Gesamtes Protokol
Meine Damen und Herren! Die Sitzung ist eröffnet.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die heutige Tagesordnung um den Zusatzpunkt Beratung des Antrags des Abgeordneten Dr. Ehmke und der Fraktion DIE GRÜNEN „Notmaßnahmen gegen das Waldsterben durch Geschwindigkeitsbegrenzungen bei Kraftfahrzeugen" — Drucksache 10/536 — erweitert werden. Dieser Zusatzpunkt soll zusammen mit Punkt 5 der Tagesordnung aufgerufen werden. — Es erhebt sich kein Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Nach einer weiteren interfraktionellen Vereinbarung soll Punkt 3 der Tagesordnung abgesetzt werden.
Weiterhin soll die Beratung des Antrags der Fraktion der SPD und des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und FDP „Ergänzung des Auftrags des 1. Untersuchungsausschusses" — Drucksachen 10/520, 10/521 — nunmehr heute um 15.30 Uhr aufgerufen werden. — Auch dagegen erhebt sich kein Widerspruch.
Ich rufe den Zusatzpunkt 1 zur Tagesordnung auf:
Aktuelle Stunde
Die Fraktion DIE GRÜNEN hat gemäß Nr. 1 c der Anlage 5 unserer Geschäftsordnung eine Aktuelle Stunde verlangt. Das Thema der Aktuellen Stunde lautet:
Die militärische Intervention in der Republik Grenada durch die Vereinigten Staaten von Amerika und einige karibische Staaten
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Frau Abgeordnete Gottwald.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Vor zwei Tagen sind US-amerikanische Truppen in die Republik Grenada eingefallen mit dem Ziel, eine Marionettenregierung von US-Gnaden zu errichten. Der Revolution auf Grenada hatten die USA bereits seit ihrem Beginn im Jahr 1979 den Kalten Krieg erklärt, den sie bisher mit Wirtschaftsboykott, kleineren Invasionsübungen und versuchten Attentaten auf die politische Führung des Landes betrieben. Der Versuch dieses kleinen Landes, einen Weg der wirtschaftlichen und politischen Unabhängigkeit zu gehen, war den USA ein Dorn im Auge. Die Machtkämpfe innerhalb des New-Jewel-Movements und die Ermordung von Maurice Bishop, die wir ganz entschieden verurteilen, waren für die USA der lang gesuchte Anlaß, um dieses Land in alter Tradition zu befrieden.Mit diesem durch nichts, auch nicht mit der Präsenz von Kubanern oder Sowjets, zu rechtfertigenden „brüderlichen" Überfall ganz im Stil der Breschnew-Doktrin, die der Sowjetunion vor fünf Jahren zur Legitimierung ihres Überfalls auf Afghanistan diente, haben die USA erneut bewiesen, daß ihnen Völkerrecht und UN-Charta in Sonntagsreden als Staffagen dienen, aber da, wo sich an irgendeinem Punkt in der Welt in ihrem selbsterklärten Machtbereich eine ihnen nicht genehme Regierung etabliert, nichts, aber auch gar nichts mehr zählen. Mit solchen militärischen Überfällen kalkulieren die USA zu jedem Zeitpunkt. Es ist für sie nur eine taktische Frage, wann sie ihre Kräfte brutal und umfassend in die Waagschale werfen.Die offiziellen Begründungen der Reagan-Administration für den Einmarsch auf Grenada sind lächerlich und heuchlerisch. Eine hypothetische Bedrohung von US-Bürgern, die Behauptung von Anarchie sowie die Bitte von westindischen Nachbarn, das sind die Rechtfertigungen des Friedensengels Reagan. Sogar der tote sozialistische Regierungschef von Grenada, Maurice Bishop, gegen den die CIA schon lange Machtpläne geschmiedet hatte, wird zynisch als Grund angeführt.
Jeder weiß, daß es in Mittelamerika und in der Karibik nicht nur um angebliche Sicherheitsinteressen der USA geht, die übrigens von der Bundesregierung als legitim betrachtet werden; sondern jeder weiß auch, daß die USA als wichtigstes NATO-Mitglied die Aufgabe haben, angebliche Sicherheitsinteressen des Westens außerhalb des NATO-Gebiets zu vertreten. Ich zitiere Herrn Kohl höchstpersönlich:
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1996 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Oktober 1983
Frau GottwaldJeder weiß, daß unsere vitalen Interessen über den NATO-Vertragsbereich hinausreichen. Krisenhafte Entwicklungen in anderen Teilen der Welt wirken sich auch auf uns aus. Deshalb brauchen und üben wir Solidarität und enge Abstimmung mit den Verbündeten, die weltweit Verantwortung übernommen haben.Das ist aus der Regierungserklärung vom 4. Mai 1983.Ein weiteres Zitat daraus:Wir werden die politische und militärische Zusammenarbeit weiter stärken, aktiv mitgestalten und mitverantworten.Verantworten muß diese Regierung die Folgen der Politik ihres NATO-Partners in der Tat, auch wenn eine Abstimmung mit ihm nicht erfolgt ist.Sie können sich von diesem völkerrechtswidrigen militärischen Überfall auf den kleinen Inselstaat Grenada distanzieren. Sie müssen es sogar, um der westdeutschen Staatsräson, deren Kernstück nach Aussagen von Herrn Kohl einzig die NATO ist, nicht das Fundament zu entziehen. Sie müssen es tun, um nicht das Meisterwerk der Allianz im 20. Jahrhundert, die Stationierung neuer atomarer Mittelstreckenraketen in der BRD, zu gefährden. Zu Recht befürchten Sie, daß das Vertrauen der bundesdeutschen Bevölkerung in dieses Bündnis und seine kriegsvorbereitende und, wie wir jetzt wieder gesehen haben, auch kriegführende Politik zunehmend schwindet.Zu Recht! Denn abgesehen von der Frage, wie man überhaupt in einem Land atomare Massenvernichtungswaffen mit dem Argument der angeblichen Friedenssicherung stationieren kann, stellt sich nicht erst heute die Frage, wie man das Verfügungsrecht über solche lebensbedrohende Potentiale auch noch den Vereinigten Staaten überlassen kann, einer Regierung, die zwar vorgibt — genauso wie die Bundesregierung —, stets für Frieden und Freiheit zu kämpfen, die aber nie davor zurückgeschreckt ist, unter dem Banner der Freiheit ganze Völker in Blut zu ertränken.
Gestern Vietnam, heute Grenada, morgen Mittelamerika und übermorgen wir! Eine Zustimmung zu dieser Angriffspolitik hat nichts mit Freiheit zu tun. Krieg ist das Resultat, nicht Frieden.
Wenn Sie dieses Bündnis weiterhin mittragen, dann sollten Sie es im vollen Bewußtsein dessen tun, daß Sie damit nicht nur die NATO-Feldzüge in der Dritten Welt unterstützen, sondern auch mit der Stationierung neuer Mittelstreckenraketen die Möglichkeit der atomaren Vernichtung der Bevölkerung Europas einkalkulieren. Sie tun es auch im Bewußtsein dessen, daß ein Großteil unserer Bevölkerungnichts mehr befürchtet, als daß Sie dies tun werden.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Klein .
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Bundesregierung hat gestern erklärt, sie sei nicht konsultiert worden; wäre sie konsultiert worden, hätte sie einen anderen Rat gegeben. Ich gehe davon aus, daß die Bundesregierung diesen Standpunkt hier noch im einzelnen darlegen und begründen wird. Es ist ein Standpunkt, mit dem die CDU/CSU-Fraktion voll einig ist.
Ich möchte gleichwohl all denen, die es für richtig halten, Vergleiche zwischen Grenada und Afghanistan zu ziehen, in Erinnerung rufen,
daß es 1965 — hören Sie doch einmal zu, auch wenn es Ihnen schwerfällt — eine amerikanische Intervention in der Dominikanischen Republik gegeben hat, mit dem Ergebnis, daß sich die Amerikaner, die damals gemeinsam mit einer Streitmacht der OAS eingegriffen haben, sehr rasch wieder zurückgezogen haben unter Zurücklassung einer intakten Demokratie, bei der auch der Prozeß der Ablösung zwischen Regierung und Opposition funktioniert. Aber jetzt nennen Sie mir einmal einen einzigen Fall sowjetischen Eingreifens, der zu einer Demokratie geführt hat!
Wir werden über diesen Vorgang abschließend urteilen, wenn wir wissen, was die Amerikaner in diesem Land vorgefunden haben.Die kubanische Botschaft in Bonn war so freundlich, uns mit einigen Materialien zu versehen, darunter mit dem Inhalt einer Pressekonferenz, die der stellvertretende kubanische Außenminister vor wenigen Tagen gegeben hat. Ich zitiere daraus. Auf die Frage eines Journalisten: „Welche Art Waffen benutzen die Bauleute, die sich in Grenada befinden?"
antwortete der stellvertretende Außenminister Quesada: „Die kubanischen Bau- und Mitarbeiter verfügen über leichte Infanteriewaffen." — was man als Bauarbeiter eben so bei sich hat.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die karibischen Staaten haben ganz offensichtlich vor den
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Oktober 1983 1997
Klein
Entwicklungen auf dieser Insel, die zu einem kubanisch-sowjetischen Flugzeugträger ausgebaut werden sollte, große Befürchtungen gehabt. Lassen Sie mich noch ein Zitat aus den Unterlagen der kubanischen Botschaft bringen. Dort wird mitgeteilt, daß der Leiter des im Kampf befindlichen kubanischen Bau- und Mitarbeiterpersonals, Pedro Tortoló Comas, der am Montag zu einem Arbeitsbesuch nach Grenada gekommen war — zufällig am Montag —, das Kommando über das gesamte kubanische Personal übernommen hat. Meine Damen und Herren, in der Botschaftserklärung wird auch wiedergegeben, was man als kubanischer Bauführer für einen Rang hat: nämlich Oberst.
Wir sind — das habe ich eingangs gesagt — nach unserem heutigen Informationsstand mit der Entscheidung, die da getroffen wurde, keineswegs einverstanden.
Aber das mindeste, was Amerika von seinem Verbündeten erwarten kann, ist, daß er sich um Verständnis, wenn schon nicht Einverständnis, dafür bemüht,
aus welchen Beweggründen und vor dem Hintergrund welcher Entwicklungen dieser Schritt getan worden ist.
Meine Damen und Herren, ich bin gehalten, den Redner an die fünf Minuten zu mahnen. Wenn er sich nicht durchsetzen kann, ist das für mich außerordentlich schwierig. Ich bitte sich mit der Beeinträchtigung des Redners ein bißchen zurückzuhalten.
Herr Ehmke hat das Wort.
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion verurteilt den völkerrechtswidrigen Gewaltakt der Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika gegen Grenada
mit der gleichen Entschiedenheit, mit der sie den Einmarsch von Truppen des Warschauer Pakts nach Prag und die sowjetische Invasion in Afghanistan verurteilt hat.
Als Mitglied der westlichen Wertgemeinschaft, Herr Marx, tun wir dies mit noch größerer Trauer, ja, Bitterkeit.
Denn die Reagan-Administration hat mit dieser militärischen Aktion Prinzipien und Werte mißachtet,die Amerika einst zu einem demokratischen Vorbild für die Welt gemacht haben,
dem auch unsere demokratische Entwicklung so viel zu verdanken hat.Eine amerikanische Regierung, die mangels eines kühlen Kopfes Muskelzeigen und Gewaltanwendung für Politik hält, beeinträchtigt die Glaubwürdigkeit nicht nur der Vereinigten Staaten, sondern auch die des Bündnisses, dessen Vormacht sie ist.
Daß sie in Grenada ohne Konsultation, ja, gegen den Rat von Verbündeten gehandelt hat, macht die Sache für das Bündnis nur noch schlimmer.Wir haben einst gehofft, die Vereinigten Staaten hätten mit dem von Präsident Carter so mühsam erkämpften Panamakanal-Vertrag und mit dem Fallenlassen des nicaraguanischen Diktators Somoza Abschied von einer Politik genommen, die in dieser Region nach dem spanisch-amerikanischen Krieg durch Imperialismus und Ausbeutung gekennzeichnet war. Aber heute sehen wir das Rad der Geschichte in grotesker Weise zurückgedreht. Die konservative amerikanische Administration scheint wieder zu glauben, sie könne mit Gewalt der revolutionären Unruhe Herr werden, die aus sozialer Ungerechtigkeit und politischer Rückständigkeit entspringt, für die die Vereinigten Staaten von Amerika ein gerüttelt Maß an Mitschuld tragen.
Es mutet in der Tat wie ein Hohn an, daß der vor einer Woche ermordete sozialistische Ministerpräsident Grenadas, Bishop, nun fast als Kronzeuge für die Rechtfertigung der gegen sein Land gerichteten amerikanischen Kanonenbootpolitik aufgerufen wird, nachdem er zu seinen Lebzeiten als karibische Inkarnation des schlechthin Bösen diffamiert worden ist.
Lassen Sie mich auch ein anderes Wort in aller Ruhe hinzufügen. Wer auf den Philippinen Herrn und Frau Marcos unterstützt, scheint wenig berufen, in Grenada die Demokratie zu retten.
Während amerikanische Soldaten dem Machtkampf im Libanon zum Opfer fallen, ohne daß die Politik klar ist, der sie mit ihrem Einsatz dienen sollen, sterben auf Grenada junge Amerikaner für eine Aktion, die fast von der ganzen Welt verurteilt wird. Es ist, als wolle ausgerechnet Präsident Reagan die kommunistische Losung erfüllen: „Schafft ein, zwei, drei, viele Vietnams!" Noch sind amerikanische Soldaten in die Kämpfe in El Salvador und Nicaragua nur indirekt verwickelt, aber der Gewaltakt gegen Grenada hat in dieser ohnehin schon explosiven Weltregion die Schwelle zum militärischen Konflikt in gefährlicher Weise herabgesetzt.
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1998 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Oktober 1983
Dr. Ehmke
Wir in Europa dürfen nicht meinen, uns ginge es nichts an, wenn fern in der Karibik die Völker aufeinanderschlagen. Dieser Konflikt berührt uns mittelbar und nicht nur in unserem Mitgefühl für die Opfer dieser Kämpfe und für ihre Hinterbliebenen. Die naive Neigung, alle außenpolitischen Probleme und Interessengegensätze in der Welt über den Leisten des Ost-West-Konfliktes zu schlagen, ist ja nicht auf die Karibik beschränkt. Die dort jetzt eskalierende amerikanische Politik der Stärke und der Konfrontationsbereitschaft trägt auch in Europa dazu bei, die Spannungen und Gefahren zu verschärfen. Die jetzige Genfer Position der USA, erst stationieren, um dann wirklich mit Erfolg verhandeln zu können, ist nur ein Ausdruck dieser unseligen Tendenz.
Die Supermacht Amerika wird im militärischen Kampf um das kleine Grenada schließlich den Sieg davontragen; im politisch-moralischen Ringen um die Seele der Völker hat sie schon heute erneut eine Schlacht verloren.
Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit ist beendet.
Das Wort hat der Bundesminister des Auswärtigen.
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Bundesregierung hat die Entwicklung auf Grenada mit zunehmender Besorgnis beobachtet. Die Ermordung des Ministerpräsidenten und mehrerer seiner Minister und Anhänger am 19. Oktober hat die Lage auf der Insel weiter verschärft. Der inzwischen gebildete Militärrat verhängte eine Ausgangssperre und kündigte sofortige Waffenanwendung gegen jeden an, der diese Ausgangssperre mißachtete. Im Zeitpunkt des Putsches hielten sich auf der Insel Ausländer aus verschiedenen Staaten auf, darunter 1 000 US-Bürger und auch etwa 20 Deutsche.Der Mord an dem Ministerpräsidenten und seinen Ministern und die nachfolgende Entwicklung führten zu empörten Reaktionen der Nachbarstaaten Grenadas. Die Karische Wirtschaftsgemeinschaft suspendierte am 22. Oktober Grenadas Mitarbeit. Die 1981 gegründete Organisation Ost-Karibischer Staaten sprach sich für eine Intervention aus und rief Jamaika und Barbados zur Beteiligung auf. Gemeinsam appellierten diese Staaten an die USA, mit ihnen zusammen in Grenada zu intervenieren. Am 25. Oktober morgens griffen dann die USA und Kontingente der sechs karibischen Staaten ein.Die amerikanische Regierung hat uns nach Beginn der Aktion über das Vorgehen unterrichtet. Sie verwies darauf, daß US-Bürger geschützt werden müßten, deren Evakuierung durch den Ausnahmezustand bedroht worden sei. Die USA seien von der OECS sowie Barbados und Jamaika gebeten worden, die Ordnung auf der Insel und funktionierende Regierungsinstitutionen wiederherzustellen. DieVereinigten Staaten würden ihre Truppen in Kürze wieder abziehen. Ostkaribische Verbände würden noch bis zur Wiederherstellung geordneter Verhältnisse in Grenada verbleiben.Im VN-Sicherheitsrat kam es auf Antrag Nicaraguas zu einer Dringlichkeitssitzung. Die OAS trat gestern ebenfalls zu einer Sondersitzung zusammen. Die Stellungnahmen aus allen Teilen der Welt sind überwiegend kritisch und negativ. Die Bundesregierung nimmt dabei die Haltung derjenigen Länder besonders ernst, die sich selbst durch konsequente Beachtung des Völkerrechts und der Satzung der Vereinten Nationen die Legitimation zu solcher Kritik erworben haben.
Die Bundesregierung bedauert die Entwicklung in Grenada. Ihr Mitgefühl gehört den Angehörigen der Opfer der blutigen Auseinandersetzungen während des Putsches und den Opfern der Kampfhandlungen auf allen Seiten. Sie kann und wird eine abschließende Bewertung erst dann vornehmen, wenn sie über alle Einzelheiten voll informiert ist.
Das ist bisher nicht der Fall.Wir hätten es begrüßt, wenn wir vor der Entscheidung über den Einsatz der Streitkräfte Gelegenheit gehabt hätten, unsere Auffassung zum Ausdruck zu bringen, weil die Auswirkungen der jüngsten Entwicklung auch uns betreffen — politisch und psychologisch.
Das Kabinett hat gestern in einer sehr ausführlichen und mit großem Ernst geführten Aussprache zum Ausdruck gebracht, daß wir, hätten wir dazu Gelegenheit gehabt, von dieser Intervention abgeraten hätten, weil wir überall für politische und gegen militärische Konfliktlösung eintreten.
Auch die Entwicklung seit der Kabinettsitzung hat keine Erkenntnisse ergeben, die nachträglich eine andere Bewertung rechtfertigen könnten — weder politisch noch rechtlich. Das Recht ist unteilbar.
Die Bundesregierung hat die amerikanische Regierung über ihre Beurteilung unterrichtet. Sie hat die Erwartung ausgesprochen, daß die Kampfhandlungen unverzüglich eingestellt und alle fremden Truppen aus Grenada abgezogen werden, damit das Selbstbestimmungsrecht ungehindert ausgeübt werden kann.
Wir hoffen aufrichtig, daß das endlich in Freiheit und Demokratie geschehen kann.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Oktober 1983 1999
Bundesminister GenscherDie Bundesregierung fühlt sich durch die jüngste Entwicklung in Zentralamerika und im Karibischen Raum in der Überzeugung bestätigt, daß nur politische Lösungen auf Dauer Sicherheit schaffen können, daß die Stabilität in dieser krisengeschüttelten Region nur durch die Schaffung sozialer Gerechtigkeit, durch Pluralität und durch die Verwirklichung demokratischer Grundsätze erreicht werden kann. Wir treten konsequent für Unabhängigkeit und Selbständigkeit der Staaten der Dritten Welt und für wirkliche Blockfreiheit ein.
Das setzt Zurückhaltung auf allen Seiten voraus. Es erfordert, daß der Ost-West-Gegensatz nicht auf diese Region übertragen wird.
Wir kennen und würdigen in diesem Zusammenhang die Besorgnisse nicht nur der Vereinigten Staaten, sondern auch mancher anderer Staaten der Region über Bestrebungen und Aktivitäten auch von außerhalb der Region. Wenn es stimmt, daß auf Grenada auch bewaffnete kubanische Truppen stationiert waren, werden solche Besorgnisse noch verständlicher.Wir werden unsere Anstrengungen fortsetzen, durch unsere Zusammenarbeit mit den Staaten der Region unseren Beitrag zu sozialer Gerechtigkeit und wirtschaftlicher Entwicklung zu leisten. Wir halten es jetzt für noch dringlicher, daß die Europäische Gemeinschaft den Staaten der Region, die dazu bereit sind, ein Kooperationsabkommen anbietet, wie es mit den ASEAN-Staaten mit großem Erfolg praktiziert wird.Die Bundesregierung wird sich auch in Zukunft in allen Fragen, die Zentralamerika und die Karibik betreffen, um eine enge Abstimmung mit ihren europäischen Partnern und mit den Vereinigten Staaten bemühen.Die unterschiedliche Einschätzung der Entwicklung auf Grenada mindert nicht die Bedeutung der Zusammenarbeit und der Freundschaft mit den Vereinigten Staaten.
Wir nehmen Anteil an den Gefühlen des uns befreundeten amerikanischen Volkes,
das auch in dieser Frage tief aufgewühlt ist und mit dem wir in Trauer und Bitterkeit über den Tod von mehr als 200 jungen Amerikanern in Beirut vereint sind.
Wir wissen, daß in einem Bündnis freier Staaten das offene Wort unter den Partnern ebenso ein Zeichen von Vertrauen und Stärke ist
wie die Beachtung der gemeinsamen Grundsätze Ausdruck unserer Glaubwürdigkeit ist. An der Nahtstelle zwischen West und Ost nehmen wir diese Glaubwürdigkeit besonders ernst.Wer aber die Entwicklung in Grenada zum Anlaß nehmen will, einen Keil zwischen uns und unsere amerikanischen Verbündeten zu treiben,
wer seiner Gegnerschaft zur NATO und auch zum Doppelbeschluß nur eine neue Begründung geben will,
wer in Wort und Tat unser Land auf gleichen Abstand zu den USA und zur Sowjetunion bringen will, der muß auf unsere entschiedene Ablehnung stoßen.
Die Bundesregierung wird auch in Zukunft in dem Bewußtsein handeln, daß die Vereinigten Staaten für Freiheit und Sicherheit unseres Landes eintreten.
Wir vergessen auch in diesem Augenblick nicht, wer unser Freund ist und wer es nicht ist.
Das Wort hat der Abgeordnete Wischnewski.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der 25. Oktober 1983, der Tag der Invasion der Truppen der Vereinigten Staaten in Grenada, ist ein schwarzer Tag für unser Bündnis,
ein schwarzer Tag für unser Bündnis, weil der wichtigste Partner in unserem Bündnis einen schweren Verstoß gegen das Völkerrecht begangen hat,
ein schwarzer Tag für unser Bündnis, weil die Vereinigten Staaten das Selbstbestimmungsrecht der Völker aufs schwerste mißachtet und weil die Vereinigten Staaten einen schweren Verstoß gegen die Charta der Vereinten Nationen begangen haben.
Aber dieser 25. Oktober 1983 ist auch ein schwarzer Tag für das innere Verhältnis des größten Partners im Bündnis zu den anderen, kleinen Partnern. Grenada ist Mitglied des britischen Commonwealth. Die britische Königin ist — zumindest formell — nach wie vor Staatsoberhaupt von Grenada. Dennoch hat der Präsident der Vereinigten Staaten den dringenden Ratschlag der britischen Premierministerin nicht akzeptiert. Meine sehr verehrten Da-
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2000 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Oktober 1983
Wischnewskimen und Herren, das zerstört Vertrauen unter Partnern.
Die Bundesregierung ist vorher nicht informiert, geschweige denn konsultiert worden. Die Stunde ist viel zu ernst, um darüber polemische Bemerkungen zu machen.Dieser Tag ist auch ein schwarzer Tag, weil der wichtigste Staat der westlichen Welt, der wichtigste Partner in unserem Bündnis in der Dritten Welt an diesem Tage sehr viel verloren hat. Schon der offene oder verdeckte Einsatz des CIA mit Konterrevolutionären gegen Nicaragua ist mit unseren Vorstellungen nicht in Einklang zu bringen.
Es ist aber auch ein schwarzer Tag, meine sehr verehrten Damen und Herren, weil der Sonderbeauftragte des Präsidenten der Vereinigten Staaten für Zentralamerika, der frühere Senator Stone, zu den Ministern der Europäischen Gemeinschaft noch bei seinem Besuch in der vergangenen Woche von politischen Lösungen in Zentralamerika gesprochen hat.
Wenn man so handelt, dann verliert man an Glaubwürdigkeit, und das ist das Schlimmste, was es für unser Bündnis überhaupt geben kann.
Es ist auch ein schwarzer Tag, weil es schwieriger geworden ist, über Afghanistan zu reden.
Allerdings, das unterscheidet uns nach wie vor von anderen: Wir dienen unserem Bündnis, wenn wir offen und freimütig die Handlungsweise der Administration Reagan kritisieren und verurteilen, damit wenigstens dieser Unterschied zwischen den beiden Bündnissystemen deutlich erkennbar ist.
Wir fordern die Bundesregierung auf, in den Gremien des Bündnisses die Haltung einzunehmen, die zu dieser Frage eingenommen werden muß. Wir aber, die Mitglieder des Deutschen Bundestages, wir rufen unsere Kolleginnen und Kollegen im Senat und Abgeordnetenhaus der Vereinigten Staaten und wir bitten sie von ganzem Herzen: Begrenzen Sie den Schaden, der durch Ihre Administration entstanden ist! Beenden Sie das Mißtrauen im Bündnis! Rufen Sie Ihre Truppen zurück, und machen Sie das wieder gut, was wiedergutgemacht werden kann.Vielen Dank.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Stercken.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Was sich vor und nach der Anlandung kubanischer Bauleute und amerikanischer Truppen auf Grenada ereignet hat, kann niemanden in diesem Haus mit Genugtuung erfüllen. So herausfordernd manche Ereignisse dieser Tage sind, wir müssen ihnen mit großer Redlichkeit und Offenheit begegnen, um in unseren grundsätzlichen Überzeugungen glaubwürdig zu bleiben. Das ist auch die politische Grundlage der Allianz der Demokraten, und, meine Damen und Herren, dies wird es bleiben.Gewiß, es gibt unerträgliche und unmenschliche Anschläge auf die Würde des Menschen, die schwer mit Besonnenheit hinzunehmen sind. Ich kann mir schon vorstellen, was das amerikanische Volk erlitten hat, als die Nachricht vom ruchlosen Anschlag aus Beirut eintraf. Dennoch: unsere Hoffnung und unser Rat können nur sein, trotz aller formalen Legitimation die Invasion alsbald zu beenden und die Souveränität Grenadas wiederherzustellen.
— Sie wissen ganz genau, was damit angesprochen ist.In dieser Perspektive sind sich alle Demokraten einig, in diesem Hause, in der Europäischen Gemeinschaft und auch in den Vereinigten Staaten, jawohl, auch in den Vereinigten Staaten; denn dort leben Demokraten, mit denen wir in einem Bündnis der Freiheit zusammenarbeiten,
das sich in der Tat immer wieder neu zu bewähren hat. Wer diese Überzeugung teilt und verhindern will, daß das Bündnis Schaden nimmt, der darf jetzt nicht hämisch das Dilemma der amerikanischen Freunde benutzen, um eine opportunistische Kehrtwendung in der Frage der Nachrüstung zu rechtfertigen.
Berechtigte Einwände gegen die amerikanischen Maßnahmen dürfen nicht dazu herhalten, die schon hinreichend emotionalisierte Öffentlichkeit mit weiteren Vorbehalten anzuheizen.
Wenn wir Besonnenheit und Einsicht von unseren amerikanischen Freunden erwarten, dann wirkt sich solcher Mißbrauch sicherlich nicht ermutigend aus.Meine Fraktion möchte in dieser Stunde vor den verheerenden Folgen einer Hochstilisierung freundschaftlicher Kritik zum kalkulierten Antiamerikanismus warnen.
Wer mit diesem Gedanken spielt, der muß für die Folgen haften. Bei aller Kritik, die die amerikanische Landung bei unseren westlichen Verbündeten gefunden hat, ist doch deren Kommentierung sachlich erfolgt, ohne eine amerikafeindliche Tendenz erkennen zu lassen.Ein solch törichter Antiamerikanismus wird auch dem demokratischen Befund der amerikanischen
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Oktober 1983 2001
Dr. SterckenÖffentlichkeit nicht gerecht. Wenn eine Demokratie einen Fehler macht, kann gerade sie ihn auch korrigieren. Daher sind wir zuversichtlich, wenn wir zu einer alsbaldigen Räumung Grenadas von allen fremden Truppen auffordern.Das ist eben der Unterschied, meine Damen und Herren, zu dem unappetitlichen Vergleich mit der Besetzung Afghanistans: Die Verbündeten der USA wissen, daß die Invasion Grenadas kein unabänderlicher imperialer Akt war, um andere Völker zu unterjochen oder neue militärische Stützpunkte zu gewinnen.
Diese dem Sinn des Bündnisses entsprechende Erwartung dürfen wir heute gegenüber einem großen demokratischen Partner aussprechen.Diese freundschaftliche Offenheit gegenüber einem Verbündeten verlangt eine gleiche Offenheit gegenüber denjenigen, die in diesen Ereignissen eine Rechtfertigung dafür erblicken, die von ihnen selber mit entwickelte Politik der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland nun abrupt zum Nachteil unserer Glaubwürdigkeit in der Abrüstungsdebatte über Bord zu werfen.
In dieser kritischen Stunde kann nur zu größter Besonnenheit angehalten werden. Wer auf dem heißen Herd von Grenada auch noch dieses innenpolitische Süppchen kochen möchte, der wird es unseren amerikanischen Freunden erschweren, das Richtige zu tun, und er wird die Auswirkungen für die Sicherheit der Deutschen verantworten müssen, sofern er das kann.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Ronneburger.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Für die Beurteilung der Lage auf Grenada und der Intervention der Vereinigten Staaten gelten für meine Fraktion einige Grundsätze, die ich an den Anfang stellen möchte.Wir haben in der Vergangenheit gesagt: Wir können den Weltfrieden nur bewahren und die großen Herausforderungen für die Menschheit nur meistern, wenn alle Staaten nach den Grundsätzen handeln, die den Bestimmungen und dem Geist der Charta der Vereinten Nationen entsprechen. Es heißt weiter: Das erfordert zum einen Gewaltverzicht, d. h. Verzicht auf die Anwendung und auf die Androhung von Gewalt; alle Konflikte müssen friedlich gelöst werden. Es bedeutet weiter: kein Streben nach Vorherrschaft, keine Einmischung in die inneren Angelegenheiten anderer Länder, Respektierung des Selbstbestimmungsrechts aller Völker.Wir haben uns im Zusammenhang mit der Politik gegenüber der Dritten Welt immer dafür ausgesprochen, daß diese Politik die Lebensbedingungen der Menschen verbessern und damit zur leistungsfähigen und gleichberechtigten Partnerschaft zwischen Industrie- und Entwicklungsländern beitragen soll. Es heißt in einer Aussage wörtlich:Unsere Entwicklungshilfe muß ohne Einmischung in die innere Ordnung des betreffenden Entwicklungslands erfolgen.Es gehört an dieser Stelle dazu, auch auszusprechen, daß es dabei insbesondere darum geht, daß der Ost-West-Konflikt nicht in diesen Bereich übertragen wird.Wenn ich von diesen Grundsätzen ausgehe, meine Damen und Herren, dann kann ich nur mit großem Bedauern und mit Kritik die Lage auf Grenada hier beschreiben. Der Bundesaußenminister hat das für die Bundesregierung in sehr überzeugender und gleichzeitig sehr fairer Weise gegenüber allen Beteiligten getan. Ich kann nur sagen, daß ich in dieser Beurteilung mit dem Bundesaußenminister voll übereinstimme.Aber eines muß dann doch wohl in diesem Zusammenhang gesagt werden können: Hier ist anfangs die Aktuelle Stunde, Frau Kollegin Gottwald, von Ihnen in einer Sprache begründet worden, die ich aus einer anderen Zeit in schlechter Erinnerung habe.
Wer mit der Sprache des Hasses
und wer mit der Einseitigkeit, mit der Sie hier diesen Vorgang beurteilten, auftritt,
dem kann ich nur sagen: Er tut der guten Sache, für die wir eintreten, einen schlechten Dienst. Dies kann nicht übersehen werden.
Es kann überhaupt nicht bestritten werden, daß es einen entscheidenden Unterschied zwischen den beiden Bündnispakten gibt, nämlich den, daß wir hier in aller Offenheit und aller Deutlichkeit auch unseren Freunden sagen können, was wir an ihnen kritisieren.
— Hier wird „hinterher" gerufen. Ich wäre froh gewesen, wir wären vorher informiert oder konsultiert worden, um unsere Meinung zum Ausdruck bringen zu können.
Das wird überhaupt nicht bestritten.
Aber daß wir hier so sprechen können, wie wir es tun, macht den entscheidenden Unterschied aus. Herr Kollege Wischnewski, ich kann Ihnen nur sagen: Weil wir so reden können, wie wir es tun,
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2002 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Oktober 1983
Ronneburgerstimmt das nicht, was Sie gesagt haben: daß es schwerer geworden sei, über Afghanistan zu reden. Wir jedenfalls werden auch in Zukunft über Afghanistan mit der Deutlichkeit reden, mit der wir es in der Vergangenheit getan haben.
Deswegen sage ich an dieser Stelle: Wir wollen, daß der Gewaltverzicht, der weltweit vertraglich vereinbart ist, eingehalten wird. Wir wollen, daß das Volk von Grenada in Unabhängigkeit und Blockfreiheit seine eigenständige Entwicklung bestimmen kann. Wir fordern daher unsere Verbündeten, unseren Partner die Vereinigten Staaten auf, die Voraussetzungen dafür durch den Abzug der amerikanischen Truppen von Grenada so schnell wie möglich zu schaffen.
Wir wollen, daß das geschieht, was in Afghanistan eben nicht zu erwarten ist: daß sich am Ende auch dieses Ereignisses eine funktionsfähige Demokratie in einem freien Lande bewähren kann. — Ich danke Ihnen.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Holtz.
Frau Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Intervention ist bei fast allen auf helle Empörung gestoßen. Sorge und Verlegenheit herrschen bei der Bundesregierung vor. Was ich allerdings heute morgen bei UnionsAbgeordneten an Erklärungs-, Entschuldigungsversuchen und Verständnis gehört habe, klingt mehr als peinlich und wird von uns als ungeheuerlich zurückgewiesen.
Wir beklagen bei unserem größten Bündnispartner die Verwilderung der politischen Sitten. Herr Ronneburger, in der Auseinandersetzung mit dem sowjetischen Expansionsdrang, besonders auch gegenüber der Dritten Welt, kann der Verweis auf Afghanistan heute nicht mehr so glaubwürdig wie vor der Intervention verwendet werden.
Das Argument des Hilferufes aus dieser Region ist abwegig. Von Grenada selbst ging keine existentielle Gefährdung der Nachbarstaaten aus, die eine Notwehr rechtfertigen könnte. Der Herr Bundesaußenminister hat darauf hingewiesen, daß es auch in den Vereinigten Staaten Versuche gibt, dieser Aktion eine völkerrechtliche Begründung zu geben und sie als legal hinzustellen. Die Charta der Organisation der amerikanischen Staaten, der OAS, verpflichtet ihre Mitglieder, in ihren internationalenBeziehungen außer im Falle der Selbstverteidigung keine Gewalt anzuwenden. Das kleine Grenada hat niemanden angegriffen.Auch die Berufung auf Art. 8 des Gemeinschaftsvertrages der ostkaribischen Staaten führt in die Irre. Militärische Aktionen sind danach nur bei Bedrohung von außen legitimiert. Die Berufung auf ein Völkerrecht ist also nicht gerechtfertigt. Die USA biegen und beugen hier das Völkerrecht. Versuche, das zu kaschieren, müssen schonungslos aufgedeckt und verurteilt werden.
Für mich bestürzend ist, daß sich etwa Jamaika, konservativ regiert, erstmals an einer solchen Aktion als Büttel beteiligt. Einen bewaffneten Angriff Jamaikas, das seine eigenen Prinzipien verrät, zu provozieren: dazu gehören schon enorme Machtmittel, wie sie nur eine wirtschaftlich potente Supermacht besitzt. Da wird die desolate wirtschaftliche Situation ausgenutzt und mit großzügiger Wirtschaftshilfe gewunken. Das wirkt auf mich wie Schmiergelder an Jamaika. Das ist wie ein Judaslohn und ist verabscheuungswürdig.
Diese durch nichts zu rechtfertigende Intervention hat möglicherweise Auswirkungen auf die gesamte Region, und zwar schädliche. Die Bemühungen der vier Contadora-Länder um eine friedliche Beilegung der zentralamerikanischen Konflikte werden unterminiert und aufs Spiel gesetzt. Die unverhüllte Aggression muß diejenigen Kräfte in Nicaragua stärken, die die einzige Möglichkeit des Schutzes vor den USA in engster Anlehnung an Kuba und die Sowjetunion sehen. Die rechten Diktaturen und traditionell oligarchischen Regime Mittel- und Lateinamerikas werden sich angesichts dieses Ereignisses noch sicherer fühlen. Die USA haben dem Versuch, Konflikte friedlich zu lösen, einen schweren Schlag versetzt. Sie treiben Länder geradezu in die Arme Moskaus. Sie haben der Demokratie insgesamt geschadet.
Wir fordern, und zwar in dieser Reihenfolge, erstens den sofortigen Abzug der Interventions- und Besatzungstruppen, zweitens keine Installierung von Statthalter- oder Stellvertreterregimen auf Grenada,
drittens freie, faire Wahlen unter der Aufsicht der UNO, der OAS oder — vielleicht noch besser — des Commonwealth und nicht etwa unter der Aufsicht der Interventionsstaaten; da wären die Manipulationsmöglichkeiten groß. Es sollte auch kein Verbot der Partei New Jewel Movement geben. Die freien Wahlen sollen und werden zeigen, wie viele Anhänger diese Partei hat. Viertens fordern wir die Unterstützung der Europäischen Gemeinschaft für Grenada, ein Land in dieser Region, das mit der EG über das Abkommen von Lomé besonders verbunden ist. Vielleicht sind da in der Vergangenheit auch Fehler gemacht worden. Das Regime wäre nicht so weit nach links abgedriftet, wenn man auch
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Oktober 1983 2003
Dr. Holtzden sozialrevolutionären Versuch anders bewertethätte, als es die EG getan hat. — Danke schön.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Abelein.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zuerst muß in dieser Stunde das Bedauern den Opfern und ihren Angehörigen gelten.
Es ist nicht einfach, zu diesen Ereignissen jetzt abschließend Stellung zu nehmen.
Mit der Einseitigkeit, mit der das hier teilweise passiert ist, ist jedenfalls eine Lösung in dieser Situation mit Sicherheit nicht zu finden.
Ich muß Ihnen auch sagen: Einige Redner würden für mich moralisch glaubhafter argumentieren, wenn sie auch anläßlich des Abschusses des Flugzeugs der südkoreanischen Luftlinie über der japanischen See eine Aktuelle Stunde gefordert hätten.
Im übrigen zeigt die Debatte heute einen wesentlichen Unterschied zwischen der Situation in den beiden Lagern. Die Tatsache, daß wir heute in dieser Offenheit diskutieren können, und die interne Diskussion in den Vereinigten Staaten, in Großbritannien und in allen Ländern des westlichen Bündnisses zeigen einen fundamentalen Unterschied zwischen den Vorgängen, die wir jetzt ebenfalls beklagen — ich habe nichts zu rechtfertigen —, und den Ereignissen, die wir im sowjetischen Lager teilweise schon erlebt haben. Es gibt einen wesentlichen Unterschied. Es lassen sich keine Parallelen beispielsweise zwischen Afghanistan, der Tschechoslowakei und den bedauerlichen Ereignissen um Grenada konstruieren.
Während dort Entwicklungen zu einem insgesamt demokratischeren Zustand verhindert wurden, kann davon auf der Karibikinsel in gar keiner Weise die Rede sein. Im Gegenteil: Die neuen Revolutionäre, die die alten Revolutionäre und Diktatoren umgebracht haben, wollten dort nur eine neue, noch radikalere Diktatur errichten. Das sind Gesichtspunkte, die Sie überhaupt nicht angeführt haben.
Ich halte nichts davon, ein so ernstes Ereignis zum Vorwand einer antiamerikanischen Demonstration zu wählen.
Wir stehen — das ist gar keine Frage — zu unseren Prinzipien des Völkerrechts, zu denen auch das Verbot einer gewaltsamen Intervention gehört. Wir sind der Meinung, daß politische Lösungen für die schwierigen Probleme des karibischen Raumes die adäquaten Lösungen sind. Dennoch, auch wenn keine Billigung dieser amerikanischen Intervention zu diesem Zeitpunkt ausgesprochen werden soll,
gewisse Erfahrungen der Amerikaner kann man als objektiver Beobachter der Zeitgeschichte nicht völlig außer acht lassen. 1 000 Amerikaner lebten auf Grenada. Wenn ich mir vor Augen halte, welche Erfahrungen die Amerikaner mit ihren Botschaftsangehörigen in Persien gemacht haben, wie unberechenbar Diktaturen reagieren können, wie absolut hemmungslos sie mit den Grundprinzipien des Völkerrechts umspringen,
liegen gewisse Reaktionen der Amerikaner, auch wenn sie nicht zu billigen sind,
nicht völlig außerhalb dessen, was man in einer solchen Situation beobachten muß.
Jetzt geht es darum — und nur darum kann es gehen —, den Schaden nach Möglichkeit zu begrenzen. Wir sind der Meinung, alle fremden Truppen sollten sich möglichst rasch aus Grenada zurückziehen, und die Bevölkerung von Grenada sollte die Möglichkeit haben, in völliger Freiheit ihr Recht auf Selbstbestimmung auszuüben und eine Regierung zu wählen, die dann diese Insel regiert.
Die Bundesrepublik Deutschland sollte im Rahmen ihrer bescheidenen Möglichkeiten dazu beitragen, daß in diesem Raum künftig die sozialen und materiellen Voraussetzungen dafür geschaffen werden, daß sich solche Konflikte, wie sie diesen Ereignissen zugrunde liegen, künftig erübrigen. — Herzlichen Dank.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Herterich.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Bevor ich für die Sozialdemokraten diese Debatte zusammenfassen will, möchte ich doch meinem wirklichen Unverständnis dafür Ausdruck geben, daß Sie, Herr Klein, hier Verständnis gezeigt haben. Ich frage mich, was eigentlich innerhalb des NATO-Bündnisses und seitens der Außenpolitik der Vereinigten Staaten passieren muß, damit Sie endlich mal nicht Verständnis haben. Es ist unerträglich, wie Sie hier eine Rückendeckung ge-
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2004 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Oktober 1983
Herterichben, die in den Vereinigten Staaten selber kaum noch jemand gibt.
Wir fordern — um die Debatte für uns zusammenzufassen — erstens eine klare Verurteilung dieses eklatanten Bruchs des Völkerrechts. Wir fordern den sofortigen Abzug der amerikanischen Truppen — und nur amerikanische Truppen sind auf der Insel —, und wir fordern eine Wiedergutmachung des Schadens, soweit er wiedergutzumachen ist. Wir fordern für die Zukunft, unabhängig von dieser militärischen Intervention und in zeitlichem Abstand zu ihr, eine konsequente Anwendung des Selbstbestimmungsrechts der Völker für den Inselstaat.Zweitens. Die Wirkungen auf das internationale System generell sind zur Stunde überhaupt noch nicht abzuschätzen. Es ist hier insbesondere vom Kollegen Wischnewski darauf hingewiesen worden, was für verheerende Folgen diese Aktion für das NATO-Bündnis haben wird. Herr Bundesminister, Sie haben gefordert, daß hier freie und vertrauensvolle Worte unter Partnern gesprochen werden sollten. Fragen Sie doch einmal bei Ihrem nächsten Zusammentreffen mit der britischen Premierministerin, was sie von der Realität dieser Forderung in diesem Bündnis hält. Und es ist gesagt worden, man solle nun um Gottes willen keine neuen Begründungen für die Gegnerschaft zum Bündnis finden: Ja, wer liefert denn durch einseitige und nicht abgestimmte Aktionen die Begründungen? Nicht die Partner in Europa, sondern ausschließlich die Vereinigten Staaten.
Was soll man denen sagen, die auf Äquidistanz der Großmächte abheben? Was soll man denn sagen, wenn in der FAZ von heute bedauert wird, daß in den internationalen Beziehungen angeblich zweierlei Maß herrscht? Wir sind doch der Meinung, daß die Wertegemeinschaft des Nordatlantischen Bündnisses gerade dies etabliert, nämlich zweierlei Maßstäbe für internationale Beziehungen, und daß es uns — auch der Führungsmacht des Westens — nicht erlaubt ist, im internationalen Konzert so vorzugehen, wie sie es in diesem Falle getan hat.Aber nicht nur in der NATO, sondern auch in Lateinamerika und in der Karibik wird dies verheerende Wirkungen haben. Ich sage Ihnen jetzt schon voraus, daß — sowohl dies sicherlich nicht völlig gerechtfertigt ist — viele lateinamerikanische Länder vom Malvinen-Konflikt zu dieser Intervention eine Linie ziehen werden und daß dies zu einer weiteren Entfremdung zwischen den Vereinigten Staaten einerseits und den lateinamerikanischen Ländern andererseits, aber leider Gottes auch, weil wir nun einmal in diesem Bündnis sind, zwischen den lateinamerikanischen Staaten und uns führen wird.
Schließlich und endlich, meine Damen und Herren: Dies wird verheerende Wirkungen in der Dritten Welt insgesamt haben,
weil es ein weiteres Beispiel dafür ist, daß die Vereinigten Staaten ganz offensichtlich nach wie vor nicht verstehen, was die eigentlichen Gründe für politische Konvulsionen in der Dritten Welt sind, daß die Ursache nämlich in der Unterentwicklung liegen, und daß die Methoden, die Probleme zu lösen, eben nicht militärische Interventionen sein können,
sondern nur wirtschaftliche, soziale und politische friedliche Hilfe.Meine Damen und Herren aus dem Regierungslager, ich habe Verständnis dafür, daß Sie Auswirkungen dieser Aktion auf die Situation, die in diesem Lande vor uns liegt, befürchten. Ich muß in aller Deutlichkeit sagen: Ich bin zwar der Meinung, daß die beiden Dinge nichts miteinander zu tun haben, aber ich habe großes Verständnis dafür, daß Leute, die die Nachkriegszeit nicht erlebt haben, sondern vor 30 Jahren geboren worden sind und die die amerikanische Außenpolitik erst seit Vietnam kennen und insbesondere in den letzten drei Jahren die mehr oder weniger wüste Kette von Interventionen erlebt haben — ich erinnere daran, daß in diesem Jahr auch bereits die Blockade Nicaraguas und erst Anfang August ein unter aktiver Mitwirkung der USA durchgeführter Putsch in Guatemala erfolgt sind — —
Herr Abgeordneter, Sie müssen Ihre Rede bitte sofort abbrechen. Ich kann Ihnen nicht helfen; Ihre fünf Minuten sind um. Seien Sie bitte so freundlich und hören Sie auf. -
Gestatten Sie noch einen Schlußsatz!
Gut, einen Schlußsatz!
Meine Damen und Herren, ich kann verstehen, wenn diese Aktion in der Bundesrepublik zu weiteren Irritationen und zu einem weiteren Anwachsen der emotionalen Diskussion in dieser Sache führt.
Wir können dafür überhaupt keine Verantwortung übernehmen; die liegt ausschließlich bei den Vereinigten Staaten. — Schönen Dank.
Das Wort hat der Abgeordnete Lamers.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Oktober 1983 2005
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Eine neue Note ist in diese Debatte heute dadurch gekommen, daß mehrere sozialdemokratische Kollegen unverkennbare Sympathien für Maggie Thatcher zum Ausdruck gebracht haben.
Wir nehmen das selbstverständlich mit großem Interesse zur Kenntnis. Aber wir reden heute nicht über Großbritannien, sondern über Grenada und die Vereinigten Staaten.
Meine Damen und Herren, als Angehöriger einer Partei, welche in diesem Augenblick mit großem Nachdruck das Bündnis mit den Vereinigten Staaten verteidigt — und das gegen erhebliche Widerstände, ja, gegen Feindschaft —, ist man natürlich geneigt, zu sagen: Das hat uns gerade noch gefehlt.
Aber, meine Damen und Herren, ein Augenblick des Nachdenkens führt uns vielleicht zu einer etwas überraschenden Erkenntnis. Die Tatsache, daß wir hier heute so diskutieren können, wie wir es tun, und daß hier von allen Seiten so freimütig Kritik an der Intervention der Vereinigten Staaten geübt wird, erinnert uns doch daran, daß wir das — im Gegensatz zu der Situation etwa in Warschau oder in Prag oder in Ost-Berlin — nur deswegen tun können, weil allein die Existenz der Vereinigten Staaten uns dies erlaubt.
Meine Damen und Herren, ich will mit Nachdruck feststellen: Das rechtfertigt nicht alles. Das will auch niemand tun. Aber ich meine, auch in einer solchen Situation seien wir verpflichtet, nicht nur zu differenzieren, sondern eben auch zu sehen, welche Rolle, welche Funktion die Vereinigten Staaten für uns hier in Europa ausüben. Und wir müssen eben in einer solchen Situation leider feststellen, daß es zwei Arten von Kritik an den Vereinigten Staaten gibt: eine, die hier von Mitgliedern meiner Fraktion, von den Freien Demokraten und in einer, wie ich finde, wirklich ganz ausgezeichneten, fairen und überzeugenden Weise vom Bundesaußenminister zum Ausdruck gebracht worden ist, und zum andern jene, für die alles, was die Vereinigten Staaten gerade in Zentralamerika, aber auch in anderen Teilen der Welt tun, was sie auch nach unserem Wissen und unserem Urteil manchmal fehlerhaft tun, nur ein willkommener Anlaß, ein Vehikel für ein anderes Ziel ist, nämlich das Bündnis mit den Vereinigten Staaten innerlich zu erodieren.
Dafür hat die Frau Abgeordnete Gottwald hier schon in ihrer Sprache, die der Kollege Ronneburger zu Recht als unerträglich bezeichnet hat, einen sehr klaren Beweis geliefert. Aber, Herr Kollege Holtz, wenn Sie in diesem Zusammenhang von Judas-Lohn und Schmiergeldern reden, dann appelliert das an Gefühle, die mitzumachen wir nicht bereit sind.
Ein Zweites will ich sagen. Wenn wir hier über diesen bedauerlichen Zwischenfall reden,
über diese Intervention reden, dann müssen wir vor allen Dingen auch überlegen und uns fragen: Was können wir, die Bundesrepublik Deutschland, tun, um die ungewöhnlich schwierige Situation in diesem Bereich zu verbessern? Ich weiß, daß unsere Möglichkeiten begrenzt sind. Aber das, was wir tun können, müssen wir mit allem Nachdruck tun. Nur — auch daran möchte ich heute morgen erinnern —, eine Lösung der Konflikte in dieser Region ohne oder gar gegen die Vereinigten Staaten wird es nicht geben und kann es nicht geben, meine Freunde. Das muß man sehen. Und deswegen ist es auch unter dem Aspekt unserer dort möglichen Hilfe ganz töricht, die Vereinigten Staaten gegen uns aufzubringen. Im Gegenteil, wir müssen sehen, daß wir eine Lösung mit den Vereinigten Staaten finden. Und die muß auf zwei Prinzipien beruhen. Sie muß darauf beruhen, daß die Vereinigten Staaten selbstverständlich das Recht der Völker dieser Region auf ihren eigenen Weg anerkennen, daß aber umgekehrt die Länder dieser Region das in der Tat legitime Sicherheitsinteresse der Vereinigten Staaten anerkennen. Wir stehen zu dem Satz aus der Regierungserklärung des Bundeskanzlers, den Sie hier zitiert haben.
Und wenn, wie Herr Kollege Klein zu Recht erwähnt hat, diese Bauarbeiter ja offensichtlich noch eine andere Funktion hatten, dann ist doch auch erwiesen — das ist bislang hier überhaupt nicht zum Ausdruck gebracht worden —, daß Kuba in der Tat dort nicht nur friedliche Entwicklungshilfe leistet, sondern dort ganz offensichtlich auch zu anderen Zwecken engagiert gewesen ist.
Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit ist zu Ende. Ich bitte, den letzten Satz zu sagen.
Ja. — Ich glaube, daß wir in der Tat in erster Linie das unterstützen sollten, was der Bundesaußenminister erfreulicherweise gesagt hat: daß unser Engagement in dieser Region sich entwicklungspolitisch und diplomatisch verstärken sollte. Dabei hat die Bundesregierung die volle Unterstützung meiner Fraktion. — Danke schön.
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2006 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Oktober 1983
Das Wort hat der Abgeordnete Fischer .
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Ronneburger, über Sprache kann man geteilter Meinung sein. Aber ich finde: Wer aus einem militärischen Überfall, aus der Vergewaltigung eines kleinen Volkes durch eine Supermacht einen „Zwischenfall" macht, der sollte sich mal nach seiner Sprache befragen lassen.
Worum es hier geht? Es geht um die Politik der gegenwärtigen US-Regierung, die meint, alle Konflikte dieser Welt letztendlich mit dem Einsatz militärischer Mittel lösen zu können, seien es die noch lokal begrenzten Krisen und Konflikte in der Dritten Welt, sei es am Ende gar der Ost-West-Konflikt. Und über die Sprache Herrn Reagans in diesem Zusammenhang ließe sich auch einiges sagen.
Diese Politik der militärischen Unterdrückung und des bewaffneten Überfalls auf mißliebige Völker wird die USA in einen noch schlimmeren Sumpf führen, als es Vietnam war. Darin liegt die eigentliche Gefahr, auch für uns. In Beirut sitzen die Vereinigten Staaten bereits fest, ohne so recht einen politischen oder militärischen Ausweg zu wissen. In Zentralamerika deutet sich ähnliches an.
Vergessen wir nicht: Für die knüppelschwingenden Politiker der Reagan-Regierung sind wir hier in der Bundesrepublik lediglich die Zentralfront in ihrem weltweiten Konfrontationsschema. Wenn die sogenannte Politik der Stärke so weitergeführt wird, dann werden die USA über kurz oder lang irgendwo auf der Welt so tief im Schlamassel sitzen oder sich in direkter Konfrontation mit der Sowjetunion befinden, so daß ihre Armeen und vor allem ihre Mittelstreckenraketen hierzulande zum Zwecke der Erpressung eingesetzt werden, ja, eingesetzt werden müssen. Was dann eine westdeutsche Regierung noch zu sagen haben wird, die es heute kaum erwarten kann, daß diese neuen Massenmordwerkzeuge ins Land kommen, sieht man an Hand des gegenwärtigen Überfalls auf Grenada: weniger als nichts.
Der Bundeskanzler vertraut diesem schießwütigen Zelluloid-Cowboy das Schicksal unseres Landes an.
Er ist dabei, etwas Schlimmeres zu begehen — und hier zitiere ich Talleyrand — als ein Verbrechen, nämlich eine bodenlose politische Dummheit, wenn er die neuen amerikanischen Mittelstreckenraketen in der Bundesrepublik aufstellen läßt. — Ich danke Ihnen.
Meine Damen und Herren, ich bitte um Entschuldigung. Es ist sehr schwer, zu verstehen, wie diese Bemerkung gemeint war. Wenn dies, verehrter Herr Kollege Fischer, ein Angriff auf ein Staatsoberhaupt gewesen sein sollte, muß ich Sie zur Ordnung rufen.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Müller.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Nachdem wir gerade im letzten Diskussionsbeitrag gehört haben, daß es denjenigen, die diese Aktuelle Stunde beantragt haben, nicht um das Schicksal der Menschen in Grenada, sondern darum geht, Agitation in einem anderen Zusammenhang zu treiben, möchte ich zum Thema wieder zurückkehren.
Ich bedauere außerordentlich, daß auf der linken und der äußersten linken Seite in diesem Hause so viele antiamerikanische Akzente gesetzt worden sind. Ich bedaure, daß man sich nicht bewußter gemacht hat, wie die Entwicklung in der Karibik gelaufen ist, und daß man sich auch nicht bewußt ist, welche Gefahren für die Karibik von den Verhältnissen in Grenada ausgegangen sind.
Meine Damen und Herren, das ist ein eklatantes Beispiel dafür, wie eine große internationale politische Organisation, nämlich die Sozialistische Internationale, hier versagt hat. Denn die Partei, die auf Grenada regierte, das New Jewel Movement war und ist ja eine Mitgliedspartei der Sozialistischen Internationale.
Ich bin sehr überrascht, wie dort Parteivorsitzende abgelöst werden: mit Ermordung, wie wir es gesehen haben. Aber ich habe kein Wort des Protestes vom Vorsitzenden der Sozialistischen Internationale, Willy Brandt, gehört.
Wenn ich etwas zu den kubanischen Bauarbeitern auf dieser Insel sagen soll, dann möchte ich feststellen, Herr Kollege Wischnewski — Herr Kollege Ehmke hat sich ja schon zurückgezogen;
Entschuldigung; in die zweite Reihe! —, daß die Zahl dieser kubanischen Bauarbeiter, die sich ja nicht mit Spitzhacken und Schaufeln, sondern mit Infanterie- und mittelschweren Waffen verteidigt haben, etwa der Größenordnung der Bundeswehr bei uns in der Bundesrepublik entspricht. Wenn es sich dort um 1 000 Kräfte bei 110 000 Einwohnern handelt, dann entspricht das dem Prozentsatz, den die Bundeswehr bei unseren 60 Millionen Einwoh-
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Oktober 1983 2007
Dr. Müllernern ausmacht. Das sollte man sich einmal durch den Kopf gehen lassen.
Lieber Herr Kollege Holtz, wenn Sie Jamaika zitieren und da eine kleine Bemerkung zu den Konservativen machen wollten, dann darf ich den Oppositionsführer in Jamaika zitieren, Herrn Manley, der ebenfalls einer Partei angehört, die Mitglied der Sozialistischen Internationale ist. Er hat von der Sozialistischen Internationale in diesen Tagen gefordert, das New Jewel Movement auszuschließen. Konservative und Fortschrittliche in der Region, die die Verhältnisse kennen, ziehen dort an einem Strang. Das muß ich Ihnen klar und deutlich sagen.
Wenn wir von Herrn Ehmke gehört haben, daß die Amerikaner zu Imperialismus und Ausbeutung in diesem Raum zurückkehren, und wenn er formulierte — das hat mich besonders gestört, auch die amerikanischen congressmen wird das etwas stören —, daß die Amerikaner demokratisches Vorbild waren und daß man einst auf die Amerikaner gehofft habe, dann klingt ein Appell an das heutige politische Establishment in den Vereinigten Staaten als nicht ganz real, wenn Sie sagen, daß wir sie unterstützen in einem Protest gegen die ReaganRegierung. Das ist nicht ehrlich gemeint. Hier sind mit antiamerikanischen Gefühlen Akzente gesetzt worden, die natürlich nicht der inneren amerikanischen Diskussion dienen sollen, sondern die das Klima, politisch in einem anderen Zusammenhang, in der Bundesrepublik anheizen sollen.
Hier haben Sie sich mitschuldig gemacht, wenn ich das so formulieren darf.
Wenn wir von den Verhältnissen in der Karibik reden, lassen Sie mich dazu eine Bemerkung machen. Ich glaube, es müßte einem alten Sozialisten — davon soll es ja welche bei Ihnen geben — eigentlich zu denken geben, daß einer der Freiheitskämpfer gegen die Somoza-Diktatur, einer, der nach der Revolution an der Führung stand, Pastora, heute die Unterdrückung in Nicaragua genauso bekämpft, wie er sie vorher gegen Somoza bekämpft hat. Das möchte ich in aller Deutlichkeit sagen.
Nur Sie auf dieser Seite des Hauses glauben, auf der Seite derjenigen stehen zu müssen, die mit sozialistischen Sprüchen leider eine antisoziale und antidemokratische Politik in diesem Raum nicht nur propagieren, sondern auch betreiben.
Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit ist zu Ende.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Fischer, ich will zu Ihnen nichts sagen. Ich freue mich, daß Sie sich bereits zum Nadelstreifen-GRÜNEN entwickelt haben.
Meine Damen und Herren, die Aktuelle Stunde ist beendet. Wir fahren in der Tagesordnung fort.
Ich rufe Punkt 2 der Tagesordnung auf:
Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 9. Oktober 1978 über den Beitritt des Königreichs Dänemark, Irlands und des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland zum Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstrekkung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen sowie zum Protokoll betreffend die Auslegung dieses Übereinkommens durch den Gerichtshof
— Drucksache 10/61 —
Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses
— Drucksache 10/471 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Helmrich Stiegler
Der Berichterstatter wünscht das Wort nicht, wie ich sehe. — Auch das Wort zur Aussprache wird nicht gewünscht.
Ich rufe das Gesetz mit seinen Artikeln 1 bis 4, Einleitung und Überschrift auf. Wer dem Gesetz im Ganzen zuzustimmen wünscht, bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen?
Das Gesetz ist einstimmig angenommen.
Meine Damen und Herren, ich rufe Punkt 4 der Tagesordnung auf:Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Protokoll vom 12. Februar 1981 zur Änderung des Internationalen Übereinkommens über Zusammenarbeit zur Sicherung der Luftfahrt „EUROCONTROL" vom 13. Dezember 1960 und zu der Mehrseitigen Vereinbarung vom 12. Februar 1981 über Flugsicherungs- Streckengebühren— Drucksache 10/182 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Verkehr VerteidigungsausschußHaushaltsausschuß gemäß § 96 GO
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2008 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Oktober 1983
Präsident Dr. BarzelIm Ältestenrat ist eine Aussprache von einer Runde verabredet. — Ich sehe keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.Wird das Wort zur Begründung gewünscht? — Das ist nicht der Fall.Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Tillmann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist kein Geheimnis, daß wir es begrüßt hätten, wenn wir uns die Beratung dieses Gesetzes zu dem Protokoll usw. — ich will hier den Titel nicht noch einmal nennen; der Präsident hat ihn vorgelesen — hätten ersparen können. Meine verehrten Kollegen, es wäre vieles besser für die Einigung Europas, aber auch für die Sicherheit im europäischen Luftverkehr, wenn es die Notwendigkeit, das EUROCONTROL-Abkommen von 1960 zu ändern, nicht gäbe, wenn statt dessen die Absichten von 1960 in die Tat umgesetzt worden wären. Große Erwartungen sind seinerzeit an das Übereinkommen EUROCONTROL geknüpft worden, und großer Optimismus, j a Euphorie sprechen aus dem Bericht des Verkehrsausschusses aus der 4. Legislaturperiode. Ich zitiere unseren ehemaligen Kollegen Wendelborn, den seinerzeitigen Berichterstatter. Er sagte:Angesichts der zunehmenden Geschwindigkeiten der Flugzeuge und der zunehmenden Flugdichte ist eine Regelung, die sich nur auf den Bereich eines Staates beschränkt, nicht mehr vertretbar. Aus dieser Notwendigkeit heraus ist der Gedanke EUROCONTROL entstanden. Mit dem vorliegenden Gesetz wird ein weiterer Schritt auf dem Wege der europäischen Zusammenarbeit getan und zugleich eine begrüßenswerte Verbesserung der Flugsicherheit erreicht.Eigentlich hat sich an der seinerzeitigen Beurteilung durch dieses Haus bis heute nichts geändert. Dennoch würde man noch untertreiben, wenn man heute sagte, daß die Erwartungen sich nicht erfüllt hätten. Nein, wir müssen vielleicht sogar feststellen, daß selten ein internationaler Vertrag von seinen Partnern so gering geachtet worden ist wie dieses Übereinkommen.Es gibt in diesem Zusammenhang sogar eine Kuriosität: Großbritannien und Frankreich haben seinerzeit ihre Zustimmung zu diesem Übereinkommen nur unter der Bedingung gegeben, daß sie sich nicht an das Übereinkommen zu halten brauchen.So erlebt heute die Idee einer europäischen Zusammenarbeit, der Versuch zu mehr Verkehrssicherheit im europäischen Luftraum mit der Ratifizierung des Änderungsprotokolls leider noch nicht einmal eine Beerdigung 1. Klasse, sondern — wie wir hier sehen können — mehr oder weniger ein stilles Begräbnis im kleinen Kreise.
