mitverantwortungsabgabe für Milch in den einzelnen Ländern der EG, und für welche Aufgaben wurden diese Mittel verwendet? Wie hoch waren bei nicht rechtzeitiger Verwendung die Rückflüsse, und ist eine anderweitige Verwendung der Mittel aus der Mitverantwortungsabgabe — etwa für den Abbau der Milchviehbestände in der EG — vorgesehen? Seit Einführung der Mitverantwortungsabgabe ab 16. September 1977 bis einschließlich 31. Dezember 1982 betrugen nach den bisher vorliegenden Zahlenangaben die Einnahmen der Gemeinschaft aus dem Aufkommen in den einzelnen Mitgliedstaaten 1.515 Milliarden ECU. Entsprechend Artikel 4 der Verordnung (EWG) Nr. 1079/77 des Rates über die Verwendung der Mitverantwortungsabgabe wurden für die Erweiterung der Märkte für Milch und Milcherzeugnisse sowie für Marktforschungsprojekte zur Absatzsteigerung innerhalb und außerhalb der Gemeinschaft seit 1977 folgende Ausgaben getätigt: Beihilfen für Schulmilch 176,5 Mio ECU Verbilligung von Butter zur Speiseeisherstellung 132,6 Mio ECU Verbilligung von Butter zur Herstel- lung von Butterreinfett 24,3 Mio ECU Verkaufsförderung, Werbung, Markt- forschung für Milch und -erzeug- nisse innerhalb und außerhalb der Gemeinschaft sowie zur Verbesse- rung der Milchqualität 173,7 Mio ECU Verbilligung von Magermilchpulver für Schweine- und Geflügelfutter 88,2 Mio ECU 595,3 Mio ECU Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 64. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. April 1984 4589* Der Restbetrag in Höhe von 917,7 Millionen ECU wurde in den EG-Haushalt für dringende Ausgaben im Milchbereich eingestellt, insbesondere zur Finanzierung von — Buttersonderabsatzmaßnahmen (Weihnachtsbutter sowie Butterverbilligung zur Backwarenherstellung), — Beihilfen für den Absatz von Magermilchpulver, — Ausfuhrerstattungen. Diese Angaben basieren auf Kommissionsmitteilungen über die in den einzelnen Kalenderjahren tatsächlich eingegangen und ausgezahlten Beträge. Sie sind nicht identisch mit den Mittelansätzen für Einnahmen und Ausgaben im EG-Haushalt. Anlage 41 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. von Geldern auf die Fragen des Abgeordneten Carstensen (Nordstrand) (CDU/CSU) (Drucksache 10/1215 Fragen 95 und 96): Wie hoch sind die Mittel, die aus der EG-Verordnung von 1983 für die Umstrukturierung der Fischwirtschaft zur Verfügung stehen, und wie sah der Mittelabfluß in den einzelnen Mitgliedstaaten aus? Welche Möglichkeit sieht die Bundesregierung, die Ansiedlung und Ausdehnung von Aquakulturen bei uns zu fördern? Zu Frage 95: Für die „gemeinsame Maßnahme zur Umstrukturierung, Modernisierung und Entwicklung der Fischwirtschaft und zur Entwicklung der Aquakultur" nach der Verordnung (EWG) Nr. 2908/83 des Rates vom 4. Oktober 1983 sind Zuschüsse aus dem Europäischen Ausrichtungs- und Garantiefonds für die Landwirtschaft (EAGFL) von insgesamt 156 Millionen ECU (ca. 393 Millionen DM) für die geplante dreijährige Dauer der Maßnahme vorgesehen. Hinzu kommt eine finanzielle Beteiligung des Mitgliedstaats von mindestens 5 v. H. Die erste Entscheidung der Kommission über gestellte Anträge wird spätestens am 15. Juni 1984 ergehen. Im Rahmen dieser Verordnung sind daher noch keine Mittel abgeflossen. Zu Frage 96: Die Aussichten für die Aquakultur in der Bundesrepublik Deutschland sind insgesamt günstig einzuschätzen; allerdings sind die Möglichkeiten der Aquakultur in Küstengewässern (sog. Marikultur) aus hydrographischen und klimatischen Gründen nur begrenzt. Die besseren Chancen liegen im Süßwasserbereich; das gilt vor allem für die Intensivfischzucht unter Verwendung von Abfallwärme aus Industriewerken. Eine realistische Beurteilung darf jedoch auch hier die Risiken, z. B. Ausfälle infolge übertragbarer Fischkrankheiten, nicht übersehen und die Marktgegebenheiten nicht außer acht lassen. Die Entwicklung zu wirtschaftlich arbeitenden, hochtechnisierten Anlagen der Intensivhaltung läßt sich nur in kleinen Schritten vollziehen. Für die finanzielle Förderung der Aquakultur, wie auch der gesamten Binnenfischerei, sind nach der Aufgabenabgrenzung des Grundgesetzes die Bundesländer zuständig. Anlage 42 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. von Geldern auf die Frage des Abgeordneten Catenhusen (SPD) (Drucksache 10/1215 Frage 97): Ist die Bundesregierung bereit, der Empfehlung des Abschlußberichts einer Studienkommission der Europäischen Vereinigung für Tierproduktion (EAAP) zu folgen und den Erhalt bedrohter Nutztierrassen — wie es in 17 europäischen Ländern bereits erfolgt — mit öffentlichen Mitteln zu fördern, etwa durch Einrichtung besonderer Parks, um auf diesem Wege zum Erhalt der tierischen Genreserven in Europa, die durch die moderne Nutztierzucht immer stärker gefährdet werden, beizutragen? Die Bundesregierung mißt der Erhaltung von Genreserven in der Tierhaltung große Bedeutung bei. Sie ist allerdings aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht in der Lage, hierfür öffentliche Mittel bereitzustellen. Für die Durchführung von Maßnahmen der Tierzucht im allgemeinen und die Erhaltung von aussterbenden Nutztierrassen im besonderen sind die Bundesländer zuständig. Der Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten hat eine koordinierende Funktion. Die Bundesländer haben beispielsweise durch finanzielle Zuschüsse für die Anlage von Samendepots, durch Haltungsprämien und Ankaufsbeihilfen sowie durch die Haltung von Restbeständen von aussterbenden Nutzrinderrassen in staatlichen Betrieben zahlreiche Maßnahmen zur Erhaltung von Genreserven durchgeführt. Im Rahmen der koordinierenden Funktionen hat der Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Grundsätze für die Erhaltung von Genreserven erarbeitet und hält über die Sitzung der Länderreferenten für Tierzucht ständigen Kontakt zu den für diese Maßnahmen zuständigen Bundesländern. Auf Bundesebene wurde bereits 1981 eine ständige Kommission einberufen, die entsprechende Empfehlungen für die Erhaltung aussterbender Nutztierrassen erarbeitet hat. Um die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf diesen wichtigen Problemkreis zu lenken, wird der Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten anläßlich der Ausstellung der Deutschen Landwirtschafts-Gesellschaft vom 30. Mai bis 5. Juni 1984 in Frankfurt eine Sonderschau „Seltene Rinderrassen — wichtige Genreserven" durchführen. 4590* Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 64. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. April 1984 Anlage 43 Antwort des Parl. Staatssekretärs Vogt auf die Frage des Abgeordneten Dr. Rose (CDU/CSU) (Drucksache 10/1215 Frage 98): Ist sich die Bundesregierung der Tatsache bewußt, daß den deutschen Bauernsöhnen, die während des Zweiten Weltkrieges für das Vaterland in der Wehrmacht dienen mußten, keinerlei Entschädigung oder Rentenanrechnung für diese Jahre zukam, was sicher kein Anreiz für heutige Wehrpflichtige zur Ableistung des Wehrdienstes ist, und was gedenkt sie zu tun? Soweit Sie in Ihrer Frage die Anrechnung von Zeiten des Kriegsdienstes bei der Rentenzahlung ansprechen, kann ich ein spezifisches Problem für deutsche Bauernsöhne — wie Sie es nennen — nicht erkennen. Hat der Bauernsohn den Betrieb nach Kriegsende übernommen, ist er seit 1957 nach dem Gesetz über eine Altershilfe für Landwirte versicherungspflichtig. Im Hinblick darauf, daß die Altershilfe für Landwirte erst 1957 geschaffen wurde und Einheitsleistungen erbracht werden, kommt es systembedingt auf die Anrechnung von Kriegsdienst und sonstigen beitragslosen Zeiten nicht an. Die Altershilfe für Landwirte weist wegen der ihr zufließenden erheblichen Bundesmittel im übrigen ein günstiges Beitrags-Leistungsverhältnis auf. In der gesetzlichen Rentenversicherung müßten Versicherte ein Mehrfaches an Beitrag für dieselbe Rentenhöhe aufwenden, um eine Rente in Höhe des an ehemalige landwirtschaftliche Unternehmer gezahlten Altersgeldes zu erhalten. Nachteilige Auswirkungen, z. B. gegenüber Arbeitnehmern, sind deshalb nicht ersichtlich. Sollte der Landwirt bereits 1957 den Hof wieder abgegeben oder schon das 50. Lebensjahr vollendet haben, sieht die Altershilfe für Landwirte Sonderregelungen vor; in diesen Fällen werden Ersatzzeiten im Sinne der Rentenversicherung, also auch Kriegsdienstzeiten, den Zeiten landwirtschaftlicher Unternehmertätigkeit gleichgestellt. Sind die von Ihnen genannten Bauernsöhne in der gesetzlichen Rentenversicherung versichert, so werden ihnen unter den gleichen Voraussetzungen wie den anderen Versicherten Kriegsdienstzeiten als Ersatzzeiten angerechnet. Da die Rentenversicherung keine Entschädigungsfunktion hat, setzt sie für die Anrechnung dieser beitragslosen Zeiten allerdings gewisse Zeiten der Beitragsentrichtung voraus. Es kann nicht Aufgabe der Rentenversicherung sein, alle Schäden, die der einzelne infolge von Kriegs- und Nachkriegsereignissen erlitten hat, in der Rentenversicherung auszugleichen. Soweit Sie die Frage nach einer generellen Entschädigung stellen, muß ich darauf hinweisen, daß die Tatsache der Kriegsteilnehmer für sich allein bei keiner Bevölkerungsgruppe einen besonderen Entschädigungsanspruch auslöst. Entschädigungsleistungen werden vielmehr dann erbracht, wenn der Kriegsteilnehmer ein besonderes Schicksal erleiden mußte wie z. B. Kriegsbeschädigte und ehemalige Kriegsgefangene. Anlage 44 Antwort des Parl. Staatssekretärs Vogt auf die Frage des Abgeordneten Egert (SPD) (Drucksache 10/1215 Frage 99): Ist der Bundesregierung, die in einer Vorlage des Bundesministeriums für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau erarbeitete Auffassung bekannt, daß Erwerbstätige ohne Kinder nur noch einen Rentenanspruch erwerben sollten, der „etwa auf dem Niveau der Sozialhilfe liegen könnte", und teilt sie gegebenenfalls diese Auffassung? Der Bundesregierung ist eine Vorlage des Bundesministers für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau mit dem von Ihnen angesprochenen Inhalt nicht bekannt. Die Bundesregierung hat immer wieder betont — ich verweise u. a. auf die Regierungserklärung von Bundeskanzler Kohl am 4. Mai 1983 —, daß sie am Prinzip der Beitragsbezogenheit der Renten festhält. Dies gilt auch für Versicherte ohne Kinder. Vorstellungen, wie sie mit Ihrer Frage angesprochen sind, wären mit diesem Prinzip unvereinbar. Anlage 45 Antwort des Parl. Staatssekretärs Vogt auf die Fragen des Abgeordneten Buschfort (SPD) (Drucksache 10/1215 Fragen 100 und 101): Wieviel beschäftigungspflichtige Betriebe im privaten und öffentlichen Bereich erfüllen nach dem Schwerbehindertengesetz ihre Beschäftigungsquote nicht oder nur teilweise? In wieviel Fällen wurden nach § 65 Schwerbehindertengesetz wegen Nichterfüllung der Beschäftigungspflicht Geldbußen verhängt, und hält die Bundesregierung in diesem Zusammenhang die Arbeitsverwaltung für die geeignete Behörde zur Durchsetzung der Beschäftigungspflicht? Nach der von der Bundesanstalt für Arbeit veröffentlichten Statistik aus dem Anzeigenverfahren gemäß § 10 Abs. 2 Schwerbehindertengesetz für 1982 — Stichmonat Oktober — haben von den insgesamt rund 126 000 beschäftigungspflichtigen Arbeitgebern 37 300 Arbeitgeber ihre Beschäftigungspflicht nicht und 49 413 Arbeitgeber ihre Beschäftigungspflicht nur teilweise erfüllt. Wieviel von den 86 713 auf private Arbeitgeber und Arbeitgeber der öffentlichen Hand entfallen, weist die Statistik im einzelnen nicht aus. Allerdings läßt sich feststellen, daß von rund 4 100 Arbeitgebern der Gebietskörperschaften und der Sozialversicherung 284 keinen Schwerbehinderten beschäftigt haben. Eine weitere Aufgliederung nach privaten Arbeitgebern und Arbeitgebern der öffentlichen Hand könnte von der Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 64. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. April 1984 4591* Bundesanstalt für Arbeit nur mit einem zeitaufwendigen Verwaltungsaufwand erstellt werden. Die Bundesanstalt für Arbeit hat in einigen Fällen Ermittlungsverfahren eingeleitet. In wieviel Fällen Geldbußen nach § 65 Abs. 1 Schwerbehindertengesetz verhängt worden sind, ist nicht bekannt. Die geringe Anzahl der Ermittlungsverfahren dürfte ihren Grund darin haben, daß von Geldbußen sinnvollerweise nur in den Fällen beharrlicher Weigerung, Schwerbehinderte einzustellen, Gebrauch gemacht werden sollte, wenn für Schwerbehinderte geeignete Arbeitsplätze und geeignete schwerbehinderte Arbeitsuchende zur Verfügung stehen. Im übrigen könnte eine nur mit einer Geldbuße erzwungene Einstellung zu einer den Schwerbehinderten im Betrieb erheblich belastenden Situation führen. Nach Auffassung der Bundesregierung ist nur die Arbeitsverwaltung wegen ihrer umfassenden Aufgabenstellung in der Beschäftigungspolitik die zur Durchsetzung der Beschäftigungspflicht geeignete Behörde. Anlage 46 Antwort des Parl. Staatssekretärs Vogt auf die Fragen des Abgeordneten Gilges (SPD) (Drucksache 10/1215 Fragen 102 und 103): Kann die Bundesregierung Berichte bestätigen, daß viele Schwerbehinderte eine Eigenbeteiligung von 120 DM für den Erwerb einer Jahresmarke zur Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel nicht auf einmal aufbringen können und dadurch gesetzlich garantierte Leistungen nicht wahrnehmen können, und wenn ja, sieht die Bundesregierung in einer Ratenzahlung durch den betroffenen Personenkreis eine Lösung dieses Problems? Kann die Bundesregierung Berichte bestätigen, nach denen Schwerbehinderte eher von der Ermäßigung der Kraftfahrzeugsteuer Gebrauch machen als von der „Freifahrt" für öffentliche Verkehrsmittel, und wenn ja, wie bewertet die Bundesregierung diese Tatsache? Zu Frage 102: Es ist richtig, daß es Schwerbehinderte gibt, denen es schwerfällt oder nicht möglich ist, die Eigenbeteiligung von 120 DM auf einmal aufzubringen. Wie ein erster Erfahrungsaustausch mit den Ländern ergab, spielt dieses Problem in vielen Ländern jedoch nur eine untergeordnete Rolle. Soweit bekannt, werden in einigen Fällen von der Sozialhilfe Leistungen zur Überbrückung gewährt. Bereits bei der Vorbereitung des Gesetzentwurfs ist die Frage der jährlich einmaligen Zahlung der Eigenbeteiligung ausführlich diskutiert worden. Aufgrund des mit anderen Lösungen verbundenen hohen Verwaltungsmehraufwandes hat man sich — insbesondere auf Wunsch der Länder — für eine Jahresmarke entschieden. Die Frage der Teilzahlung im Wege der Stundung wurde kürzlich mit den Ländern erörtert. Sie waren ganz überwiegend der Auffassung, daß gegen eine Teilzahlung erhebliche rechtliche und verwaltungsmäßige Bedenken bestehen. Zu Frage 103: Die Bundesregierung kann das nicht bestätigen. Nach einem ersten Erfahrungsaustausch mit den Ländern, nehmen Schwerbehinderte in Gegenden, die vom öffentlichen Personenverkehr nicht so gut erschlossen sind, die Kraftfahrzeugsteuerermäßigung in Anspruch. Dagegen wählen in Ballungsräumen wohnende Schwerbehinderte mehr die unentgeltliche Beförderung in öffentlichen Nahverkehrsmitteln. Ein solches Ergebnis entspricht dem Sinn der Regelung, die dem Schwerbehinderten die Wahl des für ihn geeigneten Nachteilsausgleichs ermöglichen wollte. Genaue Ergebnisse sind erst einige Zeit nach Inkrafttreten der Vorschrift zu erwarten. Die Länder sind gebeten worden, zum 1. Juni über ihre Erfahrungen mit der Durchführung zu berichten. Erst dann werden verläßliche Zahlenangaben gemacht werden können. Anlage 47 Antwort des Parl. Staatssekretärs Vogt auf die Fragen des Abgeordneten Reschke (SPD) (Drucksache 10/1215 Fragen 104 und 105): Ist die Bundesregierung bereit, kurzfristig ungerechtfertigte Nachteile, die bei der Neuregelung der Freifahrtberechtigung für Schwerbehinderte und bei der KraftfahrzeugSteuerermäßigung aufgetreten sind, zu beseitigen, insbesondere bei Pflegeheimbewohnern, Kriegsbeschädigten, die nicht unter die Besitzstandsregelung fallen und bei Beziehern kleinerer Einkommen? Ist der Bundesregierung bekannt, ob rechtzeitig alle Freifahrtberechtigungen zum Stichtag den Antragstellern ausgehändigt werden konnten, und wie hoch die Zahl der entgeltlich und unentgeltlich ausgegebenen Wertmarken sowie Kraftfahrzeug-Steuer-Begünstigungsbescheide gegenüber der Freifahrtberechtigung für Schwerbehinderte nach der alten gesetzlichen Regelung ist? Zu Frage 104: Ich halte es für problematisch, alle die von Ihnen genannten Gruppen als durch die gesetzliche Regelung ungerechtfertigt benachteiligt zu bezeichnen. Pflegeheimwohner dürften in aller Regel hilflos sein und damit die Wertmarkte unentgeltlich erhalten und für Kriegsbeschädigte, die nicht unter die persönliche Besitzstandsregelung fallen, läßt § 45 Schwerbehindertengesetz keine im Vergleich zu zivilen Behinderten unterschiedliche Regelung zu. Den Beziehern kleinerer Einkommen ist durch die unentgeltliche Abgabe der Wertmarke an typischen Gruppen einkommensschwacher Schwerbehinderter Rechnung getragen worden. Zwar können immer noch für einige Schwerbehinderte Nachteile entstehen. Solche Nachteile wären aber nur mit der Einführung einer allgemeinen Einkommensgrenze zu beheben gewesen. Die Einführung von Einkommensgrenzen ist bei der Vorbereitung des Gesetzentwurfs geprüft und wegen des damit verbunde- 4592* Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 64. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. April 1984 nen erheblichen Verwaltungsmehraufwandes — insbesondere von den Ländern, die das Gesetz durchzuführen haben —, abgelehnt worden. Zu Frage 105: Nach einem ersten Erfahrungsaustausch mit den Ländern sind in rund 80 bis 90 % der Fälle, in denen die Eigenbeteiligung rechtzeitig gezahlt wurde oder der Antrag auf unentgeltliche Abgabe rechtzeitig gestellt wurde, die Beiblätter mit den Wertmarken vor dem 1. April den Berechtigten zugegangen. Allerdings konnten in einigen Fällen, in denen das Vorliegen einer erheblichen Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr von den Versorgungsämtern festgestellt werden muß, Entscheidungen nicht mehr rechtzeitig getroffen werden, weil z. B. die angeforderten medizinischen Befundberichte oder sonstige Stellungnahmen noch nicht vorlagen. Genaue Zahlen können heute, wenige Tage nach Inkrafttreten der Vorschrift, von den meisten Ländern noch nicht genannt werden. Die Länder sind gebeten worden, zum 1. Juni über ihre Erfahrungen mit der Durchführung zu berichten. Erst dann werden verläßliche Zahlenangaben gemacht werden können. Anlage 48 Antwort des Parl. Staatssekretärs Vogt auf die Frage der Abgeordneten Frau Dr. Hamm-Brücher (FDP) (Drucksache 10/1215 Frage 106): Welche Maßnahmen gedenkt die Bundesregierung zu ergreifen, damit arbeitslose Junglehrer, die aus Deutschen Auslandsschulen nach drei- bis fünfjähriger erfolgreicher Tätigkeit zurückkehren, wenigstens in den Genuß von Arbeitslosenhilfe oder anderer Hilfsmaßnahmen gelangen? Mit Ihrer Frage sprechen Sie das grundsätzliche Problem an, inwieweit Arbeitnehmer, die im Ausland beschäftigt waren, Leistungen der sozialen Sicherheit im Inland erhalten können. In den Schutz der deutschen Arbeitslosenversicherung und der Arbeitslosenhilfe sind grundsätzlich nur Arbeitnehmer einbezogen, die im Inland beschäftigt oder vorübergehend in das Ausland entsandt worden sind. Die Deutschen Auslandschulen sind private Einrichtungen ausländischen Rechts. Die von Ihnen angesprochenen Junglehrer sind deshalb bei einem ausländischen Arbeitgeber im Ausland beschäftigt. Sie unterliegen grundsätzlich den Rechtsvorschriften des Staates, in dem sie beschäftigt sind. Sofern in diesem Staat eine Arbeitslosenversicherung besteht, sind sie nach Maßgabe der dort geltenden Vorschriften für den Fall der Arbeitslosigkeit versichert. Diese Versicherungszeiten können einen Anspruch auf Arbeitslosengeld oder Arbeitslosenhilfe im Inland begründen, wenn der Arbeitnehmer in einem EG-Staat oder in einem Staat beschäftigt war, mit dem die Bundesrepublik Deutschland ein Abkommen über Arbeitslosenversicherung geschlossen hat. Sofern dies nicht der Fall ist, haben Junglehrer — wie andere Arbeitnehmer, die nach längerer Auslandsbeschäftigung zurückkehren — im Falle der Arbeitslosigkeit keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld oder Arbeitslosenhilfe. Ihr Lebensunterhalt wird notfalls durch die Sozialhilfe gesichert. Ich verkenne nicht, daß die Betroffenen diese Regelung als Härte empfinden. Ich sehe jedoch zur Zeit keine Möglichkeit, Auslandsbeschäftigungen stärker als nach geltendem Recht in den Schutz der deutschen Arbeitslosenversicherung und der Arbeitslosenhilfe einzubeziehen. Eine Sonderregelung allein für Junglehrer kann aus Gründen der Gleichbehandlung nicht erwogen werden.
Gesamtes Protokol
Dr. Rainer Barzel (CDU):
Rede ID: ID1006400000
Die Sitzung ist eröffnet.

(Die Abgeordneten erheben sich)

Meine Damen und Herren, mit Trauer gedenken wir des Mitgliedes des Deutschen Bundestages, unseres Kollegen Gerhard Brosi, der durch einen tragischen Tod am 3. April im Alter von 40 Jahren verstarb.
Gerhard Brosi wurde am 8. August 1943 in Kirchberg/Murr geboren. Nach dem Besuch der Volksschule und des Gymnasiums absolvierte er nach dem Abitur 1963 zunächst eine Ausbildung als Volks- und Realschullehrer und anschließend ein Studium der Rechts- und Sozialwissenschaften in Heidelberg und Berlin, das er 1972 mit der Diplomprüfung abschloß.
Bis zum Jahre 1980 war er als wissenschaftlicher Mitarbeiter der Studiengruppe für Systemforschung in Heidelberg und der Gesellschaft für Kernforschung in Karlsruhe tätig. Seit dem Jahre 1980 war er Fachhochschullehrer und seit 1983 Fachhochschulprofessor.
Gerhard Brosi war als aktives Mitglied der SPD, in die er 1969 eintrat, seit 1974 Kreisvorsitzender der SPD in Heidelberg, 1976 bis 1977 parlamentarischer Berater der SPD-Landtagsfraktion in Stuttgart und seit 1977 Mitglied des SPD-Landesvorstands Baden-Württemberg. Darüber hinaus war er in der Kommunalpolitik tätig und Mitglied der Gewerkschaft ÖTV.
In den Deutschen Bundestag wurde Gerhard Brosi 1983 mit Beginn der 10. Wahlperiode gewählt. Während seiner einjährigen Tätigkeit im Bundestag beteiligte er sich mit Sachverstand und Engagement an der politischen Arbeit des Ausschusses für Forschung und Technologie.
Ich spreche den Familienangehörigen und der Fraktion der SPD meine aufrichtige Anteilnahme aus. Der Deutsche Bundestag wird Gerhard Brosi ein ehrendes Gedenken bewahren.
Ich danke Ihnen. —
Meine Damen und Herren, nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die heutige Tagesordnung um die Zusatzpunkte Beratung des Antrags des Abgeordneten Drabiniok und der Fraktion DIE GRÜNEN, Bundesbahnpolitik im Zonenrandgebiet — Drucksache 10/1222 —, und Beratung der Sammelübersicht 29 des Petitionsausschusses — Drucksache 10/1200 — erweitert werden. Sind Sie damit einverstanden? — Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Meine Damen und Herren, ich rufe Tagesordnungspunkt 2 und den Zusatzpunkt 1 auf:
2. a) Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Straßmeir, Dr. Jobst, Milz, Bohlsen, Bühler (Bruchsal), Fischer (Hamburg), Hanz (Dahlen), Haungs, Pfeffermann, Schemken, Tillmann, Hinsken, Lemmrich, Hoffie, Kohn, Dr. Weng und Genossen und der Fraktionen der CDU/ CSU und FDP
Deutsche Bundesbahn
— Drucksachen 10/112, 10/672 —
b) Erste Beratung des von der Fraktion DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Abbau der Wettbewerbsverzerrungen und zur Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit der Deutschen Bundesbahn (Bundesbahnsanierungsgesetz — BbSanG)

— Drucksache 10/808 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Verkehr (federführend)

Ausschuß für Wirtschaft
Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO
c) Beratung des Antrags des Abgeordneten Drabiniok und der Fraktion DIE GRÜNEN
Fahrpreiserhöhungen der Deutschen Bundesbahn
— Drucksache 10/612 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Verkehr (federführend) Innenausschuß
1. Beratung des Antrags des Abgeordneten
Drabiniok und der Fraktion DIE GRÜNEN



Präsident Dr. Barzel
Bundesbahnpolitik im Zonenrandgebiet — Drucksache 10/1222 —
Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für innerdeutsche Beziehungen (federführend) Ausschuß für Verkehr
Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau Haushaltsausschuß
Zu Punkt 2 a der Tagesordnung liegt Ihnen ein Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/1234 vor.
Meine Damen und Herren, es ist eine gemeinsame Beratung der Tagesordnungspunkte 2 a bis c sowie des Zusatzpunktes 1 und eine Aussprache von vier Stunden vereinbart worden. — Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist entsprechend beschlossen.
Wird das Wort zur Begründung gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Dann eröffne ich die allgemeine Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Jobst.

Dr. Dionys Jobst (CSU):
Rede ID: ID1006400100
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Deutsche Bundesbahn war viele Jahre das Rückgrat des Verkehrs. Für die CDU/CSU gilt, daß wir auch in der Zukunft auf eine leistungsfähige Deutsche Bundesbahn nicht verzichten können. Die Bahn darf nicht auf dem Abstellgleis landen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Mit der Deutschen Bundesbahn hat die neue Bundesregierug ein seit vielen Jahren ungelöstes Problem vorgefunden. Die Bahn bereitet uns heute große Sorgen. Sie ist zu einem Haushaltsrisiko, ja, geradezu zu einem Sprengsatz geworden.
Es geht nicht nur um eine Größenordnung von jährlich 13,6 Milliarden DM an Bundesleistungen. Wenn man das jährliche Defizit und die jährliche neue Schuldenaufnahme dazunimmt, dann geht es bei der Bahn heute um eine Größenordnung von 18 bis 20 Milliarden DM, und dies mit steigender Tendenz. Die Deutsche Bundesbahn ist in den finanziellen Abgrund gerollt.
Nun wissen wir, daß die Kollegen von der SPD nicht gerne über Vergangenheit reden. Sie wollen nach vorne diskutieren. Sie stellen unbekümmert verkehrspolitische Forderungen, als wären sie nicht erst seit 1982, sondern seit vielen Jahren in der Opposition. In Ihrer Situation würde ich es natürlich gerne genauso machen. Diesen Gefallen kann ich ihnen aber nicht erweisen.
Herr Kollege Daubertshäuser, Ostern steht vor der Tür. Wir sollten den richtigen Glauben haben. Dazu gehören auch Reue und Buße.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Frau Dr. Vollmer [GRÜNE]: Auferstehung! — Zurufe von der SPD)

Lassen Sie mich die Situation der Deutschen Bundesbahn nur ganz kurz in Zahlen beleuchten: 1970 hat die Deutsche Bundesbahn einen Verlust von 1,2 Milliarden DM gehabt, die Verschuldung hat 13 Milliarden DM betragen, und die Bundesleistungen haben 3,9 Milliarden DM ausgemacht. 1982 betrug der Verlust 4,2 Milliarden DM, die Verschuldung ist auf 35,6 Milliarden DM angestiegen, und die Bundesleistungen haben eine Größe von 13,4 Milliarden DM erreicht. Die Talfahrt der Bahn hat also nicht erst gestern begonnen.

(Zuruf von der CDU/CSU: So ist es!)

Seit einem Jahrzehnt rollt die Deutsche Bundesbahn in den finanziellen Ruin.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Zurufe von der CDU/CSU: Traurig, aber wahr!)

Es ist Tatsache, daß wir 16 Jahre lang — von 1966 bis 1982 — SPD-Bundesverkehrsminister hatten, denen die Verantwortung für die Verkehrspolitik und auch für die Bundesbahn oblag. In dieser Zeit ist die Deutsche Bundesbahn in Grund und Boden gewirtschaftet worden.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Zurufe von der CDU/CSU: So ist es! — Bravo!)

Keine europäische Eisenbahn ist so in den Graben gefahren worden wie die Deutsche Bundesbahn.

(Zurufe von der CDU/CSU: Leider wahr!) Das ist gewiß keine Übertreibung.

Ich darf Ihnen ein Zitat vorlesen:
Die Deutsche Bundesbahn wird uns in den kommenden Jahren ohne Zweifel außerordentlich stark beschäftigen. Sie ist zu einem der zentralen Probleme unserer Finanzwirtschaft, zu einem unkalkulierbaren Risiko der gesamten Staatsfinanzen, zu einer für die Allgemeinschaft nicht mehr tragbaren Hypothek geworden.
Dies hat der letzte SPD-Bundesverkehrsminister, Hauff, in seinem Brief vom 10. August 1981 an seine lieben Genossen geschrieben.

(Zuruf von der CDU/CSU: Was sagt er heute?)

Die SPD-Verkehrspolitik ist mit Fehlschlägen, Versäumnissen, enttäuschten Hoffnungen gepflastert. Dies müssen Sie sich in Ihr Stammbuch schreiben lassen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Die SPD hat die Dinge bei der Bahn unter ihrer Verantwortung in unverantwortlicher Weise treiben lassen. Sie müssen sich den Vorwurf gefallen lassen, daß Sie die Bahn in ihrem Saft haben schmoren lassen. Sie haben nicht den politischen Mut gehabt, Entscheidungen zu treffen. Es wurden zahlreiche Konzepte und Vorschläge vorgelegt. Aber alle sind wie Seifenblasen geplatzt.
Ein Hauptvorwurf ist, daß in Ihrer Zeit der Strukturwandel in Wirtschaft und Verkehr einfach mißachtet worden ist.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Das Verkehrswesen hat sich in den letzten Jahrzehnten erheblich gewandelt und damit natürlich
auch die Stellung der Deutschen Bundesbahn als



Dr. Jobst
Verkehrsträger. Durch Pkw und Lkw ist eine Revolution in Wirtschaft und Verkehr erfolgt.
Während z. B. 1950 im Personenverkehr 80% öffentlicher Verkehr und nur 20 % Individualverkehr war, waren es 1982 umgekehrt 80 % Individualverkehr und nur 20% öffentlicher Verkehr.
Im Güterverkehr hat die Deutsche Bundesbahn 1950 noch 62 % der beförderten Tonnage transportiert. 1982 waren es nur mehr 29 %.
Seit 1950 wurden 8 000 km Autobahnen gebaut. 420 000 km Straßen wurden neu gebaut oder erneuert — und dies alles bei vollem politischen Konsens.
Die Hälfte der Autobahnen wurde in den 70er Jahren fertiggestellt. Dagegen sind seit 1970 nur 12 km Eisenbahnstrecke und 200 km S-Bahn-Strecke neu gebaut worden. —

(Hornung [CDU/CSU]: Mehr nicht?)

Die Deutsche Bundesbahn ist nicht mehr das Rückgrat des Verkehrs.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, 1960 war nicht vorauszusehen, wie sich das Auto entwikkeln würde; in den 70er Jahren aber war das vorauszusehen.

(Sehr richtig! bei der CDU/CSU)

Diese Entwicklung haben Sie von der SPD nicht begriffen. Das ist ein Hauptversagen Ihrerseits.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Denn in dieser Zeit war Handlungsbedarf in der Verkehrspolitik gegeben.
Wir von der CDU/CSU — Sie können alle unsere Reden in den Protokollen nachlesen — haben vor dieser Entwicklung zu Lasten der Deutschen Bundesbahn gewarnt. Und wir haben vor einer Politik des Diktates der leeren Kassen gewarnt. Weil die Eisenbahn ein Streckenkorsett hat, das aus dem letzten Jahrhundert stammt, kann die Deutsche Bundesbahn heute in vielen Bereichen nicht mehr wettbewerbsfähig sein. Ein entscheidendes Versagen ist auch darin zu sehen, daß der damalige Verkehrsminister Leber Anfang der 70er Jahre, anstatt zu rationalisieren, zu investieren und die hohe Personalintensität abzubauen, der Eisenbahn erlaubt hat, weitere 40 000 Eisenbahner einzustellen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Ursachen für die Fehlentwicklung bei der Bahn sind, kurz zusammengefaßt, folgende:
Erstens das politische Entscheidungsdefizit: Es gab viele Pläne und Konzepte in den 16 Jahren der Verantwortung der SPD, aber keine Entscheidungen.
Zweitens das Strukturdefizit: Die Veränderungen in Gesellschaft und Verkehr ergingen zu Lasten der Konkurrenzfähigkeit der Bahn.
Drittens das Investitionsdefizit: Die Investitionsquote bei der Bahn ist von 1960 bis 1982 ganz erheblich gesunken.
Viertens das Finanzierungsdefizit: Der Bundeshaushalt kann heute die finanzielle Ausstattung der
Bahn, nämlich, 18-20 Milliarden DM, nicht mehr bedarfsgerecht sicherstellen; dies gibt der Bundeshaushalt nicht her.
Der Vorstand der Deutschen Bundesbahn konnte an dieser Entwicklung wenig ändern. Versagt haben die verantwortlichen Politiker.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Deshalb haben wir von der Union nach der Regierungsübernahme sofort eine Große Anfrage zur Deutschen Bundesbahn eingebracht, damit die Ursachen der Entwicklung klargelegt und politische Entscheidungen erfolgen würden.
Das Bahnkonzept des Bundesverkehrsministers Dollinger, das vom Bundeskabinett gebilligt wurde, liegt vor. Ihnen, Herr Bundesverkehrsminister, danke ich, daß Sie dieses dringende Problem Deutsche Bundesbahn sofort aufgegriffen und gehandelt haben.

(Beifall bei der CDU/CSU — Lachen bei der SPD)

Ich danke bei dieser Gelegenheit auch der Unternehmensführung. Und ich danke allen Eisenbahnern, die in all den Jahren ihre Pflicht getan haben und an dieser Entwicklung der Deutschen Bundesbahn keine Schuld tragen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Die Sanierung der Deutschen Bundesbahn ist heute weitaus schwieriger. Die Probleme sind gewachsen, die Haushaltszwänge sind viel stärker.
Heute geht es um die Entscheidung: Welche Bahn brauchen wir? Welche Bahn wollen wir? Welche Bahn können wir uns leisten? — Wir von der CDU/ CSU wollen eine Bahn, die ihre Aufgaben erfüllen, die sich behaupten kann, eine Bahn als ein modernes und flexibles Verkehrsunternehmen.
Aus vielen Bereichen ertönt heute der Ruf nach Ordnungsmaßnahmen und Dirigismus. Dirigismus hilft der Bahn nicht.

(Zuruf von der SPD)

Die Bahn muß sich den veränderten Bedingungen anpassen und nicht umgekehrt.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Mit ausschließlich ordnungspolitischen Eingriffen und verkehrslenkenden Maßnahmen zugunsten der Bahn würden dort die Zustände zementiert, und der verlustträchtigen Entwicklung würde nicht Einhalt geboten. Dies kann nicht so bleiben.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Für uns ist die freie Wahl des Verkehrsmittels ein unabdingbarer Grundsatz. Planwirtschaft bei der Bahn paßt nicht in eine Marktwirtschaft.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Was ist zu tun? Durch politische Entscheidungen und Hilfen muß die Bahn jetzt in die Lage versetzt werden die Weichen so zu stellen, daß sie sich in der Zukunft als leistungsfähiges Transportunternehmen behaupten kann. Die Bahn ist für uns kein Auslaufbetrieb. Sie bleibt ein wichtiger Verkehrs-



Dr. Jobst
träger. Wir wollen eine gesunde Bahn und keine Schrumpfbahn.

(Daubertshäuser [SPD]: Deshalb: Lehnen Sie die Leitlinien ab!)

— Ich komme darauf, Herr Kollege Daubertshäuser. — Wir wollen, daß die Bahn aus den roten Zahlen herauskommt. Dies muß zweigleisig erfolgen: auf der einen Seite durch Einsparen, auf der anderen Seite durch erhebliche Investitionen. Die Bahn braucht höhere Geschwindigkeit, Qualität, Pünktlichkeit. Dies erfordert neue Magistralen, verbesserte Strecken, schneller funktionierende Rangierbahnhöfe, moderneres rollendes Material.
Zu den Neubaustrecken der Bahn gibt es keine Alternativen. Wer die Zukunft der Bahn bejaht,

(Zuruf des Abg. Daubertshäuser [SPD]) muß ja zu den Neubaustrecken sagen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Die Sanierung der Bahn gelingt uns nur, wenn wir ihre Modernisierung zügig vorantreiben können. Die Zukunft der Bahn liegt im großströmigen automatisierbaren Personen- und Güterverkehr. Die Bahn muß also weiter rationalisieren. Sie muß ihre hohe Personalintensität abbauen. Hier sind große Erfolge durch die Politik der Unternehmensführung dank der Mitarbeit der Eisenbahner, der Personalräte und auch der Gewerkschaften erzielt worden.
Die Bahn muß ihre Marktstellung verstärken. Sie muß den kombinierten Verkehr ausweiten. Sie muß auf Kooperation mit der verladenden Wirtschaft und mit anderen Verkehrsträgern setzen.
Das Bahnkonzept des Bundesverkehrsministers Dr. Dollinger ist ein erster Schritt für die Bahn in eine Zukunft.

(Daubertshäuser [SPD]: Aber in welche Zukunft?)

— In eine gute Zukunft!

(Daubertshäuser [SPD]: Ha!)

Die wirtschaftlichen Ziele des Bundesbahnvorstands, bis 1990 die Arbeitsproduktivität bei der Bahn um 40 % real zu erhöhen, die Gesamtkosten um 25 % und die Personalkosten um 30 % real zu senken, finden unsere nachhaltige Unterstützung.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Mit Sparen allein ist die Deutsche Bundesbahn als wichtiger Verkehrsträger nicht zu sanieren. Verkehrspolitik läßt sich nicht ohne Geld machen. Verkehrspolitik ist entscheidend Investitionspolitik. Dies gilt gerade für die Deutsche Bundesbahn, wenn sie durch Wettbewerb ihre Marktstellung verbessern soll. Nur zusätzliche Investitionen, Zukunftsinvestitionen können die Bahn leistungsfähiger machen. Deshalb sind wir der Meinung, daß die Deutsche Bundesbahn auch eine Investitions- und Finanzperspektive braucht.
Bei dem Sanierungsplan, den einmal ein Bundesverkehrsminister Gscheidle vorgelegt hat — es war 1976 —, stand eine rigorose Streckenstillegung am
Anfang. Nach dem Bahnkonzept der neuen Bundesregierung findet ein Rückzug aus der Fläche nicht statt.

(Lachen bei der SPD — Zurufe von der SPD)

Eine Diskussion über Streckenstillegung, meine Herren von der SPD, führt immer auf Nebengleise. Und es ist ein Irrtum, zu glauben, 50 % Streckenstillegung auf der einen Seite brächten 50 % Verminderung des Aufwands auf der anderen Seite.

(Zurufe von der SPD)

Die Kosten bei der Bahn fallen zum größten Teil im Kernbereich ihrer Strecken an. Dieser Kernbereich muß deshalb verbessert werden.

(Beifall bei der CDU/CSU — Zurufe von der SPD)

Für uns ist die Streckenstillegung kein Allheilmittel. Es wurden in der Vergangenheit Strecken stillgelegt. Sie, Herr Daubertshäuser, haben in einem Antrag noch 1982 gefordert, daß die Bahn von diesen Lasten — damit haben Sie auch Strecken gemeint — befreit wird.

(Daubertshäuser [SPD]: Wettbewerbsbenachteiligung!)

Streckenstillegungen werden sich auch in der Zukunft nicht vermeiden lassen. Das Netz der Bahn stammt aus dem vorigen Jahrhundert. Die Entscheidung über den Erhalt einer Strecke trifft aber in erster Linie die Bevölkerung und die Wirtschaft.
Nach unserer Auffassung, meine sehr verehrten Damen und Herren, dürfen Verkraftungen, also die Verlagerung des Personenverkehrs von der Schiene auf die Straße, nur erfolgen, wenn damit Verkehrsverbesserungen für die Bevölkerung verbunden sind. Die Gesamtstillegung einer Strecke, d. h. also auch die Stillegung für den Güterverkehr, muß das letzte Mittel sein, und zwar nur dann, wenn es unzumutbar ist, daß die Strecke aus wirtschaftlichen Gründen und bei Abwägung aller sonstigen Umstände weiter betrieben wird. Hier muß auch ein Gesamtkonzept vorgelegt werden, aus dem sich ergibt, wie nachteilige Folgen für die Region ausgeräumt werden. Hier müssen natürlich ganz besonders die Belange des Zonenrandgebietes geprüft und auch berücksichtigt werden. Die Sanierung der Deutschen Bundesbahn darf nicht zu Lasten des ländlichen Raumes erfolgen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Die Politik der Bundesregierung — das ist unbestreitbar — zeigt Erfolge. Der Verlust von 1983 bei der Bahn ist um 400 Millionen DM geringer gegenüber 1982. Die Verschuldung ist nicht weiter angestiegen. Der Vorstand der Deutschen Bundesbahn hat gute Arbeit geleistet. Ich möchte ihm für diese mutige Arbeit sehr herzlich danken.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Wir ersehen daraus, daß Erfolge bei der Bahn noch möglich sind. Ich muß aber einräumen, daß leider keine Rede davon sein kann, daß die Bahn jetzt schon auf der Fahrt in eine bessere Zukunft wäre.



Dr. Jobst
Hier ist noch viel zu tun. Die Weichen für eine bessere Zukunft der Bahn sind aber gestellt. Der Zug muß jetzt unter Dampf gesetzt werden. Gefordert sind jetzt die Unternehmensführung, die Mitarbeiter, die Gewerkschaft und insbesondere die Politik. Die Bevölkerung und die Wirtschaft müssen die guten Leistungen der Deutschen Bundesbahn in Zukunft aber auch stärker annehmen als bisher.
Wir von der Union wollen eine moderne Bahn in einer modernen Gesellschaft. Wir wollen eine Bahn mit Zukunft in einem Land mit Zukunft. Ihnen, Herr Bundesverkehrsminister, wünschen wir Erfolg bei Ihrer schwierigen Arbeit. Wir werden Sie tatkräftig dabei unterstützen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dr. Rainer Barzel (CDU):
Rede ID: ID1006400200
Das Wort hat der Abgeordnete Daubertshäuser.

Klaus Daubertshäuser (SPD):
Rede ID: ID1006400300
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Fazit der soeben gehörten Auslassungen ist schnell gezogen: Mit Blick in die Vergangenheit wird eine einseitige Schuldzuweisung gegenüber der damaligen Bundesregierung vorgenommen. — So einfach, Herr Dr. Jobst, kann man es sich machen. Was aber, Herr Dr. Jobst, macht denn eigentlich die jetzige Bundesregierung in Sachen Bahnpolitik? Sie hat monatelang mit wirklich viel Getöse gekreißt und dann ein Mäuschen geboren; eigentlich ist es ja eine Beutelratte, wenn man an den Initiator und Autor der Leitlinien, nämlich den Finanzminister, denkt.
Die Bundesregierung hat doch statt vorausschauendem Mut, den Sie hier soeben so stark gefordert haben, Angst vor Entscheidungen gezeigt. Das heißt, die Bundesregierung hat exakt die Verantwortung, die Sie mit Blick in die Vergangenheit gefordert haben, heute nicht wahrgenommen.

(Beifall bei der SPD — Zuruf des Abg. Dr. Jobst [CDU/CSU])

Sie hat die Verantwortung statt dessen einfach dem Bahn-Vorstand zugewiesen. — Sicher, Herr Dr. Jobst, das alles kann man machen, aber man kann doch nicht verlangen, daß man dann in einer Fachdiskussion noch ernstgenommen wird.

(Beifall bei der SPD — Dr. Jobst [CDU/ CSU]: Da spricht das schlechte Gewissen!)

— Herr Dr. Jobst, ich will Sie an folgendes erinnern: In der letzten Bahn-Debatte im November 1981 sah das noch alles ganz anders aus. Damals hieß es — ich zitiere —:
Ich stelle mit Nachdruck fest; die Weichenstellung bei der Deutschen Bundesbahn kann nur von der Bundesregierung vorgenommen werden.

(Zuruf von der CDU/CSU: Genau dies ist geschehen!)

Dies ist die politische Wirklichkeit, alles andere ist Illusion.
Das war Originalton Dr. Jobst am 26. November 1981.

(Zurufe von der CDU/CSU)

Herr Dr. Jobst, das, was damals richtig war, ist doch auch heute richtig! Dann muß doch dieser Bundesverkehrsminister die Verantworung übernehmen! Es geht nicht nur um die Vergangenheit.

(Beifall bei der SPD — Hornung [CDU/ CSU]: Hätten Sie doch die Schulden mitgenommen!)

Herr Dr. Jobst, ich kann Ihnen nur empfehlen, bei Ihrem bayerischen Ministerpräsidenten Franz Josef Strauß Nachhilfeunterricht zu nehmen. Sein Brief an Finanzminister Stoltenberg zeigt auf, wo in erster Linie gehandelt werden muß. Ich kann Ihnen nur sagen: Er, Herr Strauß, unterscheidet sich mit seiner Auffassung bahnmeilenweit von dem, was Sie hier vorgetragen haben; das war Zweckoptimismus, das war „Fata Propaganda", mehr war es nicht, Herr Kollege Dr. Jobst.
Wenn wir heute über Bahnpolitik sprechen, geschieht das ja vor dem Hintergrund, daß diese Bundesregierung Bahnleitlinien vorgelegt hat, die nicht etwa, wie Sie behauptet haben, Rückendeckung für die Bahn geben, sondern die zum einen der Bundesregierung den Rücken freihalten und zum anderen auf dem Rücken der Deutschen Bundesbahn und der bei ihr Beschäftigten ausgetragen werden sollen. Das ist die Wahrheit!

(Beifall bei der SPD — Zuruf von der CDU/ CSU: Unerhört!)

Ich weiß aus vielen Eisenbahnerveranstaltungen, daß diese Leitlinien die Motivierungskampagnen des Bahnvorstandes konterkarieren, ja, daß sie die Eisenbahner geradezu demotivieren. Gehen Sie doch hinaus in die Eisenbahnerveranstaltungen, dann werden Sie es erleben!

(Straßmeir [CDU/CSU]: Weil Sie so dummes Zeug erzählen!)

Das ist eine gefährliche Entwicklung, und weil wir die so sehen, machen wir es, Herr Kollege Dr. Jobst, nicht so billig wie die damalige Opposition. Sie haben damals, in der bereits zitierten Debatte, auf unsere Frage — —

(Zuruf des Abg. Lemmrich [CDU/CSU])

— Herr Lemmrich, auf unsere Frage nach Ihren Alternativen hat der Kollege Dr. Jobst im besten Sonthofen-Stil erklärt: Die Opposition ist doch keine Ersatzregierung.

Dr. Rainer Barzel (CDU):
Rede ID: ID1006400400
Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Jobst?

Klaus Daubertshäuser (SPD):
Rede ID: ID1006400500
Nein, ich möchte diesen Gedanken wirklich zu Ende bringen.
Herr Kollege Dr. Jobst, Sie haben damals gesagt, Sie seien keine Ersatzregierung. Nun, wir zahlen nicht mit gleicher Münze zurück.

(Zuruf von der CDU/CSU: Ihr habt keine Münzen mehr!)




Daubertshäuser
Wir stehen zu unserer Verantwortung, und Sie wissen, wir haben bereits 1983 unsere Vorstellungen für eine zukunftsgerichtete Bahnpolitik vorgelegt.

(Abg. Dr. Jobst [CDU/CSU] meldet sich erneut zu einer Zwischenfrage)

— Herr Dr. Jobst, gucken Sie doch, bevor Sie fragen wollen, bitte einmal in den Ihnen jetzt vorliegenden Entschließungsantrag! Dort werden die wichtigsten Handlungsfelder nochmals dargestellt, und Sie können davon ausgehen, wir werden in den nächsten Wochen und Monaten diese konzeptionellen Vorstellungen konkretisieren und hier in parlamentarischen Initiativen einmünden lassen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Da sind wir aber sehr gespannt!)

— Ja, meine Damen und Herren von der Opposition, wir haben doch die Hoffnung nicht aufgegeben, daß es gelingen wird — —

(Lachen bei der CDU/CSU — Demonstrative Zustimmung bei der SPD)

— Entschuldigung! (Zurufe von der CDU/CSU)

— Gut, das war ein Versprecher, aber Sie haben etwas zu früh gelacht. Die Herren von der CSU, die da mitgelacht haben, befinden sich ja in einem absoluten Oppositionsverhältnis zu den Bahnleitlinien der Bundesregierung.

(Beifall bei der SPD)


Dr. Rainer Barzel (CDU):
Rede ID: ID1006400600
Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Jobst?

Klaus Daubertshäuser (SPD):
Rede ID: ID1006400700
Nein, ich habe zu wenig Zeit, Kollege Jobst.

(Lachen bei der CDU/CSU)

Aber ich sage Ihnen: Wir haben eben deshalb die Hoffnung noch nicht aufgegeben, daß sich Franz Josef Strauß hier durchsetzt. Er ist ja unser wirklicher Verbündeter, und deshalb kann ich Sie auch zur Opposition zählen.

(Lachen bei der CDU/CSU)

Er sprach von den schwammigen, unzureichenden und zu nichts führenden Bahnleitlinien der Bundesregierung,

(Hört! Hört! bei der SPD)

und die wollen wir — wenn es nottut, gemeinsam mit Franz Josef Strauß — vom Tisch fegen, um an deren Stelle eine wirklich zukunftsgerichtete Bahnkonzeption zu plazieren.

(Beifall bei der SPD — Hornung [CDU/ CSU]: Sie haben die Bahn untergraben!)

— Meine Damen und Herren, hängen Sie das doch ein bißchen tiefer! Nehmen Sie doch zur Kenntnis,

(Zuruf des Abg. Lemmrich [CDU/CSU])

Herr Lemmrich, daß noch nie verkehrspolitische Vorstellungen einer Bundesregierung auf so breiten Widerstand und so heftige Kritik gestoßen sind! Von den Gewerkschaften bis zu den kommunalen Spitzenverbänden, von den Landesregierungen —
an der Spitze die bayerische Staatsregierung — bis zum BDI und zum Deutschen Industrie- und Handelstag reicht die Kette des Widerstandes.

(Zurufe von der CDU/CSU)

Nehmen Sie das doch zur Kenntnis, bevor Sie hier so losblöken!

(Beifall bei der SPD — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

Meine Damen und Herren, das alles ist auch kein Wunder, denn mit diesem Konzept — Herr Dr. Jobst, das müßten Sie wissen — meldet sich die Politik aus ihrer Verantwortung in Sachen Bundesbahn ab. Es ist so, daß die über 300 000 Eisenbahner in unserem Lande alleingelassen werden; mehr noch, sie bekommen ganz einfach den Schwarzen Peter zugewiesen, sie sollen nämlich — wie Sie es eben auch dargestellt haben — schuld sein, wenn die Politik versagt. Genau das gilt für diese Bahnleitlinien, und das haben die Eisenbahner nicht verdient, deren Arbeitsplatz an einer zukunftsbezogenen Bundesbahn hängt.

(Beifall bei der SPD — Zurufe von der CDU/CSU)

Ich sage Ihnen nur: Ich befürchte, es wird nicht leicht sein, das von Ihnen, von der Bundesregierung, verspielte Vertrauen zurückzugewinnen. Unsere Wirtschaft und unsere Bürger sind auf ein funktionsfähiges Schienenverkehrssystem angewiesen. Sie haben wirklich etwas Besseres verdient als diese Leitlinien.

(Straßmeir [CDU/CSU]: Auch eine bessere Opposition!)

Dieses Bahnkonzept der Bundesregierung ist doch geprägt vom Bundesfinanzminister. Er hat sich doch mit seinem einseitigen, mit seinem fiskalischen Denken durchgesetzt.

(Hornung [CDU/CSU]: Er muß sich mit Ihren Schulden auseinandersetzen!)

— Nein, wir setzen uns mit dem auseinander, was hier vorliegt.
Ich will Ihnen das sagen. Ich weiß nicht, ob Sie ein bißchen Ahnung davon haben. Nehmen Sie bitte einmal den Entschließungsantrag Ihrer Fraktion vom 24. November 1981 zur Hand. Damals haben Sie die Bundesregierung aufgefordert zu handeln. Von den damals von Herrn Dr. Schulte so lautstark und so vehement geforderten sechs Punkten Ihres Entschließungsantrags ist mit den Leitlinien der Bundesregierung nur ein einziger geklärt worden, nämlich der Punkt e). Schauen Sie bitte einmal hinein. Dort forderten Sie die Bundesregierung auf — ich zitiere —:
eine Entscheidung darüber herbeizuführen, inwieweit sich die Bundesregierung die jüngsten Vorschläge seitens des Bundesministeriums der Finanzen zur weiteren innerbetrieblichen Rationalisierung der Bundesbahn zu eigen macht;
Diese Frage ist für jedermann überdeutlich beantwortet. Rationalisierung, Personalabbau und Priva-



Daubertshäuser
tisierung, diese Vorgaben des Finanzministers sind in einer nie für möglich gehaltenen Größenordnung übernommen worden.
Wenn Sie mit dieser Art von Behandlung zufrieden sind, dann ist das halt Ihre Sache. Aber ich muß Sie fragen: Wo ist denn die von Ihnen geforderte gesetzlich abzusichernde langfristige DB-Investitionsplanung? Wo ist denn eine klare Aussage zur Finanzierung der Neu- und Ausbaustrecken außerhalb des Plafonds? Das Stoltenberg-Dollinger-Konzept bedeutet doch lediglich eine vordergründige, halbherzige Bejahung der Notwendigkeit der Neubaustrecken.

(Zuruf von der CDU/CSU)

— Ja, Herr Lemmrich, denn mit dem Auftrag an den Bundesrechnungshof zur Überprüfung der Wirtschaftlichkeit der Neubaustrecken hofft man offensichtlich auf ein negatives Ergebnis und eine Begründung für einen Baustopp. Das ist die Fiskalpolitik, die massiv gegen die Bahn gerichtet ist. Da muß man doch fragen: Wann jemals, Herr Bundesverkehrsminister, haben Sie eine Wirtschaftlichkeitsberechnung für die anderen Maßnahmen des Bundesverkehrswegeplanes angeordnet? Wann jemals haben Sie für ein Straßenbauprojekt oder für den unsinnigen Rhein-Main-Donau-Kanal eine Wirtschaftlichkeitsberechnung gefordert? Das ist die einseitige negative Infrastrukturpolitik, die Sie gegen die Bahn richten.

(Beifall bei der SPD — Zuruf des Abg. Dr. Jobst [CDU/CSU])

Meine Damen und Herren, wo sind denn die Vorschläge für die Lösung der Schuldenproblematik? Das ist doch eine absolute Fehlanzeige. Es gibt sie nicht. Konsolidierungsvorschläge, wie sie in unserem Konzept vorhanden sind oder wie sie die Arbeitsgruppe Hermann Josef Abs formuliert hat, fehlen doch völlig. Was ist aus Ihrer Unionsforderung geworden, im Interesse der eigenverantwortlichen Handlungsfähigkeit des Vorstands bei der Bundesbahn unverzüglich eine klare Abgrenzung der eigenverantwortlichen Unternehmensbereiche und der Bereiche staatlicher Daseinsvorsorge herbeizuführen? „Unverzüglich", meine Damen und Herren von der Unions-Fraktion, das bedeutet in der Juristensprache doch wohl: ohne schuldhaftes Zögern. Fragen Sie doch Ihren Minister, warum sich in seinen Leitlinien kein Wort zur Trennungsrechnung wiederfinden läßt, obwohl praktisch alle europäischen Eisenbahnen auf dem Weg zur Einführung einer Trennungsrechnung sind. Also: Es gibt keine Umsetzungsstrategie für das Veranlasserprinzip. Und die Transparenz der Verantwortung, die Sie noch 1981 so lautstark forderten, wird wahrhaftig nicht verbessert. Herr Abs hat im Jahrbuch des Eisenbahnerwesens 1983 beschrieben, wie notwendig dies ist. Er schließt mit dem Satz:
Sie bringt allerdings nur dann einen dauerhaften Nutzen, wenn sich Unternehmensleitung und Eigentümer zu ihren jeweiligen Verantwortlichkeiten auch bekennen.
Soweit Herr Abs. Dies „sich zu ihren jeweiligen Verantwortlichkeiten auch bekennen" ist exakt der
Punkt, Herr Bundesverkehrsminister, warum Sie die Trennungsrechnung nicht in Ihren Leitlinien haben, weil Sie sich als Eigentümer nämlich nicht zu Ihren Verantwortlichkeiten bekennen wollen oder können.

(Beifall bei der SPD)

Es fehlt also die mit den Wettbewerbern vergleichbare Verantwortungsübernahme. Es fehlt die Weiterentwicklung des ordnungspolitischen Rahmens, mit dem die Wettbewerbsposition der Bundesbahn gestärkt werden könnte. Es fehlt jeder Hinweis auf eine Weiterentwicklung der Unternehmensverfassung. Sie wollen in den Aufsichtsgremien der Bundesbahn die Fremdbestimmung durch Konkurrenten festschreiben.
Sie sehen, meine Damen und Herren von den Unionsfraktionen, von ihrem Entschließungsantrag ist nichts, aber auch gar nichts übriggeblieben. Die Leitlinien der Bundesregierung, die Sie eben noch so gelobt haben, Herr Dr. Jobst, sind deshalb auch ein Affront gegenüber ihren damals als richtig erkannten bahnpolitischen Ansätzen.

(Beifall bei der SPD)

Kehren Sie also zurück zu den Kernaussagen Ihres Entschließungsantrags von 1981, und Sie haben uns dann auch als Ihren Verbündeten.
Die Deutsche Bundesbahn, Herr Minister Dollinger, hat bei Ihrem Finanzpoker mit dem Bundesfinanzminister nur dann eine Chance, wenn Sie den Mut und die Ideen für eine gestalterische Verkehrs-und Bahnpolitik aufbringen.
Meine Damen und Herren von den Regierungsfraktionen — ich schließe die CSU jetzt mit ein —: Wir sind bereit, wie Sie aus unserer Bahnkonzeption und dem heute vorliegenden Entschließungsantrag ersehen können, konstruktiv an einem zukunftsgerichteten Bahnkonzept mitzuarbeiten.

(Zuruf von der CDU/CSU: Wir sind gespannt auf Ihre Vorschläge!)

Wir bieten Ihnen unsere Zusammenarbeit an, weil wir wissen, daß in parlamentarischen Demokratien die Träger der Regierungs- und Oppositionsfunktionen nach gewissen Zeiträumen wechseln.

(Dr. Jobst [CDU/CSU]: Aber erst in 20 Jahren wieder!)

Alle Betroffenen, insbesondere die Eisenbahner, erwarten von uns allen, und zwar zu Recht, Herr Dr. Jobst, daß wir Schluß machen mit diesen gegenseitigen Schuldzuweisungen.

(Zurufe von der CDU/CSU)

Sie erwarten, daß wir gemeinsam ihrem Anspruch auf politisches Handeln gerecht werden.

(Beifall bei der SPD)

Ich meine, wir sollten in einer derartigen Debatte soviel „Mumm" haben, selbstkritisch festzustellen, daß wir gemeinsam — daran kann sich niemand vorbeimogeln —

(Zuruf von der CDU/CSU: Auch Sie nicht!)




Daubertshäuser
in der Vergangenheit Handlungen vollzogen oder aber auch nicht vollzogen haben, die die unternehmenspolitische Situation der Deutschen Bundesbahn eben nicht nach vorn gebracht haben.

(Hornung [CDU/CSU]: Was heißt hier „gemeinsam"?)

Ich kann an meine Ausführungen in der Debatte von 1981 anknüpfen. Ich frage: Haben wir nicht alle miteinander, Herr Kollege Jobst, die Entscheidungen herbeigeführt, die die unterschiedlichen Investitionen in die Wegeinfrastruktur vor allem mit der Priorität Straßenbau für einen langen Zeitraum festgeschrieben haben?
Was soll der Zwischenruf „gemeinsam"? Wann haben Sie denn in den letzten 15 Jahren einen Haushaltsantrag auf Investitionen für die Deutsche Bundesbahn eingebracht? Mir sind aus all diesen Jahren nur Anträge von Ihnen zur Erhöhung der Straßenbaumittel bekannt. Deshalb gibt es hier eine gemeinsame Verantwortung.

(Beifall bei der SPD)

Man muß sich auch selbstkritisch fragen: Haben wir nicht alle miteinander einiges unterlassen, um einen fairen Wettbewerb zwischen Schiene und Straße herbeizuführen? Haben wir denn alle miteinander die Steuerungsmittel der Verkehrspolitik so eingesetzt, daß andere Benachteiligungen der Deutschen Bundesbahn hätten egalisiert werden können?
Wenn wir noch zu einer ehrlichen Bestandsaufnahme fähig sind, müssen wir eben zugestehen, daß wir alle gemeinsam Fehler im Handeln bzw. Nichthandeln begangen haben. Weil dies so ist, sollten wie auch den Mut haben, auf der Grundlage der einzelnen Entschließungsanträge sowie der Gesetzesinitiative der Fraktion DIE GRÜNEN die überall beschriebenen und erkannten Maßnahmen, soweit sie konsensfähig sind, gemeinsam durchzuführen.
Wenn wir die Situation der Deutschen Bundesbahn verbessern wollen, dann müssen wir den Mut für einschneidende politische Entscheidungen haben.

(Zuruf des Abg. Dr. Jobst [CDU/CSU])

— Das können Sie in dem Entschließungsantrag bitte nachlesen. Wenn Sie nicht dauernd dazwischenriefen, sondern etwas lesen würden, hätten Sie schon Sach- und Fachverstand gewonnen.

(Beifall bei der SPD)

Die Politik kann nur die gewachsenen Strukturprobleme lösen. Da stimme ich sogar Herrn Dr. Jobst zu. Dies ist auch notwendig, weil wir alle gemeinsam nicht nur in den letzten zehn Jahren, sondern eigentlich schon seit 1924, nämlich seit das Unternehmen für den Staat einspringen mußte, um Reparationszahlungen zu leisten, Strukturprobleme sich haben anhäufen lassen, die mit durch die Politik verursacht wurden.

(Zuruf von der CDU/CSU)

Deshalb ist die Problematik der Deutschen Bundesbahn gleichzeitig ein Prüfstein für die Regierung und für die Opposition, nämlich eine Prüfstein für ihre Fähigkeiten, gemeinsam zu Problemlösungen zu kommen.
Deshalb müssen wir gemeinsam als Regierungs-und Oppositionsfraktionen unsere wichtige Aufgabe darin sehen, dem Unternehmen Deutsche Bundesbahn und seinen Beschäftigten durch eine zukunftsgerichtete und nachvollziehbare, d. h. durch eine realistische Konzeption, Herr Dr. Jobst, neue Motivation und neuen Schwung zu geben. Wir müssen eben wegkommen von dem permanenten Krisengerede, ohne die real vorhandenen Schwierigkeiten verniedlichen oder gar unter den Teppich kehren zu wollen.
Unser Konzept hat mehrere Schwerpunkte: zum einen die Forderung nach mehr staatlichen Investitionen in zukunftsträchtige Bereiche. Diese Forderung sehen wir in einem ganz engen Zusammenhang mit der Ordnungspolitik; denn die wirksamste Stärkung der Wettbewerbsposition der Deutschen Bundesbahn ist die Erhöhung der zukunftsgerichteten Investitionen.

(Beifall bei der SPD — Hornung [CDU/ CSU]: Und das merken Sie erst heute?)

Wir dürfen, Herr Dr. Jobst, die Bahn nicht, so wie es bei den Leitlinien der Bundesregierung zu befürchten ist, politisch ruinieren. Vielmehr müssen wir die Bahn vernünftig mit Investitionen sanieren. Deshalb fordern wir, die Mittel für die Neu- und Ausbaustrecken der Deutschen Bundesbahn im Fernverkehr aus einem Sondertitel des Bundes zu finanzieren und nicht wie bisher den Wirtschaftsplan der Bahn damit zu belasten oder die Bahn auf den Kreditmarkt zu verweisen.

(Straßmeir [CDU/CSU]: Sie geben Geld aus, das Sie nicht haben!)

Deshalb fordern wir, die notwendigen Ausbauvorhaben im Schienenpersonennahverkehr durch Aufstockung der Mittel aus dem Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz bzw. durch Sondervereinbarungen zwischen Bund, Ländern und Gemeinden zu finanzieren. Wir stellen diese Forderung, weil wir erkannt haben, daß ohne entscheidende und schnelle Verbesserung der Infrastruktur allen übrigen Maßnahmen, die in der Diskussion sind, das zukunftsweisende Element fehlt.
Wir fordern als weiteren Schwerpunkt, die Entschuldungsfrage der Bundesbahn zu lösen.

(Dr. Jobst [CDU/CSU]: Dirigistische Vorstellungen!)

— Herr Dr. Jobst, unser Vorschlag befindet sich in Übereinstimmung mit dem der Arbeitsgruppe Abs. Und beim Altbankier Abs können Sie wahrhaftig nicht mit irgendwelchen sozialistischen Verdächtigungen daherkommen. Investitionspolitik ist in Beton gegossene Ordnungspolitik. Deshalb haben die Investitionen für die Bahn in unserem Konzept Vorrang. Was wir hier vortragen, gründet sich auf die Ergebnisse der Arbeitsgruppe Abs.

(Beifall bei der SPD — Dr. Jobst [CDU/ CSU]: Warum erst heute?)




Daubertshäuser
Dennoch bedarf es darüber hinaus weiterer flankierender ordnungspolitischer Maßnahmen, Herr Dr. Jobst. Aber wir stehen dazu:

(Dr. Jobst [CDU/CSU]: Waren Sie 16 Jahre lang auf dem Mond?)

Die Wettbewerbsordnung muß auch zukünftig grundsätzlich kontrolliert bleiben. Sie dürfen nicht nur auf Dirigismus schielen. Die liberalistischen Tendenzen, die in viel stärkerem Maße vorhanden sind, haben Sie wieder völlig übersehen. Auf dem Auge sind Sie blind. Wer beim heutigen Stand, Herr Dr. Jobst — so wie Sie das eben vorgeschlagen haben —, bei unterschiedlichen Wettbewerbsbedingungen den Verkehrsmarkt liberalisieren will, betreibt Protektionismus, und zwar Protektionismus gegen die Bahn. Auch das sollten Sie nicht vergessen.

(Beifall bei der SPD)

Unverzichtbar ist eine klare Abgrenzung der unternehmerischen von den gemeinwirtschaftlichen und staatlichen Einflußbereichen der Deutschen Bundesbahn. Es muß Schluß sein mit der Vermischung der Verantwortung von Staat und Unternehmen. Wir, d. h. die gesamte Politik, müssen sich klar zu unserer Verantwortung für das Unternehmen Bahn bekennen. Nur bei der tatsächlichen Übernahme der Verantwortung für die Infrastruktur und die gemeinwirtschaftlichen Leistungen kann man von gleichen Wettbewerbsbedingungen für die Bahn sprechen.

(Hornung [CDU/CSU]: Sie hätten doch eine bessere Ausgangslage schaffen können!)

Meine Damen und Herren von den Regierungsfraktionen, die heutige Bundestagsdebatte kann, wenn Sie unser Angebot ernst nehmen und aufnehmen, der Beginn für größere Gemeinsamkeiten und für ein fraktionsübergreifendes Zusammenwirken in der Bahnpolitik sein. Ob es dazu kommt, hängt ganz allein von Ihnen ab. Unser Angebot steht. Lassen Sie uns gemeinsam auf die Suche nach Verbündeten gehen. Holen wir gemeinsam das nach, was dem Bundesverkehrsminister nicht glückte.
Vielen Dank.

(Anhaltender Beifall bei der SPD)


Dr. Rainer Barzel (CDU):
Rede ID: ID1006400800
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Hoffie.

Klaus-Jürgen Hoffie (FDP):
Rede ID: ID1006400900
Herr Präsident! Meine Damen und Herren!

(Horacek [GRÜNE]: Seit wann tragen Sie eine grüne Krawatte?)

— Zu Ihnen möchte ich gerne gleich am Anfang etwas sagen. Sie werden für mich in Sachen Bahnpolitik erst dann glaubwürdig, meine Damen und Herren von den GRÜNEN, wenn Sie zu den großen Demonstrationen nicht wie bisher mit Ihren eigenen Autos zu Tausenden anmarschieren, sondern mit Straßenbahn oder Eisenbahn.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Oh-Rufe bei der SPD — Lachen bei den GRÜNEN — Zuruf von den GRÜNEN: Und was ist mit den vielen Sonderzügen, die wir gechartert haben?)

Vor vier Monaten hat die Bundesregierung die Große Anfrage der Unionsfraktion und der FDP beantwortet. Vor vier Monaten hat auch der Bundesverkehrsminister sein Bahnkonzept vorgestellt.

(Abg. Duve [SPD] meldet sich zu einer Zwischenfrage)

— Bevor sich gleich der erste zu Zwischenfragen meldet, Herr Präsident, möchte ich angesichts der kurzen Zeit, die ich für meine Rede zur Verfügung habe, gleich pauschal erklären: Im Gegensatz zu sonst üblichem Brauch werde ich heute keine Zwischenfragen zulassen; ich möchte meine Zeit voll ausnutzen. — Wir haben, meine Damen und Herren, seit zweieinhalb Jahren heute zum erstenmal Gelegenheit, über die Zukunft der Bahn grundsätzlich zu debattieren, über das zentrale Thema unserer Verkehrspolitik. Mancher hätte sich eine frühere Aussprache gewünscht. Aber ich meine, der Zeitpunkt ist richtig gewählt, auch wenn die Einbettung in die vom Bundesverkehrsminister angekündigte und zugesagte verkehrspolitische Gesamtkonzeption leider noch fehlt.

(Sehr wahr! bei der SPD)

Aber, meine Damen und Herren, es ist dann ja schon hilfreich, daß die GRÜNEN mit der Vorlage ihres sogenannten Bundesbahnsanierungsgesetzes ihre Position inzwischen konkretisiert haben und wir auch die neue Eisenbahnlinie der SPD kennen, die sich seit der letzten wirklichen Bundestagsdebatte — abgesehen von verschiedenen Haushaltsberatungen —, also seit November 1981, bahnpolitisch zwar auf einem parlamentarischen Abstellgleis ausruhte, dafür dann aber im August des vergangenen Jahres mit einem parteipolitischen Bahnkonzept einen großen Bahnhof zu veranstalten suchte.

(Beifall bei der FDP)

Das, was Sie, Herr Kollege Daubertshäuser, hier gerade gegenüber CDU und CSU an Vorwürfen erhoben haben, richtet sich zuallerst gegen Ihre eigene Fraktion und auch gegen Sie selbst.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Denn, meine Damen und Herren, bei Ihrem SPD-Bahnkonzept habe ich den Eindruck, daß sich die Weichen jetzt, da Sie sich in der Opposition befinden, offenbar beliebig leicht in andere Richtungen stellen lassen. Jetzt, da auch der ehemalige Staatssekretär im Verkehrsministerium in der ersten Klasse der Gewerkschaftsführung Platz genommen hat, kann man ebenso leicht wie im Eiltempo versuchen, den jahrelang aus der Verantwortung heraus festgelegten Sanierungskurs vergessen zu machen.
Ich will dem Herrn Kollegen Haar heute mit Zitaten im einzelnen nicht erneut vorhalten, was er früher für richtig hielt und heute als falsch ansieht. Das will ich auch gegenüber der SPD insgesamt nicht machen. Aber an eines möchte ich erinnern, Herr Haar: Damals wurden — insbesondere von Ihnen — Streckenstillegungen in der Größenord-



Hof fie
nung von bis zu 10000 Kilometer für den Personenverkehr

(Hanz [Dahlen] [CDU/CSU]: Hört! Hört!)

und sogar bis zu 13 000 Kilometer für den Güterverkehr für — und das will ich jetzt dann doch wörtlich sagen — „betriebswirtschaftlich notwendig, verkehrstechnisch möglich und gesamtwirtschaftlich vertretbar" gehalten. Heute reden Sie, obwohl die neue Bundesregierung den Abbau von weitaus weniger Streckenkilometern in Frage stellt, von Kahlschlagsanierung.
Meine Damen und Herren, gescheitert sind alle SPD-Konzepte, alle Konzepte sozialdemokratischer Verkehrsminister nicht am Widerstand oder an der Gegnerschaft des damaligen Koalitionspartners FDP, sondern immer am Widerstand, der aus den Reihen der eigenen Genossen kam.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Deshalb wurde kein einziges Bahnkonzept zu Ende geführt oder durchgeführt, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Immer [Altenkirchen] [SPD]: Der größte Quatsch ist das! — Lemmrich [CDU/CSU]: Das ist die Wahrheit! Fragen Sie doch einmal Herrn Gscheidle! — Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Das ist die „Haar"heit!)

Wir Freien Demokraten sind in den Thesen zur Deutschen Bundesbahn, die wir schon 1978 vorgelegt haben, von ganz anderen Sanierungsbemühungen ausgegangen. Zwar haben wir für diese Thesen damals nicht die Zustimmung der SPD erhalten, dafür können wir sie aber in der Sache auch heute noch unverändert aufrechterhalten, Herr Kollege Haar. Wir brauchen unsere Argumentation nicht — wie Sie — auf den Kopf zu stellen.
Der Zeitpunkt, meine Damen und Herren, für diese Generaldebatte hätte aber auch deshalb gar nicht richtiger liegen können, weil vieles von dem, was noch in der Aussprache über den Verkehrsetat im vergangenen Dezember zur Situation und zur künftigen Entwicklung gesagt oder befürchtet werden mußte, nach Bekanntgabe des vorläufigen Bahn-Jahresergebnisses 1983 in einem anderen, in einem neuen Licht erscheint. Den Totenschein, den die SPD der Bahn wegen des von der Regierung eingeschlagenen Weges damals noch ausstellen wollte, werden Sie nun j a wohl eher zu den Akten heften können, in denen sich ja auch Ihre sechs früheren unerledigten Bahnkonzepte befinden.
Die Ergebnisse von 1983 zeigen: Die Bahn ist jetzt auf dem richtigen Weg. Die Fahrplanabstimmung zwischen Bundesregierung und Bahnvorstand über den künftigen bahnpolitischen Kurs, die ja das ganze letzte Jahr beherrschte, hat ihre ersten Spuren hinterlassen. Die Tendenzwende ist da.

(Zurufe von der SPD)

Zum erstenmal seit Jahren ist der Verlust nicht
mehr gestiegen, sondern um eine Milliarde DM geringer ausgefallen, als veranschlagt. Der Anstieg des Schuldenstandes wurde gestoppt, weil durch Rationalisierung und Personalabbau 1,7 Milliarden DM Aufwand eingespart werden konnten. Dies ist der Erfolg eines neuen Bahnvorstandes, unbestreitbar natürlich auch ein Erfolg des früheren Verkehrsministers Volker Hauff — ich will das hier ausdrücklich unterstreichen —, dessen größtes Verdienst für die Bahn überhaupt in der Berufung dieses Teams bestand.

(Beifall bei der FDP)

Ich bin sehr glücklich, daß die Herren des Vorstands der Deutschen Bundesbahn hier heute als interessierte Zuhörer ebenso engagiert sind, wie sie ihre Politik — —

(Zurufe von der SPD)

— Ja, ich weiß, daß der Vertreter, dem Sie am nächsten stehen, Herr Haar, heute leider als einziger nicht dasein kann, wenn ich das richtig gesehen habe.

(Daubertshäuser [SPD]: Weil er krank ist, Herr Hoffie!)

— Das kann diesen Grund haben.
Dies ist aber auch und vor allem das Verdienst der über 300 000 Eisenbahner. Dieses Verdienst darf weder von der SPD noch von den GRÜNEN verkleinert werden, indem eine richtige und konsequente Sanierungspolitik nicht nur in Frage gestellt, sondern bekämpft und beschimpft wird. Ebensowenig hilfreich ist die Kritik des bayerischen Ministerpräsidenten Strauß, der es natürlich, wie immer, auch diesmal besser gekonnt hätte.

(Zuruf von der SPD: Da hat er nun recht!)

Was die Bahn jetzt braucht, ist weder Nörgelei noch kleinstaatliche Feilscherei um jede Strecke und um jeden Bahnhof. Was wir jetzt brauchen, ist Rückendeckung, ist Ermutigung, ist politische Schubkraft, um am erkennbaren Ende einer jahrzehntelangen Talfahrt in immer mehr Defizit und Verschuldung jetzt Dampf in Richtung Konsolidierung zu machen.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU/CSU — Zuruf von der SPD: Das ist doch reine Schau, was Sie da produzieren!)

Jetzt muß endlich einmal Kurs gehalten werden. Jetzt muß Schluß sein mit dem ständigen Herumdoktern an immer neuen Konzepten. Da fehlt ja nur noch der Vorschlag der Trennung von Lok und Eisenbahnwaggons; so ziemlich alles andere haben wir inzwischen schon auf dem Tisch gehabt. Jetzt muß auch Schluß damit sein,

(Dr. Diederich [Berlin] [SPD]: Schluß mit Ihrer Rede vor allen Dingen! — Weitere Zurufe von der SPD)

daß mit diesen immer neuen Konzepten den 300 000
Eisenbahnern immer wieder neue Hoffnungen gemacht werden und all das immer wieder an der



Hof fie
Unfähigkeit der Politiker scheitert, solche Konzepte dann auch praktisch durchzusetzen.

(Zurufe von der SPD)

Ich meine, jetzt muß auch endlich einmal Schluß sein mit den Forderungen von unzähligen Wahlkreisabgeordneten, die vor Ort, dort, wo sie um Stimmen kämpfen, glauben, auch die defizitärste Strecke aufrechterhalten zu müssen,

(Zuruf von der SPD: Haben Sie überhaupt einen Wahlkreis, Herr Hoffie?)

ohne dabei die Gesamtverantwortung für die Verkehrs- und die Eisenbahnpolitik im Auge zu behalten.

(Beifall bei der FDP — Zurufe von der SPD)

Diese kommt dabei unter die Räder. Sie werden mich nicht unter denjenigen finden, die genau wie die meisten von Ihnen hier die Bahnkonsolidierung fordern und am Wochenende im Wahlkreis mit ihren Bürgermeistern, mit ihren Landräten herumlaufen und dafür kämpfen, daß auch die Strecke noch aufrechterhalten bleibt, auf der bei bester Besetzung höchstens noch zehn Leute fahren.

(Zurufe von der SPD)

Der Antrag der GRÜNEN vom Montag zur Bundesbahnpolitik im Zonenrandgebiet ist das bisher umfassendste und abenteuerlichste Beispiel dafür. Nach dem schlichten Motto: „Wenn das Defizit schon immer größer wird, kann es nur noch die Masse bringen",

(Heiterkeit bei der FDP)

verlangen Sie die teure Unterhaltung aller So-daBrücken und aller So-da-Strecken, nämlich derjenigen, die nur so dastehen, weil sie von kaum jemandem benutzt werden. Anstatt grünes Licht für einen bedarfs- und nachfragegerechten Busverkehr zu geben, wollen Sie noch mehr Komfort, wollen Sie noch bessere Fahrpläne für grüne Geisterzüge, logischerweise natürlich zu günstigeren Tarifen; auch dazu liegt ja ein Antrag von Ihnen vor.