— Natürlich, darauf komme ich noch. Kleinkariertes nationales Souveränitätsdenken, Herr-im-eigenen-Hause-Standpunkte, aber vielleicht auch organisierte unterschiedliche Interessen haben sich gegenüber europäischer Gemeinsamkeit leider durchgesetzt. Das Traurige ist, daß sich in der Vergangenheit die Partner dieses Vertrages die Verantwortung für das Scheitern der guten Absichten mehr oder weniger immer gegenseitig wie einen Schwarzen Peter zugeschoben haben.Nun ist der Versuch, durch Zuweisung anderer und auch neuer Aufgaben an EUROCONTROL zu retten, was zu retten ist, sicherlich zu loben. Er ändert aber im Grunde nichts an der insgesamt negativen Bewertung der Entwicklung in der Vergangenheit. So ist die Flugverkehrsflußsteuerung sicher notwendig und wichtig. Sie kann aber nicht Ersatz für Exekutivbefugnisse, für echte Kontrollzuständigkeiten in Europa sein, zumal die Flugverkehrsflußsteuerung ohne solche Kompetenzen ihre Schwierigkeiten haben wird. Auch die Tätigkeit als Fakturierungs- und Beitreibungsmaschinerie für Flugverkehrskontrollgebühren ist doch wohl eher eine Last für EUROCONTROL als eine dankbare Aufgabe. Dabei hat EUROCONTROL in den mehr als 20 zurückliegenden Jahren gute Arbeit geleistet. Eine fortschrittliche, vorbildliche Technologie wurde entwickelt. Die Mitarbeiter in den EUROCONTROL-Zentralen haben ihre Pflicht im Interesse der Sicherheit der Passagiere der Luftfahrt vorbildlich erfüllt. Insbesondere ist hier die gute zivil-militärische Zusammenarbeit zu erwähnen, die nicht überall so vorhanden ist. Gerade deswegen ist es zu begrüßen, daß mit dem Beschluß der vier Staaten, Benelux und Bundesrepublik Deutschland, vom 12. September dieses Jahres wenigstens die Existenz der EUROCONTROL-Zentrale von Maastricht nun doch endgültig gesichert scheint.Nach diesem Beschluß, meine Damen und Herren, sollen in Zukunft alle Flugverkehrskontrollfunktionen im oberen und im unteren Luftraum, d. h. die gesamte Streckenkontrolle, in Maastricht konzentriert werden. Die Niederlande werden hoffentlich bald ihre Dienste auch an Maastricht übertragen. Belgien wird auf den Bau einer neuen Kontrollzentrale verzichten. Dies ist im Rahmen des neuen Art. 2 Abs. 2 des geänderten Abkommens möglich, und so wird wenigstens insoweit dem 1980 dankenswerterweise einstimmig verabschiedeten Beschluß des Deutschen Bundestages Rechnung getragen. In Maastricht wird ein Kristallisationspunkt einer hoffentlich zukünftigen einheitlichen europäischen Flugsicherung, eines einheitlichen europäischen Systems Gott sei Dank erhalten bleiben.Herr Minister Dr. Dollinger, natürlich danken wir der Bundesregierung dafür, daß sie daran mitgewirkt hat, daß dieser Beschluß vom 12. September 1983 zustande gekommen ist; aber entscheidend für das Zustandekommen dieses Beschlusses waren im Grunde genommen das Bemühen und die Beharrlichkeit von Parlamentariern.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Oktober 1983 2009
TillmannDer dauernde Druck von Parlamentariern auf ihre Regierungen hat mehr als nur wenig dazu beigetragen, daß hier europäische Vernunft eingekehrt ist.
Ich habe insbesondere auch unseren niederländischen Kollegen zu danken, die entsprechend auf ihre Regierung eingewirkt haben; aber auch die belgischen Kollegen haben das Ihre dazu beigetragen. Ganz besonders sollte in diesem Zusammenhang auch einmal das soviel gescholtene Europäische Parlament und insbesondere auch dessen Verkehrsausschuß und dessen Vorsitzender erwähnt werden, die sich immer wieder bemüht haben, EUROCONTROL als eine funktionierende europäische Einrichtung zu erhalten und nicht sterben zu lassen.Nun erwarten wir, Herr Minister Dr. Dollinger, daß die Absichtserklärung vom 12. September 1983 für die Sitzung der ständigen Kommission von EUROCONTROL, die am 15. November stattfinden wird, doch noch ein wenig konkreter gefaßt wird. Zum Beispiel sollte klargestellt werden, wann die Niederlande ihre Kontrollaufgaben wirklich auf Maastricht übertragen werden. Da die zweite und dritte Lesung dieses Gesetzes erst nach dem 15. November, also nach der Sitzung der ständigen Kommission, stattfinden wird, haben wir hier im Hause noch die Gelegenheit, das Ergebnis dieser Sitzung bei unserer endgültigen Beschlußfassung zu werten. Gleiches gilt auch für die Ausschußberatungen, die noch einige Festlegungen und auch noch einige Klärungen durch die Bundesregierung bringen sollen.Im übrigen, meine Damen und Herren, bedauern wir es, daß eine Lösung, wie sie jetzt für Maastricht gefunden werden soll, nicht in ähnlicher Weise auch für die Kontrollzentrale Karlsruhe möglich war, aus welchen Gründen auch immer sie dort nicht möglich gewesen sein mag. Eines ist allerdings wohl klar: Die neue Zielsetzung für den norddeutschen Luftraum kann natürlich nicht ohne Einfluß auf die zukünftige Organisation der Flugverkehrskontrolle im süddeutschen Luftraum bleiben; allerdings wird darüber später noch zu reden sein.Wir stimmen, meine Damen und Herren, der Überweisung des Gesetzentwurfes an die Ausschüsse zu. — Ich bedanke mich. —
Das Wort hat der Kollege Ibrügger.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Tillmann, Sie haben die Geschichte der Entwicklung der Organisation EUROCONTROL kritisch gewürdigt. Idee und Wirklichkeit dieser Flugsicherungsorganisation, so wie die Parlamente es sich vorgestellt haben, klaffen weit auseinander; Ihre kritische Würdigung teilen auch wir Sozialdemokraten.Eines ist dabei sicherlich auch deutlich geworden, nämlich unser Eingeständnis, daß die Kollegen in allen Parlamenten, die sich mit diesem Thema zu beschäftigen hatten, seit 1960 mit der Erarbeitung ständig neuer Gesetze — wie so oft — eingedeckelt worden sind, daß wir uns aber mit den Auswirkungen unserer Gesetze, insbesondere internationaler Abkommen, die auch der Kontrolle durch die Parlamente bedürfen, zu wenig beschäftigt haben.Die Tätigkeit der Organisation EUROCONTROL soll sich in Zukunft auf den oberen und unteren Luftraum erstrecken. Dies ist eine wichtige und wesentliche Erweiterung der Aufgabenstellung. Ich möchte auch das Bemühen anerkennen, daß wir gemeinsame und langfristige Ziele für die Flugsicherung, eine Koordination der nationalen Pläne erarbeiten werden. Es geht um die gemeinsame Weiterentwicklung der Flugsicherungssysteme sowie darum, daß Untersuchungen, Versuche und Erprobungen auch in Zukunft gemeinsam durchgeführt werden sollen. Dies gilt auch für den Gebühreneinzug. Interessanterweise ist hier festzustellen, daß nationale Behörden hier gerne auf Europa, auf die Gebühreneinzugszentrale in Brüssel zurückgreifen, weil dann dort auch der Arger bewältigt werden muß.Die Verkehrsflußsteuerung, Herr Tillmann, die Sie angesprochen haben, war ein wichtiges Element für die Fortsetzung gemeinsamer Zusammenarbeit in der europäischen Flugsicherung. Sicherlich ist dies auch nur deshalb zustande gekommen, weil sich auch die damalige Bundesregierung auf Grund unseres gemeinsamen Widerstandes hier im Deutschen Bundestag bemühte, ein Element für die weitere Fortsetzung der Arbeit von EUROCONTROL zu finden. Das Ergebnis war die Verkehrsflußsteuerung. Aber wir waren uns damals schon einig, daß dies überhaupt nicht ausreicht; doch es war ein guter Ansatz.Wir bewerten diese Methode europäischer Zusammenarbeit als wichtig. Es gilt, diese Zusammenarbeit zu fördern und auszubauen. Es gilt, hier jede Anstrengung zu unternehmen, insbesondere in den Parlamenten, auch im Europäischen Parlament, die künftigen Auswirkungen der geänderten Konvention kritisch zu begleiten und die getroffenen Maßnahmen auf ihre Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit hin ständig zu überprüfen.Warum ist dies notwendig? Eigentlich scheint es ein Thema für Spezialisten zu sein, aber gleichwohl: Viele Einwohner auch der Bundesrepublik wissen nicht, wie sie tagtäglich davon betroffen sind. Die Leistungen im Flugverkehr allein in der Bundesrepublik Deutschland sind beachtlich. 47 Millionen Fluggäste sind allein im Jahre 1982 in der Bundesrepublik oder aus der Bundesrepublik Deutschland heraus befördert worden; allein 10 Millionen Menschen davon im Charterverkehr, um damit Urlaubsziele in nah und fern zu erreichen. Die Frachtentwicklung im grenzüberschreitenden Verkehr hat sich seit 1960 verzehnfacht. Allein 49 000 Arbeitsplätze, sichere und ausbaufähige Arbeitsplätze, bieten die Fluggesellschaften und die Flughäfen der Bundesrepublik Deutschland. Ein Vielfaches an Ar-
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2010 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Oktober 1983
Ibrüggerbeitsplätzen können wir in allen Zulieferbereichen, im Transportgewerbe und den Dienstleistungen, etwa den Reisebüros, feststellen. All dies wirkt sich auf den Flugverkehr aus und sichert gleichzeitig Arbeitsplätze.Allein 22 Milliarden DM sind seit 1960 für Anlagen und Ausrüstungen in der Bundesrepublik für den Flugverkehr investiert worden. Diese Summe ist ein gewichtiger volkswirtschaftlicher Faktor; die eingesetzten Investitionen verdienen besondere Aufmerksamkeit.Wir haben in der Bundesrepublik Deutschland eine Fülle von Flugbewegungen zu bewältigen, allein 1 Million Starts und Landungen im Bereich der Bundesrepublik Deutschland. Mehr als 1 Million sogenannter Überflüge im interkontinentalen Flugverkehr müssen bewältigt, gesichert werden. Wir haben annähernd 1 Million militärischer Flugbewegungen, die koordiniert und geführt werden müssen. Wenn wir dies auf europäische Dimensionen übertragen — denn ich sprach bisher j a nur von der Bundesrepublik Deutschland —, dann finden wir 26 Staaten und 100 internationale Flughäfen in einem Raum, der von Helsinki über Glasgow, Lissabon, Rom, Athen bis nach Moskau reicht und der das wichtigste und am vielfältigsten verflochtene Netz internationaler Luftstraßen in der Welt bildet.Kritikaster sprechen nach wie vor von der „Steinzeit im Luftverkehr". Denn sie sagen: gerade hier, wo die modernen Jets innerhalb weniger Minuten mehrere Ländergrenzen überfliegen, herrscht nach wie vor die Kleinstaaterei. Ich möchte, soweit es die Sicherheit in Mitteleuropa angeht, diese Bewertung nicht überdramatisieren. Aber hier ist einiges daran. Ich möchte aber gleichzeitig den Dank einfügen an die Fluglotsen in der Bundesrepublik Deutschland, bei EUROCONTROL, die dafür sorgen, daß der Flugverkehr so sicher abgewikkelt werden kann.
Dennoch ist Kritik berechtigt. Schauen wir uns einmal eine Luftstraßenkarte an. Die wenigsten kennen sie. Aber wer einmal daraufschaut, dem wird auffallen, daß unter dem dichten, verwickelten, nicht nur scheinbar systemlosen Netz der Luftstraßen die Staatsgrenzen immer deutlich eingedruckt sind. Zusätzlich fällt auf, daß gerade beim Überschreiten dieser Grenzen viele Luftstraßen ihre Richtung ändern. Der Grund dafür: jedes Land hat sein nationales Luftstraßennetz im Alleingang festgelegt. Die Folgen davon sind: der Pilot muß auf ein anderes Funkfeuer abstimmen, seine Navigationsanzeige darauf einstellen, einen Kurswechsel vornehmen, eine Positionsmeldung bei der bisherigen Verkehrszentrale abgeben, Frequenzwechsel vornehmen, sich bei der neuen Zentrale anmelden, einen neuen Code im Identifikationssender speichern, möglicherweise noch auf eine andere Flughöhe gehen. Den Passagier müßte dies alles eigentlich kaum stören, geht doch der Bordservice ununterbrochen weiter, und seinen Paß braucht er auch nicht vorzuzeigen. Etwas weniger angenehm ist jedoch der Gedanke, daß hiermit seine kostbare Zeit und sein Geld vergeudet werden.Auf der technischen Seite sind in der Luftfahrt gewaltige Anstrengungen unternommen worden, den Kraftstoffverbrauch einzuschränken. Die Triebwerke sind verbessert worden, Steig- und Sinkflugverfahren ausgetüftelt. Mit Hilfe von Rechnern und automatischer Triebwerksteuerung wird die meist ökonomische Geschwindigkeit bis auf drei Zahlen hinter dem Komma genau eingehalten. Alle mit diesen und mit noch vielen anderen Verfahren gemachten Einsparungen könnten jedoch um ein Vielfaches überboten werden, wenn, j a wenn wir einfach den kürzesten Weg zu unseren Zielflughäfen nehmen könnten. Schätzungen sagen, daß wir 500 Millionen bis 1 Milliarde DM pro Jahr an Treibstoff vergeuden oder verpulvern, weil es unzureichende Koordinationsverfahren in der Flugsicherung gibt.Die Idee von EUROCONTROL war und ist bestechend und beispielhaft gewesen. Der Kollege Tillmann hat darauf hingewiesen, welche Gründe für ein gewisses Scheitern zu nennen sind. Aber der Gedanke ländergrenzenüberschreitender Flugsicherung ist in diesem Jahre aktueller denn je und unterscheidet uns im Flugverkehr noch weit von dem, was im Jahr 1960 im Flugverkehr zu bewältigen war.Hat EUROCONTROL also die Aufgabe erfüllt? Nein, sie hat sie nicht so erfüllt, wie die Parlamente es sich damals vorgestellt haben. Nationale Eigenbrötelei hat echte und wirksame Verbesserungen behindert. Ja, gegen den erklärten Willen der Parlamente ist der Ausbau ländergrenzenüberschreitender Flugsicherung entscheidend geschwächt worden. Dies ist kein gutes Ergebnis.Die geänderte Konvention trägt den heutigen Bedingungen Rechnung. Aber es gilt, die Erfahrungen und die Absichten, die wir mit einer solchen Konvention verbinden, nun auch in echter europäischer Zusammenarbeit dennoch umzusetzen. Die Aufsplitterung der Luftverkehrsabwicklung kann nicht befriedigen. 23 Jahre nach eindeutigen Parlamentsentscheidungen dies festzustellen, bleibt eine wenig erfreuliche Tatsache.Herr Kollege Tillmann hat das Zusammenwirken der Parlamentarier bereits gewürdigt. Ich möchte auch hier an die Adresse unserer holländischen Kollegen den Dank aussprechen, weil es im Zusammenwirken aller im niederländischen Parlament vertretenen Parteien gelungen war, eine Änderung der Haltung der Regierung zu erreichen.
Meine Damen und Herren, es ist schon dramatisch, wenn einem amtierenden Minister die Amtsenthebung angedroht werden muß, weil er gegen einstimmige Entscheidungen des Parlaments zu verstoßen beabsichtigt. So weit haben wir es hier nie kommen lassen, und ich bin überzeugt: Wir werden es auch nicht dazu kommen lassen müssen. Der Bundestag hat sich bisher einmütig und einstimmig zum Ausbau von EUROCONTROL ausgesprochen.Ich knüpfe auch einige Hoffnungen und Erwartungen an die veränderte Konvention. Wir ermögli-
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Oktober 1983 2011
Ibrüggerchen, daß andere Staaten der Organisation beitreten können. Portugal hat bereits unterzeichnet. Soweit wir die südeuropäischen Erfahrungen der Flugsicherung kennen, sollten auch andere Länder gerade im südeuropäischen Raum dieser Konvention beitreten können.Wir haben aus der Vereinbarung der Minister, der sogenannten Vierstaatenvereinbarung, noch einige Folgerungen zu ziehen. Dies gilt für Karlsruhe; dies gilt aber auch, Herr Minister, vor allem für die Betriebskonzepte der Flugsicherung in der Bundesrepublik Deutschland, insbesondere auch für die zivil-militärische Integration. Dies gilt auch für Investitionen, die wir in die Bundeshaushalte der Jahre 1984, 1985 usw. einzustellen haben.Die Probleme des europäischen Luftraums als Ganzes erfordern gemeinsame Lösungen. Deswegen wollen wir hier nicht nur reden, sondern in den Beratungen des Ausschusses auch handeln.Die SPD-Bundestagsfraktion wird die Vor- und Nachteile dieser geänderten Konvention an bestimmten Kriterien, an Prüfsteinen messen wollen: Wie können wir eine einheitliche Flugführung in einem größeren Luftraum gestalten? Wie können wir eine verbesserte zivile und militärische Luftraumnutzung gewährleisten? Wie können wir eine größere Anpassungsfähigkeit bei der Bewältigung des Verkehrsaufkommens selbst erreichen? Wie können wir eine Standardisierung von Ausrüstung und Verfahren bewirken? Wie kann der Koordinationsaufwand zwischen den Flugsicherungszentralen verringert werden? Wie können wir weniger Schnittstellen mit benachbarten Diensten erreichen? Wie kommen wir insgesamt zu einer besseren, zu einer optimalen Nutzung des Luftraums, der Arbeitskräfte und der Flugsicherungsinfrastruktur? Wie gelangen wir zu Treibstoffeinsparungen und niedrigeren Betriebskosten für die Luftfahrt? Vor allem, meine Damen und Herren: Wie kommen wir damit auch zu preisgünstigeren Tarifen im Luftverkehr für die Passagiere?Dies ist ein weites Feld. Die Parlamentarier haben aufgemerkt, wie aus einem internationalen Abkommen durch nationale Eigenbrötelei eine parlamentarische Idee ins Gegenteil verkehrt werden kann. Die Erfahrung der letzten Jahre zeigt, daß wir im Zusammenwirken mit den Kollegen aus den anderen Ländern bereit sind, uns dieser Aufgabe zu stellen. Deswegen sollten wir diesen Gesetzentwurf in den Ausschuß bringen und dort die Detailerörterung übernehmen. — Herzlichen Dank.
Meine Damen und Herren, auf der Diplomatentribüne hat eine Delegation der Nationalversammlung der Republik Korea Platz genommen. Ich begrüße Sie sehr herzlich im Deutschen Bundestag.
Dieser Besuch geschieht aus besonderem Anlaß, den ich würdigen möchte:
Der Deutsche Bundestag und die Nationalversammlung in der Republik Korea haben den Austausch von Parlamentsdelegationen in diesem Herbst vereinbart zur Erinnerung an die Aufnahme offizieller Beziehungen zwischen Deutschland und Korea vor 100 Jahren am 26. November 1883.
Die Geschichte hat in diesen 100 Jahren unsere Länder und Völker tiefgreifendem politischen und gesellschaftlichem Wandel unterworfen. Deutsche Kaufleute, Missionare, Wissenschaftler und Techniker haben in Korea gearbeitet und die Grundlagen gelegt für das Ansehen, das Deutschland in Korea genießt. 12 000 Koreaner leben und arbeiten in unserem Lande. Sie vermitteln uns koreanischen Fleiß und die Kultur ihres Volkes. Wir sind dafür dankbar.
Heute stehen die Bundesrepublik Deutschland und die Republik Korea inmitten weltpolitischer Spannungen und müssen sich vielfachen Herausforderungen stellen. Kriege haben ihnen die schwer lastende, tragische Teilung ihrer Völker auferlegt. Der Deutsche Bundestag und die Nationalversammlung der Republik Korea sind einig in dem Bestreben nach einer Überwindung der Teilung und einer friedlichen Wiedervereinigung.
Der Deutsche Bundestag anerkennt jedes Bemühen der Nationalversammlung der Republik Korea um Gerechtigkeit, Frieden und Freiheit als Grundlage für eine Vertiefung freundschaftlicher Zusammenarbeit auf politischer, wirtschaftlicher und kultureller Ebene zwischen unseren Ländern zum Wohle der Völker.
Sie haben in Ihr Besuchsprogramm einen Besuch in Berlin aufgenommen. Wir wissen das zu schätzen.
Für Ihren weiteren Aufenthalt wünschen wir Ihnen gute Gespräche und schöne Tage in unserem Lande. Wir danken zugleich herzlich für die Gastfreundschaft, die Sie in Seoul unlängst der Delegation des Deutschen Bundestages anläßlich der 70. Konferenz der Interparlamentarischen Union erwiesen haben. Vielen herzlichen Dank.
Wir fahren in unserer Aussprache fort. Das Wort hat der Abgeordnete Hoffie.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dieses uns heute zur Ratifikation vorgelegte Protokoll zur Änderung des EUROCONTROL-Übereinkommens vom 13. Dezember 1960 verlangt von uns, zunächst einmal einzugestehen, daß nach mehr als 20 Jahren jetzt alle Bemühungen um die Schaffung einer europäischen Institution mit eigenen, grenzüberschreitenden Aufgaben der Flugsicherung gescheitert sind. Aber gleichzeitig wird von uns verlangt und erwartet, daß wir dem Fortbestand der Organisation EUROCONTROL mit geänderten — auch verringerten — Aufgabenkatalogen zustimmen.Wie Sie wissen, haben wir Freien Demokraten uns immer sehr nachdrücklich für den Integrationsprozeß in Europa eingesetzt, gerade auch im Bereich der Exekutive. Die Flugsicherung bot sich im
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2012 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Oktober 1983
HoffieJahr 1960 bei der Unterzeichnung des heute noch geltenden Übereinkommens zu Recht als ein naheliegendes und geeignetes Gebiet an, den Willen zu gemeinsamem Handeln auf europäischer Ebene zu verwirklichen.Flugsicherung ist j a schon von der Natur her eine Aufgabe, die nicht an den nationalen Grenzen endet, sondern im Internationalen Raum gestaltet werden muß, um einen funktionsfähigen und weltumspannenden Luftverkehr zu ermöglichen. Gerade die europäischen Verhältnisse mit ihrer starken staatlichen Zergliederung, der hohen Bevölkerungsdichte, der Wirtschaftsstruktur und der besonderen geographischen Lage verlangen in besonderem Maße eine enge Zusammenarbeit zwischen den einzelnen Ländern. Deshalb bedauern wir es außerordentlich, wenn wir heute sehr ernüchtert feststellen müssen, daß die Mehrheit unserer Partner innerhalb der Organisation EUROCONTROL der Wille zur Integration in der Flugsicherung verlassen hat.Noch mehr: Bei genauer Untersuchung der vergangenen Entwicklung drängt sich der Verdacht auf, daß es einige Mitgliedstaaten von vornherein mit ihrer vertraglichen Verpflichtung nicht sehr ernst meinten und zu keinem Zeitpunkt wirklich daran dachten, ihren aktiven Beitrag durch Übertragung der im Übereinkommen vorgesehenen Flugsicherungsaufgaben auf EUROCONTROL zu leisten. Wie stark bei diesen Mitgliedstaaten die Ablehnung einer gemeinsamen europäischen Flugsicherungsexekutive unter Einschluß ihrer eigenen Lufträume wirklich war, ergibt sich j a aus der Tatsache, daß sie sehr zielbewußt hör- und nachlesbar über eine Kündigung des Übereinkommens nachdachten, was eine Liquidation der Organisation EUROCONTROL zur Folge gehabt hätte.Die Freien Demokraten stimmen mit der Bundesregierung darin überein, daß es angesichts dieser Verhältnisse trotz der aus unserer Sicht grundsätzlich nach wie vor politisch wie auch fachlich richtigen Zielsetzung bisher leider keinen anderen erfolgversprechenden Weg zu geben scheint, als eine Änderung des EUROCONTROL-Übereinkommens hinnehmen zu müssen und durch die Ratifikation wenigstens den Fortbestand der Organisation für die verbleibenden wichtigen Aufgaben der europäischen Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Flugsicherung zu sichern. Wir hielten es auch deshalb für sinnlos, an einem derart unerfüllten und aussichtslosen Vertrag beharrlich festzuhalten, weil, wie wir wissen, das eine Fortsetzung von überaus komplizierten und aufwendigen Finanzierungs- und Haushaltspraktiken im Bereich EUROCONTROL bedeuten würde.Wir begrüßen es, daß EUROCONTROL nach Streichung der eigenen Exekutivbefugnisse zumindest für die Weiterentwicklung des Flugsicherungssystems in Europa als das zentrale „Ingenieur- und Planungsbüro" für die Mitgliedstaaten erhalten bleibt und daß es der Bundesregierung darüber hinaus gelungen ist, durchzusetzen, daß EUROCONTROL auch in der praktischen Verkehrsabwicklung durch die Wahrnehmung zentraler Aufgaben alsBindeglied in der Verkehrsflußregelung zwischen den Flugsicherungsorganisationen der Mitgliedstaaten weiterhin Bestand haben wird. Wie wichtig diese Funktion wirklich ist, zeigt uns der Beitritt Portugals als des künftigen achten Mitgliedstaates.Von herausragender Bedeutung ist in diesem Zusammenhang jedoch die am 12. September dieses Jahres von den Verkehrsministern der Beneluxstaaten und der Bundesrepublik Deutschland, also vier Ländern in Den Haag verabredete gemeinsame Absicht, die Existenz der Kontrollzentrale Maastricht langfristig zu sichern, indem sie gemeinsam von der Möglichkeit der Beauftragung EUROCONTROLs mit der Durchführung der Streckenkontrolle für die Beneluxstaaten und Norddeutschland Gebrauch machen. Durch den Fortbestand der Zentrale Maastricht behält EUROCONTROL ein eigenes Betätigungsfeld in der aktuellen Betriebsdurchführung und kann damit, wie ich meine, gestützt auf eigene aktuelle praktische Erfahrungen, einen wesentlichen Beitrag zur Weiterentwicklung eines leistungsfähigen Flugsicherungssystems in Europa leisten. So kann der Luftverkehr im norddeutschen Raum zügiger, sicherer und billiger abgewickelt werden.Das Ergebnis des Spitzengespräches der vier Staaten über die Zukunft der Zentrale in Maastricht bedarf aber natürlich vor der endgültigen Ratifizierung des Protokolls, um das es hier geht, einer Konkretisierung insbesondere hinsichtlich der noch ungeklärten Festlegung der Übergabe des niederländischen Luftraums an die Zentrale und einer größeren Sicherheit der Ernsthaftigkeit der Vereinbarung hinsichtlich der Zustimmung der Mitgliedstaaten. Es verlangt aber auch, daß die beschlossenen Maßnahmen für den Luftraum der Bundesrepublik dann nicht bis 1995 hinausgeschoben werden. Ein Vorschlag für eine entsprechende Klarstellung aller vier Staaten soll j a noch rechtzeitig zu der nächsten Sitzung am 15. November erfolgen. Wir richten an den Bundesverkehrsminister den Appell, hier zu einer verbindlicheren Festlegung zu kommen, die uns dann auch die Ausschußentscheidungen erleichtern wird.Meine Damen und Herren, viele von uns sind in den letzten Monaten und Jahren von den EUROCONTROL-Bediensteten aus Karlsruhe ja immer wieder aufgefordert worden, für die Beibehaltung des EUROCONTROL-Status der Kontrollzentrale in Karlsruhe einzutreten. Das haben wir getan. Dieses Anliegen ist natürlich nicht nur aus dem persönlichen Interesse dieser Bediensteten heraus zu verstehen; was von ihnen gewünscht wird, läge vielmehr durchaus auch im Interesse einer Fortsetzung der vorhandenen europäischen Exekutivbefugnisse. Heute kann bei einer nüchternen Einschätzung der Verhältnisse niemand die Augen davor verschließen, daß diese Zentrale weder jetzt eine grenzüberschreitende Aufgabe erfüllt noch offenbar zukünftig mehr als rein nationale Aufgaben erhalten kann, denn die ablehnende französische Haltung läßt ein Mehr einfach nicht zu. Die Zuordnung anderer Aufgaben unter EUROCONTROL-Bedingungen, die jetzt von der Bundesanstalt für Flugsicherung na-
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Hoffietional wahrgenommen werden, ist natürlich eine Frage der Finanzierbarkeit, der Wirtschaftlichkeit des Luftverkehrs und der gesamten Organisation. Auch wir halten es unter diesen Zwängen deshalb — leider — für den einzigen erkennbaren realistischen Weg, diese Zentrale der Bundesanstalt für Flugsicherung zu übergeben, für einen reibungslosen Übergang zu sorgen und alles daranzusetzen, um zu erreichen, daß dadurch keine Abstriche an Umfang und Qualität der Dienste eintreten. Aber eine solche Konzeption kann sich nur dann als sinnvoll erweisen, wenn unter der Mitwirkung der Zentrale in Karlsruhe das Flugsicherungssystem, die Luftraumstruktur und die Anzahl der erforderlichen Zentralen auch unter wirtschaftlichen Sachzwängen überprüft werden.Erlauben Sie mir, meine Damen und Herren, abschließend für die Fraktion der FDP zu erklären, daß wir mit großem Bedauern das Scheitern der Integrationsbemühungen in der europäischen Flugsicherung zur Kenntnis nehmen, daß wir jedoch das Fortbestehen der Organisation EUROCONTROL für eine leistungsfähige Flugsicherung in Europa als unverzichtbar ansehen. Es wird bei den Beratungen in den Ausschüssen zu klären sein, inwieweit die angesprochenen, auch von den Kollegen hier angesprochenen Auflagen und Klarstellungen vor einer abschließenden Ratifizierung erfüllbar sind und wieweit hinsichtlich der Zentrale in Karlsruhe Aufgaben zugeordnet werden können, die den Betrieb dort wirklich sinnvoll gestalten. — Herzlichen Dank.
Das Wort hat der Abgeordnete Drabiniok.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das zu behandelnde Thema hat mich vor eine schwierige Aufgabe gestellt, da die europäische Flugsicherung eine komplizierte Materie ist, darüber hinaus eine, mit der sich die GRÜNEN bisher nur am Rande beschäftigt haben. — Warum soll ich das nicht zugeben?Nichts desto trotz will ich hier meine Einschätzung des vorliegenden Gesetzentwurfs abgeben, da er auf eine Renationalisierung und Militarisierung der Flugverkehrskontrolle hinausläuft, und einige Vorschläge zur Erhöhung der Flugsicherheit und zum Schutz der Bevölkerung vor der unerträglichen Lärmbelastung durch Tiefflug machen.Da am 12. September 1983 Gespräche zwischen den Verkehrsministern zu dem Protokoll vom 12. Februar 1981 geführt worden sind, die Ergebnisse bis heute aber nicht als Drucksache auf dem Tisch liegen, werde ich meine Ausführungen auf die vorliegende Drucksache 10/182 beschränken.Wie schon vor mir einige Kollegen gesagt haben, geht es bei diesem Tagesordnungspunkt um eine europäische Zusammenarbeit zur Sicherung der Luftfahrt und der dafür zu zahlenden Streckengebühren. Die GRÜNEN sind der Überzeugung, daß die Flugsicherheit durch nichts besser erhöht wer-den kann als durch eine Verringerung des Flugbetriebes und das Verbot des innerbundesrepublikanischen Flugverkehrs mit Ausnahme der Flüge nach Berlin. Durch nichts kann der Schlaf der Anwohner an Flughäfen besser geschützt werden als durch ein generelles Nachtflugverbot von 20 Uhr bis 7 Uhr.
Durch nichts ist die Verhinderung von Kollisionen zwischen Militär- und Zivilmaschinen besser zu gewährleisten als durch eine Beschränkung der Tieffluggebiete oder deren Verlegung über die Nordsee.Meine Damen und Herren, EUROCONTROL soll die Aufgabe haben, eine Harmonisierung in der Flugsicherung über die Grenzen hinweg zu schaffen. Tatsache ist allerdings, daß schon Anfang der 60er Jahre Großbritannien und Frankreich faktisch aus dem Vertrag ausgestiegen sind, rechtlich jedoch noch dazugehören. Sie wickeln ihre Flugüberwachung auf ihrem Territorium selber ab. Ich habe Zweifel daran, daß das dem vielgepriesenen europäischen Geist zur Ehre gereicht.Die jetzige Bundesregierung und auch die vorherige haben und hatten die Absicht, durch diesen Gesetzentwurf den gesetzlichen Rahmen dafür zu schaffen, daß die bisher durchaus positiv zu wertende europäische Flugsicherung zerstört wird. In dem Zusammenhang möchte ich in Erinnerung bringen, daß dieser Gesetzentwurf, den wir hier beraten, bereits in der letzten Legislaturperiode unter Kanzler Schmidt im Bundesrat von Bayern und anderen unionsregierten Bundesländern mit bissigen Stellungnahmen versehen wurde. Und heute, meine Damen und Herren, liegt er, ruckzuck, Hokuspokus, wieder auf dem Tisch des Hauses und erfreut sich allgemeiner Beliebtheit. — Wende ist, wenn man trotzdem lacht.Meine Damen und Herren, lassen Sie mich hier deutlich sagen: Verkehrssicherheit — darunter fällt Flugsicherheit — ist kein Bereich, den man vernachlässigen darf; denn von ihr hängen Menschenleben ab. Die momentane Situation von EUROCONTROL ist sicher nicht optimal, aber sie ist beser, als sie es nach der Verabschiedung des vorliegenden Gesetzentwurfes sein würde. Man muß sich einmal vorstellen, daß mit diesem Entwurf die Flugsicherheit erhöht werden soll, daß es in der Begründung dazu aber ausschließlich um die Gebühren und die Möglichkeiten zu deren Eintreiben geht.Meine Damen und Herren, ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, daß die zuständigen Beamten, die diese Vorlage erarbeitet haben, aus EUROCONTROL eine Verwaltungsbehörde machen wollen, um ihren Einfluß auch in diesem Bereich zu vergrößern. EUROCONTROL ist eine viel zu wichtige Einrichtung, als daß man sie zu einer Verwaltungsbehörde herunterstufen dürfte. Wir fordern demgegenüber die Ausweitung der Kompetenzen von EUROCONTORL auf niedrigere Flughöhen. Insbesondere der Anflugverkehr muß besser über-
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Drabiniokwacht werden, da in Höhen von 750 m bis auf Grund ein sogenannter unkontrollierter Luftraum besteht, der ein Tummelplatz der allgemeinen Luftfahrt ist. Hier wird nach Sichtflugregeln geflogen, obwohl es bessere technische Möglichkeiten gibt. Welche Folgen eine solche Regelung haben kann, hat die Kollision einer Mirage-Düsenmaschine mit einem Sportflugzeug in Biberach am 27. Juni 1983 gezeigt.Meine Damen und Herren, es ist unerträglich, daß es keine Stelle gibt, die für diese Flughöhe zuständig ist. Selbst die Bundesanstalt für Flugsicherung erklärte, daß dieser Unfall außerhalb ihrer Kompetenz, also im unkontrollierten Luftraum, geschah. Von seiten der baden-württembergischen Landesregierung und der Bundesregierung wurde nichts weiter getan, als den Angehörigen der Opfer ihre herzliche Anteilnahme auszusprechen. Abhilfen dieses Mißstandes wurden nicht geschaffen, obwohl 14 Tage später beinahe ein Starfighter mit einem Rettungshubschrauber zusammengestoßen wäre. Es geht also weiter mit dem Luftkampf über unseren Köpfen.Der militärische operationelle Luftverkehr operiert nicht nach festgelegten Flugplänen, und daneben gibt es sogenannte security flights, die den Bedürfnissen der Landesverteidigung dienen und denen sich die zivile Luftfahrt unterzuordnen hat. Es wird weitergehen mit Beinahe-Zusammenstößen —36 waren es allein im letzten Jahr — und damit weitergehen, daß Starfighter unter den Schlepptauen von Segelfliegern durchjagen und Tiefflieger die Dächer von Häusern abdecken, wenn nicht sofort Schutzzonen um Sportflugplätze, Städte, Dörfer und Gemeinden errichtet und eingehalten werden.Meine Damen und Herren, ich möchte Ihnen in Erinnerung rufen, daß um den Flughafen Biberach, wo dieser schreckliche Unfall geschah, bis 1971 eine Schutzzone existierte, die dann ohne Begründung aufgehoben wurde. Dieser Unfall wäre sicherlich nicht geschehen, wenn diese Schutzzone nicht aufgehoben worden wäre.Solange keine Schutzzonen für die eben bezeichneten Objekte geschaffen sind, ist es unbedingt notwendig, die militärische Tieffliegerei einzuschränken.
Es ist nicht damit getan, ein Tiefflugband für das Militär von 150 bis 450 Meter einzurichten, wenn die private Fliegerei nur in den seltensten Fällen diese Tieffluggebiete kennt. Hinzu kommt, daß private Maschinen diese Höhe beim Start und bei der Landung durchfliegen müssen.Meine Damen und Herren, ganz deutlich wird in diesem Gesetzentwurf, daß eine stärkere Militarisierung der Luftüberwachung erreicht werden soll. So wird in der Satzung der Agentur zur Flugsicherung in Art. 2 Abs. 4 ausgeführt, daß sie — die Agentur — „eng mit den Militärbehörden" zusammenarbeitet, „um den Anforderungen des Luftverkehrs sowie den besonderen Anforderungen der Militärluftfahrt in möglichst wirkungsvoller und wirtschaftlicher Weise zu genügen".In den Übergangsbestimmungen werden in Art. 2 Abs. 7 den „Militärbehörden der Bundesrepublik Deutschland ... weiterhin die Anlagen, Einrichtungen und technischen Dienste zur Verfügung gestellt", weil die deutsche Luftwaffe bei EUROCONTROL in die Bezirkskontrollstelle für den oberen Luftraum in Maastricht eingegliedert ist. Zu allem Überfluß ist die Flugsicherung für die Militärs auch noch gebührenfrei.Die starke Berücksichtigung der Landesverteidigung und der Versuch, den zivilen Flugsicherungsdienst verstärkt mit militärischen Fluglotsen zu besetzen, sind eine weitere versteckte Militarisierung unseres Landes.
Um die Zusammenarbeit zwischen ziviler und militärischer Flugüberwachung zu testen, sollen in der nächsten Zeit Feldversuche durchgeführt werden. Düsseldorf, Bremen und München, das bisher sehr gut ohne Militärs auskommt, sind dafür im Gespräch.Militär hat in der Flugsicherung nichts zu suchen. Das ganze Papier strotzt aber vor Rücksichtnahme auf die militärische Fliegerei. Den verstärkten Einzug des Militärs in die Flugsicherung lehnen wir — wie auch viele zivile Fluglotsen — ab.Ich komme zum Schluß. Ich muß sagen: Der Gesetzentwurf ist so, wie er heute vorliegt, nicht geeignet, von den GRÜNEN abgesegnet zu werden. Es wird die Aufgabe des Verkehrsausschusses sein, die Renationalisierungstendenzen und die Militarisierung, die in dem Protokoll enthalten ist, aufzuhalten. Was die Renationalisierung angeht, hat sich j a ein Silberstreif am Horizont gezeigt. Es ist das bereits erwähnte Gespräch der vier Verkehrsminister. Bei aller Kritik, die die GRÜNEN im allgemeinen an der EG üben, halte ich eine europäische Flugsicherung für zum Schutz der Passagiere notwendig.Einer Überweisung an Ausschüsse werden wir zustimmen. — Danke.
Das Wort hat der Bundesminister für Verkehr.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Wir haben heute viel über den Ernüchterungsprozeß nach 20jähriger Arbeit gehört. Auch ich kann diese Entwicklung nur zutiefst bedauern. In einer Zeit, wo der technische Fortschritt die Räume klein gemacht hat, ist es hier nicht möglich, großräumig zu arbeiten. Ich meine, die Schaffung einer grenzüberschreitenden, großräumigen und gemeinsamen Flugsicherung im Bereich der Mitgliedsstaaten wäre sicher das Bestmögliche und Vernünftigste gewesen. Ich schließe mich dem Dank an die Parlamentarier in den anderen Staaten ausdrücklich an, die das Ziel, EUROCONTROL aufrechtzuerhalten, unterstützt haben.Am 12. September 1983 haben die Verkehrsminister der Benelux-Staaten und der Bundesrepublik Deutschland — ich war durch meinen Staatssekre-
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Bundesminister Dr. Dollingertär Bayer vertreten — folgendes Gesprächsergebnis erzielt:Erstens: Die vier Staaten beabsichtigen gemeinsam, der Kontrollzentrale Maastricht sämtliche Streckenkontrollaufgaben über Benelux und Norddeutschland zu übertragen.Zweitens: Die Niederlande wollen die Übertragung so bald wie möglich vornehmen. Belgien will etwa 1988/89 folgen. Für den norddeutschen Luftraum wurde die Beibehaltung des Status quo — d. h. Maastricht kontrolliert oberhalb Flugfläche 245 — bis zu dem Zeitpunkt zugesagt, an dem die wirtschaftliche Nutzungsdauer der nationalen Einrichtungen in Bremen und Düsseldorf abgelaufen sein wird, d. h. bis etwa 1995.Drittens: EUROCONTROL soll die noch offenen Fragen baldmöglichst beantworten, damit diese Absicht endgültig bestätigt werden kann.Ich darf erwähnen, daß am 14. November 1983 die vier Staaten zu einem Spitzengespräch zusammenkommen und daß am 15. November die Ständige Kommission die Termine präzisieren soll.Ich meine: Diese Entscheidung für die Zentrale Maastricht ist von großer Bedeutung für die Flugsicherung in Europa. Der Fortbestand der Kontrollzentrale Maastricht sichert EUROCONTROL ein eigenes praktisches Betätigungsfeld und schafft damit die eigentliche Voraussetzung dafür, daß EUROCONTROL zur Weiterentwicklung einer leistungsfähigen Flugsicherung in Europa wirkungsvoll beitragen kann.Für die Kontrollzentrale Karlsruhe, die zweite EUROCONTROL-Einrichtung mit Aufgaben im deutschen Luftraum, liegen die Verhältnisse leider völlig anders. Wegen der grundsätzlich ablehnenden Haltung Frankreichs läßt sich für Karlsruhe keine grenzüberschreitende Aufgabe schaffen. Das bedeutet: Die Kontrollzentrale Karlsruhe wird immer nur rein nationale Aufgaben haben und ist deshalb auch konsequent in nationales Eigentum und in nationale Regie zu überführen. Der Haushaltsausschuß des Deutschen Bundestages hat dies am 10. Dezember 1981 als die wirtschaftlichste Lösung bezeichnet. Das Änderungsprotokoll sieht die Übertragung für den Zeitpunkt seines Inkrafttretens vor. Unabhängig davon wird bereits am 1. Januar 1984 auf Grund eines Beschlusses der Ständigen Kommission EUROCONTROLs die Bundesanstalt für Flugsicherung die in der Zentrale bisher von EUROCONTROL noch selbst wahrgenommenen Aufgaben übernehmen, damit ein reibungsloser Übergang sichergestellt wird. Ausgenommen hiervon bleiben die Wartung und Weiterentwicklung der Rechnerprogramme; diese Aufgabe wird weiterhin von einem 22köpfigen EUROCONTROL-Spezialistenteam in unserem Auftrag erledigt werden. Erfreulich ist, daß es uns gelungen ist, die sozialen Konsequenzen für das von der Übernahme betroffene Personal in vertretbaren Grenzen zu halten.Die Bundesregierung war und ist nachdrücklich darum bemüht, daß die Organisation EUROCONTROL erhalten bleibt und ihr Aufgaben zugewiesen werden, die für die Flugsicherung in Europa vonBedeutung sind und die von EUROCONTROL erfolgversprechend erledigt werden können.Die Bundesrepublik Deutschland leistet darüber hinaus einen wichtigen Beitrag durch aktive Inanspruchnahme der Dienste EUROCONTROLs in der Kontrollzentrale Maastricht und auf dem Software-Gebiet in Karlsruhe.Trotz alledem bleibt festzuhalten: Die optimale Lösung wäre eine Flugsicherung im Luftraum aller Mitgliedstaaten durch EUROCONTROL als eigene, großräumig grenzüberschreitende Aufgabe. Weil dies jedoch nicht durchsetzbar ist, müssen wir uns konzentrieren. Ich hoffe, daß es uns gelingt, hier noch das Bestmögliche aus der ganzen Angelegenheit zu machen.Meine Damen und Herren, es gibt nach meiner Meinung keine Alternative zu dem jetzigen Vorschlag. Im Ausschuß wird es möglich sein, auch die speziellen Fragen, die hier zum Teil gestellt worden sind, grundsätzlich zu beantworten. Das Problem der Flugsicherung ist ohne Zweifel nicht nur für die Flugzeuge, das Personal und die Passagiere, sondern für alle Bürger von großer Bedeutung. Mein Haus wird alles tun, um die Aufklärung der Fragen im Rahmen der Beratungen zu ermöglichen. — Ich danke.
Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Ich schließe die Aussprache.Der Ältestenrat empfiehlt, den Gesetzentwurf zurfederführenden Beratung an den Ausschuß für Verkehr, zur Mitberatung an den Verteidigungsausschuß sowie zur Beratung gemäß § 96 der Geschäftsordnung an den Haushaltsausschuß zu überweisen. Sind Sie damit einverstanden? — Kein Widerspruch. Dann ist so beschlossen.Ich rufe Tagesordnungspunkt 5 auf:Beratung des Antrags der Fraktion der SPD Kraftfahrzeugemissionen— Drucksache 10/469 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Verkehr InnenausschußAusschuß für WirtschaftHaushaltsausschußIn Verbindung hiermit rufe ich den Zusatztagesordnungspunkt 3 auf:Beratung des Antrags des Abgeordneten Dr. Ehmke und der Fraktion DIE GRÜNENNotmaßnahmen gegen das Waldsterben durch Geschwindigkeitsbegrenzungen bei Kraftfahrzeugen— Drucksache 10/536 —Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind eine gemeinsame Beratung dieser Tagesordnungspunkte sowie eine Aussprache von 90 Minuten vorgesehen. — Es erhebt sich kein Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
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2016 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Oktober 1983
Präsident Dr. BarzelWird zur Begründung das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall.Dann eröffne ich die Aussprache und erteile das Wort dem Abgeordneten Antretter.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich glaube, es besteht Einigkeit darüber, daß das Waldsterben katastrophale Ausmaße angenommen hat. Im Sommer dieses Jahres waren 35% unserer Wälder erkrankt. Die Forstleute berichten, daß sich die Schäden inzwischen weiter verschlimmert haben. Jeden Tag erkranken 10 Millionen Bäume.Die Anhörung des Innenausschusses in dieser Woche hat gezeigt, daß es ohne sofortige Gegenmaßnahmen zu einer ökologischen Katastrophe kommen wird, zum flächenweiten Aussterben der Wälder wie im Erzgebirge mit all den katastrophalen ökologischen Folgen für das Klima, die Wasserversorgung, die Böden sowie zum völligen Zusammenbruch des Holzmarkts, des Fremdenverkehrs und der Existenzvernichtung hunderttausender gemischt land- und forstwirtschaftlicher Betriebe.Nach der Anhörung kann es keinen Zweifel mehr darüber geben, meine Damen und Herren, daß das Waldsterben im wesentlichen durch Luftverunreinigung verursacht wird, also durch Schwefeldioxid und Stickoxide bzw. deren Folgeprodukte.In der Bundesrepublik werden jährlich etwa 3,6 Millionen t Schwefeldioxid und 3,1 Millionen t Stickoxide emittiert. Das Schwefeldioxid kommt zu rund drei Vierteln aus Großfeuerungsanlagen. Von den Stickoxiden kommen etwa 40 % aus Großfeuerungsanlagen und fast die Hälfte aus Kraftfahrzeugen.Notwendig zur Rettung der Wälder sind also im Bereich der Großfeuerungsanlagen eine rasche Entschwefelung vor allem der Altanlagen und eine katalytische Entgiftung der stickoxidhaltigen Emissionen. Wie Sie wissen, wird beides in Japan bereits seit langem praktiziert.Im Bereich der Kraftfahrzeuge ist eine Entgiftung um etwa 90% mit Abgaskatalysatoren ebenfalls seit langem Praxis, und zwar in den USA und in Japan. Das gilt natürlich auch für die deutschen Exportautos, die in diese Länder verkauft werden. Wir sehen derzeit keine andere Technik als den Katalysator, die dies leisten könnte.Dennoch wollen wir ein Wirkungsgesetz und nicht eine bindende Vorschrift zum Einbau des Katalysators, weil wir möglichen technologischen Weiterentwicklungen im Bereich der Abgasentgiftung nicht im Weg stehen möchten.Nicht nur dem Wald, meine Damen und Herren, geht die Luft aus. Betroffen von den Luftverunreinigungen sind auch die Menschen. In den engen Straßenschluchten der Innenstädte stammen die gesundheitsschädlichen Luftverunreinigungen zu 90% von den Kfz-Abgasen.Jenen, die an früheren Regierungen Kritik zuhauf üben, sei gesagt, daß die sozialliberale Koalition einiges — Beachtliches — auf den Weg gebracht hat. Wir haben den Bleigehalt im Benzin ineinem ersten Schritt auf 0,4 g/1 und in einem zweiten Schritt auf 0,15 g/1 gesenkt. Wir haben die KfzEmissionen gesenkt. Wir waren in Europa führend und haben dies gegen den heftigen Widerstand anderer europäischer Länder und unserer Automobilindustrie durchgesetzt.
Meine Damen und Herren, von den damals prognostizierten millionenfachen Motorschäden durch bleiarmes Benzin habe ich von keinem einzigen mehr gehört, nachdem das Gesetz verabschiedet war. Die Widerstände kamen übrigens nicht nur von der Industrie; die Autofahrer selbst haben uns seinerzeit durch ihr Verhalten signalisiert: freie Fahrt dem freien Bürger. Sie haben so viele Autos mehr gekauft, daß die pro Auto erzielte Entgiftung der Abgase durch den absoluten Zuwachs des PkwBestands mehr als aufgehoben wurde.
Inzwischen hat sich Problembewußtsein eingestellt. Das ist eine unersetzliche Voraussetzung für unser politisches Handeln. Denn für einen so massiven Schritt, wie wir ihn vorhaben, braucht man Unterstützung, braucht man den erklärten Willen der Bevölkerung. Und der war nicht immer da.Vom Waldsterben, meine Damen und Herren, hörte man damals nichts, auch nicht von den GRÜNEN. Ich erinnere mich gut, was meine Kollegen Liesel Hartenstein und Freimut Duve, als sie im Dezember 1981 eine Pressekonferenz mit dem Thema „Der Wald stirbt" veranstalteten, dabei geerntet haben:
— ich weiß, Herr Kollege Laufs, Sie sind noch heute soweit — ungläubiges Staunen und keine Resonanz, weder in der Presse noch bei den anderen Politikern.
— Sie können es anscheinend nicht erwarten. — Es sei zugegeben: Auch bei einigen Sozialdemokraten gab es Skepsis. Aber seit damals hat sich eben Entscheidendes verändert. Das Waldsterben hat sich dramatisch entwickelt. Die Wissenschaftler erklärten uns erstmals im Dezember 1982 — damals noch heftig umstritten —, daß das Waldsterben auch auf Stickoxide zurückzuführen sei.Die Bereitschaft der anderen EG-Staaten, die es ursprünglich in keiner Weise gab, verschärfte Maßnahmen mitzutragen, ist inzwischen vorhanden. Vor allem scheint die Bevölkerung nun völlig umgestimmt.
Wenn wir sehen, daß selbst Tempo 100 jetzt kein Tabu mehr ist, dann wäre diese neue Haltung in Abwandlung des unseligen Schlachtrufs von einst
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Antrettereher auf den Nenner zu bringen: schadstofffreie Luft dem freien Bürger.Meine Damen und Herren, als seinerzeit Verkehrsminister Volker Hauff sagte, man müsse aus Gründen der Verkehrssicherheit, aber auch des Umweltschutzes wegen Geschwindigkeitsbegrenzungen erwägen, brach ein Sturm der Entrüstung los. Auch Sie, meine Damen und Herren von der seinerzeitigen Opposition, fanden die Überlegung indiskutabel.Heute sagen uns die Experten, daß eine Geschwindigkeitsbegrenzung der einzige Weg ist, mit dem man buchstäblich von heute auf morgen eine Reduzierung der Stickoxide um 20 % erreichen könnte. Damit es kein Mißverständnis gibt: Wir Sozialdemokraten werden die ersten sein, die die Feststellungen, die in der Anhörung getroffen wurden, sehr ernsthaft prüfen werden.Worauf es jetzt vor allem ankommt, ist eine klare Aussage darüber, daß Maßnahmen stattfinden und wie sie aussehen werden. Diese Aussage ist deshalb notwendig, weil die Industrie klare Vorgaben braucht. Sie gibt es derzeit nicht. In der Regierungskutsche sagt der Innenminister hü, der Verkehrsminister brr, Herr Zimmermann gibt Gas, und Herr Dollinger tritt auf die Bremse. Einer, der lenkt, ist nirgends zu sehen.Nun hat die Bundesregierung gestern, wenn auch mit großer Verspätung
und nach peinlich langer Gedenkzeit — seit der Kabinettsitzung vom 21. Juli, Herr Kollege Hanz —, endlich Grenzwerte beschlossen. Das war richtig, auch wenn sie sich damit zu lange Zeit gelassen hat. Diese Grenzwerte hätten schon im Sommer festgelegt werden müssen.
— Bedenken Sie bei Ihren Zwischenrufen: Jeder Tag heißt 10 Millionen kranke Bäume, die Sie damit mitverursachen.
Ich freue mich darüber, meine Damen und Herren, daß unser Antrag auch in dieser Richtung eine katalytische Wirkung gehabt hat. Noch besser hätte ich es allerdings gefunden, wenn Sie heute bereit gewesen wären, in der Sache abzustimmen und nicht in die Ausschüsse zu gehen, weil auch das wieder viele Tage Verzögerung, kranke Bäume und Verursachung von Waldschäden heißt. Nun kommt es vor allem darauf an, daß Sie klarmachen, ob Sie auf eine europäische Regelung warten und weiter Zeit versäumen oder ob Sie zu einem nationalen Alleingang bereit sind, wie wir ihn fordern.
Unsere Skepsis werden Sie verstehen, wenn wir auf Äußerungen des jetzigen EG-Kommissars Narjes verweisen, der mit einer EG-Richtlinie von 1978wedelt, die einen Mindestbleigehalt für Kraftstoff vorschreibt. Wir befürchten, Herr Narjes eröffnet dem Herrn Bundesinnenminister schon einmal vorsorglich einen Fluchtweg, anstatt alle Hebel in Bewegung zu setzen, damit dieser Anachronismus beseitigt wird.
Ich kann Ihnen nur raten, nicht darauf zu spekulieren, vor einem drohenden Urteil des Luxemburger Gerichtshofes scheinbar wehrlos in die Knie gehen zu dürfen.
Wir begrüßen es ganz besonders, daß das Europäische Parlament auf Antrag der sozialistischen Fraktion nahezu einstimmig die Kommission und den Ministerrat
aufgefordert hat, die zur Zeit gültigen Richtlinien über den Benzin-Blei-Gehalt zu ändern. Wir werden nur darauf achten, daß die Bundesregierung parallele Initiativen auf nationaler und europäischer Ebene unternimmt und nicht zuwartet, wie das Jahr 1984 mit Beratungen in der EG verbracht wird, ehe sie sich schließlich mit Maßnahmen auf nationaler Ebene beschäftigt. Das Strickmuster kennen wir j a. Da wird dann mit großer Überraschung festgestellt, daß die notwendige Vorbereitungszeit bis zum 1. Januar 1986 leider nicht mehr ausreicht. Ich kann den Kollegen Haussmann und Hoffie nur recht geben, wenn sie am 17. Oktober im Tagesdienst ihrer Fraktion den Bundesinnenminister aufgefordert haben, die Phase seiner wechselnden Ankündigungen abzuschließen und im Interesse sofortiger Fortschritte bei der Schadstoffminimierung finanzneutrale Maßnahmen im Preisbereich fordern. Aber an wen sollen sich Produzenten und Verbraucher bei dieser Regierung eigentlich halten, wenn der Staatssekretär des Innenministeriums, Herr Spranger, eine steuerliche Präferenz für bleifreies Benzin ablehnt, wenn der Innenminister ihn am gleichen Tag korrigiert, wenn der CSU-Abgeordnete Glos für seine Landesgruppe am 25. Oktober im „Deutschland-Union-Dienst" schreibt, daß der — übrigens auch in unserem Antrag gemachte — Vorschlag, die Mineralölsteuer auf bleifreies Benzin zu senken und auf herkömmliches Benzin zu erhöhen, geprüft werden soll, wenn aber am gleichen Tag der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesfinanzministerium, Herr Häfele, im „Handelsblatt" fordert, die Finanzierung der Entgiftung der Autoabgase sollte nicht über eine Erhöhung der Mineralölsteuer, sondern durch eine Variation der Kraftfahrzeugsteuer versucht werden. Diese widersprüchlichen Ankündigungen verunsichern die Autokäufer ebenso wie die Automobilindustrie und geben ihr zusätzlich Hoffnung,
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2018 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Oktober 1983
Antretteralles vielleicht doch noch ein bißchen hinauszuzögern.Wir haben als Termin für die Entgiftung der Abgase den 1. Januar 1986 gewählt, wohl wissend, daß er vielleicht auch ein halbes Jahr früher sein könnte. Wir wollen aber wegen dieser sechs Monate nicht das ganze Paket scheitern lassen.
Wenn die Industrie endlich weiß, daß sie Abgaskatalysatoren einbauen muß und daß künftig verbleites Benzin relativ teuer sein wird, dann wird sie gewiß schon vor dem 1. Januar 1986 Abgaskatalysatoren anbieten; VW hat das für diesen Fall schon angekündigt.Nur die Kombination mit einer unterschiedlichen Besteuerung von bleifreiem und bleihaltigem Benzin wird sofort Resultate zeigen, auch wenn der Termin erst der 1. Januar 1986 ist. Dies gibt uns Zeit, uns dem weit wichtigeren Problem der Regelung der Abgasentgiftung bei Altwagen zuzuwenden.Ich fasse zusammen: Gegenüber unserer Strategie der glasklaren Vorgaben zum jetzigen Zeitpunkt und der moderaten Umstellungszeiten sind die Vorschläge der Bundesregierung geradezu hilflos. Die Regierung zeigt keine klaren Vorgaben auf. Sie schlingert hin und her. Der Vorschlag der GRÜNEN dagegen legt so harte Umstellungszeiten fest, daß er in der gebotenen Zeit politisch nicht durchzusetzen ist. Im übertragenen Sinne, meine Damen und Herren, fahren wir Sozialdemokraten mit Tempo 100 auf der Autobahn, die GRÜNEN kommen mit Tempo 200 ins Schleudern, und der Bundesverkehrsminister kommt uns als Geisterfahrer des Umweltschutzes auf der Autobahn entgegen.Vielen Dank.
Das Wort hat der Abgeordnete Hanz.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Antretter, Sie hatten ganz zweifellos einen schweren Stand; denn wenn man über viele Jahre die Zeichen der Zeit nicht erkannt hat, selbst Verantwortung trug und dann Argumentationen finden will, um den Zug des Fortschritts dieser Regierung der Mitte zu erreichen, ist das eine sehr schwierige Aufgabe, der Sie sich unterziehen mußten. Alles wäre sehr viel glaubhafter, wenn beispielsweise ein Verkehrsminister Hauff hier vor dem Deutschen Bundestag erklärt hätte: Ich habe der Bundesregierung wegen der ganzen Probleme der Abgasgifte einen Termin vorgeschlagen, und die Bundesregierung hat dem zugestimmt; ab 1984/85 gibt es nur noch Motoren für bleifreies Benzin, und wir haben dies und jenes entschieden. — Nichts von alledem wurde gesagt, meine Damen und Herren von der SPD.
Dr. Hauff [SPD]: Das ist falsch, was Sie da
behaupten! — Zurufe von der CDU/CSU)
— Sie haben hier im Deutschen Bundestag nicht erklärt: Auf Grund der Fakten ist diese Bundesregierung entschlossen, und sie hat beschlossen, diese und jene Maßnahmen zu ergreifen — wie das diese Bundesregierung getan hat.
Herr Abgeordneter, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Hauff?
Ich habe eine sehr knappe Redezeit, Herr Kollege Hauff, und ich bin leider nicht in der Lage, mich auf einen Dialog einzulassen.
— Eine Vorlage haben wir nicht gesehen, worauf ich noch zu sprechen komme.
Der Antrag der Sozialdemokraten, der heute dem Deutschen Bundestag zur Beratung vorliegt, kommt zweifellos um Jahre zu spät. Sicher zeigt er auf, was auch nach unserer Meinung notwendig ist. Die Entscheidung der Bundesregierung ist insbesondere deswegen dringend notwendig, weil wir bei der Absenkung der Kraftfahrtemissionen große Versäumnisse der vergangenen Jahre aufzuholen haben. Ein großer Teil der in der Drucksache aufgestellten Forderungen hätte von den früheren Bundesregierungen längst angepackt werden müssen, ja sie könnten heute zum großen Teil erledigt sein.
Ende der 60er, Anfang der 70er Jahre hat sich beispielsweise der Innenausschuß des Deutschen Bundestages, dem ich damals selbst mit angehörte, mit der Frage des bleifreien Benzins intensiv beschäftigt. Der Deutsche Bundestag beschloß damals eine Regelung, die eine erhebliche Verminderung der Luftverunreinigung durch Benzin in einem BleiBenzin-Gesetz vorsah. Wir gehörten damals als Bundesrepublik Deutschland noch zu den sogenannten fortschrittlichen Ländern dieser Welt. Dazu gehören wir heute leider nicht mehr. Die USA und Japan haben uns seit Jahren hinter sich gelassen. Dies mußte eine Delegation des Verkehrsausschusses des Deutschen Bundestages bei einem Besuch in Japan wieder sehr schmerzlich feststellen. In diesem Lande ist bereits seit 1975 bleifreies Benzin für alle Kraftfahrzeuge vorgeschrieben. Nur in geringem Maße wird noch bleihaltiges Benzin für ältere Fahrzeuge zugelassen. Durch diese Maßnahmen und den Einbau von Katalysatoren, die in Japan vorgeschrieben sind, konnten die schädlichen Abgase bis auf ungefähr 8 % des ursprünglichen Wertes reduziert werden.Seit 15, fast seit 16 Jahren hatten wir sozialdemokratische Verkehrsminister. Seit über 10 Jahren hängen wir von Jahr zu Jahr weiter hinter den USA und Japan zurück. Ich frage mich deshalb: Woher
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Oktober 1983 2019
Hanznimmt die SPD, die 15 Jahre Verkehrsminister stellte, den Mut,
heute so zu tun, als seien Sie die Vorreiter bei der Verbesserung des Umweltschutzes beim Kraftfahrzeug.
Ihrer Politik, Herr Hauff, verdanken wir doch im letzten, daß wir heute einen so großen Handlungsbedarf in unserem Lande haben. Der jetzt vorgelegte Antrag der SPD hätte eigentlich in die politische Landschaft der 70er Jahre gepaßt, aber die Regierung Schmidt, insbesondere den sozialdemokratischen Verkehrsministern, fehlten der Mut und die Kraft dazu.
Um diese Versäumnisse nun möglichst bald aufzuholen und die dringenden Probleme im Zusammenhang mit der drastischen Absenkung der Kraftfahrzeugemissionen zu lösen, hat die neue Bundesregierung der Mitte gleich zu Beginn ihrer Amtszeit mit dieser Frage Ernst gemacht.
Sie hat Maßnahmen in die Wege geleitet, um unsere Umwelt von diesen schädlichen Kraftfahrzeugemissionen zu entlasten; auch deshalb rennt der Antrag der SPD heute offene Türen ein. Bereits mit ihrem Grundsatzbeschluß vom 21. Juli 1983 hat die Bundesregierung die Einführung unverbleiten Benzins ab 1. Januar 1986 beschlossen. Ich bin sicher: Bei gutem Willen aller Beteiligten kann und wird dieser Termin eingehalten. Bereits am 15. September 1983 hat Bundesinnenminister Dr. Zimmermann vor dem Deutschen Bundestag erklärt, daß es das Ziel der Bundesregierung sei, die Schadstoffe aus KfzAbgasen bis zu 90 % zu verringern, und daß sie hierzu Abgaswerte anstrebe, die bis an die Grenze dessen gehen, was bereits jetzt mit der Katalysatorentechnik zu erreichen ist. Das Bundeskabinett hat gestern beschlossen, die derzeit in den USA geltenden Grenzwerte, einschließlich der dort angewendeten Testverfahren, zu übernehmen.Aus diesem Grunde bedarf es — aus sachlichen Gründen jedenfalls — dieses Antrags nicht. Die SPD wiederholt im übrigen im Grunde nur das, was in dem Entschließungsantrag der Koalitionsfraktionen vom 14. September 1983 enthalten ist.
— Ich komme noch darauf. — Dieser Antrag ist, wie auch Ihnen wohl bekannt, meine Damen und Herren von der SPD, am 15. September 1983 an die Ausschüsse überwiesen worden.
— Ich komme darauf; ich sagte es Ihnen schon. Ichgehe j a systematisch vor und springe nicht von Astchen zu Astchen, wie das so mancher vollmundigeRedner tut. — Im Entschließungsantrag der Koalitionsfraktionen wird im übrigen auch gefordert, das für die Einführung der Katalysatorentechnik notwendige Angebot an bleifreiem Treibstoff bis Ende 1985 sicherzustellen. Die Mineralölwirtschaft der Bundesrepublik hat sich auf Drängen der Bundesregierung zur Bereitstellung von unverbleitem Kraftstoff grundsätzlich bereit erklärt. In Japan war dies ohne wesentliche Verteuerung des neuen, bleifreien Benzins möglich, wie führende Vertreter der japanischen Autoindustrie uns versicherten. Die Bundesregierung soll der Industrie Richtwerte, die erreicht werden sollen, für einen gewissen Zeitraum vorschreiben, den Weg dorthin aber weitgehend der Industrie überlassen. Vertreter der japanischen Autoindustrie bedauerten bei unserem Besuch, daß die japanische Regierung in mehreren Stufen vorgegangen sei; dieses Verfahren wurde in der Sache als erschwerend dargestellt. Wir sind auch der Meinung, daß es besser ist, die Endwerte sofort festzusetzen, der Automobilindustrie jedoch eine feste Übergangsfrist für die Umstellung der Modelle zu gewähren. Wir bitten die Bundesregierung, auch darauf zu achten und sicherzustellen, daß anstelle von Blei keine neuen Stoffe zur Oktanzahlverbesserung eingesetzt werden, die zu einer Gesundheitsgefährdung führen können.Die Forderung nach einer Kontrolle der Abgaswerte ist bereits ebenfalls im Antrag der Koalitionsfraktionen enthalten; auch hier rennt dieser Antrag offene Türen ein. Der Bundesminister für Verkehr hat die Gespräche mit den hierfür zuständigen Stellen in dieser Woche bereits aufgenommen, Gespräche darüber, wie die Abgaswerte künftig regelmäßig und wirksam kontrolliert werden können. Wir ersuchen die Bundesregierung, diese Gespräche zügig fortzusetzen. Im übrigen wiederholt der SPD-Antrag praktisch den Gesetzesvorschlag und eine Entschließung des Bundesrates vom 10. Juni 1983 zur Vergünstigung bei der Einführung unverbleiten Benzins. Der Deutsche Bundestag hat dies bereits in erster Lesung behandelt; die Vorschläge, auch hinsichtlich der steuerlichen Vergünstigungen, liegen den zuständigen Ausschüssen vor. Aber wir haben es hier mit einem sehr schwierigen steuerrechtlichen Problem zu tun, das eine eingehende Beratung einfach verlangt, wenn wir nicht wieder schludern wollen. Die Japaner sind auf Grund ihrer fortschrittlichen Technik sofort in der Lage, mit Katalysatoren ausgerüstete Fahrzeuge auf den Markt zu werfen, die den von uns angestrebten US-Werten entsprechen.Bis die Bundesregierung in allen Fragen endgültige Beschlüsse faßt, sollte intensiv versucht werden, auch unsere Partner in der EG zu gleichen Maßnahmen zu bewegen. Uns ist klar, eine nationale Regelung allein ist für unsere Umwelt nur ein Teilergebnis und auch politisch nicht wünschenswert.Ich komme zum Schluß. Wir freuen uns, daß zwischen dem Bundesminister für Verkehr, dem Bundesminister des Innern und diesem Hohen Hause und der Automobilindustrie Einvernehmen besteht, daß man zu einer drastischen Verringerung der
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2020 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Oktober 1983
HanzLuftverschmutzung durch Abgase kommen muß. Wenn auch das Verfahren zur Erreichung dieses Zieles nicht vorgeschrieben werden soll, so kann man doch auf eine Festsetzung strenger Abgasgrenzwerte nicht verzichten.Wir freuen uns, daß die SPD durch ihren Antrag an die Bundesregierung nun erkennt, daß wir wegen der giftigen Abgase unserer Kraftfahrzeuge dringend zum Handeln aufgefordert sind, ja daß es fast zu spät ist.
Wir danken unserer Bundesregierung dafür, daß sie aufgestaute, jahrelang aufgestaute Probleme schnell aufgegriffen und einer Lösung zugeführt hat.
Die CDU/CSU-Fraktion wird der Ausschußüberweisung zustimmen.Die Fraktion der GRÜNEN hat gestern quasi in letzter Minute beantragt — und die SPD ist dem in großen Bereichen beigetreten —, auf Bundesautobahnen eine Geschwindigkeitsbegrenzung auf 100 km/h einzuführen und die auf Landstraßen auf 80 km/h zu reduzieren, und zwar als Notmaßnahme gegen das Waldsterben. In der Presse habe ich gelesen, daß man auch innerhalb von Ortschaften die Geschwindigkeit von bisher 50 auf 30 km/h herabsetzen will. Wer behindert eigentlich heute die zuständigen Gremien und Stellen, das zu tun? Ich persönlich möchte nicht, daß wir zu einer Kriechspurgesellschaft in der Bundesrepublik Deutschland werden.
Die Antragsteller werden noch beweisen müssen, ob ihr Antrag wirklich zu einer Verbesserung der Umwelt führt. Die CDU/CSU-Fraktion wird der Überweisung dieses Antrages zustimmen und eine intensive Beratung mitgestalten.Ich danke Ihnen.
Das Wort hat der Abgeordnete Baum.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir stellen ja hier eine große Übereinstimmung fest. Ich möchte mich dem anschließen. In der Sache sind wir alle gegen das Waldsterben. Wir überbieten uns ja mit Vorschlägen auf diesem Felde. In der Tat ist dies auch das Stichwort für die heutige Debatte.Ich halte gar nichts von Schuldzuweisungen. Wir haben das Phänomen des Waldsterbens, Herr Hanz, nicht gekannt, jedenfalls haben wir es erst vor einigen Jahren, ab 1980, in dieser Bedeutung erkennen müssen. Das Waldsterben ist auslösendes Moment auch für diese Debatte. Wir kennen — das hat j a die Anhörung in den letzten Tagen hier im Hause gesagt — nicht einmal die konkreten Ursachen und Schadensverläufe. Dennoch sind wir alle der Meinung, daß wir handeln müssen. Bis vor kurzem kannten wir überhaupt nicht die Rolle des Autos in diesem Zusammenhang. Wir kannten die Wirkung der Stickoxide gar nicht. Wir kennen sie heute noch nicht ganz genau. Dennoch wissen wir heute, daß Stickoxide gefährlich für den Wald sind. Es hat sich also eine Veränderung der Lage herausgestellt. Ich bin ja sehr froh über diese Bewußtseinsänderung, die stattgefunden hat. Aber, wie der Kollege von der SPD eben gesagt hat: Ohne diese Bewußtseinsänderung waren die Bemühungen der früheren Jahre sehr schwierig.
Wo waren denn die Vorschläge aus dem Verkehrsausschuß zum umweltfreundlichen Auto? Ich habe als Umweltminister damals nichts davon gehört!
— Die Regierung hat eine ganze Reihe von Vorschlägen gemacht.
Das ist immer wieder gemacht worden. Ich habe 1980 die Gespräche mit der Automobilindustrie aufgenommen. Die haben doch nichts gemacht!
Erst unter dem Bewußtseinswandel durch das Waldsterben geschieht etwas, und das begrüße ich.
Man sollte sich wirklich deutlich machen, daß das tiefe Erschrecken über das Waldsterben den beharrlichen Widerstand auch hier im Hause bei unseren Kollegen, die für Wirtschaftsfragen zuständig sind, aufgeweicht hat. Das ist doch einfach das Faktum.Wir unterstützen jede Initiative zur weiteren Reduzierung der Luftschadstoffe, und wir begrüßen die Vorschläge der Regierung.Wir haben gesagt, daß das Waldsterben einschneidende Maßnahmen notwendig macht, notfalls auch in eigener nationaler Verantwortung. Wir möchten das hier auch für die Abgasreduzierung sagen. Wir möchten bei dieser Gelegenheit erneut bekräftigen, daß unverzüglich weitere Maßnahmen zur Bekämpfung des Waldsterbens getroffen werden müssen. Wir sind durch die Anhörung der letzten Tage in dieser Auffassung bestätigt worden. Dazu gehören zusätzliche marktwirtschaftliche Instrumente. Wir können uns beispielsweise ein Bonus-Malus-System vorstellen, das denen Vorteile bringt, die in kurzen Fristen eine Abgasreinigung durchführen, und denen eine Abgabe auferlegt, die das eben nicht tun.Wir halten eine Verkürzung der Fristen der Großfeuerungsanlagen -Verordnung für wünschenswert. Wir möchten Branchenvereinbarungen mit den betreffenden Industriezweigen. Wir sind der Meinung, daß wir ohne eine Änderung des Bun-
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Oktober 1983 2021
Baumdes-Immissionsschutzgesetzes sehr bald an Grenzen stoßen. Wir sind bei der Durchführung der Großfeuerungsanlagen-Verordnung schon an Grenzen gestoßen, die wir überwinden müssen. Die Einrede der wirtschaftlichen Vertretbarkeit darf beim Vollzug der Großfeuerungsanlagen-Verordnung keine Rolle spielen.Wir stimmen mit der Bundesregierung überein, daß bleifreies Benzin eingeführt werden muß. Wir hatten die Vorstellung, daß dies schon am 1. Januar 1985 geschehen könnte. Wir vermissen allerdings eine Festlegung, ob es allein bei unverbleitem Normalbenzin bleiben soll oder ob, wie wir es für zweckmäßiger halten, beide Kraftstoffarten, also Super- und Normalbenzin, unverbleit angeboten werden müssen. Dazu erwarten wir eine Erklärung der Regierung.Wir unterstützen die Bundesregierung bei ihrer Absicht, eine EG-einheitliche Lösung im Zusammenhang mit der Abgasproblematik herbeizuführen. Das bleibt auch unser oberstes Ziel. Wir schließen aber den nationalen Alleingang nicht aus. Wir können uns nach den Erfahrungen, die wir in Brüssel gemacht haben, nicht am langsamsten Schiff orientieren. Wir unterstützen die Bundesregierung auch bei ihren bilateralen Verhandlungen mit den Nicht-EG-Staaten.Wir begrüßen die Entscheidung, nach amerikanischen Grenzwerten die Schadstoffe im Abgas ab 1986 zu begrenzen. Dies macht es notwendig, möglichst bald eine Änderung der Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung vorzulegen. Wir sind nach wie vor der Meinung, daß es sich bei dieser Änderung nur um eine sogenannte Wirkungsvorschrift handeln sollte, auch wenn nach den heutigen Erkenntnissen die vorgesehene Abgasreduzierung um rund 90 % nur mit dem Dreiwegekatalysator erreichbar ist.Eine Einbauvorschrift, wie sie der Bundesinnenminister zunächst vorgesehen hatte, verbaut nach unserer Ansicht die Möglichkeit, andere technische Wege zu eröffnen. Wir haben Vertrauen in die Erfindungskraft unserer Ingenieure, daß sie bis 1986 den ökonomischen und ökologisch sinnvollsten Weg beschreiten. Dies entspricht ja auch unseren Vorstellungen von einer ökologischen Marktwirtschaft.Die Konzepte für das umweltfreundliche Auto müssen in Einklang gebracht werden mit unseren Exportinteressen. Wir müssen sämtliche Folgewirkungen dessen, was wir jetzt tun, genau überlegen und beobachten. Es könnte nämlich durchaus sein, daß der Wettbewerbsvorsprung der deutschen Automobilindustrie beeinträchtigt wird und die Bedingungen auf dem Markt sowohl für die Automobilindustrie als auch für den Mineralölhandel und die Mineralölindustrie beeinträchtigt werden könnten.Dies macht es beispielsweise notwendig, bei der Einführung des bleifreien Benzins den freien und mittelständischen Mineralölhandel so zu stützen, daß er nicht vom Markt gedrängt wird.Wir sagen deutlich: Es gibt keine Umweltbelastung zum Nulltarif, es gibt auch keine Schadensbeseitigung zum Nulltarif. Das umweltfreundliche Auto — das müssen wir klar sagen — ist teurer. Ich bezweifle allerdings, ob es so viel teurer wird, wie die Anhörung das jetzt ausgewiesen hat. Sicherlich kostet der Katalysator Geld; es muß eine zusätzliche Wartung erfolgen. Es muß sehr sorgfältig geprüft werden, ob ein höherer Treibstroffverbrauch die Folge ist. Es gibt heute ja Schätzungen, daß der Treibstoffverbrauch bei Normalbenzin um 10 %, bei Superbenzin um 5 % heraufgeht. Ich möchte Ihnen ganz deutlich sagen: Ich bezweifle diese Schätzungen.
Ich stütze mich dabei auf die Erfahrungen, die Japan und Kanada gemacht haben. Ich glaube, wir werden es erreichen können, daß beide Ziele, die Abgasreduzierung und die Energieeinsparung, in Einklang gebracht werden.
Wir erwarten, daß die Mineralölindustrie und die Kraftfahrzeugwirtschaft möglichst noch in diesem Monat ihr Konzept für den neuen Kraftstoff vorlegen und daß sie auch in der Lage sind, eine ausreichende Menge bleifreien Superbenzins ab 1986 zur Verfügung zu stellen.Wir haben uns mit einer schwierigen Übergangsphase auseinanderzusetzen, in der der Staat auf die Rahmenbedingungen Einfluß nehmen muß, und zwar in der Weise, daß es sich lohnen muß, das schadstoffarme Auto zu kaufen und zu fahren. Es darf nicht derjenige belohnt werden, der möglichst lange das umweltunfreundliche Auto fährt. Durch steuerliche Maßnahmen muß verhindert werden, daß wir vor dem 1. Januar 1986 einen Nachfrageboom nach „alten" Autos haben. Meine Fraktion wird sorgfältig prüfen, in welcher Weise Steuerpräferenzen sowohl in bezug auf das Auto wie auch in bezug auf das bleifreie Benzin gewährt werden müssen. Das sind sehr schwierige Fragen. Hier greifen wir in den Markt ein. Das sollten wir uns sehr genau überlegen.Die FDP fordert schließlich, die Gesamtabgasbelastung durch eine bessere Kontrolle des jetzigen Autobestandes wesentlich zu reduzieren.
Hier gibt es j a die Möglichkeiten, die uns die Technischen Überwachungsvereine aufgezeigt haben. Herr Kollege Dollinger hat auf einen Vorstoß von uns Prüfung zugesagt. Wir hoffen, daß diese Prüfung möglichst bald abgeschlossen werden kann; denn man kann und muß bei den rund 25 Millionen Kraftfahrzeugen etwas tun, die sich heute im Verkehr befinden. Wir stellen uns halbjährliche Prüfungen in einem unbürokratischen Verfahren auf alle Schadstoffe hin vor.Wir wissen um die Probleme, die sich bei der Verwirklichung dieses Konzepts in bezug auf den Export deutscher Autos wie auch in bezug auf den Import von Fahrzeugen ergeben können. Wir müssen auf jeden Fall darauf achten, daß sich hier nicht neue Protektionismen entwickeln. Daran können
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2022 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Oktober 1983
Baumwir als Autoexportland überhaupt kein Interesse haben.Wir müssen schließlich unsere Aufmerksamkeit den Dieselfahrzeugen widmen. Hierfür ist, meine ich, ein ergänzendes Konzept notwendig. Das Dieselfahrzeug steht heute gegenüber den Benzinfahrzeugen umweltfreundlicher da. Ob das auch in Zukunft gegenüber dem umweltfreundlichen Benzinfahrzeug der Fall ist, muß man genau prüfen.Der Fall „Automobil" zeigt, daß die Schadenssituation in unserer Umwelt eine nachdrückliche Hinwendung zu umweltfreundlicheren und energiesparenden Technologien notwendig macht. Ich sagte schon, beide Ziele schließen sich nach unseren Erkenntnissen nicht aus.Wenn man eine Bilanz der bisherigen Bemühungen zur Bekämpfung des Waldsterbens zieht und die Maßnahmen einbezieht, die der Bundesinnenminister bisher auf Grund der Vorarbeiten der früheren Bundesregierung realisiert hat, so müssen wir feststellen, daß alle bisherigen Maßnahmen angesichts des besorgniserregenden Schadensverlaufs in den deutschen Wäldern eben nicht ausreichen. Wir greifen zurück auf die Entschließung, die die Koalition gemeinsam in diesem Hause vorgelegt hat: „Die Bundesregierung wird aufgefordert, bis Anfang 1984 zu prüfen — und darüber zu berichten —, ob und gegebenenfalls wie die Emissionen aus sogenannten Altanlagen noch schneller und noch weitgehender vermindert werden können." Wir erwarten eine Erledigung dieses Prüfauftrags. Nach dem soeben vorgelegten neuen Schadensbericht hat diese Forderung eine besondere Bedeutung erlangt.Wir wollen auch vermeiden, daß andere umweltpolitische Themen jetzt hinter dem hochaktuellen Thema des Waldsterbens in den Hintergrund treten. Deshalb erinnern wir noch einmal daran, daß die Reduzierung des Lärms beim Kraftfahrzeug durch verbindliche Normen eine außerordentlich wichtige Aufgabe bleibt.
Unser Interesse gilt auch anderen Umweltbereichen wie dem Schutz des Bodens, des Wassers, der Abfallbeseitigung und -verwertung. Das Waldsterben ist wahrscheinlich, meine ich, nur die Spitze einer wohl tiefergehenden ökologischen Krise. Was geschieht eigentlich noch — so müssen wir uns fragen — in unserer Natur, in unserer Umwelt, wovon wir heute überhaupt keine Kenntnis haben? Was geschieht beispielsweise im Klima der Erde? Welche Wirkungen haben dort beispielsweise die Kohlenmonoxide? Welche Schäden entstehen eigentlich, ohne daß wir uns dessen bewußt sind?Das heute von der Regierung vorgestellte Konzept zur Abgasreduzierung macht eine große Anstrengung nötig. Der schwierige Umstellungsprozeß stellt hohe Anforderungen an die Wirtschaft, an die Wissenschaft, an die Behörden und nicht zuletzt an den Verbraucher. Der Verbraucher hat es übrigens in der Hand, das Auto vernünftig zu gebrauchen, d. h. auch umweltfreundlich zu gebrauchen. Das tuter z. B. dann, wenn er auf eine hochtourige Fahrweise verzichtet.Meine Damen und Herren, es wäre doch eigentlich sinnvoll, angesichts dieses Berges von Problemen und bei der großen Einigkeit, die wir hier im Grundsätzlichen haben, nicht in gegenseitigen Schuldvorwürfen zu verharren, sondern dieses Problem gemeinsam zu lösen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Ehmke .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Freundinnen und Freunde! Der Kraftfahrzeugverkehr ist nicht nur der größte Landschaftsfresser, der größte Krachmacher, der größte Menschenschlächter in Friedenszeiten und einer der größten Energieverbraucher, sondern er ist auch der größte Luftverschmutzer, zumindest in den Städten und Verdichtungsräumen.
Der Anteil der Kraftfahrzeugabgase an der innerstädtischen Luftbelastung beträgt zwischen 70 und 90 %, in manchen Situationen sogar noch mehr.
Welche Bedeutung dies nicht nur für den Schutz der Pflanzen und Tiere, der Bauwerke und sonstigen Sachgüter, sondern ganz besonders auch für die Gesunderhaltung unserer Bevölkerung hat, ersehen Sie allein schon daraus, daß über 75 % der Einwohner der Bundesrepublik in Städten wohnen oder sich dort längere Zeit aufhalten und somit gar nicht anders können, als die durch Kfz-Abgase verpestete Luft einzuatmen.Ich möchte wegen der kurzen Redezeit jetzt nicht die Statistik herbeten, zumal Informationen hierzu sehr leicht zu bekommen sind.Erwähnenswert scheint mir aber doch die verhängnisvolle Rolle der Stickoxide zu sein. Diese sind erstens nicht nur mitverantwortlich für den Smog in den Städten mit seinen schlimmen Gesundheitsfolgen, sondern sie tragen auch in doppelter Weise zum Waldsterben in den bisherigen Reinluftgebieten bei: durch Säureeintrag in die Waldökosysteme sowie durch Umwandlung in Ozon und andere Schadstoffe, die die Blätter der Bäume direkt angreifen. Zweitens sind die Stickoxide deshalb besonders problematisch, weil sie in den letzten Jahren kräftig zugenommen haben — im Gegensatz zum Schwefeldioxid —, ohne daß die bisherigen Bundesregierungen Wesentliches dagegen unternommen hätten. Inzwischen sind wir bei einem jährlichen Gesamtausstoß von zirka 3 Millionen t Stickoxiden angelangt. Davon stammen allein 1,4 Millionen t — also fast 50 % — aus Kraftfahrzeugen.Meine Damen und Herren, die genannten Argumente und Zahlen lassen unseres Erachtens nur
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Oktober 1983 2023
Dr. Ehmke
eine Schlußfolgerung zu: Die Autoabgasmengen müssen so schnell wie möglich drastisch gesenkt werden.
Ich hoffe, feststellen zu können, daß dies eine der wenigen Gelgenheiten ist, wo sich einmal alle Fraktionen des Hauses einig sind. Deshalb begrüßen wir den Antrag der SPD-Fraktion, wenngleich ich doch einige Wermutstropfen in den Kelch der Eintracht schütten muß. Zunächst einmal haben Sie keine konkreten Emissionsgrenzwerte angegeben, sondern eine Reduzierung um zirka 90 % gefordert. Eine solche vage Vorgabe ist nicht geeignet, die Transparenz für den Bürger und die Rechtssicherheit bei der Kontrolle der Abgasgehalte zu erhöhen. Wir stimmen Ihnen zu, daß der Dreiwegkatalysator mit Lambda-Sonde derzeit als Stand der Technik anzusehen ist, weil dieses System in Millionen von Autos außerhalb der Bundesrepublik schon jahrelang ohne Probleme funktioniert.An dieser Stelle muß ich einmal ein deutliches Wort der Kritik an die Automobilindustrie richten. Unsere Mitbürgerinnen und Mitbürger fühlen sich für dumm verkauft, wenn seit Jahren extrem entgiftete Fahrzeuge deutscher Produktion in den Export gehen und sich im dortigen Konkurrenzkampf gut behaupten können, während im Inland dieser ohne weiteres übertragbare Standard der Abgasreinigung mit fadenscheinigen Argumenten verleugnet wird.
Dies ist wieder einmal eine Bestätigung dafür, daß wirtschaftliche Interessen eben Partikularinteressen darstellen, die oft den Interessen des Gemeinwohls zuwiderlaufen. Das soll nicht heißen, daß wirtschaftliche Belange für uns GRÜNE keine Bedeutung hätten. Allerdings können sie nach unserer Auffassung nur ein Stein von vielen im Dominospiel der Politik sein.
Herr Abgeordneter Dr. Ehmke, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Todenhöfer?
Herr Kollege, wegen der kurzen Redezeit kann ich keine Zwischenfragen zulassen.
Zurück zu den Abgasgrenzwerten: Wir sind also der Meinung, meine Damen und Herren, daß man die derzeit maximal möglichen Emissionswerte konkret vorschreiben sollte — eine Überarbeitung der Werte mit fortschreitendem Stand der Technik ist ohnehin möglich — und daß man zur Sicherheit den Katalysator vorschreiben sollte. In unserem Antrag, Drucksache 10/67, „Programm gegen Luftbelastung und Waldsterben", vom Frühjahr dieses Jahres haben wir Kfz-Abgasgrenzwerte vorgeschlagen, die hinter den heutigen Stand der Technik zurückfallen. Dazu werden wir in den nächsten Wochen einen Änderungsantrag mit den jetzt gebotenen Grenzwerten nachreichen.Ein weiterer Diskussionspunkt in dem SPD-Antrag ist die steuerliche Begünstigung unverbleiten Kraftstoffes. Der Ansatz ist sicher richtig; er beinhaltet ein marktwirtschaftliches Instrument in der Umweltpolitik: Sauberes Fahren soll sich auszahlen, und wer sein altes Auto ohne eine Einrichtung zur Abgasentgiftung noch länger behält, soll drauflegen. Ähnliches schlagen wir mit einer Schadstoffabgabe auch für Großfeuerungsanlagen vor. In beiden Bereichen sind ökonomische Anreize durch Steuern oder Abgaben sehr sinnvolle Instrumente, und die Bundesregierung wäre gut beraten, wenn sie diese zur Beschleunigung ihrer bisher ungenügenden Auflagen einsetzte.Die Frage ist nur, ob man unverbleites Benzin wirklich verbilligen sollte, oder ob es nicht besser wäre, die Mineralölsteuer für bleihaltiges Benzin deutlich und stufenweise zu erhöhen. Ich denke dabei nicht in erster Linie an die Staatskasse, die allerdings eine Aufbesserung dann verdient hätte, wenn diese Aufbesserung des Mineralölsteueraufkommens zielgerichtet für die Finanzierung einer neuen Verkehrskonzeption und für die Beseitigung der negativen Folgen des Straßenverkehrs eingesetzt würde. Wichtig erscheint mir die Belassung des heutigen Mineralölsteuerniveaus vor allem deshalb, um die Anziehungskraft des öffentlichen Nahverkehrs gegenüber dem Individualverkehr zu stärken und die Bereitschaft der Bevölkerung zum Umsteigen vom Auto auf Bus, Bahn und Fahrrad zu erhöhen.
Außerdem schlagen wir vor — aber das sage ich jetzt nur nebenbei —, die Kraftfahrzeugsteuer auf die Mineralölsteuer umzulegen, um eine echte Verbrauchsteuer zu erhalten. Strukturelle Benachteiligungen, etwa des ländlichen Raumes mit seinen größeren Entfernungen, sind dabei zu vermeiden.In dem uns vorliegenden Antrag der SPD wird außerdem der von der Bundesregierung angekündigte Zeitpunkt für den Beginn der Abgasminderung, nämlich der 1. Januar 1986, übernommen. Dies gibt mir Veranlassung, darauf hinzuweisen, daß sich an den Voraussetzungen für den von uns in der Drucksache 10/67 vorgeschlagenen Fristenplan nichts, aber auch gar nichts, geändert hat; denn erstens ist die Mineralölwirtschaft nach wie vor in der Lage, in kurzer Zeit den Markt mit ausreichenden Mengen bleifreien Normalbenzins zu versorgen. Bei Super geht es angeblich noch nicht. Ich habe aber gehört, daß in Japan seit September auch bleifreies Superbenzin eingeführt worden ist. Zweitens wurden, wie ich vorhin schon sagte, Automodelle mit Katalysatoren von deutschen Herstellern bereits millionenfach produziert, so daß dort nur eine Kapazitätsumstellung oder -umgliederung erforderlich wäre. Andere Hersteller ohne Erfahrung mit Katalysatoren müßten ihre Modelle allerdings in Teilen neu konzipieren, wofür aber ein Zeitraum von über einem Jahr ausreichend erscheint. Es wäre also aus unserer Sicht durchaus möglich, den Zeitpunkt für den Beginn der scharfen Abgasbe-
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2024 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Oktober 1983
Dr. Ehmke
grenzung mit Katalysator und bleifreiem Benzin auf den 1. Januar 1985 vorzuverlegen.Die Frage des Zeitpunktes, 1985 oder 1986, ist zwar wichtig, aber nicht entscheidend. Eine wirklich zentrale Bedeutung hat für uns GRÜNE die Frage: Wie wirksam sind die Abgasvorschriften für die Erhaltung unserer Gesundheit und für die Rettung unserer sterbenden Wälder? Und wenn wir uns daraufhin die von der Bundesregierung und jetzt auch von der SPD vorgesehenen Maßnahmen anschauen, dann müssen wir vier Dinge feststellen:Erstens passiert zwei Jahre lang, nämlich bis zum 1. Januar 1986, überhaupt nichts.Zweitens. Vor dem 1. Januar 1986 werden wahrscheinlich viele Leute vorzeitig ein neues Auto kaufen, was einen großen Überhang von Altfahrzeugen ergäbe.Drittens. Nach dem 1. Januar 1986 werden nur die Neufahrzeuge geringere Abgaswerte haben. Die Altfahrzeuge bleiben im Abgasverhalten lange Zeit gleich.Viertens. Deshalb wird die Verminderung der Emissionen nur sehr langsam vor sich gehen. Bei den Stickoxiden etwa ergibt sich von 1983 bis 1990 eine Reduktion von nur ca. 15 %. Das ist zu wenig.Angesichts der galoppierenden Schwindsucht in unseren Wäldern ist eine so zögerliche Luftreinhaltepolitik nicht zu verantworten.
Inzwischen kommt es nicht mehr allein auf mittelfristige Maßnahmen an, die erst in drei bis fünf Jahren wirksam werden. Zunehmende Bedeutung für die Rettung unseres Waldes erlangen kurzfristige Maßnahmen, Sofortmaßnahmen, Notmaßnahmen als Übergangsstrategien bis zum Greifen der mittelfristigen Maßnahmen. Meine Damen und Herren, der Wald fängt nicht am 1. Januar 1986 zu sterben an, sondern stirbt uns heute gewissermaßen unter den Fingern weg! Deswegen müssen wir heute handeln, nicht erst in zwei Jahren.Die GRÜNEN haben heute gehandelt, indem sie einen Entschließungsantrag zur Begrenzung der Geschwindigkeiten auf Autobahnen und Landstraßen eingebracht haben. Dies könnte eine sofortige Verminderung des jährlichen Stickoxidausstoßes um ca. 400 000 t — gleich etwa 13 % der Gesamtmenge — bringen, ohne daß irgendwelche Kosten entstehen!
Aber nicht nur die Luft wird damit entlastet; auch die Verlärmung der Landschaft wird geringer sein; der Kraftstoffverbrauch wird zurückgehen; die Unfallhäufigkeit wird ebenfalls sinken, während die Attraktivität anderer, weniger energieintensiver Verkehrsmittel erhöht wird.
Insgesamt ist dies also eine volkswirtschaftlich durch und durch sinnvolle Sache, und viele Bürgerinnen und Bürger fragen sich, warum man dasnicht eigentlich schon länger so gemacht hat. Warum sind wir der einzige Staat in Europa ohne Geschwindigkeitsbegrenzung auf Autobahnen?
— Ich komme gleich zum Ende. — Ich könnte mir durchaus vorstellen, daß angesichts der offensichtlichen Notlage, in der wir uns befinden, die Bereitschaft der Bevölkerung, eine Geschwindigkeitsbegrenzung mitzutragen, sehr viel größer ist, als wir bisher gedacht haben.
Meine Damen und Herren, ich fasse zusammen. Die von Regierung und SPD vorgesehenen Vorschriften zur Emissionsbegrenzung bei Kfz finden unsere Zustimmung. Sie sollten aber durch das Einleiten einer weniger autohörigen Verkehrspolitik sowie durch kurzfristige Maßnahmen ergänzt werden. Als letztere schlagen wir die Verordnung von Geschwindigkeitsbegrenzungen, die eine sofortige deutliche Entlastung von Luftschadstoffen bewirkt, vor.Deswegen meine Bitte: Treffen wir uns auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner, unterstützen Sie unseren Entschließungsantrag! — Ich danke Ihnen.
Das Wort hat der Bundesminister des Innern.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Sorge um die Erhaltung der Wälder stand im Mittelpunkt der Regierungserklärung, die ich im vergangenen Monat für die Bundesregierung vor dem Hohen Hause abgegeben habe. In dieser Erklärung wurde das Maßnahmenpaket, mit dem die Bundesregierung die Schädigung der Wälder stoppen will, vorgestellt.Die heutige Debatte betrifft einen wichtigen Teil der letzten Debatte über die Regierungserklärung. Sie greift ein Instrument der Politik der Bundesregierung, nämlich die Reduzierung der Schadstoffe im Abgas, heraus. Die Zahlen brauchen wir nicht zu wiederholen; der letzte Bericht des Landwirtschaftsministers zeigt, daß wir explosionsartige Steigerungen zu verzeichnen haben.Ich glaube, ich kann hier für die Bundesregierung feststellen, daß wir in unserer erst einjährigen Amtszeit mehr Konkretes, Praktisches und Effektives für den wirksamen Umweltschutz getan haben als jede Regierung vorher.
Aber ich setze hinzu: Das ist erst der Anfang. Die Damen und Herren der SPD-Fraktion möchte ich bitten, etwas selbstkritischer zu sein, wenn sie jetzt mit immer bunteren Umweltschutzkatalogen auf den Markt kommen, denn ihre Regierungszeit liegt noch nicht so lange zurück, als daß die Leute nicht
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Oktober 1983 2025
Bundesminister Dr. Zimmermannwüßten, daß sie dieses Thema jahrelang verdrängt haben.
Aber keine Vergangenheitsbewältigung; schauen wir bitte nach vorne. Ich darf sagen: Zu dem von der Bundesregierung energisch national und international verfolgten Kurs, den Ausstoß von Schadstoffen an allen Quellen schnell und drastisch zu reduzieren, gibt es keine Alternative.
Einer dieser Quellen ist das Automobil. Aus dem Automobil stammen fast 50 % der in der Bundesrepublik insgesamt emittierten Stickoxide und 37 % der Kohlenwasserstoffe.Diese Situation, die wir kennen, darf jedoch nicht zum Anlaß genommen werden, in eine blinde Gegnerschaft zur Motorisierung zu verfallen.Wir stellen die deutsche Automobilindustrie mit dem, was wir vorgeschlagen haben und was wir durchführen werden, vor eine Jahrhundertentscheidung. Das muß man sehen.
Es wird das Wichtigste sein, was seit Erfindung des Diesels je geschehen ist. Herr Fischer, Ihr Zwischenruf zeigt nur, daß Sie von den Problemen einer der wichtigsten Branchen dieser Republik nicht den Schatten einer Ahnung haben.
Die Katalysatortechnik, die die deutsche Industrie beherrscht und die der Vorstandsvorsitzende von BMW für eine alte Technik hält, wird die deutsche Industrie dazu anreizen, in der vorgegebenen Zeit möglicherweise eine neue Technik zustande zu bringen. Denn die deutsche Automobilindustrie hat in der Vergangenheit und bei der Ausstellung in Frankfurt wieder einmal gezeigt, daß sie die modernst konzipierende, effektvollste und tüchtigste der Welt ist. Das wird sie auch in Zukunft sein, wenn auch in eine andere Richtung. Davon bin ich überzeugt.
— Die Technik von heute muß angewendet werden. Die Technik von morgen kann man erst dann anwenden, wenn sie vorhanden ist. Also auch hier bitte noch keine Illusionen!Aus diesen Gründen hat sich die Bundesregierung für einen fixen Zeitpunkt für die Einführung bleifreien Benzins entschieden. Das kann gegenwärtig nur auf dem Stand der Technik von heute geschehen. Wenn es zu diesem fixierten Zeitpunkteine andere Technik gibt, können wir nur sagen: Um so besser.Wir haben diesen Beschluß am 21. Juli gefaßt, und wir haben drei Monate später, nämlich gestern, einen weiteren Beschluß gefaßt, der das, was wir vorhaben, der Europäischen Gemeinschaft mit dem Ziel an die Hand gibt, sich mit einer Richtlinie auf die von uns gedachte Konzeption festzulegen.Ich begrüße es, daß die sozialdemokratische Opposition mit ihrem Antrag diese Zielsetzung der Bundesregierung praktisch unterstützt.
Die deutsche Industrie verfügt nun über die entscheidenden Daten. Sie kennt die einzuhaltenden Grenzwerte. Sie bleibt zusätzlich aufgefordert, die notwendigerweise knapp bemessene Frist zu nutzen, um die erforderlichen Umstellungen auf das umweltfreundliche Auto vorzunehmen. Das Ziel heißt: Bleifrei in die Zukunft.Die Bundesregierung ist sich bewußt, daß der gemeinsame Markt in Europa, der grenzüberschreitende Autoverkehr sowie die weiträumige Verbreitung der Schadstoffe eine europäische Lösung der Abgasproblematik erforderlich machen.Meine Herren von der SPD, Sie reden jetzt auf einmal vom Alleingang. Dazu kann ich nur sagen: Sie müssen einmal die Zahlen lesen. Mit dem, was wir bis jetzt getan haben, mit dieser Pilotfunktion sind wir immer noch im Alleingang. Denn das muß ja alles erst durch die EG. Da haben sich viele angeschlossen, auch solche, die nicht zur EG gehören: gestern mein Schweizer Kollege, der Bundesrat des Inneren Dr. Alfons Egli, so total wie mein österreichischer Kollege Dr. Steyrer. Ebenfalls total gehen diese beiden wichtigen Staaten in Europa unseren Weg mit.Aber wenn uns die Harmonisierung innerhalb der Gemeinschaft nicht gelingt,
dann könnte es passieren, daß wir italienische und französische Wagen ab dem 1. Januar 1986, weil sie unsere Konditionen nicht erfüllen, nicht mehr hereinlassen. Das würde natürlich bedeuten, daß Italien und Frankreich unsere Fahrzeuge dann nicht mehr hineinlassen, wenn EG-Recht bis dahin nicht geändert ist. Das wiederum würde, da unser Automobilexportüberschuß im Verhältnis zu Frankreich 4,7 Milliarden und im Verhältnis zu Italien 3,7 Milliarden DM beträgt, bedeuten, daß wir mit einem Betrag von acht Milliarden DM auf der Strecke blieben. Offenbar hat der frühere Verkehrsminister Hauff von diesen Problemen noch nie in seinem Leben gehört, wie sein ungläubiges Gesicht gerade zeigt. Das ist wirklich unglaublich.
Unsere Luftreinhaltepolitik bedeutet eine enorme Belastung der nationalen Volkswirtschaft. Aber das ist unvermeidlich. Denn für die drastisch zuneh-
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2026 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Oktober 1983
Bundesminister Dr. Zimmermannmenden Waldschäden, die Gesundheitsgefährdungen besonders in den Ballungsgebieten, die Bedrohung von Böden und Gewässern, die Schädigung von Denkmälern, für das alles muß die Belastung durch Luftschadstoffe jeder Art verantwortlich gemacht werden. Weil das so ist und weil das Umweltbewußtsein gottlob enorm wächst, hoffen wir auf eine europäische Lösung.Lassen Sie mich vier wichtige Feststellungen treffen. Durch die Einführung der neuen Grenzwerte wird sofort eine Entspannung der Emissionssituation eingeleitet.
— Wollen Sie es vielleicht morgen einführen? Wie machen Sie das denn technisch von der Mineralölseite und der Automobilseite her?
— Ich habe Ihnen schon einmal gesagt, daß ich keine Frage beantworte, weil die Zeit knapp ist, und tue es auch jetzt.
— Vor Ihnen habe ich wirklich Angst, das sieht man mir auch an.
Der Katalysator ist eine alte und bewährte Technik. Eine Umstellung des Marktes der deutschen Automobilindustrie, die 4 Millionen Fahrzeuge pro Jahr produziert, auf eine weittragende neue Technik dieser Art ist ein Kraftakt und eine Jahrhundertentscheidung; da kann man doch nicht so blind und so blauäugig sein, so zu tun, als könnte man das alles morgen ohne jede Rücksicht auf die Volkswirtschaft machen.
Wir wissen mittlerweile, daß der Katalysator lange Laufzeiten verträgt. Wir wissen, daß die Behauptungen falsch sind, er würde unter deutschen Bedingungen nicht existieren können. Alle diese Techniken sind unproblematisch. Wir werden auch beim Diesel dafür sorgen, daß das Notwendige geschieht.
— Wenn es nach Ihnen ginge, vorgestern. Aber vorgestern waren wir noch nicht an der Regierung.Die Gespräche der Bundesregierung mit der Mineralölindustrie zielen darauf ab, Benzin der geforderten Art und Qualität zum richtigen Zeitpunkt zur Verfügung zu stellen, und das wird nach einer gewissen Übergangszeit möglich sein.Ein Teil der nach diesem Stichtag im Verkehr befindlichen Kfz-Flotte wird mit verbleitem Benzin fahren. Es werden steuerliche Maßnahmen nötig sein, um nicht 1984/85 in der Automobilindustrieeinen weiteren Boom hervorzurufen und dann 1986 und in den folgenden Jahren einen dramatischen Einbruch in dieser wichtigen Branche zu haben.
Dieser Problematik ist sich die Bundesregierung voll bewußt.Mineralölindustrie und Automobilindustrie ziehen mit. Sie werden noch in diesem Monat ihr abgestimmtes Konzept zur Einführung bleifreien Benzins vorlegen. Auf dieser Grundlage werden die Qualitätsbereiche, d. h. die Oktanzahlen, für bleifreies Benzin festgelegt werden. Wir bevorzugen Lösungen, die Normal- und bleifreies Superbenzin anbieten. Wir sehen aus anderen Staaten, daß wir hier an Oktanzahlen herankommen können, die heute für verbleites Superbenzin vorhanden sind. Oktanzahlen, die etwas darunterliegen — 96, 97 — sind schon im Gespräch. Das würde nach unserer Auffassung auch technisch reichen.
Es ist eine umweltpolitische Selbstverständlichkeit, daß das Schwermetall Blei nicht durch einen anderen Schadstoff ersetzt werden darf.Die Verfügbarkeit bleifreien Bezins muß aber auch in den Nachbarländern sichergestellt werden. Ich gehe davon aus, daß wir in der Europäischen Gemeinschaft zu einer gemeinsamen Regelung finden. Auch andere Nachbarstaaten haben ihre Absicht bereits bekundet, bleifreies Benzin einzuführen. Ich habe bei meinem Besuch in Jugoslawien meinen dortigen Amtskollegen darauf hingewiesen, was der Tourismus dort erwarten müsse, wenn man nicht in der Lage wäre, ab 1986 bleifreies Benzin auch in einem Ostblockland einzuführen. Dort ist man sich dieser Problematik durchaus bewußt.Unser Ziel ist es, mit allen europäischen Regierungen und mit unserer Parole „Bleifrei in die Zukunft" voranzukommen. Die Initiativen, die wir im Rahmen des Exekutivvorgangs der ECE-Luftreinhaltekonvention ergreifen, zu deren Vertragsstaaten auch die östlichen Nachbarn gehören, machen uns zuversichtlich.Ich bin mir bewußt, daß die Bundesregierung mit der von ihr beschlossenen Einführung von bleifreiem Benzin und des umweltfreundlichen Autos von allen Beteiligten große Anstrengungen verlangt sowie vom Bürger höhere Kosten. Es ist jedoch meine feste Überzeugung, daß wir alle — Staat, Wirtschaft und Verbraucher — gemeinsam diesen großen Schritt wagen müssen, wenn wir unserer Verantwortung für die Erhaltung der Umwelt gerecht werden wollen. Ich appelliere an unsere Partner in der EG, aber auch an alle anderen Nachbarstaaten in West und Ost, diesen schwierigen, notwendigen und unverzichtbaren Weg mitzugehen. Ich bedanke mich, daß in den entscheidenden Fragen — diese Überzeugung habe ich — im Deutschen Bundestag Einigkeit besteht.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Oktober 1983 2027
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.
— Verzeihung. Ich habe eben abgelöst. Es wurde mir gesagt, daß wir zum nächsten Tagesordnungspunkt übergehen. Dann bin ich falsch informiert worden.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Lennartz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Sprecher der Rechtskoalition, Herr Hanz, sowie der Herr Innenminister, die meinten, ihre Rede mit der Erklärung schmücken zu müssen, daß sie keine Vergangenheitsbewältigung betreiben wollten, haben gesagt: Die Regierung SPD/FDP war seit 16 Jahren im Amt — wo sind deren Maßnahmen geblieben? Ich frage Sie, Herr Hanz: Wo waren Sie in den letzten 16 Jahren? Sie haben doch hier vorne gesessen.
— Es ist auch Aufgabe der Opposition — und Ihre als Mitglied des Verkehrsausschusses —, wenn sie erkennt, daß hier gravierende Umweltprobleme entstehen, entsprechende Gesetzentwürfe vorzubereiten und vorzulegen.
Dort haben Sie versagt.
Ich kann mich erinnern, daß der jetzige Innenminister bereits damals Mitglied dieses Parlaments gewesen ist. Sie sprechen den damaligen Verkehrsminister Hauff an. Wenn Sie redlich sind, hätten Sie den richtigen Adressaten ansprechen müssen, nämlich den oder die damaligen Innenminister — ich kann mich noch an die Namen erinnern —, auch wenn es heute Ihre Koalitionspartner sind.
— Entschuldigen Sie bitte, heute hat der Innenminister hier die Rede gehalten. Demzufolge ist es logisch, daß auch in der Vergangenheit das Innenministerium dafür zuständig war.
Ich bitte Sie: Sprechen Sie einmal mit dem Herrn Kollegen Baum.Meine Damen und Herren, als ich mir die Unterlagen aus der Entstehungszeit des ersten Benzinbleigesetzes ansah, kamen mir manche Töne der vergangenen Wochen und Monate sehr bekannt vor. Die Mineralölwirtschaft klagt, nicht ausreichend unverbleiten Kraftstoff in beiden Qualitäten zur Verfügung stellen zu können. Die Automobilindustrie will noch mehrere Jahre Zeit, um die angeblich veraltete Katalysatortechnik ablösen zu können. Seinerzeit, im Jahre 1975/76, hat sie verhindert,daß Benzin völlig bleifrei wurde. Heute beklagt sie, daß wegen des von ihr durchgesetzten Bleizusatzes nicht mehr für die Abgasreduzierung getan werden kann. Die Bundesregierung verfaßt Absichtserklärungen, nennt Daten, Techniken, widerruft, verbreitet Appelle und verändert sie wieder.Für den Umweltschutz sind sie alle in diesem Parlament und außerhalb des Parlaments, nur dürfen wirtschaftliche Interessen von keinem angerührt werden. So gleichen sich die Bilder der Jahre 1971 bis 1983.Auch damals standen wir angeblich kurz vor dem Weltuntergang, als die Bleiwerte reduziert werden sollten. Als das Gesetz dann verabschiedet war, krähte kein Hahn mehr nach den angeblichen Unmöglichkeiten.Der Unterschied zu heute: Wir haben in Anbetracht der Umweltkatastrophe, die auf uns zukommt, keine Zeit mehr. Doch gerade die Bundesregierung hat sich in den vergangenen Monaten so verhalten, als ob der Faktor Zeit überhaupt keine Rolle spiele.Aus der gestrigen Kabinettssitzung wurde ein Ergebnis verkündet. Bitte, meine Damen und Herren, seien Sie objektiv. Dieses Ergebnis hätten wir schon vor Monaten verabschieden können. Das, was gestern verkündet worden ist, hätten wir bereits im April 1983 haben können.
Aber nicht nur die Bundesregierung hat durch ihre widersprüchlichen Aussagen die Automobilindustrie, Mineralölwirtschaft und Bürger verunsichert.Herr Kollege Baum, ich habe mir Ihre Rede vom 15. September und die Presseerklärungen zu der gesamten Problematik angesehen. Ich muß sie jetzt einmal ansprechen. Der Kollege Baum hat heute morgen wiederum für die FDP die Forderung wiederholt, halbjährlich Autoabgaskontrollen durchzuführen, die den Schadstoffausstoß angeblich um bis zu 50 % senken sollen. So Ihre Formulierung.Ich sage Ihnen ohne Umschweife, Herr Kollege Baum: Dieser Vorschlag ist reif für den Papierkorb.Erstens. Gerade die Stickoxidemissionen, die durch die Bildung von Salpetersäure an der Ausbildung des sauren Regens beteiligt sind, können selbst bei optimaler Motoreinstellung nur um ± 5beeinflußt werden.
— Ich komme dazu. Herr Baum, es geht doch hier um die Stickoxide. Von 1970 an haben sich die Werte um über 500 000 Tonnen auf 1,3 Millionen Tonnen erhöht.
— Herr Baum, die sogenannten optimal eingestellten Motoren und die sogenannte optimale Fahrweise erhöhen den Ausstoß an Stickoxiden sogar noch.
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2028 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Oktober 1983
LennartzZweitens. Die Reduzierung der Schadstoffwerte hält maximal nur für ca. vier Wochen an, so daß die angestrebte Zahl von 30 % weniger Schadstoffen nur einen theoretischen Bestwert für die Dauer von vier Wochen darstellt.Drittens. Die derzeit durchgeführte jährliche Abgasuntersuchung der Technischen Überwachungsvereine kontrolliert lediglich Kohlenmonoxid im Leerlauf.
Die Emissionen der Kohlenwasserstoffe und der Stickoxide werden überhaupt nicht geprüft.
— Achtung, Herr Baum, jetzt kommt es erst: Bei einer Prüfung der Kohlenwasserstoffe und der Stickoxide ist ein zeitaufwendiges Prüfverfahren notwendig, das mehr als einen Arbeitstag pro Fahrzeug erfordert.
— Das kommt noch.
Bei gegenwärtig 25 Millionen Kraftfahrzeugen wären nach dem Vorschlag der FDP 50 Millionen Messungen erforderlich, also 50 Millionen Arbeitstage im Jahr, die Neueinstellung in der Werkstatt und eine nochmalige Vorführung nicht eingerechnet. Herr Baum fordert demnach pro Werktag über 200 000 zusätzliche ganztägige TÜV-Vorführungen. Das ist eine aberwitzige Dimension.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Auf Grund der knappen Zeit: Nein.
Bitte sehr, das liegt bei Ihnen.
Der Aufwand an Zeit und Kosten für die Bürger sowie an Personal und Investitionen für die Überwachung steht also in keinem Verhältnis zum Nutzen.Herr Baum, nicht nur im Umweltbundesamt — da habe ich mich nämlich erkundigt; ich habe mir diese Zahlen durchgeben und bestätigen lassen schüttelt man über diesen Vorschlag des früheren Chefs nur noch den Kopf. Ich sage Ihnen sehr offen: Wenn der Kollege Möllemann schon einmal ab und zu einige Affen in die Welt setzt, so haben Sie schließlich noch einen Ruf — auch als ehemaliger Bundesinnenminister — zu verlieren.
Sie, verehrter Herr Kollege Baum, sollten also sehr vorsichtig sein, wenn Sie verkünden, mit dem TÜV den deutschen Wald retten zu wollen.Ich komme zu den GRÜNEN. Diese selbsternannten Erfinder des Umweltschutzes — ich darf diese Formulierung gebrauchen —, die Fraktion derGRÜNEN, haben zu einem erhöhten Verwirrspiel beigetragen. Zwar haben Sie mittlerweile ihren Gesetzentwurf zurückgezogen und einen Entwurf vorgelegt, der wenigstens im Lösungsvorschlag mit dem Gesetzestext zusammenpaßt — das haben Sie mittlerweile erkannt —, aber auch im neuen Entwurf wird gefordert, daß ab 1. Juli 1984 der Zusatz von Bleiverbindungen in Otto-Kraftstoffen generell unzulässig ist. Abgesehen einmal davon, ob Raffinerien in dieser Zeit eine komplette Umstellung technisch überhaupt leisten können: Mit diesem Gesetzentwurf fordern Sie, daß annähernd 15 Millionen Fahrzeuge mit Wirkung vom 1. Juli 1984 stillgelegt werden müssen, weil sie nicht auf den Betrieb mit bleifreiem Benzin umgestellt werden können. Lesen Sie einmal Ihren eigenen Gesetzentwurf! Den müssen Sie lesen.
— Zum Lesen gehört nicht nur das Aneinanderreihen von Buchstaben, sondern auch das Verstehen. Sie haben das, was sie formuliert haben, nicht verstanden.
Vor diesem Hintergrund kann man Ihren Gesetzentwurf nur als Schaueffekt zur Begeisterung der eigenen Basis bezeichnen.Die Zustimmung zum Antrag der SPD-Fraktion würde dem Durcheinander endgültig ein Ende bereiten. Sie würde der Beantwortung des gesamten Fragenkomplexes dienen und allen Betroffenen die so dringend erwarteten Zielvorgaben geben.Mit dem gestrigen Kabinettsbeschluß jedoch werden die Ungereimtheiten der vergangenen Monate buchstäblich in Blei gegossen. Herr Kollege Zimmermann, die notwendige Änderung der Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung soll später erfolgen. Wann? Welche Änderung? Die Entscheidungen über etwaige steuerliche Ermäßigungen für bleifreies Benzin bei gleichzeitiger Erhöhung der Benzinpreise für bleihaltiges Benzin sollen ebenso später erfolgen. Herr Kollege Zimmermann, wann wird das sein? Geschieht das kostenneutral?
— Wann ist es denn nach Ihrer Auffassung notwendig, Herr Kollege Zimmermann?In der Überlegung sind Erleichterungen bei der Kraftfahrzeugsteuer für umweltfreundliche Autos. Welche Erleichterungen Herr Kollege Zimmermann, und wann kommen sie? Wo setzen Sie die steuerlichen Präferenzen? In welcher Form sollen die unterschiedlichen Belastungen der verschiedenen Fahrzeugklassen aufgefangen werden? Bei einem Fahrzeugwert von zirka 12 000 DM müßten rund 10 % der Summe für die Abgastechnik aufgewendet werden, während die Fahrzeuge der höheren Klassen wesentlich günstiger wegkommen. Das heißt, wer einen Mercedes kauft, zahlt relativ weniger für die neue Technik als der Käufer eines Ford
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Oktober 1983 2029
LennartzFiesta. Wenn Sie über Erleichterungen bei der Kraftfahrzeugsteuer nachdenken, sollten Sie dafür sorgen, daß der Käufer eines Kleinwagens nicht mehr für den Umweltschutz bezahlen muß, weil der Kleinwagen weniger Schadstoffe ausstößt. Bei den Erleichterungen bei der Kraftfahrzeugsteuer gilt für uns dasselbe Prinzip wie bei der Steuervergünstigung für unverbleites Benzin: Das Aufkommen muß insgesamt unverändert bleiben.Wir alle wissen, meine Damen und Herren, wie wichtig der mittelständische Mineralölhandel für den Wettbewerb auf dem Treibstoffmarkt ist. Sie verlieren kein einziges Wort darüber, wie Sie sicherstellen wollen, daß der mittelständische Mineralölhandel bei der Umstellung auf bleifreies Benzin nicht von den Multis auf kaltem Wege vom Markt verdrängt wird.
Ist es Ihre erklärte Absicht, das auszuschweigen? Hier wollen wir notfalls durch ordnungspolitische Maßnahmen eingreifen, und hier verweise ich ausdrücklich auf unseren Antrag. Ich frage Sie: Sind Sie bereit, wie im Jahre 1971 und 1975 durch halbjährliche Berichte zur Entwicklung des Treibstoffmarktes zur Sicherung des Wettbewerbs in dieser Branche beizutragen? Auch diese Antwort erwarten wir von Ihnen, Herr Kollege Zimmermann.
Aber der Innenminister hat gehandelt: Kabinettsbeschluß. Was hat das Kabinett beschlossen? Ich zitiere: „Die EG-Kommission in Brüssel wird ersucht," — ich betone: ersucht! — „bis zum 15. April 1984 einen Entscheidungsvorschlag zur EG-weiten Einführung des bleifreien Benzins vorzulegen." Sind Sie etwa so naiv, zu glauben, Herr Innenminister, daß die auch in dieser Frage völlig zerstrittene Europäische Gemeinschaft im April 1984 eine einvernehmliche Lösung vorschlagen wird oder eine Entscheidung treffen wird, damit mit Wirkung vom 1. Januar 1986 europaweit die Abgasgrenzwerte eingehalten werden? Oder, Herr Kollege Zimmermann, lösen Sie, indem Sie die Verantwortung auf die EG abschieben, das Versprechen gegenüber der Industrie vom Juli dieses Jahres ein: Das neue Benzin wird nicht im nationalen Alleingang eingeführt, was in der „Zeit" vom 27. Juli 1983 nachzulesen ist? Sie nehmen mit Ihrem Kabinettsbeschluß billigend in Kauf, unter genauer Kenntnis der Lage in der Europäischen Gemeinschaft, unter genauer Kenntnis des erbitterten Widerstandes aus Frankreich und Italien, daß es bis zum Stichtag 1. Januar 1986 nicht zu einer einheitlichen EG-Regelung kommen wird.
Herr Kollege Zimmermann, was Sie soeben hier formuliert haben, hat Sie entlarvt.
Sie haben deutlich darauf hingewiesen, daß Sie mitdiesen Beschränkungen rechnen. Ich sage Ihnen,Herr Kollege Zimmermann: Mit diesem Kabinettsbeschluß vertuschen Sie, daß Sie eine Stufenlösung anstreben, wie sie bereits am 15. September 1983 von dieser Stelle von Herrn Späth und auch von Herrn Baum vorgeschlagen worden ist. Ihre Passagen waren fast deckungsgleich: amerikanische Werte festlegen und parallel untersuchen, welche technischen Verfahren angewandt werden können. Im Hinterkopf haben Sie die sogenannten Magergemischmotoren, die von einigen Automobilherstellern favorisiert werden. Ich kann mich an das Gespräch erinnern, das Herr Kollege Zimmermann mit einem großen Automobilkonzern hier in der Nähe geführt hat. Dort liegt die Präferenz auf diesem Gebiet, und das sollten Sie hier in aller Deutlichkeit erklären. Sie wissen aber sehr wohl, daß diese Entwicklung noch mehrere Jahre auf sich warten läßt, und so lange können wir in diesem Bereich nicht warten.Der Stichtag 1. Januar 1986 ist, so gesehen, nur eine Beruhigungspille für die breite Öffentlichkeit, ohne daß sich auf dem Umweltsektor etwas bewegen wird. Die Schweiz, Österreich und die skandinavischen Länder und auch Griechenland haben Ihnen, Herr Innenminister, bereits signalisiert, daß sie bereit sind, die Einführung bleifreien Benzins vom 1. Januar 1986 an mitzumachen. Sie, die Bundesregierung und wir müssen jetzt die Fakten setzen, damit die „bleifreie Koalition" in Europa noch größer wird. Die Bundesregierung sollte klar sagen: Wir führen bei uns vom 1. Januar 1986 an bleifreies Benzin ein, und von da an gelten auch die amerikanischen Abgasgrenzwerte. Alles andere, Appelle, Ersuchen, Aufforderungen und Absichtserklärungen, ermuntert doch nur die Gegner in der EG, ihren Widerstand noch zu verstärken.Meine Damen und Herren, natürlich wissen wir, daß grenzüberschreitende Probleme wie das Problem der Luftverschmutzung auch nur grenzüberschreitend gelöst werden können. Wir wissen auch, daß ein nationaler Alleingang gegen geltendes EG-Recht verstoßen würde und die Bundesrepublik bei einer Klage vor dem Europäischen Gerichtshof mit einer Verurteilung auf Zurücknahme der Maßnahme rechnen müßte. Herr Innenminister, dies nehmen wir bewußt in Kauf. Wir sollten dann nämlich sehr deutlich machen, daß es nicht um das wirtschaftliche Interesse geht. Wir sind daher bereit, bei einem Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof den Gesundheitsvorbehalt nach Art. 36 des EG- Vertrages vorzubringen; das ist unsere politische Position. Die Forderung nach bleifreiem Benzin ist keine Maßnahme zur Benachteiligung unserer EG-Partner im Wettbewerb, sondern eine Maßnahme zur Rettung unserer natürlichen Lebensgrundlagen und zur Rettung unserer Gesundheit — übrigens auch der Gesundheit unserer EG-Partner.Dieser Kabinettsbeschluß war kein Fortschritt, dieser Kabinettsbeschluß war ein Rückschritt. Meine Damen und Herren, im Umweltschutz darf es keinen Stillstand geben. Was Sie uns gestern vorgelegt haben, ist ein Stillstand im Umweltschutz,
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2030 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Oktober 1983
Lennartzaber auch ein Stillstand hinsichtlich der weiteren technologischen Entwicklung. — Schönen Dank.
Das Wort hat der Abgeordnete Hoffie.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte mich auf einige wenige Bemerkungen zum Antrag der GRÜNEN beschränken, der insbesondere auch in der öffentlichen Diskussion eine Rolle spielen muß.Die Forderung nach Tempo 100 auf Bundesautobahnen und nach Tempo 80 auf Landstraßen ist unausgegoren; sie ist eine Überreaktion auf Grund wissenschaftlich nicht ausreichend fundierter Behauptungen.
— Ja, Sie haben recht. — Das paßt natürlich ins ideologische Konzept der GRÜNEN und auch in das Konzept derjenigen Sozialdemokraten, die das Automobil seit eh und je verteufeln, weil sie der freien Wahl des Verkehrsmittels und einem Individualverkehr zu angemessenen Bedingungen ihre dirigistischen Maßnahmen entgegensetzen wollen.