(Zurufe von den GRÜNEN)

Ich sage deshalb heute noch einmal: Eine Bahn, meine Damen und Herren, die uns jährlich über 13 Milliarden DM kostet, die den Steuerzahler jeden Tag über 40 Millionen DM kostet, eine Bahn, die inzwischen mehr als den halben und, wenn nichts geschieht, bald den gesamten Verkehrshaushalt auffrißt, können wir uns nicht leisten. Wir können uns auch keine Bahn leisten, die seit 1971 ständig mehr Personalkosten verschlingt, als sie eigene Erträge einfährt, und auf der heute nur noch 6 % Personenbeförderung und nicht einmal mehr ein Drittel der Güterbeförderung stattfinden. Wenn so etwas weitergeht und die Bahn dann auch noch allein im Schienenpersonennahverkehr 4,5 Milliarden DM jährlich zusetzt und sich in den großen Verkehrsverbünden — wie in München, wie in Berlin oder wie an Rhein und an Ruhr — an jährlichen Defiziten zwischen 400 Millionen und 1,1 Milliarden DM beteiligen muß, dann hätte sie schon in vier Jahren nicht nur 62 Milliarden DM Schulden, sondern auch ihr Eigenkapital aufgezehrt und wäre damit de facto bankrott.
Angesichts dieser Situation servieren uns GRÜNE und SPD Sanierungskonzepte, die nichts anderes als eine kosmetische Operation mit dem Ergebnis anbieten,

(Zurufe von der SPD)

daß der Steuerzahler noch genauso viel zahlt, eher noch mehr, nur eben in andere Töpfe. Was Sie wollen, ist ein gewaltiger Verschiebebahnhof für Defizite. Natürlich kann man die gemeinwirtschaftlichen Lasten, die künftig ohnehin vom Veranlasser getragen werden sollen, also z. B. alle Kosten aus der Schülerbeförderung, aus dem Verkehr in den strukturschwachen Räumen oder aus der Beförderung von Soldaten oder Schwerbehinderten, in die einzelnen Etats vom Familien-, vom Wirtschafts-, vom Verteidigungsminister oder von anderen zuständigen Ressorts verschieben. Da kann man auch Altlasten auf den Bund verlagern, oder man kann die Pensions- oder Versorgungsleistungen in andere öffentliche Kassen rangieren. Das schönt dann natürlich das Bild, aber es läßt die Bahn lediglich gesund erscheinen, es trägt in Wahrheit nichts zur Lösung der Grundprobleme bei; denn die Grundproblematik liegt ganz woanders. Sie liegt bei der verhinderten Anpassung der Unternehmungsgröße an die Nachfrage. Die einstige Monopolstellung der Bahn ist verloren. Heute ist die Mobilität von Haus zu Haus und nicht nur von Bahnhof zu Bahnhof gefragt. Dieses Bedürfnis kann auch bei bestem Bemühen nur vom Auto und von der Straße befriedigt werden. Vor dieser Erkenntnis kann niemand die Augen verschließen. Wer das Rad einer solchen Entwicklung gewaltsam zurückdrehen will, muß die vom Bürger geforderte freie Wahl der Verkehrsmittel abschaffen und den totalen Verkehrsdirigismus ausrufen. Das wollen die GRÜNEN. Wir, meine Damen und Herren, wollen das nicht.

(Beifall bei der FDP)

Auch für uns ist die Bahn unverzichtbar, und auch wir sehen sie als Träger einer verkehrspolitischen Grundlast, und deshalb brauchte die Bahn eben jetzt eine neue Chance. Sie liegt in der Anpassung der Leistungen, in der Anpassung der Kapazitäten der Bahn an die strukturellen Entwicklungen in unserer Wirtschaft und in dem Verkehrsgeschehen. Sie liegt in der Konzentration der Bahn auf den Ausbau ihrer schienenspezifischen Vorteile, mit denen sie anderen Verkehrsträgern auch heute noch überlegen ist, und sie liegt natürlich auch im Abbau von Leistungen dort, wo andere Verkehrsträger besser und billiger sind. Sie liegt in Investitionen in neue, schnellere und damit rentablere Strekken, weil die Verbindung von Verkehrsballungsräumen, weil die überregionale Beförderung die Vorteile der Bahn zur Geltung kommen läßt, was man mit Bezug auf Strecken innerhalb von Verkehrsballungsräumen, wie die Beispiele der Verkehrsverbünde zeigen, nicht sagen kann. Diese Chance kann aber nur dann gewahrt werden, wenn der Verkehrswert gerade der Neubaustrecken so schnell wie irgend möglich hergestellt wird und wir nicht viele



Hoffie
Milliarden für viele Jahre nur in die Erde verbuddeln.

(Zurufe von der SPD)

Deshalb ist es auch sinnvoll, daß weitere 26 Milliarden DM gleichzeitig für Fahrzeuge, für bessere Bahnanlagen sowie zur Attraktivitätssteigerung eingesetzt werden, neben den 17 Milliarden DM, die wir bis 1990 allein in den Ausbau der Neubaustrekken des Streckennetzes investieren wollen.
Strukturelle Anpassungsmaßnahmen und zukünftige Angebotsformen erzwingen klare Zielvorgaben. Der Bundesbahnvorstand hat die notwendigen Prioritäten gesetzt, und diese gehören zur Kernaussage des neuen Bundesbahnkonzeptes: Arbeitsproduktivität bis 1990 um 40 % steigern, Personalkosten um 30 % und die Gesamtkosten um 25 % reduzieren. Das sind die Grundvoraussetzungen für die Wettbewerbsfähigkeit und damit für die Zukunft der Bahn.
Für die FDP, meine Damen und Herren, erkläre ich hier ausdrücklich: Die Deutsche Bundesbahn hat unsere volle Unterstützung für ihre Konzeption, und wir begrüßen es, daß der Bundesverkehrsminister jährlich über die einzelnen Teilerfolge, die wir uns auf dem Wege bis 1990 gemeinsam zum Ziel gesetzt haben, zu berichten hat.
Wir begrüßen ebenso den Ansatz zur Trennung der Verantwortlichkeiten von Bahnvorstand und Verkehrsminister. Die Bundesbahn ist nach den Vorstellungen der FDP zu einem am Markt operierenden Unternehmen auszubauen.

(Zuruf von der SPD: Privatunternehmen!)

Dem entspricht, wenigstens teilweise, die Festschreibung der Resultatverantwortlichkeit des Bundesbahnvorstands im Bahnkonzept. Dies führt zu einer Aufhellung, stellt aber noch nicht die von uns geforderte Trennungsrechnung dar. Es ist erst ein Schritt in die richtige Richtung. Im übrigen ist der Bundesbahnvorstand durch das Bahnkonzept natürlich überhaupt nicht gehindert, die auch nach seiner Überzeugung notwendige glasklare Trennungsrechnung für sich selbst aufzustellen und deutlich auszuweisen, was gemeinwirtschaftliche und was eigenwirtschaftliche Kosten sind, und damit mehr Transparenz für die Wirtschaftlichkeit des Unternehmens zu schaffen. Innerhalb des Unternehmens müssen die Ergebnisse für Einzelbereiche meßbarer zum Unternehmenserfolg beitragen.
Diese Resultatverantwortung erfordert Delegation von Entscheidungsbefugnissen. Die Bahn muß sich deshalb auch auf Mitarbeiter stützen, die befähigt und bereit sind, eigenverantwortlich sinnvolle Entscheidungen zu treffen. Dienstrechtliche Bestimmungen also, die nach dem Muster der klassischen Eingriffsverwaltung der notwendigen personalpolitischen Flexibilität entgegenstehen, müssen den Anforderungen einer leistungs- und erfolgsorientierten Personalpolitik angepaßt werden.

(Sehr gut! bei der FDP)

Was die Personalsituation insgesamt angeht, werden zur Produktivitätssteigerung und Kostensenkung keine Entlassungen notwendig werden, wenn — wie vom Vorstand geplant — durch natürlichen Abgang bis 1990 rund 80 000 Dienstkräfte eingespart werden können. Dann wird endlich auch Schluß sein mit der Kritik und dem Vorwurf, daß heute bei der Bundesbahn über 10 000 Leute zwar bezahlt werden, daß für sie in Wirklichkeit aber überhaupt keine Arbeit vorhanden ist.

(Zuruf von der SPD: Dummes Zeug ist das!)

Meine Damen und Herren, die FDP stellt sich auch der Kritik, daß sich die Bundesbahn künftig nicht mehr an Folgekosten beteiligen wird, die aus weiterhin gewährleisteten Investitionen in immer mehr und neue S-Bahnen resultieren. Bei Kostendeckungsgraden von nur 50% in Hamburg, von 40% in München und Stuttgart oder nur 25% im RheinRuhr-Verbund kann man sich leicht ausrechnen, wann die Folgekosten allein aus dem öffentlichen Personennahverkehr schon die für die Bundesbahn jährlich überhaupt und insgesamt zur Verfügung stehenden 13 Milliarden DM aus dem Verkehrshaushalt aufzehren würden.
Was die Bedienung der Fläche anbetrifft, so entstehen hier zwei Drittel der Kostenunterdeckung von 4,5 Milliarden DM, obwohl hier nur 30% des gesamten Personenverkehrs der Bundesbahn stattfindet. Es ist deshalb unumgänglich, daß wir dort den Bus als das wirtschaftlichere Verkehrsmittel einsetzen, wenn sichergestellt ist, daß sich das Angebot für den Kunden nicht verschlechtert, sondern ein mindestens gleichwertiger oder sogar besserer Ersatzverkehr angeboten wird. Wo das bisher geschehen ist, da ist es ja auch von den Kunden voll akzeptiert worden.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Dazu noch ein Vergleich: Die Bahn hat im Jahre 1982 rund eine Milliarde Menschen im Nahverkehr auf der Schiene befördert und dafür 4,5 Milliarden DM Defizit hinnehmen müssen. Sie hat aber gleichzeitig ebenso viele Menschen mit Bussen auf Straßen befördert. Dafür hat sie keine Zuschußleistung erbringen müssen.

(Zuruf von der SPD)

Hier muß also Vernunft und nicht Ideologie walten.

(Zuruf von den GRÜNEN: Und der Umweltschutz?)

— Da muß man, weil diese Behauptung immer wieder von den GRÜNEN kommt, einmal relativieren, wie das eigentlich umwelt- und energiepolitisch aussieht. Tatsache ist, daß die Bahn jedes Jahr gerade und ausschließlich in diesen Bereichen 500 000 Tonnen Dieselöl verbraucht, um nur 15% ihrer Fahrleistung erbringen zu können. Mit der gleichen Menge Dieselöl könnten Sie jeden, der mit der Bahn fährt, genauso umweltfreundlich oder umweltfeindlich in einem Dieselauto fahren lassen.
Verdeutlicht werden muß auch, daß ein mit 50 Fahrgastplätzen ausgerüsteter Bus weniger Abgase freisetzt als ein dieselgetriebener Zug, der zwar 300 Personen Platz bietet, gerade aber in der Fläche als Geisterzug durch die Gegend fährt, bei dem man



Hoffie
glücklich sein muß, wenn wenigstens 50 Fahrgäste an Bord sind.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Im übrigen sind bisher nur 40 % der Bundesbahnstrecken elektrifiziert. Dort werden aber 85 % der Fahrleistungen auf der Schiene absolviert. Was die GRÜNEN nun in diesem Zusammenhang ständig verschweigen, ist die Tatsache, daß 15% des dabei verbrauchten Stromes aus dem Kernkraftwerk Neckar-Westheim kommen und ein weiterer erheblicher Teil aus dem öffentlichen Stromnetz. Das sind weitere 15%, welche dort in wiederum recht bedeutsamen Mengen Atomkraftwerksstrom sind. Was allein aus Biblis kommt, ist bekannt. Sie müssen also erst einmal für sich den Widerspruch aufklären, daß Sie für eine moderne elektrifizierte Bahn eintreten, daß Sie aber dort, wo der Strom erwiesenermaßen aus den Kernkraftwerken kommt, die absoluten Gegner sind.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Zur Ehrlichkeit der umwelt- und energiepolitischen Diskussion gehört dann auch noch die Feststellung, daß der größte Teil des von der Bundesbahn benötigten Stromes, nämlich 35 %, in umweltfeindlichen Stein- und Braunkohlekraftwerken erzeugt wird, die Sie ja ebenfalls am liebsten stillegen würden. Wie paßt das denn eigentlich alles zusammen?
Was im übrigen den Flächenbedarf anbetrifft: Selbst jeder Kilometer Bundesbahnstrecke bedeutet 2,9 Hektar Bodenverlust. Das sind 29 000 Quadratmeter Land, die aufgefressen werden. Ganz so einfach und undifferenziert sollten wir das Thema Umwelt- und Energiefreundlichkeit und Bundesbahn nicht diskutieren.
Unsere Bundesbahnpolitik verlangt schnelles und entschlossenes Handeln. Dieser Verantwortung hat sich diese Bundesregierung gestellt. Nun gilt es, politisches Durchsetzungsvermögen zu mobilisieren und nichts zu zerreden oder zu boykottieren,

(Lachen bei der SPD)

was bis 1990 dazu führen soll, daß die Kreditaufnahme der Bahn zurückgeht, die Bundeszuschüsse sinken, der Schuldenstand abnimmt und die Bahn von gestern als tickende Zeitbombe für den gesamten Bundeshaushalt entschärft wird. Denn nur so werden wir die Zukunft der Eisenbahn sichern können. Wir wollen eine wettbewerbsfähige, eine moderne, eine attraktive Bahn, eine Bahn, die das produziert, was von Bürgern und Wirtschaft tatsächlich gebraucht und angenommen wird. Dazu hat die Bundesregierung, dazu hat der Bundesbahnvorstand, dazu haben über 300 000 Eisenbahner die uneingeschränkte Rückendeckung und Unterstützung der Freien Demokraten.
Herzlichen Dank.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Dr. Rainer Barzel (CDU):
Rede ID: ID1006401000
Das Wort hat der Abgeordnete Drabiniok.

Dieter Drabiniok (GRÜNE):
Rede ID: ID1006401100
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Freundinnen und Freunde!
Herr Hoffie, auf Ihre billige Polemik gehe ich erst einmal gar nicht ein. Darüber können wir uns im Ausschuß unterhalten.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Die Verkehrspolitik, die in den letzten 30 Jahren von allen bisherigen Fraktionen in diesem Bundestag betrieben wurde, ist eine einzige Katastrophe. Die Bilanz dieser Verkehrspolitik ist erschütternd und unfaßbar. Allein in den wenigen Stunden dieser Bundesbahndebatte werden etwa 10 000 Bäume sterben. Einer der Hauptverursacher dieses Wäldersterbens ist der Straßenverkehr, der seit 30 Jahren von allen Altparteien, Bundestagen, Verkehrsministern und Bundesregierungen mit größtem Einsatz gefordert worden ist. „Freie Fahrt für freie Bürger", das war das Motto.
Diese freie Fahrt für freie Bürger kostete seit 1960 mehr als 300 000 Menschen das Leben. Etwa 10 Millionen Menschen wurden im Straßenverkehr verletzt. Der Bundestag förderte die Freiheit, mit dem Kraftfahrzeugverkehr unsere Umwelt mit Blei, Kohlenmonoxid, Stickoxiden, Asbeststaub und Streusalz zu vergiften. Die Politiker haben sich die Freiheit genommen, mehr als eine Million ha unserer Landschaft dem Straßenverkehr zu opfern. Sie gaben uns die Freiheit, andere Menschen durch Straßenverkehrslärm und Abgase krank zu machen, die Freiheit, die Rohstoffe dieser Welt zu verpulvern, die Freiheit, unsere Städte zu zerstören, und die Freiheit, Igel und Kröten totzufahren. Weder durch Ölkrise noch durch Wäldersterben hat sich dieses Hohe Haus in seinem Autowahn bremsen lassen und auch nicht durch die 20 000 totgefahrenen und die eine Million im Straßenverkehr verletzten Kinder.
Statt dessen hat ein Verkehrsminister nach dem anderen feierlich, mit leuchtenden Augen immer neue Straßen dem Verkehr übergeben. Seit 1960 wurden allein für den überörtlichen Verkehr 38 000 km Straßen neu gebaut. In demselben Zeitraum schrumpfte das Schienennetz um 2 500 km. Auf weiteren 3 500 km wurde zudem der Personenverkehr eingestellt — und das, obwohl die Bahn das sicherste, umweltfreundlichste und für uns alle wirtschaftlichste Verkehrsmittel ist.
Trotz dieser Vorteile war und ist die Bahn Stiefkind der Verkehrspolitik. Die ständige Benachteiligung und Vernachlässigung der Bundesbahn durch alle bisherigen Bundestage und Bundesregierungen hat die Bahn an den Rand des finanziellen Ruins getrieben. Diese Bahn-Krise, die nicht durch die Bundesbahn selber und erst recht nicht durch die Eisenbahner verschuldet wurde, sondern allein durch die Bonner Politiker, soll nun auf Kosten der Eisenbahner und Bahnkunden gelöst werden.
Das sogenannte Bahnkonzept dieser Bundesregierung sieht einen radikalen Schrumpfkurs vor. Bis 1990 sollen 70 000 bis 80 000 Arbeitsplätze bei der Bahn vernichtet, 3 000 Reisezugwagen, 50 000 Güterwagen und 1 500 Lokomotiven verkauft bzw. gleich verschrottet und 7 000 km Bahnstrecken für



Drabiniok
den Personenverkehr sowie 6 000 km Strecken für den Güterverkehr stillgelegt werden.

(Zuruf von der CDU/CSU: Schwachsinn ist das!)

Sicherlich wird Streckenstillegungsminister Dollinger diese Zahlen energisch dementieren. Aber, Herr Minister, in einem Schreiben vom 23. November 1983, haben Sie dem Vorstand der Deutschen Bundesbahn u. a. mitgeteilt — ich zitiere —:
Ich bitte, Ihre Gesamtplanung darauf abzustellen, daß die von Ihnen genannten Ziele einer Produktivitätssteigerung um 40 % möglichst bald, spätestens bis 1990, erreicht werden.

(Frau Dr. Vollmer [GRÜNE]: Sehr interessant!)

Herr Minister, „Produktivitätssteigerung" klingt sicherlich besser als „Streckenstillegungen" und „Arbeitsplatzabbau". Aber vielleicht können Sie uns einmal erzählen, wie viele Arbeitsplätze abgebaut werden müssen, wie viele Wagen und Lokomotiven verschrottet werden müssen und wie viele Kilometer Bahnstrecken stillgelegt werden müssen, um bei der Bahn bis 1990 eine Produktivitätssteigerung um 40 % erreichen zu können?
Herr Minister Dollinger, wenn Sie so um den Brei herumreden und das Wort „Streckenstillegungen" so scheuen, dann liegt das doch vielleicht auch daran, daß Ihr Parteifreund und bayerischer Ministerpräsident, Franz Josef Strauß, das schlechte Ergebnis Ihrer CSU bei den bayerischen Kommunalwahlen insbesondere auf Ihre Streckenstillegungspolitik zurückgeführt hat.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Und wie heißt es auch in einem Strategiepapier aus dem Finanzministerium vom 9. März 1983 zur Deutschen Bundesbahn — ich zitiere —?
Die Stillegung unwirtschaftlicher Strecken muß ohne neue Grundsatzdiskussion, aber mit zügiger Einzelprüfung wieder erheblich beschleunigt werden.
Herr Stoltenberg, der eigentliche Verkehrsminister, ist ja nicht da: Aber eines können wir ihm garantieren. Wir werden mit weiteren Anfragen, Anträgen und Gesetzentwürfen dafür sorgen, daß gerade diese Grundsatzdiskussion um die Streckenstillegungen der Bahn sowohl hier im Bundestag, als auch in der Öffentlichkeit erst richtig in Schwung kommt.

(Beifall bei den GRÜNEN — Hornung [CDU/CSU]: Das glaube ich!)

Diese Streckenstillegungen sind ein verkehrs-, energie-, sozial-, regional- und umweltpolitischer Skandal ersten Ranges. 127 Mittelzentren und deren Umland mit mehr als 6 Millionen Einwohnern werden vom Schienennetz abgekoppelt. Ganze Regionen wie z. B. der Schwarzwald, das Sauerland, die Eifel, der Odenwald und, Herr Dollinger, der Bayerische Wald werden ohne Schienenanschluß sein.

(Zuruf von der CDU/CSU: Stimmt nicht!)

Dieses Schrumpfkonzept bestraft alle, die aus umweltpolitischer Einsicht das Auto abgeschafft haben und auf die Bahn umgestiegen sind.

(Straßmeir [CDU/CSU]: Sie auch? — Lemmrich [CDU/CSU]: Auch Herr Schily?)

Es schwächt gerade die eh schon benachteiligten, strukturschwachen, ländlichen Regionen. Es benachteiligt wieder einmal die sozial Schwachen, die gerade auf die Bahn angewiesen sind. Dieses Schrumpfkonzept kann allenfalls den Straßenverkehr fördern, weil die Bahn für immer größere Teile der Bevölkerung nicht mehr erreichbar sein wird. Dadurch — und das ist wirklich der Gipfel dieser absurden Politik — beraubt sich die Bahn außerdem selber der Basis einer durchgreifenden Sanierung.
Ein gleichfalls herausragender Skandal ist die geplante gigantische Arbeitsplatzvernichtung bei der Bahn. Hier werden die Heuchelei und die Doppelzüngigkeit der Bundesregierung besonders deutlich. Während sie den Ausbau des Straßennetzes besonders mit dem Argument begründet, damit wolle sie Arbeitsplätze sichern, ist es bei der Bahn genau umgekehrt. Die Bahn wird merkwürdigerweise nicht gefördert, um Arbeitsplätze zu sichern. Nein. Im Gegenteil. Die Bahn soll schrumpfen, gerade damit Arbeitsplätze abgebaut werden. Es geht der Bundesregierung in der Verkehrspolitik also gerade nicht darum, möglichst viele Arbeitsplätze zu sichern oder zu schaffen, sondern allein darum, den Wünschen der Automobil- und Straßenbaulobby gerecht zu werden.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Außerdem werden die Personalkosten durch den Arbeitsplatzabbau nicht eingespart, wie Sie, Herr Dollinger, es in Ihrer Milchjungenrechung getan haben, sondern nur verschoben. Sie tauchen als Versorgungsbezüge im Haushalt der Bundesbahn oder aber in Form von Arbeitslosengeld, anderen sozialen Aufwendungen und regionalen Wirtschaftshilfen an anderen Stellen der öffentlichen Hand wieder auf. Ich gebe zu, daß Ihnen das Denken in Zusammenhängen etwas schwerfällt, auch wenn Sie uns in der letzten Haushaltsdebatte zur Bahn zu berichten wußten, daß der Strom aus der Steckdose kommt.
Durch den Arbeitsplatzabbau erhöhen sich nicht nur Arbeitsbelastung und Streß für die verbleibenden Eisenbahner. Auch Verkehrsbedienung und Service werden dadurch zwangsläufig schlechter. Schalterstunden für Expreßgut- und Güterabfertigung, Information, Fahrkartenausgabe und Reservierungen werden weiter eingeschränkt, weitere Bahnhöfe und Haltepunkte geschlossen und noch mehr Reisezüge aus dem Fahrplan gestrichen werden. Die Bahn wird damit noch unattraktiver und vergrault ihre letzten Kunden.
Wer aber glaubt, durch diese Radikalkur würde die Bahn wenigstens finanziell saniert, sieht sich getäuscht: Die Verschuldung der Bahn soll trotzdem bis 1990 um weitere 20 Milliarden DM auf dann 56 Millarden DM steigen.



Drabiniok
Dieses sogenannte Konzept der Bundesregierung kann auch ich nicht besser umschreiben als mit den Worten von Franz Josef Strauß, der nun wirklich nicht mein Freund ist: „schwammig, unzureichend" — Sie haben es gerade schon gehört — „verfehlt, schlechterdings irreführend", oder aber mit den Kommentarüberschriften der folgenden Zeitungen einen Tag nach Bekanntgabe Ihrer Geistesblitze zur Bahnruinierung: „Frankfurter Rundschau": „Etikettenschwindel"; „Stuttgarter Nachrichten": „Gewurstel"; „Handelsblatt": „Das Siechtum bleibt"; „Westdeutsche Allgemeine": „Aufs Nebengleis"; und wohl am treffendsten die „Bonner Rundschau": „Dollingers Flick-Werk". Flick-Werk!
Womit wir bei der Zusammensetzung des Verwaltungsrats der Bundesbahn wären. Vizepräsident des Verwaltungsrats der Bahn ist niemand anderer als — und jetzt, liebe Freunde, bleibt mal ein bißchen ruhig — Eberhard von Brauchitsch. Kann sich in diesem Hohen Hause jemand vorstellen, daß dieser Mann die Interessen der Bundesbahn, der Eisenbahner und Bahnkunden wirklich vertreten könnte?

(Lemmrich [CDU/CSU]: Kann man! Ja! Sehr gut sogar!)

Vielleicht aber Hans Hartwig, ebenfalls Mitglied im Verwaltungsrat der Bundesbahn; er ist Inhaber der Firma Fritz Hartwig, Baustoff- und BrennstoffGroßhandel.

(Straßmeir [CDU/CSU]: Wer soll nach Ihrer Meinung hin?)

Oder Rolf Stödter, Mitinhaber der Reederei Essberger. Präsident des Verwaltungsrats ist Hans Wertz, gleichzeitig Präsident der Landeszentralbank Nordrhein-Westfalen. Übrigens muß die Bundesbahn jährlich etwa drei Milliarden DM Zinsen zahlen und fast jedes Jahr neue Kredite aufnehmen.

(Straßmeir [CDU/CSU]: Warum?)

Auch im Beirat der Bundesbahn wimmelt es nur so von vermeintlichen Bahnfreunden. Von den 26 Mitgliedern sind 21 Vertreter der Wirtschaft. Dort finden sich unter anderem: Klaus Kartzke, Mitglied des Vorstandes der Adam Opel AG, Thomas Kohlmorgen, Stellvertretender Vorsitzender des Vorstandes der Esso AG, und Gert Wollburg, Stellvertretender Vorsitzender des Vorstandes der Maschinenwerke Augsburg-Nürnberg AG, kurz MAN. genannt.

(Straßmeir [CDU/CSU]: Was stört Sie denn an denen?)

— Das ist übrigens die Firma, die auch die Bahnbusse herstellt.

(Horacek [GRÜNE]: Das sind Autofreunde! — Weitere Zurufe)

— Nicht so 'ne Hektik machen hier! Übrigens sollen einige Vorstandsmitglieder der Deutschen Bundesbahn ganz ausgezeichnete Beziehungen zu diesen Herren haben.
Aus dieser Aufzählung kann nicht geschlossen werden, daß Minister Dollinger Pläne hegt, den Vorstand des Volkswagenwerks in Zukunft mit Eisenbahnern besetzen zu lassen.

(Heiterkeit und Beifall bei den GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Es ist eine Schande, daß sowohl im Verwaltungsrat als auch im Beirat der Bundesbahn nicht ein einziger Vertreter von Naturschutz- und Umweltschutzverbänden,

(Dr. Wulff [CDU/CSU]: Heinzelmännchen!)

Benutzer- und Verbraucherverbänden oder Fahrgastinitiativen ist.

(Dr. Wulff [CDU/CSU]: Heinzelmännchen!)

Die Bahnkunden haben also überhaupt keine Lobby in den Gremien der Bahn. Das sollte sich in Zukunft ändern.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Der von unserer Fraktion eingebrachte Entwurf eines Bundesbahnsanierungsgesetzes sieht unter anderem vor, daß die bisherige Zusammensetzung des Verwaltungsrates der Bundesbahn geändert wird.
Unserer Meinung nach ist es — erstens — notwendig, die paritätische Mitbestimmung einzuführen, d. h. künftig sollen die Gewerkschaften auch im Verwaltungsrat zehn Vertreter haben.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Zweitens sollen unter den anderen zehn dann vom Bundesminister für Verkehr vorzuschlagenden Vertretern auch die Vorschläge der Natur- und Umweltschutzverbände, Benutzer- und Verbraucherverbände bzw. Fahrgastinitiativen mit jeweils einem Vertreter berücksichtigt werden.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Die Zukunft der Bundesbahn darf nicht länger von den Eigeninteressen der Wirtschaftslobby geprägt werden. Viel besser garantieren Eisenbahner, Umweltschützer und Bahnfahrgäste diese Vorwärtsstrategie.
Eine solche Vorwärtsstrategie für die Bundesbahn verfolgen auch DIE GRÜNEN im Bundestag mit dem vorgelegten Entwurf eines Gesetzes zum Abbau der Wettbewerbsverzerrung und zur Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit der Deutschen Bundesbahn, kurz: Bundesbahnsanierungsgesetz.

(Hoffie [FDP]: Das hat Ihnen doch der Herr Haar aufgeschrieben!)

Meine Damen und Herren, seit jeher werden die Bundesfernstraßen und Bundeswasserstraßen voll und ganz vom Staat finanziert. Die Bundesbahn muß jedoch den Erhalt, die Modernisierung und den Aus- und Neubau ihres Schienennetzes als einziger Bundesverkehrsträger aus eigenen Mitteln finanzieren und erhält lediglich bescheidene Investitionszuschüsse vom Bund.

(Zurufe von der CDU/CSU: „Bescheiden" ist gut!)

Diese Benachteiligung der Bundesbahn muß endlich dadurch aufgehoben werden, daß der Bund in



Drabiniok
Zukunft — wie für Straßen und Kanäle auch — die Vorhaltung des Schienennetzes als eine hoheitliche Staatsverwaltungsaufgabe voll und ganz aus dem Bundeshaushalt finanziert,

(Beifall bei den GRÜNEN)

wobei die Bundesbahn einen Wegekostendeckungsbeitrag entrichten sollte, und zwar in der Höhe des durchschnittlich von den anderen Bundesverkehrswegen erreichten Wegekostendeckungsgrades. Die Deutsche Bundesbahn hätte auf diese Weise das Auslastungsrisiko des von ihr benutzten Verkehrsweges nur in dem Umfang zu tragen, in dem auch ihre Mitbewerber auf dem Verkehrsmarkt dazu herangezogen werden.
Deshalb ist diese Regelung an erster Stelle in unserem Gesetzentwurf vorgesehen.
An zweiter Stelle steht: Die Durchführung des Schienenpersonennahverkehrs seitens der Bundesbahn ist nichts anderes als eine soziale Leistung im Interesse des Gemeinwohls. Wie alle anderen sozialen Aufgaben — etwa die Finanzierung von Schulen — kann und darf der Schienenpersonennahverkehr nicht ausschließlich durch die betriebswirtschaftliche Brille betrachtet und allein nach dem Kostendeckungsgrad bewertet werden. Es ist deshalb notwendig, daß die dabei entstehenden Fehlbeträge in voller Höhe vom Bund getragen werden. Dies sieht unser Gesetzentwurf vor.
Im übrigen gibt es ein Bundesunternehmen, das noch wesentlich schlechtere Kostendeckungsgrade erreicht als der Nahverkehr der Bundesbahn, nämlich einen Kostendeckungsgrad von 0, in Worten: null. Es handelt sich dabei um die Bundeswehr. Diese verschlingt jährlich weit mehr als 50 Milliarden DM, denen keine Einnahmen gegenüberstehen. Anstatt bei der Bundesbahn sollten Sie erst einmal bei der Bundeswehr eine radikale Kahlschlagsanierung durchführen.

(Heiterkeit und Beifall bei den GRÜNEN)

Drittens. Unverzichtbar ist die baldige Einführung der Trennungsrechnung, über die Sie hier seit Jahren lamentieren, bisher jedoch — wie könnte es anders sein — ohne Ergebnis. Es muß endlich kostenrechnerisch zwischen staatlichen, gemeinwirtschaftlichen und eigenwirtschaftlichen Aufgaben der Bahn unterschieden werden. Zu dem von uns im Gesetzentwurf vorgeschlagenen Modell der fiktiven Trennung heißt es in dem Bericht über die Prüfung der Auswirkungen einer Trennung von Fahrweg und Betrieb bei der Deutschen Bundesbahn in einer Drucksache vom 10. Juli 1979 — ich zitiere —:
Eine Realisierung ist kurzfristig und ohne Probleme möglich ... Die organisatorischen, personalrechtlichen und steuerlichen Probleme entfallen bei dieser Lösung.
Im übrigen hat die österreichische Bundesregierung im Dezember letzten Jahres eine Regierungsvorlage in den Nationalrat eingebracht, die nichts anderes vorsieht als die gesetzliche Verankerung der Trennungsrechnung bei den Österreichischen Bundesbahnen.

(Hoffie [FDP]: Die Gutachter unserer Bundesregierung sind im Ergebnis zu einem gegensätzlichen Urteil gekommen!)

— Die Gutachter sind sicherlich von Ihnen, Herr Hoffie.

(Hoffie [FDP]: Nein!)

Viertens. Schließlich sollen der Bahn die Pensions- und Rentenzahlungen und andere soziale Lasten soweit ausgeglichen werden, daß sie nicht stärker als konkurrierende privatwirtschaftliche Unternehmen mit Versorgungsleistungen belastet wird. Dabei muß auch und insbesondere berücksichtigt werden, daß die entsprechenden Soziallasten für die Beamten der Behörden konkurrierender Verkehrswege, z. B. die Pensionen für Beamte der Verkehrspolizei oder der Straßenbauverwaltungen, anders als bei der Bundesbahn in voller Höhe vom Staat getragen werden.
Fünftens. Der Gesetzentwurf sieht auch eine schrittweise Entschuldung der Bahn vor, indem der Bund zur Übernahme der Zinsen verpflichtet wird, die der Bundesbahn durch die notwendig gewordene Verschuldung bei der Erfüllung ihrer staatlichen und gemeinwirtschaftlichen Aufgaben entstanden sind.
Sechstens. Die Ausgleichszahlungen des Bundes sollen in den jeweils sachlich der Art der Zahlung entsprechenden Einzelplänen eingestellt werden. Das ist seit über 20 Jahren überfällig. Ich zitiere den „Spiegel" vom 23. März 1955 — ich betone: 1955! —:
Bei vorfühlenden Gesprächen über das Thema Bundesbahnsanierung herrscht in Bonn bei den Verkehrsexperten aller Parteien die Ansicht vor, daß die betriebsfremden politischen Lasten in Zukunft dort gebucht werden müssen, wo sie hingehören. So etwa die Pensionsverpflichtungen der Bundesbahn gegenüber Ost-vertriebenen Beamten oder Kriegerwitwen und -waisen im Sozialhaushalt.
Genau das wollen wir auch.
Dieses „Spiegel"-Zitat wirft ein bezeichnendes Licht auf dieses Parlament. Schon damals war das Thema Bundesbahnsanierung aktuell, doch bis heute haben Sie es noch nicht einmal fertiggebracht, die damals einvernehmliche Absicht der Haushaltsklarheit in die Tat umzusetzen, geschweige denn auch nur ansatzweise die Bahn zu sanieren. Sie haben die Bahn nicht saniert, sondern ruiniert. Unfähig, vollkommen unfähig!

(Beifall bei den GRÜNEN — Hoffie [FDP]: Sie müssen einmal die Bahn, nicht Wohnungen durch mehr Inanspruchnahme instandbesetzen!)

Siebentens. Es ist untragbar, Herr Hoffie, daß die Bundesbahn Mineralölsteuer zahlen muß, während die Binnenschiffahrt und sogar der Energiefresser



Drabiniok
und Umweltfeind Flugverkehr von dieser Steuer befreit sind.

(Zustimmung bei Abgeordneten der GRÜNEN)

Genauso unfaßbar ist es, daß die Bahn mit der Zahlung der Mineralölsteuer quasi auch noch ihren Konkurrenten, den Straßenverkehr, subventionieren muß.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Die Befreiung der Bundesbahn von der Mineralölsteuer ist deshalb, meine Damen und Herren, fester Bestandteil unseres Gesetzentwurfes.
Achtens. Die Unsicherheit bei Bahnkunden und Wirtschaft hinsichtlich des Erhalts von Bahnstrekken muß ein Ende haben. Der Umfang des Schienennetzes der Bundesbahn muß mehr denn je an raumordnerische Kriterien gebunden werden. Der Gesetzentwurf sieht deshalb vor, daß der Bundesminister für Verkehr mit Zustimmung des Bundesministers für Raumordnung und der Bundesländer eine Verordnung erlassen soll, in der der Umfang des Schienennetzes der Bundesbahn unter besonderer Berücksichtigung der Erfordernisse der Raumordnung verbindlich festgelegt wird. Strekken, die unter diese Verordnung fallen, könnten dann künftig nicht mehr stillgelegt werden. Sonstige Strecken könnten nur mit Zustimmung der betroffenen Länder stillgelegt oder in ihrer Bedienung eingeschränkt werden, wobei die Länder bei Nichtzustimmung dem Bund die Kosten erstatten oder die Strecken selber übernehmen müßten. Auf diese Weise würde in Absprache von Bund und Ländern erstmals ein Bundesschienennetz festgelegt, das es den Ländern ermöglichen würde, darin nicht enthaltene Strecken weiter betreiben zu lassen, ohne Gefahr zu laufen, eines Tages das gesamte Nebenstreckennetz der Bahn übernehmen und finanzieren zu müssen.
Das Bundesbahninvestitionsgesetz als Bestandteil unseres Gesetzentwurfes soll schließlich eine Gleichstellung der Bahn mit den anderen Bundesverkehrswegen bei der Investitionsplanung des Bundes erreichen. Wie für die Fernstraßen sollen auch für die Investitionen in Streckennetz und Nahverkehr der Bahn Fünfjahrespläne erstellt und vom Bundestag beschlossen werden. Dafür sollen der Bahn 2 % des Gesamtsteueraufkommens des Bundes, zur Zeit also etwa 4 Milliarden DM, für Investitionen zur Verfügung gestellt werden, in den ersten fünf Jahren auf Grund des Nachholbedarfs jedoch 2,6 %, also etwa 5,2 Milliarden DM.
Die Vorgaben dieses Gesetzentwurfes würden dazu führen, daß sich die Zahlungen des Bundes an die Bahn um jährlich 5 bis 6 Milliarden DM erhöhen würden. Der Einsatz dieser Summen führt aber langfristig zu einer Verbesserung des Wirtschaftsergebnisses der Bahn und zu einer erheblichen Reduzierung der Bundesbahnschulden,

(Hoffie [FDP]: Und zu einer Verschlechterung des Bundeshaushalts!)

die ja in Wahrheit, Herr Hoffie, nichts anderes als eine verschleierte Staatsverschuldung sind.
Wenn der Bund heute seine Zahlungen an die Bahn nicht erhöht, sondern real sogar reduziert, wird er bei dem dann unweigerlich drohenden Bankrott der Bahn finanziell erheblich stärker belastet, als es bei der Realisierung unseres Gesetzentwurfes der Fall wäre.
Meine Damen und Herren, zur Finanzierung schlagen wir vor:
Erstens. Jährliche Einsparungen beim Aus- und Neubau von Bundesfernstraßen sowie von Bundeswasserstraßen in Höhe von 2,5 bis 3 Milliarden DM.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Zweitens. Erhöhung der Mineralölsteuer um 6 Pfennig pro Liter.
Drittens. Einführung der Mineralölsteuerpflicht für Binnenschiffahrt und Flugverkehr.
Viertens. Erhöhung der Besteuerung und bzw. oder Einführung einer Schwerverkehrsabgabe für den Güterkraftverkehr.
Durch diese Maßnahmen stünden Finanzmittel von 7 bis 8 Milliarden DM pro Jahr zur Verfügung, also sogar mehr Geld, als für die Finanzierung der von uns vorgeschlagenen Maßnahmen erforderlich wäre.
Das Bundesbahnsanierungsgesetz will bis 1990 durch verstärkte Investitionen bei Erhalt aller Arbeitsplätze, Erhalt und Modernisierung aller Bundesbahnstrecken folgende finanzielle Verbesserungen für die Bahn bewirken:
Erstens. Steigerung der Erträge um insgesamt 3,2 Milliarden DM pro Jahr.
Zweitens. Verbesserung des jährlichen Wirtschaftsergebnisses um 1,5 Milliarden DM.
Drittens. Abbau der Verschuldung der Bahn von heute 36 Milliarden DM um 13 Milliarden DM auf dann 23 Milliarden DM.
Meine Damen und Herren, wir stellen Ihrer Bankrotterklärung zur Bahn unsere realistische, praktikable und finanzierbare Alternative gegenüber, von der wir meinen, daß sie gegenüber der Umwelt, den Bürgern und den Eisenbahnern verantwortungsbewußt und notwendig ist.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, die Aussicht, daß unser Entwurf des Bundesbahnsanierungsgesetzes von diesem Bundestag verabschiedet wird, wäre nicht schlecht, wenn man danach ginge, was die CDU 1976 in einer Wahlanzeige in den „Stuttgarter Nachrichten" versprach. Dort heißt es unter anderem: „... und Gscheidle läßt die Stillegung von Bundesbahnstrecken planen." Und jetzt kommt es: „Das macht die CDU nicht mit!" Bravo, meine Damen und Herren, die GRÜNEN erst recht nicht.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)


Dr. Rainer Barzel (CDU):
Rede ID: ID1006401200
Meine Damen und Herren, ich habe die Freude, auf der Ehrentribüne eine De-



Präsident Dr. Barzel
legation des Storting zu begrüßen. Ich heiße die Kollegen aus Norwegen herzlich willkommen.

(Beifall)

Wir danken für diesen Besuch, der unserer Freundschaft und Zusammenarbeit einen guten Ausdruck gibt, und wünschen einen angenehmen Aufenthalt in Deutschland.
Das Wort hat der Bundesminister für Verkehr.

Dr. Werner Dollinger (CSU):
Rede ID: ID1006401300
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Herren Vorredner haben viele Dinge aus der Vergangenheit und der Gegenwart behandelt.

(Zuruf von der SPD: Vor allem der Dionys!)

Ich stelle fest, daß ich mit Herrn Jobst in Rückblick und Ausblick sehr weit übereinstimme. Das wird Sie nicht überraschen, Herr Daubertshäuser. Ich danke auch Herrn Hoffie für seine Betrachtungen. Von den beiden anderen Sprechern der Opposition — das liegt aber vielleicht in der Natur der Position — kann ich das natürlich nicht sagen.
Herr Daubertshäuser, Sie sollten bei Ihren Betrachtungen immer daran denken, daß die jetzige Regierung, der jetzige Bundesminister für Verkehr, eineinhalb Jahre im Amt ist und daß Mitglieder der SPD als Verkehrsminister 16 Jahre lang tätig waren. Legen Sie also die Maßstäbe richtig an, dann leben Sie auch leichter.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Daubertshäuser [SPD]: Sie haben nicht richtig zugehört!)

Meine zweite Bemerkung. Sie beklagen die Finanzsituation und den Mangel an Geld, und dann kommt immer der Name des Herrn Bundesfinanzministers. Ich möchte hier sagen, die Bundesregierung ist eine Einheit, und die Sanierung des Bundeshaushalts kann man nicht einseitig nur dem Arbeitsminister und der Sozialpolitik anlasten; hier muß Solidarität zwischen den einzelnen Bereichen bestehen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Im übrigen hätten Sie in der Vergangenheit Gelegenheit gehabt, die Finanzausstattung zu verbessern. Der Verkehrshaushalt stagniert praktisch seit dem Jahre 1978 bei rund 25 Milliarden DM. Das ist, real gesehen, ein Rückgang um rund 30%. Warum haben Sie seinerzeit nicht das getan, was Sie heute von uns fordern?

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Im Zusammenhang mit den Neubaustrecken und der Beauftragung des Bundesrechnungshofes haben Sie, ich sage einmal: eine Vermutung ausgesprochen, daß das zum Baustopp führen könnte. Ich kann Sie hier beruhigen: Das wird nicht zum Baustopp führen. Aber ich stimme mit dem Finanzminister völlig überein, daß es richtig und notwendig ist, immer wieder die Voranschläge und die Kosten zu überprüfen, denn ich möchte nicht, daß Kostenexplosionen und Fehlrechnungen entstehen, wie sie heute zum Teil in vielen Bereichen nachzuweisen sind.

(Zustimmung bei der CDU/CSU)

Eine letzte Bemerkung. Sie haben gesagt, man hätte das Bundesbahngesetz ändern sollen. Darüber kann man sprechen. Aber ich stelle die Frage: Was wäre geworden, wenn wir nach der Änderung von 1981 wieder mit der Diskussion über eine Änderung des Bundesbahngesetzes begonnen hätten? Was wäre denn passiert? Wir hätte ca. zwei Jahre darüber diskutiert, und bei der Bahn wäre auf Grund der vorhandenen Unklarheit soviel wie nichts passiert. Das heißt, die Misere und die Katastrophe wären weitergegangen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Deshalb war es entscheidend wichtig und nach meiner Meinung vordringlich, jetzt das anzupacken, was notwendig ist.
Ich möchte noch mit einem Satz auf das Bundesbahngesetz zurückkommen. Meine Damen und Herren, ich habe oft den Eindruck, daß die rechtliche Situation viel zu wenig bekannt ist. § 28 des Bundesbahngesetzes betrifft die Wirtschaftsführung der Bundesbahn und lautet:
Die Deutsche Bundesbahn ist unter der Verantwortung ihrer Organe wie ein Wirtschaftsunternehmen mit dem Ziel bester Verkehrsbedienungen nach kaufmännischen Grundsätzen

(Berger [CDU/CSU]: Hört! Hört!)

so zu führen, daß die Erträge die Aufwendungen einschließlich der erforderlichen Rückstellungen decken. Eine angemessene Verzinsung des Eigenkapitals ist anzustreben. In diesem Rahmen hat sie ihre gemeinwirtschaftliche Aufgabe zu erfüllen.
Meine Damen und Herren, wer das Gesetz liest und die Entwicklung der letzten Jahrzehnte damit vergleicht, muß sagen: Es gibt wohl kaum einen Fall, bei dem ein Gesetzesauftrag so wenig erfüllt und so mißachtet wurde wie in den letzten Jahren bei der Bahn.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Nun kommt noch eine Bemerkung, Herr Daubertshäuser.

(Zuruf des Abg. Daubertshäuser [SPD])

Sie haben gesagt, daß die Eisenbahner demotiviert sind. Das ist sicher zum Teil richtig. Aber ich glaube, es hat sich gewandelt. Ich möchte den Beweis für diese Behauptung antreten. Es ist doch eine großartige Sache, daß vor wenigen Wochen Zehntausende von Eisenbahnern auf die Straße gegangen sind — nicht um zu demonstrieren, sondern um für ihr Unternehmen und die „rosaroten Sonderangebote" zu werben. Wann hat es das einmal gegeben, daß die Mitarbeiter der Bahn — ich glaube: auch mit Zustimmung der Gewerkschaften — öffentlich für ihr Unternehmen so eingetreten sind wie an jenem Wochenende?

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Zurufe von der SPD)




Bundesminister Dr. Dollinger
Damit, meine Damen und Herren, haben die Eisenbahner für die Deutsche Bundesbahn, für ihr Unternehmen, geworben. Sie haben auch klargemacht, daß es um die Marktposition der Deutschen Bundesbahn geht.
Der Herr Bundeskanzler hat in seiner Regierungserklärung vom 4. Mai 1983 in anderem Zusammenhang gesagt, wir bräuchten Mut zu mehr Markt. Das ist auch hier der richtige Weg.
In Übereinstimmung mit der Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der Koalitionsfraktionen hat das Bundeskabinett einstimmig — ich betone: einstimmig — die Leitlinien zur Konsolidierung der Deutschen Bundesbahn am 23. November 1983 beschlossen.

(Zuruf des Abg. Drabiniok [GRÜNE])

Damit ist man der in der Regierungserklärung ausgesprochenen Forderung nachgekommen. Ich zitiere auch hier, was der Kanzler im Hinblick auf die zukünftige Gestaltung der Bahn gesagt hat:
Die Deutsche Bundesbahn muß die alte Reputation wiedergewinnen. Die Bürger müssen das Gefühl haben, daß sie in einem modernen Verkehrsmittel bestens bedient werden.
Die Leitlinien haben Konsequenzen aus dem Siechtum der Deutschen Bundesbahn gezogen. Es soll endlich ein klarer Kurs vorhanden sein für den Vorstand der Deutschen Bundesbahn, für die Bevölkerung, für die Wirtschaft und nicht zuletzt für die Eisenbahner selbst. Dieses Konzept wird dazu beitragen, daß bis 1987 der Trend zu einer astronomischen Verschuldung nicht, wie früher hochgerechnet, auf 62 Milliarden DM ansteigen wird, sondern höchstens auf 48 Milliarden DM. Das ist auch noch viel.
Die Jahresverluste für 1987 werden nicht, wie hochgerechnet, 7,2 Milliarden DM betragen, sondern 3,6 Milliarden DM. Die notwendigen Strukturanpassungen und die neuen Marktchancen, die in die Zukunft weisen, müssen hier also beachtet werden. Wir halten uns auch insoweit an die Regierungserklärung vom 4. Mai 1983 — Zitat —:
Die Deutsche Bundesbahn ist für uns unverzichtbar. Aber ... wir müssen dafür sorgen, daß sie nicht unbezahlbar wird.

(Drabiniok [GRÜNE]: Das ist der einzige Satz über die Bahn in der Regierungserklärung!)

Das DB-Konzept ist ein Teil eines Gesamtkonzeptes, das die arteigenen Vorteile der Bahn zur Geltung bringt. Es ist Grundlage dafür, daß die DB eigenverantwortlich und unternehmerisch handeln kann, daß die Bahn attraktiv wird und finanzierbar bleibt, daß die Bahn gemeinwirtschaftlich handeln kann, ohne den Finanzrahmen zu sprengen. Dieses Konzept dient der Zukunftssicherung der Deutschen Bundesbahn, schafft langfristig eine wirtschaftliche und wettbewerbsfähige Bahn und sichert nach der Konsolidierung auf Dauer auch die Arbeitsplätze.
Ein kurzer Überblick: Erstens. Die Marktstellung der Deutschen Bundesbahn im Personen- und Güterverkehr ist in den letzten 20 Jahren leider erheblich zurückgegangen. Der Anteil des Personenverkehrs betrug 1960 15,7 %, 1970 8,4 %, 1982 6,6 %.

(Drabiniok [GRÜNE]: Das hängt mit dem Straßenbau zusammen!)

Güterverkehr: 1960 44,2 %, 1970 39,9%, 1982 29,0 %.
Über die Verschuldung wurde bereits gesprochen. Die Entwicklung von über 6,2 Milliarden DM auf 35,5 Milliarden DM sagt alles. Auch die Jahresverluste — 1960 13,5 Millionen DM, jetzt 4 150 Millionen DM — sprechen für sich, und zwar trotz Erhöhung des Bundeszuschusses um 350 % in der Zeit von 1970 bis 1982.
Zweitens. Ursachen für diese Entwicklung: Die Anpassung an die Strukturveränderungen in Wirtschaft und Verkehr ist in den 60er und 70er Jahren nicht gelungen. In den letzten 20 Jahren sind strukturelle Veränderungen der Verkehrsbedürfnisse zu verzeichnen: Rückgang der Güterverkehrsarten — ich brauche nur Kohle und Erz zu nennen —, Einsatz leistungsfähiger Verkehrssysteme bei den konkurrierenden Verkehrsträgern, die Expansion des Straßenverkehrs durch die Motorisierung breiter Bevölkerungskreise und Ausbau der Straßeninfrastruktur. In der Nachkriegszeit folgte die Siedlungs- und Wirtschaftsstruktur nicht der Infrastruktur der Bahn.

(Straßmeir [CDU/CSU]: So ist es!)

Die Veränderung der Verkehrsnachfrage war deutlich.
Ich bin der Meinung, daß die Deutsche Bundesbahn in der Zukunft trotzdem eine Chance hat, aber nicht durch Reglementierung und Dirigismus, sondern dadurch, daß die Bahn wieder ein gefragtes Verkehrsmittel wird. Dazu muß sie schneller, attraktiver und im Angebot flexibler werden.
Dritte Bemerkung: In den vergangenen Jahren hat man eine Vielzahl von Konzepten, Plänen und Maßnahmen entwickelt, um die Fahrt des Unternehmens in die roten Zahlen abzubremsen. Die Konzepte haben in Wirklichkeit wenig bewegt. Es fehlte die politische Durchsetzungskraft zu entscheidenden Weichenstellungen. Zum Teil waren die Konzepte auch falsch angelegt.
Viertens. Auf Grund der Dringlichkeit haben wir Leitlinien zur Konsolidierung der Deutschen Bundesbahn im Kabinett einstimmig verabschiedet. Die Schwerpunkte der Leitlinien möchte ich noch einmal darstellen: Klare Trennung der Verantwortlichkeiten zwischen Eigentümer Bund und Unternehmen Deutsche Bundesbahn. Wer zusätzliche gemeinwirtschaftliche Leistungen verlangt, soll nach dem Verursachungsprinzip auch dafür bezahlen; denn man kann nicht ständig fordern und die anderen bezahlen lassen.
Die Anpassung an den Strukturwandel ist in allen Leistungsbereichen wichtig und nötig. Das bedeutet konsequente und unternehmerisch ausgerichtete Bahnpolitik, Leistungs- und Kapazitätsanpassung an die Nachfrage. Das heißt ganz klar: Reduzierung der Kapazitäten von Anlagen und Fahrzeugen und damit eine erhebliche Personaleinspa-



Bundesminister Dr. Dollinger
rung, aber möglichst ohne Entlassungen. Darüber haben wir, Herr Kollege Haar, wiederholt eingehend gesprochen. Das bedeutet: Investitionen der Deutschen Bundesbahn für Aus- und Neubaustrekken, für die Ausschöpfung der modernsten Technik, für die Weiterentwicklung der Rad-Schiene-Technik, des Waggonmaterials, der Lokomotiven und der Signaltechnik. Schließlich gehören dazu die Nutzung aller Rationalisierungsreserven und die Kooperation mit der privaten Wirtschaft — dabei denke ich besonders an den Containerverkehr —, um das Interesse des Güterkraftverkehrs mit dem der Bahn, wenn Sie so wollen, zusammenzukoppeln.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Die Ziele bis 1990 wurden schon genannt. Ich wiederhole sie: Steigerung der Arbeitsproduktivität um 40 %, Senkung der Gesamtkosten um 25 %, Senkung der Personalkosten um 30 %.

(Krizsan [GRÜNE]: Wie viele Leute werden entlassen, Herr Minister? — Straßmeir [CDU/CSU]: Keiner! So ist das!)

Meine Damen und Herren, das ist — mit wenigen Zahlen vorgestellt — ein hartes Programm. Man sollte nicht so tun, wie wenn das nichts beinhalten würde. Ich danke hier dem Vorstand der Deutschen Bundesbahn, daß dieses Konzept von ihm und dem Verkehrsministerium gemeinsam entwickelt werden konnte und dann die Zustimmung des Kabinetts gefunden hat.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Noch einmal zur Regierungserklärung vom 4. Mai 1983: „Die Bahn muß ein Unternehmenskonzept erarbeiten, das zu Kostensenkungen und Ertragssteigerungen führt."
Fünfte Bemerkung: Deutsche Bundesbahn und öffentlicher Personennahverkehr. Die Bundesregierung hat mit den Leitlinien das Engagement der DB für den ÖPNV bekräftigt.

(Krizsan [GRÜNE]: Na, na!)

Ich muß aber auf folgendes hinweisen: Das Defizit betrug im Jahre 1970 1,8 Milliarden DM und im Jahre 1980 4,5 Milliarden DM.

(Straßmeir [CDU/CSU]: Unerhört!)

Diese Entwicklung kann nicht so weitergehen. Die Deutsche Bundesbahn wird sich zwar nicht aus der Fläche zurückziehen, sie wird aber eine bedarfsgerechte Verkehrsbedienung gestalten, und zwar mit dem jeweils günstigsten, zweckmäßigsten und kostenmäßig auch richtigen Verkehrsmittel, sei es die Schiene, sei es der Bus oder eine Kombination von Schiene und Bus.
Dabei wird im Einzelfall geprüft, was zu tun ist. Wir haben keine zahlenmäßige Festlegung des Umfangs des DB-Streckennetzes getroffen.

(Krizsan [GRÜNE]: Na, na!)

Jeder, der das behauptet, sagt etwas Falsches. Die
Bundesregierung erkennt die besondere strukturpolitische Rolle der Bahn ausdrücklich an, insbesondere in Grenzregionen und im Zonenrandgebiet.

(Drabiniok [GRÜNE]: Darauf kommen wir gleich noch!)

Meine Damen und Herren, „denkbar wäre allerdings, daß ein auf 19 000 Kilometer konzentriertes Netz — heute sind es etwa 29 000 Kilometer — raschere, stärkere, gezielte und gebündelte Verkehrsleistungen erlaubt, die gegenüber den jetzigen attraktiver sind". Eine hochinteressante Formulierung. Ich vermisse den Beifall von der Linken. Denn das ist eine Formulierung des früheren Bundesfinanzministers Helmut Schmidt im „Jahrbuch des Eisenbahnwesens" 1974.

(Zurufe von der SPD)

— Sie können das gerne noch einmal hören:

(Hanz [Dahlen] [CDU/CSU]: Bitte, noch einmal!)

Denkbar wäre allerdings, daß ein auf 19 000 Kilometer konzentriertes Netz — heute sind es etwa 29 000 Kilometer — raschere, stärkere, gezielte und gebündelte Verkehrsleistungen erlaubt, die gegenüber den jetzigen attraktiver sind.

(Straßmeir [CDU/CSU]: Wer sagt das? Wer war das?)

— Helmut Schmidt, 1974.

(Seiters [CDU/CSU]: Können Sie das noch einmal vorlesen! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU: Wiederholen!)

— Nein, jetzt hören wir auf. — Also, meine Damen und Herren, kein Beifall für den früheren Bundeskanzler. Offenbar wissen Sie auch nicht, ob Sie es ablehnen sollen; Sie haben nicht dagegen protestiert.

(Daubertshäuser [SPD]: Sie haben heute morgen nicht zugehört, Herr Minister!)

— Herr Daubertshäuser, das hilft ja nichts, das ist einmal so gesagt worden. Da man ständig so tut, als ob nur wir von Streckenstillegungen sprechen würden, möchte ich hier noch einmal feststellen, daß Sie viel umfangreichere Pläne hatten. Allerdings blieb es bei den Plänen.

(Haar [SPD]: Reden Sie bitte von Ihren Plänen! — Krizsan [GRÜNE]: Und Sie führen sie jetzt durch, Herr Minister, Sie verwirklichen sie!)

Meine Damen und Herren, auch in den Ballungsräumen wird sich die Deutsche Bundesbahn ihren Aufgaben stellen. Wir müssen jedoch das Ansteigen der Defizite in den Verkehrsverbänden begrenzen und dürfen keine neuen, unbezahlbaren Folgekosten auf die Deutsche Bundesbahn und damit in Wirklichkeit auf den Bundeshaushalt zukommen lassen. Niemand kann von der Deutschen Bundesbahn Kostendeckung im Schienen-Personennahverkehr verlangen. Deshalb zahlt der Bund jährlich Ausgleichsbeträge, im Jahre 1984 z. B. in Höhe von 3,3 Milliarden DM. Dennoch kann sich der Schienenpersonennahverkehr der Deutschen Bundes-



Bundesminister Dr. Dollinger
bahn als eine gemeinwirtschaftliche Aufgabe nicht völlig von wirtschaftlichen Grundsätzen lösen. Der Grundsatz der Begrenzung staatlicher Subventionen darf auch in diesem Bereich nicht ganz vernachlässigt werden.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Krizsan [GRÜNE]: Was heißt denn das?)

Um Mißverständnisse auszuräumen: Es ist nicht wahr, daß die Bundesbahnpolitik ausschließlich von finanziellen Zwängen und finanziellen Erwägungen geprägt wird. Die Leitlinien basieren auf der vom Verfassungsrecht vorgegebenen Rechtslage, gehen von einer Weiterführung aller öffentlichen Aufgaben der DB aus und legen fest, daß es hinsichtlich notwendiger Strukturanpassungen, zum Beispiel Verlagerung von der Schiene auf die Straße, bei dem im Bundesbahngesetz festgelegten Verfahren bleibt.
Auch die Abgeltungsleistungen des Bundes für gemeinwirtschaftliche Leistungen oder aus Gründen der Wettbewerbsharmonisierung werden uneingeschränkt weitergeführt. Der Bund trägt also wie bisher das gesamte Finanzrisiko aus der Tätigkeit der DB und entspricht damit der nach Artikel 104 a Abs. 1 Grundgesetz vorgeschriebenen Finanzverantwortung für die gemäß Artikel 87 Grundgesetz in bundeseigener Verwaltung zu führende Deutsche Bundesbahn. Durch Investitionshilfen und Abgeltungsleistungen trägt der Bund entscheidend zum Abbau von Wettbewerbsverzerrungen zu Lasten der Deutschen Bundesbahn bei, zum Beispiel 3 Milliarden DM für überhöhte Versorgungslasten und 1 Milliarde DM der Zinslasten von insgesamt 3 Milliarden DM.
Als nächster Punkt die Frage: Wie soll es weitergehen? Der Bund wird die Deutsche Bundesbahn bei der Konsolidierung nachhaltig unterstützen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Der Vorstand muß wissen, wie der Bund als Eigentümer denkt. Beweis dafür ist auch der einstimmige Beschluß der Bundesregierung. Ich sage hier eines ganz deutlich: Der Bund als Eigentümer wird zu seinem Unternehmen Deutsche Bundesbahn stehen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Ich stelle dankbar fest, daß die interne Unternehmensstrategie des DB-Vorstands bereits gegriffen hat. Mein Vorgänger, Herr Volker Hauff, hat offenbar einen guten Griff getan.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD — Zurufe von den GRÜNEN)

1983 haben wir zum erstenmal einen Stopp in der Verschuldung. Ich darf hier die Zahlen nennen. Wir haben im Jahre 1982 einen Verlust von 4,15 Milliarden DM gehabt. Für 1983 lautete die frühere Hochrechnung 4,56 Milliarden DM. Die Wirklichkeit für 1983 war: 3,75 Milliarden DM; das heißt, das Ergebnis hat sich im Vergleich zum Vorjahr um 400 Millionen DM verbessert.

(Sehr gut! bei der CDU/CSU)

Das war sicher auch das Ergebnis einer konsequenten Bahnpolitik, die später ihren Niederschlag in den Leitlinien gefunden hat.

(Krizsan [GRÜNE]: Stillegungspolitik war das!)

— Nein, sie war etwas anderes. Das hing auch damit zusammen, daß es keine Gehalts- und Lohnerhöhung bei der Bahn gab.

(Hört! Hört! bei den GRÜNEN)

Denn 1 % Lohn- und Gehaltserhöhung bedeutet 150 Millionen DM Kosten.

(Krizsan [GRÜNE]: Zu Lasten der Bahner wird gespart! — Drabiniok [GRÜNE]: Das ist Sozialpolitik à la CDU!)

Ich behaupte aber, die Bahn ist damit noch nicht über den Berg. Ich möchte aus diesem Ergebnis von 1983 gegenüber der Vorausberechnung nicht die Folgerung ziehen, daß man nun sagen kann: dies und jenes brauchen wir nicht; man darf nicht so tun, als ob die Dinge geregelt wären, und es darf kein neuer Leichtsinn einsetzen; das können wir nicht brauchen. Die Bahn braucht eine strukturelle Gesundung und realistische — ich betone: realistische — Zukunftsperspektiven.

(Krizsan [GRÜNE]: Ihr Realismus ist grausam!)

Dazu gehören die Investitionen. Bis 1990 sind 40 Milliarden DM an Investitionen bei der Deutschen Bundesbahn vorgesehen, davon 14 Milliarden DM für Neubaustrecken, 26 Milliarden DM für Fahrzeuge, Anlagen, Rationalisierung und Attraktivitätssteigerung.

(Sehr gut! bei der CDU/CSU)

40 Milliarden DM Investitionen, das ist ein Kontrastprogramm zu dem Wort „Kahlschlag bei der Deutschen Bundesbahn".

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Zurufe von den GRÜNEN)


Dr. Rainer Barzel (CDU):
Rede ID: ID1006401400
Herr Bundesminister, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Daubertshäuser?

Dr. Werner Dollinger (CSU):
Rede ID: ID1006401500
Herr Präsident, ich mache es wie meine Herren Vorredner; aber ich stehe im Ausschuß gern zur Verfügung.

(Daubertshäuser [SPD]: Aber Sie haben doch Zeit!)

— Herr Daubertshäuser, ich nehme Rücksicht auf die Koalitionsfraktionen, damit diese auch entsprechend reden können.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Denn ich glaube, Aussprachen in dieser Form im Parlament sollten nicht nur Erklärungen der Regierungsmitglieder sein.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Das Ziel ist also klar: Die Bahn muß in ihrer Marktposition gestärkt werden. Deshalb werden Investitionen für Neu- und Ausbaustrecken von insge-



Bundesminister Dr. Dollinger
samt 730 Kilometern Länge vorgenommen, davon Hannover-Würzburg 327 Kilometer, Mannheim-Stuttgart 99 Kilometer. Wir dürfen auf diesem Wege nicht halbherzig stehenbleiben, sondern wir müssen versuchen, diese Vorhaben so schnell wie möglich zu verwirklichen, um auch tatsächlich den Verkehrswert zu haben.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Ich darf hier mit Genugtuung feststellen, daß sich
die Ausbaustrecken planmäßig fortentwickeln, und
ich hoffe, daß die Ziele rechtzeitig erreicht werden.
Heute, meine Damen und Herren, kann die deutsche Bundesbahn nur auf 300 Kilometern — das sind ganze 10 % ihres Intercity-Netzes — im Intercity-Betrieb eine Geschwindigkeit von bis zu 200 km/h erreichen. Nach Fertigstellung der Neu-und Ausbaustrecken werden, entsprechend der neuesten Information, die ich vom Vorstand habe, dann etwa 2 000 km des heutigen Netzes für Geschwindigkeiten von bis zu 250 km/h ausgebaut sein. Diese Qualitätsverbesserung ist nach meiner Meinung unumgänglich; sie sichert die Zukunft der Bahn.
Ein weiterer Schwerpunkt wird die Verbesserung des internationalen grenzüberschreitenden Eisenbahnverkehrs sein. Wir brauchen uns nicht zu wundern, wenn man von der Eisenbahn auf die Straße geht, wenn es Stunden und Tage dauert, bis der Zug über die Grenze kommt. Deshalb muß hier innerhalb der CEMT, der EG und auch bilateral etwas getan werden, damit dies rascher geht. Das Thema spielt auch bei den Konferenzen der Europäischen Gemeinschaft eine Rolle. Ich habe ferner mit meinem österreichischen und Schweizer Kollegen vor einiger Zeit vereinbart, daß wir sowohl mit Osterreich als auch mit der Schweiz den Versuch unternehmen sollten, rascher über die Grenze zu kommen, und Mitte des Jahres werden wir hier sicher Ergebnisse haben. Wenn diese gut sind, kann es vielleicht auch innerhalb der EG beispielhaft sein.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Wir müssen die Bahn also dort stärken, wo sie ihre arteigenen Vorteile ausspielen kann. Wir brauchen moderne Rangier- und Knotenbahnhöfe, und wir brauchen moderne Fahrzeuge. Die Deutsche Bundesbahn hat in enger Zusammenarbeit mit großen Firmen der deutschen Eisenbahnindustrie eine neue Lokomotive E 120 entwickelt. Im Gegensatz zu der bisher im Lokomotivbau verwendeten Technik wird diese Lok von Drehstrommotoren angetrieben. Mit dieser modernen Entwicklung gelang es, nicht nur eine im Güter- und schnellen Reisezugverkehr gleichermaßen einsetzbare Lokomotive zu schaffen, sondern auch die elektrischen Verschleißteile weitgehend zu eliminieren. Die Lok hat einen hohen Leistungsfaktor.

(Krizsan [GRÜNE]: Das ist der Aufschwung!)

Die Drehstromtechnik ist geradezu wegweisend, sowohl in der jetzt entwickelten Lokomotive als auch
in Triebzügen für den Schnellstverkehr auf den Neubaustrecken.

(Zuruf von der SPD: Bravo!)

Die bisher gesammelten Erfahrungen können bei der Serienproduktion der E 120 berücksichtigt werden. Die Serienreife für diese Lokomotive ist am Dienstag, den 3. April 1984, bestätigt worden, so daß nunmehr die zuständigen Gremien die Auftragsvergabe dieser Lok werden vornehmen können. Dies wird auch für die Lokomotivindustrie in unserem Lande von großer Bedeutung sein. Neben der Kostensenkung, die bei der Bahn von diesen Investitionen erwartet wird, wird unsere Lokomotivindustrie auch im Ausland eine Chance haben, entsprechenden Absatz zu bekommen, wenn man darauf hinweisen kann: die Deutsche Bundesbahn hat diese Lokomotive bestellt. Das ist ein entscheidendes Werbemittel.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Ich hoffe, daß wir hier bald zu einer guten Entwicklung kommen werden.
Meine Damen und Herren, ich komme zur siebten Bemerkung. Eines ist klar: In diesem Konzept können nicht alle Wünsche erfüllt werden,

(Dr. Jannsen [GRÜNE]: Gar keine!)

aber es ist ein nüchternes und ein realistisches Programm.

(Vorsitz: Vizepräsident Wurbs)

Ich nehme das, was Herr Daubertshäuser gesagt hat, gern auf: Gemeinsamkeit. Ich meine, eine so schwierige Operation wie die, die Deutsche Bundesbahn wieder in Ordnung zu bringen, ist eine gemeinsame Aufgabe. Ihr sollten wir uns alle verpflichtet fühlen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Deshalb wäre ich sehr dankbar, wenn das ständige Miesmachen und Nörgeln, das andauernde Gerede von Pleite und Krise der Deutschen Bundesbahn nun ein Ende finden würde. Denn wir haben den Mut zu einem Konzept.

(Drabiniok [GRÜNE]: Dann ziehen Sie Ihr Konzept zurück!)

Meine Damen und Herren, ich weiß, daß das harte Opfer erfordert bei den Bahnbeschäftigten, den Mitarbeitern, auch in gewissen Räumen — gar kein Zweifel!

(Krizsan [GRÜNE]: Also doch Stillegung!)

Aber das, was Herr Daubertshäuser gesagt hat, war ein ehrliches Wort: einschneidende politische Maßnahmen. Ohne die, meine Damen und Herren, geht es nicht. Wer glaubt, die Bahn mit Geschenken sanieren zu können, ist total im Irrtum.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Krizsan [GRÜNE]: Abstellgleis!)

Deshalb nehme ich diesen Appell zur Gemeinsamkeit gern auf. Und alles das, was man hier in einer Diskussion nicht bereden kann, können wir gern im Ausschuß ausführlich diskutieren. Ich werde auch dort zur Verfügung stehen.



Bundesminister Dr. Dollinger
Wir müssen unser Ziel erreichen. Dieses muß lauten: Eine gesunde, technisch erstklassig ausgestattete, am Markt orientierte Deutsche Bundesbahn für unsere Bürger und unsere Wirtschaft. Es muß zweitens lauten: Nach notwendiger Personalanpassung sichere Arbeitsplätze für die Eisenbahner in Deutschland!
Ich möchte ganz klar sagen: Die Bahnbediensteten, Tag und Nacht im Dienst, bei Hitze und bei Kälte, verdienen unsere Anerkennung und unseren Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Zurufe von den GRÜNEN)

Die Mitarbeiter der Deutschen Bundesbahn müssen auch von der Last der Frage befreit werden: Was wird aus der Bahn? Stellen Sie sich vor, was es bedeutet, wenn der Mitarbeiter der Bahn am Freitag oder am Samstag abends sein Glas Bier in einem Lokal trinkt und dann gehänselt oder, wenn Sie so wollen, auf den Arm genommen wird: „In was für einem Betrieb bist du eigentlich tätig?" Das motiviert nicht, das macht Arger. Deshalb meine ich, wir müssen dahin kommen, daß der Eisenbahner aus Überzeugung sagen kann: „Ich bin stolz, Mitarbeiter bei der Deutschen Bundesbahn zu sein."

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Mit unseren Vorstellungen — und ich bitte um Ihre Unterstützung —, mit dem Vorstand und mit den Mitarbeitern bei der Deutschen Bundesbahn wird es uns gelingen — davon bin ich überzeugt —, eine moderne, attraktive Bahn zu schaffen, eine Bahn mit Zukunft!

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Zurufe von den GRÜNEN)


Richard Wurbs (FDP):
Rede ID: ID1006401600
Das Wort hat der Abgeordnete Haar.

Ernst Haar (SPD):
Rede ID: ID1006401700
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das, was von Ihnen, verehrter Herr Verkehrsminister, am Schluß an die Adresse der Eisenbahner versöhnlich formuliert worden ist, hat im Verlauf Ihrer langen Darstellung dessen, um was Sie sich mühen, genauso große Lücken gehabt. Ich finde, es wäre von Ihnen eigentlich ehrlicher gewesen, bei der Thematik Investitionen nicht zum wiederholten Male mit Zukunftsoptimismus hier Milliardenbeträge vorzutragen, ohne zu sagen, wer diese Beträge dann aufbringt. Denn über diese Frage reden wir nicht nur im Ausschuß, sondern auch öffentlich, wer was für die Bahn bringt.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Sie haben die Aktivität der Bahnbeschäftigten in den letzten Wochen mit dieser jetzt berühmtberüchtigten Bild-Zeitungs-Geschichte „Rosarote Zeiten" sehr positiv dargestellt. Sie haben auch erwähnt, daß wohl die Gewerkschaften nichts dagegen haben. Mit der Bild-Zeitung zu werben ist übrigens eine Geschmacksfrage.

(Beifall bei der SPD — Zurufe von der CDU/CSU)

Hoffentlich sind Sie so objektiv, es genauso positiv zu sehen, wenn sich die Eisenbahner beim Protest gegen den Abbau weiterer Schienenstrecken mit der Bevölkerung solidarisieren, wenn Eisenbahner für ihren Betrieb auf die Straße gehen.

(Beifall bei der SPD)

Im übrigen befasse ich mich nicht lange mit dem unappetitlichen Beitrag des Herrn Hoffie, der leider nicht mehr da ist. Ich will nur feststellen: Nicht nur der Vorstand der Bundesbahn ist da, sondern auch viele Funktionsträger und Personalräte aus der Bundesbahn. Über deren Anwesenheit freuen wir uns.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN — Zuruf von der CDU/CSU: Wir auch!)

Herr Minister, nun haben Sie heute wieder einmal versucht, ein rosarotes Bild von der Lage der Bahn zu zeichnen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Das ist nicht wahr!)

Wir kennen diese Taktik nun schon seit Monaten. Investitionsplanungen der Bundesbahn, deren Finanzierung völlig offen ist, werden als fest beschlossene Maßnahmen der Bundesregierung dargestellt. Das Ausmaß der vorgesehenen Streckenstillegungen wird verharmlost, und Erfolge der Eisenbahner und des Bahnmanagements werden als ein Verdienst des Bundesverkehrsministers ausgegeben. Wenn es so ist, daß die vom Vorstand erzielten und hier dargestellten Ergebnisse des letzten Jahres bei den sehr, sehr harten Einschnitten — zum Teil gegen die Eisenbahner — auch Ihr Verdienst sind, dann bekennen Sie sich bitte dazu und benutzen Sie nicht nur Blut- und Tränenformulierungen. Auch das können wir nicht ertragen.

(Beifall bei den SPD)

Denn das, was jetzt hier vorgestellt wurde, ist ein Bild der Schönfärberei, das nicht viel mit der Wirklichkeit zu tun hat. Reden Sie einmal mit den Eisenbahnern,

(Straßmeir [CDU/CSU]: Reden Sie einmal vernünftig mit den Eisenbahnern!)

reden Sie mit den Politikern der vom Rückzug der Bahn betroffenen Regionen,

(Zuruf von der CDU/CSU: Wer hat denn das verkommen lassen?)

reden Sie mit den auf das Verkehrsangebot der Bahn angewiesenen Pendlern.

(Der Abgeordnete Dr. Jobst [CDU/CSU] meldet sich zu einer Zwischenfrage)

— Herr Dr. Jobst, Sie haben genügend geredet. Wir reden wieder im Verkehrsausschuß.

Richard Wurbs (FDP):
Rede ID: ID1006401800
Aber trotzdem, Herr Abgeordneter, muß ich Sie fragen, ob Sie eine Zwischenfrage — —

Ernst Haar (SPD):
Rede ID: ID1006401900
Sie werden dann erfahren, welche schweren Sorgen um die Zukunft der Bundesbahn Mitarbeiter und Kunden der Bahn bewegen.



Haar
Diese Sorgen sind im übrigen mehr als berechtigt. Ich möchte nur einige Gründe nennen.
Es vollzieht sich eine dramatische Beschleunigung der Streckenstillegungen.

(Zuruf von der CDU/CSU)

Bei fast 150 Strecken des Personen- bzw. Güterverkehrs ist das Verfahren eingeleitet oder steht schon kurz vor dem Abschluß. Zum Fahrplanwechsel: Am 3. Juni

(Zuruf des Abg. Dr. Jobst [CDU/CSU])

wird das Zugangebot um weitere 250 Züge pro Tag verringert.

(Zuruf von der CDU/CSU: Das war doch Ihre Regierung!)

— Wir kommen nachher noch auf Gemeinsamkeiten.
Ich sage nur: Behaupten Sie nicht, es stünde in diesem Bereich jetzt nichts zur Diskussion. Sie haben unter anderen Vorzeichen dem Vorstand die Vollmacht zum Handeln gegeben. Ich finde das unredlich und unglaubwürdig, was Sie in der Praxis machen. Darum geht es.

(Beifall bei der SPD — Dr. Jobst [CDU/ CSU]: Das ist vom Bundesverkehrsminister Hauff eingeleitet worden! — Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Das ist nicht wahr!)

Herr Verkehrsminister, in Ihre Amtszeit fallen einschneidende verkehrspolitische Entscheidungen gegen die Bahn. Ich brauche nur an den Beschluß zu erinnern, den Rhein-Main-Donau-Kanal fertigzustellen,

(Zuruf von der SPD: Sehr gut!)

die Erhöhung der Treibstofffreimengen — —

(Beifall bei der SPD — Dr. Jobst [CDU/ CSU]: Den Sie in Regensburg verbrochen haben! — Weitere Zurufe von der CDU/ CSU)

— Ich kenne Ihr Geschrei, Herr Dr. Jobst, Ihr schlechtes Gewissen muß groß sein, sonst würden Sie nicht so viel dazwischenrufen.

(Erneuter Zuruf des Abg. Dr. Jobst [CDU/ CSU])


Richard Wurbs (FDP):
Rede ID: ID1006402000
Herr Abgeordneter Jobst, Sie haben nicht das Wort.

(Beifall bei der SPD)


Ernst Haar (SPD):
Rede ID: ID1006402100
Herr Präsident, ich bitte vor allem, diese Unterbrechungen bei meiner Redezeit zu berücksichtigen.

(Dr. Waigel [CDU/CSU]: Um Gottes willen, auch das noch! — Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Warum denn das?)

Die Erhöhung der Treibstofffreimengen im grenzüberschreitenden Straßenverkehr von 50 auf 200 Liter, die Erhöhung der Achslasten für Omnibusse und die freigebige Erhöhung der Zahl der Fahrgenehmigungen im grenzüberschreitenden
Lkw-Verkehr sind Dinge, an die ich Sie, Herr Verkehrsminister, einmal erinnern möchte. Ich hoffe, daß Sie die Zahlen in einer Antwort noch offenlegen werden, die auf diese Weise der Bahn als Einnahmen verlorengehen. Das ist keine Politik für, das ist eine Politik gegen Bahn und Eisenbahner. Darum geht es.

(Beifall bei der SPD)

Im Bundeshaushalt 1984 — wir kommen da zu Fakten; ich hoffe, jetzt ruft dann niemand mehr, sondern man denkt darüber nach — sind 389 Millionen DM weniger für die Bundesbahn eingeplant als noch im Haushalt 1983. Schaltet man die Preissteigerungen aus, so sind die Leistungen des Bundes an die Bundesbahn zwischen 1979 und heute um 25% gesunken. Sie haben das im Verkehrsausschuß bestätigt. Ich hoffe, Sie werden das jetzt nicht öffentlich widerrufen wollen.
Die Fortsetzung, meine Damen und Herren, des massiven Personalabbaus ist gewollt, sie ist vorprogrammiert. Machen Sie doch der Öffentlichkeit hier nichts vor.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN — Zurufe von der CDU/CSU)

Alle diese Sorgen der Eisenbahner und ihre Verunsicherung sind durch die am 23. November 1983 beschlossenen Leitlinien zur Bundesbahnpolitik nicht geringer, sondern um vieles größer geworden.
Ich will das zusammenfassen: Beschneidung des finanziellen Rahmens der Bundesbahn, Abbau der gemeinwirtschaftlichen Leistungen der Bahn, Rückzug der Schiene aus der Fläche und ein beschleunigter Personalabbau sind die Kernpunkte dieser sogenannten Leitlinien. Und Sie berufen sich auf eine einmütige Beschlußfassung des Bundeskabinetts. Gut, wir nehmen das zur Kenntnis. Das heißt — ich wiederhole es —, 40 % mehr Arbeitsproduktivität bis 1990, die Gesamtkosten um 25% zu senken und die Personalkosten um 30% zurückzuführen. Was Sie hier an sozialen Positionen noch übriglassen, darauf werden Sie uns die Antwort wohl schuldig bleiben.
Herr Bundesverkehrsminister, Sie wissen ganz genau, welch einschneidende Maßnahmen unausweichlich sind, wenn diese Vorgaben erfüllt werden sollen. Der Vorstand der Bundesbahn, der hier zuhört, hat Ihnen diese Zahlen vorgelegt. Sie liegen der Öffentlichkeit und längst auch Ihnen vor. Ich wiederhole sie: Streckenreduzierung im Güterverkehr um rund 3 000 km, im Personenverkehr um rund 7 000 km; Reduzierung der Zahl der Lokomotiven, der Güter- und Reisezugwagen; Reduzierung der Zahl der Ausbesserungswerke; Reduzierung des Leistungsvolumens und Selektion im Bereich Expreßgut; Konzentration und Kooperation im Bereich Stückgut. Das ist kein Aufbau, das ist Zerstükkelung der Deutschen Bundesbahn. Das wollen wir hier festgehalten haben.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN — Dr. Jobst [CDU/CSU]: Das ist eine Wahlkampfrede! — Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Und dazu noch eine schlechte!)




Haar
— Ich rede gerade nicht mit Ihnen, bitte.
Herr Minister, Ihre Argumentation gegen das Miesmachen und gegen das Nörgeln ist gefährlich. Sie sollten das unterlassen. Wir sollten gemeinsam versuchen, wie das mein Kollege Daubertshäuser gesagt hat, nicht Vergangenheitsbewältigung durch gegenseitige Schuldzuweisungen zu betreiben, sondern darüber zu reden, wie wir schwerste Eingriffe verhindern können. Darum geht es.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN — Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Jetzt auf einmal!)