In Ihrer Antragsbegründung heißt es, daß die Stickoxidemissionen mit dieser Geschwindigkeitsbegrenzung sofort um 13 % reduziert werden könnten.
Das sind zweifelhafte Berechnungen, weil sie unterstellen, daß alle Autofahrer auf der Autobahn heute mit der jeweiligen Höchstgeschwindigkeit fahren, die das Auto hergibt, daß also alle Autos auf Landstraßen heute ständig mit Tempo 100 durch die Gegend fahren. Aber die tatsächlichen Verhältnisse — das ist jedem klar, der sich damit beschäftigt —
sind anders. Wir haben heute auf Landstraßen in Wahrheit ein Durchschnittstempo von erheblich unter 80 km/h, die Sie fordern. Auf Autobahnen fährt nur ein kleiner Teil der Autofahrer eine Durchschnittsgeschwindigkeit von mehr als 100 km/h. Das erlebt jeder Autofahrer, wenn er einmal eine mittellange oder längere Strecke fährt; von daher diese Zweifelhaftigkeit.Aber das ist ja nur der eine Teil Ihrer Veranstaltung. Der andere ist der, daß Ihr Antrag in höchstem Maße unsozial sein muß. Denn die Neuwagen ab Januar 1986, die dann bleifrei fahren können, die Katalysatoren eingebaut haben werden, weil das angesichts der zugrunde gelegten Grenzwerte technologisch heute nicht anders zu lösen ist, brauchen dann keine Geschwindigkeitsbegrenzung, weil ein Mehr an Abgasreinigung bei diesen Neufahrzeugen durch Temporeduzierung gar nicht möglich sein wird. Das heißt dann im Ergebnis, meine Damen und Herren: Diejenigen, die sich dann einen neuen, einen umweltfreundlichen Wagen nicht leisten können — die Studenten, die sozial Schwachen, diejenigen, die Autos fahren müssen, die fünf, sechs oder sieben Jahre alt sind —, werden dann damit bestraft, daß sie Tempobegrenzungen hinnehmen müssen, während sich diejenigen, die Geld haben, das neue, umweltfreundliche Fahrzeug kaufen und damit auch eine höhere Geschwindigkeit erkaufen können.
Meine Damen und Herren, das ist ähnlich unsozial
wie die Forderung des baden-württembergischen Ministerpräsidenten Späth, der jetzt vorgeschlagen hat, man solle die älteren Autos am besten gleich aus dem Verkehr ziehen. Das ist in der Konsequenz nichts anderes.Tempobegrenzungen sind aber auch umweltfeindlich und energiefeindlich, wenn nämlich gerade hochverdichtende Fahrzeuge künftig im dritten Gang bei hohen Drehzahlen mehr Schadstoffe ausstoßen als heute bei angemessener Fahrweise im vierten oder im fünften Gang. Umweltfeindlich ist auch ein Stau- und Kriechverkehr dort, wo künftig — nach Antrag der GRÜNEN — Autos z. B. einen Bus nicht überholen können, der ja nach ihrer eigenen Vorstellung auf der Autobahn weiterhin 100 km/h fahren darf. Denn Sie beschränken ja auf 2,8 Tonnen, und heute darf der Bus 100 fahren, jedenfalls ein großer Teil der Busse. Sie würden dadurch verhindern, daß z. B. das Überholen eines Busses noch möglich ist. Dann wird man sehen, wie es aussieht, wenn auf Landstraßen Pkw am Ende in der Praxis Lkw-Tempo fahren sollen.Was Tempobegrenzungen für die Verkehrssicherheit bedeuten, wissen wir aus den Großversuchen aus der ersten Ölkrise, nämlich unter dem Strich überhaupt nichts. Was künftig an mehr Verkehrsgefährdung auf Landstraßen gerade bei Überholvorgängen und Schlangenverkehr
entstehen würde, ist noch gar nicht abzusehen.
Meine Damen und Herren von den GRÜNEN, wenn Sie mehr als 13 % Sofortwirkung bei Abgasminderung haben wollen, nicht nur bei den Stickoxiden, wenn Ihnen nicht nur die Gesundheit der Wälder am Herzen liegt, sondern auch die Gesundheit der Menschen,
dann müssen Sie — Herr Kollege Lennartz, das sage ich besonders an Ihre Adresse — sich dem FDP-Vorschlag anschließen, zweimal jährlich eine Abgasprüfung vorzusehen,
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Oktober 1983 2031
Hoffieweil Sie damit die Gesundheit der Menschen unmittelbar berühren, weil Sie damit 30 % schädliche Abgase vermeiden, die die Gesundheit der Menschen beeinträchtigen. Auch darum geht es in dieser Debatte, doch nicht nur um die sterbenden Wälder.Wenn dann entgegengehalten wird, das bedeute, daß man Hunderttausende Male in Werkstätten muß, dann muß mir einer mal das Beispiel sagen, wo heute ein Autofahrer nicht mindestens zweimal im Jahr ohnehin zu Inspektionen oder Wartungen oder Reparaturen in die Werkstatt muß. Ein solcher Vorgang ist keine Tagesbeschäftigung. Ich habe das in der letzten Woche gerade an meinem Fahrzeug freiwillig überprüfen lassen. Das hat ganze 30 Minuten gedauert. Wer dazu auch als Verursacher seinen Beitrag nicht leisten will, eine halbe Stunde mehr hinzunehmen, wenn sowohl TÜV als auch mittelständisches Gewerbe diese Prüfungen zweimal im Jahr zusätzlich übernehmen können und sollen, bei dem ist das Umweltbewußtsein nur sehr schwach entwickelt.
Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit ist abgelaufen.
Letzter Satz! Versuchen Sie also bitte nicht, auf dem Umweg jetzt über zweifelhafte Umweltschutzbegründungen Ihre autofeindlichen Ideologien durchzusetzen.
Die FDP begrüßt, daß wir in den Ausschüssen Gelegenheit haben werden, Ihren Tempoantrag zu diskutieren. Dann wird sich bei sachlicher Auseinandersetzung zeigen: Er zielt ins Leere, und da gehört er auch hin, umweltpolitisch, sozialpolitisch, aber vor allem auch wettbewerbs- und energiepolitisch.
Herzlichen Dank.
Das Wort hat der Abgeordnete Schmidbauer.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der vorliegende Antrag der SPD-Fraktion zielt in die richtige Richtung, und wir begrüßen dies. Die CDU/CSU-Fraktion hat mit ihrem Entschließungsantrag vom 14. September 1983 bereits klargemacht, wohin der Weg gehen muß.Lassen Sie mich kurz versuchen, unsere Position darzustellen. Wir wollen, daß es zu einer wirksamen Abgasentgiftung unserer Kraftfahrzeuge kommt. Wir wollen, daß die Schadstoffmengen in der Luft merklich reduziert werden. Emissionsmindernde Maßnahmen sollen nicht nur bei Benzinmotoren greifen, sondern auch bei Dieselmotoren ist darauf hinzuwirken, daß karzinogene Stoffe in der Luft merklich reduziert werden. Selbst wenn die SPD in ihrem Antrag dies nicht für den Dieselmotor verlangt hat, gehen wir davon aus, daß es hier zu einem gemeinsamen Vorgehen kommt.Wir sind uns bewußt, daß wir mit unseren Vorschlägen, was die zeitliche Abfolge sowie die wirtschaftlichen und technischen Möglichkeiten anlangt, bis an die Grenzen des Machbaren gegangen sind. Expertenmeinungen, die Diskussion auch im Zusammenhang mit der Automobilausstellung und die in- und ausländische Presse haben dies nachdrücklich unterstrichen.Damit wirksame Maßnahmen zur Abgasentgiftung für Neuwagen bereits ab 1. Januar 1986 greifen, müssen möglichst bis zum Frühjahr 1984 dem Deutschen Bundestag die notwendigen Gesetzesänderungen vorliegen. Bleifreies Benzin ist die Voraussetzung für eine wirksame Abgasreinigung. Dies ist ein weiterer Schritt zur sauberen Luft. Es ist deshalb sicherzustellen, daß ein ausreichendes Angebot bleifreien Benzins bis zum 1. Januar 1986 vorhanden ist, und zwar als Normal- und als Superbenzin.
Mit der Einführung des bleifreien Benzins machen wir unsere Entschlossenheit deutlich, in der Folge die Schadstoffbelastung unserer Luft nachhaltig zu verringern. Es gilt, Schadstoffe wie Schwefeldioxid, Stickoxide, Kohlenwasserstoffe und Schwermetalle an der Quelle zu beseitigen. 850 000 t Kohlenwasserstoff pro Jahr, 1,5 Millionen t Stickoxide pro Jahr aus unseren Auspuffrohren sind zuviel, meine Damen und Herren.
Während bei einigen Schadstoffen die Belastung leicht zurückgegangen ist, ist bei den Stickoxiden eine stetige Zunahme zu verzeichnen. Wer den Schadensverlauf in unseren Wäldern, wer die Gefährdung unserer Gesundheit nicht nur beklagen will, der ist aufgerufen, hier anzusetzen und das Problem der Abgasentgiftung unserer Kraftfahrzeuge wirkungsvoll mit uns anzugehen.
Blinder Aktionismus schadet. Das sage ich an die Adresse derer, die meinen, aus einem Hearing kurzfristige Anträge formulieren zu müssen.
— Ich sage ja: Utopisch geht es nicht. Es muß eine realistische Politik betrieben werden.
Neben dem Stickoxid geht es auch um das Schwermetall Blei, das mit jährlich 3 500 t aus Kfz-Abgasen eine überaus große Belastung darstellt. Bleifreies Benzin löst dieses Problem.Weitere kanzerogene Stoffe wie Dichlorethan und Dibromethan können ebenfalls sofort reduziert werden.Nicht ganz so einfach stellt sich die Situation beim Benzol dar; denn dieser Stoff, der in unserer Umwelt zur Zeit mit 50 000 t vorkommt, belastet die Umwelt. Im übrigen ist er auch als Zusatz im amerikanischen bleifreien Benzin enthalten. Wir begrüßen den Vorschlag der Bundesregierung, das Ben-
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2032 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Oktober 1983
Schmidbauerzol auf fünf Volumenprozent zu begrenzen. Dies ist in diesem Zusammenhang ein wichtiger Beitrag.
— So ist es.Die Einführung bleifreien Benzins — und das sollte heute deutlich gesagt werden — wirft auch noch einige Fragen und Probleme auf, die einer Klärung bedürfen, z. B. die Qualitätsnorm, z. B. die Toxizität der neuen Zusatzstoffe.Die Festlegung der zu fordernden Abgasgrenzwerte ist der entscheidende Punkt für die vorgesehenen Regelungen.Das Bundeskabinett hat auf der gestrigen Sitzung — das ist außerordentlich zu begrüßen — in Anlehnung an die amerikanischen Bestimmungen die Grenzwerte so festgelegt, daß dies zu einer etwa 90%igen Reduzierung der Schadstoffe führt.
Damit wird erfüllt, was wir uns im Entschließungsantrag vorgenommen haben: im Interesse einer raschen Realisierung der Schadstoffminderung der Auto- und Mineralölindustrie Werte an die Hand zu geben, die es ermöglichen, die notwendigen Entwicklungs- und Umstellungsarbeiten umgehend aufzunehmen, um die vorgesehenen Grenzwerte bis spätestens 1986 erfüllen zu können.Wir denken nicht daran, meine Damen und Herren, eine bestimmte Technik — z. B. die des Dreiwegekatalysators — vorzuschreiben. Was wir wollen, sind Grenzwerte, die, mit welcher Technik auch immer, eingehalten werden.
Eine rasch wirksame Reduzierung der Schadstoffe in unserer Luft tut not, d. h. die Übergangszeit, bis alle Kraftfahrzeuge umgestellt sind, ist auf ein Mindestmaß zu verkürzen. Die Umstellung auf bleifreies Benzin muß zügig vonstatten gehen. Bei einem Altbestand an Pkw von heute über 25 Millionen — mit zunehmender Tendenz — wird die Situation deutlich, um die es geht. Wir müssen die Übergangszeiten kurz halten.Um dieses Ziel zu erreichen, ist es notwendig, folgende Fragen zu prüfen und zu klären.Erstens. Inwieweit kann durch steuerliche Maßnahmen eine schnelle Umstellung von Altfahrzeugen erreicht werden?Zweitens. Ist es möglich — wir haben uns ja bereits mehrfach dafür ausgesprochen —, die Schere zwischen verbleitem und bleifreiem Benzin zu öffnen, damit die Betreiber alter Fahrzeuge einen spürbaren Anreiz bekommen, nur umweltfreundliche Fahrzeuge und Treibstoffe zu nutzen? Es wäre auch zu prüfen, ob es Möglichkeiten einer teilweisen Umstellung vorhandener Fahrzeuge gibt. Das wirft aber naturgemäß auch im Hinblick auf die bisherige Entwicklung der Motoren große Schwierigkeiten auf.Drittens: Einführung differenzierender Besteuerung für umweltbelastende und abgasentgiftendeAutos. Nicht zu vergessen ist, daß die Abgaswirkungsforschung verstärkt werden muß.Hinzu kommt, daß im Zuge der Bereitstellung bleifreier und herkömmlicher Benzinqualitäten die Wettbewerbssituation zu beachten ist, d. h. daß wir auch im Hinblick auf unsere freien Tankstellen mit maximal vier Zapfsäulen auskommen sollten und daß ab dem Jahre 1986 eventuell nur verbleites Superbenzin für alle bleizusatzbenötigenden Kraftfahrzeuge bereitgestellt wird. Über Investitionsanreize, über Investitionshilfen ist ebenfalls in den Ausschüssen zu diskutieren.Wir haben mit unseren vorgeschlagenen Maßnahmen eine Schrittmacherrolle in Europa übernommen. Es muß nun alles versucht werden, um zu erreichen, daß sich die anderen EG-Partner unseren Vorschlägen anschließen; denn nur durch grenzüberschreitendes Vorgehen kann eine wirksame Abgas- und Schadstoffreduzierung erreicht werden.Nationale Alleingänge haben zwangsweise nur eine begrenzte Wirkung. Auf Grund der von der Bundesregierung geführten Gespräche können wir feststellen, daß viele unserer Partner bereits Zustimmung signalisiert haben. Hinsichtlich dieser Gespräche und Ergebnisse haben Sie, Herr Bundesinnenminister, ein großes Verdienst.
Wir appellieren an die Bereitschaft von Automobilindustrie, Mineralölwirtschaft und Verbrauchern, unsere Bemühungen zur Einführung von bleifreiem Benzin zu unterstützen, damit die gesteckten Ziele durch ein gemeinsames Handeln erreicht werden können. Die CDU/CSU-Fraktion hat sich in die Pflicht genommen. Wir sind bereit, die gesetzgeberische Verantwortung für unsere Umwelt wahrzunehmen, zumal wir wissen, daß auch unsere Mitbürger diese Maßnahmen mittragen und bereit sind, für den Umweltschutz Opfer zu bringen.Die CDU/CSU-Fraktion stimmt der Überweisung an die vorgesehenen Ausschüsse zu. — Ich danke Ihnen.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.Auf Grund einer interfraktionellen Vereinbarung sollen die beiden Anträge auf den Drucksachen 10/ 469 und 10/536 abweichend von dem Überweisungsvorschlag des Ältestenrates überwiesen werden zur federführenden Beratung an den Innenausschuß und zur Mitberatung an den Ausschuß für Verkehr, den Finanzausschuß, den Ausschuß für Wirtschaft und den Haushaltsausschuß. Sind Sie mit den vorgeschlagenen Überweisungen einverstanden?
— Es ist interfraktionell so vereinbart worden, wie ich es eben vorgetragen habe. Erhebt sich gegen diesen Überweisungsvorschlag Widerspruch? — Das ist nicht der Fall. Dann ist so beschlossen.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Oktober 1983 2033
Vizepräsident WurbsIch rufe Punkt 6 der Tagesordnung auf:Beratung des Antrags der Fraktion der SPD Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen— Drucksache 10/197 —Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die Aussprache 90 Minuten vorgesehen. — Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.Wird das Wort zur Begründung gewünscht? — Das ist nicht der Fall.Dann eröffne ich die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Grunenberg.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist Pflicht der Opposition, die Regierung zu ermahnen, wenn von ihr nationale Interessen vernachlässigt werden. Wir Sozialdemokraten müssen der Regierung in der Frage der Zeichnung der Seerechtskonvention Entschlußlosigkeit, ja Hilflosigkeit vorwerfen.Bereits kurz nachdem die Seerechtskonvention im Dezember 1982 zur Zeichnung aufgelegt und spontan von 120 der rund 160 Teilnehmerstaaten der Seerechtskonferenz unterzeichnet wurde, schrieb der, der zu Ihnen spricht, einen Brief an den Herrn Bundeskanzler mit der dringenden Aufforderung, Vorbehalte gegen eine Zeichnung der Konvention aufzugeben, um den vitalen maritimen Interessen der Bundesrepublik gerecht zu werden.
Ende Februar 1983 antwortete Staatsminister Jenninger im Namen des Kanzlers. Er schreibt u. a.:Das Bundeskabinett hat sich in seiner Sitzung vom 8. Dezember 1982 ausführlich mit den von Ihnen aufgeworfenen Problemen befaßt und beschlossen, die noch offenen Fragen zunächst im bilateralen Gespräch mit unseren wichtigen Partnern zu behandeln sowie die Möglichkeit von Alternativen für den Meeresbergbau zu untersuchen.In einem weiteren Abschnitt heißt es:Die Zeichnung der Konvention werden wir nicht überstürzen, zumal hierfür ein Zeitraum von zwei Jahren vorgesehen ist.
Es muß unser Ziel sein, in enger Abstimmung mit unseren wichtigsten Partnern eine Entscheidung zu fällen, die auch für die Zukunft gilt.In einem späteren Brief an Hamburgs Bürgermeister von Dohnanyi gebraucht der Kanzler ebenfalls die Begriffe „wichtige" und „wichtigste" Partner. In Beantwortung einer Frage meines Kollegen Dr. Klejdzinski in der Fragestunde vom 15. September 1983 stellt Staatssekretär Dr. Probst lapidar fest, daß unter Berücksichtigung der Haltung derEG-Staaten und der „wichtigsten" Partnerstaaten im Tiefseebergbau weiter geprüft werde.Nun fragt man sich, was wichtige und wichtigste Partnerstaaten sind. Sind das die in der Resolution II zur Konvention genannten elf Pionierinvestoren? Davon haben sechs die Konvention gezeichnet: Frankreich, Indien, Japan, Sowjetunion, Kanada und die Niederlande. Sind es die vier Pionierinvestoren des Konsortiums, an dem deutsche Firmen beteiligt sind? Japan und Kanada haben gezeichnet, die USA und wir nicht. Oder sind mit „wichtigen" oder „wichtigsten" Staaten die USA und die europäischen Tiefseebergbaustaaten gemeint, die nicht gezeichnet haben? Wenn das so wäre, sind Frankreich und die Niederlande als Zeichnerstaaten demnach weniger wichtig oder unwichtig?Meine Damen und Herren, die Einstufung in „wichtige" und „wichtigste" Partnerstaaten führt nur zu außenpolitischen Peinlichkeiten, aber nicht zu sachbezogenen Ergebnissen.
— Ich schätze, daß Frankreich ein wichtiger Partner ist.
Die Bundesregierung prüft und prüft schon ein Jahr ergebnislos. Auch der Kanzler kann sich zu keinem Entschluß durchringen, weil sich ein Minister, Graf Lambsdorff, aus ordnungspolitischen Gesichtspunkten — was immer das sein mag — querlegt. Ausgerechnet gegen den Teil der Konvention zieht er zu Felde, über welchen die Verhandlungen noch nicht abgeschlossen und in dem somit Korrekturen in der Vorbereitungskommission möglich sind. Das ist in der Öffentlichkeit bisher ja wohl nicht ganz so gesehen worden.Diese Kommission hat sich konstituiert, hat in diesem Jahr bereits zweimal getagt, ihren Vorsitzenden gewählt, sich eine Verfahrensordnung gegeben, ein 15köpfiges Präsidium benannt, in dem so „unwichtige" — wie peinlich — Staaten wie Australien, Brasilien, Chile, China, Frankreich, Indien, Japan und die Sowjetunion vertreten sind.
Sie hat vier Sonderkommissionen, sprich: Unterausschüsse eingesetzt und deren Vorsitzende und Stellvertreter gewählt sowie die Zuständigkeiten des Plenums und der Unterausschüsse festgelegt. Arbeitsthemen sind: Errichtung der Internationalen Meeresbodenbehörde und des Internationalen Seerechtsgerichtshofes. Hauptaufgabe ist u. a. die Erarbeitung einer Tiefseebergbauordnung.Mit Beobachterstatus haben wir nur Zugang zu den Sitzungen der Unterausschüsse — das ist in Regel 10 Abs. 3 nachzulesen —; die Teilnahme an Entscheidungsfindungen der Kommission ist so wenig möglich wie der Zugang zum Plenum, dem Hauptorgan der Kommission. Auch wenn die Bundesregierung an ihrer Verweigerungspolitik — ich sage besser: Aussteigepolitik — festhält, wird die
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2034 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Oktober 1983
GrunenbergVorbereitungskommission ihre Arbeit fortsetzen. Für 1984 sind zwei Sitzungen vorgesehen, im Frühjahr in Kingston, im Sommer in Genf oder in New York. Außerdem ist damit zu rechnen, daß Ende 1984, Anfang 1985 wenigstens 60 Ratifikationen vorliegen werden, die Konvention somit 1985/86 in Kraft treten wird. Das heißt dann nicht mehr: zeichnen und mitarbeiten, sondern schlucken und ratifizieren oder sich außerhalb der Völkergemeinschaft bewegen.Oder glaubt man in der Bundesregierung, wenn auch im Windschatten der westlichen Führungsmacht, des maritimen Riesen USA, 80 % der Staaten der Welt einschließlich der Staaten des Ostblocks daran zu hindern, eine internationale Bergordnung für den Tiefseebergbau samt Streitbeilegungsvorschriften zu erarbeiten und anzuwenden? Wenn wir dann noch auf einen Minivertrag setzen, begeben wir uns auf ein gefährliches Glatteis. Schließlich sind in den neun Jahren der Dauer der Seerechtskonferenz auch mit unserem Wissen gerade US-Kompromißvorschläge in den Konventionstext eingearbeitet worden, die erst nach dem Regierungswechsel Carter/Reagan wieder verworfen wurden. Wer weiß, welche Position die USA nach der nächsten Präsidentschaftswahl zur Konvention einnehmen werden? Ich habe da meine Zweifel.Abgesehen davon: Die Seerechtskonvention ist trotz der Überprüfung des Textes durch die USA, des dann von den Amerikanern vorgelegten Green-books, der hektischen Kompromißversuche doch ohne US-Zustimmung zur Zeichnung aufgelegt worden.Meine Damen und Herren, die Seerechtskonvention ist insbesondere für die Staaten der Dritten Welt ein ernstzunehmendes Anliegen. Wenn man aber glaubt, dies ignorieren zu können, bringt uns diese Haltung in die Nähe des Rufes, die Staaten der Dritten Welt als Kaffee-, Zuckerrohr- oder Bananenrepubliken behandeln zu wollen.
— Ja, haben Sie nicht immer wieder gesagt: Treten wir nicht bei, zahlen wir nicht; dann kriegen sie kein Geld und können so etwas nicht weiter machen? So einfach ist das doch: Nehmen wir das Geld weg, und schon sind sie ruhig. Oder wie ist das?In meiner Heimatzeitung, der „Nordsee-Zeitung" vom 20. Oktober 1983, las ich von einem Vortrag des Parlamentarischen Staatssekretärs Dr. von Geldern vor dem Nautischen Verein Cuxhaven. Danach hält Dr. von Geldern eine 4. Seerechtskonferenz für erforderlich, um insbesondere über die geplanten Regelungen des Meeresbergbaus zu beraten.
Ich erlaube mir, das Regierungsmitglied Dr. von Geldern darüber aufzuklären, daß die Einberufung einer neuen Seerechtskonferenz zum einen einer Initiative in den Vereinten Nationen und zum anderen eines Beschlusses in der Generalversammlungmit mindestens Zweidrittelmehrheit bedürfte. Eine derartige Mehrheit ist wenigstens aus zwei Gründen nicht zu erhalten, weil zum einen 129 von 160 Staaten, dazu Namibia und Cook-Islands, inzwischen die Konvention gezeichnet haben und neun Ratifikationsurkunden bereits vorliegen und weil zum anderen die 3. Seerechtskonferenz erst dann ihr endgültiges Ende finden wird, wenn die Vorbereitungskommission ihre Arbeit abgeschlossen haben wird.
Wer soll, Herr Dr. von Geldern, so möchte ich auch noch einmal fragen, denn ein Unternehmen 4. Seerechtskonferenz eigentlich finanzieren? — Wenn derartig irreale Vorstellungen auf Staatssekretärsebene in der Bundesregierung vorherrschen, dann kann sich der Kanzler allerdings noch sehr lange um eine Entscheidung herumdrücken. Eine Entscheidungsreife, in den Ressorts einvernehmlich abgestimmte Kabinettsvorlage, wie er sie liebt, wird er in absehbarer Zeit so wohl nicht bekommen.Um bei dem Vortrag des Herrn von Geldern nach dem Zeitungsbericht zu bleiben: Ein weiterer Nachhilfeunterricht — wenn ich das einmal so sagen darf —: Nicht die 3. Seerechtskonferenz hat die 200Seemeilen-Wirtschaftszone erfunden, sondern verschiedene Konferenzen lateinamerikanischer Staaten. Chile hat 1945 die erste 200-Seemeilen-Zone proklamiert, und zwar mit Hoheitscharakter. Suchen Sie also den Grund für unsere Fischereiprobleme und -krise — das steht da auch drin — nicht nur in der Seerechtsentwicklung, sondern auch in Ihrem Hause.Seit 1976 hat der Ernährungsminister allein auf die Karte der EG gesetzt. Würde die heutige Bundesregierung anders handeln? Unsere Fischereiprobleme wären aber um so vorteilhafter für uns lösbar, wenn sie in einem Paket, einem Junktim, mit anderen Agrarfragen verschnürt würden. Haben Sie den Mut, Herr Dr. von Geldern, auch gegen die Agrarlobby ein derariges Paket zu schnüren! Ein Erfolg wird nicht ausbleiben. Der Vorgänger von Minister Kiechle hat diesen Mut nicht aufgebracht.Immerhin hat der Beginn der Schaffung des EG-Meeres, des „Blauen Europa", dazu geführt, daß seit 1977 die Ostblock-Fischer nicht mehr in EG-Gewässern gefischt haben. Das heißt, 600 000 t p. a. sind von denen nicht entnommen worden, was den EG-Fischern zugute kommt.Zurück zur Konvention: Es ist ein großer Quatsch, die Konvention nur unter dem Aspekt des Tiefseebergbaus zu betrachten. Dieser Teil ist nur einer von 17 Teilen der Konvention; er umfaßt nicht einmal 60 von 320 Artikeln. Denken Sie auch an den Teil 12 mit seinen 45 Artikeln betreffend „Schutz und Erhaltung der Meeresumwelt". Dies ist wesentlich die Handschrift der Bundesrepublik!
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Oktober 1983 2035
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Ertl? — Rechts!
Ja, bitte schön.
Herr Kollege Grunenberg, würden Sie uns vielleicht einen Widerspruch erläutern? Sie sagen, wir haben die Fischereilösung in der EG gesucht und dadurch die Sowjets sozusagen aus der Ostsee zurückgedrängt. Vorher haben Sie den Vorwurf erhoben, wir hätten ihn ausschließlich gesucht. Ich meine, Sie haben die Fakten nicht richtig erkannt.
Ich habe das letzte nicht ganz verstanden.
Vielleicht erklären Sie uns den Widerspruch! Sie haben doch gerade gesagt: Mit der EG ist es uns gelungen. Zuvor haben Sie gesagt: Wir haben auf die EG gesetzt. Natürlich haben wir auf die EG setzen müssen! Ich nehme an, daß dem Abgeordneten Grunenberg in der SPD-Fraktion genug Rechtskundeunterricht bezüglich der Römischen Verträge und der Verpflichtungen im Hinblick auf die Fischerei erteilt werden kann.
— Seinen Widerspruch soll er erläutern!
Herr Kollege Ertl, ich habe vom EG-Meer, vom „Blauen Europa", gesprochen und habe mich darauf — nicht auf die Ostsee und auf die Aufteilung der Ostsee in Zonen — bezogen. Das muß ich vielleicht ein bißchen korrigieren; vielleicht haben Sie es aber auch falsch verstanden.
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage?
Nein.Meine Damen und Herren, zurück zur Konvention: Ich halte es für einen großen Quatsch, die Konvention nur unter dem Aspekt des Tiefseebergbaus zu betrachten. Dies ist nur ein Teil von 17; keine 60 von 320 Artikeln.
Denken Sie auch an den Teil 12, der wesentlich die Handschrift der Bundesrepublik trägt.Wenn ich an das löbliche Unterfangen denke, eine Nordseeanrainer-Konferenz zur Verhinderung weiterer Verschmutzungen der Nordsee einzuberufen, so geht es überwiegend um Staaten, die die Konvention — also auch Teil 12 — gezeichnet haben. Wäre es da nicht leichter, die Konvention als politische Berufungsgrundlage auch gegenüber den Zeichnerstaaten DDR und CSSR, die weiter unbekümmert ihren Schmutz über Elbe und Weser in die Nordsee verfrachten,
zu handhaben? Dies trifft -auch für die Rheinanlieger zu.UN-Generalsekretär Perez de Cuellar sagte im Dezember vergangenen Jahres in Montego Bay, Jamaica, u. a. — ich habe nur eine deutsche Übersetzung —:Mit der Unterzeichnung der Schlußakte der III. Seerechtskonferenz der Vereinten Nationen und der Auflegung der Seerechtskonvention der Vereinten Nationen zur Zeichnung erreichen die vor 14 Jahren begonnenen Bemühungen um eine neue Rechtsordnung für die Meeresräume nun ihren Höhepunkt. Wir müssen nicht erst den Beginn des Ratifizierungsprozesses der Konvention abwarten, um zu bestätigen, daß das Völkerrecht nun — was die Meere angeht — unwiderruflich umgestaltet worden ist.Recht hat er, und unsere Schiffahrt, Fischerei, Bundesmarine, Meeresforschung, Meeresumweltschutz, unsere Entwicklungshilfe — der leider bis heute die nasse Flanke fehlt —, Meerestechnik, Luftfahrt, aber auch der zukünftige Tiefseebergbau brauchen den Schutz der Konvention zumindest als politische Berufungsgrundlage.Wie es der Zufall so will, steht unter „Panorama" im „Spiegel" vom 17. Oktober 1983,
daß Außenminister Genscher sich im Gegensatz zu seinem Parteifreund Graf Lambsdorff dafür stark machen will, der Seerechtskonvention beizutreten. Die genannten Gründe des Außenministers sind auch genau die, die uns Sozialdemokraten bewogen haben, diesen Antrag in den Bundestag einzubringen.
Bei dieser Gelegenheit Hut ab vor dem Außenminister,
der wenigstens Sinn für vorausschauende, zukunftsorientierte Technologie- und Industriepolitik maritimer Art entwickelt.Beim Wirtschaftsminister scheint dieser Sinn entweder schwach entwickelt oder verkümmert zu sein. Mit seinem ordnungspolitischen Veto gegen die Zeichnung der Konvention hat er der Bundesrepublik die Mitbestimmung in der Vorbereitungskommission und damit einen wesentlichen Teil maritimer Wirtschaftspolitik der Zukunft verbaut, weil er die Möglichkeiten internationaler Zusammenarbeit auf diesem Sektor einfach nicht durchschaut.Die Behandlung unseres Antrages auf Drucksache 10/197 in den zuständigen Ausschüssen des Bundestages soll die Prüfvorgänge in der Bundesregierung unterstützen und beschleunigen und dem Bundeskanzler eine Hilfe für eine staatsmännische Entscheidung an die Hand geben, ohne auf den Wirtschaftsgrafen Rücksicht nehmen zu müssen.
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2036 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Oktober 1983
GrunenbergEs gilt zu prüfen, ob die so häufig benutzte Formel des federführend zuständigen Bundesaußenministers vom gerechten Interessenausgleich zwischen den Industrieländern und den Ländern der Dritten Weit nicht nur eine Hohlformel ist. Es gilt auch zu prüfen, ob die Bundesregierung die Ausführungen unseres Herrn Bundespräsidenten vom 13. Oktober vor den Vereinten Nationen ernst nimmt, in denen er sagte:Hegemonialstreben und das Trachten nach Dominanz haben in dieser Welt keine Zukunft.Wir fordern den Bundeskanzler auf, wichtige zukunftsorientierte Entscheidungen nicht auf die Staatsekretärsebene zu verlagern. Er muß endlich den Knoten durchschlagen. Das Grundgesetz und die maritimen Interessen der Bundesrepublik stehen auf seiner Seite. — Ich bedanke mich.
Das Wort hat der Abgeordnete Kittelmann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe mit Interesse auf die Begründung der sozialdemokratischen Fraktion zu ihrem Antrag gewartet, weil ich annahm, die Zeit von der Einbringung am 22. Juni bis zum heutigen Tag hätte ausreichen können, um festzustellen, daß die Begründung wohl ein bißchen dünn ist, weil sie im wesentlichen mehr gegen die Zeichnung als für die Zeichnung spricht, und daß daher heute hier etwas nachgeschoben werden muß. Ich finde es gut, Herr Ewen, daß Sie beginnen, die Begründung noch mal nachzulesen, weil Sie ja als nächster Redner hier vielleicht etwas nachholen können.Betrachtet man die gewundene Argumentation, so kommt man zu dem Ergebnis: Auch die SPD ist der Meinung, daß die mit dirigistischen und protektionistischen Regelungen belastete Konvention über den Tiefseebergbau diese im wesentlichen nur überdecke und die positiven Elemente des Abkommens hier verdränge. Es wird also der Vorwurf artikuliert, daß man den Tiefseebergbau ungerechtfertigt überbetone. Diese Einstellung und die daraus resultierende Haltung der Bundesregierung hätten der Bundesrepublik Deutschland lediglich zu einem Beobachterstatus in der Vorbereitungskommission verholfen, der kein produktives und erfolgreiches Mitwirken an der Erörterung von Personal- und Sachfragen zuläßt.Was ist inzwischen geschehen? Ich habe angehört, was der Herr Grunenberg — ich darf das mal kurz anbringen — soeben alles im Hinblick auf die Entschlußlosigkeit und Hilflosigkeit der Bundesregierung gesagt hat. Daß wichtige und wichtigste Partner von ihm hier in einer Form nicht konkret und nachvollziehbar unterschieden werden können, zeigt, daß die sozialdemokratische Partei leider dabei ist, sich in dieser Frage von den deutschen Interessen abzukoppeln. Die Verweigerungstaktik, die hier von den Sozialdemokraten ihrerseits durchgeführt wird, kann auch nicht durch den dialektischen Versuch überschattet werden, der Bundesregierung die Verweigerung zu unterstellen. Alles, was derKollege Grunenberg gesagt hat, kann man mehr unter das Motto stellen: Dabeisein ist alles, egal, aus welchem Grund. Dies kann nicht und wird nicht die Politik der Bundesrepublik Deutschland sein.
Ich habe auch nicht herausgehört, Herr Grunenberg, wo die plötzliche Geschäftigkeit und Eile herkommen, es sei denn, die Gewissensbisse, die Sie bekommen haben, rechtfertigen eine Art Nachholbedarf im Seerecht. Denn verfolgt man die Interessen und die Beteiligung der SPD an der parlamentarischen Behandlung der Seerechtsproblematik seit 1974, so muß man feststellen, daß die SPD jahrelang die 3. Seerechtskonferenz als eine Art Unternehmen zweiter Klasse betrachtet hat und daß sie auf der einen Seite mit uns gemeinsam sehr gute Anträge verabschiedet hat und auf der anderen Seite ihre Regierung nicht unter den Druck gesetzt hat, der nötig war, um bessere Ergebnisse auf der Seerechtskonferenz zu erzielen. Nur ist es kontraproduktiv, die von der vorigen Regierung mitverantworteten Ergebnisse dieser Seerechtskonferenz jetzt der neuen Regierung anzulasten und zu sagen: Wir haben zwar nicht mehr erreicht; aber nun zeichnet mal recht schnell, damit wir das Ganze loswerden. Dies alles, Herr Grunenberg, und in dieser Form: Ohne uns!Wir werden der Überweisung an die Ausschüsse zustimmen. Dort werden wir uns sehr gründlich und detailliert über das unterhalten, was Sie hier u. a. gesagt haben.Insbesondere die CDU/CSU hat in den letzten Monaten und Jahren immer wieder zum Ausdruck gebracht, daß es speziell in dem wohl wichtigsten Bereich, Meeresbodennutzung, zu dirigistischen und bürokratischen Regelungen kommen könnte. Dies, meine Damen und Herren, ist eingetreten. Wir haben es somit nach wie vor mit einer unbefriedigenden Sachlage zu tun, die ein Festhalten an unseren gravierenden Bedenken über die generell antimarktwirtschaftlichen Tendenzen dieser Konvention rechtfertigt.Nach dem Abrücken der SPD von vielem, was sie früher gesagt und vertreten hat, wundert es uns nicht, daß sie auch im Bereich dieser weltwirtschaftlich und vor allen Dingen ordnungspolitisch bedeutsamen Thematik und Problematik frühere Positionen aufzugeben bereit ist und sich an Forderungen, die sie damals mit uns in Anträgen gemeinsam getragen hat, heute nicht mehr erinnert.Was ist von der SPD mit getragen worden? „Es geht um die Sicherung eines dauerhaften Zugangs zu den Meeresschätzen ohne Diskriminierung für alle interessierten Nationen" — das ist in der Konvention nicht gesichert. Es gilt: „Maßnahmen einer Meeresbodenbergbaubehörde oder anderer Kontrollinstanzen für die Gestaltung von Fördermengen und Preisen dürfen nicht zu unzumutbaren Nachteilen für Verbraucherländer, seien es Entwicklungsländer oder Industrieländer, führen" — das ist nicht gesichert. „Weder der Bundesrepublik Deutschland noch anderen Teilnehmerstaaten sind Lösungen zuzumuten, bei denen die finanziellen La-
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Oktober 1983 2037
Kittelmannsten nicht in angemessenem Verhältnis zum volkswirtschaftlichen Nutzen stehen" — genau das Gegenteil wird in der Konvention zum Ausdruck gebracht. Dies haben Sie einstimmig mit verabschiedet.Nun müssen Sie sich als Parlamentarier doch einmal fragen, wenn Sie jahrelang ein Ziel verfolgen und das Ziel ist nicht erreicht, ob es der Weisheit letzter Schluß ist, der Regierung dann vorzuwerfen, daß das, was die Parlamentarier gefordert haben, nicht erreicht worden ist, und anschließend aufzufordern, nun so schnell wie möglich die umstrittene Konvention zu zeichnen. Dies ist keine Politik, Herr Kollege Grunenberg.
Herr Abgeordneter Kittelmann, gestatten Sie eine Zwischenfage des Abgeordneten Grunenberg?
Selbstverständlich.
Herr Kollege Kittelmann, sind Sie der Meinung, daß das, was wir bisher beschlossen haben, eine Sache ist, und wir jetzt eine Zäsur haben und unter dem Strich die Summe betrachten müssen? Und zweitens: Meinen Sie, ob eine 4. Seerechtskonferenz, wie Ihr Kollege von Geldern im Nautischen Verein gefordert hat, sinnvoll ist, und glauben Sie, daß sie zu anderen Ergebnissen kommt?
Das ist weniger eine Frage des Glaubens als eine der Überzeugung.
Aber, Herr Kollege Grunenberg, ich kann Ihnen zusichern, daß, wenn Sie bereit sind, zur gemeinsamen Haltung zur Seerechtskonvention zurückzukehren und wir das gemeinsam vertreten, eine Chance besteht, hier mehr zu erreichen.
— Das ist die letzte Zwischenfrage, die ich zulasse.— Das sage ich zu dem, was Sie vorhin gesagt haben. Sie müssen die Kollegen, die sich in diesem Raum mit dieser Thematik nicht beschäftigen, dann etwas aufklären. Diese müssen wissen, daß die Vorbereitungskommission für substantielle Änderung der Konvention weder zuständig noch dazu bereit ist.Da es uns nicht gelungen ist, als Vollmitglied in den Verhandlungen mehr zu erreichen, ist es einfach — beinahe hätte ich ein Wort gebraucht, das in letzter Zeit üblich ist — illusorisch zu behaupten, daß uns die Mitgliedschaft in der Vorbereitungskommission mehr bringt. Dort sitzen wir der großen Übermacht der anderen gegenüber und haben keine Chance, konkret etwas zu ändern, weder von der Sache her noch vom Tatsächlichen.Sollten wir tatsächlich um einiger Vorteile willen, die nicht abzustreiten sind, das, was uns und anderen wichtigen Industriestaaten, die mit uns die gleichen „Bauchschmerzen" haben, als nicht anwendbar erscheint, akzeptieren und deshalb unsere nationale Interessenlage opfern?Die Bundesrepublik hat ihre Vorstellungen und ihre Positionen über das weitere Procedere in einer Antwort auf die Kleine Anfrage der GRÜNEN vom 23. September 1983 präzisiert. Sie hat darin zum Ausdruck gebracht, daß sie die Frage „Zeichnung oder Nichtzeichnung" unter Berücksichtigung der Haltung der EG-Mitgliedsländer und der wichtigsten Partnerstaaten im Tiefseebergbau sachgerecht prüfen müsse und werde. Dies erwarten wir von der Bundesregierung, aber ohne daß sie sich unter Zeitdruck setzten läßt.Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte nunmehr einige Argumente in die Diskussion einführen, von denen ich meine, daß sie für die Beurteilung der Lage und Beschlußfassung eine wichtige Rolle spielen sollten. Hierbei gehe ich von der Prämisse aus, daß wir das tun sollten, was andere Staaten auch getan haben, nämlich unser Denken und Handeln vorrangig an unseren nationalen Interessen zu orientieren. Warum? Unsere — damit meine ich nicht nur die Bundesrepublik — bisherige Haltung des Abwartens hat uns keinerlei substantielle Nachteile gebracht. Aber die Nichtzeichnung wesentlicher Industriestaaten hat einige „Ideologen" unter den Entwicklungsländern zumindest nachdenklich gemacht.Diejenigen Industrieländer, die bisher gezeichnet haben, taten dies eindeutig aus nationalen Interessen. Herr Kollege Grunenberg, das hätte ich an Ihrer Stelle mit ein paar Worten untersucht. Japan macht es aus seinen Ambitionen in Südostasien, nämlich im Hinblick auf den Handel mit den ASEAN-Staaten. Sie wissen ganz genau, daß es am liebsten nicht beigetreten wäre. Frankreich hat nach dem Machtwechsel auf Grund seiner ideologisch-politischen Vorstellung und Zielsetzung in einigen Bereichen der Dritten Welt, vor allen Dingen in Afrika, gezeichnet. Darüber hinaus muß man zur Kenntnis nehmen, daß gerade Frankreich den Teil 11 total ablehnt.Unser Risiko, von der Entwicklung abgekoppelt zu werden, ist gering, solange die USA und Großbritannien nicht zeichnen. Ich bin der Meinung, daß wir die Interessen dieser beiden Staaten als eine Art „Sicherheitsgarantie" für uns sehen sollten. Wir sollten sie dementsprechend unterstützen. Denn dieses sind wirkliche Seemächte, im Gegensatz zu uns. Wenn schon diese nicht zeichnen, um Nachteile, die angeblich da sind, nicht in Kauf zu nehmen, muß das ganz besondere Gründe haben.Die Einlassung der SPD, daß der Beobachterstatus einer Abstellposition gleichkommt, entspricht nicht den Erfahrungen, die bisher gemacht wurden.Wichtig erscheint noch folgende Überlegung. Wenn wir zeichnen, durchbrechen wir die Front der westlichen Nichtzeichner. Ein zweckgerechtes Abwarten wäre daher nicht mehr möglich. Die noch vorhandene Zeit striche nutzlos dahin. Andererseits sind durch Nichtzeichnung Nachteile in anderen Bereichen des Seerechts nicht zu erwarten. Wenn
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2038 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Oktober 1983
Kittelmannwir zeichnen, könnten die Entwicklungsländer dies als eine Art Signalwirkung auf andere abwartende Nichtzeichner verstehen, und dies könnte Hoffnungen auf ein Aufweichen oder ein Abbröckeln nähren. Gleichermaßen könnte eine Zeichnung unsererseits als ein erster Schritt auf dem Wege zur Ratifizierung gedeutet werden.Die Wirtschaft der Bundesrepublik Deutschland — darauf kommt es wohl wesentlich an — spricht sich unverändert mit großer Mehrheit gegen die Zeichnung aus, und dies aus guten Gründen. Ich bitte Sie, Herr Grunenberg, da Sie das alles nicht angeführt haben, zuzuhören. Die Bundesrepublik Deutschland ist mehr als jedes andere Industrieland wirtschaftlich von der sinnvollen Meeresnutzung abhängig. Sowohl in der Frage der Gewinnung von Rohstoffen als auch im Verkauf von Spitzentechnologie und Know-how sind wir darauf angewiesen.Der Herr Kollege Grunenberg hat hier in diesem Hause die Seerechtskonferenz einmal als die große Enteignungskonferenz der Interessen der Bundesrepublik Deutschland bezeichnet. Erinnern Sie sich noch daran? Die Bundesrepublik Deutschland ist eine führende Industrienation. Wir dürfen nicht antimarktwirtschaftliche Regelungen zulassen, die unsere Nutzungsmöglichkeiten und Zugangsrechte in einer Form negativ beeinflussen, daß die Sicherung und Schaffung von Arbeitsplätzen hier gefährdet ist. Das, meine Damen und Herren, vertrete ich gemeinsam mit den Gewerkschaften.Wo bleiben also die Vorteile? Die CDU/CSU geht davon aus, daß so schnell wie möglich, unabhängig von ihrer Entscheidung zur Zeichnungsfrage, die führenden Industrienationen ihre Bemühungen um ein Tiefseebergbau-Abkommen erfolgreich abschließen. Die unterschiedliche Haltung der wichtigsten Tiefseebergbauländer in bezug auf die Notwendigkeit einer Zeichnung mag zwar zeitweise Schwierigkeiten produzieren, es besteht jedoch die Chance, daß durch abgestimmtes Handeln und gezielte Konsultationen diese Schwierigkeiten überwunden werden, oder aber wir sie beseitigen können.Ich darf hier zusammenfassen, was für die Haltung der CDU/CSU maßgebend sein wird. Vor dem Hintergrund dieser Fakten und Sachverhalte müssen wir aus wirtschaftspolitischen, ordnungspolitischen, verfassungsrechtlichen und bündnispolitischen Gründen unsere Bedenken und Einwände vorrangig gegen die Elemente der Tiefseebergbauregeln im wohlverstandenen Eigeninteresse aufrechterhalten.
Die CDU/CSU begrüßt rückhaltlos eine universale Konvention, sofern sie gut ist. Das ist gegenwärtig aber nicht der Fall. Dies bezieht sich insbesondere auf die Konstruktion, Arbeitsweise und Befugnisse der vorgesehenen Revisionskonferenz, die mit einer Dreiviertelmehrheit, ohne daß wir national mitsprechen und mitentscheiden können, völlig neue Rechtsnormen erfinden und durchsetzen kann. Davon kam von Ihnen, Herr Grunenberg,nicht ein Wort. Diese Politik muß daher darauf abgestellt sein, daß die Konvention besonders da, wo sie neu ist und präjudizierendes Folgerecht schafft, wie z. B. im Tiefseebodenregime, entscheidende Verbesserungen erfährt.Ideal wäre eine Fortsetzungskonferenz, wie sie der Kollege von Geldern gefordert hat. Es ist doch wohl nicht unrecht, den Versuch zu machen, wenn unsere nationalen Interessen durch eine internationale Konvention nicht berücksichtigt sind, eine Verbesserung herbeizuführen, egal, durch welche Initiative. Darüber sollten Sie sich nicht lustig machen, sondern Sie sollten uns dabei unterstützen.
Wir erwarten eine Klarstellung, ob bestimmte Teile der Konvention nach deutschem Verfassungsrecht überhaupt rechtmäßig sind, d. h. die Bundesregierung nicht durch Billigung in die Rechte Dritter rechtswidrig eingreift. Die CDU/CSU erwartet von der Beratung in den Ausschüssen klare Auskünfte über die völkerrechtliche Verbindlichkeit der Wirksamkeit der Konvention für Nichtzeichnerstaaten. Die präjudizielle Wirkung der Zeichnung auf das Nord-Süd-Verhältnis wird der Kollege Hüsch später darstellen.Deshalb zur außenwirtschaftlichen Problematik abschließend folgendes: Die Zeichnung könnte als eine quasi völkerrechtliche Anerkennung von Elementen einer neuen Weltwirtschaftsordnung ausgedeutet werden mit der Folge, daß das ständige Bemühen der Bundesrepublik Deutschland um eine marktwirtschaftliche Orientierung im Nord-SüdVerhältnis erheblich an Glaubwürdigkeit einbüßt.Zusammenfassend möchte ich sagen, daß die CDU/CSU dem vorliegenden SPD-Antrag, soweit die Bundesrepublik zu einer vorschnellen Entscheidung in punkto Zeichnung aufgefordert wird, nicht zustimmen kann. Die Sozialdemokraten haben sich mit der Begründung ihres Antrages den Nährboden für Zweck und Ziel ihres Antrages selbst entzogen. Dabei ist zu beklagen, daß die SPD — und ich meine, ohne Grund — dabeizusein scheint, aus der früheren Gemeinsamkeit auszuscheiden. Ich hoffe, daß die Beratungen im Ausschuß dazu führen, daß die Gemeinsamkeit partiell wiederhergestellt wird. Seien Sie sicher, auch wenn Sie aus anderen Gründen als denen des nationalen Interesses hier zu vorschnellem Handeln auffordern, die Mehrheit dieses Hauses wird Sie daran hindern.Vielen Dank.
Das Wort hat der Abgeordnete Beckmann.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Bei den bisherigen Anträgen und Entschließungen während der neun Jahre dauernden Verhandlungen der 3. UN-Seerechtskonferenz haben wir es immer wieder verstanden, in diesem Hause eine gemeinsame Haltung aller Fraktionen zum Ausdruck zu bringen.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Oktober 1983 2039
BeckmannAlle hier haben die Bundesregierung unterstützt, unsere eigenen Interessen als Industrienation bei den gegebenen geographischen Nachteilen zur Geltung zu bringen. Das war von Anfang an, wie Sie wissen, bei den Verhandlungen immer sehr schwierig. Auch die Revisionsbemühungen der USA in der Endphase der Konferenz konnten nur noch teilweise Änderungen bewirken.Meine Damen und Herren von der Opposition, verehrter Herr Kollege Grunenberg, mit Ihrem Antrag fordern Sie die Bundesregierung auf, die Zeichnung der Seerechtskonvention unverzüglich vorzunehmen. Dieses Ansinnen haben Sie bereits im Dezember 1982 in einem Entschließungsantrag kurz nach dem Ende der Verhandlungen und sogar kurz vor Beginn der Zeichnungsfrist an uns herangetragen. Wir haben diesen Antrag aus, wie ich meine, wohlerwogenen Gründen damals abgelehnt.Ich darf mit Genugtuung feststellen, daß auch Sie sich in der Begründung Ihres heute zu behandelnden Antrags zum Teil voll auf der Linie unserer Entschließungen der Vergangenheit bewegen. Ein wesentlicher Kritikpunkt in all diesen Entschließungen waren nämlich die unbefriedigenden Verhandlungsstände hinsichtlich einer Nutzung des Meeresbodens. Wir müssen nun leider feststellen, daß unsere Bemühungen keine Verbesserung des Verhandlungsergebnisses herbeiführen konnten. Sie selbst sprechen in Ihrem Antrag von „zweifelhaften dirigistischen und protektionistischen Regelungen". Ich meine deshalb, daß wir diese für uns so schwerwiegenden Argumente nicht einfach vom Tisch fegen sollten, um sie anderen vordergründigen Zielen unterzuordnen, denn die meisten Bestimmungen, vor allem über Durchfahrts- und Überflugrechte, sind weitestgehend Kodifikation von Völkergewohnheitsrecht geworden. Dagegen schafft die Seerechtskonvention — dies sehe ich auch in der Begründung Ihres Antrags bestätigt — neues Völkerrecht im wesentlichen nur durch das Tiefseebodenregime.Es ist deshalb, meine Damen und Herren, nicht verwunderlich, daß auch der .Deutsche Gewerkschaftsbund und alle Spitzenverbände der deutschen Wirtschaft mit Ausnahme des Verbandes Deutscher Reeder erhebliche Bedenken gegen die Zeichnung geltend gemacht haben. Die hohen Abgaben, der obligatorische Technologietransfer zu ungewissen Bedingungen sowie die Produktionsbeschränkungen sind in bezug auf einzugehende Risiken zu hohe Belastungen, um eine Weiterentwicklung dieser wichtigen Zukunftstechnologien für unsere Wirtschaft zu gewährleisten. Ich meine, daß wir diese Einwendungen ernst nehmen und nicht einen zukunftsorientierten Wirtschaftsbereich leichtfertig gefährden sollten, in dem wir weltweit über Spitzentechnologie verfügen.Neben den wirtschaftlichen Gründen gegen eine frühe Festlegung durch die Zeichnung der Konvention zum jetzigen Zeitpunkt möchte ich außerdem einige, wie ich meine, gewichtige politische Gründe anführen. Wenn wir die Konvention jetzt zeichnen,aber später nicht ratifizieren, verlieren wir an politischer Glaubwürdigkeit.
Eine Zeichnung würde zudem auch einen erheblichen Druck zur Ratifizierung ausüben
und damit zur endgültigen rechtlichen Bindung mit allen ökonomischen und finanziellen Folgen führen.Im übrigen, Herr Kollege Grunenberg, schätze ich die in Ihrem Antrag vertretenen politischen Vorteile einer Zeichnung, nämlich unseren bisherigen Beobachterstatus zu einem stimmberechtigten Vollmitglied zu verbessern, nicht sehr hoch ein. Die bisherigen vorbereitenden Sitzungen haben gezeigt, daß die Gruppe der Entwicklungsländer und des Warschauer Pakts überhaupt nicht an Verbesserungen interessiert sind. Ohnehin dürften die westlichen Industrieländer bei Abwesenheit der USA, gleichgültig, ob diese gezeichnet haben, nur wenig Einfluß auf Veränderungen des Meeresbodenregimes nehmen können.Die Haltung und die Interessen unserer wichtigsten Partner in EG und NATO zu dieser Konvention sind dabei überwiegend mit unserer Position identisch. Sie alle wollen die positiven Elemente dieser Konvention sichern, halten aber das Tiefseebodenregime nicht für operabel und streben deshalb für ihre Industrie eine verbesserte Rechtsgrundlage an. Deshalb haben sich die USA bereits strikt gegen eine Zeichnung ausgesprochen; aber auch innerhalb der EG reicht die Ablehnungsfront von Großbritannien über Belgien, Luxemburg bis nach Italien.Auch wenn — das will ich anerkennen — die wichtigen Industrieländer Frankreich und Japan die Konvention gezeichnet haben, so haben sie doch den deutlichen Vorbehalt angemeldet, daß eine Ratifizierung nur bei weiteren Verbesserungen des Meeresbodenregimes möglich ist. Ich meine deshalb, daß wir uns mit dem Offenhalten der Zeichnung in übereinstimmender Haltung mit wichtigen Partnerländern befinden. Wir sollten deshalb die Zeit des Abstimmens und Abwägens untereinander in der Gemeinschaft bis zum Dezember 1984, wenn es nötig ist, voll ausschöpfen.
Lassen Sie mich noch einen weiteren Aspekt hinzufügen, weswegen wir eine überstürzte Zeichnung nicht für richtig halten. Es wird häufig darauf hingewiesen, daß die Zeichnung weder eine rechtliche noch eine politische Bindung an das Übereinkommen begründe und zudem keine Verpflichtung zur späteren Ratifizierung darstelle. Was das letztere anbetrifft, ist es richtig, daß es viele Verträge gibt, die die Bundesrepublik Deutschland nicht gezeichnet hat. Eine rechtliche Bindung ist jedoch nach Art. 18 der Wiener Vertragsrechtskonvention nicht auszuschließen, wonach ein Staat, der die Seerechtskonvention gezeichnet hat, alle Handlungen unterlassen muß, die das Ziel und den Zweck der
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2040 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Oktober 1983
BeckmannKonvention unterlaufen. Durch eine voreilige Zeichnung würden wir, so meine ich, damit leichtfertig die Option vergeben, den nationalen Tiefseebergbau durch ein Gegenseitigkeitsabkommen zu ermöglichen.Meine Damen und Herren, wir werden in den Ausschüssen Gelegenheit haben, unsere diesbezüglichen Standpunkte intensiv zu diskutieren, und ich würde es begrüßen, Herr Kollege Grunenberg, wenn wir bei der bisher übereinstimmenden Beurteilung der Ergebnisse der Seerechtskonvention auch wieder in diesem Hause zu einer gemeinsamen Haltung bei den anstehenden Entscheidungen kommen könnten. — Ich bedanke mich.
Das Wort hat der Abgeordnete Schwenninger.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe mittagessenden Kolleginnen und Kollegen!
Gemeinsames Erbe der Menschheit sollen die letzten Rohstoffreserven des Erdballs sein; so will es der Wortlaut des Seerechtsabkommens. Wir bezweifeln, daß das Abkommen diesem Anspruch im entferntesten gerecht wird.
Unserer Auffassung nach wird der Abstand zwischen den armen Ländern der Erde, die meist keinen Zugang zu den Weltmeeren haben, einerseits und den reichen Industriestaaten und einigen Schwellenländern andererseits durch das Abkommen nur vergrößert. Die geplanten 200-SeemeilenWirtschaftszonen bedeuten, daß die Idee des Grundbesitzes, die von den Europäern im Zuge der Kolonialisierung in die Kontinente getragen wurde, jetzt auch auf die Meere übertragen wird. Diese Vorgehensweise läßt gerade etwas mehr als die Hälfte als wirklich offenes Meer für das gemeinsame Erbe der Menschheit übrig.Neben den Ländern, die zufälligerweise eine lange Küste haben, z. B. das faschistische Chile, profitieren wieder einmal die alten Kolonialmächte durch ihre Außenbesitzungen und Inseln von dieser Regelung. Der Kampf um die Malvinen hat der Welt aber vor Augen geführt, welche Kriegsgefahren drohen, wenn der Besitz eines Stückes Land auch den Besitz des umliegenden Meeres, frei zur wirtschaftlichen Ausbeutung, bedeutet.In bemerkenswerter Offenheit begründet die SPD ihren Antrag mit der Wahrung der deutschen Interessen und vergißt dabei völlig die Lehren aus dem Brandt-Bericht; das hat mir sehr weh getan. Wir müssen in diesem Zusammenhang leider feststellen, daß die durch den Meereszugang bevorzugten Länder der Dritten Welt es nicht für nötig befunden haben, auch nur eine minimale Solidarität mit den Binnenstaaten der Dritten Welt zu üben und für eine wenigstens halbwegs akzeptable Integration dieser Staaten in das Abkommen zu sorgen.
Die Ärmsten der Armen wurden wieder einmal vergessen, ausgeschlossen bei der Verteilung des angeblich gemeinsamen Erbes.Als besonderer Fortschritt wird der Teil des Abkommens gefeiert, der den Tiefseebergbau regelt. Auch wir sind der Auffassung, daß eine teilweise Durchführung des Meeresbergbaus durch die Meeresbodenbehörde eigentlich ein Fortschritt wäre, ein Fortschritt gegenüber dem jetzigen Zustand der völligen Freiheit zur Ausbeutung der Meere für jeden Konzern, der technisch und finanziell dazu in der Lage ist. Dieser Fortschritt wird jedoch durch die Zusammensetzung des Beschlußorgans dieser Behörde, dieses Rates, in dem sich die Industrieländer in West und Ost eine unumstößliche Mehrheit — wie schon immer in solchen Institutionen — gesichert haben, völlig relativiert.Zu allem Überfluß wird auch hier den Vereinigten Staaten eine Sonderstellung als größtem Verbraucher von Tiefseemineralien eingeräumt, die nicht zuletzt aus ihrer Sonderstellung als größtem Rüstungsproduzenten herrühren dürfte. Mangan als Stahlveredler und besonders das in den Manganknollen enthaltene Kobalt, von dem die Hälfte der jetzigen Weltfördermenge im Triebwerksbau, in der Luft- und Raumfahrtindustrie, beim Bau von Raketenteilen, Turbinen und elektronischen Aggregaten verwendet wird, werden in der Rüstungsindustrie gebraucht.So Reinhard Müller in einem Artikel der Zeitschrift „Moderne Zeiten".Der angebliche Nutzen für die Länder der Dritten Welt wird außerdem durch folgende Punkte verringert: Erstens. Die Meeresbodenbehörde soll nur die Hälfte des Meeresbergbaus kontrollieren; die andere Hälfte fällt von vornherein an die Konzerne.Zweitens. Angesichts ihrer enormen Schulden können sich die Länder der Dritten Welt an dem Wettlauf um den Meeresbergbau überhaupt nicht beteiligen. Drittens. Die Länder der Dritten Welt brauchen doch viel eher eine ihren dringendsten Bedürfnissen angepaßte Technologie als eine moderne Tiefseebergbautechnik. Viertens. Die Einnahmen der Länder der Dritten Welt könnten viel besser durch eine neue Weltwirtschaftsordnung und durch höhere Rohstoffpreise erhöht werden als durch den Tiefseebergbau.Nun zu einem weiteren Punkt, den wir GRÜNEN für richtig halten. Die ökologische Bewegung hat uns sehr deutlich darauf hingewiesen, daß kein Rohstoff unbegrenzt vorhanden ist. Im Seerechtsabkommen finde ich keine Passage, die dieser Erkenntnis Rechnung trägt. Ich meine, daß wir auch auf Grund des bereits erwähnten Verwendungszweckes der Meeresrohstoffe vorerst durchaus auf den Abbau verzichten können, und zwar so lange,
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Oktober 1983 2041
Schwenningerbis wir reif dafür sind, bis wir gelernt haben, unter ökonomischen und ökologischen Gesichtspunkten sensibel und verantwortungsbewußt mit den Rohstoffen und Ressourcen umzugehen.
Auf unsere Kleine Anfrage zur UN-Seerechtskonvention, wie sehr der Tiefseebergbau auch ökologische Eingriffe nach sich ziehe, antwortete die Bundesregierung im letzten Monat mit einer platten Leerformel. Ich zitiere aus dieser Antwort: „Durch eine Fördertechnik, die Rücksicht auf Fauna und Flora nimmt, sowie durch Ausschluß der Verarbeitung der Metalle auf See kann die betroffene Meeresumwelt weitgehend geschont werden." Dagegen kann man wirklich kaum etwas sagen. Nur, gerade die Frage, ob eine rücksichtsvolle Technik angewandt wird, ist ja überhaupt interessant. Auch wenn Sie noch im Zeitalter des Waldsterbens ökologische Einwände vielleicht belächeln, selbst wenn Sie ökonomische Gesichtspunkte in den Vordergrund stellen und gerade wenn Sie meinen, daß der Meeresboden ein Füllhorn der Rohstoffe sei, auch dann kommen Sie nicht um eine sensible Handhabung der Meeresschätze herum.