Ihre Feststellung, daß mehr Investitionen notwendig seien, wird von unserer Fraktion unterstützt. Wie sieht es aber in Ihrem Kabinettsbeschluß — und den haben Sie zu vertreten — wirklich aus? Da steht drin:
Über die Höhe des Plafonds wird bei der Aufstellung des Haushalts 1985 und der Fortschreibung des Finanzplans entschieden.
Ich bin gespannt, ob Sie in einem halben oder einem Jahr immer noch sagen werden: Wir sind uns im Kabinett alle einig. Da wird man sehen, wie das sein wird.

(Straßmeir [CDU/CSU]: Sie regen sich schon vorher auf!)

Die Bundesregierung erwartet von den Eisenbahnern große Opferbereitschaft. Auch heute haben Sie nur gesagt, Entlassungen wolle man nicht ausschließen. Sie selber sind jedoch nicht bereit, zumindest den Silberstreif einer Hoffnung erkennen zu lassen. Ich sage hier noch einmal: Das ist unerträglich für meine Fraktion; das ist auch unerträglich für die Eisenbahner.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Von der Bahn — das räume ich Ihnen gerne ein —, von ihrem Vorstand und von den Mitarbeitern der Bahn, werden große Anstrengungen unternommen, um die Qualität des Angebots zu erhöhen und den Absatz zu steigern. Es ist jedoch eine Illusion anzunehmen, allein durch Eigenanstrengungen des Unternehmens könnten die Probleme der Bahn gelöst werden. Solange die verkehrs- und finanzpolitischen Rahmenbedingungen nicht verändert werden, sind alle neuen Angebote nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Das wissen auch Sie. Zumindest müßten Ihnen das die Fachleute, auch die aus Ihrer Fraktion, inzwischen deutlich gemacht haben.
Leichtfertig und irrig ist es, anzunehmen, durch Privatisierung von Teilbereichen des Unternehmens könnten die Finanzprobleme der Bahn gelöst werden. In der Kabinettsvorlage vom 23. November letzten Jahres ist von einer verstärkten Auftragsvergabe an Dritte mit dem Ziel der Umwandlung von fixen in variable Kosten und von Kooperation mit und Kapitalbeteiligung von Dritten an Projekten der Bahn die Rede.

(Hört! Hört! bei der SPD)

Ich möchte Sie vor all diesen Bestrebungen sehr
eindringlich warnen. Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion und die Eisenbahner werden sich einer Politik, die Privatisierung will, die die Rosinen herauspickt, in jedem Fall widersetzen.

(Beifall bei der SPD)

Wir werden nicht zulassen, daß das Unternehmen Deutsche Bundesbahn von innen ausgehöhlt wird. Die sogenannten Pilotmodelle zeigen bereits jetzt, daß die Kostenvorteile der privaten Unternehmen allein durch Lohndrückerei, durch soziale Demontage und das Umwälzen von Kosten auf die Allgemeinheit entstehen.

(Hoffie [FDP]: Falsch! Falsch!)

— Ich kann Ihnen das beweisen. Sie brauchen gar nicht aufgeregt zu sein. Wir können Ihnen das darstellen.

(Dr. George [CDU/CSU]: An den Haaren herbeigezogen! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU und der FDP)

— Herr Präsident, ich habe Zeit. (Dr. George [CDU/CSU]: Haar-Spalterei!)

Typisch hierfür ist der bei all diesen Projekten zu beobachtende starke Einsatz sogenannter Aushilfskräfte nach der 390-DM-Regelung. Hier werden ganz offen die Kosten der Kranken-, Renten- und Unfallversicherung auf die Allgemeinheit überwälzt, um so billiger als die Bundesbahn zu sein, die reguläre Vollzeitkräfte einsetzt. Ich kann nur sagen: Da erinnere ich auch Sie, Herr Dr. Jobst, an Ihr christliches Gewissen.

(Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Haben Sie denn ein eigenes?)

Das ist ein niederschmetternder Beitrag zum Abbau der Arbeitslosigkeit. Dagegen sollten Sie sich wehren.

(Beifall bei der SPD)

An dieser Stelle ein Wort zum Busdienst bei der Bundesbahn.

(Seiters [CDU/CSU]: Können Sie bitte nicht mal ruhiger reden? — Dr. George [CDU/CSU]: Er ist doch Gewerkschaftsführer!)

— Es ist gut, wenn ich ihnen noch ein Weilchen in den Ohren liege.

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD)

Wer zum jetzigen Zeitpunkt, nur weil ihm das positive Geschäftsergebnis des Unternehmensbereichs Busverkehr der Bahn nicht ins Konzept paßt,

(Dr. Jobst [CDU/CSU]: Warum haben Sie nicht vor Jahren so gebrüllt?)

beginnend in der Region Augsburg, versucht, das öffentlich-rechtliche Busmodell auszuhebeln, muß mit dem entscheidenden und nachdrücklichen Widerstand meiner Fraktion und auch der Gewerkschaft der Eisenbahner Deutschlands rechnen.

(Beifall bei der SPD — Dr. George [CDU/ CSU]: Und warum?)




Haar
Ich bin daher dem Kollegen Milz für sein klares Bekenntnis zum öffentlich-rechtlichen Busmodell unter der Regie der Bahn dankbar, das er vor drei Wochen auf einer zentralen Arbeitstagung politisch aktiver Eisenbahner vorgelegt hat. Herr Bundesverkehrsminister, schaffen Sie die für ein gedeihliches Arbeiten notwendige Ruhe und Zuversicht bei den im Busdienst tätigen Eisenbahnern!

(Zurufe von der CDU/CSU)

Geben Sie klare Zusagen! Halten Sie einige Ihrer Fachbeamten, die immer wieder Unruhe stiften, endlich im Zaum!

(Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Sagen Sie das Ihren Sekretären!)

Dann ist da in der Atmosphäre einiges zu verbessern.

(Beifall bei der SPD)

Die Bahn erbringt im Nahverkehr und bei der Bedienung der Fläche gemeinwirtschaftliche Leistungen, auf die wir alle genausowenig wie auf Schulen, Polizei und Krankenhäuser verzichten können. Ich hoffe, wir werden uns mindestens auf der Ebene Ihrer Entschließungsanträge aus dem Jahr 1981 und unserer Positionen im Bereich der Abgeltung gemeinwirtschaftlicher Leistungen in der weiteren Beratung auch unserer Vorlagen, die eingebracht werden, treffen können.
Notwendig für eine Konsolidierung der Lage der Bahn und damit für eine Sicherung ihrer Zukunftschancen ist eine Verkehrs- und Finanzpolitik, die eine Stärkung des umweltfreundlichen Schienenverkehrs wirklich will. Die Bahn braucht die Unterstützung durch eine aktive Investitionspolitik, durch eine Verkehrsordnungspolitik und durch eine Finanzpolitik, die die Benachteiligung der Bahn durch über 30 Jahre Verkehrspolitik gegen die Schiene endlich abbaut. Nur durch eine gesetzlich abgesicherte langfristige Investitionsplanung, wie wir sie bei der Straße und bei den Wasserstraßen seit langem haben, kann der notwendige Ausbau des Schienennetzes auf eine verläßliche Grundlage gestellt werden.
Der Bahnvorstand hat Ihnen den hierfür erforderlichen Mittelbedarf von rund zwei Milliarden DM pro Jahr genannt. Lassen Sie uns gemeinsam eine Anstrengung unternehmen, dies durch eine interfraktionelle parlamentarische Initiative sicherzustellen! Oder wollen Sie, daß in den nächsten Monaten weiterhin aus den Hinterzimmern des Bundesfinanzministeriums heraus derartige sachlich begründete Anforderungen einfach vom Tisch gefegt werden? Darum geht es, um nichts anderes!

(Beifall bei der SPD)

Die Bundesbahn ist mit einem Schuldenberg von rund 36 Milliarden DM belastet.

(Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Aha!)

— Natürlich sind wir da mit schuld. Da brauchen Sie gar nicht „Aha" zu rufen. Das wissen wir doch selber. Das haben wir oft genug gesagt.

(Dr. Jobst [CDU/CSU]: Sie waren doch mal Staatssekretär im Verkehrsministerium!)

— Ja, Sie wären froh, Sie wären es mal. Sie kommen nicht in die erste Wahl, scheint mir.

(Dr. Jobst [CDU/CSU]: Was haben Sie denn damals getan?!)

Kein Unternehmen kann eine Zinslast von über 3 Milliarden DM pro Jahr — das sind über 10 % der eigenen Erlöse der Bahn — erwirtschaften.

(Lemmrich [CDU/CSU]: Sie aber auch nicht!)

Die Arbeitsgruppe unter Herrn Abs warnte in ihrem Abschlußbericht mit Recht — ich darf hier mit Genehmigung des Herrn Präsidenten einen Satz zitieren —:
Zögerliches und kompromißhaftes Handeln ist nicht mehr vertretbar, ohne der Deutschen Bundesbahn und damit der deutschen Volkswirtschaft dauerhaften und nicht wiedergutzumachenden Schaden zuzufügen.
So Herr Dr. Abs an die Regierung. — Dies wollen wir alle nicht. Also sollten wir die erforderlichen Initiativen ergreifen.
Ein Neuanfang für die Nebenstrecken ist ebenso geboten. Statt Tausende von Kilometern des Strekkennetzes der Bahn systematisch durch unterlassene Investitionen verkommen zu lassen, ist in diesem Bereich ein Neuanfang nötig. Mit einem überschaubaren Kostenaufwand können die wichtigsten der in den nächsten zehn Jahren von der Stillegung bedrohten Bahnstrecken modernisiert und die notwendigen Fahrzeuge beschafft werden. Das ist ebenso wichtig wie die Ankündigung, die wir heute vernommen haben, daß es nach dem, was dem Minister vorliegt, jetzt eine zusätzliche Modernisierung der Fernstrecken geben kann. Statt des beschleunigten Rückzugs der Bahn aus der Fläche könnte auf diese Weise für alle wichtigen Regionen der Bundesrepublik eine vernünftige Schienenanbindung auf Dauer gesichert werden. Ihre Politik, wie Sie sie jetzt vorhaben, ist kurzsichtig und allein vom Haushaltsdenken geprägt.

(Zustimmung bei der SPD)

Wenn wir da Fehler gemacht haben, dann versuchen Sie jetzt, diese Fehler mit uns gemeinsam einigermaßen vernünftig auszumerzen! Darum geht es in der Zukunft.

(Beifall bei der SPD — Dr. Jobst [CDU/ CSU]: Ihre Einsicht kommt sehr spät!)

Wenn von den verkehrspolitischen Maßnahmen zugunsten der Bahn die Rede war, wurde in der Regel von Ihnen, meine Damen und Herren, als Sie in der Opposition waren, gleich „Dirigismus" geschrien. Durch so etwas wird jede weitere Debatte abgewürgt. Ich frage Sie sehr ernsthaft — ich hoffe, daß Sie nicht schon wieder hochgehen —: Ist es denn kein Dirigismus, wenn wir jahrelang vorwiegend das Straßen- und Wasserstraßennetz ausge-



Haar
baut, die Bundesbahn aber vernachlässigt haben? Lassen Sie uns gerade in diesem Punkt gemeinsame Anstrengungen unternehmen, um die den Ausbau der Bahn benachteiligenden Wettbewerbsverzerrungen zu beseitigen.

(Lemmrich [CDU/CSU]: Sie benutzen dieses Autobahnnetz doch auch!)

— Herr Vorsitzender des Verkehrsausschusses, Sie müßten in diesem Parlament wenigstens als Vorbild vorangehen.

(Lachen bei der CDU/CSU — Lemmrich [CDU/CSU]: Wenn ich Ihnen sage, daß gerade Sie es benutzen, wo bleibt dann Ihre Ehrlichkeit?)

Wir alle wissen, welche Unfallschäden insbesondere vom Schwerlastverkehr ausgehen. Schwere Lasten über lange Strecken gehören auf die Schiene.

(Beifall bei der SPD — Dr. Waigel [CDU/ CSU]: Aber wenn wir fahren, fahren wir nicht im Salonwagen!)

Dies zeigen alle Untersuchungen, die sich nicht nur auf die betriebswirtschaftlichen, sondern auch auf die gesamtwirtschaftlichen Kosten des Straßen-und des Schienenverkehrs beziehen. Suchen wir gemeinsam nach Wegen, wie sowohl im Binnenverkehr als auch im grenzüberschreitenden Verkehr bei Transporten über große Entfernungen der kombinierte Verkehr Straße/Schiene zur Regel und nicht zur Ausnahme wird! Schauen wir uns z. B. den Transitverkehr auf der Straße an: Er hatte im Jahre 1982 ein Gesamtvolumen von rund 10 Millionen t. Hiervon wurden fast 5 Millionen t allein auf dem deutschen Straßennetz über Entfernungen von mehr als 700 km transportiert. Dies widerspricht aller verkehrs- und umweltpolitischen Logik. Hier ist die rollende Landstraße oder der Transport von Sattelaufliegern und Wechselkästen auf der Bahn unbestritten die bessere Alternative.

(Zustimmung bei der SPD)

Im grenzüberschreitenden Verkehr werden wir alle Ihre Bemühungen, Herr Minister, unterstützen. Wir wünschen Ihnen auch in diesem Bereich zugunsten der Bahn und der Eisenbahner viel Erfolg.
Wir denken: Der Dirigismus gegen die Bahn muß abgebaut werden. Setzen wir die Bahn endlich auch überall dort ein, wo das gesamtwirtschaftlich unbestreitbar von Vorteil ist! Wir können nicht daran vorbeigehen, daß der Straßenverkehr durch Unfälle, Luftverschmutzung, Lärm und Landschaftsverbrauch gesamtwirtschaftliche Kosten von rund 50 Milliarden DM pro Jahr verursacht.

Richard Wurbs (FDP):
Rede ID: ID1006402200
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Hinsken?

Ernst Haar (SPD):
Rede ID: ID1006402300
Bitte sehr.

Ernst Hinsken (CSU):
Rede ID: ID1006402400
Herr Kollege Haar, Sie haben sich eben so negativ über die Straße geäußert. Mich würde interessieren: Fahren Sie einen Dienstwagen? Welche Marke? Und nutzen Sie den Dienstwagen nur bei kurzen Strecken, oder fahren Sie auch über lange Strecken auf der Straße? Oder fahren Sie mit der Bahn?

Ernst Haar (SPD):
Rede ID: ID1006402500
Herr Kollege, erstens hat jeder in meiner Funktion einen Dienstwagen. Ich benutze den Zug, und ich benutze auch den Dienstwagen.
Zweitens sind alle anderen Dinge, die Sie gefragt haben, Formen der Frage unter der Gürtellinie. Ich weise das zurück.

(Beifall bei der SPD)


Richard Wurbs (FDP):
Rede ID: ID1006402600
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage der Frau Abgeordneten Blunck?

Ernst Haar (SPD):
Rede ID: ID1006402700
Nein, bitte keine weiteren Fragen!
Ich habe die Kosten des Straßenverkehrs, die auch von Ihnen im Grunde gebilligt werden — die können Sie ja nicht bestreiten —, erwähnt. Diese Kosten tragen wir alle durch überhöhte Steuern, Krankenkassen- und Rentenbeiträge sowie durch gesundheitliche Beeinträchtigungen. All das können und dürfen wir nicht verdrängen.
Wir brauchen ein verkehrspolitisches Gesamtkonzept, in dem die Deutsche Bundesbahn als das große öffentliche Unternehmen der Verkehrswirtschaft den Stellenwert erhält, der ihr auf Grund ihrer spezifischen Vorteile und ihrer unverzichtbaren gemeinwirtschaftlichen Aufgaben zukommt. Wir brauchen ein in die Zukunft gerichtetes Bundesbahnkonzept, das auf der hohen Leistungsfähigkeit der Bahn aufbaut. Legen wir die Grundlagen für eine gesicherte Verkehrsbedienung aller Regionen unseres Landes, für eine wettbewerbsfähige Bundesbahn und für gesicherte Arbeitsplätze der Eisenbahner!
Die SPD-Fraktion wird in Gesetzentwürfen Initiativen auf diesem Gebiet entwickeln,

(Hoffie [FDP]: Zu spät!)

und ich hoffe — das ist mein Appell an Sie alle —, daß wir gemeinsam nach Wegen suchen, die aus der Sackgasse, in die die Bahn durch unser aller Versäumnisse hineingeraten ist, herausführen.

(Dr. Jobst [CDU/CSU]: Endlich ein Eingeständnis!)

Bringen wir die nötige Entschlußkraft auf, die erforderlichen Veränderungen der Rahmenbedingungen einzuleiten! Fangen wir an damit, hören wir auf, zu reden, zu reden

(Sehr gut! bei der CDU/CSU)

und Schattenboxen über die Vergangenheit zu veranstalten!

Richard Wurbs (FDP):
Rede ID: ID1006402800
Herr Abgeordneter, ich bitte Sie, zum Schluß zu kommen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Hören Sie auf zu reden! Das haben Sie selbst gesagt!)


Ernst Haar (SPD):
Rede ID: ID1006402900
Ich bin beim letzten Satz: Meine Damen und Herren, die Eisenbahner — dessen können Sie sicher sein — werden alles in ihren Kräften



Haar
Stehende unternehmen, um einem Bahnkonzept, das in die Zukunft weist,

(Zuruf von der CDU/CSU: Hören Sie auf zu reden!)

zum Erfolg zu verhelfen. Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)


Richard Wurbs (FDP):
Rede ID: ID1006403000
Das Wort hat der Abgeordnete Straßmeir.

(Lenzer [CDU/CSU]: Nach dieser lauten Rede können wir etwas zur Sache hören!)


Günter Straßmeir (CDU):
Rede ID: ID1006403100
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben soeben eine wunderliche Rede gehört. Herr Staatssekretär a. D. Haar, Sie haben mit der Bahn in den letzten 20 Jahren offenbar nichts zu tun gehabt.

(Hoffie [FDP]: Nichts gelernt!)

Sie haben sie heute entdeckt, und ich glaube auch zu wissen, warum Sie so laut gesprochen haben:

(Zuruf von der SPD: Damit Sie es hören!)

Es war ein bißchen Training für den Mai. Aber nur mit Lautstärke werden Sie auch Ihre eigenen Gewerkschafter nicht davon überzeugen, daß Sie der richtige Vorsitzende sind.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Meine Damen und Herren, der Sinn dieser Debatte kann doch nur darin liegen, daß wir von der Politik in einem offenen Dialog sagen, wie wir nach unseren Vorstellungen der Deutschen Bundesbahn in ihrer bedrängten Lage helfen können.

(Zuruf von der SPD: Nicht so laut!) Dazu ist es notwendig,


(Zuruf von der SPD: Leiser!)

daß man ein klares Bild von der Ausgangslage zeichnet. — Wenn Sie durch den Herrn Haar hörgeschädigt sind und meine leise Tonart nicht vertragen können, setzen Sie sich ein Stückchen weiter nach hinten, meine Herren!

(Zustimmung bei Abgeordneten der CDU/ CSU und der FDP)

Man muß also ein klares Bild von der Ausgangslage zeichnen. Wir müssen darlegen, was unsere Erwartungen an die Deutsche Bundesbahn in bezug auf ihre Innovationsfähigkeit sind,

(Daubertshäuser [SPD]: Nein, Sie müssen sich zu Ihrer politischen Verantwortung bekennen!)

und wir werden hier auch formulieren und beweisen müssen, was unser Beitrag, der Beitrag der Politik, sein kann,

(Daubertshäuser [SPD]: Sein muß!) etwas für die Zukunft der Bahn zu leisten.

Sie, Herr Kollege Daubertshäuser, werden doch wohl hoffentlich nicht ganz vergessen wollen, daß
Sie mehr als zwölf Jahre die Verantwortung für die deutsche Verkehrspolitik

(Daubertshäuser [SPD]: Sie haben überhaupt nicht zugehört!)

und damit auch für die Deutsche Bundesbahn getragen haben.

(Zuruf von der SPD: Hände aus der Tasche, Herr Kollege!)

Sie haben sechs vergebliche Sanierungskonzepte in die bahnpolitische Geographie gestellt. Sie haben einen Zickzackkurs gefahren, dessen Ergebnis in der Tat furchterregend ist. Sie haben doch die notwendigen Strukturmaßnahmen, die Anpassungen eher blockiert als forciert. Das wäre doch die Voraussetzung gewesen, damit die Bundesbahn zu einem modernen Dienstleistungsunternehmen mit hoher Flexibilität hätte werden können.

(Daubertshäuser [SPD]: Erklären Sie doch einmal, was nach Ihrer Auffassung Anpassungen sind!)

Der Markt, Herr Kollege Daubertshäuser, ist die Vorgabe für die Deutsche Bundesbahn, die Bundesbahn ist nicht die Vorgabe für den Markt.

(Daubertshäuser [SPD]: Dann gute Nacht, Deutsche Bundesbahn!)

Dies sollten Sie sich merken. Das sollten Sie wirklich auch einmal bei Ihren Entschließungsanträgen berücksichtigen. Warum haben Sie denn diesen Wunschzettel — —

(Abg. Daubertshäuser [SPD] meldet sich zu einer Zwischenfrage)

— Herr Daubertshäuser, Chancengleichheit. Ich lasse auch keine Zwischenfrage zu, wenn Sie es nicht getan haben.

Richard Wurbs (FDP):
Rede ID: ID1006403200
Herr Abgeordneter, ich muß Sie fragen, ob Sie eine Zwischenfrage zulassen. Es liegt in Ihrem Ermessen, dies zu tun oder nicht.

(Daubertshäuser [SPD]: Er hat abgelehnt!)


Günter Straßmeir (CDU):
Rede ID: ID1006403300
Nein, Herr Präsident.
Ich frage Sie, Herr Kollege Daubertshäuser: Warum haben Sie denn den Wunschzettel Ihres Entschließungsantrags nicht ein paar Tage vorher oder ein paar Jahre vorher eingebracht? Ich weiß, warum Sie das nicht getan haben: weil Ihnen selbst Ihre eigene Regierung gesagt hätte, daß das etwas ist, das man sich noch nicht einmal zu Weihnachten wünschen kann. Selbst Ihre eigene Regierung hätte gesagt, daß es irreal und undurchführbar ist, was Sie dort als Forderungen haben.

(Daubertshäuser [SPD]: Was ist denn daran irreal?)

Jetzt frage ich Sie — ich bin ja doch der Meinung, daß Sie sonst ein ganz fairer Kollege sind —: Warum haben Sie den Entschließungsantrag denn erst heute morgen vorgelegt? Weil Sie wahrschein-



Straßmeir
lich selber nicht sicher sind, ob Sie mit diesem Antrag reussieren können.

(Daubertshäuser [SPD]: Das ist dummes Zeug! Sie wissen, daß das seit über einem Jahr auf dem Tisch ist!)

— Dieser Entschließungsantrag ist neu. Begründen Sie das nachher durch Ihre Kollegen!

(Haar [SPD]: Die Entschließung haben wir am Sonntag geschrieben, Herr Kollege!)

Sie haben jedenfalls vollkommen verschlafen, was es an veränderten Wirtschaftsstrukturen gegeben hat. Sie haben während Ihrer Regierungszeit vollkommen verschlafen, daß mit den anderen Verkehrsträgern bedrohliche Konkurrenzen erwachsen sind. Sie haben jährliche Verluste in Milliardenhöhe bei der Bundesbahn hinnehmen müssen. Sie haben die Verschuldung in eine Rekordhöhe getrieben. Sie haben den Bundeszuschuß auf 13,3 Milliarden DM anschwellen lassen. Das ist die Hälfte des gesamten Verkehrshaushalts. Das sind 6 % des Bundeshaushalts insgesamt. Heute ist dank Ihrer Politik der Schuldenhaushalt größer als der Verkehrshaushalt. Das ist das Ergebnis Ihrer Politik.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Daubertshäuser [SPD]: Das ist dummes Krisengerede!)

— Das ist nicht dummes Zeug, das ist die blanke Wahrheit.
Das bedeutet ein hohes Haushaltsrisiko. Das bedeutet das Ende der operativen Gestaltung in der Verkehrspolitik. Das ist eine unverdiente Behandlung der Mitarbeiter der Deutschen Bundesbahn. Sie mit Ihrer Politik haben es erreicht, daß die Bundesbahner heute zum Sündenbock gestempelt werden, obwohl sie gar nichts dafür können.

(Zuruf von der CDU/CSU: Das ist die Wahrheit!)

Da sollten Sie endlich Reue zeigen und mitarbeiten und nicht dumme Konzepte in die Gegend stellen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Kahlschlagsanierung war ein Wort vom Kollegen Hauff, nicht von uns.

(Drabiniok [GRÜNE]: Recht hat er!)

Deswegen war es die Aufgabe der Bundesregierung, diesen tödlichen Kreislauf von permanent nachlassender Nachfrage, von steigenden Verlusten, bedrohlicher Verschuldung, ständig wachsenden Bundeszuweisungen zu durchbrechen. Das Zusammenwirken von Politik und Deutscher Bundesbahn — Vorstand wie Mitarbeiter —, meine Damen und Herren, das war das Gebot der Stunde. Unser Bundesverkehrsminister Dr. Dollinger hat hierzu ein klares Konzept vorgelegt. Dafür sind wir ihm Dank schuldig.
Herr Kollege Daubertshäuser, Sie haben vorhin gesagt, wir hätten die Bahn alleine gelassen. Ich glaube nicht, daß das richtig ist.

(Daubertshäuser [SPD]: Das ist keine Glaubensfrage!)

Das neue Konzept mit der klaren Trennung der Verantwortlichkeiten zwischen Bundesbahnvorstand und Eigentümer Bund ist etwas ganz Positives.

(Daubertshäuser [SPD]: Sie haben dem Vorstand den Schwarzen Peter zugeschoben!)

Es ist deswegen etwas Positives, weil zu Ihren Zeiten Frankfurt doch oftmals nichts anderes war als der verlängerte Arm von Bonn. Ich hoffe, daß das Schwarzer-Peter-Spiel zwischen Frankfurt und Bonn nun endlich aufgehört hat.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Dr. Hauff [SPD]: Das ist umgekehrt!)

Sie wissen genau, wovon die Rede ist. Ich meine, daß in diesem neuen Rahmen der Trennung der Verantwortlichkeiten der Vorstand der Deutschen Bundesbahn sein unternehmensbezogenes Konzept vorlegen konnte.

(Daubertshäuser [SPD]: Sprechblasen ohne Inhalt!)

Dieses Konzept wird von den Koalitionsfraktionen unterstützt. Danach sollen bis zum Jahre 1990 die Arbeitsproduktivität um 40 % gesteigert und die Gesamtkosten um 25% gesenkt werden.

(Daubertshäuser [SPD]: Das ist Menschenschinderei!)

— „Menschenschinderei" sagen Sie. Ich hoffe, daß das zu Protokoll genommen wird. Dies ist eine Politik im Interesse der Deutschen Bundesbahn und der bei ihr arbeitenden Menschen. Dies sollten Sie einsehen.

(Beifall bei der CDU/CSU — Zurufe von der SPD)

Die jüngst bekanntgewordenen Zahlen zum Jahresergebnis 1983 der Deutschen Bundesbahn zeigen, daß sich die Deutsche Bundesbahn bereits auf dieses neue Konzept eingestellt hat. Die Reduzierung des Jahresverlustes um rund 400 Millionen DM und die nicht anwachsende Verschuldungshöhe sind nicht nur ein Erfolg der Deutschen Bundesbahn, sondern das ist auch der Beginn der Konsolidierung.

(Zuruf des Abg. Daubertshäuser [SPD])

Nun erleben wir, meine Damen und Herren, seit Verabschiedung dieses Konzepts der Bundesregierung, daß Sie von der SPD und natürlich auch die GRÜNEN landauf, landab ziehen und alles schlechtmachen. Ihr Entschließungsantrag heute und die Rede des Kollegen Haar haben das wiederum bestätigt. Glauben Sie wirklich, wenn Sie das Konzept miesmachen und falsche Behauptungen aufstellen, daß das für das Unternehmen hilfreich ist? Wenn Sie die Eisenbahner verunsichern, die Kunden verunsichern, dann schmeißen Sie der Sanierung Knüppel zwischen die Beine, statt das zu befördern, und dazu haben Sie keinen Anlaß.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)




Straßmeir
Sie reden von Schrumpfungskurs und von Kahlschlag, Sie reden von Streckenstillegungen.

(Zuruf von der SPD: Ist doch wahr!)

und Entlassungen. Bei den Kollegen Haar und Hauff hieß es „Streckenverlagerungen". Jetzt sind es Streckenstillegungen. Seien Sie anständig im Begriffsvokabular, seien Sie intellektuell redlich! Dann kommen wir hier weiter.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Lenzer [CDU/CSU]: Auch wenn es schwerfällt! — Zurufe von der SPD)

Natürlich muß sich die Deutsche Bundesbahn an den strukturellen Wandel anpassen,

(Zurufe von der SPD: Aha!)

wir alle, hoffentlich Sie auch; ich denke, Sie haben etwas von Innovationsfähigkeit in sich. Aber niemand kann der Deutschen Bundesbahn zumuten, daß Sie Strecken aufrechterhält, auf denen niemand mehr fährt.
Das Konzept — Herr Kollege Haar, das wissen Sie ganz genau — beinhaltet auch keine Streckenstillegungspläne à la SPD, mit denen Sie heute noch hausieren gehen und so tun, als seien es unsere Vorstellungen von Bahnpolitik.

(Hanz [Dahlen] [CDU/CSU]: Roßtäuscherei ist das!)

Ich finde es ziemlich frivol, was Sie da anstellen.

(Jäger [Wangen] [CDU/CSU]: Sehr wahr!)

Die Bundesbahn ist auch nicht zu tadeln, wenn sie die Beförderung von der Schiene auf den Bus verlagert, wenn damit schwarze Zahlen erreicht werden und wenn der Bürger besser versorgt wird.

(Immer [Altenkirchen] [SPD]: Aber die Kommunen müssen die Straßen vorhalten!)

Wir werden uns auch nicht aus dem öffentlichen Personennahverkehr zurückziehen. Herr Kollege Haar, was Sie hier gesagt haben, ist widersinnig. Wir wollen nur nicht den zentralistischen Unsinn, sondern wir wollen den Maßanzug für jede Region.
Lassen Sie doch bitte auch den Unsinn beiseite, den Eisenbahnern mit Privatisierung zu drohen! Wir werden — um Ihren Begriff aufzugreifen — nicht die Rosinen der Deutschen Bundesbahn privatisieren. Die Zuführung von privatem Kapital ist etwas anderes, worüber sich auch die Deutsche Bundesbahn und ihre Mitarbeiter freuen sollten. Der Bund hat kein Geld, die Bahn hat kein Geld, aber es ist noch bei der Wirtschaft im Lande Geld vorhanden. Der Kunde, der sich als Anleger bei der Bahn engagiert, wird mit dafür Sorge tragen, daß das Unternehmen floriert. Dann hat die Deutsche Bundesbahn Kapital für ihre notwendigen Investitionen frei.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Lassen Sie mich auch noch ein Wort zu den „Entlassungen" sagen, Herr Kollege Haar. Das Wort „Entlassungen" kommt in Ihrem und in unserem Konzept nicht vor.

(Zuruf von der SPD)

Sie haben in acht Jahren 100 000 Angehörige der Bahn „freigestellt", wie Sie sagen. Nun gehen Sie damit hausieren, indem Sie sagen, die Union wollte entlassen. Nein, wir wollen das mit dem natürlichen Abgang und mit einer Zurückhaltung bei den Neueinstellungen bewerkstelligen.
Nun sage ich Ihnen — das ist vielleicht von Interesse — auch noch etwas über die Ausbildungsplätze. Meine Damen und Herren, natürlich muß auch die öffentliche Hand ausbilden und dem Mangel an Arbeit für unsere jungen Mitbürger abhelfen. Aber wir sagen auch: Soweit es eisenbahnbezogen ist, wird die Bundesbahn hoffentlich diejenigen Arbeitskräfte ausbilden, die sie benötigt. Hinsichtlich des technischen, handwerklichen und kaufmännischen Bereichs, also derjenigen, die auch anderwärts ein Unterkommen finden können, erwarten wir, daß über den Bedarf hinaus ausgebildet wird. Dafür muß die Bundesregierung — sie ist bereit dazu — auch die entsprechenden Mittel einstellen.
Lassen Sie mich noch eine Bemerkung zu den Investitionen machen. Nun darf ich wirklich sagen, Herr Kollege Daubertshäuser: Sie sollten Ihr Fachwissen doch nicht so unter den Scheffel stellen. Der Bundesminister hat Ihnen klar dargelegt, daß bis zum Jahre 1990 40 Milliarden DM an Investitionen zufließen werden und daß das demnächst auch in der mittelfristigen Finanzplanung sowie im Bundeshaushalt 1985 zusammengestellt wird. Warum reden Sie jetzt schon negativ über den Haushalt 1985?

(Daubertshäuser [SPD]: Das, was Sie erzählen, ist die Unwahrheit!)

— Das ist doch nicht wahr.
Ich darf Sie darauf aufmerksam machen, daß bereits heute bei den Investitionen der Deutschen Bundesbahn von 5 Milliarden DM 3 Milliarden DM bezuschußt werden, daß der Bund die Versorgungslasten in Höhe von 3 Milliarden DM bezuschußt und daß es Zinszuschüsse in Höhe von 1 Milliarde DM gibt. Das ist doch nicht etwa Im-Stich-Lassen, sondern die Erfüllung unserer Pflicht gegenüber der Deutschen Bundesbahn.

(Zuruf des Abg. Drabiniok [GRÜNE])

Wir haben auch bei den Neubaustrecken den gordischen Knoten durchschlagen. Wir werden sie bauen, und sie werden wahrscheinlich sogar frühzeitiger in Betrieb gehen, als Sie sich das je erhoffen konnten.
Lassen Sie mich zum Abschluß noch eine Berner-kung machen. Bis 1990 — ich sagte es schon — wird die Deutsche Bundesbahn insgesamt 40 Milliarden DM investieren. Wenn Sie da von Kahlschlag reden, geben Sie sich wirklich der Unglaubwürdigkeit preis. Das liegt auch nicht in unserem gemeinsa-



Straßmeir
men Interesse, wenn Sie der Bahn wirklich helfen wollen.

(Daubertshäuser [SPD]: Die Bahn kann das nur investieren, wenn sie entsprechende Zuschüsse bekommt! Die sind bisher nicht zu sehen! Erzählen Sie keine Ammenmärchen!)

Grundzüge der CDU/CSU-Eisenbahnpolitik auf Grund dieses Konzeptes sind klar erkennbar: erstens Trennung der Verantwortlichkeiten; zweitens klarer gemeinwirtschaftlicher Auftrag; drittens Bekenntnis zum ÖPNV; viertens Reduzierung der Verschuldung; fünftens 40 Milliarden DM bis 1990; sechstens Beteiligung privaten Kapitals zur Entlastung der DB-Finanzen; siebtens Einführung des Verursacherprinzips; achtens Entscheidung über die Neubaustrecken; neuntens Abbau von Wettbewerbsverzerrungen; zehntens Erleichterungen und Verbesserungen im grenzüberschreitenden Verkehr.
Das ist nicht alles, aber schon sehr viel mehr, als Sie in den letzten zehn Jahren zusammengebracht haben.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Das ist auch der Weg, um den Auftrag aus der Regierungserklärung zu erfüllen: daß die Bahn unverzichtbar ist, daß sie aber bezahlbar sein muß. Sie, die zehn Jahre lang und länger gesündigt haben, sollten nun nicht große Töne spucken, sondern durch praktische Mitarbeit eine Hilfe leisten, damit die Deutsche Bundesbahn aus ihrer schlechten Situation herauskommt.
Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Zurufe von der SPD)


Richard Wurbs (FDP):
Rede ID: ID1006403400
Das Wort hat der Herr Minister für Wirtschaft, Mittelstand und Verkehr des Landes Nordrhein-Westfalen.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1006403500
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Eine Debatte über das Schicksal der Deutschen Bundesbahn rührt an zentrale Interessen der Länder. Dabei geht es nicht nur um den Erhalt notwendiger Verkehrswege und dieses leistungsfähigen Transportsystems, es geht um entscheidende infrastrukturelle Voraussetzungen für die Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft und für die Lebensqualität unserer Gesellschaft. Es geht um den Anschluß ländlicher Regionen, um die Verbesserung der Lebensverhältnisse und um die Arbeits- und Lebensbedingungen der Bürger in den Städten und auf dem Land. Das gilt für die gesamte Verkehrsinfrastruktur, wie das auch für die neu zu schaffende und zu verbessernde Kommunikationsinfrastruktur gilt.
Deshalb möchte ich für unser Land — ich bin sicher, dabei nicht allein die Interessen Nordrhein-Westfalens zu vertreten — zu drei wesentlichen Punkten des sogenannten Sanierungskonzepts der Bundesregierung Stellung nehmen, nämlich erstens zur Aufgabenteilung zwischen Bund und Ländern, zweitens zu den wirtschaftlichen und raumstrukturellen Auswirkungen auch auf die Arbeitsmärkte regionaler Ausprägung sowie drittens zu den Grenzen einer betriebswirtschaftlichen Sanierung der Bundesbahn.
Zunächst begrüße ich, daß die Leitlinien vorliegen. Dieses Konzept ist aber leider völlig unvollständig. Es stehen dringende Entscheidungen aus — wir haben hier heute morgen schon davon gehört —, z. B. die über die Bahnverschuldung, über die Finanzierung von Ausbauplänen für den Schienenfern- und -nahverkehr, über die Einführung der Trennungsrechnung. Diese Entscheidungen müssen rasch nachgeholt werden.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, der größte Fehler, der Bruch in den Leitlinien ist zwischen den beiden Teilen dort, wo einerseits in den sogenannten Perspektiven die gesamtwirtschaftlichen Vorteile des Schienenverkehrs nachdrücklich hervorgehoben werden, auf der anderen Seite aber in dem Teil ,,Zielsetzungen und Anpassungsmaßnahmen" die Finanzierbarkeit auf Grund des gegenwärtigen Volumens und der gegenwärtigen Struktur der Verkehrshaushalte allein entscheidendes Kriterium ist. Das ist eine Spaltung, die in den Leitlinien selber angelegt ist

(Beifall bei der SPD)

und zu denen ich hier noch immer keine wirklich klarlegenden Ausführungen gehört habe.
Da ist weiter, meine Damen und Herren, die Frage nach dem gesamten Verkehrs- und Infrastrukturkonzept dieser Bundesregierung. Die Konsolidierungsleitlinien sollen der bahnspezifische Teil eines Gesamtkonzepts sein; so steht es dort. Bisher ist dieses Gesamtkonzept nur angekündigt. Wann kommt es? Ich befürchte: Je länger es auf sich warten läßt, desto größer wird die Gefahr, daß beim Verkehrsträger Bahn vollendete Tatsachen geschaffen werden

(Beifall bei der SPD)

und damit der Weg zu einem ausgewogenen Gesamtkonzept für alle Verkehrsteilnehmer verbaut wird.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, es geht doch dabei um die entscheidende Frage, wann mit der Benachteiligung der Schiene gegenüber der Straße endlich Schluß gemacht wird. Das Stichwort vom fairen Wettbewerb, Herr Kollege Jobst, dem Sie hier das Wort reden, bleibt doch hohl, wenn es nicht ausgefüllt wird,

(Beifall bei der SPD)

und das kann nur in einem Gesamtverkehrskonzept ausgefüllt werden. Ich mahne ebenfalls an, ein solches Verkehrskonzept nicht nur für den Personen-, sondern auch für den Güterverkehr vorzulegen und die fehlenden politischen Grundsatzentscheidungen der Bundesregierung zu der Rolle der Bahn innerhalb dieses Gesamtkonzepts alsbald nachzuholen.



Minister Dr. Jochimsen (Nordrhein-Westfalen)

Meine Damen und Herren, bei allem Lob für den Vorstand der Deutschen Bundesbahn, dem ich mich durchaus anschließen kann, kann ich dem Grunde nach nicht gutheißen, daß der Vorstand der Bundesbahn neuerdings betont, die Bahn solle dort tätig sein, wo sie stark ist, sie solle dort verschwinden, wo sie schwach ist. Diese Auffassung ist nicht nur verfassungs-, sie ist auch verkehrspolitisch verfehlt.

(Beifall bei der SPD)

Sie ist darüber hinaus — ohne ein Gesamtkonzept der Verkehrspolitik und ohne ein vollständiges Bundesbahnkonzept — für die Bundesbahn selbst existenzgefährdend.

(Beifall bei der SPD)

Das Wort von der Selbstverstümmelung, das der Kollege Haar gesprochen hat, möchte ich hier ausdrücklich aufgreifen.
Meine Damen und Herren, der Bund ist Eigentümer. Er hat die erforderlichen Maßnahmen und Tätigkeiten der Bahn zu veranlassen und zu finanzieren; so steht es im Grundgesetz. Ich bin dem Bundesminister für Verkehr für die Festlegungen, die er hier ausgesprochen hat, sehr dankbar. Ich hoffe, daß das auch der Realität entspricht. Grundlage dafür sind die Art. 87 und 104a des Grundgesetzes. Nur, in den Leitlinien steht das so deutlich nicht drin; in den Formulierungen darüber, was von den Ländern und Gemeinden erwartet wird, ebenfalls nicht. Aber hier ist die Bundesregierung vielleicht auf einem Lernwege, so wie wir das beim Bundesausbildungsförderungsgesetz auch festgestellt haben. Dort hat der Bundeskanzler zunächst den Rückzug des Bundes aus der Verantwortung für die Schülerförderung verkündet. Nun aber sagt er selber, daß der Kahlschlag wohl falsch gewesen sei und korrigiert werden müsse.

Richard Wurbs (FDP):
Rede ID: ID1006403600
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Hoffie?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1006403700
Nein. Ich bin mit der Zeit sehr knapp und bitte Sie, mir die Uhr hier einzustellen — ich weiß nicht, wie das geht

(Straßmeir [CDU/CSU]: Ihre Zeit ist schon abgelaufen, die ist bei Null!)

— nein, nein —, damit ich weiß, mit welcher Zeit ich zu rechnen habe.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Länder können deshalb auch den durch die Leitlinien vorgezeichneten weitgehenden Rückzug der Bahn aus der Fläche nicht unbesehen hinnehmen. Vor allem im Güterverkehr bedeutet dies erhebliche Wettbewerbsnachteile für die Wirtschaft an ganz bestimmten Standorten. Für die Landesregierung ist dabei der Umfang des jetzigen Netzes kein Tabu, wie ihre zustimmenden Stellungnahmen zu Netzmaßnahmen der Bahn zeigen. Aber im Hinblick auf den verkehrspolitischen Wert des Schienenverkehrs und die Bedeutung des Schienenanschlusses für die Standortqualität eines Ortes muß das Streckennetz der Bundesbahn in der Fläche, soweit dies verkehrs- und strukturpolitisch begründet und vom erreichbaren Verkehrsaufkommen her vertretbar ist, erhalten bleiben. Für welche Strekken dies zutrifft, darüber vor allem muß bald Klarheit geschaffen werden. Es muß natürlich, wenn es Streckenverlagerungen gibt, ein attraktives Alternativangebot geben, und dazu müssen — dazu ist das Land Nordrhein-Westfalen bereit — möglichst zügig die erforderlichen gemeinsamen Absprachen getroffen werden.
Nordrhein-Westfalen muß sich aber mit Nachdruck gegen die Überbetonung der Rolle der Bundesbahn als Wirtschaftsunternehmen wehren. Die Bundesbahn ist keine VEBA, sie ist nicht ein Wirtschaftsunternehmen des Bundes, sondern die Bundesbahn ist Teil der vom Bund zur Verwaltung übertragenen Verkehrsinfrastruktur. Sie ist wie ein Wirtschaftsunternehmen zu führen, aber nicht als Wirtschaftsunternehmen.

(Beifall bei der SPD)

Der Bund muß den gesamtwirtschaftlichen und den gesamtstaatlichen öffentlichen Interessen dabei optimal dienen, und diese müssen Vorrang vor den betriebswirtschaftlichen Interessen haben. Das hat ja der Herr Ministerpräsident Strauß in seinem Brief sehr deutlich ausgesprochen. Denn was im Verkehrshaushalt gespart wird, das muß die öffentliche Hand vielfach über andere Etats mit höheren Aufwendungen wieder ausgleichen, wenn angerichtete Schäden repariert werden sollen.

(Beifall bei der SPD)

Ich werte es daher als einen großen Mangel, daß die Leitlinien die Bedeutung der Bundesbahn für die Struktur- und die Regionalpolitik vernachlässigen, daß sie gesamtwirtschaftliche Aspekte wie Umweltfreundlichkeit, Energiesparsamkeit und höchste Sicherheit der Bahn unberücksichtigt lassen. Aber diese Bundesregierung verzichtet j a auch allgemein darauf, den sich heute abzeichnenden Aufwärtstrend mit konjunkturellen, strukturellen und beschäftigungspolitischen Maßnahmen zu unterstützen. Ich habe dies hier schon als industriepolitische und beschäftigungspolitische Verweigerung des Bundes charakterisiert.
Dieser Vorwurf wird leider geradezu klassisch untermauert durch das bisherige Verhalten des Bundes anläßlich der Sanierung der Bundesbahn. Es werden Strecken stillgelegt, ohne den Versuch zu unternehmen, sie durch Modernisierungsinvestitionen wieder rentabler zu gestalten.

(Beifall bei der SPD)

Man ist überhaupt nicht bereit, sich beim öffentlichen Personennahverkehr zu engagieren. Ich habe das Wort von Herrn Straßmeir mit Vergnügen gehört, aber ich möchte die Taten dazu sehen.

(Zuruf von der SPD)

Man will die großen, rentablen Schnellstrecken, ohne sich Gedanken zu machen, welche strukturellen, wirtschaftlichen und beschäftigungspolitischen Folgen dieser Dialog des Bundes für die Regionen hat.



Minister Dr. Jochimsen (Nordrhein-Westfalen)

Mich erfüllen die Vorgaben zum öffentlichen Personennahverkehr mit großer Sorge. Denn ich wage eine Vorhersage: Die augenblickliche Haltung des Bundes kann zwar den Abschluß von Verträgen über notwendige S-Bahnen verzögern — das steht in Köln/Bonn beispielsweise an —, wird ihn jedoch auf Dauer nicht verhindern können. Spätestens bei dem nächsten Ölpreisschock oder vielleicht sogar schon bei der nächsten Ölverknappung — und niemand wünscht dies herbei — wird man auch hier in Bonn erkennen, daß notwendige InfrastrukturInvestitionen nicht aus kurzfristigen fiskalischen Gründen unterbleiben dürfen.

(Beifall bei der SPD)

Aber dann wird natürlich ein nicht wiedergutzumachender volkswirtschaftlicher Schaden bereits eingetreten sein.
Genauso besorgt bin ich über die unverständliche Haltung des Bundes zum Schienenpersonennahverkehr in der Fläche. Hier hat in den Leitlinien zum Bundesbahnkonzept nicht nur jede gesamt- und strukturpolitische Betrachtungsweise aufgehört, hier fehlt leider auch das unternehmerische Denken. Schienenpersonennahverkehr als gemeinwirtschaftliche Aufgabe ist für den Bund leider eine derart große Last, daß man sie einfach aufgibt. Das Land muß sich dagegen wehren, daß im Rahmen eines solchen Konzepts der Schienenpersonennahverkehr auf rund ein Drittel' des gesamten Schienennetzes des Landes eingestellt werden soll. Das Land kann deshalb nicht hinnehmen, daß, wie es in der Praxis der Fall ist, fast ausschließlich das Verkehrsaufkommen einer Strecke als Maßstab für die Erhaltungswürdigkeit angesehen wird. Auch die strukturpolitischen, die gesamtwirtschaftlichen, die raumordnerischen und regionalen Notwendigkeiten und Vorgaben des Bundes und der Länder müssen angemessen Berücksichtigung finden.
Ich bin daher der Auffassung — und ich greife das Wort auf, das der Bundesminister für Verkehr gesprochen hat, daß eine Kahlschlagsanierung nicht beabsichtigt ist —: Die Bundesbahn ist instand zu setzen. Gerade wenn Sie die Trennung wollen, wie Herr Straßmeir gesagt hat, zwischen dem, was der Bund tut, und dem, was die Bundesbahn als Unternehmen macht, kann die Bundesbahn nicht anders reagieren, als in einer Notwehrreaktion eine Kahlschlagsanierung durchzuführen. Das ist das eigentliche Drama. Wenn Sie die Vorgaben der Bundesbahn so setzen, wie sie bisher in den Leitlinien stehen, dann kann doch der Bundesbahnvorstand gar nicht anders, als solche Rechnungen vorzulegen.

(Beifall bei der SPD — Lemmrich [CDU/ CSU]: Diese Rede ist kein Ruhmesblatt für Sie!)

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Abschluß hierbei auf eine ganz grundsätzliche Frage zu sprechen kommen. Die keineswegs vorteilhafte vordergründige Situation des öffentlichen
Personennahverkehrs sollte uns nicht vergessen lassen,

(Lemmrich [CDU/CSU]: Er weiß es besser!)

daß zu dieser Entwicklung in hohem Maße unterschiedliche Wettbewerbsbedingungen, Herr Kollege Lemmrich, für den individuellen und den öffentlichen Verkehr beitragen. Die gesamtwirtschaftlichen Kosten des Pkw-Verkehrs schlagen sich in den einzelwirtschaftlichen Rechnungen nur sehr unvollkommen nieder. Wenn wir die gesamtwirtschaftlichen Kosten des Individualverkehrs vollständig erfassen könnten und sie dann den Haltern und Betreibern auch tatsächlich zurechneten, würde gewiß ein großer Teil des Individualverkehrs, vor allem in den Zentren, nicht auftreten. Es entspräche durchaus den Grundsätzen unserer Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung, nach dem Verursacherprinzip — auch Sie haben sich dazu bekannt — diese Kosten dem Pkw-Verkehr anzulasten. Wenn wir diesen Weg zu einem gesamtwirtschaftlichen Optimum auf Grund unvollständiger Erfassungsmöglichkeiten und organisatorischer Schwierigkeiten nicht gehen, aber auch keine gezielten Verkehrsverbote für größere Bereiche verhängen wollen, dann müssen wir, um eine zweitbeste Lösung zu erreichen — ich sage ausdrücklich: zweitbeste Lösung —, zumindest den öffentlichen Personennahverkehr in Leistung und Preis attraktiv gestalten und den Individualverkehr in bestimmten Bereichen, in denen die Konkurrenzierung zu gesamtwirtschaftlich besonders nachteiligen Ergebnissen führt, nicht noch begünstigen.
Der öffentliche Personennahverkehr erfüllt hier nicht nur die Funktion der Daseinsvorsorge im bewährten Sinne des Wortes, er trägt in bestimmten Bereichen auch wesentlich dazu bei, daß ein Verkehrnetz verfügbar bleibt, das die Ressourcen schont und die Importabhängigkeit begrenzt, das der Unwirtlichkeit unserer Städte abhelfen kann, damit urbane, ländliche Lebensqualität steigt, eine lebenswerte Umwelt erhalten bleibt oder wieder hergestellt wird.
Meine Damen und Herren, hier kann ich nicht begreifen, daß die Bundesregierung nicht die konkret anstehenden Entscheidungen, die für mein Land von großer Bedeutung sind, fällt, nämlich das Zustandekommen des Verkehrsverbundes Rhein-Sieg endlich ermöglicht,

(Beifall bei der SPD)

sondern damit droht, daß hier nicht beigetreten wird, daß auf der einen Seite der Verkehrsverbund Rhein-Ruhr wegen seines angeblich sehr niedrigen Kostendeckungsgrades systematisch miesgemacht wird und daß auf der anderen Seite der weitere Ausbau der S-Bahn Köln nicht zustande kommt.

(Lenzer [CDU/CSU]: Das ist keine Miesmacherei, das entspricht schlicht der Tatsache!)

Das ist für mich im Hinblick auf die gesamtwirtschaftliche, die arbeitsmarktpolitische, die strukturpolitische Rolle, die Bonn mit seiner Hauptstadt-



Minister Dr. Jochimsen (Nordrhein-Westfalen)

funktion in diesem Köln-Bonner Raum spielen sollte, völlig unverständlich. Ich fordere die Bundesregierung auf, hier endlich die Entscheidungen zu f äl-len.

(Beifall bei der SPD — Zurufe von der CDU/CSU)


Richard Wurbs (FDP):
Rede ID: ID1006403800
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Verkehr.

Dr. Werner Dollinger (CSU):
Rede ID: ID1006403900
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es würde den Zeitrahmen sprengen, Herr Kollege, hier auf alle Ihre Ausführungen einzugehen; das können wir woanders gern tun. Aber eine Formulierung kann nicht so stehenbleiben. Sie haben von der industriellen Verweigerung des Bundes gesprochen. Ich glaube, das Land Nordrhein-Westfalen wurde im Bereich Kohle und Stahl in einem Ausmaß unterstützt, mit dem Sie zufrieden sein können. Das sollten wir nicht einfach so beiseiteschieben.
Im übrigen wäre ich Ihnen im Hinblick auf den Verkehrsverbund sehr dankbar, wenn man gerade bei den vorhandenen Defiziten — Sie kennen den Kostendeckungsgrad — zu rascheren Abrechnungen kommen würde. Wir haben heute immer nur Soll-Zahlen und keine Ist-Zahlen zurück bis 1981. Das wäre im Interesse einer finanziellen Klarheit notwendig.

(Beifall bei der CDU/CSU — Lenzer [CDU/ CSU]: Die sollen erst mal ihre Schularbeiten machen!)


Richard Wurbs (FDP):
Rede ID: ID1006404000
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Kohn.

Roland Kohn (FDP):
Rede ID: ID1006404100
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist seit einiger Zeit ja schick geworden, über die Deutsche Bundesbahn herzuziehen. Deshalb, denke ich, ist es in dieser Debatte so wichtig, einmal die Proportionen zurechtzurücken und ein rechtes Maß für die Beurteilung der zweifellos vorhandenen Probleme zu finden.
Wenn wir hier über die Bahn reden, dann gilt es zunächst einmal, Dank zu sagen: Dank an die Eisenbahner für ihre Aufbauleistung nach dem Krieg, Dank auch für den Einsatz, der täglich neu von jedem gefordert wird; Dank gebührt auch den Arbeitnehmerorganisationen, die sich in der Regel mit Augenmaß der Interessen der Mitarbeiter annehmen — Herr Haar hat vorhin diese Regel ja als Ausnahme bestätigt —, und Dank, meine Damen und Herren, gebührt auch dem Vorstand.
Dieser Dank ist keine leere Höflichkeitsfloskel, denn uns liegt ja das Ergebnis 1983 vor. Der Jahresverlust wurde danach im Vergleich zum Vorjahr bei unveränderter Gesamtverschuldung um rund 400 Millionen DM reduziert. Dies ist ein unternehmerischer Erfolg. Es bestätigt aber auch den Ansatz der von der Bundesregierung verabschiedeten Bahnleitlinien. Diese schaffen die Voraussetzungen, daß sich das Unternehmen Deutsche Bundesbahn bewähren kann. Sie verschaffen dem rosaroten Elefanten Bewegungsspielraum.
Auf der Grundlage der Leitlinien ist es nun Aufgabe der Politik, dem Vorstand der Bundesbahn den Rücken frei zu halten und ihm bei der Beseitigung überholter Strukturen zu helfen, die die Leistungsfähigkeit hemmen und den gewünschten Erfolg der Bundesbahn in der Zukunft behindern.
Erst diese Regierung hatte die politische Kraft, sich der schweren Aufgabe zu stellen, ohne ideologischen Ballast das Notwendige zu tun. Daß sie das Problem in richtiger Weise angepackt hat, begrüße ich ausdrücklich im Namen der liberalen Fraktion, denn unser Ziel ist eine marktorientierte Bahnpolitik.

(Beifall bei der FDP)

Was war die Ausgangslage? Eine Behörde, die Züge fahren ließ, den Dienstbetrieb verwaltete und für die das Wort „Verkehrsmarkt" fremd vorm Ohr klang; eine Behörde, die mancherlei forschte und plante, wie man sicher in die Zukunft fahre — auf Schienen, versteht sich —, die aber eben keinen TGV hat, die ein modernes Produktionssystem erst in den 90er Jahren haben wird, mithin von der Entwicklung überrollt wurde; eine Behörde, die das im Haushalt des Bundes ausgewiesene Geld des Steuerzahlers brav ausgab, ohne präzise zu steuern, eine Behörde, die schließlich zum Haushaltsrisiko wurde.
In dieser Bundesbahn arbeiteten aber pflichtbewußte, auf ihre Tätigkeit als Eisenbahner stolze Mitarbeiter mit einem beachtlichen Potential an technischen und betrieblichen Fähigkeiten und Kenntnissen, die aber zuschauen mußten, wie ihre Bahn auf das Abstellgleis der Verkehrspolitik geriet.
Deutlich gesagt werden muß in diesem Zusammenhang auch, daß die Verkehrspolitik die Bahn oft leider behandelt hat wie ein Findelkind: die Kriegsfolgelasten der Bahn, der breite Ausbau der mit der Bahn konkurrierenden Verkehrsträger. Kurz: Bei der Ausstattung mit Investitionsmitteln kam die Bahn häufig zu kurz. Oder zugespitzt formuliert: Die Problematik für die Bahn war nicht allein ihre Wirtschaftlichkeit, sondern auch ihr Eigentümer.
Wie steht diese Bahn im Verkehrsmarkt heute da? Diese Stellung ist alles andere als erbaulich. Die Zahlen wurden schon genannt: 29% Anteil am Güterverkehr und 6,6 % Anteil am Personenverkehr. Hierin spiegeln sich nicht nur veränderte Bedürfnisse in der Gesellschaft wider, sondern auch eine unzureichende Anpassungsleistung der Bahn.
Ausgehend von dieser Lage lautet die liberale Antwort auf die große Herausforderung, der Bundesbahn eine Zukunftsperspektive zu geben: Die Bundesbahn muß ein Wirtschaftsunternehmen werden. Es bedarf ihrer Anpassung durch eine marktgerechte Fortentwicklung.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)




Kohn
Das heißt im Klartext erstens: Die Politik muß bürokratische Hemmnisse beseitigen, Vorschriften entrümpeln, die vielfältigen Einspruchs- und Einflußmöglichkeiten zurückführen, die diesem Ziel entgegenstehen. Wie soll sich denn dieses Unternehmen Bundesbahn offensiv Marktanteile erschließen, attraktive Verkehrsdienstleistungen für den Bürger und die Wirtschaft erbringen, wenn es in ein Korsett von oft eigensüchtigen Einflußnahmen und Einsprüchen bei jeder unternehmerischen Entscheidung hineingezwängt ist, gehe es nun um Neubaustrecken oder um die Umstellung des Betriebes einer nachfrageschwachen, aber kostenintensiven Nebenstrecke auf Busbedienung? Ich halte es deshalb für wichtig, dieses Gestrüpp von Einwirkungsmöglichkeiten im Rahmen einer Novellierung des Bahngesetzes zu durchforsten und zu lichten. Im übrigen bedarf es nun wirklich keiner Selbstverständlichkeiten in den Vorschriften wie etwa in der Eisenbahn-Bau- und Betriebsordnung, daß „Bahnhofsnamen gut sichtbar anzubringen sind". Auch hier muß die Regelungsdichte auf das unbedingt erforderliche Maß zurückgeführt werden.
Zweiter Punkt. Wir Liberalen fordern eine Ergebnisverantwortlichkeit, die die Trennungsrechnung für die einzelnen Betriebsbereiche — eigenwirtschaftlicher Bereich, gemeinwirtschaftlicher Bereich und Fahrweg — voraussetzt. Eine derartige Trennungsrechnung sollte gesetzlich eingeführt werden. Denn nur so kann der Rationaliserungserfolg entsprechend ausgewiesen und kontrolliert werden.
Diese Trennungsrechnung darf aber für die Bundesbahn keine Alibifunktion haben. Der Druck auf die Bahn, verstärkt zu rationalisieren, die Kosten zu senken und so wirtschaftlich wie möglich zu handeln, muß bestehenbleiben. Es geht nicht darum, mit Hilfe der Trennungsrechnung einen Schutzzaum um die Bundesbahn zu errichten.
Dritter Punkt. Das zukunftsorientierte Produktionssystem der Bahn im Fernverkehr muß zügig vorangetrieben werden. Wie wir wissen, liegt das Netz der Bundesbahn seit Kriegsende nicht mehr entlang den Hauptverkehrsströmen. Die Hauptverkehrsströme fließen in Nord-Süd-Richtung. Das alte Reichsbahnnetz war in Ost-West-Richtung ausgerichtet. Die Folge davon sind Engpässe im Produktionssystem mit den daraus folgenden Wettbewerbsnachteilen.
Deshalb ist es so dringend erforderlich, die Schnellbahnstrecken so zügig wie möglich zu realisieren, um mit den anderen Verkehrswettbewerbern konkurrieren zu können; übrigens auch, um den vollen Verkehrswert dieser Strecken möglichst rasch sicherzustellen.
Zu einem zukunftsorientierten Produktionssystem gehört insbesondere aber auch das rollende Material. Ich begrüße es, daß die Arbeiten am Intercity Experimental so weit fortgeschritten sind, daß der Zug 1985 der Öffentlichkeit vorgestellt werden kann. Meine Hoffnung richtet sich aber auch darauf, daß im Güterfernverkehr alle Anstrengungen unternommen werden, um schnellaufende Güterzüge zu bekommen.
Ohne das Problem an dieser Stelle vertiefen zu wollen, möchte ich noch darauf hinweisen: Wir sollten prüfen, ob die langen Abschreibungszeiten bei Güterwagen nicht verkürzt werden können, um auch hier einen erheblichen Modernisierungsschub freizusetzen.

(Sehr wahr! bei der CDU/CSU)

Für die genannten Aufgaben und Investitionsvorhaben müssen die Mittel aus dem Bundeshaushalt, so wie das in der mittelfristigen Finanzplanung vorgesehen ist, bereitgestellt werden. Ich halte zwar die Einsparungsergebnisse der letzten beiden Jahre, die Vorstand und Mitarbeiter erzielt haben, für einen anerkennenswerten Erfolg. Aber eines ist klar: Die Bahn muß auch investieren können. Es muß heute investiert werden, damit wir morgen Geld sparen. Entscheidend aber ist dabei, wo wir investieren:

(Beifall des Abg. Hoffie [FDP])

nämlich dort, wo die Bahn Markterfolg hat, weil sie ihre spezifischen Stärken ausspielen kann. Wenn ich höre, was hierzu von der linken Seite des Hauses kommt — wie Rückzug der Bahn aus der Fläche, Kahlschlagsanierung und ähnliche Schlagworte —, dann wird erkennbar, daß da jemand noch immer nicht seine Hausaufgaben gemacht hat.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Es geht doch darum, dem Bürger Verkehrsdienstleistungen auch in der Fläche anzubieten, deren Erbringung sich in einem tragbaren Finanzrahmen bewegt. Es macht keinen Sinn, selbst einen modernen und personalkostengünstigen Schienenbus auf einer nachfrageschwachen Strecke einzusetzen, deren überalterte Struktur zu modernisieren Millionen verschlingen würde. In solchen Fällen ist der Bus oder, wie man unschön neudeutsch sagt, die „Verkraftung" dieser Strecke die einzig sinnvolle Alternative.
Man hat bei den hiergegen von der Opposition vorgebrachten Argumenten manchmal das Gefühl, daß es dabei gar nicht mehr um die Sache geht, sondern daß unser rosaroter Elefant propagandistisch irregeführt werden soll, um ihn aus der Oase der marktorientierten Sanierung in die Wüste einer dirigistischen Verkehrspolitik zu treiben.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Hoffie [FDP]: Sehr gutes Bild!)

Ein Wort noch zum öffentlichen Personennahverkehr. Es wäre falsch, wenn die künftig knapperen Mittel ausschließlich in die bereits bestehenden Verbund- und Tarifsysteme fließen würden und dort, wo wir einen leistungsfähigen und attraktiven öffentlichen Personennahverkehr erst noch aufbauen müssen und wollen, wie beispielsweise im Rhein-Neckar-Raum, keine Mittel mehr dafür zur Verfügung stehen würden. Richtig ist: Verkehrsdienstleistungen zum Nulltarif kann es nicht geben. Das Verkehrsverursacherprinzip gilt: Wer öffentlichen Nahverkehr über das betriebswirtschaftlich Gebotene hinaus aus berechtigten Gründen wie Umweltschutz, Energieeinsparung oder auch einfach, um den Bürger eine Alternative zum Individu-



Kohn
alverkehr anzubieten, haben will, muß sich an der Finanzierung beteiligen. So viel, meine Damen und Herren, zu den Außenbedingungen, die es anzupakken gilt.
Nun noch einige Bemerkungen zu den unternehmensinternen Bedingungen für den künftigen Erfolg, nämlich zum Anpassungspotenital bei der Bahn selber: Zunächst ist festzuhalten, daß sich die neue Konzeption des Bahnvorstandes als Managementorgan bewährt hat. Diese Konzeption gilt es vertikal weiterzuführen. Der Bahn sollte im Personalbereich die Möglichkeit eröffnet werden, Mitarbeiterverträge abzuschließen, die nicht dem öffentlichen Dienstrecht und Besoldungsrecht unterliegen. Meine Damen und Herren, in einer leistungsorientierten Gesellschaft, einer Marktgesellschaft, motiviert man durch Übertragung von Verantwortung und durch Geld. Wenn man die Mitarbeiter des Unternehmens Bundesbahn, die Führungskräfte unterhalb der Vorstandsebene motivieren will, dann muß man das über monetäre Anreize und über Delegation von Zuständigkeiten zu erreichen versuchen.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Es paßt doch einfach nicht zusammen: eine behördenmäßig strukturierte Organisation, die sich am Verkehrsmarkt im Wettbewerb mit Privaten behaupten soll. Ich kann mir nur schwer vorstellen, wie ein engagierter Mann, eine engagierte Frau, in den Fesseln des Dienstrechts liegend, dem nichts fremder ist als Marktorientierung, offensiv, ja aggressiv, verkaufen können. Hier gilt es, durch die genannte Maßnahme Abhilfe zu schaffen.
Es ist aber auch zu prüfen, ob durch Gründung einer privatwirtschaftlich organisierten Verkaufsgesellschaft diese Möglichkeiten offensiver Marktorientierung gewährleistet werden könnten.
Weiter: Ich begrüße die Vorstandskonzeption einer DB-Zentrale, eines Zentrums des Bahnmanagements. Aber ich habe auch das Gefühl, daß sich die neue unternehmerische Konzeption des Vorstandes noch nicht im ganzen Unternehmen durchgesetzt hat. Ich habe den Eindruck, daß es noch immer Staatsbahnreservate gibt. Das geht auf Dauer nicht. Direkt im Zusammenhang mit diesen Überlegungen muß das profitorientierte Denken bei den Führungskräften gestärkt werden, organisatorisch also die Resultatsverantwortlichkeit in allen Bereichen zum Zuge kommen, wo dies Sinn macht.
Ideen, Innovationen müssen belohnt werden. Ich bin nicht sicher, daß das schon in ausreichendem Maße geschieht. Meine diesbezügliche Anfrage an die Bundesregierung über eine großangelegte Innovationsaktion der Schweizerischen Bundesbahnen wurde lediglich dahin gehend beantwortet, man habe diese Aktion zur Kenntnis genommen. Ich hatte eine Antwort in dieser Richtung erwartet: Jawohl, wir sind da dran. Das ist ein wichtiger Punkt unserer Zukunftsorientierung. Wir bauen ein Innovationszentrum Bundesbahn auf. Mitarbeiter, Kunden und Öffentlichkeit sollen ständig motiviert werden, sich mit einer immer noch besseren Bahn zu beschäftigen. — Mir scheint hier ein weites Betätigungsfeld zu liegen.
Ein Beispiel für Innovation bei der Bahn ist der IC-Kurierdienst. Ohne nennenswerten Aufwand wurde ein ausbaufähiges System eingerichtet, das mit gutem Erfolg eine Marktnische abdeckt. Solche Nischen lassen sich — ich bin mir da sicher — in vielen Bereichen des Unternehmens noch finden.
In diesem Zusammenhang möchte ich ausdrücklich begrüßen, daß die seinerzeitige Innovation Intercity durch ein zweites Bein intercargo ergänzt wird. Die Ausnutzung freier Kapazitäten in der Nacht durch schnellaufende Güterzüge ist sicherlich ein großer Schritt vorwärts, auch schon deshalb, weil alles getan werden muß, um die Abhängigkeit des Umsatzes im Güterverkehr von der Montanindustrie in Höhe von über 50 % durch neue Leistungsbilder zu ersetzen. Herr Dr. Gohlke hat vor einigen Tagen darauf hingewiesen.
Die Zusammenarbeit und Kooperation mit mittelständischen Unternehmungen sollte einen noch höheren Stellenwert erhalten. In dieser Richtung gibt es bereits erfreuliche Ansätze, etwa im kombinierten Verkehr. Zu denken ist aber auch an die Zusammenarbeit mit Speditionen als Frachtagenturen der Bundesbahn. Auch hier muß noch mehr geschehen.
Ein letztes Wort, meine Damen und Herren: Wir Liberalen sind sehr froh darüber und begrüßen es, daß die von uns geforderte markt- und zukunftsorientierte Bahnpolitik ohne Entlassung von Mitarbeitern der Bahn verwirklicht werden kann. Wir nehmen das mit Dankbarkeit zur Kenntnis. Für die Mitarbeiter der Bahn, für die Politiker, für die Öffentlichkeit lohnt es sich also, in diesem Sinne für unsere Eisenbahn einzutreten. Das haben die Liberalen bisher getan, und das werden wir auch in Zukunft tun. Geben wir also dem rosaroten Elefanten eine faire Chance.
Danke schön.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Richard Wurbs (FDP):
Rede ID: ID1006404200
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Kretkowski.

Volkmar Kretkowski (SPD):
Rede ID: ID1006404300
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Regierung und die sie tragende Koalition hätten heute die Möglichkeit gehabt, Klarheit in ihr verkehrspolitisches Verwirrspiel der letzten eineinhalb Jahre zu bringen.

(Dr. Jobst [CDU/CSU]: Sie haben nicht zugehört!)

Herr Hoffie und die anderen Kollegen, diese Chance haben Sie gründlich vertan.

(Beifall bei der SPD — Dr. Jobst [CDU/ CSU]: Sie haben nicht zugehört!)

Weder der Minister noch die Sprecher der Koalition haben die Widersprüche zwischen ihrem Reden und ihrem Handeln aufklären oder in irgendeiner Weise klarstellen können.

(Dr. Jobst [CDU/CSU]: Falsch! Billige Polemik!)




Kretkowski
Allenfalls wurden durch Ihre Beiträge die Sorgen der Eisenbahner, aber auch der Kunden, die die Eisenbahn benutzen, bestätigt: Die Bundesregierung dirigiert die Bahn auf ein Abstellgleis.
Zu der ganzen Vergangenheitsbewältigung: Es mag Ihnen noch so populär erscheinen, in der Vergangenheit herumzustochern und damit — darum geht es Ihnen ja eigentlich — zu versuchen, von Ihrer Unfähigkeit, die Probleme dieser Zeit zu lösen, abzulenken;

(Lemmrich [CDU/CSU]: Erst so unfähig sein und dann so reden!)

aber bei allen Versuchen wird Ihnen das in der Öffentlichkeit, Herr Kollege Lemmrich, nichts nutzen.
Herr Kollege Hoffie — der gerade nicht hier ist —: Wenn Sie uns sagen, Sie hätten unser neues Bahnkonzept erst in diesen Wochen zur Kenntnis nehmen können, und wenn Sie in diesem Zusammenhang

(Zuruf des Abg. Lemmrich [CDU/CSU])

gar dem Kollegen Haar vorwerfen, er habe während unserer Regierungszeit eine Politik gegen die Eisenbahn gemacht, dann stellt das die Verhältnisse auf den Kopf; dann ist das nicht nur grotesk, dann ist das so unseriös wie der Herr immer

(Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Wo ist der Herr Immer?)

oder — Entschuldigung — meistens politisch agiert.

(Beifall bei der SPD)


Richard Wurbs (FDP):
Rede ID: ID1006404400
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Jobst?

Volkmar Kretkowski (SPD):
Rede ID: ID1006404500
Nein. Meine Redezeit ist knapper geworden, als ich ursprünglich geplant hatte. Deswegen bitte ich, auf Zwischenfragen nicht eingehen zu müssen.
Die Menschen draußen wollen endlich wissen, wo es entlanggeht. Die klare Antwort darauf sind Sie heute — das wiederhole ich — schuldig geblieben.

(Dr. Jobst [CDU/CSU]: Das hätten Sie früher sagen sollen!)

Ich bedauere, daß manche verkehrspolitische Gemeinsamkeit gerade in der Bahnpolitik zwischen uns Sozialdemokraten und der Union, wie ich meine, ohne Not aufgegeben worden ist.
Herr Hoffie ist im übrigen derjenige gewesen, der in der Vergangenheit gerade unsere Bahnkonzeption, die damals die gleiche wie heute war, immer konterkariert hat; gerade er in seiner Person.

(Beifall bei der SPD — Milz [CDU/CSU]: Die war damals so schlecht wie heute!)

Ich will den Graben im übrigen nicht tiefer werden lassen und will in dem Zusammenhang auf Schuldzuweisungen verzichten. Ich bin zutiefst davon überzeugt, daß die Probleme der Bahn eine solche Dimension erreicht haben, daß es über Parteigrenzen hinweg einer riesigen Kraftanstrengung bedarf, um diese Probleme in den Griff zu bekommen.
Herr Minister, Sie haben dazu hier etwas gesagt. Wir nehmen Sie beim Wort. Aber ich füge hinzu: Es muß sich auch in der Sache etwas tun.
Ich sehe in dem Konzept, das wir zur Konsolidierung der Bahn vorgelegt haben, und in Ihrer Entschließung aus dem Jahr 1981 eine mögliche Basis für ein gemeinsames Handeln. Wenn Herr Dollinger in seinem sogenannten Konzept alles beherzigt hätte, was Sie damals gefordert haben, wären wir heute gar nicht so weit auseinander.

(Beifall bei der SPD)

Von diesen Forderungen aber sind Sie heute in Ihrem DB-Konzept weiter denn je entfernt. Sie haben die Bahn ein Jahr bis zur Vorlage des sogenannten Konzepts im ungewissen gelassen. Mit der Vorlage des Konzepts haben Sie die Bahn im Stich gelassen. Sie haben, Herr Minister, deutliche Haltesignale für die Deutsche Bundesbahn gestellt, beispielsweise im ÖPNV und im Verkehr in der Fläche. Sie haben die Anpassungslast auf den Vorstand abgewälzt und damit dem Vorstand den Schwarzen Peter gegeben. Auf der anderen Seite hat die Politik, hat die Bundesregierung bis zum heutigen Tag der Bahn den notwendigen Flankenschutz, damit sie sich aus eigener Kraft konsolidieren kann, verweigert.
Der Vorstand und die Eisenbahner tun mir leid, weil sie keine Perspektive haben. Und wenn die Eisenbahner sich weiterhin noch so abstrampeln: Mit Ihren politischen Vorgaben, Herr Minister, wird niemand die Bahn aus ihrem Tief herausführen können.

(Beifall bei der SPD)

Im Gegenteil, jede Mark, die heute nicht investiert werden kann — nicht nur im Streckenausbau und -neubau, auch im ÖPNV und im rollenden Material —, ist ein Sargnagel für das Unternehmen Deutsche Bundesbahn oder führt dazu, daß das Unternehmen verkommt.
Ich wiederhole: Die 40 Milliarden DM, die hier groß angekündigt werden, muß sich die Bahn auf dem Kapitalmarkt besorgen. Dies wird die Bahn weiter in die Verschuldung und weiter ins Abseits treiben.
Herr Kollege Jobst, Sie tun in Ihrer politischen Praxis das Gegenteil von dem, was Sie und Ihre Kollegen heute morgen hier vorgetragen haben. So gesehen, meine Damen und Herren, muß auch die Erfolgsbilanz des Vorstandes, in der sich die Koalition und auch der Minister gerne sonnen, nicht nur relativiert, sondern auch kritisiert werden. Von den Millionen, die eingespart zu haben man sich brüstet, entfallen allein 333 Millionen auf den investiven Bereich; davon entfallen 156 Millionen auf den Fahrzeugbau, 76 Millionen DM auf den Nahverkehr und 76 Millionen DM auf Ausbaupläne.
Im übrigen ist es j a auch recht merkwürdig, wenn die Kollegen der Koalition glauben, das angeblich positive Ergebnis des Jahres 1983 sei auf das Kon-



Kretkowski
zept der Bundesregierung zurückzuführen, da doch diese Bundesregierung erst Ende 1983 in der Lage war, ein solches Konzept vorzulegen.
Meine Damen und Herren, der Verzicht auf notwendige Investitionen führt die Bahn unternehmerisch in die Sackgasse. Die Bundesrepublik verfügt über ein leistungsfähiges Transportsystem: Schiene, Straße und Wasser. Dabei sind die Transportleistungen seit 1950 um das Fünffache gestiegen. Der Anteil des Straßengüterverkehrs ist — leider, sage ich — auf 50 % aller Transportleistungen gestiegen, während der Anteil der Bahn auf 25 % gesunken ist.
Diese Entwicklung kann so nicht weitergehen, erstens weil wir uns — volkswirtschaftlich gesehen — ein Nebeneinander von Verkehrssystemen nicht länger leisten können — es ist geradezu Unfug, in dieser Zeit durch den Ausbau des Rhein-Main-Donau-Kanals zusätzliche Konkurrenz für die Bahn zu schaffen —, zweitens aber auch, weil sich die Rahmenbedingungen der Entwicklung verändert haben. Der Verbrauch von Landschaft und die Belastung der Umwelt, besonders aber der Energie- und Rohstoffverbrauch für die Transportleistungen sind neu zu bewerten. Die Anforderungen an Sicherheit, Zuverlässigkeit und Wirtschaftlichkeit werden in Zukunft stärker steigen.
Wenn die Kollegen von der Koalition meinen, wir hätten die Entwicklung nicht begriffen, oder wenn der Kollege Straßmeir meint, wir hätten die Entwicklung verschlafen, dann kann ich nur hinzufügen: Sie haben das heute immer noch nicht begriffen; Sie schlafen heute offenbar lustig weiter.

(Zuruf von der CDU/CSU: Eine geistvolle Bemerkung!)

Meine Damen und Herren, mit dieser Entwicklung wird die Erhaltung der Eisenbahninfrastruktur zur wesentlichen Zukunftsaufgabe, von der langfristig die Funktionsfähigkeit unseres Transportwesens abhängig sein wird. Das System Schiene ist dem System Straße umweltpolitisch aus vielen Gründen überlegen. Diese Gründe liegen auf der Hand; ich will sie nicht im einzelnen vortragen. Letztlich spricht auch die Verkehrssicherheitsbilanz eindeutig zugunsten des schienengebundenen Verkehrs. Vor diesem Hintergrund darf man dem DB-Vorstand nicht die Streckenstillegungen überlassen. Dies ist unverständlich, unverantwortlich.

(Lemmrich [CDU/CSU]: Haben Sie eigentlich einmal das Bundesbahngesetz gelesen!)

Herr Straßmeir, Sie reden von der Trennung der Verantwortlichkeit zwischen der Politik und dem Bahnvorstand. In Wirklichkeit überlassen Sie es dem Bahnvorstand, schwerwiegende gesellschaftspolitische Entscheidungen zu treffen. Der Bahnvorstand wird aus betriebswirtschaftlichen Gründen nicht anders handeln können, als eine Reihe von Strecken dichtzumachen. Nicht betriebswirtschaftliche Gründe, sondern ausschließlich volkswirtschaftliche Gründe können allein Kriterien für Umstellungsmaßnahmen sein. Aus dieser Verantwortung darf sich die Bundesregierung, darf sich der Bundesverkehrsminister nicht zurückziehen.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, hier ist wiederholt gesagt worden, es gäbe keine Pläne für Streckenstillegungen. Gehen Sie ins Land hinein! Es gibt nicht nur die Pläne. Die Streckenstillegung findet über das ganze Land statt, und ich sage Ihnen, der Rückzug der Bahn aus der Fläche ist nicht korrigierbar. Unsere Kinder und Enkel werden die Zeche dafür zu zahlen haben.

(Zuruf von der CDU/CSU: Wissen Sie überhaupt wieviel Strecken in 13 Jahren stillgelegt worden sind?)

Auch an dieser Stelle noch ein Wort zu den gemeinwirtschaftlichen Leistungen: Der Kollege Jobst hat 1981 erklärt, daß die Bahn auch in Zukunft gemeinwirtschaftliche Leistungen zu erbringen habe. Er sagte wörtlich: Sie muß aber endlich aus dem heutigen Packeseldasein der gemeinwirtschaftlichen Leistungen herausgenommen werden. — Lieber Kollege Jobst, meine Herren von der Koalition, sehr geehrter Herr Minister, lassen Sie diesen Ihren Versprechungen aus den 70er und frühen 80er Jahren endlich Taten folgen.
Meine Damen und Herren, wenn die Leitlinien der Bundesregierung verwirklicht würden, hätte dies für die Länder und auch für die Gemeinden verhängnisvolle Auswirkungen.

(Sehr wahr! bei der SPD)

Der S-Bahn-Bau sowie die Gründung neuer und der Bestand vorhandener Verkehrsverbünde wären ebenso gefährdet wie zahlreiche Bahnverbindungen im ländlichen Raum. S-Bahn und Verkehrsverbünde sind in den Ballungszonen das Rückgrat des öffentlichen Personennahverkehrs; ohne sie läuft nichts. Wenn Sie, Herr Minister, bestreiten, daß diese Bundesregierung eine für die Industriestandorte feindliche Politik mache, dann lassen Sie diesem Ihrem Beitrag Taten folgen. Sorgen Sie dafür, daß der Verkehrsverbund Rhein-Sieg zustande kommt, und sorgen Sie dafür, daß die S-Bahn Köln nicht stirbt.
Meine Damen und Herren, ich muß zum Schluß kommen. Es gibt eine gemeinsame Verpflichtung aller Politiker gegenüber dem Unternehmen Deutsche Bundesbahn und seinen Bediensteten. Wenn die Politik weiter nur lamentiert, bewegen wir überhaupt nichts.

(Zuruf von der CDU/CSU: Dann hören Sie auf!)

Zu den großen Zukunftsaufgaben unserer Generation gehört eine offensive und konstruktive Bahnpolitik, die die politischen Rahmenbedingungen so gestaltet, daß die Deutsche Bundesbahn auch in Zukunft unter veränderten Bedingungen die Zukunft für sich hat.

(Beifall bei der SPD)


Richard Wurbs (FDP):
Rede ID: ID1006404600
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schemken.




Heinz Schemken (CDU):
Rede ID: ID1006404700
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es grenzt schon an staatspolitische Kunst von, so muß ich sagen, fast hoher Schule, daß hier die Vertreter der SPD 13 Jahre verfehlter Verkehrs- und Unternehmenspolitik innerhalb der Bundesbahn vergessen machen wollen. Es ist erstaunlich, meine Damen und Herren, wie dies gerade auch mit Resolutionen vor Ort, mit Erklärungen und politischen Aktionen von Ihnen ausgelöst wird

(Zurufe von der SPD)

und wie in der Tat einfach verschleiert wird, wer hier 13 Jahre das Sagen gehabt hat.

(Weitere Zurufe von der SPD)

Verantwortlich gehandelt wäre, darüber zu reden, was in der Bundesbahnpolitik geht und was nicht geht. Es ist höchste Zeit, den Eisenbahnern über das, was aus diesem Unternehmen wird, wahrhaftige Auskunft zu geben.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Darum geht es. Dann muß man eben mit Entschiedenheit dem Unternehmen Bundesbahn — schon des Unternehmens, aber vor allem der Arbeitsplätze wegen — reinen Wein einschenken. Wer dies nicht tut und vorgibt, daß man hier nur zu beschließen brauche, und dann sei alles anders, der führt die Betroffenen geradezu hinters Licht.
Meine Damen und Herren, da wurden — gerade wieder in den letzten Wochen — Zahlen in die Welt gesetzt, die nichts, aber auch gar nichts mit den Zielen und Absichten der Bundesregierung und der sie tragenden Koalitionsfraktionen zu tun haben. Ich sage das einmal ganz deutlich. Das betrifft beispielsweise Zahlen über Streckenstillegungen, die aus völlig anderen Zeiten — auch aus der Zeit einer anderen Regierung — stammen. Da gibt es, meine Damen und Herren, Briefe an Bundestagsabgeordnete mit Zahlen, die aus dem Jahre 1979 stammen. Da wird die Bundesregierung beschimpft, ja es wird sogar der Rücktritt von Herrn Minister Dollinger gefordert.
Diese Regierung hat nicht nur diskutiert. Sie hat gehandelt. Dieser Verkehrsminister hat endlich die Weichen richtig gestellt.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Zurufe von der SPD)

Meine Damen und Herren, das Lamentieren der 70er Jahre — wie mein Vorredner es eben nannte — hat endlich aufgehört, hat ein Ende gefunden.

(Haar [SPD]: Wer hat den Rücktritt gefordert?)

Die SPD zog mit einer unverantwortlichen Politik der 70er Jahre dem Unternehmen Bundesbahn geradezu den Boden unter den Füßen weg.

(Sehr wahr! bei der CDU/CSU)

Unsicherheit und Resignation sind bei den Eisenbahnern die Folge gewesen. Die Verkehrspolitik muß Zielvorgaben machen, sie muß Leitlinien aufstellen, muß sagen, was in Zukunft gemeinwirtschaftlicher Auftrag der Bahn ist. Genau dies ist im
Kabinettsbeschluß der Bundesregierung vom November vergangenen Jahres geschehen.
Umgekehrt kann natürlich der Verkehrsminister keinen Fahrplan der Bundesbahn gestalten. Auch wir können hier nicht Eisenbahner spielen. Das ist die Aufgabe der Verantwortlichen der Bundesbahn, und die Eisenbahner können dies im übrigen auch viel, viel besser. Die Bundesregierung formuliert und stellt politische Rahmenbedingungen auf. Die Unternehmensführung der Bundesbahn hat danach ihre Ziele gesetzt und hat diese Leitlinie ausdrücklich gebilligt. Die Steigerung der Produktivität — das wurde eben schon gesagt — soll bis 1990 40% ausmachen. Das hat natürlich Auswirkungen auf die Angebotsseite, Auswirkungen auf die Investitionen, natürlich, selbstverständlich auch auf den Personalbestand, meine sehr verehrten Damen und Herren.
Der Verkehrsminister hat den gemeinwirtschaftlichen Auftrag der Bahn ausdrücklich definiert. Die Bundesbahn ist eben etwas anderes als eine Schokoladenfabrik oder ein Automobilkonzern. Das müssen wir erkennen und sehen.

(Zurufe von der SPD) — Hören Sie hin!

Gemeinwirtschaftliche Leistungen heißt aber auch, daß man diese Leistungen nicht der Bahn allein aufbürden kann oder ihr aus den daraus entstehenden Kosten einen Vorwurf machen sollte. Das Verursacherprinzip gilt hier, wenn die Politik der Bahn gemeinwirtschaftliche Leistungen aufbürdet. Ich sage ganz offen: Deshalb muß man in der Politik auch ehrlicher sein, als Sie das in den Jahren der Verantwortung waren.

(Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Und noch sind!)

Aus einer unsicheren, geradezu schicksalhaften Konzeptionslosigkeit der 70er Jahre ist durch das aktive Handeln der jetzigen Regierung endlich eine Perspektive geworden. Mit der mittelfristigen Finanzplanung besteht auch Sicherheit über den Zuschußbedarf in den nächsten Jahren. Die Bahn mit ihren gesamten Bundeszuwendungen nimmt 56% des Verkehrshaushaltes in Anspruch. In kritischer Lage, was den Verkehrshaushalt angeht, ist die Plafondierung richtig und notwendig gewesen.
Über die Notwendigkeiten des öffentlichen Nahverkehrs will ich mir hier verkneifen einige Ausführungen zu machen. Ob es nun die Ballungsrandzonen, die Ballungsräume oder die ländlichen Zonen insbesondere sind: wir wissen, daß öffentlicher Personennahverkehr notwendig ist, daß er die Städte erst lebenswert und auch liebenswert macht. Autogerechte Städte können dies nie sein. Wenn wir aber auf der anderen Seite sehen, daß der Verkehrsverbund Rhein-Ruhr, Herr Minister — jetzt komme ich zu Nordrhein-Westfalen, auch weil ich selbst Betroffener bin —, im letzten Jahr eine Kostenunterdeckung von 1,13 Milliarden eingefahren hat und die S-Bahn in diesem Verbund einen Kostenunterdeckungsgrad in ständig wachsender Größe, jetzt schon fast über 30%, aufzuweisen hat, dann



Schemken
könnten wir doch einfach feststellen, daß dies sicherlich auch im Sinne des Landes Nordrhein-Westfalen nicht weiter so verlaufen darf. Deshalb sehen die Leitlinien innerhalb des Gesamtplafonds von 13,5 Milliarden DM Teilplafondierungen vor, die die Ausgabenentwicklung gerade dieser galoppierenden Größe bremsen sollen. Probleme der Bahn sind eben nur langfristig lösbar, Herr Kretkowski. Das 83er Ergebnis sei das Ergebnis der SPD, sagen Sie, weil es positiv ist; wäre es negativ gewesen, wäre es unser Ergebnis. Aber die Probleme sind nur langfristig lösbar. Weil dies so ist, wirken sich eben die Fehler der Vergangenheit auch langfristig, kaum korrigierbar, negativ aus.
Wer deshalb in Zukunft die Bundesbahnpolitik solide gestalten will, muß den einen oder anderen schmerzlichen Schritt, wenn er ehrlich sein will, draußen mit vertreten, was die Streckendiskussion angeht. Wer hier aber kleinmütig und auf Effekthascherei aus ist, der handelt gegen das Unternehmen Bundesbahn und macht dort zugleich die Arbeitsplätze unsicher. Dies ist eine ganz klare Erkenntnis. Wer die Bahn zum Zankapfel politischer Auseinandersetzungen macht, der leistet ihr im übrigen einen Bärendienst. Ich wundere mich, wie das heute morgen von Verantwortlichen so aufgezäumt wird.
Es ist in dieser Stunde auch notwendig, einmal zu regionalen Fragen Stellung zu nehmen. Ich halte das Wehgeschrei der Landesregierung von Nordrhein-Westfalen eigentlich für unbegründet.

(Haar [SPD]: Was ist mit dem Wehgeschrei aus Bayern?)

— Ich sage Ihnen, vom ÖPNV-Programm 1983 bis 1987 in Höhe von 6,2 Milliarden DM erhält das Land Nordrhein-Westfalen rund 2,3 Milliarden DM, das sind 35,8 %.

(Zuruf von der CDU/CSU: Löwenanteil!)

Meine Damen und Herren, ich wundere mich deshalb, weil über Jahre hinweg diese Landesregierung in den 70 er Jahren nie gefordert schien. Entweder hat man dort geschlafen, oder man hat aus vordergründiger Parteiräson heraus wichtige politische und strukturelle Entscheidungen unterlassen.
Herr Minister, Sie haben zu Recht die Strukturprobleme in Nordrhein-Westfalen angesprochen. Die Arbeitslosigkeit ist sehr hoch. Ich kann Ihnen sagen: Auch diese Arbeitslosigkeit ist zum Teil der schlechten Wirtschaftspolitik und der schlechten und miserablen Strukturpolitik der Landesregierung zuzuschreiben.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Sie haben die Leitlinien kritisiert, die Minister Dollinger nun aufgestellt hat. Ich erinnere in diesem Zusammenhang an eine Länderministerkonferenz vom Mai 1977. Damals stand der GscheidlePlan zur Diskussion, und zwar die Umstellung von 6 000 km Strecke für den Personenverkehr auf Busbetrieb und die Reduzierung von 3 000 km Güterverkehrsstrecken. Das wurde damals von der Länderministerkonferenz einstimmig als realistisch angesehen. Hier hat das Land Nordrhein-Westfalen auch mitgewirkt.

(Milz [CDU/CSU]: Hört! Hört!)

Im übrigen wirkt man j a schon 18 Jahre im Lande. Ich finde es eine Doppelzüngigkeit, wenn man heute über einen weitaus reduzierten Plan ein solches Urteil spricht.
Meine Damen und Herren, die zur Verfügung stehenden Mittel — ich habe die Größenordnung schon genannt — ließen sich auch im Land Nordrhein-Westfalen für wichtige strukturelle Maßnahmen entsprechend den Schwerpunkten und Prioritäten durch die Landesregierung, durch die politische Willensbildung dorthin kanalisieren, wohin sie gehören. Ich weiß, daß gerade das Problem der Stammstrecke, was die Hohenzollernbrücke angeht, ein gemeinsames Anliegen ist, Herr Minister. Da wollen wir als Nordrhein-Westfalen auch zusammenstehen. Nur: Dann muß auch ehrlichen Herzens gesagt werden, wie das geschehen soll. Unsere Landtagsfraktion hat hierzu mit dem Minister Dr. Dollinger schon entscheidende Gespräche geführt. Sie handelt. Jetzt kommt es darauf an, daß die Landesregierung mitzieht. Ich kann Ihnen hier ankündigen, daß die rheinische Gruppe innerhalb der CDU-Fraktion in dieser Frage eine Initiative einbringen wird. Ich will hoffen, daß Sie dieser Initiative folgen, damit das Problem geregelt wird.
Wir sehen auch die Gefahr, daß nach Ablauf der Frist des nächsten Jahres, was die Planfeststellungsverfahren angeht, möglicherweise ein neues Verfahren aufgelegt werden soll.

(Straßmeir [CDU/CSU]: Das interessiert den Herrn Minister gar nicht!)

Von daher gerät sicherlich eine solche wichtige Zukunftsmaßnahme weiter ins Hintertreffen.
Man kann der Landesregierung von NordrheinWestfalen auch nicht den Vorwurf ersparen, daß die Konzepte der gigantischen Verkehrsverbände zu einer unerträglichen Belastung der öffentlichen Haushalte geführt haben. Die Sorgen der Kommunalpolitiker — hören Sie sich im Land Nordrhein-Westfalen um — gehen in den Stadt- und Kreisparlamenten quer durch alle Fraktionen. Ich will nicht um jeden Preis der Privatisierung das Wort reden. Aber der Verkehrsverbund hat sich einem Vergleich mit den Leistungen Privater zu stellen. Bei diesen Unternehmen werden Defizite durch überzogene Wasserköpfe eingefahren.

(Zustimmung bei der CDU/CSU)


Richard Wurbs (FDP):
Rede ID: ID1006404800
Herr Abgeordneter, ich bitte, zum Schluß zu kommen.

Heinz Schemken (CDU):
Rede ID: ID1006404900
Ich bin der Meinung: Auch für den Rhein-Ruhr-Verkehrsverbund kommt die Stunde der Wahrheit. Nur mit dieser Wahrheit und einer ehrlichen Diskussion werden wir überhaupt über den Rhein-Sieg-Verkehrsverbund sprechen können. Ich weiß, daß Sie aus den Ballungszonen sich Leichttun. Wir in der Ballungsrandzone zahlen



Schemken
die Zeche, die Sie mit defizitären Zahlen einfahren.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Richard Wurbs (FDP):
Rede ID: ID1006405000
Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit ist abgelaufen. Ich bitte, zum Schluß zu kommen.

Heinz Schemken (CDU):
Rede ID: ID1006405100
Ich bitte deshalb, daß sich diejenigen, die die Politik der 70er Jahre zu verantworten haben, wenigstens einmal an die Brust klopfen, denn es wäre in dieser Stunde wichtig, eine Gemeinsamkeit im Hinblick auf die Zukunftschancen der Bundesbahn herbeizuführen.
Schönen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Richard Wurbs (FDP):
Rede ID: ID1006405200
Das Wort hat der Abgeordnete Bamberg.

Georg Bamberg (SPD):
Rede ID: ID1006405300
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn man ziemlich am Schluß einer Debatte drankommt, ist ja vieles von dem, was man eigentlich auch sagen wollte, schon gesagt.

(Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Von Ihrer Seite ist noch gar nichts gesagt!)

— Sie werden schon noch hören, was von unserer Seite zu sagen ist.
Ich habe jetzt fast vier Stunden die Redebeiträge aufmerksam verfolgt, habe mir Gedanken gemacht über die Rituale im Bundestag, vor allem aber auch über die Frage: Was werden die Betroffenen, die Eisenbahner, draußen empfinden, wenn sie die Kämpfe, die Schuldzuweisungen verfolgen? Ich weiß, es hat eine Anzahl Eisenbahner hier und draußen, wahrscheinlich an Radio und Fernsehen, zugehört. Ich glaube, sie haben die ganze Diskussion nicht gerade positiv auffassen können. Ich sage das als einer, dessen Beruf immer noch Eisenbahner ist, der den Kontakt mit den Eisenbahnern nicht verloren hat.
Herr Minister Dollinger, ich bin auch so ein Miesmacher, der nicht alles glaubt, was hier von Ihrer Seite gesagt wird. Ich habe Ihre Mienen und Ihre Zwischenrufe jetzt wieder verfolgt: In welchem Zustand muß sich eine Fraktion, eine Koalition befinden, die weit entfernt ist von den Gefühlen der Eisenbahner, die bewegt sind, weil sie fürchten, daß Arbeitsplätze verlustig gehen

(Zurufe von der CDU/CSU)

— nicht nur mit dem Wein stößt man an, sondern auch mit der Wahrheit —,

(Beifall bei der SPD — Milz [CDU/CSU]: Etwas weniger Arroganz stünde Ihnen gut an!)

die jedesmal begeistert Beifall klatscht, wenn von Zuständen die Rede ist, die nicht in Ordnung sind?

Richard Wurbs (FDP):
Rede ID: ID1006405400
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Jobst?


Georg Bamberg (SPD):
Rede ID: ID1006405500
Ich lasse keine Zwischenfragen zu; nicht weil ich es nicht gern möchte, sondern weil ich nur neun Minuten Redezeit habe.

(Dr. Jobst [CDU/CSU]: Sie kneifen!)

Herr Jobst, da Sie gerade stehen, sage ich Ihnen gleich: Demjenigen, der noch vor einer Woche begeistert dem Bau des Rhein-Main-Donau-Kanals zugestimmt hat, glaube ich nicht, daß er ein ehrlicher Vertreter der Bundesbahnpolitik ist. Das kann er ja nicht sein.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Welches Armutszeugnis stellen sich eine Regierung und die sie tragenden Fraktionen aus, wenn sie bei allen Vorschlägen, die gemacht werden, das Märchen von der Erblast erzählen?

(Milz [CDU/CSU]: Wissen Sie, was Schmidt zu dem Rhein-Main-Donau-Kanal gesagt hat?)

Ich möchte heute dem früheren Verkehrsminister Volker Hauff fast ein bißchen Abbitte leisten. Ich war auch einer der Eisenbahner, die gefragt haben — Gott sei Dank ist innerhalb der SPD Kritik ja noch möglich —, warum dies und das nicht gemacht worden sei.

(Frau Hürland [CDU/CSU]: Warum ist es denn nicht gemacht worden?)

Nachdem ich heute die Rede gehört habe, die Herr Hoffie für die FDP gehalten hat, weiß ich, wie ihm manchmal die Hände gebunden waren und wie sehr alles abgeblockt worden ist. Das ist mir jetzt völlig klar. Darum möchte ich dem früheren Verkehrsminister Hauff als Eisenbahner ein bißchen Abbitte leisten.

(Hoffie [FDP]: Was ist abgeblockt worden?)

Glauben Sie denn wirklich, wir Eisenbahner erkennen nicht, daß bei dieser Regierung Dollinger Reden und Handeln uneins sind? Reden und Handeln sind da doch nicht eins. Glauben Sie denn wirklich, wir merken es nicht, daß Sie der Bahn die erforderlichen Rahmenbedingungen verweigern, die Sie allen anderen Verkehrsträgern zugestehen?

(Zuruf von der CDU/CSU)

— Zuhören sollte man können, gell?
Sie erdreisten sich — das dürfen Sie zwar —, für den Rhein-Main-Donau-Kanal einzutreten, obwohl Sie wissen — ich habe Ihnen das das letzte Mal gesagt; ich sage es Ihnen noch einmal —, daß Sie damit der Bahn ein ganz kleines Stückchen Existenzgrundlage nehmen: 200 Millionen DM.

(Dr. Jobst [CDU/CSU]: Der damalige Staatssekretär Haar hat versprochen, daß der Rhein-Main-Donau-Kanal gebaut wird! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

— Das ist die Stimmung. Das ist mir völlig klar, wir wundern uns nicht.

(Beifall bei der SPD)

Und von diesen Leuten soll man ein Konzept erwarten! Darüber lache ich doch schallend. Das sind die

Bamberg
Konzepte — darüber lache ich doch. Das sind die Menschen, die die Unfallopfer beweinen und nichts dafür tun, daß mehr Güter auf die Bahn, auf die Schiene kommen.
Was mich besonders bestürzt — das sage ich auch an unsere Adresse —: Kein einziger hat heute den Höcherl-Bericht angeführt. Was ist mit dem Höcherl-Bericht gemacht worden? Das ist ein guter Bericht. Was könnte aus dem Bericht der HöcherlKommission auch für die Bahn herausgefiltert werden!

(Hoffie [FDP]: Der hat sich mit der Bahn gar nicht beschäftigt!)

Keiner hat dazu etwas gesagt. Ich fordere Sie, der Sie die politische Verantwortung tragen, auf, sich mit dem Höcherl-Bericht zu befassen. Sie haben zum Teil sehr polemisiert. Ich sage Ihnen noch einmal: Wir gehen jede Gangart mit; damit das klar ist.
Jetzt sage ich Ihnen auch noch folgendes: Warum verweigern Sie denn der Bundesbahn die notwendigen Investitionen?

(Dr. Waigel [CDU/CSU]: Weil ihr das Geld verpulvert habt!)

Weil Sie das Geld, das Sie von den kleinen Leuten holen — und nicht etwa über eine Erhöhung der Vermögensteuer —, lieber den Großen in den Hintern hineinschmieren. So schaut es doch aus. Das ist doch der Grund.

(Beifall bei der SPD — Dr. Jobst [CDU/ CSU]: Wir sind hier im Bundestag und nicht auf einem Bauerntheater! — Straßmeir [CDU/CSU]: Komödienstadel!)

Bei dieser Regierung sind Handeln und Reden uneins.

(Zurufe von der CDU/CSU)

— Wir lassen uns doch von Ihnen nichts vormachen. Kommt doch überhaupt nicht in Frage. Wo sind wir denn überhaupt?

(Beifall bei der SPD — Zurufe von der CDU/CSU)

Sie haben heute zwar die Mehrheit, aber der Staat gehört doch nicht Ihnen. Wo sind wir denn überhaupt?
Heute hat die DB insgesamt nicht mehr Güterverkehrsaufkommen als 1968, als durch den Leber-Plan zusätzlich 27 % auf die Bahn kommen sollten. Da sagt der Verkehrsminister, die Bürger hätten sich gegen die Bahn entschieden. Herr Minister, ich glaube, wir müssen die Frage stellen: Warum hat sich der Bürger denn gegen die Bahn entschieden? Weil die politischen Rahmenbedingungen verweigert worden sind.
Es war hier von der Motivation die Rede; das ist auch so ein schönes, tragendes Wort: Mo-ti-va-ti-on! Ja, es gab einmal eine Motivation der Eisenbahner,
Herr Minister. Ich war damals selber Eisenbahner, Fahrdienstleiter.

(Hoffie [FDP]: Schlimm genug! — Tillmann [CDU/CSU]: Mit der roten Mütze! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

— Aber immer noch besser, als daß Sie in der Politik sind. —

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD)

Damals, als der Leber-Plan kam, Herr Minister, sind wir mit stolzgeschwellter Brust einhergegangen. Das war eine Motivation, ein unglaublicher Motivationsschub für die Eisenbahner. Ich frage mich, warum es nicht möglich ist, daß man diese positiven Ansätze des Leber-Plans — ich weiß j a, daß nicht alles gemacht werden kann — in die Tat umsetzt, ob es über den Vorschlag von Ernst Haar geht oder über andere Vorschläge.

(Lemmrich [CDU/CSU]: Ihr habt doch 13 Jahre Zeit dafür gehabt!)

— Das ist wieder das Thema Erblastkampagne. Wer das ununterbrochen bringt, beweist, daß er überhaupt kein Konzept hat; der hat es notwendig, daß er das ununterbrochen bringt. Darüber brauchen wir doch gar nicht weiter zu reden.

(Beifall bei der SPD — Milz [CDU/CSU]: Was haben Sie denn in den 13 Jahren gemacht, Herr Bamberg? — Dr. Jobst [CDU/ CSU]: Lassen Sie doch einmal eine Zwischenfrage zu! — Lemmrich [CDU/CSU]: Das kann man ja nicht ernst nehmen! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

— Ja, das paßt Ihnen nicht; das ist mir klar.

Richard Wurbs (FDP):
Rede ID: ID1006405600
Herr Abgeordneter, einen Augenblick! — Meine Damen und Herren, ich bitte doch um etwas mehr Ruhe. Der Redner ist hier kaum verständlich.

Georg Bamberg (SPD):
Rede ID: ID1006405700
Wahrscheinlich möchten Sie mich noch länger reden hören, das ist mir klar,

(Hanz [Dahlen] [CDU/CSU]: Zugabe! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

aber ich habe auch nur eine begrenzte Redezeit. — Ich meine, es müßte Möglichkeiten geben, die guten Erfahrungen mit dem Programm „Güter auf die Bahn!", die guten Erfahrungen mit dem Personenverkehr in den Ballungsräumen auf die Fläche zu übertragen. Das, was in anderen Ländern möglich war, etwa in der Schweiz, in den Niederlanden, in Dänemark und in Frankreich, wo man stillgelegte Strecken derzeit wieder betriebsbereit macht, könnte — möglicherweise — auch in der Bundesrepublik zu verwirklichen sein.

(Dr. Jobst [CDU/CSU]: Haben Sie die Rede heute nacht auswendig gelernt?)

Es gibt doch keinen Grund, warum das hier bei uns nicht ginge. Möglichkeiten gibt es! Warum denn nicht ein Modell Hohenlohe, das sich derzeit zu 100 % trägt?

(Hoffie [FDP]: Was? Millionendefizite! — Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Bamberg Keine Ahnung, Sie haben überhaupt keine Ahnung! — Weitere Zurufe von der CDU/ CSU)




Warum denn nicht auch ein Versuch für die Bahn über ein Pilotprojekt? Warum denn nicht?

(Zurufe von der CDU/CSU) — Selbstverständlich. —

Im übrigen — ich habe noch eine Minute —: Der Verkehrsminister hat sich beim Bundesbahnvorstand bedankt, wohl dafür, daß er das Konzept mit geliefert hat. Ich möchte mich Ihrem Dank an die Mitarbeiter der Bundesbahn anschließen, Herr Minister,

(Beifall bei der SPD) und zwar deswegen,


(Milz [CDU/CSU]: Weil sie euch 13 Jahre lang ertragen haben!)

weil sie nicht resignieren ob eines Konzepts, von dem sie wissen, daß es sie zum Teil ihre Existenz kostet. Wer solche Konzepte — da bin ich gern ein Miesmacher — vorlegt, muß sich auch über die Reaktionen im klaren sein. Herr Minister, ich mache Ihnen persönlich keinen Vorwurf. Es war ja Strauß, der Ihnen den großen Vorwurf gemacht hat. Nicht wir waren es, sondern Strauß, der gesagt hat: unzureichend, schwammig, unmöglich. Ich trau' mich gar nicht, das zu sagen, was Strauß gesagt hat; so schlecht sind Sie ja gar nicht. So ist es doch wirklich.

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD und den GRÜNEN — Dr. Jobst [CDU/CSU]: Sie haben den Brief gar nicht gelesen!)

— Den habe ich schon gelesen; den habe ich aufmerksam gelesen.

(Dr. Jobst [CDU/CSU]: Haben Sie auch den ersten Teil gelesen?)

Ich lese zwar nicht alles, was Sie so schreiben, aber den habe ich aufmerksam gelesen. Das ist völlig klar. — Eine Politik — ich komme zum letzten Satz —, die die Eisenbahner ihre Existenz kosten kann, kann uns Eisenbahnern gestohlen bleiben.
Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN — Dr. Jobst [CDU/CSU]: Ausgerechnet der Haar muß gratulieren!)


Richard Wurbs (FDP):
Rede ID: ID1006405800
Das Wort hat der Abgeordnete Lemmrich.

(Schily [GRÜNE]: Wir haben hier heute eine Bayernschlacht! — Zuruf von der SPD: Das letzte Wort hat der Ausschußvorsitzende!)


Karl Heinz Lemmrich (CSU):
Rede ID: ID1006405900
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Wo war denn der Herr Kollege Bamberg,

(Zuruf von der CDU/CSU: Wer ist das?)

als die Anteile der Bundesbahn im Güterverkehr so katastrophal zurückgingen?

(Bamberg [SPD]: Bei der Bundesbahn!) Wo war er, als die frühere, von seinen Freunden geführte Bundesregierung der Bahn über Nacht mehr als eine Milliarde DM gestrichen hat? Da habe ich von seinen Gefühlen nichts gehört.


(Tillmann [CDU/CSU]: Da durfte er nicht reden!)

Herr Kollege Bamberg, es ist nicht gut, wenn Sie hier so fehlinformiert in den Raum stellen,

(Hoffie [FDP]: Richtig!)

diese Regierung und Verkehrsminister Dr. Dollinger verweigere der Bundesbahn die Mittel für notwendige Investitionen. In diesem Jahr wird die Deutsche Bundesbahn 5,1 Milliarden DM investieren. Ein so hoher Betrag ist noch nie investiert worden.

(Beifall des Abg. Hoffie [FDP])

Gerade Sie und Ihre Freunde — Herr Hauff weiß das ja, weil auch er gekämpft hat und weiß, wie schwierig das ist — haben die Investitionen heruntergefahren. Daher würde ich an Ihrer Stelle den Mund nicht so voll nehmen, wie Sie das hier getan haben.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Herr Kollege Haar hat unsere Ehrlichkeit in Zweifel gezogen.

(Haar [SPD]: Ihre schon lange! — Hoffie [FDP]: Ausgerechnet der! — Zurufe von der CDU/CSU)

— Er bestätigt das hier noch einmal: meine besonders. Wer so mit der Wahrheit umgeht wie Herr Haar, sollte da wohl etwas vorsichtiger sein. Er war ja von 1972 bis 1979 in hoher Verantwortung, er war Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesverkehrsministerium.

(Haar [SPD]: Und für das Post- und Fernmeldewesen, Herr Kollege!)

— Das auch noch, aber da haben Sie ihn ja nicht hereingelassen. — Herr Haar hat sich auch zu dem Rhein-Main-Donau-Kanal geäußert. So hat er am 3. Mai 1978 in Regensburg anläßlich der Bauabschlußfeier für die Donaustrecke Regensburg-Kelheim folgendes gesagt:
Die Vollendung dieses großen Wasserstraßenprojekts wird von seiten der Bundesregierung nicht in Frage gestellt.

(Hoffie [FDP]: Hört! Hört! Gewerkschaftsvorsitzender! — Zurufe von der CDU/ CSU)

Herr Minister Gscheidle hat im März 1976 Ihnen, Herr Ministerpräsident Goppel, dies ausdrücklich bestätigt. Unser Ziel ist es, die Strecke von Nürnberg nach Regensburg und den Ausbau des Donauabschnittes zwischen Regensburg und Straubing bis Mitte der 80er Jahre zu vollenden.

(Hoffie [FDP]: Hört! Hört! — Lambinus [SPD]: Reden Sie doch einmal frei als Ausschußvorsitzender!)




Lemmrich
Und heute diese Attacken. Und da redet man noch von Ehrlichkeit?

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Hinsken [CDU/CSU]: So sind die Sozis! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU: Unglaublich! — Haar-sträubend! — Lambinus [SPD]: Jetzt mache ich Ihnen das einmal vor, was Sie die ganze Zeit gemacht haben!)

Der Kollege hat es unlängst für opportun gehalten, sich über die Preiserhöhungen im Berufs- und Schülerverkehr furchtbar aufzuregen.

(Lambinus [SPD]: Herr Vorsitzender, einmal frei reden und nicht nur Zwischenrufe machen!)

— Ich habe eine ganz knappe Zeit.

Richard Wurbs (FDP):
Rede ID: ID1006406000
Sie lassen keine Zwischenfrage zu. Gilt das generell, Herr Abgeordneter?

Karl Heinz Lemmrich (CSU):
Rede ID: ID1006406100
Da hat er sich unerhört aufgeregt und hat die übelsten Worte gebraucht. Aber unter seiner eigenen Verantwortung wurden die Tarife im Schülerverkehr um 85,8 % erhöht.

(Lambinus [SPD]: Schämen Sie sich als Ausschußvorsitzender! — Gegenrufe von der CDU/CSU)

— Ich schäme mich gar nicht. Sie sollten sich schämen und sollten endlich einmal ehrlich werden.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Zurufe von der SPD)

Als er in der Verantwortung war, sind im Berufsverkehr die Preise um 52,4 % gestiegen. Er redet hier von Ehrlichkeit, der damals verantwortlich war!

(Hoffie [FDP]: Unglaublich! — Dr. Jobst [CDU/CSU]: So mit der Wahrheit umgehen! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU: Doppelte Moral! — Unglaublich! — Haar-sträubend! — Fortgesetzte Zurufe des Abg. Lambinus [SPD] — Glocke des Präsidenten)

Da muß ich doch fragen: Wo waren Sie denn eigentlich, als sich die Bahn entwickelt hat?

(Zuruf von der SPD: Wo waren Sie?)

Sie waren in der Verantwortung, nicht wahr? Aber weil ich eben weiß, Herr Haar, daß die Dinge unter Ihrer Verantwortung passiert sind, ist Ihnen das so peinlich. Daß die Lage, die wir zu meistern haben, heute so außerordentlich schwierig ist, geht doch darauf zurück, daß Sie eine so katastrophale Politik betrieben haben.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Zuruf von der SPD: Wessen Interessen vertreten Sie eigentlich?)

Die Verluste der Bahn stiegen von 1,3 Milliarden DM im Jahr 1970 auf 4,2 Milliarden DM im Jahr 1982 — ein tolles Ergebnis Ihrer Politik —, die Bundeszuwendungen stiegen von 3,9 auf 13,3 Milliarden DM, die Verschuldung von 13,5 auf 35,5 Milliarden DM und die Zinsen von 1 Milliarde auf 3 Milliarden DM. Und heute kommen Sie daher und sagen, jetzt
muß ein Entschuldungsprogramm durchgeführt werden — für das, was Sie zu verantworten haben.

(Zuruf von der CDU/CSU: Unglaublich! — Hoffie [FDP]: Schauspieler! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU und der FDP — Haar [SPD]: Wollen Sie keines?)

Wo waren Sie denn, als sich die Verkehrsanteile der Bahn negativ entwickelten? 1970 war die Leistung der Bahn im Güterverkehr 71,5 Milliarden Tonnenkilometer, und 1982 sind es noch 57,4 Milliarden Tonnenkilometer gewesen. Wo waren denn die flankierenden Maßnahmen, die leider nicht die Wirkung erzielt haben, die wir erhofft haben?

(Zurufe von der SPD)

— Von den Lkw und den Autos wollen wir jetzt nicht weiter reden. Danach sind Sie vorhin schon gefragt worden.

(Lambinus [SPD]: Ich rede vom LkwLobbyisten!)

— Hören Sie mit Ihrem dummen Schmarren auf!

(Heiterkeit bei der CDU/CSU — Zurufe von der SPD)

Der Straßengüterverkehr ist in derselben Zeit von 57 Milliarden Tonnenkilometer auf 119,8 Milliarden Tonnenkilometer gestiegen. Wo waren Sie denn, wo haben Sie denn zur Kenntnis genommen, was sich hier ereignet hat? Sie haben dabei geschlafen.

(Dr. Waigel [CDU/CSU] und Hoffie [FDP]: Im Salonwagen!)

Sie haben den Strukturwandel einfach nicht ernst genommen, und da liegt die ganze Problematik, mit der wir uns heute hier auseinanderzusetzen haben. Die Anteile im Güterverkehr sind von 1970, wo sie bei der Bahn noch 33,2 % betrugen, auf 24,2 % zurückgegangen. Wo waren Sie denn, als das geschah?

(Zuruf von der CDU/CSU: Im Salonwagen!)

Jetzt kommen Sie mit großen Rezepten. Haben Sie nicht erkannt, daß das alles schwierig ist, daß hier ein enormer Strukturwandel vorliegt, der von der Montanindustrie ausgeht, wo man heute für die Erzeugung einer Tonne Stahl viel, viel weniger Kohle als früher braucht,

(Hoffie [FDP]: Richtig!) wo wir Rohrleitungsverkehr haben


(Hoffie [FDP]: Richtig!)

— das sind doch die Probleme —, und daß die Bahn große Anstrengungen unternehmen muß? Davon hört man bei ihnen nichts. Das haben Sie doch zu vertreten, und heute kommen Sie mit neuen Programmen und Sprüchen.

(Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Und schreien!)

Dasselbe ist doch bei den Verlagerungen der Verkehre von der Schiene auf die Straße. Immerhin haben in der Zeit Ihrer Regierung solche Verlage-



Lemmrich
rungen auf 4 707 Kilometern stattgefunden. Da würde ich heute nicht so um mich hauen, wie Sie das tun. Sie wissen doch genausogut wir wir, daß damit in vielen Fällen sogar beträchtliche Verkehrsverbesserungen für die Bevölkerung einhergegangen sind.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Das müssen wir hier doch auch einmal ehrlich sagen. Wenn der Bus in das Dorf hineinfährt und die Leute nicht zwei Kilometer zum Bahnhof laufen müssen,

(Hoffie [FDP]: Richtig!)

kann man hier nicht solche Reden halten, wie sie hier auf einmal gehalten werden. Diese Einsichten haben Sie doch genauso wie wir.

(Zurufe von der SPD)

Sie sollten die Sachen also auch hier gedämpfter sehen, wenn Sie schon davon reden, daß wir ein schwieriges Problem gemeinsam in Angriff nehmen wollen.

(Dr. Jobst [CDU/CSU]: Haar hat hier eine Wahlrede gehalten!)

Es geht auch darum, wenn wir die Personenverkehre da, wo das Aufkommen für die Schiene nicht groß genug ist, auf Busse verlagern, diese Strecken natürlich auch für den Güterverkehr besser zu machen. Die Güterverkehre sollen aufrechterhalten bleiben.

(Zuruf von der SPD: Jawohl, Herr Lehrer!)

Auch das mußte einmal gesagt werden. Weswegen stellen Sie diese Problematik heute so in schwarzweiß dar? Das, was Sie früher auch gewußt haben, wollen Sie jetzt aus Ihrem Gedächtnis verdrängen.

(Hoffie [FDP]: Zänker!)

Das gilt jedenfalls, wenn man fragt, wo die Pläne sind. Papierene Pläne haben Sie wirklich genug geschaffen.

(Hanz [Dahlen] [CDU/CSU]: Ein halbes Dutzend!)

Aber was wurde daraus? Sie haben auch Minister gehabt,

(Haar [SPD]: Bravo!)

die Einsicht hatten, die aber keine Rückendeckung bei Ihnen fanden.

(Haar [SPD]: Bravo!)

Ich kenne die Herren, die dann am Ende in Resignation gegangen sind,

(Hoffie [FDP]: Richtig, so war das!)

weil mit Ihnen schwierige Probleme nicht lösbar waren. Da liegen doch die Dinge.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Zurufe von der CDU/CSU)

Wenn wir von der Zukunft der Bahn reden, muß man wissen, was man will.

(Zuruf von der SPD: Richtig!)

Der neue Vorstand der Bahn weiß es und ist sich mit dem Bundesminister für Verkehr einig. Aber es hat immer am Handeln gefehlt. Wenn der Vorstand handeln wollte, sind gerade Sie hier diesem in den Rücken gefallen.

(Zurufe von der SPD)

So ging nichts hin und nichts her, und die ganze Malaise im finanziellen, im Verkehrsbereich, kam dann zustande, was dazu führte, daß die Probleme heute so groß sind. Ich muß fragen: Wo hat denn der Herrn Bamberg da seine Gefühle gehabt, und auch Sie sowieso, Herr Haar? Wissen Sie, wenn ich so unglaubwürdig wäre wie Sie, dann würde ich wirklich einige Zähne zurückschalten.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Wir wollen, daß das Unternehmen leistungsfähig ist und unsere Bürger sicher und preiswert transportieren kann und daß es im Güterverkehr seinen Beitrag für unsere schwer im Wettbewerb stehende Wirtschaft leistet.

(Zuruf von der SPD: Rhein-Main-DonauKanal!)

— Und wenn Sie das ansprechen: Wir werden über den Kanal in nächster Zeit noch diskutieren. Sie wollen, daß die Niederbayern 40 Millionen DM mehr an Transportgeldern bezahlen als z. B. die Betriebe im Raum Stuttgart. Das wäre nämlich die Konsequenz.

(Lambinus [SPD]: Das ist doch Stuß!)

— Ach, Sie verstehen doch nichts davon, Herr Lambinus.

(Lambinus [SPD]: Doch, ich versteh' was davon! Das ist Stuß, was Sie erzählen!)

— Mensch, reden's doch nit so deppert daher! Wir werden uns darüber noch unterhalten.

(Anhaltende Zurufe von der SPD — Glocke des Präsidenten!)

Wer hier meint, mit solchen Dingen könne die Bahn gerettet und saniert werden, der irrt sich.

(Lambinus [SPD]: Und so was ist Ausschußvorsitzender!)

Notwendig ist es, daß der Vorstand seine zielstrebige Politik fortsetzen kann,

(Dr. Hauff [SPD]: Reden Sie doch mal vom Minister!)

damit das Unternehmen wettbewerbsfähig ist.

(Hoffie [SPD]: Und von Haar nicht behindert wird!)

Das wird den Wettbewerbern der Bahn noch bald aufkommen. Dieser neue Vorstand hat sich etwas einfallen lassen.

(Zuruf von der SPD)

— Gut, richtig! Es ist doch gut, wenn man für etwas zahlt und dann auch eine Gegenleistung bekommt. Das war ja bei Euch nicht so. Das ist ja auch gut bezahlt worden. Aber die Gegenleistung war nicht da. — Der Vorstand läßt sich etwas einfallen. Denken Sie an das Intercargo-System mit garantierter



Lemmrich
Transportzeit. Das zielt genau auf die Bedürfnisse der Wirtschaft. Man sitzt nicht mehr hinter dem Schalter und wartet, bis einer kommt, sondern man geht hinaus. Das ermutigen wir. Und so werden wir auch mit den Problemen fertig werden.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Zurufe von der SPD)

Der Vorstand, die Führung der Bahn — das ist das Entscheidende — braucht den Rückhalt des Verkehrsministers, der Regierung und dieses Hauses, damit er den schwierigen Strukturwandel — wer bestreitet, daß der schwierig ist, der irrt sich — bewältigen kann.
Zuletzt zur Motivation. Wie war denn das? Am 31. Mai 1978, gemeinsame Anhörung von Haushaltsund Verkehrsausschuß. Herr Dr. Vaerst, Erster Präsident der Bundesbahn, sagt dort: „Mir und meinen Vorstandskollegen fällt es heute nicht nur schwer, sondern wir sehen keine Möglichkeit mehr, die Eisenbahner und die Mitarbeiter der Eisenbahn zu motivieren." Sie, Herr Haar, waren Parlamentarischer Staatssekretär und sind heute hoher Gewerkschaftsführer.

(Hört! Hört! bei der CDU/CSU)

Das waren die Tatsachen. Heute gehen die Eisenbahner hinaus und werben für ihr Unternehmen.

(Zurufe von der CDU/CSU: Bravo!)

Das zeigt, daß dieser Vorstand, getragen durch diese Politik, die Eisenbahner wieder motiviert. Und dazu werden wir sie durch unsere Politik ermutigen.
Danke schön.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Zurufe von der SPD)


Richard Wurbs (FDP):
Rede ID: ID1006406200
Das Wort hat der Abgeordnete Bohlsen.

Wilfried Bohlsen (CDU):
Rede ID: ID1006406300
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Reagieren auf Einflüsse, die von außen auf die Marktstruktur einwirken, aber agieren dort, wo die drastisch steigende Verschuldung gebremst und der Weg der Bahn in die Zukunft gesichert werden muß.
Ich muß hier nachdrücklich betonen, daß es erforderlich war, in Form einer Großen Anfrage eine aktuelle Bestandsaufnahme zur gegenwärtigen Lage der Deutschen Bundesbahn vorzunehmen. Themen wie wirtschaftliche und finanzielle Situation, politische und unternehmerische Konzeption, Entwicklung der Personalkosten, Investitionsabsichten, Transporttechnologien, nationale und internationale Wettbewerbssituation, Vergleiche mit Eisenbahnen anderer Länder sind doch Fragen, die einer Antwort bedurften. Das, meine Damen und Herren, gibt die Grundlage für politische und unternehmerische Entscheidungen. Das gibt die Grundlage für politische Perspektiven.
Sehen wir die Entwicklungen, die zu der schwierigen Situation der Deutschen Bundesbahn geführt haben, dann sollten wir den wirtschaftlichen Strukturwandel und das starke Wachstum nicht verkennen. Wir sollten die Veränderungen im Werkstoffbereich oder aber den Wandel in der flächenhaften Siedlungsstruktur nicht verkennen. Deswegen, meine ich, waren mindestens ebenso einschneidend die wirtschaftlich-strukturellen Änderungen sowie die verkehrstechnologischen Entwicklungen. Ich will nicht auf die Veränderungen eingehen, die sich im Kfz-Bereich ergeben haben, mache aber deutlich die Veränderungen im Bereich der Binnenschifffahrt, im Bereich der Rohrleitungen, im Bereich des Luftverkehrs.
Denken wir an die 16 Jahre der Versäumnisse der durch die SPD verantworteten Politik, dann müssen wir feststellen: Dies war ein Stiefkind der Politik im Verkehrsbereich. Es wurde zu einem Sorgenkind der Nation und somit zu einem erheblichen, nicht kalkulierbaren Haushaltsrisiko.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Warum? Voraussagen trafen nicht ein, Perspektiven entwickelten sich nicht entsprechend, und so gab es immer mehr Experimente, immer neue Anläufe, immer neue Versprechungen, aber immer auch neue Enttäuschungen.
Wir müssen den Weg nach vorne wählen. Ich meine, die Deutsche Bundesbahn ist auf dem besten Wege. Eine verstärkte Akquisition, eine Steigerung im Großcontainerverkehr, die erheblichen Verbesserungen im Huckepackverkehr, die Angebote im Kleingutbereich, der Ausbau des Intercity-Verkehrs, Sonderangebote — rosarote Wochen — führen zu Vermehrungen, führen zu Verbesserungen.
Trotz des wirtschaftlich schwierigen Jahres 1983 konnte der Verlust der Deutschen Bundesbahn deutlich — das wurde hier schon betont — auf unter vier Milliarden DM begrenzt werden und fiel damit um eine Milliarde DM geringer aus, als veranschlagt war. Dies, meine Damen und Herren, sind Erfolge, die wir zu würdigen haben.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Mit Rücksicht auf die Zeit kann ich mich nicht den Themen „Wirtschaftsunternehmen Deutsche Bundesbahn", „Ordnungspolitik" und „Daseinsvorsorge" widmen.
Ich bitte um Nachsicht, wenn ich gleich in die Europapolitik einschwenke und sage: Eine Harmonisierung im grenzüberschreitenden Verkehr innerhalb der EG ist dringend erforderlich. Daneben muß natürlich ein Abbau der Hemmnisse erfolgen, die in Form von Grenzkontrollen, von Wartezeiten bestehen. Wir müssen die Deutsche Bundesbahn auffordern, Europa zu integrieren, damit Europapolitik auch in der aktiven Verkehrsanbindung verwirklicht wird.
Die Eisenbahnpolitik ist in den Leitsätzen der CDU zur europäischen Verkehrspolitik Gegenstand folgender Forderungen: Konsolidierung der Finanzlage der europäischen Eisenbahnunternehmen durch Nutzung aller Rationalisierungsreserven, Erhöhung der Arbeitsproduktivität und Kostensenkung, stärkere Kooperation der europäischen Eisenbahnunternehmen im Bereich der Planung, im Betrieb und im gemeinsamen Marketing, um die Chancen der langen Entfernungen im grenzüber-



Bohlsen
schreitenden Verkehr optimal zu nutzen; weiter die Steigerung der Attraktivität und der Wettbewerbsfähigkeit der Eisenbahn insbesondere durch die Entwicklung des kombinierten Verkehrs Schiene/ Straße, die Ausweitung der bestehenden Intercity-Personenverkehre auch auf den Güterverkehr sowohl im nationalen wie im internationalen Eisenbahnverkehr, eine gemeinsame Planung für den grenzüberschreitenden Hochgeschwindigkeitsverkehr der Eisenbahn.
Darum — lassen Sie mich das abschließend sagen —: Die Deutsche Bundesbahn hat Zukunft! Bis 1990 sind Investitionen in Höhe von 40 Milliarden DM vorgesehen — wir haben das Zahlenspiel gehört —, davon allein 14 Milliarden DM für die Neubaustrecken und 26 Milliarden DM für Fahrzeuge, für Anlagen, für Rationalisierung und Attraktivitätssteigerung.
Auch im Bereich der Verkehrssicherheit, im Bereich der Gesamtenergie, im Bereich des Verkehrslärms und der Luftverschmutzung liegen äußerst günstige Faktoren vor.
Die Deutsche Bundesbahn hat — das betone ich — Zukunft, wenn sie neue Angebote unterbreitet, wenn sie Fortschritte im grenzüberschreitenden Verkehr erreicht, wenn die Verantwortlichkeiten klar geregelt werden, wenn Hilfe bei den Investitionen durch den Bund geleistet wird, wenn Neubaustrecken weitergebaut und weiter konzipiert werden. Die Bahn wird durch Steigerung der Attraktivität ein wichtiger Verkehrsträger der Zukunft sein.
Ich bedanke mich.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Richard Wurbs (FDP):
Rede ID: ID1006406400
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Für den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/1234 ist Überweisung an die Ausschüsse beantragt, und zwar zur federführenden Beratung an den Ausschuß für Verkehr und zur Mitberatung an den Ausschuß für Wirtschaft, den Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau und den Haushaltsausschuß.
Zu den Tagesordnungspunkten 2 b) und 2 c) schlägt der Ältestenrat Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 10/808 und 10/612 an die Ausschüsse vor. Die Überweisungsvorschläge des Ältestenrates ersehen Sie aus der Tagesordnung.
Für den Antrag des Abgeordneten Drabiniok und der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/1222 wird ebenfalls Überweisung vorgeschlagen, und zwar zur federführenden Beratung an den Ausschuß für innerdeutsche Beziehungen und zur Mitberatung an den Ausschuß für Verkehr, den Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau und den Haushaltsausschuß.
Sind Sie, meine Damen und Herren, mit den vorgeschlagenen Überweisungen einverstanden? — Kein Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Meine Damen und Herren, wir treten jetzt in die Mittagspause ein. Die Sitzung wird um 14 Uhr mit der Fragestunde fortgesetzt werden.
Die Sitzung ist unterbrochen.

(Unterbrechung der Sitzung: 13.11 Uhr bis 14.00 Uhr)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1006406500
Wir fahren in den Beratungen fort.
Ich rufe Punkt 1 der Tagesordnung auf:
Fragestunde
— Drucksache 10/1215 —
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Jugend, Familie und Gesundheit. Zur Beantwortung steht Herr Staatssekretär Chory zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 24 des Abgeordneten Sielaff auf:
Will die Bundesregierung mit der Bemerkung in der Antwort vom 15. März 1984 zur Frage Nr. 89 (Plenarprotokoll 10/ 59), der ehrenamtliche Beisitzer in den Ausschüssen und Kammern müsse sich für den Staat ein möglichst objektives, interessenfreies Urteil über das Vorliegen eines Gewissensgrundes im Sinne von Artikel 4 Abs. 3 GG bilden, unterstellen, daß Pfarrer und Religionslehrer, die bisher als Beisitzer tätig waren, dieses Kriterium nicht erfüllt haben?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1006406600
Herr Abgeordneter, die Bundesregierung hat nicht den geringsten Zweifel, daß die Pfarrer, die in der Vergangenheit als Beisitzer in den Prüfungsausschüssen und -kammern tätig waren, dieses Amt mit der gleichen Objektivität wahrgenommen haben wie Beisitzer aus anderen Berufen. Sie ist lediglich der Auffassung, daß die Tätigkeit als Beistand, der dem Antragsteller in der Verhandlung vor dem Ausschuß oder der Kammer helfend zur Seite steht, dem Amt eines Pfarrers in besonderer Weise nahekommt.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1006406700
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Sielaff.

Horst Sielaff (SPD):
Rede ID: ID1006406800
Herr Staatssekretär, ist nicht auch die Bundesregierung der Auffassung, daß zumindest ihre Antwort vom 15. März 1984, worauf sich ja meine Fragen beziehen, leicht als Diffamierung eines Berufsstands verstanden werden könnte? Ich frage deshalb: Hat die Bundesregierung vor Erlaß der Verordnung vom 2. Januar 1984 die Inhalte des § 2 Abs. 2 Nr. 7 mit Vertretern der Kirchen besprochen?
Chory, Staatssekretär: Herr Abgeordneter, es haben vor Erlaß dieser Verordnung keine besonderen Gespräche darüber stattgefunden. Ich möchte aber auf folgendes hinweisen. Diese Vorschriften entsprechen denen, die 1979 von der interfraktionellen Arbeitsgruppe „Reform der Kriegsdienstverweigerung" erstellt wurden. Sie wurden damals von allen drei Fraktionen begrüßt und sowohl in den Entwurf der SPD/FDP-Koalition als auch in den Entwurf der CDU/CSU aufgenommen, die beide im Sommer 1979 eingebracht wurden. Auch in den anschließen-



Staatssekretär Chory
den Ausschußberatungen wurde damals diese Gesetzesänderung allgemein als ein wichtiger Teil der Reform bewertet. Deshalb ist die Bundesregierung der Meinung, daß diese Vorschriften jetzt nicht in Frage gestellt werden sollten. Sie war der Meinung, daß sie nicht auf Widerstand stoßen und nicht als Diskriminierung empfunden würden.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1006406900
Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Sielaff.

Horst Sielaff (SPD):
Rede ID: ID1006407000
Herr Staatssekretär, vorausgesetzt, die Bundesregierung hatte nicht vor, eine für sie kritische Berufsgruppe als Beisitzer in den Prüfungsausschüssen und -kammern für Kriegsdienstverweigerer auszuschalten, wäre es dann nicht sinnvoller gewesen, in der Verordnung etwa zu formulieren: Wer Beisitzer in Ausschüssen oder Kammern ist, kann nicht als Beistand für Kriegsdienstverweigerer auftreten? Dann hätten Sie das gleiche erreicht, und es wäre nicht der Eindruck entstanden, es sei gegen eine bestimmte Berufsgruppe gezielt.
Chory, Staatssekretär: Herr Abgeordneter, das wäre in der Verordnung deshalb nicht möglich gewesen, weil das Gesetz einen Rahmen vorgab, an den sich die Verordnung halten mußte. Das Gesetz nahm allgemein auf die persönlichen Voraussetzungen für die Ernennung zum Schöffen Bezug. Nach diesen Vorschriften sollen Religionsdiener, also die Geistlichen, nicht zum Schöffen berufen werden. Deshalb ist die Verordnung, dem Gesetz konform, so gemacht worden.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1006407100
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Fiebig.

Udo Fiebig (SPD):
Rede ID: ID1006407200
Herr Staatssekretär, die Inkompatibilität von Pfarramt und Tätigkeit im Schöffengericht geht ja davon aus, daß die Kirche der Auffassung ist, daß ein Verkündiger des Wortes Gottes nicht gleichzeitig Menschen verurteilen sollte. Ist es von daher nicht völlig falsch, daß Sie von der Schöffentätigkeit eine Parallele zu der Betätigung in Prüfungsausschüssen für Kriegsdienstverweigerer ziehen? Und woher nimmt die Bundesregierung eigentlich die ungeheure Anmaßung, die Tätigkeit von Pfarrern zu beurteilen? Sollte sie das nicht lieber der Kirche überlassen?

(Beifall bei der SPD und Beifall des Abg. Krizsan [GRÜNE])


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1006407300
Trotz allem möchte ich sagen: Ich bitte, hier doch Bewertungen zu unterlassen.
Chory, Staatssekretär: Herr Abgeordneter, ich habe soeben deutlich gemacht, wie die Bundesregierung die Tätigkeit von Pfarrern bewertet. Ich habe nämlich ausdrücklich gesagt, es gebe keinen Anlaß, daran zu zweifeln, daß die Pfarrer, soweit sie als Beisitzer tätig waren, die Objektivität gewahrt haben. Die Bundesregierung hat eine Vorschrift wieder aufgenommen, die bei den früheren Beratungen unbeanstandet erstellt worden war. Ich sehe darin keine Diskriminierung. Ich meine auch: Wenn es sich um die beiden unterschiedlichen Tätigkeiten handelt, die ich vorhin erwähnt habe, liegt die Tätigkeit des Beistands dem Beruf des Pfarrers sicher näher als die des Beisitzers, der immerhin in die Situation kommen kann, auch zu Lasten des Antragstellers zu entscheiden.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1006407400
Keine weitere Zusatzfrage.
Ich rufe Frage 25 des Herrn Abgeordneten Kuhlwein auf:
Welche Folgerungen zieht die Bundesregierung aus der Aussage des Präsidenten des Hartmannbundes/Verbandes der Ärzte Deutschlands und der Landesärztekammer von Nordrhein-Westfalen, Professor Dr. Horst Bourmer, der die in der vom nordrhein-westfälischen Arbeits- und Sozialminister bekanntgemachten Studie der Pharmaindustrie enthaltene Aussage, nach der 950 000 von 8,1 Millionen Kindern in der Bundesrepublik Deutschland Psychopharmaka nähmen, auf die heutige Leistungsdruck-Situation zurückführt und vor den unabsehbaren Folgen warnt?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Chory, Staatssekretär: Herr Abgeordneter, die Bundesregierung wird dann Folgerungen aus der in der Frage zitierten Aussage ziehen, wenn diese überprüft ist und bestätigt sein sollte. Derzeit liegen der Bundesregierung keine gesicherten Erkenntnisse darüber vor. Der Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit hat für 1984 ein wissenschaftliches Symposion zur Klärung dieser Fragen vorgesehen, das von der Deutschen Gesellschaft für Kinderheilkunde veranstaltet und aus Mitteln des Bundes gefördert werden wird.
Auch bei der Bundesregierung ist der Eindruck entstanden, daß sowohl Eltern als auch Ärzte mit der Anwendung und Verordnung von Psychopharmaka nicht genügend kritisch umgehen. Dabei werden Psychopharmaka nicht nur bei Schulängsten, sondern auch bei Schwierigkeiten anderer Art, allgemeinen Lebensängsten, und zur Ruhigstellung von Kindern eingesetzt.
Im Rahmen ihrer Maßnahmen zur gesundheitlichen Aufklärung wirkt die Bundesregierung darauf hin, daß Psychopharmaka nicht mißbräuchlich verwendet werden. Sie hält Psychopharmaka nicht für ein geeignetes Mittel, die schulische Leistungsfähigkeit zu steigern, und warnt davor, sie für diesen Zweck einzusetzen. Die Bundesregierung steht damit in Übereinstimmung mit der Empfehlung des Weltärztebundes über den Gebrauch psychotroper Arzneimittel.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1006407500
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Kuhlwein.

Eckart Kuhlwein (SPD):
Rede ID: ID1006407600
,Herr Staatssekretär, wie beurteilt die Bundesregierung die vom „Stern" in der heutigen Ausgabe dargestellten Praktiken von Ärzten, Psychopharmaka auch ohne persönliche Diagnose bzw. Untersuchung der Kinder nur auf Vorsprache der Eltern zu verschreiben?
Chory, Staatssekretär: Herr Abgeordneter, ich muß gestehen, daß ich heute morgen noch nicht dazu gekommen bin, den „Stern" zu lesen.




Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1006407700
Zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Kuhlwein.

Eckart Kuhlwein (SPD):
Rede ID: ID1006407800
Herr Staatssekretär, da Sie gesagt haben, die Bundesregierung sei noch dabei, das Problem zu untersuchen: Welche Erkenntnisse liegen denn bis heute schon vor, was die Ursache für die Verschreibungspraktiken von Ärzten in bezug auf Psychopharmaka für Kinder sein könnte?
Chory, Staatssekretär: Wir wissen, daß es unterschiedliche Ursachen gibt; ich habe einige genannt. Wie ich vorhin schon gesagt habe, werden Psychopharmaka nach unseren Erkenntnissen zum Teil auch eingesetzt, ohne daß es eine zureichende Indikation gibt, beispielsweise auch zur Ruhigstellung oder dann, wenn Kinder unabhängig von der Schule unter Ängsten leiden. Wir schätzen — deswegen brauchen wir auch dieses Symposion — nach den bisher vorliegenden Unterlagen den Bereich, in dem bei Kindern Psychopharmaka ohne zureichende Indikation, also auch unter Umständen ohne ärztliche Verschreibung, eingesetzt werden, zwischen 1 % und 7 %. Der Spielraum ist relativ groß. Deswegen bemühen wir uns auch um zusätzliche Erkenntnisse.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1006407900
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Egert.

Jürgen Egert (SPD):
Rede ID: ID1006408000
Herr Staatssekretär, würden Sie es für Ihre Bemühungen für hilfreich halten, wenn die Pharmaindustrie Daten, die in diesem Zusammenhang stehen, offenlegen und nicht als Geheimsache behandeln würde, und würden Sie es darüber hinaus grundsätzlich für sinnvoll halten, wenn die Pharmaindustrie bei therapeutischen Fragen die Geheimniskrämerei bei Ihrem Institut einstellen würde?
Chory, Staatssekretär: Herr Abgeordneter, ich beantworte die Frage mit ja. Wir würden es sehr begrüßen, wenn wir zusätzliche Daten von der Pharmaindustrie bekämen. Wir brauchen sie auch im Rahmen der Risikoüberwachung bei Arzneimitteln.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1006408100
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Fiebig.

Udo Fiebig (SPD):
Rede ID: ID1006408200
Herr Staatssekretär, wäre es nicht angebracht, wenn die Bundesregierung nicht nur die Symptome, sondern auch die Ursachen behandeln und eine Wende in der Familien- und Wohnungsbaupolitik vornehmen würde, um die soziale Lage und das soziale Umfeld der Familie zu verbessern, damit Psychopharmaka zur Ruhigstellung von Kindern gar nicht mehr erforderlich sind?

(Zustimmung bei der SPD)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1006408300
Herr Abgeordneter, wir können jetzt natürlich kein Referat von dem Herrn Staatssekretär als Antwort erwarten, wenn ich darauf aufmerksam machen darf. — Aber wenn Sie noch etwas sagen wollen, bitte schön, Herr Staatssekretär.
Chory, Staatssekretär: Herr Abgeordneter, die Bundesregierung ist dabei, eine grundlegende Reform des Familienlastenausgleichs und Maßnahmen zur Verbesserung der Lage der Familien

(Immer [Altenkirchen] [SPD]: Steuerfreibeträge!)

vorzubereiten, weil sie der Auffassung ist, daß die Familien in den letzten 15 Jahren gegenüber allen anderen Gruppen der Gesellschaft benachteiligt worden sind.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1006408400
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Hirsch.

Dr. Burkhard Hirsch (FDP):
Rede ID: ID1006408500
Herr Staatssekretär, wenn Sie sagen — und ich stimme dem zu —, daß es wünschenswert wäre, diese und andere Statistiken der Pharmaindustrie zu kennen, sie also zu veröffentlichen, möchte ich Sie fragen, was denn die Bundesregierung außer gutem Zureden tut, um diese Statistiken in Zukunft zu bekommen.
Chory, Staatssekretär: Herr Abgeordneter, diese Frage ist in intensiver Beratung im zuständigen Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit, und zwar bei der Beratung des Arzneimittelberichts. Die Bundesregierung hat dort schon deutlich gemacht, daß sie, wenn zusätzliche Daten über die Ausgabe von Arzneimitteln von der Pharmaindustrie nicht über das bisherige Maß hinaus freiwillig zur Verfügung gestellt werden — wir hoffen immer noch, daß das geschieht —, eine gesetzliche Vorschrift vorschlagen wird.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1006408600
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Reimann.

Manfred Reimann (SPD):
Rede ID: ID1006408700
Herr Staatssekretär, hat die Bundesregierung Erkenntnisse, inwieweit die Werbung der pharmazeutischen Industrie Einfluß auf die Verschreibung der Psychopharmaka nimmt, und wenn sie Erkenntnisse hat, was gedenkt sie gegen diesen Einfluß zu tun, den Sie ja eben verurteilt haben?
Chory, Staatssekretär: Herr Abgeordneter, bei Psychopharmaka ist Publikumswerbung verboten. Es darf nur gegenüber denen geworben werden, die sie anwenden, also gegenüber den Ärzten. In diesem Bereich ist es so, daß Gebrauchshinweise und Werbung sehr schwer auseinanderzuhalten sind. Aber Publikumswerbung ist schon verboten.

(Immer [Altenkirchen] [SPD]: Stimmt doch überhaupt nicht!)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1006408800
Keine weitere Zusatzfrage.
Ich rufe Frage 26 des Herrn Abgeordneten Kuhlwein auf:
Sieht die Bundesregierung angesichts des bekanntgewordenen Medikamentenmißbrauchs von Psychopharmaka durch Kinder und Jugendliche einen Anlaß, davor zu warnen, daß trotz ständig gestiegenen Anforderungen nach mehr Leistung und Leistungsorientierung in den Schulen und Universitäten verlangt wird?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.



Chory, Staatssekretär: Herr Abgeordneter, Leistung ist nach Auffassung der Bundesregierung — das gilt auch für Schulen und Universitäten — ein unentbehrlicher Ansporn für den Menschen. Sie hilft ihm, seine sozialen, intellektuellen, praktischen und künstlerischen Begabungen zu entfalten. Leistung ist auch gerechter Maßstab beruflicher und gesellschaftlicher Qualifikation.
Auch in der Schule ist Leistung mehr als nur Nachweis von Wissen und Durchsetzungsvermögen. Im Leistungsanspruch müssen auch Einsatzbereitschaft für den Schwächeren, Rücksicht und Achtung für den Mitmenschen gefördert und anerkannt werden. Für Leistung und Leistungsorientierung in diesem wohlverstandenen Sinne setzt sich die Bundesregierung ein.
Von der weiteren Prüfung der aufgeworfenen Fragen z. B. im Rahmen des beabsichtigten Symposiums wird es abhängen, ob und gegebenenfalls mit welchem Inhalt auch ein warnender Hinweis zu geben ist.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1006408900
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Kuhlwein.

Eckart Kuhlwein (SPD):
Rede ID: ID1006409000
Herr Staatssekretär, darf ich aus Ihrer Antwort schließen, daß die Bundesregierung, falls das angekündigte Symposium einen Zusammenhang zwischen Verschreibung von Psychopharmaka und Leistungsdruck in der Schule ergeben sollte, von ihrer Leistungsideologie in Zukunft Abstand nehmen wird?
Chory, Staatssekretär: Herr Abgeordneter, ich bin sicher, daß die Bundesregierung von Leistung in dem Sinne, wie ich es eben vorgetragen habe, weder Abstand nehmen wird noch Abstand zu nehmen braucht.

(Immer [Altenkirchen] [SPD]: Sie leistet nichts!)

Ich bin sicher, daß das Symposium dies nicht ergeben wird. Es kann sich nach meinem Ermessen nur darum handeln, ob unter Umständen irgendwo ein falscher Leistungsbegriff zugrunde gelegt wird. Wenn das in einem Maße der Fall ist, daß es einen warnenden Hinweis rechtfertigt oder erfordert, wird die Bundesregierung ihn geben.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1006409100
Zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Kuhlwein.

Eckart Kuhlwein (SPD):
Rede ID: ID1006409200
Herr Staatssekretär, darf man also nach Ihrer Antwort davon ausgehen, daß dann, wenn der Zusammenhang auf dem Symposium festgestellt werden sollte, der heute bestehende Leistungsdruck in den Schulen auch mit Ihrer Hilfe abgebaut werden würde?
Chory, Staatssekretär: Soweit es sich um einen unzuträglichen Leistungsdruck handelt und Leistung falsch verstanden wird, wird sich die Bundesregierung für einen Abbau einsetzen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Aber wie?)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1006409300
Eine Zusatzfrage, Herr Sielaff.

Horst Sielaff (SPD):
Rede ID: ID1006409400
Herr Staatssekretär, können Sie erläutern, was ein unzumutbarer Leistungsdruck nach Ihrer Interpretation bedeutet?
Chory, Staatssekretär: Herr Abgeordneter, das wäre, um es einmal mit einem Wort zu sagen, die Vergötzung von Leistung. Es wäre dann der Fall, wenn Leistung in einem Sinne verstanden wird, bei dem — um ein Beispiel zu nennen — nicht auch die Einsatzbereitschaft für den Schwächeren und die Rücksicht und die Achtung für den Mitmenschen — wie ich es vorhin positiv bezüglich des Leistungsbegriffs, wie die Bundesregierung ihn vertritt, dargelegt habe — gefördert werden.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1006409500
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Egert.

Jürgen Egert (SPD):
Rede ID: ID1006409600
Herr Staatssekretär, nach Ihrer interessanten Antwort frage ich Sie: Wie verstehen Sie auf diesem Hintergrund Überlegungen von Mitgliedern der Bundesregierung, zur Eliteuniversität zu kommen? Ist es ein sozial nicht vertretbarer Leistungsbegriff, der hinter diesen Vorstellungen steht?

(Immer [Altenkirchen] [SPD]: Eine Vergötzung!)

Chory, Staatssekretär: Ich sehe das nicht so, Herr Abgeordneter.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1006409700
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Schwenninger.

Walter Schwenninger (GRÜNE):
Rede ID: ID1006409800
Herr Staatssekretär, sprechen Sie auch von Vergötzung des Leistungsdrucks, wenn Sie — z. B. in Baden-Württemberg — vor Augen haben, daß Schüler immer mehr Klassenarbeiten schreiben müssen, um diesen Leistungskriterien gerecht zu werden, und daß die Inhalte oft nur nachklappen, und sind Sie mit mir der Meinung, daß die Schüler gar nicht mehr genug von der Sache her lernen und auch nicht mehr auf das achtgeben können, was Sie vorhin angesprochen haben, nämlich Sozialverhalten usw., weil sie zu sehr von diesen vielen Formalitäten eingenommen sind?

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1006409900
Wir müssen uns vorsehen, daß wir nicht in die Kulturhoheit der Länder eingreifen.
Bitte sehr, Herr Staatssekretär.
Chory, Staatssekretär: Herr Abgeordneter, ich bin im einzelnen über die Situation an den Schulen in Baden-Württemberg nicht informiert. Ich könnte nur etwas sagen über die Schule, an der meine Tochter zur Zeit das Abitur macht. Dort habe ich so etwas nicht festgestellt.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1006410000
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Carstensen.

Peter H. Carstensen (CDU):
Rede ID: ID1006410100
Herr Staatssekretär, wenn die Zahlen richtig sind, die hier aufgeführt sind — und ich gehe davon aus —, wäre es dann nicht wichtiger, daß wir weniger die Leistung bzw. den hier angesprochenen Leistungs-



Carstensen (Nordstrand)

druck abbauen, sondern eben die Therapie, die hier ja wohl auch angeführt ist?

(Lachen bei Abgeordneten der SPD)

Chory, Staatssekretär: Herr Abgeordneter, wir haben diese Unterlagen bisher nicht bekommen, deswegen konnten wir sie naturgemäß auch nicht prüfen. Ich habe allerdings vorhin deutlich gemacht, daß bei dem Einsatz von Psychopharmaka Zurückhaltung geboten ist und daß man sorgfältig prüfen sollte — ob das nun für Kinder und Jugendliche oder für Erwachsene gilt —, daß sie nicht in falschen Fällen eingesetzt werden, denn es ist einfach eine Tatsache, daß wir auch mit einer nicht ganz kleinen Zahl von Medikamentenabhängigen zu tun haben.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1006410200
Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Weyel.

Gudrun Weyel (SPD):
Rede ID: ID1006410300
Herr Staatssekretär, halten Sie nicht eine Vergötzung von Noten, bei denen z. B. einem Menschen, der einen Abschluß mit 1,2 macht, gesagt wird: „Du hast keine Chance", für ein Mittel, gerade die von Ihnen angesprochenen sozialen Fähigkeiten erheblich zu vernachlässigen?

(Beifall bei der SPD)

Chory, Staatssekretär: Frau Abgeordnete, man muß bei diesen Dingen, also der Benotung, immer nach der möglichen Alternative fragen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Das stimmt!)

Die Frage stelle ich mir jedenfalls immer. Wenn man sich dann fragt, was man an die Stelle von Noten setzen soll, die nach bestem Wissen und Gewissen festgesetzt werden, die natürlich im Einzelfall auch falsch sein können, dann, muß ich offen gestehen, kann ich Ihnen ein besseres Mittel nicht sagen. Wohlgemerkt, ich setze voraus, daß die Noten nach vernünftigen Grundsätzen gegeben werden.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1006410400
Keine weitere Zusatzfrage. Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr auf. Zur Beantwortung steht Herr Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Schulte zur Verfügung.
Die Fragen 27 und 28 des Abgeordneten Delorme werden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt.
Die Fragen 29 und 30 des Abgeordneten Dr. Ehrenberg sind vom Fragesteller zurückgezogen worden.
Die Frage 31 des Abgeordneten Hedrich und die Frage 32 des Abgeordneten Dr. Klejdzinski sollen auf Wunsch der Fragesteller schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe Frage 33 der Abgeordneten Frau Weyel auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß die B 54 im Abschnitt Schiesheim-Diez Unfallschwerpunkt ist mit 3 Toten, 43 Schwerverletzten und 90 Leichtverletzten in den letzten vier Jahren, und sieht sie unter diesen Umständen eine weitere Belastung dieser Straße durch Verlegung des Personenverkehrs von der Schiene auf die Straße für vertretbar an?
Bitte, Herr Staatssekretär.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1006410500
Frau Kollegin, wie die rheinland-pfälzische Straßenbauverwaltung mitgeteilt hat, liegt die Unfallhäufigkeit auf dem Streckenabschnitt der B 54 zwischen Diez und Schiesheim leicht über dem Durchschnitt. Unfallschwerpunkte im Sinne Ihrer Definition sind auf der genannten Strecke nicht bekannt. Die Verkehrsbelastung auf der B 54 würde sich nach dem heutigen Verkehrsaufkommen im Schienenpersonenverkehr im Falle der Verlagerung auf die Straße nicht wesentlich erhöhen.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1006410600
Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Weyel.

Gudrun Weyel (SPD):
Rede ID: ID1006410700
Herr Staatssekretär, könnten Sie mir erklären, was nach Ansicht der Bundesregierung „nicht wesentlich" bedeutet, wenn feststeht, daß zumindest ein Schüleraufkommen von zur Zeit täglich etwa 150 Schülern und der Werkverkehr dreier größerer Betriebe dann auf die Straße verlagert wird?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, es geht nicht darum, daß Unfälle verniedlicht werden, aber es gibt Schwellenwerte für die Kennzeichnung eines Unfallschwerpunktes, und sie sind wie folgt festgelegt: Für Knotenpunkte und kurze Strecken bis 300 Meter sind es vier Unfälle eines Typs oder zehn Unfälle aller Typen innerhalb eines Jahres; für längere Streckenabschnitte bis einen Kilometer sind es acht Unfälle eines Typs oder 20 Unfälle aller Typen innerhalb eines Jahres.
Wenn Sie nach der Gesamtverkehrsbelastung fragen, muß ich Ihnen sagen, daß bei einer Verlagerung des Schienenverkehrs auf die Straße pro Tag mit einer Mehrbelastung von 20 Bahnbusfahrten zu rechnen wäre — beide Richtungen zusammen, eine Richtung also zehn. Das heißt in der normalen Tageszeit einmal pro Stunde ein Bus.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1006410800
Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Weyel.

Gudrun Weyel (SPD):
Rede ID: ID1006410900
Herr Staatssekretär, ist dabei berücksichtigt, daß anzunehmen ist, daß bei einem ja nicht so regelmäßig wie der Schienenverkehr erfolgenden Bahnbusverkehr ein Teil der bisherigen Bahnbenutzer auch in Privatfahrzeuge umsteigt?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, ich gehe davon aus, daß diese Strecke deswegen bei der Deutschen Bundesbahn zur Disposition steht, weil das, was Sie gerade angeführt haben, bereits in der Vergangenheit eingetreten ist.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1006411000
Ich rufe die Frage 34 der Abgeordneten Frau Weyel auf:



Vizepräsident Frau Renger
Welche Kosten würden bei einem Ausbau der B 54 im Abschnitt Schiesheim-Diez zur Verbesserung der Verkehrssicherheit entstehen, und wie verhalten sich diese Kosten zu denen für Aufrechterhaltung des Personenverkehrs der Deutschen Bundesbahn im Abschnitt Limburg-Kettenbach?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, nach dem Bedarfsplan für die Bundesfernstraßen sind zwischen Diez und Schiesheim im Zuge der B 54 Umgehungsstraßen von Niederneisen und Hahnstätten geplant. Die Kosten hierfür werden auf rund 13 Millionen DM geschätzt. Der Bau von Umgehungsstraßen in diesem Abschnitt der B 54 ist jedoch aus der Sicht der rheinland-pfälzischen Straßenbauverwaltung problematisch und schwer durchsetzbar.
Weiterhin soll die Kreuzung der B 54 mit der Kreisstraße 58 im Bereich von Oberneisen mit einem Kostenaufwand von rund 2 Millionen DM umgebaut werden.
Die Kosten für eine Aufrechterhaltung des Schienenpersonennahverkehrs im Abschnitt Limburg—Kettenbach wurden von der Deutschen Bundesbahn bislang nicht berechnet. Im Zusammenhang mit der Einleitung des Verfahrens hat die Deutsche Bundesbahn eine Verbesserung ihres Wirtschaftsergebnisses im Falle der Umstellung des Reisezugverkehrs auf Busbedienung zwischen Diez und Bad Schwalbach von rund 2,1 Millionen DM pro Jahr ermittelt.
Investitionen im Zuge der B 54 sind jedoch unabhängig von der geplanten Verlagerung des Schienenpersonenverkehrs auf die Straße notwendig.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1006411100
Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Weyel.

Gudrun Weyel (SPD):
Rede ID: ID1006411200
Herr Staatssekretär, haben Sie bei Ihren Berechnungen auch berücksichtigt, daß zur Zeit die Bundesbahn auch deshalb weniger frequentiert wird, weil parallel bereits Busse der Bundesbahn bzw. der zusammengeführten Busdienste fahren?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, dieser Fall ist nicht selten. Allerdings wird meistens in der öffentlichen Diskussion übersehen, daß die Deutsche Bundesbahn für den Fall, daß eine Strecke weiter auf der Schiene bedient wird, Busse nur dann einsetzt, wenn der Zug zu einer bestimmten Tageszeit oder an einem bestimmten Tag — beispielsweise an einem Samstag oder einem Sonntag — nicht ausgelastet ist. Die Busse werden eingesetzt, weil sie wesentlich kostengünstiger sind. Man rechnet ungefähr mit einem Drittel der Kosten im Vergleich zu einem Schienenbus.

(Immer [Altenkirchen] [SPD]: 30 % höhere Preise sind dann eine Unverschämtheit!)

Dies findet auf solchen Strecken, die Sie ansprechen, nicht zur selben Zeit statt.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1006411300
Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Weyel.

Gudrun Weyel (SPD):
Rede ID: ID1006411400
Herr Staatssekretär, wären Sie zur Überprüfung bereit, wieweit zur Zeit in dem angesprochenen Streckenabschnitt eine solche Parallelbedienung — zeitlich fast gleichlaufend — üblich ist? Wären Sie weiterhin zur Überprüfung bereit, ob nicht eine Verlagerung des Schülerverkehrs, der jetzt durch Busse erfolgt, auf die Bahn möglich ist, und zwar mit einer finanziellen Beteiligung des Kostenträgers für den Schülerverkehr?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, wir werden die angesprochenen Fragen untersuchen. Sie bekommen eine Antwort. Ich muß allerdings, was den Schülerverkehr angeht, sagen, daß wir hier für die Bezahlung und die Organisation nicht die Kompetenz haben.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1006411500
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Immer.

Klaus Immer (SPD):
Rede ID: ID1006411600
Herr Staatssekretär, Sie haben gerade in der Beantwortung einer Frage gesagt, daß der Busverkehr in der Regel kostengünstiger für die Bundesbahn sei. Ist das nicht auch darauf zurückzuführen, daß in den meisten Gebieten, in denen der Verkehr von der Schiene auf den Bus verlagert wird, die Fahrpreise für Schüler und Benutzer allgemein um 30 % steigen?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich kann dies nicht bestätigen.
Im übrigen habe ich vorhin von Ihnen den Zwischenruf „Unverschämtheit" gehört. Ich glaube, daß es einen Unterschied zwischen Unverschämtheit und Unkenntnis gibt.

(Immer [Altenkirchen] [SPD]: Nein! Die Zahlen sind mir bekannt!)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1006411700
Einen Augenblick! Wenn hier schon jemand in etwa Bemerkungen rügt, dann macht das, glaube ich, der Präsident, Herr Staatsekretär.

(Beifall bei der SPD — Zustimmung des Abg. Krizsan [GRÜNE])

Jetzt hat Herr Krizsan eine Zusatzfrage.

Julius H. Krizsan (GRÜNE):
Rede ID: ID1006411800
Herr Staatssekretär, Sie sprachen soeben davon, daß der Bahnbus kostengünstiger sei als der Schienenverkehr. Beziehen Sie in diese Kalkulation auch den Straßenbau und die anderen Folgekosten mit ein?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Ich habe vorhin einen Vergleich zwischen dem Schienenbus und dem Omnibus auf der Straße angestellt — Eigentümerin DB; das ist klar —, der sich auf sehr niedrig frequentierte Eisenbahnlinien bezog. Ich habe die Zahlen genannt. Ich glaube, alles andere führt weit über diese Frage hinaus. Wir können darüber gerne einmal eine allgemeine Diskussion führen.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1006411900
Ich rufe die Frage 35 des Herrn Abgeordneten Dr. Hauchler auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung die Tatsache, daß die Deutsche Bundesbahn ihre Aktion „rosaroter Elefant" mit einem kostenlos ausliegenden Sonderdruck der „Bild"-Zei-



Vizepräsident Frau Renger
tung bekannt macht und damit wettbewerbsverzerrend auf den Pressemarkt einwirkt, und wie hoch ist die Auflage des „Bild"-Sonderdruckes?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Die Verantwortung für die Aktion „Das rosarote Jahr" liegt bei der Deutschen Bundesbahn. Um den wirtschaftlichen Erfolg dieses Angebots zu sichern, hat sie in einer kurzfristigen bundesweiten Werbemaßnahme mit besonders hohem Aufmerksamkeitswert dafür geworben. Ein Verstoß gegen wettbewerbsrechtliche Vorschriften wird in dieser Maßnahme nicht gesehen. Der Deutschen Bundesbahn schien die Aufmachung der weit verbreiteten und in sehr hoher Auflage erscheinenden „Bild"-Zeitung als besonders werbewirksam. Die presserechtliche Zustimmung des Verlages liegt vor.
Die Auflage des Sonderdruckes betrug 10 Millionen Exemplare. Die Sonderdrucke selbst wurden nach Ausschreibung von mittelständischen Druckereien vorgenommen. Herausgeber ist das Werbeamt der Deutschen Bundesbahn.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1006412000
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Hauchler.