— Ja, Herr Hüsch, wir sind uns hier einig, das freut mich.Professor Otto von der Universität Hohenheim warnte bereits vor über einem Jahr vor den Folgen des Großbergbaus unter Wasser. Ich zitiere aus einem Aufsatz, den er im vergangenen Jahr veröffentlichte:Der Großbergbau droht nicht nur das empfindliche Gleichgewicht von Fauna und Flora erheblich zu beeinträchtigen, sondern verändert darüber hinaus auch die chemischen Verhältnisse des bodennahen Millieus. Diese Entwicklung könnte sogar zur Auflösung der Manganknollen der Tiefsee führen.Diese Manganknollen wachsen übrigens in 1 Million Jahren zwischen zwei und zehn Millimeter bis zum Erreichen der maximalen Größen von 6 cm — um Ihnen mal die Zeitdimensionen klarzumachen.Die Antwort auf unsere Kleine Anfrage läßt mich daran zweifeln, ob diese Frage beim Tiefseebergbau oder bei der Haltung zur Seerechtskonvention bislang überhaupt bedacht wurde.Zum Schluß will ich darauf hinweisen, daß für uns die bisherige Praxis des Tiefseebergbaus im vertragsfreien Raum absolut nicht akzeptabel ist. Dies veranlaßt uns jedoch nicht dazu, einem Abkommen zuzustimmen, das nicht im entferntesten das gemeinsame Erbe der Menschheit sichert und eine gerechte Verwendung in Aussicht stellt. Wir, die GRÜNEN, lehnen daher den Antrag der SPD-Fraktion ab, der sich für eine Unterzeichnung dieses Seerechtsabkommens ausspricht. Das moderne Freibeutertum, das in der bisherigen Haltung der Industrieländer und der Konzerne zum Ausdruck kommt, möchte ich mit dem Refrain eines Ihnen sicherlich bekannten Liedes wiedergeben: Ja, hochlebe die See und das brausende Meer, hoch lebe die Seeräuberei.
Das Wort hat der Herr Staatsminister im Bundesministerium des Auswärtigen.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Die Bundesregierung begrüßt die erneute Aufnahme der Problematik des VN-Seerechtsübereinkommens im Deutschen Bundestag zunächst als eine Gelegenheit, das Hohe Haus über den gegenwärtigen Stand dieser wichtigen Angelegenheit zu unterrichten.Seitdem der Bundestag Anfang Dezember vergangenen Jahres auf der Grundlage einer Großen Anfrage der CDU/CSU-Fraktion zum letztenmal über dieses Thema im Plenum. debattiert hat, sind die Fragen im Zusammenhang mit diesen Übereinkommen weiterhin Gegenstand aktiver Prüfung und intensiver Konsultationen und Verhandlungen gewesen. Die Bundesregierung hat sich kurz nach der letzten Debatte ausführlich mit der Frage der Zeichnung des Übereinkommens befaßt und damals beschlossen , zunächst noch keine Entscheidung zu treffen, die Frage jedoch weiter auch unter Berücksichtigung der Haltung wichtiger Partnerstaaten — insbesondere in der Europäischen Gemeinschaft — und unter Berücksichtigung der westlichen Zusammenarbeit im Tiefseebergbaubereich zu prüfen.Die inzwischen eingetretenen Entwicklungen haben eine Entscheidung nicht einfacher gemacht, andererseits aber auch nicht die Notwendigkeit einer schnellen Entscheidung nahegelegt. Die Zahl der Zeichner des Übereinkommens beträgt nunmehr 131. Unter den Zeichnerstaaten befinden sich die große Mehrheit der Entwicklungsländer und der gesamte Ostblock, aber auch eine Mehrheit der westlichen Industrieländer, darunter insbesondere Frankreich, Japan, Kanada und Australien.Bisher läßt sich keine Voraussage darüber machen, ob und wann und gegebenenfalls für welche Staaten das Seerechtsübereinkommen in Kraft treten wird. Dafür sind 60 Ratifikationen erforderlich. Bisher haben aber erst neun Teilnehmer der Dritten Seerechtskonferenz das Übereinkommen ratifiziert.Die Überlegungen müssen sich zunächst auf die Zeichnung konzentrieren, die noch bis zum 9. Dezember 1984 möglich ist. Dabei ist in jedem Fall zu berücksichtigen, daß die Zeichnung allein noch keine rechtliche Bindung an das Übereinkommen bewirkt und auch nicht zur späteren Ratifizierung verpflichtet.Bei unseren Verbündeten und Hauptpartnerländern ist das Bild insofern sehr unterschiedlich. Jeweils die Hälfte der EG- und die Hälfte der NATO-Staaten haben unterzeichnet. Die USA haben wegen ihrer Ablehnung des Meeresbodenregimes des Übereinkommens Zeichnung und Ratifizierung
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2042 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Oktober 1983
Staatsminister Möllemannauch für die Zukunft bereits ausgeschlossen. Großbritannien macht eine Zeichnung von vorherigen Änderungen des Meeresbodenregimes selbst abhängig und lehnt damit eine Zeichnung praktisch ebenfalls ab.Italien, Belgien und Luxemburg sind bisher noch unentschieden Frankreich hat ebenso wie Japan und ähnlich wie die Niederlande mit dem ausdrücklichen Vorbehalt gezeichnet, daß eine Ratifizierung nur bei Verbesserungen des Meeresbodenregimes in Frage kommt.In der EG befürworten sowohl die Kommission als auch das europäische Parlament eine Zeichnung durch die Gemeinschaft. Bisher ist jedoch die dafür vom Seerechtsübereinkommen gesetzte Bedingung der vorherigen Zeichnung durch eine Mehrheit der Mitgliedstaaten nicht erfüllt.Eine Änderung der Haltung unserer wichtigsten Partnerländer zu diesem Übereinkommen ist gegenwärtig nicht absehbar. Wir befinden uns in ständigen engen Konsultationen sowohl im Kreis der EG als auch darüber hinaus mit allen unseren Hauptpartnerländern.Die Gipfelkonsultationen mit Großbritannien und Frankreich sowie der Besuch des Bundeskanzlers in Japan — dies alles im nächsten Monat — werden erneut Gelegenheit geben, die Thematik mit wichtigen Partnern auch auf hoher politischer Ebene zu erörtern.Für viele unserer Partner gilt allerdings, daß ihre Positionen nicht nur unterschiedlich sind, sondern überwiegend auch nur vorläufigen Charakter haben. Dadurch wird die Erarbeitung einer umfassenden gemeinsamen Konzeption sehr erschwert. Das trifft gerade für den Kreis der Nichtzeichner zu, deren längerfristige Vorstellungen jedenfalls zur Zeit noch nicht erkennbar sind.Immerhin ist die Zusammenarbeit unter den westlichen Industriestaaten mit eigenem Interesse am Tiefseebergbau unabhängig von einer Zeichnung oder Nichtzeichnung des Übereinkommens in den vergangenen Monaten intensiv fortgeführt worden. Hier geht es vor allem um die Wahrung unserer praktischen Tiefseebergbauinteressen gegenüber den wichtigsten westlichen Staaten einschließlich Japan. Diese Zusammenarbeit hat ihre besondere Bedeutung vor allem im Verhältnis zu den USA.Eine Initiative in den Vereinten Nationen zu Neuverhandlungen oder auch zur Aussetzung von Teilen des Seerechtsübereinkommens erscheint auf der anderen Seite angesichts der Unterstützung des Übereinkommens durch den zahlenmäßig weit überwiegenden Teil der Staatengemeinschaft zumindest gegenwärtig kaum oder nur schwer erreichbar zu sein.Auch die Arbeit der Vorbereitungskommission zum Seerechtsübereinkommen — dies ist der zweite Punkt, meine Damen und Herren, den ich _ ansprechen möchte — ist bis jetzt nur sehr langsam vorangekommen. An der Kommission können Zeichner des Übereinkommens als Vollmitgliederund Zeichner lediglich der Schlußakte als Beobachter teilnehmen. Diese Kommission hat neben der Einrichtung der internationalen Meeresbodenbehörde und des Seerechtsgerichtshofes die wichtige Aufgabe, das Meeresbodenregime des Seerechtsübereinkommens durch die Ausarbeitung der notwendigen Regeln und Verfahren für den Tiefseebergbau im einzelnen zu vervollständigen. Damit könnte die Arbeit der Vorbereitungskommission auch einen Beitrag zu den von uns und anderen westlichen Industrieländern gewünschten Verbesserungen des Meeresbodenregimes leisten.In ihrer ersten Session in Jamaika vom 15. März bis 8. April und vom 16. August bis 9. September dieses Jahres hat sich die Kommission nahezu ausschließlich mit ihrer eigenen Organisation und Konstituierung befaßt. Zu ersten Verhandlungen in der Sache wird es erst auf der zweiten Session im März und April nächsten Jahres kommen.Wir, die Bundesrepublik Deutschland, haben an der Arbeit der Vorbereitungskommission auf der Grundlage unserer Zeichnung der Schlußakte aktiv als Beobachter teilgenommen. Es ist uns auch gelungen, eine angemessene Berücksichtigung der Rolle der Beobachter in der Verfahrensordnung der Vorbereitungskommission durchzusetzen.Die Entwicklungen der letzten Monate haben danach — anders, als es im Antrag der SPD-Fraktion zum Ausdruck kommt — wenig Impulse für eine rasche Entscheidung in der Zeichnungsfrage ergeben.
Die Bundesregierung war deshalb gut beraten, zunächst eine abwartende Haltung einzunehmen.
Ich möchte mich, meine verehrte Kollegen, mit drei kritischen Einwänden auseinandersetzen, die vorgetragen worden sind.Zunächst ist gesagt worden — das ist an anderer Stelle ebenfalls vorgetragen worden, auch in den ,Medien —, wir hätten durch Zuwarten in der Zeichnungsfrage auf Einfluß, auch auf Posten in der Vorbereitungskommission verzichtet. Dazu möchte ich sagen: Die Bundesregierung hat unter voller Nutzung ihrer Beobachterstellung sowie in enger Zusammenarbeit mit den Zeichnern unter unseren Partnerländern, insbesonders den EG-Staaten, unsere Interessen auf der ersten Session der Vorbereitungskommission wirksam vertreten können. Die Einnahme von Posten in der Vorbereitungskommission, wie das bei einer frühzeitigen Zeichnung und Vollmitgliedschaft vielleicht möglich gewesen wäre, hätte uns möglicherweise andererseits auch stärker auf das von uns kritisierte Tiefseebergbauregime des Übereinkommens festlegen können, mehr vielleicht, als es uns zusätzliche Einflußmöglichkeiten zu seiner Verbesserung verschafft hätte.Der zweite Einwand, der vorgebracht worden ist, lautet: Durch unsere abwartende Haltung hätten wir an Glaubwürdigkeit im Nord-Süd-Verhältnis eingebüßt. Die Bundesregierung hat während der
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Staatsminister MöllemannSeerechtskonferenz und danach immer großen Wert auf enge Verbindung zu den Staaten der Dritten Welt gelegt und durchweg trotz im einzelnen gegensätzlicher Positionen auch Verständnis für ihre jeweilige Haltung bei der Dritten Welt gefunden. Das gilt auch für die bisherige Arbeit im Rahmen der Vorbereitungskommission, in der die Delegation der Bundesrepublik Deutschland weiterhin ein gesuchter Ansprechpartner für wichtige Delegationen aus dem Kreis der Entwicklungsländer war.
Drittens wird gesagt, daß unsere Haltung zum Meeresbodenregime auch im Hinblick auf eine sogenannte neue Weltwirtschaftsordnung nicht akzeptabel sei.
Die Opposition — jedenfalls die größere Oppositionspartei — kennzeichnet selbst das Meeresbodenregime des Seerechtsübereinkommens in ihrem Antrag als mit — ich zitiere — „zweifelhaften dirigistischen und protektionistischen Regelungen" befrachtet. Hier gibt es zwischen uns keine Meinungsverschiedenheiten, wie auch in der Vergangenheit in der Bewertung dieser Frage jedenfalls immer Einigkeit unter den im Bundestag vertretenen Parteien bestanden hat. Wir legen großen Wert darauf, daß sie, soweit das möglich ist, auch erhalten wird.Es erscheint zumindest zweifelhaft, ob Tiefseebergbau auf der Grundlage dieses Regimes, so wie es konzipiert ist, jemals wirtschaftlich durchführbar sein wird. Tiefseebergbau könnte aber für die Bundesrepublik Deutschland als einem von Rohstoffimporten stark abhängigen Industriestaat durchaus in absehbarer Zeit wirtschaftlich bedeutsam werden. Es ist deshalb nur folgerichtig, daß neben den grundsätzlich positiv zu bewertenden Regelungen des allgemeinen Seevölkerrechts, des Umweltschutzes und der Meeresforschung die negativen Merkmale des Meeresbodenregimes — ich nenne hier Produktionsbeschränkung, Technologietransfer, institutionelle Zugangserschwernisse, Revisionskonferenz, Abgabenlast und Privilegierung des internationalen Meeresbergbauunternehmens — für die Bundesregierung bei der Beurteilung des Seerechtsübereinkommens auch bei ihrem weiteren Vorgehen eine wesentliche Rolle spielen. Dabei verkennt die Bundesregierung überhaupt nicht die wichtige Rolle, die gerade der den Meeresboden betreffende Teil des Übereinkommens in den Nord-Süd-Beziehungen spielen kann. Der NordSüd-Interessenausgleich kann jedoch nicht auf der Grundlage dirigistischer und protektionistischer Regelungen gefunden werden. Es gilt hier im Gegenteil unguten Präzedenzwirkungen, die vom Seerechtsübereinkommen ausgehen könnten, entgegenzuwirken.Die Bundesregierung wird daher ihr weiteres Vorgehen — wie bisher — behutsam und sorgfältig im engen Kontakt mit unseren Hauptpartnerländern festlegen und dabei auch die Bedeutung berücksichtigen, die das Seerechtsübereinkommenfür die EG hat. — Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Hüsch.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die bisherige Debatte hat bereits deutlich gemacht, daß der Antrag der SPD den deutschen Interessen nicht nutzen kann. Herr Staatsminister Möllemann — für die Bundesregierung — und die Kollegen Kittelmann und Beckmann haben eindrucksvoll verdeutlicht, daß rechtliche, politische und verfassungsrechtliche Bedenken der Zeichnung der Konvention im jetzigen Zeitpunkt entgegenstehen. Wenn der Kollege Grunenberg demgegenüber meint, daß die Zeichnung notwendig sei, um auch entwicklungspolitischen Überlegungen eine Berufungsgrundlage zu geben, so irrt er. Herr Kollege Grunenberg, Sie sind für diese These hier am Rednerpult jede Beweisführung schuldig geblieben.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Brück?
Nein.
Keine Zwischenfragen.
Nach bisher geltendem Völkerrecht sind die Meere und ihre Nutzung frei. Das gilt für Schiffahrt, für Fischfang und für die Nutzung der Rohstoffe. Es kann gar nicht übersehen werden, daß Rohstoffe für Entwicklungsländer vielfach von großer Bedeutung sind. Sie stellen für manche die alleinige oder überwiegende Einkommensquelle dar. Es muß deshalb — ich gebe dem Kollegen Schwennigner darin ausdrücklich recht — viele Entwicklungsländer und gerade solche Entwicklungsländer wie die eben genannten beunruhigen, wenn aus anderen Quellen Rohstoffe angeboten würden. Erweiterte Konkurrenz kann für Entwicklungsländer auch zur Vergrößerung ihrer praktischen Not führen. Kein Entwicklungsland ist zudem in der Lage — vielleicht werden Schwellenländer demnächst dazu in der Lage sein —, sich in absehbarer Zeit am Meeresbergbau zu beteiligen.
Das können nur acht Industrienationen, auch unser Land. Das bedeutet zwar nicht den rechtlichen Ausschluß von der Nutzung der Bodenschätze des Meeres, aber den praktische Ausschluß.Ich habe sehr wohl Verständnis dafür — das entspricht ja der Diskussionslage in diesem Haus seit vielen Jahren, ehe die GRÜNEN sich von diesem Rednerpult aus an der Diskussion haben beteiligen können —, wenn Entwicklungsländer verlangen, die Meere und ihre Schätze zum gemeinsamen Erbe der Menschheit zu erklären und sie auch so zu behandeln. Leider aber ist aus der Forderung, das
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2044 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Oktober 1983
Dr. Hüschgemeinsame Erbe zu wahren, der Kampf um den größtmöglichen Erbanteil geworden.
Ich meine, wann immer ein neues Seerecht endgültig geschaffen wird, müssen die Industrieländer Verständnis für die Problematik und Einfühlungsvermögen in bezug auf die politische Dramatik haben und gewinnen, die aus den Gegebenheiten resultieren. Es muß — auch durch Kompromisse — eine deutliche Antwort auch zugunsten der Entwicklungsländer gegeben werden.Es ist aber eine völlig andere Frage, ob der Forderung der Entwicklungsländer, ihrem Verlangen zu entsprechen, so wie sie jetzt erhoben wird, durch eine Zeichnung der Konvention zum jetzigen Zeitpunkt Folge geleistet werden muß.Ich möchte zunächst noch einen nationalen deutschen Gesichtspunkt erwähnen. Über Wunsch und Hoffnung, Hamburg zum Sitz des Seerechtsgerichtshofes zu machen, kann erst mit der Ratifizierung entschieden werden. die Zeichnung der Übereinkunft zum jetzigen Zeitpunkt sagt diesbezüglich nichts Positives oder Negatives aus.Wenn man nun die Interessen der Entwicklungsländer abwägt, Herr Grunenberg — das tun Sie auch; Sie haben j a manche Reise in Entwicklungsländer durchgeführt —, stößt man bei der Frage, um was es sich eigentlich handle, zunehmend auf Unkenntnis der Zusammenhänge. Zahlreiche Besucher aus Entwicklungsländern, die hier waren, haben mir gegenüber noch nie von sich aus die Frage des Seerechts angesprochen. Vielmehr gab es Überraschung, wenn ich es von mir aus tat.
— Eines hat sich erwiesen, Herr Kollege Brück: Nicht wenige Entwicklungsländer haben in Wirklichkeit dieselben Interessen wie Industrieländer, dieselben Interessen wie die Bundesrepublik. Sie haben Interesse an freiem Zugang zum Meer, an freier Verladung, an freier Schiffahrt und auch das Interesse an reichhaltigem Rohstoffangebot durch konkurrierende Bewerber zu möglichst günstigen Preisen.Ich will gar nicht verkennen, daß die Solidarität der Entwicklungsländer untereinander auf internationalen Konferenzen festgefügt zu sein scheint — mit entgegenstehender Interessenwahrnehmung. Aber es muß klargestellt werden: Das Interesse der Entwicklungsländer ist vielschichtig, ebenso wie das Interesse anderer Länder. Deshalb ist unsere Auffassung, daß die Lösung der umstrittenen Probleme des Seerechtes nicht in erster Linie entsprechend der Forderung des Entwicklungsländerkollektivs erfolgen sollte, sondern sich daran orientieren sollte, was den einzelnen Ländern in unterschiedlichen Situationen am besten gerecht wird. Das wird nicht den Beifall der Kongreßmehrheiten finden. Aber es liegt im Interesse der Länder, die sich zur Zeit auf den Konferenzen nicht artikulieren können. Und ich möchte dem Kollegen Schwenninger sehr — auch wenn es ihn verwundert —zustimmen, daß es natürlich überraschend ist, daß sich die Entwicklungsländer mit großen Seeinteressen und Küsteninteressen über die Interessen jener Entwicklungsländer hinweggesetzt haben, die über keine Küste und deshalb über keine seerechtlich relevante Position verfügen.Aber unsere Aufgabe wäre es sehr wohl, wenn wir zu den Kompromissen kommen müssen, unsere Haltung nicht nach der des Mehrheitsblocks auszurichten, sondern nach den wahren Interessen zu entscheiden.Meine Damen und Herren, es gibt eine Parallele. In Nairobi hatte man das Integrierte Rohstoffprogramm gefordert, den Gemeinsamen Fonds. Es hat eine große Mehrheit gefunden. Heute, acht Jahre nach dieser Konferenz, weiß man, daß dieser Fonds nicht funktionieren kann. Die ausgewählten Rohstoffe sind ungeeignet. Das hat sich erwiesen. Es ist nicht zur Einigung gekommen, wie gefordert. Das ist nicht nur deshalb geschehen, weil die Industrieländer nicht gewollt hätten oder weil der Ostblock abseits gestanden hätte, sondern weil die Entwicklungsländer zunehmend erkannt haben, als sie ihre eigenen Interessen auf den Prüfstand gelegt haben, daß dirigistische Wege ungeeignet und nur dazu angetan sind, ihre Anstrengungen ins Leere laufen zu lassen.
Ich bin sicher, daß eine ähnliche Erkenntnis entstehen würde, wenn es zu den Regeln käme, die jetzt für den Meeresbergbau vorgesehen sind. Eine Mammutbehörde würde Unsummen verschlingen; besser würde das Geld in direkte Entwicklungsmaßnahmen gesteckt. Keine Tonne Rohstoff würde deshalb zusätzlich gefördert. Die verlangten Produktionseinschränkungen würden zur Bürokratisierung der Wirtschaft in der ganzen Welt, auch in den Entwicklungsländern, führen. Gerade diejenigen Entwicklungsländer wären negativ betroffen, die eine eigene dynamische Entwicklung verfolgen und schon haben.Wenn dieses Recht einmal völkerrechtlich verbindlich zustande gekommen wäre, gäbe es keinen Rückweg mehr. Deshalb sind wir dafür, daß in diesem Zeitpunkt Zeit und Mühe daran gesetzt werden, die Abstimmungsmehrheit der Entwicklungsländer davon zu überzeugen, daß sie sich mit der Kollektivforderung auf dem Irrweg befindet und im Begriff steht, teure dirigistische und protektionistische Regelungen zu schaffen und sich selber Schaden zuzufügen.Das gilt auch für die zwangsweise Übertragung von Technologie. Keine deutsche Regierung ist berechtigt, in der Form dieses völkerrechtlichen Vertragswerkes völkerrechtlich eine Enteignung zu begründen, für die sie hier eine Zustimmung des Gesetzgebers, des Deutschen Bundestages, brauchte.
Herr Abgeordneter, ich bitte zum Schluß zu kommen. Ihre Zeit ist um.
Meine Damen und Herren, es wäre verhängnisvoll, wenn wir Illusionen erzeugten. Ich stimme dem Vorredner zu: Die Illusion, zu
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Oktober 1983 2045
Dr. Hüschzeichnen, aber später nicht zur ratifizieren, erzeugt Enttäuschung. Aber Enttäuschung ist im Verhältnis zu den Entwicklungsländern das Schlechteste, was wir gebrauchen könnten. Ich meine, ein offenes Wort jetzt ist besser als eine Täuschung der Entwicklungsländer über angebliche, aber unrealistische Absichten.
Das Wort hat der Abgeordnete Ewen.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte zunächst auf einige Beiträge, die im Laufe dieser Debatte geleistet worden sind, eingehen.Herr Kittelmann bemängelt, daß wir zwar in den vergangenen Jahren einvernehmlich einen Forderungskatalog aufgestellt hatten, daß aber diese Forderungen nicht erfüllt worden sind und daß wir nun trotzdem meinen, es solle gezeichnet werden.Ich glaube, man muß da unterscheiden. Die gemeinsam aufgestellten Forderungen waren ein politisches Instrument, um die verhandelnden Regierungsmitglieder in die Lage zu versetzen, im Rahmen der UN-Seerechtskonferenz das Bestmögliche zu verlangen. Dies ist — das müssen wir heute einfach feststellen — nicht gelungen. Ich sehe überhaupt nicht, woher Sie eine Mehrheit — etwa in einer Folgekonferenz — für Verbesserungen in dem Sinne haben wollen, in dem wir als ein nicht unbedeutendes Industrieland sie uns wünschen.Zum Schluß haben Sie eine für mich etwas eigenartige Formulierung gebraucht. Sie haben das Risiko, von der Entwicklung abgehängt zu werden, so lange als gering betrachtet, wie die USA und England nicht zeichnen. Nun, ich weiß nicht, ob es nicht auf anderen Gebieten Risiken gibt, die dabei vergessen werden, denn die Dritte Welt und viele andere Länder werden natürlich das Verhalten der Bundesregierung und der Bundesrepublik auch unter dem Gesichtspunkt bewerten, ob denn nicht wenigstens wir versuchen, eine in der UNO getroffene Vereinbarung mit Leben zu erfüllen und das gemeinsame Erbe in einem kleinen Teilbereich wirksam werden zu lassen.Herr Schwenninger, Sie haben gesagt, die Dritte Welt braucht angepaßte Technologie, aber nicht etwa hochtechnisierte Meerestechnologie. In den Debatten, die wir in New York am Rande der Konferenzen erlebt haben, habe ich gelernt, daß ich bei solchen Überlegungen ganz bescheiden sein sollte. Wir sollten nicht besser wissen wollen, was in Entwicklungsländern angemessen ist, als diese Länder selbst. Ich habe oft erfahren müssen, daß die Vertreter dieser Länder es sehr ungern hören, wenn wir glauben, das besser zu wissen.Wir sollten, so denke ich, auch nicht so tun, als ob diese Entwicklungsländer diese Technologie nun gleich hätten. Aber sie möchten doch wohl an den Erträgen beteiligt sein, die dann aus dem gemeinsamen Erbe „Meeresboden" für alle zur Verfügung gestellt werden sollen. Darum geht es! Natürlich müssen die Industrieländer die Technik zur Verfügung stellen, aber der Ertrag daraus soll nicht einseitig den Industrieländern zukommen. Darum geht es, und ich denke, daß man das ernst nehmen muß, und zwar auch unter dem Gesichtspunkt, daß wir sonst wohl wieder eine Entwicklung einleiten könnten, die zu der Haltung führt: Nun laßt uns das einmal schön alleine machen, laßt uns auch die Erträge alleine behalten. Dann allerdings kann das passieren, was Sie, Herr Kollege Hüsch, hier angedeutet haben: daß nämlich wegen der Konkurrenz mit den Produkten, die aus dem Meeresboden geholt und gewonnen werden können, die Verkaufschancen von Rohstoffen aus Entwicklungsländern noch kleiner werden und daß vielleicht die Entwicklung dahin, diese Rohstoffe — was ja wünschenswert wäre — auch vorzuverarbeiten, noch mehr erschwert wird.Ich denke, es kommt darauf an, die Interessen der Entwicklungsländer und der Industrieländer in dieser Meeresbodenbergbaubehörde zu bündeln, die Erträge wirklich als gemeinsames Erbe der Menschheit anzusehen und auf diese Weise dazu beizutragen, daß eine Entwicklung eingeleitet werden kann, in der man partnerschaftlich miteinander umgeht.Aus diesem Grunde meinen wir, daß gezeichnet werden soll, damit wir auf diese Weise in der Vorbereitungskommission auch wirklich als Vollmitglied auf die Gestaltung der Einzelheiten Einfluß nehmen können.Wenn Herr Staatsminister Möllemann gesagt hat, daß wir ein begehrter Partner für Gespräche auch mit den Entwicklungsländern sind, werden wir j a wohl sicherlich noch ein bißchen stärker begehrt sein, wenn wir mithelfen können, Dinge auch dort, wo abgestimmt wird, und nicht nur dort, wo geraten wird, durchzusetzen. Letztendlich sollten wir doch wohl auch nicht vergessen, daß wir ein Interesse daran haben, so weit mitzuwirken, daß tatsächlich der Seerechtsgerichtshof nach Hamburg kommt, weil es natürlich für Streitfälle hinterher nicht ganz unbedeutend ist, auf welchem Boden dies alles passiert.
Wenn man daran denkt, daß wir kürzlich den Vorschlag gehört haben, schließlich, wenn es noch Ärger in New York gibt, den Sitz der UNO nach Berlin zu verlegen, dann darf es doch wohl nicht ganz unwichtig sein, ob wir hier wenigstens eine einzige UN-Behörde zum ersten Mal auf dem Boden der Bundesrepublik haben können. Hier sollten wir die deutschen Belange berücksichtigen.Der Beobachterstatus genügt uns nicht. Wir möchten auch nicht nur im Windschatten einiger großer Industrieländer leben, sondern wir möchten aktiv mitgestalten. Deswegen fordern wir Sozialdemokraten die Bundesregierung auf, alles zu tun, um möglichst bald diesen Status des Beobachtens zugunsten des Status eines Vollmitglieds aufgeben zu können.
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2046 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Oktober 1983
EwenDen Beratungen in den zuständigen Ausschüssen wünschen wir dabei einen Erfolg. Ich glaube, die Reden, die hier gehalten worden sind, können dazu beitragen, eine gemeinsame Linie zu finden. — Vielen Dank für die Geduld.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. von Geldern.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, es ist gut, daß der Deutsche Bundestag erneut eine Seerechtsdebatte führt. Dies zeigt, daß es Möglichkeiten der parlamentarischen Mitwirkung an der politischen Zukunftsplanung gibt. Wir haben hier ein Thema, das weit in die Zukunft hineinreicht. Die Seerechtskonferenz ist unterschätzt worden. Sie ist keine Kodifizierungskonferenz, kein Völkerrechtlermarathon gewesen, sondern eine Verteilungskonferenz, gleichrangig zu beurteilen etwa den großen historischen Verteilungskonferenzen Wiener Kongreß oder Berliner Kongo-Konferenz. Es geht um nicht mehr und nicht weniger als um 71 % der Erdoberfläche.
Zweitens. Die Seerechtskonferenz ist dem hohen Anspruch, unter dem sie selbst angetreten ist, eine Verwaltung des gemeinsamen Erbes der Menschheit vorzunehmen, nicht gerecht geworden. Das ist soeben besonders auch in den Worten von Herrn Schwenninger und Herrn Hüsch sehr deutlich geworden: Daß die Reichen durch die 200-Meilen-Wirtschaftszone, die immerhin ein Drittel und den wichtigsten Teil der See betrifft, reicher werden und die Armen ärmer. Hier ist nicht das gemeinsame Erbe der Menschheit gerecht verwaltet worden; sondern hier sind ungerechte Machtansprüche durchgesetzt worden.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Grunenberg?
Das würde ich an sich sehr gern, aber die Zeit ist tatsächlich zu kurz. Das schaffen wir jetzt nicht mehr. Wir überziehen j a schon etwas.Ich glaube, Herr Kollege Ewen, daß Ihre Berner-kung, die gemeinsamen Entschließungen des Deutschen Bundestags seien dadurch, daß das Ergebnis der Konferenz jetzt anders aussieht, erledigt, sie seien ein Instrument während der Konferenz gewesen, aber jetzt hätten wir das, was dabei herausgekommen ist, hinzunehmen, nicht das letzte Wort sein kann. Natürlich müssen solche Entschließungen auch ein Maßstab für die Beurteilung des Ergebnisses sein. Wenn wir diese Entschließungen als Maßstab für die Beurteilung des Ergebnisses nehmen, dann stellen wir fest, daß wir als Bundesrepublik Deutschland in vielen Bereichen durch diese Seerechtskonvention ein Minus gemacht haben. Das gilt für die Schwierigkeiten und die Einschränkungen im Bereich der Meeresforschung. Das gilt besonders für die Fischerei. Ich nenne Ihnen noch einmal kurz die Zahlen, weil sie ein guter Gradmesser für das sind, was wir erleben mußten. Wir hatten 1971 in der deutschen Hochseefischerei 104 Schiffe. Wir hatten 1981 noch 32. Inzwischen sind es noch weniger. 1971 waren 3 500 Mann auf diesen Schiffen beschäftigt, 1981 noch 1 600. In der Kutterfischerei war der Niedergang: 967 Schiffe in 1971 auf 646 in 1981. Die Besatzung ging von 2 500 auf 1 500 zurück. Die Gesamtfänge haben sich im selben Zeitraum, also während der Wirkungsdauer der Seerechtskonferenz, von 493 000 t auf 300 000 t vermindert. Waren es zu Beginn der 70er Jahre 46 %, die im EG-Meer gefangen wurden, und 54 % in Drittlandsgewässern, hat sich das Verhältnis auf 88 % im EG-Meer und 12 % in Drittlandsgewässern verändert. Das heißt, durch die seerechtliche Entwicklung, durch den Verlust der traditionellen Fangplätze haben wir diesen schweren Niedergang, diese schwere Krise der gesamten deutschen Fischerei hinnehmen müssen. Das sage ich deshalb hier heute noch einmal, weil oftmals der Eindruck erweckt wird, alles andere, was die Seerechtskonferenz und die Konvention mit Ausnahme des umstrittenen Teils Meeresbergbau mit sich gebracht hätten, sei doch in Ordnung, sei doch womöglich gut aus der Sicht der deutschen Interessen. Das ist keineswegs der Fall. Wir haben insgesamt einen Verlust hinnehmen müssen. Die Freiheit der hohen See war für uns günstig. Seit sie eingeschränkt worden ist, seit diese Verzonung, diese Territorialisierung, diese nationale Landnahme zur See stattgefunden hat, sind wir die großen Verlierer. Auch das muß man sehen und darf nicht nur über den Meeresbergbau reden.
Was den Meeresbergbau betrifft, so war es für mich sehr interessant, daß Sie, Herr Kollege Grunenberg, vorhin gesagt haben, dort bestünden ordnungspolitische Bedenken, was immer das heiße. Es mag typisch für die sozialdemokratische Fraktion sein, daß sie nicht so recht etwas darunter verstehen kann. Wir nehmen diese ordnungspolitischen Bedenken natürlich sehr ernst. Hier soll tatsächlich der Versuch unternommen werden, einen Einstieg in eine neue Weltwirtschaftsordnung zu finden, den wir für verhängnisvoll nicht nur für diesen, sondern auch für andere Bereiche halten würden. Darum wenden wir uns nicht auf Grund irgendeines theoretischen Dogmas, sondern auf Grund ganz konkreter wirtschaftspolitischer Erfahrungen dagegen, daß dieser Einstieg beim Meeresbergbau stattfindet.Außerdem haben wir hier rohstoff- und auch technologiepolitische Interessen zu vertreten. Daher glaube ich, daß man sich bei der Abwägung zwischen der Frage, ob der Seegerichtshof nach Hamburg kommen soll, und der Frage der Errichtung eines Regimes für den Meeresbergbau — dieses würde tatsächlich nicht funktionieren und einen gefährlichen Einstieg in eine von uns für nicht wünschenswert gehaltene Weltwirtschaftsordnung darstellen — eindeutig für unsere Interessen im Bereich des Meeresbergbaus entscheiden muß. Der Seegerichtshof wird wirklich überbewertet. Bei ihm sollen 21 Richter eingesetzt werden, davon keiner
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Oktober 1983 2047
Dr. von Geldernaus der Bundesrepublik Deutschland. Wir dürfen womöglich den Hausmeister stellen.
— Das Geld, das wir dafür aufbringen müssen, kommt noch hinzu. — Ich meine also, das Argument muß man so relativieren, wie es nötig ist.Ich möchte zum Schluß kommen. Herr Präsident, ich bedanke mich, daß ich am Ende dieser Debatte die Gelegenheit bekommen habe, dazu zu sprechen, und die zur Verfügung stehende Zeit etwas überzogen werden durfte.Unabhängig davon, ob es eine 4. Seerechtskonferenz geben wird oder nicht, müssen unsere Bemühungen darauf gerichtet sein, die Ergebnisse, die jetzt vorliegen, zu verbessern. Ich bin sicher, daß wir eine Ergebnisverbesserung nicht erzielen können, wenn wir unterzeichnen und sagen: Da machen wir mit. Wir müssen uns den Zeitraum, der von der Konvention selber gesetzt ist, gewähren. Wir müssen ihn für die vorhin schon angekündigten und dargestellten Gespräche mit unseren Partnern nutzen. Wir müssen unsere Konzeption ausfeilen und alles zu tun versuchen, daß am Ende ein besseres Ergebnis steht als das jetzige. Dann können wir erneut darüber debattieren und sinnvoll entscheiden. — Ich bedanke mich.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Der Ältestenrat schlägt vor, den Antrag der Fraktion der SPD Drucksache 10/197 zur federführenden Beratung an den Auswärtigen Ausschuß und zur Mitberatung an den Ausschuß für Wirtschaft und den Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit zu überweisen. Sind Sie mit den vorgeschlagenen Überweisungen einverstanden? — Es erhebt sich kein Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Meine Damen und Herren, wir treten in die Mittagspause ein. Die Sitzung wird um 14 Uhr mit der Fragestunde fortgesetzt.
Ich unterbreche die Sitzung.
Die Sitzung ist wieder eröffnet.
Wir fahren fort in der Behandlung des Tagesordnungspunktes 1:
Fragestunde
— Drucksache 10/507 —
Wir sind noch beim Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern. Zur Beantwortung ist der Parlamentarische Staatssekretär Spranger erschienen.
Zu den Fragen 53 und 54 des Abgeordneten Dr. Struck, 55 und 56 des Abgeordneten Duve, 57 und 58 des Abgeordneten Sperling, 59 und 60 der Abgeordneten Frau Dr. Martiny-Glotz, 61 und 62 des Abgeordneten Schäfer und 63 und 64 des Abgeordneten Dr. Nöbel ist von den Fragestellern
um schriftliche Beantwortung gebeten worden. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Wir kommen dann zur Frage 65 des Abgeordneten Becker , der aber, wie ich weiß, im Ältestenrat sitzt und nicht hier sein kann.
Ich rufe die Frage 66 der Abgeordneten Frau Zutt auf. — Sie ist nicht anwesend. Für die Frage 67 gilt das gleiche.
Die Frage 68 des Abgeordneten Vosen wird auf Grund der Richtlinien für die Fragestunde Nr. 2 Abs. 2 schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt. Die Frage 69 des Abgeordneten Vosen wird wegen Abwesenheit des Fragestellers nicht beantwortet.
Wir kommen zur Frage 70 der Abgeordneten Frau Blunck.
Welche ökologischen Schäden durch die Luftverunreinigung sind von der Bundesregierung über das Baumsterben hinaus in bezug auf Wasserhaushalt sowie Klima- und Bodenqualität festgestellt worden?
Frau Kollegin, unmittelbare Schäden durch die Luftverunreinigungen auf den Wasserhaushalt konnten im Bundesgebiet bisher nur in begrenztem Maße festgestellt werden. Entsprechende Untersuchungen laufen noch. In Gewässern vorgefundene Schadstoffe konnten bisher noch nicht Luftverunreinigungen zugeordnet werden, wenn von örtlichen Problemen, wie etwa Abgasen von Motorbooten, abgesehen wird. Dennoch darf der Einfluß von Luftverunreinigungen auf die Gewässer keineswegs vernachlässigt werden. Langfristig betrachtet könnte gravierend der Wasserhaushalt mittelbar gestört werden. Ohne Wälder stiege der jährliche Wasserabfluß erheblich an, da deren große Speicherkapazität fehlte. Hinzu kämen wesentlich höhere Hochwässer, insbesondere in der Schneeschmelze. Die sich dadurch verändernden Abflußverhältnisse würden zu einschneidenden Veränderungen des gesamten Gewässerregimes führen. Alle bisher getroffenen Maßnahmen, z. B. zum Schutz vor Hochwässern, würden sich dann als völlig unzureichend erweisen.Dafür, daß sich ökologische Schäden eindeutig auf den Einfluß von Luftverunreinigungen auf das Klima zurückführen lassen, gibt es gegenwärtig keine konkreten Indizien. Luftgetragene Stoffe können, wenn sie in den Boden gelangen, bei Überschreitung bestimmter Konzentrationen Veränderungen des Bodens zur Folge haben. Bei langfristigem Eintrag können auch geringe Mengen von Stoffen oder Stoffgruppen solche Veränderungen bewirken.Da solche Veränderungen meßtechnisch jedoch schwer zu erfassen sind, ist die Beobachtung der Entwicklung von Pflanzengesellschaften hinsichtlich ihres Gefüges, aber auch bestimmter Schadensbilder, ein geeignetes Mittel, Hinweise auf schädliche Beeinflussungen des Bodens zu erhalten.Die Forschung hat aufgezeigt, daß den säurebildenden und schwermetallhaltigen Einträgen aus der Luft besondere Bedeutung zukommt. Von der
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2048 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Oktober 1983
Parl. Staatssekretär SprangerVersauerung sind nahezu alle Böden in der Bundesrepublik Deutschland betroffen. Je nach ihrem geologischen Untergrund ist z. B. die Krautschicht der Wälder auffällig verändert. Die Schwermetallbelastung bestimmter Böden hat in der Nähe einiger Industrieanlagen bereits zu Restriktionen beim Anbau einiger Feldfrüchte geführt.Die Bundesregierung hat eine interministerielle Arbeitsgruppe eingerichtet, die bereits eingetretene oder drohende schädliche Bodenveränderungen aufzeigen soll mit dem Ziel, gemeinsam mit den Ländern die Schutzmaßnahmen für den Boden zu verbessern, die ihn als Standort für die Land- und Forstwirtschaft, aber auch für die Sicherung des Grundwassers in einem gesundheitlich unbedenklichen Zustand erhalten oder dort, wo dies nicht mehr gewährleistet ist, Sanierungsmaßnahmen vorzubereiten.
Frau Blunck zu einer Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ist der Bundesregierung bekannt, daß die ökologischen Schäden auf den Gebieten, wo man Wasser entnimmt, zum Teil nur dadurch nicht festgestellt werden, daß man sie nicht gemessen hat, und was gedenkt die Bundesregierung hier zu tun?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Ich glaube, daß meinen Ausführungen zu entnehmen ist, daß in erheblichem Maße Messungen stattgefunden haben. Wenn in bestimmten Fällen, die Sie im Auge haben, Messungen nicht stattgefunden haben sollten, wäre ich für entsprechende Hinweise dankbar, um dann eventuell das von Ihnen Erwünschte und auch von mir und der Bundesregierung als sinnvoll Erachtete zu veranlassen.
Eine weitere Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Blunck.
Herr Staatssekretär, ich glaube, es ist jetzt untergegangen auf Grund der Mikrophonqualität. Ich darf Sie noch einmal fragen, welche Maßnahmen Sie denn nun in Angriff nehmen wollen und zu welchem Zeitpunkt, um diesen ökologischen Schäden entgegenzuwirken.
Spranger, Parl. Staatssekretär: Ich glaube, daß die bisher getroffenen Maßnahmen, die z. B. auch heute vormittag im Bundestag diskutiert worden sind, die Gewißheit vermitteln, daß die Bundesregierung nicht nur bisher entsprechende Maßnahmen getroffen hat, sondern auch auf Grund der Ergebnisse, die beispielsweise diese interministerielle Arbeitsgruppe oder auch sonstige Sachverständige uns als Arbeitsgrundlage zukünftig zur Verfügung stellen werden, die notwendigen und daraus resultierenden Entscheidungen treffen wird.
Abweichend von unseren sonstigen Regeln rufe ich, Herr Staatssekretär, die Frage 65 des Abgeordneten Becker auf, von dem ich wußte, daß er durch dienstliche Geschäfte im Ältestenrat abgehalten war:
Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus der Waldschadenserhebung 1983, und welche schnell wirkenden Maßnahmen wird sie gegen die Luftverunreinigung als eine der Hauptursachen für das Waldsterben durchsetzen?
Herr Staatssekretär.
Spranger, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Becker, die soeben bekanntgewordenen Ergebnisse der Waldschadenserhebung 1983 werden zur Zeit ausgewertet. Bereits vorher hat die Bundesregierung wichtige Entscheidungen zur Verminderung der Luftverunreinigungen durch Erlaß der Großfeuerungsanlagen-Verordnung und Kabinettsbeschlüsse zur Einführung bleifreien Benzins und zur Verminderung von Kraftfahrzeugemissionen getroffen. Die Bundesregierung ist der Meinung, daß die Vorschriften der Großfeuerungsanlagen-Verordnung jetzt strikt und zügig durchgeführt werden müssen. Die Wirtschaft ist hierbei zur Vorlage eines konkreten abgestimmten Umrüstungs- und Stillegungsplans für bestehende Feuerungsanlagen aufgefordert. Nach den der Bundesregierung vorliegenden Erkenntnissen ist die Industrie bestrebt, den Vorschriften der Verordnung konsequent nachzukommen. So sollen bereits 1986 in Bayern und Bremen kohlebefeuerte Anlagen mit einer Abgasentschwefelungsanlage ausgerüstet werden.
Zusatzfrage des Abgeordneten Becker.
Herr Staatssekretär, in Anbetracht dessen, daß weder die vorige Bundesregierung noch die jetzige das Ausmaß und den Umfang des Waldsterbens ermessen konnten und nachdem sich jetzt herausgestellt hat, daß die Schäden weit größer sind, als man auch nur vermuten konnte, erhebt sich doch die Frage: Gibt es neben dem, was Sie vorgetragen haben, nicht noch weitere schnell wirkende Maßnahmen, um dem Waldsterben Einhalt zu gebieten?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Becker, ich darf darauf hinweisen, daß heute vormittag hier im Deutschen Bundestag weitere Maßnahmen diskutiert worden sind. Ich weise nachdrücklich darauf hin, daß es eine sehr gewichtige Aufgabe ist, die Einführung bleifreien Benzins und die Katalysatorentechnik voranzutreiben mit den Möglichkeiten, 90 % aller Schadstoffe aus den Kraftfahrzeugabgasen zu entfernen. Wir hoffen, daß alle politischen Kräfte dieses Ziel gemeinsam verfolgen, um diesen wichtigen Bereich durch politische Entscheidungen zu bewältigen.
Weitere Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Becker.
Herr Staatssekretär, wird die Bundesregierung über das hinaus, was heute vormittag diskutiert worden ist und was jetzt in Ihrer Antwort enthalten ist, sich auch weiter mit Wirtschaftlern, Wissenschaftlern und denjenigen, die Fachleute im Umweltbereich sind, über weitere, schnell wirkende Maßnahmen unterhalten?Spranger, Parl. Staatssekretär: Ich kann diese Frage mit Ja beantworten. Wir meinen, insbeson-
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Oktober 1983 2049
Parl. Staatssekretär Sprangerdere die Wissenschaftler sind aufgerufen, uns so konkret wie möglich Entscheidungsgrundlagen auf wissenschaftlich abgesicherter Basis zur Verfügung zu stellen, die uns in den Stand versetzen, über die bisher getroffenen Maßnahmen hinaus weitere Maßnahmen zu ergreifen.
Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Blunck.
Herr Staatssekretär, ich möchte von Ihnen gerne eine genaue Terminvorgabe für diese zu treffenden Maßnahmen haben, damit es nicht so geht wie bei der Einleitung der Dünnsäure in die Nordsee, wo man zwar von der vorherigen Regierung eine genaue Terminvorgabe hat, aber die jetzige Regierung diese Terminvorgabe immer weiter auf den Sankt-Nimmerleins-Tag hinausschiebt.
Frau Blunck, Sie müssen fragen.
Spranger, Parl. Staatssekretär: Bei der Frage der Verklappung haben Sie möglicherweise die Haltung der neuen Bundesregierung mit der Haltung der früheren Bundesregierung verwechselt, weil die neue Bundesregierung hier klare Zielvorstellungen entwickelt hat. Im übrigen ist allgemein bekannt — ich ging an sich davon aus, daß das allgemein bekannt ist, aber ich bin gern bereit, es zu wiederholen —, daß die Bundesregierung die Maßnahme der Einführung bleifreien Benzins zum 1. Januar 1986 vorbereitet und dazu auch gestern wieder im Kabinett ergänzende Beschlüsse über die Einführung der Technik und der Grenzwerte getroffen worden sind.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Immer .
Herr Staatssekretär, nachdem in der Anhörung des Innenausschusses zum Problem des Waldsterbens von Fachleuten wiederholt geäußert worden ist, daß eine Sofortmaßnahme darin bestehe, die Geschwindigkeitsbegrenzung einzuführen, weil sie eine erhebliche Minderung der Schadstoffe bewirken würde, möchte ich Sie fragen, ob die Bundesregierung auch in dieser Richtung Möglichkeiten erwägt und Beschlüsse fassen wird.
Spranger, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Immer, wie Sie sicherlich wissen, ist die Diskussion im Innenausschuß über die Ursachen des Waldsterbens durchaus differenziert verlaufen. Wir haben unterschiedliche Meinungen von verschiedenen Wissenschaftlern gehört, und auch die politische Bewertung dieser Aussagen ist unterschiedlich, wie Sie der Debatte heute vormittag hier im Plenum entnehmen konnten.
Ich rufe die Frage 71 der Frau Abgeordneten Dr. Hartenstein auf, die leider
nicht im Raum ist. Die Frage wird entsprechend der Geschäftsordnung behandelt.
Ich rufe die Frage 72 des Abgeordneten Dr. Czaja auf:
Trifft es nach den Erkenntnissen der Bundesregierung zu, daß etwa 800 Ostagenten — 80 v. H. aus der DDR — verbotene Ausforschung im Bereich gewöhnlicher industrieller Fertigung, aber auch hochentwickelter Technologie in der Bundesrepublik Deutschland betreiben und dadurch mit geringen Kosten, etwa einem Einsatz von 5 Millionen DM, einen sechzigfachen Entwicklungseffekt , besonders zugunsten der Rüstung im Ostblock und zur Beschleunigung der Rüstungsspirale, erreichen, weil die „etwas altertümliche, im Schwerpunkt auf Militärspionage ausgerichtete" Gesetzgebung ausreichende Kontrollen nicht ermöglicht (FAZ, 12. März 1982), wie der Landespolizeipräsident von Baden-Württemberg meint?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Dr. Czaja, nach den Aussagen des im Januar 1979 in den Westen übergetretenen Oberleutnants des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR Stiller erzielte die DDR im Jahre 1977 bei einem Aufwand von ca. 5 Millionen DM für Wirtschafts- und Wissenschaftsspionage einen volkswirtschaftlichen Nutzen von ca. 300 Millionen Mark (Ost). Dabei handelt es sich allerdings um Schätzungen, die in etwa die Bedeutung der Wirtschaftsspionage für die DDR veranschaulichen.
Daneben steht der rüstungstechnische Nutzen der Wirtschaftsspionage. Er besteht darin, daß Entwicklungen westlicher Industrienationen, z. B. in den Bereichen Computertechnik und Mikroelektronik, für rüstungstechnische Vorhaben des Ostblocks, in erster Linie der UdSSR, genutzt werden können und auch genutzt werden.
Derartige geheimdienstliche Aktivitäten gegnerischer Agenten werden strafrechtlich nach § 99 Strafgesetzbuch geahndet, der Freiheitsstrafe bis zu 5 Jahren, in besonders schweren Fällen bis zu 10 Jahren vorsieht. Die Bundesregierung ist der Auffassung, daß diese zentrale Strafvorschrift die in Betracht kommenden geheimdienstlichen Tätigkeiten erfaßt und einen angemessenen Strafrahmen ermöglicht. Angaben über die Zahl der in der Bundesrepublik Deutschland tätigen Ostagenten, wie sie auch in Ihrer Frage für einen Teilbereich genannt werden, sind spekulativ. Es gibt dafür keine zuverlässigen Anhaltspunkte.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Czaja.
Herr Staatssekretär, haben die etwas zurückliegenden öffentlichen Aussagen des als tüchtig bekannten Landespolizeipräsidenten von Baden-Württemberg im Lichte der Erkenntnisse in den letzten Wochen und Monaten nicht noch verstärkt Bedeutung gewonnen? Sie haben einen Teil dieser Punkte bereits angeführt.
Spranger, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Dr. Czaja, mir ist nicht bekannt, auf welche konkreten Äußerungen Sie Bezug nehmen wollen.
Eine weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Czaja.
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2050 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Oktober 1983
Herr Staatssekretär, wie ich hier angeführt habe, habe ich auf die Äußerungen des Landespolizeipräsidenten in der „FAZ" vom März vorigen Jahres hingewiesen. Ich möchte dazu noch fragen: Reichen nach Ihrer Meinung die gesetzlichen Bestimmungen für die Bekämpfung der Industriespionage und nicht nur der Militärspionage aus, was dieser Praktiker bezweifelte?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Herr Dr. Czaja, ich habe versucht, in meiner Antwort klarzulegen, daß nach Auffassung der Bundesregierung die strafrechtlichen Bestimmungen ausreichend sind, daß es aber auch darauf ankommt, diesen Strafbestimmungen durch entsprechende Anwendung Geltung zu verschaffen.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Hupka.
Herr Staatssekretär, Sie haben in Ihrer Antwort auf Erkenntnisse abgehoben, die schon länger zurückliegen. Haben Sie Erkenntnisse etwa über die Jahre 1980, 1981 und 1982?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Dr. Hupka, die Antwort, die ich gegeben habe, bewertet die aktuelle Situation.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Gansel.
Herr Staatssekretär, da mich die Präzisierung der Zahlenangaben im Verhältnis zu den ungenauen Auskünften, die wir sonst kriegen, immer verwundert, möchte ich fragen, ob Sie bei der exakten Schätzung von 300 Millionen DM, die ja, wie Sie sagten, schon älteren Datums sein soll, die geringere Preissteigerungsrate der letzten Jahre berücksichtigt haben.
Spranger, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Gansel, ich habe in meiner Antwort nicht Schätzungen der Bundesregierung, sondern Aussagen des MfS-Offiziers Stiller zitiert, der 1979 übergetreten ist und diese Aussage gemacht hat. Ich gehe nicht davon aus, daß er bei diesen Aussagen irgendwelche Inflationsraten mit einkalkuliert hat.
Zusatzfrage der Abgeordneten Simonis.
Herr Staatssekretär, da wir in der Wirtschaftspolitik immer darunter leiden, daß wir nur mit Schätzungen arbeiten müssen, die meistens nicht stimmen: Wären Sie freundlicherweise bereit, uns den Herrn unter Umständen für den Bereich Wirtschaftspolitik und Prognosen auszuleihen?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Ich sehe hier keinen Zusammenhang mit der Ausgangsfrage.
Es ist nicht unbedingt erforderlich, daß der Staatssekretär die Frage beantwortet.
Ich rufe die Frage 73 des Abgeordneten Paterna auf:
Kann die Bundesregierung die in der sogenannten Bürgerinformation „Kommunistische Einflußnahme auf die Protestbewegung — ,Ein Beitrag zum Triumph des Sozialismus im Weltmaßstab''' unter dem Rubrum „Beeinflußte Organisationen" neben VDJ enthaltene Eintragung „andere" nach beweisbarer bzw. vermuteter Zusammensetzung detailliert aufschlüsseln?
Herr Staatssekretär.
Spranger, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Paterna, die in dem Schaubild mit „andere" bezeichneten DKP-beeinflußten Organisationen sind — jetzt in Reihenfolge — das Antiimperialistische Solidaritätskomitee für Afrika, Asien und Lateinamerika, der Arbeitsausschuß der Initiative „Weg mit den Berufsverboten", der Bund demokratischer Wissenschaftler, die Freundschaftsgesellschaft Bundesrepublik Deutschland — Kuba e. V., die Gesellschaft für die Freundschaft zwischen den Völkern in der Bundesrepublik Deutschland und der Sozialistischen Republik Vietnam e. V. Auch über diese Organisationen wird nachweislich kommunistische Einflußnahme versucht. Alle diese Organisationen sind bereits im Verfassungsschutzbericht 1982 als DKP-beeinflußt aufgeführt.
Herr Abgeordneter Paterna zu einer Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, könnten Sie mir über Auflage und Verbreitungsweg dieser sogenannten Bürgerinformation Näheres und einiges über die Ihnen bekanntgewordenen Reaktionen auf diese sogenannte Information sagen?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Paterna, die Zahlen sind schon wiederholt, u. a. auch im Haushaltsausschuß und im Innenausschuß, genannt worden. Ich bin aber gern bereit, dies hier erneut zu tun. Dieses Faltblatt ist in einer Auflage von 250 000 erschienen und von den Bürgern bereits in großem Umfange abgerufen worden.
Herr Paterna zu einer weiteren Zusatzfrage.
Darf ich Ihre Antwort so verstehen, daß diese 250 000 Exemplare durch Postkarten oder Telefonanrufe einzeln bei Ihnen angefordert worden sind, oder kann es auch sein, daß Sie sie in größeren Sortiments auf bestimmten Verbreitungswegen an die Bürger gebracht haben, und wenn ja, könnten Sie diese Verbreitungswege, nach denen ich j a soeben schon gefragt habe, noch etwas genauer beschreiben?Spranger, Parl. Staatssekretär: Die Verteilung ist unterschiedlich erfolgt. Es sind viele Anforderungen dagewesen; es ist beispielsweise auch über das Parlament zur Verteilung gekommen. Jedenfalls sind wir, was die Nachfrage angeht, in positivem Sinn überrascht worden.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Oktober 1983 2051
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Laufs.
Herr Staatssekretär, da von seiten der Deutschen Friedensgesellschaft — Vereinigte Kriegsdienstgegner behauptet wurde, das Faltblatt verleumde die Friedensbewegung, möchte ich fragen: Welche der in dem erwähnten Faltblatt des BMI dargestellten Steuerungen, Einflußnahmen oder Kontakte der Kommunisten zu den in der sogenannten Friedensbewegung tätigen Organisationen haben sich als unrichtig erwiesen oder sind von den Betroffenen widerlegt worden?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Es sind keine dieser Verbindungen von irgend jemandem beanstandet worden. Man darf vielleicht hinzufügen, daß lediglich eine Beschwerde der Evangelischen Studentengemeinde eingetroffen ist, die sich darüber beschwert hat, daß sie nicht als Mitglied im Koordinationsausschuß erwähnt worden ist.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Schmidbauer.
Herr Staatssekretär, ich darf Sie fragen, worin denn die angebliche Einflußnahme auf diesen Koordinationsausschuß besteht.
Spranger, Parl. Staatssekretär: Sie wissen, daß dieser Koordinationsausschuß im Bereich der Bundesrepublik Deutschland die Aufgabe hat, die verschiedenen Aktionen der sogenannten Friedensbewegung vorzubereiten und abzustimmen. Die vergangenen Monate haben j a gezeigt, mit welcher Effizienz dieser Koordinationsausschuß daran mitgewirkt hat.
Eine weitere Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Simonis.
Herr Staatssekretär, können Sie mir bestätigen, daß die Kosten für diese Broschüre aus einem Titel Ihres Hauses bezahlt worden sind, der im wesentlichen mit „Gründe und Ursachen des Terrorismus in der Bundesrepublik" bezeichnet werden kann? Und wollen Sie damit zum Ausdruck bringen, daß die Jugendorganisationen demokratischer Parteien, z. B. meiner Partei, die Massenbewegung DGB, christliche Kirchen und andere Bewegungen damit auch kommunistisch unterwandert oder vielleicht sogar zu den Verursachern und Begründern des Terrorismus in der Bundesrepublik zu zählen sind?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin Simonis, das ist nun der wiederholte Versuch, mir etwas zu unterstellen, was mit diesem Beitrag nicht beabsichtigt ist. Wir wollen niemanden in irgendeiner Weise bezichtigen, kommunistisch unterwandert zu sein. Wir wollen deutlich machen, welche Einflüsse die Deutsche Kommunistische Partei im Rahmen dieser sogenannten Friedensbewegung ausgeübt hat. Die Frage des Kollegen Laufs habe ich dahin beantworten können, daß niemand der hier Angesprochenen sich in irgendeiner Weise beschwert hat, daß diese Darstellungen unrichtig sind.
Im übrigen ist es richtig, daß dieses Faltblatt aus den Mitteln des BMI, aber, wenn ich mich recht erinnere, nicht im Bereich des Terrorismus, sondern im Rahmen der geistig-politischen Auseinandersetzung mit dem Extremismus finanziert worden ist.
Eine weitere Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Jungmann.
Herr Staatssekretär, wenn der Zuspruch und die Anforderung bei dieser Broschüre so groß waren, können Sie dann auch mal Zahlen sagen: wie viele der 250 000 bis heute verteilt worden sind und wieviel das insgesamt gekostet hat? Denn bei solchen Dingen sollten Aufwand und Erfolg in einem gewissen Zusammenhang stehen.
Spranger, Parl. Staatssekretär: Ich kann hier nur wiedergeben, was mir heute der zuständige Referent über die Nachfrage mitgeteilt hat. Von den 250 000 Exemplaren sind bisher 220 000 verteilt. Die Interessenten müssen sich also daranhalten, daß sie noch an die restlichen 30 000 herankommen. Im übrigen sind die Kosten, die ich nannte, Druckkosten. Was die Kosten der Verteilung anlangt, bin ich gern bereit, den Versuch zu unternehmen, das noch näher aufzuschlüsseln. Das kann ich zur Zeit nicht nennen.
Zusatzfrage des Abgeordneten Catenhusen.
Herr Staatssekretär, ich unterstelle, Sie wissen sicherlich, daß in der Friedensbewegung akzeptiert wird, daß auch Kommunisten Angst vor einem Atomkrieg haben können. Deshalb frage ich Sie: wie groß ist denn der genaue prozentuale Anteil von Mitgliedern der DKP im Koordinationsausschuß, der den Vorwurf, der in diesem Blatt erhoben wird, rechtfertigen kann?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Ich kann Ihnen nicht den prozentualen Anteil nennen. Aber ich glaube, ich kann Ihnen die Art der Einflußnahme auf den Koordinierungsausschuß nennen. Man müßte das dann prozentual umsetzen. Beispielhaft sind in diesem Koordinationsausschuß zu erwähnen: die DKP-beeinflußte Deutsche Friedensgesellschaft — Vereinigte Kriegsdienstgegner, die durchden Vorsitzenden und durch ein der DKP angehöriges Vorstandsmitglied vertreten wird. Außerdem: für die Vereinigten Deutschen Studentenschaften arbeitet ein Bundesvorstandsmitglied der DKP-Nebenorganisation MSB Spartakus mit. Das DKP-beeinflußte Komitee für Frieden, Abrüstung und Zusammenarbeit und die DKP-Nebenorganisation SDAJ sind dort vertreten. Auch in fast allen Arbeitsgruppen zur Vorbereitung der sogenannten Widerstandstage konnten sich orthodoxe Kommuni-
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Parl. Staatssekretär Sprangersten und deren Sympathisanten zentrale Positionen sichern.
Zusatzfrage des Abgeordneten Weisskirchen .
Herr Staatssekretär, nachdem Sie eben mehrmals von der „sogenannten Friedensbewegung" gesprochen haben, darf ich Sie fragen, ob ich am Samstag, dem 22. Oktober, eine sogenannte Rede auf dem Marktplatz gehalten habe, oder darf ich Sie demnächst als einen sogenannten Staatssekretär bezeichnen?
Herr Staatsseketär, das müssen Sie nicht beantworten.
Spranger, Parl. Staatssekretär: Herr Abgeordneter, ich würde Ihnen Ihre eigenen Schlußfolgerungsversuche selber überlassen.
Eine weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Czaja.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Staatssekretär, würde Ihr Haus angesichts der sehr starken Nachfrage, die ich auf Grund von Telefonanrufen, wo man diese Darstellung bekommen könne, nur bestätigen kann, prüfen, ob noch weitere Auflagen dieses Plakats versandt werden können?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Czaja, die Bundesregierung wird zu jeder Zeit Möglichkeiten prüfen, ihrem Auftrag nachzukommen, die Bevölkerung so umfassend wie möglich über verfassungsfeindliche Bestrebungen, die sich gegen unseren Staat richten, zu informieren.
Zusatzfrage des Abgeordneten Oostergetelo.
Herr Staatssekretär, können Sie die von Ihnen gebrauchte Formulierung „sogenannte Friedensbewegung" etwas näher begründen? Meinen Sie, Sie werden dem Anliegen damit gerecht?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich empfehle Ihnen der Einfachheit halber, den Verfassungsschutzbericht 1982 nachzulesen oder dieses Plakat an Hand des Verfassungsschutzberichts intensiv zu analysieren.
Zusatzfrage des Abgeordneten Immer.
Herr Staatssekretär, nachdem wir erfahren haben, daß dieses Plakat einem Antiterroristentitel entnommen ist, und nachdem Sie gesagt haben, es hätten Leute erklärt, sie gehörten anderen Organisationsformen an, darf ich Sie fragen, ob dieses Blatt einem Fahndungsblatt vergleichbar ist, bei dem jeder in den Nachweiszwang gerät, daß er nicht zu diesen Terroristen gehört, sondern ein staatstragender Demokrat ist.
Spranger, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Immer, Ihre Frage kann ich mit Nein beantworten.
Wir haben hier oben die Liste der Fragesteller geschlossen, nachdem noch vier Wortmeldungen vorliegen, die alle abgewickelt werden. Herr Kollege Broll zu einer Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, stimmen Sie mir zu, daß gerade die Anhänger der Friedensbewegung ein Recht darauf haben, von der demokratisch gewählten Regierung darauf hingewiesen zu werden, in welch dubioser Gesellschaft sie sich befinden und daß sie möglicherweise für ganz andere als friedliche Zwecke benutzt werden sollen?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Broll, ich darf ausdrücklich auf folgenden Absatz dieses Faltblatts hinweisen:
Von Aktivitäten und Zielen der orthodoxen Kommunisten handelt diese Information, nicht von den Beweggründen und Zielen der Menschen in der Friedensbewegung, die sich aus unterschiedlichen Motiven, aber sehr oft als entschiedene Demokraten im Rahmen unserer Rechtsordnung für Abrüstung einsetzen.
Die Menschen darüber zu informieren, in welcher Weise Kommunisten ihren Einfluß benutzen, ist der Auftrag der Bundesregierung im Hinblick auf die Aufklärung der Bevölkerung über verfassungsfeindliche Bestrebungen.
Zusatzfrage des Abgeordneten Gansel.
Herr Staatssekretär, welche sogenannte Stelle oder Firma ist Hersteller dieser sogenannten Aufklärungsschrift, und wann ist sie verfaßt worden?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Gansel, hier ist als Verantwortlicher der Bundesminister des Innern angegeben. Beim Bundesinnenministerium lag auch die Federführung.
Wir kommen zur nächsten Zusatzfrage. Sie wird vom Abgeordneten Hirsch gestellt.
Herr Staatssekretär, am Ende dieses wirklich bemerkenswerten Faltblatts ist ja die salvatorische Klausel enthalten, die Sie gerade
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Dr. Hirsch) teilweise verlesen haben, daß sich keiner persönlich getroffen fühlen soll und eigentlich alles nicht so ernst gemeint ist. Könnten Sie für den Fall, daß die Schreckensvision des Kollegen Czaja Wahrheit wird, daß es zu einer Neuauflage kommen sollte,
wenigstens zusagen, daß diese salvatorische Klausel unübersehbar an den Anfang dieses Exemplars gestellt wird?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Dr. Hirsch, Ihre Frage veranlaßt mich, die gewisse Verharmlosung, die Ihrer Frage vielleicht zu entnehmen ist, daß alles nicht so ernst genommen werden müsse, doch mit der Erwähnung des zweiten Teils des letzten Absatzes zu beantworten, der wiederum deutlich macht, daß die Kommunisten gewaltige Anstrengungen unternehmen, um Einfluß zu gewinnen. Es heißt weiter:Ihr Erfolg oder Mißerfolg hängt davon ab, mit welcher Entschiedenheit Demokraten sich von Kommunisten — wie von allen Extremisten — politisch absetzen und sich mit ihren Zielen auseinandersetzen.In diesem Sinne ist auch die Information dieses Faltblattes zu verstehen.
Eine letzte Zusatzfrage zu dieser Frage, Frau Abgeordnete Zutt.
Herr Staatssekretär, da Sie vom reißenden Absatz der 250 000 gedruckten Exemplare sprachen, darf ich noch eine Frage zur Verteilung stellen: Trifft es zu, daß Sie diese unter dem Begriff Bürgerinformation deklarierte Schrift vor allem im Rahmen der Mahnminuten verteilt haben, zu denen der DGB am 5. Oktober 1983 aufgerufen hat?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Mir sind Verteilungsaktionen der von Ihnen genannten Art nicht bekannt.
Wir kommen zur Frage 74 des Abgeordneten Paterna:
Für welche Methoden der Beeinflussung stehen in der o. a. sogenannten Bürgerinformation jeweils die schraffierten bzw. gepunkteten Linien, und ist die Bundesregierung in der Lage und bereit, die unter der Bezeichnung „beeinflußte Organisationen" wiedergegebenen Kürzel im Volltext und unter Angabe der jeweiligen Mitgliederstärken zu erläutern?
Herr Staatssekretär, bitte.
Spranger, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Paterna, die gestrichelten Linien kennzeichnen nach der Legende des Schaubildes im Unterschied zur Steuerung die Einflußnahme. Darunter sind die Bemühungen der orthodoxen Kommunisten zu verstehen, vor allem im organisatorischen Bereich — Sekretariat — von Vereinigungen entscheidende Funktionen in die Hand kommunistischer und prokommunistischer Funktionäre zu bekommen, die
mitunter aus Tarnungsgründen der Partei nicht offiziell beitreten.
Die punktierten Linien kennzeichnen im einzelnen unterschiedliche Formen der Zusammenarbeit oder von Kontakten mit orthodoxen Kommunisten, z. B. gemeinsame Aktionen oder Aufrufe.
Die im Schaubild unter der Bezeichnung „beeinflußte Organisationen" verwendeten Abkürzungen sind am rechten Rand im Volltext wiedergegeben und erläutert. Soweit den beeinflußten Organisationen überwiegend Einzelpersonen angehören, zählen zur Deutschen Friedensgesellschaft-Vereinigte Kriegsdienstgegner nach eigenen Angaben etwa 21 500 Mitglieder, zur Deutschen Friedens-Union und zur Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes-Bund der Antifaschisten — VVN-BdA — weit über 10 000. Das KFAZ stützt sich nach eigenen Angaben weniger auf persönliche Mitglieder als vielmehr auf Hunderte von örtlichen Komitees und Initiativen. Die Krefelder Initiative stützt sich auf sehr viele, insbesondere berufsspezifisch organisierte Gruppen, die sich an der Kapagne für den Krefelder Appell beteiligen.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Paterna.
Herr Staatssekretär, könnten Sie mir sagen, wo in diesem Schaubild einzuordnen sind die zahlreichen berufsgruppenbezogenen Initiativen wie die der Naturwissenschaftler, der Mediziner, der Sportler, der Christen, und wo z. B. der Bundesvorstand des DGB in diesem Schaubild anzusiedeln ist, der ja bekanntlich auch zur Teilnahme an den „Volksversammlungen" aufgerufen und dorthin auch Redner delegiert hat?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Ich bin gerne bereit, Ihnen eine Liste derjenigen Organisationen vorzulegen, die den Krefelder Appell unterschrieben haben. Daraus ergibt sich auch der Wirkungsgrad der Einflußnahme, wie sie in diesem Faltblatt dargestellt worden ist.
Ein weitere Zusatzfrage, Herr Paterna.
Herr Staatssekretär, in dem Faltblatt wird von Demonstrationen, Blockaden u. a. auch von sogenannten gewaltfreien Aktionen geredet. Soll man das so verstehen, als würden die Initiatoren zwar behaupten, es seien gewaltfreie Aktionen, nach Ihren Erkenntnissen sind es aber gar keine solchen, und welche nach Ihrer Auffassung „sogenannten" gewaltfreien Aktionen sind hier gemeint?Spranger, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Paterna, eine der von den Initiatoren immer wieder als gewaltfrei bezeichneten Aktionen sind die Blokkaden von Bundeswehreinrichtungen gewesen. Die Auffassung der Bundesregierung dazu ist eindeutig:
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Parl. Staatssekretär SprangerEs handelt sich hierbei objektiv um Straftatbestände, z. B. um den Tatbestand der Nötigung.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Krizsan.
Herr Staatssekretär, gestehen Sie den an den Aktionen der Friedensbewegung beteiligten Bürgern zu, daß sie selbst entscheiden können — ohne die Mithilfe Ihres Ministeriums —, in welchen Gruppen sie sich engagieren, und daß sie selbst entscheiden können, ob sie mit Kommunisten zusammenarbeiten wollen oder nicht?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Durch dieses Faltblatt und andere Informationen sind die Entscheidungen des Bürgers in keiner Weise beeinträchtigt. Wir sind allerdings der Auffassung, daß der Bürger diese Entscheidungen auf Grund der tatsächlichen Situationen und der wahrheitsgemäßen Information über politische Zielsetzungen von bestimmten Personen, die hier tätig geworden sind, sollte treffen können.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Catenhusen.
Herr Staatssekretär, dem Faltblatt ist zu entnehmen, daß der Koordinationsausschuß für die Aktionen der Friedensbewegung im Herbst in sechsfacher Weise — dies ist durch sechs Pfeile gekennzeichnet — beeinflußt wird. Sie haben eben dargestellt, daß insgesamt drei Mitglieder der DKP an den Sitzungen dieses Koordinationsausschusses teilnehmen. Können Sie uns bitte informieren, wie groß in etwa die Zahl der Teilnehmer an diesen Koordinationsausschußsitzungen ist, damit wir ermitteln können, wie hoch der prozentuale Anteil von DKP-Mitgliedern an diesen Sitzungen ist?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Ich kann Ihnen jetzt weder die Zahl der formellen Mitglieder dieses Gremiums nennen noch kann ich Ihnen mitteilen, wie viele bei den jeweiligen Sitzungen anwesend gewesen sind.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Jungmann.
Herr Staatssekretär, in Ihrer Antwort auf die Frage des Kollegen Paterna, was Sie unter sogenannten gewaltfreien Aktionen verstehen, haben Sie gesagt: Blockaden. In Ihrem Faltblatt steht aber — ich zitiere dies hier —: „Demonstrationen, sog. gewaltfreie Aktionen, Blockaden u. a.". Nach dem, was dort steht, können Blockaden doch nicht sogenannte gewaltfreie Aktionen sein.
Spranger, Parl. Staatssekretär: Sie haben das etwas durcheinandergebracht. Ich habe nicht von sogenannten gewaltfreien Aktionen gesprochen,
sondern ich habe von Blockaden gesprochen und habe die Blockaden rechtgemäß eingeordnet.
Eine Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Zutt.
Herr Staatssekretär, nachdem Sie uns so genau darüber Auskunft geben können, wie hoch die Anzahl der DKP-Mitglieder in den verschiedenen Organisationen und im Koordinationsausschuß ist: Können Sie uns auch mitteilen, wie hoch die Anzahl der Mitglieder von CDU bzw. CSU in dem Koordinationsausschuß ist?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Ich gehe davon aus, daß kein Mitglied von CDU bzw. CSU in diesem Koordinationsausschuß mitwirkt.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Hirsch.
Herr Staatssekretär, da Sie dieses Faltblatt als eine Entscheidungshilfe für die Bürger bezeichnet haben: Erlauben es denn die Mittel Ihres Hauses, auch entsprechende Entscheidungshilfen herauszugeben, aus denen sich — gestrichelt, gepünktelt oder wie auch immer dargestellt — die Beteiligung der demokratischen Organisationen, der Kirchen, der Gewerkschaften etc., in ähnlicher Weise schaublattmäßig aufgemacht ergibt?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Dr. Hirsch, es ist nicht Aufgabe des Bundesinnenministers, die Beteiligung dieser Organisationen bei irgendwelchen Veranstaltungen zu kontrollieren, zu überwachen oder anzuprangern.
Unsere Aufgabe ist es vielmehr, den Einfluß verfassungsfeindlicher Bestrebungen darzulegen. Das ist hier in diesem Faltblatt geschehen.
Meine Damen und Herren, ich kann zwar verstehen, daß hier Zwischenrufe gemacht werden, aber der Regierung steht frei, was sie antworten will.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Weisskirchen.
Herr Staatssekretär, nachdem in Bonn auf der Hauptkundgebung
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Weisskirchen
1 auch ein Mitglied der CDU gesprochen hat und da auch Herr Alt, Mitglied der CDU, der Friedensbewegung zugerechnet werden kann: Wie würden Sie es denn bewerten, daß Sie diese ganzen Informationen im Rahmen einer sogenannten Antiterroristenaufklärung verbreitet haben? Zählen Sie denn Herrn Alt oder die Mitglieder der CDU, die dort geredet oder teilgenommen haben, zu Terroristen?Spranger, Parl. Staatssekretär: Ich glaube, daß eine solche Frage nicht ernst gemeint sein kann. Deswegen möchte ich auch auf eine Antwort verzichten.
Meine Damen und Herren, jetzt arbeiten wir noch die vorliegenden Zusatzfragen ab. Dann schließe ich diesen Fragenkomplex ab. Herr Czaja ist der nächste Fragesteller.
Herr Staatssekretär, sind Sie nicht der Meinung, daß das sehr starke Interesse der Abgeordneten aller Fraktionen dieses Hauses auch an den Details Ihres Faltblattes nicht nur eine sehr gute Propaganda für dieses Faltblatt ist, sondern auch eine Neuauflage dringend macht?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Herr Dr. Czaja, ich kann Ihnen zustimmen, daß die Diskussion um dieses Faltblatt in den letzten Wochen die Attraktivität dieses Blattes ungewöhnlich erhöht hat.
Eine Zusatzfrage der Frau Abgeordneten Blunck.
Herr Staatssekretär, nachdem Sie dem Kollegen Hüsch auf seine Frage geantwortet haben, daß diese Gruppierungen nicht überwacht würden: Würden Sie mir bitte die Frage beantworten, ob die in dieser „Entscheidungshilfe für Bürger" genannten Broschüre erwähnten Gruppierungen überwacht werden?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Ich kann Ihnen nur sagen: Dieses Informationsblatt wird niemandem aufgezwungen. Im Gegenteil, wir haben Schwierigkeiten, den Wünschen zu entsprechen, die an uns herangetragen wurden.
Meine Damen und Herren, wir sind am Ende des Geschäftsbereichs des Bundesministers des Innern. Ich danke dem Herrn Staatssekretär für die Beantwortung der Fragen.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers des Auswärtigen. Zur Beantwortung steht der Herr Staatsminister Möllemann zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 6 des Herrn Abgeordneten Dr. Hüsch auf:
Welche Informationen liegen der Bundesregierung über Umstände und Motive der Ermordung des Abgeordneten der Demokratischen Partei in Uganda, Sambatia, am 1./2.Oktober 1983 vor, und in welcher Weise hat die Bundesregierung sich gegebenenfalls dazu besonders gegenüber ugandischen Stellen geäußert?
Bitte, Herr Staatsminister.
Herr Kollege, nach den Erkenntnissen der Bundesregierung ist der der ugandischen Oppositionspartei, der Demokratischen Partei, angehörende Abgeordnete Sambatia am Abend des 2. Oktober 1983 gegen 23 Uhr in seinem Haus in Kampala von unbekannten Tätern durch zwei Schüsse getötet worden. Nach bisher bekanntgewordenen Informationen drang eine Gruppe von ca. zehn Personen auf sein Grundstück vor, und drei Täter betraten das Haus, während die übrigen draußen auf dem Grundstück blieben. Während des Anschlags befand sich die Ehefrau des Ermordeten in dem Hause. Nachdem die Täter den Abgeordneten erschossen hatten, forderten sie die Ehefrau zur Herausgabe von Geld auf, worauf diese ihnen etwa 15 000 ugandische Schillinge, etwa 140 DM, aushändigte. Die Täter entwendeten darüber hinaus ein Radiogerät. Nach dem Mordanschlag entkamen sie unerkannt.
Die ugandische Regierung und das ugandische Parlament haben ihre Bestürzung über den Tod dieses prominenten Bürgers und Abgeordneten zum Ausdruck gebracht und sein Engagement im Hinblick auf eine Stärkung der parlamentarischen Demokratie in Uganda besonders hervorgehoben.
Die Bundesregierung, die den Mord an dem ugandischen Abgeordneten auf das schärfste verurteilt, hat bei einem Gespräch des Botschafters in Kampala mit dem ugandischen Innenminister am 5. Oktober dieses Jahres ihre Betroffenheit über den Anschlag zum Ausdruck gebracht.
Herr Dr. Hüsch, zu einer Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, kann die Bundesregierung die Information bestätigen, daß der Mord in einem Gebiet stattfand, das üblicherweise von starken Polizeikräften deshalb gesichert ist, weil auch der Sitz des ugandischen Staatspräsidenten, Milton Obote, dort liegt, und welche Schlußfolgerungen zieht die Bundesregierung daraus?Möllemann, Staatsminister: Wir müssen, Herr Kollege, mit den Schlußfolgerungen behutsam sein angesichts dessen, was wir wirklich wissen. Die bisherigen Ermittlungen deuten eher auf einen rein kriminellen Akt eines Raubmordes hin. Die Bundesregierung kann natürlich nicht ausschließen, daß neben kriminellen Motiven bei den Tätern auch politische Motive zu der Tat geführt haben — ohne daß für diese Möglichkeit bisher konkrete Anhaltspunkte vorliegen.Es gibt nach wie vor im Großraum Kampala — und darauf deutet auch die von Ihnen angesprochene Tatsache hin —, wenn auch in begrenztem
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2056 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Oktober 1983
Staatsminister MöllemannUmfang, Aktivitäten einer gegen die Regierung Obote kämpfenden Guerilla.
Herr Dr. Hüsch, zu einer weiteren Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, welche Erkenntnisse liegen der Bundesregierung darüber vor, daß vor etwas mehr als einem Jahr ein weiterer Abgeordneter der Demokratischen Partei erschossen wurde, und zwar ehe es Guerilla-Aktivitäten in den von Ihnen bezeichneten Gebieten in Uganda gab?
Möllemann, Staatsminister: Dieser Sachverhalt ist mir bis jetzt unbekannt. Dem müßte ich nachgehen.
Ich rufe die Frage 7 der Frau Abgeordneten Simonis auf:
Trifft es zu, daß die Bundesregierung die Vorführung des Filmes „Die weiße Rose" bereits auf der bundesdeutschen Filmwoche in Budapest mit Hinweis auf den Nachspann verweigern wollte, auf Grund der Erkenntnis, daß der sogenannte erste Nachspann die Rechtsauffassung des Bundesgerichtshofes korrekt wiedergibt, jedoch einer Vorführung mit dem sogenannten ersten Nachspann zustimmte, und teilt die Bundesregierung bejahendenfalls meine Auffassung, daß trotz einer Konkretisierung des sogenannten zweiten Nachspanns in fünf Punkten über die bestehende Rechtslage der Film deshalb nicht durch das Goethe-Institut im Ausland vorgeführt werden kann, weil die Bundesregierung dies aus politischen Gründen nicht für opportun hält?
Herr Staatsminister, bitte.
Möllemann, Staatsminister: Frau Kollegin, es ist richtig, daß der Film „Die weiße Rose" einschließlich des seinerzeitigen Nachspanns im Rahmen der Deutschen Filmwoche Ende 1982 in Budapest gezeigt worden ist. Dazu ist zu sagen, daß der Film Bestandteil einer Angebotsstaffel war, aus der die ungarische Seite eine Auswahl getroffen hat. Trotz seiner Bedenken gegenüber dem Nachspann hat das Auswärtige Amt darauf verzichtet, auf diese Auswahl Einfluß zu nehmen, um nicht die Filmwoche insgesamt zu gefährden.
Den zweiten Teil Ihrer Frage, die Sie in abgewandelter Form schon einmal gestellt haben, habe ich von dieser Stelle aus bereits am 9. Juni 1983 beantwortet. Ich verweise auf das entsprechende Protokoll.
Zusatzfrage der Frau Abgeordneten Simonis.
Herr Staatsminister, stimmt es, daß von denen, die im näheren oder weiteren Umkreis zur Weißen Rose gehört haben, außer im Land Bayern, wo durch Gesetz eine Annullierung erfolgt ist, außer in der ehemaligen französischen Zone, wo es auf Antrag des Staatsanwaltes zu einem Wiederaufnahmeverfahren kommen konnte, und außer in der ehemaligen britischen Zone, wo es auf Antrag der Angehörigen zu einem Wiederaufnahmeverfahren kommen konnte, keiner freigesprochen worden ist und aus diesem Grunde kein Geringerer als der Präsident des Bundesgerichtshofes, Herr Dr. Pfeiffer, gefordert hat, daß durch Bundesgesetz eine generelle Annullierung dieser damaligen Unrechtsurteile erfolgen solle?
Möllemann, Staatsminister: Frau Kollegin, der seinerzeitige Parlamentarische Staatssekretär im Justizministerium, Dr. Klein, hat auf diese Frage, die hier ebenfalls bereits behandelt worden ist, damals gesagt: Die Aufhebung nationalsozialistischer Unrechtsurteile ist durch landes- oder zonenrechtliche Vorschriften bereits vor der Entstehung der Bundesrepublik Deutschland geregelt worden. Dem entsprechenden bayerischen Gesetz Nr. 21 von 1946 korrespondiert für den gesamten Bereich der Bundesrepublik Deutschland eine Vielzahl einschlägiger rechtlicher Normen. Damit ist nicht nur der Bereich der Bundesrepublik Deutschland, aber auch dieser Bereich vollkommen abgedeckt.
Darüber hinaus kann man natürlich über die von Ihnen angesprochene Frage, die ja über den Anlaß des Films hinausgeht, eine politische Diskussion der von Ihnen gewünschten Art führen. Es steht den Fraktionen des Bundestages vollständig frei, einen entsprechenden Gesetzentwurf einzubringen.
Eine weitere Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Simonis.
Herr Staatsminister, darf ich aus Ihrer Antwort schließen, daß es sich hier um eine Umkehrung des normalen Grundsatzes „Bundesrecht bricht Landesrecht" handelt, daß also hier Landesrecht Bundesrecht — oder damals nicht bestehendes Bundesrecht — bricht, und ist daher meine Frage, deren zweiten Teil Sie nicht beantwortet haben, nämlich ob es Ihnen nicht aus politisch-opportunistischen Gründen einmal richtig und einmal falsch erscheint, einen Film im Ausland freizugeben, nicht vielleicht doch zu Recht gestellt worden?
Möllemann, Staatsminister: Nein, Frau Kollegin, die beiden Sachverhalte haben nichts miteinander zu tun. Die juristische Frage habe ich soeben beantwortet, und ich verweise wirklich darauf, daß dies hier sehr ausführlich abgehandelt worden ist.
Den Film mit dem jetzt noch gegebenen Nachspann will die Bundesregierung deswegen nicht fördern, weil sie in diesem Nachspann eine Diffamierung eines Verfassungsorgans erkennt. Man kann keiner Bundesregierung nahelegen, eine solche Diffamierung auch noch mit öffentlichen Mitteln zu finanzieren.
Ich habe in der letzten Fragestunde, in der dieses Thema behandelt worden ist, gesagt, daß wir nicht nur keinerlei Einwände gegen den Film haben, sondern ihn, soweit eine Bundesregierung das überhaupt beurteilen kann, für einen künstlerisch ausgesprochen wertvollen Film halten.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Gansel.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Oktober 1983 2057
Herr Staatssekretär — nein: Herr Staatsminister; ich will mir nicht die Diffamierung eines Verfassungsorgans zuschulden kommen lassen;
aber das soll auch keine Diffamierung von Staatssekretären sein, Herr Präsident —, stimmen Sie mit mir darin überein, daß jenseits des Streits über juristische Bewertungen in der Öffentlichkeit der Eindruck entstehen mußte, daß die Bundesregierung in ihrer auswärtigen Kulturpolitik eine kleinliche und peinliche Zensurpolitik ausübt?
Möllemann, Staatsminister: Herr Kollege Gansel, ich erwähnte bereits, daß die Bundesregierung schon 1982 — und Sie wissen, welche Bundesregierung damals amtierte — Bedenken gegen diesen Nachspann geltend gemacht hat.
Es war derselbe Bundesaußenminister wie heute; j a, das ist mir bekannt.
Möllemann, Staatsminister: Wie Sie wissen, spricht ein Mitglied eines bestimmten Hauses hier immer für die Bundesregierung. Ich habe deswegen sehr absichtsvoll gesagt, daß es seinerzeit Bedenken gegen diesen Nachspann gegeben hat und daß wir diese Bedenken zurückgestellt haben, um nicht das gesamte Projekt dieser Filmwoche zu gefährden. Ich bleibe dabei: Das Interesse der Bundesregierung ist es, im Bereich der Filmförderung natürlich — darüber gibt es gar keinen Dissens — künstlerisch wertvolle Filme zu fördern, aber künstlerisch wertvoll nennt die Bundesregierung eine Diffamierung eines Verfassungsorgans in einem Nachspann nun nicht.
Eine Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Dr. Hamm-Brücher.
Herr Staatsminister, abgesehen davon, daß ich als ehemalige Staatsministerin die Ansicht der Bundesregierung in dieser Sache nicht nachvollziehen kann, möchte ich Ihnen jetzt folgende Frage stellen: Warum läßt sich, wenn der Film wirklich auch von Ihnen als wertvoll beurteilt wird — und das ehrt Sie ja immerhin —,
das Auswärtige Amt nicht etwas einfallen, z. B. daß dem Nachspann durch das Goethe-Institut einfach eine Erklärung hinzugefügt wird und damit ein Zeichen der Liberalität und der Offenheit unserer Regierung und dieses Landes gesetzt wird?
Möllemann, Staatsminister: Frau Dr. Hamm-Brücher, zunächst einmal: Der Nachspann besagt — ich zitiere jetzt —:
Nach Auffassung des BGH haben Widerstandskämpfer wie die Weiße Rose
— ich zitiere wörtlich —
objektiv gegen diese damals geltenden Gesetze verstoßen.
Aber der BGH hat sich zu keinem Zeitpunkt mit der Weißen Rose beschäftigt. Diese Aussage ist nicht nur sachlich falsch. Sie diskreditiert darüber hinaus ein Verfassungsorgan. Ich habe es nach meinem Verständnis von Liberalismus bisher nicht als die Hauptaufgabe der Liberalen angesehen, dafür zu kämpfen, daß Diffamierungen von Verfassungsorganen mit Steuergeldern verbreitet werden.
Wir sind am Ende der Behandlung dieser Frage und kommen zur Frage 8 des Abgeordneten Catenhusen:
Wie beurteilt die Bundesregierung die von der Kommission der Europäischen Gemeinschaften vorgeschlagenen Änderungen zu Kapitel VI Artikel 53 des Euratom-Vertrages [KOM 732 endg. vom 3. Dezember 1982], nach denen jede Einschränkung bei der Verwendung der besonderen spaltbaren Stoffe innerhalb der EG hinfort verboten sein soll, hinsichtlich zukünftiger Einwirkungsmöglichkeiten der Bundesrepublik Deutschland dahin gehend, daß aus dem Bundesgebiet in das Gebiet eines Atomwaffenstaates der EG gelieferte spaltbare Stoffe, z. B. Plutonium für den französischen Super-Phénix, ausschließlich für friedliche Zwecke genutzt werden?
Möllemann, Staatsminister: Herr Kollege, der Vorschlag der Kommission zur Revision von Kapitel VI des Euratom-Vertrags befindet sich erst im Anfangsstadium der Diskussion in den zuständigen Brüsseler Gremien. Wir wissen daher nicht, wie der von Ihnen angesprochene Art. 53 schließlich gestaltet werden wird. Nach Auffassung der Bundesregierung kann aber der Vorschlag der Kommission zu Art. 53 des Versorgungskapitels des Euratom-Vertrags nicht so verstanden werden, als solle die Verwendung besonderer spaltbarer Stoffe innerhalb der Gemeinschaft künftig uneingeschränkt möglich sein. Einer solchen Interpretation widerspräche bereits die Tatsache, daß alle besonderen spaltbaren Stoffe in der Gemeinschaft den Euratom-Kontrollen nach Kapitel VII des Vertrags sowie den Verifikationskontrollen der IAEO unterliegen. Nutzungsbestimmungen für diese Stoffe sind auch in anderen internationalen Verträgen, insbesondere mit den Lieferanten von Ausgangsstoffen, enthalten. Die Kommission hat deshalb in ihrem Revisionsvorschlag insbesondere den freien Handel, d. h. den freien Warenverkehr zwischen den Mitgliedstaaten, regeln wollen, um die nach ihrer Meinung möglichen Diskriminierungen, die beim Warenverkehr auftreten können, auszuschalten. Aus der Bundesrepublik Deutschland werden auf Grund von Privatverträgen bestrahlte Brennelemente nach Frankreich zur Wiederaufarbeitung geliefert. Das dabei anfallende Plutonium unterliegt den Sicherungsmaßnahmen von Euratom und IAEO sowie den Vorschriften des Nichtverbreitungsvertrags und den Londoner Richtlinien.
2058 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Donnerstag den 27. Oktober 1983
Herr Abgeordneter Catenhusen zu einer Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, gelten diese Bestimmungen, die Sie gerade für die Überwachung und Kontrolle abgebrannter Brennelemente deutscher Herkunft, die in Frankreich wieder aufgearbeitet werden, zutreffend angeführt haben, auch für die nach Fertigstellung des SuperPhénix in Frankreich vorgesehene Lieferung von deutschem Plutonium zur Benutzung im französischen Super-Phénix?
Möllemann, Staatsminister: Ja. Das gilt für den gesamten Bereich.
Noch eine Zusatzfrage des Abgeordneten Catenhusen.
Darf ich also unterstellen, daß die Bundesregierung die Feststellung trifft, daß schon zum jetzigen Zeitpunkt die französische Regierung den Super-Phénix sowohl Euratom- als auch IAEO-Kontrollen in vollem Umfang unterwerfen wird?
Möllemann, Staatsminister: Ich habe mich bei meiner Aussage auf das Plutonium beschränkt, das auf Grund von Privatverträgen nach Frankreich gebracht wird und nach der Wiederaufarbeitung zu uns zurückkommt. Ich kann mich zu anderen Komponenten nicht äußern.
— Nein.
Wir kommen zur Frage 9 des Abgeordneten Immer :
Auf welche Weise und mit welchem Erfolg hat die Bundesregierung ihren NATO-Partner Türkei bzw. die türkische Militärregierung darauf aufmerksam gemacht, daß die Folterungen Erwachsener und sogar auch von Kindern gegen die Prinzipien des Nordatlantikvertrags vom 4. April 1949 eklatant verstoßen, in dem die Entschlossenheit vertraglich von allen Partnern vereinbart wurde, „die Freiheit, das gemeinsame Erbe und die Zivilisation ihrer Völker , die auf den Grundsätzen der Demokratie, der Freiheit der Person und der Herrschaft des Rechts beruhen, zu gewährleisten"?
Herr Staatsminister.
Möllemann, Staatsminister: Herr Kollege, Berichte über Mißhandlungen und Folterungen in bestimmten türkischen Hafteinrichtungen nimmt die Bundesregierung mit Aufmerksamkeit zur Kenntnis. Solche Berichte sind zwar für Außenstehende nicht immer nachprüfbar. Doch läßt die Bundesregierung keine Gelegenheit ungenutzt, das dringliche Interesse der Bundesrepublik Deutschland an einer Rückkehr der Türkei zur Demokratie und an der Herstellung der uneingeschränkten Achtung der Menschenrechte zum Ausdruck zu bringen. Sie hat wiederholt Menschenrechtsverletzungen verurteilt und ist Einzelfällen behaupteter Menschenrechtsverletzungen im Rahmen ihrer Möglichkeiten nachgegangen. Zuletzt geschah dies bei dem Gespräch des Bundesministers des Auswärtigen
mit dem türkischen Außenminister, das am 28. September 1983 in New York stattfand.
Zusatzfrage des Abgeordneten Immer.
Herr Staatsminister, wenn ich davon ausgehe, daß die Bundesregierung nach wie vor Zweifel an den Berichten über Folterungen in der Türkei hegt, wie ich Ihren Antworten an die Kollegen Lammert und Schneider entnehme, möchte ich Sie fragen, in welcher Weise Sie eigentlich die Zeit seit Ihrer Antwort auf meine Frage vom 15. April dieses Jahres genutzt haben, um endlich Klarheit zu schaffen? Oder verlassen Sie sich ausschließlich auf die Aussagen der türkischen Militärregierung?
Möllemann, Staatsminister: Nein. Natürlich werden auch die Aussagen der türkischen Regierung herangezogen, denn sonst machten Gespräche wie etwa das zwischen dem Bundesaußenminister Genscher und dem türkischen Außenminister Türkmen keinen Sinn. Aber wir stützen uns bei unseren Bemühungen und bei unserer Bewertung ganz sicher nicht nur auf diese Aussagen.
Weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Immer.
Herr Staatsminister, Ihnen ist bekannt, daß verschiedene Staaten — auch aus dem NATO-Bündnis — bei der Europäischen Menschenrechtskommission eine Beschwerde wegen Menschenrechtsverletzungen erhoben und damit ein Verfahren gemäß der Konvention eingeleitet haben. Ist die Bundesregierung bereit, diesem Verfahren beizutreten, da sich die Meldungen über Folterungen aus der Türkei ständig mehren und diese den NATO-Verträgen zuwiderlaufen?
Möllemann, Staatsminister: Herr Kollege, die Bundesregierung hat anläßlich der Beratung des Antrages aus der SPD-Fraktion, die hier kürzlich erfolgt ist, deutlich gemacht, daß sie nicht vorhat, dieser Klage beizutreten. Es würde übrigens diese Klage weder beschleunigen noch in der Sache einen neuen Standpunkt ergeben. Wir wollen weiter auf dem politischen Weg versuchen, Einfluß zu nehmen. Im übrigen hat die Bundesregierung angekündigt, dem Parlament im November einen Bericht über die Situation in der Türkei zu geben und daraus auch Schlußfolgerungen abzuleiten. Dieser Bericht wird im November erstattet werden.
Zusatzfrage des Abgeordneten Schreiner.
Herr Staatsminister, hat sich die Bundesregierung darum bemüht, Berichten nachzugehen, wonach in der Türkei mit der Begründung gefoltert worden ist, der Betreffende habe an DGB-Kundgebungen in der Bundesrepublik teilgenommen?
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Möllemann, Staatsminister: Einen solchen Bericht kenne ich im Augenblick nicht, aber ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie ihn mir zugänglich machen könnten. Ich würde dem dann in diesem Einzelfall nachgehen. Ich kann das aus dem Stand nicht beantworten.
Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Blunck.
Herr Staatsminister, auf welche Aussagen stützt sich die Bundesregierung denn noch?
Möllemann, Staatsminister: Von Betroffenen, Angehörigen der deutschen Vertretung und vieler Persönlichkeiten, auch Deutscher, die dort tätig sind.
Wir kommen zur Frage 10 des Abgeordneten Immer:
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2060 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Oktober 1983
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Oktober 1983 2061
Möllemann, Staatsminister: Ich kann Ihnen diese Frage im Augenblick nicht beantworten. Ich kann nur zu dem zweiten Teil Ihrer Frage sagen, daß der jetzige Bundeskanzler in Saudi-Arabien erklärt hat, er sei keinerlei Verpflichtungen zur Lieferung des Leopard-Panzers eingegangen, man habe über das Thema gesprochen, sich aber nicht einigen können. Ich versage es mir, über die Haltung der Vorgänger
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2062 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Oktober 1983
Staatsminister Möllemanndes jetzigen Bundeskanzlers in dieser Frage hier Ausführungen zu machen.
Die nächste Zusatzfrage kommt vom Abgeordneten Krizsan.
Ich habe eine zehn Fragesteller umfassende Liste abgearbeitet. Ich bitte, darauf zu achten, daß es noch eine weitere Frage des Abgeordneten Gansel gibt, und um Verständnis dafür, daß nach den zehn Fragestellern Schluß ist.
Herr Staatsminister, treffen Presseberichte zu, denen zufolge bereits die Bundesregierung aus SPD/FDP im Jahre 1978 der Firma Rheinmetall die Genehmigung zum Bau einer Maschinengewehrfabrik im Wert von 530 Millionen DM in Saudi-Arabien erteilt hat?
Möllemann, Staatsminister: Eine solche Genehmigung ist mir nicht bekannt.
Dann kommt eine Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Dr. Hamm-Brücher.
Herr Staatsminister, ist durch die Erweiterung, die sehr problembeladene Erweiterung der bilateralen Zusammenarbeit zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Saudi-Arabien im Verteidigungs- und Sicherheitsbereich nicht zu befürchten, daß hier ein Präzedenzfall geschaffen wird, der dann zur Folge haben muß, daß auch andere arabische Länder die gleiche Forderung nach Waffenlieferungen stellen werden, so daß sich der ursprüngliche Sinn dieser Zusammenarbeit damit genau kontraproduzent auswirken wird?
Möllemann, Staatsminister: Frau Kollegin, Tatsache ist, daß unsere bisherige Genehmigungspraxis bei Rüstungsexporten immer schon eine Einzelfallentscheidung vorsah, die, weil wir eine generelle Klausel etwa der Art „Wir liefern nur in NATO-Staaten" abgelehnt haben, auch bedeutete, daß man Anträge eben genehmigen oder auch ablehnen konnte. Diese Verfahrensweise, diese nach Kriegswaffenkontrollgesetz und Kabinettsrichtlinien der früheren Regierungen bewußt gewollte Verfahrensweise, daß im Einzelfall zu genehmigen sei, will auch die jetzige Bundesregierung beibehalten.
Die frühere Bundesregierung hatte bei der-Neufassung der Kabinettsrichtlinien erklärt, eine Genehmigung bei Lieferung außerhalb des NATO-Territoriums respektive des Territoriums von Ländern, die der NATO gleichgestellt sind, könnte im Einzelfall nur erfolgen, wenn vitale außen- und sicherheitspolitische Interessen dies angezeigt erscheinen lassen. Hier ist die Bundesregierung zu dem Ergebnis gekommen, daß unsere vitalen außen- und sicherheitspolitischen Interessen in diesem konkreten Einzelfall eine solche Vereinbarung angezeigt erscheinen lassen.
Zusatzfrage des Abgeordneten Schlaga.
Herr Staatsminister, wir haben zur Kenntnis genommen, daß diese Bundesregierung den Leopard nicht liefern will.
— II. — Aber ist Ihnen bekannt — Sie waren dabei —, daß die Bundesregierung in Aussicht gestellt oder es nicht für unmöglich gehalten hat, daß sowohl Gepard als auch Marder geliefert werden, und ist Ihnen darüber hinaus bekannt, daß der Gepard ein „Leo"-II-Fahrgestell hat und daß daraus mit einigen Tricks und guten Beziehungen sehr wohl ein Leopard II oder Leopard I gemacht werden kann?
Halten Sie es für möglich, daß eine solche Folge eintritt?
Möllemann, Staatsminister: Herr Kollege, ich kann Ihnen nur sagen, daß dort keinerlei Entscheidung — nicht einmal eine konkrete Einzelanfrage
— für ein einzelnes System erörtert worden ist.
— Pardon, mit Ausnahme des Leopards; darüber hat man sich eben nicht verständigen können.
— Ich werde das gleich beantworten; ich darf zunächst die Frage des Fragestellers beantworten. — Es hat bisher keinerlei Festlegungen betreffend ein einzelnes Waffensystem gegeben — weder von der einen Seite sozusagen eine Beantragung noch von uns eine Reaktion —, mit Ausnahme des von mir hier dargestellten Bereichs des Leopards, wozu der Bundeskanzler eine Feststellung getroffen hat, die von mir wiedergegeben worden ist.
Es wird jetzt Sache der hier eingeladenen Expertenkommission sein, zu definieren, was aus dem hier vorhandenen Verteidigungsmaterial in das Konzept Saudi-Arabiens paßt. Es wird dann Sache der saudischen Regierung sein, uns dies mitzuteilen. Es ist dann Aufgabe des Bundessicherheitsrates, im konkreten Einzelfall zu entscheiden, ob Genehmigungen erteilt werden.
Wir kommen zur Frage 15 des Abgeordneten Gansel:
Beabsichtigt die Bundesregierung, sich über diese „Fragen" auch mit anderen Staaten der Nahostregion, insbesondere mit Israel, zu „verständigen"?
Möllemann, Staatsminister: Herr Kollege, dies ist eine bilaterale Frage, die zwischen uns und Saudi-Arabien behandelt wird. Selbstverständlich behält die Bundesregierung dabei ihre Verantwortung für den Frieden in der Region im Auge und engagiert sich nach wie vor für den Frieden in dieser Region.
Zusatzfrage des Abgeordneten Gansel.
Herr Staatsminister, bedeuten die besonderen Beziehungen, die es zwischen Deutsch-
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Oktober 1983 2063
Ganselland und dem Staat Israel aus historischen Gründen gibt und die auch ihren Niederschlag in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland gefunden haben, nicht, daß der Bundeskanzler, wenn er nach Israel gefahren wäre, die Pflicht gehabt hätte, dort die israelische Regierung über die bevorstehende Vereinbarung im verteidigungspolitischen Bereich mit Saudi-Arabien zu informieren? Und stimmen Sie mit mir darin überein, daß die Behauptung, dies sei nur eine bilaterale Frage, nicht nur gegen die Waffenexportrichtlinien der Bundesregierung verstößt, Waffenexporte nur im Bündnisinteresse in Nicht-NATO-Länder zu lassen, sondern daß dieses auch ein Verstoß gegen die in das Bündnis eingebundene Außenpolitik ist, die die Bundesregierung bisher betrieben hat?Möllemann, Staatsminister: Herr Kollege, wir interpretieren das Vorhaben der verteidigungspolitischen Zusammenarbeit mit dem Königreich SaudiArabien weder als einen Verstoß gegen unsere Bündnisverpflichtungen, noch verstehen wir unter dieser Lieferung eine Gefährdung des mit uns besonders verbundenen Staates Isarel. Wir glauben, daß die saudiarabische Politik in der Region von Mäßigung gekennzeichnet ist, und wir glauben, daß die Stabilität dieses Landes im Interesse der Staaten dieser Region und in unserem Interesse liegt.
Weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Paterna.
Herr Staatsminister, wenn Sie sagen, hier handelt es sich um bilaterale Fragen, die begründet werden mit vitalen außen- und sicherheitspoltischen Interessen, stimmen Sie dann nicht mit mir — in Anknüpfung an die auch von der Kollegin Hamm-Brücher schon einmal gestellte Frage — darin überein, daß die Bundesregierung in Begründungszwänge kommt, wenn andere Staaten dieser Region oder vergleichbarer spannunggeladener Regionen unter Berufung auf diesen bilateralen Fall ähnliche Wünsche haben, und daß damit in der Summe die außenpoilitischen Interessen der Bundesrepublik eher gefährdet werden, als daß ihnen genützt wird?
Möllemann, Staatsminister: Herr Kollege, ich habe versucht, bei der Beantwortung der Frage der Kollegin Dr. Hamm-Brücher deutlich zu machen, daß der Begründungszwang notwendigerweise immer gegeben ist, solange man nicht zu einer Generalklausel kommt. Wenn wir sagen würden: Wir liefern nur an NATO-Staaten und an solche, die denen gleichgestellt sind, an sonst niemanden, — dann wäre der Begründungszwang nicht gegeben. Dies war zu keinem Zeitpunkt die Politik einer der Bundesregierungen. Wir hatten die Begründungszwänge auch vorher. Ich denke etwa an die Bundesregierung Schmidt, als sie die Genehmigung erteilte, U-Boote an Chile zu liefern, und die Genehmigung an andere Länder versagte.
Herr Abgeordneter Gansel, Sie haben noch eine Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, beabsichtigt die Bundesregierung, die Zusammenarbeit mit Saudi-Arabien im Verteidigungsbereich davon abhängig zu machen, daß der Kriegszustand zwischen Saudi-Arabien und Isarel, der ja offiziell noch immer besteht, beendigt wird?
Möllemann, Staatsminister: Wir haben diese Vereinbarung festgelegt. Wir haben sie geschlossen. Das ist auch öffentlich mitgeteilt worden. Es geht jetzt um deren Umsetzung. Wir haben als eine der Grundlagen für diese Vereinbarung angegeben — neben den sehr intensiven bilateralen Beziehungen — unsere Bewertung der Haltung Saudi-Arabiens in der Frage des Nahost-Konfliktes. Wir glauben, daß Saudi-Arabien innerhalb der Staaten der Region eine außerordentlich konstruktive Rolle einnimmt, um die Ursachen und Gründe für diesen Konflikt zu überwinden und zu einer friedlichen Koexistenz der Staaten in dieser Region zu kommen.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Jungmann.
Herr Staatsminister, ist Ihnen bekannt, daß der jetzige Außenminister und vormalige Außenminister vom vorigen Bundeskabinett den Auftrag hatte, den Saudis im Sommer 1982 mitzuteilen, daß kein „Leo" II geliefert werde, und können Sie hier erklären, wie er sich dieses Auftrages entledigt hat? Und ist die Bundesregierung bereit, wenn Israel gleiche Forderungen im Bereich der Waffenlieferung stellt, diesen zu entsprechen?
Herr Kollege Jungmann, den Zusammenhang zu der zur Debatte stehenden Frage kann ich nicht herstellen. Ich möchte es dem Herrn Staatsminister freistellen, ob er antworten will oder nicht. •
Möllemann, Staatsminister: Den zweiten Teil der Frage kann ich beantworten, weil ein Zusammenhang gegeben ist. Entsprechende Anträge des Staates Israel liegen nicht vor. Zu hypothetischen Fragen kann ich keine Antwort geben.
Die nächste Zusatzfrage kommt von der Kollegin Dr. Hamm-Brücher.
Herr Staatsminister, vielleicht können Sie das hier doch noch ein bißchen genauer und ein bißchen präziser darlegen. Wenn Sie für Saudi-Arabien ein vitales außen- und sicherheitspolitisches Interesse bejahen, wie wollen Sie beispielsweise den Vereinigten Arabischen Emiraten oder Jordanien dieses Interesse absprechen oder vom Interesse Saudi-Arabiens unterscheiden? Sie lösen hier doch eine Lawine aus, die nicht mehr aufzuhalten ist.
Möllemann, Staatsminister: Frau Kollegin, wir sind in dieser Beziehung in der gleichen Situation, in der wir bisher immer gewesen sind.
2064 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn. Donnerstag. den 27. Oktober 1983
Staatsminister Möllemann
— Nein. Wir haben bei allen Entscheidungen im Einzelfall zu- oder abgesagt. Ich möchte wirklich vor dem Irrglauben warnen, daß dieses die ersten Waffen sind, deren Export in diese Region von einer deutschen Regierung genehmigt wurde. Entsprechende Entscheidungen des Bundessicherheitsrates gibt es im Blick auf diese Region sehr wohl auch in der Vergangenheit und im Blick auf andere Regierungen. Diese Entscheidungen sind nicht immer der Öffentlichkeit mitgeteilt worden.
Frau Kollegin Dr. Hamm-Brücher, ich weiß um die Schwierigkeit der Begründung solcher Entscheidungen gegenüber einem betreffenden Staat. Aber ich bitte um Verständnis und erwarte es von Ihnen eigentlich ganz besonders, daß ich jetzt nicht auf Grund einer Hypothese, daß es Staaten geben könnte, die entsprechende Wünsche äußern, diese entsprechenden Wünsche hier positiv oder negativ bewerte.
Zusatzfrage des Abgeordneten Feldmann.
Herr Staatsminister, darf ich noch einmal genau nachfragen: Was wird die Bundesregierung unternehmen, um eine Beschädigung unserer Beziehungen zu Israel im Falle einer Waffenlieferung an Saudi-Arabien zu vermeiden?
Möllemann, Staatsminister: Wir verstehen die Zusammenarbeit — ich wiederhole dies — mit Saudi-Arabien auch auf dem Gebiet der Sicherheits- und Verteidigungspolitik als ausdrücklich nicht gegen Israel gerichtet, sondern gerichtet auf den Erhalt und die Unabhängigkeit dieses Landes, dessen Stabilität und Unabhängigkeit in unserem Interesse liegen. Über diesen Sachverhalt wird ganz zweifellos der Bundeskanzler bei seinem Besuch in Israel, der aus den bekannten innenpolitischen Gründen in Israel verschoben werden mußte, der alsbald nachgeholt werden soll, mit unseren israelischen Partnern sprechen und sicherlich auch die Motive der Bundesregierung erläutern.
Ich rufe als letzte Frage die Frage 16 des Abgeordneten Jungmann auf:
Hat die Bundesregierung bezüglich des Besuchs einer saudiarabischen Expertengruppe in der Bundesrepublik Deutschland, die die Möglichkeiten der Lieferung deutscher Rüstungsgüter, „die für die Verteidigung bestimmt sind", prüfen soll, Zusagen gegeben?
Herr Staatsminister.
Möllemann, Staatsminister: Herr Präsident, ich habe das Gefühl, daß wir das schon mit abgehandelt haben. Aber ich will es gern noch einmal sagen.
Der Herr Bundeskanzler hat bei seinem Besuch in Saudi-Arabien vom 9. bis 11. Oktober 1983 der saudischen Seite die Zusage gegeben, daß eine saudischen Expertengruppe empfangen wird, um die Möglichkeit der Lieferung deutscher Rüstungsgüter zu prüfen, die für die Verteidigung Saudi-Arabiens bestimmt sind.
Zusatzfrage des Abgeordneten Jungmann.
Herr Staatsminister, trifft es zu, daß in diesem Zusammenhang davon gesprochen worden ist, daß, wenn überhaupt nur die Lieferung von Defensivwaffen in Betracht kommt? Kann die Bundesregierung hier vor dem Deutschen Bundestag einmal den Unterschied definieren, warum der Leopard II eine Offensivwaffe sein soll, der Marder, der Gepard und der Leopard I vielleicht eine Defensivwaffe?
Möllemann, Staatsminister: Herr Kollege, in dem Kommuniqué ist der Begriff „Defensivwaffe" nicht enthalten, sondern dort ist die Rede von der Lieferung von Verteidigungsgütern, die zur Verteidigung des Landes Saudi-Arabien bestimmt sind. Damit ist eine Art Zweckbindung gemeint. Den Mitgliedern der Bundesregierung ist bekannt, daß man sowohl ein Messer als auch ein automatisches Gewehr sowohl zur Verteidigung als auch zum Angriff benutzen kann. Entscheidend ist die politische Konzeption eines Landes. Wenn jemand behaupten wollte, der Leopard II sei eo ipso eine Angriffswaffe, so müßte er damit j a sagen, daß die Bundesregierung Angriffsabsichten hätte. Davon kann keine Rede sein.
Zusatzfrage des Abgeordneten Jungmann.
Herr Staatsminister, können Sie mir dann sagen, warum der Bundeskanzler den Leopard II aus der Lieferung a priori ausgeschlossen hat und warum der Leopard I, der Marder und der Gepard nicht definitiv ausgeschlossen worden sind wie der Leopard II, wenn die Definitionen, die Sie abgegeben haben, stimmen?
Möllemann, Staatsminister: Herr Kollege, Sie wissen — wie diese Fragestunde deutlich macht —, daß der Gesamtkomplex in allen Fraktionen dieses Hauses, so auch in der Bundesregierung, außerordentlich sorgfältig diskutiert worden ist und wird, und das offenkundig auch kontrovers. Das ist dem Bundeskanzler und der Bundesregierung natürlich bekannt. Dem Bundeskanzler ist auch bekannt, daß in allen Parteien die Auffassung besteht, den „Leo" eben nicht in diese Region zu exportieren, wenngleich die Anteile für oder dagegen in den Parteien vielleicht unterschiedlich sein mögen.
Wir sind am Ende der Fragestunde. Es tut mir leid, aber es haben sich noch zu viele Fragesteller zu einer Zusatzfrage gemeldet. Ich kann sie leider nicht mehr zulassen.Ich danke dem Herrn Staatsminister für die Beantwortung der Fragen.Die übrigen Fragen werden entsprechend der Geschäftsordnung behandelt, also schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.Entsprechend einer Vereinbarung, die heute morgen interfraktionell getroffen worden ist, rufe ich Zusatzpunkt 2 der Tagesordnung auf:
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Oktober 1983 2065
Vizepräsident Westphala) Beratung des Antrags der Fraktion der SPDErgänzung des Auftrags des 1. Untersuchungsausschusses— Drucksache 10/520 —b) Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und FDPErgänzung des Auftrags des 1. Untersuchungsausschusses— Drucksache 10/521 —Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind eine gemeinsame Beratung der Zusatztagesordnungspunkte 2 a und 2 b und eine Aussprache von 60 Minuten vorgesehen. — Ich sehe und höre keinen Wiederspruch. Dann ist so beschlossen.Wird das Wort zur Begründung gewünscht? — Das ist nicht der Fall.Dann eröffne ich die Aussprache. Das Wort hat zunächst der Abgeordnete Dr. Struck.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist wahrlich traurig und kein Glanzstück der Regierungsfraktionen, wenn sie hinsichtlich des vornehmsten Rechts des Parlaments, eine Angelegenheit in einem Untersuchungsausschuß rückhaltlos aufzuklären, eine Auffassung vertreten, die uns zwingt, heute unseren Antrag im Bundestag einzubringen. Wir Sozialdemokraten sehen uns genötigt, diesen Weg der Erweiterung des Untersuchungsauftrages zu gehen, weil wir wissen wollen und wissen müssen, ob die Firma Flick noch heute, d. h. noch nach der Einsetzung des von uns beantragten Untersuchungsausschusses Einfluß auf die Bundesministerien für Wirtschaft und Finanzen nimmt.Wir wollen wissen, ob die Firma Flick entscheidet, welche Akten dem Untersuchungsausschuß vorgelegt werden dürfen. Wer sich das gefallen läßt, wer da nicht nachbohrt, wer da weismachen will, das alles habe mit den damaligen Vorgängen nichts zu tun, der macht sich entweder schlicht lächerlich, oder er will gar nicht den Auftrag des Bundestages, rückhaltlos aufzuklären, erfüllen, weil er politische Sorgen befürchtet.
Geradezu grotesk mutet das Vorgehen der CDU/ CSU und auch der FDP-Fraktion an, nun bloß auch einen eigenen Antrag einzubringen, um die Peinlichkeit zu vertuschen. Was soll denn eigentlich Ihr Antrag? Wen wollen Sie denn treffen? Glauben Sie, auf diesem Wege die parlamentarischen Rechte einiger sozialdemokratischer Abgeordneter in Mißkredit bringen zu können? Wollen Sie diese Abgeordneten, Herr Kollege Schröder , in die Nähe solcher Personen rücken, die rechtswidrigen Druck ausüben? Sie diffamieren mit diesem Antrag sachverständige steuerrechtliche Kritik als rechtswidriges Verhalten.Die Fragen, um die der Untersuchungsauftrag heute förmlich ergänzt werden soll, gehören nach dem Verständnis der SPD-Fraktion auch ohne besondere Erwähnung zu dem Gesamtkomplex, denes für das Parlament, vor allem aber für die kritische Öffentlichkeit aufzuklären gilt. Dieser Gesamtkomplex reduziert sich für uns nicht darauf, ob und wieviel Geld aus den schwarzen Kassen der Firma Flick in die Taschen welcher Politiker geflossen sein mag, um die Steuerbegünstigung zu erhalten. Soweit hier Straftatbestände erfüllt sein sollten, also kriminelle Verhaltensweisen vorliegen könnten, beschäftigt sich die Staatsanwaltschaft Bonn seit langem damit. Wenn sich die jüngsten Meldungen bestätigen, wird sie ihre Ermittlungen in den nächsten Tagen abgeschlossen haben und ihre Anklageschrift vorlegen. Dann hören hoffentlich auch die Spekulationen auf, die sich daran bisher zwangsläufig knüpften, und die deutsche Öffentlichkeit erfährt, ob und wie sich diese Bundesregierung personelle Konsequenzen vorstellt.Für die SPD geht es bei diesem Untersuchungsausschuß darum, zu versuchen, deutlich zu machen, daß und wie im Fall Flick ein großer Konzern über das übliche und gewohnte Maß des Lobbyismus hinaus seine materiellen Interessen zielstrebig und skrupellos beim Staat und gegen den Staat durchgesetzt hat. Es geht darum, offenzulegen, auf welchen Wegen und mit welchen Mitteln zum Zweck der Erzielung von Steuervorteilen in einem für den Normalbürger unvorstellbaren Umfang Einfluß genommen wurde, Abhängigkeiten entstehen konnten, Beurteilungs- und Entscheidungsspielräume eingeengt und auf Null gebracht wurden.Letztlich, meine Damen und Herren, geht es darum, ob sich ein großer Konzern für wirtschaftspolitische Entscheidungen zu seinen Gunsten der Bundesregierung regelrecht bedient hat. In diesem Zusammenhang empfehle ich Ihnen, den Kolleginnen und Kollegen der Regierungsfraktionen, die Lektüre des ,,Zeit"-Dossiers der heutigen Ausgabe zu diesem Thema.Daß die steuerliche Behandlung der Flick-Gewinne aus dem Verkauf des Daimler-Aktienpakets außerhalb des Normalen lag, hat erst am Montag auch der Kollege Schröder aus Lüneburg öffentlich zugegeben. Außerhalb des Normalen liegt für die SPD aber auch, daß dann, wenn es um die parlamentarische Untersuchung dieses Vorgangs geht, die dazu in Ministerien des Bundes vorhandenen behördeninternen Akten von Vertretern des betreffenden Konzerns durchgesehen und gesiebt werden, bevor diesen Ministerien erlaubt wird, sie dem Untersuchungsausschuß in „bereinigter" Fassung vorzulegen.Das hat nur am Rande noch etwas mit dem in diesem Zusammenhang vielzitierten Steuergeheimnis zu tun, dessen Reichweite im Verhältnis zwischen Regierung und Parlament ohnehin aus Anlaß dieses Untersuchungsausschusses auf unseren Antrag hin vom Bundesverfassungsgericht ausgelotet wird. Das, meine Damen und Herren, ist unmittelbare Einflußnahme auf den Verantwortungsbereich der Bundesregierung.Wenn es bei unserem Untersuchungsauftrag auch darum geht, ob eine Entscheidung zugunsten des Konzerns wieder aufzuheben ist, weil von vornherein die Voraussetzungen für eine Steuervergün-2066 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn. Donnerstag. den 27. Oktober 1983Dr. Struckstigung nicht vorlagen, und die Prüfung dazu bereits auch in den Ministerien im Gange ist, dann gehört durchaus auch zum Untersuchungsauftrag, diesem Indiz für ein Andauern der Einflußnahme nachzugehen.Die Bundesregierung hat das auch erkannt und anerkannt, indem sie die Vorgänge, die zu dieser Aktenfilzung beim Bundesministerium für Wirtschaft und beim Bundesministerium der Finanzen entstanden sind, dem Ausschuß auf seine einmütige Bitte hin ohne Zögern vorgelegt hat.Als die SPD dann nachbohrte und Fragen an konkrete Personen stellen wollte, die mit diesem Vorgang befaßt waren, scheute die derzeitige Koalition plötzlich zurück. Das hat sie im übrigen bisher immer getan, wenn es um konkrete Fragen, um konkrete Personen ging. Anders ist nicht zu erklären, daß fast sechs Monate nach der konstituierenden Sitzung dieses Untersuchungsausschusses noch kein einziger Zeuge gehört und selbst dort, wo kein Ermittlungsverfahren beeinträchtigt wird, noch keine einzige Beweisaufnahme durchgeführt werden konnte.
— Herr Kollege Hüsch, hören Sie doch noch den nächsten Satz an: Das Argument der Rücksichtnahme auf die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen zieht nur begrenzt.
Was ist das für ein Verständnis vom vornehmsten Recht des Parlaments, nämlich dem der Kontrolle der Regierung, wenn die Mehrheit einen Untersuchungsausschuß durch Filibusterei zum Diskussionskränzchen über Verfahrensfragen verkommen läßt?
Nur deshalb ist dieser Antrag, ist diese Debatte erforderlich geworden.Nun will ich auf Ihren Zwischenruf einmal eingehen.
— Herr Kollege Hüsch, beruhigen Sie sich. Ich gehe auf Ihre Zwischenrufe ein. Wir haben im Untersuchungsausschuß beschlossen, daß wir uns mit Zeugenvernehmungen zurückhalten wollen, soweit das staatsanwaltschaftliche Ermittlungsverfahren dadurch beeinträchtigt werden könnte. Aber darum geht es doch gar nicht. Es geht jetzt darum, daß wir die Personen in den Bundesministerien für Wirtschaft und Finanzen befragen, die mit der Aktenkontrolle und mit der Aktenselektion befaßt waren, ob und in welchem Umfang die Firma Flick darauf eingewirkt hat. Und das ist ein Unterschied, HerrKollege Hüsch, der eigentlich auch Ihnen geläufig sein müßte.
Grotesk ist aber vor allem der Antrag der Koalition, zu dem Sie sich anscheinend aus Gründen der politisch-polemischen Optik herausgefordert fühlen. Was damit bezweckt wird, ist nun wirklich allzu durchsichtig: Mit diesem Antrag sollen diejenigen diskriminiert, in eine bestimmte Ecke gestellt werden, die sich von Anfang an gegen die Gewährung der Steuervergünstigung für Flick ausgesprochen haben. Es soll der Eindruck entstehen, als ob es parallel zu den dann wohl aus Ihrer Sicht nicht mehr zu beanstandenden Bemühungen des Flick-Konzerns eine Gegenbewegung gegeben habe, die zu vereiteln suchte, daß nach Recht und Gesetz zustehende Entscheidungen überhaupt ergehen sollten.
— Ich komme gleich darauf, Herr Kollege Hüsch.Im Gegensatz zu den vielfältigen Formen der Einflußnahme des Flick-Konzerns zu seinen Gunsten, die, auch ohne daß der Untersuchungsausschuß seine Arbeit richtig begonnen hat, schon offenkundig sind, hat der Kampf gegen die Bewilligung dieses Steuergeschenks in aller Offenheit und in aller Öffentlichkeit stattgefunden. Es ist doch nicht so, als ob die ganze Operation, Aktienverkauf, Wiederanlage, Steuervergünstigung, heimlich abgelaufen und erst nachträglich bekanntgeworden wäre. Man braucht dazu nur die Stenographischen Berichte des Deutschen Bundestages und das „Handelsblatt" zur Hand zu nehmen, um zu sehen, wie hier die Fronten liefen. Ja, meine Damen und Herren, man kann sogar sagen, daß die sichtbare Schlacht um Flick in der Fragestunde dieses Parlaments und in den Zeilen des „Handelsblatts" geschlagen wurde, während die Schachzüge zur Unterstützung nur begrenzt ans Licht der Öffentlichkeit traten.
Ab Januar 1975 war bekannt, daß Flick sein Daimler-Aktienpaket nicht an irgendwelche ausländischen Interessenten, sondern an die Deutsche Bank verkaufen würde. Das erregte damals zu Recht, nicht nur wegen des Umfangs der Transaktion, Aufsehen und ist auch entsprechend politisch gewürdigt worden. Daraus jetzt eine Sensation machen zu wollen, ist angesichts der vorhandenen Dokumente müßig.