Prof. Dr. Ingomar Hauchler (SPD):
Rede ID: ID1006412100
Herr Staatssekretär, wenn eine Gemeinschaftswerbung durchgeführt wird, so ist es ja normalerweise eine Usance, daß eine Kostenteilung vereinbart wird. Würden Sie bestreiten, daß diese Aktion, die offenbar von der Deutschen Bundesbahn allein finanziert worden ist, eine Werbemaßnahme auch für die „Bild"-Zeitung darstellt?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich muß vermuten, daß Sie von falschen Voraussetzungen ausgehen. In diesem Fall ist nur die äußere Gestaltung der „Bild"-Zeitung gewählt worden. Herausgeber des Sonderdrucks ist die DB selber. Die „Bild"-Zeitung hat lediglich der Benutzung ihres äußeren Erscheinungsbildes zugestimmt und dafür kein Entgelt verlangt, was möglich gewesen wäre. Also genau das Gegenteil von dem, was Sie fragen.

(Lachen bei der SPD)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1006412200
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Hauchler.

Prof. Dr. Ingomar Hauchler (SPD):
Rede ID: ID1006412300
Sind Sie nicht mit mir der Meinung, daß auch dann, wenn ein Begünstigter — in diesem Fall die „Bild"-Zeitung — keine Übernahme von Kosten anbietet, derjenige, der die Kosten trägt — also in diesem Fall indirekt der Staat —, von dem Begünstigten ein Entgelt verlangen sollte?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich habe Ihnen gesagt, daß die „Bild"-Zeitung kein Entgelt verlangt hat. Das bedeutet, ich gehe davon aus, daß die „Bild"-Zeitung nicht der Begünstigte war.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1006412400
Herr Abgeordneter Jannsen, bitte.

Dr. Gert Jannsen (GRÜNE):
Rede ID: ID1006412500
Herr Staatssekretär, sind Sie sicher, daß mit dieser Aktion der Deutschen
Bundesbahn keine Werbung für die „Bild"-Zeitung betrieben worden ist?

(Lachen bei der SPD)

Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Ich kann das nicht beurteilen. Das ist im übrigen aber auch nicht die Aufgabe der Bundesregierung. Herausgeber des Sonderdrucks ist die DB selbst, und zwar ihr Werbeamt. Sie tut das in eigener Verantwortung.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1006412600
Ich rufe die Frage 36 des Herrn Abgeordneten Dr. Hauchler auf:
Welche Kosten verursacht die Werbeaktion insgesamt, und welchen prozentualen Anteil an den Kosten trägt der Springer-Verlag?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, der Bundesbahn sind durch die Werbeaktion insgesamt 94 000 DM an Kosten entstanden, die voll in der Kalkulation des Sonderangebots enthalten sind.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1006412700
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Hauchler.

Prof. Dr. Ingomar Hauchler (SPD):
Rede ID: ID1006412800
Ist Ihnen bekannt, Herr Staatssekretär, daß bei der Verteilung dieses Sonderdrucks Beschäftigte der Deutschen Bundesbahn in ihrer Freizeit tätig waren?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Ja.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1006412900
Eine weitere Zusatzfrage.

Prof. Dr. Ingomar Hauchler (SPD):
Rede ID: ID1006413000
Halten Sie es für gerechtfertigt, daß Bedienstete der Deutschen Bundesbahn in ihrer Freizeit Werbung für die „Bild"-Zeitung machen?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich gehe davon aus, daß das eine Werbung für die DB war. Wir hatten heute morgen eine vierstündige Debatte über die Deutsche Bundesbahn, in der unter anderem auch einer Ihrer Fraktionskollegen, der Vorsitzende der Gewerkschaft der Eisenbahner Deutschlands ist, zu der Gesamtproblematik Stellung genommen hat. Ich habe heute morgen darüber keine Klagen gehört.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1006413100
Keine weitere Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 37 des Herrn Abgeordneten Dr. Jannsen auf:
Auf welche Entscheidungen stützt sich die Bundesregierung bei dem Erlaß des Bundesministeriums für Verkehr vom 27. Januar 1984 bezüglich der Linienführung der B 211 neu, die das Feuchtgebiet „Bornhorster Wiesen" bei Oldenburg durchqueren soll?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Die Linienbestimmung des Bundesministers für Verkehr vom 27. Januar 1984 für die Bundesstraße 211 — Neu — erfolgte von östlich Klein Bornhorst bis Hunte-



Parl. Staatssekretär Dr. Schulte
brück, so daß die „Bornhorster Wiesen" von der Bundesfernstraßenplanung nicht tangiert werden.
Bei dem geplanten Neubau von der A 29 bis östlich Klein Bornhorst, der die nördliche Ecke der „Bornhorster Wiesen" durchkreuzt, handelt es sich um eine Maßnahme des Landes Niedersachsen im Zuge der Verlegung der Landesstraße 65.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1006413200
Zusatzfrage, Herr Dr. Jannsen.

Dr. Gert Jannsen (GRÜNE):
Rede ID: ID1006413300
Herr Staatssekretär, halten Sie einen Abstand von zehn Jahren zwischen einem Feststellungsbeschluß im Land Niedersachsen und dem Erlaß des Bundesministers für Verkehr für vertretbar?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, da es sich hier um eine Landesmaßnahme handelt, bin ich nicht willens, dazu Stellung zu nehmen.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1006413400
Zweite Zusatzfrage, Herr Kollege.

Dr. Gert Jannsen (GRÜNE):
Rede ID: ID1006413500
Herr Staatssekretär, haben bei der Herausgabe dieses Erlasses Belange des Natur- und Landschaftsschutzes, wie es in meiner zweiten Frage angedeutet ist, eine Rolle gespielt, insbesondere die Entscheidung des Rates der Stadt Oldenburg, für dieses Gebiet Naturschutz zu beantragen?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, der Erlaß des Bundesministers für Verkehr betrifft eine Bundesmaßnahme, die den von Ihnen angesprochenen Bereich nicht berührt.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1006413600
Keine weitere Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 38 des Herrn Abgeordneten Dr. Jannsen auf:
Welche Belange des Natur- und Landschaftsschutzes wurden zur Erstellung des Erlasses vom 27. Januar 1984 in welcher Weise berücksichtigt?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Bei der Linienbestimmung der B 211 — neu — von östlich Klein Bornhorst — jetzt kommen wir also zu einer Bundesmaßnahme — bis Huntebrück wurden die Belange des Natur- und Landschaftsschutzes in einem Abwägungsprozeß mit einbezogen. Die zuständige oberste niedersächsische Landesplanungsbehörde, der Niedersächsische Minister des Innern, hat daher folgende Auflagen festgelegt: Bei der Detailplanung und Baudurchführung sind Eingriffe in Landschaft und Naturhaushalt so gering wie möglich zu halten. Dies gilt insbesondere für das Feuchtgebiet „Hunte-Niederung" sowie für die geplanten Natur- bzw. Landschaftsschutzgebiete „Moorhauser Polder" und „Oldenburg-RastederGeestrand". Für die Inanspruchnahme von schutzwürdigen Polderflächen sind entsprechende landespflegerische und wasserwirtschaftliche Ersatzmaßnahmen im Rahmen des Planfeststellungsverfahrens vorzusehen.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1006413700
Zusatzfrage, Herr Dr. Jannsen.

Dr. Gert Jannsen (GRÜNE):
Rede ID: ID1006413800
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß zwischen der Landesplanung L 65 — neu — und der Bundesplanung B 211 — neu — enge Zusammenhänge bestehen?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Ja.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1006413900
Haben Sie noch eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Jannsen? — Bitte.

Dr. Gert Jannsen (GRÜNE):
Rede ID: ID1006414000
Ist der Bundesregierung weiterhin bekannt, daß durch den Straßenbau in diesem Gebiet, der nicht eine so kleine Maßnahme sein wird, wie Sie es hier darzustellen versucht haben, bedrohte Vogelarten, die in diesem Gebiet noch leben, bedrohte Pflanzenarten, Amphibien und andere Tiere vom Aussterben oder von der Vertreibung betroffen sein werden?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich gehe davon aus, daß das Land Niedersachsen diese Aspekte im Zuge des Baus einer Landesstraße berücksichtigt. Aber uns gehört weder dieses Schutzgebiet, noch gehört uns die Straße, die gebaut werden soll.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1006414100
Keine Zusatzfragen? — Danke sehr, Herr Staatssekretär.
Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundesministers für das Post- und Fernmeldewesen. Zur Beantwortung der Fragen steht der Herr Parlamentarische Staatssekretär Rawe zur Verfügung.
Ich rufe die Fage 39 des Abgeordneten Fiebig auf:
Hat der Bundesminister für das Post- und Fernmeldewesen technische Vorschriften für Sicherheitsglas zum Einbau in Fernsprechhäuschen erlassen, wenn ja, welche?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.

Wilhelm Rawe (CDU):
Rede ID: ID1006414200
Frau Präsidentin, wenn Sie gestatten und der Kollege Fiebig einverstanden ist, würde ich die Frage 40 gleich gern mitbeantworten.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1006414300
Der Fragesteller ist damit einverstanden. Ich rufe also auch die Frage 40 des Abgeordneten Fiebig auf:
Seit wann sind möglicherweise derartige Vorschriften in Kraft, und wo sind sie veröffentlicht?
Bitte schön.
Rawe, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Fiebig, im November 1983 wurde der Entwurf einer technischen Vorschrift über Einscheiben-Sicherheitsglas für Fernsprechhäuschen fertiggestellt. Nach diesem Entwurf wird zur Zeit probeweise verfahren.
Die Vorschriften wurden noch nicht veröffentlicht. Sie sind für den internen Dienstgebrauch bei der Deutschen Bundespost und die Abgabe an Lieferanten von Einscheiben-Sicherheitsglas für Fernsprechhäuschen bestimmt. Da es sich um einen



Parl. Staatssekretär Rawe
Entwurf handelt, sind sie noch nicht endgültig in Kraft gesetzt.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1006414400
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Fiebig.

Udo Fiebig (SPD):
Rede ID: ID1006414500
Herr Staatssekretär, hat es in Telefonhäuschen bisher Unfälle gegeben, weil dort kein Sicherheitsglas eingebaut war?
Rawe, Parl. Staatssekretär: Ich glaube, daß man dies so direkt nicht beantworten kann, Herr Kollege Fiebig. Ich möchte das vor dem Hintergrund eines möglichen Rechtsstreits in der Sache auch nicht tun. Nur, wir haben zwei Urteile von Gerichten vorliegen, die sich mit dieser Frage auseinandergesetzt haben. Beide kommen zu dem Ergebnis, daß das bisher verwendete Glas durchaus ausreichend ist, wenn nicht besondere Gefahrenzonen vorliegen. Danach haben wir bisher verfahren.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1006414600
Zweite Zusatzfrage, bitte.

Udo Fiebig (SPD):
Rede ID: ID1006414700
Herr Staatssekretär, würden Sie so freundlich sein und mir diese beiden Urteile zugänglich machen?
Rawe, Parl. Staatssekretär: Aber selbstverständlich, Herr Kollege, das tue ich gern.

(Fiebig [SPD]: Ich bedanke mich!)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1006414800
Keine weiteren Zusatzfragen. Die Frage 41 wird auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Wir kommen zu den Fragen 42 und 43 der Abgeordneten Frau Reetz. — Die Fragestellerin ist nicht im Saal. Es wird nach der Geschäftsordnung verfahren. Schönen Dank, Herr Staatssekretär.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau auf. Zur Beantwortung steht Herr Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Jahn zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 44 des Abgeordneten Waltemathe auf:
Wann beabsichtigt die Bundesregierung den als Referentenentwurf vorliegenden Gesetzesentwurf zur Vereinfachung wohnungsrechtlicher Vorschriften (Wohnungsrechtsvereinfachungsgesetz 1984) einzubringen?
Bitte, Herr Staatssekretär.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1006414900
Herr Kollege Waltemathe, ein erster Entwurf ist den Ländern und Verbänden mit der Bitte um Stellungnahme zugeleitet worden. Nach der Auswertung der Stellungnahmen wird der Gesetzentwurf entsprechend der Geschäftsordnung der Bundesregierung in das Gesetzgebungsverfahren eingebracht. Der Gesetzentwurf hat drei Zielsetzungen:
Erstens die Aufhebung und Vereinfachung solcher Vorschriften, die einen unangemessen hohen Verwaltungsaufwand verursachen, unter anderem auch die Aufhebung des Gesetzes über die Wohnbesitzwohnungen.
Zweitens wird die Zusammenfassung größerer Wirtschaftseinheiten angestrebt. Damit wird insbesondere dem Problem der Mietverzerrung entgegengewirkt.
Drittens soll die genehmigte Miete eingeführt werden, damit mehr Freiheit bei der Förderung ermöglicht wird.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1006415000
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Waltemathe.

Ernst Waltemathe (SPD):
Rede ID: ID1006415100
Herr Staatssekretär, kann ich dem ersten Teil Ihrer Antwort entnehmen, daß die politische Spitze Ihres Hauses inhaltlich voll hinter dem steht, was die Referenten des Hauses aufgeschrieben und nunmehr an die Länder verschickt haben?
Dr. Jahn, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Waltemathe, in diesem Entwurf sind Probleme angesprochen, die uns seit Jahren beschäftigen. Es geht um mehr soziale Gerechtigkeit im sozialen Mietwohnungsbau. Im Augenblick haben die die geringsten Mieten, die lange wohnen, und nicht die einkommenschwachen Bevölkerungskreise. Zur Zeit gilt der Satz: Wer am längsten wohnt, wohnt am billigsten, und das hat mit sozialer Gerechtigkeit wenig zu tun.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1006415200
Zweite Zusatzfrage, bitte.

Ernst Waltemathe (SPD):
Rede ID: ID1006415300
Bezieht sich dann der gewählte Begriff „Wohnungsrechtsvereinfachungsgesetz" nur auf die Paragraphen, die, wie Sie gesagt haben, gestrichen werden sollen, nicht jedoch auf kompliziertere Vorschriften, die Sie jetzt erst einführen wollen?
Dr. Jahn, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Waltemathe, der Begriff „Wohnungsrechtsvereinfachungsgesetz" bezieht sich erstens auf die Wohnbesitzwohnungen, zweitens auf die Bestimmungen über die Ausstattung von Sozialwohnungen. Drittens sind wir in der Tat der Auffassung, daß mit der genehmigten Miete auch zur Verwaltungsvereinfachung beigetragen wird.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1006415400
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Möller.

Dr. Franz Möller (CDU):
Rede ID: ID1006415500
Herr Staatssekretär, trifft die Behauptung des Sprechers der SPD-Bundestagsfraktion vom 27. März dieses Jahres zu, die Bundesregierung beabsichtige mit diesem Gesetzentwurf, der ja noch ein Referentenentwurf ist, die Abschaffung der langfristigen Mietpreis- und Belegungsbindungen im sozialen Wohnungsbau sowie den Wegfall der Kostenmiete?
Dr. Jahn, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Möller, diese Presseerklärung des Sprechers der SPD-Bundestagsfraktion ist der Bundesregierung bekannt. Das, was Sie anführen, ist in den einleitenden Sätzen zum Ausdruck gebracht und ist absolut



Parl. Staatssekretär Dr. Jahn
unzutreffend. Das gilt sowohl für den Bestand als auch für die Neubaumaßnahmen.

(Waltemathe [SPD]: Wer wird hier eigentlich befragt?)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1006415600
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Müntefering.

Franz Müntefering (SPD):
Rede ID: ID1006415700
Herr Staatssekretär, da Sie mit Ihrem Gesetzentwurf im wesentlichen Vorschriften aufheben wollen, die noch nie genutzt worden sind, nicht mehr genutzt worden sind oder deren Auslaufen sowieso beschlossen worden ist, wäre es nicht zutreffender, wenn Sie das Gesetz nicht „Vereinfachungsgesetz", sondern „Gesetz zum Abbau der Sozialmieten" nennen würden?
Dr. Jahn, Parl. Staatssekretär: Ich glaube, Herr Kollege Müntefering, die Formulierung, die wir gewählt haben, ist sachgerecht, weil sie den gesamten Komplex abdeckt. Im übrigen haben wir hier — Sie haben darauf hingewiesen — die gesetzlichen Bestimmungen über Wohnbesitzwohnungen abgeschafft. Das war ein Kapitalbeschaffungsgesetz zugunsten bestimmter Wohnungsunternehmen auf Kosten der Armsten, denen suggeriert wurde, sie bekämen privates Eigentum. Es ist wirklich an der Zeit, daß wir diese Bestimmungen ersatzlos aufheben.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1006415800
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Sauermilch.

Walter Sauermilch (GRÜNE):
Rede ID: ID1006415900
Herr Staatssekretär, Sie stellten vorhin fest, daß diejenigen, die lange wohnen, billig wohnen. Meinen Sie damit im Umkehrschluß, daß diejenigen, die nicht in der Lage sind, lange in einer Wohnung zu wohnen, daran gleichzeitig selbst schuld sind?
Dr. Jahn, Parl. Staatssekretär: Ich habe keine Schuldzuweisungen vorgenommen. Ich bin nur der Meinung, daß wir einen Solidarausgleich zwischen den Mietern brauchen, die heute durchaus höhere Einkommen haben, aber nur deshalb billig wohnen, weil sie lange wohnen, und insbesondere den jungen, kinderreichen Familien, die heute eine Wohnung im sozialen Wohnungsbau suchen und denen nach dem Kostenmietenprinzip höhere Mieten zugemutet werden.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1006416000
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Schmitt (Wiesbaden).

Rudi Schmitt (SPD):
Rede ID: ID1006416100
Herr Staatssekretär, haben Sie bei Ihrer Feststellung, wer lange wohnt, wohnt billiger, übersehen, daß die Mieten in älteren Wohnungsbeständen durch Ihre Entscheidung der Zinsanhebung wesentlich erhöht worden sind und daß zweitens die Wohnqualität in den Sozialwohnungen älterer Jahrgänge weit unter der neuerer Baujahrgänge liegt?
Dr. Jahn, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Schmitt, die Zinsanhebung und die Fehlbelegungsabgabe sind Instrumente, die im Vermittlungsausschuß alle Fraktionen des Deutschen Bundestages gemeinsam getragen haben. Die höheren Mieten, auf die Sie hinweisen, haben insbesondere mit den Förderungssystemen in den einzelnen Ländern zu tun.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1006416200
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Menzel.

Heinz Menzel (SPD):
Rede ID: ID1006416300
Herr Staatssekretär, wenn Sie einen großen Vorteil in der Vereinheitlichung der Mieten sehen, warum haben Sie dann damals die einheitliche Einführung der Fehlbelegungsabgabe abgelehnt?
Dr. Jahn, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Menzel, es gab damals politischen Streit über die Anhebung der Zinsen und die Fehlbelegungsabgabe. Es gab damals von allen Seiten ernsthafte Vorbehalte gegen die Praktikabilität der Fehlbelegungsabgabe. Viele haben gesagt, die Fehlbelegungsabgabe frißt sich durch ihren Verwaltungsaufwand selbst auf. Ich kann Ihnen heute bestätigen, daß der Verwaltungsaufwand bei rund 15 % der Einnahmen liegt.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1006416400
Eine weitere Zusatzfrage.

Alfred Meininghaus (SPD):
Rede ID: ID1006416500
Herr Staatssekretär, meinen Sie nicht, daß die Fehlbelegungsabgabe, die Zinserhöhung und zusätzlich noch dieser Ausgleich, der die Höhe einer 30 %igen Mieterhöhung haben kann, eine zu hohe Belastung für den Mieter darstellen?
Dr. Jahn, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Meininghaus, ich kann Ihre These von den 30% nicht bestätigen. Ich weiß nicht, was die Grundlage dieser Behauptung ist.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1006416600
Keine weitere Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 45 des Herrn Abgeordneten Waltemathe auf:
Beabsichtigt die Bundesregierung durch die Einführung der „vereinbarten Miete" die Abschaffung der langfristigen Mietpreis- und Belegungsbindung im sozialen Wohnungsbau, und wird durch die Einführung eines neuen Mietenbegriffs im Zweiten Wohnungsbaugesetz tatsächlich eine Vereinfachung wohnungsrechtlicher Vorschriften herbeigeführt?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Dr. Jahn, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Waltemathe, der Begriff „vereinbarte Miete" wird in dem Entwurf nicht gebraucht. Vermutlich haben Sie den Begriff der „Frankfurter Rundschau" vom 21. März 1984 entnommen. Ich nehme aber an, daß Sie die genehmigte Miete im Sinne des Entwurfs meinen.
Für die künftige Förderung von Mietwohnungen im sozialen Wohnungsbau soll in dem Entwurf den Ländern die Möglichkeit eröffnet werden, in Abweichung von den strengen Vorschriften der Kostenmiete mit den Investoren der geförderten Wohnungen ohne verwaltungsaufwendige Wirtschaftlichkeitsberechnungen Vereinbarungen über die Anfangsmiete und die anschließende Mietpreisentwicklung zu treffen. Der Vorteil einer solchen Regelung liegt zum einen darin, daß eine Überschreitung



Parl. Staatssekretär Dr. Jahn
der Vergleichsmiete, wie sie bei den Sozialmieten der 70er Jahre, insbesondere durch die damals übliche Förderungsmethode, vorgekommen sind, vermieden wird. Zum andern werden bei diesem Verfahren verwaltungsaufwendige Wirtschaftlichkeitsberechnungen und Regelungen über die Anpassung von Instandhaltungspauschalen gegenstandslos.
Die vorgeschlagene Regelung bietet außerdem einen Anreiz zum kostengünstigen Bauen. Heute ist es so, daß die aus den Kosten der getätigten Investitionen ermittelte Miete auf den von den Ländern festgesetzten Betrag herabsubventioniert wird. Durch die vorgeschlagene genehmigte Miete besteht die Möglichkeit, einen festen Förderungsbetrag zu vereinbaren und es dem Bauherrn zu überlassen, ob er durch geeignete Rationalisierungsoder sonstige Maßnahmen die Baukosten soweit wie möglich senkt. Ihre konkrete Frage, ob die Bundesregierung durch die vorgeschlagene Regelung die Abschaffung der langfristigen Mietpreis- und Belegungsbindungen beabsichtigt, ist mit Nein zu beantworten.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1006416700
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Waltemathe.

Ernst Waltemathe (SPD):
Rede ID: ID1006416800
Herr Staatssekretär, zunächst bedanke ich mich dafür, daß Sie darauf hingewiesen haben, daß die Bundesregierung zunächst die „Frankfurter Rundschau" informiert hat. Da ich mich als Abgeordneter daraus informiert hatte, habe ich deren Begriff übernommen.
Bedeutet die genehmigte Miete, daß künftig ein Sozialmieter die Freiheit hat, die Miete zu bezahlen, die eine Wóhnungsbewilligungsstelle und der Vermieter vereinbart bzw. festgelegt haben, ohne näher auf die Kosten einzugehen?
Dr. Jahn, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Waltemathe, ich will ein Beispiel nehmen. Wenn die Kostenmiete nach geltendem Kostenmietenprinzip 10 DM beträgt, dann ist sie am Markt kaum erzielbar. Deshalb ist es gut, daß wir neue Wege gehen. Einer der Wege ist, daß der Investor bereit ist, für 6 DM zu vermieten. Das tut er aber nur dann, wenn man ihm hinsichtlich der Mietpreis- und Belegungsbindung einerseits und der Höhe der Förderungsmittel andererseits entgegenkommt. Hier kann man eine Vereinbarung treffen, die allen Seiten gerecht wird. Diese Vereinbarung bedarf der Genehmigung der Bewilligungsbehörde, und damit ist sichergestellt, daß die genehmigte Miete immer unterhalb der Vergleichsmiete liegt.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1006416900
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Waltemathe.

Ernst Waltemathe (SPD):
Rede ID: ID1006417000
Nachdem ich jetzt fast den Eindruck habe, daß sie so, wie Sie es darstellen, ein Mietenverbilligungsgesetz machen wollen, will ich jetzt noch etwas genauer nachfragen: Ist jetzt keine Möglichkeit gegeben, daß Bundesländer, die ja den öffentlich geförderten Wohnungsbau betreiben, die Mieten senken? Wird das erst künftig durch Ihr sogenanntes Vereinfachungsgesetz ermöglicht? Oder wollen Sie in Wahrheit doch, abgehoben von den Kosten, etwas Ähnliches wie eine vereinbarte Miete zulassen?
Dr. Jahn, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Waltemathe, alles das, was nach geltendem Recht möglich ist und was die Länder in der direkten Förderung zur Zeit tun können, wird durch diesen Entwurf nicht in Frage gestellt. Das Instrument der genehmigten Miete ist ein zusätzliches Angebot.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1006417100
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Daniels.

Dr. Hans Daniels (CDU):
Rede ID: ID1006417200
Herr Staatssekretär, habe ich Sie richtig verstanden, daß durch die neuen Regelungen die Förderungsmöglichkeiten nicht eingeengt, sondern erheblich erweitert werden dadurch, daß mehr Flexibilität besteht, so daß also sozialer Wohnungsbau in Zukunft auch an Stellen möglich wird, wo er nach den bisherigen Bestimmungen nicht möglich ist?
Dr. Jahn, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Daniels, ich bestätige Ihnen ausdrücklich, daß das, was wir hier mit der genehmigten Miete angesprochen haben, ein zusätzliches Instrument sein soll, mit dem wir erreichen, daß nicht weiterhin Sozialwohnungen gebaut werden, die Leerstehen, weil nämlich die geltende Regelung des Kostenmietenprinzips dazu führt, daß Kostenmieten in vielen Fällen höher sind als Marktmieten. Und ich glaube, wir stimmen darin überein, daß Sozialmieten, die höher liegen als Marktmieten, ihren sozialpolitischen Sinn verfehlen.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1006417300
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Sauermilch.

Walter Sauermilch (GRÜNE):
Rede ID: ID1006417400
Herr Staatssekretär, nach der von Ihnen vorhin gegebenen Definition handelt es sich bei dieser Genehmigungsmiete ja doch eben um eine Vereinbarungsmiete. Ich möchte von Ihnen gern wissen, wie Vereinbarungen, auch wenn sie so definiert werden, wie das soeben geschehen ist, mit Leuten getroffen werden können, die gar nicht Vertragspartner sind. Der Mieter ist später Vertragspartner; er muß eine Vereinbarung akzeptieren, die andere getroffen haben. Wie stehen Sie dazu?
Dr. Jahn, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Sauermilch, selbstverständlich ist es richtig, daß Vermieter und Mieter einen Mietvertrag abschließen und auch eine Vereinbarung treffen müssen. Die Höhe der Miete ist allerdings abhängig von der Genehmigung durch die Bewilligungsbehörde. Sinn und Zweck dieses Instruments der genehmigten Miete ist, daß der Mieter eine günstigere Miete bekommt, als er sie nach geltendem Recht im sozialen Wohnungsbau bekommen würde.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1006417500
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Kansy.

Dr.-Ing. Dietmar Kansy (CDU):
Rede ID: ID1006417600
Herr Staatssekretär, im Nachgang zu der Frage des Kollegen Waltemathe, der auf die Möglichkeiten des bisherigen Rechts bei den Bundesländern hinwies, frage ich:



Dr.-Ing. Kansy
Können Sie bestätigen, daß wir heute oft folgende Situation haben? Auf Grund des Wegfalls der degressiven Förderung wird in manchen Wohngebieten die Miete so hoch, daß die Mieter ausziehen. Und erst dieses Ausziehen gibt dem Wohnungsunternehmen im Grunde die Möglichkeit, nachzuweisen, daß Leerstände auftreten, und erst dann die Gelegenheit, eine Miete zu vereinbaren, die unterhalb der Kostenmiete liegt. Das heißt auf gut deutsch: Das Kind muß heute erst in den Brunnen fallen, es kommt zu Leerständen, es kommt zu Verslumung, bevor reagiert wird.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1006417700
Halt, Herr Kollege: Kurz, kurz! — Bitte.
Dr. Jahn, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Kansy, die von Ihnen angesprochene Problematik hängt eng mit dem Kostenmietenprinzip zusammen. Der Finanzminister von Nordrhein-Westfalen hat gestern oder vorgestern genau zu dieser Problematik verkündet, daß das Kostenmietenprinzip, so wie es heute gelte, der Überprüfung bedürfe.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1006417800
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Schmitt (Wiesbaden).

Rudi Schmitt (SPD):
Rede ID: ID1006417900
Herr Staatssekretär, haben Sie bei Ihrer Überprüfung schon berücksichtigt, daß die Bundesländer bereits heute ermächtigt sind, durch sogenannte Kappungsgrenzen dafür zu sorgen, daß Sozialmieten nicht über die obligatorische Vergleichsmiete in den jeweiligen Gebieten hinausgehen?
Dr. Jahn, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Schmitt, es gibt Länder, die solche Kappungsgrenzen eingeführt haben. Ich würde den Vorschlag machen, die Frage der Kappungsgrenzen im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens eingehend zu erörtern.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1006418000
Ich lasse noch Zusatzfragen des Herrn Abgeordneten Müntefering und des Herrn Abgeordneten Link zu. Ich bitte, zu dieser Frage dann keine Zusatzfragen mehr zu stellen.

Franz Müntefering (SPD):
Rede ID: ID1006418100
Herr Staatssekretär, auf Grund welcher Kriterien soll die Bewilligungsstelle die genehmigte Miete feststellen und genehmigen, wenn dazu nicht mehr die Wirtschaftlichkeitsberechnung herangezogen wird, so wie es im Entwurf vorgesehen ist, und öffnen Sie damit staatlicher Willkür nicht Tür und Tor?
Dr. Jahn, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Müntefering, die Bewilligungsstelle ist eine Stelle des öffentlichen Rechts, die darauf zu achten hat, daß die öffentlichen Gelder angemessen und sachgerecht vergeben werden. Ich kann aus den Erfahrungen der letzten zehn Jahre nur sagen, daß die Bewilligungsstellen immer ein offenes Auge für die sozialen Belange der Mieter gehabt haben, und darauf vertraut auch die Bundesregierung.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1006418200
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Link.

Helmut Link (CDU):
Rede ID: ID1006418300
Herr Staatssekretär, ist der Bundesregierung bekannt, daß gerade auch in Ballungsräumen die teuren Sozialwohnungen, die in den letzten Jahren gebaut wurden, zu einem Teil leerstehen, und kann die Bundesregierung sagen, wieviel etwa?
Dr. Jahn, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Link, ich kann Ihnen bestätigen, daß auch in Ballungsgebieten Wohnungen leerstehen. Das hängt mit dem Kostenmietenprinzip zusammen. Die Zahl kann ich jetzt nicht angeben. Ich will sie Ihnen gern zuleiten, sofern sie überhaupt vorliegt.
Ich möchte aber einen Satz hinzufügen. Das Kostenmietenprinzip hat zum Inhalt, daß eine Höchstmiete festgelegt wird. Wenn die Höchstmiete nicht erzielbar ist, ist es durchaus zulässig, daß die Wohnung auch zu einem niedrigeren Mietzins vermietet wird. Ich bin der Auffassung, daß es immer noch wirtschaftlicher ist, eine Wohnung zu einem niedrigeren Mietzins zu vermieten, als sie leerstehen zu lassen.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1006418400
Herr Dr. Möller, ich habe Sie bei der nächsten Frage als Zusatzfragesteller vorgesehen.
Ich rufe Frage 46 des Abgeordneten Müntefering auf:
Beabsichtigt die Bundesregierung, mit der Einführung einer „vereinbarten Miete" (Abweichung von der Kostenmiete) einen jährlichen Anpassungsmechanismus einzuführen, der auf dem Mietenindex des Bundesgebietes beruht?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Dr. Jahn, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Müntefering, eine mietindexorientierte Lösung ist in dem Entwurf durchaus angesprochen. Ich möchte darauf hinweisen, daß hier die Mieten nicht an den Lebenshaltungskostenindex, sondern an den Mietindex gebunden werden können, und gleichzeitig darauf hinweisen, daß damit kein Automatismus verbunden ist; denn in jedem Einzelfall muß das Mieterhöhungsverlangen besonders geltend gemacht werden.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1006418500
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Müntefering.

Franz Müntefering (SPD):
Rede ID: ID1006418600
Herr Staatssekretär, geben Sie zu, daß Sie mit dieser Regelung die eben beschriebene Genehmigungsmiete aushebeln und daß hiermit die Möglichkeit entsteht, daß der Vermieter einer Sozialwohnung jährlich unter Hinweis auf den Mietindex eine Erhöhung der Miete fordert, ohne daß es für den Mieter überhaupt noch eine Möglichkeit gibt, dagegen vorzugehen?
Dr. Jahn, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Müntefering, diese mietindexorientierte Lösung ist eine der vielen Möglichkeiten, die wir einräumen. Es gelten alle Möglichkeiten des heutigen Rechts. Es gilt die Möglichkeit der Staffelmiete — darauf werden wir gleich noch zu sprechen kommen —, und es gilt die mietindexorientierte Lösung. Es ist eine Frage im jeweiligen Einzelfall, was besser ist. Die Bundesregierung ist der Meinung, daß auch mit dieser Lö-



Parl. Staatssekretär Dr. Jahn
sung eine sachgerechte Entscheidung herbeigeführt werden kann.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1006418700
Zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter.

Franz Müntefering (SPD):
Rede ID: ID1006418800
Herr Staatssekretär, sehen Sie nicht, daß der Vermieter ein ganz originäres Interesse haben muß, genau diese Form der Indexmiete zu erreichen, und daß die Vermieter alles tun werden, um dazu zu kommen, daß die Bewilligungsstellen — auch weil das für sie im Verfahren sehr einfach sein wird — dieser Regelung zustimmen, und wären Sie unter diesen Gesichtspunkten bereit, diesen Vorschlag zurückzuziehen?
Dr. Jahn, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Müntefering, was wir hier getan haben, war, Vorschläge an die Länder zu machen. Wir erwarten noch die Diskussion mit den Ländern. Ich möchte nur darauf hinweisen, daß ich die Probleme, die Sie sehen, dadurch entschärft sehe, daß auch die Fragen der Anfangsmiete und der Anlehnung an einen Mietindex durch die Bewilligungsbehörde genehmigt werden müssen.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1006418900
Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Hürland.

Agnes Hürland (CDU):
Rede ID: ID1006419000
Herr Staatssekretär, können Sie nachempfinden, daß das, was hier gerade vorgetragen worden ist, für eine normale Hausfrau sehr, sehr schwer zu verstehen ist, daß es überhaupt schwierig ist, in das Mietrecht einzusteigen, und können Sie zusichern, daß in diesem Bereich trotz allem eine Entbürokratisierung erfolgen wird?

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1006419100
Aber nicht nur für die normale Hausfrau! Auch ich verstehe kein Wort.

(Wolfram [Recklinghausen] [SPD]: Sie ist ja gar keine normale Hausfrau!)

Dr. Jahn, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin Hürland, wir haben diesen Entwurf verschickt. Ich glaube, daß seine Grundprinzipien so, wie sie in den Vorbemerkungen verankert sind, nicht nur für Fachkenner, sondern auch für die Allgemeinheit erkennbar und verständlich sind. Sie können sicher sein, daß wir auch hier im Interesse einer besseren Überschaubarkeit des gesamten Wohnungsbaurechts Vorschriften abbauen werden.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1006419200
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Schmitt (Wiesbaden).

Rudi Schmitt (SPD):
Rede ID: ID1006419300
Herr Staatssekretär, sind Sie bereit, einzuräumen, daß eine Einführung des von Ihnen hier zitierten Mietindexes dazu führen kann, daß die Sozialmieten 1984 um 6,6 % steigen werden — denn dies ist bundesweit die Steigerungsrate für die Sozialmieten im Jahr 1983 —, und wären Sie dann auch bereit, in Anlehnung an den Mietenindex eine automatische Anpassung des Wohngeldes vorzunehmen?
Dr. Jahn, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Schmitt, die Mietsteigerungsraten, die prognostiziert sind, stehen mit den tatsächlich eingetretenen Mietsteigerungen nicht in Kongruenz. Wir können, Gott sei Dank, feststellen, daß sich das Mietenge-füge gerade auch in den letzten Monaten nach unten verschoben hat. Ich habe — wenn ich das sagen darf — gestern einen Mietspiegel von Bremerhaven bekommen. Dieser neu vereinbarte Mietspiegel sieht Mieten vor, die niedriger sind als die im bisherigen Mietspiegel verankerten.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1006419400
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Kansy.

Dr.-Ing. Dietmar Kansy (CDU):
Rede ID: ID1006419500
Herr Staatssekretär, angesichts der beklagten Unübersichtlichkeit des Mietrechts — ich schließe an die Frage der Frau Kollegin Hürland an — frage ich: Wäre es nicht langfristig besser, soziale Probleme über eine individuelle Förderung auszugleichen und ansonsten zu versuchen, das Mietrecht zu vereinheitlichen, so daß der Bürger unter dem Wort Miete schlicht und ergreifend Miete verstehen kann, ohne fünf oder sechs verschiedene Termini kennen zu müssen?
Dr. Jahn, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Kansy, Sie sprechen eine vielfach gestellte Forderung an. Die Bundesregierung ist bestrebt, Soziale Marktwirtschaft auch im Wohnungsbau einzuführen — unter individueller Absicherung der einkommensschwachen Bevölkerungskreise, namentlich über das Wohngeld. Wir wollen dies allerdings nicht mit einem Schlage tun — wie das vielfach in der Fachwelt gefordert wird —, sondern wir möchten es schrittweise tun.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1006419600
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Waltemathe.

Ernst Waltemathe (SPD):
Rede ID: ID1006419700
Herr Staatssekretär, gerade auf Grund Ihrer letzten Antwort darf ich fragen: Ist es Absicht der Bundesregierung, die Vereinfachung dadurch zu bewerkstelligen, daß sie alle Sozialmieten abschaffen und nur noch von einer frei zu vereinbarenden Miete — auch bei Sozialwohnungen — sprechen will?
Dr. Jahn, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Waltemathe, ich betone noch einmal, was ich eben schon gesagt habe: Das, was hier mit der genehmigten Miete beabsichtigt ist, ist ein zusätzliches Angebot neben den zur Zeit bestehenden Möglichkeiten für die Förderung weiterer neuer Sozialwohnungen.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1006419800
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Daniels.

Dr. Hans Daniels (CDU):
Rede ID: ID1006419900
Herr Staatssekretär, halten Sie es für möglich, daß durch die Zulassung von späteren Mieterhöhungen, die an die allgemeinen Mietsteigerungen gebunden sind, eine erheblich niedrigere Anfangsmiete als dann zustande käme, wenn man diese zukünftigen Erhöhungen nicht gestattete?



Dr. Jahn, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Daniels, die Bundesregierung geht von dieser Ihrer Annahme aus.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1006420000
Zusatzfrage des Herrn Kollegen Sauermilch.

Walter Sauermilch (GRÜNE):
Rede ID: ID1006420100
Herr Staatssekretär, das von Ihnen eben geschilderte System ist schwer durchschaubar. Das wurde schon angesprochen. Stellen Sie in diesem Zusammenhang eine Verbindung zu der Äußerung des Wohnungsbauministers Schneider her, der in der „Süddeutschen Zeitung" vom 24. Januar folgendes gesagt hat? Ich zitiere:
Der öffentliche Mietwohnungsbau kann nicht mehr gefördert werden.
Dr. Jahn, Parl. Staatssekretär: Zunächst einmal, Herr Kollege Sauermilch, bin ich der Auffassung, daß der Entwurf, der auch Ihnen vorliegt, durchaus verständlich ist; er muß nur gelesen werden. Ich glaube, er ist überschaubar formuliert.
Zu dem, was Sie zur Förderung des sozialen Wohnungsbaus gesagt haben, möchte ich noch einmal betonen, daß der Wohnungsbauminister in seinen Erklärungen immer gesagt hat, daß das Volumen der Förderung des sozialen Wohnungsbaus voll erhalten bleiben soll, daß er aber umschichten möchte zugunsten von Eigentumsmaßnahmen. Dies ist auch sachgerecht, weil die Nachfrage nach Eigentumsmaßnahmen viel größer ist als die nach Mietwohnungen. Hinzu kommt, daß bei der Verwirklichung einer solchen Umschichtung ein wichtiger investorischer Effekt erzielt wird; denn Sie wissen, daß wir für die Förderung von Mietwohnungen 150 000 DM pro Wohnungseinheit auf den Tisch legen müssen, bei Eigentumsmaßnahmen dagegen nur jeweils 40 000 DM. Das bedeutet konkret, konjunkturpolitisch gesprochen: Mit Eigentumsmaßnahmen haben wir den vierfachen investiven Effekt erzielt.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1006420200
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Menzel.

Heinz Menzel (SPD):
Rede ID: ID1006420300
Herr Staatssekretär, da bei der jetzigen Kostenmietenberechnung die Kapitalkosten keine unbeträchtlichen Auswirkungen haben, frage ich: Wer wird denn bei Ihrem System die Kapitalkosten tragen, wenn sie nicht durch Mieten gedeckt sind?
Dr. Jahn, Parl. Staatssekretär: Wenn eine Vereinbarung zustande gekommen ist, hat sich diese Frage, die Sie stellen, der Investor zu stellen.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1006420400
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Link.

Helmut Link (CDU):
Rede ID: ID1006420500
Herr Staatssekretär, welche Mieten sind in den letzten Jahren mehr gestiegen, die staatlich festgelegten im sozialen Wohnungsbau oder die am Markt frei vereinbarten?
Dr. Jahn, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Link, ich habe den Prozentsatz nicht genau im Kopf. Ich kann Ihre Frage aber eindeutig dahin gehend beantworten, daß die Mieten im sozialen Wohnungsbau in den letzten Jahren höher gestiegen sind als die Mieten im frei finanzierten Wohnungsbau.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1006420600
Ich rufe Frage 47 des Herrn Abgeordneten Müntefering auf:
Ist der Bundesregierung die negative Haltung der Deutschen Bundesbank zu indexgebundenen Preissteigerungen bekannt, und wie läßt sich eine Indexmiete mit den Bemühungen der Bundesregierung um eine Antiinflationspolitik vereinbaren?
Dr. Jahn, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Müntefering, die vorgesehene Regelung, die nicht auf den Lebenshaltungskostenindex, sondern auf eine mietindexorientierte Lösung abstellt, trägt dem Bedenken Rechnung. Diese Lösung hat sogar inflationsdämpfende Wirkung; denn die Sozialmieten werden bei Neubauten wesentlich langsamer steigen als beim bisherigen Förderungssystem.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1006420700
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Müntefering.

Franz Müntefering (SPD):
Rede ID: ID1006420800
Herr Staatssekretär, da Sie für diesen Bereich eine Indexentwicklung für gut befinden, möchte ich wissen: Setzt sich die Bundesregierung auch dafür ein, daß im Bereich der Löhne und Gehälter in den nächsten Jahren eine Indexentwicklung stattfinden wird?
Dr. Jahn, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Müntefering, diese Frage habe ich im Zusammenhang mit den mir heute gestellten Fragen nicht zu beantworten.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1006420900
Zusatzfrage.

Franz Müntefering (SPD):
Rede ID: ID1006421000
Herr Staatssekretär, da Sie neben die genehmigte Miete und die übliche Kostenmiete die Staffelmiete und diese Indexmiete setzen, frage ich: Meinen Sie immer noch, daß das Gesetz „Vereinfachungsgesetz" heißen muß?
Dr. Jahn, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Müntefering, wenn Sie dem Sinn und Zweck dieses Gesetzes nähertreten, stellen Sie fest, daß wir auf diesem Gebiet künftig Mieten erzielen, die deutlich unterhalb der Marktmieten liegen. Deshalb ist es notwendig, mehr Flexibilität — wie es eben genannt wurde — innerhalb der drei Instrumente Förderungshöhe, Mietpreis- und Belegungsbindung und Miethöhe einzuführen.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1006421100
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Menzel.

Heinz Menzel (SPD):
Rede ID: ID1006421200
Herr Staatssekretär, da bei Ihrem System ja begrüßenswerterweise die Miete niedriger sein kann als die heutige Kostenmiete

(Dr. Jahn, Parl. Staatssekretär: So ist es!)

und damit der Vermieter durch die Übernahme der zusätzlichen Kapitalkosten eine höhere Belastung auf sich nehmen muß, frage ich: Befürchten Sie nicht einen Rückgang des Wohnungsbaus?
Dr. Jahn. Parl. Staatssekretär: Ich befürchte das nicht, Herr Kollege Menzel, weil man ja dem Inve-



Parl. Staatssekretär Dr. Jahn
stor in anderen Bereichen entgegenkommt, insbesondere was die Dauer der Belegungs- und Mietpreisbindung angeht.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1006421300
Keine weitere Zusatzfrage.
Ich rufe Frage 48 des Herrn Abgeordneten Schmitt (Wiesbaden) auf:
Ist es richtig, daß die Bundesregierung als Alternative zur Einführung einer „vereinbarten Miete" (Indexmiete) im öffentlich geförderten Wohnungsbau eine Staffelmiete einführen will?
Bitte, Herr Staatssekretär;
Dr. Jahn, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Schmitt, um mehr Flexibilität für den effektiven Einsatz der öffentlichen Mittel zu geben, werden mehrere Verfahren angeboten, darunter auch die Staffelmiete. Dies gilt auch nur für den Neubau. Die Staffelmiete kann auch im öffentlich geförderten Wohnungsbau erhebliche Vorteile bringen, denn bei ihr wissen die Vertragspartner ganz konkret, welche Miete in den einzelnen Jahren zu zahlen ist. Während es auf Grund der verfehlten Förderungspolitik der 70er Jahre möglich ist, daß Sozialmieten über die Marktmieten hinaus steigen, bietet das Instrument des gestaffelten Mietzinses von vornherein die Möglichkeit, Mieterhöhungen sozial zumutbar zu begrenzen, beispielsweise indem die Staffel nicht über die gegenwärtige Marktmiete hinausgeht.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1006421400
Zusatzfrage, Abgeordneter Schmitt.

Rudi Schmitt (SPD):
Rede ID: ID1006421500
Herr Staatssekretär, ich muß vorausschicken, daß die Kappungsgrenzen für den sozialen Wohnungsbau und nicht für den frei finanzierten Wohnungsbau gelten. Meine Frage lautet deswegen: Sind Sie der Meinung, daß künftigen Sozialmietern, die j a zunächst einen Berechtigungsnachweis zu führen haben, ob sie auf Grund ihres Einkommens überhaupt in der Lage sind, in eine Sozialbauwohnung zu kommen, angesichts der unsicheren Wirtschaftsentwicklung zugemutet werden kann, von vornherein Mietverträge abzuschließen, die bestimmte jährliche Mieterhöhungen für bestimmte Zeiten vorwegnehmen?
Dr. Jahn, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Schmitt, es ist ein Unterschied, ob ich die Indexmiete oder die Staffelmiete nehme. Bei der Indexmiete lehne ich mich an eine Entwicklung an, die ich am Anfang nicht kenne. Bei der Staffelmiete löse ich mich davon und vereinbare Mieten, die bei der Vereinbarung für exakt zehn Jahre vorausberechnet sind, und zwar unabhängig von Änderungen im Hypothekenzins usw. Was im einzelnen jeweils vereinbart wird, sollte dem Investor und der Bewilligungsstelle überlassen bleiben.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1006421600
Herr Schmitt, Sie haben noch eine Zusatzfrage.

Rudi Schmitt (SPD):
Rede ID: ID1006421700
Herr Staatssekretär, meinen Sie nicht auch, daß sich die von Ihnen propagierte Vertragsfreiheit zum Nachteil der Sozialmieter auswirken kann, da sie j a auf Grund ihres relativ geringen Einkommens die schwächeren Partner auf dem Wohnungsmarkt sind?
Dr. Jahn, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Schmitt, ich würde Ihrem Gedanken dann nähertreten, wenn nicht das Instrument der Genehmigung durch die Bewilligungsbehörde im Gesetzentwurf fest verankert wäre.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1006421800
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Kansy.

Dr.-Ing. Dietmar Kansy (CDU):
Rede ID: ID1006421900
Herr Staatssekretär, wenn Sie das, was wir in den 70er Jahren mit der degressiven Förderung gemacht haben, mit dem vergleichen, was jetzt im Gespräch ist, wie wird sich das dann Ihrer Meinung nach letzten Endes gegenüber dem Mieter auswirken?
Dr. Jahn, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Kansy, die degressive Förderung der 70er Jahre hat zu Mietsprüngen geführt, die den Sozialmieter, wie ich meine, ungeschützt treffen. Neben den Degressionsstufen gibt es Anhebungen der Pauschalen der Zweiten Berechnungsverordnung und Zinserhöhungen bei den Kapitalmarkthypotheken, und zwar über Zeiträume von 20 Jahren hinweg.
Bei der gestaffelten Miete, wie wir sie jetzt vorsehen, gibt es nur Mietsteigerungen, die von vornherein bekannt sind, und sie lassen sich auch sozial zumutbar begrenzen.
Ich ziehe daraus das Fazit — darauf wollten Sie ja hinaus —, daß gestaffelte Mieten in der von uns vorgeschlagenen Form die Möglichkeit bieten, die Mieter vom Risiko unvorhergesehener Veränderungen auszuschließen.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1006422000
Zusatzfrage, Abgeordneter Müntefering.

Franz Müntefering (SPD):
Rede ID: ID1006422100
Herr Staatssekretär, in Anlehnung an das, was die Kollegin Hürland soeben zur Verständlichkeit oder Unverständlichkeit des Gesetzentwurfs in unserer Debatte hier festgestellt hat, darf ich Sie noch einmal fragen: Muß das Gesetz denn „Vereinfachungsgesetz" heißen, wenn man den Tatbestand der Staffelmiete, über den wir jetzt sprechen, wie folgt beschreibt: „Die Bewilligungsstelle kann ferner genehmigen, daß für die Erhöhung des zulässigen Entgelts an Stelle der Regelungen des Wohnungsbindungsgesetzes und der auf Grund dieses Gesetzes erlassenen Rechtsverordnungen die Vorschriften der §§ 3, 4, 5, 8 und des
§ 9 Abs. 1 Satz 2 und 3 und des Absatzes 2 sowie des
§ 10 Abs. 2 des Gesetzes zur Regelung der Miethöhe...?"

(Heiterkeit und Beifall bei allen Fraktionen)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1006422200
Sie haben uns schon überzeugt!
Dr. Jahn, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Müntefering, Sie zitieren die Erbschaft, die wir angetreten haben. Wenn wir das jetzt verändern wol-



Parl. Staatssekretär Dr. Jahn
len, sind wir hier auf dem besten Wege. Die gewählte Überschrift „Wohnrechtsvereinfachungsgesetz" halte ich für sachgerecht und auch für der Materie, die wir regeln wollen, angemessen.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1006422300
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Waltemathe.

Ernst Waltemathe (SPD):
Rede ID: ID1006422400
Herr Staatssekretär, wollen Sie dann, wenn Sie eine Staffelmiete für neu zu bauende oder neu zu vermietende Sozialwohnungen zulassen, künftig auch ein gestaffeltes Wohngeld oder gestaffelte Mietobergrenzen nach Wohngeldrecht zulassen?
Dr. Jahn, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Waltemathe, ich möchte die Debatte von morgen früh hier nicht vorwegnehmen.

(Waltemathe [SPD]: Entschuldigen Sie, das steht im Zusammenhang mit diesem Gesetz, nicht mit dem Wohngeld!)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1006422500
Eine Zusatzfrage, Herr Dr. Möller.

Dr. Franz Möller (CDU):
Rede ID: ID1006422600
Herr Staatssekretär, ist die von Ihnen erwähnte gestaffelte Miete von der Staffelmiete zu unterscheiden, wie sie vor anderthalb Jahren auf Drängen des früheren Bundeskanzlers Helmut Schmidt eingeführt worden ist?

(Heiterkeit bei der CDU/CSU — Lachen bei der SPD)

Dr. Jahn, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Dr. Möller, es gibt einen fundamentalen Unterschied zwischen der Staffelmiete im frei finanzierten Mietwohnungsbau und der von uns hier angesprochenen Staffelmiete. Im frei finanzierten Mietwohnungsbau ist es allein Sache der Vertragsparteien, welche Staffeln sie vereinbaren, und sie müssen ja auch versuchen, die Marktentwicklung einigermaßen zutreffend vorauszuschätzen.
In der in diesem Entwurf vorgesehenen Regelung bedürfen die Staffeln der Genehmigung der öffentlichen Hand, der Bewilligungsbehörde, und außerdem liegen Anfangsmiete und die Staffeln wesentlich niedriger als die, die bei den Marktmieten im frei finanzierten Mietwohnungsbau vereinbart werden.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1006422700
Eine Zusatzfrage, Herr Dr. Daniels.

Dr. Hans Daniels (CDU):
Rede ID: ID1006422800
Herr Staatssekretär, sind Sie mit mir der Auffassung, daß es im Blick auf die Frage, ob eine Neuregelung eine Vereinfachung darstellt, nicht ausreicht, allein die Neuregelung mit allen ihren Bestimmungen zu zitieren, wie es hier eben der Kollege Müntefering getan hat, sondern daß man dann zum Vergleich auch einmal die alten Bestimmungen in der gleichen Ausführlichkeit zitieren müßte, und halten Sie es für denkbar, daß dann die nun unter Umständen neu eingeführte Staffelmiete, bei der man von vornherein genau weiß, um welche Beträge sich die Miete erhöht, eine
Vereinfachung gegenüber dem bisherigen System der degressiven Förderung darstellen könnte?
Dr. Jahn, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Dr. Daniels, die vielen Zusatzfragen danach, ob hier eine Vereinfachung vorgenommen wird oder nicht, werden wir nicht nur prüfen, sondern auch in der Weise beantworten, daß wir den Mitgliedern des Hauses eine Synopse vorlegen, in der links all die Vorschriften stehen, die heute gelten, und rechts all die Vorschriften, die wir außer Kraft setzen. Der Vergleich wird wahrscheinlich so ausfallen, daß auch die letzten Kollegen hier im Plenum der Auffassung sind, daß hier eine wichtige Verwaltungsvereinfachung vorgenommen wird.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1006422900
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Sauermilch.

Walter Sauermilch (GRÜNE):
Rede ID: ID1006423000
Herr Staatssekretär, wenn wir von Staffelung sprechen, denken wir eigentlich immer an eine Staffelung nach oben. Sieht Ihr Entwurf auch eine Möglichkeit der Staffelung nach unten vor?
Dr. Jahn, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Sauermilch, dies ist Sache von Investor und Bewilligungsstelle.

(Lachen bei der SPD)

Wenn ich die Mietspiegel aus einigen Städten — ich habe eben Bremerhaven genannt — sehe, kann ich mir auch eine Entwicklung vorstellen, bei der die Mieten nicht nach oben, sondern nach unten gehen.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1006423100
Ich rufe Frage 49 des Herrn Abgeordneten Schmitt (Wiesbaden) auf:
Welche Erfahrungen hat die Bundesregierung bisher mit dem neu eingeführten Instrument der Staffelmiete im freifinanzierten Wohnungsbau sowohl im Bestand als auch bei Neubauten gemacht?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Dr. Jahn, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Schmitt, der Bundesregierung liegen bislang keine Informationen darüber vor, in welchem Umfang von diesem Instrument Gebrauch gemacht wird. Bisher sind aber auch keinerlei Schwierigkeiten bekanntgeworden.
Noch einmal zur Klarstellung, weil das ja gerade auch in der Frage des Kollege Dr. Möller zum Ausdruck kam: Es besteht ein großer Unterschied zwischen der Staffelmiete im frei finanzierten Wohnungsbau und der hier vorgesehenen Regelung. Ich wiederhole: Im frei finanzierten Wohnungsbau ist es allein Sache der Vertragsparteien, welche Staffeln sie vereinbaren, und sie müssen versuchen, die Marktentwicklung einigermaßen zutreffend vorauszuschätzen.
Nach der vorgesehenen Regelung bedürfen im sozialen Wohnungsbau die Staffeln der Genehmigung der öffentlichen Hand. Außerdem liegt — ich sagte es bereits — die Anfangsmiete von vornherein unter der Marktmiete, und es besteht auf Grund der Förderung keine Notwendigkeit, die Staffel voll an



Parl. Staatssekretär Dr. Jahn
die erwartete Entwicklung der Marktmieten anzupassen.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1006423200
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Schmitt.

Rudi Schmitt (SPD):
Rede ID: ID1006423300
Herr Staatssekretär, woher nehmen Sie den Mut, für Sozialwohnungen Staffelmieten einzuführen, wenn noch keine eindeutigen Erfahrungen für Staffelmieten im frei finanzierten Wohnungsbau vorliegen, und woher haben Sie die Selbstgewißheit, daß Sie bei Staffelmieten über Jahre hin mit niedrigen Anfangsmieten beginnen und erst später Mietsteigerungen vornehmen können? Wer soll diese niedrigen Anfangsmieten finanzieren?
Dr. Jahn, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Schmitt, den Mut nehmen wir aus der Überlegung, daß mehr Flexibilität im Wohnungswesen uns gut ansteht. Der weiteren Gefahr, die Sie vermuten, daß nämlich die Mieten steigen könnten, muß ich vom System her deshalb widersprechen, weil es Kern der genehmigten Miete ist, daß sie von der Bewilligungsbehörde nur unterhalb der Marktmiete genehmigt wird.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1006423400
Zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Schmitt.

Rudi Schmitt (SPD):
Rede ID: ID1006423500
Herr Staatssekretär, sind Sie nach dieser Fragestunde bereit, mit einem gestaffelten Mißtrauen und Bedenken die Vorschläge der Referenten zu überprüfen?
Dr. Jahn, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Schmitt, wir haben einen Entwurf ausgearbeitet, von dem wir überzeugt sind, daß wir mit ihm den richtigen Weg beschreiten. Wir sind jetzt in Gesprächen mit den Ländern. Wir werden anschließend mit den Verbänden reden. Alle Erfahrungen, die wir dort sammeln, werden letztlich Gegenstand des Kabinettsbeschlusses sein, bevor wir in erster Lesung darüber debattieren.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1006423600
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Waltemathe.

Ernst Waltemathe (SPD):
Rede ID: ID1006423700
Herr Staatssekretär, kann die neue staatlich genehmigte Staffelmiete auch für die Mietnebenkosten vorausberechnet werden, die neben der eigentlichen Miete zu zahlen sind, und auch für die öffentlichen Gebühren?
Dr. Jahn, Parl. Staatssekretär: Diese Frage stellt sich uns bei der gestaffelten Miete nicht, Herr Kollege Waltemathe.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1006423800
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Kansy.

Dr.-Ing. Dietmar Kansy (CDU):
Rede ID: ID1006423900
Herr Staatssekretär, angesichts der Tatsache, daß die staatlich verordneten Kostenmieten zunehmend über die Vergleichsmieten im frei finanzierten Wohnungsbau hinausgehen: Können Sie die Frage beantworten, ob es im sozialen Wohnungsbau, nachdem wir in der Vergangenheit die Schlachten geschlagen haben: 10 % pro
Jahr und so weiter — die großen Horrormeldungen —, ob es also im staatlich verordneten Wohnungsbau heute noch möglich ist, daß die Mieten in drei Jahren um mehr als 30 % steigen?
Dr. Jahn, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Kansy, ich muß das, was Sie sagen, bestätigen. Das geltende Kostenmietenprinzip läßt es zu, daß die Mieten in drei Jahren über 30 % steigen. Es ist Sinn und Zweck des Instruments der genehmigten Miete, daß dies vermieden wird.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1006424000
Ich rufe die Frage 50 des Herrn Abgeordneten Meininghaus auf:
Wie löst die Bundesregierung im vorgesehenen Wohnungsrechtsvereinachungsgesetz die Frage, daß neben den vereinbarten Steigerungen der Miete durch den Bauherrn auch Mieterhöhungen durch wegfallende Zins-, Annuitäts- und Aufwendungshilfen entstehen?
Dr. Jahn, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Meininghaus, diese Frage spielt im Zusammenhang mit der genehmigten Miete keine Rolle. Während im geltenden Preisrecht Kapitalkostenerhöhungen und Degressionsstufen unmittelbare Auswirkungen auf die Höhe der Kostenmiete haben und der Sozialmieter dem schutzlos ausgesetzt ist, gibt das neue Verfahren dem Vermieter nicht die Möglichkeit, solche finanzierungsbedingten Auswirkungen auf den Mieter abzuwälzen. Diese Risiken trägt der Vermieter, so wie ihm die Vorteile verbleiben, wenn er besonders günstig baut oder wirtschaftet.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1006424100
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Meininghaus.

Alfred Meininghaus (SPD):
Rede ID: ID1006424200
Herr Staatssekretär, wenn aber eine Zinsbelastung fortfällt, gehen dann die Mietzahlungen voll in den Ertrag des Vermieters?
Dr. Jahn, Parl. Staatssekretär: Das ist die Kehrseite der Medaille, von der ich sprach.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1006424300
Zweite Zusatzfrage des Abgeordneten Meininghaus. — Keine weitere Zusatzfrage mehr.
Der Herr Abgeordnete Dr. Kansy bitte.

Dr.-Ing. Dietmar Kansy (CDU):
Rede ID: ID1006424400
Herr Staatssekretär, angesichts der Tatsache, daß es immer schwieriger wird, Mieten am Markt auch tatsächlich durchzusetzen, könnte nicht die Selbstverantwortung des Investors ein Beitrag dazu sein, künftig kostengünstiger und für den Standort vernünftiger zu bauen, um gleich angemessene Mieten zu erreichen?
Dr. Jahn, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Kansy, ich habe bereits darauf hingewiesen, daß sich der Investor heute vor die Situation gestellt sieht, daß er die Wohnungen nach dem Kostenmietenprinzip nicht mehr vermieten kann. Deshalb bieten wir ein neues Instrument an mit mehr Flexibilität, mit niedrigeren Mieten. Wenn der Investor aber eine geringere Mieteinnahme hat, dann muß ihm auch anderenorts entgegengekommen werden. Da gibt es eben diese Möglichkeit, ihm entgegenzukommen mit kürzeren Belegungs- und Mietpreisbindungen und mit einer höheren Förderungssum-



Parl. Staatssekretär Dr. Jahn
me. Wir halten diesen Weg für wichtig, damit auch künftig im sozialen Wohnungsbau nicht nur gebaut, sondern auch vermietet werden kann.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1006424500
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Müntefering.

Franz Müntefering (SPD):
Rede ID: ID1006424600
Herr Staatssekretär, sehen Sie nicht, daß durch das Bündel von Möglichkeiten, das Sie jetzt nebeneinander und neben die bisherige klare Kostenmiete stellen, für den Mieter immer unübersichtlicher wird, wie sich mittel- und langfristig seine Belastung entwickeln wird, daß für ihn zumindest unübersichtlich wird, welches Risiko er im weiteren trägt, daß dafür aber der Vermieter dies sehr wohl und sehr früh für sich möglichst günstig errechnen kann?
Dr. Jahn, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Müntefering, es ist die Aufgabe der öffentlichen Hand und auch des Vermieters, die Mieter über alle Möglichkeiten, die sie haben, aufzuklären. Die Bundesregierung geht davon aus, daß das auch seitens des Mieterbundes in einem größeren Umfang geschieht, als das bislang der Fall war.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1006424700
Ich rufe die Frage 51 des Herrn Abgeordneten Meininghaus auf:
Gilt die Kappungsgrenze von 30 v. H. Mieterhöhung innerhalb von drei Jahren auch für die sich insgesamt ergebenden Mieterhöhungen aus der vereinbarten Miete im vorgesehenen Wohnungsrechtsvereinfachungsgesetz?
Dr. Jahn, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Meininghaus, Mietsteigerungen von 30 % wird mit Sicherheit kein Bundesland genehmigen. Sie fragen nach der Kappung. Eine Kappung liegt gewissermaßen im Erfordernis der Genehmigung der Miete durch die Bewilligungsbehörde. Es bleibt gleichwohl — ich sagte es eben — dem Gesetzgebungsverfahren vorbehalten, die von Ihnen aufgeworfene Frage näher zu prüfen. Die Bundesregierung wird dazu ihren Beitrag leisten.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1006424800
Keine weitere Zusatzfrage.
Dann rufe ich die Frage 52 des Herrn Abgeordneten Lohmann (Witten) auf:
Hält es die Bundesregierung für realistisch, daß viele Wohnungsunternehmen von der im Wohnungsrechtsvereinfachungsgesetz vorgesehenen Bildung größerer Wirtschaftseinheiten (Unternehmensmiete) Gebrauch machen werden, und wie beurteilt sie das Verhältnis von Aufwand und Nutzen bei der Einführung der Unternehmensmiete?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Dr. Jahn, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Lohmann, die Bildung größerer Wirtschaftseinheiten, wie sie gegenwärtig diskutiert wird, bringt für die Wohnungsunternehmen keine höheren Mieteinnahmen. Die Mieten bleiben an die Kosten gebunden. Die laufenden Aufwendungen, wie sie nach gegenwärtigem Recht von den Unternehmen geltend gemacht werden, dürfen durch Mieteinnahmen nicht überschritten werden. Mieterhöhungen bei einzelnen Wohnungen müssen jeweils ausgeglichen werden durch Mietsenkungen für andere Wohnungen.
Wie viele Unternehmen von der Möglichkeit zur Bildung größerer Wirtschaftseinheiten Gebrauch machen werden, ist im gegenwärtigen Zeitpunkt nicht zu beantworten.
Das Bundesbauministerium hat einem unabhängigen Forschungsinstitut den Auftrag erteilt, hierüber Erhebungen anzustellen. Die Ergebnisse werden vor Beginn des Gesetzgebungsverfahrens vorliegen. Die Anregung, eine verbesserte Rechtsgrundlage für die Zusammenfassung zu schaffen, kommt aus allen Ländern, die hierüber Erfahrungen besitzen. Da es den Unternehmen selbst überlassen ist, ob sie Wohnungen zu Wirtschaftseinheiten mit Genehmigung der Behörden zusammenfassen, liegt die Kalkulation von Aufwand und Nutzen im Unternehmensbereich. Sichergestellt ist aber im Entwurf, daß auf die Mieter keine Verwaltungskosten hierfür abgewälzt werden können.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1006424900
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Lohmann.

Klaus Lohmann (SPD):
Rede ID: ID1006425000
Herr Staatssekretär, wie schätzen Sie die Meinungsäußerung des Deutschen Mieterbundes ein, der j a heute schon darauf hinweist, daß die Bewilligungsstellen hoffnungslos überfordert sind, und der für die Zukunft, wenn Sie mit der neuen Regelung über Gemeindegrenzen hinweggehen und dann zwei Bewilligungsstellen tätig werden müssen, größte Schwierigkeiten sieht?
Dr. Jahn, Parl. Staatssekretär: Ich teile die Auffassung und die Kritik des Mieterbundes zu diesen organisatorischen Fragen nicht. Ich möchte hinzufügen, Herr Kollege Lohmann: Ich teile auch nicht die Kritik, die der Mieterbund geäußert hat, wonach mit dieser Regelung mehr als 3 Millionen Sozialmieter mit Mieterhöhungen rechnen müßten.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1006425100
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Lohmann.

Klaus Lohmann (SPD):
Rede ID: ID1006425200
Herr Staatssekretär, haben Sie Verständnis für die Äußerungen des Mieterbunds deshalb, weil er nicht durch die Bundesregierung, sondern durch die „Frankfurter Rundschau" informiert wurde und deshalb eine Stellungnahme abgegeben hat?
Dr. Jahn, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Lohmann, daß durch eine Indiskretion diese Papiere an die „Frankfurter Rundschau" gekommen sind, bedauern wir. Nur haben wir darin keinen Anlaß sehen können, zu diesem Zeitpunkt die Papiere auch schon an die Verbände zu schicken. Wir müssen den Verfahrensablauf, wie er hier gute Sitte ist, beibehalten.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1006425300
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Möller.

Dr. Franz Möller (CDU):
Rede ID: ID1006425400
Herr Staatssekretär, können Sie mitteilen, ob das Instrumentarium der Wirtschaftseinheiten jetzt schon gilt und in welcher Form es angewendet wird?



Dr. Jahn, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Möller, die Zusammenfassung mehrerer Wohnungen zu Wirtschaftseinheiten ist ein Thema, das seit 1965 nicht ruht. Dieses Institut ist auch nicht neu. Wir haben bereits 1973 erstmals im Wohnungsbindungsgesetz die Zusammenfassung von mehreren Wohnungen zu Wirtschaftseinheiten ermöglicht. Die damalige Bundesregierung hat das mit dem Satz begründet — ich darf das zitieren —:
Die durch die Zusammenfassung sich ergebende Entzerrung der Mieten führt im übrigen auch zu einer erwünschten Mietsenkung.
Ich möchte nur noch ein Zitat vom damaligen Bundesminister Ravens bringen, der 1977 in der „Zeitschrift für das gemeinnützige Wohnungsunternehmen" folgendes geschrieben hat:
Um die Vermietbarkeit der neueren Sozialwohnungen sicherzustellen, müssen weitere Überlegungen angestellt werden. Solche Überlegungen können sich zunächst auf die Erweiterung der Möglichkeiten zur Bildung größerer Wirtschaftseinheiten zum Zwecke des Mietausgleichs innerhalb der Wohnungsbestände von Wohnungsunternehmen beziehen.
Das Thema, das hier umrissen ist, ist also nicht neu. Damit hat sich auch schon die frühere Bundesregierung auseinandergesetzt, und sie hat im Prinzip eine solche Regelung bejaht.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1006425500
Meine Damen und Herren, wir haben nur noch wenige Minuten. Ich möchte gerne noch die zweite Frage des Abgeordneten Lohmann aufrufen. Vielleicht können Sie sich im Zusammenhang mit dieser Frage auf die Zusatzfragen einigen.
Ich rufe die Frage 53 des Abgeordneten Lohmann auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung die Kontrolle der Mietpreisbildung bei der Unternehmensmiete durch die Mieter?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Dr. Jahn, Parl. Staatssekretär: Herr Lohmann, ich möchte zunächst den Vorschlag unterbreiten, nicht von einer Unternehmensmiete, sondern — das kommt der Sachlage viel näher — von einer Ausgleichsmiete oder noch besser von einer Solidarmiete in diesem Sachzusammenhang zu sprechen.

(Lachen bei der SPD — Beifall des Abg. Dr.-Ing. Kansy [CDU/CSU])

Die Bezeichnung Solidarmiete — ich betone das noch einmal — kommt dem sachlichen Anliegen des Entwurfs am nächsten.
Herr Kollege Lohmann, die Zusammenfassung zu Wirtschaftseinheiten kann nur erfolgen, wenn die Bewilligungsstelle zustimmt; so bereits das geltende Recht. Auch nach den vorgesehenen Regelungen bedarf die neue Durchschnittsmiete der Genehmigung der Bewilligungsbehörde. Die Bildung von Einzelmieten kann der Vermieter nach geltendem Recht ohne Mitwirkung der zuständigen Stelle vornehmen. Der Entwurf, Herr Kollege Lohmann, sieht aber vor, daß die zuständige Stelle nach neuem
Recht verlangen kann, daß ihr alle Einzelmieten zur Kontrolle nachgewiesen werden.
Der Entwurf enthält also eine vom geltenden Recht abweichende zusätzliche Schutzbestimmung für die Mieter. Die zuständige Stelle ist verpflichtet, dem Mieter entsprechende Auskünfte zu geben.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1006425600
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Lohmann.

Klaus Lohmann (SPD):
Rede ID: ID1006425700
Herr Staatssekretär, können Sie mir zustimmen, wenn ich sage, daß die Mieter schon heute größte Schwierigkeiten haben, eine Kontrolle der Miethöhe durchzuführen? Wenn es in Zukunft so sein wird, daß sie sich unter Umständen an zwei Bewilligungsbehörden aus unterschiedlichen Gemeinden wenden müssen, wird es wesentlich schwieriger. Ich glaube, daß auch hier der Mieterbund mit Recht auf die Verschlechterungen hinweist, die in diesem Bereich festzustellen sind.
Dr. Jahn, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Lohmann, wir haben hier eine zusätzliche Schutzbestimmung für die Mieter getroffen. Wir möchten auch gerne daran festhalten.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1006425800
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Kansy.

Dr.-Ing. Dietmar Kansy (CDU):
Rede ID: ID1006425900
Herr Staatssekretär, gestern ist dem Minister ein Gutachten übergeben worden, an dem unter anderem auch unser Kollege Waltemathe mitgewirkt hat, wenn ich es richtig in Erinnerung habe. Wie beurteilen eigentlich die Verbände diese Zusammenfassung von verschiedenen Jahrgängen unter Berücksichtigung des Prinzips der Solidarität?
Dr. Jahn, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Kansy, Sie sprechen ein Gutachten der Gewos aus Hamburg an. Dieses Gutachten steht mit dem sachlichen Anliegen der Einführung einer Solidarmiete nicht allein. Wir haben in der Zwischenzeit auch Erkundungen z. B. beim Gesamtverband gemeinnütziger Wohnungsunternehmen eingeholt. Herr Tepper teilt uns mit, daß die Solidarmiete im Prinzip auch von seinem Verband unterstützt wird.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1006426000
Zu einer ganz kurzen Zusatzfrage Herr Abgeordneter Waltemathe.

Ernst Waltemathe (SPD):
Rede ID: ID1006426100
Der Deutsche Mieterbund sagt, 3 Millionen kriegen eine Mieterhöhung — nur nebenbei: Aus der Fragestellung geht nicht hervor, daß man über „Unternehmensmieten" nachdenken muß; ich würde die auch nicht anders nennen —, Sie sagen, so viel sind es nicht. Können Sie bestätigen, daß Sie überhaupt etwas berechnet haben und daß an dem Verhältnis, daß 2 Millionen Mieterhöhungen hinnehmen müssen, damit eine Million weniger Miete bezahlt, möglicherweise etwas stimmt?
Dr. Jahn, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Waltemathe, ich möchte Ihre Frage wie folgt beantworten. Erstens. Was den Verband der Gemeinnützigen Wohnungsunternehmen angeht: Herr Tepper hat



Parl. Staatssekretär Dr. Jahn
seine Stellungnahme vor dem Hintergrund des Entwurfs abgegeben, den er auch persönlich gelesen hatte.
Punkt zwei: Der Mieterbund hat die Behauptung aufgestellt, mehr als 3 Millionen Sozialmieter müßten mit Mieterhöhungen rechnen. Die Zahlen sehen völlig anders aus: Es gibt rund 4 Millionen Sozialmietwohnungen. Hiervon liegen etwa 2,3 Millionen in Städten mit über 100 000 Einwohnern, in denen die Regelungen wegen der bestehenden Mietunterschiede überhaupt praktisch werden können. Zwei Drittel dieser Wohnungen — das sind 1,5 Millionen Wohnungen — gehören Unternehmen, die über größere Bestände verfügen, für die das Modell allein praktisch werden kann. Viele hiervon haben die Zusammenfassung bereits durchgeführt.
Danach kann also unterstellt werden, daß etwa eine Million Wohnungen in das Mietausgleichsverfahren gelangen können. Hiervon kann es theoretisch bei einem Drittel zu Mietsenkungen und bei einem Drittel zu Mieterhöhungen kommen. Ein weiteres Drittel dürfte unverändert bleiben. Jeder D-Mark Mieterhöhung im Unternehmen steht eine D-Mark Kostenmietsenkung gegenüber.
Fazit: Die Behauptung des Deutschen Mieterbundes ist völlig unzutreffend. Nicht 3 Millionen, sondern nur einem Zehntel von 3 Millionen Sozialmietern wird aus Gerechtigkeitsgründen eine angemessene Mieterhöhung als Solidaropfer zugemutet.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1006426200
Danke sehr, Herr Staatssekretär.
Die nicht aufgerufenen Fragen werden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Damit ist die Fragestunde beendet. Danke schön.
Meine Damen und Herren, ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 3 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung des Wahlrechts für die Sozialversicherungswahlen
— Drucksache 10/1162 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
Im Ältestenrat ist für die Aussprache eine Runde vereinbart worden. — Kein Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Das Wort zur Begründung hat der Parlamentarische Staatssekretär Vogt. Bitte schön.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1006426300
Frau Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die nächsten allgemeinen Sozialversicherungswahlen finden 1986 statt. Dann wird wiederum, und zwar für sechs Jahre, über die Zusammensetzung der Selbstverwaltungsorgane bei den Sozialversicherungsträgern entschieden. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf soll sichergestellt sein, daß die Sozialversicherungswahlen auf der Grundlage eines verbesserten
Wahlrechts vorbereitet und durchgeführt werden können.
Meine Damen und Herren, wir wollen eine Sozialpolitik, die aus Erfahrung gespeist und in die Überprüfung eingebaut ist. Was sich bewährt hat, soll bleiben, was sich nicht bewährt hat, muß geändert werden. Bei den letzten beiden Sozialversicherungswahlen hat sich gezeigt, daß das Wahlrecht verbessert und das Wahlverfahren vereinfacht werden muß. Der vorliegende Gesetzentwurf zieht aus der Erfahrung die Konsequenzen.
Ich will die Schwächen des bisherigen Wahlrechts für die Sozialversicherungswahlen an Beispielen darstellen.
Das erste Beispiel: Bei einer Ersatzkasse hat ein Verein kandidiert, der sich als Mitgliedergemeinschaft dieser Ersatzkasse bezeichnete. Dieser Verein bestand zur Zeit der Listeneinreichung nur aus neun Personen. Er hat auf Grund seiner Vereinsbezeichnung 52 % der Stimmen erhalten. Von den ihm zufallenden Sitzen, nämlich 14 an der Zahl, konnte er nur zwei besetzen, da er nicht mehr Bewerber aufzubieten hatte. Acht weitere Sitze gingen an eine Organisation über, die sonst keinen einzigen Sitz erhalten hätte. Die restlichen vier Sitze wurden auf andere Vereinigungen verteilt.
Ein zweites Beispiel: Es haben sich Vereine zur Wahl gestellt, die von Vertretern anderer Organisationen ins Leben gerufen und gesteuert wurden. Diese Vereine dienen allein dem zusätzlichen Stimmenfang, dem verdeckten Gewinn zusätzlicher Organsitze für die steuernde Organisation. Bei diesem Verfahren kann es vorkommen, daß eine Stimme auf Umwegen gerade der Vereinigung zugute kommt, die der Wähler nicht gewollt und bewußt nicht gewählt hat.
Das dritte Beispiel: Es gibt Vorschlagslisten, die von Beschäftigten der Versicherungsträger mitbestimmt werden. Dies wirft die Frage auf, ob die Kontrollfunktion der Selbstverwaltungsorgane gegenüber der Verwaltung durch Angehörige eben dieser Verwaltung ausgeübt werden soll.
Meine Damen und Herren, wir wollen eine starke soziale Selbstverwaltung. Wer durch ernsthaftes Engagement für eine starke Selbstverwaltung eintritt und dafür streitet, findet uns an seiner Seite. Wir wollen aber die Gewerkschaften wie die anderen selbständigen Arbeitnehmervereinigungen mit sozial- und berufspolitischer Zwecksetzung im Interesse der Versicherten und Wahlberechtigten vor unqualifizierter Konkurrenz schützen. Wir wollen das Vertrauen der Wähler in die Wirkkraft und in die Verläßlichkeit der Organisationen schützen, die Vorschlagslisten für die Sozialversicherungswahlen vorlegen. Das stärkt die Selbstverwaltung an ihren Wurzeln. In diesem Sinne greift der Gesetzentwurf insbesondere die Erfahrungen und einhelligen Vorschläge der Wahlbeauftragten des Bundes und der Länder auf. Sie haben die Erfahrungen der beiden letzten allgemeinen Sozialversicherungswahlen eingebracht.
Dabei will ich klarstellen: Niemand soll an einer Wahlbeteiligung gehindert werden. Die Möglichkeit



Parl. Staatssekretär Vogt
der Einreichung sogenannter freier Listen bleibt ausdrücklich vorgesehen. Aber wir wollen und müssen sicherstellen, daß die Versicherten nicht durch die Wahlteilnahme völlig unbedeutender Wahlvereine irregeführt werden, wenn diese Vereine unter wohlklingenden und eine umfassende Legitimation vortäuschenden Organisationsnamen auftreten. Wir wollen, daß der Wähler wieder weiß, wer sich um seine Stimme bewirbt.
Jeder weiß, daß die Praxis mit dem spärlichen Gesetzesbegriff von den „anderen selbständigen Arbeitnehmervereinigungen" überfordert war. Sie wäre bei den nächsten Wahlen in noch stärkerem Maße überfordert gewesen. Deshalb wird vor allem eine Ergänzung des Gesetzes gefordert, die in diesem Bereich Rechtsklarheit schafft.
Noch zwei Hinweise, meine Damen und Herren. Das Interesse der arbeitslos gewordenen Versicherten an ihrer weiteren Mitwirkung in der Selbstverwaltung wahren wir dadurch, daß für die Dauer der Arbeitslosigkeit ihre Wählbarkeit trotz des Verlustes der Gruppenzugehörigkeit erhalten bleibt.
Von besonderer Bedeutung ist schließlich, daß zur Vereinfachung des Wahlverfahrens und zur Kosteneinsparung auf die kaum noch benutzten Wahlräume verzichtet wird. Damit wird der bereits im Achten Gesetz zur Änderung des Selbstverwaltungsgesetzes begonnene Weg des Übergangs zum Briefwahlverfahren abgeschlossen.
Ich bin der Auffassung, daß im Interesse einer starken, funktionsfähigen Selbstverwaltung bei allen Mitgliedern dieses Hauses Einvernehmen über die Grundlagen des Ihnen heute vorgelegten Gesetzes zur Verbesserung des Wahlrechts für die Sozialversicherungswahlen bestehen sollte. Ich hoffe deshalb auf einen breiten Konsens bei Beratung und Verabschiedung dieses Gesetzentwurfs.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1006426400
Meine Damen und Herren, ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Egert.

Jürgen Egert (SPD):
Rede ID: ID1006426500
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Bundestag behandelt heute in erster Lesung den Gesetzentwurf zur Verbesserung des Wahlrechts für die Sozialversicherungswahlen. Eigentlich würde es meinen Freund und Kollegen Eugen Glombig gebühren, hier an meiner Stelle den Debattenbeitrag für die sozialdemokratische Bundestagsfraktion zu leisten. Er ist als Bundesbeauftragter für die Durchführung der Sozialversicherungswahlen nicht müde geworden, auf diese Verbesserung des Wahlrechts zu drängen. Er geleitet in diesem Moment einen ehemaligen Kollegen dieses Hauses, den Kollegen Meinike, auf seinem letzten Weg. So ist mir der Part zugefallen, zu prüfen, ob das, was er an Wünschen zur Veränderung des Wahlrechts hatte, mit diesem Gesetzentwurf eingelöst wird.
In der Vergangenheit, zuletzt bei den Sozialwahlen 1980, hat es kritische Diskussionen über die Durchführung der Sozialversicherungswahlen gegeben, zum einen über den Tatbestand, daß sich nur ein geringer Teil der Versicherten seines Wahlrechts bewußt war und gewählt hat, zum anderen deshalb, weil Versichertengemeinschaften den klassischen sozialpolitischen Organisationen, den Gewerkschaften, den Rang abgelaufen haben, zum Teil dadurch begünstigt, daß sie unter irreführenden Namen geworben haben.

(Lutz [SPD]: Sehr wahr!)

Ich will diese Debatte im Bundestag nutzen, um in unser, aber auch ins Bewußtsein der interessierten Öffentlichkeit zu rufen, was häufig übersehen wird, daß die rund 1 500 Krankenkassen, Rentenversicherungen und Berufsgenossenschaften keineswegs Bestandteil der staatlichen Bürokratie sind. Sie werden von Selbstverwaltungsorganen geleitet und haben im Rahmen der Gesetze unterschiedlich große Handlungsspielräume. Diese Organe, Vertreterversammlungen und Vorstände sind überwiegend paritätisch aus Vertretern der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer bzw. der Versicherten zusammengesetzt. Sie sind alle sechs Jahre neu zu wählen. Lediglich bei den Ersatzkassen gibt es keine Arbeitgebervertretung.
Das Wahlergebnis im Jahr 1980 hat einmal mehr deutlich gemacht, daß die Versichertengemeinschaften, die mit den gewerkschaftlichen Organisationen, mit dem Deutschen Gewerkschaftsbund, der Deutschen Angestelltengewerkschaft konkurriert haben, diese Wahlen u. a. deshalb erfolgreich abschließen konnten, weil sie sich in aller Regel des Namens der jeweiligen Versicherung bedient haben.

(Lutz [SPD]: So ist es!)

Sie heißen etwa Interessengemeinschaft von Mitgliedern und Rentnern in der Barmer Ersatzkasse, Deutsche Angestellten-Krankenkasse Mitgliedergemeinschaft oder Kaufmännische Krankenkasse Halle Mitgliedergemeinschaft. Diese Namen sollen den Wahlberechtigten suggerieren, es handele sich um Vertreter und Organisationen, die sich um ihre Kasse besonders verdient machen. Dieser Trick hat insbesondere bei den Ersatzkassen dazu geführt, daß die gewerkschaftliche Interessenvertretung in den Vorständen und in den Vertreterversammlungen der Kassen zurückgedrängt worden ist.
Nun gibt es den öffentlich da und dort erhobenen Vorwurf, dieser Gesetzentwurf würde die Interessengemeinschaften benachteiligen. Das Gegenteil ist wahr. Tatsächlich waren die Gewerkschaften durch die irreführende Werbung der Versichertengemeinschaften benachteiligt. Wenn jetzt das Gesetz vorschreibt, daß jede Organisation, die Kandidaten zu Sozialwahlen präsentieren möchte und keine Gewerkschaft ist, sozialpolitische Aktivitäten sowie ein Programm vorweisen und über eine von der Größe der jeweiligen Versicherung abhängige Mitgliederzahl verfügen muß, so ist dies nur recht und billig. Der Gesetzentwurf konkretisiert die Anforderungen, die an das Vorschlagsrecht von selbständigen Arbeitnehmervereinigungen mit sozial- oder berufspolitischer Zwecksetzung zu stellen sind. Dabei berücksichtigt er die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, wonach die sozial- oder



Egert
berufspolitische Zwecksetzung einer selbständigen Arbeitnehmervereinigung nicht schon deshalb anzunehmen ist, weil sich dieser Zweck aus der Satzung ergibt.
Nach dem Sinn des Gesetzes sollen vielmehr nun solche Vereinigungen vorschlagsberechtigt sein, die auch von ihrer Organisationsstruktur her in der Lage sind, die in der Satzung festgelegte Zwecksetzung ernsthaft und nachdrücklich wahrzunehmen und die auf ihren Vorschlag hin gewählten Organmitglieder bei ihrer Tätigkeit in den Selbstverwaltungsgremien wirksam zu unterstützen. Dies können auch Mitgliedervereinigungen sein, die sich auf eine Versicherung beschränken. Allerdings müssen diese über die Vorlage von Wahlvorschlägen hinaus berufs- und sozialpolitisch tätig sein, insbesondere durch regelmäßige Information ihrer Mitglieder, durch nachhaltige Öffentlichkeitsarbeit und durch Einsatz im politischen Bereich. Bloße Wahlvereine — wir haben hier ein Beispiel vom Staatssekretär geschildert bekommen —, also Vereine, deren Zweck sich in der Aufstellung von Vorschlagslisten erschöpft, besitzen dagegen nicht die vom Gesetz als Voraussetzung für das Vorschlagsrecht geforderte sozial- oder berufspolitische Zwecksetzung.

(Lutz [SPD]: Dem ist so!)

Insgesamt wird mit der gesetzlichen Regelung ein Wettbewerbsausgleich zwischen den Gewerkschaften und den sonstigen Arbeitnehmervereinigungen erreicht. Die Chancengleichheit, bezogen auf die vor uns liegenden Sozialwahlen im Jahre 1986, wird wieder hergestellt. Wir Sozialdemokraten unterstützen auch die Vorschriften, die sicherstellen, daß die Bediensteten der Versicherungsträger keinen unangemessenen Einfluß auf die Selbstverwaltungsorgane bekommen.

(Beifall bei der SPD)

Wer es mit der Selbstverwaltung ernst meint, kann nicht wollen, daß die, deren Arbeit kontrolliert werden soll, sich selbst kontrollieren.

(Beifall bei der SPD) Wir Sozialdemokraten begrüßen dies.

Wir bedauern, daß im Gesetzentwurf auch eine Regelung getroffen werden muß, die dem bei der letzten Sozialversicherungswahl beobachteten Tatbestand Rechnung trägt, daß der Anteil der Direktwähler gegenüber dem der Briefwähler in ein mehr als deutliches Mißverhältnis gekommen ist. Ausgenommen im Falle der Wahl der Versicherungsältesten in der Bundesknappschaft werden wir künftig nur noch die Briefwahl kennen. Wir sehen ein, daß wir uns dieser Entwicklung nicht in den Weg stellen können. Wir bedauern sie, weil der Gedanke der Selbstverwaltung, der mit der direkten Wahl ein Stück Verbindung des Versicherten zu seiner Versicherung herstellen sollte, verlorengeht, aber wir sind nicht konservativ genug, uns dieser wohl unausweichlichen Entwicklung in den Weg zu stellen.
Wir haben mit Interesse festgestellt, daß im Sozialversicherungsrecht ein Petitum, das wir im Rahmen der Haushaltsoperation 1984 hinsichtlich der Novellierung der Handwerksordnung nicht durchzusetzen vermochten, aufgegriffen worden ist, das sicherstellt, daß Arbeitslose, die nach dem Stichtag für die Wählbarkeit ihre Gruppenzugehörigkeit wegen Arbeitslosigkeit verlieren, ihre Wählbarkeit bis zum Ende der Amtsperiode behalten. Dies ist eine aus unserer Sicht angesichts der gesamtwirtschaftlichen Lage richtige Entscheidung, die die Selbstverwaltung stärkt. Aber wir hätten es begrüßt, wenn wir uns im Rahmen der ohnehin bescheiden ausgestatteten Mitbestimmung im Handwerksbereich gemeinsam mit den Regierungsfraktionen auf eine vergleichbare Regelung hätten verständigen können, die die Selbstverwaltung gestärkt hätte.
Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion wird bei den Beratungen im Ausschuß sehr sorgfältig nochmals den Bericht des Bundesbeauftragten für die Durchführung der Sozialversicherungswahlen hinsichtlich der dort enthaltenen Anregungen zur Verbesserung des Wahlrechts und des Wahlverfahrens prüfen und in weiteren Gesetzgebungsverfahren gegebenenfalls weitere Ergänzungs- und Änderungsanträge zu dem vorliegenden Gesetzentwurf stellen. Bereits jetzt können wir jedoch signalisieren, daß wir die Grundabsicht dieses Gesetzentwurfs unterstützen, zumal sie den Forderungen des Kollegen Glombig, die er für unsere Fraktion aufgestellt hat, weitestgehend entspricht.

(Lutz [SPD]: Eine konstruktive Lösung!)

Nach langer Zeit ist der Bundesarbeitsminister in der merkwürdigen Situation, daß wir einen von ihm vorgelegten Gesetzesentwurf vorbehaltlos unterstützen. Er hat unsere soziale Geduld gerade in den vergangenen Monaten mehr als strapaziert. Zuletzt ist dies bei den Debatten um das Arbeitszeitgesetz, das die Sozialdemokraten vorgelegt haben, bei der unzureichenden Vorruhestandsregelung, die aus dem Arbeitsministerium gekommen ist, bei den in der Öffentlichkeit bekanntgewordenen Überlegungen, das gewachsene Arbeitsvertragsrecht durcheinanderzuwirbeln, bei den Bemühungen, den Arbeitsschutz auf neue, kaum noch erkennbare Füße zu stellen, deutlich geworden. Diesen Absichten müssen und werden sich Sozialdemokraten zusammen mit den Gewerkschaften entgegenstemmen.

(Lutz [SPD]: Energisch!)

Hinsichtlich der gesetzgeberischen Vorbereitung der Sozialversicherungswahlen 1986 hat er unsere politische Unterstützung. Weil wir keine blinde Neinsager-Opposition sind, wissen wir wohl zu unterscheiden zwischen unterstützenswerten Initiativen und abzulehnenden Maßnahmen. Wir werden uns an einer zügigen Beratung dieses Gesetzentwurfs im Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung beteiligen. Wir haben allerdings den Ratschlag, daß der Bundesarbeitsminister diese Unterstützung nicht so mißverstehen sollte, daß wir uns mit sozialpolitischen Brosamen begnügen werden. Frei nach Brecht würde ich sagen: Dies ist der Pfennig — wo bleibt die Mark?

(Beifall bei der SPD — Lutz [SPD]: So ist es! Wo bleibt sie?)





Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1006426600
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Keller.

Peter Keller (CSU):
Rede ID: ID1006426700
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der spanische Philosoph Ortega y Gasset hat, nach meiner Meinung zu Recht

(Zurufe von der SPD)

— lassen Sie mich den Satz doch erst einmal zu Ende sagen —, in seinem Buch „Aufstand der Massen" 1936 geschrieben — und jetzt hören Sie bitte einmal zu, Herr Kollege Lutz —:

(Dr. Kunz [Weiden] [CDU/CSU]: Das hat der Lutz gar nicht gelesen!)

„Die Demokratie hängt von einer winzigen Kleinigkeit ab, nämlich vom Wahlrecht."

(Zuruf von der CDU/CSU: Und von Mehrheiten!)


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1006426800
Bei der erwähnten Ersatzkasse erreichte ein — ich sage es einmal so — Wahlverein mit neun Mitgliedern als reine Zweckgründung immerhin 52% der Gesamtstimmenzahl, konnte jedoch von den 14 zustehenden Sitzen 12 nicht besetzen, weil nämlich nur zwei Bewerber benannt wurden. Die Hauptursache für diesen Fall und bei ähnlichen negativen Beispielen liegt in der spärlichen rechtlichen Abfassung des bisherigen Gesetzes.
Deshalb hat der Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung am 24. März 1982 einvernehmlich die Bundesregierung aufgefordert, über ihre Vorstellungen zur Weiterentwicklung des Selbstverwaltungsrechtes zu berichten.
Der vorliegende Gesetzentwurf konkretisiert schwerpunktmäßig die Anforderungen, die an das Vorschlagsrecht der selbständigen Arbeitnehmervereinigungen mit sozial- und berufspolitischer Zwecksetzung zu stellen sind. Ferner werden der Rechtsschutz während und nach Abschluß des Wahlverfahrens verbessert und ergänzt und die Haftung der Organmitglieder auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit beschränkt.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie mich in diesem Zusammenhang auch einmal ein paar Bemerkungen zur Bedeutung der sozialen Selbstverwaltung aus unserer Sicht machen. Unsere soziale Ordnungspolitik folgt dem Sozialprinzip und dem Gebot der Subsidiarität. Was eine kleinere Gemeinschaft aus eigener Kraft leisten kann, darf der Staat ihr nicht nehmen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Es gilt der allgemeine Grundsatz: Soviel Selbstverwaltung wie möglich, soviel Staat wie nötig.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Auf Grund dieser Philosophie sieht die CDU/CSU-Fraktion in der sozialen Selbstverwaltung ein grundlegendes Ordnungsinstrument im Bereich der Gesellschaftspolitik. Zu diesem Verständnis gehört natürlich, daß Pluralismus und Minderheitenschutz
diesem Sozialprinzip der Subsidiarität immanent sind. Dies bedeutet aber nicht, daß wir in bezug auf die Sozialversicherungswahlen an die vorschlagsberechtigten Organisationen keine Anforderungen stellen. Im Gegenteil, mit Rücksicht auf das Vertrauen der Wähler stellt der Gesetzentwurf berechtigte Anforderungen, ob eine Organisation nach Umfang und Festigkeit, nach Zahl ihrer Mitglieder, nach ihrer demokratischen Struktur sowie ihren bisherigen und zu erwartenden Leistungen in der Lage ist, die vom Gesetzgeber erwarteten sozial- und berufspolitischen Aktivitäten zu entfalten.
Ich darf zusammenfassen: Man kann sagen, daß das Subsidiaritätsprinzip, richtig verstanden, nach oben und nach unten im Hinblick auf Größe und Leistungsfähigkeit der Bewerberlisten abgrenzt.
Die CDU/CSU-Fraktion ist davon überzeugt, daß mit diesem Gesetzentwurf zur Verbesserung des Wahlrechts für die Sozialversicherungswahlen die Selbstverwaltung insgesamt gestärkt wird.
Nun ein paar Überlegungen zum Gesetzentwurf selbst. Weder das Sozialgesetzbuch noch die Wahlordnung enthalten zur Zeit Vorschriften, die das Verfahren zur Aufstellung von Vorschlagslisten verbindlich regeln. Es genügt einfach nicht, ein bestimmtes Maß an Unterstützung einer Liste für die Beteiligung an der Wahl zu fordern. Die Bewerber auf einer Liste bedürfen vielmehr jeweils selbst einer hinreichenden Unterstützung innerhalb ihrer eigenen Vereinigung.
Mit den neuen §§48a bis c des 4. Sozialgesetzbuches werden das Vorschlagsrecht der sonstigen Arbeitnehmervereinigungen, das Feststellungsverfahren und die Übergangsregelung neu geordnet. Mit diesen gesetzlich normierten Bestimmungen werden Mindestanforderungen an Arbeitnehmervereinigungen gestellt, die sich neben den Gewerkschaften zur Wahl stellen.
Allgemein begrüßt werden dürfte die Regelung, daß künftig auch Verbände der Arbeitnehmervereinigungen Vorschlagslisten einreichen können, wenn mindestens drei ihrer vorschlagsberechtigten Mitgliedervereinigungen keine eigenen Vorschlagslisten einreichen.
Zum Wohle der Selbstverwaltung wird es sich auch auswirken, wenn die Sozialgerichte künftig durch einstweilige Anordnungen schon während des Wahlverfahrens sicherstellen können, daß ungültige Wahlen vermieden werden.
Gleichzeitig möchte ich aber darauf hinweisen und auch betonen, daß noch manche Klarstellung in der Ausschußberatung erfolgen kann und, wie ich meine, auch muß. Nach meiner persönlichen Beurteilung betrifft dies z. B. den § 48 a Abs. 2, wo es um den Begriff „maßgebenden Einfluß" geht, und den § 48b, der das Feststellungsverfahren regelt. Hier wäre zu überlegen, ob bezüglich des Vorschlagsrechts die größeren Organisationen, die sich bei zahlreichen Versicherungsträgern vorstellen, nicht bei jedem einzelnen Versicherungsträger den Nachweis führen müssen, sondern daß aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung der Bundesbeauf-



Keller
tragte die Vorschlagsberechtigung zentral feststellen sollte.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, in der heutigen ersten Lesung darf ich sicher feststellen, daß dieser Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung des Wahlrechts für die Sozialversicherungswahlen eine breite Mehrheit finden wird. Die CDU/ CSU-Fraktion begrüßt die vorgelegte Gesetzesinitiative.
Der Entwurf sollte zügig beraten werden, damit er bald verabschiedet und im Anschluß daran die Wahlordnung für die Sozialversicherung überarbeitet werden kann. Wenn im Januar 1985 mit dem Wahlverfahren begonnen werden soll, müssen die Rechtsgrundlagen so frühzeitig feststehen, daß sich alle Versicherungsträger und alle Wahlbeteiligten darauf einstellen können. Die vorgesehenen Übergangsregelungen gewährleisten, daß die bestehenden Arbeitnehmervereinigungen von der neuen Rechtslage nicht zu ihrem Nachteil überrascht werden.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, noch ein paar Schlußbemerkungen: Ich glaube, daß durch die Konkretisierung des Vorschlagsrechts von selbständigen Arbeitnehmervereinigungen mit sozial- und berufspolitischer Zwecksetzung auch die Kontinuität in der sozialen Selbstverwaltung gestärkt wird. Das Vertrauen der Wähler in die Wirkungskraft und Verläßlichkeit der Organisationen ist ein so hohes politisches Gut, daß dieses Gut geschützt und gestärkt werden muß. — Diesem politischen Ziel dient dieser Gesetzentwurf, der von meiner Fraktion voll unterstützt wird.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1006426900
Meine Damen und Herren, das Wort hat Frau Abgeordnete Potthast.

Gabriele Potthast (GRÜNE):
Rede ID: ID1006427000
Tag, erst mal. — Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Bürger und liebe Bürgerinnen! Der vorliegende Gesetzentwurf zur Verbesserung des Wahlrechts für die Sozialversicherungswahlen scheint ja auf den ersten Blick ausgesprochen vernünftig zu sein. Immerhin spiegelt sich hier die tiefe Sorge um die sozial- und berufspolitischen Aktivitäten der sogenannten sonstigen Arbeitnehmervereinigungen wider. Hierbei wollen die Regierungsmänner uns glauben machen, daß höher geschraubte Anforderungen bezüglich des Vorschlagsrechts von selbständigen Arbeitnehmervereinigungen nicht eine Einschränkung demokratischer Rechte darstellten, sondern sogar noch zu einer Verbesserung des Wahlrechts führten. Die Fragen: Wem nutzt dieser Gesetzentwurf, welchen Zwecken dient er, und unter Aufgabe welcher Prinzipien ist er zustande gekommen? müssen erlaubt sein.
Es ist nicht zu leugnen, daß der vorliegende Gesetzentwurf auf Absprachen zwischen dem Deutschen Gewerkschaftsbund, der Deutschen Angestellten-Gewerkschaft, den Arbeitgeberverbänden und dem Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung zurückgeht.

(Müller [Wesseling] [CDU/CSU]: Und den sonstigen Arbeitnehmervereinigungen!)

Wir vermuten also, daß er allen diesen Beteiligten etwas bringt.

(Egert [SPD]: Nur den GRÜNEN nicht!)

Es liegt auch der Verdacht nahe, daß es sich hier um eines der üblichen Mauschelgeschäfte zwischen den staatstragenden Institutionen handelt.

(Beifall bei den GRÜNEN — Zurufe von der CDU/CSU: Unerhört!)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1006427100
Frau Abgeordnete, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Lutz?

Gabriele Potthast (GRÜNE):
Rede ID: ID1006427200
Herr Lutz, Sie wissen doch, daß wir immer viel zu wenig Zeit haben, um unsere Gedanken hier vorzutragen. Ich bitte Sie also, zu verstehen, daß ich keine Zwischenfrage gestatte.

(Zurufe von der SPD)

Ich möchte in epischer Breite fortfahren: Meine Kritik an dem vorliegenden Gesetzentwurf möchte ich im wesentlichen auf zwei Aspekte stützen. Erstens. Ich bin der Meinung, daß der vorliegende Gesetzentwurf eher zu weniger als zu mehr Demokratie in den Selbstverwaltungsgremien führen wird. Zweitens. Wir GRÜNEN sind mit der traditionellen Struktur der Selbstverwaltung, die in den Sozialversicherungen vorgefunden wird, prinzipiell nicht einverstanden und plädieren eher für ein Modell, das gewährleistet, daß die Betroffenen sich selbst vertreten und nicht z. B. durch Arbeitgeber mit vertreten werden.
Zum ersten Punkt stellt sich also die Frage: Was ist eigentlich der Auslöser für diesen Gesetzentwurf gewesen? Da fällt auf, daß sich vor allem im Bereich der Angestelltenversicherungen, also bei der BfA und den Angestelltenersatzkassen, im Lauf der letzten Jahrzehnte Mitgliedergemeinschaften gebildet haben, die mittlerweile über 60 % der Arbeitnehmersitze in den sogenannten Selbstverwaltungsgremien erringen konnten. Nach Meinung der Gewerkschaften handelt es sich bei diesen Vereinigungen aber eben nicht um Gemeinschaften, die ausdrücklich Arbeitnehmerinteressen vertreten, sondern um Listen, auf denen leitende Angestellte oder leitende Beamte usw. kandidieren, die in der Tat nicht zur Mehrheit der Betroffenen gezählt werden können. So war — das sei hier am Rand vermerkt — der langjährige Vorsitzende des Aufsichtsrats der Barmer Ersatzkasse ein Bankdirektor aus München. Und das ist wahrlich kein typischer Arbeitnehmer.

(Berger [CDU/CSU]: Er kann aber rechnen! — Dr. Diederich [Berlin] [SPD]: Das war überhaupt kein Arbeitnehmer!)

— In der Tat!
Des weiteren wird diesen Mitgliedergemeinschaften vorgeworfen, sie betrieben unlauteren Wettbewerb dergestalt, daß sie meist den Namen der je-



Frau Potthast
weiligen Versicherung in ihrer selbstgewählten Bezeichnung führen. Das heißt, sie kandidieren, wie der Kollege von der SPD schon vorhin erwähnte, unter Namen wie „BEK-Mitgliedergemeinschaft" oder „DAK-Mitgliedergemeinschaft" usw.
Dies führte und führt, wenn es so bleiben sollte, natürlich bei den Wählern und Wählerinnen häufig zu dem Mißverständnis, es handle sich genau um die Liste, die geeignet ist, die Interessen der in dieser Versicherung Versicherten am besten zu vertreten.
Hier wird also, kurz gesagt, schlichtweg der Vorwurf des Etikettenschwindels erhoben. Und aus keinem anderen Grund hat ja das Bundessozialgericht 1968 die Führung des Namens des Versicherungsträgers für diese Art von Arbeitnehmervereinigungen verboten, wonach einige hohe Wahlergebnisse solcher Mitgliedergemeinschaften deutlich zurückgingen. Dieses Namensführungsverbot wurde 1971 durch das Bundesverfassungsgericht aufgehoben, und zwar mit der Begründung, der Arbeitgeber habe j a auch andere Möglichkeiten, vor Täuschung der Versicherten zu schützen. In der Tat!
Zu diesen Argumenten, die berechtigterweise unter Umständen zu einer Verschärfung des Wahlrechts führen könnten, kommen Vorwürfe wie z. B. der hinzu, diese sonstigen Arbeitnehmervereinigungen hätten kein richtiges sozialpolitisches Programm, im Grunde genommen handle es sich also bei den Leuten auf diesen Listen um Personen, die sich gern ihren Allerwertesten in Gremien breitsitzen;

(Berger [CDU/CSU]: Handlanger des Systems!)

überhaupt sei also nicht klar, ob und wie diese sonstigen Arbeitnehmervereinigungen eigentlich Arbeitnehmerinteressen vertreten könnten.
Wir können und sollen uns all diesen Argumenten ja gar nicht verschließen. Doch es fragt sich — wie im übrigen überall —, ob Auswüchse und arbeitnehmerfeindliche Arbeitnehmervereinigungen mit der Methode des Holzhammers beseitigt werden können. Es fragt sich also, ob die Bildung freier Listen so erschwert werden soll, wie es mit dem vorliegenden Gesetzentwurf geplant ist.
Wir GRÜNEN haben in dieser Hinsicht eine grundsätzlich andere Einstellung. Vorausgesetzt, es trifft zu, in das System, d. h. in die bisherige Praxis bei Sozialversicherungswahlen soll mehr Demokratie einziehen, so müßte unseres Erachtens dafür gesorgt werden, daß die Versicherten über ihre Rechte und Mitbestimmungsmöglichkeiten ordentlich informiert werden.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

Sie müßten also darüber informiert werden, was für Interessen diese diversen Listen und Vertreter in den Gremien vorlegen und praktizieren.

(Horacek [GRÜNE]: Richtig!)

Aber uns ist — vermutlich ebenso wie Ihnen — bislang kein einziger Fall bekannt, in dem die vorhandenen Konflikte beispielsweise einer AOK oder einer Rentenversicherung den Mitgliedern überhaupt zur Kenntnis gebracht wurden. Statt dessen begnügt man sich gewöhnlich damit, mit hochglanzgedruckten Leistungsbilanzen den Eindruck der Friede-Freude-Eierkuchen-Atmosphäre zu erwekken, den Eindruck, als wüßten die Kapitäne — auch hier sind es ja wieder einmal wie fast überall Männer — —

(Lutz [SPD]: Jetzt haben wir es!)

— Bei uns ist es inzwischen anders geworden. Nehmen Sie sich einmal ein Beispiel daran.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Statt dessen begnügt man sich damit, den Eindruck zu erwecken, als wüßten die Kapitäne auf der Brücke der Versicherungsanstalt schon, wo es entlangzugehen habe. Das ist natürlich die schlechteste Voraussetzung für Demokratie.

(Zurufe von der CDU/CSU)

— Hören Sie einmal zu. Deshalb sind wir durchaus dafür, daß die Teilnahme von freien Listen, die Teilnahme von Wählergemeinschaften und auch von Personallisten an den Wahlen zur Sozialversicherung grundsätzlich erleichtert wird, daß sie grundsätzlich den etablierten Organisationen gleichgestellt werden, während gleichzeitig dafür gesorgt werden muß, daß die Versicherten erfahren, was in den entsprechenden Gremien verhandelt wird. Wenn diese sonstigen Arbeitnehmervereinigungen tatsächlich arbeitnehmerfeindlich sind, dann hilft nur Aufklärung darüber weiter. Hier sind insbesondere die Gewerkschaften gefragt. Wir glauben, daß ein Mehr an Demokratie nicht auf dem Verordnungswege und auch nicht unter Ausschluß der Öffentlichkeit zustande kommen kann.
Nun zum zweiten, zum eher grundsätzlichen Punkt, der die Frage nach der Struktur der Selbstverwaltung überhaupt berührt, eine Frage, die sich bei einer solchen Gesetzesreform natürlich auch stellt. Grundsätzlich halten wir GRÜNEN die Beteiligung von Arbeitgebern in den Selbstverwaltungsgremien der Sozialversicherung für einen Anachronismus, d. h. für einen alten Zopf, der schon lange abgeschnitten werden mußte. Der Arbeitgeberanteil an den Kosten der Sozialversicherung, der als Begründung herangezogen wird, wenn es darum geht, zu legitimieren, warum Arbeitgeber eigentlich zu 50 % in den Selbstverwaltungsgremien der Versicherten vertreten sind, ist pure Augenwischerei; denn selbstverständlich halten sich die Unternehmen bei der Preiskalkulation für ihre Güter und Dienste wieder schadlos. Der Arbeitgeberanteil an den Sozialversicherungskosten ist also Teil der Lohnkosten und gehört als solcher offen ausgewiesen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Damit wäre aber einer grundsätzlichen Reform der Verwaltungsgremien Raum gegeben. Wir plädieren daher für eine Selbstverwaltungsstruktur, in der die Betroffenen tatsächlich selbst ihre Interessen vertreten können.
Herr Parlamentarischer Staatssekretär Vogt, von Ihnen ist vorhin die starke soziale Selbstverwal-



Frau Potthast
tung beschworen worden, bei deren Verwirklichung Sie Partner und Partnerinnen suchen. Handeln Sie dann doch bitte auch danach. Sorgen Sie doch bitte dafür, daß allein die Arbeitnehmer in den Selbstverwaltungsgremien das Sagen haben. Ergo: heraus mit den Arbeitgebern aus Gremien, in die sie überhaupt nicht hineingehören.

(Beifall bei den GRÜNEN — Müller [Wesseling] [CDU/CSU]: Aufhängen!)

— Das ist fast Zynismus.
Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf wird unserer Meinung nach nicht der Weg für mehr Demokratie und in diesem Fall für eine grundsätzliche Reform der Selbstverwaltungsstruktur geebnet, sondern hier werden wieder einmal nach dem Motto „Der Zweck heiligt die Mittel" bestehende Rechte eingeschränkt. Das ist, mit Verlaub, immer falsch auf dem Weg in Richtung auf eine demokratische Gesellschaft.
Ich danke Ihnen.

(Beifall bei den GRÜNEN)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1006427300
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Cronenberg.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1006427400
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Eine Grundlage des Systems unserer sozialen Sicherheit sind die verschiedenen Träger der Sozialversicherung. Wesentliches Kriterium dieses gegliederten Systems ist die jeweilige Selbstverwaltung. Daß in dieser Selbstverwaltung die paritätische Besetzung sinnvoll und richtig ist, Frau Potthast, wird nicht nur dadurch bewiesen, daß sich dieses System der Selbstverwaltung bewährt hat, sondern hat natürlich auch noch andere Rechtfertigungen. Eine Rechtfertigung ist die Tatsache, daß die Hälfte durch Arbeitgeberbeiträge bezahlt wird. Ihre Darstellung ist richtig: In der Tat sind die Sozialversicherungsbeiträge Kosten wie Lohn- und Materialkosten und müssen in der Kalkulation berücksichtigt werden. Wer sagt das öfter als wir? Wir sagen das, weil so die Preise und damit die Wettbewerbsfähigkeit bestimmt werden. Weil wir der Meinung sind, daß auch in diesem Zusammenhang die Selbstverwaltung eine wichtige Aufgabe wahrzunehmen hat, und weil für die Kalkulation — das mag Sie überraschen — eben die Arbeitgeber verantwortlich sind. Deswegen ist es auch sehr sinnvoll, daß diese dort ihre Funktionen wahrnehmen. Offensichtlich haben Sie das ganze System nicht begriffen.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Wir Liberalen stehen voll und ganz hinter diesem bewährten Prinzip.

(Waltemathe [SPD]: Sie fallen um!)

Für die überwiegende Mehrheit der Bürger wird der Schutz vor sozialen Risiken nicht durch den Staat, sondern durch die selbstverwalteten Einrichtungen sichergestellt, und Selbstverwaltung heißt in diesem Zusammenhang: Mitbestimmung, Eigeninitiative und Eigenverantwortung; möglichst enge Anbindung des einzelnen Versicherten an seinen Versicherungsträger; Zusammenarbeit zwischen
Arbeitnehmern und Arbeitgebern — eine sehr gute, eine lobenswerte Einrichtung.

(Zurufe von den GRÜNEN)

Wir sehen in der Selbstverwaltung die liberale Alternative zu dirigistischen Verwaltungen in der Sozialpolitik.

(Zurufe von der SPD)

Wir sehen darin eine Alternative zur dirigistischen Verwaltung, ein Instrument gegen Zentralismus und anonyme Staatshilfe.

(Lutz [SPD]: Niedriger hängen!)

Deswegen wollen wir die Stellung des einzelnen Versicherten und seine Mitwirkungsrechte in der Sozialversicherung stärken, den Spielraum für die Sozialversicherungsorgane vergrößern und die Einwirkungsmöglichkeiten des Staates so gering wie möglich halten.
Mitwirkungsrechte — dazu gehört auch das Wahlrecht — sollten in möglichst großem Umfange von dem berechtigten Versicherten wahrgenommen werden. Deswegen haben wir es bedauert, daß dies in der Vergangenheit nicht in dem gewünschten Umfang der Fall war. Die Sozialwahlen '80 haben gezeigt, daß in diesem Bereich noch Probleme gelöst werden müssen.

(Lutz [SPD]: Der Bundesbeauftragte hat rechtzeitig darauf hingewiesen!)

— Der Bundesbeauftragte hat — Sie wissen das, Herr Kollege Lutz — bei allen vernünftigen Vorschlägen, die er gemacht hat, immer unsere Unterstützung gehabt.
Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf zur Neuregelung der Vorschriften über die Sozialwahlen wird versucht, das bestehende Wahlverfahren zu verbessern und zu vereinfachen. Dies findet ja offensichtlich die Unterstützung mindestens von drei Fraktionen dieses Hauses.
Diesen grundsätzlichen Bestrebungen wollen wir uns nicht entziehen. Allerdings werden wir auch in den parlamentarischen Beratungen sehr darauf achten, daß nicht unter dem Mantel der Verbesserung des Wahlrechts die Möglichkeiten für Gruppen, sich an der Wahl zu beteiligen, unangemessen eingeschränkt werden. Bestehenden und auch neuen Gruppierungen muß es weiterhin möglich sein, aktiv in der Selbstverwaltung mitzuarbeiten. Ich will hoffen, daß niemand bei der anstehenden Novellierung andere Motive als die Verbesserung und die Vereinfachung des Wahlrechts im Hinterkopf gehabt hat.
Allerdings dürfen diese Gruppen auch nicht zum Selbstzweck für die in der Sozialversicherung Beschäftigten werden. Vergessen wir doch nicht, daß es zu den wesentlichen Aufgaben der gewählten Vertreter gehört, die Kontrolle der Verwaltung und die Interessen der Versicherten wahrzunehmen. Deshalb begrüßen wir grundsätzlich die Forderung, den Anteil der Beschäftigten eines Sozialversicherungsträgers an derartigen Wahlvorschlägen zu begrenzen. Ob in § 48 die bestmögliche der Formulie-



Cronenberg (Arnsberg)

rungen gefunden worden ist, die dieser Zielvorstellung Rechnung tragen können, werden wir in den Beratungen noch im einzelnen zu prüfen haben.
Natürlich sind die Kriterien für die Zulassung neuer Gruppen von ganz besonderer Bedeutung. Unbestimmte Rechtsbegriffe sind keine Erleichterung für ein einfaches und zügiges Entscheidungsverfahren der Wahlausschüsse. Wie sollen diese denn feststellen, ob „das tatsächliche Beitragsaufkommen diese Arbeitnehmervereinigung in die Lage versetzt, ihre Vereinstätigkeit nachhaltig auszuüben", oder ob Beschäftigten des Sozialversicherungsträgers „ein nicht unerheblicher Einfluß" auf die Vereinigung eingeräumt wird. Wir werden daher in den Beratungen auf klare Formulierungen und Präzisierungen drängen, und hoffen hier auf die Unterstützung aller Beteiligten.
Mit aller Entschiedenheit möchte ich noch einmal klarstellen, das Ziel dieser Novellierung ist nicht, bewährten Versichertengemeinschaften den Garaus zu machen, vielmehr muß die Anerkennung ihrer Wahlvorschläge nach wie vor möglich sein, wenn sie die entsprechenden Bedingungen erfüllen.
Begrüßt hätten wir, wenn der Gesetzentwurf eine eindeutige Regelung hinsichtlich der Friedenswahlen enthalten hätte. Dies ist nicht der Fall. Möglicherweise stellt sich aber in Zukunft das Problem deswegen nicht mehr, weil das Interesse an den Wahlen zunimmt und somit das Interesse an Friedenswahlen abnimmt.
Wir halten die allgemeine Ausweitung des Aufsichtsrechts in § 89, so wie sie jetzt formuliert ist, nicht für gerechtfertigt. Sie beeinträchtigt das Recht der Selbstverwaltung. Der Gesetzgeber vergibt sich nichts, wenn er einmal die Erfahrungen aus der Vergangenheit berücksichtigt, und da muß man feststellen, daß es bisher keinen Fall gegeben hat, in dem die Aufsicht zu Mitteln des Verwaltungsvollstreckungsrechts greifen mußte. Wir werden deswegen in den Beratungen zu prüfen haben, ob die Vorschrift nicht ganz gestrichen werden kann. Sollte uns schlüssig nachgewiesen werden, daß hier tatsächlich ein Regelungsbedarf vorhanden ist, so scheint es zumindest sinnvoll zu sein, diese Regelung auf die Problematik des Wahlvorganges zu beschränken, damit die Selbstverwaltung insgesamt über ein solches bedenkliches Instrument nicht in Frage gestellt wird.

(Lutz [SPD]: Wieder ist die Koalition im Streit!)

— Bei Gott nicht!
Zusammenfassend möchte ich für die FDP festhalten: Vereinfachung des Wahlverfahrens j a, Ausschluß seriöser und der Sozialpolitik im allgemeinen und den jeweiligen Sozialversicherungsträgern im besonderen verpflichteten Versicherungsvereinigungen nein. Nur so ist die notwendige Konkurrenz der kandidierenden Vereinigungen für die Vertreterversammlungen gewährleistet. Die notwendige und effektive Kontrolle der Selbstverwaltung setzt einen solchen Wettbewerb der Listen untereinander voraus. Das gegliederte System unserer sozialen Sicherheit, die Mitwirkung des Versicherten, Eigenverantwortung und Eigeninitiative sind Voraussetzungen für Pluralismus und Wahlfreiheit. Für die Liberalen sind es keine leeren Lippenbekenntnisse, sondern dies ist Ziel und Inhalt ihrer Politik. So gesehen, Frau Potthast, ist diese Vorlage nicht nur auf den ersten Blick vernünftig, sondern entsprechend verändert, unterstelle ich, wird sie sich auch auf den zweiten und dritten Blick als vernünftige mehrheitsfähige Vorlage erweisen.
Herzlichen Dank.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1006427500
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Der Ältestenrat schläg vor, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 10/1162 an den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung zu überweisen. Ist das Haus damit einverstanden? — Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 4 auf:
Beratung der Beschlußempfehlung des Auswärtigen Ausschusses (3. Ausschuß) zum Antrag der Fraktion der SPD
Lage in Chile
— Drucksache 10/360, 10/1049 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Klein (München) Voigt (Frankfurt)
Schäfer (Mainz)

Frau Gottwald
Meine Damen und Herren, nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist eine Aussprache von 90 Minuten vorgesehen. — Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht?
— Dies ist nicht der Fall. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Brück.

(Zurufe von der SPD)


(Abg. Brück [SPD] ist nicht anwesend — Die Parlamentarische Geschäftsführerin der GRÜNEN, Abg. Frau Nickels, begibt sich zum Präsidium)

— Frau Abgeordnete, wen haben Sie denn angemeldet?

(Zurufe: Frau Gottwald!) — Wo ist Frau Gottwald?


(Frau Nickels [GRÜNE]: Wo ist Herr Brück?)

— Wo ist Herr Brück? — Ich habe noch eine Wortmeldung. Das Wort hat — —

(Zurufe: Da kommt er!)

Herr Abgeordneter Brück, Sie haben sich zu Wort gemeldet und sind auch ordnungsgemäß aufgerufen worden. Sie sind jetzt mit großer Hast in den Plenarsaal gekommen. Sind Sie bei Atem?




Alwin Brück (SPD):
Rede ID: ID1006427600
Herr Präsident, schönen Dank, Ich bin bei Atem.

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1006427700
Dann haben Sie das Wort.

Alwin Brück (SPD):
Rede ID: ID1006427800
Ich bitte um Entschuldigung. Ich war die ganze Zeit im Plenum und bin gerade zum Telefonieren hinausgegangen, weil man mir auch gesagt hatte, unsere Debatte beginne um 16.45 Uhr. Schönen Dank, daß Sie mir jetzt das Wort erteilt haben.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es gibt Erlebnisse, die sich einem tief einprägen. Mir haben sich die Bilder, die Hans-Jürgen Wischnewski und ich im Oktober 1973 in Santiago sahen, tief eingeprägt. In Chile hatten am 11. September 1973 die Militärs geputscht und blutig die Macht erobert. Die chilenische Demokratie wurde liquidiert, der demokratisch gewählte Präsident Salvador Allende ermordet.
Noch ein halbes Jahr zuvor hatten mir Kenner der chilenischen Politik bei einem Besuch in Santiago versichert, daß die chilenischen Militärs nicht putschen würden, weil sie loyal zu den jeweils demokratisch gewählten Regierungen stünden. Dann war es aber doch geschehen. Hans-Jürgen Wischnewski und ich waren auf Hilferufe aus Chile hin im Auftrag unserer Partei nach Santiago geflogen.
Die Bilder, die wor dort sahen, werde ich eben nie vergessen, die Tausende von Menschen mit ihren verängstigten Blicken, die unter den Rängen des Fußballstadions in Santiago wie Tiere eingesperrt waren; die Panzer an den Straßenkreuzungen und vor den Regierungsgebäuden; überall Soldaten mit schußbereitem Gewehr.
Zum erstenmal in meinen Leben hatte ich die Folgen eines Militärputsches mit eigenen Augen gesehen, war ich nicht nur auf die Bilder im Fernsehen und auf die Berichte in Zeitungen angewiesen. Diese Bilder stehen auch heute noch, da wir über Anträge zur Lage in Chile diskutieren, vor meinen Augen.
Ich schildere, meine Damen und Herren, meine persönliche Betroffenheit, weil es mich heute bedrückt, daß wir, der Deutsche Bundestag, das Parlament eines in Freiheit lebenden Volkes, nicht zu einer einheitlichen Entschließung zur Lage in Chile gekommen sind.

(Beifall bei der SPD)

Wir Sozialdemokraten bedauern das. Warum, so frage ich, können wir nicht gemeinsam in aller Deutlichkeit den Militärputsch von 1973 verurteilen?

(Beifall bei der SPD)

Warum können wir nicht in aller Deutlichkeit sagen: Das Regime Pinochet muß weg, die Diktatur in Chile muß verschwinden, das chilenische Volk muß wieder seine Freiheit erhalten?

(Frau Potthast [GRÜNE]: Richtig!)

Ich dachte, der Streit von 1973 über den Putsch in Chile sei beendet. Damals, 1973, war ja viel darüber diskutiert worden; in Chile selbst und auch bei uns in Europa. Um der historischen Wahrheit willen muß man sagen: Der Putsch wurde damals nicht nur verurteilt, sondern er hatte auch viele Befürworter, in Chile und bei uns.
Die Diskussion, so erinnere ich mich, wurde mit großer Leidenschaft geführt. Ich denke, daß es heute keine Befürworter des Putsches bei uns mehr gibt, zumindest nicht bei den demokratischen Parteien; denn heute haben alle gesehen, welche Folgen dieser Putsch für das chilenische Volk gehabt hat. Für Tausende chilenischer Demokraten brachte dieser Putsch Verfolgung, Gefangenschaft, Folterung und Tod. Für Zehntausende brachte er den Verlust der Heimat. Manche von ihnen fanden damals bei uns in Deutschland Aufnahme. Ich wage nicht zu sagen: Sie fanden eine neue Heimat. Dazu wird mein Freund Ernst Waltemathe nachher etwas sagen. Ich will nur darauf hinweisen, daß mich damals manche Diskussion bei uns um die Aufnahme chilenischer Flüchtlinge doch tief getroffen hat. Ich fand sie beschämend.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Die dem Putsch folgende Entwicklung in Chile will ich mit den Worten eines kompetenten chilenischen Augenzeugen schildern. Ich zitiere aus einem Hirtenbrief von Kardinal Silva, bis zum vergangenen Jahr Erzbischof von Santiago. Dieser Hirtenbrief stammt aus der Fastenzeit des vergangenen Jahres, und in ihm hieß es:
Die Ereignisse vom September 1973 haben das Gesicht Chiles verändert. Neben den Verwundeten, die die Kirche traditionsgemäß versorgte, tauchten Opfer auf, die das Produkt eines unmenschlichen Wirtschaftsmodells waren, das vor allem unter den Armen eine hohe Arbeitslosenquote verursachte, Ängste und schwere Wunden in deren Familien hervorrief und gleichzeitig den Reichtum in den Händen einiger weniger konzentrierte. Daneben bewirkte das autoritäre, von der Ideologie der nationalen Sicherheit bestimmte politische Modell, daß Tausende von Menschen die Kirche um Verteidigung ihrer Menschenwürde oder ihrer verletzten Rechte ersuchten. Dieses politische System, das den Pluralismus beseitigt, treibt uns allmählich in einen internen Kriegszustand, der letztlich dazu führt, daß unter dem Vorwand, die Bedrohung des Kommunismus abwehren zu müssen, alle verfolgt werden, die sich dieser Art des Vorgehens widersetzen.
Soweit das Zitat aus dem Hirtenbrief Kardinal Silvas. Wie könnte man die Situation in Chile besser schildern, als es dieser große katholische Hirte getan hat?

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Unterdrückt wurden nach dem Putsch auch die, die ihn zuerst begrüßt hatten. Schließlich litt das ganze chilenische Volk unter der monetaristischen Wirtschaftspolitik. Zwar gab es am Anfang eine



Brück
Scheinblüte, aber Kenner des Landes berichten heute, daß die Verelendung des chilenischen Volkes bis tief in die Mittelschichten geht.
Heute ist bittere Wahrheit geworden, was Kardinal Silva im Februar des vergangenen Jahres gesagt hatte. Das politische System hat Chile in einen internen Kriegszustand getrieben. In Chile fließt Blut. Erst in der vergangenen Woche wurden vier Menschen getötet, weil sie für ihre Freiheit demonstrierten.
Hinsichtlich des inneren Zustandes kann ich nur noch einmal Kardinal Silva zitieren. Er sagte in dem von mir genannten Hirtenbrief vom vergangenen Jahr:
Die Andersdenkenden wurden und werden immer noch stark unterdrückt.
Mitglieder demokratischer Parteien werden verhaftet, und es wird nach wie vor gefoltert.
In einem Bericht von amnesty international über die Folter in Chile heißt es:
Die Praxis der Folter hat während der letzten zwölf Monate erheblich zugenommen. Trotz der Häufung von Zeugenaussagen und direkter Beweise leugnen die Behörden weiterhin, daß Folter angewendet wird.
Die chilenische Menschenrechtskommission berichtete im Januar dieses Jahres: 15 078 Menschen sind 1983 aus politischen Gründen verhaftet worden. Von Polizei und Militär wurden 97 Menschen getötet und 1 559 verletzt. 437 Fälle von Folterungen wurden bekannt. Dabei muß man davon ausgehen, daß nicht alle, die gefoltert worden sind, es auch wagen, dies öffentlich mitzuteilen. Gerade heute nachmittag noch einmal fand ich auf meinem Schreibtisch den „Monitor-Dienst" der Deutschen Welle. Da heißt es: „Chilenische Gewerkschaftsführer aus der Haft entlassen". Das ist erfreulich, aber man muß den Text lesen:
Nach fünfwöchiger Haft ist der Führer der Gewerkschaft chilenischer Erdölarbeiter, Jose Ruiz di Giorgio, aus dem Gefängnis entlassen worden. Di Giorgio war zusammen mit dem führenden christdemokratischen Parteimitglied Carlos Mladinic wegen Teilnahme an einer Protestdemonstration gegen Präsident Pinochet in Punta Arenas verhaftet worden.
Ein Gewerkschaftsführer und ein christdemokratischer Politiker waren zusammen verhaftet worden. Fünf Wochen später ist der Gewerkschaftsführer entlassen worden. Was mit dem christdemokratischen Politiker geschehen ist weiß ich nicht; das geht aus der Meldung nicht hervor.
Deswegen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU, stelle ich mit Erstaunen fest, daß in der Beschlußempfehlung auf die sich die Koalitionsfraktionen — wie ich weiß: nach wochenlanger Diskussion — geeinigt haben und die die Mehrheit des Auswärtigen Ausschusses anstelle des Antrags der Fraktion der SPD zur Annahme empfiehlt, von Fortschritten bei den Menschen- und Bürgerrechten gesprochen wird. Zwar wird zugegeben, daß sie noch nicht voll wiederhergestellt sind. Aber kann man von Fortschritt sprechen? Die Unterdrükkungsmethoden sind, um hier wieder mit Kardinal Silva zu sprechen, nur spitzfindiger geworden.
Ich bedaure es auch, daß in der Beschlußempfehlung, die der Auswärtige Ausschuß mit Mehrheit angenommen hat, kein Wort zum Putsch selbst gesagt wird. Es stünde Demokraten gut an, noch einmal darauf hinzuweisen, daß mit dem Putsch am 11. September 1973 gegen den gewählten Präsidenten Salvador Allende die Demokratie in Chile beseitigt wurde.

(Beifall bei der SPD)

Dem müssen auch die zustimmen können, die mit der Politik Allendes nicht einverstanden waren. Und ich weiß, daß viele bei uns und viele in Chile mit seiner Politik nicht einverstanden waren. Aber darüber hätte bei den nächsten freien Wahlen entschieden werden müssen.

(Beifall bei der SPD — Klein [München] [CDU/CSU]: Wenn es sie noch gegeben hätte!)

Niemand kann Militärs das Recht zugestehen, Herr Kollege Klein, hier ein Urteil zu fällen und die Macht an sich zu reißen.
In der Entschließung der CDU/CSU wird auch vom begonnenen Dialog gesprochen. Dazu muß man leider sagen: Der Dialog ist unterbrochen. Die Regierung Pinochet ist nicht in der Lage, echte Zugeständnisse in Richtung Demokratisierung zu machen. Deshalb lese ich in der Beschlußempfehlung des Ausschusses mit Erstaunen den Satz: „Die Verfassung von 1980 versteht die Militärregierung als Übergangsregierung und sieht für 1989 Präsidentschaftswahlen vor." Wie eigentlich kann man einen solchen Satz in einer Entschließung des Deutschen Bundestages, des Parlamentes eines freien Landes, unkommentiert schreiben? Kein Wort der Kritik an dieser sogenannten Verfassung von 1980; kein Wort der Kritik an der sogenannten Übergangsregierung. Demokraten können doch nur eins fordern: Die Regierung Pinochet muß zurücktreten.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Sie muß den Weg für eine demokratische Entwicklung freimachen. Wenn in dem Koalitionsantrag an alle appelliert wird, keine Gewalt anzuwenden, muß man deutlich sagen: Gewalt wird durch das Regime Pinochet angewendet.

(Beifall bei der SPD)

Wir Sozialdemokraten unterstreichen noch einmal unsere Forderungen, wie sie in unserem Antrag formuliert sind: Die Übergriffe der Geheimpolizei CNI auf die Bevölkerung müssen beendet werden. Die Folter in Chile muß eingestellt werden.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Alle politischen Gefangenen und Verbannten müssen freigelassen werden.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Das Schicksal der verschwundenen Gefangenen muß aufgeklärt werden.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)




Brück
Das Recht aller Chilenen, in ihrer Heimat zu leben, muß anerkannt werden und den im Exil befindlichen Chilenen die Rückkehr gestattet werden.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Die bis September 1973 geltenden Rechte von Gewerkschaften und Verbänden müssen wieder anerkannt werden,

(Beifall bei der SPD)

und es muß freie Wahlen in Chile geben.

(Beifall bei der SPD)

Ich sage noch einmal, wir bedauern es, daß es nicht zu einer gemeinsamen Entschließung des Deutschen Bundestages zur Lage in Chile gekommen ist. Ich erinnere mich an meine erste Legislaturperiode im Deutschen Bundestag. Damals, im Jahre 1967, verabschiedeten wir eine gemeinsame Entschließung zur Lage in Griechenland. Damals forderte der Deutsche Bundestag gegen ganz wenige Stimmen, daß es keine neuen Verpflichtungen für Hilfe an Griechenland bis zur Wiederherstellung parlamentarischer demokratischer Verhältnisse geben solle. Wir wissen doch, daß die Geschlossenheit der europäischen Demokraten eine große Hilfe für die Wiederherstellung der griechischen Demokratie war.
Die Diktatur in Chile dauert jetzt bereits zehneinhalb Jahre. Damit wir uns vor Augen führen, welch lange Zeit das ist, muß man daran denken, daß der Faschismus in Deutschland zwölf Jahre dauerte, und das war eine schrecklich lange Zeit. Ich weiß nicht, wie lange die Diktatur Pinochets in Chile noch dauern wird. Aber eines ist in den letzten Monaten deutlich geworden: Diktatoren können demokratisches Bewußtsein zwar unterdrücken, aber niemals zerstören. Den chilenischen Demokraten gebührt unser Respekt und unsere Sympathie

(Beifall bei der SPD)

und auch unsere Hilfe, die Hilfe aller Demokraten.

(Beifall bei der SPD)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1006427900
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Klein (München).

Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1006428000
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich zunächst Genugtuung darüber ausdrükken, Herr Kollege Brück, daß die SPD neuerdings katholische Hirtenbriefe im Deutschen Bundestag vorträgt.

(Dr. Diederich [Berlin] [SPD]: Es ist nicht das erste Mal, Herr Klein!)

Ich wünschte, Sie hätten solche Hirtenbriefe in früheren Zeiten, auch wenn sie von deutschen Bischöfen gekommen sind, so ernst genommen.

(Waltemathe [SPD]: Sie machen schon wieder Innenpolitik! Sie wissen gar nicht, worum es geht! — Weitere Zurufe von der SPD)

— Herr Kollege Waltemathe, Sie können hier eine
Feierstunde für Salvador Allende abhalten, wenn
Sie wollen; ich werde auf diese Tonlage nicht eingehen.

(Waltemathe [SPD]: Sie sind mir ein schöner Demokrat! — Fischer [Frankfurt] [GRÜNE]: Dafür feiern Sie Pinochet und seine Mörderbande, oder wie?)

— Für mangelnde Schönheit, Herr Kollege Waltemathe, können wir alle nichts.
Jetzt ist in Lateinamerika die Demokratie auf dem Vormarsch.

(Zuruf von der SPD: Jetzt wird Klein-Holz gemacht! — Zuruf von den GRÜNEN: Genau wie in der EG!)

Die Kräfte der pluralistischen Mitte werden stärker. Dafür gibt es viele ermutigende Beispiele, aber auch viele Beispiele, die unserer konkreten Ermutigung bedürfen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Ein solches Beispiel ist Chile, über das wir heute im Zusammenhang mit dem Antrag der SPD-Fraktion zu sprechen haben. Was für zahlreiche andere lateinamerikanische Staaten gilt, trifft auch für Chile zu: Der mühsame und oft leidvolle Demokratisierungsprozeß hat mächtige Gegner. Totalitäre Linke und autoritäre Rechte liefern sich gegenseitig Rechtfertigungen für die Anwendung von Gewalt.

(Fischer [Frankfurt] [GRÜNE]: Das ist ja wohl ein Witz! Wer läßt denn schießen in Chile, wer läßt denn foltern in Chile? — Zurufe von der SPD)

Deshalb lassen Sie mich gleich zu Beginn noch einmal erklären, daß ich das Regime Salvador Allendes, insbesondere in seiner marxistischen Endphase, nicht mit so pathetischen Berühmungsformeln wie „Flamme der chilenischen Demokratie" zu kennzeichnen vermag, wie das die Sozialdemokraten in ihrem Antrag getan haben.

(Fischer [Frankfurt] [GRÜNE]: Sondern?)

Der Putsch von 1973 ist durch eine gefährliche Schrumpfung des demokratischen Spielraums und eine unerträgliche Verschlechterung der Wirtschaftslage hervorgerufen worden.

(Fischer [Frankfurt] [GRÜNE]: Ich denke da an den CIA und andere! — Weitere Zurufe von den GRÜNEN)

Hinter dieser Feststellung, Frau Kollegin, verberge ich überhaupt nicht etwa den Versuch, Zustände, die danach eingetreten sind, zu beschönigen.
Wir müssen doch aber schlicht — ich für meinen Teil sage auch: mit Respekt — zur Kenntnis nehmen, daß die Junta die Rückkehr zu Demokratie und Rechtsstaatlichkeit will.

(Frau Gottwald [GRÜNE]: Unglaublich! — Fischer [Frankfurt] [GRÜNE]: Unglaublich, da wird geschossen, und die wollen zur Demokratie zurückkehren?!)




Klein (München)

Über den Weg hat ein Dialog begonnen; er ist wieder abgebrochen,

(Frau Potthast [GRÜNE]: Wie viele Millionen Tote noch?)

aber unter der Hand, vorsichtig-tastend weitergeführt worden. Der Kirche, die sich um seine offizielle Aufnahme bemüht, gebührt Dank für ihre friedensstiftende und versöhnende Rolle. Abgesehen von den wenigen, die sich einen Sieg der totalitären Linken erhoffen, glaube ich, daß alle Seiten dieses Hohen Hauses

(Frau Gottwalt [GRÜNE]: Ersparen Sie uns Ihre Ergüsse!)

Chile eine Rückkehr zur Demokratie in Stabilität und ohne Gewalt wünschen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Meine Überzeugung, daß wir uns zumindest in diesem Punkt, Herr Kollege Brück, einig sind, stützt sich auch auf den Satz in dem SPD-Antrag, daß der Deutsche Bundestag die Entschlossenheit der chilenischen Opposition begrüße, ihre Ziele ohne Gewalt und mit politischen und legalen Mitteln zu verfolgen.
Dennoch ist der SPD-Antrag in seiner Gesamtheit von solch aggressiver Überheblichkeit, daß die Fraktionen von CDU/CSU und FDP ihn nicht für geeignet hielten, den Dialog in Chile zu ermutigen, im Gegenteil.

(Waltemathe [SPD]: Aber die Christdemokraten in Chile würden ihn annehmen! — Fischer [Frankfurt] [GRÜNE]: Sagen Sie doch mal was zu dem Familienbesuch Ihres Vorsitzenden! Sagen Sie was zu Strauß und Pinochet!)

Was die von der SPD geforderten Sanktionen anbetrifft, kann ich nur sagen: Ihre Einfallslosigkeit wird lediglich von Ihrer Uneinsichtigkeit überboten. Das haben wir doch nun in X Fällen durchdiskutiert, und wenn es in Ihren politischen Kram paßte, haben Sie auch nicht gezögert, auf die kontraproduktiven Wirkungen solcher Maßnahmen hinzuweisen. Die sozialdemokratische Forderung, die beiden U-Boote an Chile nicht auszuliefern, deren Bau von der Regierung Schmidt genehmigt worden ist,

(Hört! Hört! bei den GRÜNEN)

ist so hypokritisch, wie die Unterscheidung zwischen Baugenehmigung und Liefergenehmigung rabulistisch ist.

(Zurufe von den GRÜNEN)

Die Regierung Schmidt hat den Bau zu einem Zeitpunkt genehmigt, als es zwischen Chile und Argentinien heftige Spannungen wegen des Beagle-Kanals gab. Dieser Konflikt ist durch die Vermittlung des Vatikans beigelegt worden. Die U-Boote sind im Gegensatz zur Lage zum Zeitpunkt der damaligen Entscheidung nicht für ein Spannungsgebiet bestimmt,

(Fischer [Frankfurt] [GRÜNE]: Chile als Friedenszone!)

und als Instrument innenpolitischer Repression, Herr Kollege Fischer, sind Sie wohl ungeeignet.

(Frau Gottwald [GRÜNE]: Witzig, witzig!)

In dem Entschließungstext der Koalitionsfraktionen, den der Auswärtige Ausschuß angenommen hat und dem Plenum zur Zustimmung empfiehlt, wird gleich im zweiten Satz eine wichtige Feststellung für den Deutschen Bundestag getroffen: „Er verurteilt grundsätzlich und weltweit

(Waltemathe [SPD]: Geschenkt!)

die Anwendung von Gewalt zur Erreichung politischer Ziele ...". Damit soll dieses Parlament bekunden, daß es nicht politisch einäugig ist

(Waltemathe [SPD]: Den Satz übernehmen wir und beschließen den Rest!)

oder etwa in Fragen der Menschenrechte selektiv verfährt. Gerade weil wir ihre Verletzung überall, vor allem auch in jenen Staaten, wo unsere eigenen Landsleute betroffen sind, nachdrücklich verurteilen, tun wir das auch gegenüber Chile. Aber wir tun es in einer Form, die nicht Verhärtung bewirkt, sondern auf Verbesserung zielt.

(Waltemathe [SPD]: Für wen? — Zuruf des Abg. Fischer [Frankfurt] [GRÜNE])

Denn wir sind auch nicht der Meinung, am deutschen Wesen oder gar an dem der Sozialdemokraten oder der GRÜNEN müsse die Welt genesen.

(Krizsan [GRÜNE]: An Ihrem aber sicher nicht!)

Deshalb richtet sich unser Appell an Regierung und Opposition in Chile, die Regierung möge den eingeleiteten Liberalisierungsprozeß

(Waltemathe [SPD]: Was?)

und den Übergang zur Demokratie ungeachtet terroristischer Provokationen fortführen; die demokratische Opposition möge sich bei ihrem legitimen Drängen nicht von Gewalttätern mißbrauchen lassen.
Beide Seiten haben in den letzten Monaten auf schreckliche Weise erfahren, daß das physikalische Gesetz „Druck erzeugt Gegendruck" auch in der Politik gilt.

(Brück [SPD]: Wer hat denn zuerst gedrückt?)

Die Frankfurter Allgemeine Zeitung schrieb vor einigen Tagen:
Was die chilenische Militärregierung auch für die allmähliche Demokratisierung und gegen den seit der politischen Öffnung zunehmenden Terrorismus unternimmt, sie findet in Kreisen der Opposition und im Ausland kein Verständnis.
Weil wir wollen, meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, daß der Prozeß der politischen Öffnung weiter vorankommt, registrieren wir in unserer Entschließung auch die positiven Schritte in dieser Richtung. Wir würdigen die demokratische Gesinnung der großen deutschen Kolonie in Chile, und wir anerkennen die Bemühungen der chilenischen



Klein (München)

Botschaft in Bonn und der deutschen Botschaft in Santiago um faire Übermittlung der Standpunkte und korrekte Darstellung der Entwicklungen.

(Fischer [Frankfurt] [GRÜNE]: Mir kommen die Tränen!)

Chile sieht sich als prowestlicher Staat.

(Brück [SPD]: Das ist aber eine schöne Gesellschaft, die wir da haben! — Zuruf des Abg. Fischer [Frankfurt] [GRÜNE])

Wäre dem nicht so — Herr Kollege Brück, hören Sie doch einen Moment zu; ich habe Ihnen auch zugehört —, hätte diese Debatte einen anderen Grundton.

(Reents [GRÜNE]: Dann würden Sie anders reagieren, das ist klar!)

Aber gerade weil wir die chilenische Selbsteinordnung nicht bezweifeln, fordern wir mit solcher Deutlichkeit und mit solchem Nachdruck die uneingeschränkte Anerkennung rechtsstaatlicher Normen und demokratischer Werte.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Kann das ein Diktator tun?)

Wolf-Michael Catenhusen (SPD):
Rede ID: ID1006428100
Selbstverständlich gilt unsere Sympathie in diesem Prozeß den gemäßigten, von den Christdemokraten geführten Kräften

(Fischer [Frankfurt] [GRÜNE]: Das sind doch nach ihrer Meinung Radikale!)

in der Alianza Democrática und nicht dem marxistisch-leninistischen Movimiento Democrático Popular, dessen verschiedene Gruppierungen von KP bis MIR alle den bewaffneten Kampf proklamieren und praktizieren.

(Zustimmung bei der CDU/CSU)

Wenn auch im wohlverstandenen deutschen Interesse, wünschen wir den Chilenen kein kommunistisches Regime, sondern eine freiheitliche, sozial gerechte,

(Krizsan [GRÜNE]: Von der CSU regierte!) wirtschaftlich erfolgreiche,


(Fischer [Frankfurt] [GRÜNE]: Sagen Sie mal was zu den Freiheitskämpfern!)

die Menschenwürde achtende Demokratie.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1006428200
Herr Abgeordneter Klein, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Brück?

Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1006428300
Ich bin beim letzten Satz: Ich bitte Sie, die Beschlußempfehlung des Auswärtigen Ausschusses, Drucksache 10/1049 vom 23. Februar 1984, anzunehmen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Fischer [Frankfurt] [GRÜNE]: Eine Heuchelei, was Sie hier hingelegt haben!)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1006428400
Das Wort hat Frau Abgeordnete Gottwald.

(Zurufe von den GRÜNEN: Jetzt aber! — Hau rein, Gabi! — Mach ihn klein!)


Gabriele Gottwald (GRÜNE):
Rede ID: ID1006428500
Chile ist eines der dunkelsten Kapitel, das die bundesdeutsche Außenwirtschaft und Außenpolitik je geschrieben hat. Das Modell Chile, dessen Zusammenbruch wir heute miterleben, ist Resultat

(Eigen [CDU/CSU]: Nicht ablesen, debattieren!)

einer konsequenten internationalen Ausbeutungspolitik, abgesichert durch die Repression des chilenischen Militärs im Innern des Landes, bezahlt mit dem Hunger der chilenischen Massen und dem Tod derjenigen, die dem politischen Mord der Militärs zum Opfer fielen. Chile ist das klassische Beispiel dafür, daß die Realisierung internationaler Kapitalinteressen in der Dritten Welt Hunger und Verelendung produziert und daß die stärksten Industrienationen der Welt zur Absicherung von Kapitalinteressen Militärdiktaturen unterstützen. Hungertote, Repression und politische Morde werden durch unsere demokratischen Regierungen nicht nur gedeckt, nein, unsere Regierungen liefern im Namen der Freiheit des Kapitals und des internationalen Handels auch noch die Waffen für die Schlächter.

(Beifall bei den GRÜNEN — Eigen [CDU/ CSU]: Unerhört!)

Die Bundesrepublik, einer der wichtigsten Handelspartner der chilenischen Militärdiktatur, betreibt seit über zehn Jahren eine Politik, die diese internationale Ausbeutung mit all ihren Konsequenzen aktiv vorantreibt.
In den letzten 15 Jahren gab es zwei historische Chancen für die chilenischen Massen, dem internationalen Ausverkauf ihres Landes ein Ende zu setzen. Die erste große Hoffnung war die Regierung der Unidad Popular unter Salvador Allende, die zweite große Hoffnung war und ist die anwachsende Oppositionsbewegung gegen Pinochet seit Mitte letzten Jahres. In beiden Fällen hat sich unsere Regierung auf die Seite der Ausbeuter gestellt und der Bevölkerung eine klare Absage erteilt.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Die sozialliberale Bundesregierung hat Anfang der 70er Jahre den internationalen Wirtschaftsboykott gegen das demokratische Chile aktiv mitgetragen. Sie hat ihre Exportbürgschaften zusammengestrichen und die Kreditvergabe in den internationalen Finanzorganisationen und die Umschuldungsverhandlungen mit blockiert.

(Fischer [Frankfurt] [GRÜNE]: Warum wohl?)

Sie war aktiv dabei, als die USA der neuen demokratischen Regierung von außen das Wasser abgegraben haben.

(Fischer [Frankfurt] [GRÜNE]: So ist es!)

Ganz anders jedoch war es in den Folgejahren. Nachdem dank der USA und ihrer Geheimdienste — was Herr Klein eben vergessen hatte zu erwäh-



Frau Gottwald
nen — einer der blutigsten Militärputsche in Lateinamerika erfolgt war, änderte sich die Politik der sozialliberalen Bundesregierung. Mit. Zustimmung der BRD erhielt Pinochet internationale Kredite, das bilaterale Umschuldungsabkommen zwischen der BRD und Chile wurde unterzeichnet, der Handel mit Chile blühte wieder, das bundesdeutsche Kapital zeigte sich wieder investitionsfreudig dank der durch Terror billig gehaltenen chilenischen Arbeitskraft, und die Bundesregierung unterstützte diese Entwicklung durch die Erhöhung der Exportbürgschaften für Chile. Die Krönung dieser Politik war die Genehmigung des Baues zweier U-Boote für das Terrorregime im Jahre 1980. Daß der U-Boot-Bau auch die tatsächliche Auslieferung nach sich ziehen sollte, ist nur logisch und wurde vorbereitet durch die Ausbildung chilenischer Militärs an den Rüstungsgütern auf bundesdeutschen Werften.
Auch wenn die SPD heute ihren Antrag hier einbringt — den wir unterstützen —, muß sie sich doch eines sagen lassen: Dieser Sinneswandel in der Chile-Politik, liebe Genossen und Genossinnen, hätte euch 14 Jahre früher, zu Zeiten eurer Regierungsverantwortung weitaus besser zu Gesicht gestanden.

(Beifall bei den GRÜNEN — Waltemathe [SPD]: Wollen Sie hier ein parteipolitisches Süppchen kochen?)

Was macht die heutige Bundesregierung zur Unterstützung einer demokratischen Entwicklung in Chile? Nichts, sie macht absolut gar nichts. Die jetzige Bundesregierung ist wild entschlossen, die Fehler der alten Regierungspolitik konsequent zu Ende zu führen. Nach zehn Jahren Militärdiktatur, nach zehn Jahren Armut, Hunger, politischer Repression, Folter und Mord, nach zehn solchen Jahren formiert sich in Chile wieder eine starke Opposition lauthals und offen auf der Straße, in der Presse, in den Betrieben; ein Widerstand, der entschlossen ist, Pinochet zu stürzen.
Begreifen Sie von der CDU/CSU eigentlich, was das für Chile bedeutet? Begreift die Bundesregierung nicht, daß es sich in Chile heute wieder um eine historische Situation handelt, in der die Fragen entschieden werden: Diktatur oder Demokratie? Folter oder Freiheit? Hunger oder Brot?
Der Traum vom Modell Chile ist zu Ende, das Wirtschaftsmodell gescheitert. Die Frage, die jetzt ansteht, ist, ob die Opposition in der Lage ist, die politische Macht zu übernehmen, und ob sie dafür eine notwendige internationale Unterstützung bekommt.
Was macht die Bundesregierung in dieser Situation? Bei der UNO-Resolution im Dezember 1983 zur Lage der Menschenrechte in Chile enthielt sie sich erst einmal der Stimme. Angeblich sei die Resolution zu politisch gewesen. — Ja, natürlich sind Fragen von Folter und Mord politische Fragen. Was denn sonst?

(Beifall des Abg. Waltemathe [SPD])

Wie viele Menschenrechtsverletzungen müssen noch in Chile passieren, bis diese Regierung in der Lage ist, dem chilenischen Terrorregime und seinen Folterern eine politisch klare und eindeutige Absage zu erteilen?

(Beifall des Abg. Waltemathe [SPD])

Im März war der chilenische Finanzminister in der Bundesrepublik. Ab April — so die „FAZ" vom 20. März 1984 — sollen wieder die Gelder fließen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Welche?)

Die Konsultationen bei privaten Banken, bei der Bundesbank, bei der Kreditanstalt für Wiederaufbau und bei der Regierung selber waren also erfolgreich. — Bravo, ich möchte diese Regierung zu dieser neuen Investitionsentscheidung beglückwünschen. Sie hätte keinen besseren Zeitpunkt für eine Entscheidung zur Finanzierung des chilenischen Terrors und des internationalen Blutsaugertums wählen können als den jetzigen.

(Beifall des Abg. Fischer [Frankfurt] [GRÜNE] — Zuruf von der CDU/CSU: Starker Beifall!)

Ebenfalls möchte ich Sie zu der Entscheidung beglückwünschen, endlich die Lieferung der U-Boote freigegeben zu haben.

(Beifall des Abg. Fischer [Frankfurt] [GRÜNE])

Die Bundesregierung hat wirklich einen Zeitpunkt gewählt, wo die innere Lage in Chile sogar die USA Bedingungen an weitere Rüstungsexporte knüpfen läßt. Sogar die Vereinigten Staaten machen das.

(Waltemathe [SPD]: Sehr wahr!)

Aber laut Bundesregierung — auch Herr Klein hat das eben noch einmal ausgeführt — finden U-Boote bei der Austragung innenpolitischer Konflikte keine Verwendung. Wollen Sie sich eigentlich über uns lustig machen, oder wie soll ich solche Erläuterungen von Ihnen verstehen?

(Cronenberg [Arnsberg] [FDP]: Das ist zutreffend!)

— Ja, ja, klar ist das zutreffend — sehr witzig.
Seien Sie doch ehrlich, sagen Sie doch gleich, daß Sie die innenpolitische Situation in Chile reichlich wenig interessiert. Dann hätten Sie wenigstens nicht gelogen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Sagen Sie doch hier laut und deutlich, daß Sie bereit sind, zur Aufrechterhaltung Ihrer Interessen

(Zuruf des Abg. Klein [München] [CDU/ CSU])

jeden Schrott — und seien es Rüstungsgüter — an jedes Terrorregime der Dritten Welt zu liefern. Sagen Sie das doch.

(Beifall bei den GRÜNEN — Zuruf von der CDU/CSU: Nur nicht so aggressiv!)




Frau Gottwald
In diesem Moment, wo die chilenische Opposition jede Hilfe braucht,

(Klein [München] [CDU/CSU]: Vor allem Waffen!)

wo diese Opposition den Generalstreik vorbereitet,

(Klein [München] [CDU/CSU]: Sie sammeln doch für Waffen!)

wo Pinochet den Ausnahmezustand verhängt hat und die Militärs auf die Straße schickt, wenn die Opposition protestiert,

(Zuruf von der CDU/CSU: Wie in Nicaragua!)

gibt die Bundesregierung die Lieferung der U-Boote frei. Das nenne ich Solidarität.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Auf Regierungen hier in der Bundesrepublik können sich Pinochet und seine Militärs offensichtlich recht gut verlassen — und das seit mehr als zehn Jahren.

(Klein [München] [CDU/CSU]: Sie haben offenbar nicht zugehört, Frau Kollegin!)

Für Pinochet sind die U-Boote zum jetzigen Zeitpunkt ein Geschenk des Himmels. Die Schulden werden zwar weiter anwachsen, der Hunger der chilenischen Militärs auch, aber Kredite des IWF und der deutschen Banken stehen ja ins Haus.
Zum Schluß möchte ich noch ein paar Worte zur Beschlußempfehlung der Regierungsparteien zum Antrag der SPD sagen. Nachdem die CDU/CSU und die FDP mehrere Monate gebraucht haben, um zu dieser eindeutigen Situation in Chile überhaupt ein paar Worte zu Papier zu bringen, legen sie hier jetzt eine Beschlußempfehlung vor, die ich — entschuldigen Sie — in höchstem Maße lächerlich finde. Das Folterregime in Chile möge — so lautet ungefähr der Tenor Ihrer Beschlußempfehlung — seine Bemühungen für eine weitere Demokratisierung fortsetzen und kann sich unserer Unterstützung gewiß sein.

(Eigen [CDU/CSU]: Richtig!)

Das ist doch nicht Ihr Ernst, so etwas hier vorzulegen, oder? Wollen Sie sich eigentlich über die chilenische Opposition lustig machen?

(Klein [München] [CDU/CSU]: Sie können nicht einmal lesen!)

Wie soll die denn so etwas verstehen? Haben Sie denen das einmal geschickt? Kennen die Ihre Papiere? Das ist eine Unverschämtheit.
Ich möchte Sie allen Ernstes fragen: Sind Sie als Vertreter demokratischer Parteien in diesem Parlament eigentlich nicht in der Lage, dem Regime in Chile eine eindeutige politische Absage zu erteilen und z. B. den Rücktritt Pinochets zu fordern? Können Sie das nicht? Wenn Sie das nicht können, frage ich Sie nochmals ganz ernsthaft: Warum eigentlich nicht? Welche Interessen vertreten Sie hier eigentlich? Die Interessen der chilenischen Bevölkerung offensichtlich nicht; denn die hat sich schon seit zehn Jahren abgewöhnt, den Wunsch nach demokratischer Öffnung an ihren Präsidenten zu richten, was Sie hier immer noch tun. Die Bevölkerung hat sich, in besserer Kenntnis der Lage, für den Kampf gegen Pinochet entschlossen.

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1006428600
Frau Abgeordnete, kommen Sie bitte zum Schluß.

(Zuruf der CDU/CSU: Es reicht!)


Gabriele Gottwald (GRÜNE):
Rede ID: ID1006428700
Ja, ich komme zum Schluß.
Zum Schluß möchte ich diesem Parlament einen der größten Kämpfer für die Demokratie in Lateinamerika zitieren. In seiner letzten Rede, bevor die Militärs ihn ermordeten, sagte Salvador Allende:
Sie haben die Gewalt. Sie können uns unterjochen. Aber die sozialen Prozesse kann man weder durch Verbrechen noch durch Gewalt aufhalten. Die Geschichte ist unser. Sie wird von den Völkern geschrieben.

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1006428800
Frau Abgeordnete, ich bitte Sie, jetzt — —

Gabriele Gottwald (GRÜNE):
Rede ID: ID1006428900
In diesem Sinn unterstützen wir den Antrag der SPD.
Ich danke Ihnen.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1006429000
Das Wort hat der Abgeordnete Schäfer.

Helmut Schäfer (FDP):
Rede ID: ID1006429100
Es ist mein Schicksal, immer auf solche fanatischen Reden antworten zu müssen.

(Sehr richtig! bei der CDU/CSU)

Obwohl ich in letzter Zeit anfange, mich mit Frau Gottwald im Ausschuß hervorragend zu verstehen, müßte ich jetzt zu einer Art Gegenprügelei ausholen. Aber das werde ich nicht tun. Frau Gottwald, Ihnen hat fast nur noch die Gitarre gefehlt, um das Ganze hier in Form eines Songs vorzutragen. Dann wären Sie noch überzeugender gewesen. Sie sollten bitte aufhören, hier ein Bild zu zeichnen, das uns als die Unterstützer der bösartigen Terrorregimes brandmarkt

(Zuruf der Abg. Frau Potthast [GRÜNE]) und uns hier abschreibt als in jedem Fall — —


(Zuruf des Abg. Reents [GRÜNE])

— Lieber Herr Reents, ich kann nur sagen: Glauben Sie denn vielleicht, mit solchen Reden, wie sie Frau Gottwald hier eben gehalten hat, könnten Sie in Chile irgend etwas ändern?

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Zuruf der Frau Abg. Gottwald [GRÜNE])

Ich habe auch Fragen zu dem Antrag der SPD. Ich bedauere ja mit Ihnen, daß es hier nicht zu einem gemeinsamen Antrag gekommen ist. An meinen Bemühungen hat es nicht gefehlt, wie Sie wissen. Wir haben es lange versucht.

(Brück [SPD]: Gebe ich zu!)




Schäfer (Mainz)

— Herr Brück stimmt mir zu. — Aber ich muß sagen: Wenn man in der Opposition ist, kann man natürlich auch kämpferische Töne in solchen Anträgen anschlagen. Es ist halt nur die Frage: Was wollen wir mit diesen Anträgen hier erreichen?

(Zuruf der Abg. Frau Potthast [GRÜNE])

Wenn Sie hier Verdammungsurteile aussprechen, wenn Sie jeden Ansatz, den es dort gibt und den man nicht unterschlagen darf, sofort als sinnlos verurteilen und wenn Sie sich hier zur Sprecherin der chilenischen Bevölkerung machen — ich bewundere Ihren Mut, zu behaupten, daß Sie die Mehrheitsmeinung in Chile so gut kennen —, dann kann ich nur fragen: Nutzt es dieser Bevölkerung?
Eben nicht! Wir müssen vielmehr als Regierung und als Regierungsparteien versuchen, durch unseren Einfluß einen Prozeß zu verstärken, den es in Chile gibt, nämlich einen Prozeß, der — da haben Sie ja völlig recht — unter dem Zwang einer wirtschaftlichen Depression eingesetzt hat, die dieses Militärregime hervorgerufen hat.
Natürlich ist die Situation in Chile mehr als beklagenswert. Aber das bedeutet doch nicht, daß wir jetzt durch Attacken und pamphletartige Anträge hier weiterkommen. Sondern wir sollten in einer vernünftigen Weise überlegen, welche Möglichkeiten wir eigentlich haben, um in dem auch von Ihnen gewollten Weg einer Demokratisierung Einfluß zu nehmen. Übrigens, Ihre Beispiele, Ihre Antagonismen sind nicht zutreffend. Es trifft für Südamerika nicht diese Schwarzweißschilderung „Zwischen Freiheit und Diktatur" zu. Es gibt auch Ihnen politisch vielleicht näherstehende Gruppierungen, die die Freiheit in Südamerika keineswegs garantieren. Denken Sie etwa an Kuba. Ich darf das in dem Zusammenhang mal sagen.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Wir sollten bei all den Unterschieden in der Formulierung der beiden Anträge deutlich sehen, Herr Brück, daß der Unterschied in der Sache nicht groß ist, wenn man von der leidigen Diskussion über die beiden U-Boote absieht. Hier hat Frau Gottwald ja einen Rundumschlag vollführt. Sie hat natürlich auch die SPD schuldig gesprochen. Wir wissen ja, daß die Baugenehmigung für diese U-Boote auf einen einstimmigen Beschluß im Bundessicherheitsrat unter der sozialliberalen Koalition — wenn ich mich recht erinnere — erteilt worden ist.

(Waltemathe [SPD]: Das ist richtig!)

Das hat damals große Debatten ausgelöst, auch die Debatte über die Richtlinien zum Waffenexport — vielleicht erinnern Sie sich daran —. Aber Sie wissen ganz genau: Wenn Sie noch an der Regierung wären, hätten Sie genauso verfahren müssen, wie wir verfahren sind. An der Situation hat sich nichts geändert.