Gleichzeitig wurde aber auch öffentlich der Verdacht laut, der Flick-Konzern werde sich sein nationales Wohlverhalten bezahlen lassen — damals schon. Und natürlich spielten dabei steuerbegünstigte Wiederanlagen eine Rolle, wie Sie Zeitungsberichten aus jener Zeit entnehmen können. Nimmt es da wunder, Herr Kollege Hüsch, daß die erste Anfrage im Deutschen Bundestag zu diesem Thema
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Oktober 1983 2067
Dr. Strucknicht lange auf sich warten ließ und daß sich der Vertreter der Bundesregierung bereits bei dieser ersten Anfrage auf § 30 der Abgabenordnung und das Steuergeheimnis zurückzog? Pikant ist daran allenfalls, daß es immer SPD-Abgeordnete waren, die hier kritisch fragten,
und Minister und Parlamentarische Staatssekretäre, die ebenfalls der SPD angehörten — da sind wir uns ausnahmsweise einig, Herr Kollege Hüsch —,
sie hinhaltend und ausweichend bescheiden mußten, während der damalige wirtschaftspolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, der spätere Wirtschaftsminister, schon damals mit Hilfe von Zusatzfragen die Partei des Flick-Konzerns ergriff. Wie bei der FDP die „Stafette 6b", wie es so schön in einem Vermerk von Herrn von Brauchitsch für seinen Konzernchef heißt, von Wirtschaftsminister zu Wirtschaftsminister, von Herrn Friderichs an Herrn Lambsdorff, weitergegeben wurde, wahrte auch die SPD-Fraktion Kontinuität. Insbesondere unser Ausschußkollege und Obmann im Untersuchungsausschuß, Dieter Spöri, hat mit seinem steuerpolitischen Sachverstand öffentlich kritisch hinterfragt.
Es ist auch nicht so, daß es dabei allein um bzw. gegen Flick gegangen wäre. Flick war nur der Anlaß, über eine steuerrechtliche Regelung nachzudenken, die bei allen positiven Aspekten unter wirtschaftspolitischen Gesichtspunkten bereits wegen ihrer Ausgestaltung der Willkür Tür und Tor öffnet. Nachgedacht worden ist nun wahrlich über diese Bestimmung! Im Arbeitskreis Steuern der SPD-Bundestagsfraktion, auf dem Bundesparteitag der SPD in Hamburg im Dezember 1977, ja, Herr Kollege Baum, selbst bei der FDP im Bundestag und auf einem Landesparteitag in Hessen noch im Mai 1979 ist über die Problematik des § 6b nachgedacht worden.
Es drängt sich der Verdacht auf, daß mit Ihrem Antrag auf ganz bestimmte Kollegen gezielt wird, die wegen ihrer Sachkenntnis und ihrer langjährigen Vertrautheit mit Steuerfragen in diesen Untersuchungsausschuß entsandt worden sind und deren Kritik nun als gesetzwidrig bezeichnet werden soll.Für die SPD gehört die Geschichte des § 6b des Einkommensteuergesetzes und seines Gegenstücks, des § 4 des Auslandsinvestitionsgesetzes, untrennbar zu dem Auftrag dieses Untersuchungsausschusses. Das steht im übrigen auch bereits in den Ziffern 4 und 11 des Einsetzungsbeschlusses.Meine Damen und Herren, wir nehmen diese Ziffern sehr ernst, wir nehmen den Untersuchungsauftrag insgesamt sehr ernst und werden uns von den Ablenkungsmanövern der Regierungsfraktionen nicht beeindrucken lassen. Die Vorfälle von damalsund von heute — von den Entscheidungen der Bundesregierung, steuerpolitische Begünstigungen zu gewähren, bis zu den Entscheidungen, welche Akten wir sehen dürfen — werden aufgeklärt, wie dieser Bundestag und die Öffentlichkeit es vom Untersuchungsausschuß erwarten.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schröder .
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Gestatten Sie mir vier kurze Vorbemerkungen zu den Ausführungen des Kollegen Struck.
Erstens möchte ich in Übereinstimmung mit ihm festhalten, daß Sie mit Ihrem Antrag eine Erweiterung des Untersuchungsauftrages des 1. Untersuchungsausschusses des Deutschen Bundestages beabsichtigen und damit exakt das bestätigen, was wir in den Ausschußsitzungen zum Ausdruck gebracht haben. Wir haben Sie also auf diesen Weg gewiesen.
Zweitens. Was die Behauptung, die Koalition wolle wohl irgend etwas vertuschen, anlangt, so muß ich diese nicht nur mit Entschiedenheit zurückweisen, sondern hier auch einmal in aller Öffentlichkeit die Frage aufwerfen: Wer hat denn eigentlich bis zum heutigen Tage im Ausschuß und auch in der Öffentlichkeit, nämlich durch die Vorlage von entsprechenden Beweisthemen, überhaupt unangenehme und konkrete und präzise Fragen auf den Tisch gelegt?
Das sind doch bisher nur die Kollegen der Koalition gewesen, nicht etwa Sie!
Herr Abgeordneter Schröder, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Nein. — Sie haben es sich einfach gemacht, indem Sie schlicht und einfach die ohnehin vorliegenden Fragen wiederholt und eine lange Namensliste drangehängt haben. Das ist die ganze Leistung, die Sie bisher in diesem Untersuchungsausschuß vollbracht haben!
Drittens. Was die von Ihnen, Herr Kollege Struck, hier vorgebrachte Kritik an den ja gemeinsam und einstimmig verabschiedeten Verfahrensregelungen des Untersuchungsausschusses anlangt, so erinnert mich das ein bißchen an den Salto mortale, den Sie in ganz anderen, viel wichtigeren politischen Fragen wie z. B. beim NATO-Doppelbeschluß bereits vollzogen haben. So auch hier in einer ganz anderen Frage!Viertens schließlich zur Frage der Aktenselektion: Meine Damen und Herren, dieses Thema ist
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2068 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Oktober 1983
Schröder
durch die beiden Briefe des Wirtschafts- und des Finanzministers schon längst aus der Welt geschafft worden. Sie wollen mit diesen Fragen hier doch nur, wenn ich das einmal einfach und plastisch darstellen darf, den Eindruck, den wahrheitswidrigen Eindruck, erwecken, als ob sich die beiden Minister Stoltenberg und Graf Lambsdorff in ihren Ministerien hingesetzt und unter Hinzuziehung von Vertretern der Firma Flick jeweils gefragt hätten: Was darf ich denn nun dem Untersuchungsausschuß an Aktenmaterial vorlegen und was nicht? Diesen billigen Eindruck wollen Sie doch draußen in der Öffentlichkeit erwecken, aber dieser Eindruck ist in der Sache durch die Briefe der beiden Minister schon längst widerlegt worden.Nein, meine Damen und Herren, wenn hier jemand vom eigentlichen Untersuchungsauftrag abgelenkt hat und weiter ablenkt, dann sind Sie es durch ständige Verfahrenstricks und durch das ständige Aufbringen von irgendwelchen Nebensächlichkeiten im Untersuchungsausschuß. Wir können Sie an diesen Nebensächlichkeiten und Ablenkungsmanövern nicht hindern, denn der Respekt vor der Verfassung und den darin garantierten Minderheitenrechten führt dazu, daß Ihr Antrag hier heute passieren muß. Wir werden Ihrem Antrag aus diesem Grunde auch zustimmen.Aber wir tun dies, damit die abwegigen Verdächtigungen im Untersuchungsausschuß selber klipp und klar noch einmal durch die Repräsentanten der Ministerien widerlegt werden können. Die Herausgabe der Akten — um dies auch einmal in der Öffentlichkeit deutlich zum Ausdruck zu bringen — an den Untersuchungsausschuß ist jedenfalls nach Auffassung der Koalitionsfraktionen in rechtsstaatlich einwandfreier Weise erfolgt.
Worum geht es denn in Wirklichkeit? Nachdem der Untersuchungsausschuß die einschlägigen Akten der beiden Bundesministerien für Wirtschaft und der Finanzen angefordert hatte, ließ uns die Bundesregierung wissen, daß sie sich auch gegenüber dem Untersuchungsausschuß — und jetzt möchte ich etwas zur Sache sagen — an den § 30 der Abgabenordnung und das damit verbundene Steuergeheimnis gebunden fühlt. Wir haben uns das anders gewünscht. Aber wir respektieren diese Entscheidung der Bundesregierung. Und das Gejammere, Herr Kollege Fischer, gerade der Datenschutzfreunde von SPD und GRÜNEN paßt doch nun überhaupt nicht in unsere heutige Landschaft hinein. Wenn es irgendwo einen konkreten Datenschutz gibt, dann doch weiß Gott in bezug auf das Steuergeheimnis.
Deshalb haben übereinstimmend nicht nur die jetzt amtierende Bundesregierung, sondern alle bisher amtierenden Bundesregierungen und auch alle bisher amtierenden Landesregierungen diese Position,
am Vorrang des Steuergeheimnisses festzuhalten, bis zum heutigen Tage gewahrt.Deswegen hat j a auch im übrigen — wenn ich daran einmal erinnern darf, Herr Kollege Struck — bei der Reform der Abgabenordnung im Jahr 1977 niemand in diesem Hause die Auflockerung des Steuergeheimnisses etwa gegenüber dem Parlament beantragt. Auch Sie nicht, verehrter Herr Kollege Spöri! Sie haben die Auskunftsverweigerung gegenüber dem Parlament unter Berufung auf das Steuergeheimnis als formaljuristisch korrekten Vorgang bezeichnet. Aber Sie haben es — ich habe das sehr genau nachgelesen — nicht im Prinzip in Zweifel gezogen. Später haben Sie durch einige Presseveröffentlichungen die gesetzliche Aufhebung des Steuergeheimnisses in bestimmten Fällen — nicht etwa generell, sondern nur in bestimmten Fällen — gefordert, sind aber — wenn meine Unterlagen zutreffend sind — schon in Ihrer eigenen Fraktion damit abgeblitzt. Ab Einsetzung des jetzigen parlamentarischen Untersuchungsausschusses sprachen Sie dann allerdings auf einmal von einem „völlig überzogenen" — wörtliches Zitat Spöri! — Steuergeheimnis und drohten mit einer Verfassungsklage.Bei der Gelegenheit übrigens, meine Herren Kollegen: Wo ist denn diese angekündigte Verfassungsklage eigentlich geblieben? Man hört gar nichts mehr davon — außer der Tatsache, daß sie bisher in Karlsruhe noch nicht eingegangen ist.
Das Wettrennen mit den GRÜNEN, das Sie ja permanent veranstalten, haben Sie bei der Einsetzung des Untersuchungsausschusses gewonnen. Bei der Einreichung der Verfassungsklage haben Sie es aber schon verloren.
Und wenn die Klage irgendwann eingereicht wird, dann werden Sie, so glaube ich nach dem Ablauf der bisherigen Sitzungen des Untersuchungsausschusses, wieder einmal verloren haben. Denn der Kollege Schily, schnell wie er ist, denkt klugerweise bereits, und zwar nicht nur leise, sondern auch laut --wenn ich an die vorletzte Sitzung des Ausschusses erinnern darf —, darüber nach, unter welchen Umständen er die Verfassungsklage für erledigt erklären könnte, um eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu vermeiden.
Erfreulicherweise hat die Bundesregierung es nicht dabei belassen, sich auf das Steuergeheimnis zu berufen. Das Bundesministerium für Wirtschaft und das Bundesministerium der Finanzen haben vielmehr, um die Arbeit des Untersuchungsausschusses zu fördern, nach rechtsstaatlichen Wegen gesucht, um den überwiegenden Teil der angeforderten Akten dem Untersuchungsausschuß tatsächlich zur Verfügung zu stellen.Um auch hier einer Legende beizeiten vorzubeugen: Der hier von den beiden Ministerien eingeschlagene Weg war und ist durch gesetzliche Be-
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Schröder
Stimmungen vorgegeben. Mit der Flick-Gruppe mußte geklärt werden, ob die seinerzeit den beiden Ministerien gemachten Angaben dem Steuergeheimnis unterliegen oder inzwischen durch Veröffentlichungen, etwa in Geschäftsberichten, offenbart worden sind. Darüber hinaus war entsprechend § 30 der Abgabenordnung und entsprechend einer ausdrücklichen Anregung des Kollegen Spöri, aus der ich vielleicht einmal wörtlich zitieren darf, zu handeln. In der Erklärung vom 5. Juli 1982 hat Kollege Spöri folgende Aufforderung an die Bundesregierung gerichtet:Heute kann die Öffentlichkeit nur die Aufforderung an Friedrich Karl Flick richten, von sich aus im Zusammenhang mit den beschlagnahmten Unterlagen der Flick-Gruppe auf die Einhaltung des Steuergeheimnisses freiwillig zu verzichten, damit auch der Verdacht über skandalöse Vorgänge, die nicht justitiabel sind, geklärt werden kann.
Genau dies, Herr Kollege Spöri, hat die Bundesregierung entsprechend § 30 der Abgabenordnung pflichtgemäß getan.
Herr Kollege Schröder, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Spöri?
Herr Kollege Schröder, würden Sie mir zugestehen, daß das Steuergeheimnis im Beziehungsfeld zwischen Bundesregierung und Öffentlichkeit eine ganz andere Qualität hat, wenn man den Untersuchungsausschuß betrachtet, und daß dies das Ergebnis einer Anhörung von Professor Scholz war?
Herr Kollege Spöri, zu diesem Ergebnis waren weder Sie noch — das füge ich fairerweise hinzu — wir bei der Reform der Abgabenordnung gekommen. Niemand — das ergibt das eingehende Studium der Überlegungen und Beratungen zur Neugestaltung der Abgabenordnung — hat damals die Idee gehabt, parlamentarische Untersuchungsausschüsse prinzipiell vom Steuergeheimnis auszunehmen.Wenn Sie hier noch einmal auf die öffentliche Anhörung von Professor Scholz anspielen, dann verweise ich Sie darauf — das haben Sie sicher genauso aufmerksam registriert wie wir —, daß sich Professor Scholz sehr differenziert dahin gehend geäußert hat, daß auch im Rahmen parlamentarischer Untersuchungsverfahren das Steuergeheimnis als Bestandteil der Intimsphäre des Steuerbürgers gemäß Art. 1 unseres Grundgesetzes, in die nicht eingegriffen werden darf, zu wahren ist.
In dieser Hinsicht ist also, Herr Kollege Spöri, seitens der jetzigen Regierung normal und rechtsstaatlich vorgegangen worden. Daß so verfahren wurde, ist — das muß ich hier in aller Deutlichkeit zum Ausdruck bringen — weder Geheimnistuerei noch Mauschelei. Im übrigen haben beide Ministerien dem Untersuchungsausschuß, ohne daß es dazu eines Beschlusses bedurft hätte, die entsprechenden Vorgänge über diese notwendigen Kontakte mit der Flick-Gruppe ausgehändigt.Dieser Sachverhalt, meine Damen und Herren, wurde dem Untersuchungsausschuß gestern noch einmal ausdrücklich in persönlichen Schreiben der Minister Stoltenberg und Graf Lambsdorff bestätigt.Lassen Sie mich aus dem Schreiben von Minister Stoltenberg wörtlich zitieren:Auf das Ersuchen des Ausschusses auf Aktenherausgabe habe ich mein Ministerium angewiesen, dem Verlangen im Rahmen des rechtlich Möglichen in vollem Umfang nachzukommen. Diese Anweisung schloß auch die im Interesse des Untersuchungsausschusses liegende Klärung ein, inwieweit die Firma Flick gemäß § 30 der Abgabenordnung einer Offenbarung der dem Steuergeheimnis unterliegenden Vorgänge an den Untersuchungsausschuß zustimmt. Hierbei habe ich die Weisung erteilt, Kontakte zur Firma Flick auf das rechtlich notwendige Maß zu beschränken. Auch sollte der Firma Flick kein Einblick in die in meinem Hause geführten Akten gegeben werden. Über die Aktenauswahl im einzelnen wurde allein dann von den zuständigen Referatsleitern entschieden.Ebenso haben Sie das Schreiben des Bundeswirtschaftsministers vorliegen, wonach im Bundeswirtschaftsministerium in genau der gleichen Art und Weise verfahren wurde.Damit ist klar gesagt, wie die Dinge sind. Mir ist unverständlich, weshalb Sie, meine Damen und Herren, den Untersuchungsausschuß mit diesen schon längst geklärten marginalen Fragen noch beschäftigen und von den eigentlichen Arbeiten und seinem eigentlichen Untersuchungsauftrag abhalten wollen.Sie haben sich hierzu Beweisfragen ausgedacht. Z. B. wollen Sie eine umfangreiche Beweisaufnahme durchführen zu Fragen wie — ich zitiere wörtlich aus Ihrem dem Ausschuß vorliegenden Antrag —: „Warum und auf welcher Rechtsgrundlage wurde die Firma Flick an der Herausgabe behördeninterner Vorgänge an einen parlamentarischen Untersuchungsausschuß beteiligt?" — Diese Frage ist durch die Briefe der Minister klar beantwortet.Die nächste Frage: „Hält die Bundesregierung die Reichweite des Steuergeheimnisses, wie sie in den Schriftsätzen des Vertreters der Firma Flick bestimmt ist, für richtig?" — Meine Damen und Herren, abgesehen davon, daß man keine Zeugen zu Rechtsfragen vernimmt — was soll das eigentlich; die Bundesregierung hat an den Untersuchungsausschuß und damit an das Parlament ihre Rechtsansicht mitgeteilt, und nur auf die kommt es an —, für uns ist nur die Rechtsansicht der Bundesregierung parlamentarisch angreifbar oder von uns parlamentarisch zu unterstützen.Die dritte Frage heißt: „Hat die Bundesregierung nach dem Ersuchen des Untersuchungsausschusses
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Schröder
auf Aktenherausgabe bei der Firma Flick darauf hingewirkt, gegenüber dem Ausschuß auf die Geltendmachung des Steuergeheimnisses ganz oder teilweise zu verzichten?" — Meine Damen und Herren, auch darauf kennen Sie die Antwort ganz genau. Sie ergibt sich aus der Abgabenordnung, aus den eben zitierten Briefen und aus den Auskünften, die uns im Untersuchungsausschuß gegeben sind.Meine Damen und Herren, ich kann dazu namens der Koalition nur zusammenfassend sagen: Dies alles sind nur Scheinfragen. Die Nutzlosigkeit wird sich bei der Behandlung des eigentlichen Untersuchungsauftrags noch deutlich zeigen.Meine Damen und Herren, wie man den Untersuchungsauftrag sinnvoll erweitert, sehen Sie an dem Antrag, den die Koalitionsfraktionen Ihnen vorgelegt haben.
Ein Untersuchungsausschuß, der klären soll, ob das Verfahren bei Erteilung von Bescheinigungen nach § 6b des Einkommensteuergesetzes oder nach § 4 des Auslandsinvestitionsgesetzes in Ordnung ist, muß natürlich in beide Richtungen untersuchen können. Wir müssen aufklären, ob es Einflußnahmen auf den Entscheidungsprozeß gegeben hat sowohl mit dem Ziel der Erteilung dieser Bescheinigung, Herr Kollege Spöri, als auch mit dem Ziel der Verhinderung. Ich halte es für völlig normal, daß sich der Ausschuß beiden Aspekten der Einflußnahme von außen zuwendet und entsprechende Untersuchungen anstellt.
— Ich habe hier doch keine Namen genannt. Wir müssen doch erst noch untersuchen, wer hier in Frage kommt.
Meine Damen und Herren, vor genau 23 Wochen hat der Deutsche Bundestag diesen Untersuchungsausschuß eingesetzt. Zu Recht ist hier die Frage zu stellen: Welche Arbeit ist seitdem geleistet worden? Natürlich waren wir dem Wunsch der nordrhein-westfälischen Justizministerin, Frau Donnepp, nachgekommen, und zwar einstimmig, von Beweisaufnahmen — und zwar nicht eingeschränkt, sondern generell — bis Ende Oktober abzusehen, um das staatsanwaltschaftliche Ermittlungsverfahren nicht zu stören. Ich bin ganz sicher, mein Kollege Baum wird Ihnen gleich sagen: Ich habe Euch das ja von vornherein so gesagt. Exakt so, Herr Kollege Baum, ist es dann auch gelaufen. Das mußte uns aber natürlich nicht an der Arbeit in toto hindern.
Womit hat uns denn nun die Opposition in diesen 23 Wochen im Ausschuß beschäftigt? — Immer wieder mit Randgebieten und Verfahrensfragen. Aber,meine Damen und Herren, sachliche Arbeit ist gefragt. Und was tun Sie?
Statt eines Beweisantrages legen Sie nach wochenlanger Lektüre — ich unterstelle, Sie haben sich der gleichen Mühe unterzogen wie wir auch — nichts anderes vor als den alten, bereits vom Parlament einstimmig beschlossenen Untersuchungsauftrag mit einer längeren Zeugenliste.
Beim Beweisantrag der GRÜNEN ist es ähnlich. Im Wettlauf mit der SPD und im Bemühen, die SPD mit einer etwas längeren Zeugenliste zu überbieten, haben die GRÜNEN auf die Schnelle, vermutlich zwischen zwei friedensbewegten Blockadeaktionen,
aus irgendwelchen Wochenmagazinen Namen abgeschrieben, um die Zeugenliste noch ein bißchen eindrucksvoller zu machen.
In diesem Wettstreit, Herr Kollege Fischer, scheut sich der Kollege Schily — wie ich lese, hat er es vorgezogen, heute nicht in Libyen, sondern in Moskau zu sein — und die Fraktion der GRÜNEN nicht, als Zeugen z. B. unseren früheren Kollegen Pohle zu benennen, der, wie die älteren Mitglieder des Hauses wissen, bereits im Jahre 1971, also zwölf Jahre vor Einsetzung des Untersuchungsausschusses, verstorben ist.
Wir haben also den Auftrag, den wirklich gründlich erarbeiteten Beweisantrag der Opposition, Tote zur Zeugenvernehmung vorzuladen. Fürwahr eine Meisterleistung des bekannten Strafverteidigers, die von sehr intensivem Aktenstudium und Befassung mit der Materie zeugt.
Außerdem fordern die GRÜNEN eine Vielzahl von nebensächlichen Behördenakten beizuziehen. Aber was sollen eigentlich diese weiteren Akten, wenn Sie sich nicht einmal in der Lage sehen, mit den bisher vorliegenden Akten zu arbeiten und aus ihnen konkrete Beweisthemen herauszuarbeiten? Wir hatten zunächst einmal den Eindruck, daß gerade Sie eigentlich besonders intensiv und besonders gründlich in diesem Untersuchungsausschuß mitarbeiten und besonders präzise Fragen stellen würden. Und was liefern Sie uns jetzt? Einen ganz kümmerlichen Beweisantrag, dazu noch mit toten Zeugen. Wenn Sie in den 140 Tagen, die der Untersuchungsausschuß besteht, nicht mehr fertigbringen, als über nicht vorliegende Akten und schlechte Kopien zu lamentieren, dann ist das für mich kein Zeugnis für besonderen Eifer, sondern dann ist das für mich ein Armutszeugnis, was ich Ihnen hier einmal ausstellen muß.Meine Damen und Herren, wir haben über Wochen gewartet, wann die Oppositionsfraktionen
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zum Beispiel die Beiziehung der Akten des Bundeskanzleramtes beantragen würden. Bei der Lektüre der vorliegenden Akten der beiden Ministerien drängte sich dieses doch geradezu auf. Aber was erleben wir? Wenn ich es so formulieren darf: geradezu eine rot-grüne Schweigespirale, was die Akten des Kanzleramtes anbelangt.
Selbst wenn unsere grünen Aktenliebhaber nicht an einen solchen Beiziehungsantrag dachten, wir von der Koalition haben diesen für die substantielle Arbeit des Untersuchungsausschusses notwendigen Antrag gestellt und nicht etwa Sie von der Opposition. Wir haben uns die Mühe gemacht, die Akten in diesen Wochen durchzuarbeiten.Wir haben einen Beweisantrag formuliert, der inhaltlich über 20 Seiten konkrete, präzise und für die damalige Regierung mit Sicherheit auch unangenehme Fragen enthalten wird. Jedenfalls meine ich, daß die Arbeit in einem Untersuchungsausschuß nicht darin bestehen kann, vermeintliche Zeugen aus irgendwelchen Magazinen abzuschreiben. Aus dem Alter, meine Damen und Herren, in dem man vom Nachbarn abschreibt, sollten selbst Sie eigentlich heraus sein.Meine Damen und Herren, wir machen deshalb diesen Heckmeck, den Untersuchungsausschuß zu einem Abschiebebahnhof für Nebensächlichkeiten zu machen, nicht mit. Wir fordern Sie auf: Lassen Sie diese Sperenzchen, kommen Sie endlich zur Sache, legen Sie genauso wie wir sorgfältig erarbeitete detaillierte Fragen vor. Dann wird es sich zeigen, ob dieser Untersuchungsausschuß in der Lage ist, seinen Auftrag zu erfüllen oder nicht.
Das Wort hat der Abgeordnete Hoss.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Sie sehen, daß der Untersuchungsausschuß über die Behandlung von Verfahrensfragen im wesentlichen nicht hinausgekommen ist. Auch der Beitrag des Kollegen Schröder von der CDU ist nicht gerade ein Beweis dafür, daß er uns der Sache näherbringt. Ich will etwas Licht in das Dunkel bringen.Dem Bundestag liegt ein Antrag vor, den Auftrag des Untersuchungsausschusses zu ergänzen. Das ist nach unserer Meinung notwendig, weil es CDU/ CSU und Herr Baum von der FDP ablehnen zu untersuchen, ob die Firma Flick zum gegenwärtigen Zeitpunkt wie früher Einfluß nimmt, in diesem Falle Einfluß nimmt auf die Arbeit und den Gang, den Ablauf des Untersuchungsausschusses. Ich will das begründen.Auf Antrag des Untersuchungsausschusses waren ihm im Sommer 18 Ordner mit dem Schriftverkehr, mit Gesprächsnotizen, mit Anmerkungen zu den Genehmigungsverfahren zu § 6b vom Bundeswirtschaftsministerium und vom Bundesfinanzministerium überstellt worden, Schriftverkehr über Genehmigungsverfahren, die dazu geführt hatten,daß es der Firma Flick erlassen wurde, 800 Millionen DM Steuergelder, die aus dem Verkauf eines Daimler-Benz-Aktienpaketes rührten, an den Fiskus abzuführen. Diese 18 Ordner befanden sich in einem unglaublichen Zustand: Seitenweise waren die Fotokopien nicht lesbar: abgedeckte Seiten, geschwärzte Stellen. Es war nicht möglich, aus diesen Aktenordnern etwas herauszuholen, weil die wesentlichen Stellen in diesen Aktenordnern geschwärzt, gestrichen und abgedeckt waren, und zwar mit der Begründung, daß das Steuergeheimnis nach § 30 der Abgabenordnung höher als das Recht des Untersuchungsausschusses zu untersuchen zu werten sei, und daß deshalb der Untersuchungsausschuß die Akten und Notizen nicht bekommen könne.Für uns tauchten in diesem Zusammenhang neue Fragen auf. Zum Beispiel: Wer hat darüber entschieden, daß der Untersuchungsausschuß nur Akten bekommt, die geschwärzte und abgedeckte Stellen haben, oder wer entscheidet überhaupt darüber, was der Untersuchungsausschuß zu bekommen hat? Wir GRÜNEN stellten am 14. September 1983 einen Antrag, der die Beiziehung des Schriftwechsels verlangte, der zwischen der Bundesregierung oder ihren Vertretern und der Firma Flick geführt wurde, der die Absprache belegen sollte, die zu den geschwärzten Stellen führt. Siehe da, es wurde offiziell, daß von seiten des Bundeswirtschaftsministeriums und Finanzministeriums und ihrer Vertreter Verhandlungen und Absprachen mit der Firma Flick getroffen wurden, in welcher Weise das Steuergeheimnis durch Abdeckungen und durch nicht vollständige Akten im Untersuchungsausschuß zu gewährleisten ist.
Das ist der Zustand, und daraus ergibt sich für mich die paradoxe Situation — ich bin wahrscheinlich der einzige Nicht-Jurist oder Nicht-Akademiker, der in diesem Untersuchungsausschuß mitarbeitet —,
daß bei dem Untersuchungsgegenstand, den wir untersuchen sollen, nämlich ob die Firma Flick Gelder an Personen, an Mitglieder der Bundesregierung oder ihre Vertreter, an Ministerialbeamte gegeben hat, um für sich Vorteile zu ergattern, genau diese beiden Seiten sowohl die Vertreter der Ministerien als auch die Firma Flick, darüber befinden, welche Akten der Untersuchungsausschuß bekommt, um Licht in das Dunkel zu bringen.
Diesen Vorgang finde ich unabhängig von seiner juristischen Wertung und Deutung unerhört, wenn ich mit gesundem Menschenverstand an diese Dinge herangehe.
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HossEs tauchten neue Fragen auf — ich will es ganz konkret benennen —: Unter welchen Umständen erfolgte die Auswahl, wurden die 18 Ordner der Firma Flick überstellt, damit sie Blatt für Blatt die 18 Ordner durchsehen konnte, welche Stellen zu schwärzen sind, was spielte sich dabei ab, oder fand die Untersuchung in den Ministerien statt, indem die Vertreter von Flick hinzugezogen wurden und man gemeinsam diese 18 Ordner durchgesehen hat?Zu diesem Zweck stellten wir einen neuen konkreten Antrag, der das Ziel hatte, daß wir erst mal feststellen wollten, ob diese Entscheidung, diese Dinge zusammen mit der Firma Flick durchzusprechen und durchzusehen, Gegenstand einer Kabinettsberatung gewesen ist, und wir stellten den Antrag, daß die Ministerialbeamten und alle, die damit zu tun haben, im Untersuchungsausschuß zu hören sind, weil es für uns von Interesse ist, zu wissen, welche Dinge sich dort abgespielt haben.An diesem Punkt setzt das Veto der CDU/CSU und von Herrn Baum ein, die sagen: Dieser Gegenstand, dieser Antrag hat nichts mit der Untersuchung in der Flick-Affäre zu tun, er hängt nicht damit zusammen, und er kann hier nicht behandelt werden.Ich frage Sie jetzt, nachdem Sie den Herrn Abgeordneten Schröder gehört haben, ob es richtig ist, was er sagt, daß wir, wenn wir in dieser Weise vorgehen, die Untersuchung behindern, oder ob wir sie nicht gerade fördern, weil es unabdingbar wichtig ist festzustellen, ob die Firma Flick heute noch Einfluß auf die Art und Weise nimmt, wie der Untersuchungsausschuß seine Dinge vorantreiben kann.
Prompt kommt jetzt, nachdem hier jetzt der Antrag gestellt worden ist, weil es die CDU/CSU abgelehnt hat, das innerhalb des Ausschusses zu klären, und die SPD diesen Antrag vorgetragen hat, weil sie das mit einem Quorum von 25% automatisch zum Gegenstand machen kann, ein Antrag der CDU/CSU, der, wie es schon die Kollegen der SPD ausgeführt haben, darauf hinausläuft, den Untersuchungsgegenstand dahin zu erweitern, ob es nicht auch Mitglieder der Bundesregierung oder Abgeordnete des Bundestages gibt, die in die umgekehrte Richtung gewirkt haben, nämlich in die Richtung, daß Herrn Flick die Bescheinigungen nicht ausgestellt werden sollen. Das ist eine völlige Umkehrung des Verhandlungsgegenstandes. Damit haben die CDU/CSU und Herr Baum die Katze aus dem Sack gelassen und zeigen, daß sie sich jetzt praktisch auf den Weg begeben, die Kritiker des bisherigen Verfahrens zwischen Flick und der Bundesregierung an den Pranger zu stellen und einen Brei anzurühren, bei dem nachher niemand mehr weiß, was überhaupt oben und unten ist. Wir werden nicht zulassen, daß Kritiker, die sich schon in der Vergangenheit — ich denke an den damaligen Abgeordneten Böhme oder auch an den Abgeordneten Spöri — in ihrer eigenen Fraktion wegen ihresVerhaltens unbeliebt gemacht haben, in den Mittelpunkt gerückt werden und die Sache des Herrn Flick aus dem Mittelpunkt herauskommt.
Ich erinnere mich noch sehr gut an meine Zeit im Betrieb in den Jahren 1976/77. Es wurde diskutiert darüber, ja es wurden sogar Wetten abgeschlossen, ob es Herrn Flick gelingen wird, sich von der Zahlung von Steuern für den Erlös aus dem Verkauf seines 2-Milliarden-DM-Aktienpakets an die Deutsche Bank zu befreien — im Gegensatz zu uns, die wir für jeden Pfennig, den wir verdienen, Steuern zahlen müssen und da erst gar nicht lange gefragt werden.
Wir GRÜNEN sind in keiner Weise in die Sache verwickelt. Wir haben ein umfassendes Interesse daran, daß die Aufklärung vorangetrieben wird. Das geht aber nicht nach dem Motto, das wir im Ausschuß bisher erlebt haben und das da heißt: Schlägst du Meinen, dann schlag' ich Deinen. Das ist die Sorte von Politik, die wir ablehnen; das ist die Sorte von Politik, die mehr an Kuhhandel grenzt, die unehrlich ist und für die wir nur Verachtung übrig haben.
Das Manöver, das hier gestartet wird, ist zu durchsichtig, und deshalb lehnen wir den Antrag der CDU hier ab.Wir hatten schon einmal eine Debatte über die Frage der Steuererleichterungen mit der Folge, daß wir GRÜNEN vor das Verfassungsgericht gegangen sind, um die Frage zu klären, ob das Interesse des Herrn Flick an seinem Steuergeheimnis größer ist als das Interesse des Untersuchungsausschusses, einem Steuerskandal und seinen Umständen auf die Spur zu kommen.
Ich möchte nun zum Abschluß noch einen kleinen Ausblick geben und auf das antworten, was Herr Schröder gesagt hat. Wir erwarten demnächst — in der nächsten, übernächsten Woche — die Akten der Staatsanwaltschaft; das werden etwa 150 Ordner sein. Wir erwarten, daß die Hauptakten, die Beiakten und auch die Beweismittelordner dem Untersuchungsausschuß überstellt werden. Wenn wir diese Akten bekommen, dann ist per se eine gründliche Durchsicht, Kenntnisnahme, Verarbeitung, Aufbereitung des darin enthaltenen Stoffes notwendig; das braucht seine Zeit. Wir lehnen es ab — deshalb haben wir den Antrag gestellt —, in die Zeugenvernehmung einzutreten, wenn wir den Inhalt dieser Akten nicht durchgesehen haben. Wir lehnen es ab, in eine Zeugenvernehmung einzutreten, wenn die Hauptbeteiligten, die Hauptzeugen, die zu hören sind, über den Gegenstand besser informiert sind als wir.
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HossIch habe in der „Süddeutschen Zeitung" vom 26. Oktober gelesen, daß Herr Lambsdorff beklagt, daß er nicht selbst in den Gang der Ereignisse eingreifen kann, und daß er nach dem Studium von 20 Akten der Staatsanwaltschaft, an die er durch seine Verteidiger herangekommen ist, davon ausgeht, daß die Staatsanwaltschaft ihren Verdacht nicht wird belegen können. Wir GRÜNEN können und werden es uns nicht leisten — wir bitten alle anderen, sich auch so zu verhalten —, mit verdeckten Augen Zeugen zu vernehmen, die über den Inhalt der Aktenordner besser informiert sind als die Mitglieder des Untersuchungsausschusses. Deshalb bestehen wir darauf, daß diese Zeugen erst vernommen werden, wenn der Untersuchungsausschuß Gelegenheit hatte, sich mit den umfangreichen Akten intensiv und gründlich vertraut zu machen.
Das Wort hat der Abgeordnete Baum.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Hoss, also doch nicht so schnell? Dann ist der Vorwurf ja nicht berechtigt, wir würden die Ausschußarbeit blockieren. Ich finde das hilfreich, was Sie sagen. Dennoch bin ich der Meinung, daß wir mit den Zeugenvernehmungen beginnen müssen. Meine Fraktion wird nicht bis zum Januar warten, wie Sie das vorgesehen haben.
Ich gebe gerne zu, Herr Kollege Struck, die Arbeit des Untersuchungsausschusses war bisher unbefriedigend. Ich fühle mich bestätigt in dem, was mein Fraktionskollege Beckmann hier bei der Einsetzung des Ausschusses gesagt hat. Er hat nämlich gesagt, solange ein staatsanwaltschaftliches Ermittlungsverfahren läuft, ist es wenig sinnvoll, einen Untersuchungsausschuß arbeiten zu lassen. Genau das haben wir jetzt erlebt. In stundenlangen Sitzungen haben wir uns unterhalten, haben über Anträge geredet und sind alle unbefriedigt. Ich weise darauf hin, daß es in der Geschäftsordnung des Landtags von Nordrhein-Westfalen eine sehr sinnvolle Vorschrift gibt — Frau Donepp hat uns ja darauf hingewiesen —: mit einem Untersuchungsausschuß erst zu beginnen, wenn ein Ermittlungsverfahren auch abgeschlossen ist.
Sie haben so getan, Herr Struck, als stünden wir am Ende der Untersuchung. Sie haben einige Bemerkungen gemacht, als ob für Sie das Ergebnis dieser Untersuchung bereits feststehe. Ich bedaure das. Denn Sie sollten bei alledem auch nicht vergessen, daß hier eine Entscheidung vom Parlament kontrolliert wird, die von einer Bundesregierung getragen worden ist, in der auch Sie Verantwortung gehabt haben. Sie können sich doch nicht etwa aus dieser Verantwortung jetzt herausstehlen und uns empfehlen, die „Zeit" zu lesen. Wenn die „Zeit" lesenswert ist — und daran habe ich gar keinen Zweifel —, dann müssen wir die gemeinsam lesen.
Ich meine, das staatsanwaltschaftliche Ermittlungsverfahren mußte abgewartet werden. Wir haben uns jetzt eine Frist gesetzt und wollen nun mit der Arbeit des Ausschusses beginnen.
Ich habe hier eine Kritik herausgehört, auch bei Ihnen, Herr Hoss, auch bei Ihnen, Herr Struck, so als ob es den § 6b nicht gibt — auch bei Ihnen, Herr Struck. Wir haben uns an Recht und Gesetz zu halten. Die Bundesregierung hat sich bei ihrer Entscheidung an die bestehende Rechtslage zu halten. Wenn Sie die Rechtslage ändern wollen, dann müssen Sie das offen tun, dann müssen Sie eine entsprechende Initiative unternehmen. Aber wir können doch nicht so tun, als ob die Bundesregierung im gesetzesfreien Raum operiert. Sie existiert in einem Raum, wo es den § 6 b gibt. Wir haben festzustellen, ob sie sich an Recht und Gesetz gehalten hat. Hierzu haben wir noch keine Feststellung getroffen. Denn wir stehen bekanntlich am Anfang der Erfüllung des Untersuchungsauftrages und nicht am Ende.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Spöri?
Herr Kollege Baum, wenn Sie von Gesetzesinitiative sprechen: Ist Ihnen als Mitglied der früheren Bundesregierung bekannt, daß die SPD-Fraktion mehrmals Anregungen zu einer Änderung dieses Paragraphen gemacht hat?
Mir ist natürlich die Diskussion bekannt, Herr Kollege Spöri. Mir ist auch Ihre Position bekannt. Nur gibt es keinen Antrag Ihrer Fraktion. Es wäre ja wohl jetzt auch nicht sinnvoll, wenn wir einen Untersuchungsauftrag haben, der sich auf diesen Gegenstand bezieht, vor Abschluß dieses Untersuchungsauftrages irgendwelche Konsequenzen zu ziehen. Ich weise nur darauf hin, daß wir das Recht, wie es jetzt besteht, zu respektieren haben, genauso wie die Bundesregierung.
Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage?
Herr Kollege Baum, darf ich Sie dann darauf hinweisen — als Mitglied der früheren Bundesregierung —, daß die SPD-Bundestagsfraktion mehrmals im Zusammenhang mit Sparoperationen derartige Vorschläge zur Änderung des § 6 b in die Koalitionsgespräche eingebracht hat?
Das mag sein. Ich kann mich daran nicht erinnern. Ich habe nicht an allen Verhandlungen teilgenommen. Es mag sein. Aber es gibt keine Initiative, keine Gesetzesinitiative von Ihrer Fraktion, weder damals noch heute. Sie können sie ja machen. Dann tun Sie's. Aber reden Sie nicht so, als gäbe es dieses Gesetz nicht.Es kann also aus all den Gründen einen Vorwurf an die Koalitionsfraktionen wegen einer angeblichen Verzögerung des Untersuchungsverfahrens nicht geben. Wesentliche Unterlagen — das sagen Sie ja selbst — für die Beweiserhebung, nämlich die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsakten, waren
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Baumbisher nicht zu bekommen. Wir werden sehen, wann wir sie bekommen und was wir bekommen.Wir, die Koalitionsfraktionen — darauf hat Herr Kollege Schröder hingewiesen —, haben die Zeit genutzt. Wir haben die uns überlassenen Ministerialakten sehr gründlich durchgearbeitet und einen 20seitigen Fragenkatalog daraus destilliert. Wir wollen gar keinen Zweifel entstehen lassen: Wir wollen den Untersuchungsauftrag korrekt erledigen, und zwar so zügig wie möglich, so sachlich und so gründlich wie möglich.
Auch wir haben, insbesondere angesichts der Vorwürfe, die dauernd in diesem Hause und außerhalb dieses Hauses gemacht werden, ein Aufklärungsinteresse. Wir haben ein sehr starkes Aufklärungsinteresse. Unterschätzen Sie das bitte nicht. Das kommt ja auch in unserem Fragenkatalog zum Ausdruck. Wir haben ein Aufklärungsinteresse auch gegenüber der Bundesregierung. Unser sehr ins einzelne gehenden Beweisantrag zeigt, daß die Koalitionsfraktionen den Untersuchungsauftrag sehr ernsthaft betreiben wollen.Ich sage noch einmal, Herr Hoss, es ist mir unverständlich, daß Sie die Beweisaufnahme erst im nächsten Jahr beginnen wollen. Ich sage Ihnen hier: Wir werden dem nicht zustimmen. Wir wollen in Kürze mit der Beweisaufnahme beginnen.Ich möchte eine Bemerkung machen, die auf das Bezug nimmt, was Sie, Herr Struck, in bezug auf meinen Fraktionskollegen Graf Lambsdorff gesagt haben. Es betrifft nicht ihn allein, aber es betrifft ihn vor allem, was hier in der Öffentlichkeit — jedenfalls teilweise — geschieht.Während des staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahrens hat es bis heute immer wieder Vorverurteilungen der Beschuldigten, insbesondere von Graf Lambsdorff, in einer, wie ich meine, für den Rechtsstaat unerträglichen Weise gegeben.
Ein vergleichbarer Vorgang ist mir nicht bekannt. Ein derartiges Wechselbad an ungeprüften und unbewiesenen Beschuldigungen ist für mich mit rechtsstaatlichen Prinzipien — der Rechtsstaat gilt nämlich auch für einen Bundesminister — nicht vereinbar.
Graf Lambsdorff wie andere Beschuldigte haben Anspruch darauf, daß für sie die Unschuldsvermutung gilt, meine Damen und Herren. Schuld oder Nichtschuld stellt in unserem Land ausschließlich das zuständige Gericht fest, nicht irgendeine Zeitung oder irgend jemand sonst.
Wir werden uns alsbald der Vernehmung der maßgeblich am Verfahrensablauf beteiligten politischen Entscheidungsträger zuwenden und uns dabei mit den zentralen Punkten des Untersuchungsauftrags beschäftigen. Wir wollen die zentralen Punkte des Untersuchungsauftrags jetzt so schnellwie möglich angehen, und wir wollen uns davon nicht ablenken lassen.Auch wir werden alle in Betracht kommenden Akten heranziehen und keine Erkenntnisquelle auslassen, meine Damen und Herren.Zu Ihrem Antrag möchte ich folgendes sagen. Die von der sozialdemokratischen Fraktion und den GRÜNEN vorgelegten Beweisanträge gehen über den Untersuchungsauftrag hinaus. Deshalb wird das Parlament hier heute in seinem Plenum mit diesem Auftrag befaßt, nicht weil wir ihn ablehnen wollen, sondern weil wir korrekt vorgehen wollen. Das Parlament hat einen Anspruch darauf, wenn es um eine Erweiterung des Untersuchungsauftrags geht, gehört zu werden. Das gehört zur Legitimität des Untersuchungsverfahrens.Wir werden Ihrem Antrag zustimmen, weil wir nach den Vorwürfen, die Sie auch dort erhoben haben, auch hier ein Aufklärungsbedürfnis sehen. Wir wollen, daß die Vorwürfe auch im Ausschuß zur Sprache kommen. Wir sind überzeugt, daß Sie diese Vermutungen, diese Unterstellungen, die Sie, Herr Hoss, hier gemacht haben, nicht aufrechterhalten können. Es gibt keine Kumpanei mit der Firma Flick von seiten des Wirtschaftsministeriums oder des Finanzministeriums bei der Aussonderung der Akten. Die Briefe der beiden Minister sind eindeutig und klar und für uns überzeugend.Unsere Zustimmung zur Erweiterung des Untersuchungsauftrags bedeutet also nicht, daß wir den Vorwürfen zustimmen, die die Opposition erhebt. Dankenswerterweise haben sich beide Minister dazu geäußert. Ich darf zitieren, was Graf Lambsdorff sagte:An den Gesprächen mit der Firma Flick über die Aktenvorlage sind allein die fachlich zuständigen Beamten des Bundesministeriums für Wirtschaft beteiligt gewesen. Ich habe weder auf die Einleitung der Gespräche noch auf deren Inhalt Einfluß genommen. Auch sonst habe ich hinsichtlich Art und Umfang der Herausgabe der Akten keine Weisungen erteilt. Ich habe auch zu keiner Zeit über das Thema einer Aktenherausgabe mit der Firma Flick gesprochen und korrespondiert.Dies ist klar und eindeutig; dem braucht nichts hinzugefügt zu werden. Genauso haltlos sind nach dem Brief des Bundesministers der Finanzen die gegen Herrn Dr. Stoltenberg erhobenen Vorwürfe.Sie haben über das Steuergeheimnis gesprochen. Wir haben im Ausschuß sehr lange über das Steuergeheimnis gesprochen. Die Bundesregierung nimmt hier eine Rechtsposition in Anspruch, die Respekt verdient. Wir brauchen die Frage jetzt nicht zu entscheiden. Die Bundesregierung verhält sich nach der ständigen Staatspraxis, meine Damen und Herren. Von ihrer Rechtsauffassung ausgehend hat sie sich korrekt verhalten.Wir halten es für notwendig und unverzichtbar, den Untersuchungsauftrag zu erweitern, wie die Koalitionsfraktionen das hier vorgeschlagen haben. Ich bekräftige für meine Fraktion erneut, daß wir
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Baumden Untersuchungsauftrag nicht nur respektieren, sondern ihn umfassend, gründlich und zügig erfüllen wollen.
Das Wort hat der Abgeordnete Schröder .
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Was man hier lernen kann, ist, wie Nebel geworfen wird.
Das wird nämlich versucht, insbesondere von Ihnen, Herr Schröder aus Lüneburg.Sie haben gesagt, der Ausschuß müsse sachliche Arbeit machen. Wer wollte dem nicht zustimmen?! Gleichzeitig verhindert aber Ihre Bundesregierung, daß der Ausschuß jene Akten bekommt, die die Grundlage für sachliche Arbeit wären. Wir sollen also mit der Stange im Nebel herumstochern. Wir sollen nicht Akten lesen können, die Aufschluß geben könnten, wer da denn mit wem im Verfahren gefummelt hat.Es steht doch fest — das ist doch bewiesen —, daß es Gespräche zwischen der Firma Flick und den beiden beteiligten Ministerien über die Frage gegeben hat, welche Akten dem Ausschuß zur Verfügung zu stellen seien. Das ist doch eine Feststellung, die auch von Ihnen nicht bestritten wird. Da wollen wir als Leute, die sich kein X als U vor machen lassen, natürlich wissen: Was waren das denn für Gespräche, was ist denn da geredet worden? Wer hat da auf wen Einfluß genommen und in welcher Weise? Es ist doch ganz natürlich, daß man das wissen will.
Wir müßten doch Tinte gesoffen haben, wenn wir darauf verzichteten, das herauszukriegen.Da sagen sie uns dann: Ja, aber der Herr Lambsdorff hat Ihnen doch geschrieben, daß er jedenfalls keinen Einfluß genommen habe. Sie raten uns, das gefälligst zu glauben. Das wäre doch, wie wenn ein Polizist von einem besoffenen Autofahrer, den er erwischt, gesagt kriegt, er habe nur Milch getrunken, und von ihm verlangt wird, das zu glauben. Es kann doch nicht Ihr Ernst sein, so etwas zu glauben.
Das mindeste, was wir machen müssen, ist doch wohl, herauszukriegen, ob da Einfluß genommen worden ist oder nicht. Das ist doch ein ganz normales Informationsinteresse. Das kann doch nicht anrüchig sein, es sei denn, Sie haben etwas zu verbergen. Durch Briefe ist also gar nichts widerlegt. Wir wollen die Leute, die da verhandelt haben, dazu hören.Und in der Sache? In der Sache geben Sie uns die Akten nicht. Dabei berufen Sie sich auf das Steuergeheimnis und bringen das auch noch in Verbindung mit Datenschutz. Das ist prima. Das habe ich mir sorgfältig angehört. Datenschutz reduziert sichalso für Sie auf die Wahrung des Steuergeheimnisses. Ansonsten kann man munter dagegen verstoßen. Aber wenn Flick und die Kungeleien, die stattgefunden haben, in Rede stehen, dann gibt es auf einmal Datenschutz. Ansonsten hat er gegenüber Sicherheitsinteressen — oder wie das in der Interpretation des Innenministers heißt — gefälligst zurückzutreten. Das kann doch nicht richtig sein. Da wird doch auch versucht, Nebel zu werfen.Natürlich gibt es ein Steuergeheimnis. Aber die Frage ist doch gerade, ob diesem Parlament unter Berufung auf das Steuergeheimnis vorenthalten werden darf, dringend aufklärungsbedürftige Dinge auch aufzuklären. Niemand soll sich doch hinter dem Steuergeheimnis verstecken dürfen. Das geschieht doch gerade. Weil das geschieht, muß d'as Verfassungsgericht dazu etwas sagen.Wir berufen uns bei unseren Fragen und bei unserem Verlangen doch nicht auf irgendwelche linksradikale Leute. Vielmehr hat der Senator für Bundesangelegenheiten aus Berlin, CDU-Mitglied, gesagt, daß das Steuergeheimnis gefälligst der Souveränität des Parlamentes nachzugehen habe. Als Parlamentarier sollte man darauf, wie ich denke, auch bestehen.
Im übrigen ist es doch ein Unterschied, ob Steuerfragen in der Öffentlichkeit oder in einem parlamentarischen Untersuchungsausschuß ausgebreitet werden. Vermischen Sie das doch nicht miteinander! Wenn Sie es vermischen — was Sie tun —, müssen Sie sich wieder vorwerfen lassen, daß Sie vernebeln, aber die Sache nicht klären wollen.Ein vorletzter Satz: Sie haben einen Antrag eingebracht, in dem Sie unterstellen, daß auf die Bewilligung von außen im negativen Sinne Einfluß genommen werde. Was Sie machen wollen, ist doch, demjenigen, der seinen parlamentarischen Pflichten nachgekommen ist, der gefragt hat, ob unrechtmäßige Dinge geschehen, ob die Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffes, der in dem betreffenden Satz enthalten ist, durch wirtschaftliche Macht beeinflußt wird oder nicht, anzuhängen, er habe sich rechtswidrig verhalten. Das ist doch, wie wenn Sie den Feuerwehrmann zum Brandstifter erklären wollten. Die Brandstifter sitzen doch ganz woanders!
Daraus habe ich gelernt — deswegen war die Arbeit in dem Ausschuß überhaupt nicht überflüssig —, daß Sie das Ganze umdrehen wollen. Sie wollen gar nicht wissen, wie Flick zum Gelde gekommen ist oder ob der Staat zuwenig Steuern gekriegt hat. Vielmehr wollen Sie Herrn Spöri oder sonstwem, den Sie noch nicht genannt haben, etwas anpappen, etwas anhängen. Das wollen Sie. Sie wollen aber nicht aufklären. Zum Aufklären sind Sie aber da. Dafür gibt es den Untersuchungsausschuß. Sie sollten sich um Aufklärung kümmern, nicht aber vermengen, verwischen und die falschen Leute vor den Ausschuß zerren. Tun Sie das mit den Richti-
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Schröder
gen; dann werden Sie viel erfahren, dessen bin ich sicher!
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Hüsch.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Dieser advokatorische Eifer des Kollegen Schröder hätte eigentlich einer besseren Sache bedurft. Herr Kollege Schröder, wenn Sie auch nur einen Teil dieses Eifers in die Sachaufklärung gesetzt hätten, wären wir im Untersuchungsausschuß selbst schon etwas weiter.
Ich will einige Feststellungen treffen. Das Recht gilt für jedermann. Es gibt weder einen Flick-Malus noch einen Flick-Bonus. Dasselbe Recht gilt für die alte Regierung. Sie hat das Recht zu erklären. Dieses Recht gilt auch für Herrn Lambsdorff, Herrn Matthöfer, Herrn Lahnstein und Herrn Apel. Das Recht kann nicht deswegen geändert werden, weil Ihnen die eine oder andere Entscheidung aus sonstigen Gründen politisch nicht gefällt. Herr Schröder,
— Herr Schröder , wenn Sie die Akten sorgfältig gelesen hätten, wüßten Sie, daß an einer bestimmten Stelle der Akten erklärt wird: Die Bescheinigung soll nicht erteilt werden, weil sie politisch nicht in die Landschaft paßt. — Es ist dann doch wohl erlaubt, nachzufragen: Gilt denn im Rahmen des deutschen Rechtes noch die politische Willkür, die politische Subsumtion, die Stellungnahme oder die Position oder gilt das deutsche Recht, wie es in den Gesetzen festgelegt ist? Wenn Sie das Gesetz hätten anfechten wollen — das möchte ich an die Adresse des Kollegen Struck sagen —, so hätte es Ihnen doch freigestanden, einen Antrag einzubringen. Es hätte Ihnen, wenn Sie mit offenkundigen Vorgängen im Flick-Konzern nicht einverstanden waren, doch freigestanden, einen Mißtrauensantrag gegen die damalige Regierung einzubringen. Das haben Sie aber nicht getan. Im Gegenteil, Sie haben sich doch 1980 auf die Straße gestellt und für den gleichen Kanzler Schmidt gekämpft und geworben, der nach Ihrer heutigen Meinung so unglaublich ungerecht einen Steuervorteil im Rahmen seiner Regierung hat gewähren lassen.
Sie müssen sich insofern fragen lassen, ob Sie in Wirklichkeit nicht mit dem, was Sie hier vortragen, die große Vernebelung zu treiben. Sie wollen von der politischen und von der rechtlichen Verantwortung ablenken. Nun machen wir eines, was Sie wollen, nicht mit. Wir werden weder dem Kanzler Schmidt noch Mitglieder seiner Regierung, die für bestimmte Vorgänge verantwortlich waren, vorab verurteilen. Für uns gilt das Recht. Das Recht beinhaltet die Vermutung für die Unschuld und den Zwang, Schuld nachzuweisen, ob nun politisch oder strafrechtlich. Solange die Schuld nicht nachgewiesen wird, werden wir uns nicht an der allgemeinen
Beschimpfung beteiligen, auch wenn Ihnen das nicht gefällt. Selbst wenn dies Ihren Verdacht auslösen sollte, wir wollten jemanden schützen, so werden wir dennoch den Rechtsgedanken durchhalten, weil wir der Auffassung sind, daß über der politischen Zufälligkeit die Geltung des Rechtes steht. Ob jemand das Recht verletzt hat, wird der Untersuchungsausschuß zu klären haben. Wir haben das Unsere dazu beigetragen. Ich wünschte sehr, Sie würden sich auch nur annähernd so wie CDU und CSU anstrengen, etwas zum Aufklärungsergebnis, nicht aber zu Nebensächlichkeiten beizutragen.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über zwei Anträge. Ich rufe zunächst den Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/520 auf. Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Die Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig so angenommen.
Wir stimmen jetzt über den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und FDP auf Drucksache 10/521 ab. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Antrag ist angenommen.
Ich rufe Punkt 7 der Tagesordnung auf:
Beratung des Berichts der Bundesregierung zur Entsorgung der Kernkraftwerke und anderer kerntechnischer Einrichtungen
— Drucksache 10/327 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Innenausschuß
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau Ausschuß für Forschung und Technologie Haushaltsausschuß
— Meine Damen und Herren, die Sitzung ist noch nicht beendet. Ich bitte darum, noch einmal Platz zu nehmen.
Ich bitte die SPD-Fraktion um etwas mehr Ruhe.
Zu dem soeben aufgerufenen Punkt 7 der Tagesordnung liegt Ihnen ein Entschließungsantrag des Abgeordneten Dr. Ehmke und der Fraktion der GRÜNEN auf Drucksache 10/527 vor. Er wird in die Diskussion mit einbezogen.
Im Ältestenrat ist für die Aussprache eine Runde vereinbart worden. — Dagegen erhebt sich kein Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Bundesminister des Innern.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In der deutschen Öffentlichkeit wird angesichts wachsen-
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Oktober 1983 2077
Bundesminister Dr. Zimmermannder Umweltschäden durch konventionelle Brennstoffe heute sachlicher und emotionsloser über die friedliche Nutzung von Kernenergie diskutiert als vor einigen Jahren. Was damals heiß umstritten, teilweise Angriffspunkt gewalttätiger Demonstrationen war, was manchem politisch nicht durchsetzbar schien, ist heute politische Notwendigkeit.Der von der Bundesregierung vorgelegte Bericht zur Entsorgung der Kernkraftwerke und anderer kerntechnischer Einrichtungen enthält erstmals eine vollständige Darstellung der in der Bundesrepublik Deutschland anfallenden radioaktiven Stoffe und ihrer Behandlung sowie der Maßnahmen zur Beseitigung der radioaktiven Abfälle. Dieser Bericht ist eine nüchterne Darstellung von Fakten. Er beschreibt die erzielten Fortschritte, verschweigt jedoch nicht diejenigen Bereiche, in denen weitere Arbeiten notwendig sind, z. B. die weitere Erkundung des Salzstocks in Gorleben. Schon aus diesem Grunde trifft der von der Opposition gegen den Entsorgungsbericht erhobene pauschale Vorwurf der Schönfärberei nicht zu.
Was sind die wesentlichen im Bericht genannten Tatsachen? Die Zwischenlagermöglichkeiten für bestrahlte Brennelemente wurden ausgebaut. Für das Lager in Gorleben ist bereits die atomrechtliche Aufbewahrungsgenehmigung und für das geplante zeichnungsgleiche Lager in Ahaus die baurechtliche Genehmigung erteilt worden. Für die beiden Standorte Wackersdorf und Dragahn werden die Genehmigungsverfahren für die Wiederaufbereitungsanlage mit großer Zielstrebigkeit geführt. Die Erkundung des Salzstocks Gorleben macht Fortschritte. Der Auftrag zum Abteufen der beiden Erkundungschächte ist erteilt. Für das geplante Endlager in der ehemaligen Grube „Konrad" wurde vor mehr als einem Jahr der Planfeststellungsantrag gestellt. Die Untersuchungen zur direkten Endlagerung bestrahlter Brennelemente werden zeitgerecht und unter Beteiligung der Länder fortgeführt.Allen diesen Arbeiten liegt ein Zeitplan zugrunde, durch den sichergestellt wird, daß die Anlagen dann vorhanden sind, wenn sie auch benötigt werden. Dieser im Beschluß der Regierungschefs von Bund und Ländern aus dem Jahre 1979 zur Entsorgung der Kernkraftwerke enthaltene Zeitplan ist bisher in allen Stücken eingehalten worden. Damit das auch in Zukunft so ist, brauchen wir in der Tat ein den Schutzinteressen der Bevölkerung Rechnung tragendes Handeln. Wir fordern die Industrie auf, mit dem Bau des Zwischenlagers Ahaus möglichst bald zu beginnen. Wir wissen, daß die Standortentscheidung für die Wiederaufarbeitungsanlage rasch getroffen werden muß. Die Bundesregierung ihrerseits wird der ihr nach dem Atomgesetz zufallenden Entsorgungsverantwortung gerecht werden.Die nukleare Entsorgung ist eine Aufgabe, zu der Bund, Länder und Abfallverursacher gemeinsam beitragen müssen. Erfolg setzt Kooperation, nicht Konfrontation voraus. Diese Grundsätze praktiziert die Bundesregierung im übrigen auch in ihren Kontakten mit den Nachbarstaaten. So haben wir einenregen Informations- und Meinungsaustausch über diese Fragen mit Frankreich, mit der Schweiz. Nunmehr haben wir diese Fragen aber auch mit der DDR besprochen. Erst am letzten Dienstag fanden sich im Bundesinnenministerium Vertreter der DDR und der Bundesrepublik Deutschland zu einem ersten Gespräch über Fragen der Sicherheit kerntechnischer Einrichtungen zusammen. Bereits bei diesem ersten Gespräch wurden auch Fragen der Entsorgung angesprochen.Im Vordergrund unseres Interesses stand die Atommülldeponie der DDR bei Bartensleben, unweit von Helmstedt; umgekehrt war die DDR an unseren Entsorgungsprojekten im Raum Gorleben interessiert. Bereits diese erste Aussprache machte deutlich, daß die DDR wie auch wir eine Lagerung radioaktiver Abfälle in tiefen geologischen Salzformationen verfolgt. Die gemeinsame Erfahrung mit dieser Endlagertechnik bietet somit eine gute Ausgangslage für die weitere Zusammenarbeit mit der DDR auf diesem Gebiet.Bei der Verwirklichung des Entsorgungskonzepts in der Bundesrepublik Deutschland konnten wir Fortschritte erzielen. Die Beispiele sind:Erstens. Der Bund-Länder-Ausschuß für Atomkernenergie hat eine neue Form der intensiveren und effizienteren Zusammenarbeit gefunden.Zweitens. Bei der Bundesregierung wurde der Gesprächskreis Entsorgung mit der Zielsetzung eingerichtet, die notwendigen Entsorgungsschritte zwischen Bund und Industrie auf kompetenter Ebene frühzeitig abzustimmen und sich rechtzeitig gegenseitig zu informieren.Drittens. Bei der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt, die für die Durchführung der Aufgaben des Bundes zur Sicherstellung und Endlagerung radioaktiver Abfälle zuständig ist, sind personelle und organisatorische Verbesserungen erzielt worden.Viertens. Der die Physikalisch-Technische Bundesanstalt bei der Erfüllung ihrer Aufgaben unterstützende Dritte, die Deutsche Gesellschaft zum Bau und Betrieb von Endlagern für Abfallstoffe, DBE, wird in die Lage versetzt werden, seine Arbeiten noch wirksamer als bisher erledigen zu können.Um allen Spekulationen entgegenzutreten: Diese Maßnahmen bedeuten keine unzulässigen Verwischungen der jeweiligen Verantwortlichkeiten, sondern sind allein das Ergebnis der Einsicht, daß eine Politik des Miteinander für alle Teile bessere Ergebnisse liefert als das Gegenteil.Meine Damen und Herren, in diesem Sinne kann ich mit Genugtuung feststellen, daß die Abf allverursacher nicht nur im Rahmen der Endlagervorausleistungsverordnung für die Kosten der Sicherstellung und Endlagerung der radioaktiven Abfälle aufkommen werden, sondern auch bereit sind, ihr beachtliches Know-how auf diesem Gebiet dem Bund zur Verfügung zu stellen.Diese Maßnahmen zur Verbesserung der Zusammenarbeit sind nach Auffassung der Bundesregierung eine gute Ausgangsbasis für die Bewältigung der noch vor uns liegenden Aufgaben. Hierzu ge-
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2078 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Oktober 1983
Bundesminister Dr. Zimmermannhört auch die Errichtung einer deutschen Wiederaufarbeitungsanlage. Hier hat es Spekulationen der Art gegeben, die Bundesregierung halte die Wiederaufarbeitung bestrahlter Kernbrennstoffe für nicht vordringlich oder gar für unnötig. Ausgangspunkt dieser Spekulationen war die Feststellung im Entsorgungsbericht, daß rechnerisch der bei Kernkraftwerken von ihrer Inbetriebnahme an für jeweils sechs Jahre im voraus verlangte Nachweis über den sicheren Verbleib der bestrahlten Brennelemente gegenwärtig über Auslandswiederaufarbeitung und Zwischenlagerung mit der zur Abdekkung von Unvorhersehbarkeiten unerläßlichen Reserve geführt werden kann. Die an diese — richtige — Aussage geknüpften Spekulationen sind falsch. Lassen Sie mich feststellen: Für die Bundesregierung ist die Wiederaufarbeitung bestrahlter Brennelemente ein wesentlicher Bestandteil des Entsorgungskonzepts. Das ist eine Folgerung aus dem Atomgesetz, das den Vorrang der schadlosen Verwertung radioaktiver Reststoffe, also der Wiederaufarbeitung, vor deren geordneter Beseitigung begründet. Danach sind radioaktive Reststoffe immer dann wiederaufzuarbeiten, wenn das nach dem Stand von Wissenschaft und Technik möglich und wirtschaftlich vertretbar ist.Beide Kriterien sind für bestrahlte Brennelemente aus Leichtwasserreaktoren erfüllt: Ihre Wiederaufarbeitung ist — entgegen allem Zweckpessimismus — unter Beachtung des Schutzes der Bevölkerung möglich, und sie kann, wie die Beispiele Frankreich und England zeigen, nicht nur wirtschaftlich vertretbar, sondern sogar wirtschaftlich lukrativ sein. Unter diesen Umständen erscheint die direkte Endlagerung der Brennelemente aus Leichtwasserreaktoren, d. h. ihre endgültige Beseitigung ohne vorherige Wiederaufarbeitung, als mit dem gegenwärtigen Atomgesetz nicht vereinbar.Für die Errichtung einer eigenen deutschen Wiederaufarbeitungsanlage spricht jedoch auch die Belastbarkeit der von den Kernkraftwerksbetreibern zu führenden Entsorgungsnachweise. Hierzu gehört, daß die Wiederaufarbeitung eine weltweit großtechnisch erprobte Technologie ist, die direkte Endlagerung sich dagegen noch im Konzeptstadium befindet. Zur verlangten Sicherheit des Entsorgungsnachweises gehört langfristig auch die weitgehende Unabhängigkeit vom Ausland.Nur wenn wir über einschlägige Erfahrungen, über eigenes Know-how auf diesem Gebiet, verfügen, können wir sicher sein, daß die Bedingungen, zu denen unsere Brennelemente aufgearbeitet werden — oder nicht aufgearbeitet werden —, uns nicht von anderer Seite diktiert werden. Nur die eigene Beherrschung der Wiederaufarbeitungstechnologie versetzt uns in die Lage, auch mit eigenen Mitteln die Entsorgung zu sichern.Für die Wiederaufarbeitung sprechen weiterhin insbesondere der wichtige Gesichtspunkt der Ressourcenschonung — trotz der zur Zeit günstigen Uranpreise —, die Reduzierung der bei etwaigen Störfällen aus dem Endlager in die Umgebung freisetzbaren Menge an radioaktiven Stoffen und sicherlich nicht zuletzt der Erhalt von Kapital und Arbeitsplätzen im eigenen Land.Ich wiederhole: Es bedarf deshalb nach Auffassung der Bundesregierung einer deutschen Wiederaufarbeitungsanlage. Ich begrüße es, daß auch die Vertreter der Elektrizitätswirtschaft bei der konstituierenden Sitzung des Gesprächskreises Entsorgung die eindeutige Erklärung abgegeben haben, daß sie auch in Kenntnis der schwierigen Kostensituation eine deutsche Wiederaufarbeitungsanlage zügig errichten werden.Unbeschadet dieser Situation bei der Wiederaufarbeitung setzt die Bundesregierung im Einklang mit dem Beschluß der Regierungschefs vom September 1979 die Arbeiten zur direkten Endlagerung bestrahlter Brennelemente unter Beteiligung der Länder fort. Etwa Ende nächsten Jahres soll die abschließende Beurteilung möglich sein, ob sich aus die sem Entsorgungsweg entscheidende sicherheitsmäßige Vorteile ergeben können. Die eventuelle Anwendungsmöglichkeit dieser Technologie sehe ich — in Übereinstimmung mit der Rechtslage — für solche besonderen Brennelemente, deren Wiederaufarbeitung nach dem Stand von Wissenschaft und Technik derzeit nicht möglich oder wirtschaftlich nicht vertretbar ist.