(Zuruf des Abg. Reents [GRÜNE])

— Lieber Herr Reents, die U-Boot-Angelegenheit ist für meine Begriffe nicht so wesentlich, wie es Frau Gottwald eben darzulegen versucht hat. Ich glaube, das wird Herr Möllemann nachher noch ausführlicher darstellen.
Sehr wesentlich ist, daß es der Innenminister in Chile gewesen ist, der neulich gesagt hat, wenn diese Art der Attacken auf Chile fortgesetzt würden, sollte man am besten auf solche Auslandsreaktionen überhaupt keine Rücksicht mehr nehmen, denn das Bild Chiles werde von Propaganda bestimmt. Ich teile diese Auffassung nicht. Aber hier wird doch genau der Ton angeschlagen, den wir vermeiden müssen, damit die zaghaften Versuche zu Dialogen, die es ja gibt und die Sie nicht wegleugnen können, nicht durch massive Versuche von außen gestört werden. Und es hat sich einiges in Chile geändert. Es sind Bemühungen zur Demokratie im Gange. Natürlich gab es jetzt gerade vor wenigen Tagen wieder eine sehr unerfreuliche Affäre, nämlich bei dem Protesttag. Es sind acht Leute umgekommen; es gab in der vergangenen Nacht Verhaftungen von Studenten, die das Zimmer eines Rektors der Universität von Valparaiso besetzt hatten. Es gab, wie Sie wissen, die Mißhandlung einer zufällig in die Demonstration geratenen deutschen Diakonissin. Ich habe soeben noch mit dem Auswärtigen Amt gesprochen und erfahren, daß die chilenischen Behörden heute nachmittag dabei sind, eine Gegenüberstellung herbeizuführen und gegen die Schuldigen vorzugehen.
Es kann natürlich keine Rede davon sein, daß wir die Situation in Chile gut finden. Aber ich meine, es geht doch jetzt wirklich darum, daß es gelingt, die chilenische Regierung durch eine internationale Anstrengung — ich meine, hier sind noch nicht alle Möglichkeiten ausgeschöpft worden — dazu zu zwingen, daß sie diesen demokratischen Prozeß fortsetzt. In diesem Zusammenhang darf ich mir natürlich auch den kritischen Satz erlauben: Wer so sehr von außen Einfluß auf Nicaragua nimmt und sagt, es hätte viel zu lange gedauert zwischen der Revolution und den bevorstehenden Wahlen 1984, der muß natürlich auch sagen: In Chile dauert es doppelt so lange. — Das können wir nicht gutheißen. Ich glaube, darüber gibt es hier überhaupt keinen Dissens.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Wir können auch nicht gutheißen, daß Herr Pinochet keine anderen Mittel findet, um sein Regime zu erhalten, als immer wieder zu Gewalt zu greifen. Ich darf allerdings dazusagen: Wir heißen auch nicht gut, wenn jetzt die Gegengewalt in Chile zu Formen greift, die möglicherweise das Regime Pinochet stabilisieren. Das ist ja leider immer die Folge von Gegenterror.
Es ist für mich erschreckend, zu erfahren, daß Herr Pinochet bei Umfragen, die es noch vor einem Dreivierteljahr gegeben hat, etwa nur auf 19% Unterstützung in der Bevölkerung kam und inzwischen schon wieder bei 40 % liegen soll, weil die chilenische Bevölkerung natürlich auch den Gegenterror befürchtet: die Zerstörung von Stromleitungen, die Angriffe auf kleine private Busse; das sind Terroraktionen, die jetzt in Chile um sich greifen. Meine Damen und Herren, ich glaube, es ist jetzt an der Zeit, daß von der internationalen Bühne aus in ähnlicher Weise, wie wir in anderen lateinamerikanischen Ländern verfahren sind, und im Hinblick



Schäfer (Mainz)

auf das Modell Argentinien, das uns ja zu großer Hoffnung berechtigt und wo sich die Situation erheblich verbessert hat, alles versucht wird, um den demokratischen Parteien in Chile zu helfen, daß sie wieder zugelassen werden, daß die Gewerkschaften nicht unterdrückt werden und daß es schnell zu Wahlen kommt, nicht erst 1989. Das ist für meine Begriffe ein Zeitpunkt, den Herr Pinochet nicht durchhalten wird, nicht durchhalten kann. Aber wir sollten das durch eine geschickte Politik beeinflussen, durch unsere Bemühungen in Chile und nicht durch Brandreden oder pamphletartige Anträge; sie werden uns nicht weiterführen.
Meine Damen und Herren, ich glaube, daß es notwendig ist, in diesem Zusammenhang noch einmal auf einen Vorschlag einzugehen, der wiederholt auch von lateinamerikanischen Politikern gemacht wurde und den ich im Hinblick auf Chile für sehr wichtig halte, nämlich daß sich die drei internationalen Parteiorganisationen endlich einmal zusammensetzen, um eine gemeinsame Lateinamerika-Konzeption zu formulieren. Ich glaube, das würde sehr helfen. Der Außenminister von El Salvador hat uns in der vergangenen Woche eindringlich darum gebeten, daß ein solcher Schritt erfolgt. Ich meine, wir sollten uns nicht auf einzelne Parteien beschränken, sondern wir sollten uns von den großen internationalen Parteiorganisationen her gemeinsam bemühen, in Chile den Prozeß einer Demokratisierung entschieden voranzutreiben, auch mit äußerem Druck, auch in Hinsicht auf finanzielle Zusagen. Das Europäische Parlament hat in einer Entschließung deutlich gemacht, daß es für Chile keine Kredite geben wird, solange die Zustände anhalten, die wir natürlich alle beklagen. Dazu gehört natürlich auch die Frage der Folter, dazu gehören nach wie vor die von amnesty international jedes Jahr herausgegebenen Berichte, die keineswegs befriedigend sind. Sie weisen zwar gegenüber der Periode von 1973 bis 1979 Verbesserungen auf, aber ich glaube, daß diese Verbesserungen insgesamt gesehen immer noch nicht Anlaß zur Freude oder gar zur Verteidigung des chilenischen Regimes geben.
Ich meine nur: Wenn wir heute den Antrag, den wir Ihnen vorlegen, verabschieden, sind wir in der Sache nicht so weit auseinander, wie das soeben aus innenpolitischen Motiven hier darzustellen versucht wurde. Wir werden genau diese Politik machen, allerdings nicht lauthals, mit fanatischen Untertönen und in Form von großen Ausbrüchen, die wir hier im Deutschen Bundestag vollziehen. Ich glaube vielmehr, daß systematische Arbeit, auf die Regierung einzuwirken, in Chile endlich mehr Freiheiten zuzulassen, notwendig sein wird. Ich bin der Meinung, wir sollten auch unsere außenpolitischen Bemühungen in Lateinamerika etwas mehr von der lange gehegten Priorität Zentralamerika auf die großen Länder Südamerikas ausdehnen und hier genauso aktiv werden, wie wir alle das in Zentralamerika gewesen sind. Ich sehe in unserem Antrag dazu einen Beitrag. Ich meine, daß dieser Antrag die Bundesregierung verpflichten wird, im Zusammenhang mit ihren europäischen Bündnispartnern, aber auch in Gesprächen mit den Vereinigten Staaten, deutlich zu machen, daß das, was für Nicaragua gilt, auch für Chile gelten sollte. Ich glaube, mit diesem Satz werden sogar die GRÜNEN einverstanden sein.
Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1006429200
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Waltemathe.

Ernst Waltemathe (SPD):
Rede ID: ID1006429300
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zunächst ein Wort zu Ihnen, Herr Klein. Sie haben die westliche Wertegemeinschaft beschworen und haben sich dazu bekannt. Dazu will ich Ihnen sagen: Da genügt es nicht, bloß ein Antikommunist zu sein, da muß man auch Demokrat sein.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Da darf man nicht nur, wenn es um Afghanistan geht, das Kind beim Namen nennen, sondern muß es auch bei Chile tun. Darum geht es.
Es geht nicht um dieses innenpolitische Hickhack, um diese Auseinandersetzung, ob wohl Sozialdemokraten oder GRÜNE die richtigen Demokraten seien oder heimlich mit kommunistischen Regimen sympathisierten. Sie beschwören hier eine innenpolitische Auseinandersetzung herauf, die eigentlich unter Demokraten überwunden sein sollte.
Meine Damen und Herren, die SPD-Bundestagsfraktion hatte den Antrag, der heute zur Abstimmung steht, eigentlich zum zehnten Jahrestag der Machtergreifung in Chile durch Pinochet und seine Militärdiktatoren eingebracht. Eigentlich hätte man am 7. September 1983 — dieses Datum trägt der Antrag — eine Abstimmung durchführen können; denn damals konnte man doch wohl in der Sache Stellung nehmen. Ich finde es schon bezeichnend, daß eine zum 11. September 1983 terminierte Äußerung unseres demokratischen Parlaments gar nicht erst zustande kam, sondern die routinemäßige Überweisung an Ausschüsse offensichtlich wichtiger war.
Jetzt, ein halbes Jahr später, ist die chilenische Wirklichkeit noch schlimmer als zu dem Zeitpunkt, zu dem unser Antrag gestellt wurde; denn Gespräche zwischen der Opposition in Chile und dem Militärregime sind seit September 1983 abgebrochen, und von politischer Öffnung kann überhaupt keine Rede sein.
Einige Schlaglichter — obwohl sie mein Kollege Alwin Brück schon erwähnt hat — will ich eben noch einmal aufzählen. 1983 gab es über 15 000 Verhaftungen; knapp 100 Personen — genau 97 — wurden durch Polizei bei Demonstrationen getötet. Die geheimdienstliche Tätigkeit gegen das eigene Volk hat zugenommen, offensichtlich auch mit neuen Hilfstruppen. Da gibt es ein „Komitee zur Verteidigung des Vaterlandes" und eine „Antikommunistische Chilenische Aktion". Am 20. März 1984, also vor zwei Wochen, wurde der Christdemokrat Jorge Lavandero auf offener Straße durch solche sogenannten „zivilen" Kommandos verprügelt und schwer verletzt ins Krankenhaus eingeliefert. Am



Waltemathe
27. März 1984, dem achten Protesttag in Chile, gab es zahlreiche Verhaftungen, Verbannungen und mindestens fünf, nach neueren Berichten wahrscheinlich sogar elf Tötungen, darunter ein zwölfjähriger Junge.
Diese Tatsachen können doch für den Deutschen Bundestag kein Anlaß sein, etwas „mit Befriedigung" festzustellen.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Mit einem angeblichen Wirtschaftswunder, von dem vor zwei Jahren z. B. in der Zeitschrift „Capital" noch die Rede war, kann diese wiederaufgelebte Repression in Chile nicht erklärbar gemacht werden, selbst wenn es dieses Wirtschaftswunder gäbe. Es geht dort um blanken Machterhalt, wozu offenbar auch der Gedanke gehört, ein neues Scheinplebiszit zur Bestätigung Pinochets in Szene zu setzen. Es herrscht Ausnahmezustand in Chile.
Meine Damen und Herren, 1973, als das Regime Pinochet an die Macht kam, sind Zigtausende von Menschen aus Chile hinausgetrieben worden oder von sich aus geflohen. Die katholische Kirche in Chile schätzt die Gesamtzahl der Flüchtlinge auf eine Million. Selbst wenn man ganz großzügig unterstellt, daß auch viele solcher Menschen das Land verlassen haben, die wir vielleicht als Wirtschaftsflüchtlinge bezeichnen könnten, so kann man doch davon ausgehen, daß mindestens 10 %, also mindestens 100 000, politische Flüchtlinge sind.
Die Bundesrepublik Deutschland hat seinerzeit unmittelbar nach dem 11. September 1973 und in den daran anschließenden Jahren rund 4000 Chilenen aufgenommen. Teilweise haben wir — Bundestagsabgeordnete, aber natürlich auch viele andere Menschen — uns auch persönlich darum gekümmert, daß Menschen aus den Gefängnissen Chiles auf Grund des vom Regime erlassenen Dekrets Nr. 504 entlassen wurden. Dieses Dekret ermöglichte es die Haftstrafe politischer Gefangener, in ein Exil umzuwandeln. Wir sind den gewerkschaftlichen, den kirchlichen, den politischen und den sonstigen Organisationen bei uns zu Dank verpflichtet, die sich um viele, viele Einzelschicksale gekümmert haben und den Exilierten bis zum heutigen Tage helfen, sich bei uns zurechtzufinden.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, wir dürfen aber nicht vergessen, was politische Emigration eigentlich bedeutet. Sie bedeutet eine Isolierung von bis dahin gewohnter politischer oder gewerkschaftlicher oder sonstiger gesellschaftlicher Betätigung. Sie bedeutet eine Entfremdung von den Gesinnungsfreunden, die in Chile geblieben sind. Sie beinhaltet Realitätsverluste bei der Beurteilung der heutigen Lage in Chile selbst. Sie bedeutet im persönlichen Bereich die Spaltung von Familien und Freundeskreisen. Und sie bedeutet in vielen, vielen Fällen den Abbruch von beruflichen Entwicklungen.
Es darf nicht übersehen werden, daß wir und andere Aufnahmeländer einen völlig andersartigen Sprach- und Kulturkreis darstellen, so daß sich die Chilenen, die hier leben, auch zehn Jahre nach der
Vertreibung aus Chile noch fremd vorkommen und in den meisten Fällen keinen sehnlicheren Wunsch haben, als in ihre Heimat zurückkehren zu dürfen und an der Entwicklung ihres eigenen Landes teilzunehmen. Es ist vielen Chilenen bewußt, daß ihre Rückkehr, je länger sie im Ausland bleiben, desto schwieriger sein wird. Ihre Beziehungen zu ihrem Land werden immer schwächer, ihre Vorstellungen darüber immer ferner von der Realität. Ihr Wiedereinleben wird deshalb mit jedem verflossenen Jahr desto mühsamer. Nach zehn Jahren ist schon eine Kluft in vielen Familien zwischen den chilenischen Eltern und den inzwischen deutsch gewordenen Kindern zu spüren, für die Chile ein völlig fremdes Land ist, das sie nur von Erzählungen her kennen. Eine von Pinochets Grausamkeiten besteht darin, Tausende von chilenischen Familien zuerst bei der Flucht und jetzt bei der Rückkehr getrennt zu haben.
Meine Damen und Herren, wir haben eine Pflicht den Chilenen gegenüber, die bei uns Zuflucht gefunden haben. Solidarität muß j a wohl immer heißen: Einsatz dafür, daß Unterdrückte Rechte bekommen, ihr Schicksal selber zu bestimmen. Dies ist die Aufgabe von Demokraten, eine gemeinsame Aufgabe aller Demokraten, wie ich meine. Wenn Menschenrechtskonventionen einen Sinn haben sollen, so dürfen sie nicht zu diplomatischer Handelsware gemacht werden. So sehr uns also politisch Verfolgte bei uns willkommen sind, so sehr müssen wir auch verstehen, daß das Menschenrecht nach Art. 13 Abs. 2 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen, in die eigene Heimat zurückkehren zu dürfen, ein ganz konkreter Wunsch, ein ganz konkretes Recht ist. Unsere Pflicht besteht nicht nur darin, den chilenischen Flüchtlingen ein sicheres Leben hier zu geben, sondern auch darin, daß wir alles in unserer Macht Stehende tun, um ihnen die Rückkehr nach Chile zu ermöglichen. Voraussetzung dafür ist die Überwindung der Diktatur.
Meine Damen und Herren, wenn jetzt die Koalitionsmehrheit feststellen will, daß die Menschenrechte in Chile noch nicht voll wiederhergestellt worden seien und daß Pinochet angeblich großzügige Rückkehrerlaubnisse angeordnet habe, so gehen diese Feststellungen völlig an der chilenischen Wirklichkeit vorbei. Es ist nicht die Wahrheit, die dort in dem Antrag ausgedrückt wird. Tatsache ist, daß das Regime in Chile die Namen von lediglich 3 411 Chilenen veröffentlicht hat, die angeblich nach Chile zurückkehren dürfen. Auf diesen Listen stehen u. a. auch die Namen von Menschen, die niemals im Exil gelebt haben. Es stehen darauf die Namen von kleinen Kindern, ja, es stehen sogar Namen von politischen Gefangenen darauf, die in die Hände der chilenischen Geheimpolizei geraten und verschwunden sind. Mehrere Chilenen haben die Erfahrung gemacht, daß sie am Flughafen von Santiago de Chile zurückgewiesen wurden, obwohl sie auf den Listen verzeichnet waren.
Am 13. Dezember 1983, vor einem guten Vierteljahr, hat auf der Konferenz der christdemokratischen Weltunion in Santiago de Chile der General-



Waltemathe
sekretär der CDU zur Demokratie in Chile aufgerufen. Er hat gesagt: „Ein demokratisches Chile kann auf die freundschaftliche Unterstützung der Bundesrepublik Deutschland rechnen." In diesem Punkt stimmen wir mit dem Generalsekretär überein. Natürlich kann ein demokratisches Chile mit unserer Freundschaft und Unterstützung rechnen. Es klang sicherlich besser als die Töne 1977, als Strauß die unter dem Militärregime neu erworbene Freiheit pries. Aber leider ist die Bundesrepublik Deutschland immer noch sehr zaghaft gewesen — ich füge hinzu: auch zu Zeiten der sozialliberalen Koalition —, überhaupt den Feststellungen der UNO-Menschenrechtskommission zu folgen und das Pinochet-Regime eindeutig zu verurteilen.
Nunmehr hat die Bundesregierung ausgerechnet zu einem Zeitpunkt die Ausfuhr von zwei U-Booten nach Chile genehmigt, da Pinochet seinem Volk den Kriegszustand erklärt hat. Der Ausnahmezustand ist etwas anderes.

(Dr.-Ing. Kansy [CDU/CSU]: Aber doch nicht mit U-Booten!)

Dieser Deutsche Bundestag, meine Damen und Herren, wäre gut beraten, die Dinge beim Namen zu nennen und nicht durch nebelhafte Formulierungen den Eindruck zu erwecken, als seien in Chile Normalität und demokratische Entwicklung eingekehrt.

(Cronenberg [Arnsberg] [FDP]: Das tut doch keiner!)

Deshalb, meine Damen und Herren, sprechen Sie doch eine klare Sprache: Nehmen Sie die Drucksache 10/360, den Antrag der SPD, an.
Ich bedanke mich.

(Beifall bei der SPD)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1006429400
Das Wort hat Herr Staatsminister Möllemann.

Jürgen W. Möllemann (FDP):
Rede ID: ID1006429500
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben in der vergangenen Woche hier eine Aussprache über die Menschenrechtssituation in der Türkei gehabt. Diese Debatte hat sich dadurch ausgezeichnet, daß ein unbestreitbarer Tatbestand, nämlich die Verletzung von Menschenrechten in türkischen Gefängnissen, von allen Parteien gleichermaßen bewertet und in einer sachlichen Weise erörtert wurde. Vielleicht hat diese Debatte, wie man heute feststellen kann, auf Grund ihrer fairen und sachlichen Art, die nicht unterstellte, daß sich der eine oder andere für Menschenrechtsverletzungen einsetzt, einen Beitrag dazu geleistet, daß es im Blick auf diese konkrete Situation erste positive, wenngleich noch nicht hinreichende Veränderungen gibt.
Mein Eindruck ist, meine Kolleginnen und Kollegen, daß sich die Problematik der Menschenrechte eigentlich recht wenig für innenpolitische Profilierungskämpfe eignet angesichts der Tatsache, daß derzeit nach dem letzten Jahresbericht von amnesty international in mehr als 100 Staaten regelmäßig und systematisch die Menschenrechte verletzt werden.
Die Bundesregierung jedenfalls teilt die im Antrag der SPD vom 7. September 1983 und in der Beschlußempfehlung des Auswärtigen Ausschusses vom 22. Februar 1984 zum Ausdruck kommende Sorge und Betroffenheit über die Situation der Menschen- und Bürgerrechte in Chile. Die jüngsten Ereignisse haben diese Sorge verstärkt. Am 27. März hat zum erstenmal in diesem Jahr ein Tag des nationalen Protests stattgefunden, zu dem die in der Demokratischen Allianz und in der Volksdemokratischen Bewegung zusammengeschlossene Opposition sowie die Gewerkschaften aufgerufen hatten. Von der demokratischen Opposition war dieser Tag wie die seit Mai letzten Jahres vorangegangenen sieben Protesttage als friedliche Demonstration geplant. Dennoch kam es in seinem Vorfeld zu einer Serie von Sprengstoffanschlägen. Die Regierung erneuerte den erst im August vergangenen Jahres aufgehobenen Ausnahmezustand. Gewaltsame Auseinandersetzungen forderten erneut Menschenleben; zahlreiche Verhaftungen wurden vorgenommen.
Auf den ersten Blick haben sich damit in der Tat die Aussichten auf eine Besserung der Lage nach der von der chilenischen Regierung im August 1983 verfügten partiellen politischen Öffnung verschlechtert. Es gibt jedoch bei sorgfältiger Betrachtung auch Anzeichen dafür, daß angesichts der jüngsten Gewaltexzesse die Bereitschaft zum Gespräch auf beiden Seiten wieder zunimmt. Gerade in dieser Situation begrüßt es die Bundesregierung, daß ihr die heutige Debatte des Deutschen Bundestages die Gelegenheit gibt, sich mit den in der Beschlußempfehlung des Auswärtigen Ausschusses aufgeführten grundsätzlichen Zielsetzungen zu identifizieren.
Die Bundesregierung bedauert und verurteilt die Anwendung von Gewalt, sei sie revolutionär oder repressiv. Die Bundesregierung tritt für die Wahrung der Menschenrechte im Einzelfall und im allgemeinen ein — unabhängig von den politischen Motiven, die ihrer Verletzung zugrunde liegen. Nach Ansicht der Bundesregierung bieten Rechtsstaatlichkeit und Demokratie die beste Voraussetzung für inneren und äußeren Frieden und eine in die Zukunft weisende Entwicklung.
Der Auswärtige Ausschuß ist in seiner Beschlußempfehlung bemüht, der komplexen inneren Situation Chiles gerecht zu werden. Ich glaube, Herr Brück, man vergibt sich doch nichts, wenn man sagt, daß die Lage in diesem Land, die offenkundig alle als unbefriedigend empfinden, nicht als statisch betrachtet werden kann, sondern daß es jeden Tag Veränderungen gibt. Von daher können Sie an keinem Tag einen Text formulieren, der am nächsten noch in jedem Punkt stimmen kann. Das ist ein Problem; das räume ich gerne ein. Aber daß die Lage komplex ist, daß es nicht nur die Faktoren gibt, die Sie vorgetragen haben, hat man, glaube ich, darzustellen.
Bundestag und Bundesregierung werden nur dann gegenüber der Regierung eines souveränen



Staatsminister Möllemann
Staates für Demokratie und Menschenrechte glaubwürdig und vor allen Dingen mit Aussicht auf Erfolg — ich denke, es ist Zweck der ganzen Bemühungen, daß wir Aussicht auf Erfolg haben — eintreten können, wenn wir von einer objektiven Bewertung der Verhältnisse ausgehen. Die innere Lage in Chile ist widersprüchlich. Die Meinungsunterschiede, die hierzu bisher in der Debatte zum Ausdruck gekommen sind, haben darin ihre Ursache.
Das Jahr 1983 mit seinen eindrucksvollen Demonstrationen der demokratischen Opposition für die Rückkehr zu demokratischen Verhältnissen hat bedauerlicherweise zugleich zu einer Eskalation der Gewalt mit Todesopfern, Verletzten und Verhaftungen sowie zu einer insgesamt negativen Bilanz der Menschenrechte geführt. Im bürgerrechtlichen Bereich hat es jedoch eine Reihe von Verbesserungen gegeben, um deren Zukunft wir uns heute sorgen. Die ersten Schritte auf dem Wege einer politischen Normalisierung sollten gerade nach dem 27. März nicht übersehen werden.
Im August und September vergangenen Jahres gab es einen ersten offiziellen Dialog zwischen demokratischer Opposition und Regierung. Die öffentliche Tätigkeit demokratischer Parteien wurde gestattet. Ihre formelle Zulassung wird vorbereitet. Ein Plebiszit über vorgezogene Parlamentswahlen wurde in Aussicht gestellt. Der Notstand wurde zunächst aufgehoben, Versammlungsfreiheit gewährt. Einer Reihe Zwangsexilierter, darunter auch Politiker und Menschenrechtler, wurde die Rückkehr gestattet. Nicht allen; das ist richtig. Hier bleibt eine Forderung großen Ausmaßes weiterhin unerfüllt. Die Unabhängigkeit der Justiz ist gewachsen.
Es liegt im Interesse dieses Hauses und im Interesse der Bundesregierung, daß die im vergangenen Jahr eingeleitete teilweise politische Öffnung fortgesetzt wird, daß sie nicht durch repressive oder revolutionäre Gewalt zunichte gemacht wird. Die Bundesregierung hofft insbesondere, daß sich die chilenische Regierung an die 90-Tage-Frist des von ihr am 24. März erneut verhängten Ausnahmezustandes halten wird. Eine Politik des Alles oder Nichts bietet keinen Ausweg aus der chilenischen Krise; ebensowenig das Beharren auf Verhältnissen, die dort von der Mehrheit der Bevölkerung ganz offenkundig abgelehnt werden.
Die Bundesregierung begrüßt daher die gerade in den letzten Tagen laut gewordenen Stimmen des Ausgleichs und der Mäßigung. Der Erzbischof von Santiago, um erneut eine kirchliche Stimme zu zitieren, hat am Vorabend des achten Protesttages, am 27. März, Regierung, Opposition und auch die Gewerkschaften beschwörend zu einem neuen Dialog aufgerufen. Die Regierung hat ihre Gesprächsbereitschaft bekräftigt; sie muß sie jetzt unter Beweis stellen. Das Nationale Arbeiterkommando, dem u. a. auch der Führer der Bergarbeitergewerkschaft, Seguel, angehört, hat die Bildung einer Patriotischen Kommission der nationalen Versöhnung gefordert. Im Interesse einer freiheitlich-demokratischen Zukunft Chiles appelliert auch die Bundesregierung an die chilenische Regierung und die Opposition, einen friedlichen Ausgleich zu suchen und die Rückkehr zur Demokratie zu ermöglichen.
Lassen Sie mich, meine Kolleginnen und Kollegen, auf die an die Adresse der Bundesregierung gerichteten Forderungen des SPD-Antrags vom 7. September 1983 und auf einige Argumente der bisher in dieser Debatte geäußerten Kritik zu sprechen kommen.
Was die entwicklungspolitische Zusammenarbeit mit Chile anlangt, so kann ich feststellen, daß nach Beendigung auf Grund völkerrechtlicher Verpflichtungen begonnener Projekte neue staatliche Hilfe nicht mehr gewährt wurde. An dieser Linie wird die Bundesregierung so lange festhalten, wie sich die politischen Verhältnisse in Chile nicht zum Besseren gewandelt haben.
Den Vorwurf, die Bundesregierung trage mit der Lieferung von zwei U-Booten an Chile zur Stabilisierung der chilenischen Diktatur bei, weise ich zurück.

(Zurufe von den GRÜNEN)

Die Lieferung erfolgt auf Grund privatwirtschaftlicher Vereinbarungen. Die Genehmigung zur Herstellung der U-Boote wurde von der Bundesregierung Schmidt 1980 unter Berücksichtigung der inneren und äußeren Lage Chiles erteilt. Damit wurde gleichzeitig deutlich, daß die Ausfuhr nur versagt werden würde, wenn sich die Umstände, die bei der Entscheidung maßgeblich waren, wesentlich änderten; das ist nicht der Fall.

(Frau Gottwald [GRÜNE]: Eben, das ist das Problem!)

— Ja, die Umstände, die bei der Genehmigung seinerzeit gegeben waren, haben sich in der Tat nicht wesentlich geändert. Aber eine solche Genehmigung, Frau Gottwald, führt zu einer gewissen Bindung auch gegenüber dem Unternehmen, dem gegenüber der Staat, die Bundesregierung aus der Bundeskasse regreßpflichtig wird, wenn sie eine erteilte Genehmigung, ohne daß sich die Umstände geändert haben, die ihr zugrunde lagen, zurückzieht. Bitte, Herr Kollege Brück, es hat nichts mit Redlichkeit zu tun, wenn man diesen Sachverhalt nicht klar darstellt. Sie müssen dann sagen: Wir verlangen, daß die Bundeskasse mehrere hundert Millionen DM Schadensersatz dafür übernimmt, daß eine Verpflichtung, die Helmut Schmidt eingegangen ist, nicht eingelöst wird, wiewohl sich die Voraussetzungen nicht geändert haben. Dies zu verschweigen ist nicht in Ordnung.

(Beifall bei der CDU/CSU — Dr:-Ing. Kansy [CDU/CSU]: Das ist der Punkt!)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1006429600
Herr Staatsminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Reents?

Jürgen W. Möllemann (FDP):
Rede ID: ID1006429700
Aber sicher.

Jürgen Reents (GRÜNE):
Rede ID: ID1006429800
Herr Staatsminister, da Sie gesagt haben, daß Sie das Argument zurückweisen wollten, die U-Boot-Lieferung bedeute eine politi-

Reents
sche Stabilisierung des chilenischen Regimes, in der Zurückweisung dann aber lediglich auf die Regreßpflicht hingewiesen und den Schwarzen Peter zwischen der früheren und jetzigen Koalition hin- und hergeschoben haben: Können Sie bitte noch einmal erläutern, warum es sich bei der Lieferung der U-Boote Ihrer Meinung nach nicht um eine politische Stabilisierung des Regimes handelt bzw. inwieweit diese Lieferung möglicherweise gar in Übereinstimmung mit dem von Ihnen so genannten Demokratisierungsprozeß in Chile stehen wird?

Jürgen W. Möllemann (FDP):
Rede ID: ID1006429900
Herr Kollege Reents, ich habe nicht versucht, die Verantwortung zwischen der jetzigen und früheren Regierung hin- und herzuschieben. Meine Partei hat der früheren Regierung angehört und hat die Verantwortung für diese Entscheidung mitzutragen. Sie gehört auch dieser Regierung an und hat die Verantwortung für diese Entscheidung mitzutragen. Von daher geht es nicht darum, daß ich hier etwas hin- und herschiebe. Ich habe mich dagegen gewandt, daß vom Sprecher der SPD, also der Partei, die die Entscheidung seinerzeit in einer Lage, die sich von der heutigen Situation Chiles nicht unterscheidet, so getroffen hat, kritisiert wird, der Vollzug der seinerzeitigen Entscheidung sei eine Stärkung der chilenischen Regierung. Herr Kollege Brück, ich meine, Sie haben der Regierung sogar angehört — Sie, fällt mir gerade ein, haben ja der Regierung angehört, nicht ich —, die damals entschieden hat, Chile die U-Boote zu liefern in einer Lage, die sich nicht geändert hat. Ich habe hier darauf hingewiesen, daß, wenn wir diesen Beschluß nicht vollziehen wollen, das erhebliche Regreßzahlungen aus der Bundeskasse an das betroffene Unternehmen freisetzt.
Nun zu Ihrer Frage, Kollege Reents. Das war ein Argument im Blick auf die SPD.

(Abg. Waltemathe [SPD] meldet sich zu einer Zwischenfrage)

— Ich möchte zunächst diese Antwort geben, Herr Präsident. Herr Kollege Reents, ich glaube, man kann in der Tat sagen, daß die Lieferung von zwei U-Booten keine prinzipielle Veränderung der Lage irgendeiner Regierung herbeiführt; das wird sie nicht sonderlich stärken und nicht sonderlich schwächen. Wir haben hier eine Verpflichtung zu vollziehen, die die Bundesregierung Schmidt eingegangen ist.
Nun zu dem nächsten Punkt, der angesprochen worden ist.

(Zuruf von der SPD: Schmidt/Genscher!)

— Ich bin ganz dankbar, daß sie sich plötzlich wieder daran erinnern, daß zur letzten Regierung auch Herr Genscher gehört hat. Ich habe in der letzten Zeit von Ihnen sehr häufig gehört, daß die eigentlichen Leistungsträger der letzten Regierung nur in der SPD angesiedelt gewesen sind.

(Zurufe von der SPD)

Sie dürfen sich das nicht nach Bedarf aussuchen, ganz besonders in dieser Frage nicht.

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1006430000
Herr Staatsminister, gestatten Sie nun eine Zwischenfrage?

Jürgen W. Möllemann (FDP):
Rede ID: ID1006430100
Ja, gleich. Dem Bundessicherheitsrat, liebe Freunde, der diese Entscheidung seinerzeit getroffen hat, gehörten an: Helmut Schmidt, Hans Apel und Hans Matthöfer. Sie haben dieser Entscheidung zugestimmt; sie werden wissen, warum sie diese Entscheidung getroffen haben. — Bitte.

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1006430200
Bitte schön!

Ernst Waltemathe (SPD):
Rede ID: ID1006430300
Herr Staatsminister, auch wenn zuzugeben ist, daß seinerzeit schon eine Entscheidung durch den Bundessicherheitsrat getroffen wurde, können Sie mir aber bestätigen, daß schon damals in beiden Fraktionen der damaligen Koalition die Bedenken darin bestanden, daß die Lieferung von zwei U-Booten nach Chile als Unterstützung des dortigen Regimes angesehen werden konnte, und trifft es demnach zu, daß man nicht behaupten kann, es sei nun völlig außer der Welt, darin eine Stärkung zu sehen?

Jürgen W. Möllemann (FDP):
Rede ID: ID1006430400
Die Kritik gab es damals in beiden Fraktionen; das trifft zu. Ich kenne überhaupt fast keine Rüstungsexportentscheidung, die wir getroffen haben, die die vorherige Regierung getroffen hat, die diese Regierung getroffen hat oder treffen wird, die nicht außerordentlich umstritten ist. Das ist einzuräumen; das ist bei dieser Frage so.
Gestatten Sie mir, meine Kollegen, noch eine Anmerkung zu der generellen Forderung der SPD-Fraktion, die Bundesregierung solle die verfehlte chilenische Wirtschaftspolitik nicht unterstützen. Wir alle wissen, daß jedes Land unabhängig vom politischen System in der Ausgestaltung seiner Wirtschaftspolitik souverän ist. Der Einflußnahme Dritter sind durch die Bestimmungen des GATT enge Grenzen gezogen. Die Bundesregierung ist grundsätzlich gegen wirtschaftliche Sanktionen zur Durchsetzung politischer Ziele und für die Erfüllung von abgeschlossenen Verträgen.

(Zuruf der Abg. Frau Gottwald [GRÜNE])

Sanktionen würden sich eher negativ für die Bevölkerung auswirken; außerdem bewirken sie nichts in der Sache.
Ich möchte schließlich noch auf einen weiteren wichtigen Aspekt unserer Politik gegenüber Chile zu sprechen kommen. Die Bundesregierung betrachtet die Verletzung der Menschenrechte, wo immer sie auftritt, als Anliegen der internationalen Staatengemeinschaft. Dies gilt auch für Chile. Die Bundesregierung hat in den Vereinten Nationen, sowohl in der Generalversammlung als auch in der Menschenrechtskommission der Vereinten Nationen, ihre Sorge über die Lage der Menschenrechte in diesem Land stets deutlich und eindeutig zum Ausdruck gebracht. — Frau Gottwald, ich komme auf Ihr Argument zurück. — Sie hat sich im Einzelfall bei ihrem Abstimmungsverhalten in den Vereinten Nationen in den letzten Jahren von der Überlegung leiten lassen, daß es vor allem darauf ankommt, Chile in Menschenrechtsfragen zu einer



Staatsminister Möllemann
Zusammenarbeit mit den Vereinten Nationen zu bewegen und vorhandene Ansätze einer Verbesserung der Menschenrechtssituation zu fördern.
Die Sonderbehandlung dieses Landes in den Vereinten Nationen mit einem eigenen Tagesordnungspunkt und Sonderberichterstattung und die Unausgewogenheit der Resolutionstexte bieten der chilenischen Regierung die Handhabe, eine Kooperation mit der internationalen Gemeinschaft mit dem Hinweis abzulehnen: Es hat ja keinen Sinn, mit dieser Organisation zu kooperieren. Die Bundesregierung hat sich in ihrem Abstimmungsverhalten in den Vereinten Nationen von der Überlegung leiten lassen, wie sich eine Änderung dieser Haltung erreichen läßt. Dies bedeutet nicht, die chilenische Regierung aus ihrer Verantwortung für die Menschenrechtssituation des Landes zu entlassen. Chile soll vielmehr so behandelt werden wie andere Länder, in denen Menschenrechtsverletzungen zu bedauern sind.
Lassen Sie mich zusammenfassen. Die an die Adresse der Bundesregierung gerichteten Forderungen der Beschlußempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zur Lage in Chile liegen auf der Linie der von uns verfolgten Politik. Die Bundesregierung wird daher auch in Zukunft und verstärkt alles ihr Mögliche unternehmen, um zu einer frühestmöglichen Herstellung demokratischer und rechtsstaatlicher Verhältnisse in Chile beizutragen. Sie wird weiterhin versuchen, die politischen Kräfte Chiles zu Mäßigung, Ausgleich und Dialog anzuhalten und wird diese Politik auch innerhalb der Europäischen Gemeinschaft betreiben.
Aber ich möchte abschließend, liebe Kolleginnen und Kollegen, noch einmal einen Gedanken aufnehmen, der wirklich gesehen werden muß und von dem ich feststelle, daß er hier verdrängt wird. Angesichts der Tatsache, daß in 105 Staaten regelmäßig und systematisch die Menschenrechte verletzt werden, kann man auch nicht auf Grund einer besonderen, vielleicht ideologischen Verbundenheit zu einer früheren demokratischen Regierung — es ist sicherlich eines Ihrer Argumente, daß dort ein sozialistischer Politiker durch einen Militärputsch von der demokratischen Regierung abgelöst wurde —

(Waltemathe [SPD]: Nein, nein, nein!)

den Eindruck erwecken, als konzentriere sich die Menschenrechtsdebatte sozusagen schwerpunktmäßig oder allein auf dieses Land. Ich glaube, wir tun gut daran, liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn wir wie am letzten Freitag den Versuch unternehmen, unter Abwägung dessen, was möglich ist, und ohne den jeweils anderen zu unterstellen, er billige Menschenrechtsverletzungen, für die Verwirklichung der Menschenrechte in allen Teilen der Welt einzutreten.
Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1006430500
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung. Der Auswärtige Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 10/1049 unter a), den Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/360 abzulehnen. Wer dieser Beschlußempfehlung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Antrag der SPD ist mit Mehrheit abgelehnt.
Unter b) der Beschlußempfehlung empfiehlt der Ausschuß die Annahme einer Entschließung auf Drucksache 10/1049. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Diese Beschlußempfehlung ist mit Mehrheit angenommen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 5 auf:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für innerdeutsche Beziehungen (17. Ausschuß) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Bericht des Bundesministers für Verkehr 1982 über den Fortgang der Verkehrserschließung des Zonenrandgebietes
— Drucksachen 9/2254, 10/1002 —
Berichterstatter:
Abgeordneter Stiegler Dr. Kunz (Weiden)

Im Ältestenrat ist für die Aussprache ein Beitrag von bis zu 10 Minuten für jede Fraktion vorgesehen. Ich sehe und höre keinen Widerspruch. — Es ist so beschlossen.
Wird das Wort zur Begründung gewünscht? —Dies ist nicht der Fall.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Parlamentarische Staatssekretär Hennig.

Dr. Ottfried Hennig (CDU):
Rede ID: ID1006430600
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der alle zwei Jahre vorzulegende Bericht des Bundesministers für Verkehr über den Fortgang der Verkehrserschließung des Zonenrandgebietes berührt zwei Aufgabenbereiche. Vordergründig geht es um Probleme der Verkehrserschließung. Dahinter steht aber ein deutschlandpolitisches Anliegen; denn, wie es zutreffend in der heute zu beratenden Drucksache als Problem formuliert ist: „Durch die Teilung Deutschlands ist die Verkehrserschließung des Zonenrandgebietes noch immer beeinträchtigt." Der Auftrag von § 4 des Zonenrandförderungsgesetzes erfordert also weitere Anstrengungen.

(Zustimmung des Abg. Lowack [CDU/ CSU])

Daß auf Grund dieser Tatsache der Bundesverkehrsminister, dem die Verkehrserschließung im gesamten Bundesgebiet obliegt, und der für die Förderung speziell des Zonenrandgebietes zuständige Bundesminister für innerdeutsche Beziehungen gelegentlich in Akzenten unterschiedliche Interessen haben müssen, liegt in der Natur der Dinge. Wie aber der vorliegende Bericht zeigt — dies kommt auch in der Stellungnahme des Ausschusses für innerdeutsche Beziehungen zum Ausdruck —, ist es auf Grund einer guten Zusammenarbeit gelungen,



Parl. Staatssekretär Dr. Hennig
auch in diesem Berichtszeitraum die verkehrlichen, fiskalischen, raumordnerischen, regionalpolitischen und deutschlandpolitischen Aspekte angemessen zu berücksichtigen und die Verkehrserschließung des Zonenrandgebietes bevorzugt zu sichern.
Ich bin mir durchaus bewußt, daß trotz des großen Engagements zugunsten des Zonenrandgebiets nicht alle Wünsche in dieser Richtung erfüllt werden konnten. Zu Recht enthält daher die Stellungnahme des Ausschusses für innerdeutsche Beziehungen noch eine Reihe von Anregungen und Verbesserungsvorschlägen. Die Bundesregierung ist für diese konstruktiven Hinweise dankbar.
Etwas problematisch ist die Umsetzbarkeit dieser Vorschläge bis zum nächsten Bericht, weil der nächste Berichtszeitraum die Jahre 1982 und 1983 umfaßt und noch in diesem Jahr zu erstellen ist. Trotz dieser Schwierigkeit wird die Bundesregierung versuchen, diese Anregungen, soweit möglich, bereits beim nächsten Bericht zu berücksichtigen. Teilweise ist dies schon geschehen, wie folgende Beispiele zeigen.
Die Bundesregierung bemüht sich auf verschiedenen Ebenen, eine Wiedereröffnung des Grenzübergangs Waldsassen-Eger zur Tschechoslowakei zu erreichen.

(Beifall des Abg. Dr. Kunz [Weiden] [CDU/ CSU])

Über die Erfolgsaussichten dieser Bemühungen ist zur Zeit leider noch keine Aussage möglich. Die Tschechoslowakei stand bisher auf dem Standpunkt, der schon bestehende Grenzübergang Schirnding sei in der Lage, auch einen wachsenden Verkehrsfluß aufzunehmen. Demgegenüber wünscht die Bundesregierung eine Wiedereröffnung des Grenzübergangs nicht zuletzt deshalb, weil es sich hier um eine alte und wichtige Verbindung handelt, die für diese Stelle des Zonenrandgebiets von besonderer Bedeutung ist.

(Zustimmung bei der CDU/CSU)

Der Ausschußbericht enthält zum Abschnitt Eisenbahnen eine Reihe konstruktiver Vorschläge. Leider wird die Deutsche Bundesbahn bei ihren erforderlichen Konsolidierungsanstrengungen auch das Zonenrandgebiet nicht völlig ausklammern können. Dabei achtet die Bundesregierung — hier insbesondere der Bundesminister für innerdeutsche Beziehungen — mit geschärfter Aufmerksamkeit darauf, daß Belastungen im Zonenrandgebiet so weit wie möglich vermieden werden.
In diesem Zusammenhang möchte ich die vom Bundeskabinett am 23. November beschlossenen Leitlinien zur Konsolidierung der Deutschen Bundesbahn erwähnen. Darin ist ausdrücklich eine bedarfsgerechte Verkehrsbedienung im Zonenrandgebiet festgeschrieben. Nach dem Willen der Bundesregierung ist die besondere Lage des Zonenrandgebiets von der Deutschen Bundesbahn bei ihren unternehmerischen Entscheidungen weiterhin zu berücksichtigen. Sowohl der Bundesverkehrsminister als auch der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Bundesbahn haben in den Erläuterungen der Leitlinien versichert, daß die Bahn keinen Rückzug aus der Fläche anstrebe. Dies hat heute vormittag in diesem Hause ja bereits eine Rolle gespielt.
Des weiteren, meine Damen und Herren, wird in den Leitlinien bekräftigt, daß Entscheidungen über Streckenstillegungen bzw. Verlagerungen des Personenverkehrs von der Schiene auf die Straße erst nach Prüfung jedes Einzelfalles getroffen werden. Im Zonenrandgebiet bleibt es bei dem Genehmigungsvorbehalt des Bundeskabinetts.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Auf Wunsch des innerdeutschen Ausschusses werden seit fast einem Jahr den Mitgliedern des Unterausschusses für Zonenrandförderung die Unterlagen über alle beabsichtigten Streckenstillegungsmaßnahmen der Bahn im Zonenrandgebiet zur Verfügung gestellt. Das Abstimmungsverfahren innerhalb der Bundesregierung wird erst eingeleitet, nachdem das Parlament durch diesen Unterausschuß eine Gelegenheit zur Stellungnahme hatte.
Keine Schienenstrecke im Zonenrandgebiet wird stillgelegt, sofern das Bundeskabinett aus deutschlandpolitischen Gründen von der Notwendigkeit ihrer Aufrechterhaltung überzeugt ist. So wurden schon 1982 von der Bundesregierung insgesamt 3,341 Millionen DM an Ausgleichszahlungen nach § 28a Bundesbahngesetz an die DB für die Aufrechterhaltung von sieben Strecken im Zonenrandgebiet gezahlt.
Zur Präsenz der Deutschen Bundesbahn im Zonenrandgebiet sind nicht zuletzt ihre Arbeitsplätze zu rechnen. Deshalb ringt die Bundesregierung — und wir wissen, daß dies eine sehr bedeutsame Entscheidung ist — in der Frage einer etwaigen Schließung der im Zonenrandgebiet gelegenen Ausbesserungswerke Fulda und Weiden noch um eine allen Interessen gerecht werdende Lösung.
In dem Berichtsabschnitt Bundesfernstraßen ist eine Reihe von besonders dringlichen Straßenbauvorhaben im Zonenrandgebiet aufgeführt. Auch dieser Katalog wurde in die bereits angelaufenen Beratungen zur Fortschreibung des Bundesverkehrswegeplans 1984 einbezogen. Eine Bonusregelung für das Zonenrandgebiet wird hier dem Anspruch auf bevorzugte Verkehrserschließung Rechnung tragen.
Der Verbesserung der Verkehrsverhältnisse der Gemeinden dient der im Ausschußbericht erwähnte OPNV-Modellversuch im Raum Wunsiedel. Damit ist es uns gelungen, erstmals einen solchen Modellversuch mit Bundesmitteln im Zonenrandgebiet zu fördern. Die erst nach einigen Jahren vorliegenden Ergebnisse dieses Vorhabens werden mit Sicherheit für andere Zusammenschlüsse im Rahmen des öffentlichen Personennahverkehrs im Zonenrandgebiet von großer Bedeutung sein.
Wie Sie bereits aus diesen wenigen Beispielen erkennen können, bemüht sich die Bundesregierung, die in der Stellungnahme des Parlaments zum Bericht des Bundesministers für Verkehr über den Fortgang der Verkehrserschließung des Zonenrandgebiets enthaltenen Anregungen und Wünsche un-



Parl. Staatssekretär Dr. Hennig
mittelbar, Herr Kollege Stiegler, in die Praxis umzusetzen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Die Bundesregierung ist sich mit dem Ausschuß für innerdeutsche Beziehungen in dem Bemühen einig, den Belangen des Zonenrandgebietes bei seiner Verkehrserschließung angemessen zu entsprechen.
Wenn auch im Einzelfall abweichende Auffassungen über Notwendigkeit und Dringlichkeit der speziellen Verkehrsmaßnahmen bestehen — dies wird in dem Bericht ausdrücklich aufgeführt —, so sollte doch, meine Damen und Herren, jedem Mitglied des Hauses eine Zustimmung zum Gesamtbericht letztlich möglich sein.
Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1006430700
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Stiegler.

Ludwig Stiegler (SPD):
Rede ID: ID1006430800
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Verkehrswegeplan hat heuer Jubiläum. 1969 sind der erste Verkehrswegeplan und der erste Bericht vorgelegt worden. 15 Jahre bemühen wir uns, und zwar gemeinsam, um die bessere Verkehrserschließung des Zonenrandgebietes. Ich habe deshalb mit Genugtuung zur Kenntnis genommen, daß der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Hennig mit seiner Bewertung der Vergangenheit insgesamt auch eine positive Bewertung der Bemühungen der letzten Jahre vorgenommen hat.

(Zuruf von der CDU/CSU: Nur der Erfolg hat zugenommen!)

Auch wenn der Kollege Lintner nur ein säuerliches Lächeln dazu aufbringt, so glaubt im Innern seines Herzens auch er es. Wir sollten die Gemeinsamkeit in dieser Frage nicht aufgeben.

(Sehr richtig! bei der CDU/CSU)

Der Unterausschuß für Zonenrandförderung zeichnet sich dadurch aus, daß er noch nie, soweit ich weiß, kontrovers abgestimmt hat. Wir haben uns vielmehr im Interesse dieser Randregion immer zusammengerauft. Und so soll es auch bleiben.

(Sehr richtig! bei der CDU/CSU)

Wir haben gleichwohl eine Reihe von Wünschen anzumelden, die in die Zukunft reichen. Und wir haben einige Dauerbrenner.
Ich bin Herrn Staatssekretär Dr. Hennig dankbar, daß er das Thema Grenzübergänge wieder angesprochen hat. Er hat sich auf die Grenzübergänge zur CSSR bezogen, dabei Waldsassen/Hundsbach besonders angesprochen. Es gibt aber noch eine Reihe von anderen Wünschen. Es gibt auch Wünsche, mehr Grenzübergänge zur DDR wiederzueröffnen. Auch hier wird die Bundesregierung nachdrücklich ermuntert, mit den Partnern auf den anderen Seiten, mit unseren Nachbarn nachdrücklich zu verhandeln und dranzubleiben. Ich weiß, es geht zäh. Wir dürfen hier aber nicht nachlassen. Solange dieses Europa geteilt ist und solange wir hier in verschiedenen Staaten leben, wird das eine der Hauptaufgaben bleiben.
Meine Damen und Herren, "unser Dauerbrenner ist die Bundesbahn. Das Stichwort der Ausbesserungswerke Fulda und Weiden ist gefallen. Wir appellieren nachdrücklich, diese Ausbesserungswerke im Zonenrandgebiet zu halten.

(Beifall bei der SPD)

Würden sie fallen, würden jahrzehntelange Bemühungen um Strukturverbesserungen gescheitert sein.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wir erinnern an die Bemühungen der Bundesbahn um die Straffung des betriebsmaschinentechnischen Dienstes, an die Bahnbetriebswerke. Hier ist die Bahn aufgefordert, von diesen größenwahnsinnigen Konzepten, die eine Dienststelle nur mit mehreren hundert Leuten dulden wollen, abzugehen und mehr zu regionalisieren und eine andere Dienststellenkonzeption zu entwickeln, die es auch erlaubt, in den Randgebieten, insbesondere im Zonenrandgebiet, Menschen in verantwortlicher und in ausführender Funktion zu lassen.
Wir bleiben bei unserer Forderung, daß die Strekkenstillegungen im Zonenrandgebiet mit äußerster Behutsamkeit zu diskutieren sind. Hier geht es nicht nur um die eine oder andere Strecke; meine Damen und Herren, hier droht eine Infrastruktur wegzubrechen, wenn die Eisenbahn aufgegeben wird. Das ist dann keine Entscheidung für ein oder zwei Jahre, das ist dann eine Jahrhundertentscheidung. Wer die Brücken vergammeln läßt, was jetzt der Fall ist — die Bundesbahn läßt alle Brücken außerhalb des unternehmerischen Kernbereichs vergammeln —,

(Zuruf von der SPD: Unglaublich!)

und wer neben den Brücken auch die Oberbaubereiche vergammeln läßt, der schiebt das Setzen der Haftscheibe vielleicht um ein, zwei Jahre hinaus. Aber wenn wir hier nicht aufpassen, wird dem Zonenrandgebiet das Infrastrukturelement Eisenbahn genommen. Und wer sich vergegenwärtigt, was auf das Infrastrukturelement Straße zukommt, was im Bereich der Umweltpolitik auf das Auto zukommt, der muß mit uns dafür eintreten, daß dieses Zonenrandgebiet nicht auf einen einzigen Verkehrsträger, den Pkw, verwiesen wird. Es braucht vielmehr weiter die Bundesbahn als Grundelement der Infrastruktur. Dafür müssen wir mit Nachdruck eintreten.
Wir appellieren in diesem Zusammenhang auch an die Bundesländer und auch an die Gemeinden, uns nicht nur Resolutionen zu schicken, sondern auch Verhandlungsdelegationen, die mit dem Bundesverkehrsminister und der Bundesbahn echt verhandeln, auch selber etwas anbieten. Und der bayerische Ministerpräsident darf nicht immer nur schöne Erklärungen über hundert Millionen DM und anderes, was er geben wolle, abgeben, sondern er sollte eine Delegation der bayerischen Staatsregierung zu Herrn Dr. Schulte oder zum Dollinger



Stiegler
schicken — und zum Finanzminister — und sagen: Laßt uns uns zusammensetzen und uns miteinander ein finanzierbares Konzept aushandeln. Mit reinen Erklärungen ist uns nicht gedient. Und am Nockherberg habe ich gehört, er sei die Sphinx, und ohne ihn gehe nix. Insofern ist es notwendig, daß wir aus München mehr als nur Worte hören.

(Beifall bei der SPD)

Die Kollegen von der Union sollten uns hier nachdrücklich unterstützen. Und im Innern ihres Herzens tun sie es auch, nur dürfen sie es nicht so laut sagen.
Wir unterstreichen deshalb mit Nachdruck die beiden Beschlußempfehlungen Nr. 2 und 3, die der Ausschuß gemeinsam verabschiedet hat. Wir wollen ein Bundesbahnkonzept für das Zonenrandgebiet. Wir wollen endlich auch eine Erklärung, wie die Bundesregierung zum Vorrang des Zonenrandförderungsgesetzes steht. Ich weiß sehr wohl: An dem Bundesminister für innerdeutsche Beziehungen und an seinem Parlamentarischen Staatssekretär sind hier Zweifel nicht erlaubt. Aber weiter rechts sitzt schon einer, der sich etwas unverbindlicher äußern muß. Und der Finanzminister, der hier eine klare Aussage machen sollte, ist erst gar nicht erschienen. Der Herr Dr. Hennig hat hier ja sachte angedeutet, daß es innerhalb der Bundesregierung eben Abstimmungsbemühungen gibt. Ich kann Sie nur ermuntern: Raufen Sie sich zusammen. Raufen Sie, aber raufen Sie sich zusammen.

(Drabiniok [GRÜNE]: Gewaltfrei!)

— Bitte sehr, gewaltfrei, damit der Innenminister nicht dazwischengeht. Ganz klar.

(Dr. Jobst [CDU/CSU]: Wir haben keine SPD-Regierung mehr!)

— Aber, lieber Jobst, wenn wir je so g'rauft hätten wie ihr, ich glaub', Sie wären gar nimmer nach Bonn gefahren, sondern hätten dort draußen immer Zeter und Mordio geschrien. Hör mal auf! Schaut's euch mal euren Steuerstreit und euren ganzen Zirkus an, und seid's dann etwas bescheidener. Ich glaub', selbst der Jobst lernt das langsam kennen.

(Beifall bei der SPD)

— Ernst, du bist ja viel besser!

(Vorsitz: Vizepräsident Westphal)

Verehrte Anwesende, meine sehr verehrten Damen und Herren, in Sachen Bundesbahn ziehen wir — —

(Dr. Meyer zu Bentrup [CDU/CSU]: Die Bayern unter sich!)

— Das ist mein Privileg. Entschuldigen Sie: Wenn Sie das nicht haben, ist das Ihr Pech. Wir Ostbayern halten in dem Punkt zusammen, wenn's um das bayerische Grenzland, unsere Strecken und unsere Eisenbahn geht, und da lassen wir uns von Euch keine Pappritz oder so was vorschreiben, auch nicht im Plenum.

(Heiterkeit bei allen Fraktionen)

Sehr verehrte Anwesende, bei den Bundesfernstraßen ist hier vom Ausschuß eine positive Bilanz gezogen worden. In der Tat, vor zehn Jahren gab es in Ostbayern kaum einen Meter Autobahn. Hier ist die Erschließung weiter vorangekommen.

(Zuruf des Abg. Burgmann [GRÜNE])

Gar keine Frage: Das wird begrüßt. Hier gilt es, die eine oder andere Lücke zu schließen. Dann sind die Wünsche weitgehend erfüllt. Wir wollen — keine Sorge bei den GRÜNEN! — Ostbayern nicht zubetonieren. Wir wollen nur einige Grundmagistralen haben. Und hier sind wir durchaus auf gutem Weg. Das gilt auch für das übrige Zonenrandgebiet.

(Zuruf des Abg. Burgmann [GRÜNE])

Wir wollen beide Verkehrsträger, nicht nur einen. Wir müssen beide haben, wie Sie sehr wohl wissen. Wir werden daran weiter gemeinsam arbeiten und werden uns — da helfen wir hier gelegentlich der Regierungskoalition — nicht auseinanderdividieren lassen, sondern dem Finanzminister das laut und deutlich sagen, was Sie zwar gern sagen würden, was Sie sich aber nicht trauen dürfen zu sagen.
Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1006430900
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Kunz (Weiden).

(Dr. Meyer zu Bentrup [CDU/CSU]: Die bayerische Koalition! — Zuruf des Abg. Buschbom [CDU/CSU])


Prof. Dr. Max Kunz (CSU):
Rede ID: ID1006431000
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Stiegler, um die Glaubwürdigkeit der Aussagen des bayerischen Ministerpräsidenten brauchen Sie sich bestimmt keine Sorgen zu machen.

(Pfeifer [CDU/CSU]: So ist es!)

Der Bericht des Bundesministers für Verkehr erstreckt sich auf das Jahr 1982. Das Ergebnis der Beratungen liegt gedruckt vor. Ich benutze die Gelegenheit, als einer der beiden Berichterstatter einige aktuelle Anmerkungen zur Verkehrserschließung des Zonenrandgebiets und zur Zonenrandförderung insgesamt zu machen.
Bundeskanzler Kohl hat sich in seiner Amtszeit eindeutig besonders in den beiden Regierungserklärungen von 1982 und 1983,

(Buschfort [SPD]: Wo ist er eigentlich?)

aber auch in seinem Bericht zur Lage der Nation 1984 eindeutig zur Zonenrandförderung bekannt und ihr sogar einen höheren Stellenwert eingeräumt, als es in den vergangenen Jahren der Fall war.
Während der Aufbauphase der Bundesrepublik erfuhren die Ballungsräume mit ihren Problemen der zerstörten Städte und infolge ihres zahlenmäßigen Übergewichts eine gewisse Priorität. Das deutliche Zurückfallen des Zonenrandgebiets in wirtschaftlicher Hinsicht und alle damit zusammenhängenden Fragen haben 1971 ein eigenes Gesetz zur Förderung des Zonenrandgebiets unerläßlich gemacht.



Dr. Kunz (Weiden)

Während die alte Bundesregierung 1982 bei der Gemeinschaftsaufgabe Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur mit einem Gesamtansatz von 470 Millionen DM dem Zonenrandgebiet 204 Millionen DM = 43 % zukommen ließ, hat die neue Bundesregierung den Gesamtansatz auf 520 Millionen DM erhöht und den Anteil für das Zonenrandgebiet auf 237 Millionen DM = 45,6% gesteigert. 1984 stiegen der Gesamtansatz der Gemeinschaftsaufgabe weiter auf 551 Millionen DM und der Anteil des Zonenrandgebiets auf 251 Millionen DM=45,6%.
Eine Verbesserung der Haushaltsansätze haben wir auch bei der laufenden Frachthilfe zu verzeichnen. Sie stieg von 48 Millionen im Jahr 1982 auf 51 Millionen DM im Jahr 1983 und steht mit 50 Millionen im Jahr 1984 zu Buche.
Ich spreche der neuen Bundesregierung dafür in Namen der Bevölkerung und der Wirtschaft des Zonenrandgebiets großen Dank aus.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Die jetzt auch im Zonenrandgebiet langsam in Gang kommende Konjunktur benötigt für das größer werdende Transportvolumen für das Jahr 1985 eine Aufbesserung der Ansätze für Frachthilfe.
Ein besonderes Anliegen ist die erweiterte Kohlenfrachthilfe, deren Erhalt über den 31. Dezember 1984 hinaus für viele Betriebe im Zonenrandgebiet lebenswichtig ist. Ich stelle hier eindeutig klar, daß die erweiterte Kohlefrachthilfe von Anfang an niemals allgemeinwirtschaftlich begründet, sondern ausschließlich politisch gerechtfertigt worden ist. Deshalb darf die erweiterte Kohlefrachthilfe, die eine rein politisch bedingte Hilfsmaßnahme ist, aus anderen Gründen nicht eingestellt werden.
Im Bereich der Gemeinschaftsaufgaben ist es notwendig, die deutliche Präferenzabstufung von Berlin über das Zonenrandgebiet und sonstige Fördergebiete zu erhalten bzw. wiederherzustellen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Sie darf nicht auf Dauer durch Fördermaßnahmen für Gebiete mit sektoralen Problemen, die ebenfalls Bundeshilfe erforderlich machen, aufgehoben werden.
Um die teilungsbedingten Nachteile des Zonenrandgebiets gegenüber anderen Regionen der Bundesrepublik so weit wie möglich auszugleichen, muß die Verkehrserschließung größere Bedeutung erhalten.

(Zustimmung bei der CDU/CSU)

Dies kann dazu beitragen, daß das Zonenrandgebiet, wie das Raumordnungsgesetz vom 4. April 1965 als Ziel vorgibt, „mindestens gleichwertige Lebens- und Arbeitsbedingungen wie im gesamten Bundesgebiet" geschaffen werden. Mit diesem zentralen Auftrag des Raumordnungsgesetzes sind alle Ministerien angesprochen.
Im Verkehrsbereich Eisenbahn weise ich mit allem Nachdruck darauf hin, daß die Deutsche Bundesbahn bei allen im Zonenrandgebiet geplanten Maßnahmen vor allem die Ziele des Zonenrandförderungsgesetzes und des Raumordnungsgesetzes beachten muß. Ich bin der Bundesregierung dankbar für die Aussage, daß es bei den Nebenbahnen im Zonenrandgebiet keinen Kahlschlag und auch keinen allgemeinen Rückzug aus der Fläche gibt.

(Zustimmung bei der CDU/CSU — Büchler [Hof] [SPD]: Überhaupt kein Rückzug mehr!)

Die notwendige Sanierung der Bundesbahn darf nicht zu Lasten des Zonenrandgebietes gehen. Die Anhörung aller betroffenen Stellen und Instanzen vor der beabsichtigten Stillegung einer Nebenstrecke im Zonenrandgebiet und die Tatsache, daß die letzten Entscheidungen im Kabinett getroffen werden, bedeuten eine zusätzliche Sicherung, daß die berechtigten Interessen des Zonenrandgebiets und der deutschlandpolitische Auftrag berücksichtigt werden.

(Burgmann [GRÜNE]: Von was für einer Zone sprechen Sie eigentlich immer?)

Bei der Verbesserung des öffentlichen Personennahverkehrs sollte gerade im Zonenrandgebiet die Deutsche Bundesbahn verstärkt eingebunden werden.
Ein leidiges Kapitel ist die Verwendung der Finanzmittel aus dem Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz. Mit Hilfe dieses Gesetzes werden 2,552 Milliarden DM aufgebracht. Davon werden im öffentlichen Personennahverkehr 1,449 Milliarden DM und im kommunalen Straßenbau 1,102 Milliarden DM verwendet.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1006431100
Herr Kollege Kunz, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Büchler (Hof)? — Sie möchten nicht unterbrochen werden.

Prof. Dr. Max Kunz (CSU):
Rede ID: ID1006431200
Nein, ich möchte die Zeit nutzen, um Aussagen zum Zonenrandgebiet zu machen. Wenn ich mehr Zeit hätte, würde es mir ein Vergnügen bereiten, mich mit meinem Kollegen Büchler zu streiten.

(Burgmann [GRÜNE]: Gönnen Sie sich ruhig das Vergnügen!)

Die elf Verkehrsballungsräume der Bundesrepublik erhalten beim öffentlichen Personennahverkehr 1,286 Milliarden DM; das sind 88,7 %. Beim kommunalen Straßenbau erhalten sie 484 Millionen DM; das sind 42,8%. Dabei ist zu berücksichtigen, daß nur etwa die Hälfte der Bevölkerung in diesen elf Verkehrsballungsräumen lebt.
Es geht nicht an, daß die Ballungsräume auch weiterhin eine solch massive Bevorzugung erfahren, daß der öffentliche Personennahverkehr aus Mitteln, die zumindest zur Hälfte von der übrigen Bevölkerung aufgebracht werden, dort so bevorzugt gefördert wird.

(Lowack [CDU/CSU]: Sehr gut!)

Schon aus Gerechtigkeitsgründen muß deshalb für das Zonenrandgebiet ein größerer Anteil reklamiert werden.



Dr. Kunz (Weiden)

Aus wirtschaftlichen Gründen kann die Deutsche Bundesbahn auf den Neubau bestimmter Strecken nicht verzichten. Es darf aber nicht so weit kommen, daß Neubaustrecken am Zonenrandgebiet entlang, vielleicht sogar teilweise durch das Zonenrandgebiet selbst geführt werden, aber fehlende Haltepunkte ihre Benutzung durch die Bewohner des Zonenrandgebiets sehr erschweren oder gar unmöglich machen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Der Ausschuß legt großen Wert darauf, daß die Deutsche Bundesbahn diesem Anliegen der Bevölkerung Rechnung trägt.
Für die Einrichtung oder Auflösung von Dienststellen der Deutschen Bundesbahn im Zonenrandgebiet ist es erforderlich, daß der Ausschuß fest entschlossen ist, darauf zu achten, daß dem Zonenrandförderungsgesetz stets Vorrang vor anderen Gesetzen eingeräumt wird.

(Lowack [CDU/CSU]: Sehr gut! Das muß einmal klargestellt werden!)

Ich teile die Auffassung der Bundesregierung, daß die Deutsche Bundesbahn nicht nur Ausgleichszahlungen erheischen darf, sondern bei allen konzeptionellen Unternehmensentscheidungen, wie der Herr Staatssekretär Dr. Hennig ausgeführt hat, mit Vorrang dem Zonenrandförderungsgesetz Rechnung tragen muß.
Von ganz besonderer Bedeutung für das Zonenrandgebiet ist die Erhaltung der Ausbesserungswerke der Deutschen Bundesbahn in Weiden und in Fulda. Das haben der Herr Staatssekretär und auch mein Vorredner angesprochen. Diese vom Ausschuß gestellte Forderung wurde auch vom Deutschen Bundestag einmütig gutgeheißen. Der verringerte Bedarf an Dienstleistungen in allen Ausbesserungswerken der Bundesbahn zwingt zur Stillegung mehrerer Werke. Die jahrzehntelange Vernachlässigung von Investitionen im Ausbesserungswerk Weiden z. B. hat zu einer reduzierten Wirtschaftlichkeit dieses Werkes geführt. Bei der von der Bundesbahn geplanten Schließung würden ca. 600 Arbeitsplätze vorlorengehen. Das ist mehr, als die Stadt Weiden in den letzten zehn Jahren mit äußerster Anstrengung an neuen Arbeitsplätzen überhaupt schaffen konnte.
Mit Rücksicht auf die verheerenden Folgen einer solchen Stillegung des Ausbesserungswerks Weiden hat die bayersiche Staatsregierung ihre feste Bereitschaft bekundet, die erforderlichen Investitionen zu finanzieren, um dieses Ausbesserungswerk in den Zustand zu versetzen, ebenso wirtschaftlich zu arbeiten wie andere, leistungsfähige Ausbesserungswerke.
Ich danke deshalb der bayerischen Staatsregierung an dieser Stelle für die Bereitschaft zu solch in Aussicht gestellter finanzieller Anstrengung, die bisher ohne Beispiel ist. Es gibt kein Grund, an dieser Bereitschaft zu zweifeln.

(Beifall bei der CDU/CSU — Böhm [Melsungen] [CDU/CSU]: Hessen sollte dem Beispiel für Fulda folgen!)

Die bayerische Staatsregierung legt großen Wert darauf, die psychologische Wirkung einer Stillegung zu vermeiden. Ich vertraue darauf, daß die Deutsche Bundesbahn dieses für sie sicherlich interessante Angebot annimmt. Eine solche Kooperation könne modellhaften Charakter gewinnen.
Im Verkehrsbereich Bundesfernstraßen muß das Zonenrandgebiet bei den Finanzmitteln stärker als bisher berücksichtigt werden. Das Zonenrandgebiet hat — insbesondere bei den Flächenstaaten — noch einen größeren Nachholbedarf. Die Koalitionsvereinbarungen haben dem Rechnung getragen und festgelegt, daß die sturkturschwachen Gebiete besonders berücksichtigt werden sollen. Ich erwarte, daß die Bundesregierung bei der Vorlage des neuen Bedarfsplans dieser Festlegung gebührend Rechnung trägt.
In diesem Zusammenhang rege ich an, daß für alle Bundesbahnstrecken, die sich wegen ausgebliebener Nachfrage betriebswirtschaftlich nicht mehr aufrechterhalten lassen und für die auch aus deutschlandpolitischen Gründen eine hinreichende Begründung nicht zu erbringen ist, durch enge Koordinierung der zuständigen Stellen vor der Stillegung der Strecke oder der Einstellung des Reisezugverkehrs dafür gesorgt wird, daß die Staats- und Bundesstraßen, die den bisherigen Schienenverkehr aufnehmen, rechtzeitig in den baulichen Zustand versetzt werden, mit dem sie in der Lage sind, den zusätzlichen Verkehr auch tatsächlich aufzunehmen.
Was die Grenzübergänge anlangt, so danke ich dem Herrn Staatssekretär besonders für den Hinweis und die Entschlossenheit in bezug auf den Übergang von Waldsassen.
Im Bereich der Wasserstraßen muß der Bau des Rhein-Main-Donau-Kanals durch die rechtzeitige Bereitstellung ausreichender Mittel zügig fortgesetzt werden. Diese Wasserstraße ist geeignet, — —

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1006431300
Herr Abgeordneter, ich muß Sie darauf aufmerksam machen, daß Ihre Redezeit abgelaufen ist.

Prof. Dr. Max Kunz (CSU):
Rede ID: ID1006431400
— — die Marktferne des süddeutschen Zonenrandgebiets zu verringern und die Konkurrenzfähigkeit seiner Wirtschaft zu stärken.
Zusammenfassend, Herr Präsident, darf ich feststellen, daß die CDU/CSU-Fraktion der vorliegenden Beschlußempfehlung zustimmt.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1006431500
Das Wort hat der Abgeordnete Drabiniok.

Dieter Drabiniok (GRÜNE):
Rede ID: ID1006431600
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Freundinnen und Freunde! Gestatten Sie mir zum Anfang noch einen kleinen Hinweis auf die Diskussion von heute vormittag. Sie haben es in dieser Bundesbahndebatte heute morgen nicht für nötig gehalten, auch nur ansatzweise auf unseren Gesetzentwurf zur Bundes-



Drabiniok
bahnsanierung einzugehen, der immerhin vom Vorstand der Deutschen Bundesbahn — ich zitiere — als sehr beachtenswerter Beitrag gewertet worden ist.
Wir wissen aus einer Flut von Zuschriften der Zustimmung und Unterstützung, daß die interessierte Öffentlichkeit, inbesondere die Eisenbahner und die Bahnkunden, unseren Vorstellungen ein weitaus größeres Gewicht beimißt, als dieses Hohe Haus es wahrhaben will. Ich kann Ihnen nur sagen: Machen Sie nur weiter so, dann werden Sie so wie nach der Landtagswahl in Baden-Württemberg noch an so manchem Wahlabend mit den gleichen ratlosen Gesichtern vor den Kameras stehen und sich irritiert fragen, warum gerade Sie weitere Stimmen ausgerechnet an die GRÜNEN verloren haben.

(Zurufe von der CDU/CSU: Wenn wir solche Ergebnisse wie in Baden-Württemberg mehrfach erzielen, sind wir ganz zufrieden! — 52 %!)

Der Bundesminister für Verkehr ist ja anwesend. Ich wollte aber Herrn Dollinger fragen, ob er überhaupt weiß, daß es ein Gesetz gibt, daß sich Zonenrandförderungsgesetz nennt. Ich bezweifle das. Deshalb lassen Sie mich das Informationsdefizit des Verkehrsministers einmal beseitigen. In diesem Gesetz vom 5. August 1971 gibt es einen § 4, in dem es heißt, daß die Verkehrserschließung und Verkehrsbedienung im Zonenrandgebiet bevorzugt gefördert werden muß. Herr Verkehrsminister, Unwissenheit schützt Sie vor Strafe nicht. Deshalb muß ich mit aller Schärfe darauf hinweisen, daß Sie dieses Gesetz durch Ihren katastrophalen Bahnschrumpfkurs in verantwortungsloser Weise mißachten.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Daß dies auch Ihre Vorgänger getan haben, ist richtig und wird von uns genauso kritisiert.

(Hinsken [CDU/CSU]: Wo ist denn bisher stillgelegt worden? Wo?)

— Hören Sie gleich einmal zu! — Das kann aber für Sie absolut keine Entlastung sein. Sie haben jetzt die Verantwortung für die Verkehrserschließung und Verkehrsbedienung im Zonenrandgebiet. Sie werden dieser Verantwortung, die aus diesem Gesetz hervorgeht, nicht gerecht.
Seit Inkrafttreten des Zonenrandförderungsgesetzes — diese Bezeichnung bedarf übrigens dringend einer Änderung — wurde dort bis heute keine einzige Bundesbahnstrecke gebaut und dem Verkehr übergeben. Lediglich ein Bahnhof für den Reisezugbetrieb und für den Güterverkehr wurden dem Verkehr übergeben. Gleichzeitig aber wurden 501 Bahnhöfe und Haltepunkte für den Reisezugbetrieb und 127 Bahnhöfe für den Güterverkehr geschlossen. Das heißt, jede zweite Bahnhofsschließung fiel in dieses Gebiet. Dazu wurden 1 003 Reisezugstreckenkilometer im sogenannten Zonenrandgebiet seit 1970 stillgelegt, d. h. jeder dritte stillgelegte Bundesbahnkilometer liegt in diesem Gebiet, nicht zu vergessen die 462 Kilometer für den Güterverkehr. Außerdem halbierte sich nahezu die Zahl der dort eingesetzten Nahverkehrszüge von 1970 bis 1983 von 822 268 auf 455 398 Züge. Wenn das etwas mit einer Verbesserung der Verkehrsbedienung und Verkehrserschließung zu tun hat, möchte ich „Birne" heißen.

(Zuruf von der CDU/CSU)

Der eigentliche Skandal dabei ist, daß seit Inkrafttreten des Zonenrandförderungsgesetzes im Vergleich zum gesamten Bundesgebiet gerade im Zonenrandgebiet überproportional viele Streckenkilometer der Deutschen Bundesbahn sowohl im Reisezugbetrieb als auch im Güterzugbetrieb stillgelegt worden sind, überproportional viele Haltepunkte und Bahnhöfe geschlossen und überproportional viele Nahverkehrszüge gestrichen wurden. Diese überdurchschnittlichen Verschlechterungen bei der Bahn im Zonenrandgebiet lassen die Raumordnungsgesetze zur Farce werden.
Meine Damen und Herren, ich bin mir sicher, daß gleich der Versuch gemacht werden wird, die Verantwortung für die Streckenstillegung insbesondere auf die Bundesbahn abzuwälzen. Aber das wird wohl nicht klappen. Der § 28 des Bundesbahngesetzes, den der Herr Dollinger ja wahrscheinlich kennt — er hat ihn gerade vorgelesen —, sieht vor, daß die Bahn wie ein Wirtschaftsunternehmen mit dem Ziel bester Verkehrsbedienung nach kaufmännischen Grundsätzen zu führen ist und die Erträge die Aufwendungen einschließlich der erforderlichen Rückstellungen decken sollen. Nur in diesem Rahmen hat die Bundesbahn ihre gemeinwirtschaftliche Aufgabe zu erfüllen und die Vorgaben des Zonenrandförderungsgesetzes zu beachten. Maßnahmen, die aus eigenwirtschaftlichen Gründen der Bahn geboten scheinen, z. B. Streckenstillegungen, aber mit den Vorgaben des Zonenrandförderungsgesetzes nicht zu vereinbaren sind, liegen in der Verantwortung der Bundesregierung. Sie ist verantwortlich für die Berücksichtigung der Zielsetzung des Zonenrandförderungsgesetzes.
Den gemeinwirtschaftlichen Interessen auch gegenüber eigenwirtschaftlichen Interessen der Deutschen Bundesbahn Geltung zu verschaffen und Vorrang einzuräumen ist als politische Entscheidung in erster Linie die Aufgabe des Bundesministers für Verkehr, dem das Bundesbahngesetz in § 14 Abs. 3 Satz 2, § 15 Satz 1 und § 16 Abs. 4 Satz 1 die dazu erforderlichen Versagungs-, Einspruchs- und Auflagenbefugnisse gegenüber der Deutschen Bundesbahn zuerkennt.
Also, meine Damen und Herren, es wird nichts mit dem Verweis auf die DB, mit dem Verweis, daß in erster Linie sie verantwortlich ist für die Kahlschlagpolitik im Zonenrandgebiet.
Die katastrophalen Auswirkungen dieser Bahnpolitik für das strukturschwache, wirtschaftlich benachteiligte Zonenrandgebiet sind schon jetzt zu sehen. Streckenstillegungen im Güterverkehr führen dazu, daß Gewerbebetriebe abwandern oder sich erst gar nicht ansiedeln können.

(Lintner [CDU/CSU]: Wo denn zum Beispiel? Sagen Sie einmal ein Beispiel!)




Drabiniok
— Ich gebe Ihnen die Papiere gleich einmal herüber.

(Lachen bei der CDU/CSU)

In zahlreichen, von der Fremdenverkehrswirtschaft abhängigen Regionen sind erhebliche Einbußen zu erwarten. Diejenigen, die behaupten, der Bus würde dort die Aufgabe der Schiene übernehmen, sind vermutlich noch nie mit dem Bus gefahren. Der Bus ist unangenehm, bietet weniger Platz für Gepäck, Kinderwagen und sperrige Güter, z. B. Ski, hat keine sanitären Anlagen, ist witterungsabhängig und deshalb im Winter unpünktlich. Es gibt keine wettergeschützten oder beheizten Warteräume. Vor allem aber wird der Bus längere Strecken fahren müssen, so daß sich die Fahrzeit und der Fahrpreis erhöhen werden. Es gibt noch mehr Argumente gegen den Bus. Die schenke ich mir aber.
Ich will aber dafür ausdrücklich darauf hinweisen, daß die 1978 durchgeführte Untersuchung des Bundesministers für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau mit dem Titel „Raumstrukturelle Wirkungen der Stillegung von Eisenbahnstrecken" zu dem Ergebnis kam, daß nur 50 % der ehemaligen Bahnfahrer den Busersatz angenommen haben. Das heißt, die Bevölkerung will den Bus nicht.
Dieses Untersuchungsergebnis hat für den Bundesminister für Verkehr keine Bedeutung. Sein Ziel ist es, ein staatlich subventioniertes Exklusivverkehrsmittel für Fernreisende zu schaffen. Aber das geht nur ohne uns.

(Zuruf von der CDU/CSU): Mitfahren tun

Sie schon!)
Von den 1970 noch bestehenden sechs Ausbesserungswerken im Zonenrandgebiet sind bisher schon die Ausbesserungswerke Göttingen und Braunschweig geschlossen worden. In vielen Teilen des Zonenrandgebietes ist die Deutsche Bundesbahn der größte Arbeitgeber und der bedeutendste Auftragsvergeber. Die Ausbesserungswerke im Zonenrandgebiet sind in vielen Fällen die Betriebe mit den meisten Beschäftigten der entsprechenden Städte. Dies gilt insbesondere für die Ausbesserungswerke Fulda und Weiden. Eine Schließung dieser Ausbesserungswerke hätte verheerende Auswirkungen auf die Arbeitsplatz- und Wirtschaftsstruktur dieser Räume und steht der Förderung des Zonenrandgebietes diametral entgegen.

(Dr. Kunz [Weiden] [CDU/CSU]: Haben Sie sich einmal vor Ort umgesehen?)

— Ja.

(Dr. Kunz [Weiden] [CDU/CSU]: Wo?)

Bei Versagung von Genehmigungen für Stillegungsmaßnahmen der DB im Zonenrandgebiet entstehen der Bundesbahn gegebenenfalls Mehraufwendungen und Investitionsaufgaben. Diese sind der Deutschen Bundesbahn gemäß § 28 a des Bundesbahngesetzes durch den Bund auszugleichen. Damit das Ziel dieser Ausgleichszahlungen, die Berücksichtigung der Vorhaben des Zonenrandförderungsgesetzes, deutlich wird, sollen diese Ausgleichszahlungen nach unseren Vorstellungen im Haushaltsplan des Bundesministers für innerdeutsche Beziehungen ausgewiesen werden. Die Höhe von Ausgleichszahlungen wird in engen Grenzen gehalten werden können, da die Versagung von Genehmigungen mit den Zielvorgaben, den Schienenbetrieb wirtschaftlicher zu betreiben und attraktiver zu gestalten, gekoppelt ist. Dadurch werden Kosten verringert und Erlöse erhöht. Außerdem können erhebliche Mittel nach dem Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz eingespart werden, da sich der Bau oder Ausbau von Straßen im Zusammenhang mit der Stillegung von Eisenbahnstrekken gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 1 des Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetzes erübrigen würde.
Es ist unlogisch und widersprüchlich, daß Strekken stillgelegt werden, weil kein Geld für Investitionen da sein soll, auf der anderen Seite aber die wesentlich teureren Straßenbaumaßnahmen im Zuge von Streckenstillegungen durchaus finanziert werden können.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Außerdem würden die Mittel zur Strukturstärkung des Zonenrandgebietes eingespart, die notwendig würden, wenn infolge von Streckenstillegungen eine weitere Strukturschwächung zu beseitigen wäre.
Lassen Sie mich meine Hoffnung zum Ausdruck bringen, daß der BMV lediglich in Unkenntnis des Zonenrandförderungsgesetzes gehandelt hat und daß er nach Studium des Gesetzes sicherlich die Einsicht erlangen wird, daß das, was er vorhat, nicht durchgeführt wird. Zieht er es aber vor, in Unkenntnis zu wandeln, ist das ein Zeichen dafür, daß er sich einer verantwortungslosen und sozial unerträglichen Verkehrspolitik verschrieben hat. Um dem entgegenzusteuern, haben wir den Antrag gegen den weiteren Schrumpfkurs der Bahn innerhalb des Zonenrandgebietes heute vormittag überweisen lassen.
Ich danke Ihnen.

(Beifall bei den GRÜNEN)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1006431700
Das Wort hat der Abgeordnete Ronneburger.

Uwe Ronneburger (FDP):
Rede ID: ID1006431800
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zu dieser Abendstunde und in dieser Besetzung ist das Thema, über das wir sprechen, scheinbar keines von grundsätzlicher Bedeutung. Trotzdem möchte ich gerne eine Bemerkung vorwegschicken, die gerade dies nach meiner Meinung unter Beweis stellt.
Im Bericht zur Lage der Nation war von der Verantwortungsgemeinschaft der Deutschen für den Frieden in Europa die Rede. Wir sollten auch hinsichtlich der Lebensbedingungen der Bevölkerung im Zonenrandgebiet die Mitverantwortung des anderen deutschen Staates deutlich machen: für einen breiten Streifen diesseits, aber auch jenseits jener Grenze, die wider Natur und Landschaft, aber auch wider grundlegende Menschenrechte mitten in Europa ungleich schwierigere Lebens- und Existenzbedingungen schafft, als wir das in anderen Gebieten zu registrieren haben.



Ronneburger
Ich meine deswegen, daß es zu der Frage Verkehrserschließung des Zonenrandgebietes auch gehören könnte, die Bundesregierung zu bitten, sich darum zu bemühen — so, wie es zum gegenseitigen Nutzen möglich war, zu grenzüberschreitendem Braunkohlenabbau oder grenznahen Anlagen zur Wiederaufbereitung atomarer Kernbrennstoffe zu kommen —, auch zu Übereinkünften für eine Erweiterung des kleinen Grenzverkehrs, für die Öffnung weiterer Übergangsstellen zu kommen und damit eine Situation im Zonenrandgebiet zu schaffen, die die Undurchdringlichkeit jener Grenze auch im wirtschaftlichen Bereich eines Tages aufheben und dadurch zu Bedingungen führen könnte, die die Bestimmungen des Zonenrandförderungsgesetzes, wie wir hoffen, eines Tages überflüssig machen könnten.
Mindestens gleiche Lebens- und Arbeitsbedingungen im Zonenrandgebiet — der Kollege Kunz hat es vorhin zitiert —: Dazu ist zu bemerken, daß es heute im Zonenrandgebiet allerdings nicht nur um eine Verbesserung der Infrastruktur oder regionale Wirtschaftsförderung im allgemeinen Sinne geht, sondern wir reden über ein politisches Problem von grundsätzlicher Bedeutung. Darum ist es wichtig, festzustellen, daß der Tagesordnungspunkt, über den wir uns jetzt unterhalten, zwar bezeichnet ist als Bericht des Bundesministers für Verkehr 1982 über den Fortgang der Verkehrserschließung des Zonenrandgebietes, daß sich aber die Debatte — ich glaube, das ist auch in allen bisherigen Redebeiträgen schon deutlich geworden — natürlich nicht auf den Punkt Verkehrserschließung begrenzen läßt. Es geht hier um eine ganz besondere Funktion dieser Verkehrserschließung und damit um eine Steigerung der Attraktivität politisch benachteiligter Regionen.
Die Verkehrserschließung kann dazu einen Beitrag, allerdings nur einen Teilbeitrag leisten. Wirklich helfen kann nur ein ganzes System von Maßnahmen, die Anreize schaffen. System bedeutet dann allerdings, daß die einzelnen Teile dieses Systems zueinander passen müssen. Das Überzeichnen eines Sektors muß fehlschlagen.
Ich nehme damit noch einmal Bezug auf den Antrag der Fraktion der GRÜNEN „Bundesbahnpolitik im Zonenrandgebiet", dem ich in seiner Tendenz durchaus zustimmen kann, zumal er, abgesehen von einigen Unterschieden im Detail, den Beschluß dieses Hohen Hauses vom 3. Dezember 1982 aufnimmt. Aber was ich feststelle, ist, daß dieser Antrag, Herr Kollege Drabiniok, in seiner Ausschließlichkeit keinen Spielraum mehr läßt für auch notwendige wirtschaftliche Überlegungen oder ökologische Notwendigkeiten. Ich erinnere Sie an das, was mein Kollege Hoffie heute zu der Frage der Umweltbelastung in dem einen oder anderen Fall — je nach der Inanspruchnahme des Verkehrsmittels — gesagt hat. Das Schaffen reiner Betriebsamkeit, allein das Hin- und Herfahren von Güter- und Personenwaggons zwischen Bahnhöfen, an denen keiner verladen oder einsteigen will, ist teuer, würde aber auch dem Zonenrandgebiet, Herr Kollege, nichts nützen.
Verlangt ist nicht Beschäftigungstherapie, sondern eine Therapie, die langfristig Beschäftigung sichert. Verlangt sind gesunde Betriebe im Zonenrandgebiet, die attraktive Arbeitsplätze zur Verfügung stellen. Für die Ansiedlung und Erhaltung solcher Betriebe — das wissen wir aus anderen Regionen auch — ist nur und auschließlich der Anschluß an das Schienennetz noch nicht immer und in jedem Falle von ausschlaggebender Bedeutung. Deswegen sollten wir an dieser Stelle auf einen Punkt zurückgreifen, der in dem Bereich des Ausschusses unter Ziffer III — Eisenbahnen — 4 genannt ist.
Der Ausschuß
— so heißt es dort —
appelliert an Bundesländer und kommunale Gebietskörperschaften, den bereits gesetzten Beispielen zu folgen und sich verstärkt an den Kosten der Verkehrserschließung des Zonenrandgebietes zu beteiligen.
Und jetzt, meine ich, kommt der ganz entscheidende Satz:
Gerade die finanzielle Mitwirkung der regional und örtlich zuständigen Stellen sichert eine besonders sachgemäße Verwendung öffentlicher Mittel.
Hier ist die Frage gestellt, wie die örtlich Betroffenen und Interessierten an der Vorbereitung von Entscheidungen auch im Bereich der Bundesbahn beteiligt werden und ob sie mit ihrer eigenen Stimmabgabe und mit ihrem eigenen Einfluß in der Lage sind, auf die Region und ihre Gestaltung Einfluß zu nehmen, in der sie leben und leben wollen und von der wir möchten, daß sie in dieser Region auch bleiben, damit nicht an der Zonengrenze ein leerer Streifen entsteht, der uns auch politisch belasten würde. Denn, Herr Kollege Drabiniok, es geht nicht an, daß man auf der einen Seite die Notwendigkeit von Deutschlandpolitik bestreitet, wie Ihre Fraktion das im Innerdeutschen Ausschuß tut, und auf der anderen Seite die Zonenrandförderung hier mit bewegten Worten als notwendig bezeichnet. Eines muß zum anderen passen.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Zuruf des Abg. Drabiniok [GRÜNE])

Sanierung des Zonenrandgebietes — das geht sicherlich nicht nur durch die Deutsche Bundesbahn. Die Beschlußempfehlung des Ausschusses könnte, weil sie sich sehr stark auf Fragen der Bundesbahn und deren Arbeitsplätze konzentriert, den Eindruck erwecken, als hänge eine Sanierung dieses Gebietes fast ausschließlich von der Aufrechterhaltung von Einrichtungen der Deutschen Bundesbahn, des Schienenverkehrs auf allen bestehenden Strecken und von der Vergabepraxis der Deutschen Bundesbahn bei Bauprojekten ab. Der Bericht selbst aber macht deutlich, daß hier zwar ein Schwerpunkt der Verkehrserschließung liegen muß. Aber ich glaube, die vorangegangene Debatte des heutigen Vormittags hat auch deutlich gemacht, welche Grenzen gerade diesen Möglichkeiten gesetzt sind.
In einem Punkt besteht sicherlich volle Übereinstimmung auch zwischen uns beiden: Wenn Einrichtungen und Strecken der Deutschen Bundes-



Ronneburger
bahn im Zonenrandgebiet aus politischen Gründen — und diese sehen wir durchaus an vielen Stellen — erhalten werden müssen, dann müssen die dafür notwendigen Mittel auch an der richtigen Stelle des Bundesetats ausgewiesen werden

(Drabiniok [GRÜNE]: Hört! Hört!)

und dürfen nicht als Last auf das Konto der Bundesbahn geschrieben werden.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Wir haben eine umfangreiche Aufgabe auf diesem Gebiet. Ich meine, daß das, was wir zur Verkehrserschließung tun können, auch mit dazu beitragen kann, etwas anderes zu bewegen und nach vorne zu bringen. Im innerdeutschen Handel ist durch Veränderung der Strukturen in der DDR die Beteiligung mittlerer Unternehmen der Bundesrepublik erleichtert worden. Erweiterung und Verstetigung eröffnen auch für das Zonenrandgebiet größere Chancen zur Industrie- und vor allen Dingen zur Gewerbeansiedlung. Mittlere Industrie- und Gewerbebetriebe im Zonenrandgebiet wären die prädestinierten Partner für den Warenaustausch mit der DDR. Die bestehenden Förderungspräferenzen bieten einen zusätzlichen Anreiz zur Ansiedlung. Wenn Schiene und Straße nicht an der Grenze enden sollen, jener Grenze, die unser Land heute teilt, und wenn wir diesen Zustand überwinden wollen, dann muß allerdings für jeden in der Bundesrepublik, für jede staatliche Einrichtung und auch für die Bundesbahn gelten, daß Zonenrandförderung Präferenz vor anderen Überlegungen hat.
Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1006431900
Das Wort hat der Abgeordnete Handlos.

Franz Handlos (CSU):
Rede ID: ID1006432000
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe mich zu Wort gemeldet, um in einem Kurzbeitrag einige Bemerkungen an den Bericht des Ausschusses für innerdeutsche Beziehungen Drucksache 10/1002 anzuknüpfen. Es ist erfreulich, daß der Ausschuß für innerdeutsche Beziehungen feststellt, daß gerade im Zonenrandgebiet eine Stillegung von Strecken und die Ausdünnung von Fahrplänen nicht die einzige Antwort auf die Verkehrsbedürfnisse dieses Raumes sein darf. Der Kollege von den GRÜNEN hat vorhin schon aufgezählt, was alles in den letzten Jahren stillgelegt wurde. Tatsächlich ist es so, daß nur durch eine offensive Angebotspolitik, eine Verbesserung der Anschlüsse und eine Verdichtung der Fahrpläne die Rückgewinnung von Fahrgästen angestrebt werden kann und nicht durch das Gegenteil, wie dies die Deutsche Bundesbahn nunmehr seit Jahren tut.
Wir alle wissen ganz genau, daß ein Betrag zwischen 300 und 600 Millionen DM frei würde, wenn sämtliche Strecken auf einmal stillgelegt würden. Das muß man in Relation zu der Tatsache setzen, daß im letzten Jahr 1,3 Milliarden DM, heuer 1,5 Milliarden DM für die fünf größten Verkehrsverbünde in Deutschland benötigt werden. Darüber regt sich kein Mensch auf. Deswegen kann ich nur sagen: gleiches Recht für alle, sowohl für das Zonenrandgebiet als auch für die Ballungszentren. Wir sind uns alle darin einig, daß diese Streckenstillegungspläne gegen den § 4 des Zonenrandförderungsgesetzes verstoßen würden. Es gibt entsprechende Rechtsgutachten. Es gibt sogar Kommunen im Grenzland, Landkreise, Gemeinden, die überlegen, ob man nicht zum Bundesverfassungsgericht gehen sollte.
Ich darf Ihnen zwei gravierende Beispiele an Hand von zwei Städten beziehungsweise Gemeinden nennen, was passieren würde, wenn dort die Linien eingestellt würden. Bodenmais in Ostbayern hat 700 000 Übernachtungen. 200 000 davon gehen auf das Konto der Deutschen Bundesbahn. Grafenau hat 530 000 Übernachtungen, davon allein 230 000 mit Touropa-Zügen, mit Zügen der Deutschen Bundesbahn. All diese Urlauber würden garantiert nicht auf Bahnbusse umsteigen.
Ähnlich ist es in Bayerisch Eisenstein, wenn die drei Strecken Zwiesel-Eisenstein, Zwiesel-Grafenau und Zwiesel-Bodenmais stillgelegt würden. Auf der einen Seite versucht man, das Grenzland durch alle möglichen Investitionen, durch staatliche Unterstützungen zu fördern, und andererseits will man mit der anderen Hand das wieder nehmen, was man mit der einen Hand gegeben hat. So kann es beim besten Willen nicht gehen. Daher kann man nur vor einer derartigen Schädigung des Zonenrandgebietes warnen.
Wünschenswert wäre in diesem Zusammenhang zugleich, wenn die Bundesregierung nicht nur an eine Öffnung des Straßenübergangs WaldsassenEger zur CSSR denken würde, sondern auch an eine Wiedereröffnung der Eisenbahnstrecke Bayerisch Eisenstein-Prag. Auch das sollte man überlegen, da auf tschechischer Seite hier gebaut wird.
Ich habe heute vormittag beim Thema „Sanierung der Bundesbahn" sehr genau zugehört. Ich saß vier Stunden hinten. Alle Redner hatten gute Vorschläge. Aber woher das Geld für all diese Maßnahmen kommen soll, das wurde dabei nicht gesagt. Ich mache in diesem Zusammenhang einen Deckungsvorschlag, der auch schon von anderen Kollegen gebracht wurde; es ist aber wieder ruhig darum geworden. Mein Kollege Dionys Jobst geht gerade vorbei; er weiß, wovon ich jetzt spreche.
Heuer fahren im Urlaub wieder Hunderttausende von Bundesbürgern ins Ausland und zahlen Millionen und Abermillionen von Autobahngebühren überall in Europa. Ich frage hier allen Ernstes, ob nicht gleiches Recht für uns in Europa gilt und wir Deutschen ebenfalls, wie nunmehr die Schweizer, das Plakettensystem für deutsche Autobahnen einführen, damit unsere ausländischen Gäste hier einen Obolus entrichten. Damit hätten Herr Stoltenberg und Herr Dollinger eine Menge Geld in der Tasche, um auf diese Art und Weise zur Sanierung beizutragen. Das nur als einen Vorschlag von uns Republikanern zum Schluß.
Herzlichen Dank.




Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1006432100
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen zu diesem Tagesordnungspunkt nicht vor.
Es liegt eine schriftliche Erklärung des Abgeordneten Kuhlwein zur Abstimmung gemäß § 31 der Geschäftsordnung vor, die zu Protokoll genommen wird.
Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung. Wer der Beschlußempehlung des Ausschusses für innerdeutsche Beziehungen auf Drucksache 10/1002 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Bei einer Reihe von Enthaltungen ist die Beschlußempfehlung des Ausschusses angenommen worden.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 6 auf:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr (14. Ausschuß) zu der Unterrichtung durch das Europäische Parlament
Entschließung zur Rolle der Häfen in der gemeinsamen Verkehrspolitik
— Drucksachen 9/2435, 10/1151 —
Berichterstatter:
Abgeordneter Fischer (Hamburg)

Meine Damen und Herren, im Ältestenrat ist für die Aussprache ein Beitrag von bis zu zehn Minuten für jede Fraktion vereinbart worden. — Dazu sehe ich keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? — Das ist nicht der Fall.
Dann eröffne ich die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Fischer (Hamburg).

Dirk Fischer (CDU):
Rede ID: ID1006432200
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In der Entschließung hat das Europäische Parlament kritisiert, daß die Rolle der Seehäfen bei der gemeinsamen europäischen Verkehrspolitik zu wenig berücksichtigt würde, und gefordert, daß die EG-Kommission bei ihren Vorschlägen den Wettbewerb der Häfen stärker berücksichtigt. Dazu ist in der Entschließung des Europäischen Parlaments ein Handlungsrahmen abgesteckt worden. Es geht hier um die Harmonisierung der spezifischen Transportsteuern, also Kfz-Steuern und Mineralölsteuer; die Harmonisierung der Sozialvorschriften im Verkehr; die Harmonisierung der technischen Vorschriften, insbesondere die höchstzulässigen Maße und Gewichte; die Abgeltung der Wegekosten; die Infrastrukturpolitik; die Tarifpolitik der Eisenbahn, des Straßenverkehrs und der Binnenschiffahrt; die Kapazitätspolitik für Straßenverkehr und Binnenschiffahrt sowie letztlich, was uns sicherlich in dieser Situation besonders am Herzen liegt, der Abbau der Grenzhindernisse und Grenzkontrollen.
Meine Damen und Herren, das Parlament fordert, daß ein lauterer Wettbewerb, der von Diskriminierungen frei sein solle, stattfinden müsse, daß für alle europäischen Seehäfen gleiche Wettbewerbsbedingungen herrschen müßten. Ich glaube, daß damit deutlich wird, daß das Europäische Parlament die Verbesserung der Wettbewerbssituation für die deutschen Seehäfen als notwendig anerkannt hat, und dieses ist angesichts entgegenstehender Interessen konkurrierender Hafenstaaten, wie ich finde, ein bemerkenswerter Vorgang. Diese Entschließung des Europäischen Parlaments ist deswegen von allen Fraktionen im Verkehrsausschuß begrüßt worden, und die gemeinsame Entschließung des Bundestagsverkehrsausschusses, die hier heute zur Abstimmung gestellt wird, beweist dieses.
Wie ist nun die Situation der deutschen Seehäfen im Vergleich zu den Rheinmündungshäfen? Es gibt keine wesentlichen Unterschiede bei der Infrastruktur der Häfen; eher haben wir leichte Vorteile für die deutschen Häfen, was die Leistungsfähigkeit und die Leistungsbereitschaft anlangt. Man spricht in diesem Zusammenhang von einer höheren Lade- und Löschsicherheit. Es gibt allerdings beträchtliche natürliche Vorteile für die Rheinmündungshäfen; Stichworte: geographische Lage, direkter Rheinanschluß. Dieses läßt sich durch nichts ausgleichen, allenfalls durch erhebliche Subventionen, die bei uns sicherlich nicht in Rede stehen können.
Wir können aber den ungleichen ordnungspolitischen Rahmen, d. h. die künstlichen Vorteile für die Rheinmündungshäfen, beseitigen. Wir haben das Problem, daß wir einerseits liberale Regelungen im grenzüberschreitenden Verkehr, andererseits aber eine kontrollierte Wettbewerbsordnung für die nationalen Hinterlandverbindungen der deutschen Seehäfen haben. Das heißt, hier binnenländisch 8,5 % Tarifmarge, dort 23 % und demnächst sogar 30 %. Hier haben wir eine starre Kontingentierung der Konzessionen im Straßengüterverkehr, dort haben wir eine liberale Konzessionsregelung, teilweise sogar Konzessionsfreiheit. Hier haben wir höhere Mineralöl- und Kfz-Steuer, dort haben wir eine wesentlich niedrigere steuerliche Belastung des Lkw. Hier haben wir hohe Kanalgebühren und feste Tarife für die Binnenschiffahrt, dort haben wir Abgabefreiheit und eine freie Frachtenbildung für die Rheinschiffahrt. Daraus — und das überrascht nicht — resultieren erhebliche Preisunterschiede für den Im- und Export der gleichen Waren vom und zum gleichen Quell- bzw. Zielort einerseits über einen deutschen Seehafen und andererseits über einen Rheinmündungshafen von zum Teil mehr als 200 % .

(Hört! Hört! bei der CDU/CSU)

Futtermittel von Rotterdam nach Osnabrück 11 DM/t, von Hamburg nach Osnabrück 23,74 DM/t bei annähernd gleicher Entfernung! Meine Damen und Herren, dies ist doch heller Wahnsinn! Welcher Hafen in unserem Lande soll das eigentlich noch erwirtschaften? Etwa Hamburg, wohin man von Rotterdam mit dem Schiff noch einen Tag länger fahren muß? Ich glaube, das ist keine realistische Erwartung.
Was sind die Auswirkungen? Erhebliche Verkehrsverluste der deutschen Seehäfen 1983, nunmehr schon im vierten aufeinanderfolgenden Jahr.



Fischer (Hamburg)

Wir haben 1983 einen Rückgang des Gesamtumschlags der zwölf bedeutendsten deutschen Seehäfen um 8,2 % zu verzeichnen. Es gibt deutliche Verlagerungen von den deutschen Nordseehäfen zu den Rheinmündungshäfen bei den Importen. Mengenmäßig ist die Entwicklung seit 1980 extrem ungünstig. Wertmäßig ist sie dies bereits seit 1978. Seit zwei Jahren werden wertmäßig mehr Güter über ausländische Häfen als über deutsche Seehäfen in unser Land importiert. Ich meine, dies macht deutlich, wie die Lage ist.
Was kann getan werden? Der Herr Bundesverkehrsminister hat in seinem Ministerium dankenswerterweise einen Arbeitskreis Seehafen-Hinterlandverkehr unter Vorsitz des Bundesverkehrsministeriums eingesetzt. Daran haben außer dem Ministerium die Länderverkehrsverwaltungen, insbesondere die Hafenverwaltungen, die Industrie- und Handelskammern der betroffenen Regionen und der Zentralverband der deutschen Seehafenbetriebe mitgewirkt. Dabei sind insgesamt vier Vorschläge herausgekommen. Erstens nenne ich im Eisenbahnverkehr die Freistellung der Deutschen Bundesbahn von der Einzelgenehmigungspflicht für Tarife für den Seehafenverkehr mit Außenhandelsgütern. Das ist, weil dafür allein das Bundesverkehrsministerium zuständig ist, bereits am 1. Januar 1984 in Kraft getreten. Ferner nenne ich den Vorschlag, im Straßengüterverkehr die Margenregelung des grenzüberschreitenden Verkehrs für den Hinterlandverkehr zu übernehmen; außerdem geht es um eine Anpassung der Voraussetzungen für den Abschluß von Sonderabmachungen an die liberaleren EG-Regelungen. Dieses wollen wir im geltenden gesetzlichen Rahmen freiwillig erreichen. Wenn das nicht machbar ist, muß das Güterkraftverkehrsgesetz entsprechend geändert werden. In das Binnenschiffsverkehrsgesetz muß möglicherweise für diesen Verkehrssektor auch per Gesetzesänderung das Institut der Sonderabmachungen in das Preissystem entsprechend der Regelung im Straßengüterverkehr eingeführt werden.
Diese Vorschläge haben bisher beim Transportgewerbe noch keine einhellige Unterstützung erfahren. Es gibt einige hoffnungsvolle Ansätze im Straßengüterverkehr für eine einfachere und flexiblere Gestaltung der Containertarifierung. In der Binnenschiffahrt hat man für Importkohle die Tarife um 10% gesenkt und zusätzlich eine Marge von 5 % eingeführt. Möglicherweise wird dies demnächst für Futtermittel und Getreide folgen.
Wir sagen sehr deutlich: Wir erwarten die weitere konstruktive Mitarbeit des Verkehrsgewerbes und wirksame Ergebnisse. Wenn es kein freiwilliges Entgegenkommen gibt, werden die angekündigten Gesetzesänderungen unumgänglich sein. Das hat der Bundesverkehrsminister eindeutig und unmißverständlich gesagt.
Der Verkehrsausschuß wird die Entwicklung des Wettbewerbs unserer Häfen mit den EG-Häfen sorgfältig weiter beobachten. Dazu wird nach Annahme unserer Entschließung der Bundesverkehrsminister zum 1. Januar 1985 einen Bericht vorlegen müssen. Eingehend werden wir die möglichen nationalen Gegenmaßnahmen demnächst auf Grund einer BMV-Vorlage erörtern. Wir sagen aber schon jetzt: Eine weitere Erhöhung der Freimengen, wie von Frankreich gewünscht, gibt es bei uns nicht, jedenfalls nicht mit unserer Zustimmung. Wir meinen auch, bei einer Öffnung der Grenze zu Benelux darf es nicht zu weiteren Wettbewerbsverzerrungen zu Lasten unserer Seehäfen kommen. Chancengleichheit für die deutschen Seehäfen entscheidet über das Schicksal von etwa 400 000 direkt hafenabhängigen Arbeitsplätzen in den deutschen Seehäfen und über etwa eine Million Arbeitsplätze mit Hafenverbundenheit in unserem Land, Arbeitsplätze in der Küstenregion, in den norddeutschen Seehäfen, deren wirtschaftliche Situation und damit deren Arbeitsmarkt sich ständig und dramatisch verschlechtert.
Dies ist eine Entwicklung, die auch ein langjähriger Hamburger SPD-Kanzler mit Lotsenmütze nicht verhindert hat. Die SPD hat den Zustand über lange Jahre tatenlos hingenommen, daß der Wettbewerb zu Lasten unserer Häfen immer mehr verzerrt wurde.

(Immer [Altenkirchen] [SPD]: Ist doch gar nicht wahr!)

Ich habe die Hoffnung, daß Ihnen, meine Damen und Herren von der SPD, in Ihrem Debattenbeitrag etwas Klügeres einfällt als der abgedroschene Spruch: Die Bundesregierung muß endlich etwas tun. — Nein, meine Damen und Herren, dieses Problem gehört zu den Aufräumungsarbeiten. Diese müssen jetzt zugunsten der Betroffenen erledigt werden. Ich bitte Sie und fordere Sie auf, daran weiter konstruktiv mitzuwirken.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1006432300
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Hettling.

Ludwig Hettling (SPD):
Rede ID: ID1006432400
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Verkehrsausschuß ist die hier zur Beratung anstehende Entschließung einmütig, fast einstimmig verabschiedet worden. Insofern gibt es keine wesentlichen Unterschiede in der Beurteilung der Problematik. Ich werde aber für meine Fraktion einige wesentliche Auswirkungen der Benachteiligungen der deutschen Seehäfen im grenzüberschreitenden Hinterlandverkehr gegenüber Rotterdam und Antwerpen darstellen. Daraus ergibt sich dann die dringende Notwendigkeit der unverzüglichen Beseitigung der Diskriminierung der deutschen Seehäfen im Hinterlandverkehr.
Zunächst aber einige Bemerkungen zu der Entschließung des Europäischen Parlaments. Diese weist mit Recht auf die bisherige Untätigkeit der EG-Kommission bei der Beseitigung der Wettbewerbsverzerrungen für die Seehäfen innerhalb der EG hin und fordert die Kommission auf, im Rahmen der gemeinsamen Verkehrspolitik die Interessen der Seehäfen zu vertreten und alle Diskriminierungen im Hinterlandverkehr zu beseitigen.
Das Problem ist, daß wir im nationalen Bereich starre Tarife und im grenzüberschreitenden Bereich flexible Tarife haben. Aber auch die unter-



Hettling
schiedliche Situation bei den Steuern und Gebühren spielt eine wesentliche Rolle, wie hier auch schon ausgeführt worden ist.
Ich möchte neben den Beispielen, die eben angesprochen worden sind, noch einige andere sehr klar darstellen. Im Binnenschiffbereich wird im Import beim Futtermitteltransport eine Größenordnung von ungefähr zwei Millionen Tonnen jährlich erreicht. Es ist ein Kuriosum, daß für die Strecke von Rotterdam nach Bramsche bei 496 km 11,50 DM für die Tonne genommen werden, aber beim Transport über Bremen nach Bramsche bei nur 239 km 13 DM. Das heißt: bei doppelter Entfernung trotzdem noch 1,50 DM pro Tonne billiger über Rotterdam. Das ist eine widersinnige Tarifsituation innerhalb der EG.
Beim Lkw-Transport besteht eine ähnliche Situation. Dort haben wir bei Verladung von Bochum nach Bremen bei 239 km 1 271 DM als Tarif und von Bochum nach Rotterdam bei 238 km 911 DM als Tarif. Das bedeutet einen Unterschied von 360 DM oder 28 %.
Genauso sieht es aus, wenn man bei der Strecke von Stuttgart nach Bremen bei 618 km 2 378 DM und von Stuttgart nach Rotterdam bei 614 km 1 759 DM als Tarif bezahlt und damit eine Differenz von 620 DM oder 26 % hat. Das bedeutet in diesen Fällen bei gleicher Kilometerleistung eine wesentlich günstigere Tarifsituation für Rotterdam.
Umgekehrt ist der gleiche Preis z. B. für die Strecke von Göttingen nach Bremen und die Strecke von Göttingen nach Rotterdam zu zahlen. In diesem Fall wird für die doppelte Transportstrecke nach Rotterdam fast der gleiche Preis gezahlt, nämlich nach Bremen 1 019 DM und nach Rotterdam 1 037 DM.
Damit aber nicht genug. Wir haben eben schon gehört — und ich kann das nur bestätigen —, daß die Tarifspannen im grenzüberschreitenden Verkehr, deren Unterschiede heute bis zu 23 % betragen, nun sogar bis zu 30 % unterschiedlich sein sollen. Das bedeutet eine nochmalige Benachteiligung der deutschen Seehäfen in ihrem Hinterlandverkehr.
Bei der Bundesbahn gab es eine ähnliche Situation. Zum Glück ist ab 1. Januar die Möglichkeit einer flexibleren Preisgestaltung gegeben.
Aus dieser Situation heraus ist es notwendig, die von den Küstenländern gemachten Vorschläge zur Beseitigung der diskriminierenden Unterschiede von Frachtraten für die Seehäfen bei Lkw- und Binnenschiffsverkehr unverzüglich zu realisieren — so, wie sie in dem gemeinsamen Arbeitskreis der Küstenländer und des Bundesverkehrsministers beschlossen wurden —, damit diese Diskriminierung der deutschen Seehäfen kurzfristig beseitigt werden kann.
Ich möchte noch ein paar Zahlen zur Entwicklung der Zahl der Arbeitsplätze in den deutschen Seehäfen nennen. 1964 hatten wir z. B. in Hamburg 16 200 Beschäftigte im Hafen, Ende 1983 waren es nur 10 200. In Bremen waren es 1964 8 500 und Ende 1983 5 500. Das heißt, zwischen 35 und 37 % der
Arbeitsplätze wurden vernichtet. Daran ist nicht unwesentlich die Benachteiligung im Hinterlandverkehr schuld.
Wir sind der Auffassung, daß auch die übrigen schon aufgezeigten Benachteiligungen sofort beseitigt werden müssen. Ich möchte auch die Zahlen bei der Kraftfahrzeugsteuer darstellen. In der Bundesrepublik muß für einen 30-Tonner 9 365 DM an Steuern bezahlt werden, in Holland nur 3 760 DM. Die Mineralölsteuer beträgt in der Bundesrepublik über 41 Pfennig pro Liter, in Holland 17 Pfennig. Allein aus diesen Zahlen kann man die weitere Benachteiligung ersehen.
Die aufgeführten Fakten zeigen sehr deutlich die Probleme des Hinterlandverkehrs auf. Wir begrüßen daher die Entschließung und stimmen ihr ausdrücklich zu.
Wir sind aber skeptisch — das will ich hier sehr deutlich anmerken —, ob die Bundesregierung bereit ist, diese gemeinsamen Positionen nun auch zügig umzusetzen, damit die Entschließung inhaltlich realisiert wird. In diesem Zusammenhang muß ich darauf hinweisen, daß wir jetzt zwar darüber beraten, Benachteiligungen abzubauen, daß aber ab 1. Juli 1984 die Freimengenregelung im grenzüberschreitenden Verkehr von 50 auf 200 1 ausgedehnt werden soll. Dies ist eine wesentliche Benachteiligung, die hier von Herrn Kohl und Herrn Stoltenberg — dabei hätte Herr Stoltenberg eigentlich wissen müssen, welches die Probleme an der Küste sind — gegen den Bundesverkehrsminister durchgesetzt worden ist. Wenn diese Freimengenregelung am 1. Juli in Kraft tritt, bedeutet das für die Küste — so ist ausgerechnet worden —, daß ca. 15 des Stückgutes an die Westhäfen, d. h. Rotterdam und Antwerpen abfließen, absolut: ca. 4,2 Millionen t. Es ist auch ausgerechnet worden, daß, wenn dies einträte, ca. 2 400 Arbeitsplätze in Hamburg und in Bremen gefährdet wären.
Darüber hinaus ist es so, daß auch die Bundesbahn bei einer solchen Situation, wie sie ab 1. Juli gegeben sein wird, fast 2,6 Millionen t im Stückgutverkehr verlieren würde. Auch Steuerausfälle in Höhe von 300 Millionen DM sind die Folge einer solchen Politik.
Vor diesem Hintergrund, meine ich, ist unsere Skepsis begründet, ob das, was wir mit dieser Entschließung im Hinblick auf die Gleichstellung der deutschen Seehäfen mit den Seehäfen Rotterdam und Antwerpen im Wettbewerb erreichen wollen, von der Bundesregierung auch mit Macht durchgesetzt wird.
In der Entschließung wird die Bundesregierung aufgefordert, alle Diskriminierungen abzubauen. Wir erwarten, daß die Bundesregierung den Auftrag der Entschließung, wie er unter den Ziffern 3a und 3b niedergelegt ist, erfüllt und insbesondere kurzfristig umsetzbare Lösungen vorschlägt, die die Wettbewerbsbenachteiligungen der deutschen Seehäfen beseitigen. Und um das abschließend klarzustellen: Wir fordern für die deutschen Seehäfen keine Sonderbehandlung oder Subvention, sondern gleiche Wettbewerbsvoraussetzungen. Diese aber fordern



Hettling
wir von der Bundesregierung mit allem Nachdruck und unverzüglich.

(Beifall bei der SPD)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1006432500
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Kohn.

Roland Kohn (FDP):
Rede ID: ID1006432600
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Europäische Parlament hat im März 1983 eine Entschließung angenommen, in der die EG-Kommission aufgefordert wird, den Seehäfen größere Beachtung als bisher zu schenken und besonders bei allen ihren Vorschlägen zur gemeinsamen Verkehrspolitik deren Auswirkungen auf den Wettbewerb der Häfen untereinander stärker als bisher zu berücksichtigen.
Leider ist die Harmonisierung beim SeehafenHinterlandverkehr nicht so weit fortgeschritten, daß von einem lauteren Wettbewerb zwischen den Seehäfen gesprochen werden kann.
Mein Freund Martin Bangemann, Fraktionsvorsitzender der Liberalen im Europäischen Parlament, hat seinerzeit in der Diskussion des Europäischen Parlaments zu Recht darauf hingewiesen, daß die Bemühungen der Gemeinschaft fortgesetzt werden müssen, um ungerechtfertigte Wettbewerbsvorteile zu beseitigen.
Worum geht es nämlich? Wir haben es mit einem gespaltenen Verkehrsmarkt zu tun. Die deutschen Nordseehäfen sind gegenüber den Rheinmündungshäfen im Wettbewerb durch unterschiedliche Rahmenbedingungen benachteiligt. Für die deutschen Seehäfen gelten für den Zu- und Ablaufverkehr die Regelungen für den Binnenmarkt, auch wenn es sich um Außenhandelsverkehre handelt. Die deutsche Verkehrsmarktordnung verteuert den Hinterlandverkehr gegenüber den belgischen und niederländischen Konkurrenzhäfen. Für die Rheinmündungshäfen gelten hingegen die freizügigeren und preisgünstigeren Vorschriften der Europäischen Gemeinschaft für den grenzüberschreitenden Verkehr. Die Zahlen sind j a vorhin schon genannt worden.
Die Küstenländer und die Seehäfen beklagen deshalb schon seit langem mit Recht die Wettbewerbsverzerrungen durch die unterschiedlichen Ordnungsrahmen im grenzüberschreitenden Verkehr — „grüne Grenze" — einerseits und im Außenhandelsverkehr über die deutschen Seehäfen — „blaue Grenze" — andererseits. Während im grenzüberschreitenden Verkehr größere Flexibilität in der Preisbildung besteht, also eine größere Margenbreite bei Straßengütertarifen und eine freie Frachtenbildung bei der Binnenschiffahrt gegeben sind, gilt im Hinterlandverkehr der deutschen Seehäfen die nationale Verkehrsmarktordnung mit geringeren Margen im Straßengüterverkehr und mit festgelegten Tarifen in der Binnenschiffahrt. Die deutschen Seehäfen führen ihre Umschlageinbußen in den letzten Jahren auch auf diese Wettbewerbsverzerrungen zurück.
Der Arbeitskreis Seehafen-Hinterlandverkehr beim Bundesverkehrsministerium hat deshalb Vorschläge erarbeitet, die auf eine behutsame Anpassung des Systems staatlich administrierter Preise an die flexibleren Regelungen im grenzüberschreitenden Güterverkehr abzielen. Diese Vorschläge wurden im Dezember 1983 mit den Betroffenen diskutiert.
Es ist zu begrüßen, daß die Bundesregierung beschlossen hat, für das Jahr 1984 die Deutsche Bundesbahn für den Seehafenverkehr mit Außenhandelsgütern vom Einzeltarifgenehmigungsverfahren freizustellen und ihr damit eine größere Preisflexibilität einzuräumen.
Die Liberalen unterstützen die Bundesregierung darin, durch Verhandlungen mit dem Straßengüterverkehrsgewerbe und dem Binnenschiffahrtsgewerbe eine optimale Ausnützung der Möglichkeiten einer flexibleren Tarifgestaltung innerhalb des bestehenden Ordnungsrahmens zu erreichen. Die Betonung liegt hierbei auf „innerhalb des bestehenden Ordnungsrahmens".
Wir danken dem deutschen Straßengüterverkehrsgewerbe und der deutschen Binnenschiffahrt für ihre aufgeschlossene Haltung in dieser Frage und hoffen auf weitere Ergebnisse über die Maßnahmen für den Importkohleverkehr bei der Binnenschiffahrt hinaus.
Die Bedeutung, die wir diesen Problemen beimessen, kommt auch darin zum Ausdruck, daß wir die Bundesregierung auffordern, dem Verkehrsausschuß zum 1. Januar 1985 einen Erfahrungsbericht über die weitere Entwicklung des Seehafen- Hinterlandverkehrs vorzulegen. An der Küste kann man sich auf uns Liberale auch in Zukunft verlassen.
Deshalb, meine Damen und Herren, wird die FDP-Fraktion im Interesse der Herstellung gleicher Wettbewerbsbedingungen für die deutschen Nordseehäfen der Beschlußempfehlung des Verkehrsausschusses zustimmen.
Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1006432700
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen zu diesem Tagesordnungspunkt nicht vor. Ich schließe deshalb die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung. Wer der Beschlußempfehlung des Ausschusses für Verkehr auf Drucksache 10/1151 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Bei Enthaltungen in der Fraktion der GRÜNEN ist die Beschlußempfehlung des Ausschusses angenommen.
Ich rufe Punkt 7 der Tagesordnung auf:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (10. Ausschuß) zu dem Antrag der Abgeordneten Frau Dr. Vollmer und der Fraktion DIE GRÜNEN
Verbot des Herbizidwirkstoffs Paraquat — Drucksachen 10/202, 10/1148 —
Berichterstatter: Abgeordneter Bayha



Vizepräsident Westphal
Das ist debattenmäßig unsere letzte Runde heute.
Meine Damen und Herren, im Ältestenrat ist für die Aussprache eine Runde vereinbart worden. — Es erhebt sich dagegen kein Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Herr Bayha, ich höre, Sie wünschen das Wort zur Berichterstattung und möchten anschließend in der Debatte sprechen. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie selbst darauf aufmerksam machen, wenn Sie von der Berichterstattung zu Ihrem Beitrag als Fraktionssprecher übergehen. — Sie haben das Wort, Herr Bayha.

Richard Bayha (CDU):
Rede ID: ID1006432800
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Daß ich zunächst als Berichterstatter das Wort ergreife, ist auch deshalb notwendig, weil eine Berichtigung angebracht werden muß; dies ist auch mit der Antragstellerin abgesprochen. Im übrigen wird der Beitrag, den ich anschließend für die Fraktion zu leisten habe, sehr kurz sein.
Der am 26. Juni 1983 gestellte Antrag der Abgeordneten Frau Dr. Vollmer und der Fraktion DIE GRÜNEN wurde in der 22. Sitzung des Deutschen Bundestages am 15. September 1983 zur federführenden Beratung an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten und zur Mitberatung an den Innenausschuß und an den Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit überwiesen.
Der Innenausschuß hat die Vorlage am 26. Oktober 1983 beraten und mehrheitlich beschlossen, dem federführenden Ausschuß zu empfehlen, die Bundesregierung aufzufordern, die rechtliche Situation mit dem Ziel zu prüfen, möglichst bald zu einem Anwendungsverbot paraquathaltiger Pflanzenschutzmittel in der Bundesrepublik zu gelangen.
Der Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit hat am 24. November 1983 unter Ablehnung eines sofortigen Anwendungsverbots für Paraquat mehrheitlich beschlossen, die Bundesregierung aufzufordern, erstens zu veranlassen, daß zusätzlich zu dem Anhörungsverfahren zu Paraquat im Bundesgesundheitsamt eine Anhörung des für ein Verbotsverfahren zuständigen Sachverständigenausschusses bei der Biologischen Bundesanstalt für Land-und Forstwirtschaft durchgeführt wird, und zweitens danach zu prüfen, inwieweit die Zulassung des Herbizidwirkstoffs Paraquat, der hauptsächlich unter den Handelsnamen Gramoxone und Reglone auf dem Markt ist, sofort aufgehoben werden muß.
Hier muß ich eine Richtigstellung anbringen. Das Produkt Reglone stammt nicht aus dem Wirkstoff Paraquat, sondern aus dem Wirkstoff Diquat. Es ist offenbar irrtümlich oder aus Unkenntnis hier her-eingeraten. Damit nicht ein falsches Mittel verboten wird, möchte ich dies hier auch in Übereinstimmung mit der Antragstellerin richtigstellen.
Der federführende Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten diskutierte den Antrag zunächst in seiner Sitzung am 9. November 1983 und ließ sich dann am 25. Januar 1984 über Paraquat bei der Biologischen Bundesanstalt für Land- und Forstwirtschaft in Berlin informieren. In seiner Sitzung am 22. Februar 1984 war der Ausschuß einmütig der Auffassung, daß die Vorlage in der ursprünglichen Fassung erledigt sei. Das Ausschußmitglied der Fraktion DIE GRÜNEN modifizierte dann den Antrag zu dem Ersuchen an die Bundesregierung, a) ein sofortiges Anwendungsverbot für Paraquat zu erlassen und b) darauf hinzuwirken, daß die Restbestände an Paraquat umgehend umweltverträglich vernichtet würden.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Das Anwendungsverbot wurde daraufhin mehrheitlich, der Antrag im übrigen gegen die Stimme der Antragstellerin einmütig abgelehnt. Daraufhin fand die nunmehrige Beschlußempfehlung einmütig die Billigung des Ausschusses.
Die Antragsteller verfolgten ein Ersuchen an die Bundesregierung, zum einen darauf hinzuwirken, daß die Zulassung des Herbizidwirkstoffs Paraquat, der hauptsächlich unter dem Handelsnamen Gramoxone auf dem Markt sei, aufgehoben werde, und zum anderen zusätzlich zu dem bereits angesetzten Anhörungsverfahren zu Paraquat im Bundesgesundheitsamt eine Anhörung des für ein Verbotsverfahren zu errichtenden Sachverständigenausschusses bei der Biologischen Bundesanstalt für Land- und Forstwirtschaft anzuberaumen.
Die Antragsteller sind der Auffassung, der Wirkstoff sei im Boden hochpersistent und baue sich dort praktisch nicht ab. Nach Sättigung des Bodens mit Paraquat sei auf den verseuchten Flächen auf nicht absehbare Zeit ein Pflanzenwachstum nicht mehr möglich. Zudem werde der stark giftige Wirkstoff, für den es kein Gegenmittel, kein Gegengift gebe, als Selbstmordmittel mißbraucht. Überdies könne eine Vergiftung bei Arbeiten mit dem verseuchten Bodenmaterial schon durch die Aufnahme auf die Haut erfolgen.
Bei den Beratungen im Ausschuß stellte sich heraus, daß sich der Antrag durch Maßnahmen der Biologischen Bundesanstalt für Land- und Forstwirtschaft erledigt hat. Bei den am Jahresende 1983 auslaufenden Pflanzenschutzmitteln hat die Bundesanstalt eine erneute Zulassung abglehnt, so daß diese Mittel zur Zeit nicht mehr vertrieben werden dürfen. Bei den nach Ende 1983 auslaufenden Mitteln hat die Bundesanstalt die Zulassungen widerrufen. Die sofortige Vollziehung des Widerrufs hat die Bundesanstalt jedoch mangels Gefahr im Verzuge nicht angeordnet. Infolge Rechtsmitteleinlegung durch die betroffenen Unternehmen sind hier die Widerrufe noch nicht rechtskräftig. Es hat sich bei den Beratungen herausgestellt, daß diese Nichtverlängerungen der Zulassung und die Widerrufe nur in der Bundesrepublik Deutschland erfolgt sind, nicht aber in anderen Ländern, in denen paraquathaltige Pflanzenschutzmittel gleichfalls vertrieben werden.
Das Bundesgesundheitsministerium hat für den Bereich seiner Zuständigkeit — Abwehr von Gesundheitsgefährdungen von Mensch und Tier — gegen die Weiterzulassung der paraquathaltigen Mittel keine Bedenken erhoben.



Bayha
Durch die Maßnahmen der Bundesanstalt waren die Stellungnahmen der mitberatenden Ausschüsse in der abschließenden Beratung überholt. Zudem sollen inzwischen andere Mittel mit ähnlichem Wirkungsspektrum ohne ungünstige Abbaueigenschaften im Boden der Bundesanstalt zur Prüfung vorgelegt worden sein.
Unter diesen Umständen und im Hinblick auf mögliche oder anhängige Verwaltungsstreitverfahren hat der Ausschuß den ursprünglichen Antrag für erledigt erklärt und davon abgesehen, die Bundesregierung zu einem sofortigen Anwendungsverbot für Paraquat aufzufordern und zur Anordnung der umweltverträglichen Vernichtung der Restbestände zu drängen. Hinzu kommt, daß nach der Frühjahrsbestellung 1984 die Restbestände ohnehin verbraucht sein werden und überdies deren Vernichtung in der Praxis kaum kontrollierbar wäre.
Die Verwaltungsstreitverfahren werden erweisen, ob die von der Bundesanstalt behauptete Dauergefährdung der Böden durch Paraquat zutrifft. Einmütig hielt es der Ausschuß für erforderlich, daß die Bundesregierung die anhängigen Verwaltungs-streitverfahren beobachten und dem Ausschuß hierüber Bericht erstatten soll, wenn dies notwendig ist.
Diese Auffassung des Ausschusses hat in der einmütigen Beschlußempfehlung ihren Niederschlag gefunden. Der Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten bittet den Deutschen Bundestag daher, den Antrag nach Maßgabe der Beschlußempfehlung anzunehmen.
Meine Damen und Herren, noch einige kurze Anmerkungen seitens der CDU/CSU-Fraktion: Die Zulassung paraquathaltiger Pflanzenschutzmittel in der Bundesrepublik ist damit widerrufen, weil sich nach Untersuchungen der Biologischen Bundesanstalt in Berlin herausgestellt hat, daß dieses Präparat im Boden auf viele Jahre hinaus — so muß man es nämlich betrachten — nahezu keinem Abbau unterliegt. Nach Auffassung der Wissenschaftler in der Bundesanstalt besteht insbesondere Unsicherheit, ob auf Sand- und Moorböden bei weiterer Behandlung in Zukunft Pflanzenschäden auszuschließen sind. Paraquathaltige Präparate werden in der Landwirtschaft weltweit als Unkrautbekämpfungsmittel, insbesondere im Obst- und Weinbau eingesetzt. Diese Mittel haben den Vorzug, daß andere Kulturpflanzen sofort wieder nachgebaut werden können, was bei vergleichbaren Mitteln bisher problematisch war. Außerdem ist Paraquat giftig, und es gibt im Gegensatz zu anderen herbizid wirkenden Stoffen kein Gegengift. Allerdings sind die Mittel durch abschreckenden Geruch sehr stark vergällt, und sie sind auch entsprechend gekennzeichnet, damit Unfälle vermieden werden.
Eine Anhörung beim Bundesgesundheitsamt im Sommer des letzten Jahres hat ergeben, daß jährlich ca. 20 Paraquat-Unfälle in der Bundesrepublik geschätzt werden, diese seien aber, wie gesagt wird, nach sehr vagen Schätzungen überwiegend Selbstmordfälle.
Die in den landwirtschaftlichen Betrieben noch vorhandenen Mittel können aufgebraucht werden, weil nach Auffassung der Biologischen Bundesanstalt hier in der Tat keine Gefahr im Verzuge ist. Es dürfte auch sicher sein, daß in der Zwischenzeit der größte Teil der noch bei den Landwirten vorhandenen Bestände aufgebraucht ist. Ich glaube, das ist wohl auch die beste Vernichtung und die sicherste Vernichtung.
Ich empfehle auch seitens der CDU/CSU-Fraktion Annahme der Beschlußempfehlung des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten.

(Beifall bei der CDU/CSU un der FDP)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1006432900
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Weyel.

Gudrun Weyel (SPD):
Rede ID: ID1006433000
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Bayha hat dankenswerterweise sehr ausführlich über die Geschichte dieses Antrages und seine Erfüllung berichtet. Ich möchte deshalb versuchen, ein paar Dinge zu sagen, die für den Wirkstoff Paraquat, seine Zulassung und sein Verbot eigentlich beispielhaft sind.
Es gibt eine ganze Reihe von Mitteln, die eigentlich zum Nutzen der Menschheit erfunden worden sind, bei denen sich aber manchmal herausstellt, daß sie ihr dann doch schaden. Die Frage, wie viele Menschen die Erde ernähren kann, ist jahrhundertealt und ist von vielen diskutiert worden. Jede Form von Landwirtschaft, die gezielt zur besseren Versorgung der Menschen mit Nahrung betrieben wird, ist ein Eingriff in die Natur und bewirkt Veränderungen. Aber erst in diesem Jahrhundert hat der Einsatz chemischer Mittel als Düngemittel, als Pflanzenbehandlungsmittel so tiefe und schnelle Wirkungen mit so unkalkulierbaren risikoreichen Folgen erreicht.
Die Projektgruppe „Aktionsprogramm Ökologie", die vom BML eingesetzt worden war, stellt zum Problembereich Pflanzenbehandlungsmittel fest — ich zitiere mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten —

(Dr. Bötsch [CDU/CSU]: Das brauchen wir nicht mehr, das haben wir in der Geschäftsordnung gestrichen! — Weitere Zurufe)

— okay, ich habe nichts dagegen —:
Trotz einer großen Zahl von Rechtsvorschriften, die die Herstellung, den Verkehr und den Umgang mit Pflanzenbehandlungsmitteln regeln, sind mit der Anwendung chemischer Pflanzenbehandlungsmittel noch erhebliche Risiken verbunden. Rückstände von Pflanzenbehandlungsmitteln in inländischen pflanzlichen Produkten stellen keine akute Gesundheitsgefährdung dar, weil, die mit hohen Sicherheitsspannen festgelegten Grenzwerte nur in wenigen Fällen überschritten werden.
Die wenigen Fälle allerdings können gefährlich sein. Darauf bitte ich zu achten.
Diese Überschreitungen sind in der Regel auf unsachgemäße Anwendung der Pflanzenbehandlungsmittel zurückzuführen. Trotzdem besteht auch bei den Nahrungsmitteln ein Ge-



Frau Weyel
fährdungspotential durch Pflanzenbehandlungsmittel über deren mögliches Zusammenwirken untereinander oder mit anderen Schadstoffen auf Grund eventueller Langzeiteffekte.
Damit wird aber schon eines deutlich: Die Zulassungsvoraussetzungen nach dem Pflanzenschutzgesetz gehen immer wieder von der bestimmungsgemäßen und sachgerechten Anwendung der Mittel aus. Nur dann sollen schädliche Auswirkungen für die Gesundheit von Mensch und Tier ausgeschlossen sein.

(Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Das ist bei Alkohol auch so!)

— Sicher gilt das auch für den Alkohol. Aber es ist ja auch erlaubt, öffentlich darüber zu sprechen, daß Alkohol gesundheitsgefährdend ist. Man sollte genauso öffentlich darüber sprechen, daß auch der Umgang mit genehmigten Pflanzenschutzmitteln gesundheitsgefährdend sein kann.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Es ergeben sich aber eine ganze Reihe weiterer Fragen. Wer garantiert eigentlich für die bestimmungsgemäße und sachgerechte Anwendung der Pflanzenbehandlungsmittel? Ich habe in der letzten Woche bei der Agrardebatte Gelegenheit genommen, darauf hinzuweisen, daß der Ausbildungsstand gerade bei Nebenerwerbslandwirten nicht immer der allerbeste ist und sich daraus eben gewisse Zweifel an der sachgerechten Anwendung ergeben.

(Immer [Altenkirchen] [SPD]: Das ist das Problem!)

Weitere Frage: Was sind eigentlich „sonstige Auswirkungen"? Wie wirkt das Mittel auf Boden und auf Gewässer? Wie sieht es mit Rückständen aus? Sind sie zu finden? Wo sind sie zu finden? Wie lange sind sie zu finden? Ist das Problem der Anreicherung im Boden wie im Fall Paraquat überhaupt genügend überprüft?
Schließlich: Was geschieht eigentlich, wenn diese Mittel in Entwicklungsländern angewendet werden? Welche Risiken des Rückimports von Schadstoffen in Nahrungsmitteln aus diesen Entwicklungsländern gehen wir eigentlich ein, wenn wir diese Mittel gerade in Entwicklungsländer exportieren?
Andererseits ist bei dem Verfahren der Zulassung und des Verbots der Pflanzenbehandlungsmittel die Ausweitung der Bürokratisierung nicht zu übersehen. Je sicherer wir gehen wollen, desto mehr Bürokratie. Die Abstimmung zwischen Bundesgesundheitsamt, Biologischer Bundesanstalt und Umweltschutzamt ist Sicherheit und Hindernis zugleich. Wir sollten auch einmal zugeben, daß in diesem Bereich eine gewisse Menge Bürokratie gar nicht zu umgehen ist und daß die Zeit, die dafür aufgewendet wird, natürlich für andere Aufgaben dieser Anstalten verlorengeht.

(Müller [Schweinfurt] [SPD]: Sehr richtig!)

Ich möchte das einmal — Herr Bayha hat es schon ausgeführt — gerade an der Geschichte dieses Paraquat-Antrags, der im Juni gestellt wurde, deutlich machen. Er wurde im Herbst erstmals behandelt. Im Januar haben wir sozusagen den ersten Teil erfüllt, indem wir bei der Biologischen Bundesanstalt waren und uns noch einmal angehört haben, was mit dem Mittel los ist. Dann haben wir den Antrag noch einmal im Ausschuß beraten, und heute haben wir ihn hier im Plenum, um zu beschließen. Der Witz der Sache ist nur: Das Mittel ist praktisch am 31. Dezember 1983 verboten worden.

(Dr. Bötsch [CDU/CSU]: Um so besser!)

— Nun können wir sagen: um so besser. Aber ich möchte einmal darauf aufmerksam machen: Was wäre denn, wenn er so behandelt worden wäre, wie es von Ihrer Fraktion im Ausschuß in der ersten Sitzung beantragt wurde, nämlich die Bundesregierung zu bitten, einen Bericht bis zum Mai dieses Jahres vorzulegen? Was wäre, wenn es sich um ein Mittel handelte, bei dem das Hauptgefahrenpotential nicht in der Bodenanreicherung läge, sondern in unmittelbaren Gefährdungen von Mensch, Tier oder — von mir aus — Gewässern?

(Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Das ist eine Frage aus der Sesamstraße!)

Wir sind uns j a im Grunde genommen alle einig darüber, daß zum Schutz des Bodens etwas getan werden muß. Wir haben alle gemeinsam wunderschöne Erklärungen verabschiedet. In allen diesen Erklärungen steht, daß ein Bodenschutzprogramm erstellt werden soll. Ich wollte bei dieser Gelegenheit nur noch einmal darauf aufmerksam machen — auch Sie haben das, bitte schön, sowohl beantragt als auch beschlossen —, daß man nun vielleicht auch einmal Schritte unternehmen sollte, das in die Realität umzusetzen. Denn es wird eigentlich Zeit, daß man beim Umweltschutz nicht nur von der Luftverschmutzung redet, sondern Boden und Gewässer mit derselben Ernsthaftigkeit und möglichst mit einer etwas höheren Geschwindigkeit einbezieht.

(Beifall bei der SPD)

Ich möchte dazu nur noch ein paar bescheidene Anregungen geben. Vor Jahren wurde von der Biologischen Bundesanstalt ein Programm für eine Pilotstudie erstellt. Danach sollte über die Bundesrepublik ein Raster gelegt werden, durch das der IstZustand und Veränderungen bezüglich der Rückstände der Pflanzenbehandlungsmittel ermittelt werden. Ich möchte vorschlagen, daß die Bundesregierung nach den Ankündigungen, die sie im letzten Jahr getroffen hat, doch einmal darangeht, dieses Programm zu realisieren, gerade in einer Zeit, wo das Bewußtsein für die Notwendigkeit des Umweltschutzes sehr stark gestiegen ist.
Schließlich sollte man auch darangehen, ernsthaft Schritte zur Minderung des Einsatzes von Pflanzenbehandlungsmitteln zu tun. Auch hierzu gibt dieses Aktionsprogramm eine ganze Menge Hinweise. Ich möchte nur einige Dinge einmal in den Raum stellen, damit das nicht immer so klingt, als würde damit alles auf einmal vernichtet.



Frau Weyel
Schlimm wäre es tatsächlich, wenn jemand versuchen würde, mit einem Schlag alle chemischen Behandlungsmittel abzusetzen; denn die natürlichen Mittel gegen verschiedene Schädlinge sind inzwischen durch die Art der Bewirtschaftung so stark zurückgegangen, daß das wahrscheinlich tatsächlich eine größere Katastrophe wäre.

(Müller [Schweinfurt] [SPD]: Sagen Sie das der Regierung! — Immer [Altenkirchen] [SPD]: Die ist ja nicht da! Hoffentlich lesen die das Protokoll! — Dr. Schulte [Schwäbisch Gmünd] [CDU/CSU]: Sie haben doch gerade gehört: Das wird schon verboten!)

— Ich nehme an, daß im Ministerium zumindest ein Mensch sitzt, der das liest.

(Lutz [SPD]: Sie sind alle draußen und reden vom Umweltschutz! — Zurufe von der CDU/CSU)

— Vielleicht sind Sie so freundlich, zuzuhören. Sie möchten doch alle gerne nach Hause gehen. Dann lassen Sie mich den letzten Satz noch sagen. Dann können Sie ein bißchen früher zum Essen gehen, oder was Sie sonst noch vorhaben.

(Dr. Bötsch [CDU/CSU]: Das haben Sie genau erkannt, Frau Kollegin!)

Vielleicht darf ich trotzdem noch einmal darauf aufmerksam machen, daß es durchaus Möglichkeiten gibt: vorbeugende Kulturmaßnahmen, ein stärkeres Zurückgreifen auf solche Dinge wie Fruchtwechsel, wie resistente Sorten, eine Einschränkung der Überdüngung — die zwar immer bestritten wird, aber trotzdem teilweise vorkommt —, eine stärkere Einsetzung biologischer Bekämpfungsmaßnahmen, die es auch gibt, eine Verbesserung der Ausbringungsverfahren, die gezielter den Schädling bekämpft und weniger andere Pflanzen mit beeinträchtigt usw.
Ich glaube, hier ist ein weites Feld eröffnet, in dem die Regierung deutlich machen kann, daß ihre Umwelterklärungen ernst gemeint werden. Wir werden sie bei solchen Unternehmen ganz sicher unterstützen.
Danke schön.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1006433100
Meine Damen und Herren, dem Präsidenten war schon vorher aufgefallen, daß das zuständige Ministerium nicht vertreten ist. Ich war darüber etwas erstaunt. Ich hatte ein bißchen Zeit gelassen, weil wir etwas vor der geplanten Zeit mit diesem Tagesordnungspunkt begonnen haben. Zwei Redner haben in dieser Debatte schon gesprochen. Nun muß man wohl kritisieren, daß ein Haus, das noch dazu zwei parlamentarische Staatssekretäre hat, hier überhaupt nicht vertreten ist.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN und des Abg. Ronneburger [FDP])

Das Wort hat die Abgeordnete Frau Dr. Vollmer.

Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1006433200
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nicht jedes Ding ist das, was es
zu sein scheint. Von dem Wirkstoff, über den wir hier heute reden, wird nach der Werbung der Industrie, die es herstellt — der Weltfirma ICI —, in dieser Glanzbroschüre angekündigt, daß er der Sicherheit dient, der menschlichen Gesundheit und — man höre und staune — der Umwelt. Das ist der Titel. Dieses Mittel, das es im Handel unter den Namen Duanti, Gramoxone und Teraklone gibt, ist in den letzten Jahren in der Bundesrepublik in einer Menge von 380 t verkauft worden. Damit Sie sich den Umfang vorstellen können: Damit kann man 100 000 ha Land spritzen. Es wurde vorwiegend eingesetzt in der Forstwirtschaft, im Kartoffelanbau, im Weinbau und auch in Kleingärten.
Jährlich gab es auf Grund von Vergiftungen mit diesem Mittel nicht 20 Unfälle, sonden 30 Tote. Und man muß dazu sagen, daß der Tod infolge von Vergiftung mit diesem Pflanzenschutzmittel eine der menschenunwürdigsten Arten von Sterben war, die es gibt, und daß die Betroffenen diesen dann bei vollem Bewußtsein mitmachen mußten.
Damit Sie den Grad der Gefährlichkeit erkennen: Eine Vergiftung konnte schon eintreten, wenn jemand mit dem Mittel gewirtschaftet und sich im Anschluß daran, ohne sich die Hände zu waschen, eine Zigarette gedreht hat. Schon dann sind auf Grund dieser Tatsache schwerwiegende — manchmal nicht heilbare — Vergiftungen eingetreten. Dieses Mittel wirkt tödlich, wenn — das steht in der Forstzeitschrift — der Mensch nicht innerhalb einer Stunde nach der Berührung behandelt wird. Das Komplizierte an Vergiftungen mit diesem Mittel ist, daß die Leute zunächst einmal nur ein ganz schwaches Unwohlsein haben und überhaupt nicht begreifen und nicht wissen, daß sie vergiftet sind, und daß sie, nachdem eine Stunde vergangen ist, ganz sicher nicht mehr heilbar sind.
Nun hat es darüber im Bundesgesundheitsamt eine Anhörung gegeben. Das Bundesgesundheitsamt hat sich aus gesundheitlichen Gründen nicht verpflichtet gesehen, die Anwendung dieses Mittels zu unterbinden, mit der — wie ich finde — sehr zynischen Begründung, daß Selbstmorde sowieso nicht zu verhindern seien.
Wie war die Anweisung der Firma, wenn man dieses Mittel angewendet hat? Sie hat gesagt, man sollte damit „vorsichtig" umgehen. Ich habe aus dem „Bayerischen Wochenblatt" — der Bauernzeitschrift dort — folgende korrekte Anwendungsbeschreibung: Der Landwirt, der die vorgeschriebenen Vorsichtsmaßnahmen beachtet, nämlich „Schutzkleidung und Gummihandschuhe zu tragen, mit niedrigem Druck zu spritzen und mit Hilfe eines Atemschutzgerätes zu verhindern, daß er den Spritznebel einatmet", hat keine gesundheitlichen Schäden zu befürchten. Ich frage Sie: Welcher Bauer getraut sich heute, mit Atemschutzgeräten auf das Feld zu fahren, und welcher Kleingärtner spritzt mit Atemschutzgerät seine Pflanzen?
Die zweite Wirkung dieses Mittels war die auf die Böden. Die Biologische Bundesanstalt hat festgestellt, daß sich dieses Mittel im Boden faktisch nicht



Frau Dr. Vollmer
abbaut. Sie kommt deshalb zu dem Schluß, die Zulassung dieses Mittels zurückzuziehen.

(Hornung [CDU/CSU]: Vorbeugend auf Grund einer Studie!)

Im übrigen begrüßen wir natürlich, daß die Biologische Bundesanstalt zu diesem Schluß gekommen ist. Wir wissen auch, daß sie selber damit in große Schwierigkeiten kommt, weil nämlich bekannt ist, daß die Firma ICI einen Prozeß angestrengt hat, in dem es um Millionen geht, und daß es einige Standfestigkeit braucht, diesen Prozeß durchzustehen.
Jetzt komme ich zu der Beratung unseres Antrages im Ausschuß. Im Ausschuß hatten wir beantragt, daß die Zulassung zurückgenommen wird. Diesem Verlangen hat die Biologische Bundesanstalt entsprochen. Ich muß dazu sagen, daß dies mein erster Antrag war. Ich habe ihn mit normalem Menschenverstand gestellt, indem ich gedacht habe: Wenn es ein Zulassungsverbot gibt, heißt das gleichzeitig, daß dieses Mittel nicht mehr hergestellt und benutzt werden darf. Als ich näher in die parlamentarischen Finessen eingestiegen war, habe ich gemerkt, daß es das noch lange nicht heißt. Ich habe dann einen Zusatzantrag gestellt, daß es ein Anwendungsverbot dieses Mittels geben muß und daß die Restbestände dieses Mittels umweltfreundlich vernichtet werden müssen.
Jetzt ist mir gesagt worden, dies sei doch nicht nötig; ein Anwendungsverbot sei nur bei Gefahr im Verzuge anzuwenden — Herr Bayha hat es eben auch noch einmal gesagt — und das sei hier nicht der Fall. Solche Mittel würden überhaupt am besten beseitigt, indem man sie möglichst fein über die Fläche der Bundesrepublik Deutschland ausstreue.

(Heiterkeit bei den GRÜNEN)

Ich frage mich wirklich nach der Logik dieses Denkens, wie man

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

bei dem Mittel, von dem ich gesprochen habe, mit solchen Schädigungen

(Hornung [CDU/CSU]: Wo sind die Schädigungen, wenn es ausgebracht ist?)

und bei den deutlichen Aussagen der Biologischen Bundesanstalt, daß dieses Mittel sich im Boden nicht abbaut, gleichzeitig noch sagen kann: Wir lassen zu, daß es weiter ausgetragen wird, und nicht statt dessen die Bevölkerung, die Bauern und die privaten Verbraucher eindringlich vor der Benutzung dieses Pflanzenschutzmittels warnt.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Ich weiß, daß es in Teilen Baden-Württembergs vor dem Ende des Jahres 1983 eine Werbekampagne von Genossenschaften gegeben hat, das Mittel Gramoxone jetzt besonders billig zu beziehen, weil es ja dann verboten werde.

(Hornung [CDU/CSU]: Können Sie das belegen?)

Man hat den Unverstand der Bauern ausgenutzt,
indem man sie mit dem Argument, das sei so billig,
dazu bewogen hat, weiterhin ihre Böden zu schädigen, obwohl wir doch wissen, daß die Belastungen unserer Böden schon ganz eminent sind.

(Frau Nickels [GRÜNE]: Und ihre Gesundheit!)

Jetzt komme ich zum zweiten Punkt. Ich habe das Corpus delicti mitgebracht. Es hieß, das dürfte nicht mehr gehandelt werden. Ich habe diese Flasche heute von meinem Mitarbeiter um 13.40 Uhr in einem Bonner Hobby-Markt für 22,40 DM einkaufen lassen. Dieses Mittel ist ohne Vorzeigen eines Personalausweises ausgehändigt worden. Sie sehen diese Flasche; sie ist nicht kindersicher verschlossen. Es steht nicht einmal die präzise Anwendung auf der Flasche selbst, sondern auf einem Beipackzettel.

(Drabiniok [GRÜNE]: Unglaublich!)

Wenn Sie sich überlegen, daß 6 Gramm davon absolut tödlich sind, daß ein Schluck, den ein Kind genommen hat und wieder ausspuckt, absolut tödlich ist, dann frage ich Sie, ob es nicht dringend geboten ist, ein Anwendungsverbot dieses Mittels zu fordern.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Es ist nicht möglich, Unfälle zu vermeiden, wenn dieses Mittel noch weiter gehandelt wird, wenn das so lax gehandhabt wird und wenn nicht gleichzeitig eine Aufklärungskampagne der Bevölkerung stattfindet, was für ein ungeheuer gefährliches und tödliches Mittel dieses Gramoxone ist.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Es sind immer wieder Verstöße gegen die korrekte Anwendung passiert. Ich habe den Brief einer Elterninitiative aus Kassel vorliegen. Sie haben festgestellt, daß dieses Mittel im letzten Jahr in dem Kindergarten, in dem ihre Kinder spielen, angewendet worden ist, und das, obwohl es schon damals den Hinweis gab, daß es grundsätzlich im Bereich von Spielplätzen verboten ist, obwohl es schon damals eine Menge Hinweise gab, wie schädlich dieses Mittel ist, und obwohl schon damals auf den Packungen stand, daß man selbst das Vieh erst nach einer Woche auf mit paraquathaltigen Mitteln gespritzte Fläche lassen darf. Man hat die Kinder dieses Kindergartens, bis die Eltern es merkten, ahnungslos in der Nähe dieser Flächen spielen lassen, auf denen dieses Mittel eingesetzt wurde.
Ich möchte auf einen weiteren Punkt kommen. Die Diskussion um diesen Werkstoff, das Paraquat, sehen wir im Zusammenhang mit der Diskussion über die Pflanzenschutzmittel, die noch kommen wird. Einer der wichtigsten Punkte in dieser Diskussion über Pflanzenschutzmittel ist, daß selbst Mittel, die bei uns verboten sind — und Paraquat ist nun das erste, das bei uns verboten ist; es ist auch nur bei uns verboten —, weiter exportiert werden dürfen. Frau Weyel hat schon darauf hingewiesen, wie diese chemische Keule als Bumerang zu uns zurückkommen kann. Ich möchte darauf hinweisen, daß dieser Wirkstoff Paraquat besonders in Ländern der Südsee verwendet wird und daß es einmal eine regelrechte Epidemie mit Vergiftungen durch dieses Mittel gegeben hat. Ich frage mich in dem



Frau Dr. Vollmer
Fall auch nach der Moral der Wirtschaft oder der chemischen Industrie, die sie berechtigt — oder die sie anführen —, solche Mittel, solche tödlichen Gifte weiter zu produzieren.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Ich schaue auf die immer noch leere Regierungsbank. Ich habe diese Flasche heute besorgen lassen, um Ihnen zu beweisen, daß das Mittel weiter gehandelt wird. Ich muß dazu sagen, wir mußten nicht einmal lange suchen. Ich habe mir gestern bei der Vorbereitung dieser Rede überlegt, den Versuch zu machen, und habe gesagt: Geht doch einmal los und schaut in einem Hobby-Center, ob ihr dieses Mittel noch findet. Es war bereits im zweiten, wo das einfach so im Regal stand, trotz Verbotes. Ich habe das ungern hierhergetragen. Ich fühle mich nicht sehr wohl mit solchen Giften in der Tasche. Ich wollte es nicht wieder mitnehmen, sondern ich wollte es dem Vertreter der Regierung geben, damit der zweite Teil unseres Antrages für ihn etwas dringlicher wird,

(Zurufe von den GRÜNEN)

nämlich, daß wir für eine umweltschonende Beseitigung dieses Mittels eintreten und daß wir meinen, daß das in die Hand von Fachleuten gehört und daß die Mittel nicht durch Bauern und nicht durch Verbraucher allmählich verbraucht werden sollen. Ich wollte es der Regierung geben, aber da sie nicht da ist, lasse ich es hier stehen, bis sie es sich abholt. Ich nehme es nicht mehr in die Hand.
Ich danke Ihnen.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1006433300
Frau Kollegin Dr. Vollmer, auch wenn man Verständnis für Ihre Argumentation hat, kann dies nicht so bleiben, und ich werde jemanden bitten, daß er es hier wegnimmt.

(Frau Nickels [GRÜNE]: Gummihandschuhe anziehen! — Der Platzmeister entfernt das Mittel.)

Ich möchte gern hinzufügen, daß Sie, wenn Sie einen Blick in die Geschäftsordnung werfen, wissen, daß es nicht in der Hand des Präsidenten liegt, die Regierung heranzurufen. Wenn das nicht erfolgt — was ich zur Kenntnis nehme —, wird dies wohl trotzdem ein gewisses Nachspiel haben müssen: daß die Regierung bei einer solchen Debatte nicht vertreten ist.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Als nächster Redner hat Herr Abgeordneter Paintner das Wort.

Johann Paintner (FDP):
Rede ID: ID1006433400
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, daß wir uns zunächst alle einig sind, daß es unbedingt erforderlich ist, daß Gift sehr sorgsam behandelt werden muß. Ich muß auch sagen: Dieser Demonstrationsauftritt wäre sicherlich nicht notwendig gewesen. Das wissen alle Bürger in unserem Staat.

(Zuruf von der CDU/CSU: Reine Emotionen! Sonst gar nichts! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

Wenn ich der Gesunderhaltung des Bodens und dem sehr sensiblen Bereich Gift im Boden nicht eine so große Bedeutung zumessen würde, könnte man meinen, daß eine Beratung über eine Beratung einer Beschlußempfehlung eines Ausschusses sicherlich nicht die Sensation gewesen wäre, wenn Frau Vollmer diesen Auftritt hier nicht veranstaltet hätte. Als FDP-Fraktion lassen wir uns aber gerade in Fragen der Sorgfaltspflicht hinsichtlich der Pflanzenschutzmittel von niemandem nachsagen, daß wir die Angelegenheit nicht ernst nehmen. Somit begrüße ich diese Aussprache zur Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichtes des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten.
Die Beschlußempfehlung, die einmütig war, lautet: „Der Bundestag wolle beschließen: ... Der Antrag wird für erledigt erklärt."

(Zuruf von der CDU/CSU: So ist es!)

Somit, meine ich, ist eigentlich schon bewiesen, daß die Arbeit, die wir hier leisten, nicht mehr besonders produktiv ist. Ich habe als Landwirt gelernt, produktiv zu arbeiten.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Horacek [GRÜNE]: Aber hier sind neue Beweise aufgetreten! Haben Sie das nicht bemerkt?)

— Das können Sie sich ersparen.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1006433500
Herr Kollege Paintner, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Burgmann?

Johann Paintner (FDP):
Rede ID: ID1006433600
Nein, ich lasse keine Zwischenfrage zu.
Die Bundesregierung wird aufgefordert, die Rechtslage bei der Aufhebung der Zulassung paraquathaltiger Pflanzenschutzmittel zu verfolgen und dem Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten des Deutschen Bundestages alsbald Bericht zu erstatten, wenn es die Situation erfordert.

(Zurufe von den GRÜNEN)

Wir werden sehen, ob es die Situation dann erfordert.

(Frau Weyel [SPD]: Das haben wir doch eben gesehen! — Horacek [GRÜNE]: haben Sie das nicht gesehen?)

— Frau Weyel, Ihnen möchte ich sagen, daß ich als praktizierender Landwirt großes Verständnis habe. Als Landwirt bin ich beinahe ein Feind von Pflanzenschutzmitteln und Chemikalien,

(Dr. Vogel [SPD]: Sehr gut!)

weil ich weiß, wie teuer und wie gefährlich sie sind.
Aber wir sollten nicht vergessen, was diese Land-



Paintner
wirtschaft heute ohne Chemie und ohne Pflanzenschutzmittel wäre.

(Zuruf von der SPD: Gesünder!)

Das hätte sicherlich auch auf die Welternährungslage eine Auswirkung, die wir uns gar nicht ausmalen können.

(Zurufe von den GRÜNEN)

— Wissen Sie, in dem Bereich, wo Sie wohnen und arbeiten wollen, ist dies doch ganz anders. — Dieser Beschlußempfehlung stimmt die FDP-Bundestagsfraktion zu.
Zur Sache möchte ich sagen: Die Biologische Bundesanstalt für Land- und Forstwirtschaft hat die Zulassung paraquathaltiger Pflanzenschutzmittel, soweit sie am 31. Dezember 1983 ausgelaufen ist, nicht erneuert und, soweit sie zu diesem Zeitpunkt noch nicht abgelaufen war, widerrufen. Ich vermute beinahe, dies wäre auch ohne den Antrag der GRÜNEN geschehen.

(Frau Dr. Vollmer [GRÜNE]: Es hat aber gut geholfen!)

Die Biologische Bundesanstalt hat sich nach Lage der Dinge absolut korrekt verhalten. Das Paraquat stand jetzt, nach zehnjähriger Zulassung — nicht weil Sie den Antrag gestellt haben —, wieder zur Überprüfung an. Auch konnte auf die Ergebnisse von Langzeitversuchen zurückgegriffen werden. Die Auswertung dieser Ergebnisse ließ erkennen, daß Paraquat im Boden nicht im geringsten Maße abgebaut wird. Es reichert sich deshalb im Boden an. Die Entscheidung der Biologischen Bundesanstalt, die Zulassung nicht erneut zu erteilen bzw. zu widerrufen, wird auch nicht dadurch in Frage gestellt, daß Paraquat im Boden von gewissen Tonmineralien festgehalten und damit inaktiviert wird. Wir wissen noch zuwenig über die Bindungskapazität der Böden und können deshalb nicht abschätzen,

(Frau Nickels [GRÜNE]: Wie beim Waldsterben!)

wann die totale Absättigung der Tonminerale mit Paraquat erreicht sein wird. Spätestens von diesem Zeitpunkt an wird es zu einer Anreicherung des verfügbaren Paraquats im Boden kommen. Dem dürfen wir nicht tatenlos zusehen, Frau Vollmer. Wir dürfen nicht nach dem Grundsatz verfahren, daß wir die erst nach einigen Jahren auftretenden Probleme späteren Generationen überlassen. — Ich glaube, da sind wir uns völlig einig.
Dem Antrag der Fraktion der GRÜNEN, die Zulassung des Paraquats aufzuheben, ist seitens der Biologischen Bundesanstalt also schon entsprochen worden.
Da der Widerspruch der Firmen eine aufschiebende Wirkung hat, hat die Maßnahme der BBA noch keine Rechtskraft. Es besteht deswegen jedoch keinerlei Grund zur Beunruhigung. Die Fachleute — ich nehme an, daß es in dieser Bundesrepublik Deutschland einige gibt — bestätigen, daß eine akute Gefahr keineswegs vorliegt.

(Frau Dr. Vollmer [GRÜNE]: Was sagen Sie denn dazu, daß man das immer noch nach draußen schafft?)

Die Bundesregierung sollte die Rechtslage bei der Aufhebung der Zulassung verfolgen und Bericht erstatten,

(Dr. Vogel [SPD]: Sie ist doch nicht da! Wie soll sie das denn verfolgen? — Bindig [SPD]: Wo ist denn die Bundesregierung?)

Von einem Anwendungsverbot sollte so lange abgesehen werden. Das Bundesgesundheitsamt hat für den Bereich seiner Zuständigkeit gegen die weitere Zulassung der paraquathaltigen Mittel keine Bedenken erhoben. Ein Anwendungsverbot wäre nicht damit zu begründen, daß es zur Abwehr von Gesundheitsgefährdungen von Mensch und Tier erforderlich wäre. Aus diesem Grunde war auch die sofortige Vollziehung des Widerrufs der Zulassung nicht angeordnet worden.

(Horacek [GRÜNE]: Was machen Sie denn damit, daß es verkäuflich ist?)

Ein sofortiges Anwendungsverbot ist aber nicht nur deshalb abzulehnen, weil dafür die sachliche Begründung fehlt. Ein solches Verbot stünde auch rechtlich nicht in Einklang mit dem geltenden Pflanzenschutzgesetz.

(Frau Dr. Vollmer [GRÜNE]: Es wird aber die Bevölkerung fragen, wie gefährlich das ist!)

Solange das Inverkehrbringen nicht verboten ist, kann auch die Anwendung nicht verboten werden. Der Deutsche Bundestag kann von der Bundesregierung keine Maßnahmen fordern, die nach den von ihm selbst beschlossenen Gesetzen nicht Rechtens sind.
Darüber hinaus würden wir das Vertrauen der Verwender in unsere Rechtsetzung erschüttern.

(Horacek [GRÜNE]: Das ist ein Formalismus, der tödlich ist!)

Die Verwender hätten kein Verständnis dafür, daß sie ein Mittel zwar kaufen, aber nicht anwenden dürfen.
Aus diesen Gründen spreche ich mich ein weiteres Mal dafür aus, dem Antrag auf ein Anwendungsverbot paraquathaltiger Pflanzenschutzmittel so lange nicht stattzugeben, bis eine gerichtliche Klärung erfolgt ist.
Herzlichen Dank.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1006433700
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe deshalb die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung. Wer der Beschlußempfehlung des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten auf Drucksache 10/ 1148 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthal-



Vizepräsident Westphal
tungen? — Gegen die Stimmen der Fraktion DIE GRÜNEN und bei einer Enthaltung ist die Beschlußempfehlung des Ausschusses angenommen worden.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 8 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 22. Juli 1983 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik der Philippinen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen
— Drucksache 10/1163 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Finanzausschuß (federführend)

Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit
Das Wort wird nicht gewünscht.
Der Ältestenrat schlägt vor, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 10/1163 zur federführenden Beratung an den Finanzausschuß und zur Mitberatung an den Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit zu überweisen. Sind Sie mit den vorgeschlagenen Übeweisungen einverstanden? — Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 9 auf:
Beratung des Antrags des Bundesministers der Finanzen
Entlastung der Bundesregierung wegen der Haushaltsrechnung und Vermögensrechnung des Bundes für das Haushaltsjahr 1982 (Jahresrechnung 1982)

— Drucksache 10/1143 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Haushaltsausschuß
Das Wort wird nicht gewünscht.
Der Ältestenrat schlägt vor, den Antrag auf Drucksache 10/1143 an den Haushaltsausschuß zu überweisen. Sind Sie mit der vorgeschlagenen Überweisung einverstanden? — Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 10 auf:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr (14. Ausschuß) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Bericht über die Förderung des Einsatzes von Elektrofahrzeugen
— Drucksachen 9/1816, 10/358 Nr. 85, 10/1152 —
Berichterstatter: Abgeordneter Pfeffermann
Das Wort wird nicht gewünscht.
Wir kommen zur Abstimmung. Wer der Beschlußempfehlung des Ausschusses für Verkehr auf Drucksache 10/1152 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Bei Enthaltung der Fraktion Die GRÜNEN ist die Beschlußempfehlung des Ausschusses angenommen worden.
Ich rufe Zusatzpunkt 2 zur Tagesordnung auf:
Beratung der Sammelübersicht 29 des Petitionsausschusses (2. Ausschuß) über Anträge zu Petitionen
— Drucksache 10/1200 —
Das Wort wird nicht gewünscht.
Wir kommen zur Abstimmung. Wer der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses, die in der Sammelübersicht 29 enthaltenen Anträge anzunehmen, zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Stimmenthaltungen? — Bei Stimmenthaltung der Fraktion DIE GRÜNEN ist die Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses angenommen.
Wir sind damit am Schluß unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 6. April, 9 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.