Die von der Opposition so gern beschworene Gefahr von Kompromissen zu Lasten der Sicherheit ist in der nuklearen Entsorgung genausowenig real wie in dem sonstigen Bereich der friedlichen Kernenergienutzung. Ein Beispiel hierfür sind die im Länderausschuß für Atomkernenergie einvernehmlich verabschiedeten Störfall-Leitlinien für Druckwasserreaktoren gemäß § 28 Abs. 3 der Strahlenschutzverordnung. Nachdem es der Opposition nicht gelungen ist, durch die Qualität ihrer Argumente zu überzeugen, versucht sie es jetzt durch die Quantität ihrer Fragen.
Auf der gleichen Linie liegt auch der Entschließungsantrag, den die Fraktion DIE GRÜNEN zu den Störfall-Leitlinien heute noch eingebracht hat: Wieder einmal mit der ganz heißen Nadel genäht. Wer da behauptet, die Auslegungsanforderungen an unsere Kernkraftwerke hielten den Vergleich mit den international üblichen Sicherheitsstandards nicht aus, der weiß wirklich nicht, wovon er redet.
Offenbar hat die Fraktion DIE GRÜNEN nicht einmal erkannt, daß die Störfall-Leitlinien gar nicht die Entsorgung, sondern die Planung und die Errichtung von Kernkraftwerken betreffen, die überhaupt nicht Gegenstand dieser Debatte sind.
Es ist manchmal wirklich unglaublich, mit welcher intellektuellen Leichtfertigkeit gearbeitet wird.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Oktober 1983 2079
Bundesminister Dr. Zimmermann Es muß Schluß sein
mit dem ewigen Sowohl-Als-auch, mit den halben Zusagen und dem Gerede von den Optionen, bei denen Sie sich immer in besonderer Weise hervorgetan haben.
Das Wort „Optionen" kann ich seit Jahren nicht mehr hören.
Sie wollten sich immer alle Optionen gleichzeitig offenhalten und haben nie einen Weg richtig beschritten. Das war der Punkt.Diese Bundesregierung weiß im Gegensatz dazu genau, was sie auf diesem Sektor will. Und sie weist den Weg in eine sichere Zukunft mit der Kernenergie. Damit ist die Politik für den Bürger nach langer, langer Zeit erstmals wieder überschaubar und kalkulierbar auch auf diesem schwierigen Feld geworden.
Das deutsche Konzept zur nuklearen Entsorgung hat sich bewährt. Das kann man heute feststellen. Gemeinsam mit den Ländern und der Elektrizitätswirtschaft wird sich die Bundesregierung entschlossen für die weitere Verwirklichung dieses Konzepts einsetzen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schäfer.
Frau Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der von der Bundesregierung vorgelegte Entsorgungsbericht reduziert — und dies ist ein Zug zur Realität — die bislang von der CDU/CSU als unverzichtbar angesehene Zubaunotwendigkeit von Kernkraftwerken erheblich. Die früheren Ausbaupläne von 50 000 MW Kernenergieleistung im Jahr 2000 in der Bundesrepublik werden im vorliegenden Entsorgungsbericht von dieser Bundesregierung um fast 40 % auf 30 000 bis 35 000 MW Leistung reduziert.
Von dem vor der Wende, Herr Innenminister, oft beklagten Investitionsstau in Milliardenhöhe durch die Blockierung von Kernkraftwerken ist plötzlich keine Rede mehr.
Wir begrüßen dies; ein Stück Realität, die auch bei Ihnen — manchen wundert es — eingekehrt ist.
Aber auch die jetzigen Ausbaupläne sind angesichts der tatsächlichen und der zu erwartenden Entwicklung des Stromverbrauches weit überzogen. So wie sie dem Entsorgungsbericht als Zielprojektion zugrunde liegen, ginge ihre Verwirklichung eindeutig zu Lasten anderer Energieträger, hier vor allem zu Lasten unserer heimischen Kohle und der nach wie vor notwendigen und unverzichtbaren Energieeinsparpolitik.
Dankenswerterweise sind einige Landesverbände der CDU bereit, dies offen zuzugeben. So können wir beispielsweise heute, am 27. Oktober, in der „Stuttgarter Zeitung" lesen, daß die CDU-Fraktion des baden-württembergischen Landtags die Kündigung des Jahrhundertvertrages zwischen der Elektrizitätswirtschaft und der Kohleindustrie verlangt,
mit der ausdrücklichen Begründung, daß angesichts des Stromüberangebotes die Kohle nun zugunsten der Kernenergie zurückgedrängt werden soll.
— Dies ist ein Antrag, verehrter Herr Kollege Laufs, den Ihre baden-württembergischen Freunde eingebracht haben. Das zeigt, wie ernst es Ihnen mit dem Vorrang der Kohle ist!
Wir Sozialdemokraten werden eine solche Energiepolitik nicht mitmachen. Sie führt in eine energiepolitische Sackgasse, sie gefährdet Tausende von Arbeitsplätzen im Ruhrgebiet, und es ist auch aus Gründen der Energieversorgungssicherheit nicht verantwortbar, wenn Sie unseren kostbarsten Rohstoff, die Kohle, zurückdrängen wollen.
Der vorgelegte Entsorgungsbericht, Herr Zimmermann — darüber kann auch das von Ihnen vorgelesene Manuskript Ihrer Beamten nicht hinwegtäuschen —, zeichnet ein geschöntes Bild von der tatsächlichen Entsorgungssituation. Festzuhalten bleibt: Von einer gesicherten Entsorgung kann in der Bundesrepublik Deutschland nicht die Rede sein.
Die dauerhafte und sichere Beseitigung bzw. Lagerung des hochradioaktiven Mülls ist in der Bundesrepublik Deutschland noch immer nicht gelöst. Wer etwas anderes behauptet, sagt bewußt oder unbewußt die Unwahrheit. Ihr Entsorgungsbericht, Herr Bundesinnenminister, lebt von dem Prinzip Hoffnung.
Die hochradioaktiven Abfälle müssen über Tausende, ja, Hunderttausende von Jahren von der Biosphäre sicher abgeschirmt gelagert werden. Diese Notwendigkeit ist nicht erfüllt. Sie ist welt-
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2080 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Oktober 1983
Schäfer
weit — nicht nur in der Bundesrepublik — nicht erfüllt, sie ist nirgendwo erfüllt. Das heißt, die Entsorgung bleibt eine der Achillesfersen der Kernenergienutzung.
Da helfen beschönigende Aussagen überhaupt nicht. Ich will das an einem einzigen Beispiel deutlich machen. — Vielleicht hören Sie zu, Herr Innenminister.Viele Fragen zum Salzstock Gorleben sind nach wie vor streitig bzw. ungelöst. Warum wird dann trotzdem, so fragen wir die Bundesregierung, nur auf den Salzstock Gorleben gesetzt und die Prüfung anderer möglicher Standorte auf ihre Eignung verweigert?
Steht für Sie das Ergebnis für Gorleben schon fest, bevor die untertägige Erkundung abgeschlossen wurde? Ist die Devise der Bundesregierung ,,Gorleben und nichts anderes sonst"? Was geschieht, wenn sich der Salzstock Gorleben nicht oder nicht im notwendigen Umfang für die Lagerung — —
— Ich empfehle Ihnen, die Seiten 9 und 10 des Berichtes nachzulesen, Herr Kollege Laufs.
Im übrigen empfehle ich Ihnen noch: Benutzen Sie bitte den Kopf statt des Kehlkopfes; das tut Ihnen gut.
Was geschieht, so frage ich, wenn sich der Salzstock Gorleben als nicht oder nicht in dem notwendigen Umfang für die Lagerung anfallender hochradioaktiver Abfälle geeignet erweist? Diese Frage stellen sich nicht nur Bürger in Lüchow-Dannenberg, diese Frage müssen sich alle Bürger stellen, denen an einer verantwortbaren, dauerhaften und sicheren Lösung des Problems des hochradioaktiven Mülls gelegen ist.Sie antworten auf die Kleine Anfrage der SPD-Fraktion zu Problemen des Salzstockes, selbst wenn sich Gorleben nicht als tauglich erwiese, habe man noch genügend Zeit. Dies bedeutet, daß Sie dieses Problem bis zum Jahre 2000 aufschieben, daß von einer verantwortbaren vorsorgenden Energiepolitik, einer Entsorgungspolitik nicht die Rede sein kann.Meine Damen und Herren, auch die von der Bundesregierung angegebenen Zwischenlagerkapazitäten sind nicht alle sicher nachgewiesen. Sie sind und bleiben mit Unsicherheiten belastet. Als Stichwort genügt der Hinweis auf die Notwendigkeit der Wiederaufarbeitung in Windscale in England und in La Hague in Frankreich, wo der bestimmungsmäßige und sichere Betrieb, wie Sie wissen, mehrfach unterbrochen werden mußte.Auch diese Zwischenlagerkapazitäten sind keine Entsorgung. Sie sind Überbrückungsmöglichkeiten. Sie bleiben Hilfsbrücken. Um ein Bild zu gebrauchen: Das Flugzeug der Kernenergienutzung ist zwar gestartet; ob es auch sicher landen kann, bleibt weiterhin ungewiß.Angesichts des derzeitigen und auf absehbare Zeit zu erwartenden Stromüberangebots und der weiterhin, wie dargelegt, ungelösten Entsorgungssituation ist der Zubau weiterer Kernkraftwerke nicht zu verantworten.
Uns Sozialdemokraten erschreckt auch, Herr Bundesinnenminister, der Abbau der Strahlenschutzmaßnahmen, wie er im Entsorgungsbericht deutlich wird. Während Sie sonst im Umweltbereich vollmundig tönen, vollzieht sich dieser Abbau gleichsam klammheimlich. Ich will dafür einen Beleg bringen.Im Zusammenhang mit der geplanten Wiederaufarbeitungsanlage von 350 Jahrestonnen Kapazität wird plötzlich nicht mehr die Zurückhaltung des hochgefährlichen 85Kr vorgesehen, jenes Isotopen, das mit Sicherheit Krebs hervorruft. Noch im Jahre 1979, also vor der Wende, Herr Innenminister, stellte unter anderem der Papst der Wiederaufarbeitungstechnik in der Bundesrepublik, Herr Professor Baumgärtner, fest, daß die Rückhaltung von radioaktivem Krypton bei Wiederaufarbeitungsanlagen deshalb durchgeführt werde, weil dies den Strahlenschutzgrundsätzen des § 28 der Strahlenschutzverordnung entspräche und zudem Stand von Wissenschaft und Technik sei.Für die jetzt geplante Wiederaufarbeitungsanlage ist dies, wie gesagt, nicht mehr vorgesehen. Der Wendepolitiker Zimmermann will die Politik der hohen Schornsteine nun auch bei der Kernenergie anwenden. Hohe Schornsteine sollen die entsprechende Verdünnung der radioaktiven Stoffe bewirken. Herr Minister, Sie haben offenkundig nichts aus der falsch verstandenen Hochschornsteinpolitik bei Kohlekraftwerken gelernt. Sie wollen es nun auch bei Wiederaufarbeitungsanlagen einführen.
Der Leidtragende dabei ist die Bevölkerung, der lachende Dritte ist die Reaktorindustrie, die, wenn es dabei bleibt, kein Geld für die Kryptonrückhaltung ausgeben muß. Meine Damen und Herren, was bereits 1979 Stand von Wissenschaft und Technik war — ich habe eben Herrn Baumgärtner aus einer offiziellen Broschüre des Bundesforschungsministeriums zitiert —, dies muß doch erst recht 1983 Gültigkeit haben.
Da kann dann keine Rücksicht auf die Wirtschaftsinteressen der Kernindustrie genommen werden, wie Sie es tun, auch dann nicht, wenn der wirtschaftspolitische Sprecher der CDU in der Hamburger Bürgerschaft, Christoph von Rohr, und der Vorsitzende der Kernforschungsanlage in Jülich, Professor Häfele, heute plötzlich sagen, eine 350-Jahrestonnen-Wiederaufarbeitungsanlage sei nicht
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Oktober 1983 2081
Schäfer
wirtschaftlich. Sie, Herr Innenminister, haben die Notwendigkeit der Wiederaufarbeitungsanlage auch ökonomisch begründet.Ich halte Ihnen entgegen, was der wirtschaftspolitische Sprecher der CDU in der Hamburger Bürgerschaft dazu sagt. Ich empfehle Ihnen die Lektüre des Artikels in der Wochenzeitschrift „Die Zeit" vom 23. September. Wenn Sie keine Zeit finden, ihn selbst zu lesen, sollten Sie ihn lesen lassen. Christoph von Rohr rechnet in einem Artikel unter der Überschrift „Vorsicht: Falle — Die Wiederaufarbeitung könnte zum kostspieligen Abenteuer werden" vor, daß allein der Bau der 350-Jahrestonnen-Wiederaufarbeitungsanlage den Strompreis um „eher über als unter zwei Pfennig je Kilowattstunde" belasten würde.
Dies sind in etwa die gleichen Kosten, wie sie bei der aus ökologischen Gründen unverzichtbaren Entschwefelung aller Kohlekraftwerke anfallen würden. Vergleicht man eine Sekunde lang zumindest den Aufwand an Lautstärke, den Sie von der CDU/CSU bei den Kosten der nachträglichen Entschwefelung aufbringen, mit den sehr zurückhaltenden Tönen, die Sie bei den Kosten einer Wiederaufarbeitungsanlage anschlagen, dann wird deutlich, wie einseitig, wie blind Sie in die energiepolitische Sackgasse der Kernenergie hineingehen.
Im übrigen empfehle ich Ihnen, Herr Innenminister, und auch Ihnen, verehrter Herr Kollege Laufs, noch einmal einfach zum Nachdenken — Sie werden es nicht gleich nachvollziehen können —,
was Ihr Mitglied Hans Christoph von Rohr am Ende des eben zitierten „Zeit"-Artikels — Sie können sich gerne zu Zwischenfragen melden, ich werde sie gelegentlich auch zulassen, Herr Kollege Laufs — zur Wiederaufarbeitungsanlage aufführt. Ich zitiere wörtlich, für Sie, Herr Laufs, zum Nachdenken:Die offenkundige Bereitschaft, eine von der Entwicklung überholte Entscheidung— er spricht von der Wiederaufarbeitung —zu korrigieren, würde die Glaubwürdigkeit der Energiewirtschaft erhöhen ...Ich füge hinzu: auch die Glaubwürdigkeit der Bundesregierung, wobei ich allerdings bei Herrn Bundesinnenminister Zimmermann meine Zweifel habe.
Meine Damen und Herren, ich will zum Schluß auf einen Vorgang aufmerksam machen, der uns alle politisch-parlamentarisch beunruhigen sollte. Die Bundesregierung verschanzt sich bei der Reduzierung der Strahlenschutzbestimmungen hinter der Empfehlung zweier Gremien, die sie beraten: Strahlenschutzkommission und Reaktorsicherheitskommission. In einem Brief vom 30. September 1983 an mich weigert sich der Bundesinnenminister, Protokolle und Abstimmungsergebnisse der Reaktorsicherheitskommission dem Parlament mitzuteilen.
Dies ist ein schlimmer Vorgang. Der Bundesinnenminister übernimmt die Empfehlungen dieser Sachverständigen; wir als Parlament sollen nachvollziehen, was der Herr Bundesinnenminister verkündet; die Voraussetzungen für diese Entscheidungsfindung aber sollen dem Parlament verborgen bleiben.
— Es ist schon wieder der Kehlkopf und nicht der Kopf, Herr Kollege Laufs.Ich zitiere, was Herr Zimmermann schreibt:Lassen Sie mich abschließend feststellen, daß Stellungnahmen und Empfehlungen der Reaktorsicherheitskommission und anderer Beratungsgremien sich ausschließlich an den Bundesminister des Innern richten und als Expertenmeinung nicht auf dem Prüfstand der politischen Diskussion stehen sollten.Es wird nicht besser, wenn der Ministerialdirigent im Bundesinnenministerium, Herr Pfaffelhuber, die Auffassung des Herrn Bundesinnenministers unter anderem damit begründet, man könne das dem Parlament nicht öffentlich machen, weil — Zitat aus dem Protokoll des Innenausschusses — „auch diese Experten natürlich ihre Bindung" hätten, die man erkennen müsse, damit man auch die schwachen Stellen solcher Organisationen sehe. Meine Damen und Herren, wir Sozialdemokraten wollten schon ganz gerne wissen, aus welcher Art von Bindungen Experten über die Sicherheit kerntechnischer Anlagen die Bundesregierung beraten.
Wir möchten auch schon ganz gerne wissen, wo die Bindungen den Sachverstand der reinen Wissenschaft vielleicht übersteigen.Wir, meine Damen und Herren, halten dies für einen schlimmen Vorgang. Dem Parlament werden wichtige Informationen vorenthalten, Informationen, die notwendig sind, um beurteilen zu können, ob die von der Bundesregierung als sicher und verantwortbar anzuerkennenden kerntechnischen Sicherheitsbestimmungen tatsächlich einer rationalen Begründung standhalten. Unter Ihrem Vorgänger, Herr Bundesinnenminister, wäre ein derartiges, das Parlament in seinen Kontrollfunktionen behinderndes Vorgehen nicht denkbar gewesen. Auch dies ist ein Unterschied, der den jetzigen Bundesinnenminiter von seinem Vorgänger unterschei-
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2082 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Oktober 1983
Schäfer
det. — Ich bedanke mich bei Ihnen, vor allem bei Ihnen, Herr Kollege Laufs, für Ihre herzliche Anteilnahme.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Laufs.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die von der Bundesregierung vorgelegte Fortschreibung des Entsorgungsberichts macht deutlich, daß die Entsorgungssituation im Kernenergiebereich in den 80er und 90er Jahren weder durch Engpässe noch durch Zeitdruck, noch durch technische Probleme gekennzeichnet ist. Große zentrale Zwischenlager für Brennelemente sind im Bau und demnächst verfügbar. Die Auslandsverträge werden ohne jedes Problem abgewickelt. Bis in das nächste Jahrhundert hinein sind damit die Kapazitäten vorhanden, mit denen die kerntechnischen Abfälle sicher verwahrt werden können.Die früheren Kassandrarufe der jetzigen Opposition haben sich nicht erfüllt und Ihre heutigen, Herr Kollege Schäfer, werden sich auch nicht erfüllen. Kein deutsches Kraftwerk wird am eigenen Müll ersticken, auch wenn der Herr Kollege Schäfer wider besseres Wissen nicht müde wird, dies zu behaupten. Eine grundlegende Voraussetzung der Entsorgungsvorsorge ist nach einer langen Zeit der Unsicherheit und Unentschlossenheit seit Jahresfrist gegeben: Diese Bundesregierung hat den politischen Willen, die Kernenergie vernünftig auszubauen, und hat damit auch den politischen Willen, die Verfahren und Anlagen der Vorsorgungskette zügig voranzubringen.Wir betrachten deshalb mit Gelassenheit z. B. die Versuche der GRÜNEN, das Endlager Konrad oder die Wiederaufarbeitungsanlage Wackersdorf oder Dragahn durch „massenhaften Bürgereinspruch", Blockaden und Demonstrationen zu verhindern. Das können Sie selbstverständlich versuchen. Nur ist uns der umweltpolitische Sinn Ihrer Aktionen völlig rätselhaft. Wir halten die schadlose Verwertung und sichere Beseitigung von radioaktiven Abfällen
aus Kliniken, Forschungsinstituten und kerntechnischen Anlagen für eine gewichtige Aufgabe praktischen Umweltschutzes.
Sie kämpfen dagegen an; das ist überhaupt nicht zu verstehen.Meine Damen und Herren, das technische Wissen zur nuklearen Entsorgung, von der Abfallbehandlung bis zur Endlagerung, ist verfügbar. Es gibt keine grundsätzlichen Bedenken gegen die Realisierbarkeit des deutschen Entsorgungskonzeptes. Die Kosten der Verfahren und Einrichtungen sind tragbar. Wir sind überzeugt — das ist von besonderer politischer Bedeutung —: Die öffentliche Akzeptanz der Kernenergie wird sich in dem Maße verstetigen und zunehmen, wie die technischen Ein-richtungen der Entsorgungskette tatsächlich zur Verfügung stehen und nachgewiesen ist, daß sie den strengen sicherheitstechnischen und umweltpolitischen Auflagen entsprechend funktionieren.Wir dringen deshalb z. B. darauf, daß die zentralen Zwischenlager in Gorleben und Ahaus möglichst bald fertiggestellt und eröffnet werden, auch wenn ihre Auslastung, wie sich einfach vorausberechnen läßt, zunächst sehr gering sein wird. Tatsächlich werden sie bis in die 90er Jahre hinein weitgehend ungenutzt und leer bleiben.Wir wollen auch nachdrücklich die zügige Errichtung einer Wiederaufarbeitungsanlage mit zunächst 350 Jahrestonnen Leistung vorantreiben, obwohl ihre Wirtschaftlichkeit im Vergleich mit den Auslandsverträgen oder der direkten Endlagerung durchaus in Frage steht. Zum Schutz künftiger Generationen haben Sicherheit und nationale Unabhängigkeit Vorrang vor den notwendigen wirtschaftlichen Betrachtungen.Die Grundüberlegung unserer Entsorgungspolitik ist, daß eine Grundausstattung an betriebsfertigen Anlagen verschiedener Entsorgungswege verwirklicht wird, sich danach aber die eigenverantwortlichen Kräfte der Energiewirtschaft selbstverständlich unter Beachtung der Gesetze möglichst frei entfalten sollten. Der Staat muß für Sicherheit und Umweltschutz strenge Rahmenbedingungen setzen. Wenn diese Auflagen von Forschung und Industrie erfüllt werden — diese sind dazu in der Lage —, muß der Staat auch dafür sorgen, daß die Entsorgungsanlagen ohne Zeitverzögerung gebaut und betrieben werden können.Meine Damen und Herren, der neue Entsorgungsbericht zeigt die Maßnahmen der Bundesregierung auf, um die Entsorgung von radioaktiven Abfällen sicherzustellen. Anlaß zur Hektik besteht nicht.Die hysterischen Diskussionen, als SPD-Politiker die Abschaltung der Kernkraftwerke wegen vorgeblich völlig ungeklärter Entsorgung forderten, sind in der Öffentlichkeit vorüber. Hier im Parlament, Herr Kollege Schäfer, versuchen Sie zwar noch, das zu wiederholen, aber die Zeit dafür ist im Grunde längst vorbei; vielleicht nehmen Sie das auch einmal zur Kenntnis.Lassen Sie mich trotzdem die noch offenen Fragen ansprechen und darstellen, wo wir von der Bundesregierung in Bälde notwendige Entscheidungen erwarten.Erstens. Die Versäumnisse der früheren Regierung werden in den Landessammelstellen für schwach- und mittelradioaktive Abfälle besonders sichtbar. Es hat sechs Jahre gedauert, bis nach Inkraftreten der Vierten Novelle zum Atomgesetz bearbeitungsreife Planfeststellungsunterlagen für ein Endlager Konrad vorlagen. Sehr große Abfallmengen müssen oberirdisch zwischengelagert werden, bis voraussichtlich 1988 mit der Einlagerung in der ehemaligen Erzgrube Konrad begonnen werden kann. Wir erwarten von der Bundesregierung, daß sie demnächst verbindliche Abfallrichtlinien für die Konditionierung zur Endlagerung dieser Abfälle
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Oktober 1983 2083
Dr. Laufsfestlegt. Sollten die gegenwärtig angewandten Abfallspezifikationen — im wesentlichen sind das die alten Asse-Annahmebedingungen — nicht ausreichen, wären Zeitverluste, hohe Kosten und noch größere Abfallmengen vor der Endlagerung des jetzt zwischengelagerten Mülls die Folge.Zweitens. Vom Jahr 1990 an können die verglasten hochradioaktiven Abfälle, die bei der Wiederaufarbeitung deutscher Brennelemente bei der französischen Firma COGEMA und der britischen Firma BNFL angefallen sind, in die Bundesrepublik zurückgeliefert werden. Die Entscheidungen über den Standort eines Sicherstellungslagers des Bundes und das Genehmigungsverfahren müssen wegen der möglicherweise langen Verfahrens- und Errichtungsdauer in Kürze getroffen werden.Drittens. Aus kerntechnischen und wirtschaftlichen Gründen wird ein kleiner Teil der abgebrannten Brennelemente ohne weitere Wiederaufarbeitung direkt endgelagert werden müssen. Gegen die direkte Endlagerung sind bisher keine grundsätzlichen ökologischen und sicherheitstechnischen Bedenken erhoben worden. Die Anforderungen an die Beschaffenheit einer Endlagerstätte sowie möglicherweise die Zweckmäßigkeit eines von Gorleben abweichenden Standortes hängen von den erforderlichen Konditionierungsmaßnahmen zur Volumenreduktion und Verpackung und von der vorgesehenen Abklingzeit ab.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Struck?
Ja, bitte schön.
Herr Kollege Laufs, darf ich Sie als Abgeordneter, der mit Lüchow-Dannenberg viel zu tun hat, fragen: Würden Sie es nicht auch für richtig halten, daß man für den Fall, daß der Salzstock in Gorleben ungeeignet ist, bereits jetzt Untersuchungen anderer Salzstöcke vornimmt, um dann auf einen Eventualfall vorbereitet zu sein?
Herr Kollege Struck, die Zeit ist im Augenblick nicht so, um solche Entscheidungen zwingend treffen zu müssen. Wir werden, wie das ja im Entsorgungsbericht dargestellt worden ist, zunächst diese Vorarbeiten leisten müssen. Der Zeitdruck, einen Ausweichstandort zu suchen, ist vor Ende dieses Jahrtausends nicht da; ich werde darauf gleich noch einmal eingehen.
Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Abgeordneten Schäfer ?
Nein, sonst komme ich mit meiner Zeit nicht aus. — Diese Festlegungen müssen bald erfolgen, damit eine Prototypanlage für die Konditionierung gebaut werden kann und die weiteren Vorkehrungen noch getroffen werden können.Viertens. Die Bundesregierung sollte prüfen, ob nicht alle die Entsorgung betreffenden Regelungsinhalte in einer Entsorgungsverordnung zusammengefaßt werden sollten. Diese sollte die Anforderungen an die Behandlungs- und Beseitigungsverfahren für alle Abfallarten enthalten. Sie müßte insbesondere die Art und Dauer der Lagerung von Brennelementen und Abfällen sowie deren Konditionierung vorschreiben, die Mindestabklingzeiten festlegen und Vorgaben für die konventionelle Beseitigung schwächstaktiver Abfälle nicht nur aus Medizin und Forschung machen.Meine Damen und Herren, ich möchte zum Schluß noch ein paar Bemerkungen anfügen, die ich der besonderen Aufmerksamkeit der Opposition empfehle. Die Sicherheitsanforderungen an kerntechnische Anlagen sind in der Bundesrepublik Deutschland höher als im Ausland. Für uns steht außer Zweifel, daß dies auch in Zukunft so bleiben muß. Ich betone: Mit Zustimmung der CDU/CSU wird es Abstriche an unserem hohen Sicherheitsstandard nicht geben.Wir werden den besten verfügbaren Sachverstand zur Entscheidungsvorbereitung heranziehen. Dem Bundesminister des Innern stehen hierbei insbesondere die Kommissionen für Reaktorsicherheit und Strahlenschutz zur Verfügung. Wir werden streng darauf achten, daß deren Empfehlungen gefolgt wird.
— Gefolgt wird! — Wir denken nicht daran, uns unsinnigen und unbegründbaren Forderungen wie sie vielfach mit leicht durchschaubarer Absicht von seiten der Atomkraftgegner erhoben werden, anzuschließen. Das haben wir nicht nötig.Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang zu der vom Herrn Kollegen Schäfer eingeführten Frage des Krypton 85 noch folgendes anmerken. Die Strahlenschutzkommission hat nach sorgfältigen radioökologischen Studien eine Rückhaltung dieses Radioisotops bei der geplanten kleinen Anlage nicht empfohlen. Sie macht dies mit einem Hinweis plausibel. Würde das gesamte Krypton 85, das in 1 000 Kernkraftwerken mit je 1 000 Megawatt — elektrisch — entsteht, von Wiederaufarbeitungsanlagen jährlich emittiert werden — man bräuchte 100 von der hier bei uns geplanten Größe —, so betrüge nach etwa hundert Jahren die jährliche Ganzkörperdosis durch global verteiltes Krypton 85 0,01 Millirem. Das ist im Vergleich zur durchschnittlichen Jahresexposition von 170 Millirem bei großen Schwankungsbreiten wahrlich eine vernachlässigbare Größe. Und da sagt hier der Kollege Schäfer: „Der Leidtragende ist der Bürger." Sie treiben hier ein böses Spiel, Herr Kollege Schäfer.
Auch die maximale Jahresdosis bei vollständiger Ableitung mit der Fortluft beträgt weniger als ein Fünfzehntel des Dosisgrenzwertes des § 45 der Strahlenschutzverordnung. Ich kann deshalb Ihre Aufgeregtheit überhaupt nicht verstehen.Ich kann überhaupt die hartnäckige Weigerung von Teilen der SPD und der GRÜNEN nicht verstehen, die Fortschritte bei der Erforschung und Weiterentwicklung der Sicherheitstechnik und des
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Dr. LaufsStrahlenschutzes im Kernenergiebereich zur Kenntnis zu nehmen und realistische Schlußfolgerungen zu akzeptieren.
Daß das so ist, ist schlimm genug. Aber gänzlich unerträglich ist es, wenn Sie so üble Unterstellungen wie diese, daß die Bundesregierung nun den Sicherheitsstandard reduzieren wolle, auch noch in Ihre Entschließungsanträge hineinschreiben.
Wir weisen diese Unterstellungen entschieden zurück. Sie sind ebenso ungerecht wie unzutreffend.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Jansen?
Nein, ich habe leider keine Zeit mehr, Herr Kollege Jansen.
Eine weitere Bemerkung möchte ich hinzufügen. Wo immer der Ausbau der Kernenergie — aus welchen Motiven auch immer — abgelehnt wird, fehlt selten der Hinweis auf die vorgeblich weltweit völlig ungelöste Frage der Endlagerung hochradioaktiver Abfälle. Der Herr Kollege Schäfer hat dies ja heute auch wieder so gebracht.
Nun ist es richtig, daß viele Länder wie England, Schweden oder Frankreich die Lösung dieser Problematik weit in die Zukunft hinausgeschoben haben, weil sie gegenwärtig überhaupt keinen Zeitdruck dafür erkennen können. Das deutsche Entsorgungskonzept dagegen ist hinsichtlich der Endlagerung hochradioaktiver Abfälle im internationalen Vergleich weit fortgeschritten. Es sind keine grundsätzlichen Bedenken gegen seine Realisierbarkeit erkennbar.
Die untertägige Erkundung des Salzstocks Gorleben wird mit Nachdruck angegangen. Wir werden den Fortgang der Arbeiten in Gorleben aufmerksam verfolgen. Wir sehen aber keinen Sinn darin, den Standort Gorleben mit immer weiteren Spekulationen zu problematisieren und Unruhe in die Bevölkerung hineinzutragen. Das Ergebnis der bisherigen Standorterkundung bestätigte die früheren Aussagen über seine Eignungshöffigkeit. Dies sollte die Opposition nach ausgiebiger Beantwortung all ihrer parlamentarischen und Kleinen Anfragen durch die Bundesregierung endlich einmal akzeptieren. Wenn wir der Sache wirklich dienen wollen, dann sollten wir die Ingenieure und Techniker in Gorleben arbeiten lassen und abwarten, bis sie erkundet haben, wie das Salzstockinnere im einzelnen beschaffen ist. Der Opposition möchte ich auch hier die nötige Geduld wünschen.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Dr. Hickel.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zuallererst muß ich mich dagegen verwahren, daß der Ausdruck „Entsorgung" imBericht der Bundesregierung überhaupt verwendet wird. Ich kann mich nur wundern, daß Sie von der SPD und auch Sie von der CDU den Namen „Entsorgungsbericht" für dieses Schriftstück überhaupt akzeptieren. Von Entsorgung ist hier doch wirklich nicht die Rede. Man versteht unter „Entsorgung" schließlich „beiseite bringen" und „unschädlich machen". Aber gerade davon kann in bezug auf den Atommüll doch überhaupt nicht gesprochen werden.Entsorgung im Sinne dieses Regierungsberichts wird definiert als — ich zitiere — „sachgerechte und sichere Verbringung" — was das ist, steht nirgendwo fest — „der betrahlten Brennelemente in ein für diesen Zweck geeignetes Lager mit dem Ziel ihrer Verwertung durch Wiederaufarbeitung oder ihrer Behandlung zur Endlagerung".
Ob dieses genannte Ziel, nämlich die Wiederaufarbeitung oder die Endlagerung, jemals erreichbar sein wird — vieles spricht j a dafür, daß es überhaupt nicht erreichbar sein kann —, braucht gar nicht festzustehen, so daß hier schon von Entsorgung gesprochen wird, wenn praktisch nur ein Platz für ein Zwischenlager für die Kernbrennstäbe vorläufig angegeben werden kann. Selbst ein solches Zwischenlager braucht nur für die auf die Produktion folgenden nächsten sechs Jahre — sechs Jährchen! — nachgewiesen zu sein, und schon gilt für ein Atomkraftwerk die sogenannte Entsorgung als nachgewiesen, obwohl man inzwischen sogar weiß, daß die dafür vorgesehenen Behälter, diese Castor-Behälter, selbst in dieser Zeit bereits Risse bekommen.Das alles halte ich für irreführend, ja, wie ich sagen muß, für einen Betrug, der durch Ihre Arroganz hier noch vermehrt wird; denn entsorgt wird hier gar nichts.
In spätestens 40 Jahren werden diese Zwischenlager vollgefüllt sein, und wir werden dann gezwungen, die Weiterverwendung dieser Abfälle zu betreiben, obwohl wir wissen, daß sie die Menschen auf Generationen vergiften und die Natur zerstören werden.Entsorgung im Sinne der Bundesregierung heißt also bloß, das Problem des Atommülls mit bürokratischen Mitteln vor sich herzuschieben, bis es so groß geworden ist, daß wir alle darunter begraben werden.
Drei Schritte des sogenannten Entsorgungskonzepts der Bundesregierung sind besonders gefährlich: die Zwischenlagerung, die geplante Wiederaufarbeitung und die geplante Endlagerung von Atommüll. Für die vorläufige Zwischenlagerung wird der Atommüll heute schon innerhalb der Atomkraftwerke und in der Asse II an der DDR-Grenze, ab 1984 auch in externen Lagern — z. B. in Gorleben, in Ahaus und in Stade — und in den Eingangsla-
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Frau Dr. Hickelgern der unverantwortlicherweise geplanten Wiederaufbereitungsanlagen verteilt.Schon im Normalbetrieb und während der Transporte geben die Brennstäbe Strahlung an die Umgebung ab, ganz abgesehen von Unfällen, die selbstverständlich geschehen werden.Auch wenn im Normalbetrieb die natürliche radioaktive Hintergrundstrahlung nur geringfügig erhöht wird, bleibt doch festzustellen: Mit jeder wissenschaftlichen Veröffentlichung, die sich mit der Gefährdung der menschlichen Gesundheit und des Erbgutes auf Grund von Niedrigstrahlung befaßt, wird deutlicher, daß diese Gefährdung schon bei geringer Strahlungserhöhung gewaltig ist. Wollen wir wirklich warten, bis in jeder Familie ein krebskrankes Kind, ein leukämiekranker Jugendlicher ist, bis wir endlich umkehren?
— Das ist so; lesen Sie die Literatur.Die überall verteilten Abfälle werden sich ansammeln, und die Regierung hofft — sie hofft es! —, am Ende Wege zur Endlagerung und zur Wiederaufbereitung zu finden — ein reines Wunschdenken, denn alles spricht dafür, daß diese Wege nicht gangbar sind.
— Am Schluß meines Vortrags, wenn ich dann noch Zeit bekomme.Die Endlagerung von radioakiven Abfällen soll in der Eisenerzgrube Schacht Konrad in Salzgitter 1988 als erstes beginnen, obwohl gerade dieser Standort kaum erforscht ist. Während z. B. im sogenannten Entsorgungsbericht steht, daß die Eignung der Schachtanlage in einer eingehenden Untersuchung der Gesellschaft für Strahlen- und Umweltforschung — GSF — festgestellt worden sei, sagte vor ein paar Tagen, am 19. Oktober 1983, der Ministerialrat zur Horst aus Niedersachsen anläßlich der Diskussion des Planfeststellungsverfahrens in Salzgitter, daß keine Behörde, wenn ein Privatmann Unterlagen für ein Planfeststellungsverfahren derart unvollständig einreichen würde, das auch nur annähme.
Was ist denn nun richtig?
In drei Wochen etwa wird ein im Auftrag der Stadt Salzgitter angefertigtes Gutachten der Gruppe Ökologie in Hannover vorgelegt werden, in dem dieser GSF nachgewiesen wird, daß sie z. B. die Zutrittsmöglichkeiten für Wasser im Schacht und damit die Verbreitung der Radioaktivität nicht hinlänglich berücksichtigt habe. Auch sind der GSF in ihrem Bericht elementare Rechenfehler unterlaufen. Man kann daher nur fordern, daß er zurückgezogen wird und daß Schacht Konrad als Endlager nicht mehr vorausgesetzt wird.
In die Konditionierung der Abfälle, von der die Rede war, kann man übrigens auch kein großes Vertrauen setzen; denn die bei uns vorgesehene Verglasungsmethode ist bereits im letzten Jahr in Frankreich von der Commission Castaing in einer sehr gründlichen Studie kritisiert worden.
— Darüber reden wir später, wenn die Atomkraftwerke abgeschaltet sind.
Mindestens ebenso schlecht steht es übrigens um den norddeutschen Salzstock, den man bei Gorleben als Endlagerstätte erforscht hat. Die Informationsveranstaltung der Bundesregierung in Hitzakker im Mai dieses Jahres hat ja ergeben, daß das nach oben abdeckende Gebirge nicht annähernd so dick und so dicht ist, wie man gehofft hat und wie es zur Fernhaltung von Strahlung sein müßte. Außerdem bewegt sich der Salzstock als Ganzes, und der Kontakt der strahlenden Materie mit umgebendem Wasser ist gar nicht auszuschließen. Weitere Bohrungen an weiteren Stellen des Salzstockes halte ich im übrigen auch nicht für den Ausweg, Herr Schäfer; denn die ganze Methode ist per definitionem nicht beherrschbar. Das nebenbei.
— Darüber reden wir dann. Jetzt sollte aber nicht immer weiter neuer produziert werden.Für etwa 40 Millionen DM hat das Forschungsministerium übrigens ein „Projekt Sicherheitsstudien Entsorgung" finanziert, dessen Ergebnisse, obwohl schon teilweise schönfärberisch, die Eignung des Salzstockes dennoch sehr in Frage stellen. Diese Forschungen werden in diesem sogenannten Entsorgungsbericht gar nicht berücksichtigt.
Wenn man nun aber trotz all dieser besorgniserregenden Befunde für über 1 Milliarde DM — für über 1 Milliarde DM! — sogenannte Erkundungsschächte noch in den Salzstock einzubringen beginnt: Was anders soll das sein, als Atommüll trotz der fehlenden Eignung des Salzstockes durch diese Schächte sozusagen schon einmal im voraus einzulagern? Man steht dann hinterher vor vollendeten Tatsachen, und es bleibt gar nichts anderes mehr übrig, als den Salzstock wider besseres Wissen einfach als geeignet zu erklären. In der Asse haben wir diese Erfahrung schon gemacht: Obwohl das ganze Grubengebäude von Einsturz und Wassereinbruch bedroht ist, wurde dort Atommüll — angeblich versuchsweise — eingelagert. Heute müssen wir dort in der Nachbarschaft mit diesem Müll leben.Wir fordern, das in Gorleben zu vermeiden und keine Schächte für Tiefbohrungen einzubringen. Sie wären nicht nur Verschwendung von Steuergeldern, sondern auch ein Betrug an der Bevölkerung, weil sie in Wirklichkeit nicht mehr der Erforschung,
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Frau Dr. Hickelsondern bereits der Einlagerung von Atommüll dienen.
Statt dessen fordern wir die endlich durchzuführende Anhörung der internationalen Experten zu den Erkenntnissen der Lagerung im Tiefengestein, die man heute inzwischen international hat. Dann könnte man sich nämlich diese Tiefenbohrungen sparen.Aber die zentralen Einwände gegen die Endlagerung werden im sogenannten Entsorgungsbericht gar nicht erst erwähnt. Wir haben es hier mit Atommüll zu tun, in dem langlebige radioaktiv strahlende Isotope vorhanden sind oder auch während der Lagerung erst entstehen, deren Strahlungsdauer jedes Vorstellungs- und Planungsvermögen übersteigt. In den USA war kürzlich die Entdekkung, daß Nickel- und Niobisotope von bis zu 80 000 Jahren Halbwertzeit in abgewrackten Atomkraftwerkteilen entstehen, ein Grund dafür, Atomkraftwerke nicht weiter auszubauen. Wissen Sie, was es heißt, wenn dieses Material in 80 000 Jahren noch immer die Hälfte seiner Strahlung aufweist? Wissen Sie, was bis dahin mit den Behältern, mit dem Salzstock los ist? Wissen Sie, welche Menschen dann noch leben und verstehen können, was wir ihnen da hinterlassen haben? Kann es wirklich irgend jemand — auch hier auf der Regierungsbank— verantworten? Der sogenannte Entsorgungsbericht schweigt sich darüber aus.
— Abschalten.Vor die Endlagerung möchte die Bundesregierung gern noch die Wiederaufarbeitung der Brennstäbe stellen.
Die Wiederaufarbeitung, Ihre Lieblingsidee, wäre sicher mit gewaltigen Kapitalprofiten verbunden, wenn sie durchführbar wäre, denn bei der Wiederaufarbeitung entsteht Plutonium, und Plutonium ist heute der knappste und der begehrteste Stoff überhaupt. Plutonium ist absolute Mangelware, aus der man mit einfachsten Methoden Atombomben herstellen kann. Die Autarkie in der Plutoniumversorgung ist ja hier, wie wir hörten, ein Traum. Ich kann mir schon denken, daß es für manche ein lohnendes Ziel ist, auf diesem Gebiet den Weltmarkt zu beherrschen. Wer aber zahlt den Preis? Es sind die Völker, die mit der Atombombendrohung seitens ihrer eigenen Unterdrücker oder fremder Mächte in Abhängigkeit gehalten werden. Wir, die GRÜNEN, wollen das nicht.Den Preis bezahlen aber auch wir alle mit unserer Gesundheit und unserer Freiheit. Plutonium ist der gefährlichste bekannte Stoff überhaupt. Seine Lagerung und Bewachung erfordert derart intensive Sicherheitsmaßnahmen, daß mit dem Beginn der Plutoniumfabriken in Dragahn und/oder in Wackersdorf unser aller bürgerliche Freiheiten zunehmend bedroht werden. Alexander RoßnagelsFrage in seinem soeben erschienenen Buch „Bedroht die Kernenergie unsere Freiheit?" — lesen Sie es — kann man dann nur so beantworten: ja, sehr. Auf das Problem der Plutoniumlagerung, das wir heute schon haben — in Hanau etwa werden ja schon beträchtliche Mengen gelagert —, geht die Bundesregierung in ihrem Bericht, dem sogenannten Entsorgungsbericht, überhaupt nicht ein. Was weiß sie über dort und auf dem Transport vorkommende Verluste und den Verbleib der Fehlmengen?Wir GRÜNEN wollen die Plutoniumfabriken in Gestalt der Wiederaufarbeitungsanlagen schon aus diesem Grunde nicht. Es gibt auch — entgegen dem, was Sie behaupten — gar keine Anzeichen dafür, daß diese Fabriken je technisch einwandfrei funktionieren könnten. Die einzige in Betrieb befindliche Großanlage in La Hague in Frankreich belastet ihre Umwelt und die dort Arbeitenden derart stark— das verschweigen Sie — mit radioaktiver Strahlung,
daß eine solche Anlage bei uns schon unter heutigen Sicherheitsbestimmungen nicht genehmigt würde.
— Das stimmt! — Will man diese Bestimmungen lockern? Kleine Anlagen — wie z. B. die Anlage in Karlsruhe — müßten ja erst vom Labormaßstab in großtechnischen Maßstab übertragen werden. Man weiß, daß dies, besonders bei den schwierig zu handhabenden Mischoxiden, prinzipielle technische Probleme verursacht, deren Lösung nicht in Sicht ist. Das für die Wiederaufbereitungsanlage bei uns vorgesehene FEMO-Konzept, das auf Fernbedienung angelegt ist, wurde in den USA und in England inzwischen aus gutem Grund aufgegeben. Es würde jegliche Beherrschung von Pannen unvorhergesehener Art unmöglich machen, da dann der direkte Zutritt zu den Prozeßzellen notwendig würde. In den Anlagenbeschreibungen für Wackersdorf und Dragahn sind übrigens die sogenannten Sicherheitsberichte derart ungenau, schlampig und bloß in ganz allgemeinen Lehrbuchfloskeln gehalten, daß offensichtlich wird,
— lesen Sie sie einmal —, wie wenig überhaupt für die — auch bloß technische — Durchführbarkeit einer Wiederaufbereitungsanlage spricht.Meine Damen und Herren, das Endlagern von radioaktivem Müll ist nicht zu verantworten und wird voraussichtlich undurchführbar sein. Für die Wiederaufbereitungsanlage gilt dasselbe. Die Zwischenlager bedrohen uns schon heute. Und sie wachsen ständig an. Sie sind zugegebenermaßen keine Dauerlösung. Daraus kann man nur eine Folgerung ziehen: Sofort alle Atomkraftwerke stillegen und insbesondere die sogenannten fortgeschrittenen Linien, den Hochtemperaturreaktor und den
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Frau Dr. HickelSchnellen Brüter, stoppen; denn wo deren Brennelemente, die noch besondere Probleme bieten, bleiben sollen, darüber schweigt sich dieser sogenannte Entsorgungsbericht auch aus.
— Diese Energieart kostet etwas, da haben Sie recht.Wir brauchen, wie uns die Energiestudie des ÖkoInstituts kürzlich dargelegt hat — unwidersprochen —, die Atomkraftwerke nicht, es sei denn für die Plutoniumproduktion.Wenn die Atomkraftwerke stillgelegt sind — um auf Ihre Frage einzugehen —, werden auch wir GRÜNEN uns an der Suche nach geeigneten Methoden beteiligen, wie deren Überreste, diese schreckliche Hypothek des Größenwahnsinns unserer Zeit, zu beseitigen sind — aber nicht vorher; denn das könnte als stilles Einverständnis gedeutet werden. Und wir wollen nicht, daß uns die nächste Generation einst wegen all dessen, was wir ihr an Müll hinterlassen haben, als Verbrecher bezeichnen muß.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Hirsch.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bin von dem von meinen vier Vorrednern offenbarten Sachverstand immer noch beeindruckt.
— Ich nehme keinen davon aus. Da sind in allen Reden Bemerkungen gewesen, über die man sehr streiten kann.Das sind im Grunde genommen doch alles nur Variationen über einen schlichten Sachverhalt gewesen: Wenn man radioaktiven Müll erzeugt, muß man ihn beseitigen. Die Entscheidungsmöglichkeiten, die dann bleiben, sind relativ gering.Ich möchte zwei Bemerkungen aufgreifen, die hier gemacht worden sind. Die eine stammt von Ihnen, Herr Kollege Schäfer. Sie haben hier eine Bemerkung eines leitenden Mitarbeiters des Innenministeriums wiedergegeben, die in der Tat geeignet ist, Zweifel an der Unabhängigkeit der Mitglieder der Reaktorsicherheitskommission zu begründen, ein Tatbestand, den ich außerordentlich bedaure; denn die Reaktorsicherheitskommission hat für unsere Politik eine außerordentlich große Bedeutung. Ich würde es sehr begrüßen, wenn hier wirklich klargestellt würde, daß solche Zweifel nicht begründet sind und die Bemerkung des Beamten als gegenstandslos betrachtet werden muß.
— Herr Kollege Laufs, es sind einige Erklärungsversuche gemacht worden. Ich finde, wenn eine derartige Bemerkung gemacht, wenn ein derartiges Zitat gebracht wird, dann wäre doch eine klare Erklärung auch von hier aus sehr vernünftig.
Das zweite, was mich überrascht hat, muß ich sagen, war die Bemerkung des Bundesinnenministers über den Sinn von Optionen. Option heißt doch nicht, daß man keine Entscheidung treffen will, sondern Option heißt nur, daß man begriffen hat, daß der Zeitpunkt für eine Entscheidung noch nicht gekommen ist.
Und das muß für die Richtigkeit einer Entscheidung doch nicht falsch sein. Alles, was Sie, Herr Kollege Laufs, über Gorleben gesagt haben, heißt doch auch nur, daß Gorleben eine Option ist. Die definitive Entscheidung über die Eignung oder, wie ich hier gelesen habe, die Eignungshöffigkeit, ein schönes Wort,
steht doch offen. Bis dahin ist Gorleben eine Option. Die Wiederaufarbeitungsanlagen sind eine Option, wenn ich dem Bericht folge. In dem Bericht steht doch, daß die Entwicklungs- und Erprobungsarbeiten an verschiedenen Stellen durchgeführt werden, daß die erste Teilerrichtungsgenehmigung Anfang 1985 erwartet werde, daß mit der Inbetriebnahme einer Anlage mit einer Kapazität von 350 Tonnen pro Jahr von zwei beantragten im Jahre 1992 zu rechnen sei. Es sind Optionen! Das heißt, wenn wir vorsichtig sein wollen, wenn wir die nötige Sorgfalt anwenden wollen, wenn wir der Sicherheit den Vorrang geben wollen, kommen wir in diesem Bereich ohne Optionen nicht aus.Der Bericht ist, wie ich finde, ein optimistischer Bericht. Er läßt keine Bedenken hinsichtlich der Realisierbarkeit des Entsorgungskonzepts erkennen. Er sagt allerdings, Herr Kollege Laufs, auch nichts über die Kosten. Sie haben in Ihren Ausführungen gesagt: Die Kosten sind nicht so hoch wie befürchtet.
— Sie sind tragbar; das läuft auf dasselbe hinaus. — Der Bericht sagt darüber kein Wort. Ich fände es nicht richtig, anhand eines solchen Berichts in dieser Frage entscheiden zu wollen, wie es sicherlich auch nicht richtig ist, anhand eines solchen Berichts über letzte Wahrheiten der Energiepolitik entscheiden zu wollen.Richtig ist die Bemerkung, daß das Wort „Entsorgung" nicht paßt.
Denn bei den hochradioaktiven Stoffen handelt essich ja in der Tat um Gegenstände, die aus derBiosphäre der Menschen über Zeiträume ausge-
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Dr. Hirschschlossen werden müssen, von denen wir wissen, daß keine menschliche Organisation sie überdauert.
Das ist in der Tat wahr. Von Entsorgung im Wortsinn kann keine Rede sein. Die Sorge darf — ich sage: darf — in dieser Frage auch nicht aufhören.Wir entnehmen dem Bericht, daß die Mengen, die wir im Jahr 2000 zu erwarten haben, relativ groß sind. Abgebrannte Brennelemente: 11 000 bis 12 000 t Urangegenwert; schwach- und mittelaktiver Stoff 330 000 m3; aus Wiederaufarbeitungsanlagen, rückgeliefert aus England und Frankreich: 2 600 Glasblöcke mit je 150 1.
Das sind insgesamt, was das Volumen betrifft, doch beachtliche Mengen innerhalb eines kurzen Zeitraums.
Das Jahr 2000 ist ja nicht mehr so schrecklich weit weg, und es geht hier um eine Technologie, die mit solchen Kosten aufgebaut wird, daß ihre Lebensdauer nach der Erwartung ihrer Betreiber das Jahr 2000 überschreiten soll. Das nehme ich doch an! Das heißt, wir haben noch kumulative Mengen. Die Mengen sind also beachtlich.Insofern ist natürlich auch die Frage der Endlagerung von großer Bedeutung. Der Bericht selber sagt nicht, daß Gorleben geeignet ist. Er sagt nur, daß bisher nach Meinung der Berichtsverfasser nichts bekannt ist, was die Eignung ausschließen würde. Darüber geht der Bericht nicht hinaus; das muß man festhalten. Es gilt die alte Bergmannsweisheit: Vor der Hacke ist es dunkel. Es ist richtig, daß der Salzstock erkundet werden muß. Was wir dort vorfinden werden, weiß niemand. Man kann Erwartungen haben. Es ist eine Option. Man weiß nicht, was kommt.Darum ist es in der Tat ein Problem — wir haben dieses Problem schon seit längerer Zeit im Innenausschuß behandelt —, ob es richtig ist, sich ausschließlich auf Gorleben zu kaprizieren. Sie wissen, Herr Kollege Laufs, daß wir uns auch in anderen Ländern danach umgesehen haben, welche Entsorgungsmöglichkeiten, welche Endlagerungsmöglichkeiten in allen möglichen Gesteinsarten denkbar sind. Von dieser Reise habe ich zu meiner Beunruhigung die Erkenntnis mitgenommen, daß andere Länder in der Frage der Entsorgung in der Tat sehr viel sorgloser sind als wir. Ich frage mich, ob sich diejenigen, die den Verkauf von Kernkraftwerken betreiben, der Verantwortung, die sich daraus ergibt, auch bewußt sind.Auch das muß man einmal aussprechen: Wir liefern mit großem Fleiß Kernkraftwerke in alle möglichen Länder oder wollen das tun, und wir wissen genau, daß diese Länder die Entsorgungsprobleme haben werden, mit denen wir uns selber in der Form von Optionen herumschlagen.Ich finde es gut, daß die Bundesrepublik in einer wesentlichen Frage vorangeht, nämlich der Entscheidung, radioaktive Abfälle nicht im Meer zu versenken. Andere Länder folgen diesem Weg nicht; bisher nicht. Wir möchten die Bundesregierung ermutigen, alles zu unternehmen, um auch Partnerländer dazu zu gewinnen, die Versenkung radioaktiver Stoffe im Meer, wenn überhaupt, nur als letzte und äußerste Möglichkeit zu betrachten. Ich glaube, das ist eine wichtige Tatsache, die in diesem Bericht ja ausdrücklich erwähnt wird. Wir möchten die Bundesregierung ermutigen, in dieser Frage fortzufahren. Genauso haben wir mit Interesse und Befriedigung gehört, was der Bundesinnenminister über die Gespräche mit der DDR zu gemeinsamen Entsorgungsproblemen dargestellt hat.
— Verehrter Herr Kollege, Sie erliegen der Kraft des einfachen Gedankens.
Das mit dem Abschalten haben wir hier nun mehrfach gehört. Man muß ja eines begreifen: daß die ökologischen Probleme der Energieversorgung unserer Zivilisation um so größer sind, je mehr Energie wir verbrauchen,
und daß diese ökologischen Probleme zwar danach verschieden sind, auf welcher Grundlage wir Energie verbrauchen, daß aber auch der Verbrauch fossiler Brennstoffe natürlich enorme ökologische Probleme mit sich bringt; das ist unbestreitbar.
Die Frage ist nur — darüber kann man sich unterhalten —, mit welcher Dringlichkeit, mit welchem Aufwand und mit welchen Mitteln die einen und die anderen ökologischen Probleme zu lösen sind. Das Hauptproblem der Energiepolitik liegt unverändert nicht darin, wie man preiswerte Energie zur Verfügung stellen kann, sondern darin, was wir tun können, um den spezifischen Energieverbrauch zu senken. Das muß die Hauptsorge auch der Forschungs- und Entwicklungspolitik sein.
Die letzte Bemerkung, die ich machen will, ist eigentlich nur die: Das ist ein Bereich, bei dem man sich wirklich fragen muß, wie weit die Entscheidungsfreiheit des Parlaments wirklich noch gehen kann und wie weit sie geht. Wenn radioaktiver Müll produziert wird — und das ist der Fall; es ist eine Tatsache, die wir nicht ändern können —, muß er beseitigt werden. Dazu gibt es keine Alternative.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Oktober 1983 2089
Vizepräsident Frau RengerDer Ältestenrat schlägt vor, den Bericht der Bundesregierung auf Drucksache 10/327 zur federführenden Beratung an den Innenausschuß und zur Mitberatung an den Ausschuß für Wirtschaft, den Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau, den Ausschuß für Forschung und Technologie und den Haushaltsausschuß zu überweisen. Sind Sie damit einverstanden? — Es erhebt sich kein Widerspruch. Es ist so beschlossen.Für den Entschließungsantrag auf Drucksache 10/527 wird Überweisung an den Innenausschuß vorgeschlagen. — Auch dagegen erhebt sich kein Widerspruch. Es ist so beschlossen.Ich rufe die Punkte 8, 9 und 10 der Tagesordnung auf:8. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Zweiten Protokoll vom 17. Februar 1983 zur Änderung und Ergänzung des Abkommens vom 22. April 1966 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Japan zur Vermeidung der Doppelbesteuerung bei den Steuern vom Einkommen und bei einigen anderen Steuern— Drucksache 10/461 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Finanzausschuß9. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Internationalen Kaffee-Übereinkommen von 1983 und zur Verlängerung des Internationalen Kaffee-Übereinkommens von 1976— Drucksache 10/462 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit10. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Förderung der Rationalisierung im Steinkohlenbergbau— Drucksache 10/460 —Überweisungswunsch:Ausschuß für Wirtschaft HaushaltsausschußDazu liegen keine Wortmeldungen vor.Der Ältestenrat schlägt Überweisung der Gesetzentwürfe auf den Drucksachen 10/460, 10/461 und 10/462 an Ausschüsse vor. Die Überweisungsvorschläge des Ältestenrats ersehen Sie aus der Tagesordnung. Sind Sie damit einverstanden? — Es erhebt sich kein Widerspruch. Es ist so beschlossen.Ich rufe Punkt 11 der Tagesordnung auf:Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr zu der Unterrichtung durch die BundesregierungMitteilung der Kommission an den Rat über Fortschritte auf dem Wege zu einer gemeinsamen Verkehrspolitik — Binnenverkehr —— Drucksachen 10/358 Nr. 93, 10/473 — Berichterstatter:Abgeordneter DrabiniokDer Berichterstatter wünscht das Wort nicht. Auch zur Aussprache wird das Wort nicht gewünscht.Wir kommen zur Abstimmung. Wer der Beschlußempfehlung des Ausschusses auf Drucksache 10/473 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Mit Mehrheit angenommen.Wir sind am Schluß der heutigen Tagesordnung.Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 9. November 1983, 13 Uhr ein.Die Sitzung ist geschlossen.